Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen?: Deutschland und Schweden im Vergleich 9783531171128, 3531171127 [PDF]


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Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen?: Deutschland und Schweden im Vergleich
 9783531171128, 3531171127 [PDF]

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Zitiervorschau

Sylvia Veit Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung?

Interdisziplinäre Organisationsund Verwaltungsforschung Band 16 Herausgegeben von Thomas Edeling Werner Jann Dieter Wagner

Sylvia Veit

Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung? Deutschland und Schweden im Vergleich

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Zugl. Dissertation an der Universität Potsdam, 2009 Gefördert durch ein Promotionsstipendium des Graduiertenkollegs Modern Governance (Universität Potsdam)

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17112-8

Danksagung

Die Autorin möchte sich an dieser Stelle bei allen bedanken, die geholfen haben, die vorliegende Arbeit Wirklichkeit werden zu lassen. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Werner Jann, der meinen akademischen Werdegang in den letzten Jahren entscheidend gefördert hat. Prof. Dr. Thomas Edeling danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und für zahlreiche hilfreiche Kommentare im Rahmen der Veranstaltungen des Graduiertenkollegs Modern Governance der Universität Potsdam, welches mich mit einem großzügigen Promotionsstipendium unterstützte. Dr. Peter Wordelmann danke ich für einen ersten praktischen Zugang zu dem Thema dieser Arbeit im Rahmen der Durchführung einer Gesetzesfolgenabschätzung zum Kinder- und Jugendhilfegesetz in Sachsen-Anhalt sowie für viele interessante Fachgespräche. Prof. Dr. Kai Wegrich, Dr. Klaus Jacob, Tobias Bach, Magnus Erlandsson, Julia Fleischer, Thurid Hustedt, Bastian Jantz, Jeppe Jörgensen und Markus Seyfried danke ich für ihre Unterstützung sowie für ihr, oftmals sehr kurzfristig angefragtes, Feedback. Unabdingbar für das Gelingen der empirischen Arbeit war die Kooperationsbereitschaft meiner Interviewpartnerinnen und -partner in Deutschland und Schweden, die mir nicht nur ihre Zeit zur Verfügung stellten, sondern auch das Vertrauen und die Offenheit, welche für ein solches Gespräch nötig sind. Danken möchte ich auch Dr. Dominik Böllhoff, Christina Fors und Ronny Kay, mit denen ich mehrere lange Hintergrundgespräche führen konnte. Der Potsdam Graduate School und dem Institut für Management und Organisation (Potsdam) danke ich für Druckkostenzuschüsse zur Publikation dieses Buches. Zuletzt möchte ich meiner Familie danken und mich bei meinen Kindern für die vielen Stunden, die ich nicht mit ihnen, sondern vor dem Computer verbracht habe, entschuldigen.

Berlin, im Oktober 2009 Sylvia Veit

Inhalt

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ......................................................................10 TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................13 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ........................................................................14 1 EINLEITUNG ...............................................................................................15 1.1 Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe ...............................17 1.2 GFA und SKM als zentrale Reforminstrumente ......................................21 1.3 Forschungsinteresse .................................................................................23 1.4 Fallauswahl ..............................................................................................29 1.5 Aufbau des Buches und Methodologie ....................................................31 2 EXEKUTIVE GESETZESVORBEREITUNG IN DEUTSCHLAND UND SCHWEDEN ...................................................35 2.1 Gesetzesvorbereitung in der bundesdeutschen Exekutive: Ein Blick in die ‚black box’ .....................................................................35 2.1.1 Normtypen und Anzahl der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene ......................................36 2.1.2 Die Ministerialverwaltung im Prozess der Gesetzesvorbereitung . . .42 2.1.3 Die Bedeutung von Sachverständigen, Interessengruppen, Landesregierungen und Parteien ......................................................52 2.1.4 Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen auf Bundesebene: Entwicklungslinien und Reformkontext .............61

2.2 Rationale Politikgestaltung durch Transparenz und Beteiligung? Mythos und Realität der Gesetzesvorbereitung in Schweden .................81 2.2.1 Das schwedische Verwaltungssystem ..............................................82 2.2.2 Normtypen und Anzahl der Rechtsvorschriften ...............................89 2.2.3 Vorstrukturierung von Politikinhalten im Kommissionswesen ........93 2.2.4 Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung .......................103 2.2.5 Interessenverbände: Kommissionskorporatismus, Verwaltungskorporatismus oder Entkorporatisierung? ..................109 2.2.6 Parlament und Parteien im Gesetzgebungsprozess ........................116 2.2.7 ‚Bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen: Entwicklungslinien und Reformkontext .........................................119 2.3 Wesentliche Charakteristika der exekutiven Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden ...................................................................138 3 EMPIRISCHE ERGEBNISSE ZUR IMPLEMENTATION VON FOLGENABSCHÄTZUNGEN ........................................................145 3.1 Methodisches Vorgehen .........................................................................145 3.2 Erfüllung der GGO-Kriterien zur Folgenabschätzung in Deutschland. .148 3.2.1 Anforderungen der GGO und Prüfkriterien ....................................148 3.2.2 Stand der empirischen Forschung ..................................................153 3.2.3 Empirische Analyse von Gesetzentwürfen der Jahre 1999, 2003 und 2006 ......................................................157 3.2.4 Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen ......180 3.3 Erfüllung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden .........184 3.3.1 Vorschriften zur Folgenabschätzung in Schweden .........................184 3.3.2 Stand der empirischen Forschung ..................................................191 3.3.3 Empirische Analyse zur Darstellung von Gesetzesfolgen in Propositionen der schwedischen Regierung ...................................205 3.4 Vergleich der Erfüllung von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden ...............................................................225 3.5 The same procedure as every year? Kontinuitäten und Veränderungen der Folgenabschätzungspraxis in drei Jahrzehnten ...............................230 3.5.1 Deutschland ....................................................................................231 3.5.2 Schweden ........................................................................................236 8

4 ERKLÄRUNG DER IMPLEMENTATIONSUNTERSCHIEDE IN DEUTSCHLAND UND SCHWEDEN .................................................241 4.1 Theoretischer Rahmen: Der Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie ..............................................................................241 4.1.1 Isomorphie als Folge des Legitimitätsstrebens von Organisationen .........................................................................244 4.1.2 Ebenen der Strukturanpassung von Organisationen........................249 4.1.3 Untersuchungsleitende Hypothesen ...............................................252 4.2 Konflikthypothese ..................................................................................256 4.2.1 Herstellung und Absicherung der Durchsetzungsfähigkeit von Gesetzentwürfen ......................................................................258 4.2.2 Vorentscheidungsmacht der Ministerialverwaltung und informationelle Entlastung der Politik ...........................................264 4.3 Kontrollhypothese ..................................................................................270 4.3.1 Kontrolle und Transparenz in Deutschland ....................................272 4.3.2 Kontrolle und Transparenz in Schweden ........................................282 4.3.3 Fazit: Die Bedeutung von politischer Unterstützung, Interessen und Zuständigkeiten ......................................................294 4.4 Kognitionshypothese .............................................................................295 4.4.1 Verwaltungskultur in Deutschland und Schweden .........................296 4.4.2 Ausbildungshintergrund der Ministerialbeamten in Deutschland und Schweden .......................................................303 4.4.3 Fazit: Zur Bedeutung von Verwaltungskultur und Ausbildungshintergrund .................................................................311 5 FAZIT UND AUSBLICK ...........................................................................313 5.1 Forschungsfrage 1: Über große und kleine Implementationslücken .....315 5.2 Forschungsfrage 2: Über die Ursachen der Implementationsunterschiede ..........................................................317 5.3 Ausblick: Lessons Learned ....................................................................325 LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................329 9

Abkürzungsverzeichnis

AA AaS Abb. Art. AuPZ BBG BbesG Begr. Bet. BGBl BK BLV BMAS BMBF BMBl BMELV BMF BMFSFJ BMG BMGS BMI BMJ BMU BMVBS BMVg BMWA BMWi BMZ BT-Drs. C DEBR Dir. dms DÖV

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Auswärtiges Amt Auswirkungen auf das Staatsbudget Abbildung Artikel Aus Politik und Zeitgeschichte Bundesbeamtengesetz Bundesbesoldungsgesetz Begründung zum Vertrag (bei Vertragsgesetzen) Betänkande (Gutachten, Stellungnahme) Bundesgesetzblatt Bürokratiekosten Bundeslaufbahnverordnung Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerialblatt Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bundestags-Drucksache Centerpartiet (Zentrumspartei) Directors and Experts of Better Regulation Direktiv (Direktive der schwedischen Regierung) der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management Die Öffentliche Verwaltung

Ds. DS EG ENBR ESV EU EVIA E-VSF FFU FDP Fp FUD GESTA GFA GFE GG GGO GGO II GOBReg H HoV Hrsg. id. IDV IP INSM ISA ITPS Kap. KGSt KU LP M MAS MATISSE MISTRAL MPIfG NKR NKRG NoE

Departementsserien (Veröffentlichungsreihe der Kanzlei der Ministerien) Denkschrift Europäische Gemeinschaft European Network for Better Regulation Ekonomistyrningsverket (Nationale Schwedische Behörde für Finanzmanagement) Europäische Union Evaluating Integrated Impact Assessments Elektronische Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Forschungsstelle Umweltpolitik der Freien Universität Berlin Freie Demokratische Partei Folkpartiet Liberalerne (Liberale Partei) Företagens Uppgiftslämnardelegation Datenbank zum Stand der Gesetzgebung des Bundes Gesetzesfolgenabschätzung Gesellschaft zur Förderung der Entbürokratisierung Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Besonderer Teil Geschäftsordnung der Bundesregierung Hypothese Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand Herausgeber Identisch Individualism Index Informationspflichten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Integrated Sustainability Assessment Institut för tillväxtpolitiska studier (Institut für wachstumspolitische Studien) Kapitel Kommunale Gemeinschaftsstelle Kleine Unternehmen Legislaturperiode Moderata samlingspartiet (Moderate Sammlungspartei) Masculinity Index Methods and Tools for Integrated Sustainibility Assessment Meetinstrument Administratieve Lasten Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung in Köln Nationaler Normenkontrollrat Gesetz zur Einsetzung des Nationalen Normenkontrollrates Network of Excellence

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NPM NUTEK

New Public Management Verket för Näringslivsutveckling (Schwedisches Amt für Wirtschaftsentwicklung) NNR Näringslivets Regelnämnd (Verband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung) OECD Organisation for Economic Cooperation and Development o.D. ohne Datumsangabe PDI Power Distance Index Prop. Proposition PVS Politische Vierteljahresschrift RF Regeringsformen (Gesetz über die Regierungsform) RIA Regulatory Impact Assessment RR Riksdagens Revisorer (Revisoren des Reichstags) RRV/RiR Riksrevisionsverket/Riksrevisionen (Schwedischer Rechnungshof) RSV Riksskatteverket (Zentralamt für Finanzwesen) s.a. siehe auch SAF Svenska Arbetsgivar Föreningen (Schwedischer Arbeitgeberverband) SAP Socialdemokraterna (Sozialdemokratische Partei) SB Statsrådsberedningen (Kanzlei des Ministerpräsidenten) SCB Statistiska Centralbyrån (Statistisches Zentralamt) SCM Standard Cost Model SEAMLESS System for Environmental and Agricultural Modelling; Linking European Science and Society SFS Svensk författningssamling (Schwedische Gesetzessammlung) SKM Standardkosten-Modell Skr. Skrivelse (Schreiben) SOU Statens Offentliga Utredningar (Öffentliche Untersuchungskommissionen des Staates) SME Small and Medium Sized Enterprises SWE Schweden TEP The Evaluation Partnership UAI Uncertainty Avoidance Index VV Verwaltungsvorschriften VwVR Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes WP Wahlperiode WZB Wissenschaftszentrum Berlin ZfG Zeitschrift für Gesetzgebung ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:

Anzahl der Gesetze nach Wahlperioden (BRD)...............................38 Exekutive Gesetzesentwicklung in Deutschland und Schweden...142 Gliederung des Vorblattes (GGO II und novellierte GGO) ...........150 GGO-Quelle und Prüfkriterien.......................................................152 Auswirkungen auf Einzelpreise, das allgemeine Preisniveau und die Verbraucher (BRD)............................................................173 Tabelle 6: Anforderungen zur Folgenabschätzung in der schwedischen Kanzlei der Ministerien und abgeleitete Prüfkriterien...................187 Tabelle 7: Zwölf Fragen der Folgenabschätzung für kleine Unternehmen laut § 3 Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820)............................190 Tabelle 8: Prüfkriterien des NNR-Regelindikators.........................................203 Tabelle 9: Einfluss vorbereitender Kommissionen auf ausgewählte Prüfkriterien (SWE)........................................................................222 Tabelle 10: Formale Erfüllung der Prüfvariablen in deutschen Gesetzentwürfen 2006 nach Struktur des Gesetzesvorblattes........281 Tabelle 11: Ausbildungshintergrund der administrativen Elite in Schweden 1971 und 1990...........................................................311

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Kommissionsmitglieder 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen (SWE). .96 Abb. 2: Experten und Sachverständige 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen....97 Abb. 3: Formaler Gesetzgebungsprozess in Schweden..................................110 Abb. 4: Mehrheitsverhältnisse in den Behördenvorständen (SWE)...............116 Abb. 5: Ursprung der analysierten Gesetzentwürfe (BRD)............................158 Abb. 6: Seitenanzahl der Gesetzestexte (BRD)..............................................160 Abb. 7: Seitenanzahl der Gesetzesbegründungen (BRD)...............................161 Abb. 8: HoV (BRD, alle Gesetzentwürfe)......................................................165 Abb. 9: HoV (BRD, ohne Vertragsgesetze)....................................................167 Abb. 10: „Keine Haushaltsauswirkungen“ nach Entwurfsverfasser (BRD).....168 Abb. 11: Angaben zum Vollzugsaufwand (BRD).............................................169 Abb. 12: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (BRD).................171 Abb. 13: Auswirkungen auf die Wirtschaft (BRD)...........................................172 Abb. 14: Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (BRD)........175 Abb. 15: Angaben zu Bürokratiekosten in Gesetzentwürfen (BRD)................179 Abb. 16: Formale und tatsächliche Erfüllung der GGO-Anforderungen..........183 Abb. 17: NNR-Regelindikator 2002–2007.......................................................204 Abb. 18: Ursprung der analysierten Propositionen...........................................207 Abb. 19: Seitenanzahl der Propositionsbegründungen.....................................208 Abb. 20: Kostenfolgen für das Staatsbudget nach Ministerien (SWE).............214 Abb. 21: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (SWE).................215 Abb. 22: Angaben zur Finanzierung der Regelungsvorschläge (SWE)............216 Abb. 23: Auswirkungen auf Kommunen, Wirtschaft und Umwelt (SWE).......219 Abb. 24: Formale Erfüllung der Folgenabschätzung (SWE)............................224 Abb. 25: Formale und tatsächliche Erfüllung BRD und SWE..........................226 Abb. 26: Anteil der Quantifizierungen BRD und SWE....................................230 Abb. 27: Hypothesen zur Erklärung von Implementationsdefiziten.................256 Abb. 28: Reaktion der Ministerialverwaltung auf konfligierende Umweltanforderungen........................................................................258 Abb. 29: Formale Prüfkompetenzen der Ressorts (BRD).................................276 14

1 Einleitung

Mit dem Schlagwort ‚better regulation’ wird ein Reformbereich der Staats- und Verwaltungsmodernisierung bezeichnet, der sich im letzten Jahrzehnt vorwiegend in Europa entwickelt hat. Sein Ziel ist die Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie die Erhaltung von Wohlstand und Lebensqualität im Zeitalter der post-industriellen Wissensgesellschaft und der Globalisierung. Wichtige Impulse hierfür kamen von der OECD, die seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr nur als Promotor einer Deregulierung und der Privatisierung staatlicher Infrastrukturmonopole auftrat, sondern auch die generelle qualitative Verbesserung von Rechtsvorschriften durch ex ante Evaluationen und Folgenabschätzungen propagierte (OECD 1995, 1997, 2004b). Der ‚better regulation’-Boom der letzten Jahre lässt sich jedoch nicht allein auf wirtschafts- und sozialpolitische Ziele zurückführen, sondern hat auch viel mit der Frage nach der Legitimität politischer Entscheidungen, und damit auch mit der Frage nach der Legitimität etablierter staatlicher Entscheidungsstrukturen, zu tun. Vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen politischen Entscheidens – man denke z.B. an die wachsende Politikverdrossenheit und die sinkende Bindungskraft der politischen Parteien, aber auch an die hohe Komplexität von Entscheidungsinhalten und Entscheidungsfindungsprozessen in verschiedenen Politikfeldern – gewinnt die Output-Legitimation politischer Entscheidungen immer mehr an Bedeutung. Um dauerhaft Legitimität zu erhalten, müssen politische und administrative Akteure nachweisen, dass ihre Entscheidungen sachlich angemessen und effizient sind, und dies nicht nur im Nachhinein (ex post, z.B. durch Evaluationen), sondern bereits im Prozess der Politikentwicklung (ex ante). In besonders hohem Maße gilt dies für die Europäische Kommission, deren demokratische Input-Legitimation eher schwach ist. Die Europäische Kommission investiert deshalb viele Ressourcen in den Nachweis, dass ihre Entscheidungen in einem gerechten, transparenten Verfahren zustande kommen, dass sie sachlich richtig und effektiv sind und dass ein Abwägungsprozess zwischen verschiedenen Alternativen im Hinblick auf Kosten und Nutzen stattfindet.

So verwundert es wenig, dass die Europäische Kommission diejenige Institution ist, welche sich im letzten Jahrzehnt zu einem zentralen ‚Treiber’ von ‚better regulation’ entwickelt hat.1 Durch die Vergabe von Forschungsprojekten2 und die Institutionalisierung eines europaweiten Netzwerkes von Reformexperten3 förderte die Europäische Kommission die politische Wahrnehmung und das längerfristige Agenda-Setting des Reformthemas nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in den Mitgliedsstaaten. Die entstandenen Forschungs- und Politiknetzwerke haben entscheidend zu einer europaweiten Diffusion bestimmter Instrumente der besseren Rechtsetzung beigetragen (Wegrich 2009b; Radaelli 2005). Zentrale Bedeutung erlangten dabei verschiedene Varianten der Politikoder Gesetzesfolgenabschätzung (s.a. Kap. 1.2). Die sich im Reformbereich ‚better regulation’ widerspiegelnde Kritik an der Produktion von Rechtsnormen ist in einem weiteren Kontext ein Ausdruck bzw. ein Element der alten Kritik an der Steuerungsfähigkeit des Staates, ebenso wie die Modernisierungsbemühungen in hohem Maße darauf abzielen, diese Steuerungsfähigkeit zu erhöhen. Normative theoretische Grundlagen hierfür gehen auf die beiden amerikanischen Forscher Lerner und Lasswell (1951) und deren Idee einer interdisziplinären Problemlösungswissenschaft (Policy Sciences), welche politische Entscheidungsprozesse mit wissenschaftlicher Unterstützung verbessert, zurück. Dementsprechend sind viele Inhalte des Reformbereiches ‚better regulation’ keine Neuerfindung des aktuellen Diskurses (Jann et al. 2005; s.a. Böhret/ Hugger 1979; Mayntz 1980; Fricke 1983). Insbesondere diejenigen Maßnahmen, welche dazu dienen sollen, den Prozess der Gesetzesvorbereitung und Entscheidungsfindung zu rationalisieren, indem das Wissen über die Auswirkungen von geplanten Regulierungen durch systematische wissenschaftliche Analysen verbessert wird, waren in der Vergangenheit jedoch durch eine erhebliche Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gekennzeichnet. In der Regel verloren diese Rationalisierungsansätze nach einer Phase der Reformeuphorie rasch an Bedeutung und bewirkten keine nachhaltigen Veränderungen im politisch-administrativen System und im Prozess der Politikformulierung und -entscheidung. 1

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Seit Erscheinen des Weißbuchs „Europäisches Regieren“ (COM 2001 428 final) und des Berichtes der Mandelkern-Gruppe für bessere Rechtsetzung (BMI 2001) im Jahr 2001 entstand auf EU-Ebene ein umfangreiches Reformprogramm zu ‚better regulation’ (Konzendorf et al. 2005; Meuwese 2008). MATISSE, EVIA, ENBR, SEAMLESS, NoE (s.a. Kap. 3.2.2 und 3.3.2). Zu nennen sind z.B. das Gremium „Directors and Experts of Better Regulation“ (DEBR) und die Finanzierung von Vernetzungsaktivitäten im Rahmen von ENBR und NoE.

Die vorliegende Arbeit setzt sich vor diesem Hintergrund mit der Frage auseinander, ob die im Kontext des aktuellen Reformbooms eingeleiteten Maßnahmen zur systematischen Verbesserung der Wissensbasis politischer Entscheidungsträger von den mit der Vorbereitung neuer gesetzlicher Regelungen betrauten Akteuren besser umgesetzt werden als die in der Vergangenheit gescheiterten Reformansätze. Hierfür werden in einem ersten Abschnitt der Einleitung (Kap. 1.1) zentrale Begriffe definiert. Der zweite Teil (Kap. 1.2) dient der Erläuterung der wesentlichen Instrumente zur Erhöhung des Wissens über Gesetzesfolgen in der Modernisierungswelle des letzten Jahrzehnts. Kap. 1.3 konkretisiert die forschungsleitende Fragestellung und stellt das Untersuchungsdesign und den Aufbau dieses Buches vor.

1.1 Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe Der einleitend kurz umrissene Reformbereich der ‚better regulation’ ist durch eine Vielfalt von Begrifflichkeiten zur Beschreibung des Reformfeldes insgesamt sowie seiner Teilbereiche geprägt. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass Reformen und Modernisierungsbemühungen immer mit innovativen Schlagwörtern, Instrumenten, Methoden und Programmen verbunden sind, und zwar auch dann, wenn der tatsächliche Innovationsgehalt gar nicht so groß ist. Forschung zu Reformfragen ist nicht selten normativ geprägt. Begrifflichkeiten werden aus der politischen Praxis übernommen, in der ihnen ein bestimmter Bedeutungsgehalt gegeben wurde, welcher sich je nach politischem Hintergrund und je nach Herkunftsland unterscheiden kann. Begriffliche Vielfalt, vage Definitionen und ein hohes Maß an Überlappung zwischen Reformtermini erfüllen in der Praxis verschiedene Funktionen (z.B. Herstellung von Mehrheitsfähigkeit für politische Entscheidungen, Abgrenzung von anderen Reformakteuren mit eigenen Konzepten etc.). Zur Beschreibung des hier interessierenden Reformbereiches werden im Deutschen am häufigsten die Begriffe ‚bessere Regulierung’ und ‚bessere Rechtsetzung’ genutzt. Daneben spielen weitere Schlagworte wie Bürokratieabbau oder Entbürokratisierung (Jann/Wegrich 2005, 2008), ‚moderne Regulierung’ (Empter et al. 2005), Rechtsvereinfachung und Deregulierung (Jann et al. 2005) eine wichtige Rolle. Im Englischen wird zudem manchmal von ‚smart regulation’ (Gunningham/Grabosky 1998) statt von ‚better regulation’ gesprochen. Alle diese Begriffe lassen breiten Spielraum für Interpretationen, was deren inhaltliche Bedeutung angeht. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit, die sich 17

mit der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung4 in der aktuellen Reformwelle beschäftigt, ist eine Definition und Abgrenzung der verwendeten Terminologie wichtig, um den Forschungsinhalt möglichst klar zu definieren und um das Forschungsprojekt in den breiteren Reformkontext richtig einordnen zu können. Regulierung wird in einer engen Definition begriffen als der Erlass von Geund Verboten bzw. Anzeige- und Genehmigungspflichten durch den Staat. Dieses Verständnis von Regulierung bzw. regulativer Steuerung findet sich vor allem in der wissenschaftlichen Literatur zur Kategorisierung von externen Steuerungsinstrumenten im Rahmen der Policy-Analyse wieder (siehe z.B. Schubert 1991). Im Kontext von ‚better regulation’ hingegen ist die Charakterisierung des Regulierungsbegriffs umfassender. Regulierung wird als Gesamtheit staatlicher Steuerung und Programme, unabhängig von den konkreten Steuerungsmodi und -instrumenten, definiert (Baldwin/Cave 1999: 2; Jann et al. 2005: 51). Der Reformbereich ‚better regulation’ umfasst demnach alle Maßnahmen, welche die Qualität staatlicher Politikformulierung und/oder deren Umsetzung und Anwendung verbessern sollen (s.a. Wegrich 2009a). ‚Better regulation’ ist deshalb ein umfassenderes Konzept als dies durch den im Deutschen gebräuchlicheren Terminus ‚bessere Rechtsetzung’ abgebildet wird. Bessere Rechtsetzung bezieht sich per Definition nur auf ein bestimmtes Steuerungsinstrument (das gesetzte Recht) und eine bestimmte Phase des Policy-Cycles (den Prozess der Rechtsetzung). ‚Bessere Rechtsetzung’ ist also ein Teilbereich von ‚better regulation’. Doch welche Inhalte stehen dahinter? ‚Bessere Rechtsetzung’ ist ein normatives Konzept, das im Detail politisch mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt wird. Konsens ist jedoch die Grundannahme, dass ‚mehr Information’ bzw. ‚mehr Wissen’ zu ‚besseren’ politischen Entscheidungen führt, d.h. zu Entscheidungen, deren wesentliche positive und negative Folgen den zuständigen Entscheidungsträgern in der Entscheidungssituation bewusst waren und von diesen gegeneinander abgewogen wurden (Idealbild der rationalistischen Entscheidungstheorie). Während smart regulation oder moderne Regulierung aus der politischen Praxis stammende Variationen von ‚better regulation’ sind, besitzen die Begriffe Bürokratieabbau/Entbürokratisierung, Deregulierung und Rechtsvereinfachung eine jeweils etwas abweichende inhaltliche Bedeutung, auch wenn es erhebliche 4

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Der Begriff Folgenabschätzung wird in dieser Arbeit als übergeordnete Bezeichnung für Verfahren und Vorschriften zur ex ante Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen im Rechtsetzungsprozess verwendet. Die Verpflichtung, Haushaltsauswirkungen eines Gesetzes im Rahmen der Entwurfsbegründung darzustellen, ist ein Beispiel hierfür.

