Die Geldgesellschaft und ihr Glaube 3531154729, 9783531154725 [PDF]


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Cover......Page 1
Die Geldgesellschaft und ihr Glaube......Page 2
Inhaltsverzeichnis......Page 5
Vorwort......Page 8
Überlegungen zur Sinnhaftigkeit von Sozialzwecknormen in der Ertragsbesteuerung......Page 11
Anmerkungen von Dr. Karl Marx zur wirtschaftlichen Entwicklung seit 1980......Page 24
Monetik statt Ethik im Gesundheitswesen – entscheidet Geld über Leben und Tod von Patienten?......Page 38
Die neue Landnahme des Geldes......Page 53
Geld als philosophische Hermeneutik......Page 70
Das Streben der Manager nach Erfolg und Wachstum – Zwang oder Gier?......Page 80
Geld – Medium einer Normalität oder Killerprämie?......Page 97
Moneyismus – Der Glaube an Geld als Alltagsreligion......Page 108
„Geld ist Zeit“......Page 119
Die Erfindung des Positivsummenspiels......Page 131
Metamorphosen des Geldes......Page 141
Wie harmlos ist Geld? Anmerkungen zur geldsoziologischen Diskussion......Page 153
Wolfgang Amadeus Mammon oder Der Wolferl und das liebe Geld......Page 165
Vom Fetisch zum Simulakrum......Page 176
Postskriptum......Page 193
Die orthodoxe Kapitalismuskritik und ihr Dilemma......Page 202
Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse......Page 205
Betriebswirtschaftslehre und der Geldpolylog – eine Herausforderung an die Universitäten?......Page 216
Ist Geld Information oder doch nur ihr Zwilling?......Page 220
Firmenpiraten und Börsenspieler – Über die wachsende Macht der Finanzmärkte......Page 226
Des eigenen Glückes Knecht......Page 247
Der Wert des Geldes......Page 251
Alles ist käuflich. Ist alles käuflich?......Page 256
Zur Senkung des Geldglaubens......Page 260
The Interdependency between Work, Society and Money......Page 265
Warum kann das Verständnis des Zusammenhangs von Arbeit, Geld und Gesellschaft zur Lösung sozialer Probleme beitragen?......Page 271
Moneyismus – Zur Gefahr einer sozialen Realität......Page 276
Verzeichnis der Autoren......Page 282
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Die Geldgesellschaft und ihr Glaube
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Zitiervorschau

Paul Kellermann (Hrsg.) Die Geldgesellschaft und ihr Glaube

Paul Kellermann (Hrsg.)

Die Geldgesellschaft und ihr Glaube Ein interdisziplinärer Polylog

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

. 1. Auflage Mai 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15472-5

Inhaltsverzeichnis Paul Kellermann Vorwort ...............................................................................................................9 Sabine Urnik Überlegungen zur Sinnhaftigkeit von Sozialzwecknormen in der Ertragsbesteuerung...............................................................................13 Stephan Schulmeister Anmerkungen von Dr. Karl Marx zur wirtschaftlichen Entwicklung seit 1980..........................................................27 Guido Offermanns Monetik statt Ethik im Gesundheitswesen – entscheidet Geld über Leben und Tod von Patienten? .................................41 Gerd Nollmann Die neue Landnahme des Geldes Wirtschaftswachstum, Beschäftigungsraten und Kommodifizierung von Familienarbeit in OECD-Ländern ..........................................................57 Ingeburg Lachaussée Geld als philosophische Hermeneutik ............................................................75 Dietrich Kropfberger Das Streben der Manager nach Erfolg und Wachstum – Zwang oder Gier? Eine kritische Betrachtung der Folgen des Shareholder Value-Prinzips......................................................................85 Erich Kitzmüller Geld – Medium einer Normalität oder Killerprämie? ................................103 Paul Kellermann Moneyismus – Der Glaube an Geld als Alltagsreligion........................................................115

Peter Heintel "Geld ist Zeit" ................................................................................................127 Aldo Haesler Die Erfindung des Positivsummenspiels.......................................................139 Friedrich Fürstenberg Metamorphosen des Geldes Sozialstrukturelle Folgen globalisierter Finanzmärkte ..............................149 Christoph Deutschmann Wie harmlos ist Geld? Anmerkungen zur geldsoziologischen Diskussion .......................................161 Reinhard Deutsch Wolfgang Amadeus Mammon oder Der Wolferl und das liebe Geld.....................................................................173 Arno Bammé Vom Fetisch zum Simulakrum Über den Begriff des Geldes in der Postmoderne........................................185 Anhang Arno Bammé Postskriptum...................................................................................................203 Erich Kitzmüller Die orthodoxe Kapitalismuskritik und ihr Dilemma Bemerkungen zu Arno Bammés Postskriptum ...........................................212 Paul Kellermann Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse...................................215 Guido Offermanns Betriebswirtschaftslehre und der Geldpolylog – eine Herausforderung an die Universitäten? ...............................................226

Roland Mittermeir Ist Geld Information oder doch nur ihr Zwilling? Kommentar zu Christoph Deutschmann: „Wie harmlos ist Geld?“ .........230 Reinhard Blomert Firmenpiraten und Börsenspieler – Über die wachsende Macht der Finanzmärkte...............................................................................236 Daniel Wutti Des eigenen Glückes Knecht Über den Zusammenhang von Arbeit, Geld und Gesellschaft ...................257 Stefan Urabl Der Wert des Geldes Arbeit, Geld und Gesellschaft .......................................................................261 Johannes Theuermann Alles ist käuflich. Ist alles käuflich? Über den Zusammenhang von Arbeit, Geld und Gesellschaft ...................266 Raphael Spatzek Zur Senkung des Geldglaubens Der Fischer und der Tourist - nach Bölls Anekdote. Philosophieren über Arbeit, Geld und Gesellschaft ....................................270 Arthur Pitman The Interdependency between Work, Society and Money .........................274 Regina Lackner Warum kann das Verständnis des Zusammenhangs von Arbeit, Geld und Gesellschaft zur Lösung sozialer Probleme beitragen?..............280 Ronald Ivancic Moneyismus – Zur Gefahr einer sozialen Realität Versuch der Rekonstruktion des Verständnisses von Arbeit, Geld und Gesellschaft .......................................................................284 Verzeichnis der Autoren................................................................................291

Vorwort

Die Entstehungsgeschichte dieses Sammelbandes hat zwei Stränge. Der erste begann mit dem Versuch, als damaliger Dekan die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik der Universität Klagenfurt mit einem interdisziplinären Thema auch wissenschaftlich stärker zusammenzubringen. Darauf gingen ein Symposion und mehrere Workshops in den Jahren 2003 und 2004 zurück. An diesen beteiligten sich nach und nach auch Mitglieder der anderen Klagenfurter Fakultäten. Die vorgelegten Texte bildeten das Buch „Geld und Gesellschaft“ (Wiesbaden 2005, 22006). 2006 fand wieder ein Symposion in Klagenfurt statt, an dem sich nun auch Kolleginnen (m/w) aus dem übrigen Österreich, aus Deutschland und Frankreich beteiligten. Sie lieferten in der Folge Texte zum vorliegenden Sammelband. Der zweite Strang besteht aus Postskripta und Kommentaren zu den verfügbaren Texten, aus der Niederschrift einer Berliner Rundfunksendung sowie aus studentischen Artikeln. Beide Stränge lassen sich mit dem Begriff „Diskurs“ verbinden. Allerdings gilt es, verschiedene Momente des Prozesses zu unterscheiden – vor allem mittelbar oder unmittelbar auf einander bezogene Reden, Gegenreden und „Mitreden“ i.S. von zum gleichen oder gar selben Gegenstand zu sprechen. Freilich darf die verbale Form des Diskurses nicht nur auf den gesprochenen Gedanken, sondern sollte ebenso auf den geschriebenen oder gar künstlerisch ausgedrückten bezogen werden. Die Symposien lebten vom Gespräch, die Workshops von Thesenpapieren und Diskussionen, die Sammelbände enthalten naturgemäß nur noch Texte oder Bilder. Dialektisch gesehen liegt im Text allerdings auch bereits sein Widerspruch, das von ihm provozierte Gegendenken – vorausgesetzt, die Beiträge werden gelesen. Wer auf spannende Art in das Thema „Geld“ und damit in das vorliegende Buch eingeführt werden möchte, dem sei empfohlen, zuerst die Niederschrift einer Rundfunksendung anzusehen. Der Text von Reinhard Blomert liest sich nämlich wie ein Wirtschaftskrimi. Zugleich beschreibt er sehr plastisch den Wandel gesellschaftlicher Werte in den USA, der sich allerdings bald auch in den anderen Industrieländern durchzusetzen begann. Die ihm zugrunde liegenden neuen Menschen- und Gesellschaftsbilder beherrschen inzwischen sogar weltweit den Globalen Konkurrenzkapitalismus. Wer Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral (1963) kennt und deren dialektische Fortführung

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Paul Kellermann

im Geiste einer Kritik des „Moneyismus“ kennen lernen möchte, der sollte mit dem studentischen Text von Raphael Spatzek „Eine Anekdote zur Senkung des Geldglaubens“ beginnen. Einen ähnlich unbeschwerten Themenzugang bietet der Text „Wolfgang Amadeus Mammon oder Der Wolferl und das liebe Geld“ von Reinhard Deutsch. Betriebs- und Wirtschaftsinteressierte mögen sich mit den Thesen und Sichtweisen von Sabine Urnik, Guido Offermanns und Dietrich Kropfberger auseinandersetzen. Kropfbergers Beitrag lässt sich einerseits als „Mitrede“ zu Wolfgang Nadvorniks Text „Shareholder Value – Die Magie betriebswirtschaftlicher Entscheidungsfindung durch Finanz-Kennzahlen“ aus dem vorigen Band „Geld und Gesellschaft“ verstehen, andererseits aber auch als Gegenrede oder zumindest als Ergänzung zu der Blomertschen Rundfunksendung. Philosophisch argumentiert (wenn auch nicht so krass – „Das ist Philosophie. Ich verstehe kein Wort. Aber das ist Philosophie!“ – wie Arno Bammé C.F. von Weizsäcker in seinem Text zitiert) sind die Beiträge von Ingeburg Lachaussée, Peter Heintel und Aldo Haesler, wozu Erich Kitzmüller die Verbindung mit den wirtschaftsund geldtheoretischen Texten von Stephan Schulmeister, Christoph Deutschmann, Arno Bammé, mit den statistischen Argumenten und Belegen von Gerd Nollmann sowie schließlich mit den eher „nur“ soziologischen Beiträgen von Friedrich Fürstenberg und mir herstellt. Als Fortführung des Diskurses ist zunächst Stephan Schulmeisters Artikel zu verstehen, der sich von Arno Bammés Text „Fetisch ‚Geld’“ aus dem vorigen „Geldbuch“ anregen ließ, aber dann viel umfassender noch Christoph Deutschmanns Aufnahmen von und Entgegnungen zu Sichtweisen in sechs Artikeln aus „Geld und Gesellschaft“. Am berechtigsten sind die Postskripta und Kommentare zu den vorliegenden Texten als direkte Diskursbeiträge zu bezeichnen. Inwieweit dies auch über die studentischen Texte gesagt werden darf, mag entschieden werden, wenn deren Zustandekommen beschrieben ist. Im Wintersemester 2006/07 bot ich ein Proseminar „Arbeit, Geld und Gesellschaft“ an, zu dem sich mehr als 100 Studierende (bei einer Sollzahl von 35) verschiedener Studienrichtungen anmeldeten. Ich versprach allen, die mit mir wirklich zusammenarbeiten würden, die Aufnahme. Als erstes verlangte ich, eine Seite zum Thema des Proseminars aus aktueller studentischer Sicht zu schreiben. Diese sollte nach Semesterende ermöglichen, den Studienerfolg zu überprüfen. Zweitens sollten alle im Laufe des Semesters ein Protokoll von einer Sitzung verfassen, aus dem ich erkennen wollte, was in welcher Weise verstanden worden war, um erforderliche Rückmeldungen geben zu können. Die dritte Aufgabe war, ab Mitte des Semesters einen Text zum Thema der Lehrver-

Vorwort

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anstaltung zu entwickeln, der die Leserschaft der Wochenendbeilage einer anspruchsvollen Tageszeitung interessieren und anregen können sollte. Ich bot an, die jeweiligen Erstfassungen in und außerhalb des Proseminars zu kommentieren. Nahezu alle Studierenden nahmen dieses Angebot wahr und überarbeiteten ihre Texte. Zu Semesterende lagen rund 60 Papiere vor. Von diesen wurden in den Sammelband sieben aufgenommen, die sowohl von den Studierenden nach entsprechender Gruppenarbeit als auch von mir für veröffentlichungswürdig angesehen wurden. Diskurse sind auf Rede und Gegenrede angelegt. Dass daraus ein bleibender Konsens hervorgeht, ist Glaube bloß positiver Dialektik. Doch Dialektik endet nicht wirklich im Konsens. Wenn schon Synthese nach These und Antithese, dann wirkt auch die Synthese als neue Herausforderung auf Gegenrede. Der Diskurs ist so lange nicht zu Ende, so lange argumentativ gegensätzliche Ansichten vertreten oder neue Einsichten gewonnen werden. Freilich beschränken sich neue Einsichten nicht nur auf das, was war, aber bisher nicht erkannt wurde; da sich gesellschaftlich in vielerlei Hinsicht Neues entwickelt – um nur wenige Stichwörter zu geben: Technologien, Märkte, Erdbevölkerung, Ideologien, Globales Zeitalter –, muss es auch neue Einsichten geben. Ähnlich sollen auch hier die verschiedenartigen Diskursbeiträge verstanden werden: Wer sich angeregt fühlt, am weiteren Polylog beziehungsweise am „Klagenfurter Gelddiskurs“ mitzumachen, möge dies mitteilen ([email protected]). Ansonsten wünsche ich Lesevergnügen, in naivem Idealismus allerdings auch einen Effekt auf das vernünftige Handeln mit Geld. Eine allgemein sinnvolle Abfolge der Texte ist kaum zu finden; deshalb wurde (wie im vorhergehenden Band) das Alphabet als Organisationsmittel herangezogen – diesmal allerdings zur ausgleichenden Gerechtigkeit von hinten her beginnend. Der Gebrauchswert, der in Karen Meehans, B.A., Mitarbeit an der Fertigstellung dieses Sammelbandes besteht, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden; ihr besonders, aber ebenso allen Textschreibern (w/m) möchte ich sehr danken. P.K., Februar 2007

Sabine Urnik

Überlegungen zur Sinnhaftigkeit von Sozialzwecknormen in der Ertragsbesteuerung

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Präambel

Jeder Bürger ist praktisch sein ganzes Leben lang und in nahezu allen Lebensbereichen Adressat von Steuergesetzen. Steuern sind konstitutives Element jedes modernen Staates: Um die Mittel zu erlangen, die es ihm ermöglichen, seine öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können, nimmt er durch die Besteuerung direkt oder indirekt am wirtschaftlichen Erfolg seiner Bürger – der Wertschöpfung der Volkswirtschaft – teil. Das bestehende Steuerrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass dem einzelnen für die Finanzierung der allgemeinen Staatsausgaben Geld entzogen wird. Auf der Belastungsseite maßgeblich ist mithin der Entzug von Geld; in anderer Form (z.B. durch Arbeitsleistungen) kann der einzelne Bürger seine Steuerschuld nicht tilgen. Diese Last gilt es, „gerecht“ zu verteilen. Mit dem Steuerrecht wurde und wird aber auch stets versucht, lenkend auf das Verhalten der Steuerpflichtigen Einfluss zu nehmen: In diesem Sinne wird über gezielte „Entlastungen“ belohnt, wer sich entsprechend verhält und mit höherer Steuerlast „bestraft“, wer sich nicht entsprechend verhält. Die Festmachung, Formulierung und Bewertung allgemeiner Wertungen bzw. Regeln, die der Gesetzgeber der Besteuerung zu Grund zu legen hat, werden erschwert, weil sie – zumal zu unterschiedlichen Zeiten – auch unterschiedlich verstanden werden. Veränderungen in den Kultur- und Lebensgewohnheiten ziehen – bewusst oder unbewusst – auch Änderungen der sie regelnden rechtlichen Grundlagen nach sich. Eben, weil der ethische Diskurs über die Einflussnahme des Staats durch die Besteuerung ständig neue Bedingungen vorfindet (z.B. die Diskussion über die Vernunft bzw. Unvernunft einer Ökologisierung des Steuerrechts), ist der Weg auf der Suche nach allgemein erkannten Regeln so beschwerlich (Würtenberger 1991). Fraglich erscheint aber schon im Grundsätzlichen, ob der vorherrschende Steuerinterventionismus bzw. seine derzeitige Ausprägungsformen gerechtfertigt sind. Diesen Überlegungen sind die folgenden Ausführungen gewidmet.

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Sabine Urnik

Rechtlicher Rahmen

2.1 Grundüberlegungen In der Entwicklungsgeschichte des Steuerrechts bildete sich – ohne hier im Detail darauf eingehen zu wollen – der Leitgedanke, bei der Lastenzuteilung an die „Fähigkeit“ des Steuerbürgers anzuknüpfen. Hier liegt die Überlegung zugrunde, dass der Reiche zur Lastentragung eines Staats mehr beisteuern kann (soll) als der Arme. Dies entspricht bereits der klassischen Formulierung bei Adam Smith: „Die Bürger eines jeden Landes sollten eigentlich zur Finanzierung der öffentlichen Abgaben soweit als möglich im Verhältnis zu ihren Fähigkeiten beisteuern, was bedeutet, dass sich ihr Beitrag nach dem Einkommen richten sollte, das sie jeweils unter dem Schutz eines Staates erzielen.“ (Smith 1974: 703). Diese Orientierung nach der Regel „Jedem nach seinen Fähigkeiten", bzw. nach der Überlegung, die einzelnen Personen nach ihrer Fähigkeit, Steuern zahlen zu können („according to his riches“, Walz 1980), mit Steuern zu belasten (Ability to Pay-Principle), ist zumindest für die Steuern auf die Einkommenserzielung als Fundamentalprinzip anerkannt und wurde auch verfassungsrechtlich in zahlreichen Entscheidungen ausdrücklich bestätigt (vgl. insbes. VfGH v. 12.12.1991, G188/189/91). Es enthält aber kein zwingendes, rechtlich fassbares Gebot für die Staatsgewalt, diese oder jene Steuer zu erheben, diesen oder jenen Indikator zur Messung steuerlicher Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Auch lässt es die Wertungszusammenhänge mit anderen Prinzipien des Steuerrechts (etwa dem Grundsatz der Steuerpraktikabilität) umstritten und ungeklärt. 2.2 Der Gleichheitsgrundsatz Der verfassungsrechtlich für die Steuergesetzgebung maßgebliche Rahmen wird in der deutschen Literatur (insbes. Tipke 2000, 2003) primär über die Vorgaben des Gleichheitssatzes (Art. 3, Abs. 1 Grundgesetz), konkretisiert durch den Vergleichsmaßstab ”Leistungsfähigkeit“, bestimmt. Die diesbezüglichen Überlegungen sind trotz des Fehlens eines Rechtssatzes nach dem Muster des Art. 134 der deutschen Weimarer Reichsverfassung nach allgemeiner Auffassung auch für Österreich von Bedeutung bzw. übertragbar: Den Rahmen bietet hier der Gleichheitssatz der Bundesverfassung. Dessen Vorgabe („Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich.“ – Art. 7, Abs. 1 B-VG und „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.“ – Art. 2 StGG) entfaltet für steuerrechtliche Ge-

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rechtigkeitsüberlegungen eine formale und eine materielle Dimension: Als Ausfluss der Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs und der Allgemeinheit (Universalität) der Besteuerung zielen sie auf den formalen Aspekt ab. Dabei sollen alle (steuerlich leistungsfähigen) Individuen ohne Ansehen ihrer Person besteuert werden. Jede Rechtsnorm im Steuertatbestand, die dazu beiträgt, eine Steuerlast für bestimmte Personen (Personengruppen) zu senken oder gar zu beseitigen, muss als persönliches Steuerprivileg gewertet werden, widerspricht dem Grundsatz der Allgemeinheit und ist als gleichheitssatzwidrig zu bezeichnen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sich die Differenzierung unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt rechtfertigen lässt, also willkürlich erfolgt. Die verfassungsrechtliche Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot (so z.B. BFH v. 23.10.1951, BverfGE 1, 14, 52; Tipke 1990) setzt auf der Überlegung auf, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber verbiete, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Nach der VfGH-Judikatur (z.B. v. 14.12.1978, G 82/78 VfSlg 8457) verwehrt das Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber keineswegs, als Differenzierungsgründe wirtschafts-, finanz- und bevölkerungspolitische Überlegungen anzuerkennen; es kommt auch nicht darauf an, dass eine andere Lösung gerechter oder vernünftiger gewesen wäre oder dem Gleichheitssatz noch besser entsprochen hätte – die Differenzierung muss sich lediglich unter einem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt rechtfertigen lassen. Der Ansatz, den Gleichheitssatz als Willkürverbot zu interpretieren, kann auf die Frage des materiellen Aspekts von Gerechtigkeit keine Antwort geben. Der Vergleichsmaßstab, der benötigt wird, um steuerrechtliche Sachverhalte im Rahmen der Gleichheitsinterpretation miteinander vergleichen zu können, ist nach überwiegender Literatur (z.B. Rawls 1979, Neumark 1970, Tipke 2000) und gängiger Judikatur (z.B. VfGH v. 12.12.1991, G 188/91, G 290/91) mit dem Maßstab „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ gegeben. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die im Wesentlichen gleich ist, ist steuerlich gleich zu belasten; im Wesentlichen unterschiedliche Leistungsfähigkeit ist ungleich zu behandeln. Weitere Vorgaben für die Steuerlastzuteilung sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht erkennbar. Welche Faktoren bei der Auswahl und Abgrenzung der miteinander zu vergleichenden Gegebenheiten sowie bei der Auswahl und Festlegung des Vergleichsmaßstabes zu berücksichtigen sind, bleibt letztendlich offen, stellen sich aber als praktische Kernfragen des Problems dar und erfahren eine Konkretisierung erst über eine Abfolge gesetzgeberischer Wertentscheidungen. Freilich müssen diese Entscheidungen zur Konkretisierung jeweils in einem Ordnungszusammenhang stehen, d.h. dass der Gesetzgeber aus Grund-

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satzentscheidungen folgerichtig verfahren und ableiten muss. Daraus ergibt sich jene „Pyramide von Wertungen“, die von Tipke (1993: 105ff.) als Grund- und Folgewertungen für ein „ideales (inneres) System“ des Steuerrechts gefordert wird. 2.3 Zur Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips Die konkrete Inhaltsbestimmung des Leistungsfähigkeitsprinzips konzentriert sich auf die Festlegung von Grund- und Folgewertungen, die sich aus ihm ableiten lassen. Auf diesen Ebenen hat der Gesetzgeber mehrere Entscheidungsalternativen, die sich gleichwertig als Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips ausweisen können. In Anlehnung an die von Birk (1983) getroffene Einteilung kann bei der Entwicklung des steuerrechtlich geltenden Normensystems eine Systematisierung in Grundwertungen und Einzelwertungen vorgenommen werden. Mit den Grundwertungen werden fundamentale Festlegungen für das gesamte Steuersystem getroffen, die anschließend in Gestalt der Einzelwertungen so detailliert werden, dass sie in konkrete Rechtsnormen umsetzbar sind. Der Gesetzgeber hat sich mit drei Entscheidungsbereichen auseinanderzusetzen: 1) Hinsichtlich der Steuerarten ist festzulegen, welches wirtschaftliche Potenzial als Maßgröße der Leistungsfähigkeit – als Grundlage der Besteuerung – gewählt werden soll. In Anlehnung an die grundsätzliche Einteilung des Wirtschaftskreislaufs in Einkommenserzielung und Einkommensverwendung (letztere in privatem Konsum und privater Investition sowie in Investitionen zur weiteren Einkommenserzielung) bieten sich als Anknüpfungspunkte unter dem Blickwinkel des Steuerzugriffs das „Einkommen“ in der Phase des Erwerbs, das „Vermögen“ in der Phase des Haltens und der „Konsum“ in der Phase der Verwendung als mögliche Leistungsfähigkeitsindikatoren an. 2) Ferner muss der Gesetzgeber entscheiden, welche grundsätzlichen wirtschaftlichen Bezugsgrößen innerhalb der gewählten Steuerart den Indikator im Wesentlichen bestimmen sollen. (Zu entscheiden sind z.B. der Anknüpfungspunkt Ist- oder Soll-Leistungsfähigkeit; die Berücksichtigung eines Existenzminimums; die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Aufwendungen und die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse u.a.m.) Im Rahmen der Grundsatzwertungen sind die einzelnen Größen hinsichtlich Umfang und Höhe noch nicht im Detail definiert; diese Konkretisierung erfolgt erst auf der nächsten Ebene, bei der sich der Gesetzgeber durch nachgelagerte Ein-

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zelwertungen aus der Reihe erwägenswerter Alternativen auf eine festlegen muss. 3) Schließlich zielt der dritte Entscheidungsbereich auf die Festlegung einer gerechten Steuerzumessung ab: Erforderlich ist daher eine Grundwertung über den Tariftypus (proportional, progressiv). Als Einzelwertung muss eine bestimmte Höhe des Steuertarifs (des Steuertarifverlaufs) festgesetzt werden. Es ist an dieser Stelle unmöglich, die unterschiedlichen Standpunkte des breit angelegten Meinungsstreits zu den gefällten bzw. möglichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers auch nur annähernd erschöpfend und für alle Steuerarten wiederzugeben. Die Kürze der Ausführungen soll auch nicht über die Fülle von dazu ergangenen Publikationen hinwegtäuschen: Diskutiert und problematisiert wurden in diesen weniger die Primärentscheidungen des Gesetzgebers als solche, sondern deren technische Umsetzung bzw. höhenmäßige Berücksichtigung. Letztere Überlegungen münden in Ausformungen von „Einzelwertungen“, deren Spielraum durch die Grundsatzwertungen zwar eingeengt, aber dennoch – da die Verwirklichung von Grundwertungen auf vielerlei Weise möglich ist – erheblich weiter als auf der Stufe der Primärableitungen ist (Birk 1983). 2.4 Ausnahmen von der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Von den angeführten Grundwertungen darf in Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht willkürlich abgewichen werden, sondern Differenzierungen sind plausibel zu begründen. Sachliche Argumente lassen sich insbesondere für Sozialzwecksteuern bzw. für die in Fiskalzwecksteuern eingestreuten EinzelSozialzwecknormen anführen. 2.4.1 Sozialzwecksteuern Bei reinen Sozialzwecksteuern ist die Einnahmenerzielung (lediglich) Nebenzweck: Solange die für das bezweckte Verhalten der Wirtschaftssubjekte notwendigen Umstellungen noch nicht gesetzt sind, bleibt das Aufkommen hoch; mit steigendem Anpassungsvolumen geht das Aufkommen zurück. Die Maßnahmen zur Zielerreichung (z.B. Senkung des Tabakkonsums durch die Besteuerung des Tabakwarenverbrauchs) können tendenziell nicht am Leistungsfähigkeitsprinzip orientiert ausgestaltet sein, sondern sind durch die außerfiskalische Zwecksetzung geprägt.

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2.4.2 Sozialzwecknormen, die in Fiskalzwecksteuern eingestreut sind Bei der Auswahl und Festsetzung der außerfiskalischen Zwecke ist der Gesetzgeber nicht frei, sondern muss sich nach der Judikatur des VfGH (z.B. VfSlg 3334/1958 u. 5740/1968) von „vernünftigen, sachgerechten Gründen bewegen lassen“, welche an den Gemeinwohlinteressen (z.B. Erhaltung der Volksgesundheit, der Umwelt etc.) einer Volkswirtschaft auszurichten sind. Damit widerspräche eine lediglich im Interesse einzelner Steuerpflichtiger oder einzelner Gruppen getroffene Regelung dieser Vorgabe und würde als Begünstigung ein Steuerprivileg oder -geschenk darstellen. Individual- oder Gruppeninteresse darf also nicht der Zweck der Subvention sein; vielmehr muss der Zweck der Subvention Gemeinwohl verwirklichen, auch wenn gleichzeitig Individualinteresse besteht. Insbesondere bei den in Fiskalzwecksteuern eingestreuten EinzelSozialzwecknormen muss das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe der Intensität der getroffenen Ausnahmeregel angemessen sein und darf das mit der Differenzierung angestrebte Ziel nicht zu Einwendungen Anlass bieten. Trotz dieser (ungenauen) Einschränkung bleibt dem Gesetzgeber allerdings bei der Auswahl der Lenkungsziele und der Entscheidung für das Lenkungsmittel der Steuer ein beachtlicher Spielraum. Dieser wird eingegrenzt durch die im Anschluss an Tipke (1981) zur Rechtfertigung von gemeinwohlorientierten Sozialzwecknormen herangezogenen Prinzipien: Als außerfiskalische Zwecke der Sozialzwecknormen kommen lediglich Verhaltenslenkung und Umverteilung in Betracht. Dabei haben sich Sozialzwecknormen mit Lenkungscharakter am Verdienstprinzip zu orientieren; Umverteilungsnormen sind hingegen am Bedürfnisprinzip auszurichten. 2.4.2.1 Umverteilungsnormen und Bedürfnisprinzip Das Bedürfnisprinzip berücksichtigt wirtschaftliche Bedürftigkeit durch Steuerentlastung (oder Transferleistungen). Hier sind aber nur jene zusätzlichen Entlastungen gemeint, die neben und ergänzend zu den Steuerfreistellungen, die bereits durch das Leistungsfähigkeitsprinzip geboten sind (z.B. dem Existenzminimum), verankert sind. „Es dient dem wohlfahrtsstaatlichen Ziel sozialer Absicherung der Bürger im Interesse des sozialen Friedens“ (Lang 1987: 34): In diesem Sinn finden Wohlstandskorrekturen im Interesse eines sozialen Ausgleichs bzw. der sozialen Absicherung statt und werden z.B. über Transfers durch Sozialhilfe bzw. direkte Subventionierung vorgenommen. Umverteilung wird aber auch via Steuererhebung erzielt. Dabei kommen grundsätzlich Abzüge von der Bemessungsgrundlage sowie Tarifgestaltungen bzw. Abzüge von der

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Steuerschuld in Frage (z.B. Kinderabsetzbetrag, Unterhaltsabsetzbetrag, Alleinverdiener-/Alleinerzieherabsetzbetrag). 2.4.2.2 Lenkungsnormen und Bedürfnisprinzip Nach dem Verdienstprinzip soll zu einem bestimmten, dem Allgemeininteresse dienenden Verhalten angehalten werden. Dabei stehen gezielte Sonderbelastungen auf der einen, Förderungsmaßnahmen durch zweckbezogene gezielte Steuerentlastungen auf der anderen Seite zur Verfügung. Der österreichische Einkommensteuergesetzgeber hat insbesondere eine Vielzahl von Förderungsmaßnahmen i.S. von Subventionen (wenn auch nicht immer als solche bezeichnet) gesetzlich verankert. Folgender Befund zeigt (nur) einige für den unternehmerischen Bereich vorgesehene Regelungen auf: • Sonderentlastungen im Zusammenhang mit Investitionen Um das Investitionsverhalten der Unternehmer in eine bestimmte Richtung zu lenken bzw. um Reinvestitionen zu erleichtern, finden sich im Einkommensteuergesetz etliche Regelungen mit zum Teil recht unterschiedlicher Wirkung, die dieses Verhalten unterstützen. Nach Investitionsbereichen gegliedert sind dies: – Investitionen in Sachanlagen: o Übertragung stiller Reserve gem. § 12 (Aussetzung der Besteuerung bei Veräußerung und anschließender Reinvestition). o Vorzeitige Abschreibung gem. § 10c (katastrophenbedingte Ersatzbeschaffung von Gebäuden und sonstigen Wirtschaftsgütern – zeitlich befristet). o Sonderprämie gem. § 108d (katastrophenbedingte Ersatzbeschaffung von Gebäuden und sonstigen Wirtschaftsgütern – zeitlich befristet). o Investitionszuwachsprämie gem. § 108e (zeitlich befristet). – Investitionen in die Forschung o Forschungsfreibetrag (FFB) gem. § 4, Abs. 4, Z. 4a: Entwicklung oder Verbesserung volkswirtschaftlich wertvoller Erfindungen (Nachweis dafür notwendig): 25 bzw. 35 Prozent für durch- bzw. überdurchschnittliche Forschung vom Forschungsaufwand als zusätzlicher Aufwand abzugsfähig. o FFB gem. § 4 Abs. 4, Z. 4: Forschung und experimentelle Entwicklung, die systematisch und wissenschaftlich durchgeführt wird. Ziel: Wissensvermehrung sowie neue Wissensanwendungen (keine Patentanmeldung bzw. kein volkswirtschaftlicher Wertnachweis erforderlich): 25 Prozent der Forschungsaufwendungen als zusätzlicher Aufwand abzugsfähig.

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o FFB gem. § 4, Abs. 4, Z. 4b wie § 4, Abs. 4, Z. 4a: Aufwendungen für die Auftragsforschung: 25 Prozent der Forschungsaufwendungen (max. € 100.000 p.a.) als zusätzlicher Aufwand abzugsfähig. o Alternativ zu FFB gem. § 4, Abs. 4, Z. 4 EStG: Forschungsprämie 108c in Höhe von acht Prozent. – Investitionen in Humankapital (Know-How der Mitarbeiter) o Bildungsfreibetrag (BFB) gem. § 4, Abs. 4, Z. 8: (Externe) Aus- und Fortbildungsmaßnahme: 20 Prozent der endgültigen Aufwendungen. o BFB gem. § 4, Abs. 4, Z. 10: Aufwendungen in innerbetriebliche Aus- und Fortbildungseinrichtungen: 20 Prozent der Aufwendungen (max. € 2000,pro Kalendertag). o Alternativ: Bildungsprämie gem. § 108c in Höhe von sechs Prozent der Aufwendungen. o Lehrlingsausbildungsprämie gem. § 108f: für jeden Lehrling, der im Wirtschaftsjahr der Veranlagung in einem aufrechten Lehrverhältnis steht, in Höhe von € 1.000,- p.a. • Sonderentlastungen im Zusammenhang mit der Nichtentnahme erzielter Gewinne Der Gesetzgeber hat im Budgetbegleitgesetz 2003 aufgrund der Zielsetzung „Förderung der Eigenkapitalausstattung“ die Begünstigung für nicht entnommene Gewinne gem. § 11a EStG eingeführt. Dabei soll der Eigenkapitalanstieg eines Wirtschaftsjahres (Gewinn – Entnahmen + betriebsnotwendige Einlagen), maximal ein Betrag von € 100.000.-, mit dem halben Durchschnittssteuersatz gem. § 37, Abs. 1 EStG belastet werden. Die Regelung gilt allerdings nicht für Bezieher selbstständiger Arbeitseinkünfte und nicht für Einnahmen/AusgabenRechner. • Sonderentlastungen im Zusammenhang mit Gewinnen und Investitionen Mit dem Förderungsgesetz kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) 2006 sollen einkommensteuerliche Investitionsbegünstigungen für die (300.000) sogenannten Einnahmen/Ausgaben-Rechner (und zusätzliche umsatzsteuerliche Erleichterungen) in Österreich geschaffen werden. Sie sollen bei Investitionen in begünstigtes Anlagevermögen eine Steuerbefreiung von maximal zehn Prozent des Gewinns erhalten. Begünstigt wird dabei die Anschaffung von körperlichem Anlagevermögen (mit Ausnahmen) sowie von Wertpapieren. Die Förderobergrenze beträgt 100.000 €. Diese Regelung soll jenen Unternehmungen dienen, bei denen die Höhe des Eigenkapitals aufgrund fehlender Aufzeichnungen kaum bestimmbar ist (und daher auch der Halbsatzbesteuerung für nicht

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entnommene Gewinne nicht zugänglich sind). Insofern nimmt sie eine „Zwitterstellung“ zwischen einem Investitionsfreibetrag und einer Regelung für nicht entnommene Gewinne ein.

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Steuerinterventionismus am Beispiel des Einkommensteuergesetzes – Würdigung und Ansätze zur Neuorientierung

Der Befund ergibt, dass der österreichische Gesetzgeber über eine Vielzahl von Regelungen im EStG Steuerinterventionismus betreibt. Geht man davon aus, dass es (durch die Judikatur bestätigt) grundsätzlich gerechtfertigt ist, die Steuern auch als Lenkungsinstrument aktiver staatlicher Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzusetzen und stellt man ferner außer Diskussion, dass der Zweck jeder der Subventionen Gemeinwohl verwirklicht (auch wenn gleichzeitig Individualinteresse besteht), muss dennoch die zentrale Frage nach Rücknahme staatlicher Einflussnahme über steuerliche Lenkungsnormen gestellt werden. Dies begründet durch die Überlegung, aus dem Zirkel auszubrechen, in dem die Steuersubventionierung zur Vermeidung einer zu hohen Steuerbelastung benötigt wird, jedoch die hohe Steuerbelastung Folge des hohen (überhöhten) Subventionsniveaus ist. Entwickelt man also einen möglichen gangbaren Weg zu einer diesbezüglichen Bereinigung, wäre dieser in zwei Phasen zu bewältigen (ähnlich Lang 1987): Zu den Einzelsozialzwecknormen ist kritisch anzuführen, dass gerade deswegen, weil es „Einzel-Sozialzwecknormen gibt, die nicht zusammengefasst und geordnet, sondern dort platziert sind, wohin sie bloß technisch gehören“ (Tipke/Lang 2005), sich allgemein die Forderung erhebt, dass der Gesetzgeber die Verwirklichung seiner sozial-motivierten Zwecke nur dann über den Weg der Fiskalsteuern abwickeln sollte, wenn sich eine Regelung über die Bereiche Wirtschaftsrecht, Sozialrecht u.ä. als ungangbar erwiesen hat. Diese Forderung nach vorrangiger Auslagerung von Einzel-Sozialzwecknormen in andere rechtliche Regelungsbereiche ergibt sich nicht aus einer konkreten verfassungsrechtlich materiellen Vorgabe, sondern stützt sich gleichheitsrechtlich auf die Forderung nach Praktikabilität (Neumark 1970) und Einfachheit (bzw. Vereinfachung) der Steuergesetze. Sie bezieht sich ferner auf einen im Steuerrecht überaus problematischen Gesamtkomplex, der sich als Forderung nach „Steuergerechtigkeit durch Vereinfachung“ umreißen lässt. Wenn sich Identifizierung und Herausnahme der Lenkungsnormen aus dem Einkommenssteuergesetz und Aufnahme in einem eigenen „Wirtschaftsförderungsgesetz“ nicht durchsetzen las-

22

Sabine Urnik

sen, so sind zumindest in einem ersten Schritt Abschichtung der Lenkungsnormen und Aufnahme der Steuersubventionen in einem eigenen Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes zusammenzufassen. In einem zweiten Schritt wäre nach der Offenlegung die schwierige Diskussion zu eröffnen, die den Inhalt haben sollte, die überwiegend zeitlich unbefristet eingeführten ungerechtfertigten Steuersubventionen abzubauen und dem Grunde nach einen Bestand jener Normen zu bestätigen, der auf einem soliden Fundament der Gemeinwohlgerechtigkeit steht. Die Rechtfertigung dem Grunde nach leitet über zur Frage, ob es sich rechtfertigen lässt, dass die einzelnen Normen über so unterschiedliche Weise entlastend wirken. Ihre Ausgestaltung, einmal als Abzug von der Bemessungsgrundlage in differenten Höhen, zum Teil als Prämien oder auch als Steuerbefreiungstatbestände, ist zu vereinheitlichen, wenn sich nicht sachliche Gründe für eine Differenzierung anführen lassen. Folgendes Beispiel möge die uneinheitliche Wirkung der derzeitigen Subventionslandschaft abschließend verdeutlichen: Es wird an Hand einer Vergleichsrechnung (Kapitalwertmodell) dargestellt, in welcher Weise sich die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Forschungs- (Sachkapital) und Humankapitalinvestitionen jeweils mit indirekten Subventionen (Freibeträge) auswirkt. Daten des Unternehmens: Gewinn vor Investition p.a.: jeweils € 100.000 Investitionsvolumen: € 30.000 Zins p.a.: 5 Prozent Investition in Forschung; Nutzungsdauer 5 Jahre, Forschungsfreibetrag: 25 Prozent Jahr

0

EZÜ Abschreibung

-30.000

1

2

3

4

5

100.000

100.000

100.000

100.000

100.000

-6.000

-6.000

-6.000

-6.000

-6.000

FFB 25 Prozent

-7.500

BGL ESt

86.500

94.000

94.000

94.000

94.000

Steuer

34.836

38.586

38.586

38.586

38.586

65.165

61.415

61.415

61.415

61.415

62.061

55.705

53.052

50.526

48.120

Zahlungsstrom

-30.000

Abzinsung Kapitalwert nach Steuern

239.464

23

Sozialzwecknormen in der Ertragsbesteuerung

Investition in Bildung, Bildungsfreibetrag: 20 Prozent Jahr

0

EZÜ Abschreibung

-30.000

1

2

3

4

5

100.000

100.000

100.000

100.000

100.000

-30.000

0

0

0

0

100.000

100.000

100.000

100.000

BFB 20 Prozent

-6.000

BGL ESt

64.000

Steuer Zahlungsstrom

-30.000

Abzinsung Kapitalwert nach Steuern

23.586

41.586

41.586

41.586

41.586

76.415

58.415

58.415

58.415

58.415

72.776

52.984

50.461

48.058

45.769

240.047

Der Kapitalwertvergleich zeigt, dass eine Investition in Humankapital den höheren Kapitalwert nach Steuern ergibt und daher einer Investition in Forschung und Entwicklung vorzuziehen wäre. Stellt man diesen beiden Optionen nun noch ein Verhalten gegenüber, in dem die Investition (gleichgültig, ob in Forschung oder Bildung) unterlassen wird und der nicht investierte Betrag (€ 30.000,-) daher im Unternehmen verbleibt und dem halben Durchschnittssteuersatz unterliegt, ergibt sich (unter der Prämisse, dass in den folgenden Jahren die Gewinne auch ohne Investitionen gleich hoch bleiben) folgende Berechnung: Keine Investition, keine Entnahme des Investitionsvolumens Jahr

0

EZÜ Abschreibung

0

BFB 20 Prozent

3

4

5

100.000

100.000

100.000

0

0

0

0

0

100.000

100.000

100.000

100.000

100.000

Steuer 0

Abzinsung Kapitalwert nach Steuern

2 100.000

0

BGL ESt Zahlungsstrom

1 100.000

258.845

35.348

41.586

41.586

41.586

41.586

64.652

58.415

58.415

58.415

58.415

61.574

52.984

50.461

48.058

45.769

24

4

Sabine Urnik

Zusammenfassung

„Recht“ ist (auch) Ausdruck einer in stetigem Bemühen um die Gerechtigkeit entwickelten Rechtskultur. Festmachung und Formulierung allgemeiner Wertungen werden erschwert, weil sie – zumal zu unterschiedlichen Zeiten – auch unterschiedlich verstanden werden. Veränderungen in den Kultur- und Lebensgewohnheiten, der Sitten und Gebräuche ziehen auch Änderungen der sie regelnden rechtlichen Grundlagen nach sich. Die rechtswissenschaftliche Steuerlehre ist bemüht, Steuergerechtigkeit durch Identifizierung geeigneter Besteuerungskriterien, die systematisch und folgerichtig als Ausfluss von Gleichbehandlung und sachlicher Gerechtigkeit zu sehen sind, festzulegen. Eine Analyse ergibt zunächst, dass der österreichische Gesetzgeber bestimmten Grundwertungen entsprechen muss, die sich als „Basiskonsens“ herausgebildet haben und sozialethischen Vorstellungen entsprechen. Dazu zählen die aus der Verfassung abgeleiteten Grundsätze der Gleichmäßigkeit des Gesetzes, der Allgemeinheit und des Willkürverbots. Materiell ergänzt werden sie durch das Leistungsfähigkeitsprinzip, aus dem der Indikator Einkommen als Bezugspunkt, die Verankerung eines objektiven und subjektiven Nettoprinzips sowie der progressive Tarif abgeleitet sind. Eine begründete Abweichung von einer „reinen“ Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist über das Verdienstprinzip gerechtfertigt: Eine Untersuchung des EStGs ergibt, dass der Gesetzgeber hierbei ein weitreichendes Instrumentarium verankert hat; zu kritisieren ist - deren unsystematische Installierung in den Einzelbestimmungen des EStGs, wodurch sich die Forderung nach vollständiger Herausnahme bzw. Aufnahme der Steuersubventionen in einem eigenen Abschnitt des EStGs begründen lässt; - deren grundsätzliche Verankerung ohne Befristung, wodurch sich die (schwierige) Diskussion zu entfalten hat, die den Inhalt haben sollte, ungerechtfertigte Steuersubventionen abzubauen; - die gesetzlich so unterschiedliche Weise ihrer Entlastungswirkung (die nur dann gerechtfertigt scheint, wenn sie auch entsprechend intendiert ist); - abschließend das Fehlen eines geeigneten Instrumentariums, um die Wirkungen der Förderungen auch tatsächlich messen zu können.

Sozialzwecknormen in der Ertragsbesteuerung

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Quellenverzeichnis Birk, Dieter (1983): Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen. Köln: Deubner Lang, Joachim (1987): Die einfache und gerechte Einkommensteuer. Köln: Schmidt Lang, Joachim (1988): Die Bemessungsgrundlage im Einkommensteuerrecht. Köln: Schmidt Neumark, Fritz (1970): Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik. Tübingen: Mohr Rawls, John (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt: Suhrkamp Smith, Adam (1974): Der Wohlstand der Nationen, übersetzt von Recktenwald nach der 5. Auflage von „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“, London 1789. München: Beck Tipke, Klaus (1981): Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis. Köln:Schmidt Tipke, Klaus (1990): Zur Methode der Anwendung des Gleichheitssatzes unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts. In: Doralt, Werner/Gassner, Wolfgang/Lechner, Eduard/Ruppe, Hans Georg/Tanzer, Michael/Werndl, Josef (Hg.): Steuern im Rechtsstaat. Wien: FS Stoll: 229246 Tipke, Klaus (22000): Die Steuerrechtsordnung. Band 1. Köln: Schmidt Tipke, Klaus (22003): Die Steuerrechtsordnung. Band 2. Köln: Schmidt Tipke, Klaus/Lang, Joachim (2005): Steuerrecht. Köln: Schmidt Urnik, Sabine (2002): Die Neukonzeption der österreichischen Erbschaftssteuer. Wien: LexisNexis Ard Orac Walz, Wolfgang Rainer (1980): Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung. Hamburg: Decker Würtenberger, Thomas (1991): Zeitgeist und Recht. Tübingen: Mohr

Stephan Schulmeister

Anmerkungen von Dr. Karl Marx zur wirtschaftlichen Entwicklung seit 1980

Das Streben nach Wohlstand, Sicherheit und Glück durch Vermehrung von Geldvermögen hat in den letzten 25 Jahren an Bedeutung gewonnen. Geld erscheint als Subjekt, das uns Arbeit abnehmen kann, aber auch Fürsorge und Solidarität. Die Werbung spricht diese Vorstellung an: „Lassen Sie Ihr Geld arbeiten“ erinnert an das „fleißige“ Geld. Der ältere Herr im harmonisch-betuchten Familienkreis will uns sagen: Mein Geld bei der Bank X hat mir Freude, Sicherheit und Liebe geschenkt (das „beglückende“ Geld). Wenn der kleine Sohn seinem Vater nichts abtreten will von der Torte (und wohl auch später nicht teilen wird in Gestalt von Pensionsbeiträgen), macht nix, die Geldanlage bei der Versicherung Y ersetzt den sozialen Zusammenhalt (das „solidarische“ Geld). Generell wird das in Pensionsfonds vermehrte Geld besser für den alten Menschen sorgen als der Sozialstaat (das „fürsorgliche“ Geld). Nimmt die Furcht vor Arbeitslosigkeit zu: Mit Geldvermehrung lässt sich vorsorgen (das „beruhigende“ Geld). „Geldleben“ nannte die Erste Bank ihr Kundenmagazin. Um Arbeit und Leben des Geldes kümmert sich der Finanzsektor. Dem Geldvermögen der „Normalbürger“ werden Beine gemacht, wenn es nicht mehr faul am Sparbuch ruht, sondern in Wertpapierfonds arbeitet. Für das Alter sorgt das Geld in Pensionsfonds vor, vom Staat für seinen Fleiß mit Prämien belohnt. Für große Vermögen muss das Geld härter arbeiten, hedge-Fonds fordern eine Vermehrungsrate von 20 Prozent und mehr. Im „Treibhaus“ einer Privatstiftung bleiben die Erträge überdies fast steuerfrei. Auch Industriekonzerne stehen da nicht nach: Ihre Abteilungen zur Finanzveranlagung („treasuries“) expandieren seit langem am stärksten, ihr Finanzvermögen wächst viel rascher als ihr Realkapital. Das alles war nicht immer so. Bis in die 1970er Jahre konzentrierte sich das Streben nach Wohlstand mehr auf Reichtum an Gütern als an Geld. Die Unternehmen nahmen negatives Geldvermögen (Schulden) auf, um Realkapital zu bilden; die Haushalte konzentrierten sich auf die Anschaffung von Konsumgütern und das Bauen von Häusern; soziale Sicherheit wurde durch den solidarisch finanzierten Sozialstaat gewährleistet; der Staat mehrte das reale „Gemeinvermögen“ (Infrastruktur) durch Aufnahme von Schulden.

28

Stephan Schulmeister

Das Erblühen des „Geldlebens“ fällt zusammen mit einer Dämpfung des „realen“ Wirtschaftslebens, das Wachstum geht zurück, für das Geld gibt es mehr Arbeit, für die Menschen weniger, die Armut vieler nimmt zu, der Reichtum weniger auch. Zeitliche Koinzidenz oder kausaler Zusammenhang? Diese ersten Assoziationen wurden durch die Lektüre des Sammelbands „Geld und Gesellschaft“ angeregt, insbesondere durch den Artikel von Arno Bammé (2005) über den „Fetisch ‚Geld’“. Er konzentriert sich auf die Geldtheorie von Karl Marx, entwickelt im 3. Band des „Kapital“. Es reizte mich zu prüfen, ob seine Gedankengänge – weiter vorangetrieben – aktuelle Entwicklungstendenzen tiefgründiger erklären können als die modernen Geldtheorien.

Zum Geld und zur Geldpolitik Marx unterscheidet zwischen der Substanz des Geldes und seinen Funktionen. Orthodoxe Wirtschaftstheorien begreifen die Substanz von Geld als eine definierbare Menge eines allgemeinen Tausch- und Zahlungsmittels. Marx sieht dies anders: „Geld ist nicht eine Sache, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis.“ (Marx 1971: 82) Diese Wahrnehmung wurzelt im Versuch, das Geld aus seiner Entstehung und Verwendung unter den jeweiligen Produktionsverhältnissen zu begreifen. Kreditgeld entstand durch das Auseinanderfallen von realer und monetärer Transaktion im Zuge der frühkapitalistischen Expansion von Handel und Produktion: Wenn etwa ein Unternehmer Waren bezieht, sie aber nicht bar bezahlt, sondern einen Wechsel ausstellt, kann dieser als Geld weiterverwendet werden. Wird der Wechsel bei einer Bank diskontiert, so ist das Kreditgeld „zinstragend“ geworden. Schon im 19. Jahrhundert und erst recht heute ist der weitaus größte Teil des Geldes „zinstragendes Kapital“, in der Diktion von Marx „Geldkapital“. Dieses umfasst nicht nur alle Arten täglich fälliger Guthaben bei Banken sowie Termin- und Spareinlagen, sondern bei Marx auch Anleihen und Aktien (von ihm „fiktives Kapital“ genannt). Das Anwachsen des Geldkapitals ist einerseits Ergebnis der Produktionsverhältnisse (der Profit des „wirklichen Kapitals“) und schafft andrerseits neue „gesellschaftliche Verhältnisse“: Zwischen den „fungierenden Kapitalisten“ als Kreditnehmer und den Banken, zwischen dem Management von Aktiengesellschaften und ihren Eigentümern, zwischen den Besitzern von Staatsanleihen und den Steuerzahlern sowie generell zwischen Gläubigern und Schuldnern. Dieser gesamtwirtschaftliche Ansatz erklärt die allgemeine Bestimmung der Substanz von Geld als „gesellschaftliches Verhältnis“.

Anmerkungen von Dr. Karl Marx

29

Hinsichtlich der Funktionen von Geld unterscheidet Marx Geld als Wertmaßstab, als Zirkulations(Tausch)mittel sowie als Zahlungs-, Kredit- und Wertaufbewahrungsmittel und erweitert diese konventionelle Sichtweise um die Funktion „Weltgeld“ als die monetäre Voraussetzung der Globalisierung. Der umfassende Geldbegriff von Marx impliziert, dass grundsätzlich jede Art von (ertragbringendem) Finanzvermögen auch als Transaktionsmittel verwendet werden kann. Diese Sicht widerspricht den herrschenden (monetaristischen wie keynesianischen) Geldtheorien, die streng zwischen Geld als Transaktionsmittel und als Finanzvermögen unterscheiden. Ersteres schafft Liquidität, aber keinen Ertrag, zweiteres bringt einen Ertrag, ist aber nicht liquid. Marx polemisierte gegen diese Unterscheidung, für ihn kann in einer entwickelten Kreditwirtschaft jedes Geldkapital in kürzester Zeit flüssig gemacht und für Zahlungen verwendet werden. Diese Sicht ist verblüffend modern. Wenn heute jemand ein Girokonto, ein Sparbuch, Aktien und Anteile an einem Anleihenfonds besitzt, so kann er via netbanking in Sekunden jedes dieser Finanzaktiva liquid machen und für Zahlungen verwenden. Möchte er sich etwa ein Auto kaufen, so kann er dafür mit Aktien oder Anleihen bezahlen. Für die Geldpolitik ist diese Sicht höchst relevant: Wenn alles Finanzvermögen potentielles Geld ist, dann gibt es kein Geld als (separiertes) Transaktionsmittel. Die Orientierung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Geldmenge im Sinne von Milton Friedman’s Monetarismus wäre illusionär. Diesem hatte Marx schon 1859 entgegnet: „Preise sind also nicht hoch oder niedrig, weil mehr oder weniger Geld umläuft, sondern es läuft mehr oder weniger Geld um, weil die Preise hoch oder niedrig sind.“ (Marx 1974: 107) In der Sprache der Ökonomen ausgedrückt: Für Marx ist Geld endogen, und zwar vollständig. Die US-Notenbank hat sich schon vor 15 Jahren implizit der Sicht von Marx genähert. Sie stellte fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen der für Transaktionen relevanten Geldmenge M1 (Münzen, Banknoten, Girokonten) und der Inflation gibt: Einerseits hatten sich immer mehr zinsbringende und gleichzeitig liquide Geldformen gebildet, andererseits wurde die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes immer instabiler. Deshalb hat die US-Notenbank den Monetarismus verworfen und steuert direkt das Zinsniveau. Die EZB möchte hingegen am Monetarismus festhalten und orientiert sich daher an der erweiterten Geldmenge M3. Diese umfasst als größte Komponente die (relativ stabilen) Spareinlagen, sie schwankt deshalb viel weniger als M1. Allerdings ist M3 aus dem gleichen Grund ein schlechter Indikator für Inflation.

30

Stephan Schulmeister

Wenn sich etwa die Wirtschaftserwartungen der Haushalte in der Eurozone verschlechtern und sie aus Vorsicht mehr sparen, so beschleunigt sich das Wachstum von M3 und signalisiert der EZB erhöhte Inflationsgefahr und damit die Notwendigkeit einer Zinserhöhung. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall.

Zum Verteilungskonflikt zwischen Finanz- und Realkapital Im Zuge der Wirtschaftsentwicklung wächst auch das Geldkapital; einerseits vermehrten sich „die Zahl und der Reichtum der sich zurückziehenden Kapitalisten, der Rentiers“, und andererseits auch „die Zahl der Bankiers, Geldverleiher, Finanziers etc.“ (Marx 1973: 527). Während bei Marx die „Geldkapitalisten“ ausschließlich Rentiers sind, sind spätestens seit der Prosperitätsphase der Nachkriegszeit die meisten Arbeitnehmer auch „Geldkapitalisten“ geworden, insofern sie Sparbücher und sonstige Finanzvermögen besitzen. Diese Tatsache macht die Anwendung der Überlegungen von Marx auf die Gegenwart nicht obsolet, aber komplexer und zugleich spannender – wir müssen uns selbst nur (auch) als „Geldkapitalisten“ begreifen. Das Geldkapital wird an den „industriellen“ oder „fungierenden“ Kapitalisten gegen Zins verliehen (gewissermaßen der „Normalfall“). Es kann aber auch in Staatsanleihen oder Aktien angelegt werden („fiktives Kapital“). Schließlich kann man versuchen, durch „Jobbers, die in diesen Papieren Spekulationsgeschäfte machen“ (Marx 1973: 527), Gewinn zu erzielen. Zwischen dem „fungierenden“ Kapitalisten, dem Unternehmer, und dem „Geldkapitalisten“ (Rentier) besteht ein fundamentaler Interessengegensatz, der Konflikt um die Aufteilung des Gesamtprofits auf Unternehmergewinn und Zinsertrag: „Den Durchschnittsprofit als gegeben vorausgesetzt, ist die Rate des Unternehmergewinns nicht durch den Arbeitslohn bestimmt, sondern durch den Zinsfuß. Sie ist hoch oder niedrig im umgekehrten Verhältnis zu diesem.“ (Marx 1973: 392f) Diese Sicht steht in markantem Gegensatz zur herrschenden Gleichgewichtstheorie, in der Zinssatz und Profitrate im Grenzfall vollkommener Information ident sind, sich aber jedenfalls parallel zu entwickeln haben. Die empirische Evidenz bestätigt die Sicht von Marx (Abbildung 1): Die Schwankungen der Unternehmergewinne werden in hohem Maß durch die gegenläufigen Schwankungen der Zinszahlungen beeinflusst. Dementsprechend entwickeln sich Eigenkapitalrendite und Zins (Fremdkapitalrendite) markant invers.

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Anmerkungen von Dr. Karl Marx

Abbildung 1: Zinszahlungen und Unternehmensgewinne Nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften in Deutschland 150

Zinszzahlungen netto

140

Gewinne

130

2000 = 100

120 110 100 90 80 70 60 50 1991

1993

1995

1997

1999

2001

2003

2005

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Dies ist von aktueller Relevanz: Mit der Zinshöhe bestimmen nämlich die Notenbanken die Verteilung zwischen Unternehmern und (uns) Rentiers, verschärft durch folgenden „Akzeleratoreffekt“: Steigen die Kreditzinsen etwa von 5% auf 8% (infolge fortgesetzter Erhöhungen der Leitzinsen), so nehmen die Zinszahlungen der Schuldner um 60% zu. Auf Grund dieses Effekts schwanken die Zinszahlungen der Unternehmen um Dimensionen stärker als ihre Lohnzahlungen (letztere haben freilich ein viel höheres Niveau). Die drastischen Zinssenkungen der US-Notenbank zwischen 2001 und 2003 haben den Kreditzins in den US von 9% auf 4% sinken lassen und so die Unternehmen und verschuldeten Haushalte in einer schwierigen Wirtschaftslage enorm begünstigt. Die EZB hat im Vergleich dazu stärker die Interessen von (uns) Rentiers vertreten als jene der Unternehmer. Auch Zinserhöhungen der US-Notenbank fallen seit 15 Jahren viel moderater aus als jene der EZB bzw. ihrer Vorgängerin, der Deutschen Bundesbank. Da der Zinsaufwand der Unternehmen aus ihren Gesamtprofiten zu leisten ist, also Teil ihrer Kosten ist, erscheint der „common sense“ zwischen Monetaristen und Keynesianern, nämlich die Inflation durch Zinserhöhungen – also durch Kostensteigerungen – zu bekämpfen, als ein „common nonsense“. Oder

32

Stephan Schulmeister

soll man am Ende den Preisauftrieb auch durch Erhöhung der Lohnkosten oder des Erdölpreises bekämpfen?

Zu „Lassen Sie Ihr Geld arbeiten“ und zum Begriff des Humankapitals Durch seinen Ertrag nimmt Geldkapital laut Marx den Charakter eines „Fetisch“ an: „Während der Zins nur ein Teil des Profits ist ... erscheint jetzt umgekehrt der Zins als die eigentliche Frucht des Kapitals, als das Ursprüngliche, und der Profit, nun in die Form des Unternehmergewinns verwandelt, als ... bloßes Accessorium und Zutat. Hier ist die Fetischgestalt des Kapitals und die Vorstellung vom Kapitalfetisch fertig.“ (Marx 1973: 405) Und weiter: „Wie das Wachsen den Bäumen, so scheint das Geldzeugen dem Kapital in dieser Form als Geldkapital eigen ... Das Geld hat jetzt Lieb’ im Leibe. Sobald es verliehen ist oder auch im Reproduktionsprozeß angelegt ... wächst ihm der Zins an, es mag schlafen oder wachen, sich zu Hause oder auf Reisen befinden, bei Tag und bei Nacht.“ (Marx 1973: 406) Dementsprechend berichten die Morgen-, Mittagsund Abendnachrichten in wachsendem Ausmaß, wie das Geld zuletzt auf den Börsen in Fernost, Europa oder den USA gearbeitet hat, und was die Finanzmärkte als Subjekte uns Objekten sonst noch zu sagen haben. Dem Fetischdenken entsprechend wird nicht nur das Geld als Arbeitskraft wahrgenommen, sondern „spiegelverkehrt“ die Arbeitskraft als (Human)Kapital: „Der Arbeitslohn wird hier als Zins aufgefasst und daher die Arbeitskraft als das Kapital, das diesen Zins abwirft. Ist z. B. der Arbeitslohn eines Jahres 50 Pfund und steht der Zinsfuß auf 5 Prozent, so gilt die jährliche Arbeitskraft als gleich einem Kapital von 1.000 Pfund. Die Verrücktheit der kapitalistischen Vorstellungsweise erreicht hier ihre Spitze, indem statt die Verwertung des Kapitals aus der Exploitation der Arbeitskraft zu erklären, umgekehrt die Produktivität der Arbeitskraft daraus erklärt wird, dass Arbeitskraft selbst dieses mystische Ding, zinstragendes Kapital ist.“ Für die modernen Theoretiker dieser Sicht von Arbeitskraft als Humankapital wie Nobelpreisträger Gary Becker fügt Marx hinzu: „Es treten hier leider zwei, diese gedankenlose Vorstellung unangenehm durchkreuzende Umstände ein, erstens, dass der Arbeiter arbeiten muss, um diesen Zins zu erhalten, und zweitens, dass er den Kapitalwert seiner Arbeitskraft nicht durch Übertragung versilbern kann.“ (Marx 1973: 483f.)

Anmerkungen von Dr. Karl Marx

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Zum Streben nach dem „schnellen Geld“ durch Spekulation Als Fetisch nimmt Geldkapital selbst den Charakter einer Ware an. Dies bedeutet zweierlei. Erstens, statt gegen (wirkliche) Waren getauscht zu werden (G-WG), wird es auf den Finanzmärkten gegen andere Formen von Geld(Finanz)kapital gehandelt (G-G-G), um Spekulationsgewinne zu erzielen. Zweitens, Geld(Finanz)kapital, vornehmlich Aktienkapital, wird akkumuliert, um durch Bewertungsgewinne reicher zu werden. Schauen wir also dem Geld bei diesen beiden Arbeitsformen zu. Am fleißigsten ist das Geld in seinem Bemühen, Handelsgewinne zu erzielen. Mit immer größerer Geschwindigkeit wechselt es den Besitzer, der „Normaleinsatz“ am Devisenmarkt (10 Mill. $) verbleibt im Durchschnitt kaum 20 Minuten in eines Händlers Hand. Dementsprechend gewaltig sind die Umsätze; allein auf diesem Markt betragen sie 1.900 Mrd. $ pro Tag, etwa 50 mal soviel wie jenes des Warenhandels. Die Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkte und insbesondere die entsprechenden Derivatmärkte für Terminkontrakte oder Optionen stehen da nicht nach. Pro Tag wurden 2005 auf den Weltfinanzmärkten Werte in Höhe von etwa 7.800 Mrd. $ umgesetzt. Wie Abbildung 2 zeigt, ist dieser Wert 56 mal so hoch wie das BIP aller Industrieländer; er ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen, insbesondere in Deutschland.1 Auf all diesen Märkten bemüht sich das Geld, kleinste Kursschübe spekulativ zu nützen. Dabei verwendet es die modernen Informationstechnologien, nicht nur, um rascher von Händler zu Händler und von Markt zu Markt zu eilen, sondern auch, um seine Kauf- und Verkaufsentscheidungen durch computergesteuerte Spekulationsmodelle zu fundieren („technische Analyse“). Dazu Marx: „Mit der Entwicklung des Kreditwesens werden große konzentrierte Geldmärkte geschaffen, wie London, die zugleich Hauptsitze des Handels in diesen Papieren sind. Die Bankiers stellen dem Gelichter dieser Händler das Geldkapital des Publikums massenweise zur Verfügung, und so wächst diese Brut von Spielern.“ (Marx 1973: 528) Trotz dieser Anstrengungen kann sich Geldkapital auf diese Weise allerdings nicht vermehren: Denn diese Spiele sind Umverteilungs- oder Nullsummenspiele (was der eine verliert, gewinnt ein anderer), wie in einem wirklichen Casino. Allerdings ist auf den Finanzmärkten die Kugel nicht exakt rund, sodass

1

Daten über die Transaktionsvolumina auf den Devisenmärkten sowie den Derivatmärkten finden sich auf der Homepage der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (www.bis.org), Daten über Aktienumsätze auf der Homepage der „World Federation of Exchanges“ (www.world-exchanges.org).

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Stephan Schulmeister

professionelle Händler systematisch gewinnen können (auf Kosten der schwächeren Spieler, insbesondere der „Amateure“).

Relation Handelsvolumen/nominelles BIP

Abbildung 2: Börsehandel mit Futures und Optionen 60

Deutschland Nordamerika

50

EU15 40 30 20 10 0 1986

1989

1992

1995

1998

2001

2004

Quelle: Bank für internationalen Zahlungsausgleich.

Die Spezialisten dieses Spiels sind die hedge funds geworden, entsprechend hoch sind ihre Durchschnittsrenditen. Wenn Marx ihr Treiben von der Hölle aus betrachtet, denkt er gewiss an seine „Brut der Spieler“... Wie im Casino gewinnt einer immer, die Bank, soll heißen, der Finanzsektor in seiner Gesamtheit von Börsen, Banken, Versicherungen bis zu den hedge funds. Gewinnt der Kunde, so schneiden sie mit, verliert er, so hat er sich geschnitten. Im Gegensatz zum Casino werden auf den Finanzmärkten die für die „Realwirtschaft“ wichtigsten Preise bestimmt wie Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und Zinssätze (letztere in den von den Notenbanken bestimmten Grenzen). Die Akkumulation kurzfristiger, durch Spekulation verstärkter Kursschübe lässt diese Preise in einer Abfolge von mehrjährigen bull markets und bear markets nach oben und unten „überschießen“. Dies produziert Unsicherheit für die „wirklichen Kapitalisten“, steigert ihre Kosten und erhöht gleichzeitig die Anreize, selbst als „Geldkapitalist“ zu agieren: Industriekonzerne verlagern ihre Investitionen von Real- zu Finanzveranlagung und bauen ihre treasuries dementsprechend aus. Kleinere Unternehmen haben diese Möglichkeiten nicht.

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Anmerkungen von Dr. Karl Marx

Zum Aktienboom und seiner „Korrektur“ Bei schwacher Realkapitalbildung brauchen die Konzerne keine Aktien mehr zu deren Finanzierung auszugeben, vielmehr kaufen sie ihre eigenen Aktien zurück, was deren Kurse und damit die Entlohnung des Managements steigen lässt. Gleichzeitig möchte sich aber immer mehr Geldkapital am Aktienmarkt vermehren (insbesondere auch zur Pensionsvorsorge). Damit sind die Idealbedingungen für die zweite „Arbeitsform“ von Geldkapital gegeben, seine „Vermehrung“ als „fiktives Kapital“, also durch Bewertungsgewinne: Einem sinkenden Angebot an Aktien steht eine steigende Nachfrage gegenüber, und die Kurse steigen und steigen. Zwischen 1982 und 1999 ist so der Börsenwert USamerikanischer und deutscher Aktiengesellschaften fast auf das Zwölffache gestiegen (Abbildung 3). Wer Aktien hatte oder kaufte, wurde reicher, gleichzeitig wurde niemand ärmer, eine wunderbare „win-win-Entwicklung.“ Abbildung 3: Börsenwert der Unternehmen als "fiktives Kapital" Nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften in Deutschland 800

1960 = 100 Aktienkurse

600

1200

1982 = 100

1000

Marktkapitalisierung Nettogesamtw ert 1)

800

600

400

400 200

200

0

0 1960 1963 1966 1969 1972 1975 1978 1981

1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000 2003

Quelle: Federal Reserve, Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt Wiesbaden. 1) Realkapital zu Wiederbeschaffungspreisen minus Netto-Finanzverbindlichkeiten

Marx verweist auf zwei Konsequenzen boomender Aktienveranlagung und wachsender Finanzspekulation: Erstens gewinnen die Trennung von Management und Eigentum und das shareholder value-Denken an Bedeutung (dementsprechend versucht das Management, den Aktienkurs des „eigenen“ Unternehmens in die Höhe zu treiben und profitiert selbst davon in Gestalt der stock options). Zweitens lässt die „Spekulationskultur“ den Finanzsektor stark expan-

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Stephan Schulmeister

dieren. So meint Marx: Die Veranlagung von Geldkapital in Aktien ermögliche zwar eine „ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion“, führe aber zu einer „Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße ... Geldkapitalisten“ (Marx 1973: 452). Dieser Widerspruch „reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten ... ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel“ (Marx 1973: 454). Enron und Refco lassen grüßen ... Der Aktienboom der 1980er und 1990er Jahre hatte die (unvermeidliche) Folge, dass das Aktienkapital immer „fiktiver“ wurde: Während sich der Börsenwert der Unternehmen nahezu verzwölffachte, hat sich ihr „wirklicher“ Wert – gemessen an ihrem Real- und Finanzvermögen – lediglich verdoppelt. In der „realkapitalistischen“ Phase der 1960er und 1970er Jahre hatte sich die genau gegenteilige Entwicklung ergeben (Abbildung 3)2. Marx meint zur Bewertung von Aktien: „Ihr Wertbetrag kann fallen und steigen ganz unabhängig von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, auf das sie Titel sind.“ (Marx 1973: 494) Daher gilt: „Aller Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozess des Kapitals geht so bis in die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich.“ (Marx 1973: 484) Und zum Einfluss der Bewertung der Unternehmen durch Aktienkurse: „Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel … bestätigt den Schein als bildeten sie wirkliches Kapital …“ (Marx 1973: 485) Die Bildung von „fiktivem Kapital“ manifestiert sich nicht nur in den „überschießenden“ Börsenwerten der Unternehmen, sondern auch darin, dass diese selbst in Aktien und sonstige Wertpapiere investieren statt in Realkapital. Bis in die 1970er Jahre, also unter realkapitalistischen Rahmenbedingungen, hatte dies noch keine nennenswerte Bedeutung (Abbildung 4). In den 1980er Jahren wurden die USA vom „Finanzkapitalismus“ voll erfasst, die Realkapitalbildung ging im Vergleich zur Finanzakkumulation stark zurück (diese Entwicklung wurde in den 1990er Jahren durch einen Kurswechsel zu einer keynesianischen Geld- und Fiskalpolitik gemildert; siehe dazu Schulmeister 2004). In den 1990er Jahren war das „finanzkapitalistische“ Akkumulationsverhalten der Unternehmen am stärksten in Deutschland ausgeprägt (Abbildung 4; in Japan hatte der Aktienboom einige Jahre früher eingesetzt und war schon Anfang der 1990er 2

Die Dichotomie von „Realkapitalismus“ und „Finanzkapitalismus“ - zwei markant unterschiedliche „Regimes“ einer kapitalistischen Marktwirtschaft – und ihre Abfolge im polit-ökonomischen Entwicklungszyklus untersucht Schulmeister (2004).

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Anmerkungen von Dr. Karl Marx

Jahre zusammengebrochen). Die stagnierende Realkapitalakkumulation wurde zu einer wesentlichen Ursache für die Wachstumsschwäche der deutschen (und japanischen) Wirtschaft. Dazu Marx: „Gewinnen und Verlieren durch Preisschwankungen dieser Eigentumstitel ... wird mehr und mehr Resultat des Spiels, das an der Stelle der Arbeit als die ursprüngliche Erwerbsart von Kapitaleigentum erscheint ...“ (Marx 1973: 495) Abbildung 4: Real- und Finanzvermögen der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften Deutschland

USA

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350

Realkapital Finanzkapital

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Aktien, Inv estmentzertifikate, sonst. Beteiligungen In % der Nettowertschöpfung

In % der Nettowertschöpfung

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0

0 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

Quelle: Federal Reserve, Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.

Die wachsende Diskrepanz zwischen „wirklichem“ Realkapital und „fiktivem“ Aktienkapital musste früher oder später zu einem Sturz der Aktienkurse führen, in Japan schon 1990, in den übrigen Ländern zehn Jahre später. In Deutschland fielen die Kurse zwischen 2000 und 2003 (jeweils März) um nahezu 70 Prozent, die Finanzlage von Unternehmen, Banken und Versicherungen verschlechterte sich markant (das zuvor akkumulierte Aktienkapital wurde entwertet). Dementsprechend wurde die drastische Senkung der Unternehmenssteuern im Jahr 2001 zur finanziellen Konsolidierung und nicht zur Ausweitung der realen Investitionen verwendet. Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die privaten Haushalte lassen unter finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen ihr Geld durch Handel mit oder Veranlagung in Wertpapieren arbeiten, gefördert durch das Internet (netbanking) und durch neue Bankprodukte, die es auch dem „Normalverbraucher“ ermöglichen (sollen), von den Schwankungen auf den Aktien-, Devisen-, Anleihen- und Rohstoffmärkten zu profitieren. Überdies veranlasst die Sorge um die Sicherheit im Alter immer mehr Menschen, einen zusätzlichen Teil ihres Einkommens bei Pensionsfonds anzulegen.

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Stephan Schulmeister

Also setzte das Spiel der Geldvermehrung nach dem Tief im Frühjahr 2003 wieder ein: Seither sind die Aktienkurse in Deutschland um 150 Prozent gestiegen, und in Österreich sogar um 250 Prozent, nicht zuletzt als Folge der staatlichen Förderung privater Pensionsvorsorge. Konsumnachfrage und Wirtschaftswachstum blieben (dementsprechend) schwach. Ob sich der „wirkliche“ Wert der im ATX erfassten Unternehmen in drei Jahren fast verdreifacht hat, scheint fraglich – also doch „fiktives“ Kapital? Gefördert wird diese Entwicklung dadurch, dass Erträge aus Finanzvermögen häufig nicht erfasst werden können und überdies auch steuerlich begünstigt sind (Spekulationsgewinne, Dividenden, Privatstiftungen). Insgesamt ergibt sich die paradoxe Tendenz: Die Renditen(ansprüche) sind umso höher, je unproduktiver das Geld arbeitet (von den hedge funds „abwärts“).

Gesamtwirtschaftliche Folgen der „Fetischisierung“ von Geld Über drei „Kanäle“ dämpft das Profitstreben durch Vermehrung des Geldvermögens die Realwirtschaft. Erstens destabilisiert die Spekulation auf den Finanzmärkten die wichtigsten Preise der Weltwirtschaft wie Wechselkurse, Rohstoffpreise (insbesondere für Erdöl), Zinssätze und Aktienkurse und erhöht so die Unsicherheit realwirtschaftlicher Transaktionen. Zweitens veranlassen die hohen (potentiellen) Spekulationsgewinne immer mehr (große) Unternehmen, ihr Vermögen durch Finanzveranlagung und -spekulation zu vermehren statt durch Realinvestitionen. (Diese beiden „Kanäle“ habe ich schon skizziert.) Drittens versuchen immer mehr Haushalte (im internationalen Kontext ganze Volkswirtschaften), ihre wirtschaftliche Lage durch vermehrtes Sparen zu verbessern. Dazu ein Beispiel. Nehmen wir an, alle Haushalte eines Landes wollen aus Sorge um ihre Pensionen zwei Prozent ihres Einkommens zusätzlich sparen, also weniger konsumieren. Sie lassen ihr Geld in Pensionsfonds „arbeiten“, die es wiederum am heimischen Aktienmarkt anlegen und so die Kurse steigen lassen. Wenn nun die Unternehmen das zusätzliche Sparkapital nicht (real) investieren wollen, etwa weil sich ihre Erwartungen bei stagnierender Konsumnachfrage verschlechterten und/oder weil die steigenden Aktienkurse Finanzinvestitionen attraktiver erscheinen lassen, dann ergibt sich folgender Widerspruch: Das Wirtschaftswachstum schwächt sich stark ab, während gleichzeitig die Ansprüche („Bezugsscheine“) an das künftige Sozialprodukt durch die Wertsteigerung der Pensionsfonds drastisch steigen. Was jedem einzelnen Haushalt rational erscheint, führt zu einem irrationalen Gesamtergebnis („Sparparadox“).

Anmerkungen von Dr. Karl Marx

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Anders gesagt: Sparen bzw. Finanzkapital kann in einer (geschlossenen) Wirtschaft immer nur in Form von Investitionen bzw. Realkapital in die Zukunft „mitgenommen“ werden, höhere Ansprüche durch Aktienkurssteigerungen sind „fiktiv“. Ein stabiles Wirtschaftswachstum erfordert eine Balance zwischen dem Streben nach Reichtum an Geldkapital und nach Reichtum an Gütern. Diese Balance ist in den meisten Industrieländern seit etwa 25 Jahren verloren gegangen. Jene Länder mit einer ausgeprägt „realkapitalistischen Wirtschaftskultur“ – Japan und Deutschland – wurden vom Übergang zu „finanzkapitalistischem“ Gewinnstreben wie von einem „Kulturschock“ getroffen. So überstieg etwa in Deutschland das Sparen der Unternehmen ihre Realinvestitionen im Jahr 2005 erheblich. Gleichzeitig haben auch die Haushalte ihr Sparen ausgeweitet. Die Finanzierungsüberschüsse beider Sektoren werden als Finanzkapital veranlagt, insbesondere in Staatsanleihen und im Ausland. Wenn nun Haushalte und Unternehmen Überschüsse erzielen, „erleidet“ der Staat fast zwingend ein Defizit, selbst wenn das Ausland sein Defizit steigert (die Leistungsbilanz Deutschlands verbesserte sich stark). Der Widersinn des übermäßigen Strebens nach Geldvermögen („DagobertDuck-Syndrom“) wird am Verhältnis der „Sparerländer“ zu den USA besonders deutlich: Dort haben die Haushalte ihre Sparquote langfristig gesenkt, der Konsum wächst (deshalb) stetig, was wiederum die Realkapitalbildung stimuliert. Diese sowie das Staatsdefizit finanzieren die USA zu einem erheblichen Teil durch Kredite der „Sparerländer“, wobei sie seit 20 Jahren faktisch keine Zinsen zahlen (die Neuverschuldung der USA übersteigt ihren Zinsendienst um ein Vielfaches). Mittlerweile haben die „Sparerländer“ einen „Schatz“ an Forderungen gegen die USA in Höhe von 6.000 Mrd. $ angehäuft. In diesem Ausmaß sind mehr Güter in die USA geströmt als in die „Sparerländer“. Die USA haben die Porsches, BMWs etc., Deutschland US-Schuldtitel. Damit diese jemals zumindest teilweise in Gütern „eingelöst“ werden, müssten die USA Überschüsse in der Leistungsbilanz erzielen, was (auch) an der schwachen Güternachfrage der „Sparerländer“ scheitert. Sollen die Netto-Güterlieferungen an die USA nicht vollends zu einem unfreiwilligen Geschenk werden, hilft nur eines: eine drastische Entwertung des „Schatzes“ der „Sparerländer“ durch eine weitere Dollarabwertung. In jenen Ländern, welche am stärksten Finanzvermögen gegenüber dem Ausland akkumulieren, Deutschland und Japan, stagniert die Realwirtschaft seit Jahren. Die „Dagobert-Duck-Gesinnung“ von Unternehmen und Haushalten

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Stephan Schulmeister

ließen die Realinvestitionen sinken und den Konsum stagnieren. Dies konnte vom boomenden Export nicht wettgemacht werden. Fazit: Die Schaffung realen Wohlstands erliegt, wenn zu viele den finanziellen Wohlstand anstreben. Der Grund ist einfach: Geld arbeitet nicht.

Quellenverzeichnis Bammé, Arno (2005): Fetisch „Geld“. In: Kellermann, Paul (Hg.) (2005): Geld und Gesellschaft – Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften Hein, Eckhard/ Heise, Arne/ Tuger, Achim (Hg.) (2004): Finanzpolitik in der Kontroverse. Marburg: Metropolis Verlag Marx, Karl (1971): Das Elend der Philosophie. Berlin: Dietz Marx, Karl (1974): Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin: Dietz Marx, Karl (1973): Das Kapital, Dritter Band. Berlin: Dietz (Band 25 der Ausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels) Schulmeister, Stephan (2004): Der Finanzkapitalismus, die Wachstumskrise und das Europäische Modell. In: Hein et al. 2004: 23-69

Guido Offermanns

Monetik statt Ethik im Gesundheitswesen – entscheidet Geld über Leben und Tod von Patienten?

Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware – Ärzte sind keine Anbieter, Patienten sind keine Kunden. Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine Dienstleistung reduziert werden. Ex-Bundespräsident Johannes Rau (Eröffnungsrede zum 107. Deutschen Ärztetag in Bremen 2004)

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Einleitung

Der vorliegende Beitrag beleuchtet Geld aus der Sicht der Gesundheitswissenschaften (Public Health) und der Ökonomie. Der Zugang zum Thema Gesundheitswesen wurde bisher im Gelddiskurs noch nicht gewählt. Einerseits sollen die verschiedenen bereits diskutierten Sichtweisen auf ein konkretes Anwendungsgebiet gespiegelt werden – nämlich auf den Zusammenhang von Geld und Gesundheit –, andererseits werden die Besonderheiten eines Systems vorgestellt, welches in Europa bisher nicht über den freien Markt, also über den Ausgleich von Angebot und Nachfrage, gesteuert wird. In diesem Rahmen sind auch Begriffe wie Steuerungs- und Marktversagen im Gesundheitswesen zu betrachten. Die Rolle des Geldes ist dabei eine sehr entscheidende, weil zunehmend auch ethische Fragestellungen im Gesundheitswesen diskutiert werden müssen und Geld immer mehr darüber entscheiden wird, wer welche Leistungen überhaupt und zu welchem Preis erhält. Im Artikel sollen auch Antworten auf die Frage gegeben werden, welche Rolle Geld im Gesundheitswesen generell spielt und welche Gefahren entstehen können, wenn ethische Gesichtpunkte einer Geldlogik völlig untergeordnet werden.

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Hintergrund und erste Begriffsklärung

Das Gesundheitswesen ist ein bedeutender Teil des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Seine Finanzierung ist abhängig von den Möglichkeiten der Volkswirtschaft und den dort gewählten Finanzierungsmechanismen. Da die Mittel und damit das Geld immer knapper werden und nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu befriedigen, sind ständig ökonomische Entscheidungen darüber notwendig, für welche Bevölkerungsgruppen, mit welchen Ressourcen wie viele

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Guido Offermanns

Leistungen erstellt werden sollen. Konkret heißt dies für das Gesundheitswesen, wie viel Geld für die Befriedigung der „Konsumwünsche“ der Patienten zur Verfügung gestellt wird. Dabei kann man zwei grundsätzliche Positionen unterscheiden: „Gesundheit ist das höchste Gut, und um die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen, ist nichts zu teuer.“ Und „Das Gesundheitswesen ist in der Krise: Wenn die Kosten weiter im bisherigen Tempo steigen, können wir uns die Gesundheit bald nicht mehr leisten.“ Konkret geht es dabei darum, wie viel Geld die Gesellschaft noch bereit ist, in das Gesundheitssystem zu investieren. Andere gesellschaftliche Teilsysteme (u. a. Bildung, Verteidigung, Arbeit und Soziales) stehen in direkter Konkurrenz. In den letzten Jahren ist das Gesundheitswesen mit seinen Akteuren zunehmend unter Druck geraten. Eines der zentralen Probleme bildet sicher die andauernde überproportionale Kostensteigerung, welche offenbar kaum zu bremsen ist und die öffentliche Diskussion maßgeblich bestimmt. Die Gründe für diese Kostensteigerung sind vielschichtig und hängen sowohl von externen wie auch internen Bedingungen ab. Unter die veränderten Umweltbedingungen fallen u. a.: • Eine starke Zunahme der älteren Menschen mit einhergehenden Altersgebrechen sowie eine zunehmende Zahl an chronischen Erkrankungen, die nur schwer zu behandeln und aufwendig zu betreuen sind. Zusätzliche Pflegeleistungen werden dringend benötigt (Rosenbrock 2004: 41). Auf diese neuen Herausforderungen kann die Akutmedizin bisher keine Antworten geben. Strittig ist die These, dass allein die steigende Zahl an älteren Menschen bereits zu höheren Kosten im Gesundheitswesen führt, da überdimensionale Kosten erst in den letzten acht Lebenswochen im Krankenhaus entstehen, primär durch intensivmedizinische Maßnahmen. Andere medizinische oder pflegerische Kosten aufgrund der verlängerten Lebenserwartung stellen nur einen kleinen Anteil an den Gesamtkosten dar. • Die abnehmende Qualität der sozialen Netze und damit ein Rückgang der Familien- und Nachbarschaftshilfe führt zum Bedarf neuer Versorgungsleistungen, insbesondere über die einzelnen Versorgungssektoren hinweg (ambulante, stationäre, rehabilitative und pflegerische Versorgung). Bisher findet die Versorgung in voneinander getrennten Sektoren statt, was sowohl die Finanzierung als auch die Organisation angeht. Die bisherigen Strukturen des Gesundheitssystems können daher als stark fragmentiert bezeichnet werden (Rosenbrock 2004: 227; SVR 2001: 30).

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• Eine Veränderung der Ansprüche der Patienten und deren Angehörigen, die heute immer mehr als selbstbewusste Nutzer des Gesundheitssystems auftreten. Sie erwarten, dass man sie auch im Gesundheitswesen als Nachfrager ernst nimmt und dass sie einen leichten und raschen Zugang zu Gesundheitsleistungen haben. Immer wichtiger wird auch, herausragende Qualität der Gesundheitsleistungen, einen entsprechenden Komfort in den einzelnen Gesundheitseinrichtungen sowie transparente Informationen bei Auswahl einer Gesundheitseinrichtung vorzufinden (Offermanns 2005: 73). • Das Fehlen von ökonomischen Anreizen für Patienten und Anbieter. Dies kann man auch unter dem Phänomen der angebotsinduzierten Nachfrage zusammenfassen, d. h. Health Professionals (Ärzte, Pflegende, Therapeuten) bestimmen, welche Leistungen der Patient in Anspruch nimmt, da zwischen Patient und Arzt eine große Informationsasymmetrie über mögliche Behandlungsformen herrscht. Die Kosten der durch die Health Professionals ausgelösten Nachfrage begleichen die Krankenkassen, ohne dass die Patienten über die tatsächlich abgerechneten Leistungen informiert werden (Sachleistungsprinzip) (Offermanns 2005: 31). Das so genante „Moral Hazard-Phänomen“, d. h. dass Patienten Leistungen in Anspruch nehmen, die sie eigentlich gar nicht benötigen, konnte bisher nicht nachgewiesen werden (Kühn: 1998). Neben diesen externen Veränderungen haben sich auch die Strukturen innerhalb der einzelnen Gesundheitsorganisationen stark verändert. Zu nennen sind vor allem: • Eine weitgehende Spezialisierung der Medizin und die damit verbundene Differenzierung der Krankenhausorganisation, bei welcher die neuen organisatorischen Einheiten meist mit eigenen personellen und sachlichen Ressourcen versehen werden. • Der medizin-technische und der pflegerische Fortschritt, welcher vor allem eine größere Diagnose- und Therapiesicherheit, aber kaum eine höhere Produktivität gebracht hat. Neue Technologien addieren sich zu alten und führen so weiter zu steigenden Kosten. Oft handelt es sich dabei um Produktinnovationen, die einen erhöhten Ressourcenbedarf zur Folge haben. Das klassische Gegenstück hierzu stellen Prozessinnovationen dar, die den Ablauf der Produktion eines Ergebnisses verbessern und zu einer Verminderung des Ressourcenbedarfs und damit insgesamt zu einer Erhöhung der Effizienz führen. Im Moment bietet das Gesundheitssystem ungleich mehr Anreize für Produkt- denn für Prozessinnovationen. Durch Produktinnovationen lassen sich erhebliche zusätzliche Geldeinnahmen erzielen, da sie vermeintlich dem

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Patientenwohl dienen und so von der Solidargemeinschaft mitfinanziert werden (Köck 1996: 32). • Parallele Hierarchien entlang den verschiedenen Professionen (Medizin, Pflege, Administration), welche eine Zusammenarbeit erschweren und die benötigte Flexibilität insbesondere des Krankenhauses stark beeinträchtigen. Bei dem Krankenhaus handelt es sich um eine klassische Expertenorganisation, die dahingehend gekennzeichnet ist, dass die einzelnen Mitarbeiter aufgrund ihres hochwertigen individuellen Fachwissens als so genannte Experten eine hohe Handlungsautonomie haben. Die Schwierigkeit besteht darin, die fachlich autonomen Experten (im Krankenhaus zum Beispiel die so bezeichnete klinische Autonomie der Leitenden Ärzte) organisatorisch und finanziell in den gesamten Betrieb einzubinden, also auf die Gesamtziele des Krankenhauses auszurichten (Offermanns 2006: 43). Die Patienten nehmen bisher im Krankenhaus eher eine Nebenrolle ein, da die Organisation nicht um den Patienten herum gebaut ist. Die Rolle der Patienten ist so konzipiert, dass sie sich in den betrieblichen Ablauf der Expertenorganisation einfügen und beim Betreten des Krankenhaus der inquisitorischen Machtbefugnis der Ärzte unterordnen müssen, teils sogar unter Verlust elementarer Grundrechte (Illich 1995: 35; Le Fanu 1995). • Erhebliche Managementdefizite, da Managementstrukturen und -kulturen in den Gesundheitsorganisationen noch nicht erfolgs- oder leistungsorientiert sind und die notwendige Transparenz von Leistungen und Prozessen der Leistungserstellung fehlt. Ökonomische Instrumente konnten bis jetzt kaum eingesetzt werden. Daher erfolgte die Verteilung der Mittel bisher weitgehend über eine Ressourcensteuerung, wo insbesondere Macht und Einfluss der Experten wichtige Parameter zur Erzielung eines großen Anteils des zu verteilenden Geldes sind (Offermanns 2005: 74). Die Gesellschaft (vertreten durch gewählte Politiker) ist nun nicht mehr bereit, weiterhin immer mehr Geld in das System zu investieren, da etwa durch höhere Sozialversicherungsbeiträge die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaft sinkt (u. a. zu hohe Lohnnebenkosten). Damit folgt man primär der ökonomischen „Geldlogik“ der übergeordneten staatlichen Systemebene, ohne mögliche Konsequenzen tatsächlich zu diskutieren (vgl. Punkt 4 zu den Begriffen Rationierung, Rationalisierung und rationale Allokation von Gesundheitsleistungen). Ethische Diskussionen über eine solche Vorgehensweise oder über die Grundstruktur und die Ziele des Gesundheitswesens finden bisher kaum statt. Zunehmend kommt es zu Kosten/Nutzen-Betrachtungen, um wirksame und unwirksame Leistungen zu unterscheiden. Leistungen werden also mit Geld

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bewertet, woraufhin dann entschieden wird, ob Patienten die Leistungen konsumieren dürfen. Entstehende Kosten werden in Zusammenhang mit Quality Adjusted Life Years (Qualys) gesetzt, d. h. wie viel Geld bewirkt welche Lebensverlängerung bzw. welche Lebensqualität (Ess 2002: 23). Das Gesundheitswesen unterliegt so einer fortschreitenden Ökonomisierung. Dadurch findet man sowohl auf der Ebene des sozialen Gesamtsystems als auch im Gesundheitswesen als Teilsystem ein Allokationsproblem. Notwendige Konsequenzen in der Optimierung der Versorgung der Menschen bleiben bisher durch die existierenden Machtstrukturen, die immer auch an entsprechende Geldströme gekoppelt sind, aus. Geld blockiert somit die notwendigen Veränderungen und kostet also direkt die Gesundheit der Menschen. Durchaus kann man, um mit Erich Kitzmüller (in diesem Band) zu sprechen, das Gesundheitswesen als in der „Crisis“ bezeichnen. Diese bildet sich bisher jedoch eher noch verdeckt ab und beklagt fehlendes Geld und nicht, dass Geld bzw. die Handlungen der einzelnen Akteure die „Crisis“ ausgelöst haben und sie mit allen Folgen verantworten. Selbst die Patienten folgen der Logik, dass nur das gesund macht, was möglichst viel kostet. Paul Kellermann (in diesem Band) beschreibt die Auswirkungen dieses so genannten Moneyismus, wenn also Geld als Maßmittel von Leistungen individueller und kollektiver Art ohne Bezug zu deren Gebrauchswert verabsolutiert wird. Als Beispiele nennt er die Produktion von Waffen und deren Zerstörungswirkung sowie den Wiederaufbau nach Katastrophen, wo ein existierender Zustand lediglich wiederhergestellt wird. Übersetzt auf die Situation im Gesundheitswesen bedeutet dies, dass Geld nur dann einen Nutzen (bzw. im Sinn von Kellermann einen Gebrauchswert) schafft, wenn der Gesundheitszustand einer Person oder einer Bevölkerungsgruppe nachhaltig verbessert wird (Outcome). Es reicht nicht aus, wenn nur quantitative Leistungen erbracht werden, welche keinen Nutzen bringen, überflüssig sind oder sogar schaden (Output). Damit lassen sich Stufen oder Qualitäten einer Versorgung beschreiben, die man als Über- und Fehlversorgung bezeichnen kann (SVR 2001: 30). Dabei ist der Fokus auf den Output an Leistungen gerichtet in Verbindung mit der erzielbaren Geldmenge, unabhängig vom dadurch möglicherweise entstehendem Outcome (Vollborn 2004: 14). Ziel der Akteure im System muss es also eigentlich sein, lediglich die Leistungen zu erbringen, welche die Bevölkerung tatsächlich benötigt (Bedarfsgerechtigkeit) sowie Bereiche aufzudecken, wo man eine Unterversorgung feststellen kann. Hauptursache für das Phänomen der Outputorientierug ist die angebotsinduzierte Nachfrage (vgl. oben) und die stark somatische Fixierung des Gesundheitssystems. Die sozialen, psychischen, lebensweltlichen und

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biographischen Bezüge chronisch Kranker und ihrer Angehörigen werden oftmals nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Ansätze der primären (Vorbeugung und Verhinderung von Krankheiten), sekundären (Früherkennung von Krankheiten) und der tertiären Prävention (Verhinderung der Verschlechterung von Krankheiten) werden vernachlässigt (Hurrelmann 2004: 11). Klar manifestiert sich die Tatsache, dass die Geldmittel dorthin fließen, wo Leistungen entsprechend hoch vergütet werden, und nicht dorthin, wo ein höherer gesundheitlicher Nutzen für die Patienten entstehen würde (Langbein/Ehegartner 2002: 317). In welchen Bereich des Gesundheitswesens Geld hineinfließt, wird durch Machtstrukturen der einzelnen Akteure bzw. deren Vertreter (Ärzte, Kammern, Pharma- und Medizinindustrie) im System bestimmt. Diese bestimmen zur Zeit primär über die Geldverwendung, die Patienten besitzen aktuell nur geringe Einflussmöglichkeiten. Die einzelnen Sektoren bleiben bisher gezielt stark fragmentiert, da eine Kooperation (integrierte und am Patienten orientierte Versorgung) ggf. zu Verlust an Geld und Macht bei den Akteuren führen könnte. Moneyismus findet sich also selbst in solchen Bereichen, wo man ihn eigentlich nicht vermuten würde, nämlich im traditionell eher sozial ausgerichteten Gesundheitswesen. Dafür existieren noch zahlreiche andere Belege, die durch die immer selbstbewusster auftretenden Nutzer des Systems zunehmend offenbart werden, z. B. durch das vermehrte Bekanntwerden von Behandlungsfehlern in der Medizin (Amon 2004: 13; Offermanns 2005: 21). Geld beschreibt für die Akteure im System also eine klare Handlungsorientierung, um die Rahmenbedingungen und die schlechte Messbarkeit der Leistungen und deren Wirkungen (Outcome) zu ihren Gunsten zu nutzen. Eine Einschränkung der Anzahl der Leistungen bedeutet damit nicht selbstverständlich eine Minderung des Outcomes, also eine Senkung der Effektivität der erbrachten Leistungen. Darüber hinaus könnten die gesparten Mittel in sinnvolle Leistungen investiert werden, welche tatsächlich einen messbaren Outcome für die Patienten haben. Dies zeigt auch, dass im System erhebliche Effizienzpotenziale liegen. Der Blick darf sich daher also nicht nur auf die sich zunehmend schlechter werdenden externen Rahmenbedingungen richten, sondern muss auch stark die internen Strukturen im Gesundheitssystem hinterfragen.

