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German Pages 275 Year 2008
Klaus Brummer Der Europarat
Klaus Brummer
Der Europarat Eine Einführung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15710-8
Für Cedric
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis (inkl. Tabellen)
11
Abkürzungsverzeichnis
13
Einleitung
17
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
21 21 24 27 30 32
Die Entwicklung des Europarats Gründung Westeuropäischer Club Erweiterung Zwischen Konsolidierung und Aufweichung Literaturhinweise
2 Ministerkomitee 2.1 Struktur 2.1.1 Ministerkomitee (Außenminister) Beispiel: 117. Treffen des Ministerkomitees 2.1.2 Komitee der Ministerbeauftragten Beispiel: 1000. Sitzung des Komitees der Ministerbeauftragten 2.1.3 Ausschüsse des Ministerkomitees Beispiel: Lenkungsausschuss für Kommunale und Regionale Demokratie 2.1.4 Untereinheiten des Komitees der Ministerbeauftragten Beispiel: Berichterstattergruppe Demokratie 2.1.5 Gipfeltreffen Beispiel: Forum für die Zukunft der Demokratie 2.1.6 Fachministerkonferenzen Beispiel: 27. Konferenz der Europäischen Justizminister 2.2 Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm Beispiel: Handlungsstrang ‚Einhaltung der Standards in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit’ 2.3 Instrumente 2.3.1 Konventionen und Abkommen 2.3.2 Empfehlungen 2.3.3 Resolutionen 2.3.4 Deklarationen 2.4 Entscheidungsfindung 2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee 2.5.1 Monitoring-Deklaration Beispiel: Anwendung von Art. 1 der Monitoring-Deklaration gegenüber Russland Beispiel: Anwendung von Art. 4 der Monitoring-Deklaration
33 33 35 36 37 40 40 42 43 45 47 53 55 58 59 61 62 62 66 67 69 70 72 74 75 76
8
Inhaltsverzeichnis
2.5.2 Thematisches Monitoring 2.5.3 Länderspezifisches Post-Accession-Monitoring Beispiel: Post-Accession-Monitoring gegenüber Bosnien und Herzegowina 2.6 Suspendierung und Ausschluss eines Staates Beispiel: Austritt Griechenlands aus dem Europarat 2.7 Zusammenspiel mit der Parlamentarischen Versammlung 2.8 Fazit 2.9 Literaturhinweise 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
3.8 3.9 4 4.1 4.2 4.3
4.4 4.5 5 5.1 5.2 5.3
5.4 5.5
78 80 80 81 82 85 87 92
Parlamentarische Versammlung Zusammensetzung Beispiel: Entzug des Sondergaststatus von Belarus Politische Gruppen Präsident, Präsidium und Sekretariat Beispiel: Beobachtung der russischen Parlamentswahlen Ausschüsse Funktionen der Versammlung Versammlungsinterne Sanktionsmechanismen Beispiel: Sanktionen gegen die russische Delegation Monitoring durch die Versammlung Beispiel: Der Monitoring-Ausschuss und Liechtenstein Beispiel: Reguläres Monitoring-Verfahren gegenüber Aserbaidschan Beispiel: Post-Monitoring-Dialog mit Mazedonien Beispiel: Periodischer Länderbericht zu Liechtenstein Fazit Literaturhinweise
93 93 95 96 97 99 101 105 108 109 110 113 116 118 119 120 123
Sekretariat Generalsekretär, Stellvertretender Generalsekretär und Beamtenschaft Generaldirektorate und Direktorate Monitoring durch den Generalsekretär Beispiel: Nutzung von Art. 52 EMRK durch den Generalsekretär gegenüber Russland Fazit Literaturhinweise
125 125 131 136
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Entstehung und Entwicklung Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden Beispiel: Staatenbeschwerde Georgiens gegen Russland Reformen des 11. Protokolls Beispiel: Urteil der Großen Kammer in der Rechtssache ‚Jahn und andere gegen Deutschland’ (Neubauern-Urteil) Reformen des 14. Protokolls Die aktuelle Reformdebatte
137 138 141 143 143 149 150 152 159 162 165
Inhaltsverzeichnis
9
5.6 5.7
Fazit Literaturhinweise
169 175
6 6.1 6.2
Kongress der Gemeinden und Regionen Entstehung und Entwicklung Zusammensetzung, Strukturen und Instrumente Beispiel: 14. Plenarsitzung des Kongresses Monitoring, Wahlbeobachtungen, Unterstützungsprogramme Beispiel: Monitoring der kommunalen Demokratie in Mazedonien Beispiel: Wahlbeobachtungen im Kosovo Fazit Beispiel: Die Reform des Kongresses – Kongress ‚versus’ Ministerkomitee? Literaturhinweise
177 177 178 183 185 186 188 189 190 192
Menschenrechtskommissar Entstehungshintergrund Ernennung Aufgaben und Instrumente Beispiel: Besuche in Tschetschenien Beispiel: Besuch in Deutschland Fazit Literaturhinweise
193 193 193 194 196 198 199 203
Antifolterausschuss Grundlagen Zusammensetzung und Aufgaben Besuche Beispiel: Besuche in Mazedonien Beispiel: Mitteilung der Beobachtungen noch vor Ort gegenüber Deutschland Öffentliche Erklärungen Beispiel: Öffentliche Erklärungen gegenüber Russland Fazit Beispiel: Schließung des Castlereagh Holding Centre Literaturhinweise
205 205 206 207 208
6.3
6.4 6.5 7 7.1 7.2 7.3
7.4 7.5 8 8.1 8.2 8.3
8.4 8.5 8.6
209 209 210 213 214 214
9.3 9.4
Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz Grundlagen Aufgaben, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Instrumente Beispiel: Dritter Bericht über Deutschland Fazit Literaturhinweise
215 215 216 217 219 220
10 10.1
Venedig-Kommission Grundlagen und Zusammensetzung
221 221
9 9.1 9.2
10 10.2
10.3 10.4 11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.2
11.3 11.4 11.5 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5
Inhaltsverzeichnis Aufgaben Beispiel: Stellungnahme zur Verfassung Serbiens Beispiel: Stellungnahme zu Ergänzungen des albanischen Wahlgesetzes Fazit Beispiel: Stellungnahme zu Geheimgefängnissen und Gefangenentransporten Literaturhinweise
222 223 224 225 225 227
Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen Europarat und Europäische Union Grundlagen der Beziehungen Zusammenarbeit in der Praxis Beispiel: 23. Quadripartite-Treffen zwischen Europarat und EU Europarat und OSZE Beispiel: Gemeinsame Wahlbeobachtungen von Europarat und OSZE Beispiel: 16. Hochrangiges Treffen zwischen Europarat und OSZE Beispiel: 15. Tripartite-Plus-Treffen zwischen Europarat, OSZE und UNO Europarat und UNO Fazit Beispiel: Europarat, EU und die Einrichtung der EU-Grundrechteagentur Literaturhinweise
229 230 230 233 234 237 238 239 241 242 243 244 245
Interaktion mit NGOs Teilnehmerstatus für internationale NGOs Konferenz der internationalen NGOs Beispiel: Die Sitzungen der INGO-Konferenz im Jahr 2007 Partnerschaftsstatus für nationale NGOs Fazit Literaturhinweise
247 247 249 249 252 252 254
Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
255
Dokumentenverzeichnis
263
Literaturverzeichnis
279
Abbildungsverzeichnis (inkl. Tabellen)
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3:
Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32:
Institutionen des Europarats Entwicklungsphasen des Europarats Die Mitgliedstaaten des Europarats (Beitritt zur Organisation, Ratifizierung der EMRK, Sitze in der Parlamentarischen Versammlung) Die Ebenen des Ministerkomitees Vorsitz im Ministerkomitee Mai 2005 bis Mai 2010 Treffen des KMB Tagesordnungspunkte (TOP) des KMB Lenkungsausschüsse des Ministerkomitees (Auswahl) Untereinheiten des KMB Sitzungen der Untereinheiten des KMB Die Gipfeltreffen des Europarats Fachministerkonferenzen 2006/2007 Arbeitsprogramm 2006 Konventionen und Abkommen des Europarats (Auswahl) Abstimmungen im Ministerkomitee Beitritt der größten Beitragszahler zu Europaratsverträgen Politische Gruppen in der Parlamentarischen Versammlung Struktur des Sekretariats der Parlamentarischen Versammlung Ausschüsse der Parlamentarischen Versammlung Dokumente der Parlamentarischen Versammlung Erster ‚Drei-Jahres-Zyklus’ der regelmäßigen Länderberichte des Monitoring-Ausschusses Laufende Monitoring-Verfahren der Versammlung Die Generalsekretäre des Europarats Die Stellvertretenden Generalsekretäre des Europarats Die Struktur des Sekretariats des Europarats Informationsbüros und Field Offices des Europarats Abschnitt I (Rechte und Freiheiten) der EMRK Protokolle zur EMRK Entwicklung der Individualbeschwerden Behandlung einer Individualbeschwerde vor dem EGMR (vereinfachte Darstellung) Entwicklung von Individualbeschwerden und EGMR-Haushalt Untersuchungsreisen des Menschenrechtskommissars (2006)
19 21
28 34 36 39 39 41 44 45 48 57 60 63 70 89 97 101 102 107 114 116 126 129 132 133 144 147 151 156 171 196
12 Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40:
Abbildungsverzeichnis (inkl. Tabellen) Dokumente des Menschenrechtskommissars Entwicklung des Budgets des Menschenrechtskommissars Besuche des Antifolterausschusses (2007) Besuche des Antifolterausschusses im Nordkaukasus und öffentliche Erklärungen gegenüber Russland Wegmarken der Entwicklung der Europarat-EU-Beziehungen Quadripartite-Treffen zwischen Europarat und EU Gemeinsame Programme von Europarat und EU (Auswahl) Mitgliedstaaten von Europarat, EU und OSZE
197 202 207 211 230 234 236 237
Abkürzungsverzeichnis
AdR ALDA ALDE CAHAR CDBI CDCJ CDCS CDDH CDED CDEG CDEJ CDMM CDLR CDPC CDSP CEPEJ CIA CJ-FA CL-CEDH CM-SUIVI3 CPT DH-DEV DH-S-TER EBRD ECRI EDG EDQM EG EGMR EGV EMRK ENP ENTO EPP/CD ESA EU
Ausschuss der Regionen Verband der Agenturen für lokale Demokratie Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa Ad-hoc-Expertenausschuss über rechtliche Aspekte des territorialen Asyls, Flüchtlinge und Staatenlose Lenkungsausschuss für Bioethik Europäischer Ausschuss für Rechtliche Zusammenarbeit Lenkungsausschuss für Soziale Kohäsion Lenkungsausschuss für Menschenrechte Lenkungsausschuss für Bildung Lenkungsausschuss für die Gleichstellung von Frauen und Männern Lenkungsausschuss für Jugend Lenkungsausschuss für Massenmedien Lenkungsausschuss für Kommunale und Regionale Demokratie Europäischer Ausschuss für die Probleme der Kriminalität Lenkungsausschuss für Gesundheit Europäische Kommission für die Wirksamkeit der Justiz Central Intelligence Agency Expertenausschuss für Familienrechtsfragen Verbindungsausschuss zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Ausschuss des Ministerkomitees zur Weiterverfolgung der Beschlüsse des dritten Gipfeltreffens Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Antifolterausschuss) Expertengruppe Entwicklung der Menschenrechte Expertengruppe Menschenrechte und Kampf gegen den Terrorismus Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz Europäische Demokratische Gruppe Europäisches Direktorat für die Qualität von Medikamenten und Gesundheitsvorsorge Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Nachbarschaftspolitik Europäisches Netz von Schulungszentren der Gebietskörperschaften Gruppe der Europäischen Volkspartei Europäische Weltraumorganisation Europäische Union
14 EuGH EUMC EUR-OPA Euratom EUV EWG FRA GASP GR-AB GR-C GR-DEM GR-EXT GR-EU GR-H GR-J GR-OSZE GR-SOC GRECO GRETA GT-REF.INST GT-SOM3 GT-SUIVI.AGO GUS ICRC ILDG INGO KMB LDA LRCT NALAS NATO NGO ODIHR OECD OSZE SOC TC-EG TC-ENF TC-ID TC-INF TC-LARC
Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Vorbeugung, Schutz- und organisierter Hilfestellung bei Technologie- und Naturkatastrophen Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Agentur der Europäischen Union für Grundrechte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Berichterstattergruppe Verwaltung und Budget Berichterstattergruppe Bildung, Kultur, Sport, Jugend und Umwelt Berichterstattergruppe Demokratie Berichterstattergruppe Auswärtige Beziehungen Berichterstattergruppe Europäische Union Berichterstattergruppe Menschenrechte Berichterstattergruppe Rechtliche Zusammenarbeit Berichterstattergruppe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Berichterstattergruppe Soziales und Gesundheit Staatengruppe gegen Korruption Expertengruppe für die Bekämpfung des Menschenhandels Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu institutionellen Reformen Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des dritten Gipfeltreffens des Europarats Arbeitsgruppe Monitoring Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Internationales Komitee des Roten Kreuzes Gruppe der Unabhängigen und Liberaldemokraten Internationale Nichtregierungsorganisation Komitee der Ministerbeauftragten Agenturen für lokale Demokratie Expertenausschuss über grenzüberschreitende Zusammenarbeit Netzwerk der Gemeindeverbände Südosteuropas Nordatlantikvertrag-Organisation Nichtregierungsorganisation Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Sozialistische Gruppe Themenkoordinator für die Gleichstellung von Frauen und Männern Themenkoordinator für Kinder Themenkoordinator für die Religiöse Dimension des interkulturellen Dialogs Themenkoordinator für Informationspolitik Themenkoordinator für Kommunale und Regionale Zusammenarbeit
Abkürzungsverzeichnis TC-PROG UEL UNHCHR UNHCR UNICEF UNMIK UNO WEU WHO
Themenkoordinator für das Arbeitsprogramm Gruppe der Vereinigten Europäischen Linken Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo Vereinte Nationen Westeuropäische Union Weltgesundheitsorganisation
15
Einleitung
Dem Europarat mangelt es weder an Tradition noch an Mitgliedern. Die 1949 gegründete und somit bald 60-jährige Straßburger Organisation ist die älteste politische Regierungsorganisation Europas. Zugleich hat sich der Europarat seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ‚paneuropäisiert’. Im Jahr 1989 gehörten dem Europarat 23 Staaten an, vornehmlich aus Westeuropa. Heute umfasst die Organisation 47 Staaten aus ganz Europa. Was dem Europarat hingegen fehlt, ist ein breites Bewusstsein unter den europäischen Bürgern für seine Aktivitäten – und mitunter für seine Existenz als solche. Die Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses wird mit der Entwicklung der seit Anfang der 1990er Jahre thematisch wie auch geografisch immer weiter ausgreifenden Europäischen Union (EU) gleichgesetzt. Der Europarat gerät zunehmend in den Schatten der EU. ‚Namensverwirrungen’ zwischen Europarat, Europäischem Rat und Rat der Europäischen Union tun ihr Übriges. Die Zurücksetzung des Europarats spiegelt sich in der weitgehend ausbleibenden wissenschaftlichen Befassung mit der Organisation wider.1 Das gilt gerade für die Politikwissenschaft. Während das Schrifttum zur EU kaum noch zu überschauen ist, findet der Europarat nur wenig Beachtung. Im juristischen Schrifttum ist das Bild positiver. Dort gibt es eine intensive Auseinandersetzung mit dem Europarat. Diese ist jedoch in weiten Teilen einseitig, und zwar durch die Fokussierung auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Leitfragen Dieser Band stellt sich zur Aufgabe, die im (politik-)wissenschaftlichen Schrifttum vorhandene Lücke anzugehen. Das Ziel lautet, eine grundlegende Einführung in die ebenso traditionsreiche wie wenig beachtete Straßburger Organisation zu geben. Zwei Fragen leiten die Ausführungen an. Die erste Leitfrage lautet: Wie funktioniert der Europarat? Zur Beantwortung dieser Frage werden Aufbau und Instrumente der Institutionen des Europarats dargestellt. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf denjenigen Institutionen, die sich der Umsetzung der zentralen Wertetrias des Europarats widmen. Diese Wertetrias besteht aus Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Der Fokus des Bandes stimmt überein mit der eigenen Schwerpunktsetzung des Europarats. Auf dem dritten Gipfeltreffen der Organisation im Mai 2005 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten, dass sämtliche Aktivitäten der Organisation zur Verwirklichung dieser drei Ziele beitragen müssten.2 Bestimmungen, die in Geschäftsordnungen, Verträgen etc. festgelegt werden, sind ein Aspekt, die Anwendung und die Anwendbarkeit der Vorgaben in der Praxis ein anderer. Aus diesem Grund lautet die zweite Leitfrage: Wie arbeitet der Europarat in der Praxis? Diverse Fallbeispiele zeigen die Institutionen des Europarats ‚in Aktion’. Die Bei1
Siehe die ausführlichere Diskussion in Brummer (2005): S. 21-24. In der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens heißt es: „The Council of Europe shall pursue its core objective of preserving and promoting human rights, democracy and the rule of law. All its activities must contribute to this fundamental objective.“ CM (2005) 79 final: Ziff. 1. 2
18
Einleitung
spiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Ziel besteht darin, die Handlungen der verschiedenen Institutionen zu illustrieren. Durch die kombinierte Schilderung von Strukturen und Aktivitäten soll der Europarat greifbar und erfahrbar gemacht werden. Berücksichtigt werden Entwicklungen bis Ende Februar 2008.
Vorgehen Der Band beginnt mit einer einführenden Darstellung der Entwicklung des Europarats (Kap. 1). Anschließend richtet sich der Blick auf das institutionelle Gefüge der Organisation (Abbildung 1). In allen Kapiteln werden Aufgaben und Instrumente wie auch strukturelle bzw. funktionale Defizite der jeweiligen Institution allgemein geschildert sowie anhand von Praxisbeispielen illustriert. Jedes Kapitel endet mit Verweisen auf weiterführende Literatur. Zunächst werden die beiden ‚Hauptorgane’ des Europarats diskutiert: das Ministerkomitee (Kap. 2) und die Parlamentarische Versammlung (Kap. 3). Diese werden unterstützt vom ‚Hilfsorgan’ des Europarats, dem Sekretariat unter Führung des Generalsekretärs des Europarats (Kap. 4). Es folgen die drei ‚institutionellen Partner’ von Ministerkomitee und Versammlung. Dies sind der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Kap. 5), der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats (Kap. 6) und der Menschenrechtskommissar des Europarats (Kap. 7). Um die Handlungsmöglichkeiten des Europarats in seinen zentralen Aufgabenbereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zusätzlich zu veranschaulichen, werden anschließend der Antifolterausschuss (Kap. 8), die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (Kap. 9) und die VenedigKommission (Kap. 10) diskutiert. Die folgenden Kapitel widmen sich der Interaktion des Europarats mit anderen internationalen Akteuren. Zunächst steht das Zusammenspiel mit anderen Regierungsorganisationen im Blickpunkt. Die maßgeblichen Partner des Europarats sind die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Vereinten Nationen (Kap. 11). Es folgt die Darstellung der Zusammenarbeit des Europarats mit internationalen Nichtregierungsorganisationen (Kap. 12). Nachdem in den Kapiteln 2 bis 12 die Potenziale und Defizite der verschiedenen Institutionen des Europarats analysiert wurden, diskutiert das abschließende Kapitel die Zukunftsfähigkeit der ‚Gesamtorganisation Europarat’ (Ausblick).
Einleitung Abbildung 1:
19 Institutionen des Europarats
1 Die Entwicklung des Europarats 1 Die Entwicklung des Europarats
Die Geschichte des Europarats lässt sich in vier Phasen aufteilen: ‚Gründung’ (1946-1949), ‚Westeuropäischer Club’ (1949-1989), ‚Erweiterung’ (1990-1996) sowie ‚Zwischen Konsolidierung und Aufweichung’ (seit 1997) (Abbildung 2). Abbildung 2:
Entwicklungsphasen des Europarats
Phase 1946-1949 Gründung
Wegmarken ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
1949-1989 Westeuropäischer Club ¾
1990-1996 Erweiterung
¾ ¾ ¾ ¾
seit 1997 Zwischen Konsolidierung und Aufweichung
¾ ¾ ¾
Churchills ‚Züricher Rede’ (1946) Haager Kongress (1948) Unterzeichnung der Satzung des Europarats in London (1949) Austritt Griechenlands aus dem Europarat (Dezember 1969); Wiedereintritt 1974 Einrichtung eines Sondergaststatus in der Parlamentarischen Versammlung für die gesetzgebenden Versammlungen der Staaten Mittel- und Osteuropas (Mai 1989) Rede des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (Juli 1989) Beginn des ‚Erweiterungsschubs’ mit dem Beitritt Ungarns (1990) Beitritt von insgesamt 17 Staaten (1990-1996) 1. Europaratsgipfel (1993) Suspendierung des Sondergaststatus von Belarus in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sowie Einfrieren des Aufnahmeantrags (1997) 2. Europaratsgipfel (1997) 3. Europaratsgipfel (2005) Beitritt des 47. Mitgliedstaats: Montenegro (2007)
1.1 Gründung 1.1 Gründung Die Gründung des Europarats verlief alles andere als reibungslos. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung zweier Lager um die richtige Organisation Europas als Antwort auf die Vergangenheit und als Rückversicherung für die Zukunft.1 Zwar teilten beide Seiten das Leitmotiv des ‚Nie wieder’ sowie die Erwartung bzw. Hoffnung, dass die Errichtung einer europäischen Organisation der Vermeidung kriegerischer Auseinandersetzungen und somit der Wahrung des Friedens dienen würde. Umstritten war allerdings, wie die Kooperation in Europa im Allgemeinen und wie eine europäische Organisation im Speziellen aussehen sollte. 1
Vgl. Gasteyger (2001): S. 34-36; Habegger (2005): S. 52-57; Marschall (2005): S. 191-194.
22
1 Die Entwicklung des Europarats
Auf der einen Seite standen die ‚Föderalisten‘, die ihre Ziele im zwölf Thesen umfassenden Hertensteiner Programm2 vom 21. September 1946 festhielten. Darin forderten sie die Errichtung eines europäischen Bundesstaats, für dessen Funktionieren die Mitglieder einen Teil ihrer „wirtschaftlichen, politischen und militärischen Souveränitätsrechte“ an die zu schaffende Föderation – die „Europäische Union“ – übertragen sollten. Diese sollte allen Völkern Europas offenstehen, Deutschland als Teil des zu schaffenden neuen Ganzen eingliedern und den Kontinent insgesamt aus dem Ost-West-Konflikt heraushalten. Durchsetzen konnte sich das andere Lager, die sogenannten ‚Unionisten‘. Deren Konzept unterschied sich von demjenigen der Föderalisten sowohl mit Blick auf die Stellung des Kontinents im Ost-West-Konflikt als auch bezüglich der Art der Organisation Europas. Die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“, wie sie Churchill in seiner Züricher Rede vom 19. September 1946 nannte, war maßgeblich beeinflusst von der kommunistischen Bedrohung. Aus Sicht der Unionisten machte diese Bedrohung ein rasches Zusammengehen der kontinentaleuropäischen Staaten unter Förderung Großbritanniens und vor allem unter dem atomaren Schirm der USA notwendig. Was die Ausgestaltung der Kooperation anbelangt, so stellten sich die Unionisten gegen die von den Föderalisten vertretene progressive Idee, nationalstaatliche Kompetenzen an eine übergeordnete (supranationale) Instanz abzugeben. Die Unionisten bevorzugten stattdessen eine traditionelle zwischenstaatliche (intergouvernementale) Zusammenarbeit. Nationale Souveränitätsrechte sollten weitestgehend unangetastet bleiben. Als Kernstück der Zusammenarbeit wurde eine Partnerschaft zwischen Frankreich und einem wieder etablierten deutschen Nationalstaat gesehen. Insgesamt galt es laut Churchill „to re-create the European Family in a regional structure called, it may be, the United States of Europe. And the first practical step would be to form a Council of Europe.”3 Der erste Schritt auf dem Weg zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ war also die Schaffung eines „Europarats“. Dieser sollte allen europäischen Staaten offenstehen, auch jenen, die zu Beginn nicht beitreten wollten oder konnten. Föderalisten und Unionisten trafen im Mai 1948 während des Haager Kongresses zusammen. Auf dem Kongress versammelten sich rund 700 Vertreter aus Gesellschaft (u. a. Ökonomen, Gewerkschaftsvertreter, Journalisten, Künstler) und westeuropäischen Regierungen. Sein Ziel lautete, die Neuordnung Europas mittels der „Schaffung einer überstaatlichen Organisation“4 zu erreichen. Durchsetzen konnte sich diese – ganz im Sinne der Föderalisten stehende – Forderung allerdings nicht. Zu groß war der Widerstand von Anhängern der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. So einigte man sich schließlich darauf, eine ‚Europäische Versammlung‘ einzuberufen. Diese sollte lediglich Empfehlungen für die Verwirklichung der europäischen Einheit formulieren.5 Angesichts der Machtergreifung der Kommunisten in Prag im Februar 1948 und der allgemein zunehmenden Festigung der kommunistischen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa wurden die Chancen für eine von
2 Das Hertensteiner Programm ist abrufbar unter http://www.europa-union.de/index.php?id=1101 (zuletzt abgerufen am 26.2.2008). 3 Die Rede Churchills ist abrufbar unter http://www.europa-web.de/europa/02wwswww/202histo/churchil.htm (zuletzt abgerufen am 26.2.2008). 4 Diese Forderung stellte Hendrik Brugmans im Eröffnungsreferat am 7.5.1948. Zitiert in Fischer (1990): S. 67. Siehe auch Brugmans (1988). 5 Vgl. Seiler (1995): S. 22-23.
1.1 Gründung
23
beiden Lagern gewollte gesamteuropäische Integration jedoch immer geringer. Die geografischen Grenzen der Kooperation bestimmten sich zusehends von selbst.6 Parallel zu den maßgeblich von politisch orientierten gesellschaftlichen Bewegungen getragenen Aktivitäten rund um den Haager Kongress forcierten auf der zwischenstaatlichen Ebene vor allem die Mitglieder des im März 1948 gegründeten ‚Brüsseler Pakts’ ihre Pläne zur Integration Europas. Die fünf Mitglieder des Pakts waren Frankreich, Großbritannien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Zwar gab es durchaus unterschiedliche Ansichten und Interessen zwischen diesen Staaten. Großbritannien stand jedweder parlamentarischen Versammlung – ungeachtet deren Kompetenzen – ablehnend gegenüber. Die Benelux-Länder und Frankreich befürworteten hingegen die Einrichtung einer Versammlung. Trotz dieser Differenzen konnte um die Jahreswende 1948/49 eine Einigung erzielt werden. Der Kompromiss bestand darin, eine Versammlung einzurichten, ohne diese jedoch mit überstaatlichen Kompetenzen auszustatten. Am 29. Januar 1949 beschloss der Konsultativrat des Brüsseler Pakts die Schaffung eines europäischen Ministerrats und einer Beratenden Versammlung im Rahmen eines ‚Europarats’. Der nächste Schritt war die Einberufung einer Botschafterkonferenz. Diese sollte Rolle und Aufgaben der anvisierten Organisation festlegen. Auf der Konferenz kamen zehn Staaten zusammen: Neben den fünf Mitgliedern des Brüsseler Pakts waren Dänemark, Norwegen, Schweden, Irland und Italien vertreten. Die Diskussionen mündeten in einen Entwurf der Satzung des Europarats. Diese wurde am 5. Mai 1949 in London unterzeichnet (‚Londoner Vertrag’) und trat am 3. August 1949 in Kraft.7 Die Besonderheit des Europarats bestand darin, dass er neben einem zwischenstaatlichen Organ (Ministerkomitee) auch – und erstmals für eine internationale Organisation in Europa – eine parlamentarische Komponente aufweisen sollte. Die Überordnung des Ministerkomitees über die Beratende Versammlung (heute: Parlamentarische Versammlung) stand jedoch außer Frage. Aus diesem Grund war die Enttäuschung aufseiten der Integrationsbefürworter groß angesichts der aus ihrer Sicht unbefriedigenden, weil letztlich doch ‚nur’ traditionell-zwischenstaatlichen Lösung. Exemplarisch zeigt sich der Unmut an der Aussage eines ehemaligen Beamten des Sekretariats des Europarats. Dieser konstatiert: „Zur Welt kam schließlich ein Bastard: eine Versammlung, mit dem Beinamen ‚Beratende‘ geschmückt, der ihre Rechtlosigkeit deutlich machen sollte (...). Sie wurde einem Ministerkomitee unterstellt, das ihr gegenüber omnipotent, gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten aber rechtlos ist, worin eine weitere Sicherung der nationalstaatlichen Souveränität liegt.“8
Neutraler, wenn auch inhaltlich mehr oder minder identisch, äußert sich der französische Politikprofessor Jean-Louis Burban. Dieser bemerkt zu den grundlegenden Kompetenzen des Europarats: „[S]on statut ne lui confère dans les autres domaines [jenseits des Menschenrechtsschutzes in Form der EMRK und des EGMR; KB] que les instruments du droit international classique. C’est une simple coopération interétatique qui est instituée entre les États, très éloignée des formules fédéralistes envisagées par les mouvements européens de l’époque.“9 6
Vgl. Gasteyger (2001): S. 35-36. Siehe z. B. Seiler (1995): S. 23-26; Gasteyger (2001): S. 36-37. 8 Fischer (1990): S. 68. 9 Burban (31996): S. 21-22. 7
24
1 Die Entwicklung des Europarats
1.2 Westeuropäischer Club 1.2 Westeuropäischer Club Mit Anlaufschwierigkeiten hatte der Europarat im Mai 1949 also das Licht der Welt erblickt. Seine zehn Gründungsstaaten waren allesamt westeuropäisch.10 Ziel des Europarats war es jedoch von Beginn an, durch die Einbeziehung sämtlicher europäischer Staaten eine paneuropäische Organisation zu schaffen. Verankert wurde dieses Bestreben bereits bei der Gründung des Europarats. Artikel 4 der Europaratssatzung besagt: „Jeder europäische Staat, der für fähig und für gewillt befunden wird, die Bestimmungen des Artikels 3 [Vorrang des Rechts, Achtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten; KB] zu erfüllen, kann durch das Ministerkomitee aufgefordert werden, Mitglied des Europarats zu werden.“
Der Europarat stand somit von Beginn an allen europäischen Staaten offen. Zugleich war man sich bewusst, dass diese Satzungsbestimmung zunächst eine Formel von mehr symbolischer denn praktischer Bedeutung bleiben musste. So sagte der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, im Mai 1954 während des deutschen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats: „Es ist zutreffend, dass der Europarat noch nicht alle europäischen Staaten umfasst. Aber wir wünschen und hoffen, dass diejenigen, die sich noch nicht angeschlossen haben, auch Mitglieder werden. Wir (...) können (...) nicht unser Werk auf längere Sicht ohne sie fortsetzen, und sie müssen wissen, dass wir sie hier erwarten.“11
Aus zwei Gründen erwiesen sich die Beziehungen zu den Staaten Mittel- und Osteuropas als problematisch. Zum einen machte der Europa in zwei Lager teilende Ost-West-Konflikt eine Mitgliedschaft der im sowjetischen Einflussgebiet liegenden Staaten unmöglich. Zum anderen führten die Bestimmungen des Europarats selbst dazu, dass osteuropäische Staaten der Organisation nicht beitreten konnten. Schließlich sollte eine Mitgliedschaft im Europarat nur für solche Staaten infrage kommen, welche rechtsstaatliche Prinzipien, Menschenrechte und Grundfreiheiten achteten. Für die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa ließ sich dies schwerlich behaupten. Jedoch wurde seitens des Europarats nicht nur eine Mitgliedschaft ausgeschlossen. Zumindest in den Anfangsjahren der Organisation stand auch eine ‚bloße’ Kontaktaufnahme außer Frage. Der Europarat war „in der Phase der kalten Krieges in das Koordinatenkreuz von Blockbildung und Konfrontation der Systeme“12 einbezogen. Vor diesem Hintergrund mussten die Beziehungen des Europarats zu mittel- und osteuropäischen Staaten in den 1950er Jahren schwach bleiben. Zu einer ersten Intensivierung der Kontakte kam es im folgenden Jahrzehnt.13 Insbesondere die Überwindung der KubaKrise (1962) und die danach eingeleitete Phase der Entspannung zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion eröffnete größere Handlungsspielräume. Parallel zu dieser globalen Entwicklung kam es innerhalb des Europarats zu einem Wechsel von einer überwiegend starren und ideologisch dominierten Haltung zu einer eher pragmatisch orientierten 10
Holtz spricht von einem „West-Europarat“ zwischen 1949 und 1989 und einem „Gesamt-Europarat“ nach 1989. Vgl. Holtz (2000): S. 11. 11 Zitiert in Haller (2000): S. 51. 12 Lippert (1990): S. 120. 13 Zu den Beziehungen des Europarats zu Mittel- und Osteuropa: Siehe Lippert (1990); Malenovský (2000); Severin (2000); Haller (1999, 2000); Klebes (2000); Karsten (2000); Roth (2004).
1.2 Westeuropäischer Club
25
Ausrichtung. Zwei Ursachen gab es hierfür: zum einen die geschilderten globalen Veränderungen. Zum anderen trug ein ‚innerer Widerspruch’ zu diesem Kurswechsel bei. Dieser ergab sich aus der Gleichzeitigkeit von zwischenstaatlichen Kontakten diverser Mitglieder des Europarats zu mittel- und osteuropäischen Staaten auf der einen und dem bis dato verfolgten Abseitsstehen der Organisation auf der anderen Seite. Es konnte somit nicht überraschen, als das Ministerkomitee des Europarats im Jahr 1964 die Offenheit der Organisation betonte und die Parlamentarische Versammlung die Verpflichtung des Europarats zum Abbau der Spannungen zwischen Ost und West hervorhob.14 Illustriert wird diese neue Offenheit durch die Aussage des damaligen Generalsekretärs des Europarats, Peter Smithers: „Ist ein Staat nicht in der Lage, die Satzung des Europarats zu akzeptieren, käme er aber auf Grund seiner geographischen Lage für die Mitgliedschaft in Betracht, dann sollte wenigstens eine Zusammenarbeit möglich sein.“15
Vor diesem Hintergrund sind die Reisen von Generalsekretär Smithers nach Polen (1967) und Jugoslawien (1968) zu sehen. Nach Titos Bruch mit Stalin (1948) nahm Jugoslawien ohnehin eine Sonderstellung ein. Bereits in den 1950er Jahren wurden erste, wenn auch zaghafte Kontakte etabliert. Diese wurden vor allem in den 1970er Jahren weiter ausgebaut.16 Diese Positionsänderung erweiterte die Handlungsspielräume des Europarats. So stellten zum Beispiel alle osteuropäischen Staaten (mit Ausnahme Albaniens) Informationsanfragen an den Europarat. Die Anfragen betrafen vor allem kulturelle Themen und Aspekte der rechtlichen Zusammenarbeit. Eine weitergehende Intensivierung der Beziehungen blieb jedoch vor allem deshalb aus, weil der Großteil der osteuropäischen Staaten die politische Orientierung des Europarats weiterhin als konträr zu den eigenen Interessen ansah.17 Ohnehin nahm die Bedeutung des Europarats in den 1970er Jahren angesichts des KSZE-Prozesses und des weiteren Ausbaus der bilateralen Kontakte zwischen den Mitgliedern der Organisation und den mittel- und osteuropäischen Staaten ab. Die Aktivitäten der Organisation beschränkten sich in erster Linie auf die Vertiefung der Kontakte in bereits etablierten Themenbereichen wie Erziehung, Gesundheit, Kultur und Umweltschutz. Angestoßen von den Umbrüchen im Ostblock, brachte das folgende Jahrzehnt grundlegende Änderungen. Nachdem sich die Kooperation mit den mittel- und osteuropäischen Staaten bis dato vor allem technisch-funktionalen Aspekten gewidmet hatte, wurde ab Mitte der 1980er Jahre der politische Dialog intensiviert. Ein wichtiger Schritt erfolgte im November 1987, als das Ministerkomitee Richtlinien über die Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten annahm, die vor allem auf eine pragmatische Kooperation abzielten. Konkrete Folgen dieser Politik waren beispielsweise der Beitritt Jugoslawiens (1987), Polens und Ungarns (1989) zur ‚Europäischen Kulturkonvention’ und die Einrichtung eines Beobachterstatus für Polen und Ungarn in Fachministerkonferenzen und Expertenausschüssen des Europarats. Wie bereits bei der ersten Phase der Vertiefung der Kontakte in den 1960er Jahren, wurde auch diese Intensivierung der Beziehungen von Besuchen des Generalsekretärs des Europarats – dies war zum damaligen Zeitpunkt der Spanier Marcelino 14
Vgl. Haller (2000): S. 53. Zitiert in Lippert (1990): S. 122. 16 Vgl. Haller (2000): S. 51-59. 17 Vgl. Haller (2000): S. 55. 15
26
1 Die Entwicklung des Europarats
Oreja Aguirre – in der Region begleitet (Ungarn 1987, Polen und Jugoslawien 1988). Bei diesen Gelegenheiten bekundeten Vertreter der Regierungen sogar den Wunsch nach einer baldigen Aufnahme in den Europarat.18 Parallel zu den Aktivitäten des im Auftrag des Ministerkomitees handelnden Generalsekretärs vertiefte die Parlamentarische Versammlung ihre Beziehungen zu mittel- und osteuropäischen Staaten. Im Jahr 1984 etablierten zwei Ausschüsse der Versammlung – der Politische Ausschuss und der Ausschuss für Beziehungen zu den europäischen Nichtmitgliedstaaten – einen Meinungsaustausch mit ungarischen Abgeordneten. Dem folgte unter anderem die Einrichtung eines ‚Sondergaststatus’ für die gesetzgebenden Versammlungen der Staaten Mittel- und Osteuropas (Mai 1989).19 Im Juni 1989 bekamen die Versammlungen von Jugoslawien, Polen, Ungarn und der Sowjetunion diesen Status verliehen, der als wesentlicher Schritt hin zu einer späteren Mitgliedschaft im Europarat zu sehen war. Mindestens ebenso bedeutend war der Besuch des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, in Straßburg. In seiner am 6. Juli 1989 vor der Parlamentarischen Versammlung gehaltenen Rede bekannte sich Gorbatschow zu den grundlegenden Prinzipien des Europarats und unterstützte die von der Organisation verfolgte Idee der gesamteuropäischen Einigung. In dem von Gorbatschow anvisierten „gemeinsamen europäischen Haus“ spielten beispielsweise humanitäre Aspekte eine wichtige Rolle. Zudem könne über die „Möglichkeit der Schaffung eines europäischen Rechtsraums“ geredet werden. Gegen Ende seiner Rede konstatierte Gorbatschow schließlich: „Die Europäer können den Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts nur unter Vereinigung ihrer Anstrengungen gerecht werden. Wir sind überzeugt: Sie brauchen ein Europa – ein friedliches und demokratisches, das all seine Mannigfaltigkeit erhält und sich an allgemeine humanistische Ideale hält, aufblüht und der ganzen restlichen Welt die Hand reicht. (...) In einem solchen Europa sehen wir unsere eigene Zukunft.“20
Auch wenn in dieser Phase seiner Geschichte die Staaten des ‚Ostblocks’ immer weiter an Bedeutung gewannen, blieb der Europarat bis 1989 eine weitgehend westeuropäische Organisation. Die Ausnahmen hierzu waren die süd- bzw. südosteuropäischen Mitgliedstaaten Griechenland (Beitritt im August 1949), Türkei (April 1950), Zypern (Mai 1961) und Malta (April 1965). In Westeuropa gab es freilich ebenfalls Staaten, die anfänglich nicht dem Europarat angehörten. Im Vergleich zu den Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten, die vor allem in der Anfangsphase stark ideologisch geprägt sowie von den internationalen Gegebenheiten bestimmt und begrenzt waren, gestalteten sich die Kontakte des Europarats zu den westeuropäischen Nichtmitgliedern deutlich weniger problematisch. Die Offenheit der Organisation für diese Staaten stand nie infrage. Umgekehrt übte der Europarat als politische Organisation, die sich von der noch überwiegend mit wirtschaftlichen Fragen befassten Europäischen Gemeinschaft (EG) deutlich unterschied, eine Attraktion auf Nichtmitglieder aus. Als Folge wuchs die westeuropäische Mitgliedschaft des Europarats zwischen seiner Gründung 1949 und dem Ende des Ost-West-Konflikts im Jahr 1989 von zehn auf 23 Staa18
Haller (2000): S. 57. Siehe auch Kap. 3.1. 20 Gorbatschow (1989). 19
1.3 Erweiterung
27
ten. Die größten ‚Problemfälle’ waren Portugal, Spanien und Griechenland. Portugal (1976) und Spanien (1977) wurden erst aufgenommen, als die dortigen Diktaturen überwunden waren. Die fehlende Einhaltung der Europaratsstandards hatte einen früheren Beitritt verhindert. Griechenland wiederum war zwar bereits im August 1949 dem Europarat beigetreten. Im Dezember 1969 folgte jedoch ein in der Geschichte des Europarats bislang einmaliger Schritt: der Austritt eines Landes aus der Organisation. Mit dieser Entscheidung kam die griechische Obristendiktatur allerdings nur einer Suspendierung durch das Ministerkomitee des Europarats zuvor (welche ebenfalls einmalig gewesen wäre).21 Nach dem Ende der Diktatur lud das Ministerkomitee Griechenland im November 1974 zur Rückkehr in den Europarat ein.
1.3 Erweiterung 1.3 Erweiterung Den entscheidenden Impuls erhielt das gesamteuropäische Streben des Europarats durch das Ende des Ost-West-Konflikts. Dieses eröffnete dem Europarat die Chance, die zeit seines Bestehens anvisierte Neuordnung Europas im Sinne der umfassenden Integration des Kontinents im Rahmen der eigenen Organisation zu verwirklichen. Der Europarat erkannte und nutzte die Gelegenheit. Die Organisation ist heute das, was sie seit ihrer Gründung vor nunmehr beinahe 60 Jahren werden wollte, aufgrund der globalen politischen Umstände jedoch lang Zeit nicht werde konnte: eine (beinahe) gesamteuropäische Organisation mit 47 Mitgliedstaaten. Gerade in der ersten Hälfte der 1990er Jahre erlebte der Europarat einen wahren ‚Erweiterungsschub’. Zwischen November 1990 und November 1996 traten 17 Staaten bei, vor allem aus Mittel- und Osteuropa sowie dem Balkan (Abbildung 3).22 Den Anfang machten Ungarn (1990), die Tschechoslowakei23 und Polen (beide 1991). Später folgten weitere ehemalige Sowjetrepubliken wie auch aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorgegangene Staaten. Durch seine Öffnung wurde der Europarat für die neu hinzugekommenen Staaten „zur ersten Anlaufadresse, um sich demokratisch zu legitimieren und zu profilieren.“24 Der Öffnungsprozess verlief jedoch nicht problemlos. Mehrere der Neumitglieder hatten zum Zeitpunkt ihres Beitritts zum Teil schwerwiegende Defizite bezüglich der Umsetzung der für den Europarat maßgeblichen Wertetrias aus Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Die vermutlich kontroverseste Aufnahme war der am 28. Februar 1996 vollzogene Beitritt Russlands, der laut Holtz beinahe „die ‚Seele‘ des Europarats“25 zerrissen habe. Wie umstritten der Beitritt war, zeigte sich bereits in dessen Vorfeld. Anfang Februar 1995 brachte die Parlamentarische Versammlung des Europarats die Aufnahmeprozedur vorübergehend zum Halten. Ursächlich war in erster Linie das Vorgehen Russlands in Tschetschenien, das aus Sicht der Parlamentarier mit den Werten des Europarats nicht vereinbart werden könne.26 Erst der seitens Russlands bekundete Wille zur Beilegung des Konflikts auf politischem Wege sowie die gegenüber der Versammlung eingegangenen 21
Siehe Kap. 2.6. Siehe u. a. Flauss (1994); Bitsch (1997); Huber (2001); Bauer (2001); Roth (2004); Sticht (2006). 23 Nach der Auflösung der Tschechoslowakei traten die Tschechische Republik und die Slowakei im Juni 1993 dem Europarat bei. 24 Keller (1999): S. 38. 25 Holtz (2000): S. 15. 26 Vgl. Althauser (1997). 22
28
1 Die Entwicklung des Europarats
Verpflichtungen bewogen die Parlamentarier im September 1995 zur Änderung ihrer Haltung. Der Weg für den fünf Monate später dann auch erfolgten Beitritt Russlands war frei. Die Probleme des Landes bei der Einhaltung der Standards des Europarats endeten hierdurch allerdings nicht. Peukert konstatierte Anfang 2000, dass Russland durch sein Vorgehen im zweiten Tschetschenienkrieg ab 1999 „selbst den Beweis dafür [erbringt], dass seine Aufnahme in den Europarat trotz der bereits beim ersten Einsatz gegenüber der Zivilbevölkerung begangenen Menschenrechtsverletzungen ein Fehler war, der die Wirksamkeit und damit auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Menschenrechtsschutzsystems in Frage zu stellen droht.“27
Einige Institutionen des Europarats teilten diese kritische Haltung, wie etwa die Suspendierung der russischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (2000/2001) zeigt.28 Abbildung 3:
Die Mitgliedstaaten des Europarats (Beitritt zur Organisation, Ratifizierung der EMRK, Sitze in der Parlamentarischen Versammlung)
Staat Albanien Andorra Armenien Aserbaidschan Belgien Bosnien und Herzegowina Bulgarien Dänemark Deutschland Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonienc Estland Finnland Frankreich Georgien Griechenland Irland Island Italien Kroatien Lettland Liechtenstein Litauen
27 28
Peukert (2000): S. 51, Fn. 6. Siehe Kap. 3.6.
Beitritt zum Europarat
Ratifizierung der EMRK (Inkrafttreten)a
13.07.1995 10.10.1994 25.01.2001 25.01.2001 05.05.1949 24.04.2002 07.05.1992 05.05.1949 13.07.1950
02.10.1996 22.01.1996 26.04.2002 15.04.2002 14.06.1955 12.07.2002 07.09.1992 13.04.1953 (03.09.1953) 05.12.1952 (03.09.1953)
Sitze in der Parlamentarischen Versammlungb 4 2 4 6 7 5 6 5 18
09.11.1995
10.04.1997
3
14.05.1993 05.05.1989 05.05.1949 27.04.1999 09.08.1949 05.05.1949 09.03.1950 05.05.1949 06.11.1996 10.02.1995 23.11.1978 14.05.1993
16.04.1996 10.05.1990 03.05.1974 20.05.1999 28.11.1974 25.02.1953 (03.09.1953) 29.06.1953 (03.09.1953) 26.10.1955 05.11.1997 27.06.1997 08.09.1982 20.06.1995
3 5 18 5 7 4 3 18 5 3 2 4
1.3 Erweiterung
Staat Luxemburg Malta Moldau Monaco Montenegrod Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Russische Föderatione San Marino Schweden Schweiz Serbiend Slowakeif Slowenien Spanien Tschechische Republikf Türkei Ukraine Ungarn Vereinigtes Königreich Zypern
29 Beitritt zum Europarat
Ratifizierung der EMRK (Inkrafttreten)a
05.05.1949 29.04.1965 13.07.1995 05.10.2004 11.05.2007 05.05.1949 05.05.1949 16.04.1956 29.11.1991 22.09.1976 07.10.1993 28.02.1996 16.11.1988 05.05.1949 06.05.1963 03.04.2003 30.06.1993 14.05.1993 24.11.1977 30.06.1993 13.04.1950 09.11.1995 06.11.1990 05.05.1949 24.05.1961
03.09.1953 23.01.1967 12.09.1997 30.11.2005 03.03.2004 (06.06.2006) 31.08.1954 15.01.1952 (03.09.1953) 03.09.1958 19.01.1993 09.11.1978 20.06.1994 05.05.1998 22.03.1989 04.02.1952 (03.09.1953) 28.11.1974 03.03.2004 18.03.1992 (01.01.1993) 28.06.1994 04.10.1979 18.03.1992 (01.01.1993) 18.05.1954 11.09.1997 05.11.1992 08.03.1951 (03.09.1953) 06.10.1962
Sitze in der Parlamentarischen Versammlungb 3 3 5 2 3 7 5 6 12 7 10 18 2 6 6 7 5 3 12 7 12 12 7 18 3
a: In 37 der 47 Europaratsstaaten trat die EMRK mit ihrer Ratifizierung in Kraft. Wo dies nicht der Fall war, wird das Datum des Inkrafttretens in Klammern angeführt. Die EMRK trat in Kraft, als zehn Staaten sie ratifiziert hatten – was durch die Ratifizierung Luxemburgs am 3.9.1953 der Fall war. Neben den acht in der Tabelle aufgelisteten Staaten hatten außerdem das Saarland (14.1.1953; Saarland wurde am 1.1.1957 Deutschland wiedereingegliedert) und Griechenland (28.3.1953; Kündigung der EMRK mit Wirkung zum 13.6.1970; erneuter Beitritt am 28.11.1974) die EMRK ratifiziert. b: Die Gesamtzahl der Sitze in der Parlamentarischen Versammlung beträgt 636: 318 Mitglieder (hier angeführt) sowie 318 Stellvertreter. Die Sitze in der Parlamentarischen Versammlung entsprechen den Sitzen eines Landes im Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats. c: Im Text wird der Lesbarkeit halber die Bezeichnung ‚Mazedonien’ verwendet. d: Serbien und Montenegro trat am 3.4.2003 dem Europarat bei. Nach der Unabhängigkeitserklärung des montenegrinischen Parlaments am 3.6.2006 setzte Serbien die zuvor von Serbien und Montenegro ausgeübte Mitgliedschaft im Europarat fort. e: Im Text wird der Lesbarkeit halber die Bezeichnung ‚Russland’ verwendet. f: Slowakei und die Tschechische Republik traten der EMRK noch als Tschechoslowakische Föderative Republik bei. Nach deren Trennung zum 1.1.1993 traten die beiden Staaten im Juni 1993 dem Europarat unter Beibehaltung der Übernahme der EMRK bei.
30
1 Die Entwicklung des Europarats
1.4 Zwischen Konsolidierung und Aufweichung 1.4 Zwischen Konsolidierung und Aufweichung Der Europarat hat den Wandel von einer westeuropäischen zu einer paneuropäischen Organisation vollzogen. Senghaas ‚Vision‘ der „Europäisierung des Europarates“29 nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist eingetreten. Nach dem siebzehn Staaten umfassenden Erweiterungsschub zwischen 1990 und 1996 verlangsamte sich das Anwachsen des Europarats in den Folgejahren. Diese Entwicklung war insofern zwangsläufig, als die Zahl potenzieller Beitrittskandidaten sukzessive abnahm. Seit 1997 sind sieben weitere Staaten beigetreten. Nach der Aufnahme von Monaco im Oktober 2004 und Montenegro im Mai 2007 fehlen nur noch zwei Staaten, um das vom früheren Generalsekretär des Europarats Walter Schwimmer proklamierte „Europa der 47“30 – das nach der Teilung von Serbien und Montenegro im Juni 2006 sowie der Mitte Februar 2008 erfolgten Unabhängigkeitserklärung Kosovos ein ‚Europa der 49’ geworden ist – zu vollenden. Die beiden im Europarat noch ‚fehlenden Staaten’ sind Belarus und das Kosovo. Belarus ist seit 1993 Beitrittskandidat. Aufgrund der Nichterfüllung zentraler Prinzipien des Europarats durch Belarus ist der Beitritt des Landes zur Organisation allerdings nicht absehbar. Im Falle Kosovos muss zunächst dessen internationaler Status geklärt werden. Mit Blick auf die Aufnahme in den Europarat lautet die zentrale Frage, wie viele Europaratsstaaten das Land anerkennen werden. Die Anerkennung durch alle Mitglieder ist auf absehbare Zeit wohl ausgeschlossen. Auch wenn das Ministerkomitee Einladungen zum Betritt eines Landes mit Zweidrittelmehrheit beschließt, scheint eine ‚Kampfabstimmung’ über die Aufnahme des Kosovo wenig wahrscheinlich. Auch wenn die ‚Komplettierung’ der Mitgliedschaft noch aussteht: Der Europarat ist paneuropäisiert. Doch welche Folgen hatte die Erweiterung der Organisation für die Durchsetzung ihrer Standards und Werte? Die westeuropäischen Mitgliedstaaten sind zweifelsohne nicht frei von Unzulänglichkeiten in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Gleichwohl waren und sind die Defizite in den neuen Mitgliedstaaten vielfältiger und oftmals auch schwerwiegender als bei den ‚westeuropäischen Altmitgliedern’. Der wohl stärkste Indikator hierfür ist, dass sämtliche der seit 1989 in Europa ausgebrochenen gewaltsamen Konflikte bzw. Kriege innerhalb der Territorien von Neumitgliedern des Europarats stattgefunden haben bzw. noch immer stattfinden.31 In einigen Fällen brachen die Konflikte nach der Aufnahme in die Organisation aus (z. B. Mazedonien), in anderen Fällen existierten sie bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme (z. B. Russland). Die wesentlichste Auswirkung der Erweiterung ist somit darin zu sehen, dass sich der Europarat durch die Aufnahme von Staaten, die zum Teil schwerwiegende Defizite bei der Umsetzung der Wertetrias der Organisation aufwiesen bzw. aufweisen, selbst unter Zugzwang gesetzt hat. Dieser Zwang wurde freilich bewusst erzeugt. Das Motiv, welches die Erweiterung des Europarats anleitete und das eine Abkehr von den bis dato praktizierten Aufnahmegepflogenheiten der Organisation darstellte, belegt dies. Bis 1989 war es notwendig, die Standards der Organisation bereits beim Beitritt zumindest weitestgehend zu erfüllen. Entsprechend wurden Spanien und Portugal erst nach der Überwindung der jeweiligen Diktaturen und dem Aufkommen demokratischer Strukturen aufgenommen. Der neue
29
Senghaas (1992): S. 47. Schwimmer (2000): S. 76. 31 Vgl. Brummer (2005): S. 126. 30
1.4 Zwischen Konsolidierung und Aufweichung
31
Leitgedanke hingegen lautete „better include than exclude“32. Eine Einbindung in die eigenen institutionellen Strukturen versprach aus Sicht des Europarats raschere Fortschritte bei der Einführung und Umsetzung der Standards der Organisation in den neuen Mitgliedstaaten, als dies durch ein ‚bloßes’ externes Assistieren der Staaten möglich gewesen wäre. Außerdem sollte die Teilung Europas in verschiedene Lager ja gerade überwunden und nicht beibehalten werden. Die internen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten waren nachrangig bzw. gerade die Motivation für eine möglichst rasche Aufnahme.33 Huber bezeichnete das neue Konzept somit treffend als „therapeutischen Beitritt“34. Die Ausweitung der Mitgliedschaft hatte entsprechend keine Folgen für die prioritären Aufgaben des Europarats. Vielmehr waren gerade die Sicherung von Stabilität und Frieden in Europa sowie die Entwicklung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der neuen Mitgliedstaaten die zentralen Motive der vom Europarat verfolgten Aufnahmepolitik. Die Erweiterung des Europarats seit 1989 entzieht sich einer eindeutigen Bewertung. Wegen der zum Zeitpunkt der Aufnahme und in manchen Fällen noch heute in Teilen ungenügenden Erfüllung der Standards des Europarats durch Neumitglieder sowie der insgesamt sehr schnellen Durchführung des Prozesses wurde die Erweiterung zum Teil scharf kritisiert. Roth bemerkt etwa, dass die vollständige Einhaltung und Umsetzung der Grundprinzipien der Organisation „auf die Zeit nach dem Beitritt verschoben“35 wurde. Burban wiederum konstatiert: „Cet élargissement ne s’est pas fait sans hésitations ni sans heurts.“36 Laut Gimbal schließlich wäre die Organisation aufgrund der „Aufweichung der früheren Regeln“ im Zuge der Beitritte „zunehmend unglaubwürdig“ geworden bei ihrem Bestreben nach der Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.37 Diesen negativen Urteilen zur Erweiterung, die auf eine Aufweichung der Prinzipien des Europarats verweisen, lassen sich eine Reihe positiver Bewertungen gegenüberstellen. Der frühere Generalsekretär des Europarats Daniel Tarschys betont beispielsweise, dass aufgrund der Einführung von Selbstverpflichtungen, welche die neuen Mitglieder bei ihrem Beitritt eingehen mussten, sowie als Resultat von Monitoring-Verfahren38 durch Ministerkomitee und Parlamentarische Versammlung die Standards und Prinzipien des Europarats gerade keiner „ständigen Verwässerung“39 unterlegen seien. Ebenso urteilt Lawson. Laut diesem habe der Europarat im Zuge seiner Erweiterung seine Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung der eigenen Standards nachhaltig ausgeweitet und verfeinert. Etwaige Probleme ergäben sich somit nicht aus Unzulänglichkeiten seitens des Europarats, sondern vorrangig aus dem Unwillen der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Standards.40 Nach Einschätzung von Baas hätte die frühzeitige Aufnahme von Staaten grundsätzlich die Beratungsmöglichkeiten des Europarats erleichtert und wäre deshalb positiv zu bewerten.41 Und 32
Vgl. Huber (2001): S. 167. Klebes bemerkt hierzu, dass „one is bound to conclude that States are not expected to fully comply with Article 3 [Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit; KB] at the time of entry (which was the philosophy of the past) but they are thought to be willing and, in principle, able to comply. To that end, the Council of Europe must offer its assistance (Hervorhebung im Original).” Klebes (2000a): S. 701. 34 Huber (2001): S. 167. 35 Roth (2004): S. 35. 36 Burban (31996): S. 13. 37 Gimbal (1997): S. 47; auch Gimbal (82002): S. 204. 38 Siehe Kap. 2.5 und 3.7. 39 Tarschys (2000): S. 42. 40 Vgl. Lawson (2001). 41 Vgl. Baas (2003): S. 449. 33
32
1 Die Entwicklung des Europarats
Wittinger merkt grundsätzlich an, dass Art. 4 der Europaratssatzung, der die Aufnahme von Staaten regelt, nicht verlangt, dass die Staaten bereits zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme alle Anforderungen des weiter oben erwähnten Art. 3 der Satzung erfüllen müssten.42 Zweierlei steht fest. Einerseits hat der Europarat durch die im Zuge der Erweiterung erfolgte Einführung neuer Instrumente und Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung seiner Standards in den Mitgliedstaaten an Handlungsfähigkeit hinzugewonnen. Die Möglichkeiten der Organisation, den eigenen Werte- und Normenbestand europaweit zu festigen, sind weiter gestiegen (Konsolidierung). Andererseits hat die Aufnahme von Staaten, in denen die Achtung der Werte des Europarats nicht bzw. nicht dauerhaft gewährleistet war und ist, die Organisation unter Handlungsdruck gesetzt. Schließlich sieht sich der Europarat als Garant für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die anhaltende Nichteinhaltung der eigenen Standards in mehreren ihrer Mitgliedstaaten untergräbt den Ruf der Organisation (Aufweichung). Wie die Konsolidierung gestärkt und die Gefahr der Aufweichung abgewendet werden kann, gehörte folgerichtig zu den zentralen Fragen der Gipfeltreffen des Europarats, welche dieser in den Jahren 1993, 1997 und 2005 abgehalten hat.43 In den nächsten Jahren und Jahrzehnten sollte die oberste Handlungspriorität des Europarats entsprechend lauten, für die Einhaltung seiner Standards und Prinzipien in all seinen Mitgliedstaaten zu sorgen. Erst dann hätte der Europarat die von Woyke konstatierte „einmalige Chance für eine Revitalisierung“ der Organisation nach dem Ende des Ost-WestKonflikts in einem nachhaltigen Sinne genutzt.44
1.5 Literaturhinweise 1.5 Literaturhinweise Althauser, Christine D. (1997): Rußlands Weg in den Europarat. Münster. Bauer, Hans-Joachim (2001): Der Europarat nach der Zeitenwende 1989-1999. Zur Rolle Straßburgs im gesamteuropäischen Integrationsprozeß. Hamburg. Fischer, Per (1990): Zielsetzungen und Leistungen des Europarats 1949-1989. In: Schmuck, Otto (Hrsg.): Vierzig Jahre Europarat: Renaissance in gesamteuropäischer Perspektive? Bonn: 65-79. Gasteyger, Curt (2001): Europa von der Spaltung zur Einigung. Darstellung und Dokumentation 1945-2000. Bonn.
42
Vgl. Wittinger (2005): S. 376. Siehe Kap. 2.1.5. 44 Woyke (1995): S. 128. 43
2 Ministerkomitee 2 Ministerkomitee 2 Ministerkomitee
Das Ministerkomitee (commitee of ministers) ist eines der beiden Hauptorgane des Europarats; das andere Hauptorgan ist die Parlamentarische Versammlung. Wie im vorherigen Kapitel geschildert, wurde der Europarat als ‚klassische’ zwischenstaatliche (intergouvernementale) Organisation geschaffen, in der die Staaten die dominanten Akteure sind. Die parlamentarische Komponente ist demgegenüber nachgeordnet. Entsprechend nimmt das Ministerkomitee, als Vertretungsorgan der Mitgliedstaaten, die zentrale Stellung innerhalb der Organisation ein.
2.1 Struktur 2.1 Struktur Das Ministerkomitee agiert auf verschiedenen Ebenen: auf Ebene der Außenminister im Ministerkomitee sowie auf Botschafterebene im Komitee der Ministerbeauftragten (KMB) (Abbildung 4). Das Ministerkomitee ist das zentrale Entscheidungsorgan des Europarats. Das KMB bereitet die Sitzungen des Ministerkomitees vor und erledigt in dessen Namen das Tagesgeschäft. Ministerkomitee und KMB werden durch Beratungsgremien unterstützt. Diese entwickeln Inhalte, bereiten Entscheidungen vor und begleiten die Umsetzung beschlossener Maßnahmen. Hinzu kommen zwei ‚Sonderforen’, in denen Spitzenvertreter der Europaratstaaten zusammentreffen. Zum einen sind das die Gipfeltreffen des Europarats als Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs. Bei diesen Treffen werden die strategischen Leitlinien der Organisation festgelegt. Zum anderen gibt es Fachministerkonferenzen, in denen sich andere Ressortchefs als die – im Ministerkomitee vertretenen – Außenminister mit ihren Fachthemen auseinandersetzen. Struktur und Zusammensetzung der einzelnen Einheiten werden im Folgenden diskutiert.
34 Abbildung 4:
2 Ministerkomitee Die Ebenen des Ministerkomitees
2.1 Struktur
35
2.1.1 Ministerkomitee (Außenminister) Jeder Mitgliedstaat des Europarats hat einen Vertreter (representative) im Ministerkomitee.1 Diese ‚Vertreter’ der Staaten sollen laut Europaratssatzung ihre Außenminister sein. Sind diese verhindert oder „wenn andere Umstände dies als wünschenswert erscheinen lassen“, kann ein Stellvertreter ernannt werden (Art. 14). Der Stellvertreter sollte ebenfalls Mitglied der Regierung sein. Jeder Vertreter eines Landes im Ministerkomitee hat eine Stimme. Das Ministerkomitee ist demnach charakterisiert durch eine Staatengleichheit und eine Stimmwertgleichheit. Es gibt keine Sonderstellung für einzelne Staaten, vergleichbar etwa mit derjenigen der fünf – mit einem Vetorecht ausgestatteten – Ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Ferner existiert kein Ungleichgewicht der Stimmen einzelner Staaten, wie etwa in der EU, wo bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit die Stimmen einzelner Staaten unterschiedlich gewichtet werden. Der Vorsitz im Ministerkomitee (chairmanship) rotiert zwischen den Europaratsstaaten in einem sechsmonatigen Turnus (Abbildung 5). Dieser geht von Mitte November bis Mitte Mai bzw. von Mitte Mai bis Mitte November. Die Reihenfolge des Vorsitzes richtet sich nach der alphabetischen Reihenfolge der Mitglieder der Organisation, und zwar gemäß der englischen Schreibweise des Staatsnamens. Zu den Aufgaben des Vorsitzes im Ministerkomitee gehören die Leitung der Diskussionen und Abstimmungen sowie die Bekanntgabe von Entscheidungen. Der Vorsitzende des Ministerkomitees darf sich an den Debatten und Abstimmungen beteiligen. Bei Stimmengleichstand wiegt die Stimme des Vorsitzenden jedoch nicht schwerer als die anderen Stimmen. Beschlussfähig ist das Ministerkomitee, wenn zwei Drittel der Vertreter der Europaratsstaaten anwesend sind.2 Die Sitzungen des Ministerkomitees (sessions) werden am Sitz des Europarats in Straßburg durchgeführt. Bis 2003 wurde zum Abschluss jedes Vorsitzes – und somit Mitte Mai bzw. Mitte November – eine Sitzung abgehalten. Seit 2004 findet nur noch eine Sitzung pro Jahr statt, entweder im Mai oder im November. Sollten es – nicht näher spezifizierte – „Umstände“ erfordern, ist ein zweites Treffen des Ministerkomitees allerdings weiterhin möglich. Die 118. Sitzung des Ministerkomitees, bei der die Slowakei den Vorsitz an Schweden weitergeben wird, findet im Mai 2008 statt. Die Sitzungen des Ministerkomitees sind vertraulich. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Inhalte der Sitzungen der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht würden. Zum Ende jeder Sitzung wird ein von allen Staaten getragenes Abschlusskommunique veröffentlicht, in dem die zentralen Diskussionslinien sowie die getroffenen Entscheidungen aufgeführt werden. Außerdem präsentiert der Vorsitz des Ministerkomitees ‚seine’ Schlussfolgerungen (conclusions of the chair). In diesen werden ebenfalls die Hauptthemen der Sitzung wiedergegeben, jedoch stärker aus der Sicht des vorsitzenden Staates. Neben dem allgemeinen Abschlusskommunique kann das Ministerkomitee auf seinen Sitzungen auch themenspezifische Erklärungen (declarations) verabschieden und Resolutionen (resolutions) annehmen. 1 Für Nichtmitgliedstaaten kennt das Ministerkomitee einen – nicht zur Abstimmung berechtigenden – Beobachterstatus. Über einen solchen Status verfügen der Heilige Stuhl (seit 1970), Kanada, Japan und die Vereinigten Staaten (alle seit 1996) sowie Mexiko (1999). Die Beziehungen zwischen dem Europarat und dem Heiligen Stuhl werden diskutiert in Kühn (1999). Den Beobachterstatus regeln Statutory Resolution (93) 26 und CM (99) 58 revised2. Die Versammlung sprach sich unlängst für eine Anpassung der Resolution aus. Hintergrund ist die Unzufriedenheit der Parlamentarier damit, dass mit Japan und den USA gleich zwei Beobachterstaaten des Europarats die Todesstrafe anwenden. Vgl. Recommendation 1827 (2008). 2 Vgl. GO-MK (52005): Art. 9.
36
2 Ministerkomitee
Abbildung 5:
Vorsitz im Ministerkomitee Mai 2005 bis Mai 20103 Zeitraum
Vorsitz im Ministerkomitee
Mai 2004 – November 2004
Norwegen
November 2004 – Mai 2005
Polen
Mai 2005 – November 2005
Portugal
November 2005 – Mai 2006
Rumänien
Mai 2006 – November 2006
Russland
November 2006 – Mai 2007
San Marino
Mai 2007 – November 2007
Serbien
November 2007 – Mai 2008
Slowakei
Mai 2008 – November 2008
Schweden
November 2008 – Mai 2009
Spanien
Mai 2009 – November 2009
Slowenien
November 2009 – Mai 2010
Schweiz
Beispiel: 117. Treffen des Ministerkomitees Zum Abschluss des Vorsitzes von San Marino fand am 10./11. Mai 2007 die 117. Sitzung des Ministerkomitees statt. Im Zentrum stand die Weiterverfolgung der Beschlüsse des dritten Gipfeltreffens des Europarats vom Mai 2005.4 Ein Schwerpunkt der Diskussionen lag auf dem Ausbau der Beziehungen zwischen Europarat und EU. Die Außenminister lobten die seit 2005 erzielten Fortschritte in diesem Bereich, allen voran die Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding zwischen den beiden Organisationen.5 Die Konsolidierung des Schutzsystems für Menschenrechte des Europarats war ein weiterer Schwerpunkt. Die Außenminister bekräftigten insbesondere die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Kontrollsystems der EMRK zu erhalten. Hierfür müsse, wie der Vorsitz des Ministerkomitees in seinen Schlussfolgerungen festhielt, unter anderem Russland zügig dem 14. Protokoll zur EMRK beitreten.6 Weitere Themen der Sitzung waren die Beziehungen des Europarats zu anderen internationalen Organisationen, wie UNO und OSZE, der Kampf gegen den Terrorismus sowie die anvisierte Reform der Organisationsstrukturen und Arbeitsmethoden des Europarats. Außerdem nahm das Ministerkomitee auf der Sitzung eine Resolution zur Schaffung eines Erweiterten Teilabkommens über Sport an.7 Am Ende der Sitzung übergab San Marino den Vorsitz im Ministerkomitee an Serbien. Der damalige Außenminister Serbiens, Vuk Draskovic, präsentierte anschließend die Prio-
3 Wegen des slowenischen Vorsitzes in der EU im ersten Halbjahr 2008 haben Slowenien, das eigentlich zwischen Mai und November 2008 den Vorsitz im Europarat hätte einnehmen sollen, und Schweden getauscht. 4 Vgl. CM (2007) 65 final sowie CM (2007) 104, das Vorgaben zur Weiterverfolgung der Gipfelbeschlüsse enthält. Siehe Kap. 2.1.5 für Details zum Gipfeltreffen. 5 Siehe Kap. 11.1.1. 6 Vgl. CM (2007) 66 final. Siehe Kap. 5.4 für Details zum 14. Protokoll zur EMRK. 7 Vgl. CM/Res (2007) 8.
2.1 Struktur
37
ritäten seines Landes für dessen – erstmaligen – Vorsitz im Europarat.8 Unter dem Motto One Europe – Our Europe setzte Serbien vier Schwerpunkte. Erstens sollte während des serbischen Vorsitzes die zentrale Wertetrias des Europarats (Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit) weiter gefördert werden, unter anderem durch den Ausbau der diesbezüglichen Kontrollmechanismen der Organisation. Zweitens sollte die Sicherheit der Bürger Europas gesteigert werden durch die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Als drittes Ziel wurde der Aufbau eines menschlicheren Europas angeführt, gerade durch die Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten für alle Bürger. Viertens sollte die Zusammenarbeit der südosteuropäischen Staaten durch die Umsetzung der Prinzipien des Europarats und dadurch die europäische Perspektive der Region gestärkt werden.
2.1.2 Komitee der Ministerbeauftragten Das Ministerkomitee in Zusammensetzung der Außenminister tagt, wie geschildert, einmal pro Jahr. Während auf den Sitzungen des Ministerkomitees über die mittel- und langfristige Ausrichtung des Europarats diskutiert und entschieden werden kann, macht der jährliche Sitzungsrhythmus die Bewältigung der Alltagsgeschäfte der Organisation unmöglich. Diese Aufgabe wird vom Komitee der Ministerbeauftragten (KMB) erfüllt. Das KMB ist ein politisches Organ. Es dient dazu, die Entscheidungsfähigkeit des Ministerkomitees und somit der Gesamtorganisation Europarat dauerhaft – sprich unabhängig von den Sitzungen des Ministerkomitees – zu gewährleisten. Eine treffendere Übersetzung der englischen Bezeichnung (committee of ministers’ deputies) ins Deutsche wäre ‚Komitee der Ministerstellvertreter’. Wie die englische Bezeichnung anzeigt, kommen im KMB ‚Stellvertreter’ (deputies) der Außenminister der Europaratsstaaten zusammen. Seit einem Beschluss des Ministerkomitees aus dem Jahr 1952 kann jeder Außenminister einen solchen Stellvertreter, sprich Ministerbeauftragten, ernennen. Die Ministerbeauftragten sind in der Regel identisch mit den Ständigen Vertretern (permanent representatives) der Mitgliedstaaten beim Europarat. Diese wurden 1951 eingeführt und sollen den Kontakt zwischen dem Europarat und ihrem Land halten. Die Ständigen Vertreter sind die Leiter der Vertretungen der Mitgliedstaaten beim Europarat und bekleiden zumeist den Rang eines Botschafters. Den Vorsitz im KMB hat derjenige Ministerbeauftragte, dessen Minister den Vorsitz im Ministerkomitee innehat. Ministerkomitee und KMB werden somit stets vom selben Staat geleitet. Die Aufgaben des Vorsitzes im KMB konzentrieren sich auf die Bereiche Steuerung und Ergebnisorientierung und entsprechen damit denjenigen des Vorsitzes im Ministerkomitee.9 Der Vorsitzende im KMB soll beispielsweise die Einhaltung der Verfahrensregeln sicherstellen. Außerdem hat er die Diskussionen zu leiten und diese derart zu steuern, dass sie zu Entscheidungen führen. Hierbei kann der Vorsitzende zum Beispiel einzelne Staaten auffordern, sich zu Kompromissvorschlägen zu äußern. Seit 1975 verfügt das KMB über ein Präsidium (bureau). Dieses setzt sich zusammen aus dem amtierenden, den beiden vorherigen und den drei künftigen KMB-Vorsitzenden. Das Präsidium trifft sich etwa alle zwei Wochen. Zu seinen Aufgaben gehört die Vorbereitung der Sitzungen des Ministerkomitees. Außerdem wird das Präsidium zur Koordination 8 9
Vgl. CM/Inf (2007) 25. Vgl. CM (2005) 181 revised: Ziff. 5-9.
38
2 Ministerkomitee
zwischen den Vorsitzen des Ministerkomitees genutzt.10 Wie das Ministerkomitee wird auch das KMB durch das Europaratssekretariat unterstützt. Die Ministerbeauftragten besitzen dieselben Entscheidungsbefugnisse wie ‚ihre’ Minister im Ministerkomitee. Laut seiner Geschäftsordnung ist das KMB „empowered to deal with all matters within the competence of the Committee of Ministers and to take decisions on its behalf.”11 Das KMB kann demnach nicht nur über sämtliche Fragen debattieren, die im Zuständigkeitsbereich des Ministerkomitees liegen. Es kann auch im Namen des Ministerkomitees Entscheidungen treffen. Entscheidungen des KMB haben dieselbe Wirkung wie die Entscheidungen des Ministerkomitees. Die Handlungsmöglichkeiten des KMB werden jedoch durch eine Klausel eingeschränkt. Falls einer der Ministerbeauftragten die Ansicht äußert, dass eine Entscheidung aufgrund ihrer politischen Bedeutung vom Ministerkomitee und nicht vom KMB behandelt werden sollte, kommt es im KMB zu keiner Abstimmung. Abstimmungen im KMB werden in der Regel von den Ministerbeauftragten durchgeführt. Diese können jedoch durch Mitarbeiter (assistants) vertreten werden, die innerhalb des KMB – nicht jedoch im Ministerkomitee – im Namen des Ministerbeauftragten abstimmen dürfen. Das KMB ist abstimmungsfähig, wenn mindestens zwei Drittel der Ministerbeauftragten (oder deren Mitarbeiter als Vertretung) anwesend sind. Im Zuge der Erweiterung des Europarats ist die Zahl der Zusammenkünfte des KMB rapide gestiegen (Abbildung 6). Da viele der neuen Staaten teilweise schwerwiegende Probleme bei der Einhaltung der Europaratsprinzipien hatten bzw. noch immer haben, musste die Intensität der Aktivitäten des Europarats gesteigert werden. Seit 2005 ist die Zahl der KMB-Treffen zwar deutlich zurückgegangen. Zugleich stieg die Zahl der Tagesordnungspunkte rapide an.12 Die geringere Zahl an Treffen wurde somit durch ein dichteres Sitzungsprogramm ausgeglichen. Das KMB trifft sich in der Regel dreimal pro Monat zu seinen regulären Sitzungen. Darüber hinaus gibt es Treffen des KMB, in denen es sich speziell mit Fragen des Monitorings13 oder, im Rahmen von sogenannten ‚DH-Treffen’ (droits de l’homme), mit Menschenrechtsfragen befasst. In den letzten Jahren fanden zwischen fünf und sechs ‚DH-Treffen’ pro Jahr statt. Für 2008 sind vier Treffen vorgesehen.14 In diesen Treffen prüft das KMB gemäß Art. 46 Abs. 2 EMRK die Einhaltung der Urteile des EGMR durch die Europaratsstaaten. Diese Treffen sind es auch, bei denen der überwältigende Anteil der vom KMB behandelten Tagesordnungspunkte anfällt (Abbildung 7). Die drastisch gestiegene Arbeitsbelastung des EGMR15 beeinflusst somit auch die Arbeit des KMB.
10
Siehe hierzu die Homepage des Ministerkomitees unter http://www.coe.int/t/cm/aboutCM_en.asp (zuletzt abgerufen am 30.1.2008). 11 GO-KMB (42005): Art. 2 Abs. 1. 12 Behandelte das KMB im Jahr 2004 noch 17.961 Tagesordnungspunkte waren es im Jahr 2005 bereits 21.528 und im Jahr 2006 30.790. Vgl. CM/Inf (2007) 1. Wie weiter unten noch geschildert, steht der Großteil der Tagesordnungspunkte im Zusammenhang mit der Überwachung der Urteile des EGMR. 13 Siehe Kap. 2.5. 14 Die Zahl der für ‚DH-Treffen’ vorgesehenen Sitzungstage wird 2008 im Vergleich zu 2007 jedoch steigen: 2007 gab es fünf ‚DH-Treffen’ mit insgesamt elf Sitzungstagen; für 2008 sind vier Treffen mit insgesamt zwölf Sitzungstagen geplant. 15 Siehe Kap. 5.2.
2.1 Struktur
39
Abbildung 6:
Treffen des KMB16
60 50 40 30 20 10
Abbildung 7:
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
0
Tagesordnungspunkte (TOP) des KMB17
35000 30000 25000 20000 15000 10000 5000 0 2003
2004 TOP normale KM B-Treffen
2005
2006
TOP DH-Treffen
Eine dritte Variante von KMB-Sitzungen sind informelle Treffen. Diese dienen insbesondere dem inhaltlichen Austausch zwischen den Ministerbeauftragten und Gästen. Insgesamt gab es bis heute 1017 Sitzungen des KMB.18 In der Regel finden die Treffen mittwochs am Sitz des Europarats in Straßburg statt. Eine Ausnahme war die 1000. Sitzung des KMB. Diese fand Ende Juni 2007 in Belgrad statt.
16
CM/Inf (2007) 1. CM/Inf (2007) 1. 18 Stand: Februar 2008. 17
40
2 Ministerkomitee
Beispiel: 1000. Sitzung des Komitees der Ministerbeauftragten Am 22. Juni 2007 traf sich das KMB zu seiner 1000. Sitzung. Auf Einladung des serbischen Vorsitzes des Ministerkomitees tagten die Ministerbeauftragten in Belgrad. Während sich das KMB normalerweise mit dem Tagesgeschäft des Europarats auseinandersetzt, standen bei dieser Jubiläumssitzung grundsätzlichere Fragen für die Organisation im Mittelpunkt. In dieser Hinsicht ähnelte das Treffen den jährlichen Sitzungen des Ministerkomitees. Zwei weitere Parallelen zu den Sitzungen des Ministerkomitees lassen sich zeigen. Auf dem Jubiläumstreffen nahmen die Ministerbeauftragten im Namen des Ministerkomitees die Deklaration One Europe – Our Europe19 an, in der mittel- bis langfristige Ziele und Perspektiven des Europarats thematisiert werden. In der Erklärung ging es jedoch nicht um das Setzen einer neuen Agenda für den Europarat, sondern um die Bekräftigung bereits vereinbarter Ziele und Verpflichtungen. Hauptbezugspunkt war das dritte Gipfeltreffen des Europarats.20 Mehrere der auf dem Gipfeltreffen verabschiedeten Schlussfolgerungen wurden in der Deklaration der Ministerbeauftragten aufgegriffen. Hierzu gehörten die Sicherung der Wirksamkeit des Kontrollmechanismus der EMRK sowie die angestrebte Fokussierung der Organisation „on the core objective of preserving and promoting human rights, democracy and the rule of law“21. Ebenfalls entgegen der üblichen Handhabung wurde das Treffen der Ministerbeauftragten anlässlich des Jubiläums öffentlich durchgeführt. So kam es zu einem Meinungsaustausch mit Jugendlichen und Studenten der Universität Belgrad sowie mit Vertreten der Zivilgesellschaft. Zuvor hatten die Ministerbeauftragten bereits über die Lage der Demokratie in Europa und die Rolle des Europarats in dieser Frage debattiert. Einer der einführenden Redner war der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg.22 Einen zweiten thematischen – sowie vorsitzspezifischen – Schwerpunkt des Treffens bildete die Zusammenarbeit in Südosteuropa, zu der es ebenfalls eine Aussprache gab.
2.1.3 Ausschüsse des Ministerkomitees Die Arbeiten des Ministerkomitees und des KMB werden von Ausschüssen unterstützt. Zunächst zu den Ausschüssen des Ministerkomitees. Nach Art. 17 der Europaratssatzung kann das Ministerkomitee „zu jedem ihm wünschenswert erscheinenden Zwecke beratende oder technische Komitees oder Ausschüsse einsetzen.“ Zwei Typen von Ausschüssen sind zu unterscheiden.23 Zum einen gibt es Ausschüsse, die direkt gegenüber dem Ministerkomitee verantwortlich sind. Dies sind einerseits Lenkungsausschüsse (steering committees) mit Planungs- und Steuerungsfunktion und andererseits Ad-hoc-Ausschüsse (ad hoc committees). Letztere befassen sich mit enger gefassten Aufgaben als die Lenkungsausschüsse. Abbildung 8 zeigt Beispiele für die mehr als 30 Lenkungsausschüsse des Ministerkomi-
19
Der Titel der Deklaration entsprach dem Motto des serbischen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats. Siehe Kap. 2.1.5. Vgl. Declaration-1 (2007). 22 Siehe Kap. 7. 23 Vgl. Resolution (2005) 47. 20 21
2.1 Struktur
41
tees.24 Zum anderen können die bereits angeführten, direkt gegenüber dem Ministerkomitee verantwortlichen Ausschüsse ihrerseits Unterausschüsse einrichten. Dies geschieht entweder in Form von Expertenausschüssen (committees of experts) oder von Ad-hoc-Beratungsgruppen (ad hoc advisory groups). Abbildung 8:
Lenkungsausschüsse des Ministerkomitees (Auswahl)
Abkürzung
Vollständige Bezeichnung
CDBI
Lenkungsausschuss für Bioethik
CDCJ
Europäischer Ausschuss für Rechtliche Zusammenarbeit
CDCS
Lenkungsausschuss für Soziale Kohäsion
CDDH
Lenkungsausschuss für Menschenrechte
CDED
Lenkungsausschuss für Bildung
CDEG
Lenkungsausschuss für die Gleichstellung von Frauen und Männern
CDEJ
Lenkungsausschuss für Jugend
CDMM
Lenkungsausschuss für Massenmedien
CDLR
Lenkungsausschuss für Kommunale und Regionale Demokratie
CDPC
Europäischer Ausschuss für die Probleme der Kriminalität
CDSP
Lenkungsausschuss für Gesundheit
CEPEJ
Europäische Kommission für die Wirksamkeit der Justiz
Die Mitglieder der Ausschüsse werden von den Regierungen der Europaratsstaaten benannt. Die Verbindung zwischen den Lenkungsausschüssen und den Expertenausschüssen zeigen die ersten beiden Buchstaben des Akronyms der Expertenausschüsse, welche die beiden letzten Buchstaben der Kurzbezeichnung des Lenkungsausschusses sind. Im Falle des Lenkungsausschusses für Menschenrechte (CDDH) beginnen dessen Expertenausschüsse folglich mit ‚DH’. Eingesetzt hat der CDDH zum Beispiel die Expertengruppe zur Entwicklung der Menschenrechte (DH-DEV) und die Expertengruppe zu Menschenrechte und Kampf gegen den Terrorismus (DH-S-TER). Weitere Beispiele sind der Expertenausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (LR-CT) des Lenkungsausschusses für Kommunale und Regionale Demokratie (CDLR) und der Expertenausschuss für Familienrechtsfragen (CJ-FA) des Europäischen Ausschusses für Rechtliche Zusammenarbeit (CDCJ). Die nicht öffentlich tagenden Ausschüsse des Ministerkomitees sind beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Mitglieder anwesend sind. Jedes Ausschussmitglied hat eine Stimme. Abstimmungen gibt es allerdings nur in den Lenkungsausschüssen. Dort werden Beschlüsse mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen. In den anderen Ausschüssen (Ad-hoc-Ausschüsse, Expertenausschüsse, Ad-hoc-Beratungsgruppen) treffen die Mitglieder die Entscheidungen einvernehmlich. Lässt sich keine Einstimmigkeit herstellen, wird eine ‚Empfehlung der Mehrheit’ entworfen, in der auch die abweichenden Meinungen
24 Die Zahl der Ad-hoc-Ausschüsse und Unterausschüsse des Ministerkomitees ist in den letzten Jahren deutlich reduziert worden. Den Anstoß für diese Rationalisierung gab das Warschauer Gipfeltreffen. Vgl. CM (2006) 168.
42
2 Ministerkomitee
festzuhalten sind. In allen Fällen sind die Beschlüsse der Ausschüsse für das Ministerkomitee nicht bindend. Die Ausschüsse beraten das Ministerkomitee wie auch den Generalsekretär des Europarats in Fragen, die in ihren spezifischen Themenbereich fallen. Die Ausschüsse stellen maßgebliche Einheiten für die Entwicklung und Durchführung der in den jährlichen Arbeitsprogrammen des Europarats festgelegten zwischenstaatlichen Kooperationsaktivitäten der Organisation dar.25 In ihren jeweiligen Themengebieten erarbeiten die Ausschüsse beispielsweise Entwürfe für Empfehlungen, Übereinkommen oder Konventionen – und somit für die zentralen Grundlagen des vom Europarat anvisierten einheitlichen europäischen Rechtsraums. Eine andere Aufgabe kann die Überwachung der Einhaltung bzw. die Begleitung der Umsetzung der Europaratsverträge oder der Beschlüsse des Ministerkomitees sein. Ferner führen Ausschüsse Veranstaltungen (Workshops, Seminare, Konferenzen etc.) durch. Bei diesen werden Inhalte für die zwischenstaatlichen Programme des Europarats entwickelt oder die Ergebnisse der zwischenstaatlichen Aktivitäten implementiert. Einige Ausschüsse sind auch im Kontext der Fachministerkonferenzen tätig.26 Unterstützt werden die Ausschüsse vom Sekretariat des Europarats. Das Europaratssekretariat stellt beispielsweise den Sekretär des jeweiligen Ausschusses und nimmt Verwaltungsaufgaben bzw. organisatorische Tätigkeiten für die Ausschüsse wahr. Der Generalsekretär des Europarats wiederum hat für die Koordination zwischen den Ausschüssen zu sorgen. Das gilt insbesondere für die Unterrichtung eines Ausschusses über die Arbeiten anderer Ausschüsse. Koordination soll jedoch nicht nur zwischen den Ausschüssen des Ministerkomitees erfolgen, sondern auch zwischen diesen und den Ausschüssen des KMB.27 Hierfür ist die wechselseitige Einbindung von Ausschussvorsitzenden in Sitzungen anderer Ausschüsse vorgesehen. Beispiel: Lenkungsausschuss für Kommunale und Regionale Demokratie Anhand des Lenkungsausschusses für Kommunale und Regionale Demokratie (CDLR) lassen sich die Tätigkeiten der Ausschüsse des Ministerkomitees illustrieren.28 Die Themenschwerpunkte des 1967 eingerichteten CDLR sind demokratische Teilhabe, Institutionen und rechtliche Rahmenstrukturen, kommunale Finanzen, öffentliche Dienste sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Unterstützt wird der CDLR bei seinen Aktivitäten durch das Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen des Europaratssekretariats. Zentraler Partner ist dort das Direktorat für die Zusammenarbeit im Bereich kommunaler und regionaler Demokratie, welches als Sekretariat des CDLR fungiert. Zu den maßgeblichen inhaltlichen Bezugspunkten des CDLR gehören die Konventionen des Europarats zu Fragen kommunaler und regionaler Demokratie. Hierzu zählt insbesondere die Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung (1985 aufgelegt/seit 1988 in Kraft). Zu nennen sind weiterhin das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (1980/1981) zur Förderung grenzübergreifender Kooperation von Kommunen und Regionen sowie das auf die bessere Integration von Ausländern in das kommunale Leben abzielende Übereinkom25
Siehe Kap. 2.2. Siehe Kap. 2.1.6. 27 Siehe Kap. 2.1.4. 28 Vgl. http://www.coe.int/T/E/Legal_Affairs/Local_and_regional_Democracy (zuletzt abgerufen am 30.1.2008). 26
2.1 Struktur
43
men über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben (1992/ 1997). Hinzu kommen verschiedene Empfehlungen des Ministerkomitees zu Fragen kommunaler und regionaler Demokratie.29 Ein dritter Referenzpunkt ist die im Februar 2005 auf einer Fachministerkonferenz des Europarats angenommene ‚Deklaration von Budapest’.30 Die für kommunale und regionale Fragen zuständigen Minister der Europaratsstaaten stimmten in dieser überein „to make ‘delivering good local and regional governance’ an essential objective to be pursued by our member States in order to respond to the challenges facing our societies and meet the legitimate expectations of our citizens.“31
Das Arbeitsprogramm des Europarats betraut den CDLR mit vier Aufgaben. Erstens soll der Ausschuss die Umsetzung der ‚Deklaration von Budapest’ verfolgen. Zweitens hat er das Ministerkomitee grundsätzlich in allen Fragen bezüglich kommunaler und regionaler Demokratie zu beraten. Drittens obliegt es dem CDLR, Treffen der für kommunale und regionale Fragen zuständigen Minister vorzubereiten und die Nachbearbeitung dieser Fachministerkonferenzen sicherzustellen. Viertens soll der Ausschuss Vorschläge für die jährlichen Arbeitsprogramme des Europarats unterbreiten.32 Diese allgemeinen Vorgaben lassen sich an einem Arbeitsschwerpunkt konkretisieren, dem Bereich Institutionen und rechtliche Rahmenstrukturen der kommunalen und regionalen Demokratie. Hier wirkt der CDLR zum Beispiel darauf ein, dass bei Reformen der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung die Inhalte der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung sowie eine diese Frage thematisierende Empfehlung des Ministerkomitees33 berücksichtigt werden. Daneben versucht der Ausschuss, innovative Entwicklungen im Bereich der regionalen Selbstverwaltung zu identifizieren und weiterzugeben. Die Informationsweitergabe wird auch für Fragen der Zusammenarbeit auf Gemeindeebene bzw. zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen angestrebt.
2.1.4 Untereinheiten des Komitees der Ministerbeauftragten Wie das Ministerkomitee durch seine Ausschüsse wird auch das KMB von Untereinheiten unterstützt. Das KMB kann seit 1985 Untereinheiten einrichten. In diesen treffen sich oftmals nicht die Ministerbeauftragten selbst, sondern deren abstimmungsberechtigte Vertreter (i. d. R. Angehörige der Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten beim Europarat). Die Untereinheiten lassen sich in vier Kategorien unterteilen (Abbildung 9): Berichterstattergruppen (rapporteur groups; GR), Arbeitsgruppen (working groups; GT), Verbindungsausschüsse (liaison committees; CL) sowie Themenkoordinatoren (thematic co-ordinators; TC).
29
Hierzu gehören u. a. Recommendation (2001) 19; Recommendation (2005) 2. Siehe Kap. 2.1.6. MCL-14 (2005) 4 final: Ziff. I/1. 32 Die Aufgaben des CDLR finden sich in dessen Specific Terms of Reference. 33 Vgl. Recommendation (2004) 12. 30 31
44
2 Ministerkomitee
Abbildung 9:
Untereinheiten des KMB34 Typ
Berichterstattergruppen (GR)
Arbeitsgruppen (GT) Verbindungsausschüsse (CL)
Themenkoordinatoren (TC)
Einheiten ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Verwaltung und Budget (GR-AB) Bildung, Kultur, Sport, Jugend und Umwelt (GR-C) Demokratie (GR-DEM) Auswärtige Beziehungen (GR-EXT) Menschenrechte (GR-H) Rechtliche Zusammenarbeit (GR-J) Soziales und Gesundheit (GR-SOC) Monitoring (GT-SUIVI.AGO) Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu institutionellen Reformen (GT-REF.INST) EGMR (CL-CEDH) Gleichstellung von Frauen und Männern (TC-EG) Kinder (TC-ENF) Religiöse Dimension des interkulturellen Dialogs (TC-ID) Informationspolitik (TC-INF) Kommunale und Regionale Zusammenarbeit (TC-LARC) Arbeitsprogramm (TC-PROG)
Die Hauptfunktion der Untereinheiten, in denen sich die Themenvielfalt des Europarats widerspiegelt, besteht in der Vorbereitung der KMB-Sitzungen. Diese Aufgabe erschöpft sich jedoch nicht im bloßen Austausch von Positionen. Falls möglich, werden bereits in den Untereinheiten die Positionen der Staaten harmonisiert. In seinen Sitzungen muss das KMB die vorher abgestimmten Punkte nur noch beschließen, ohne dass eine weitere Aussprache notwendig wäre. Das KMB kann sich dadurch auf die Klärung strittiger Fragen konzentrieren. Zu den konkreten Tätigkeiten der Arbeitsgruppen gehört die Entwicklung von Antworten auf Empfehlungen, welche die Parlamentarische Versammlung an das Ministerkomitee richtet. Daneben werden Entwürfe zu Empfehlungen und Resolutionen erarbeitet, die anschließend vom KMB im Namen des Ministerkomitees bzw. vom Ministerkomitee selbst verabschiedet werden. Wie beim KMB ist auch die Zahl der Sitzungen von dessen Untereinheiten seit Anfang der 1990er Jahre deutlich gestiegen (Abbildung 10). Seit 1994 fanden mindestens 100 Sitzungen pro Jahr statt. Der Rückgang von 2004 (139 Sitzungen) zu 2005 (112) erklärt sich vor allem durch die Zusammenlegung oder die Auflösung von Untereinheiten. So wurde beispielsweise die Berichterstattergruppe EU (GR-EU) und die Berichterstattergruppe OSZE (GR-OSZE) zur Berichterstattergruppe Auswärtige Beziehungen (GR-EXT) zusammengelegt. Die Arbeitsgruppe GT-SOM3, welche das dritte Gipfeltreffen vorbereitete, wurde aufgelöst.35
34 35
Vgl. http://www.coe.int/t/cm/subsidiaryGroups_en.asp (zuletzt abgerufen am 19.2.2008). Zur Weiterverfolgung der Gipfelbeschlüsse setzte das Ministerkomitee den Ausschuss CM-SUIVI3 ein.
2.1 Struktur
45
Abbildung 10: Sitzungen der Untereinheiten des KMB36 160 140 120 100 80 60 40 20 2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
0
Die Berichterstattergruppen treffen sich zumeist dienstags und donnerstags. Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Zusammentreffen. Prinzipiell am häufigsten kommt die Berichterstattergruppe Demokratie (GR-DEM) zusammen, nämlich alle drei Wochen. Die Berichterstattergruppe Verwaltung und Budget (GR-AB) trifft sich alle vier Wochen, die anderen Berichterstattergruppen alle sechs Wochen. Die übergeordnete bzw. integrierende Rolle der Berichterstattergruppen innerhalb der Untereinheiten des KMB zeigt sich daran, dass die Arbeitsgruppen bzw. Themenkoordinatoren ihre Ergebnisse in einzelne Berichterstattergruppen einfließen lassen. Als Beispiel: Bei Sitzungen der Berichterstattergruppe Demokratie (GR-DEM) können die Arbeitsgruppe Monitoring (GTSUIVI.AGO) und der Themenkoordinator für Kommunale und Regionale Zusammenarbeit (TC-LARC) ein Zeitfenster zur Darstellung ihrer Arbeiten anfordern.37 Beispiel: Berichterstattergruppe Demokratie Anhand der Berichterstattergruppe Demokratie (GR-DEM) lässt sich die Arbeit der Berichterstattergruppen als den maßgeblichen Untereinheiten des KMB illustrieren. Als Beispiele dienen Sitzungen aus dem Jahr 2006.38 Die von GR-DEM innerhalb dieses Zeitraums behandelten Themen fallen in drei Kategorien. Erstens diskutierte die Berichterstattergruppe aktuelle Sachfragen. Die Vertreter von Georgien und Moldau beanstandeten beispielsweise das von Russland verhängte Importverbot für Wein aus ihren Ländern. Der Zusam36
CM/Inf (2007) 1. Die weitere Zuordnung lautet: TC-EG (Gleichstellung) zu GT-H (Menschenrechte) sowie TC-PROG (Arbeitsprogramm), TC-INF (Informationspolitik), GT-REF.INST (institutionelle Reformen) und GT-BS (Budget) zu GRAB (Verwaltung und Budget). Vgl. CM (2005) 181 revised: Ziff. 15. 38 Diskutiert werden die Sitzungen von Mai, Juni, Juli und September 2006. Dieser Zeitraum wurde deshalb gewählt, weil er – bezogen auf den Zugang zu den Sitzungsdokumenten – zu den aktuellsten gehört. Grund hierfür ist, dass die Synopsen der Sitzungen der Berichterstattergruppen zunächst nicht veröffentlicht werden. Sollte das Ministerkomitee nicht anders entscheiden, werden die Dokumente allerdings ein Jahr nach ihrem Erscheinen öffentlich zugänglich gemacht. Vgl. Resolution (2001) 6. 37
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menfassung des Treffens nach zu urteilen, kam es allerdings zu keiner intensiven Aussprache. In jedem Fall wurde im Rahmen von GR-DEM begrüßt, dass Schritte zur Lösung des Streitfalls in die Wege geleitet worden seien. Zweitens wurden Themen behandelt, die seitens des Ministerkomitees bzw. des Sekretariats des Europarats im Auftrag des Ministerkomitees kontinuierlich verfolgt werden. Exemplarisch hierfür ist die Aussprache über einen – den insgesamt zwölften – vom Generaldirektor für Demokratie und Politische Fragen des Europaratssekretariats präsentierten Bericht zur Einhaltung der von Bosnien und Herzegowina gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen. Neben positiven Entwicklungen (u. a. Reform der Streitkräfte) konstatierte die Berichterstattergruppe jedoch weiterhin vorhandene Defizite, etwa bei der Reform der Verfassung oder dem Funktionieren des Justizsystems. Drittens setzte sich die Berichterstattergruppe mit einer Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung zu Belarus auseinander, welche diese im Nachgang zu den dortigen Präsidentschaftswahlen vom März 2006 verabschiedet hatte und in der die Parlamentarier Belarus scharf kritisierten.39 Die Befassung mit der Empfehlung der Versammlung zu Belarus zeigt auch, wie mühsam mitunter die Abstimmung in Berichterstattergruppen sein kann. Das Ministerkomitee ist verpflichtet, auf Empfehlungen der Parlamentarier zu antworten. Verabschiedet werden die Antworten des Ministerkomitees auf solche Empfehlungen im KMB. Für die Vorbereitung der Antworten zeichnen die Untereinheiten des KMB verantwortlich, in diesem Fall GR-DEM. Die Versammlung verabschiedete ihre Empfehlung zu Belarus Mitte April 2006. Auf dem nächstmöglichen Treffen Mitte Mai griff GR-DEM die Thematik auf und führte einen ersten Meinungsaustausch durch.40 In der Zusammenfassung des Treffens zeigt sich, dass mehrere – nicht genauer benannte – Vertreter von Europaratsstaaten unterschiedliche Sichtweisen auf die Frage hatten und entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte in der an die Versammlung adressierten Antwort sehen wollten. Am Ende der Sitzung wurde das Sekretariat des Europarats beauftragt, für die nächste Sitzung der Berichterstattergruppe Anfang Juni einen ersten Entwurf für die Antwort des Ministerkomitees zu entwickeln. In der Juni-Sitzung präsentierte der Generaldirektor für Politische Fragen des Europaratssekretariats Elemente eines Antwortentwurfs.41 Diese wurden von einem Land kritisiert; alle anderen Staaten waren mit der Richtung der Antwort einverstanden. Auf der folgenden Sitzung Anfang Juli wurde der überarbeitete Antwortentwurf diskutiert.42 Es konnte jedoch erneut keine Einigkeit erzielt werden. Einige Staaten kritisierten die Änderungsvorschläge Russlands, das in der Zusammenfassung des Treffens namentlich genannt wurde, am Antwortentwurf. Die Vorschläge würden die grundsätzliche Ausrichtung der Antwort verändern. Andere Staaten stimmten dieser Einschätzung zwar zu, verwiesen jedoch auf die Haltung Russlands, welches einen konstruktiven Dialog über die Lage in Belarus führen wolle. Vor diesem Hintergrund einigte sich die Berichterstattergruppe auf eine abermalige Vertagung des Themas auf ihre Sitzung Anfang September. In der September-Sitzung erzielte das KMB abermals keine Einigkeit über den Antwortentwurf.43 Weiterhin verhinderte eine (diesmal in der Zusammenfassung des Treffens 39
Siehe Kap. 3.1. Vgl. GR-DEM (2006) CB6. 41 Vgl. GR-DEM (2006) CB7. 42 Vgl. GR-DEM (2006) CB8 revised. Siehe CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov für den ersten Antwortentwurf. 43 Vgl. GR-DEM (2006) CB9. 40
2.1 Struktur
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nicht genannte) Delegation die Verabschiedung mit der Begründung, die Antwort gehe weit über die Anfrage der Versammlung hinaus und enthalte außerdem fehlerhafte und überholte Informationen. ‚Aufgelöst’ wurde diese Pattsituation schließlich durch die Überweisung der ungelösten Frage an das KMB. Auf seiner nächsten Sitzung Mitte September sollte sich dieses auf eine Antwort einigen. Vorab wurde der Antwortentwurf vom Vorsitzenden der Berichterstattergruppe GR-DEM nochmals leicht überarbeitet bzw. ergänzt.44 Im KMB kam es dann am 13. September 2006 auch zu einer Einigung auf eine Antwort zur Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung. Die vom KMB im Namen des Ministerkomitees verabschiedete Antwort spiegelt die Diskussionen in der Berichterstattergruppe wider.45 Einerseits bekräftigt sie die von der Versammlung geäußerte Kritik, unter anderem am Umgang mit Oppositionellen und am staatlichen Einfluss auf die Medien. Andererseits wird an verschiedenen Stellen die Gesprächsbereitschaft des Europarats betont, dessen Türen für ein die Grundsätze der Organisation einhaltendes Land offenstünden. Auf welche Weise – einvernehmlich oder per Mehrheitsentscheidung46 – die Antwort auf die Empfehlung der Versammlung letztlich getroffen wurde, lässt sich den veröffentlichten Dokumenten nicht entnehmen.
2.1.5 Gipfeltreffen Neben den Sitzungen des Ministerkomitees in Zusammensetzung der Außenminister der Mitgliedstaaten kennt der Europarat noch weitere Formen von Spitzentreffen auf Ministerebene bzw. sogar auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten. Gemeint sind zum einen die spezifische Themenbereiche abdeckenden Fachministerkonferenzen, die weiter unten diskutiert werden. Zunächst richtet sich der Blick auf die andere ‚Sonderform’: die Gipfeltreffen des Europarats. Gemessen an der fast sechzigjährigen Geschichte der Organisation sind Gipfeltreffen ein vergleichsweise neues Phänomen, das zudem in unregelmäßigen Abständen auftritt. Bislang hat es drei Gipfeltreffen des Europarats gegeben: 1993, 1997 und 2005 (Abbildung 11). Auf den – in der Satzung des Europarats nicht erwähnten – Treffen kommen die Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten zusammen. Die Gipfeltreffen setzen insbesondere politische Signale. In einem noch stärkeren Maße als bei den Sitzungen des Ministerkomitees werden grundlegende Fragen für den Europarat und dessen Zukunft diskutiert. Vor allem die gegenwärtige und künftige Rolle und Funktion des Europarats im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses sowie die Selbstbehauptung der Organisation gegenüber anderen Akteuren, allen voran gegenüber der EU, stehen im Mittelpunkt. Die Ergebnisse der Treffen werden stets in rechtlich unverbindlichen, jedoch politisch bin44
Verändert wurde z. B. die Bewertung der Verurteilung eines Oppositionellen (von „harsh sentencing“ zu „disproportionate sentencing“). Hinzugefügt wurde u. a. eine Aussage, in der das Ministerkomitee seine Unterstützung einer Universität in Vilnius ausdrückt, die weißrussische Studenten unterstützen würde. Die Vorlage für die Sitzung der GR-DEM von Anfang September findet sich in CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov2 und die nach der Sitzung nochmals angepasste Version des Antwortentwurfs in CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov3. 45 Vgl. CM/AS (2006) Recommendation 1745 final. 46 Wie in Kap. 2.4 geschildert, soll das Ministerkomitee (wie auch das KMB) Antworten auf Empfehlungen der Versammlung einvernehmlich verabschieden. Lässt sich jedoch keine Einigkeit herstellen, besteht die Möglichkeit zur Annahme einer Antwort per Mehrheitsentscheidung.
48
2 Ministerkomitee
denden Gipfelerklärungen festgehalten. Ergänzt werden die Erklärungen durch Aktionspläne zur Umsetzung der allgemeinen Vorgaben. Hintergründe, zentrale Botschaften sowie wegweisende Impulse der bisherigen drei Gipfeltreffen werden im Folgenden diskutiert. Abbildung 11: Die Gipfeltreffen des Europarats Gipfeltreffen
Impulse ¾ ¾
1. Gipfeltreffen ¾ Wien 8./9. Oktober 1993 ¾ ¾ ¾ 2. Gipfeltreffen
¾
Straßburg 10./11. Oktober 1997
¾ ¾
3. Gipfeltreffen Warschau 16./17. Mai 2005
¾ ¾
Schaffung des ständigen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) initiiert Etablierung des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats angestoßen Einrichtung der Europäischen Kommission gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz (ECRI) in die Wege geleitet Entwicklung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten beschlossen Anstoß des Monitoring-Systems des Ministerkomitees Einrichtung des Amtes des Menschenrechtskommissars des Europarats initiiert Entwicklung eines Zusatzprotokolls über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin angestoßen Einsetzung eines Committee of Wise Persons zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Reform des Europarats in die Wege geleitet Beauftragung des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker mit der Entwicklung von Vorschlägen zur Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Europarat und EU Einsetzung einer Group of Wise Persons angestoßen, die Vorschläge zur langfristigen Sicherung der Arbeitsfähigkeit des EGMR erarbeiten soll Etablierung des Forums für die Zukunft der Demokratie zur Unterstützung von Demokratie und guter Regierungsführung in den Europaratsstaaten initiiert
Das erste Gipfeltreffen fand am 8./9. Oktober 1993 in Wien statt. Das Treffen stand ganz im Zeichen des Endes des Ost-West-Konflikts und des dadurch möglich gewordenen ‚Erweiterungsschubs’ der Organisation.47 Zwischen 1990 und 1993 war die Mitgliedschaft des Europarats bereits von 23 auf 32 Staaten angewachsen. Zugleich war die Aufnahme weiterer Staaten absehbar. Bis zum nächsten Gipfeltreffen im Oktober 1997 traten weitere acht Staaten bei. Das Gipfeltreffen des Europarats hatte einen doppelten Zweck. Erstens suchten die Staats- und Regierungschefs nach Wegen, die bis dato vollzogene Erweiterung des Europarats zu bewältigen. Diese Bewältigung hatte ihrerseits zwei Dimensionen: eine normative und eine funktionale. Bei der normativen Dimension stellte sich die Frage, wie die eigenen Werte in allen Europaratsstaaten durchgesetzt werden können. Die funktionale Dimension hatte die Erweiterungsfähigkeit der Organisation im Blick, verstanden als Sicherung der 47
Siehe Kap. 1.3.
2.1 Struktur
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Funktionsfähigkeit der Institutionen. In der Abschlusserklärung des Gipfels, der ‚Wiener Erklärung’48, betonen die Staats- und Regierungschefs ihren Willen „to promote the integration of new member States and to undertake the necessary reforms of the Organisation [des Europarats; KB]“. Zweitens sollte vom Gipfeltreffen das Signal an weitere Beitrittsaspiranten ausgehen, dass die Erweiterung des Europarats noch nicht abgeschlossen sei. Vielmehr bekräftigen die Staats- und Regierungschefs die fortgesetzte Offenheit der Organisation für weitere Staaten. Hierzu heißt es in der Wiener Gipfelerklärung: „The Council of Europe is the pre-eminent European political institution capable of welcoming, on an equal footing and in permanent structures, the democracies of Europe freed from communist oppression. For that reason the accession of those countries to the Council of Europe is a central factor in the process of European construction based on our Organisation’s values.”
Der Beitritt zum Europarat sollte jedoch nicht voraussetzungslos möglich sein. Stattdessen wurde ein solcher Schritt explizit an die Einhaltung bestimmter Bedingungen geknüpft. Nur Staaten, die ihre Institutionen und ihr Rechtssystem mit den Grundprinzipien des Europarats (Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit) in Einklang brächten, kämen nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs für eine Aufnahme in Betracht. Konkret angeführt wurden in der ‚Wiener Erklärung’ unter anderem die Bereiche Meinungs- und Medienfreiheit, Minderheitenschutz sowie der rasche Beitritt zur EMRK. Die Beschlüsse des Wiener Gipfeltreffens versuchten, den unterschiedlichen Aspekten – Offenheit, Erweiterungsfähigkeit, Wahrung der eigenen Prinzipien – Rechnung zu tragen. Um bereits vollzogene wie auch angestrebte künftige Beitritte organisatorisch bewältigen und zugleich die Einhaltung der eigenen Standards in den Mitgliedstaaten überprüfen bzw. gewährleisten zu können, wurden bestehende Institutionen reformiert und neue Institutionen geschaffen. Zentral war der Beschluss, das Kontrollsystem der EMRK zu reformieren. Der auf dem Gipfeltreffen gegebene Anstoß führte zum 11. Protokoll zur EMRK, das insbesondere zu einem einheitlichen und ständigen EGMR führte.49 Neu geschaffen im Zuge der Umsetzung eines Impulses des Wiener Gipfeltreffens wurde der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats als genuines Vertretungsorgan der Interessen kommunaler und regionaler Gebietskörperschaften innerhalb der Organisation.50 Im Rahmen des im Anhang zur Wiener Erklärung verabschiedeten ‚Aktionsplans zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz’ wurde außerdem die Einrichtung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) angestoßen.51 Im Bereich des Minderheitenschutzes wiederum geht das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995 aufgelegt/1998 in Kraft) auf eine Vorgabe des Wiener Gipfeltreffens zurück.52 Schließlich wurde auch das Monitoring-System des Ministerkomitees vom Wiener Gipfeltreffen angeregt.53 Die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten der Organisation eingegangenen Verpflichtungen zu gewährleisten, gerade in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. 48
Vgl. Vienna Declaration (1993). Siehe Kap. 5.3. 50 Siehe Kap. 6. 51 Siehe Kap. 9. 52 Details zum Minderheitenschutzsystem des Europarats finden sich u. a. bei Pentassuglia (1999); Weller (2005). 53 Siehe Kap. 2.5. 49
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2 Ministerkomitee
Nach vier Jahren und der Aufnahme acht weiterer Staaten fand auf Einladung des französischen Präsidenten Jacques Chirac am 10./11. Oktober 1997 das zweite Gipfeltreffen des Europarats in Straßburg statt. Das Treffen schrieb die vom ersten Gipfel gesetzten Leitlinien fort. Die von den Staats- und Regierungschefs verfolgten Ziele für den Europarat lauteten „to redefine our priorities and adapt the functions of our Organisation to the new European context“. Weiterhin ging es somit um die Bewältigung der Erweiterung mittels der Anpassung der institutionellen Strukturen und thematischen Schwerpunkte des Europarats. In der Abschlusserklärung des Gipfels bekräftigten die Staats- und Regierungschefs die Wertetrias des Europarats wie auch die Notwendigkeit ihrer Umsetzung in allen Europaratsstaaten.54 Sie betonten ihr „attachment to the fundamental principles of the Council of Europe – pluralist democracy, respect for human rights, the rule of law – and the commitment of our governments to comply fully with the requirements and meet the responsibilities arising from membership of our Organisation“.