Überschneidungen gibt und die Begriffe in der Praxis oft nicht scharf voneinander abgegrenzt werden. Bürokratieabbau umfasst selbstverständlich viel mehr Bereiche als ‚better regulation’. Bürokratiekritik bezieht sich umgangssprachlich auf eine Vielzahl von Phänomenen, wie zum Beispiel übertriebene Hierarchisierung, langsame Bearbeitung von Fällen, Unpersönlichkeit und Unflexibilität in Bezug auf den Einzelfall, unverständliche Formulare oder zu viele Regeln und daraus folgende übertriebene Komplexität (z.B. im Steuerrecht). Jann und Wegrich unterscheiden in Anlehnung an Mayntz drei Ebenen der Bürokratiekritik mit verschiedenen Sub-Dimensionen: die Aufgabenebene (zu viele Aufgaben werden vom Staat wahrgenommen/geregelt), die Regulierungsebene (es gibt zu viele Regulierungen, die darin festgelegten materiellen Standards sind zu hoch, die Regulierungen sind schlecht gemacht etc.) und die Organisationsebene (Zahl der staatlichen Behörden, ihre Arbeitsweise und das Verhalten der Mitarbeiter etc.). Ausgehend von dieser Kategorisierung ist ‚better regulation’ ein Teilbereich des Bürokratieabbaus. Deregulierung bezieht sich auf die Reduzierung materieller Standards der staatlichen Regulierungen in einem bestimmten Sektor, um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die unternehmerischen Entwicklungspotentiale möglichst wenig einzuschränken. Deregulierung ist also ein konkreterer Begriff als ‚better regulation’ mit relativ klar definierten Zielen und normativen Präferenzen. Rechtsvereinfachung ist ein verwandter, aber wesentlich unschärferer Terminus. Unter Rechtsvereinfachung werden in der Praxis Maßnahmen zur Deregulierung verstanden, aber auch Rechtsbereinigungsmaßnahmen und ein besserer Zugang zum Rechtsbestand. Auf EU-Ebene werden auch die Bemühungen zur Beschleunigung des Verfahrens der Verabschiedung von Rechtsnormen häufig als ein Teilelement der Rechtsvereinfachung kommuniziert (Konzendorf et al. 2005: 9). Während die bisher diskutierten Begrifflichkeiten normative Prioritäten und politische Reformmoden widerspiegeln, wird in der Wissenschaft zunehmend versucht, werturteilsfreie Kategorien zu finden und die Reformpolitik zur Modernisierung des rechtlichen Rahmens als eigenständiges Politikfeld zu beschreiben. Die Begriffe Meta-Governance, Meta-Politik und Meta-Regulierung sind Ausdruck dieses wissenschaftlichen Diskurses. Bisher hat sich jedoch keiner dieser übergeordneten Begriffe in der akademischen Debatte als Standard durchsetzen können. Meta-Governance ist ein sehr breites Konzept und bezieht sich auf die Organisation der Bedingungen, unter denen allgemein verbindliche 19

Entscheidungen in Märkten, Hierarchien und Netzwerken produziert werden (Jessop 2002: 152). Meta-Politik ein etwas enger gefasster Begriff. Nach Wegrich ist Meta-Politik (oder Meta-Policy) dadurch gekennzeichnet, dass Normen und Standards gesetzt werden, die den Regulierungsprozess und damit (indirekt) auch das Ergebnis in grundsätzlich allen Regulierungsfeldern beeinflussen sollen (Wegrich 2009a: 7; s.a. Jann/Wegrich 2008; Langer 2007). Der Terminus Meta-Regulierung zielt in eine ähnliche Richtung. Er wurde um die Jahrtausendwende von einigen Autoren benutzt, um die staatliche Überwachung gesellschaftlicher (meist unternehmerischer) Selbstregelungsmechanismen, z.B. in Form von Selbstverpflichtungserklärungen, zu beschreiben (Gunningham/Grabosky 1998; Parker 2002; Morgan 2003: 490). In einer weiteren Auslegung bezeichnet Meta-Regulierung die Festlegung von Regeln, die den Rahmen für das Zustandekommen von staatlichen Programmen und Steuerungsentscheidungen (inklusive Nicht-Steuerungsentscheidungen) bilden: „Actors, therefore, are constrained by the presence of institutional rules that discipline the life-cycle of regulation. As such, better regulation is not a policy like other sector-level regulatory policies (…). It is a meta-policy, namely a type of meta-regulation.” (Radaelli 2007b)

Morgan betont die reflexive Dimension von Meta-Regulierung als ‚Regulierung des Regulierungsprozesses’: „The notion of meta-regulation is simple at heart: it captures a desire to think reflexively about regulation, such that rather than regulating social and individual action directly, the process of regulation itself becomes regulated.” (Morgan 2003: 490)

Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Implementation von Politik zur Meta-Regulierung im Rahmen der Reformen zur besseren Rechtsetzung, die seit Mitte/Ende der 1990er Jahre in zahlreichen europäischen Ländern auf die Agenda gelangt sind. Verfahren zur ex ante Folgenabschätzung bilden den Kern dieser Reformbemühungen, wobei in den ersten Jahren des Reformbooms sog. Regulatory Impact Assessments (RIA), im Deutschen als Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) bezeichnet, das zentrale Reforminstrument darstellten, während ab 2004/2005 in vielen europäischen Ländern ein zweites Instrument – das auf den Abbau bürokratischer Lasten abzielende Standardkosten-Modell (SKM) – in den Fokus der ‚Reformer’ geriet.

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1.2 GFA und SKM als zentrale Reforminstrumente Regulatory Impact Assessments kommen ursprünglich aus den USA, wo sie von unabhängigen Regulierungsagenturen produziert werden. Charakteristisch für die europäische ‚GFA-Variante’ ist der im Vergleich zu den USA unterschiedliche institutionelle Kontext: Während RIAs in den USA vor allem ein Element der Diskussion auf der Ebene von Regulierungsagenturen und sektoralen PolicyNetzwerken sind, wird das Instrument in Europa als Kommunikationswerkzeug zwischen Regierung und Parlament sowie zwischen Regierung und Bürgern verstanden (Radaelli 2005: 11). Ziel einer GFA ist es, im Rechtsetzungsprozess auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher Untersuchungen (z.B. der Auswertung von Statistiken, der Befragung von Normadressaten u.Ä.) verschiedene Regelungsoptionen sowie deren intendierte und nicht-intendierte Folgen zu analysieren und die Ergebnisse dieser Analyse in einem eigenständigen Dokument darzustellen. Den politischen Entscheidungsträgern soll damit eine bessere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Unterschieden wird zwischen einer integrierten GFA, welche die Konsequenzen von Regelungseingriffen in einem umfassenden Sinne erfassen will und spezifischen GFA-Varianten, deren Hauptfokus entweder auf bestimmten Gruppen von Normadressaten (z.B. kleinen und mittleren Unternehmen – KMU), auf bestimmten materiellen Folgenaspekten (z.B. den Auswirkungen auf die Umwelt) und/oder auf einer bestimmten Folgenart (z.B. nur Regulierungskosten unter Ausklammerung des Nutzens) liegt. Während auf spezifische Normadressatengruppen oder Sektoren begrenzte Folgenabschätzungsverfahren in vielen europäischen Ländern, ebenso wie von der Europäischen Kommission, bereits in den 1980er und frühen 1990er Jahren eingeführt wurden, verbreiteten sich integrierte Folgenabschätzungen erst im letzten Jahrzehnt in nennenswertem Umfang. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang das von der Europäischen Kommission etablierte System zur Durchführung von integrierten Folgenabschätzungen zu Kommissionsentwürfen (siehe z.B. Meuwese 2008; TEP 2007; SEC (2008) 120; Renda 2006) welches seit 2003 im Rahmen einer interinstitutionellen Vereinbarung (zumindest formal) auf die anderen beiden EUOrgane (den Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament) ausgedehnt wurde (OJ 2003 C 321/01). In der Praxis sind die Folgenabschätzungssysteme vieler europäischer Staaten heute de facto nicht so umfassend und integrierend angelegt, wie es dem normativen Ideal des EU-Modells entspricht, sondern sie konzentrieren sich auf bestimmte Folgenaspekte (Jacob et al. 2009). Ökologische und soziale Folgenbewertungen erhalten dabei meist weniger Gewicht als 21

Regulierungsfolgen im wirtschaftlichen Bereich, weshalb die institutionalisierten Vertreter von Umweltinteressen und sozialen Fragen dem Reformbereich oft skeptischer gegenüber stehen als Vertreter von Wirtschaftsinteressen und die entsprechenden zuständigen staatlichen Instanzen (z.B. Wirtschaftsministerien). Die Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM stammt ursprünglich aus den Niederlanden.5 Das heute als Standardkosten-Modell bezeichnete Messverfahren zielte ursprünglich vorrangig auf eine Evaluation des bestehenden Rechtsbestandes (Nullmessung) sowie auf die Identifikation von Maßnahmen zum Bürokratieabbau ab. Bürokratiekosten werden im SKM sehr eng definiert als diejenigen Kosten, welche Unternehmen durch auf staatliche Regulierungen zurückzuführende Informationspflichten (z.B. das Ausfüllen von Anträgen oder das Führen von Statistiken) entstehen. Um diese Kosten zu errechnen, befragt man Unternehmen zum mit der Erfüllung staatlicher Informationsanforderungen verbundenen Zeit- und Kostenaufwand. Die standardisierten und in Zusammenarbeit mit Fachexperten validierten Daten werden anschließend segmentiert und mit dem Tarif, der Häufigkeit der Erfüllung und der Anzahl der betroffenen Unternehmen multipliziert. Am Ende steht eine monetäre Angabe zu den mit einer Rechtsvorschrift, einem Rechtsbereich oder einem bestimmten Ereignis (z.B. Unternehmensgründung) verbundenen Bürokratiekosten. Im ex ante Bereich wird die Bürokratiekostenabschätzung eingesetzt, um unnötige administrative Lasten für bestimmte Zielgruppen (Unternehmen, Verwaltung, Bürger) bereits frühzeitig zu identifizieren und das Bewusstsein für Bürokratiekosten im politischen Entscheidungsprozess zu stärken. Die Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM ist demnach eine Unterform der GFA. Von anderen Folgenabschätzungsansätzen unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich auf einem klar begrenzten, sehr kleinen Teil aller Regulierungsfolgen beschränkt und zudem ausschließlich die Kostenseite betrachtet. GFA und SKM basieren auf den gleichen Grundannahmen. So wird implizit davon ausgegangen, dass Wissen eine wichtige Ressource im politischen Entscheidungsprozess darstellt und dass Entscheidungen durch Informationen über Gesetzesfolgen beeinflusst werden können. GFA und SKM zielen also normativ darauf ab, Gesetzgebung durch ein erhöhtes Informationsniveau im Vorfeld politischer Regelungsentscheidungen zu verbessern. Der politische Prozess wird zudem im Sinne des Policy-Cycles idealtypisch als sequentielle Aufeinanderfolge verschiedener Phasen (Problemdefinition, Politikformulierung, Entschei5

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Dort entwickelte und erprobte Beratungsunternehmen EIM in den 1990er Jahren (damals unter der Bezeichnung MISTRAL) ein Modell zur Messung von Bürokratiekosten.

dung, Implementation) betrachtet. Inspiriert durch die Vorstellungen rationalistischer Entscheidungstheorien wird davon ausgegangen, dass es eine zentrale Entscheidungsarena gibt und dass Entscheidungen innerhalb dieser Arena argumentativ und diskursiv verhandelt werden (s.a. Hertin et al. 2009).

1.3 Forschungsinteresse Um die forschungsleitende Fragestellung stärker zu konkretisieren, wird im folgenden Abschnitt zunächst eine idealtypische Kategorisierung der Gesetzgebungskritik vorgenommen. Diese dient der Einordnung und Abgrenzung der Fragestellung dieser Arbeit von anderen Themenfeldern und Problemstellungen. Anschließend wird genauer definiert, mit welcher Art von Vorschriften zur Folgenabschätzung, mit welchen Akteuren und mit welchem Teil des Gesetzgebungsprozesses sich das vorliegende Buch beschäftigt. Kritik an der Gesetzgebung gibt es schon immer, sie ist ein notwendiges Element jeder demokratischen Gesellschaft. Versucht man die dominanten und immer wiederkehrenden Inhalte dieser Klagen zu systematisieren, so fällt auf, wie vielfältig sowohl die Kritikpunkte als auch deren Adressaten sind. Die Kritik an der Produktion von Rechtsvorschriften lässt sich idealtypisch in vier Kategorien6 unterteilen: Quantität, gesetzestechnische Qualität, inhaltliche Qualität und materieller Regelungsinhalt. x

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Quantität: Unter Schlagworten wie Normenflut, Gesetzesinflation oder Überregulierung wird häufig Kritik an der zu großen Anzahl an Rechtsvorschriften wie z.B. im deutschen Steuerrecht oder im Acquis Communautaire geäußert. Bemängelt wird, dass die Gesellschaft überreguliert sei und die Handlungsspielräume und -freiheiten der Unternehmen, aber auch diejenigen des Staates und des Bürgers zu stark eingeschränkt würden. Diskutiert werden grundsätzliche Alternativen zur Regulierung gesellschaftlicher Problemfelder durch den Staat (wie z.B. Selbstregulierung und Ko-Regulierung) ebenso wie Möglichkeiten zur übersichtlicheren und nachhaltigeren Gestaltung von Rechtsvorschriften. Kritisiert wird auch die hohe Änderungsfrequenz von

Siehe hierzu auch Jann/Wegrich (2008), welche drei Subdimensionen der Kritik an „zu viel Regulierung" unterscheiden: 1) Kritik am Ausmaß der Normproduktion, 2) Kritik an Umfang und Niveau der materiellen Standards und 3) Kritik an der administrativen Ausgestaltung von Regulierungen (insbesondere Dokumentations- und Informationspflichten).

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Rechtsnormen, zu deren Konsequenzen eine mangelnde Übersichtlichkeit, Rechtsunsicherheit, hohe informationelle und administrative Belastungen der Normadressaten und ein (zu) geringer Befolgungsgrad gehören. Gesetzestechnische Qualität: Hierzu gehören Klagen über fehlerhafte und handwerklich schlecht gemachte Gesetze, die beispielsweise Widersprüchlichkeiten zu anderen Normen sowie sprachliche Unklarheiten und Uneindeutigkeiten enthalten. Eine Folge davon ist neben den vielen nachträglichen Korrekturen von Rechtsnormen eine zunehmende Überlastung der Gerichte, welche in hohem Maße Aufgaben des Gesetzgebers übernehmen, indem sie mit ihren Urteilen Normen konkretisieren und damit Rechtssicherheit schaffen. Die Kritik an der ‚technischen’ Qualität der Gesetze vernachlässigt häufig, dass Mängel wie unklare und weit zu interpretierende Rechtsbegriffe und Einzelvorschriften meist nicht die Folge eines schlecht ausgeübten ‚Handwerks’ durch Ministerialbeamte sind, sondern die Ergebnisse politischer Kompromiss- und Mehrheitsbildungsprozesse. Inhaltliche Qualität: Unter diese Kategorie fallen Klagen über einen schlecht informierten Gesetzgeber, der weder vorhandenes Wissen über Wirkungszusammenhänge in einem Regelungsfeld ausreichend nutzt, noch in genügendem Ausmaß eigene Untersuchungen über die zu erwartenden Regelungsfolgen anstellt. Dazu gehört Kritik an den unzureichenden Konsultationsmechanismen im Rechtsetzungsprozess, an mangelnden Rückkopplungsmechanismen zwischen den Akteuren der Normformulierung, des Vollzugs und den Normadressaten sowie aus der Perspektive des Gesamtsystems an den vorherrschenden Prinzipien der selektiven Perzeption von Problemen sowie der negativen Koordination. Denn das hat zur Folge, dass Synergieeffekte nicht genutzt werden, suboptimale Lösungen strukturell begünstigt werden und die Regelungseingriffe der verschiedenen Teileinheiten des Gesamtsystems sich nicht systematisch gegenseitig ergänzen und unterstützen, sondern manchmal sogar gegenläufig sind (siehe z.B. Pfeiffer/Faller 1997). Materieller Regelungsinhalt: Die Kritik am konkreten Regelungsinhalt spiegelt häufig schlicht und einfach widerstreitende Interessen verschiedener gesellschaftlicher Akteure wider und wird in der Regel von denjenigen Gruppen geäußert, die ihre Interessen nicht in ausrei-

chendem Maße integriert sehen. Neben dieser konkreten, durch Interessen oder Ideologien motivierten Kritik gibt es auf einer höheren Abstraktionsebene einen Diskurs darüber, inwieweit das Potential zur Einflussnahme und Interessenvertretung für verschiedene gesellschaftliche Gruppen in gleichem oder eben nicht in gleichem Maße besteht.7 Kritisiert wird meist, dass gut organisierte, ressourcenstarke Interessenverbände mit langjährigen Kontakten zu ‚ihrer’ Fachverwaltung und ‚ihren’ Fachpolitikern deutlich mehr Einfluss auf die Ausgestaltung neuer Regelungen nehmen können als weniger gut organisierte, ressourcenarme Gruppen, wie z.B. Arbeitslose.8 Die Einbindung verschiedener Betroffenengruppen in einer frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses ist einerseits sinnvoll, weil dadurch die Informationsbasis der Ministerialbeamten verbreitert wird. Andererseits ist speziell die frühe und einseitige Einbindung bestimmter gesellschaftlicher Interessen und die Exklusion anderer Gruppen von Normadressaten ein aus demokratietheoretischer Sicht problematisches Thema (siehe z.B. Rohwetter 2005). Alle vier dargestellten Kategorien der Gesetzgebungs- bzw. Regulierungskritik spiegeln sich in normativen Verlautbarungen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen sowie in konkreten Entscheidungen und Maßnahmen des einleitend beschriebenen Reformbereiches bessere Regulierung wider. Die forschungsleitende Fragestellung dieser Arbeit bezieht sich auf die dritte Kategorie der Gesetzgebungskritik, nämlich auf die Kritik an der mangelhaften Berücksichtigung vorhandenen Wissens über das Gesamtsystem Gesellschaft sowie die unzureichende Nutzung von Verfahren zur Wissensgenerierung durch die mit der Erarbeitung von Rechtsvorschriften betrauten Akteure in der Exekutive (Ministerialverwaltung, ggf. Personal von Agencies). Dass Ministerialbeamte und andere administrative Akteure, die Aufgaben der Regelungsvorbereitung ausüben, zum Teil erheblichen Einfluss auf den Inhalt von Rechtsentwürfen ausüben können, ist in der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Forschung schon lange bekannt (Müller 1986). Man spricht von einer Vorentscheidungsmacht der Ministerialbeamten, die insbesondere in eher technischen 7 8

Zur Notwendigkeit der Integration schwach organisierter Interessen in die Politikformulierung siehe z.B. Mayntz/Scharpf 1973: 122ff. Zur Theorie der ungleichen Vertretung gesellschaftlicher Interessen in der Entscheidungsarena vgl. Olson 1965; zu den unterschiedlichen Sichtweisen auf die Rolle der Verbände als Unterstützer oder Blockierer des demokratischen Staates vgl. Streeck 1999.