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Geld und Gesundheit

Die unterschiedliche Verfügbarkeit über Geld beeinflusst den Grad der Gesundheit der Menschen. Der Geldbesitzer, der erkrankt, kann sich auch Leistungen kaufen, die vom solidarischen System nicht bezahlt werden (beschränkter Leis-

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tungskatalog der Krankenkassen versus privater Konsum von Gesundheitsleistungen). Insofern macht ein „Geldvorrat“ durchaus Sinn. Geld bei einer Bank leihen kann nur derjenige, von dem erwartet werden kann, dass er das Geld plus Zinsen wieder zurückzahlen kann. Von erwerbslosen oder gering verdienenden schwerkranken Menschen ist dies eher nicht zu erwarten; sie gelten als „nicht kreditwürdig“. Durch diese Art von Rationierung (bei nachgewiesenen bedarfsgerechten Leistungen) wird den Menschen das Recht genommen, weiter zu leben. Die Geldeinnahme der Leistungserbringer, die durch überflüssige Leistungen Nachfrage auslösen, dominiert daher bisher den Anspruch auf Lebensverlängerung des einzelnen Patienten durch bedarfsgerechte Behandlung. Bei einer Selektion von überflüssigen oder schädlichen Leistungen würden bei den Erbringern starke Einkommensverluste auftreten, die diese natürlich freiwillig nicht hinnehmen würden. Durch die Intransparenz des Systems und der Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient erfolgt dieser Prozess für die Nutzer verdeckt. Dass man mit Geld generell Gesundheit kaufen kann, bleibt bei näherer Betrachtung eher Utopie. Die Bestimmungsfaktoren von Gesundheit sind vielfältig. Mit Geld können primär Leistungen der Akutmedizin erworben werden, deren Nutzen häufig unklar ist. Weiterhin sind Gesundheitsschäden zum Teil irreversibel oder nur palliativ zu behandeln. Dennoch ist nachgewiesen, dass Menschen in höheren sozialen Schichten eine längere Lebenserwartung haben als Menschen aus niedrigeren sozialen Schichten. Neuere Erkenntnisse, z. B. aus den Gesundheitswissenschaften (Public Health), finden erst langsam Einfluss in die Gesundheitspolitik. Studien haben gezeigt, dass lediglich zehn bis 30 Prozent der „potenziellen Gesundheit“ eines Landes ursächlich auf Aktivitäten des Gesundheitssystems zurückzuführen sind (McKee 2001: 296; SVR 2001: 24). Andere wichtige Einflussgrößen auf den Outcome eines Gesundheitssystems sind, abgesichert durch empirische Befunde, beispielsweise exogene und transsektorale Einflussgrößen wie der Arbeitsmarkt, die Einkommens- und Vermögensverteilung, das Bildungs- und Verkehrswesen, die Umweltqualität, die Arbeitsbedingungen, die Wohnverhältnisse sowie der Lebensstil und soziale Status der Bürger (SVR 2001: 23). Folglich muss eine effektive und effiziente Einwirkung auf die gesundheitlichen Outcomes, im Sinne einer Gesundheitspolitik, eine Kooperation mit anderen Politikbereichen einschließen. Singuläre Aktivitäten der Gesundheitspolitik erzielen also nicht die entsprechenden Wirkungen (Offermanns 2005: 5). Folgen wären sicherlich eine weitgehende Umverteilung der Geldmittel im System. Die Akteure im Gesundheitswesen (primär Ärzte, welche die Nachfrage für die Patienten auslösen: angebotsinduzierte

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Nachfrage) haben einen Anreiz, mehr Geldeinnahmen zu erzielen. Die Ziele des Gesundheitswesens geraten dabei zunehmend aus dem Fokus. Geld der Solidargemeinschaft wird durch die vom System gesetzten Anreize oder Steuerungsmechanismen in eigenes Einkommen umgewandelt. Der Arzt verdient an der Krankheit der Menschen, da er nur so den gesetzten Anreizen folgen und Geldeinnahmen erzielen kann. Je mehr Leistungen er erbringt, desto höher sind seine Einnahmen. Eine Erhaltung der Gesundheit wird nicht vergütet, weil dann andere und eher schlechter bezahlte Leistungen erbracht werden müssten, oft auch in anderen Bereichen des Gesellschaftssystems.

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Rationierung, Rationalisierung und rationale Allokation

Durch die oben beschriebenen externen und internen Probleme im Gesundheitssystem stellt sich immer mehr die Frage, ob und welche Leistungen noch bezahlt werden können. Dies bedeutet nichts anderes, als dass nicht mehr genug Geld vorhanden ist, um alle Patienten behandeln zu können. In diesem Fall spricht man von Rationierung, die in unterschiedlichen Formen auftreten kann. Generell bedeutet Rationierung die Verweigerung von bzw. die Erschwerung des Zugangs zu medizinischen und pflegerischen Maßnahmen, die einen unbestrittenen Nutzen haben. Dabei können mehrere Formen unterschieden werden (Güntert 2002: 62, Kühn 1991, Kühn 1998): • „harte“ und „weiche“ Rationierung: Bei der „harten“ Rationierung ist die Menge der Ressourcen nicht ausdehnbar, um den Bedarf zu decken. Häufig angeführtes Beispiel ist die Transplantationsmedizin. Bei der „weichen“ Rationierung muss mit einem vorher bestimmten Maß an Ressourcen ausgekommen werden, der Umfang ist jedoch prinzipiell veränderbar. Im Gesundheitswesen hat man es i.d.R. mit „weicher“ Rationierung zu tun, lassen sich doch Budgets meist über politische Prozesse oder Verhandlungen ausweiten (Güntert/Fozouni 2002b, Mielck 1996: 7). • „scharfe“ und „schwache“ Rationierung: „Scharfe“ Rationierung bedeutet, dass konkrete Personen anhand von Merkmalen von der Nachfrage gewisser Leistungen ausgeschlossen werden (z. B. keine Dialyse ab einer bestimmten Altersgrenze), während bei der „schwachen“ Rationierung lediglich der Zugang zu den Leistungen z. B. mittels Wartelisten oder finanzieller Barrieren wie Zuzahlungen erschwert wird (Kühn 1998). • „personenorientierte“ oder „ressourcenorientierte“ bzw. „direkte“ oder „indirekte“ Rationierung: Bei der „personenorientierten“ oder „direkten“ Rationierung werden betroffene Personen explizit vom Leistungskonsum ausge-

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nommen (z. B. Lebertransplantation bei Patienten mit chronischer Hepatitis). Mit der „ressourcenorientierten“ oder „indirekten“ Rationierung hingegen wird keiner Bevölkerungsgruppe a priori der Zugang zu Leistungen verwehrt. Dies kann jedoch durch Kapazitätsreduktion oder notwendiger Fallzahlenreduktion zu strukturellen Versorgungsengpässen in manchen Bereichen des Gesundheitssystem führen. Gedanklicher Hintergrund dieser hier beschriebenen Dichotomie ist eine Entschärfung der grundsätzlichen ethischen Dimension in allen Rationierungsentscheidungen durch eine lediglich statistische Erhöhung der Sterbewahrscheinlichkeit oder Senkung von notwendigen Behandlungen im Krankheitsfall (Güntert/Fozouni 2002b, Sommer 2001). Geld wird so eingespart und dem Gesundheitssystem bzw. den Menschen die benötigten Leistungen entzogen. • „explizite“ oder „implizite“ Rationierung: Bei dieser Unterscheidung geht es um die Frage des öffentlichen Bewusstseins der Rationierungsproblematik. Von „expliziter“ Rationierung soll gesprochen werden, wenn die Rationierungsproblematik und -kriterien öffentlich diskutiert oder zumindest bekannt sind. Ziel ist es, Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Rationierungsentscheidungen zu erreichen. Folge ist eine gesellschaftliche Sensibilität für den Umgang mit den in der Regel knappen Mitteln im Gesundheitssystem. „Implizite“ Rationierung bedeutet, dass begrenzte Ressourcen eine Rationierung wohl erforderlich machen, eine öffentliche Auseinandersetzung über die Kriterien jedoch ausbleibt. Dies äußert sich, wenn sowohl auf der Makro- als auch auf der Mesoebene keine allgemein anerkannten oder transparenten Kriterien für den Einsatz der Ressourcen in der gesundheitlichen Versorgung existent sind und die Entscheidungen über die Leistungsverweigerungen den Health Professionals in der direkten Arzt/Patienten-Beziehung, d. h. auf der Mikroebene, überlassen werden. Oftmals sehen sich niedergelassene Ärzte und Institutionen der gesundheitlichen Versorgung mit dieser Problematik konfrontiert, doch bleiben sie bei den in der Praxis notwendigen Rationierungsentscheidungen in der Regel sich selbst überlassen (Güntert/Fozouni 2002b). Im Gegensatz zu Rationierung wird unter Rationalisierung im Allgemeinen die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven, d. h. die Verbesserung der Effizienz bzw. der Produktivität der Prozesse verstanden. Rationalisierungsmaßnahmen zielen darauf ab, durch Optimierung der InputRelation zur Nutzenmaximierung beizutragen. Rationalisierung kann als ein ständiger Prozess zur Steigerung von Effizienz, d. h. Wirtschaftlichkeit und Produktivität aufgefasst werden, welcher alle Bereiche der betrieblichen Leis-

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tungserstellung umfasst (Wöhe 2002). Diese Tätigkeit bezeichnet man auch als Management – dem Gestalten, Lenken und Entwickeln von sozialen Systemen (Bleicher 2002). Geld wird auch hier eingespart und kann an anderer Stelle sinnvoll in der Versorgung eingesetzt werden. Hinzu kommt noch, dass durch die Aussonderung von überflüssigen Leistungen für die Patienten kein Schaden entsteht, z. B. durch Unterlassung von unnötigen Operationen oder Röntgenaufnahmen (vgl. SVR 2001). Den Zusammenhang zwischen Rationierung, Rationalisierung und rationaler Allokation verdeutlicht die Abbildung 1. Der Begriff der rationalen Allokation zielt im Allgemeinen darauf, die Steigerung des systemischen Gesamtnutzens, d. h. auch bezogen auf das Gesundheitswesen, ein gesellschaftliches Wohlfahrtsoptimum zu erreichen. Im Besonderen kann dies auf der Mikro-Ebene durchaus als eine direkte Rationierung empfunden werden. Eigentlich handelt es sich jedoch um rationale Entscheidungen über den zweckdienlichen Einsatz von begrenzten Ressourcen (materiell, finanziell und strukturell) und kommt damit einer Rationalisierung auf der volkswirtschaftlichen Makro-Ebene nahe. Sie folgt aber einem anderen Verständnis von Effektivität und Effizienz als die oben beschriebene medizinische und betriebswirtschaftliche Rationalisierung. Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Rationalisierung, Rationierung und rationaler Allokation (in Anlehnung an Güntert 2002: 60) Rationierung

Rationalisierung

Leistungsbegrenzung entsprechend dem Finanzierungspotential

Verbesserung des Ressourceneinsatzes durch wirksames Management

Effizienz

Volumen Effektivität Optimierung des Gesamtnutzens durch Prioritätensetzung und bedarfsgerechte Leistungserstellung rationale Allokation

Nicht jede vorenthaltene Leistung bedeutet eine wie auch immer geartete Rationierung, sondern kann eine Rationalisierung im Sinne der Optimierung des

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Gesamtsystems darstellen. Typisch für die beiden Bereiche einer Rationalisierung und der rationalen Allokation ist, dass hier Entscheidungen auf der Basis der ökonomischen (betriebswirtschaftlichen) Rationalität gefällt werden, d. h. es werden die ökonomischen Minimal- oder Maximalprinzipien angewendet, wenn auch auf unterschiedlichen Systemebenen. Dies muss allerdings nicht zwingend auf die Rationierung zutreffen. Es wurde jedoch ebenfalls gezeigt, dass es die Möglichkeit gibt, einzelne Personengruppen von gesamtgesellschaftlich sinnvollen Leistungen auszuschließen. Solche Ausschlüsse können nur teilweise ökonomisch begründet werden und haben dabei häufig einen anderen Hintergrund (Güntert/Fozouni: 2002b). Für das Allokationsproblem im Gesundheitssystem gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Lösungsansätze – nämlich Marktmechanismen, d. h. Steuerung über Preis, Menge und Qualität, oder staatliche Steuerung aufgrund von Plänen – sowie dazwischen unzählige Mischformen (Güntert 1998; Sommer 1999: 115). Die beiden Grundtypen der Steuerung kommen in keinem Gesundheitssystem in ihrer reinen Form vor. Selbst in traditionellerweise verstaatlichten Gesundheitssystemen kann man zunehmend mehr Marktmechanismen, in der Regel in Form von Expertenmärkten oder aber beschränkt auf das Segment der finanzkräftigen Bevölkerung, beobachten (Offermanns 2005: 18; Sommer 1999: 175). Wettbewerb bedeutet üblicherweise, dass die Anbieter die Produktionskosten senken und sich auf finanziell attraktive Leistungen zu konzentrieren suchen. Im Krankenhausbereich heißt dies zum Beispiel, dass vielfach Abstriche beim Personal (wichtigster Kostenblock), bei der Qualität und beim Komfort gemacht werden könnten. Zum Beispiel werden gewisse Personen aufgrund einer spezifischen Erkrankung von der Versorgung ausgeschlossen, da für die benötigte Leistung nicht genug Geld erlöst werden kann (trifft häufig auf ältere Menschen mit starkem Pflegebedarf und einer akuten inneren Erkrankung zu). So werden primär finanziell attraktive Leistungen erbracht, die zu hohen Erlösen führen (chirurgische Eingriffe bei sonst mobilen Menschen: künstliche Hüftund Kniegelenke, Bypass-Operationen und Transplantationen). Dies kann aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht leicht zu Über-, Unter- oder Fehlversorgungen führen (vgl. oben; Busse: 2002). Unter dem totalen ökonomischen (Geld-) Paradigma würden eventuell Leistungen, welche keinen Gewinn erzielen, gar nicht mehr angeboten. Diese bezeichnet man auch als meritorische Güter, wobei die Gesellschaft darüber entscheiden muss, in welcher Menge und Qualität diese Güter angeboten werden sollen. Dieser Sachverhalt trifft auch auf viele andere öffentliche Güter wie z. B. das Bildungssystem zu.

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Guido Offermanns

Die eingeschränkten Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten der Nachfrager (Bevölkerung und Patienten) sind Ergebnis fehlender Transparenz und mangelhaften Wissens über Krankheit und medizinisch-pflegerische Möglichkeiten (mangelnde Konsumentensouveränität). Hinzu kommt die Tatsache, dass Patienten sich der wirtschaftlichen Folgen ihrer Entscheidungen nicht bewusst sind und dass von Krankheit und Gesundheit weit reichende externe Effekte ausgehen (Belastung der Familien, Produktivitätsverluste usw.) (Köck 1996: 17). Zusätzlich zu beachten sind noch vielfältige ethische, soziale und politische Aspekte. Damit ist das Gesundheitswesen weit von den Vorstellungen eines idealen Marktes entfernt und man muss daher von einem Marktversagen im Gesundheitswesen sprechen (Offermanns 2005: 10; Sommer 1999: 98). Dass die Probleme im Gesundheitswesen nicht dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überlassen werden dürfen, zeigt das Beispiel der USA, deren Gesundheitssystem das teuerste der Welt ist. Dort kommt es einerseits zu offener Rationierung, weil bestimmte (einkommensschwache) Menschen sich keine Krankenversicherung leisten können, andererseits greifen die Menschen, die über viel Geld verfügen, auf die beste Gesundheitsversorgung der Welt zurück. Andere wiederum sind auf Subventionszahlungen des Staates, von Stiftungen oder Vereinen angewiesen. Primär betrifft dieses Problem Personen aus einkomensschwachen Bevölkerungsschichten. Aber auch Personen aus mittleren Schichten weisen zunehmend versicherungsfreie Zeiten auf (Collins: 2006). Aus den oben beschriebenen Gründen ist eine Ausweitung der marktlichen Elemente hin zu einer klassischen Marktsteuerung für das Gesundheitswesen sorgfältig und kritisch auf mögliche Folgen zu beobachten. Eine Steuerung des Gesundheitswesens über einen freien Markt ist aus den oben beschriebenen Gründen abzulehnen. Geld als Handlungsorientierung in der im Beitrag beschriebenen Form würde zu starken sozialen Verwerfungen führen.

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Zusammenfassung

Die Ausführungen haben gezeigt, dass es schwer ist, eine klare Abgrenzung zwischen den Bereichen rationale Allokation, Rationierung und Rationalisierung zu erreichen. Rationale Allokation wird aber für alle Gesellschaftsbereiche, insbesondere für das Gesundheitswesen, immer wichtiger. Damit ist klar geworden, dass ökonomische Prinzipien (die ihre Entsprechung in Geld finden) – soviel Gewicht sie auch immer haben bzw. finden werden – nicht allein zur Anwendung kommen dürfen, schon gar nicht auf der Meso-Ebene, d. h. auf der Ebene der einzelnen Gesundheitsorganisation. Für sich allein genommen ist die

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ökonomische Rationalität nicht in der Lage, die Finanzierungs- und Strukturprobleme zu lösen. Vielmehr müssen die ökonomischen Prinzipien in ein weites politisches und soziales Konzept zur Beurteilung, Bewertung und Bestimmung der Inhalte und Zielrichtungen des Gesundheitswesens eingebettet sein. Bisher können sowohl im deutschen als auch im österreichischen Gesundheitssystem lediglich erste Ansätze von Rationierung beobachtet werden, im Gegensatz u. a. zu England, Irland und Italien, wo sich Rationierung bereits in langen Wartelisten manifestiert (Hurst: 2003; Siciliani: 2003). Falls die Strukturen in Deutschland und Österreich nicht kritisch hinterfragt und den neuen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden, wird sich eine implizite und anschließend explizite Rationierung von Leistungen nicht mehr abwenden lassen, auch weil eine gesellschaftliche Diskussion über dieses brisante Thema in den nächsten Jahren nicht zu erwarten ist. Grundsätzlich ist das System der Krankenversicherung als Solidargemeinschaft der Versicherten und Patienten angelegt (Geld wandert durch Beitragserhebung auch von Reichen zu Armen und von gesunden zu kranken Menschen), es wird aber durch Veränderungen in der Gesellschaft zunehmend mehr zu einer Risikogemeinschaft. Zukünftig wird ein Diskurs auf gesellschaftlicher Ebene zwischen Politikern, Wissenschaftlern, aber auch vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern unausweichlich sein, wie viel Ethik (oder Gesundheit) sich unsere Gesellschaft noch leisten will oder ob sich die Monetik, wie in anderen Gesellschaftsbereichen, immer stärker durchsetzen wird. Dies wäre der Schritt zur totalen „Geldgesellschaft“. Geld würde dann über Lebenserwartung und über die Qualität des Lebens schlechthin maßgeblich bestimmend sein, eine Chancengleichheit in der Gesellschaft wäre quasi nicht mehr gegeben. Zudem kann die Gesundheit aller Bevölkerungsschichten nur dann nachhaltig gesteigert werden, wenn auch in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen stärker als bisher investiert wird; zu nennen ist insbesondere das Bildungssystem zur Verringerung der sozialen Ungleichheiten. Die bisher fast ausschließlich somatische Fixierung muss von einer ganzheitlichen Sichtweise auf das Thema Gesundheit abgelöst werden.

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Guido Offermanns

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Gerd Nollmann

Die neue Landnahme des Geldes Wirtschaftswachstum, Beschäftigungsraten und Kommodifizierung von Familienarbeit in OECD-Ländern

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Einleitung: Geld als Handlungsorientierung

Paul Kellermann (2005) fasst die grundlegenden Merkmale des Geldes prägnant zusammen: Geld ist ein Symbol, das die Akzeptanz eines Leistungsversprechens anzeigt. Es steht insofern für eine Handlungsorientierung und ist keinesfalls ein Mysterium. Kellermann unterscheidet die Perspektiven von privaten Haushalten und Unternehmen von einer Systemperspektive, die die Geldverfügbarkeit anders betrachtet als die Praxis. Letztere meint substantialistisch, dass Geld immer nur einmal ausgegeben werden könne und dann erst wieder neu verdient werden müsse. Die Systemperspektive hingegen sieht die Katalysator- und Symbolfunktion des Geldes: Mit ihr können suboptimale Lebensbedingungen, Knappheit und ungestillte Bedürfnisse überwunden werden. Es ist geradezu ein Irrsinn, dass mehr als genug sinnvolle Arbeit „eigentlich“ in der Gesellschaft da ist, und gleichzeitig ein wachsendes Heer von Langzeitarbeitslosen, insbesondere von perspektivlosen Jugendlichen, immer weniger aktiv an Gesellschaft teilnehmen kann (Bammé 2005: 64f.). Die Forschungsfrage lautet folgerichtig, ob Entscheidungsträger in der Politik das Geld falsch bzw. nur beschränkt „verstehen“ und somit letztlich nicht im Sinne einer Maximierung von Angebot und Nachfrage einsetzen. Kellermann spricht damit eine umfassende, historisch weit zurückreichende Thematik an. Die (neo)klassische Ökonomie sah im Geld eine lediglich neutrale Größe, ein „Schleier“, durch den hindurch der Beobachter die empirische Räumung von Märkten auf Gleichgewichtsniveau betrachten kann. Dieser Sichtweise wurde im Weiteren nachhaltig widersprochen. Die soziologische Betrachtung des Geldes hat sich mit der zurückhaltenden Sichtweise der klassischen Ökonomie ehedem nie zufrieden gegeben. Sie betonte stets die weit reichenden gesellschaftlichen Folgen der Geldwirtschaft (Simmel) und die umfassende gesellschaftliche Strukturierung erwarteter Motive, die dem Geld erst seinen Symbolcharakter verleihen könne (Weber).

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Gerd Nollmann

Ein zweiter Widerspruch basiert auf der keynesianischen Nachfragetheorie, die Kellermann für eine weit reichende Diagnose nutzt. Die jüngere Verschärfung sozialer Ungleichheit verknüpft er mit der „systemwidrigen Auffassung von Geld“ (:130), in der die Politik sich die Sichtweise eines privaten Haushalts zu Eigen mache und so das Geld suboptimal nutze. Die durch Sparen bedingte, ungleichere Verteilung des Geldes führe zu einer Verknappung wirksam werdender Nachfrage nach Güter und Dienstleistungen, und diese verschärfe wiederum die Krise der Angebotsökonomie. Die Abwärtsspirale setzt sich in Bewegung, und die Knappheit des Geldes, die nach Kellermann überhaupt keine Knappheit ist, hält uns in Schach. Wie schon Keynes vor ihm will Kellermann mit der Illusion des Geldschleiers aufräumen. Dieser kraftvolle Entwurf wirft gleichwohl weitere, zu diskutierende Fragen auf. Was heißt es etwa, wenn Kellermann sagt, dass Geld mehrfach ausgegeben werde? Ist das nicht selbst ein substantialistisches Relikt? Das „mehrfache“ Ausgeben verweist auf ein angenommenes Identisches, was sich durch die mehrfache Ausgabe hindurch erhält. Ist es aber nicht vielmehr so, dass es gar keine Rolle spielt, ob das Geld einfach oder mehrfach ausgegeben und eingenommen wird? Es geht doch – wie Kellermann mit großem Recht sagt – immer nur um Handlungsorientierungen, genauer: erwartbare Akzeptanz für eine noch nicht spezifizierte Leistung, und nur diese Akzeptanz, nicht die bedruckten Scheine oder Nummern in Computern (oder früher Edelmetall) an sich sind knapp. Aber wie kann die „mehrfache“ Ausgabe des Geldes bewirkt werden? Warum lassen die Menschen das reichlich vorhandene Geld nicht schneller und häufiger zirkulieren, obwohl das aus makroökonomischer Perspektive durchaus in ihrem Interesse wäre? Kellermann hebt hervor, es sei keine Geld- und Fiskalpolitik erkennbar, die Bedarf und Leistungsvermögen mittels Geld angleicht, so dass Arbeitsvermögen brach liege. Mit Recht verweist er auf den heute in fast allen Typen von Organisationen demonstrativ nach außen gekehrten Sparzwang als mögliche Ursache einer Abwärtsspirale. Die Frage lautet aber: Was genau empfiehlt sich heute, um Angebot und Nachfrage wieder auf einem höheren Niveau zum Ausgleich zu bringen? Soll die Geldpolitik noch expansiver sein, als sie ehedem seit inzwischen einigen Jahren ist? Soll die (speziell deutsche) Fiskalpolitik noch höhere Defizite anstreben, damit das Geld wieder seinen Zirkulationsjob tun kann?

Die neue Landnahme des Geldes

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Kein Wachstum: Warum mehr Geld ausgeben?

Wenn Geld motivierte Handlungsorientierung ist, gleichzeitig aber eigentlich genug Geld da ist, stellt sich die Frage, ob die eigentliche Knappheit nicht an anderer Stelle zu suchen ist – nämlich bei den Motiven, Geld zirkulieren zu lassen: Wo müssen bei welchen Bevölkerungsgruppen welche Handlungsmotive beschafft werden, damit mehr Geld umgesetzt, die vollen Regale geräumt (Bammé 2005: 65) und mehr Wertschöpfung erzeugt werden? Manches spricht dafür, dass Geld- und Fiskalpolitik bisweilen in ihren diesbezüglichen Möglichkeiten nicht richtig eingesetzt worden sind. Damit Österreich, Deutschland und Kontinentaleuropa der gefährlichen Abwärtsspirale von Sparen und Gegensparen entkommen, müssen die Motivspuren des Geldes richtig gelesen werden. Wer ist heute überhaupt bereit, für welche Leistung wirklich mehr Geld auszugeben? Das Geld selbst ist in dieser Hinsicht indifferent, die Motive für die Verausgabung des Geldes sind es hingegen keineswegs. Das Geld selbst symbolisiert nur die Akzeptanz für eine erbrachte Leistung – sei es in Schilling, DM oder Euro. Die entscheidende Frage lautet deshalb, für welche Handlungsorientierungen es im Sinne einer Steigerung – anstelle einer sparenden Abwärtsspirale – der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung heute eingesetzt wird und noch eingesetzt werden könnte. Hinter dem Antlitz des Geldes gilt es eine umfassende Motivstruktur zu entdecken, die als Triebfeder aus der von Kellermann mit Recht kritisierten Abwärtsspirale herausführen könnte. Mehr denn je gilt heute Keynes’ Metapher von den Pferden an der Tränke: Es gibt zwar mehr Wasser (Geld) als je zuvor. Aber wie bringt man die Pferde zum Saufen, wenn sie an die Tränke gebracht worden sind? Den Pferden geht es eigentlich ganz gut, und sie verdursten auch nicht, aber es gibt Verteilungsprobleme in der Pferdegruppe und die Pferde steigern ihren gesamten Wasserkonsum auch nicht mehr sonderlich – jedenfalls in Kontinentaleuropa, das in Sachen Wirtschaftswachstum deutlich ins Hintertreffen geraten ist. Der Rückstand Kontinentaleuropas gegenüber Kanada, Australien und den USA ist gewaltig und macht bis zu über 100 Indexpunkte gegenüber dem 1970 auf 100 indexierten Bruttosozialprodukt aus. Diese Differenz ist gewaltig, und inzwischen muss davon ausgegangen werden, dass Kontinentaleuropa kaum noch in derselben Wohlstandsliga spielt wie Kanada, Australien und die USA, die in der Steigerung der realen Wertschöpfung auf und davon gelaufen sind.

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Abbildung 1: Wirtschaftswachstum in 22 OECD-Ländern

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Aber wo liegen die Ursachen für diese tiefe Divergenz? Die erste zu prüfende Antwort bezieht sich natürlich auf das Geld. Waren es niedrige Kapitalmarktzinsen, die den großen Boom ermöglicht haben? Ein Blick auf die Zinsentwicklung in 22 OECD-Ländern legt eine eindeutige Verneinung dieser Frage nahe: Abbildung 2: Langfristige Kapitalmarktzinsen in 22 OECD-Ländern

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Abbildung 3: Staatsdefizit in 22 OECD-Ländern (Primary Government Balance)

Quelle: Armingeon et al. 2005

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Nach einigen Unruhen in den 70er und 80er Jahren zeigen sich ein klarer Rückgang des Zinsniveaus und eine überraschende Konvergenz zwischen den OECDLändern. Langfristiges Kapital ist heute so billig wie lange nicht mehr – und zwar sowohl auf dem europäischen Kontinent als auch in Skandinavien und den angelsächsischen Ländern. Eine entscheidende Ursache für die heterogene Wachstumsbilanz enthalten diese Befunde auf keinen Fall. Die zweite mögliche Ursache betrifft ebenfalls das Geld – und zwar jenes, mit dem der Staat durch eine aktive Fiskalpolitik und deficit spending die Pferde zum Saufen bringen könnte. Dieses Instrument scheint in der Tat seit den 90er Jahren weniger aktiv genutzt zu werden. Wachstumsstarke Länder akkumulieren Überschüsse und nutzen sie zum Teil zur Tilgung alter Schuldenberge. Wachstumsschwache Länder setzen demgegenüber nicht auf eine expansive Fiskalpolitik. Unabhängig davon ist gleichwohl die Erklärungskraft dieser fiskalpolitischen Differenzen angesichts massiver Wachstumsunterschiede begrenzt.

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Landnahme als Kommodifizierung von Familie

Die dritte mögliche Antwort führt auf einen sozialwissenschaftlichen Pfad. Komparativ arbeitende Soziologen heben seit etwa zwei Jahrzehnten hervor, dass in den letzten Jahrzehnten Wachstumsschübe der Wertschöpfung in entwickelten OECD-Ländern vor allem durch eine Kommodifizierung von familialen Reproduktionsaufgaben erreicht worden sind. Von einem Brachliegen von Arbeitsvermögen kann in dieser Hinsicht in skandinavischen und angelsächsischen Ländern und seit den 90er Jahren auch in den Niederlanden jedenfalls keine Rede sein (Visser 1997). Ganz im Gegenteil haben sich Angebot und Nachfrage nach Dienstleistungsarbeit dort kontinuierlich nach oben geschraubt. Die Geldund Fiskalpolitik scheint dazu praktisch keinen unmittelbar erkennbaren Impuls geleistet zu haben. Vielmehr korrelieren höhere weibliche Erwerbstätigkeit und höheres Wirtschaftswachstum positiv. Mehr Frauenerwerbstätigkeit löst noch mehr bezahlte Reproduktionsarbeit aus und multipliziert den Bedarf an bezahlter Dienstleistungsarbeit (Daly 2000). Die Politik, die diesen Vorgang stützt, zielt auf die Vereinbarkeit, ja Wünschbarkeit von Beruf und Familie. Mehr Geld fiskalisch über den Familien auszuregnen, scheint demgegenüber das Gegenteil zu bewirken – zumindest dann, wenn die Familienpolitik ihre Hilfe davon abhängig macht, dass Frauen nicht arbeiten. Doppelverdiener werden in Kontinentaleuropa steuerlich im zweistelligen Prozentbereich relativ schlechter als Haus-

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halte mit einem Verdiener behandelt, so dass die Entscheidung gegen die Erwerbstätigkeit der Frau leichter fällt. Ein genauerer Blick auf die Unterschiede in Beschäftigungsraten zeigt den größten Rückstand Kontinentaleuropas bei Frauen im Alter von 16 bis 25 und 55 bis 64. Offensichtlich verbringen die Frauen auf dem Kontinent in jungen Jahren (zu) lange Zeit in der Bildung. Diese Bremsspuren der Bildungsexpansion zeigen sich jedenfalls in den angelsächsischen Ländern nicht. Die europäischen Bemühungen um ein schlankeres und effizienteres Studieren scheinen hier eine ihrer Ursachen zu haben. Insgesamt erlebt die moderne Welt bezüglich der Kommodifizierung familialer Reproduktionsarbeit eine erneute „Landnahme“ des Geldes (Bammé 2005: 60; vgl. Lutz 1984) – eine muntere Auflösung traditionaler Lebenswelten mit Wachstum fördernden, aber eben auch z. T. verheerenden Konsequenzen für die Stabilität der Familien. Die Scheidungsraten verhalten sich im internationalen Vergleich proportional zur Gesamtbeschäftigungsrate von Frauen. Die USA und die nordischen Länder liegen hier einsam an der Spitze, während Italien und Frankreich niedrige Scheidungsraten aufweisen – wenn auch mit bereits steigender Tendenz. Abbildung 4: Änderungen weiblicher Beschäftigungsraten nach Altersgruppen

Quelle: Lane Kenworthy (2006: 63)

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Hochschilds (2001) Time Bind ist ein viel zitiertes Beispiel für die Schwierigkeiten heutiger Eltern, eine zufriedenstellende work/life-balance zu etablieren (OECD 2002, Gornick/Meyers 2003). „Alles Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht“ – so könnte es heute nicht nur für die Globalisierung, sondern auch für die Entzauberung der Familie durch die erneute Landnahme des Geldes heißen. Reproduktionsarbeit wie Waschen, Bügeln, Putzen, Gartenpflege, Kochen, Einkaufen, Kinderbetreuung und die Pflege (älterer) Menschen – all das wird der ehemaligen Geldlosigkeit entzogen und erzeugt unendlich viele neue Jobs. Wir können, so formulierte es Esping-Andersen 2003 in der Frankfurter Rundschau, gleichsam nichts anderes tun als uns bis zum Umfallen abzuarbeiten und immer mehr Haushalte mit zwei anstatt nur einem oder keinem bread winner zu erzeugen, um Ungleichheit und Arbeitslosigkeit im Zaum zu halten. Die OECD (2003) hat darauf hingewiesen, dass selbst die Wachstumsweltmeister USA und Kanada seit den 80er Jahren etwa 80 Prozent ihrer Expansionskräfte aus dieser „Landnahme“ bezogen haben. Auch in Ländern wie Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und den Niederlanden ist dieser Expansionsschub bereits weitgehend konsumiert worden. Umgekehrt können sich die kontinentaleuropäischen Länder, insbesondere Frankreich und Italien, noch auf diesen vor ihnen liegenden Schub „freuen“ – falls diese Landnahme wirklich so erfreulich ist, wie sie derzeit verkauft wird. Auch Deutschland will offenkundig der „Landnahme“ folgen, indem Frauenerwerbstätigkeit ermutigt, Kinderbetreuung ermöglicht, Steuerhindernisse abgebaut und Arbeitsmärkte dereguliert werden. Die Lissabon-Strategie der Europäischen Union zielt ebenfalls auf höhere Beschäftigungsraten, die wiederum nur durch die Kommodifizierung von familialer Reproduktionsarbeit erreichbar sind.

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Abbildung 5: Beschäftigungsrate von Frauen in 15 OECD-Ländern

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Die große Koalition der Willigen

Soweit erkennbar, gibt es jedenfalls keinen umfassenden gesellschaftlichen Diskurs darüber, ob wir diese erneute Landnahme des Geldes überhaupt wollen. Löst man sich von der heute vorherrschenden, auf Wachstum fixierten Sicht, bewirkt sie gerade das Gegenteil einer Wohlstandssteigerung, indem sie freie Zeit jenseits von in Geld bewerteter Arbeit massenhaft verwandelt (Bammé 2005: 51). Von außen betrachtet müsste sie „eigentlich“ nicht unbedingt durchgeführt werden, denn es mangelt auch auf dem europäischen Kontinent nicht an Wohlstand und Geld. Aber die Koalition der Willigen für die Landnahme des Geldes scheint groß zu sein: Die Politik schafft es offenkundig in mehr oder minder allen OECD-Ländern insbesondere in Rezessionen nicht, sich einfach mit weniger oder gar keinem Wachstum der Einnahmen zu arrangieren, so dass die Defizite dann bedrohliche Ausmaße erreichen. Für die Politik ist die Landnahme von hervorragender Bedeutung, denn sie verspricht eine Entlastung von Haushalten und Sozialversicherungen und höhere politische Gestaltungsspielräume. Wachsen ist im politischen Kampf leichter als sparen. Die herbeigesehnte, neue Landnahme des Geldes soll der Politik auch unangenehme Themen ersparen – etwa die Frage, ob die in postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften gespreizten Markteinkommen nicht längst wieder eine stärkere Steuerprogression verlangt. Auch die Frauen reihen sich in die Koalition ein, denn sie drängen mit aller Macht in den Arbeitsmarkt. Das dort zu verdienende Geld verspricht neue Anerkennungs- und Unabhängigkeitschancen und u. U. sogar Karrieren. Die Lebensverläufe von Männern und Frauen gleichen sich insofern enorm an. Mobilitätsforscher und Bildungspolitiker blasen schließlich ins gleiche Horn, weil die nach wie vor hartnäckige, aristokratische Vererbung von Lebensverläufen in modernen Gesellschaften offenbar gelockert werden kann, wenn Kinder bereits sehr früh aus ihren Familien herausgeholt und extern betreut und gefördert werden (Erikson/Goldthorpe 1992, Shavit/Blossfeld 1993, EspingAndersen 2004). Das Paradebeispiel für diese Lockerung ist Schweden, während umgekehrt die scheinbar so individualistischen USA eine besonders ausgeprägte Vererbung von Statuspositionen aufweist, weil dort die Kinderbetreuung zwar extern, aber eben ohne Hilfe des Staates nach Maßgabe der individuellen Haushaltskassen und damit qualitativ extrem unterschiedlich erfolgt. Schließlich weisen Familienforscher darauf hin, dass es ein Trugschluss sei zu glauben, dass „konservative“ Wohlfahrtsstaaten (wie die kontinentaleuropäischen) durch ihre Förderung der Familie und ihren geringen Frauenbeschäftigungsraten letztlich mehr Kinder in die Welt setzten. Seit einiger Zeit trifft das

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Gegenteil zu. Frauenbeschäftigungsraten und Fertilität korrelieren, wie Engelhardt (2006) in ihrer Methodenstudie zeigt, inzwischen negativ. Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und Spanien fallen durch besonders niedrige Geburtenraten auf. Der demografische Übergang entwickelt einen Würgegriff auf die Sozialkassen, was den Schrei nach mehr Beschäftigung umso lauter geraten lässt. Abbildung 6: Natürliche Rate des Bevölkerungswachstums in ausgewählten Ländern

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Die natürliche Rate des Bevölkerungswachstums pendelt inzwischen in den kontinentaleuropäischen und nordischen Ländern um Null, während die Angelsachsen nach wie vor auf robuste, wenn auch tendenziell sinkende Geburtenüberschüsse für weiter reichende Kommodifizierungen zurückgreifen können. Der letzte Alliierte in der großen, breiten Koalition der Willigen ist die schweigende Mehrheit der Bürger, die aus der Einkommenspolarisierung der letzten Jahrzehnte als Gewinner hervorgegangen sind. Entgegen vielfältigen Selbstberuhigungen, auf dem europäischen Kontinent seien noch keine Polarisierungstendenzen zu erkennen, hat sich die Verteilung des Geldes auf Märkten bereits deutlich polarisiert. Drei Dimensionen charakterisieren diese Polarisierung: • erstens die Branche bzw. der Sektor der Beschäftigung, • zweitens die Klassenlage und • drittens das Alter: Abbildung 7: Die Polarisierung der Markteinkommen nach Branchen/Sektoren

Abbildung 8: Die Polarisierung der Markteinkommen nach Klassenlage/beruflicher Autonomie EURO 10000 20000 30000 40000 50000

BRU TTOEINK OMMENSME DIAN E NAC H AUTO NOMIE

1 985

19 90

1 995 ye ar nie drig hoch

QU ELLE: S O EP (E IGEN E BE RE CHN UNG E N)

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2 005

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Abbildung 9: Determinanten von Einkommenssteigerungen BRD 1984-2004

Die Abbildungen 7 und 8 zeigen, dass die Streuung von Markteinkommen sowohl nach Branchen als auch nach Klassenlagen in den letzten zwanzig Jahren erheblich zugenommen hat. Während im Maschinenbau, in Banken, Versicherungen, im Immobiliensektor und in der produktionsorientierten Dienstleistungsbranche die Einkommensmediane stark gestiegen sind, mussten personen- und haushaltsnahe Dienstleistungen und der Einzelhandel erhebliche und im Zeitablauf wachsende Rückstände hinnehmen. „Die Preise bleiben unten“ (WalMart) oder „Lidl ist billig“ heißt es im Einzelhandel. Demgegenüber kann ein Businessdienstleister – wie etwa die SAP-Einführung in der hessischen Verwaltung zeigt – fast beliebig hohe Preise durchsetzen – nicht nur weil die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen riesig ist, sondern auch weil der Professionalisierungsgrad hoch und die Substituierbarkeit der angebotenen Dienstleistung niedrig ist. Die eigentliche Ursache der Polarisierung von Markteinkommen liegt hier in der kollektiven Marktposition begründet, die durch die Art der erbrachten Leistung festgelegt wird. Die Polarisierung zwischen dem Groß- und Einzelhandel, Hotels, Restaurants, Bildung, Verwaltung und privaten Haushalten auf der einen Seite und Banken, Versicherungen, Immobilien und Businessdienstleistern auf der anderen ist sehr ausgeprägt. Die Sektoren variieren erheblich in ihrer Fähigkeit, auf Märkten Preise für Dienstleistungen durchzusetzen (Bosch/Wagner 2003). Finanz- und produktionsorientierte Dienstleistungen sind offenbar institutionell gut abgesichert und einem weniger harten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt als die sozialen, personen- und haushaltsorientierten Dienstleistungen. Die Polarisierung wird also zwar auch, aber insgesamt weniger durch einen klassenspezifischen Machtkampf als durch sektorenspezifische Marktposition

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bewirkt. Der Brancheneinfluss ist – so zeigt die Abbildung 9 in Form von Effektstärken von Regressionen auf Einkommenssteigerungen – deutlich stärker als die Klassenlage. Er wird dort repräsentiert als „Sektordualismus“ – das klassische Konzept von Kuznets (1955), mit dem sektorenspezifische Heterogenitäten der Einkommensverteilung gemessen werden (Nielsen/Alderson 1997, Alderson/Nielsen 2002, Nollmann 2006). Der Sektordualismus misst die Differenz zwischen dem Anteil der Wertschöpfung, den ein Sektor erzielt, und dem Anteil an der Erwerbsbevölkerung, den er dazu braucht. Der absolute Betrag dieser Differenz bildet die unabhängige Variable. Der Sektordualismus misst also nicht unmittelbar die Produktivität eines Sektors, sondern den Beitrag von Produktivitätsgefällen in einer Volkswirtschaft zur Ungleichverteilung von Einkommen. Die Abbildung zeigt, dass der Effekt des Sektordualismus der Branchen mit dem Alter abnimmt. Anders gesagt: Jüngere Geburtskohorten müssen sich auf dem Arbeitsmarkt im Zeitablauf immer mehr auf weniger günstige Einkommenschancen einstellen und auf spätere, nachholende Begünstigungen durch das Senioritätsprinzip hoffen. Die Knappheit des Geldes wird in Arbeitsorganisationen nicht nur von oben nach unten, sondern auch altersspezifisch verarbeitet (Nollmann 2003). Nach jeder der jüngeren Rezessionen mussten sich die neuen Kohorten auf Arbeitsmärkten mit niedrigeren Einstiegsgehältern zufrieden geben.

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Fazit: Chancen und Risiken der neuen Landnahme des Geldes

Gegenüber der breiten Koalition der Willigen ist kaum eine Kraft zu entdecken, die der neuen Landnahme des Geldes entgegentritt. Ihre Chancen scheinen überwältigend zu sein. Gleichwohl sind ihre Risiken immens. Neben der Destabilisierung der Familien liegt ein weiteres Risiko der neuen Landnahme des Geldes darin, dass – salopp gesprochen – ab Beschäftigungsraten von 75 bis 80 Prozent die Luft auf dem Arbeitsmarkt offenbar „dünn“ wird. Ein Beispiel für die damit verbundenen Rückschlagsgefahren liefern die nordischen Staaten, die Anfang der 90er Jahre in eine massive Krise geraten sind und Beschäftigungsverluste in Höhe von bis zu über 10 Prozent hinnehmen mussten. Das Eis, auf dem der personen- und haushaltsnahe Subsektor wächst, ist dünn. Eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung kann, so zeigen die nordischen Länder, schnell in einen kräftigen Abwärtssog geraten. Sobald Sorgen über die finanzielle Versorgung entstehen, wird das „Selbermachen“ wieder entdeckt. Während die früheren „Landnahmen“ durch den industriellen Sektor nicht bzw. nur minimal in den informellen Reproduktionssektor zurückverlagert

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Gerd Nollmann

werden können, gilt genau das für reproduktive Dienstleistungen sehr wohl. Die Multiplikatoren wirken nicht nur in Richtung mehr Wachstum, sondern auch umgekehrt in eine beschleunigte Rezession. Die vorliegenden Daten unterstützen nachhaltig die Annahme, dass der Arbeitsgesellschaft keinesfalls die bezahlte Arbeit ausgehen muss oder gar bereits ausgegangen ist. Ganz im Gegenteil ist das Volumen bezahlter Arbeitsstunden in der Mehrzahl der OECD-Länder in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen – selbst in Österreich und Deutschland, wo die Beschäftigungsraten zwar dem internationalen Durchschnitt bisher nicht zu folgen vermögen, gleichwohl aber in den letzten Jahren insgesamt ebenfalls gestiegen sind. Die von Kellermann kritisierte Abwärtsspirale ist zwar kein auswegloses Schicksal. Aber die sozialen Kosten ihrer Vermeidung sind ebenfalls beträchtlich. Schließlich belegt das hohe Wertschöpfungsgefälle zwischen Dienstleistungs- und Industriesektor auch, dass die größten Chancen für mehr Beschäftigung in den entwickelten OECD-Ländern in deutlich unterdurchschnittlich zahlenden Subsektoren des Dienstleistungsbereichs liegen. Die neue Landnahme des Geldes erfolgt also nicht – wie im Übergang zur Industriegesellschaft – mit einer Erhöhung, sondern mit einer Senkung der Arbeitsproduktivität im Dienstleistungsbereich.

Quellenverzeichnis Alderson, Arthur S./Nielsen, Francois (2002): Globalization and the Great U-turn: Income Inequality Trends in 16 OECD Countries. In: American Journal of Sociology, 107: 1244-1299 Armingeon, Klaus/Leimgruber, Philipp/Beyeler, Michelle/Menegale, Sarah (2005): Comparative Political Data Set 1960-2003. Institute of Political Science, University of Berne Bammé, Arno (2005): Fetisch „Geld“. In: Kellermann 2005: 9-81 BIB (2002), Nichts ist für die Ewigkeit. Ehescheidungen in Deutschland und im europäischen Vergleich, http://www.bib-demographie.de/publikat/bib-mit3_2002.pdf Bosch, Gerhard/Wagner, Alexandra (2003): Dienstleistungsgesellschaften in Europa und Ursachen für das Wachstum der Dienstleistungsbeschäftigung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55: 475-499 Daly, Mary (2000): A Fine Balance: Women’s Labor Market Participation in International Comparison. In: Scharpf, Fritz W./Schmidt, Vivien A. (Hg.): Welfare and Work in the Open Economy, vol. 2, Oxford: Oxford University Press: 467-510 Engelhardt, Henriette (2006): Kausalanalysen mit separaten und zusammengefassten Zeitreihen. In: Andreas Diekmann (Hg.): Methoden der Sozialforschung, Sonderheft 44 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften: 367-395 Erikson, Robert/John H. Goldthorpe (1992): The Constant Flux. Oxford: Clarendon Press Esping-Andersen, Gøsta (2004): Unequal Opportunities and the Mechanisms of Social Inheritance. In: Miles, Corak (ed.): Generational Income Mobility in North America and Europe. Cambridge: University Press: 289-314

Die neue Landnahme des Geldes

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Ingeburg Lachaussée

Geld als philosophische Hermeneutik

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Die Rede vom Geld

“Über Geld redet man nicht”, ist ein Spruch, den jeder kennt. Mit dem Gelddiskurs soll nicht nur dieses Schweigen gebrochen werden, sondern er soll uns in die Lage versetzen zu verstehen, warum geschwiegen und was verschwiegen werden soll (Erich Kitzmüller). Das eloquente Verschweigen des Geldes beruht nicht nur auf gesellschaftlich bedingten Verhältnissen. Es entspringt der eigentümlichen Macht, die dem Geld nollens vollens innewohnt. In meinem Beitrag wird nicht von Kaufkraft, von Einkommen oder von Zinsen die Rede sein. Es geht mir um das Wirken des Geldes auf einer symbolischen und einer gedanklichen Ebene. In der Anregung zur Gestaltung des Gelddiskurses als Polylog liegt meines Erachtens eine implizite Forderung nach methodologischer Besinnung. Das Objekt Geld gehört zu der Reihe von Zwitterwesen, bei denen die Wissenschaft an ihre eigenen Grenzen zu stossen scheint. Geld gerät leicht in Verruf, hat etwas Teuflisches an sich, obwohl es eine grosse “Kulturleistung “ (Georg Simmel) ist. Wie fassbar ist also Geld? Mit welchen Mitteln kann Geld verstanden werden? Heißt es nicht in der Psychoanalyse, Geld hebe den ganzen Menschen aus den Angeln, gebe Anlass zu höchst fragwürdigen Aussagen? Kurzum, Geldbetrachtungen schwanken zwischen Bewunderung und Faszination und auch Verachtung. Dass auch der wissenschaftliche Diskurs nicht ganz davon ausgenommen ist, ist unbestreitbar. Das kommt nicht zuletzt in einem so gewichtigen Text wie Das Kapital zum Vorschein. Dort schreibt Karl Marx, der Kapitalist sei ein Schatzsucher, und selbst der Terminus Fetischismus des Geldes verweist auf den religiösen Rahmen, wenn auch vielleicht nur in Absicht einer stilistischen Persiflage (Bammé 2005). Liegt es bei all diesen Vorbemerkungen nicht nahe, etwas genauer auf die Grundlagen des Gelddiskurses einzugehen? Sollte man es nicht wagen, dem Nimbus Geld mit einer aufgelockerten theoretischen Haltung entgegenzutreten? Dies soll kein Plädoyer für Kurzsichtigkeit oder gar Ungenauigkeit sein, sondern die Forderung, die Adäquation von Objekt und Diskurs zu untersuchen. Dem aufmerksamen Leser von Georg Simmels Philosophie des Geldes wird es nicht entgehen, wie sehr die Auseinandersetzung mit der Geldthematik an er-

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kenntnistheoretische Wirrungen und Schwankungen gebunden ist. Warum immer wieder die Einschübe und Reflexionen über Wahrheit und Erkenntnis? Doch wohl nur, weil die Geldverhältnisse, die sogenannte Neutralität, die seltsame Objektivität, verkörpert in der Geruchlosigkeit des Geldes, sich anbieten, solche erkenntnistheoretische Fragen zu stellen. Ich möchte Georg Simmels Verfahrensweise mit Paul Kellermanns Aufforderung zum Polylog in Verbindung setzen. Es ist so gut wie ausgemacht, dass eine theoretisierende Erneuerung des Gelddiskurses an der Tagesordnung ist. Wir sollten dem Geld nachfragen, uns für den Grund und Boden interessieren, von wo aus wir unsere Fragen an und über das Geld stellen. Kurz, das Verstehen von Geld ist ein Problem. Die Auslegung des Geldes in einer hermeneutischen Dimension bietet die Grundlage für eine geisteswissenschaftliche Beschäftigung mit der Geldproblematik. Friedrich Schleiermacher bezeichnete Hermeneutik als die Kunst, fremde Rede oder fremd gewordene Rede zu verstehen. Die allzu grosse Nähe und Präsenz, die Allgegenwart des Geldes in unserer Gesellschaft können unter dem selben Gesichtspunkt betrachtet werden. Hier könnte der hermeneutische Ansatz dazu beitragen, Distanz zu schaffen und das aktuelle Stimmengewirr zu entflechten. Um dies zu leisten, müssen sich Soziologie und Philosophie die Hand reichen. Zum einen ist die Soziologie als Feld der empirischen Beschreibung, wie zum Beispiel der Rolle des Geldes in der Gesellschaft, nötig; zum anderen liefert die philosophische Betrachtungsweise einen Zugang ganz anderer Art zu Geld. Für sie hat der Seinscharakter, das Wesen des Geldes Vorrang. Es steht an zu bestimmen, was Geld ist, d.h. im Sinn der Klärung seines Seins und seiner Seinsweise. Im Geldwesen liegt ein Ganzheitsanspruch. Der totalitäre Charakter, der dem Geld innewohnt, gründet darauf, dass es absolut ist. Geld ist einfach da. Praxis und Theorie können auseinanderklaffen und nicht unbedingt ein einstimmiges Bild ergeben. Die Sichtweise eines Finanzexperten, eines Arbeiters oder eines Rentiers sind höchst unterschiedlich. Die ontologische Betrachtungsweise sollte nicht aus dem Blickfeld verlieren, dass Geld eine der symbolischen Formen ist, die unseren Weltbezug bestimmen. Simmel brachte dies in seiner Philosophie des Geldes voll zur Geltung (Gessner/Kramme 2002). Der Methodenbegriff ist von groβer Bedeutung. In meiner Untersuchung gehe ich von der Phänomenologie aus, Martin Heidegger folgend. Der Ausdruck Phänomenologie gilt für ihn primär als Methodenbegriff (Heidegger: 7). Das Geldphänomen führt somit in die Anfangsgründe der Soziologie zurück, nämlich der Wissenschaft des Verstehens von sozialen Phänomenen. Die verstehende, philosophische Soziologie bietet die Grundvoraussetzung eines wissen-

Geld als philosophische Hermeneutik

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schaftlichen Umgangs mit Geld. Geld gilt den meisten Menschen als das Selbstverständliche. Es ist eine Evidenz, die andere evidente Verhaltensweisen mit sich bringt. Das Besitzen von Geld wird als einfache Gegebenheit angesehen, das Nicht-Besitzen meistens als ein Manko. In diesem alltäglichen Geldverständnis vollziehen sich aber psychologische Vorgänge, die den Geldcharakter auf einen zu simplen Nenner bringen. Die Banalisierung des Geldes, die Umkehrung der komplizierten Geldverhältnisse in ein Ursache/Wirkung-Schema kritisiert Erich Kitzmüller mit dem Satz: Geld ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Die Lösungsbezogenheit des Geldes ist eine Verkennung des Geldproblems. Das war einer der Gründe, weshalb auch Simmel der marxschen Kapitaltheorie eine Etage hinzufügte, nämlich die kulturphilosophische Betrachtung des Geldes. Geld als philosophische Hermeneutik heisst, es aus der interpretativen Eindeutigkeit herauslösen und die Polyphonie des Begriffes Geld zum Ausdruck bringen. Als Ausgangspunkt zur Rede vom Geld soll angenommen werden, dass das Sein des Geldes keine Substanz ist. Es ist, Simmel folgend, schwindende Substanzialität. Dennoch steht es in Beziehung zum Sein, indem es Relation oder “Wechselwirkung” (Simmel 1996: 205 ff.) ist. Das Sein des Geldes wird als Relation gedacht, nicht als statische Größe. Dadurch ist Geld subjektiv und objektiv zugleich. Zugespitzt formuliert hieße das: Geld ist nichts, es gibt Geld. Mit dieser Formulierung wird eine Zuweisung ins Objektive oder Subjektive unmöglich. Anders gesagt, weder subjektives Denken und Handeln noch ein objektives, neutrales und abgekoppeltes Sein sind Betrachtungesweisen, die dem Sein des Geldes entsprechen. Geld ist ein Zwischen und dieses Zwischendasein des Geldes ist mithin verantwortlich für seine Ambivalenz. Ein Merkmal dieser Ambivalenz kommt in der Metaphorik, die für das Reden über Geld charakteristisch ist, zum Ausdruck (dazu Baudrillard: das „virale Geld“). Doch diesem Pfad zu folgen bedeutet eine Steigerung des Diskurses in den postmodernen Zeichenabgrund. Wenn Geld das Zeichen des Zeichens wäre, wenn es sich in Spiegelungen unendlicher Wirklichkeitswelten verlöre, hätte die Krankheit Geld den Geldkörper schon längst zerfressen. In der Geldfunktion liegt vielmehr eine hermeneutische Macht, die es zu thematisieren gilt. Diese Behauptung ist keine Absage an den Zeichencharakter, sondern gleicht, bildlich dargestellt, einem Bild von René Margritte: Ceci n’est pas une pipe. Im Geld spricht das Zuviel und das Zuwenig bis hin zur Entleerung des Signifikanten, dem viel besungenen leeren Ort der Postmoderne. Geld könnte aber auch eine hermeneutische Erfahrung sein und andere Wege öffnen. Dazu ist es nötig, einen außermoralischen Standpunkt einzunehmen, der

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Geld der allgemein gültigen Bewertung entzieht. Es gilt, eine rein erkenntnistheoretische Art der Geldbetrachtung anzustreben. Den Wert Geld, dessen gesellschaftliche Notwendigkeit nicht im Geringsten angezweifelt werden soll, muss die Geldphilosophie dennoch entwerten. Gefragt ist die Umkehrung des Wertes. Friedrich Nietzsche lässt grüssen. Die noch schärfer formulierte Formulierung dieser These lautet: den Umschwung vom dominierenden Diskurs des Habens zur Position des Geldseins wagen. Erst der Paradigmenwechsel vom Haben zum Sein schärft den Blick für das Phänomen Geld insofern, als der ontologische Standpunkt vorerst puren Subjektivismus wie auch Objektivismus untersagt. Die Position des Aussenstehenden, die letzteren anhaftet, ist bequeme Metaphysik.

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Dekonstruktion und Hermeneutik

2.1 Das vulgäre Geldverständnis Der von Jacques Derrida geprägte Begriff der Dekonstruktion leistet hilfreiche Dienste, wenn es darum geht, das Wesen des Geldes zu erfahren. Unter Dekonstruktion versteht Derrida die Miteinbeziehung eines fremden Denkens in den eigenen Denkansatz. Das, was Descartes in seinen Meditationen tabula rasa nannte – sprich das Zurücklassen von Vorurteilungen und falschen Meinungen – hat in der Dekonstruktion mehr Gewicht. Die Ansicht, man könne sich mit einem gezielten Schlag von Fehlurteilen befreien, beruht auf der Annahme magischer Kraft der Vernunft. Jeder Neuansatz arbeitet im Umfeld von bereits existierenden Vorstellungen, seien sie wissenschaftlicher oder nicht-wissenschaftlicher Art. Die Dekonstruktion ist eine Verlangsamung und Intensivierung des Abbauens von Vorurteilen und damit zugleich auch ein Hinausschieben des eigentlichen Neuurteils. Deshalb nenne ich jegliches Geldverständnis, das subjektivierend oder objektivierend Geld betrachtet, vulgäres Geldverständnis.1 Damt schliesse ich den praxisbezogenen Umgang mit Geld aus, denn hier ist Geld unvermeidlich eine objektive Grösse. Doch schwingt dieses vulgäreVerständnis in vielen Geldüberlegungen mit und verdient somit unsere ganze Aufmerksamkeit (Kellermann 2005: 134-135). Dazu einige Punkte: 1 In der Phänomenologie (Husserl, Heidegger) bezeichnet der Ausdruck “vulgär” das alltägliche, spontane Verständnis z.B. von Zeit oder Welt, das durch die Notwendigkeit des Handelns geprägt ist. Besagte Autoren stellen es dem philosophischen Umgang mit Begriffen gegenüber. Vulgäres Verständnis wird nicht abwertend verwendet, sondern dient der phänomenologischen Beschreibung.

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– Geld ist unendlich grosse Macht – Geld hat Hebelwirkung: ”die reinste Form des Werkzeugs” (Simmel 1996: 263) – Geld ist ein Äquivalent für Dinge – Geld ist un- oder widernatürlich – Geld ist etwas Objektives – Geld ist etwas Virtuelles. Hinter dieser Reihe von Vorstellungen stehen religiöse und philosophische Traditionen, aber auch politischer Machtanspruch. Im Geldphänomen waltet stets der Bezug zum Absoluten, die Vertikalität. Dazu gesellt sich der Anspruch der gerechten Verteilung, also die Horizontalität des Geldes. Das Individuum steht im Mittelpunkt, sozusagen in der Achse, des Geldphänomens. Es ist absolut und relativ zugleich. Dieser Gedanke lässt sich in der Nikomachischen Ethik nachlesen. Aristoteles stellt in der Tat die Geldfrage im 5. Kapitel seiner Ethik. Wir lesen: “Das Geld macht also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch die Gleichheit unter ihnen her.” (Aristoteles1985: 114) Das behauptet auch Simmel in der Philosophie des Geldes, wenn er Geld als Symbol der demokratischen, auf Gleichheit und Freiheit beruhenden Moderne charakterisiert. Mit seinen kontrapunktisch klingendenWorten: “Nun war für jede Seele Platz in Gottes Hause” (Simmel 1996: 491), die den christlichen Individualismus charakterisieren, leitet er auch den Gerechtigkeits- und Verteilungsanspruch im Geldwesen ein. Mit Simmel darf behauptet werden, dass die Geldfrage auch die Frage nach dem Objekt und somit nach der Norm ist. Doch welche Rolle kann der Norm heute in dem stärker denn je pulsierenden “Krieg der Götter”, dem Kampf der Wertvorstellungen, zugemessen werden? Das normative Verständnis der Moderne bestätigt Geld als Religionsersatz, allerdings mit der Auflage, das Gesicht des Absoluten in der Objektbeziehung zu verkörpern. Geld ist in dieser Hinsicht nicht nur die Möglichkeit der Moderne, Triumpf der Freiheit und des Individuums, sondern auch der Beginn ihres möglichen Endes. Der moderne Finanzkapitalismus läutet insofern die Totenglocke des Geldwesens, als er eine neue Epoche des Objektstatus darstellt. Die Hypertrophie der objektiven Kultur (Simmel) führte zum Objektverlust.2 Erinnern wir uns an Hegel, der lehrte, was ein konstitutiver Anerkennungsprozess ist. Es ist ein Vorgang, in dem sich Subjekt und Objekt gegenüberstehen, in Konflikt miteinander geraten und sich so einander bedingend konstituieren. Geldverhältnisse sind soziale Beziehungen.

2 Ausdruck dieses Objektverlustes sind Schwinden von Autorität, diffuse Machtverhältnisse, wachsende Kommunikationssysteme, kurz die Multipolarität unseres heutigen Weltbildes.

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Es stellt sich die Frage, wie der moderne Mensch zum Objekt zu-rückfinden kann. 2.2 Die Aufgaben einer Hermeneutik des Geldes Wenn das Sein des Geldes eine Relation darstellt und infolgedessen eine wandelbare Subjekt/Objekt-Beziehung, heben wir seine intrinsisch soziale Grundlage hervor. So wie der Mensch sich durch seine sich täglich erneuernden und neu erlebten sozialen Beziehungen als Person bildet, so wird auch Geld freischwebend. Hermes ist der Götterbote, der den Menschen die göttliche Botschaft überbringt. Die Schwierigkeit einer monetären Hermeneutik besteht darin, das Geldphänomen, die vergöttlichte Botschaft leserlich zu machen. In der philosophischen Tradition (Platon,3 Rousseau) wird Geld häufig als Widersacher des Geistes betrachtet. Die durch Geld geschaffene Käuflichkeit aller Dinge ist eine Herabsetzung des Wertes der Dinge. Das Hauptargument dieser Denker ist demnach, dass Geld Abhängigkeiten schafft, weil es Eratzfunktionen ausfüllen kann. Man erinnere sich an Rousseaus Klageschrei: “Aber gebt nur Geld her, bald werdet ihr Fesseln haben.” (Rousseau 1988: 120) Damit trifft er auch einen in unserer Debatte sehr wichtigen Punkt, nämlich die Repräsentanzfähigkeit des Geldes. Geld stellt nicht nur Dinge dar, es vertritt sie auch. Der Gedanke eines “faustischen Pakts”(Charles Taylor) drängt sich auf. Diese beiden Funktionen – präsentieren und repräsentieren – erfüllen auch das Denken und das Sprechen. Es ist nicht erstaunlich, dass Simmel Geld mit Intellektualität in Verbindung gebracht hat. Wie jedoch die monetären Auflösungstendenzen und den Objektverlust in eine Dynamik des Verstehens einbinden? Geld stellt uns vor hermeneutische Schlüsselfragen, denn es entsteht jeweils eine neue Form des Objektiven. Darüber hinaus ist Geld sowohl ein Wert an sich als auch ein relativer Wert. Eine weitere Charakteristik des Geldes ergibt sich aus der Metapher des Fließens, des flüsssigen Geldes. Geld ist demzufolge ein Geschehen. Der Spruch time is money versus carpe diem kann in diese Richtung interpretiert werden. Die Hermeneutik des Geldes lässt sich in Anbetracht dieser Bestimmungen aus einer phänomenologischen Betrachtungsweise gewinnen. Heidegger definierte das Phänomen als “das Sich-an-ihm-selbst-zeigende“ (Heidegger 1972: 28). Das Phänomen Geld bricht aus seiner anfänglichen Zirkelstruktur aus. In der Geldlogik liegt, wie es Aglietta und Orléan (1998) gezeigt haben, eine eigentümliche selbstbezogene oder autoreferenzielle Struktur des Geldes. Verstehender Um3

Platon, Gorgias und Die Sophisten.

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gang mit Geld ist ein dekonstruktiver Vorgang, der ständig zwischen dem “autoreferenziellen Paradox” der Geldstruktur (Aglietta/Orléan 1998: 377) und der nichtsdestotrotz existierenden Weltbezogenheit des Geldes vermittelt.

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Geldkultur oder: Wie mit dem pharmakon leben?

Wenn Geld seiner symbolischen Steigerung ins Unendliche beraubt wird, indem man es in Relationen einbindet, wird es eine grundlegende Rolle in der Bewusstseinsbildung spielen können. So wird Geldbewusstsein auch Weltbewusstsein, was seine eigentliche Rolle ist. Zunehmende Abstraktion des Geldes löst es aus seinem Weltbezug und entgeistigt und brutalisiert es. Doch Geldkultur im Sinne eines denkenden Umgangs mit Geld ist stets eine ambivalente Kultur. Insofern bietet sich Jacques Derridas Begriff des pharmakon an (Derrida 1972). Geld ist pharmakon, weil es ein schlechter Herr und ein guter Diener ist, wie es uns die Bibel lehrt. Es ist Gift und Heilmittel zugleich und aus diesem Grund gehört es nicht in Schweigen gehüllt, in ein gesellschaftliches Abseits, sondern verdient die volle Anerkennung seiner Funktion. Geld selbst ist nichts, es gibt Geld, wie anfangs gesagt wurde. Die moralische Geldfalle ist die Übertragung vielfältiger Lebensinhalte auf das Geld. Geldkultur hieße, sich der Ambivalenz des Geldes stellen, den Aspekt des Habens gegen die Betrachtungsweise des Seins eintauschen. Das bedeutet aber, sich in einer Sphäre der Abstraktion zu bewegen. Das Fatale am Kreditkartensystem ist eben nicht die Tatsache, dass wir kein Bargeld mehr benutzen. Geld besaβ immer schon den Charakter der Abstraktion, auch Münzen. Das, was gefährlich, d.h. sozial gefährlich werden kann, ist das Schwinden des Weltbewusstseins. Geld ist Mittel, einen Wertekosmos zu errichten. Doch ein Wert hat nur Gültigkeit, wenn er in einem Bewusstsein verankert ist. Wenn dies nicht mehr der Fall wäre, entstünde eine technisierte, flache Welt. Das Plastikgeld würde der Welt ihre Plastizität rauben. Georg Simmel ist es zu verdanken, dass das Nachdenken über Geld Teil der Geisteswisenschaften geworden ist. Entfremdungsmechanismen, ob sozial oder individuell, laufen über die Geldkultur. Erinnern wir uns an seine Definition des Geldes als “substanzgewordene Sozialfunktion” (Simmel 1996: 209). Kulturgeschichte ist die Beschreibung der Variationen des Substanzgehaltes. Ist es möglich, Geld zu verstehen, wenn man auf dem Gesichtspunkt des Geldhabens beharrt? Ist dieser Aspekt nicht das größte Blendwerk zur Verdeckung dessen, was uns das Geld wirklich zu sagen hat? Wenn wir auf dem postmodernen Pfad der Zeichen wandern, gelangen wir in den Zustand der Selbstvergessenheit. Hölderlin wusste davon zu berichten: “Ein Zeichen sind

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wir, deutungslos”, heißt es in seinem Gedicht Mnemosyne. Gelddiskurs als Andenken an das, was es heißt, ein Mensch zu sein, nicht als Untersuchung eines Verteilungsmechanismus. Die Psychologie vieler Menschen in unserer Zeit tendiert zu einer gewissen Geldflüchtigkeit, was gleichbedeutend ist mit Ängstlichkeit und Klein-mut. Geld haben – eine praktische Notwendigkeit, die niemand bestreitet – setzt das Geld auf die Liste der Konsumgüter. Doch Geld ist etwas anderes. In gewisser Weise ist es ein Allgemeingut, da ein zu großes Ungleichgewicht seiner Verteilung den sozialen Frieden bedrohen würde. Das macht Geld zu einer politischen Grösse. Sich der Ambivalenz der Geldkultur stellen, bedeutet somit auch, den wirtschaftlichen Rahmen des Geldgebrauchs nicht als dominant anzusehen, sondern als sekundär. Diese Umkehrung der üblichen Sichtweise könnte zu einer Aufwertung der Geldkultur führen. Eine außermoralische, phänomenologische Beschreibung des Geldes wäre eine hilfreiche Methode, den Gelddiskurs zu entideologisieren.

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Plädoyer für eine Profanierung des Geldes

Die Aufklärung hat dem modernen Menschen Mittel und Wege gezeigt, sich aus der “selbstverschuldeten Unmündigkeit” (Kant) zu befreien. Der Befreiungskampf, der Säkularisierungsprozess, hat zwar Fortschritte erzielt, kann jedoch nicht triumphierend betrachtet werden. Geld in der heutigen Zeit ist der Beweis dafür, dass die Befreiung immer noch in den Kinderschuhen steckt. Am Geld lesen wir den Befreiungsgrad ab. Zählebig haftet der “Moneyismus” (Kellermann) an unseren Denkweisen und Vorstellungen. Seit Erich Fromms Besinnung auf Haben und Sein ist die Besitzkultur zig-mal erschüttert worden. Globalisierungsgegner versuchen, am Weltgewissen zu rütteln. Wankende Sozialstaatlichkeit schafft Unsicherheit und Existenzängste. Und dennoch steht Geld immer noch im Zeichen des Habens. Doch die Verabsolutierung des Geldes, seine mysteriöse Unverständlichkeit schüren weiterhin ständig das Feuer und die Glut seiner sozialen Aura. Infolgedessen ist es vonnöten, eine Profanierung des Geldes anzustreben. Giorgio Agamben gibt dem Wort folgende Bedeutung: “Römische Juristen wussten genau, was profanieren heiβt. Dinge, die den Göttern gehören, waren heilig. Der Mensch durfte nicht Gebrauch davon machen … Rein, profan, von göttlichen Namen befreit ist etwas, was den Menschen zum Gebrauch zurückgegeben wurde.” (Agamben 2005: 91-92; eigene Übersetzung) Agamben entwickelt darüber hinaus den Gedanken, dass der Übergang von der religiösen, geheiligten Sphäre zum Profanen durch das Spiel bewerkstelligt werden kann. In diesem Punkt zieht Agamben Bilanz und stellt fest, dass das

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Spiel heute dekadent ist. Heiβt das, dass unsere Gesellschaften nicht mehr spielen können, weil ihnen der Bezug zum Heiligen verlorengegangen ist, und erwächst dadurch auch ein übertriebenes Verhältnis zum Gott Mammon? Es ist abzusehen, dass das Zwitterwesen Geld über kurz oder lang zersetzende Wirkung für die Gesellschaft hat. Nicht aber, weil es per se schlecht wäre, sondern weil es nicht in eine Geldkultur eingebunden ist. Es wird nach wie vor geschwiegen. Was hat es dann mit der Selbstreflexion der Gesellschaft auf sich, mit der Fähigkeit, Kritik an der eigenen Krankheit zu üben? Sie könnte in einer hermeneutischen Erfahrung ihrer selbst Ansatzpunkte zur Gewinnung einer neuen Position finden. Bringen wir also Geld und Spiel in ein Verhältnis. Ontologisch gesprochen hieße es, Geld nicht mehr für bare Münze zu nehmen und der unendlichen Zirkulation zu huldigen, sich des alten Liedes aus der Kinderzeit zu erinnern: Taler, Taler, du musst wandern, von der einen Hand zur anderen. Geld sein, im Spiel sein: dem Weitergeben vertrauen, mit der Hand spielfreudiger Kinder, nicht mit der zitternden Hand des Spielers, den Fjodor Dostojewski oder auch Stefan Zweig in der Literatur verewigten, als Warnbild, Ballung verzweifelten Menschseins. Der Mensch ist dazu bestimmt, sich im Geld aufzuhalten, um es verstehend-erklärend jeweils als Gift oder als Heilmittel zu messen. Es kann ein Moment der Wahrheit sein, der an der Grenze des Nicht-mehrSubjektiven und des Noch-nicht-Objektiven sich befindet. Das wäre der Seinsort des Geldes. Und zu ihm gehörend: der Mensch mit seinem Doppelgesicht, der Vernunftmensch und der Verwalter der entzauberten Vernunft.

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Lebende Münze

Die heutige Geldkultur gleicht dem Zustand des lost in translation. Wir frönen zwar dem Jocker Geld, doch behandeln wir es wie einen deus ex machina. Eine Geldkultur setzt Augenmaβ fürs Übersetzen voraus. Sigmund Freud hat in seiner Schrift Trauer und Melancholie die Fähigkeit, das verlorene Objekt durch ein anderes zu ersetzen, als “Trauerarbeit” bezeichnet. Dadurch wird der Zyklus der Gewalt, des gewaltsamen Verlusts, durchbrochen. Der heute waltende Mammonismus (Georg Simmel 1999) oder Moneyismus (Kellermann, in diesem Band) lassen uns bei der Gewalt verharren. Geldkultur sollte auch ein savoir vivre sein. Die Isolierung des Phänomens Geld im ökonomischen Bereich (und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche) ebenso wie seine Beschlagnahme durch die Finanzwelt stellt unsere Gesellschaft vor viele schwerwiegende Probleme. Es führt zum Verblassen symbolischer Formen und zum Sinnverlust.

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Ingeburg Lachaussée

Der Symbolcharakter des Geldes, das Weltverhältnis, das es in sich birgt, und sein Beitrag zum Verstehen von gesellschaftlichen Verhältnissen werden nach wie vor totgeschwiegen. Doch Geld ist nichts. Es sucht, hier spricht Georg Simmel, “die fruchtbarere Hand”(Simmel 1996: 390) und natürlich den Geist, der ihm Leben einhaucht. Unser Geld von heute ist noch zu sehr sicherheitsfördernde “Währung”, also Dinggeld. Dieser Aspekt des Geldwesens ist dominant, wenn eine Gesellschaft mit Differenzierungsschwierigkeiten konfrontiert ist. Zwei Dinge soll Geld leisten: eine Welt ermöglichen – Simmel sprach vom Wertekosmos – und innerhalb dieser Welt Differenzierung gewährleisten. Im Geldbegriff ist immer ein Orts- und Zeitbegriff enthalten. Auch das hat Georg Simmel auf glänzende Art und Weise gezeigt. Es ist nicht erstaunlich, dass unser Zeitverständnis als “Präsentismus” (François Hartog 2003) bezeichnet werden kann und unser Ortsverständnis im Ausdruck “globales Dorf” gipfelt. Geld ist und bleibt eine Herausforderung an den Menschen. Als Kulturleistung fordert es den ganzen Menschen. Deshalb lautet die Forderung: weniger Intellektualität und mehr Geist! In diesem Sinn sind die Gestalten des Geizhalses oder des Blasierten Überbleibsel eines Geldunverständnisses, Formen des letzten Menschen, wie Nietzsche ihn ankündigte. Doch auch neuere Tendenzen wie der Gratiskult gehen in diese Richtung. Was fehlt, ist die Entwicklung eines gesunden monetären Atheismus, und das auf allen Ebenen.

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Dietrich Kropfberger

Das Streben der Manager nach Erfolg und Wachstum – Zwang oder Gier? Eine kritische Betrachtung der Folgen des Shareholder Value-Prinzips

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Einstimmung in das Thema

Die derzeitige Situation unserer Wirtschaft und ihrer Unternehmen kann – kritisch betrachtet – wie folgt pointiert skizziert werden: Die Globalisierung mit ihrem starken Fokus auf die Finanzmärkte und die Anlegerinteressen hat zwar in den reichen Industriestaaten einen steigenden allgemeinen Wohlstand und nahezu dem Schlaraffenland gleichende Konsummöglichkeiten gebracht, aber gleichzeitig auch die Verlagerung der Arbeitsplätze in Niedriglohnländer und damit eine Rekordarbeitslosigkeit, der die nationalen Wirtschaftspolitiker mehr oder weniger hilflos gegenüber stehen. Skandale von großen (börsennotierten) Unternehmen wie Enron (USA), Parmalat (Italien) oder der BAWAG (Österreich) haben den Glauben an die Ehrlichkeit von Top-Managern und an die Wahrheit von Bilanzzahlen erschüttert. Das Fass zum Überlaufen gebracht haben dann offensichtlich noch jene Manager, die – bei enormen Gewinnsteigerungen ihrer Unternehmen und damit auch enormen Steigerungen ihrer Managementgehälter – Mitarbeiterstellen „aus Kostengründen“ abgebaut sowie Lohnkürzungen und verlängerte, flexiblere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich „zur Standortsicherung“ verlangt haben. Beispielhaft sollen erwähnt werden der Deutsche Bank Chef Josef Ackermann, der einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro für 2004 verkündet hat, aber gleichzeitig auch, dass 6.400 Stellen abgebaut werden sollen; und der RWE-Konzern, der bei einer Verdoppelung des Gewinns die Beschäftigtenzahlen um mehr als ein Fünftel reduziert hat (ORF, 20.5.2005). Ganz in diesem Sinne war in der Kleinen Zeitung unter der Schlagzeile: „Chefs verdienen 13x soviel wie ihre Mitarbeiter“ zu lesen: „Das Einkommen der Vorstände von ausgewählten ATX-Unternehmen betrug 2004 im Durchschnitt € 710.000,--, das ihrer Mitarbeiter € 55.000,--; das Einkommen der Vorstände war um 13 Prozent gewachsen, das ihrer Mitarbeiter um 2 Prozent.“ (10. Mai 2005: 28) Und dieselbe Zeitung betitelte ein Jahr später ihre Ausgabe vom 8. August 2006 mit folgender headline: „Manager konnten Gagen in 5 Jahren verdoppeln.“ Die in diesem Artikel zitierte Arbeiterkammerstudie

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geizt im Weiteren auch nicht mit Kritik: „Die Schieflage wird immer schlimmer, kritisiert AK-Direktor Werner Muhm den Umstand, dass die Vorstände der ATX-Firmen vor fünf Jahren ‘nur’ das 20-fache des österreichischen Durchschnitts-Arbeitnehmers, zuletzt jedoch schon das 35-fache erhielten. Jeder Vorstand der wichtigsten börsennotierten Firmen habe seit 2000 jährlich gut eine Million Euro bekommen, durchschnittliche Arbeitnehmer jedoch nur 29.000 Euro …“ (8. August 2006: 28) Und dann gibt es noch, wie Klaus Ottomeyer, Professor für Psychologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, erzählt, jenen deutschen Bankensprecher, der das Nacharbeiten von Teepausen gefordert hat. Dabei wird der Banker doch wissen, „dass das völlig unrealistisch ist, weil Menschen immer Pausen brauchen, um ihre Arbeitskraft zu erhalten und weil sich ohne Aussteigen und Abschalten auch keine guten Ideen mehr einstellen. Es wird Angst verbreitet, dass bei mangelndem Tempo hierzulande die großen Investoren bald weiterziehen werden nach Osteuropa oder Asien.“ (Ottomeyer 2005) Soweit der Psychologe, der solche Angst auch als den schlechtesten aller Ratgeber ansieht und daher empfiehlt, „bewusst Teepausen einzulegen, um nicht von der Zeit verbraucht zu werden und um Ideen zu bekommen, wie die Beschleunigung vielleicht doch gebremst werden kann“. In diesem Sinne soll hier – sozusagen virtuell – eine „Teepause“ eingelegt werden, um sich mit der Gier in der Wirtschaft und ihren Beschleunigungskräften genauer zu beschäftigen. Die kritischen Ausgangsfragen dabei lauten: – Hat sich durch die Gier der unersättlichen, anonymen Anleger (Woltron im ORF, 20.5.2005), ihrer Stellvertreter, der Fondsmanager, und ihrer Handlanger, der Manager, im Turbokapitalismus (wie von der marxistischen Krisentheorie vorhergesagt) die Finanzwelt von der Realsphäre endgültig gelöst und beginnt sie, diese unersättlich auszubeuten (Woll 1978: 34; Martin/Schumann 1996: 80)? – Führt nicht diese gierige Dominanz des kurzfristig ökonomisch orientierten Denkens zu globaler Umweltproblematik, zu zunehmender globaler Ungerechtigkeit, zur Bedrohung der etablierten Systeme der sozialen Absicherung und zu offenen Konflikten zwischen Kulturen und Wirtschaftsräumen in zunehmender Verunsicherung im Spannungsfeld von Beruf, Gesundheit und sozialer Lebensqualität, wie es im Friulanischen Manifest des Universitäts.Club Klagenfurt formuliert wurde (Friulanisches Manifest 2003)? – Ist schließlich diese „Heuschreckenplage“ der Globalisierung (Müntefering) nicht gerade dabei, nicht nur, wie von Stiglitz eindringlich gezeigt, die Entwicklungsländer durch die westlichen Industriestaaten auszubeuten (Stiglitz

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2002, passim), sondern inzwischen auch unsere eigenen westlichen Volkswirtschaften durch international agierende Konzerne „kahl zu fressen“? Das ist eine Reihe von kritischen Fragen, die zu Beginn der Überlegungen gestellt werden sollen. Aufgabe der folgenden Ausführungen ist es aber nun nicht, die „Schuldigen“ dingfest zu machen oder an den Pranger zu stellen, denn das Bestimmen von Schuldigen beseitigt die Probleme nicht und schon gar nicht ihre Ursachen. Auch geht es nicht darum, schnelle Lösungen aufzuzeigen, denn der Zwang, schnelle Lösungen präsentieren zu müssen, löst die Probleme nicht; wenn wir keine schnellen Lösungen finden, neigen wir nämlich dazu, das Problem wieder zur Seite zu legen (Forester 1997: 75). Es geht vielmehr darum, möglichst „emotionslos“, d.h. ohne voreilige moralisierende Wertung zu fragen: Was treibt eigentlich die Manager und ihr Handeln, welche Rolle spielt das Gewinnstreben und welchen Einfluss haben die Börsen? Erst dann soll versucht werden, die Ursachen „zu beurteilen“ und Lösungen anzubieten.

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Die Motivation der Manager: Angst und Gier

Auf die Frage nach seinem persönlichen Erfolgsrezept antwortete vor einiger Zeit ein wirklich erfolgreicher Unternehmer: „Die Angst und die Gier – die Angst, den nächsten Auftrag nicht zu bekommen, und die Gier, den nächsten Auftrag zu bekommen, und zwar in dieser Mischung.“ Im Mittelpunkt der Erfolgsmotive standen damit das Überleben und das Wachstum und natürlich die Kunden und nicht der Gewinn, der war sozusagen nur die logische Folge. Mit dieser Antwort konfrontiert bestätigte Turnheim, der Stratege von Austrian Industries (der damaligen Holding der österreichischen Verstaatlichten Industrie, die immerhin beinahe ein Viertel der österreichischen Industrieproduktion managte) diese Aussage des Unternehmers auch für die Manager, allerdings mit einem anderen Fokus: „Es sind die Angst und die Gier um Anerkennung und um die Erhaltung und Ausweitung der persönlichen Stellung und Macht.“ Diese Aussagen stützen damit zuerst einmal die Motivationstheorie von McClelland und Atkinson, die für die menschliche Motivation als bedeutsame Faktoren – das Leistungsstreben (need for achievement) – das soziale Streben (need for affiliation) und – das Machtstreben (need for power) herausstreichen (Staehle 1987: 250ff.).

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Dabei ist für die Manager das Leistungsstreben das mit Abstand bedeutendste. Und von den beiden Grundhaltungen eines Menschen – das ist auf der einen Seite die Erfolgsorientierung, also in unserem Sinne die Gier nach Leistung und Erfolg, und auf der anderen Seite die Misserfolgsmeidungsorientierung, also die Angst vor dem Versagen – dominiert bei Managern die Erfolgs- und Leistungsmotivation. Diese Leistungsmotivation ist dabei in der Maslow’schen Bedürfnispyramide an der Spitze der Pyramide angesiedelt, also bei den im Sinne Herzbergs nahezu unbefriedigbaren Bedürfnissen der sozialen Anerkennung und der Selbstverwirklichung. Leistungsmotivierte Manager schaffen sich also ihre Erfolge selbst, indem sie anspruchsvolle, aber durch eigenverantwortliche Arbeit lösbare Aufgaben suchen, die ihre Kreativität und Eigeninitiative herausfordern. Sie beziehen hohe Befriedigung aus ihrer Arbeit, brauchen aber dafür unmittelbares Feedback zur Bestätigung ihres Erfolges, wobei Geld nicht (nur) des Geldes wegen, sondern vor allem wegen seiner Funktion als Bestätigungsindikator für die erbrachte Leistung von Bedeutung ist (Staehle 1987: 253). Oder wie es Kets de Vries, Professor für Management bei Insead und Psychoanalytiker formulierte: „Die Psyche eines Topmanagers ist sehr verschlungen. Allzu verrückt können solche Leute nicht sein, sonst erreichen sie keine führende Position; aber es sind ungeheuer ehrgeizige, getriebene Menschen ... Sie brauchen eine gesunde Portion Ich-Bezogenheit, um überleben zu können. Narzissmus ist die treibende Kraft hinter der Führerschaft. Ohne sie gibt es kein Selbstvertrauen, kein Durchsetzungsvermögen, keine Ausdauer und keine Kreativität. Gute Führungspersönlichkeiten … begeistern sich für das, was sie tun.“ (Coutu 2004: 67f.) – Die Gier nach Geld und Gewinn spielt also zuerst einmal eine eher weniger wichtige Rolle, als die Gier nach Anerkennung. Es geht in diesem Sinne bestenfalls um einen zufriedenstellenden, angemessenen Gewinn und keineswegs um den maximalen! Dieses Problem wird besonders in der neuen Institutionenökonomik angesprochen, die neben dem Marktmechanismus auch noch die Ausgestaltung der beteiligten Institutionen als wesentlichen Hebel für effizientes Wirtschaften ansieht (Erlei u.a. 1999: 51ff.). Dabei sieht die neue Institutionenökonomik drei Ebenen einer Gesellschaft: – Mit den Verhaltensregeln von Gesellschaftsmitgliedern befasst sich auf der oberen Ebenen die Verfassungsökonomik. – Mit der Ausgestaltung der Eigentumsrechte und damit mit der Nutzung der Ressourcen auf der mittleren Ebene befasst sich der property rights-Ansatz.