Nach diesen grundsätzlichen Aussagen zu den Werten und Zielen des Europarats und seiner Mitglieder setzte die Abschlusserklärung vier Schwerpunkte, die als zentral für die Verwirklichung der Europaratsziele angesehen wurden: ‚Menschenrechte und Demokratie’, ‚Sozialer Zusammenhalt’, ‚Neue Sicherheitsbedrohungen’ sowie ‚Bildung und Kultur’. Neben der Abschlusserklärung verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs einen ‚Aktionsplan’.55 In diesem werden die vier Schwerpunkte der Erklärung aufgegriffen und Vorschläge zu deren Umsetzung angeführt. Wie beim ersten Gipfeltreffen finden sich erneut sowohl Anstöße für die Reform bestehender als auch Impulse für die Schaffung neuer Institutionen. Die Staats- und Regierungschefs forderten beispielsweise die zügige Umsetzung des – auf dem ersten Gipfel angestoßenen – 11. Protokolls zur EMRK. Auch die Arbeit von ECRI zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz sollte intensiviert werden. Ferner beschlossen die Staats- und Regierungschefs, die Aktivitäten des Europäischen Sozialfonds auszuweiten, gerade in sozialen Bereichen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Das im April 1997 zur Zeichnung aufgelegte Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin wiederum sollte durch ein Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen ergänzt werden. Das Protokoll konnte im Januar 1998 aufgelegt werden und trat im März 2001 in Kraft. Zur Bekämpfung der Korruption wurden im Nachgang des Gipfels ‚20 Leitlinien’ verabschiedet. Neu geschaffen infolge des zweiten Gipfeltreffens wurde schließlich auch das Amt des Menschenrechtskommissars des Europarats, das zur Förderung der Menschenrechte in den Europaratsstaaten beitragen soll.56 Neben den vier inhaltlichen Blöcken enthielt der Aktionsplan als fünften Aspekt noch Hinweise zur Reform der Strukturen und Arbeitsmethoden des Europarats, die aufgrund veränderter Themen wie auch der gewandelten Mitgliedschaft des Europarats erforderlich sei. Das Ministerkomitee wurde beauftragt „to carry out the structural reforms needed to adapt the Organisation to its new tasks and its enlarged membership and to improve its decision-making process.“ Das Ministerkomitee setzte diese Vorgabe um, indem es bei seiner nächsten Sitzung im November 1997 den Beschluss zur Einsetzung eines Committee 54
Vgl. Strasbourg Declaration (1997). Vgl. Strasbourg Action Plan (1997). 56 Siehe Kap. 7. 55
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of Wise Persons traf. Anschließend definierte das KMB im Dezember 1997 den Handlungsrahmen des Ausschusses. Dieser lautete „to review the Council of Europe’s activities, means and working methods and elaborate proposals for reforming its structures“.57 Im Januar 1998 konstituierte sich der Ausschuss. Er umfasste zehn Personen und wurde vom ehemaligen Präsidenten Portugals, Mário Soares, geleitet. Im Oktober 1998 legten die Wise Persons ihren Abschlussbericht vor. Dem breiten Aufgabenspektrum entsprechend, beschränkten sich die Vorschläge des Ausschusses nicht auf mögliche Reformen der institutionellen Strukturen des Europarats. Darüber hinaus thematisierte der Ausschuss Optionen zur Steigerung der Sichtbarkeit und der Finanzierung der Organisation sowie das Zusammenspiel des Europarats mit anderen internationalen Organisationen. Mehrere Vorschläge des Ausschusses wurden in der Folgezeit umgesetzt. Es kam beispielsweise zu strukturellen Änderungen des Sekretariats des Europarats, etwa hinsichtlich des Zuschnitts der Generaldirektorate. Diese Reformen zogen ihrerseits korrespondierende – und mittlerweile überholte – Änderungen bei den Berichterstattergruppen des KMB nach sich (eine Gruppe pro Generaldirektorat).58 Außerdem schloss der Europarat ganz im Sinne der Expertengruppe ein Rahmenabkommen mit der EU zur Ausweitung und Effektivierung der bilateralen Zusammenarbeit ab. Das dritte Gipfeltreffen des Europarats fand unter polnischem Vorsitz im Ministerkomitee am 16./17. Mai 2005 in Warschau statt. Wie bei den vorherigen Gipfeln standen grundsätzliche Fragen im Mittelpunkt der Diskussionen der Staats- und Regierungschefs der damals 46 Europaratsstaaten. Hierzu zählten die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Europarats und seiner Institutionen sowie, noch grundlegender, die langfristige Positionierung des Europarats innerhalb des europäischen Integrationsprozesses. Erneut führten die Diskussionen zur Annahme einer Gipfelerklärung (‚Warschauer Erklärung’) und eines ‚Aktionsplans’. In der ‚Warschauer Erklärung’ kommt es zunächst zu einer Art Lagebericht.59 In wenigen Sätzen werden die übergeordneten Ziele der Organisation betont. Nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs gehe es für den Europarat im Kern um den weiteren Ausbau der paneuropäischen Einheit, und zwar unter Achtung der Werte der Organisation: „Further progress in building a Europe without dividing lines must continue to be based on the common values embodied in the Statute of the Council of Europe: democracy, human rights and the rule of law.”
Zugleich wird auf Hindernisse und Bedrohungen verwiesen, welche der Zielerreichung im Wege stünden. Neben nicht näher spezifizierten neuen Herausforderungen und Bedrohungen gehörten hierzu „unresolved conflicts that still affect certain parts of the continent, putting at risk the security, unity and democratic stability of member states and threatening the populations concerned.”
57
CM (98) 178: Appendix III. Die Berichterstattergruppen wurden 2006 abermals reorganisiert. Der aktuelle Zuschnitt entspricht dem weiter oben beschriebenen. 59 Vgl. CM (2005) 79 final. 58
52
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Dem schließen sich Handlungserfordernisse zur Überwindung der bestehenden Hürden, und somit zur Umsetzung der Zielvorgaben, an. Zur Durchsetzung der Wertetrias des Europarats – wozu alle Aktivitäten des Europarats beizutragen hätten – müsse unter anderem die Funktionsfähigkeit des EGMR gewährleistet werden. Eine andere Vorgabe lautete, den europäischen Rechtsraum durch den weiteren Ausbau des Vertragssystems der Organisation (Konventionen, Übereinkommen etc.) weiter zu entwickeln. Auch die Zusammenarbeit des Europarats mit anderen Organisationen, insbesondere mit der EU, sollte auf eine neue Grundlage gestellt werden. Zu den weiteren Themenschwerpunkten zählten die Sicherheit der Bürger Europas (u. a. Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität), die Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung sowie die Stärkung europäischer Einheit und Identität. Wie beim zweiten Gipfeltreffen wurden die Vorgaben der Gipfelerklärung in einem ‚Aktionsplan’ konkretisiert.60 Dieser gliedert sich in fünf Teile. Teil 1 beschäftigt sich mit der Förderung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Hier finden sich unter anderem Vorschläge darüber, wie die langfristige Effektivität des EGMR gewährleistet werden kann, wie andere Institutionen des Europarats (u. a. der Menschenrechtskommissar und der Antifolterausschuss) zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten beitragen können und wie die Einhaltung der von den Europaratsstaaten eingegangenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Teil 2 behandelt Möglichkeiten zur Stärkung der Sicherheit der europäischen Bürger. Angeführt werden Maßnahmen zum Kampf gegen Terrorismus, Korruption, organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Datennetzkriminalität. Teil 3 thematisiert Maßnahmen für ein menschlicheres Europa. Ansatzpunkte sind beispielsweise soziale Kohäsion, Kinderfreundlichkeit, Bildung, die Sicherung und Förderung kultureller Vielfalt, interkultureller Dialog und Migrationsmanagement. Teil 4 erörtert Möglichkeiten zum Ausbau der Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen, insbesondere mit der EU, der OSZE und der UNO. Teil 5 schließt mit Hinweisen zur Umsetzung des Aktionsplans. Mit dieser Aufgabe wurde das Ministerkomitee betraut. Es setzte daraufhin einen ausschließlich mit der Weiterverfolgung der Beschlüsse des dritten Gipfels betrauten Ausschuss ein (CM-SUIVI3). Wie bei den vorherigen Gipfeln gingen auch vom Warschauer Treffen verschiedene Impulse für die Anpassung und Entwicklung des Europarats aus. Hierzu gehörten vielfältige Maßnahmen, die – jenseits der Organisation wohl weithin unbemerkt – auf der zwischenstaatlichen Kooperationsebene des Europarats innerhalb der Ausschüsse des Ministerkomitees durchgeführt wurden. Drei Aktivitäten aus dem Kontext der Stärkung von Demokratie, guter Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit dienen als Beispiele. Hier trieb der Lenkungsausschuss für Menschenrechte (CDDH) die Arbeiten an einer Konvention über den Zugang zu offiziellen Dokumenten voran. Der Europäische Ausschuss für Rechtliche Zusammenarbeit (CDCJ) erarbeitete eine Empfehlung des Ministerkomitees zum Status von NGOs innerhalb des Europarats. Die Europäische Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) schließlich forcierte ihre Untersuchung der Justizsysteme der Europaratsstaaten und sich daraus ergebender Unterstützungsmaßnahmen für letztere.61 In ihrer Außenwirkung ‚wahrnehmbarer’ waren die folgenden drei Impulse des Gipfels. Im Kontext der Wahrung der Funktionsfähigkeit des EGMR wurde die Einsetzung einer Group of Wise Persons beschlossen. Die Aufgabe der Gruppe lautete, eine Strategie 60 61
Vgl. CM (2005) 80 final. Eine detaillierte Bestandsaufnahme der Weiterverfolgung der Gipfelbeschlüsse findet sich in CM (2007) 76.
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zur langfristigen Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kontrollsystems der EMRK zu entwickeln.62 Um die Beziehungen zur EU auf eine neue Grundlage stellen zu können, sollte wiederum der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in ‚persönlicher Eigenschaft’ einen Bericht zum Zustand der Beziehungen zwischen dem Europarat und der EU vorlegen.63 Des Weiteren wurde das Forum für die Zukunft der Demokratie ins Leben gerufen. Dessen bisherige Aktivitäten werden im folgenden Beispiel dargestellt. Beispiel: Forum für die Zukunft der Demokratie Den Hintergrund für die Einrichtung des Forums für die Zukunft der Demokratie bildet die Einschätzung, dass die Zufriedenheit der europäischen Bürger mit der Demokratie sowie das Vertrauen in deren Problemlösungsfähigkeiten abzunehmen scheinen. Als Indikatoren hierfür werden seitens des Forums das nachlassende Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen, die zurückgehende Wahlbeteiligung bzw. allgemein das geringer werdende politische Engagement sowie die komplexer werdenden Herausforderungen (Globalisierung, Terrorismus etc.) angeführt.64 Nach Ansicht des Forums seien Effektivität und Legitimität jedoch entscheidend für die Zukunft der Demokratie. Entsprechend soll das Forum zwei zentrale Aufgaben erfüllen. Erstens hat es die Herausforderungen der Demokratie zu analysieren. Zweitens soll das Forum auf der Grundlage von Best-Practice-Vergleichen Vorschläge erarbeiten, mittels derer die Herausforderungen bewältigt werden können. Die Schlussfolgerungen des ersten Treffens des Forums bekräftigen diese Ausrichtung. „The Forum process (...) should (…) support the development of proposals that address the different challenges to democracy in Europe, on the basis of a collective examination of existing policies and initiatives. The Forum proposes that the Council of Europe and its member states should disseminate good practices and other proposals in the broadest way possible. The Forum acknowledges that the future of democracy in Europe is intrinsically connected to the legitimacy and efficiency of representative democracy at all levels. Addressing the causes of declining confidence and engagement in representative democracy requires the implementation of polices that aim to increase trust in democratic institutions and the political class.”65
Um diese Vorgaben zu erfüllen, führt das Forum jährlich Sitzungen durch. Das Forum sieht sich dabei ganz bewusst als eine Plattform, auf der sich staatliche (Mitglieder des Europarats) und nichtstaatliche (Zivilgesellschaft) Akteure über die Zukunft der Demokratie austauschen können. Jede Sitzung hat einen thematischen Schwerpunkt, der als wesentlich für die Zukunft der Demokratie erachtet wird. Auf dem ersten Treffen, das am 3./4. November 2005 in Warschau stattfand, lautete das Schwerpunktthema ‚Bürgerbeteiligung’. Gesucht wurde nach Wegen, um die Beteiligung der Bürger am politischen Prozess zu erhöhen. ‚Beteiligung’ wurde ausdrücklich nicht nur als auf den Wahlakt beschränkt verstanden. Nach Ansicht des Forums sollte beispielsweise die Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen erleichtert werden. Zugleich ließen sich Wahlprozesse durch die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien moder62
Siehe Kap. 5.5. Siehe Kap. 11.1.1. 64 Vgl. http://www.coe.int/t/dc/files/themes/forum_democratie/default_en.asp? (zuletzt abgerufen am 30.1.2008). 65 Warsaw Forum Conclusions (2005). 63
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nisieren wie auch transparenter gestalten. Ein weiterer Vorschlag zielte auf die Gewinnung junger Menschen für bürgerschaftliches Engagement. Schließlich seien diese die künftigen Träger der Demokratie in Europa. Im Mittelpunkt des am 18./19. Oktober 2006 in Moskau abgehaltenen zweiten Treffens stand die ‚Rolle politischer Parteien beim Aufbau der Demokratie’.66 Die rund 300 Teilnehmer des Forums betonten die zentrale Rolle von Parteien in modernen Demokratien. Diese resultiere gerade aus der Scharnierfunktion, welche Parteien zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat einnähmen. Aus diesem Grund sei die Legitimität und Glaubwürdigkeit von Parteien für demokratische Prozesse und Institutionen wesentlich. Umso bedenklicher sei hingegen das sinkende Vertrauen in Parteien, in Verbindung mit einer zunehmenden Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber der Politik und einer abnehmenden Beteiligung am politischen Leben. Zu den vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen zählten die Stärkung der Parlamente auf Kosten der Exekutive, die engere Zusammenarbeit zwischen Parteien und NGOs sowie der Ausbau demokratischer Prozesse innerhalb von Parteien. Besonders war die zweite Sitzung des Forums insofern, als deren Diskussionen gezielt in die Arbeiten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingespeist wurden. Die Versammlung hatte im Vorfeld auf eigene Initiative hin mit Überlegungen zu einem Code of Good Practices for Political Parties begonnen. Die Vorarbeiten der Versammlung flossen in das Forum ein. Umgekehrt wurden die Schlussfolgerungen des Forums in die laufenden Arbeiten der Versammlung eingespeist. Die Anbindung zwischen Forum und Versammlung war schon allein deshalb sehr eng, weil der Berichterstatter des Forums zugleich Berichterstatter des Politischen Ausschusses der Versammlung zu dieser Frage war.67 Auf ihrer Sitzung im April 2007 verabschiedete die Versammlung eine Resolution.68 In dieser wurde die Venedig-Kommission69 mit der Ausarbeitung des Kodexes beauftragt, der, so das Ziel der Parlamentarier, schließlich vom Ministerkomitee des Europarats angenommen werden soll.70 Die dritte Forumssitzung fand vom 13. bis 15. Juni 2007 in Stockholm und Sigtuna/ Schweden statt. Das Schwerpunktthema lautete ‚Macht und Selbstbestimmung – die Wechselbeziehung von Demokratie und Menschenrechten’. Behandelt wurde das Thema anhand von vier Aspekten.71 Erstens ging es um die Rolle der Opposition in demokratischen Systemen. Ohne eine starke Opposition könne es aus Sicht des Forums keine starke Demokratie geben. Deshalb müssten die rechtlichen und materiellen Bedingungen so gestaltet werden, dass Oppositionsparteien gerade ihre Kontrollaufgaben wahrnehmen könnten. Andernfalls drohe eine – möglicherweise gewaltsame – außerparlamentarische Opposition. Zweitens standen Möglichkeiten zur systematischen und strukturierten Verbesserung von Menschenrechten und Demokratie im Blickpunkt. Nach Ansicht des Forums könnten nationale Menschenrechtspläne probate Mittel zur Identifizierung von Schwachstellen sein. Im Zuge der Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf verschiedene politische Ebenen sei es außerdem notwendig, die Haltungen der Akteure zu Menschenrechten ebenenübergreifend in Einklang zu bringen. Drittens müssten alle Bürger befähigt werden, sich am politischen 66
Vgl. Moscow Forum General Rapporteur’s Conclusions (2006). Vgl. Working Document 11210 (2007): Explanatory Memorandum, Ziff. 9. 68 Vgl. Resolution 1546 (2007). 69 Siehe Kap. 10. 70 Siehe CDL-EL (2006) 035rev für die grundsätzliche positive Antwort der Venedig-Kommission auf das Anliegen der Versammlung. 71 Vgl. Stockholm Forum General Rapporteurs’ Conclusions (2007). 67
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Prozess zu beteiligen. Hierfür gelte es unter anderem, jegliche Formen der Diskriminierungen zu beseitigen. Viertens behandelte das Forum die Frage der repräsentativen Demokratie und der Zivilgesellschaft. Hier wurde auf die Notwendigkeit neuer Formen politischen Engagements verwiesen. Außerdem forderte das Forum die INGO-Konferenz des Europarats72, ganz im Sinne des auf der zweiten Sitzung mitbedachten Kodexes für politische Parteien, einen Code of Good Practice for Civic Participation zu entwickeln. Aufgrund der sehr breiten, und mitunter nur schwer fassbaren, Thematik (Wie lassen sich zum Beispiel Einstellungsänderungen von Akteuren ‚messen’?) fällt eine erste Bewertung der Arbeiten des Forums schwer. Gerade das ‚Springen’ von einem Thema zum nächsten scheint nachhaltigen, unmittelbar aus dem Forum hervorgehenden Ergebnissen entgegenzustehen. Am deutlichsten wird sich das Wirken des Forums deshalb vermutlich an den von ihm gegebenen Anstößen zeigen, die von anderen Akteuren aufgegriffen und umgesetzt werden. Die angeführte Zusammenarbeit mit der Parlamentarischen Versammlung setzt hier ein positives Signal. Unbestreitbar ist in jedem Fall, dass sich das Forum für die Zukunft der Demokratie sehr schnell nach den Beschlüssen des Warschauer Gipfels etabliert hat. Das vierte Treffen findet im Oktober 2008 in Spanien statt. Schwerpunkt soll das Thema ‚E-Demokratie’ sein.
2.1.6 Fachministerkonferenzen Fachministerkonferenzen (conferences of specialised ministers) sind nicht identisch mit Treffen des Ministerkomitees in anderer Zusammensetzung. Während beispielsweise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft der (Minister-)Rat in verschiedenen Formationen tagt, kennt der Europarat nur das Ministerkomitee in Zusammensetzung der Außenminister. Im Grunde sind Fachministerkonferenzen gar nicht Teil der institutionellen Strukturen des Europarats. Gleichwohl sind sie eng an den Europarat angebunden und können in besonderen Fällen sogar im Namen des Ministerkomitees – und somit des Europarats – Entscheidungen treffen. Zunächst zum Aspekt der Anbindung der Fachministerkonferenzen an den Europarat. Ziel des Europarats ist es, eine größere Einheit zwischen seinen Staaten zu schaffen. Hierzu sollen Fachministerkonferenzen einen Beitrag leisten. Angestoßen wurde die Einrichtung von Fachministerkonferenzen bereits 1951, damals noch unter der Bezeichnung ‚Fachgremien’ (specialised authorities). In einer Resolution beschloss das Ministerkomitee, dass „[t]he Council of Europe may take the initiative in instituting negotiations between Members with a view to the creation of European Specialised Authorities, each with its own competence in the economic, social, cultural, legal, administrative or other related field.”73
Eine obligatorische Teilnahme der Europaratsstaaten an den Treffen bestand nicht. Jeder Staat konnte über sein Engagement entscheiden. Die Resolution hielt allerdings ausdrücklich fest, eine Anbindung der Fachgremien an den Europarat zu bedenken. Sondervereinbarungen zwischen dem Europarat und den Gremien sollten die Anbindung festschreiben.
72 73
Siehe Kap. 12.2. Resolution (51) 30E: Ziff. 1a.
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2 Ministerkomitee
Die Inhalte der Resolution von 1951 wurden 20 Jahre später bestätigt und erweitert. In einer im Dezember 1971 verabschiedeten Resolution des Ministerkomitees zu den nunmehr als Fachministerkonferenzen betitelten Treffen heißt es, dass die Ziele des Europarats „can be facilitated by direct contacts, organised within the framework of Conferences of Specialised Ministers, between members of governments responsible for specific sectors of government activity“.74
Die Diskussionen der Fachministerkonferenzen sollen insbesondere dazu beitragen, die in den Arbeitsprogrammen des Europarats festgelegten Ziele seiner zwischenstaatlichen Aktivitäten weiter zu konkretisieren. Der Europarat respektiert die Autonomie der Fachministerkonferenzen, will diese aber bei ihren Aktivitäten unterstützen. Hierfür soll der Europarat ‚spezielle Arbeitsbeziehungen’ mit den Fachministerkonferenzen etablieren. Der Europarat unterstützt die Fachministerkonferenzen in mehrfacher Hinsicht. Vorbereitet werden die Fachministerkonferenzen von den nach Art. 17 der Europaratssatzung einzurichtenden Ausschüssen des Ministerkomitees (z. B. die Fachministerkonferenzen für Kommunale und Regionale Demokratie durch den CDLR). Der Generalsekretär des Europarats stellt den Fachministerkonferenzen Sekretariatsdienste zur Verfügung. Falls sich kein Mitgliedstaat des Europarats zur Ausrichtung einer Fachministerkonferenz bereit erklärt, kann der Generalsekretär der Organisation außerdem die Konferenz am Sitz des Europarats ausrichten lassen. Das Ministerkomitee muss einen solchen Schritt jedoch autorisieren. Zur Nachbereitung einer Fachministerkonferenz wird dem Generalsekretär des Europarats aufgetragen, dem Ministerkomitee einen Bericht über die Konferenz vorzulegen. Die Verquickung zwischen Fachministerkonferenzen und Europarat wird auch an den Teilnehmern der Konferenzen und den Adressaten von deren Arbeit deutlich. Zu Fachministerkonferenzen eingeladen wird von einem Mitgliedstaat des Europarats. Außerdem sollen die an Fachministerkonferenzen teilnehmenden Staaten faktisch identisch sein mit den Mitgliedern des Europarats. In der Resolution des Ministerkomitees zu den Fachministerkonferenzen heißt es hierzu: „The group of States whose Ministers are to participate as full members in a conference to which this resolution applies shall as a general rule coincide with that of the States participating as full members in the intergovernmental activities undertaken in the Council of Europe in the field covered by that conference.”75
Diese Formulierung schließt die Erweiterung der Teilnehmer über den Kreis der Europaratsstaaten hinaus nicht aus. Entscheidendes Kriterium ist die Teilnahme an den zwischenstaatlichen, nicht zuletzt durch die Verträge des Europarats festgelegten Aktivitäten des Europarats im jeweiligen Themenfeld. Als Beispiel: Das 1955 in Kraft getretene Europäische Kulturabkommen ist bislang von 49 Staaten ratifiziert worden (allen Europaratsstaaten sowie Belarus und Heiligem Stuhl). Diese 49 Staaten sind es auch, die an den von der Kulturkonvention ‚abgedeckten’ Fachministerkonferenzen zu Bildung und zu Sport teilnehmen. Was die Adressaten der Arbeiten der Fachministerkonferenzen betrifft, so werden deren Empfehlungen, Resolutionen etc. für gewöhnlich an das Ministerkomitee des Europa74 75
Resolution (71) 44: Preamble. Resolution (71) 44: Appendix, Ziff. 4
2.1 Struktur
57
rats gerichtet. Dem Ministerkomitee kommt es anschließend zu, diese Dokumente zur Weiterbearbeitung an die eigenen Untereinheiten oder an andere internationale Organisationen weiterzuleiten. Nun zur Möglichkeit, dass Fachministerkonferenzen im Namen des Ministerkomitees entscheiden. Die Resolution von 1971, welche das Verhältnis zwischen Europarat und den Fachministerkonferenzen begründete, sah eine solche Kompetenzübertragung nicht vor. Eingeführt wurde sie 18 Jahre später durch eine weitere Resolution des Ministerkomitees. In der Resolution wird nicht nur die enge Koordinierung der Aktivitäten der Fachministerkonferenzen mit denjenigen des Europarats betont. Darüber hinaus wird das KMB beauftragt, Optionen zu prüfen, welche auf Ad-hoc-Basis die Delegation der Entscheidungskompetenzen des Ministerkomitees an Fachministerkonferenzen ermöglichen können. Dies solle insbesondere mit Blick auf die Festlegung der Prioritäten des zwischenstaatlichen Arbeitsprogramms des Europarats in den von den Fachministerkonferenzen behandelten Themenbereichen gelten.76 Die Möglichkeit beinhaltet vor allem die Aushandlung eines bestimmten Rechtsinstruments (z. B. Konventionen).77 Abbildung 12: Fachministerkonferenzen 2006/2007 Jahr
Fachministerkonferenzen ¾ ¾
2006
¾ ¾ ¾ ¾ ¾
2007 ¾ ¾
28. Konferenz der Europäischen Familienminister (Mai) 6. Europäische Ministerkonferenz zur Gleichstellung von Frauen und Männern (Juni) 27. Konferenz der Europäischen Justizminister (Oktober) 17. Informelles Treffen der Europäischen Sportminister (Oktober) 14. Konferenz der Europäischen Minister für Raumordnung (Oktober) 22. Konferenz der Europäischen Bildungsminister (Mai) 15. Konferenz der Europäischen Minister für Kommunale und Regionale Gebietskörperschaften (Oktober) 28. Konferenz der Europäischen Justizminister (Oktober) 8. Konferenz der Europäischen Gesundheitsminister (November)
Mehrere Fachministerkonferenzen finden pro Jahr statt (Abbildung 12). Fachministerkonferenzen gibt es zu einer Vielzahl von Themen. Hierzu gehören Bildung, kommunale und regionale Gebietskörperschaften, Justiz, Gesundheit, Migration, Jugend, Medien und neue Kommunikationsdienste, Raumordnung, Gleichstellung von Frauen und Männern, Familie sowie Sport.78 Fachministerkonferenzen in ihren unterschiedlichen Zusammensetzungen tagen in unregelmäßigen Abständen. Die letzten fünf Konferenzen der Europäischen Justizminister etwa fanden im Oktober 2001, im Oktober 2003, im April 2005, im Oktober 2006 und im Oktober 2007 statt. An den Arbeiten der europäischen Justizminister lässt sich auch das Wirken der Fachministerkonferenzen exemplarisch darstellen.
76
Resolution (89) 40: Ziff. 17. CM (2004) 60 revised: Ziff. 4/2. 78 Siehe die Übersicht in CM/Inf (2007) 36. 77
58
2 Ministerkomitee
Beispiel: 27. Konferenz der Europäischen Justizminister Die 27. Konferenz der Europäischen Justizminister fand am 12./13. Oktober 2006 in Eriwan statt. Auf Einladung der armenischen Regierung diskutierten die Justizminister der damals 46 Europaratsstaaten das Thema Victims: Place, Rights and Assistance. Behandelt wurde unter anderem die Frage, wie die Unterstützung für Opfer von Verbrechen ausgebaut werden könne. Dies beinhaltete den Aspekt des Zugangs zur Justiz. Der Ansatzpunkt lautete, dass Verbrechensopfer nicht auch noch ‚Opfer’ bürokratischer Prozesse und Vorschriften werden dürften. Ein weiteres Thema war die Erleichterung der Rehabilitation und der Entschädigung von Verbrechensopfern. Die Thematik der Konferenz ordnet sich in den Kontext verschiedener anderer Arbeiten des Europarats ein. Zu nennen sind insbesondere verschiedene Verträge des Europarats, allen voran das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (1983 unterzeichnet/1988 in Kraft), das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus (2005/2007)79 und die Konvention des Europarats gegen Menschenhandel (2005/2008). Die Justizminister begrüßten zudem die Arbeiten an einer weiteren Konvention, die sich gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern richten wird.80 Ferner hatte das Ministerkomitee des Europarats wenige Monate vor der Fachministerkonferenz eine Empfehlung über die Unterstützung von Verbrechensopfern angenommen (Juni 2006).81 Auf der Konferenz in Eriwan verabschiedeten die Justizminister zwei Resolutionen. Eine Resolution diente dem Dank an den Ausrichterstaat Armenien sowie an Spanien, den Ausrichter der folgenden (28.) Justizministerkonferenz im Oktober 2007.82 Die andere Resolution thematisierte die Inhalte der Konferenz und zeichnete den Weg für die Weiterverfolgung der Frage durch den Europarat vor.83 Verschiedene Institutionen des Europarats wurden mit Arbeitsaufträgen bedacht. Das Ministerkomitee sollte beispielsweise einen seiner Ausschüsse, den Europäischen Ausschuss für Rechtliche Zusammenarbeit (CDCJ), mit einer Untersuchung beauftragen, wie die Rehabilitation und Kompensation von Verbrechensopfern bestmöglich vollzogen werden könne. Daneben soll das Ministerkomitee einen weiteren seiner Ausschüsse, den Europäischen Ausschuss für die Probleme der Kriminalität (CDPC), mit der Untersuchung der Einhaltung der, wie erwähnt, vom Ministerkomitee im Juni 2006 angenommenen Empfehlung über die Unterstützung von Verbrechensopfern betrauen. Dem Generalsekretär des Europarats wiederum empfehlen die Justizminister, bei den Aktivitäten des Europarats etwa im Bereich der Polizeiausbildung darauf zu achten, dass die Frage des Umgangs mit Opfern ausreichend berücksichtigt werde. Der Generalsekretär sollte auf der nächsten Konferenz der Justizminister über Maßnahmen zur Umsetzung der Resolution berichten.
79 Siehe Tomuschat (2005) für eine kritische Einführung in die Konvention. Neben ihren Vorzügen kritisiert Tomuschat die aus seiner Sicht mit der Konvention einhergehende Aufweichung der Auslieferungsverpflichtung. Diese Aufweichung sei das Ergebnis der fehlenden Homogenität der im Europarat versammelten Staaten. Vgl. Tomuschat (2005): S. 160. 80 Die ‚Konvention des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch’ wurde im Oktober 2007 zur Zeichnung aufgelegt. 81 Vgl. Recommendation (2006) 8. 82 Siehe hierzu Press Release 726 (2007). 83 Vgl. MJU-27 (2006) Resolution 1 final.
2.2 Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm
59
Die Weiterverfolgung von früheren Beschlüssen der Justizministerkonferenz stand auch in Eriwan auf der Agenda. Der Generalsekretär des Europarats legte dort einen Bericht vor, in dem die Weiterverfolgung der auf der vorherigen (26.) Konferenz beschlossenen Resolutionen erörtert wurde.84 Bei der im April 2005 in Helsinki durchgeführten Konferenz ging es unter anderem um die sozialen Aspekte der Justiz (z. B. um den sozialen Auftrag der Strafjustiz), den Entwurf einer Europäischen Gefängnischarta sowie die Weiterverfolgung einer Resolution, welche die europäischen Justizminister auf ihrer 25. Konferenz (Oktober 2003, Sofia) zum Kampf gegen den Terrorismus verabschiedet hatten. An einem einheitlichen europäischen Rechtsraum wurde auch am Rande der Konferenz gearbeitet. Mehrere Verträge des Europarats wurden in Eriwan unterzeichnet oder ratifiziert.85 Deutschland unterzeichnete zum Beispiel das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus und Griechenland die Konvention des Europarats gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (2005/noch nicht in Kraft). Österreich ratifizierte die Konvention gegen Menschenhandel und Polen das 14. Protokoll zur EMRK. Das Gastgeberland Armenien wiederum ratifizierte das Übereinkommen über Computerkriminalität (2001/ 2004) und dessen Zusatzprotokoll (2003/2006).
2.2 Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm 2.2 Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsorgan des Europarats. Seine Aufgabe besteht darin, im Namen des Europarats „zu handeln“ (Art. 13 Europaratssatzung). Auf der Grundlage von Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung oder auf eigenen Antrieb hin „prüft das Ministerkomitee die Maßnahmen, die geeignet sind, die Aufgaben des Europarats zu verwirklichen“ (Art. 15a). Zudem regelt das Ministerkomitee „mit bindender Wirkung alle Fragen der Organisation und des inneren Dienstes“ (Art. 16) des Europarats. Hiervon ausgenommen sind diverse Vollmachten, welche der Versammlung mit Blick auf ihre interne Organisation zukommen. Das Ministerkomitee gibt somit die Ausrichtung und die Zielsetzung des Europarats vor. Festgehalten werden diese Vorgaben im Arbeitsprogramm (programme of activities) des Europarats. Seit 1966 verabschiedet das Ministerkomitee alljährlich ein solches Programm. Das Arbeitsprogramm beschränkt sich nicht auf zwischenstaatliche Kooperationsmaßnahmen im Kontext der Ausschüsse des Ministerkomitees. Vielmehr werden Vorgaben und Zielsetzungen für sämtliche Institutionen des Europarats entwickelt, verbunden mit der Zuweisung der personellen und finanziellen Ressourcen an die einzelnen Akteure. Das Arbeitsprogramm führt die verschiedenen Institutionen des Europarats anhand einer thematischen Gliederung zusammen und legt die inhaltliche wie auch die operative Ausrichtung der ‚Gesamtorganisation Europarat’ fest. Am Arbeitsprogramm wird die Eingebundenheit der einzelnen Einheiten in den übergeordneten Rahmen der Organisation deutlich. Im Arbeitsprogramm finden sich demnach die verschiedenen Handlungsstränge (als inhaltliche Schwerpunkte) der Organisation sowie die für deren Erreichung als notwendig angesehenen Umsetzungsmaßnahmen. Den einzelnen Handlungssträngen bzw. Maßnahmen – und somit faktisch den verschiedenen Institutionen des Europarats – werden Mittel aus 84 85
Vgl. MJU-27 (2006) 2. Vgl. Press Release 586 (2006).
60
2 Ministerkomitee
dem Haushalt des Europarats zugewiesen. Budgetär liegt das Hauptaugenmerk auf den Strängen ‚Einhaltung der Standards in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit’ sowie ‚Förderung pluralistischer Demokratie und guter Regierungsführung’. Im Jahr 2006 entfielen auf diese zwei Bereiche 43 Prozent der Gesamtmittel.86 Der Abgleich mit den Umsetzungsaktivitäten des Europarats zeigt, dass die finanziellen Schwerpunkte nicht identisch sind mit den Handlungssträngen, in denen der Europarat die meisten Einzelaktivitäten durchführt (Abbildung 13). Bei diesen Aktivitäten oder allgemeiner gesprochen bei den Umsetzungsmaßnahmen des Europarats lassen sich drei Kategorien unterscheiden. Erstens entwickelt der Europarat Standards und Politiken. Die Ergebnisse dieser zwischenstaatlichen Aktivitäten sind von allen Mitgliedstaaten umzusetzen. Abbildung 13: Arbeitsprogramm 200687 Budget in Mio. Euro (Anteil an Gesamtbudget)
Zahl der Aktivitäten (Anteil an Gesamtaktivitäten)
Einhaltung der Standards in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit
15,0 (26%)
Menschenrechtspolitiken
Handlungsstrang
Schaffung einer auf rechtsstaatlichen Prinzipien gründenden Gesellschaft Förderung pluralistischer Demokratie und guter Regierungsführung Technologieentwicklung, menschliche Würde und Demokratie Schaffung stabiler und solidarischer Gesellschaften Förderung europäischer kultureller Identität und Vielfalt Bildung und Jugend
Art der Aktivität Standards und Politiken
Monitoring
Vermittlung und Unterstützung
233 (10%)
6
135
93
7,9 (13%)
374 (15%)
35
6
164
6,5 (11%)
550 (23%)
54
4
627
10,3 (17%)
599 (25%)
39
0
582
1,0 (2%)
16 (1%)
8
1
8
5,8 (10%)
174 (7%)
63
5
113
4,1 (7%)
248 (10%)
70
42
168
8,3 (14%)
226 (9%)
80
21
146
Zweitens überwacht die Organisation die Einhaltung ihrer Standards. Drittens gibt es gezielte Vermittlungs- und Unterstützungsaktivitäten (u. a. Ausbildung, Unterstützung im Bereich der Gesetzgebung, Verbreitung von Dokumenten), die länder- oder regionenspezifisch ausgerichtet sind. Bei den einzelnen Handlungssträngen werden die drei verschiedenen 86 87
Vgl. CM/Inf (2007) 15 revised: S. 4. CM/Inf (2007) 15 revised.
2.2 Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm
61
Formen von Umsetzungsmaßnahmen in unterschiedlicher Intensität angewandt. Mit Abstand am häufigsten nutzte der Europarat zur Umsetzung seines Arbeitsprogramms 2006 die länder-/regionenspezifischen Vermittlungs- und Unterstützungsaktivitäten (1901 Maßnahmen), gefolgt von den Bereichen Standards/Politiken (355) und Monitoring (214). Die Handlungsstränge mit den meisten Aktivitäten wiederum sind ‚Schaffung einer auf rechtsstaatlichen Prinzipien gründenden Gesellschaft’ (685) sowie ‚Förderung pluralistischer Demokratie und guter Regierungsführung’ (621).88 Beispiel: Handlungsstrang ‚Einhaltung der Standards in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit’ Was bisher mit Begriffen wie Handlungsstrang und Umsetzungsmaßnahmen eher abstrakt klang, lässt sich an den Bestimmungen des Arbeitsprogramms zum Bereich ‚Einhaltung der Standards in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit’ illustrieren. Hier finden sich nicht nur Ausführungen zu verschiedenen Ausschüssen des Ministerkomitees, etwa zur Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) oder zum Europäischen Ausschuss für die Probleme der Kriminalität (CDPC). Behandelt werden ferner der EGMR, der Menschenrechtskommissar, der Antifolterausschuss und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI). In allen Fällen werden Einzelprojekte und für die Zielerreichung als notwendig erachtete Maßnahmen thematisiert. Den Institutionen wird ferner ihr Budget zugewiesen. Dass eine ganze Reihe von Institutionen dem Handlungsstrang angehört, erklärt den vergleichsweise hohen Anteil des Strangs am Gesamtbudget des Europarats. Als Beispiel sollen die Ausführungen zum Menschenrechtskommissar dienen. Diesem wird im Arbeitsprogramm nicht nur sein Budget zugewiesen (€ 1,6 Mio. für 2006), und zwar aufgeschlüsselt nach Ausgaben für Personal und operative Tätigkeiten.89 Außerdem weist das Programm dem Menschenrechtskommissar vier Projekte zu und führt an, welche Ergebnisse er in den jeweiligen Kontexten zu erreichen hat. Sowohl die Projektziele als auch die anvisierten Arbeitsergebnisse werden durch Leistungsindikatoren und durch Quellen zur Verifizierung der Aktivitäten spezifiziert. Beim Projekt ‚Förderung der Einhaltung von Menschenrechten’ werden beispielsweise dem ersten („kontinuierlicher Dialog mit den Europaratsstaaten zur Identifizierung von Defiziten beim Menschenrechtsschutz“) von insgesamt vier anvisierten Arbeitsergebnissen als Leitungsindikator die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Reisen des Menschenrechtskommissars in die Europaratsstaaten sowie, als Möglichkeit zur Verifizierung der Aktivitäten, die Berichte des Kommissars oder die mediale Berichterstattung über seine Reisen genannt. Das Arbeitsprogramm für 2007 unterscheidet sich vom Arbeitsprogramm 2006 hinsichtlich der Zahl der Handlungsstränge.90 Während das Programm von 2006 wie geschildert acht Handlungsstränge aufweist, finden sich im Programm von 2007 sechs Kapitel mit verschiedenen Handlungssträngen. Die Kapitel lauten ‚Menschenrechte’, ‚Rechtsstaatlichkeit’, ‚Demokratie und Gute Regierungsführung’, ‚Sozialer Zusammenhalt’, ‚Kultur und interkultu88
Vgl. CM/Inf (2007) 15 revised: S. 4-5. Vgl. CM (2006) 15: S. 37-44. 90 Vgl. CM (2007) 4. Bei Abschluss des Manuskripts lag noch keine Aufschlüsselung der Gelder und Aktivitäten für das Jahr 2007 vor. 89
62
2 Ministerkomitee
reller Dialog’ sowie die ‚Präsenz des Europarats in seinen Mitgliedstaaten’. Die Gliederung orientiert sich an der Struktur des auf dem Warschauer Gipfeltreffen verabschiedeten Aktionsplans.91
2.3 Instrumente 2.3 Instrumente Durch die Arbeitsprogramme weist das Ministerkomitee allen Institutionen des Europarats ‚ihre Aufgaben’ zu. Das Ministerkomitee beschränkt sich jedoch nicht auf diese koordinatorische Funktion. Vielmehr ist das Ministerkomitee selbst aktiv an der Zielerreichung des Europarats beteiligt. Auf seinen jährlichen Sitzungen und in den Arbeitsprogrammen bestimmt es die grundsätzliche Ausrichtung der Organisation (in Einklang mit den auf den Europaratsgipfeln verabschiedeten Vorgaben der Staats- und Regierungschefs). Neben dieser Leitlinienfunktion hat das Ministerkomitee im Bereich der Standardsetzung eine starke Rolle. Hierfür kann das Ministerkomitee insbesondere auf Konventionen und Abkommen sowie auf Empfehlungen zurückgreifen. ‚Interne’ Fragen (Beitritt, Budget etc.) werden in Resolutionen geregelt. Besondere Bedeutung haben Resolutionen mit Satzungscharakter, die, wie die Bezeichnung schon sagt, faktisch Änderungen der Europaratssatzung darstellen. In Deklarationen äußert sich das Ministerkomitee schließlich zu aktuellen Fragen.
2.3.1 Konventionen und Abkommen Wesentliche Instrumente zur Herstellung des engeren Zusammenschlusses der Mitgliedstaaten gemäß Art. 1a der Europaratssatzung sind Konventionen (conventions) und Abkommen (agreements).92 Das Ministerkomitee kann Konventionen und Abkommen, die auch ‚Europaratsverträge’ genannt werden, nach Art. 15a der Europaratssatzung abschließen, wenn dies der Verwirklichung der Ziele der Organisation dient.93 Die Zahl wie auch die thematische Bandbreite der im Rahmen des Europarats entwickelten Konventionen und Abkommen ist beachtlich. Die ‚Sammlung der Europäischen Verträge’ (European Treaty Series) umfasst momentan 201 Verträge. Die Verträge lassen sich in solche, die nationales Recht zu harmonisieren suchen, und solche, die internationale Zusammenarbeit ermöglichen bzw. erleichtern wollen.94 Zuletzt aufgelegt wurde im Oktober 2007 die Konvention zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Die ‚be-
91
Vgl. CM (2007) 46 final: Ziff. 4B. Siehe Kap. 2.1.5 für den Aktionsplan. Bei den deutschen Bezeichnungen der Europaratsverträge existieren begriffliche Unschärfen. Die Satzung des Europarats in ihrer englischsprachigen Fassung spricht von „conventions“ und „agreements“, die in der deutschen Übersetzung der Satzung mit „Abkommen“ und „Vereinbarungen“ übersetzt werden. In der vom Vertragsbüro des Europarats veröffentlichten Liste aller Europaratsverträge werden ‚conventions’ jedoch in einigen Fällen als ‚Abkommen’, in anderen Fällen als ‚Übereinkommen’ und in wieder anderen Fällen als ‚Konventionen’ geführt. ‚Agreements’ wiederum werden als ‚Übereinkommen’ oder als ‚Abkommen’ geführt. Vgl. http://conventions.coe. int (zuletzt abgerufen am 6.2.2008). Im Folgenden wird der Begriff Konventionen gebraucht, wenn allgemein von ‚conventions’ gesprochen wird, und der Begriff Abkommen im Falle von ‚agreements’. 93 Allgemein zu Art. 15 der Europaratssatzung: siehe Vel/Markert (2000). Zu den Konventionen des Europarats: siehe u. a. Keller (1995); Krüger (1999); Polakiewicz (1999). 94 Vgl. Klebes (1998): S. 290. Weitere Möglichkeiten zur Klassifizierung der Europaratsverträge werden diskutiert in Benoît-Rohmer/Klebes (2005): S. 96-104. 92
2.3 Instrumente
63
rühmteste’ Konvention ist die Europäische Menschenrechtskonvention (aufgelegt 1950/seit 1953 in Kraft). Abbildung 14 illustriert die thematische Vielfalt der Europaratsverträge. Abbildung 14: Konventionen und Abkommen des Europarats (Auswahl)95 Konvention/Abkommen
Zeichnungsauflegung
Inkrafttreten
Anzahl der Protokolle und Zusatzvereinbarungen
Anzahl der Vertragsparteien
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Menschenrechtskonvention)
04.11.1950
03.09.1953
14
47
Europäisches Kulturabkommen Europäische Sozialcharta Übereinkommen über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches Europäisches Übereinkommen zur Einführung eines einheitlichen Gesetzes über Schiedsgerichtsbarkeit Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Haustieren Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Antifolterkonvention) Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten Europäische Sozialcharta (revidiert) Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
95
19.12.1954
05.05.1955
-
18.10.1961
26.02.1965
3
49 (alle Europaratsstaaten, Belarus, Heiliger Stuhl) 27
22.07.1964
08.05.1974
1
37
20.01.1966
offen
-
1 (3 erforderlich)
14.12.1972
01.03.1977
2
8
27.01.1977
04.08.1978
-
46
15.10.1985
01.09.1988
-
43
13.11.1987
01.05.1992
-
19
26.11.1987
01.02.1989
2
47
01.02.1995
01.02.1998
-
39
03.05.1996
01.07.1999
-
24
04.04.1997
01.12.1999
2
21
Vgl. http://conventions.coe.int/Default.asp (Stand: Ende Januar 2008).
64
Konvention/Abkommen Europäisches Landschaftsübereinkommen Übereinkommen über Computerkriminalität Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus Konvention des Europarats gegen Menschenhandel Konvention des Europarats über die Vermeidung von Staatenlosigkeit in Zusammenhang mit Staatennachfolge Konvention des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch
2 Ministerkomitee
Zeichnungsauflegung
Inkrafttreten
Anzahl der Protokolle und Zusatzvereinbarungen
Anzahl der Vertragsparteien
20.10.2000
01.03.2004
-
29
23.11.2001
01.07.2004
1
22
16.05.2005
01.06.2007
-
10
16.05.2005
01.02.2008
-
13
19.05.2006
offen
-
2 (3 erforderlich)
25.10.2007
offen
-
0 (3 erforderlich)
Konventionen und Abkommen haben dieselbe rechtliche Wirkung.96 Bindungswirkung entfalten sie nur gegenüber denjenigen Staaten (Vertragsparteien), die ihnen beigetreten sind. Die Ausarbeitung von Konventionen und Abkommen wird vom Ministerkomitee initiiert und erfolgt im Rahmen von dessen Lenkungs- oder Expertenausschüssen. Daneben können auch Fachministerkonferenzen, die Parlamentarische Versammlung97, der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats oder NGOs Anregungen geben. Die endgültige Entscheidung, ob eine Konvention entwickelt wird, obliegt jedoch dem Ministerkomitee. Konventionen und Abkommen werden vom Ministerkomitee gemäß Art. 20d der Europaratssatzung mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen und einer Mehrheit der Stimmberechtigten angenommen und auch zur Zeichnung aufgelegt.98 Die Verträge sind insofern ‚lebendiges Recht’, als ihre Inhalte überarbeitet, ergänzt oder aktualisiert werden können. Die Mittel hierfür sind (Zusatz-)Protokolle (additional protocols/protocols). Die Antifolterkonvention wurde zum Beispiel durch zwei und die EMRK durch 14 Protokolle ergänzt. Kontrolliert wird die Einhaltung der Verträge durch Lenkungsausschüsse des Ministerkomitees oder eigens eingesetzte Sachverständigenausschüsse.99 96 Ursprünglich unterschieden sich Konventionen und Abkommen dadurch, dass erstere „formell ratifiziert, angenommen oder genehmigt werden mussten“, wohingegen Abkommen „mit oder ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung gezeichnet werden konnten.“ Nach Angaben des Vertragsbüros des Europarats wird diese Unterscheidung heute nicht mehr konsequent befolgt. In allen Fällen werden die genauen Modalitäten in den Bestimmungen des jeweiligen Vertrags festgehalten. Vgl. http://conventions.coe.int (zuletzt abgerufen am 6.2.2008). 97 Laut Marschall gehen etwa 40 Prozent der Europaratsverträge auf Impulse der Parlamentarischen Versammlung zurück. Vgl. Marschall (2005): S. 214. Siehe Kap. 3.5 für Details zur Rolle der Versammlung bei der Ausarbeitung von Konventionen. 98 Vgl. Statutory Resolution (93) 27. 99 Vgl. Polakiewicz (1999): Kap. 8.
2.3 Instrumente
65
Neben den ‚normalen’ Konventionen und Abkommen gibt es Sonderformen. Bei Konventionen besteht die Möglichkeit zur Auflage von Rahmenkonventionen (framework conventions). In diesen werden Sachfragen nur in grundsätzlicher Hinsicht geregelt. Einzelbestimmungen werden dadurch flexibel umsetzbar belassen durch die der Rahmenkonvention angehörenden Staaten. Beispiele sind die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten (1995 aufgelegt/seit 1998 in Kraft) und die Rahmenkonvention über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft (2005/offen). Bei Abkommen wiederum gibt es Erweiterte Abkommen (enlarged agreements). Diese werden nicht nur von allen Europaratsstaaten verfolgt, sondern stehen auch Staaten offen, die nicht der Organisation angehören.100 Das einzige Beispiel hierfür ist das Erweiterte Abkommen, welches die Venedig-Kommission begründet. Nicht zu vergessen: Auch Konventionen können für Nichtmitglieder des Europarats geöffnet werden. Als Beispiel: Dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen gehören neben 46 Europaratsstaaten (alle außer Monaco) noch 17 weitere Staaten an.101 In rechtlicher Hinsicht sind Konventionen und Abkommen keine Akte des Europarats, sondern völkerrechtliche Verträge.102 Hierdurch unterscheiden sie sich von ebenfalls möglichen Teilabkommen.103 Diese stellen eine besondere Form der Zusammenarbeit innerhalb des Europarats dar. In rechtlicher Hinsicht sind Teilabkommen vergleichbar mit den Aktivitäten, die im Zuge der Umsetzung des Arbeitsprogramms des Europarats erfolgen. Während die zur Umsetzung des Arbeitsprogramms notwendigen Maßnahmen jedoch aus dem Haushalt des Europarats finanziert werden, haben die Teilabkommen einen eigenen Haushalt. Dieser wird von den an den Teilabkommen teilnehmenden Staaten bestritten, die ohne Rücksprache mit den Nichtteilnehmern über die Verwendung der Mittel entscheiden. Zur Aufnahme eines Teilabkommens sind eine Genehmigung des Ministerkomitees mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen sowie eine Resolution, in der das Teilabkommen etabliert wird, erforderlich. Die Zusammenarbeit einiger Staaten kann in Verbindung mit Nichtmitgliedern des Europarats geschehen. Zu unterscheiden sind deshalb Teilabkommen (partial agreements), die von einigen Europaratsstaaten verfolgt werden, und Erweiterte Teilabkommen (enlarged partial agreements), welche einige Europaratsstaaten in Verbindung mit Nichtmitgliedstaaten durchführen.104 Auf Teilabkommen gehen unter anderem die Entwicklungsbank des Europarats (1956), die Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Bekämpfung von Drogenmissbrauch und illegalem Handel mit Rauschgiften (PompidouGruppe; 1980), die Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Vorbeugung, Schutz- und organisierter Hilfestellung bei Technologie- und Naturkatastrophen (EUR-OPA; 1987) und der Filmförderungsfonds Eurimages (1988) zurück. Auf ein Erweitertes Teilabkommen gründen unter anderem das Europäische Zentrum für gegenseitige Zusammenarbeit und Solidarität (Nord-Süd-Zentrum; 1989), das Europäische Fremdsprachenzentrum (1994) und die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO; 1998). Teilabkommen sind sinnvoll bzw. notwendig, weil nicht alle Europaratsstaaten stets gewillt sind, eine Zusammenarbeit in einer bestimmten Sachfrage voranzutreiben. Teilab100
Vgl. die Übersicht zu den Erweiterten Abkommen, Teilabkommen und erweiterten Teilabkommen unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTousAP.asp?CL=GER (zuletzt abgerufen am 30.1.2008). 101 Siehe Fn. 92 für die fehlende begriffliche Schärfe bei Übereinkommen, Abkommen und Konventionen. 102 Eine gegenteilige Meinung vertritt Wittinger, welche die Europaratsverträge auch als Rechtsakte der Organisation einstuft. Vgl. Wittinger (2005): S. 185-188. 103 Vgl. Resolution (51) 29; Resolution (51) 62; Statutory Resolution (93) 28. 104 Vgl. Statutory Resolution (93) 28.
66
2 Ministerkomitee
kommen verfolgen den Zweck, im Rahmen einer ‚differenzierten Kooperation’ den handlungswilligen Staaten das Vorangehen zu ermöglichen. Im Gegensatz zu Konventionen und Abkommen, die Aktivitäten aller Europaratsstaaten darstellen, werden Teilabkommen also nur von einigen Mitgliedern verfolgt. Teilabkommen binden entsprechend nur die beteiligten Staaten. Handlungsunwillige Mitglieder des Europarats können sich dem Beitritt zu Teilabkommen entziehen. Im Falle von Konventionen und Abkommen ist dies (eigentlich) nicht möglich. Schließlich stellen sie laut Art. 15 der Europaratssatzung Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der Organisation dar, zu denen sich alle Mitglieder des Europarats durch ihren Beitritt verpflichtet haben. Wenn weiter unten Stärken und Schwächen des Vertragssystems diskutiert werden, zeigt sich freilich, dass auch der Beitritt zu Konventionen und Abkommen keineswegs selbstverständlich ist.105
2.3.2 Empfehlungen Neben der Auflage von Konventionen und Abkommen eröffnet die Satzung des Europarats dem Ministerkomitee die Möglichkeit, seine Beschlüsse in Form von Empfehlungen direkt an die Mitgliedstaaten zu richten (Art. 15b). Durch ein gentleman’s agreement aus dem Jahr 1994 ist zur Annahme einer Empfehlung eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen und eine einfache Mehrheit der Stimmberechtigten im Ministerkomitee (Art. 20d) erforderlich. Zuvor wurden Empfehlungen einstimmig angenommen.106 Empfehlungen dienen dem Festlegen allgemeiner Standards für die Europaratsmitglieder. Sie richten sich entsprechend stets an alle Staaten. In dieser Hinsicht, wie auch mit Blick auf die thematische Bandbreite, sind Empfehlungen somit nicht unähnlich zu Konventionen und Abkommen. Zur Illustration der thematischen Bandbreite: Im Jahr 2006 nahm das KMB insgesamt 19 Empfehlungen an. Hierunter waren Empfehlungen zu europäischen Gefängnisregeln, zur Forschung mit biologischem Material menschlichen Ursprungs, zur Förderung der Rechte und Teilnahme von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft, zu Binnenvertriebenen, zum Zugang zur Gesundheitsvorsorge für Roma und Fahrende sowie zur Teilnahme junger Menschen im öffentlichen Leben.107 In rechtlicher Hinsicht unterscheiden sich Empfehlungen – als Akte der Organisation – hingegen von Konventionen, welche völkerrechtliche Verträge darstellen. Empfehlungen entfalten keine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten des Europarats. Ihre Beachtung bzw. Umsetzung hängt vom Willen der Adressaten ab. Gleichwohl besitzen Empfehlungen eine Art ‚eingebautes Follow-up’. Laut Europaratssatzung kann das Ministerkomitee die Mitgliedstaaten auffordern, ihm über die Maßnahmen zu berichten, die als Reaktion auf die Empfehlung in die Wege geleitetet worden sind (Art. 15b). Auf diese Weise wird eine Umsetzungskontrolle der Empfehlungen geschaffen.
105
Siehe Kap. 2.8. Siehe Kap. 2.4. 107 Vgl. CM/Inf (2007) 15 revised: S. 51-52. 106
2.3 Instrumente
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2.3.3 Resolutionen Neben Konventionen, Abkommen und Empfehlungen kann das Ministerkomitee weitere Typen von Dokumenten verabschieden. Zunächst zu den Resolutionen.108 Diese werden vom Ministerkomitee unter anderem in administrativen und die Finanzen des Europarats betreffenden Fragen (u. a. Haushalt), zur Einladung eines Staates zum Beitritt zur Organisation oder bei der Kontrolle der Einhaltung von Europaratsverträgen angenommen. Der Haushalt des Europarats wird dem Ministerkomitee jährlich vom Generalsekretär der Organisation zur Billigung vorgelegt (Art. 38c Europaratssatzung). Den ordentlichen Haushalt für 2007 nahm das KMB im Dezember 2006 an.109 Er belief sich auf € 197,2 Millionen – ein Anstieg von 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Rund € 70 Millionen dienen der Umsetzung des zwischenstaatlichen Arbeitsprogramms und knapp € 50 Millionen entfallen auf den EGMR. Zum ordentlichen Haushalt kommen weitere Mittel von rund € 36 Millionen hinzu, insbesondere für die Pensionen der Europaratsbeamten (€ 28 Millionen). Finanziert wird der ordentliche Haushalt durch Beiträge der Europaratsstaaten. Die Beitragshöhe eines Landes wird nicht nach rein ökonomischen Kriterien festgelegt, etwa anteilig auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts der Staaten. Stattdessen setzt der Beitragsschlüssel mehrere Faktoren wie Wirtschaftskraft und Bevölkerungsgröße miteinander in Bezug. Auch das politische Gewicht eines Landes spielt eine Rolle, gerade was die Gruppe der Staaten mit den höchsten Beiträgen anbelangt. Die größten Beitragszahler sind Deutschland, Frankreich, Italien, Russland und das Vereinigte Königreich. Diese fünf Staaten tragen jeweils 12,1508 Prozent des Europaratshaushalts. Für das Jahr 2007 entsprach dies rund € 24 Millionen pro Staat. Die fünf größten Beitragszahler bestreiten somit mehr als 70 Prozent des Haushalts der Organisation. Den geringsten Anteil zum Europaratshaushalt steuert Monaco bei. Dessen Anteil von 0,03 Prozent am Gesamthaushalt entsprach für das Jahr 2007 einem Beitrag von rund € 58 000. Neben dem ordentlichen Haushalt stehen dem Europarat zur Umsetzung der Teilabkommen weitere Mittel zur Verfügung. Wie weiter oben beschrieben, erfolgt die Finanzierung der von Teilabkommen begründeten Aktivitäten nicht durch Mittel des ordentlichen Haushalts des Europarats. Stattdessen werden die anfallenden Ausgaben durch zusätzliche Beiträge der an den Teilabkommen beteiligten Staaten bestritten. 2007 standen für die Teilabkommen € 36 Millionen zur Verfügung. Der mit Abstand größte Anteil entfiel auf den Filmförderungsfonds Eurimages (€ 20 Millionen). In Resolutionen ergeht außerdem die Einladung eines Staates zum Beitritt zum Europarat. Zuletzt verabschiedete das Ministerkomitee, genauer das KMB, im Mai 2007 eine solche Einladung, und zwar für Montenegro.110 Laut der Satzung des Europarats zeichnet einzig das Ministerkomitee für die Einladung eines Staates zur Mitgliedschaft (Art. 4) bzw. zur Assoziation (Art. 5) verantwortlich. Der Versammlung wies die 1949 verabschiedete Satzung zunächst keine Rolle in Beitrittsfragen zu. Dies änderte sich jedoch bereits zwei Jahre später. In einer Resolution vom Mai 1951 beschloss das Ministerkomitee, vor der
108
Vor 1979 wurden sowohl Empfehlungen als auch Resolutionen als ‚Resolutionen‘ bezeichnet. Vgl. Resolution (2006) 22. In diesem Dokument findet sich auch eine detaillierte Aufschlüsselung des Haushalts 2007. 110 Vgl. CM/Res (2007) 7. Siehe Bauer (2001): Kap. 2 für eine ausführliche Schilderung der Aufnahmepraxis des Europarats nach 1990. 109
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Anwendung von Art. 4 oder Art. 5 zunächst die Versammlung anzuhören.111 Die Versammlung verabschiedet seitdem eine Stellungnahme, in der sie ihre Position zu einem Beitritt oder einer Assoziierung eines Staates darlegt.112 Unter Berücksichtigung dieser – nicht bindenden – Stellungnahme trifft das Ministerkomitee anschließend seine Entscheidung.113 Das Ministerkomitee verabschiedet Resolutionen auch bei der Wahrnehmung von Kontrollfunktionen bezüglich der Einhaltung von Europaratsverträgen. Das gilt vor allem für die Überwachung der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention.114 Nach Art. 46 Abs. 2 EMRK zeichnet das Ministerkomitee für die Überwachung der Durchführung der Urteile des Gerichtshofs verantwortlich.115 Das Ministerkomitee verfügt hierbei über das Recht, zu einzelnen Fällen Resolutionen (abgekürzt ‚Res DH’) als verbindliche Interpretationen der Urteile des EGMR zu erlassen. In diesen Resolutionen kann das Ministerkomitee beispielsweise den betroffenen Staat zur Aufnahme von Handlungen auffordern, um das Urteil des EGMR umzusetzen. Wahrgenommen wird die Kontrollfunktion des Ministerkomitees durch das KMB. Das KMB hält zu diesem Zweck, wie geschildert, mehrere ‚DH-Treffen’ im Jahr ab.116 Neben Resolutionen, die das Ministerkomitee etwa zur Verabschiedung des Haushalts oder zur Einladung eines Staates zum Beitritt verabschiedet, gibt es auch ‚besondere’ Formen von Resolutionen. Gemeint sind Resolutionen mit Satzungscharakter (statutory resolutions).117 In der Satzung des Europarats sind solche Resolutionen nicht vorgesehen. Ihre Annahme kommt gleichwohl einer Änderung bzw. Ergänzung der Europaratssatzung gleich.118 Im Gegensatz zu einer förmlichen Änderung der Satzung gemäß Art. 41 der Europaratssatzung bedarf es hier jedoch keiner gesonderten Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten. Es genügt der Beschluss des Ministerkomitees. Durch Resolutionen mit Satzungscharakter lässt sich die Europaratssatzung unproblematischer und schneller verändern, als dies bei einer ‚echten’ – und bislang ausgebliebenen – Revision der Satzung möglich wäre.119 Resolutionen mit Satzungscharakter haben überwiegend die Satzung interpretiert und nur vereinzelt verändert.120 Es gibt sie zum Beobachterstatus im Europarat, zu Abstimmungen im Ministerkomitee, zu Teilabkommen/Erweiterten Abkommen sowie zum Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats.121 Daneben wurden bereits Anfang der 1950er Jahre weitere Resolutionen verabschiedet, die Satzungscharakter haben, ohne jedoch als Resolutionen mit Satzungscharakter bezeichnet worden zu sein. Die Resolutionen wurden vom Ministerkomitee im Mai bzw. August 1951 verabschiedet und sollten später in 111
Vgl. Resolution (51) 30A. Die Stellungnahme zum Beitrittsgesuch Montenegros verabschiedete die Versammlung auf ihrer Teilsitzung im April 2007. Siehe Opinion 261 (2007). 113 Details zum Beitrittsverfahren finden sich bei Leuenberger (2005): S. 39-62. 114 Zur Überwachung der Einhaltung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten nimmt das Ministerkomitee ebenfalls Resolutionen (‚Res CNM’) an. 115 Siehe Kap. 5.2. 116 Siehe Kap. 2.1.2. 117 Für Details zu den Resolutionen mit Satzungscharakter: siehe Wittinger (2005): S. 47-113. 118 Benoît-Rohmer und Klebes definieren Resolutionen mit Satzungscharakter als „texts that the Committee [Ministerkomitee; KB] adopts to adjust or supplement the original Statute.“ Benoît-Rohmer/Klebes (2005): S. 30. 119 Die Parlamentarische Versammlung legte 1993 einen Entwurf für eine überarbeitete Satzung vor. Vgl. Recommendation 1212 (1993). Das Ministerkomitee lehnte den Vorschlag jedoch ab. Vgl. CM/AS (99) Recommendation 1212 final. 120 Vgl. Wittinger (2005): S. 72. 121 Vgl. Statutory Resolution (93) 26; Statutory Resolution (93) 27; Statutory Resolution (93) 28; Statutory Resolution (94) 3; Statutory Resolution (2000) 1; Statutory Resolution CM/Res (2007) 6. 112
2.3 Instrumente
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eine revidierte Satzung des Europarats aufgenommen werden. Sie thematisieren die Aufnahme neuer Mitglieder, die Befugnisse des Ministerkomitees, den Gemischten Ausschuss zwischen Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung, die Fachministerkonferenzen sowie die Beziehungen des Europarats zu zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen.122
2.3.4 Deklarationen Deklarationen (declarations) sind nicht bindende Äußerungen/Erklärungen des Ministerkomitees. Das Ministerkomitee verabschiedet sie zu unterschiedlichen Zwecken. Deklarationen thematisieren zum Beispiel die Ausrichtung des Europarats. Exemplarisch hierfür sind die anlässlich des vierzig- bzw. fünfzigjährigen Bestehens des Europarats verabschiedeten Deklarationen aus den Jahren 1989 bzw. 1999. In beiden werden Stellung und Funktion des Europarats beim Ausbau und der Vertiefung der europäischen Integration thematisiert.123 Auch zur 1000. Sitzung des KMB verabschiedete das Ministerkomitee eine Deklaration (One Europe – Our Europe), in welcher Aussagen zu den Zielen und Perspektiven der Organisation zu finden sind.124 Neben derlei grundsätzlichen Aussagen nutzt das Ministerkomitee bzw. der Vorsitz im Ministerkomitee im Namen des Ministerkomitees Deklarationen, um die Haltung der Organisation zu aktuellen Entwicklungen darzustellen. Kommentiert werden beispielsweise gewaltsame Konflikte, Terroranschläge oder (vermeintliche) Wahlen. So verabschiedete das Ministerkomitee Deklarationen beispielsweise zum Wiederaufflammen ethnisch motivierter Gewalt im Kosovo (März 2004), zu Terroranschlägen in Russland, genauer in Tschetschenien (Mai 2004) und Beslan/Nordossetien (September 2004), sowie zu den international nicht anerkannten Präsidentschaftswahlen in Berg-Karabach (Juli 2007).125 Zusätzlich zur Darlegung der strategischen Ausrichtung der Organisation und der Kommentierung tagesaktueller Entwicklungen greifen Deklarationen mitunter spezifische Sachverhalte auf. Auch wenn die Behandlung der Thematik konkreten Entwicklungen, beispielsweise in einem Mitgliedsstaat der Organisation, geschuldet sein kann, werden in den Deklarationen nur allgemeine Hinweise zur Haltung des Europarats gegeben. Deklarationen mit einer solchen allgemeinen inhaltlichen Ausrichtung ähneln insofern den Empfehlungen des Ministerkomitees, die ebenfalls alle Mitgliedstaaten als Adressaten im Blick haben. Sie unterscheiden sich jedoch dadurch, dass Deklarationen dem Ministerkomitee keine Möglichkeit an die Hand geben, von den Europaratsstaaten Berichte über die Umsetzung der Deklarationsbestimmungen einzufordern. Als Beispiele: Im September 2006 und im Januar 2007 verabschiedete das Ministerkomitee zwei Deklarationen, die sich mit Medien und Medienfreiheit beschäftigten.126 In der Deklaration von 2006 ging es um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Mitgliedstaaten des Europarats. Die Deklaration von 2007 behandelte den Schutz von 122
Vgl. Resolution (51) 30A; Resolution (51) 30B; Resolution (51) 30C; Resolution (51) 30E; Resolution (51) 30F. 123 Vgl. Declaration-1 (1989); Declaration-1 (1999). 124 Vgl. Declaration-1 (2007). Siehe auch Kap. 2.1.2. 125 Vgl. Declaration-1 (2004); Declaration-2 (2004); Declaration-3 (2004); Declaration-2 (2007). 126 Vgl. Declaration-1 (2006); Declaration-3 (2007).
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Medien in Demokratien vor dem Hintergrund von Konzentrationstendenzen im Mediensektor. Das Aufgreifen der Thematik im Ministerkomitee könnte auf Entwicklungen in osteuropäischen Staaten zurückzuführen sein, wo nicht zuletzt in Wahlkampfzeiten Medien zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden. Fest steht in jedem Fall, dass die beiden Deklarationen nicht einzelne Länder in den Blick nahmen, sondern an alle Europaratsstaaten allgemeine Vorgaben zur Behandlung der Thematik richteten. Die Deklaration zum Schutz der Medien betonte beispielsweise den Nutzen regulativer Mechanismen zur Überwachung des Medienmarkts bzw. möglicher Medienkonzentration. Zugleich wurde auf den Wert unabhängiger und ausreichend finanzierter öffentlicher Rundfunkanstalten verwiesen.
2.4 Entscheidungsfindung 2.4 Entscheidungsfindung Art. 20 der Europaratssatzung regelt die Abstimmungsmodalitäten und somit die Entscheidungsfindung im Ministerkomitee. Die Satzung schreibt für Beschlüsse zu mehr oder minder konkret definierten Fragen unterschiedliche Mehrheitserfordernisse vor. Dies sind Einstimmigkeit, einfache Mehrheit sowie zwei Formen der Zweidrittelmehrheit (Abbildung 15). Zur Berechung von Mehrheiten werden nur Ja- und Nein-Stimmen, nicht jedoch Enthaltungen berücksichtigt.127 Abbildung 15: Abstimmungen im Ministerkomitee Vorschrift (Artikel der Europaratssatzung)
Einstimmigkeit (Art. 20a)
Einfache Mehrheit aller Stimmberechtigen (Art. 20b) Zweidrittelmehrheit aller Stimmberechtigten (Art. 20c) Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen und einfache Mehrheit der Stimmberechtigten (Art. 20d)
Maßnahmen (Auswahl) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Annahme des Tätigkeitsberichts Änderung bestimmter Satzungsartikel (Art. 1d, 7, 15, 20, 22) jede andere Frage, welche das Ministerkomitee aufgrund ihrer Bedeutung der Einstimmigkeit unterwerfen will Annahme von Empfehlungen (bis 1994) Fragen, die zur Geschäftsordnung oder zu Haushalts- und Verwaltungsanordnungen gehören Tagesordnungen Wiederaufnahme von Aussprachen Einladung eines Staates zur Mitgliedschaft im Europarat bzw. zur Assoziierung Suspendierung bzw. Ausschluss eines Staates Verabschiedung des Haushalts Änderung der Satzung (außer den Artikeln, die unter Art. 20a fallen) Auflage zur Zeichnung von Konventionen und Abkommen Genehmigung der Verfolgung eines Teilabkommens Annahme von Empfehlungen (seit 1994) Antworten auf Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung
127 Eine Zusammenfassung zu den Abstimmungsmodalitäten im Ministerkomitee bzw. im KMB findet sich in CM/Inf (2007) 22.
2.4 Entscheidungsfindung
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Zunächst zur Einstimmigkeit. Einstimmigkeit der abgegebenen Stimmen bei gleichzeitiger Abstimmung durch die Mehrheit der Stimmberechtigten ist für Beschlüsse des Ministerkomitees in mehreren in der Europaratssatzung als „wichtig“ bezeichneten Fragen erforderlich (Art. 20a). Hierzu zählt die Verabschiedung des Tätigkeitsberichts, den das Ministerkomitee gemäß Art. 19 der Europaratssatzung jährlich der Parlamentarischen Versammlung vorzulegen hat. Ein einstimmiger Beschluss ist auch erforderlich, wenn das Ministerkomitee – entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten – öffentlich tagen soll (Art. 21a) sowie zur Veröffentlichung von Mitteilungen über Aussprachen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, und über die dabei gefassten Beschlüsse (Art. 21b). Auch wenn die Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung nicht in Straßburg stattfinden sollen, bedarf es eines einstimmigen Beschlusses des Ministerkomitees. Einstimmigkeit gilt ferner bei Empfehlungen zur Abänderung bestimmter Satzungsartikel. Dies sind die Art. 1d (Nichtzuständigkeit des Europarats für Fragen der nationalen Verteidigung), Art. 7 (Austritt aus dem Europarat), Art. 15 (Maßnahmen des Ministerkomitees: Konventionen, Abkommen, Empfehlungen), Art. 20 (Abstimmungen im Ministerkomitee) sowie Art. 22 (Funktion der Versammlung). Antworten auf schriftliche Anfragen der Versammlung verabschiedet das Ministerkomitee ebenfalls einstimmig. Ein einstimmiger Beschluss ist ferner bei allen anderen Fragen erforderlich, die das Ministerkomitee „mit Rücksicht auf deren Bedeutung durch eine gemäß dem nachstehenden Absatz d [Art. 20d der Europaratssatzung; KB] gefasste Entschließung der Vorschrift der Einstimmigkeit unterwerfen will.“ Mit anderen Worten: Das Ministerkomitee kann mit der in Art. 20d festgelegten Mehrheit (Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen und einfache Mehrheit der Vertreter, die Anspruch auf einen Sitz im Ministerkomitee haben) beschließen, dass Fragen, die als „bedeutend“ eingestuft werden und für die bis dato keine Einstimmigkeit vorgesehen war, fortan einstimmig entschieden werden. Schließlich wurden auch Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten der Organisation bis 1994 einstimmig vom Ministerkomitee verabschiedet. So sieht es Art. 20a der Europaratssatzung vor. Durch ein gentleman’s agreement vom November 1994 wurde der Zwang der Einstimmigkeit jedoch aufgeweicht. Die unverbindliche Vereinbarung besagt, dass kein Staat die Anwendung der Einstimmigkeitsregel einfordern soll, um die Annahme einer Empfehlung zu blockieren, falls im KMB eine Zweidrittelmehrheit nach Art. 20d erreicht wurde.128 Art. 20b führt diejenigen Fragen auf, in denen mit einfacher Mehrheit der Vertreter mit Anspruch auf einen Sitz im Ministerkomitee beschlossen wird. Bei 47 Europaratsstaaten sind somit 24 Ja-Stimmen erforderlich. Dies gilt unter anderem für Fragen, die zur Geschäftsordnung des Ministerkomitees gehören. Auch Fragen, welche Haushalts- und Verwaltungsanordnungen betreffen, werden mit einfacher Mehrheit beschlossen.129 Selbiges gilt für Tagesordnungen, Verfahrensfragen oder die Wiederaufnahme von Aussprachen. Die beiden Varianten der Zweidrittelmehrheit werden in Art. 20c und Art. 20d angeführt. Eine Zweidrittelmehrheit der Stimmberechtigten im Ministerkomitee ist notwendig für Beschlüsse gemäß Art. 4 und Art. 5 der Europaratssatzung. Art. 4 behandelt die Einladung eines Staates zur Mitgliedschaft im Europarat und Art. 5 die Aufforderung des Ministerkomitees an ein Land, assoziiertes Mitglied des Europarats zu werden. Im Gegensatz zum Ministerkomitee muss das KMB in dieser Frage einstimmig entscheiden (ansonsten 128
Vgl. CM/Del/Dec (94) 519bis. Die Geschäftsordnungen des Ministerkomitees und des KMB wie auch die Finanz- und Verwaltungsordnungen als solche werden nach Art. 20d beschlossen. 129
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sind die Mehrheitserfordernisse in Ministerkomitee und KMB nahezu identisch).130 Obwohl in der Satzung nicht explizit erwähnt, fallen laut Klebes auch Beschlüsse gemäß Art. 8 Europaratssatzung zur Suspendierung bzw. zum Ausschluss eines Staates aus dem Europarat unter die Vorschrift von Art. 20c.131 Alle weiteren Beschlüsse – die zugleich die Mehrheit der Beschlüsse des Ministerkomitees darstellen – werden nach Art. 20d mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen und einer Mehrheit der Stimmberechtigten getroffen. Nehmen alle 47 Europaratsstaaten an der Abstimmung teil, sind zur Annahme eines Beschlusses 32 Ja-Stimmen erforderlich, bei 46 Teilnehmern 31 Stimmen, bei 45 Teilnehmern 30 Stimmen etc. Die Untergrenze liegt bei einer Beteiligung von 31 und einer Zustimmung von 24 Staaten. Beteiligen sich weniger als 24 Staaten an der Abstimmung, kann die erforderliche Mehrheit der Stimmberechtigten im Ministerkomitee nicht erreicht werden.132 Nach Art. 20d werden der Haushalt des Europarats, die Geschäftsordnung des Ministerkomitees und des KMB und die Finanz- und Verwaltungsanordnungen beschlossen. Außerdem fallen unter diesen Artikel Änderungen sämtlicher Bestimmungen der Europaratssatzung, die nicht von der oben geschilderten Vorschrift der Einstimmigkeit nach Art. 20a erfasst werden. Herrscht Unklarheit darüber, welcher Absatz von Art. 20 anzuwenden ist, greift ebenfalls Art. 20d. Ferner schreibt eine Resolution mit Satzungscharakter aus dem Jahr 1993 fest, dass die Auflage zur Zeichnung von Konventionen und Abkommen sowie der Beschluss zur Genehmigung von Teilabkommen unter Art. 20d fallen.133 In November 1994 beschloss das Ministerkomitee zudem, Antworten auf Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung, zu deren Beschluss es keine Bestimmung in der Europaratssatzung gibt, ebenfalls nach Art. 20d zu verabschieden. Allerdings müsse zunächst stets versucht werden, einen einstimmigen Beschluss herbeizuführen.134
2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee 2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee Mit ihrem Beitritt zum Europarat verpflichten sich Staaten zur Einhaltung von dessen Standards, allen voran in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Zwischen Verpflichtung und tatsächlicher Umsetzung kann jedoch eine Lücke klaffen. Eine solche wäre nicht nur problematisch für den betroffenen Staat, der Defizite bei der Einhal130 Eine weitere Ausnahme zwischen der Entscheidungsfindung im Ministerkomitee und im KMB betrifft Empfehlungen zur Änderung der Satzung des Europarats. Während das Ministerkomitee nur in bestimmten Fragen solche Vorschläge einstimmig zu beschließen hat (Art. 20a), muss das KMB Vorschläge zur Satzungsänderung stets einstimmig treffen. Von diesen beiden Ausnahmen (Aufnahme, Satzungsänderung) abgesehen sind die Mehrheitserfordernisse in Ministerkomitee und KMB weitgehend identisch. Vgl. CM/Inf (2007) 22. 131 Vgl. Klebes (1996): S. 8. In der Satzung des Europarats finden sich keine Hinweise zur Mehrheitserfordernis für Beschlüsse des Ministerkomitees gemäß Art. 8. 132 Außerdem gilt die Zweidrittelmehrheit als nicht erreicht, wenn eine Verdopplung der Nein-Stimmen eine Zahl ergibt, die größer ist als die Zahl der Ja-Stimmen. Als Beispiel: Bei einer Abstimmung gibt es 24 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen. Die Enthaltungen werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Es bleiben somit die Ja- und Nein-Stimmen. Eine Verdopplung der Nein-Stimmen (13 x 2) ergibt 26. Diese Zahl ist höher als die Zahl der Ja-Stimmen (24). Die Zweidrittelmehrheit würde in diesem Fall als nicht erreicht gelten. Vgl. CM/Inf (2007) 22. 133 Vgl. Statutory Resolution (93) 27. Bis dahin konnten einzelne Staaten die Zeichnungsauflegung einer Konvention blockieren. Vgl. Polakiewicz (1999): S. 25-26. 134 Vgl. CM/Del/Dec (94) 519bis.
2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee
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tung seiner Verpflichtungen offenbart. Auch dem Europarat selbst kann die ausbleibende Umsetzung seiner Werte schaden. Eine auf Werten basierende Organisation, deren Mitglieder die Standards nicht erfüllen, verliert rasch an Glaubwürdigkeit. Umso wichtiger sind Instrumente, mit denen der Europarat die Einhaltung der von den Staaten eingegangenen Verpflichtungen kontrollieren kann. Für den Europarat gilt dies umso mehr seit seiner Erweiterung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. In deren Zuge wurden Staaten bewusst trotz bestehender Defizite bei der Einhaltung der Standards der Organisation aufgenommen. Dies geschah verbunden mit dem Ziel, mit den Staaten im Rahmen des Europarats gemeinsam an der Überwindung ihrer Schwächen zu arbeiten. Die hinter dieser Politik stehende Logik fasst Leni Fischer, ehemals Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, wie folgt zusammen: „Wenn – aus politischen Gründen – hingenommen wird, dass Staaten dem Europarat beitreten können, die seinen Standards noch nicht ganz oder allenfalls ansatzweise genügen, so bedarf es institutioneller Sicherungen, um zu gewährleisten, dass die neuen Mitglieder ihre übernommenen Verpflichtungen erfüllen und damit an das allgemeine Niveau in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte anschließen können.“135
Kernelemente dieser „institutionellen Sicherungen“ sind die Monitoring-Aktivitäten des Europarats. Im weiteren Sinn fallen hierunter sämtliche Institutionen und Mechanismen, welche die Einhaltung der Standards der Organisation überwachen. In drei Institutionen des Europarats – dem Ministerkomitee, der Versammlung und dem Kongress der Gemeinden und Regionen – gibt es jedoch Aktivitäten, die sich ganz gezielt mit der Überwachung der von den Staaten gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen befassen und auch als ‚Monitoring’ bezeichnet werden.136 Während das Monitoring des Ministerkomitees und der Versammlung die gesamte Bandbreite der vom Europarat behandelten Themen erfasst, sind die Aktivitäten des Kongresses auf seine Kernkompetenz begrenzt, sprich auf kommunale und regionale Fragen.137 Das Monitoring von Ministerkomitee und Versammlung wiederum unterscheidet sich unter anderem darin, dass ersteres vertraulich und letzteres öffentlich durchgeführt wird.138 Wie geschildert, stehen die Monitoring-Aktivitäten des Europarats in engem Bezug zur Erweiterung der Organisation nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Genauer gesagt: Sie wurden als Reaktion auf die Erweiterung geschaffen. Mittels des Monitorings sollte und soll die Einhaltung der Standards des Europarats überprüft werden, einschließlich der von den Neumitgliedern bei ihrem Beitritt eingegangenen Verpflichtungen. Bis 1990 musste einzig Liechtenstein (1978) eine Bedingung als Voraussetzung für den Beitritt erfüllen. Es handelte sich um die Einführung des Frauenwahlrechts.139 Für die seit dem Ende des OstWest-Konflikts dem Europarat beigetretenen Staaten ist das Eingehen von Verpflichtungen im Vorfeld ihrer Aufnahme hingegen die Regel. Bereits vor der Mitgliedschaft eines Landes sollten dessen Defizite identifiziert und anschließend, d. h. nach dem Beitritt zum Eu135
Zitiert in Bauer (2001): S. 178. Siehe z. B. Benoît-Rohmer (2000); Steenbrecker (2000); Bauer (2001): S. 178-209; Wittinger (2005): S. 474481. 137 Siehe Kap. 3.7 (Versammlung) und Kap. 6.3 (Kongress). 138 Aufgrund der Vertraulichkeit des Monitorings des Ministerkomitees sind nur wenige Dokumente aus den Jahren 2006 und 2007 bereits freigegeben. 139 Vgl. Bauer (2001): S. 99. 136
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roparat, gemeinsam angegangen werden. Die rechtliche Bindungswirkung der Selbstverpflichtungen ist umstritten. Djeric kommt zu dem Schluss, dass diese in rechtlicher Hinsicht nicht im Sinne von verbindlich einzuhaltenden internationalen Verpflichtungen eines Staates zu sehen sind. Eine politische Bindungswirkung würden die Verpflichtungen allerdings sehr wohl entfalten.140 Wittinger hingegen sieht die Verpflichtungen als völkerrechtlich bindend an.141 Von den auf die Einhaltung der Normen und Prinzipien des Europarats abzielenden Monitoring-Mechanismen werden jedoch nicht nur die nach 1990 beigetretenen Mitglieder der Organisation erfasst, sondern sämtliche Europaratsstaaten.142 Im Monitoring des Europarats ist somit keine strukturelle Diskriminierung der Neumitglieder angelegt. Gleichwohl liegt auf ihnen der Schwerpunkt der praktischen Arbeiten. Diese Fokussierung auf Neumitglieder bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller Europaratsstaaten zeigt sich auch beim Monitoring des Ministerkomitees, das nun im Blickpunkt steht. Mittels seiner Monitoring-Verfahren kontrolliert das Ministerkomitee die Einhaltung der etwa in der Satzung des Europarats und in der EMRK festgelegten Normen und Standards der Organisation durch ihre Mitglieder. Seit der Etablierung seines Monitorings im Jahr 1994 hat das Ministerkomitee drei verschiedene und zugleich eng miteinander verzahnte Verfahren entwickelt:
Monitoring unter Anwendung der Monitoring-Deklaration, thematisches Monitoring sowie länderspezifisches Post-Accession-Monitoring.143
2.5.1 Monitoring-Deklaration Zunächst zum Monitoring auf der Grundlage der Monitoring-Deklaration. Gemeint ist die Deklaration On Compliance with Commitments accepted by Member States of the Council of Europe144 vom 10. November 1994. Angestoßen durch einen Impuls des ersten Europaratsgipfels aus dem Jahr 1993, versuchte das Ministerkomitee mit der Deklaration, seinen satzungsgemäßen Aufgaben nachzukommen. Schließlich ist das Ministerkomitee dafür verantwortlich, dass die Mitglieder des Europarats die gegenüber der Organisation eingegangenen Verpflichtungen in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten. Zugleich sollte den Staaten durch das Monitoring die Einhaltung ihrer Verpflichtungen durch Dialog und gegenseitige Unterstützung erleichtert werden. Zentral sind Art. 1 (Befassung des Ministerkomitees) und Art. 4 (Maßnahmen des Ministerkomitees) der Deklaration. Art. 1 regelt, wie bzw. wann sich das Ministerkomitee mit Fragen der Implementierung der auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
140
Vgl. Djeric (2000). Vgl. Wittinger (2005): S. 302-314. 142 Die einzige Ausnahme bildet das ‚Post-Accession-Monitoring’ als eine der drei Formen des Monitorings durch das Ministerkomitee. Die Versammlung hat ihr 1993 eingeführtes Monitoring, das anfänglich auf Neumitglieder ausgerichtet war, im Jahr 1995 auf alle Europaratsstaaten ausgeweitet. 143 Vgl. Monitor/Inf (2005) 1. 144 Declaration-1 (1994). 141
2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee
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bezogenen Verpflichtungen (commitments)145 der Europaratsstaaten befasst. Voraussetzung hierfür ist, dass eine diesbezügliche Frage durch die Mitgliedstaaten, den Generalsekretär oder die Parlamentarische Versammlung an das Ministerkomitee herangetragen wird. Die Frage kann sich auf sämtliche Mitglieder des Europarats beziehen. Bislang wurde Art. 1 zwei Mal genutzt. Erstmals geschah dies im Juni 2000 auf Initiative des Generalsekretärs des Europarats. Das zweite Mal richtete die Parlamentarische Versammlung im April 2003 eine entsprechende Empfehlung an das Ministerkomitee. In beiden Fällen ging es um den Konflikt in Tschetschenien. Beispiel: Anwendung von Art. 1 der Monitoring-Deklaration gegenüber Russland Auf der Grundlage von Art. 52 EMRK kann der Generalsekretär des Europarats Anfragen an die Vertragsstaaten der Konvention hinsichtlich der Anwendung der Konventionsbestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht richten. Vor dem Hintergrund des zweiten Tschetschenienkriegs nutzte der damalige Generalsekretär Walter Schwimmer diese Option. Wie in einem späteren Kapitel noch im Detail geschildert wird, bewertete Schwimmer die Antworten Russlands auf seine Anfragen als unzureichend.146 Aus diesem Grund befasste er gemäß Art. 1 der Monitoring-Deklaration das Ministerkomitee mit der Thematik.147 Der politische Wille oder die politischen Handlungsmöglichkeiten im KMB zur Weiterverfolgung der Frage schienen jedoch gering gewesen zu sein – trotz der unzweifelhaften Verletzung von Bestimmungen der EMRK und somit der von Russland gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen. Das KMB beschloss im Oktober 2000, sich auf der Grundlage von Berichten von Experten des Europarats, welche seit Juni 2000 in Tschetschenien tätig waren, sowie auf der Basis zusätzlicher, vom Generalsekretär abzufassender Berichte mit den Möglichkeiten der Organisation zur Verbesserung der Lage in Tschetschenien zu befassen. Auch die zweite Nutzung von Art. 1 der Monitoring-Deklaration erfolgte im Kontext des Tschetschenienkonflikts, jedoch nicht durch den Generalsekretär, sondern durch die Parlamentarische Versammlung. Im April 2003 wandten sich die Parlamentarier unter Berufung auf Art. 1 an das Ministerkomitee mit dem Anliegen, dieses solle den Generalsekretär mit der Untersuchung der Menschenrechtslage in Tschetschenien befassen.148 Eine solche Beauftragung des Generalsekretärs durch das Ministerkomitee im Rahmen des Monitorings sieht, wie weiter unten zu schildern sein wird, Art. 4 der Monitoring-Deklaration vor. In seiner im Juni verabschiedeten Antwort überging das KMB die Forderung der Versammlung.149 Ein Mitglied des KMB beschrieb die Missachtung des Anliegens der Versammlung dahingehend, dass eine derartige „Beantwortung“ konsensfähig gewesen sei.150 Infolge dieser aus ihrer Sicht unzureichenden Entgegnung unterzeichneten im Oktober 2003 fünfzehn Parlamentarier einen Antrag für eine Empfehlung.151 In der Empfehlung wurde das 145
Wittinger verweist darauf, dass die commitments eigentlich obligations seien, d. h. keine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen, sondern Rechtspflichten, die aus dem Beitritt zum Europarat (u. a. aus dessen Satzung) erwüchsen. Vgl. Wittinger (2005): S. 474-475. 146 Siehe Kap. 4.3. 147 Vgl. CM/Monitor (2000) 15. 148 Vgl. Recommendation 1600 (2003). 149 Vgl. CM/AS (2003) Recommendation 1600 final. 150 Vgl. Brummer (2005): S. 168-169. 151 Vgl. Working Document 9970 (2003).
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Ministerkomitee zur Abgabe eines positiven Bescheids auf die Forderung der Versammlung wie auch generell zur Demonstration der Wirksamkeit der Monitoring-Mechanismen – in Form der vom Ministerkomitee selbst verabschiedeten Monitoring-Deklaration – angehalten. Der Antrag für eine Empfehlung, der nur die Unterzeichner des Antrags gebunden hatte, wurde in der Versammlung nicht weiterverfolgt. Seitdem gab es zwar Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung zu Tschetschenien, jedoch ohne Bezug zur Monitoring-Deklaration. Während Art. 1 der Monitoring-Deklaration regelt, wann sich das Ministerkomitee mit der Einhaltung der Verpflichtungen beschäftigt, hält Art. 4 der Deklaration mögliche Maßnahmen des Ministerkomitees fest. Drei Bereiche werden genannt. Hierzu gehört die Beauftragung des Generalsekretärs, Kontakte zu knüpfen, Informationen zu sammeln oder Vorschläge zu entwickeln. Als weitere Optionen nennt die Deklaration die Verabschiedung einer Stellungnahme oder einer Empfehlung sowie die Weiterleitung einer Mitteilung an die Parlamentarische Versammlung. Neben diesen drei Handlungsmöglichkeiten kann das Ministerkomitee freilich auch alle weiteren in seiner Kompetenz liegenden Entscheidungen treffen. Hierzu gehört die Suspendierung bzw. der Ausschluss eines Landes aus dem Europarat.152 Art. 4 der Monitoring-Deklaration wurde bereits mehrfach genutzt.153 Im Januar 2000 leitete das Ministerkomitee eine Mitteilung an die Versammlung weiter. Diese beruhte auf dem noch zu schildernden thematischen Monitoring des Ministerkomitees, und zwar bezüglich der Funktionsweise demokratischer Institutionen. Neben der Versammlung band das Ministerkomitee auch den Generalsekretär auf der Grundlage von Art. 4 in seine Monitoring-Aktivitäten ein. Grundlage hierfür waren zum einen Bedenken der Versammlung zu Entwicklungen in einzelnen Europaratsstaaten. Als Reaktion hierauf reiste der Generalsekretär in mehrere Länder. Dies waren die Ukraine (2001, 2004), Georgien (2001, 2002) und Moldau (2002). Die Besuche führten zur Auflage von Kooperationsprogrammen zwischen dem Europarat und den Ländern.154 Der Generalsekretär wurde jedoch nicht nur als Reaktion auf Bedenken der Versammlung in das thematische Monitoring des Ministerkomitees eingebunden, sondern, wie das folgende Beispiel zeigt, zum anderen auch als Reaktion auf das thematische Monitoring des Ministerkomitees selbst, diesmal im Bereich Meinungsund Informationsfreiheit. Beispiel: Anwendung von Art. 4 der Monitoring-Deklaration Ausgangspunkt der Einbeziehung des Generalsekretärs war eine Untersuchung einer unabhängigen Expertengruppe zur Meinungs- und Informationsfreiheit in 13 Europaratsstaaten.155 Die kritischen Kommentare der Expertengruppe aufgreifend, instruierte das Ministerkomitee den Generalsekretär des Europarats auf der Grundlage von Art. 4 der Monitoring-Deklaration, Kontakte herzustellen und Informationen zu sammeln. Der Generalsekretär trug in den Jahren 2000/2001 Informationen zu allen 13 Staaten zusammen. Vier Staa-
152
Siehe Kap. 2.6. Vgl. Monitor/Inf (2005) 1: Ziff. 7-10. 154 Vgl. Monitor/Inf (2005) 1: Ziff. 9. 155 Vgl. nachfolgend CM/Monitor (2003) 8 final2. 153
2.5 Monitoring durch das Ministerkomitee
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ten, in denen die Experten schwerwiegende Probleme identifiziert hatten, wurden zudem von ihm besucht (Albanien, Russland, Türkei, Ukraine). Als Reaktion auf die Aktivitäten des Generalsekretärs nutzte das Ministerkomitee erneut Art. 4 der Monitoring-Deklaration. Der Generalsekretär sollte seine Arbeiten zur Kontaktherstellung und Informationssammlung in Fragen der Meinungs- und Informationsfreiheit fortsetzen, diesmal jedoch in allen Europaratsstaaten. Aus praktischen Gründen musste jedoch abermals eine Auswahl an Ländern getroffen werden, die vertieft untersucht und auch besucht werden sollten. Grundlage für die Auswahl waren Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und des Medienbeauftragten der OSZE hinsichtlich Staaten, die besondere Aufmerksamkeit erforderten. Im Auftrag des Generalsekretärs handelnde Experten besuchten in den Jahren 2002/2003 schließlich neun Staaten. Neben den vier Ländern des Jahres 2000/2001 gehörten hierzu Aserbaidschan, Georgien, Mazedonien, Moldau und Rumänien. Darüber hinaus wurden acht weitere Staaten untersucht, jedoch nicht besucht. Auf der Grundlage ihrer Untersuchungen, die durch Informationen der behandelten Staaten sowie durch Forschungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ergänzt wurden, gruppierten die Experten die 17 Staaten in drei Kategorien. Ihrer Ansicht nach gäbe die Situation der Meinungs- und Informationsfreiheit in Moldau, Russland, Türkei und Ukraine Anlass zu äußerst ernsthafter Sorge (very serious concern). Ernsthafte Sorge (serious concern) äußerten die Experten mit Blick auf Albanien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Georgien und Rumänien. Sorge (concern) schließlich bestünde hinsichtlich der Situation in Armenien, Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Irland, Italien, Polen und Mazedonien. Die auf Art. 4 der Monitoring-Deklaration beruhende Untersuchung der Experten, und hier insbesondere die Einteilung der Staaten in die angeführten Kategorien, fand im Rahmen des KMB nicht nur Zustimmung. Mehrere Staaten hinterfragten grundsätzlich den Nutzen der Einteilung von Staaten in die drei Kategorien. Einige der untersuchten Staaten monierten ihre Zuteilung zu einer bestimmten Kategorie. Griechenland und die Türkei wiederum bezeichneten die Untersuchung des Max-Planck-Instituts als „nicht objektiv“. Russland schließlich wertete das länderspezifische Vorgehen als nicht in Einklang stehend mit dem auf alle Europaratsstaaten ausgerichteten Ansatz des thematischen Monitorings des Ministerkomitees. Letzteres sei schließlich die Grundlage für die Befassung des Generalsekretärs und der im Auftrag des Generalsekretärs handelnden Experten gewesen. Nach einer Aussprache im KMB mit den Experten über die Untersuchungen kamen die Staatenvertreter überein, den behandelten Staaten Zeit zum Angehen der erforderlichen gesetzlichen und administrativen Reformen zu geben. Das Thema sollte zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden. So kam es dann auch. Das Thema wurde in verschiedenen Dokumenten aufbereitet und im Rahmen des KMB weiter diskutiert.156 Letzteres beauftragte außerdem den Lenkungsausschuss für Massenmedien (CDMM) mit der vertieften Untersuchung einzelner Fragen (u. a. Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten). Der Generalsekretär sollte seinerseits bei der Entwicklung des jährlichen zwischenstaatlichen Arbeitsprogramms des Europarats größeres Gewicht auf die Ausbildung von Journalisten und Herausgebern legen.157
156 157
Siehe z. B. CM/Monitor (2004) 6. Vgl. CM/Monitor (2004) 10 final.
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2 Ministerkomitee
Die Inhalte der 1994er-Deklaration wurden im April 1995 durch einen Beschluss des KMB konkretisiert.158 Dieser legt unter anderem fest, dass der anvisierte Dialog des Ministerkomitees mit den Staaten auf den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und Zusammenarbeit beruhen müsse. Außerdem wurde beschlossen, dass das KMB mindestens dreimal pro Jahr eine Sitzung zu den Monitoring-Aktivitäten des Ministerkomitees durchzuführen habe. Die Sitzungen sollten vertraulich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, um einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Jedem Mitgliedstaat sowie dem Generalsekretär wurde in Art. 5 des KMB-Beschlusses zugebilligt, per Antrag die Lage in einem Europaratsstaat auf die Agenda einer KMB-Monitoring-Sitzung zu setzen. Dies kann aufgrund eigener Bedenken ob der Entwicklungen im betreffenden Land oder mit Bezug auf die Diskussionen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats erfolgen. Jeder Antrag soll spezifische Fragen beinhalten, welche dem zu diskutierenden Land das Einholen von Informationen ermöglichen soll. Bislang wurde diese Art der Befassung des Ministerkomitees, die zweite neben Art.1 der 1994er-Deklaration, einmal genutzt, und zwar vom Generalsekretär des Europarats anlässlich der Meinungs- und Informationsfreiheit in Moldau.
2.5.2 Thematisches Monitoring Die zweite Form des Monitorings durch das Ministerkomitee ist das thematische Monitoring (thematic monitoring). Dieses wurde 1996 eingeführt und bezieht alle Europaratsstaaten ein. Durch das thematische Monitoring kann das Ministerkomitee die Umsetzung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten von bestimmten thematischen Zugängen aus überprüfen und gegebenenfalls Entscheidungen zur Anpassung der Aktivitäten der Organisation treffen. Das ebenfalls vertraulich durchgeführte thematische Monitoring wurde vor wenigen Jahren grundlegend reformiert. Die erste Phase des thematischen Monitorings erstreckte sich von 1996 bis 2004. In diesem Zeitraum behandelte das Ministerkomitee zehn Sachbereiche. Dies waren:
Meinungs- und Informationsfreiheit, Funktionsweise und Schutz demokratischer Institutionen, Funktionsweise des Justizwesens, kommunale Demokratie, Todesstrafe, Polizei- und Sicherheitskräfte, Wirksamkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe, Nichtdiskriminierung mit dem Schwerpunkt Kampf gegen Intoleranz und Rassismus, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie Gleichberechtigung von Frauen und Männern.159
Im Oktober 2004 trat eine veränderte Form des thematischen Monitorings in Kraft. Im Gegensatz zu der bis dahin durchgeführten Variante, bei der zehn Themen parallel behandelt wurden, beschäftigt sich die neue Form des thematischen Monitorings mit einem einzigen Thema pro Jahr. Etabliert wurde ein mit festen Zeitvorgaben versehenes dreistufiges 158 159
Vgl. CM/Del/Dec (94) 535. Für die Aktivitäten des Ministerkomitees in diesem Bereich: siehe Monitor/Inf (2004) 3 addendum: S. 27-46.
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Verfahren mit den Elementen ‚Themenfindung’, ‚Diskussion und Schlussfolgerungen’ sowie ‚Überprüfung der operativen Weiterverfolgung der Beschlüsse’.160 Zunächst zur Themenfindung. Im September eines Jahres werden Themenvorschläge gesammelt. Unterbreitet werden können diese Vorschläge von den Delegationen aller Europaratsstaaten und vom Generalsekretär der Organisation. Im Folgemonat wählt das Ministerkomitee unter den Vorschlägen ‚das’ Thema aus. Die Themenfindung ist damit abgeschlossen. Im zweiten Schritt (Diskussion und Schlussfolgerungen) wird zunächst bis zum Mai des Folgejahres vom Generalsekretär oder, falls notwendig, von anderen Einheiten des Europarats im Auftrag des Ministerkomitees ein Bericht zum ausgewählten Thema erstellt. Der Bericht analysiert die zentralen Elemente der Thematik. Inhaltlich gründet er auf vollzogene bzw. laufende Arbeiten der Europaratsinstitutionen. Neue Mechanismen zur Informationsgewinnung werden also nicht etabliert. Im Juni kommt es zur Aussprache im Ministerkomitee über den Bericht. Das Ministerkomitee (in Form des KMB) trifft bei dieser Gelegenheit auch etwaige Entscheidungen zu Folgemaßnahmen. Diese können sich auf die Kooperations- und Unterstützungsprogramme des Europarats für einzelne Staaten oder allgemein auf das für alle Staaten relevante zwischenstaatliche Arbeitsprogramm der Organisation beziehen. Derartige Änderungen würden in das Arbeitsprogramm des folgenden Jahres eingehen. Auf diese Weise soll das Monitoring des Ministerkomitees handlungsorientierter werden. Neben inhaltlichen Entscheidungen kann das KMB auch die Veröffentlichung des vertraulichen Berichts beschließen. Hierdurch soll ein größeres Bewusstsein für die Thematik geschaffen werden. Mit der Aussprache im und möglichen Beschlüssen des KMB endet die zweite Stufe. Im darauf folgenden Oktober, und somit zwei Jahre nach der Auswahl des Themas, greift das KMB die Frage im dritten Schritt abermals auf. Im Mittelpunkt steht dann die Überprüfung der operativen Umsetzung der Beschlüsse. Diese Überprüfung kann zu weiteren Beschlüssen hinsichtlich der Weiterverfolgung der Thematik durch den Europarat führen. Im Anschluss daran widmet sich das KMB jedes zweite Jahr der Thematik. Auf diese Weise sollen nachhaltige Ergebnisse erreicht werden. Die neue Variante des thematischen Monitorings wurde im Herbst 2004 erstmals genutzt. Das KMB forderte die nationalen Delegationen sowie den Generalsekretär auf, bis Ende September 2004 Vorschläge für neue Themen zu unterbreiten. Mehrere Delegationen kamen dieser Aufforderung nach. Frankreich schlug beispielsweise die Behandlung von Verschleppungen und außergerichtlichen Hinrichtungen vor, Schweden die Diskriminierung auf der Grundlage der sexuellen Orientierung eines Menschen und Großbritannien die Versammlungsfreiheit. Die Ukraine brachte gleich drei Vorschläge ein: Rechte, rechtlicher Status und Integration von Arbeitsmigranten, demokratische Kontrolle der Streitkräfte sowie soziale Partnerschaften zwischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Auch der Generalsekretär beteiligte sich bei der Themensuche. Seine beiden Vorschläge lauteten Schutz von und Zugang zu sozialen Rechten sowie Kampf gegen den Terrorismus.161 Im November, und somit einen Monat nach dem vorgesehenen Zeitplan, wählte das KMB das erste Thema des neuen thematischen Monitorings des Ministerkomitees aus. Die Staatenvertreter entschieden sich für das von Großbritannien vorgeschlagene Thema Versammlungsfreiheit.162 160
Vgl. Monitor/Inf (2004) 4. Vgl. CM/Monitor (2004) 8. 162 Vgl. CM/Del/Dec (2004) 907/2.2. 161
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2 Ministerkomitee
2.5.3 Länderspezifisches Post-Accession-Monitoring Als dritte Form hat sich das länderspezifische Post-Accession-Monitoring etabliert. Im Unterschied zu den beiden anderen Varianten des Monitorings durch das Ministerkomitee, welche alle Europaratsstaaten berücksichtigen, werden hier gezielt einzelne Staaten untersucht, und zwar hinsichtlich der Umsetzung spezifischer Verpflichtungen. Etwaige Beschlüsse des Ministerkomitees zu diesen Fragen sollen die Kooperationsprogramme des Europarats mit den behandelten Staaten im Blick haben. Wie das reformierte thematische Monitoring soll auf diese Weise auch das Post-Accession-Monitoring zu einer stärkeren Handlungsorientierung des Monitorings des Ministerkomitees beitragen. In dieser Variante des Monitorings werden derzeit sechs Staaten erfasst. Dies geschieht auf unterschiedliche Arten.163 Zur Untersuchung der demokratischen Entwicklung von Armenien und Aserbaidschan ist nach dem Beitritt der beiden Staaten im Jahr 2001 eine Adhoc-Arbeitsgruppe des KMB eingesetzt worden: GT-SUIVI.AGO, benannt nach dem damaligen Ständigen Vertreter Italiens P.E. Ago. Die Arbeitsgruppe begleitet die beiden Länder durch Dialog und Besuche vor Ort. Auf dieser Grundlage erstellt die Gruppe Berichte, die im KMB regelmäßig diskutiert werden.164 Die vier anderen vom Post-Accession-Monitoring erfassten Staaten sind Bosnien und Herzegowina, Georgien, Montenegro und Serbien. Diese Staaten werden regelmäßig hinsichtlich der Einhaltung der von ihnen gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen erfasst. Das Direktorat für Strategische Planung des Europaratsekretariats erstellt mehrmals im Jahr Berichte zu dieser Frage. Die Berichte werden anschließend in einer Berichterstattergruppe des KMB diskutiert und danach veröffentlicht. Bis zur Reorganisation der Berichterstattergruppen des KMB war dies GR-EDS (demokratische Stabilität/politische Fragen), heute ist es GR-DEM (Demokratie). Beispiel: Post-Accession-Monitoring gegenüber Bosnien und Herzegowina Die Verpflichtungen von Bosnien und Herzegowina speisen sich aus zwei Quellen. Zum einen fußen sie auf einer Stellungnahme der Versammlung des Europarats, welche die Parlamentarier im Vorfeld der Aufnahme Bosnien und Herzegowinas in den Europarat (April 2002) verabschiedeten. In der Stellungnahme werden diverse Verpflichtungen angeführt, die Bosnien und Herzegowina nach seinem Beitritt zum Europarat erfüllen müsse. Die Verpflichtungen bezogen sich unter anderem auf die Reform des Staatswesens und die Gewährleistung von Menschenrechten.165 Die zweite Quelle ist ein Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden des Ministerkomitees – damals war dies der Außenminister Litauens, Antanas Valionis – und dem Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina. Auch darin werden verschiedene Punkte (u. a. Implementierung des Dayton-Abkommens, Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Ermöglichung der Rückkehr von Flüchtlingen) angesprochen, deren Einhaltung bzw. Umsetzung seitens des Europarats erwartet wurden.166 163
Vgl. Monitor/Inf (2005) 1: Ziff. 14-16. Siehe CM (2004) 22. Daneben untersuchte eine vom Generalsekretär des Europarats ernannte und vom Sekretariat des Europarats unterstützte Expertengruppe Fälle angeblicher politischer Gefangener in Armenien und Aserbaidschan. Siehe z. B. SG/Inf (2001) 34. 165 Vgl. Opinion 234 (2002). 166 Vgl. SG/Inf (2004) 28 addendum. 164
2.6 Suspendierung und Ausschluss eines Staates
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Diese Verpflichtungen bilden die Grundlage für das ‚Post-Accession-Monitoring’ von Bosnien und Herzegowina. Über die Umsetzung der Verpflichtungen erstellt das Sekretariat vierteljährlich einen Fortschrittsbericht. Die Berichte beschreiben aktuelle Entwicklungen des Landes sowie durchgeführte Reformen. Darüber hinaus führen die Berichte auf, was Bosnien und Herzegowina in den einzelnen Handlungsbereichen (demokratische Institutionen, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Bildung) noch tun müsse. So sollten die staatlichen Institutionen weiter gestärkt und die Bedingungen für zurückkehrende Binnenvertriebene und Flüchtlinge weiter verbessert werden. Ferner sei das Gerichtssystem des Landes noch verbesserungswürdig. Auch das Schulsystem müsse weiter reformiert werden. Das gelte insbesondere mit Blick auf ethnisch segregierte Schulen.167 Die Berichte des Generalsekretärs stellen, wie geschildert, die Grundlage für die Aussprachen in der KMB-Berichterstattergruppe GR-DEM sowie für die anschließende Beschlussfassung im KMB dar.