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und nicht auf der Agenda der Medien und/oder der politischen Spitze stehenden Regelungsbereichen zum Tragen kommt. Bereits Max Weber charakterisierte den Informationsvorsprung der Bürokraten gegenüber den Politikern als ein wesentliches Machtmittel der Verwaltung (Weber 1972: 128f). Reformbemühungen zur Verbesserung der Gesetzesqualität (im Sinne einer verstärkten Generierung und Nutzung von Sachwissen) zielen aufgrund der großen Bedeutung administrativer Akteure für die Ausgestaltung von Regelungsentwürfen häufig auf die Verbesserung der Strukturen und Prozesse in der (Ministerial-)Verwaltung ab. Vorschriften zur Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen, teilweise verknüpft mit Konsultationspflichten bestimmter Akteure im Rechtsetzungsprozess, stellen einen weit verbreiteten Lösungsansatz dar. Diese Vorschriften zielen darauf ab, Ministerialbeamte zu einer strukturierten Folgenanalyse und zur Herstellung von Transparenz über die Ergebnisse dieser Analyse zu verpflichten, um politischen Entscheidungsträgern eine bessere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Es sind also zwei grundsätzliche Ziele mit Maßnahmen zur Folgenabschätzung verbunden: 1) eine Begrenzung des Machtpotentials der Ministerialbürokratie durch Reduzierung ihres Informationsvorsprungs und 2) eine Optimierung der Wissensnutzung im Rechtsetzungsprozess zu Gunsten einer möglichst hohen Qualität des Endproduktes (des Gesetzes). Wie bereits erwähnt, gelten die Bemühungen zur systematischen Integration von Folgenabschätzungen in den Rechtsetzungsprozess in den letzten Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern als nur begrenzt erfolgreich. Empirische Untersuchungen hierzu sind allerdings rar gesät. Die wenigen vorhandenen Studien setzten sich meist nur mit einer kleinen Stichprobe auseinander oder beschränkten sich auf internationale Vergleiche der Reformansätze auf Ebene der formalen Institutionalisierung. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor diesem Hintergrund am Beispiel zweier westeuropäischer Länder (Deutschland und Schweden) mit der Frage, ob die These eines Implementationsdefizites für Vorschriften zur Folgenabschätzung trotz des aktuellen Reformbooms um eine ‚bessere Rechtsetzung’ (weiterhin) zutreffend ist. Auch wenn für die meisten Staaten eine Implementationslücke konstatiert wird, variiert die Performanz von Land zu Land erheblich. Es soll deshalb über die erste Frage hinausgehend untersucht werden, von welchen Faktoren der Grad der Implementation von Maßnahmen zur Folgenabschätzung abhängt und wie sich Implementationsunterschiede erklären lassen. Während die Generierung von politikfeldübergreifenden, repräsentativen Daten zum Implementationsgrad von Folgenabschätzungen in Deutschland und 26

Schweden eine empirische Forschungslücke schließt, knüpft die Frage nach Erklärungsansätzen für Implementationsunterschiede im deutschen Wissenschaftskontext vor allem an Untersuchungen von Mayntz und Scharpf aus den 1970er und frühen 1980er Jahren an (Mayntz/Scharpf 1973; Mayntz 1980). In neuerer Zeit bilden die vergleichenden Untersuchungen zur Implementation von Folgenabschätzungen in Europa von Radaelli (2005, 2007a,c), Jacob et al. (2008) und Hertin et al. (2007, 2009) sowie die Berichte der OECD, die Evaluationen der nationalen Rechnungshöfe und die Auftragsevaluationen zum Impact Assessment System der EU (TEP 2007) wichtige Anknüpfungspunkte. Insgesamt ist für diese Studien ein gewisses Theoriedefizit zu konstatieren. Eine positive Ausnahme bilden die Bemühungen von Radaelli und De Francesco im Hinblick auf eine bessere theoretische Fundierung (Policy-Learning, Regulatory State) der häufig stark normativ gefärbten und technokratischen RIA-Forschung (Radaelli/De Francesco 2007). Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit gehen die meisten existierenden Studien von dem normativen Bild einer RIA aus und prüfen dann anhand von Analysen der institutionellen Verankerung und formalen Vorschriften (z.B. Jacob et al. 2008) und/oder mit Hilfe von Fallstudien und/oder Experteninterviews die Anwendung des Instrumentes (z.B. Meuwese 2008). Einschätzungen zu den Ursachen von Implementations- oder Nutzungsdefiziten basieren häufig auf eher kontextunabhängigen Faktoren wie z.B. Zeitoder Ressourcenknappheit, fehlende oder zu schlechte Unterstützungsmaterialien und mangelnde Fortbildung des Personals (z.B. Rennings et al. 2009) sowie auf Organisations- und Institutionalisierungsfragen im engeren Sinne, während das Gesamtsystem der Politikformulierung mit den daraus resultierenden Rationalitäten, Zwängen und Anreizmechanismen in unterschiedlichen Staaten oft nur oberflächlich einbezogen wird. Dieser Fakt spiegelt sich darin wider, dass Forschung zu Folgenabschätzungen bisher nur selten an die Ergebnisse der Policy-Forschung, insbesondere der Evaluations- und Implementationsforschung anknüpft. Die vorliegende Arbeit will deshalb keine ‚normative Instrumentenforschung’ betreiben, sondern einen substantiellen Beitrag zur Policy-Forschung im Bereich der Meta-Regulierung zu leisten. Der institutionelle Kontext der Politikformulierung ist dabei von entscheidender Bedeutung, um zu verstehen, unter welchen Bedingungen und auf welche Art und Weise Vorschriften zur MetaRegulierung (hier: Vorschriften zur Folgenabschätzung) umgesetzt werden. Instrumente wie GFA und SKM werden in der Regel formal im Rechtsetzungsprozess verankert, indem Anforderungen an die Darstellung von Gesetzesfolgen, z.B. im Rahmen von Regierungsvorlagen, formuliert werden. Diese Anforde27

rungen können in variierendem Grade rechtlich institutionalisiert sein. Während eine formale Regelung dieser Aspekte im Rahmen von Gesetzen international eher die Ausnahme ist, ist die Verankerung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften durchaus üblich. Ergänzend (und manchmal auch ausschließlich) sind Regeln zur Darstellung von Gesetzesfolgen meist in verschiedenen Handbüchern, Checklisten oder anderen Arten von Unterstützungsdokumenten abgefasst. Die Untersuchung der Fragestellung nach den wesentlichen Einflussfaktoren auf die Implementation von Folgenabschätzungen im Rechtsetzungsprozess erfolgt in der vorliegenden Arbeit ausgehend von den formalen Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden. Referenzobjekt der Analyse sind also nicht die eingangs erwähnten ‚Instrumente’ GFA und SKM, sondern die in Rechtsnormen und/oder offiziellen Handbüchern oder Checklisten festgeschriebenen Vorgaben zur Darstellung von Gesetzesfolgen.9 Die zentrale Bedeutung von GFA und SKM im aktuellen Reformdiskurs ist jedoch der wesentliche Auslöser dafür, sich mit der alten Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer standardmäßigen Integration von Verfahren zur Wissensgenerierung verbunden mit der Verpflichtung, die gewonnenen Erkenntnisse an die politischen und administrativen Entscheidungsträger weiterzugeben, zu beschäftigen. Zu betonen ist, dass sich dieses Buch ausschließlich mit der Darstellung von Gesetzesfolgen durch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. Die ebenfalls interessante Frage nach der Nutzung dieser Informationen durch die Regierung und durch die Legislative wird nur insoweit tangiert, als dass die Auswirkungen von Nutzungserwartungen auf das Interesse einzelner Akteure an der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung thematisiert werden. Der parlamentarische Gesetzgebungsprozess wird weitgehend ausgeklammert. Die Legislative spielt in dieser Forschungsarbeit nur dann eine Rolle, wenn das Machtverhältnis von Regierung und Parlament sowie die Informationsasymmetrien zwischen Exekutive und Legislative (sowie die Anreize der Exekutive, diese zu verringern) im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragestellungen diskutiert werden. 9

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Nicht einbezogen werden spezifische Maßnahmen zur Folgenabschätzung im Umweltbereich (Umweltverträglichkeitsprüfung und Strategische Umweltprüfung in Deutschland, miljökonsekvensbeskrivningar in Schweden), da sich diese weniger auf Gesetze, sondern auf Planungsund Genehmigungsvorhaben (Umweltverträglichkeitsprüfung) bzw. eine übergeordnete Programmplanung (Strategische Umweltprüfung) beziehen. Ebenfalls nicht betrachtet werden die Technikfolgenabschätzungen im Auftrag des Deutschen Bundestages, da der Fokus der Arbeit auf der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung liegt.

1.4 Fallauswahl Für die Fallauswahl war ausschlaggebend, dass es sich um zwei EU-Mitgliedsstaaten mit ähnlichen Inhalten in den formalen Regeln zur Folgenabschätzung handeln sollte, für welche möglichst große Differenzen hinsichtlich des Implementationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung erwartet werden konnten. Die Fallanalyse von zwei Ländern mit hoher Differenz in Bezug auf die zu erklärende Variable (Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung) zielt darauf ab, die nicht verallgemeinerungsfähigen Resultate der Länderstudien gegeneinander spiegeln zu können. Durch dieses Vorgehen sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die einerseits die reale Komplexität der Fälle und der systemischen Zusammenhänge nicht so stark reduzieren, wie das bei quantitativen Studien üblicherweise der Fall ist, es aber andererseits ermöglichen, auf Basis theoretischer Erkenntnisse vom konkreten Fall zu abstrahieren. Das auf diese Art und Weise gewonnene Wissen ist zwar im strengen wissenschaftstheoretischen Sinne nicht verallgemeinerbar, nach Auffassung der Autorin ist das Vorgehen jedoch adäquat für die Generierung von fundierten Erkenntnissen über die beiden Fälle und es leistet darüber hinaus einen Beitrag zur vergleichenden Systemforschung, insbesondere zum Verständnis der wichtigen Stellschrauben bei der Implementation von Meta-Regulierungs-Vorschriften in den Rechtsetzungsprozess. Über die genannten Faktoren hinaus spielten forschungspragmatische Gründe (Sprachkenntnisse und Feldzugang) bei der Fallauswahl eine Rolle. Alle genannten Kriterien treffen auf die ausgewählten Untersuchungsobjekte Deutschland und Schweden zu. Beides sind EU-Mitgliedsstaaten und in beiden Ländern wurden zwischen 1995 und 2000 unter dem Reformlabel GFA (in Schweden: ‚konsekvensutredning’ bzw. Simplex-Analyse als eine Form der KMU-Folgenabschätzung) die bereits vorher existierenden Regelungen zur Folgenabschätzung im Rechtsetzungsprozess in ähnlicher Art und Weise erweitert und verändert (siehe Kap. 2.1.4 und 2.2.7). Zusätzlich ergänzte man diese Reformbemühungen in Schweden ab 2003 und in Deutschland ab 2006 durch die Einführung der Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM. Die Erwartung eines unterschiedlichen Implementationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden basierte auf vorhandenen Einschätzungen von Experten und auf einigen wenigen Evaluationen sowie auf wissenschaftlichen Arbeiten zur Gesetzesvorbereitung in den beiden Ländern. Für den Fall Schwedens erwartete die Autorin einen höheren Implementationsgrad als für Deutschland, weil Schweden traditionell als ein Land 29

gilt, in dem Gesetze besonders sorgfältig vorbereitet werden und wo Folgenabschätzungen und Verfahren zur Herstellung von Transparenz über konkurrierende Einschätzungen verschiedener Stakeholder fest im Politikformulierungsprozess verankert sind. Eine besondere Rolle spielt hierbei das schwedische Kommissionswesen. In Schweden werden größere Gesetzgebungsvorhaben in der Regel nicht schwerpunktmäßig innerhalb der Ministerialverwaltung vorbereitet, sondern es werden zu deren Erarbeitung staatliche Untersuchungskommissionen eingesetzt, welche relativ unabhängig von der Regierung agieren können und im Vorfeld der Rechtsetzung umfassende Recherchearbeiten durchführen und alternative Lösungsmöglichkeiten im Hinblick auf deren Vor- und Nachteile bewerten (OECD 2007). Am Ende ihrer durchschnittlich zweijährlichen Arbeit legt jede Kommission ein Gutachten vor, welches publiziert wird und eine wichtige Grundlage für die weitere Rechtsetzungstätigkeit der Ministerialverwaltung darstellt (s.a. Kap. 2.2.3). Deutschland mit seiner formalisierten Regelungskultur, einem hohen Grad an Politikverflechtung im föderalen System und einem geschlossenen System der Regelungsvorbereitung (Kernaufgabe der Ministerialverwaltung, abgeschottete und intransparente Prozesse der Beteiligung und der Wissensgenerierung) gilt als ein Land, in dem bisherige Versuche zur Verbesserung der Darstellung von Gesetzesfolgen weitgehend gescheitert sind.10 Nennenswert sind die 1984 eingeführten „Blauen Prüffragen“ (Kap. 2.1.4) und die bereits erwähnten Innovationsbemühungen der letzten Jahre unter dem Label der GFA (Sachverständigenrat Schlanker Staat 1998, Bundesrechnungshof 2004, OECD 2004a). Ob diese Annahmen über einen hohen Implementationsoutput in Schweden und einen geringen Umsetzungsgrad in Deutschland tatsächlich zutreffen, wurde bisher nicht in umfassender Art und Weise empirisch geprüft. Insbesondere lagen bisher keine Daten darüber vor, ob und in welchem Ausmaß Differenzen zwischen den verschiedenen materiellen Folgenabschätzungsanforderungen vorliegen (z.B. Darstellung von Haushaltsauswirkungen, Darstellung von Kosten für KMU, Darstellung von Alternativen) und wie diese zu erklären sind. Dieses Empiriedefizit soll durch die vorliegende Studie verringert werden.

10 Aufgrund der komparativen Anlage des Buches wird ausschließlich die Bundesebene betrachtet.

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1.5 Aufbau des Buches und Methodologie Im Folgenden wird der Aufbau des Buches erläutert, gleichzeitig werden wesentliche Merkmale des methodischen Vorgehens erklärt. Während im ersten, einleitenden Kapitel eine kurze Einführung in das Forschungsthema gegeben und das Untersuchungsdesign dargestellt wurden, enthält das zweite Kapitel eine ausführliche Darstellung und Charakterisierung der Rechtsetzung in Deutschland und Schweden. Es wird sowohl auf formale und reale Merkmale des Rechtsetzungsprozesses als auch auf elementare Strukturmerkmale der Politikformulierung eingegangen. Besonderes Augenmerk gilt den an der Formulierung von Gesetzentwürfen beteiligten Akteuren und deren Einflussmöglichkeiten. Die Darstellungsweise entspricht einer dichten Fallbeschreibung, d.h. die einzelnen Charakteristika der Rechtsetzung werden nicht analytisch getrennt und vergleichend abgehandelt, sondern es werden der deutsche und der schwedische Fall jeweils gesondert beschrieben. Auf diese Art und Weise kann der Komplexität der Systeme am besten Rechnung getragen werden. Damit einhergehend besteht das Ziel von Kap. 2 darin, die zentralen Merkmale der Politikformulierung bzw. die Gesetzgebung in beiden Ländern herauszuarbeiten und dem Leser die wesentlichen Grundlagen für das Verständnis der nachfolgenden empirischen Analyse und der Diskussion der Hypothesen zu vermitteln. Zudem wird ein deskriptiv gehaltener historischer Überblick über Reformen zur besseren Rechtsetzung in beiden Ländern seit Anfang der 1970er Jahre als Hintergrundinformation zur Einordnung der aktuellen Reformbemühungen gegeben. Kap. 2 endet mit einer zusammenfassenden Gegenüberstellung der Rechtsetzung in Deutschland und Schweden, wobei wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal kurz benannt werden. Methodische Basis der Systembeschreibungen in Kap. 2 bilden umfangreiche Literaturrecherchen, Dokumentenanalysen (für formale Vorgaben: Rechtstexte, interne Vorschriften und Regierungsdokumente) und Experteninterviews mit Ministerialbeamten11 in Deutschland und Schweden. Das dritte Kapitel enthält eine ausführliche Beschreibung der empirischen Ergebnisse zur Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden. Die primärempirische Untersuchung des Imple11 Der Begriff „Ministerialbeamte“ wird im Folgenden als Sammelbegriff für alle im höheren Dienst tätigen Mitarbeiter/innen in Bundesministerien und für die äquivalenten schwedischen Mitarbeiter/innen der Kanzlei der Ministerien benutzt. In der Begriffsverwendung in dieser Arbeit bezieht er sich nicht nur auf Berufsbeamte, sondern auch auf Angestellte. Im schwedischen System gibt es keinen Beamtenstatus wie in Deutschland.

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mentationsgrades von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden erfolgt ausgehend von den formalen Anforderungen an eine Darstellung von Folgenaspekten im Zusammenhang mit Gesetzentwürfen der jeweiligen nationalen Regierungen. Im deutschen Fall hat eine Darstellung der Gesetzesfolgen im Rahmen der Gesetzesbegründung und in zusammenfassender Art und Weise auf dem Gesetzesvorblatt zu erfolgen, während Folgenaspekte in Schweden üblicherweise in den Propositionen der Regierung an den Reichstag beschrieben werden. Diese Propositionen basieren oft auf den Vorarbeiten von Kommissionen, so dass die Ergebnisse der Folgenabschätzungen der Kommissionen im Rahmen der Regierungsvorlagen meist noch einmal zusammenfassend dargestellt werden. Der Untersuchungszeitraum ist das Jahr 2006. Um belastbare Daten für eine größere Zahl von Fällen zu generieren, führte die Autorin eine Vollerhebung im Untersuchungszeitraum durch, d.h. alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung (bzw. der Regierungsfraktionen) und alle Propositionen der schwedischen Regierung aus dem Jahr 2006 wurden daraufhin geprüft, ob und mit welchem Informationsgehalt Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen erfüllt wurden oder nicht. Ergänzend zur primärempirischen Erhebung wertete die Autorin sekundärempirisches Material aus. Hauptziel dieses Vorgehens war es, Aussagen über die landesspezifischen Entwicklungen (Kontinuitäten und Veränderungen) in der Darstellung von Gesetzesfolgen im Zusammenhang mit den Reformbemühungen seit Mitte der 1990er Jahre treffen zu können. Da sich zeigte, dass die Datenlage für Schweden wesentlich besser war als für Deutschland, wurden für den deutschen Fall weiterführende eigene Erhebungen durchgeführt.12 Im Ergebnis der empirischen Untersuchungen zum Implementationsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung bestätigt sich die Ausgangsannahme, dass Vorschriften zu Folgenabschätzung in Schweden in höherem Maße implementiert sind als in Deutschland. Es zeigt sich aber auch für den schwedischen Fall eine deutlich erkennbare Implementationslücke. Für beide Länder ergeben sich hinsichtlich des Implementationsgrades erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen materiellen Folgenaspekten (siehe Kap. 3.4). Ergänzend führte die Autorin sowohl für Deutschland als auch für Schweden stichprobenartige Untersuchungen von Gesetzentwürfen aus den 1970er Jahren durch, um langfristige Entwicklungen in der Praxis der Folgendarstellung sichtbar zu machen (siehe Kap. 3.5).

12 Analyse von Gesetzentwürfen aus den Jahren 1999 und 2003 (Vollerhebung) im Hinblick auf die Darstellung von Gesetzesfolgen analog zur empirischen Untersuchung für das Jahr 2006.

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Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Frage, wie die Implementationsunterschiede von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden erklärt werden können. Hierfür werden zunächst drei Erklärungshypothesen aus der Theorie des soziologischen Neo-Institutionalismus abgeleitet. Hypothese 1 erklärt Differenzen im Implementationsgrad durch konfligierende Umweltanforderungen, auf welche die Ministerialorganisation(en) mit einer Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur reagieren. Hypothese 2 stellt vor allem auf die Bedeutung von Kontrolle und Transparenz für die Ebene (Formal- oder Aktivitätsstruktur) und den Grad der Implementation ab. Hypothese 3 betont die Notwendigkeit der Kompatibilität vorherrschender Denkweisen, Interpretationsmuster und Deutungssysteme mit Reforminhalten für eine erfolgreiche Implementation neuer Verfahren, Methoden und Instrumente. Empirische Grundlage der Hypothesenprüfung (Kap. 4.2. bis 4.4.) sind neben den empirischen Daten aus Kap. 3 umfangreiche Dokumentenanalysen und zahlreiche Experteninterviews mit deutschen und schwedischen Ministerialbeamten und anderen relevanten Reformakteuren. Im Fazit (Kap. 5) werden die zentralen Erkenntnisse dieses Buches zusammengefasst. Die wesentlichen Argumentationsstränge werden überblicksartig dargestellt und es wird herausgearbeitet, worin der wissenschaftliche Mehrwert der Forschungsarbeit liegt. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die gewonnenen Erkenntnisse für die Ausgestaltung und die Erfolgsaussichten von Reformbemühungen um ‚bessere Rechtsetzung’ in Deutschland und in Schweden besitzen.

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2 Exekutive Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden

Zur Annäherung an die Forschungsfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Verfahren der Folgenabschätzung in den deutschen und den schwedischen Rechtsetzungsprozess sind Kontextinformationen zur Politikformulierung im Allgemeinen und zur Ausarbeitung von gesetzlichen Regelungen im Besonderen sowie zu essentiellen Merkmalen des politisch-administrativen Entscheidungssystems unabdingbar. Das folgende Kapitel enthält deshalb eine Beschreibung von Akteuren, Prozessen und Strukturen der Gesetzesvorbereitung auf Bundesebene in Deutschland (Kap. 2.1) sowie in Schweden (Kap. 2.2). Das Erkenntnisinteresse und das Hauptaugenmerk der Darstellungen liegen auf der Phase der Entwurfserstellung bis hin zum Kabinettsbeschluss. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren wird aufgrund des Forschungsfokus dieser Arbeit, der sich auf die Ministerialverwaltung als Vollzugsinstanz von Vorschriften zur Folgenabschätzung richtet, nicht näher betrachtet, Gleiches gilt für Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Parlaments. Darüber hinaus werden die Schwerpunkte der politischen Bemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ in beiden Ländern seit Ende der 1960er Jahre dargestellt. Das Kapitel endet mit einer vergleichenden Zusammenfassung der wesentlichen Charakteristika der Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden (Kap. 2.3).

2.1 Gesetzesvorbereitung in der bundesdeutschen Exekutive: Ein Blick in die ‚black box’ Die vorparlamentarischen Entscheidungsprozesse im politisch-administrativen System der BRD werden in Anlehnung an Eastons Modell des politischen Systems (1953) häufig als ‚black box’ bezeichnet, da die Erstellung von Rechtsentwürfen innerhalb der Ministerialverwaltung von nicht involvierten Akteuren nur schlecht nachvollzogen werden kann. Das deutsche System der Gesetzesvorbereitung gilt als abgeschottet.

Koordinations- und Abstimmungsprozesse finden in geschlossenen Netzwerken statt, Beteiligungsverfahren und deren Ergebnisse werden nur selten transparent gemacht. Charakteristisch sind eine Dominanz negativer Koordinationsmechanismen (Scharpf 1993), eine hohe fachliche Spezialisierung der federführenden Einheiten und ein ausgeprägter juristischer Fokus, welcher Fragen der Einpassung ins bestehende Normengefüge und der Verfassungsmäßigkeit einen besonders hohen Stellenwert beimisst. Im Folgenden soll etwas Licht ins Dunkel der ‚black box’ der exekutiven Gesetzesvorbereitung gebracht werden. In Kap. 2.1.1 wird zunächst kurz dargestellt, welche Arten von Rechtsvorschriften in Deutschland unterschieden werden und welche Akteure die formalen Entscheidungskompetenzen zur Verabschiedung dieser Vorschriften besitzen. Thematisiert wird auch, inwieweit das in der Einleitung erwähnte Phänomen der Normenflut der Realität entspricht.

2.1.1 Normtypen und Anzahl der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene Nach der Art der Rechtsquelle lassen sich in Deutschland vier verschiedene Typen von Rechtssätzen unterscheiden, welche in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen: Verfassung, formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und öffentlich-rechtliche Satzungen. Verwaltungsvorschriften hingegen sind keine Rechtssätze im juristischen Sinne, da sie per Definition nicht allgemein verbindlich sind, sondern nur verwaltungsinterne Gültigkeit besitzen. Die Verfassung unterliegt nach Art. 79 Abs. 3 GG einer Ewigkeitsgarantie, d.h. eine Abschaffung des föderalen Systems (der Gliederung des Bundes in Länder), der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder der Grundrechte ist unzulässig. Darüber hinaus sind Verfassungsänderungen nach Art. 79 Abs. 2 GG mit einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich. Der Gesetzesbegriff wird in ‚formelle Gesetze’ und ‚materielle Gesetze’ differenziert. Formelle Gesetze sind Rechtsnormen, die von den verfassungsmäßig berufenen Trägern der gesetzgebenden Gewalt (Bundestag und Bundesrat) in einem vom Grundgesetz vorgeschriebenen Verfahren erlassen werden. Gesetzgebung im materiellen Sinne (‚materielle Gesetze’) umfasst jeden Erlass von Rechtssätzen mit Außenwirkung. Rechtsverordnungen und Satzungen werden deshalb zwar als Gesetze im materiellen Sinne, nicht jedoch im formellen Sinne bezeichnet. Wenn in der vorliegenden Arbeit von Gesetzen gesprochen 36

wird, so sind damit Gesetze im materiellen Sinne gemeint. Der Prozess des Zustandekommens von Rechtssätzen (materiellen Gesetzen) wird allgemein als Rechtsetzungsprozess bezeichnet. Der Begriff Gesetzgebungsprozess hingegen bezieht sich üblicherweise ausschließlich auf die Entstehung von formellen Gesetzen. Formelle Bundesgesetze in Deutschland können entweder Zustimmungsoder Einspruchsgesetze sein. In welchen Fällen eine Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz erforderlich ist, legt das Grundgesetz fest. Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat kein absolutes Veto einlegen, sondern eine abweichende Position lediglich dadurch zum Ausdruck bringen, dass er – nachdem er ggf. den Vermittlungsausschuss angerufen hat – Einspruch gegen das Gesetz einlegt. Der Einspruch des Bundesrates kann anschließend durch den Bundestag mit absoluter Mehrheit überstimmt werden (suspensives Veto). Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze hat sich im Laufe der Entwicklung der BRD aufgrund von Unitarisierungstendenzen sowie einer zunehmenden Politikverflechtung (Scharpf 1985, 1994b) im Exekutivföderalismus erhöht und lag vor der Föderalismusreform I, die im Sommer 2006 verabschiedet wurde, bei über 50% (Burkhart/Manow 2006). Rechtsverordnungen werden im Gegensatz zu formellen Gesetzen nicht von der Legislative, sondern von der Exekutive erlassen. Hierzu muss nach Art. 80 Abs. 1 GG eine spezielle Ermächtigung durch das Parlament vorliegen, deren Inhalt, Zweck und Ausmaß im zugehörigen Gesetz festgelegt wird. Rechtsverordnungen beruhen also auf der Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen von der Legislative auf die Bundesregierung als Kollektivorgan, auf einzelne Bundesminister oder auf Landesregierungen. Nach Art. 80 Abs. 2 GG sind Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers aufgrund des hohen Anteils zustimmungspflichtiger Gesetze auf Bundesebene sowie der Ausführung der meisten Bundesgesetze durch die Länder13 häufig an die Zustimmung des Bundesrates gebunden. Öffentlich-rechtliche Satzungen sind Rechtssätze, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Kreisen, Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie Hochschulen, Kammern, Sozialversicherungsträger) zur Regelung ihres Aufgabenbereiches mit Wirksamkeit für die ihnen angehörenden 13 Die Ausführung von Bundesgesetzen ist in den meisten Fällen Sache der Länder (entweder als eigene Angelegenheit der Länder nach Art. 84 GG oder im Auftrag des Bundes nach Art. 85 GG). Nur in wenigen, im GG festgelegten Politikbereichen besitzt der Bund einen eigenen Verwaltungsunterbau, der mit der Durchführung von Gesetzen betraut ist (ausführlich siehe z.B. Bach/Jann 2009).