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– Mit den Regeln für das Handeln einzelner Mitglieder von Gruppen oder Organisationen befassen sich die Transaktionskosten-Theorie und die principal agent-Theorie (Kaluza u.a. 2003: 21). Die principal agent-Theorie, die das Verhalten der Manager beschreibt, geht nun davon aus, dass der Prinzipal, also der Auftraggeber als Eigentümer bzw. shareholder, andere Ziele haben wird als der Agent, also der Manager, der über die ihm zur Verfügung gestellten Mittel und Ressourcen innerhalb vertraglicher Rahmenbedingungen frei verfügen kann. Dabei hat der Agent in diesem Spiel zuerst einmal die besseren Karten, weil er Informationsvorteile besitzt. Das heißt, es ist für den Prinzipal sehr schwer möglich, sich über die Fähigkeiten seines Agenten, über die persönlichen Ziele des Agenten und über dessen Anstrengungen zur Zielerreichung ein genügend fundiertes Urteil zu bilden. Der Prinzipal kann zwar das Ergebnis des Handelns seines Agenten beobachten; er weiß aber nie genau, warum und wie dieses Ergebnis entstanden ist, und ob das Erreichte – und wie viel davon – auf die Ziele und Anstrengungen des Agenten oder auf die Einflüsse der Umwelt zurückzuführen ist (Kaluza u.a. 2003: 20ff.). Wenn aber nun die Leistungsmotivation des Managements von dem erfolgreichen Erfüllen seines „psychologischen Vertrages mit seinem Prinzipal“ abhängt (Staehle 1987: 238), in dem die gegenseitigen Erwartungen geregelt werden, ergeben sich zwei Fragen: – Wer ist der „Prinzipal“ und – wie kann dieser seine Ansprüche durchsetzen? Zur ersten Frage gibt es zwei Ansätze, den stakeholder- und den shareholderAnsatz. Beim stakeholder-Ansatz schließt der Manager seinen psychologischen Vertrag über die von ihm empfundene Verantwortlichkeit für sein Handeln mit allen am Unternehmen interessierten Gruppen ab; das sind neben den Kapitalgebern auch die Kunden, die Lieferanten, die Arbeitnehmer und die Gesellschaft (Hinterhuber 1982: 16ff.). Die Erfolgsmotivationen und damit auch seine „moralische Bestätigung“ erreicht der Manager hier dadurch, dass er in einem ausgewogenen Verhältnis den Ansprüchen seiner stakeholder als Austauschpartner gerecht wird. Die Interessen der stakeholder gehen in diesem Sinne neben den eigenen Zielen der Manager (die vor allem in der Erhaltung und Stärkung ihrer Position in einem prosperierenden Unternehmen liegen) genauso in die Strategie als Randbedingungen ein wie ein angemessener Gewinn. Noch einmal: Es geht hier weniger um einen maximalen Profit, sondern um einen angemessenen Gewinn im Sinne eines Anspruchsniveaus der beteiligten stakeholder, also sozusagen um „einen anständigen, bürgerlichen Gewinn“.

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Wenn nun allerdings auf den übergelagerten Ebenen der Wirtschaftsverfassung und der property rights an Stelle der öko-sozialen Marktwirtschaft die globale, freie Marktwirtschaft propagiert wird, dann treten die Interessen der stakeholder gegenüber jenen der shareholder zurück. Das Management sieht sich einem einzigen kritischen Austauschpartner gegenüber, und das ist der Eigentümer, der als Prinzipal über das weitere Schicksal, d.h. über Gedeih und Verderb des Managers als seinem Agenten entscheidet. Der Wahrnehmungsfokus des Managers (und damit die subjektive Konstruktion seiner Umwelt und Umweltanforderungen) wird im Sinne des Konstruktivismus auf die Anforderungen des Kapitalmarkts, der Börse, der Analysten und der Anleger reduziert, der „Rest der Umwelt“ wird mehr oder weniger selektiv ausgeblendet. So steht zwar in der Präambel des österreichischen Corporate Governance Codex, der Grundsätze guter und verantwortlicher Unternehmensführung und -kontrolle regeln soll, folgendes: „Der Codex verfolgt das Ziel einer verantwortlichen, auf nachhaltige und langfristige Wertschaffung ausgerichtete Leitung und Kontrolle von Gesellschaften und Konzernen. Mit dieser Zielsetzung ist den Interessen aller, deren Wohlergehen mit dem Erfolg des Unternehmens zusammenhängt, am besten gedient.“ (Österreichischer Corporate Governance Codex, zitiert in Schenz/ Eberhartinger 2004: 34) In Wahrheit handelt es sich auch hier, wie bei allen anderen nationalen Codices zur Corporate Governance auch, um einen kapitalmarktorientierten Kodex (Guserl/ Pernsteiner 2004: 20), bei dem der principal agent-Konflikt durch eine entsprechende shareholder valueOrientierung der Corporate Governance gelöst werden soll. „CG Kodizes sind primär investor-orientiert. Der Schutz und der Ausbau der Rechte der Aktionäre, die der Gesellschaft Kapital zur Verfügung stellen und das unternehmerische Risiko tragen, ist (sic) daher ein besonders bedeutsamer Grundbaustein von Corporate Governance.“ (Schenz/ Eberhartinger 2004: 43) So formuliert Schenz, der Hauptverfasser dieses Kodex: „Gerade bei breit gestreuten börsennotierten Gesellschaften soll sicher gestellt werden, dass das Management die Wertsteigerungsinteressen der Kapitalgeber entsprechend berücksichtigt und nicht etwa eigene Interessen verfolgt.“ (Schenz/ Eberhartinger 2004: 34) Stock options, die die Führungskräfte berechtigen, ein bestimmtes Aktiendepot des Unternehmens innerhalb einer bestimmten Frist zu einem vorab fixierten Preis zu erwerben und bei Erfolg des Unternehmens zu einem wesentlich höheren Kurs zu verkaufen, sind daher nicht unmoralisch, sondern eine im österreichischen Corporate Governance Codex enthaltene Empfehlung: „Im Interesse einer ausreichenden Anreizwirkung in Richtung einer nachhaltigen Wertschaffung soll die Vergütung der Vorstände fixe und variable Bestandteile enthalten.“

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(Schenz/Eberhartinger 2004: 46) Stock options-Pläne sollen damit die Vergütung der Vorstände enger an den Unternehmenserfolg knüpfen und auf diese Weise die Leistungsanreize verstärken und das principal agent-Problem zu Gunsten der shareholder auflösen! Dabei hängt es von der Ausgestaltung des Optionsplanes, also – von der Ausgestaltung der Bezugspreise (derzeitiger Kurs oder höherer Zielkurs); – von den Optionsbedingungen (nur Kurssteigerung oder überdurchschnittliche Steigerung über der allgemeinen Entwicklung des Aktienindex); – von der Laufzeit der Option (kurzfristig oder längerfristig über 5 Jahre); – von der Haltefrist (ob die Aktien sofort oder erst später verkauft werden dürfen) und – von der Unterbindung möglicher Insidergeschäfte ab, ob das Management tatsächlich langfristige Wertsteigerungsinteressen verfolgt oder ob es verführt ist, nur einfach „abzucashen“ (Weiß 1999).

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Die Frage des „angemessenen Gewinns“

Eine Unternehmung hatte über neue Aktien eine massive Kapitalerhöhung erhalten. Auf die Frage, ob es nicht ein gutes Gefühl sei, eine starke Eigenkapitalbasis zu haben, antwortete der Vorstandsdirektor: „Das glauben Sie! Aber jetzt muss ich auch meinen Gewinn massiv steigern, um die Rentabilität zu halten.“ Das dem shareholder value zu Grunde liegende Prinzip der wertorientierten Unternehmensführung geht nämlich davon aus, dass ein positiver Unternehmenswert nur dann geschaffen werden kann, wenn eine Rendite erzielt wird, die die Kapitalkosten des Unternehmens übersteigt. Während es also bei einer traditionell gewinnorientierten Sichtweise reicht, wenn die Erträge die Aufwendungen übersteigen, muss bei einer wertorientierten Unternehmensführung ein economic value added im Sinne eines Übergewinns über die Normalverzinsung erzielt werden. D.h., es sind auch die fiktiven Kapitalkosten des Eigenkapitals zu erwirtschaften, die wiederum durch einen noch zu berücksichtigenden Risikozuschlag und durch den Körperschaftssteuersatz wesentlich höher liegen als die Fremdkapitalzinsen. Noch einmal: Nicht der Gewinn entscheidet, sondern der Übergewinn über die normale in der Branche zu erwartende Rendite (Gabriel 2002: 133ff.)! Damit sind für die Erfolgsbeurteilung des Managements drei Größen ausschlaggebend: der Nettobetriebsgewinn nach Steuern und vor Zinsen (NOPAT), das Verhältnis des teureren Eigenkapitals zum wesentlich billigeren Fremdkapital (gearing) und das investierte Kapital (assets und working capital).

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Beim NOPAT lauten die Kernfragen, wer und wieviel jeder Beteiligte vom Kuchen der in der Unternehmung geschaffenen Wertschöpfung erhält. Diese Wertschöpfung (value added) kommt üblicherweise vier Gruppen zu Gute: den Arbeitnehmern über Löhne und Gehälter, der Gesellschaft über Steuern und Abgaben, den Fremdkapitalgebern über Zinsen und den Eigenkapitalgebern (Unternehmern und/oder shareholders) über den Gewinn/die ausgeschüttete Dividende. Wieviel Wertschöpfung erzielt werden kann, hängt außerdem vom Markt, d.h. von den Kunden und von der Konkurrenz ab. Ziel jeder wertorientierten Unternehmensführung muss es daher zuerst einmal sein, über Präferenzbildungen bei den Kunden einerseits und Wettbewerbsmaßnahmen andererseits möglichst hohe Preise und (bei gleichzeitig möglichst niedrigen Fremdkosten) eine möglichst hohe Wertschöpfung zu erreichen. Was die Verteilung der Wertschöpfung auf die Partner betrifft, so ist die Logik auch klar: Die Lohnkosten (Löhne und Gehälter) sind zuerst einmal so gering wie möglich zu halten! Das kann erreicht werden durch: – Stellenabbau und höheren Leistungsdruck; – Flexibilisierung der Arbeitszeit bei möglichst langen Durchrechungszeiten bzw. durch Teilzeitarbeit, womit die Kosten von kurzfristigen Auslastungsschwankungen nicht – wie früher üblich – vom Unternehmen, sondern von den Arbeitnehmern zu tragen sind, und so nur „echte Produktionszeiten“ bezahlt werden müssen; – Forderungen nach einer „marktgerechten Absenkung“ der Lohnnebenkosten, was zwar den Sozialstaat untergräbt, aber die Gewinnanteile steigert; – direkte Lohnkürzungen, aber auch indirekt durch Verlängerung der Arbeitszeit ohne entsprechenden Lohnausgleich und durch – Externalisierung „überhöhter Lohnkosten“, indem man teure Mitarbeiter (temporär oder ab einem bestimmten Alter ganz) entlässt. Das alles ist in einer globalen Wirtschaft ohne Zollschranken relativ einfach möglich, weil man ja immer noch das Argument der Auslagerung in Niedriglohnländer als „Verhandlungsargument“ hat. Die Senkung der Anteile der Gesellschaft an der Wertschöpfung ist über den Standortwettbewerb der Nationen und Regionen auch durchaus machbar. Als Folge davon gibt es derzeit ein internationales „Hinunterlizitieren“ der Körperschaftssteuer und der Lohnnebenkosten. Das zwingt zwar längerfristig zu einem Abbau der staatlichen Leistungen; allerdings hauptsächlich für die Bevölkerung und nicht für die Unternehmen, die man ja im Gegenteil durch entsprechende Förderungen an den Standort binden will. Durch diese fiskalpolitische Standort-

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politik soll ein Klima geschaffen werden, das Investitionen aus dem Ausland anlockt. Was dabei aber häufig übersehen wird, ist, dass die ausländischen Firmen oftmals ihre inländischen Wettbewerber verdrängen und damit die Hoffnungen und Chancen von Klein- und Mittelunternehmen zunichte machen, einen lebensfähigen heimischen Wirtschaftszweig aufzubauen bzw. zu erhalten (Stiglitz 2002: 86). Die ausländischen Investoren bemühen sich dabei unter Umständen nicht mehr darum, den nationalen wirtschaftlichen Wohlstand zu steigern, sondern sie wollen nur noch Renten abschöpfen, die der garantierte Standortvorteil bietet: „Der IWF hat diese Probleme mehr oder weniger ignoriert. Er hatte ein einfaches Rezept für die Schaffung von Arbeitsplätzen – sofern er sich überhaupt mit dieser Frage befasste: alle staatlichen Eingriffe (in Form lähmender Regulierungen) beseitigen, die Steuern senken, die Inflation so niedrig wie möglich halten und ausländische Investoren anlocken. In gewisser Weise spiegelten diese wirtschaftspolitischen Empfehlungen die ... koloniale Mentalität wider.“ (Stiglitz 2002: 92) Soweit der Kommentar des ehemaligen Chefs der Weltbank! – Die „Heuschreckenplage“ ist damit eine logische Folge von internationalem Standortwettbewerb, globaler Liberalisierung und konsequentem shareholder value-Denken. Fremdes, ausländisches Eigenkapital spielt dabei übrigens eine geringe Rolle, weil Fremdkapital durch „steuerliche Begünstigung“ zwar den Anteil des Gewinns und der Wertschöpfung schmälert, aber den Übergewinn steigert. Als zweite wesentliche Größe wird daher häufig mit der Verschuldung bis an die zulässigen Grenzen gegangen, was bei tatsächlichen Krisen dann nicht nur Probleme macht, sondern die Versuchung sehr groß werden lässt, die Bilanz „schöner“ darzustellen, als sie in Wirklichkeit ist. Die Bilanzierungsregeln der internationalen accounting standards (IFRS) erlauben dabei über die bilanzielle Bewertung in Höhe des fair value unter der Bedingung des going concern und der darin enthaltenen Möglichkeit der Aktivierung des immateriellen Vermögens (KPMG, 1999) einen wesentlich größeren Spielraum für eine „kreative Bewertung“, als es das strenge Vorsichtsprinzip unseres Handelsrechts zulässt. Enron und Parmalat haben dies jedenfalls eindeutig bewiesen; andere Unternehmer bedienen sich ebenfalls einer „aggressiven Bilanzpolitik“, um ihre Kurse entsprechend zu „pflegen“ (Eccles u. a. 2002). Was schließlich die dritte Steuerungsgröße betrifft, den Kapitaleinsatz und damit das Investment im Anlagevermögen (assets) und im Umlaufvermögen (working capital), so kann man dieses besonders gering halten durch outsourcing und just in time-Konzepte. Hier kann man die Rentabilität bei entsprechender „betriebswirtschaftlicher Intelligenz“ am einfachsten erhöhen, weil darüber

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keine Kunden und keine Wettbewerber entscheiden, sondern eigene innovative Produktions- und Logistikkonzepte. Das Anlagenrisiko wird zum Zulieferer ausgelagert, das Lager auf die Landstraße geschickt und die Möglichkeiten der internationalen Arbeitsteilung werden voll genutzt. Das bringt für die Schwellen- und Entwicklungsländer durchaus Vorteile, weil hier Wirtschaftswachstum und Wertschöpfung zu ihnen „exportiert“ werden. Der Preis dafür ist allerdings das Abwandern der Arbeitsplätze aus den entwickelten Ländern und eine doch nicht unerhebliche Umweltbelastung durch das explosionsartig gestiegene weltweite Transportvolumen.

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Nicht die Gewinne entscheiden – sondern die Gewinnerwartungen

Vor einigen Jahren schrieb der Wienerberger Konzern ein Rekordergebnis. Als Folge davon fiel der Börsenkurs. Auf die Frage, wie denn das sein kann, gab ein Börsenkenner die folgende Antwort: „Da ist ja keine Fantasie mehr drinnen! Wo soll denn da noch eine Erfolgssteigerung her? Da kann es doch in Zukunft nur mehr abwärts gehen! Oder?“ Eine simple und durchaus plausible Methode, den shareholder value zu berechnen lautet: Man nehme einfach den Börsenwert des Unternehmens. Und der hängt nach Auffassung der Analysten im Wesentlichen von den zukünftigen Finanzerträgen des Unternehmens ab, also von den zu erwartenden cashflows der nächsten Jahre. Im Idealmodell des shareholder values wird der Unternehmenswert durch den Barwert der zukünftigen cashflows (den discounted cashflow) abzüglich der Kosten für das investierte Kapital bestimmt; für den Wert des Aktionärsvermögens ist dann noch das Fremdkapital abzuziehen (Rappaport 1999). Soweit so gut! Aber wovon hängen die cashflow-Prognosen ab und wovon dann die Aktienkurse? Da spielen Gewinnerwartungen eine maßgebliche Rolle und natürlich auch Wachstumsprognosen. Vor allem die Wachstumsaussichten in der Zukunft sind enorm wichtig. Die Manager werden damit allerdings leider zu oft in einen betriebswirtschaftlich falschen Wachstumsfetischismus gedrängt. Was da häufig an Fantasie und Vision verkauft wird, „hat sich durchwegs als Luftschlösser und Kartenhäuser erwiesen, die beim geringsten wirtschaftlichen Wind zusammengebrochen sind ... das Problem ist viel ernsthafter! Die VisionsMode hat einigen Persönlichkeitstypen Aufmerksamkeit und Anerkennung verschafft, die früher keine Chance in einem gut geführten Unternehmen gehabt hätten: dem Bluffer und Angeber, dem Träumer und dem Scharlatan.“ (Malik 2004: 74)

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Starkes Wachstum ist nämlich in Wahrheit in hochgesättigten Märkten und bei einem technologischen Fortschritt (und einer damit verbundenen Produktivitätssteigerung) in den entwickelten Volkswirtschaften von durchschnittlich ca. 2% 2,5% p.a. kaum zu erreichen. Als Folge sind die Manager gezwungen, in wachstumsstärkere, aber gleichzeitig risikoreichere Entwicklungsmärkte zu gehen und/oder den Weg der Übernahmen und Fusionen (mergers & acquisitions, M&A) zu beschreiten. Exogenes, teilweise überhitztes Wachstum ist angesagt. Kaufen oder gekauft werden, heißt anscheinend die einzige Alternative, und zwar mit allen damit verbundenen Problemen (Schwarz 2004). Synergien, die bei solchen M&A-Projekten erhofft werden, liegen dabei im Bereich der Kostensenkung, d.h. im Abbau von Doppelgleisigkeiten und von überhöhten Kostenstrukturen, und insbesondere natürlich in der Standortbereinigung und dem Abbau von Personal. Dabei entscheiden für die Beurteilung durch die Analysten vor allem die durch den M&A-Deal erzeugten SynergieFantasien. Die nackte Realität zeigt jedoch dann meistens, dass die Kosten der Synergieverwirklichung übersehen wurden, weshalb in mehr als 60 Prozent der Fälle das M&A-Projekt im Nachhinein als gescheitert angesehen werden muss (Schwarz 2004: 4), aber dann ist es meist zu spät. Die „überflüssigen Standorte“ wurden bereits geschlossen, das „überflüssige Personal“ ist abgebaut, und das nicht trotz, sondern wegen des M&A-Projekts; das angeschlagene Unternehmen ist selbst zum Übernahmekandidaten geworden. Das Karussell dreht sich weiter, die Manager werden zu Getriebenen und Opfern der ihnen aufgezwungenen Logik des shareholder values und des Wachstumszwangs. Malik folgert daher zu Recht: „Wachstum, obwohl ein unbestritten wichtiger unternehmerischer Faktor, ist als strategische Vorgabe falsch und gefährlich. Damit wird ein Unternehmen unweigerlich in den Misserfolg geführt. Wachstum darf nicht input für die Strategie sein, sondern es ist ihr output ... ein Unternehmen muss nicht groß sein, sondern stark.“ (Malik 2004: 71) Gesundes Wachstum entsteht dabei nach Malik nur dann, wenn es die Folge einer Verbesserung der Marktstellung und der Produktivität des Unternehmens ist, während Wachstum ohne Marktverbesserung und Produktivitätssteigerung eher dem Wachstum eines Krebsgeschwürs entspreche (Malik 2004: 71).

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Ethik im Management als Lösung

Auf die Frage bei einer wissenschaftlichen Diskussion, welches Menschenbild denn seiner Theorie zu Grunde liege, antwortete Gerhard Reber (Professor für

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Organisation der Universität Linz) lakonisch: „Ich nehme die Menschen, so wie sie sind!“ Eine der größten Mythen und moralisierenden Fehleinschätzungen lautet: Manager müssen sozusagen per Amt und Funktion tugendhaft, moralisch unantastbar und vorbildhaft sein – und vor allem verantwortlich handeln (GrabnerKräuter 1997: 215ff.). So schreibt Barbara Kellerman unter dem Titel „Die dunkle Seite der Macht“: „Wer Wissenschaftlern heute zuhört, muss annehmen, Führungskräfte seien per se gute Menschen. Die Realität sieht anders aus. Erfolg und schlechter Charakter schließen einander nicht aus – und müssen es auch gar nicht.“ (Kellerman 2004: 90) In Wahrheit gibt es natürlich auch fehlerhafte, eitle, unverantwortliche und korrupte Manager, so wie es fehlerhafte, eitle, unverantwortliche und korrupte Menschen gibt, zumindest in der Realität – nur nicht in den Lehrbüchern (Kellerman 2004: 93). In den Lehrbüchern des Managements wird vor allem die Verantwortung „als Grundkategorie der Ethik im Management“ herausgestrichen, weil die Manager auf Grund ihrer Machtpotenziale und ihrer gleichzeitig großen Spielräume eben auch die Verantwortung für die Folgen ihres Tuns übernehmen müssen (Müller 1992: 103ff.). Verantwortung kann aber nur „dann als sinnvoller Schlüsselbegriff einer Unternehmensethik angesehen werden, wenn eine differenzierte Diskussion über Verantwortungsfragen im Zusammenhang mit unternehmerischem Handeln möglich ist. Manager oder Unternehmen für den Gesamtzustand der Welt verantwortlich zu machen, bedeutet nicht mehr, als einen leerformelhaften Gewissensappell. Für alles verantwortlich zu sein, ist so gut, wie für nichts verantwortlich zu sein.“ (Grabner-Kräuter 1997: 223) Nun ist die Forderung nach gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen (corporate social responsibility) als „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den stakeholdern zu integrieren“ (Europäische Kommission 2002, zit. in Brunner 2004), voll inhaltlich zu unterstützen. Zu begrüßen ist auch das Verständnis der österreichischen Industriellenvereinigung zur Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen, das sich in der folgenden Aussage ihres Präsidenten Sorger widerspiegelt: „Nachhaltigkeit geht alle an. Das Konzept ist eine Vision und Aufgabe für die Gesellschaft: Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bürgerinnen und Bürger sind gleichermaßen herausgefordert ... gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist nichts anderes als der unternehmensseitige Teil dieser Herausforderung.“ (Brunner 2004)

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So ähnlich klingt auch Bernhard Giesen, Professor für Makrosoziologie der Universität Konstanz, wenn er den Managern – eher als den Politikern – zutraut, langfristig Verantwortung im Globalisierungsprozess zu übernehmen, und damit die neuen Aufgaben der Manager so formuliert: „Durch die Globalisierung erwächst Führungskräften der Wirtschaft eine neue Verantwortung für jene allgemeinen, kulturellen Voraussetzungen, die den Markttausch absichern ... hierzu zählen etwa Rechtssicherheit und Vertrauen, die Sanktionierung von Betrug und die Verlässlichkeit von Verträgen, die unbedingte Geltung bestimmter Wertüberzeugungen, die positive Bewertung des Handels und die klare Trennung zwischen dem Bereich des Käuflichen und Nichtkäuflichen.“ (Giesen 2004: 106) – Das alles klingt ganz nach der normativen Forderung Goethes: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.“ Soziale Verantwortung und ethisches Verhalten auf der einen Seite und wirtschaftliches Handeln auf der anderen Seite schließen sich zwar nicht wirklich aus, aber sie sind auch keine zwingenden Erfordernisse. „Selbstverständlich sind Unternehmen keine Sammelstellen für üble Führungskräfte“ (Kellerman 2004: 91), aber nehmen wir doch die Menschen, wie sie sind, und lassen wir die Fiktion des Managers als Menschenfreund, der per definitionem Sinn stiftet und vermittelt, der ausdrucksstark, anpassungsfähig und integer ist, fallen (Kellerman 2004: 95). Und zwar noch dazu dann, wenn der einzige neben den gesetzlichen Normen bestehende Verhaltenskodex für corporate governance als Verpflichtung des Vorstandes auf das Unternehmensinteresse (frei von Eigeninteressen) und auf die Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes fixiert wird (Schenz/Eberharter 2004: 45ff.) sowie gesellschaftlich nur dann von Bedeutung zu sein scheint, wenn er eine Voraussetzung für nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften darstellt. Die in letzter Zeit auftretenden negativen Folgen der Fixierung der Verantwortung am shareholder value sind damit auch kein moralisches Fehlverhalten einzelner Manager, sondern in Wahrheit systemimmanent: „Zu den unvermeidlichen und gefährlichen Folgen der shareholder-Orientierung gehört unter anderem die Versuchung, ja der Zwang der Manager, alles zu tun, um das Unternehmen profitabel erscheinen zu lassen, auch und gerade dann, wenn es das gar nicht ist; es gehört dazu, das Publikum mit Erwartungen zu verwöhnen; Proforma-Gewinne auszuweisen, wenn es keine echten mehr gibt; die Abschlüsse zu schönen, wo immer es geht, und schließlich zu fälschen; und sämtliche Reserven an die Börse auszuschütten oder für die Kurspflege (nicht zuletzt im

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Dienste der Stock-Options-Programme für die Manager) einzusetzen, um die selbst genährten Erwartungen nicht zu enttäuschen.“ (Malik 2004: 60) Sieht man sich daher die – angeblich unmoralisch – hohen Gehälter der Manager einmal näher an, dann lassen sich als Gegenargumente gegen die hier scheinbar offensichtlich zu Tage tretende Gier durchaus folgende anführen: – Die „Helden unserer Gesellschaft“, also die Sportler, Künstler und Popstars verdienen meistens wesentlich mehr. – Es gilt auch beim Geld das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Also braucht man als Bestätigung der Leistung und als Erfolgshonorierung auch eine „ordentliche, sichtbare Erfolgsbeteiligung“, die ja nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was die shareholder durch den vom Management erzielten Unternehmenserfolg zusätzlich verdient haben. – Und schließlich, wer kann denn dem nahezu „unmoralischen Angebot“ widerstehen, dass sein Gehalt bei Zielerreichung auf Grund seiner guten Leistungen z.B. verdoppelt wird? Wer hier ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!

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Ansätze zu Auswegen aus dem Dilemma

„Die Kurse steigen – Hurra! Die Kurse fallen – Hurra! Egal was an der Börse passiert – erhöhen Sie dauerhaft Ihre Gewinnchancen.“ So lautete der Werbeslogan für eine aktive Depotsteuerung der Dresdner Bank (Harvard Businessmanager, Heft 3/2004: 55). So gesehen ist die Rechtfertigung des Chefs der Deutschen Bank, Ackermann, bei Rekordgewinnen Personal abbauen zu müssen, im Sinne der Logik der Börse und der Finanzmärkte systemkonform und – betriebswirtschaftlich betrachtet – durchaus „moralisch“. Ackermanns Verteidigung war daher auch: „Wenn wir nicht Kosten sparen und überzähliges Personal abbauen, dann können wir die Gewinne nicht mehr steigern – und dann sind wir ein Übernahmekandidat!“ (ORF, FS2, Weltjournal, 25.5.2005) Die Logik ist klar und eindeutig: Wenn die Gewinne nicht steigen, ja selbst wenn nur mehr geringe Aussichten auf steigende Gewinne bestehen, dann sinken die Kurse. Außerdem bedeuten „Personalreserven“ zwar für das Unternehmen im Wettbewerb durchaus notwendige und wertvolle Wissens- und Flexibilitätsreserven; in den Augen der Analysten sind sie aber nur „unnötiger Speck“, der die Gewinne mindert und auf die Kurse drückt. Das Unternehmen ist in der Folge sehr rasch „billig zu haben“, insbesondere für spekulative hedge-Fonds, die dann das erworbene Unternehmen sozusagen „sanieren“, das heißt, filetie-

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ren, „die neuen Bräute schönen“, also vor allem viel Personal abbauen, und schließlich sehr gewinnbringend wieder verkaufen. Durch hedging, swaps futures und options wird außerdem heute an der Börse durchaus Roulette gespielt. Allerdings ist der Einsatz nicht nur größtenteils geborgtes, fremdes Geld (also für die Fondsmanager nahezu risikolos), sondern gespielt wird bei mergers und Akqusitionen auch mit Unternehmen und ihren Mitarbeitern – und damit mit dem Wohl von Menschen – und durchaus auch mit dem Wohl ganzer Regionen oder Länder. Shareholder-Interessen zielen eben nur auf den kurzfristigen Gewinn ab, gleichgültig ob das Unternehmen dabei längerfristig prosperiert oder untergeht. Wenn aber das Schicksal des Unternehmens, an dem die Aktionäre beteiligt sind, diesen nahezu gleichgültig ist, wie weit kann es dann mit deren sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung sein? Die uneingeschränkte shareholder value-Betrachtung kann daher niemals die richtige Basis für eine wirtschaftlich verantwortliche Unternehmensführung und schon gar nicht für ein sozial und ökologisch verantwortliches Wirtschaften sein, da bei dieser Betrachtung der Zweck der Aktionäre mit dem Zweck des Unternehmens verwechselt wird (Malik 2004: 67). Diese drastische Formulierung begründet Malik unter anderem wie folgt: – Der Zweck des Aktionärs ist es, rasch Geld zu verdienen; der Zweck des Unternehmens in der Marktwirtschaft ist es, Wertschöpfung durch Stiftung von Kundennutzen zu schaffen. – Der Aktionär ist an den Papieren interessiert, solange sie sich rentieren; das Unternehmen ist auf Dauer und langfristige Wertschöpfung ausgelegt. – Der Aktionär gibt bei Problemen auf, er verkauft; der Unternehmer bzw. Manager kämpft bei Schwierigkeiten, um das Unternehmen zu erhalten. – Der Aktionär ist nur am Geld und am finanzwirtschaftlichen Erfolg interessiert; der Unternehmer bzw. Manager orientiert sich an der sparsamen Nutzung seiner Ressourcen bei der Leistungserstellung und an der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens. – Der shareholder value wurde schließlich nicht für das Handeln von Unternehmen entwickelt, sondern für das Handeln mit Unternehmen (Malik 2004: 66ff.) Wenn wir also die Manager und damit die Wirtschaft und unsere Gesellschaft aus der Sackgasse des shareholder values und aus dem Erfolgsdruck der unersättlichen, anonymen Anleger und ihrer Sprecher, der Analysten, befreien wollen, dann „sollten wir uns stets daran erinnern, dass Führung kein moralischer Begriff ist. Führungskräfte sind genau wie alle anderen Menschen auch: ver-

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trauenswürdig und betrügerisch, feige und mutig, gierig und großzügig. Wer glaubt, alle guten Führer seien automatisch auch gute Menschen, verschließt seine Augen vor der Wirklichkeit des menschlichen Wesens“ (Kellerman 2004: 97). Wir dürfen daher im Sinne der Institutionenökonomik nicht an den Regeln für das Handeln der Manager allein ansetzen, und wir dürfen uns schon gar nicht auf das Gute im Menschen verlassen und auf die freiwillige Erfüllung ethischer Normen vertrauen. Wir müssen vielmehr auf den übergelagerten Ebenen der property rights und der globalen Wirtschaftsverfassung ansetzen und an die Stelle der freien, sich angeblich selbst regulierenden, uneingeschränkten Marktwirtschaft die Spielregeln einer öko-sozialen Marktwirtschaft setzen, und zwar global oder zumindest in großen Wirtschaftsräumen wie der Europäischen Union. Um es anders zu formulieren: Wenn die Unternehmer und Kapitaleigner die nationalen und internationalen Gesetze und Spielregeln durch ihre Lobbyisten zu ihren Gunsten beeinflussen können, warum sollen sich dann ausgerechnet die Staaten „nobel zurückhalten“? Was unsere Gesellschaft braucht, ist ein verstärkter Lobbyismus für ihre sozial, ökologisch und regional berechtigten Anliegen, die weit über die alleinigen Kapitalinteressen hinausgehen! (Friulanisches Manifest 2003)

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Erich Kitzmüller

Geld – Medium einer Normalität oder Killerprämie?

Geld ist die Lösung, nicht das Problem? Wozu noch einmal über Geld nachdenken? In welchem gesellschaftlichen Kontext? Herrschende Auffassung ist: Geld dient und soll dienen dem Zahlungsund Kreditverkehr. Das oberste Ziel ist die Maximierung von Geldüberschüssen. Diese Anschauung verbindet die Wahrnehmung der Massen mit vielen Expertenmeinungen unterschiedlichster Ausprägung. Geld entstehe aus und diene dem Warentausch, und als Kapital und Kapitalvermehrung sei Geld der Hauptmotor jeden Fortschritts. In diesen Funktionen sei Geld eine universale Konstante; jenseits von Primitivität sei Geld das Prinzip des Zusammenlebens in Tauschgesellschaften. Geld sei Moment einer stetigen, wenn auch phasenweise mehr oder weniger beschleunigten Ausdehnung von Waren und Kapital – und damit von zivilisatorischem Fortschritt. Dieses Verständnis von und dieser Umgang mit Geld passen nahtlos zur vorherrschenden Auffassung von der Dynamik der gegenwärtigen Gesellschaft. Wir hätten seit etwa fünfzehn Jahren eine Art Normalität erreicht, gewiss mit Problemen verbunden, aber mit Problemen, die auf der Basis der jetzt allgemein gültigen Grundüberzeugungen und gesellschaftlichen Einrichtungen gelöst würden (von Terroristen und bösen Mächten einmal abgesehen). Die Zeit der schweren innergesellschaftlichen Konflikte, Umbrüche und Neuerungen sei endlich vorbei. In der erreichten Normalität – sie wird zumeist mit den Kürzeln Demokratie und Marktwirtschaft angesprochen – hat nun Geld in seinen verschiedenen Formen in der Tat eine zugleich zentrale und doch seltsam unproblematische Rolle. Normales Geld, also Geld in der jetzt vorherrschenden Auffassung, hat neben anderen üblicherweise genannten Funktionen vor allem die Aufgabe, einerseits als eine Art Schmiermittel den allgemeinen Austausch in Gang zu halten und andererseits als Kapital den bestmöglichen produktiven Einsatz der natürlichen und menschlichen Ressourcen voranzutreiben und Vermögen zu vermehren. Diese Aufgabe nehmen vor allem Bankensystem und Börsen, kurz die Finanzindustrie wahr. Von ihrem Erfolg hängt alles andere ab. Daher muss das Gedeihen der Finanzindustrie zum obersten Zweck der Politik werden. Das Er-

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folgskriterium der Finanzindustrie – beschleunigte Vermehrung von monetären Vermögen – musste so zum Erfolgskriterium für alle Lebensführung werden, individuell und kollektiv, und dies nicht allein im Wirtschaften. Damit sind gewiss jede Menge Probleme verbunden, doch es sind Probleme, deren Lösung prinzipiell bekannt ist. Zuständig sind die Macher und Experten der Finanzindustrie und ihre Schüler in der Wirtschaftspolitik. Sie finden Antworten auf die vermeintlich wichtigen Fragen, etwa: Wie sollen die Geldmenge gesteuert, die Inflation niedrig gehalten, Handelshemmnisse abgebaut, unnötige Staatsausgaben beseitigt und notwendige Staatsausgaben, etwa für Rüstung, gesichert werden? – lauter technisch und politisch schwierige, aber sicherlich auf normalen Wegen lösbare Probleme. Bei jeglichen auftretenden Schwierigkeiten gilt dies als normal: Geld ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Diese Maxime gilt inzwischen auf allen Ebenen und für jede Form des Geldes. Im einen Extrem sollen die kümmerlichen Reste an Menschen, die in eigener Kultur vorwiegend noch Subsistenzwirtschaft treiben, sich über Geld in den Weltmarkt eingliedern – fast immer ein Absturz in kulturelles und materielles Elend. Im anderen Extrem wird über die Finanzindustrie jegliches stakeholder Interesse dem shareholder value unterworfen; jedes Tun wird nach dem Nutzen in der Standortekonkurrenz bewertet, über die im politischen Niemandsland an den Finanzmärkten entschieden wird. Dazwischen geht es für die Mehrheit darum, sich irgendwie das Kaufgeld zu beschaffen, mit dem Wünsche und Nöte durch den Konsum von Waren gestillt würden. Wäre diese vorgebliche Normalität der Kontext, in dem über Geld geforscht und nachgedacht werden muss, dann gibt es wohl keine offenen Fragen, vom technischen handling abgesehen. Doch damit wäre unterstellt, dass die gesellschaftliche Dynamik normal, also friedlich und zukunftsfähig sei. Das aber ist zu bezweifeln und dieser Zweifel erfasst auch die vorgebliche Normalität des Geldes.

Drohende Katastrophen und die Rolle des Geldes Die letzten fünfzehn Jahre haben neuerlich die unvergleichliche Wandlungsund Ausdehnungsfähigkeit des über Geld steuernden Wirtschaftssystems bestätigt. Global werden immer neue Gefälle zwischen Wünschen und Bedürfnissen einerseits und Warenangeboten andererseits gewinnbringend genutzt und ausgedehnt. Vor allem werden die vielfältigen mit der Wirtschaftsausdehnung losge-

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tretenen Zerstörungen umgewandelt in Produktions-, Absatz- und Bereicherungschancen. Dennoch, im Widerspruch zu dieser Erfolgsgeschichte verläuft die gesellschaftliche Dynamik unfriedlich, sie läuft auf Katastrophen zu. Die beiden zentralen Herde des Unfriedens sind allgemein bekannt, auch wenn sie im Verhältnis etwa zu Terrorepisoden medial unterbelichtet bleiben. Das eine ist die galoppierende Ressourcenübernutzung und ökologische Verarmung – der vorprogrammierte verschärfte Verteilungskampf und mehr noch: der Schwund der natürlichen Lebensgrundlagen. Das andere ist die im „Wachstum“ herbeiproduzierte Auflösung des sozialen Zusammenhalts. Eruptive Wanderungsbewegungen sind vorprogrammiert, die nächstliegende Antwort darauf – gewaltsame Abschottung der Privilegierten und steigende Pegel der alltäglichen Gewalt – wird auch für Privilegierte die persönlichen Freiheits- und Entfaltungsräume einengen. Beide Prozesse sind, je nach sozialem Standort und Sensibilität, entweder nur schleichende oder schon begonnene Katastrophen. Dazu kommt drittens die strukturelle Instabilität der Finanzmärkte. In den letzten 75 Jahren haben heftige Schwankungen zwar regionale und schichtspezifische Verarmung und Verelendung verursacht, aber nicht den grossen, universal und tief wirkenden Zusammenbruch des Bankensystems mit ruinösen Folgen für die Realwirtschaft überall. Doch der grosse crash ist möglich; kein Experte getraut sich, das auszuschliessen, ist doch inzwischen nirgends klar, wer überhaupt die Funktion des lender of last resort, dessen massives Eingreifen die Katastrophe abzuwenden vermag, einnehmen kann. Das Zulaufen auf den Ruin wird zumeist nur punktuell wahrgenommen, im Allgemeinen aber medial verharmlost; zur politischen Herausforderung wird es noch nicht. Die Schutzbehauptung lautet, die vermuteten Katastrophen seien nur mehr oder weniger wahrscheinlich, und über den Grad der Wahrscheinlichkeit sind sich die Experten nicht einig. Dem gegenüber ist die Haltung eines „aufgeklärten Katastrophismus“ (Dupuy 2004) angemessen: Unbeeindruckt vom Vorwurf der Panikmache werden die mögliche Katastrophe als „sicher eintretend“ fingiert und so die Aufmerksamkeit geweckt und die Instrumente in Bewegung gesetzt, die für ein Mildern oder das Abwenden der Katastrophe nötig sind. Die Annahme lautet also: Unsere Lage ist nicht länger eine Normalität mit Gewinnern und Verlierern, mit den üblichen Betriebsstörungen und Abhilfen, sondern wir laufen auf eine kulturelle crisis mit ungewissem Ausgang zu, mit der Gefahr einer allgemeinen radikalen Verschlechterung der Lebensmöglichkeiten, aber auch mit der Chance gesellschaftlicher Neuerungen.

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Mit dieser Annahme verlassen wir den üblichen Kontext, in dem über Geld geforscht und diskutiert wird. Jetzt sind andere Fragen zu stellen und zu beantworten: Hat Geld in seinen verschiedenen Formen noch andere als die ihm üblicherweise zugeschriebenen Funktionen? Welche Rolle spielt Geld in den ruinösen Prozessen, die uns auf eine kulturelle crisis zutreiben? Den Rang und die praktische Bedeutung dieser Fragen kann niemand mehr geringschätzen. Das gilt insbesondere für die Finanzindustrie. „Heute sind die Finanzmärkte wohl die erste Weltmacht, mächtiger als selbst die USA.“ (Streissler 2000: 387) Es gilt aber auch für den alltäglichen Umgang mit Geld in Konsum und Beschäftigung (Kitzmüller/Büchele 2005). In allen Feldern des Wirtschaftens und für alle Formen des Geldes zeigt sich: Die unter der Maxime maximaler monetärer Vermögensmehrung operierende Gesellschaft bringt aus sich heraus weder quantitative Grenzen noch qualitative Vorrangsetzungen zustande; die ruinösen Tendenzen sind systemimmanent. Warum ist das so? Zunächst: Was zeigen uns die Phänomene des aktuellen Umgangs mit Geld? Und davon ausgehend noch einmal die alte Frage nach dem „Wesen“ und der Herkunft des Geldes.

Modernes Geld: Killerprämien und Niemandsherrschaft Keine Dämonisierung des Geldes ist angesagt. Doch ebenso wenig die jetzt vorherrschende Mischung aus Euphorie und Resignation gegenüber der Finanzindustrie. Was zeigt uns der nüchterne Blick auf eine alltägliche Transaktion? Wählen wir als Beispiel eine Person, die im Supermarkt ein Stück billiges Fleisch erwirbt. Was wäre banaler als dieser Kauf! Die Person wollte und bekam etwas Billiges, der Verkäufer hat den Gewinn kalkuliert, der Käufer hat bezahlt, und das ist alles. Dass die beiderseitigen Kalküls, Preis und Zahlung in Geld abgewickelt werden, ist ebenso banal wie nichtssagend – so scheint es. Doch lösen wir uns aus der Fixierung auf die Akte des Kalkulierens und Zahlens, so verliert die Transaktion den Anschein von Harmlosigkeit. Was ist tatsächlich geschehen? Der Verkauf- und Kaufakt ist das – allerdings für den ökonomischen Vorgang insgesamt notwendige – Schlussglied einer Kette höchst problematischer Eingriffe. Da wurde, sagen wir, brasilianischer Regenwald gerodet, womit nebenbei die traditionelle Lebensgrundlage der dort lebenden Völker ausgelöscht wird, dann auf dem gerodeten Land in grossflächiger, chemieintensiver Plantagenwirtschaft Soja angebaut, wodurch nebenbei das heikle Ökosystem vielleicht unwiederbringlich ruiniert wurde, sodann das Plantagenprodukt als Viehfutter

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für die Fleischindustrie eingesetzt, wodurch nebenbei die ohne solches Zusatzfutter wirtschaftenden Bauern ruiniert werden, zuletzt dem Konsumenten eingeredet, allein auf den billigen Preis komme es an. Und die ganze Kette entlang, vom Regenwald zur Fleischindustrie und zur Konsumentenwerbung, sind Akteure der Finanzindustrie die wesentlichen Zwischenglieder. All das, die ganze Kette von Entscheidungen und Folgen samt den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden, ist der tatsächliche ökonomische Inhalt des banalen Kaufakts. Davon wissen weder der Kalkulant und die Regalbetreuerin des Supermarkts noch die Käufer – und würde man sie darauf aufmerksam machen, würden sie es in der Regel nicht wissen wollen. Ein wenig anders, doch im Ergebnis gleich, ist die Lage der Politiker und der Medienmacher. Sie könnten um die tatsächliche Verkettung wissen und oft genug wissen sie es. Aber auch sie wollen nicht wissen und sie schweigen, und sie glauben, das Schweigen sich leisten zu können, weil es eben nur um banales Kaufen und Verkaufen gehe. Enorme Wirkungen erzeugen, aber nicht wissen (wollen) und schweigen – damit berühren wir die beiden zentralen Funktionen des modernen Umgangs mit Geld. Um es pointiert zu sagen: Geld ermöglicht Killeraufträge grösster Reichweite und Tiefe. Im gewählten Beispiel: Der Kaufpreis des billigen Fleischs enthält nur zum Teil Kostenfaktoren in üblicher Berechnung, wesentliche Komponenten bleiben verborgen: die Killerprämien, die entlang der Wertschöpfungskette anfallen. Zugleich ermöglicht die Reduktion des realen Vorgangs auf den Kaufakt dem Käufer und einigen anderen Akteuren der Wertschöpfungskette ein entlastendes Nichtwissen um die tatsächliche Bedeutung ihres Tuns. Geld ermöglicht nahezu beliebige Konzentrationen von Gewalt zum Zweck der Bereicherung verbunden mit der Anonymisierung der Gewalt; Verantwortung entfällt. Ungleich massiver als in dem banalen Beispiel aus dem Supermarkt tritt die zentrale Doppelfunktion heutigen Geldes auf den Finanzmärkten hervor. Die Spekulanten haben die möglichst rasche Vermehrung ihres in Geld ausgedrückten Vermögens zu ihrem Zweck erwählt und die einschlägigen Manager darauf verpflichtet. Diese können dem Auftrag nur nachkommen, indem sie in der Realwirtschaft den Unternehmen eben diesen Zweck, etwa die erwünschte Börsenbewertung, ohne Rücksicht auf ökologische und soziale Schäden aufzwingen. Die üppige und exquisite Information, die aus der Finanzindustrie den Spekulanten als Entscheidungshilfe angeboten wird, berücksichtigt reale Schädigungen nur insofern davon Auswirkungen auf die Vermögensbewertung erwartet werden. Nirgends sonst werden höhere „Killerprämien“ ausgeschüttet,

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etwa als rapide, keiner sonstigen Leistung zurechenbare Steigerung gewisser Managereinkommen. Gewaltanhäufung verbunden mit systemischem Nicht-Wissen und Freiheit von Verantwortung. Wer diese Vorzüge des Mediums Geld zu nutzen weiß, ist allen Konkurrenten überlegen. Politik in jeder Variante kommt ins Hintertreffen, der Staat und die Staaten können sich nur als Handlanger der Finanzindustrie halten. Das Ergebnis ist paradox: Noch nie gab es dichtere Herrschaftsnetze, aber noch nie so wenig sichtbare Herren – eine versachlichte Niemandsherrschaft.

Sich freikaufen und Bindungen bekräftigen: die Herkunft des Geldes Killerprämien und organisiertes Nichtwissen – dem Geld diese zentrale Doppelfunktion zuzuschreiben, das muss absurd erscheinen, widerspricht es doch völlig der allgemein geteilten Auffassung, die im Austausch, genauer im Äquivalententausch, Ursprung und Wesen des Geldes verankert sieht. Also ist zu fragen, wie kam Geld in die Welt, was ist Geld „eigentlich“, was hat es mit dem ominösen Äquivalententausch auf sich? „Geld ist ,nichts’, nämlich ‚nur’ ein Medium. Aber als Medium ist Geld die entscheidende Mobilisierungskraft der Wirtschaft: Ein Programm zur uferlosen Vermehrung von Gütern und des freien Zugangs zu ihnen – ein nur durch Geld beschränkter Zugang.“ (Kitzmüller/Büchele 2005: 45; s.a. Lachausée in diesem Buch) Diese latente, erst in der Neuzeit zunehmend aktualisierte, Qualität des Mediums Geld kann nicht aus dem Tausch hervorgegangen sein. Sie ist umgekehrt die Voraussetzung für ausgedehntere Tauschbeziehungen. Geld entstammt jenen Jahrtausende währenden Prozessen, in denen als Antwort auf Krisen mimetischer Gewalt religiös-politische Ordnungen begründet und in Ritualen stabilisiert wurden (Girard 1991). Geld ist in der religiösen Sphäre entstanden als Management von Opferung und Opfer (Aglietta/Orléan 1998). Jede Ordnung legitimierte sich in Ritualen der Unterordnung unter die jeweiligen Götter, und der Kern des Rituals war ein Schlachtopfer, das den Göttern geschuldet war. Geld beginnt als Betrug an den Göttern, denen statt Menschen allmählich Tiere, dann symbolische Gaben und Handlungen, schliesslich Symbole zweiter Ordnung: Geld, das die Opfergaben abstrakt beinhaltet, dargebracht werden. Eine zweite Wurzel des Geldes entstammt ebenfalls dem religiösen Ritual: Gläubige kaufen sich von der Schuld gegenüber dem Schlächter, der das Opfer vollzieht, durch eine Zahlung frei (Anspach 1998) – der Ursprung der „Killerprämie“. Da in diesen Verhältnissen die religiöse Sphäre alles Weltliche

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durchdringt, konnte Rache durch Zahlung ersetzt oder gemildert werden. Statt den Invasoren Menschenopfer und Sklaven zu schulden, können sie mit Zahlungen abgefunden werden. Blutgeld befreit von Blutrache. Solche Befreiung, wenn auch verbunden mit Momenten des Betrugs und der Täuschung, ist von Anfang an zugleich verknüpft mit starken Bindungen, mit der Anerkennung der jeweils höchsten Autorität. „Nicht zufällig ist der erste Organisationsort des Geldes die Tempelwirtschaft ...“ (Heintel 2005: 94). Über Geld können Schuldverhältnisse begründet und gestaltet werden, weil (und falls) Geld gilt, also die Sanktion der höchsten Autorität geglaubt wird und deswegen die Geldakteure einander vertrauen. Das Schuldverhältnis mitsamt dem Vertrauen auf sanktionierte Schuldtilgung bekräftigt Bindungen. Daher die doppelte Leistungsfähigkeit von Geld: Es erlaubt ein grenzenloses Mobilisieren von Gewaltpotenzialen und kanalisiert die Gewalt zugleich in die Form von Schuldverhältnissen. Der religiöse Ursprung haftet dem Geld auch nach Jahrhunderten der Säkularisierung, Ent-Ontologisierung und Abstraktion weiter an: Geld ist untrennbar verbunden mit Schuldverhältnissen, und die Schuldtilgung hat den Charakter des Opfers. Die zentralen Namen der Geldwirtschaft weisen auf diesen Ursprung hin: credit, Exekution, money (von Juno Moneta, der höchsten Göttin Roms, die Schuldverhältnisse sanktioniert). Sogar auf den weltweit am meisten verbreiteten Geldscheinen wird versichert: „In God We Trust“. Geld ist das Medium normalisierter Opferung. Geld entsteht „aus nichts“ durch Vertrauen, und von Vertrauen „lebt“ es. Von seiner Ursprungsgeschichte her können zwei wesentliche Züge des modernen Mediums Geld verstanden werden. Geld erlaubt es, jegliche Bestände, ob natürlichen oder sozialen Status, zu verflüssigen. Mit Geld gelingt es, sich aus Abhängigkeiten zu befreien (Abhängigkeit etwa von Herrschern, Priestern, Tabus, Staaten), Grenzen jeder Art zu überschreiten, über Raum und Zeit Gewaltpotenziale anzusammeln und anzuwenden, und in all dem können die Geldakteure sich hinter das abstrakte Schuldverhältnis, hinter die „Sache“ zurückziehen und nach Belieben verbergen. Das ist die beste Voraussetzung sowohl für weitreichenden Handel wie für das Ansammeln und Einsetzen von Kapital, kurz für heutiges Wirtschaften. Geld ist nicht in den üblicherweise vorangestellten Funktionen als Mittel für Zahlung und Hortung („Marktgesellschaft“ und „Kapitallogik“) bestimmend geworden für die moderne Gesellschaft, sondern in seiner Funktion der Revolutionierung elementarer Beziehungen der Gegenseitigkeit durch Verschuldung und Kreditzins. Denn der „Zins ist dasjenige, was ich bekomme, wenn ich auf die Gegenseitigkeit verzichte ... dann bezahlt er mir den

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Zins“ (Steiner 1979: 147). „... die Kredit- und Geldschöpfung (ist) ein selbstreferenzieller Prozess, der im Prinzip – unter Einbezug der Refinanzierungsmöglichkeiten bei der Nationalbank – unendlich weitergehen kann und weitergeht.“ (Binswanger 2006: 124) Paradoxerweise ist aber die Fähigkeit zur Verflüssigung, Grenzüberschreitung und Ausdehnung, die im Medium Geld gewonnen wird, gebunden an das Vorhandensein von anerkannten Grenzen, von Vertrauen und Sanktionen. „Denn nur unverkäufliche Werte garantieren die Gültigkeit von Kaufakten und Kaufmedien.“ (Sorgo 2006: 124, mit Berufung auf Godelier 1996, s. bei Sorgo vor allem das Kapitel „Liebe und Prostitution“: 129-138.) Solche unverkäufliche Bestände werden jedoch über das Medium Geld verbraucht, nicht erneuert. Geldwirtschaft ist – bei aller enormen Leistungsfähigkeit – existenziell parasitär. Der evolutionäre Vorteil des Geldes, der nur allmählich durch Jahrtausende zum Tragen kam und erkannt wurde, liegt in dem in Zeit und Raum unbegrenzten, sachlich abstrakten Zugriff auf alle und jedes, auf jede und jeden. Im Umgang mit Geld wird die Spirale zwischen Auftraggeber – Auftragskiller – Opfer – bereichertem Auftraggeber versachlicht, verhüllt und normalisiert. Im Aufstieg der Finanzindustrie in den letzten Jahrzehnten zum entscheidenden Faktor der gesellschaftlichen Steuerung werden die problematischen Vorzüge des Geldes vollends schlagend. Im Medium Geld wird maximale Abstraktion möglich: als Reduktion auf shareholder value. Leben heisst jetzt Überleben gegen andere: durch maximal beschleunigte Maximierung von Geldquanten. Im monetären Sieg-Verdrängung-Spiel muss die Realwirtschaft auf eben dieses Spiel umprogrammiert werden, und das wird sie. Der Wirtschaftsprozess wird neu orientiert: Von der Verwandlung der Welt in Reichtümer und Machtkonstellationen zur Verwandlung der Welt in Geldüberschüsse. Mit dem Aufstieg der Finanzindustrie ändern sich massenhaft auch die seelischen Haushalte. Jetzt erst wird Geld vollends ansteckend. Ängste und Wünsche, Begehren und Notwendigkeit werden zunehmend in Geld codiert. Eine Unersättlichkeit im grossen wie im kleinen Maßstab und Ängste davor, als überflüssig markiert zu sein, steigern einander wechselseitig. Die über Geld steuernden Gesellschaften haben, global gesehen, es nicht vermocht, die älteren, mittels multipler Verfeindung operierenden Gewaltkanalisierungen hinreichend abzuschwächen oder zu zivilisieren. Nicht nur manifeste Gewalt, vor allem Gewaltpotenziale schwellen an.

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Exkurs: Das Dogma vom Äquivalententausch All das bleibt im herrschenden Verständnis ausgeblendet. Geld als eine Form des Umgangs mit Gewalt, seine Herkunft aus der religiösen Sphäre, Killerprämien, die Erosion der Voraussetzung der Geldwirtschaft durch sie selber im Erodieren von unverkäuflichen Werten – das ist in gängiger Sicht absurd, lächerlich, unwissenschaftlich. Denn das herrschende Paradigma weiß den Ursprung und das Wesen des Geldes verankert im Austausch, genauer im Äquivalententausch. Innerhalb des Paradigmas differenzieren die Experten verschiedene Funktionen, Formen und Verwendungen des Geldes: Mittel zur Zahlung, zum Berechnen, Horten und Vergrössern von Wert und andres mehr. Nicht allein im engeren Bereich von Produktion, Konsum und Kapitalansammlung, auch in intimen Beziehungen, in jeglichem Konflikt, im alltäglichen Abwägen und Entscheiden, überall seien die Verhältnisse über Geld oder geldähnliche Verfahren gesteuert – oder sollten es sein. Das Paradigma legt weiter fest, Geld sei selbstverständlich etwas privates, die eleganteste weil flexible Form privaten Eigentums. Die Marktteilnehmer seien im Akt des Kaufens und Verkaufens radikal frei und gleich, weil die Transaktion nur zustande kommt, indem gleiche Werte zum Tausch kommen, der Äquivalententausch. Diese Besonderheit gebe der Marktgesellschaft ihre spezifische Prägung: genuin friedlich und zivilisierend, „doux commerce“. In der Tat, im Unterschied zu Raub und Befehl erlangen in der Marktgesellschaft die zur Marktteilnahme befähigten Menschen die benötigten oder begehrten Güter und Dienste in einem Vorgang, der keinen Streit impliziert. Im Augenblick des Tauschvorgangs sind die Beteiligten darin einander gleich, dass ein sachlich festgelegter – eben über Geld festgelegter – Tausch von Wertäquivalenten geschieht. Gesehen vom Augenblick des Tauschvorgangs her ist die manifeste Funktion des Geldes – es vermittelt zwischen Ansprüchen und Leistungsangeboten – konstitutiv für das Geld. Diese Bestimmung des Geldes ist tautologisch – eben dadurch überzeugt sie. Sie überzeugt, weil damit der reale Vorgang hinter dem Tauschakt ausgeblendet wird, wie am Beispiel des Fleischkaufs im Supermarkt und noch drastischer an den Operationen der Finanzindustrie gezeigt wurde. Der reale, über Geld finalisierte Vorgang hat mit Äquivalenz nichts zu tun, im Spiel sind Machtgefälle, Gewalt und die Verhüllung von Gewalt – und eben dies ist im Medium Geld am besten praktikabel. Zugleich wird verkannt, dass Geld nicht allein privates Geld ist, sondern angewiesen auf gesellschaftliche Geltung. Geld

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ist (auch) ein Gemeingut, insofern es ein machtvolles, riskantes Werkzeug ist für den Zugriff auf Zukunft. Im Bruch der Kontinuität heraus aus einer vorgeblichen Normalität, im Zulaufen auf eine crisis, treten zwei Paradigmen in Wettstreit: Hier das Paradigma des rein sachlich und friedlich vollzogenen Tauschs von Äquivalenten, dort das Paradigma vom Geld als Medium des zugleich gewaltsamen und sachlich verhüllten Zugriffs auf Zukunft. Geld war kein Kinderwunsch Sigmund Freud

Die Chance der crisis: Geld zähmen Die Vorzüge des Geldes sind offenkundig. Wohl niemand wird zur Gänze von der Geldwirtschaft Abschied nehmen wollen oder können. Zu verführerisch ist es, sich die Mühen direkter Kommunikation und ständiger Bereitschaft zur Verantwortung zu ersparen. Über Raum und Zeit nahezu beliebig grosse Wirkungen anstossen zu können – kaum jemand mag sich dieser Faszination zu entziehen. Dennoch, der beginnende ökologische und soziale Ruin, die Zuspitzung im Gefolge des Aufstiegs der Finanzindustrie zur ersten Weltmacht, das fordert zur Besinnung und zu veränderndem Handeln heraus. Das Zulaufen auf eine mögliche crisis kann als Chance wahrgenommen werden. Der erste Schritt ist, den Doppelcharakter des Geldes wahrzunehmen: zugleich privat und Gemeingut, zugleich befreiend und offen für Gewaltmanipulation und Täuschung. Geld ist in jeder Form riskant; noch riskanter ist nur (im gegenwärtigen Zustand) ein kollektives Wirtschaften ohne Geld, etwa als Despotie einer versuchten Autarkie. Sinnvoll scheinen Ansätze eines anderen Umgangs mit Geld. Das ist ein weites Feld, hier sind nur Stichworte möglich. Am wenigsten ist zu erwarten von Versuchen, Geld harmlos zu machen, indem es nur auf den Warentausch beschränkt wird. Denn Schuldverhältnisse, Kredit mit ungleichen Vorteilen für die Beteiligten sind untrennbar mit Geld verbunden. Der wichtigste erste Schritt ist eine grossräumig wirksame Regulierung der Finanzindustrie, eine machtvolle globale Finanzautorität. Daneben verdient eine Fülle von laufenden oder geplanten Experimenten Aufmerksamkeit: Tauschkreise, neue Formen einer (teilweise geldlosen) Subsistenz; Paralellwährungen, etwa in Form von egalitär ausgegebenen, handelsfähigen Ressourcenzertifikaten. Folgenschwer ist die Einführung eines allgemeinen bedingungsfreien Grundeinkommens. Wenn niemand finanziell hinausgedrängt wird, verliert die über Geld laufende Gewalteskalation viel von ihrer Kraft.

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Zuletzt kann nur eine Spiritualisierung der Gesellschaft die Chance der crisis nutzen, wenn darunter Achtsamkeit, kämpferisches Wahrnehmen und Einfordern von Verantwortung und eine mit dem Genießen verschwisterte Askese verstanden wird. Denn, in den Worten Sigmund Freuds, Geld war kein Kinderwunsch.

Quellenverzeichnis Aglietta, Michel/Orléan, André (Hg.) (1998): La monnaie souveraine. Paris: Ed. Odile Jacob Anspach, Marc Rogin (1998): Les fondements rituels de la transaction monétaire, ou comment remercier un bourreau. In: Aglietta/Orléan (1998): 53-83 Binswanger, Hans Christoph (2006): Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Marburg: Metropolis Dupuy, Jean Pierre (2004) : Pour un catastrophisme éclairé. Quand l’impossible est certain. Paris: Seuil Girard, René (1991) [1972]: Das Heilige und die Gewalt. Frankfurt: Fischer Godelier, Maurice (1996): Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte. München: C. H. Beck Heintel, Peter (2005): Zur religiösen Bedeutung des Geldes – dargestellt am Beispiel der Einführung des Euro und der Rolle der Banken. In: Kellermann 2005: 93-113 Kellermann, Paul (Hg.) (2005): Geld und Gesellschaft. Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften Kitzmüller, Erich/Büchele, Herwig (2005): Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte. Wien: Lit Verlag Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt: www.grundeinkommen.at Sorgo, Gabriele (2006): Abendmahl in Teufelsküche. Über die Mysterien der Warenwelt. Wien: Styria Steiner, Rudolf (1979); Nationalökonomischer Kurs. Dornach: Rudolf Steiner Verlag. Streissler, Erich W. (2000): Wechselkurse und Weltfinanzmärkte. In: Wirtschaftspolitische Blätter 47 (4/2000): 377-389

Paul Kellermann

Moneyismus – Der Glaube an Geld als Alltagsreligion

Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen. Max Weber 1922: 35f.

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Mythen und Ideen

„Als das Volk sah, daß Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen … Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie von ihnen entgegen, zeichnete mit einem Griffel eine Skizze und goß danach ein Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt haben … Da sprach der Herr zu Mose: … Sie haben sich ein Kalb aus Metall gegossen und werfen sich vor ihm zu Boden. Sie bringen ihm Schlachtopfer dar und sagen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt haben.“ (Die Bibel 1980: 84) Die Geschichte des Tanzes um das Goldene Kalb im Alten Testament lässt sich ebenso als frühe Kritik an der Verdinglichung von Geld verstehen wie die Sage von König Midas: „Midas, der Sohn der Großen Göttin von Ida und eines Satyrs … war ein vergnügungssüchtiger König im makedonischen Bromion … Eines Tages zog das wilde Heer des Dionysos von Thrakien nach Boiotien. Selenos, der alte, verkommene Satyr, der früher der Lehrer des Dionysos war, blieb weit zurück. Man fand den Trunkenen schlafend in den Rosengärten. Die Gärtner … führten ihn vor Midas … Midas war entzückt von den Geschichten des Selenos und bewirtete ihn fünf Tage und Nächte. Dann befahl er einem Führer, ihn zum

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Hauptquartier des Dionysos zurück zu geleiten. Dionysos … sandte einen Boten zu Midas und ließ ihn fragen, wie Midas belohnt werden möchte. Midas antwortete ohne Zögern: ‚Möge sich alles, was ich berühre, in Gold verwandeln.’ Da verwandelten sich nicht nur die Steine, die Blumen und der Hausrat in Gold, sondern auch die Speisen auf der gedeckten Tafel, sobald er sie nur berührte, und sogar das Wasser, wenn er es trinken wollte.“ (Ranke-Graves 1984: 255) „Starr vor Schreck für den neuen Verderb, so dürftig im Reichtum … in Fülle verbleibt sein Hunger; es brennt in der Kehle trockener Durst, und das leidige Gold ist verdienete Plage. Da zum Himmel erhebt er die Händ und die strahlenden Arme: ‚Vater Lenaeus, verzeih huldvoll! Wir sündigten’, sprach er, ‚aber erbarme dich mein und entnimm mich dem glänzenden Elend!’ Bacchus, der gütige Gott, stellt her den geständigen Sünder, und er beseitigt die Gunst, die treu dem Vertrage gewährt war.“ (Ovid 1986: 269f.) Aristoteles (384-322) Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert ist Hinweis auf den existentiellen Bezug von Geld zu Mitteln, die Bedürfnisse stillen, zu Lebens-Mitteln: „Die Benützung eines jeden Besitztums ist eine doppelte und beide Male wird das Besitztum als solches, aber als solches nicht in der gleichen Weise, benutzt, sondern die eine Art von Benutzung ist die dem Gegenstand eigentümliche, die andere nicht. Z.B. den Schuh kann man benützen zum Anziehen aber auch als Tauschmittel. Denn beides sind wirklich Benutzungsweisen des Schuhs, insofern auch der, welcher einem anderen, der eines Schuhs bedarf, einen solchen für Geld … zum Tausch gibt … Daraus entsteht der Schein, als wäre die Erwerbskunst vorzugsweise auf das Geld gerichtet … Denn auch den Reichtum hält man insgemein für die Masse von möglichst viel Geld …“ (Aristoteles 1968: 24f., redigiert, P.K.) Hierzu sehr ähnlich ist das Verständnis von Adam Smith (1723-1790) hinsichtlich des Werts von Geld: „Wenn so jemandem sein Einkommen nicht in Gold, sondern in einer wöchentlichen Anweisung auf eine Guinee gezahlt würde, so würde sein Einkommen gewiß nicht eigentlich aus dem Stück Papier, sondern aus dem, was er dafür haben könnte, bestehen. Eine Guinee lässt sich als eine Anweisung auf eine bestimmte Menge von Bedarfs- und Genußgütern ansehen, die auf alle Geschäftsleute in der Nachbarschaft ausgestellt ist … Könnte es gegen nichts eingetauscht werden, so würde es, wie eine Anweisung auf einen Bankrotten, nicht mehr Wert haben, als das unnützeste Papier.“ (Smith 1973: 388)

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Theoretische Grundannahmen

Ob man das weiß oder nicht, ist gleichgültig, also gilt objektiv: Jede menschliche Handlung geht von Vorstellungen oder Orientierungen aus und unterliegt Bedingungen. Wesentliche Teile von Handlungsorientierungen sind Werte, Erfahrungen, erlernte Bedeutungen von Symbolen (z.B. Wörter, Zahlen, Zeichen …) und Wissen. Die wichtigsten Handlungsbedingungen liegen in der Natur, im Handlungsvermögen der Menschen sowie in den aktuellen Organisationen ihres Lebens. Zu unabänderlichen natürlichen Lebensbedingungen gehört, Bedürfnisse zu haben. Zur Erfüllung dieser Lebensbedingungen stehen den Menschen ihr organisiertes und qualifiziertes Arbeitsvermögen sowie die zu bearbeitende Natur zur Verfügung. Aktuell ist das menschliche Arbeitsvermögen hoch spezialisiert und extrem geteilt, was starke Produktivitätssteigerungen ermöglichte, zugleich die gegenseitige Abhängigkeit so vielfältig machte wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Autarkie ist nahezu unmöglich geworden – fast alle Gebrauchsgegenstände erzeugten einander unbekannte Menschen, die zumeist durch Ort und Zeit voneinander getrennt sind. In steigendem Ausmaß werden sowohl Menschen und ihre Bedürfnisse als auch ihre Produkte durch Geld vermittelt. Über Geld zu verfügen ist damit in der so entwickelten Gesellschaftsorganisation entscheidende Lebensbedingung für Personen ebenso wie für Organisationen und das gesamte System des Zusammenlebens. Die Bedingungen, über Geld als Mittel des Tausches von Leistungen (= Güter und Dienste) verfügen zu können, sind verschieden. In industriell entwickelten Gesellschaften erwerben die meisten Menschen ihr Einkommen durch Einsatz ihres Arbeitsvermögens; zum überwiegenden Teil in abhängiger Beschäftigung. Organisationen wie Betriebe sichern ihre Existenz durch Produktion und Verkauf ihrer Erzeugnisse sowie durch Investitionen, wozu ihnen der entsprechende Markt Geld je nach Vertrauen verfügbar macht. Da der Geldwert letztlich nur durch die produktive Vermittlung der Entstehung und Verwendung von Leistungen gesichert ist, hängt die Geldverfügbarkeit des gesellschaftlichen Gesamtsystems von seiner Gesamtleistung und seiner ausgleichenden Organisationsstruktur ab (Kellermann 2005: 120ff.1). Ausgleich ist zur Aufrechterhaltung eines relativen Gleichgewichts in dem Maß erforderlich, in dem Entwicklungen stattfinden. Die aktuell stärksten Entwicklungen, die in ihren Wirkungen unkor1

Da findet sich auch die Antwort auf die moneyistische Frage „Wo soll das Geld denn herkommen?“. Dieser Frage korrespondiert die Redensart, das Geld werde immer knapper. Die Geldmenge M3 wurde etwa in Deutschland von 1974 bis 1998 verachtfacht (Wozniewski 2005: 3f.).

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rigiert wesentliche Ungleichgewichte hervorrufen können, sind demografische Veränderungen, Produktivitätssteigerungen, zunehmende globale Arbeitsteilung, wirkungsvollere Kommunikationsmittel und nicht zuletzt sich verbreitende Ideologien wie „Moneyismus“.

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Handlungsorientierungen gegenüber Geld

Um zu verdeutlichen, was mit Moneyismus gemeint ist, möchte ich drei Orientierungen gegenüber Geld unterscheiden: Geld zu verwenden, Geld zu sparen und Geld zu verherrlichen. 3.1 Die Geldverwendung Der Verwendung von Geld, seinem direkten Gebrauch, unterliegt die Absicht, es gegen etwas einzutauschen, also es als Mittel anzusehen, das den Erwerb eines gewünschten Gutes oder Dienstes ermöglicht. Von den vielen Funktionen, die Geld zugeschrieben werden können, ist die zentrale Funktion, als verallgemeinertes Tauschmittel (generalized medium, T. Parsons) zu dienen. Als ein solches Mittel wirkt es wie ein Katalysator, ermöglicht also einen Prozess, ohne dadurch selbst verändert zu werden. Die wesentlichen Voraussetzungen des Tauschprozesses sind einerseits, dass eine Leistung zum Tausch gegen Geld angeboten werden kann, also eine Leistung vorhanden ist, und dass an den Wert des Geldes, also an seine weitere Verwendbarkeit zum Erhalt einer Leistung, geglaubt wird; andererseits, dass die Leistung zu erhalten gewünscht wird und entsprechendes Geld verfügbar ist. Das Verkaufsangebot einer Leistung macht diese zur Ware, an ihr interessiert den Verkäufer der erreichbare Geldpreis, also der Tauschwert, indes den Käufer die Nutzung der Ware als Gut oder Dienst, also der Gebrauchswert. Die beiden wichtigsten Folgen dieses Prozesses sind, dass Waren ihre Besitzer wechselten und dass Kaufkraft in Form des Geldes vom Käufer der Waren auf den Verkäufer überging. Dieser Tausch findet entweder real oder metaphorisch auf einem Markt statt. Der Unterschied liegt im Grad der Abstraktion der Leistung und des Tauschs, also der Differenzierung von Erzeuger und Verkäufer einerseits, von Käufer und Nutznießer andererseits, wobei auch das Tauschmittel – also Geld – differenziert verwendet werden kann. Die Differenzierung des Markts ist einerseits Folge der Arbeitsteilung, also der gesellschaftlichen Organisation zur Verfügbarmachung von Leistungen; andererseits bewirkt Marktdifferenzierung Arbeitsteilung. Die Abstraktion und die Differenzierung des Gel-

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des können von Münzen und Banknoten über wechselseitig schriftliche Anerkennungen von Schuld und Guthaben bis hin zu digital dokumentierten Vergaben und Annahmen von Krediten reichen. In allen Formen von Abstraktion und Differenzierung bleibt Geld aber ein Symbol für die Zusage von Leistungen bzw. umgekehrt, für das Recht auf den Erhalt von Leistungen. Ohne die Entwicklung differenzierender Handlungsorientierungen der verschiedenen am Prozess beteiligten Personen gegenüber der Verwendung von Geld hätten sich die extremen Differenzierungen der Arbeitsteilung und des Geldgebrauchs nicht entwickeln können. 3.2

Das Geldsparen

Die Motive, die John Maynard Keynes (1886-1946) für das Sparen von Geld anführt, setzen die Verfügbarkeit, also den Besitz von Geld, aber auch das Vorhandensein von kaufbaren Leistungen voraus: „1. Das Einkommensmotiv: Einkommensempfang und -verausgabung fallen ja zeitlich nicht unbedingt zusammen. 2. Das Geschäftsmotiv: es hängt eng mit dem Einkommensmotiv zusammen. Im Geschäftsleben fallen Kostenentstehung und Zahlungseingang zeitlich selten zusammen. 3. Das Vorsichtsmotiv: Bargeldvorräte werden oft gehalten, um unvorhergesehene Ausgaben bestreiten oder unvorhergesehene billige Einkäufe tätigen zu können.“ (Zimmerman 1961: 225) Zusammengefasst wird diese Argumentation „Liquiditätstheorie“ genannt. Geldsparen kann aber noch eine andere Bedeutung haben, nämlich Geld nicht auszugeben, das man nicht hat. Auf den ersten, individualistischen Blick heißt dies, keine Schulden zu machen. In derselben Blickrichtung bedeuten Schulden etwas Belastendes, etwas möglichst zu Vermeidendes, gar etwas tendenziell Amoralisches. Doch aus unternehmerischer Sicht können Schulden – also geliehene Geldmittel – Ausgaben vermindern oder Einnahmen vergrößern. Im ersten Fall können beispielsweise durch den Bau eines Gebäudes mit Hilfe eines Darlehens Mietzahlungen vermieden werden und mittelfristig dem Kreditnehmer mehr Geldmittel verfügbar bleiben. Im zweiten, für expandierende Betriebe typischen, Fall kann die Geldschuld zur Investition in solche Produktionsmittel dienen, die Güter kostengünstiger erzeugen, also Ausgaben einsparen lassen. „Ausgaben einsparen“ hat allerdings zur Folge, dass das gesparte Geld von anderer Seite nicht eingenommen werden kann, also der Geldumlauf in diesem Fall unterbrochen und dadurch eine der wichtigsten Funktionen von Geld – nämlich den Leistungstausch zu erleichtern – außer Kraft gesetzt wird. Aus Sicht des Gesamtsystems, also der Volkswirtschaft, erscheinen Geldsparen bzw. Schuldenmachen wieder anders. Akzeptiert man, dass das Hauptziel

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der Systemsteuerung ist, Leistungsangebot und Leistungsnachfrage auszugleichen, dient Geld als Organisationsmittel (auch der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit; vgl. Kellermann 1990: 105). Geldsparen oder Schulden haben auf Ebene des Gesamtsystems nur nominelle oder sekundäre Bedeutung; real und primär geht es hier entweder um Geldverknappung, wenn die Leistungsnachfrage das Leistungsangebot übersteigt, oder um Geldvermehrung, wenn aus Geldmangel das Leistungsangebot nicht erweitert und der Bedarf nicht zur Nachfrage werden können (vgl. Kellermann 2005: 120ff.). Auf den ersten Fall zielt gesetzesgemäß die Europäische Zentralbank ab, nämlich Inflation durch verschiedenartige Steuerungsmöglichkeiten des Geldumlaufs zu kontrollieren. Das logische Gegenstück, nämlich eine ungenügende Nachfrage nach Leistungen ebenfalls durch Geld zu steuern, also „Wirtschaftswachstum“ zu betreiben, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Die keynessche Empfehlung des deficit spending unter bestimmten Voraussetzungen wurde offensichtlich zuerst (d.h. in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg) missverstanden, wodurch die gewinnorientierten Unternehmen ihre Geldmittel eher in lukrativere Staatsanleihen anlegten als in produktivitätssteigernde Investitionen. Dadurch wurden zum einen staatliche Zinszahlungen zur starken Belastung der öffentlichen Haushalte, zum anderen fielen Steuerzahlungen aus. Was auf Unternehmensebene oder betriebswirtschaftlich rational erschien, erwies sich auf Systemebene oder volkswirtschaftlich als das Gegenteil. Erklärbar wird das Phänomen durch den allmählichen Übergang der Geldorientierung auf den Moneyismus auch derer, die das Gesamtsystem zu steuern in der Lage wären. Die banale Erkenntnis von John Law (1671-1729) ging anscheinend verloren: „Geld ist nicht der Wert (value for …), für den Güter ausgetauscht werden, sondern nur das Mittel (value by …), durch das sie ausgetauscht werden.“ (Law 1979: 24) 3.3

Die Geldverherrlichung

Es sieht so aus, als wenn sich Moneyismus, also Geldverherrlichung oder Geldvergöttlichung („Ich bin der Herr, Dein Gott!“) seit der Frühzeit der Ideengeschichte bis heute durchgehalten habe. Doch, solange der Naturaltausch den Warentausch durch Geld bei weitem überwog – und das war auch in den heute industriell entwickelten Ländern bis zur Einführung industrieller Lohnarbeit vor etwa 200 Jahren der Fall (Zimmerman 1961: 254f.) −, waren die Wirkungen des Moneyismus beschränkt. Doch Verbindungen zur Hypostasierung von Geld lassen sich, scheinbar harmlos, aus verschiedensten Richtungen finden. Einige

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möchte ich als „Links“ aufweisen, wobei ich von der Ausprägung des Moneyismus ausgehe, nicht von der geschichtlichen Entwicklung. Link 1: Heinrich Böll erzählt in seiner „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ (1987) von einem Fischer und einem Touristen. Der Fischer begnügt sich mit dem Ertrag des einen Fangs, der ihm das Auskommen für den Tag sichert. Der Tourist will ihn von der Reichtumsakkumulation überzeugen, nämlich durch mehrfachen Fischfang mehr Geld zu erlösen, den Mehrerlös zu noch erfolgreicherem Fischfang zu investieren, um letztlich großen Reichtum angesammelt zu haben und nach all der Geschäftigkeit endlich das tun zu können, was der Tourist am Fischer kritisierte: am Meer in der Sonne zu liegen. Link 2: 1758 veröffentlichte der Mitbegründer der Physiokratischen Schule, François Quesnay (1694-1774), als Arzt in Analogie zum Blutkreislauf sein tableau economique, also sein Verständnis des Wirtschaftskreislaufs. Dabei ist bereits ihm ein Wirtschaftszyklus lediglich ein Geldumlauf: 5 Milliarden Franc wandern als „Reinertrag“ von den Produzenten (in der Physiokratie sind das die Bauern) über die Bodenbesitzer (der Adel, 2 Milliarden), die „unproduktive Klasse“ (alle Händler, 1 Milliarde) und den Selbstverbrauch (!) (2 Milliarden) zur „produktiven Klasse“ zurück (vgl. Zimmerman 1961: 44). – Nebenbei: Im tableau economique symbolisiert Quesnay einen wohl zur damaligen Zeit noch relativ stagnierenden Kreislauf statt eine Wirtschafts- bzw. Geldumlaufentwicklung. Link 3: Eine Verbindung zum Moneyismus findet sich anachronistisch oder prophetisch oder auch absurd in Benjamin Franklins (1706-1790) anscheinend ernst gemeintem Advice to a Young Tradesman (1748): „Bedenke, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen und so fort … Je mehr davon vorhanden ist, desto mehr erzeugt das Geld beim Umschlag, so daß der Nutzen schneller und immer schneller steigt. Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet (!) alles, was damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfunden Sterling.“ (Weber 1922: 31) Link 4: Bemerkenswert ist, dass Franklin zwar Geld verherrlichte und als Zweck aller Anstrengungen pries, Geld aber nicht personalisierte, ihm also keine eigene Aktivität unterstellte. Dies erfolgt indes in dem Spruch „Geld regiert die Welt!“2 Doch die Aussage lässt sich mehrfach deuten: Aus dem Mund 2

Dass diese Behauptung auch als Titel der deutschsprachigen Ausgabe von Milton Friedmans „Money Mischief“ (1992) verwendet wurde, verrät mehr als bloß einen „genialen Einfall“ der Übersetzerin und des Verlagsmarketings: Hier wird der Geldübelstand zum Übeltäter.

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eines an Geld Armen klingt der Spruch nach Resignation – wir haben kein Geld, also haben wir auch nichts zu sagen. Schlimmer noch: Wir müssen uns fügen, weil wir Geld brauchen, um leben zu können. Genau gegenteilig, also wie im Omnipotenzwahn, hört sich die Versicherung eines Reichen an, dass Geld die Welt regiere: Weil ich viel Geld habe, kann ich alles und alle kaufen. Zwischen diesen beiden Figuren steht der Snob (sine nobilitate), also ein Mensch ohne Würde. Er giert nach Geld, nach viel Geld, gleichgültig, wie er dazu kommt. „Geld adelt“ scheint für ihn jener Spruch zu bedeuten. Er will sich über Geld den Zugang zur Klasse der „Reichen und Schönen“, der „Seitenblickegesellschaft“ und des – wie man auch sagte – „jet-sets“ eröffnen. Doch Geld regiert nicht wie es auch sonst nichts tut. Dass es diese Form des Moneyismus gibt, ist auf die Orientierung aller Beteiligten bei ihrem interaktiven Handeln zurückzuführen. Der Übergang zur Personalisierung von Geld mag analog zum früher viel diskutierten Klassengegensatz von „Kapital und Arbeit“ an der verkürzten Redewendung liegen: Kapital stand für Kapitalbesitzer, worunter die Eigentümer der Produktionsmittel, also des Produktivkapitals, verstanden wurden; und mit Arbeit waren die Lohnarbeiter gemeint, denen nur ihre mehr oder weniger qualifizierte Arbeitskraft zum Verkauf zur Verfügung stand. Wenn nun im Spruch „Geld regiert die Welt“ ursprünglich die Geldbesitzer gemeint waren, dann drückt sich hier auch ein Bedeutungswandel des Wirtschaftssystems aus: Im Moneyismus erscheinen nicht mehr die Produktivkräfte (Arbeitsvermögen und Maschinen) wirtschaftsmächtig, sondern Geld, also Finanzkapital. Dieser Schein steigert den Moneyismus und macht ihn zur dominierenden Religion. Illustrieren lässt sich diese Entwicklung an der Börse. Zunächst interessierte an Aktien („verbrieftes Miteigentum an Unternehmen“) primär der heute sogenannte shareholder value, also die vom jeweiligen Kurs unabhängige Dividende (Gewinnanteil pro Aktienstück). Doch bezogen auf den Kurs ist derzeit die Dividende (= Rendite) in aller Regel gering. Eine ganze Reihe von Aktien erbringt überhaupt keine Dividende. An ihnen ist spekulativ nur die Kursveränderung interessant. Beispielsweise vervielfachte sich der Ausgabekurs der Aktien eines größeren österreichischen Energiekonzerns von 1990 innerhalb von 15 Jahren um das 25-fache. Im 52-Wochenverlauf pendelte dann der Kurs Mitte 2006 zwischen Euro 22,96 und 41,58 (Die Presse, 19. Juli 2006: 21). Diese starken Schwankungen haben wenig, die starke Steigerung so gut wie gar nichts mit dem realen Ertrag des Unternehmens zu tun. Viel eher sind sie auf die Erwartung zurückzuführen, dass die Nachfrage nach dem Papier fallen oder steigen werde.

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So wurde die Aktie – wie jedes an einer Börse gehandelte Papier oder Geld (Devisen) – zu einer speziellen Ware. Freilich wird auch diese Ware – zumindest beim Zugang zur Börsenwelt und beim Austritt aus ihr – über Geld getauscht. Deshalb ist es sinnvoll, Geld als Ware (Waren- oder „nominelles“ Geld) von Geld als Tauschmittel (Tausch- oder „reales“ Geld) zu unterscheiden (Kellermann 1990: 101f.; 2005: 123f.). Ein Unternehmen, das Anteilsscheine ausgibt, überträgt in entsprechendem Ausmaß Unternehmenseigentum durch die Aktie nominell auf den Aktieninhaber und erhält dafür reales Geld. Der Moneyismus macht nun Menschen, die steigende Kurse für ihre Papiere sehen, glauben, sie seien entsprechend reich. Doch dieser nominelle Reichtum schwindet bei Kursstürzen – allerdings wieder nur nominell – sehr rasch. Die Kunst dieses Geschäfts ist, aus dem nominellen Warengeld eine höhere Summe an realem Tauschgeld zu machen. Dies ist aber davon abhängig, dass eine andere Person bereit ist, den nominell höheren Kurs mit realem Geld zu begleichen. Insofern stellt die Börsenwelt ein idealtypisches Marktmodel von Warenangebot und Warennachfrage dar.3

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Folgerungen

Die immer größere Bedeutung von Geld, die mit der Ausweitung der Kommodifizierung von Produkten und Diensten einhergeht, ist einerseits der Praktikabilität von Geld als Tauschmittel in immer weitergehender Arbeitsteilung geschuldet, andererseits – und damit zusammenhängend – dem Grundmotiv des für kapitalistische Gesellschaften charakteristischen Handelns: jede Art von Vermögen in Gewinnerwartung einzusetzen. „Gewinn“ bezieht sich dabei primär auf Geld als ein Mittel für die Erlangung sehr verschiedener Ziele. Geld als verallgemeinertes Tauschmittel – also als Katalysator zwischen Angebot und Nachfrage – führt in Zeiten, in denen der Leistungstausch nicht bezweifelt wird, zur höheren Wertschätzung des Tauschmittels gegenüber den realen Leistungen. Mit dem Schwinden des Zweifels am Leistungstausch über Geld wandelt sich die Wertschätzung von Geld in unreflektierten, von den Leistungen abstrahierten Glauben: in Moneyismus.

3 Dieser Markt vieler Teilnehmer wird gewissermaßen in seiner Dynamik angehalten, wenn ganze „Aktienpakete“ einzelner Teilnehmer verkauft oder gekauft werden sollen. Dann wird ein „Paketpreis“ etwas über dem aktuellen Kurs ausgehandelt, zu dem jedes einzelne Papier die Besitzer wechselt. Ansonsten würde die mehrmalige Nachfrage eines am Erwerb einer größeren Stückzahl interessierten Käufers den Preis in größere Höhen über den aktuellen Kurs treiben.

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So brauchbar Geld ist, um Leistungen auch in ihrem Tauschwert zu messen, so irreführend ist Moneyismus, wenn Geld als Maßmittel von Leistungen individueller und kollektiver Art ohne Bezug zu deren Gebrauchswerten verabsolutiert wird. Wirtschaftswachstum beispielsweise, also dem Schein nach mehr Verfügbarkeit von Leistungen, bloß noch in Geldeinheiten zu bemessen, führt zu Absurditäten: Auch die Produktion von Waffen und deren Zerstörung, der Wiederaufbau nach Katastrophen ebenso wie die Reparatur von Autos nach Alltagsunfällen gehen so in die Berechnung des Wirtschaftswachstums ein und suggerieren einen Fortschritt4, obwohl der aktuelle reale Zustand der Versorgung niedriger sein kann als zuvor. Statt eines Wirtschaftswachstums wird tatsächlich die geringere oder vermehrte Geldverwendung berechnet.5 Moneyismus erreicht einen Höhepunkt in der Gleichsetzung des Werts von Geld als einzigartigem Tauschmittel und als Ware in der Welt des spekulativen Geldmarkts. Dieser Differenzierungsmangel ist in seiner Wirkung durchaus gleichbedeutend der Illusion, der das Volk von Mose und Midas verfallen waren. – Auch die zu gebrauchswerten Dienstleistungen einzelner Personen in einem absurden Verhältnis stehenden Bezahlungen bzw. Geldgewinne dieser Personen schaden eher der kollektiven Versorgung, weil sie bloß scheinbar das „Wirtschaftswachstum“ befördern, tatsächlich aber zur Sicherung der Lebensbedingungen wenig oder nichts beitragen. Ja, tendenziell entfunktionalisieren sie gar das generalisierte Tauschmittel, von dem sie mehr haben als sie brauchen: Bei großen Diskrepanzen in der Einkommensverteilung stagniert der Tausch, wenn kein entsprechend hoher Bedarf besteht; es mindert aber die Nachfrage ebenso, wenn auf der anderen Seite Geld nicht dem Bedarf entsprechend verfügbar ist. Moneyismus vermag die gedeihliche Entwicklung der sozialen Organisation von Leistungen wie die des sozialen Zusammenhalts grundlegend zu stören (Kellermann 1990: 104), weil Aufmerksamkeit und Handlungsorientierungen ebenso wie die entsprechenden Handlungen auf Geld statt auf Leistungen konzentriert sind. Um die Lebensbedingungen lokal, regional und global zu sichern oder sogar zu verbessern, bedarf es der Überwindung des Moneyismus, also der Rückübersetzung von Geld auf reale Wirtschaftsleistungen sowie der politisch klaren Unterscheidung von Geld als funktionales Mittel einerseits und als spezielle Ware andererseits. 4 Oder auch umgekehrt: „Indien … Risiko HIV/AIDS. Die Immunschwächekrankheit könnte jährlich einen Prozentpunkt Wachstum kosten.“ (Die Presse, 24. Juli 2006: 21) 5 So ist es nicht verwunderlich, dass in Ländern, in denen immer mehr Leistungen über Geld getauscht werden (= Kommodifizierung), das errechnete Wirtschaftswachstum größer ist als in Ländern, in denen die Kommodifizierung weiter fortgeschritten ist.