2.6 Suspendierung und Ausschluss eines Staates 2.6 Suspendierung und Ausschluss eines Staates Die Monitoring-Aktivitäten des Ministerkomitees dienen dazu, Defizite der Europaratsstaaten bei der Um- und Durchsetzung der Normen und Standards der Organisation aufzudecken. Daran anschließend wird ein Dialog etabliert, bei dem der Europarat den betroffenen Staat bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen – und somit bei der Einhaltung der Standards der Organisation – unterstützt. Bleiben diese Maßnahmen erfolglos, bieten sich dem Europarat drei Optionen. Erstens ließen sich die Defizite einfach ignorieren. Die Glaubwürdigkeit des Europarats würde unter einer solchen ‚Realitätsverweigerung’ jedoch erheblich leiden. Zweitens könnte der Europarat seine Monitoring-Aktivitäten fortsetzen in der Hoffnung, dass sich die Situation im betroffenen Mitgliedsstaat mittel- bis langfristig im Sinne der Organisation ändert. Für gewöhnlich ist das auch der vom Europarat gewählte Weg. Sind jedoch über Jahre keine Verbesserungen oder im Gegenteil gar Verschlechterungen zu erkennen bzw. im Falle eklatanter Verstöße gegen die Wertetrias der Organisation, kann das Ministerkomitee des Europarats drittens einen Staat mit Sanktionen belegen. Grundlage für die Sanktionierung eines Staates ist Art. 8 der Europaratssatzung.168 Dieser sieht im Falle schwerwiegender Verstöße gegen die Grundprinzipien der Organisation mehrere, aufeinander aufbauende Maßnahmen vor.169 Der erste Schritt besteht darin, einen Staat vorübergehend zu suspendieren (Teilnahme-, Rede-, Stimmrecht im Ministerkomitee). Treten keine Verbesserungen ein, kann das Ministerkomitee das Land zum Austritt aus dem Europarat auffordern. Folgt der Staat dieser Aufforderung nicht, beschließt das Ministerkomitee mit einer Zweidrittelmehrheit gemäß Art. 20d der Europaratssatzung den Ausschluss eines Staates. In Art. 8 heißt es hierzu: „Jedem Mitglied des Europarats, das sich eines schweren Verstoßes gegen die Bestimmungen des Artikels 3 [normative Grundsätze des Europarats; KB] schuldig macht, kann sein Recht auf Vertretung vorläufig abgesprochen und es kann vom Ministerkomitee aufgefordert werden, ge167
Vgl. SG/Inf (2004) 28. Für Details zu Art. 8: siehe Wittinger (2005): S. 449-497. 169 Eine andere, gleichwohl von der Einhaltung der Wertetrias der Organisation losgelöste Möglichkeit zur Sanktionierung eines Staates bietet Art. 9 der Europaratssatzung. Gemäß diesem kann Ministerkomitee einen Staat, der seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt, das Recht auf Vertretung im Ministerkomitee wie in der Parlamentarischen Versammlung entziehen. 168
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2 Ministerkomitee mäß den Bestimmungen des Artikels 7 auszutreten. Wird dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, so kann das Ministerkomitee beschließen, dass das betreffende Mitglied, von einem durch das Komitee selbst bestimmten Zeitpunkt ab, dem Europarat nicht mehr angehört.“
Das Verfahren läuft wie folgt ab: Ausgangspunkt ist ein Vorschlag zur Suspendierung eines Staates. Der Vorschlag muss von mindestens einem Mitgliedstaat der Organisation eingebracht werden. Die Parlamentarische Versammlung, der Generalsekretär oder andere Institutionen des Europarats können das Verfahren nicht anstoßen.170 Der Vorschlag zur Suspendierung eines Landes muss in der Tagesordnung der Sitzung des Ministerkomitees enthalten sein, in der das Thema diskutiert wird. ‚Spontane’ Diskussionen werden dadurch ausgeschlossen. Der von einer möglichen Suspendierung betroffene Staat wird vom Generalsekretär des Europarats über die Entscheidung des Ministerkomitees informiert. In dieser werden auch die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen der Entscheidung dargelegt.171 Nach diesem Procedere – Vorschlag, Diskussion im Ministerkomitee, Mitteilung der Entscheidung durch den Generalsekretär – wird auch der Ausschluss eines zuvor suspendierten Staates wie auch die Aufhebung der Suspendierung beschlossen.172 Im Falle einer dauerhaften Missachtung der Grundsätze des Europarats ist es dem Ministerkomitee als Ultima Ratio somit möglich, einen Staat zunächst zu suspendieren und anschließend aus der Organisation auszuschließen. Genutzt wurde diese Möglichkeit bislang nicht. Bis zu den Umbrüchen Anfang der 1990er Jahre wurde dieser Schritt nur ein einziges Mal ernsthaft erwogen, und zwar bezogen auf das Obristenregime in Griechenland. Beispiel: Austritt Griechenlands aus dem Europarat Griechenland trat dem Europarat im August 1949 und somit drei Monate nach dessen Gründung bei. Problematisch wurde die Mitgliedschaft des Landes durch die Machtübernahme des Militärs im Jahr 1967. Die Militärdiktatur stand im diametralen Gegensatz zu den Grundprinzipien des Europarats. Im Zuge der Festigung des Obristenregimes sah sich der Europarat zunehmend unter Handlungsdruck. Vor diesem Hintergrund betonte das Ministerkomitee in einer im Mai 1969 verabschiedeten Resolution „the need for a speedy return to a democratic regime“ in Griechenland.173 Zudem nahm das Ministerkomitee in seiner Resolution auf eine Empfehlung der Versammlung Bezug. In ihrer im Januar 1969 verabschiedeten Empfehlung an das Ministerkomitee hatten die Parlamentarier die Entwicklungen in Griechenland verurteilt.174 Scharf kritisiert („condemning in the strongest terms“) wurde insbesondere die Weigerung der griechischen Regierung, den Berichterstatter der Versammlung in das Land einreisen zu lassen. Die Parlamentarier kamen zu dem Schluss, dass Griechenland die in Art. 3 der Europaratssatzung festgelegten Bedingungen zur Mitgliedschaft in der Organisation ernsthaft verletze. Vor diesem Hintergrund legten die Parlamentarier der griechischen Regierung nahe, die Mit170
Das Ministerkomitee hört die Versammlung jedoch an, bevor es einen Staat zum Ausscheiden aus dem Europarat auffordert. Vgl. Resolution (51) 30A. 171 Ein solches Schreiben wird auch beim Austritt eines Staates aus dem Europarat erstellt. Das einzige Beispiel (Griechenland) ist Resolution (70) 34. 172 Vgl. GO-MK (52005): Art. 26-27. 173 Vgl. Resolution (69) 18. 174 Vgl. Recommendation 547 (1969). Die Versammlung hatte sich zuvor bereits mehrmals zu den Entwicklungen in Griechenland geäußert. Siehe z. B. Resolution 346 (1967).
2.6 Suspendierung und Ausschluss eines Staates
83
gliedschaft des Lands im Europarat zu überdenken und einen Austritt gemäß Art. 7 der Europaratssatzung zu erwägen. Zugleich empfahlen die Parlamentarier dem Ministerkomitee, innerhalb festgelegter Zeiträume Handlungen zu ergreifen, welche die Bestimmungen der Art. 3, 7 und 8 (Suspendierung/Ausschluss) der Europaratssatzung berücksichtigten. Die Versammlung hatte die Suspendierung bzw. den Ausschluss Griechenlands somit auf die Agenda gebracht. In seiner Empfehlung vom Mai 1969 ging das Ministerkomitee jedoch nicht näher auf diese Option ein. Es beschloss lediglich, die Empfehlung der Versammlung der griechischen Regierung zu übermitteln, so dass diese „may draw the necessary conclusions.“ Außerdem erklärte das Ministerkomitee seine Bereitschaft, auf seiner nächsten Sitzung eine Entscheidung zu treffen. Die nächste Sitzung des damals noch zweimal pro Jahr tagenden Ministerkomitees fand im Dezember 1969 statt. Im Sinne der Versammlung urteilte das Ministerkomitee, dass Griechenland „has seriously violated Article 3 of the Statute of the Council of Europe.“175 Das Ministerkomitee war nunmehr bereit, die Mitgliedschaft des Landes gemäß Art. 8 der Europaratssatzung zu suspendieren. Griechenland kam einer solchen Entscheidung jedoch zuvor. Während der Sitzung erklärte das Land gemäß Art. 7 der Europaratssatzung seinen Austritt aus dem Europarat. Das Ministerkomitee urteilte, dass sich Griechenland fortan nicht mehr an den Aktivitäten des Europarats beteiligen würde. Weitergehende Maßnahmen seien nicht erforderlich. Es bestünde „no need to pursue the procedure for suspension under Article 8 of the Statute“. Die Resolution des Ministerkomitees endete freilich mit der Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Situation in Griechenland, was dem Land die Rückkehr in die Organisation ermöglichen würde. Die Mitgliedschaft Griechenlands endete gemäß der in Art. 7 festgelegten Fristen am 31. Dezember 1970.176 1974 folgte die Rückkehr Griechenlands zur Demokratie und in den Europarat. Im September bewertete das KMB die jüngsten Entwicklungen in Griechenland als positiv (u. a. Einrichtung einer neuen zivilen Regierung, Wiederherstellung der demokratischen Verfassung von 1952).177 Mit Blick auf den von Griechenland geäußerten Wunsch, seine Mitgliedschaft im Europarat wieder aufzunehmen, regte das KMB gegenüber der Parlamentarischen Versammlung an, schnellstmöglich eine diesbezügliche Stellungnahme abzugeben.178 In der zweiten Oktoberhälfte kam das KMB überein, auf der nächsten Sitzung des Ministerkomitees Griechenland zur Wiedereinnahme seines Platzes im Europarat einzuladen.179 So kam es dann auch: In seiner Sitzung am 28. November 1974 lud das Ministerkomitee Griechenland, das die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft im Europarat wieder erfüllen würde, zur Rückkehr in die Organisation ein.180
175
Vgl. Resolution (69) 51. Ein Ausschluss wird mit Ablauf des Jahres wirksam, wenn er innerhalb der ersten neun Monate des Jahres angezeigt wird. Trifft ein Land den Entschluss zum Austritt in den letzten drei Monaten eines Jahres, wird er mit Ablauf des folgenden Jahres wirksam. Letzteres traf im Falle Griechenlands zu: Der Entschluss wurde im Dezember 1969 (und somit innerhalb der letzten drei Monate des Jahres 1969) getroffen und wurde deshalb mit Ablauf des folgenden Jahres (31.12.1970) wirksam. 177 Vgl. Resolution (74) 27. 178 Die Stellungnahme der Versammlung, in der sich diese für die Rückkehr Griechenlands aussprach, wurde am 27.11.1974 verabschiedet. Zuvor hatte die Versammlung bereits Ende September 1974 eine Resolution angenommen, in welcher diese positive Entscheidung vorgezeichnet wurde. Vgl. Opinion 69 (1974); Resolution 578 (1974). 179 Vgl. Resolution (74) 32. 180 Vgl. Resolution (74) 34. 176
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2 Ministerkomitee
An der ausbleibenden Nutzung von Art. 8 hat sich seit der Erweiterung des Europarats nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nichts geändert. Die Suspendierung bzw. der Ausschluss eines Staates stünden vielmehr im offensichtlichen Widerspruch zu der seit 1990 verfolgten Erweiterungslogik der Organisation.181 Diese setzt ausdrücklich auf die Einbindung von Staaten in die Organisation, und zwar weitgehend unabhängig davon, zu welchem Grad sie deren Standards bereits erfüllen. Die Überwindung der Defizite sollte und soll ja gerade durch die Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation erfolgen und nicht durch ein ‚bloßes’ Assistieren von außen. Aus der mit politischen Motiven begründeten Erweiterungslogik der Organisation heraus ist die Anwendbarkeit von Art. 8 somit geringer geworden. Aus normativer Sicht hingegen ist dessen potenzieller Nutzen gestiegen. Schließlich ist die Zahl der Staaten, welche die Grundwerte des Europarats zumindest teilweise nur ungenügend erfüllen, im Zuge der Erweiterung deutlich angewachsen. Während das Ministerkomitee vor allem die politische Dimension betont und einer Nutzung von Art. 8 skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, hebt die Parlamentarische Versammlung eher auf die normative Dimension ab. Dies war zum Beispiel gegenüber der Ukraine der Fall. Die Parlamentarier dachten mehrmals darüber nach, dem Ministerkomitee die Nutzung von Art. 8 nahe zu legen.182 Entsprechende Hinweise finden sich allerdings nicht in an das Ministerkomitee gerichteten Empfehlungen, auf welche dieses antworten müsste, sondern ‚nur’ in Resolutionen der Versammlung, auf welche das Ministerkomitee nicht zu reagieren braucht. Wie das Ministerkomitee auf die Forderung reagiert hätte, bleibt deshalb unklar. Ebenso dokumentiert wie offenkundig sind hingegen die unterschiedlichen Sichtweisen von Ministerkomitee und Versammlung mit Blick auf die Anwendung von Art. 8 im Falle Russlands. Die Verstöße Russlands gegen die Prinzipien der Organisation, und somit die Nichterfüllung der Voraussetzungen zur Mitgliedschaft im Europarat, stand für die Versammlung außer Frage. Mehrmals regten die Parlamentarier deshalb gegenüber dem Ministerkomitee an, bei ausbleibender Verbesserung der Lage in Tschetschenien die Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands gemäß Art. 8 zu erwägen.183 In einer Empfehlung vom April 2000 empfahl die Versammlung dem Ministerkomitee, bei ausbleibenden Änderungen „in accordance with Article 8 of the Statute, the procedure for suspension of the Russian Federation from its rights of representation in the Council of Europe“ umgehend in die Wege zu leiten.184 In seiner Antwort auf die Empfehlung der Versammlung kam das Ministerkomitee zu dem Schluss, dass eine Anwendung von Art. 8 nicht notwendig sei: „The Committee believes that, in the present circumstances, there is no need for the Committee to act in the context of Article 8 of the Statute.“185 Diese Haltung gründete einerseits auf einer positiveren bzw. weniger negativen Bewertung der Aktivitäten Russlands zur Verbesserung der Lage in Tschetschenien. Andererseits verwies das Ministerkomitee darauf, dass der Europarat nur dann einen gewissen Einfluss auf Russland habe, solange dieses Mitglied in der Organisation sei.186
181
Siehe Kap. 1.3. Vgl. Resolution 1244 (2001): Ziff. 10; Resolution 1364 (2004): Ziff. 18. 183 Siehe Kap. 3.6. 184 Recommendation 1456 (2000): Ziff. 24/2. Diese Forderung wurde in einer der Weiterverfolgung der Empfehlung dienenden Resolution der Versammlung wiederholt. Vgl. Resolution 1221 (2000). 185 CM/AS (2000) Recommendation 1456 final: Ziff. 44. 186 Vgl. Brummer (2005): S. 256-257. 182
2.7 Zusammenspiel mit der Parlamentarischen Versammlung
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2.7 Zusammenspiel mit der Parlamentarischen Versammlung 2.7 Zusammenspiel mit der Parlamentarischen Versammlung Ministerkomitee und Parlamentarische Versammlung sind die beiden Hauptorgane des Europarats. Die Kompetenzverteilung zwischen den Organen gemäß der Europaratssatzung ist eindeutig. Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsorgan des Europarats, das im Namen der Organisation beschließt und handelt. Die Versammlung hat gegenüber dem Ministerkomitee nur eine beratende Funktion. Einzig innerhalb ihres eigenen Rahmens handelt und entscheidet sie autonom. Wie im nächsten Kapitel zur Parlamentarischen Versammlung gezeigt wird, ist deren formal nachgeordnete Stellung jedoch nicht zu verwechseln mit Einflusslosigkeit. Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf formelle und informelle Interaktionsforen der beiden Hauptorgane des Europarats geworfen werden. Die zentrale Institution für den Austausch zwischen Ministerkomitee und Versammlung ist der Gemeinsame Ausschuss (joint committee). Dieser wurde im Mai 1951 durch eine Resolution des Ministerkomitees gegründet.187 Wie weiter oben beschrieben, war diese Resolution eine – wenn auch nicht so bezeichnete – Resolution mit Satzungscharakter.188 Der Gemeinsame Ausschuss ist somit faktisch in der Europaratssatzung verankert. Die Resolution bezeichnet den Gemeinsamen Ausschuss als das „Koordinationsorgan“ des Europarats. Der Gemeinsame Ausschuss setzt sich zusammen aus je einem Vertreter eines jeden Mitgliedstaates des Europarats und einer entsprechenden Zahl an Vertretern der Versammlung. Letztere umfasst die Mitglieder des Präsidiums der Versammlung sowie je einen Vertreter aus jeder nationalen Versammlungsdelegation, die keinen Sitz im Präsidium hat. Außerdem kann der Generalsekretär des Europarats – der als „Kommunikationskanal“189 zwischen Ministerkomitee und Versammlung dient – den Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses beiwohnen. Den Vorsitz im Gemeinsamen Ausschuss hat der Präsident der Parlamentarischen Versammlung. Im Ausschuss werden keine Beschlüsse getroffen. Entsprechend gibt es auch keine Abstimmungen. Auf Arbeitsergebnisse einigen sich die Teilnehmer einvernehmlich.190 Der Ausschuss tritt laut Resolution „so oft wie erforderlich“ zusammen. Die Zahl der Treffen pro Jahr kann entsprechend variieren. Zuletzt gab es vier Treffen pro Jahr.191 Der Gemeinsame Ausschuss hat vier Aufgaben. Erstens diskutiert er Probleme, die sowohl Ministerkomitee als auch Versammlung betreffen. Zweitens lenkt der Ausschuss das Interesse der beiden Institutionen auf Fragen, die für den Europarat besonders wichtig sein könnten. Drittens unterbreitet er Vorschläge für die Tagesordnungen von Ministerkomitee und Versammlung. Viertens prüft und fördert der Gemeinsame Ausschuss Maßnahmen, die für die Umsetzung der Empfehlungen der einen oder anderen Institution geeignet erscheinen. Im Gemeinsamen Ausschuss wird beispielsweise regelmäßig, d. h. wenigstens einmal pro Jahr, über das Monitoring von Ministerkomitee und Versammlung diskutiert oder, so vorhanden, über Beitrittsgesuche von Staaten zum Europarat.192 187
Vgl. Resolution (51) 30C. Siehe Kap. 2.3.3. 189 Vgl. GO-MK (52005): Art. 22. 190 Vgl. Resolution (51) 30C: Ziff. 3c. 191 Die Zahlen beziehen sich auf die Jahre 2004-2006. In den Jahren zuvor gab es weniger (2001-2003: je zwei Treffen) bzw. mehr (1998, 2000: je fünf; 1999: sechs) Treffen. Vgl. CM/Inf (2007) 1. 192 Außerdem kommt es zur Abhaltung informeller Treffen zwischen den Vorsitzenden des KMB und des Monitoring-Ausschusses der Versammlung. Vgl. CM/AS (2002) Recommendation 1536 final. 188
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Die Interaktion von Ministerkomitee und Versammlung beschränkt sich nicht auf den Gemeinsamen Ausschuss. Eine weitere Möglichkeit zum Austausch besteht in der Einladung von Versammlungsvertretern in die Sitzungen des KMB zur Abgabe einer Stellungnahme. Die Einladung ergeht durch den Vorsitzenden im KMB unter Zustimmung aller Staaten. Die Teilnahmemöglichkeiten des Versammlungsvertreters an den Sitzungen sind jedoch begrenzt. Laut Geschäftsordnung des KMB besteht die Regel darin, dass er nach seiner Stellungnahme und der Beantwortung von Fragen die Sitzung wieder verlässt.193 Das Ministerkomitee wiederum kann laut seiner Geschäftsordnung einen oder mehrere Außenminister – oftmals den Vorsitzenden des Ministerkomitees – oder auch weitere Minister aus den Mitgliedstaaten des Europarats damit beauftragen, eine Stellungnahme vor der Versammlung abzugeben. Eine solche Stellungnahme ist auch dann möglich, wenn das Thema nicht auf der Tagesordnung der Versammlung steht. Der Vertreter des Ministerkomitees hat sich bei seinen Ausführungen auf eine vorher vom Ministerkomitee angenommene Stellungnahme zu beschränken. Eine Teilnahme an der Aussprache der Versammlung muss eigens vom Ministerkomitee beschlossen werden.194 Laut Art. 19 der Europaratssatzung ist das Ministerkomitee außerdem dazu verpflichtet, der Versammlung bei jeder ihrer Sitzungen einen Tätigkeitsbericht vorzulegen. Ebenfalls in der Europaratssatzung verankert ist die Möglichkeit, dass die Versammlung Empfehlungen an das Ministerkomitee richtet (Art. 22). Die Empfehlungen der Versammlung sind nicht bindend für das Ministerkomitee. Wie weiter oben geschildert, nimmt das Ministerkomitee seine Antworten auf diese Empfehlungen mit einer Zweidrittelmehrheit an. Nachdem die (nicht obligatorische) Frist für die Beantwortung von Empfehlungen der Versammlung zunächst bei neun Monaten lag, beschloss das KMB im Januar 2003, die Antworten wenn möglich innerhalb von sechs Monaten zu verabschieden.195 Erachtet das Ministerkomitee eine Empfehlung der Versammlung als nicht vollständig akzeptabel, kann es diese an den Präsidenten der Versammlung zurückweisen, verbunden mit Kommentaren zur Erläuterung der Maßnahme.196 Neben den von der Versammlung in ihrer Gesamtheit getragenen Empfehlungen können auch einzelne Parlamentarier ihre Anliegen an das Ministerkomitee adressieren. Dies geschieht in Form schriftlicher Anfragen. Seitens des Ministerkomitees werden die Anfragen zunächst vom KMB untersucht. Das KMB legt diejenigen Fragen fest, welche auf die Agenda des Ministerkomitees gesetzt werden, und beschließt den Umgang mit den weiteren Fragen.197 Als prioritär gelten Anfragen, die nicht nur von einem, sondern von mehreren Parlamentariern eingereicht werden oder die Themen von unmittelbarem Interesse für die Aktivitäten des Europarats aufgreifen. Wie nunmehr im Falle der Empfehlungen, sollen Antworten auf schriftliche Anfragen ebenfalls innerhalb von sechs Monaten gegeben werden. Kann sich das KMB auf keine Antwort verständigen, teilt der Vorsitzende des KMB dem Versammlungspräsidenten in einem Schreiben die Gründe für die nicht erzielte Einigung mit.198
193
Vgl. GO-KMB (42005): Art. 15. Vgl. GO-MK (52005): Art. 17. 195 Vgl. CM (2005) 181 revised: Ziff. 20. 196 Vgl. GO-MK (52005): Art. 15. Siehe auch Kap. 3.5. 197 Vgl. GO-MK (52005): Art. 16. 198 Vgl. CM (2005) 181 revised: Ziff. 21. 194
2.8 Fazit
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Neben den bereits geschilderten institutionalisierten Möglichkeiten des Austauschs zwischen den beiden Hauptorganen des Europarats gibt es weitere, eher informelle Möglichkeiten zur Interaktion der beiden Organe, und zwar auch im Verbund mit Dritten. Seit November 1999 wird beispielsweise der Präsident der Versammlung zu den am Tag vor Beginn der eigentlichen Sitzung des Ministerkomitees abgehaltenen informellen Zusammenkünften eingeladen.199 Der Versammlungspräsident war außerdem bereits wiederholt Teilnehmer an den Spitzentreffen zwischen Europarat und EU, bei denen seitens des Europarats ‚nur’ der Vorsitzende des Ministerkomitees und der Generalsekretär fest vorgesehen sind.200 Kurzum: Es existiert eine Vielzahl von institutionalisierten wie auch informellen Austauschmöglichkeiten zwischen Ministerkomitee und Versammlung. Kommt es zu Reibungen zwischen den beiden Organen, dann sind diese politischer Natur – wie die obigen Ausführungen zur Nutzung von Art. 8 zeigen – oder Resultat mangelnden Abstimmungswillens. Fehlenden Möglichkeiten zum wechselseitigen Austausch können sie hingegen nicht angelastet werden.
2.8 Fazit 2.8 Fazit Das Ministerkomitee ist die zentrale Institution für die Entscheidungsfindung des Europarats. Es gibt sowohl die strategischen Leitlinien als auch konkrete Arbeitspläne zu deren Umsetzung vor. Erstere beziehen sich auf die jährlichen Sitzungen des Ministerkomitees, verbunden mit den unregelmäßigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Letztere heben insbesondere auf die jährlich zu verabschiedenden Arbeitsprogramme des Europarats ab, in denen die Aktivitäten der verschiedenen Institutionen in einen die gesamte Organisation erfassenden Kontext gestellt werden. Das Ministerkomitee ist außerdem bei der Setzung von Standards und Normen zur Errichtung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums von Bedeutung. Die Entwicklung der Europaratsverträge (Konventionen und Abkommen) wie auch von Empfehlungen erfolgt im institutionellen Rahmen des Ministerkomitees. Zentral sind hier dessen thematisch gegliederte Expertengruppen. Die Expertengruppen beteiligen sich weiterhin bei der Kontrolle der Einhaltung der Normen und Standards des Europarats durch seine Mitglieder, für welche das Ministerkomitee verantwortlich zeichnet. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Prinzipien der Organisation kann das Ministerkomitee einzelne Staaten sanktionieren, was bis zum Ausschluss eines Landes führen kann. Die Entscheidungsspielräume des Ministerkomitees sind jedoch mitunter durch politische Motive eingeschränkt. Grundsätzlich gilt im intergouvernemental, also zwischenstaatlich angelegten Europarat, dass es ‚über’ dem Ministerkomitee – als dem Vertretungsorgan der Mitgliedsstaaten – keine Institution mit eigenen, vom Ministerkomitee unabhängigen Kompetenzen gibt. Innerhalb des Ministerkomitees wird eine Vielzahl von Beschlüssen mit Mehrheit (zumeist Zweidrittelmehrheit) getroffen. Hierunter fallen für das Wirken der Organisation wesentliche Fragen, etwa die Zeichnungsauflegung von Konventionen und Abkommen, die Annahme von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten und die Verabschiedung des Haushaltsplans.
199 200
Vgl. CM/AS (2003) Recommendation 1567 final. Siehe Kap. 11.1.2.
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2 Ministerkomitee
Intergouvernementalität ist somit nicht gleichbedeutend mit durchweg einstimmiger Entscheidungsfindung. Gleichwohl gibt es mehrere Bereiche, in denen Einstimmigkeit vorgeschrieben ist (u. a. Verabschiedung des Tätigkeitsberichts). Zudem enthält die Satzung des Europarats eine Art ‚Blockadeklausel’. Laut Art. 20a können die Europaratsstaaten mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen, Fragen von besonderer Bedeutung, die bislang nicht der Einstimmigkeit unterliegen, dieser Vorschrift zu unterwerfen. Die Hürde für die Nutzung dieser Klausel, eben die erforderliche Zweidrittelmehrheit, ist freilich hoch und dürfte die Anwendbarkeit dieser Satzungsbestimmung begrenzen.201 Fest steht jedenfalls: Bei einer Organisation mit 47 Mitgliedern stellen einstimmige Entscheidungen eine enorme Herausforderung dar. Einstimmigkeit führt unweigerlich zu Kompromissentscheidungen. Bei derart vielen Akteuren wie im Europarat dürften solche Kompromisse zwangsläufig auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner beruhen. Insofern ist als Stärke des Ministerkomitees zu werten, dass der Großteil seiner Beschlüsse Mehrheitsbeschlüsse sind. Zu den maßgeblichen Beschlüssen des Ministerkomitees gehört die Auflage von Europaratsverträgen, sprich von Konventionen und Abkommen. Diese bilden zentrale Elemente für die Durchsetzung der Wertetrias der Organisation, die aus Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besteht. Da eine Vielzahl der Verträge (u. a. EMRK, Antifolterkonvention) sich ausdrücklich mit dem Schutz der Menschenrechte beschäftigt, konstatiert Klein, dass diese „Europa ohne Zweifel zu dem Kontinent, in dem das Netz menschenrechtlicher Verbürgungen am dichtesten geknüpft ist“202, machen. Die Europaratsverträge schaffen in den behandelten Bereichen gemeinsame Rechtsstandards. Dem Ideal des einheitlichen europäischen Rechtsraums, der 47 Staaten und 800 Millionen Menschen durch mehr als 200 Verträge auf gemeinsame Normen und Standards verpflichtet, steht in der Realität allerdings ein „Flickenteppich“203 gegenüber. Die Kluft zwischen Anspruch bzw. Potenzial und Wirklichkeit ist vor allem auf drei Punkte zurückzuführen: die fehlende Verpflichtung zum Beitritt zu den Europaratsverträgen, die Option zur Abgabe von Vorbehalten sowie letztlich auf den politischen Willen der Staaten zum (Nicht-) Handeln. Diese Aspekte entsprechen freilich dem zwischenstaatlichen Charakter des Europarats sowie allgemein völkerrechtlichen Vertragsgepflogenheiten. Die Inhalte von Konventionen und Abkommen sind nur für deren Vertragsparteien bindend. Für die Europaratsstaaten verpflichtend ist lediglich der Beitritt zur EMRK sowie, durch ihre Mitgliedschaft zwangsläufig, zur Satzung der Organisation, die ebenfalls in der Liste der Europaratsverträge erfasst wird. Insgesamt gibt es zwölf Europaratsverträge, denen alle 47 Mitglieder der Organisation angehören – den übrigen rund 190 Verträgen gehören entsprechend nicht alle Europaratsstaaten an.204 Alle Staaten sind Vertragsparteien der Satzung des Europarats, der EMRK und ihrer Protokolle 2, 3, 5, 8 und 11, der Antifolterkonvention und deren beiden Protokollen, des Europäischen Kulturabkommens wie auch des Übereinkommens über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten. Den beiden letztgenannten Verträgen gehören neben den 47 Europaratsstaaten noch Belarus und der Heilige Stuhl bzw. Australien an. Staaten können ferner zwar Vertragsparteien einer Konvention sein, ohne jedoch deren Bestimmungen vollständig umsetzen zu müssen. Die Abgabe von Vorbehalten (reservations) ermöglicht 201
Empirische Studien zu diesem Thema sind dem Verfasser nicht bekannt. Klein (2001): S. 123. 203 So urteilt Merills. Zitiert in Brosig (2006): S. 12. 204 Stand: 31. Januar 2008. 202
2.8 Fazit
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dies.205 Durch Vorbehalte stecken Staaten innerhalb einer Konvention den Rahmen des für sie Möglichen bzw. Akzeptablen ab. Angesichts dieser Einschränkungen ist die Formulierung von Stegen treffend, der Konventionen als „Angebote“206 des Europarats an seine Mitgliedstaaten bezeichnet. Wie Abbildung 16 illustriert, greifen die Staaten diese Angebote nur zögerlich auf. Nicht nur der Beitritt aller Europaratsstaaten zu einer Konvention oder einem Abkommen ist selten. Auch das Inkrafttreten eines Vertrags als solches ist nicht selbstverständlich. Von den mehr als 200 zur Zeichnung aufgelegten Europaratsverträgen sind 30 noch nicht in Kraft getreten. Dies ist nur teilweise darauf zurückzuführen, dass Verträge ‚neu’ sind und deshalb eine Zeichnung und anschließende Ratifizierung noch nicht lange möglich ist. Von den 30 bislang nicht ratifizierten Verträgen wurden nur fünf nach 2002 aufgelegt. Weiterhin wurden sieben der 30 Europaratsverträge von keinem einzigen Staat ratifiziert; der älteste Vertrag stammt aus dem Jahr 1972.207 Die längste ‚Wartezeit’ unter den nicht ratifizierten Verträgen hat jedoch das Europäische Übereinkommen zur Einführung eines einheitlichen Gesetzes über die Schiedsgerichtsbarkeit. Dieses wurde 1966 zur Zeichnung aufgelegt. Die für das Inkrafttreten des Übereinkommens notwendige Zahl an Ratifizierungen (drei Staaten) wurde bis heute nicht erreicht. Erst ein Staat (Belgien) hat den Vertrag ratifiziert und ein weiterer Staat hat den Vertrag unterzeichnet (Österreich). Abbildung 16: Beitritt der größten Beitragszahler zu Europaratsverträgen208 Deutschland
Frankreich
Italien
Russland
Vereinigtes Königreich
116
122
116
51
111
43
38
46
16
21
39
39
39
136
68
5
4
2
0
3
Europaratsverträge unterzeichnet und ratifiziert unterzeichnet, aber nicht ratifiziert weder unterzeichnet noch ratifiziert gekündigt
205
Siehe Polakiewicz (1999): S. 77-117; Spiliopoulou Åkermark (1999). Stegen (2000): S. 80. 207 Dies sind: das Europäische Übereinkommen über den Ort der Zahlung von Geldschulden (1972 aufgelegt), das Europäische Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für durch Kraftfahrzeuge verursachte Schäden (1973), das Europäische Übereinkommen über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden und Tod (1977), das Europäische Übereinkommen über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut (1985), die Vereinbarung zur Anwendung des Europäischen Übereinkommens vom 17. Oktober 1980 über die Gewährung ärztlicher Betreuung an Personen bei vorübergehendem Aufenthalt (1988), die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) (1990) und das Europäische Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch umweltgefährdende Tätigkeiten (1993). Stand: 31. Januar 2008. 208 Die Niederlande (135 Verträge), Norwegen (130) und Dänemark (129) sind diejenigen Staaten, welche die meisten Europaratsverträge ratifiziert haben. Monaco (167), Andorra (162) und San Marino (148) sind die Staaten, welche die größte Zahl an Verträgen weder unterzeichnet noch ratifiziert haben. Siehe Vertragsbüro des Europarats unter http://conventions.coe.int (Stand: 31. Januar 2008). 206
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2 Ministerkomitee
Eine weitere Schwachstelle des Konventionssystems liegt in den zumeist schwachen Kontrollmechanismen, d. h. insofern überhaupt welche existieren. So sind keineswegs alle Konventionen mit einem Mechanismus ausgestattet, der ihre Einhaltung überwacht bzw. durch den Verstöße gegen Konventionsinhalte gar sanktioniert werden könnten. Positiv zu vermerken ist, dass neuere Konventionen vermehrt über Kontrollinstanzen verfügen. Beispielhaft ist die 2005 zur Zeichnung aufgelegte und am 1. Februar 2008 in Kraft getretene Konvention des Europarats gegen Menschenhandel, über deren Einhaltung die Expertengruppe für die Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) wachen soll.209 Am weitesten entwickelt ist zweifelsohne der Mechanismus zur Überwachung der EMRK durch den EGMR und, was die Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs anbelangt, durch das Ministerkomitee. Beim Großteil der anderen Europaratsverträge existieren keine auch nur vergleichbaren Kontrollmechanismen. Darüber hinaus sind etwaige Maßnahmen des Ministerkomitees, zum Beispiel in Form der Verabschiedung von ‚DH-Resolutionen’ im Zuge der Überwachung der Urteile des Gerichtshofs, für den jeweiligen Mitgliedstaat zwar verbindlich. Die Umsetzung seiner Beschlüsse kann das Ministerkomitee jedoch nicht ‚erzwingen’. Es kann lediglich entsprechende Appelle äußern. Verweigert ein Staat dauerhaft die Implementierung der Beschlüsse, bleibt dem Ministerkomitee nur der Rückgriff auf Art. 8 der Satzung und somit auf die Suspendierung und letztlich den Ausschluss eines Landes aus der Organisation. Die begrenzte Anwendbarkeit von Art. 8 wird weiter unten noch diskutiert. Nicht zu vergessen: Durch den Nichtbeitritt zu einem Vertrag oder dessen Kündigung kann sich jeder Staat den Kontrollmechanismen von vornherein bzw. nachträglich entziehen, egal ob diese schwach oder stark sind. Zwar werden die Europaratsverträge als Maßnahmen des Ministerkomitees zur Umsetzung der Ziele der Organisation verfolgt, zu denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben. Dieses Ideal bricht sich an den geschilderten Lücken bei der Ratifizierung der Verträge durch die Mitgliedstaaten. Die Frage der Möglichkeiten zur Kontrolle der Europaratsverträge leitet über zu den Monitoring-Aktivitäten des Ministerkomitees, die sich über die Überwachung von Verträgen hinaus ganz grundsätzlich mit der Umsetzung der Normen und Prinzipien des Europarats durch seine Mitglieder beschäftigen. Seit seiner Einführung im Jahr 1994 hat sich das Monitoring des Ministerkomitees zu einer dauerhaften Überwachungs- und Kontrollinstanz entwickelt. Darüber hinaus ist es immer stärker zu einem Ort des konstruktiven Austauschs zwischen der Organisation und ihren Mitgliedstaaten geworden. Das gilt insbesondere für die Neumitglieder, die im Mittelpunkt der Monitoring-Aktivitäten des Ministerkomitees stehen. Zu dieser fordernden und fördernden, und nicht verurteilenden, Ausrichtung des Monitorings bemerkt Benoît-Rohmer: „[C]es mécanismes n’ont en général pas pour objectif de sanctionner les Etats qui viendraient à manquer à leurs engagements, mais plutôt celui d’encourager ceux-ci à assurer la mise en conformité de leur législation avec les standards européens.“210
209 GRETA soll spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten der Konvention seine Arbeit aufnehmen und seine Kontrolluntersuchungen in Form von Länderrunden durchführen. Vorbild für dieses Vorgehen sind der Antifolterausschuss und ECRI. 210 Vgl. Benoît-Rohmer (2000): S. 81.
2.8 Fazit
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Auf diese Weise leistet das Monitoring einen wichtigen Beitrag zur kontrollierten und abgestimmten Heranführung gerade der neuen Europaratsstaaten an die Standards der Organisation. Zu kritisieren sind allerdings die weitestgehend fehlenden Konsequenzen des Monitorings. Gerade die ausgebliebenen oder unzureichenden Reaktionen auf aufgedeckte Missstände in Mitgliedstaaten stellen das Ansehen des Europarats infrage. Bauer bemerkt hierzu: „Wie gezeigt belegen die laufenden Monitoring-Verfahren schwerwiegende Mängel in einer Reihe von Mitgliedstaaten. Ernsthafte Konsequenzen wurden aus diesen Ergebnissen bislang nicht gezogen. Die Glaubwürdigkeit des Europarats als ‚europäisches Gewissen‘ steht und fällt jedoch mit der Verwirklichung seiner Prinzipien durch die Mitgliedstaaten.“211
Schließlich war es Sinn und Zweck der Einführung des Monitorings, die in manchen Fällen zu schnelle Aufnahme neuer Staaten durch eine anschließende strengere Überwachung ihrer Entwicklung zu rechtfertigen. Dies beinhaltete zwangsläufig auch Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen gegen die von den neuen Mitgliedern freiwillig eingegangenen Verpflichtungen. Solche Maßnahmen blieben jedoch aus. Bei der Frage nach Sanktionen gegen Mitglieder steht Art. 8 der Europaratssatzung im Mittelpunkt, der zunächst die Suspendierung und anschließend den Ausschluss eines Staates aus dem Europarat ermöglicht. Bis heute machte das Ministerkomitee von diesem Artikel keinen Gebrauch. Laut Wittinger wurde der Sanktionsmechanismus deshalb „zum ‚zahnlosen’ Tiger“.212 Einzig Griechenland wäre im Jahr 1969 suspendiert worden, wenn es dem Ministerkomitee nicht durch seinen vorübergehenden Austritt zuvorgekommen wäre. An Gelegenheiten zur Anwendung von Art. 8 fehlte es nicht. Gerade das Vorgehen Russlands in den beiden Tschetschenienkriegen ist mit den Normen des Europarats nicht zu vereinbaren. Hinweisen der Parlamentarischen Versammlung zur Nutzung von Art. 8 in diesem Zusammenhang erteilte das Ministerkomitee jedoch eine Absage. Am Beispiel Russland zeigen sich auch die beiden allgemeinen Gründe für die Nichtanwendung von Art. 8. Erstens mangelt es den im Ministerkomitee versammelten Staaten an politischem Willen bzw. Mut, einen Staat wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Prinzipien der Organisation auszuschließen. Im russischen Fall hielt das ‚Gewicht’ des Landes andere Staaten von einem Ausschluss ab. Russland ist ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, Atommacht, Energielieferant, das bevölkerungsreichste Mitglied des Europarats und einer der größten Beitragszahler der Organisation. Zweitens stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 8. Die Überlegung lautet, dass das Ministerkomitee nur auf Staaten Einfluss nehmen kann, die Mitglieder der Organisation sind. Durch die Suspendierung oder den Ausschluss eines Staates würde es sich jedweder Einflussmöglichkeiten berauben, die sich aus der Mitgliedschaft eines Landes im Europarat ergeben. Im Falle Russlands wurde diese Begründung seitens des Ministerkomitees explizit angeführt. Diesen politischen Er- und Abwägungen ist eine normative Überlegung entgegenzustellen. Diese lautet: Wie weit darf das Ministerkomitee zur Beibehaltung möglicher – und keineswegs unweigerlich zum Erfolg führender – Handlungsoptionen die Grundprinzipien hintanstellen, auf denen der Europarat basiert und welche er nach innen wie nach außen zu 211 212
Vgl. Bauer (2001): S. 251. Wittinger (2005): S. 461.
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2 Ministerkomitee
vertreten bestimmt ist? Vielleicht würde der Ausschluss eines Staates in manchen Fällen schneller (oder überhaupt erst) zur Umsetzung der Europaratsnormen führen als das Festhalten an der Mitgliedschaft des Staates um den Preis der Glaubwürdigkeit der Organisation.213 Unabhängig von der Suspendierung bzw. dem Ausschluss eines Staates sollte das Ministerkomitee nach Möglichkeiten zur Erweiterung seines Sanktionsinstrumentariums suchen. Ein denkbarer Ansatzpunkt wären Strafzahlungen, die ihrerseits dem gering bemessenen Haushalt des Europarats zufließen könnten.214 Die rechtlichen Grundlagen hierfür müssten freilich ebenso geklärt werden wie die Frage, wie man alle Europaratsstaaten – und somit auch die potenziellen Kandidaten für Strafzahlungen – zur Zustimmung bewegen kann.
2.9 Literaturhinweise 2.9 Literaturhinweise Committee of Ministers: Third Summit of Heads of State and Government of the Council of Europe (Warsaw, 16-17 May 2005). Warsaw Declaration (Dokument: CM (2005) 79 final vom 17.5.2005) Committee of Ministers: Third Summit of Heads of State and Government of the Council of Europe (Warsaw, 16-17 May 2005). Action Plan (Dokument: CM (2005) 80 final vom 17.5.2005) Directorate of Strategic Planning: Compliance with Member States’ Commitments: The Committee of Ministers’ Monitoring Procedure. Secretariat Memorandum prepared by the Monitoring and CO-ordination Department of the Directorate of Strategic Planning (Dokument: Monitor/Inf (2005) 1 vom 19.1.2005) Djeric, Vladimir (2000): Admission to Membership of the Council of Europe and Legal Significance of Commitments Entered into by New Member States. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Vol. 60: 605-629. Polakiewicz, Jörg (1999): Treaty-Making in the Council of Europe. Straßburg. Steenbrecker, Andrea (2000): Politisches Monitoring im Europarat. In: Holtz, Uwe (Hrsg.): 50 Jahre Europarat. Baden-Baden: 171-182. Wittinger, Michaela (2005): Der Europarat: Die Entwicklung seines Rechts und der „europäischen Verfassungswerte“. Baden-Baden.
213
Der Umgang mit Belarus dient nur begrenzt als Gegenbeispiel, schließlich war das Land noch nicht Mitglied des Europarats. Nach Einschätzung der Parlamentarischen Versammlung ist es um die Finanzen des Europarts derart schlecht bestellt, dass im Falle ausbleibender Änderungen – sprich Budgetsteigerungen – „the future of many of the Organisation’s activities could become desperate.“ Opinion 264 (2007). 214
3 Parlamentarische Versammlung 3 Parlamentarische Versammlung 3 Parlamentarische Versammlung
Neben dem Ministerkomitee ist die Parlamentarische Versammlung (parliamentary assembly) das zweite „Organ“ des Europarats (Art. 10 der Europaratssatzung). Als die Versammlung am 10. August 1949 erstmals tagte, tat sie das noch unter einer anderen Bezeichnung. Der ursprüngliche Name lautete ‚Beratende Versammlung’. 1974 benannten die Parlamentarier, ihrem Selbstverständnis folgend, die Institution in Parlamentarische Versammlung um. Zwanzig Jahre später beschloss das Ministerkomitee, in allen Europaratsdokumenten ebenfalls diese Bezeichnung zu verwenden. Die ursprüngliche Bezeichnung ‚beratend’ beschreibt freilich treffend die an die Versammlung gerichteten Erwartungen und Aufgaben.1 Dem zwischenstaatlichen (intergouvernementalen) Charakter der Organisation entsprechend, dominiert das Ministerkomitee – als das Organ der Europaratsstaaten – im Institutionengefüge der Organisation. Der Versammlung bleibt eine nachgeordnete, auf die Beratung begrenzte Rolle.2 Art. 22 der Europaratssatzung besagt: „Die [Parlamentarische] Versammlung ist das beratende Organ des Europarates. Sie erörtert Fragen, die nach dieser Satzung zu ihrer Zuständigkeit gehören; sie übermittelt ihre Beschlüsse dem Minister-Komitee [sic!] in Form von Empfehlungen.“
Der Aufgabenbereich der Versammlung erstreckt sich demnach, gemäß der ‚BeinaheGeneralkompetenz‘ des Europarats, auf sämtliche Fragen, die in die Zuständigkeit der Organisation fallen. Wie im vorherigen Kapitel geschildert, kann sich die Versammlung demnach mit allen Themen beschäftigen außer der nationalen Verteidigung.
3.1 Zusammensetzung 3.1 Zusammensetzung Die Versammlung tritt alljährlich zu einer öffentlichen ordentlichen Sitzungsperiode zusammen. In der Praxis hat sich die Aufgliederung in vier ca. fünftägige Teilsitzungen im Januar, April, Juni und Oktober eines Jahres etabliert (Art. 32-35). Die Versammlung setzt sich zusammen aus Vertretern eines jeden Mitgliedstaats des Europarats. Die Mitglieder der sogenannten ‚nationalen Delegationen’ (national delegations) müssen den nationalen Parlamenten der Europaratsstaaten angehören.3 Die Delegationen sollen die politischen Gewichte der einzelnen Parteien (inkl. der Oppositionsparteien) in den sie entsendenden Par-
1 Vgl. Kap. V (Art. 22-35) der Satzung des Europarats sowie die Geschäftsordnung der Versammlung (GO-PV (2002)) für die nachfolgenden Ausführungen. Eine ausführliche Einführung in die Versammlung bietet Jaskiernia (2003). Siehe Haller (2006) speziell für die Aktivitäten der Versammlung zwischen 1949 und 1989. 2 Jaskiernia betont diese „par excellence advisory legal nature (Hervorhebungen weggelassen; KB)“ der Versammlung innerhalb des institutionellen Gefüges des Europarats. Jaskiernia (2003): S. 42. 3 Bis zur Änderung der Europaratssatzung im Oktober 1970 mussten die Mitglieder der nationalen Delegationen nicht zugleich Mitglieder der nationalen Parlamente sein.
94
3 Parlamentarische Versammlung
lamenten widerspiegeln. Nach welchen Prinzipien die Bestallung der nationalen Delegationen genau erfolgt, bleibt den nationalen Parlamenten überlassen.4 Der Versammlung gehören 318 Mitglieder (representatives) und eine entsprechende Zahl von Stellvertretern (substitutes) und somit insgesamt 636 Personen an.5 Mitglieder und Stellvertreter sind größtenteils gleichgestellt.6 Der zentrale Unterschied besteht darin, dass die Stellvertreter nur dann im Plenum der Versammlung abstimmen dürfen, wenn das Mitglied, welches sie vertreten, nicht anwesend ist. Wie viele Mitglieder jedes der 47 nationalen Parlamente der Europaratsstaaten in die Versammlung entsendet, ist in Art. 26 der Europaratssatzung festgelegt. Die Zahl der Mitglieder der nationalen Delegationen reicht von zwei (z. B. Andorra, San Marino) bis 18 (z. B. Deutschland, Frankreich, Russland). Ähnlich dem Europäischen Parlament, wo die Anzahl der Sitze eines Staates nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität bestimmt wird, spielen auch bei der Festlegung der Sitze in der Versammlung zwei – faktisch gegenläufige – Überlegungen eine Rolle. Dies sind die Aspekte Bevölkerungsgröße und Proportionalität auf der einen sowie Arbeitsfähigkeit der Versammlung und Vertretung der kleinen Staaten auf der anderen Seite. Eine direkte Proportionalität zwischen der Bevölkerungsgröße eines Staates und dessen Mitgliederzahl in der Versammlung ist wegen der Größenunterschiede der Europaratsstaaten nicht praktikabel. Die Spannbreite reicht von rund 30.000 Bürgern San Marinos bis hin zu etwa 140 Millionen Bürgern Russlands (mehr als 4500-mal so viel). Wenn jeder Europaratsstaat zumindest einen Vertreter entsenden soll, würde die Versammlung bei direkter Proportionalität zwischen Bevölkerungsgröße und Mandatszahl mehrere zehntausend Personen umfassen. Hielte man wiederum an der heutigen Obergrenze von 636 Versammlungsmitgliedern fest, fänden kleine Staaten keine Repräsentation. Die Bandbreite zwischen zwei und 18 Mandaten pro Staat soll somit die Arbeitsfähigkeit der Versammlung erhalten und zugleich kleinen Staaten eine Vertretung ermöglichen.7 Die Mitglieder der nationalen Delegationen der Europaratsstaaten sind jedoch nicht die einzigen in der Versammlung vertretenen Personen. Die Versammlung kennt außerdem noch einen Sondergaststatus (special guest status) und einen Beobachterstatus (observer status). Der Sondergaststatus, der den Parlamenten aller europäischen Nichtmitgliedstaaten des Europarats offensteht, wurde im Mai 1989 zur Erleichterung der sich anbahnenden Aufnahme mittel- und osteuropäischer Staaten eingeführt.8 Das Ziel bestand darin, diesen Staaten weit reichende Mitwirkungsoptionen im Rahmen der Versammlung zu geben. Die Beteiligung an Abstimmungen oder die Kandidatur für Wahlen im Rahmen der Versammlung war nicht vorgesehen. Nach dem Beitritt von 24 Staaten seit 1989 hat sich der Sondergaststatus faktisch überlebt. Aufgrund der Paneuropäisierung der Organisation infolge der Aufnahme von 24 Staaten seit 1990 ‚fehlen’ größtenteils europäische Staaten, die nicht Mitglied im Europarat sind. Die Ausnahmen sind Belarus und das Kosovo. Kosovo, das Mitte Februar 2008 seine Unabhängigkeit erklärt hat, ist noch ein ‚Staat im Werden’. Belarus wiederum wurde der Sondergaststatus entzogen.
4
Ausführlicher bei Marschall (2005): S. 245-250. Siehe Abbildung 3 in Kap. 1.3. Das gilt beispielsweise für die Beteiligung in den Ausschüssen der Versammlung. 7 Für Details siehe Marschall (2005): S. 233-237. 8 Vgl. Resolution 917 (1989). 5 6
3.1 Zusammensetzung
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Beispiel: Entzug des Sondergaststatus von Belarus Das Parlament von Belarus erhielt im September 1992 den Sondergaststatus. Im Januar 1997 wurde dieser Status wieder aberkannt. Ursächlich war das Ende November 1996 in Belarus durchgeführte und international nicht anerkannte Verfassungsreferendum, das die Befugnisse des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko weiter ausbaute (u. a. Auflösung des 1995 gewählten Parlaments, Einsetzung eines neuen Parlaments, Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre). Seitdem beschäftigt sich die Versammlung regelmäßig mit Belarus. Die Einschätzung der dortigen Entwicklungen deutet jedoch nicht darauf hin, dass sich die Beziehungen rasch verbessern werden und Belarus den Sondergaststatus bald zurückerhalten wird.9 In einer im September 2002 angenommenen Resolution äußerte die Versammlung die Ansicht „that political progress in the country [Belarus; KB] was not yet of a nature to allow a change in the relations with the Council of Europe.“10 Die Reaktion der Parlamentarier auf die Präsidentenwahlen im März 2006 viel noch schärfer aus: „The Parliamentary Assembly strongly condemns the undemocratic conduct of the presidential election of 19 March 2006 in Belarus as well as the wave of intimidation, violence and persecution that hit Belarusian democratic forces before, during and after the vote.“11
Kurzum: Grundlegende Reformen werden notwendig sein in Belarus, bevor das Parlament des Landes den Sondergaststatus in der Versammlung wieder einnehmen kann. Diese Einschätzung wurde zuletzt Ende November 2007 bestätigt. Der damalige Präsident der Parlamentarischen Versammlung, René van der Linden, forderte damals Präsident Lukaschenko zur Umwandlung von drei Todesurteilen auf. Van der Linden verband die mit Blick auf konkrete Fälle erhobene Forderung mit dem Hinweis, dass die Abschaffung der Todesstrafe notwendig für den Beitritt zum Europarat sei.12 Ein mögliches Zeichen hin zu einer Annäherung stellt ein Ende Januar 2008 durchgeführter Meinungsaustausch des Politischen Ausschusses der Versammlung zu Belarus dar. Die Parlamentarier sprachen nicht nur mit Vertretern der weißrussischen Opposition, sondern erstmals seit 2004 auch mit Mitgliedern des nationalen Parlaments.13 Über einen Beobachterstatus in der Parlamentarischen Versammlung verfügen die Parlamente Israels (seit 1957), Kanadas (1997) und Mexikos (1999). Vertreter aus den nationalen Parlamenten dieser Länder nehmen an den Sitzungen der Versammlung teil und besitzen, nach entsprechender Autorisierung durch den Präsidenten der Versammlung, Rederecht in den Debatten. Sie dürfen allerdings nicht abstimmen. Den Parlamenten bzw. Ländern mit Beobachterstatus werden ebenfalls Sitze (jedoch ohne Stellvertreter) in der Ver9
Gleichwohl bleibt Belarus weiterhin (seit 1993) offiziell Beitrittskandidat zum Europarat. Resolution 1306 (2002). 11 Resolution 1496 (2006). 12 Vgl. Press Release 849 (2007). Die drei Todesurteile wurden dennoch vollzogen. Der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis, sprach daraufhin von „the stubborn determination of the Belarus authorities to isolate their country from the rest of Europe. With the three executions carried out yesterday, they continue to flaunt their blatant disregard for the human values and achievements common to all other European countries.” Press Release 086 (2008). 13 Vgl. Press Release 013 (2008). 10
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3 Parlamentarische Versammlung
sammlung zugesprochen. Israel hat drei Sitze, Kanada und Mexiko verfügen über jeweils sechs. Neben der Teilnahme von Vertretern der drei Länder in der Versammlung findet der Beobachterstatus seinen praktischen Ausdruck darin, dass sich die Versammlung regelmäßig mit diesen Ländern auseinandersetzt. Eine andere Form der ‚Öffnung’ der Versammlung besteht schließlich darin, dass sie für andere internationale Organisationen, die über keine parlamentarische Komponente verfügen, als ‚parlamentarisches Forum’ fungiert.14 Ursprünglich sollte die Versammlung des Europarats das einzige parlamentarische Forum in Europa sein. Mit der Herausbildung von Versammlungen etwa in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Westeuropäischen Union (WEU) reduzierte sich diese Ambition. Heute stellt die Parlamentarische Versammlung des Europarats das parlamentarische Forum unter anderem für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), für die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC). Durch diese Zusammenarbeit mit anderen Organisationen vermag die Versammlung „ihren politischen Wirkungskreis erheblich zu erweitern“15.
3.2 Politische Gruppen 3.2 Politische Gruppen Organisiert sind die Mitglieder der nationalen Delegationen in Fraktionen, den sogenannten Politischen Gruppen (political groups).16 Politische Gruppen gibt es seit 1964. Um eine Politische Gruppe zu gründen, braucht es mindestens 20 Mitglieder der Versammlung aus wenigstens sechs nationalen Delegationen. Die Parlamentarier können sich nach freiem Willen einer Politischen Gruppe anschließen.17 Politische Gruppen spielen eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung eines effizienten Arbeitsablaufs der Versammlung.18 In den Politischen Gruppen werden beispielsweise gemeinsame Positionen ihrer Mitglieder zu Tagesordnungspunkten der Versammlung entwickelt. Diese Positionen werden anschließend von einem Parlamentarier, der im Namen ‚seiner’ Politischen Gruppe spricht, im Plenum vorgetragen.19 Indem der Vortragende die Ansichten der gesamten Politischen Gruppe referiert, kommt seinen Ausführungen besonderes Gewicht zu. Auf ein Abstimmungsverhalten werden die Mitglieder der Gruppen jedoch nicht verpflichtet. Ein Fraktionszwang existiert demnach nicht.20 14
Siehe Jaskiernia (2003): S. 330-370 für Details zu den unterschiedlichen Formen, in denen die Versammlung den Organisationen ein parlamentarisches Forum bietet. Habegger (2005): S. 191. 16 Da Parlamentarier einer nationalen Delegation sowie in der Regel auch einer Politischen Gruppe angehören, spricht Habegger von einer „doppelten Fraktionierung“ der Parlamentsmitglieder. Habegger (2005): S. 89. Lerch/Caspar (1997) gehen auf die unterschiedlichen nationalen wie europäischen Bezugssysteme der Parlamentarier ein. 17 Details hierzu finden sich bei Schieder (2000). 18 Vgl. Jaskiernia (2003): S. 82-87. 19 An der Sitzordnung im Plenum der Versammlung zeigen sich die Zugehörigkeiten der Parlamentarier zu den Politischen Gruppen allerdings nicht (im Gegensatz z. B. zum Deutschen Bundestag). Die Platzierung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge. 20 Laut Marschall liegt das v. a. an der Heterogenität der in den Politischen Gruppen vertretenen nationalen Parteien. Zugleich könnten die Vorsitzenden der Politischen Gruppen diejenigen Parlamentarier, die sich nicht an Vorgaben hielten, aufgrund fehlender diesbezüglicher Mittel auch nicht sanktionieren. Vgl. Marschall (2005): S. 274. 15
3.3 Präsident, Präsidium und Sekretariat
97
Politische Gruppen sind ferner wichtig bei der Festlegung der Vorsitze in den Ausschüssen und Unterausschüssen der Versammlung. Die Vorsitze werden gemäß d’Hondt proportional zur Größe der Politischen Gruppen zwischen diesen verteilt. Schließlich rotiert auch die Präsidentschaft in der Versammlung zwischen den Politischen Gruppen.21 In der Versammlung haben sich fünf Politische Gruppen geformt:
die Sozialistische Gruppe (SOC), die Gruppe der Europäischen Volkspartei (EPP/CD), die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), die Europäische Demokratische Gruppe (EDG) sowie die Gruppe der Vereinigten Europäischen Linken (UEL).
Daneben gibt es Mitglieder der Versammlung, die sich keiner Politischen Gruppe angeschlossen haben. Sie werden als Unabhängige (NR) geführt. Abbildung 17 illustriert die Stärkeverhältnisse der Politischen Gruppen in der Versammlung. Abbildung 17: Politische Gruppen in der Parlamentarischen Versammlung22
UEL NR 6% 4% EDG 15%
SOC 29%
ALDE 15% EPP/CD 31%
3.3 Präsident, Präsidium und Sekretariat 3.3 Präsident, Präsidium und Sekretariat Geleitet werden die Arbeiten der Versammlung vom Präsidenten (president) der Versammlung. Zu den Aufgaben des Präsidenten gehört es, die Sitzungen der Versammlung zu eröffnen und zu schließen, Redner aufzurufen und für die Einhaltung der Geschäftsordnung der Versammlung zu sorgen. Diese Aufgaben können auf einen der 20 Vizepräsidenten der Versammlung übertragen werden. Jenseits dieser prozeduralen Kompetenzen ist der Präsident das zentrale Sprachrohr der Versammlung nach außen. Er kommentiert beispielsweise aktuelle Ereignisse im Namen der Institution. 21 22
Siehe Kap. 3.3. Vgl. http://assembly.coe.int/default.asp (Stand: 5.2.2008).
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3 Parlamentarische Versammlung
Der Präsident der Versammlung wird alljährlich zu Beginn der Sitzungsperiode (d. h. im Januar während der ersten Teilsitzung der Versammlung) vom Plenum aus dessen Reihen gewählt (Art. 28a Europaratssatzung). Die Amtszeit beträgt maximal drei Sitzungsperioden. Gemäß einem Übereinkommen der Politischen Gruppen wird der Versammlungspräsident alle drei Jahre von einer anderen Gruppe gestellt. Die UEL ist nicht in diese Rotation einbezogen und erhebt auch keine entsprechenden Forderungen.23 Präsident der Versammlung ist derzeit der Spanier Lluís Maria de Puig (SOC). Er löste im Januar 2008 den Holländer René van der Linden (EEP/CD) ab, der das Amt seit Anfang 2005 bekleidet hatte.24 Eines der maßgeblichen Koordinations- und Leitungsgremien der Versammlung ist das Präsidium (bureau of the assembly). Dieses setzt sich zusammen aus dem Präsidenten und den Vizepräsidenten der Versammlung, den Vorsitzenden der Politischen Gruppen sowie den Vorsitzenden der Ausschüsse der Versammlung. Das Präsidium zeichnet insbesondere für die Koordinierung der Arbeiten der Versammlung und deren Ausschüsse verantwortlich. Im Einzelnen entwirft das Präsidium beispielsweise die Tagesordnung für die Teilsitzungen der Versammlung, welche anschließend vom Plenum zu Beginn der jeweiligen Sitzung noch angenommen werden muss. Ferner schlägt es die Weiterleitung von Themen an die einzelnen Ausschüsse vor und gibt Hinweise dahingehend, ob gegen ein Land ein Monitoring-Verfahren aufgrund der (Nicht-)Einhaltung der gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen eingeleitet wird.25 Während das Präsidium somit eine Art Steuerungsgremium der Versammlung ist, sorgt das Sekretariat der Versammlung für die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Institution (siehe Abbildung 18). Geleitet wird das Sekretariat vom Generalsekretär der Versammlung.26 Dieser hat den Rang eines Stellvertretenden Generalsekretärs des Europarats.27 Seit Februar 2006 wird der Posten vom Spanier Mateo Sorinas Balfegó bekleidet. Sorinas Balfegó, der im Oktober 2005 von der Versammlung gewählt wurde, war zuvor bereits Generaldirektor (und somit die ‚Nummer 2’) im Versammlungssekretariat. Die Amtszeit des Generalsekretärs der Versammlung beträgt fünf Jahre mit der Möglichkeit zur Wiederwahl. Das Versammlungssekretariat zeichnet für die möglichst effiziente und effektive Verwendung der Ressourcen der Versammlung wie auch für die Weiterverfolgung von deren Entscheidungen verantwortlich. Darüber hinaus leistet das Sekretariat die Grundlagenarbeiten für die Programme und Aktivitäten der Versammlung. Das Sekretariat der Versammlung ist in verschiedene Einheiten untergliedert. In ihm angesiedelt sind beispielsweise die Büros des Generalsekretärs, des Präsidenten und des Präsidiums der Versammlung. Daneben gibt es drei Direktorate. Dies sind das Direktorat für Politik und Recht, das Direktorat für Kultur, Sozialen Zusammenhalt und Nachhaltige Entwicklung sowie das Direktorat für Allgemeine Dienste. Beim Direktorat für Politik und Recht sind unter anderem die Sekretariate des Politischen Ausschusses, des Ausschusses für Recht und Menschenrechte und 23
Vgl. Schieder (2000): S. 106. Eigentlich hätte ein Vertreter der Europäischen Demokratischen Gruppe (EDG) Nachfolger von van der Linden werden sollen. Vorgesehen war der Vorsitzende der EDG, der Russe Michail Margelow. Aufgrund der Kritik der Versammlung an den russischen Parlamentswahlen vom Dezember 2007 und der russischen Nichtratifizierung des 14. Protokolls zur EMRK formierte sich allerdings bereits im Vorfeld der Wahl Widerstand in den Reihen der Versammlung, der letztlich zur Wahl von de Puig führte (de Puig war der einzige Kandidat, der zur Wahl stand). Vgl. Sattler (2008). 25 Siehe Kap. 3.7. 26 Vgl. Regulations (1956). 27 Ausführlicher in Kap. 4.1. 24
3.3 Präsident, Präsidium und Sekretariat
99
des Monitoring-Ausschusses angesiedelt. Daneben zeichnet dieses Direktorat für die interparlamentarische Zusammenarbeit, allen voran mit dem Europäischen Parlament, und für die Wahlbeobachtungen der Versammlung verantwortlich. Beispiel: Beobachtung der russischen Parlamentswahlen Seit beinahe zwanzig Jahren führt die Parlamentarische Versammlung Wahlbeobachtungen durch.28 Wahlbeobachtungen waren zunächst ein Element der Zusammenarbeit zwischen der Versammlung und denjenigen Staaten, die einen Sondergaststatus in der Versammlung oder die Mitgliedschaft im Europarat anstrebten. Die ersten drei von der Versammlung in Europa beobachteten Parlamentswahlen waren die Abstimmungen in der Deutschen Demokratischen Republik (März 1990), Ungarn (1. Runde: März 1990, 2. Runde: April 1990) und Rumänien (Mai 1990).29 In den Folgejahren erweiterte die Versammlung die Bandbreite ihrer Wahlbeobachtungen sowohl hinsichtlich der zu erfassenden Staaten als auch mit Blick auf die ‚Typen’ der zu beobachtenden Abstimmungen. Ein Beschluss vom Oktober 1999 brachte die Ausweitung der Wahlbeobachtungen auf all jene Staaten, die vom Monitoring-Verfahren der Versammlung erfasst werden.30 Seit 2003/2004 können außerdem nicht nur Parlamentswahlen, sondern auch Präsidentschaftswahlen und Volksabstimmungen auf nationaler Ebene beobachtet werden.31 Zugleich intensivierte die Versammlung ihre Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen bei der Wahlbeobachtung. Hierzu gehören insbesondere das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE, die OSZE-Versammlung sowie das Europäische Parlament. Die Beobachtung von Wahlen in einem Staat, der im Monitoring der Versammlung erfasst ist, bildete den Zugang zur Beobachtung der russischen Parlamentswahlen vom 2. Dezember 2007.32 Die Wahlbeobachtungsaktivitäten der Versammlung setzten bereits mehrere Wochen vor dem Wahltag ein. Anfang November reiste eine neunköpfige Delegation (pre-electoral mission) der Versammlung auf Einladung des russischen Parlaments (Duma) nach Russland. Die Delegation traf unter anderem mit Vertretern der politischen Parteien und dem Vorsitzenden der zentralen Wahlkommission zusammen. Zum Abschluss ihres Aufenthalts lobte die Delegation den Vorbereitungsstand der Wahlen. Negativ vermerkten die Parlamentarier allerdings die späte Einladung von internationalen Wahlbeobachtern sowie die Begrenzung der Zahl der zugelassenen Beobachter.33 Ferner äußerten sie Bedenken über das Ausmaß der staatlichen Kontrolle über die elektronischen Medien.34 28
Details finden sich bei Haller (2005); Habegger (2005): S. 196-205. Die erste Wahlbeobachtung der Versammlung fand im Dezember 1989 in Chile statt. Vgl. Haller (2005): S. 161. Siehe Kap. 3.7. 31 Wahlen auf kommunaler und regionaler Ebene werden vom Kongress der Gemeinden und Regionen beobachtet. Siehe Kap. 6.3. 32 Zu den weiteren unlängst von der Versammlung beobachteten Wahlen gehörten die Parlamentswahlen in der Ukraine, Georgien und Monaco sowie die Präsidentschaftswahlen in Armenien und Serbien. Die Versammlung beobachtete außerdem im Verbund mit ODIHR und der Versammlung der OSZE die Parlamentswahlen in Kasachstan, einem Nichtmitgliedstaat des Europarats. Grundlage für diese Aktivität war eine im April 2004 zwischen der Versammlung und dem kasachischen Parlament unterzeichnete Kooperationsvereinbarung. Vgl. Press Release 544 (2007). 33 Die Beschränkungen veranlassten ODIHR, von einer Beobachtung der Wahlen abzusehen. Mitglieder der OSZE-Versammlung beteiligten sich jedoch an der Beobachtungsmission der Versammlung des Europarats. Parlamentarier beider Organisationen wurden dafür kritisiert. Vgl. The Economist (2007). 34 Vgl. Press Release 767 (2007). 29 30
100
3 Parlamentarische Versammlung
Die Abstimmung als solche wurde von der ‚eigentlichen’ Wahlbeobachtungsmission überwacht. An der Mission beteiligten sich mehr als 70 Parlamentarier aus 28 Staaten. Rund 50 Beobachter stammten aus den Reihen der Versammlung des Europarats.35 Zwar werteten die Beobachter der Versammlungen von Europarat und OSZE die Organisation der Wahlen als gut. Insgesamt hätten die Wahlen jedoch „nicht im Einklang mit vielen Vereinbarungen und Normen der OSZE und des Europarats für demokratische Wahlen“ gestanden.36 Beanstandet wurde etwa der Machtmissbrauch, der sich aus dem Zusammenschluss des Staates mit einer Partei ergeben habe. Weitere Kritikpunkte waren die starke Fokussierung der Medien auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Berichte über Bedrohungen von Oppositionsparteien. Anfang Februar 2008 reiste bereits die nächste im Zusammenhang mit einer Wahlbeobachtung stehende Delegation des Europarats nach Moskau. Ihre Aufgabe lautete, den Vorlauf zu den im März 2008 stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Russland zu bewerten.37 Im Direktorat für Kultur, Sozialen Zusammenhalt und Nachhaltige Entwicklung der Parlamentarischen Versammlung finden sich weitere Ausschusssekretariate (u. a. Migration, Flüchtlinge und Bevölkerung; Umwelt, Landwirtschaft und Kommunale und Regionale Angelegenheiten; Soziales, Gesundheit und Familie). Das Direktorat für Allgemeine Dienste umfasst beispielsweise Einheiten zu den Themen Kommunikation, Informationstechnologie sowie Forschung und Dokumentation. Darüber hinaus befindet sich hier das Sekretariat des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitäten sowie eine Einheit zur Unterstützung des noch zu schildernden Ständigen Ausschusses. Gerade die für die Ausschüsse zuständigen Einheiten des Versammlungssekretariats sind für die inhaltlichen Arbeiten der Versammlung von zentraler Bedeutung. Im Zusammenspiel mit den zuständigen Berichterstattern sind die Sekretariate unter anderem an der Ausarbeitung der Berichte der Ausschüsse beteiligt, in denen in der Regel auch Vorschläge für die Empfehlungen und Resolutionen der Versammlung enthalten sind. Die Berichte stellen zunächst die Grundlagen für die Diskussionen in den Ausschüssen und anschließend, nach ihrer Annahme auf der Ausschussebene, für die Entscheidungen im Plenum der Versammlung dar. Daneben begleiten Mitarbeiter des Ausschussdirektorats die Berichterstatter ‚ihrer’ Ausschüsse auf Reisen und bereiten generell die Treffen wie auch Konferenzen und Seminare der Ausschüsse vor.
35 Pressemitteilung 831 (2007). Im Vorfeld der Wahlen hatte die Versammlung bereits eine neunköpfige Delegation entsandt, die auf Einladung der russischen Duma drei Tage lang Gespräche in Moskau führte. Vgl. Pressemitteilung 767 (2007). 36 Pressemitteilung 867 (2007). 37 Vgl. Press Release 070 (2008).
3.4 Ausschüsse
101
Abbildung 18: Struktur des Sekretariats der Parlamentarischen Versammlung38
3.4 Ausschüsse 3.4 Ausschüsse Die zentralen Arbeitseinheiten der Versammlung sind ihre Ausschüsse. Die Ausschüsse prüfen alle die Versammlung betreffenden Fragen, erstellen Berichte, die zugleich Entwürfe für Empfehlungen und Resolutionen der Versammlung enthalten, und nehmen zu den auf der Tagesordnung stehenden oder Verfahrensfragen betreffenden Angelegenheiten Stellung (Art. 24 Europaratssatzung). Details zu den Ausschüssen (Welche gibt es? Wie viele Mitglieder? Welche Aufgaben? etc.) werden in der Geschäftsordnung der Versammlung geregelt. Aufgrund ihrer Geschäftsordnungsautonomie (Art. 28a Europaratssatzung) gibt sich die Versammlung ihre Geschäftsordnung selbst. Die Geschäftsordnung der Versammlung benennt zehn Allgemeine Ausschüsse (general committees), welche faktisch die ständigen Ausschüsse der Versammlung darstellen (jedoch nicht mit dem noch zu schildernden Ständigen Ausschuss zu verwechseln sind). Die zehn allgemeinen/ständigen Ausschüsse sollen und werden zu Beginn jeder Sitzungsperiode der Versammlung und somit jährlich eingesetzt. Erforderlich für die Einsetzung eines Ausschusses ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen in der Versammlung. Die Mitglieder der Ausschüsse werden von den nationalen Delegationen vorgeschlagen und von der Versammlung bestätigt. Die Ausnahme hierbei ist der Monitoring-Ausschuss. Dessen Mitglieder werden von den Politischen Gruppen bestimmt. Bis auf den Ausschuss Geschäftsordnung und Immunitäten (27 Sitze) haben alle Ausschüsse 84 Sitze (Abbildung 19). Zu jedem regulären Mitglied eines Ausschusses gibt es einen Vertreter (alternate) dersel38
Vgl. http://assembly.coe.int/AboutUs/OrganigrammeEN.pdf (zuletzt abgerufen am 12.2.2008).
102
3 Parlamentarische Versammlung
ben Nationalität. Nur beim Monitoring-Ausschuss und beim Ausschuss Geschäftsordnung und Immunitäten sind keine Vertreter vorgesehen. Ein Ausschuss kann ständige Unterausschüsse oder zeitlich begrenzte Ad-hoc-Unterausschüsse einrichten. Die Mitgliederzahl eines Unterausschusses soll nicht mehr als ein Drittel der Mitglieder des ständigen Ausschusses betragen. Unterausschüsse werden eingesetzt, um spezifische Fragestellungen zu behandeln, die in den Aufgabenbereich des ständigen Ausschusses fallen. Beschlüsse zur Einsetzung von Ausschüssen werden vom Plenum mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen. In den Ausschüssen selbst wird mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen abgestimmt. So nicht anders beschlossen wird, erfolgen die Ausschusssitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Abbildung 19: Ausschüsse der Parlamentarischen Versammlung39 Ausschuss Politischer Ausschuss
Mitglieder Zentrale Themen 84
Ausschuss für Recht und Menschenrechte
84
Ausschuss für Wirtschaft und Entwicklung
84
Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Familie Ausschuss für Migration, Flüchtlinge und Bevölkerung Ausschuss für Kultur, Wissenschaft und Bildung
39
Beitrittsanträge zum Europarat Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen Zustand von Menschenrechten, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in den Europaratsstaaten Rechte nationaler oder sonstiger Minderheiten Rechtliche und menschenrechtliche Aspekte im Kontext des Kampfs gegen den Terrorismus Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa und weltweit Nord-Süd-Kooperation Energiepolitik
Unterausschüsse Naher Osten Auswärtige Beziehungen Belarus Menschenrechte Kriminalität und Kampf gegen den Terrorismus Minderheitenrechte Wahl der Richter des EGMR Internationale Wirtschaftsbeziehungen Tourismus
84
Kinder Verbesserung des sozialen ZusammenEuropäische Sozialcharhalts in den Europaratsstaaten ta und Beschäftigung Soziale Aspekte der Beschäftigungspolitik Gesundheit
84
Fragen im Kontext von Migration und Flüchtlingen in Europa und weltweit Bevölkerungsentwicklung in Europa
84
Kulturelles Erbe Bewahrung des kulturellen Erbes Europas Medien Medienethik Jugend und Sport
Vgl. http://assembly.coe.int/default.asp (zuletzt abgerufen am 12.2.2008).
Migration Flüchtlinge Bevölkerung
3.4 Ausschüsse Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft und Kommunale und Regionale Angelegenheiten Ausschuss für die Gleichstellung von Frauen und Männern Ausschuss zur Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarats eingegangenen Verpflichtungen (MonitoringAusschuss) Ausschuss für Geschäftsordnung, Immunitäten und institutionelle Angelegenheiten
103 Mitglieder Zentrale Themen
Unterausschüsse Nachhaltige Entwicklung Kommunale und Regionale Demokratie Landwirtschaft und Ernährung Europe Prize Gewalt gegen Frauen Gleiche Teilhabe von Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen Menschenhandel
84
Nachhaltige Entwicklung (lokale bis globale Ebene) Agrarpolitik und Entwicklung des ländlichen Raums
84
Politiken und Gesetzgebung zur Gleichstellung von Frauen und Männern in den Europaratsstaaten Gewalt gegen Frauen
84
Prüfung der Einhaltung der von den Europaratsstaaten eingegangenen Verpflichtungen
--
27
Beratung des Präsidiums der Versammlung in Verfahrensfragen Prüfung der Funktionsfähigkeit der Ausschusssystems der Versammlung
--
Die thematische Aufgliederung der Ausschüsse schließt nicht aus, dass eine Sachfrage für mehrere Ausschüsse von Relevanz sein kann. Das Ausschussverfahren der Versammlung verläuft in der Regel wie folgt: Ausgangspunkt für Empfehlungen, Resolutionen, Weisungen oder Stellungnahmen der Versammlung40 ist ein entsprechender Antrag an den Präsidenten der Versammlung. Der Antrag muss von mindestens zehn Parlamentariern aus wenigstens fünf nationalen Delegationen unterzeichnet werden. Nach Prüfung durch den Versammlungspräsidenten kann das Präsidium den Antrag an einen oder mehrere Ausschüsse zur Bearbeitung überweisen (alternativ kann das Präsidium den Antrag den Ausschüssen auch nur zur Information weiterleiten oder beschließen, keine weiteren Schritte in die Wege zu leiten). Fällt die Thematik in den Bereich mehrerer Ausschüsse, benennt das Präsidium einen Ausschuss, der sich federführend mit dem Thema auseinandersetzt. Auf der Basis der Vorarbeiten eines oder mehrerer Berichterstatter (rapporteur) wird als Nächstes innerhalb des federführenden Ausschusses ein Bericht verabschiedet, der auch Entwürfe für die zu verabschiedenden Dokumente der Versammlung beinhaltet. Anschließend stellen die beteiligten, jedoch nicht federführenden Ausschüsse in Stellungnahmen ihre Ansichten zum Bericht dar. Hierbei können gegebenenfalls konkrete Vorschläge zur Abänderung und/oder Ergänzung der Entwürfe gemacht werden. Nun erreicht das Verfahren das Plenum der Ver40
Siehe Kap. 3.5.
104
3 Parlamentarische Versammlung
sammlung. Dort kommt es zunächst zur Aussprache über die Entwürfe und etwaige Änderungsvorschläge. Bei der Aussprache können weitere Modifizierungsvorschläge eingebracht werden. In diesem Stadium eingebrachte Änderungswünsche beziehen sich in den meisten Fällen nur noch auf Details; grundlegende, auf den Vorarbeiten der Ausschüsse beruhende Inhalte der Dokumente werden für gewöhnlich nicht thematisiert. Im letzten Schritt wird das Verfahren durch eine Abstimmung über die Beschlussvorlagen, sprich über die Annahme der Empfehlungen, Resolutionen etc., abgeschlossen. Neben den allgemeinen Ausschüssen und Unterausschüssen kennt die Versammlung eine Reihe weiterer Ausschüsse. Von zentraler Bedeutung für die Kontinuität der Arbeiten der Versammlung ist der Ständige Ausschuss (standing committee). Dessen Kernfunktion besteht darin, in der Zeit, in der die Versammlung nicht zu ihren Sitzungen zusammenkommt, im Namen der Versammlung zu handeln und zu entscheiden. Das schließt die Annahme von Empfehlungen und Resolutionen mit ein. Ferner kann der Ständige Ausschuss Dringlichkeitsdebatten abhalten oder Aussprachen zu aktuellen Themen durchführen. Der Ständige Ausschuss umfasst neben dem Präsidenten und den Vizepräsidenten der Versammlung sowie den Vorsitzenden der Politischen Gruppen und der Ausschüsse (sprich dem Präsidium der Versammlung) zusätzlich die Vorsitzenden der nationalen Delegationen. Er tritt mindestens zweimal pro Jahr zusammen. In der Regel kommt es jedoch zu häufigeren Zusammenkünften. 2006 und 2007 traf sich der Ständige Ausschuss je dreimal (März, Mai, November). Eine weitere Form der Ausschüsse sind sogenannte Ad-hoc-Ausschüsse (ad hoc committees). Diese setzen sich in der Regel zeitlich begrenzt mit einer bestimmten Frage auseinander. Ein Ad-hoc-Ausschuss wird aufgelöst, sobald sein Bericht in der Versammlung diskutiert wurde. Ad-hoc-Ausschüsse können auf zwei Arten eingesetzt werden: zum einen durch das Plenum der Versammlung, zum anderen durch das Präsidium der Versammlung. Voraussetzung für Letzteres ist die Zustimmung des Plenums oder des Ständigen Ausschusses. Ein Ad-hoc-Ausschuss des Präsidiums ist beispielsweise der Präsidialausschuss (presidential committee). In diesem kommt der Präsident der Versammlung mit den Vorsitzenden der fünf Politischen Gruppen zusammen. Der Ausschuss fungiert als Vorabindikator dahingehend, welche Punkte im Präsidium der Versammlung mehrheitsfähig sein werden und welche nicht.41 Der Stellenwert des Präsidialausschusses zeigt sich an folgender Einschätzung des früheren Versammlungspräsidenten Peter Schieder. Laut diesem habe sich der Ausschuss seit seiner Einrichtung im Jahr 1993 „zum wirklichen Leitungsgremium“42 der Versammlung entwickelt. Schließlich ist der Gemeinsame Ausschuss (joint committee) zwischen der Parlamentarischen Versammlung und dem Ministerkomitee zu nennen. Dessen Aufgabe besteht darin, die Aktivitäten zwischen den beiden Hauptorganen des Europarats zu koordinieren sowie generell eine gute Arbeitsbeziehung zu gewährleisten.43 Der Gemeinsame Ausschuss setzt sich zusammen aus je einem Vertreter jedes Europaratsstaats und einer entsprechenden Zahl an Vertretern der Versammlung. Zu letzteren zählen die Mitglieder des Präsidiums sowie je ein Vertreter jeder nationalen Delegation, die nicht im Präsidium präsent ist.
41
Vgl. Brummer (2005): S. 111. Schieder (2000): S. 104. 43 Siehe Kap. 2.7 für weitere Details. 42
3.5 Funktionen der Versammlung
105
3.5 Funktionen der Versammlung 3.5 Funktionen der Versammlung Wie die Versammlungen anderer internationaler zwischenstaatlicher Organisationen ist auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats nicht mit einem ‚normalen’ innerstaatlichen Parlament zu vergleichen.44 Verschiedene ‚klassische’ Funktionen nationaler Parlamente45 können von der Versammlung aufgrund teilweise geringer oder komplett fehlender Kompetenzen nur eingeschränkt oder überhaupt nicht wahrgenommen werden. Das gilt insbesondere für die Gesetzgebungsfunktion. Im Gegensatz zur supranationalen EU, wo das Europäische Parlament neben dem Rat (sprich den ‚EU-Staaten’) in vielen Bereichen gleichberechtigt an der Verabschiedung von Rechtsakten mitwirkt, verfügt die Versammlung des Europarats über keine legislativen Befugnisse. Der Europarat besitzt somit eine parlamentarische Komponente, die jedoch keine legislative Funktion hat. Hier gleicht die Parlamentarische Versammlung den Versammlungen etwa von OSZE und NATO. Der Gesetzgebungsfunktion am nächsten kommt die Beteiligung der Versammlung an der Ausarbeitung von Europaratsverträgen, die für die späteren Vertragsparteien rechtskräftig sind. Der Versammlung bieten sich vier Möglichkeiten, die Entwicklung von Europaratsverträgen zu beeinflussen.46 Die Parlamentarier können die Ausarbeitung einer Konvention anregen. Die Entsendung eines Mitglieds der Versammlung in das Gremium, welches die Konvention ausarbeitet, ist eine weitere Option. Ferner kann die Versammlung durch Stellungnahmen die Inhalte einer Konvention beeinflussen sowie schließlich in ihrem Heimatland auf die Ratifizierung des Vertrags hinwirken. Bis zu 40 Prozent der Europaratsverträge sollen auf einen Impuls der Versammlung zurückzuführen sein.47 Wird die Kontrollfunktion von Parlamenten weit gefasst, verfügt die Versammlung über durchaus weit reichende Möglichkeiten. Ansatzpunkt sind die Monitoring-Aktivitäten der Versammlung zur Kontrolle der Umsetzung der von den Mitgliedstaaten gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen. Bei einem engeren Kontrollbegriff, der sich auf die parlamentarische Kontrolle der ‚Exekutive’ – im Falle des Europarats des Ministerkomitees – bezieht, schwinden die Einflussmöglichkeiten der Versammlung. Zwar können die Parlamentarier die Arbeit des Ministerkomitees begleiten und durch Empfehlungen zu beeinflussen suchen. Die Empfehlungen sind jedoch nicht bindend. Ob bzw. inwieweit sie berücksichtigt oder umgesetzt werden, bleibt den Staatenvertretern überlassen. Andererseits ist die Wirkung der Empfehlungen nicht zu unterschätzen. Aus den Empfehlungen folgt nicht nur eine Verpflichtung des Ministerkomitees, sich mit der von den Parlamentariern behandelten Thematik auseinanderzusetzen und eigene Handlungen oder Unterlassungen zu erklären. Darüber hinaus wird durch die Empfehlungen Öffentlichkeit hergestellt, da die Antworten des Ministerkomitees an die Versammlung öffentlich sind.
44 Siehe Marschall (2005): Teil 3/1 für eine Übersicht über andere ‚parlamentarische Versammlungen’, die als „transnational-multilaterale korporative Akteure, die aus Abgeordnetengruppen nationaler Parlamente zusammengesetzt sind“, definiert werden (S. 22). 45 Für die verschiedenen Funktionen von Parlamenten – wie auch für die verschiedenen Möglichkeiten, Parlamentsfunktionen zu kategorisieren: siehe Marschall (2005a): S. 133-196. Siehe Jaskiernia (2003): Kap. 5 für eine Einteilung der Funktionen speziell mit Blick auf die Parlamentarische Versammlung des Europarats. 46 Vgl. Habegger (2005): S. 150-158, hier S. 152. Siehe auch Schwimmer (2000a). 47 Diese Zahl findet sich u. a. bei Jaskiernia (2003): S. 262 und Marschall (2005): S. 214. Habegger verweist freilich zu Recht darauf, dass „sich die Urheberschaft letztlich kaum eindeutig bestimmen lässt.“ Habegger (2005): S. 154-155.
106
3 Parlamentarische Versammlung
Neben den von der Versammlung in ihrer Gesamtheit verabschiedeten Empfehlungen können auch einzelne Parlamentarier die Agenda der Staatenvertreter beeinflussen, indem sie Fragen an das Ministerkomitee richten.48 Zum einen existieren schriftliche Anfragen (written questions). Diese können jederzeit eingereicht werden. Das Ministerkomitee beantwortet diese Anfragen ebenfalls schriftlich. Die zweite Möglichkeit bietet sich den Parlamentariern im Kontext der Vorstellung des Tätigkeitsberichts des Ministerkomitees durch dessen Vorsitzenden im Plenum der Versammlung. Im Anschluss an seine Präsentation beantwortet der Vorsitzende des Ministerkomitees zuvor eingereichte Fragen der Parlamentarier. Während die Gesetzgebungsfunktion nicht existent und die Kontrollfunktion gegenüber dem Ministerkomitee nur ansatzweise entwickelt ist, hat die Versammlung bei der Wahlund der Kommunikationsfunktion ihre Stärken. Die Wahlfunktion beschränkt sich nicht auf die Bestimmung der Leitungsebene der Versammlung selbst (Präsident, Vizepräsidenten, Generalsekretär der Versammlung). Die Versammlung wählt auch außerhalb ihrer Reihen exponierte Vertreter des Europarats. Zu diesen zählen der Generalsekretär des Europarats, der Stellvertretende Generalsekretär des Europarats sowie der Menschenrechtskommissar. Außerdem wählen die Parlamentarier die Richter des EGMR und treffen eine Vorauswahl für die Mitglieder des Antifolterausschusses. Eine Wahl im weiteren Sinne stellt schließlich die Beteiligung der Versammlung bei Beitrittsverfahren zum Europarat dar. Bevor das Ministerkomitee einen Staat zur Mitgliedschaft einlädt, hört es die Versammlung an.49 Ein Mitentscheidungsrecht erwächst der Versammlung hieraus jedoch nicht.50 Am stärksten ist die Versammlung bei der Kommunikationsfunktion (auch als Artikulations- oder Öffentlichkeitsfunktion bezeichnet). Die – im Gegensatz etwa zu den Sitzungen des Ministerkomitees – öffentlich zugänglichen Plenardebatten der Versammlung sind die entscheidenden Foren in dieser Hinsicht. Ihre inhaltliche Fundierung erfahren die Debatten der Versammlung durch die weiter oben geschilderten Vorarbeiten der Ausschüsse.51 Wichtig für die Kommunikationsfunktion ist auch, dass die Versammlung über Verfahren verfügt, mittels derer sie in ihren Sitzungen schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann. Zum einen besteht die Möglichkeit einer Dringlichkeitsdebatte (debate under urgent procedure) zu einem Thema, das zunächst nicht auf der Tagesordnung der Versammlung stand. Beantragt werden kann eine solche Debatte durch das Ministerkomitee, durch den vom Thema betroffenen Ausschuss der Versammlung oder von 20 Mitgliedern der Versammlung. Durchgeführt wird eine Dringlichkeitsdebatte, wenn das Plenum der Versammlung dem Vorschlag mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen zustimmt. Vorbereitet wird die Debatte durch einen Bericht des zuständigen Ausschusses. Die Debatte mündet in einer Abstimmung zur Annahme eines offiziellen Dokuments der Versammlung (v. a. Empfehlung oder Resolution). Die zweite Möglichkeit zur schnellen Reaktion auf aktuelle Ereignisse bietet die Aktualitätsdebatte (current affairs debate). Diese ist prinzipiell zu einem Thema möglich, das nicht auf der Agenda der Versammlung steht und zu dem es auch keine Dringlichkeitsdebatte gibt. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass pro Teilsitzung nur eine einzige derartige Debatte möglich ist. Im Gegensatz zur Dringlichkeitsdebatte kann der Impuls für die Aktualitätsdebatte nur aus den Reihen der 48
Siehe auch Kap. 2.7. Dieses Vorgehen gründet auf Resolution (51) 30A. 50 Vgl. Wittinger (2005): S. 152. 51 Siehe Kap. 3.4. 49
3.5 Funktionen der Versammlung
107
Versammlung erfolgen. Erforderlich ist ein Antrag einer Politischen Gruppe, einer nationalen Delegation oder von mindestens 20 Mitgliedern der Versammlung. Sollten mehrere Anträge für eine Teilsitzung vorliegen, entscheidet das Präsidium der Versammlung. Das Präsidium ist es auch, das am Ende der zeitlich begrenzten Debatte (max. 90 Minuten) darüber entscheidet, ob das behandelte Thema einem Ausschuss zugewiesen wird. Zu einer Abstimmung in der Versammlung kommt es nicht. Zur Illustration: Auf der Herbstsitzung der Versammlung Anfang Oktober 2007 gab es eine Aktualitätsdebatte über die drohende Krise des EGMR aufgrund dessen Überlastung. Abgelehnt wurde hingegen eine Dringlichkeitsdebatte zu den politischen Folgen des Raketenabwehrschilds der USA bzw. der NATO.52 Auf der ersten Teilsitzung im Januar 2008 gab es weder Anträge für eine Dringlichkeits- noch für eine Aktualitätsdebatte. Im Gegensatz zu den Aktualitätsdebatten münden die Debatten der Versammlung für gewöhnlich in Abstimmungen zu Textentwürfen, die im Falle ihrer Annahme zu offiziellen Dokumenten (official documents) der Versammlung werden. Zentral sind Empfehlungen (recommendations), Stellungnahmen (opinions), Resolutionen (resolutions) und Weisungen (orders).53 Diese richten sich an unterschiedliche Adressaten und entfalten unterschiedliche Bindungswirkung. Als Resultat ihrer ausschließlich beratenden Kompetenzen sind die an das Ministerkomitee54 adressierten Empfehlungen und Stellungnahmen der Versammlung nicht bindend. Resolutionen und Weisungen sind demgegenüber bindend, allerdings ‚nur’ für die Versammlung selbst. Die Mehrheitserfordernisse für die Annahme der verschiedenen Dokumente finden sich in Abbildung 20. Abbildung 20: Dokumente der Parlamentarischen Versammlung55 Typ
Mehrheitserfordernis
Empfehlungen
Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen
Stellungnahmen
Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen
Resolutionen
Mehrheit der abgegebenen Stimmen
Weisungen
Mehrheit der abgegebenen Stimmen
Gegenstand Vorschläge der Versammlung an das Ministerkomitee, deren Implementierung jenseits der Kompetenzen der Versammlung, jedoch innerhalb derer des Ministerkomitees liegt in der Regel zu Fragen, die das Ministerkomitee an die Versammlung gerichtet hat (u. a. über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten) Entscheidungen der Versammlung in Fragen, die sie selbst umsetzen kann, oder eine Meinungsäußerung der Versammlung, für die sie allein die Verantwortung trägt zumeist Verfahrensfragen (keine inhaltliche Behandlung einer Frage)
52 Die im Zuge der Annahme der Tagesordnung durchgeführte Abstimmung zur Frage, ob eine Dringlichkeitsdebatte durchgeführt werden soll, fiel mit 47 Nein- zu 44 Ja-Stimmen (bei neun Enthaltungen) sehr knapp aus. 53 Zu den weiteren offiziellen Dokumenten gehören u. a. die Tagesordnungen der Teilsitzungen, die Protokolle der Plenardebatten, Anträge von Parlamentariern, Mitteilungen des Generalsekretärs des Europarats sowie Berichte internationaler Organisationen, die von der Versammlung oder ihren Ausschüssen diskutiert werden sollen. 54 Details zum Zusammenspiel zwischen Versammlung und dem Ministerkomitee finden sich in Teil XIII der GOPV (2002). 55 Die bei Abstimmungen notwendigen Mehrheiten finden sich in Art. 29-30 der Satzung sowie in Teil IX der GOPV (2002).
108
3 Parlamentarische Versammlung
Neben diesen Dokumenten der Versammlung können Parlamentarier ihre Ansichten auch ‚individuell’ zum Ausdruck bringen. Sie können schriftliche Erklärungen (written declarations) abfassen. Diese ‚binden’ lediglich ihre Unterzeichner und werden weder in den Ausschüssen noch im Plenum diskutiert. Für einen solchen Schritt sind mindestens 20 Parlamentarier aus wenigstens vier nationalen Delegationen und zwei Politischen Gruppen erforderlich.
3.6 Versammlungsinterne Sanktionsmechanismen 3.6 Versammlungsinterne Sanktionsmechanismen Als beratendes Organ kann die Parlamentarische Versammlung nicht im Namen der ‚Gesamtorganisation Europarat’ entscheiden. Entsprechend verfügt die Versammlung über keine Möglichkeiten, im Namen des Europarats Sanktionen gegen Staaten zu verhängen, die gegen die Prinzipien der Organisation verstoßen. Selbst in Fällen, in denen es aus Sicht der Parlamentarier zu schwerwiegenden Verletzungen der Standards des Europarats kommt, müssen sich diese auf die Abgabe einer unverbindlichen Empfehlung an das Ministerkomitee beschränken, in der sie die Staatenvertreter zur Initiierung von Maßnahmen gemäß Art. 8 der Europaratssatzung auffordern.56 Gleichwohl sind der Versammlung nicht völlig die Hände gebunden. Vielmehr können die Parlamentarier einen Mitgliedstaat – genauer dessen nationale Delegation in der Versammlung – innerhalb ihrer Institution mit Sanktionen belegen. Über solche Maßnahmen entscheidet die Versammlung autonom. Zu den möglichen Sanktionen gehört die Verweigerung der Anerkennung der Beglaubigung (credentials) einer Delegation.57 Dies kann entweder zu Beginn oder während einer Sitzungsperiode geschehen. Im ersten Fall würde die betroffene nationale Delegation erst gar nicht zugelassen, im zweiten Fall dürfte sie nicht länger an den Sitzungen teilnehmen. Zudem ist eine ‚qualifizierte’ Ratifizierung der Beglaubigung möglich. Die Beglaubigung erfolgt zwar; zugleich werden den Delegationsmitgliedern einzelne Repräsentations- oder Partizipationsrechte entzogen, beispielsweise das Stimmrecht oder das Rederecht. Solche Sanktionsmaßnahmen können inhaltlich wie verfahrenstechnisch begründet sein. Ein inhaltlicher Auslöser wäre zum Beispiel eine schwerwiegende Verletzung der Prinzipien des Europarats. Ein anderer Anlass könnte die dauerhafte Nichterfüllung der gegenüber der Versammlung eingegangenen Verpflichtungen oder die mangelnde Zusammenarbeit eines Landes mit der Versammlung im Rahmen ihres Monitoring-Verfahrens58 sein. Daneben kann einer nationalen Delegation aus Verfahrensfragen die Beglaubigung zu Beginn einer Sitzungsperiode verweigert werden. Dies könnte der Fall sein, wenn eine Delegation nicht die politischen Verhältnisse im nationalen Parlament widerspiegelt oder wenn ihr ein zu geringer Anteil an Frauen angehört. Das für die Verweigerung einer Beglaubigung notwendige Verfahren läuft wie folgt ab: Für dessen Initiierung zu Beginn einer Sitzungsperiode bedarf es entweder eines Berichts des Monitoring-Ausschusses oder eines Antrags von wenigstens zehn Abgeordneten aus mindestens fünf nationalen Delegationen. Zur nachträglichen Infragestellung einer Beglaubigung ist ein Bericht des Monitoring-Ausschusses oder ein Antrag von zumindest 20 56
Siehe Kap. 2.6. Zur Verweigerung der Beglaubigung: siehe Art. 6-9 der GO-PV (2002); auch Wittinger (2005): S. 481-490. 58 Siehe Kap. 3.7. 57
3.6 Versammlungsinterne Sanktionsmechanismen
109
Parlamentariern aus mindestens zwei politischen Gruppen und fünf nationalen Delegationen erforderlich. Nach der Behandlung der Frage auf der Ausschussebene wird von den einbezogenen Ausschüssen dem Plenum ein Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorgelegt. In diesem Entwurf wird die Nichtratifizierung/die Aberkennung der Beglaubigung bzw. deren Ratifizierung/Bestätigung vorgeschlagen. Im zweitgenannten Fall besteht auch die Möglichkeit, der betroffenen Delegation die Beglaubigung zu gewähren bzw. zu belassen und zugleich gewisse Rechte, wie etwa das Stimmrecht, nicht zuzuerkennen bzw. nachträglich abzuerkennen. Beispiel: Sanktionen gegen die russische Delegation Exemplarisch sind die gegen Russland eingeleiteten Maßnahmen.59 Motiviert wurde dieser Schritt durch das russische Vorgehen im Zuge des im September 1999 begonnenen zweiten Tschetschenienkriegs. Nach Auffassung der Versammlung stellte das russische Vorgehen eine schwerwiegende Verletzung der Prinzipien des Europarats dar. Als Folge wurden Sanktionen gegen die russische Delegation erwogen. Es ging um die Einschränkung der Rechte der russischen Parlamentarier durch den Entzug des Stimmrechts. Im Januar 2000 lehnte die Versammlung die Aberkennung des Stimmrechts der russischen Delegation noch mit 83 zu 71 Stimmen ab. Die Aussprache endete allerdings mit der Verabschiedung einer Empfehlung, in der die Überwachung der Umsetzung der an Russland gerichteten Vorschläge beschlossen wurde. Darüber hinaus fand sich für den Fall fortwährender Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung dieser Vorschläge der Hinweis, dass „failure to meet them will inevitably necessitate, at the Assembly’s April 2000 part-session, a review of Russian continued membership of, and participation in, the Assembly’s work and in the Council of Europe in general.“60
In den Folgemonaten kam es aus Sicht der Versammlung nicht zur eingeforderten Verbesserung der Lage in Tschetschenien. Vielmehr wurden Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Russland bekannt. Außerdem kooperierte das Land in diesem Zeitraum nur ungenügend mit dem Generalsekretär des Europarats. Dieser hatte Art. 52 EMRK genutzt, laut welchem er eine Anfrage an eine Vertragspartei der Konvention hinsichtlich der Einhaltung der Konventionsbestimmungen richten kann.61 Diese Entwicklungen veranlassten die Parlamentarier zu folgender Feststellung: „The Assembly recalls that the Russian Federation, upon its accession to the Council of Europe, committed itself in writing to observe the principles and standards of the Organisation and to fulfil all obligations arising from the Statute of the Council of Europe and its most important conventions. (...) [T]he Assembly insists on the maintenance of, and respect for, the standards of the Council of Europe, and regrets that the Russian Federation is digressing from these standards through its conduct in the Chechen Republic, and that it is violating its commitments and obligations in a most serious manner.“62
59
Weitere Beispiele finden sich bei Benoît-Rohmer/Klebes (2005): S. 41-44. Recommendation 1444 (2000). 61 Siehe Kap. 4.3. 62 Vgl. Recommendation 1456 (2000). 60
110
3 Parlamentarische Versammlung
Vor diesem Hintergrund beschloss die Versammlung auf ihrer nächsten Teilsitzung am 6. April 2000, das Stimmrecht der russischen Delegation zu suspendieren.63 Die Versammlung sprach sich weiterhin gegenüber dem Ministerkomitee dafür aus, die Mitgliedschaft Russlands im Europarat gemäß Art. 8 der Satzung zu suspendieren, falls es nicht zum geforderten Waffenstillstand sowie zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen von unabhängiger Seite kommen sollte. Die Mitglieder der russischen Delegation nahmen während der Suspendierung nicht mehr als Delegation an den Arbeiten der Versammlung teil. Jedoch beteiligten sich russische Parlamentarier in ‚persönlicher Eigenschaft‘ an den Teilsitzungen.64 Beendet wurde die Suspendierung während der ersten Teilsitzung der Versammlung im Jahr 2001 (Januar). Zwar wurde die Verweigerung der Beglaubigung der russischen Delegation erneut diskutiert. Ferner äußerten die Parlamentarier abermals ihre Besorgnis insbesondere über die fehlende Einhaltung von Menschenrechten in Tschetschenien. Trotzdem wurde die Beglaubigung der russischen Delegation ratifiziert. Ursächlich für die Beendigung der neunmonatigen Suspendierung war vor allem, dass die Parlamentarier der russischen Delegation eine neue Chance geben wollten. Verwiesen wurde auf positive Entwicklungen, etwa die Bemühungen russischer Parlamentarier zum Erreichen einer Lösung für den Tschetschenienkonflikt. Außerdem hätte sich das russische Parlament, die Duma, insgesamt partnerschaftlicher gegenüber der Parlamentarischen Versammlung gegeben.65 Aus diesen Gründen sollte die russische Delegation die Möglichkeit erhalten, zu beweisen, dass sie zur Verbesserung der Lage in Tschetschenien willens und fähig sei. Zudem wurde zur Institutionalisierung der anvisierten vertieften Kooperation zwischen Versammlung und Duma eine Gemeinsame Arbeitsgruppe (Joint Working Group) eingesetzt.66
3.7 Monitoring durch die Versammlung 3.7 Monitoring durch die Versammlung Maßgebliche Bezugspunkte für die Einleitung von versammlungsinternen Sanktionen sind im Rahmen der Monitoring-Aktivitäten der Versammlung gewonnene Informationen. Die Versammlung war die erste Institution des Europarats, die einen Monitoring-Mechanismus etablierte.67 Seit dessen Einführung im Jahr 1993 sind die Tätigkeiten der Versammlung in Fragen des Monitorings sukzessive ausgeweitet und verfeinert worden. Laut Habegger ist das Monitoring sogar „zur dominierenden Aktivität“68 der Versammlung geworden. Initiiert wurde das Monitoring durch die sogenannte ‚Halonen-Weisung’69, benannt nach der damaligen Berichterstatterin der Versammlung und heutigen Präsidentin Finnlands, Tarja Halonen. Den Hintergrund bildete die Erweiterung des Europarats seit Anfang der 1990er Jahre. Das Motiv lautete, die Bewerberstaaten – trotz etwaiger Defizite bei der Umsetzung der Europaratsprinzipien – möglichst rasch in die Organisation aufzunehmen. Das Ministerkomitee konsultiert die Versammlung, bevor es einen Staat zum Beitritt einlädt. Die Versammlung erarbeitet daraufhin eine Stellungnahme, in der sie ihre Haltung zu 63
Vgl. Recommendation 1456 (2000). Vgl. Working Document 8949 (2001); auch Working Document 8956 (2001). 65 Vgl. Resolution 1241 (2001); Working Document 8949 (2001). 66 Details zur Arbeit der Arbeitsgruppe finden sich in Brummer (2005): S. 304-308. 67 Siehe auch Wittinger (2005): S. 462-474. 68 Habegger (2005): S. 195. 69 Order 488 (1993). 64
3.7 Monitoring durch die Versammlung
111
einem möglichen Beitritt darlegt. In diesen Stellungnahmen werden zudem verschiedene Verpflichtungen (commitments) mit Blick auf die Grundprinzipien des Europarats angeführt, die der Bewerberstaat nach seiner Aufnahme erfüllen müsse.70 In der jüngsten derartigen Stellungnahme, zum Beitrittsgesuch Montenegros, führten die Parlamentarier mehrere Dutzend Maßnahmen in den Bereichen Europaratsverträge, Verfassungsreform, nationales Rechtssystem, Menschenrechte und Einhaltung von Verpflichtungen an. Von Montenegro wird die Umsetzung der Vorschläge erwartet.71 Das Monitoring der Versammlung dient dazu, die Einhaltung dieser Verpflichtungen wie auch der grundsätzlich durch den Beitritt zum Europarat eingegangenen Rechtspflichten (obligations) zu überprüfen. Gleichberechtigt federführend beim Monitoring waren anfänglich der Politische Ausschuss und der Ausschuss für Recht und Menschenrechte. Im Zuge der ersten Überarbeitung des Monitoring-Mechanismus der Versammlung im April 1995 wurden die Gewichte zwischen den beiden Ausschüssen verschoben.72 Fortan hatte der Ausschuss für Recht und Menschenrechte die Federführung. Er zeichnete für die Erstellung der Berichte verantwortlich, die anschließend vom Politischen Ausschuss in einer Stellungnahme kommentiert wurden. Zugleich zeigte die Weisung mögliche Konsequenzen für den betreffenden Staat im Falle der Nichteinhaltung der Verpflichtungen auf. Die Ausführungen beinhalteten Hinweise bezüglich der Eskalation möglicher Sanktionen – zunächst versammlungsintern, dann für die Gesamtorganisation: „The Assembly may sanction persistent failure to honour commitments, and lack of cooperation in its monitoring process, by the non-ratification of the credentials of a national parliamentary delegation at the beginning of its next ordinary session (…). Should the country continue not to respect its commitments, the Assembly may address a recommendation to the Committee of Ministers requesting it to take the appropriate action provided for in Article 8 of the Statute of the Council of Europe.”73
Wenn versammlungsinterne Sanktionen ein Land nicht zur Einhaltung seiner Verpflichtungen brächten, sollte also die Mitgliedschaft des Landes im Europarat selbst thematisiert werden. Neu war ferner, dass nicht nur die Neumitglieder, sondern alle Europaratsstaaten zum Gegenstand des Monitoring-Verfahrens werden konnten. Abermals zwei Jahre später folgte die nächste weit reichende Änderung des Monitoring-Mechanismus der Versammlung. Durch eine im Januar 1997 angenommene Resolution wurde ein ständiger Monitoring-Ausschuss eingesetzt. Die Aufgaben des Ausschusses wurden wie folgt beschrieben: „The Monitoring Committee shall be responsible for verifying the fulfilment of obligations assumed by the member states under the terms of the Council of Europe Statute, the European Convention on Human Rights and all other Council of Europe conventions to which they are
70 Anfangs war unklar, ob die Verpflichtungen die Staaten auch binden würden. Da das Ministerkomitee mittlerweile in den Resolutionen, in denen es einen Staat zum Beitritt einlädt, auf die Texte der Versammlung verweist, steht die Bindungswirkung der Verpflichtungen nunmehr außer Frage. Vgl. Benoît-Rohmer/Klebes (2005): S. 121122. 71 Vgl. Opinion 261 (2007): Ziff. 19. 72 Vgl. Order 508 (1995). 73 Order 508 (1995): Ziff. 9-10.
112
3 Parlamentarische Versammlung parties, as well as the honouring of the commitments entered into by the authorities of the member states upon their accession to the Council of Europe.”74
Die potenzielle Berücksichtigung aller Europaratsstaaten wurde somit bekräftigt. Als inhaltlich-normative Bezugspunkte der Arbeiten des Ausschusses sollten sowohl die spezifischen Verpflichtungen, welche Staaten bei ihrem Beitritt eingegangen waren, als auch die Konventionen des Europarats rund um dessen Satzung und die EMRK dienen. Eine Besonderheit des Monitoring-Ausschusses besteht darin, dass er als einziger der Versammlungsausschüsse dazu verpflichtet ist, jährlich einen Bericht über den Fortgang seiner Aktivitäten zu veröffentlichen. Darüber hinaus soll der Ausschuss zumindest alle zwei Jahre einen Bericht über die von ihm untersuchten Staaten vorlegen. Zentral für die Informationsgewinnung des Ausschusses sind seine Länderbesuche. Durchgeführt werden die Besuche von den beiden Koberichterstattern, die der Monitoring-Ausschuss für jedes Land hat. Neben der Berichtspflicht, der Bestellung der Mitglieder (nicht durch die nationalen Delegationen, sondern durch die Politischen Gruppen) und der Nichtexistenz von Stellvertretern ist dies eine weitere Besonderheit des Monitoring-Ausschusses.75 Die zwei Koberichterstatter bereisen ‚ihr’ Land in der Regel zweimal pro Jahr. Auch Ad-hoc-Besuche sind möglich. Die beiden Berichterstatter zu Georgien führten zum Beispiel im November 2007 einen Ad-hoc-Besuch durch. Sie wollten sich ein Bild von der Lage im Land nach der Ausrufung des Ausnahmezustands machen.76 Durch die Entsendung von Berichterstattern in die Länder wie auch durch die öffentlichen Debatten der Untersuchungsergebnisse unterscheidet sich das Monitoring der Versammlung von demjenigen des Ministerkomitees.77 Mit der Einführung des Monitoring-Ausschusses im Jahr 1997 war die Entwicklung der Monitoring-Mechanismen der Versammlung noch nicht abgeschlossen. Drei weitere Neuerungen folgten seitdem. Die erste gab es im Jahr 2000 durch die Einführung des PostMonitoring-Dialogs (post-monitoring dialogue). Dieser setzt ein, wenn das ‚reguläre’ Monitoring-Verfahren abgeschlossen wurde. Er dient somit der Fortsetzung des Austauschs zwischen der Versammlung und dem jeweiligen Staat. Im Vergleich zum regulären Monitoring sind diese nachbereitenden Tätigkeiten deutlich weniger intensiv. Indikatoren hierfür sind unter anderem die geringere Zahl an Besuchen von Versammlungsdelegationen in den einzelnen Staaten, die fehlende Notwendigkeit der Abhaltung von Debatten im Plenum der Versammlung zu den behandelten Staaten sowie die Nichtexistenz von Berichterstattern. Beim Post-Monitoring-Dialog zeichnet der Vorsitzende des Monitoring-Ausschusses oder einer seiner Stellvertreter für die Untersuchung der einzelnen Länder verantwortlich. Die zweite Neuerung bzw. Anpassung des Monitoring-Mechanismus folgte im März 2005. Die damaligen Beschlüsse führten dazu, dass Inhalte der Resolution von 1997, die den Monitoring-Ausschuss schuf, verändert wurden. Hintergrund für die Anpassungen war folgende Frage: Was passiert, wenn sich der Monitoring-Ausschuss für die Aufnahme eines Monitoring-Verfahrens ausspricht, das Präsidium das Verfahren jedoch ablehnt? Akut wurde die Frage im Falle Liechtensteins.