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oder unterworfenen Personen erlassen werden. Die Satzungsbefugnis wird durch eine gesetzliche Grundlage verliehen. Öffentlich-rechtliche Satzungen können Rechte und Pflichten des Bürgers unmittelbar berühren (z.B. Bebauungsplan einer Gemeinde, Prüfungsordnung einer Hochschule). Seit den 1970er Jahren wurde in Deutschland immer wieder Kritik an der ‚Normenflut’ (Klatt 1986: 94; Holtschneider 1991) oder Gesetzesinflation (Burghart 1996: 22 ) geäußert. Gemeint ist damit die sich ständig erhöhende Anzahl der gültigen Rechtsvorschriften, die eine korrekte Erfassung der Rechtslage für Bürgerinnen und Bürger ohne juristische Unterstützung kaum noch ermöglicht. Ein Blick auf die statistischen Daten zeigt jedoch, dass diese Diagnose nur teilweise zutreffend ist. Die folgenden Darstellungen beziehen sich nur auf Gesetze und Rechtsverordnungen, Satzungen werden aufgrund fehlenden Datenmaterials ausgeblendet. Tabelle 1: Anzahl der Gesetze nach Wahlperioden (BRD) WP

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Gesetzesvorlagen

805

861

606

621

654

546

670

485

751

522

595

895

923

864

643

Gesetzesbeschlüsse

545

511

424

426

461

335

516

354

139

320

369

507

566

559

400

Quelle: Von Beyme 1997: 70. Stand der Gesetzgebung (GESTA) 13. bis 15. Wahlperiode.

Betrachtet man die Anzahl der pro Wahlperiode (WP) verabschiedeten formellen Gesetze seit Gründung der BRD, so sind zwar Schwankungen erkennbar, es zeigt sich aber kein eindeutiger Auf- oder Abwärtstrend. Spitzenwerte treten in den ersten Jahren nach der Gründung der BRD auf (mehr als 500 Gesetze pro WP), wo die Konsolidierung des Rechtsstaates im Vordergrund stand. Seit Ende der 1950er Jahre war die Anzahl der pro WP verabschiedeten Gesetze deutlich geringer (mit Ausnahme der Regierung Brandt von 1972–1976). Seit der Wiedervereinigung ist die Anzahl der beschlossenen Gesetze wieder auf das Niveau der Gründungsjahre gestiegen. Betrachtet man die Entwicklung der Gesamtzahl14 der gültigen Gesetze und Rechtsverordnungen, so lässt sich eine Zunahme der Anzahl der Normen im Zeitverlauf nachweisen. In der Regel werden mehr neue Gesetze verabschiedet 14 Das geltende Bundesrecht (Sachgebietsbezeichnung des Fundstellennachweises A) umfasste im Mai 2007 1.813 Gesetze und 2.771 Rechtsverordnungen. (Stand: 11.05.2007, BT-Drs. 16/5323).

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als alte Gesetze außer Kraft gesetzt. Zwar führen Rechtsbereinigungsaktionen ebenso wie Kodifikationen regelmäßig zu deutlichen Reduktionen in der Gesamtzahl der Rechtsnormen, der Trend zu mehr Gesetzen bleibt dadurch jedoch ungebrochen. Zum einen sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche neue Regelungsmaterien entstanden (z.B. Atomkraft, Gentechnik, Internet), zum anderen hat die EU das föderale System Deutschlands um eine zusätzliche Ebene erweitert. Drittens führte die Privatisierung staatlicher Infrastrukturmonopole seit Ende der 1980er Jahre zu wachsenden Regulierungserfordernissen in den entsprechenden Sektoren und viertens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, liegt es in der Logik unseres politischen Systems, dass sich die Mehrheitsfraktionen im Parlament über die Ausübung ihrer Aufgabe als ‚Gesetzgeber’ profilieren. Die Zunahme der Anzahl der Gesetze im Zeitverlauf ist allerdings moderater als die Debatte über die ‚Normenflut’ erwarten lässt. So gab die Bundesregierung 1977 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag an, dass das Bundesrecht 1.480 Gesetze und 2.280 Rechtsverordnungen umfasse (BT-Drs. 8/212). Dreißig Jahre später enthielt das geltende Bundesrecht 333 Gesetze und knapp 500 Rechtsverordnungen mehr als 1977 (Mai 2007: 1813 Gesetze und 2771 Rechtsverordnungen, BT-Drs. 16/5323). Abschließend soll noch kurz auf die bereits eingangs erwähnten Verwaltungsvorschriften eingegangen werden, die zwar aufgrund ihrer (formal) fehlenden Außenwirkung15 keine Rechtssätze sind und damit streng genommen nicht zur Rechtsetzung gehören, welche aber in Reformbemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ meist mit eingeschlossen sind. In der Regel beschränkt sich diese Inklusion jedoch auf politische Lippenbekenntnisse, während konkrete Handlungsanleitungen oder Vorgaben zur Verbesserung von Verwaltungsvorschriften noch viel seltener sind als bei materiellen Gesetzen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Tatsache, dass der 2006 in Deutschland eingesetzte Nationale Normenkontrollrat (NKR) bisher fast ausschließlich Gesetze und Rechtsverordnungen, aber kaum allgemeine Verwaltungsvorschriften geprüft hat. Das wesentliche Zielobjekt der Reformen zur besseren Rechtsetzung in Deutschland sind Gesetze und Rechtsverordnungen. Da Verwaltungsvorschriften eine hohe Relevanz für die Implementation von Rechtsvorschriften16 in Deutschland besit15 Die formale Definition als Vorschriften, die nur den Innenbereich der Verwaltung berühren, ist umstritten, da Verwaltungsvorschriften in der Praxis häufig eine nicht unerhebliche Außenwirkung besitzen (z.B. im Steuerrecht). 16 „In manchen Bereichen determinieren und steuern Verwaltungsvorschriften das alltägliche Handeln der Verwaltungsangehörigen stärker als die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften.“ (BMI 1992b: 28).

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zen, sollen sie an dieser Stelle kurz näher charakterisiert werden. In den nachfolgenden Teilen des Buches werden Verwaltungsvorschriften (ebenso wie Rechtsverordnungen) ausgeklammert, da sich die empirische Untersuchung aufgrund der vergleichenden Perspektive auf (formelle) Gesetze beschränkt. Verwaltungsvorschriften unterscheiden sich von Rechtsverordnungen und Gesetzen durch den Grad ihrer Verbindlichkeit. Während Gesetze und Rechtsverordnungen allgemein verbindlich und einklagbar sind, besitzen Verwaltungsvorschriften nur eine interne Verbindlichkeit für Behörden oder Bedienstete der öffentlichen Verwaltung; es sind also Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden, Verwaltungsstellen oder Bedienstete ergehen und die dazu dienen, Organisation und Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen. Verwaltungsvorschriften sollen für eine Vielzahl von Fällen gelten. Anordnungen für den Einzelfall werden dagegen meist als Weisungen bezeichnet. Eindeutige Regelungen zur Zuständigkeit, für das Zustandekommen, die inhaltliche und formale Gestaltung sowie die Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften gibt es nicht. Dies spiegelt sich u.a. in der Vielfalt der Bezeichnungen von Verwaltungsvorschriften wider (Verwaltungsverordnungen, Erlasse, Verfügungen, Richtlinien, Bekanntmachungen, Dienstanweisungen etc.). Verwaltungsvorschriften beruhen auf der Organisationsgewalt der Regierung und bedürfen daher keiner gesetzlichen Grundlage. Der Bestand an Verwaltungsvorschriften ist unübersichtlich. Ellwein kritisierte bereits Ende der 1980er Jahre, dass nur ein Teil der Verwaltungsvorschriften veröffentlicht sei, wobei die Überschaubarkeit durch verschiedene Publikationsarten (Bundesanzeiger, BGBl, Ministerialblatt, Staatsanzeiger, verschiedene Datenbanken etc.) zusätzlich erschwert würde (Ellwein 1989: 27ff). Erst 2006 begann die Bundesregierung mit der Entwicklung einer Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes (DB VwV Bund)17. Seit Ende November 2007 ist VwV Bund über das Internet frei zugänglich. Allerdings gibt die Datenbank keinen vollständigen Überblick über alle Verwaltungsvorschriften. Die Bundesministerien haben jeweils mehr oder weniger umfangreiche Teillisten ihrer Verwaltungsvorschriften in die Datenbank eingespeist. Nicht sichtbar sind diejenigen Verwaltungsvorschriften, welche einer Ausnahmeregelung unterliegen (z.B. Verwaltungsvorschriften zur Durchführung von Rechtsakten der EU) oder bereits in anderen Datenbanken (VV-Steuer, VV Sozial- und Arbeitsrecht, 17 Kabinettsbeschluss zum Ausbau der Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes vom 31. Mai 2006, GMBl 46/2006. Die Entwicklung der Datenbank VwV Bund erfolgte durch das BMI in Zusammenarbeit mit der juris GmbH.

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Bundesrechtsdatenbank, Datenbank E-VSF, Förderdatenbank des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Startothek, Infothek der Bundespolizei) archiviert sind. Deshalb hat beispielsweise das Bundesministerium der Finanzen (BMF), in dessen Bereich laut BT-Drs. 16/4741 im Jahr 2007 mehr als 5.000 Verwaltungsvorschriften gültig waren, in der Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes nur einige Dutzend Verwaltungsvorschriften veröffentlicht. Es ist anzunehmen, dass ein großer Anteil der übrigen Verwaltungsvorschriften in der bereits länger existierenden Datenbank VV-Steuer publiziert ist. VV-Steuer ist jedoch kostenpflichtig. Die Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes gewährleistet also keinen Gesamtüberblick über die Anzahl der gültigen Verwaltungsvorschriften. Trotzdem stellt die Datenbank eine gewisse Verbesserung im Zugang zu Verwaltungsvorschriften dar. Nach Auskunft der Bundesregierung im Zuge einer Kleinen Anfrage der FDP zu Verordnungen und Verwaltungsvorschriften betrug die Gesamtzahl der Verwaltungsvorschriften, welche „Gesetze oder Verordnungen mit unmittelbarem Bezug zu Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen interpretieren“ (BT-Drs. 16/4741: 3), im März 2007 auf Bundesebene 5.663 (BT-Drs. 16/4741). Ein Großteil davon (5.112) entfiel auf das BMF. Verhältnismäßig viele Verwaltungsvorschriften wurden außerdem für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (143), das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (84), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (82) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (81) ausgewiesen. Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: D

D D

D

Die Anzahl der pro LP neu verabschiedeten Gesetze und Rechtsverordnungen ist schwankend (kein eindeutiger Auf- oder Abwärtstrend). Besonders viele Gesetze wurden in den Gründungsjahren der BRD sowie in der Zeit nach der Wiedervereinigung verabschiedet. Die Gesamtzahl der Rechtsnormen wächst moderat. Während die Erarbeitung, Gestaltung und Publikation von Gesetzen und Rechtsverordnungen ausführlichen Regulierungen unterliegt, ist der Bestand an Verwaltungsvorschriften unübersichtlich und es gibt keine allgemeinen Vorschriften über deren Zustandekommen, deren inhaltliche und formale Gestaltung sowie deren Veröffentlichung. Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ beziehen Verwaltungsvorschriften zwar meist formal mit ein, konzentrieren sich jedoch in der Praxis v.a. auf Gesetze und Rechtsverordnungen. Satzungen werden komplett ausgeklammert. 41

2.1.2 Die Ministerialverwaltung im Prozess der Gesetzesvorbereitung Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Frage, warum Vorschriften zur Folgenabschätzung im Rechtsetzungsprozess häufig nicht oder nur unzureichend implementiert werden. Um sich mit dieser Frage auseinander zu setzen, ist es zunächst wichtig, ein Verständnis für das System der Gesetzgebung auf Bundesebene zu entwickeln und zu verstehen, welche Prozesse, Strukturen und Anreizsysteme die Erarbeitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen in Deutschland prägen. In der wissenschaftlichen Literatur wird davon ausgegangen, dass die Ministerialverwaltung in dieser Phase des Gesetzgebungsprozesses eine zentrale Rolle spielt (Smeddinck 2006: 156; Jann/Bogumil 2009: 27). Die Ministerialverwaltung ist auch diejenige Instanz, welche Vorschriften zur Folgenabschätzung implementieren soll, indem sie im Prozess der Erarbeitung von Gesetzentwürfen entsprechende Analysen durchführt und deren Ergebnisse anschließend im Rahmen der Gesetzesbegründungen (sowie in komprimierter Fassung auf den Vorblättern) darstellt. Nachfolgend wird der Prozess der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung in Deutschland chronologisch beschrieben. Ziel ist es, die wesentlichen Merkmale des Prozesses der Erarbeitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen herauszuarbeiten und Aufgaben und Einflussmöglichkeiten der Ministerialverwaltung in diesem Prozess zu spezifizieren. Sucht man nach allgemeinen Regeln für die Rechtsetzungsarbeit in der Ministerialverwaltung, wird man erst auf der Ebene der Geschäftsordnungen fündig. Im Grundgesetz sind zwar Vorschriften zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren festgelegt, es enthält jedoch keine Regelungen zur Gesetzesvorbereitung durch die Ministerien. Auf der Ebene von Gesetzen sind strukturelle Vorgaben für die Rechtsetzungsarbeit in Ministerien vor allem für das nachgeordnete Recht zu finden. Meist beziehen sich diese auf spezifische Anhörungs- und Beteiligungspflichten (s.a. König 1987: 123ff). Detaillierte Vorschriften für die Rechtsetzungsarbeit der Ministerien finden sich in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), welche als allgemeine Verwaltungsvorschrift eine Dienstanweisung für den inneren Geschäftsbetrieb der Bundesministerien ist, sowie in der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg). Darüber hinaus existieren innerhalb der einzelnen Ressorts eine Vielzahl von Hausanordnungen, Dienstanweisungen oder Rundschreiben, die auch die Behandlung von Rechtsetzungsvorhaben betreffen können (König 1987: 125f).

42

Gesetzesvorlagen können vom Bundesrat, aus der Mitte des Bundestages oder von der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht werden. In der Praxis ist die Form der Regierungsvorlage die häufigste. So gingen in der 15. WP (2002–2005) des Deutschen Bundestages 70% der verabschiedeten Gesetze auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. 22% der erfolgreich verabschiedeten Gesetze im genannten Zeitraum stammten aus der Mitte des Bundestages, 4% gingen auf Initiativen des Bundesrates und weitere 4% auf gemeinsame Initiativen zurück (GESTA 15. WP). Während der Anteil der Regierungsvorlagen an allen verabschiedeten Gesetzentwürfen seit 1990 konstant bei ca. 70% liegt, war er seit Anfang der 1970er Jahre kontinuierlich gesunken (7. WP 1972– 1976: 83% Regierungsentwürfe). In den 1950er und 1960er Jahren lag der Anteil der Regierungsentwürfe an den erfolgreichen Gesetzesvorlagen bei ca. 80% (Von Beyme 1997: 70; GESTA; eigene Berechnungen). Die anderen Verfassungsorgane haben also in den letzten Jahrzehnten zunehmend von der Möglichkeit zum Einbringen eigener Gesetzesinitiativen in den Bundestag Gebrauch gemacht. Diese Tatsache ändert jedoch nichts daran, dass auch heute noch die Regierung diejenige Instanz ist, welche für den größten Teil aller Gesetzesvorlagen steht. Erfolgreiche Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages stammen häufig auch aus der Feder von Angehörigen der Exekutive und werden nur aus Zeitgründen offiziell von den Mehrheitsfraktionen des Parlaments initiiert. Grundsätzlich ist der Einfluss der Ministerialverwaltung auf die Entwurfsgestaltung bei Regierungsvorlagen und bei den meisten Entwürfen der Regierungsfraktionen besonders groß, aber auch bei Initiativen aus Bundestag oder Bundesrat kann die Ministerialverwaltung erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Rechtstexte ausüben, indem Ministerialbeamte Formulierungshilfen für das Parlament geben oder beratend tätig werden. Die Initiative für Gesetzgebungsvorhaben, die in der Ministerialverwaltung vorbereitet werden, kann grundsätzlich zentral oder dezentral geprägt sein. Zentrale Programminitiativen sind eher selten (Schmidt/Treiber 1975b). Typische Beispiele für zentrale Programminitiativen sind im Rahmen von Koalitionsvereinbarungen festgelegte Politiken oder Maßnahmen in Problemfeldern, die längerfristig auf der Medienagenda stehen und akuten politischen Handlungsbedarf hervorrufen. Bei zentralen Programminitiativen legt die politische Leitung der Ministerien die Vorgaben zur Programmausarbeitung fest bzw. kommuniziert die zusammen mit anderen politischen Akteuren festgelegten Entscheidungen an die mittlere Leitungsebene (Abteilungs- und Unterabteilungsleiter) bzw. die Arbeitsebene des Ministeriums (Referate), auf welcher diese dann umgesetzt wer-

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den. Sowohl das Agenda-Setting als auch die Entscheidungsabläufe und -inhalte sind meist eher politisch geprägt (Smeddinck/Tils 2002). Im Gegensatz zu zentralen Programminitiativen zeichnen sich dezentrale Programminitiativen dadurch aus, dass sie inhaltlich auf den Aufmerksamkeitsbereich und den Aktionsraum der organisatorischen Einheit, von der sie ausgehen, beschränkt bleiben (Schmidt/Treiber 1975b). Um Gesetzgebungsprojekte im Rahmen von dezentralen Programminitiativen findet eine politische oder öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung – wenn überhaupt – meist erst in einer späten Phase des Gesetzgebungsprozesses statt. Das federführende Referat besitzt in solchen Fällen deutlich größere Handlungsspielräume als bei zentralen Programminitiativen. Bei der Durchsetzung von dezentralen Programminitiativen bei der politischen Leitung von Ministerien spielt aufgrund des hierarchischen Aufbaus und der Linienorganisation der Ministerien die mittlere Leitungsebene eine wichtige Rolle. Werden dezentrale Programminitiativen von der mittleren Leitungsebene blockiert, sind neben Argumentations- und Überzeugungsbemühungen der Referate verschiedene Ausweichstrategien üblich. Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang das Umgehen des hierarchischen Dienstwegs durch ‚institutionelle Umsetzer’. Dabei handelt es sich um Personen, die keine Positionen in der zuständigen hierarchischen Linie des Ministeriums besetzen, sondern außerhalb dieser Hierarchie stehen, welche aber die Aufmerksamkeit der politischen Spitze erregen können (z.B. persönliche Referenten des Ministers oder wichtige Parlamentarier) (Schmidt/Treiber 1975b). Unabhängig davon, ob die Programminitiative zentral oder dezentral war, wird ein erster Gesetzentwurf üblicherweise innerhalb des federführenden Ministeriums im zuständigen Referat erarbeitet (‚Hausentwurf’). Bei der Erarbeitung des Hausentwurfes besitzt das federführende Referat im Rahmen seiner Fachkompetenz häufig erhebliche Handlungsspielräume. Konkrete politische Vorgaben sind eher selten und v.a. bei der sogenannten ‚politischen Gesetzgebung’ zu finden. Als ‚politische Gesetzgebung’ werden Regelungsvorhaben bezeichnet, die über einen gewissen Zeitraum hinweg ein zentrales Thema der politischen und öffentlichen Auseinandersetzung bilden. Davon unterschieden wird die ‚administrative Gesetzgebung’, deren Inhalte meist gar nicht auf der Medienagenda landen und die vorrangig von der Verwaltung ausgehandelt und gestaltet wird (Smeddinck/Tils 2002: 314ff, s. a. Kap. 4.1.2). ‚Politische Gesetzgebung’ ist oft durch eine zentrale Programminitiative gekennzeichnet, während ‚administrative Gesetzgebung’ häufiger auf dezentrale Initiativen zurückgeht. Die Begriffe sind jedoch nicht identisch, d.h. auch ‚administrative Gesetzgebung’ kann von der Ministeriumsspitze zentral initiiert und gesteuert sein. 44

Der Hausentwurf wird zunächst innerhalb des ‚Hauses’ (d.h. im federführenden Ministerium) abgestimmt. Neben der Leitungsebene eines Ressorts sind an der Abstimmung des Hausentwurfes in der Regel weitere materiell betroffene Fachreferate sowie Querschnittseinheiten wie Haushalts- oder Rechtsreferate beteiligt (König 1987: 133). Liegt ein abgestimmter ‚Hausentwurf’ vor, beginnt die Phase der Ressortabstimmung – der ‚Hausentwurf’ wird zum ‚Referentenentwurf’. Laut § 45 GGO sollte das federführende Bundesministerium die von der Gesetzgebung betroffenen Bundesministerien (= alle Bundesministerien, deren Geschäftsbereiche berührt sind), Bundesbeauftragten und Beauftragten der Bundesregierung frühzeitig in die Vorarbeiten und die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes einbeziehen. In der Praxis erhalten die anderen Ressorts jedoch häufig erst im Zuge der Ressortabstimmung die Möglichkeit zur Stellungnahme. Zum Teil findet vor der vollständigen Ressortabstimmung eine Vorabstimmung mit einzelnen Ministerien statt. So berichtete eine Mitarbeiterin des BMI im Experteninterview, dass deren Entwürfe vor der ‚großen Ressortabstimmungsrunde’ in der Regel in einer kleinen Vorrunde mit dem Finanz- und dem Justizministerium im Hinblick auf Rechtssystematik bzw. Kosten abgestimmt würden. In der Ressortabstimmung werden das BMI und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) in jedem Fall konsultiert. Sie sind beide für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und die Einfügung des Gesetzentwurfes in die bestehende Rechtsordnung zuständig (siehe hierzu Kap. 4.2.1). Grundsätzlich zu beteiligen sind auch der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (§ 45 Abs. 3 GGO) sowie der NKR (§ 45 Abs. 1 GGO). Darüber hinaus ist es Aufgabe des federführenden Referates zu entscheiden, wer noch an der Abstimmung zu beteiligen ist und in welchen Schritten die Koordination durchgeführt wird. Es liegt ebenfalls in der Verantwortung des federführenden Ministeriums sicherzustellen, dass den konsultierten Instanzen genügend Zeit zur Prüfung und Erörterung von Fragen ihres Zuständigkeitsbereiches bleibt (§ 45 Abs. 4 GGO). Die diesbezüglich notwendigen Entscheidungen werden in der Regel vom Referatsleiter bzw. von der Referatsleiterin getroffen. Die zu beteiligenden Behörden sowie der NKR (vgl. zu letzterem Kap. 2.1.4 und 4.2.1) erhalten innerhalb einer festgelegten Frist die Möglichkeit zur Stellungnahme und zu Änderungsvorschlägen. Die übliche Frist für Stellungnahmen der Ressorts beträgt laut GGO vier Wochen. In der Praxis ist jedoch eine Fristsetzung von ein bis zwei Wochen die Regel (Interview BMJ 2007, Interview NKR-Sekretariat 2007). Dabei obliegt es den zu beteiligenden Ministerien selbst zu entscheiden, welches Referat für die hausinterne Abstim45

mung der Stellungnahme des Ministeriums die Federführung innehaben soll. Der Geschäftsverteilungsplan der Ministerien trifft hierzu die nötigen Festlegungen. In der Regel sind die Ansprechpartner für bestimmte Programmvorhaben dem federführenden Ressort aber aus langjähriger Kooperation bekannt, so dass es über die Frage der Federführung bei Mitprüfungsaufgaben meist keine Auseinandersetzungen gibt (Sperl 2001). Nachdem die Stellungnahmen der Ressorts eingegangen sind, werden sie durch das federführende Ministerium geprüft und es wird ggf. eine neue Fassung des Entwurfes erarbeitet. Die Erarbeitung dieser Neufassung kann erheblichen Verhandlungs- und Abstimmungsaufwand zwischen den Ressorts verursachen, insbesondere bei kontroversen Vorhaben mit konfliktären Stellungnahmen und gegensätzlichen Änderungsvorschlägen. Die Abstimmung der überarbeiteten Fassung erfolgt üblicherweise entweder im Rahmen von Ressortbesprechungen oder durch bilaterale Kompromissverhandlungen. Bei Ressortbesprechungen werden die vom federführenden Ministerium erarbeiteten Lösungsalternativen in einer persönlichen, gemeinsamen Besprechung mit Vertretern aller betroffenen Ministerien mündlich erörtert und im Idealfall zu einer Kompromisslösung geführt. Bilaterale Besprechungen haben den Vorteil, dass es häufig leichter ist, in einem kleineren Rahmen einzelne strittige Elemente zu einer einvernehmlichen Lösung zu führen. Nachteilig ist allerdings der damit verbundene nachträgliche Koordinationsaufwand, da es zur ministeriellen Praxis gehört, „den anderen beteiligten Ressorts die Ergebnisse dieser bilateralen Übereinkünfte mitzuteilen und möglicherweise in der Folge bilateraler Koordination entstandene neue Einwände der anderen Ressorts ebenso in die gesamte Abstimmung mit einzubeziehen. Der Koordinationsbedarf kann dadurch leicht immense Ausmaße annehmen.“ (Sperl 2001: 35). Konnte auf Arbeitsebene (Referenten) oder unter Einbeziehung der unteren Leitungsebenen (Referatsleiter, Unterabteilungsleiter) keine Lösung für einen eventuellen Konflikt gefunden werden, wird die Klärung der Streitfrage auf höhere hierarchische Ebenen verlagert. In der Regel wird versucht, das Problem zunächst auf der Abteilungsleiterebene zu lösen. Ist dies nicht möglich, finden Gespräche auf Staatssekretärsebene statt. Erst dann, wenn auch auf dieser Ebene kein Kompromiss gefunden werden konnte, wird der umstrittene Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt (§ 17 GOBReg).