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Peter Heintel

„Geld ist Zeit“

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Perspektivenwechsel

Dass ein innerer Zusammenhang zwischen Zeit und Geld existiert, weiß man meist aus der umgekehrten Wendung: Zeit ist Geld. Sie hat sich eine Plausibilität verschafft, die über den Titel, der hier gewählt ist, Wundern auslöst. Seit Benjamin Franklins Mahnung (1748), dass Zeitverschwendung gleich Geldverschwendung sei, man also jenes Geld verliert, das man in einer bestimmten Zeitspanne hätte verdienen können, fällt es uns schwer, Überlegungen anzustellen, die einer anderen Perspektive nachgehen: Nämlich jener, die behauptet, dass das Geld Zeit bestimmt, sie strukturiert, ihr bestimmte Ordnungen aufzwingt, ihre psychologische Qualität mitformt; insbesondere in einer Zeit, in der es an Bedeutung gewinnt, wenn nicht überhaupt im Zentrum menschlicher Begierde und Organisation steht. Ich möchte den Versuch machen, dieser Perspektive nachzugehen, wobei natürlich nicht bloß das Geld als abstraktes Medium in den Blick zu rücken ist, sondern auch seine verschiedenen Erscheinungsformen, wie z. B. Kredite und Aktien, seine Organisiertheit im Zahlungsverkehr, in Banken und Börsen sowie schließlich auch seine Stellung als das zentrale Medium anonymer (indirekter) ökonomisierter Kommunikation. Vorerst aber noch einmal zurück zur bekannteren Wendung. Es ist deshalb wichtig, sich mit ihr ein wenig zu beschäftigen, weil ihr Verständnis für meine Themenstellung nützlich ist. Um es noch schärfer zu formulieren: Die „wesenhafte“ Verbindung von Zeit und Geld ist Voraussetzung dafür, dass Geld einen derartigen Einfluss auf unsere Zeit gewinnt. Nicht immer – und auch heute noch nicht in anderen Kulturen – gab es diesen „logischen“ Zusammenhang. Für die klassisch griechische Elite war die Muße eine der höchsten Güter und Geld bestenfalls dazu da, sie erreichbar zu machen und zu sichern. Muße, Freizeit als Gelderwerbsmöglichkeit anzusehen wäre ebenso wenig den Eliten eingefallen, wie sie in den Kategorien von Verschwendung anzusiedeln. Geld soll Überleben sichern und ökonomisch entlasten, darin liegt sein Zweck; es soll „Freiräume“ schaffen, die man für ganz andere Zwecke, die den Menschen gemäßer sind, nützen will, für Denken (Selbstreflexion), Theoriebildung, Weltbetrachtung, Glückserwerb. Hierzu gehört auch, die Frage nach dem Guten zu stellen, die im

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Alltagserwerb in tätiger Beschäftigung oft nicht zu Wort kommt. Freilich, für alle Menschen scheint Muße nicht möglich. Zu beschwerlich ist noch die Lebensbewältigung und so gibt es Sklaven und Herren. Die Zeit des einen ist das Geld des anderen. Es zu haben schafft Muße, es erwerben zu müssen deren Verlust. Agrarisch-feudalen Gesellschaften war diese Geld-Zeitverbindung ebenso fremd. Es gibt Zeiten, die muss man einfach vergehen lassen, im Vertrauen darauf, dass die Natur es wachsen lässt. Und es gibt Zeiten der Bodenbestellung und der Ernte, in denen man Zeit durch konzentrierte Arbeit verdichtet und erstreckt. Niemand hätte daran gedacht, diese Zeit des Vergehens und Wachsenlassens als vergeudete Zeit zu verstehen, nimmt die „Brache“ als ständigen Einkommensverlust. Allerdings, Reichtum gab es nur für wenige und die Zeiten der Arbeit waren hart. Meist war es auch ein anderes „Medium“, das die Gesellschaften verband und zusammenhielt und daher wichtiger war als Geld: Gott und die Religion. Die ihnen gewidmete Zeit war die wertvollste und in ihr konnte man nichts verdienen, eher umgekehrt durch Opfer, Spenden etc. nur Geld verlieren. Noch heute herrscht in manchen Gegenden sonntags Arbeitsverbot trotz ökonomischer Verlustmöglichkeit (etwa wenn durch Regen Heu verdirbt, das man hätte rechtzeitig einbringen können). Was ökonomisch „dumm“ ist, hat anscheinend immer noch eine höhere Wertschätzung und man wacht auch gegenseitig über sie. Geldverlust durch Zeitverschwendung wird nicht geahndet, sondern höher geachtet als irdische Tätigkeit in heiliger Zeit. Dennoch – unsere Neuzeit hat es bewiesen: Zeit ist doch Geld und nur wenn man sie als auszubeutende Ressource versteht, gibt es Fortschritt, Reichtum und die Entwicklung einer weltweiten Kommunikation (Weltgesellschaft). Damit aber diese innere (Wert-)Verbindung möglich wurde, mussten jene Weichen gestellt werden, die unsere Fahrtrichtung bis heute bestimmen. Sie verändern Geld und Zeit gleichermaßen. Die Religion verliert ihre allgemeine Verbindlichkeit (Reformationen, viele Wahrheiten mit Allgemeinanspruch nebeneinander) und kann daher die Gesellschaft nicht mehr zusammenhalten; schließlich endet sie in „privater“ Option. „Gottesnähe“ beschreibt nicht mehr einen Zustand gesellschaftlicher Würdigkeit und sie verliert an Prestige. Die Hierarchie (die „heilige“ Ordnung) wird säkular und profan: Ihr positionelles Kennzeichen ist der Unterschied des Einkommens oder des Geldbesitzes. Die alten Hierarchien waren „gottgeschaffen“ und hatten daher ihren Grund „außer sich“. Die neuen entstanden aus ihrem inneren Zweck, und ihn zu erreichen war an Arbeit und Leistung gebunden. Für sie bekam man Geld, wobei sie nach mehr oder weniger wertvoller Funktion aufgeteilt wurden. So konnte man mehr oder weni-

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ger verdienen und war daran für die anderen gesellschaftlich einordenbar. Einkommen und Geld wurden zum wichtigsten Medium von Zuordnung und Kenntnisnahme. Da es systemimmanent existierte, „greifbarer“ war als Gott in seiner prinzipiellen Transzendenz, hat es ihn in seiner systembegründenden Funktion abgelöst. „Geld regiert die Welt“, das ist keine Aussage von Menschen, die darüber moralisches Bedauern äußern, es ist vielmehr eine realistische Aussage über den „neuen Charakter“ des Geldes als zentrales ordnungsstiftendes Medium einer Weltgesellschaft, die sich eben „nur“ ökonomisch und technologisch organisieren kann. Um dieser neuen Rolle gerecht zu werden, musste sich aber auch das Geld selbst verändern. Als „reines“ Tauschmittel hatte es noch nicht diesen „göttlichen“ Charakter. Als „Maßstab“ anonymer ökonomischer Kommunikation war es zwar wichtig für Handel, Warentausch und der Aufhebung der Naturalwirtschaft, sein Charakter war aber eher der eines Instrumentes. Das heißt nicht, dass es nicht vielfacher Mystifizierung ausgesetzt war. Dies lag einerseits daran, dass man sich das „Wunder“ indirekter anonymer Organisation, also dass Fremde über Drittes miteinander verbindbar sind, zumindest emotionell schwer erklären konnte, andererseits auch daran, dass man die (Ausbau-)Möglichkeiten ahnte, die noch in ihm verborgen waren. Schon früh dient es außerdem als „Opfergeld“ der anonymen Kommunikation mit Göttern, Dämonen und Schicksalsmächten und war so nie bloßes Instrument für Realtausch. Es war dann aber schon ein „virtueller“ Tausch, der immer wieder in der Geschichte reaktiviert wurde. Sei es im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit durch den Ablass (Sündenvergebung durch Zahlung sowie Eröffnung des Eintrittes ins Paradies) – übrigens ein entscheidender Schritt zur „Heiligung“ des Geldes gegenüber der verzeihenden Gnade Gottes –, sei es in dem noch im menschlichen Verhalten auffindbaren Muster, sich Kommunikationen aller Art erkaufen zu wollen. Es war die generelle Aufhebung des Zinsverbotes, die Geld für seine neue Rolle tauglich machte, sowie seine Bindung an Leistung und bestimmte (Erwerbs-)Arbeit. Neben der Tauschfunktion wurde Geld selbst zur Ware und zum privaten Besitz. Diese drei Momente zeichnen modernes Geld aus und sind in ihrer Beziehung zueinander verantwortlich für jene Mediengestalt, die Fortschritt, Entwicklung von Reichtum und die neue gesellschaftliche Hierarchie und Prestigeordnungen ermöglicht.

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Strukturelle Affinitäten

Geld als Tauschmittel ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der Organisation anonymer, indirekter Kommunikation. Es garantiert grenzüberschreitenden Austausch von Waren und setzt in ihm Stämme, Völker, Staaten etc. miteinander in Verbindung. Die Bernsteinstraße und die Seidenstraße unterscheiden sich im Prinzip nicht wesentlich von der gegenwärtigen Globalisierung; Geld als Medium überschreitet alle nationalen und kulturellen Grenzen, auch wenn viele Nationen ihre Währung mit ihrer nationalen Geschichte und Identität verbinden. In seiner „reinen“ Vermittlungsgestalt ist Geld kultur- und „charakterlos“ und gerade diese Tatsache macht es zu einem völkerverbindenden Medium. Als Vermittelndes ist es ohne eigene Bestimmung und Gegenständlichkeit, gewissermaßen ein Nichts. Als solches steuert und gewährleistet es aber den „Fluss“ bestimmter Gegenständlichkeit, Handel und Warenfluss. Es ist maßgeblich für Prozess und Bewegung, in die Produkte und Waren damit versetzbar sind. Als Maß dieser Bewegung bleibt es sich selbst gleich und verändert sich in seinem Charakter nicht. Als Tauschmittel ist es also „unbewegter Beweger“; eine Definition, die Aristoteles dem Göttlichen zukommen ließ. Indem aber alles seinen Preis hat, d. h. in Geldwert ausgedrückt werden kann, gewinnt es eine Differenz zu sich selbst. Jeder handelbare Gegenstand, jede Ware hat nicht nur einen Gebrauchs- sondern auch einen Tauschwert. Das weiß man zwar längst, umso erstaunlicher ist es aber, dass man dem jeweiligen historischen Zustandekommen des Letzteren so wenig Aufmerksamkeit widmete. In ihm verbirgt sich nämlich unser Umgang mit der genannten Differenz, in ihm setzen wir unsere Axiome, die unsere Entscheidungen über die Gestalt indirekter Kommunikation beinhalten. Es ist auch eine Entscheidung, den Markt dafür zuständig zu erklären und diese geht ihm voraus. Lässt man ihn dann allerdings alles regeln, kann leicht geschehen, dass sie außer Blick gerät, im Verborgenen bleibt. Grenzüberschreitungen sind seit jeher ambivalent gesehen worden. Erst recht daher die Medien, die sie gestatten. Warenverkehr ist sowohl friedenssichernd, wie ausbeutender Wirtschaftskrieg. Grenzüberschreitungen schaffen sowohl mehr Möglichkeiten (mehr Reichtum und Variabilität – ein Hauptargument für den freien Warenverkehr des Neoliberalismus) als auch mehr Armut, vor allem bei jenen, die nicht gleichberechtigt in den „freien“ Markt einsteigen konnten. Man freute sich über die Güter aus fernen Ländern ebenso wie man die Händler verachtete. Ihre grenzüberschreitende „Bindungslosigkeit“ war für jede lokale Kulturidentität Gefahr und das auch daraus folgende Schicksal international verflochten. Händlertum ist insbesondere aus der Geschichte des Judentums herauszulesen. Händler hatten immer Kultur- und Normvergleiche zur Verfügung und

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Reisen relativiert zusätzlich den normativen Anspruch der jeweiligen Kulturen. Relativierungen dieser Art sind sowohl befreiend wie auch verunsichernd. Wo findet man Verankerung? Kulturlosigkeit ist sowohl Tugend als auch Mangel. Sie macht Weltgesellschaft möglich, verhindert aber auch die Ausbildung spezifischer „Individualitäten.“ Zeitordnungen, Zeitrechnungen sind kulturelle und soziale Konstrukte. Deshalb gibt – oder besser: – gab es so viele und so unterschiedliche. Zeitrechnungen setzten meist einen Begriff fest, der mit der Gesamtkultur zusammenhängt: Gründungsmythen („ab urbe condita“), Religionsstiftungen („post Christum natum“), einschneidende politische Ereignisse (der Versuch neuer Zeitrechnungen nach der Französischen Revolution 1789). Sie ordnen Arbeits- und Festzeiten, Tätigkeits- und Ruhephasen, sie strukturieren Jahr und Jahreszeiten; in manchen Kulturen setzen sie auch das voraussichtliche Zeitenende. Diese kulturell verankerten Zeitordnungen gelten uns teilweise auch heute noch, trotz aller Reduktion der Zeit auf ihren physikalischen Modellbegriff und die Vorstellung ihrer nach vorne unbegrenzten Linearität. Die Unterschiede innerhalb der Zeitordnungen stellten für den freien Warenverkehr immer schon ein Hindernis dar. Sie erschwerten Kommunikation und Kooperation. Es ist daher nicht verwunderlich, dass alle mächtigeren Handelsvölker an kulturübergreifenden Zeitordnungen interessiert waren. Das Geld als Tauschmittel setzt Produkte, Waren etc. in Differenz zu sich selbst und ermöglicht Tauschwertgestaltung. Dasselbe Produkt ist einmal mehr und einmal weniger wert. Die physikalische, kulturelle, weltweite Zeitordnung setzt alle eigenzeitlichen Ordnungen in eine radikale Differenz zu sich selbst. Sie müssen neu gestaltet werden, zum Teil werden sie auch aufgehoben. Damit gelangen wir zu einer interessanten Entsprechung. Die Zeit wird zu einem ähnlich abstrakten Medium wie es das Geld immer schon war. Indem es grenzüberschreitendes allgemeines Tauschmedium war und sich als Grundlage weltweiter ökonomischer Kommunikation durchgesetzt hat, musste es auch die Zeitordnungen nachziehen und sie ihres bestimmten Eigensinns berauben. Die Zeit selbst wird jetzt zu einem ähnlich abstrakten Medium wie das Geld. Eigentlich ist sie nichts Bestimmtes, es gibt sie gar nicht als Subjekt, sie ist in einem „reinen“ Prozess aufgehoben. Dieser hat mit Ausnahme von Messdaten auch kein „substanzielles“ Früher oder Später. Die Zeit wird zum leeren Prozess, so wie das Geld leeres Prozessmedium ist. Als solches, und um in ihm sichtbar zu werden und Geltung zu bekommen, ist es allerdings an einer ihm adäquaten Strukturierung von Zeit höchst interessiert. Geldgeschäfte aller Art laufen jedenfalls über Zeitstrukturierungen. Für sie

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eignet sich nicht jede Zeitordnung; tendenziell müssen daher diese außer Kraft gesetzt werden. Hier geht es manchmal ohne Gewaltsamkeiten nicht ab. Denn rückwirkend bestimmen die geldbedingten Zeitordnungen alle anderen (Laufzeiten von Krediten bestimmen Lebenszeiten).

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Zeitgestaltung durch Geld

Grenzüberschreitung in Handel und Wirtschaft macht Geld zu einem universalen Medium. Bereits in seiner Funktion als Tauschmittel fordert es zumal in seiner Globalisierung die ihm entsprechende abstrakte Zeit ein. Noch greifbarer wird uns die Zeitbestimmung durch Geld, wenn wir das Geld in seiner zweiten Gestalt betrachten. Geld ist nämlich nicht nur Maßstab des Warentausches, es kann selbst zur Ware gemacht werden. Man kann mit Geld handeln. Von dieser Möglichkeit wusste man seit eh und je, nahm aber höchst unterschiedlich zu ihr Stellung. In unserem europäischen Kulturkreis war der Handel mit Geld unter dem Titel „Wucher“ angeblich entweder überhaupt verboten oder nur in beschränktem Maße zugelassen. Geldgeschäfte sind zweifellos eine geniale Erfindung. Sie ermöglichen auf der einen Seite die „Vorwegnahme“ von Lebenszeiten und eröffnen auf der anderen dem Geldbesitzer Gewinn durch Reinvestition; er muss es nicht für sich behalten und horten, er kann es für andere zur Verfügung stellen. Beide Seiten gewinnen. Die eine, weil sie sich etwas leisten kann, was „normal“ eigentlich noch nicht an der Zeit ist, die andere, indem, ohne dass sie viel tun müssen, sich ihr Geldbesitz vermehrt. Die einen erleben eine Zeitverdichtung, die anderen eine Zeiterstreckung; sie können von den Zinsen leben, d. h., sie können warten, bis die nächste Rückzahlung erfolgt. Die Zulassung von Geldgeschäften greift daher radikal in unsere Zeitgestaltung ein. Wir erfahren uns in gewissem Sinn als „zeitmächtig“. Vorwegnahmen verdichten Lebenszeit in doppelter Hinsicht: Einmal, weil ich jetzt schon habe, was früher nur Zukunftstraum war, d. h., ich kann mehr oder weniger Zukunft in die Gegenwart hineinnehmen; zum anderen, weil ich intensiver fähig sein muss, Zinsen und Schuld zurückzuzahlen. Die Hereinnahme der Zukunft überstrahlt aber meist das Zweite und lässt die Entbehrungen, die man oft in Kauf zu nehmen hat, erträglicher werden. Die Rechnung wird selten nach Gewinn und Verlust gemacht; die Frage oft nicht gestellt, welchen Preis man für diese Vorwegnahme zahlt. Sie ist offensichtlich so faszinierend, dass man Verluste an Lebensqualität gar nicht sehen will. Vielleicht werden sie auch als Buße, Reue angesehen, die man abzuleisten hat, weil man sich „Glück“ durch Borgen verschafft hat.

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Geld gestaltet Zeitinhalte und -ordnungen und macht uns von ihnen abhängig. Dies in doppelter Form. Erstens werden Kredite zu einem bestimmten Zweck angenommen, der dann das Jetzt bestimmt (z. B. ein Hausbau). Nicht immer wissen wir vorher, was wir uns damit antun. Zweitens wird, wie schon erwähnt, unser nächstes Leben von der Sicherung der Schuldtilgung determiniert; man muss unter Umständen auf vieles verzichten; vielleicht auch auf sonst noch mögliches Glück. Die vielen Sagen, Balladen, Erzählungen über die Verbindung von Geld und Teufelspakt bringen m. E. diese Ausgeliefertheit drastisch zum Ausdruck. „Ging ich einen Schatz zu graben, meine Seele sollst du haben, schrieb ich hin mit eignem Blut.“ Meist ist der Teufelspakt befristet, wie jedes gute Kreditgeschäft. Einmal ist Zahltag und dann holt sich der Teufel die Seele ohne Erbarmen. Die Befristetheit bringt aber noch ein Weiteres ans Tageslicht. Der vom Teufel geliehene „Schatz“ verkürzt meist das Leben, das eigentlich sonst noch länger währen könnte. Ist dies nur der bösen Absicht des Teufels zuzuschreiben, der eben je früher, je lieber seine Seelen abholt, oder steckt hinter dieser Aussage noch ein anderer Hinweis? Vielleicht jener nach Verdichtung und Beschleunigung oder der nach dem Unterschied von Zeitgestalten und Zeitlassen. Geld schafft Gestaltungsmöglichkeiten und eröffnet uns Tätigkeitsfelder. Diese wollen in einer bestimmten Zeit untergebracht werden. Es soll sich ja alles möglichst bald amortisieren. Das Geld wurde ja deshalb aufgenommen, weil ich jetzt haben will, was ich sonst erst nach länger vergehender Zeit haben könnte – wenn überhaupt. D. h., das Jetzt, die nächste Zeitspanne muss „verdichtet“ werden bzw. verdichtet sich selbst. Das aber wissen wir alle aus eigener Erfahrung: Diese Zeit vergeht schneller als jene, die wir (verstreichen) lassen, nicht ausfüllen und gestalten. Auch wenn unsere Lebenszeit die gleiche sein mag, im ersten Fall vergeht sie subjektiv schneller. Da weiters die Zukunft schon vorweggenommen ist, im Jetzt sich kulminiert, gerät sie aus dem Blick. Kurzfristigkeit tritt an die Stelle von Langfristigkeit. Wo immer schnellerer Geldumsatz und schneller Gewinn verlangt werden (Befriedigung der Ansprüche des shareholder value) ist fernere Zukunft kein Thema. Und weil die Gegenwart ständig verdichtet wird, beschleunigen sich in ihr die Abfolgen. Die „Befreiung“ des Geldes zur Ware, so könnte die These lauten, ist vor allem dort, wo die technologischen Voraussetzungen geschaffen sind, ständiger Anlass zur Zeitverdichtung und damit ein solches der Beschleunigung der Prozesse in ihm. Aber wohl noch aus einem anderen Grund sind Zinsen das „Geschäft mit der Zeit“ des „Teufels“. Nicht bloß, weil sie die Macht über die Zeitgestaltung zumindest teilweise Gott aus der Hand nehmen, sondern weil sie Zukunftssinn und -glück auf gegenwärtig Machbares reduzieren. Damit wird nicht nur das Jenseits

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obsolet, das Glückserfüllung, zumindest „gerechten Lohn“ verspricht – es besteht die Gefahr, dass unser Leben jegliche (Selbst-)Transzendenz verliert.

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Die Ökonomisierung der Zeit

Die Bindung von Geld an Arbeit, Einkommen an Leistung ist nicht so selbstverständlich, wie sie uns erscheint. In der uns bekannten Form ist sie erst einige hundert Jahre alt und das auch nicht überall; konsequent vollzogen eigentlich nur in den hochindustrialisierten Gesellschaften. Das Einkommen, die Höhe unseres Gehaltes, bewerten Arbeit und Zeit. Sie lassen Erwerbsarbeit von allen anderen Tätigkeiten, die oft nicht weniger wichtig sind (Hausarbeit, Pflege, Erziehung usw.), unterscheiden und sie hierarchisieren sie in sich. Und sie messen die gleiche Zeit mit unterschiedlichem Maß. Die gleiche Zeit ist einmal mehr wert, einmal weniger. Zeit, für die man nichts bezahlt bekommt, ist entweder wertlos (Arbeitslosenzeit, Muße, Müßiggang) oder sie muss aus anderen Quellen ihren Wert erhalten (meist moralisch: aus der „Ehre“, Nächstenliebe, Humanität). In Zeiten, in denen wie jetzt bei uns, das ökonomische Denken und sein System alle anderen dominiert, spitzt sich dieser Unterschied in der Zeit zu. Sollen und können auch letztgenannte Tätigkeit ökonomisiert, monetarisiert werden oder muss man moralisch „aufrüsten“, um sie attraktiv zu machen, oder auch nur, um sie am Leben zu erhalten? Was geschieht mit ihnen, die, wie es so treffend heißt, „um Gottes Lohn“ erbracht werden, in einer Zeit, in der Gott durch Geld ersetzt wurde? Mehr Wertschöpfung ist seit der Industriellen Revolution an produktive Arbeit gebunden. Auch wenn man heute noch so oft versichert, dass wir in eine Dienstleistungsgesellschaft übergehen, können die wenigsten „Dienste“ sich aus sich selbst finanzieren. Letztlich werden auch sie von produktiver Arbeit erhalten, sei es in direkter Verbindung mit ihr als technologische Koordinations-, Informations- und Organisationshilfe, sei es in indirekter Abhängigkeit über Transferleistungen. Solange an der inneren Verschränkung von Geld/Arbeit/Zeit nicht etwas Grundsätzliches in ihrer Axiomatik geändert wird, werden wir uns „Dienste“ nur begrenzt leisten können. Im Sinne einer Befolgung betriebswirtschaftlicher Kalküle muss daher auch jedes Unternehmen darnach trachten, möglichst viel Zeit in produktive Arbeit zu stecken, denn diese bringt Profit und letzterer beruhigt die Aktionäre. Der in letzter Zeit sich zuspitzende Verdrängungswettbewerb verringert Margen und Gewinnspannen; also müssen die Kosten reduziert werden. Neben der gängigen Praxis, sich auf eine Senkung der Personalkosten zu konzentrieren, ist auch die Ressource Zeit ein beliebter An-

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gelpunkt. Wer Geld verdienen will, muss daran interessiert sein, dass möglichst viel von ihr in produktive Arbeit fließt. Profit-Machen heißt Zeitordnungen verfügen und ihnen spezifische Inhalte zuteilen. In Wirtschaftsunternehmen führt dies zu Konsequenzen auf mehreren Ebenen. Innerorganisatorisch werden klare Bereichshierarchien geschaffen; immer häufiger wird darnach gefragt, wer denn eigentlich das Geld verdient. Produktion und Vertrieb können sich hier zweifellos leichter in den Vordergrund spielen als Personal und andere, meist zentrale „Servicebereiche“. Letztere geraten unter Rechtfertigungszwang. Auch sie müssen beweisen, dass sie „produktiv“ tätig sind. Manchmal führt dies in eine pseudoproduktive Hektik, die ihre Tätigkeit zwar unübersehbar macht, sonst aber weiters keine Auswirkungen hat. Dass diese Entwicklung Grenzen hat, Einseitigkeit sich mit der Zeit immer selbst widerlegt, ist an allen Ecken und Enden bemerkbar. Ich erspare mir hier den näheren Nachweis und beschränke mich auf eine grundsätzliche Problematik. Geld hat in sich selbst kein Maß und keine Grenze. Es eignet sich bestens als Medium für Maßlosigkeit. Wo es zur Ware wird und noch dazu in privatunkontrollierbare Hand kommt, wird Grenzenlosigkeit ständig vor Augen geführt; wo sein Erwerb und sein Besitz das höchste Maß an Glücksmöglichkeiten verspricht – mein „Vermögen“ bestimmt, was ich vermag –, ist niemandem zu verübeln, dass er auf schnellen Gelderwerb abzielt, der, wie schon Aristoteles sagt, die Befreiung des Geldes zum Zins und zum Privaten schafft und unstillbares unendliches Begehren nach sich zieht. Erst ausreichender Geldbesitz lässt die Zahl unserer Bedürfnisse wachsen und sie scheinen ebenso ins Unendliche zu gehen wie das Geld. Was aber dem Geld an innerem Maße fehlt, das erhält es in seiner Anbindung an Arbeit und Zeit. Es ist geregelt, wie man zu Geld kommt, was man dafür tun muss, was in ihm Wert bekommt. Gelderwerb ist in unserer Neuzeit primär an produktive Arbeit gebunden. Hinter dieser steht als Resultat ein Produkt. Industrie und Technik schaffen dieses Produkt und mit ihm Mehrwert, indem es gewinnträchtig verkauft wird. Produktive Arbeit wird daher meist am technologischen Modell begriffen, in input/output-Relationen gemessen. In der Verbindung von Geld, produktiver Arbeit und Zeit dominiert dementsprechend eine technomorphe Modellvorstellung, für die sowohl die rechnerischen Möglichkeiten des Geldes gut tauglich sind, aber auch ein Zeitbegriff, der physikalisch reduziert ist (selbst gemessen mit einer Maschine, mit der Uhr). Der Wunsch, in kurzer Zeit zu mehr Geld zu kommen (und dieser findet sich nicht nur bei Aktionären und Fondbesitzern, sondern auch bei Sparbuchinhabern), setzt damit ein internales Karussell in Gang. Es fordert eine Steigerung produktiver Arbeit (individuell und kollektiv), womöglich in den

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gleich gemessenen Zeiten. Das Problem endet aber nicht damit, dass man Geld erworben hat und es nun besitzt. Das „unendliche Begehren“ verlangt nach mehr, zumindest aber nach Absicherung. Es soll selbst „arbeiten“. Das kann es aber nicht bloß mit sich selbst, auch wenn Spekulationen so manche Luftblasen erzeugen und die Finanzgeschäfte sich von den Realmärkten und ihren Warenströmen abzukoppeln scheinen. Es schafft jedenfalls dann an sich mehr, wenn es reinvestiert wird, also wiederum zurückgebunden an produktive Arbeit. Damit schließt sich der Kreis, der aber notwendigerweise zu einer Beschleunigungsspirale führt. Man muss schneller werden, wenn man in der gleichen Zeit mehr will.

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Entkoppelungen

Dass Geld, Gelderwerb und seine Verbindung mit bestimmter Arbeit zu der beschriebenen Zeitbestimmung führt, hoffe ich ausreichend beschrieben zu haben. Dass uns Letztere nicht nur angenehm sein kann, wird den Ausführungen zu entnehmen sein. Wie aber könnte es uns gelingen, die Verdienste des Kapitalismus einerseits anzunehmen und zu genießen, andererseits uns nicht von ihm mit Haut und Haar auffressen zu lassen? Aus der bisherigen Argumentation, so sie tragfähig ist, ergeben sich dafür einige Ausblicke. Sie kreuzen sich alle in einer Forderung: Die bisher dominante Verschränkung zwischen Geld, Arbeit und Zeit müsste aufgehoben, zumindest relativiert, d. h., auf den Sektor beschränkt werden, für den sie eigentlich „erfunden“ wurde; d. i. die technologisch-industrielle Produktion und die mit ihr verbundenen Dienstleistungen. Aber selbst in ihr wird man Faktoren zur Geltung bringen müssen, die jetzt noch einen untergeordneten Platz einnehmen (so genannte „unproduktive Tätigkeiten“, „soft facts“). Als erstes stellt sich im Weiteren die Frage, womit das Geld sonst noch Verbindung haben könnte, haben sollte; wie andere Bereiche unseres Lebens eben auch anders „bewirtschaftet“ werden könnten. Da ist einmal das Thema der Monetarisierung neuer Bereiche, das gut überlegt werden sollte. Wie können Tätigkeiten, die bisher aus dem Erwerb ausgeschlossen waren, „Einkunftsquelle“ werden, wie werden sie finanziert, ohne wiederum nur über Transferleistungen vom produktiven Sektor abhängig zu sein und von einer Politik, die ohnehin primär daher „Wirtschafts- und Finanzpolitik“ ist. Brauchen wir vielleicht einen zweiten Geldkreislauf? Jedenfalls wird es ohne Neubewertungen nicht gehen. Das zeigt deutlich die eben erreichte Grenze der Industrialisierung von Landwirtschaft. In ihr kann nicht alles produktiver Arbeit unterworfen und damit messbar gemacht werden. Man muss auch die Natur „tätig“ sein

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lassen. Soll auch sie bezahlt werden? Nicht nur als „Roh“stoff, sondern als „Mitarbeiterin“? Oder, um am anderen Pol fortzusetzen: Was ist mit Ästhetischem? Das Schöne ist nicht besonders produktiv und kostet überdies Geld. Wieso konnten es sich ärmere Gesellschaften leisten, während wir uns offensichtlich an hässlichere Stadtbilder bereits gewöhnt haben? Soll Kunst ausschließlich nur durch Management und Marktfähigkeit ihr Überleben sichern? Technologie und Industrie sind an die globale Finanzwirtschaft gebunden, selbst zur Globalisierung verurteilt. Diese schreibt bestimmte Gesetze vor. Unter anderem gefährdet sie regionale Wirtschaftsmöglichkeiten, weil diese einfach teurer sind. Auch hier stellt sich die Frage einer partiellen Abkoppelung. Viele regionale Möglichkeiten verkommen, weil sie sich nicht mehr rentieren. Damit verkommen aber Regionen insgesamt und es ist die Frage, ob wir so einfach auf sie verzichten wollen. Vielleicht brauchen wir trotz aller Liberalisierung doch auch kleinere „geschützte“ Räume, in denen über Wirtschaftsmöglichkeiten auch solche kultureller Identitätsbildung wiederum stattfinden. Tauschringe, Talente – es gibt Ansatzpunkte einer regionalen wirtschaftlichen Selbstorganisation, die man nicht einfach verächtlich beiseite schieben, sondern näher ansehen und fördern sollte. Es geht nicht um eine romantische, mehr oder weniger liebenswerte „Kleinhäuslerei“, sondern um die viel wichtigere Problematik, wie im globalisierten Allgemeinen und Einerlei, Besonderes, Eigen-Sinniges überhaupt noch Platz haben kann. Eine weitere Form der Abkoppelung, die ohne Erfolg schon länger diskutiert wird, ist die Einführung eines Grundeinkommens. Der Widerstand dagegen – erst kürzlich (2006) durch unseren Herrn Bundeskanzler in unnachahmlich entwertender Art („eine Idee, die längst der Vergangenheit angehört“) negiert – zeigt unsere ideelle Borniertheit. Wir können es uns einfach nicht vorstellen, dass der Mensch „nur“ für seine Existenz bezahlt bekommt, ohne dass er produktiv arbeitet. Obwohl, wie Untersuchungen zeigen, dieses Grundeinkommen wirtschaftlich durchaus leistbar ist, wenn ein praktischer Wille vorhanden wäre, hört man immer nur zwei Gegenargumente. „Wer soll das bezahlen und wer wird dann noch arbeiten?“ Als ob die Menschen alle faul wären und mit dem Grundeinkommen alle Arbeit wie die Pest flüchteten. Die Angst davor ist so groß, dass man hier bereits für jede weitere Argumentation taub wird. Insofern ist sie auch nicht ganz unberechtigt, weil sie zum Umdenken zwingt, aus dem herrschenden ökonomischen (ideologischen) Paradigma herausführt. In unserem System ist es tatsächlich nicht ganz ungefährlich, würden Menschen in die Lage versetzt, sich eigenständig überlegen zu können, ob sie arbeiten und vor allem

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auch was. Die Frage ist nur, ob das gegen das Grundeinkommen oder gegen unsre Arbeitsgesellschaft spricht. Die letztgenannte Entkoppelung hätte für unser Thema wohl die interessantesten Auswirkungen. Zeit wäre nämlich einen Teil ihrer Bestimmung durch Geld los. Sie bekäme damit eine völlig andere Qualität und wäre für vieles nützbar, woran jetzt gar nicht gedacht werden kann; eben weil man arbeiten muss, um Geld zu verdienen, um zu überleben. Mit dieser Zeit würden wir uns selbst wahrscheinlich die größte weltgeschichtliche Überraschung bereiten und davor haben wir mehr Angst als Erwartungsfreude. Schließlich sind unsere Arbeitsgesellschaft und ihre Organisation eine ständig wirksame Selbstdisziplinierungsmaßnahme, unter die wir uns stellen; wenn sie partiell wegfällt – wer weiß was passiert! Schließlich war unsere bisherige Entwicklungsgeschichte nicht sehr darauf aus, uns in einen solchen Zustand „arbeitsloser Existenzfähigkeit“ einzuüben. Dennoch wäre es eines Experimentes wert; ohnehin ist es unmöglich, dass alle plötzlich nicht mehr arbeiten. So viel Einsicht traue ich den Menschen schon zu, dass sie weiter an ihrem Überleben interessiert sind und dies bedeutet nun einmal auch, dass produktiv gearbeitet werden muss. Die Frage ist nur, wieviel und wann; darüber hinaus kann auch der Wert anderer Tätigkeiten einen neuen Stellenwert bekommen. Für gesamtgesellschaftliche Belange und vor allem für das Weiterbestehen der Demokratie ist aber die Zeit, die gewonnen wird, unverzichtbar. Schließlich wissen wir alle, wieviel Zeit konkrete Demokratie oder Partizipation braucht. Auch wieviel Mühe wir aufwenden müssen, um sie immer neu zu lernen und zu verwirklichen. Die bisherige Geldbestimmung der Zeit, soviel mag aus dem Bisherigen als Resultat abzuleiten sein, verhindert ihren Einsatz für Politisches überhaupt. Im Kern ist sie daher auch demokratiefeindlich.

Aldo Haesler

Die Erfindung des Positivsummenspiels

Geldsoziologie als Gesellschaftstheorie Die Relevanz des Geldes für die Erklärung der Entstehung der Moderne wird immer bedeutender. Spätestens seit Goethe umkreist das neuzeitliche Denken dieses Unding – rastlos (und zumeist auch ratlos). Unzählig die Opuskel, die sich immer wieder daran heranwagen – bis hin zum opus magnum, der Simmelschen Philosophie des Geldes (1900). Es ist aber nicht die „metaphorologische“ Essayistik über Gott und das Geld, welche diese Relevanz präzisiert, sondern die nüchterne und zumeist auch empirisch informierte Forschung. Dennoch bleibt die Geldthematik ein paradoxer Magnet. Sie zieht unablässig an, und plötzlich verwirft sie – die Erklärung, das Argument – mit grösster Heftigkeit. Die Erfahrung, die jeder Geldforscher einmal gemacht hat, ist immer dieselbe: Beinahe hätte er geglaubt, ins Herz der Moderne vorgestossen zu sein, und am Ende fragt er sich, ob er irgendetwas Neues an Goethes Genius hinzugedichtet hat. Die Thematik ist nicht nur ungemein schwierig, sie ist und bleibt insgesamt frustrierend.1 Dass jedoch Fortschritte möglich sind und diese Fortschritte sehr oft aus entlegenen Forschungsregionen stammen, zeigt der Philologe Eske Bockelmann in seinem Werk Im Takt des Geldes (2004). Am Beispiel der „Erfindung“ des Taktrhythmus, die anhand Descartes’ Musicae Compendium (1618) genau datiert werden kann, zeigt er, wie letztlich nur die neue, durch die Erfindung des abstrakten Geldes bewirkte, moderne gesellschaftliche Synthesis imstande war, ein dermaßen tiefliegendes Apriori wie die Rhythmus-Wahrnehmung vom traditionellen mensuralen zum modernen Taktrhythmus zu verändern. Wie nun von den Veränderungen der Mikrostrukturen der Taktwahrnehmung auf die moderne Gesellschaftsformation geschlossen werden kann, ist ein begrifflicher Spagat,

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Sinnvoll wäre die Abfassung einer Schrift, welche die Hundertschaft solcher Einkreisungsversuche synthetisieren würde. Um hier nur einige, versplitterte, Beispiele zu geben: Ich denke zunächst an die historischen Arbeiten angelsächsischer Provenienz über Jean-Christophe Agnew (1979), zu Daniel Gordon (1994) bis Richard Seaford (2004); an die Wucherzins-Debatten (Benjamin Nelson, Bartolomé Clavero), die nie zu Ende geführt wurden; an die Arbeiten eines Simon Smelt (1978) oder eines Jean-Joseph Goux (1984).

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den auszumessen Bockelmanns Arbeit ein faszinierendes Forschungsprogramm abzeichnet. Er selbst gibt zu, dass es dabei wohl noch viel zu tun gibt. Lange Zeit befürchtete man, dass Alfred Sohn-Rethels Herleitung der neuzeitlichen Denkform(en) aus der Warenform, welche in den 70er Jahren für Aufsehen gesorgt hatte, ein halbleeres Versprechen bleiben sollte. Es hatte einige geistesgeschichtliche Arbeiten dazu gegeben,2 aber abgesehen von etwas versplitterten Versuchen, blieb Sohn-Rethels erkenntistheoretische Hypothese auf der Strecke. Nun ist mit Bockelmann wieder Bewegung in diese Thematik eingetreten. Die moderne Denkform wird dabei nicht mechanisch, wie bei SohnRethel, aus der Tauschabstraktion „abgeleitet“, sondern in eine gesellschaftliche Synthesis eingebettet, deren Universalmedium das moderne, entstofflichte (nicht-inhaltliche), Geld ist; eine Synthesis, die bis tief hinab in unsere kognitiven Strukturen reichte und von diesen Strukturen sozusagen naturalisiert würde. Wir kämen damit zum erkenntnistheoretischen Programm des späten Durkheim zurück, wonach nicht nur die Inhalte des Denkens gesellschaftlich bestimmt sind, sondern die Form des Denkens selbst; dass somit die transzendentalen Aprioris (Raum, Zeit, Kausalität, Modalität) nicht naturgegeben, sondern gesellschaftsspezifisch sind. Damit würden wir auch Georg Simmels Argument der durch Entstofflichung bewirkten Universalisierung dieses Mediums überwinden und kämen zur genaueren Befragung des Verhältnisses zwischen Geld und gesellschaftlicher Synthesis.

Vom Nullsummen- zum Positivsummenspiel Wir wollen im Folgenden von einer Intuition ausgehen, welche der französische Anthropologe Louis Dumont in seinem letzten großen Werk Homo Aequalis I (1979) andeutete, jedoch nicht mehr konsequent ausformulieren konnte. Dumont zufolge ist der fundamentalste Wandel, der sich zwischen Tradition und Moderne vollzog, ein semantischer. Er betrifft den Begriff des Tausches. Unterlagen alle traditionellen Gesellschaften der Vorstellung, wonach der (wirtschaftliche) Tausch ein Nullsummenspiel darstellte, so ist die zu Mitte des 17. Jahrhunderts eintretende Vorstellung des Tauschs als Positivsummenspiel ein semantisches Novum, das bis anhin undenkbar gewesen war. Anders also als 2

Erinnert sei an Rudolf Wolfgang Müllers Habilitationsschrift (1977), an die Arbeiten Christine Woeslers (1978) und Klaus-Dieter Oetzels (1979), die aber allesamt ohne Anschluss blieben. Gerade nur auf literaturtheoretischer Ebene, dank Jochen Hörisch unablässigen Bemühungen, wurde an Sohn-Rethels Hypothese weitergearbeitet, so im zuletzt mit Rudolf Heinz veröffentlichten Sammelband (2005).

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Bockelmanns Taktrhythmus, der unbemerkt und radikal auftrat, wird hier eine Wende vollzogen, die sehr wohl in den ersten ökonomischen Lehrbüchern – wenn nicht reflektiert, so doch dogmatisch – ihren Niederschlag gefunden hat, in der Geistesgeschichte jedoch höchst selten beachtet wurde. Es geht hier nicht darum, Dumonts Intuition gegen Bockelmanns Entdeckung auszuspielen; es wäre vielmehr reizvoll, beide Hypothesen miteinander zu verbinden, um so den Spagat etwas zu schließen. Louis Dumont geht es in seinem Buch um Genese und Entwicklung der „ökonomischen Ideologie“, die er für die Leittheorie des neuzeitlichen „Individualismus“ hält.3 Entlang einer genauen Lektüre der ökonomischen Dogmengeschichte zeichnet er nach, wie Zug um Zug diese Ideologie sich von ihren politischen, kulturellen und ethischen Verankerungen losgelöst hat, um schließlich zur eigentlichen Naturgeschichte der Moderne zu werden. So kommt er auch auf die Entwicklung des Freihandels zu sprechen und bemerkt, dass schon die Merkantilisten einen markanten Unterschied zwischen Außen- und Innenhandel machten. Hier nun die für uns zentrale Passage: „Um dies näher zu betrachten, müssen wir von einem fundamentalen ideologischen Wandel ausgehen, der in dieser Periode stattfand. Die primitive Idee war, dass im Handel des einen Vorteil des Anderen Nachteil bedeutete. Diese Idee war weitverbreitet und kam selbst einem so scharfsinnigen Denker wie Montaigne spontan in den Sinn. Ich bin versucht, dieses ideologische Basiselement ein ‘Ideologem’ zu nennen, das mit der für traditionelle Gesellschaften charakteristischen Missachtung des Handels im Allgemeinen und des Geldes übereinstimmt. Den Tausch als für beide Parteien vorteilhaft zu betrachten ist ein fundamentaler Wandel, denn er signalisiert die Herausbildung der ökonomischen Kategorie.“ (1979: 45) Dumont beabsichtigte, seinem Homo Aequalis I einen zweiten Band nachzuführen.4 Es kam nicht dazu. Vereinzelt wurde seine Intuition weitergeführt, wie

3 Man muss sich vor Augen halten, dass der Indianist Dumont diese Geschichte aus der Perspektive des Komparatisten betrachtet. Am Beispiel der indischen Kastengesellschaft prüft er die Bedingungen, die notwendig waren, damit ein auf Gleichheit basierendes Gesellschaftssystem Bestand haben kann. Seiner Dichotomie „Individualismus vs. Holismus“ entspricht die Dichotomie „Primat der Mensch-Mensch- vs. Primat der Mensch-Waren-Beziehungen“, was soviel heisst, dass ein Gesellschaftssystem, welches die Gleichheit seiner Mitglieder fördern möchte, seinen Bestand nur dann erhalten kann, wenn diese Mitglieder in verdinglichten Beziehungen zueinander stehen. 4 Zwar publizierte er einen zweiten Band, der auch den Übertitel Homo Aequalis II (1991) trug, doch beinhaltet diese Aufsatzsammlung lediglich verstreute Artikel zur „deutschen Ideologie“, in denen er auf das wechselreiche Schicksal der deutsch-französischen Ideengeschichte zurückkommt. Hatte der erste Band mit Marx abgeschlossen und ließ hoffen, dass er mit der Diskussion der modernen

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bei Pierre Rosanvallon (1979), doch niemals in einem systematischen, tauschgeschichtlichen Rahmen. Es ist hier nicht der Platz, diese Diskussion aufzunehmen; wir werden uns daher nur mit notgedrungen spärlichen Ausführungen begnügen müssen. Soviel steht fest: Es hat einen ganz klaren Bruch in den Tauschkonzeptionen gegeben; ein Bruch, der nicht zufällig, wie viele andere Brüche auch, am Ende des „langen 16. Jahrhunderts“ (1450-1620) stattgefunden hat. Wie der Taktrhythmus kann er ziemlich genau datiert werden. Während noch zu Beginn des Jahrhunderts Montchrestien – einer der Begründer des Wortes „politische Ökonomie“ – den Händler und seine Gewinne wie zu Aristoteles’ Zeiten als Ausgeburten der puren Chrematistik verdammte, erscheinen sie schon 1675 in Savarys Parfait négociant als Agenten der Vorsehung und der Fülle – providentia et fortuna. Plötzlich ist der Händler keine „ausgehungerte und gierige Laus“ (Montchrestien) mehr, sondern wird geradezu zum Inbegriff einer neuen Reichtumsquelle.5 Dass des Einen Vorteil nicht mehr des Anderen Nachteil ist, sondern ihm potentiell auch einen Vorteil bescheren kann, entspricht einer vollständig anderen Gesellschaftslogik als der traditionellen. Wollten wir die Gesellschaftslogik der vormodernen, traditionellen Gesellschaften auf einen Nenner bringen, so dürfte wohl Anaximanders vielzitierter „Satz“ eine ganz hervorragende Stelle einnehmen: „Woraus aber die Dinge ihre Entstehung haben, darin finde auch ihr Untergang statt gemäss der Schuldigkeit. Denn sie leisten einander Sühne und Busse für die Ungerechtigkeit, gemäss der Verordnung der Zeit“. (Mansfeld 1983) Vielleicht ist dieser Satz nur schon deshalb als „Ursatz“ der abendländischen Philosophie in der Dogmengeschichte zelebriert worden, weil er in sich die gesamte Synthesis der traditionellen Gesellschaftsformationen einschliesst. Auf den einfachsten Nenner gebracht können sämtliche Züge dieser Synthesis (limited-goods-Konzept, die „grosse Kette der Wesen“ [A.O. Lovejoy], die kosm[et]ische Ordnung der Dinge, der Sozialholismus usf.) auf ein Kompensationsprinzip zurückgebracht werden, welches die Zirkulation der Dinge und Menschen ordnet. Dabei handelt es sich nicht um eine zeitlich bestimmte OrdDogmengeschichte die Entwicklung dieses „Ideologems“ weiterziehen würde, so vereitelte das frühe Hinscheiden Dumonts dieses Projekt. 5 Die Wucherzinsdebatte ist dabei ein klarer Indikator. Wie schon Benjamin Nelson (1949) gezeigt hatte, kann an ihr ideologisch abgelesen werden, wie sich eine „tribal otherhood“ in eine „universal otherhood“ verwandelt. Es geht dabei sowohl um die Tatsache, dass die Zeit nicht mehr ein göttliches, sondern schlicht ein Marktgut darstellt, aber auch darum, dass das von Aristoteles verschriene Unding par excellence, der Geldzins (gr. tokos, das Sichselbstgebährende), nicht nur in allen seinen Bezügen legitim wird, sondern zum eigentlichen Nerv des Marktes wird.

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nung, sondern um eine die Zeit selbst bestimmende Ordnung. Auf die zahllosen Interpretationsversuche dieses ersten Fragments abendländischen Denkens kann wiederum nicht eingegangen werden. Entgegen Heideggers verstiegener (Holzwege-)Uebersetzung verweise ich auf die subtile Diskussion Gottfried Heinemanns (Heinemann 1987), dessen Verständnis der „Verordnung der Zeit“, d.h. von Dikès Uhr, uns sehr nah an die Bockelmann’sche Rhythmusthematik heranbringt. Denn die aus dem apeiron (aus dem Unbestimmt-Seienden, dem „Taktlosen“) urgierten „Dinge“ bezahlen ihr Sein mit dem Entschwinden anderer Dinge nach einer Verordnung, welche die Zeit nicht vorgibt, sondern die Zeit im eigentlichen Sinne erst schafft. Die Kompensation ist also material bestimmt, d.h. jedes „Ding“ hat seine eigene Zeitlichkeit: Die Sühne (oder ihr Gegenteil, die Schöpfung) kann anderntags, aber auch viele Generationen später geschehen. Obwohl die Menschheit nie und niemals mehr eine solche Vielfalt soziokultureller Ausgestaltungen erleben durfte, beruht das gesamte soziale, ideologische, ja metaphysische Rahmenwerk traditioneller Gesellschaften auf dieser simpel anmutenden Formel: Jedem Ding, jedem Mensch, jeder Handlung entspricht ein Reziprokes, dem es sein Entstehen und seine Geltung verdankt; simpel wahrlich nur, wenn man von einer mechanischen Zeit ausgeht. Denn die gesellschaftliche Synthesis traditioneller Gesellschaften, die Ordnung der Dinge, Menschen und Handlungen, kann mit einer Fülle verschieden funktionierender „Uhren“ verglichen werden, deren „Takt“ zwar immer Kompensation schafft, jedoch ohne vorhersehbare, planbare Aussicht. Wenn also etwas etwas kostet (Bockelmann 2004: 177) und diese Entsprechung Geld und Ware begrifflich setzt – als reziproke Bestimmung des einen auf das andere –, so macht es einen mächtigen Unterschied, ob diese Bestimmung zeitlich festgelegt werden kann wie in der Moderne, oder ob sie selbst den zeitlichen Rahmen abgibt, in welchem eine Sache gegen eine andere Sache getauscht wird. Es ist also nicht das Wertverhältnis, wie z.B. der „gerechte Preis“, welches ein Ding auf eine Wertbasis bezieht – so die banale Sicht traditionaler Preisberechnungen nach dem iustum pretium –, sondern ein Zeitverhältnis: Um zur Ware zu werden, muss unter modernen Bedingungen das Ding in absehbarer Zeit gegen Geld ausgetauscht werden können; unter traditionalen Bedingungen bleibt es ein Ding, auch wenn der zeitliche Horizont der Transaktion verständlicherweise sehr kurz sein kann.6 Klar wird, dass die Denkform 6

Wogegen wendet sich mein Argument? Im Grunde genommen nur gegen die Retrojektion moderner Zeitbestimmung auf traditionale Zustände. Es geht hier viel weniger um die Differenz zwischen einer mechanischen und einer „materialen“ Zeit – wie sie z.B. in Max Webers Musiksoziologie

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nicht von der Warenform „abgeleitet“ werden kann, insofern die Warenform selbst sich einer veränderten Zeitlichkeit verdankt. Hier endet Sohn-Rethels Erkenntnistheorie; oder vielmehr: Ihm kommt zwar die Idee zustatten, Erkenntnis anders als kritizistisch hergeleitet zu haben, doch jetzt muss der Horizont geöffnet werden, von der Warenform zur eigentlichen Frage nach der gesellschaftlichen Synthesis. Ein anderes Element kommt hinzu, wenn wir diese Synthesis genauer umreißen wollen. Bis jetzt haben wir nur die Zeitperspektive angedeutet. Raum ist leichter zu denken als Zeit. Doch dieser Denkkomfort beinhaltet das Risiko, wieder einmal am Wesentlichen vorbeizugehen. Die Perspektive ist sicherlich ein modernes Motiv. Es hat Malerei, Skulptur und Architektur beeinflusst. Andererseits eröffnet der unendliche Fluchtpunkt der Perspektive eine Raumkonzeption, welche die astronomischen „Entdeckungen“ des 16. Jahrhunderts praktisch in die Wirklichkeit überführen.7 Auch hier eine onto-semantische Wende, die, wie bei der Zeit, durch vorschnelles Folgern banalisiert werden kann. Vom „geschlossenen Kosmos zum unendlichen Universum“ (A. Koyré), vom geozum heliozentrischen Weltbild, vom allgegenwärtigen Gott zum deus absconditus weist der Rote Faden auf eine kosmologische Revolution hin, welche das antike (zweidimensionale) Weltbild zerrüttet. Das Verlassen Gottes, die „unendliche Einsamkeit“ im Weltall (Pascal), die Zerstörung der „great chain of being“ sind dramatische Ereignisse im höchst fragilen Selbstverständnis der Neuzeit. Wie Hans Blumenberg exemplarisch zeigte, hat sich die Menschheit nur mit dem Rücken an der Wand und sehr zögernd aus dem traditionellen Weltbild herausgelöst. Diese Dramatik wurde jedoch dadurch entschärft, dass diese neue Unendlichkeit materiell positiviert wurde. Anstelle der beschützenden Nische des Kosmos finden wir die mundi infiniti des Giordano Bruno, d.h. die Absage an die „limited-goods“-Konzeption und die Verheißungen einer unendlichen abundantia; an der Stelle des allgegenwärtigen Gottes finden wir den Glauben „als Privatangelegenheit“ (D. Claessens) und die Positivierung der Individualientfaltet wurde – , sondern um die Bestimmung von Zeitlichkeit als solcher. Es ist eine völlig andere Zeit, die mechanisch oder material-zyklisch in Erscheinung tritt. Die ganze Argumentation wendet sich gegen die Banalisierung – auch wenn sie solch enzyklopädischer Geister entstammt wie Webers – der Differenz zwischen traditionaler und moderner Gesellschaftssynthesis. 7 Die Hypothese, an welcher wir seit Jahren laborieren, möchte diese „semantische Wende“ der Tauschkonzeptionen an einem Wandel der kosmologischen Vorstellungen festmachen. Entlang Pierre Duhems, Alexandre Koyrés und Hans Blumenbergs Arbeiten soll der Versuch gemacht werden, das neuzeitliche Weltbild mit der „Erfindung“ der raumzeitlichen Unendlichkeit zu verbinden; einer Unendlichkeit, die schliesslich Undenkbares denkbar macht: darunter das Phantasma endlos regenerierbarer Ressourcen, das Schlaraffenland-Thema der endlosen Prosperität, und an ihrer Basis der beidseitig profitable Tausch.

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tät; aber vor allem finden wir in dieser Öffnung zur Unendlichkeit, Freiheit und Individualität, eine neue gesellschaftliche Synthesis (oder Kohäsion), deren Grundgleichung das Positivsummenspiel ist. Anstelle des anaximandrinischen apeiron, schafft die „Erfindung“ des räumlich Unendlichen das Füllhorn, aus welchem der neue Puls der Dinge schlägt. Spinozas emulatio oder Ricardos „Gesetz“ der komparativen Kostenvorteile sind insofern modern, als beide unterm Diktum des beidseits profitablen Tausches stehen. Es kommen also zusammen: eine mechanische, taktrhythmische Zeit und die Idee der materiellen Unbegrenztheit. Beide zusammen bestimmen die Wende der Tauschkonzeptionen, deren Kern der Geldbegriff ist. Sämtliche Institutionen der Moderne – Arbeitsteilung, Wahlrecht, Intimität usw. – beruhen letztlich auf dieser Gleichung, die soziologisch unter dem (recht abgenützten) Begriff der Reziprozität firmiert. Durch die Entstehung einer Öffentlichkeit wurde das Hauptmedium der traditionellen Gesellschaften Gewalt – ein Null- aber oft auch ein Negativsummenspiel-Medium par excellence – durch das freie Aushandeln individueller Vorteile ersetzt. Mochte die Maxime, wonach meine Freiheit bis zu dem Punkt ausgeweitet werden kann, wie sie die Freiheit des Anderen nicht tangierte, als ethisches Minimalprinzip gelten, so wäre die Dynamik der Moderne unverständlich, würde ein „Gut“ nicht auch zur Ursache eines weiteren „Gutes“, meine Freiheit (affinitär) zur Ursache des Anderen Freiheit usw. Die mandevillesche „Bienenfabel“ ist daher unvollständig bzw. irreführend: Natürlich kann das Streben nach privaten Lastern das öffentliche Wohl befördern; was es aber in erster Linie befördert, ist das Laster des Tauschpartners. Wollte man Mandeville folgen, so rechtfertigte das öffentliche Wohl jedes nur mögliche Laster – was völlig unsinnig ist. Seine Rechtfertigung erhält es nur durch die Schaffung eines weiteren Lasters. Dass diese lasterhafte Kontamination letztlich im Wirtschaftstausch ihre ideale Entfaltungsdomäne findet, das hat Adam Smith in seiner „merchant society“ visionär entfaltet. Denn die soziologische Wende, die bei ihm vonstatten geht, besteht darin, gesehen zu haben, dass in der Moderne die Arbeitsteilung nicht Bedingung, sondern Konsequenz des Tausches ist (Rosanvallon 1979). Diese Wende hat die Soziologie immer noch nicht verstanden. Am anschaulichsten bei Durkheim in seiner De la division du travail social, in welcher eine mechanische durch eine organische Form von Arbeitsteilung abgelöst wird – eine Sicht, die sich paradigmatisch in sämtlichen Denkschulen der Soziologie wiederfindet. Sämtliche Theorien des sozialen Wandels haben sich in der einen oder der anderen Form dieser Erklärung verschrieben: ob Technik, Bildung, Organisation oder Wissen –, als Grundursache des Wandels fungiert immer nur und immer noch die Ar-

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beitsteilung, der gegenüber der Markttausch als leidliches Regulativ wirkt. Nicht die von Smith angegebene „tendency to barter“ ist dabei das dynamische Element, sondern es sind jene Produktionsfaktoren. Damit haben wir aber ein Gesellschaftssystem, das tendenziell zur Ruhe kommt, denn der Markttausch wirkt der Entfesselung der produktiven Elemente (negentropisch) entgegen. Dass dies just die vormoderne Tauschkonzeption darstellt, wurde bislang nicht zur Kenntnis genommen. Im Grunde genommen bedient sich die Soziologie einer vormodernen Begrifflichkeit, um sozialen Wandel darzustellen. Soziologisch ist daher Adam Smith weit moderner als ein Talcott Parsons. Nur auf der Basis dieses prä-smithschen Dogmas kommt ein Marktbegriff zustande, dessen Hauptfunktion angeblich „effiziente Ressourcenallokation“ ist und nicht ein autopoietisches System, das Ressourcen verschleudert, wie alle anderen möglichen Verteilungsmechanismen.

Geld als Entelechie Das Positivsummenspiel verlangt nach einem veränderten Geldbegriff. Solange Tausch als Konsequenz der Arbeitsteilung galt, solange der Begriff in den engen (distributiven) Schranken des Nullsummenspiels eingebettet war, war Geld effektiv ein Werkzeug. Dieses Werkzeug hatte sich ganz und gar den Erfordernissen des Tausches anzupassen. Die Entstehung des Wechselgeschäfts, die Erfindung des Papiergeldes sind dafür beispielhaft. Durch den Wandel der Tauschkonzeption wird Geld entstofflicht, ja, damit es überhaupt seine dynamische (faustische) Funktion übernehmen kann, darf es an kein materielles Substrat mehr gebunden sein. Im Grunde genommen dürfte man für beides gar nicht dasselbe Wort benützen – vor der Wende herrscht das Geldwerkzeug, nach ihr, das Geldmedium. Bezeichnend für diesen medialen Charakter ist die Form des Geldes als einer creatio ex nihilo – nur dass man hier keinem kirchlichen (augustinischen) Dogma, sondern einer blossen Einlösepflicht (Kaufkraft) vertrauen muss.

Tertium non datur Der Haken an der ganzen Sache ist aber, dass eine solche Tauschkonzeption nur bei einer bestimmten Güterkategorie „grenzkostenlos mehrnutzbar“ (W. Stützel) ist, nämlich bei öffentlichen Gütern. Würde ich alleine in der Konzerthalle sitzen, hielte sich meine Euphorie beim grandiosesten Konzert in Grenzen; umge-

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kehrt besteht die Chance, durch die „Kontaminierung“ mit der Euphorie anderer noch das traurigste Jodelstück zu einem (zumindest) gelungenen Anlass zu machen. Bei potentiell knappen Gütern hingegen gilt, dass bei zunehmender Knappheit das antike Maß, die metadosis, nach wie vor besteht: Durch das Bezahlen eines Gutes – das mir einen Vorteil beschert – hindere ich einen Anderen daran, dieses Gut zu erhalten. Indem die Marktgesellschaft nun die Universalität des „win-win“-Spiels propagiert, legt sie einen Schleier auf diese Güterkategorie. Nicht nur fingiert sie eine grenzenlose und „grenzkostenlos mehrnutzbare“ Menge von Ressourcen, sondern verschleiert einen Dritten, der die doppelte Dividende des Positivsummenspiels zu begleichen hat. Der Fluch der Moderne ist es eben nicht, symbolische Güter wie wirtschaftliche Güter behandelt zu haben,8 sondern umgekehrt wirtschaftliche wie symbolische. Natürlich ist die Vermarktung symbolischer Güter nichts Schönes – man erinnere sich an die vehementen Seiten aus Simmels Philosophie des Geldes –, aber die physischen Ressourcen des Erdballs im Taumel des endlosen Wachstums bis an ihre Grenzen geführt und ganze Teile der Menschheit dazu verurteilt zu haben, die doppelten Dividenden der Marktteilnehmer nur schon deshalb zu bezahlen, weil sie nie die geringste Chance hatten, an einer „Markträumung“ teilzunehmen, sind nicht nur moralische Dramen „verwöhnter“ Modernitätsgenossen, sondern reale Tragödien, deren Geschichte nicht einmal erzählt worden ist. Das moralisch (und intellektuell) Verwerfliche am Pathos der Marktkritik besteht nicht nur darin, sein Ziel verfehlt, sondern durch dieses (bewusste oder unbewusste) Verfehlen das Verständnis dieser Tragödie verhindert zu haben.

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8 In Frankreich ist das Wort marchandisation zur universellen Denkschablone geworden. Jedermann kann sich damit einverstanden erklären, ein Nicolas Sarkozy und ein José Bové, dass die Vermarktung von sozialen Beziehungen oder von Gen-Codes moralisch verwerflich ist; doch solche Einmütigkeit ist suspekt. Vielleicht ist es gewagt zu sagen, dass dieses Vermarktungs-Lamento einen neuen ideologischen Schleier darstellt, der gerade gut genug ist, um auf billigste Weise vom Markt etwas Moral abzuverlangen. Doch möchte ich das Argument weiterziehen und die Frage stellen, ob die Verschleierung nicht vielmehr darin besteht, den durch das Positivsummenspiel ausgeschlossenen Dritten definitiv von der Karte zu streichen.

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Dumont, Louis (1979): Homo Aequalis I. Genèse et épanouissement de l’idéologie économique. Paris: Gallimard Dumont, Louis (1991): Homo Aequalis II. L’idéologie allemande. France-Allemagne et retour. Paris: Gallimard Gordon, Daniel (1994): Citizens without Sovereignty. Equality and Sociability in French Thought. Princeton: Princeton University Press Goux, Jean-Joseph (1984): Les Monnayeurs du langage. Paris: Galilée Heinemann Gottfried (1987): Die Anordnung der Zeit. Fussnote zu Anaximadros. In: Kamper, Dietmar/Christoph, Wulf (Hg.): Die sterbende Zeit. Zwanzig Diagnosen. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand: 23-33 Heinz, Rudolf/Hörisch, Jochen (Hg.) (2005): Geld und Geltung. Zu Alfred Sohn-Rethels soziologischer Erkenntnislehre. Würzburg: Königshausen und Neumann Mansfeld, Jaap (1983): Die Vorsokratiker I. Pythagoreer, Heraklit, Parmenides. Stuttgart: Reclam Müller, Rudolf Wolfgang (1977): Geld und Geist. Zur Entstehungsgeschichte von Identitätsbewusstsein und Rationalität seit der Antike. Frankfurt/ Main: Campus Nelson, Benjamin (1949): The Idea of Usury. From Tribal Brotherhood to Universal Otherhood. Chicago: Chicago University Press Oetzel, Klaus-Dieter (1979): Wertabstraktion und Erfahrung. Versuch über das Problem einer historisch-materialistischen Erkenntniskritik. Frankfurt/New York: Campus Rosanvallon, Pierre (1979): Le Capitalisme utopique. Critique de l’idéologie économique. Paris: La Seuil Seaford, Richard (2004): Money and the Early Greek Mind. Homer, Philosophy, Tragedy. Cambridge: Cambrige University Press Smelt, Simon (1980):Money’s place in society. In: British Journal of Sociology, vol. 31/2: 204-233 Woesler, Christine (1978): Für eine be-greifende Praxis in der Natur. Geldförmige Naturerkenntnis und kybernetische Natur. Gießen a.d. Lahn: Focus

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Metamorphosen des Geldes Sozialstrukturelle Folgen globalisierter Finanzmärkte

Das Geldphänomen bestimmt die soziologischen Erkenntnisinteressen vorwiegend in zwei Richtungen, die als Handlungs- und als Strukturaspekt gekennzeichnet werden können. Es ist üblich, die gesellschaftliche Bedeutung des Geldes von seiner Funktion als Tauschmittel und Wertmaßstab herzuleiten. Mit der Ausbreitung marktwirtschaftlicher Strukturen dient Geld als generalisiertes Symbol des Tauschwerts nicht nur der reziproken Handlungsorientierung, sondern ist auch Orientierungsmaßstab in Austauschbeziehungen. Dadurch wirkt es bewusstseinsbildend und begründet das Risiko einer Ideologisierung in Form des Moneyismus, der vom durch Gebrauchswerte konstituierten Leistungszusammenhang absieht (Kellermann). Die gesellschaftliche Bedeutung des Geldes ist aber nicht auf seine Funktionalität bei der Einleitung und Durchführung von Tauschakten beschränkt. Immer bedeutsamer wird seine Eigenschaft als liquides Kapital, das freie Verfügungsmacht repräsentiert (Bammé 2005: 50f. und Deutschmann in diesem Band). Geld ermöglicht die „Verflüssigung“ des Kapitals und steigert damit die Flexibilität seines Einsatzes. So ist es in den USA durchaus üblich, den Wertzuwachs von Immobilien über Hypothekarkredite entweder zu konsumieren oder aber zur weiteren Wertsteigerung zu investieren, etwa in Anlagefonds. Wer über Geld und Kredit verfügt, besitzt damit eine Liquiditätsreserve, die jederzeit in wirtschaftlichen Transaktionen eingesetzt werden kann und für deren Inanspruchnahme seitens der Kreditnehmer auch ein Preis gezahlt wird. Geld ist also auch ein sehr reales Machtpotenzial als Vehikel von Vermögensverschiebungen, die nicht automatisch an Produktions- oder Konsumtionsprozesse gekoppelt sind. Dies bedeutet aber nicht, dass es eine eigene Handlungsfähigkeit besitzt. Diese ist an Akteure mit Bedürfnissen, Interessen und Werten (Überzeugungen) und ihre Einbettung in Sozialstrukturen gebunden. Es stellt damit ein generalisiertes Handlungspotenzial dar, das für beliebige Zwecke frei verfügbar bleibt, und zwar zunehmend raum-zeitlich entgrenzt. Die damit einher gehenden Wandlungen von Handlungsfeldern und Handlungsori-

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entierungen bedingen "Steuerungsprobleme einer wertgebundenen Rationalität" (Kellermann 1990), die im Hinblick auf globalisierte und zunehmend virtuelle Finanzmärkte erörtert werden sollen. Der sich abzeichnende Bedeutungswandel des Geldes im Spätkapitalismus lässt sich nicht mit einem Rekurs auf das Alltagsverständnis „des Geldes als solches“, also seine Bindung an den Realaustausch von Leistungen erfassen. Das Eindringen in zunehmend abstrakter werdende, ja sogar virtuelle Systemzusammenhänge ist erforderlich. Darin manifestiert sich ein Formwandel gesellschaftlicher Prozesse (Haesler in diesem Band im Anschluss an Sohn-Rethel), die sich auch unter dem Einfluss des Geldes immer weniger in unmittelbar personalen Interaktionen abbilden. Damit erhält sozialwissenschaftliche Geldkritik auch eine neue Dimension.

Differenzierung der Geldformen Die Entwicklung wird ermöglicht durch eine explosive Proliferation des Geldes als Ware sui generis in unterschiedlichsten Formen und damit auch durch die Schaffung virtueller Finanzmärkte ohne einsichtige Bindung an den Austausch von Gütern und Dienstleistungen. Diese Grunderkenntnisse lassen sich auf Marx zurückverfolgen, der von „fiktivem Kapital“ sprach (Marx 1983: 483). Bammé hat darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang Baudrillard den Begriff des Viralen (Geldes) geprägt hat (1992: 11, 38f.). Es ist aber Baudrillard zu widersprechen, wenn er den neuen Geldformen grundsätzlich jede Realität abspricht und sie nur als Simulacrum, als Trugbild wahrnimmt. Es wird zu zeigen sein, dass das Finanzkapital, auf das sich Baudrillard bezieht, keineswegs von jeder gesellschaftlichen Produktion abgekoppelt ist, wie er fälschlich annimmt. Finanzmärkte sind keine Fiktion, sondern das vielleicht folgenreichste Merkmal des Spätkapitalismus. Finanztransaktionen liegt durchaus ein rationales Kalkül der Allokation knapper Ressourcen zugrunde, und über die Umverteilung von Verfügungsrechten haben sie auch „reale“ Folgen für das menschliche Zusammenleben, die ohne sie nicht eingetreten wären. Geld dient eben nicht allein dem Transfer von realen Gütern und Dienstleistungen, sondern auch dem Kapitaltransfer, der die Mobilisierung und Verwertung „vorgetaner Arbeit“ ebenso ermöglicht wie den Einsatz zukünftiger Arbeit. Die traditionellen Erscheinungsweisen des Geldes als Bar- und Giralgeld, über das entweder als Eigenbesitz oder als Kredit verfügt werden kann, werden durch vielfältigste Formen liquider Geldanlagen mit Zinserträgen ergänzt. Ein Beispiel für diese immer bedeutsamer werdenden Bargeldsurrogate ist neben der

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Errichtung verschiedenartigster Anleihe- und Aktienfonds der Handel mit sogenannten Derivaten: der Anlage von Sparguthaben in Bonus-, Discount-, Barriere-, Index-, Garantie- oder Outperformance-Zertifikaten mit Garantien und attraktiven Renditen bei jederzeitiger Verfügbarkeit am Geldmarkt. Hierzu gehören auch Fonds für praktisch alle handelbaren Vermögenswerte wie Immobilien, Rohstoffe, Agrarprodukte und Kunstwerke sowie Wetten auf die zukünftige Wertentwicklung z.B. von Börsenindizes (DAX, EuroStoxx 50, Dow Jones, S&P usw.). Fast 60.000 dieser Wertpapiere sind an der Börse notiert; insgesamt sollen es schon 80.000 verschiedene Produkte sein. Diese und andere Anlageformen wie etwa hedge-Fonds sind ein äußerst wichtiges Instrument der Kapitalmobilisierung und der Risikoabsicherung für Besitzer von Geldvermögen. Damit wurde aber auch ein systemisches Netzwerk für Finanztransaktionen mit erheblichem Eigengewicht der Kommunikationsstrukturen und Handlungssequenzen etabliert. Dessen gesellschaftliche Auswirkungen müssen näher untersucht werden.

Internationale Finanztransaktionen Grenzüberschreitende Geld- und Kapitaltransaktionen, auch mit hohem Volumen, sind an sich ein Merkmal kapitalistischer Wirtschaftsformen, und das Phänomen wurde insbesondere um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Rahmen der Imperialismus-Forschung ausführlich untersucht, auch kritisch von sozialistischer Seite (Rudolf Hilferding 1909, Rosa Luxemburg 1913, Lenin 1917), später dann insbesondere im Zusammenhang mit den Reparationsleistungen als Folge des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise, die ja als Krise der Finanzinstitutionen (des Bankenapparats) begann. Damit verband sich die Erkenntnis, dass internationale Finanztransaktionen einerseits im Rahmen kapitalistischer Wirtschaftsordnungen funktional sind und sowohl die Flexibilität als auch die Rentabilität der Kapitalallokation steigern können und unabdingbare Voraussetzungen einer funktionsfähigen Weltwirtschaft sind. Andererseits wurde deutlich, dass diese Finanztransaktionen auch Mittel zur Erlangung und Erhaltung wirtschaftlicher Macht sind und dass sie vielfältige Abhängigkeitsverhältnisse begründen. In den letzten Jahrzehnten haben internationale Finanztransaktionen durch die Erschließung globaler Finanzmärkte ein gigantisches Ausmaß erreicht. Von den täglich an den Devisenbörsen gehandelten ca. 1200 Milliarden US $ betreffen nur 2-3 Prozent die Finanzierung von Handel und Produktion. 97-98 Prozent sind reine Finanztransaktionen (Altvater 2003: 140). Sie dienen als Arbitragege-

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schäfte dem grenzüberschreitenden Risikoausgleich, also der Substanzerhaltung des Geldkapitals, aber auch seiner möglichen Vermehrung durch Valutagewinne. Steuerungsinstrument ist der Zins als Preis für Liquidität. Eine weitere Bedeutung dieser Transfers liegt im Management von Liquiditätsreserven, in spekulativen Geldanlagestrategien und in der Finanzierung grenzüberschreitender Investitionen.

Liquiditätsreserven und ihre Anlage Wenn Deutschmann darauf hinweist, dass Geld „knapp“ gehalten werden müsse, dann gilt dies vielleicht noch für den Erfahrungshorizont des sorgsamen Hausvaters und zurückblickend für die Zeiten des Goldstandards. Gegenwärtig wächst die verfügbare Geldmenge kaum gebändigt und die Notenbanken orientieren sich allenfalls an Leitgrößen wie dem Bruttosozialprodukt oder dem Volumen des Welthandels. Dispositionskredite stehen überall in großer Auswahl zur Verfügung. Die Liquiditätsschwemme hat aber sehr konkrete, lokalisierbare Ursachen. Hauptursache der globalen Liquiditätsschwemme ist eine erstmals im Gefolge des Vietnam-Kriegs aufgetretene und dann fortgesetzte Verschuldung der USA, die durch den Sonderstatus des US-Dollars als Leitwährung ermöglicht wird. Das in der Verfügung über Geld manifeste Machtpotenzial wird in zunehmend globalen und spekulativen Transaktionen eingesetzt, die volkswirtschaftlich nicht mehr kontrollierbar sind. Ungleichgewichte in der Handels- und Zahlungsbilanz der USA haben zu einer inflationären Ausweitung der Währungsreserven insbesondere der ost- und südostasiatischen Staaten geführt, die zu einer Anlage mit optimal erzielbaren Zinserträgen drängen. In erheblichem Ausmaß finanzieren die USA ihren zweifellos konjunkturfördernden Nachfrageüberhang am Weltmarkt (2004 annähernd 5,5 Prozent des Bruttosozialprodukts) nicht durch vermehrte Exportanstrengungen und Beschränkung der Importe, sondern vor allem durch ein aussenwirtschaftliches deficit spending. Weltweit wuchsen hauptsächlich hierdurch die offiziellen Devisenreserven der Zentralbanken von 1,2 Billionen US-$ im Januar 1995 auf 4,0 Billionen US-$ im September 2005. Das Wachstum war zwischen 2002 und 2004 dreimal so hoch wie im Zeitraum von 1999 und 2001. Japan und China verfügen über 40 Prozent dieser Reserven. Ein besonderes Risiko ergibt sich aus der Bindung von internationalen, in der Form von US-Wertpapieren langfristig gehaltenen Liquiditätsreserven an den US-Dollar, die Mitte 2004 das Volumen von etwa 5 Bill. $ erreichten. Nach

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einer Modellrechnung von Warnock (2006) würde ein Kursverlust des USDollars um 10 Prozent zu einer Verringerung des Bruttosozialprodukts in den betroffenen Staaten um etwa fünf Prozentpunkte führen (2,5% bei Anleihen, 1,5% bei Aktien, etwa 1% bei Dollar-Wertpapieren ausserhalb der USA; Warnock 2006, 3).

Spekulative Geldanlagestrategien Der Trend zur Vermögenssicherung und -vermehrung angesichts zunehmend globaler Risiken führt zur Ausbreitung des weitgehend bindungslosen, „vagabundierenden“ Kapitals in der Form von Geldvermögen, für die nach dem benchmarking-Prinzip durch rasch wechselnden Einsatz optimale Renditen gesucht werden. Man kann in diesem Sinne in Anlehnung an Baudrillards „Metastasen des Werts“ (1992: 11, 38f.) von „Metastasen“ des Geldes sprechen, von einem den realwirtschaftlichen Rahmen sprengenden Auswuchern der Geldfunktionen (Haesler 2002: 177ff.). So stellte z.B. Werner Ehrlicher 1999 fest: „Es ist … ein monetärer Überbau entstanden, der den Bezug zum realen Sektor weitgehend verloren hat. Die ursprüngliche Funktion, den Handel zu finanzieren und über Zinsbewegungen die optimale Allokation des Kapitals zu fördern, ist heute in den Hintergrund getreten. Die finanziellen Märkte sind zu einem eigenständigen Bereich geworden, der seine Zielstellung weitgehend in sich selbst sucht, nämlich über den Handel mit Geld möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen.“ (1999: 55) Besondere Bedeutung für die Jagd nach Renditen haben die hedge-Fonds, die mit riskanten, oft kurzfristigen Spekulationen überdurchschnittliche Erträge zu erzielen versuchen. Nach Angaben des US-Datendienstleisters Hedge Fund Research (HFR) verwalten die weltweit 9000 hedge-Fonds 1.225 Mrd. $. Allein von April bis Juni 2006 betrug der Mittelzufluss 42 Mrd. $. In den USA wickeln die hedge-Fonds 30 Prozent des Wertpapierhandels ab. Hierdurch wird eine schwieriger, aber intensiver werdende Suche nach geeigneten Renditeobjekten ausgelöst, die zur weiteren Dynamisierung der Finanzmärkte beiträgt.

Die Finanzierung von Firmenübernahmen und Firmennetzwerken Eine dritte Hauptfunktion globaler Finanzmärkte besteht darin, das Produktiveigentum transnational zu mobilisieren und auf diese Weise den Aufbau von Firmennetzwerken durch Firmenübernahmen (takeovers) und -zusammenschlüsse

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(mergers) zu ermöglichen. Die Entwicklung dieses internationalen Marktes für Unternehmenskontrolle verläuft phasenhaft mit Höhepunkten um 1900, 1920, 1960, 1980 und 1990. Der Schwerpunkt lag lange Zeit in den angelsächsischen Ländern. Unter dem Stichwort „Multinationale Unternehmen“ wurde er insbesondere in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausführlich erörtert. Seit etwa 1990 hat sich aber die Struktur deutlich verändert. Kontinentaleuropäische Firmen sind genau so aktiv. Neu ist auch das Wachstum des Transaktionsvolumens. Im Zeitraum 1993-2001 fanden nach Angaben der Thomson Financial Securities Data 87.804 Transaktionen in Europa einschließlich Großbritanniens statt, gegenüber lediglich 9.958 im Zeitraum 1983-1989. Das Finanzvolumen hat sich im Vergleich verachtfacht auf 5,6 Bill. US-$. Technisch gestützt wurde dieser Prozess durch die Gründung der EU und die Einführung des Euro. Einen erheblichen Anteil haben die Privatisierungsprozesse, in Osteuropa als Folge des Übergangs zur Marktwirtschaft, in Westeuropa als Versuche, die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Hierzu gehört auch der Verkauf von kommunalen Versorgungsunternehmen und deren anschließende Nutzung im Rahmen von Leasing-Verträgen. Weltweit wird für 2006 mit Transaktionen über 3.000 Mrd. US-Dollar gerechnet. Die Konstituierung und das rasche Wachstum eines Private-Equity-Marktes sind mit der Herausbildung eines speziellen Zweigs von Finanzdienstleistern, den Private-Equity-Firmen verbunden. Sie sammeln ausserbörslich Beteiligungskapital und legen auch Investitionsfonds auf, um Firmenübernahmen zu finanzieren, denen allein Renditeüberlegungen zugrunde liegen. Eine Strategie besteht auch darin, bei Unternehmen, die durch Schuldenaufnahme in Bedrängnis geraten waren, durch Aufkauf von Krediten die Kontrollübernahme einzuleiten. Transaktionen in zweistelliger Milliardenhöhe werden problemlos getätigt, wenn nötig, über Kaufgemeinschaften wie der 13 Mrd. € teure Kauf der dänischen Telefonfirma TDC. Da die Investments laufend der Marktentwicklung angepasst werden, können sie zu spektakulären und kurzfristigen Veränderungen von Eigentumsstrukturen und damit verbundenen regions- und branchenspezifischen Wohlstandsdomänen führen. Die Maxime „Eigentum verpflichtet“ hat nur noch eingeschränkte Geltung. Denn an die Stelle längerfristiger Bindungen der Kapitaleigner an ihre Investitionen im Rahmen überschaubarer und auch verlässlich regulierbarer wechselseitiger personeller Verflechtungen treten oft hoch volatile Engagements institutioneller Investoren mit einem Portfoliomanagement nach reinen Renditegesichtspunkten.

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Zwar werden als positive Auswirkungen der „Turborestrukturierer” (Financial Times 4.7.2006) ertragssteigernde Synergieeffekte und die Korrektur von Management-Fehlentscheidungen genannt. Es gibt aber auch Beispiele für die Mitnahme kurzfristiger Veräusserungsgewinne und die Erzielung von Erträgen durch Abwicklung des erworbenen Unternehmensvermögens und Auswertung seiner Bestandteile. Dies hat in der Regel negative Auswirkungen auf die stakeholder: Verlust von Arbeitsplätzen und Qualifikationen sowie Standort- und Infrastrukturabwertung. So wird die Verantwortung für Wirtschaftsentscheidungen seitens der Besitzer liquiden Kapitals eingeschränkt, und die Berücksichtigung der Auswirkungen auf Betroffene tritt hinter dem reinen Verwertungskalkül zurück.

Finanzkrisen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen Das spektakulärste Beispiel für die Krisenanfälligkeit globaler Finanzmärkte sind die Schuldenkrisen, von denen seit den 80er Jahren die Schwellenländer heimgesucht wurden. Extrem steigende Zinssätze, die Aufwertung des US-$ und ein steigender Erdölpreis hatten zusammen mit bedenkenlosen Kreditausweitungen und interner Misswirtschaft bei politischer Instabilität dazu geführt, dass eine massive Kapitalflucht einsetzte und Staaten illiquide wurden. Die Folgen für die Wirtschafts- und Sozialstruktur der betroffenen Staaten waren dramatisch. Angesichts derartiger Fehlentwicklungen wird immer wieder gefordert, die internationalen Finanzmärkte in ein funktionsfähiges Normen- und Kontrollsystem, in eine „internationale Finanzarchitektur“ einzubinden. Ansätze hierzu bildet der so genannte, vom IWF und der Weltbank entwickelte „WashingtonKonsens“ von 1990. Danach müssen sich zur Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit die Schuldnerländer zur rigorosen Haushaltsdisziplin, zu einer Steuerreform, zu hohen Zinsen, zu exportfördernden Wechselkursen, zu einer Handelsliberalisierung, zur Verbesserung der Konditionen für ausländische Investoren (Rechtssicherheit, Minimierung staatlicher Auflagen), zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen, zu Deregulierung und zum Abbau staatlicher Einflussnahme verpflichten. Ziel dieser Maßnahmen ist die Wiederherstellung der Fähigkeit zum Schuldendienst. Evaluationen der Wirksamkeit derartiger Reformkonzepte, die nahezu in alle Politikbereiche eingreifen, gelangen allerdings zu dem Schluss, dass etwa 40 Prozent der IWF-Programme während der Laufzeit abgebrochen werden und ein gleich hoher Anteil der vereinbarten Bedingungen von den Kreditnehmern nicht eingehalten wird. Auch sind die

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Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Lebensstandard eher negativ. Fast 70 Länder waren mehr als 20 Jahre auf Kredite des IWF angewiesen, deren Höhe u.a. von der politischen Nähe zu den USA abhängt (Dreher 2006). Hinzuweisen ist auch auf die Bankenkrisen (Bankgesellschaft Berlin, BAWAG Wien u.a.), die durch Fehleinschätzung der Risiken globaler Finanzengagements immer wieder entstehen. Sie bekunden einen spektakulären Orientierungswandel bei den Geldanlage-Strategien, die sich in Einzelfällen weit von den üblichen und beherrschbaren Geschäftsbereichen entfernt haben. Die Kreditvergabe der Banken soll durch das Ende 2006 in der EU in Kraft tretende Abkommen Basel II an Mindestnormen der Ausstattung mit Eigenmitteln gebunden werden, die das Risiko der Illiquidität und Insolvenz entscheidend vermindern können. Verstärkt wird auch versucht, das Gebaren der Investmentfonds, insbesondere der hedge-Fonds, an Risiko beschränkende Konventionen zu binden, die von der Bankenaufsicht kontrolliert werden. Es hat sich jedoch erwiesen, dass weiterhin regelungsfreie Zonen und Bereiche bestehen. Auch verringert sich angesichts global operierender Finanznetzwerke das Regelungspotenzial der Nationalstaaten dramatisch, und die Initiativen transnationaler Zusammenschlüsse und Organisationen bieten vorerst trotz erweiterter Handlungsspielräume keinen Ersatz (Potacs 2005).

Soziale Auswirkungen globalisierter Geld- und Kapitaltransfers Es fehlt nicht an individual- und sozialethischen Handreichungen für den richtigen Umgang mit Geld, der allerdings zwischen der Scylla eines konjunkturpolitisch unerwünschten exzessiven Sparens und der Charybdis fremdbestimmten Konsumterrors nur schwer für alle Lebenslagen fixierbar ist. Dennoch wird der Anschein erweckt, persönliche Entscheidungen könnten in der „Wahlurne des Marktes“ (Ludwig v. Mises) globale Prozesse neutralisieren oder durch die „große Weigerung“ (Herbert Marcuse), exzessiv zu konsumieren, die gesellschaftliche Wende herbeiführen. Die „Sozialisation“ des Geldes ist nicht auf der Ebene des Individualverhaltens zu erreichen, sondern erfordert einen institutionellen Rahmen, wie u.a. Werner Sombart frühzeitig mit seiner Forderung nach „Zähmung des Riesen Kapitalismus“ erkannte. Der Trend zur weltweiten Marktöffnung und Marktverflechtung hat strukturelle Entgrenzungen des Wirtschaftshandelns und seiner institutionellen Rahmenordnungen bewirkt. Der Widerspruch zwischen zwei gesellschaftspolitischen Paradigmen zur Steuerung von Wirtschaftsprozessen wird offenkundig. Vorrang hatte bisher der Staat als Hüter des Gemeinwohls durch eine, wenn

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auch als Kompromiss ausgehandelte, Sicherung des sozialen Ausgleichs gegenüber der Optimierung von Rentabilität und Produktivität aus privatwirtschaftlicher Sicht. Diese Prioritäten haben sich umgekehrt. Vorrang haben ertragssteigernde Marktstrategien. Nur hierdurch scheint sich auch Spielraum für sozialverträgliche Absicherungen zu öffnen. Dem Staat kommt im Wesentlichen eine Förderungs- und eine Korrekturfunktion zu. Er soll das Produktivitäts- und Innovationspotenzial der Wirtschaft fördern und Fehlentwicklungen korrigieren, jedoch ohne die Marktstrukturen ausser Kraft zu setzen. Die Auseinandersetzung über die Prioritäten findet allerdings vor dem weiterhin bestehenden Hintergrund institutioneller, also rechtlich fixierter Regelungen statt. Den Interessen der institutionellen und privaten Besitzer von Geldvermögen entspricht das Entstehen einer Funktionärsschicht von Verwaltern riesiger Potenziale von Verfügungsmacht, deren Strategien sich an der Verwertbarkeit von jederzeit in Geld wandelbaren Kapitalanlagen orientieren. Die neuen Mechanismen von Erwerb und Transfer wirtschaftlicher Macht bedingen auch eine neue Qualität wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Die Sorge um unkontrollierbare Geld- und Kapitalabflüsse fördert Konzessionen an die Investoren, z.B. durch Steuervergünstigungen, und einen entsprechenden zwischenstaatlichen Konditionen-Wettbewerb. Darüber hinaus findet eine transnationale Ausbreitung hegemonialer Finanzstrukturen statt, die durch einzelstaatliche Kontrolle und durch demokratische Prozesse bisher nicht steuerbar sind. Damit einher geht ein Wandel gesellschaftlicher Orientierungen. Nahegelegt wird bei gleichzeitiger relativer Abwertung des „Arbeitsvermögens“ der Aufbau von Geldvermögen auf breiter Basis zur Risikoabsicherung und Erzielung alternativer Einkommen. So empfiehlt Hans-Werner Sinn (2004): „Der einzige Weg, den ich sehe, diese Einkommensverluste (durch outsourcing und offshoring, F.F.) zu verringern, liegt im Sparen … Zu den Lohneinkommen muss ein Kapitaleinkommen als Einkommensquelle hinzutreten.“ Laut einer aktuellen Analyse der Österreichischen Nationalbank besitzen 16 Prozent der österreichischen Haushalte Aktien und jeweils 11 Prozent Anleihen und Investmentzertifikate. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass z.B. in Deutschland seit 1994 die versicherungspflichtige Beschäftigung sich um deutlich zwei Prozent jährlich vermindert, so dass gerade diejenigen, die das Sparen am nötigsten hätten, hierzu immer weniger in der Lage sind. Leitbild ist auch nicht das herkömmliche Sparverhalten, sondern eine spekulative Anlage in Fonds mit weithin fiktiven Ertragserwartungen. Wirtschaftsbezogenes Verhalten erhält damit tendenziell den Charakter von Wetten. Rationalität wird im „Casino-Kapitalismus“ auf die Berechnung von Chancen reduziert.

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Nun gibt es zweifellos Gesellschaftssegmente, in denen diese Veränderungen im wirtschaftlichen Machtgefüge eher indirekt und diffus wahrgenommen werden und kausale Betroffenheit im negativen Sinne daher nicht nachvollziehbar ist. So zeichnet sich eine polarisierte Bewusstseinsstruktur ab: einerseits die Denkgewohnheiten der Virtuosen im Umgang mit geldmäßigen Verfügungspotenzialen und ihre Klientel, andererseits der traditionsorientierte Erwartungshorizont einer statusgemäßen Lebenssicherung der Lohnempfänger. Von letzteren wird „Vertrauen“ in den Geldwert erwartet, das durch „vertrauensbildende Maßnahmen“ zu stärken ist. Hierzu gehören aber die Kontinuität von Erfahrungen und die Vorhersehbarkeit von Handlungsfolgen. Dies kann ein von globalen Finanzmärkten beherrschtes, extrem volatiles Geldsystem nicht leisten. Das Risiko liegt hierbei nicht so sehr in der Geldentwertung im Sinne von Kaufkraftverlust, sondern in dem drohenden Substanzwertverlust der inflationär wuchernden Geldmetastasen. Eine langfristige Lebensplanung wird zunehmend illusionär angesichts umfassend liquiditätsgesteuerter Gesellschaftsprozesse. Dennoch besteht kein Anlass, sich mit einer dämonisierenden Auffassung vom Geld anzufreunden, die diesem autonome Wirkungen zuschreibt, die letztlich doch auf Entscheidungen von realen Personen zurückzuführen sind. Es sei zugegeben, dass sie weithin „systemisch“ bedingt sind. Dennoch sind auch Systemzwänge immer noch Herausforderungen, sich ihnen zu unterwerfen, sie zu akzeptieren, sie zu meiden oder sie gar zu beseitigen. Wenn Menschen ihre Handlungsfähigkeit gegenüber dem Geld verlieren, so tragen sie letztlich die Verantwortung dafür und können sich nicht mit dem Hinweis auf eine angebliche Eigengesetzlichkeit oder Neutralität des Geldes exkulpieren. Hinter dieser „Eigengesetzlichkeit“ verbirgt sich nichts anderes als ein oft ungehemmtes und auch lokalisierbares Machtstreben. Es kommt in der sozialwissenschaftlichen Geldkritik also nicht nur darauf an, Mechanismen offenzulegen, sondern den Verantwortungsspielraum aufzuzeigen, der modernen Geldformen angemessen ist. Hierfür gibt es durchaus schon sichtbare Ansätze. Ihre Weiterentwicklung ist vor allem Aufgabe jener, die den Umgang mit dem Geldinstrumentarium verantworten müssen. Sie haben sich hierbei immer wieder zu fragen, inwieweit Handeln, das sich an der Zweckmäßigkeit aus der Sicht des Eigennutzes orientiert, letztlich durch die Sinnbestimmung dieser keineswegs selbstverständlichen Handlungsfreiheit getragen wird (Fürstenberg 1988). Der Weg zur Bändigung des Molochs Geld führt neben dem Erlernen von Kulturtechniken zum sachgemäßen und verantwortungsbewussten Umgang mit Geld vor allem über seine Institutionalisierung, seine Einpassung in eine mit der Gesellschaftsentwicklung korrespondierende Geldverfassung (Kitzmüller in diesem Band).