74
Resolution 1115 (1997). Die Koberichterstatter des Monitoring-Ausschusses müssen u. a. aus verschiedenen Staaten und Politischen Gruppen stammen. Üblicherweise behandelt in den Ausschüssen der Versammlung nur ein Berichterstatter eine Thematik. 76 Vgl. Press Release 760 (2007). 77 Siehe Kap. 2.5. 75
3.7 Monitoring durch die Versammlung
113
Beispiel: Der Monitoring-Ausschuss und Liechtenstein Im März 2003 übermittelte das Präsidium der Versammlung dem Monitoring-Ausschuss einen Antrag zur Einleitung eines Verfahrens gegenüber Liechtenstein.78 Hintergrund waren Verfassungsänderungen, die seitens des liechtensteinischen Fürstenhauses vorgeschlagen und in einer Volksabstimmung angenommen wurden. Nach Ansicht der Venedig-Kommission stellten diese Änderungen einen Rückschritt bei der Entwicklung des Landes hin zu einer konstitutionellen Monarchie dar. In ihrer Stellungnahme an das Präsidium der Versammlung vom September 2003 empfahlen die beiden Koberichterstatter des MonitoringAusschusses daraufhin, ein Verfahren gegen Liechtenstein einzuleiten. Das Präsidium folgte dieser Empfehlung allerdings nicht. Stattdessen beschloss es, einen Ad-hoc-Ausschuss einzusetzen, der einen Dialog mit dem liechtensteinischen Parlament durchführen sollte. Im Januar 2004 wurde dieser Beschluss des Präsidiums von der Versammlung ratifiziert.79 Der Fall Liechtenstein zeigte die Grenzen des Monitoring-Ausschusses auf, der sich einem Beschluss des Präsidiums der Versammlung schlichtweg fügen musste. An dieser ungleichen Machtverteilung hat sich bis heute nichts geändert. Das Präsidium steht in der Hierarchie der Versammlung über den Ausschüssen. Während der Monitoring-Ausschuss Beschlüsse des Präsidiums weiterhin nicht aufheben kann, hat sich allerdings der Umgang mit Fällen, in denen Präsidium und Monitoring-Ausschuss unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Eröffnung bzw. Wiedereröffnung eines Monitoring-Verfahrens sind, verändert. Die nunmehr notwendige Behandlung eines solchen ‚Konflikts’ im Plenum der Versammlung kann dazu führen, dass die Position des Monitoring-Ausschusses ‚auf Umwegen’ doch noch umgesetzt wird. Nach den heutigen Bestimmungen kann ein Antrag auf (Wieder-)Eröffnung eines Monitoring-Verfahrens von jedem der zehn allgemeinen Ausschüsse der Versammlung (inklusive des Monitoring-Ausschusses), dem Präsidium der Versammlung oder von mindestens zehn Parlamentariern aus wenigstens fünf nationalen Delegationen und zwei Politischen Gruppen gestellt werden. Alle Anträge, außer denjenigen des Monitoring-Ausschusses selbst, werden vom Monitoring-Ausschuss geprüft. Die beiden Koberichterstatter bei einem regulären Monitoring-Verfahren, oder der Vorsitzende bzw. einer der Vizevorsitzenden des Monitoring-Ausschusses im Falle eines Post-Monitoring-Dialogs, erstellen eine schriftliche Stellungnahme. In dieser wird die (Wieder-)Eröffnung eines Verfahrens vorgeschlagen oder verworfen. Auf der Grundlage der Stellungnahme des Monitoring-Ausschusses soll sich das Präsidium der Versammlung dazu äußern, ob es ein Verfahren (wieder-)eröffnet. An dieser Stelle sind drei Konstellationen denkbar. Erstens: Präsidium und Monitoring-Ausschuss sprechen sich gegen ein Verfahren aus. Zweitens: Beide stimmen einem Verfahren zu. Drittens: Die Meinungen von Präsidium und Ausschuss gehen auseinander, indem eine Seite zustimmt und die andere nicht. Man denke an den oben geschilderten Fall Liechtenstein. Der Umgang mit der dritten Möglichkeit, also die Handhabung von Fällen, in denen Präsidium und Monitoring-Ausschuss nicht übereinstimmen, war Anlass für die Neuerung. Bis 2005 endete das Verfahren faktisch mit der Entscheidung des Präsidiums, die anschließend von der Versammlung ohne Aussprache noch ratifiziert werden musste. Demgegenüber kommt es heute im Plenum zu einer öffentlichen Debatte über die Thematik wie auch 78 79
Siehe auch Wittinger (2005): S. 429-432. Siehe die Zusammenfassung in Working Document 11214 (2007): Ziff. 168.
114
3 Parlamentarische Versammlung
zu einer Abstimmung über die Aufnahme eines Monitoring-Verfahrens.80 Durch diesen ‚ergänzenden Schritt’ wird der Prozess nicht nur transparenter. Ein Beschluss des Präsidiums, welcher der Entscheidung des Monitoring-Ausschusses entgegensteht, kann nunmehr doch noch aufgehoben werden. Die dritte und bislang letzte weit reichende Neuerung beim Monitoring der Versammlung folgte im Juni 2006. Anlass war die bisherige ‚Einseitigkeit’ der Monitoring-Aktivitäten. Eigentlich sollten alle Europaratsstaaten von den Verfahren erfasst werden. In der Praxis blieben die Aktivitäten jedoch auf diejenigen Staaten begrenzt, die seit dem Ende des Ost-West-Konflikts dem Europarat beigetreten waren. Die einzige Ausnahme, und somit das einzige ‚Alt-Mitglied’, das von der Versammlung einem regulären Monitoring-Verfahren unterzogen wurde (1996-2004) und mit dem heute ein Post-Monitoring-Dialog geführt wird, ist die Türkei. Der Monitoring-Ausschuss war bestrebt, die Diskriminierung der Neumitglieder zu beheben. Dies sollte und musste allerdings innerhalb eines von den Parlamentariern zu bewältigenden Arbeitsaufwands geschehen. Schließlich werden rund drei Viertel der Europaratsstaaten nicht im regulären Monitoring-Verfahren oder im Post-Monitoring-Dialog erfasst. Die vom Monitoring-Ausschuss gefundene Verbindung von Umfassendheit und Machbarkeit sieht wie folgt aus: Der Ausschuss wird künftig der Versammlung regelmäßig Berichte auch zu denjenigen Staaten übermitteln, die nicht oder nicht mehr durch ein Monitoring-Verfahren begleitet werden. Die Inhalte dieser Berichte (periodic reports) werden jedoch nicht neu generiert, etwa durch Missionen in die Staaten. Die Berichte geben vielmehr die Erkenntnisse anderer Institutionen des Europarats wieder, beispielsweise des Ministerkomitees, des Menschenrechtskommissars oder des Antifolterausschusses. Darüber hinaus werden Resolutionen und Empfehlungen der Versammlung zu den verschiedenen Ländern berücksichtigt. Für diese Untersuchungen hat sich der Ausschuss eine zeitlich enge und zugleich regelmäßige Taktung vorgegeben. Die derzeit 33 nicht von einem Monitoring-Verfahren erfassten Staaten wurden in englischsprachiger alphabetischer Reihenfolge in drei Gruppen von je elf Staaten aufgeteilt. Die erste Gruppe wurde 2006 untersucht81; die zweite Gruppe folgte 2007 und die dritte Gruppe steht 2008 an (Abbildung 21). Danach beginnt der DreiJahres-Zyklus von Neuem. Ausdrücklich erwähnt wird in der Resolution der Versammlung, dass die Berücksichtigung eines Landes in dieser Art des Monitorings nicht die Einleitung eines regulären Monitoring-Verfahrens ausschließt. Abbildung 21: Erster ‚Drei-Jahres-Zyklus’ der regelmäßigen Länderberichte des Monitoring-Ausschusses Jahr 2006 2007 2008
80 81
Staaten Andorra, Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Kroatien, Österreich, Tschechische Republik, Zypern Griechenland, Irland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Ungarn Großbritannien, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz
Resolution 1431 (2005): Ziff. 4. Vgl. Working Document 11214 (2007) addendum.
3.7 Monitoring durch die Versammlung
115
Adressaten dieser Länderberichte sind nicht zuletzt die nationalen Parlamente der untersuchten Staaten. Diese sollen die Arbeiten der Versammlung als Grundlage für Debatten zur Einhaltung der Grundprinzipien des Europarats in ihrem Land nutzen. Zugleich hoffen die Mitglieder der Versammlung darauf, dass sich die nationalen Parlamente (noch) stärker für die Umsetzung der Urteile des EGMR und der Empfehlungen des Menschenrechtskommissars einsetzen. Außerdem sollen die Europaratsstaaten dazu bewegt werden, die Europaratsverträge zu ratifizieren. Das gilt gerade mit Blick auf diejenigen Verträge, in denen Kontrollmechanismen vorgesehen sind, auf deren Arbeiten sich die Parlamentarier bei der Erstellung ihrer Berichte berufen möchten (z. B. Protokolle zur EMRK, Europäische Sozialcharta, Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten). Schließlich regen die Parlamentarier gegenüber den Institutionen der EU an, dass diese die Länderberichte soweit wie möglich bei ihren eigenen Arbeiten berücksichtigen sollen.82 Seitens des Monitoring-Ausschusses ist man sich bewusst, dass das Vorgehen zur Erstellung der periodischen Länderberichte noch verfeinert werden kann. Ansatzpunkte bieten beispielsweise die weitere Vernetzung des Monitoring-Ausschusses sowohl innerhalb des Europarats mit anderen Monitoring-Institutionen als auch außerhalb der Organisation, etwa mit der EU oder mit NGOs. Begründet werden mögliche künftige Ausweitungen dieser Form des Monitorings mit zwei Schwächen der gegenwärtigen Variante sowie einer Hoffnung für die Zukunft.83 Die erste momentane Schwäche besteht darin, dass zwar die an verschiedenen Stellen innerhalb des Europarats vorhandenen Informationen systematisch zusammengeführt werden. Neue Erkenntnisse werden durch die periodischen Länderberichte nicht erzeugt. Die zweite aktuelle Schwäche zeigt sich in der Kluft, die zwischen der Ratifizierung eines Vertrags und dessen Anwendung in der Praxis liegen kann. Der Ausschuss schaut derzeit vornehmlich auf den Beitritt oder Nichtbeitritt eines Landes zu einem der Europaratsverträge. Die praktische Umsetzung der Verträge entzieht sich jedoch seinem Blick. Neben diesen immanenten Schwächen des derzeitigen Verfahrens müsste das periodische Monitoring mit Blick auf die Zukunft auch deshalb reformiert werden, weil zumindest mittelfristig möglichst alle Staaten aus dem regulären Monitoring-Verfahren in den Post-Monitoring-Dialog und schließlich in das Monitoring mittels der regelmäßigen Länderberichte überführt werden sollen. Nachdem die Entwicklung der Monitoring-Mechanismen der Parlamentarischen Versammlung nachgezeichnet wurde, sollen diese nunmehr noch ‚in Aktion’ gezeigt werden. Seit der Einsetzung des Monitoring-Ausschusses im Jahr 1997 wurden insgesamt 20 Staaten durch ein reguläres Monitoring-Verfahren begleitet. Heute befinden sich elf Staaten in diesem Verfahren. Mit drei weiteren Staaten wird ein Post-Monitoring-Dialog geführt (Abbildung 22). Mit Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Rumänien, der Slowakei und der Tschechischen Republik wurden sowohl das reguläre Monitoring-Verfahren wie auch der Post-Monitoring-Dialog mittlerweile beendet. Diese sieben Staaten sowie die weiteren 26 Europaratsstaaten, die weder im regulären Monitoring noch im Post-Monitoring-Dialog erfasst sind, werden vom Monitoring-Ausschuss alle drei Jahre in Länderberichten behandelt.
82 83
Vgl. Resolution 1548 (2007): Ziff. 22. Vgl. Working Document 11214 (2007): Ziff. 208-214.
116
3 Parlamentarische Versammlung
Abbildung 22: Laufende Monitoring-Verfahren der Versammlung84 Art des Monitorings
Reguläres Monitoring
Post-Monitoring-Dialog
Einbezogene Staaten ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Albanien Armenien Aserbaidschan Bosnien-Herzegowina Georgien Moldau Monaco Montenegro Russland Serbien Ukraine Bulgarien Mazedonien Türkei
Inhaltlich befasst sich das Monitoring der Versammlung mit drei Themenschwerpunkten. Diese entsprechen der grundlegenden Wertetrias des Europarats und lauten Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Beim Aspekt Demokratie geht es unter anderem um Gewaltenteilung, Wahlen (Wahlgesetze, Zugang zu Medien etc.) und politische Parteien (u. a. Zulassungsvoraussetzungen, Finanzierung). Bei der Dimension Rechtsstaatlichkeit können beispielsweise das Justizsystem (Unabhängigkeit, Zugang etc.), die Arbeit der Polizei oder Zustände in Strafvollzugsanstalten untersucht werden. Bei Menschenrechten sind Fragen wie Meinungs-, Versammlungs- und Glaubensfreiheit oder der Schutz von Minderheiten relevant. Wichtig ist, dass die Versammlung keinen ‚One size fits all-Ansatz’ verfolgt. Vielmehr werden von Land zu Land unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.85 Diese richten sich nach den Verpflichtungen, welche die Staaten gegenüber dem Europarat eingegangen sind. Zur Illustration der verschiedenen Formen des Monitorings der Versammlung folgt je ein Beispiel für das reguläre Monitoring (Aserbaidschan), den Post-MonitoringDialog (Mazedonien) und die regelmäßigen Länderberichte (Liechtenstein). Beispiel: Reguläres Monitoring-Verfahren gegenüber Aserbaidschan Seit seinem Beitritt 2001 unterliegt Aserbaidschan dem regulären Monitoring-Verfahren der Versammlung. Der Monitoring-Ausschuss hat sich seitdem regelmäßig mit der Umsetzung der von Aserbaidschan gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen beschäftigt. Der Schwerpunkt liegt auf der Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen des Landes. Ursächlich hierfür waren insbesondere die Wahlen in Aserbaidschan. Im Juni 2005 urteilte die Versammlung auf der Grundlage eines Berichts des Monitoring-Ausschusses, dass sämtliche Wahlen „held since Azerbaijan’s accession to the Council of Europe in 2001 failed to meet basic democratic standards.“86 Diese Kritik wurde verbunden 84
Working Document 11214 (2007): Summary. Als Beispiel für die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte beim Monitoring der einzelnen Staaten: siehe die Übersicht in Working Document 9198 (2001): Appendix C. 86 Resolution 1456 (2005): Ziff. 1. 85
3.7 Monitoring durch die Versammlung
117
mit dem Hinweis, dass man die für November 2005 angesetzten Parlamentswahlen als Test für die Glaubwürdigkeit der Demokratie in Aserbaidschan sehen würde. Aus Sicht der Versammlung, die sich im Januar 2006 wieder mit der Thematik befasste, bestand Aserbaidschan diesen Test nicht. Erneut konnten die Wahlen mehrere internationale Standards nicht erfüllen. So sei es nach Einschätzung der Wahlbeobachter des Europarats unter anderem zu Einschüchterungen und willkürlichen Verhaftungen von Oppositionellen wie auch zu einer unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt durch die Polizei gekommen.87 Die Verfehlungen wurden als derart schwerwiegend und zugleich als dauerhaft eingestuft, dass in der Versammlung eine Debatte über die Nichtratifizierung der Beglaubigung der nationalen Delegation Aserbaidschans – und somit deren Ausschluss – erwogen wurde. Die Parlamentarier entschieden sich jedoch gegen diesen Schritt. Die Beglaubigung der aserbaidschanischen Delegation wurde ratifiziert. Stattdessen beschloss die Versammlung, die im Mai 2006 teilweise wiederholte Wahl erneut zu beobachten. Daneben wurde der Monitoring-Ausschuss beauftragt, im Juni 2006 einen Bericht darüber vorzulegen, wie Aserbaidschan die von den Parlamentariern bezüglich der Wahl 2005 beanstandeten Defizite angegangen habe. Dies betraf unter anderem die Untersuchung von Vorwürfen der Wahlfälschung oder die Gewährung der Versammlungsfreiheit.88 Der Monitoring-Ausschuss legte dann auch im Juni 2006 einen Bericht vor. Im Bericht wurden die Entwicklungen in den von der Versammlung im Januar 2006 beanstandeten Bereichen überwiegend als ungenügend bewertet. Auf der Grundlage der Arbeiten des Monitoring-Ausschusses urteilte die Versammlung entsprechend, dass der Großteil ihrer Forderungen nicht umgesetzt worden sei.89 Zugleich bewerteten die Parlamentarier die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Aserbaidschan als notwendig. Aus diesem Grund wurde die Mitwirkung der aserbaidschanischen Delegation in der Versammlung abermals nicht hinterfragt. Was jedoch erneut geschah, war eine Beauftragung des Monitoring-Ausschusses. Dieser sollte bis zur Frühjahrssitzung 2007 einen allgemeinen Bericht über die Einhaltung der von Aserbaidschan gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen vorlegen.90 Der Bericht sollte demnach thematisch breiter angelegt werden als die auf die Wahlen konzentrierte Arbeit im Juni 2006. Der im April 2007 vorgelegte Bericht des Monitoring-Ausschusses verdeutlicht dann auch die ganze Bandbreite der vom Ausschuss behandelten Thematik rund um die Schwerpunkte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.91 Der Bericht bildete wie stets die Grundlage für eine Resolution der Versammlung zur Einhaltung der von Aserbaidschan eingegangenen Verpflichtungen. Im Bereich Demokratie wurden beispielsweise eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Exekutive sowie der Ausbau der wechselseitigen Kontrollmöglichkeiten der politischen Gewalten angemahnt. Ferner wurde der Ausbau des Ausschusswesens im aserbaidschanischen Parlament gefordert und auf die Bedeutung der für 2008 angesetzten Präsidentschaftswahlen verwiesen. Im Bereich Rechtsstaatlichkeit benannte die Versammlung verschiedene Probleme im Bereich der Strafverteidigung, beispielsweise die insgesamt geringe Zahl an Strafverteidigern. Daneben forderten die Parla87
Vgl. Resolution 1480 (2006): Ziff. 3. Vgl. Resolution 1480 (2006): Ziff. 12. Vgl. Resolution 1505 (2006): Ziff. 10. 90 Vgl. Resolution 1505 (2006): Ziff. 12. 91 Vgl. Resolution 1545 (2007). 88 89
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3 Parlamentarische Versammlung
mentarier weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption. Im Bereich Menschenrechte wurden im Kontext der Medienfreiheit Gewalthandlungen gegen Journalisten scharf kritisiert, die sich in den letzten Monaten sogar noch weiter verschärft hätten. Die Parlamentarier forderten die aserbaidschanischen Behörden auf, Angriffe gegen Journalisten gründlich zu untersuchen und die Schuldigen zu verhaften und anzuklagen. Beanstandet wurden ferner Verstöße gegen die Versammlungsfreiheit und Verhältnisse in Strafvollzugsanstalten. Als weiteren, gesondert aufgeführten Punkt thematisierten die Parlamentarier schließlich den Berg-Karabach-Konflikt. Beispiel: Post-Monitoring-Dialog mit Mazedonien Mazedonien befand sich zunächst im regulären Monitoring-Verfahren der Versammlung. Die von Mazedonien zu erfüllenden Verpflichtungen wurden von der Versammlung im September 1995 in einer Stellungnahme angeführt, in der sie ihre Zustimmung zum schließlich im November 1995 vollzogenen Beitritt des Landes zum Europarat gab.92 Zu den Schwerpunkten des regulären Monitoring-Verfahrens zählten die Themen Wahlen (u. a. Wahlgesetz, Zugang zu Medien), kommunale und regionale Selbstverwaltung, Justizwesen (u. a. Unabhängigkeit der sowie Zugang zur Justiz), Meinungsfreiheit (v. a. Medien) und Minderheiten (u. a. Diskriminierung, Staatsbürgerschaftsrecht).93 Das im Juli 1996 begonnene reguläre Monitoring-Verfahren wurde im April 2000 abgeschlossen. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass Mazedonien den Großteil seiner Verpflichtungen erfüllt habe und die noch ausstehenden Verpflichtungen dabei seien, erfüllt zu werden.94 Die Parlamentarier lobten unter anderem die Bereitschaft des Landes zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft und die Aufnahme von Flüchtlingen während des Kosovokonflikts. Des Weiteren würdigte die Versammlung die Anstrengungen und Leistungen zur Beibehaltung der Demokratie. Hier fand vor allem die Wahrung des von der Versammlung als instabil angesehenen Gleichgewichts zwischen der mazedonischen Bevölkerungsmehrheit und der albanischen Minderheit Erwähnung. Die Entlassung Mazedoniens aus dem regulären Monitoring-Verfahren war verbunden mit der Aufnahme des Post-Monitoring-Dialogs. Zu dessen Schwerpunkten gehörten die weitere Integration der albanischen und anderer Minderheiten sowie die Einhaltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten durch die Strafvollzugsbehörden. Mit dem Übergang vom regulären Monitoring zum themenspezifischeren Post-Monitoring-Dialog wurde der Austausch zwischen der Versammlung und Mazedonien hinsichtlich der von Mazedonien gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen somit ohne Bruch, wenn auch mit geringerer Intensität fortgeführt. Rückblickend wird die Entscheidung, das reguläre Monitoring bereits im Frühjahr 2000 zu beenden, durch die Versammlung als „voreilig“ bewertet.95 Schließlich brach Ende 2000 ein innerstaatlicher Konflikt in Mazedonien aus, bei dem es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und albanischen Kämpfern der 92
Vgl. Opinion 191 (1995). Vgl. Working Document 8359 (1999). Die von Mazedonien zu erfüllenden Verpflichtungen wurden von der Versammlung in Opinion 191 (1995) angeführt, in welcher sie ihre Zustimmung für den von Mazedonien im Juni 1993 beantragten Beitritt zum Europarat gab. Das mazedonische Parlament hatte zuvor bereits im Mai 1993 einen Sondergaststatus in der Versammlung erhalten. 94 Vgl. Resolution 1213 (2000). 95 Working Document 11214 (2007): Ziff. 151. 93
3.7 Monitoring durch die Versammlung
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‚Nationalen Befreiungsarmee’ UCK kam. Trotz dieser Eskalation hielt die Versammlung an ihrer Entscheidung fest: Die Wiederaufnahme des regulären Monitorings blieb aus. Stattdessen wurde ein Ad-hoc-Ausschuss eingesetzt, der unter anderem die Konfliktregion besuchte. Der Ad-hoc-Ausschuss forderte zudem den Monitoring-Ausschuss dazu auf, seine Aktivitäten im Rahmen des Post-Monitoring-Dialogs zu intensivieren. Mit dem Abschluss des Rahmenabkommens von Ohrid im August 2001 wurden die Auseinandersetzungen in Mazedonien auf die politische Ebene überführt. Seitdem bestand seitens der Versammlung keine Notwendigkeit mehr, zum regulären Monitoring zurückzukehren. Der Post-Monitoring-Dialog wurde seither unter anderem durch mehrere Besuche des als Berichterstatter fungierenden Vorsitzenden des Monitoring-Ausschusses in Mazedonien (2002, 2004, 2007) fortgesetzt. Beim letzten Besuch thematisierte der Ausschussvorsitzende beispielsweise die Beziehungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Mazedonien, Fragen der ‚Guten Regierungsführung’ (good governance) sowie die Umsetzung des Abkommens von Ohrid.96 Beispiel: Periodischer Länderbericht zu Liechtenstein Als Beispiel für einen periodischen Länderbericht zu den 33 Staaten, die weder im regulären Monitoring-Verfahren noch im Post-Monitoring-Dialog erfasst werden, dienen die Ausführungen zum Fürstentum Liechtenstein. Wie oben geschildert, rückte Liechtenstein zuletzt im Jahr 2003 intensiver in den Blick der Versammlung. Die damals per Referendum beschlossenen Verfassungsänderungen wurden vom Präsidium der Versammlung auf der einen und dem Monitoring-Ausschuss auf der anderen Seite unterschiedlich bewertet. Während der Ausschuss auf die Eröffnung eines Monitoring-Verfahrens drang, entschied sich das Präsidium gegen ein solches Verfahren. Als Folge wird Liechtenstein ‚nur’ im Rahmen der periodischen Länderberichte erfasst. Das Land gehörte zur zweiten, im Jahr 2007 behandelten Ländergruppe.97 Das Prinzip der Länderberichte besteht darin, auf bereits vorhandene Arbeiten verschiedener Institutionen des Europarats zuzugreifen und diese zu bündeln. Der Bericht zu Liechtenstein gliedert sich in die drei für das Monitoring maßgeblichen Bereiche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Im Bereich Demokratie wird nur kurz auf das politische System und anstehende Wahlen verwiesen. Ausführlicher sind die Ausführungen zu den beiden anderen Bereichen. Im Kapitel zur Rechtsstaatlichkeit werden zum Beispiel die Arbeiten der Venedig-Kommission und der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) thematisiert. Im Bereich Menschenrechte finden sich Verweise auf die Arbeiten des Menschenrechtskommissars, des Antifolterausschusses und des EGMR. Zugleich werden alle Vorbehalte, die Liechtenstein gegenüber einzelnen Protokollen zur EMRK gemacht hat, aufgelistet. Schließlich finden sich Verweise auf die Arbeiten der Parlamentarischen Versammlung selbst. Auszugsweise zitiert wird beispielsweise die Stellungnahme des Monitoring-Ausschusses mit Blick auf das Verfassungsreferendum von 2003. Die Ausführungen zu Liechtenstein illustrieren die Stärken und Schwächen der Länderberichte. Positiv ist, dass die Ergebnisse der verschiedenen Institutionen des Europarats in einem Dokument zu einer Gesamtschau verdichtet werden. Auf diese Weise wird die 96 97
Vgl. Working Document 11214 (2007): Ziff. 149-158. Vgl. Working Document 11214 (2007) addendum: S. 94-102.
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3 Parlamentarische Versammlung
Breite der Aktivitäten des Europarats deutlich. Dass nur auf vorhandene Ergebnisse zurückgegriffen wird, hat jedoch eine Kehrseite. Wenn ein Land von einzelnen Kontrollmechanismen nicht erfasst wird, weil es sich diesen durch den Nichtbeitritt zu Konventionen, Abkommen etc. nicht unterworfen hat, müssen einzelne Themenbereiche unbearbeitet bleiben. Als Beispiel dient der Aspekt ‚Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität’ aus dem Bereich Rechtsstaatlichkeit. Liechtenstein hat weder das Zivilrechts- noch das Strafrechtsübereinkommen über Korruption unterzeichnet. Ferner ist Liechtenstein – als einziger Europaratsstaat – nicht Mitglied der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO). Als Folge beschränken sich die Ausführungen des Berichts auf die Auflistung von ‚Nichthandeln’. Im Idealfall erzeugt dieses Vorgehen Handlungsdruck auf den Staat, der zum Beitritt zu Europaratsverträgen führt. Neue Erkenntnisse über die Einhaltung der vom untersuchten Staat gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen werden jedoch nicht gewonnen.
3.8 Fazit 3.8 Fazit Die Parlamentarische Versammlung ist ‚nur’ ein beratendes Organ. Die Entscheidungsinstanz des zwischenstaatlich angelegten Europarats ist das Ministerkomitee. Einzig innerhalb ihres eigenen Rahmens kann die Versammlung verbindliche Entscheidungen treffen. Über den Versammlungsrahmen hinaus sind jedoch die Wahl- und die Kommunikationsfunktion der Versammlung nicht zu unterschätzen. Die Parlamentarier sind an der Wahl mehrerer exponierter Vertreter des Europarats beteiligt, etwa des Generalsekretärs oder des Menschenrechtskommissars. Die Versammlung ‚wählt’ außerdem die Mitglieder der Organisation aus, indem sie jedem Beitritt zum Europarat zustimmen muss. Zugleich bildet die Versammlung durch die öffentlichen Debatten ihrer Arbeiten ein, wenn nicht sogar das zentrale Forum des Europarats zur Kommunikation nach außen. Die Aufmerksamkeit, welche die Untersuchung der sogenannten ‚CIA-Affäre’ auf den Europarat lenkte, dient als Illustration.98 Ein weiteres Beispiel ist die Debatte über die Lage von Menschenrechten und Demokratie in Europa, die erstmals im April 2007 durchgeführt wurde und die künftig jährlich stattfinden soll.99 Durch ihre Arbeiten geben die Parlamentarier zudem Impulse für die Agenda der Gesamtorganisation Europarat. Infolge ihres Doppelmandats (als Angehörige eines nationalen Parlaments und der Versammlung) speisen die Mitglieder der Versammlung außerdem die dort entwickelten Inhalte in ihre nationalen Parlamente ein. Die Intensität dieser Einspeisung scheint jedoch noch verbesserungswürdig zu sein.100 Auch die Kontrollfunktion der Versammlung im weiteren Sinne ist gut entwickelt. Gemeint ist insbesondere das Monitoring der Verpflichtungen, welche die Mitglieder des Europarats bei ihrem Beitritt gegenüber der Organisation eingegangen sind. Jaskiernia bezeichnet die Versammlung als „‚lens’ in which all the problems of democracy and human rights in Europe are focused.“101 Eine effektive Kontrolle des Ministerkomitees ist der Versammlung hingegen nicht möglich. Wird das Ministerkomitee von den Parlamentariern adressiert, beispielsweise in den Empfehlungen der Versammlung, müssen die Staatenver98
Siehe Brummer (2008): S. 72-74. Vgl. Resolution 1547 (2007); Recommendation 1791 (2007). 100 Vgl. Habegger (2005): S. 187. 101 Jaskiernia (2003): S. 13. 99
3.8 Fazit
121
treter die Anliegen und Forderungen nicht umsetzen. Dass die Parlamentarier aus dieser Position der Unterordnung eine Aufwertung ihrer Institution fordern, kann nicht überraschen.102 Das gilt zum Beispiel für die Verabschiedung des Haushalts der Organisation, wofür allein das Ministerkomitee verantwortlich zeichnet. Die Staatenvertreter wiesen das Anliegen der Parlamentarier nach einer Aufwertung der Versammlung innerhalb des Institutionengefüges des Europarats – und hier gerade gegenüber dem Ministerkomitee – jedoch zurück. Eine Neuverteilung der Verantwortlichkeiten, insbesondere in Haushaltsfragen, sei aus Sicht des Ministerkomitees nicht notwendig.103 Der „constant state of tension“104 zwischen Ministerkomitee und Versammlung in Budgetfragen dürfte somit anhalten. Gleichwohl sind die unverbindlichen Instrumente der Versammlung gegenüber dem Ministerkomitee nicht zu unterschätzen. Das gilt gerade für die Bereiche Themensetzung sowie Herstellung von Transparenz und Öffentlichkeit. Als Beispiel: Empfehlungen der Versammlung an das Ministerkomitee müssen vom Ministerkomitee beantwortet werden. Die Staatenvertreter haben sich demnach zwangsläufig mit von den Parlamentariern gesetzten Themen zu befassen und ihr Handeln oder Nichthandeln öffentlich zu rechtfertigen. Ohnehin kann die ‚Machtlosigkeit’ der Versammlung, verstanden als die fehlende Kompetenz, das Ministerkomitee oder einzelne Europaratsstaaten zu bestimmten Handlungen zu verpflichten, zu einer Stärke der Versammlung werden. Mit Blick auf Konflikte innerhalb oder zwischen einzelnen Mitgliedstaaten etwa können die Parlamentarier Ideen und Konzepte entwickeln, die möglicherweise innovativer und lösungsorientierter sind als diejenigen des Ministerkomitees.105 Letzteres handelt unter weitaus stärkeren diplomatischen Zwängen als die Versammlung. Außerdem stehen die Parlamentarier nicht unter dem Zwang, zu einstimmigen Entscheidungen gelangen zu müssen. Blockaden durch ein einzelnes Land mittels seiner nationalen Delegation sind aufgrund von Mehrheitsentscheidungen in der Versammlung unmöglich. Ohne ‚Verbündete’ kann eine nationale Delegation Entscheidungen nicht blockieren. Zugleich wird ein einheitliches Auftreten ‚eines Landes’ bereits durch die Heterogenität innerhalb der nationalen Delegationen erschwert, welche die in den nationalen Parlamenten herrschenden Mehrheitsverhältnisse (einschließlich der Oppositionsparteien) widerspiegeln sollen. Die ‚Ungebundenheit‘ der Versammlung bei der Konzipierung von Ideen kann freilich derart weit reichend sein, dass sie das Ministerkomitee zu Handlungen auffordert, die gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Organisation fallen. Ein Beispiel hierfür war die Forderung der Parlamentarier nach der Entwicklung des rechtlichen Rahmens für eine provisorische Selbstverwaltung im Kosovo. Laut dem KMB konnte der Europarat diese Aufgabe jedoch nicht erfüllen, weil er schlichtweg kein diesbezügliches Mandat gehabt habe.106 Generell erfährt das Innovationspotenzial der Versammlung eine strukturelle Begrenzung: Vorschläge der Versammlung müssen in der Praxis umgesetzt werden. Die Versammlung kann jedoch weder das Ministerkomitee noch einzelne Europaratsstaaten zu einer Umsetzung ihrer Vorschläge zwingen. Finden Empfehlungen der Versammlung keine Akzeptanz bei den Adressaten, dürften sie schlichtweg ignoriert werden und als ‚symbolische Politik’ enden. 102
Vgl. Recommendation 1763 (2006). Vgl. CM/AS (2007) Recommendation 1728-1763 final: Ziff. 3. Jaskiernia (2003): S. 258. 105 Fischer bezeichnet die Versammlung als „Ideenfabrik“. Fischer (1989): S. 124. 106 Vgl. CM/AS (2001) Recommendation 1511 final. 103 104
122
3 Parlamentarische Versammlung
Der Aspekt der Glaubwürdigkeit der Versammlung ist zu diskutieren, wenn es zu einer Diskrepanz zwischen an Dritte gerichtete Forderungen auf der einen und den versammlungsintern durchgesetzten Maßnahmen auf der anderen Seite kommt. Exemplarisch steht die Nutzung der versammlungsinternen Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Russland im Kontext des Tschetschenienkonflikts. Der schwerwiegende Verstoß Russlands gegen Europaratsprinzipien stand für die Parlamentarier außer Frage. Entsprechend konsequent regte die Versammlung gegenüber dem Ministerkomitee die Nutzung von Art. 8 der Europaratssatzung an, der eine Suspendierung und im Falle ausbleibender Handlungen des Staates schließlich dessen Ausschluss aus dem Europarat nach sich ziehen kann.107 Das Ministerkomitee folgte dieser Forderung nicht. Die Begründung lautete, dass das Ministerkomitee nur auf das ‚Europaratsmitglied Russland’ gewisse Einflussmöglichkeiten habe, nicht jedoch auf ein ‚Nichtmitglied Russland’.108 Während die Versammlung gegenüber dem Ministerkomitee erfolglos die Nutzung des schärfsten Sanktionsinstruments des Europarats einforderte, schöpften die Parlamentarier allerdings die in ihren autonomen Kompetenzen liegenden Möglichkeiten zur Sanktionierung Russlands nur ansatzweise aus. Beschlossen wurde eine Suspendierung des Stimmrechts der russischen Delegation in der Versammlung. Die Suspendierung wurde neun Monate aufrechterhalten. Eine längerfristige Einschränkung der Rechte der russischen Parlamentarier in der Versammlung – oder der Entzug bzw. die Nichtratifizierung der Beglaubigung der russischen Delegation – wurde nicht beschlossen. Die Begründung dieser Haltung glich der des Ministerkomitees: Einfluss auf die Entwicklungen in Russland könne die Versammlung nur so lange haben, wie die russischen Parlamentarier in ihren Reihen vertreten seien. Würden die Parlamentarier hingegen dauerhaft ausgeschlossen, schlösse sich die Versammlung gleich mit aus.109 So pragmatisch wie nachvollziehbar diese Position auch sein mag: Die gegenüber dem Ministerkomitee angeregten Maßnahmen hätten auf weiter reichende Schritte innerhalb der Versammlung hingedeutet. Schließlich noch ein kurzer Blick auf die institutionelle Struktur der Versammlung. In mehrfacher Hinsicht ist die Versammlung mittlerweile ‚ausgewachsen’. Das auf dem Ausschusswesen beruhende Arbeiten der Versammlung und die Vermittlung der Arbeitsergebnisse in den Plenardebatten haben sich bewährt. Durch die Verbindung von allgemeinen (ständigen) Ausschüssen und der Option zur Einrichtung von Unterausschüssen und Adhoc-Ausschüssen verfügt die Versammlung über vielfältige Möglichkeiten, ihr breites Themenspektrum inhaltlich zu erfassen und aufzubereiten. Grundlegende Änderungen der Ausschussstruktur scheinen deshalb nicht erforderlich. Auch an der Mitgliederzahl der Versammlung wird sich kaum noch etwas ändern. Mit Ausnahme von Belarus und künftig vielleicht des Kosovo ist jeder europäische Staat bereits durch nationale Delegationen in der Versammlung vertreten. Deren Sitzzahl (636 Sitze) entspricht ungefähr derjenigen des Deutschen Bundestags (598 Sitze) und ist deutlich geringer als beim Europäischen Parlament (785 Sitze). Zugleich vertritt die Parlamentarische Versammlung des Europarats weitaus mehr Menschen (ca. 800 Millionen) als das Europäische Parlament (ca. 490 Millionen) oder der Bundestag (ca. 82 Millionen). Aufwerten ließe sich allerdings die personelle Qualität in der Versammlung. Dies bezieht sich insbesondere auf die Einbindung der Vorsitzenden der für die Europaratsarbeit 107
Siehe Kap. 2.6. Vgl. Brummer (2005): S. 256-257. 109 Vgl. Brummer (2005): S. 219-221. 108
3.9 Literaturhinweise
123
einschlägigen Ausschüsse in die nationalen Delegationen. Deutschland lässt sich als Beispiel heranziehen. Aus den Reihen des Bundestags wird eine 36-köpfige Delegation (18 Mitglieder und 18 Stellvertreter) zu den jährlich vier Teilsitzungen der Versammlung entsandt. Die Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden der Ausschüsse Europäische Union, Auswärtiges, Inneres, Recht oder Menschenrechte und humanitäre Hilfe sind mehrheitlich nicht darunter.110 Wären die Spitzen des Bundestages in einem noch größeren Maße vertreten, würden die Versammlung aufgewertet und deren Arbeiten noch stärker in die nationalen Diskussionen eingebunden. Außerdem müsste die Präsenz der Parlamentarier in Straßburg gesteigert werden. Hilfreich könnte in dieser Hinsicht sein, wenn die in der Versammlung des Europarats vertretenen Parlamentarier nicht gleichzeitig Mitglied der WEUVersammlung sein müssten. Die Arbeitsbelastung der Parlamentarier ließe sich dadurch reduzieren. Zugleich wäre eine stärkere Fokussierung auf ‚ihre’ Organisation möglich. Nicht zu vergessen: Wenn die ‚Parallelzugehörigkeit’ zu den Versammlungen von Europarat und WEU endete, erhielten weitere nationale Parlamentarier die Chance, sich in transnationalen Versammlungen zu profilieren. Die Kehrseite des Vorschlags ist freilich die, dass Parlamentarier mit derlei internationalem Engagement in ihren Wahlkreisen wie auch in ihren Parteien nur selten Pluspunkte sammeln. Solange das internationale Engagement von Abgeordneten nicht ‚karrierefördernd’ ist, bleiben die Anreize für dieses begrenzt.
3.9 Literaturhinweise 3.9 Literaturhinweise Habegger, Beat (2005): Parlamentarismus in der internationalen Politik. Europarat, OSZE und die Interparlamentarische Union. Baden-Baden. Haller, Bruno (2005): Election Observation by the Parliamentary Assembly of the Council of Europe (PACE). In: Human Rights Law Journal, Vol. 26/5-8: 160-166. Jaskiernia, Jerzy (2003): The Parliamentary Assembly of the Council of Europe. Warschau. Marschall, Stefan (2005): Transnationale Repräsentation in Parlamentarischen Versammlungen. Demokratie und Parlamentarismus jenseits des Nationalstaates. Baden-Baden. Parliamentary Assembly: Progress of the Assembly’s monitoring procedure (Dokument: Working Document 11214 (2007) vom 30.3.2007) Schieder, Peter (2000): Die Rolle der Fraktionen im Europarat. In: Holtz, Uwe (Hrsg.): 50 Jahre Europarat. Baden-Baden: 101-107. Stegen, Joern (2000): Die Rolle der Parlamentarischen Versammlung als Motor des Europarats. In: Holtz, Uwe (Hrsg.): 50 Jahre Europarat. Baden-Baden: 79-90.
110
Die ‚Ausnahmen’ sind Herta Däubler-Gmelin (SPD; Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe), Holger Haibach (CDU/CSU; stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe) und Kurt Bodewig (SPD; stellvertretender Vorsitzender des EU-Ausschusses).
4 Sekretariat 4 Sekretariat 4 Sekretariat
Dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung steht laut Art. 10 der Europaratssatzung „das Sekretariat des Europarats zur Seite.“ Das ‚zur Seite stehen’ verdeutlicht die Funktion des Sekretariats: Es unterstützt die beiden Hauptorgane der Organisation bei ihren Aktivitäten.1 Die Unterstützungsleistungen des Sekretariats betreffen sowohl die Entwicklung von Konzepten wie auch deren Umsetzung. Die verschiedenen Aktivitäten des am Sitz des Europarats in Straßburg ansässigen Sekretariats werden weiter unten noch genauer beschrieben. Zunächst richtet sich der Blick auf die Organisationsstruktur.
4.1 Generalsekretär, Stellvertretender Generalsekretär und Beamtenschaft 4.1 Generalsekretär, Stellvertretender Generalsekretär und Beamtenschaft Das Sekretariat setzt sich zusammen aus „einem Generalsekretär, einem Stellvertretenden Generalsekretär und dem erforderlichen Personal.“ (Art. 36a Europaratssatzung). Der Generalsekretär des Europarats stammt in der Regel aus dem politischen Umfeld der Organisation. Demgegenüber kommt der Stellvertretende Generalsekretär traditionell aus der Beamtenschaft des Europarats. Der Generalsekretär und sein Stellvertreter werden im Zusammenspiel von Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung ernannt (Art. 36b). Hierdurch unterscheidet sich die Besetzung dieser beiden Spitzenposten des Sekretariats von derjenigen der anderen Mitarbeiter (Beamten) des Sekretariats. Diese werden vom Generalsekretär ernannt. Das Verfahren2 zur Bestimmung des Generalsekretärs bzw. des Stellvertretenden Generalsekretärs läuft folgendermaßen ab: Die Mitgliedstaaten der Organisation können Vorschläge für beide Posten einreichen. Auch die Politischen Gruppen der Versammlung sowie der Generalsekretär (jedoch nur für den Posten des Stellvertretenden Generalsekretärs) dürfen Vorschläge unterbreiten. Die Auswahl der Kandidaten soll durch deren fachliche Fähigkeiten und persönliche Integrität angeleitet werden. Außerdem gilt es, eine ausgewogene geografische Repräsentation der Spitzenposten unter den Europaratsstaaten herzustellen. Ausdrücklich abgelehnt wird die Herausbildung von Erbhöfen: „No office in the Secretariat shall be considered to be the prerogative of any particular Member State.“3 Der Generalsekretär leitet die Vorschläge dem Ministerkomitee zu. Dieses führt eine erste Prüfung der Kandidatenliste durch, was ein Gespräch mit den Kandidaten beinhalten kann. Anschließend konsultiert das Ministerkomitee die Versammlung im Rahmen des Gemeinsamen Ausschusses.4 Daraufhin erstellt das Ministerkomitee eine Kandidatenliste. Mindestens zwei Personen sollen auf der Liste geführt werden. Eine Ausnahme, d. h. die Übermittlung nur eines Vorschlags, ist dann möglich, wenn sich Ministerkomitee und Versammlung im Gemeinsamen Ausschuss bereits darauf verständigt haben. Das Ministerkomitee übersendet die Kandidatenliste an die Versammlung. Das Präsidium der Versamm1
Das Sekretariat ist kein Organ des Europarats. Vgl. Regulations (1956). 3 Regulations (1956). 4 Siehe Kap. 2.7. 2
126
4 Sekretariat
lung prüft die Liste und leitet sie an das Plenum der Versammlung zur Abstimmung weiter. Die Abstimmung ist geheim. Im ersten Wahlgang muss ein Kandidat die absolute Mehrheit auf sich vereinen, um gewählt zu werden. Im zweiten Wahlgang genügt eine relative Mehrheit. Generalsekretär und Stellvertretender Generalsekretär werden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Die Möglichkeit zur Wiederwahl besteht. Spätestens sechs Monate vor Ablauf des Mandats wird das beschriebene Verfahren erneut in Gang gesetzt. Der amtierende Generalsekretär bzw. der amtierende Stellvertretende Generalsekretär können erneut vorgeschlagen werden. Die Zahl möglicher Wiederwahlen ist nicht begrenzt („may always be renewed“). Das gegebenenfalls erneuerte Mandat beträgt jedoch nicht automatisch wieder fünf Jahre. Stattdessen legen Ministerkomitee und Versammlung im Gemeinsamen Ausschuss bereits vor der möglichen Wahl die Mandatslänge fest („a period specified in advance by agreement (...) in the Joint Committee“).5 Abbildung 23: Die Generalsekretäre des Europarats6 Name
Amtszeit
Nationalität Beginn
Ende
Italien
15.09.1957
17.09.1953 (im Amt verstorben) 24.09.1956 (im Amtverstorben) 15.03.1964
Vereinigtes Königreich
16.03.1964
15.09.1969
Österreich
16.09.1969
16.09.1974
Jacques Camille Paris
Frankreich
11.08.1949
Léon Marchal
Frankreich
21.09.1953
Lodovico Benvenuti Peter Smithers Lujo Toncic-Sorinj Georg Kahn-Ackermann
Deutschland
17.09.1974
17.09.1979
Österreich
01.10.1979
01.10.1984
Spanien
01.10.1984
01.06.1989
Catherine Lalumière
Frankreich
01.06.1989
31.05.1994
Daniel Tarschys
Schweden
01.06.1994
01.09.1999
Walter Schwimmer
Österreich
01.09.1999
31.08.2004
Franz Karasek Marcelino Oreja Aguirre
Terry Davis
Vereinigtes Königreich
seit 01.09.2004
Derzeit bekleidet der Brite Terry Davis das Amt des Generalsekretärs des Europarats. Davis ist der zwölfte Generalsekretär der Organisation (Abbildung 23). Er folgte dem Österreicher Walter Schwimmer, der zwischen 1999 und 2004 Generalsekretär des Europarats war. Davis (Jahrgang 1938) kann auf eine jahrzehntelange politische Laufbahn zurückblicken. Bereits vor seiner Wahl unterhielt Davis enge Verbindungen zum Europarat.7 Er gehörte 28 Jahre dem britischen Unterhaus an. In dieser Zeit war Davis unter anderem Mitglied der britischen Delegation in den Versammlungen der Westeuropäischen Union (WEU), der 5
Vgl. Regulations (1956). Vgl. http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sg/Formers_en.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 7 Vgl. http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sg/CV_en.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 6
4.1 Generalsekretär, Stellvertretender Generalsekretär und Beamtenschaft
127
OSZE und der UNO. Darüber hinaus gehörte er zwölf Jahre lang der britischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats an, fünf Jahre davon als deren Leiter. In der Versammlung bekleidete Davis zahlreiche Führungspositionen. Er war Vizepräsident und Präsidiumsmitglied der Versammlung sowie Vorsitzender der Sozialistischen Gruppe. Davis war außerdem Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Entwicklung sowie des Politischen Ausschusses und gehörte ferner dem Monitoring-Ausschuss und dem Ausschuss für Recht und Menschenrechte an. Terry Davis wurde im Juni 2004 zum Generalsekretär des Europarats gewählt. Dem Ministerkomitee wurden drei Vorschläge unterbreitet. Die britische Regierung schlug Davis vor, die Regierung Estlands die estnische Außenministerin Kristiina Ojuland und die österreichische Regierung den damals amtierenden Generalsekretär des Europarats Walter Schwimmer.8 Nach Gesprächen mit den drei Kandidaten und der Konsultation der Parlamentarischen Versammlung im Gemeinsamen Ausschuss übermittelte das Ministerkomitee im Mai 2004 die Vorschlagsliste an die Versammlung. Die Parlamentarier stimmten am 21. Juni während der dritten Teilsitzung des Jahres über die Vorschläge ab. Davis konnte sich bereits im ersten Wahlgang durchsetzen. Mit 157 Stimmen erreichte er die erforderliche absolute Mehrheit. Auf die beiden anderen Kandidaten entfielen 91 Stimmen (Schwimmer) bzw. 51 Stimmen (Ojuland).9 Am 1. September 2004 trat Davis sein fünfjähriges Mandat an. Die Satzung des Europarats enthält keine konkreten Ausführungen zu den Tätigkeiten des Generalsekretärs. Festgeschrieben ist lediglich die Leitungsfunktion des Generalsekretärs innerhalb des Sekretariats. Nach Art. 37 zeichnet der Generalsekretär gegenüber dem Ministerkomitee für die Arbeit des Sekretariats verantwortlich. Das Sekretariat wiederum soll, wie geschildert, den Institutionen der Organisation bei der Verwirklichung der Europaratsziele helfen. Die grundsätzliche Aufgabe des Generalsekretärs lautet entsprechend, das Sekretariat so zu organisieren und die Beamten so zu motivieren, dass die dem Europaratssekretariat zugedachte Aufgabe von diesem auch erfüllt werden kann. Aus dem praktischen Wirken des Generalsekretärs lassen sich freilich verschiedene konkrete Funktionen und Aufgaben ableiten. Der Generalsekretär gehört zu den herausragenden Figuren des Europarats. Im Gegensatz etwa zum halbjährlich wechselnden Vorsitz im Ministerkomitee hat er den Vorteil, über mehrere Jahre lang eine Führungsposition einzunehmen. Die längere Amtsdauer sowie die feste und dauerhafte institutionelle Einbindung in den Europarat erhöhen die Glaubwürdigkeit des Generalsekretärs bei der Außenvertretung der Organisation. Nicht von ungefähr bezeichnet das Ministerkomitee in einer Resolution zur Informationsstrategie des Europarats den Generalsekretär als „the natural spokesperson for the Organisation as a whole.“10 Die Informationspolitik des Generalsekretärs soll sich auf wenige, dafür aber maßgebliche Themen konzentrieren. Zudem soll er die für eine professionelle Außendarstellung notwendigen Strukturen schaffen, welche ihm – unter Einbeziehung des Vorsitzenden des Ministerkomitees und des Präsidenten der Versammlung – auch die Möglichkeit zur raschen Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse eröffnen sollen.11 Diese Vorgabe aufgreifend, kommentiert der Generalsekretär im Namen der Organisation kontinuierlich aktuelle Ereignisse. Im Jahr 2007 verurteilte Davis zum Beispiel den 8
Vgl. Resolution (2004) 4. Vgl. Pressemitteilung 312 (2004). 10 Resolution (2000) 2: Ziff. 1. 11 Vgl. Resolution (2000) 2: Ziff. 1. 9
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4 Sekretariat
Anschlag auf eine serbisch-orthodoxe Kirche im Kosovo sowie den Vollzug dreier Hinrichtungen – eine laut Davis „unmenschliche und barbarische Form der Bestrafung“12 – in Japan, einem Beobachterstaat des Europarats. Davis begrüßte wiederum unter anderem die Vereinbarung von vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine und die Aufhebung des Ausnahmezustands in Georgien.13 Neben dieser Kommunikation nach außen erfüllt der Generalsekretär innerhalb des Europarats eine wichtige Vermittlungsfunktion. Das gilt insbesondere für die Gewährleistung eines reibungslosen Kommunikationsflusses zwischen den beiden Hauptorganen des Europarats, sprich zwischen Ministerkomitee und Versammlung. Zwischen diesen soll der Generalsekretär als „channel of communication“14 fungieren. Die Verbindung verschiedener Europaratsinstitutionen durch den Generalsekretär – und zugleich die Einbindung des Generalsekretärs in diese Institutionen – beschränkt sich jedoch nicht auf Ministerkomitee und Versammlung. Vielmehr nimmt der Generalsekretär regelmäßig auch an Treffen von anderen Institutionen des Europarats teil.15 Erneut einige Beispiele aus dem Jahr 2007: In diesem Jahr nahm Davis an der Sitzung des Ministerkomitees, an den Teilsitzungen der Versammlung und an der Plenartagung des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats teil. Daneben war er bei Treffen auf der Arbeitsebene anwesend, etwa in Expertenausschüssen des Ministerkomitees (u. a. CDPC) oder in Leitungsgremien von Abkommen (u. a. Plenartreffen der Venedig-Kommission). Der Generalsekretär nahm zudem an Spitzentreffen des Europarats mit anderen internationalen Organisationen teil bzw. repräsentierte den Europarat in Sitzungen anderer Organisationen (UNO, OSZE etc.) oder auf internationalen Konferenzen. 2007 gehörten hierzu die Teilnahme an Quadripartite-Treffen zwischen Europarat und EU und an Tripartite-Treffen zwischen Europarat, OSZE und UNO. Der Generalsekretär führt weiterhin offizielle Besuche in den Europaratsstaaten durch. 2007 besuchte Davis beispielsweise Italien, Russland, die Ukraine, Serbien und die Slowakei. In den letzten beiden Fällen diente der Besuch der Vorbereitung des serbischen bzw. des slowakischen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats. Dem Generalsekretär kommt außerdem eine Rolle beim Monitoring der von den Europaratsstaaten gegenüber der Organisation eingegangenen Verpflichtungen zu. Diese beschränkt sich nicht darauf, dass ihm als Leiter des Sekretariats diverse Einheiten unterstehen, die auf der Arbeitsebene das Monitoring des Ministerkomitees, der Versammlung oder des Kongresses der Gemeinden und Regionen durchführen oder zumindest unterstützen. Wie noch zu schildern sein wird, kann der Generalsekretär selbst ebenfalls eine aktive Rolle einnehmen.16 Nicht zu vergessen sind schließlich zeremonielle Aufgaben des Generalsekretärs. 2007 partizipierte Davis beispielsweise an der Vergabe des Nord-Süd-Preises des Europarats in Lissabon und an der Eröffnung der Winston-Churchill-Brücke in Straßburg. Das Tätigkeitsprofil des Stellvertretenden Generalsekretärs des Europarats entspricht größtenteils demjenigen des Generalsekretärs. Auch der Stellvertretende Generalsekretär beteiligt sich regelmäßig an Sitzungen von Europaratsinstitutionen und deren Untereinheiten, vertritt den Europarat in anderen internationalen Organisationen oder auf Konferenzen, 12
Pressemitteilung 551 (2007). Vgl. Pressemitteilung 150 (2007); Pressemitteilung 346 (2007); Press Release 798 (2007). 14 Vgl. GO-MK (52005): Art. 22. 15 Diese und die folgenden Beispiele für Aktivitäten von Generalsekretär Davis aus dem Jahr 2007 finden sich unter http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sg/Agenda_SG_TD_EN.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 16 Siehe Kap. 4.3. 13
4.1 Generalsekretär, Stellvertretender Generalsekretär und Beamtenschaft
129
kommentiert aktuelle Ereignisse und nimmt zeremonielle Aufgaben wahr. Zugleich existieren mehrere Unterschiede zwischen dem Generalsekretär und seinem Stellvertreter. Institutionell ist der Stellvertretende Generalsekretär nicht der Leiter des Europaratssekretariats und somit eben auch nicht für dessen Arbeit verantwortlich. Zudem vertritt in der Regel der Generalsekretär und nicht sein Stellvertreter den Europarat in Spitzentreffen mit anderen internationalen Organisationen. Thematisch wiederum konzentriert sich der Stellvertretende Generalsekretär eher auf ‚weiche’ Themen. Die amtierende Stellvertretende Generalsekretärin bezeichnete den Schutz benachteiligter Menschen und den Kampf gegen Gewalt in der Gesellschaft als ihre Schwerpunkte „bei der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rechtsraums“17. Seiner, wie geschildert, ‚politischen’ Herkunft wie auch seiner Leitungsfunktion entsprechend, greift der Generalsekretär demgegenüber stärker politische Fragen auf. Die Holländerin Maud de Boer-Buquicchio ist seit 2002 Stellvertretende Generalsekretärin des Europarats. Sie ist die neunte Person in der Geschichte der Organisation, die dieses Amt innehat (Abbildung 24). De Boer-Buquicchio (Jahrgang 1944) kommt, wie vorgesehen, aus den Reihen des Europarats. Seit 1969 ist sie für den Europarat tätig.18 Die meiste Zeit war sie im Rahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aktiv, genauer innerhalb der Europäischen Kommission für Menschenrechte19. Daneben arbeitete sie von 1972 bis 1977 im Privatbüro des Generalsekretärs des Europarats, zunächst unter dem Österreicher Lujo Toncic-Sorinj (Generalsekretär von 1969 bis 1974) und anschließend unter dem Deutschen Georg Kahn-Ackermann (1974 bis 1979). Zuletzt war de BoerBuquicchio Stellvertretende Kanzlerin (registrar) des EGMR (1998 bis 2002). Abbildung 24: Die Stellvertretenden Generalsekretäre des Europarats20 Name
Nationalität
Amtszeit Beginn
Ende
Aubrey Halford
Vereinigtes Königreich
24.05.1949
30.04.1952
Anthony Lincoln
Vereinigtes Königreich
01.05.1952
01.07.1955
Dunstan Curtis
Vereinigtes Königreich
08.07.1955
16.05.1962
Polys Modinos
Zypern
17.05.1962
30.09.1968
Sforzino Sforza
Italien
01.10.1968
28.12.1977
Gaetano Adinolfi
Italien
01.06.1978
31.05.1993
Österreich
01.06.1993
21.09.1997
Hans Christian Krüger
Deutschland
22.09.1997
31.08.2002
Maud de Boer-Buquicchio
Niederlande
Peter Leuprecht
seit 01.09.2002
De Boer-Buquicchio wurde im Juni 2002 zur Stellvertretenden Generalsekretärin des Europarats gewählt. Italien und die Niederlande hatten sie vorgeschlagen. Die Mitbewerber hie17
De Boer-Buquicchio sagte dies nach ihrer Wiederwahl im Juni 2007. Vgl. Pressemitteilung 450 (2007). Vgl. http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sga/CV_en.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 19 Siehe Kap. 5.1. 20 Vgl. http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sga/Formers_en.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 18
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4 Sekretariat
ßen Len Davies und Guy de Vel.21 Davies war der Vorschlag von Lettland und Liechtenstein, de Vel der von Belgien. De Boer-Buquicchio setzte sich im ersten Wahlgang mit der erforderlichen absoluten Mehrheit durch. Sie erhielt 147 von 237 abgegebenen Stimmen, de Vel 81 und Davies neun. Am 1. September 2002 trat sie ihr Amt an. Im Juni 2006 wurde de Boer-Buquicchio für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren wiedergewählt. Erneut waren es die Niederlande und Italien, die sie nominiert hatten. Gegenkandidaten gab es diesmal keine. Hierauf hatten sich Ministerkomitee und Versammlung im Gemeinsamen Ausschuss verständigt gehabt. Nach der erfolgreichen Wiederwahl bezeichnete sich de Boer-Buquicchio als „Botschafterin der Werte des Europarats“, deren Hauptaugenmerk auf der Intensivierung der „Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rechtsraums“22 liegen werde. Am 1. September 2007 begann die zweite Amtszeit von de Boer-Buquicchio als Stellvertretende Generalsekretärin des Europarats. Die dritte Spitzenposition im Sekretariat des Europarats ist diejenige des Generalsekretärs der Parlamentarischen Versammlung.23 In der Satzung des Europarats findet sich kein Hinweis auf das Amt. Eingeführt wurde es im November 1949 (und somit nur wenige Monate nach Inkrafttreten der Europaratssatzung) durch eine Resolution des Ministerkomitees.24 In dieser autorisiert das Ministerkomitee die Versammlung, auf seine Empfehlung hin einen Leiter der Verwaltungsdienste der Versammlung (chief of the administrative services) zu ernennen.25 Im Januar 2000 wurde das Amt in Generalsekretär der Versammlung (Secretary General of the Parliamentary Assembly) umbenannt. Dieser hat den Rang eines Stellvertretenden Generalsekretärs und ist dem Generalsekretär des Europarats unterstellt. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre mit der Möglichkeit zur Wiederwahl. Das Verfahren zur Ernennung des Generalsekretärs der Versammlung entspricht in weiten Teilen dem oben geschilderten Verfahren zur Ernennung des Generalsekretärs des Europarats und des Stellvertretenden Generalsekretärs.26 Der amtierende Generalsekretär der Versammlung ist Mateo Sorinas Balfegó aus Spanien. Sorinas Balfegó wurde von vier Vorsitzenden und einem Stellvertretenden Vorsitzenden der Politischen Gruppen der Versammlung sowie durch die spanische Regierung vorgeschlagen.27 Nach der Verständigung mit der Versammlung im Gemeinsamen Ausschuss schlug das Ministerkomitee im Juli 2005 Sorinas Balfegó als einzigen Kandidaten vor. Anfang Oktober 2005 wurde er von den Parlamentariern auf ihrer vierten Teilsitzung des Jahres zum Generalsekretär der Versammlung gewählt. Sorinas Balfegó trat das Amt am 1. Februar 2006 an. Das „erforderliche Personal“ und somit die Beamten des Europarats werden vom Generalsekretär ernannt (Art. 36c Europaratssatzung). Wesentlich für die Herkunft des Personals ist der Beitrag der Mitgliedstaaten zum Haushalt der Organisation. Dieser dient als Bezugspunkt für die Zahl der Mitarbeiter des Sekretariats aus einem Land. Die größten Beitragszahler stellen entsprechend den verhältnismäßig größten Anteil des rund 1800 Personen umfassenden Sekretariats des Europarats.28 Auch wenn die Mitarbeiter des Europaratssekretariats aus den Mitgliedstaaten der Organisation kommen, handeln sie nicht in deren 21
Vgl. Resolution (2002) 7. Pressemitteilung 450 (2007). 23 Siehe Kap. 3.3. 24 Vgl. Resolution (49) 20. 25 Der Posten wurde auch als Kanzler, greffier oder clerk bezeichnet. 26 Vgl. Regulations (1956). 27 Vgl. Resolution (2005) 4. 28 Vgl. http://www.coe.int/T/e/Com/about_coe (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 22
4.2 Generaldirektorate und Direktorate
131
Auftrag. Im Gegenteil: Der Schwerpunkt der knappen Ausführungen der Europaratssatzung zum Sekretariat (Art. 36 und 37) widmet sich der Unabhängigkeit des Europaratspersonals. In Art. 36d steht, dass die Mitglieder des Sekretariats weder eine entgeltliche Stellung bei einer Regierung ausüben noch Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats oder eines nationalen Parlaments sein dürfen. Sie dürfen weiterhin keine mit ihren Pflichten nicht zu vereinbarende Tätigkeit ausüben. Art. 36e vertieft die Ausführungen zur Unabhängigkeit des Personals insbesondere mit Blick auf dessen mögliche Beeinflussung durch (Europarats-)Staaten: „Jedes Mitglied des Personals des Sekretariats muss durch eine feierliche Erklärung seine Verbundenheit mit dem Europarat versichern und seine Entschlossenheit bekunden, seine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, ohne sich durch irgendwelche Rücksichten nationaler Art beeinflussen zu lassen. Es muss dabei seinen Willen zum Ausdruck bringen, dass es bei Ausübung des Dienstes weder von einer Regierung noch von irgendeiner außerhalb des Rates stehenden Stelle Weisungen einholen oder entgegennehmen wird und dass es sich jeder Handlung enthalten wird, die mit seiner Stellung als internationaler, ausschließlich dem Rate [Europarat; KB] gegenüber verantwortlicher Beamter unvereinbar ist.“
Art. 36f bekräftigt schließlich den „internationalen Charakter“ der Verpflichtungen des Generalsekretärs und der Mitarbeiter des Europaratssekretariats, den jedes Mitglied des Sekretariats „zu achten“ habe.
4.2 Generaldirektorate und Direktorate 4.2 Generaldirektorate und Direktorate Das Sekretariat des Europarats ist in verschiedene Einheiten (Generaldirektorate, Direktorate, Sekretariate) unterteilt.29 In seiner gegenwärtigen Struktur (Abbildung 25) arbeitet das Sekretariat seit Mai 2007.30 Die Untergliederung richtet sich nach thematischen bzw. funktionalen Gesichtspunkten. Einige Einheiten begleiten vorrangig die Entwicklung und Umsetzung der zwischenstaatlichen Aktivitäten des Europarats, andere unterstützen bestimmte Institutionen des Europarats, wieder andere haben vornehmlich technisch-administrative Funktionen. Gemeinsam ist allen Einheiten, dass sie als ‚Ermöglicher’ fungieren. Ihr übergeordneter Auftrag lautet, den Europarat und seine Institutionen bei ihren Maßnahmen zu unterstützen und dadurch die Verwirklichung der Organisationsziele zu ermöglichen. Als Koordinationsgremium zwischen den Generaldirektoraten dient das Executive Board. Neben dem Generalsekretär und dem Stellvertretenden Generalsekretär treffen sich in diesem informellen Gremium wöchentlich die Leiter der Generaldirektorate, die Generaldirektoren (director general), sowie der Leiter des Sekretariats des Ministerkomitees.31 Als Erstes zu den Generaldirektoraten (directorate general) und Direktoraten (directorates), die vorrangig auf die Begleitung und Umsetzung des zwischenstaatlichen Arbeitsprogramms des Europarats ausgerichtet sind. Hierzu gehören das Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen, das Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht, das 29
Vgl. nachfolgend http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sg/OrganisationChart_CoE_en_Internet. pdf (zuletzt abgerufen am 18.2.2008) sowie http://www.coe.int/t/e/mandates/mandat.asp (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). Das KMB stimmte im Mai 2007 dem Vorschlag des Generalsekretärs des Europarats zur Reorganisation des Sekretariats zu. Vgl. CM/Del/Dec (2007) 994 bis/1.2. 31 Vgl. SG/Inf (99) 5 revised. 30
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4 Sekretariat
Generaldirektorat für Sozialen Zusammenhalt, das Generaldirektorat für Bildung, Kultur, Kulturelles/Natürliches Erbe, Jugend und Sport, das Direktorat für Strategische Planung, das Direktorat für Auswärtige Beziehungen sowie das Direktorat für Rechtsberatung und Völkerrecht. Die Tätigkeiten dieser Einheiten lassen sich allgemein wie folgt beschreiben. Innerhalb des Europarats beraten und unterstützen sie andere Institutionen bei der Entwicklung, Umsetzung und Bewertung der Standards des Europarats in ihrem Themenbereich. Zentraler Bezugspunkt ist das zwischenstaatliche Arbeitsprogramm der Organisation. Nach außen stellen sie Kontakte zu den relevanten Institutionen in den Europaratsstaaten wie auch zu Nichtmitgliedstaaten, anderen Regierungsorganisationen und NGOs her. Im Zusammenspiel mit dem Direktorat Kommunikation beteiligen sie sich zudem an der Vermittlung der Standards und Arbeitsergebnisse in ihrem Themengebiet. Abbildung 25: Die Struktur des Sekretariats des Europarats32
Das Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen soll durch politische Analysen und die Erarbeitung von Handlungsvorschlägen zur Verwirklichung der Europaratsziele beitragen. Die Demokratiekomponente des Generaldirektorats wurde im Mai 2007 im Zuge der Reorganisation des Sekretariats durch die Einrichtung eines neuen Direktorats für Demokratische Institutionen gestärkt. Dies geschah durch die Verschmelzung des bereits im Generaldirektorat angesiedelten Direktorats für Demokratie mit dem Direktorat für Kommunale und Regionale Demokratie, das aus dem vormaligen Generaldirektorat für Recht (nun Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht) überführt wurde. Das Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen agiert beispielsweise als eine Art ‚Frühwarneinheit’, indem es politische Entwicklungen identifiziert, die eine rasche Reaktion des Europarats erfordern. Daneben zeichnet das Generaldirektorat für Einrichtungen des Europarats in 32 Eigene Darstellung nach http://www.coe.int/t/secretarygeneral/sg/OrganisationChart_CoE_en_Internet.pdf (zuletzt abgerufen am 18.2.2008).
4.2 Generaldirektorate und Direktorate
133
seinen Mitgliedstaaten verantwortlich. Hierzu gehören die 17 Informationsbüros (information offices) des Europarats sowie die zehn Field Offices (Abbildung 26).33 Sämtliche Büros liegen in Staaten, die seit 1990 dem Europarat beigetreten sind. Während sich die Informationsbüros vor allem mit der Präsentation und Vermittlung des Europarats beschäftigen, sind die Field Offices stärker in die operativen Arbeiten des Europarats eingebunden. Sie sind vor allem in solchen Europaratsstaaten zu finden, in denen innerstaatliche Konflikte (z. B. Serbien) existieren oder die ungelöste Konflikte mit Nachbarstaaten haben (z. B. Armenien/Aserbaidschan). Das Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen nimmt außerdem eine zentrale Rolle bei der Interaktion des Europarats mit anderen internationalen Regierungsorganisationen und NGOs ein. Wesentlich ist das Zusammenspiel mit der EU. Das Generaldirektorat dient als die maßgebliche Verbindungsstelle zur Union und zeichnet unter anderem für das Büro des Europarats in Brüssel verantwortlich. Es unterhält außerdem Kontakte zur OSZE, zur UNO und deren Untereinheiten sowie zu weiteren globalen und regionalen Organisationen. Abbildung 26: Informationsbüros und Field Offices des Europarats34 Informationsbüros Staat (Stadt) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Albanien (Tirana) Aserbaidschan (Baku) Bulgarien (Sofia) Estland (Tallinn) Georgien (Tiflis) Lettland (Riga) Litauen (Vilnius) Mazedonien (Skopje) Moldau (Chisinau) Polen (Warschau) Rumänien (Bukarest) Russland (Moskau) Slowakei (Bratislava) Slowenien (Ljubljana) Tschechische Republik (Prag) Ukraine (Kiew) Ungarn (Budapest)
Field Offices Staat (Stadt) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Albanien (Tirana) Armenien (Eriwan) Aserbaidschan (Baku) Bosnien und Herzegowina (Sarajevo) Georgien (Tiflis) Moldau (Chisinau) Montenegro (Podgorica) Serbien (Belgrad) Serbien/Kosovo (Pristina) Ukraine (Kiew)
Das Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht entstand im Mai 2007 durch die Zusammenlegung zweier bis dato separater Generaldirektorate (für Menschenrechte bzw. für Recht). Das Generaldirektorat entwickelt und begleitet die Umsetzung der Standards und zwischenstaatlichen Aktivitäten des Europarats im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Es verfolgt beispielsweise Entwicklungen in den Europaratsstaaten, welche die Menschenrechtslage beeinflussen könnten (Monitoring). Es konzipiert außerdem Unterstützungsmaß33 Als Field Offices werden sowohl die Büros von Sondervertretern (special representatives) des Generalsekretärs des Europarats als auch weitere Büros der Organisation außerhalb von Straßburg bezeichnet. Eine Übersicht über die Informationsbüros und Field Offices findet sich unter http://www.coe.int/T/E/Com/About_CoE/Information (zuletzt abgerufen am 18.2.2008). 34 Vgl. http://www.coe.int/T/E/Com/About_CoE/Information (zuletzt abgerufen am 18.2.2008).
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4 Sekretariat
nahmen für Mitglieder der Organisation, um diesen die Einhaltung ihrer Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich zu erleichtern. Das Generaldirektorat stellt Sekretariatsdienste unter anderem für das Ministerkomitee bei dessen Überwachung der EGMR-Urteile, für den Antifolterausschuss, für die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und für die Venedig-Kommission bereit. Bei der ‚Rechtskomponente’ des Generaldirektorats steht die weitere Stärkung der rechtsstaatlichen Prinzipien in den Europaratsstaaten im Mittelpunkt. Zentral ist die Einhaltung und Umsetzung der rechtlichen Standards des Europarats. Das Generaldirektorat berät zudem die Institutionen des Europarats in Rechtsfragen. Das Generaldirektorat erbringt Sekretariatsdienste beispielsweise für die Leitungsgremien von Teilabkommen oder für die Ausschüsse des Ministerkomitees, etwa für die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO). Daneben zeichnet das Generaldirektorat für die Durchführung verschiedener Fachministerkonferenzen und der anschließenden Weiterverfolgung von deren Schlussfolgerungen verantwortlich, unter anderem für die Fachministerkonferenzen der Europäischen Justizminister. Die Aufgabe des Generaldirektorats für Sozialen Zusammenhalt lautet, sozialen Zusammenhalt und Lebensqualität in Europa zu steigern, damit Menschenrechte und menschliche Würde gewahrt werden können. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung und Umsetzung europäischer Standards in sozialen Fragen (u. a. Zugang zu sozialen Rechten) sowie in Gesundheits- und Migrationsfragen. Niedergelegt sind die Standards beispielsweise in Empfehlungen des Ministerkomitees und in verschiedenen Europaratsverträgen (u. a. Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit von 1977). Das Generaldirektorat stellt ferner Sekretariatsdienste für die Ausarbeitung und Umsetzung zwischenstaatlicher Kooperationsprogramme in seinem Themenfeld zur Verfügung. Im Generaldirektorat sind unter anderem das Europäische Direktorat für die Qualität von Medikamenten und Gesundheitsvorsorge (EDQM) sowie die Sekretariate verschiedener Teilabkommen des Europarats angesiedelt. Hierzu gehören die Sekretariate der Entwicklungsbank und der Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Bekämpfung von Drogenmissbrauch und illegalem Handel mit Rauschgiften (Pompidou-Gruppe). Das Generaldirektorat für Bildung, Kultur und Kulturelles/Natürliches Erbe, Jugend und Sport unterstützt die Europaratsstaaten bei der Umsetzung ihrer Aktivitäten in kulturellen und wissenschaftlichen Fragen. Das Generaldirektorat spielt eine wichtige Rolle bei der Implementierung des Europäischen Kulturabkommens von 1955, dem 49 Vertragsparteien (alle Europaratsstaaten sowie Belarus und der Heilige Stuhl) angehören. Hierunter fällt beispielsweise die Vorbereitung und Durchführung von Fachministerkonferenzen, die auf das Kulturabkommen zurückgehen (u. a. zu Jugend und zu Sport). Darüber hinaus finden sich in diesem Generaldirektorat ebenfalls die Sekretariate mehrerer Teilabkommen, in denen Beamte des Sekretariats die Leitungsgremien der Abkommen bei der Umsetzung ihrer Ziele unterstützen. Dies sind unter anderem die Sekretariate des Europäischen Fremdsprachenzentrums und der Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Vorbeugung, Schutz- und organisierter Hilfestellung bei Technologie- und Naturkatastrophen (EUR-OPA). Das Direktorat für Strategische Planung hat zum Teil ähnliche Aufgaben wie Planungsstäbe in nationalen Ministerien, im deutschen Falle etwa der Planungsstäbe des Auswärtigen Amtes oder des Verteidigungsministeriums. Die Kernaufgabe des Direktorats lautet, die kurz- und mittelfristigen Prioritäten wie auch die strategischen Ziele des Europarats zu definieren. Dies geschieht in Verbindung mit der Festlegung korrespondierender Schwerpunkte im zwischenstaatlichen Arbeitsprogramm des Europarats. Ein weiterer Ar-
4.2 Generaldirektorate und Direktorate
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beitsschwerpunkt des Direktorats liegt im Einwerben externer finanzieller Mittel sowie in der Koordinierung von Programmen, die der Europarat gemeinsam mit anderen Akteuren finanziert. Das Direktorat für Strategische Planung sowie das Direktorat für Auswärtige Beziehungen und das im Mai 2007 im Zuge der Reform des Sekretariats neu geschaffene Direktorat für Rechtsberatung und Völkerrecht unterstehen direkt dem Generalsekretär des Europarats. Neben diesen stark inhaltlich ausgerichteten Einheiten gibt es solche, bei denen die ‚Ermöglichungsfunktion’ des Europaratssekretariats noch offensichtlicher ist. Gemeint sind diejenigen Einheiten, die ausschließlich als Sekretariate bzw. als Büros oder Kanzleien anderer Europaratsinstitutionen agieren. Hierzu gehören das Sekretariat des Ministerkomitees, das Sekretariat der Parlamentarischen Versammlung, das Sekretariat des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats, das Büro des Menschenrechtskommissars sowie die Kanzlei des EGMR. Das Sekretariat des Ministerkomitees gewährleistet dessen Arbeitsund somit Funktionsfähigkeit. Es organisiert die Sitzungen sowohl des Ministerkomitees als auch des KMB und der Untereinheiten des KMB. Es erstellt Arbeitsdokumente und entwirft Schlussfolgerungen. Diese stellen die Grundlage für die Aussprachen des Ministerkomitees, des KMB und der Untereinheiten und somit die Basis für deren Beschlüsse dar. Das Sekretariat des Ministerkomitees überprüft außerdem die Weiterverfolgung der Beschlüsse des Ministerkomitees durch die anderen Einheiten des Europarats. Die Sekretariate der Parlamentarischen Versammlung und des Kongresses der Gemeinden und Regionen, das Büro des Menschenrechtskommissars sowie die Kanzlei des EGMR haben weitgehend identische Aufgaben. Sie sollen ‚ihre’ Institution bei der Erfüllung ihres Mandats unterstützen sowie allgemein die Arbeitsfähigkeit der Institution gewährleisten. Hierzu bereiten die Sekretariate beispielsweise die Sitzungen der Institution wie auch die Treffen von deren Arbeitseinheiten (Ausschüsse, Arbeitsgruppen etc.) vor. Die Sekretariate beteiligen sich an der Erstellung der Berichte und Beschlussvorlagen ihrer Institution (Empfehlungen, Resolutionen etc.). Sie organisieren Besuche und Beobachtungsmissionen von Vertretern der Institution wie auch deren Konferenzen und Workshops. Außerdem etablieren sie Arbeitsbeziehungen zu anderen Einheiten des Europarats und zu externen Akteuren. Als ‚interne Dienstleistung’ ist in diesem Zusammenhang auch das Privatbüro des Generalsekretärs und des Stellvertretenden Generalsekretärs des Europarats zu nennen. Das Privatbüro übt eine wichtige Vermittlungs- und Abstimmungsrolle innerhalb des Sekretariats aus. Das Büro beruft beispielsweise Koordinationssitzungen des Sekretariats ein und vermittelt im Falle widerstreitender Interessen unterschiedlicher Einheiten des Sekretariats. Es erstellt außerdem Briefings für den Generalsekretär und den Stellvertretenden Generalsekretär und bereitet deren Reisen vor. Das Büro entwirft auch die Mitteilungen des Generalsekretärs an das Ministerkomitee und unterhält Arbeitsbeziehungen zu den anderen Institutionen der Organisation. Im Sekretariat des Europarats finden sich schließlich noch mehrere Einheiten mit einer stark technisch-administrativen Ausrichtung. Hierzu gehören das Generaldirektorat für Verwaltung und Logistik, das Direktorat für Kommunikation, das Direktorat für Protokoll und das Direktorat für Interne Revision. Die Hauptaufgabe des Generaldirektorats für Verwaltung und Logistik lautet, der Organisation und hier vor allem den anderen Einheiten des Sekretariats die für ihre Arbeit notwendige administrative, technische und logistische Unterstützung bereitzustellen (Personal, Haushalt, Sprachendienst, Technik). Für die interne wie externe Kommunikation des Europarats sorgt das Direktorat für Kommunikation. Die
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4 Sekretariat
organisationsinterne Kommunikation bezieht sich auf das Intranet des Europarats. Die externe Kommunikation betrifft insbesondere die Vermittlung des Europarats gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien, nicht zuletzt mithilfe des Internets. Das Direktorat erstellt die Pressemitteilungen des Europarats, organisiert Pressekonferenzen und organisiert Interviews für die Spitzenvertreter des Europarats. Zur Gewährleistung eines einheitlichen Auftretens muss es seine Aktivitäten mit der gesonderten Öffentlichkeitsarbeit einzelner Einheiten des Europarats koordinieren. Das Direktorat für Protokoll berät die Institutionen des Europarats wie auch die Vertretungen der Mitgliedstaaten beim Europarat in Protokollfragen. Das Direktorat organisiert Feierlichkeiten und Empfänge des Europarats wie auch offizielle Besuche hochrangiger Persönlichkeiten (Staats- und Regierungschefs etc.) in Straßburg. Das Direktorat für Interne Revision schließlich soll zum effizienten Einsatz der Europaratsmittel beitragen. Die unabhängige Aufsicht über den Mitteleinsatz im Rahmen der verschiedenen Europaratsprogramme soll nicht nur nachsorgend-reaktiv, sondern auch proaktiv erfolgen. Hierfür untersucht das Direktorat die Durchführung von Einzelmaßnahmen, beurteilt Risikofaktoren und versucht, Best-Practice-Beispiele zu identifizieren.
4.3 Monitoring durch den Generalsekretär 4.3 Monitoring durch den Generalsekretär Im Vergleich zum Ministerkomitee und zur Versammlung nimmt der Generalsekretär in Fragen des Monitorings, verstanden als Überwachung der von den Mitgliedstaaten des Europarats gegenüber der Organisation eingegangenen Verpflichtungen, vordergründig eine schwache Stellung ein. Diese Position liegt darin begründet, dass der Generalsekretär nur aktiv werden kann, wenn ihm die entsprechende Zuständigkeit vom Ministerkomitee oder durch einen Europaratsvertrag zugewiesen wird. Kommt es allerdings zu einer solchen Beauftragung, verfügt der Generalsekretär durchaus über Handlungsmöglichkeiten. Das beste Beispiel hierfür ist Art. 52 EMRK.35 Dieser befähigt den Generalsekretär, von einer Vertragspartei der EMRK – und somit von jedem Mitglied des Europarats – eine Erklärung darüber einzuholen, wie ihr nationales Recht die Umsetzung der Konventionsbestimmungen sichert.36 Der Artikel lautet wie folgt: „Auf Anfrage des Generalsekretärs des Europarats erläutert jede Hohe Vertragspartei, auf welche Weise die wirksame Anwendung aller Bestimmungen dieser Konvention in ihrem innerstaatlichen Recht gewährleistet wird.”
Nutzt der Generalsekretär diese ihm durch die EMRK übertragenen Kompetenzen, dann handelt er unabhängig von seiner Rolle gemäß der Satzung des Europarats.
35 Ein weiteres Beispiel ist das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten aus dem Jahr 1957. Das Übereinkommen sieht eine gerichtliche Beilegung von Streitfällen durch den Internationalen Strafgerichtshof u. a. in Fragen der Auslegung eines Vertrags oder des internationalen Rechts vor. Art. 10 des Übereinkommens beinhaltet die Möglichkeit der Hinzuziehung des Generalsekretärs des Europarats. Vgl. Monitor/Inf (2000) 1. 36 Ferner weist Art. 15 Abs. 3 EMRK dem Generalsekretär eine Rolle bei der Überwachung der Einhaltung der Konvention zu: Staaten, die in Notstandsfällen von den in der EMRK festgelegten Verpflichtungen abweichen, müssen den Generalsekretär über die ergriffenen Maßnahmen samt Begründungen unterrichten und ihm zudem mitteilen, wenn die Maßnahmen wieder außer Kraft getreten sind.
4.3 Monitoring durch den Generalsekretär
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Der Generalsekretär nutzte Art. 52 EMRK bislang acht Mal. Dabei zeigt sich eine differenzierte Anwendung der Konventionsbestimmungen, welche offenlassen, ob der Generalsekretär mit einer Anfrage eine, mehrere oder alle Vertragsparteien adressiert. In den ersten fünf Fällen (1964, 1970, 1975, 1983, 1988) wurden alle Vertragsparteien zur Übermittlung von Informationen über die jeweilige nationale Gesetzeslage hinsichtlich der Umsetzung einzelner Konventionsbestimmungen aufgefordert. In den Fällen sechs und sieben wurde demgegenüber eine bestimmte Vertragspartei adressiert. 1999 war dies Russland aufgrund seines Vorgehens in Tschetschenien. Details hierzu finden sich im weiter unten folgenden Beispiel. 2002 richtete sich die Anfrage wiederum an Moldau wegen des Umgangs mit einer Oppositionspartei (vorübergehendes Verbot) und deren politischer Führung (Aufhebung der parlamentarischen Immunität).37 Als der Generalsekretär im Jahr 2005 Art. 52 EMRK zum achten Mal nutzte, bezog er erneut alle Vertragsparteien der Konvention ein. Anlass war die sogenannte ‚CIA-Affäre’. Davis wollte von den Staaten beispielsweise wissen, ob sie angemessene Mechanismen zur Kontrolle der Aktionen von Agenten ausländischer Geheimdienste in ihrer Jurisdiktion besäßen. Eine andere Frage lautete, ob Beamte der EMRK-Vertragsparteien seit Anfang 2002 wissentlich oder durch Unterlassung am Freiheitsentzug oder dem Transport von Gefangenen beteiligt gewesen seien und ob es diesbezüglich offizielle Untersuchungen gegeben habe oder gebe. Der Bericht von Davis erschien im März 2006 und wurde Mitte Juni 2006 durch einen Folgebericht ergänzt.38 Beispiel: Nutzung von Art. 52 EMRK durch den Generalsekretär gegenüber Russland Am 13. Dezember 1999 machte der damalige Generalsekretär des Europarats, Walter Schwimmer, von seinen Kompetenzen gemäß Art. 52 EMRK Gebrauch. Erstmals in der Geschichte richtete der Generalsekretär eine Anfrage hinsichtlich der Einhaltung der EMRK nur an eine Vertragspartei der Konvention. Der Adressat der Anfrage war Russland. Den Hintergrund bildete die bewaffnete Intervention in Tschetschenien. Wie sich in den Folgemonaten zeigen sollte, entsprachen die von Russland auf die Anfrage des Generalsekretärs gegebenen Antworten wiederholt nicht dessen Erwartungen.39 In seiner schriftlichen Anfrage vom Dezember 1999 wollte der Generalsekretär insbesondere wissen, auf welche Weise die EMRK in Tschetschenien umgesetzt werde und welche möglichen Gefahren des Verstoßes gegen Konventionsbestimmungen existierten. In seinem Antwortschreiben vom 10. Januar 2000 ging der damalige russische Außenminister Igor Iwanow jedoch nicht spezifisch auf diese Fragen ein. Der Brief beinhaltete vor allem keine Antworten zur Implementierung der EMRK in Tschetschenien.40 Stattdessen enthielt das Schreiben eher generelle Ausführungen über die Konvention. Diese aus seiner Sicht unzureichende Antwort veranlasste Schwimmer Ende Januar zu einem weiteren Brief. In diesem konkretisierte er seine Aufforderungen unter anderem bezüglich der Wahrung von Art. 2 (Recht auf Leben) und Art. 3 (Folterverbot) der Konvention. Das zweite Antwortschreiben von Iwanow von Ende Februar 2000 enthielt weitere Informationen über die Gründe, die Russland zum Eingreifen in Tschetschenien bewogen hatten. Des Weiteren wurde ausdrücklich versichert, dass das Vorgehen nicht jenseits des 37
Vgl. SG/Inf (2002) 20. Vgl. SG/Inf (2006) 5; SG/Inf (2006) 13. 39 Vgl. SG/Inf (2000) 21. 40 Vgl. SG/Inf (2000) 21. 38
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4 Sekretariat
durch die EMRK gesetzten Rahmens sei.41 Schwimmer konstatierte allerdings am 23. März 2000, noch immer keine präzisen Informationen von russischer Seite erhalten zu haben. Vor allem ginge es nicht um die – mitgeteilten – Gründe für die russische Intervention in Tschetschenien. Vielmehr seien die – nicht mitgeteilte – Art und Weise der Durchführung der Intervention sowie die zur Einhaltung der Bestimmungen der EMRK getroffenen Maßnahmen in diesem Zusammenhang maßgeblich. Schwimmer kam abermals zu dem Ergebnis, dass die russischen Antworten nicht den Erfordernissen von Art. 52 EMRK entsprächen. Erneut forderte er Russland zur Übersendung von Informationen auf. Am 31. März 2000 versicherte Iwanow die Legitimität der von russischer Seite gewählten Methoden. Zudem bekundete er den Willen seines Landes, Straftaten zu verfolgen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Darüber hinaus hoffte er, dass die nunmehr von russischer Seite übermittelten Informationen den Anforderungen von Art. 52 EMRK genügten. Aus Sicht Schwimmers taten sie dies noch immer nicht. Stattdessen würden sie erneut in erster Linie allgemeine Darstellungen beinhalten. Der Generalsekretär beauftragte daraufhin unabhängige Experten mit einer eingehenden Analyse seines Briefwechsels mit dem russischen Außenminister unter der Fragestellung, inwieweit Russland seinen Verpflichtungen gemäß Art. 52 EMRK nachgekommen sei. Die Ende Juni 2000 eingebrachten Schlussfolgerungen der Experten attestierten dem Generalsekretär eine gute Arbeit und der russischen Seite unzureichende Antworten.42 Mit Blick auf die Handlungen Schwimmers konstatierten die Sachverständigen, dass die Lage in Tschetschenien die Nutzung von Art. 52 EMRK gerechtfertigt hätte und die vom Generalsekretär an Russland gerichteten Anfragen ausreichend präzise gewesen seien. Die von Russland dargebotenen Antworten waren aus Sicht der Experten hingegen nicht ausreichend. Gerade die Ausführungen zur Implementierung der EMRK wären ausweichend bzw. angesichts schlichtweg fehlender diesbezüglicher Informationen ungenügend gewesen. Das Fazit der Experten lautete, dass „the Russian Federation has failed in its legal obligations as a Contracting State under Article 52 of the Convention“43. Als Reaktion auf diese Beurteilung durch die unabhängigen Sachverständigen verwies Schwimmer den Bericht am 26. Juni 2000 gemäß Art. 1 der Monitoring-Deklaration an das Ministerkomitee. Dessen ‚Maßnahme’ bestand darin, sich weiterhin mit der Thematik zu befassen.44
4.4 Fazit 4.4 Fazit Das Sekretariat unter Leitung des Generalsekretärs des Europarats ist der ‚oberste Diener’ der Organisation. Das Sekretariat soll die anderen Institutionen des Europarats in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zu verwirklichen. Zwei zentrale Ansatzpunkte bieten sich dem Sekretariat hierfür. Anzuführen ist zum einen die Bereitstellung von Sekretariatsdiensten für Institutionen des Europarats. Beamte des Sekretariats erbringen solche Leistungen unter anderem für das Ministerkomitee, die Versammlung, den Kongress der Gemeinden und Re41
Vgl. SG/Inf (2000) 21. Verfasst wurde der Abschlussbericht von Tamas Bán (Berater in Menschenrechtsfragen des Präsidenten des ungarischen Verfassungsgerichts), Frédéric Sudre (Professor der Rechte an der Universität Montpellier) und Pieter van Dijk (ehemaliger Richter am EGMR). Vgl. SG/Inf (2000) 24. 43 Vgl. SG/Inf (2000) 24. 44 Vgl. CM/Monitor (2000) 15. Ausführlicher in Kap. 2.5.1. 42
4.4 Fazit
139
gionen, den EGMR, den Menschenrechtskommissar und den Antifolterausschuss. Zum anderen sind die einzelnen Einheiten des Sekretariats maßgeblich für die Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung der von anderen Europaratsinstitutionen entwickelten Programme verantwortlich. Kurzum: Das Sekretariat hat laut Europaratssatzung ein geringes Profil als autonomer Akteur. Zugleich würden die Institutionen des Europarats und als Folge die Gesamtorganisation ohne die Leistungen der Beamten des Sekretariats nicht handlungsfähig sein. Über die personelle und finanzielle Ausstattung des Sekretariats ließe sich diskutieren. Eine Beamtenschaft von 1800 Personen, die sich um Anliegen von 800 Millionen Menschen kümmert, mutet ausnehmend gering an. Zugleich ist keine signifikante Aufstockung des Haushalts des Europarats zu erwarten. Entsprechend wird auch das Europaratssekretariat nicht nennenswert anwachsen. Die (zwangsläufige) Losung lautet somit, das Bestehende besser zu nutzen. Dieser Zugang wird auch vonseiten des Europarats verfolgt. Reformbemühungen betreffen sowohl die grundsätzliche Struktur des Sekretariats als auch die Besetzung von dessen Spitzenposten. Das Sekretariat wurde zuletzt im Mai 2007 reorganisiert. Die Maxime lautete, bereits vorhandene Synergien zwischen den Einheiten weiter auszubauen. Die Neuerungen betrafen vor allem diejenigen Generaldirektorate, die sich maßgeblich mit inhaltlichen Fragen (im Gegensatz zu administrativen Aspekten) beschäftigen. Es kam zu einer Konsolidierung durch die Verschmelzung zweier Generaldirektorate (Menschenrechte, Recht) sowie zur Verschiebung einzelner Themen zwischen den Generaldirektoraten. Das betraf insbesondere den Ausbau des Aspekts Demokratie im Generaldirektorat für Politische Fragen, das nunmehr Generaldirektorat für Demokratie und Politische Fragen heißt. Auch die Kriterien für die Besetzung des Leitungspostens des Sekretariats, sprich für den Posten des Generalsekretärs des Europarats, wurden reformiert. Den Anstoß hierfür gab ein Bericht des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker, den dieser im Nachgang zum dritten Gipfeltreffen des Europarats zum Zustand der Beziehungen zwischen Europarat und EU verfasst hatte.45 Eine der Empfehlungen Junckers lautete, künftig führende politische Persönlichkeiten für das Amt des Generalsekretärs zu gewinnen. Eine Person mit großem politischem Gewicht und Renommee würde die Stellung des Europarats sowohl gegenüber den europäischen Bürgern als auch gegenüber der EU und anderen internationalen Organisationen steigern. Nach Ansicht Junckers sollte im Idealfall ein ehemaliger Staats- oder Regierungschef das Amt bekleiden. Das KMB setzte einen pragmatischen Umgang mit diesem Vorschlag durch. Durch eine Absprache zwischen den Europaratsstaaten (gentleman’s agreement), jedoch ohne Änderung der Vorschriften zur Ernennung des Generalsekretärs, soll der Vorschlag umgesetzt werden. Neben ehemaligen Staats- und Regierungschefs erachtet das KMB auch ehemalige Minister oder Personen mit einem vergleichbaren Status als potenzielle Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs.46 Auf seiner Sitzung im Mai 2007 folgte das Ministerkomitee diesem Vorschlag.47 Ob die Europaratsstaaten ihre unverbindliche Vereinbarung auch einhalten, wird sich 2009 bei der Wahl des nächsten Generalsekretärs zeigen. Ein ‚politisches Schwergewicht’ als Generalsekretär des Europarats würde dem Posten zweifelsohne größere Handlungsspielräume eröffnen. Diese wären jedoch eher politischer 45
Siehe Kap. 11.1.1. Vgl. CM (2007) 75 addendum 1 final: Empfehlung No. 12. 47 Vgl. CM (2007) 66 final. 46
140
4 Sekretariat
Natur. Gemäß der Satzung kommen dem Generalsekretär nur geringe Kompetenzen zu. Der Generalsekretär und das ihm unterstehende Sekretariat ‚dienen’ den anderen Institutionen des Europarats. Wie im Falle der Versammlung sind geringe formale Kompetenzen jedoch nicht zu verwechseln mit fehlenden Handlungs- und Einflussnahmemöglichkeiten. Einfluss gewinnt der Generalsekretär vor allem aus seiner exponierten Position im institutionellen Gefüge des Europarats. Der Generalsekretär ist es, der als ‚Sprecher’ der Organisation agiert. Er ist es auch, der den Europarat in einer Vielzahl von internationalen Foren und Institutionen vertritt. Auf diese Weise kann der Generalsekretär der Organisation ein ‚Gesicht’ geben. Eingeschränkt werden die aus dieser Rolle erwachsenden Freiheiten und Freiräume durch zwei Punkte. Strebt der Generalsekretär nach einer zweiten Amtszeit, ist er auf das Wohlwollen des Ministerkomitees und der Versammlung angewiesen, welche im Zusammenspiel den Generalsekretär ernennen. Eine konfrontative Selbstbehauptung gegenüber der einen oder der anderen Institution wäre wenig förderlich für die Karriere. Auf die Unterstützung anderer Institutionen, allen voran durch das Ministerkomitee, ist der Generalsekretär auch dann angewiesen, wenn er seinen Worten Taten folgen lassen möchte. Das gilt selbst bei der Anwendung von Art. 52 EMRK und somit in einem Bereich, in dem der Generalsekretär losgelöst vom Ministerkomitee handeln kann. Art. 52 EMRK weist dem Generalsekretär eine Funktion bei der Überwachung der Konventionsbestimmungen zu. Auf der Grundlage des Artikels kann er sich, wie geschildert, mit den Vertragsparteien der EMRK in Verbindung setzen und diese zur Abgabe von Erklärungen auffordern – und zwar ohne vorherige Rücksprache mit dem Ministerkomitee. Mit einer solchen Prüfung haben sich die eigenständigen Handlungsmöglichkeiten des Generalsekretärs jedoch erschöpft. Selbst in Fällen, in denen er schwerwiegende Verletzungen der EMRK feststellt, kann er keine Folgemaßnahmen oder gar Sanktionen beschließen. Hierfür ist das Ministerkomitee zuständig, das, wie der Fall Russland/Tschetschenien zeigte, nicht zwingend die Linie des Generalsekretärs weiterverfolgen muss. Wie Vorbeck treffend bemerkt, verfügen der Generalsekretär sowie insgesamt das Europaratssekretariat schlichtweg über „keinerlei supranationale[n] Befugnisse“, auf deren Grundlage sie „durch Verordnungen oder Richtlinien in die Staaten hineinregieren“48 könnten. Ein in politischer Hinsicht starker Generalsekretär könnte diese formale Schwäche des Sekretariats zumindest in Teilen ausgleichen und der Organisation nach außen Profil vermitteln. Im Zuge der Neubesetzung der Spitzenposten des Europaratssekretariats ließe sich auch eine andere ‚Schieflage’ beseitigen. Die Vorschriften zur Besetzung der Spitzenpositionen im Sekretariat betonen ausdrücklich, dass nationale Erbhöfe vermieden und eine ausgewogene geografische Repräsentation erreicht werden sollen. Bezugspunkte sind die Posten des Generalsekretärs, des Stellvertretenden Generalsekretärs sowie des Generalsekretärs der Parlamentarischen Versammlung, der ebenfalls den Rang eines Stellvertretenden Generalsekretärs hat. Bislang wurden diese Vorgaben nicht umgesetzt. Am offensichtlichsten wird dies bei der Position des Stellvertretenden Generalsekretärs. Das Amt wurde 13 Jahre von Briten und gar 25 Jahre von Italienern bekleidet. Zudem war auch ein Österreicher bereits Stellvertretender Generalsekretär. Dies passt insofern nicht zur Idee der geografischen Ausgewogenheit, weil der Posten des Generalsekretärs des Europarats bereits drei Mal von Österreichern besetzt worden ist. Derzeit nehmen ein Brite (Generalsekretär), eine 48
Vorbeck (1990): S. 51.
4.5 Literaturhinweise
141
Holländerin (Stellvertretende Generalsekretärin) und ein Spanier (Generalsekretär der Versammlung) die drei Spitzenposten ein. Ausgewogenheit wurde demnach nur innerhalb Westeuropas erreicht. Knapp zwei Jahrzehnte nach der Öffnung des Europarats für osteuropäische Staaten bekleidet noch immer kein Angehöriger eines ‚neuen’ Mitgliedstaates einen der Spitzenposten im Europaratssekretariat. Bei der letzten Wahl zum Generalsekretär kam die Kandidatin aus Estland bei drei Kandidaten abgeschlagen auf Platz drei.
4.5 Literaturhinweise 4.5 Literaturhinweise Committee of Ministers: Resolution on the appointment to the post of Secretary General (Dokument: Resolution (2004) 4 vom 19.5.2004) Secretary General: Request for explanations concerning the manner in which the Convention is implemented in Chechnya and the risks of violation which may result therefrom. Report by the Secretary General on the use his powers under Article 52 of the European Convention on Human Rights in respect to the Russian Federation. Information Document (restricted) (Dokument: SG/Inf (2000) 21 vom 10.5.2000) Vorbeck, Michael (1990): Der Beitrag des Generalsekretariats zur Europäischen Einigung. In: Schmuck, Otto (Hrsg.): Vierzig Jahre Europarat: Renaissance in gesamteuropäischer Perspektive? Bonn: 47-63.
5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
5.1 Entstehung und Entwicklung 5.1 Entstehung und Entwicklung Am 4. November 1950, und somit nur achtzehn Monate nach Gründung des Europarats, wurde die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – besser bekannt als Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – zur Zeichnung aufgelegt. Angesichts der zeitlichen Nähe zwischen Verabschiedung der Europaratssatzung und Zeichnungsauflegung der Menschenrechtskonvention stellt sich die Frage, weshalb mit der EMRK vergleichbare Bestimmungen nicht gleich Teil der Satzung des Europarats wurden. Laut Klebes war der Grund hierfür, dass sich derlei weit reichende Ansprüche, wie sie in der EMRK zu finden sind, im Zuge der Gründung der Organisation noch nicht durchsetzen ließen.1 Damals stand die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Integration – zwischen- oder überstaatlich – zur Debatte, die mit Gründung des Europarats im Sinne der Befürworter der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ‚gelöst’ wurde.2 Die Präambel der EMRK zeigt die doppelte – universale wie auch regionale – ‚Verankerung’ der Konvention. Zum einen beziehen sich die Vertragsparteien der EMRK, d. h. sämtliche Mitglieder des Europarats, auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNO) vom Dezember 1948 und deren Ziel, „die universelle und wirksame Anerkennung und Einhaltung der in ihr aufgeführten Rechte zu gewährleisten“3. Zum anderen wird die EMRK in regionaler Hinsicht als Instrument zur Verwirklichung des mit der Gründung des Europarats verbundenen Ziels betrachtet. Dieses Ziel lautet, „eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen“. Ein Instrument hierfür seien „die Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“, die ihrerseits „die Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden und die am besten durch eine wahrhaft demokratische politische Ordnung sowie durch ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Achtung der diesen Grundfreiheiten zugrunde liegenden Menschenrechte gesichert werden“. Zusammengeführt werden die beiden Dimensionen, die universale UNO-Dimension und die regionale Europaratsdimension, im letzten Satz der Präambel. Die europäischen Vertragsparteien der EMRK zeigen sich entschlossen, „die ersten Schritte auf dem Weg zu einer kollektiven Garantie bestimmter in der Allgemeinen Erklärung aufgeführter Rechte zu unternehmen“. Am 3. September 1953 trat die EMRK in Kraft. Erforderlich war die Ratifizierung durch zehn Europaratsstaaten. Diese Zahl wurde mit der Ratifizierung durch Luxemburg
1 Vgl. Klebes (2000): S. 112. Ausführlicher befassen sich z. B. Greer (2006): Kap. 1 und Moravcsik (2000) mit der Entstehung der EMRK. Moravcsik führt die Konvention auf das Bestreben junger Demokratien zurück, im internationalen Rahmen diejenigen Regeln verbindlich festzuschreiben, die sie auch in ihrem jeweiligen nationalen Rahmen verwirklicht sehen wollten. 2 Siehe Kap. 1.1. 3 Sämtliche Zitate aus der EMRK beziehen sich auf die Übersetzung, die sich auf der Internetseite des Vertragsbüros des Europarats findet. Vgl. http://www.conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/005.htm (zuletzt abgerufen am 17.2.2008).
144
5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
erreicht. Zuvor hatten bereits Dänemark, Deutschland, Griechenland4, Irland, Island, Norwegen, das Saarland5, Schweden und das Vereinigte Königreich die EMRK ratifiziert.6 Die eingangs beschriebene uneinheitliche Haltung der Europaratsstaaten zur EMRK zeigt sich daran, dass selbst Gründungsmitglieder der Organisation, die zugleich Erstunterzeichner der EMRK waren, die Konvention Jahre und in einem Fall erst Jahrzehnte nach deren Inkrafttreten ratifizierten. Diese Staaten waren die Niederlande (Ratifizierung 1954), Belgien (1955), Italien (1955) und Frankreich (1974). Wie in ihrer Präambel beschrieben, ist die kollektive Gewährleistung der in ihr fixierten Menschenrechte und Grundfreiheiten in Europa das Ziel der EMRK. Während die Konvention politische und bürgerliche Menschenrechte festschreibt, enthält sie keine Ausführungen zu wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechten.7 Die von der EMRK erfassten Rechte und Freiheiten werden in Abschnitt I (Art. 2 bis 18 EMRK) angeführt (Abbildung 27). Sie lassen sich in Abwehrrechte (u. a. Recht auf Leben, Folterverbot) und Verfahrensgarantien (u. a. Recht auf faires Verfahren, keine Strafe ohne Gesetz) untergliedern.8 Abbildung 27: Abschnitt I (Rechte und Freiheiten) der EMRK EMRK
Recht/Freiheit
Art. 2 Art. 3 Art. 4 Art. 5 Art. 6 Art. 7 Art. 8 Art. 9 Art. 10 Art. 11 Art. 12 Art. 13 Art. 14 Art. 15 Art. 16 Art. 17 Art. 18
Recht auf Leben Verbot der Folter Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit Recht auf Freiheit und Sicherheit Recht auf ein faires Verfahren Keine Strafe ohne Gesetz Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Freiheit der Meinungsäußerung Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit Recht auf Eheschließung Recht auf wirksame Beschwerde Diskriminierungsverbot Abweichen im Notstandsfall Beschränkungen der politischen Tätigkeit ausländischer Personen Verbot des Missbrauchs der Rechte Begrenzung der Rechtseinschränkungen
Einen Durchbruch brachte die EMRK vor allem deshalb, weil mit ihr „erstmals Einzelpersonen Rechte nach internationalem Recht [erhielten], welche unabhängig von den Rechten 4 Griechenland ratifizierte die EMRK am 28.3.1953. Die Obristendiktatur kündigte die EMRK mit Wirkung zum 13.6.1970. Das wieder demokratische Griechenland trat der EMRK am 28.11.1974 erneut bei. Für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Europarat und Griechenland zwischen 1969 und 1974: siehe Kap. 2.6. 5 Das Saarland wurde am 1.1.1957 Deutschland wiedereingegliedert. 6 Siehe Abbildung 3 in Kap. 1.3. 7 Wie weiter unten geschildert, werden solche Rechte in anderen Konventionen des Europarats festgehalten (u. a. Europäische Sozialcharta). 8 Vgl. Grabenwarter (²2005): S. 105-106.
5.1 Entstehung und Entwicklung
145
der Staaten existierten und somit nicht nur als Reflexrechte staatlicher Ansprüche in Erscheinung traten.“9 Der Schutzmechanismus der EMRK entfaltete sich jedoch erst im Laufe der Zeit. Dies galt sowohl für die Beschwerdeverfahren als auch für die Kontrollorgane. Zunächst zu den Beschwerdeverfahren. Mit dem Inkrafttreten der EMRK bestand einzig die Möglichkeit von Staatenbeschwerden.10 Nur diese waren Bestandteil der obligatorischen Pflichten der Vertragsparteien. Individualbeschwerden gehörten demgegenüber nicht zu den obligatorischen Pflichten. Damit Individualbeschwerden geprüft werden konnten, bedurfte es der Abgabe von Fakultativerklärungen durch sechs Vertragsparteien der EMRK. Dieser Meilenstein für den individuellen Rechtsschutz in Europa wurde im Juli 1955 erreicht. Strasser führt diesen Schritt auf „[d]as wachsende Vertrauen in die Ausgewogenheit und Fairneß der Rechtsprechung der Konventionsorgane“ zurück.11 Fortan waren Individualbeschwerden bei vermeintlichen Verstößen von Vertragsparteien gegen die Konvention möglich. Dies galt jedoch nur für die Bürger derjenigen Staaten, welche die Fakultativerklärung abgegeben hatten. Mehrere Staaten taten dies erst Jahre nach der Ratifizierung der Konvention. Zu nennen sind unter anderem das Vereinigte Königreich (Ratifizierung der EMRK 1951/Abgabe der Erklärung 1966), Italien (1955/1973) und Frankreich (1974/ 1981).12 Das Vertrauen in die Konventionsorgane war bei den Vertragsparteien offensichtlich ungleich entwickelt. Ebenfalls mit Verzögerung bildete sich die institutionelle Dimension des Kontrollmechanismus der EMRK heraus. Bis zu den weiter unten geschilderten Reformen der 1990er Jahre erfolgte die Kontrolle der Einhaltung der EMRK-Bestimmungen arbeitsteilig durch drei Institutionen. Beteiligt waren die Europäische Kommission für Menschenrechte (nachfolgend: Menschenrechtskommission), das Ministerkomitee des Europarats und der EGMR. Das Ministerkomitee wurde mit der Gründung des Europarats 1949 eingerichtet und die Menschenrechtskommission 1954 als Folge der Ratifizierung der EMRK konstituiert. Der EGMR war zwar ebenfalls in der EMRK vorgesehen.13 Wie bei der Anerkennung der Individualbeschwerde bedurfte es zur Schaffung des Gerichtshofs jedoch ebenfalls einer bestimmten Zahl von Fakultativerklärungen. Die erforderlichen acht Fakultativerklärungen wurden im Januar 1959 erreicht. Die erste Sitzung des EGMR fand im Februar 1959 statt.14 Ein zweiter Meilenstein war erreicht. Bis zur Konstituierung des EGMR wurden Staatenbeschwerden und ab 1955 auch Individualbeschwerden nur von der Menschenrechtskommission, die unter anderem über die Zulässigkeit der Beschwerden entschied, und dem Ministerkomitee geprüft.15 Nach der Konstituierung des EGMR konnten die Menschenrechtskommission oder der betroffene Staat einen Fall vor den Gerichtshof bringen. Voraussetzung hierfür war, dass der betroffene Staat die Fakultativerklärung zum Gerichtshof abge-
9
Strasser (2000): S. 126. Im Januar 1959 wurde erstmals eine Staatenbeschwerde für zulässig erklärt (Griechenland gegen Vereinigtes Königreich wegen Zypern). 11 Strasser (2000): S. 127. 12 Vgl. Strasser (2000): S. 128. 13 Der EGMR ist jedoch nicht nur Vertragsorgan der EMRK, sondern auch Teil des Europarats. Letzteres zeigt sich u. a. bei der Wahl der Richter durch die Versammlung, der Kontrolle der Urteile durch das Ministerkomitee und dem Fragerecht des Generalsekretärs nach Art. 52 EMRK. Vgl. Boer-Buquicchio (2003): S. 561. 14 Das erste Urteil des EGMR erging im Juli 1961. 15 Der Kontrollmechanismus der EMRK bis zum Inkrafttreten des 11. Protokolls wird grafisch dargestellt bei Blackburn (2001): S. 22. 10
146
5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
geben hatte. Einzelpersonen konnten ihre Beschwerden hingegen nicht vor den EGMR bringen.16 Ein dritter Meilenstein folgte im Frühjahr 1990. Erstmals hatten alle Europaratsstaaten (damals 23) die EMRK ratifiziert wie auch die Individualbeschwerde und den EGMR anerkannt.17 Dieser nunmehr erreichte gemeinschaftliche Besitzstand sollte in der sich abzeichnenden Erweiterung der Organisation nicht gleich wieder aufgegeben werden. Die Übernahme der EMRK einschließlich der Bestimmungen zum EGMR und zur Individualbeschwerde wurden deshalb in den Worten des früheren Präsidenten des Gerichtshofs, Rolv Ryssdal, zur politisch unumgänglichen „Eintrittskarte für die Länder Mittel- und Osteuropas“18 erhoben. Seit dem Inkrafttreten des 11. Protokolls im Jahr 1998 ist die Übernahme ohnehin obligatorisch. Eine materielle Bindung an die EMRK ohne eine gleichzeitige prozedurale Bindung (Individualbeschwerden, EGMR) ist nicht länger möglich. Doch nicht nur die geografische Reichweite der EMRK sollte sich im Laufe der Jahre ändern. Auch die EMRK selbst erfuhr mehrere Anpassungen. Die Mittel hierfür waren Protokolle zur EMRK (Abbildung 28). Die Protokolle lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen sorgten Protokolle für verfahrensrechtliche bzw. institutionelle Reformen. Das 8. Protokoll ermöglichte der Menschenrechtskommission die Einrichtung von Kammern und Dreierausschüssen. Das weiter unten noch detaillierter geschilderte 11. Protokoll brachte weit reichende strukturelle Änderungen des Kontrollmechanismus der EMRK. Zum anderen führten Protokolle neue materiell-rechtliche Bestimmungen und somit Schutzrechte ein, welche bis dato nicht in der EMRK enthalten waren. Hierzu gehören das Recht auf Eigentum und das Recht auf Bildung durch das 1. Protokoll und die Abschaffung der Todesstrafe durch das 6. Protokoll. Die Protokolle zur EMRK unterscheiden sich anhand der für ihr Inkrafttreten notwendigen Beitritte von Vertragsparteien. Protokolle, welche institutionelle Änderungen zur Folge haben, müssen von allen Vertragsparteien ratifiziert werden. Andernfalls treten sie nicht in Kraft. Demgegenüber ist für das Inkrafttreten derjenigen Protokolle, die neue Rechte und Freiheiten einführen, nicht der Beitritt aller Vertragsparteien erforderlich. Je nach Protokoll genügen fünf, sieben oder zehn Ratifizierungen. Neben von den Vertragsparteien zur EMRK zu ratifizierenden Anpassungen mittels der Protokolle sorgt der Gerichtshof selbst durch seine „dynamische, evolutive Auslegung“19 der EMRK dafür, dass die mittlerweile mehr als fünf Jahrzehnte alten Bestimmungen der Konvention auch in einem veränderten politischen und sozioökonomischen Umfeld nicht an „Aktualität und Effektivität“ 20 verloren haben. Durch die verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten (Protokolle, Auslegung) bleibt die EMRK ein „lebendiges Instrument“21.