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Neben den Ressorts werden in der Regel die Länder, die kommunalen Spitzenverbände18 sowie ggf. Gewerkschaften, Fachkreise und Verbände an der Entwurfserstellung beteiligt. Das Bundeskanzleramt ist über die Beteiligung zu unterrichten und bei „Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung muss seine Zustimmung eingeholt werden“ (§ 47 Abs. 2 GGO). Zeitpunkt, Umfang und Auswahl der zu beteiligenden Verbände und Fachkreise sind dem federführenden Ministerium überlassen (§ 47 Abs. 3 GGO). Bei kleineren Gesetzesvorhaben lassen sich diese Beteiligungen oft schriftlich abwickeln, bei größeren oder umstrittenen Vorhaben sind jedoch häufig Besprechungen nötig: „Ein häufiger Ablauf ist: Besprechung mit den zu beteiligenden Ressorts, Besprechung mit den Ländern, Anhörung der Fachkreise und Verbände, erneute Ressortbesprechung unter Berücksichtigung der Besprechungen mit Ländern und Verbänden.“ (König 1987: 137)

Der externe Abstimmungsprozess ist insbesondere in ‚etablierten’ Politikfeldern dadurch gekennzeichnet, dass ein fester Kreis von Verbänden und Fachspezialisten konsultiert wird, der dem federführenden Referat durch langjährige Zusammenarbeit bekannt ist. Viele Fachreferate besitzen eine relativ konstante Umwelt, was zu einer Routinisierung des Beteiligungsverfahrens beiträgt. Schmidt und Treiber zogen in ihrer informativen Studie aus den 1970er Jahren daraus die Schlussfolgerung, dass eine problemspezifische und systematische Erfassung der von einer Rechtsvorschrift betroffenen externen Akteure den Referatsleitern vielfach unnötig erscheine und dass die Routinisierung des Beteiligungsverfahrens seine Problematisierung verhindere. Problematisiert würde dann nur noch, ob der Kreis der Beteiligten diesmal groß oder klein zu halten sei und ob die Beteiligung eher früh oder eher spät erfolgen solle (Schmidt/Treiber 1975b). Die im Konsultationsprozess abgegebenen Stellungnahmen zu einem Gesetzentwurf werden in Deutschland von offizieller Seite aus meist nicht publiziert. Einige Verbände veröffentlichen ihre Stellungnahmen jedoch im Internet. 18 § 41 GGO: „Zur Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, die Belange der Länder oder der Kommunen berühren, soll vor Abfassung eines Entwurfes die Auffassung der Länder und der auf Bundesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbände eingeholt werden.“; § 47 GGO: „Der Entwurf einer Gesetzesvorlage ist Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und den Vertretungen der Länder beim Bund möglichst frühzeitig zuzuleiten, wenn ihre Belange berührt sind. Ist in wesentlichen Punkten mit der abweichenden Meinung eines beteiligten Bundesministeriums zu rechnen, hat die Zuleitung nur im Einvernehmen mit diesem zu erfolgen. Soll das Vorhaben vertraulich behandelt werden, ist dies zu vermerken.“

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Bevor eine Gesetzesvorlage dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt wird, ist sie dem BMJ zur Prüfung in rechtssystematischer und rechtsförmlicher Hinsicht (Rechtsprüfung) zuzuleiten (zu den Inhalten der Rechtsprüfung siehe Kap. 4.3.1). Die Frist zu dieser abschließenden Prüfung beträgt in der Regel vier Wochen, kann aber unter bestimmten Bedingungen verkürzt oder bei umfangreichen Entwürfen auf acht Wochen verlängert werden (§ 50 GGO). Alle Gesetzentwürfe und alle Entwürfe für Verordnungen der Bundesregierung sind nach § 15 GOBReg der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten. Auf dem Vorblatt und in der Gesetzesbegründung sind bestimmte, in §§ 43 und 44 GGO und § 16 Abs. 3 GOBReg näher beschriebene Kriterien darzustellen, beispielsweise die zu erwartenden Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden oder die Auswirkungen auf gleichstellungspolitische Fragen (siehe Kap. 3.2.1 und 4.3.1). Bei Gesetzentwürfen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung muss dargestellt werden, warum eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist. Die Fachreferate des Bundeskanzleramtes erstellen zur Vorbereitung der Kabinettssitzung einen sogenannten Kabinettvermerk, in dem eine Empfehlung für die Beschlussfassung des Kabinetts abgegeben wird. Eventuell vorhandene Probleme können bei der einige Tage vor der Kabinettssitzung stattfindenden Besprechung der Staatssekretäre angesprochen werden. In der traditionell am Mittwoch Vormittag stattfindenden Kabinettssitzung findet die formale Beschlussfassung19 über zur Entscheidung stehende Gesetzesund Verordnungsentwürfe oder allgemeine Verwaltungsvorschriften statt. Der Finanzminister besitzt ein suspensives Veto, d.h. er kann nach § 26 GOBReg Widerspruch gegen Beschlüsse der Bundesregierung mit finanzieller Bedeutung erheben. Wird Widerspruch erhoben, muss eine erneute Abstimmung in einer anderen Kabinettssitzung stattfinden. Der Beschluss gilt dann als angenommen, wenn die Mehrheit der Kabinettsmitglieder dafür stimmt und der Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin mit der Mehrheit stimmt. Gleiche Rechte kommen dem Innen- und dem Justizministerium bei Fragen der Vereinbarkeit von Gesetz- und Verordnungsentwürfen mit geltendem Recht zu. Des Weiteren 19 Die wichtigsten Beschlussfassungen werden nur formal im Kabinett getroffen. In der Realität sind die Entscheidungen zuvor in informellen Koalitionsgremien (z.B. der Koalitionsrunde oder in Koalitionsausschüssen) vorbereitet worden (Gros 2000). Zudem gibt es ein entlastendes System von interministeriellen Ausschüssen und Kabinettsausschüssen zur Vorklärung und Vorentscheidung. Diese Ausschüsse werden von Ministerialbeamten dominiert, da sich die Minister häufig durch ihre Staatssekretäre oder andere Beamte vertreten lassen. Nur in besonders wichtigen Ausschüssen wie dem Sicherheitsrat sind in der Regel die Minister selbst anwesend (Rudzio 2006).

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besitzen das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ein besonderes Initiativ- und Vertretungsrecht in frauen- bzw. verbraucherpolitischen Angelegenheiten (§ 15a und § 21 Abs. 4 GOBReg). Obwohl Entscheidungen im Kabinett formal per Mehrheitsbeschluss20 getroffen werden können, wenn einschließlich des Vorsitzenden21 die Hälfte der Bundesminister anwesend ist, kommen die Abstimmungen in der Praxis fast immer zu einem einstimmigen Ergebnis (Mertes 2000; von Beyme 1997: 144.). Konflikte zwischen den Ressorts wurden bereits im Vorfeld ausgeräumt. ‚Kampfabstimmungen’ hingegen zeigen meist ein baldiges Ende der Regierungskoalition an. Für viele Regelungsentwürfe sind jedoch gar keine Ressortstreitigkeiten zu erwarten, da es sich um kleinere fachliche Korrekturen, gesetzestechnische Anpassungen oder Anschlussregelungen handelt. Diese werden dann meist im abgekürzten Umlaufverfahren erledigt. Die Kabinettsvorlage wird dann ohne vorherige Abstimmung an alle Ministerien versandt. Die Ministerien haben innerhalb einer festgesetzten Frist die Möglichkeit zum Widerspruch. Erfolgen keine Einwände, dann gilt der Entwurf nach Ablauf der Frist als von der Bundesregierung beschlossen. Beschlüsse der Bundesregierung werden also regelmäßig ohne konkrete Beratung zwischen den Ressorts gefällt (kritisch hierzu Epping 1995). Ist ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung beschlossen, leitet ihn der Bundeskanzler als ‚Regierungsentwurf’ zusammen mit Vorblatt und Begründung zunächst dem Bundesrat zu, welcher im ersten Durchgang in einer Frist von sechs Wochen Stellung nehmen kann. Nach erfolgter Stellungnahme des Bundesrates erarbeitet das federführende Bundesministerium ggf. eine Gegenäußerung aus, die dem Bundeskanzleramt als Kabinettsvorlage zuzuleiten ist (§ 53 Abs. 1 GGO) und nach Beschluss der Bundesregierung der Begründung des Gesetzentwurfes beim Einbringen der Gesetzesvorlage in den Bundestag beigefügt wird. Anschließend wird der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Im Bundestag finden drei Lesungen statt (Überweisung an Fachausschüsse nach 1. Lesung, Beratung im Ausschuss und ggf. Anhörung von Sachverständigen, Vorstellung und Beratung der Ausschussarbeit in 2. Lesung, Abstimmung nach 3. Lesung), bevor ein Gesetz mit einfacher Mehrheit (= Mehrheit der Stimmen) 20 § 24 Abs. 2 GOBReg: „Die Bundesregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.“ 21 Sitzungen der Bundesregierung finden unter Vorsitz des Bundeskanzlers und im Falle seiner Verhinderung unter dem Vorsitz des Stellvertreters des Bundeskanzlers statt (§ 22 GOBReg).

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beschlossen werden kann. Anschließend wird das Gesetz an den Bundesrat weitergeleitet, der je nach Art des Gesetzes (Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz) ein suspensives oder ein aufschiebendes Veto besitzt. Bei Einwänden des Bundesrates wird ggf. der Vermittlungsausschuss mit dem Ziel einer Kompromissfindung einberufen. Beschlüsse im Bundesrat werden (außer bei Verfassungsänderungen) mit absoluter Mehrheit gefällt, wobei die einzelnen Bundesländer ihre Stimmen einheitlich abzugeben haben. Ist ein Gesetz von den zuständigen Verfassungsorganen beschlossen worden, wird es vom Bundespräsidenten unterschrieben und in dessen Auftrag vom BMJ im Bundesgesetzblatt verkündet. Für die Arbeitsweise der Ministerialverwaltung bei der Gestaltung von Politik (hier: Gesetzentwürfen) wurden in der deutschen verwaltungswissenschaftlichen Literatur zwei vorherrschende Prinzipien identifiziert: die ‚selektive Perzeption’ von Problemen und Lösungen sowie die ‚negative Koordination’ bei der Abstimmung von Entwürfen. Unter ‚selektiver Perzeption’ (March/Simon 1958: 127ff; Mayntz/Scharpf 1973b) wird die in den Fachreferaten von Ministerien bestehende Tendenz zur Aufmerksamkeitsbeschränkung auf den eigenen Zuständigkeitsbereich verstanden. Probleme jenseits dieser Grenzen werden weniger deutlich wahrgenommen und für nicht so wichtig gehalten (Scharpf 1973: 81). Insofern sucht das federführende Referat vor allem nach optimalen Lösungen für ein bestimmtes Teilproblem. Gesamtgesellschaftlich betrachtet führt die Summe der optimalen Lösungen für ein Teilproblem jedoch nicht zur optimalen Lösung des Gesamtproblems, wenn die Interdependenzen der Teilprobleme untereinander unbekannt sind, weil Maßnahmen in einem Bereich Folgeprobleme in einem anderen Bereich auslösen können (Schmidt/Treiber 1975b: 158). Die selektive Perzeption von Problemen und Lösungen ist eine Folge des hohen Grades an Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Ministerialverwaltung. Verstärkend wirken die Größe der Ministerialverwaltung des Bundes und die spezifischen Merkmale der internen Aufbauorganisation der Ministerien (hierarchische Linienorganisation mit hoher Leitungstiefe und geringer Leitungsspanne auf der Arbeitsebene). In einem deutschen Bundesministerium arbeiten im Schnitt 1.150 Beamte und Angestellte (ohne Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt; Bundeshaushaltsplan 2006). Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit knapp 377 Mitarbeitern ist das kleinste Ministerium, gefolgt vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit 490 Mitarbeitern, vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, 538 Mitarbeiter) und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und 50

Reaktorsicherheit (BMU, 670). Besonders große Ministerien sind (neben dem Auswärtigen Amt) das Verteidigungsministerium (BMVg, 2.225 Mitarbeiter) und das BMF (1.974). Das hohe Ausmaß an Spezialisierung in der Ministerialbürokratie spiegelt sich in der horizontalen und vertikalen Gliederung der Bundesministerien wider. Bogumil und Jann (2009: 155) geben eine Unterteilung der Bundesministerien in über 1.000 Referate, ca. 210 Unterabteilungen und 110 Abteilungen an. Es existieren eine Vielzahl von Kleinstreferaten, in denen manchmal nur eine oder zwei Personen arbeiten. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Zuständigkeiten der Referate sehr speziell sind, gleiches trifft auf die Expertise der Referenten zu. Die Tendenz zur selektiven Perzeption in der hierarchisch und hochgradig arbeitsteilig organisierten deutschen Ministerialverwaltung wird dadurch verstärkt, dass der vorherrschende Abstimmungsmechanismus derjenige der ‚negativen Koordination’ (Mayntz/Scharpf 1973b; Scharpf 1993, 1994a; Hustedt/ Tiessen 2006) ist. Darunter versteht man die Tatsache, dass federführende Referate ihre Vorhaben zunächst weitgehend unabhängig von anderen Organisationseinheiten in der Ministerialbürokratie bis zur Entscheidungsreife entwickeln und es erst dann den mitprüfenden Referaten zur Stellungnahme vorlegen. Diese prüfen die Referentenentwürfe vor allem im Hinblick auf mögliche negative Auswirkungen auf den eigenen Bereich. Die Frage, inwieweit das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen zu einer erwünschten Gesamtwirkung führt, wird bei dieser Art der Koordination kaum beachtet. Die gemeinsame Vorbereitung von Gesetzentwürfen im Rahmen von interministeriellen Projekt- oder Arbeitsgruppen nach dem Prinzip der ‚positiven Koordination’ im Sinne einer „simultanen Problemverarbeitung für übergreifende Zusammenhänge“ (Müller 1986) bildet die Ausnahme. Auch Vorschläge wie die Einrichtung von Planungsstäben zur Stärkung positiver Koordinationsmechanismen haben sich in der deutschen Ministerialbürokratie nicht durchsetzen können, ebenso wie Formen der Matrix- oder Mehrlinienorganisation sich bisher nicht regulär etabliert haben (Bogumil/Jann 2009: 156). Die dominierende Einlinienorganisation stärkt das Prinzip der ‚negativen Koordination’. Daraus ergibt sich die für Deutschland häufig als typisch beschriebene Tendenz zum Herunterkoordinieren von PolicyEntwürfen und zum Inkrementalismus (Politik der kleinen Schritte: Lindblom 1979; Wildavsky 1979). Die Größe der deutschen Ministerialverwaltung stellt einen nicht unerheblichen Machtfaktor dar, da die exekutive Arbeitsebene im Vergleich zur politischen Führungsmannschaft und auch im Verhältnis zum mit deutlich geringeren personellen Ressourcen ausgestatteten Parlament einen erheblichen Wissensvor51

sprung besitzt. Dieser Wissensvorsprung bezieht sich nicht nur auf eine fachliche Expertise, sondern auch auf politikstrategisches Wissen, da Interaktionsbeziehungen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren in der Phase der Entwurfserstellung in Deutschland nicht transparent gemacht werden müssen. Einflussnahme erfolgt vielfach auf informellem Wege und ist nur für diejenigen Akteure möglich, welche den entsprechenden Zugang zum federführenden Ministerium besitzen. Die Ergebnisse des formellen Konsultationsverfahrens müssen nicht publiziert werden. Die in der Ministerialverwaltung stattfindenden Entscheidungsprozesse in der Phase der Gesetzesvorbereitung sind damit in hohem Maße intransparent. Verstärkt wird die einflussreiche Position der Ministerialverwaltung dadurch, dass nicht selten die gesamten Vorbereitungsarbeiten für einen Gesetzentwurf vom federführenden Ministerium gesteuert werden. Ungeachtet der starken Position der Ministerialverwaltung besitzen verschiedene externe Akteursgruppen ebenfalls ein erhebliches Einflusspotential auf die Ausgestaltung von Gesetzentwürfen, welches sie nicht erst im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, sondern bereits in der Phase der Entwurfserstellung nutzen. Goetz (2007: 165) konstatiert, dass in den letzten Jahrzehnten starke Wandlungsprozesse im bundesdeutschen Politikformulierungsprozess stattgefunden hätten und dass es mittlerweile gar nicht mehr die Ministerialverwaltung sei, welche die Substanz der meisten Policy-Entwürfe gestalte und präge. In der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur vielfach rezipiert ist zudem das empirische Phänomen der Politikformulierung in Netzwerken, welche die Deutungshoheit über bestimmte Policy-Probleme und politische Lösungsansätze für sich beanspruchen und in denen die Ministerialverwaltung zwar häufig vertreten ist, aber eben nur als ein Akteur unter mehreren, die im Netzwerk politische Entscheidungen vorbereiten, aushandeln und häufig weitgehend determinieren (z.B. Sabatier 1993, Mayntz 1993, Jann/Wegrich 2008). Der folgende Abschnitt setzt sich deshalb mit Rolle und Einfluss anderer relevanter Akteursgruppen im Prozess der Gesetzesvorbereitung auseinander.

2.1.3 Die Bedeutung von Sachverständigen, Interessengruppen, Landesregierungen und Parteien In der wissenschaftlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, dass (neben der Ministerialbürokratie des Bundes) Landesregierungen, Parteien und Verbände besonders einflussreiche Akteure im Rechtsetzungsprozess des Bundes sind (Pappi et al. 1995; von Beyme 1997: 48). Eine weitere, von Interessengruppen 52

und Parteien nicht immer ohne Weiteres abgrenzbare Akteursgruppe, deren Einfluss häufig thematisiert und problematisiert wird, sind Sachverständige oder Experten (z.B. Goetz 2007), welche die Regierung bzw. die Ministerialbürokratie bei der Politikformulierung beraten und notwendiges Sachwissen zur Verfügung stellen. Das Parlament als formeller Gesetzgeber hat de facto häufig nur einen relativ geringen Gestaltungsspielraum, da die politische Vorabstimmung bereits im Rahmen formeller (z.B. Koalitionsausschuss, Ressortbesprechung etc.) und informeller Gremien (z.B. die ‚kleine Elefantenrunde’ unter Bundeskanzler Kohl Mitte der 1980er Jahre oder die üblichen informellen Verhandlungen mit Interessengruppen) erfolgt ist und die konkrete Ausarbeitung und Abstimmung von Details des Regelungsentwurfes durch die Ministerialbürokratie dominiert wird (Fromme 1994; von Beyme 1997: 54ff). Der Fakt, dass die Entscheidungsgewalt der demokratisch legitimierten Legislative durch die Ministerialbürokratien des Bundes und der Länder, Parteien, Verbände sowie verschiedene Arten von ‚Beratern’ eingeschränkt wird, spiegelt sich beispielsweise in Klagen über regelungswütige und Eigeninteressen verfolgende Beamte (‚Beamtenstaat’), über einen sich von den tatsächlichen Wünschen und Bedürfnissen der Bürger entfernenden ‚Parteienstaat’, über die Macht der Wirtschaftsverbände oder einzelner Unternehmen und über eine wachsende ‚Expertokratie’ wider.

2.1.3.1 Sachverständige und Interessengruppen Politikberatung durch Experten und Sachverständige außerhalb der öffentlichen Verwaltung22 wird einerseits als notwendiges Element politischer Steuerung in modernen, komplexen Gesellschaften gesehen und andererseits skeptisch beäugt, wenn vermutet wird, dass unter dem Deckmantel der unabhängigen Expertise Partikularinteressen vertreten und durchgesetzt werden. Die Formen der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung, der Ministerialverwaltung und der Legislative durch externe Experten und Sachverständige im Politikformulierungsprozess sind vielfältig. Neben der Möglichkeit der Politikvorbereitung durch zeitlich begrenzte Sachverständigenkommissionen gibt es zahlreiche dauerhaft angelegte Expertengremien (Räte und Beiräte). In bestimmten Bereichen wie z.B. der technischen Normung werden Entscheidungskompetenzen sogar formal an Fachleute delegiert (Voelzkow 1996). 22 Die Generierung, Strukturierung und Aufarbeitung von Wissen als Beratungsleistung gegenüber der Bundesregierung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Ministerialverwaltung und vieler oberer Bundesbehörden (Barlösius 2008; Weingart/Lentsch 2008: 164ff.; Jann/Veit 2009).