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Warnock, Francis E. (2006): How Might a Disorderly Resolution of Global Imbalances Affect Global Wealth? IMF Working Paper WP/06/170. Washington: International Monetary Fund

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Wie harmlos ist Geld? Anmerkungen zur geldsoziologischen Diskussion Beitrag zum Klagenfurter Gelddiskurs 2006

Der von Paul Kellermann herausgegebene Band „Geld und Gesellschaft“ (2005) versammelt Beiträge von Autoren, die unterschiedliche Ziele verfolgen und aus verschiedenen Disziplinen stammen. Ein leitendes Motiv, das bei einigen (nicht allen) Autoren erkennbar ist, scheint das einer geldtheoretischen Positionsbestimmung zu sein. Am deutlichsten ist das wohl bei Arno Bammé und bei dem Herausgeber selbst, aber auch bei Peter Heintel, bei Roland Mittermeir und bei Klaus Ottomeyer. Ich möchte mich auf diese (z.T. nur angedeuteten, nicht ausführlich entwickelten) geldtheoretischen Positionen konzentrieren, werde sie miteinander vergleichen und diskutieren, vorrangig unter dem Gesichtspunkt: Wie harmlos ist Geld? Schon eine oberflächliche Durchsicht des Bandes zeigt, dass die von den Autoren vertretenen geldtheoretischen Positionen sehr unterschiedlich sind. Übereinstimmung ist zunächst nur in einem Punkt festzustellen: Alle scheinen davon überzeugt zu sein, dass Geld, wie immer man es definiert, zumindest in modernen Gesellschaften schlechthin unentbehrlich ist. Niemand plädiert für eine Abschaffung des Geldes. Dass jemand einen solchen Vorschlag macht, wäre, wie ich zugebe, nicht sehr wahrscheinlich, immerhin: Es ist nicht selbstverständlich. Jenseits dieser Übereinstimmung zeigen sich erhebliche Differenzen zwischen den Autoren. Sie betreffen zum einen die Definition des Geldes. Ist es nur ein „Informationsträger“ (Mittermeir), ist es „Handlungsorientierung“ (Kellermann), ist es ein „Fetisch“ (Bammé und ähnlich auch Ottomeyer), oder ist es gar eine neue Religion, wie Heintel andeutet? Die Divergenzen zeigen sich zum anderen in der Frage, wie das Geld seine offenbar unentbehrlichen gesellschaftlichen Funktionen erfüllt: Mit oder ohne Nebenwirkungen, und sind die Nebenwirkungen harmlos oder bedenklich? „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker“ heißt es in der Werbung für Arzneimittel, aber die in dem Band versammelten Ärzte und Apotheker sind sich

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sehr uneinig darüber, ob die Nebenwirkungen des Geldes harmlos, bedenklich oder gar gefährlich sind. Am beruhigendsten scheint die Auskunft zu sein, die man bei Roland Mittermeir erhält. Geld, so argumentiert er, ist kein Gut, sondern nichts als ein Informationsträger. Aber erst die modernen, elektronischen Informations- und Kommunikationstechniken machen diese Erkenntnis praktisch wahr, indem sie es uns ermöglichen, Zahlungen elektronisch auszuführen und auf physisches Noten- und Münzengeld weitgehend zu verzichten. Wäre diese Theorie wahr, könnte ich meine Rechnungen bezahlen, indem ich einfach die benötigten Geldscheine oder Kontoauszüge in ein Faxgerät lege und an den Aussteller der Rechnung übermittle. Aber leider sind meine Faxmitteilungen oder Kontoauszüge kein Geld, sondern verweisen nur auf das Geld, das ich entweder in bar besitze oder auf meinem Konto deponiert habe. Die Kontoauszüge als Information über das Geld und das Geld selbst müssen sorgfältig voneinander unterschieden werden. Auch wenn sich nur schwer sagen lässt, was es eigentlich „ist“ (es scheint sich selbst in eine Kette von Verweisungen aufzulösen), ist es jedenfalls etwas anderes als bloß „Information“. Es ist zwar, darin ist Mittermeir zuzustimmen, gewiß kein Ding, sondern ein Konstrukt denkbar abstrakter Art, mindestens ebenso abstrakt wie Information. Das war übrigens nie anders, auch in der Zeit der Metallwährungen nicht: Gold und Silber waren nie Geld, sondern haben immer nur als Geld fungiert. Aber im Unterschied zur Information ist Geld etwas, was man persönlich besitzen kann. Es wird deshalb nicht mitgeteilt, sondern übertragen. Bei der Information verliert der Sender nicht, was er an den Empfänger abgibt, er teilt sie vielmehr „mit“, alle haben sie danach gemeinsam. Geld dagegen ist ein intersubjektiv übertragbares individuelles Eigentumsrecht auf unbestimmte Güter zu einer unbestimmten Zeit. Bei ihm muß immer sichergestellt werden, dass der Zahlende genau das verliert, was der Zahlungsempfänger enthält. Geld muß deshalb im Unterschied zur Information „knapp“ gehalten werden, das heißt: Trotz seines abstrakten Charakters muß es immer so behandelt werden, als wäre es ein Ding; andernfalls könnte es ja ebensowenig ein individueller Besitzgegenstand sein wie die Sprache. Geld ist ein „knapp gehaltenes Nichts“ (Riese 1995: 60). Die Metallbindung und die heutige Steuerung des Geldes durch die Zentralbanken sind nur alternative Techniken der Knapphaltung des Geldes, die mit seiner „Natur“, seinem „Wesen“ nichts zu tun haben. Und alle diese Techniken haben ihre Risiken und Nebenwirkungen, auch die elektronischen, wie man aus dem Beitrag von Winfried Müller lernen kann. Das bei Mittermeir kaum angesprochene Problem ist ja: Wie kann auch bei elektronischer Kommunikation die Authentizität von Zahlungen gewährleistet

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werden, d.h. wie kann sichergestellt werden, dass Geldüberweisungen nur durch den rechtmäßigen Eigentümer bzw. durch ihn autorisierte Personen ausgeführt werden? Die dazu entwickelten kryptographischen Verfahren sind, wie Müller lapidar feststellt, „nicht absolut sicher und zuverlässig“ (:182). Mich haben die Ausführungen Müllers jedenfalls in meiner Skepsis gegen die Erledigung von Bankgeschäften am heimischen PC bestärkt. Aber ich möchte nun zu den eigentlich geldtheoretischen Positionen kommen; zunächst zu dem Beitrag von Kellermann. Geld ist für ihn ein handlungsorientierendes „Symbol“, das eine „Interdependenz von Versprechen und Anspruch“ zum Ausdruck bringt. Die orientierende Funktion des Geldes besteht darin, dass es jeden Anspruch auf die Güter oder Dienste anderer an die Zusage einer Gegenleistung koppelt und gleichzeitig eine gemeinsame Recheneinheit für Leistungen und Gegenleistungen bereitstellt. Das läuft im Kern auf die klassische, auf Adam Smith zurückgehende und von Talcott Parsons (auf den Kellermann sich ausdrücklich bezieht) in die Soziologie übernommene Theorie des Geldes als „Tauschmittel“ bzw. als symbolisch generalisiertes wirtschaftliches „Kommunikationsmedium“ hinaus. Geld, hält man sich an diese Deutung, ist durchaus kein Instrument des individuellen Egoismus, sondern etwas eminent Soziales, das die Reziprozität wirtschaftlichen Handelns nicht nur „symbolisiert“, wie Kellermann formuliert, sondern auch praktisch durch tatsächlich zu leistende Zahlungen sicherstellt. Es ist, um es in den Begriffen der smithschen Moralphilosophie zu formulieren, der „unparteiische Beobachter“ par excellence, der uns unerbittlich zwingt, bei allen unseren Zugriffen auf das Eigentum anderer stets die Bereitschaft zu dem von uns selbst zu erbringenden Opfer mitzureflektieren – und beide, Leistungen wie Opfer werden in einem dritten, denkbar „objektiven“ Maßstab gemessen. Soweit lautet der Befund: frei von unangenehmen Nebenwirkungen, und nicht nur das. Geld scheint ja, sieht man es in dieser medientheoretischen Perspektive, nicht nur keine negativen, sondern sogar dezidiert positive, nämlich moralische, zivilisierende, disziplinierende Nebenwirkungen zu haben. Aber all das gilt nur unter einer Voraussetzung: dass die Leute nur Güter und nichts als Güter wollen und sich dazu des Geldes nur als Mittel bedienen. Sobald sie nicht Güter wollen, sondern das Geld selbst, wird die Medientheorie in Frage gestellt. Ist es möglich, dass das Geld selbst zum Objekt der Begierde wird? Im Prinzip nein, antwortet Kellermann mit Radio Eriwan, denn alle rationalen Argumente sprechen dagegen. Geld kann man nicht essen, es kann keine Bedürfnisse befriedigen, es ist ein reines Symbol ohne jeden inneren Nutzwert. Tatsächlich kann eine „Reifikation“ oder auch eine „Personalisation“ des Geldes aber trotz-

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dem vorkommen, und das führt Kellermann auf eine „Geldideologie“ zurück: „Geld verfügbar zu haben erscheint wichtiger, als dass der im Geld symbolisierte Leistungsanspruch durch konkrete Leistungen einlösbar ist. Dieser Umstand läßt sich mit dem Ausdruck ‘Geldideologie’ bezeichnen.“ (:118). Auch die Kapitalform des Geldes wäre damit als eine Form von „Geldideologie“ zu kennzeichnen, denn Kapital ist ja ein Geldvermögen, das in „Gewinnabsicht eingesetzt wird“ (:122), das also der Geldvermehrung und nicht dem Erwerb konkreter Güter oder Leistungen dient. Dort, wo sich Geldideologie ausbreitet, kommt es nach Kellermann zu Störungen und ungeplanten Nebenwirkungen, vor allem in Form von Ungleichgewichten von Angebot und Nachfrage. Dass Störungen des Marktgleichgewichts zu erwarten sind, sobald die Akteure anfangen, Geld zu horten, ist evident. Ebenso ist es mit dem Prinzip des Marktgleichgewichts unvereinbar, wenn die Akteure das Geld zwar ausgeben, aber nicht um Güter oder Leistungen zu erwerben, sondern um mehr Geld zu erzielen (Kapitalform des Geldes). Denn um ihre Waren mit Gewinn absetzen zu können, sind die Unternehmer ja auf eine Nachfrage angewiesen, die höher ist als die, die sie selbst mit ihren Kostenzahlungen geschaffen haben. Der höheren Wertschöpfung in Form von Waren muß also eine durch Kreditschöpfung, nicht durch den Transfer schon vorhandener Einkommen finanzierte Nachfrageexpansion gegenüberstehen. Auch diese Nachfrageexpansion ist natürlich alles andere als gesichert, und hier liegt wiederum ein Potenzial für Störungen und Risiken. Kurzum: Geld ist harmlos und ohne schädliche Nebenwirkungen, solange es nur als Tauschmedium fungiert. Es wird zum Problem, sobald es zum Selbstzweck wird, entweder in der Form des Hortens oder in der des Kapitals. Aber nochmals: Warum sollte das Geld zum Selbstzweck werden? Der Begriff der „Geldideologie“, den Kellermann hier einführt, zielt offenbar darauf ab, ein am Geld als Selbstzweck orientiertes Handeln a priori als „irrational“ zu qualifizieren. Das kann m.E. nicht überzeugen. Dass die von Kellermann als „Geldmystifikation“ bezeichneten Erscheinungen empirisch weit verbreitet sind, bestreitet er selbst nicht. Statt vorschnell von „Mystifikationen“ zu sprechen, plädiere ich dafür, erst einmal nüchtern zu prüfen, ob es nicht sehr wohl auch rationale Motive für das Streben nach Geld „an sich“ geben kann. Das hat nichts mit einer wissenschaftlichen „Reifikation“ oder „Personalisierung“ des Geldes zu tun, die selbstverständlich vermieden werden sollte. Aber es ist eine alte Erfahrung, dass die Menschen aus durchaus rationalen Motiven heraus Einrichtungen erfinden können, die ihnen dann, wie in dem bekannten Goetheschen Gedicht vom Zauberlehrling, über den Kopf wachsen und zu Konsequenzen führen, die niemand vorausgesehen hat. Wozu sonst sind wir als Sozialwissen-

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schaftler da, als um solche ungeplanten Handlungsverkettungen zu analysieren und aufzudecken? Die Frage ist, ob nicht auch beim Geld ein Fall derartiger ungeplanter Handlungsverkettungen vorliegt. Trifft es zu, dass der Kapitalismus, um es mit Arno Bammé zu formulieren, „aus vielen Teilrationalitäten ein irrationales Gesamtsystem gebiert“ (:56)? Ich komme damit zu den Theorien des Geldes als Fetisch oder als „Religion“. In beiden Fällen ist gemeint, dass die Menschen sich von einer fremden oder höheren Macht imponieren lassen, die, ohne dass es ihnen bewußt ist, nichts anderes ist als das Ergebnis ihrer eigenen Handlungen. Mit Bammé, Heintel und Ottomeyer sehe ich gute Argumente für die Vermutung, dass auch beim Geld eine solche Konstellation vorliegt. Der Kern dieser Argumente läßt sich in drei Thesen zusammenfassen, die ich im Folgenden näher ausführe und kommentiere: 1) Aus handlungstheoretischer Sicht ist es in einer modernen Gesellschaft rationaler, nach Geldgewinn zu streben, als Geld nur als Tauschmittel für den Erwerb von Gütern zu nutzen. 2) Wenn immer mehr Akteure auf Geldgewinnorientierung umschalten, muß dies zu einem Zustand wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit führen; dies wiederum führt zu stärkerer Geldgewinnorientierung usw. 3) Um mit der selbstgeschaffenen Unsicherheit umzugehen, konstruieren die Akteure sekundäre Mythen, Ideologien und Rationalisierungen, die die soziale Wirklichkeit auf ein durch Handeln zu bewältigendes Format zurechtschneiden und dadurch eine (fiktive) Sicherheit schaffen. Diese Mythen, Ideologien und Rationalisierungen werden als soziale Zwänge erlebt, denen die Handelnden sich unterwerfen müssen. Zu 1): Wie rational ist es, nach finanziellem Gewinn zu streben? Keynes – ein Autor, mit dem Bammé sich auseinandersetzt – vergleicht den zweckrational handelnden Finanzinvestor mit einem Menschen, der nicht seine Katze liebt, sondern „die Kätzchen seiner Katze; und in Wirklichkeit nicht die Kätzchen, sondern die Kätzchen dieser Kätzchen, und so fort bis zum Ende des Katzentums“ (Keynes 1930/1956: 270f.). Der Finanzinvestor möchte nicht konkrete Güter, sondern „Katzentum“ bzw. Reichtum überhaupt. Kellermann würde dies als „Geldideologie“ bezeichnen. Wie vielen Ökonomen war Keynes ein solches Handeln im Grunde suspekt, weil es in sein Modell der Wirtschaft als eines letztlich auf die Befriedigung von Konsumbedürfnissen hin orientierten sozialen Systems nicht hineinpasst. Dabei war es Keynes selbst, der in seiner General Theory die mindestens relative Rationalität der Geldhortung aufgezeigt hat. Die ökonomischen Akteure – so lautet sein bekanntes Argument – bewegen sich realiter (im Gegensatz zu modellhaften Simulationen der Lehrbücher) in einer

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Situation der Unsicherheit. Sie können nicht nur die Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen oft nicht genau abschätzen, sondern sind sich sogar häufig auch über ihre eigenen Präferenzen nicht genau im Klaren. Will ich nun Erdbeeroder Schokoladeneis? In solchen Situationen kann es auch dann, wenn ich grundsätzlich Eis oder andere Güter möchte, vorteilhaft sein, mein Geld nicht auszugeben und damit meine Handlungsfähigkeit mindestens so lange zu bewahren, bis ich klarer sehe – und das kann lange dauern. Aber es geht jetzt nicht nur um Geld, sondern um Kapital und um die Rationalität des Kapitals als selbstreferenziell verausgabtem Geld. Zwischen Ökonomie und Soziologie ist hier eine seltsame Verkehrung der Fronten zu beobachten. Während der homo oeconomicus des wirtschaftswissenschaftlichen mainstream bis heute noch immer als nutzenmaximierender Akteur konzeptualisiert wird, herrscht zumindest bei den klassischen Autoren der Soziologie kein Mangel an Kronzeugen für die These der Rationalität der Kapitalform. Zwei dieser Kronzeugen, nämlich Marx und Simmel, werden von Bammé ausführlich diskutiert. Ich hätte mir gewünscht, dass noch ein dritter gewürdigt worden wäre, nämlich Max Weber. Es gibt wohl kaum einen Autor, der die Rationalität der Kapitalform des Geldes so stark betont hat wie Weber. Das systematische Streben nach Geldgewinn war für ihn bekanntlich nicht bloß ein ökonomisches Phänomen, sondern die treibende Kraft der Rationalisierung der individuellen Lebensführung in der modernen Gesellschaft überhaupt. Kapitalrechnung stellte sich ihm als Inbegriff formaler Rationalität dar. Die formale Rationalität des Kapitals und die materiale Rationalität der Bedürfnisbefriedigung sind zwar nach Weber scharf auseinander zu halten; allein, Weber lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei der materialen Rationalität im Grunde nur um eine Rationalität „zweiter Klasse“, eine nicht konsequent durchgeführte Fassung des Rationalprinzips handelt. Denn in einer Naturalwirtschaft mögen zwar die Mittel zur Befriedigung gegebener Bedürfnisse rational kalkulierbar sein, nicht aber die Bedürfnisse selbst, die in aller Regel traditionsgebunden bleiben (Weber 1972: 47). Ein paar Anmerkungen noch zu Simmel und Marx; Simmels Position ist von Bammé ausführlicher wiedergegeben worden, so dass ich ergänzend nur auf den hier diskutierten Aspekt eingehen möchte: Wieweit lassen sich aus Simmels Analyse des Geldes Anhaltspunkte für die rationale Rechtfertigung eines selbstreferenziellen Umgangs mit Geld herauslesen? Auf den ersten Blick scheint es so – darauf weist Bammé hin –, dass Simmel die Orientierung auf Geld „an sich“ eher despektierlich behandelt und in die Rubrik „Geldpathologien“ einsortiert. Geiz, Askese, Blasphemie sind für Simmel solche pathologi-

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schen Formen der Verabsolutierung des Geldwertes, Verschwendung („Kaufsucht“, wie man heute sagen würde), die für Simmel nur die psychologische Kehrseite des Geizes ist, eine andere. Gleichwohl ist die Verabsolutierung des Geldwertes für Simmel keineswegs nur ein pathologisches Phänomen, sondern im Gegenteil das unvermeidliche Ergebnis der Verallgemeinerung der Geldwirtschaft in der modernen Gesellschaft. In einer Gesellschaft, in der nahezu alles nur durch Geld zu haben ist, in der alle sozialen Handlungsketten direkt und indirekt über monetär vermittelte Transaktionen laufen, kommt es unvermeidlich zu einer praktischen Negation des Tauschmitteltheorems durch Umkehrung der Zweck/Mittel-Relation zwischen Geld und Gütern. Was immer ich mir für Geld erwerbe, wird sogleich unter dem Gesichtspunkt bewertet: Wieviel würde es bringen, wenn ich es wieder verkaufe? Geld, das zum allgemeinen Mittel geworden ist, kann, wie Simmel betont, nicht länger nur Mittel sein. Ob die Akteure es wollen oder nicht, wird es zum letzten Zweck des Handelns. In Wirtschaft, die das Subsistenzniveau längst hinter sich gelassen hat, liegt die Rationalität eines selbstreferenziellen Geldgebrauchs darin, dass er – jenseits des bloßen Güterkonsums – die Dispositionsfähigkeit der Akteure über den gesellschaftlichen Reichtum erhöht. Die Fähigkeit zum Zugriff ist mehr als der Zugriff selbst. Diesen Sachverhalt macht Simmel in seinen Ausführungen zum Zusammenhang von Geld und individueller Freiheit klar. Der Reiche, der den nicht subsistenzgebundenen Teil seines Einkommens spart, gewinnt daraus einen sozialen „Nutzen“ qualitativ anderer und gewichtigerer Art als der durch konsumptive Verausgabe erreichbare ökonomische Nutzen; Simmel spricht vom „Wertplus“ des Geldes und vom „Superadditum des Geldes“. (Simmel 1989: 274f.) Als „allgemeines Mittel“ verleiht Geld seinem Eigentümer eine universale Dispositionsfreiheit in der Sach-, Sozial-, Zeit- und Raumdimension: Ich kann frei entscheiden, was ich bei wem, wann und wo kaufe. Die Freiheit des Vermögensbesitzers ist nichts anderes als die keineswegs nur „ökonomische“, sondern gesellschaftliche Macht, die er über andere dank seiner Verfügung über das universale Mittel „Geld“ ausüben kann. Die anderen müssen ihn hofieren, damit er sein Geld gerade bei ihnen und nicht woanders lässt. Was der Vermögensbesitzer mit der selbstreferenziellen Verwendung des Geldes anstrebt, ist etwas Höheres als die bloße Bedürfnisbefriedigung: Individuelle Freiheit mitten in der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Obwohl Simmel zwischen Geld und Kapital nicht klar unterscheidet, lassen sich aus seiner Analyse überzeugende Argumente dafür ableiten, dass Kapitalrationalität höher steht als die bloß ökonomische Vernunft.

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Noch einige Bemerkungen zu dem ebenfalls von Bammé ausführlich gewürdigten Karl Marx, ebenfalls unter dem genannten Gesichtspunkt (ausführlich hierzu: Deutschmann 2001). Es ist sicherlich Marx, der trotz seiner Kritik am Kapitalismus die fundierteste und systematischste Begründung für die Rationalität der Kapitalrechnung geliefert hat. Unter allen „Klassikern“ der Soziologie ist er es, der sich am klarsten von der treuherzigen Vorstellung distanziert, die moderne Wirtschaft sei eine Veranstaltung zur „Befriedigung von Bedürfnissen“. Wirtschaftssysteme müssen natürlich immer Bedürfnisse befriedigen, aber im Kapitalismus ist die Befriedigung von Bedürfnissen immer nur ein Nebeneffekt der Verwertung des Kapitals. Marx war weit davon entfernt, die mit dem Kapitalbegriff gefasste Selbstreferenzialität des Geldes einfach als „irrational“ abzuqualifizieren. In seinen Augen erfüllt sie die objektive Funktion der Ausschöpfung der Potenziale der menschlichen Arbeitskraft. „Die Bourgeoisie“, heißt es im Kommunistischen Manifest, „kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren.“ (Marx 1971: 528) Das bedeutet einerseits die beständige Entwicklung der produktiven Kräfte und Techniken, d.h. immer neue technische und organisatorische „Revolutionen“, andererseits die Weckung immer neuer Bedürfnisse, nicht die bloße Befriedigung vorhandener Bedürfnisse (mit der sich meist kein Gewinn machen lässt). Für Marx – und hier folgt ihm auch Schumpeter – ist der Kapitalismus ein seiner Natur nach dynamisches System, das sich mit „Gleichgewichtstheorien“ jeglicher Art niemals angemessen beschreiben lässt. Kapitalrechnung, d.h. Investieren und Produzieren um des Profits willen, stellt die spezifische Rationalität dieses Systems dar. Marx sieht sehr viel klarer als Simmel den Unterschied zwischen Geld und Kapital. Geld verwandelt sich in Kapital dadurch, dass der Geldnexus (wie dies seit Ende des 18. Jahrhunderts in Europa geschah) von fertigen Gütern und Dienstleistungen auf die Arbeitskraft übergreift. Die Arbeitskraft wird dadurch zu einer Ware, die auf einem speziellen Markt, dem Arbeitsmarkt, angeboten und nachgefragt wird. Es geht dabei jedoch nicht länger um Sklavenarbeit – Sklaven konnte man schon in der Antike kaufen –, sondern um freie Lohnarbeit, die selbst in den Geldnexus einbezogen und persönlich am Verkauf ihrer „Ware“ interessiert ist. Dadurch entsteht eine Marktkonstellation, die sich von Märkten für fertige Güter und Dienstleistungen grundsätzlich unterscheidet. Was dem Geld am Arbeitsmarkt gegenübersteht, ist keine bestimmbare Menge von Gütern, sondern ein letztlich nicht bestimmbares Potenzial: das Arbeitsvermögen. Die Besonderheit des menschlichen Arbeitsvermögens liegt ja in seinen kreati-

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ven Fähigkeiten. Nur Arbeiter, nicht Maschinen (oder heute: Computer) sind fähig, etwas Neues hervorzubringen. Der direkte Zugriff des Geldes auf das menschliche Arbeitsvermögen und der organisierte Einsatz dieses Vermögens in Betrieben eröffnet – das hat Marx klar gesehen – ungeheure produktive Möglichkeiten, die alle Leistungen vergangener Gesellschaften in den Schatten stellen. Diese Möglichkeiten werden sich durch keine „Theorie“ jemals abschließend bestimmen lassen, denn eine solche Theorie müsste ja klüger sein – nicht nur als alle früheren und gegenwärtigen, sondern auch alle zukünftigen Erfinder. Wenn dieses Potenzial direkt dem Zugriff des Geldes geöffnet wird, bedeutet das eine ebenso unermessliche Aufwertung des Geldes selbst. Geld wird nämlich damit zum Schlüssel nicht nur der Aneignung einer gegebenen und definierbaren Gütermenge, sondern der Produktion alles durch menschliche Kreativität nur Herstellbaren, d.h. von Reichtum schlechthin, im Grunde von menschlicher Wirklichkeit überhaupt. Sein Gegenüber ist keine fixe Größe mehr, sondern eine offene. Mit der direkten Verbindung von Geld und Arbeitskraft werden beide, Geld und Arbeitskraft, etwas ganz anderes als sie vorher waren: Sie verwandeln sich, wie Marx gezeigt hatte, in Kapital auf der einen, Lohnarbeit auf der anderen Seite. Aus der Inkongruenz zwischen dem quantitativ stets fixierten Geld und der Unendlichkeit dessen, was Geld einlösen soll, entsteht eine sich selbst perpetuierende Dynamik. Wenn Geld den Zugriff nicht mehr nur auf einzelne, positive menschliche Kreationen, sondern auf das kreative Vermögen des Menschen selbst eröffnet, dann ist das ein nie abschliessbares Unterfangen, denn die menschliche Kreativität lässt sich als Ganze niemals in den Griff bekommen und privat besitzen. Diese Inkongruenz lässt sich nur dynamisch überwinden, nicht nur durch den einzelnen Gewinn, sondern nur durch die „rastlose Bewegung des Gewinnens“ (Marx 1988: 168). Die Unendlichkeit der Arbeit überträgt sich auf das Geld, das seinerseits zu einer unendlichen Größe wird. Es verwandelt sich in sich selbst verwertendes Kapital. Mit der Verfügung über das menschliche Arbeitsvermögen als Quelle allen Reichtums wird Geld – darin stimme ich auch Peter Heintel zu - zum Träger einer Utopie, einer Verheißung von religiösen Dimensionen. Was es verspricht, ist nicht weniger als die individuelle Verfügung über die Totalität menschlicher Möglichkeiten. Wie bei den alten Religionen handelt es sich freilich nur um eine Verheißung, ein Versprechen. Die Erlösung wird indes nicht länger im Jenseits, sondern im Diesseits versprochen, und dies auch nicht im Sinne eines anzustrebenden positiven Zustandes der Glückseligkeit, sondern in der paradoxen Form einer nie einzulösenden Schuld der Gesellschaft sich selbst gegenüber. Der Ka-

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pitalismus ist eine Religion des Menschen selbst, der sich dadurch beweist, dass er immer wieder über sich selbst hinausstrebt und seine gegebenen Grenzen überwindet. Nicht Tausch, sondern Schuld ist der zentrale Reproduktionsmechanismus des Kapitalismus. Das, was es verspricht, nämlich die Kontrolle über die Totalität menschlicher Möglichkeiten, kann Geld unmittelbar nie einlösen. Als existierendes Geld hat es den Makel, immer nur in einer bestimmten Summe vorzuliegen, und deshalb kann es sich auch nur in einer endlichen Menge von Gütern materialisieren. Geldvermögen ist seiner eigenen Definition nach immer zuwenig da; es genügt sich selbst nie. Erst die Bewegung, das Wachstum, die Verwertung des Geldes als Kapital eröffnet den Zugriff auf das Absolute, d.h. die Totalität menschlicher Möglichkeiten – nicht als Ziel, sondern als unendlicher Prozess. Die neue Religion kennt daher im Gegensatz zu den alten Religionen keine feste Grenze zwischen Diesseits und Jenseits mehr. Die Transzendenz wird gleichsam auf die Erde herabgeholt und dort als permanente Herausforderung zur Umwälzung der irdischen Existenzformen der Menschen inszeniert. Der Kapitalismus hat durchaus seine positiven Funktionen für die Entwicklung der menschlichen Möglichkeiten. Die Kehrseite ist freilich, dass die Menschen sich selbst unter einen ungeheuren Druck setzen. Sie können nicht nur, sie müssen unaufhörlich kreativ sein, Neues entwickeln, „schöpferische Zerstörung“ betreiben, nur um ihr gegebenes Lebensniveau zu sichern. Zu 2) Was ist die praktische Folge, wenn immer mehr Akteure sich der Religion des Geldes hingeben und auf selbstreferenziellen Geldgebrauch umschalten? Für den individuellen Vermögensbesitzer schafft Geld, wie Keynes und Simmel gezeigt haben, individuelle Freiheit und Sicherheit. Für die anderen dagegen schafft es Unsicherheit. Geldvermögen ist die Quelle von Sicherheit und Unsicherheit zugleich, es „löst“ die Probleme, die es selbst erzeugt. Mit wachsender Geldorientierung wächst also die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit in der Gesellschaft. Zu 3) Wie gehen die Akteure mit dieser sich aufschaukelnden Unsicherheit um, wie können Gesellschaften unter solchen Bedingungen überhaupt noch funktionieren? Die direkte Konfrontation mit der Unendlichkeit der Möglichkeiten des Geldes würde jeden wirklichen Menschen ebenso unendlich überfordern wie die Konfrontation mit den Schulden, die die Kehrseite dieser Möglichkeiten bilden. Nicht nur die Arbeiter, sondern sogar die Kapitalisten wären handlungsunfähig. Insofern wirkt das Geld in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht orientierend, sondern verunsichernd. Um sich aus dieser Unsicherheit zu befreien, sind die Akteure wie in der traditionellen Religion auf Bilder und Mythen angewiesen. Wie die Konstruktion dieser Bilder und Mythen funktioniert, hat

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Klaus Ottomeyer in seinem Beitrag überzeugend aufgezeigt. Werbung und Medien bieten eben nicht nur kognitive Informationen, die den Markt transparenter machen. Sie versorgen die Konsumenten vielmehr mit „Identitäten“ und „Selbstbildern“, die dann zu einem bestimmten Kaufverhalten nötigen. Was mein Geld kann, das kann und bin ich: Das ist das durchgehende Motto dieser Inszenierungen. Konsum dient dazu, dem Vermögenscharakter des Geldes eine sozial anschlussfähige Gestalt in Form spezifischer „Identitäten“ und „Lebensstile“ zu geben, die gleichwohl häufig zu widersprüchlichen Erwartungen führt. Ottomeyer sieht „die Bildung von Ich-Identität, unsere zentrale synthetisierende Instanz, durch das anomische Nebeneinander und Gegeneinander der Teilidentitäten und Normen in der kapitalistischen Produktion, Zirkulation und Konsumtion zunehmend überfordert. Gefühle von Zerrissenheit und Fragmentierung breiten sich aus und suchen nach Heilung.“ (Ottomeyer 2005: 248) Auch ich komme zu dem Ergebnis: Geld ist alles andere als harmlos, die Risiken und Nebenwirkungen sind beträchtlich. Gleichwohl können wir das Geld nicht abschaffen. Wie sich die Risiken und Nebenwirkungen unter Kontrolle bringen lassen, ist ein noch weitgehend ungelöstes Problem. Gegenüber der Idee eines „Schwundgeldes“, wie sie die Anhänger Silvio Gesells bis heute propagieren, bin ich sehr skeptisch. Ein besserer Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems läge, da hat Karl Marx vermutlich nach wie vor Recht, in einer Entkommodifizierung der Arbeitskraft, d.h. in einer zumindest partiellen Unterbrechung bzw. sozialen Regulierung des Nexus von Geld und Arbeitskraft. Das müsste freilich keineswegs auf eine sozialistische Planwirtschaft hinauslaufen. Denkbar wäre auch eine nichtkapitalistische Marktwirtschaft, in der es nach wie vor Märkte für Güter und Dienstleistungen gäbe, nicht aber mehr für Lohnarbeit. Die Reproduktion der Arbeitskraft würde zumindest im Kern nicht mehr durch die Lohnform vermittelt, sondern müsste in anderer Weise sichergestellt werden, z.B. durch ein gesellschaftliches Grundeinkommen; auf zusätzliche lohnförmige Anreize müsste man deshalb nicht verzichten. Durch die Entkommodifizierung der Arbeitskraft könnte auch das Geld entmystifiziert werden. Es wäre nicht länger Kapital, sondern würde sich in ein öffentliches Gut verwandeln, das in der Tat so ähnlich funktioniert, wie die Tauschmitteltheorie der ökonomischen Lehrbücher behauptet. Die Kehrseite einer solchen Wirtschaftsverfassung darf freilich nicht verschwiegen werden: Es wäre keine offene, dynamische Wirtschaft mehr, sondern ein System, das sich auf einem gegebenen Niveau einrichtet bzw. in seiner Aktivität nur geringfügig um dieses Niveau pendelt. Könnten die Menschen das ertragen? Könnten sie die erforderliche

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Selbstbeschränkung akzeptieren, könnten die zu erwartenden Verteilungskonflikte unter Kontrolle gehalten werden? Ich wage keine Antwort.

Quellenverzeichnis Bammé, Arno (2005): Fetisch „Geld“. In: Kellermann 2005: 9-81 Deutschmann, Christoph (2001): Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus. Frankfurt/M, 2. Aufl. : Campus Heintel, Peter (2005): Zur religiösen Bedeutung des Geldes – dargestellt am Beispiel der Einführung des Euro und der Rolle der Banken. In: Kellermann 2005: 93-113 Kellermann, Paul (2005) (Hg.): Geld und Gesellschaft – Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften Kellermann, Paul (2005). In: Kellermann 2005: 115-138 Keynes, John M. (1930/1956): Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder. In ders.: Politik und Wirtschaft. Männer und Probleme, ausgewählt und übertragen durch E. Rosenbaum. Tübingen: Mohr Marx, Karl (1971): Manifest der Kommunistischen Partei. In: Die Frühschriften, hg. v. S. Landshut. Stuttgart: Kröner: 525-560 Marx, Karl (1988): Das Kapital, Bd. 1, MEW Bd. 23. Berlin: Dietz Mittermeir, Roland (2005): Geld und Information. In: Kellermann 2005: 139-169 Müller, Winfried (2005): Elektronisches Geld und Kryptographie: Eine Balance zwischen Akzeptanz, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. In: Kellermann 2005: 179-187 Ottomeyer, Klaus (2005): Zur psychologischen Wirkung des Geldes. In: Kellermann 2005: 227-250 Riese, Hajo (1995): Geld – das letzte Rätsel der Nationalökonomie. In: Schelkle, Waltraud/Nitsch, Manfred (Hg.): Rätsel Geld. Annäherungen aus ökonomischer, soziologischer und historischer Sicht. Marburg: Metropolis: 45-62 Simmel, Georg (1989): Philosophie des Geldes. Gesamtausgabe, hg.v. Otthein Rammstedt, David Patrick Frisby und Klaus Christian Köhnke, Bd. 6. Frankfurt/M: Suhrkamp Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 5. Aufl.: Mohr

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Nicht erst das Jubiläumsjahr 2006 hat Hekatomben von Literatur über Mozart hervorgebracht. Kein zweiter Komponist scheint dermaßen erforscht, durchleuchtet, seziert, nach allen Regeln wissenschaftlicher Kunst untersucht und interpretiert zu sein. Zyklische Gesamtaufführungen von Opern, sinfonischen Werken und großen Konzerten fanden statt, ja noch das entlegenste Fragment wurde unter die musikalische Lupe genommen und auf seinen Ewigkeitswert hin betrachtet. Groß angelegte Ausstellungen gaben vor, den endgültigen Zugang zum Wesen des teuren(!) Toten zu schaffen und blieben doch kaum anderes als Devotionalienschauen. Ein denkmalschützerischer Skandal, ein Touristen täuschender Etikettenschwindel, die "Wiederherstellung" des Wiener MozartHauses in einen niemals existent gewesenen Zustand werden achselzuckend als dem Fremdenverkehr geschuldete Innovation hingenommen und gefeiert. In der Fülle des Erschienenen wurden neben vielen neuen oder neu gewandeten Erkenntnissen auch so manche lieb gewonnene Legende und so mancher Mythos transportiert – Konstrukte, die das in seiner Fülle, und vor allem in Relation zur kurzen Lebenszeit tatsächlich rein quantitativ kaum nachvollziehbare musikalische Schaffen in einen Geniekult hineinpressen. Und doch bleiben in dieser ausgeleuchteten Biographie Graubereiche, dunkle Zonen bestehen. Einer davon ist der für Mozart lebenslang wesentliche Bereich des Geldes. Die Auseinandersetzung damit führt zu exemplarischen Überlegungen zum Status des Künstlers – einst und heute. Leopold Mozart, ein Mann von überdurchschnittlicher musikalischer Bildung und Ausbildung, als Hofkomponist (seit 1757) und Vizekapellmeister (seit 1763) am fürsterzbischöflichen Hof zu Salzburg (insgesamt diente er unter fünf Erzbischöfen) zwar in einer wichtigen, global betrachtet aber völlig uninteressanten musikalischen Position, erkannte sehr früh das Talent seiner beiden Kinder, des 1756 geborenen Wolfgang ... übrigens benachrichte, dass den 27 januarii abends um 8 uhr die meinige mit einem buben zwar glücklich entbunden worden. die nachgeburt aber hat man

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ihr wegnehmen müssen ... der Bub heißt Joannes Chrisostomos, Wolfgang, Gottlieb ... (1) und der 1751 geborenen Maria Anna, genannt Nannerl. Schnell wurde Leopold klar, dass unter seinen Fittichen nicht nur eine musikalische Schatztruhe heranwuchs, sondern ebenso eine ökonomische. Er nahm Urlaub aus den Diensten des ihm wohlgesonnenen Fürsterzbischofs Sigismund von Schrattenbach und begab sich mit den beiden Kindern auf eine ausgedehnte Konzertreise durch das angrenzende Ausland – zwischen Juni 1763 und November 1766 gelangten sie bis Paris und London, mit zum Teil wochen- und monatelangen Aufenthalten. Die Strapazen dieser Reisen waren ebenso groß wie der Erfolg wechselnd. Das Unternehmen "Wunderkind" war aber zum Erfolg verdammt und konnte selbst unter widrigen Umständen – z.B. lebensgefährliche Erkrankungen abwechselnd beider Kinder – nicht abgebrochen werden, da die Unkosten sich auf die für damalige Verhältnisse ungeheure Summe von über hunderttausend Gulden beliefen, die nicht wieder zurückzuverdienen für Leopold Mozart den völligen Zusammenbruch seiner künstlerischen wie bürgerlichen Existenz bedeutet hätte. Die Mutter blieb später in Salzburg zurück – ein Umstand, dem wir viele ausführliche Briefe Leopold Mozarts verdanken, die Aufschluss über die Verhältnisse geben, aber auch Einblick in die Gemütslage und Denkweise. Diese Reise festigte den unglaublichen Ruf Wolfgang Mozarts als ein Staunen der Welt. Die Rückkehr nach Salzburg 1767 brachte ihm den sorgfältig vom Vater eingefädelten Auftrag, als 11jähriger neben den beiden in Salzburg arrivierten Komponisten Michael Haydn und Anton Adlgasser am Triptychon zur Fastenzeit "Die Schuldigkeit des Ersten Gebots" mitzuwirken, Mozarts erstem szenischen Werk. Von nun an ist das Thema Geld aus dem Umgang zwischen Vater und Sohn nicht mehr wegzudenken; es beherrscht Denken und Korrespondenz des Vaters. Mit der allmählichen Verselbständigung des Sohnes verschärft sich der Ton. Der Vater leitet aus der Tatsache, dass er die eigene mögliche Karriere ganz dem Dienst am Sohne und den damit verbundenen "Management"-Aufgaben untergeordnet habe, eine Verpflichtung Wolfgangs ab, nicht nur für sich selbst und seine präsumtive Familie, sondern ebenso für seine, Leopolds, eigene Alterssicherung zu arbeiten. Die angebliche Unfähigkeit Wolfgang Mozarts, mit Geld zu wirtschaften, steht früh im Zentrum der Auseinandersetzung – ein Thema, das ihn wohl bis an sein Lebensende begleiten sollte. Die genaue Lektüre der Briefe Leopolds und der darin enthaltenen Reiseund Lebensbedingungen wirft ein grelles Licht auf die Verformung eines Menschen. Dabei wäre es völlig verfehlt, unser heutiges Verständnis von glücklicher wie geglückter Kindheit auf damalige Verhältnisse zu übertragen. Zunächst wa-

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ren Kinder vergänglich; viele kamen über die ersten beiden Lebensjahre nicht hinaus. Danach erwartete sie eine miniaturisierte Erwachsenenwelt. Erst das 19. Jahrhundert begriff das Kind in seiner Entwicklung, seinen eigenen Bedürfnissen, seiner allmählich heranreifenden Persönlichkeit. Wolfgang Mozart verbrachte die Zeit seiner Kindheit in der Kutsche, in fremden, furchterregenden Städten, teils riesenhaft und unbegreiflich im Vergleich zum idyllisch-überschaubaren Salzburg, in Adels- und Fürstenschlössern, unter ständiger Beobachtung voller Bewunderung und Neid. Buchstäblich ohne Frei- und Spielräume, fast ohne gleichaltrige Freunde. Er war völlig abgeschottet von einer Normalwelt und hatte eigentlich kaum Zeit und Gelegenheit, einen vernünftigen Umgang mit ihr zu entwickeln. Vieles von dem, was uns an des erwachsenen Mozarts Verhalten so absonderlich erscheint – wie etwa die immer wieder seine Umgebung befremdenden Bewegungsausbrüche, wie seine Vorliebe für zotige Sprachspiele –, ist wahrscheinlich aus diesen Umständen zumindest teilweise zu erklären. Und schon in dieser Zeit war Geld ein stets präsentes Thema. Leopold Mozart war strikte gegen die Hochzeit des Sohnes mit Constanze Weber – doch den erhaltenen Zeugnissen nach nicht so sehr aus Abneigung gegen das Mädchen, sondern aus Furcht, dass die Verbindung mit ihrer Familie zum Fass ohne Boden, zum Ruin Wolfgangs werden würde. Schließlich erlebte der Vater mit, wie Sohn und Schwiegertochter in Wien permanent über ihre Verhältnisse lebten, wie Einnahmen und Ausgaben aus der Balance gerieten. Sein eigener Tod 1787 bewahrte ihn davor, die Richtigkeit seiner Befürchtungen, dass der Sohn als armer Mann sterben würde, miterleben zu müssen. Doch wie konnte es dazu kommen, dass ein auch nach damaligem Verständnis höchst erfolgreicher Komponist bei seinem Tod eine Minus-Bilanz hinterließ? War es die Verschwendungssucht seiner Frau, ihre wirtschaftliche Unfähigkeit, war es die eigene Spielsucht? Wieso ist der kostbare Billardtisch – damals mindestens so viel wert wie sein bestes Klavier – seit seinem Tod spurlos verschwunden? Die Heroisierung Mozarts, die bereits im 19. Jahrhundert begann und im nicht zuletzt vom Nationalsozialismus geprägten, bis heute wirkungsmächtigen Geniekult mündete, schuf eben jene Legenden, denen sich die vom Armengrab ebenbürtig hinzugesellen ließ. – Der Blick in die Quellen ergibt ein weit nüchterneres Bild. Betrachten wir die letzten fünf Jahre des Lebens Wolfgang Mozarts, künstlerisch erfolgreich, gesellschaftlich etabliert, privat durchaus von Glück bestimmt.

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Am 28. Mai 1787 starb der Vater. Wolfgang Mozart legte großen Wert auf seinen Anteil an der Erbschaft, die erhaltenen Briefe an seine nunmehr verheiratete Schwester und seinen vermögenden Schwager geben davon Zeugnis. – Brief W. A. Mozarts an seine Schwester, Wien, 16. Juni 1787 Meine liebste, beste Schwester! wenn Du noch unversorgt wärest, so brauchte es dieses Alls nicht. Ich würde, was ich schon tausend Mal gedacht und gesagt habe, Dir alles mit wahrem Vergnügen überlassen; da es Dir aber nun, so zu sagen, unnütz ist, mir aber im Gegentheil es zu eigenem Vortheil ist, so halte ich es für Pflicht, auf mein Weib und Kind zu denken. (Der Brief schließt als einziger von allen erhaltenen an seine Schwester abrupt, ohne Grußformel). (2) Der Nachlass Leopold Mozarts wurde insgesamt auf etwa 1.000 Gulden geschätzt. Schwester und Schwager machten ihm das durchaus großzügige Angebot einer Abfindungszahlung von 1.000 Gulden. – Brief W. A. Mozarts an seine Schwester, Wien, 1. August 1787 Liebste, beste Schwester! Ich schreibe dermalen nur, um deinen Brief zu beantworten. – Nicht viel, und das in Eile, weil ich gar viel zu thun habe. – da es deinem Manne, meinem lieben Schwagern /: welchen ich durch dich 1000mal küssen lasse :/ so wie mir darum zu thun ist, der ganzen sache so bald möglich ein Ende zu machen, so nemme ich seinen antrag an. Jedoch mit der einzigen ausnahme, dass mir die 1000 gulden nicht im Reichsgeld sondern in Wiener geld und zwar p: wechsel bezahlt werden. – künftigen Posttag werde ich deinem Manne einen aufsatz einer Ceßion oder vielmehr eines Contracts zwischen uns schicken, und dann werden davon 2 originalien, eines von mir unterschrieben, das andere für ihn zu unterschreiben, folgen. – so bald möglich werde dir Neue Sachen von mir für das klavier schicken. Ich bitte dich, meine Sparten nicht zu vergessen. lebe tausend mal wohl, ich mus schliessen. – Meine frau und der Carl empfehlt sich deinem Manne und dir 1000mal, und ich bin Ewig dein aufrichtig dich liebender bruder W. A. Mozart. (3) (1000 fl. im Wiener Kurs entsprachen 1200 Gulden der damals in Salzburg geltenden Reichswährung, nach heutigem Wert etwa 25.000 bis 50.000 Euro, je nach Kaufkraftgewichtung der in der einschlägigen Literatur differierenden Umrechungsmodelle.) Berchtold musste auch noch die Gerichtskosten Mozarts und die Ausfuhrsteuer übernehmen. Schließlich war alles zur Zufriedenheit Mozarts geordnet. – Brief W. A. Mozarts an seinen Schwager, Wien, 29. September 1787 liebster H: bruder! In aller Eyle; – ich bin sehr erfreuet über unsern gütigen Vergleich; – wenn Sie mir den Wechsel übermachen, so bitte ich ihn, an Hr: Michael Puchberg im gräfl. Walseggischen Hause, auf dem Hohen Markt zu

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adreßiren, denn dieser hat order das geld zu übernehmen, da ich Montag in aller frühe Nach Prag reise. – leben sie wohl; küssen sie für uns beyde 1000 mal unsere liebe schwester, und seyen sie versichert dass ich stetts seyn werde ihr aufrichtigster bruder W. A. Mozart. (4) Die Versteigerung der Verlassenschaft Leopold Mozarts ergab einen Erlös von etwa 1.500 Gulden. Die nicht verkauften Dinge blieben im Besitz der Schwester. (5) Hier taucht der Name des Empfängers dieses Wechsels erstmals auf. Michael Puchberg, ein zu diesem Zeitpunkt noch reicher Kaufmann in Wien, war Mozart durch die Zugehörigkeit zur Freimaurerei und durch verschiedene Kontakte eng verbunden, und er wurde zum hauptsächlichen Empfänger von mindestens 20 Bitt- und Bettelbriefen. Es waren mehr als 4.000 Gulden, die Mozart im Lauf weniger Monate von ihm erbat; gemäß den Vermerken Puchbergs auf den Briefen Mozarts gewährte er ihm insgesamt ein Darlehen in Höhe von mindestens 1.415 Gulden. Diese Forderung floss auch nicht in die Nachlasserhebung Wolfgang Mozarts ein; sie hätte den Ruin der Witwe bedeutet. Puchberg wartete geduldig einige Jahre, ehe er von Constanze ausbezahlt werden konnte. (Es bleibt eine ironische Fußnote der Musikgeschichte, dass er selbst in Armut starb, da er durch die Kriege gegen Frankreich sein Vermögen vollständig einbüßte.) Im Jahr 1787 verdiente Mozart mit der Fertigstellung der Oper "Don Giovanni" ein Honorar von 450 Gulden; dazu kamen weitere Einkünfte von 1.700 Gulden. Mit Dekret vom 7. Dezember 1787 wurde er zum k.k. Kammerkompositeur ernannt, mit einem Jahresgehalt von 800 Gulden. Ein gehobener Beamter, um eine Vergleichsgröße darzustellen, verdiente im Jahr 400 bis 500 Gulden und konnte damit einen standesgemäßen Familienunterhalt gewährleisten. In seinem Buch "Mozart in Wien" weist der bedeutende Forscher Volkmar Braunbehrens darauf hin, dass die belegten Zahlen seit über 100 Jahren bekannt sind, seit der ersten großen Mozart-Biographie von Otto Jahn (1856-59). Demgemäß beliefen sich die Einnahmen aus allen künstlerischen Aktivitäten – Komposition, Auftritt, Unterricht – auf durchschnittlich ca. 2.000 Gulden pro Jahr zwischen 1781 und 1791 (in heutigem Wert etwa bis zu 100.000 Euro). Dazu kommen noch Gelder, von deren Existenz wir wissen – Verlagseinnahmen, Konzerthonorare –, die sich aber zahlenmäßig nicht fassen lassen. (6) Was tat Wolfgang Amadé Mozart mit seinem weit überdurchschnittlichen – nicht nur für Musiker – Einkommen? Wieso reichte es hinten und vorne nicht? Manches ist bekannt, manches bleibt im Reich der Spekulation, wird auch durch häufige Wiederholung nicht zum Faktum.

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Mozarts wohnten auf großem Fuße. Mehrere Zimmer, Dienstboten, mehrfacher Wohnungswechsel, die Haltung eines Reitpferdes mit der dazugehörigen Einstallung und Ausrüstung verschlangen Geld. Die Kriegssondersteuer nahm fünf Prozent von allen Einkommen weg. Sowohl Wolfgang als auch Constanze Mozart waren immer wieder krank, hatten hohe Arzt-, Apotheken- und Kurkosten. Brief W. A. Mozarts an Michael Puchberg, Wien, 17. Juli 1789 Liebster, bester freund und verehrungswürdigster Bruder! Sie sind gewis bös auf mich, weil Sie mir gar keine Antwort geben! – Wenn ich ihre Freundschafts=bezeugungen und mein dermaliges Begehren zusammenhalte, so finde ich dass sie vollkommen recht haben. Wenn ich aber meine Unglücksfälle und zwar ohne mein Verschulden und wieder ihre freundschaftliche Gesinnungen gegen mich zusammenhalte, so finde ich doch auch, dass ich – Entschuldigung verdiene; da ich Ihnen mein Bester alles was ich nur auf dem Herzen hatte in meinem letzten Briefe (Mozart hatte am 12. Juli 500 Gulden erbeten) mit aller Aufrichtigkeit hinschrieb, so würden mir für heute nichts als Wiederholungen übrig bleiben, nur muß ich hinzusetzen 1. dass ich keiner so ansehnlichen Summe benöthigt seyn würde, wenn mir nicht entsetzliche Kosten wegen der Kur meiner Frau bevorständen, besonders wenn sie nach Baden muß, 2do da ich in kurzer Zeit versichert bin in bessere Umstände zu kommen, so ist mir die zurückzahlende Summe sehr gleichgültig, für die gegenwärtige Zeit aber lieber und sicherer wenn sie groß ist. 3tens muß ich sie beschwören, dass wenn es ihnen ganz ohnmöglich wäre mir diesesmal mit dieser Summe zu helfen, Sie die Freundschaft und brüderliche Liebe für mich haben möchten, mich nur in diesem Augenblick mit was Sie nur immer entbehren können zu unterstützen, denn ich stehe wirklich darauf an … Können und wollen Sie mich gantz trösten, so werde ich Ihnen als meinem Erretter noch jenseits des Grabes danken – denn Sie verhelfen mir dadurch zu meinem ferneren Glück in der Folge – wo nicht – in Gottesnamen, so bitte und beschwöre ich Sie um eine augenblickliche Unterstützung nach ihrem Belieben, oder auch um Rath und Trost. Ewig ihr verbundenster Diener. Vermerk Michael Puchbergs: den 17ten July eod. die beantwortet und 150 fl. gesandt. (7) Mozarts reisten viel, Kosten also, die stets von den Honoraren abgingen. Sie verkehrten in gehobenen bürgerlichen und aristokratischen Kreisen – Kleidung und Aufwand hierfür waren beträchtlich. Die Zahl der Schüler ging zurück. Das System der Subskriptionskonzerte, wenige Jahre zuvor noch eine planungssichere, wenig aufwendige Einnahmequelle, brach zusammen. Mozart musste erleben, dass eine von ihm aufgelegte Subskriptionsliste im Jahr 1788 mit Gottfried

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van Swieten einen einzigen Zeichnungswilligen fand. Mancher fix eingeplanter Auftrag, dessen Honorar bereits an Puchberg quasi "auf dem Halm" verpfändet wurde, kam nicht zustande. – Brief W. A. Mozarts an Michael Puchberg, Wien, vor dem 17. Juni 1788 Verehrungs=würdiger Ordensbruder, liebster, bester freund! Die überzeugung dass Sie mein wahrer freund sind, und dass Sie mich als einen ehrlichen Manne kennen, ermuntert mich ihnen mein Herz aufzudecken, und folgende bitte an Sie zu thun. – Ich will ohne alle Ziererey nach meiner angebohrnen Aufrichtigkeit zur sache selbst schreitten. – Wenn Sie die liebe und freundschaft für mich haben wollten, mich auf 1 oder 2 Jahre, mit 1 oder 2 tausend gulden gegen gebührenden Intereßen zu unterstützen, so würden sie mir auf acker und Pflug helfen! Sie werden gewis selbst sicher und wahr finden, dass es übel, Ja ohnmöglich zu leben sey, wenn man von Einahme zu Einahme warten muß! – wenn man nicht einen gewissen, wenigstens den nöthigen vorath hat, so ist es nicht möglich in ordnung zu kommen. – mit nichts macht man nichts; wenn Sie mir diese freundschaft thun, so kann ich primo da ich versehen bin die nöthigen ausgaben zur gehörigen Zeit, folglich leichter entrichten, wo ich izt die bezahlungen verschieben, und dann eben zur unbequemsten zeit meine ganze Einahme oft auf einmal hinausgeben muß. – Secundo kann ich mit sorgenlosern gemüth und freyern herzen arbeiten, folglich mehr verdienen. – wegen sicherheit glaube ich nicht dass sie einigen zweifel haben werden! – Sie wissen so ohngefähr wie ich stehe – und kennen meine Denkungsart! – wegen der Souscription därfen sie keine Sorge haben; ich setze nun die zeit um einige Monate mehr hinaus; – ich habe hofnung auswärtig mehrere liebhaber zu finden als hier … Wenn Sie vielleicht so bald nicht eine Solche Summa entbehren könnten, so bitte ich sie mir wenigstens bis Morgen ein paar hundert gulden zu lehnen, weil mein hausherr auf der Landstrasse so indiscret war, dass ich ihn gleich auf der stelle um ungelegenheit zu vermeiden auszahlen musste, welches mich sehr in unordnung gebracht hat! ... Nun nehmen Sie meinen brief als das wahre zeichen meines ganzen vertrauens gegen sie, und bleiben sie Ewig mein freund und bruder wie ich seyn werde bis ins grab ihr wahrer, innigster freund und bruder W: A: Mozart Vermerk Michael Puchbergs: den 17 Juny 1788 f 200 gesendet. (8) Die immer wieder angeführte Spielsucht Mozarts hingegen bleibt im Dunkeln. Sollte es Belege dafür gegeben haben, mögen sie im Zuge der "Nachlassreinigung" durch die Witwe verloren gegangen sein. Die Dringlichkeit mancher Briefe an Puchberg lässt solche Gründe zumindest vermuten, da Spielschulden als Ehrenschulden galten und unverzüglich zu begleichen waren. Vor dem an-

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dernfalls eintretenden Ehr- und damit Kreditverlust hätte Mozart auch sein musikalischer Rang nicht bewahrt. Vielleicht sollte man aber auch die in der Zeit weit verbreitete Freude an allerlei Spielen – vorwiegend Karten und Billard – wie auch an dem immer wieder erwähnten Pölzlschießen (also mit Luftgewehren auf Scheiben) nicht als Spielsucht überinterpretieren. Der große Kenner Günter Bauer fasst die Fakten ernüchternd zusammen: "Daß Mozart bei den verbotenen Glücksspielen Geld gewonnen oder verloren hat, ist nicht dokumentiert ... Endgültige Beweise, daß Mozart bei Hasardspielen große Summen verloren hätte, und er dadurch in ein finanzielles Desaster geraten sei und das seine 'Bettelbriefe' der letzten Wiener Jahre begründen könnte, besitzt die Forschung bis heute nicht." (9) Das Briefcorpus, das nach wie vor als die wesentlichste Quelle für die Lebensumstände Mozarts gelten muss, "krankt" auch daran, dass in den letzten Wiener Lebensjahren viele Kontakte mündlich stattfanden, in persönlicher Begegnung, so dass in der Quellenlage große Löcher klaffen. Künftige Zufallsfunde sind denkbar, doch wie schon eingangs gesagt – neue Mozart-Forschung bedeutet zumeist neue Interpretation längst bekannter Fakten. Immerhin ist auch zu belegen, dass er bei Mitteilungen an seine Frau zumindest in einem Fall ein Honorar verschwieg. Das Jahr 1792 hätte eine wesentliche Erleichterung bringen können. Aussichten ... Aufträge standen ins Haus, Ehrensolde. Allerdings hat Mozart dieses Jahr nicht mehr erlebt, denn er starb am 5. Dezember 1791. Und so sah seine Witwe sich ehebaldigst zu einem Gesuch an Kaiser Leopold II. veranlasst, den Bruder Josephs II. Wien, 11. Dezember 1791 Eure Majestät! Unterzeichnete hatte das Unglück den unersetzlichen Verlust ihres Gatten erleben zu müssen, und von demselben mit zwey unmündigen Söhnen in Umständen zurückgelassen zu werden, die sehr nahe an Dürftigkeit und Mangel gränzen. Sie weiß zu ihrem noch grössern Betrübnisse, dass sie bei noch nicht vollendeten 10 Dienstjahren ihres seeligen Mannes nach dem bestehenden Pensions Normal nicht den mindesten Anspruch auf irgend einen Gnadengehalt habe und ihr daher nichts übrig bleibe, als ganz in Eurer Majestät Gnade, und der bekannten Liebe vollen Vorsorge für Dürftige jeder Art zu beruhen ... Hatte ihr seel. Gatte nie das Glück hier in Wien eine günstige gelegenheit abzuwarten, welche ihm erlaubt hätte seine Talente zu Begründung besserer Aussichten der Welt auffallend genug zu machen, – und eben daher war er ausser Stande einiges Vermögen zu hinterlassen ...

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Bittstellerin wagt es noch einmal sich in die allerhöchste Gnade, und bekannte väterliche Vorsorge, besonders gegen Dürftige dieser Art, um so mehr gänzlich zu ergeben, als dieselbe in ihrem Jammervollen Zustande nur die zuversicht: Eure Majestät werden sie mit ihren zwey unmündigen Söhnen von der allerhöchsten Mildthätigkeit nicht ausschließen: noch einigermassen aufrecht zu erhalten fähig ist. Konstantia Mozart, geborne Weber hinterlassene Wittwe des seel. Wolfgang Amadeus Mozart k.k. Kammer-Kompositor (10) Kaiser Leopold, dem Constanze Mozart dieses Gesuch bei einer Audienz am 11. Dezember 1791 persönlich überreicht hat, konnte den Akt nicht mehr bearbeiten, da er bereits am 1. März 1792 starb. Sein Sohn und Nachfolger, Kaiser Franz II., bewilligte ihr rückwirkend ab 1. Januar 1792 eine Pension von jährlich 266 Gulden und 40 Kreuzer. Was auch nicht als außergewöhnlicher Gnadenerweis zu interpretieren ist, sondern als durchaus den Usancen entsprechend. Constanze Mozart betrieb in den nächsten Jahren einen ebenso schwunghaften wie klugen Handel mit Mozarts Werken. Umfangreiche Korrespondenzen, vor allem mit dem Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig, geben davon Zeugnis. Mozarts und ihren gemeinsamen Freund Franz Süßmayer beauftragte sie mit der Fertigstellung des unvollendet gebliebenen Requiems. Andernfalls hätte sie wohl den längst ausgegebenen Vorschuss, den der "geheimnisvolle Auftraggeber" Graf Walsegg (der wahrscheinlich von Michael Puchberg zu diesem Auftrag veranlasst worden war) bezahlt hatte, zurückzahlen müssen ... Mozart lebte und komponierte in einer Zeit, die keine Tantiemen kannte, nur Honorare und allenfalls Benefizvorstellungen. Eine Zeit, die dem Künstler permanent Neues abverlangte, sich andernfalls von ihm abwandte. Wer im Besitz des Notenmateriales war, konnte aufführen, was er wollte. Kein Wunder, dass auch im Mozartschen Briefecorpus die Sorge um Noten, Druckvorlagen, betrügerische Notenstecher, Postverlust immer wieder erheblichen Raum einnehmen. (In diesem Zusammenhang sei auch an das seltsame Autodafé erinnert, bei dem hundertzwanzig Jahre nach Mozarts Tod Eduard Strauß, der jüngste Bruder von Johann und Josef Strauß, das Notenmaterial der Strauß-Kapelle drei Tage lang vernichtet hat. Nicht Hass und Neid auf die längst toten Brüder, wie gerne kolportiert, waren der Grund, sondern der Wunsch, dass niemand anderer den Originalklang aus den Arrangements hervorzaubern können sollte.) Urheber- und Druckrechte entstanden durch den Besitz rechtmäßig erworbener Originalien: gegen ausländische Drucke gab es nur den Schutz, selbst und besser herzustellen. Es sei ein Gedankenbogen zur heutigen Situation des Künstlers geschlagen, zum heutigen Verhältnis des Kreativen zum Geld.

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Im Musik- und Theaterbetrieb ist der Urheber der einzige, dessen Entlohnung vom Erfolg eines Werkes abhängt. Vom Saaldiener bis zum Intendanten bekommt jeder sein monatliches Fixum, Dirigent und Regisseur erhalten Produktions- und Vorstellungshonorare. Für Komponisten und Autoren gibt es die Tantieme, die ein direkter prozentualer Anteil davon ist, was an tatsächlicher Kasseneinnahme erzielt wird. Mozart, der zeitlebens gut verdient hat, aber kein Vermögen, wäre heute ein steinreicher Mann, dessen Einkünfte im Kulturbereich nur vergleichbar wären mit einigen wenigen aus der Pop- und Musicalbranche. An seinen Werken verdienen heute Bearbeiter, Herausgeber und Verlage. Der Versuch, zum Mozart-Jahr 2006 einen Mozart-Groschen einzuführen, aus dem zeitgenössische Musik gefördert würde – etwa analog zum skandinavischen Bibliotheksgroschen zugunsten lebender Dichter –, ist an Partikularinteressen gescheitert. Vielleicht – und hier sei abschließend der feste Boden der Fakten verlassen – wäre Constanze Mozart besser mit den Einnahmen Mozarts umgegangen, hätte sie das Geld verwalten dürfen (worauf nichts hindeutet). Vielleicht wäre Mozart, hätte er ein normales Lebensalter erreicht, als reicher Mann gestorben. Mozart starb nicht in Armut, sondern als ein Star. "Die Zauberflöte" begann ihren Siegeszug. Aus dem In- und Ausland kamen glänzende Angebote. Es hat nicht sollen sein. Vielleicht liebt die Welt den Mythos ausgleichender Gerechtigkeit, wonach ein Liebling der Götter wenigstens arm in die Grube fahren muss. In die Grube, die kein Armengrab war. Doch das ist eine andere Legende ... Keine Legende ist, dass sich rund um Mozart eine Industrie entwickelt hat, die längst von der Musik losgelöst ist. Die Marke Mozart gilt neben Coca-Cola als die weltweit am besten eingeführte, die mit dem größten Marktwert. Die Zahl der Produkte, für die der Name Mozart und eines seiner authentischen (oder auch nicht) Bilder herhalten müssen, ist unüberschaubar geworden. So verdanken wir dem Jahr 2006 nicht nur zahllose Publikationen (so auch diese), sondern auch die Erfindung so schmerzlich vermisster Kostbarkeiten wie Mozart-Joghurt und Mozart-Wurst bis hin zu CD-Schönheiten wie "Mozart zum Bügeln". Mozart sells ... Vielleicht sitzt er im Musikerhimmel, lächelt versonnen und weiß als einziger, wo sein Vermögen geblieben ist. Vielleicht hat er es schlicht verjubelt. Hätte er es nach allen Regeln der damaligen Kunst angelegt und wäre ein wenig älter geworden, wäre vielleicht auch sein Vermögen im Staatsbankrott der Jahre um 1810 mit in den Abgrund gerissen worden. Vielleicht. Hätte. Wäre.

Wolfgang Amadeus Mammon oder Der Wolferl und das liebe Geld

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Was bleibt, ist das immaterielle Erbe der Musik, ein Erbe, das die ganze Welt angetreten hat.

Quellenverzeichnis (1) BA I, p. 34, Nr. 22: Bauer, Wilhelm A./Deutsch, Otto Erich (1962): Mozart – Briefe und Aufzeichnungen. Kassel. In diesen Dokumenten wird die originale Rechtschreibung wiedergegeben. (2) BA IV, p. 51, Nr. 1058 (3) BA IV, p. 52, Nr. 1061 (4) BA IV, p. 54, Nr. 1067 (5) BA VI, p. 356 (6) Braunbehrens, Volkmar (1986): Mozart in Wien. München: 146ff. (7) BA IV, p. 94f., Nr. 1106 (8) BA IV, p. 65ff., Nr. 1077 (9) Bauer, Günther (2006): Mozart, Kavalier und Spieler. In: Mozart – Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ostfildern: 381f. (10) BA IV, p. 175, Nr. 1205

Arno Bammé

Vom Fetisch zum Simulakrum Über den Begriff des Geldes in der Postmoderne Antworten auf Kellermann

Wenn die Republik am korruptesten ist, dann ist die Zahl der Gesetze am höchsten Tacitus

„Geld ist kein Mysterium, Geld ist Handlungsorientierung“ (Kellermann 2005: 115ff.). Diese Kernaussage hat Paul Kellermann im Verlauf der weiteren Diskussion zugespitzt und präzisiert: Eine Verbesserung der Lebensbedingungen sei nicht zu erreichen, solange Geld mystifiziert und ihm eigene Handlungsfähigkeit zugeschrieben werde. Die Chance auf eine ausgeglichenere Gestaltung der Lebensbedingungen sei nur dann umzusetzen, wenn der Zusammenhang von Produktivität, Bedarf, Leistungsvermögen und Kaufkraft, wie er in dem heute dominierenden Gesellschaftssystem des industriellen Konkurrenzkapitalismus gegeben ist, wahrgenommen und geschickt gesteuert werde (Kellermann, Aussendung vom 3.3.2006). Zweifellos, Kellermanns Argumentation steht in der Tradition der Aufklärung, wie sie heute im deutschsprachigen Raum prominent wohl noch am ehesten von Habermas verkörpert wird. Ihr ist er ungebrochen verpflichtet und insofern mag seine Aussage in ihrer Zuspitzung als Fortschritt in der Abarbeitung unserer ursprünglichen Fragestellung gemeint sein. Sie ist aber insofern problematisch, als sie, indem sie den möglichen Erfolg politischer Eingriffe unterstellt, weitergehende Fragen abschneidet. Denn, erinnern wir uns, Geld ist Handlungsorientierung für rational agierende Politiker ebenso wie für kriminelle Börsenspekulanten. Der wachsenden Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Steuerung, wie Kellermann sie im Auge hat, stehen, worauf Fritz Fiehler (2000: 223) hingewiesen hat, abnehmende Wertmaßstäbe und zunehmende Probleme in der gesellschaftlichen Willensbildung gegenüber. Großbanken und -unternehmen investieren immer weniger in die Arbeitsplätze schaffende Produktion, sondern legen ihr Kapital lieber in spekulativen Werten an (Strange 1986). Moral wird zunehmend flexibel gehandhabt, zunächst bei den

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gesellschaftlichen Eliten, dann ganz allgemein (Raith 1998, Hardt und Negri 2002: 396ff., Ziegler 2003, Eigen 2003). Der jüngste BAWAG-Skandal in Österreich ist nur ein weiteres, besonders obszönes Beispiel hierfür. Das Problem besteht letztlich darin, dass der Begriff des Geldes eine Realität sui generis bezeichnet, die sich eben nicht auf die Bewusstseinsinhalte gutwilliger Menschen reduzieren lässt, sondern dass es tatsächlich über eine „eigene Handlungsfähigkeit“ verfügt. Geld ist die Verkörperung gesellschaftlicher Objektivität schlechthin. Dadurch dass es in der Vielfalt seiner Funktionen subjektiv und objektiv zugleich Wirklichkeit ist, darin, in dieser Dimension, unterscheidet es sich von jenen sozialen Beziehungen, die allein durch bewusstes Handeln konstituiert werden. Wenn Kellermann von den Mystifizierungen des Geldes spricht, dann vernachlässigt er, dass es sich hierbei nicht bloß um Äußerungsformen eines irregeleiteten Bewusstseins handelt, sondern um eine Fetischisierung, die den Produktionsverhältnissen selbst anhaftet, das heißt, die Menschen nehmen die Verhältnisse in der Tat so wahr, wie sie ihnen erscheinen, nur erscheinen sie anders als sie sind. Sie leben in einer „verzauberten Welt“. Die Welt selbst und nicht ihre Wahrnehmung ist verzaubert. Und insoweit ihr Bewusstsein notwendig ein falsches ist, darf es weder philosophisch als Abweichung von einer vorausgesetzten Wahrheit, noch psychologisch als Irrtum missverstanden werden. Im Verhältnis von Kapital und Zins ist diese Mystifikation, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Beziehungen auf die Spitze getrieben (Marx 1971: 838). In der Auflösung dieser „Verrücktheit“ besteht die zentrale Leistung der Marxschen Fetischismus-Analyse. Denn „es ist in der Tat viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln“ (Marx 1971: 393). Dabei handelt es sich nicht nur bzw. nicht so sehr um ein erkenntnistheoretisches, sondern vor allem um ein realhistorisches Problem. Im erkenntnistheoretischen Sinn gilt ein Bewusstsein dann als (notwendig) falsch, wenn es gesellschaftliche Verhältnisse nicht als sozial produzierte, sondern als natürliche, als ohne menschliches Zutun entstandene begreift, wenn es eine historische Erscheinung für ewig, ein menschliches Produkt für etwas naturhaft Entstandenes oder von außen Gegebenes ansieht. Realhistorisch gesehen ist das (notwendig) falsche Bewusstsein die Kehrseite einer „falsch“ eingerichteten Gesellschaft. Es kann deshalb auch nicht durch begriffliche Arbeit, durch Aufklärungsprozesse allein aufgelöst werden, sondern nur durch die praktische Umgestaltung der ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse. Denn, wie gesagt, ein (notwendig) falsches Bewusstsein ist zwar einerseits „falsch“, aber diese „Falschheit“ ist andererseits die richtige

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Widerspiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse. So ist zum Beispiel das religiöse Bewusstsein in diesem Sinne zwar ein falsches Bewusstsein. Insoweit aber die Religion den Reflex einer bestimmten sozialhistorischen Situation darstellt, ist es zugleich auch wieder die richtige Offenbarung dieses Zustandes. Wenn Marx hinsichtlich der kritischen Auflösung dieser „Verrücktheit“ fordert, nicht nur „durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden“, sondern ebenso auch umgekehrt „aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen“ abzuleiten, dann bedeutet das vor allem eine Bestimmung der sozialhistorischen Realität, an der das herrschende Bewusstsein dann gemessen und zum wahren oder falschen erklärt werden kann. Das deshalb, weil die „verkehrte“ Erscheinungsform der ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse nicht bloß unwesentliche „Oberfläche“ ist, sondern weil sie die einzige Form der Wirklichkeit dieser Verhältnisse abgibt zur Wahrnehmung eben dieser Realität und des daraus resultierenden Bewusstseins (Heinrich 1991: 240).

Die „linguistische Wende der Ökonomie“ Über nichts ärgern sich unsere Freunde aus dem Fachbereich Ökonomie mehr, als daran erinnert zu werden, dass die Wissenschaft von der Ökonomie eine zutiefst reaktionäre Disziplin ist. Michael Hardt, Antonio Negri

Theorien haben in der Regel zwei Wurzeln. Sie stellen Reaktionen dar – entweder auf vorgängige Theorien oder auf reale Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld. Ersteres ist zwar nicht immer, aber häufig genug innerakademischen Profilierungszwängen geschuldet; Letzteres dem bröckelnden Untergrund, auf dem sie basieren, also wenn Realität und Realitätserfassung allzu sehr auseinander klaffen. Und selbst dann, wenn sie sich auf reale Veränderungen beziehen, nehmen sie diese üblicherweise gefiltert wahr, vermittelt durch Begriffe und Kategorien vorhandener Deutungsmuster. Seit Duhem und Quine wissen wir zudem, dass einzelne Begriffe, Hypothesen und Aussagen nicht für sich stehen, sondern ihren ganz präzisen Sinn, ihren Stellenwert und ihren Wahrheitsgehalt im Rahmen jener Theoriegebäude erhalten, in die sie eingebettet sind. Kuhn hat als dessen Konsequenz sein „Inkommensurabilitätstheorem“ entwickelt (Bammé 2005: 17). Was folgt daraus für die Erörterung unserer Geld-Thematik? Zunächst bedeutet es, das Verhältnis von Zeichen (Signifikant) und Bezeichnetem (Signifikat) ernst zu nehmen, es aus seiner sozialhistorischen Bestimmung

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heraus und in seiner theoriegeschichtlichen Vermitteltheit zu begreifen. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: (1) die Erörterung der Frage, ob und inwieweit sich Substanz und Funktion des Geldes in der Spät- bzw. Postmoderne gegenüber der Moderne, so wie wir sie noch kennen gelernt haben, real verändern; (2) die Auswahl, Offenlegung und Begründung eines theoretischen Rahmens, innerhalb dessen der zuvor skizzierten Frage nachgegangen werden soll. Letzteres ist deshalb wichtig, weil ja das Resultat, das mit einer bestimmten Theorie erzielt wird, nicht unbedingt eine adäquate Deutung der erörterten Realität sein muss, sondern durchaus, der inneren Logik des verwendeten Theoriegebäudes geschuldet, bloßes Artefakt sein könnte, wunderschön anzusehen zwar, aber weitgehend irrelevant, weil fernab vom Leben, so wie seinerzeit das abgehobene Wissen aztekischer Priester. Wenn heute von einer „linguistischen Wende der Ökonomie“ (Marazzi 1998) geredet wird, dann findet das durchaus seine frühe Entsprechung in der Art und Weise, wie Baudrillard das Geldphänomen in sein Theoriengebäude einführt, um mögliche Zukunftspfade der postmodernen Gesellschaft zu skizzieren: Die Zeichen, mit denen die Gesellschaft ihre Kommunikation bewerkstelligt, lösen sich ab von der Realität, über die sie kommuniziert. Sie verweisen zunehmend nur noch auf sich selbst. Erster Gewährsmann für diese Sicht der Dinge, auf den Baudrillard sich explizit beruft, ist folgerichtig de Saussure: „Indem er sie mit dem Geld verglich, unterschied Saussure am Austausch sprachlicher Terme zwei Dimensionen: ein Geldstück muss einerseits gegen ein reales Gut irgend eines Wertes ausgetauscht und andererseits zu allen anderen Termen des monetären Systems in Beziehung gesetzt werden können. Diesem letzten Aspekt: der dem allgemeinen System innewohnenden Relativität sämtlicher Terme untereinander, behielt er, was die Sprache angeht, den Terminus des Wertes vor. Dieses Stadium totaler Relativität ist heute überall erreicht, sowohl in der Geld-Sphäre mit dem Floaten, dem Verlust des Goldstandards und mit den Schriftsystemen, als auch, durch die Medien, in der Sphäre der Zeichen, in der alle Zeichen in dem Sinne Simulation sind, dass sie zwar untereinander, keineswegs aber gegen »Reales« sich austauschen, als auch in der politischen Sphäre, wo die Simulation eines Gegensatzes zwischen der Linken und der Rechten vom Verlust des Bezugs zu jeder realen gesellschaftlichen Meinungsbildung begleitet wird und wo stattdessen der alleinige Bezug zu jenem allgemeinen Äquivalent (oder vielmehr zu jenem Simulationsmodell) vorherrscht, das die öffentliche Meinung ist.“ (Baudrillard 1978: 39f.) Neben dem Strukturalismus Saussurescher Prägung dürfte für die ideengeschichtliche Entwicklung und das Verständnis Baudrillards weiterhin entscheidend sein: Henri Lefèbvres

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Theorie der Entfremdung, die, auf Marx und Hegel basierend, in einer Kritik des Alltagslebens und der Moderne mündet (1974); ferner die Thesen der situationistischen Internationale, denen zufolge in der Postmoderne Waren nicht mehr entsprechend einer Logik des Gebrauchswertes, sondern des Spektakels (Debord 1996) produziert und konsumiert werden; schließlich die Auseinandersetzung mit der Diskursanalyse Michel Foucaults und den anthropologischen Arbeiten von Marcel Mauss (Kellner 1989, Blask 1995, Horacek 2000).

„Agonie des Realen“. Von der Repräsentation zur Simulation Wir bearbeiten Ihre Rechnung nur, wenn sie uns elektronisch zugeht. Wal-Mart

Der Ökonomie des Bürgertums ist es mit Hilfe der neuzeitlichen Technologie gelungen, das abendländische Rationalprinzip, wie es von Max Weber (2005) beschrieben wurde, mit einer solchen Effizienz und Durchschlagskraft wirksam werden zu lassen, dass es die Naturbasis der Menschen selbst in Frage stellt. Zugleich sprengt sie die Grenzen der Kalkülhaftigkeit ihres eigenen Tuns. Werte, Preise, die Relationen zwischen einer Leistung und ihrem Gegenwert werden immer fiktiver, immer imaginärer, irrationaler und absurder. Am pointiertesten formuliert es Baudrillard (1982: 15-76): Das Kapital unterliege nicht mehr der Ökonomie. Es spiele mit ihr als einem Simulationsmodell. Deshalb mache nicht nur die Differenz zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit, sondern auch die Unterscheidung zwischen (Lohn-)Arbeit und Nicht-Arbeit keinen Sinn mehr. (Lohn-)Arbeit produziere und konsumiere sich wie alles Übrige. Die Sphäre der Produktion, der (Lohn-)Arbeit und der Produktivkräfte kippe um in die Sphäre der Konsumtion. Alles werde beliebig, austauschbar. Was das System produziere, sei die Arbeit selbst. Es benötige, um zu funktionieren, immer weniger Arbeitskraft, aber man erwarte von ihm, dass es mehr und mehr Arbeit schaffe. Heute, wo die Produkte und die (Lohn-)Arbeit in ihrer Mehrheit jenseits des Nützlichen und Unnützen stehen, ist die Arbeit, wie die Sozialversicherung, wie die Konsumgüter, zu einem Moment gesellschaftlicher Redistribution geworden. Damit sei die Freizeit ebenso produktiv wie die (Lohn-)Arbeit geworden. Ein ungeheures Paradox tue sich auf: „Die Arbeit ist immer weniger eine Produktivkraft, sie wird mehr und mehr ein Produkt.“ (: 49f.) Diese Indifferenz kennzeichnet nach Baudrillard die Endphase der Ökonomie im traditionellen Sinn.

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Baudrillard skizziert die vorläufige Endphase eines historischen Prozesses, der eingeleitet wurde durch die maßlose Ausdehnung des capital fixe; ein Prozess, der so weit vorangetrieben wird, bis das capital fixe aufhört, Kapital zu sein. Diese Sicht der Dinge steht durchaus noch in der Tradition Marxschen Denkens, dem zufolge in einer Gesellschaft, in der die menschliche Lohnarbeit vollkommen aus der Produktion verschwinden würde, auch das Kapitalverhältnis zu einem Ende käme. Ohne Lohnarbeit kein Kapital, ohne Kapital keine Lohnarbeit. Damit bricht, so Baudrillard, die Dialektik von Gebrauchs- und Tauschwert, von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, von all diesen Entgegensetzungen, die nach dem gleichen rationalistischen Schema des „wahr“ oder „falsch“ funktionieren, zusammen. Zwar werde noch an der Form der Entlohnung festgehalten, aber es handle sich um eine Fiktion. Die Entlohnung in der traditionellen Form der Ausbeutung sei am Ende. Sie werde nur noch simuliert. Im Kommen sei die Entlohnung in der Art des Aktienanteils an der Kapitalgesellschaft. Das Kapital bekleide den Arbeiter mit einem Lohn, wie man jemanden mit einem Amt oder Verantwortung bekleidet (: 38). Die strategische Funktion des Arbeiters verlagert sich zur Konsumtion als dem gesellschaftlich verbindlichen Dienst. In ähnlicher Weise äußert sich Virno (2005: 117): „Im Hinblick auf das, »was« gemacht wird und »wie« es gemacht wird, gibt es zwischen Arbeit und so genannter Arbeitslosigkeit keinerlei Unterschied; man könnte auch sagen: Arbeitslosigkeit ist nicht bezahlte Arbeit, während umgekehrt Arbeit bezahlte Arbeitslosigkeit ist. Mit guten Gründen ließe sich gleichzeitig behaupten, die Arbeit höre niemals auf, wie auch, dass immer weniger zu arbeiten sei. Diese paradoxen, einander widersprechenden und zugleich zusammengehörigen Formulierungen zeigen, wie sehr die gesellschaftliche Zeit aus den Fugen ist.“ Der unerträgliche Skandal besteht für ihn im Zynismus der politischen Inszenierung dieses Sachverhalts: „Die unumkehrbare Verringerung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ging einher mit der Ausdehnung der Arbeitszeit für alle, die »drin« waren, und der Marginalisierung aller, die »draußen« stehen. Geplagt von Überstunden präsentieren sich die abhängig Beschäftigten insgesamt … als »Überbevölkerung« oder »industrielle Reservearmee«.“ (: 129) ABM-Maßnahmen (Arbeit als staatlich subventioniertes Hobby), Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen (unproduktive Bereitstellung von Produktivkräften) und Auflehnung gegen die Ausgliederung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer (Horacek 2000: 152) – all das mag zwar als verzweifelter Versuch sozialer Integrationsleistungen betrachtet werden, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass es nicht mehr darum geht, die Grundversorgung der Ge-

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sellschaft mit Gütern sicherzustellen, sondern nur noch um die individuelle Ermöglichung einer Verwertungsbereitschaft hinsichtlich der durch die Signalmaschinerie systemintern erzeugten fraktalen Zeichen (Mode, Lifestyle, Weiterbildung, Selbstverwirklichung). Dieses „System der Dinge“ (Baudrillard 1991) wird in seiner Eigendynamik ergänzt durch eine komplementäre Strategie, die sich um die Arbeit dreht: „Vervielfältigung der Jobs, gleitende Arbeitszeit, größere Beweglichkeit, permanente Umschulung und Weiterbildung, Autonomie, Autogestion, Dezentralisierung des Arbeitsprozesses, bis hin zur kalifornischen Utopie der ins Wohnzimmer gelieferten Bildschirmarbeit.“ (Baudrillard 1982: 28) Auf diese Art und Weise ergreift die Arbeit (auch in der Form der Freizeit) das ganze Leben „als fundamentale Regression, als Kontrolle, als permanente Beschäftigung an festgelegten Orten und zu festgelegten Zeiten, nach einem allgegenwärtigen Code. Die Menschen müssen überall fixiert werden, in der Schule, in der Fabrik, am Strand, vor dem Fernseher oder in der beruflichen Weiterbildung – eine permanente und generelle Mobilisierung.“ (ebda.) Baudrillards Äußerungen sind eingebunden in ein umfassendes sozialhistorisches Entwicklungskonzept. Im Zentrum steht der Begriff des Simulakrums, des Trugbildes, des Blendwerks, der Fassade, des Scheins. Simulakren unterscheiden sich grundsätzlich von Symbolen. Symbole sind Zeichen oder Bilder, bei denen es keine Differenz gibt zwischen sinnlicher Erscheinung und begrifflicher Abstraktion, zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem (Hallpike 1990: 165202). Sinn wird nicht über den begrifflichen Verstand, sondern über das Symbol selbst vermittelt. Das Simulakrum hingegen löst diesen Zusammenhang im Extremfall völlig auf. Während die symbolische Ordnungsstruktur, Baudrillard zufolge, charakteristisch sei für primitive Gesellschaften, operiert die (Post-) Moderne mit Simulakren. Gesellschaftliche Ausdifferenzierungen, wie wir sie von Luhmann her kennen, werden von Baudrillard als ein Prozess gedeutet, der allmählich der Kontrolle der Gesellschaft entgleitet, indem er unter das Diktat sich selbst organisierender Zeichensysteme gerät bzw. der Metaphysik ihrer Codes, der „mystischen Eleganz des Binärsystems von Null und Eins“ (Baudrillard 1982: 18, 90ff.). Auf die nicht unmittelbar einsichtige Seelenverwandtschaft zwischen Luhmann und Baudrillard hat Peter Zima mehrfach hingewiesen (1997: 89-107, 2000: 295363). Das Charakteristikum des strukturalen Codes, den Baudrillard der Semiotik entnimmt und auf sozialhistorische Phänomene überträgt, beruht auf der Beliebigkeit der Zeichen, auf der Beliebigkeit sowohl ihrer Zuordnung zu dem, was sie bezeichnen, zu ihrem Inhalt, wie der Anordnung der Zeichen untereinander (Zima 1977). Beides, Beliebigkeit und Anordnungsstruktur, kennzeichnet

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Baudrillard zufolge die ökonomischen Reproduktionsmechanismen der Postmoderne. Für ihn handelt es sich bei dieser Gleichsetzung nicht bloß um eine begriffliche Analogiebildung, sondern um die Beschreibung eines realen Verdrängungsprozesses. Die traditionelle ökonomische Wertsemantik werde einer strukturalen Revolution unterzogen. An die Stelle der klassischen Ökonomie trete eine Zeichenökonomie. Zudem, man mag’s akzeptieren oder nicht, stellt Baudrillard über die aleatorische und binäre Struktur des Codes die Verbindung her zu Informationstheorie und Kybernetik. Luhmann habe ich erwähnt. Auf einen anderen Autor ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Auch für Latour fallen Realität und Realitätsdeutung immer mehr auseinander: Lange Zeit glaubten wir, die Gesellschaft sei, im Gegensatz zur Natur, unsere freie Konstruktion, unserem Handeln immanent. Die Realität aber sieht anders aus. Zunehmend erleben wir, dass die gesellschaftlichen Strukturen und Abläufe Resultate zeitigen, die nicht intendiert sind. Die Schlussfolgerung, die Latour aus diesem Sachverhalt zieht, lautet im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, ähnlich wie bei Baudrillard: Die Gesellschaft ist nicht länger unsere Konstruktion, sie ist transzendent und übersteigt uns unendlich. Sie entwickelt sich naturwüchsig. Dass wir nach wie vor so tun, als ob wir sie konstruieren, obwohl das kaum noch der Fall ist, bezeichnet Latour als „Selbsttäuschung der Moderne“ (1998: 47). In den Worten Baudrillards kann dieser Vorgang als ein Prozess beschrieben werden, in dessen Verlauf die „Repräsentation“ der Realität durch ihre „Simulation“ ersetzt wird. Der Begriff der Repräsentation bezeichnet bei Baudrillard eine Operation, in der ein Zeichen symbolhaft an die Stelle des Bezeichneten tritt. Die Bindungskraft bzw. Identität zwischen beiden ist sehr hoch. Horacek erläutert den Zusammenhang an einem sehr schönen Beispiel: „So ist die Ikone gleichzusetzen mit der Gegenwart Gottes; ihre Anwesenheit repräsentiert die Gottheit. Eine ähnlich hohe Bindungskraft besitzt bis heute in der jüdischen Religion das geschriebene Wort »Gott«: einmal niedergeschrieben, darf es nicht mehr vernichtet werden.“ (2000: 147) In der Phase der Simulation hat sich dieser Zusammenhang aufgelöst. Beide, Signifikat und Signifikant, verhalten sich arbiträr zueinander.