16 Dies wurde erst durch das im Oktober 1994 in Kraft getretene 9. Protokoll zur EMRK möglich, und zwar auch nur in solchen Fällen, in denen der betroffene Staat das Protokoll ratifiziert hatte. 17 In diesem Sinne u. a. Strasser 2000: S. 128; Klein (2001): S. 135. 18 Zitiert in Bauer (2001): S. 150. In diesem Sinne auch Krüger (1999a): S. 373. 19 Ress (2004): S. 628. 20 Alber/Widmaier (2006): S. 121. 21 Callewaert (2003): S. 203.
5.1 Entstehung und Entwicklung
147
Abbildung 28: Protokolle zur EMRK22 Protokoll
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
22
Inhalt Hinzufügung neuer Rechte (u. a. Recht auf Eigentum, Recht auf Bildung) Ermächtigung des EGMR zur Abgabe von Gutachten über Rechtsfragen Änderungen des Verfahrens vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte Hinzufügung neuer Rechte und Grundfreiheiten (u. a. Recht auf Freizügigkeit, Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger) Änderung bei Bennennung der Mitglieder der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des EGMR Abschaffung der Todesstrafe (als Ergänzung des Rechts auf Leben nach Art. 2 EMRK) Hinzufügung neuer Rechte (u. a. Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen) Einrichtung von Kammern und Ausschüssen durch die Europäische Kommission für Menschenrechte Erweiterung der Rechte von Beschwerdeführern bzgl. der Anstrengung eines Verfahrens vor dem EGMR Änderung der Mehrheitserfordernisse im Ministerkomitee (von Zweidrittelmehrheit zu einfacher Mehrheit) bei Entscheidungen zur (Nicht-)Verletzung der EMRK durch eine Vertragspartei
Stand: Februar 2008.
Benötigte Zahl an Ratifikationen zum Inkrafttreten
Gesamtzahl der Ratifikationen
Auflage zur Zeichnung
Inkrafttreten
10
44
20.03.1952
18.05.1954
47
06.05.1963
21.09.1970
47
06.05.1963
21.09.1970
5
41
16.09.1963
02.05.1968
alle Vertragsparteien der EMRK
47
20.01.1966
20.12.1971
5
46
28.04.1983
01.03.1985
7
40
22.11.1984
01.11.1988
alle Vertragsparteien der EMRK
47
19.03.1985
01.01.1990
10
24
06.11.1990
01.10.1994
alle Vertragsparteien der EMRK
25
25.03.1992
offen
alle Vertragsparteien der EMRK alle Vertragsparteien der EMRK
148
5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Protokoll
11
12
13
14
Inhalt Grundlegende institutionelle Reform des Kontrollmechanismus der EMRK (u. a. Schaffung eines ständigen EGMR) Grundsätzliches Diskriminierungsverbot (als Ergänzung von Art. 14 EMRK) Ausdehnung des Verbots der Todesstrafe auch auf Kriegszeiten Maßnahmen für effektivere Arbeit des EGMR (u. a. neues Zulassungskriterium)
Benötigte Zahl an Ratifikationen zum Inkrafttreten
Gesamtzahl der Ratifikationen
Auflage zur Zeichnung
Inkrafttreten
alle Vertragsparteien der EMRK
47
11.05.1994
01.11.1998
10
15
04.11.2000
01.04.2005
10
39
03.05.2002
01.07.2003
alle Vertragsparteien der EMRK
46
13.05.2004
offen
Bei den Beitritten zu den Protokollen zeigt sich abermals eine gewisse Unentschlossenheit unter den Konventionsstaaten. Den Protokollen mit institutionellen Folgen müssen, wie geschildert, alle Staaten beitreten, damit sie in Kraft treten können. Der Nichtbeitritt eines einzigen Staates hält den gesamten Reformprozess auf. Dies geschieht derzeit im Falle des 14. Protokolls.23 Zwar haben sich die Staaten des Europarats in einer im Mai 2004 vom Ministerkomitee angenommenen Deklaration dazu bekannt, das Protokoll so schnell zu zeichnen und zu ratifizieren, dass es zwei Jahre nach seiner Zeichnungsauflegung in Kraft treten kann.24 Diese unverbindliche Frist verstrich im Mai 2006. Trotz zahlreicher Aufforderungen auch auf der Spitzenebene des Europarats – etwa auf dem Treffen des Ministerkomitees im Mai 200725 – hat Russland das Protokoll noch nicht ratifiziert. Demgegenüber ist für das Inkrafttreten der Protokolle mit inhaltlichen Neuerungen nicht der Beitritt aller Vertragsparteien notwendig. Die Staaten nutzen diese größere ‚Freiheit’. Als Folge ergibt sich ein uneinheitliches Bild beim Ratifikationsstand dieser Art der Protokolle. Die grundlegende Aussage lautet, dass kein einziges der inhaltlichen Protokolle von allen 47 Vertragsparteien ratifiziert worden ist. Am nächsten kommt das 6. Protokoll zur Abschaffung der Todesstrafe. Mit Ausnahme Russlands wurde dieses von allen Vertragsparteien der EMRK ratifiziert. Die schlechteste Ratifizierungsquote hat das 12. Protokoll, welches Art. 14 EMRK um ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot ergänzt. Seit seiner Zeichnungsauflegung im November 2000 haben lediglich 16 Staaten das Protokoll ratifiziert. Im Ergebnis führt die teilweise mangelnde Ratifizierungsdisziplin bei den Protokollen dazu, dass der anvisierte ein-
23
Siehe Kap. 5.4. Vgl. Declaration-4 (2004). 25 In der Abschlusserklärung finden sich allgemeine Hinweise auf die Notwendigkeit der Solidarität zwischen den Europaratsstaaten mit Blick auf das Inkrafttreten des Protokolls. Vgl. CM (2007) 65 final. In den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Ministerkomitees (damals San Marino) zum Treffen finden sich deutlichere Worte. Geäußert wird „the strong hope (...) that the Russian Federation would shortly join all other States Parties by ratifying Protocol No. 14 without delay to allow for its entry into force.” CM (2007) 66 final. 24
5.2 Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden
149
heitliche europäische Rechtsraum selbst in dem von der EMRK erfassten Bereich nicht existiert.26 Schließlich ist nicht zu vergessen, dass andere Europaratsverträge die in der EMRK enthaltenen Rechte und Freiheiten und Kontrollmechanismen ergänzen bzw. von der EMRK nicht berücksichtigte Rechte und Freiheiten überhaupt erst thematisieren und Kontrollmechanismen zu deren Einhaltung einführen.27 Exemplarisch für die Ergänzung steht die Antifolterkonvention, welche zusätzlich zu den Kontrollmöglichkeiten der EMRK einen speziellen Mechanismus, den Antifolterausschuss, zur präventiven Überwachung der Einhaltung des Folterverbots etabliert.28 Von der EMRK nicht berücksichtigte Rechte und Freiheiten werden unter anderem in der Europäischen Sozialcharta (1961 aufgelegt/seit 1965 in Kraft) bzw. in der revidierten Version der Europäischen Sozialcharta (1996/1999) zum Schutz wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten (1995/1998) und der Bioethik-Konvention (1997/1999) thematisiert.29 Allerdings sind die Europaratsstaaten deutlich zurückhaltender bei der Ratifizierung dieser Konventionen im Vergleich zum Beitritt zur EMRK und zur Antifolterkonvention.30
5.2 Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden 5.2 Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden Bevor die gegenwärtige Struktur und Funktionsweise des EGMR geschildert werden, richtet sich der Blick auf die vor dem EGMR möglichen Beschwerdeverfahren. Gerade der dramatische Anstieg der (Individual-)Beschwerden bildet schließlich den Hintergrund für die mit dem 11. Protokoll vollzogenen, mit dem 14. Protokoll beschlossenen und mit dem Bericht einer Gruppe von Wise Persons erneut angestoßenen ‚Umbauarbeiten’ am Kontrollsystem der EMRK. Der EGMR kennt zwei Beschwerdeverfahren. Bei Staatenbeschwerden (inter-state cases) rufen Vertragsparteien der EMRK und somit Staaten den Gerichtshof an. Bei Individualbeschwerden (individual applications) erfolgt die Anrufung des EGMR durch nichtstaatliche Akteure (natürliche Personen, nichtstaatliche Organisationen, wie z. B. juristische Personen, oder Personengruppen). In rechtlicher Hinsicht unterscheiden sich die Urteile des EGMR zu Staaten- bzw. Individualbeschwerden nicht. Die Verbindlichkeit der Urteile sowie die Überwachung von deren Vollzug durch das Ministerkomitee sind identisch.31 Politisch hingegen wiegen Urteile bei Staatenbeschwerden schwerer. Schließlich ging die Beschwerde nicht von Einzelpersonen, sondern von einem anderen Staat aus. Zunächst zu den Staatenbeschwerden. Gemeint sind Beschwerden, welche eine Vertragspartei der EMRK gegen eine andere richtet, weil diese vermeintlich gegen die Bestim-
26
Für die Gesamtheit aller Europaratsverträge gilt dies freilich in einem noch viel stärkeren Maße. Siehe Kap. 2.8. Vgl. Strasser (2000): S. 121. 28 Siehe Kap. 8. 29 Details zur Sozialcharta finden sich u. a. in Öhlinger (1994); Breucking (2000); Blanpain (2001). Siehe Taupitz (2002) zur Bioethik-Konvention. Das Minderheitenschutzsystem des Europarats, welches neben der angeführten Rahmenkonvention v. a. auf der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen (1992 aufgelegt/in Kraft seit 1998) beruht, wird u. a. diskutiert in Klebes (1995, 1999); Troebst (1998); Hofmann (1999, 2001, 2005); Pentassuglia (1999); Leuenberger (2005); Weller (2005). 30 Siehe Abbildung 14 in Kap. 2.3.1. 31 Siehe Kap. 5.3 für weitere Details. 27
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
mungen der Konvention verstoßen hat. Staatenbeschwerden sind nach Art. 33 EMRK möglich. Der Artikel besagt: „Jede Hohe Vertragspartei kann den Gerichtshof wegen jeder behaupteten Verletzung dieser Konvention und der Protokolle dazu durch eine andere Hohe Vertragspartei anrufen.“
Mit den Staatenbeschwerden kommt den Vertragsparteien der EMKR eine „Wächterfunktion“32 bei der Umsetzung des Menschenrechtsschutzes in Europa zu. Diese Funktion können sie entweder zum Schutz ihrer Bürger, deren Rechte von einer anderen Vertragspartei vermeintlich verletzt worden sind, oder allgemein zum Schutz der in der EMRK festgelegten Rechte ausüben.33 Im Gegensatz zu den Individualbeschwerden gehörte die Anerkennung von Staatenbeschwerden von Beginn an, und somit seit dem Inkrafttreten der EMRK im Jahr 1953, zu den obligatorischen Pflichten der Vertragsparteien. In der Rechtsprechung des EGMR haben Staatenbeschwerden jedoch fast keine Rolle gespielt. Bis heute hat es 21 Staatenbeschwerden gegeben.34 Urteile fällte der EGMR in drei Fällen.35 Der Großteil der Beschwerden bezog sich auf angebliche schwerwiegende und anhaltende Verletzungen der EMRK. Oftmals ging es um regionale bzw. innerstaatliche Konflikte. Beispiele sind die Beschwerden von Österreich gegen Italien wegen der Südtirolfrage, von Irland gegen Großbritannien wegen Nordirland oder von Zypern und einer Reihe weiterer Staaten gegen die Türkei, vor allem wegen des Zypernkonflikts und der Nichteinhaltung der Konventionsbestimmungen durch die Türkei beim Vorgehen gegen die Kurden.36 Beispiel: Staatenbeschwerde Georgiens gegen Russland Zuletzt wurde eine Staatenbeschwerde im März 2007 von Georgien gegen Russland eingereicht.37 Den Hintergrund bildete die Verhaftung von vier russischen Offizieren in Tiflis wegen Spionageverdachts. Wenige Tage nach ihrer Verhaftung Ende September 2006 wurden die Offiziere Anfang Oktober 2006 wieder freigelassen. Der Vorwurf Georgiens lautete, dass die Reaktion Russlands auf den Zwischenfall zu anhaltenden Brüchen der EMRK und ihrer Protokolle geführt habe. Verletzt wurden nach georgischer Ansicht unter anderem das Folterverbot (Art. 3 EMRK), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) und das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK). Diese Konventionsbrüche sollen etwa im Zuge der Schikanierung georgischer Immigranten in Russland begangen worden sein. Zudem wurden nach georgischen Angaben mehr als 2000 Georgier in Russland inhaftiert. Die Entscheidung des EGMR zur georgischen Beschwerde steht noch aus.
32
Grabenwarter (²2005): S. 48. Vgl. Grabenwarter (²2005): S. 48. 34 Vgl. Monitor/Inf (2004) 2: S. 10. 35 Diese Fälle waren Irland gegen das Vereinigte Königreich (1978), Dänemark gegen die Türkei (2000) und Zypern gegen die Türkei (2001). 17 andere Fälle wurden von der Europäischen Kommission für Menschenrechte behandelt. Das Urteil zur jüngsten Staatenbeschwerde (Georgien gegen Russland) aus dem Jahr 2007 steht noch aus. 36 Vgl. Monitor/Inf (2000) 1. 37 Vgl. Press Release 190 (2007). 33
5.2 Individualbeschwerden und Staatenbeschwerden
151
Die Zahl von 21 Staatenbeschwerden seit 1953 kann schwerlich für die Überlastung des EGMR verantwortlich sein. Maßgeblich hierfür, sowie insgesamt für die Rechtsprechung des EGMR, sind die Individualbeschwerden. Individualbeschwerden werden seit 1955 anerkannt. Bis heute sind ca. 500.000 Individualbeschwerden eingereicht worden (Abbildung 29).38 Grundlage für eine Individualbeschwerde ist Art. 34 EMRK: „Der Gerichtshof kann von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch eine der Hohen Vertragsparteien in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden.“
Die Vertragsparteien der EMRK sind verpflichtet, ihre Bürger bei der Ausübung dieses Rechts nicht zu behindern. Abbildung 29: Entwicklung der Individualbeschwerden39 60000 50000 40000 30000 20000 10000
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
0
Das rapide Anwachsen der Individualbeschwerden lässt sich nicht ausschließlich auf das Hinzukommen neuer Staaten zum Europarat und somit zur EMRK seit Anfang der 1990er Jahre zurückführen. Bereits in den Jahren vor der Erweiterung war das Kontrollsystem „in eine Krise geraten“40. Ursächlich waren insbesondere vielzählige Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer (v. a. aus Italien) sowie die sukzessive Anerkennung der Individualbeschwerde durch alle Vertragsparteien der EMRK. Als Folge stieg die Zahl der
38
Diese Zahl ergibt sich aus der ‚alten’ Zählweise des EGMR. Bei dieser wurden sämtliche eingereichte Beschwerden berücksichtigt. Seit dem Jahr 2007 führt der EGMR in seinen offiziellen Statistiken hingegen nur noch diejenigen Beschwerden, die auch einem Entscheidungsorgan des Gerichts zugeleitet worden sind (die anderen Beschwerden sind i. d. R. von den Antragstellern nicht vollständig ausgefüllt worden und konnten deshalb nicht weitergeleitet werden). Im Jahr 2007 wurden insgesamt ca. 54.000 Beschwerden eingereicht; von diesen gingen 41.700 an ein Entscheidungsorgan. Vgl. Registry (2008): S. 51. 39 Registry (2007): S. 48; Registry (2008): S. 51. 40 Grabenwarter (²2005): S. 3.
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Individualbeschwerden bereits seit Anfang der 1980er Jahre an.41 Dieser Anstieg setzte sich bis zum Beitritt der ersten Staaten des ehemaligen Ostblocks fort. 1988 gingen 4246 Individualbeschwerden beim EGMR ein, 2001 waren es bereits 6104. Im Jahr 1992 ratifizierten mit Bulgarien und Ungarn die ersten ‚neuen’ Staaten die EMRK. Der Reformdruck, unter dem das Kontrollsystem der EMRK aufgrund der Zunahme von Individualbeschwerden bereits vor dem Hinzukommen neuer Staaten stand, wurde durch die Erweiterung der Organisation – und dem damit verbundenen noch schnelleren Anstieg der Individualbeschwerden – weiter verstärkt. Aus zwei Gründen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erweiterung und dem Anstieg der Individualbeschwerden. Erstens mussten alle neuen Staaten von Beginn an die Individualbeschwerde anerkennen. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Staaten im Zeitraum vor der Erweiterung war es den Neumitgliedern nicht möglich, der EMRK zwar beizutreten, die Individualbeschwerde jedoch nicht anzuerkennen. Wie oben geschildert, bestand für die neuen Staaten eine politische Verpflichtung für beides. Zweitens wurden und werden die von der EMRK geschützten Rechte und Freiheiten in mehreren neuen Vertragsparteien der Konvention weniger gut gewährleistet als in den meisten ‚alten’ Konventionsstaaten. Bürger der neuen Staaten bringen deutlich mehr Beschwerden vor dem EGMR ein.42 Der überproportionale Anteil von Individualbeschwerden aus den ab 1990 dem Europarat und ab 1992 der EMRK beigetretenen Staaten ist offensichtlich. Im Jahr 2007 kamen knapp 74 Prozent der an ein Entscheidungsorgan des Gerichtshofs weitergeleiteten Beschwerden aus diesen Staaten.43 Auch bei einer Aufschlüsselung der Beschwerden des Jahres 2007 nach Ländern liegen neue Mitglieder an der Spitze. Die meisten der an ein Entscheidungsorgan des Gerichtshofs weitergeleiteten Individualbeschwerden kamen aus Russland (9497), gefolgt von der Ukraine (4502), Polen (4211) und Rumänien (3171).44 Als Folge der Beschwerdeflut kommt der EGMR mit der Abarbeitung der Beschwerden nicht nach. Ende Dezember 2007 waren 79.427 Beschwerden anhängig.45 Auch hier zeigt sich der überproportionale Anteil der neuen Mitgliedstaaten. Der Anteil von Beschwerden, die aus Russland eingereicht worden waren und nunmehr anhängig sind, betrug 26 Prozent, im rumänischen Fall zehn Prozent, im Falle der Ukraine sieben Prozent und im Falle Polens vier Prozent. Das einzige ‚Altmitglied’ unter den fünf Staaten mit den meisten anhängigen Beschwerden ist die Türkei (12 Prozent).46
5.3 Reformen des 11. Protokolls 5.3 Reformen des 11. Protokolls Der sich Anfang der 1990er Jahre bereits abzeichnende Anstieg der Individualbeschwerden bildete den Hintergrund für die Ausarbeitung des 11. Protokolls zur EMRK, das im November 1994 zur Zeichnung aufgelegt wurde. Ohne grundlegende Reformen drohte das 41 Greer spricht von einem „Ruhezustand“ bei den Individualbeschwerden bis Mitte der 1980er Jahre, der zunächst von einer Phase der „Aktivierung“ (bis Mitte der 1990er Jahre) und anschließend von einer Phase der „Überlastung“ (bis heute) abgelöst wurde. Vgl. Greer (2006): S. 34-41. 42 Vgl. Egli (2004): S. 769-770. 43 Vgl. Registry (2008): S. 56-57. 44 Vgl. Registry (2008): S. 56-57. 45 Diese Zahl folgt der neuen Zählweise des EGMR (siehe Fn. 38). Nach der alten Zählweise waren Ende Dezember 2007 104.000 Beschwerden anhängig. Vgl. Registry (2008): S. 51. 46 Vgl. Registry (2008): S. 53-54.
5.3 Reformen des 11. Protokolls
153
Kontrollsystem der EMRK die Flut der eingehenden Individualbeschwerden nicht länger bewältigen zu können. Das Protokoll brachte tief greifende strukturelle Veränderungen. Es führte insbesondere zu einem ausschließlich gerichtlichen Verfahren vor einem einzigen sowie ständigen Gerichtshof. Bis zu seinem Inkrafttreten am 1. November 1998 zeichneten zunächst die Menschenrechtskommission und das Ministerkomitee und seit 1959 auch der EGMR für die Kontrolle der EMRK-Einhaltung verantwortlich. Dieses arbeitsteilige System wurde durch das 11. Protokoll überholt. Durch zwei Maßnahmen wurde der dreigliedrige Mechanismus aufgehoben und ein einziger Gerichtshof geschaffen. Zum einen wurde die Menschenrechtskommission in den neuen Gerichtshof integriert. Gemäß den Bestimmungen des Protokolls arbeitete die Menschenrechtskommission noch bis zum 31. Oktober 1999 weiter, und zwar an solchen Fällen, die vor dem Inkrafttreten des Protokolls für zulässig erklärt worden waren. Zum anderen wurde die Zuständigkeit des Ministerkomitees auf die Überwachung der Umsetzung der vom EGMR getroffenen Urteile begrenzt. Das Ministerkomitee zeichnet seitdem – wie bereits vor der Reform – für die Kontrolle der Einhaltung der EGMR-Urteile verantwortlich. Bei Sachentscheidungen kommt dem Ministerkomitee hingegen keine Rolle mehr zu. Aus diesem Grund existiert heute ein ausschließlich gerichtliches Verfahren. Das 11. Protokoll nahm dem Ministerkomitee seine „quasi-richterliche Funktion“.47 Ständig ist der neue EGMR wiederum, weil er nunmehr permanent – eben ständig – tagt, und zwar mit hauptberuflich am EGMR beschäftigten Richtern.48 Im Gegensatz dazu war der EGMR vor dem Inkrafttreten des 11. Protokolls keine ständige Institution: Seine – nebenamtlich tätigen – Mitglieder kamen mehrmals im Jahr zu den Sitzungsperioden des Gerichtshofs zusammen. Ausführungen zum reformierten EGMR finden sich in Abschnitt II der EMRK sowie in der Verfahrensordnung (rules of court) des Gerichtshofs. Der EGMR umfasst so viele Richter, wie es Vertragsparteien der EMRK gibt. Somit müssten 47 Richter dem EGMR angehören.49 Der Richterposten von Montenegro ist derzeit allerdings vakant. Die Richter müssen nicht die Staatsangehörigkeit des Landes haben, für das sie gewählt wurden. Somit können mehrere Richter derselben Staatsangehörigkeit dem EGMR angehören.50 Derzeit sind zwei Schweizer am EGMR tätig – einer wurde für die Schweiz gewählt (Giorgio Malinverni), der andere für Liechtenstein (Mark Villiger). Die Richter müssen hohes persönliches wie fachliches Ansehen genießen und dürfen während ihrer Amtszeit keine Tätigkeit ausüben, die sie in ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beeinflusst oder zeitlich mit der Ausübung des Richteramts nicht zu vereinbaren ist. Gewählt werden die Richter von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Eine Vertragspartei legt der Versammlung eine Liste von drei Kandidaten vor. Die Parlamentarier wählen von dieser Liste den künftigen Richter mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Gewählt werden die Richter für eine Amtszeit von sechs Jahren mit der Möglichkeit zur Wiederwahl. Alle drei Jahre wird die Hälfte der Richter des EGMR neu gewählt. Möglich ist dies deshalb, weil für die Hälfte derjenigen Richter, die bei der ersten Richter47
Schutter (1998): S. 320. Engel spricht von einer „quasi-richterlichen Kompetenz“ des Ministerkomitees. Engel (1995): S. 50. 48 Art. 21 Abs. 3 EMRK spricht von einer „Vollzeitbeschäftigung“. 49 Für Deutschland wurde Renate Jaeger, die zuvor u. a. dem Bundesverfassungsgericht angehörte, in den EGMR gewählt. 50 Es wurde jedoch vereinbart, dass höchstens zwei Richter derselben Nationalität dem EGMR angehören sollen. Vgl. Explanatory Report (1994): Ziff. 59.
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
wahl nach Inkrafttreten des 11. Protokolls gewählt wurden, die Amtszeit bereits nach drei Jahren endete.51 Zugleich kennt der EGMR eine Altersgrenze. Vollendet ein Richter das 70. Lebensjahr, muss er aus dem Gericht ausscheiden. Auch entlassen können die Richter werden. Notwendig ist hierfür ein entsprechender Beschluss der anderen Richter mit Zweidrittelmehrheit. Unterstützt wird der EGMR durch seine Kanzlei (registry) und wissenschaftliche Mitarbeiter.52 Die Kanzlei unterstützt den Gerichtshof in rechtlicher und administrativer Hinsicht bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Geleitet wird die Kanzlei vom Kanzler (registrar) des EGMR. Der Schwede Erik Fribergh bekleidet gegenwärtig den Posten. Der Kanzler zeichnet für die Organisation und Arbeit der Kanzlei verantwortlich. Zudem hat er eine wichtige Rolle bei der Außenvermittlung des EGMR, allen voran gegenüber der Presse. Die Mitarbeiter der Kanzlei werden vom Generalsekretär des Europarats ernannt und gehören dem Europaratssekretariat an. Die Kanzlei umfasst ca. 500 Mitarbeiter, von denen etwa 40 Prozent Juristen sind.53 Die mit der Bearbeitung von Fällen betrauten Anwälte der Kanzlei (auch legal secretaries genannt) bereiten Akten und Notizen für die Richter vor und stehen mit den Parteien einer Rechtssache über Verfahrensfragen in Austausch. Jeder der noch zu schildernden fünf Sektionen des EGMR ist eine Sektionskanzlei (section registry) zugeordnet. Jede Sektionskanzlei hat ihrerseits fünf Einheiten (legal divisions). In diesen Einheiten ist der Großteil der Anwälte der Kanzlei tätig. Die weiteren Mitarbeiter der Kanzlei sind in separaten Einheiten angesiedelt und arbeiten in der Verwaltung, als Übersetzer, im technischen Bereich etc. Der EGMR tritt in verschiedenen Zusammensetzungen zusammen (Plenum, Ausschüsse, Kammern, Große Kammer). Das Plenum (plenary), also die Zusammenkunft aller Richter am EGMR, wählt für drei Jahre den Präsidenten und die beiden Vizepräsidenten des Gerichtshofs. Derzeit ist der Franzose Jean-Paul Costa Präsident des EGMR. Costa gehört seit November 1998 dem Gerichtshof an. Seit Mai 2000 war Costa Vorsitzender einer Sektion, seit November 2001 zudem einer der Vizepräsidenten des EGMR. EGMR-Vorsitzender ist Costa seit Januar 2007. Er löste den Schweizer Luzius Wildhaber ab, der die Altersgrenze von 70 Jahren erreicht hatte. Vizepräsidenten des Gerichtshofs sind der Grieche Christos Rozakis und der Brite Sir Nicolas Bratza. Das Plenum des Gerichtshofs wählt weiterhin den Kanzler und beschließt die Verfahrensordnung (rules of court) des EGMR. Das Plenum des EGMR bildet Kammern. In der Verfahrensordnung des Gerichtshofs werden diese Kammern als Sektionen (sections) bezeichnet.54 Die Sektionen werden für drei Jahre eingerichtet. Derzeit gibt es fünf Sektionen. Die Vorsitzenden der Sektionen werden vom Plenum des Gerichtshofs gewählt. Jeder Vizepräsident des EGMR ist Vorsitzender einer Sektion. Rozakis steht Sektion 1 vor, Bratza Sektion 4. Die drei anderen Sektionsvorsitzenden sind Françoise Tulkens aus Belgien (Sektion 2), Josep Casadevall aus Andorra (Sektion 3) und Peer Lorenzen aus Dänemark (Sektion 5). Jeder Richter des EGMR gehört einer Sektion an. EGMR-Präsident Costa etwa gehört Sektion 5 an. Die Zusammensetzung
51
Nach der Wahl aller Richter bestimmte der Generalsekretär des Europarats per Los, welche Richter drei Jahre und welche die volle Amtszeit von sechs Jahren amtieren durften. Dieses Verfahren ist in Art. 23 Abs. 2 EMRK festgelegt. 52 Vgl. Art. 25 EMRK und Art. 15-18 der Verfahrensregeln des EGMR (Registry (2006)). Siehe auch Mahoney (2000). 53 Vgl. Mahoney (2005): S. 345. 54 Vgl. Registry (2006): Art. 25.
5.3 Reformen des 11. Protokolls
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der Sektionen soll sowohl geografisch wie bezüglich des Geschlechts ausgewogen sein und ferner die unterschiedlichen Rechtstraditionen der Vertragsparteien widerspiegeln. Rechtssachen prüft der EGMR entweder in Ausschüssen mit drei Richtern, in Kammern mit sieben Richtern oder in der Großen Kammer mit 17 Richtern. Die Ausschüsse (committees) werden aus den Sektionen heraus gebildet. Sie bestehen aus drei Richtern (deshalb auch ‚Dreierausschüsse’ genannt) und werden für zwölf Monate konstituiert. Ebenfalls aus den Sektionen heraus werden Kammern (chambers) etabliert. Zu den sieben Richtern einer Kammer gehört stets der Sektionspräsident. Außerdem gehört qua Amt derjenige Richter einer Kammer an, der für die betroffene Vertragspartei in den EGMR gewählt wurde. Diese Bestimmung gilt unabhängig davon, ob der Richter der Sektion angehört, welcher die zu prüfende Beschwerde zugewiesen wurde. Zu den 17 Richtern der für drei Jahre gebildeten Großen Kammer (grand chamber) zählen der Präsident des EGMR, die beiden Vizepräsidenten sowie die beiden anderen Sektionsvorsitzenden. Wie im Falle der Kammern gehört auch der Großen Kammer der Richter an, der für den als Partei von einer Beschwerde betroffenen Staat gewählt wurde. Die übrigen Richter werden durch Los bestimmt.55 Nach der Einführung der grundlegenden Strukturen des EGMR nun zum Ablauf eines Verfahrens vor dem Gerichtshof gemäß der Bestimmungen des 11. Protokolls zur EMRK (Abbildung 30). Der Ablauf wird am Beispiel der Individualbeschwerden nach Art. 34 EMRK geschildert; der Ablauf bei Staatenbeschwerden ist in weiten Teilen identisch.56 Auch wenn die offiziellen Sprachen des EGMR Englisch und Französisch sind, können Individualbeschwerden in jeder Amtssprache der Vertragsparteien der EMRK eingereicht werden. Die Weiterverfolgung von Beschwerden, die für zulässig erklärt wurden, erfolgt jedoch in einer der beiden offiziellen Sprachen des Gerichtshofs. Die Zulässigkeit einer Individualbeschwerde ist an zwei Bedingungen geknüpft (Art. 35 EMRK). Erstens kann sich der EGMR „erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe“ mit einer Angelegenheit befassen (Rechtswegerschöpfung). Hier zeigt sich der Subsidiaritätscharakter der EMRK. Zweitens darf die im nationalen Rahmen getroffene endgültige Entscheidung nicht länger als sechs Monate zurückliegen (Beschwerdefrist). Mit der EMRK unvereinbare sowie unbegründete oder missbräuchlich eingereichte Individualbeschwerden erklärt der Gerichtshof für unzulässig. Eine solche Zurückweisung einer Beschwerde ist zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens möglich.
55
Einschränkungen hierzu ergeben sich aus Beschwerden, die gemäß Art. 30 oder Art. 43 EMRK an die Große Kammer überwiesen werden. Vgl. Registry (2006): Art. 24. Vgl. Grabenwarter (²2005): S. 84-86. Ein Unterschied besteht z. B. darin, dass Staatenbeschwerden nicht von Dreierausschüssen geprüft werden. Sie werden stattdessen direkt an eine Kammer überwiesen, die über ihre Zulässigkeit und Begründetheit entscheidet. 56
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Abbildung 30: Behandlung einer Individualbeschwerde vor dem EGMR (vereinfachte Darstellung)
Bei Eingang einer Beschwerde legt die Kanzlei des Gerichtshofs zunächst eine vorläufige Akte an. Nach einer Vorklärung, bei der die Kanzlei gegebenenfalls den Beschwerdeführer wegen offener Fragen schriftlich kontaktiert, wird die Beschwerde registriert. Anschließend verweist der EGMR-Präsident eine Beschwerde an eine der fünf Sektionen des Gerichtshofs. Der Vorsitzende der beauftragten Sektion ernennt dann einen Berichterstatter zur ers-
5.3 Reformen des 11. Protokolls
157
ten Prüfung. Der Berichterstatter entscheidet, ob die Beschwerde von einem Ausschuss oder einer Kammer behandelt werden soll. Die Ausschüsse haben eine wichtige „Filterfunktion“57, indem sie – wie vor den Reformen des 11. Protokolls die Menschenrechtskommission – Unzulässigkeitserklärungen beschließen können. Nach Art. 28 EMRK können die Ausschüsse Individualbeschwerden für unzulässig erklären bzw. im Register streichen, „wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann.“ Hierfür ist eine einstimmige Entscheidung (decision) notwendig. Unzulässigkeitserklärungen der Ausschüsse sind endgültig. Kommt es in den Ausschüssen zu keiner Entscheidung, wird die Beschwerde an eine Kammer verwiesen. Alternativ kann eine Beschwerde, wie bereits erwähnt, vom Berichterstatter oder aber auch vom Vorsitzenden der Sektion direkt, d. h. anstatt der Überweisung an einen Ausschuss, an eine Kammer verwiesen werden. Die Kammer entscheidet über die Zulässigkeit (admissibility) und Begründetheit (merits) einer Beschwerde. Werden beide Aspekte zusammen behandelt, folgt direkt das Urteil der Kammer. Behandelt die Kammer hingegen die zwei Aspekte getrennt voneinander, geht es zuerst um die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde (Zulässigkeitsverfahren).58 Lässt die Kammer die Beschwerde zu, folgt anschließend das Begründetheitsverfahren. Verneint die Kammer in ihrer Entscheidung (decision) die Zulässigkeit, wird die Beschwerde für abgewiesen erklärt bzw. aus dem Register gestrichen (wie im Falle der Entscheidung eines Ausschusses). Im Jahr 2006 wurden als Folge der Entscheidung einer Kammer oder eines Ausschusses mehr als 27.000 Beschwerden für unzulässig erklärt oder aus anderen Gründen aus dem Register gestrichen.59 Außerdem können Beschwerden auch aus reinen Verwaltungsgründen abgewiesen werden, beispielsweise wenn ein Antragsteller die Korrespondenz mit dem EGMR nicht fortsetzt. Infolge solcher Mängel wurden 2006 rund 13.000 Anträge ‚erledigt’.60 Während des Begründetheitsverfahrens in einer Kammer können Verhandlungen mit dem Ziel einer gütlichen Einigung (friendly settlement) geführt werden.61 Vermittelnd tätig bei solchen Verhandlungen ist der Kanzler des EGMR. Kommt es zu keiner gütlichen Einigung, fällt die Kammer ihr Urteil (judgment) durch Mehrheitsbeschluss. Richter können in Sondervoten ihre abweichende Meinung dem Urteil beifügen (Art. 45 Abs. 2 EMRK). Wie unten zu zeigen sein wird, können die Urteile der Kammern endgültig werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Kammer eine Beschwerde an die Große Kammer abgeben. Grundlage hierfür ist Art. 30 EMRK: „Wirft eine bei einer Kammer anhängige Rechtssache eine schwerwiegende Frage der Auslegung der Konvention oder der Protokolle dazu auf oder kann die Entscheidung einer ihr vorliegenden Frage zu einer Abweichung von einem früheren Urteil des Gerichtshofs führen, so kann die Kammer diese Sache jederzeit, bevor sie ihr Urteil gefällt hat, an die Große Kammer abgeben, sofern nicht eine Partei widerspricht.“
Allerdings kann auch eine Rechtssache/Beschwerde, zu der eine Kammer ein Urteil getroffen hat, vor die Große Kammer gelangen. Maßgeblich ist hierfür Art. 43 EMRK. Gemäß 57
Grabenwarter (²2005): S. 43. Durch das 14. Protokoll würde die zeitgleiche Behandlung von Zulässigkeit und Begründetheit in der Kammer zur Regel (Art. 29 Abs. 3 EMRK nach 14. Protokoll). 59 Vgl. Registry (2008): S. 3. 60 Vgl. Registry (2008): S. 4. 61 Vgl. Registry (2006): Art. 62. 58
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diesem kann jede Partei den Verweis einer Beschwerde an die Große Kammer beantragen. Voraussetzung ist, dass das Urteil der Kammer noch nicht länger als drei Monate zurückliegt. Ein aus fünf Richtern bestehender Ausschuss der Großen Kammer prüft den Antrag. Dem Ausschuss gehören der Präsident des EGMR, zwei Sektionspräsidenten (auf Rotationsbasis) sowie zwei weitere Richter (ebenfalls auf Rotationsbasis) an.62 Die beiden Prüfkriterien lauten, ob die Beschwerde „eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung“ der EMRK oder ihrer Protokolle oder „eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung“ aufwirft (Art. 43 Abs. 2 EMRK). Wird der Antrag vom Ausschuss angenommen, fällt die Große Kammer per Mehrheitsbeschluss ein Urteil. Auch hier sind Sondervoten derjenigen Richter möglich, die den Mehrheitsbeschluss nicht mittragen. Als Folge der möglichen Abgabe durch Art. 30 EMRK sowie der Option zur Verweisung gemäß Art. 43 EMRK kommt der Großen Kammer eine entscheidende Rolle bei „der Sicherung der Einheitlichkeit und der Qualität der Rechtsprechung“63 des Gerichtshofs zu. Urteile (judgments) der Großen Kammer sind endgültig.64 Auch die Urteile von Kammern – welche die große Mehrheit der EGMR-Urteile ausmachen – können unter bestimmten Voraussetzungen endgültig werden. Zum einen sind sie endgültig, wenn die Parteien erklären, die Beschwerde nicht an die Große Kammer überweisen zu wollen. Zum anderen werden sie endgültig, wenn innerhalb von drei Monaten nach dem Kammerurteil keine der Parteien eine Überweisung an die Große Kammer beantragt oder aber der Ausschuss der Großen Kammer einen solchen Antrag auf Verweisung ablehnt. 2007 fällte der EGMR 1503 Urteile. Durch die Zusammenlegung von Beschwerden betrafen die Urteile insgesamt 1735 Beschwerden. 17 Urteile wurden von der Großen Kammer gefällt, die übrigen von einer der fünf Kammern des Gerichtshofs.65 Auch gütliche Einigungen ziehen ein Urteil nach sich (Streichung einer für zulässig erklärten Beschwerde). 200 wurden 60 diesbezügliche Urteile gefällt.66 Die endgültigen Urteile des EGMR, d. h. endgültig gewordene Kammerurteile sowie die Urteile der Großen Kammer, werden veröffentlicht. Sämtliche Urteile sind von den Vertragsparteien verpflichtend umzusetzen. In Art. 46 Abs. 1 EMRK steht hierzu: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ Diese Verbindlichkeit gilt sowohl für Urteile zu Individualbeschwerden als auch für Urteile zu Staatenbeschwerden. Zugleich entfalten die feststellenden, nicht jedoch kassatorischen Urteile des Gerichtshofs67 eine „Orientierungswirkung“68 für alle anderen Vertragsparteien der EMRK – schließlich wollen diese künftige Urteile gegen sich möglichst vermeiden. Die endgültigen Urteile des Gerichtshofs werden dem Ministerkomitee des Europarats zugeleitet. Dieses überwacht gemäß Art. 46 Abs. 2 EMRK die Durchführung der Urteile.69 62
Ausgenommen sind Richter, die bereits über die Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde entschieden haben. Ebenfalls ausgenommen sind Richter, die für die Vertragspartei, gegen die die Beschwerde erhoben wurde, gewählt wurden bzw. die die Nationalität dieses Staates besitzen. 63 Pabel (2006): S. 9. 64 Für die Urteile der Großen Kammer zwischen 1998 und 2006: siehe Šikuta/Hubálková (2007). 65 Vgl. Registry (2008): S. 55. 66 Vgl. Registry (2008): S. 56-57. 67 Ress konstatiert entsprechend, dass dem EGMR „jede Eingriffs- und Durchgriffsbefugnis in die Vertragsstaaten fehlt.“ Dies zeige sich daran, dass er „keine Akte der Staaten aufheben und auch nur sehr begrenzt Anweisungen erteilen“ könne. Ress (2007): S. 58. 68 Ress (2004): S. 630. 69 Vgl. Rules (2006). Details zur Umsetzung der Urteile des EGMR finden sich bei Polakiewicz (2001).
5.3 Reformen des 11. Protokolls
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Je nach Fall kontrolliert das Ministerkomitee bis zu drei Aspekte eines Urteils: gerechte Entschädigung, individuelle Maßnahmen und allgemeine Maßnahmen. Erstens: Erfolgte die im Urteil festgehaltene gerechte Entschädigung (just satisfaction) nach Art. 41 EMRK? Eine solche Entschädigung kann Ersatz für (im-)materielle Schäden als auch für Verfahrenskosten umfassen und ist nur dann möglich, wenn keine vollkommene Wiedergutmachung für die Konventionsverletzung möglich ist. Zweitens: Wurden individuelle Maßnahmen in die Wege geleitet, mittels derer der Beschwerdeführer in eine Lage versetzt wird, die vergleichbar mit derjenigen vor der Konventionsverletzung ist, beispielsweise durch die Wiedereröffnung eines Verfahrens im nationalen Rahmen? Drittens: Ergriff die Vertragspartei allgemeine Maßnahmen, mit denen ein erneuter ähnlicher Verstoß gegen die EMRK vermieden werden kann, etwa durch die Änderung der Verfassung oder von Gesetzen?70 Behandelt wird der Vollzug der EGMR-Urteile in mehrmals im Jahr durchgeführten ‚DH-Treffen’ des Komitees der Ministerbeauftragten (KMB). Eine zentrale Verbindungsstelle zwischen dem KMB und dem EGMR stellt der KMB-Verbindungsausschuss zum EGMR (CL-CEDH) dar, in dem regelmäßig Vertreter beider Seiten aktuelle Sachfragen – nicht zuletzt zur Reform des Kontrollsystems der EMRK – diskutieren. Unterstützt wird das KMB außerdem durch eine Abteilung im Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht des Europaratssekretariats, die sich ausschließlich mit der Umsetzung der EGMRUrteile beschäftigt. Jeder Fall wird abgeschlossen, indem das Ministerkomitee eine endgültige Resolution (final resolution) annimmt. Im Zuge der Behandlung eines Falles können Interim-Resolutionen (interim resolutions) verabschiedet werden. Zur Illustration: Auf seinem DH-Treffen im Dezember 2007 behandelte das KMB endgültige Resolutionen zu 80 Fällen (die Kontrolle von 231 Fällen wurde neu aufgenommen). Zugleich behandelte das KMB in 882 Fällen die Frage der gerechten Entschädigung, in 145 Fällen bzw. zu Gruppen zusammengefassten Fällen die Annahme individueller Maßnahmen und in weiteren 234 Fällen bzw. Fallgruppen die Verabschiedung allgemeiner Maßnahmen.71 Die Entscheidungen des Ministerkomitees zu den einzelnen Fällen sind öffentlich. Im Gegensatz zu seiner ansonsten in der Regel vertraulichen Arbeit folgt das Ministerkomitee bei der Kontrolle der EGMR-Urteile somit der Ausrichtung des Gerichtshofs, dessen Verhandlungen für gewöhnlich ebenfalls öffentlich sind. Ein noch größeres Maß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit soll durch einen Jahresbericht des Ministerkomitees zur Einhaltung der Urteile des Gerichtshofs durch die Vertragsparteien erreicht werden. Der Bericht soll in Zukunft jährlich folgen und in seiner ersten Version das Jahr 2007 abdecken. Beispiel: Urteil der Großen Kammer in der Rechtssache ‚Jahn und andere gegen Deutschland’ (Neubauern-Urteil) Anhand der Rechtssache ‚Jahn und andere gegen Deutschland’72 lässt sich die Arbeitsweise des EGMR illustrieren. Der Sachverhalt war wie folgt: Die Beschwerde wurde von fünf Beschwerdeführern deutscher Staatsangehörigkeit eingereicht. Alle Beschwerdeführer hatten Grundstücke geerbt, die ihren Eltern bei der Bodenreform 1945 in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zugeteilt worden waren. Die Zuteilung an die neuen Eigentümer 70 Beispiele für von Vertragsparteien ergriffene Maßnahmen als Reaktion auf ein Urteil des EGMR finden sich in H/Inf (2007) 2: S. 11-13. 71 Vgl. Press Release 869 (2007). 72 Vgl. hier und im Folgenden EGMR, Urt. vom 30.6.2005, ‚Jahn und andere gegen Deutschland’.
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(sog. ‚Neubauern’) erfolgte vorbehaltlich bestimmter Verfügungsbeschränkungen. Im März 1990 trat das ‚Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform’ in Kraft (‚Modrow-Gesetz’). Das Gesetz hob sämtliche Verfügungsbeschränkungen bezüglich der Grundstücke auf. Die Betroffenen erhielten die vollen Eigentumsrechte. Im Juli 1992 verabschiedete der deutsche Bundestag das ‚Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz’. Das Gesetz hatte zur Folge, dass einige Erben von Bodenreformgrundstücken diese an das Finanzamt des jeweiligen Bundeslandes abtreten mussten. Die Abtretung erfolgte ohne Entschädigung. Vorgesehen war sie für zwei Fälle. Sie galt zum einen, wenn die Erben der Bodenreformgrundstücke zum 15. März 1990 oder in den zehn Jahren zuvor nicht in der Land-, Forst- oder Nahrungsmittelwirtschaft tätig gewesen waren. Zum anderen erfolgte eine Abtretung dann, wenn die Erben in der DDR keiner Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) angehört hatten. Die fünf Beschwerdeführer gehörten zu den vom Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz betroffenen Erben. Sie reichten Individualbeschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Insgesamt wurden drei Beschwerden eingereicht. Die Beschwerdeführer Jahn und Thurm hatten den EGMR noch vor dem Inkrafttreten des 11. Protokolls angerufen. Sie reichten ihre Beschwerde im September 1996 (gemäß Art. 25 EMRK in der alten Version) noch bei der Menschenrechtskommission ein. Mit dem Inkrafttreten des Protokolls wurde die Beschwerde im November 1998 dem EGMR vorgelegt. Die Beschwerde wurde im April 2002 für zulässig erklärt. Die anderen Beschwerdeführer reichten ihre Individualbeschwerde gemäß Art. 34 EMRK (Version nach den Änderungen des 11. Protokolls) ein. Die Beschwerdeführer Rissmann und Höller riefen den Gerichtshof im März 2001 und die Beschwerdeführerin Loth im April 2001 an. Die fünf Beschwerdeführer behaupteten, Deutschland habe ihre in der EMRK niedergelegten Rechte in zweifacher Hinsicht verletzt. So habe die Verpflichtung, ihre Grundstücke unentgeltlich abtreten zu müssen, ihr Recht auf Eigentum (Art. 1 des 1. Protokolls zur EMRK) verletzt. Zudem seien sie Opfer einer Diskriminierung (Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 des 1. Protokolls). Die Beschwerden wurden der vierten Sektion des EGMR zugewiesen. Nach der Umbildung der Sektionen im November 2001 gingen die Beschwerden an die dritte Sektion. Im April 2002 erklärte eine aus der dritten Sektion heraus gebildete Kammer (aus sieben Richtern) die Beschwerde von Jahn und Thurm für zulässig. Im März 2003 erklärte die Kammer anschließend die beiden anderen Beschwerden (Rissmann und Höller; Loth) für teilweise zulässig. Nach einer mündlichen Verhandlung über die Begründetheit der Rechtssache im September 2003 beschloss die Kammer im Dezember 2003, die drei Beschwerden zu verbinden. Im Januar 2004 fällte die Kammer ihr Urteil. Die Richter stellten einstimmig fest, dass Art. 1 des 1. Protokolls zur EMRK verletzt worden sei. Die Frage bezüglich der Diskriminierung der Beschwerdeführer sei hingegen nicht zu prüfen. Im April 2004, und somit innerhalb des vorgesehenen Zeitraums von drei Monaten, nutzte die deutsche Regierung Art. 43 EMRK: Sie beantragte die Überweisung der Rechtssache an die Große Kammer des EGMR. Ein aus fünf Richtern bestehender Ausschuss der Großen Kammer prüfte den Antrag. Der Antrag wurde im Juni 2004 angenommen. Nachdem die Beschwerdeführer und die deutsche Regierung schriftliche Stellungnahmen zur Begründetheit der Rechtssache vorgelegt hatten, fand im Januar 2005 eine mündliche Verhandlung statt. Die aus siebzehn Richtern bestehende Große Kammer verkündete am 30. Juni 2005 ihr Urteil. Anders als die Kammer zuvor urteilte die Große Kammer, dass das
5.3 Reformen des 11. Protokolls
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Recht auf Eigentum nicht verletzt worden sei. Den Hintergrund für das mit elf zu sechs Stimmen gefällte Urteil der Großen Kammer zur Eigentumsfrage bildeten Erwägungen zu (a) den Umständen, in denen das Modrow-Gesetz verabschiedet wurde, (b) zum Zeitraum, innerhalb welchem der deutsche Gesetzgeber die Folgen des Modrow-Gesetzes zu korrigieren versuchte, sowie (c) zu den Gründen, die dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz zugrunde lagen. Die Große Kammer kam zu dem Ergebnis, „dass in dem einmaligen Kontext der deutschen Wiedervereinigung das Fehlen einer jeglichen Entschädigung den zwischen dem Schutz des Eigentums und den Erfordernissen des Allgemeininteresses herbeizuführenden ‚gerechten Ausgleich’ nicht stört.“73
Zudem entschied die Große Kammer mit 15 zu zwei Stimmen, dass auch das Diskriminierungsverbot nicht verletzt worden sei. Das Urteil der Großen Kammer ist endgültig. Da keine Konventionsverletzungen durch Deutschland festgestellt wurden, musste das Ministerkomitee des Europarats die Umsetzung des Urteils nicht kontrollieren. Die Kontrolle der EGMR-Urteile ist jedoch nicht die einzige Verbindung des Ministerkomitees zum EGMR. Darüber hinaus kann das Ministerkomitee mit Mehrheitsbeschluss den Gerichtshof zur Verfassung eines Gutachtens (advisory opinion) auffordern (Art. 47 EMRK). Die Gutachten betreffen Rechtsfragen hinsichtlich der Auslegung der EMRK und ihrer Protokolle. Zugleich schreibt Art. 47 Abs. 2 EMRK diejenigen Bereiche vor, die nicht von Gutachten erfasst werden dürfen: „Diese Gutachten dürfen keine Fragen zum Gegenstand haben, die sich auf den Inhalt oder das Ausmaß der in Abschnitt I dieser Konvention und in den Protokollen dazu anerkannten Rechte und Freiheiten beziehen, noch andere Fragen, über die der Gerichtshof oder das Ministerkomitee auf Grund eines nach dieser Konvention eingeleiteten Verfahrens zu entscheiden haben könnte.“
Die Große Kammer des EGMR erarbeitet die vom Ministerkomitee beantragten Gutachten. Zur Verabschiedung eines Gutachtens ist ein Mehrheitsbeschluss notwendig. Wie bei den Urteilen der Kammer und der Großen Kammer sind auch hier Sondervoten von Richtern möglich, die der Mehrheitsmeinung nicht folgen. Neben dem Ministerkomitee sind weitere Institutionen des Europarats mit dem EGMR verbunden. Die Anbindung des Generalsekretärs beruht nicht nur darauf, dass Mitarbeiter aus ‚seinem’ Sekretariat wichtige Unterstützungsleistungen für den EGMR vollbringen. Das geschieht unmittelbar in der mit Europaratsbeamten besetzten Kanzlei des EGMR wie auch mittelbar in der bereits erwähnten Abteilung des Generaldirektorats für Menschenrechte und Recht des Europaratssekretariats, welches das Ministerkomitee bei der Umsetzung der EGMR-Urteile unterstützt. Auch dem Generalsekretär kommt eine Rolle bei der Kontrolle der Einhaltung der EMRK durch die Vertragsparteien zu. Grundlage ist Art. 52 EMRK, der dem Generalsekretär ermöglicht, Anfragen an die Konventionsstaaten zu richten, „auf welche Weise die wirksame Anwendung aller Bestimmungen dieser Konvention in ihrem innerstaatlichen Recht gewährleistet wird.“ Der Generalsekretär hat den Artikel bislang acht Mal genutzt.74 Als weitere Institution des Europarats dürfte dem Menschen73 74
EGMR, Urt. vom 30.6.2005, ‚Jahn und andere gegen Deutschland’: Ziff. 117. Siehe Kap. 4.3 für Details.
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rechtskommissar des Europarats bald eine größere Rolle vor dem EGMR zukommen. Grundlage hierfür würde das noch zu schildernde 14. Protokoll zur EMRK sein. Abschließend noch zu möglichen Einschränkungen der EMRK und deren Gültigkeit. Ursächlich hierfür können Vorbehalte (reservations) und Abweichungen (derogations) sein. Vorbehalte zu einzelnen Bestimmungen der EMRK sind erlaubt, falls eine Bestimmung der Konvention mit der nationalen Gesetzeslage eines Staates nicht übereinstimmt (Art. 57 Abs. 1 EMRK). Die Möglichkeit zur Abgabe von Vorbehalten wird jedoch in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Grundsätzlich gilt, dass „Vorbehalte allgemeiner Art“ (Art. 57 Abs. 1 EMRK) unzulässig sind. Vorbehalte müssen demnach immer zu bestimmten Artikeln der EMRK abgegeben werden. Vorbehalte dürfen außerdem nur bei der Unterzeichnung der EMRK oder bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde angebracht werden. Nachträgliche Vorbehalte sind nicht möglich. Außerdem hat ein Staat eine „kurze Darstellung des betreffenden Gesetzes“ zu liefern, welches den Bezugspunkt für den Vorbehalt darstellt (Art. 57 Abs. 2 EMRK). Des Weiteren sind Einschränkungen der durch die Konvention garantierten Rechte zum Schutze bestimmter öffentlicher Interessen oder der Rechte Anderer bereits in der Konvention angelegt (vgl. Art. 8-11 EMRK). Nach Art. 15 Abs. 1 EMRK sind außerdem Abweichungen von den EMRK-Verpflichtungen möglich. Ein Abweichen ist jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen (Krieg oder anderer öffentlicher Notstand), zeitlich begrenzt sowie unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der anderweitigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Staates konventionskonform. Zudem enthält die EMRK notstandsfeste Rechte (Art. 15 Abs. 2 EMRK), die unter keinen Umständen außer Kraft gesetzt werden dürfen. Hierzu gehören das Folterverbot und das Verbot der Sklaverei.75
5.4 Reformen des 14. Protokolls 5.4 Reformen des 14. Protokolls Das 11. Protokoll brachte die bislang grundlegendste Reform des Kontrollsystems der EMRK. Die Neuerungen konnten allerdings die Überlastung des Systems, nunmehr ‚verkörpert’ durch den einheitlichen EGMR, nicht beheben. Die Zahl der Individualbeschwerden ist in den letzten Jahren weiterhin rapide gestiegen. Wurden 1999, dem ersten vollständigen Arbeitsjahr des neuen EGMR, 8400 der eingereichten Beschwerden an ein Entscheidungsorgan des Gerichtshofs weitergeleitet, waren es 2002 bereits 28.200 und 2007 41.700.76 Zwischen 1999 und 2007 wurden insgesamt rund 238.000 Individualbeschwerden weitergeleitet. Rund 80.000 Beschwerden sind derzeit vor dem EGMR anhängig. Bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 11. Protokolls im November 1998 war offensichtlich, dass weitere Reformen des Kontrollsystems unumgänglich sein würden. Gerade aus dem Gerichtshof kamen von prominenter Stelle diesbezügliche Forderungen. Der damalige Präsident des EGMR, der Schweizer Luzius Wildhaber, äußerte beispielsweise im Juni 1999 seine Bedenken angesichts „the continuing steep increase in the number of appli75
Mokhtar (2004). Diese Zahlen gründen auf der im Jahr 2007 neu eingeführten Zählweise, bei der eingereichte Beschwerden, die nicht an ein Entscheidungsorgan des EGMR weitergeleitet worden sind (etwa wegen unvollständiger Angaben), nicht mehr berücksichtigt werden. Würden – wie in Abbildung 29 – sämtliche beim EGMR eingereichte Beschwerden berücksichtigt (wie es der EGMR bis 2006 auch machte), würde die Zahl deutlich ansteigen. Als Beispiel: Im Jahr 2007 wurden rund 42.000 Beschwerden weitergeleitet – eingereicht wurden hingegen rund 54.000 Beschwerden. Vgl. Registry (2008): S. 51.
76
5.4 Reformen des 14. Protokolls
163
cations to the Court”77, welche das Kontrollsystem weiter unter Druck setzten. Eine von Wildhabers zentralen Forderungen lautete, die Zahl der eingehenden Individualbeschwerden zu senken, damit sich der Gerichtshof „auf die wirklich wesentlichen Fragenkreise“ konzentrieren könne. Demgegenüber sollten „repetitive oder nicht schwerwiegende Fälle möglichst weitgehend von den nationalen Gerichten behandelt werden“.78 Ein wichtiger Impuls in diese Richtung ging von der Europäischen Ministerkonferenz zu Menschenrechten aus, die im November 2000 anlässlich des 50. Jahrestags der EMRKUnterzeichnung in Rom stattfand. Vertreter der Europaratsstaaten (zumeist Außen- oder Justizminister) äußerten ihre Besorgnis über die schwierige Lage des Gerichtshofs, die durch die hohe Zahl der Individualbeschwerden entstanden sei. Als Resultat sei es „the effectiveness of the Convention system which is now at stake”.79 Vor diesem Hintergrund wurde das Ministerkomitee des Europarats aufgefordert, Maßnahmen zur Sicherung des Kontrollsystems der EMRK zu entwickeln. Die von der Konferenz in Rom angestoßene Reformdiskussion führte zum 14. Protokoll.80 Das Protokoll wurde im Mai 2004 zur Zeichnung aufgelegt, konnte bislang allerdings nicht in Kraft treten. 46 Staaten haben das Protokoll bereits ratifiziert; die Ratifizierung durch Russland steht noch aus.81 Nachdem das 11. Protokoll grundlegende strukturelle Änderungen am Kontrollmechanismus der EMRK brachte, zielt das 14. Protokoll auf Verbesserungen in Verfahrensfragen ab. Das grundlegende Ziel lautet „to reduce the time spent by the Court on clearly inadmissible applications and repetitive cases so as to enable the Court to concentrate on those cases that raise important human rights issues.”82
Das 14. Protokoll zur EMRK brächte eine Reihe von Neuerungen.83 Eine der zentralen Innovationen beträfe den Umgang mit, genauer das Herausfiltern von eindeutig unzulässigen Fällen. Derzeit wird die Entscheidung über die Unzulässigkeit solcher Fälle von einem (Dreier-)Ausschuss getroffen. Das 14. Protokoll würde die Figur eines Einzelrichters (single judge) einführen. Unterstützt durch Berichterstatter, die der Kanzlei des EGMR angehörten, sollen Einzelrichter über die Unzulässigkeit oder Streichung einer Beschwerde entscheiden, falls dies ohne weitere Prüfung – d. h. in eindeutigen Fällen – möglich wäre. Andernfalls würde der Einzelrichter die Beschwerde an einen Ausschuss oder an eine Kammer (Art. 27 EMRK nach 14. Protokoll) übermitteln.
77
Press Release 349 (99). Wildhaber (2003): S. 29-30. Zu den ‚repetitiven Fällen’ gehören solche, in denen mehrere Beschwerden auf ein und dasselbe Defizit innerhalb eines Staates zurückzuführen sind. 79 Die beiden von der Konferenz angenommenen Resolutionen (hier Resolution I, Ziff. 16) sind abgedruckt in CM (2000) 172 (Part I). 80 Details zu den Zwischenschritten von der Ministerkonferenz im November 2000 zur Unterzeichnung des 14. Protokolls im Mai 2004 finden sich in Explanatory Report (2004): Art. 20-33. 81 Gleichwohl finden sich z. B. in den im Mai 2006 angenommenen Regeln des Ministerkomitees zur Erfüllung seiner Kontrollfunktion bereits Ausführungen zu Konventionsartikeln, die erst durch das 14. Protokoll eingeführt würden. Vgl. Rules (2006). 82 Vgl. Explanatory Report (2004): Art. 37. 83 Siehe Egli (2004). Für Änderungsvorschläge, die im Zuge der Ausarbeitung des 14. Protokolls verworfen wurden: siehe Keller/Bertschi (2005): S. 216-219. 78
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Durch den Einzelrichter würden die Ausschüsse beim Herausfiltern von unzulässigen Fällen entlastet.84 Zugleich würde das 14. Protokoll die Zuständigkeit der Ausschüsse erweitern: Fortan sollten auch Ausschüsse eine Beschwerde für zulässig erklären und zugleich Urteile über deren Begründetheit fällen dürfen. Dies gälte jedoch nur für Wiederholungsfälle (Art. 28 Abs. 1b EMRK nach 14. Protokoll), und zwar „sofern die der Rechtssache zugrunde liegende Frage der Auslegung oder Anwendung dieser Konvention oder der Protokolle dazu Gegenstand einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs ist.“
Auf diese Weise würden die sieben Richter umfassenden Kammern entlastet. Ferner führte das 14. Protokoll ein weiteres Zulassungskriterium ein. So sollen auch Beschwerden für unzulässig erklärt werden können, bei denen dem Beschwerdeführer „kein erheblicher Nachteil entstanden ist“. Allerdings gäbe es zu dieser Bestimmung zwei Schutzklauseln. Sie soll nicht angewandt werden, wenn die „Achtung der Menschenrechte“ eine Prüfung erfordert oder wenn die Beschwerde von einem nationalen Gericht nicht ausreichend geprüft wurde (Art. 35 Abs. 3b EMRK nach 14. Protokoll). Dieses neue Zulassungskriterium stellte ein weiteres Element dar, dem Gerichtshof die Konzentration auf zentrale Fälle zu ermöglichen. Auch die Handlungsmöglichkeiten des Ministerkomitees bei der Kontrolle der Urteilseinhaltung würden erweitert (Art. 45 Abs. 4-5 EMRK nach 14. Protokoll). Sollte sich ein Staat weigern, ein endgültiges Urteil des Gerichtshofs umzusetzen, könnte das Ministerkomitee den Gerichtshof erneut mit dem Fall befassen (infringement proceedings). Die Frage lautete dann, ob die Vertragspartei ihren Verpflichtungen zum Urteilsvollzug nachgekommen sei. Erforderlich wäre ein Beschluss des Ministerkomitees mit Zweidrittelmehrheit. Stellte der EGMR (genauer dessen Große Kammer per Urteil) eine Verletzung fest, wiese er die Rechtssache an das Ministerkomitee zurück. Dieses hätte anschließend erforderliche Maßnahmen zu prüfen. Stellte der Gerichtshof hingegen keine Verletzung fest, beschlösse das Ministerkomitee die Einstellung der Prüfung. Zentrales Ziel dieser neuen Bestimmungen wäre es, den politischen Handlungsdruck auf den betroffenen Staat zu erhöhen.85 Ein erneutes Urteil des EGMR solle den Staat zur Erfüllung seiner Vollzugsverpflichtung bewegen. Zugleich würde die Möglichkeit zur (Wieder-)Befassung des EGMR das Handlungsinstrumentarium des Ministerkomitees bei der Ausübung seiner Kontrollfunktion erweitern. Bislang steht dem Ministerkomitee zur Sanktionierung von Staaten, die Urteile des EGMR missachten, faktisch nur der Rückgriff auf den wenig brauchbaren Art. 8 der Europaratssatzung zur Verfügung.86 Eine weitere Neuerung bei der Interaktion von EGMR und Ministerkomitee bezüglich der Umsetzung von Urteilen bestünde darin, dass das Ministerkomitee mit Zweidrittelmehrheit den Gerichtshof zur Auslegung seiner Urteile anrufen könnte (Art. 46 Abs. 3 EMRK nach 14. Protokoll). Ein solcher Schritt solle dann erfolgen, wenn „die Überwachung des Vollzugs eines endgültigen Urteils nach Auffassung des Ministerkomitees durch eine Frage
84
Egli verweist darauf, dass die Reduzierung des Spruchkörpers – vom Kollegium zum Individuum – die Gefahr von Fehlentscheidungen erhöhen kann. Vgl. Egli (2004): S. 774. 85 Vgl. Explanatory Report (2004): Art. 99-100. 86 Siehe Kap. 2.6 für Details zur (Nicht-)Anwendbarkeit von Art. 8.
5.5 Die aktuelle Reformdebatte
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betreffend die Auslegung des Urteils behindert“ wird. Ist das der Fall, könnte das Ministerkomitee den EGMR anrufen, damit dieser über die Auslegungsfrage entscheidet. Neben den bereits geschilderten Neuerungen brächte das 14. Protokoll noch weitere Veränderungen. Beispielsweise würde die Amtszeit der Richter von sechs auf neun Jahre angehoben. Zugleich entfiele die Möglichkeit zur Wiederwahl (Art. 23 Abs. 1 EMRK nach 14. Protokoll). Mit diesem Schritt soll die Unabhängigkeit der Richter weiter gestärkt werden. Außerdem würden die Kammern künftig in der Regel, und nicht wie bislang als Ausnahme, zusammen – und nicht aufeinander folgend – über Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde entscheiden (Art. 29 Abs. 1 EMRK nach 14. Protokoll). Neu mit Blick auf die Kammern wäre außerdem, dass die Zahl der Richter je Kammer vorübergehend auf fünf reduziert werden könnte. Hierfür wäre ein Beschluss des Ministerkomitees auf Antrag des EGMR-Plenums erforderlich (Art. 26 Abs. 2 EMRK nach 14. Protokoll). Ferner sähe das 14. Protokoll erstmals eine eigenständige Rolle für den Menschenrechtskommissar des Europarats im Rahmen des Kontrollmechanismus der EMRK vor, ohne jedoch dessen Handlungsinstrumente zu erweitern. Bislang kommt dem Menschenrechtskommissar vor dem Gerichtshof nur dann eine Rolle zu, wenn er vom EGMR-Präsidenten dazu aufgefordert wird (Art. 36 Abs. 2 EMRK). Auf der Grundlage einer solchen Aufforderung kann er schriftliche Stellungnahmen abgeben und an mündlichen Verhandlungen teilnehmen. Das 14. Protokoll schriebe fest, dass der Menschenrechtskommissar von sich aus in allen Fällen, die vor einer Kammer oder der Großen Kammer anhängig sind, Stellungnahmen abgeben und an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen kann (Art. 36 Abs. 3 EMRK nach 14. Protokoll). Die Stärkung der Kompetenzen des Menschenrechtskommissars würde höchstwahrscheinlich keine Beschleunigung der Verfahren erreichen. Durch die Beteiligung eines Dritten am Verfahren dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Durch die stärkere Einbringung der Expertise des Menschenrechtskommissars würde jedoch die „objektive Rechtsschutzfunktion der Individualbeschwerde“87 gestärkt. Ebenfalls erstmalig erwähnt in der EMRK würde die Europäische Union. Das Protokoll hielte fest, dass die EU der Menschenrechtskonvention beitreten kann (Art. 59 Abs. 2 EMRK nach 14. Protokoll).
5.5 Die aktuelle Reformdebatte 5.5 Die aktuelle Reformdebatte Auch die Reformen des 14. Protokolls würden die langfristige Wirksamkeit des Kontrollmechanismus der Menschenrechtskonvention nicht sichern. Die Reform müsse laut Eaton und Schokkenbroek „as part of an evolutionary process, not as the end of the story“88 gesehen werden. Entsprechend laufen derzeit, und somit noch bevor das 14. Protokoll überhaupt in Kraft getreten ist, bereits die Arbeiten zur weiteren Anpassung des Kontrollsystems. Die weiterhin ungelöste Frage lautet, wie der Gerichtshof entlastet werden kann, ohne seine Offenheit für Individualbeschwerden einzuschränken und die Qualität seiner Rechtsprechung zu vermindern. Der Schlüssel liegt in der Filterung der Beschwerden, genauer wie
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Egli (2004): S. 785. Eaton/Schokkenbroek (2005): S. 16. Nach Ansicht von Keller und Bertschi „ist vom 14. Protokoll eher eine Atempause für den überlasteten Gerichtshof als eine definitive Lösung zu erwarten“. Keller/Bertschi (2005): S. 228. 88
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
das geschehen soll und durch wen. Schließlich sind bis heute mehr als 90 Prozent der eingereichten Beschwerden für unzulässig erklärt worden.89 Ein wichtiger Impuls für die Reformdebatte ging vom Bericht einer Group of Wise Persons aus.90 Eingesetzt wurde die Expertengruppe im Nachgang zum dritten Gipfel des Europarats. Laut dem Aktionsplan des Gipfels sollte sich die Gruppe mit der langfristigen Wirksamkeit des Kontrollmechanismus der EMRK auseinandersetzen.91 Die Gruppe umfasste elf Personen und arbeitete unter Leitung des Spaniers Gil Carlos Rodríguez Iglesias. Sie konstituierte sich im November 2005. Nach einem Zwischenbericht im Mai 200692 legte die Gruppe im November 2006 dem Ministerkomitee des Europarats ihren Abschlussbericht vor. In Einklang mit den für ihre Einsetzung zuständigen Europaratsstaaten geht die Gruppe ebenfalls davon aus, dass die Reformen des 14. Protokolls keine nachhaltige Lösung darstellen würden.93 Nach Einschätzung der Gruppe steigerten diese Reformen die Produktivität des Gerichts um höchstens 25 Prozent. Der ‚Beschwerdestau’ des Gerichtshofs mit mehreren zehntausend anhängigen Beschwerden ließe sich auf diese Weise nicht bewältigen. Eine weitere Reform der Reform sei deshalb zwangsläufig. Das Leitmotiv der Gruppe lautete, den EGMR zu entlasten, um ihm so die Konzentration auf seine Rolle als „Hüter der Menschenrechte“94 zu erlauben. Die Vorschläge der Gruppe fallen in vier Kategorien: Struktur und Reform des Justizapparats, Beziehungen zwischen dem EGMR und den Vertragsparteien, nichtgerichtliche Wege der Konfliktlösung sowie institutioneller Status des Gerichts und der Richter. Ein Vorschlag im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Änderung des Justizapparats lautet, die EMRK so zu ergänzen, dass das Ministerkomitee Reformen durch einstimmig anzunehmende Resolutionen durchführen könnte. Eine Änderung der EMRK selbst entfiele hierdurch. Reformen würden auf diese Weise erleichtert. Allerdings wären bestimmte Inhalte der EMRK von solchen Änderungen ausgenommen (u. a. Errichtung des Gerichtshofs; Staaten- und Individualbeschwerden). Zudem bedürften Änderungen stets der Zustimmung des EGMR. Eine andere Forderung betrifft die Einführung eines neuen gerichtlichen Filtermechanismus. Ein ‚Justizausschuss’ soll alle Beschwerden hören, in denen es um die Frage der Zulässigkeit geht oder die auf der Grundlage einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs entschieden werden können. Der Ausschuss würde dem Gerichtshof zwar angehängt, jedoch nicht Teil von diesem sein. Die Kanzlei des EGMR entschiede, ob ein Fall dem Justizausschuss oder dem EGMR zugewiesen würde. Mit dem Justizausschuss würden zwei Ziele erreicht: Individualbeschwerden mündeten weiterhin in einer gerichtlichen Entscheidung, und der EGMR würde von einer Großzahl von Fällen entlastet.95 Zur Verbesserung der Beziehungen zwischen dem EGMR und den Vertragsparteien der Konvention sei unter anderem die Rechtsprechung des Gerichtshofs besser zu verbreiten. Zudem sollten nationale Gerichte den EGMR künftig zur Erstellung von Gutachten anrufen 89
Vgl. CM (2006) 203: S. 9. Die Gruppe orientierte sich bezüglich Zusammensetzung, Arbeitsweise, Finanzierung etc. am Committee of Wise Persons, das nach dem zweiten Europaratsgipfel (1997) zur Entwicklung von Vorschlägen zur Strukturreform der Organisation eingesetzt wurde. Siehe Kap. 2.1.5. 91 Vgl. CM (2005) 80 final: Ziff. I-1. 92 Vgl. CM (2006) 88. 93 Vgl. hier und im Folgenden CM (2006) 203. 94 CM (2006) 203: S. 11. 95 Vgl. CM (2006) 203: S. 13-18. 90
5.5 Die aktuelle Reformdebatte
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können. Die Gutachten würden sich auf Fragen beziehen, welche die Auslegung der Konvention und ihrer Protokolle beträfen. Anfragen zur Erstellung von Gutachten dürften nur von Verfassungsgerichten oder letztinstanzlichen Gerichten eingereicht werden. Die Gutachten des Gerichtshofs hätten keine Bindungswirkung. Ferner fordert die Gruppe den EGMR zur stärkeren Nutzung von ‚Musterentscheidungen’ (pilot judgments) auf. Auf diese Weise würden Verfahren beschleunigt und der Gerichtshof von ähnlich gelagerten Fällen entlastet. Mit Blick auf nichtgerichtliche Wege der Konfliktlösung spricht sich die Gruppe für den weiteren Ausbau von gütlichen Einigungen und Mediationsverfahren aus. Zudem ist die Erweiterung der Pflichten des Menschenrechtskommissars vorgesehen. Gerade in Fällen, in denen der EGMR schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen feststellt, soll sich der Menschenrechtskommissar engagieren. Zudem soll er im nationalen Rahmen vorhandene Mechanismen zur Mediation unterstützen. Hinsichtlich des institutionellen Status des Gerichts und der Richter spricht sich die Gruppe schließlich für eine gewissenhaftere Kontrolle der Eignung der von den Vertragsparteien vorgeschlagenen Kandidaten für ein Richteramt aus. Zugleich ließe sich die Unabhängigkeit der Richter durch die Schaffung eines Sozialversicherungssystems für diese weiter erhöhen. Die Zahl der Richter wiederum sollte verringert werden. Ein solcher Schritt wäre die Folge sowohl der anvisierten Fokussierung des Gerichts auf zentrale Fälle als auch der Ergänzung des Gerichtshofs um den Justizausschuss. Schließlich fordert die Gruppe eine größere Selbstständigkeit des Gerichtshofs in operativen Fragen, etwa in Budget- und Personalfragen. Der Bericht der Gruppe wurde seit seiner Vorlage im November 2006 in verschiedenen Institutionen und Foren diskutiert. Das KMB etwa tauschte sich im Januar 2007 erstmals über den Bericht aus. Die Vorschläge wurden außerdem auf einer Expertenkonfernenz diskutiert, die San Marino während seines Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats im März 2007 durchführte. Auch die Parlamentarische Versammlung und der Menschenrechtskommissar äußerten sich zu den Vorschlägen. Schließlich thematisierte auch das Ministerkomitee bei seiner jährlichen Sitzung im Mai 2007 den Bericht der Gruppe. Ins Detail gingen die Minister jedoch nicht. Neben einem allgemeinen Lob des Berichts bekundeten sie die Notwendigkeit, die Vorschläge weiterzuverfolgen und, sofern keine Änderungen der EMRK notwendig seien, umzusetzen.96 Konkreter wurde das KMB in einem Dokument, das zur Vorbereitung des Treffens des Ministerkomitees erstellt worden war. Nach Ansicht der Ministerbeauftragten bestünde ein maßgebliches Problem bei der Umsetzung der Vorschläge der Gruppe darin, dass gerade die institutionellen Vorschläge nicht abschließend bewertet werden könnten, solange das 14. Protokoll – auf dem die Vorschläge aufbauen – nicht in Kraft sei. Deshalb liege die Priorität auf der Ratifizierung des Protokolls; operative Entscheidungen seien (noch) nicht erforderlich. Operative Aspekte standen im Mittelpunkt eines anderen Reformberichts (WoolfBericht). Die vom Generalsekretär des Europarats und dem Präsidenten des EGMR an Lord Woolf, einen ehemaligen Lord Chief Justice von England and Wales, herangetragene Frage lautete, welche Maßnahmen der Präsident, die Richter und die Mitarbeiter des Gerichtshofs ergreifen könnten, um effektiver und effizienter anhängige und künftige Beschwerden zu bewältigen. Während der Bericht der Group of Wise Persons somit den gesamten Kontrollmechanismus inklusive der Konvention und deren mögliche Änderung in den Blick nahm, bezog sich der Auftrag von Lord Woolf ausschließlich auf die Entwicklung von 96
Vgl. CM (2007) 65 final: Abschnitt 2.
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Vorschlägen, die auf der Verwaltungsebene und somit ohne Konventionsänderung umgesetzt werden könnten. Lord Woolf, der auch Mitglied der Group of Wise Persons war, legte seinen Bericht im Dezember 2005 vor.97 Um die Arbeitsbelastung des Gerichtshofs zu senken, sollten seiner Ansicht nach nur noch ordnungsgemäß ausgefüllte Beschwerden behandelt werden. Außerdem könnten ‚Satellitenbüros’ (satellite offices) in denjenigen Staaten errichtet werden, aus denen viele Individualbeschwerden den Gerichtshof erreichen. Die Büros würden Antragsteller nicht nur mit Informationen zum Gerichtshof wie auch zu etwaigen nationalen Mechanismen zur Konfliktbeilegung versorgen. Darüber hinaus sollten die Büros die erste Instanz für die Bearbeitung von Beschwerden sein, unter anderem durch das Verfassen kurzer Zusammenfassungen der – in jeder Amtssprache der Vertragspartei einreichbaren – Beschwerden in einer der beiden offiziellen Sprachen des EGMR. Hierdurch ließe sich die Bearbeitungszeit in Straßburg verkürzen. Weitere Vorschläge bezogen sich auf die stärkere Nutzung von gütlichen Einigungen und von den noch zu schildernden ‚Piloturteilen’ zur Behandlung repetitiver Fälle. Die Vorschläge der Wise Persons und des Woolf-Berichts flossen in die innerhalb des Ministerkomitees laufenden Arbeiten ein. Dort trieb der Lenkungsausschuss für Menschenrechte (CDDH) parallel zu den Aktivititäten der unabhängigen Experten seine Arbeiten zur Sicherung der Wirksamkeit des EGMR-Kontrollmechanismus voran. Neben den beiden Berichten ist ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für die Überlegungen des Lenkungsausschusses eine vom Ministerkomitee im Mai 2006 angenommene Deklaration.98 Die Deklaration führt diverse Vorschläge an, mittels derer die Umsetzung der EMRK gewährleiset werden soll. Der Lenkungsausschuss hat auf dieser Grundlage nunmehr unter anderem eine Empfehlung zu den für die rasche Umsetzung der EGMR-Urteile erforderlichen Kapazitäten in den Europaratsstaaten zu entwickeln. Beabsichtigt ist außerdem eine Datenbank, in welcher der Vollzug von Urteilen gesammelt wird. Ferner sind jährliche ‚Dreier-Treffen’ (tripartite meetings) zwischen dem Ministerkomitee, der Parlamentarischen Versammlung und dem Menschenrechtskommissar vorgesehen, um die Zusammenarbeit der drei Institutionen bei der Umsetzung der EGMR-Urteile zu stärken. 2008 soll das erste Treffen durchgeführt werden.99 Anstöße des Ministerkomitees bzw. der Experten sind ferner direkt vom Gerichtshof aufgegriffen und umgesetzt worden. Auf diesem Wege führte der Gerichtshof Piloturteile (pilot judments) ein. Das Ministerkomitee hatte in einer Deklaration vom Mai 2004 gegenüber dem EGMR angeregt, dieser möge in seinen Urteilen so weit wie möglich grundlegende strukturelle Mängel und deren Ursachen aufzeigen, die zu den festgestellten Konventionsverletzungen geführt hätten.100 Dies gelte insbesondere für solche Defizite, die, sofern sie nicht rasch behoben würden, zahlreiche weitere Beschwerden nach sich zögen. Durch eine solche Leistung des Gerichtshofs erhielten sowohl die Staaten bei der Umsetzung der Urteile als auch das Ministerkomitee bei der Kontrolle des Urteilsvollzugs Unterstützung. Diese eher allgemein gehaltene Anregung setzte die Große Kammer des EGMR in Piloturteile um, deren stärkere Nutzung, wie geschildert, auch im Woolf-Bericht gefordert wur-
97
Der Bericht ist betitelt Review of the Working Methods of the European Court of Human Rights. Der Bericht ist abrufbar auf der Homepage des EGMR unter http://www.echr.coe.int/echr (zuletzt abgerufen am 17.2.2008). Vgl. Declaration-2 (2006). 99 Vgl. CM (2007) 53 final. 100 Vgl. Resolution (2004) 3. 98
5.6 Fazit
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de.101 In Piloturteilen arbeitet das Gericht explizit strukturelle Ursachen für die festgestellte Konventionsverletzung heraus. Zugleich weisen die Richter in derartigen Urteilen auf ähnlich gelagerte Beschwerden hin, die noch vor dem Gerichtshof anhängig sind. Die Untersuchung solcher Wiederholungsfälle (repetitive cases) wird suspendiert, bis das zugrunde liegende Strukturproblem vom betroffenen Staat behoben worden ist. In diesem Kontext geben die Richter auch Hinweise für von einem Staat zu ergreifende allgemeine Maßnahmen zur Beseitigung des Defizits. Kurzum: Der Umbau des Kontrollsystems der EMRK ist nicht auf die im 14. Protokoll enthaltenen Maßnahmen begrenzt. Diverse, eng miteinander verknüpfte Aktivitäten zeigen dies. Zu nennen sind die Berichte der Wise Persons und von Lord Woolf, die Arbeiten innerhalb des Lenkungsausschusses für Menschenrechte des Ministerkomitees sowie vom Gerichtshof selbst eingeführte Neuerungen. Fest steht, dass sich das Kontrollsystem weiter verändern wird und verändern muss, um die Beschwerdeflut, deren Ende nicht abzusehen ist, zu bewältigen. Offen ist jedoch weiterhin, wie die langfristige Wirksamkeit des Systems am besten gewährleistet werden kann.
5.6 Fazit 5.6 Fazit Die Europäische Menschenrechtskonvention und der über ihre Einhaltung wachende Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sind (die) Wahrzeichen des Europarats. Beide sind maßgeblich für den individuellen Menschenrechtsschutz in Europa. Durch ihre Unterwerfung unter das Kontrollsystem hätten die europäischen Staaten laut Mahoney „raison d’État in favour of État de droit“ geopfert.102 Zugleich beeinflussen die Inhalte der Konvention und die Rechtsprechung des Gerichtshofs „die Tagespolitik und die Gesetzgebungsprozesse“103 der Europaratsstaaten. Der Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, betont beispielsweise die „Präzedenzwirkung Straßburger Entscheidungen“ für das deutsche Recht sowie die „normative Leit- und Orientierungsfunktion“ der Leitentscheidungen des EGMR.104 Die Ausstrahlung der Konvention reicht freilich über den Kontinent hinaus. So orientieren sich zum Beispiel die Amerikanische Menschenrechtskonvention (1969 unterzeichnet/1978 in Kraft) und der auf dieser gründende InterAmerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (1979 in Kraft) an der EMRK.105 Strasser fasst die ebenso regionale wie globale Bedeutung der EMRK mit den Worten zusammen, dass diese „bis heute weltweit das entwickeltste und erfolgreichste Instrument des internationalen Menschenrechtsschutzes [darstellt], das in vielfacher Weise auf andere Schutzmechanismen sowohl im weltweiten Rahmen als auch in anderen Regionen eingewirkt hat.“106
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Vgl. Eaton/Schokkenbroek (2005): S. 17. Mahoney (2005): S. 345. 103 Siess-Scherz (2003): S. 101. 104 Papier (2006): S. 1. In Deutschland besitzt die EMRK freilich ‚nur’ den Rang eines einfachen Bundesgesetzes – eine Verfassungsbeschwerde ‚bloß’ wegen der Verletzung einer EMRK-Bestimmung ist somit nicht möglich. Zur Stellung und Anwendung der EMRK in den Europaratsstaaten: siehe Blackburn/Polakiewicz (2001). 105 Siehe Fix-Zamudio (2000); Engel (2003). 106 Strasser (2000): S. 122. 102
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Der Kontrollmechanismus der EMRK hat sich im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt. Meilensteine waren die Anerkennung der Individualbeschwerde im Jahr 1955, die Etablierung des EGMR im Jahr 1959 und die erstmalige Akzeptierung von EMRK, Individualbeschwerde und EGMR durch alle Europaratsstaaten im Jahr 1990. Wie der Europarat wurde auch die EMRK und mit ihm der EGMR nach dem Ende des Ost-West-Konflikts paneuropäisiert. Heute gehören alle Mitglieder des Europarats und somit 47 Staaten der EMRK an. Alle Staaten unterwerfen sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die Akzeptanz der EMRK und ihres Kontrollmechanismus bei den europäischen Bürgern steht außer Frage.107 Genau genommen ist es gerade die intensive Nutzung des aus der EMRK resultierenden Rechts zur Individualbeschwerde, das zur Überlastung des Systems geführt hat. Die Zahl der Individualbeschwerden ist seit Anfang der 1990er Jahre beinahe explosionsartig gestiegen. Zwischen 1955 und 1991 wurden insgesamt ‚nur’ 54.401 Individualbeschwerden eingereicht, was im Durchschnitt 1635 Beschwerden pro Jahr bedeutete. Seit 1992 (bis 2007) erreichten den EGMR rund 434.000 Individualbeschwerden. Dies entspricht einem Schnitt von mehr als 27.000 Beschwerden pro Jahr.108 Die Bewältigung der maßgeblich mit der Erweiterung des Europarats einhergehenden Eingabeflut stellt den Kontrollemechanismus der EMRK vor seine bislang größte Herausforderung. Noch sind keine passenden Antworten gefunden worden. Die Reformen des 11. Protokolls griffen zu kurz. Die strukturellen Änderungen am Kontrollmechanismus konnten den Anstieg der Beschwerden nicht verhindern bzw. allgemein die Arbeitsbelastung des EGMR nicht verringern. Die an das 14. Protokoll gerichteten Erwartungen sind begrenzt. Dessen auf Verfahrensaspekte abzielende Neuerungen (u. a. Filtermechanismus) sind noch nicht in Kraft und würden nach ihrem Inkrafttreten keine nachhaltige Entlastung des Gerichtshofs bringen. Nicht von ungefähr werden bereits weitere Reformen diskutiert. Die zentrale Herausforderung besteht darin, den Gerichtshof zu entlasten, ohne seine Offenheit (zu stark) einzuschränken und die Qualität seiner Rechtsprechung zu vermindern. Die nicht zu überschreitende ‚rote Linie’ aller Reformbemühungen besteht laut Tomuschat darin, „auf keinen Fall (...) das Recht des Bürgers [aufzugeben], seine Sache vor eine internationale oder zumindest international beaufsichtigte Instanz zu tragen, so dass das angeblich verletzte individuelle Recht außerhalb des Einflussbereichs der eigenen Regierungsgewalt geltend gemacht werden kann.“109
Die knappen personellen und finanziellen Ressourcen des Gerichtshofs sind nicht ursächlich für seine durch die Flut an Individualbeschwerden hervorgerufene Überlastung. Sie verschärfen das Problem jedoch zusätzlich. Der Gerichtshof verfügt über keine Haushaltsautonomie. Sein Haushalt ist Bestandteil des Europaratshaushalts. Die darin für den Gerichtshof eingestellten Mittel sind in den letzten Jahren gestiegen. Im seinem ersten ‚vollständigen’ Arbeitsjahr 1999 standen dem reformierten Gerichtshof € 25,1 Millionen zur Verfügung.110 2004 waren es € 39,2 Millionen und 2007 € 48,9 Millionen.111 Wie Abbildung 31 zeigt, wuchs das Jahresbudget des Gerichtshofs jedoch merklich langsamer als die 107
Laut Tomuschat lässt sich die europaweite Nutzung des Instruments der Individualbeschwerde „als Ausprägung echten europäischen Bürgersinns“ verstehen. Tomuschat (2003): S. 100. 108 Vgl. Registry (2007): S. 47-48; Registry (2008): S. 51. Siehe auch Abbildung 29. 109 Tomuschat (2003): S. 100. 110 Im Budget waren 164,7 Millionen französische Francs vorgesehen. Vgl. Resolution 99 (7). 111 Vgl. Resolution (2003) 24; Resolution (2005) 35; Resolution (2006) 22.
5.6 Fazit
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Zahl der pro Jahr vor ihm eingebrachten Individualbeschwerden.112 Zugleich existiert ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den eingereichten Beschwerden und daraus folgenden Verfahren auf der einen und dem EGMR-Haushalt auf der anderen Seite. Schließlich sind alle Verfahren vor dem Gerichtshof für die Beschwerdeführer kostenfrei. Anfallende Kosten trägt der Europarat (Art. 50 EMRK). Mit einem Anstieg der Verfahren steigt entsprechend die Belastung des Haushalts. Sicher: Selbst eine deutliche Aufstockung des Personals bzw. allgemein des Haushalts des EGMR – der freilich stets im Gesamtzusammenhang des Europaratshaushalts betrachtet werden muss – würde dessen Überlastung nicht beseitigen. Ebenso sicher ist jedoch, dass der Gerichtshof ohne eine adäquate personelle und finanzielle Ausstattung die Beschwerdeflut niemals bewältigen kann. Greer bringt die inhaltliche und die ressourcenbezogene Dimension der Herausforderung, vor der der EGMR steht, zusammen: „The key problem currently facing the Convention system is (…) to determine how its scarce judicial resources can be targeted effectively on the most serious alleged violations in Europe, and how the tiny annual cluster of cases it is capable to fully reasoned judgments can be settled with maximum authority and impact.”113
Abbildung 31: Entwicklung von Individualbeschwerden und EGMR-Haushalt114 300 250 200 150 100 50 0 1999
2000
2001
2002 Beschwerden
2003
2004
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2006
2007
EGM R-Haushalt
Diskutieren ließe sich ferner die Anwendbarkeit von Staatenbeschwerden bzw. die Gründe für deren Nichtanwendung. Bislang wurden, wie geschildert, 21 Staatenbeschwerden eingereicht. Positiv kann diese Zurückhaltung insofern gewertet werden, als dass die wenigen Fälle, in denen Staaten eine solche Beschwerde einreichen, gerade aufgrund der Seltenheit
112 Georg Ress, ein ehemaliger Richter am EGMR, beziffert das vom Gerichtshof benötigte Budget auf etwa € 100 Millionen. Vgl. Ress (2007): S. 72. 113 Greer (2006): S. 59. 114 Der Haushalt des EGMR für 1999 bzw. die Zahl der 1999 eingereichten Individualbeschwerden entsprechen ‚100’. Eigene Darstellung nach Informationen von EGMR und Ministerkomitee.
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der Maßnahme zusätzlich an Gewicht gewinnen.115 Andererseits deutet die Zurückhaltung bei der Nutzung der Staatenbeschwerde auf den fehlenden politischen Willen in den Europaratsstaaten hin, für die Wahrung der Menschenrechte in Europa die Beziehungen zu einem anderen Staat zu belasten und gegebenenfalls auch Gegenreaktionen in Kauf zu nehmen: „Regierungen sind im allgemeinen träge – oder vorsichtig, wenn es darum geht, einen ihrer Peers zu denunzieren.“116 Anlässe für Staatenbeschwerden infolge systematischer Verletzungen der EMRK hätte es gegeben, gerade im Kontext innerstaatlicher Konflikte in den Europaratsstaaten. Fakt ist, dass die Staatenbeschwerde bis heute in der Praxis des Gerichtshofs keine Rolle gespielt hat. Höchstwahrscheinlich wird sie dies auch in Zukunft nicht tun. Eine noch offene Frage ist der Beitritt der EU zur EMRK.117 Die Rolle des in Luxemburg ansässigen Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beim Grundrechtsschutz ist sukzessive gewachsen.118 Damit stieg die Gefahr der fehlenden Kohärenz zwischen der Rechtsprechung von EGMR und EuGH. Zwar orientiert sich der EuGH bei seiner Rechtsprechung an der EMRK und deren Auslegung durch den EGMR. Die hierdurch erzeugte Kohärenz muss jedoch nicht von Dauer sein. Gerade die Europäische Grundrechtecharta, als ein eigenständiger EU-Grundrechtekatalog, eröffnet dem EuGH die Möglichkeit, eine von Menschenrechtskonvention und Menschenrechtsgerichtshof getrennte Grundrechtsdogmatik zu entwickeln. Als Folge könnten Interpretations- und somit Rechtsprechungsdivergenzen zunehmen.119 Die positive Kehrseite besteht laut Gebauer darin, dass sich den europäischen Bürgern durch die Herausbildung eines zweiten Grundrechtsschutzsystems eine weitere Handlungsoption auftut.120 Der im Dezember 2007 unterzeichnete und sich gegenwärtig im Ratifikationsprozess befindende Reformvertrag der EU (Vertrag von Lissabon) greift beide Aspekte auf. Im Vertrag verpflichtet sich die Union, der EMRK beizutreten (Art. 6 Abs. 2). Zugleich sieht der Vertrag vor, dass die bereits 2000 in Nizza proklamierte Grundrechtecharta Rechtsverbindlichkeit erhält (Art. 6 Abs. 1). Hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten und Grundfreiheiten in Europa könnten diese beiden Aspekte gegenläufige Folgen haben. Während Letzteres, wie angeführt, möglicherweise zu Divergenzen zwischen Europarat/EGMR und EU/EuGH führt, dürfte Ersteres, also der Beitritt der Union zur EMRK, die DivergenzProblematik vermindern. Im Falle eines Beitritts würden die Organe der EU – wie bereits alle ihre Mitgliedsstaaten – durch die EMRK gebunden, und der EGMR erhielte eine unmittelbare Zuständigkeit, die Vereinbarkeit des Gemeinschaftsrechts, einschließlich der Rechtsprechung des EuGH, mit der EMRK zu prüfen.121 Bei abweichenden Rechtspre-
115
In diesem Sinne etwa Grabenwarter (²2005): S. 48. Tomuschat (2003): S. 96. 117 Das Verhältnis zwischen den beiden Gerichtshöfen wird ausführlich diskutiert bei Gebauer (2007). Siehe auch Krüger/Polakiewicz (2001). 118 Schimmelfennig (2006) führt die Institutionalisierung von Menschenrechten in der EU auf „rhetorisches Handeln“ von EuGH, nationalen Verfassungsgerichten und EGMR zurück, wobei sich der EuGH durch die Anbindung seiner Rechtsprechung an die in der EMRK festgehaltenen Normen in die Situation brachte, das Supremat des EGMR in Menschenrechtsfragen anerkennen zu müssen. Ähnlich Scheeck (2005). 119 Vgl. Alber/Widmaier (2006): S. 122. 120 Vgl. Gebauer (2007): S. 386. 121 Vgl. Alber/Widmaier (2006): S. 122-123 116
5.6 Fazit
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chungen von EuGH und EGMR könnte bzw. sollte letzterem sogar die Letztentscheidungsbefugnis zugewiesen werden.122 Der Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention ist auf beiden Seiten an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Um der EMRK beitreten zu können, müsste die EU Rechtspersönlichkeit erhalten. Im Falle des Inkrafttretens des Reformvertrags erhielte sie diese. Die EMRK wiederum, die bislang nur Staaten offensteht (Art. 56 Abs. 1 EMRK), müsste den Beitritt von internationalen bzw. supranationalen Organisationen ermöglichen. Dies ist, wie geschildert, im 14. Protokoll vorgesehen (Art. 59 Abs. 2 EMRK nach 14. Protokoll). Zugleich müsste die EMRK an die Grundrechtecharta angepasst werden. Laut Callewaert besitzen „ungefähr die Hälfte der materiell-rechtlichen Bestimmungen der Charta ihren Ursprung in der EMRK oder in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“.123 Die übrigen Bestimmungen der Grundrechtecharta gehen über die EMRK und die EGMR-Rechtsprechung hinaus.124 Ferner argumentieren Alber und Widmaier, dass vor einem Beitritt der Union zur EMRK der Menschenrechtsgerichtshof organisatorisch (nicht zuletzt durch einen vom Europaratshaushalt getrennten Haushaltstitel) und personell vom Europarat gelöst werden müsste: „Nur bei einer solch umfassenden – und einer nur dann dem EuGH vergleichbaren – Unabhängigkeit des Menschenrechtsgerichtshofs ist ein Beitritt der EU zur EMRK vertretbar.“125 Schließlich müsste wohl auch die Satzung des Europarats geändert werden, um der EU eine Möglichkeit zur Teilnahme am Ministerkomitee zu eröffnen, das über die Kontrolle der Einhaltung der EGMR-Urteile wacht.126 Insgesamt würden mit einem Beitritt der EU zur EMRK die bereits vorhandenen textlichen Überschneidungen zwischen EMRK und Grundrechtecharta eine „institutionelle und verfahrensrechtliche Fortsetzung erhalten.“127 Zugleich würde die Verbindung von EGMR und EuGH, die bereits heute laut Scheeck „separate but not separable“ sind, weiter intensiviert.128 Ein weiteres Problem des EGMR besteht bezüglich des Vollzugs seiner Urteile. Die Vertragsparteien setzen die Urteile oftmals inadäquat oder mit zeitlicher Verzögerung um. Als Folge fasst der EGMR seit 2004 seine Schlussfolgerungen deutlich präziser als zuvor.129 Auf diese Weise sollen die Staaten nicht nur durch eindeutigere Festlegungen bei der Umsetzung der Urteile unterstützt werden. Durch konkretere Vorgaben beschränkt der Gerichtshof zugleich den Spielraum der Staaten beim Urteilsvollzug. Auch das Ministerkomitee geht die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der EGMRUrteile an. Die Problematik wird beispielsweise im Aktionsplan des dritten Gipfeltreffens des Europarats vom Mai 2005 und in einer im Mai 2006 verabschiedeten Deklaration zur 122
So argumentiert Schwartmann, der sich auf die im Verfassungskonvent für Grundrechtefragen zuständige Arbeitsgruppe stützt. Vgl. Schwartmann (2005): S. 141. 123 Callewaert (2003): S. 198. 124 Der breitere Rahmen der Grundrechtecharta stellt jedoch kein grundsätzliches Problem dar. Blackburn betont in diesem Zusammenhang: „There can be no objection to the EU Charter going beyond what is contained in the ECHR [EMRK; KB]; the important point is that the laws and standards of the EU (as with all member parties) must not fall below the requirements of the ECHR.“ Blackburn (2001a): S. 98. 125 Alber/Widmaier (2006): S. 123. Mahoney (2003) zufolge müsste die operative bzw. funktionale Unabhängigkeit des EGMR innerhalb des Europarats sowie insgesamt die Trennung der judikativen (EGMR) von der exekutiven (Ministerkomitee) Gewalt in jedem Fall erreicht werden. 126 Vgl. Wittinger (2005): S. 527. 127 Callewaert (2003): S. 206. 128 Scheeck (2005): S. 885. 129 Vgl. Grabenwarter (²2005): S. 95-96.
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5 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Sicherung der Funktionsfähigkeit des EMRK-Kontrollmechanismus aufgegriffen. In beiden Dokumenten wird fast wortgleich gefordert, dass die von einem Urteil betroffenen Staaten „must execute fully and more rapidly the judgments of the Court“.130 Ein Mittel hierzu ist die häufigere Nutzung von Interim-Resolutionen, mittels derer die Umsetzung der Urteile beschleunigt werden soll.131 Zugleich sollen die Europaratsstaaten ihre nationalen Mechanismen und Kapazitäten zum Vollzug der EGMR-Urteile verbessern. Eine diesbezügliche Empfehlung des Ministerkomitees ist derzeit in Ausarbeitung. Die in der Literatur konstatierte „große Geduld“132, die das Ministerkomitee mithin bei der Umsetzung der Urteile durch einzelne Staaten gezeigt haben soll, scheint geringer zu werden. Bedenkenswert scheint in diesem Zusammenhang die Einführung von Strafzahlungen, die Staaten im Falle der Nichtumsetzung der aus einem Urteil erwachsenden Verpflichtung zu entrichten hätten.133 Ein anderer Ansatzpunkt könnte sein, den unterlegenen Staaten die Kosten des Verfahrens tragen zu lassen.134 Bessere (nachträgliche) Mechanismen zur Umsetzung von Urteilen müssten freilich komplementiert werden durch eine insgesamt bessere (vorsorgliche) Einhaltung der in der EMRK niedergelegten Rechte durch die Staaten. Je besser die Rechte geschützt werden, desto weniger Individualbeschwerden gibt es. Schärfere Maßnahmen des Ministerkomitees gegen Staaten, welche die EGMR-Urteile nicht vollziehen, werden auch von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gefordert.135 Die Parlamentarier befassen sich seit mehreren Jahren kontinuierlich mit der Umsetzungsproblematik. Sie kritisieren insbesondere die zeitlichen Verzögerungen bei der Umsetzung der Urteile sowie den schlichten Unwillen einiger Staaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.136 Auf verschiedene Weise versucht die Versammlung, zu einem besseren Vollzug der Urteile beizutragen. Ein Instrument in diesem Kontext ist die Abhaltung von Debatten, in denen Staaten, welche die EGMR-Urteile nicht umsetzen, öffentlich kritisiert werden. Vorbereitet werden diese Debatten durch den Ausschuss für Recht und Menschenrechte. Der Ausschuss untersucht Staaten, in denen schwerwiegende strukturelle Probleme die Umsetzung von Urteilen verzögern.137 Im Fokus des Ausschusses stehen derzeit fünf Staaten: Italien, Russland, die Türkei, die Ukraine und das Vereinigte Königreich. Diese Staaten werden unter anderem vom Berichterstatter des Ausschusses besucht mit dem Ziel, die Gründe für den ausbleibenden Vollzug von Urteilen zu ergründen. Mit acht weiteren Staaten steht der Ausschuss in schriftlichem Austausch bezüglich der Umsetzungsfrage. Verweigert ein Staat dauerhaft die Umsetzung der Urteile oder übt ein nationales Parlament nicht genügend Druck auf die Regierung hinsichtlich des Urteilsvollzugs aus, behält sich die Versammlung vor, die Beglaubigung der nationalen Delegation des betroffenen Landes nicht zu ratifizieren – und somit das Land faktisch von der Versammlung zu suspendieren.138 130 Declaration-2 (2006): Ziff. V. Im Aktionsplan heißt es: „We underline that all member states must accelerate and fully execute the judgments of the Court.“ CM (2005) 80 final: Ziff. I/1. 131 Vgl. CM/AS (2007) Recommendation 1764 final: Ziff. 9. 132 Okresek (2003): S. 172. 133 So Polakiewicz unter Verweis auf eine Forderung der Parlamentarischen Versammlung. Vgl. Polakiewicz (2001): S. 76. 134 Vgl. Keller/Bertschi (2005): S. 226, 228. 135 Vgl. Recommendation 1764 (2006): Ziff. 1/5. 136 Vgl. Resolution 1411 (2004): Ziff. 14. 137 Vgl. Resolution 1516 (2006): Ziff. 5-7. 138 Vgl. Resolution 1516 (2006): Ziff. 22/7. Siehe Kap. 3.6.
5.7 Literaturhinweise
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Menschenrechtskonvention und Gerichtshof durchlaufen derzeit eine schwierige Phase. Die Gefahr besteht darin, durch den eigenen Erfolg handlungsunfähig zu werden.139 Abhilfe können nur die Vertragsparteien der EMRK, und somit die Mitgliedstaaten des Europarats, schaffen. Sie müssen Maßnahmen beschließen, welche die langfristige Funktionsfähigkeit des Kontrollsystems der EMRK gewährleisteten. Dem bisherigen ‚Innovationsmuster’ folgend, dürfte dieses Ziel – so überhaupt – durch mehrere kleine Reformschritte und nicht durch eine einzige bahnbrechende Reform erreicht werden. Interesse an solchen Reformen, und somit am Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs, sollte vorhanden sein. EMRK und EGMR sind nicht nur Symbole des Europarats. Die Rechte und Freiheiten, welche die Konvention festschreibt und deren Einhaltung der Gerichtshof kontrolliert, sind auch maßgebliche normative Bezugspunkte der Außenpolitik der (meisten) Europaratsstaaten, allen voran der EU-Mitglieder. Wer sich weltweit für die Einhaltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten engagiert, sollte darüber ‚zu Hause’ ein einzigartiges Instrument des Menschenrechtsschutzes nicht vergessen.
5.7 Literaturhinweise 5.7 Literaturhinweise Alber, Siegbert/Widmaier, Ulrich (2006): Mögliche Konfliktbereiche und Divergenzen im europäischen Grundrechtsschutz. In: Europäische Grundrechte Zeitschrift, Vol. 33/5-8: 113-123. Blackburn, Robert/Polakiewicz, Jörg (Hrsg.) (2001): Fundamental Rights in Europe. The European Convention on Human Rights and its Member States, 1950-2000. Oxford. Committee of Ministers: Report of the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers (Dokument: CM (2006) 203 vom 15.11.2006). Grabenwarter, Christoph (²2005): Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Studienbuch. München. Greer, Steven (2006): The European Convention on Human Rights. Achievements, Problems and Prospects. Cambridge. Mahoney, Paul (2003): Separation of Powers in the Council of Europe: The Status of the European Court of Human Rights vis-à-vis the Authorities of the Council of Europe. In: Human Rights Law Journal, Vol. 24/5-8: 152-161. Moravcsik, Andrew (2000): The Origins of Human Rights Regimes: Democratic Delegation in Postwar Europe. In: International Organization, Vol. 54/2: 217-252. Registry of the European Court of Human Rights: Survey of Activities 2007. Strasbourg (Dokument: Registry 2008, o. D.)
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Ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17.1.2008 zur Überlastung des EGMR war betitelt mit „Eine Autorität geht unter“. Vgl. Müller (2008).
6 Kongress der Gemeinden und Regionen 6 Kongress der Gemeinden und Regionen 6 Kongress der Gemeinden und Regionen
6.1 Entstehung und Entwicklung 6.1 Entstehung und Entwicklung Kommunen und Regionen sind seit Jahrzehnten im Rahmen des Europarats präsent. Die Idee lautete, durch die Einbindung von Kommunen und später auch von Regionen einen Beitrag zur Entwicklung und Festigung demokratischer Strukturen auf der substaatlichen Ebene in den Europaratsstaaten zu leisten. Die Vorläufer des heutigen Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats (fortan: Kongress) reichen zurück bis in die 1950er Jahre. Im Jahr 1957 kam es zur Gründung der Konferenz der Gemeinden Europas. 1974 wurde die regionale Ebene ebenfalls eingebunden in die dann als Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas firmierende Institution. Seit 1982 arbeitete diese unter der Bezeichnung Ständige Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas.1 Der Kongress in seiner heutigen Form wurde im Jahr 1993 vom ersten Gipfeltreffen des Europarats angestoßen. In der Gipfelerklärung beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten im Grundsatz die Einrichtung einer beratenden Institution, welche sowohl die kommunale als auch die regionale Ebene repräsentieren sollte.2 Nähere Details zur Ausgestaltung der Institution enthielt die Erklärung nicht. Die allgemeine Vorgabe des Gipfels aufgreifend, verabschiedete das Ministerkomitee im Januar 1994 eine Resolution mit Satzungscharakter (statutory resolution), die zur Gründung des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas führte.3 Die Resolution betont ausdrücklich die Bedeutung stabiler und effektiver Demokratie auf kommunaler und regionaler Ebene für demokratische Gesellschaften. Die Relevanz dieser Ebenen für den Europarat sollte durch die Einrichtung des Kongresses ihren Ausdruck finden. Der Kongress, der die Ständige Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas ersetzte, nahm Ende Mai 1994 seine Arbeit auf. Im Jahr 2000 kam es zu ersten Reformen sowohl der den Kongress begründenden Resolution mit Satzungscharakter als auch der Charta des Kongresses.4 Insbesondere die noch zu schildernde Rolle des Kongresses beim Monitoring in Fragen kommunaler Demokratie wurde hervorgehoben. Im Oktober 2003 benannte sich der Kongress um. Einem Beschluss des Präsidiums des Kongresses folgend, nahm der Kongress seinen heutigen Namen an: Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats (Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe). Knapp zwei Jahre später, im Mai 2005, unterbreitete der Kongress weitere Änderungsvorschläge.5 Diese führten im Mai 2007 zur abermaligen 1 Für die Entwicklung des Kongresses: siehe Richter (1997): S. 315-326. Allgemein zum Kongress: siehe Bohner (1999); Staa (2003). 2 Vgl. Vienna Declaration (1993). 3 Vgl. Statutory Resolution (94) 3. 4 Vgl. Statutory Resolution (2000) 1. 5 Vgl. Recommendation 162 (2005). Der Kongress griff damit eine Vorgabe der im Jahr 2000 angenommenen Charta des Kongresses auf. In deren Übergangsbestimmungen findet sich mit Blick auf die Kriterien der Mitgliedschaft zum Kongress ein Verweis darauf, die bestehende Regelung in der Charta nach sechs Jahren zu überprüfen. Der Kongress nahm diese Bestimmung als Anlass zu einer grundlegenderen Überarbeitung nicht nur der Kongress-Charta, sondern auch der Resolution mit Satzungscharakter. Vgl. Statutory Resolution (2000) 1: Appendix (Charta des Kongresses), Transitional Provision 1.