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Experten nehmen außerdem auf Politikformulierungsprozesse Einfluss, indem sie Auftragsstudien durchführen, Gutachten und Expertisen erstellen und andere Beratungsleistungen anbieten (s.a. Mai 2006: 270). Die genannten Formen der direkten fachlichen Beratung werden ergänzt durch eher indirekte Formen, wie z.B. die Publikation und medienwirksame Vermarktung bestimmter Lehrmeinungen und Ergebnisse, durch welche ein möglichst großer gesellschaftlicher Konsens über bestimmte Themen hergestellt werden soll. Von besonderer Relevanz für die Vorbereitung von komplexen Gesetzgebungsvorhaben ist die Etablierung von Expertenkommissionen, deren Bedeutung im Folgenden kurz charakterisiert werden soll. Ausschlaggebend für die Entscheidung über das Einsetzen einer Expertenkommission können verschiedene Faktoren sein. So kann eine Expertenkommission eingesetzt werden, um Zeit zu gewinnen, also eine politische Entscheidung aufzuschieben oder ggf. sogar abzuwenden (symbolische Politik). Kommissionen werden häufig auch dann etabliert, wenn grundsätzliche Reformen angestoßen werden sollen und innovative Lösungen gesucht werden. Expertenkommissionen dienen zwar der Generierung von Wissen und der sachlichen Bewertung verschiedener Steuerungsoptionen, noch wichtiger aber scheint ihre Funktion als Arena zur Vorstrukturierung politischer Entscheidungen und zur Kompromiss- und Konsensfindung (z.B. Rürup/Tiemann 2006) in der Verhandlungsdemokratie zu sein (Siefken 2006: 221). Das spiegelt sich beispielsweise in der meist von den Regierungsparteien gesteuerten Auswahl ‚ihrer’ Experten sowie. Der von einigen Autoren aus der Verhandlungsfunktion der Kommissionen gezogene Schluss einer Entmachtung der Entscheidungsakteure (Tils/Bornemann 2004; s.a. von Blumenthal 2003) im politisch-administrativen System lässt sich jedoch empirisch nicht belegen (Murswieck 2003: 125). Im Verlauf ihrer Tätigkeit werden Sachverständigenkommissionen vom zuständigen Fachreferat im für den Regelungsbereich federführenden Ministerium betreut. Berichte von Sachverständigenkommissionen werden publiziert und häufig öffentlichkeitswirksam debattiert. Im darauf folgenden Diskussionsund Aushandlungsprozess werden die Eckpunkte für eine geplante Regelung in Entscheidungsnetzwerken, welche je nach Thema unterschiedlich zusammengesetzt sind und aus Politikern und Spitzenbürokraten, aber auch aus externen Policy-Akteuren bestehen können, mehr oder weniger detailliert festgelegt. Diese Vorgaben bilden den Rahmen, in welchem das federführende Referat anschließend den Gesetzentwurf ausarbeitet. Dass Kommissionsentwürfe von der Regierung ‚eins zu eins’ übernommen werden, ist in Deutschland – anders als in Schweden – nicht üblich (Interview BMJ 2007). 54

Entgegen der unter Schlagworten wie ‚Kommissionitis’ oder ‚Berliner Räterepublik’ (v.a. in der ersten Legislaturperiode der Regierung Schröder) verschiedentlich geäußerten Vermutung über eine Zunahme der Bedeutung von Expertenkommissionen in der Politikformulierung (Leicht 2001), ist die Gesamtanzahl der Kommissionen und Beiräte in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen (1990: 189; 2002: 125). Siefken (2006: 217) zeigte in einer empirischen Studie, dass die Blütezeit der Beratungsgremien Ende der 1970er Jahre lag.23 Die anfangs erwähnte Wahrnehmung einer ‚Kommissionitis’ unter Schröder lässt sich v.a. auf die erhöhte Medienberichterstattung (Siefken 2006: 219f) über die zu brisanten politischen Themen eingesetzten Kommissionen zurückführen. Die Einbindung von fachlichen Experten in den Gesetzgebungsprozess ist in vielen Fällen nicht trennscharf von der Einflussnahme durch Verbände24, Nichtregierungsorganisationen und durch Vertreter von Einzelinteressen (z.B. großer Unternehmen)25 zu trennen. So stellen Interessengruppen der Ministerialverwaltung vielfach ‚ihre’ Experten für bestimmte Fragen zur Verfügung oder formal unabhängige Experten vertreten in Anhörungen oder Kommissionen bestimmte Interessen, ohne dass dies transparent gemacht wird (Mai 2006: 27). Der Einfluss und die Beteiligung von Interessengruppen und Experten im Gesetzgebungsprozess kann problematisch sein, wenn Interessenvertreter die Gesetzgebung stark mitprägen und gleichzeitig aufgrund der Intransparenz des exekutiven Prozesses der Gesetzeserstellung keine demokratische Kontrolle dieser Einflussnahme erfolgt. Die Einbindung verschiedener Betroffenengruppen in einer frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses26 ist einerseits sinnvoll, weil dadurch die Informationsbasis der Ministerialbeamten verbreitert wird. 23 Einschränkend ist zu erwähnen, dass die Zeitreihe von Siefken aufgrund fehlenden statistischen Materials leider nicht vollständig und mit gewissen methodischen Unsicherheiten behaftet ist. Im Gegensatz zum quantitativen Rückgang der Anzahl der Kommissionen haben sich die für Beiräte und Kommissionen bereitgestellten finanziellen Ressourcen zwischen 1969 und 1999 vervierfacht (Unkelbach 2001). 24 Die Verbändelandschaft in Deutschland ist durch einen Trend zu Heterogenisierung und Spezialisierung der Interessen gekennzeichnet (Lösche 2006: 337). Zu Funktionen, Formen und Wandlungsprozessen der Verbände in Deutschland gibt es eine umfangreiche wissenschaftliche Diskussion, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird. Einen guten Einstieg und Überblick geben Streeck 1994, Sebaldt/Straßner 2004 und 2006 sowie von Winter/ Willems 2007. 25 Zunehmend lassen große Unternehmen ihre Interessen nicht mehr ausschließlich über Verbände vertreten, sondern betreiben eigenständige Lobbyarbeit (Lösche 2006: 336). 26 Zur Einbindung verbandlichen Sachverstandes in Politikformulierung und -implementation in Form von Beiräten o.Ä. siehe Mai 2006: 269.

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Andererseits ist speziell die frühe und einseitige Integration bestimmter Interessenvertreter und die Exklusion anderer Gruppen von Normadressaten ein aus demokratietheoretischer Sicht problematisches Thema. Ein Beispiel hierfür ist die Einbindung von großen Anwaltskanzleien als juristische Berater in den ministeriellen Rechtsetzungsprozess (z.B. Gathmann 2009). Auf Grund der hohen Komplexität und der notwendigen juristischen Expertise ist von außen kaum nachvollziehbar, inwieweit juristische Berater durch bestimmte Feinheiten in den Formulierungen Klientelinteressen ihrer Mandanten vertreten und durchsetzen (z.B. Rohwetter 2005). Die Beziehungen zwischen Ministerialverwaltung und Verbänden sind in einigen Politikfeldern (Mai 1999) so stabil und eng, dass von ‚eisernen Dreiecken’ (iron triangle) aus Fachpolitikern, Fachbeamten und Fachverbänden gesprochen wird (Heclo 1978). Nicht selten spiegelt sich diese jahrelange Beziehung (Reutter 2001), welche trotz unterschiedlicher Positionen zur Entwicklung eines gemeinsamen Problemverständnisses führt und pragmatische Lösungen fördert, auch in Personalien wider. So ist es kein Einzelfall, dass Verbandsfunktionäre in die Exekutive oder in das Parlament wechseln oder umgekehrt frühere Minister, pensionierte Beamte oder ehemalige Abgeordnete Funktionen in Verbänden übernehmen.27 Neben der informellen Einflussnahme von Interessengruppen durch persönliche Kontakte zum federführenden Ministerium sowie durch verschiedene Arten von Beratungsleistungen und Öffentlichkeitsarbeit (Lösche 2006: 338) können Interessenvertreter und Verbände formal im Rahmen des Konsultationsverfahrens Einfluss auf die Ausgestaltung von Gesetzentwürfen nehmen. Die Einflussnahme von Interessengruppen im Rechtsetzungsprozess muss jedoch – wie bereits erwähnt – gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit nicht transparent gemacht werden und „verbleibt (…) vielfach im schöpferischen Halbdunkel“ (von Beyme 1997: 208.). Jann vertritt aus diesem Grunde die These, dass Gesetzesvorbereitung in Kommissionen im Vergleich zum üblichen intransparenten Aushandlungsprozess im ministeriell gesteuerten Verfahren demokratischer sei, da durch die Öffentlichkeitswirksamkeit der Kommissionen der Konsensfindungsprozess und die Einflussnahme von Interessen transparenter würden (Jann 2004a).

27 Siehe hierzu z.B. die Diskussion zur möglichen Übernahme des Postens des Hauptgeschäftsführers beim Bundesverband der Deutschen Industrie durch den Bundestagsabgeordneten und Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Norbert Röttgen Anfang 2007. Ein anderes Beispiel ist der Fall des ehemaligen Wirtschaftsministers Clement, der 2006 einen Aufsichtsratsposten beim Energiekonzern RWE übernahm.

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Während Interessenvertreter und Verbände im Prozess der Ausarbeitung von Rechtsnormen also sowohl auf formellem als auch auf informellem Wege mit der Ministerialbürokratie interagieren, ist ihr Einfluss beim Agenda-Setting und der Festlegung der allgemeinen Ziele als eher gering einzuschätzen. Die Interessenvertretung der Verbände in Deutschland ist in der Regel defensiv, d.h. Verbände werden nur dann aktiv, wenn sie mit bestimmten Maßnahmen eines Programms nicht einverstanden sind, aber sie sind selten selbst die Initiatoren und Agenda-Setter neuer Policies. Während klassische Verbände als eher selten als Agenda-Setter auftreten, haben sich verschiedene andere Akteure der Politikberatung in den letzten Jahren zunehmend als Initiatoren und Anstoßgeber für innovative politische Lösungen etabliert. Dazu gehören beispielsweise die traditionell stark im US-System verankerten, aber in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnenden Denkfabriken (Think Tanks) (Thunert 2003), insbesondere auch als Politik- und Gesellschaftsberater agierende operative Stiftungen wie z.B. die Bertelsmann- oder die Hertie-Stiftung (Welzel 2006: 280; Pautz 2008) sowie Unternehmensberatungen oder Consulting-Firmen, welche sich durch ihr Engagement in Agenda-Setting-Prozessen Expertise zu innovativen Methoden und Instrumenten aneignen und im Erfolgsfall später durch kommerzielle Aufträge von den angestoßenen Innovationsprozessen profitieren. Ein gutes Beispiel für die beschriebenen Entwicklungstendenzen ist die Einführung des Standardkosten-Modells in Deutschland (s.a. Kap. 2.1.4). Im Prozess des Agenda-Setting zum SKM in Deutschland spielten Wirtschaftsverbände – trotz eines originären Interesses ihrer Mitglieder an diesem Thema – kaum eine Rolle, während die Bertelsmann-Stiftung ebenso wie verschiedene Unternehmensberatungen die Etablierung des Themas in der politischen Entscheidungsarena ebenso wie die Methodenentwicklung nicht unerheblich beeinflussten.

2.1.3.2 Parteien und Länder In Charakterisierungen des bundesdeutschen Föderalismus fällt häufig der Begriff des ‚Exekutivföderalismus’. Mit dieser Bezeichnung ist das Phänomen der zahlreichen, intensiven und häufig informellen Kontakte zwischen Bundes- und Länderebene innerhalb der Exekutive aufgrund der spezifischen institutionellen Architektur des Bundesstaates (Gesetzgebungskompetenzen überwiegend beim Bund, Verwaltungskompetenzen überwiegend bei den Ländern) gemeint. Wagener prägte zur Beschreibung der engen Verbindungen zwischen Fachbürokraten des Bundes und der Länder den Begriff der ‚Fachbruderschaften’ und beklagte 57

die ‚Ressortkumpanei’ (Wagener 1979), welche die Gestaltungs- und Kontrollfunktion der Legislative (insbesondere der Landesparlamente) stark einschränke. Im formellen Gesetzgebungsverfahren ist die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes in der Institution des Bundesrates strukturell verankert. Die Zustimmungserfordernisse des Bundesrates wurden in der BRD (gestützt durch das Bundesverfassungsgericht) weit ausgelegt, was als ‚Gegenreaktion’ der Länder auf die extensive Nutzung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund interpretiert wurde. In der 14. und 15. WP lag der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze bei über 50% (Burkhart/Manow 2006). Ein zentrales Ziel der im Sommer 2006 von der Großen Koalition durchgesetzten ersten Stufe der Föderalismusreform war die Reduzierung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze als ein Element der Entflechtung des vertikal und horizontal verzahnten Mehrebenensystems in Deutschland. Der hohe Grad an Politikverflechtung (d.h. an institutionalisierten Mitwirkungsrechten, sich überschneidenden Zuständigkeiten und Koordinations- und Abspracheerfordernissen) wird häufig als Ursache für die mangelnde Reformfähigkeit Deutschlands gesehen. Im bundesdeutschen Rechtsetzungsprozess werden die Länder nicht nur am formellen Konsultationsverfahren beteiligt, sondern spielen auch auf informeller Ebene eine bedeutende Rolle. Abstimmungserfordernisse im Hinblick auf die für viele Gesetze notwendige Zustimmung im Bundesrat werden bereits vor Beginn des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens antizipiert. Zudem sind Fachbürokraten der Länder bei der Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften aufgrund ihrer Vollzugsnähe wichtige Wissenslieferanten für die Ministerialbeamten des Bundes. In Bezug auf den Einfluss der Länder im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene ist die Verquickung von Landes- und Parteiinteressen ein komplexes und schwieriges Thema. Ob Landes- oder Parteiinteressen in föderalen Verhandlungsprozessen dominieren, hängt von vielerlei Faktoren ab (Mehrheitsverhältnisse Bundestag und Bundesrat, Politikfeld, Thema) und wird kontrovers diskutiert. So schlussfolgerte Leunig aus einer Untersuchung ausgewählter Gesetzgebungsvorhaben, dass „der Parteienwettbewerb – abgesehen von Vorwahlzeiten – weder zu Blockaden noch zu einer Verdrängung von Landesinteressen führen muss“ (Leunig 2003). Benz hingegen vertritt die Auffassung, dass der Föderalismus durch eine kompetitive Parteipolitik überformt sei, in welcher die Akteure nicht in erster Linie die Interessen ihrer Gebietskörperschaft, sondern die ihrer Partei vertreten würden. Dies wiederum erschwere Verhandlungslösungen, v.a. bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, und erhöhe die Gefahr für Politikblockaden (Benz 2003). 58

Unabhängig vom Disput über das Ausmaß parteilichen Einflusses im föderalen Abstimmungsprozess, besteht Einigkeit darüber, dass nicht nur Landesinteressen, sondern auch Parteiinteressen eine bedeutende Rolle im Prozess der Erarbeitung und Durchsetzung neuer Rechtsvorschriften spielen, und zwar nicht erst im parlamentarischen Verfahren, sondern bereits in der Phase der Entwurfserstellung. So konstatierte Manow (2005: 249) angesichts einer zunehmenden Parteipolitisierung des bundesdeutschen Föderalismus, „dass die von Frido Wagener für die 1960er und 1970er beschriebenen vertikalen Fachbruderschaften zwischen Bundes- und Landesverwaltungen heute ergänzt, diszipliniert und teils überlagert werden durch vertikale Parteibruderschaften und Parteischwesterschaften“. Der Einfluss von Parteien auf die Ministerialbürokratie spiegelt sich auch in den Zahlen zur Parteimitgliedschaft wider, die seit Anfang der 1970er Jahre zumindest für den Bereich der administrativen Führungspositionen deutlich angestiegen sind (s.a. Kap. 4.2.2). Während der im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung hohe Anteil von Parteimitgliedern in der Ministerialverwaltung vor allem ein Indiz dafür ist, dass das Verfassungsideal der Trennung von Politik als Entscheider und Verwaltung als ausführender Instanz mit der Realität wenig zu tun hat, zeigt sich der konkrete Einfluss von Parteien auf die Ausarbeitung von Referentenentwürfen in den Ministerien in der Bedeutung formeller und informeller parteipolitischer Gremien im Gesetzgebungsprozess. Manow (2005) vertritt die Auffassung, dass Koalitionsarbeitsgruppen den Entscheidungsprozess zunehmend dominierten, womit eine Informalisierung des Abstimmungsprozesses einhergehe. Er konstatiert, dass sich durch die Koalitionsarbeitsgruppen „ein paralleler Instanzenzug etabliert“ hätte, der erst den Konsens der Fraktionsexperten der Koalitionsparteien sichert und diesen dann von den Fraktions- und Parteispitzen absegnen lässt. Dieser Koalitionskompromiss würde anschließend an das zuständige Ressort zur administrativen Umsetzung weitergeleitet: „Mit dem Bedeutungszuwachs von Koalitionsarbeitsgruppen in den Prozessen politischer Entscheidungsfindung geht (...) eine (...) Sequenzänderung (...) einher, die das bekannte Bild einer Zweiteilung in eine administrativ dominierte ‚Formulierungsphase’ und eine darauf folgende politisch geprägte ‚Durchsetzungsphase’ als nicht mehr zutreffend erscheinen lässt. Heutige politische Entscheidungsprozesse folgen vielmehr häufig einer (...) umgekehrten Sequenz (…). Tendenziell wird hierdurch (…) das gesamte Regelwerk der GGO, das die formalisierten Einspruchsrechte mitbetroffener Ressorts regelt, in seiner Kraft abgeschwächt, weil das (...) komplizierte Geschäft des politischen Interessenausgleichs zwischen den Regierungspartnern nicht im Nachhinein gefährdet werden soll.“ (Manow 1996: 103)

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Manow zieht aus dem Bedeutungszuwachs der Koalitionsarbeitsgruppen den Schluss einer Parteipolitisierung exekutiver Entscheidungsprozesse, die dazu führe, dass die Ministerialbürokratie nicht mehr der Primäradressat verbandlicher Einflussnahme sei, sondern dass neben der Vertretung in Beiräten oder Sachverständigenkommissionen die Einbindung in die relevanten Fachausschüsse der Parteien für die Verbände zumindest eine vergleichbare Bedeutung gewonnen hätte. Damit einher ginge ein Bedeutungsverlust der formell institutionalisierten Einfluss- und Einspruchsmöglichkeiten. Hintergrund der Aufwertung parteipolitischer Gremien sei die Verstärkung der Kontrolle des Koalitionspartners über die ansonsten vom zuständigen Ressort dominierte Politik. Die Informalisierung politischer Entscheidungsverläufe müsse jedoch nicht automatisch zu einer Schwächung des bürokratischen Einflusses auf die Rechtsetzung führen, sondern könne „auch einen Zuwachs an ministerialbürokratischer Durchsetzungskraft verursachen. Dieser Zuwachs resultiert hier in erster Linie aus der ‚befreienden’ Wirkung, die die Milderung des Konsenserfordernisses in der innerexekutiven Abstimmung mit sich bringt.“ (Manow 1996: 104f; s.a. Döhler/Manow 1992: 87; Nullmeier/Rüb 1993: 189). Die informelle Interessenabstimmung verdrängt die formellen Einflussmöglichkeiten v.a. dann, wenn es sich um Entscheidungsprozesse handelt, die stark politisiert sind (politisch sensible Themen wie z.B. Lauschangriff oder Asylkompromiss) (Manow 1996: 106; s.a. Smeddinck/Tils 2002: 297ff). Auch dann, wenn die programmatischen Positionen der Parteien weit auseinander gehen, gewinnen informelle parteipolitische Abstimmungsprozesse gegenüber dem formellen von der Ministerialverwaltung dominierten Verfahren an Bedeutung (Manow 1996: 105). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass neben den internen Akteuren der Ministerialverwaltung externe Interessenverbände, individuelle Interessenvertreter (z.B. große Unternehmen), Parteipolitiker der Bundes- und Landesebene, Fachbürokraten der Länder sowie verschiedene Arten von Experten und Sachverständigen sowohl informell als auch auf formellem Wege Einfluss auf die exekutive Erarbeitung von Gesetzentwürfen nehmen. Der Prozess der Gestaltung und Ausformulierung von Regierungsentwürfen ist im föderalen System der BRD durch umfangreiche Abstimmungs- und Koordinationserfordernisse charakterisiert, welche die Schaffung einer mehrheitsfähigen Entscheidungsgrundlage zu einer komplizierten und langwierigen Aufgabe machen. Diese Strukturmerkmale können nicht ohne Auswirkungen auf die ‚Erfolgsaussichten’ von Vorschriften zur Folgenabschätzung sein. Auf diesen Zusammenhang wird später noch genauer einzugehen sein.

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2.1.4 Bessere Rechtsetzung durch Folgenabschätzungen auf Bundesebene: Entwicklungslinien und Reformkontext Zum Abschluss dieses einführenden Kapitels zur Gesetzesvorbereitung in Deutschland wird ein historischer Überblick zu den politischen Bemühungen um eine ‚bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen in den letzten vier Jahrzehnten gegeben. Mit Hilfe dieser Darstellung der langfristigen Entwicklungslinien sollen prägende Ideen (sowohl auf instrumenteller Ebene als auch auf Ebene der dominanten Reformleitbilder, s.a. Jann 2002a), Erfahrungen und Erkenntnisse nachgezeichnet werden. Dieses Vorgehen erleichtert die kontextbezogene Interpretation der empirischen Ergebnisse zur Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung (Kap. 3) und verhindert, dass bei der Diskussion der Hypothesen in Kap. 4 historische Pfadabhängigkeiten und kulturelle Prägungen (z.B. durch Leitbilder) vernachlässigt werden. Die nachfolgende Beschreibung setzt sich ausführlich mit Maßnahmen zur Verbesserung der Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung des Bundes auseinander, während andere zum Reformbereich der ‚besseren Rechtsetzung’ gehörende politische Initiativen zwecks Einordnung in einen weiteren Kontext nur kurz angerissen werden. Die Darstellung der Entwicklung beginnt in den 1970er Jahren, da in dieser Zeit in der BRD die ersten strukturellen Reformversuche im Bereich der Politikformulierung stattfanden.