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„Aufstand der Zeichen“. Vom Symbol zum Simulakrum Das ist Philosophie. Ich verstehe kein Wort. Aber das ist Philosophie. Carl Friedrich von Weizsäcker

Baudrillard unterscheidet vier historische Entwicklungsstadien, ausgehend von der Ordnungsstruktur primitiver Gesellschaften bis hin zur postmodernen Gegenwartsgesellschaft. Ihnen entsprechen vier hierarchisch abgestufte Ordnungen der Simulakren. Je höher entwickelt eine Ordnung ist, desto losgelöster sind die Zeichen, mit denen eine Gesellschaft operiert, von dem, was sie bezeichnen. Das Simulakrum erster Ordnung ist das imitierende Zeichen. Es entsteht mit der Ablösung der feudalen durch die bürgerliche Ordnung. Sein Wesen besteht in der Imitation der Natur und des Menschen. In der Differenz zwischen der Imitation und dem Imitierten untescheidet sich das Simulakrum vom symbolischen Zeichen. Als Beispiel führt Horacek (2000: 148) die Landkarte an, die als abstrahierende Darstellung territorialer Gegebenheiten eine Imitation der Natur bedeutet. Zweierlei ist dabei zu beachten. Zum einen wird Landschaft nicht mehr als umgebende, unbeherrschbare und übermächtige Natur empfunden, sondern als empirisch bemächtigte. Doch obwohl die Karte eine starke Abstraktion der Landschaft darstellt, bleibt evident, dass die Natur ihr Referenzpunkt ist. Auch das Geld, dem eine Sonderrolle zukommt, fungiert in dieser Entwicklungsphase als Simulakrum erster Ordnung, weil es sich im Tauschverkehr auf natürliche Gebrauchswerte bezieht (Baudrillard 1982: 80-83). Mit der Industrialisierung kommt das Simulakrum zweiter Ordnung auf. Während Simulakren der ersten Ordnung noch einem Stadium angehören, das einen natürlichen Bezugspunkt im Gebrauchswert hat, bezieht sich das Simulakrum zweiter Ordnung auf einen Wert, der sich aus der Logik des Warentauschs ergibt. Ein solches Simulakrum kann nicht mehr als klassisches Zeichen gedeutet werden. Es verweist auf kein natürlich Gegebenes mehr, sondern auf ein produktiv Machbares (: 84f.). In dieser Phase wird auch das Geld zum Simulakrum zweiter Ordnung. Es ist „die erste Ware, die Zeichenstatus erlangt und dem Gebrauchswert entkommt“ (: 42). Das Geld ist also nicht länger ein Zeichen, das aus der Distanz auf einen möglichen Gebrauchswert verweist, sondern es löst sich aus dieser Referenz und beginnt, ein Eigenleben zu führen, als Zins und Investitionskapital. Ähnliches gilt für die Arbeit. Die industrielle Arbeit verweist als Simulakrum zweiter Ordnung nicht mehr auf eine Natur oder einen Gott, sondern auf mechanische Effizienz. Ihr Bezugspunkt ist ein durch rationelle Produktion gewonnener Reichtum, der dem Tauschwert ausgeliefert ist. Die

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Produktion von Mehrwert ist ihr Telos geworden und nicht mehr der Arbeiter selbst. „Der Arbeiter ist kein Mensch mehr, er ist weder Mann noch Frau, denn er hat ein ganz eigenes Geschlecht: diese Arbeitskraft, die seinen Zweck bestimmt.“ (: 26) Das Simulakrum dritter Ordnung gehorcht einem strukturalen Zeichenwert. Es verdrängt die Repräsentation durch den Verweis auf Modelle und Codes. Die Referenz solcher Modelle ist weder in der Natur, im Gebrauchswert oder in der Imitation noch in einem Tauschwert oder in der Produktion zu finden. Sie sind an keine gesellschaftliche Referenz oder Finalität gekoppelt, sondern nur an die eigene Struktur (: 131-150). Doch, auch wenn es keinen realen Verweis mehr hat, kann das Simulakrum der dritten Ordnung gleichwohl reale Konsequenzen zeitigen. Als Beispiel führt Baudrillard das Finanzkapital an, das zwar nur noch der Dynamik und dem Verweisungszusammenhang der eigenen Struktur folgt, der spekulativen Struktur grenzenlosen Wachstums, abgekoppelt von jeder gesellschaftlichen Produktion. Jedoch kann ein durch Spekulationen hervorgerufener Börsencrash sehr wohl eine reale wirtschaftliche Krise zur Folge haben (: 40 f.). Baudrillard verweist in diesem Zusammenhang auf den Kurssturz an der New Yorker Börse vom 24.10.1929 und dessen Folgen. Während die Simulakren der dritten Ordnung noch einem strukturalen Zeichenwert entsprachen, ist das Simulakrum vierter Ordnung nur noch einem viralen Stadium angehörig. Dem dritten Stadium entsprach ein Code und der Wert entfaltete sich hier unter Bezugnahme auf ein Ensemble von Modellen. Anders im vierten, „dem fraktalen oder vielmehr viralen oder noch besser bestrahlten Stadium des Wertes“. Hier „gibt es überhaupt keinen Bezugspunkt mehr, der Wert strahlt in alle Richtungen, in alle Lücken, ohne irgendeine Bezugsnahme auf irgendetwas, aus reiner Kontiguität“. Der Begriff der Viralität soll Assoziationen wecken zur virusartigen Ausbreitung von Krebsgeschwüren. Im viralen Stadium „gibt es keine natürliche oder allgemeine Äquivalenz mehr, gibt es eigentlich kein Wertgesetz mehr, nur mehr eine Art Epidemie des Werts, eine allgemeine Metastase des Werts, Wucherung und zufällige Ausbreitung“ (Baudrillard 1992: 11, 38f.) So ist für Baudrillard der Börsencrash, der sich 1987 an der Wall Street ereignete, kein ökonomisches Ereignis mehr, sondern ein Phänomen der Transökonomie, weil sich ihm zufolge monetäre und materielle Tauschprozesse sowie die daraus folgenden Krisen schon längst nicht mehr als struktural verzweigte Operationen begreifen lassen. Die Börsentätigkeit, die 1987 zum crash führte, ist zu einem Simulakrum des fraktalen bzw. viralen Stadiums mutiert. Das frei flottierende Börsengeld hat sich endgültig von der realen Ökonomie abgekoppelt: „Da die Sphären des flottierenden und

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spekulativen Kapitals derart autonom sind, hinterlassen … nicht einmal ihre Erschütterungen irgendwelche Spuren … Die Ökonomen produzieren schließlich weiter, obwohl die kleinste logische Folge von Schwankungen der fiktiven Ökonomien bereits ausreichen würde, um sie zu vernichten (vergessen wir nicht, dass das Volumen des Güteraustauschs heute 45 mal geringer ist als das der Kapitalbewegung).“ (: 33f.) Ähnliches gilt für die Ideologie des Marktes als gesellschaftliche Steuerungsinstanz. Auch sie ist Reflex nicht einer Realität, die ihr zu Grunde liegt, sondern einer Simulation. Nur allzu oft wird die (neo-)liberale Ideologie des Marktes für bare Münze genommen. Tatsächlich hat aber schon längst eine Entgrenzung stattgefunden zwischen realem Marktgeschehen und steuernden politischen Interventionen. Die Entwicklung von Technologien im Infrastrukturbereich, in der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, hat inzwischen Ausmaße angenommen, die den Horizont kurzfristiger Kalküle einzelner Unternehmen bei weitem übersteigen. Und selbst dort, wo die (neo-)liberale Marktideologie noch am ehesten Berechtigung für sich reklamieren könnte, im Bereich der Konsumgüterindustrie, folgt das Angebot nicht einfach der Nachfrage, sondern auch dort werden Märkte inszeniert, wird Nachfrage erzeugt (Packard 1988, Strasser 1989, Cross 1993). Galbraith (1961) hat es mit Blick auf die Überflussgesellschaft einmal so formuliert: Damit die im Prinzip zu vielen Güter überhaupt abgesetzt werden können, muss zuvor ein Bedürfnis künstlich erzeugt werden. In gewisser Hinsicht sind Simulakren der ersten und zweiten Ordnung noch repräsentative Zeichen. Die eigentliche Simulation beginnt für Baudrillard erst mit der dritten und vierten Ordnung. Ursprünglich umfasste sein Entwicklungsschema nur drei Stadien (1982: 79): (1) Die Imitation ist das bestimmende Schema des „klassischen“ Zeitalters von der Renaissance bis zur französischen Revolution; (2) die Produktion ist das bestimmende Schema des industriellen Zeitalters; (3) die Simulation ist das bestimmende Schema der gegenwärtigen Phase, die durch den Code beherrscht wird. „Das Simulakrum der ersten Ordnung handelt vom Naturgesetz des Wertes, das der zweiten Ordnung vom Marktgesetz des Wertes, das der dritten Ordnung vom Strukturgesetz des Wertes.“ (ebda.) Baudrillards drei Ordnungen der Simulakren folgen also parallel zu den historischen Mutationen des Marxschen Wertgesetzes aufeinander. Das Simulakrum der vierten Ordnung fügte er später, Anfang der neunziger Jahre, hinzu (1992: 11): „Ich habe seinerzeit, in unklarer Klassifikationsabsicht, eine Trilogie des Werts vorgeschlagen. Ein natürliches Stadium des Gebrauchswerts, ein Handelsstadium des Tauschwerts, ein strukturales Stadium des Zeichen-

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werts. Naturgesetz, Handelsgesetz, strukturales Wertgesetz. Diese Unterscheidungen sind freilich formal, ungefähr wie bei den Physikern, die jeden Monat ein neues Teilchen erfinden. Das eine verdrängt nicht das andere: sie gehen auseinander hervor und summieren sich auf einer hypothetischen Bahn. Ich werde hier folglich ein neues Teilchen in die Mikrophysik der Simulakren einführen. Nach dem Naturstadium, dem Handelsstadium, dem strukturalen Stadium sind wir somit zum fraktalen Stadium des Werts gelangt. Dem ersten entsprach ein natürlicher Bezugspunkt, und der Wert entwickelte sich unter Bezugnahme auf einen natürlichen Gebrauch der Welt. Dem zweiten entsprach ein allgemeines Äquivalent, und der Wert entwickelte sich unter Bezugnahme auf eine Logik der Ware. Dem dritten entsprach ein Code und der Wert entfaltete sich hier unter Bezugnahme auf ein Ensemble von Modellen. Im vierten Stadium, dem fraktalen oder vielmehr viralen oder noch besser bestrahlten Stadium des Werts gibt es überhaupt keinen Bezugspunkt mehr, der Wert strahlt in alle Richtungen, in alle Lücken, ohne irgendeine Bezugnahme auf irgendetwas, aus reiner Kontiguität. In diesem fraktalen Stadium gibt es keine natürliche oder allgemeine Äquivalenz mehr, gibt es eigentlich kein Wertgesetz mehr, nurmehr eine Art Epidemie des Werts, eine allgemeine Metastase des Werts, Wucherung und zufällige Ausbreitung. Im strengen Sinn kann man nicht mehr von Wert sprechen, da diese Art Demultiplikation und Kettenreaktion jede Wertbestimmung unmöglich macht.“ Zweifellos, Baudrillard liebt es, sich einer impressionistischen Diktion zu befleißigen. Dafür ist er bekannt. Man darf sich davon nicht entmutigen lassen. Entscheidend für das vierte Stadium ist, dass „die Dinge, die Zeichen, die Handlungen von ihrer Idee, ihrem Begriff, ihrem Wesen, ihrem Wert, ihrer Referenz, ihrem Ursprung und ihrer Bestimmung befreit sind.“ Sie sind eingetreten in eine endlose Selbstreproduktion. „Die Dinge funktionieren weiter, während die Idee von ihnen längst verloren gegangen ist. Sie funktionieren weiter in totaler Gleichgültigkeit gegenüber ihrem eigenen Gehalt. Und das Paradoxe ist, dass sie umso besser funktionieren.“ (: 12) In einer solchen Situation wird die Frage nach der Legitimität dessen, was abläuft, ebenso unpassend wie das Nachdenken über die „Rechtmäßigkeit“ oder „Unrechtmäßigkeit“ eines Computerprogramms. Das sanfte Brummen der gesellschaftlichen Maschine genügt sich selbst (Guéhenno 1994: 87).

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„Baudrillard vergessen?“ Von der Ökonomie zur Politik Gott existiert nur, wenn wir es wollen. Karel Kosik

„Forget Baudrillard?“, so lautet der Titel eines Buches über Baudrillard (Rojek und Turner 1993). Er paraphrasiert eine frühe Schmähschrift, die Baudrillard 1977 unter der Bezeichnung „Oublier Foucault“ publiziert hat. Warum Baudrillard vergessen? Es ist sicher so, dass Baudrillards Analysen trotz brillanter Phänomenologie kaum Möglichkeitsräume verändernden Handelns eröffnen. In dieser Hinsicht ist die Bilanz seiner theoretischen Bemühungen sicher desaströs, ein Schicksal, das er mit anderen Denkern der Postmoderne teilt. Sie führen uns in eine Sackgasse, weil sie ihr Unternehmen ganz auf den kritischen Diskurs beschränken. Sie provozieren allenfalls Resignation oder Zynismus. „Der einzige Ausweg“ bestehe darin, so resümiert Latour, „sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen.“ Dann hätte die „leichtfertige Verzweiflung der Postmodernen“ ein angemessenes und endgültiges Ende gefunden: das Ende der Enden (1998: 81ff.). „Baudrillard’s political imaginary is that of a neoaristocratic sign fetishist … He fails to project any positive alternatives to the current society of simulations.“ (Kellner 1989: 199) Diese Einschätzung wird von Blask, einem seiner Biografen, weitgehend geteilt, doch wertet er wesentlich positiver: Baudrillard nehme durchaus „Stellung zu aktuellen politischen Fragen, allerdings aus einer Perspektive, die nicht mehr den diskutierten Phänomenen und der Sphäre ihrer offensichtlichen Wirkungen verhaftet ist. Das lässt seine politischen Äußerungen auf den ersten Blick intellektualistisch und weltfremd erscheinen, eine Haltung, die er selbst als transpolitisch einstuft. Aber aus dieser Perspektive entwickelt Baudrillard Denkansätze, die weit über tagespolitische Debatten hinausgehen. Indem er nämlich auch die aktuellen Erscheinungen der politischen Szenerie in ein politisches Jenseits entrückt, entkommt er den kraftlos gewordenen Argumenten der traditionellen Politikdiskussion und bahnt den Weg zu neuen Formen der politischen Auseinandersetzung.“ (1995: 21f.) Das Politische sei nicht mehr im Politischen. Es habe alle Bereiche infiziert: die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Kunst, den Sport …, schreibt Baudrillard in seinem Essay über die „Transparenz des Bösen“. Alles sei politisch geworden, habe einen politischen Sinn bekommen: das Alltagsleben, aber auch der Wahnsinn, die Sprache, die Medien, das Begehren. Und er fügt hinzu: „Wenn alles politisch ist, ist nichts mehr politisch, und das Wort verliert seinen Sinn.“

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(1992: 15f.) Allerdings muss eine solche Schlussfolgerung nicht zwangsläufig gezogen werden. Denkbar wäre auch eine Neudefinition des Politischen etwa im Sinne von Beck, von Giddens und von Foucault, eine Redefinition, die traditionelle Etikettierungen und Grenzen hinter sich lässt, vor allem jene zwischen Politik und Ökonomie. Sowohl den Protagonisten der Autopoiese des Marktes als auch ihren Kritikern liegt implizit die Annahme zu Grunde, es gebe eine reine Ökonomie, die von einer nachgelagerten politischen Reaktion der Gesellschaft bedroht werde bzw. zu zivilisieren sei. Unterstellt wird in beiden Fällen eine prinzipielle Trennung von Staat und Markt, von Politik und Ökonomie. In Wirklichkeit existiert kein Markt unabhängig vom Staat, und Ökonomie ist stets politische Ökonomie. Es ist nur so, dass die politischen Entscheidungsträger, um sich von jeglicher Verantwortung zu exkulpieren, das, was sie in einem trüben Gemisch unterschiedlicher Interessen vorab beschließen, der vorgeblichen Autopoiese des Marktgeschehens anlasten. Heute, in einer Zeit technologischer Formierung, noch von der Herrschaft des Marktes zu sprechen, heißt, die gesellschaftlichen Konturen der gegenwärtigen Umstrukturierung – nenne man sie nun Wissens-, Welt- oder Risikogesellschaft – zu verfehlen und die (neo-) liberale Ideologie einer Trennung von Politik und Ökonomie unhinterfragt zu reproduzieren. Statt von der dichotomisch geprägten Vorstellung eines Nullsummenspiels auszugehen, demzufolge mehr Markt weniger Staat bedeutet und vice versa, gilt es, eine qualitativ veränderte Topologie des Sozialen ins Auge zu fassen, in der die Bedeutung dessen, was Ökonomie bzw. Politik heißt, neu festgelegt wird. Folgt man dem späten Foucault, so bezeichnet die postmoderne Form der „gouvernementalité“ weniger das tendenzielle Ende, sondern eher die Transformation des Politischen, mittels derer die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse neu strukturiert werden. Sie lässt sich als durch und durch politisches Projekt dechiffrieren, das nicht so sehr durch eine Abnahme staatlicher Souveränität charakterisiert ist, sondern vielmehr durch eine Verschiebung von formellen zu informellen Strukturen der „gouvernementalité“. In dieser politisch, nicht ökonomisch zu definierenden Herrschaftsstruktur – man kann sie „Empire“ (Hardt/Negri) oder „drittes Rom“ (Guéhenno) nennen – ist der Staat einer der Akteure, nach wie vor, aber mit veränderter Rollenzuweisung. Sie ist charakterisiert durch die Verlagerung von nationalstaatlich definierten Handlungsmustern auf suprastaatliche Ebenen (world polity in der Diktion von John W. Meyer) ebenso wie durch die Etablierung neuer Formen von „Subpolitik“ (um mit Beck zu sprechen) oder life politics (in den Worten von Giddens), Formen, die zugleich oberhalb wie unterhalb dessen operieren, was traditionellerweise das Politische ausmachte. Die bislang übliche, von Protagonisten und Kritikern

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gleichermaßen dichotomisch gedachte Konzeption eines äußerlichen und statischen Verhältnisses von Ökonomie und Politik entpolitisiert und verharmlost die Voraussetzungen und Folgen dieser Transformation. Erst wenn man die Ambivalenz der postmodernen Entdifferenzierung von Ökonomie und Politik in den Blick nimmt, lassen sich demokratische Eingriffsmöglichkeiten in das, was politisch ohnehin geschieht, theoretisch begründen. Die behauptete Dominanz einer Ökonomie, die in weiten Bereichen ihre gesellschaftliche Integrationskraft und Synthesefunktion schon längst verloren hat und zur „Simulation“ (Baudrillard) verkommen ist, wird dann als das erkennbar, was sie wirklich ist: die ideologische Legitimation einer diffusen „gouvernementalité“ unterschiedlicher Interessen, die es in durchschaubare und öffentlich kontrollierte demokratische Bahnen zu lenken gilt. Dass eine solche Rücknahme scheinbarer Selbstläufe der Ökonomie Risiken beinhaltet, ist evident. Nur: Eine solche Rücknahme muss nicht mehr erfolgen. Sie ist bereits geschehen. Was auf der Tagesordnung steht, ist die Demokratisierung dieser Rücknahme.

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Anhang Arno Bammé

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Der von Paul Kellermann initiierte Klagenfurter Gelddiskurs, der 2006 mit dem Juni-Symposion seine Fortsetzung fand, weist eine Merkwürdigkeit auf, die der weiteren Betrachtung wert ist: Niemand von denen, die sich an der Diskussion beteiligt haben, will das Geld abschaffen. Aber alle plädieren dafür, ihm Zügel anzulegen. Im Normativen sind wir uns also einig. Schon das ist bemerkenswert. Diese Übereinstimmung dürfte, so steht zu vermuten, in den Erfahrungen eines gemeinsam geteilten Alltags ihre Wurzeln haben. Dort aber, wo wir als Wissenschaftler reden, sieht die Sache ganz anders aus. Im Analytischen trennen uns Welten. Das dürfte daran liegen, dass wir aus ganz unterschiedlichen Theorietraditionen heraus argumentieren, die nun, weil sie, um in sich konsistent zu sein, einer inneren Logik folgen müssen, in gar keiner Weise miteinander kompatibel sind. Das heißt, die in der Diskussion herausgearbeiteten Differenzen beruhen eher auf Unterschieden in den Herkunftstheorien und Hausphilosophien, mit denen jeweils das praktische Forschungshandeln begründet wird, als im wahrgenommenen Problem, solange es auf der Ebene „einfach-einsichtiger Vernunft“ (Peter Heintel) formuliert wird. Auch das ist bemerkenswert. Im Nachhinein betrachtet, ist es direkt schade, dass wir davon abgesehen haben, den Diskussionsverlauf zu protokollieren, ließe sich doch daraus einiges gewinnen für die Beantwortung der Frage nach Stellenwert und Funktion akademischer Diskurse in Zeiten postmoderner Unübersichtlichkeit. Man könnte dafür halten, dass die gemeinsame Diskussion von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zunächst, über die wechselseitige Kenntnisnahme nicht nur unterschiedlicher, sondern sogar inkompatibler Positionen hinaus, zu einer deutlicheren Differenzierung der Problemwahrnehmung führt und schon das als Erfolg verbuchen. Dass in Zeiten postmoderner Beliebigkeit unter Wissenschaftlern, die zu einem relativ eng umgrenzten Problembereich Stellung beziehen, die Vielfalt der Orientierungen und die Zahl der Kontroversen so groß und heftig sind, mag dem einen als bedauerlich, dem anderen bloß als charakteris-

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tisch erscheinen. Doch bleibt festzuhalten, dass sich am Ende nur über die Wahrnehmung und Aufarbeitung der Differenzen Maßstäbe für eine produktive disziplinübergreifende Kooperation herausbilden können. Allerdings wird man die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten einer solchen Kooperation, gerade auch auf Grund bisheriger Erfahrungen, vorsichtiger und zurückhaltender einschätzen, als die gängige Interdisziplinaritäts-Rhetorik erhoffen lässt. Die nach wie vor feste Verankerung in Fachdisziplinen und Hausphilosophien erschwert nicht nur die Lösung theoretischer Probleme, sie kann, darüber hinausgehend und in der Regel unbeabsichtigt, auch die empirische Arbeit belasten und die praktische Forschungsarbeit „vor Ort“ behindern. Dennoch und trotz alledem: Der Versuch, die Problemfronten im Diskurs zu klären, zielt im Ergebnis auf eine Verständigung ab, die anders als in der Konfrontation der Standpunkte und Intentionen nicht zu gewinnen ist. Zentrale Problembereiche, die zu nennen wären, ergaben sich für mich im Klagenfurter Gelddiskurs vor allem aus dem Verhältnis (1) von Theorie und Empirie, (2) Strukturgenese und Strukturlogik, (3) von normativer Akteurstheorie und autopoietischer Systemdynamik sowie, daraus folgend, hinsichtlich der Voraussetzungen, Folgen und Formen möglichen Wandels geldinduzierter sozialer Probleme. 1

Theorie vs. Empirie

Der Focus der Geldproblematik liegt für Arno Bammé in der Geldform des Kapitals. Darin stimmt er mit Christoph Deutschmann überein, für den ein wesentliches Charakteristikum der gegenwärtigen Problematik darin besteht, dass der Geldnexus seit dem 18. Jahrhundert in systematischer Weise auf die menschliche Arbeitskraft übergegriffen hat, diese „commodifizierend“. Arno Bammé argumentiert, es liege in der historischen Logik des Kapitals, die Lohnarbeit und die durch sie verursachten Kosten so weit wie möglich zu reduzieren, (a) in quantitativer Hinsicht durch Lohnsenkung, durch Auslagerung der Produktion in Niedriglohnländer („offshoring“), durch Implementierung der Arbeitsvollzüge und Kompetenzen auf Maschinen, (b) in qualitativer Hinsicht durch Trivialisierung der zu ihrer Verrichtung benötigten Arbeitsqualifikationen. Eine solche sozialhistorische Trendaussage muss Soziologen, die sich an Popperschem Denken orientieren, zwangsläufig als theoretische Zumutung erscheinen und auf Ablehnung stoßen. Im Gegensatz dazu und gestützt auf einer Fülle empirischer Daten verweist Gerd Nollmann auf eine Zunahme der Lohnarbeit, insbesondere im Dienstleistungsbereich. Theoretische Trendaussage und empirisch fundiertes Gegenargument stehen einander unvermittelt gegenüber

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und widersprechen sich, wobei Letzteres augenscheinlich die Wahrheit auf seiner Seite hat, weil dichter an der beobachteten Realität. Doch empirische Daten sind Momentaufnahmen im Prozess eines Werdens, dessen Sinn sich hermeneutisch aus der Vergangenheit und einer interpretativ in die Zukunft verlängerten Gegenwart erschließt. Damit sind sie nicht voraussetzungslos. Es sind Konstrukte, Artefakte, in die theoretische Voraussetzungen, bewusst oder unbewusst, immer schon eingeflossen sind. Von daher verkörpert sich in ihnen nicht mehr Wahrheit als in theoretisch aus Vorannahmen logisch abgeleiteten Trendaussagen. Hegel, seinerzeit darauf angesprochen, dass seine Theorien im Widerspruch stünden zu den empirischen Fakten, antwortete sinngemäß: Umso schlimmer für die Fakten. Der Vorfall wird heute gerne kolportiert, um Hegel der Arroganz zu bezichtigen oder der Lächerlichkeit preiszugeben. Was gar nicht mehr verstanden wird, ist sein Hinweis darauf, dass empirische Daten nicht aus sich selbst heraus sprechen, dass es zum einen Flussgrößen sind, die in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung durchaus Unterschiedliches bedeuten können, und dass es sich auch bei ihnen um Artefakte handelt, die schon immer die Handschrift ihres Konstrukteurs tragen. Der Forscher, der sie erzeugt, verlässt niemals seine eigene Mikrosituation. Durch Prozeduren der Kodierung und Übersetzung fügt er Eindrücke, Beobachtungen, was auch immer, zusammen, bis ein Datenkonvolut, ein Text entstanden ist, der ihm als Repräsentation einer Makrorealität gilt, die jenseits jener Mikrosituation zu stehen beansprucht, welche sie erzeugt hat. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Forscher in seinem Ergebnis auf Gespräche mit Auskunftspersonen, auf standardisierte Fragebögen, amtliche Statistiken oder auf direkte Beobachtungen bezieht.

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Strukturgenese vs. Strukturlogik

Üblicherweise werden Ursprung und Wesen des Geldes, zumindest in seiner Gestalt als geprägte Münze, mit Notwendigkeiten des Äquivalententausches begründet. Im Gegensatz dazu sieht Erich Kitzmüller Ursprung und Wesen des Geldes in der Sphäre der Religion verankert, im Verhältnis von Schuld, Sühne und Opfer. Als zentraler Referenztext für diese These kann nach wie vor Bernhard Laums Studie gelten, die er 1924 unter dem Titel „Heiliges Geld. Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes“ vorgelegt hat (Neuauflage 2006). Darin weist er nach, dass Ochsen bzw. Stiere, das so genannte Viehgeld, als Vergleichsmaß dienten und benennt den Vergleich der verschiedenen Opfergaben bei Kulthandlungen als ursprüngliche Anwendung dieses Maßes. Seinen Ausführungen zufolge wurden die verschiedenen Opfer in

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Bezug auf das ursprüngliche Opfertier, den Stier, in bestimmten quantitativen Verhältnissen für ersetzbar erklärt, und zwar vom Priester oder einer entsprechenden Autorität. In dieser bewusst vorgenommenen Gleichsetzung verschiedener Gaben sah Laum den historischen Ursprung der Funktion des Geldes als Wertmesser und nicht, wie es ein Teil der ökonomischen Geldtheorie will, in der durch den Übergang vom unmittelbaren Tauschhandel zum systematischen Warentausch bedingten Notwendigkeit eines einheitlichen Maßes der Werte. Von daher, so Laum, erkläre sich auch das griechische Wort für Münze: nomisma. Auch wenn man diese Erklärung der historischen Entstehung einer Geldfunktion akzeptiert, so bleibt doch darauf hinzuweisen, dass damit noch nichts über Stellenwert und Funktion des ihr zu Grunde liegenden Gleichsetzungsmechanismus in dem grundsätzlich anderen Strukturzusammenhang des voll entwickelten Warentausches ausgesagt ist. Hinter dem quantitativen Vergleich verschiedener Opfergaben, von Geschenken, Bußen, Tributzahlungen usw. steht der nomos, der Ritus, die Regel, die Verteilungsordnung, also ein von vornherein „bewusst“ geregelter, auf gesellschaftlicher Tradition basierender Brauch. Das aber ist, ebenso wie der durch Sitte und Gewohnheit fixierte Gabentausch, etwas fundamental anderes als die bewusstlos und im Nachhinein sich manifestierende „Naturgesetzlichkeit“ der Vergesellschaftung über den Markt, in der das Geld die allgemeine Äquivalentform der Waren darstellt. Diese Differenz zu unterschlagen, hieße, was oft genug vorkommt, der Verführung einer Äquivokation zu erliegen. Philologen und Altertumsforscher wie Finley, Havelock und Snell haben immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, dass heutige Verständnisweisen in sozialhistorisch völlig anders strukturierte Sachverhalte hineinprojiziert werden. Dass der von Laum bemühte Ochse zum Beispiel gar kein Geld in unserem heutigen Sinn sein konnte, dass daher die Rede vom Vieh als „Natural-“ bzw. „Viehgeld“ oberflächlich und verwirrend ist, geht schon daraus hervor, dass Ochsen nicht als Tauschmittel fungierten. Vieh war Wertmaßstab und nur in diesem sehr eingeschränkten Sinn kann von ihm als Geld überhaupt die Rede sein. Weder Vieh noch etwas anderes entsprach der späteren, der vielfachen Verwendung von Geld. Vor allem war es kein zirkulierendes Medium wie eine Münze, deren wesentliche Funktion darin besteht, Kauf und Verkauf zu ermöglichen, indem sie von Hand zu Hand geht. Wenn es zum Beispiel in der Voßschen Übersetzung der Odyssee sehr missverständlich heißt, Laertes kaufte Eurykleia für zwanzig Rinder, dann gab er nicht zwanzig Ochsen hin, sondern Gegenstände, die von Homer nicht näher bezeichnet werden, im Wert von zwanzig Ochsen.

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Gleichwohl, Erich Kitzmüllers Argumentation hat insofern einige Berechtigung, als das zweite Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung das Zeitalter der großen Paläste und Tempel war, mit den ihnen gemäßen Verkehrsformen. Sie finden sich gleichermaßen in Mesopotamien und Syrien, in Kleinasien und auf Kreta. Die Paläste der Könige und Pharaonen wurden flankiert von riesigen Tempeln, gleichsam die Paläste der Götter und Priester. Entscheidend für die Eigenart und Bedeutung dieser Paläste waren zum einen das enge Verhältnis von König und Göttern, das „Gottesgnadentum“ der Fürsten und die absolute Macht der Territorialherren. Das Staatswohl verlangte, dass die den Staat schützenden Gottheiten durch Zuteilung (nemein, nomos) der ihnen zukommenden Gaben zufrieden gestellt wurden. Insofern hatte der öffentliche Kult streng normativen Charakter. Qualität und Quantität der Opfergüter sowie Art und Zeit der Darbringung waren festgelegt. Aber es waren auch, wenn man der einschlägigen Literatur glauben schenken darf, wirtschaftliche Gründe entscheidend. Die Aufgliederung des Gewerbes in unterschiedliche Sparten des Kunsthandwerks und anderer Berufe, wie sie mit dem höheren Anstieg der Kultur verbunden war, erschwerte eine unmittelbare Honorierung der Spezialleistungen. Wohl gab es schon Edelmetall, das man gelegentlich zuwog, doch fehlte das gemünzte Geld. Noch herrschte, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, archaischer Tauschverkehr. Was man also dringend brauchte, war eine Art von Tauschzentrale, die Produktion und Nachfrage auf dem Wege der Verteilung aufeinander abstimmte. Diese Funktion haben der einschlägigen Literatur zufolge im dritten Jahrtausend die Paläste und großen Tempel in Mesopotamien und Ägypten übernommen, und im zweiten Jahrtausend die Paläste und manche Tempel in Kleinasien und Syrien und ebenso auch die Herrschersitze von Kreta. Zwar hat man nicht für jeden Einzelnen, wohl aber für gewisse Berufsgruppen gleichsam Konto und Verrechnung geführt. Auch der Fernhandel, wenn davon überhaupt die Rede sein konnte, wurde von Palast zu Palast durchgeführt. Für eine solche Tauschvermittlung bedurfte es der Schrift und der Buchhaltung. Man nimmt an, dass die für den Tauschhandel notwendige Buchführung in besonderem Maße zur Verbreitung der Schrift beigetragen hat. In der Diskussion viel zu wenig beachtet wird, dass sich nahezu raum- und zeitgleich, basierend auf den Realabstraktionen des entwickelten Warentausches der Phönizier und Griechen (Alfred Sohn-Rethel) sowohl das Münzgeld als auch die Alphabetschrift entwickelt haben. In beiden Fällen handelt es sich um Abstraktionsleistungen, die in der Geschichte der Menschheit nur einmal vorgekommen sind und sich schließlich in Denkabstraktionen manifestieren, die gleichfalls von allem Inhaltlichen absehen. Am Ende haben sich Zeichen und Bezeichnetes völlig voneinander gelöst. Diesen Prozess,

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bis hin zu den neueren Entwicklungen des Finanzkapitals, versucht Jean Baudrillard begrifflich-theoretisch nachzuvollziehen. Wie überlieferten Texten weiterhin zu entnehmen ist, standen die Paläste des zweiten Jahrtausends in engem Kontakt zu der sie umgebenden Stadtgesellschaft: Sie waren zugleich die „kommerziellen“ Zentren der Städte. Allerdings muss man beim Gebrauch solcher Worte vorsichtig sein. Nur allzu leicht legt man ihnen eine Bedeutung bei, wie sie heute üblich ist, die aber keinesfalls den Verhältnissen jener Zeit entspricht. Die Gefahr der Äquivokation ist immer gegeben. Um noch einmal zu verdeutlichen, dass die historische Entstehung einer Struktur eine Sache ist, die voll entwickelte Logik, die dieser Struktur dann zu Grunde liegt, eine ganz andere, sei das Beispiel des Autos bemüht. Zweifellos ist das Auto, so wie wir es heute kennen, eine Weiterentwicklung der Pferdekutsche. Tatsächlich sahen die ersten Autos ja auch noch so aus, nur ohne Pferd und Deichsel. Gleichwohl wäre es untubar und falsch, die Strukturlogik, auf der das Auto heute basiert (Verbrennungsmotor, Tankstellennetz, Verkehrsregelung, Infrastruktur und Beschaffenheit der Straßen, Treibstoffindustrie usw.), aus seinem Entstehungszusammenhang, also strukturgenetisch zu erklären. Die Konstruktionsprinzipien der Pferdekutsche mögen seinerzeit eine zentrale Rolle gespielt haben. Sie sind aber heute nur von marginalem Erklärungswert. 3

Normative Akteurstheorie vs. autopoietische Systemdynamik

Paul Kellermann fordert die Rückübersetzung von Geld auf reale Wirtschaftsleistungen. Eine solche Handlungsaufforderung, die sich an den guten Willen verständiger Menschen richtet, stößt sich zwangsläufig daran, dass Geld, die Geldform des Kapitals, eine Realität sui generis bezeichnet, dass es einer eigenen Systemdynamik folgt, hinter dem Rücken der Menschen, unabhängig von ihrem Wohl und Wehe. Auf den Einwand, dass es sich bei seiner Forderung um eine Aussage normativen Charakters handle, der bestimmte Wertungen zu Grunde liegen, von denen das Geld in systematischer Weise abstrahiere, denn gerade darin bestehe eine seiner zentralen Funktionen, erwiderte Paul Kellermann, dass er seine Ausführungen nicht als normative oder moralische Wertung verstanden wissen wolle, sondern als Benennung und Analyse von Dysfunktionalitäten des Systems. Um über Funktion und Dysfunktion entscheiden zu können, bedarf es als Bezugsgröße der Zielformulierung des Systems, das analysiert und bewertet wird. Die Wahl des Bezugssystems wiederum ist abhängig vom Theorierahmen, innerhalb dessen man argumentiert. Geht man von der Geldform des Kapitals

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als Theorierahmen aus, besteht das System aus einer Gesellschaft, deren innere Dynamik durch die Verwertung von Kapital als primus motor gesteuert wird, und das Ziel, dem sich alles unterordnet, lautet Profitmaximierung. Unterkonsumtion, die reinigende Kraft zyklischer Krisen sowie die damit verknüpften verheerenden Folgen sind dann keine Dysfunktionalitäten, sondern konstitutive Elemente des Systems. Daran gemessen, erscheinen Einwände, wie die von Paul Kellermann, als normativ, als von außen herangetragene. Wählt man, wie Paul Kellermann das tut, einen anderen Bezugsrahmen der Analyse, so mag dieselbe Kritik als Benennung von Dysfunktionalitäten erscheinen, es fragt sich dann aber, ob die Analyse der Eigendynamik ihres Gegenstandes gerecht wird. Um den Sachverhalt zu verdeutlichen, sei noch einmal das Beispiel des Autos bemüht. Die Abgase, die bei der Verbrennung in einem Automotor entstehen, sind krebserregend. Das kann man kritisieren. Systemimmanent argumentiert, ist es jedoch nicht möglich, etwa einem Otto-Motor vorzuwerfen, es sei dysfunktional, dass er Benzin als Treibstoff verwendet. Im Gegenteil, es ist höchst funktional und eine solche Kritik, die von konstitutiven Systemeigenschaften absieht, wäre normativ, von außen herangetragen. Wählt man hingegen einen anderen Bezugsrahmen der Kritik, in der das Auto zum Beispiel nur ein Element jenes Systems wäre, das die Zielgröße vorgibt, dann könnten die Folgen der Benzinverbrennung durchaus mit Recht als dysfunktional bezeichnet werden. Eine solche Vorgehensweise würde aber die Systemeigenschaften des Automotors ignorieren. Das Beispiel des Otto-Motors ist, nebenbei bemerkt, harmlos, weil es sich bei ihm, im Gegensatz zur Gesellschaft, die ihre Entwicklungsdynamik über Mechanismen der Kapitalverwertung steuert, nicht um ein autopoietisches System handelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Argumentation Friedrich Fürstenbergs, weil in ihrem Dualismus, in ihrem Schwanken zwischen Analyse und Moral die Widersprüchlichkeit der ganzen Problematik als Dilemma deutlich hervortritt. Als Soziologe konstatiert er recht leidenschaftslos die Zwänge und Vorgaben einer autopoietischen Systemdynamik als Resultat der Kapitalverwertung. Darin ist er ganz Wissenschaftler. Aber dann holt ihn der Mensch ein und Moral kommt ins Spiel. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Obwohl die Entscheidungen der von ihm ins Spiel gebrachten Akteure systemisch bedingt seien, gelte es doch, sich der Eigendynamik, die ihnen zu Grunde liegt, zu widersetzen. Aber wie? Geld ist nur ein Moment im Gesamtprozess der Kapitalverwertung, ein Prozess allerdings, der in seiner Eigendynamik über die rein ökonomische Betrachtungsweise hinaus dadurch Bedeutung erlangt, dass er in einzigartiger Weise Weltgesellschaft konstituiert. Tauschringe zum Beispiel, die

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Paul Kellermann in der Diskussion angesprochen hat, sind, vor diesem Hintergrund betrachtet, nur der verzweifelte Versuch, sich dieser Dynamik wenigstens auf lokaler Ebene ein Stück weit zu entziehen. Das Dilemma besteht darin, dass die Akteurstheorie die vom Finanzkapital verursachten Friktionen und Krisen nicht als Korrelat gesellschaftlicher Strukturveränderungen, sondern als Produkt intentionalen Handelns verschiedener Akteursgruppen deutet. Die analytische Eigenständigkeit der Systemebene wird theoretisch unterschlagen, die Widerständigkeit des Systems wird praktisch unterschätzt. Der systemtheoretische Zugriff wiederum verbleibt im Kontemplativen. Er vermag kaum, wissenschaftlich begründete Handlungsempfehlungen zu geben. Beobachten und konstatieren, das ist seine Stärke. Wie aber wird sich diese Problematik, wie wird sich der von Friedrich Fürstenberg formulierte Dualismus letztlich auflösen? Ich neige der Ansicht von Christoph Deutschmann zu: Am Ende eines langen historischen Prozesses wird eine statische Wirtschafts- und Gesellschaftsforschung stehen. Die schrankenlose Plusmacherei muss aufhören. Der Weg dorthin wird ein verschlungener und er wird kein friedvoller sein. Er lässt sich auch nicht abkürzen. Das große russische Gesellschaftsexperiment ist ein warnendes Beispiel hierfür. Die List der Vernunft, mit Hegel zu sprechen, wird für die weltweite Entfaltung der Produktivkräfte sorgen. Immer mehr Produktionsprozesse werden über kurz oder lang in Niedriglohnländer ausgelagert. Warum auch sollten Autos partout in Wolfsburg oder Graz produziert werden, wenn ihre Herstellung in Cochabamba oder Timbuktu wesentlich kostengünstiger ist? Dieser Transferprozess ist nicht aufzuhalten, allenfalls begleitend zu lenken. Er wird sich so lange fortsetzen, bis sich die Löhne weltweit einigermaßen angeglichen haben. Dann werden die Arbeitsvollzüge auf Maschinen implementiert, die noch kostengünstiger produzieren. All das liegt in der Logik des Kapitals. Mit der schließlichen Aufhebung der Lohnarbeit wird es selbst zu seinem Ende kommen und mit ihm die aus diesem Verhältnis resultierende Entwicklungsdynamik. Die Reproduktion der Gesellschaft wird dann anderen Imperativen folgen. Was wir gegenwärtig erleben, ist die beginnende Ablösung der Verteilungsprozesse vom realen Produktionsgeschehen durch das Finanzkapital. In dem Maße, in dem wachsende Anteile individueller Wohlfahrt nicht mehr dem Spiel freier Arbeitsmärkte geschuldet sind und durch sie legitimiert werden, müssen zwangsläufig neue Formen der Verteilung des erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtums an seine Stelle treten. Allen historischen Erfahrungen zufolge werden sie sich nicht friedlich durchsetzen. Wenn Austauschbeziehungen und Subsistenzmittelzuweisungen, aus welchen Gründen auch im-

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mer, als ungerecht empfunden werden, entstehen Konflikte um eine Neuverhandlung des impliziten Gesellschaftsvertrages. Damit es so weit kommt, müssen, wie die Erfahrung lehrt, zwei Bedingungen erfüllt sein: Die empfundene Ungerechtigkeit, die erfahrene Benachteilung muss, gleichsam akteurstheoretisch, als menschengemacht und veränderbar gedeutet werden. Nur wenn sichtbar gemacht werden kann, dass es Täter gibt und dass diese Täter Profiteure sind, entsteht Empörung und Widerstand, der die Legitimation der herrschenden gesellschaftlichen Eliten und der Mechanismen, derer sie sich bedienen, untergräbt. Die zweite Bedingung, die erfüllt sein muss, ist die Mobilisierung von Solidarität unter jenen, die von Ungerechtigkeit und Benachteiligung betroffen sind. In der Regel werden Konflikte, die aus der Auflösung der Legitimität bzw. des Glaubens an die Natürlichkeit der existierenden Gesellschaftsordnung resultieren, von einer Reihe kognitiver Umdeutungen begleitet. Es entsteht, in systemtheoretischer Deutung formuliert, ein neues Verständnis von Gerechtigkeit, Benachteiligung und Unrecht. Es entwickeln sich Kriterien, die es erlauben, Leistung, Anerkennung und Verzicht anders als bisher zu bewerten, so dass nun zum Beispiel etwas als ungerecht oder Benachteiligung empfunden wird, was zuvor klaglos hingenommen wurde, weil es als normal, als unabänderlich oder gar als befriedigend galt. Es kann dabei zu einer grundlegenden Umdeutung der Systemstrukturen kommen. Sie selbst stehen dann zur Disposition. Eine zentrale Schwierigkeit besteht allerdings darin, zwischen den Tätern, die hinter den Reproduktionsmechanismen der Gesellschaft agieren, und den Mechanismen in ihren Selbstläufen zu differenzieren. Das ist nicht einfach. Nicht nur in Konfliktsituationen neigen Menschen zu Personifizierungen. So wie früher Götter schließlich vermenschlicht wurden, so nimmt man heute nur zu gern die Resultate der Reproduktionsmechanismen anonymer Organisationsstrukturen als Produkte des intentionalen Handelns einzelner Akteure wahr. Die Eigendynamik und Widerständigkeit der Systemstrukturen werden dabei völlig unterschätzt. Es nützt deshalb auch gar nichts, einzelne Personen auszutauschen. Sie sind ohnehin jederzeit und überall ersetzbar. Eine Auswechselung würde die Mechanismen gesellschaftlicher Reproduktion weder in ihrer Struktur noch in ihrer Selbstläufigkeit verändern. In der Benennung und Aufbereitung dieser Differenz sehe ich ein zentrales Betätigungsfeld sozialwissenschaftlicher Forschung.

Erich Kitzmüller

Die orthodoxe Kapitalismuskritik und ihr Dilemma Bemerkungen zu Arno Bammés Postskriptum

Den Vorschlag eines Epilogs habe ich begrüsst in der Erwartung, darin könnte das ärgerliche Nebeneinander unterschiedlicher Zugänge und Absichten einmünden in sinnvollen Streit und die Klärung der Probleme. Arno Bammés Postskriptum erfüllt in weiten Teilen diese Erwartung; etliche Passagen scheinen mir vortrefflich. Jedoch der 2. Abschnitt, von Arno Bammé „Strukturgenese vs. Strukturlogik“ übertitelt, verfehlt diese Absicht radikal. Die Grundgedanken meines Beitrags – die Gesellschaft kippe möglicherweise in eine multiple Katastrophe um, sei also aus der Normalität der Marktgesellschaft weder versteh- noch änderbar, und weiter, versteh- und änderbar sei sie, wenn die zentrale Rolle von Geld als Medium der Gewaltanhäufung und Gewaltregulierung wahrgenommen wird – haben Arno Bammé offenbar nicht erreicht. Stattdessen haben einige Wörter meines Textes ihn an ein seinerzeit viel diskutiertes Buch erinnert, Bernhard Laums „Heiliges Geld“. Indem er die Kritik an Laum aufwärmt, kann er die orthodoxe Kapitalismuskritik in Stellung bringen und meint, damit auch meinen Text kritisiert zu haben. Nun habe ich absichtlich und mit Grund nicht Laum und ähnliche als Quelle herangezogen. Die Quellen, auf die ich – zugegeben sehr knapp – verweise, verbinden anthropologische und historische Befunde mit Gesellschaftstheorie. Es steht selbstredend Arno Bammé frei, derlei Wissensquellen zu ignorieren.1 Aber wäre es dann nicht einfacher und fair, sich auf meinen Text einzulassen? Geld eignet sich von seinem Entstehungsprozess her vorzüglich als Medium für das Anhäufen und Kanalisieren von Gewalt, indem es den Gewaltprozess versachlicht, anonymisiert und von Verantwortung befreit. Diese Gewaltfunktion ist mit Schuld, Opferung und Täuschung verbunden – alles „Erfindungen“ aus der religiösen Sphäre, die jede Säkularisierung und Profanierung überdauert haben. Die Kapitallogik basiert auf einer Gewaltlogik. Diese Thesen zielen allgemein einsehbar auf die Strukturlogik der neuzeitlichen Gesellschaft, und auf dieser Ebene – der Strukturlogik – wären sie zu be1 Die Genesis des Geldes interessiert mich herzlich wenig, nämlich nur insoferne sie Aufschluss geben kann über das Steuerungsmedium der neuzeitlichen Gewaltregulierung.

Die orthodoxe Kapitalismuskritik und ihr Dilemma

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werten, zu kritisieren und wenn nötig zu verwerfen. Eine Verwechslung von Genese und Strukturlogik zu unterstellen, ist ein Trick (oder doch eher eine unbewusste Immunisierung?), um die fällige Auseinandersetzung zu vermeiden. Welche Auseinandersetzung? Die orthodoxe Kapitalismuskritik hat sich rund um das Paradigma vom Äquivalententausch verschanzt, eine Kunstfigur, die reale raumzeitliche Vorgänge reduziert auf den Punkt von Kauf und Verkauf. Dazu werden Erfahrungen der letzten Jahrhunderte aufgebauscht zu einer Art „Naturgesetzlichkeit“ der Vergesellschaftung rund um den Äquivalententausch, als ob diese geschichtliche Episode die Achse der Menschheitsgeschichte sei. (Wenn wir eine solche Achse konstruieren wollen, wäre sie wohl mit Jaspers 2500 Jahre früher oder 4000 oder 7000 Jahre früher anzusetzen.) Mit dem furor, der Wahrheitsbesitzer jeglicher Farbe auszeichnet, wird diese Einsicht bedenkenlos in alle Vergangenheit und mögliche Zukunft projiziert. Gewiss, die Konstruktion einer Kapitallogik hat sich als geeignetes Instrument zum Verstehen erwiesen und bewährt sich auch heute. Doch die Orthodoxie hat sich allzu sehr von ihrem konstruierten Gegner faszinieren lassen; Gegnerschaft bringt ja immer mit sich, dass man dem imponierenden Gegner ähnlich wird. Die Orthodoxie hat systematisch verkannt und verkennt weiterhin, dass die Kapitallogik mit der Gewaltlogik steht und fällt. Die Kapitallogik wird als Verhängnis wahrgenommen, dem kein Handeln gewachsen wäre. Gegenkräfte, obwohl sie auch von den Orthodoxen als Personen wahrgenommen werden und erwünscht wären, passen nicht in diese verengte Kapitalismuskritik; sie werden als „normativ“, „emotional“ und „irrational“, bloss „lebensweltlich“ weggeschoben, gar als „moralisch“, „subjektiv“ und bloss „menschlich“ verdächtigt.2 Das vermeintliche eherne Gesetz der Logik des Kapitals schreibt vor zu warten, bis einst „die Löhne weltweit einigermassen angeglichen“ sein werden. Das ist die intellektuelle Kapitulation vor dem Gegner. Das Dilemma der orthodoxen Kapitalismuskritik wird in Arno Bammés Epilog deutlich sichtbar. Einerseits sind Änderung und Rettung nur zu erwarten, „wenn sichtbar gemacht werden kann, dass es Täter gibt“ und wenn „Konflikte um eine Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrags“ bestanden werden. Doch eben dies verweist andererseits auf Konflikt und Konfliktakteure, die in der

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Die Verengung der Kapitalismuskritik ist nur im Zusammenhang einer Aufklärung zu verstehen, die selber noch der Aufklärung bedürfte, die etwa verkennt, dass Rationalität nicht Emotion als Gegenüber hat, sondern mit ihr verschränkt ist. Hundert Jahre nach der „Relativierung“ der alten Physik wird unverdrossen nach deren überholten Vorbild eine „’Naturgesetzlichkeit’ der Vergesellschaftung über den Markt“ unterstellt. Handelnde Menschen verschwinden hinter der Kunstfigur des Individuums als Vorteilsmaximierer. Aber das ist ein weites Feld.

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Erich Kitzmüller

verengten Kapitalismuskritik zu Marionetten der Kapitallogik abgewertet sind. Eine aus der orthodoxen Verengung sich befreiende Kapitalismuskritik wird die Logik des Kapitals im Zusammenhang mit der Logik der Gewalt, also der Gewaltfunktion des Geldes, erfassen und den Akteuren andere Instrumente des Verstehens und Handelns an die Hand geben können.

Paul Kellermann

Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse

Die Überschrift zu den folgenden Kommentaren – Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse – möge zweifach gesehen werden: Aussagen in den Texten dieses Bandes werden durch mich oder meine Aussagen werden in jeweils bestimmtem Verständnis von anderen interpretiert. Dabei sollte es verständlich sein, dass ich hier nur selektiv auf kritische Äußerungen von Stephan Schulmeister, Christoph Deutschmann und Arno Bammé meinen Thesen gegenüber reagieren kann. Inwieweit dadurch Missverständnisse oder Unverständnisse zu Verständnissen werden oder neue Miss- und Unverständnisse entstehen, müsste der weitere Diskurs erweisen. Im Folgenden zitiere ich zunächst einige Stellen und kommentiere sie dann. Stephan Schulmeister: “Wenn heute jemand ein Girokonto, ein Sparbuch, Aktien und Anteile an einem Anleihenfonds besitzt, so kann er via netbanking in Sekunden jedes dieser Finanzaktiva liquid machen und für Zahlungen verwenden. Möchte er sich etwa ein Auto kaufen, so kann er dafür mit Aktien oder Anleihen bezahlen.“ (: 29) Schulmeister hält die Unterscheidung von „Transaktionsmittel“ (Geld als Tauschmittel) und „Finanzvermögen“ (Geldwerte als Waren) für falsch; ich halte die Unterscheidung für sinnvoll. – Der jeweilige nominelle Wert, nicht die Möglichkeit des „netbanking“ allein, lässt einen Besitzer von „Finanzaktiva“ abwägen, ob er sein Vermögen „liquid macht“. Psychologisch ist es ein Unterschied, dass „Tauschgeld“ (Arbeitseinkommen) selbst real erarbeitet wurde, oder dass „Warengeld“ (Börsenvermögen) mit realem Geld gekauft oder ohne eigene reale Arbeitsleistung anfiel bzw. verloren ging. Diese unterschiedliche Empfindung dürfte persönlich und sozialstrukturell gelten: In der Regel ist das in Warengeld angelegte Tauschgeld mit eigenen Leistungen erworben worden und steht sozialstrukturell nur denjenigen zur Verfügung, die mehr Tauschgeld verfügbar haben als sie zur Deckung ihres Bedarfs an Mitteln des Lebens brauchen bzw. die Risiken spekulativer Geldleihe in Kauf nehmen können. Doch neben dieser psychologischen und soziologischen Unterscheidung ist es generell sinnvoll, die Differenz zu beachten, weil ja – etwa bei einer Börsenbaisse (die von allgemeinen Geldkrisen zu unterscheiden ist) – plötzlich massenweise Warengeld in Tauschgeld umgewandelt werden soll: Der Wert des Warengeldes

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Paul Kellermann

würde durch das plötzliche Überangebot weit schneller sinken als es in vorhergehenden Stufen gestiegen war. Das heißt: Sowohl aus individuellpsychologischer Sicht als auch aus Sicht der Systeme von Arbeitsleistungen (und realen Besitztümern), ist es angebracht, Tauschgeld und Warengeld zu differenzieren, soll einerseits das Verhalten von Menschen im Rahmen der jeweils gegebenen gesellschaftlichen Umstände verstanden werden, soll andererseits das sozioökonomische Geschehen politisch rational ablaufen. „EZB möchte … am Monetarismus festhalten und orientiert sich daher an der erweiterten Geldmenge M3. Diese umfasst als größte Komponente die (relativ stabilen) Spareinlagen … Allerdings ist M3 aus dem gleichen Grund ein schlechter Indikator für Inflation. Wenn sich etwa die Wirtschaftserwartungen der Haushalte in der Eurozone verschlechtern und sie aus Vorsicht mehr sparen, so beschleunigt sich das Wachstum von M3 und signalisiert der EZB erhöhte Inflationsgefahr und damit die Notwendigkeit einer Zinserhöhung. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall.“ (: 29f.) Jede durch einseitige Geldorientierung getrübte Sicht auf wirtschaftliche Zusammenhänge führt zu falschen Entscheidungen und signalisiert Moneyismus. Meine These: Nur der anzusteuernde ungefähre Ausgleich von realer und potenzieller Wirtschaftsleistung mit der umlaufenden Geldmenge lässt Leistung entstehen und deckt das emittierte Geld, wobei die verwirklichte Nachfrage die Geldumlaufgeschwindigkeit innerhalb der betroffenen Systeme beeinflusst. Mit Geld ausgestatteter Bedarf ergibt Nachfrage nach Leistungen (Güter, Dienste). Leistungen entstehen durch Human- und Produktivkapital, wobei auch verschiedenartige Motivationen zur Investition in diese Kapitalarten das Angebot an Leistungen bestimmen. Es „erscheint der ‚common sense’ zwischen Monetaristen und Keynesianern, nämlich die Inflation durch Zinserhöhungen – also durch Kostensteigerungen – zu bekämpfen, als ein ‚common nonsense’. Oder soll man am Ende den Preisauftrieb auch durch Erhöhung der Lohnkosten oder des Erdölpreises bekämpfen?“ (: 31f.) Wenn die Nachfrage nach Investitions- und Konsumgütern durch Zinserhöhung sinkt, müssen auch die Preise der gefertigten Güter sinken, sollen sie überhaupt noch Geld bringen. Die Herstellung neuer Güter mag dann durch erhöhte Kreditzinsen für produktivere Investitionen etwas teurer, durch darauffolgende sinkende Realkosten billiger werden. Bevorzugt sind in dieser Situation Verfüger über Tauschgeld (sie brauchen kein Geld zu höheren Zinsen zu leihen), aber nicht Verfüger über Warengeld (sie müssen dies bei Tauschgeldbedarf zum Verkauf anbieten, was tendenziell die Werthöhe des Warengeldes sinken lässt).

Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse

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„Trotz dieser Anstrengungen kann sich Geldkapital auf diese Weise allerdings nicht vermehren: Denn diese Spiele sind Umverteilungs- oder Nullsummenspiele (was der eine verliert, gewinnt ein anderer), wie in einem wirklichen Casino.“ (: 33) Auch hier wäre es sinnvoll, zwischen Tausch- und Warengeld zu differenzieren: In der Börsenwelt – darin liegt ja gerade ihr besonderer Effekt auf das Handeln der Menschen – gibt es das Nullsummenspiel nicht. Der nominelle Wert des Portefeuilles kann prinzipiell grenzenlos steigen, was nicht nur psychologische Bedeutung für das Handeln hat, sondern auch ermöglicht, Kredite aufzunehmen. Die können selbstverständlich unter anderem auch zu Investitionen in Produktivkapital führen und damit einen höheren Realgewinn erwarten lassen. Abgesehen davon meine ich, dass sich Stephan Schulmeister selbst widerspricht: „Zwischen 1982 und 1999 ist so der Börsenwert US-amerikanischer und deutscher Aktiengesellschaften fast auf das Zwölffache gestiegen (Abbildung 3). Wer Aktien hatte oder kaufte, wurde reicher, gleichzeitig wurde niemand ärmer, eine wunderbare ‚win-win-Entwicklung’.“ (: 35) „Sollen die Netto-Güterlieferungen an die USA nicht vollends zu einem unfreiwilligen Geschenk werden, hilft nur eines: eine drastische Entwertung des ‚Schatzes’ der ‚Sparerländer’ durch eine weitere Dollarabwertung.“ (: 39) Hingegen kann erwartet werden, dass bei relativ wieder steigender USExportleistung der Dollarkurs zeitweise seinen ursprünglichen Wert zurückgewinnt und damit Geschenke durch vorzeitige Abwertung nicht unfreiwillig gemacht werden mussten. Die starken Wertschwankungen in der Geschichte des Dollars lassen entsprechende Hoffnungen zumindest berechtigt erscheinen. Erst die vollzogene Abwertung und der vollzogene Wechsel der Währung zur Zeit ihres gesunkenen Kurses realisieren den Verlust – et vice versa. Christoph Deutschmann: „Geld … ist durchaus kein Instrument … das die Reziprozität wirtschaftlichen Handelns nicht nur ‚symbolisiert’, wie Kellermann formuliert, sondern auch praktisch durch tatsächlich zu leistende Zahlungen sicherstellt.“ (: 163) Genau hier ist Moneyismus erkennbar: Geld stellt nichts sicher wie es überhaupt nichts tut. „Zahlungen sicherstellen“ können letztlich nur jene Menschen, die reale Wirtschaftsleistungen verfügbar machen. „Ist es möglich, dass das Geld selbst zum Objekt der Begierde wird? Im Prinzip nein, antwortet Kellermann mit Radio Eriwan, denn alle rationalen Argumente sprechen dagegen.“ (: 163)

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Paul Kellermann

Nirgends antworte ich „im Prinzip nein“: Moneyismus ist für mich ja gerade der Ausdruck dafür, dass Geld zum Objekt der Begierde wird. Rationale Argumente vermögen nur selten etwas gegen menschliche Begierden und festen Glauben. „Dass die von Kellermann als ‚Geldmystifikation’ bezeichneten Erscheinungen empirisch weit verbreitet sind, bestreitet er selbst nicht.“ (: 164) Wieso sollte ich das bestreiten? Das ist es ja, was ich als Moneyismus kritisiere und was sich als Alltagsglaube schneller über den Globus verbreitet hat als jede andere Religion. „In beiden Fällen ist gemeint, dass die Menschen sich von einer fremden oder höheren Macht imponieren lassen, die, ohne dass es ihnen bewusst ist, nichts anderes ist als das Ergebnis ihrer eigenen Handlungen.“ (: 165) Ist das nun rational oder irrational? Dazu und zu Deutschmanns Missverständnis meines Begriffs „Geldideologie“ (: 164): Irrationalität ist etwas anderes als Ideologie. Wer der Geldideologie, also dem unreflektierten Glauben an eigene Handlungsfähigkeit von Geld (Moneyismus), anhängt statt zu erkennen, dass sich Menschen in ihrem Handeln an Geld orientieren, kann „sehr wohl auch rationale Motive für das Streben nach Geld“ (: 164) haben. „Geld, das zum allgemeinen Mittel geworden ist, kann, wie Simmel betont, nicht länger nur Mittel sein. Ob die Akteure es wollen oder nicht, wird es zum letzten Zweck des Handelns.“ (: 167) Soll das dialektisch sein, dass etwas, was allgemeines Mittel geworden ist, zugleich letzter Zweck des Handelns ist? Die Unterscheidung von Mittel und Zweck ist nicht nur analytisch sinnvoll, sondern empfiehlt sich allgemein. Das Mittel „Geld“ als „letzten Zweck des Handelns“ anzusehen ist nur für Menschen möglich, die Not vergessen oder überhaupt nicht kennen gelernt haben. Das aber ist eben moneyistisch: Darauf zu vertrauen, dass das viele Geld, was in cash die Hosentasche füllt oder auf Bankkonten oder gar in der Börsenwelt verfügbar wäre, beim Sinken der Titanic vor dem Ertrinken retten könne. „Marx war weit davon entfernt, die mit dem Kapitalbegriff gefasste Selbstreferenzialität des Geldes einfach als ‚irrational’ abzuqualifizieren.“ (: 168) „Selbstreferenzialität des Geldes“ … ist das nicht schon „Theologie des Geldes“? – Nur nebenbei: Bei Marx ist „die Bourgeoisie“ das Handlungssubjekt und nicht das Geld. „Die Unendlichkeit der Arbeit überträgt sich auf das Geld, das seinerseits zu einer unendlichen Größe wird.“ (: 169) Welche Bedeutung hat hier der Begriff „Arbeit“? Arbeitsvermögen? Das Arbeitsvermögen der mittlerweile über 6,5 Milliarden Erdenbewohner ist zwar der einzige – und dazu noch der wichtigste – Produktivfaktor, der anscheinend

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oder scheinbar (in Wahrheit auf Grund mangelnder gesellschaftlicher Organisation des Arbeitsvermögens) in Überfluss vorhanden ist, aber auch er ist wohl nicht „unendlich“. Was soll „unendlich“ in diesem Zusammenhang heißen? „Unendlich“ ist das gesellschaftliche Erfordnis zu arbeiten. Denn alles, was Menschen zur Sicherung oder Verbesserung ihrer Lebensbedingungen brauchen, müssen sie erarbeiten – auch zukünftig: „Die Arbeit“ geht nicht aus, wie manche Menschen mit beschränktem Arbeitsverständnis glauben (und dennoch Arbeitszeitverlängerungen ohne Einkommensausgleich oder die „gerechte Verteilung der Restarbeit“ propagieren) und allzu viele andere ihnen nachplappern (Kellermann 2006: 156ff.). Zu „Arbeit“ und „Selbstreferenzialität des Geldes“ möchte ich anfügen: Der ganze Handlungszusammenhang der Menschen mit ihren Vorstellungen von shareholder value, stock options, hedge funds, buy-outs, benchmarking, Termingeschäften und was noch dazu gehört, hat nicht nur dem Moneyismus, also dem Glauben, alles hänge von Geld ab, zu rascherer Verbreitung verholfen wie keine andere Religion zuvor; Moneyismus hat auch den Umgang der Menschen miteinander, also ihre Kultur, wesentlich verändert. Eine Sache um ihrer selbst willen zu tun gilt ebenso in Kunst wie in Wissenschaft – gar im Leben überhaupt – als überholt: Kunst und Wissen wurden zu Waren, wie menschliches Potenzial im moneyistischen System primär als Humankapital zählt. Auch Arbeitsteilung zur Erreichung verschiedener Zwecke, also zur Erfüllung eindeutig verschiedener Bedürfnisse wird reduziert auf das Geldparadigma. Krankenhäuser, Universitäten, Museen werden umgemodelt zu Betrieben gleich shareholder-Unternehmen. Die Vorstellung, dass es einmal Aufgabe von Ärzten und Pflegepersonal war, Leidende gesund zu machen; von Forschern und Studierenden, Erkenntnisse zu gewinnen; von Journalisten und Reportern, wahrheitsgetreu über Geschehnisse zu berichten; von Politikern und Beamten das Allgemeininteresse zu vertreten – diese Vorstellungen sind kaum mehr zu vermitteln. Einziger Sinn allen Tuns ist im Moneyismus, Geld zu machen. Diese Entwicklung als „selbstreferenziell“ anzusehen und damit nicht zu kritisieren ist affirmativ. „Um sich aus dieser Unsicherheit zu befreien, sind die Akteure wie in der traditionellen Religion auf Bilder und Mythen angewiesen … Was mein Geld kann, das kann und bin ich: Das ist das durchgehende Motto dieser Inszenierungen.“ (: 170f.) Mit diesem Zitat im vorletzten Abschnitt seines Texts spricht Christoph Deutschmann kritisch das an, was ich „moneyistisch“ nenne. Stimmt er letztlich doch mit meinem geldtheoretischen Ansatz überein? Und widerspricht er sich

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Paul Kellermann

nicht selbst, wenn er mich anfangs kritisiert, „Statt vorschnell von ‚Mystifikationen’ zu sprechen …“ (: 164) und später erwartet: „Durch die Entkommodifizierung der Arbeitskraft könnte auch das Geld entmystifiziert werden.“ (: 171)? Interessanterweise schreibt er auch von „wachsender Geldorientierung“ (: 170) in einem allgemeinen Verständnis, wogegen er mein Verständnis von Handlungsorientierung falsch referierte mit „Geld ist für ihn ein handlungsorientierendes ‚Symbol’, das eine ‚Interdependenz von Versprechen und Anspruch’ zum Ausdruck bringt“ und völlig missverstanden reduzierte auf: “Die orientierende Funktion des Geldes besteht darin, dass es jeden Anspruch auf die Güter oder Dienste anderer an die Zusage einer Gegenleistung koppelt …“ (: 163). Gerade an dieser Kopplung orientieren sich Moneyisten nicht! Für diese „wird es (das Geld, P.K.) zum letzten Zweck des Handelns“ (: 167). Und im letzten Absatz kommt Deutschmann sogar auf etwas, was ich bereits 1979 geschrieben hatte: „Die Reproduktion der Arbeitskraft würde zumindest im Kern nicht mehr durch die Lohnform vermittelt, sondern müsste in anderer Weise sichergestellt werden, z.B. durch ein gesellschaftliches Grundeinkommen.“ (: 171) Ich hatte formuliert: „Die Abschaffung der Lohnarbeit bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger als alle Arten der ökonomisch unsinnigen, bloß dem vermeintlichen Erhalt der Loyalität dienenden Beschäftigung um der bloßen Beschäftigung willen einzustellen und die dadurch freiwerdenden Mittel zur offen deklarierten Einkommensgarantie für alle Gesellschaftsmitglieder zu verwenden.“ (Kellermann 1979: 112) – Ich habe den Eindruck, Christoph Deutschmann hat sich mit meinen Überlegungen nur oberflächlich beschäftigt und kritisiert teilweise an mir, was er selbst vertritt. Arno Bammé: „Das Problem besteht letztlich darin, dass der Begriff des Geldes eine Realität sui generis bezeichnet, die sich eben nicht auf die Bewusstseinsinhalte gutwilliger Menschen reduzieren lässt, sondern dass es tatsächlich über eine ‚eigene Handlungsfähigkeit’ verfügt.“ (: 186, vgl. 208) Dieser Satz ist wohl eine der „Antworten auf Kellermann“, wie Arno Bammé den ersten Abschnitt seines Diskursbeitrags überschreibt (: 185). Der Antwort muss ich widersprechen bzw. klarstellen: Aus meiner Sicht ist Geld keine „Realität sui generis“, sondern eine „Handlungsorientierung“ (Kellermann 2005: 116ff.), also ein bestimmtes Zeichen oder Symbol, das Bedeutung für bestimmte Menschen hat. Entsprechend dieser Bedeutung – also dem erlernten Sinn und Zweck des bezeichneten Gegenstandes – tun oder unterlassen (beides ist soziologisch zu beachten) die Menschen etwas. Geld hingegen tut oder unterlässt gar nichts, ist also „Realität“ oder „lebt“ nur dank der Vorstellung von Menschen, kann folglich keine „Realität sui generis“ sein. Vorstellungen über

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Geld haben alle Mitglieder einer „Geldgesellschaft“, nicht bloß „gutwillige“. Es ist mir nicht nachvollziehbar, wie Bammé darauf kommen kann, ich reduziere den Geldbegriff auf das Bewusstsein gutwilliger Menschen, wenn ich von „Handlungsorientierung“ spreche und moneyistische Vorstellungen als „reduziertes Bewusstsein“ kritisiere. „… das heißt, die Menschen nehmen die Verhältnisse in der Tat so wahr, wie sie ihnen erscheinen, nur erscheinen sie anders als sie sind. Sie leben in einer ‚verzauberten Welt’. Die Welt selbst und nicht ihre Wahrnehmung ist verzaubert.“ (: 186) Wie soll etwas, was „verzaubert“ erscheint, was also bloß so wahrgenommen wird, dann selbst „verzaubert“ sein? Schafft die Täuschung (das „falsche Bewusstsein“) etwas Eigenständiges? Darf die Täuschung nicht „als Irrtum missverstanden werden“ (: 186)? Bammé bezeichnet sie im Widerspruch zur behaupteten „Realität sui generis“ als „Mystifikation“ und als „Verdinglichung“, als „notwendig (welche Not wird da eigentlich gewendet? P.K.) falsches Bewusstsein“ … also doch als Bewusstsein! – Auf Geld bezogen nannte ich dieses Bewusstsein „Geldideologie“, was Christoph Deutschmann kritisierte (: 164). „’Die unumkehrbare Verringerung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ging einher …’“ (: 190). Bammé zitiert hier Paolo Virno. Ich möchte die Gelegenheit zur Kritik nutzen: Das zustimmende Referieren anachronistischer, pseudo-philosophischer Erkenntnisse ist nur verstehbar, wenn der Autor die beschränkte Sicht teilt. Beschränkt ist die Sicht, weil sie offenbar, erstens, bloß auf die industriell entfalteten Systeme und da nur für einen Teil der Gesellschaftsmitglieder, aber nicht auf die Globale Gesellschaft mit ihren Abermillionen Hungerleidenden bezogen ist; weil sie, zweitens, völlig von den Folgen der Naturausbeutung absieht. Adäquate Sicht bezöge ein, was an Schäden in Gesellschaft und Natur durch Kurzsichtigkeit und/oder bloße moneyistische Verwertungsinteressen entstanden ist, und müsste feststellen, dass weder genügend qualifiziertes Arbeitsvermögen noch die Organisation gesellschaftlich erforderlicher Arbeitsleistungen vorhanden sind, um die Schäden zu beheben (Kellermann 1991). Die Erdbevölkerung wuchs von 1,3 auf 6 Milliarden innerhalb eines einzigen Jahrhunderts (dem 20. nach christlicher Zeitrechnung) von mehr als 1600 Jahrhunderten, seit es den Typ homo sapiens sapiens geben soll; im selben einzigen Jahrhundert wurden Waffensysteme entwickelt, die ausreichten, um die gesamte Menschheit und alles sonstige Leben auf der Erde mehrfach zu töten; die Menschen verursachten Klimaveränderungen mit ihren Folgen der raschen Auswei-

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tung von Wüsten, der Schmelze von „Ewigem Eis“ und der daraus folgenden Überschwemmungen ganzer Länder, die nur wenig über dem Meeresspiegel liegen oder lagen; die schrecklichen Kriege, die auf fast allen Kontinenten der Erde immer wieder massenweise Elend und Tod verursachen – diese und viele andere Megaprobleme verlangen zu ihrer Milderung (von ihrer Lösung kann nur noch illusorisch gesprochen werden) weit mehr qualifiziertes Arbeitsvermögen als derzeit identifiziert werden kann – für Forschung, Entwicklung und Anwendung von geeigneten Mitteln, zuallererst aber zur Erkenntnis der realen Situation und zum Willen, entschlossen zu handeln. Wer da von „unumkehrbarer Verringerung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit“, weil „die Arbeit ausgeht“, redet, dessen Sicht muss wahrlich in mehrerlei Hinsicht beschränkt sein. – Angefügt sei: Wer diese Megaprobleme zwar erkennt, aber fragt, woher das Geld zur Milderung der Probleme kommen soll, ist Moneyist und resigniert deshalb. Dem gegenüber sollte klar sein, dass nur Menschen mit ihrem entsprechend qualifizierten Arbeitsvermögen etwas erreichen können, wozu Geld als Organisationsmittel dienen kann. Geld fungiert in diesem Verhältnis von adäquat qualifiziertem Arbeitsvermögen und gesellschaftlich erforderlicher Arbeitsleistung als eine Art Katalysator, der seinen Wert durch die entstehende Leistung, seine Funktionalität durch das Vertrauen auf diesen Wert erhält. Baudrillards zitierte Kritik der „fundamentalen Regression“ (: 191), die als Folge der Unfähigkeit zum rechten Gebrauch menschlicher Arbeitsfähigkeit zu interpretieren ist, scheint hingegen sehr berechtigt zu sein. Doch hier geht es nicht um Wertung der Sichtweisen von Baudrillard, sonst müsste auch gegen seine von Arno Bammé wiedergegebene Interpretation der Wall Street-Baisse von 1987 (: 194) argumentiert werden. Empirisch richtig ist, dass während der folgenden Jahre unter Alan Greenspan, dem sachkundigen Lenker der USFederal Reserve Bank, kein vergleichbarer Absturz der Börsenwerte an der New York Stock Exchange stattfand. „… hinsichtlich der Voraussetzungen, Folgen und Formen möglichen Wandels geldinduzierter sozialer Probleme …“ (: 204). Wenn induzieren einführen heißen soll, also etwas aktiv (transitiv) tun, dann ist das Projektion: Geld tut gar nichts, also induziert es auch nicht. Es ist die Anschauung der Menschen von Geld, also ihre Orientierung an und über Geld, das sie handeln lässt. Sie vermeinen eventuell, Geld tue etwas, weil sie sich selbst angeregt fühlen. Ganz einfach ist das mit der Vorstellung nachzuvollziehen, unbekanntes Geld zu sehen – wohl niemand wird solchem Geld irgendeine Aktivität zuschreiben. Es sind folglich die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen – kurz: die Orientierungen –, die mit bestimmtem Geld verbunden

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werden, die die Projektion hervorrufen, Geld tue etwas. Wie die subjektive Wirkungserwartung eines Placebos physiologische Reaktionen auslösen kann, ruft die Orientierung an Geld Wirkungen hervor. Aber es sind eben die eigenen Erwartungen und Orientierungen, nicht das Placebo oder das Geld, was etwas bewirkt. Menschen, die Geld für ein Geschehen verantwortlich machen, denken zu kurz, entschlagen sich der Verantwortung oder glauben an Geister; objektiv verursachen sie selbst oder andere Menschen, was sie Geld an Glück oder Unglück zurechnen. Diesen Irrglauben an Geld, das Bild von ihm („Ideologie“ von griech. eidos, das Bild, und logos, das Wort, die Lehre) bezeichne ich als Moneyismus. „Auf den Einwand, dass es sich bei seiner Forderung um eine Aussage normativen Charakters handle … erwiderte Paul Kellermann, dass er seine Ausführungen nicht als normative oder moralische Wertung verstanden wissen wolle, sondern als Benennung und Analyse von Dysfunktionalitäten des Systems. “ (:208) Angesichts des Wandels kultur-historischer Gesellschaftsformen, die ein „System“ entwickeln, das jeweils eigene, eben geschichtliche Handlungsorientierungen aufweist, erscheint es sinnvoll, von einer vorgängigen Ordnung, vielleicht von einem „basalen System“, gewissermaßen von einem sozial-anthropologischen Substrat auszugehen. Dieses Substrat, so weiter die Annahme, enthält Strukturen und Prozesse, die für gesellschaftliches Leben menschenwesentlich und unabdingbar sind: dass zur Sicherung und Verbesserung der Lebensverhältnisse gearbeitet werden muss; dass es Arbeitsteilung gibt zwischen jung und alt, Gebärfähigen und nur Zeugungsfähigen; nach Tages- und Jahreszeiten u.ä.; dass aus Erfahrung gelernt und gelehrt wird; dass sich aus all dem und anderen Machtstrukturen ergeben usw. Nimmt man eine solche Sicht und das Eigeninteresse am Überleben an, so lassen sich kultur-historische Ereignisse und Ordnungen als funktional oder dysfunktional analysieren. Unter „normativ“ und „moralisch“ im allgemeinen Sprachgebrauch ist hingegen subjektive Wertung nach Wissen und Wollen zu verstehen. Was ich annehme, halte ich für objektiv erforderlich, gleich gültig, ob es gewollt oder gewusst wird. – Falls das weniger Widerspruch hervorruft, kann meine Skizze menschenwesentlicher gesellschaftlicher Dispositionen auch als Idealtypus i.S. Max Webers entfaltet werden, an dem der Realtypus – etwa der gegenwärtige Globale Konkurrenzkapitalismus – zu beurteilen ist; als besondere Art von benchmarking könnte man das modisch nennen. „Daran gemessen, erscheinen Einwände, wie die von Paul Kellermann, als normativ, als von außen Herangetragene. Wählt man, wie Paul Kellermann das

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Paul Kellermann

tut, einen anderen Bezugsrahmen der Analyse, so mag dieselbe Kritik als Benennung von Dysfunktionalitäten erscheinen, es fragt sich dann aber, ob die Analyse der Eigendynamik ihres Gegenstandes gerecht wird.“ (: 209) Gibt es eine „Eigendynamik des Systems“? Das System wird produziert und reproduziert allein durch das Handeln bzw. Unterlassen entsprechenden Handelns von Menschen. Von Eigendynamik zu sprechen und an diese zu glauben ist vergleichbar dem vor allem in den 1960er Jahren immer wieder behaupteten „Sachzwang“. Das bedeutet, Verantwortung und Gestaltung abzuschieben, sich zu „exkulpieren“. Doch die Schuld (lat. culpa) – weniger priesterlich: – der Grund für gelingende oder misslingende gesellschaftliche Lebensverhältnisse der Menschen liegt bei ihnen, ihrer vernünftigen Handlungsfähigkeit, nicht bei übermenschlichen oder übernatürlichen Göttern, Sachzwängen oder Eigendynamiken. – Ein Gedankenexperiment: Hätte es Sinn, im Fall von Robinson oder einer Handvoll Menschen in einer Lebensgemeinschaft vom Typ oikos von „Eigendynamik des Systems“ zu sprechen? Wer da die Dynamik verursachte, wäre klar benennbar. Freilich ist es weit schwieriger und erscheint gar unmöglich, eine Großanzahl von Menschen vernünftig zu organisieren. Zur Erinnerung: Im 20. Jahrhundert konnten die zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Milliarde Mensch gezählt werden. Es ist nahezu unglaublich, die Infrastruktur von Wasserversorgung, Elektrizität, Kommunikationsmitteln, Verkehr in Städten wie Wien, Berlin, New York oder gar Mexico City regeln zu können, und doch geschieht dies, ohne dass eine „Eigendynamik“ bemüht werden muss. Vielleicht ist aber eine solche Unterstellung erforderlich, wenn die von Politikern zu verantwortende Versorgung dem „Markt“ – also einer ebenfalls mystifizierten Macht – überlassen wird. Diese Kritik richtet sich nicht gegen Menschen und deren Motivationen (Betriebe, Unternehmen), die sich in ihrem Handeln auf die Nachfrage nach ihren Leistungen durch andere Menschen und Institutionen oder auf deren Leistungsangebote einstellen müssen. Die Kritik richtet sich vor allem an Menschen, die Einfluss und Macht zur Organisation des auf einander bezogenen Handelns von Menschen haben oder diese beanspruchen, aber sich in ihrer organisatorischen Unfähigkeit auf „Sachzwang“, „Eigendynamik“, „Markt“ oder gar „Geldmangel“ berufen (Kellermann 2006; ähnlich Erich Kitzmüller in Fußnote 2, S. 213 in diesem Band). Themenfelder dieser demonstrierten Inkompetenz sind in den Jahren um die Jahrtausendwende nicht nur „Beschäftigung“ und „Pensionen“ in den industriell entwickelten Ländern, sondern ebenso Hunger und Krieg in den industriell-kapitalistisch kontaminierten Ländern. Das heutige Mittel zur Organisation des Arbeitsvermögens (und dieser primäre Produktionsfaktor ist die einzige bedeutsame Ressource, die wächst) ist

Verständnisse, Missverständnisse, Unverständnisse

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gültiges Geld; also Geld, das durch die mit ihm organisierten Leistungen Wert und Vertrauen erhielt und bewahrt; das Gegenteil bewirkt die Zweck/MittelVerkehrung von Geld, also wenn sein Besitz zum letzten Ziel allen Strebens, aller Gier gemacht oder wenn Geld mystisch („Realität sui generis“) verklärt wird. Beides ist moneyistisch. „Die Eigendynamik und Widerständigkeit der Systemstrukturen werden dabei völlig unterschätzt. Es nützt deshalb auch gar nichts, einzelne Personen auszutauschen. Sie sind ohnehin jederzeit und überall ersetzbar. Eine Auswechselung würde die Mechanismen gesellschaftlicher Reproduktion weder in ihrer Struktur noch in ihrer Selbstläufigkeit verändern.“ (: 211) Nicht nur die ganze europäische Epoche des Wandels der Feudalherrschaft zur bürgerlichen Gesellschaft von spätestens Mitte des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts – besonders der Phase zwischen 1789 und 1848 – widerspricht Bammé; auch Systemwechsel wie etwa die von Äthiopien bis zur UdSSR oder durch Diktatoren von Hitler bis Mao Tse-tung im 20. Jahrhundert demonstrieren die Wirkungsmächtigkeit von Personen und deren jeweiligen Gefolgsleuten. Es genügt ja schon, auf den Systemwechsel in den USA durch die vermutlich/angeblich unlauteren Präsidentenwahlen von Clinton zu Bush II zu verweisen. Auch Menschen und deren Namen wirken – besonders wenn sie entsprechend aufbereitet sind – als Symbole, die Menschen – auch massenweise – in ihrem Handeln orientieren oder umorientieren. Arno Bammé, Christoph Deutschmann und Stephan Schulmeister danke ich für die Anregungen. Meine hier genannten Schriften sind: Soziologische Aspekte der Arbeitsmarktpolitik (1979), in: Ernst Gehmacher (Hg.): Die außerökonomischen Aspekte der Arbeitsmarktpolitik. Wien: IFES /Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und Geld (1991). Klagenfurt: Kärntner Druck- und Verlagsgesellschaft / Fatal Construction of Reality als Folge segmentierter Wahrnehmung – Versuch gegen das vordergründige Denken in zeitgeistigen politischen Topoi (2006); in: Norbert Wohlgemuth (Hg.): Arbeit, Humankapital und Wirtschaftspolitik. Berlin: Duncker & Humblot: 151-168.

Guido Offermanns

Betriebswirtschaftslehre und der Geldpolylog – eine Herausforderung an die Universitäten?

Beeindruckend im Polylog sind sowohl die unterschiedlichen Zugänge zum Thema Geld als auch die teils völlig konträren Meinungen und Interpretationen von Autoren aus einer Wissenschaftsdisziplin (vgl. Beiträge von Arno Bammé, Paul Kellermann und Christoph Deutschmann). Immer wiederkehrend ist die fundamentale Kritik an den in der Wirtschaft tätigen Managern, unter anderem auch von Paul Kellermann und dem Betriebswirtschaftler Dietrich Kropfberger, die die Frage aufwirft, ob Verantwortung für die beschriebenen Verwerfungen auch bei den Ausbildungsstätten zu suchen ist. Tragen die Universitäten nicht Verantwortung für Tun und Handeln der von ihnen ausgebildeten Studierenden, da diese ja dort wesentlich in ihrem Blick auf die Bedeutung von Gesellschaft, Geld und Wirtschaft geprägt werden? Hat, um mit Paul Kellermann zu sprechen, der Moneyismus nicht hier seinen Ursprung? Erhalten sie nicht dort Grundmuster vermittelt, die sie wesentlich in ihrer zukünftigen Handlungsorientierung prägen? Grundsätzlich muss eine Diskussion geführt werden, welchem Paradigma die betriebswirtschaftliche universitäre Ausbildung zukünftig folgen soll; auch mit Blick auf die Ergebnisse des Polylogs. Steht die Betriebswirtschaftslehre letztendlich für sich oder ist sie auf das Wissen von anderen Wissenschaftsdisziplinen angewiesen? Wie muss die universitäre Bildungslandschaft auf die neuen Herausforderungen reagieren? Wesentlich geprägt wird die Betriebswirtschaftslehre Anfang der fünfziger Jahre von Erich Gutenberg, der erstmals die funktionale Beziehung zwischen Input (Faktoreinsatz) und Output (Faktorertrag) darstellte. Ergänzt wird diese Beziehung durch die Forderung an die Unternehmen, ein Maximum aus der Produktivitätsbeziehung zu erwirtschaften. Die optimale Faktorkombination ist dann diejenige, durch die sich das gesetzte Ziel am besten erreichen lässt (Minimalkostenkombination). Das Unternehmen selbst sieht er lediglich als black box, die bloß den Input in den Output transformiert. Personal oder weiche Faktoren im Unternehmen verzerren dabei den Erkenntnisgewinn. Das Erkenntnisobjekt der klassischen Betriebswirtschaftslehre ist so nicht der Betrieb schlechthin, sondern nur dessen „wirtschaftliche Seite“. Die technische, rechtliche, soziologische, psychologische sowie ethische Seiten werden dabei aus der be-

Betriebswirtschaftslehre und der Geldpolylog

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triebswirtschaftlichen Forschung ausgeklammert, da sie, laut gängiger Forschungsmeinung, in das Untersuchungsgebiet anderer wissenschaftlicher Disziplinen gehören würden (Wöhe 2002). Die Einseitigkeit dieser betriebswirtschaftlichen Denkweise wäre nicht weiter bedenklich, wenn nicht doch aus den abstrakten Modellen immer wieder Regeln für das Verhalten im konkreten Fall der Praxis abgeleitet würden, und wenn sich diese für den Hausgebrauch des Theoretikers vielleicht nützlichen Schemata nicht durch Mittel- oder Hochschulunterricht und Publikationen in den Köpfen von Studierenden und Praktikern zu Bildern über die vermeintliche Wirklichkeit umwandeln würden (Malik 2005:17, Mintzberg 2005). Letztendlich prägen diese Denkmuster die Entscheidungen im konkreten Fall, d.h. Interessen von Anspruchsgruppen, wie den Mitarbeitern, werden dem Dogma der „Gewinnmaximierung“ oder shareholder-Orientierung untergeordnet. Selbst der Begründer des shareholder values, Alfred Rappaport, distanziert sich in neuen Veröffentlichungen von den negativen Auswirkungen des Ansatzes (Rappaport 2006: 66). In Deutschland, Österreich und darüber hinaus ist der vielleicht am weitesten verbreitete Irrtum die Meinung, Betriebswirtschaftslehre und Management seien dasselbe. Jede neue Generation von Betriebswirtschaftlern trägt zur weiteren Ausbreitung und Zementierung dieser Meinung bei. Diese Auffassung ist stark zu kritisieren, da Betriebswirtschaftslehre und Management grundverschieden sind. Management hat auch nichts mit dem unausrottbaren Dogma der Betriebswirtschaftslehre gemein, nämlich der Gewinnmaximierung, das mit der shareholder-Doktrin Wiederauferstehung feierte. Management ist die Transformation von Ressourcen in Nutzen für die Mitglieder der Gesellschaft (Malik 2005: 26). Wenn alle Manager dieser Handlungen folgen würden, käme es nicht zum Moneyismus. Nutzen entsteht ebenfalls nur außerhalb des Unternehmens, nämlich beim Leistungsempfänger, beim Kunden. Geld allein erhält also keine Bedeutung für sich. Hier wird klar, dass die einzelnen Manager wählen können, welches Paradigma ihre Handlungen lenken soll. Aufgabe der Universitäten ist, den Studierenden dies vor Augen zu führen und entsprechend auf die neuen Herausforderungen in der Wirtschaft mit entsprechenden, auch interdisziplinären, Lehrinhalten zu reagieren. Mit dem klassischen betriebswirtschaftlichen Wissen allein lässt sich ein Unternehmen niemals führen. Dafür ist zusätzliches Wissen der anderen Disziplinen nötig, das bis heute von der Betriebswirtschaftslehre nicht aufgenommen wurde. Beachtet werden müssen zunehmend auch normative Fragestellungen wie Grundwerte, ethische Verhaltensweisen sowie Unternehmenskultur.

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Guido Offermanns

Betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind unbestritten wichtig für die Führung eines Wirtschaftsunternehmens. Für das Management anderer Organisationen ist das aber nicht gleichermaßen der Fall. Für jedes Wirtschaftsunternehmen ist Marketing wichtig. Für z. B. ein Krankenhaus trifft dies in nur sehr eingeschränkter Form zu. Kostenrechung ist wiederum für ein Krankenhaus im Zeitalter von Fallpauschalen unabdingbar, aber weit weniger für eine politische Partei. Produktion, Logistik, Beschaffung sowie Forschung und Entwicklung sind Funktionen, die längst nicht für alle Organisationen wichtig sind. Für Banken und Versicherungen haben sie wenig Bedeutung und für die anderen Organisationen gar keine. Alle Organisationen müssen zwar gemanagt werden, aber nicht alle brauchen Betriebswirtschaftslehre. In Wahrheit ist es eine Minderheit, und für manche ist eine ausschließlich betriebswirtschaftliche Denkweise unter oben beschriebenem Paradigma sogar ausgesprochen schädlich (Malik 2005: 25, Mintzberg 2005). Im Gegensatz dazu betrachtet Ulrich mit der Systemtheorie die Unternehmung als ein produktives soziales System, das von der Umwelt gesetzte Zwecke zu erfüllen hat, sich aber im Rahmen dieser Funktionsbedingungen selbst Ziele setzen kann. Das Merkmal „zweckorientiert“ schränkt die von der Managementlehre zu erfassenden sozialen Institutionen auf solche ein, deren Daseinszweck in der Erfüllung von Funktionen in der Gesellschaft besteht. Unter „Zwecken“ werden somit Bedürfnisse des umfassenden Systems „Gesellschaft“ verstanden, die durch Tätigkeiten der zweckorientierten (Sub-)Systeme befriedigt werden sollen (Ulrich 2001: 111). Beispielsweise verlangt die alternde Bevölkerung zunehmend nach entsprechenden pflegerischen Leistungen und Angeboten zur Lebensgestaltung, die z. B. von Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediensten erbracht werden könnten, wenn entsprechende Anreize gesetzt werden. Nach Ulrich lässt sich die Betriebswirtschaftslehre zu den „angewandten Handlungswissenschaften“ zählen, d. h. sie widmet sich der Analyse menschlicher Handlungsalternativen und kann den Sozialwissenschaften zugeordnet werden. Ziel ist, die Gestaltung sozialer und technischer Systeme durch Schaffung von Entscheidungsmodellen bzw. Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre muss es dann sein, Führungskräften ein realistisches Bild der Unternehmung zu vermitteln, die nicht von wesentlichen Teilen des Unternehmungsgeschehens abstrahieren (vgl. oben). Bedeutend scheint vor allem, die Unternehmungen nicht isoliert von ihrer Umwelt zu betrachten, da diese nicht nur vom ständigen Austausch von Gütern, Informationen und Geld mit der Umwelt leben. Sie existieren auch lediglich aufgrund von Absichten und

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Bedürfnissen anderer Individuen und Institutionen der menschlichen Gesellschaft (Ulrich 1995: 17). Der Geldpolylog hat eindrücklich gezeigt, dass noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Zur Lösung der beschriebenen Probleme wird jedoch nur eine interdisziplinäre Herangehensweise wirkliche Fortschritte bringen, die bewusst die unterschiedlichen Rationalitäten in und zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen berücksichtigt und kritisch reflektiert. In der Betriebswirtschaftslehre ist dies in der Vergangenheit noch nicht ausreichend geschehen.