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6 Kongress der Gemeinden und Regionen
Reform der den Kongress begründenden Resolution mit Satzungscharakter und der Kongress-Charta.6 Strukturen, Aufgaben und Instrumente des Kongresses nach den jüngsten Reformen stehen nunmehr im Blickpunkt. 6.2 Zusammensetzung, Strukturen und Instrumente7 6.2 Zusammensetzung, Strukturen und Instrumente8 Der Kongress, der mehr als 200.000 Gemeinden und Regionen in 47 europäischen Staaten repräsentiert, setzt sich zusammen aus Vertretern kommunaler und regionaler Gebietskörperschaften. Mit den jüngsten Reformen wurden die Bestimmungen spezifiziert, wer Mitglied des Kongresses werden kann bzw. darf. Der Kongress benannte Neuerungen in dieser Frage sogar als eines der maßgeblichen Motive für die jüngsten Reformen. In der Resolution des Kongresses, in der er seine Reformvorschläge dem Ministerkomitee unterbreitete, ist zu lesen vom „will of the Congress to make itself even more representative by making sure its members are genuinely elected representatives of the territorial authorities of the Councils of Europe’s (…) member states”9.
Das Ministerkomitee griff das Anliegen des Kongresses auf. In der revidierten Charta des Kongresses wird nun das Wahlmandat genauer definiert, über welches Mitglieder des Kongresses verfügen müssen.10 Es gelten folgende Bestimmungen: „The Congress shall be composed of representatives of local and regional bodies who either hold a general local or regional authority mandate resulting from direct elections or are politically accountable to a directly elected assembly, on the condition that they can be individually dismissed by, or following the decision of the aforementioned assembly and that dismissal is provided by law.”11
Auf dieser Grundlage haben die Europaratsstaaten ferner zu gewährleisten, dass ihre nationalen Delegationen (national delegations) eine gleichgewichtige Vertretung ihrer kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften aufweisen. Außerdem soll eine ausgewogene Verteilung der Gebietskörperschaften in geografischer Hinsicht wie auch hinsichtlich der politischen Kräfte in den Gebietskörperschaften erfolgen. Neu eingeführt im Zuge der Reformen von 2007 wurde die Bestimmung, dass in den Delegationen der Anteil des unterre6
Vgl. Statutory Resolution CM/Res (2007) 6. Für die nachfolgenden Ausführungen: siehe Statutory Resolution CM/Res (2007) 6, deren Inhalte in der überarbeiteten Charta des Kongresses, welche der Resolution mit Satzungscharakter als Anhang beigefügt ist, sowie in der Geschäftsordnung des Kongresses (GO-Kongress (2002)) konkretisiert werden. 8 Für die nachfolgenden Ausführungen: siehe Statutory Resolution CM/Res (2007) 6, deren Inhalte in der überarbeiteten Charta des Kongresses, welche der Resolution mit Satzungscharakter als Anhang beigefügt ist, sowie in der Geschäftsordnung des Kongresses (GO-Kongress (2002)) konkretisiert werden. 9 Recommendation 162 (2005): Ziff. 6. Den Hintergrund hierfür bildeten wiederholte Schwierigkeiten, die es bei der Verifizierung der Beglaubigung (credentials) von Kongressmitgliedern gegeben hatte. Recommendation 162 (2005): Ziff. 7. 10 In der Resolution von 2000 heißt es, dass der Kongress „shall be composed of Representatives who shall be chosen from among holders of a local or regional authority electoral mandate.“ Statutory Resolution (2000) 1: Appendix (Charta des Kongresses), Ziff. 2/1. 11 Statutory Resolution CM/Res (2007) 6: Appendix (Charta des Kongresses), Ziff. 2/1. 7
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präsentierten Geschlechts mindestens 30 Prozent zu betragen hat. Auf diese Weise soll der Frauenanteil im Kongress gesteigert werden. Jeder Europaratsstaat entsendet im Rahmen seiner nationalen Delegation so viele Vertreter in den Kongress, wie er Sitze in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats hat.12 Ebenfalls wie bei der Versammlung entsenden die Staaten außerdem eine gleich große Zahl von Stellvertretern. Auch diese sind Teil der nationalen Delegationen. Folglich umfasst der Kongress 318 Mitglieder (members) sowie 318 Stellvertreter (substitutes). Die Mitglieder der nationalen Delegationen werden vom jeweiligen Mitgliedstaat des Europarats für zwei Jahre ernannt.13 Jeder Staat muss darauf verweisen, welcher der beiden noch zu schildernden Kammern des Kongresses (Kammer der Gemeinden, Kammer der Regionen) ein Mitglied bzw. ein Stellvertreter angehören soll. Seit den jüngsten Reformen sind die Staaten außerdem verpflichtet, die gleiche Anzahl von Personen für jede Kammer zu ernennen. Als Beispiel: Wie in die Parlamentarische Versammlung entsendet Deutschland auch in den Kongress 18 Mitglieder sowie 18 Stellvertreter. Der paritätischen Aufteilung der Delegation zwischen den Kammern folgend, gehören 18 Personen der Kammer der Gemeinden und 18 Personen der Kammer der Regionen an (jeweils neun Mitglieder und neun Stellvertreter).14 Seit den Reformen von 2007 müssen Angehörige des Kongresses, die ihr kommunales oder regionales Mandat verlieren, innerhalb von sechs Monaten aus dem Kongress ausscheiden. Außerdem ist die Zusammensetzung der nationalen Delegationen an veränderte politische Umstände infolge von kommunalen oder regionalen Wahlen anzupassen. Kommt es also bei Wahlen zu deutlichen Verschiebungen zwischen Parteien, müssen sich diese Veränderungen anschließend in den nationalen Delegationen widerspiegeln. Ob die einzelnen Mitglieder einer nationalen Delegation sowie eine nationale Delegation in ihrer Gesamtheit den geschilderten Anforderungen entsprechen, wird vom Präsidium des Kongresses geprüft. Die Schlussfolgerungen des Präsidiums werden im Kongress bzw. im Ständigen Ausschuss des Kongresses zur Abstimmung gestellt.15 Der Kongress besteht aus zwei Kammern. Dies sind die Kammer der Gemeinden (Chamber of Local Authorities) und die Kammer der Regionen (Chamber of Regions). Wie die Namen besagen, repräsentiert die Kammer der Gemeinden die kommunalen Gebietskörperschaften und die Kammer der Regionen die regionalen Gebietskörperschaften. Jede Kammer hat so viele Mitglieder, wie der Kongress selbst umfasst (sprich jeweils 318). Jede Kammer wählt einen Präsidenten. Dieser sowie die sieben Vizepräsidenten der jeweiligen Kammer bilden das Präsidium einer Kammer. Jeder Europaratsstaat darf höchstens einen Vertreter in den Präsidien der beiden Kammern haben. Zusammen mit dem Präsidenten des Kongresses (president of the Congress) bilden das Präsidium der Kammer der Gemeinden und das Präsidium der Kammer der Regionen das Präsidium des Kongresses (bureau of the Congress). Zwischen den Sitzungen des Kongresses sowie des noch zu schildernden Ständigen Ausschusses zeichnet das Präsidium des 12
Siehe Abbildung 3 in Kap. 1.3. Die letzte Ernennung der Kongressmitglieder erfolgte im Mai 2006 auf der 13. Plenarsitzung des Kongresses. Sie wird demnach wieder im Mai 2008 auf der 15. Plenarsitzung erfolgen. 14 In der Geschäftsordnung des Kongresses wird die Verteilung der Mitglieder der nationalen Delegationen auf die Ausschüsse des Kongresses weiter konkretisiert. Deutschland hat demnach Anspruch auf zwei Sitze im Ständigen Ausschuss (durch einen kommunalen und einen regionalen Vertreter) sowie auf vier Sitze in jedem der vier statutarischen Ausschüsse des Kongresses (durch jeweils zwei kommunale und zwei regionale Vertreter). 15 Details zu den verschiedenen Institutionen des Kongresses finden sich weiter unten. 13
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Kongresses unter Leitung des Kongresspräsidenten für die Kontinuität der Arbeiten der Institution verantwortlich. Zu den Aufgaben des Präsidiums zählen die Vorbereitung der Plenarsitzungen und die Koordination der Arbeiten der beiden Kammern. Das Präsidium ist außerdem zuständig für die Zuweisung von Themen16 an die Ausschüsse, d. h. entweder an die statutarischen Ausschüsse des Kongresses oder an die Ausschüsse einer der beiden Kammern. Diese Funktion ist wichtig, weil laut der Charta des Kongresses kein Thema gleichzeitig von beiden Kammern behandelt werden darf. Themen, die sowohl kommunale als auch regionale Aspekte aufweisen, werden nicht in den Kammern, sondern im Kongress behandelt. Die Ausnahme zu dieser Regel besteht in der Einrichtung gemeinsamer Ad-hocArbeitsgruppen (joint working groups) durch das Präsidium des Kongresses, in denen Vertreter beider Kammern tätig sind.17 Die Aufgabe des bereits erwähnten Ständigen Ausschusses (standing committee) ist es, während der Sitzungen des Kongresses in dessen Namen zu handeln. Hierzu zählen die Annahme von Berichten und die Organisation von Anhörungen. Der Ständige Ausschuss umfasst je zwei Mitglieder einer jeden nationalen Delegation.18 Allerdings haben Staaten, die nur in einer der beiden Kammern des Kongresses vertreten sind, auf lediglich einen Sitz im Ständigen Ausschuss Anspruch. Die Mitglieder des Präsidiums des Kongresses gehören qua Amt dem Ständigen Ausschuss an. Die Geschäftsordnung des Kongresses sieht vier statutarische Ausschüsse (statutory committees) vor.19 Der Ausschuss für Institutionelle Fragen zeichnet insbesondere verantwortlich für die Anfertigung von Berichten über die Lage der kommunalen und regionalen Demokratie in den Europaratsstaaten. Der Ausschuss für Kultur und Bildung beschäftigt sich neben Kultur- und Bildungsfragen auch mit den Themen Medien, Jugend, Sport und Kommunikation. Der Ausschuss für Nachhaltige Entwicklung behandelt beispielsweise Umweltfragen sowie Fragen der Raum- und Stadtplanung. Der Ausschuss für Sozialen Zusammenhalt schließlich thematisiert unter anderem Staatsbürgerschafts-, Beschäftigungs-, Gleichstellungs- und Gesundheitsfragen. Unter den vier statutarischen Ausschüssen nimmt der Ausschuss für Institutionelle Fragen eine hervorgehobene Rolle ein. Dies zeigt sich daran, dass er laut Geschäftsordnung des Kongresses eine Sitzung mehr im Jahr durchführen darf als die drei anderen Ausschüsse. Die vier statutarischen Ausschüsse werden stets zu Beginn jener Plenarsitzungen eingerichtet, in denen die nationalen Delegationen erneuert werden. Jedes Kongressmitglied hat das Recht auf zumindest einen Sitz in einem der Ausschüsse (einschließlich des Ständigen Ausschusses). Jeder der vier statutarischen Ausschüsse umfasst einen Ausschuss für die Kammer der Gemeinden und einen Ausschuss für die Kammer der Regionen. Diese Ausschüsse der 16
Die Themen können auf eine Anfrage des Ministerkomitees oder der Parlamentarischen Versammlung zurückgehen, die vom Kongress eine Stellungnahme zu einem bestimmten Sachverhalt anfragen. Außerdem können die Kongressmitglieder sowie die statutarischen Ausschüsse Themen vorschlagen. 17 Ad-hoc-Arbeitsgruppen, welche die beiden Kammern zusammenbringen und deren Einrichtung auf das Präsidium des Kongresses zurückgeht, sind zu unterscheiden von Ad-hoc-Arbeitsgruppen innerhalb einer Kammer. Letztere können in Ausnahmefällen vom Präsidium der Kammer der Gemeinden bzw. vom Präsidium der Kammer der Regionen zur Behandlung spezifischer Fragestellungen innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens eingesetzt werden. Die Kammer der Regionen hat beispielsweise im November 2007 eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur interregionalen Zusammenarbeit etabliert. 18 Laut der Charta des Kongresses gehören die Mitglieder des Präsidiums des Kongresses in jedem Fall dem Ständigen Ausschuss an. 19 Zusätzlich zu den vier angeführten statutarischen Ausschüssen könnte der Kongress weitere solcher Ausschüsse einsetzen. Dies ist derzeit jedoch nicht der Fall.
6.2 Zusammensetzung, Strukturen und Instrumente
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Kammern (committees of the chambers) diskutieren und nehmen Berichte zu solchen Fragen an, die ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Kammer der Gemeinden bzw. der Kammer der Regionen fallen. Als Beispiel: Der Ausschuss für Institutionelle Fragen der Kammer der Gemeinden zeichnet verantwortlich für die Überwachung der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung.20 Sollte es – wie vom Kongress anvisiert – demnächst als komplementäre Ergänzung der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung eine Charta der Regionalen Demokratie geben21, dürfte der Ausschuss für Institutionelle Fragen der Kammer der Regionen für die Überwachung von deren Einhaltung zuständig sein. Eine Frage, die von einem Ausschuss einer Kammer behandelt wird, kann nicht im Plenum des Ausschusses – und somit im Rahmen des statutarischen Ausschusses – behandelt werden. Die Zuweisung der Themen an die statutarischen Ausschüsse oder an einen der Ausschüsse der Kammern innerhalb der statutarischen Ausschüsse erfolgt, wie geschildert, durch das Präsidium des Kongresses. Geleitet wird der Kongress vom Präsidenten des Kongresses. Der Präsident wird für zwei Jahre gewählt, und zwar zu Beginn einer jeden Sitzungsperiode, bei der auch die nationalen Delegationen erneuert werden. Der Präsident kommt abwechselnd aus den Reihen der Kammer der Gemeinden und der Kammer der Regionen. Zu Beginn der 13. Sitzungsperiode im Mai 2006 wurde der Norweger Halvdan Skard zum Präsidenten des Kongresses gewählt. Skard, vormals Präsident der Kammer der Gemeinden, folgte dem Italiener Giovanni di Stasi, seinerseits ein ehemaliger Präsident der Kammer der Regionen. Der Amtszeitbegrenzung von zwei Jahren sowie dem Rotationsprinzip zwischen den Kammern folgend, wird Skard zu Beginn der 15. Sitzungsperiode im Mai 2008 von einem Vertreter der Kammer der Regionen abgelöst. Zu den Aufgaben des Präsidenten des Kongresses gehören die Leitung von dessen Sitzungen sowie die Kontrolle der Einhaltung der Geschäftsordnung. Außerdem ist der Präsident zentral für das Auftreten des Kongresses gegenüber anderen Institutionen des Europarats wie auch gegenüber Akteuren außerhalb des Europarats. Bei Letzterem steht vor allem die Europäische Union (EU) und hier wiederum der Ausschuss der Regionen (AdR) im Blickpunkt des Kongresses.22 Neben dem Kongress haben auch die beiden Kammern einen Präsidenten. Diese werden aus den Kammern heraus für eine Amtszeit von zwei Jahren gewählt. Der Kammer der Gemeinden steht derzeit Ian Micallef aus Malta vor. Der Türke Yavuz Mildon ist Präsident der Kammer der Regionen. Bei den Präsidenten der Kammern besteht die Möglichkeit zur Wiederwahl – Mildon etwa wurde nach seiner Wahl 2004 im Jahr 2006 wiedergewählt. Wie in der Parlamentarischen Versammlung besteht auch im Kongress die Möglichkeit zur Bildung Politischer Gruppen (political groups). Einer Politischen Gruppe müssen 20
Der Ausschuss wird hierbei unterstützt von einer Gruppe unabhängiger Experten (Group of Independent Experts on the European Charter of Local Self-Government). Die Gruppe sammelt u. a. Informationen und stellt lokalen Mandatsträgern technische Expertise zur Verfügung. 21 Bereits im Jahr 1997 hatte der Kongress eine Charta der Regionalen Selbstverwaltung angenommen. Diese wurde seitens der Europaratsstaaten jedoch zweimal abgelehnt (2002, 2005). Seitdem arbeitet die Kammer der Regionen an einer Charta der Regionalen Demokratie, die im Mai 2008 vom Kongress verabschiedet werden soll. Anschließend stellt sich abermals die Frage, ob die Staaten den Vorschlägen des Kongresses folgen. 22 Die Bedeutung dieser Beziehungen spiegelt sich seit den Reformen von 2007 auch in der Resolution mit Satzungscharakter wider. Im Kontext des Zusammenspiels des Kongresses mit europäischen Organisationen, die kommunale und regionale Gebietskörperschaften vertreten, findet sich nunmehr explizit der Verweis auf den AdR. Im Jahr 2005 hatten der Kongress und der AdR bereits eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Zudem existiert eine Kontaktgruppe, welche die Beziehungen zwischen dem Kongress und dem AdR auf höchster Ebene verbessern soll.
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6 Kongress der Gemeinden und Regionen
Vertreter von mindestens drei unterschiedlichen Nationalitäten angehören. Sie hat außerdem wenigstens 15 Mitglieder zu umfassen. Das Präsidium des Kongresses entscheidet über die Zulassung der Gruppen. Derzeit gibt es drei Politische Gruppen in der Versammlung: die Sozialistische Gruppe (SOC), die Gruppe der Europäischen Volkspartei (EPP/CD) und die Gruppe der Unabhängigen und Liberaldemokraten (ILDG).23 Der EPP/CD gehören derzeit 209 Kongressmitglieder an, der SOC 178 und der ILDG 90. 62 Mitglieder des Kongresses schlossen sich keiner Gruppe an.24 Die Politischen Gruppen treten anlässlich der Sitzungen des Kongresses sowie des Ständigen Ausschusses zusammen. Im Gegensatz zur Parlamentarischen Versammlung spielen die Politischen Gruppen für die Arbeit des Kongresses jedoch keine nennenswerte Rolle. Unterstützt wird der Kongress von seinem Sekretariat. Dieses ist innerhalb des Sekretariats des Europarats angesiedelt. Dem Kongresssekretariat steht der Generalsekretär des Kongresses (secretary general of the Congress) vor.25 Der Generalsekretär wird vom Kongress für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Die Möglichkeit zur Wiederwahl besteht. Seit 2003 wird der Posten vom Deutschen Ulrich Bohner bekleidet.26 Daneben hat jede der beiden Kammern des Kongresses einen für Sekretariatsdienste verantwortlich zeichnenden Exekutivsekretär (executive secretary). Die Exekutivsekretäre werden vom Generalsekretär des Europarats unter Rücksprache mit dem Präsidenten der jeweiligen Kammer ernannt. Der Kongress trifft sich jährlich zu mindestens einer Plenarsitzung (plenary session) am Sitz des Europarats in Straßburg. Diese Bestimmung ist insofern neu, als dass bis zu den Reformen von 2007 ausschließlich von ‚nur’ einer Plenarsitzung im Jahr die Rede war. Nunmehr besteht die Möglichkeit für eine zweite Sitzung. Wie weiter unten noch zu schildern sein wird, dürfte diese Option allerdings auf absehbare Zeit aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht genutzt werden (können). Neben den dreitätigen Plenarsitzungen, die in der Regel Ende Mai/Anfang Juni abgehalten werden, gibt es etwa zweitägige Frühjahrssitzungen (spring sessions) im März und Herbstsitzungen (autumn sessions) im November. Bei den Frühjahrs- und Herbstsitzungen kommen allerdings nicht sämtliche Kongressmitglieder zusammen – ansonsten hätte man ja bereits drei Plenartreffen des Kongresses pro Jahr. Die Frühjahrs- und Herbstsitzungen bringen vielmehr den Ständigen Ausschuss mit bestimmten statutarischen Ausschüssen zusammen. Bei der Frühjahrssitzung 2007 trafen sich beispielsweise der Ständige Ausschuss und der Ausschuss für Sozialen Zusammenhalt und bei der Herbstsitzung 2007 der Ständige Ausschuss und der Ausschuss für Institutionelle Fragen. Eine Plenarsitzung sowie die anschließende Herbstsitzung und die darauf folgende Frühjahrsitzung bilden eine Sitzungsperiode (session) des Kongresses.27 Die 15. Sitzungsperiode wird mit der Plenarsitzung im Mai 2008 beginnen. Vor, nach bzw. ‚innerhalb’28 der Plenarsitzungen bzw. der Frühjahrs- und Herbstsitzungen finden die Treffen der Kammer der Gemeinden bzw. der Kammer der Regionen statt. In der Regel werden bei den auf drei 23
Vgl. Congress Session Handbook (2007): S. 20. Vgl. http://www.coe.int/t/congress/Default_en.asp (Stand: Februar 2008). 25 Bis zu den Reformen im Jahr 2007 lautete die Bezeichnung Exekutivdirektor (chief executive). 26 Bohner, ein Karrierebeamter des Europarats, war zuvor u. a. Stellvertretender Exekutivdirektor des Kongresses. 27 Im Gegensatz zu den Sitzungen der Ausschüsse des Kongresses sind die Sitzungen des Kongresses und der beiden Kammern öffentlich. 28 Wie das weiter unten folgende Beispiel der 14. Plenarsitzung illustriert, kann es während der auf drei Tage angelegten Plenarsitzungen zu ‚Tagungslücken’ kommen. Soll heißen: Die Tagesordnung der Kongresssitzungen lässt bestimmte Zeitfenster gezielt frei. In diesen treffen sich die beiden Kammern zu ihren Sitzungen. 24
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Tage angelegten Plenartreffen ein Tag bzw. zwei halbe Tage für Treffen der Kammern vorgesehen; bei den Frühjahrs- bzw. Herbstsitzungen finden die halbtägigen Treffen der Kammern vor Beginn der Kongresssitzungen statt. Beispiel: 14. Plenarsitzung des Kongresses Die 14. Plenarsitzung des Kongresses fand vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2007 in Straßburg statt. Der Präsident des Kongresses, Halvdan Skard, präsentierte der Plenarsitzung einen Bericht zur Lage des Kongresses.29 Neben der Schilderung der Aktivitäten der Institution für den Zeitraum seit der letzten Plenarsitzung (Ende Mai/Anfang Juni 2006) enthielt der Bericht das Arbeitsprogramm des Kongresses bis zu der für Ende Mai 2008 vorgesehenen nächsten Plenarsitzung. Das im Vorfeld vom Präsidium des Kongresses verabschiedete Arbeitsprogramm benennt sechs Prioritäten.30 Hierzu zählt die Stärkung der kommunalen und regionalen Demokratie in Europa. Ein zentraler Ansatzpunkt für den Kongress in diesem Kontext ist die Kontrolle der Einhaltung der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung.31 Zugleich möchte der Kongress die Charta aktualisieren. Dies soll durch vom Kongress entwickelte Zusatzprotokolle geschehen. Die anderen Schwerpunktbereiche des Kongresses lauten Förderung regionaler Identität und nachhaltiger regionaler Entwicklung, Entwicklung integrierter Konzepte für Städte und Stadtbewohner, lokale Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt, kommunale und regionale Maßnahmen zur Bewältigung globaler Herausforderungen sowie schließlich Verbesserung der Außendarstellung des Kongresses/Entwicklung und Festigung von Partnerschaften mit anderen Akteuren. Eines der weiteren Hauptthemen der Plenarsitzung war die seit 50 Jahren bestehende Einbindung kommunaler Gebietskörperschaften in den Europarat. 1957 war, wie oben geschildert, die Ständige Konferenz der Gemeinden Europas etabliert worden. Im Rahmen der Sitzung fand aus diesem Grund eine Gesprächsrunde zum Thema 50 years of local democracy at the Council of Europe statt. Die Runde spannte den Bogen von den Anfängen der Einbindung kommunaler Gebietskörperschaften in den Europarat bis zur heutigen Lage der kommunalen Demokratie in den Europaratsstaaten. Während der Plenarsitzung kam es außerdem zur Aussprache über die neue Charta des Kongresses, welche das Ministerkomitee wenige Wochen zuvor verabschiedet hatte. Der Kongress debattierte ferner die kommunale und regionale Demokratie jenseits Europas. Im Mittelpunkt standen Marokko, Japan und Mexiko. Neben den ‚internen’ Aussprachen der Kongressmitglieder öffnete sich die Plenarsitzung für externe Redner. Für das zum damaligen Zeitpunkt unter Vorsitz Serbiens stehende Ministerkomitee sprach der serbische Minister für Öffentliche Verwaltung und Kommunale Selbstverwaltung, Milan Markoviü. Die Plenarsitzung adressierten ferner der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis, der Vorsitzende der Duma der Stadt Moskau, Wladimir Platonow, sowie im Rahmen der Behandlung kommunaler und regionaler Demokratie au29
Vgl. CG (14) 3 (2007). Das vom Präsidium des Kongresses verabschiedete Dokument CG/Bur (13) 86 (2007) findet sich auch als Punkt 10.7 im Bericht von Skard. Vgl. CG (14) 3 (2007). 31 Weitere wichtige Referenzpunkte für den Kongress sind das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (seit 1981 in Kraft), das Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben (1997) und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1998). Vgl. Bohner (1999): S. 67-68. 30
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ßerhalb Europas ein Mitglied des mexikanischen Senats und ein japanischer Gouverneur. Nicht auf der Agenda der Plenarsitzung standen die Erneuerung der nationalen Delegationen oder Wahlen zur Besetzung von Spitzenämtern des Kongresses, etwa des Präsidentenamts. Dem vorgesehenen zweijährigen Turnus folgend, stehen diese Punkte während der 15. Plenarsitzung Ende Mai 2008 auf dem Programm. Die dreitägige Plenarsitzung des Kongresses wies eine ‚Tagungslücke’ auf. Diese begann am Nachmittag des ersten Tages (30. Mai) und endete am Mittag des zweiten Tages (31. Mai). In dieser Zeit traten die Kammer der Gemeinden und die Kammer der Regionen zusammen. Während sich die Plenarsitzung – der vorgesehenen Arbeitsteilung zwischen Plenum und den beiden Kammern folgend – mit Fragen befasste, die sowohl kommunale als auch regionale Belange aufwiesen, diskutierten die beiden Kammern ausschließlich kommunale bzw. regionale Themen. Die Kammer der Gemeinden behandelte unter anderem den Stand der kommunalen Demokratie in Mazedonien, die Öffnung der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung für die Europäische Gemeinschaft (EG) und Nichtmitgliedstaaten des Europarats sowie die Frage kommunaler Autonomie in Japan. Die Kammer der Regionen thematisierte beispielsweise den Sprachunterricht in Regional- und Minderheitensprachen, Herausforderungen und Chancen für periphere und dünn besiedelte Regionen sowie die Regionalentwicklung in Mexiko. Was die inhaltlichen Ergebnisse der 14. Plenarsitzung anbelangt, so ist auf die vom Kongress verabschiedeten Empfehlungen und Resolutionen zu verweisen. Die in den Dokumenten behandelten Themen illustrieren die inhaltliche Bandbreite des Kongresses. Sie zeigen außerdem, wie die in den Kammern behandelten Themen schließlich zu Themen des Kongresses werden. Der Kongress nahm Empfehlungen unter anderem zur kommunalen und regionalen Dimension des Klimawandels, zum Stand der kommunalen Demokratie in Mazedonien, zur Öffnung der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung für den Beitritt der EG und Nichtmitgliedstaaten des Europarats sowie zum Sprachunterricht in Regional- und Minderheitensprachen an.32 Der Kongress kennt zwei Formen der Einbindung externer Akteure in seinen institutionellen Rahmen. Zum einen verleiht der Kongress einen Beobachterstatus (observer status). Diesen Status können all jene internationalen Vereinigungen von kommunalen oder regionalen Gebietskörperschaften erhalten, die einen – vom Generalsekretär des Europarats zu vergebenden – ‚Teilnehmerstatus’ im Europarat besitzen. Derzeit haben knapp 30 Vereinigungen einen Beobachterstatus im Kongress. Zum anderen verleiht der Kongress einen Sondergaststatus (special guest status). Diesen Status können Delegationen von kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften all jener Nichtmitgliedstaaten des Europarats erhalten, die in der Parlamentarischen Versammlung über einen solchen Status verfügen.33 Da in der Versammlung derzeit kein Staat, genauer kein Parlament eines Nichtmitgliedstaats des Europarats einen solchen Status besitzt, hat auch der Kongress gegenwärtig keine ‚Sondergäste’. Beobachter wie auch Mitglieder von Delegationen von Staaten mit Sondergaststatus haben im Kongress und den beiden Kammern Rede-, jedoch kein Stimmrecht. Auf der Grundlage einer gesonderten Einladung können sie auch an den Sitzungen des Ständigen Ausschusses, der statutarischen Ausschüsse und der Ad-hoc-Arbeitsgruppen teilnehmen. 32
Ein Überblick über die im Rahmen der 14. Plenarsitzung verabschiedeten Empfehlungen des Kongresses sowie die Antworten des Ministerkomitees auf die Empfehlungen findet sich in CM/Del/Dec (2007) 1001/12.1b. 33 Siehe Kap. 3.1.
6.3 Monitoring, Wahlbeobachtungen, Unterstützungsprogramme
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Die Arbeiten des Kongresses münden in verschiedene Dokumente, die sich an unterschiedliche Adressaten richten. Gemeinsam ist den Dokumenten die fehlende Bindungswirkung. Der Kongress kann Empfehlungen (recommendations) und Stellungnahmen (opinions) an das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung richten. Dem beratenden Charakter des Kongresses entsprechend, sind diese Dokumente für die Adressaten nicht bindend. Der Kongress kann ferner direkt an kommunale und regionale Gebietskörperschaften gerichtete Resolutionen (resolutions) annehmen. Empfehlungen, Stellungnahmen und Resolutionen werden vom Kongress im Rahmen seiner Plenarsitzungen oder, in der Zeit zwischen diesen, vom Ständigen Ausschuss angenommen. Welche Einheit des Kongresses sich mit einer Sachfrage beschäftigt, hängt von deren Thematik ab. Fragen, die sowohl kommunale als auch regionale Aspekte beinhalten, werden – nach entsprechender Zuweisung durch das Präsidium des Kongresses – im Kongress bzw. im Ständigen Ausschuss debattiert und entschieden. Empfehlungen, Stellungnahmen und Resolutionen zu Fragen, die nach Einschätzung des Kongresspräsidiums einen ausschließlich kommunalen bzw. regionalen Bezug haben, werden zwar ebenfalls vom Kongress oder vom Ständigen Ausschuss angenommen. Dies geschieht jedoch ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Der Kongress übernimmt stattdessen die Inhalte, die zuvor von einer der beiden Kammern gebilligt wurden. In Ausnahmefällen kann das Präsidium des Kongresses jedoch die an der Ausarbeitung einer Empfehlung oder Stellungnahme nicht beteiligte Kammer zu einer Stellungnahme auffordern. Für Resolutionen sieht die Charta des Kongresses diese Kontrollmöglichkeit nicht vor. Abstimmungen im Kongress erfolgen in der Regel durch Handzeichen.34 Nur bei Wahlen (Kongresspräsident etc.) werden geheime Abstimmungen mit Stimmzetteln durchgeführt. Für die Verabschiedung einer Empfehlung oder einer Stellungnahme ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Einer solchen Mehrheit bedarf es auch zur Einsetzung eines statutarischen Ausschusses.35 Demgegenüber ist bei den im Kongress durchgeführten Wahlen im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen notwendig. Wird ein zweiter Wahlgang erforderlich, genügt eine einfache Mehrheit. Zur Annahme einer Resolution braucht es stets die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Entscheidungsfähig ist der Kongress, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder anwesend ist.
6.3 Monitoring, Wahlbeobachtungen, Unterstützungsprogramme 6.3 Monitoring, Wahlbeobachtungen, Unterstützungsprogramme Die Resolution mit Satzungscharakter, die den Kongress begründet, bezeichnet diesen explizit als „beratendes Organ“. Zusätzlich zu bzw. als Konkretisierung von seiner Beratungsfunktion weist die Resolution dem Kongress noch eine Reihe weiterer Aufgaben zu. Der Kongress soll die Einbindung kommunaler und regionaler Gebietskörperschaften in den Europarat gewährleisten. Er soll außerdem dem Ministerkomitee Vorschläge zur Förderung kommunaler und regionaler Demokratie vorlegen. Umgekehrt sollen das Ministerkomitee wie auch die Parlamentarische Versammlung den Kongress in Fragen konsultieren, welche die Zuständigkeiten und Interessen kommunaler und/oder regionaler Gebietskörperschaften 34
In den Ausschüssen des Kongresses wird mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden. Die Abstimmungen erfolgen per Handzeichen. 35 Wie weiter oben geschildert, werden die statutarischen Ausschüsse alle zwei Jahre neu eingesetzt.
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6 Kongress der Gemeinden und Regionen
berühren könnten.36 Eine weitere Aufgabe des Kongresses besteht in der Förderung der Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Regionen. Ferner soll er innerhalb seines Aufgabenbereichs mit anderen internationalen Organisationen zusammenarbeiten. Des Weiteren hat der Kongress regelmäßig Berichte zur Situation der kommunalen und regionalen Demokratie in den Mitgliedstaaten des Europarats zu erstellen. Neben Berichten zu einzelnen Ländern fertigt der Kongress auch länderübergreifende Berichte an. In beiden Fällen ist der maßgebliche Bezugspunkt die Umsetzung der im Oktober 1985 zur Zeichnung aufgelegten und im September 1988 in Kraft getretenen Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung durch die Europaratsstaaten. Beispiel: Monitoring der kommunalen Demokratie in Mazedonien Im Zuge der Überwachung der Einhaltung der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung diskutierte der Kongress im Mai 2000 die Lage der kommunalen Demokratie in Mazedonien.37 Das Land hatte im Juni 1997 die Charta der Kommunalen Selbstverwaltung ratifiziert. Die Charta trat am 1. Oktober 1997 in Kraft. Die Diskussionen des Kongresses basierten auf einem Bericht seines der Kammer der Gemeinden angehörenden Berichterstatters zur Situation der kommunalen Demokratie in Mazedonien. Der Berichterstatter, der Franzose Jean-Claude Frécon, reiste im September 1999 sowie im März 2000 zu Gesprächen nach Mazedonien. Zu seinen Gesprächspartnern gehörten neben mazedonischen Kongressangehörigen auch Vertreter der mazedonischen Regierung sowie verschiedener NGOs. Mit Blick auf die Einhaltung der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung kam Frécon zu dem Ergebnis, dass die mazedonische Gesetzgebung im Bereich der kommunalen Demokratie in vielfacher Hinsicht in Einklang mit der Charta stünde. Zugleich hätte es diverse Unzulänglichkeiten gegeben, etwa im Bereich der Ressourcenausstattung der Gemeinden oder der Situation der Mitarbeiter in kommunalen Behörden.38 Auf der Grundlage des Berichts von Frécon billigte die Kammer der Gemeinden am 24. Mai 2000 eine Empfehlung und eine Resolution. Beide Dokumente wurden am Folgetag vom Ständigen Ausschuss im Namen des Kongresses verabschiedet. In der Empfehlung sprach sich der Kongress für einen deutlichen Kompetenztransfer von der Zentralregierung auf die Gemeinden aus.39 Dies gelte unter anderem für die Bereiche Kultur, Sport, Bildung und lokale Infrastruktur. Außerdem müsse die Finanzausstattung der Kommunen merklich erhöht werden. Mehr Kompetenzen und Ressourcen würden außerdem die grenzüberschreitende Zusammenarbeit forcieren. Weitere Forderungen betrafen die Steigerung des Frauenanteils in der kommunalen Politik sowie die Förderung des Dialogs zwischen den verschiedenen Gemeinschaften des Landes.40 Die Antwort des Ministerkomitees auf die Empfehlung des Kongresses fiel eher verhalten aus. Die Staatenvertreter beschlossen, den Text des 36
Konkreten Ausdruck findet die Einbeziehung des Kongresses in die Arbeiten des Ministerkomitees z. B. in der Teilnahme von Vertretern des Kongresses bei der Ausarbeitung von Konventionen auf Expertenebene oder an Fachministertreffen mit kommunalen oder regionalen Bezügen. Vgl. CM (2001) 72. 37 Zuvor hatte der Kongress bereits Ende April 1999 eine Untersuchungsreise zur Einschätzung der Lage der aus dem Kosovo nach Mazedonien geflohenen Personen und den Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Flüchtlinge beherbergende mazedonische Gemeinden durchgeführt. Vgl. CG/Bur (5) 139 add (1999). 38 Vgl. CPL (7) 8 Part II (2000). 39 Vgl. Recommendation 82 (2000). 40 In der Resolution bekundeten die Kongressmitglieder ihre Bereitschaft, die Umsetzung der in der Empfehlung angeführten Vorschläge genau zu verfolgen. Vgl. Resolution 100 (2000).
6.3 Monitoring, Wahlbeobachtungen, Unterstützungsprogramme
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Kongresses an die mazedonische Regierung weiterzuleiten und die Inhalte der Empfehlung künftig bei den eigenen Monitoring-Aktivitäten zu Mazedonien in Fragen der kommunalen Demokratie zu bedenken.41 Im Juni 2007 nahm der Kongress eine weitere Empfehlung zur Lage der kommunalen Demokratie in Mazedonien an.42 Erneut bildete ein Report des Berichterstatters JeanClaude Frécon die Grundlage. Wie in den Jahren 1999/2000 gab es auch zur Vorbereitung dieses Berichts zwei Informationsreisen nach Mazedonien (Januar 2006 sowie Februar 2007).43 Im Mittelpunkt des Berichts standen die Dezentralisierung Mazedoniens auf der Grundlage des Abkommens von Ohrid von 2001 sowie die Kommunalwahlen des Jahres 2005. In seiner Empfehlung hob der Kongress diverse Verbesserungen hervor, auch und gerade im Vergleich zur Situation des Jahres 2000, als die letzte Empfehlung ausgesprochen worden war.44 So wäre beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und der Zentralregierung deutlich verbessert worden. Zugleich benannte die Empfehlung eine Reihe anhaltender Defizite. Hierzu gehörte aus Sicht des Kongresses die Vielzahl von Sondergesetzen zu kommunalen Fragen, die in manchen Fällen die an die Kommunen übertragenen Kompetenzen wieder beschnitten. Kritisiert wurde außerdem die Nichtratifizierung eines Europaratsvertrags durch Mazedonien, und zwar des Übereinkommens über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben. Die Empfehlung endete mit rund 20 Verbesserungsvorschlägen an die mazedonischen Behörden, etwa bezogen auf die Bereitstellung weiterer Ressourcen für die Kommunen und auf die Steigerung der Qualifikation der Mitarbeiter in den Kommunen. Zugleich forderte der Kongress die mazedonischen Gemeinden auf, die ihnen bereits zugewiesenen Kompetenzen voll auszuschöpfen. Die Antwort des Ministerkomitees auf die Empfehlung der Versammlung fiel ähnlich knapp aus wie im Jahr 2000. Die Staatenvertreter beschlossen, ihren Regierungen und hier insbesondere der Regierung Mazedoniens die Empfehlung zur Kenntnis zu bringen. Außerdem sollte die Empfehlung zur Information an den zuständigen Expertenausschuss des Ministerkomitees, den Lenkungsausschuss für Kommunale und Regionale Demokratie (CDLR), sowie an die Berichterstattergruppe Demokratie (GR-DEM) des Komitees der Ministerbeauftragen weitergeleitet werden.45 Infolge der Reformen von 2007 findet sich in der den Kongress begründenden Resolution mit Satzungscharakter schließlich die Aufgabe, im Nachgang zu seinen Beobachtungen kommunaler und regionaler Wahlen Berichte und Empfehlungen zu unterbreiten.46 Der neue Absatz schreibt freilich nur fest, was der Kongress bereits seit Jahren vollführt. In den letzten zehn Jahren führte der Kongress etwa ein halbes Dutzend Wahlbeobachtungen pro
41
Vgl. CM/Cong (2000) Recommendation 82 final. In der Zwischenzeit hatte der damalige Exekutivdirektor des Kongresses, Alain Chénard, einen FactfindingBesuch in Mazedonien durchgeführt (September 2001) und das Präsidium des Kongresses einen Bericht über die Beobachtung der Kommunalwahlen (März/April 2005) verabschiedet. 43 Vgl. CPL (14) 2REP (2007). Die erste Reise führte der Stellvertreter Frécons durch, die zweite Reise Frécon selbst. 44 Vgl. Recommendation 217 (2007). 45 Vgl. CM/Del/Dec (2007) 1001/12.1b. 46 Abstimmungen auf nationaler Ebene (Parlaments- und Präsidentschaftswahlen; nationale Volksabstimmungen) werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats beobachtet. Siehe Kap. 3.3. 42
188
6 Kongress der Gemeinden und Regionen
Jahr durch. Beobachtet wurde nicht nur der Wahltag als solcher, sondern auch der Vorlauf zu den Wahlen.47 Beispiel: Wahlbeobachtungen im Kosovo Illustrativ für die bereits seit Jahren laufenden Aktivitäten des Kongresses bei Wahlbeobachtungen sind die Missionen im Kosovo. Im Oktober 2000 beobachtete der Kongress im Rahmen seiner ersten Mission im Kosovo (Council of Europe Election Observation Mission I, CEEOM I) die dortigen Kommunalwahlen. Der Kongress beteiligte sich mit zehn Personen an den von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Auftrag der Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen für das Kosovo (UNMIK) durchgeführten Wahlen.48 Nach weiteren Beobachtungsmissionen in den Jahren 2001 (CEEOM II), 2002 (CEEOM III) und 2004 (CEEOM IV) fand die jüngste Wahlbeobachtungsmission des Kongresses im Kosovo (CEEOM V) im November 2007 statt. CEEOM V wurde vom Italiener Giovanni di Stasi geleitet.49 Die Wahlbeobachtungsmission des Europarats im Kosovo hatte bereits Anfang Oktober 2007 begonnnen. 14 Langzeitbeobachter begleiteten seitdem den gesamten Vorlauf zu den drei am 17. November 2007 parallel durchgeführten Wahlen (Parlaments-, Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen).50 Am Wahltag selbst umfasste CEEOM V insgesamt 150 Kurzzeitbeobachter aus 34 europäischen Staaten.51 Darunter waren 29 gewählte Vertreter des Kongresses unter Leitung einer der Vizepräsidentinnen des Kongresses, der Rumänin Ludmila Sfirloaga. An CEEOM V beteiligten sich ferner Vertreter des Europäischen Parlaments und des Ausschusses der Regionen (AdR) der EU. Die Beobachter besuchten am Wahltag mehr als 30 Prozent aller Wahllokale. Im vorläufigen, am Tag nach den Wahlen veröffentlichten Bericht zog die Mission ein insgesamt positives Fazit.52 So seien die Wahlen generell gemäß den Standards und Prinzipien des Europarats durchgeführt worden. Dies sei gelungen trotz der kurzen Vorbereitungszeit infolge der späten Ausrufung des Wahltermins sowie trotz der Tatsache, dass im Kontext des fortbestehenden schwierigen politischen und sozialen Umfelds im Kosovo drei Wahlen parallel durchgeführt wurden. Zugleich kritisierten die Beobachter eine Reihe von Mängeln und Versäumnissen. Kritisch vermerkt wurde insbesondere die geringe Wahlbeteiligung von nur 43 Prozent. Nach Einschätzung der Beobachter zeige dies die Unzufriedenheit der Bevölkerung darüber, dass es nach den vorherigen Wahlen nicht zu den erhofften sozioökonomischen Verbesserungen gekommen sei. Ein anderer Grund für die geringe Wahlbeteiligung war die Nichtteilnahme der serbischen Gemeinschaft im Kosovo an den Wahlen. Diese seien Aufrufen aus Belgrad wie auch von serbischen politischen Führern im Kosovo zum Fernbleiben von den Wahlen gefolgt. Die Einschätzungen der Beobachter endeten mit der Hoffnung, dass alle Parteien und Politiker die Wahlergebnisse akzeptieren würden.53 47
Vgl. http://www.coe.int/t/congress/4-Texts/elections_en.asp (zuletzt abgerufen am 24.1.2008). Vgl. CG/Bur (7) 63 (2000). 49 Giovanni Di Stasi war von 2004 bis 2006 Präsident des Kongresses. 50 Vgl. Pressemitteilung 664 (2007). 51 Vgl. Pressemitteilung 774 (2007); Press Release 801 (2007). 52 Vgl. Preliminary Statement (2007). 53 Vertreter des Kongresses und des AdR beobachteten Anfang Dezember 2007 auch die zweite Runde der Bürgermeisterwahlen. Vgl. Press Release 903 (2007). 48
6.4 Fazit
189
Neben seinen Monitoring-Aufgaben und den Wahlbeobachtungen erbringt der Kongress auch praktische Hilfsleistungen für kommunale und regionale Gebietskörperschaften. Zu den Unterstützungsprogrammen zählen die 1993 auf Initiative des Kongresses gegründeten Agenturen für lokale Demokratie (Local Democracy Agencies, LDA).54 Ursprünglich zielten die Agenturen in erster Linie auf die Unterstützung des Friedensprozesses im ehemaligen Jugoslawien. Mittlerweile dienen sie vor allem der Unterstützung demokratischer Reformprozesse.55 Zentraler Bestandteil des LDA-Programms ist es, europaweite Partnerschaften zwischen kommunalen und regionalen Behörden sowie NGOs zu schaffen. Derzeit gibt es elf Agenturen. Der Schwerpunkt liegt weiterhin auf dem Balkan (Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo, Montenegro). Die erste Agentur außerhalb des Balkans wurde im September 2006 in Georgien eingerichtet. Seit 1999 koordiniert der Verband der Agenturen für lokale Demokratie (ALDA) die Tätigkeiten der Agenturen. Das Netzwerk umfasst mittlerweile mehr als 300 Akteure (Städte, Regionen, NGOs) aus 25 europäischen Staaten.56 Weitere Unterstützungsleistungen erbringt der Kongress im Kontext des Europäischen Netzes von Schulungszentren der Gebietskörperschaften (European Network of Training Organisations for Local and Regional Authorities, ENTO) und des Netzwerks der Gemeindeverbände Südosteuropas (National Associations of Local Authorities of South East Europe, NALAS). Das Ziel von ENTO ist es, durch eine hohe fachliche Qualifikation der gewählten Vertreter und der Mitarbeiter in kommunalen und regionalen Behörden Demokratie und eine effektive Regierungsführung zu fördern. NALAS fokussiert auf die Entwicklung kommunaler Demokratie in Südosteuropa.
6.4 Fazit 6.4 Fazit Der Kongress ist das Spezialorgan des Europarats für kommunale und regionale Fragen. Durch die Zusammenführung gewählter Vertreter kommunaler und regionaler Gebietskörperschaften aus sämtlichen Europaratsstaaten komplementiert der Kongress die in diesen Fragen tätigen zwischenstaatlichen Expertenausschüsse des Ministerkomitees. Der Kongress nutzt seine aus der Praxis gespeiste Expertise insbesondere zur Kontrolle der Einhaltung von Europaratsstandards. Maßgeblich ist hier zum einen die Beobachtung der Lage der kommunalen Demokratie in den Europaratsstaaten. Den zentralen Bezugspunkt bildet die Charta der Kommunalen Selbstverwaltung. Das Monitoring der Einhaltung der 1988 in Kraft getretenen Charta gehört zu den entscheidenden Tätigkeitsbereichen des Kongresses. Als zweiter Schwerpunkt hat sich in den letzten Jahren die Beobachtung von Wahlen auf kommunaler und regionaler Ebene entwickelt. Bei diesen Missionen zeigt sich die Vernetzung des Kongresses mit anderen internationalen Organisationen, gerade mit der EU und deren Ausschuss der Regionen sowie mit der OSZE. Die Beteiligung des Kongresses im Bereich der Standardsetzung, allen voran bei der Ausarbeitung von Europaratsverträgen mit kommunalen und regionalen Bezügen, soll freilich nicht übersehen werden. Dies gilt so54
Für Details zum Programm der Agenturen für lokale Demokratie – vormals Botschaften der lokalen Demokratie (Local Democracy Embassies): siehe CG (10) 8 (2003); CG (10) 8 add (2003). 55 Zu den Aktivitäten gehören Seminare zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit oder Trainingskurse zu Fragen kommunaler Wirtschaftsentwicklung und zum Aufbau von Fähigkeiten innerhalb kommunaler Gebietskörperschaften. 56 Vgl. die Homepage von ALDA unter http://alda-europe.eu (zuletzt abgerufen am 24.1.2008).
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6 Kongress der Gemeinden und Regionen
wohl für die Einbringung von Inhalten in laufende Aushandlungsprozesse wie auch im Schritt zuvor für den grundsätzlichen Anstoß zur Ausarbeitung eines Vertrags. Derzeit richten sich die Anstrengungen des Kongresses vor allem auf eine Charta der Regionalen Demokratie als Ergänzung der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung. Fände eine solche Charta die Unterstützung der Europaratsstaaten, würde die Monitoring-Funktion des Kongresses weiter gestärkt werden. Die Bedeutung des Kongresses für den Europarat wird auch seitens der Europaratsstaaten unterstrichen. Zum einen hebt die Erklärung des dritten Gipfeltreffens der Organisation auf den Beitrag des Kongresses zur Vereinigung des europäischen Kontinents im Rahmen des Europarats ab.57 Zum anderen verweist der Aktionsplan des Gipfels auf die künftige Rolle des Kongresses bei der weiteren Vertiefung und Festigung der europäischen Einigung.58 Zur Stärkung von Demokratie, guter Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit in den Europaratsstaaten verpflichten sich die Staaten im Aktionsplan, ihre zwischenstaatlichen Aktivitäten partnerschaftlich mit dem Kongress (wie auch mit der Parlamentarischen Versammlung) durchzuführen. Das gilt beispielsweise für die Förderung guter Praktiken und die Unterstützung von Staaten bei der Fähigkeitenentwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene. Der Aktionsplan weist dem Kongress außerdem ausdrücklich eine Funktion bei der Gewährleistung der Umsetzung der von den Europaratsstaaten eingegangenen Verpflichtungen zu. Der Kongress soll insbesondere kommunale Demokratie und Dezentralisierungsprozesse unterstützen. Schließlich spricht der Aktionsplan dem Kongress eine Rolle bei der Förderung des interkulturellen Dialogs zu. Gerade Fragen, die Minderheiten beträfen, könnten oftmals am besten auf der kommunalen Ebene gelöst werden. Entsprechend soll sich der Kongress in diesen Fragen einbringen. Die vom Ministerkomitee gegenüber dem Kongress gezeigte Wertschätzung für vergangene Aktivitäten sowie die Aufforderungen zu künftigen Handlungen illustrieren die Relevanz der Institution für den Europarat. Gleichwohl sollte die primär funktionale Rolle des Kongresses in einem vergleichsweise engen Themenbereich nicht vergessen werden. Deutlich wurde diese Einordnung sowie grundsätzlich die institutionelle Unterordnung des Kongresses im organisatorischen Gefüge des Europarats im Zuge der jüngsten Reformen des Kongresses. Wenige Tage vor dem angeführten dritten Gipfeltreffen hatte das Ministerkomitee die Reformen beschlossen. Ein Abgleich zwischen den Wünschen des Kongresses und den letztlich vom Ministerkomitee getroffenen Beschlüssen zeigt, dass sich der Kongress vornehmlich mit Vorschlägen durchsetzen konnte, die auf Veränderungen seines ‚Innenlebens’ abzielten. Vorschlägen, die zu einer Aufwertung der Rolle des Kongresses innerhalb der Gesamtorganisation Europarat geführt hätten, folgte das Ministerkomitee hingegen nicht. Beispiel: Die Reform des Kongresses – Kongress ‚versus’ Ministerkomitee? Die Grundlagendokumente des Kongresses, die Resolution mit Satzungscharakter sowie die Charta des Kongresses, wurden, wie geschildert, im Jahr 2007 reformiert. Ein Beschluss des Ministerkomitees von Anfang Mai führte verschiedene Änderungen bzw. Neuerungen ein. Angeregt wurden die Reformen vom Kongress selbst. Ein Abgleich zwischen den Reformvorschlägen des Kongresses und den letztlich vom Ministerkomitee verabschiedeten 57 58
Vgl. CM (2005) 79 final: Preamble. Vgl. CM (2005) 80 final: Ziff. I-3, I-4 und III-6.
6.4 Fazit
191
Bestimmungen zeigt, dass die Staatenvertreter nur teilweise den Ansinnen des Kongresses gefolgt sind. Als Grundmuster lässt sich festhalten, dass das Ministerkomitee die Vorschläge des Kongresses mit Blick auf kongressinterne Aspekte (Zusammensetzung, Arbeitsweise etc.) nahezu vollständig übernommen hat. Nicht gefolgt sind die Staatenvertreter hingegen bei Fragen, die eine grundsätzliche Aufwertung des Kongresses innerhalb des Europarats nach sich gezogen hätten. Mit Blick auf kongressinterne Veränderungen setzte das Ministerkomitee die Vorschläge des Kongresses fast ausnahmslos um. Übernommen wurden beispielsweise die Konkretisierung der Funktion des Ständigen Ausschusses und die Neubezeichnung des Leiters des Kongresssekretariats, der seitdem Generalsekretär des Kongresses heißt. Das Ministerkomitee folgte dem Kongress auch bei seinen Vorschlägen hinsichtlich der Zusammensetzung des Kongresses. Dies galt nicht nur für die anvisierte Erhöhung des Frauenanteils im Kongress. Außerdem führten die Staatenvertreter in die Resolution mit Satzungscharakter vom Kongress entwickelte Ausführungen bezüglich dessen Rolle bei der Beobachtung von Wahlen wie auch hinsichtlich seines Zusammenspiels mit anderen regionalen und internationalen Organisationen ein, allen voran mit der EU und deren Ausschuss der Regionen. Darüber hinaus behielt das Ministerkomitee die Vorschläge des Kongresses hinsichtlich der Prüfung der Beglaubigung (credentials) der Kongressmitglieder bzw. der Stellvertreter sowie mit Blick auf den Umgang mit Kongressmitgliedern, die ihr Mandat verloren haben, bei. Nicht gefolgt bei der Revision der Resolution mit Satzungscharakter und der Charta des Kongresses ist das Ministerkomitee dem Kongress in zwei Fragen, die eine Aufwertung der Rolle des Kongresses nach sich gezogen hätten. Zum einen wollte der Kongress sowohl in der Resolution als auch in der Charta den Verweis auf seine beratende Funktion streichen. Das Ministerkomitee griff den Vorschlag nur bedingt auf. Die Resolution bezeichnet in Art. 2 Abs. 1 den Kongress zwar nicht länger als „beratendes Organ“ („consultative body“). Sie verweist allerdings weiterhin auf die „beratende Funktion“ („consultative function“) des Kongresses. In Art. 1 der Charta des Kongresses wiederum fand sich vor den Reformen kein expliziter Hinweis auf die beratende Funktion des Kongresses. Der Kongress schlug allerdings vor, den Artikel so zu ergänzen, dass seine Rolle als Repräsentationsorgan der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften der Europaratsstaaten explizit erwähnt würde.59 Das Ministerkomitee behielt zwar einen abgeschwächten Hinweis auf die Zusammenführung von Vertretern kommunaler und regionaler Gebietskörperschaften innerhalb des Kongresses bei. Dieser wurde allerdings ergänzt um die Betonung der beratenden Rolle des Kongresses. „The Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe is a consultative organ composed of representatives of local and regional authorities.”60 Die zweite Stelle, an der das Ministerkomitee den Kongressvorschlägen nicht gefolgt ist, bezog sich auf die Zuständigkeit des Kongresses bei der Überwachung der Umsetzung der Europaratsbestimmungen im Bereich der regionalen Demokratie. In der Resolution mit Satzungscharakter findet sich in Art. 2 Abs. 3 der Verweis auf die Bedeutung des Kongresses bei der Überprüfung der Umsetzung der Charta der Kommunalen Selbstverwaltung. 59 „The Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe is the body representing the local and regional authorities of the member states of the Council of Europe.“ Recommendation 162 (2005): Appendix 2 (Charta des Kongresses), Ziff. 1. 60 Statutory Resolution CM/Res (2007) 6: Appendix (Charta des Kongresses), Ziff. 1.
192
6 Kongress der Gemeinden und Regionen
Seiner gleichzeitigen Ausrichtung auf Kommunen und Regionen entsprechend, wollte der Kongress seine Rolle bei der Kontrolle der Einhaltung der Prinzipien des Europarats auf der regionalen Ebene, genauer hinsichtlich der regionalen Demokratie, ebenfalls stärken. Das Ministerkomitee folgte dem Vorschlag nicht. Das Ministerkomitee überging die Anliegen des Kongresses jedoch nicht nur hinsichtlich der Änderung von Resolution und Charta. Mit Blick auf die Umsetzung der Reformen übernahm das Ministerkomitee verschiedene Forderungen des Kongresses ebenfalls nicht. Dies betrifft zum einen die Häufigkeit der Zusammenkünfte des Kongresses. Die Staatenvertreter folgten dem Kongress zwar dahingehend, dass in der Resolution nunmehr von mindestens einem Treffen des Kongresses pro Jahr die Rede ist. In seiner Antwort an den Kongress verwies das Ministerkomitee jedoch auf die angespannte finanzielle Lage des Europarats. Aufgrund dieser Begrenzungen müsse der Kongress sich innerhalb des vorhandenen finanziellen Rahmens bewegen.61 Neue Mittel für die Durchführung eines weiteren Plenartreffens des Kongresses wird es demnach nicht geben. Die neue Option eines zweiten Plenartreffens wird somit auf absehbare Zeit nicht umgesetzt werden. Zweitens hatte sich der Kongress für eine Implementierung seiner im Mai 2005 verabschiedeten Vorschläge bis zum Ende des Jahres 2005 ausgesprochen. Im Mindesten hätten die Reformen nach Ansicht des Kongresses so beschlossen werden sollen, dass die nächste Plenarsitzung – diese begann Ende Mai 2006 – bereits auf der Grundlage der neuen Bestimmungen hätte vorbereitet werden können.62 Das Ministerkomitee verabschiedete die Reformen jedoch erst Anfang Mai 2007.
6.5 Literaturhinweise 6.5 Literaturhinweise Bohner, Ulrich (1999): Der Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas. In: Kastner, Susanne (Hrsg.): Europa gestalten. 50 Jahre Europarat, 50 Jahre Einsatz für Menschenrechte. o. O.: 6669. Committee of Ministers: Statutory Resolution relating to the Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe and the revised Charter appended thereto (Dokument: Statutory Resolution CM/Res (2007) 6 vom 2.5.2007) Richter, Emanuel (1997): Der Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas: Eine Institution auf der Suche nach ihrer politischen Rolle. In: Kuper, Ernst/Jun, Uwe (Hrsg.): Nationales Interesse und integrative Politik in transnationalen parlamentarischen Versammlungen. Opladen: 315337.
61 62
Vgl. CM/Cong (2007) Recommendation 162 final. Vgl. Recommendation 162 (2005), Preamble.
7 Menschenrechtskommissar 7 Menschenrechtskommissar 7 Menschenrechtskommissar
7.1 Entstehungshintergrund 7.1 Entstehungshintergrund Das Amt des Menschenrechtskommissars des Europarats (nachfolgend: Menschenrechtskommissar) geht auf einen Beschluss des zweiten Europaratsgipfels von 1997 zurück. Im Aktionsplan des Gipfeltreffens begrüßten „the Heads of State and Government (…) the proposal to create an office of Commissioner for Human Rights to promote respect for human rights in the member States and instruct the Committee of Ministers to study arrangements for its implementation, while respecting the competences of the single Court [des EGMR; KB].“1
Nach rund zweijährigen Vorarbeiten wurde die Stelle des Menschenrechtskommissars im Mai 1999 im Zuge der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Europarats durch eine Resolution des Ministerkomitees geschaffen.2
7.2 Ernennung 7.2 Ernennung Die Ernennung des Menschenrechtskommissars erfolgt im Zusammenspiel von Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung. Die Mitgliedstaaten des Europarats besitzen das Vorschlagsrecht. Sie einigen sich auf eine Liste mit drei Kandidaten. Diese Liste wird anschließend der Versammlung übermittelt. Aus der Liste wählen die Parlamentarier mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen den Menschenrechtskommissar des Europarats. Der Menschenrechtskommissar, dessen Dienststelle im Sekretariat des Europarats (Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht) angesiedelt ist, wird für eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Von den Bewerbern für das Amt werden hervorragende persönliche Qualitäten und Erfahrungen auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes erwartet. Des Weiteren sollen die Kandidaten über ausreichend Autorität verfügen, um die dem Menschenrechtskommissar zugedachten Aufgaben effektiv ausführen zu können.3 Bislang hat es zwei Amtsträger gegeben. Den Anfang machte der Spanier Alvaro GilRobles. Dieser wurde im September 1999 von der Parlamentarischen Versammlung zum ersten Menschenrechtskommissar des Europarats gewählt. Im Folgemonat nahm Gil-Robles seine Tätigkeiten auf. Der promovierte Jurist war zuvor beispielsweise Ombudsperson in Spanien (1988-1993) und mehrfach Berater in Menschenrechtsfragen auf internationaler Ebene (u. a. im Rahmen von EU und UNO). Die Amtszeit von Gil-Robles endete im März 2006. Sein Nachfolger wurde im Oktober 2005 von der Versammlung gewählt. Das Minis1
Strasbourg Action Plan (1997): Ziff. I/2. Siehe die Bestimmungen der das Amt begründenden Resolution (99) 50 sowie die vom Ministerkomitee angenommenen Erläuterungen zur Resolution in CM/Inf (99) 26. 3 Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 10. 2
194
7 Menschenrechtskommissar
terkomitee hatte sich auf die folgenden drei Kandidaten geeinigt: Thomas Hammarberg aus Schweden, Marek Antoni Nowicki aus Polen und Marc Verwilghen aus Belgien. Im ersten Wahlgang erreichte keiner der drei Kandidaten die notwendige absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Im zweiten Wahlgang konnte sich Hammarberg (104 Stimmen) gegenüber Nowicki (93 Stimmen), der im ersten Wahlgang noch vor Hammarberg gelegen hatte4, und Verwilghen (33 Stimmen) durchsetzen.5 Hammarberg, der sein Amt im April 2006 antrat, kann auf eine jahrzehntelange Karriere im Menschenrechtsbereich zurückblicken. Vor seiner Wahl war er unter anderem Generalsekretär von Amnesty International (1980-1986), Sonderbeauftragter des UNO-Generalsekretärs für Menschenrechte in Kambodscha (19962000) sowie Generalsekretär des Olof Palme International Center (2002-2005).6 Die in der Resolution zum Menschenrechtskommissar geforderten Erfahrungen im Menschenrechtsschutzbereich stehen somit außer Frage.
7.3 Aufgaben und Instrumente 7.3 Aufgaben und Instrumente Das Aufgabenspektrum des Menschenrechtskommissars ist weit gefasst. Der übergeordnete Rahmen lautet, unter den Mitgliedstaaten des Europarats zu einer größeren Einheit bei der Einhaltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu gelangen. Als explizit „nichtrichterliche Einrichtung“7 soll der Menschenrechtskommissar die Menschenrechtserziehung, das Bewusstsein sowie die Achtung der Menschenrechte fördern. Zur Umsetzung dieser Vorgabe wird der Institution eine Reihe von Aufgaben zugewiesen.8 Der Menschenrechtskommissar soll beispielsweise rechtliche oder praktische Defizite in den Mitgliedstaaten in Fragen des Menschenrechtsschutzes identifizieren helfen. Darüber hinaus kann der Menschenrechtskommissar den Regierungen der Mitgliedstaaten wie auch deren Bevölkerung Ratschläge und Informationen bezüglich des Schutzes von Menschenrechten und der Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen erteilen bzw. geben. Schließlich soll der Menschenrechtskommissar mit nationalen Institutionen des Menschenrechtsschutzes (nationale Ombudspersonen etc.) zusammenarbeiten oder, sofern diese nicht existieren, deren Einrichtung anregen. In der das Amt begründenden Resolution wird ausdrücklich betont, dass der Menschenrechtskommissar bei seinen Tätigkeiten unabhängig und unparteiisch agiert.9 Außerdem hat der Menschenrechtskommissar die Kompetenzen anderer Instrumente des Europarats zum Schutz der Menschenrechte zu achten. Explizit werden in diesem Zusammenhang die Kontrollorgane im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) genannt.10 Eine Duplizierung von Tätigkeiten soll hierdurch vermieden werden. Diese Maxime leitet auch das Zusammenspiel des Menschenrechtskommissars mit anderen internationalen Einrichtungen zum Schutz der Menschenrechte an. In der Praxis hat sich der Menschenrechtskommissar in diesem Zusammenhang neben der Kooperation mit NGOs auf die
4
Im ersten Wahlgang erhielt Nowicki 89 Stimmen, Hammarberg 78 und Verwilghen 65. Vgl. http://assembly.coe.int/ASP/Press/StopPress/View.asp?ID_1683 (zuletzt abgerufen am 1.8.2007). 6 Siehe http://www.coe.int/t/commissioner/About/biohammarberg_en.asp (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 7 Resolution (99) 50: Ziff. 1/1. 8 Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 3. 9 Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 2. 10 Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 1/2. 5
7.3 Aufgaben und Instrumente
195
Kooperation mit der EU, der OSZE und der UNO, etwa der Hochkommissare für Menschenrechte (UNHCHR) und für Flüchtlingsfragen (UNHCR), konzentriert. Die Hürde zur Aufnahme von Aktivitäten durch den Menschenrechtskommissar ist niedrig. Er kann auf Grundlage jedweder Information tätig werden, die in seinen Aufgabenbereich fällt.11 Als mögliche Informationsquellen des Menschenrechtskommissars führt die das Amt begründende Resolution Einzelpersonen, Menschenrechtsorganisationen, nationale Mittler (z. B. die schon erwähnten Ombudspersonen), nationale Parlamente sowie Regierungen an. Ausdrücklich wird jedoch darauf verwiesen, dass das Sammeln von Informationen nicht mit der Ausbildung einer allgemeinen Berichtspflicht für die Mitgliedstaaten verbunden ist.12 Den Mitgliedstaaten wird allerdings die Verpflichtung auferlegt, die Tätigkeiten des Menschenrechtskommissars zu erleichtern, indem sie beispielsweise dessen Reisen ermöglichen und Informationen bereitstellen.13 Dem Menschenrechtskommissar stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um sein breites Aufgabenspektrum praktisch umzusetzen. Da er über keine für die Mitgliedstaaten des Europarats verbindliche Entscheidungskompetenzen verfügt, kann und muss es dem Menschenrechtskommissar in erster Linie um die Herstellung von Problembewusstsein und von Öffentlichkeit gehen. Der amtierende Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg bezeichnet sein Mandat in diesem Sinne als „voice of conscience“.14 Zu den zentralen Aktivitäten gehört die Durchführung von Besuchen in den Europaratsstaaten (Abbildung 32). Vier verschiedene Besuchstypen lassen sich unterscheiden. Ein Typus sind rund einwöchige offizielle Besuche in allen Mitgliedstaaten des Europarats zur regelmäßigen allgemeinen Einschätzung der Menschenrechtslage (assessment visits). Bislang wurden 42 der 47 Europaratsstaaten im Rahmen solcher Besuche untersucht.15 Ein zweiter Typ sind für gewöhnlich drei- bis viertägige Besuche zur Nachbereitung (follow-up visits). Diese werden in der Regel ein paar Jahre nach den offiziellen Besuchen durchgeführt und dienen der Einschätzung der seitdem erzielten Fortschritte. 18 Länder sind unter diesen Vorzeichen bislang besucht worden.16 Eine dritte Besuchsform sind etwa dreitägige Kontaktbesuche (contact visits), mit denen der dauerhafte Dialog mit nationalen Autoritäten und der Zivilgesellschaft gestärkt werden soll. Ein vierter Typus sind schließlich ebenfalls gut dreitägige Sonderbesuche (special visits) zur Adressierung spezifischer Problemlagen im besuchten Staat. Darüber hinaus nutzt der Menschenrechtskommissar auch Teilnahmen an Konferenzen in den Europaratsstaaten, um in deren Umfeld einen zeitlich wie thematisch fokussierten Besuch des Landes durchzuführen.
11
Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 5/1. Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 5/2. 13 Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 6/1. 14 CommDH (2007) 3: S. 5. 15 Vgl. http://www.coe.int/t/commissioner/activities/visitsbycountry_en.asp (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 16 Vgl. http://www.coe.int/t/commissioner/activities/visitsbycountry_en.asp (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 12
196
7 Menschenrechtskommissar
Abbildung 32: Untersuchungsreisen des Menschenrechtskommissars (2006)17 Besuchstyp assessment visit
follow-up visit
contact visit
special visit
Besuchtes Land (Zeitraum) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Deutschland (Oktober) Ukraine (Dezember) Tschechische Republik (Januar) Litauen (Mai/Juni) Lettland (Juni) Estland (November) Dänemark (Dezember) Tschetschenische Republik/Russland (Februar) Aserbaidschan (Mai) Ungarn (Mai) Georgien (Juli) Armenien (Oktober) Türkei (November) Polen (Dezember) Slowenien (November) Bosnien und Herzegowina (Dezember)
Die Besuche des Menschenrechtskommissars gehen entweder auf eine Anregung durch das Ministerkomitee, auf eine Einladung eines Mitgliedstaats oder auf eine Initiative des Menschenrechtskommissars selbst zurück. Sie zielen darauf ab, allgemeine Informationen zum Menschenrechtsschutz zu sammeln oder Hinweise zu ganz bestimmten Themen zu erhalten. Die Besuche des Menschenrechtskommissars münden in einen Besuchsbericht (visit report). Diese öffentlich zugänglichen Dokumente werden an das Ministerkomitee und an die Parlamentarische Versammlung weitergeleitet. Außerdem dient der Bericht als Referenzpunkt für den Austausch des Menschenrechtskommissars mit dem besuchten Staat. Beispiel: Besuche in Tschetschenien Der Auseinandersetzung mit dem Konflikt in Tschetschenien gehört zu den bisherigen Schwerpunkten der Aktivitäten des Menschenrechtskommissars. Gerade der erste Menschenrechtskommissar, Alvaro Gil-Robles, setzte sich intensiv mit der Thematik auseinander. Die Bedeutung des Konflikts spiegelte sich in der Zahl der Besuche vor Ort in Tschetschenien wider. Gil-Robles reiste insgesamt fünf Mal in die Konfliktregion: Dezember 1999, Februar 2000, Februar/März 2001, Februar 2003 und Februar 2006. Anhand der dritten, vierten und fünften Reise von Gil-Robles zeigen sich die unterschiedlichen Möglichkeiten des Tätigwerdens des Menschenrechtskommissars. Den Anstoß für die dritte Reise Ende Februar/Anfang März 2001 gab ein Ersuchen des Ministerkomitees an den Menschenrechtskommissar. Im Auftrag des Ministerkomitees sollte der Menschenrechtskommissar eine Einschätzung der Lage vor Ort gewinnen.18 Ein wesentlicher Gegenstand des Besuchs war die Einhaltung der Menschenrechte in Tschetschenien. Außerdem ging der Menschenrechtskommissar der Frage nach, inwieweit die Empfehlungen, die
17 18
CommDH (2007) 3: S. 29-30. Vgl. CommDH (2001) 3.
7.3 Aufgaben und Instrumente
197
er auf seinen ersten beiden Reisen nach Tschetschenien abgegeben hatte, vor Ort umgesetzt worden waren. Die vierte Reise Mitte Februar 2003 wurde nicht durch das Ministerkomitee angeregt. Der abermalige Besuch resultierte aus dem Eigenantrieb des Menschenrechtskommissars.19 Zum einen war Gil-Robles der Ansicht, dass seine im Februar/März 2001 gegenüber dem russischen Generalstaatsanwalt ausgesprochenen und im Februar 2002 wiederholten Bedenken bezüglich der von Unsicherheit und Straffreiheit gekennzeichneten Lage in Tschetschenien nicht ausreichend beachtet worden seien. Zum anderen hatte der Menschenrechtskommissar seinem Empfinden nach keine angemessene Antwort auf seine Empfehlung20 vom Mai 2002 erhalten. In dieser hatte er die im Rahmen von Verhaftungen und Haftaufenthalten zu wahrenden Rechte thematisiert. Die fünfte Reise von Gil-Robles Ende Februar 2006 gründete weder auf einer Anregung des Ministerkomitees noch wurde sie vom Menschenrechtskommissar selbst angestoßen. Hintergrund für den abermaligen Besuch war eine Einladung des damaligen tschetschenischen Präsidenten, Alu Alkhanow.21 Alkhanow gehörte dann auch zu den Gesprächspartnern von Gil-Robles. Der Menschenrechtskommissar tauschte sich ferner mit dem damals amtierenden Regierungschef und heutigen Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, sowie mit Vertretern lokaler NGOs aus. Die fünfte und letzte Reise von GilRobles nach Tschetschenien war insofern besonders, als er bereits von seinem designierten Nachfolger Thomas Hammarberg begleitet wurde.22 Abbildung 33: Dokumente des Menschenrechtskommissars23 Typ
Gesamtzahl
Besuchsberichte
71
Empfehlungen
3
Stellungnahmen
8
Themenberichte
3
Aktuellstes Beispiel (Veröffentlichungsdatum) Report on his visit to Azerbaijan (20.2.2008) Recommendation concerning certain aspects of law and practices relating to sterilization of women in the Slovak Republic (17.10.2003) Comments on the interim report by the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers (12.6.2006) Special Report on the issue of decertified Police Officers in Bosnia and Herzegovina (17.1.2007)
Ein weiteres Instrument des Menschenrechtskommissars neben seinen Untersuchungsreisen ist die Organisation von Konferenzen und Seminaren. Zusätzlich zur generellen Stärkung des Bewusstseins für Menschenrechte dienen die Veranstaltungen der Pflege der Beziehungen zu anderen mit Menschenrechten befassten Institutionen. Insbesondere mit nationalen Ombudspersonen, denen eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Verbindungen zwischen den staatlichen Behörden und der Zivilgesellschaft zukommt, steht der Menschenrechtskommissar in einem intensiven Austausch. Zentral sind hierbei die ‚Runden Tische’ 19
Vgl. CommDH (2003) 5. Vgl. CommDH/Recommendation (2002) 1. 21 Vgl. CommDH (2006) 4. 22 Als amtierender Menschenrechtskommissar reiste Hammarberg Ende Februar/Anfang März 2007 nach Tschetschenien. Vgl. CommDH (2007) 6. 23 Stand: Februar 2008. 20
198
7 Menschenrechtskommissar
(round tables) zwischen den Ombudspersonen der Europaratsstaaten und dem Menschenrechtskommissar. Auf dem 10. Treffen im April 2007 ging es um die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen bei der Umsetzung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in Europa.24 Zusätzlich zur Erstellung von Berichten über seine Reisen und von Zusammenfassungen über seine Veranstaltungen kann der Menschenrechtskommissar seine Standpunkte in weiteren Dokumenten darlegen (Abbildung 33). Hierzu gehören die Jahresberichte, die er dem Ministerkomitee und der Versammlung vorzulegen hat.25 Seit 2007 übermittelt der Menschenrechtskommissar Informationen zu seinen Aktivitäten nicht mehr jährlich, sondern vierteljährlich in Form von Quarterly Activity Reports an das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung.26 Auf diese Weise sollen beide Institutionen zeitnäher über die Arbeiten des Menschenrechtskommissars informiert werden. Diese raschere Taktung beim Informationsfluss soll laut Hammarberg nicht nur zu einem größeren Verständnis über die Arbeiten der ‚Institution Menschenrechtskommissar’ führen, sondern auch die in Ministerkomitee und Versammlung geführten Diskussionen zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Institution anleiten.27 Weiterhin kann der Menschenrechtskommissar Themenberichte erstellen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen abgeben. Auffällig ist die seltene Nutzung dieser Optionen. Bislang wurden drei Themenberichte, acht Stellungnahmen und drei Empfehlungen veröffentlicht. Die geringe Zahl ist auf zwei Faktoren zurückzuführen. Zum einen lässt die schmale Personaldecke des Menschenrechtskommissars eine intensivere Befassung nicht zu. Zum anderen enthalten die Reiseberichte des Menschenrechtskommissars ebenfalls eine Vielzahl von Forderungen an den besuchten Staat, wodurch separate Dokumente oftmals hinfällig werden. Beispiel: Besuch in Deutschland Illustrieren lässt sich die inhaltliche Dichte der Besuchsberichte des Menschenrechtskommissars anhand des Berichts zu seinem Besuch in Deutschland im Oktober 2006. Auf knapp 70 Seiten diskutiert Hammarberg die Menschenrechtslage in Deutschland.28 Nach einer einführenden allgemeinen Schilderung des nationalen Systems zum Schutz von Menschenrechten werden sieben Einzelfragen des Menschenrechtsschutzes in Deutschland diskutiert. Dies sind die Verhinderung von Diskriminierung, Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der Schutz nationaler Minderheiten, Armut, Asyl und Immigration, der Kampf gegen den Terrorismus sowie der Strafvollzug. Der Bericht endet mit 55 Empfehlungen.29 Diese decken alle behandelten Themenbereiche ab. Zwei Beispiele: Mit Blick auf das nationale Schutzsystem empfahl Hammarberg beispielsweise die umgehende Ratifizierung des 12. Protokolls zur EMRK und der revidierten Europäischen Sozialcharta. Daneben regte er die Einrichtung parlamentarischer Ausschüsse zu Menschenrechtsfragen auf der Ebene der Bundesländer an. Hinsichtlich der Be24
CommDH/Omb-NHRI (2007) 16. Vgl. Resolution (99) 50: Ziff. 3/h. 26 Zuletzt CommDH (2008) 3. 27 Vgl. CommDH (2007) 4: Ziff. 3. 28 Vgl. CommDH (2007) 14. 29 Vgl. CommDH (2007) 14: S. 55-59. 25
7.4 Fazit
199
kämpfung des Terrorismus wurde die Entwicklung spezifischer Richtlinien für die deutschen Nachrichtendienste bei der Befragung von Häftlingen im Ausland empfohlen. Außerdem sollte die Bundesregierung nach Ansicht Hammarbergs sicherstellen, dass keine Beweise, die unter Folter erzielt werden, vor Gericht für zulässig erklärt würden. Als Reaktion auf die Aussagen und Empfehlungen des Menschenrechtskommissars – und somit ganz im Sinne der dialogstiftenden Absicht der Besuche – erstellte die Bundesregierung einen zwölfseitigen Kommentar, der zusammen mit dem Bericht des Menschenrechtskommissars veröffentlicht wurde.30 In ihren Anmerkungen ergänzte die Bundesregierung die Aussagen Hammarbergs bzw. antwortete – zum Teil auch kritisch – auf dessen Ausführungen. Mit Blick etwa auf die oben angeführte Forderung, keine unter Folter erlangten Beweise vor Gericht zu verwenden, verwies die Regierung darauf, dass sowohl im Grundgesetz als auch im Strafrecht das Folterverbot festgeschrieben sei und deshalb unter Folter erzwungene Aussagen nicht verwendet werden dürften. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Bundesregierung die Arbeit des Menschenrechtskommissars ernst nimmt. Da es für einen Staat keinen Zwang zur Kommentierung gibt, hätte die Bundesregierung den Bericht schließlich auch ohne Erwiderung stehen lassen können. Neu eingeführt von Hammarberg wurden schließlich sogenannte Issue Papers. Mit diesem Format hat der Menschenrechtskommissar anderen in seinem Feld tätigen Akteuren ein neues Forum geschaffen. In den vom Menschenrechtskommissar veröffentlichten Papieren behandeln Dritte aktuelle Menschenrechtsfragen. Beispielsweise beschäftigte sich die Europäische Ombudsperson, Nikiforos Diamandouros, mit der Stärkung der Unabhängigkeit, Effektivität und Rechenschaftspflicht von Ombudspersonen. Ein Mitarbeiter des EGMR wiederum diskutierte den Beitrag von Ombudspersonen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen bei der Umsetzung der Beschlüsse des Gerichtshofs.
7.4 Fazit 7.4 Fazit Mehreren Stärken der Institution Menschenrechtskommissar stehen verschiedene, oftmals strukturelle Defizite gegenüber. Ganz grundsätzlich hat der Europarat durch die Schaffung des Amtes seine Stellung nach außen verbessert. Neben dem für das gesamte thematische Spektrum der Organisation zuständigen Generalsekretär des Europarats existiert nun eine unmittelbar wie auch ausschließlich mit Fragen der Menschenrechte befasste Institution. Laut Ministerkomitee handelt der Menschenrechtskommissar „as an independent distinguished figure responsible for promoting education in, awareness of, and respect for human rights as embodied in Council of Europe instruments“.31
Mit Blick auf die Ausgestaltung der Institution ist beispielsweise positiv anzumerken, dass bewusst Personen von hoher fachlicher Qualität und persönlicher Reputation gewonnen werden sollen. Folgt das für die Vorauswahl zuständige Ministerkomitee dieser Vorgabe – was bislang der Fall war –, wird dem Amt ungeachtet der fehlenden konkreten Entscheidungsbefugnisse Gewicht verliehen. Von großer Bedeutung für das Wirken des Menschen30 31
Vgl. CommDH (2007) 14: S. 67-79. Resolution (2000) 2.
200
7 Menschenrechtskommissar
rechtskommissars ist ferner die Herstellung von direkten Kontakten mit den Akteuren in den Europaratsstaaten. Der derzeitige Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg betont, es sei „essential for the Commissioner to be as close as possible to local realities.“32 Da der Menschenrechtskommissar seine Reisen in Mitgliedstaaten des Europarats selbst initiieren kann, stehen ihm vielfältige Möglichkeiten offen. Eingeschränkt werden die Aktionspotenziale durch die noch zu beschreibende mangelhafte Ressourcenausstattung der Institution. Auch die Festschreibung einer einmaligen Amtszeit ist als Stärke anzusehen. Da eine Wiederwahl ausgeschlossen wird, ist der Menschenrechtskommissar nicht auf das Wohlwollen der Europaratsstaaten angewiesen. Hierdurch erhält er eine relativ große Unabhängigkeit in seinem Wirken, etwa im Vergleich zum Generalsekretär des Europarats, der für die Verlängerung seiner Amtszeit die Zustimmung der Mitgliedstaaten des Europarats benötigt. Diese Unabhängigkeit beinhaltet die Möglichkeit, innovative und weit reichende Maßnahmen einzufordern und auch politisch ‚inkorrekte’ Positionen zu vertreten. Als Korrektiv für eine übergroße Kreativität bei den Forderungen wirkt der Aspekt der Umsetzung. Da der Menschenrechtskommissar keine verbindlichen Kompetenzen hat und somit den Europaratsstaaten die Implementierung seiner Empfehlungen nicht zwingend vorschreiben kann, ist er auf die Zustimmung der Staaten angewiesen. Gegen den Willen der Staaten werden die Vorschläge des Menschenrechtskommissars schlichtweg nicht umgesetzt. Konsequenz dessen ist eine starke Orientierung der Handlungen des Menschenrechtskommissars am Möglichen und nicht am Wünschbaren. Der Menschenrechtskommissar wird unmittelbar mit seinen Forderungen verbunden. ‚Abgehobene’ Vorschläge können die gesamte Institution diskreditieren. Einen Hinweis auf die vom Menschenrechtskommissar zu leistende Abwägung zwischen dem Wünsch- und dem Machbaren lieferte der erste Amtsträger. Bei der Vorstellung seines ersten Jahresberichts vor der Parlamentarischen Versammlung schilderte Gil-Robles sein Herangehen gegenüber Russland wegen des Tschetschenienkonflikts wie folgt: Anfänglich habe er Russland zur Beendigung seiner militärischen Operationen gedrängt. Russland hätte diese Forderung jedoch einfach ignoriert. Aus dem Scheitern dieser weit reichenden, jedoch der Position Russlands diametral entgegenstehenden Forderung zog Gil-Robles die Lehre, künftig nur noch praktisch umsetzbare Vorschläge zu unterbreiten. Von vornherein aussichtslose Maßnahmen wollte er nicht mehr einfordern.33 Die vergleichsweise ‚neue’ Institution Menschenrechtskommissar ließe sich noch in verschiedener Hinsicht entwickeln. Ein Ansatzpunkt ist die stärkere Anbindung des Menschenrechtskommissars an die EU. Im Zuge seiner Untersuchung des Zusammenspiels von Europarat und EU unterbreitete der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker34 im April 2006 den Vorschlag, dass die Union diejenigen Menschenrechtsfragen, die ihre Mitgliedstaaten berühren und die zugleich durch keine im Rahmen der Union vorhandenen Kontrollmechanismen abgedeckt würden, an den Menschenrechtskommissar des Europarats überweisen sollte.35 Ein anderer Ansatzpunkt betrifft die Handlungsmöglichkeiten des 32
CommDH (2007) 3: S. 5. CommDH (2001) 9. 34 Siehe Kap. 11.1.1. 35 Vgl. Juncker-Bericht (2006): S. 8-9. Anfang Januar 2008 kam der Menschenrechtskommissar im vierten Quarterly Activity Report für das Jahr 2007 zu dem – vagen – Schluss, dass sich seine Beziehungen zur EU positiv entwickelten. Vgl. CommDH (2008) 3: Kap. 7. 33
7.4 Fazit
201
Menschenrechtskommissars vor dem EGMR. Eine Group of Wise Persons, die sich in ihrem im November 2006 vorgelegten Bericht mit der langfristigen Wirksamkeit des EMRKKontrollsystems auseinandergesetzt hat, unterbreitete diesbezügliche Vorschläge. Die Forderungen der Gruppe bauten auf dem 14. Protokoll zur EMRK auf.36 Im Falle seiner Ratifizierung ermöglichte das Protokoll dem Menschenrechtskommissar, schriftliche Stellungnahmen abzugeben und an den mündlichen Verhandlungen des Gerichtshofs teilzunehmen. Die Gruppe ging noch einen Schritt weiter und sprach sich generell für eine aktivere Rolle des Menschenrechtskommissars im Rahmen des Kontrollmechanismus der EMRK aus. Der Menschenrechtskommissar solle insbesondere aktiv auf Entscheidungen des Gerichtshofs reagieren, in denen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen festgestellt würden.37 Diesen Versuchen, die Handlungsmöglichkeiten des Menschenrechtskommissars weiter auszubauen, stehen mehrere die Unabhängigkeit wie auch den Einfluss des Menschenrechtskommissars begrenzende Faktoren gegenüber. Negativ zu vermerken ist zum Beispiel, dass der Menschenrechtskommissar nicht über Entscheidungskompetenzen verfügt, mittels derer er Mitgliedstaaten zu Handlungen verpflichten könnte. Selbst wenn Staaten seine Vorschläge bewusst missachten, sind dem Menschenrechtskommissar weitgehend die Hände gebunden. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Forderungen durch die Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden unverbindlichen Mittel öffentliches Gehör zu verschaffen. Nicht von ungefähr sprach Gil-Robles von „the obvious limitations of an institution whose only tool is the moral force of its recommendations.“38 Eine weitere Einschränkung stellen die äußerst eng bemessenen Ressourcen des Menschenrechtskommissars dar. Die geringen finanziellen Mittel spiegeln sich in der geringen Ausstattung der Dienststelle des Menschenrechtskommissars wider. Anfangs waren nur fünf Personen in der Dienststelle tätig. Hierzu gehörten zwei Verwaltungsbeamte und der Menschenrechtskommissar selbst. In den letzten Jahren konnte der Personalumfang allerdings deutlich erhöht werden. Derzeit arbeiten 29 Personen im Büro des Menschenrechtskommissars (knapp die Hälfte hiervon auf festen Stellen).39 Zwei Entwicklungen machten diese Aufstockung möglich. Erstens wurde das Budget der Institution angehoben. Standen dem Menschenrechtskommissar im Jahr 2000 gut € 600.000 zur Verfügung, belief sich das bewilligte Budget für 2007 auf € 1,7 Millionen (Abbildung 34).40 Zweitens unterstützen mehrere Mitgliedstaaten die Arbeiten des Menschenrechtskommissars durch freiwillige Leistungen. Dies erfolgt entweder durch finanzielle Zuschüsse für operative Tätigkeiten oder durch die Abordnung von Beamten in das Büro des Menschenrechtskommissars. Als Beispiel: Großbritannien, Finnland, Polen, Irland Russland, Zypern gehörten zu den insgesamt elf Staaten, die im Jahr 2006 freiwillige Beiträge leisteten. Finnland, Irland und die Türkei unterstützten das Büro zudem durch die Abordnung von Beamten.41
36
Siehe Kap. 5.4 (14. Protokoll) und 5.5 (Wise Persons). Zum möglichen Ausbau der Verbindung zwischen Menschenrechtskommissar und EGMR: siehe auch Trechsel (2000). 37 Vgl. CM (2006) 203: S. 28-29. 38 CommDH (2001) 9. 39 Vgl. www.coe.int/t/commissioner/Office/whoswho_en.asp (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 40 Vgl. CommDH (2007) 3: S. 35; CM (2007) 4: S. 38. 41 CommDH (2007) 3: S. 34.
202
7 Menschenrechtskommissar
Abbildung 34: Entwicklung des Budgets des Menschenrechtskommissars42 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Auch wenn der Trend positiv ist: Angesichts des weit gefassten Aufgabenfelds sowie der Relevanz der vom Menschenrechtskommissar behandelten Themen für den Europarat nimmt sich die Mittelausstattung weiterhin bescheiden aus. Das gilt umso mehr, weil der Großteil des Budgets für Personalkosten aufgewendet wird. Im Jahr 2006 standen dem Menschenrechtskommissar von insgesamt rund € 1,6 Millionen lediglich € 252.000 für operative Tätigkeiten zur Verfügung.43 Die knappen finanziellen und personellen Ressourcen führen nicht nur zu Einschränkungen in operativer Hinsicht. Aus der ‚Mischfinanzierung’ der Institution aus Mitteln des Haushalts des Europarats sowie aus freiwilligen Beiträgen einzelner Staaten ergeben sich zudem mehrere grundlegende Probleme bzw. Fragen. Beispielsweise gibt es keine Garantie für die Fortdauer der freiwilligen Zuwendungen. Fielen diese weg, hätte dies nachhaltige Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten des Menschenrechtskommissars. Zudem könnten freiwillige Zuwendungen zumindest theoretisch an bestimmte Bedingungen, sprich Gegenleistungen, gebunden werden, etwa das Unterlassen von Untersuchungsreisen. Daher gilt: Je weniger abhängig die Institution von Mitteln ist, die nicht aus dem Europaratshaushalt bereitgestellt werden, desto unabhängiger ist sie in ihrem Wirken. Zur ‚Ressourcenproblematik’ der Institution bemerkte der erste Menschenrechtskommissar des Europarats: „It is clear (...) that the future stability of this institution will depend on the consolidation of its resources, both financially and in terms of personnel.“44 Der zweite Menschenrechtskommissar teilt diese Einschätzung und erweitert die Problematik auf die Gesamtorganisation. Nach Ansicht Hammarbergs sei das völlige Ausschöpfen der Potenziale der Institution „restrained by the rather scarce resources put at the disposal of the Commissioner and the Council of Europe as a whole.“45 An anderer Stelle betonte Hammarberg, dass die Institu42
In Tausend Euro. Eigene Darstellung auf Grundlage der Jahresberichte des Menschenrechtskommissars. CommDH (2007) 3: S. 34. 44 CommDH (2001) 9. 45 CommDH (2007) 3: S. 5. 43
7.5 Literaturhinweise
203
tion Menschenrechtskommissar „must (…) move from foundation to consolidation if it is to meet the expectations that are increasingly being placed on it. This will not be possible with the current means.”46 Neben fehlenden Entscheidungskompetenzen und geringen finanziellen und personellen Ressourcen ergibt sich eine zumindest mögliche Beeinflussung der Handlungsmöglichkeiten des Menschenrechtskommissars außerdem aus der Gefahr von dessen ‚Steuerung’ durch andere Institutionen. Der Menschenrechtskommissar soll zwar, wie geschildert, unabhängig agieren. Als mögliche Einschränkung hierzu wird allerdings in der die Institution begründenden Resolution festgehalten, dass sich der Menschenrechtskommissar bei seiner Arbeit „nach den vom Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats diesbezüglich geäußerten Ansichten“ zu „richten“ habe.47 Was sich hinter dieser Wendung konkret verbirgt, lässt Spielraum für Interpretationen. Unklar ist schließlich die Weiterverfolgung der vom Menschenrechtskommissar in seinen Berichten, Empfehlungen etc. geäußerten Forderungen. Da diesbezügliche Festlegungen fehlen, muss wohl in erster Linie der Menschenrechtskommissar selbst das Follow-up gewährleisten. Auch hier stößt der Menschenrechtskommissar unweigerlich an Kapazitätsgrenzen.
7.5 Literaturhinweise 7.5 Literaturhinweise Commissioner for Human Rights: 4th Quarterly Activity Report 2007. 1st October to 31st December 2007 (Dokument: CommDH (2008) 3 vom 16.1.2008) Committee of Ministers: On the Council of Europe Commissioner for Human Rights (Dokument: Resolution (99) 50 vom 7.5.1999) Trechsel, Stefan (2000): A European Commissioner for Human Rights for the European Court of Human Rights? In: Haller, Bruno/Krüger, Hans Christian/Petzold, Herbert (Hrsg.): Law in Greater Europe. Towards a Common Legal Area. Studies in Honor of Heinrich Klebes. Den Haag et al.: 178-189.
46 47
CM (2007) 75 addendum 2 final. Resolution (99) 50.
8 Antifolterausschuss 8 Antifolterausschuss 8 Antifolterausschuss
8.1 Grundlagen 8.1 Grundlagen Der Schutz vor Folter gehört zu den Kernelementen des Menschenrechtsschutzes. Entsprechend prominent findet sich das Verbot von Folter in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 3 EMRK lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ Als Bestandteil der Menschenrechtskonvention fällt die Überwachung der Einhaltung des Folterverbots somit in das Mandat des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). An diesem Punkt setzt das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (kurz: Antifolterkonvention) vom 26. November 1987 an. Das Ziel der Antifolterkonvention lautet nicht, EMRK oder EGMR zu ersetzen. Stattdessen zielt die Konvention darauf ab, das gerichtliche Schutzsystem durch nichtgerichtliche Kontrollmöglichkeiten zu ergänzen und damit die Möglichkeiten zur Überwachung des Folterverbots in Europa zu erweitern. Die Antifolterkonvention zielt auf einen spezifischen Bereich – den Schutz von Personen, denen die Freiheit entzogen ist – und will – im Gegensatz zum in der Regel erst nach begangener Folter tätig werdenden EGMR – Folter durch Prävention verhindern. In der Präambel der Antifolterkonvention steht, „dass der Schutz von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe durch nichtgerichtliche Maßnahmen vorbeugender Art, die auf Besuchen beruhen, verstärkt werden könnte (Hervorhebung KB)“.
Auf welche Weise Personen vor Folter geschützt werden sollen, ist Gegenstand der Antifolterkonvention. Art. 1 der Konvention sieht die Errichtung eines Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (kurz: Antifolterausschuss) vor.1 Details zu Zusammensetzung, Funktionsweise etc. des Antifolterausschusses werden in der Antifolterkonvention beschrieben.2 Die Antifolterkonvention legt somit keine neuen normativen Prinzipien fest, sondern begründet einen neuen Kontrollmechanismus zur Überwachung des Folterverbots. Die Antifolterkonvention, der alle Mitgliedstaaten des Europarats angehören, wurde mittlerweile durch zwei Protokolle ergänzt. Beide wurden im November 1993 aufgelegt und traten im März 2002 in Kraft. Das 1. Protokoll zur Antifolterkonvention regelt den Beitritt von Nichtmitgliedstaaten des Europarats zur Konvention. Durch diese Öffnung können sich auch Staaten, die nicht dem Europarat angehören, dem Kontrollmechanismus der Antifolterkonvention unterwerfen. Das 2. Protokoll behandelt die Wiederwahl von Mitgliedern des Antifolterausschusses. Während die Konvention ursprünglich nur eine einmalige Wiederwahl der Ausschussmitglieder vorsah, besteht nun die Möglichkeit einer zweiten Wiederwahl. 1
Häufig wird der Antifolterausschuss auch mit ‚CPT’ abgekürzt, was sich von der englischen Bezeichnung des Ausschusses ableitet (Committee for the Prevention of Torture or Degrading Treatment or Punishment). 2 Siehe Kap. 8.2.
206
8 Antifolterausschuss
8.2 Zusammensetzung und Aufgaben 8.2 Zusammensetzung und Aufgaben Die Arbeit des Antifolterausschusses ist ein integraler Bestandteil der Bemühungen des Europarats zum Schutz der Menschenrechte. Der Ausschuss ergänzt den reaktiven Mechanismus des EGMR durch einen proaktiven und nichtgerichtlichen Mechanismus. Im Unterschied zum EGMR gibt es keine Möglichkeit für Staaten oder Individuen, dem Antifolterausschuss Beschwerden zur Untersuchung oder gar Urteilsfindung vorzulegen. Dieser Unterschied wurde bewusst geschaffen. Kämen dem Antifolterausschuss richterliche Funktionen zu, würde dies zwangsläufig zu Überschneidungen mit dem EGMR führen.3 Der Auftrag des Antifolterausschusses wird in Art. 1 der Antifolterkonvention wie folgt beschrieben: „Der Ausschuss prüft durch Besuche die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, um erforderlichenfalls den Schutz dieser Personen vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zu verstärken.“
Der Antifolterausschuss setzt sich aus je einem Vertreter der Vertragsparteien der Antifolterkonvention zusammen.4 Der Ausschuss sollte somit 47 Mitglieder haben. Der Sitz von Bosnien und Herzegowina ist derzeit jedoch vakant.5 Präsident des Antifolterausschusses ist der Italiener Mauro Palma, der ferner unter anderem Menschenrechtsberater des italienischen Parlaments ist.6 Gewählt werden die Mitglieder des Antifolterausschusses im Zusammenspiel von Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung. Im Gegensatz zu der im vorherigen Kapitel beschriebenen Wahl des Menschenrechtskommissars7 ist die Aufgabenverteilung umgekehrt: Die Vorschläge kommen aus den Reihen der Versammlung, die Wahl erfolgt durch das Ministerkomitee (Art. 5 Abs. 1 Antifolterkonvention). Zunächst übermittelt die nationale Versammlungsdelegation des jeweiligen Landes eine Liste mit drei Kandidaten. Die Vorschläge werden anschließend vom Unterausschuss für Menschenrechte des Ausschusses für Recht und Menschenrechte der Versammlung geprüft. Das Versammlungspräsidium leitet die ‚geprüften’ Vorschläge schließlich an das Ministerkomitee weiter, welches mit absoluter Stimmenmehrheit das Mitglied des Ausschusses wählt.8 Die Amtszeit der Ausschussmitglieder beträgt vier Jahre. Wie oben geschildert ist seit dem Inkrafttreten des 2. Protokolls zur Antifolterkonvention im Jahr 2002 eine zweimalige Wiederwahl möglich. Die Antifolterkonvention betont ausdrücklich, dass die Ausschussmitglieder „unabhängig und unparteiisch“ sein müssen. Explizit festgehalten wird zudem, dass der Ausschuss seine Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhält. Beschlüsse werden im Antifolterausschuss in der Regel durch eine Mehrheit der anwesenden Ausschussmitglieder getroffen. Beide Aspekte – Vertraulichkeit und Mehrheitserfordernisse bei Abstimmungen – werden bei den noch zu schildernden öffentlichen Erklärungen des Aus-
3
Vgl. Evans/Morgan (1999): S. 6. Details zu Aufbau und Zusammensetzung des Ausschusses finden sich in Art. 4-6 der Antifolterkonvention. 5 Vgl. http://www.cpt.coe.int/en/members/en-list.pdf (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 6 Der deutsche Vertreter im Antifolterausschuss ist Wolfgang Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte. 7 Siehe Kap. 7.2. 8 Die Versammlung unterbreitete unlängst Vorschläge, wie die Auswahl der Mitglieder des Antifolterausschusses verbessert werden könne. Die Umsetzung der Vorschläge steht noch aus. Vgl. Resolution 1540 (2007). 4
8.3 Besuche
207
schusses modifiziert. Unterstützt wird der Antifolterausschuss durch das Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht des Generalsekretariats des Europarats.
8.3 Besuche 8.3 Besuche Die zentralen Instrumente des Antifolterausschusses zur Erfüllung seines Mandats sind seine Besuche in den Vertragsstaaten der Antifolterkonvention (Abbildung 35).9 Besuche werden in der Regel von mindestens zwei Ausschussmitgliedern durchgeführt. Es gibt zwei Arten von Besuchen: reguläre ‚periodische’ Besuche (periodic visits) in allen Vertragsstaaten der Konvention sowie Ad-hoc-Besuche (ad hoc visits), die zur Weiterverfolgung bestimmter Sachverhalte dienen oder in Fällen erfolgen, in denen der Antifolterausschuss dringenden Handlungsbedarf sieht. Bis Mitte Februar 2008 hat der Antifolterausschuss 245 Besuche durchgeführt.10 152 Besuche waren periodische Besuche, die anderen 93 Besuche waren ad hoc. Im Jahr 2007 belief sich das Gesamtbudget des Ausschusses auf € 4,2 Millionen.11 Für seine Besuche stehen dem Ausschuss rund € 1,5 Millionen pro Jahr zur Verfügung. Abbildung 35: Besuche des Antifolterausschusses (2007)12 Besuchstyp
periodisch
ad hoc
9
Besuchte Vertragspartei (Zeitraum) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Liechtenstein (Februar) Bosnien und Herzegowina (März) Georgien (März/April) Kroatien (Mai) Estland (Mai) Niederlande (Juni) Moldau (September) Spanien (September/Oktober) Schweiz (September/Oktober) Serbien (November) Lettland (November/Dezember) Spanien (Januar) Ungarn (Januar/Februar) Griechenland (Februar) Kosovo/Serbien (März) Türkei (Mai) Russland (September) Mazedonien (Oktober) Vereinigtes Königreich (Dezember) Ukraine (Dezember)
Siehe Art. 7 Antifolterkonvention. Vgl. http://www.cpt.coe.int/en/about.htm (zuletzt abgerufen am 21.2.2008) 11 Vgl. CM (2007) 4: S. 43. 12 Vgl. http://www.cpt.coe.int/en/visits.htm (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). Für 2008 sind periodische Besuche in folgenden zehn Staaten geplant: Dänemark, Finnland, Italien, Litauen, Malta, Montenegro, Portugal, Russland, Vereinigtes Königreich und Zypern. Vgl. Press Release 871 (2007). 10
208
8 Antifolterausschuss
Die Besuche des Antifolterausschusses können sich in mehrfacher Hinsicht voneinander unterscheiden. Ein Aspekt sind die schon angeführten unterschiedlichen Besuchstypen. Außerdem differieren die Besuche aufgrund der aufgesuchten Lokalitäten und Gesprächspartner sowie hinsichtlich ihrer Dauer. Die periodischen Besuche können bis zu zwei Wochen gehen; Ad-hoc-Besuche sind in der Regel kürzer und dauern oftmals nur wenige Tage. Beispiel: Besuche in Mazedonien Am Beispiel Mazedonien lassen sich die Unterschiede bei den Besuchen des Antifolterausschusses illustrieren. Delegationen des Ausschusses reisten bislang sieben Mal nach Mazedonien. Drei dieser Besuche waren periodischer Natur (Mai 1998, November 2002, Mai 2006) und dauerten jeweils rund zehn Tage. Sie waren damit etwa doppelt so lang wie die vier Ad-hoc-Besuche (Oktober 2001, Juli 2002, Juli 2004, Oktober 2007).13 Das Motiv für den zweiten Besuch in Mazedonien im Oktober 2001 war, dass der Antifolterausschuss bei seinem ersten Besuch 1998 eine verhältnismäßig hohe Zahl von Misshandlungen von der Freiheit entzogenen Personen durch die Polizei festgestellt hatte. Verschärft wurden diese Zustände nach Ansicht des Ausschusses durch den Anfang 2001 ausgebrochenen innerstaatlichen Konflikt. Im Zuge des Konflikts kam es unter anderem zu Anschlägen bewaffneter Gruppen gegen Sicherheitskräfte, die ihrerseits mit Gegengewalt reagierten. Als Resultat dieser Eskalation erhielt der Ausschuss Berichte, in denen von Folter und anderen Formen der Misshandlung von Angehörigen der bewaffneten Gruppen durch staatliche Sicherheitskräfte die Rede war. Die angeblichen Verstöße gegen die Antifolterkonvention veranlassten den Ausschuss, einen Ad-hoc-Besuch durchzuführen. Konsequenterweise befasste sich der Ausschuss bei seinem Besuch im Oktober 2001 – wie auch bei der zur Weiterverfolgung dienenden dritten Reise nach Mazedonien im Juli 2002 – in erster Linie mit der Behandlung von inhaftierten Personen durch die Vollzugsbehörden.14 Bei der Auswahl der aufgesuchten Lokalitäten zeigt sich die weite Auslegung dahingehend, welche Einrichtungen in die Zuständigkeit des Ausschusses fallen. Beim sechsten Besuch (periodisch) in Mazedonien im Mai 2006 besuchte die Delegation des Ausschusses nicht nur Einrichtungen, die dem Innenministerium (v. a. Polizeistationen) und dem Justizministerium (v. a. Gefängnisse) unterstanden. Es wurden auch Einrichtungen aufgesucht, die dem Gesundheitsministerium (eine psychiatrische Klinik) bzw. dem Arbeits- und Sozialministerium (eine Anstalt für geistig behinderte Menschen) unterstellt waren. Außerdem besuchte die Delegation ein Institut für forensische Medizin.15 Ebenso wie die vom Antifolterausschuss besuchten Einrichtungen wiesen auch die Gesprächspartner der Delegationen eine große Bandbreite auf. Beim fünften Besuch (ad hoc) im Juli 2004 kam es zu Zusammentreffen mit dem Innenminister, mit hochrangigen Beamten aus dem Justiz- und dem Außenministerium, mit dem Generalstaatsanwalt sowie mit der Ombudsperson. Zudem kontaktierte die Delegation Vertreter anderer internationaler Organisationen, beispielsweise von der OSZE, der EU (genauer von deren in Mazedonien
13 Die Verbindung zwischen den periodischen und den Ad-hoc-Besuchen wird am jüngsten Ad-hoc-Besuch (Oktober 2007) deutlich. Dessen Ziel lautete, die Maßnahmen zu untersuchen, die Mazedonien seit dem vorangegangenen periodischen Besuch des Ausschusses (Mai 2006) ergriffen hatte. Vgl. CPT News Flash (2007). 14 Vgl. Vgl. CPT/Inf (2003) 3; CPT/Inf (2003) 5. 15 Vgl. CPT/Inf (2008) 5.
8.4 Öffentliche Erklärungen
209
aktiven Polizeimission) und vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC). Hinzu kamen Treffen mit NGOs (u. a. Macedonian Helsinki Commitee for Human Rights).16 Unabhängig vom Besuchstyp genießt der Antifolterausschuss bei seinen Untersuchungsreisen weit reichende Kompetenzen, welche ihm die Vertragsparteien der Antifolterkonvention nach deren Art. 8 verpflichtend gewähren müssen. Die Kompetenzen erstrecken sich vom Zugang zum jeweiligen Staat über das Recht zur freien Bewegung innerhalb des Staatsgebiets bis hin zum ungehinderten Zugang zu wie auch zum Erhalt von Informationen über Einrichtungen (u. a. Gefängnisse, Polizeistationen, psychiatrische Anstalten), in denen Personen die Freiheit entzogen wird.17 Außerdem verfügt der Ausschuss über die Berechtigung, ohne die Anwesenheit von Zeugen mit diesen Personen zu sprechen. Ferner kann der Antifolterausschuss jede andere Person kontaktieren, die möglicherweise über Informationen verfügt, die für seine Arbeit relevant sein könnten. Jeder Besuch des Ausschusses mündet in einen Bericht (visit report). Der Bericht enthält die zusammengetragenen Informationen und richtet in der Regel auch Empfehlungen an den untersuchten Staat. Auf der Grundlage des Berichts wird anschließend der Dialog mit dem Staat aufgenommen. Darüber hinaus hat der Ausschuss nach Art. 8 Abs. 5 der Antifolterkonvention das Recht, seine Beobachtungen den betroffenen Behörden noch vor Ort mitzuteilen. Beispiel: Mitteilung der Beobachtungen noch vor Ort gegenüber Deutschland Die Option, den zuständigen Behörden seine Beobachtungen noch vor Ort mitzuteilen, nutzte der Antifolterausschuss beispielsweise bei seinem letzten Besuch in Deutschland vom 20. November bis zum 2. Dezember 2005.18 In der Beobachtung ging es um die ‚Fixierung’ von Personen, denen etwa in Gefängnissen oder in psychiatrischen Kliniken die Freiheit entzogen wird. Besonders kritisch vermerkte der Ausschuss die mangelhafte Aufsicht durch das zuständige Personal. Außerdem sei in manchen Fällen die medizinische Versorgung ungenügend gewesen. Wie im Falle des Menschenrechtskommissars setzen die Berichte des Antifolterausschusses ebenfalls einen Dialog mit dem untersuchten Staat in Gang. Bereits am 20. Januar 2006 antwortete die Bundesregierung auf die unmittelbare Beobachtung des Ausschusses. In der Antwort erläuterte die Regierung den Sachstand zur Handhabung der Fixierungen und führte Maßnahmen an, die als Reaktion auf die Beobachtungen des Ausschusses in die Wege geleitetet worden waren. Die unmittelbaren Beobachtungen wurden außerdem in der offiziellen Antwort der Bundesregierung auf den Besuchsbericht des Antifolterausschusses aufgegriffen.