2.1.4.1 Die 1970er Jahre: Die Strukturen der Entscheidungsfindung intelligenter gestalten In der Regierungszeit der Großen Koalition 1966–1969 bestand aufgrund der Mehrheitsverhältnisse erstmals die Möglichkeit, grundsätzliche strukturelle Reformen der zwei Jahrzehnte zuvor im Rahmen der Staatsgründung festgelegten grundsätzlichen Architektur des politisch-administrativen Systems der BRD durchzusetzen. Der wesentlichste Schritt hierbei war die 1969 beschlossene ‚Große Finanzreform’, welche auf die Klärung finanzpolitischer Zuständigkeiten für Kooperationen zwischen Bund und Ländern abzielte (Einführung der Gemeinschaftsaufgaben, gemeinsame Planung in Planungsausschüssen und Bund-Länder-Kommissionen). Auch im Bereich der Verwaltungsreform legte die Große Koalition die Grundsteine für im Laufe der 1970er Jahre umgesetzte Reformvorhaben. Von besonderer Bedeutung hierbei war die Gründung der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform Ende 1968 (s.a. Bohne 2006: 61

60ff). Die aus Vertretern aller großen Bundesministerien bestehende Projektgruppe sollte reformpolitische Themen als Querschnittsinstitution im politischadministrativen System verankern. Leitidee war die Vorstellung eines ‚aktiven Staates’, der mit Hilfe der Wissenschaft Maßnahmen vorausschauend und rational plant, Synergieeffekte nutzt und aus Erfahrung lernt. Man hoffte, dadurch Problemen wie der mangelnden Beachtung langfristiger Gesetzesfolgen, den zum Teil erheblichen Wirkungsdefiziten politischer Programme sowie dem Fehlen eines Gesamtkonzepts der politischen Steuerung entgegenwirken zu können. Die von der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform mit verschiedenen Studien beauftragten Sozialwissenschaftler identifizierten für den Bereich der Gesetzesvorbereitung die starke Arbeitsteilung in der Ministerialverwaltung (sehr kleine Basiseinheiten, kaum Problemverarbeitungskapazitäten an der Spitze, Ressortegoismen) verbunden mit dem vorherrschenden Prinzip der ‚negativen Koordination’ als wesentliche Ursache für unbefriedigende Politikergebnisse. Sie schlugen deshalb vor, die Basiseinheiten in den Ministerien zu vergrößern (breitere Zuständigkeitsbereiche, mehr Personal pro Referat, flexiblere Aufgabenverteilung), so dass Arbeitsspitzen besser aufgefangen werden können und die Entsendung von Mitarbeitern in referats- oder ressortübergreifende Arbeits- oder Projektgruppen möglichst häufig praktiziert werden kann. Einheitenübergreifende Arbeits- oder Projektgruppen wurden als probates Mittel gesehen, um den Mechanismus einer ‚positiven Koordination’ in der Politikentwicklung zu stärken. Unterstützend sollten Planungsabteilungen oder -stäbe eingerichtet werden.28 Ein weiterer wichtiger Reformvorschlag, der Anfang der 1970er Jahre intensiv diskutiert wurde, war die Flexibilisierung der Laufbahnordnung für das Personal im höheren Dienst. Man hoffte, damit die Dominanz einer legalistischen Perspektive in der Ministerialverwaltung abzubauen und stattdessen die Perspektiven anderer Disziplinen stärker in den Politikformulierungsprozess zu integrieren (Mayntz/Scharpf 1973c). Angelehnt an die Vorstellung einer ‚aktiven Politik’ und verbunden mit dem Glauben, dass sich politische Entscheidungsprozesse durch wissenschaftliche Methoden ‚rationalisieren’ lassen (im Sinne einer Verstärkung eines Problemlösungsmodus im Sinne der rationalistischen Entscheidungstheorie) fanden in den 1970er Jahren eine Reihe von Projekten statt, die innovative Methoden zur Verbesserung der Gesetzesvorbereitung testeten (Böhret/Hugger 1979, 1980). Im Jahr 1976 veröffentlichte das BMI in diesem Zusammenhang einen 28 Eine Übersicht zu den Reformvorschlägen der Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform gibt Müller 1978. Zur Auflösung der Projektgruppe Ende 1975 siehe Lepper 1976.

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Leitfaden für das „Verwaltungsplanspiel als Testverfahren im Entscheidungsprozess“ (BMI 1976), welcher in der Anwendungspraxis aber keine Bedeutung erlangte. Darüber hinaus wurden Ende 1976 die GGO-Vorschriften zur Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung stark erweitert. So war in der alten GGO II von 1960 lediglich festgelegt gewesen, dass in der Gesetzesbegründung „die voraussichtlichen Kosten der Ausführung des Gesetzes (Haushaltsausgaben, Sach- und Personalkosten) unter Hervorhebung der zu erwartenden Mehrausgaben und Mindereinnahmen“ (§ 37 GGO II vom 10. März 1960), aufgegliedert nach Bund, Ländern und Gemeinden, darzustellen (zu schätzen oder zu errechnen) seien. Weitere Vorschriften zur Folgendarstellung existierten nicht. Mit der Novellierung der GGO II Ende 1976 wurden die bestehenden Vorschriften zur Darstellung der Kostenfolgen für den Staat spezifiziert und ausgeweitet. Dahinter stand die Idee, staatliches Handeln besser und langfristiger zu planen und vorausschauend zu gestalten. Hinzu kamen folgende Regelungen: D D

D

D D

Darstellung der Auswirkungen von Gesetzentwürfen auf die Einnahmen und Ausgaben (brutto) der öffentlichen Haushalte; Aufgliederung der auf den Bundeshaushalt entfallenden Kosten für den Zeitraum der jeweils gültigen mehrjährigen Finanzplanung des Bundes nach den Hauptgruppen des Gruppierungsplans; Angabe, ob und inwieweit die auf den Bund entfallenden Mehrausgaben oder Mindereinnahmen in der mehrjährigen Finanzplanung berücksichtigt sind; Angabe, auf welche Weise für vorgesehene Mehrausgaben oder Mindereinnahmen des Bundes ein Ausgleich gefunden werden kann. Stärkung von Quantifizierungen: „Die Beträge sind im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen zu errechnen, notfalls zu schätzen.“ (§ 40 Abs. 2 GGO II vom 15.10.1976)

Neben den genannten umfassenden Erweiterungen in Bezug auf die Darstellung von Gesetzesfolgen im staatlichen Bereich, wurde die GGO II um Regelungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen im wirtschaftlichen und ökologischen Bereich erweitert: D

Darstellung, „in welcher Höhe sich die Maßnahmen voraussichtlich auf Einzelpreise und auf das Preisniveau, besonders auf das Verbraucherpreisniveau, auswirken werden“;

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D D D D

Erläuterung, „wie sich die Maßnahmen voraussichtlich sonst noch auf den Verbraucher auswirken werden“; Angabe, „ob Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind oder nicht“; Darstellung anderer wesentlicher Lösungsmöglichkeiten und Erläuterung der Erwägungen, die zu ihrer Ablehnung geführt haben; Darlegung wesentlicher abweichender Meinungen der kommunalen Spitzenverbände (alle Zitate: § 40 Abs. 2 GGO II vom 15.10.1976).

Die GGO-Novellierung umfasste außerdem die Einführung eines Gesetzesvorblattes, welches auf einer Druckseite Auskunft über Zielsetzung, Lösungsvorschlag, Alternativen und Kosten eines Gesetzentwurfes gibt. Wie später noch zu zeigen ist, sind viele dieser in den 1970er Jahren eingeführten GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung noch heute so oder in ähnlicher Art und Weise gültig. Die dargestellten Vorschriften, welche dazu dienen sollen, die systematische Beachtung von bestimmten Folgenaspekten im Gesetzgebungsprozess zu fördern und das Nachdenken über Alternativen zu stärken, spiegeln deutlich den Reformgeist dieser Zeit wider. So sind in den Vorschriften zur Finanzplanung die Vorstellungen der aktiven Politik und der ‚Planungseuphorie’ zu erkennen, während die Vorgaben zur Alternativenerläuterung und zur Darstellung verschiedenster Folgenaspekte die Idee einer Förderung der ‚positiven Koordination’ reflektieren. Als die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform Mitte der 1970er Jahre aufgelöst wurde, hatte die politische Unterstützung umfassender struktureller Maßnahmen zur Binnenmodernisierung des politisch-administrativen Systems infolge der ersten Ölkrise und drängender wirtschaftlicher Probleme bereits stark nachgelassen. Die Phase der ‚Planungseuphorie’ war vorbei. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verschob sich die Schwerpunktsetzung der Verwaltungsreform von Fragen der Wirkungsoptimierung hin zum Thema Entbürokratisierung (Ellwein/Hesse 1985; Seibel 1986; Voigt 1993; Jann 2004b).29 Beim politischen Agenda-Setting (Kabinettsbeschluss zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung vom 13.12.1978) spielte das liberal-konservative politische Lager in Verbindung mit der aufkommenden Kritik an der keynesianischen Wirtschaftspolitik der Sozialdemokraten 29 Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre wurden in allen deutschen Bundesländern (mit Ausnahme des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz) und auf Bundesebene Kommissionen zu verschiedenen Aspekten der Entbürokratisierung eingesetzt (Auflistung siehe Seibel 1986: 150f).

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und am Ausbau des Wohlfahrtsstaates eine entscheidende Rolle (BT-Drs. 8/212; BT-Drs. 8/1206), bevor sich das Thema Entbürokratisierung seit Anfang der 1980er Jahre (Seibel 1986: 138f) zu einem klassischen Konsensthema30 gewandelt hat. Bei der politischen Vermarktung des Entbürokratisierungsthemas spielte der Appell an die negativen Erfahrungen des Individualbürgers mit ‚seiner’ Bürokratie (dem Finanzamt, der Kraftfahrzeugzulassungsstelle etc.) eine wichtige Rolle (Seibel 1986: 138f). Inhaltlich konzentrierten sich die Bürokratieabbaubemühungen auf Bundesebene auf den Gesetzgebungsbereich. Die Beseitigung von Überregulierung (verbunden mit einer besseren Kontrolle der Kostenfolgen staatlicher Rechtsvorschriften) bildete das zentrale Thema. Auf der Verlautbarungsebene bezogen sich viele programmatische Äußerungen außerdem auf die Schaffung von ‚mehr Bürgernähe’. Die Mehrzahl der konkreten politischen Initiativen auf Bundesebene widmete sich nach einer Einschätzung der renommierten Sozialwissenschaftlerin Renate Mayntz jedoch nicht dem Verhältnis von Staat und Bürger, sondern bezog sich „direkt oder indirekt auf das Überregulierungsproblem, sowohl im Hinblick auf eine Reform des Gesetzgebungsprozesses selbst wie auch auf Rationalisierungen bei bestehendem Recht (Verwaltungsverfahrensrecht, Statistikbereinigung, Vereinfachung im Baurecht)“ (Mayntz 1980: 11). Die politische Schwerpunktsetzung beim Themenbereich „Überregulierung“ auf Bundesebene ergab sich logisch aus der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Die vorrangig mit dem Vollzug betrauten Länder und Kommunen hingegen wandten sich vor allem dem Problem der Bürgerferne zu. Das BMI führte am 19. und 20. Juni 1980 in Bonn eine SachverständigenAnhörung von zahlreichen Wissenschaftlern und einigen Verbandsvertretern zu den Ursachen der Bürokratisierung in der öffentlichen Verwaltung durch (BMI 1980a,b). Mayntz wurde vom BMI damit beauftragt, die Anhörung wissenschaftlich auszuwerten und erörterte in diesem Zusammenhang insbesondere diejenigen Themenbereiche der Anhörung, welche sich auf den Gesetzgebungsprozess bezogen. Sie kam zu dem Schluss, dass Überregulierung systemimmanent sei (Parteienwettbewerb, selektive Perzeption von Problemen im politischadministrativen System) (Mayntz 1980). Um der Problematik der Überregulierung und deren negativen Folgen entgegen zu wirken, sei es deshalb notwendig, 30 Die Parteien vertraten allerdings unterschiedliche Schwerpunktsetzungen: Grüne und SPD setzten den Akzent vor allem auf eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Bürger, während Konservative und Liberale Effizienzsteigerungen und die Entlastung der Wirtschaft von den Folgen der Überregulierung in den Mittelpunkt ihrer Politik stellten (Seibel 1986: 139, 141).

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„den Prozess der Gesetzesentwicklung bewusst so zu gestalten, dass Überregelungstendenzen neutralisierende Gegenkräfte darin eingebaut sind. Dazu wären zunächst Kriterien zu formulieren, die bei der Gesetzesentwicklung als Entscheidungsgrundlage berücksichtigt werden können. Diese ließen sich durch entsprechende Verfahrensvorschriften im Prozess der Gesetzesentwicklung verankern. Weiter ließen sich Verfahren oder Institutionen entwerfen, die auf die Beachtung dieser Kriterien hinwirken.“ (Mayntz 1980: 23). Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen arbeitete Mayntz aus den verschiedenen Gutachten drei Hauptkriterien heraus (Ist eine staatliche Intervention notwendig? Welches der alternativen Interventionsinstrumente ist das günstigste? Was ist, nach getroffener Instrumentenwahl, bei der näheren Ausgestaltung des Programms zu berücksichtigen?). Die in diesen Grundfragen zum Ausdruck kommende Vorstellung einer Verbesserung der Gesetzesvorbereitung im politisch-administrativen System durch das Aufstellen von bestimmten Informations- und Entscheidungsregeln hatten sich bereits in den GGO-Änderungen 1976 niedergeschlagen und waren auch für die weitere Entwicklung des Reformbereiches in Deutschland prägend. Schon 1980 wurden jedoch auch einige der Hauptschwierigkeiten mit dieser Art von Instrumenten richtig erkannt, z.B. die Tendenz von Fachpolitikern und Fachbeamten, die Frage nach der Notwendigkeit einer Regelung zu bejahen sowie Nutzen über- und Kosten unterzubewerten. Ebenfalls thematisiert wurde bereits damals die häufig fehlende (empirische) Erkenntnisgrundlage und hohe Unsicherheit bei ex ante Einschätzungen gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Vorstellung, eine rationale Entscheidung über das beste Mittel zur Erreichung politischer Ziele mit Hilfe bestimmter Prüffragen und Analysetechniken herbeizuführen, wurde von Mayntz aufgrund der tendenziell stärkeren Gewichtung politischer Handlungsrationalitäten vor Sachrationalitäten im politischen Prozess (und somit auch in der Programmentwicklung) als realitätsfern erkannt (Mayntz 1980: 45, 90). Sie plädierte allerdings dafür, bestimmte wichtige Kriterien wie z.B. die indirekten Kostenfolgen (für nicht-staatliche Normadressaten) im Entscheidungsprozess zu stärken und somit auch stärker zum Thema politischer Auseinandersetzung zu machen – ein Argument, welches später zum Beispiel in der Diskussion um die Bürokratiekostenmessung mit dem SKM wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurde (Jann/Wegrich 2008):

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„Während direkte Staatsausgaben etwa im Bereich sozialer Sicherheit unmittelbar der Kontrolle des Gesetzgebers unterliegen (…), liegen die durch regulative Programme verursachten Kosten ganz überwiegend beim privaten Sektor, der sie aufbringen muss, um die gesetzlichen Normen, Standards usw. zu erfüllen. Diese Kosten aber werden bei der Gesetzgebung selbst typischerweise nicht bedacht, sind auch in der Regel gar nicht bekannt, so dass hier die sonst wirksamen, beschränkenden politischen Mechanismen fehlen. Das heißt, dass die Kostenfrage als restriktives Kriterium generell, insbesondere aber im Hinblick auf die indirekten Kosten einer Unterstützung im Entscheidungsprozess bedarf. Die Formulierung und Präzisierung restriktiver Kriterien wird, wenn kein weiterer Impetus dahintersteht, nicht viel mehr als eine Ermahnung erwirken. Deswegen wird es darauf ankommen, institutionelle und prozedurale Rahmenbedingungen zu schaffen, die im politischen Alltag die systematische Beachtung der Entscheidungskriterien wahrscheinlicher machen.“ (Mayntz 1980: 46.)

Im Rahmen der Anhörung wurden verschiedene Instrumente zur ‚besseren Rechtsetzung’ vorgeschlagen, z.B. die Verlängerung von Konsultationsfristen der Landesbehörden bei der Bundesgesetzgebung, um diesen Zeit für Nachforschungen auf den nachgeordneten Ebenen zu lassen und somit den Einfluss des Erfahrungswissens der vollziehenden Instanzen im Rechtsetzungsprozess zu stärken (BMI 1980a: 231) oder die Verbesserung der unmittelbaren Repräsentanz der Vollzugspraxis in Anhörungsverfahren (BMI 1980a: 229). Ziel dieser Maßnahmen sollte es sein, die ‚Vollzugsblindheit’ bei der Gesetzesvorbereitung zu verringern und praktische Vollzugsfragen sowie Kostenaspekte stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Man thematisierte außerdem die verstärkte Nutzung nachträglicher Evaluationen von Gesetzen, die Durchführung einer Aufgabenkritik (Mayntz 1980: 102ff) sowie Verfahren zur Erprobung von Programmen wie Planspiele, Praxistests oder Modellsimulationen (Mayntz 1980: 97ff). In der Praxis blieben die genannten Testmethoden auf wenige Einzelfälle beschränkt31, da es sich jeweils um relativ aufwändige Verfahren handelt, welche für eine standardmäßige Integration in die Gesetzesvorbereitung nicht geeignet sind. Im Rahmen der wissenschaftlichen Anhörung 1980 betonten die Sachverständigen mehrfach, dass vorbereitende Analysen genauso wie nachträgliche Wirkungskontrollen schon lange zum festen Repertoire der Gesetzgebung gehörten (unabhängige Kommissionen, Beiräte, Sachverständigenräte, Anhö31 Eine in den 1980er Jahren durchgeführte Ressortumfrage hatte ergeben, dass zwischen 1971 und 1987 nur insgesamt elf Rechtsetzungsvorhaben durch Planspiele oder Praxistests ergänzt wurden (BMI 1992b).

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rung von Experten und Interessenvertretern, Berichtspflichten zu bestimmten Gesetzen/Politikbereichen, Evaluationen). Kritisiert wurde allerdings, dass 1) diese Verfahren vor allem ad hoc und nicht systematisch genutzt würden, 2) insbesondere die wissenschaftlich- systematischen Verfahren (wie z.B. Simulationen) bisher kaum eingesetzt würden und 3) die Ergebnisse der Analysen nur unzureichend berücksichtigt würden (Mayntz 1980: 108f). Zum letzten Punkt ist zu erwidern, dass die Übernahme von Analyseergebnissen ohne politischen Diskurs und die damit verbundenen Modifizierungen demokratietheoretisch problematisch und insofern normativ nicht wünschenswert ist. Wichtig ist v.a., „dass die faktische Durchführung von Tests, Evaluierungen usw. schon allein dadurch wirkt, dass Informationen erzeugt werden. Zumindest im Rahmen jedes kontrovers verlaufenden Gesetzgebungs- und Planungsprozesses werden diese Informationen von der Gruppe, deren Argumente sie wissenschaftliche untermauern können, in den Auseinandersetzungsprozess eingebracht werden.“ (Mayntz 1980: 109f, s.a. Derlien 1976).

2.1.4.2 Die 1980er und 1990er Jahre: Verbesserte Gesetzesvorbereitung durch Prüflisten und Handbücher Im Oktober 1982 gelangte Helmut Kohl nach einem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt an die Macht. Er erklärte die Entbürokratisierung zu einem politischen Schwerpunktthema der folgenden Legislaturperiode. Schon in der Regierungserklärung wurde allerdings deutlich, dass Entbürokratisierung nicht in erster Linie mit der Binnenmodernisierung administrativer Strukturen gleichgesetzt wurde, sondern dass unter dem Schlagwort der Entbürokratisierung Staatsaufgaben reduziert (Privatisierung) und der Umfang und die Intensität staatlicher Regulierungen verringert werden sollten (Deregulierung32): „Wirksamkeit und Überzeugungskraft staatlichen Handelns wachsen, wenn der Staat darauf verzichtet, zu viele Bereiche des Lebens zu regeln. In der Vergangenheit hat der Staat im Übermaß Aufgaben an sich gezogen. Umkehr ist dringend geboten. Es muss uns gelingen, das Recht zu vereinfachen und Überreglementierungen zu beseitigen.“ (Regierungserklärung vom 4. Mai 1983)

32 Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung verfolgten die Ressorts auch Maßnahmen, die in Wirklichkeit der Durchsetzung materieller Ziele der Deregulierung dienten, z.B. im Arbeitsrecht (Seibel 1986: 154f).

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Am 13. Juli 1983 legte die Regierung Kohl einen Kabinettsbeschluss vor, der die politischen Zielvorstellungen zur Entbürokratisierung konkretisierte. Jedes Ressort wurde dazu aufgefordert, Rechts- und Verwaltungsvorschriften in seinem Bereich daraufhin zu prüfen, ob diese aufgehoben oder vereinfacht werden könnten. Nachdem bereits zahlreiche Bundesländer Kommissionen zur Rechtsbereinigung und zur Entbürokratisierung eingesetzt hatten (ausführlich Seibel 1986; Helmrich 1989) richtete man auf Bundesebene die „Unabhängige Kommission Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ mit einer Geschäftsstelle im BMI ein. Die Waffenschmidt-Kommission nahm am 28.11.1983 ihre Arbeit auf und war bis 1998 tätig. In dem nach dem Vorsitzenden Horst Waffenschmidt (damals Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern) als Waffenschmidt-Kommission bezeichneten zwölfköpfigen Gremium arbeiteten Verbandsvertreter, Vertreter aus Ländern und Kommunen sowie jeweils ein Richter, ein Wissenschaftler und ein Bundestagsabgeordneter33. Die Waffenschmidt-Kommission publizierte Mitte der 1980er Jahre mehrere Berichte zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung (BMI 1985; BMI 1986; BMI 1987), welche zahlreiche Vorschläge der Ressorts zur Rechtsbereinigung sowie zur Vereinfachung gesetzlicher Vorschriften und von Verwaltungsverfahren enthielten. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre versuchte die Waffenschmidt-Kommission, ihre Aktivitäten zur Rechtsvereinfachung und Deregulierung auf besonders relevante Problembereiche oder Politikfelder zu konzentrieren (BMI 1990; BMI 1992a; BMI 1994a,b; BMI 1995b; zusammenfassend: BMI 1995a). Insgesamt waren die Erfolge zwar nur begrenzt34, im Statistikbereich35 sowie bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (BMI 1990)36 konnten allerdings umfassende Vereinfachungsbemühungen angestoßen werden. Auch wenn ‚bessere Rechtsetzung’ im Sinne einer Stärkung von Wirkungsfragen und Nachhaltigkeitsaspekten im Rechtsetzungsprozess in der Ära Kohl 33 Der BT-Abgeordnete Herbert Helmrich (CDU) hatte 1982 die „Gesellschaft zur Förderung der Entbürokratisierung“ (GFE) gegründet. Die GFE spielte als Akteur in der Entbürokratisierungspolitik der 1980er Jahre eine nicht unerhebliche Rolle, da sie Gutachten zu Einzelproblemen vergab und Tagungen ausrichtete und somit zur Mobilisierung und Verbreitung von Sachverstand sowie zum Agenda-Setting beitrug (Seibel 1986: 156). 34 Konzentration auf Rechtsbereinigung, aber auch hier geringere Erfolge als auf Länderebene (Zahlen siehe Waffenschmidt 1994: 876; Grimm/Brocker 1999: 59.) Eine Bilanz zu den Aktivitäten der Waffenschmidt-Kommission ziehen Jann/Wewer 1998: 7; s.a. Möschel 1994. 35 Der Interministerielle Ausschuss für Koordinierung und Rationalisierung der Statistik (IMAStatistik) überprüfte mit Hilfe einer Fragebogenaktion 1994 das gesamte Programm der Bundesstatistik auf Anpassungs- und Rationalisierungsmöglichkeiten. 36 Am 24.02.1994 wurde darüber hinaus die „Unabhängige Expertenkommission zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren“ (Schlichter-Kommission) berufen.

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keinen Schwerpunkt der verwaltungspolitischen Reformbemühungen bildete, wurden in der Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses angestoßen. Die bekannteste und theoretisch weitreichendste politische Entscheidung in diesem Bereich bestand in der Einführung der „Blauen Prüffragen“ (Prüffragen für Rechtsvorschriften des Bundes, Kabinettsbeschluss vom 11.12.1984) im Jahr 1984. Es handelte sich dabei um Prüfstandards für Gesetzentwürfe, welche den federführenden Ministerialbeamten zehn Grundfragen (mit jeweils detaillierten Unterfragen) zur Beantwortung aufgaben. Mit der Einführung des (wegen des Drucks auf blauem Papier gemeinhin als „Blaue Prüffragen“ bezeichneten) Fragenkatalogs versuchte man, über die prozedurale Institutionalisierung von Prüfanforderungen (ergänzend zur gut funktionierenden Rechtsförmlichkeitsprüfung) zu einer systematischeren Beachtung von Notwendigkeits-, Wirksamkeits- und Kostenkriterien bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen zu kommen (Fricke 1983). Fünf Jahre nach Einführung der „Blauen Prüffragen“ verabschiedete die Bundesregierung im Dezember 1989 einen ambitionierten und umfassenden Maßnahmenkatalog zur Verbesserung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Fortbildung und organisatorische Institutionalisierung der „Blauen Prüffragen“, verstärkte Nutzung von Planspielen und Praxistests sowie ebenenübergreifenden Arbeitsgruppen zur Bewertung der Vollzugseignung, bessere Nutzung von Datenbanken, mehr Transparenz etc.) (BMI 1989). In der Praxis blieben diese Maßnahmen, ebenso wie die zeitgleich verabschiedete „Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes (VwVR)“37, weitgehend bedeutungslos. Eine Ausnahme bildete die geplante Erarbeitung von zwei Handbüchern zur Unterstützung der Gesetzgebungsarbeit in den Bundesministerien: So veröffentlichte das Justizministerium 1991 das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ (BMJ 1991) und das Bundesministerium des Innern gab 1992 das „Handbuch zur Vorbereitung von Rechtsund Verwaltungsvorschriften“ (BMI 1992b) heraus. Letzteres enthält u.a. eine „Arbeitshilfe zur Ermittlung der Durchführungskosten von Gesetzen“ (BMI 1992b: 41f) sowie ein „Merkblatt für die Preiswirkungsklausel in Kabinettsvor37 Die VwVR-Richtlinie beschrieb Mindestanforderungen an Verwaltungsvorschriften des Bundes (Durchführung einer Notwendigkeitsprüfung, deutliche Kennzeichnung nicht-bindender Informationen im Zusammenhang mit Verwaltungsvorschriften, verständliche Gestaltung, Kennzeichnung des Verhältnisses zu anderen Verwaltungsvorschriften, geeignete Bekanntmachung, Systematisierung in einem Ordnungssystem, regelmäßige Überprüfung auf die Notwendigkeit ihrer Fortgeltung, Anpassung und Verbesserung).