Quellenverzeichnis Hopfenbeck, Waldemar (2000): Allgemeine Betriebswirtschafts- und Managementlehre: Das Unternehmen im Spannungsfeld zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen; 13. Auflage. Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie Malik, Fredmund (2005): Management: Das A und O des Handwerkes. Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch Mintzberg, Henry (2005): Manager statt MBAs: Eine kritische Analyse. Frankfurt am Main: Campus Rappaport, Alfred (2006): Ten Ways to Create Shareholder Value. In Harvard Business Review, Vol. 84: 66-77 Ulrich, Hans/Probst, Gilbert (1995): Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln: Ein Brevier für Führungskräfte, 4. Auflage. Bern: Haupt Ulrich, Hans (2001): Systemorientiertes Management: Das Werk von Hans Ulrich. Stiftung zur Förderung der Systemorientierten Managementlehre St. Gallen (Hg.). Bern: Haupt Wöhe, Günter (2002): Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 21. Auflage. München: Vahlen

Roland Mittermeir

Ist Geld Information oder doch nur ihr Zwilling? Kommentar zu Christoph Deutschmann: „Wie harmlos ist Geld? Anmerkungen zur geldsoziologischen Diskussion“

Ich möchte Christoph Deutschmann ganz explizit dafür danken, dass er in seiner Diskussion des Beitrags Geld und Information (Mittermeir 2005) auf zwei Bereiche hinweist, die dort unterbeleuchtet blieben, so dass Missverständnisse auftreten können (Deutschmann 2007). In beiden Fällen handelt es sich allerdings weniger um die Beziehung von Geld zu Information als viel mehr um den Informationsbegriff selbst. Zum einen hält Deutschmann fest, dass Kontoauszüge kein Geld sind, sondern nur auf Geld verweisen. Dies ist selbstverständlich richtig und es mag der fachspezifischen Nachlässigkeit des Informatikers zuzurechnen sein, wenn die Trennung zwischen Referenz und referenzierter Information – im Regelfall ist sie evident, in Spezialfällen kann sie allerdings einen entscheidenden Unterschied ausmachen – nicht deutlich genug herausgearbeitet wurde. Der zweite wesentlich wichtigere Einwand findet sich in der Formulierung „Aber im Unterschied zu Information ist Geld etwas, was man persönlich besitzen kann. Es wird deshalb nicht mitgeteilt, sondern übertragen. Bei der Information verliert der Sender nicht, was er an den Empfänger abgibt, er teilt sie vielmehr ‚mit’, alle haben sie danach gemeinsam.“ Bevor hier auf unterschiedliche Positionen eingegangen wird, sei nochmals der konsensuelle Punkt, Geld ist „gewiss kein Ding, sondern ein Konstrukt denkbar abstrakter Art“ (Deutschmann 2007) hervorgehoben. Dies gilt auch für Information. Sie beschreibt Sachverhalte und wird in dieser Beschreibungsfunktion selbst zum (beschreibbaren) Sachverhalt. Letzteres allerdings auf einer anderen Ebene. Auch Geld drückt Sachverhalte aus und wird (aus anderer Betrachtung) selbst wieder zum Sachverhalt. Allerdings gilt es auch hier, Objektebene (Zahlungsmittel) und Metaebene (Kapital) zu trennen, um nicht in Widersprüche verwickelt zu werden. Und ebenso wie bei Geld ist auch bei Information zwischen der Information an sich und dem Informationsträger, auf dem die jeweilige Information gespeichert oder weitergegeben wird, zu unterscheiden. Somit schafft ein Faxgerät (Deutschmann 2007) auch nicht Information sondern

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überträgt nur bereits auf einem spezifischen Informationsträger vorhandene Information. Nun benötigt allerdings jegliche Informationsübertragung eines spezifischen Protokolls (Mühlhäuser 1999). Ein solches Protokoll ist geeignet, die technische Kommunikation zweier Faxgeräte sicherzustellen. Es reicht aber nicht über die Grenzen des Geräts. Somit können wir zwar Rechnungen, aber keine Zahlungen (nicht bloß keine Geldscheine, sondern auch keine Überweisungen) und auch keine Dokumente per Fax übermitteln. Das Fax kopiert die am Informationsträger aufgezeichneten Fakten, nicht mehr. Es entscheidet zwischen Information und Rauschen. Nun bleibt allerdings Deutschmanns zweiter Einwand: Geld wird übertragen und nicht mitgeteilt. Hier scheint ein Knackpunkt gegeben zu sein, der meine Interpretation von Geld als Information scheinbar aushebelt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wenn man den Informationsbegriff analysiert, erkennt man, dass obige Aussage nur für bestimmte Formen von Information gilt, nämlich für die dem Shannonschen Informationsbegriff zugrunde liegende nachrichtentheoretische Interpretation (Shannon 1959). Für andere Informationsformen, insbesondere für jene, die eine pragmatische Interpretation in den Vordergrund stellen (Mittermeir 2000), gilt sie jedoch nicht. Nehmen wir als Beispiel für Information ein wissenschaftliches Gesetz, so hat Deutschmann voll inhaltlich recht. Doch selbst auf dieser Ebene müssen wir schon unterscheiden, etwa zwischen den Aussagen: „Tannen sind Bäume mit weichen grünen Nadeln“ und „Menschen bedienen sich des Geldes, um den Wirtschaftsverkehr zu dynamisieren.“ Die Aussagen haben unterschiedliche Qualität, unterschiedlichen Wahrheitsgehalt und unterschiedliche raum-zeitliche Gültigkeit. Wie verhält es sich aber, wenn ich nicht ein objektives Faktum oder eine wissenschaftliche Aussage, sondern vielmehr ein Geheimnis an eine andere Person preisgebe. Durch die Weitergabe des Geheimnisses verliere ich zwar nicht die objektive Information Gx = Y. Ich verliere allerdings die Macht, die mit der Information Gx = Y verbunden ist, und je nach konkretem Inhalt teile ich die mit der Information verbundene Macht nun mit dem Empfänger der Nachricht, oder es könnte sich auch um Information handeln, die durch die Weitergabe an den Empfänger für mich völlig wertlos wird und sich voll und ganz auf den Empfänger überträgt. (Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen, betone ich, dass ich hier wirklich von der Information als solcher und nicht etwa vom physischen Trägermedium der Information, etwa einem Brief, dessen Postbote ich sein könnte, spreche.) Selbst die per Fax übermittelte Rechnung (die Zahlung kann es ja nicht sein) ist, wenn überhaupt, nur für den Empfänger, nicht aber für den Sender handlungsrelevante Information.

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Roland Mittermeir

Wenn Deutschmann weiter ausführt „Geld muss deshalb im Unterschied zu Information ‚knapp’ gehalten werden …“, so ist auch darin kein Unterschied zu Information zu sehen. Information, die handlungs- oder entscheidungsrelevant sein soll, muss knapp gehalten werden, sonst überflutet sie die Verarbeitungskapazität der Entscheidungsträger (vgl. Informationsüberflutung, Desinformation). Ich sehe hier vielmehr eine weitere Analogie zwischen Geld und Information. Zu oft gehen wir bei Geld, nicht zuletzt wegen seiner Maßstabfunktion, von Monotonie und Linearität aus. Beides ist für einen Maßstab nötig. Beides gilt aber für Geld wie für Information nur stückweise innerhalb beliebig anzulegender „überschaubarer“ Bandbreiten. Überschreitet diese „Überschaubarkeit“ die Grenzen, innerhalb derer intersubjektiver Konsens über das soziale Konstrukt (Geld, Information) vorliegt, geht auch das gemeinsame Wertverständnis verloren. Man mag sich dies an folgendem Gedankenexperiment veranschaulichen: Ein wohlbestallter Sozialwissenschaftler gäbe einem Sandler1 einen Zehn-EuroSchein. Extern beobachtbar fand damit nur die gegenleistungsfreie Übertragung von zehn Geldeinheiten statt. Wir müssen uns fragen, wie dies mit klassischen Theorien zu den diversen Funktionen von Geld vereinbar ist. Fest steht, obzwar der Sozialwissenschaftler keine Gegenleistung erhielt, empfindet er, weil „wohlbestallt“ auch keinen Verlust. (Vielleicht empfindet er sogar einen emotionalen Gewinn, weil er eine „gute Tat“ vollbrachte. Aus seiner Sicht hätte er die € 10,mithin gegen verbessertes Gewissen konsumiert. In seiner finanziellen Bilanz bleibt die Tat jedoch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.) Für den Sandler war der Empfang der € 10,- jedoch essentiell. Sein Kapital stieg von noch als vorhanden angenommenen € 1,27 auf € 11,27 und damit kann er sich nun die am kalten Winterabend essentielle Leberkässemmel und einen heißen Tee (und vielleicht noch eine weitere Kleinigkeit) kaufen. Er sieht somit die nächste Nacht als überbrückt! Derlei Inparitäten bei Geld (wie bei Information) gelten aber nicht nur im Kleinen sondern auch auf anderer Ebene. Man denke etwa an die wirtschaftsgesetzlich schon lang geregelten Entschuldungsmaßnahmen im Fall von Konkurs und Ausgleich und die demgegenüber erst sehr jungen Regelungen zum Privatkonkurs einerseits, Diskussionen über zwischenstaatliche Entschuldungsmaßnahmen andererseits. Ergänzend zu obigen Ausführungen möchte ich noch festhalten, dass auch zwischen den angesprochenen Geldpathologien und gewissem Informationsverhalten offensichtliche Analogien festgemacht werden können. Verabsolutierung 1

Österreichisch: unterstandsloser, verwahrloster Mensch

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des Geldwerts erinnert mich an Diskussionen, die ich gelegentlich mit meiner Gattin zum Umfang meiner wissenschaftlichen „Privatbibliothek“ zu führen habe. Sie diagnostiziert hier Informationspathologien, die eine hohe Verwandtschaft zu jenen Effekten aufweisen, die in Deutschmanns weiteren Ausführungen zur Kapitalfunktion des Geldes angeführt werden. Betrachtet man meine berufliche Restlebenszeit realistisch, ist nicht zu erwarten, dass ich noch in der Lage sein werde, meine gesamte Bibliothek je komplett durchzulesen. Warum investiere ich daher weiterhin Mittel, so dass sowohl die Zeitschriftensammlung als auch die Monographiensammlung jährlich in Dimensionen, die man in Laufmetern angeben könnte, wachsen, ja das Wachstum sogar so groß ist, dass die jährliche Zuwachsrate höher ist als die jährliche Leserate? Ich werfe die Potenzialtheorie ins Treffen. Gleichviel ob ich mich für einen Aufsatz oder für eine Vorlesung vorbereite, habe ich die in der Bibliothek gesammelte Information zur Verfügung und kann somit ohne Mühe darauf zugreifen. Ich bin somit flexibler als jene, die dieses Potenzial nicht haben. Insofern liegt hier eine Analogie zum Eigentümer von Geldkapital vor. Die Analogie findet allerdings darin ihre Grenze, dass der Eigner von Geldkapital einer ungewissen Zukunft gegenüber steht, während der Eigner von Büchern und Zeitschriften davon ausgehen kann, dass diese erhalten bleiben. Doch Vorsicht: Diese Argumentation verwechselt wieder Trägermedium und Inhalt. Auch der Eigner von Sparstrumpf-Münzen wird dieser nicht leicht verlustig gehen. Aber so, wie der Strumpfsparer mit Inflation rechnen muss, muss ich davon ausgehen, dass der Bestand meiner Bibliothek kontinuierlich veraltet und daher der Wert meines Informationskapitals laufend abnimmt.2 Doch selbst dies lässt mich nicht zum Schluss kommen, Werke ab einem gewissen Jahresschnitt zu entsorgen. Ist es Sammeleigenschaft oder ist es Gier, die mich hoffen lässt, dass einige der Aufsätze und Bücher, die ich besitze, dereinst berühmte Werke sein werden, die in einer Wegwerfgesellschaft knapp geworden sind und mir somit einen besonderen Wettbewerbsvorteil beschaffen? Die generelle Aussage, dass mein Informationsstand veraltet und daher kontinuierlich an Wert verliert, stimmt also nur bedingt. Ich kann sogar empirische Belege dafür anführen, dass Mitarbeiter wissen und dies Wissen gelegentlich auch nutzen: Werke ab einem gewissen Datum wird man, wenn in Klagenfurt überhaupt, wohl nur bei mir finden.

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Selbstverständlich sollte man auch die Außerverkehr-Ziehung von Noten oder Münzgeld oder das Aufkommen wissenschaftlicher Paradigmenwechsel ins Kalkül ziehen. Der Effekt wäre in beiden Fällen krisenhafte Entwertung des Bestands.

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Roland Mittermeir

Diese Argumente haben prima vista natürlich nichts mit Geld zu tun und beweisen auch nicht die Umkehrbarkeit der Behauptung, Geld sei Information. Sie sollen allerdings zeigen, dass gewisse Phänomene, die wir beim virtuellen Gut Geld feststellen können, auch bei anderen virtuellen Gütern vorhanden sind. Weiters zeigen sie, dass Rationalitätsargumente bei abgeleiteter Funktionsnutzung virtueller Güter nur bedingt greifen. Es ist den Lesern überlassen zu entscheiden, wie weit meine Begründungen rational sind und wie weit es sich bloß um Rationalisierungen handelt. Hier möchte ich noch kurz einen Blick auf Fürstenbergs Aussage „Wer über Geld und Kredit verfügt, besitzt damit eine Liquiditätsreserve“ (Fürstenberg 2007) werfen und dies wieder mit einer persönlichen Erfahrung verknüpfen. Im Englischen hat credit ja nicht bloß die Bedeutung Kredit, also negatives Finanzkapital, sondern auch Vertrauen und dieses ist ja wieder nötig, um Geld geborgt zu bekommen, das nicht durch verpfändete Realwerte abgesichert ist. So wollte mir ein Möbelverleih in Texas seine besten Stücke nur unter der Bedingung anvertrauen, dass ich bei einer US-Bank einen Kredit hätte. Der Verweis auf mein existierendes checking account half nicht und es bedurfte einer Anfrage beim department chair um primären credit (hier Vertrauen; betrachtet man den Wert der Leihmöbel, dann wohl aber auch Kredit) zu gewinnen. Formen des Geldes können also ebenso wie Formen von Information mitunter merkwürdige Purzelbäume schlagen. So wie negative Information eben auch Information ist, kann in Sondersituationen auch „negatives Geld“ Geldeswert annehmen. So wie Information der Interpretation bedarf, um wirksam zu werden, bedarf auch Geld einer über den Nennwert hinausgehenden Bewertung (Interpretation), um wirksam zu werden. Ich möchte diese Überlegungen mit einem Gedankenexperiment schließen: Nehmen wir an, Geld sammelt sich kontinuierlich bei einer Person. Diese Person würde, relativ zu allen anderen Wirtschaftssubjekten, offenbar unermesslich reich. Doch (spätestens) sobald diese Person die letzte Einheit Geldes an sich gerafft hat, verliert all das angehäufte Geld seinen Status als soziales Konstrukt und würde damit wertlos. Die anderen Wirtschaftssubjekte hätten sich inzwischen wohl andere Hilfsmittel vereinbaren müssen, um wirtschaftlich interagieren zu können. – So wie Information des Austausches (Flusses) bedarf, um relevant zu sein, bedarf auch Geld des Austausches bzw. des Geldflusses, um seine Funktion erfüllen zu können. Die „Entkommodifizierung der Arbeitskraft“ reicht mithin nicht, um Geld zu einem benignem Pseudogut werden zu lassen, „das in der Tat so ähnlich funktioniert, wie die Tauschmitteltheorie der ökonomischen Lehrbücher behauptet“

Ist Geld Information oder doch nur ihr Zwilling?

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(Deutschmann 2007). Dem steht wohl die im Beitrag Aldo Haeslers angesprochene Wende von G = f(T) zu T = f(G) entgegen (Haesler 2007). Beide Gleichungen wären noch durch einen Zeitindex t zu qualifizieren. Geld als reines Tauschmittel kann nur gesehen werden, wenn wir eine kurzfristige statische Betrachtung wählen. Wählen wir jedoch eine Langfrist-Betrachtung, müssen wir die spezielle Natur von Geld als sozialem Konstrukt berücksichtigen. Dabei spielt die Rekursivität von Geld als virtuelles Gut und Geld als Recheneinheit eine besondere Rolle. Die Virtualisierung des Geldes erhöht die Frequenz, mit der Geldübertragung als Informationsübertragung stattfindet, massiv. Während die Tauschmitteltheorie von Wertkonstanz ausgehen muss, um aussagekräftig zu sein, zeigt die empirische Realität, dass diese Wertkonstanz nicht gegeben ist und die Gleichsetzung von Maß und Messeinheit zum Problem wird. Wären Geld und Information voneinander unabhängige Konstrukte, müsste die Erhöhung der Übertragungsfrequenz rein stabilisierende Wirkungen haben (Devisenarbitrage, Derivativ-Produkte). Doch dies ist, wie insbesondere der internationale Börsenhandel mit Derivativ-Produkten erweist, keineswegs der Fall. Gerade dies zeigt jedoch, dass sich zwischen Geld und Information sehr oft noch ein gemeinsames Hilfskonstrukt fügt: Phantasie!

Quellenverzeichnis Deutschmann C. (2007): Wie harmlos ist Geld? Anmerkungen zur geldsoziologischen Diskussion; in diesem Band: 161-172 Fürstenberg F. (2007): Metamorphosen des Geldes – Sozialstrukturelle Folgen globalisierter Finanzmärkte; in diesem Band: 149-160 Haesler A. (2007): Die Erfindung des Positivsummenspiels; in diesem Band: 139-148 Mittermeir R. T. (2002): Software Evolution: Let’s Sharpen the Terminology before Sharpening (Out-of-Scope) Tools; In: Tamai, Aoyama, Bennet (eds.): 4th International Workshop on Principles of Software Evolution, IWPSE 2001, ACM press: 114-121 Mittermeir R. (2005): Geld und Information. In: Kellermann P. (Hg.): Geld und Gesellschaft – Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften: 139-169 Mühlhäuser M.: Verteilte Systeme. In: Rechenberg P., Pomberger G. (Hg.) Informatik-Handbuch, 2. Aufl., Hanser Verlag: 675-708 Shannon C., Weaver W. (1959): The Mathematical Theory of Communication. Urbana, 8th edition

Reinhard Blomert

Firmenpiraten und Börsenspieler – Über die wachsende Macht der Finanzmärkte Eine Radiosendung1

Sprecher 1 Durch den Ersten Weltkrieg wurden die USA zum reichsten Land der Welt. Die Rückzahlung der englischen und französischen Kriegsschulden bescherten der New Yorker Börse einen gewaltigen Aufschwung. Aber die Überflutung mit Geldkapital führte bald zu Überhitzung, Spekulation und auch zu Börsenmanipulationen in großem Ausmaß. Sprecher 2 Nach einem beispiellosen Börsenboom folgte 1929 der große Börsenkrach. Viele Vermögen wurden vernichtet, Investitionen blieben aus, Betriebe wurden stillgelegt, und Löhne sanken unter das Existenzminimum. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe, die Konkurrenz um die wenigen Jobs wurde mörderisch. Es kam soweit, dass Leute einfach nichts mehr zu essen hatten und verhungerten. Eine tiefe Depression breitete sich aus in dem Land, das einst für seine Grundstimmung des unerschrockenen Optimismus berühmt war. Sprecher 3 In dieser Lage wählte das US-amerikanische Volk Franklin Delano Roosevelt zum Präsidenten. Roosevelt hatte einen Wahlkampf gegen die Spekulanten und für die Rechte des „kleinen Mannes“ geführt. Nach seinem Wahlsieg initiierte er ein staatliches Investitions- und Beschäftigungsprogramm gegen die Arbeitslosigkeit. Er führte die Arbeitslosenversicherung ein und handelte einen New Deal mit den Wirtschaftspartnern aus. Er erließ Preiskontrollen und neue strenge Regeln für die Börsen, damit sich die kriminellen Manöver nicht wiederholten. Sprecher 1 Gegen den heftigen Widerstand der Wall Street erhielt die Börse eine staatliche Aufsicht. Der gesellschaftliche Zweck der Börse wurde neu formuliert: Die Börse galt nicht mehr als ein privates Geschäft zwischen Kaufleuten, Bankern und Sparern. Sie war nun eine öffentliche Einrichtung mit einer

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Erstsendung 16. März 2006, Wiederholung 14. Dezember 2006, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Kulturradio, Reihe „Perspektiven“

Firmenpiraten und Börsenspieler

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öffentlichen Funktion. Die Börsengesetze sollten also nichts weniger als eine Demokratisierung des Finanzmarktes erreichen. Sprecher 2 Die Tätigkeit der Banken wurde auf Einzelstaaten begrenzt und ihre Publizitätspflicht verstärkt. Papiere, die über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg gehandelt wurden, mussten bei der Börsenaufsicht registriert werden. Auskünfte der Börsenaufsicht sollten allen Interessierten zugänglich sein. Finanzberater mussten sich registrieren lassen und einem Verhaltenscodex unterwerfen. Auskunftspflichtige konnten jetzt für falsche Auskünfte haftbar gemacht werden. Vor allem aber wurden Besitz und Handel von Wertpapieren streng getrennt. Depositenbanken durften nur Einlagen von Kunden halten und Kredite vergeben, Investmentbanken durften nur Emissionen von Anleihen und Aktien vermitteln. Sprecher 3 Roosevelt wurde mit dieser Gesetzgebung zu einer Schlüsselfigur der US-amerikanischen Geschichte. Denn mit der Börsenregulierung und dem New Deal verstieß er gegen die klassische Politik der „freien Märkte“ mit freier Preisbildung. Roosevelt machte den Staat zum Aufsichtsorgan über den Markt und zugleich zum Wirtschaftsfaktor. Seine historische Leistung war es, das Marktversagen durch staatliches Eingreifen korrigiert zu haben – es war die Geburtsstunde einer neuen US-Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sprecher 1 Der Staat übernahm nun eine neue innenpolitische Funktion: Er war nicht mehr allein Nachtwächterstaat und der Schutzherr der Eigentümer, sondern auch Beschützer der Abhängigen geworden. Eine der größten Krisen in der Geschichte der USA wurde mit Hilfe staatlicher Programme gemeistert: Roosevelt zähmte die Märkte. Sprecher 2 Aber Roosevelts Beschäftigungsprogramme reichten zur Erholung der Wirtschaft nicht aus. Erst der Zweite Weltkrieg brachte für die USIndustrie wieder volle Auftragsbücher. Die Große Depression wurde vergessen, Millionen von Arbeitern und Technikern fanden wieder Arbeit. Die wachsende Nachfrage der alliierten und der eigenen Streitkräfte nach Schiffen, Flugzeugen, Panzern, Motoren und Ausrüstungen führte zu Hochleistungen in der Massenfertigung. Und bei der Herstellung wurde nicht auf den Preis, sondern auf Qualität geachtet. Sprecher 3 Als der Krieg vorbei war, verfügten die USA über die leistungsfähigste Industrie der Welt. Sie bezahlte hohe Löhne und die Gewerkschaften hatten einen starken Stand. Die sozialen Ungleichheiten waren auf ein erstaunlich niedriges Maß eingeebnet. Arbeitsplätze waren stabil und die Renten wurden garantiert: Die Arbeiter schlossen zum Mittelstand auf.

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Reinhard Blomert

Sprecher 1 Tatsächlich wirkten die großen Konzerne, die durch die Kriegsproduktion entstanden waren, wie Riesenorganisationen. Die Unternehmen waren Sozialgebilde mit weiter Ausstrahlung auf ihre Umwelt. Das beschränkte sich nicht auf die unmittelbar Beschäftigten, Lieferanten, Abnehmer, Banken oder Gläubiger. Auswirkungen zeigten sich auch auf deren Familien, deren Wohnumfeld und deren Lebensrhythmen. Auch mit den Kommunen ergaben sich Abhängigkeiten. Sprecher 2 Die Städte hatten die Versorgung der Unternehmen mit Verkehr, Strom und Wasser zu garantieren. Aber sie mussten auch Ausbildungsstätten für die Arbeitskräfte stellen. Umgekehrt ergaben sich weitreichende Folgen der Ansiedlung von Betrieben auf die Umwelt und die Gesellschaft in der Stadt. Großunternehmen wurden zu Teilen einer neuen Welt, in der ihre Reklame, ihre Produkte, ihre Gehaltsstrukturen und ihre sozialen Leistungen zum allgemeinen Standard wurden. Werksfürsorge, Werkssport und Werkswohnungen, aber auch Kulturmäcenatentum schufen starke Verbindungen zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre. Sprecher 3 All dies brachte die Soziologen und Managementlehrer der sechziger Jahre zu der Frage, ob Unternehmen noch private Veranstaltungen sind. Sind es nicht schon öffentliche Institutionen, die nur in einen privaten Mantel eingebettet sind? Industriemanager wurden Organisationsprofis, Technik und Produktionsabläufe standen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie erhielten maßvolle Gehälter und sahen sich selbst als Mitarbeiter, die notwendig waren für das Funktionieren der Betriebe. Man sang das Hohelied der Organisation. Der große alte Mann der Managementlehre, Peter Drucker, schrieb: Sprecher 1 “Eine Organisation ist wie eine Melodie; sie setzt sich nicht aus einzelnen Klängen zusammen, sondern aus den Beziehungen zwischen ihnen.“ Sprecher 1 Das Großunternehmen war die „repräsentative Institution“ der Ära, die große, auf Massenproduktion ausgerichtete Fabrik. General Motors wurde die größte privat geführte Organisation, die es je gegeben hatte. Garantierte Jahreslöhne, sichere Karriereleitern, Vollbeschäftigungspolitik und Betriebsrenten gehörten bald zu den Selbstverständlichkeiten. Man wollte den „Bürgern der Industriegesellschaft“ Anerkennung und Sicherheiten geben. Man beteiligte die Arbeiter am Gewinn und die Gewerkschaften hatten eine starke Position bei der Mitbestimmung. Sprecher 2 Die Einkommenssteigerung seit dem Überfall japanischer Streitkräfte auf die USA-Flotte bei Pearl Harbour (Ende 1941) betrug 60 Prozent, und man sprach vom Ende der Klassengesellschaft und vom Heraufkommen einer Mittelschichtgesellschaft. Bis in die siebziger Jahre hinein war in den

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USA die größte Verteilungsgleichheit erreicht, die es je im amerikanischen Kapitalismus gegeben hatte. Der „Großen Depression“ war die „Große Kompression“ gefolgt, die die Einkommen der Amerikaner aneinander anglich. Sprecher 3 Angesichts dieser Entwicklung hatten manche Begriffe ihren Sinn verloren; Peter Drucker sprach von der „postkapitalistischen Gesellschaft der Organisationen“. Nicht zufällig tauchte auch der Gedanke einer Konvergenz der Systeme auf: Wurden nicht die riesigen Betriebsorganisationen immer ähnlicher? Hatten sowjetische Kombinate und amerikanische Großkonzerne nicht sehr viel miteinander gemeinsam? Was zählten denn die Unterschiede wirklich noch? Sprecher 1 Gleichzeitig aber wurde der Wettbewerb der Systeme angestachelt, als die Sowjetunion 1957 den ersten Sputnik in den Weltraum schoss. Die Russen hatten gezeigt, dass sie technisch vorne lagen und die USA sahen sich in einer Aufholjagd. Technische Phantasien und Spionage blühten auf. Der Soziologe Daniel Bell verkündete, dass es jetzt nur noch um das Wissen gehe und die Gesellschaft der Zukunft eine Wissensgesellschaft sei. Dieser Wettkampf heizte den Kalten Krieg an und sicherte erneut Vollbeschäftigung. Er beförderte auch jene Industrie, die in den neunziger Jahren ihren Höhenflug erfahren sollte, die Elektronikindustrie. Manuel Castells schrieb: Sprecher 2 „In den entscheidenden fünfziger und sechziger Jahren waren Rüstungsaufträge und das Raumfahrtprogramm wesentliche Märkte für die Elektronikindustrie, und zwar sowohl für die großen Rüstungsunternehmen in Südkalifornien als auch für die innovativen Jungunternehmer in Silicon Valley und Neu England. Sie hätten nicht überleben können ohne die großzügige Finanzierung und die geschützten Märkte einer US-Regierung, die nach der Wiederherstellung ihrer technologischen Überlegenheit über die Sowjetunion strebte ... Daher war in Amerika, wie auch überall sonst auf der Welt, der Staat – und nicht der innovative Unternehmer in seiner Garage – der Initiator der Revolution in der Informationstechnologie.“ Sprecher 3 Die starke Position der Arbeiter hatte einen überraschenden Nebeneffekt. Die aus den Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern angesammelten Gelder bildeten wachsende Kapitalfonds. Das erste Abkommen über Betriebsrenten wurde bei General Motors im Jahre 1950 geschlossen. Peter Drucker, der Managementlehrer, hatte General Motors in dieser Frage beraten. Sprecher 1 Bald aber stellte Drucker überrascht fest, dass im Anschluss an diesen Vertrag 8.000 neue Pensionsfonds entstanden waren, die alle dem Vorbild von General Motors folgten. Da sie als Anteil am Eigenkapital amerikanischer Unternehmen betrachtet wurden, sprach Peter Drucker vom „Pensions-

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fondssozialismus“: Die Arbeiter waren zu Miteigentümern an den Produktionsmitteln geworden. Drucker verkündete voller Skepsis: Sprecher 2 „Wenn ‚Sozialismus‘ als Eigentum an den Produktionsmitteln definiert wird, dann sind die Vereinigten Staaten das erste wirklich sozialistische Land.“ Sprecher 3 Fünfundzwanzig Jahre später waren die Pensionsfonds die führenden Anleger an der Wall Street. Die Beschäftigten der US-amerikanischen Ökonomie hielten 1974 über die Pensionsfonds 25 Prozent des Eigenkapitals von Unternehmen. 1989 hielten sie bereits 40 Prozent. Drucker schrieb: Sprecher 1 „Die Produktionsmittel werden zum Nutzen der Beschäftigten des Landes eingesetzt: Die Unternehmensgewinne fließen zunehmend in Pensionen, also in eine ‚latente‘ Vergütung der Mitarbeiter.“ Sprecher 2 Der Grund dafür war, dass die Anlage der Pensionsfondsgelder zunehmend in Aktien floss, statt wie zuvor in Staatsanleihen. Drucker sollte freilich Unrecht behalten, denn das Geld der Pensionsfonds stand bald im Mittelpunkt von Interessen, die wenig mit Sozialismus zu tun haben. Ein völliger Umschlag der gesamten Wirtschaftskultur stand bevor.

Die finanzkapitalistische Wende Sprecher 3 Die Krise der Großorganisationen begann 1980 mit der ersten Welle der feindlichen Übernahmen. Fast die Hälfte aller US-amerikanischen Unternehmen wurde im Laufe der achtziger Jahre Opfer einer feindlichen Übernahmeattacke. Nach Angaben Peter Druckers endete mindestens die Hälfte der Übernahmeschlachten mit dem Verschwinden des betroffenen Unternehmens. Sprecher 1 Wie war das geschehen? Was hatte diese neuen Börsenspieler auf den Plan gebracht? In dem Film Wall Street hat Hollywood diese Wandlungen in der Unternehmenskultur verdichtet. Eine Szene in dem Film spielt in der Aktionärsversammlung einer altehrwürdigen Flugzeugfirma. Sprecher 2 Der Wall Street-Händler Gordon Gekko ist gekommen, um den Aktionären ein Angebot zur Übernahme ihrer Aktien zu unterbreiten. Die Versammlung reagiert zunächst betroffen und abwehrend auf den forsch auftretenden Besucher. Bald aber lässt sie sich überzeugen. Gekko beschwört die Versammlung, das veraltete Flugzeugunternehmen müsse sich erneuern. Er werde mit frischem Kapital die Modernisierung der Firma vorantreiben. Sprecher 3 Die Übernahme gelingt. Aber Gekko ist kein Flugzeugbauer, sondern ein Wall Street-Händler. Er hat zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, das Unternehmen zu modernisieren. Er belog die Aktionäre, die an eine Rettung des

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Unternehmens glaubten. Durch ihre Zustimmung erhält er auch die Kontrolle über die Firma. Sofort beginnt er damit, die Firma aufzulösen, die Belegschaft zu entlassen. Groß ist das Entsetzen seines jungen Mitarbeiters über so viel geschäftliche Brutalität. Gekko macht auch das wertvolle Grundstück der Firma zu Geld und die Übernahme beschert ihm einen raschen Gewinn. Sprecher 1 Der Film beruht auf realen Fällen von Firmenpiraterie der achtziger Jahre. Pionier war die Investmentbank Drexel, Burnham & Lambert. Ihr Mitarbeiter, Michael Milken, befasste sich mit den so genannten junk bonds, was wörtlich Müll-Anleihen bedeutet. Dabei handelt es sich um Anleihen von Firmen, die keine oder eine sehr niedrige Gewinneinschätzung hatten. Sie galten als Anleihen mit hohem Risiko und erhielten Kapital nur gegen hohe Zinsen. Sprecher 2 Milken betrachtete sie jedoch von der Bankseite aus als Anleihen mit hohen Erträgen. Er sammelte unendlich viele Informationen und sortierte die Firmen aus, die er für unterbewertet hielt. Diese vermittelte er dann einem ausgewählten Kreis von Investoren. Es waren diese neuen Börsenspieler, die Firmenpiraten oder corporate raiders, die den Begriff des Investors neu definierten: Investition bedeutete für sie nicht mehr ein Anteil am Kapital der Firma und ein Anspruch auf Teile des Gewinns. Sie wollten die Herrschaft über die Betriebe, und ihren Einsatz nannte man daher eine feindliche Übernahme. Sprecher 3 Das hatte tief greifende Folgen für die Auffassung vom Management: Bis dahin war der Manager ein Technokrat, ein wissenschaftlichrationaler Verwalter, der die Erzielung von Gewinn für irrelevant hielt. Jetzt aber sollte die Gewinnerzielung als „gute amerikanische Tradition“ wieder im Vordergrund stehen. Die neue Generation der corporate raiders bildete damit die Speerspitze der neokonservativen Revolution der Werte. Sprecher 1 Das Interesse der raiders lag nicht darin, sanierungsbereiten Firmen zu helfen, sondern persönliche Gewinne zu machen. Das erreichten sie am leichtesten, indem sie die Belegschaft entließen und die Einzelteile der Firmen – die Grundstücke, den Markennamen und besonders wertvolle Betriebsteile – einzeln verkauften. Daher wurden sie als "Firmenpiraten" bezeichnet. Zwischen 1980 und 1987 wechselten 20 Prozent aller Vermögenswerte aus dem Produktionsbereich in einer Finanztransaktion den Besitzer. Sprecher 2 Die Firmenpiraterie beruhte u. a. auf zwei Voraussetzungen: Zum einen wurden Firmen von der Piraterie heimgesucht, die dringend Investorengeld benötigten, aber zugleich solide Anlagenbestände und günstige Gewinnprognosen hatten. Zum zweiten musste der Schutz der Mitarbeiter schwach sein. Entlassungen mussten also ohne große Kosten und ohne lange gerichtliche Auseinandersetzungen möglich sein, da sich sonst die Piraterie nicht lohnte.

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Sprecher 3 Die erste Bedingung war gegeben, als die Reagan-Regierung die inflationierte US-amerikanische Währung mit einer monetaristischen Geldmengenverknappung sanieren wollte. Das verursachte eine scharfe Rezession und verstärkte die Abhängigkeit der Unternehmen von den Kapitalgebern. Sprecher 1 Die zweite Bedingung wurde geschaffen, als die Regierung Reagan ihre Anti-Gewerkschaftsgesetze erließ. Damit wurde der rechtliche Schutz der Arbeitnehmer eingeschränkt. Entlassungen zogen keine langwierigen Kündigungsschutzprozesse mehr nach sich. Starke Gewerkschaften hatten also gewissermaßen die Unternehmen vor feindlichen Übernahmen geschützt. Sprecher 2 Mit ihren Parolen vom „Kampf gegen die Firmenbürokratie" überzeugten die Firmenpiraten die Öffentlichkeit nicht. Feindliche Übernahmen blieben lange verpönt. Die Firmenpiraten fanden auch keine Aufnahme in die Kreise der Ostküstenelite. Als es ihnen am Ende gelang, dieses Problem zu überwinden, war es für ihre Protagonisten zu spät. Sprecher 3 Um sich gesellschaftlich durchzusetzen, arbeiteten sie auf mehreren Ebenen. Eine Ebene war die persönliche Ansprache auf einem Parkett, das die anonyme Börse ersetzte. Die Firma Drexel, Burnham & Lambert war die Investmentbank, die die Firmenpiraterie zu einem ihrer wichtigsten Geschäftszweige gemacht hatte. Sie veranstaltete jährlich einen so genannten „Räuberball“, zu dem ausgesuchte Investoren, Unternehmer und Politiker nach Beverly Hills eingeladen wurden. Damit kreierte Drexel eine bis dahin unbekannte „Firmenkultur“. Prominente Schauspieler wie Larry Hagman aus der DallasSerie, Dolly Parton und Frank Sinatra trugen Werbesprüche für junk bonds vor; Musiker und bezahlte Prostituierte kümmerten sich um andere Bedürfnisse der Gäste. Sprecher 1 Die Bälle wurden zu öffentlichen Ereignissen, auf denen Abgeordnete des Repräsentantenhauses ebenso wie Senatoren auftauchten. Das war die zweite Ebene, die Einbindung der Politik. Kongressmitglieder hielten Ansprachen, in denen die Expansion des junk bond-Marktes befürwortet wurde. Sprecher 2 Timothy Wirth war Vorsitzender des Senatsausschusses für Telekommunikation und Finanzen zwischen 1984 und 1985. Er hatte dem Ausschuss Fusionskontrollgesetze vorgeschlagen, mit denen bestimmte Übernahmepraktiken kriminalisiert werden sollten. Drexel bekam Wirth 1985 als Sprecher auf seinen Ball und spendete 23.900 $ für seinen Wahlkampf. Danach wurde das Fusionskontrollgesetz fallen gelassen. Sprecher 3 Senator D’Amato war Vorsitzender des Wertpapierausschusses der Bankenkommission des Senats. Er hatte sich für die Einschränkung von Firmenübernahmen eingesetzt. Die Firma Drexel spendete für D‘Amatos Wahl-

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kampf 56.750 $. Als die Gesetze 1985 durch den Senat gingen, waren sie von Einschränkungen gereinigt. Sprecher 1 Senator Alan Cranston erhielt 1986 von Drexel 41.740 $, Senator Dennis DeConcini erhielt dieselbe Summe. Das Ergebnis dieser Öffentlichkeitsarbeit war günstig für Drexel. Von mehr als 30 Gesetzen gegen Firmenübernahmen, die der Senat konzipierte, wurde kein einziges verabschiedet. Sprecher 2 Auch auf der Medienebene war der Drexel-Abteilungsleiter Michael Milken erfolgreich: Er wurde bald zum Star der Wall Street. Drexel, Burnham & Lambert wurde zum schnellst wachsenden Investmenthaus der 80er Jahre. Die Einkünfte seiner Mitarbeiter erreichten bis dahin unbekannte Höhen und erregten den Neid der übrigen Wall Street-Firmen. Schließlich gelang es Drexel auch noch, eine Art wissenschaftlicher Legitimation zu bekommen. Sprecher 3 Edward Altman war ein New Yorker Finanzprofessor, dem dabei eine Schlüsselrolle zukam. Altman wies nach, dass im Zeitraum zwischen 1978 und 1984 die Erträge aus junk bonds höher waren als aus USSchatzbriefen. Dieser Beweis begründete die populäre Vorstellung von den hohen junk bonds-Erträgen. Dass die Daten ganz bewusst für einen Zeitraum gewählt worden waren, der zu den gewünschten Ergebnissen passte, störte niemanden: Man wollte eben gerne glauben, dass der Professor da ein allgemeines Gesetz herausgefunden hatte. Sprecher 1 Das alles rettete aber weder die Firma noch ihren Agenten Milken. Michael Milken wurde 1988 wegen überhöhter Aufschläge für Wertpapiere und verbotener Aktienkursmanipulationen angeklagt. Er wurde deshalb zu 600 Mio. $ Strafe und zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Firma Drexel überlebte die Anklagen gegen ihre Mitarbeiter nicht und wurde aufgelöst. Aber der Markt für Unternehmen war geschaffen. Dank der Pioniere war es gelungen, gesellschaftliche Werte zu verändern. Neue Werte waren eingeführt worden, deren Wirkung auf die Finanzinstitutionen noch niemand übersehen konnte.

Das aggressive Prinzip Sprecher 2 Anfang der neunziger Jahre wurden die Übernahmen in das Lehrgebäude der Betriebswirtschaft übernommen. Der Markt für Unternehmen wurde als eine Kontrolle der Manager beschrieben: Manager wurden daran gemessen, ob sie mit den ihnen anvertrauten Firmen mindestens ebenso viele Gewinne erzielen wie die Konkurrenz. Das war das so genannte „benchmarking“-Prinzip. Sprecher 3 Die feindlichen Übernahmen galten von nun an als eine Bestrafung der Manager, die nicht im Sinne des Aktionärswohls gehandelt hatten. Das

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Aktionärswohl, der shareholder value, wurde zur einzigen Meßlatte für unternehmerisches Handeln. Das war das Konzept der neuen Unternehmensführung, der corporate governance. Der Markt für Unternehmen übte entsprechenden Druck auf das Management aus. Sprecher 1 Die übrigen Investmentbanken fanden Gefallen an Übernahmen und Fusionen, an mergers & acquisitions. Die Gewinne, die die Firma Drexel damit gemacht hatte, wollte sich keine der Wall Street-Firmen entgehen lassen. Aus dem abweichenden Verhalten der Aufsteiger wurde ein neuer Konformismus. Für eine neue Generation von Betriebswirten galt die persönliche Gewinnerzielung als höchstes Ziel des Managements. Das Ergebnis war eine Kräfteverschiebung im Verhältnis zwischen Produktionssektor und Finanzsektor. Sprecher 2 Die neuen Finanzzwänge führten dazu, dass die Manager unter dem Druck des benchmarking die Ansprüche der stakeholder immer rücksichtsloser zugunsten der shareholder zurückdrängten. Stakeholder aber waren die Arbeiter, die Gemeinden, die Natur und die Umwelt. Die Verfolgung des neuen Wertes des Aktionärswohls lief daher oft auf die radikalst mögliche Kürzung der Stakeholder-Ansprüche hinaus. Dazu gehörte insbesondere die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer. Sprecher 3 Das forcierte die Deindustrialisierung der USA, die Anzahl der Industriearbeiter sank und erreichte im Jahre 2004 den Stand von zehn Prozent. Die Finanzdienstleistungsbranche aber blühte auf. Was die Unternehmen an Autonomie der Entscheidung verloren, gewannen Finanzdienstleister und Berater hinzu. Sie konnten nun Macht über die Unternehmen ausüben. Sprecher 1 Die Auswirkungen in der Veränderung der Unternehmenskultur sind noch nicht absehbar. Eine Veränderung, die die nächsten 20 oder 30 Jahre die Wirtschaftskultur in den USA und im weiteren Raum beeinflussen wird. Aus Angst vor feindlichen Übernahmen verlegten sich die Firmen auf einen defensiven Kapitalismus. Drucker stellte fest: Sprecher 2 „Immer mehr Unternehmen werden nicht mehr im Hinblick auf gute Geschäftsergebnisse, sondern auf Vermeidung einer feindlichen Übernahme geführt.“ Sprecher 3 Die Manager schränken die Ausgaben für Forschung und Entwicklung ein. Sie verschwenden Geld, um den raider ins Leere laufen zu lassen. Sie orientieren sich nur noch an kurzfristigen Ergebnissen und lassen die Zukunft links liegen. Auf Manager wirkt die Aussicht auf Übernahme lähmend. Sprecher 1 „Wozu soll ich mir gute Arbeit leisten, wenn mir morgen der Boden unter den Füßen weggezogen wird?“

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Sprecher 2 Das fragen sie sich. Die Stimmung in den Unternehmen verschlechtert sich durchgehend. Die Beschäftigten sehen sich als bewegliches Eigentum, das an den Meistbietenden verkauft wird. Sprecher 3 Der shareholder value hatte nachhaltige Folgen für die Architektur der Wirtschaft. Er veränderte das Schwergewicht der wirtschaftlichen Entscheidungen – nicht mehr die Produktion bestimmte das Geschehen, sondern die Börse. Es war ein Umschlag vom industriellen Produktionsregime zum Finanzregime, von der Dominanz der Ingenieure zur Dominanz der Finanzvorstände. Auch die Pensionsfonds blieben nicht unberührt von diesen neuen Managementmethoden. Sprecher 1 Im Jahre 1994 klagte der Pensionsfonds des Staates Colorado gegen die Firma California Micro, sie habe ihre Gewinne in betrügerischer Absicht überbewertet. Die Aktionäre hätten dadurch einen großen Verlust erlitten, die Aktienwerte waren von 23 $ im Juni 1994 auf vier $ nur sieben Monate später gesunken. Die Klage endete 1995 mit einem Vergleich, die dem Colorado State Fonds 13 Millionen $ in Aktien und Bargeld zusprach, wovon 21 Prozent an die Anwälte gingen. Sprecher 2 Der Bundesrichter Vaughn Walker aus Nordkalifornien hob die Entscheidung auf und erließ einen Aufruf an die institutionellen Investoren zur Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Colorado State Fonds fand sich dazu bereit und Walker ernannte den Fonds zum Hauptkläger. Das Ergebnis war für den Pensionsfonds ausgesprochen günstig: Durch die Neuverhandlung gewann er 19 Millionen $, die Anteile der Anwälte wurden auf acht Prozent gekappt, der Buchhalter der California Micro wurde zur Zahlung von vier Millionen $ an den Fonds verurteilt und die Versicherung der Geschäftsführung der Firma musste zwei Millionen $ an den Fonds zahlen. Sprecher 3 Aktien im Werte von 1,5 Millionen $ aus dem Besitz des Geschäftsführers wurden eingefroren und müssen an den Kläger übertragen werden, wenn der Geschäftsführer durch ein Gericht einer kriminellen Handlungen überführt werden sollte. Dieser Prozess erwies sich als folgenschwer für die Szenerie der Pensionsfonds in den USA. Sprecher 1 Institutionelle Investoren wie die Pensionsfonds haben seither in zwei weiteren Fällen erfolgreich gegen Firmen geklagt: Die Medaphis Corporation wurde von der Rentenversicherung der Lehrer in Pennsylvania der Aktienmanipulation mit 75prozentigem Wertverlust beschuldigt, die Firma Micro-Warehouse einer Manipulation mit 62 Prozent Wertverlust. Auch in diesen beiden Fällen erreichten die Pensionsfonds beachtliche Erfolge: In der Medaphis-Klage 72,5 Millionen $ - neunmal soviel wie der gewöhnliche Akti-

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engewinn -, im Falle der Micro-Warehouse-Klage 30 Millionen $, immerhin viermal soviel wie der höchste durchschnittliche Aktiengewinn. Sprecher 2 Kurz darauf erließ der Kongress ein Gesetz, in dem die Pensionsfonds zu Hauptanklägern in solchen Prozessen ernannt wurden. Dies Gesetz aus dem Jahre 1995 sollte die "kostspieligen und zweifelhaften Klagen von einzelnen verrückten Aktionären" einschränken, die die Aktiengesellschaften "ausbeuten wollten". Dies war eines der wenigen Gesetze, in denen Präsident Clintons Veto vom Kongress überstimmt wurde. Sprecher 3 Die republikanische Mehrheit des Kongresses sah darin zunächst einen bahnbrechenden Erfolg für ihre Klientel der Großaktionäre über Konsumentenanwälte und die Vertreter der Kleinaktionäre. Clinton erblickte darin eine Katastrophe für die Demokratie, denn dadurch sollte den "legitimen Interessen der kleinen Aktionäre" der Weg zum Gericht versperrt werden. Sprecher 1 Die Pensionsfonds sind allerdings gar nicht besonders an diesem Privileg interessiert. Solche Prozesse handeln ihnen viel Ärger ein bei ungewissem Ausgang. Denn die genannten Fälle haben zwar zu schnelleren und günstigeren Ergebnissen geführt, als wenn einzelne Aktionäre einen Prozess angestrengt hätten. Doch die Pensionsfonds fürchten die Folgen. Sprecher 2 „Wenn sich die Erfolge in den nächsten Jahren häufen, könnte es bald zu den normalen Aufgaben der Treuhänder der Pensionsfonds gehören, als Hauptkläger Prozesse gegen Aktiengesellschaften zu führen, um das uns anvertraute Geld gegen Manipulationen zu schützen.“ Sprecher 3 Das sagt Keith Johnson, Anwalt des Pensionsfonds von Wisconsin. Der Druck auf die Pensionsfondsmanager nimmt damit zweifellos zu. Ähnlich sieht es Walton Bader. Er ist Fachanwalt für Pensionsklagen in der Kanzlei Bader & Bader, New York. Er ist überzeugt, dass diese Prozesse vor allem dann stark zunehmen, wenn die Märkte einbrechen: Dann nämlich nehmen auch die Betrügereien zu. Sprecher 1 In den Klagen spiegeln sich die US-amerikanische Vorstellungen von der Demokratie des Geldes wider: Die Pensionisten erreichen günstigere Ergebnisse vor Gericht, wenn die Frage, was mit dem Geld des "gemeinen Mannes" geschieht, öffentlich als moralische Frage gestellt wird. Hier finden sich die Mittelschichten in ihrem Patriotismus bestätigt: Die Werte des Eigentumsrechts wurden von den Geschäftsführern der Aktiengesellschaften offensichtlich misshandelt. Sie mussten durch die Gerichte gerettet werden - das System der checks and balances funktioniert noch! Sprecher 2 Doch dies System, das eine hochstehende Finanzkultur widerspiegelt, beginnt sich von der dünner werdenden Basis des Produktionssystems

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abzukoppeln. Es ist das shareholder value-System, das sich auch bei den Pensionsfonds durchzusetzen begann. Es verlangt von den Verwaltern der Fonds, dass sie das ihnen anvertraute Geld in Objekte mit höchstmöglichen Renditen stecken. Was die höchstmöglichen Renditen sind, kann freilich niemand vorhersagen. Deshalb bekommen die Aussagen der Analysten und der Börsenagenten einen hohen Stellenwert. Ein Pensionsfondsverwalter, der sich nicht daran hält, muss unter Umständen damit rechnen, dass clevere Anwälte einen Prozess gegen ihn anstrengen. Sprecher 2 Nikolaus Schweickart, Vorstandsvorsitzender des Pharma- und Chemiekonzerns Altana AG, beschrieb das Gefühl dieses Umschwungs. Plötzlich spürten die Vorstandschefs „den heißen Atem der Analysten im Nacken“. Sie mussten sich den inquisitorischen Fragen jugendlicher Finanzmanager stellen. Aggressiv wurde ihnen die neue Firmenlehre verkündet. Es waren junge Leute, die bestens über Zahlen informiert waren, aber noch nie ein Produktionsunternehmen von innen gesehen hatten. Sprecher 1 Jede der Entscheidungen der Vorstandschefs stand plötzlich unter dem kurzfristigen Erfolgsdruck der neuen Quartalsberichte. Langfristige Planungen wurden zur Makulatur. An jeden Produktionsbereich und jede kleinste Betriebseinheit wurden neue, engmaschige Bewertungsschemata angelegt. Kreative Ansätze wurden im Keim erstickt und die Mitarbeiter eingeschüchtert. Neue EDV-Messskalen wurden erfunden, damit jede Betriebsaktivität finanziell abgebildet werden konnte. Sprecher 2 Man will alles in den Datenspeichern der Analysten, Unternehmensberater und Investmentbanker erfassen. Die erfassten Daten werden überprüft und verglichen. Die Kapitalkosten werden für jedes einzelne Profitcenter mathematisch exakt analysiert und auf ihre wertsteigernde oder wertmindernde Qualität hin eingestuft. Die neue Spezies der Börsenspieler – die Berater, Wirtschaftsprüfer, Investmentbanker, Anwälte und Analysten – sind nun die masters of the universe, die Herren des Universums. Die Vorstandschefs sehen sich auf den Analystentreffen und call-Konferenzen zu Schauspielern degradiert. Sie müssen sich jederzeit für Exklusivinterviews von Analysten und Branchenjournalisten bereithalten. Sprecher 3 Da die Manager zunehmend mit Aktien bezahlt wurden, partizipierten sie schließlich selbst an dieser neuen Art der Firmenbeherrschung. Das führte unweigerlich zu einer starken Entfremdung zwischen den Managern und den Betrieben, die sie leiteten. Diese Veränderung zeigt sich darin, dass die Fachleute, die Ingenieure und Techniker in den Vorstandsetagen von den Finanzkontrolleuren verdrängt werden. Verändert hat sich auch die Kontinuität

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der Führung: Diese neuen Finanzchefs halten nicht mehr solange auf ihren Posten aus. Sprecher 1 Die Ausbildung der Manager hat sich ebenfalls verändert. Die nordamerikanische Managerausbildung zum MBA, Master of Business Administration, hat sich ausgebreitet. Sie stellt heute eine Art Eintrittsbillett in die Wirtschaftselite der Manager, Berater und Investmentbanker dar. Der MBA ist das, was man im Fachjargon als dominant design bezeichnet. Es ist eine Art Markenartikel, der weit über die USA hinaus marktbeherrschend ist. Er hat zu einer starken Vereinheitlichung zwischen Boston und Bukarest beigetragen. Die zweijährigen MBA-Lehrgänge beruhen auf einer verfestigten Weltanschauung und werden vom Verband der US-amerikanischen business-Schulen kontrolliert. Sprecher 2 MBA-Lehrpläne stellen Budget, Finanzberichterstattung und Instrumente zur Kostenkontrolle in den Mittelpunkt. Die Lehre beruht auf einer Mischung aus Fallstudien und scholastischen mathematischen Marktmodellen. Sie ist völlig losgelöst vom beruflichen Kontext. Die angehenden Manager lernen in der kurzen Zeit ihrer Ausbildung vor allem, analytisch zu denken. Anhand von Papieren und Zahlen müssen sie rasche Entscheidungen treffen. Soziale Situationen kommen nicht vor, da sie sich nicht in Zahlen darstellen lassen. Der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie arbeiten, entgleitet daher ihrem Blick. Sie erwerben weder volkswirtschaftliche noch politische oder soziologische Kompetenzen. Sprecher 3 Eine Umfrage der American Economic Association hat ergeben: Die MBA-Absolventen haben hervorragende Fähigkeiten zum Problemlösen. Diese sind aber nur nutzbar für formale Techniken der Modellierung und nicht geeignet zum Lösen realer Probleme. Die Studenten waren sogar der Meinung, dass eine vertiefte Kenntnisnahme der wirklichen Probleme sie bei der Anwendung ihrer üblichen Techniken eher hemmen würde. Wenn die Probleme, die die Modelle verstecken, plötzlich ans Tageslicht kommen, neigen die Studenten also eher dazu, ihre Neugier zu zügeln. Sprecher 1 Wundert es da, wenn 68 Prozent der Befragten eine Kenntnis der Wirtschaft im Studium der Wirtschaft für "überflüssig" hielten? Sie erkannten die Gefahr der Realität, die bei der Umsetzung ihrer Instrumente aus den erlernten Modellen nicht hilfreich ist. Der amerikanische Ökonom Robert Kuttner sieht ein großes Problem auf die Wirtschaft zukommen: Sprecher 2 "Was können wir von der Zukunft erwarten, wenn hier eine Generation von graduierten Idioten heranwächst, die über eine Reihe von Techniken verfügt, aber nichts von Wirtschaft versteht?"

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Sprecher 3 In der MBA-Ausbildung wird analytische Brillanz mit sozialer Inkompetenz kombiniert. Das führt zu zwei scheinbar gegensätzlichen Ergebnissen: Zur Zunahme von Kontrolle und Bürokratie sowie zur Zunahme von raschen und für die Belegschaften unberechenbaren Veränderungen. Die Manager sind darauf getrimmt, einsame Entscheidungen zu treffen. Dabei verzichten sie darauf, aus der Kenntnis der Stärken und Schwächen der Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden zu schöpfen. Da sie auf rasche Wechsel eingestellt sind, sitzen sie in den Büros und basteln an Kontrollen, um Daten für ihre Reorganisationsstrategien zu bekommen. Sprecher 1 So entstehen bürokratisch-hierarchische Strukturen, Systemwelten, in denen Entscheidungen aus formalisierten und zahlenmäßig erfassbaren Sachverhalten getroffen werden. Vergessen wir also die Sonntagsreden vom Netzwerk als neuer Form der Unternehmensorganisation – tatsächlich sind heute viele Großunternehmen hierarchischer und bürokratischer als in den Zeiten, in denen das Lob der Großorganisation gesungen wurde. Sprecher 2 Der Teamgeist ist nicht mehr Teil des Instrumentenkastens der Manager. Die Manager haben verlernt, die Arbeit der Mitarbeiter zu unterstützen und zu fördern. Langfristige strategische Denkweise wird in der Ausbildung nicht mehr vermittelt. Sprecher 3 Wie kam es dazu, dass die meisten MBAs von der Praxis nichts mehr wissen wollen? Wie kam es zum Verlust all dessen, was bislang noch in deutschen Mittelstandsbetrieben und in Japan zur Heranbildung von Führungskadern gehört? Warum nehmen sich die Führungskräfte nicht mehr die Jahre der Ausbildung, in denen der ganze Betrieb durchlaufen wird, um am Ende aus lauter Netzwerken von persönlichen Beziehungen zu bestehen? Netzwerke, die bei der Umsetzung von Maßnahmen helfen? Wie kam es bei den Managern zur Verwandlung des Bildes von der Unternehmung? Sprecher 1 Leitender Gedanke der Managerausbildung ist, dass der Manager als Agent der Eigentümer, nämlich der shareholder, handeln soll. Die Gefahr soll verringert werden, dass er sich zum Anwalt anderer Interessen macht. Hier spielte der wohl einflussreichste Managementlehrer dieser neuen Generation eine Rolle, Michael Jensen. Er erfand das Prinzipal/Agenten-Problem. Seine Fragestellung war: Wie kann man jemanden dazu bringen, genau das zu tun, wofür man ihn bezahlt? Wie kann man verhindern, dass der Handwerker während der Zeit, in der man ihn bezahlt, gleichzeitig noch etwas für jemanden anderen macht? Sprecher 2 Der Manager ist von den Aktionären eingesetzt, er ist der Agent der Prinzipale. Wie kann man verhindern, dass er für etwas anderes, als den

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shareholder value, den Aktienkurs, arbeitet? Und weil man allen misstrauen muss, benötigt man überall eine Kontrolle. Die beste Kontrolle aber ist der Markt. So entstand die Legitimation des Marktes für Unternehmen aus einem negativen Menschenbild. Aus einer Angst reicher Leute vor Übervorteilung. Sprecher 3 Jensen hatte zusammen mit Meckling die shareholder valueTheorie geboren: Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen müssen den ungeteilten Gewinn erhalten. Jeder Dollar, den die Manager in Arbeit, Umwelt und öffentliche Belange stecken, nimmt den Aktionären etwas weg. Sie allein beanspruchen das Recht, über ihr Eigentum zu entscheiden und "ihre" Gewinne anzulegen. Das könnte eben auch in einem anderen Unternehmen sein, als dasjenige, aus dem der Gewinn stammt. Sprecher 1 Wenn sich Manager zu sehr für die Belegschaft, die Gemeinden oder den Umweltschutz einsetzen, vergehen sie sich am Eigentum der Aktionäre! Diese These legitimierte den von den Investmentbanken in den Neunzigerjahren geschaffenen Markt für Unternehmen. Manager derselben Branche wurden daran gemessen, ob sie mit den ihnen anvertrauten Firmen mindestens ebenso viele Gewinne erzielen wie die Konkurrenz. Dieses benchmarking-Prinzip wurde zum Kontrollinstrument für die Investmentbanken und Berater über die Manager, und feindliche Übernahmen wurden an den business schools zur Reaktion des Marktes auf Manager erklärt, die nicht im Sinne des Aktionärswohls gehandelt hatten. Damit war eine rundum abgesicherte Theorie entstanden, die die radikale Kräfteverschiebung im Verhältnis zwischen Produktionssektor und Finanzsektor erklärte. Sprecher 2 Sie hatte nur zwei kleine Schönheitsfehler: Sie handelte nicht von Menschen und von lebendigen Unternehmen, sondern von reduzierten Abstraktionen und Modellen. Und weil sie nichts von wirklichen Menschen und ihren Institutionen verstand, funktionierte sie nicht. Um die Manager auf die Seite der Aktionäre zu bekommen, die Agenten also zum Wohle der Prinzipale arbeiten zu lassen, wurden sie zunehmend mit Aktien bezahlt. Damit aber partizipierten sie selbst an dieser neuen Art der Firmenbeherrschung. Sie interessierten sich für die Aktienkurse mehr als für die Betriebe und ihre Belegschaften und machten die Firmen selbst zu Objekten des Marktes für Unternehmen. Sprecher 3 Die Manager trieben nun die Objekte der Begierde, die Betriebe, in dieselbe Richtung wie die Berater und Investmentbanker. Sie wurden zu Söldnern, die selbst umso mehr verdienen konnten, je mehr Gewinn sie dem beherrschten Betrieb abnahmen. Sie haben die Lehren von Peter Drucker, dem Urvater der Managementtheorie, vergessen. "Companies make shoes not money", pflegte er zu sagen, Unternehmen stellen Schuhe her, nicht Geld.

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Sprecher 1 Die Skandale um die Praxis der Vorstandsvergütung, die Zunahme von Bilanzfälschungen, die Entlassungen von "Humankapital", um die Aktienkurse zu steigern – das alles zeugt von dieser gewandelten Einstellung. Die Manager haben nicht mehr die langfristige Planung und Entwicklung von Unternehmen im Sinn, sondern die Steigerung des shareholder value. Die neuen Manager arbeiten gewissermaßen als Söldner der Investoren, sie betrachten sich nicht mehr als Bürger. Sie haben den Gesellschaftsvertrag aufgekündigt. Sprecher 2 Sie haben auch ihr Versprechen nicht eingehalten, dass die Globalisierung Gewinne für alle mit sich bringen werde. Die Zahl der DollarMilliardäre in den USA ist von 66 im Jahre 1989 auf 268 heute gestiegen. Die Armut aber hat sich nicht verringert, sondern verstärkt. Die Anzahl der Armen ist im gleichen Zeitraum von 31,5 Millionen auf 34,5 Millionen gestiegen. In den USA tragen heute Lohn- und Sozialsteuern dreimal so viel zum Gesamtsteueraufkommen bei wie noch vor 30 Jahren. Sprecher 3 In Deutschland hat sich im Zeitraum zwischen 1970 und 2000 der Lohnsteueranteil beim Gesamtsteueraufkommen verdoppelt. Die Körperschafts- und Gewerbesteuer der Unternehmen dagegen hat sich halbiert. Auch in Deutschland hat das US-amerikanische Modell Anhänger gefunden. Zwar sind die allermeisten mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht Aktiengesellschaften. Deshalb sind sie nicht von der Börse abhängig. Aber die Mehrzahl der großen Konzerne hat sich auf Druck der Banken und auf Anraten der Beratungsfirmen dem shareholder value-Prinzip verschrieben. Sprecher 1 Das deutsche Modell des „Rheinischen Kapitalismus“ gerät seither heftig in Bedrängnis. Die Sozialpartnerschaft des Wohlfahrtsstaates gerät in Gefahr. Einst hat er den Deutschen mit ihrer geringen Streikneigung das Wirtschaftswunder und den unaufhaltsamen Aufstieg der D-Mark beschert. Noch immer sitzen Gewerkschaften neben Arbeitgebern und Vertretern der Hausbanken in den Aufsichtsräten der Konzerne. Aber nicht mehr alle Parteien fühlten sich verantwortlich für die deutsche Industrie. Sprecher 2 Seit der Wiedervereinigung und der Errichtung des europäischen Binnenmarktes geriet vieles aus dem Lot. US-amerikanische Investmentbanker und Berater richteten in Deutschland Filialen ein. Man rügte das niedrige Wachstum und begann die „ausufernden“ Sozialsysteme zu kritisieren. Der Kündigungsschutz und die Mitbestimmung diskriminierten die ausländischen Investoren, hieß es. Wohin wird sich der Rheinische Kapitalismus entwickeln? Wie lange können sich die Exporterfolge der deutschen „Starbranchen“ Automobile, Maschinenbau und Chemie noch halten?

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Sprecher 3 Noch immer stammen die meisten Innovationen direkt von den Arbeitnehmern. Ohne die guten Beziehungen zwischen den Sozialpartnern wäre der deutsche Aufstieg nach dem Krieg nicht denkbar gewesen. Mit dem Machtumschwung zugunsten der Finanzbranche geraten Mitbestimmung und Kündigungsschutz zunehmend unter Druck: Das shareholder value-Modell beruht auf uneingeschränkten Vorrechten der Aktionäre. Sprecher 1 Ist das rohstoffarme Deutschland nicht mehr auf die Pflege seiner Talente angewiesen? Was geschieht, wenn das Humankapital nur noch als Kostenfaktor begriffen wird? Verschwindet dann die Basis der volkswirtschaftlichen Produktivität? Oder kann man Humankapital einfach auf dem globalen Markt kaufen? Sprecher 2 Die deutsche Finanzbranche ist gespalten in Bewunderer des angelsächsischen Modells und heftige Gegner. Werner Seifert, der Vorstand der Deutschen Börse AG, und Rolf Breuer, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Börse und zugleich der Deutschen Bank AG, gehörten zu den Vertretern des shareholder value-Modells. Sie hatten sich vorgenommen, die Londoner Börse aufzukaufen. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nicht alle Aktionäre der Frankfurter Börse stimmten demVorhaben zu. Sprecher 3 Ein angelsächsischer hedge-Fonds verschaffte sich Mehrheiten unter den angelsächsischen Kollegen, die auch Aktienpakete der Deutschen Börse besaßen. Diesem Bündnis gelang es, sowohl Werner Seifert als auch Rolf Breuer zum Rücktritt zu bewegen. Damit verlor die deutsche Finanzbranche zwei ihrer Hauptprotagonisten, denn Breuer war zugleich auch Vorstand des Deutschen Bankenverbandes. Dass gerade zwei Bewunderer und Förderer des angelsächsischen Modells ihm zum Opfer fielen, ist eine Ironie der Geschichte. Sprecher 1 Solange in den Vorstandsetagen der deutschen Konzerne hauptsächlich Ingenieure und Techniker saßen, die später in die Aufsichtsräte wechselten, bestand ein langfristiges Interesse an den Betrieben. Heute drängen Finanzmanager in die Vorstandssitze. Ihre durchschnittliche Verbleibedauer ist von 13 auf sechs Jahre geschrumpft. Die Zulassung von hedge-Fonds durch die deutsche Regierung im Jahre 2001 hat die Unternehmen weiter unter Druck gebracht. Sprecher 2 Hedge-Fonds sind Investorengruppen, die sich den Nachprüfungen nicht nur des Finanzamtes, sondern auch der Kunden entziehen. Sie siedeln ihre Zentralen in Ländern mit niedriger Regulierung an. Die Behörden dieser Steuerfluchtoasen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf Anfragen von ausländischen Zentralbanken die Auskünfte verweigern. Welche Art von Geschäften die dort angesiedelten Firmen machen, kann von keiner Kontrollinstanz

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erkannt werden. Je größer ihre Marktmacht, desto größer auch die Gefahren, die von ihnen für das Weltfinanzsystem ausgehen. Sprecher 3 Sie stehen deshalb im Kreuzfeuer der Kritik nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA. Hedge-Fonds wurden in der politischen Diskussion wegen ihrer betont kurzfristigen und hochprofitorientierten Übernahmeinteressen als Heuschrecken bezeichnet, die alles kahl fressen und dann weiterziehen. Ihre durchschnittliche Verweildauer in den Betrieben, in die sie investieren, liegt bei sechs Jahren. Danach ziehen sie in der Regel ihr Kapital ab und suchen sich ein neues Betätigungsfeld. Sprecher 1 Die soziale Ungleichheit hat auch in Deutschland zugenommen. Deutschland ist auf dem Weg zurück zum Klassenstaat, der Armutsbericht der Bundesregierung gibt darüber Auskunft. Schnell steigenden Spitzeneinkommen von Topmanagern stehen auch hier zu Lande stagnierende oder sinkende Effektivlöhne gegenüber. Armut ist kein vorübergehender Zustand mehr, sondern hat sich verfestigt. Sie tritt auf bei Langzeitarbeitslosen aus den früheren Bergrevieren, aus der Türkei und aus Russland und bei allein erziehenden Müttern. Sprecher 2 Der Anteil der armen Familien ist von 12,1 (1998) auf 13,9 Prozent (2004) gestiegen. Die Erwerbslosigkeit ist von 2,9 Millionen im Jahre 1998 auf 5,2 Millionen (2005) gestiegen und auch die Zahl der überschuldeten Haushalte ist rapide angestiegen - von 2,77 Millionen 1999 auf 3,13 Millionen Ende 2004. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik erwartet die Bundesregierung auch für das kommende Jahr einen absoluten Rückgang der Einkommen in Deutschland. Sprecher 3 Die neue Manager-Söldnerkaste identifiziert sich nicht mehr mit den lokal gebundenen Betrieben. Sie scheint stets auf der Gewinnerseite: Durch die Aktien, mit denen sie vergütet wird, gewinnt sie bei steigenden Kursen. Durch die "Goldenen Fallschirme" der Millionenabfindungen ist sie gegen Scheitern und fallende Aktienkurse abgesichert. Sprecher 1 Die Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags durch diese neue Kaste wird von den übrigen Vertragspartnern zunehmend als Verrat empfunden. Kommunen leiden unter Steuerrückgang, die Umwelt leidet unter der Rücksichtslosigkeit, mit der die Natur ausgebeutet wird. In den Betrieben machen sich Verdruss und innere Abwendung bemerkbar: In einer Gallup-Umfrage sind sieben von zehn Arbeitern frustriert, 87 Prozent der Befragten spüren keine innere Verpflichtung mehr gegenüber dem Arbeitgeber. Eine Mehrzahl von 55 Prozent der Arbeiter ist davon überzeugt, dass Manager auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind – auch wenn es zum Schaden des Unternehmens wäre.

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Sprecher 2 Auch die Wirtschaftskriminalität wird in Deutschland zunehmend zum Problem. Bekannte Fälle wie Balsam Procedo, Flowtex oder Comroad sind nur die Spitze eines Eisbergs. Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG unter Tausend deutschen Großunternehmen waren zwei Drittel der befragten Firmen von Wirtschaftskriminalität betroffen. 84 Prozent der Täter sind Beschäftigte des betroffenen Betriebes. Die Mitarbeiter wissen, dass sie mit 40 zum Alten Eisen gehören. Bis dahin müssen sie ihr Geld gemacht haben, und dieser Druck fördert auch krumme Wege. Sprecher 3 Zerstörte Betriebskulturen, brutale Konkurrenzkämpfe zwischen den Armeen der abhängig Beschäftigten der europäischen Länder statt gegenseitiger Unterstützung, Wählerapathie und neue nationalistische Reaktionen – das sind die schon heute sichtbaren Erfolge ihrer Politik. Sprecher 1 Die neuen Manager fühlen sich nicht mehr verpflichtet, zum allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand beizutragen. Sie wollen nicht mehr investieren, wenn die erwarteten Gewinne zu niedrig sind. Der Maßstab sind die Gewinnmargen, die sie an der Börse erreichen können. Der Markt für Unternehmen sorgt dafür, dass sie das Gesetz des höchstmöglichen Ertrags befolgen, denn Banken und Analysten üben entsprechenden Druck auf sie aus. Sprecher 2 Der seit den neunziger Jahren in vielen europäischen Großunternehmen verbreitete US-amerikanische Unternehmensstil hat an Attraktivität verloren. Erst als „modern“ und „erfolgreich“ gelobt, begegnet man immer häufiger Stimmen, die seine Schwächen beklagen. Heute lassen sich die Schäden schon beobachten, die durch das shareholder value-Modell in den Firmen angerichtet wurde. Der Druck durch das benchmarking der Finanzmärkte hat ihnen nicht gut getan. Sprecher 3 Die Kosten sanken und die Aktienkurse stiegen und stiegen tatsächlich in den neunziger Jahren, bis die Blase dann platzte. Niemand kann die Betrügereien der Fälle Enron, Tyco oder Arthur Anderson außer Acht lassen. Doch auch unabhängig davon ist klar, dass der Instrumentenbaukasten der Söldner-Manager nicht weit reicht. Die üblichen Maßnahmen zur Kostensenkung und Kurssteigerung lassen sich nicht auf Dauer betreiben. Sprecher 1 Stille Reserven hebt man nur einmal, outsourced Betriebsteile kann man nicht einfach zurückholen, wenn die Kosten für ihre Inanspruchnahme wachsen statt sinken. Personalabbau kann man nicht allzu häufig wiederholen, ohne schwere Einbußen an Qualität der Produktion und Innovationsfähigkeit der Betriebe zu gewärtigen. Der holländische Berater Donald Kalff schrieb:

Firmenpiraten und Börsenspieler

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Sprecher 2 “Der resultierende Erschöpfungszustand der Organisation wird chronisch und nur die Berater und Investmentbanker verdienen weiterhin an jeder Umbaumaßnahme der Betriebe.“ Sprecher 3 Schon mittelfristig relativieren sich somit die Umstrukturierungen, da auch die Risiken steigen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die erwarteten langfristigen Auswirkungen der Verschlankung auf die Produktivität nie erreicht wurden. Der Abbau des Personals hatte stattdessen oft den gegenteiligen Erfolg. Er brachte den Unternehmen statt der erhöhten Rentabilität überdurchschnittlich oft sinkende Mitarbeiter- und Produktqualität sowie rückläufige Gewinne. Sprecher 1 Das Modell war also im Grunde gar kein Modell, weil all die Maßnahmen der Restrukturierung nicht permanent betrieben werden können. Das Börsensystem ist ungeeignet für Unternehmen, die kostengünstig langfristige Entwicklungsprojekte finanzieren möchten. Der permanente Druck zur Kurssteigerung erweist sich als teuer und uneffektiv. Das betrifft die Kosten der Platzierung, der Kommunikation zu Finanzanalysten und Journalisten sowie der Ungewissheit insbesondere in kritischen Situationen. Sprecher 2 Dass ein Bedürfnis nach einer Neuausrichtung vorhanden ist, ist überall zu spüren, doch die Frage ist, wie und ob es sich durchsetzen kann. Kann man das kontinentaleuropäische Modell revitalisieren? Muss man es überhaupt revitalisieren oder hat es all die Stürme der Berater und Finanzmarktanalysten unter der Oberfläche überlebt? Kalff jedenfalls ist überzeugt, dass Europa die Chance hat, seine Unabhängigkeit wieder zu gewinnen. Nur ein Viertel der europäischen Unternehmen ist an der Börse. Sprecher 3 Aber auch in der Führung einiger großer amerikanischer Pensionsfonds könnte sich etwas bewegen. Seit den Skandalen der Telekombranche und den hohen Verlusten für die Mitglieder der Fonds stellt man sich neue Fragen. Was macht es für einen Sinn, die Anlagegelder in Firmen anzulegen, die durch volkswirtschaftlich sinnlose Fusionen die Pensionsansprüche reduzieren? Sprecher 1 Manche der Fondsmanager schwenken auf langfristige Anlagestrategien um. Viele ziehen ethische Investitionen vor – heftig bekämpft von der republikanischen Presse und der Wall Street. Tatsächlich könnte sich das gesellschaftliche Interesse Main Street – das zeigen die bisherigen Schritte dieser Fonds – auf diesem Weg wieder Gehör verschaffen. Warum sollen die Arbeiter und Lehrer ihr Kapital nicht aus denjenigen Unternehmen zurückziehen, die Arbeitsplätze abbauen? Warum sollen sie ihr Kapital nicht aus Firmen zurückziehen, die Privatisierungen fördern? Phil Angelides, der Vorstand des kalifornischen Pensionsfonds CalPers, setzt nicht mehr auf kurzfristige Gewinnchancen:

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Reinhard Blomert

Sprecher 2 "Die Beitragszahler sollten ihre Rechte als Eigentümer wahrnehmen: Das Zeitalter der Kurzsichtigkeit ist zu Ende. Wir müssen uns wieder auf Dinge von nachhaltigem Wert konzentrieren." Sprecher 3 CalPers ist einer der einflussreichsten Fonds. Mit etwa 180 Milliarden Dollar verfügt er über ein Potenzial von der Größenordnung des gesamten Weltcomputermarkts. Auch William Thompson, der Treuhänder des Pensionsfonds der Angestellten New Yorks, kündigte eine neue Strategie an. Er werde "die Politik des Fonds nach Umweltgesichtspunkten und Menschenrechtsgesichtspunkten ausrichten".

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Daniel Wutti Des eigenen Glückes Knecht Über den Zusammenhang von Arbeit, Geld und Gesellschaft „Glück ist die späte Erfüllung eines Kinderwunsches. Darum macht Geld auch nicht glücklich. Geld ist kein Kinderwunsch.“ Sigmund Freud in einem Brief an seinen langjährigen Freund und Kollegen W. Fließ (Film „Der junge Freud“, Österreich 1976)

Geld stinkt nicht. Wie könnte es auch, wenn es gar nicht vorhanden ist. Der Großteil des einst durch Gold abgewogenen Tauschmittels und Wertaufbewahrungsmittels, mit dem heute gehandelt wird, besteht inzwischen nur noch fiktiv. Es ist nicht das Geld, das die Welt regiert, wie uns ein bekanntes Sprichwort weiszumachen versucht, sondern der Glaube daran. Und dass die Macht des Glaubens unglaublich stark ist, gilt offenbar nach wie vor. Verändert hat sich allerdings das angebetete Objekt: Nahezu alles dreht sich heute ums liebe Geld. Der Geldglaube als Alltagsglaube? „Moneyismus“ als Weltreligion?1 Der sagenhafte König Midas dürfte sich bereits mehrere Male in seinem Grab umgedreht haben. War doch er es, der der griechischen Mythologie nach am eigenen Leib erfahren durfte, dass man Gold nicht essen oder trinken kann. Eben das ist es aber anscheinend, was auch bzw. besonders in heutigen Zeiten von den Menschen allem Anschein nach erwartet wird. So wird bedürftigen Menschen nicht selten mitgeteilt, man habe nicht

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genug Geld, um ihre Bedürfnisse zu stillen – als ob man in Geld wohnen, sich damit kleiden, damit reden oder es, wie in Midas Fall, essen könnte.4 Nur all zu schnell bat dieser König jedenfalls den griechischen Gott Dionysos, diese „Gabe“, Dinge durch bloßes Angreifen in Gold zu verwandeln, wieder rückgängig zu machen. Vielleicht sollte man viele moderne Menschen im Fluss Paktolos baden lassen, wie es König Midas damals tat, um von diesem Fluch wieder erlöst zu werden. Der Fluss Paktolos wurde dadurch übrigens angeblich zum goldreichsten Fluss Anatoliens, wovon schließlich der sagenhaft reiche Krösus profitierte, der letzte König der Lydier. Eben diesem wiederum schreibt man, zumindest in Europa, die Erfindung des gemünzten Geldes zu.2 Erst im 15. Jahrhundert tauchte danach eine dem heutigen Papiergeld ähnliche Form auf, und zwar vor allem deswegen, weil die Münzen allmählich knapp wurden. Die Menschen vertrauten darauf, dass sie das gesiegelte und unterschriebene Papier jederzeit wieder gegen Münzen eintauschen könnten;2 ein System, welches dem, das im Juli 1944 im USamerikanischen Bretton Woods beschlossen wurde, im Geiste ziemlich ähnlich war. Dort wurde nämlich eine Unze Gold auf den Preis von 35$ festgelegt, das sich im Umlauf befindende Geld durch Goldbarren in Fort Knox gedeckt und die US-Zentralbank dazu verpflichtet, Geld bei Bedarf in Gold umzutauschen. Das Bret-

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ton-Woods-System brach 1971 zusammen2 – das sich im Umlauf befindende Geld war also nicht mehr durch Goldbarren gedeckt –, ein erwartetes Chaos blieb jedoch völlig aus. Die vertrauensbildenden Maßnahmen zeigten bereits ihre Wirkung, der Geldglaube war offenbar schon genug ausgeprägt. Inzwischen nimmt man es als selbstverständlich hin oder beachtet es gar nicht, dass das Geld größtenteils nur noch fiktiv existiert – das „Geld“, das global zirkuliert, übertrifft den eigentlichen Wert der produzierten Waren inzwischen schon ums 18fache. Auch, dass „Geld Junge wirft“, was für Aristoteles noch völlig undenkbar war, scheint heute alltäglich – dank der Börse oder der Zinsen. Diese waren übrigens in der Vergangenheit nicht nur völlig verpönt, sondern bis zum Ende des 20. Jahrhundert sogar von der katholischen Kirche verboten: Erst 1983 strich man sie aus dem Kodex des kanonischen Rechts.3 Laut LukasEvangelium erwähnt Christus nämlich in seiner Bergpredigt, man solle „Gutes tun und leihen, wofür man nichts zu bekommen hofft.“3 Der italienische Dichter und Philosoph Dante stellte diejenigen, die sich des Zinses bedienten, überhaupt in eine Reihe mit den Sündern von Sodom und Gomorrha.3 Solche Vorstellungen und Ideen führten übrigens unter anderem schon im Mittelalter zu Antisemitismus und Pogromen gegen

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Juden, da diese ja überlieferter Weise gerne mit Geld handelten. Inzwischen ist es vollkommen erwünscht, dass sich das eigene Geld möglichst stark vermehrt und niemand würde mehr auf die Idee kommen, jemanden in den siebten Kreis der Hölle zu schicken,3 nur weil das Geld desjenigen durch Zinsen, Aktien oder Fonds sozusagen „Junge wirft“. Der Sinn des Geldes hat sich gewandelt, der Apfel ist vom Stamm weit weg gerollt. Zu lange ist es her, als schöne Muscheln verwendet wurden, um den Tausch von Waren zu ermöglichen. Es darf übrigens angenommen werden, dass Muscheln und ebenso frühe Münzen nicht nur wegen ihres Aussehens und Materialwerts als Tauschmittel verwendet wurden – viel eher ging es darum, dass sie haltbar waren und nicht wie Fleisch oder Brot mit der Zeit unbenutzbar wurden. Erst mit der Zeit wurde aus den Mitteln, die das Tauschen erleichtern sollten, immer mehr der Zweck des Tausches. Inzwischen wurde das Mittel gänzlich zum Zweck erhoben. Heute tauscht und zahlt man zwar mit Geld, man überträgt aber damit ebenso auch Kapital, misst und vergleicht Preise, man rechnet damit, tilgt und macht Schulden. Man macht gestundete Zahlungen, vergleicht und bewahrt damit Wert auf. Verliert jemand bei einem Unfall einen Körperteil, wird dieser in Geld aufgewogen. Es scheint, als ob man mit Geld alles bezwecken und besinnen könnte. Dieser Schein trügt jedoch – es ist

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nämlich viel eher die Vorstellung davon, was man mit Geld alles machen kann oder machen könnte, die das Geld zu dem macht, was es ist. Der Glaube erst bringt nämlich den Aspekt des Wertes ins Spiel und macht das Geld zu dem, was es ist – zum Maß aller Dinge. „Geld muss aus solchen, materiell begründeten, Blickwinkeln wie eine Sache von Wert erscheinen“ schrieb Kellermann bereits 1990.4 Und weil man an Geld glaubt, handelt man auch so.1 In diesem Geldglauben, dieser Geldideologie,4 vergisst man auch sehr schnell, dass es die Arbeit ist, die den Wohlstand in die Gesellschaft bringt, den Menschen das Leben möglich macht und die Lebensumstände verbessert. Es sei das Geld, das dies bewirkt, und je mehr man davon hat, desto besser. Bedenkt man, dass ein moderner Lohnarbeiter Tag für Tag minimalistische und geteilte Arbeitsschritte an einem Fließband vollzieht, scheint es auch um so klarer, dass nicht mehr das Produkt der Arbeit, sondern nur allzu schnell das Geld allein im Vordergrund steht. Mit Geld ist alles kaufbar; dass es jedoch die Arbeit ist, die diese Waren erst ermöglicht, wird übersehen. Geldgläubige Menschen sind sozusagen völlig „geldfixiert“ – das Geld bringe ihnen neben dem Erwerb von allem möglichen Materiellen auch Glück, Wohlstand und Zufriedenheit. Das, worauf es eigentlich ankommt, das, was hinter dem Geld steht, bleibt im Verborgenen.

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Offenbar aufgrund dieser Fixierung auf das Geld kommt es auch dazu, dass man von „Arbeitslosen“ spricht, obwohl man eigentlich „Erwerbslose“ meint. Ein Mensch kann leicht erwerbslos sein, arbeitslos ist er deswegen noch lange nicht. Höchstens könnte man meinen, dass Erwerbslose nach einem halben Jahr ohne erwerbstätige Arbeit zu Arbeitslosen verkommen. Nach ungefähr einem halben Jahr ohne erwerbstätige Arbeit bekommen Menschen nämlich schon das Gefühl, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, verfallen dadurch leicht in tiefe Depressionen, sehen sich so schnell selbst als nutzlos und verspüren somit auch keine Lust mehr, irgendetwas zu tun. Kellermann (1990) bringt ein weiteres interessantes Beispiel, warum man in dieser Hinsicht mehr auf die Wortwahl achten sollte: Sorgen zwei Mütter unentgeltlich ganztägig für ihre eigenen Kinder, nennt man sie arbeitslos; sorgen sie entgeltlich gegenseitig für das jeweils andere Kind, sind sie gleich „ganztagsbeschäftigt“, allerdings nur in dieser Tätigkeit – die ganze häusliche und sonstige Arbeit, die sie noch neben der Erwerbsarbeit zu verrichten haben, übersieht man und behandelt sie als gegenstandslos. Dabei ist es nicht selten nichterwerbstätige und unentgeltliche Arbeit, die den Menschen erst das Leben ermöglicht und die Lebensumstände verbessert. Kellermann (1990) nennt hierbei u.a. die Nichtregierungsorganisationen Greenpeace, Amnesty Internatio-

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nal oder die Aids-Aufklärung. Es ist aus dieser Sicht ein trauriges Paradoxon, dass einerseits nur erwerbstätige Arbeit erwünscht zu sein scheint: Warum sollte man aus individueller Sicht auch für etwas Zeit, psychische und physische Anstrengung und Kraft investieren, wenn man dafür nicht bezahlt wird – nur mit Geld kann man sich schließlich das zum Leben Notwendige anschaffen! Andererseits hingegen, aus einem weiteren Blickwinkel gesehen, ist es jedoch fast ausschließlich die nichterwerbstätige Arbeit, die darauf abzielt, auch in Zukunft noch das Leben auf der Erde zu ermöglichen oder den Menschen zu helfen; man bedenke die unzählbare „ehrenamtliche“ Arbeit im Kampf gegen das Ozonloch, die globale Erderwärmung sowie in unterschiedlichsten Menschenrechts& Hilfsorganisationen usw. Ein weiteres Paradoxon unserer Gesellschaft ist, dass Maschinen und Roboter in der Arbeitswelt im Grunde genommen verpönt sind. Wo vor 150 Jahren noch 200 Menschen gebraucht wurden, um ein Produkt herzustellen, werden heute teilweise nur noch zwei Personen benötigt.1 Statt diesen Fortschritt jedoch als etwas Positives anzusehen und ansehen zu können, welches das „Menschsein“ ungemein erleichtert und uns Arbeit abnimmt, regt man sich darüber auf, dass „keine Arbeit mehr übrig bleibt“ (mit der Geld verdient werden könnte).

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Es wird ein „Recht auf Arbeit“ gefordert, mit solchen und ähnlichen Slogans sogar Wahlwerbung betrieben und dabei gänzlich übersehen, dass es eigentlich das Recht auf Einkommen oder das Recht auf Leben überhaupt ist, das man meint.1 Arbeit wird mit Geld gleichgestellt und dieses wiederum mit dem Stillen von Grundbedürfnissen. Der Geldglaube hat offenbar unsere Gesellschaft mittlerweile längst im Griff. Das war natürlich nicht immer so. Als möglichen Beginn der „Geldgesellschaft“ könnte man die Einführung der Lohnarbeit vor rund 200 Jahren nennen. Im Gegensatz zu den „Sklavenhaltergesellschaften“ beziehungsweise der Knechtschaft zu Feudalzeiten stellte man es den Menschen scheinbar frei, zu arbeiten. Der Zwang zu arbeiten blieb jedoch insofern aufrecht, da man, wollte man überleben, Geld erarbeiten musste. Das Schicksal wurde jedem einzelnen in die Hand gedrückt, jeder wurde seines Glückes eigener Schmied ... oder seines eigenen Glückes Knecht. Quellenverzeichnis 1

Kellermann wörtlich, im Seminar „Arbeit, Geld und Gesellschaft“, WS06/07 2 wikipedia.de, abgerufen 27./28.11.2006 3 Ulrich van Suntum: „Warum gibt es eigentlich Zinsen“, faz.net, 31.07.2006 4 Paul Kellermann (1990): Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und die Ideologie des Geldes. In: Scheuringer, Brunhilde (Hg.): Wertorientierung und Zweckrationalität – Soziologische Gegenwartsbestimmungen. Opladen: Leske + Budrich: 93-107

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Stefan Urabl Der Wert des Geldes Arbeit, Geld und Gesellschaft1

Man1 kann es nicht essen, es hält nicht warm und hilft bei keiner Arbeit. Trotzdem kennt es jeder und jeder will es haben. Viele halten Geld für ein Mysterium, das sich so fest in unserem Alltag verankert hat, dass sich kaum jemand noch Gedanken darüber macht. Dieser Artikel soll das ändern. Rudolf Hickel (1979: XVII) beschrieb etliche Funktionen des Geldes, die sich letztendlich auf zwei reduzieren lassen: Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel. Geld verringert damit die Komplexität unseres Lebens. Waren und Dienstleistungen haben immer einen Wert, den wir ihnen zusprechen. Dies ist zum einen der Gebrauchswert oder Eigenwert, der tatsächliche Nutzen. Zum anderen existiert aber auch ein Tauschwert, der durch die Nachfrage und das Angebot (den Markt) definiert wird. Für diesen Preis brauchen wir ein Definitionsmittel. Durch das Geld haben wir ein Vergleichskriterium zwischen gänzlich unterschiedlichen Waren und Leistungen, das sich auf den Tauschwert bezieht. 1

Proseminararbeit auf der Grundlage der Lehrveranstaltung von Paul Kellermann im Wintersemester 2006/07

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Das Trägermaterial an sich hat heutzutage meist überhaupt keinen Eigenwert mehr. Es wird in Form von Computerdaten transferiert und nimmt meist nicht einmal mehr greifbare Form an. Der Wert des Geldes basiert auf dem Glauben an die Leistung, die man dafür erlangen kann. Der Glaube an Geld ist in seinen Grundzügen eine Voraussetzung unserer heutigen Gesellschaft. Wenn jemandem, als Bezahlung für tagelange Arbeit, ein Blatt Papier angeboten wird, so wird er dieses Angebot sicherlich nicht annehmen. Wenn ihm allerdings glaubhaft gemacht wird, dieses Blatt Papier würde von Anderen wiederum als Bezahlung angenommen, so wird das Geschäft zustande kommen. – 1944 wurde in Bretton Woods in den USA eine Zusage veröffentlicht: Die Vereinigten Staaten verpflichteten sich, das ausgegebene Papiergeld (Dollar) jederzeit gegen Gold zu tauschen. Die in Fort Knox eingelagerten Goldreserven der USA dienten als Garant für dieses Versprechen. Da das Vertrauen in die Wertstabilität des Goldes hoch war, übertrug sich das Vertrauen auf die Dollar-Noten. Das Geld war also ein Symbol für ein Leistungsversprechen des Staates. 1971 wurde diese Zusage aufgekündigt, das Papiergeld blieb trotzdem akzeptiert. In den vergangenen Jahren hatte sich ein Glaube an das Geld entwickelt. Die Bevölkerung

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verließ sich darauf, dass die anderen Mitglieder ihrer Gesellschaft das Geld ebenfalls als Leistungsversprechen akzeptieren würden. Der Glaube an den Wert des Geldes, ursprünglich gefördert, um das Wirtschaftssystem zu stabilisieren, nimmt heute allerdings immer extremere Formen an. In einer Gesellschaft, in der die Leistungen zur Stillung unserer Bedürfnisse über Geld gehandelt werden, entsteht ein Verlangen nach Geld. Diese Geldgesellschaft breitet sich immer mehr aus. Der Glaube an das Geld als Symbol für eine Leistung oder Ware hat sich zum Moneyismus, dem Glauben an das Geld um seiner selbst Willen, gewandelt. Das Vertrauen in das Geld ist so groß geworden, dass ihm oft, gerade als Wertaufbewahrungsmittel, höhere Qualitäten als realen Waren zugesprochen werden. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, heißt es und meist wird dieser Ausspruch auf Geld bezogen. Ein Symbol, ein Wort, wird zu einer Sache gemacht (Reifikation). „Wir haben zu wenig Geld“ hört man immer wieder von Politikern aller Staaten (z.B. Torsten Albig [KONF 0906]). Eine Aussage, die auf eine falsche Vorstellung des Begriffes Geld zurückgeht. Ein Staat kann unmöglich zu wenig Geld besitzen. Geld ist stets ein Leistungsversprechen jenes Systems, welches das Geld herausgibt, in diesem Fall des

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Staates. Die Menge des umlaufenden Geldes, ausgegeben von der Nationalbank, ist nicht unabhängig von der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes im System. Der Wert des Geldes ist aber an die dadurch zu erlangenden Leistungen gebunden. Meist handelt es sich daher nicht um Geldprobleme, sondern um Organisationsprobleme. Jede Geldausgabe ist eine Geldeinnahme für jemand anderen (Geldkreislauf). Geld wird allerdings nur ausgegeben, wenn Nachfrage besteht. Nachfrage entsteht nur aus Bedarf, der mit Geld ausgestattet ist. Wenn das Geld bei Personen/Firmen ohne Bedarf brach liegt, fehlt es bei anderen mit Bedarf. Es fehlt die Nachfrage und es kommt kein Kreislauf zustande. Das „deferred gratification pattern“ (defer ... aufschieben, gratification ... Belohnung) bringt die Problematik auf den Punkt: Die heutige Gesellschaft erzieht dazu, den Augenblick nicht für sich selbst zu betrachten, sondern als Investition für Zukünftiges. Da Geld heutzutage oft als Wertaufbewahrungsmittel als sicherer erachtet wird als eine Investition in die Wirtschaft, wird es dem Kreislauf entzogen. Wenn das Geld im größeren Maßstab einbehalten wird, kann es zu Wirtschaftskrisen kommen. Geld muss genutzt werden, um Waren und Arbeitsleistung zu vermitteln. „Arbeit“, ein weiteres Wort, dessen Bedeutung sich, je nach Verwendung, stark unterscheiden kann. Wir spre-

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chen von Schularbeit, Erwerbsarbeit und vielem mehr. Oft wird Arbeit auch mit Erwerbstätigkeit gleichgesetzt. Eine Bekämpfung der „Arbeitslosigkeit“ ist sinnlos, Arbeit ist genügend vorhanden. Nötig ist eine Einkommensbeschaffung, um die Bedürfnisse der Einzelnen zu stillen. Im Sinne der Soziologie ist Arbeit eine Tätigkeit, die Leistungen (Dienstleistungen und Güter) zur Stillung von Bedürfnissen verfügbar macht. Diese Definition soll im Folgenden auch auch als Grundlage dienen. Wann kann diese Arbeit aber als produktiv betrachtet werden? Die Physiokraten betrachteten noch Mitte des 18. Jahrhunderts die Natur als Quelle allen Reichtums. Ihrer Lehre nach konnten nur Bauern produktiv an der Wirtschaft teilhaben. Ihnen gegenüber standen die Merkantilisten, die den Handel als Quelle des Reichtums ansahen. Adam Smith (*1723 in Kirkcaldy, Schottland; † 17. Juli 1790 in Edinburgh; schottischer Moralphilosoph, gilt als Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre) nannte die Arbeitsteilung als Grundlage produktiver Arbeit. Das berühmteste Beispiel dieses Werkes beschreibt den gewaltigen Produktionszuwachs in einer Nadelfabrik durch Arbeitsteilung. Laut Adam Smith könne ein ungeschulter Arbeiter allein pro Tag nicht einmal 20 Nadeln herstellen. Zehn Arbeiter aber, die sich jeweils

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auf ein paar Handgriffe spezialisieren, könnten täglich 48000 Nadeln herstellen. Die Arbeitsteilung ist eine Basis unseres heutigen Arbeitssystems. Definieren lässt sich Arbeitsteilung als Strukturierung eines Prozesses ineinander greifender Tätigkeiten, mit dem Ziel, Güter/Leistungen verfügbar zu machen. Ihre Auswirkungen sind tatsächlich mannigfaltig, wenn auch nicht immer nur positiv. Der meist erwähnte Vorteil ist eine Produktivitätssteigerung der menschlichen Arbeitsstunde. Eng damit verbunden ist eine fachliche Spezialisierung, oftmals auch weniger freundlich als „Entstehung von Fachidioten“ bezeichnet. Durch das Ansehen gewisser Tätigkeiten als „hochwertige“ oder „niederwertige“ Arbeit kommt es zu einer sozialen Differenzierung und dadurch, zusammen mit Bildungs- und Vermögensdifferenzen, zur Entstehung von gesellschaftlichen Schichten. Kaum jemand ist heute noch in der Lage, alles selbst herzustellen, was nötig ist, um auch nur sein eigenes Überleben zu sichern. Die Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit, wird mit steigender Arbeitsteilung immer stärker. Der Haushalt ist kommodifiziert worden („commodity“, die Ware, „kommodifizieren“, „eine Sache zur Ware machen“). Im Gegensatz zur vergangenen Subsistenzwirtschaft, der Selbstversor-

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gung, werden heute spezielle Arbeiten für den Markt ausgeführt. Durch die Fokussierung auf einen Teilaspekt eines Produkts oder einer Leistung kommt es außerdem zu einer Entfremdung. Die subjektive Distanz zwischen der persönlichen Anstrengung und dem Endprodukt wird größer, es findet keine Identifizierung mit dem Produkt und der Firma mehr statt. Die Identifizierung ist jedoch ein bedeutender Faktor der Motivation. Frühere Arbeitsformen wie die Sklavenarbeit, die durch Gewalt Menschen zum Werkzeug degradiert, oder die leistungsbasierte Gruppenarbeit (Akkordarbeit), gründeten auf Druck von außen. Die persönliche Moral leidet allerdings stark darunter, was die Arbeitsleistung drastisch senkt. Wird eine Identifikation mit der Arbeit und dem Produkt herbeigeführt, maximiert dies die Arbeitsmoral, es ist kein Druck von außen mehr nötig. Welche Formen der Arbeit und Motivation nun aber tatsächlich zur Anwendung kommen, hängt stark von der vorherrschenden Gesellschaftsform ab. Zur Definition einer Gesellschaft gibt es mehrere Ansätze. Talcott Parsons (US-amerikanischer Soziologe; *.13.12.1902 in Colorado Springs; Colorado; † 8. Mai 1979 in München) definierte in seinem Werk „The Social System“ die Gesellschaft als ein System mit vier verschiedenen Subsystemen.