8.4 Öffentliche Erklärungen 8.4 Öffentliche Erklärungen Die Beziehungen zwischen dem Antifolterausschuss und den Vertragsparteien der Antifolterkonvention gründen auf den Prinzipien der Zusammenarbeit und der Vertraulichkeit. Die 16
CPT/Inf (2006) 36: S. 8, 41-42. Die Standards, die der Antifolterausschuss bei seinen Untersuchungen als Maßstab anlegt, finden sich in CPT/Inf/E (2002) 1 revised 2006. 18 Vgl. CPT/Inf (2007) 18. 17
210
8 Antifolterausschuss
bereits angeführten Berichte des Ausschusses sind grundsätzlich vertraulich. Allerdings können Staaten einer Veröffentlichung zustimmen, was in der Regel auch geschieht.19 Für die Zusammenarbeit zwischen dem Antifolterausschuss und der Vertragspartei spielt die Veröffentlichung der Berichte keine entscheidende Rolle. Schließlich stehen beide Seiten auch ohne Veröffentlichung miteinander in Kontakt. Öffentlich zugängliche Berichte können jedoch von anderen Akteuren, beispielsweise von NGOs oder den Medien, aufgegriffen werden. Gerade wenn die Veröffentlichung des Besuchsberichts zeitnah zu den Besuchen des Ausschusses erfolgt und die Ausführungen deshalb hohe Aktualität besitzen, könnte ein Staat unter öffentlichen Handlungsdruck geraten. Dies käme wiederum der Arbeit des Ausschusses zugute. Der Antifolterausschuss sieht sich als Expertengremium, das eine eher technisch-funktionale Grundausrichtung verfolgt, nicht jedoch eine bestimmte politische Agenda. Dieser Linie entspricht, dass die Arbeit des Ausschusses nicht auf die Anklage von Staaten abzielt. Der Antifolterausschuss versucht vielmehr, die Vertragsparteien der Antifolterkonvention darin zu unterstützen, mit der Konvention nicht zu vereinbarende Handlungen präventiv zu vermeiden oder, als zweitbeste Option, nachsorgend zu beheben. Die Staaten kommen ihren aus der Antifolterkonvention erwachsenden Verpflichtungen zur Zusammenarbeit bzw. konkret zur Verbesserung der vom Ausschuss angeführten Missstände jedoch nicht immer nach. In diesen Fällen kann der Antifolterausschuss nach Art. 10 Abs. 2 der Antifolterkonvention eine öffentliche Erklärung (public statement) abgeben: „Verweigert die Vertragspartei die Zusammenarbeit oder lehnt sie es ab, die Lage im Sinne der Empfehlungen des Ausschusses zu verbessern, so kann der Ausschuss, nachdem die Vertragspartei Gelegenheit hatte, sich zu äußern, mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder beschließen, dazu eine öffentliche Erklärung abzugeben.“
Wie oben bereits angedeutet, unterscheidet sich die öffentliche Erklärung von den anderen Beschlüssen des Antifolterausschusses dadurch, dass die für die Beschlussfassung erforderliche Mehrheit angehoben wird (Zweidrittelmehrheit anstatt Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder). Zugleich bricht der Ausschuss ganz bewusst die ansonsten gewahrte Vertraulichkeit. Das hört sich wenig dramatisch an. Allein: Der Gang an die Öffentlichkeit ist das ‚schärfste’ Instrument, das dem Ausschuss zur Verfügung steht. Der Ausschuss nutzt öffentliche Erklärungen nur selten. In fünf Fällen kam es bislang dazu: 1992 und 1996 gegenüber der Türkei sowie 2001, 2003 und 2007 gegenüber Russland. Die Erklärungen gegenüber der Türkei gründeten in beiden Fällen auf der Feststellung, dass dort Folter und andere Formen der Misshandlung von inhaftierten Personen durch die Polizei verbreitet seien.20 Weshalb es gegenüber Russland zur Abgabe von öffentlichen Erklärungen kam, schildert das folgende Beispiel. Beispiel: Öffentliche Erklärungen gegenüber Russland Russland ist eines der Schwerpunktländer des Antifolterausschusses. Seit der Ratifizierung der Antifolterkonvention durch Russland im Mai 1998 bereisten Delegationen des Aus19
Bislang wurden 194 Berichte veröffentlicht (bei insgesamt 245 Besuchen). Stand: Februar 2008. Vgl. http://www.cpt.coe.int/en/about.htm (zuletzt abgerufen am 21.2.2008). 20 Vgl. CPT/Inf (93) 1; CPT/Inf (96) 34.
8.4 Öffentliche Erklärungen
211
schusses bereits sechzehn Mal das Land. Allein neun dieser Besuche befassten sich mit der Lage im Nordkaukasus und hier insbesondere mit Tschetschenien (Abbildung 36). Die ungenügende Umsetzung der aus der Antifolterkonvention erwachsenden Verpflichtungen durch Russland in Tschetschenien war es auch, die den Antifolterausschuss zur Abgabe seiner öffentlichen Erklärungen veranlasste. Abbildung 36: Besuche des Antifolterausschusses im Nordkaukasus und öffentliche Erklärungen gegenüber Russland Besuche im Nordkaukasus und öffentliche Erklärungen gegenüber Russland 1. Besuch 2. Besuch 3. Besuch Erste öffentliche Erklärung 4. Besuch 5. Besuch 6. Besuch Zweite öffentliche Erklärung 7. Besuch 8. Besuch 9. Besuch Dritte öffentliche Erklärung
Jahr
2000 2001 2002 2003 2004 2006 2007
Zeitraum 26. Februar - 4. März 20. April - 27. April 19. März - 23. März 10. Juli 31. Januar - 7. Februar 24.Mai - 29. Mai 23. Mai - 29. Mai 10. Juli 24. November - 1. Dezember 25. April - 4. Mai 4. September - 10. September 13. März
Die erste öffentliche Erklärung gab der Antifolterausschuss im Juli 2001 ab.21 Ursächlich waren zwei Faktoren. Erstens kam Russland einer konkreten Forderung des Ausschusses nicht nach. Nach dem ersten Besuch in Tschetschenien (Februar/März 2000) hatte die Delegation noch vor Ort Kritik an den Verhältnissen in einem Untersuchungsgefängnis geäußert, dem SIZO Nr. 2 in Chernokosovo. Der Ausschuss hatte Informationen erhalten, nach denen es dort zwischen Dezember 1999 und Februar 2000 wiederholt zu Misshandlungen von inhaftierten Personen gekommen sein soll. Zwar hätte sich nach Informationen des Ausschusses die Lage im Untersuchungsgefängnis nach einem Wechsel des Personals verbessert. Gleichwohl äußerte der Antifolterausschuss die Notwendigkeit einer Untersuchung der Geschehnisse. Über deren Ergebnisse wollte der Ausschuss unterrichtet werden.22 Nach Einschätzung des Antifolterausschusses wurde diese Untersuchung jedoch nur ungenügend durchgeführt. Zweitens wertete der Ausschuss diejenigen Maßnahmen, welche Russland mit Blick auf die generelle Aufdeckung und Verfolgung von Misshandlungen von der Freiheit entzogenen Personen in Tschetschenien ergriffenen hatte, als nicht ausreichend. Auch eine in einem Brief vom Mai 2001 ausgesprochene Aufforderung an Russland, seine An21 22
Vgl. CPT/Inf (2001) 15. Vgl. CPT Press Release (2000).
212
8 Antifolterausschuss
strengungen zu verstärken und mehr Informationen bereitzustellen, blieb ohne Folgen. Vielmehr gab die russische Seite in ihrem Antwortschreiben zu verstehen, dass sie nicht gewillt sei, die angeforderten Informationen zu übermitteln. Als Grund wurde genannt, dass die Informationen nicht in die Zuständigkeit des Ausschusses fielen. Im Anschluss an die erste öffentliche Erklärung unternahm Russland nach Einschätzung des Antifolterausschusses zwar Schritte in die richtige Richtung. Beispielsweise wurden die Strukturen der Büros der zivilen und der militärischen Anklagebehörden verbessert und auch deren Koordination untereinander intensiviert. Der Ausschuss erhielt zudem fast keine Beschwerden mehr über Misshandlungen in der Haftanstalt in Chernokosovo.23 Der Antifolterausschuss kritisierte jedoch die weiterhin häufig fehlende Kooperationsbereitschaft Russlands sowie das Ausbleiben von grundlegenden Verbesserungen. Beanstandet wurden insbesondere die fortgesetzten Misshandlungen durch Angehörige der Vollzugsbehörden und der Armee sowie die schleppende und oftmals wenig effektive Verfolgung der dafür verantwortlichen Personen. Nach drei weiteren Besuchen in Tschetschenien sah sich der Antifolterausschuss im Juli 2003 zur Abgabe einer zweiten öffentlichen Erklärung gegenüber Russland gezwungen.24 Zu den Kritikpunkten des Ausschusses gehörten ihm zugetragene Berichte über Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung von Sonderoperationen (u. a. Verschleppung von Personen) und über Misshandlungen in Vollzugsanstalten in ganz Tschetschenien. Besondere Erwähnung bei Letzterem fand die Einrichtung ORB-2 in Grosny wegen der Schwere und Häufigkeit von vermeintlichen Misshandlungen. Zugleich wäre Russland diesen Vorwürfen trotz wiederholter Empfehlungen nicht in angemessener Weise begegnet. Ferner forderte der Antifolterausschuss Russland mit Blick auf die bislang zumeist ergebnislose Verfolgung von Straftätern auf, die hierfür zuständigen Behörden mit ausreichenden personellen und finanziellen Mitteln auszustatten. Wie bei der ersten öffentlichen Erklärung, schloss der Antifolterausschuss auch die zweite Erklärung mit der Äußerung, den Dialog mit Russland fortsetzen zu wollen, um gemeinsam die vorhandenen Probleme zu lösen. Nachdem der Antifolterausschuss drei weitere Besuche in den Nordkaukasus unternommen hatte, veröffentlichte er im März 2007 seine dritte öffentliche Erklärung.25 Trotz verschiedener positiver Ansätze beanstandete der Ausschuss weiterhin eine ganze Reihe von anhaltenden Defiziten. Zu diesen gehörten Folterungen und andere Formen der Misshandlungen durch die Sicherheitsbehörden, nicht zuletzt in dem bereits in der zweiten öffentlichen Erklärung kritisierten ORB-2. Außerdem wurden die Untersuchungen der Behörden zur Aufklärung diesbezüglicher Vorwürfe als ineffektiv bewertet. Im Ergebnis urteilte der Antifolterausschuss, dass „the Russian authorities consistently refuse to engage in a meaningful manner with the CPT [dem Antifolterausschuss; KB]; this can only be qualified as a failure to cooperate.“26
Besonders war die dritte öffentliche Erklärung deshalb, weil sie erstmals Auszüge aus einem – eigentlich vertraulichen – Bericht des Ausschusses (zu seinen beiden Reisen in den 23
Vgl. CPT/Inf (2003) 33. Vgl. CPT/Inf (2003) 33. 25 Vgl. CPT/Inf (2007) 17. 26 Vgl. CPT/Inf (2007) 17. 24
8.5 Fazit
213
Nordkaukasus im Jahr 2006) aufführte. Mit der dritten Erklärung brach der Ausschuss somit gleich doppelt das für gewöhnlich gewahrte Gebot der Vertraulichkeit.
8.5 Fazit 8.5 Fazit Eine pauschale Beurteilung der Wirkung des Antifolterausschusses ist kaum zu treffen. Ein Problem besteht darin, dass der Ausschuss auf die Änderung von Einstellungen hinwirkt, etwa bei Richtern oder bei Vollzugsbeamten. Solche Entwicklungen sind langfristige Prozesse, die sich kurzfristigen Beurteilungen entziehen. Hinzu kommt, dass sich solche Veränderungen generell nur schwer ‚messen’ lassen. Leichter festzustellen sind die strukturellen Defizite des Ausschusses. Letztlich hängt dessen Erfolg vom Willen – oder eben Unwillen – der Vertragsparteien der Antifolterkonvention zur Zusammenarbeit ab. Die Staaten müssen sich zwar an die Empfehlungen des Antifolterausschusses halten. Allerdings kann der Ausschuss selbst eine kontinuierliche Nichtbeachtung seiner Empfehlungen nur mit einer öffentlichen Erklärung ‚sanktionieren’. Weitergehende Maßnahmen sind dem Antifolterausschuss nicht möglich. Das begrenzte Handlungsinstrumentarium stellt den Antifolterausschuss vor enorme Probleme: Nach der bereits dritten öffentlichen Erklärung gegenüber Russland stellt sich zusehends die Frage, wie viele solcher Schritte der Ausschuss noch gehen kann, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Veröffentlichung von Teilen des Untersuchungsberichts im Kontext der dritten öffentlichen Erklärung zeige laut Roth eben nicht nur die „Entschlossenheit“ des Ausschusses, sondern auch „eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit einer kooperationsunwilligen russischen Regierung.“27 Schließlich besagt jede öffentliche Erklärung, dass ein Staat die Empfehlungen des Ausschusses über längere Zeit missachtet hat. Schärfere Sanktionsmaßnahmen müssten vom Ministerkomitee des Europarats beschlossen werden. Dieses steht allerdings unter ungleich stärkeren politischen Zwängen und verfügt deshalb über einen deutlich geringeren Handlungsspielraum als die unabhängigen Experten des Ausschusses. Der Einfluss der öffentlichen Anprangerungen des Antifolterausschusses sollte freilich nicht unterschätzt werden, gerade was das Ansehen des betroffenen Landes anbelangt. Die Wirkung des Ausschusses könnte allerdings zusätzlich verbessert werden, indem sein Sanktionsinstrumentarium über die Abgabe von öffentlichen Erklärungen hinaus erweitert würde. Die weitestgehende Maßnahme wäre wohl, dem Antifolterausschuss – als dem Wächter der Antifolterkonvention – die Kompetenz zuzusprechen, eine Vertragspartei zu suspendieren. Ein solcher Schritt träfe jedoch in zweierlei Hinsicht auf Schwierigkeiten. Erstens würde sich der Antifolterausschuss den Zugang zu dem betroffenen Staat verschließen. Untersuchungen der dortigen Zustände und Entwicklungen wären nicht länger möglich. Zweitens bedürfte die Zuweisung neuer Befugnisse an den Ausschuss einer Änderung der Antifolterkonvention. Die Chancen hierfür sind gering: Schließlich müsste jede Vertragspartei – und somit auch diejenigen Staaten, gegen welche ein erweitertes Instrumentarium höchstwahrscheinlich Anwendung fände – einer solchen Änderung durch die Ratifizierung des entsprechenden Protokolls zustimmen. Das Kontrollsystem der Antifolterkonvention ist außerdem aufgrund seiner staatszentrierten Anlage wenig geeignet zum Umgang mit Konflikten, in denen sich staatliche und 27
Roth (2008): S. 451. Auch Kriebaum verweist auf die Möglichkeiten und Grenzen von öffentlichen Erklärungen. Vgl. Kriebaum (2000): S. 568-571.
214
8 Antifolterausschuss
nichtstaatliche Akteure gegenüberstehen. Der Antifolterausschuss muss seine Untersuchungen von Mandats wegen auf die staatlichen Akteure – eben auf die Vertragsparteien der Antifolterkonvention – beschränken. Gegenüber nichtstaatlichen Akteuren hat der Ausschuss keine Handhabe. Da sich die Empfehlungen des Antifolterausschusses deshalb zwangsläufig auf die staatliche Seite beschränken, kann die ‚mandatsimmanente Einseitigkeit’ die Akzeptanz des Ausschusses bei der Vertragspartei schmälern. Diese Lücke muss durch die Aktivitäten anderer Institutionen des Europarats, etwa der Versammlung, geschlossen werden. Trotz dieser strukturellen Defizite und trotz der Schwierigkeiten, denen sich die Delegationen bei ihren Besuchen mitunter gegenübersehen, führen die Arbeiten des Antifolterausschusses immer wieder zu Erfolgen. Wie das folgende Beispiel zeigt, braucht es hierfür die Kooperationsbereitschaft der Vertragspartei – und Zeit.28 Beispiel: Schließung des Castlereagh Holding Centre Nach dem ersten Besuch in Nordirland im Jahr 1993 empfahl der Antifolterausschuss den britischen Behörden, die Zustände im Castlereagh Holding Centre umgehend zu verbessern. Sollte dies nicht möglich sein, müsse die Einrichtung in ein anderes Gebäude verlegt werden. In ihrem Antwortschreiben akzeptierte die britische Regierung die vom Ausschuss vorgetragene Kritik und signalisierte, eine Verlegung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Beim zweiten Besuch in Nordirland im Jahr 1999 musste der Ausschuss jedoch feststellen, dass sich die Verhältnisse nicht im Geringsten verändert hatten. Dies veranlasste die Delegation am Ende des Besuchs beim abschließenden Treffen mit den britischen Behörden, von der Möglichkeit der Äußerung ihrer Beobachtungen noch vor Ort Gebrauch zu machen. Die Forderung lautete, die Einrichtung umgehend zu schließen. Keine vier Wochen nach dem Besuch wurde das Castlereagh Holding Centre schließlich geschlossen.29
8.6 Literaturhinweise 8.6 Literaturhinweise Committee on the Prevention of Torture: Public Statement concerning the Chechen Republic of the Russian Federation (made on 13 March 2007) (Dokument: CPT/Inf (2007) 17 vom 13.3.2007) Kriebaum, Ursula (2000): Folterprävention in Europa. Die Europäische Kommission zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Wien. Morgan, Rod/Evans, Malcolm D. (Hrsg.) (1999): Protecting Prisoners. The Standards of the European Committee for the Prevention of Torture in Context. Oxford. Morgan, Rod/Evans, Malcolm (2003): Bekämpfung der Folter in Europa. Die Tätigkeit und Standards des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter. Berlin et al.
28
Weitere Verbesserungen, die durch die Arbeiten des Antifolterausschusses angestoßen wurden, finden sich in H/Inf (2007) 2: S. 17-18. 29 Vgl. CPT/Inf (2001) 6.
9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz 9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz 9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz
9.1 Grundlagen 9.1 Grundlagen Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)1 geht auf das erste Gipfeltreffen des Europarats aus dem Jahr 1993 zurück. In der Gipfelerklärung beschlossen die Staats- und Regierungschefs, eine Politik zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz zu verfolgen.2 Konkretisiert wurde diese Vorgabe in einer Deklaration und in einem Aktionsplan.3 Einer der im Aktionsplan festgehaltenen Vorschläge lautete, eine zwischenstaatliche Expertengruppe einzurichten.4 Der Grundstein für ECRI war gelegt. Mittlerweile gründen die Aktivitäten von ECRI auf ihrer 2002 vom Ministerkomitee verabschiedeten Satzung (statute).5 Auf dem Weg vom Wiener Gipfel zur Satzung erhielt ECRI zwei wichtige politische Impulse. Der erste Impuls ging vom zweiten Gipfeltreffen des Europarats aus dem Jahr 1997 aus. In der Abschlusserklärung forderten die Staats- und Regierungschefs eine weitere Intensivierung der Aktivitäten der Organisation beim Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz.6 Zu diesem Zweck sollte, so der Aktionsplan des Gipfels, die Arbeit von ECRI weiter ausgebaut werden.7 Der zweite Impuls stammte von der Europäischen Konferenz gegen Rassismus. Die Konferenz wurde im Oktober 2000 in Straßburg durchgeführt und stellte den europäischen Beitrag zur Vorbereitung der im Jahr 2001 folgenden UN-Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz dar. Zu den mehr als 500 Teilnehmern der Europäischen Konferenz gegen Rassismus gehörten Vertreter internationaler Regierungsorganisationen (u. a. UNO) ebenso wie nichtstaatliche Akteure. Im Kontext der Konferenz nahmen die Mitgliedstaaten des Europarats eine politische Erklärung an. In der Erklärung stellten sich die Staaten zur Aufgabe, über die Stärkung von Institutionen nachzudenken, die sich der Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz widmeten. Besonders hervorgehoben wurde die Weiterentwicklung von ECRI.8 Die Überlegungen führten schließlich zur bereits angeführten Satzung von ECRI. Die Satzung zielt darauf ab, die Arbeiten der Kommission zu konsolidieren und zu entwickeln. Was genau ECRI zur Aufgabe hat und wie die Kommission diese Aufgaben umsetzt, wird im nächsten Abschnitt diskutiert. 1 Die Abkürzung bezieht sich auf die englische Bezeichnung der Kommission: European Commission against Racism and Intolerance. 2 Vgl. Vienna Declaration (1993). Details zum Gipfeltreffen finden sich in Kap. 2.1.5. 3 Vgl. Vienna Declaration (1993): Appendix III. 4 Andere Vorschläge lauteten, eine europaweite Aufklärungskampagne zu starten sowie gegenüber den Medien anzuregen, über Rassismus und Intoleranz zu berichten. Außerdem sollten die Staaten des Europarats ihre nationalen Schutzmechanismen gegen jedwede Form von Diskriminierung verstärken. 5 Siehe Resolution (2002) 8. 6 Vgl. Strasbourg Declaration (1997). 7 Vgl. Strasbourg Action Plan (1997): Ziff. I/5. 8 Vgl. EUROCONF (2000) 1 final.
216
9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz
9.2 Aufgaben, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Instrumente 9.2 Aufgaben, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Instrumente Die zentrale Aufgabe von ECRI besteht in der Bekämpfung von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz.9 Dies soll ausdrücklich aus der Perspektive des Menschenrechtsschutzes erfolgen. ECRI verfolgt vier grundsätzliche Ziele. Erstens prüft die Kommission die Effektivität von Gesetzen, Politiken und weiteren Maßnahmen der Europaratsstaaten zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz. Zweitens unterbreitet sie Handlungsvorschläge, die sich auf die subnationale, nationale oder europäische Ebene beziehen können. Drittens richtet die Kommission allgemeine Politikempfehlungen an die Europaratsstaaten. Viertens nimmt ECRI internationale Rechtsinstrumente in den Blick und untersucht, inwieweit diese gestärkt werden müssen. Das praktische Arbeitsprogramm der Kommission, durch welches die allgemeinen Zielsetzungen umgesetzt werden, besteht aus drei Bausteinen.10 Ein Baustein ist das länderorientierte Vorgehen. In jedem Europaratsstaat überwacht ECRI die Lage in dem von ihr abgedeckten Themenbereich. Die Länderuntersuchungen münden in Länderberichte (country reports). Zur Vorbereitung eines Berichts besuchen die Berichterstatter der Kommission das im Blickpunkt stehende Land (contact visits). Sie tauschen sich sowohl mit Vertretern von Ministerien und öffentlichen Behörden als auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aus. Anschließend erstellt die Kommission einen Berichtsentwurf. Dieser wird an das untersuchte Land geschickt mit dem Ziel, einen vertraulichen Dialog über die im Bericht enthaltenen Analysen und Verbesserungsvorschläge aufzunehmen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Austauschs zwischen Kommission und Staat wird der Berichtsentwurf anschließend überarbeitet. Auf Verlangen eines Staates können seine Standpunkte dem Bericht angehängt werden. Das endgültige Dokument wird schließlich von der Kommission angenommen und, mittels des Ministerkomitees des Europarats, an den Mitgliedstaat weitergeleitet. Anschließend wird der Länderbericht veröffentlicht. Nur wenn ein Staat eine Veröffentlichung verweigert, bleiben die Berichte der Kommission vertraulich. Im Rahmen seiner Länderuntersuchungen behandelt ECRI alle Europaratsstaaten gleich. Sämtliche Staaten werden im Zuge eines vier- bis fünfjährigen Untersuchungszyklus’ erfasst. ECRI besucht etwa zehn Staaten pro Jahr. Im Jahr 2007 waren dies Andorra, Lettland, Liechtenstein, Malta, Moldawien, die Niederlande, San Marino, Serbien11 und die Ukraine. Der erste Untersuchungszyklus endete 1998, der zweite 2002. Die dritte Runde begann 2003 und endete 2007. Diese Runde wies zwei Schwerpunkte auf. Zum einen ging es um die Umsetzung der in den ersten beiden Länderrunden bzw. Länderberichten ausgesprochenen Empfehlungen der Kommission. Zum anderen identifizierte die Kommission für jedes Land bestimmte Schwerpunktthemen (‚besondere Probleme’), die ausführlicher in den Berichten behandelt wurden. Seit Anfang 2008 läuft die vierte Untersuchungsrunde.
9 Die folgenden Details zu Arbeitsweise und Aufgaben von ECRI finden sich in ihrer Satzung. Vgl. Resolution (2002) 8. 10 Vgl. CRI (99) 53 revised 7. 11 Während die anderen Besuche der Vorbereitung des dritten Berichts zum jeweiligen Land dienten, bildete der Besuch in Serbien, das im April 2003 dem Europarat beigetreten war, die Grundlage für die Erarbeitung des ersten Berichts zu diesem Land.
9.2 Aufgaben, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Instrumente
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Beispiel: Dritter Bericht über Deutschland Der im Dezember 2003 von ECRI verabschiedete ‚Dritte Bericht über Deutschland’ wurde im Juni 2004 veröffentlicht.12 Wie geschildert ging es in der dritten Länderrunde zum einen um die Weiterverfolgung der in den ersten beiden Länderberichten ausgesprochenen Empfehlungen der Kommission und zum anderen um ‚besondere Probleme’.13 Im dritten Bericht zu Deutschland finden sich diverse positive Vermerke, in denen die Kommission Fortschritte Deutschlands würdigt. Zugleich benennt ECRI fortbestehende Defizite und unterbreitet Vorschläge, wie diese zu beheben sind. Zunächst zur Frage der Weiterverfolgung früherer Empfehlungen. Als Fortschritt wurde beispielsweise das Inkrafttreten der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts angeführt. Infolge der Reform, deren Ausarbeitung bereits im zweiten Bericht der Kommission befürwortet wurde, habe sich die Einbürgerungsrate deutlich erhöht. Zugleich bat die Kommission im dritten Bericht die deutschen Behörden, die Einbürgerungskriterien nicht zu eng auszulegen. Im zweiten Bericht hatte die Kommission auch die Bedeutung der Erziehung zur Achtung von Menschenrechten hervorgehoben. Im dritten Bericht begrüßte sie in diesem Kontext die Einrichtung eines ‚Instituts für Menschenrechte’. Als weitergehende Maßnahme empfahl die Kommission, die Achtung von Menschenrechten zu einem Pflichtfach in allen Schulstufen zu erheben. Im vorherigen Bericht hatte ECRI außerdem angeregt, Ausländern, die schon lange in Deutschland leben, politische Rechte zu gewähren, beispielsweise das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Im dritten Bericht griff die Kommission diese Forderung erneut auf, da Ausländer, mit Ausnahme von EU-Bürgern, weiterhin nicht an Kommunalwahlen teilnehmen dürften. Im Kontext der ‚besonderen Probleme’ führte der Bericht das Thema rassistisch, fremdenfeindlich und antisemitisch motivierte Gewalt an. Auch hier verwies die Kommission auf Ausführungen ihres vorherigen Berichts, in dem sie ein scharfes Vorgehen Deutschlands gegen solche Gewalt gefordert hatte. Angesichts weiterhin vorkommender Angriffe auf Angehörige von Minderheitengruppen in Deutschland bekräftigte die Kommission ihre Forderung nach einem entschlossenen Handeln der Behörden. Hierzu gehöre nach Ansicht der Kommission die Unterstützung lokaler Initiativen, die auf die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit abzielten. Außerdem sollten die Behörden ihren Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auch im Internet weiter verstärken. Der zweite Baustein der Aktivitäten von ECRI ist die Befassung mit grundlegenden Fragen innerhalb ihres Themengebiets. In diesem Zusammenhang sammelt und veröffentlicht die Kommission Gute Praktiken (examples of good practices) beim Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz. Nachahmenswerte Beispiele sammelte die Kommission zum Beispiel für den Kampf gegen Rassismus und Intoleranz in den Medien (2000) oder zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz gegen Roma/Zigeuner (2001). Daneben entwickelt ECRI allgemeine Politikempfehlungen (general policy recommendations), die allen Europaratsstaaten übermittelt werden. Im Idealfall werden diese Leitlinien von den nationalen Entscheidungsträgern aufgegriffen, 12
Der erste Bericht zu Deutschland wurde im März 1998 und der zweite Bericht im Juli 2001 veröffentlicht. Im Spätsommer 2008 wird ECRI abermals nach Deutschland reisen, um den vierten Bericht vorzubereiten. 13 Vgl. CRI (2004) 23.
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9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz
wenn sie Gesetze oder Politiken in dem von der Empfehlung behandelten Sachbereich ausarbeiten. ECRI hat bislang elf solcher Empfehlungen veröffentlicht. Zuletzt thematisierte die Kommission den Kampf gegen den Antisemitismus (9. Empfehlung; veröffentlicht 2004), die Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in und durch schulische Bildung (10. Empfehlung; 2006) und die Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung bei der Polizeiarbeit (11. Empfehlung; 2007). Die Einbindung der Zivilgesellschaft bildet den dritten Baustein der Kommissionsaktivitäten. Die Ausgangsüberlegung lautet, dass die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz keine ausschließlich staatliche Aufgabe sein könne. Vielmehr lasse sich die Zielsetzung ohne die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht verwirklichen. Entsprechend versucht ECRI, zivilgesellschaftliche Akteure für die eigenen Ziele zu gewinnen. Zu diesem Zwecke organisiert die Kommission beispielsweise in zeitlicher Nähe zur Veröffentlichung ihrer Länderberichte Gesprächsrunden in Mitgliedstaaten. Im November 2007 führte ECRI beispielsweise ein Round-Table-Treffen in Dublin durch, bei dem Vertreter der irischen Regierung und irischer NGOs die Ergebnisse des im Mai 2007 veröffentlichten dritten Länderberichts zu Irland diskutierten.14 Zusammengeführt werden die unterschiedlichen Handlungsstränge der Kommission in ihrem Jahresbericht. Im aktuellsten Bericht führt ECRI eine Reihe von Entwicklungen an, die genau weiterverfolgt werden müssten.15 Hierzu gehöre eine zunehmende „Islamophobie“ ebenso wie diskriminierende Gesetze und Praktiken, die im Zuge des Kampfes gegen den Terrorismus erlassen bzw. eingeführt wurden. Zugleich begrüßte die Kommission etwa das Inkrafttreten des 12. Protokolls zur EMRK, das ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot festschreibt. Der Jahresbericht von ECRI wird dem Ministerkomitee übermittelt und ist öffentlich zugänglich. Nicht öffentlich sind hingegen die Sitzungen der Kommission. Allerdings kann die Kommission beschließen, ihre Treffen nicht in camera abzuhalten. An den Treffen können Beobachter teilnehmen.16 Diese sind jedoch nicht stimmberechtigt. Den Vorsitz von ECRI hat derzeit die Dänin Eva Smith Asmussen. Das Leitungsgremium der Kommission ist das Präsidium (bureau). Dieses besteht aus sieben Mitgliedern der Kommission. Das Präsidium wie auch die Gesamtheit der Kommissionsmitglieder als Plenum treffen sich etwa dreimal im Jahr. Im Jahr 2007 fanden die drei- bis viertägigen Plenartreffen (plenary meetings) im März, Juni und Dezember statt. Darüber hinaus treffen sich Mitglieder von ECRI in verschiedenen Arbeitsgruppen.17 Administrativ unterstützt wird die Kommission durch das Sekretariat des Europarats. Beamte des Generaldirektorats für Menschenrechte und Recht bilden das Sekretariat von ECRI. Die Kommission setzt sich aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats des Europarats zusammen.18 Die Ernennung erfolgt für fünf Jahre und kann erneuert werden. Ähnlich wie beispielsweise bei den Richtern des EGMR oder beim Amt des Menschenrechtskommissars 14
Vgl. Press Release 771 (2007). Zuletzt wurde im Mai 2007 der Bericht für das Jahr 2006 veröffentlicht. Vgl. CRI (2007) 21. 16 Im Jahr 2006 nahmen Vertreter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats, der Europäischen Kommission, der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Intoleranz (heute: EU-Grundrechteagentur) sowie des Heiligen Stuhls teil. Vgl. CRI (2007) 21: S. 28. 17 Arbeitsgruppen gibt es u. a. zu Schulbildung und Kampf gegen Rassismus oder zu den Beziehungen von ECRI zur Zivilgesellschaft. 18 Deutschland wird durch die ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, vertreten. 15
9.3 Fazit
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sollen auch die Vertreter von ECRI sowohl über hohes persönliches Ansehen als auch über ausgewiesene Expertise verfügen. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann das Ministerkomitee den betroffenen Staat dazu auffordern, eine andere Person vorzuschlagen. Die Satzung der Kommission hält ausdrücklich fest, dass ihre Mitglieder in persönlicher Eigenschaft sowie unabhängig und unparteiisch ihre Aufgaben zu erfüllen haben. Entsprechend sollen sie auch keine Weisungen aus den Europaratsstaaten erhalten.
9.3 Fazit 9.3 Fazit Die Bekämpfung von Rassismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hat innerhalb des Europarats in den letzten Jahren zusehends an Bedeutung gewonnen. In deklaratorischer Hinsicht zeigt sich der Stellenwert dieser Fragen in den Abschlussdokumenten der drei Europaratsgipfel. Wie eingangs zu diesem Kapitel geschildert, griffen sowohl der erste als auch der zweite Gipfel die Thematik auf. Im Nachgang zum ersten Gipfel wurde die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz gegründet. Vom zweiten Gipfel ging ein Impuls zur Konsolidierung der Arbeiten von ECRI aus, der in der 2002 verabschiedeten Satzung der Kommission mündete. Auf dem dritten Europaratsgipfel 2005 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten, den Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung und jedwede Form von Intoleranz weiter zu intensivieren. Im Aktionsplan des Gipfeltreffens verpflichteten sich die Staaten, der Kommission die notwendigen Mittel zur Umsetzung ihrer Ziele bereitzustellen. Ausdrücklich betont wurde in diesem Kontext die Wertschätzung ihrer Arbeiten. Besondere Erwähnung fanden die allgemeinen Politikempfehlungen sowie die Identifizierung von nachahmenswerten Beispielen (good practices). Ebenfalls ausdrücklich betont wurde, ECRI möge eng mit nationalen Institutionen und der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Außerdem solle die Koordination der Arbeiten der Kommission mit den Aktivitäten anderer internationaler Organisationen (v. a. EU, OSZE) gewährleistet werden.19 Dass die Europaratsstaaten den von ECRI abgedeckten Themen wie auch den Aktivitäten der Kommission selbst Bedeutung beimessen, steht außer Frage. Weniger eindeutig lässt sich der Erfolg der Kommissionsaktivitäten fassen. Detaillierte Implementationsstudien, in denen die Umsetzung der Empfehlungen von ECRI in den 47 Europaratsstaaten erfasst wird, sind an dieser Stelle nicht möglich.20 Gleichwohl können verschiedene strukturelle Stärken und Schwächen der Kommission aufgezeigt werden. Als Bezugspunkt lässt sich der im vorherigen Kapitel diskutierte Antifolterausschuss heranziehen.21 ECRI und der Antifolterausschuss ähneln sich in mehrfacher Hinsicht. Auch die Kommission behandelt einen speziellen Themenausschnitt innerhalb des übergeordneten Kontexts des Menschenrechtsschutzes in Europa. Gemeinsam haben ECRI und der Antifolterausschuss außerdem, dass ihre Empfehlungen die Adressaten und somit die Mitgliedstaaten des Europarats nicht binden. Auch bei anhaltender Nichtumsetzung ihrer Empfehlungen sind der Kommission und dem Antifolterausschuss faktisch die Hände gebunden. Um die eigenen Ziele zu erreichen, müssen sie beharrlich ihre Themen weiterverfolgen. Letzteres 19
Vgl. CM (2005) 80 final: Ziff. I/2. Beispiele für von ECRI angestoßene Veränderungen in den Europaratsstaaten finden sich in H/Inf (2007) 2: S. 20-23. 21 Siehe Kap. 8. 20
220
9 Europäische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz
wurde in der 2007 abgeschlossenen dritten Länderrunde von ECRI versucht. In deren Mittelpunkt stand die Frage, inwieweit die Staaten die Empfehlungen der Kommission aus den ersten beiden Besuchsrunden umgesetzt hatten. ECRI und der Antifolterausschuss unterscheiden sich jedoch in zwei zentralen Punkten. Zum einen besitzt der Antifolterausschuss die Möglichkeit, durch Ad-hoc-Besuche flexibel auf Entwicklungen zu reagieren, die sich aus seiner Sicht als besonders problematisch darstellen. Auf diese Weise kann der Ausschuss Schwerpunkte setzen, die über seine regulären Besuche, die alle Europaratsstaaten umfassen, hinausgehen. Zum anderen verfügt der Antifolterausschuss zumindest ansatzweise über die Möglichkeit zur ‚Verschärfung’ seines Austauschs mit einem Europaratsstaat. Im Falle anhaltender Verstöße gegen seine Empfehlungen gemäß der Antifolterkonvention kann der Ausschuss öffentliche Erklärungen abgeben. Die ansonsten übliche Vertraulichkeit des Austauschs mit einem Staat wird aufgebrochen. Durch einen solchen Schritt setzt der Antifolterausschuss zumindest ein – im Idealfall öffentlichkeitswirksames – Zeichen. Weitergehende Maßnahmen kann der Ausschuss freilich nicht beschließen. Im Vergleich zum Antifolterausschuss ist das Instrumentarium von ECRI (noch) begrenzter. Zum einen verfügt die Kommission nicht über die Möglichkeit, bestimmte Länderschwerpunkte zu setzen. Außerhalb der Länderrunden stehende Besuche sind in der Satzung der Kommission nicht vorgesehen. Die allgemeinen Politikempfehlungen, mit denen bestimmte Themen vertieft behandelt werden, können die fehlende Option zur Schwerpunktsetzung mittels außerplanmäßiger Besuche nicht ersetzen. Zum anderen sieht die Satzung von ECRI keine Möglichkeiten zur Verschärfung des Umgangs mit einem Staat vor, selbst wenn dieser anhaltend gegen die Empfehlungen der Kommission verstoßen sollte. Die Möglichkeit eines zumindest symbolischen ‚Ausbruchs’ aus den üblichen Prozeduren, etwa mittels einer öffentlichen Erklärung analog zum Antifolterausschuss, besitzt ECRI nicht. Der Kommission bleibt nur, ihre Anliegen kontinuierlich wie inhaltlich fundiert gegenüber den Staaten zu äußern. Auf diese Weise lässt sich im Erfolgsfall Problembewusstsein herstellen sowie zumindest mittelfristiger Wandel von Gesetzen, Praktiken etc. anstoßen. Zudem kann die Kommission versuchen, über ihre Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Akteuren und den Medien den Druck auf Staaten zu erhöhen. Hierbei ist wichtig, dass die Berichte von ECRI in der Regel öffentlich sind. Um eine Veröffentlichung eines Berichts zu verhindern, muss ein Staat diesen Schritt explizit ablehnen (im Falle des Antifolterausschusses muss ein Staat der Veröffentlichung zustimmen). Stellt sich ein Staat gegen die Veröffentlichung eines Berichts, zieht dies zwangsläufig Misstrauen wie auch Öffentlichkeit nach sich. Auch hier kann die Kommission bei der Vermittlung ihrer Vorschläge ansetzen.
9.4 Literaturhinweise 9.4 Literaturhinweise European Commission against Racism and Intolerance: Annual Report on ECRI’s Activities covering the period from 1 January to 31 December 2006 (Dokument: CRI (2007) 21 vom Mai 2007) Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz: Dritter Bericht über Deutschland. Verabschiedet am 5. Dezember 2003 (Dokument: CRI (2004) 23 vom 8.6.2004)
10 Venedig-Kommission 10 Venedig-Kommission 10 Venedig-Kommission
10.1 Grundlagen und Zusammensetzung 10.1 Grundlagen und Zusammensetzung Die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht wurde im Mai 1990 etabliert.1 Die gebräuchliche, dem Sitz der Kommission folgende Kurzbezeichnung lautet VenedigKommission (Venice Commission). Grundlage für die Einrichtung der Venedig-Kommission war ein Teilabkommen (partial agreement), dem zunächst 18 Europaratsstaaten angehörten.2 Im Jahr 2002 wurde das Teilabkommen zu einem Erweiterten Abkommen (enlarged agreement) ausgeweitet.3 Grund hierfür war das Interesse von Nichtmitgliedern des Europarats, sich an den Arbeiten der Venedig-Kommission zu beteiligen, und zwar nicht nur als Beobachter, sondern als vollwertige Mitglieder. Voraussetzung für die Einbeziehung eines Nichtmitgliedstaats in die Venedig-Kommission ist eine Einladung durch das Ministerkomitee des Europarats. Fünf Staaten haben die Öffnung der Kommission bereits genutzt: Kirgisistan trat der Kommission im Jahr 2004 bei, Chile im Jahr 2005, Südkorea im Jahr 2006 sowie Marokko und Algerien im Jahr 2007. Da mittlerweile auch sämtliche Mitglieder des Europarats der Venedig-Kommission angehören, umfasst diese 52 Mitglieder.4 Darüber hinaus beteiligen sich weitere Staaten an den Arbeiten der Kommission. Belarus partizipiert als assoziiertes Mitglied (associate member). Weitere neun Staaten verfügen über einen Beobachterstatus (observer)5, und Südafrika besitzt einen mit dem Beobachterstatus vergleichbaren besonderen Kooperationsstatus (special co-operation status). Als Teilnehmer (participants) an den Plenarsitzungen der Kommission beteiligen sich schließlich noch die Europäische Kommission und das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Venedig-Kommission setzt sich zusammen aus Experten der am Erweiterten Teilabkommen beteiligten Staaten. Jeder Staat ernennt ein Mitglied (member) und einen Stellvertreter (substitute member) für ein Mandat von vier Jahren.6 Die Möglichkeit zur Wiederernennung besteht. Die Mitglieder der Venedig-Kommission sollen sich durch eine herausragende fachliche Eignung auszeichnen. Sie handeln in persönlicher Eigenschaft und somit unabhängig von dem Staat, der sie ernannt hat. Die Venedig-Kommission wird durch das Sekretariat des Europarats administrativ unterstützt. Die für die Venedig-Kommission zu-
1
Vgl. Resolution (90) 6. Details zur Venedig-Kommission finden sich bei Rülke (2003), Die 18 Staaten waren Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Norwegen, Österreich, Portugal, San Marino, Spanien, Schweden, Schweiz, die Türkei und Zypern. 3 Vgl. Resolution (2002) 3. 4 Deutschland trat der Venedig-Kommission im Juli 1990 und somit nur wenige Wochen nach Inkrafttreten des Teilabkommens bei. 5 Dies sind Argentinien, Israel, Japan, der Heilige Stuhl, Kanada, Kasachstan, Mexiko, Uruguay und die USA. 6 Die deutschen Vertreter sind Wolfgang Hoffmann-Riem (Richter am Bundesverfassungsgericht) als Mitglied und Angelika Nussberger (Professorin an der Universität Köln) als Stellvertreterin. 2
222
10 Venedig-Kommission
ständige Einheit des Sekretariats ist im Generaldirektorat für Menschenrechte und Recht angesiedelt.7 Das Leitungsgremium der Venedig-Kommission ist das Präsidium (bureau). Das achtköpfige, vom Plenum der Kommission gewählte Gremium besteht aus dem Präsidenten (president) und den drei Vizepräsidenten sowie aus vier weiteren Mitgliedern der Kommission. Die hervorgehobene Stellung des Präsidenten der Venedig-Kommission zeigt sich daran, dass dieser die Sitzungen der Kommission leitet und die Kommission nach außen vertritt. Seit Dezember 2007 ist der Norweger Jan Helgesen Präsident der Venedig-Kommission.8 Helgesen folgte dem Italiener Antonio La Pergola, welcher der Kommission von ihrer Gründung im Jahr 1990 bis zu seinem Tod im Juli 2007 vorgestanden hatte. Das Präsidium trifft sich für gewöhnlich im Vorfeld der jährlich vier Plenarsitzungen (sessions) der Kommission. 2007 fanden diese im März, Juni, Oktober und Dezember statt. Als Arbeitseinheiten dienen der Venedig-Kommission ihre thematisch ausgerichteten Unterausschüsse (sub-commissions).9 Diese treffen sich nach Bedarf. In der Regel kommt es zu ein bis zwei Treffen der Unterausschüsse pro Jahr, und zwar wie beim Präsidium im Vorfeld der Plenarsitzungen der Venedig-Kommission.
10.2 Aufgaben 10.2 Aufgaben Das 2002 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedete Erweiterte Teilabkommen stellt die Satzung (statute) der Venedig-Kommission dar. Laut Satzung ist die Kommission eine unabhängige Einrichtung mit beratenden Aufgaben. Das Dokument hält ausdrücklich fest, dass die Venedig-Kommission ihre Arbeiten nicht auf die Mitglieder des Europarats beschränken muss. Auch mit Staaten, die nicht der Organisation angehören, sowie mit internationalen Organisationen kann die Kommission zusammenarbeiten. Allerdings sind die Entscheidungsmöglichkeiten von Nichtmitgliedern des Europarats mit einer Einschränkung versehen. Bei Abstimmungen zu Fragen, welche die Kommission im Auftrag des Ministerkomitees10, der Parlamentarischen Versammlung, des Kongresses der Gemeinden und Regionen oder des Generalsekretärs des Europarats behandelt, haben Nichtmitglieder kein Stimmrecht. Die Venedig-Kommission verfolgt laut ihrer Satzung mehrere grundlegende Ziele. Die Kommission trägt zum besseren Verständnis der Rechtssysteme ihrer Mitglieder bei. Sie soll insbesondere einen Beitrag zur Annäherung und somit Harmonisierung der Systeme leisten. Die Kommission fördert außerdem Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Darüber hinaus untersucht die Kommission Probleme, die sich aus der Arbeits- und Funkti-
7
Die Venedig-Kommission wird zudem durch die Region Venedig und die italienische Regierung unterstützt. Die Region Venedig stellt der Kommission kostenlos einen Sitz zur Verfügung und trägt zusammen mit der italienischen Regierung u. a. die Kosten für das örtliche Sekretariat der Kommission. 8 Helgesen, der vom Plenum der Venedig-Kommission auf der 73. Plenarsitzung einstimmig gewählt wurde, ist hauptberuflich Dozent für Völkerrecht an der Universität Oslo. Vgl. Pressemitteilung 925 (2007). 9 Unterausschüsse gibt es zu den Themen Verfassungsrecht, Demokratische Institutionen, Grundrechte, Internationales Recht, Justiz sowie Minderheitenschutz. Vgl. Venice Commission Annual Report (2007): S. 89. 10 Die Venedig-Kommission muss laut ihrer Satzung dem Ministerkomitee jährlich einen Tätigkeitsbericht vorlegen. Den Bericht für das Jahr 2006 veröffentlichte die Kommission im September 2007. Siehe Venice Commission Annual Report (2007).
10.2 Aufgaben
223
onsweise demokratischer Institutionen ergeben, und unterbreitet Vorschläge zur Entwicklung und Stärkung solcher Institutionen. In der Praxis stehen drei Bereiche im Zentrum der Tätigkeiten der Venedig-Kommission: Verfassungsfragen, die Zusammenarbeit mit Verfassungsgerichten und Wahlrechtsfragen.11 Der erste Schwerpunkt, und zugleich die maßgebliche Aufgabe der VenedigKommission, ist die Beratung und Unterstützung ihrer Mitgliedstaaten in Verfassungsfragen. Die Venedig-Kommission selbst bezeichnet diese Tätigkeit als „constitutional first aid“12. Für diese Aufgabe ernennt die Kommission eine Berichterstattergruppe. Die Berichterstattergruppe unterstützt den betreffenden Staat bei der Aus- bzw. Überarbeitung einer Verfassung. Eine andere Aufgabe besteht darin, Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen zu entwickeln, gerade mit Blick auf deren Vereinbarkeit mit europäischen Standards. Vor der Übermittlung an die staatlichen Behörden werden die Entwürfe der Berichterstattergruppen im Plenum der Kommission diskutiert und verabschiedet. Die Venedig-Kommission war bzw. ist beispielsweise beteiligt an den Verfassungsreformen in Bosnien und Herzegowina, Kirgisistan, Bulgarien und Finnland sowie an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Montenegro. Wie das folgende Beispiel zeigt, kommentiert die Kommission darüber hinaus auch Verfassungen, an deren Ausarbeitung sie nicht beteiligt war. Beispiel: Stellungnahme zur Verfassung Serbiens Die Verfassung Serbiens wurde Ende September 2006 vom serbischen Parlament angenommen und Ende Oktober 2006 per Referendum bestätigt. Anlass für die Befassung der Venedig-Kommission mit der serbischen Verfassung war eine Anfrage des MonitoringAusschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Mitte Oktober 2006, und somit noch vor dem Verfassungsreferendum, hatte der Ausschuss die Kommission aufgefordert, eine Stellungnahme zur Verfassung abzugeben. Daraufhin ernannte die Kommission fünf ihrer Mitglieder zu Berichterstattern. Die Arbeiten der Berichterstatter mündeten in einer Stellungnahme (opinion), welche die Venedig-Kommission auf ihrer 70. Plenarsitzung im März 2007 verabschiedete.13 Die Venedig-Kommission kam in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis, dass die serbische Verfassung in Teilen europäischen Standards entspräche. Dies sei nicht zuletzt deshalb der Fall, weil mehrere der Vorschläge der Venedig-Kommission zu einem früheren Verfassungsentwurf aus dem Jahr 2005 in der verabschiedeten Version enthalten seien. Positiv hervorgehoben wurde unter anderem der in der Verfassung enthaltene Grundrechtskatalog. Allerdings verwies die Venedig-Kommission auch auf verschiedene Punkte, die entweder nicht mit europäischen Standards in Einklang stünden oder die unklar bzw. widersprüchlich wären. Gerade Letzteres sei das Ergebnis der überhasteten Ausarbeitung des Textes: Laut Venedig-Kommission zeige „the new Constitution (…) all the hallmarks of an over-hasty draft“14. Kritisiert wurden beispielsweise die nur begrenzten bzw. mit hohen Hürden versehenen Möglichkeiten zur Ergänzung der Verfassung. Ferner beanstandete die Kommission die übergroße Rolle des Parlaments bei der Ernennung von Richtern. Als Folge drohe die Kontrolle der Judikative durch die politischen Parteien. Ihrem grundsätzlich kooperativen 11
Vgl. Venice Commission Annual Report (2007): S. 15-16. Venice Commission Annual Report (2007): S. 15. 13 Vgl. CDL-AD (2007) 004. 14 CDL-AD (2007) 004: S. 22. 12
224
10 Venedig-Kommission
und nicht konfrontativen Vorgehen folgend, bot die Venedig-Kommission Serbien abschließend ihre Unterstützung bei der Überarbeitung einzelner Verfassungsbestimmungen bzw. bei der Entwicklung von Gesetzen zur Umsetzung der Verfassung an. Der zweite Schwerpunkt der Kommissionsaktivitäten besteht in der Zusammenarbeit mit Verfassungsgerichten oder äquivalenten Institutionen ihrer Mitgliedstaaten. Diesem Schwerpunkt liegt die Einschätzung zugrunde, dass die Ausarbeitung von demokratischen Verfassungen – und somit der bereits genannte erste Schwerpunkt – kein Selbstzweck sei. Ebenso entscheidend wie die Verfassungen selbst wäre deren Umsetzung in der Praxis. Hierbei spielten Verfassungsgerichte eine zentrale Rolle. Dies ist der Grund, weshalb die Venedig-Kommission enge Bindungen zu den Verfassungsgerichten sucht. Die Verknüpfungen werden beispielsweise durch gemeinsame Seminare oder durch Austauschprogramme hergestellt. Außerdem gibt die Venedig-Kommission Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen bzw. zu Gesetzen für Verfassungsgerichte ab.15 Institutionalisiert wird die Verbindung etwa durch den 2002 eingerichteten Joint Council on Constitutional Justice. Diesem Rat gehören Mitglieder der Venedig-Kommission wie auch Vertreter nationaler Gerichte, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an. Darüber hinaus verfügt die Venedig-Kommission über Kontakte zu Verfassungsgerichten außerhalb Europas, etwa zur Union of Arab Constitutional Courts and Councils. Der dritte Schwerpunkt liegt auf Wahlrechtsfragen. Ähnlich wie bei den Arbeiten in Verfassungsfragen strebt die Kommission auch hier die Heranführung der Gesetzgebung ihrer Mitgliedstaaten an europäische Standards an. Die zu verfolgenden Standards hat die Kommission in ihrem 2003 veröffentlichten Code of Good Practice in Electoral Matters zusammengeführt.16 Darüber hinaus entwickelt die Kommission Stellungnahmen und Empfehlungen zur Wahlgesetzgebung einzelner Länder. In den letzten Jahren hat die Kommission zum Beispiel zu den Wahlgesetzen bzw. Wahlgesetzentwürfen von Armenien, Belarus, Georgien, Kroatien und Serbien gearbeitet. Sie kooperiert in diesen Fragen häufig mit ODIHR. Beispiel: Stellungnahme zu Ergänzungen des albanischen Wahlgesetzes Ihre Stellungnahme zu Ergänzungen des albanischen Wahlgesetzes hat die Venedig-Kommission im Zusammenspiel mit ODIHR entwickelt. Angestoßen wurde die Befassung der Kommission mit der Frage durch eine Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Diese hatte in einer Resolution angeregt, die Venedig-Kommission möge Stellungnahmen zu möglichen Verbesserungen von Gesetzgebung und Praktiken in bestimmten Mitglieds- und Bewerberstaaten des Europarats abgeben.17 Albanien gehörte offensichtlich zu diesen in der Resolution der Versammlung nicht einzeln benannten Staaten. Die Venedig-Kommission verabschiedete ihre Stellungnahme auf ihrer 72. Plenarsitzung im Oktober 2007.18 Die Kommission und ODIHR kamen zu einer ambivalenten Be15 Im Jahr 2006 verabschiedete die Venedig-Kommission beispielsweise Stellungnahmen mit Blick auf Georgien, Rumänien und die Ukraine. 16 Vgl. CDL-STD (2003) 034. 17 Vgl. Resolution 1320 (2003). 18 Vgl. CDL-AD (2007) 035.
10.3 Fazit
225
wertung der Neuerungen. Einerseits sei die Transparenz des Wahlprozesses gesteigert und die Amtszeit in Kommunalregierungen von drei auf vier Jahre erhöht worden. Beide Neuerungen griffen frühere Vorschläge der Venedig-Kommission aus dem Jahr 2004 auf. Andererseits bestünden weiterhin nennenswerte Defizite. Hierzu gehörten die komplexen Regelungen zur Bestimmung der Parlamentsmandate. Ein weiterer Schwachpunkt seien die Ausführungen zu Volksabstimmungen, welche scheinbar im Widerspruch zur Verfassung stünden. Um auch noch die fortbestehenden Schwachstellen zu überwinden, boten die Venedig-Kommission und ODIHR Albanien ihre Unterstützung bei weiteren Reformen der Wahlgesetzgebung an. Im Kontext ihrer Arbeit zu Wahlrechtsfragen organisiert die Venedig-Kommission ferner Trainingsprogramme für am Wahlprozess beteiligte Personen, etwa zu Fragen der Wahlorganisation oder zu den Voraussetzungen demokratischer Wahlen. Für deren Durchführung zeichnet der Council for Democratic Elections verantwortlich, den die Venedig-Kommission gemeinsam mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und dem Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats im Jahr 2002 etabliert hat. Dieser Rat analysiert ferner Entwürfe der Arbeitsgruppen der Venedig-Kommission zu Wahlrechtsfragen, bevor diese im Plenum der Kommission diskutiert werden.
10.3 Fazit 10.3 Fazit Die Venedig-Kommission wurde in wenigen Jahren zu einem Aushängeschild des Europarats.19 Der Ruf der Kommission gründet auf ihrer Expertise in Rechts- und hier vor allem in Verfassungsfragen. Durch ihre Aktivitäten leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Rechtsraums.20 Positiv ist die Öffnung der Kommission für Nichtmitglieder des Europarats. Auf diese Weise profitieren auch außereuropäische Staaten von den Arbeiten dieser im Europarat angesiedelten Institution. Der Europarat als Gesamtorganisation kann hierdurch nur gewinnen. Die insgesamt eher ‚technische’ Ausrichtung der Arbeit der Kommission führt freilich dazu, dass ihre Leistungen in der Öffentlichkeit wenig Beachtung finden. Auch wenn die Venedig-Kommission insgesamt eher längerfristige Prozesse begleitet, etwa die Reform von Wahlgesetzen oder von Verfassungen, kann sie ihre Expertise auch kurzfristiger einbringen. Gerade die Institutionen des Europarats können diese Option nutzen, um ihre eigenen Arbeiten weiter inhaltlich zu unterfüttern und ihre Schlussfolgerungen zusätzlich zu legitimieren. Dass die Kommission seitens der Institutionen des Europarats auch als Instrument zur raschen Beurteilung eines Sachverhalts genutzt wird, zeigt das abschließende Beispiel. Beispiel: Stellungnahme zu Geheimgefängnissen und Gefangenentransporten Mehrere Institutionen des Europarats befassten sich mit der Untersuchung der sogenannten ‚CIA-Affäre’ um Gefangenentransporte und vermeintliche Geheimgefängnisse des ameri-
19 20
In diesem Sinne auch Rülke (2003): S. 195-196. Vgl. Buquicchio/Garrone (2000): S. 21.
226
10 Venedig-Kommission
kanischen Auslandsgeheimdienstes CIA in Europa.21 Neben dem Generalsekretär setzte sich insbesondere die Parlamentarische Versammlung mit der Thematik auseinander. Zusätzlich zu den eigenen Untersuchungen suchten die Parlamentarier auch die Expertise Dritter. Hierzu gehörte die Venedig-Kommission. Mitte Dezember 2005 adressierte der Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Menschenrechte der Versammlung, der Schweizer Dick Marty, einen Brief an die Kommission. Der Brief enthielt die Anfrage zur Ausarbeitung einer Stellungnahme zu zwei Punkten. Zum einen bat Marty um eine Einschätzung der Rechtmäßigkeit von Geheimgefängnissen, gerade hinsichtlich der Verpflichtungen, welche den Mitgliedstaaten des Europarats aus der EMRK und der Antifolterkonvention erwüchsen. Zum anderen sollte die Kommission die rechtlichen Verpflichtungen der Europaratsstaaten mit Blick auf den Transport von Gefangenen über bzw. durch ihr Territorium durch Drittstaaten analysieren. Zur Behandlung der Fragen richtete die Venedig-Kommission eine sechsköpfige Arbeitsgruppe ein. Deren Arbeitsergebnisse wurden am 16. März 2006 in einer gemeinsamen Sitzung der beiden Unterausschüsse Internationales Recht und Demokratische Institutionen diskutiert. Tags darauf verabschiedete die Venedig-Kommission im Rahmen ihrer 66. Plenarsitzung die von der Parlamentarischen Versammlung ersuchte Stellungnahme.22 In der Einführung zur Stellungnahme betonte die Kommission ausdrücklich, was ihre Untersuchung nicht zum Ziel hatte. Die Kommission hatte weder prüfen wollen, ob Informationen über Geheimgefängnisse und Gefangenentransporte zuträfen, noch hatte sie Aktivitäten der Europaratsstaaten bewertet. Letzteres sei Kern der Anfrage des Generalsekretärs des Europarats auf Grundlage von Art. 52 EMRK gewesen.23 Das Ziel der Kommission lautete vielmehr, diejenigen Verpflichtungen zu identifizieren, die den Europaratsstaaten in Bezug auf Transport, Überstellung, Deportation oder Inhaftierung von Gefangenen aus internationalem Recht erwüchsen. Die Venedig-Kommission kam zu dem Schluss, dass die sich aus internationalem Recht für die Staaten ergebenden Verpflichtungen – und hier insbesondere Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich auf der Grundlage der EMRK – Vorrang vor anderen Verträgen hätten. Die Verpflichtungen enthielten unter anderem das Verbot von Folter und anderer Formen von Misshandlungen. Sie beinhalteten zudem die Pflicht zur Untersuchung von in diese Richtung gehenden Vorwürfen. Die Frage, ob Mitgliedstaaten des Europarats gegen die von der Venedig-Kommission identifizierten Pflichten verstoßen hätten, war, wie geschildert, ausdrücklich nicht Gegenstand der Stellungnahme. Vielmehr zeigte die Kommission auf, was die Staaten des Europarats tun müssten. Der Abgleich dieser normativen Vorgaben mit den tatsächlichen Handlungen sollte von der Parlamentarischen Versammlung oder dem Generalsekretär des Europarats im Zuge ihrer eigenen Untersuchungen erfolgen. Die Venedig-Kommission gab den anderen Institutionen des Europarats mit ihrer Stellungnahme somit ein Instrument an die Hand, das sie als Maßstab zur Beurteilung der von ihnen zusammengetragenen Fakten anlegen konnten.
21
Vgl. Brummer (2008): S. 72-74; Roth (2007): S. 465-466; Roth (2008): S. 449-450. Vgl. CDL-AD (2006) 009. 23 Siehe Kap. 4.3. 22
10.4 Literaturhinweise
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10.4 Literaturhinweise 10.4 Literaturhinweise Buquicchio, Gianni/Garrone, Pierre (2000): Vers un Espace Constitutionnel Commun? Le Rôle de la Commission de Venise. In: Haller, Bruno/Krüger, Hans Christian/Petzold, Herbert (Hrsg.): Law in Greater Europe. Towards a Common Legal Area. Studies in Honor of Heinrich Klebes. Den Haag et al.: 3-21. European Commission For Democracy Through Law: Annual Report of Activities 2006 (Dokument: Venice Commission Annual Report (2007) vom September 2007) Rülke, Steffen (2003): Venedig-Kommission und Verfassungsgerichtsbarkeit. Eine Untersuchung über den Beitrag des Europarates zur Verfassungsentwicklung in Mittel- und Osteuropa. Köln et al.
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen 11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen 11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
Das Zusammenspiel zwischen dem Europarat und anderen internationalen Regierungsorganisationen wurde bereits 1949 in der Satzung der Organisation thematisiert. Allerdings sind die diesbezüglichen Bestimmungen sehr vage und zudem negativ formuliert. Art. 1c der Satzung lautet: „Die Beteiligung der Mitglieder an den Arbeiten des Europarats darf ihre Mitwirkung am Werk der Vereinigten [sic!] Nationen und der anderen internationalen Organisationen oder Vereinigungen, denen sie angehören, nicht beeinflussen.“
Diese wenig präzise Formulierung stellte keine passende Grundlage dar, um Kontakte zu anderen Organisationen herzustellen. Deshalb wurde bereits 1951 eine Entschließung mit Satzungscharakter (statutory resolution) verabschiedet, welche die Satzung des Europarats faktisch ergänzte. Gemäß der Resolution kann das Ministerkomitee innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Europarats mit anderen internationalen Organisationen Abkommen schließen. Die Abkommen sollen insbesondere festhalten, wie der Informationsaustausch zwischen den Organisationen zu regeln ist.1 Heute pflegt der Europarat enge Beziehungen zu einer ganzen Reihe von internationalen Organisationen.2 Von besonderer Relevanz sind die folgenden drei Organisationen: die Europäische Union (EU), die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Vereinten Nationen (UNO). EU und OSZE werden vom Europarat als seine „two key partners on the European stage“3 bezeichnet. Die UNO wiederum ist, wie geschildert, die einzige Organisation, die in der Satzung des Europarats erwähnt wird. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass die Organisationen – gerade Europarat, EU und OSZE – sich teilweise überschneidende Zielsetzungen verfolgen. Bei mangelhafter Abstimmung können aus Partnern schnell Konkurrenten werden.4 Gerade die seit Anfang der 1990er Jahre hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft (nach Mittel- und Osteuropa und dem Balkan) wie auch mit Blick auf ihre Themen (u. a. Menschenrechte) expandierende EU greift immer stärker auf Staaten und Inhalte des Europarats aus. Die Zukunft des Europarats im europäischen Integrationsprozess ist nicht länger selbstverständlich. Die Straßburger Organisation muss sich beweisen – gerade gegenüber der EU. Die Beziehungen des Europarats insbesondere zur EU, aber auch zur OSZE und zur UNO werden nachfolgend diskutiert.
1
Resolution (51) 30F. Siehe Quarg (2000) für eine Einführung in die Zusammenarbeit des Europarats mit anderen internationalen Organisationen. 3 CM/AS (2003) 8. 4 In diesem Sinne auch Antretter (2000): S. 269. 2
230
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
11.1 Europarat und Europäische Union 11.1 Europarat und Europäische Union 11.1.1 Grundlagen der Beziehungen Die Beziehungen zwischen dem Europarat und der heutigen EU reichen bis zu den Anfängen des europäischen Integrationsprozesses zurück. Bereits in Art. 230 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom März 1957 findet sich die Forderung, dass „[d]ie Gemeinschaft jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit dem Europarat“ in die Wege leiten soll. Wie diese „zweckdienliche Zusammenarbeit“ konkret auszusehen hat, lässt der Artikel (heute Art. 303 EGV) offen. Zuvor hatte bereits der Europarat, wie geschildert, im Mai 1951 in einer Resolution mit Satzungscharakter die Bestimmungen seiner Satzung dahingehend ergänzt, dass er mit anderen internationalen Organisationen Abkommen abschließen konnte. Auf diesen noch sehr vagen Grundlagen wurden die Beziehungen zwischen den beiden Organisationen in den folgenden Jahrzehnten vertieft. Abbildung 37 fasst die wichtigsten Entwicklungsschritte zusammen.5 Abbildung 37: Wegmarken der Entwicklung der Europarat-EU-Beziehungen Jahr
Wegmarke
1959
Briefwechsel
1987
Briefwechsel
1989
Quadripartite-Treffen
1993 1996 2001 2006
2007
Inhalte Regelung des Austauschs zwischen Europarat, EWG und Euratom Regelung des Austauschs zwischen Europarat und EG
Erstes Spitzentreffen zwischen Europarat und EG Aufnahme von gemeinsam entwickelten und finanGemeinsame Programme zierten Unterstützungsprogrammen für Neumitglieder des Europarats Regelung des Austauschs zwischen Europarat und Briefwechsel EU/EG Regelung des Austauschs zwischen Europarat und Gemeinsame Erklärung EU/EG, erstmals verbunden mit der Festlegung inhaltlicher Schwerpunkte Juncker-Bericht Analyse der Beziehungen von Europarat und EU/EG Festlegungen zur institutionellen und inhaltlichen Memorandum of Understanding Dimension der Zusammenarbeit von Europarat und EU/EG Kooperationsvereinbarung zwiVertiefung der Zusammenarbeit der beiden schen Parlamentarischer Versamm- Parlamente lung und Europäischem Parlament
Der jüngste Anstoß zur Neufundierung der Beziehungen zur EU ging vom dritten Gipfeltreffen des Europarats aus. Auf dem im Mai 2005 durchgeführten Treffen standen maßgebliche Zukunftsfragen im Mittelpunkt. Zu diesen gehörte die langfristige Positionierung der Organisation innerhalb des europäischen Integrationsprozesses – und somit auch und vor allem die Selbstbehauptung gegenüber der EU. In der Abschlusserklärung des Gipfels bekundeten die Staats- und Regierungschefs des Europarats die Absicht 5
Details hierzu finden sich in Bauer (2001): S. 254-276; Brummer (2008); Lucas/Kreikemeyer (1995).
11.1 Europarat und Europäische Union
231
„to create a new framework for enhanced co-operation and interaction between the Council of Europe and the European Union in areas of common concern, in particular human rights, democracy and the rule of law.“6
Diese allgemein gehaltene Forderung wurde im Aktionsplan des Gipfels konkretisiert. Um den neuen Rahmen zu schaffen, sollte ein Memorandum of Understanding zwischen den Organisationen geschlossen werden.7 Dieses müsse nach Wegen suchen, wie die EU und ihre Mitglieder die vorhandenen Instrumente des Europarats besser nutzen und wie alle Europaratsstaaten von engeren Beziehungen zur EU profitieren könnten. Als Referenzpunkte für das anvisierte Memorandum wurden im Anhang des Aktionsplans zehn Leitlinien (guidelines) angeführt.8 Zu diesen gehörten die Betonung gemeinsamer Werte, der Wunsch des Ausbaus einer auf Komplementarität beruhenden Partnerschaft, der schnellstmögliche Beitritt der EU zur EMRK sowie die Ausweitung gemeinsamer Aktivitäten. Zusätzliche Impulse erhielt die Diskussion um die neue Vereinbarung zwischen Europarat und EU durch den sogenannten Juncker-Bericht. Auf dem dritten Gipfeltreffen ersuchten die Staats- und Regierungschefs des Europarats den Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, in „persönlicher Eigenschaft“ einen Bericht über den Zustand der Beziehungen von Europarat und EU zu erstellen.9 Im April 2006 legte Juncker seinen Bericht („Europarat – Europäische Union: Eine einheitliche Zielstellung für den europäischen Kontinent“) vor. Der Ausgangspunkt von Junckers Überlegungen lautete, dass Europarat und EU keine Konkurrenten seien. Die beiden Organisationen würden sich vielmehr sehr gut ergänzen. Den Zustand der Beziehungen bewertete Juncker jedoch als unbefriedigend: „Wenngleich die beiden [Europarat und EU; KB] sich natürlich wechselseitig bereichert haben, bilden sie doch selbst heute noch bestenfalls ein wackeliges Tandem. Wenngleich sie vieles von dem jeweils anderen entlehnt haben, ist es ihnen doch zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen, sich auf eine dauerhaft komplementäre Art und Weise aufzustellen.“10
Angesichts der Potenziale, welche sich aus einer besseren Abstimmung von Europarat und EU ergäben, sei dies nach Ansicht Junckers besonders bedauerlich: „Es gibt zwischen den zwei Organisationen keinen Raum für Rivalitäten in grundlegenden Fragen. Mit dem, was sie leisten, und mit dem, was sie in der Vergangenheit geleistet haben, ergänzen sich beide auf das Engste.“11
Juncker ging es mit seinem Bericht darum, Ideen vorzubringen, welche die „systematische Nutzung eines tatsächlich existierenden Potenzials“ ermöglichen würden – ein Potenzial, das „nur allzu häufig übersehen“12 werde. Die Schwerpunkte der 15 abschließenden Empfehlungen des Berichts liegen auf der verbesserten Zusammenarbeit beim Menschenrechts6
CM (2005) 79 final: Ziff. 10. Vgl. CM (2005) 80 final: Ziff. 4/1. 8 Vgl. CM (2005) 80 final: Appendix 1 (Guidelines on the Relations between the Council of Europe and the European Union). 9 Vgl. CM (2005) 79 final: Ziff. 10. 10 Juncker-Bericht (2006): S. 2. 11 Juncker-Bericht (2006): S. 2-3. 12 Juncker-Bericht (2006): S. 3. 7
232
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
schutz sowie auf institutionellen Fragen.13 Mit Blick auf den Menschenrechtsschutz müsse beispielsweise die EU umgehend der EMRK beitreten, wodurch die Kohärenz des Menschenrechtsschutzes in Europa erhöht würde. Daneben solle die EU den Europarat als Bezugsrahmen in Menschenrechtsfragen nutzen. Außerdem müsse auch die EU solche Menschenrechtsfragen, welche ihre Mitgliedstaaten berührten und die zugleich durch keine vorhandenen Kontrollmechanismen der Union abgedeckt würden, an den Menschenrechtskommissar des Europarats überweisen dürfen. In institutioneller Hinsicht sollten nach Ansicht Junckers unter anderem die noch zu schildernden Spitzentreffen der Organisationen (Quadripartite-Treffen) durch die Begrenzung auf zentrale Fragen und einer nur noch jährlichen Einberufung zu größerer inhaltlicher Substanz geführt werden. Des Weiteren müssten die Beziehungen zwischen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und dem Europäischen Parlament vertieft werden. Ferner sei das Budget des Europarats aufzustocken. Mit knapp € 200 Millionen für das Jahr 2007 entspricht der Haushalt der 47 Staaten umfassenden Organisation weniger als 0,2 Prozent des Budgets der EU mit ihren 27 Mitgliedern (€ 126 Milliarden im Jahr 2007). Schließlich habe die EU bis zum Jahr 2010 dem Europarat beizutreten.14 Hierdurch erhielte die EU die Möglichkeit, in sämtlichen Institutionen des Europarats für sich zu sprechen. Im Mai 2007 wurde die vom dritten Gipfeltreffen angestoßene neue Vereinbarung zwischen Europarat und EU unterzeichnet: das Memorandum of Understanding between the Council of Europe and the European Union.15 Das Memorandum stützt sich auf verschiedene Vorgaben. Zu diesen gehören der Aktionsplan des dritten Gipfeltreffens und der JunckerBericht. Daneben gab es weitere Impulse, etwa durch die Parlamentarische Versammlung.16 Das Memorandum wiederholt abermals die anvisierten Grundprinzipien der Zusammenarbeit. Eine vertiefte Kooperation und eine verlässliche Koordination in Fragen von gemeinsamem Interesse (u. a. Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und gute Regierungsführung, interkultureller Dialog, Bildung und sozialer Zusammenhalt) werden als Zielvorgaben angeführt. Hinsichtlich der institutionellen Dimension wird erneut die Notwendigkeit von Konsultationen und Zusammenarbeit betont.17 Zu deren Umsetzung soll der Dialog zur Identifizierung von Prioritäten und zur Entwicklung mittel- bis langfristiger Strategien ausgebaut werden. Was die Foren des Austauschs anbelangt, sollen künftig Ad-hoc-Zusammenkünfte auf Spitzenebene möglich sein. Schließlich verpflichten sich beide Seiten zu „prüfen“, wie sie ihre Präsenz bei der Partnerorganisation ausbauen können. Während der Europarat bereits seit Mitte der 1970er Jahre ein Verbindungsbüro in Brüssel unterhält, besitzt die EU keine dauerhafte Vertretung beim Europarat.18 Derzeit laufen die Arbeiten an der Konkretisierung der Vorgaben des Memorandums. Diese Aufgabe ist dringend geboten angesichts der überwiegend vagen Inhalte des Dokuments. So wenig spezifisch wie teilweise der Text selbst sind auch die zu dessen Weiterverfolgung vorgesehenen Maßnahmen. Beide Seiten verpflichteten sich, die Umsetzung des Memorandums regelmäßig zu überprüfen. Auf der Grundlage der Evaluierungen soll bis spätestens 2013 ein gemeinsamer Beschluss getroffen werden. In diesem sollen bis dahin 13
Vgl. Juncker-Bericht (2006): S. 39-41. Diese Forderung nach einem Beitritt der EU zum Europarat (in diesem Fall zu dessen Satzung) wurde z. B. von der Versammlung des Europarats bereits im Januar 1994 erhoben. Vgl. Recommendation 1231 (1994): Ziff. 8/6. 15 Vgl. CM (2007) 74. 16 Vgl. Recommendation 1743 (2006). 17 Vgl. CM (2007) 74: Ziff. 41-47. 18 CM (2007) 74: Ziff. 51. 14
11.1 Europarat und Europäische Union
233
möglicherweise notwendig gewordene Anpassungen des Textes (v. a. neue Prioritäten) festgehalten werden.19 Ebenfalls als Umsetzung einer Forderung des Juncker-Berichts unterzeichneten die Parlamentarische Versammlung des Europarats und das Europäische Parlament im November 2007 eine Kooperationsvereinbarung.20 Das Ziel der Vereinbarung lautet, die Zusammenarbeit der beiden Institutionen zu verbessern sowie Synergien zu fördern. Konkret soll die Vereinbarung den Austausch der beiden Parlamente unter anderem durch gemeinsame Sitzungen21 und Anhörungen weiter vertiefen. Ferner ist die stärkere Einbeziehung von Vertretern der anderen Institution in die Arbeiten auf der Ausschussebene der Parlamente vorgesehen. Hierzu sollen auch intensivere Kontakte zwischen Berichterstattern der Ausschüsse beitragen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Vereinbarung tatsächlich zu einem „Meilenstein“22 der Beziehungen zwischen Parlamentarischer Versammlung und Europäischem Parlament – die beide bis zum Bau eines eigenen Gebäudes des Europäischen Parlaments in Straßburg in den Räumlichkeiten des Europarats tagten – wird.
11.1.2 Zusammenarbeit in der Praxis Nach der Schilderung der Grundlagen, auf denen die Beziehungen zwischen Europarat und EU beruhen, richtet sich nun der Blick auf das Zusammenspiel der beiden Organisationen in der Praxis. Thematisiert werden zum einen die zentralen Foren, innerhalb derer die beiden Organisationen Positionen austauschen und Leitlinien der praktischen Zusammenarbeit entwickeln. Im Mittelpunkt stehen hier die Spitzentreffen der Organisationen, die sogenannten Quadripartite-Treffen (quadripartite meetings). Zum anderen geht es um die Implementierung der gemeinsamen Zielvorstellungen. Hier stehen die Gemeinsamen Programme im Blickpunkt. Die Bezeichnung der Quadripartite-Treffen rührt daher, dass beide Organisationen jeweils zwei Vertreter – insgesamt somit vier – zu diesen Spitzentreffen entsenden. Seitens des Europarats sind dies der Vorsitzende des Ministerkomitees und der Generalsekretär, seitens der EU deren Ratspräsidentschaft und die Kommission (zumeist der Außenkommissar). In den letzten Jahren nahmen außerdem weitere hochrangige Vertreter beider Organisationen regelmäßig an den Treffen teil, etwa der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats oder der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Angestoßen wurden diese mindestens einmal pro Jahr abgehaltenen Spitzentreffen durch eine Resolution des Ministerkomitees vom Mai 1989.23 Das erste Quadripartite-Treffen fand wenig später im Juli 1989 statt. 2007 führten Europarat und EU im Februar (24. Treffen) und im November (25. Treffen) Quadripartite-Treffen durch.24 Die Zusammenkünfte werden zum Austausch über aktuelle Fragen genutzt und münden in einer gemeinsamen Erklärung – das weiter unten geschilderte 23. Treffen ist eine Ausnahme zu 19
Vgl. CM (2007) 74: Ziff. 55. Vgl. Pressemitteilung 847 (2007). 21 Beide Institutionen haben bereits mehrere gemeinsame Sitzungen (joint meetings) durchgeführt. Beim zweiten Treffen im September 2003 ging es beispielsweise um das Thema Building one Europe. 22 So wertete der damalige Präsident der Parlamentarischen Versammlung, René van der Linden, das Abkommen. Vgl. Pressemitteilung 847 (2007). 23 Resolution (89) 40: Ziff. 5. 24 Vgl. Common Pressline (2007); Pressemitteilung 706 (2007). 20
234
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
dieser Regel. Diskutiert werden zum einen ‚interne’ Themen, welche unmittelbar die Beziehungen zwischen Europarat und EU betreffen. Zum anderen tauschen sich die beiden Organisationen über ‚externe’ Themen aus, zum Beispiel über Staaten und Regionen, in denen sie sich bei der Konfliktbearbeitung engagieren. Abbildung 38 zeigt die inhaltlichen Schwerpunkte der jüngsten Quadripartite-Treffen. Abbildung 38: Quadripartite-Treffen zwischen Europarat und EU Quadripartite-Treffen
Themenebene
23. Treffen
intern
(3. November 2006)
extern
24. Treffen (13. Februar 2007) 25. Treffen (23. Oktober 2007)
intern extern
Themenschwerpunkte ¾ ¾ ¾
Entwicklung des Memorandum of Understanding EU-Grundrechteagentur Belarus
¾ ¾ ¾ ¾
Entwicklung des Memorandum of Understanding Serbien/Kosovo Montenegro Menschenrechte Umsetzung des Memorandum of Understanding Zusammenarbeit bei der Demokratieförderung Kooperation im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik der EU
intern extern
¾ ¾
Beispiel: 23. Quadripartite-Treffen zwischen Europarat und EU Die Quadripartite-Treffen führen in der Regel zu einer gemeinsamen Erklärung der beiden Organisationen, in der sie zu den behandelten Fragen gemeinsam Position beziehen. Das 23. Treffen vom November 2006 brach mit dieser Regel. Offensichtlich waren die Unterschiede zwischen beiden Seiten derart groß, dass die damals amtierende finnische EU-Präsidentschaft sich dafür aussprach, keine gemeinsame Erklärung anzufertigen. Als Konsequenz erstellte der russische Vorsitz des Ministerkomitees des Europarats lediglich eine Zusammenfassung der auf dem Treffen geäußerten, zum Teil deutlich divergierenden Positionen.25 Beim Treffen standen gleich mehrere ‚Problemfälle’ auf der Tagesordnung. Zum einen ging es um die Inhalte des weiter oben diskutierten Memorandum of Understanding. In dieser Frage kritisierte der russische Europaratsvorsitz die geringe Flexibilität seitens der EU bei der Aushandlung des Dokuments. Die EU-Vertreter merkten hingegen an, dass das Memorandum schon längst hätte abgeschlossen werden können, wenn die russische Präsidentschaft nicht einen neuen Textvorschlag eingebracht hätte. Die zweite strittige ‚interne’ Frage war die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht endgültig beschlossene Grundrechteagentur der EU.26 Der Europarat sperrte sich über längere Zeit gegen die Schaffung einer mit einem weit reichenden Mandat ausgestatteten Agentur, da er eine Beschneidung seiner eigenen Handlungsspielräume und Kompetenzen befürchtete. Diese Befürchtungen wurden auf dem Quadripartite-Treffen wiederholt, verbunden mit der Forderung, das Mandat der Agentur so zu gestalten, dass es sich nicht mit demjenigen des Europarats überschneide. Die Vertreter der EU entgegneten, dass sich die Agentur in 25 26
CM/Inf (2006) 46 revised. Siehe Kap. 11.4.
11.1 Europarat und Europäische Union
235
eine Richtung entwickele, die den Wünschen des Europarats entspräche. Zugleich wurde die rechtliche Unabhängigkeit der EU betont. Dies geschah verbunden mit dem Hinweis, dass die EU wo immer nötig über die Normen des Europarats hinausgehen können müsse. Im Gegensatz zu den meisten anderen Quadripartite-Treffen spielten externe Fragen beim 23. Treffen eine untergeordnete Rolle. Allerdings ergab sich auch hier eine Diskussion, und zwar anlässlich des Umgangs mit Belarus. Die Vertreter der EU verwiesen auf die dortigen fehlerhaften Wahlen und auf die Verhaftung von Oppositionellen. Beides seien Zeichen dafür, dass das Land die für die Aufnahme in den Europarat notwendigen Standards nicht erfülle. Zugleich wäre man bereit, die eigene (Sanktions-)Politik abzuschwächen, falls sich Fortschritte einstellen sollten. Der russische Vorsitz im Ministerkomitee hielt dem entgegen, dass Sanktionen nicht zielführend seien. Zudem gäbe es positive Signale aus Belarus, etwa die Ratifizierung eines Europaratsvertrags (Strafrechtsübereinkommen über Korruption). Das 23. Quadripartite-Treffen zeigt, dass die Spitzentreffen zwischen Europarat und EU nicht routinemäßige Zusammenkünfte zum Austausch von Höflichkeiten darstellen. Vielmehr offenbaren sich bei diesen Treffen mitunter deutliche Interessengegensätze zwischen den Organisationen. Fragen der Selbstbehauptung und der Wahrung bzw. Ausdehnung eigener Kompetenzen und Einflusssphären leiten die Ausführungen der Teilnehmer. Das Beispiel Belarus zeigt jedoch auch, dass einige der Differenzen weniger als Gegensätze zwischen den Organisationen zu verstehen sind, sondern vielmehr die Folge individueller politischer Präferenzen der gerade amtierenden Vorsitze der Organisationen darstellen.27 Während die Quadripartite-Treffen die maßgeblichen Foren für den politischen Austausch darstellen, sind die Gemeinsamen Programme (joint programmes) zentral für die praktische Zusammenarbeit der beiden Organisationen. Gemeinsame Programme werden seit 1993 durchgeführt. Sie zielen auf diejenigen Länder ab, die seit 1989 dem Europarat beigetreten sind. Im Mittelpunkt stehen heute Staaten, die Mitglied im Europarat, jedoch (noch) nicht in der EU sind. Die zumeist länderspezifischen Gemeinsamen Programme sollen den Adressaten bei der Durchsetzung rechtlicher und institutioneller Reformen helfen. Abbildung 39 zeigt Beispiele für Gemeinsame Programme und verdeutlicht die geografische und thematische Bandbreite der Aktivitäten.28 ‚Gemeinsam’ sind die Programme nicht nur deshalb, weil beide Seiten an der Konzeption der Projekte beteiligt sind (die Implementierung obliegt dem Europarat). Darüber hinaus werden die Projekte auch kofinanziert. In der Regel übernehmen Europarat und Europäische Kommission jeweils die Hälfte der Kosten. In manchen Fällen steuert die deutlich finanzkräftigere Kommission jedoch einen größeren Anteil bei. Eine weitere Dimension der Gemeinsamkeit der Programme ist, dass sie in enger Abstimmung mit den Zielländern entwickelt und durchgeführt werden. So gibt es beispielsweise für jede Maßnahme einen trilateralen Steuerungsausschuss (joint programme steering committee), der die Durchführung einer Aktivität beratend begleitet.29 Der Ausschuss setzt sich aus Vertretern der Kommission, des Generalsekretariats des Europarats und der zuständigen nationalen Ministerien des Ziellands zusammen.
27
Siehe u. a. CM/AS (2006) Recommendation 1745 final; Resolution 1496 (2006). Eine Übersicht über die Gemeinsamen Programme findet sich unter http://www.jp.coe.int/CEAD/JP/ (zuletzt abgerufen am 25.2.2008). 29 DSP (2005) 74. 28
236
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
Abbildung 39: Gemeinsame Programme von Europarat und EU (Auswahl) Zielland
Aktivität (Laufzeit)
Montenegro
Gefängnisreform (Mai 2006-September 2007)
Russland
Bekämpfung der Geldwäsche (Januar 2007-Dezember 2009)
Serbien
Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung (Juli 2006-Juli 2008) Unterstützung bei der Umsetzung von Menschenrechtsreformen (Dezember 2006-November 2007) Korruptionsbekämpfung (Juni 2006-Juni 2009)
Türkei Ukraine
Trotz der sukzessiven Entwicklung der Grundlagendokumente, der regelmäßigen Spitzentreffen sowie der Zusammenarbeit etwa im Rahmen der Gemeinsamen Programme sind die Beziehungen zwischen Europarat und EU nicht frei von Spannungen. Die propagierten Grundsätze von Partnerschaftlichkeit und Abstimmung werden in verschiedenen Fällen gebrochen. Ein bereits seit Jahren bestehender Reibungspunkt ist der noch immer nicht vollzogene Beitritt der EU zur EMRK.30 Ein jüngerer, im Fazit dieses Kapitels näher geschilderter Konflikt im Bereich institutioneller Fragen ist die Einrichtung einer EU-Grundrechteagentur. Darüber hinaus gibt es auch Reibungen und Spannungen bei der Behandlung von Sachfragen. Die Duplizierungen bei der Untersuchung von Geheimflügen, Entführungen und vermeintlichen Geheimgefängnissen der CIA in Europa (‚CIA-Affäre’) stehen exemplarisch hierfür.31 Nachdem sich bereits mehrere Institutionen des Europarats mit der Thematik befasst hatten (Parlamentarische Versammlung32, Venedig-Kommission33, Generalsekretär34), begann die EU – allen voran das Europäische Parlament35 – eine eigene Untersuchung. Deren inhaltlicher Mehrwert blieb gering.36 Auch wenn beispielsweise der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung, der Schweizer Dick Marty, die Unterstützung lobte, die er durch die Europäische Kommission erfahren habe37, stellt sich die Frage, ob diese nicht auch ohne parallele eigenständige Aktivitäten der EU erhältlich gewesen wäre. Komplementarität und Mehrwert als zwei zentrale und häufig bemühte Leitmotive der Zusammenarbeit zwischen Europarat und EU lassen sich in diesem Beispiel nur schwer finden. Voraussetzung für ein solchen Motiven folgendes Vorgehen bei der Untersuchung der CIA-Aktivitäten wäre eine klare Arbeitsteilung zwischen den beiden Organisationen gewesen. Institutionelle Egoismen behielten offenkundig die Oberhand über Effizienzerwägungen.38 30
Siehe Kap. 5.6. Insgesamt stehen 46 Europaratsverträge einem Beitritt der EG offen. Die EG ist bislang jedoch nur elf Verträgen beigetreten. Vgl. http://conventions.coe.int/ (zuletzt abgerufen am 25.2.2008). Die Gemeinschaft hat in der Tat „taken only limited interest in the Strasbourg conventions.“ Benoît-Rohmer/Klebes (2005): S. 129. 31 Siehe Brummer (2008): S. 72-74. 32 Zuletzt angenommen wurden Resolution 1562 (2007) und Recommendation 1801 (2007). 33 Vgl. Opinion 363 (2005). 34 Vgl. SG/Inf (2006) 5; SG/Inf (2006) 13. 35 Vgl. A6-0020 (2007); T6-0032 (2007). 36 Die Abschlussresolution des Europäischen Parlaments hebt jedenfalls ausdrücklich „die Übereinstimmung der von beiden Ausschüssen [des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats; KB] bislang erzielten Ergebnisse“ hervor. Vgl. T6-0032 (2007): Ziff. 33. 37 AS/Jur (2006) 16 Part II: S. 5. 38 Auf ein anderes Beispiel für inhaltliche Duplizierungen deutet die Kritik des Generalsekretärs des Europarats, Terry Davis, hin, der Pläne der Europäischen Kommission im Bereich der Terrorismusbekämpfung als überflüssig kritisierte. Vgl. Press Release 750 (2007).
11.2 Europarat und OSZE
237
11.2 Europarat und OSZE 11.2 Europarat und OSZE Enge Beziehungen besitzt der Europarat auch mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die 1994 aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)39 hervorging.40 Alle Europaratsstaaten sind Mitglieder der OSZE (Abbildung 40). Daneben verfolgen Europarat und OSZE in den von beiden Organisationen behandelten Themenfeldern auch ähnliche Ziele. Hierzu gehört die Durchsetzung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zur Schaffung eines friedlichen Europas. Abbildung 40: Mitgliedstaaten von Europarat, EU und OSZE Belarus Heiliger Stuhl Kanada
Kasachstan Kirgisistan Tadschikistan
Turkmenistan Vereinigte Staaten Usbekistan von Amerika
Albanien Andorra Armenien Aserbaidschan Bosnien und Herzegowina Georgien
Island Kroatien Liechtenstein Mazedonien Moldau Monaco Montenegro
Norwegen Russland San Marino Schweiz Serbien Türkei Ukraine
Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Lettland Litauen Luxemburg Malta Niederlande
Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Slowakei Slowenien Spanien Tschechische Republik Ungarn Vereinigtes Königreich Zypern
EU (27 Mitglieder)
OSZE (56 Mitglieder)
Europarat (47 Mitglieder)
Im Bewusstsein ihrer Nähe versuchen Europarat und OSZE, die Gefahr von Überlappungen bei ihrer praktischen Arbeit anzugehen. Das Referenzdokument in diesem Zusammenhang ist eine Erklärung, welche die beiden Organisationen auf dem dritten Gipfeltreffen des
39
Bereits mit der KSZE stand der Europarat in Verbindung. So beteiligte sich der Europarat beispielsweise im November 1990 am KSZE-Gipfel in Paris. 40 Siehe hierzu auch Haller (2000); Bauer (2001): S. 277-303.
238
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
Europarats im Mai 2005 in Warschau verabschiedeten.41 Das Hauptziel der Erklärung besteht darin, die Beziehungen zwischen Europarat und OSZE an das sich entwickelnde internationale Umfeld anzupassen. Gefordert wird eine engere Zusammenarbeit, die auf den Grundsätzen von „complementarity, transparency and democratic accountability“ basiert.42 Als thematische Schwerpunkte wurden die vier Bereiche Terrorismus, Schutz nationaler Minderheiten, Kampf gegen den Menschenhandel sowie Förderung von Toleranz und Nichtdiskriminierung angeführt. Die neu fundierte Zusammenarbeit soll Synergien schaffen, Duplikationen vermeiden und die komparativen Vorteile der Organisationen nutzen, ohne dabei die unterschiedlichen Mandate und Mitgliedschaften der Organisationen zu vergessen. Die Zusammenarbeit der beiden Organisationen in der Praxis beinhaltet die gemeinsame Ausrichtung von Seminaren und Trainingsprogrammen in Konfliktregionen sowie die Förderung vertrauensbildender Maßnahmen. Im Bereich der Bekämpfung des Menschenhandels beispielsweise leistete der Europarat im Jahr 2006 einen Beitrag zur OSZEKonferenz über Menschenhandel für die Zwecke der Ausbeutung von Arbeitskräften. Die OSZE-Unterstützungsgruppe Bekämpfung des Menschenhandels beteiligte sich ihrerseits an zwei vom Europarat ausgerichteten Seminaren zu dieser Thematik. Die OSZE-Mission in Moldau wiederum arbeitete mit dem Europarat in den Fragen lokale Demokratie, Menschenrechte und Wahlen zusammen, und das OSZE-Büro in Baku/Aserbaidschan kooperierte mit dem Europarat zum Thema der Versammlungsfreiheit.43 Ein weiterer gemeinsamer Handlungsbereich ist die Beobachtung von Wahlen. Beispiel: Gemeinsame Wahlbeobachtungen von Europarat und OSZE Die Zusammenarbeit zwischen Europarat und OSZE bei der Beobachtung von Wahlen erfolgt in unterschiedlichen Konstellationen. So führen beispielsweise die Parlamentarische Versammlung des Europarats und die Parlamentarische Versammlung der OSZE gemeinsame Wahlbeobachtungen durch. Exemplarisch hierfür steht die Beobachtung der Parlamentswahlen in Russland im Dezember 2007.44 Gemeinsam mit Vertretern der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) sowie mit Repräsentanten des Europäischen Parlaments wiederum haben Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anfang Januar 2008 die Präsidentschaftswahlen in Georgien beobachtet. Nach Einschätzung der Beobachter hätte die Wahl im Großen und Ganzen internationalen Standards entsprochen. Allerdings gab es auch verschiedene Mängel. Die Beobachter beanstandeten beispielsweise vielfältige Vorwürfe von Wahlmanipulationen. Ferner kritisierten sie die fließenden Grenzen zwischen staatlichen Aktivitäten und dem Wahlkampf des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili.45 Ähnlich wie bei der Zusammenarbeit des Europarats mit der EU erfolgt auch die Interaktion zwischen Europarat und OSZE auf mehreren Ebenen. Die zentralen Gesprächsforen 41
Die Erklärung findet sich im Anhang des Aktionsplans des Warschauer Gipfels. Vgl. CM (2005) 80 final: Appendix 2. Die erste Formalisierung der Beziehungen zwischen dem Europarat und der OSZE erfolgte im April 2000 durch die Unterzeichnung des Common Catalogue of Co-operation Modalities. Vgl. CM (2000) 52. 42 CM (2005) 80 final: Appendix 2. 43 Vgl. OSZE-Jahresbericht (2006): S. 169. 44 Siehe Kap. 3.3. 45 Vgl. Press Release 004 (2008).
11.2 Europarat und OSZE
239
sind die seit 1995 abgehaltenen Hochrangigen Treffen (high-level meetings). Die mittlerweile jährlich stattfindenden Treffen, von denen es bislang 17 gegeben hat46, dienen der grundsätzlichen Festlegung der Themen der Kooperation. Die Treffen im ‚2+2’-Format bringen den jeweiligen Vorsitzenden des Ministerkomitees des Europarats und des Ministerrats der OSZE sowie die Generalsekretäre der beiden Organisationen zusammen. Seit 2001 sind die Treffen wiederholt um die Präsidenten der Versammlungen von Europarat und OSZE zu ‚3+3-Treffen‘ erweitert worden. Beispiel: 16. Hochrangiges Treffen zwischen Europarat und OSZE Im September 2006 fand das 16. Hochrangige Treffen zwischen Europarat und OSZE statt. Das Treffen fand im ‚2+2-Format’ statt – die Präsidenten der beiden Parlamentarischen Versammlungen nahmen nicht teil. Seitens des Europarats partizipierten der russische Außenminister Sergej Lawrow als Vorsitzender des Ministerkomitees und der Generalsekretär der Organisation, Terry Davis. Der belgische Außenminister Karel de Gucht als Vorsitzender und der Generalsekretär der Organisation, Marc Perrin de Brichambaud, repräsentierten die OSZE. Am Anfang tauschten sich die Beteiligten über den allgemeinen Zustand der Beziehungen zwischen den beiden Organisationen aus.47 Positiv vermerkt wurden unter anderem die auf dem Warschauer Gipfel angenommene Deklaration sowie die Einrichtung einer Koordinationsgruppe. Gleichwohl verwiesen beide Seiten auf weiterhin unausgeschöpfte Potenziale der Zusammenarbeit. Gerade aus dem weiteren Pooling von Fähigkeiten bzw. durch die Durchführung gemeinsamer Aktivitäten könnten die vorhandenen Mittel noch effektiver eingesetzt werden. Inhaltlich behandelte das Treffen zwei Blöcke. Zunächst ging es um die Entwicklung der Zusammenarbeit in den vier in der Deklaration aus dem Jahr 2005 vereinbarten Schwerpunktbereichen (Terrorismusbekämpfung, Minderheitenschutz, Bekämpfung von Menschenhandel, Förderung von Toleranz und Nichtdiskriminierung). Im Bereich Terrorismusbekämpfung führten die Beteiligten beispielsweise ein gemeinsam von Europarat und OSZE durchgeführtes Expertenseminar zum Thema Terrorismusprävention an. Beim Minderheitenschutz verwies der Vorsitzende des Ministerkomitees des Europarats auf die gute Zusammenarbeit zwischen dem OSZE-Hochkommissar für Minderheiten und dem Beratenden Ausschuss der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats. Die Durchführung von Wahlbeobachtungen stellte den zweiten inhaltlichen Schwerpunkt des Treffens dar. Die Frage war auch diejenige, welche die intensivsten Diskussionen hervorrief. Unter Verweis auf nicht explizit genannte Beispiele betonte der OSZEVorsitzende die Notwendigkeit, dass Wahlbeobachter unterschiedlicher Organisationen möglichst keine einander widersprechenden Erklärungen abgeben sollten. Um dies zu verhindern, sollten die Beobachter versuchen, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen. Der russische Vorsitzende des Ministerkomitees des Europarats verwies auf ein seiner Ansicht nach viel grundlegenderes Problem. Dies bestünde darin, dass die Regeln von Wahlbeobachtungen mitunter unklar seien. Lawrow fragte beispielsweise, wieso die OSZE einige Wahlen beobachte, andere hingegen nicht. Außerdem verstünde er nicht, wie das Hand46 47
Das bislang letzte Treffen fand im Mai 2007 in Madrid statt. Siehe CM/Inf (2007) 27. Vgl. nachfolgend CM/Inf (2006) 40.
240
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
buch von ODIHR für Wahlbeobachtungen verschiedenen internationalen Rechtsdokumenten widersprechen könne. Die Schlussfolgerung von Lawrow lautete, dass die Regeln für Wahlbeobachtungen einer Klarstellung bedürften. Diese Aufgabe könne der Europarat besser erledigen als die OSZE. Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheiten bekräftigten Europarat und OSZE zum Abschluss des Austauschs den Wert der Spitzentreffen. Die Diskussion praktischer Aktivitäten sowie die Vor- und Nachbereitung der Hochrangigen Treffen erfolgt seit 1998 in ebenfalls als ‚2+2‘- bzw. als ‚3+3‘-Treffen‘ bezeichneten Zusammenkünften auf Beamtenebene. Diese Treffen finden jährlich statt. Seitens des Europarats nehmen unter anderem der Vorsitzende des KMB sowie der Generalsekretär der Parlamentarischen Versammlung und der Generaldirektor für Politische Fragen des Europaratssekretariats an diesen Treffen teil. Daneben kommt es zwischen den Parlamentarischen Versammlungen von Europarat und OSZE zu einem regelmäßigen Austausch über gemeinsame Interessen und über die Aufnahme bzw. Überprüfung gemeinsamer Aktivitäten. Der Koordination zwischen den beiden Organisationen dient außerdem die im Dezember 2004 eingerichtete Koordinationsgruppe (co-ordination group). Der Gruppe wurde beispielsweise der Auftrag zugewiesen, die allgemeinen Vorgaben der auf dem Warschauer Gipfel verabschiedeten Erklärung durch Empfehlungen zur Stärkung der Zusammenarbeit zu konkretisieren.48 Den thematischen Vorgaben der Erklärung folgend, befasst sich die Koordinationsgruppe mit vier Schwerpunkten. Dies sind der Kampf gegen den Terrorismus, der Schutz nationaler Minderheiten, der Kampf gegen den Menschenhandel sowie die Förderung von Toleranz und Nichtdiskriminierung. Für jeden Schwerpunktbereich haben Europarat und OSZE Beauftragte (focal points) ernannt, die den Austausch und die Kooperation der Organisationen in ‚ihren’ Sachgebieten federführend betreuen.49 Weiterhin nehmen die Generalsekretäre der Organisationen an Minister- und mittlerweile auch an Gipfeltreffen der Partnerorganisation teil. Auf dem OSZE-Gipfeltreffen von Istanbul (1999) hatte der damalige Generalsekretär des Europarats, Walter Schwimmer, erstmals die Gelegenheit, vor einem solchen Forum eine Rede zu halten. Der Generalsekretär der OSZE wiederum sprach beispielsweise im Mai 2006 im Rahmen des Treffens des Ministerkomitees des Europarats.50 Darüber hinaus findet eine wechselseitige Einbeziehung auch auf der Ebene der Staatenvertreter statt. Der Vorsitzende des Ministerrats der OSZE etwa partizipierte am zweiten Gipfeltreffen des Europarats (1997), am Treffen anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Europarats (1999) und am dritten Gipfeltreffen des Europarats (2005).51 Nicht zu vergessen sind schließlich die seit 1993 jährlich abgehaltenen Hochrangigen Treffen (high-level meetings) zwischen Europarat, OSZE und dem Genfer UNO-Büro. Das bislang letzte und insgesamt 15. dieser Treffen, die auch als Tripartite-Treffen (tripartite meetings) bezeichnet werden, fand im Februar 2007 statt. Seit 2000 werden auch die Europäische Kommission sowie weitere Organisationen (u. a. Internationales Komitee des Rotes Kreuzes, Internationale Organisation für Migration) zu den Treffen eingeladen, die seitdem 48
Vgl. CM (2005) 80 final: Appendix 2. Siehe exemplarisch CM/Inf (2006) 41 für die Ergebnisse des vierten Treffens der Koordinationsgruppe vom September 2006. 50 Vgl. OSZE-Jahresbericht (2006): S. 168. 51 Beim dritten Gipfel hielt der damalige Vorsitzende der OSZE, der slowenische Außenminister Dimitrij Rupel, eine Rede im Rahmen der Aussprache zur Architektur Europas. 49
11.2 Europarat und OSZE
241
informell unter der Bezeichnung Tripartite-Plus-Treffen (tripartite plus meetings) firmieren. Ziel dieser interinstitutionellen Konsultationen ist der Austausch von Informationen sowie die Verbesserung der Koordination und der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten in Fragen gemeinsamen Interesses. Während die Diskussionen in den Anfangsjahren vornehmlich humanitäre Themen behandelten, hat sich die Agenda der Treffen sukzessive erweitert. Nunmehr tauschen sich die Organisationen beispielsweise auch zu Fragen des Menschenrechtsschutzes, der Konfliktprävention und der Stabilisierung von Gebieten nach der Beendigung eines gewaltsamen Konflikts aus. Auf dem Treffen im Jahr 2007 stand das Thema Terrorismusbekämpfung im Mittelpunkt. Beispiel: 15. Tripartite-Plus-Treffen zwischen Europarat, OSZE und UNO Mitte Februar 2007 fand das 15. Hochrangige Treffen zwischen Europarat, OZSE und dem Genfer UNO-Büro statt.52 Unter Leitung der OSZE wurde das Treffen in Wien durchgeführt. Dem Tripartite-Plus-Ansatz folgend, beteiligte sich eine Reihe weiterer Organisationen am Treffen. Hierzu gehörten die Europäische Kommission, das Ratssekretariat der EU, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und die NATO. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Bekämpfung des Terrorismus. Zentrale Bezugspunkte der Diskussionen waren Fragen im Kontext der Umsetzung der Globalen Anti-Terrorismusstrategie der UNO, die im September 2006 von der UN-Generalversammlung verabschiedet worden war. Der Kern des Austauschs bestand darin, Maßnahmen zu identifizieren, mittels derer die Organisationen innerhalb ihrer jeweiligen Aufgabengebiete zur Verhinderung und Bekämpfung des Terrorismus beitragen können. Die Beteiligten einigten sich auf ein Bündel von Maßnahmen. Die Organisationen wollen beispielsweise das Bewusstsein der Menschen stärker auf die unterschiedlichen Facetten des Terrorismus lenken. Außerdem sollen Initiativen gefördert werden, welche die Radikalisierung von Personen wie auch die Anstiftung zum Terrorismus verhindern. Ein weiteres Element besteht in der Stärkung des internationalen Rechtsrahmens gegen den Terrorismus. Zudem soll die internationale Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung ausgebaut werden. Zu beachten gelte es hierbei, dass Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung internationalem Völkerrecht entsprächen. Jenseits der Festlegung dieser allgemeinen Ziele und Grundsätze bei der Verhinderung und Bekämpfung des Terrorismus diskutierten die Organisationen den Zustand ihrer Koordination und Kooperation in diesen Fragen. Die Beteiligten zeichneten ein grundsätzlich positives Bild. So habe sich beispielsweise die Zusammenarbeit bei der Umsetzung von Resolution 1373 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2001 über Bedrohungen des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit durch den Terrorismus als wichtiges Instrument zur Zusammenführung der Expertise der verschiedenen Akteure erwiesen. Zugleich kamen die Organisationen überein, ihre Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Insbesondere gelte es, noch stärker als bislang voneinander zu lernen. Die Beteiligten einigten sich abschließend darauf, die Ergebnisse des Treffens sowohl an das 8. Hochrangige Treffen zwischen der UNO und Regionalorganisationen als auch an den UN-Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus zu übermitteln.
52
Vgl. hier und im Folgenden Press Release 108 (2007).
242
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
11.3 Europarat und UNO 11.3 Europarat und UNO Die Beziehungen des Europarats zur UNO ruhen auf zwei Grundlagendokumenten. Das ist zum einen das bereits im Dezember 1951 durch einen Briefwechsel der Generalsekretäre der beiden Organisationen abgeschlossene Kooperationsabkommen. Das Abkommen identifiziert vier Bereiche für eine Zusammenarbeit. Die Bereiche sind Informationsaustausch, gegenseitige Konsultationen, die Anwesenheit von Vertretern der UN-Generalversammlung bei Sitzungen des Europarats sowie die vom Europarat auf Anfrage der UNO zu leistende technische Zusammenarbeit, etwa bei der Durchführung von Projekten.53 Zum anderen beruht die Kooperation auf einer Vereinbarung über die Zusammenarbeit und die Beziehungen zwischen den Sekretariaten des Europarats und der Vereinten Nationen von November 1971. Die Vereinbarung führte zur Etablierung von Kontakten zwischen Europarat und UNO beispielsweise im Menschenrechtsbereich, bei humanitären und Flüchtlingsfragen sowie bei kulturellen und sozialen Fragen. Auch wenn die Bestimmungen für die Kooperation zwischen dem Europarat und der UNO bereits seit Langem existieren und die UNO zudem die einzige internationale Organisation ist, die namentlich in der Satzung des Europarats Erwähnung findet, kam es erst nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zu einer nachhaltigen Intensivierung der Beziehungen. Zentral war hierbei das zunehmende Engagement der UNO auf dem Balkan und in Mittelund Osteuropa. Die Vergabe des Beobachterstatus für den Europarat im Rahmen der UNGeneralversammlung im Jahr 1989 sowie die erstmalige Abhaltung einer Debatte über die Zusammenarbeit zwischen UNO und Europarat während der 55. UNO-Generalversammlung im September 2000 sind Beispiele für die Vertiefung der Kooperation. Der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis, hielt ferner eine Rede auf dem UN-Weltgipfel im September 2005 zum Thema The United Nations and the Council of Europe – Making Multilateralism Work und wohnte im Juni 2006 der Eröffnungssitzung des neuen UN-Menschenrechtsrats bei. Ein fest institutionalisierter Austausch zwischen dem Europarat und der UNO findet seit 1993 im Rahmen der bereits angeführten Tripartite-Treffen unter Einbeziehung der OSZE statt.54 Außerdem nimmt der Europarat, repräsentiert durch den Generalsekretär, regelmäßig an den seit 1994 durchgeführten Hochrangigen Treffen zwischen der UNO und Regional- sowie anderen internationalen Organisationen teil. Das Ziel dieser Treffen besteht darin, die Verbindung zwischen der UNO und regionalen Akteuren zu stärken. In inhaltlicher Hinsicht stehen sicherheitspolitische Fragen im Mittelpunkt. Beim dritten Treffen ging es zum Beispiel um die Zusammenarbeit bei der Prävention von Konflikten (1998), beim vierten Treffen um die Zusammenarbeit bei der Friedenskonsolidierung (2001) und beim fünften Treffen um die Hauptbedrohungen des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit (2003). Neben den Vereinbarungen mit der UNO schloss der Europarat auch mit diversen UNKörperschaften und UN-Sonderorganisationen separate Kooperationsabkommen. Hierzu gehören der Hohe Flüchtlingskommissar (UNHCR), der Hohe Kommissar für Menschenrechte (UNHCHR), das Kinderhilfswerk (UNICEF) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem UNHCR, der in Straßburg ein eigenes Verbindungsbüro unterhält, habe sich laut Quarg als beispielhaft erwiesen.55 Ein zentraler 53
Das Dokument findet sich im Anhang von CM (2000) 38. Siehe Kap. 11.2. 55 Vgl. Quarg (2000): S. 267-268. 54
11.4 Fazit
243
Ansatzpunkt für die vorrangig auf den Schutz von Flüchtlingen in Mittel- und Osteuropa ausgerichtete Interaktion ist die Einbeziehung des UNHCR in den zwischenstaatlichen Adhoc-Expertenausschuss des Ministerkomitees über rechtliche Aspekte des territorialen Asyls, Flüchtlinge und Staatenlose (CAHAR). Die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der UNO sind heute vielfältig. Wesentlich ist dabei die Ermöglichung eines komplementären Vorgehens unter Vermeidung unnötiger Duplizierungen. Thematisch stehen vor allem die Felder Konfliktprävention, vertrauensbildende Maßnahmen, Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz im Mittelpunkt. Gerade im letztgenannten Bereich ist der Europarat bestrebt, die Zusammenarbeit zu optimieren.56 Entsprechendes fordert auch die Generalversammlung der UNO.57 Insbesondere auf dem Balkan arbeiten Europarat und UNO eng zusammen. Es existieren beispielsweise vielfältige Kontakte zwischen dem Europarat und der UN-Mission im Kosovo (UNMIK).58 Europarat und UNMIK schlossen unter anderem mehrere Abkommen. Ein Abkommen bezog sich auf die Anwendung der Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten im Kosovo. In einem anderen Abkommen wurden Zugangsmöglichkeiten des Antifolterausschusses des Europarats in den Kosovo geregelt. Der Europarat unterstützt außerdem den Sondergesandten der UNO für den Kosovo, etwa in Fragen der Dezentralisierung und der Menschenrechte.
11.4 Fazit 11.4 Fazit Der Europarat unterhält vielfältige Kontakte zu anderen internationalen Regierungsorganisationen, global (v. a. UNO) wie regional (v. a. EU, OSZE). Im Idealfall sind die Beziehungen zu den Partnerorganisationen durch ein komplementäres, arbeitsteiliges Vorgehen der Organisationen gekennzeichnet. Im schlimmsten Fall kommt es zu widersprüchlichen Standards und zur Ressourcenverschwendung. Als mitunter problematisch erweisen sich die Beziehungen des Europarats gerade zu regionalen europäischen Organisationen, die sich ebenfalls mit der für den Europarat maßgeblichen Wertetrias (Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit) beschäftigen. In Anbetracht des zumindest in Teilen überlappenden Ziel- und Aufgabenspektrums von Europarat und OSZE ließe sich über eine Fusion der beiden Organisationen nachdenken. Gerade die Stärke der OSZE ‚im Feld‘ könnte die Stärken des Europarats im Bereich der Standardsetzung komplementieren. Konkrete Entwicklungen in Richtung einer Zusammenlegung der beiden Organisationen gibt es jedoch nicht. Die Widerstände wären ohnehin beträchtlich. Beide Organisationen sind weder hinsichtlich ihrer Mitglieder noch bezüglich ihres Aufgabenspektrums deckungsgleich. Der Europarat weist insbesondere keine nennenswerte transatlantische Dimension auf. Dass die USA über einen Beobachterstatus im Ministerkomitee und Kanada über einen Beobachterstatus im Ministerkomitee und in der Parlamentarischen Versammlung verfügen, ändert nichts an dieser Einschätzung. Vor diesem Hintergrund scheint die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu einer Fusion mehr als
56
Vgl. CM/Inf (2006) 44. Vgl. A/Res/61/13 (2006): Ziff. 1. 58 Vgl. A/61/256 (2006): S. 9. 57
244
11 Interaktion mit internationalen Regierungsorganisationen
fraglich. Auch innerhalb der Organisationen scheint es keinen Wunsch nach einer Zusammenlegung zu geben.59 Die größte Nähe und, möglicherweise als zwangsläufige Folge, auch die größten Überschneidungen beim Zusammenspiel des Europarats mit einer anderen Organisation gibt es in den Beziehungen zur EU. Weiter oben wurden sowohl Belege für eine funktionierende Zusammenarbeit gegeben als auch Beispiele für Reibungen und Spannungen angeführt, etwa hinsichtlich des Beitritts der EU zur EMRK. Ein weiterer Streitpunkt in institutionellen Fragen war die Einrichtung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Beispiel: Europarat, EU und die Einrichtung der EU-Grundrechteagentur Im Dezember 2003 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU, das Mandat der in Wien ansässigen Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) so auszuweiten, dass sie zu einer Agentur des Menschenrechtsschutzes würde. Die Einhaltung der Grundrechtecharta der EU sollte die Aufgabe der Agentur werden.60 Der Europarat stand der Agentur, die schließlich am 1. März 2007 als Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ihre Arbeit aufnahm, äußerst skeptisch gegenüber.61 Die Befürchtung war, dass die Agentur inhaltlich (allgemeiner Menschenrechtsschutz in Europa) und geografisch (Einbeziehung auch der Beitrittskandidaten und der im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) mit der Union kooperierenden Staaten in das Aufgabenfeld der Agentur) in Bereiche des Europarats ausgreifen würde.62 Das letztlich verabschiedete Mandat der Agentur entsprach in weiten Teilen den Anliegen des Europarats.63 Gerade die inhaltliche Begrenzung der Agentur, die ausschließlich innerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts aktiv werden soll, kommt den Wünschen des Europarats entgegen. Das insbesondere auf EMRK und EGMR beruhende Kontrollsystem des Europarats für den individuellen Menschenrechtsschutz in Europa bleibt unangetastet.64 Zugleich soll die Agentur bei ihren Arbeiten die Ergebnisse des Europarats berücksichtigen. Darüber hinaus ist eine permanente personelle Verbindung zwischen dem Europarat und der Agentur vorgesehen. Der Europarat benennt eine unabhängige Persönlichkeit, die dem Verwaltungsrat und dem Exekutivausschuss der Agentur angehört. Diese Person – benannt wurde Guy de Vel, ein ehemaliger Mitarbeiter des Sekretariats des Europarats65 – besitzt allerdings nur eingeschränkte Abstimmungsrechte in den beiden Institutionen der Agentur. Ein noch abzuschließendes Kooperationsabkommen soll die Zusammenarbeit zwischen Agentur und Europarat weiter spezifizieren.
59
Vgl. Bauer (2001): S. 286-289. Die Charta wurde bereits im Jahr 2000 proklamiert, ohne jedoch Rechtsgültigkeit zu erhalten. Dies sollte durch den ‚Verfassungsvertrag für Europa’ geschehen. Nach dessen Scheitern soll die Charta nunmehr durch den ‚Vertrag von Lissabon’ rechtsgültig werden. Das Inkrafttreten des Vertrags ist für 2009 vorgesehen. 61 Ausführlicher in Brummer (2008): S. 69-72. 62 Vgl. Kubosova (2005); Resolution 1427 (2005): Ziff. 10; Recommendation 1744 (2006): Ziff. 4. 63 Vgl. L 53 (2007). 64 Die Agentur kann insbesondere nicht von Einzelpersonen angerufen werden und deshalb auch nicht über Einzelfälle – wie der EGMR über Individualbeschwerden – entscheiden. 65 Zu dessen Stellvertreter wurde der Deutsche Rudolf Binding bestimmt, der lange Jahre in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aktiv war. Vgl. CM/Del/Dec (2007) 1001/1.7. 60
11.5 Literaturhinweise
245
Die Anliegen des Europarats wurden also weitgehend berücksichtigt. Als Folge wird die Agentur nun in einem positiveren Licht gesehen.66 Unklar ist jedoch, welchen Beitrag der Europarat selbst für ‚seinen Erfolg’ geleistet hat. Getrieben durch die Sorge um nationale Souveränitätsrechte sprachen sich Länder wie Deutschland67, Großbritannien, Irland und die Slowakei für eine klare geografische und vor allem inhaltliche Begrenzung der Agentur aus.68 Die Frage lautet deshalb: Wenn die Interessen vor allem großer EU-Staaten nicht denjenigen des Europarats entsprochen hätten, wäre auch dann ein gezielt auf Arbeitsteilung und die Vermeidung von Duplizierungen hinauslaufendes Ergebnis erzielt worden? Abzuwarten bleibt außerdem, wie sich die grundsätzlich positive Anlage der Zusammenarbeit in der Praxis entwickelt. Die Herausforderung beim Zusammenspiel des Europarats mit anderen internationalen Regierungsorganisationen besteht darin, Synergien und Mehrwert zu schaffen sowie Doppelarbeiten und widersprüchliche Standards zu vermeiden. Bei alledem darf eines nicht verloren gehen: das eigene Profil. Im Kern geht es darum, die Beziehungen zu anderen Organisationen so weit zu verregeln wie nötig und so flexibel zu belassen wie möglich. Politischer Wille zur Zusammenarbeit, was in manchen Fällen auch eine Zurücknahme der eigenen Organisation bedeutet, ist und bleibt entscheidend. Gerade medial prominent behandelte Themen scheinen jedoch prädestiniert dafür zu sein, Absprachen zwischen Organisationen in den Hintergrund treten zu lassen.
11.5 Literaturhinweise 11.5 Literaturhinweise Brummer, Klaus (2006): EU, Europarat und OSZE: Gemeinsam für ein stabiles Europa. In: Sturm, Roland/Pehle, Heinrich (Hrsg.): Die neue Europäische Union: Die Osterweiterung und ihre Folgen. Opladen: 111-126. Brummer, Klaus (2008): Konkurrenz um Menschenrechte in Europa: die EU und der Europarat. In: Integration, Vol. 31/1: 65-79. Committee of Ministers: Memorandum of Understanding between the Council of Europe and the European Union (Dokument: CM (2007) 74 vom 10.05.2007) Juncker, Jean-Claude: Europarat – Europäische Union: Eine einheitliche Zielstellung für den europäischen Kontinent (Dokument: Juncker-Bericht (2006) vom 11.04.2006) Quarg, Gabriela (2000): Die Zusammenarbeit des Europarats mit anderen internationalen Organisationen. In: Holtz, Uwe (Hrsg.): 50 Jahre Europarat. Baden-Baden: 257-270.
66
Siehe exemplarisch Press Release 102 (2007). Newsletter (2007). 68 Inhaltlich ging es darum, ob die Agentur auch Fragen mit polizeilichem oder justiziellem Bezug untersuchen sollte – und somit Themen außerhalb des Gemeinschaftsrechts, für deren Behandlung durch die Agentur es keine Rechtsgrundlage gegeben hätte. Vgl. Kubosova (2006). Die EU-Staaten verständigten sich darauf, bis Ende 2009 eine Überprüfung des Mandats der Agentur durchzuführen. Dann könnte eine Ausweitung des Themenspektrums der Agentur folgen. Vgl. Kubosova (2006a). 67
12 Interaktion mit NGOs 12 Interaktion mit NGOs 12 Interaktion mit NGOs
Grundsätzlich erachtet der Europarat die Beziehungen zu NGOs als einen wichtigen Bestandteil für das Erreichen des in der Satzung der Organisation anvisierten engeren Zusammenschlusses unter den Mitgliedstaaten.1 Relevant sind NGOs, weil sie als Ausdruck der Interessen und Anliegen der europäischen Bürger und der Zivilgesellschaft betrachtet werden. Eine Zusammenarbeit mit ihnen kann folglich den Bezug des Europarats zu den Menschen und zur öffentlichen Meinung sichern sowie eine stärkere Beteiligung der Bürger gewährleisten: „They [NGOs; KB] became the representative and competent civil society interlocutors for the Council of Europe’s intergovernmental, interparliamentary and local and regional authorities’ cooperation structures.“2
12.1 Teilnehmerstatus für internationale NGOs 12.1 Teilnehmerstatus für internationale NGOs Bei der Interaktion des Europarats mit NGOs stehen internationale Nichtregierungsorganisationen (INGO) im Mittelpunkt. Eine Besonderheit des Europarats beim Zusammenspiel mit INGOs ist deren institutionalisierte Einbindung in die Organisation in Form der Konferenz der INGOs.3 Dass INGOs bereits seit Jahrzehnten eingebunden werden, ist eine weitere Besonderheit. Bereits im Jahr 1952 führte der Europarat einen Beraterstatus (consultative status) für INGOs ein.4 Im Jahr 2003 wurde dieser Status durch den Teilnehmerstatus (participatory status) abgelöst. Die mehr als 300 bis dato über einen Beraterstatus verfügenden INGOs erhielten automatisch den neuen Status. Der neue Status soll zum einen die aktive Teilnahme von INGOs innerhalb des Europarats nicht nur widerspiegeln, sondern auch honorieren. Zum anderen zielt er darauf ab, die Teilnahme von INGOs an den Arbeiten des Europarats weiter zu erleichtern und dadurch zu intensivieren. Letzteres gilt insbesondere für den Zugang von INGOs zu den Institutionen des Europarats.5 Um einen Teilnehmerstatus zu erhalten, hat eine INGO repräsentativ für ihr Tätigkeitsfeld zu sein. Das Tätigkeitsfeld einer INGO muss seinerseits mit den Tätigkeitsbereichen des Europarats übereinstimmen.6 Außerdem sollte eine INGO auf der europäischen Ebene bzw. möglichst europaweit tätig sein. Von einer INGO wird darüber hinaus erwartet, dass sie das Bewusstsein für die Aktivitäten der Organisation in der Öffentlichkeit steigern kann.7 1
Siehe hierzu allgemein auch Roth (2000). So urteilte der Leiter des Generaldirektorats für Politische Fragen, Klaus Schumann. Zitiert in Brummer (2005): S. 348, Fn. 1489. 3 Siehe Kap. 12.2. 4 Der Beraterstatus wurde im Jahr 1993 modifiziert. Siehe Resolution (93) 38. 5 Details zum Teilnehmerstatus, der von der Versammlung in Opinion 246 (2003) ausdrücklich begrüßt wurde, finden sich in Resolution (2003) 8. 6 Vgl. Resolution (2003) 8: Ziff. 2. 7 Auch im Rahmen der Informationspolitik des Europarats wird auf die Potenziale des Zusammenspiels des Europarats mit NGOs bezüglich der Vermittlung der eigenen Aktivitäten. Vgl. Resolution (2000) 2. 2
248
12 Interaktion mit NGOs
Die auf dem Teilnehmerstatus basierende Kooperation zwischen dem Europarat und INGOs ist geprägt von Handlungsmöglichkeiten und Verpflichtungen für beide Seiten.8 Der neue Status führt zu einer ausführlicheren Festschreibung der Aktionsmöglichkeiten der Institutionen des Europarats gegenüber den INGOs, als dies bis dato der Fall war. Den intergouvernementalen Lenkungsausschüssen des Ministerkomitees wird beispielsweise die Möglichkeit eröffnet, INGOs mit Teilnehmerstatus in ihre Arbeiten zur Festlegung der Politiken und Programme des Europarats einzubeziehen. Zudem werden die Ausschüsse der Parlamentarischen Versammlung und des Kongresses der Gemeinden und Regionen dazu angehalten, Möglichkeiten zur Intensivierung ihrer Interaktion mit INGOs zu begutachten. Der Menschenrechtskommissar wird zur Wahrung enger Kontakte mit den über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs aufgefordert.9 Der Generalsekretär schließlich kann einzelne INGOs sowie die noch zu schildernden thematischen Gruppierungen und den Verbindungsausschuss in Fragen gemeinsamen Interesses konsultieren. Unbeschadet der hervorgehobenen Stellung der INGOs mit einem Teilnehmerstatus steht es den Institutionen des Europarats gleichwohl frei, auf eigene Initiative hin eine Zusammenarbeit mit weiteren INGOs in die Wege zu leiten. Den über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs kommt unter anderem die Möglichkeit zu, Noten an den Generalsekretär zur Weiterleitung an die entsprechenden Einheiten des Europarats zu senden.10 Sie können außerdem, wie geschildert, eingeladen werden, ihre Expertise zu Politiken und Programmen des Europarats vorzubringen. Ferner organisiert das Sekretariat des Europarats Veranstaltungen für INGOs mit Teilnehmerstatus. Neben diesen Aktions- und Partizipationsmöglichkeiten wird den INGOs eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt, die bei Nichterfüllung Grundlage für die Aberkennung des Teilnehmerstatus sein können. Gemeint ist in erster Linie die alle vier Jahre fällige Erstellung eines Berichts, in welchem die INGOs beispielsweise ihre Teilnahme an den Arbeiten des Europarats, selbstständige Tätigkeiten (z. B. die Abhaltung von Treffen unter Einbeziehung von Vertretern des Europarats) sowie ihre Aktivitäten bezüglich der Publizierung der Maßnahmen des Europarats darlegen müssen. Des Weiteren wird den INGOs aufgetragen, auf Anfrage einer Einheit des Europarats Informationsdokumente und Stellungnahmen zu erstellen. Vergeben wird der Teilnehmerstatus durch den Generalsekretär des Europarats.11 An diesen sind die erforderlichen Unterlagen (u. a. offizielle Aufnahmeerklärung, Satzung der INGO, Tätigkeitsberichte) zu übermitteln. In der Aufnahmeerklärung werden unter anderem die Motive der INGO für ihren Antrag abgefragt. Außerdem haben INGOs darzulegen, auf welche Weise sie die Aktivitäten des Europarats befördern können. Nach Prüfung der Unterlagen entscheidet der Generalsekretär über die (Nicht-)Vergabe des Teilnehmersta-
8
Vgl. Resolution (2003) 8: Ziff. 3-9. Resolution (2003) 8 spricht von einem innerhalb des Europarats existenten Quadrilog, der neben dem Ministerkomitee, der Versammlung und dem Kongress der Gemeinden und Regionen die (I)NGOs als vierten Pfeiler einbezieht. 10 Trommer/Chari (2006) diskutieren die grundlegenden Motive von INGOs, sich in den Europarat einzubringen. Im Kern würden die INGOs durch eine „ideological mission“ angetrieben: Geteilte Werte und Ideale zwischen ihnen und dem Europarat seien maßgeblich für ihre Partizipation. 11 Vgl. Resolution (2003) 8: Ziff. 10-15. 9
12.2 Konferenz der internationalen NGOs
249
tus.12 Der Generalsekretär übermittelt seine Vorschläge zunächst dem INGO-Verbindungsausschuss zur Stellungnahme. Im Anschluss werden die Vorschläge zur stillschweigenden Annahme an das Ministerkomitee, die Parlamentarische Versammlung und den Kongress der Gemeinden und Regionen weitergeleitet. Sofern es keinen Widerspruch gibt, werden die INGOs anschließend auf die Liste der über einen Teilnehmerstatus verfügenden internationalen Nichtregierungsorganisationen gesetzt. Derzeit verfügen rund 400 INGOs über einen Teilnehmerstatus.13 Der Generalsekretär ist es auch, der über die Aberkennung des Teilnehmerstatus entscheidet.14 Der Teilnehmerstatus kann aberkannt werden, wenn eine INGO den weiter oben geschilderten Verpflichtungen (u. a. alle vier Jahre Übermittlung eines Berichts) nicht nachkommt.
12.2 Konferenz der internationalen NGOs 12.2 Konferenz der internationalen NGOs Die zunächst über einen Berater- und nunmehr über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs haben sich innerhalb des Europarats organisiert, um die Interaktionsmöglichkeiten untereinander wie auch mit der Organisation besser zu nutzen. Im Mittelpunkt steht die Konferenz der internationalen Nichtregierungsorganisationen (conference of INGOs). Die im Jahr 2005 eingerichtete Konferenz fungiert als Plenum aller INGOs, die einen Teilnehmerstatus besitzen. Sie beschließt über die grundlegende Ausrichtung und Ziele und entscheidet über die vom noch zu schildernden Verbindungsausschuss zur Zielerreichung zu verfolgenden Maßnahmen. Die INGO-Konferenz trifft sich zweimal im Jahr.15 Geleitet werden die Sitzungen vom Präsidenten (president) der Konferenz. Derzeit ist dies Annelise Oeschger.16 Beispiel: Die Sitzungen der INGO-Konferenz im Jahr 2007 Die beiden Sitzungen der INGO-Konferenz im Jahr 2007 fanden Ende Januar bzw. Ende Juni statt.17 Auf der Januarsitzung kam es zum Austausch mit Spitzenvertretern des Europarats. Zum einen sprach der Außenminister San Marinos, Guido Bellatti Ceccoli, in seiner Funktion als Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarats zur Konferenz. Seine Ausführungen behandelten das Arbeitsprogramm seines Landes für die Zeit des Europaratsvorsitzes. Hervorgehoben wurde etwa das Zusammenspiel mit der EU. Diesen Punkt griffen die Vertreter der INGOs in der anschließenden Aussprache auf. Sie forderten, in das zum damaligen Zeitpunkt noch in der Vorbereitungsphase befindliche Memorandum of Understanding zwischen Europarat und EU einen Verweis auf die INGO-Konferenz einzufü-
12
Im September 2007 vergab der Generalsekretär den Teilnehmerstatus an 15 INGOs. Aus unterschiedlichen Gründen (u. a. rein nationale Ausrichtung oder keine Anbindung der Aktivitäten an das Arbeitsprogramm des Europarats) verweigerte der Generalsekretär hingegen 16 INGOs diesen Status. Vgl. SG/Inf (2007) 11. 13 Die Liste der NGOs mit Teilnehmerstatus findet sich unter http://www.coe.int/T/E/NGO/public/participatory_status/List_of_NGOs/index.asp (zuletzt abgerufen am 22.2.2008). 14 Vgl. Resolution (2003) 8: Ziff. 16-20. 15 Im Jahr 2006 fanden die Treffen Ende Januar und Anfang Oktober statt, im Jahr 2007 Ende Januar und Ende Juni. 16 Oeschger repräsentiert die INGO Mouvement International ATD Quart Monde. 17 Vgl. OING Conf (2007) CR1; OING Conf (2007) CR2.
250
12 Interaktion mit NGOs
gen.18 Sie sprachen sich außerdem für ein stärkeres Engagement des Europarats beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern aus. Weiterhin diskutierten die Vertreter der internationalen Nichtregierungsorganisationen in der Januarsitzung mit dem Generalsekretär des Europarats, Terry Davis. Dieser verwies auf die wichtige Rolle, welche die INGOs für den Europarat spielten. Besonders betonte er deren Rolle beim Forum für die Zukunft der Demokratie19, bei der Ratifizierung der Europaratsverträge sowie allgemein bei der Verbreitung der Arbeitsergebnisse des Europarats. Die INGO-Konferenz übergab dem Generalsekretär ihrerseits eine Resolution über die Lage der Zivilgesellschaft in Belarus zur Weiterleitung an das Ministerkomitee.20 Neben dieser Funktion als Plattforum zum Austausch mit Vertretern des Europarats zeigte sich an den beiden Treffen auch die inhaltliche Komponente der INGO-Konferenz. Die Vertreter der internationalen Nichtregierungsorganisationen verabschiedeten die schon angeführte Resolution zur Lage der Zivilgesellschaft in Belarus sowie eine Empfehlung zum Weißbuch des Europarats über den interkulturellen Dialog. Sie diskutierten ferner einen Entwurf für eine Empfehlung an das Ministerkomitee zum rechtlichen Status von NGOs. Schließlich wurden verschiedene organisatorische Fragen behandelt. Hierzu gehörte die Annahme der Tätigkeitsberichte des Verbindungsausschusses und der thematischen Gruppierungen für das Jahr 2006. Außerdem begrüßte die Präsidentin der INGO-Konferenz, Annelise Oeschger, auf der Januarsitzung neun INGOs, denen der Generalsekretär des Europarats den Teilnehmerstatus neu zugesprochen hatte.21 Der Präsident der INGO-Konferenz ist zugleich Vorsitzender des INGO-Verbindungsausschusses (liaison committee). Der Verbindungsausschuss wurde 1976 eingerichtet. Er besteht aus 36 Personen, die 36 verschiedenen INGOs angehören. Neben dem Vorsitzenden gehören dem Ausschuss 24 von der INGO-Konferenz gewählte Personen aus ihren Reihen, die Vorsitzenden der zehn themenspezifischen Gruppierungen, die weiter unten noch diskutiert werden, sowie ein Vertreter des INGO-Service-Verbandes an. Die Mitglieder des Verbindungsausschusses werden für eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Die Hälfte der von der INGO-Konferenz gewählten Mitglieder wird alle drei Jahre ausgewechselt. Der Ausschuss trifft sich viermal pro Jahr, und zwar parallel zu den vier Teilsitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Der Verbindungsausschuss – und hier wiederum dessen zehnköpfiges Präsidium (bureau)22 – ist die zentrale Institution zur Regelung der Beziehungen der internationalen Nichtregierungsorganisationen zum Europarat. Seiner Funktion als Bindeglied wird der Ausschuss dadurch gerecht, dass er Konsultationen von INGOs in die Wege leitet, INGOs mit Mitteln zur Publizierung ihrer Tätigkeiten versorgt sowie Kontakte zu den Institutionen
18 Einen solchen Verweis enthält das Memorandum nicht. Es findet sich in Art. 50 jedoch der allgemeine Verweis auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft für das Erreichen der von Europarat und EU verfolgten Ziele. Vgl. CM (2007) 74. Siehe Kap. 11.1.1 für Details zum Memorandum. 19 Siehe Kap. 2.1.5. 20 In der zweiten Sitzung kam es zum Austausch mit dem Generaldirektor für Demokratie und Politische Fragen des Sekretariats des Europarats. 21 Vgl. SG/Inf (2007) 2. 22 Das Präsidium wird vom Verbindungsausschuss gewählt. Nach einem Beschluss der 2. Sitzung 2007 ist das Präsidium des Verbindungsausschusses zugleich das Präsidium der INGO-Konferenz. Vgl. OING Conf (2007) CR2: Ziff. 5.
12.2 Konferenz der internationalen NGOs
251
des Europarats etabliert.23 Zusätzlich erbringt der Verbindungsausschuss Leistungen speziell für die über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs. Hierzu gehört die Vorbereitung der Plenartagungen der INGO-Konferenz. Außerdem ermöglicht der Verbindungsausschuss die Arbeiten der themenspezifischen Gruppierungen. Die themenspezifischen Gruppierungen (thematic groupings) haben eine zweifache Funktion. Zum einen bieten sie den über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs aus einem Arbeitsgebiet ein institutionalisiertes Forum zum wechselseitigen Austausch. Zum anderen stellen sie mit hoher fachlicher Expertise versehene Anlaufstellen für die Institutionen des Europarats dar. Da sich nur ein Ausschnitt der über einen Teilnehmerstatus verfügenden INGOs in den Gruppierungen versammelt, sind sie für die Vertreter des Europarats leichter ‚zugänglich’ als die INGO-Konferenz mit ihren hunderten von Teilnehmern. Die Gruppierungen treffen sich in der Regel dreimal pro Jahr, und zwar während der Winter-, Frühlings- und Herbstsitzungen der Parlamentarischen Versammlung. Neben den Treffen der Gruppierungen als solchen finden auch gemeinsame Treffen (joint meetings) von Gruppierungen statt.24 Derzeit existieren zehn Gruppierungen, und zwar zu den Bereichen Zivilgesellschaft, Ländlicher Raum und Umwelt, Bildung und Kultur, Extreme Armut und Sozialer Zusammenhalt, Gleichstellung, Gesundheit, Menschenrechte25, Städte, Nord-SüdDialog und Solidarität sowie Europäische Sozialcharta und Sozialpolitik. Die geschilderten Strukturen werden in absehbarer Zeit reformiert. Ende 2007 veröffentlichte die Präsidentin der INGO-Konferenz ein Memorandum mit Änderungsvorschlägen, die unter Federführung des Verbindungsausschusses erarbeitet worden waren. Die anvisierten Reformen beträfen insbesondere die themenspezifischen Gruppierungen und den Verbindungsausschuss. Sowohl die Bezeichnung als auch die Anzahl der Gruppierungen soll verändert werden. Fortan sollen die Gruppierungen Ausschüsse (committees) genannt und ihre Zahl von zehn auf sechs26 reduziert werden. Letzteres würde eine Anpassung an die Strukturen des Europarats darstellen. Die Hoffnung lautet, auf diese Weise größeren Einfluss auf die Organisation ausüben zu können, etwa innerhalb der zwischenstaatlichen Expertenausschüsse des Ministerkomitees. Die Gruppierungen/Ausschüsse sollen sich außerdem nicht wie bislang dreimal, sondern viermal im Jahr treffen. Der Verbindungsausschuss wiederum soll durch einen Ständigen Ausschuss (standing committee) ersetzt werden. Dieser würde als Bindeglied zwischen der INGO-Konferenz, den Ausschüssen und dem Präsidium fungieren. Letzteres soll für die Umsetzung der Beschlüsse der INGO-Konferenz sorgen. Dem Ständigen Ausschuss obläge unter anderem, Aufgaben an die Ausschüsse weiterzuleiten sowie für alle INGOs relevante Themen zu diskutieren. Der Ständige Ausschuss soll aus höchstens zwanzig Personen bestehen. Zu diesen zählten die zehn Mitglieder des Präsidiums sowie die Vorsitzenden der sechs Ausschüsse. Der Präsident der INGO-Konferenz würde den Vorsitz im Ständigen Ausschuss übernehmen.
23
Vgl. CM/Inf (97) 66. Im April 2006 trafen sich z. B. die Gruppierungen Menschenrechte sowie Europäische Sozialcharta und Sozialpolitik zu einem gemeinsamen Treffen. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Unteilbarkeit der Menschenrechte. Vgl. OING Conf (2006) RAPACTREG: Ziff. 2/1. 25 Details zur Gruppierung Menschenrechte finden sich bei Roth (2000): S. 161-162. 26 Vorgesehen sind Ausschüsse zu den Themen Menschenrechte, Sozialer Zusammenhalt, Kultur und Bildung, Demokratie und Zivilgesellschaft, Nachhaltige Entwicklung sowie Gleichstellung. 24
252
12 Interaktion mit NGOs
12.3 Partnerschaftsstatus für nationale NGOs 12.3 Partnerschaftsstatus für nationale NGOs Als komplementäre Ergänzung zu dem auf internationale NGOs ausgerichteten Teilnehmerstatus wurde ebenfalls im November 2003 ein Partnerschaftsstatus (status of partnership) zwischen dem Europarat und nationalen NGOs geschaffen.27 Motiv für diesen Schritt war die Anerkennung und Würdigung der Leistungen nationaler Nichtregierungsorganisationen bei der Umsetzung der Arbeitsprogramme des Europarats. Die Modalitäten der Zusammenarbeit ähneln größtenteils den Bestimmungen des Teilnehmerstatus. So kommen auch für den Partnerschaftsstatus beispielsweise nur NGOs infrage, die repräsentativ für ihr Tätigkeitsfeld sind und die ferner die Arbeiten des Europarats unterstützen und publik machen können. Besonderes Augenmerk liegt auf denjenigen nationalen NGOs, die sich im Bereich Entwicklung und Konsolidierung demokratischer Stabilität engagieren. Den NGOs wird unter anderem die Möglichkeit zugestanden, den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung und des Kongresses der Gemeinden und Regionen beizuwohnen und an Veranstaltungen des Europarats teilzunehmen. Der Partnerschaftsstatus wurde zunächst auf fünf Jahre angelegt. Teilnehmer- und Partnerschaftsstatus unterscheiden sich in verschiedener Hinsicht. Ein Unterschied liegt, wie bereits geschildert, darin, dass sich Ersterer auf internationale NGOs und Letzterer auf nationale NGOs bezieht. Ein weiterer Unterschied besteht in den Leistungen, die eine NGO für den Erhalt des einen oder des anderen Status erbringen muss. Während es beim Teilnehmerstatus eine Art Auswahlverfahren gibt, kann der Generalsekretär den Partnerschaftsstatus allen nationalen NGOs zuweisen, mit denen der Europarat Abmachungen (specific arrangements) hinsichtlich der Umsetzung seines Arbeitsprogramms hat. Zugespitzt formuliert: Sämtliche nationale NGOs, mit denen der Europarat kooperiert, sind für den Partnerschaftsstatus qualifiziert. Der Status entspricht somit eher einer „Liste“28 aller nationalen NGOs, mit denen der Europarat zusammenarbeitet. Darüber hinaus gibt es beim Partnerschaftsstatus auch keine Maßnahmen zur ‚Qualitätssicherung’ wie im Falle des Teilnehmerstatus, zu dessen Aufrechterhaltung die internationalen NGOs alle vier Jahre einen Bericht vorlegen müssen.
12.4 Fazit 12.4 Fazit Der Europarat weist zivilgesellschaftlichen Organisationen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung seiner Ziele zu. Das gilt gerade für den Bereich Demokratie und demokratische Partizipation. Im Aktionsplan des dritten Gipfeltreffens der Organisation bekräftigten die Mitgliedstaaten ihren Willen zum weiteren Ausbau der Einbindung von NGOs in den Europarat. Dies sei „an essential element of civil society’s contribution to the transparency and accountability of democratic government.“29 Das allgemeine Interesse an der stärkeren Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure spiegelte sich im Interesse am Ausbau der Zusammenarbeit mit der INGO-Konferenz wider. Trotz dieser grundsätzlichen Wertschätzung sind die Schwachstellen beim Zusammenspiel zwischen dem Europarat und NGOs vielfältig. Hinterfragen ließen sich etwa die Vor27
Vgl. Resolution (2003) 9. So äußerte sich ein Mitarbeiter des Sekretariats des Europarats. Zitiert in Brummer (2005): S. 350. 29 CM (2005) 80 final: Ziff. I/3. 28
12.4 Fazit
253
züge des Teilnehmerstatus, den der Europarat an internationale NGOs verleihen kann. Zumindest für die Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und INGOs im Bereich der Konfliktbearbeitung wurde eine weitestgehende Ignorierung institutioneller Verbindungen festgestellt.30 Der Besitz eines Beobachterstatus bzw. seit November 2003 eines Teilnehmerstatus hat offenbar keine größere Relevanz für den Grad der Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund fragte die Parlamentarische Versammlung das Ministerkomitee, weshalb einige der maßgeblichen Nichtregierungsorganisationen, mit denen der Europarat seit vielen Jahren kooperieren würde, bislang keinen Beobachter- bzw. Teilnehmerstatus beantragt hätten.31 Entscheidender für die Zusammenarbeit des Europarats mit einer NGO als ein bestimmter Status scheinen die Reputation, die Einsatzbereitschaft und gerade im Bereich der Konfliktbearbeitung die Nähe einer NGO zum Konflikt zu sein. Letzteres wiederum unterstreicht die Bedeutung nationaler NGOs. Im Gegensatz zu den für einen Teilnehmerstatus infrage kommenden internationalen NGOs sind nationale NGOs in der Regel ‚näher’ an den Konflikten. Die Einbindung nationaler NGOs in den Europarat ist allerdings deutlich schwächer als im Falle der internationalen NGOs. Der Partnerschaftsstatus beschreibt, wie oben geschildert, in erster Linie eher einen Zustand – die Zusammenarbeit mit dem Europarat –, als dass aus ihm konkrete Folgen für die Art der Interaktion zwischen den NGOs und dem Europarat erwüchsen. Defizite bei der praktischen Zusammenarbeit zwischen den in den Europarat eingebundenen INGOs und den Institutionen der Straßburger Organisation illustriert eine von der Parlamentarischen Versammlung im November 2007 verabschiedete Resolution. Die Parlamentarier bekundeten darin ihr grundsätzliches Interesse am Ausbau der Zusammenarbeit mit der INGO-Konferenz. Die einzelnen Forderungen, mittels derer die Parlamentarier die Zusammenarbeit intensivieren wollten, deuten freilich darauf hin, dass die Interaktion bislang noch nicht sonderlich intensiv gewesen sein kann. Zu den Anregungen der Versammlung gehörte, über die Möglichkeit nachzudenken, den Präsidenten der INGO-Konferenz zu einer Rede vor dem Plenum oder dem Ständigen Ausschuss der Versammlung einzuladen. Ferner sollte das Präsidium der Versammlung einen jährlichen Austausch mit dem Präsidenten der INGO-Konferenz und den Vorsitzenden der thematischen Gruppierungen abhalten. Das Präsidium sollte außerdem nach Möglichkeiten suchen, wie der Informationsfluss zwischen der Versammlung und der INGO-Konferenz verbessert werden könne. Nicht zu vergessen sind schließlich Schwachstellen seitens der internationalen Nichtregierungsorganisationen. Zum einen erschweren Unstimmigkeiten zwischen den in der INGO-Konferenz und somit auch in den thematischen Gruppierungen versammelten Organisationen eine Zusammenarbeit mit dem Europarat. Deutlich wurden solche inneren Verwerfungen beispielsweise bei der Behandlung des Tschetschenienkonflikts. Zwar hätte es nach Einschätzung eines Mitglieds der Gruppierung Menschenrechte keine grundlegenden Differenzen zwischen den in der Gruppierung vertretenen INGOs gegeben. Der von mehreren INGOs geforderte Ausschluss Russlands aus dem Europarat habe jedoch keine Mehrheit gefunden. Es wurde argumentiert, dass ein solcher Schritt von den in Russland tätigen Einrichtungen der INGOs nicht verstanden würde. Ergebnis dessen war, dass man sich in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats auf weiter reichende Forderungen einigen konnte als im Rahmen der INGOs.32 Zum anderen ist auf die nachrangige Bedeu30
Vgl. Brummer (2005): S. 356-357. Vgl. Opinion 246 (2003). 32 Vgl. Brummer (2005): S. 357. 31
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12 Interaktion mit NGOs
tung zu verweisen, welche manche NGOs dem Europarat in grundsätzlicher Hinsicht beimessen. Dies gilt mitunter auch für INGOs mit Teilnehmerstatus. Die Verleihung des Status per se könnte wichtiger sein als die aus diesem erwachsenden Mitwirkungsmöglichkeiten. Selbst Vertreter von INGOs kritisierten diejenigen Nichtregierungsorganisationen, die sich nur um des „Briefkopfs“ willen an den im Europarat vorhandenen Strukturen für INGOs beteiligen würden.33
12.5 Literaturhinweise 12.5 Literaturhinweise Committee of Ministers: Participatory Status for international non-governmental organisations with the Council of Europe (Dokument: Resolution (2003) 8 vom 19.11.2003) Roth, Michèle (2000): Zur Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen – Gemeinsames Engagement zum Schutz der Menschenrechte. In: Holtz, Uwe (Hrsg.): 50 Jahre Europarat. BadenBaden: 159-169. Trommer, Silke M./Chari, Raj S. (2006): The Council of Europe: Interest Groups and Ideological Missions? In: West European Politics, Vol. 29/4: 665-686.
33
Brummer (2005): S. 350, Fn. 1497.
Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
Der Europarat steht vor fundamentalen Herausforderungen. Im Innern hat der Erweiterungsschub, der die Organisation nach dem Ende des Ost-West-Konflikts von 23 auf 47 Mitgliedstaaten anwachsen ließ, zu einer Aufweichung der Standards und Prinzipien geführt. Eine Reihe von Staaten hat noch immer zum Teil erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der zentralen Wertetrias (Demokratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit) der Straßburger Organisation. Von außen gerät der Europarat durch die Europäische Union (EU) unter Druck. Die EU greift zusehends auf Staaten (Erweiterungen) und Themen (v. a. Menschenrechte) aus, die über Jahre oder Jahrzehnte ‚exklusiv’ vom Europarat behandelt worden sind. Der Europarat sieht sich somit zeitgleich konfrontiert mit der Unterminierung seiner Wertebasis und mit der zunehmenden Verdrängung im europäischen Integrationsprozess. Diese Herausforderungen stellen die Zukunft des Europarats infrage. Nicht von ungefähr sind (noch) vage Ideen von der Auflösung der Organisation oder deren Fusion mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu hören. Allein: Weder Auflösung noch Fusion werden – oder sollten – in absehbarer Zeit erfolgen. Zum einen erweisen sich internationale Organisationen allgemein als widerstands- und mitunter anpassungsfähig und dadurch insgesamt als schwer ‚abschaffbar’. Wichtiger noch: Der Europarat wird auch in Zukunft gebraucht. Zwei Beispiele: Beim individuellen Menschenrechtsschutz ist die Organisation dank der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) und dem über die Einhaltung der Konvention wachenden Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht zu ersetzen. Weder der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch die Europäische Grundrechtecharta können an deren Stelle treten. Daneben tragen die Europaratsverträge zur Schaffung eines paneuropäischen Rechtsraums bei. Dieser Raum umfasst 47 Staaten und 800 Millionen Menschen. Die folgenden sechs Punkte diskutieren, was der Europarat und seine Mitgliedstaaten im Innern der Organisation wie auch nach außen zur Gewährleistung der Zukunftsfähigkeit der Organisation tun können. Der Ausgangspunkt der Überlegungen lautet, dass der Europarat eine zwischenstaatliche Institution ist und bleiben wird. Die Mitgliedstaaten werden keine Kompetenzen an die Organisation übertragen. So wünschenswert es möglicherweise wäre, wenn beispielsweise der Menschenrechtskommissar oder der Antifolterausschuss den Europaratsstaaten verbindliche Vorgaben machen könnten: Die hierfür notwendigen Kompetenzen werden sie nicht erhalten. Ein Hineinregieren des Europarats in die Staaten wird auch in Zukunft nicht möglich sein. Der EGMR, dessen Urteile von den Vertragsparteien der EMRK verbindlich umzusetzen sind, wird die Ausnahme von dieser Regel bleiben. Die grundlegende Maxime lautet somit, die Potenziale, die sich aus der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ergeben, bestmöglich zu nutzen.1
1 In diese Richtung geht auch ein vom Sekretariat des Europarats ausgearbeitetes Strategiepapier, das Zielmarken für die Entwicklung der Organisation bis 2015 vorschlägt. Siehe SG/Inf (2007) 4.
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Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
Konzentration: Der Europarat sollte sich ausschließlich mit den Themen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit befassen. Auf dem dritten Gipfeltreffen der Organisation im Mai 2005 beschlossen die Staats- und Regierungschefs, dass sämtliche Aktivitäten des Europarats zur Verwirklichung der Wertetrias des Europarats beizutragen haben. Der Ansatz weist in die richtige Richtung. Der Europarat müsste jedoch noch einen Schritt weiter gehen: Er sollte sich ausschließlich mit seinen drei Kernthemen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen.2 In diesen Feldern besitzt die Organisation ausgewiesene Kompetenz und Expertise, die sie auch gegenüber anderen europäischen Organisationen abhebt. Was der Europarat jedoch nicht hat, sind umfangreiche finanzielle und personelle Ressourcen. Das Jahresbudget beläuft sich auf etwa € 200 Millionen; die Beamtenschaft der Organisation umfasst ca. 1800 Personen. Nennenswerte Aufstockungen sind nicht in Sicht. Mit diesen Mitteln lässt sich das bis dato verfolgte, beinahe allumfassende Aufgabenspektrum der Organisation nicht bewältigen. Laut seiner Satzung behandelt der Europarat alle Themen außer Verteidigung. Konzentrierte sich die Organisation ausschließlich auf die Verfolgung und Umsetzung ihrer Wertetrias, ließe sich mit den vorhandenen Mitteln größere Wirkung erzielen. Die Forderung nach einer Konzentration auf die drei Kernthemen soll keineswegs heißen, dass anderweitige laufende Aktivitäten des Europarats irrelevant sind, etwa in den Bereichen sozialer Zusammenhalt, Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Die Frage ist jedoch, ob diese Aktivitäten nicht von anderen – internationalen, staatlichen oder auch gesellschaftlichen – Akteuren übernommen werden können. Eine Fokussierung des Europarats auf die Wertetrias bedeutete, dass sich alle Institutionen der Organisation ausschließlich mit diesen Fragen beschäftigten. Bei vielen Institutionen ist dies ohnehin bereits der Fall. Exemplarisch sind der Menschenrechtskommissar oder der EGMR. Gerade die beiden genannten Institutionen stoßen freilich an ihre Kapazitätsgrenzen, personell wie finanziell. Mittel, die aus nicht mehr innerhalb des Europarats verfolgten Themenbereichen frei würden, könnten hier ein wenig Linderung verschaffen. Andere Institutionen des Europarats bearbeiten ein deutlich breiteres Themenspektrum als Menschenrechtskommissar und Gerichtshof. Zu denken ist beispielsweise an die Parlamentarische Versammlung oder an den Kongress der Gemeinden und Regionen. Auch diese sollten sich auf die Bereiche Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit konzentrieren. Von der Aufgabe einer ‚Allzuständigkeit’ können die Institutionen nur profitieren. Sie würden ihre inhaltliche Expertise festigen und dadurch ihre Ausstrahlung nach außen steigern. Konsolidierung: Die Europaratsstaaten müssen die Europaratsverträge ratifizieren. Gemäß Art. 1 seiner Satzung lautet das Ziel des Europarats, „einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen“. Ein maßgebliches Instrument hierfür ist die Ausarbeitung von Europaratsverträgen. Mehr als 200 Verträge sind bislang entwickelt worden. Träten die 47 Europaratsstaaten geschlossen diesen Verträgen bei, wäre ein großer Schritt in Richtung eines einheitlichen, 800 Millionen Menschen umfassenden europäischen Rechtsraums getan. So viel zur Theorie. In der Praxis stellt sich der einheitliche eu2
In diesem Sinne auch Sticht (2006): S. 392.
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ropäische Rechtsraum als Flickenteppich dar. Nur einem Dutzend Verträge gehören alle Europaratsstaaten an. 30 Verträge konnten hingegen wegen einer zu geringen Zahl an Ratifizierungen noch nicht in Kraft treten. Es stellt sich die Frage, wieso die Europaratsstaaten überhaupt Zeit in die Entwicklung von Verträgen investieren, die nach ihrer Finalisierung niemals wirksam werden. Das ausbleibende Inkrafttreten zahlreicher Europaratsverträge ist umso bemerkenswerter, weil es in den meisten Fällen nur einer Ratifizierung durch wenige Staaten bedarf (mitunter nur drei Staaten). Umso bedenklicher ist die fehlende Ratifizierungsdisziplin seitens der Europaratsstaaten wiederum, weil auch die Europäische Menschenrechtskonvention, und somit ein, wenn nicht sogar das Herzstück des Europarats, von der geringen Ratifizierungsdisziplin betroffen ist. Das gilt zwar nicht für die Konvention als solche, der als politische Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Europarat alle Europaratsstaaten angehören müssen. Zum Teil erhebliche ‚Ratifizierungslücken’ existieren jedoch bei denjenigen Protokollen zur Konvention, die neue materiell-rechtliche Bestimmungen einführen.3 Die größte Zahl an Ratifizierungen hat das 6. Protokoll (Abschaffung der Todesstrafe), dem alle Europaratsstaaten bis auf Russland angehören. Das 12. Protokoll hingegen, das ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot einführt, haben nur 15 Staaten ratifiziert. Sicher: Der Europarat als Institution kann seine Mitgliedstaaten nicht zum Beitritt zu Konventionen zwingen. Die Institutionen des Europarats können allerdings durch stete Verweise auf Verträge den Handlungsdruck auf Staaten erhöhen. Gerade die Parlamentarische Versammlung scheint prädestiniert für diese Aufgabe. Schließlich sind die Mitglieder der Versammlung zugleich Mitglieder eines nationalen Parlaments. Sie können somit auf zwei Ebenen an ‚ihre’ Regierungen appellieren, einer Konvention beizutreten. Anschließend können sie im Parlament auf die rasche Ratifizierung der Verträge hinwirken. Letztlich entscheiden freilich die Europaratsstaaten selbst über ihren Betritt zu einem Vertrag. Fragen der Glaubwürdigkeit wie auch des effizienten Einsatzes von öffentlichen Geldern legen nahe, dass Staaten, die Verträge ausgehandelt haben, diese anschließend auch zeichnen und dass Parlamente, sofern keine schwerwiegenden inhaltlichen Bedenken existieren, die Verträge rasch ratifizieren. Gerade peer pressure, verstanden als Druck durch diejenigen Staaten, die eine Konvention ratifiziert haben, auf die ‚Nichtratifizierer’, könnte den Weg zu einem zumindest einheitlicheren europäischen Rechtsraum ebnen. Konsequenz: Bei anhaltenden, schwerwiegenden Verletzungen der Werte des Europarats dürfen Ministerkomitee und Parlamentarische Versammlung einer Konfrontation mit dem die Werte der Organisation missachtenden Staat nicht ausweichen. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bilden die Wertetrias der Organisation. Die Einhaltung dieser Werte durch die Europaratsstaaten ist jedoch keineswegs selbstverständlich. Gerade der Erweiterungsschub nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat die Organisation unter verstärkten Handlungsdruck gesetzt. Zahlreiche der neuen Mitglieder hatten nicht nur zum Zeitpunkt ihres Beitritts Probleme bei der Umsetzung der Wertetrias. Zum Teil schwerwiegende Defizite existieren bis heute. Eine auf Werten basierende Organisation wie der Europarat gefährdet seine Glaubwürdigkeit, wenn seine Mitglieder diese Werte dauerhaft verletzen. 3
Siehe Abbildung 28 in Kap. 5.1.
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Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
Der Europarat hat in den letzten Jahren sein Handlungsinstrumentarium deutlich erweitert, um sich der Problematik annehmen zu können. Kernelemente sind die MonitoringMechanismen, die im Ministerkomitee und in der Parlamentarischen Versammlung eingeführt wurden.4 Sie dienen der Identifizierung von Missständen in den Europaratsstaaten. Darauf aufbauend können anschließend Maßnahmen zur Behebung der Defizite vereinbart werden. In machen Fällen sind Mitglieder des Europarats jedoch nicht willens oder nicht fähig, die Defizite anzugehen. In solchen Situationen könnte der Europarat seine bis dato verfolgten Kooperationsversuche weiter fortsetzen in der Hoffnung, mittel- bis langfristig doch noch zur Behebung der Missstände beizutragen. Gerade bei dauerhaften und schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundprinzipien der Organisation kann dieses Vorgehen allerdings leicht mit Mutlosigkeit verwechselt werden, wenn nicht sogar mit Kapitulation. Mutiger wie auch glaubwürdiger wäre die konsequente Sanktionierung eines Staates, der dauerhaft gegen die Prinzipien der Organisation verstößt. Zwei Probleme tun sich bezüglich der Sanktionierung von Staaten auf. Zum einen existieren innerhalb des Europarats nur wenige für diesen Zweck brauchbare Instrumente. Art. 8 der Satzung sieht die Möglichkeit der Suspendierung eines Staates durch das Ministerkomitee vor. Der Ausschluss des zuvor suspendierten Staates kann als Ultima Ratio folgen. Die Parlamentarische Versammlung besitzt die Option, der nationalen Delegation eines Landes die Beglaubigung zu verweigern bzw. zu entziehen und sie auf diese Weise aus ihren Reihen zu suspendieren. Die Suspendierung bzw. der Ausschluss eines Staates bedeutete freilich, dass sich Ministerkomitee bzw. Versammlung Zugangsmöglichkeiten verschlössen, die sich aus der Mitgliedschaft des betroffenen Staates in den Institutionen ergeben. Entsprechend zögerlich nutzen Ministerkomitee und Versammlung diese Option. Erfolgversprechender scheinen Sanktionsmaßnahmen, welche die Rechte eines Landes bzw. der Versammlungsdelegation eines Landes beschneiden oder dem Land bzw. der Delegation Auflagen machen, ohne sie aus der Organisation auszuschließen. Die Versammlung kann einer nationalen Delegation bestimmte Rechte (z. B. Stimmrecht) entziehen. Die im Ministerkomitee versammelten Staaten wiederum können insbesondere das Instrument der Staatenbeschwerde vor dem EGMR nutzen. Hier zeigt sich das zweite Problem mit den Sanktionsinstrumenten: Es fehlt der politische Mut, diese anzuwenden. Das gilt für die Versammlung ebenso wie für das Ministerkomitee. Exemplarisch sind die bestenfalls halbherzigen Maßnahmen, welche beide Institutionen als Reaktion auf das russische Vorgehen in Tschetschenien ergriffen haben. Um der Glaubwürdigkeit der eigenen Institution wie auch der Gesamtorganisation Europarat willen sollten die Parlamentarier wie auch die Vertreter der Europaratsstaaten in Fällen, in denen es dauerhaft zu schwerwiegenden Verletzungen der Werte der Organisation kommt, zumindest diejenigen Sanktionsinstrumente nutzen, die unterhalb der Schwelle des Ausschlusses eines Staates ansetzen. Wenn Staaten ohne Konsequenzen die Prinzipien des Europarats verletzen ‚dürfen’, werden diese Prinzipien ebenso entwertet wie die Organisation, die sich der Einhaltung der Prinzipien verschrieben hat.
4 Der Generalsekretär des Europarats verweist zu Recht darauf, dass die verschiedenen Monitoring-Mechanismen enger miteinander verzahnt, wenn nicht sogar miteinander verschmolzen werden sollten. Vgl. SG/Inf (2007) 4.
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Komposition: Der Europarat braucht eine Nachbarschaftspolitik. Zur vollständigen Paneuropäisierung des Europarats im Sinne eines ‚Europas/Europarats der 49’ fehlen nur noch zwei Staaten: Belarus und das Kosovo. Damit Belarus beitreten kann, muss das Land grundlegende innere Reformen durchführen. Sobald Belarus sich den Standards des Europarats annähert, steht sein Beitritt außer Frage. Die Aufnahme des Kosovo wird sich an der Frage entscheiden, wie viele Mitglieder des Europarats das Land diplomatisch anerkennen. Sollten alle Mitgliedstaaten dies tun, wäre ein rascher Beitritt möglich. Die Chancen hierfür sind gering. Allen voran Serbien, aber auch Russland lehnen eine Anerkennung des Kosovo strikt ab. Allein: Bereits unter den Mitgliedern des Europarats, die auch der EU angehören, herrscht Uneinigkeit. Länder wie Spanien, Griechenland, Rumänien und Zypern stehen der Unabhängigkeit Kosovos skeptisch gegenüber. Sie fürchten einen Präzedenzfall, der Folgen für den Umgang mit anderen Minderheitenkonflikten haben könnte.5 Zwar trifft das Ministerkomitee Entscheidungen zur Aufnahme eines Landes mit einer Zweidrittelmehrheit. Staaten, die das Kosovo nicht anerkennen, könnten überstimmt werden. Eine ‚Kampfabstimmung’ für die Aufnahme des Kosovo in den Europarat scheint jedoch wenig wahrscheinlich. Eine andere Frage ist, welche Strategie der Europarat für die Staaten in seiner Nachbarschaft verfolgen soll. Gemeint sind die Staaten Zentralasiens sowie des südlichen und des östlichen Mittelmeers. Die EU erfasst eine Vielzahl dieser Staaten im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik (ENP). In ihrer Sicherheitsstrategie hält die Union als Ziel fest, dass rund um Europa „ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten entsteht“6. Die Frage ist, ob der Europarat, der nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die erste Anlaufstelle für die Staaten des ehemaligen Ostblocks auf ihrem Weg nach Europa war, nicht auch hier eine Pionierrolle spielen sollte bei der Heranführung dieser Staaten an europäische Standards in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.7 Die seit Anfang der 1990er Jahre gegenüber den Ostblockstaaten verfolgte Heranführungsstrategie des Europarats hieß ‚Beitritt’. Die Aufnahme der heutigen Nachbarstaaten des Europarats ist – wenn überhaupt – eine langfristige Perspektive. Zusätzliche Mitgliedstaaten würden den Europarat überfordern. Ignorieren kann und darf der Europarat seine Nachbarregionen jedoch ebenfalls nicht. Entwicklungen in den Nachbarstaaten betreffen nolens volens auch die Europaratsstaaten. Zwischen Aufnahme und Ausblendung liegt die stärkere Anbindung der Staaten an den Europarat. Instrumente hierfür existieren bereits. Die Venedig-Kommission steht Nichtmitgliedern des Europarats offen. Selbiges gilt für die Antifolterkonvention und zahlreiche weitere Europaratsverträge. Rund 150 Europaratsverträge stehen für „nicht-europäische Nichtmitgliedstaaten des Europarats“ offen.8 Auch die beiden Hauptorgane des Europarats, 5
Busse (2008). Europäischer Rat (2003). 7 Laut Parlamentarischer Versammlung sei „the Council of Europe (…) well placed to contribute to spreading beyond its frontiers values that its member states consider to be universal.“ Resolution 1506 (2006): Ziff. 7. Der daraus abgeleiteten Forderung der Parlamentarier nach der Schaffung eines neuen Status zur Einbindung von Nichtmitgliedstaaten erteilte das Ministerkomitee jedoch eine Absage. Nach Ansicht der Staatenvertreter müsse die Priorität des Europarats auf den Europaratsstaaten liegen. Vgl. Recommendation 1753 (2006): Ziff. 4/2 und CM/AS (2007) Recommendation 1753 final: Ziff. 2. 8 Vgl. http://conventions/coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?CM=12&CL=GER (zuletzt abgerufen am 25.2.2008). 6
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das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung, binden Nichtmitglieder des Europarats als Beobachter in ihre Aktivitäten ein. Der Europarat sollte die bestehenden Möglichkeiten zur Einbindung seiner Nachbarstaaten stärker als bislang nutzen. Auch auf diese Weise würde die Organisation einen Beitrag zu ihrer Zukunftssicherung leisten. Kommunikation: Um den Worten und Taten des Europarats zusätzliches Gewicht zu verleihen, sollte ein ‚politisches Schwergewicht’ zum Generalsekretär gewählt werden und die Mitgliedstaaten in Ministerkomitee und Parlamentarischer Versammlung sollten mit ihren Spitzenkräften vertreten sein. Wer kennt eigentlich den Europarat? Der folgende Kommentar eines früheren Mitglieds der Parlamentarischen Versammlung spricht Bände. Seiner Einschätzung nach sei die Organisation „incommensurably little known to public opinion.“9 Ohne Zweifel leidet der Europarat daran, dass den europäischen Bürgern seine Aktivitäten größtenteils nicht bekannt sind. Die sich aus diesem Defizit ergebende Handlungsempfehlung liefert der bereits zitierte Parlamentarier gleich mit: „The problem of finding ways to make the activities of the Council of Europe more well-known to European public opinion is thus of great significance.”10 Die Mitgliedstaaten des Europarats sehen dieses Darstellungs- oder Kommunikationsdefizit der Organisation ebenfalls.11 Die Staaten scheinen obendrein gewillt, das Defizit anzugehen. Ein zentraler Ansatzpunkt bei diesem Unterfangen ist die Besetzung des Postens des Generalsekretärs des Europarats. Der Generalsekretär ist die maßgebliche Figur bei der Repräsentation der Organisation nach außen. Im Mai 2007 beschloss das Ministerkomitee, künftig ein ‚politisches Schwergewicht’ für das Amt zu gewinnen, möglicherweise einen ehemaligen Staats- oder Regierungschef. Die nächste Wahl des Generalsekretärs steht 2009 an. Dann wird sich zeigen, ob die Europaratsstaaten ihren Worten auch Taten folgen lassen und tatsächlich eine Person vorschlagen12, die zu einer europaweit vernehmbaren ‚Stimme’ der Organisation werden kann. Die Europaratsstaaten stehen auch in anderer Hinsicht in der Pflicht. Worte und Taten der Organisation würden an Gewicht gewinnen, wenn ihre Institutionen mit Spitzenvertretern der Mitgliedstaaten besetzt wären. Das gilt insbesondere für die politischen Institutionen, allen voran für das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung. Das Ministerkomitee ist konzipiert als Zusammenkunft der Außenminister der Europaratsstaaten. Seit 2004 findet nur noch ein Treffen pro Jahr statt (zuvor zwei Treffen pro Jahr). Auch diese Reduzierung hat jedoch nicht dazu geführt, dass alle Europaratsstaaten bei den jährlichen Treffen durch ihre Außenminister vertreten werden. Beim Treffen des Ministerkomitees im Jahr 2006 wurden zumindest noch 20 Staaten durch ihren Außen- bzw. Europaminister repräsentiert. 2007 waren es lediglich elf.13 Bis auf eine Ausnahme waren auch die fünf größten Beitragszahler der Organisation (Deutschland, Frankreich, Italien, Russland,
9
Jaskiernia (2003): S. 374. Jaskiernia (2003): S. 374. 11 Ein anderer Ansatzpunkt zur Verbesserung der Außendarstellung des Europarats besteht im Ausbau seiner Informationspolitik (Medienkontakte, Publikationen, Internetportal etc.). Vgl. SG/Inf (2007) 4. 12 Die Parlamentarische Versammlung wählt den Generalsekretär auf Grundlage von Vorschlägen des Ministerkomitees. 13 Vgl. CM (2006) PV addendum; CM (2007) PV addendum. 10
Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
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Vereinigtes Königreich) nicht durch ihre Außenminister vertreten.14 In der Regel führen Staatssekretäre oder die Ständigen Vertreter der Staaten beim Europarat die Delegationen an. Sicher: Die Terminkalender der Außenminister sind randvoll. Im Falle des deutschen Außenministers etwa stand das erste Halbjahr 2007, in dem das letzte Treffen des Ministerkomitees stattfand, ganz im Zeichen der EU-Ratspräsidentschaft. Gleichwohl hätte die Teilnahme der Außenminister gerade der ‚großen’ Europaratsstaaten Signalwirkung für andere Staaten. In der Parlamentarischen Versammlung gibt es ein ähnlich gelagertes Problem wie im Ministerkomitee: Auch dort fehlen mitunter die Spitzenkräfte, in diesem Fall die Spitzen der nationalen Parlamente der Europaratsstaaten. Erneut Deutschland als Beispiel: In der 36 Personen umfassenden Delegation, die der Bundestag in die Parlamentarische Versammlung entsendet, fehlen größtenteils die Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden derjenigen Ausschüsse, die mit Blick auf die Tätigkeiten des Europarats einschlägig wären.15 Die stärkere Einbindung der parlamentarischen Spitzenkräfte würde nicht nur die Versammlung aufwerten. Sie führte zudem zu einer (noch) stärkeren Rückkopplung der Aktivitäten der Versammlung in den nationalen Kontext. Wie im Falle der Außenminister mit ihren dichten Agenden sind auch hier mehrere Aspekte offensichtlich, die der Umsetzung der Forderung entgegenstehen. Ein Engagement im Europarat brächte nicht nur eine weitere Arbeitsbelastung für die Parlamentarier mit sich. Die Beteiligung in der Versammlung wäre zudem der nationalen politischen Karriere nicht zwingend förderlich, wenn nicht sogar abträglich. Wahlkämpfe und somit Mandate werden in der Regel nicht mit Außenpolitik gewonnen. Diese Einschränkungen stehen und fallen allerdings mit dem politischen Willen der Akteure zur effektiveren Nutzung des Europarats. Den Wählern zu verdeutlichen, dass der Europarat keineswegs ‚nur’ Außenpolitik ist, sondern beispielsweise durch seine Verträge in vielfältiger Weise das Alltagsleben der Bürger beeinflusst, wäre ein Ansatzpunkt. Kooperation: Europarat und EU müssen eine gemeinsame europäische Stabilitätspolitik begründen. Wie geschildert, gerät der Europarat durch das thematische und geografische Ausgreifen der EU unter Druck. Die Zukunft des Europarats im europäischen Integrationsprozess hat an Selbstverständlichkeit verloren. Die Straßburger Organisation steht unter Zugzwang, ihren Platz zu behaupten. Angesichts der politischen wie finanziellen Ungleichgewichte zwischen Europarat und EU kann diese Selbstbehauptung nicht gegen, sondern nur mit der EU geschehen. Hierfür sind ebenso konsequente wie langfristige Absprachen und Aufgabenteilungen erforderlich. Diese existieren jedoch nicht. Stattdessen nehmen eher die Dopplungen zu. Exemplarisch hierfür stehen die Einrichtung der EU-Grundrechteagentur und die Untersuchung der ‚CIA-Affäre’.16 An die Stelle von Doppelarbeiten und Spannungen sollte eine arbeitsteilige und Synergien schaffende Kooperation von Europarat und EU im Rahmen einer europäischen Stabilitätspolitik treten. Diese europäische Stabilitätspolitik hätte einen Innen- und eine Außendimension. Die Innendimension bezöge sich insbesondere auf die ‚unfreiwilligen EU14
Die Ausnahme war Russland, dessen Außenminister am Treffen des Jahres 2006 teilnahm. Siehe Kap. 3.8. 16 Vgl. Brummer (2008). 15
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Ausblick: Eine Zukunftsagenda für den Europarat
Outsider’, sprich auf diejenigen Staaten, die zwar in die EU wollen, die auf absehbare Zeit jedoch die Beitrittskriterien nicht erfüllen werden (z. B. die Ukraine, Georgien). Die Außendimension beträfe die weiter oben schon angeführten Staaten und Regionen in der Nachbarschaft des Europarats. Die Arbeitsteilung zwischen Europarat und EU könnte derart aussehen, dass der Europarat gegenüber den EU-Outsidern, die ja ohnehin bereits Mitglieder der Organisation sind, und den Staaten in seiner Nachbarschaft die zentrale europäische Institution für die Vermittlung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit wäre. Die EU würde die Aktivitäten des Europarats unterstützen, beispielsweise in Form der schon bestehenden Gemeinsamen Programme, deren Adressatenkreis auf Nichtmitglieder des Europarats ausgedehnt werden könnte. Das gemeinsame Vorgehen von Europarat und EU ließe es der Union selbstredend offen, mit den angeführten Staaten in anderen Themenfeldern (Energie, Verteidigung etc.) nach Belieben zu kooperieren. Die skizzierte strategische Kooperation brächte für beide Organisationen Vorteile. Der Europarat könnte seine Bedeutung und Zukunftsfähigkeit demonstrieren, wenn sich seine Aktivitäten ebenso gezielt wie nachvollziehbar in den Kontext einer institutionenübergreifenden europäischen Stabilitätspolitik stellen ließen. Die EU, deren Mitglieder allesamt dem Europarat angehören, erhielte ihrerseits ein wenig Luft, die sie für ihre nach den jüngsten Erweiterungen weiterhin offene Konsolidierung im Innern sowie Positionsfindung nach außen braucht. Bei dieser Anregung wie auch bei den fünf vorhergehenden Vorschlägen gilt: Politischer Wille und strategische Weitsicht seitens der Europaratsstaaten werden es sein, die über die Zukunft des Europarats entscheiden. 2009 feiert der Europarat seinen 60. Geburtstag. Trotz seiner Schwächen, und wegen seiner noch nicht erfüllten Mission in Form der europaweiten Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, hätte der Europarat eine Feier sowie insgesamt eine Zukunft inmitten und nicht am Rande des europäischen Integrationsprozesses verdient.
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In den Fußnoten des Buches werden die offiziellen Kürzel bzw. Dokumentennummern benutzt. Bei Dokumenten ohne Kürzel/Dokumentennummer wurden Verweise eingeführt, um eine Kurzangabe in den Fußnoten des Buches zu ermöglichen. Internetquellen sind ausschließlich in den Fußnoten angegeben.
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CM (98) 178: Committee of Ministers: Committee of Wise Persons. Final Report to the Committee of Ministers (20.10.1998) CM (99) 58 revised2: Committee of Ministers: Revised Criteria for the Granting of Observer Status with the Council of Europe (24.6.1999) CM (2000) 38: Committee of Ministers: Relations with the United Nations. Parliamentary Assembly Recommendation 1411 (1999). Exploratory report by the Rapporteur, Ambassador Erkki Kourula, Permanent Representative of Finland (10.3.2000) CM (2000) 52: Committee of Ministers: Relations between the Council of Europe and the OSCE. Common Catalogue of Co-operation Modalities (restricted) (25.4.2000) CM (2000) 172 (Part I): Committee of Ministers: 729 meeting, 15 November 2000. 4.4 European Ministerial Conference on Human Rights (Rome, 3-4 November 2000). Report of the Secretary General (restricted) (14.11.2000) CM (2001) 72: Committee of Ministers: 108th Session (Strasbourg, 10 and 11 May 2001): Summary of Committee of Ministers’ reflections on institutional matters (7.5.2001) CM (2004) 22: Committee of Ministers: 873 meeting, 18 February 2004: 2.3 Monitoring Group (GTSUIVI.AGO) – 4th Progress Report (13.4.2004) CM (2004) 60 revised: Committee of Ministers: 1.6 The role of Ministerial Sessions, Ministers’ Deputies, Conferences of Specialised Ministers and Steering Committees in setting priorities and follow-up of implementation (23.4.2004) CM (2005) 79 final: Committee of Ministers: Third Summit of Heads of State and Government of the Council of Europe (Warsaw, 16-17 May 2005). Warsaw Declaration (17.5.2005) CM (2005) 80 final: Committee of Ministers: Third Summit of Heads of State and Government of the Council of Europe (Warsaw, 16-17 May 2005). Action Plan (17.5.2005) CM (2005) 181 revised: Committee of Ministers: 1.5 Working methods of the Ministers’ Deputies – Discipline, efficiency, productivity, transparency. Guidelines for the reform and modernisation of the Committee’s working methods (15.12.2005) CM (2006) 15: Committee of Ministers: Programme of Activities for 2006. Document prepared by the Directorate of Strategic Planning (31.1.2006) CM (2006) 88: Committee of Ministers: Interim report of the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers (10.5.2006) CM (2006) 168: Committee of Ministers: Rationalisation of intergovernmental committees. Proposals by the Chair of GT-REF.INST (27.9.2006) CM (2006) 203: Committee of Ministers: Report of the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers (15.11.2006) CM (2007) 4: Committee of Ministers: Programme of Activities for 2007. Document prepared by the Directorate of Strategic Planning (1.2.2007) CM (2007) 46 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007). Follow-up to the Third Summit (Warsaw, 16-17 May 2005). Implementation of the Action Plan, Chapter V – Progress Report (7.5.2007) CM (2007) 53 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007) – Steering Committee for Human Rights (CDDH) – Interim Report: sustained action to ensure the effectiveness of the implementation of the European Convention on Human Rights at national and European levels (7.5.2007) CM (2007) 65 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007). Communiqué (11.5.2007) CM (2007) 66 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007). Conclusions of the Chair (11.5.2007) CM (2007) 74: Committee of Ministers: Memorandum of Understanding between the Council of Europe and the European Union (10.05.2007) CM (2007) 75 addendum 1 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007). Addendum 1 to the report by the high-level group entrusted
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with examining the follow-up to the Juncker report. Progress Report on the follow-up given todate to the Juncker report (11.5.2007) CM (2007) 75 addendum 2 final: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007). Addendum 2 to the report by the high-level group entrusted with examining the follow-up to the Juncker report. Comments by the Commissioner for Human Rights on the report of Prime Minister Juncker (11.5.2007) CM (2007) 76: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 1011 May 2007). Report on the implementation of the Warsaw Action Plan (10.5.2007) CM (2007) 104: Committee of Ministers: 117th Session of the Committee of Ministers (Strasbourg, 10-11 May 2007) – Follow up (1.6.2007) CM (2006) PV addendum: Committee of Ministers: 116th Session, 19 May 2006. Addendum to the Minutes of the sitting held at the Palais de l’Europe, Strasbourg (22.5.2006) CM (2007) PV addendum: Committee of Ministers: 117th Session, 11 May 2007. Addendum to the Minutes of the sitting held at the Palais de l’Europe, Strasbourg (14.5.2007) CM/AS (2003) 8: Committee of Ministers: Communication on the activities of the Committee of Ministers. Report by the Moldovan Chair of the Committee of Ministers to the Parliamentary Assembly (1 October 2003) (1.10.2003) CM/AS (99) Recommendation 1212 final: Committee of Ministers: Adoption of a Revised Statute of the Council of Europe. Recommendation 1212 (1993) of the Parliamentary Assembly (7.7.1999) CM/AS (2000) Recommendation 1456 final: Committee of Ministers: Conflict in the Chechen Republic – Reply to Recommendation 1456 (2000) of the Parliamentary Assembly (27.6.2000) CM/AS (2001) Recommendation 1511 final: Committee of Ministers: Cultural Situation in Kosovo (16.1.2002) CM/AS (2002) Recommendation 1536 final: Committee of Ministers: On Progress of the Assembly’s monitoring procedure (2000-2001) (9.1.2002) CM/AS (2003) Recommendation 1600 final: Committee of Ministers: The human rights situation in the Chechen Republic. Parliamentary Assembly Recommendation 1600 (2003) (2.6.2003) CM/AS (2003) Recommendation 1567 final: Committee of Ministers: Parliamentary Assembly Recommendation 1567 on Parliamentary scrutiny of international institutions (23.1.2003) CM/AS (2005) Recommendation 1684 final: Committee of Ministers: Implementation of judgments of the European Court of Human Rights – Parliamentary Assembly Recommendation 1764 (2006). Reply adopted by the Committee of Ministers on 13 July 2005 at the 935th meeting of the Ministers’ Deputies (18.7.2005) CM/AS (2006) Recommendation 1745 final: Committee of Ministers: Belarus in the aftermath of the Presidential election of 19 March 2006. Parliamentary Assembly Recommendation 1745 (2006). Reply adopted by the Committee of Ministers on 13 September 2006 at the 973rd meeting of the Ministers’ Deputies (18.9.2006) CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov: Committee of Ministers: Belarus in the aftermath of the Presidential election of 19 March 2006. Parliamentary Assembly Recommendation 1745 (2006). Draft reply prepared by the Secretariat. Item to be considered by GR-DEM at its meeting of 6 July 2006 (4.9.2006) CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov2: Committee of Ministers: Belarus in the aftermath of the Presidential election of 19 March 2006. Parliamentary Assembly Recommendation 1745 (2006). Revised draft reply. Item to be considered by GR-DEM at its meeting of 7 September 2006 (4.9.2006) CM/AS (2006) Recommendation 1745 prov3: Committee of Ministers: Belarus in the aftermath of the Presidential election of 19 March 2006. Parliamentary Assembly Recommendation 1745 (2006). Revised draft reply (7.9.2006) CM/AS (2007) Recommendation 1728-1763 final: Committee of Ministers: Budgetary Powers of the Council of Europe – Parliamentary Assembly Recommendation 1728 (2005). The Institutional Balance at the Council of Europe – Parliamentary Assembly Recommendation 1763 (2006). Re-
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ply adopted by the Committee of Ministers on 21 March 2007 at the 990th meeting of the Ministers’ Deputies (23.3.2007) CM/AS (2007) Recommendation 1753 final: Committee of Ministers: External relations of the Council of Europe. Parliamentary Assembly Recommendation 1753 (2006). Reply adopted by the Committee of Ministers on 18 January 2007 at the 984th meeting of the Ministers’ Deputies (19.1.2007) CM/AS (2007) Recommendation 1764 final: Committee of Ministers: Implementation of decisions of the European Court of Human Rights – Parliamentary Assembly Recommendation 1684 (2004). Reply adopted by the Committee of Ministers on 28 March 2007 at the 991st meeting of the Ministers’ Deputies (30.3.2007) CM/Cong (2000) Recommendation 82 final: Committee of Ministers: On the situation of local democracy in “the former Yugoslav Republic of Macedonia” (6.9.2000) CM/Cong (2007) Recommendation 162 final: Committee of Ministers: Revision of the Charter of the Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe – Recommendation 162 (2005) of the Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe. Reply adopted by the Committee of Ministers on 2 May 2007 at the 994th meeting of the Ministers’ Deputies (7.5.2007) CM/Del/Dec (94) 519bis: Committee of Ministers: 519bis meeting, 04 November 1994 – decisions adopted (4.11.1994) CM/Del/Dec (94) 535: Committee of Ministers: Procedure for Implementing the Declaration of 10 November 1994 on Compliance with Commitments Accepted by Member States of the Council of Europe (adopted by the Committee of Ministers on 20 April 1995 at the 535th meeting of the Ministers’ Deputies) (20.4.1995) CM/Del/Dec (2004) 907/2.2: Committee of Ministers: Compliance with commitments accepted by member states of the Council of Europe – Committee of Ministers’ revised thematic monitoring procedure – Choice for new themes (24.11.2004) CM/Del/Dec (2007) 994 bis/1.2: Committee of Ministers: Communication from the Secretary General and the Deputy Secretary General – Staff matters (7/9.5.2007) CM/Del/Dec (2007) 1001/1.7: Committee of Ministers: Co-operation between the Council of Europe and the European Agency for Fundamental Rights – Appointment of an independent person to sit on the organs of the Agency (5.7.2007) CM/Del/Dec (2007) 1001/12.1b: Committee of Ministers: Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe. 14th Plenary Session of the Congress (Strasbourg, 30 May – 1 June 2007) – Texts adopted (Compendium of adopted texts) (5.7.2007) CM/Inf (97) 66: Committee of Ministers: Relations between the Council of Europe and NonGovernmental Organisations. Note prepared by the Directorate of Political Affairs, External Relations Division (restricted) (3.4.1997) CM/Inf (99) 26: Committee of Ministers: Draft Resolution [(99) 50] on the Council of Europe Commissioner for Human Rights: Explanatory Note on [draft] Resolution [(99) 50] on the Council of Europe Commissioner for Human Rights (26.4.1999) CM/Inf (2000) 53: Committee of Ministers: Relations between the Council of Europe and the United Nations. Summary Report of the exchange of views between the Ministers’ Deputies and Mr Kofi Annan, Secretary General of the United Nations (Strasbourg, 3 October 2000) (restricted) (9.10.2000) CM/Inf (2006) 40: Committee of Ministers: 16th “3+3” High-level meeting (New York, 21 September 2006). Report prepared by the Chair (26.9.2006) CM/Inf (2006) 41: Committee of Ministers: 4th meeting of the Co-ordination Group between the Council of Europe and the OSCE (Strasbourg, 29 September 2006) (6.10.2006) CM/Inf (2006) 44: Committee of Ministers: Enhancing synergies between the Council of Europe’s and the United Nation’s work on human rights questions (9.10.2006)
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CM/Inf (2006) 46 revised: Committee of Ministers: 23rd Council of Europe/European Union Quadripartite meeting (Brussels, 3 November 2006). Report prepared by the Chairmanship of the Committee of Ministers (15.11.2006) CM/Inf (2007) 1: Committee of Ministers: Meetings and documentation of the Committee of Ministers (12.1.2007) CM/Inf (2007) 15 revised: Committee of Ministers: Programme of Activities 2006. Progress Review Report. Document prepared by the Directorate for Strategic Planning (28.3.2007) CM/Inf (2007) 22: Committee of Ministers: Working methods of the Ministers’ Deputies. Voting procedures for meetings of the Ministers’ Deputies (14.5.2007) CM/Inf (2007) 25: Committee of Ministers: Priorities of the Serbian Chairmanship of the Committee of Ministers of the Council of Europe (May – November 2007) (11.5.2007) CM/Inf (2007) 27: Committee of Ministers: 17th High-level “2+2” meeting between the Council of Europe and the OSCE (Madrid, 3 May 2007) (15.5.2007) CM/Inf (2007) 36: Committee of Ministers: Forthcoming Conferences of Specialised Ministers (9.7.2007) CM/Monitor (2000) 15: Committee of Ministers: Compliance with member States’ commitments. Committee of Ministers Declaration of 10 November 1994: Referral of a question to the Committee of Ministers by the Secretary General by virtue of paragraph 1 of the 1994 Declaration (restricted) (1.9.2000) CM/Monitor (2003) 8 final2: Committee of Ministers: Compliance with commitments by member states – Declaration of the Committee of Ministers of 10 November 1994. Chairman’s summingup following the 836th meeting (in camera) (15 April 2003) (11.6.2003) CM/Monitor (2004) 6: Committee of Ministers: 901 meeting, 21 October 2004: Compliance with member states’ commitments. Freedom of Expression and Information. Information provided by member states (restricted) (23.7.2004) CM/Monitor (2004) 8: Committee of Ministers: 901 meeting (in camera), 21 October 2004. 2.2 Compliance with commitments accepted by member states of the Council of Europe. Revised thematic monitoring procedure: proposals for themes (13.10.2004) CM/Monitor (2004) 10 final: Committee of Ministers: Acting Chairman’s summing-up following the 901st meeting (in camera) of 21 October 2004 (26.11.2004) CM/Res (2007) 7: Committee of Ministers: Resolution Inviting the Republic of Montenegro to become a member of the Council of Europe (9.5.2007) CM/Res (2007) 8: Committee of Ministers: Resolution establishing the Enlarged Partial Agreement on Sport (EPAS) (11.5.2007) CommDH (2001) 3: Commissioner for Human Rights: Report by Mr Alvaro Gil-Robles, Commissioner for Human Rights, on his visit to the Russian Federation and the Republic of Chechnya. 25th February to the 4th March 2001 (14.3.2001) CommDH (2001) 9: Commissioner for Human Rights: Annual Report October 15th 1999 to April 1st 2001, to the Committee of Ministers and the Parliamentary Assembly (23.4.2001) CommDH (2003) 5: Commissioner for Human Rights: Report by the Commissioner for Human Rights, Mr Alvaro Gil-Robles on his visit to the Russian Federation (Chechnya and Ingushetia) from 10 to 16 February 2003 (4.3.2003) CommDH (2006) 4: Commissioner for Human Rights: Report on his visit to the Chechen Republic of the Russian Federation, 25-26 February 2006 (15.3.2006) CommDH (2007) 3: Commissioner for Human Rights: Annual Activity Report 2006. Presented to the Committee of Ministers and the Parliamentary Assembly (11.4.2007) CommDH (2007) 4: Commissioner for Human Rights: 1st Quarterly Activity Report 2007. 1st January to 31st March 2007 (11.4.2007) CommDH (2007) 6: Commissioner for Human Rights: Initial Conclusions of the visit of the Commissioner for Human Rights in the Chechen Republic of the Russian Federation (27 February through 1 March 2007) (6.3.2007)
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CommDH (2007) 14: Commissioner for Human Rights: Report on his visit to Germany, 9-11 and 1520 October 2006 (11.7.2007) CommDH (2008) 3: Commissioner for Human Rights. 4th Quarterly Activity Report 2007. 1st October to 31st December 2007 (16.1.2008) CommDH/Omb-NHRI (2007) 16: Commissioner for Human Rights: 10th Round Table of European Ombudsmen and the Council of Europe Commissioner for Human Rights, 10th Anniversary of the Greek Ombudsman’s Office, with the special participation of National Human Rights Institutions. Athens, 12-13 April 2007 (20.6.2007) CommDH/Recommendation (2002) 1: Commissioner for Human Rights: Concerning certain rights that must be guaranteed during the arrest and detention of persons following ‚cleansing‘ operations in the Chechen Republic of the Russian Federation (30.5.2002) Common Pressline (2007): Council of Europe: 24th Quadripartite Meeting between the Council of Europe and the European Union (Brussels, 13 February 2007). Common Pressline of the Two Presidencies (13.2.2007) Congress Session Handbook (2007): Congress of Local and Regional Authorities: Session Handbook 2007/2008 (Mai 2007) CPL (7) 8 Part II (2000): Congress of Local and Regional Authorities: Report on Local and Regional Democracy in “The Former Yugoslav Republic of Macedonia” (15.4.2000) CPL (14) 2REP (2007): Congress of Local and Regional Authorities: Local democracy in “The former Yugoslav Republic of Macedonia” (4.5.2007) CPT/Inf (93) 1: Committee on the Prevention of Torture: Public Statement on Turkey (15.12.1992) CPT/Inf (96) 34: Committee on the Prevention of Torture: Public Statement on Turkey (6.12.1996) CPT/Inf (2001) 6: Committee on the Prevention of Torture: Report to the Government of the United Kingdom on the visit to Northern Ireland carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 29 November to 8 December 1999 (3.5.2001) CPT/Inf (2001) 15: Committee on the Prevention of Torture: Public Statement concerning the Chechen Republic of the Russian Federation (made on 10 July 2001) (10.7.2001) CPT/Inf (2002) 15: Committee on the Prevention of Torture: 12th General Report on the CPT’s activities covering the period 1 January to 31 December 2001 (3.9.2002) CPT/Inf (2003) 3: Committee on the Prevention of Torture: Report to the Government of „the former Yugoslav Republic of Macedonia“ on the visit to „the former Yugoslav Republic of Macedonia“ carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 to 26 October 2001 (16.1.2003) CPT/Inf (2003) 5: Committee on the Prevention of Torture: Report to the Government of „the former Yugoslav Republic of Macedonia“ on the visit to „the former Yugoslav Republic of Macedonia“ carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 15 to 19 July 2002 (16.1.2003) CPT/Inf (2003) 33: Committee on the Prevention of Torture: Public statement concerning the Chechen Republic of the Russian Federation (made on 10 July 2003) (10.7.2003) CPT/Inf (2006) 36: Committee on the Prevention of Torture: Report to the Government of “the former Yugoslav Republic of Macedonia“ on the visit to “the former Yugoslav Republic of Macedonia“ carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 12 to 19 July 2004 (15.11.2006) CPT/Inf (2007) 17: Committee on the Prevention of Torture: Public Statement concerning the Chechen Republic of the Russian Federation (made on 13 March 2007) (13.3.2007) CPT/Inf (2007) 18: Committee on the Prevention of Torture: Report to the German Government on the visit to Germany carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 20 November to 2 December 2005 (18.4.2007) CPT/Inf (2008) 5: Committee on the Prevention of Torture: Report to the Government of “the former Yugoslav Republic of Macedonia” on the visit to the “former Yugoslav Republic of Macedonia”
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carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 15 to 26 May 2006 (13.2.2008) CPT/Inf/E (2002) 1 revised 2006: Committee on the Prevention of Torture: The CPT Standards. “Substantive” sections of the CPT’s General Reports (o. D.) CPT News Flash (2007): Committee on the Prevention of Torture: Council of Europe Anti-Torture Committee visits “the former Yugoslav Republic of Macedonia” (22.10.2007) CPT Press Release (2000): Committee on the Prevention of Torture: Situation in the North Caucasus: Russian Authorities release observations by Council of Europe Anti-Torture Committee delegation (3.4.2000) CRI (99) 53 revised 7: European Commission against Racism and Intolerance: ECRI and its Programme of Activities (September 2006) CRI (2004) 23: Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz: Dritter Bericht über Deutschland. Verabschiedet am 5. Dezember 2003 (8.6.2004) CRI (2007) 21: European Commission against Racism and Intolerance: Annual Report on ECRI’s Activities covering the period from 1 January to 31 December 2006 (May 2007) Declaration-1 (1989): Committee of Ministers: Declaration on the Future Role of the Council of Europe in European Construction (5.5.1989) Declaration-1 (1994): Committee of Minister: Declaration on Compliance with Commitments Accepted by Member States of the Council of Europe (10.11.1994) Declaration-1 (1999): Committee of Ministers: The Budapest Declaration for a Greater Europe without Dividing Lines (7.5.1999) Declaration-1 (2004): Committee of Ministers: Declaration of the Committee of Ministers of the Council of Europe on recent events in Kosovo (25.3.2004) Declaration-2 (2004): Committee of Ministers: Declaration by the Chair on the terrorist attacks in Chechnya (13.5.2004) Declaration-3 (2004): Committee of Ministers: Declaration by the Committee of Ministers on the terrorist assault in Beslan (9.9.2004) Declaration-4 (2004): Committee of Ministers: Ensuring the effectiveness of the implementation of the European Convention on Human Rights at national and European levels. Declaration (12.5.2004) Declaration-1 (2006): Committee of Ministers: Declaration of the Committee of Ministers on the guarantee of the independence of public service broadcasting in the member states (27.9.2006) Declaration-2 (2006): Committee of Ministers: Declaration on sustained action to ensure the effectiveness of the implementation of the European Convention on Human Rights at national and European levels (19.5.2006) Declaration-1 (2007): Committee of Ministers: Declaration of the Committee of Ministers on the occasion of the 1000th meeting of the Ministers’ Deputies (Belgrade, 22 June 2007): One Europe – Our Europe (22.6.2007) Declaration-2 (2007): Committee of Ministers: Chair of the Council of Europe’s Committee of Ministers: Declaration on the “presidential elections” to be held in Nagarno Karabakh on 19 July 2007 (12.7.2007) Declaration-3 (2007): Committee of Ministers: Declaration of the Committee of Ministers on protecting the role of the media in democracy in the context of media concentration (31.1.2007) DSP (2005) 74: Secretariat of the Council of Europe: Preparation and Management of the European Commission – Council of Europe Joint Programme Steering Committees (7.12.2005) EUROCONF (2000) 1 final: Political Declaration adopted by the Ministers of the Council of Europe member States on Friday 13 October 2000 at the concluding session of the European Conference against Racism (13.10.2000) Europäischer Rat (2003): Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (12.12.2003) Explanatory Report (1994): Council of Europe: Protocol No. 11 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, restructuring the control machinery established therein. Explanatory Report (o. D.)
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Explanatory Report (2004): Council of Europe: Protocol No. 14 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, amending the control system of the Convention. Explanatory Report (o. D.) GO-Kongress (2002): Congress of Local and Regional Authorities: Rules of Procedure. Revised by the Congress at its 9th Plenary Session on 4 June 2002 (4.6.2002) GO-KMB (42005): Committee of Ministers: Rules of Procedure for the meetings of the Ministers’ Deputies (4th revised edition: 2005) GO-MK (52005): Committee of Ministers: Rules of Procedure of the Committee of Ministers (5th revised edition: 2005) GO-PV (2002): Parliamentary Assembly: Rules of Procedure of the Assembly (Resolution 1202 (1999) adopted on 4 November 1999) with subsequent modifications of the Rules of Procedure and Statute of the Council of Europe (18.4.2002) Gorbatschow (1989): Ansprache des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats am 6. Juli 1989. Die Rede ist abgedruckt in: Europa-Archiv. Dokumente. 44. Jahrgang, D587-D595. GR-DEM (2006) CB6: Committee of Ministers: GR-DEM Rapporteur Group on Democracy. Synopsis. Meeting of 11 May 2006 (17.5.2006) GR-DEM (2006) CB7: Committee of Ministers: GR-DEM Rapporteur Group on Democracy. Synopsis. Meeting of 8 June 2006 (14.6.2006) GR-DEM (2006) CB8 revised: Committee of Ministers: GR-DEM Rapporteur Group on Democracy. Synopsis. Meeting of 6 July 2006 (11.7.2006) GR-DEM (2006) CB9: Committee of Ministers: GR-DEM Rapporteur Group on Democracy. Synopsis. Meeting of 7 September 2006 (12.9.2006) H/Inf (2007) 2: Directorate General of Human Rights: Practical Impact of the Council of Europe human rights mechanisms in improving respect for human rights in member states (April 2007) Juncker-Bericht (2006): Jean-Claude Juncker: Europarat – Europäische Union: Eine einheitliche Zielstellung für den europäischen Kontinent (deutsche Übersetzung) (11.04.2006) L 53 (2007): Rat der Europäischen Gemeinschaft: Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates vom 15. Februar 2007 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, in: Amtsblatt der Europäischen Union (15.2.2007) MCL-14 (2005) 4 final: Conference of European ministers responsible for local and regional government: Declaration of the Budapest Ministerial Conference on delivering good local and regional governance (25.2.2005) MJU-27 (2006) 2: Secretary General: 27th Conference of European Ministers of Justice. Yerevan (1213 October 2006). Follow-up to Resolutions No. 1,2,3,4 and 5, adopted in Helsinki at the 26th Conference of European Ministers of Justice. Report presented by the Secretary General of the Council of Europe (o. D.) MJU-27 (2006) Resolution 1 final: European Ministers of Justice: 27th Conference of European Ministers of Justice (Yerevan, Armenia 12-13 October 2006): Resolution No. 1 on victims of crime (13.10.2006) Monitor/Inf (2000) 1: Monitoring Unit: Monitoring of Compliance with Commitments entered into by Council of Europe Member States: An Overview. Document prepared by the Secretary General’s Monitoring Unit (6.3.2000) Monitor/Inf (2004) 2: Directorate of Strategic Planning: Council of Europe Monitoring Procedures: An Overview (5.4.2004) Monitor/Inf (2004) 3 addendum: Directorate of Strategic Planning: Compliance with Member States’ Commitments: The Committee of Ministers’ Monitoring Procedure (29.4.2004) Monitor/Inf (2004) 4: Directorate of Strategic Planning: Committee of Ministers’ Thematic Monitoring Procedure: New Modalities (15.9.2004) Monitor/Inf (2005) 1: Directorate of Strategic Planning: Compliance with Member States’ Commitments: The Committee of Ministers’ Monitoring Procedure. Secretariat Memorandum prepared
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by the Monitoring and Co-ordination Department of the Directorate of Strategic Planning (19.1.2005) Moscow Forum General Rapporteur’s Conclusions (2006): Forum for the Future of Democracy: The Role of Political Parties in the Building of Democracy. Moscow, 18-19 October 2006. Final Conclusions by the General Rapporteur Mr Mikko Elo (o. D.) Newsletter (2007): Newsletter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: EU-Grundrechteagentur kann Tätigkeit zum 1. März 2007 aufnehmen (15.02.2007) OING Conf (2006) RAPACTREG: INGO Conference: 2006 activity report of the groupings (o. D.) OING Conf (2007) CR1: INGO Conference: Report on the first meeting of the Conference of INGOs in 2007 (30.1.2007) OING Conf (2007) CR2: INGO Conference: Report on the second meeting of the INGO Conference in 2007 (26.6.2007) Opinion 69 (1974): Parliamentary Assembly: On the readmission of Greece to the Council of Europe (27.11.1974) Opinion 191 (1995): Parliamentary Assembly: On the application by the former Yugoslav Republic of Macedonia for membership of the Council of Europe (27.9.1995) Opinion 234 (2002): Parliamentary Assembly: Bosnia and Herzegovina’s application for membership of the Council of Europe (22.1.2002) Opinion 246 (2003): Parliamentary Assembly: Relations between the Council of Europe and nongovernmental organisations (29.9.2003) Opinion 261 (2007): Parliamentary Assembly: Accession of the Republic of Montenegro to the Council of Europe (17.4.2007) Opinion 264 (2007): Parliamentary Assembly: Budgets of the Council of Europe for the financial year 2008 (24.5.2007) Opinion 363 (2005): European Commission for Democracy Through Law: Opinion on the International Legal Obligations of Council of Europe Member States in Respect of Secret Detention Facilities And Inter-State Transport of Prisoners (17.03.2006) Order 488 (1993): Parliamentary Assembly: On the honouring of commitments entered into by new member states (29.6.1993) Order 508 (1995): Parliamentary Assembly: On the honouring of obligations and commitments by member states of the Council of Europe (26.4.1995) OSZE-Jahresbericht (2006): Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Jahresbericht über die Aktivitäten der OSZE 2006 (o. D.) Preliminary Statement (2007): Council of Europe Election Observation Mission in Kosovo: Preliminary Statement (18.11.2007) Press Release 349 (99): Council of Europe: Steep rise in workload for European Court of Human Rights (21.6.1999) Press Release 586 (2006): Council of Europe: Signatures and ratifications of Council of Europe treaties on the occasion of the 27th Conference of European Ministers of Justice (12.10.2006) Press Release 102 (2007): Council of Europe: SG – European Fundamental Rights Agency (15.02.2007) Press Release 108 (2007): Council of Europe: Annual High-level meeting between the Council of Europe, the Organization for Security and Co-operation in Europe, the United Nations and partner organizations in the “Tripartite-Plus” format (16.2.2007) Press Release 190 (2007): European Court of Human Rights: Inter-state application brought by Georgia against the Russian Federation. Press release issued by the Registrar (27.3.2007) Press Release 544 (2007): Council of Europe: PACE to observe parliamentary elections in Kazakhstan (14.8.2007) Press Release 726 (2007): Council of Europe: European Ministers of Justice request the Council of Europe to develop child-friendly justice (26.10.2007)
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Press Release 750 (2007): Council of Europe: Terry Davis: “Key parts of the EU Commission’s antiterrorist package duplicate the 2005 Council of Europe Convention on the Prevention of Terrorism” (7.11.20007) Press Release 760 (2007): Council of Europe: PACE monitoring co-rapporteurs on snap visit to Georgia (8.11.2007) Press Release 767 (2007): Council of Europe: Russia’s Parliamentary Elections: political stability and economic growth should go hand in hand with strengthening democracy (9.11.2007) Press Release 771 (2007): Council of Europe: Challenges in the fight against racism and intolerance in Ireland: ECRI Round Table in Dublin (12.11.2007) Press Release 798 (2007): Council of Europe: Council of Europe Secretary General Terry Davis welcomes the lifting of the state of emergency in Georgia (16.11.2007) Press Release 801 (2007): Council of Europe: Council of Europe Elections Observation Mission in Kosovo (CEEOM V): Elections in line with international standards but alarmingly low turn-out (18.11.2007) Press Release 849 (2007): Council of Europe: PACE President calls to commute the death sentences of three sentenced in Belarus (28.11.2007) Press Release 867 (2007): Council of Europe: Russian Duma elections ‘not held on a level playing field’, say parliamentary observers (3.12.2007) Press Release 869 (2007): Council of Europe: The Committee of Ministers supervises the execution of judgments of the European Court of Human Rights (3.12.2007) Press Release 871 (2007): Council of Europe: Council of Europe anti-torture Committee: visits in 2008 (4.12.2007) Press Release 903 (2007): Council of Europe: Kosovo Mayoral Elections, 2nd round: in line with international standards, but lack of participation remains concern (10.12.2007) Press Release 004 (2008): Council of Europe: Georgian election in essence consistent with most commitments but challenges must be addressed urgently (6.1.2008) Press Release 013 (2008): Council of Europe: PACE rapporteur on Belarus welcomes early release of Dimitri Dashkevich (24.1.2008) Press Release 070 (2008): Council of Europe: PACE delegation to visit Moscow ahead of Russia’s Presidential election (1.2.2008) Press Release 086 (2008): Council of Europe: Council of Europe Secretary General Terry Davis condemns executions in Belarus (6.2.2008) Pressemitteilung 312 (2004): Europarat: Der britische Parlamentarier Terry Davis wird neuer Generalsekretär des Europarates (22.6.2004) Pressemitteilung 150 (2007): Europarat: Generalsekretär des Europarates verurteilt Anschlag auf serbisch-orthodoxe Kirche im Kosovo (7.3.2007) Pressemitteilung 346 (2007): Europarat: Europarats-Generalsekretär begrüßt Einigung „von Ukrainern für die Ukrainer“ (27.5.2007) Pressemitteilung 450 (2007): Europarat: Maud de Boer-Buquicchio als Stellvertretende Generalsekretärin des Europarats wiedergewählt (26.6.2007) Pressemitteilung 551 (2007): Europarat: Reaktion des Generalsekretärs auf drei Hinrichtungen in Japan (23.8.2007) Pressemitteilung 664 (2007): Europarat: Wahlen am 17. November: Langzeitbeobachter des Europarates im Kosovo eingetroffen (9.10.2007) Pressmitteilung 706 (2007): Europarat: Treffen des Europarats und der Europäischen Union (22.10.2007) Pressemitteilung 767 (2007): Europarat: Parlamentswahlen in Russland: Neben der Wirtschaft und der politischen Stabilität muss auch die Demokratie gestärkt werden (9.11.2007) Pressemitteilung 774 (2007): Europarat: Beobachtungsmission des Europarats im Kosovo: 150 Kurzzeitbeobachter treffen sich (12.11.2007) Pressemitteilung 831 (2007): Europarat: Parlamentarische Versammlung beobachtet Parlamentswahlen in Russland (23.11.2007)
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Pressemitteilung 847 (2007): Europarat: Parlamentarische Versammlung des Europarates und Europäisches Parlament unterzeichnen Kooperationsvereinbarung (28.11.2007) Pressemitteilung 867 (2007): Europarat: Die Wahlen zur Duma in Russland fanden nicht unter fairen Wettbewerbsbedingungen statt, sagen parlamentarische Beobachter (3.12.2007) Pressemitteilung 925 (2007): Europarat: Jan Helgesen neuer Präsident der Venedig-Kommission (17.12.2007) Recommendation (2001) 19: Committee of Ministers: Recommendation on the Participation of Citizens in Local Public Life (6.12.2001) Recommendation (2004) 12: Committee of Ministers: Recommendation on the processes of reform of boundaries and/or structure of local and regional authorities (20.10.2004) Recommendation (2005) 2: Committee of Ministers: Recommendation on good practice in and the removal of obstacles to transfrontier and interterritorial co-operation (19.1.2005) Recommendation (2006) 8: Committee of Ministers: Recommendation on assistance to crime victims (14.6.2007) Recommendation 82 (2000): Congress of Local and Regional Authorities: Recommendation on the situation of local democracy in “the former Yugoslav Republic of Macedonia” (25.5.2000) Recommendation 162 (2005): Congress of Local and Regional Authorities: Recommendation on the revision of the Charter of the Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe (31.5.2005) Recommendation 217 (2007): Congress of Local and Regional Authorities: Local democracy in “the former Yugoslav Republic of Macedonia” (1.6.2007) Recommendation 547 (1969): Parliamentary Assembly: Recommendation on the situation in Greece (30.1.1969) Recommendation 1212 (1993): Parliamentary Assembly: Recommendation on the adoption of a revised Statute of the Council of Europe (11.5.1993) Recommendation 1231 (1994): Parliamentary Assembly: Recommendation on the follow-up to the Council of Europe Vienna Summit (26.1.1994) Recommendation 1444 (2000): Parliamentary Assembly: The conflict in Chechnya (27.1.2000) Recommendation 1456 (2000): Parliamentary Assembly: Conflict in the Chechen Republic – Implementation by the Russian Federation of Recommendation 1444 (2000) (6.4.2000) Recommendation 1536 (2001): Parliamentary Assembly: Progress of the Assembly’s monitoring procedure (2000-2001) (26.9.2001) Recommendation 1600 (2003): Parliamentary Assembly: The human rights situation in the Chechen Republic (2.4.2003) Recommendation 1743 (2006): Parliamentary Assembly: Memorandum of Understanding between the Council of Europe and the European Union (13.04.2006) Recommendation 1744 (2006): Parliamentary Assembly: Follow-up to the 3rd Summit: the Council of Europe and the proposed fundamental rights agency of the European Union (13.04.2006) Recommendation 1753 (2006): Parliamentary Assembly: External relations of the Council of Europe (26.6.2006) Recommendation 1763 (2006): Parliamentary Assembly: The institutional balance at the Council of Europe (2.10.2006) Recommendation 1764 (2006): Parliamentary Assembly: Implementation of judgements of the European Court of Human Rights (2.10.2006) Recommendation 1791 (2007): Parliamentary Assembly: State of human rights and democracy in Europe (18.4.2007) Recommendation 1801 (2007): Parliamentary Assembly: Secret detentions and illegal transfer of detainees involving Council of Europe member states: second report (27.06.2007) Recommendation 1827 (2007): Parliamentary Assembly: The Council of Europe and its observer states – the current situation and a way forward (23.1.2008) Registry (2006): Registry of the European Court of Human Rights: Rules of Court (July 2006) Registry (2007): Registry of the European Court of Human Rights: Survey of Activities 2006 (o. D.)
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Registry (2008): Registry of the European Court of Human Rights: Survey of Activities 2007 (o. D.) Regulations (1956): Committee of Ministers: Regulations relating to the appointment of the Secretary General, Deputy Secretary General and Secretary General of the Assembly having the rank of Deputy Secretary General. Regulation adopted 3-6 December 1956 and previously amended (o.D.) Resolution (49) 20: Committee of Ministers: Deputy Secretary-General for Assembly Services (3.11.1949) Resolution (51) 29: Committee of Ministers: Partial Agreements (3.5.1951) Resolution (51) 30A: Committee of Ministers: Admission of New Members (3.5.1951) Resolution (51) 30B: Committee of Ministers: Powers of the Committee of Ministers – Article 15 of the Statute (3.5.1951) Resolution (51) 30C: Committee of Ministers: The Joint Committee (3.5.1951) Resolution (51) 30E: Committee of Ministers: Specialised Authorities (3.5.1951) Resolution (51) 30F: Committee of Ministers: Relations with International Organisations, both Intergovernmental and Non-governmental (3.5.1951) Resolution (51) 62: Committee of Ministers: Resolution on Partial Agreements (2.8.1951) Resolution (69) 18: Committee of Ministers: Situation in Greece (6.5.1969) Resolution (69) 51: Committee of Ministers: On Greece (12.12.1969) Resolution (70) 34: Committee of Ministers: Legal and Financial Consequences of the Withdrawal of Greece from the Council of Europe (27.11.1970) Resolution (71) 44: Committee of Ministers: Resolution on Conferences of Specialised Ministers (16.12.1971) Resolution (74) 27: Committee of Ministers: On the Situation of Greece (20.9.1974) Resolution (74) 32: Committee of Ministers: On the Readmission of Greece to the Council of Europe (22.10.1974) Resolution (74) 34: Committee of Ministers: Invitation to Greece to Rejoin the Council of Europe (28.11.1974) Resolution (89) 40: Committee of Ministers: Resolution on the Future Role of the Council of Europe in European Construction (5.5.1989) Resolution (90) 6: Committee of Ministers: Resolution on a Partial Agreement Establishing the European Commission for Democracy through Law (10.5.1990) Resolution (93) 38: Committee of Ministers: Resolution on Relations between the Council of Europe and International Non-Governmental Organisations (18.10.1993) Resolution 99 (7): Committee of Ministers: Resolution on the Ordinary Budget of the Council of Europe for the 1999 Financial Year (7.6.1999) Resolution (99) 50: Committee of Ministers: On the Council of Europe Commissioner for Human Rights (7.5.1999) Resolution (2000) 2: Committee of Ministers: Resolution on the Council of Europe’s information strategy (11.4.2000) Resolution (2001) 6: Committee of Ministers: Resolution on access to Council of Europe documents (12.6.2001) Resolution (2002) 3: Committee of Ministers: Revised Statute of the European Commission for Democracy through Law (21.2.2002) Resolution (2002) 7: Committee of Ministers: Resolution on the appointment of the Deputy Secretary General (22.5.2002) Resolution (2002) 8: Committee of Ministers: Resolution on the Statute of the European Commission against Racism and Intolerance (13.6.2002) Resolution (2003) 8: Committee of Ministers: Participatory Status for international non-governmental organisations with the Council of Europe (19.11.2003) Resolution (2003) 9: Committee of Ministers: Status of Partnership between the Council of Europe and national non-governmental organisations (19.11.2003) Resolution (2003) 24: Committee of Ministers: Resolution Concerning the Ordinary Budget for 2004 (26.11.2003)
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Resolution (2004) 3: Committee of Ministers: Resolution on judgments revealing an underlying systemic problem (12.5.2004) Resolution (2004) 4: Committee of Ministers: Resolution on the appointment to the post of Secretary General (19.5.2004) Resolution (2005) 4: Committee of Ministers: Resolution on the Appointment to the post of Secretary General of the Parliamentary Assembly (13.7.2005) Resolution (2005) 35: Committee of Ministers: Resolution Concerning the Ordinary Budget for 2006 (1.12.2005) Resolution (2005) 47: Committee of Ministers: Resolution on committees and subordinate bodies, their terms of reference and working methods (14.12.2005) Resolution (2006) 22: Committee of Ministers: Resolution concerning the Ordinary Budget for 2007 (13.12.2006) Resolution 100 (2000): Congress of Local and Regional Authorities: Resolution on the situation of local democracy in “the former Yugoslav Republic of Macedonia” (25.5.2000) Resolution 106 (2000): Congress of Local and Regional Authorities: The Evaluation of Local and Regional Democracy in Member States since November 1998: Congress Contribution to the Local Democracy Monitoring Procedure of the Committee of Ministers (9.11.2000) Resolution 346 (1967): Parliamentary Assembly: On the Situation in Greece (23.6.1967) Resolution 578 (1974): Parliamentary Assembly: On the Situation in Greece (27.9.1974) Resolution 917 (1989): Parliamentary Assembly: On a special guest status with the Parliamentary Assembly (11.5.1989) Resolution 1115 (1997): Parliamentary Assembly: On the setting up of an Assembly committee on the honouring of obligations and commitments by member states of the Council of Europe (Monitoring Committee) (29.1.1997) Resolution 1213 (2000): Parliamentary Assembly: Honouring of obligations and commitments by „the former Yugoslav Republic of Macedonia“ (5.4.2000) Resolution 1221 (2000): Parliamentary Assembly: Conflict in the Chechen Republic – Follow-up to Recommendations 1444 (2000) and 1456 (2000) of the Parliamentary Assembly (29.6.2000) Resolution 1241 (2001): Parliamentary Assembly: Credentials of the delegation of the Russian Federation (25.1.2001) Resolution 1244 (2001): Parliamentary Assembly: Honouring of obligations and commitments by Ukraine (26.4.2001) Resolution 1306 (2002): Parliamentary Assembly: Situation in Belarus (27.9.2002) Resolution 1320 (2003): Parliamentary Assembly: Code of Good Practice in Electoral Matters (30.1.2003) Resolution 1364 (2004): Parliamentary Assembly: Political crisis in Ukraine (29.1.2004) Resolution 1411 (2004): Parliamentary Assembly: Implementation of decisions of the European Court of Human Rights (23.11.2004) Resolution 1425 (2005): Parliamentary Assembly: Revision of the terms of reference of Assembly committees (28.1.2005) Resolution 1427 (2005): Parliamentary Assembly: Plans to set up a fundamental rights agency of the European Union (18.03.2005) Resolution 1431 (2005): Parliamentary Assembly: Initiation of a monitoring procedure and postmonitoring dialogue (18.3.2005) Resolution 1456 (2005): Parliamentary Assembly: Functioning of democratic institutions in Azerbaijan (22.6.2005) Resolution 1480 (2006): Parliamentary Assembly: The challenge of still ungratified credentials of the parliamentary delegation of Azerbaijan on substantial grounds (25.1.2006) Resolution 1496 (2006): Parliamentary Assembly: Belarus in the aftermath of the presidential election of 19 March 2006 (13.4.2006) Resolution 1505 (2006): Parliamentary Assembly: Implementation of Resolution 1480 (2006) on the challenge of credentials of the parliamentary delegation of Azerbaijan (26.6.2006)
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Resolution 1506 (2006): Parliamentary Assembly: External relations of the Council of Europe (26.6.2006) Resolution 1516 (2006): Parliamentary Assembly: Implementation of judgements of the European Court of Human Rights (2.10.2006) Resolution 1540 (2007): Parliamentary Assembly: Improving selection procedures for CPT members (16.3.2007) Resolution 1545 (2007): Parliamentary Assembly: Honouring of obligations and commitments by Azerbaijan (16.4.2007) Resolution 1546 (2007): Parliamentary Assembly: Code of good practice for political parties (17.4.2007) Resolution 1547 (2007): Parliamentary Assembly: State of human rights and democracy in Europe (18.4.2007) Resolution 1548 (2007): Parliamentary Assembly: Progress of the Assembly’s monitoring procedure (18.4.2007) Resolution 1562 (2007): Parliamentary Assembly: Secret detentions and illegal transfer of detainees involving Council of Europe member states: second report (27.06.2007) Resolution 1589 (2007): Parliamentary Assembly: Co-operation between the Assembly and the Conference of INGOs (23.11.2007) Rules (2006): Committee of Ministers: Rules of the Committee of Ministers for the supervision of the execution of judgments and of the terms of friendly settlements. Adopted by the Committee of Ministers on 10 May 2006 at the 964th meeting of the Ministers’ Deputies (10.5.2006) SG/Inf (99) 5 revised: Secretary General: A new framework for the Secretariat of the Council of Europe. Memorandum by the Secretary General (5.5.1999) SG/Inf (2000) 21: Secretary General: Request for explanations concerning the manner in which the Convention is implemented in Chechnya and the risks of violation which may result therefrom. Report by the Secretary General on the use his powers under Article 52 of the European Convention on Human Rights in respect to the Russian Federation. Information Document (restricted) (10.5.2000) SG/Inf (2000) 24: Secretary General: Consolidated report containing an analysis of the correspondence between the Secretary General of the Council of Europe and the Russian Federation under Article 52 of the European Convention on Human Rights. Prepared by Mr Tamas Bán, Mr Frédéric Sudre and Mr Pieter van Dijk (restricted) (26.6.2000) SG/Inf (2001) 34: Secretary General: Cases of alleged political prisoners in Armenia and Azerbaijan (24.10.2001) SG/Inf (2002) 20: Secretary General: Report by the Secretary General on the use of his powers under Article 52 of the European Convention on Human Rights in respect of Moldova (6.5.2002) SG/Inf (2004) 28: Secretary General: Bosnia and Herzegovina: Compliance with obligations and commitments and implementation of Post-accession co-operation programme. Principal Council of Europe texts and list of commitments (13.10.2004) SG/Inf (2004) 28 addendum: Secretary General: Bosnia and Herzegovina: Compliance with obligations and commitments and implementation of Post-accession co-operation programme. Principal Council of Europe texts and list of commitments (13.10.2004) SG/Inf (2006) 5: Secretary General: Secretary General’s report under Article 52 ECHR on the question of secret detention and transport of detainees suspected of terrorist acts, notably by or at the instigation of foreign agencies (28.02.2006) SG/Inf (2006) 13: Secretary General: Secretary General’s supplementary report under Article 52 ECHR on the question of secret detention and transport of detainees suspected of terrorist acts, notably by or at the instigation of foreign agencies (14.06.2006) SG/Inf (2007) 2: Secretary General: Granting of Participatory status to international non-governmental organisations (22.1.2007) SG/Inf (2007) 4: Secretary General: Building on our Strengths: Eight Initiatives to shape the Council of Europe for the Future. Towards a Medium-Term Strategy (11.6.2007)
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