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Wirtschaft

Kultur

Politik

Soziales

Diese Subsysteme konnten wiederum weiter untergliedert werden. Dieser Ansatz wird als Betrachtung der formalen Ebene bezeichnet. Max Weber (* 21. April 1864 in Erfurt; † 14. Juni 1920 in München; deutscher Jurist, Nationalökonom und Soziologe) beschrieb gesellschaftliche Systeme auf Basis der idealtypischen Ebene. Er ging davon aus, dass, zumindest theoretisch (wenn auch nicht in der Praxis), ein widerspruchsloses gesellschaftliches Modell erstellbar sei. Auf dieser Ebene lassen sich mehrere idealtypische Gesellschaftsformen definieren. Einige Beispiele: Die Basis der Feudalen Gesellschaft, die vor allem im Mittelalter weit verbreitet war, ist das Lehnswesen. Jeder Landbesitz ist von einer höheren Instanz geliehen. Als oberster Lehnsgeber wurde Gott selbst angesehen, als dessen Vasall der Kaiser eingesetzt war. Dieser wiederum verlieh Teile seines Besitzes an die Fürsten und so fort, bis zum Niedersten (meist Bauern). Als Gegenzug für den gewährten Besitz leistete der Vasall einen Lehnseid, der ihn meist zu Frondienst oder regelmäßigen Abgaben verpflichtete. Durch die starke Strukturierung entwickelte sich die Aristokratie, die „Herrschaft der Besten“.

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In der Bürgerlichen Gesellschaft, die sich vor allem im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte, wandelten sich Grund und Boden zu persönlichem Eigentum. Die Zurechnung von Erfolg und Misserfolg wurde verstärkt auf Einzelne bezogen, zuvor wurden sie von der ganzen Sippe getragen. Die Einführung von Gesetzen schuf eine neue gesellschaftliche Basis. Die Kapitalistische Gesellschaft, die in unseren Breiten einen Großteil des 20. Jahrhunderts vorherrschte und bis heute die dominierende Gesellschaftsform darstellt, deklariert es als oberstes Handlungsprinzip, jede Art von Vermögen in Gewinnerwartung einzusetzen. Der Begriff Kapital umfasst hierbei nicht nur das Finanzkapital, sondern auch soziales Kapital (Beziehungen), kulturelles Kapital (Etikette und die Erweckung und Nutzung von Sympathie beim Gegenüber) und Humankapital (die menschliche Arbeitskraft). Eng damit verbunden sind die Einführung der Lohnarbeit und die Industrialisierung. Immer öfter taucht heutzutage auch der Begriff der Wissensgesellschaft auf, in deren Sinne Wissen instrumentell eingesetzt werden soll, um ein Ziel zu erreichen. Die idealtypischen Gesellschaften finden sich allerdings nirgends in Reinform. Realistischer ist es, von einer Vermischung der verschiedenen idealtypischen Gesellschaftsformen auszugehen. Eine Gesellschaft in die-

ser kulturell-historischen Perspektive ist ein System, in dem interaktive Beziehungen verdichtet werden. Die Gesellschaft prägt also die Arbeitsform, die Arbeit schafft Leistungen und Waren. Geld wiederum ist ein Repräsentationsmittel für den Tauschwert dieser Leistungen und Waren. Wir sollten gut daran tun, das nicht zu vergessen. Geld ist nicht der Zweck und nicht das Problem, es ist ein Mittel und Symbol, nicht mehr. Quellenverzeichnis [KONF0906] Mitschrift der Regierungspressekonferenz der deutschen Bundesregierung vom 29. September 2006, http://www.bundesregierung.de/nn_1516/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2006/09/2, eingesehen am 29.11.2006 Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen Eine Untersuchung über Natur und Wesen der Wohlstandsgesellschaft. München: FinanzBuch-Verl. 2006 Talcott Parsons: The Social System. Glencoe, Ill.: Free Press 1951 Rudolf Hickel (1979): Einführung. In: Karl Diehl/Paul Mombert (Hg.): Vom Gelde. Frankfurt a.M./ Berlin/Wien: Ullstein: VIILX

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Johannes Theuermann Alles ist käuflich. Ist alles käuflich? Über den Zusammenhang von Arbeit, Geld und Gesellschaft

Ist Arbeit der Weg zum großen Geld? Ist Geld der Weg zum Erfolg? Ist die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft der Weg zum Glück? Wenn man sich diese Fragen stellt, hat jeder seine Antwort parat und sieht diese eher als banal an. Aber warum suchen immer wieder Menschen das 'große Geld'? Warum versuchen sich Jugendliche immer wieder in einer 'coolen Gesellschaft' mittels Mutproben und dergleichen zu behaupten? Warum lassen sich Arbeitnehmer immer mehr gefallen? Dass Arbeit nicht gleich Geld heißt, sei einfach anhand eines Beispieles des Erziehers/der Erzieherin von sieben Kindern erklärt. Dieser/diese geht einem Fulltimejob nach; dafür bekommt er/sie zwar etwas Karenzgeld und eventuell Kindergeld, aber reich ist davon noch keiner/keine geworden, eher im Gegenteil. Aber auch so genannte 'Erwerbstätige' finden wohl nicht leicht den Weg zu Reichtum und damit verbundenem Glück. Nicht grundlos heißt es im Volksmund: „Vom Arbeiten wird man nicht reich.“ Andererseits gibt es zur Arbeit (noch) keine Alternative, denn auch Immanuel Kant wusste:

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„Es gibt nur eine Ausflucht vor der Arbeit: Andere für sich arbeiten zu lassen.“1 Man muss also arbeiten. In der heutigen Gesellschaft geht es sowieso nicht mehr ohne Arbeit, da die bezahlte Arbeit nach wie vor der am weitesten verbreitete Weg zum so benötigten Geld ist. Andererseits gibt es in unserer Gesellschaft immer mehr „Sozialschmarotzer“, die jedes Schlupfloch kennen, um nicht arbeiten zu müssen. Zumeist handelt es sich dabei um arbeitsscheue Menschen, die so früh als möglich in Pension gehen wollen und sich dann (krankheitsbedingt) auf die faule Haut legen. Frei nach dem Motto: „Arbeit ist wunderschön, stundenlang könnt’ ich zusehn!“ Davon bekommt man zwar Freiheit und Freizeit, reich wird man aber nicht. Was versteht man in der heutigen Gesellschaft unter Geld? Sind es die Euro-Noten, die man in den Händen hält? Was ist dann, wenn man an der Kasse mit Bankomatkarte oder Quick bezahlt? Bezahlt man dann nicht mit Geld? Geld ist nicht mehr als ein Symbol für das Versprechen einer Leistung (Paul Kellermann). Dieses Symbol muss nicht einmal materiell sein. Und dennoch ist es in unserer Gesellschaft so begehrt. Zur Zeit kann man ohne 1

Immanuel Kant, dt. Phil., 1724-1804

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Geld nichts machen. Man denke an Erwerbslose, die gerne einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, aber kein Geld besitzen beziehungsweise Schulden haben. Die meisten Erwerbstätigkeiten liegen außerhalb der Wohnstätte, zum Pendeln benötigt man einen fahrbaren Untersatz und dieser kostet wieder Geld. Wenn man also keinen Anspruch an eine Erwerbstätigkeit stellen darf, muss man meist schon Geld ausgeben, um dieser nachzukommen. Und es gibt nur wenige Firmen, die bei der Einstellung bereits einen Vorschuss gewähren. Wir können dennoch froh sein, dass der Wohlstand in Österreich immer weiter verbreitet ist. Wenn man Jugendliche ansieht, erkennt man ein komplett anderes Bild als noch vor etwa zehn Jahren. Jugendliche fahren bereits teure Autos, besitzen teure Handys oder den teuersten MP3Player, den es am Markt gibt. Woher stammt das Geld? Man arbeitet, um Geld zu verdienen, welches man ausgibt, um Teil der Gesellschaft zu werden, zu sein oder zu bleiben? Mitnichten. Denn in den meisten Fällen arbeiten die Erziehungsberechtigten, um den Lebensstil der 'Kinder' zu finanzieren. Man sieht leider immer öfter, dass Kinder das Geld der Eltern leichtfertig ausgeben. Wenn Jugendliche genügend Geld zur Verfügung haben, bekommen sie wohl ein bisschen mehr Gefühl, damit umzugehen, doch wenn

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es 'unerschöpflich' vorhanden ist, werden sie nie lernen, damit wirtschaftlich umzugehen. Die Jugendlichen von Heute wissen anscheinend nicht mehr, woher das Geld kommt. Man kann nur hoffen, dass das Bild auf den Straßen eine Täuschung ist und es die Jugendlichen einmal „raffen“, woher der „Zaster“ stammt. Solange Eltern nur das „Beste“ für ihre Kleinen wollen, wird sich das auch nicht ändern. In unserer Gesellschaft möchten wir den Kindern das geben, was wir selbst nicht hatten. Da kann man glatt gespannt sein, was die heutigen Kinder deren Kindern geben werden. Die Gesellschaft hat ein eingeprägtes Bild. So, wie es immer war, soll es auch immer sein. Dass dies zwar schon lang nicht der Fall ist, wird übersehen. Der Mann geht arbeiten, die Frau macht den Haushalt und sorgt sich um die Kinder. So war es immer und so soll es immer sein. Jetzt werden aber immer mehr Frauen erwerbstätig. Karenzgelder werden bereits an Männer ausbezahlt. Kommt jetzt der große Umbruch? In der Geschäftswelt kann davon noch nicht viel zu spüren sein. Denn immer noch bauen Geschäfte auf die Kaufkraft der Frauen, frei nach dem Motto: „Der Mann soll arbeiten gehen, den brauchen wir nicht als Kunden. Die Frauen haben Zeit, um einzukaufen!“ Wie kommt es, dass die Männerabteilung in Geschäften immer kleiner wird

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und der Frauenabteilung Platz abgeben muss? Wie kommt es, dass Kleidergeschäfte, die Männer- und Frauenartikel führen, Filialen öffnen, die nur Produkte für Frauen anbieten? Ist das der Sinn der 'modernen' Gesellschaft? Ist der Erfolg im Sinne von Verkaufszahlen, Gewinn oder Umsatz das Wichtigste für die Gesellschaft? Da stellt sich doch die Frage, wie man Erfolg überhaupt erreicht! Was ist Erfolg? Für den einen ist Erfolg, viel Geld zu verdienen, für den anderen ist Erfolg, wenig arbeiten zu müssen und damit mehr Zeit für die Familie zu haben. Andere werden wieder sagen, dass Erfolg Ausdruck von Macht ist. Hat man Macht, hat man Erfolg. Weit verbreitet ist auch bekannt, dass der, der Geld hat, auch Macht hat. Hat man Geld, hat man also Macht und damit ist auch der Erfolg gesichert? Ein Ausblick in die Sportwelt wird uns eines Besseren belehren. Egal, ob wir die vergangene Saison der Fußball- oder Eishockey-Mannschaften ansehen. In beiden Ligen gab es jeweils einen Klub, der mehr Budget als alle anderen hatte. Konnten sie die Liga dominieren? Zeitweise schon, aber Meister wurden sie in beiden Ligen nicht. Wer weiß, wie es ohne Geld ausgesehen hätte, aber fest steht, dass Erfolg nicht käuflich ist. Ein gut bezahlter Job bedeutet Wohlstand, Ansehen und Zufriedenheit. Wenn man in Österreich in einer Bank

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arbeitet – und sei es „nur“ am Schalter – bedeutet es Ansehen. In Italien verschweigt man eher, dass man in einer Bank arbeitet, da dies nicht so angesehen ist wie bei uns. Die Beschäftigung ist die gleiche. Nur die Gesellschaft eine andere. Es kommt also nicht nur auf die Arbeit oder Erwerbstätigkeit an, ob man angesehen ist oder zufrieden; es kommt auch auf die Gesellschaft an. Blickt man über unsere Landesgrenze noch weiter hinaus, blickt man genauso in lachende Gesichter und das, obwohl die Menschen hinter den Gesichtern 'weniger' haben als wir. Man nehme zum Beispiel Kuba. Die Menschen können feiern und sind zufrieden mit dem, was sie haben oder eben nicht haben. Neid existiert nicht. Keine Werbung. Kein Streben nach Mehr. Die Leute haben nichts und sind dennoch glücklich. Dass der Kommunismus nicht funktioniert, hat er in der Vergangenheit bewiesen. Aber dennoch sind die meisten Menschen unter dieser Form der Verwaltung besser gelaunt als so genannte 'reiche' Menschen in 'unserer' Gesellschaft. Glück kann man also auch nicht kaufen. Man kann weder Glück noch Erfolg kaufen. Wie sieht es mit dem Wohlstand aus? Wieder quält die Frage, was denn Wohlstand sei. Auch hier sei es eine reine Ansichtssache. Jede Gesellschaft hat ihren eigenen Wohlstand. In armen Ländern wäre man mit wenig schon zufrieden, wäh-

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rend in reicheren Ländern man mindestens ein großes, teures Auto besitzen muss, welches vor einem teuren Haus geparkt wird. Im Haus spielen Kinder, denen es an nichts mangelt. Ist das für uns Wohlstand? Der Wohlstand unserer Gesellschaft? Selbst hier kann man das nicht so glatt definieren, da ein Mitglied in der Gesellschaft auch in einer Gemeindewohnung sich „wohl“ fühlen kann und mit allem zufrieden ist. Hingegen gibt es Menschen, die (anscheinend) alles haben und sich dennoch nicht wohl fühlen. Die Gesellschaft definiert zwar grob, was Wohlstand bedeutet. Die Feinheiten werden aber von jedem individuell definiert. Fakt ist einmal, dass in unserer Gesellschaft gearbeitet werden muss, da die Erwerbstätigkeit der legal einfachste Weg ist, um Geld zu verdienen. Um einem Symbol hinterher zu jagen, um andere Leistungen zu bekommen, seien es jetzt Produkte oder Dienste. Wir werden vom Glauben an das Geld geknechtet (Moneyismus, Paul Kellermann). Da wir die Meinung vertreten, dass es ohne Geld nicht geht. Wir brauchen Geld schon alleine, um unsere Statussymbole – die keiner braucht – zu finanzieren. Wir brauchen Geld, um in unserer Gesellschaft überleben zu können. Wir brauchen die Erwerbstätigkeit, um an das Geld zu kommen. Wir brauchen die Gesellschaft für den

inneren Frieden. So sehen wir, dass wir – zumindest für die nächste Zeit – in einem Kreislauf leben, aus dem wir nicht wirklich raus kommen. Es gibt zwar ein kleines Häufchen von Menschen, die aussteigen, nicht mehr Teil der Gesellschaft sein wollen, somit auch nicht mehr zur Arbeit gehen und den viel gehassten schnöden Mammon ablehnen. Diese werden vom Rest der Gesellschaft eher belächelt, teils geächtet. Da diese 'Aussteiger' meist auf das Betteln angewiesen sind oder Unterstützung vom Staat bekommen (Frühpension, Sozialfonds ...) und somit wieder 'Sozialschmarotzer' sind. Hat neben unserer Gesellschaft keine weitere Platz? Wenn wir unseren Reichtum verlieren werden, unsere Arbeitsstätte, unser Haus, unsere Familie, dann erst werden wir sehen, dass wir hätten glücklich sein können, dass wir in einem Sozialstaat lebten, der auch die Schwächeren unterstützt, und wir würden einsehen, dass Geld nicht alles ist: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“2

2

Prophezeiung des kanadischen Stammes der Cree.

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Raphael Spatzek 1

Zur Senkung des Geldglaubens

Der Fischer und der Tourist - nach Bölls Anekdote. Philosophieren über Arbeit, Geld und Gesellschaft

Mit1 gesenktem Haupt verlässt der Tourist, dessen Weltbild soeben von einem ärmlichen Fischer in Frage gestellt wurde, den idyllischen Hafen. Der Fotoapparat am Halse des Urlaubers scheint seinen Kopf wie ein schwerer Anker nach unten zu ziehen. Der Fischer blickt ihm mit einem bedrückten Lächeln im Gesicht nach. Er empfindet so etwas wie Mitleid für den Mann. Er springt aus seinem Fischerboot und ruft dem Touristen nach: „Hallo, Kamerad, warten Sie doch mal! Wieso kommen Sie nicht mit in die Taverne, auf meinen Fang anstoßen? Ich lade ein!“ Verdutzt bleibt der Tourist stehen. War diese Einladung ernst gemeint, oder wollte der Fischer ihn auf den Arm nehmen? Ein Blick auf seine Armbanduhr, die in der Sonne funkelt, verrät ihm, dass er jedenfalls noch genug Zeit hat, bis seine Frau von dem Stadtbummel zurückkehrt. ’Wo sie ohnehin nur mein hart verdientes Geld für unnüt1

Wer die Erzählung von Heinrich Böll „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ (1992, Deutscher Taschenbuch Verlag, München) noch nicht kennt, dem sei die vorherige Lektüre empfohlen. Eine kurze Inhaltsangabe findet sich in diesem Sammelband als „Link 1“ auf S. 121.

zes Zeug ausgeben wird‘, wie er denkt. „Ja, wieso eigentlich nicht? Setzen wir Segel Richtung Taverne, Herr Kapitän! Dort können wir ja unser Gespräch von vorhin vertiefen.“ Die beiden Männer betreten eine rustikale Gaststätte, welche für diese Uhrzeit doch schon erstaunlich gut gefüllt ist. Vorwiegend Männer im besten Alter. Die zwei nehmen an einem kleinen Tisch Platz. Der Fischer bestellt eine Karaffe Wein. „Sagen Sie, Herr Kapitän: Sind das hier alles ihre Kollegen? Wieso arbeiten die Männer um diese Zeit nicht? Kann ja nicht jeder so einen vortrefflichen Fang gemacht haben wie Sie heute?“ „Die meisten sind arbeitslos, Kamerad. Die anderen sind die Stammkunden hier.“ „Sie meinen wohl erwerbslos, nicht arbeitslos. Wissen Sie, Herr Kapitän, das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Ich bin mir sicher, die meisten hier sind arbeitswillig und Arbeit gäbe es hier auch beileibe genug. Es fehlt nur an der richtigen und effizienten Organisation dieser Arbeit. Solange sie in keinem bezahlten Dienstverhältnis stehen, nennt man das also erwerbslos und nicht…“ „... arbeitslos, ich habe verstanden. Die Wahrheit ist aber, seit die großen Konzerne hier mit ihren riesigen Dampfern das Meer leer fischen, bleibt für uns nicht mehr viel übrig. Weiterverarbeitet wird der Fang in den nächsten großen Hafenstädten oder direkt am

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Zielort. Früher haben wir das noch alles hier vor Ort erledigt. Heute fischen und verarbeiten wir fast ausschließlich für unseren Eigenbedarf.“ „Subsistenzwirtschaft nennen wir das. Von dieser Art der Deckung menschlicher Grundbedürfnisse haben sich die westlichen Gesellschaften schon lang verabschiedet. Von dem Feudalwesen kamen wir zu bürgerlichen und schließlich zu den kapitalistischen Gesellschaften. Eine immense Weiterentwicklung, wie ich finde. Und für die Großkonzerne müssen Sie Verständnis aufbringen, das sind alles börsennotierte, auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen, mit Tausenden von Angestellten, die ja auch bezahlt werden wollen.“ Der Fischer lacht laut. „Wissen Sie überhaupt, Kamerad, wie viel diese Angestellten verdienen? Gerade einmal den Mindestlohn; zuviel zum Sterben, zuwenig zum Überleben, wie ich zu sagen pflege. Mein Vetter ist bei solch einem Konzern beschäftigt, jeden Abend kommt er mit blutigen Händen nach Hause. Aber er ist auf den Job angewiesen, wie soll er sonst Frau und Kinder ernähren? Er fragt nicht nach, warum Tausende täglich hart schuften und am Existenzminimum leben müssen, damit ein paar wenige Herrschaften an der Spitze ihrer Konzerne ein Leben in Saus und Braus führen können. Die machen sich ihre Finger bestimmt nicht dreckig. Sie lassen lieber arbeiten. Und

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was Bedürfnisse sind, haben die wohl auch schon vergessen, weil sie schon lange keinen Mangel mehr verspürt haben, der sie darauf aufmerksam gemacht hätte.“ Der Tourist schluckt einmal langsam. Dieser einfache Fischer scheint irgendwo Recht zu haben; doch so unkommentiert will er dessen Aussagen auch nicht stehen lassen. „Nun wissen Sie, Herr Kapitän, der ganze Sachverhalt ist etwas komplexer und komplizierter, als Sie sich vorstellen. Es ist zwar ein klassischer Widerspruch, dass Lohnarbeiter immer möglichst viel für ihre geleistete Arbeit erhalten, dass die auf Gewinn angewiesenen Unternehmen jedoch immer möglichst wenig dafür zahlen wollen. Doch gerade dieses Paradoxon war ein wesentlicher Faktor für den Wohlstand und Reichtum, den sich unsere westlichen Gesellschaften angeeignet haben. Es kann nun einmal nicht jedem gut gehen; im Leben gibt es immer Gewinner und Verlierer, weil es ein einziger großer Wettbewerb ist. Jeder ist seines Glückes Schmied, wie es heißt.“ Der Fischer sieht nachdenklich die Weinflasche an, die der Wirt zum Tisch gebracht hat. Er schenkt sich und seinem Gesprächspartner ein. „Sie finden es also nur fair, wenn die eine Seite in Überfluss und Reichtum, die andere aber in ständiger Entbehrung und Verschuldung lebt. Wissen Sie, was ich gelesen habe? 20

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Prozent der Weltbevölkerung verfügen über 80 Prozent der Reichtümer der Erde. Hingegen muss sich eine Milliarde Menschen ein Prozent des weltweiten Einkommens teilen. Erklären Sie mir, Kamerad, wie es unsere westlichen Gesellschaften so weit gebracht haben! Anscheinend hat es tatsächlich etwas mit Glück zu tun, ob man in diese reichen 20 Prozent hineingeboren wird oder nicht.“ Ein mulmiges Gefühl beschleicht den Touristen. So gut informiert hatte er den Fischer nicht eingeschätzt. Beschämt blickt er zu Boden. Einige Minuten sitzt der Urlauber nachdenklich da und spricht kein Wort, was doch ungewöhnlich für den sonst so redseligen Kameraden ist. „Wenn Sie mich so direkt fragen, würde ich sagen, die Profitgier der Menschen und die Ideologie des Geldglaubens sind die Übeltäter. Wir sind alle kleine Rädchen in diesem mächtigen System des ‚Moneyismus’ und nach dieser Anschauung erzogen. Von klein auf wird uns eingeimpft, unser Kapital bestmöglich und gewinnbringend einzusetzen. Dabei spreche ich von sozialem Kapital, also die Beziehungen und Netze, die Menschen nutzen; von Humankapital, darunter versteht man die individuellen Fähigkeiten; von produktivem Kapital, also den Maschinen; und von kulturellem Kapital, das heißt erweckte Sympathien ausnutzen und kultiviertes Benehmen an den Tag legen, um sich damit Vortei-

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le zu verschaffen. Können Sie mir noch folgen, Herr Kapitän?“ Der Fischer nickt und lauscht andächtig den Ausführungen seines Gegenübers. Der Tourist fährt mit bitterer Miene fort. „Wir glauben tatsächlich, Geld könne uns vor Schlimmen bewahren und uns über Krisen hinweghelfen. Aber Geld kann man nicht essen, mit Geld kann man keine Krankheiten heilen und Geld stoppt auch nicht die globale Erwärmung. Es sind die Menschen, die mit ihrer Arbeit, ihren Leistungen und ihrem Wissen zur Lösung der Probleme beitragen. Wir produzieren die meisten Waren nicht mehr, damit sie Bedürfnisse decken, sondern einzig aus dem Grund, weil sie Gewinn einbringen könnten. Das Geld selbst ist zur Ware geworden, an der nur noch der Gewinn interessiert. Die Geldideologie macht uns glauben, dass es letztlich das Geld sei, welches über Glück und Wohlstand entscheidet.“ Der Urlauber leert sein Glas mit einem Schluck. Der Fischer schenkt ihm nach. „Ich will Sie ja jetzt nicht noch mehr beunruhigen, Kamerad, aber ihre Äußerungen zur Geldideologie und Kapital haben mich auf noch etwas gebracht. Im Fernsehen habe ich einen Bericht gesehen. Die sagten, dass das zirkulierende Kapital gar nicht real, sondern hauptsächlich virtuell sei. Es würde derzeit den Wert sämtlicher Güter und Dienstleis-

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tungen, die während eines Jahres auf dem Planeten produziert werden und verfügbar sind, um das Achtzehnfache übertreffen. Verstehen Sie das?“ „Schockierend, aber es klingt durchaus plausibel. Das bedeutet, es wird mit Kapital gearbeitet und spekuliert, welches überhaupt nicht vorhanden ist. An den weltweiten Börsen werden tagtäglich Luftschlösser aus futures, Optionen und Aktien gebaut. Als Folge werden die Reichen immer schneller reicher und die Armen immer ärmer. Der Globalisation sei Dank!“ Der Tourist leert sein zweites Glas und blickt dem Fischer sichtlich gezeichnet in die Augen. „Nun verzweifeln Sie doch nicht gleich, Kamerad. Ich bin mir sicher, Sie wollten immer nur das Beste für sich und Ihre Familie. Sie haben sich vom Geld blenden lassen und so sind Ihnen die Wirkung und Zusammenhänge Ihres Handelns verborgen geblieben. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung! Genießen Sie doch noch einfach die letzten Tage Ihres wohlverdienten Urlaubs bei uns. Einen entspannten Eindruck machten Sie mir ja bisher nicht gerade.“ „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich mich das letzte Mal entspannt gefühlt habe. Selbst hier in meinem Urlaub mach’ ich mir Sorgen um meine Geschäfte in der Heimat. Mein Herz rast ständig aus Angst, zuhause könnte etwas schief laufen und mich meiner Existenz berauben. Dabei hat mich mein Arzt extra ans Meer ge-

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schickt, um meinen Blutdruck zu senken. Ach könnte ich nur ein so unbeschwertes Leben führen wie Sie, Herr Kapitän!“ „Was hindert Sie denn daran? Lassen Sie die Geldgesellschaft hinter sich, besinnen Sie sich wieder auf die wahren Werte des Lebens, genießen Sie den Augenblick! Kaufen Sie sich ein kleines Häuschen mit Meeresblick und dazu ein Fischerboot! Bei der Suche könnte ich Ihnen behilflich sein. Was sagen Sie dazu?“ Der Tourist zieht eine Augenbraue hoch und überlegt. Er ist etwas beschämt darüber, dass gerade ein einfacher Fischer dem anscheinend wohlhabenden und gebildeten Geschäftsmann die wirklichen Vorzüge des Lebens aufzeigt. „Herr Kapitän, unser Gespräch hat mir die Augen geöffnet. All die Jahre habe ich das Geld in den Mittelpunkt meines Lebens gestellt. Damit ist jetzt Schluss. Ich werde nach Ihrem Vorbild leben und mir über Kapital keinen Kopf mehr zerbrechen, sondern nur mehr die Sonne darauf scheinen lassen.“ „Eine weise Entscheidung, Gratulation. Sie werden sehen, bei uns ist die Kohle wirklich nur Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst.“ „Klingt himmlisch, ich muss jetzt los, zu meiner Frau und ihr alles erzählen. Die wird vielleicht Augen machen. Wegen des Häuschens und des Boots sprechen wir uns noch, da rechne ich fest mit ihrer Hilfe als

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zukünftiger Kollege!“ „Überhaupt kein Problem, wir bekommen das schon geregelt. Es freut mich, dass ich Sie aus der Sichtweise der Geldgesellschaft etwas herausbringen konnte. Ist schon Lohn genug für mich, an so einem herrlichen Tag.“ „Ein wahres Wort. Also Herr Kapitän, Sie sehen und hören bald wieder von mir.“ Der Tourist knallt einen Geldschein auf den Tisch und eilt zur Türe hinaus. Der Fischer bleibt sitzen und schmunzelt. Der Wirt gesellt sich zu ihm. „Was grinst du denn so? Wieder einen dieser vornehmen Schnösel gefunden, der dir die Zeche bezahlt?“ „Genau so ist es. Und wir sind beide ein Problem los.“ Der Wirt blickt erstaunt. „Aja, nämlich?“ Der Fischer klopft ihm beruhigend auf die Schulter. „Ich habe mein altes Fischerboot verkauft, welches ich eigentlich nur mehr zum Feuerholzmachen gebrauchen konnte. Und du bist die Bruchbude am Hafen los, die du für die vielen Touristen gebaut hast, die heute noch auf sich warten lassen.“ „Wie hast du das denn angestellt?“ „Sagen wir so: Ich habe kurzfristig einen ausländischen Investor aufgetrieben.“

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Außerdem verwendet: Kellermann, Paul (1990): Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und die Ideologie des Geldes. Steuerungsprobleme einer wertgebundenen Rationalität. In: Brunhilde Scheuringer (Hg.), Wertorientierung und Zweckrationalität Soziologische Gegenwartsbestimmungen. Opladen: Leske + Budrich. Die Ideen, Äußerungen, Theorien und Hypothesen des Fischers schrieb das Leben und nehmen außerdem Bezug auf: Ziegler, Jean (2005): Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, Vollständige Taschenbuchausgabe. München: Wilhelm Goldmann Verlag: 11-68.

Arthur Pitman The Interdependency between Work, Society and Money Pablo Picasso, one of the great painters of the 20th century, described work as “a necessity for man”.1 His opinion is not shared by all. Oscar Wilde, living in the 19th century, stated “work is the curse of the drinking classes”.2 Regardless of the correctness of either of these two statements, work is undeniably important. This paper aims to demonstrate the function of work within our society, and more specifically, the connection between work, society and its great underpinning element, money.

Quellenverzeichnis Die Ideen, Äußerungen, Theorien und Hypothesen des Touristen sind großteils an die Inhalte der Lehrveranstaltung von Paul Kellermann – Arbeit, Geld, Gesellschaft WS 2006/07 – angelehnt.

1 2

See (BRA2006a) See (BRA2006b)

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zukünftiger Kollege!“ „Überhaupt kein Problem, wir bekommen das schon geregelt. Es freut mich, dass ich Sie aus der Sichtweise der Geldgesellschaft etwas herausbringen konnte. Ist schon Lohn genug für mich, an so einem herrlichen Tag.“ „Ein wahres Wort. Also Herr Kapitän, Sie sehen und hören bald wieder von mir.“ Der Tourist knallt einen Geldschein auf den Tisch und eilt zur Türe hinaus. Der Fischer bleibt sitzen und schmunzelt. Der Wirt gesellt sich zu ihm. „Was grinst du denn so? Wieder einen dieser vornehmen Schnösel gefunden, der dir die Zeche bezahlt?“ „Genau so ist es. Und wir sind beide ein Problem los.“ Der Wirt blickt erstaunt. „Aja, nämlich?“ Der Fischer klopft ihm beruhigend auf die Schulter. „Ich habe mein altes Fischerboot verkauft, welches ich eigentlich nur mehr zum Feuerholzmachen gebrauchen konnte. Und du bist die Bruchbude am Hafen los, die du für die vielen Touristen gebaut hast, die heute noch auf sich warten lassen.“ „Wie hast du das denn angestellt?“ „Sagen wir so: Ich habe kurzfristig einen ausländischen Investor aufgetrieben.“

Studentische Texte

Außerdem verwendet: Kellermann, Paul (1990): Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und die Ideologie des Geldes. Steuerungsprobleme einer wertgebundenen Rationalität. In: Brunhilde Scheuringer (Hg.), Wertorientierung und Zweckrationalität Soziologische Gegenwartsbestimmungen. Opladen: Leske + Budrich. Die Ideen, Äußerungen, Theorien und Hypothesen des Fischers schrieb das Leben und nehmen außerdem Bezug auf: Ziegler, Jean (2005): Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, Vollständige Taschenbuchausgabe. München: Wilhelm Goldmann Verlag: 11-68.

Arthur Pitman The Interdependency between Work, Society and Money Pablo Picasso, one of the great painters of the 20th century, described work as “a necessity for man”.1 His opinion is not shared by all. Oscar Wilde, living in the 19th century, stated “work is the curse of the drinking classes”.2 Regardless of the correctness of either of these two statements, work is undeniably important. This paper aims to demonstrate the function of work within our society, and more specifically, the connection between work, society and its great underpinning element, money.

Quellenverzeichnis Die Ideen, Äußerungen, Theorien und Hypothesen des Touristen sind großteils an die Inhalte der Lehrveranstaltung von Paul Kellermann – Arbeit, Geld, Gesellschaft WS 2006/07 – angelehnt.

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See (BRA2006a) See (BRA2006b)

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The Nature of Work What is work? The task of defining work is highly challenging. The Concise Oxford Dictionary initially states work is an “activity involving mental or physical effort done in order to achieve a result”.3 In this context, “result” may be seen as the improvement in the life of the individual, the fulfilment of needs or requirements, or the progress of the general community.4 Furthermore, the Concise Oxford Dictionary highlights a subset which effectively defines most modern work: “such activity as a means of earning income”. That is to say, income serves as the motivation for most modern work. The nature of work has changed significantly over the course of human history. Particularly interesting are the changes that have been witnessed within the last 500 years, a period in which society itself has also changed. Looking at a time span greater than a single human generation, work appears as a non-constant quantity. Initially, work was based around subsistence, with results directly supporting the individual or immediate family. With the development of society, work also began to serve other parties. Feudalism, widely present in Europe during the Middle Ages, created a fixed labour structure

between land owners and land users. Land owners would divide and lend their land to others. The users of land would normally provide the landowners with protection and/or taxes in return.5 The predominant trend of capitalism6 has once again shifted the balance between work benefiting the individual and benefiting society, by promoting the procurement and private ownership of capital goods by individuals and corporations. Arguably, this policy can serve the common interests of a community.7 The Division of Labour Over time, there has been a strong trend to increasingly divide work into a series of sub-tasks. Originally, humans were highly dependant on the resources, particularly food, naturally present in their environment. The development of agriculture and domestication permitted a reduction in this dependency, and allowed individuals or smaller groups to exclusively produce particular resources need by the group as a whole. The shift from subsistence farming methods to modern consumerism, and its supermarket society, has further accelerated this change. It is now relatively uncommon to possess any self-made

5

See (HIG2006) From the Merriam-Webster Online Dictionary (MER2005) 7 Compare with “The Invisible Hand” presented by Smith in Wealth of Nations, (SMI1776) 6

3

As defined by the Oxford English Dictionary (OXF2006) 4 As defined by Kellermann in (KEL1979)

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products, let alone to know where they were made.8 Arguably, the specialisation that occurs as a by-product of the division of labour results in greater skill and productivity. Perhaps this has been the motivation for this fundamental change in society. Adam Smith, a renowned Scottish philosopher of the 18th century, recognises this in his “Wealth of Nations” where he contemplates the division of labour within the workforce of an English pin-making business.9 He concludes that by breaking the production task into a series of sub-tasks, on average each worker could produce 4800 pins per day, instead of a mere 20 working alone. The productivity increase may be exaggerated, but the division of labour undoubtedly leads to a “proportionable increase of the productive powers of labour”.4 The Importance of Trade Specialisation within work requires humans to be increasingly dependant on one another. Thus the corollary of the increase in the division of labour is the increased importance of trade. Colonisation, industrialisation and recently globalisation have all led to a sharp rise in trade. Even within the last 40 years, the world has witnessed an explosive growth in trade.10

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Figure 1. Relative World Trade 1966-200610

Trade permits the voluntary exchange of goods and services within the framework of a market. The producer of one type of goods or service can exchange it for other goods or services. This simple and direct form of trade is known as barter. However, it can occur that no direct trade is possible. Adam Smith explores this problem with his example of the brewer, butcher and baker.11 In this example, the butcher has more meat than he requires, and additionally enough beer and bread. Hence no direct trade is possible. An intermediate commodity for trade is required that “few people would be likely to refuse in exchange for the produce of their industry”.10 Interestingly, the perceived monetary value of an item is not always related to its usefulness. Smith’s Diamond/Water Paradox states that although water is exceptionally use10

8

This statement is supported by a class survey Adam Smith: Wealth of Nations, Book One, CHAPTER I Of the Division of Labour 9

Based upon World Trade Organization statistics (WTO2006) This example appears in Wealth of Nations, Book I, Chapter IV: Of the Origin and Use of Money (SMI1776)

11

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ful, it has almost no perceived monetary value. A diamond, through its scarcity, obtains a higher value, although it is not overly useful.12 His answer to this question is justly: ”The real price of every thing, what every thing really costs to the man who wants to acquire it, is the toil and trouble of acquiring it.“13 The Birth and Value of Money Various items have been adopted by cultures as intermediate commodities for facilitating trade. Among his examples, Smith lists salt, oxen, sugar and tobacco, however notes that metals have become the preferred medium. Their properties include that they are easily dividable, fusible and do not perish. To facilitate simpler transactions, metals were quickly formed into coins: regular units guaranteed by an authority. This first occurred in China and the Kingdom of Lydia as early as 640 BC, where the government minted coins of electrum, an alloy of silver and gold.14 The Romans too replaced bars of bronze with coins in c. 300 BC. Originally money was constructed from precious metals such as gold and silver, and thus had intrinsic 12

See Wealth of Nations, Book I, Chapter IV: Of the Origin and Use of Money (SMI1776) 13 From Wealth of Nations, Book I, Chapter V: Of the Real and Nominal Price of Commodities, or of their Price in Labour, and their Price in Money (SMI1776) 14 As reported by the BBC (BBC2003)

value. That is to say, it could be directly traded for its worth as a precious metal. In more modern times, base metals are used to mint coinage, reducing their intrinsic value. Furthermore, paper notes have been adopted for high denominations, with effectively zero intrinsic value. In today's society, money may even be represented electronically. The value of money is then its purchasing power: the maximum amount of goods that it can be traded for directly or indirectly.15 Money then becomes purely a “medium of exchange”16 issued by an authority, such as a government. The amount of money in circulation at one time must be carefully regulated by the issuer. Within the United States, the amount of money in circulation increased by a factor of almost 200 over the 90 year period from 1910 to 2000. Date

Amount of Cash in Circulation

30.06.1910 $ 3,148,700,000

Amount of Cash per Capita* $ 34.07

30.06.2000 $ 571,121,194,344 $ 2,075.63 17

Figure 2. Cash in Circulation in the USA

15

The Federal Reserve Bank of San Francisco on A Brief History of Our Nation's Paper Money (FRB2006a) 16 As defined by the Oxford English Dictionary (OXF2006) 17 Figures from the Federal Reserve Bank of Atlanta (FRB2006b)

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By-Products of Money In addition to goods, money may also be exchanged for labour. This allows money to function as a regulator of work and as a provider of security; money can be earned now and then spent later at will. The result is that money is a key organising factor within society. For example, a mother can choose to pay for a child in care service, thus allowing her to be employed. However, hyperinflationary periods can result in money loosing its purchasing power almost completely. For example in Germany, during 1923-4, prices doubled every 49 hours. This instability is a reminder that money itself has little value. Because of money's usefulness as a medium of exchange, there is a tendency to overestimate its value and believe that “Money rules the world”.18 In the most extreme form, this results in a moneyocracy19 when the moneyed class becomes the dominant political force within society. Society Society may be considered as an “aggregate of people living together in a more or less ordered community”.20 How this order is set within society is something that has changed 18

A Dutch proverb (PRQ2006) See the Oxford English Dictionary (OXF2006) 20 Definitions for society and high society are taken from the Oxford English Dictionary (OXF2006) 19

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with time. In the era of monarchs, power was installed in royalty by god. The division of labour, the rise of trade and introduction of money, by increasing interdependency, have also affected this balance. Even producers are dependent on suppliers of equipment and raw materials and thus are also consumers. This relationship has created the merchants, who profit directly from the purchase and sale of commodities. In addition, all parties may require financial capital, in the form of borrowed money, resulting in the establishment of the financial markets. In the mid 14th century, when a large percentage of the European population fell victim to the plague, society was forced to look beyond country boarders. The trend of globalisation, confirmed 150 years later by Christopher Columbus, has gradually expanded the concept of society to the point of what is today referred to as the global society.21 Global markets offering global products to an increasing world population,22 together with monetary reforms, such as the currency union within the European Union, have only increased the importance of money as a medi-

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Introduced by Paul Kellermann in Societal Change and Scientific Continuing Education (KEL2005) 22 Already reaching over 6 Billion in the year 2000, based upon U.S. Census Figures (USC2006)

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um of exchange. Money has also traditionally given birth to high society, a sub-set of society who are “fashionable, wealthy, and influential, regarded as a distinct social group”.19 Society has undergone marked changes in the last 500 years: the end of feudalism, the industrial revolution, the rise of capitalism and the fall of communism. Now, in an age of consumerism, money and work seem more important than ever: work as the commonest provider of money, and money as the key to society. Literature OXF2006 Oxford English Dictionary, Oxford University Press, 2006; http://dictionary.oed.com/ MER2005 Merriam-Webster Online Dictionary, Merriam-Webster, Inc., 2005; http://www.m-w.com/ WTO2006 World Trade Organization, “Longterm trends - World exports, production, GDP, from 1950”, World Trade Organization, 2006; http://www.wto.int/english/res_e/statis_e/its2006_e/its06_bysubj ect_e.htm#trends SMI1776 Adam Smith, “An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations”, 1776; http://www.mondopolitico.com/library/wealthofnations/toc.htm BBC2003 BBC News, “The demise of the drachma”, BBC, 31/10/2001; http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/europe/1627442.stm FRB2006a Karen Flamme, “1995 Annual Report: A Brief History of Our Nation's Paper Money”, Federal Reserve Bank of San Francisco, 2006; http://www.frbsf.org/publications/federalreserve/annual/19 95/history.html#A13 FRB2006b “Circulation of Money”, Federal Reserve Bank of Atlanta, 2006; http:-

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//www.frbatlanta.org/invoke_brochure.cfm ?objectid=83FD41E6-9AF0-11D5-898400508BB89A83&method=display_body KEL1979 Paul Kellermann, “Soziologische Aspekte der Arbeitsmarktpolitik”. In: Ernst Gehmacher (Hg.): “Die außerökonomischen Aspekte der Arbeitsmarktpolitik”, Vienna 1979, IFES-Eigenverlag, p91-113; http://www.uni-klu.ac.at/sozio/downloads/Soziologische_Aspekte_der_Arbeitsmarkt politik.pdf KEL2005 Paul Kellermann, “Societal Change and Scientific Continuing Education – Empirical Findings, Theoretical Considerations and the Bologna Process”, University of Klagenfurt, 2005; http://www.uni-klu.ac.at/sozio/downloads/SegoviaNeu.pdf HIG2006 HighBeam Encyclopaedia, HighBeam™ Research, 2006; http://www.encyclopedia.com/doc/1E1-feudalis.html USC2006 U.S. Census Bureau, “World Population Information”, U.S. Census Bureau, 2006; http://www.census.gov/ipc/www/world.html PRQ2006 Accessed from WorldOfQuotes.com on 10 December 2006; http://www.worldofquotes.com/author/Proverb/164/index.html BRA2006a Accessed from BrainyMedia.com on 19 November 2006; http://www.brainyquote.com/quotes/quotes/p/pablopicas161297.html BRA2006b Accessed from BrainyMedia.com on 19 November 2006; http://www.brainyquote.com/quotes/quotes/o/oscarwilde128424.html

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Regina Lackner Warum kann das Verständnis des Zusammenhangs von Arbeit, Geld und Gesellschaft zur Lösung sozialer Probleme beitragen?1 Alle1 Menschen haben Bedürfnisse. Obwohl die Bedürfnisse teilweise nicht bewusst als solche empfunden werden, haben Menschen sie trotzdem: Menschen haben das Bedürfnis zu atmen, das Bedürfnis nach Nahrung, das Bedürfnis nach sozialem Kontakt, das Bedürfnis nach medizinischer Versorgung etc. Je leichter man auf die Befriedigung eines Bedürfnisses verzichten kann, desto höher ist es in der Bedürfnispyramide nach Maslow angesiedelt. Vereinfacht kann festgehalten werden, dass alle Menschen das Bedürfnis zu leben haben. Alles, was Menschen zur Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen – also zur Stillung der Bedürfnisse brauchen –, müssen sie erarbeiten. Arbeit kann daher als Tätigkeit, die Leistungen zur Stillung von Bedürfnissen verfügbar macht, definiert werden (Paul Kellermann). Unter Leistungen sind Güter und Dienstleistungen zu verstehen. Kurz: Menschen arbeiten, um zu leben und

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Soweit nicht im Text anders angegeben, gehen Begriffe, Definitionen und Hypothesen auf die Arbeit im Proseminar mit Paul Kellermann im Wintersemester 2006/07 (AlpenAdria-Universität Klagenfurt) zurück.

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nicht: Menschen leben, um zu arbeiten! Heute wird oft über Arbeitssuchende, Arbeitslose und Arbeitslosenquote berichtet und diskutiert. Der Begriff Arbeit wird dabei synonym und reduziert für Erwerbsarbeit verwendet. Dennoch ist es wichtig, eine Abstufung von der Tätigkeit zur Arbeit, zur Erwerbsarbeit, zum Beruf und zur Profession vorzunehmen. Erwerbsarbeit ist jede Arbeit, die bezahlt wird. Die Begriffe Beruf und Profession sind noch enger zu fassen als Erwerbsarbeit. Bereits die Gebrüder Grimm haben verschiedene Bedeutungen des Begriffs Arbeit in ihrem Wörterbuch unterschieden: Arbeit im Sinn von Produkt („Hier ist meine Arbeit!“), im Sinn von Prozess („Ich bin gerade dabei, an dem zu arbeiten!“) und im Sinn von Programm („Das wird nächstes Jahr meine Arbeit sein!“). Die Organisation der Arbeit ist an die Gesellschaft gebunden. Beispielsweise wurden früher alle benötigten Leistungen im Familienverband selbst erzeugt. Auf Grund der räumlichen Distanz zwischen den Familienverbänden gab es nur wenig Kontakt zu anderen und dementsprechend keinen Handel bzw. wenn, dann nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Mit dem Anstieg der Bevölkerungszahl veränderten sich sowohl die Gesellschaft als auch die Organisation der Arbeit und es entwickelte sich der Tauschhandel.

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Maßgeblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Organisation der Arbeit hat die Arbeitsteilung, die damit verbundene Produktivitätssteigerung und ab etwa dem 18. Jahrhundert die Industrialisierung. Die Arbeitsteilung führte zu einer effizienteren Produktion und in weiterer Folge zu einer fachlichen Spezialisierung der Arbeitskräfte. Von einem Arbeiter wurde und wird nach wie vor nicht mehr ein Produkt hergestellt. Es werden nur mehr ein oder mehrere Arbeitsschritte ausgeführt. Die Arbeitsteilung erfordert Kooperation und Leistungsaustausch, was sowohl zu einer zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit als auch zur Entfremdung führt. Beispielsweise ist es für Fließbandarbeiter eines Zulieferers in der Automobilbranche sehr schwer, sich mit dem fertigen Volkswagen-, Audioder Opel-Modell zu identifizieren. Die Veränderung der Arbeitsorganisation muss natürlich in Verbindung mit der Entwicklung der Gesellschaft gesehen werden. Den Ansätzen Max Webers folgend existiert keine widerspruchsfreie Gesellschaft. Es können mehrere Idealtypen von Gesellschaften beschrieben werden wie z.B. die Feudalgesellschaft, die sich durch das Lehenssystem kennzeichnet, oder die bürgerliche Gesellschaft, die Merkmale wie Eigentum an Grund und Boden und Individualismus aufweist. Die heutige Gesellschaft wird vielfach als postindustrielle Gesellschaft bezeichnet. Sie entwickelte sich von der Feudalge-

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sellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft bis hin zur kapitalistischen Gesellschaft, wobei heute das vorrangige Kriterium jenes der kapitalistischen Gesellschaft ist, nämlich sämtliches Kapital in Gewinnerwartung einzusetzen. „Kapital“ darf dabei nicht auf das Produktivkapital (Maschinen) beschränkt werden. Auch Humankapital (Wissen, Erfahrungen, Kenntnisse), Sozialkapital (Beziehungen, Kontakte), Finanzkapital und kulturelles Kapital werden in Gewinnerwartung eingesetzt. Auf Grund der zunehmenden Arbeitsteilung entwickelte sich der Handel. Dem Naturaltausch folgten verschiedenste Tauschmittel wie z.B. Gold, Silber oder Nickel. Die Produktivitätssteigerung bewirkte, dass bald mehr gehandelt wurde als Gold verfügbar war. Es musste ein anderes Tauschmittel eingeführt werden, nämlich das Papiergeld. Geld kann als ein Symbol für versprochene Leistungen angesehen werden. Geld ist eine Anweisung, bestimmte Leistungen zu erhalten. Der Wert des Geldes besteht nicht in der Geldnote oder der Anweisung selbst, sondern in der Gegenleistung. Ist die Gegenleistung nicht verfügbar, ist die Anweisung selbst wertlos (Adam Smith). Um das Vertrauen in Geld zu stärken, gab die US-amerikanische Regierung 1944 in Bretton Woods das Versprechen, dass jede Geldnote, auf der ein Dollar-Zeichen aufgedruckt war, jederzeit in Gold umgetauscht werden kann. Die Goldreser-

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ven wurden in Fort Knox gelagert. 1971 lockerten die USA das Versprechen. Trotz der Tatsache, dass die Geldscheine nicht jederzeit in Gold umgetauscht werden können, blieb das Vertrauen in das Geld aufrecht. Die vielen Funktionen des Geldes (allgemeines Tauschmittel, allgemeines.Zahlungsmittel, Kapitalübertragungsmittel, Liquiditätsreserve, Preismesser, Preisvergleichsmittel, Rechnungseinheit, Schuldentilgungsmittel, Wertmaß für gestundete Zahlungen, temporäre Durchgangsstation der Kaufkraft, Wertaufbewahrungsmittel, Wertmesser, Wertvergleichsmittel) können auf zwei wesentliche Funktionen reduziert werden – nämlich auf die Funktion des Geldes als Tauschmittel und die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel. Beide Funktionen erleichtern den Tausch. Das Geld als Tauschmittel zerlegt den Tauschvorgang in zwei Schritte (in den Tausch von Leistungen in Geld und den Tausch von Geld in Leistungen) und entbindet daher von der doppelten Übereinstimmung der Bedürfnisse. Geld kann sozusagen als „Schmiermittel“ der Wirtschaft gesehen werden (Schülerduden Wirtschaft, Brockhaus AG 2005). Die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel entbindet von der zeitlichen Übereinstimmung der angebotenen und nachgefragten Leistungen. Das Problem ist, dass heute alles zur Ware gemacht wird – auch das Geld. Waren sind Leistungen, die

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angeboten bzw. nachgefragt werden. Dabei ist unerheblich, ob sie wirklich ge- oder verkauft werden. Die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigt, dass immer mehr Leistungen zur Ware gemacht (kommodifiziert) werden. Leistungen wie zum Beispiel Kinderbetreuung und Altenpflege werden heute als Waren angeboten. – Wurden früher alte Menschen von Familienangehörigen zu Hause gepflegt, gibt es heute die Diskussion über einen „Pflegenotstand“. Bereits Aristoteles hat bei Gütern zwischen dem Gebrauchs- und Tauschwert unterschieden und am Beispiel eines Sandalen-Paars erklärt. Der Tauschwert ist der Wert, den der Verkäufer erhält. Der Gebrauchswert ist der Wert (Nutzen), den sich der Käufer erwartet. Diese Unterscheidung zeigt die Doppelseitigkeit der Ware. Für den Verkäufer ist allein der Tauschwert und nicht der Gebrauchswert der Ware ausschlaggebend. Von Unternehmen werden nur Leistungen erstellt, die verkauft werden sollen. Das Geld selbst wurde ebenfalls zur Ware gemacht. Als Beispiel dafür kann der Handel mit Optionen an den Börsen herangezogen werden. Wie wäre es sonst erklärbar, dass nur etwa fünf Prozent der Geldtransaktionen Warenhandel zu Grunde liegt und die restlichen 95 Prozent spekulative Transaktionen darstellen? Man darf sich auch nicht wundern, dass Geld als Lösung sozialer

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Probleme angesehen wird, wenn fehlendes Geld als Begründung, Not leidenden Menschen nicht helfen zu können, angegeben wird. Der Mangel an Lebensmitteln, Bekleidung oder Umweltschutz wird als Mangel an Geld missverstanden. Von Geld kann man nicht satt werden, Geld kann man nicht anziehen und Geld verhindert auch nicht die Vernichtung des Regenwaldes. Nur durch Arbeit können ausreichend Leistungen produziert werden, um die Bedürfnisse zu stillen. Diese Verwechslung von Arbeit und Geld hat fatale Folgen: Die Verwechslung macht es möglich, dass die Weltbank mit der Begründung „Es ist nicht genug Geld vorhanden“ das bestehende Arbeitsvermögen von 800 Millionen Not leidenden Menschen weltweit nicht nützt, um damit die Armut abzuschaffen. Der blinde Glaube an das Geld wird von Paul Kellermann als Moneyismus bezeichnet. Moneyisten halten Geld für das Wichtigste und nicht die Leistungen, die durch das Geld verfügbar werden. Den Moneyismus gibt es aber nicht erst seit wenigen Jahren: Benjamin Franklin (1706-1790) beschrieb in dem „Letter to a young tradesman“, dass Geld Geld erzeugen könne. Einen erfolgreichen Ausbruchsversuch aus dem Moneyismus zeigt zum Beispiel der Friedensnobelpreisträger 2006 Mohammad Yunus in Bangladesch auf. Er gründete eine Bank, die Kleinstkredite an arme

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Menschen ohne finanzielle Absicherung vergibt. Die Kredite ermöglichen den Menschen, Produktionsmittel anzuschaffen, zu arbeiten und einen Weg aus der Armut zu finden. Erwähnenswert ist, dass ein Großteil der 6,6 Millionen vergebenen Kredite zurückbezahlt wurde und ca. 97 Prozent der Kreditnehmer Frauen waren (FAZ 13.10.2006). Das Beispiel zeigt, dass nicht das Geld das Problem war, sondern dass die Arbeit nicht ausgeführt werden konnte, weil die Produktionsmittel fehlten (z.B. Kühe). Mohammad Yunus zeigt, dass es mit dem richtigen Verständnis von Geld im Zusammenhang mit Arbeit und Gesellschaft sehr wohl möglich ist, soziale Probleme zu lösen, Missstände zu beseitigen und die Armut abzuschaffen. Dem Ansatz von Paul Kellermann folgend, dass das Geldprodukt (= Geldmenge x Geldumlaufgeschwindigkeit) ungefähr dem Leistungsprodukt (= tatsächliche und potentielle Leistungen) entsprechen muss und umgekehrt, sollte nur eine Erhöhung des Leistungsprodukts zu einer Erhöhung des Geldprodukts führen. Der Absatz des Leistungsprodukts ist durch die Nachfrage begrenzt. Nachfrage ist mit Geld ausgestatteter Bedarf. Dieser Gedanke lässt nur den einzigen Schluss zu, dass Arbeit Wohlstand schafft und nicht Geld. Angenommen, es würde nur das Geldprodukt steigen, wären für die

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Versprechen nicht genügend Leistungen vorhanden und das Geld wäre weniger wert. Geld selbst ist in der heutigen Gesellschaft das Organisationsmittel, das ermöglicht, am Tauschprozess teilzunehmen und Güter und Dienste zur Befriedigung der Bedürfnisse zu erwerben. Damit aber etwas verändert werden kann, bedarf es nicht nur, die Probleme zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen, sondern auch der Macht, die Lösungen umsetzen zu können. Selbstverständlich reicht die Macht eines Individuums in der heutigen Gesellschaft nicht aus, um den Zustand zu ändern, aber ein kollektives Umdenken ermöglicht den ersten Schritt zur Lösung der Probleme.

Ronald Ivancic Moneyismus – Zur Gefahr einer sozialen Realität Versuch der Rekonstruktion des Verständnisses des Verhältnisses von Arbeit, Geld und Gesellschaft

„Geld regiert die Welt“ – ein Satz, der aktuell in aller Munde zu sein scheint und von verschiedensten Seiten ständig rezitiert wird. Ein Faktum, das ihm bereits eine dogmatische Aura verleiht. Genau diesem Ausspruch sei jedoch bereits am Beginn dieses Artikels fundamental widersprochen, welches Vorgehen wahrscheinlich beim einen oder anderen Leser bereits anbetrachts einer

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empfundenen beinahe blasphemischen Tendenz Kopfschütteln auslösen wird. Blasphemie kann jedoch nur derjenige ausrufen, der seinerseits längst der aktuell dominierenden Religion, dem Moneyismus (Kellermann 2006) verfallen ist und den darin vorherrschenden Dogmen entsprechend in all seinen Lebenslagen agiert. In Wirklichkeit jedoch lässt sich gerade bei solchen Geldjüngern ein verkürztes Verständnis von Geld konstatieren. Arbeit, Geld und Gesellschaft stehen in einem engen Interdependenzverhältnis zueinander. Arbeit und Geld haben soziale Entwicklungen fundamental mitgetragen und gestaltet, wobei vor allem Arbeit als die treibende Kraft zu bezeichnen ist. Das Verständnis für diese Entwicklungen steht ihnen jedoch anscheinend diametral entgegen. Daraus ergibt sich die These, je weiter sich eine Gesellschaft durch Arbeit entwickelt, desto mehr verliert sie an Wertschätzung für das tragende Element der Entwicklung und beginnt Geld in den Fokus des Interesses zu rücken. Arbeit spielt eine viel bedeutendere Rolle als diese oftmals in Zeitungen, Zeitschriften und auch in manchen wissenschaftlichen Werken erfährt. Ohne Arbeit hätte sich die heutige Gesellschaft niemals konstituieren und entwickeln können. Ohne Arbeit keine Veränderung, keine Evolution, keine Innovation – ja weiter gedacht: – ohne Arbeit keine Gesellschaft. Der Begriff Arbeit kann in diesem Zu-

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Versprechen nicht genügend Leistungen vorhanden und das Geld wäre weniger wert. Geld selbst ist in der heutigen Gesellschaft das Organisationsmittel, das ermöglicht, am Tauschprozess teilzunehmen und Güter und Dienste zur Befriedigung der Bedürfnisse zu erwerben. Damit aber etwas verändert werden kann, bedarf es nicht nur, die Probleme zu erkennen und Lösungen vorzuschlagen, sondern auch der Macht, die Lösungen umsetzen zu können. Selbstverständlich reicht die Macht eines Individuums in der heutigen Gesellschaft nicht aus, um den Zustand zu ändern, aber ein kollektives Umdenken ermöglicht den ersten Schritt zur Lösung der Probleme.

Ronald Ivancic Moneyismus – Zur Gefahr einer sozialen Realität Versuch der Rekonstruktion des Verständnisses des Verhältnisses von Arbeit, Geld und Gesellschaft

„Geld regiert die Welt“ – ein Satz, der aktuell in aller Munde zu sein scheint und von verschiedensten Seiten ständig rezitiert wird. Ein Faktum, das ihm bereits eine dogmatische Aura verleiht. Genau diesem Ausspruch sei jedoch bereits am Beginn dieses Artikels fundamental widersprochen, welches Vorgehen wahrscheinlich beim einen oder anderen Leser bereits anbetrachts einer

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empfundenen beinahe blasphemischen Tendenz Kopfschütteln auslösen wird. Blasphemie kann jedoch nur derjenige ausrufen, der seinerseits längst der aktuell dominierenden Religion, dem Moneyismus (Kellermann 2006) verfallen ist und den darin vorherrschenden Dogmen entsprechend in all seinen Lebenslagen agiert. In Wirklichkeit jedoch lässt sich gerade bei solchen Geldjüngern ein verkürztes Verständnis von Geld konstatieren. Arbeit, Geld und Gesellschaft stehen in einem engen Interdependenzverhältnis zueinander. Arbeit und Geld haben soziale Entwicklungen fundamental mitgetragen und gestaltet, wobei vor allem Arbeit als die treibende Kraft zu bezeichnen ist. Das Verständnis für diese Entwicklungen steht ihnen jedoch anscheinend diametral entgegen. Daraus ergibt sich die These, je weiter sich eine Gesellschaft durch Arbeit entwickelt, desto mehr verliert sie an Wertschätzung für das tragende Element der Entwicklung und beginnt Geld in den Fokus des Interesses zu rücken. Arbeit spielt eine viel bedeutendere Rolle als diese oftmals in Zeitungen, Zeitschriften und auch in manchen wissenschaftlichen Werken erfährt. Ohne Arbeit hätte sich die heutige Gesellschaft niemals konstituieren und entwickeln können. Ohne Arbeit keine Veränderung, keine Evolution, keine Innovation – ja weiter gedacht: – ohne Arbeit keine Gesellschaft. Der Begriff Arbeit kann in diesem Zu-

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sammenhang logischerweise nicht nur mit bezahlter Arbeit, also Erwerbsarbeit, in Verbindung gebracht werden, sondern rekurriert vielmehr auf Tätigkeiten verschiedenster Art, welche erst Entwicklung ermöglichen. Ob man in einem Unternehmen, im Haushalt, im Bekanntenkreis oder körperlich bzw. geistig arbeitet – all solche Aktivitäten favorisieren auf verschiedenste Art und Weise Evolution und sind potentiell dazu in der Lage, die Gesellschaft voranzutreiben und in ihrer ständigen Weiterentwicklung formgebend zu transformieren. Jegliche Form von Arbeit transzendiert über ihre enge Betrachtungsmöglichkeit hinaus in verschiedenste Bereiche und Nischen der Gesellschaft. Im Gegensatz dazu bewegt Geld allein nichts. Es ist nichts anderes als ein Medium. Genau so gut könnte man Muscheln mit symbolischem Wertgehalt versehen oder Steine oder sonst was. Arbeit heißt Veränderung und Innovation, Geld heißt – eigentlich nichts Anderes als Geld. Dementsprechend kann Geld die Welt nicht regieren. Geld tut gar nichts. Verschwendung, dem Begriff per se in diesem Artikel mehr Platz zu widmen. Geld ist Geld. Gerade jedoch aus diesem Grunde ist aber die seit langer Zeit praktizierte Huldigung des Fetisch Geld seitens der Gesellschaft als höchst problematisch zu beurteilen. Moneyismus als Weltreligion, Verehrung eines Symbols – Tendenzen, welche bei genau-

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erer Analyse signifikante Parallelen zu Bestrebungen höchst umstrittener Sekten aufweisen. Steht die Gesellschaft vor dem Abgrund? Naht die Apokalypse?

Gedanken, die aller Wahrscheinlichkeit zu weit gehen, doch regen sie wenigstens zum Nachdenken, zum kritischen Reflektieren der eigenen Handlungen an. Bedarf es angesichts der Bedeutung von Arbeit nicht einer Umorientierung – einer Huldigung der Arbeit als solcher? Sie, im bereits erwähnten breiten und weit gehenden Begriffsverständnis, ist es, die das Leben lebenswert macht und auch wertvolle Lebensumstände zu schaffen in der Lage ist. Dazu bedarf es jedoch eines weltweiten Umdenkens, weg von der absoluten Profitmaximierung, hin zu einer moralischen und ethischen Wertorientierung, welche es in weiterer Folge erst ermöglicht, Arbeit wieder ins Zentrum der Gesellschaft zu rücken und Geld auf das zu reduzieren, was es eigentlich ist – eine Simplifizierung ökonomischer Tauschtransaktionen. Eine Möglichkeit des Vergleichs verschiedenster Arbeiten, wobei sich diese Vergleichbarkeit implizit jedoch nur

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auf Erwerbsarbeiten bezieht und andere Arbeitsformen außen vorlässt. Globale Entwicklungen (wie Klimaveränderungen, Verlagerungen der produktiven Bereiche nach China etc.) fordern geradezu eine fundamentale Umorientierung, eine Befreiung von der sich selbst auferlegten Geldknechtung, einen besseren Weg, für viele von uns – einen Ausweg. Schon Johann Wolfgang von Goethe sprach indirekt von solch einem Ausweg als er schrieb: „Willst dich an der Welt erfreuen, musst der Welt du Sinn verleihen.“ Dieser Sinn kann niemals Geld sein. Vielmehr liegt er in Werten, welche in der heutigen Gesellschaft wieder zunehmend an Bedeutung gewinnen und auch in der Wissenschaft immer wieder thematisiert werden (Wiswede 1991). Es ist zu konstatieren, dass überall ein Verlangen nach Werten zu spüren ist. Eine ratlose, bisher unreflektierend an Geld glaubende Gesellschaft sucht gewissermaßen nach Orientierung (Hahne 2003). Aber auch Werte an und für sich stehen in der Gesellschaft in einem eigenwilligen Spannungsfeld. So wird auf der einen Seite nach Werten gerufen, auf der anderen Seite werden dieselben jedoch oftmals als Einschränkung der Freiheit erlebt und verstanden (Kößmann 2003). Trotz alledem ist Gewissen auf alle Fälle als eine Realität zu sehen, obwohl der Begriff unklar und dementsprechend umstritten ist (Ruthe 2003). Im Speziellen Werte und Wirtschaft (im engeren Sinne

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auch Werte und Geld) haben oftmals ein Verhältnis von Distanz und Nähe – ja werden oftmals gar als Widerspruch tituliert (Karmasin 1996). So werden Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung und Rechenschaftspflicht hoch gehalten; auf der anderen Seite sind gerade auch die massive Verfolgung von Eigeninteressen ebenso wie Eitelkeit, Arroganz, Geiz auf den ersten oberflächlichen Blick Grundlage für Wirtschaftswachstum und erfolgreiches Wirtschaften (Kößmann 2003). Aber gerade heute rücken Werte auf Höhe des ökonomisch Vernünftigen und betriebswirtschaftlicher Kennzahlen (Then 2003) und sind durchaus bedeutende Erfolgsfaktoren (Karmasin 1996). Solch ein wertorientierter, langfristiger Horizont darf nicht zugunsten kurzfristiger monetärer Ziele geopfert werden (Schirmer-Mosset 2003). Jack Welch, der ehemalige CEO des USamerikanischen Konzerns General Electric machte folgende Aussage, die zum Nachdenken anregt, besonders anbetracht der Tatsache, dass Welch einer der bekanntesten und besten Manager aller Zeiten war: „The central fact is that we are a company of deeply held values, just a total commitment to integrity.“ (Jack Welch zit. nach Schirmer-Mosset 2003) Arbeit verschiedenster Art ist als ein gesellschaftlicher Wert von höchster Relevanz zu sehen (Kellermann 1990); Geld hingegen als jener, welchem die höchste Aufmerksam-

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keit geschenkt wird. Freilich werden mit Arbeit vornehmlich negative Termini wie Mühe, Zwang, Stress und so weiter assoziiert, während Geld in der Gesellschaft auf einer konnotativen Ebene Luxus, Macht und Ähnliches bedeutet. Den Konsequenzen dieser Einstellungen und Denkhaltungen scheint man sich jedoch nicht bewusst zu sein – wer hat schon näher über diese kritisch reflektiert? Wenige – ansonsten könnte man den Moneyismus nicht als eine globale Religion darstellen! Moneyismus steht unmittelbar mit egoistischen Motiven in Verbindung – mit dem menschlichen SchweineHund (Rieckmann 2005). Dieser ist in allen gesellschaftlichen Systemen in unterschiedlichen Manifestationen zu finden und steht positiven Entwicklungen allzu oft im Wege. Als Basis dieser Problematik lassen sich namentlich Angst und Leere nennen. Im Kern entsteht eine noch undefinierte Angst, weil wir wissen, dass wir sterblich sind. Hieraus ergeben sich Ängste verschiedenster Art. Die Leere hingegen strebt nach Erfüllung und Befriedigung und mündet in viel zu viel Gier. Auf den ersten Blick scheint der menschliche SchweineHund dazu in der Lage zu sein, das Leben allumfassend zu erfüllen. Er versucht, unter dem Deckmantel

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tugendhaft wirkender Aktionen an Gewalt und Macht zu kommen; fortwährend darauf bedacht, darüber hinaus noch Zustimmung zu seinem Handeln zu finden. Die Palette an Taktiken, Verhaltensweisen und Reaktionsmustern ist vielfältig, stets getrieben von den Mechanismen Angst und Leere. Geld scheint aus einer kurzfristigen Perspektive in der Lage zu sein, Angst einzudämmen und die Verwirklichung eines persönlichen Lebenssinns zu fördern. Auch aus diesem Grunde wird in unserer neokapitalistischen Zeit Geld gehuldigt – der Moneyismus angewandt gelebt. Hier wird die Befriedigung existenzieller Fragen an der Oberfläche gesucht; der Schein gepriesen. Man wähnt sich in falscher Sicherheit und erfreut sich an sinnlosem Sinn. Nachhaltige Erfüllung des Sinns und Bewältigung der Angst werden nicht gesucht, ganz den aktuellen Denkhaltungen folgend, welche ein wahres Bemühen erschweren und den Blick trüben. Etwas provokant formulierend ließe sich sogar behaupten, dass die meisten Moneyismus-Jünger einen tieferen Sinn gar nicht finden wollen, sich ganz der falschen Sicherheit und der falschen Befriedigung ”Geld“ hingebend.

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Aber gerade Nachhaltigkeit ist von großer Relevanz. So ist dieser Begriff weder in Kombination mit Werten (Walter 2003) noch in Verbindung mit Arbeit zu vernachlässigen. Die Wirtschaft ist ein weit komplexerer Zusammenhang, dem sich Menschen in der Gesellschaft permanent stellen müssen. So gibt es auch keine einfachen Kategorien, um Erfolg zu messen (Leibinger 2003), der zweifelsohne nicht immer ein wirtschaftlicher sein muss und dies vor allem in Anbetracht eines weiteren Begriffs von Arbeit. „Aber gibt es einen gemeinsamen Nenner, ein gemeinsames Charakteristikum, das alle, die Erfolg haben, eint? Sozusagen eine ‘geistige Rotationsachse’, an der sich der Erfolg jeweils spiegelt? Alle – Architekt und Komponist, Lehrer und Unternehmer oder junge Mutter – die Erfolg haben, haben wohl eines gemeinsam: Sie betreiben eine Sache mit Hingabe. Sie sind von ihrer Aufgabe bewegt, und deshalb können sie etwas bewegen.“ (Leibinger 2003) Arbeit ist dazu in der Lage, einen tieferen und weiter gehenden Sinn zu

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vermitteln als Geld dies je könnte. Dieser Sinn ist ein nachhaltiger, da er dazu geeignet ist, eine wünschenswerte Evolution der Gesellschaft zu forcieren. Gesellschaftliche Entwicklungen sind seit jeher zu einem bedeutenden Maß von Arbeit mitgetragen, wenn nicht gar oftmals exklusiv durch Arbeit gestaltet. Ohne Arbeit gäbe es nicht die Gesellschaft in ihrer derzeitigen Ausprägungsform. Ja darüber hinaus, allen MoneyismusJüngern zum Trotz, ohne Arbeit gäbe es auch kein Geld. Dies nicht aus dem Grunde, dass Arbeit eine wichtige Form zur Generierung von Lohn und dementsprechend Geld ist, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, dass Geld eine Resultante immer komplexerer Arbeitsteilungsprozesse in der Gesellschaft ist und Tauschtransaktionen erleichtert. „Werte wirken wie die Wurzeln eines Baumes, die Wind und Wetter standhalten.“ (Then 2003) Werte werden durch Menschen definiert und gelebt und genau auf diese kommt es an. Folglich bedarf es einer kritischen Reflexion aktueller Verhaltensweisen und einer fundamentalen Umorientierung – einer nicht wirtschaftlich finanziellen, sondern vielmehr sozialen und kulturellen Abwertung des Fetisch Geld sowie einer Stärkung aller möglichen Formen von Arbeit. Arbeit muss wieder eine neue Qualität erhalten (Kellermann 1979) und dies nicht nur hinsichtlich ideologischer Dimensionen, sondern allumfassend, beginnend mit einem neuen Verständnis

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sowie einer integrierten gesellschaftlichen Verankerung in allen sozialen Subsystemen. Nur so ist eine (überlebens)würdige Gesellschaft erhaltbar oder – bewusst provozierend und auch appellierend formuliert – wieder schaffbar! Und sind nicht die Sicherung und Verbesserung der menschlichen Gesellschaft das einzig wahre, human erstrebenswerte Idealziel? Quellenverzeichnis Hahne, Peter (2003): Orientierung gewinnen. In: Knoblauch/Marquardt: 9-12 Karmasin, Mathias (1996): Ethik als Gewinn. Zur ethischen Rekonstruktion der Ökonomie. Konzept und Perspektiven von Wirtschaftsethik, Unternehmensethik, Führungsethik. Wien: Linde Kellermann, Paul (1979): Soziologische Aspekte der Arbeitsmarktpolitik. In: Gehmacher, Ernst (Hg.): Die außerökonomischen Aspekte der Arbeitsmarktpolitik. Wien: IFES-Eigenverlag; Nachdrucke Reinbek bei Hamburg: Rowolth Taschenbuch Verlag 1980; Klagenfurt: Kärntner Druckund Verlagsanstalt 1981 Kellermann, Paul (1990): Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und die Ideologie des Geldes. Steuerungsprobleme einer wertgebundenen Rationalität. In: Scheuringer, Brunhilde (Hg.): Wertorientierung und Zweckrationalität. Friedrich Fürstenberg zum 60. Geburtstag. Opladen: Leske+ Budrich: 93-107

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Kellermann, Paul (2006): Arbeit – Geld – Gesellschaft. Proseminar an der AlpenAdria Universität Klagenfurt im WS 2006/07 Knoblauch, Jörg/Marquardt, Horst (Hg.) (2003): Werte haben Zukunft. Konzepte christlicher Führungskräfte. Basel: Brunnen Verlag Gießen Kößmann, Margot (2003): Mit Werten in Führung gehen. In: Knoblauch/Marquardt: 13-20 Leibinger, Berthold (2003): Macht Glaube erfolgreich. In: Knoblauch/Marquardt: 4554 Rieckmann, Heijo (2005): Managen und Führen am Rande des dritten Jahrtausends. Praktisches, Theoretisches, Bedenkliches. 3., durchgesehene Auflage. Frankfurt am Main: Peter Lang Ruthe, Reinhold (2003): Lebensstil und Persönlichkeitsbildung – die Arbeit am Charakter. In: Knoblauch/Marquardt: 33-44 Schirmer-Mosset, Elisabeth (2003): Dynamik bis zum Crash? In: Knoblauch/Marquardt: 55-65 Then, Werner (2003): Menschenwürde, christliche Werte und soziale Marktwirtschaft. In: Knoblauch/Marquardt: 207-222 Walter, Norbert (2003): Menschenwert kontra Börsenwert. In: Knoblauch/Marquardt: 223-232 Wiswede, Günter (1991): Der neue Konsument im Lichte des Wertewandels. In: Szallies, Rüdiger/Wiswede, Günter (Hg.): Wertewandel und Konsum. Fakten, Perspektiven und Szenarien für Markt und Marketing. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Landsberg/Lech: Moderne Industrie: 11-40

Verzeichnis der Autoren (w/m)

Arno Bammé, Prof., Universität Klagenfurt; studierte Soziologie, Ökonomie und Pädagogik an der FU Berlin (Dipl.-Hdl., Dipl.-Soziol.), Promotion an der TU Berlin (Dr. phil.) Ausgewählte Publikationen: Science Wars. Von der akademischen zur postakademischen Wissenschaft. Frankfurt am Main und New York: Campus 2004 | Gesellschaft (re-) interpretieren. München und Wien: Profil 2004 | Die Neuordnung des Sozialen durch Technologie. Marburg: Metropolis 2007 E-Mail: [email protected] Reinhard Blomert, Dr. habil.; studierte Sprachen, Geschichte, Volkswirtschaft, Jura und Soziologie in Heidelberg und Berlin Ausgewählte Publikationen: "Psyche und Zivilisation. Zur theoretischen Konstruktion bei Norbert Elias". Münster: Lit Verlag: 1989; 21991 | "Intellektuelle im Aufbruch. Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit". München: Hanser Verlag 1999 | "Die Habgierigen. Firmenpiraten Börsenmanipulation: Kapitalismus außer Kontrolle". München: Antje Kunstmann Verlag 2003 | "John Maynard Keynes". Hamburg: rororo Monographie Rowohlt Verlag 2007 E-Mail: [email protected] Reinhard Deutsch, Gastdozent, Universität Witten/Herdecke, Landesbeauftragter zur Gründung der Carinthischen Musikakademie; studierte Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften an der Universität Wien Ausgewählte Publikationen: Maria Theresia - Die Geschichte einer Frau. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1980 | mit Patrick Brogan: Die Unruhe der Welt - Handbuch der Bürgerkriege. Wien: Paul Zsolnay 1990 | Buddy Holly. Köln: Hartmann und Stauffacher 1993 | Kunst im Angesicht des Todes - Musik in Theresienstadt. Zürich: Peter Lang 2007 E-mail: [email protected] Christoph Deutschmann, Prof., Universität Tübingen; studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Frankfurt/Main; Diplom 1973, Promotion 1975, Habilitation 1987 an der Universität Frankfurt/Main Ausgewählte Publikationen: Der Weg zum Normalarbeitstag. Die Entwicklung der Arbeitszeiten in der deutschen Industrie bis 1918. Frankfurt/M: Campus Verlag 1985 | Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus. Frankfurt/M: Campus Verlag 1999; 22001 | Postindustrielle Industriesoziologie. Theoretische Grundlagen, Arbeitsverhältnisse und soziale Identitäten: Weinheim/München: Juventa 2002 E-Mail: [email protected] Friedrich Fürstenberg, Prof. em., Universität Bonn; studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Tübingen; 1951 Diplomvolkswirt (Tübingen), 1953 Dr. rer. pol. (Tübingen), 1962 Habilitation für Soziologie (Erlangen) Ausgewählte Publikationen: Wirtschaftssoziologie (1961, ²1970). Berlin: de Gruyter Verlag | Soziale Handlungsfelder. Strukturen und Orientierungen (1995). Opladen: Leske + Budrich | Wunschwelten und Systemzwänge. Handlungsorientierungen im Kulturzusammenhang. Münster: LIT Vlg. 2004 E-Mail: [email protected]

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Verzeichnis der Autoren

Aldo Haesler, Prof., Universität Caen; studierte Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie in St. Gallen (HSG) und Strassburg, Dr.oec.HSG (1983), PD für Soziologie/Anthropologie 1991 (Lausanne), Habilitation 2001 (Caen) Ausgewählte Publikationen: Sociologie de l'argent et postmodernité. Genf/Paris: Droz 1995 | Irreflexive Moderne. Die Folgen der Dematerialisierung des Geldes aus der Sicht der tauschtheoretischen Soziologie. Leviathan, N. 21/2001: 177-200 | Relation. Zur Einübung in einen Begriff eines zukünftigen kritischen Interaktionismus. Moebius, S./Papilloud, C. (Hg.): Gift. Marcel Mauss Kulturtheorie der Gabe. Wiesbaden 2006: 313-342 E-Mail: [email protected] Peter Heintel, Prof., Universität Klagenfurt; studierte in Wien Mathematik, Physik, Philosophie, Pädagogik und Germanistik; 1963 Dr. Phil., 1968 Habilitation für Philosophie, 1973 Habilitation für Gruppendynamik Ausgewählte Publikationen: Innehalten. Gegen die Beschleunigung - für eine andere Zeitkultur. Freiburg 1999; 22000; 32000; 42002 | mit Willi Berger: Die Organisation der Philosophen. Frankfurt 1998 | mit Ewald Krainz: Projektmanagement. Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? Wiesbaden 1988; 21990; 31994; Nachdruck 1996; 42000 E-Mail: [email protected] Ronald Ivancic, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft (2006 Mag. phil.), Beginn des Doktoratsstudiums der Philosophie, Betriebswirtschaft und Angewandten Kulturwissenschaft 2006, 11. Studiensemester, Universität Klagenfurt Paul Kellermann, Prof. em., Universität Klagenfurt; studierte Sozial- und Staatswissenschaften, 1963 Dipl.Soziol. (Frankfurt), 1966 Dr.oec.publ. (München), 1972 Habilitation für Allgemeine Soziologie (Konstanz) Ausgewählte Publikationen: Kritik einer Soziologie der Ordnung. Freiburg: Rombach Verlag 1967 | Bildung und gesellschaftliche Entwicklung. Wien/München: Verlag Jugend und Volk 1976 | Gesellschaftlich erforderliche Arbeit und Geld. Klagenfurt: Kärntner Druck- und Verlagsanstalt 1991 E-Mail: [email protected] Erich Kitzmüller, Hon. Prof., Universität Klagenfurt; studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Graz, 1955 Promotion zum Doctor iuris Ausgewählte Publikationen: Gewalteskalation oder neues Teilen. Thaur: Druck- und Verlagsanstalt 1996 | Entsinnlichte Bereicherung. Der aktuelle Umgang mit Geld, in: Gerschlager/Paul-Horn (Hg.): Gestaltung des Geldes. Marburg: Metropolis 2000 | Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte (zusammen mit Herwig Büchele).Wien: Lit Verlag 2005 E-Mail: [email protected] Dietrich Kropfberger, Prof., Universität Klagenfurt; studierte Betriebswirtschaftslehre in Linz; 1970 Mag. der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 1974 Dr. der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 1984 Habilitation für Betriebswirtschaftslehre Ausgewählte Publikationen: Erfolgsmanagement statt Krisenmanagement. Linz 1986 | mit Mussnig, W.: Eitelkeit als Ursache für Verschwendung und Cash-flow-Vernichtung, in: Krainz, E./Groß, H. (Hg.): Eitelkeit im Management, 1998: 17-44 | mit Mödritscher, G.: Psychologie der Krise, in: Feldbauer-Durstmüller, B./Schlager, J. (Hg.): Krisenmanagement. Wien 2007: 251-274 E-Mail: [email protected]

Verzeichnis der Autoren

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Ingeburg Lachaussée, Professeur und Dozentin am Institut d' Etudes Politiques (Paris); studierte Philosophie und Germanistik (Paris, Sorbonne), Agrégé d'allemand / Thèse (Doktorarbeit) Paris IVSorbonne: Georg Simmel: argent et philosophie Ausgewählte Publikationen: Europe: lieux communs (in Zusammenarbeit mit Brigitte Krulic) Paris: Autrement 2003 | Individuum und Soziales in der Demokratie, in Tönnies-Forum, 1+2/2006, 15. Jahrgang: 315-331) | L'expérience de la durée (in Zusammenarbeit mit Gérard Wormser) Lyon: Parangon/Sens Public 2006 E-Mail: [email protected] Regina Lackner, Bilanzbuchhalterin, Diplomstudium der Angewandten Betriebswirtschaftslehre, 5. Studiensemester, Universität Klagenfurt Roland Mittermeir, Prof., Universität Klagenfurt; studierte an der Hochschule für Welthandel bzw. Wirtschaftsuniversität Wien, 1970 Mag. der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 1978 Dr. der Sozial und Wirtschaftswissenschaften; Technische Universität Wien, 1974 DI in Informatik, 1982 Habilitation in Angewandter Informatik Ausgewählte Publikationen: with Mili A./Mili R.: A Survey of Software Reuse Libraries; Annals of Software Engineering, Vol. 5, 1998: 349-414 | with Oppitz M.: Software Bases for the Flexible Composition of Application Systems; IEEE-Transactions on Software Engineering, Vol. SE-13/No. 4, April 1987: 440-460 | with Hsia P./Yeh R. T.: Alternatives to Overcome the Communications Problem of Formal Requirements Analysis, in: Robert D. Galliers (ed): Information Analysis: Selected Readings, Addison-Wesley Publ. 1987: 153-165 | with Clermont M.: Finding High-Level Structures in Spreadsheet Programs, Proc. 9th Working Conference on Reverse Engineering, WCRE 2002, IEEE-CS: 221-233 E-Mail: [email protected] Gerd Nollmann, Vertretungsprofessur, Universität Münster; studierte Sozialwissenschaften, Anglistik und Philosophie in Münster, 1997 Promotion; 2005 Habilitation an der Universität DuisburgEssen Ausgewählte Publikationen: Die stille Umverteilung. Budgetierung als Transmissionsriemen für die Verschärfung von Einkommensungleichheit, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55, 2003/3 | Erhöht Globalisierung die Ungleichheit der Einkommen? Determinanten von Einkommensverteilungen in 16 OECD-Ländern 1967-2000, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58, 2006/4 | Max Webers Vergleich von Rechts- und Sozialwissenschaft. Die Entwicklung seiner Kausalitätstheorie und deren Konsequenzen für Kausalaussagen in der Sozialforschung, in: ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1, 2006 E-Mail: [email protected] Guido Offermanns, Assistenzprof., Universität Klagenfurt; studierte an den Universitäten Köln und Bielefeld, Dipl.-Kfm. Dr. PH (Public Health) Ausgewählte Publikationen: Die zukünftige Rolle der Health Professionals aus der Sicht der Betriebswirtschafts- und Managementlehre, in: Pundt, Johanne (Hg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen. Bern 2006: 36-60 | Integriertes Personal-Controlling im Krankenhaus. Heidelberg 2005 | Interdisziplinäre Zusammenarbeit im Krankenhaus braucht ein modernes Personalmanagement, in: Public Health Forum, Vol. 9, 2004: 25-27 E-Mail: [email protected] Arthur Pitman, 2003 BSc University of Tasmania/Australia; Bachelorstudium Informatik, 6. Studiensemester, Universität Klagenfurt

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Verzeichnis der Autoren

Stephan Schulmeister, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO); studierte Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien, Dr. iur. 1970, Mag. rer.soc.oec. 1972 Ausgewählte Publikationen: „Globalization without global money: the double role of the dollar as national currency and as world currency“, Journal of Post Keynesian Economics, 2000, 22(3): 365395 | “Der Finanzkapitalismus, die Wachstumskrise und das Europäische Modell“ in Hein, E./Heise, A./Truger (Hg.): Finanzpolitik in der Kontroverse. Marburg: Metropolis Verlag 2004: 23-69 | “The Interaction between Technical Currency Trading and Exchange Rate Fluctuations”, Finance Research Letters 3, 2006: 212-233 E-Mail: [email protected] Raphael Spatzek, Studium der Publizistik und Deutschen Philologie, 5. Studiensemester, Universität Klagenfurt Johannes Theuermann, Diplomstudium Informatik, 10. Studiensemester, Universität Klagenfurt Stefan Urabl, Studium der Informatik, 7. Studiensemester, Universität Klagenfurt Sabine Urnik, Prof., Universität Salzburg; studierte Angewandte Betriebswirtschaftslehre in Klagenfurt, 1991 Mag.a der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 1995 Dr.in der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 2001 Habilitation für Betriebswirtschaftlehre Ausgewählte Publikationen: Die Neukonzeption der österreichischen Erbschaftssteuer im Spannungsfeld zwischen dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit, dem Ziel der Vereinfachung des Steuerrechts und dem Aspekt der Entscheidungsneutralität. Wien: LexisnexisVerlag ARD Orac 2002 | mit Kofler/Kanduth-Kristen (Hg.): Handbuch der österreichischen Steuerlehre. Band I, Teilband 1, Wien: LexisnexisVerlag ARD Orac 2006 | mit Kofler (Hg): Handbuch der österreichischen Steuerlehre. Band I, Teilband 2, Wien: LexisnexisVerlag ARD Orac 2005 | mit Fritz-Schmied: Steueroptimierung bei der Übertragung von Einzelunternehmen und Gesellschaftsanteilen nach der Steuerreform 2005. Wien: LexisnexisVerlag ARD Orac 2006 E-Mail: [email protected] Daniel Wutti, Studium der Publizistik und Psychologie, 3. Studiensemester, Universität Klagenfurt