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lagen, insbesondere in Gesetzes- und Verordnungsbegründungen“ (BMI 1992b: 42-44; BMWi 1989). Die Handbücher stellen bis heute wichtige Orientierungshilfen für die Ministerialbeamten im Rechtsetzungsprozess dar. Eine Zusammenführung der beiden Handbücher, wie im Beschluss von 1989 vorgesehen, fand aber nie statt. Als Fazit der Reformbemühungen um eine Verbesserung des Rechtsetzungsprozesses in den 1980er Jahren ist festzuhalten, dass zwar umfassende Unterstützungsmaterialien für die Ministerialbeamten entwickelt wurden, darüber hinausgehende Beschlüsse und Maßnahmen aber meist nur symbolischer Natur waren und die Rechtsetzungspraxis nicht wesentlich veränderten. Dies gilt auch für die „Blauen Prüffragen“, welche in den Ressorts selten bis gar nicht angewendet wurden (BT-Drs. 14/29; Zypries/Peters 2000: 324). Auch die Ergänzung der GGO II von 1996 konnte hier keine Abhilfe schaffen (Anpassungsänderung der GGO II, GMBl 1996: 449ff).38 So stellte der Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ 1998 fest, dass die Frage nach gesetzespolitischen Alternativen bzw. nach den Kosten einer Regelung im Gesetzesvorblatt meist völlig unsubstantiell mit „keine“ beantwortet wird (Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ 1998: 18, 20) und forderte deshalb eine Überarbeitung der „Blauen Prüffragen“, um mehr Transparenz der Ergebnisse vor allem gegenüber der Legislative und der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Der Sachverständigenrat verlangte darüber hinaus eine strikte Notwendigkeitsprüfung gesetzgeberischer Vorhaben und die Durchführung einer konsequenten gesamt-gesellschaftlichen GFA, welche insbesondere die Kostenfolgen neuer Regulierungen für die öffentlichen Haushalte, die Wirtschaft und für Private überprüft. Während die „Blauen Prüffragen“ praktisch bedeutungslos blieben und Rechtsbereinigungs- und Vereinfachungsbemühungen durch die WaffenschmidtKommission und die Ressorts in den 1980ern (ebenso wie in den 1990er Jahren) nur inkrementelle Veränderungen bewirkten, bildeten in der Regierungszeit von Bundeskanzler Kohl (wie bereits in der ersten Regierungserklärung von 1983 angeklungen) Deregulierung und Privatisierung die wesentlichen Schwerpunkte der Modernisierung des öffentlichen Sektors.39 Diese Prioritätensetzung spiegelte sich im thematischen Fokus der Berichte der Waffenschmidt-Kommission (BMI 1990, 1992, 1994a, 1994b, 1995b) ab Ende der 1980er Jahre wider, wurde 38 Mit der Anpassungänderung von 1996 wurde der Begriff des Vollzugsaufwands neu eingeführt. Wurden schon vorher in den „Blauen Prüffragen“ und der GGO II unterschiedliche Kostenbegriffe verwendet, so wurde die begriffliche Vielfalt damit noch einmal erweitert, was die Praktikabilität der Regelungen mit Sicherheit nicht erhöhte (Zypries/Peters 2000: 325). 39 Zum durch die NPM-Bewegung angeregten Paradigmenwechsel siehe Goetz 1997.

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aber beispielsweise auch darin deutlich, dass 1987 ein „Deregulierungsbericht“ eingeführt und eine „Unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierung“ (die sogenannte Deregulierungskommission) eingesetzt wurden. Viele Vorschläge aus den 1990 und 1991 vorgelegten Berichten dieser Kommission wurden von der politischen Ebene übernommen und im Juni 1992 vom Bundeskabinett beschlossen. Bereits 1989 war das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novelliert worden. 1992 beschloss die Bundesregierung, eine Reihe von marktwidrigen Regulierungen abzubauen (in den Bereichen Versicherungswesen, Verkehr, Energiewirtschaft, Technisches Prüfwesen, Rechtsberatung und Arbeitsmarkt) (Jann/Wewer 1998: 8). Besonders große Auswirkungen auf Größe und Struktur der Bundesverwaltung hatte die Anfang der 1990er Jahre beschlossene Privatisierung von Bahn, Post und Flugsicherung. Entbürokratisierung in den 1990er Jahren bestand somit in erster Linie in Maßnahmen zur Deregulierung, in der Reduzierung von Staatsaufgaben und -ausgaben (Bogumil 2001: 47) und in der Gestaltung der damit verbundenen Übergangsprozesse (z.B. Personalabbau). Im Vordergrund stand die Rückgewinnung von (finanziellen) Handlungsspielräumen durch Aufgabenkonzentration und Effizienzorientierung. Ökonomisierung und Binnenmodernisierung des öffentlichen Sektors durch die Orientierung am Management privater Unternehmen (‚New Public Management’ bzw. das von der KGSt entwickelte ‚Neue Steuerungsmodell’) und die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten zwischen Staat und Privaten gewannen in den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung. Die Konzentration auf Privatisierung, Deregulierung und Effizienz in der Ära Kohl spiegelte sich auch im für diese Zeit prägenden Leitbild des ‚Schlanken Staates’ wider. Im Bereich der ‚besseren Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen gab es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre kaum nennenswerte Aktivitäten, u.a. weil die Wiedervereinigung Deutschlands Politik und Verwaltung vor viele Herausforderungen und neue Aufgaben stellte, so dass in dieser Zeit nur geringe Aufmerksamkeit und wenige Ressourcen für einen Reformbereich vorhanden waren, der bisher vor allem durch umfassende Verlautbarungserklärungen und viele normative Ideen und Konzepte, aber durch wenig konkrete Erfolge charakterisiert war.

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2.1.4.3 Ende der 1990Jahre bis 2005: GFA als Kernelement der Reformbemühungen Gegen Ende der 1990er Jahre zeigte sich immer deutlicher, dass eine stärkere Effizienzorientierung im öffentlichen Sektor und Privatisierungen zwar wichtige Modernisierungsimpulse gaben, aber keineswegs ausreichend waren, um auf die großen Herausforderungen der post-industriellen deutschen Gesellschaft (demografische Entwicklung und Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme, wirtschaftlicher Strukturwandel und Globalisierung, Regieren im Mehrebenensystem der EU, Lösung globaler Probleme) angemessen zu reagieren. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Staates und den gesellschaftlichen Wohlstand langfristig zu sichern, müssen staatliche und private Akteure zusammenwirken. Das von der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 geprägte Leitbild des ‚aktivierenden Staates’ zielte deshalb darauf ab, Eigenverantwortung und -initiative zu stärken und Unternehmertum zu fördern. Verwaltungsmodernisierung am Übergang zum neuen Jahrtausend hieß auch, über die vielfältigen Formen der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf nationaler, multinationaler und internationaler Ebene zu reflektieren und Strukturen zu entwickeln, die unter diesen Bedingungen eine angemessene Interessenvertretung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gewährleisten sowie Muster der Entscheidungsfindung in Arenen außerhalb des politisch-administrativen Systems regulieren und kontrollieren (Re-Regulierung im Zusammenhang mit der Privatisierung von Infrastrukturleistungen). Für den Bereich der ‚besseren Rechtsetzung’ bedeutete dies vor allem die Förderung gesellschaftlicher Selbstregelungsmechanismen sowie die Entwicklung von Maßnahmen, welche Bürger, Unternehmen und die öffentliche Hand spürbar entlasten und damit Handlungsspielräume erweitern. Wichtig war außerdem die Integration in den europäischen Reformkontext zur ‚besseren Rechtsetzung’, da viele Regelungsentscheidungen heute nicht mehr allein auf nationaler Ebene getroffen werden. Die Neuorientierung der Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ weg von einer einseitigen Orientierung auf Deregulierung und Vereinfachung und hin zu der breiteren Zielsetzung, eine „Höhere Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht“40 zu erreichen, manifestierte die erste Regierung Schröder (1998–2002) mit dem Regierungsprogramm „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ (BMI 2000a). In diesem Zusammenhang beschloss die 40 „Höhere Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht“ war einer von vier Reformbereichen des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“.

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Bundesregierung im Dezember 1998 die Gesamtnovellierung der GGO und die Zusammenführung der bisherigen Teile I und II in einer Rechtsnorm. Im Zuge der Novellierung sollten auch die „Blauen Prüffragen“ zusammengefasst bzw. auf das Wesentliche konzentriert und unmittelbar in die GGO aufgenommen werden (Interview BMI 2006).41 Die Empfehlung des Sachverständigenrates „Schlanker Staat“ zur Etablierung einer umfassenden GFA wurde im Kontext der GGO-Novellierung aufgegriffen. Die neue GGO wurde von einer Arbeitsgruppe im BMI (AG O1), zum Teil in Zusammenarbeit mit einer interministeriellen Arbeitsgruppe42, erarbeitet (ausführlich Zypries/Peters 2000; Sperl 2001). Externe Beratung erfolgte durch den Wissenschaftler Gunnar Folke Schuppert, welcher einen Abwägungskatalog zur Prüfung der Möglichkeiten einer Selbstregulierung entwickelte. Dieser Abwägungskatalog wurde der neuen GGO als Anlage 7 beigefügt, blieb in der Praxis aber bedeutungslos. Die Aufnahme der GFA in die GGO wurde vom BMI stark vorangetrieben, während einige andere Ministerien dem eher skeptisch gegenüber standen: „Das war kein Selbstläufer, dass eine Gesetzesfolgenabschätzung als Regelung in die GGO kam. Das bedurfte schon der Intervention und des Einsatzes der Staatssekretärin, von Frau Zypries, damit das in dieser Form aufgenommen wurde. Es gab die Erfahrung mit der Einführung des Anspruches auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr, der zunächst zu erheblichen Kosten führte. Es ist fraglich, ob ein solcher Anspruch zu dem damaligen Zeitpunkt mit einer ernsthaften Gesetzesfolgenabschätzung eingeführt worden wäre. Daher bestand die Sorge: Wenn wir eine wirklich ernsthafte Gesetzesfolgenabschätzung einführen, dass das für manche Gesetze das „Aus“ bedeuten könnte. Gesetzesfolgenabschätzung löst natürlich viele Ängste aus, weil in dem Moment, wo aufgeschrieben wird, was ein Gesetz kostet – das ist zunächst der Hauptpunkt bei der Gesetzesfolgenabschätzung – und dieses transparent dargestellt wird, ist natürlich der Widerstand etwas durch zu bekommen, noch einmal ein Stück stärker. Insofern bestanden da schon erhebliche Widerstände, aber entscheidend war, dass letztlich der politische Wille für die Einführung da war.“ (Interview BMI 2006)

41 Die Überarbeitung der GGO-Regelungen zur Darstellung der finanziellen Auswirkungen von Gesetzesvorhaben war auch vom Bundesrechnungshof angeregt worden (BT-Drs. 14/29). 42 In der im Sommer 1998 eingerichteten interministeriellen Arbeitsgruppe waren neben dem BMI das BMJ, das BMF, das BMWi, das BMVg und das BMVBW vertreten. Die interministerielle Arbeitsgruppe erarbeitete einen Novellierungsvorschlag für die alte GGO I. Die Überarbeitung der GGO II erfolgte in einer ersten Version durch die AG O1 und wurde anschließend zusammen mit dem ersten Teil als Gesamtnovelle der GGO in der interministeriellen Arbeitsgruppe beraten.

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Am 26. Juni 2000 wurde die novellierte GGO vom Bundeskabinett beschlossen. Sie trat am 1. September 2000 in Kraft (BMBl 2000: 526ff). Im Zuge der Novellierung erhielt der Terminus Gesetzesfolgen eine zentrale Stellung in der GGO (§§ 43 und 44). Damit verbunden war der Anspruch, nicht nur die Berücksichtigung bestimmter Folgenaspekte wie der Kosten für die öffentlichen Haushalte im Rechtsetzungsprozess sicherzustellen, sondern alle wesentlichen Auswirkungen eines Regelungsentwurfes standardmäßig zu evaluieren. Vor der Novellierung hingegen war zwar in der GGO II vorgeschrieben gewesen, dass die Auswirkungen auf bestimmte Bereiche (wie Verkehr, Umwelt, Preise etc.) in der Gesetzesbegründung darzustellen seien; eine umfassende Folgenabschätzung für alle Bereiche wurde jedoch nur als eine Unterkategorie der „Blauen Prüffragen“ im Rahmen der Anlage 11 der GGO II erwähnt.43 Im Vergleich zwischen der alten GGO II und der novellierten GGO des Jahres 2000 fällt weiterhin auf, dass die Vorschriften zur Abschätzung der Haushaltsauswirkungen in der alten GGO II detaillierter waren als nach der Novellierung. So ist in der novellierten GGO keine Definition mehr dazu zu finden, was genau unter den Kosten der Ausführung eines Gesetzes bzw. unter Vollzugskosten zu verstehen ist. Zudem fiel die Anforderung, den Personalbedarf explizit anzugeben und aufzuschlüsseln weg. Darüber hinaus wurden Fragen der Praktikabilität und des Kosten-Nutzen-Verhältnisses in der novellierten GGO nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Neu hinzu kam hingegen die Anforderung, dass das federführende Ressort in der Gesetzesbegründung festlegen muss, ob und wann eine Evaluation des Gesetzes vorgenommen werden soll. Ergänzend zur GGO-Novellierung ließ das BMI als eines der Leitprojekte des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ ein Handbuch zur Gesetzesfolgenabschätzung (Böhret/Konzendorf 2001) sowie einen dazugehöriger Leitfaden (BMI 2000b) erarbeiten, der in einer Pilotphase anhand von acht ausgewählten Gesetzesvorhaben erprobt wurde (BMI 2002). Darüber hinaus initiierte das BMI ein Projekt zur verbesserten Beteiligung von Ländern und Kommunen im Rechtsetzungsprozess (BMI 2003). Zudem wurde richtig erkannt, dass eine Umsetzung der neuen GFA-Anforderungen der GGO nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn das Personal eine entsprechende Schulung im Hinblick auf Inhalte und Methoden der GFA erhält. Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung begann deshalb damit, im Grundseminar Gesetzgebung ein Modul zu Verfahren und Instrumenten der GFA anzubieten. 43 Dort war unter Punkt 2 („Welche Alternativen gibt es?“) die Teilfrage 2.3.: „Welche Handlungsinstrumente sind unter Berücksichtigung der (…) Nebenwirkungen, Folgewirkungen (…) am günstigsten?“ zu finden.

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Einige Ressorts er- oder überarbeiteten eigene Unterstützungsmaterialien zur GFA. Die interministerielle Arbeitsgruppe „Gender Mainstreaming“ entwickelte unter Leitung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2002 eine Handreichung zu § 2 GGO „Geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung. Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften“ (BMFSFJ 2002, neuere Fassung: BMFSFJ 2007) mit ausführlicheren Hilfestellungen für die spezifische Analyse geschlechtsbezogener Gesetzesfolgen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) verbreitete ein „Merkblatt zur Ermittlung der Kostenfolgen und Preiswirkungen von Gesetzesvorlagen, Vorlagen von Rechtsverordnungen und von Verwaltungsvorschriften“ (BMWi 2007, 2009), welches der Unterstützung der federführenden Ressorts bei der Abschätzung von Kostenfolgen für die Wirtschaft und Preisfolgen dient. Das Merkblatt gibt Hinweise zu vorhandenen Datensätzen des Statistischen Bundesamtes, zu Kostenarten und Preisindizes und betont, dass qualitative Tendenzaussagen ausreichend seien, wenn Quantifizierungen aufgrund fehlender empirischer Grundlage oder aufgrund des zu hohen Aufwands einer empirisch-analytischen Analysen nicht möglich seien. Nachdem die rot-grüne Koalition nach den Bundestagswahlen 2002 erneut die Regierung stellen konnte, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom März 2003 die „Agenda 2010“ als umfassendes Reformprogramm zur Erneuerung des Sozialsystems und zur Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands an. Im Hinblick auf die notwendige Modernisierung des öffentlichen Sektors verabschiedete das Bundeskabinett am 26. Februar 2003 unter dem Titel „Mittelstand fördern – Beschäftigung schaffen – Bürgergesellschaft stärken“ Eckpunkte der „Initiative Bürokratieabbau“ sowie ein 13 Punkte umfassendes Sofortprogramm. Als wichtige Aufgabenbereiche wurden u.a. die bürger- und wirtschaftsfreundliche Ausgestaltung neuer Gesetze und Verordnungen unter konsequenter Berücksichtigung sämtlicher Regelungsfolgen und die Vermeidung neuer unnötiger bürokratischer Belastungen bereits im Vorfeld nationaler Gesetzgebung (insbesondere auf europäischer und internationaler Ebene) genannt. Die „Initiative Bürokratieabbau“ umfasste auch zahlreiche Projekte, die sich mit der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigten (BMI 2004). Ein Schwerpunkt lag dabei auf Vereinfachungsmaßnahmen. Ein Projekt beschäftigte sich jedoch auch explizit mit der GFA (Projekt „Gesetzesfolgenabschätzung bei Steuergesetzen“ des BMF44). 44 Mit Hilfe der Einrichtung einer zentralen Kopfstelle im BMF sowie der Schaffung spezialisierter Arbeitseinheiten bei der neuen Behörde „Bundeszentralamt für Steuern“ sollten Gesetzesfolgenabschätzungen systematisch durchgeführt werden.

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Nachdem die Pilotprojekte zur GFA schon einige Zeit abgeschlossen waren, zeigte sich bald, dass die neuen GGO-Regelungen nicht in der vorgesehenen Art und Weise umgesetzt wurden (s.a. Kap. 3.2.2). Das im Jahr 2001 vom BMI herausgegebene „Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung“ (Böhret/Konzendorf 2001) bot zwar eine umfassende Übersicht zu den Methoden der GFA, galt aber als viel zu kompliziert, um eine realistische Chance auf Beachtung in Prozessen der Programmentwicklung zu erhalten (Jann et al. 2005). Das BMI erstellte deshalb 2005 eine neue Arbeitshilfe zur GFA für die im Rahmen der Rechtsetzung tätigen Arbeitseinheiten, welche konkret abzuarbeitende Prüfschritte formuliert und praxisrelevante Beispiele und Formulierungshilfen zur Verfügung stellt (Bundesregierung 2006). Aufgrund der wachsenden Bedeutung der EU-Ebene in vielen Politikfeldern veröffentlichte das BMI 2006 außerdem einen Leitfaden zur Folgenabschätzung in der Europäischen Union, der den Ressorts Handlungsvorschläge zur frühzeitigen Mitwirkung an Folgenabschätzungen der EU-Organe machte (BMI 2006).

2.1.4.4 ‚Bessere Rechtsetzung’ 2005-2009: Bürokratiekosten reduzieren Mit der Machtübernahme der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2005 veränderten sich die politischen Schwerpunkte im Reformbereich der ‚besseren Rechtsetzung’. Kernelement der neuen Strategie wurde das sich im gesamten europäischen Raum rasch verbreitende Standardkosten-Modell (SKM). Der Hauptfokus der Reformen zur ‚besseren Rechtsetzung’ verengte sich damit von der Idee einer umfassenden GFA auf die durch Regulierungen hervorgerufenen bürokratischen Lasten (s.a. Beus 2007; Jann/ Jantz 2008). Bürokratieabbau wurde zur ‚Chefsache’ erklärt und die zentrale Zuständigkeit für das Thema vom BMI ins Bundeskanzleramt verlagert (s.a. Jantz/Veit 2009). CDU und SPD verankerten die Einführung des SKM verbunden mit der Einrichtung eines unabhängigen Nationalen Normenkontrollrates45 im Koalitionsvertrag (zum Agenda-Setting SKM siehe Bach et al. 2009; Holthusen 2009). Im April 2006 konkretisierte die Regierung ihre politischen Vorhaben im Rahmen des „Programms für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“. Ein von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erarbeitetes „Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates“ (NKRG) wurde im August 2006 verabschiedet (BGBl I 2006: 1866), die acht Mitglieder des 45 Vorbild war das unabhängige Gremium ACTAL in den Niederlanden.

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Gremiums am 13. September per Kabinettsbeschluss bestimmt. Im Dezember 2006 erweiterte man die GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung um die Verpflichtung, auf dem Gesetzesvorblatt und im Rahmen der Gesetzesbegründung46 Transparenz über Informationspflichten und Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und die öffentliche Verwaltung herzustellen. Aufgabe des NKR ist es laut § 4 Abs. 2 NKRG, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Bundesministerien sowie Entwürfe für allgemeine Verwaltungsvorschriften vor deren Vorlage an das Bundeskabinett im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze einer standardisierten Bürokratiekostenmessung zu überprüfen. Hierzu legt § 2 Abs. 2 NKRG fest: „Bürokratiekosten im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. Informationspflichten sind auf Grund von Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln. Andere durch Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift entstehende Kosten sind nicht umfasst. Bei der Messung der Bürokratiekosten ist das StandardkostenModell (SKM) anzuwenden. Die international anerkannten Regeln zur Anwendung des Standardkosten-Modells sind zugrunde zu legen.“

Parallel zu den Maßnahmen zur Verankerung des SKM-Verfahrens im ex ante Bereich begann das Statistische Bundesamt Anfang 2007 mit einer Messung der Bürokratiekosten für Unternehmen im gesamten deutschen Bundesrecht.47 Organisatorisch institutionalisierte man den Reformbereich über die Etablierung des NKR hinaus durch die Verankerung der Zuständigkeit im Bundeskanzleramt auf Ebene der Staatsminister48 sowie auf Arbeitsebene (Geschäftsstelle Bürokratieabbau), durch die Etablierung eines Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau als interministeriellem Lenkungs- und Koordinationsgremium sowie durch die Benennung von Ansprechpartnern in den Ressorts, welche regelmäßig im Rahmen einer Ressortansprechpartnerrunde zusammenkommen (Jann/Jantz 2008; Jantz/Veit 2009). Im Februar 2007 legte das Bundeskabinett fest, dass die mit dem Bundesrecht verbundenen Bürokratiekosten für Unternehmen bis 2011 um 25% reduziert werden sollen. 46 Gleiches gilt für Entwürfe von Rechtsverordnungen. 47 Inklusive der auf internationalem und EU-Recht beruhenden Informationspflichten; zum Stand der Messungen vgl. Bericht der Bundesregierung zur Anwendung des SKM (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007). 48 2006-2008 Staatsministerin Hildegard Müller (teilweise vertreten durch Bernhard Beus).

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Zur praktischen Realisierung der ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten im Rechtsetzungsprozess entwickelten der NKR und die Geschäftsstelle Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt in Abstimmung mit den Bundesministerien einen „Leitfaden für die ex ante Abschätzung der Bürokratiekosten nach dem Standardkosten-Modell“ (NKR 2007, 2008), dessen Implementation durch Schulungen von Ministerialbeamten unterstützt wird (NKR 2007: 22). Bei der Durchführung von Bürokratiekostenabschätzungen zu ‚ihren’ Referentenentwürfen bietet das Sekretariat des NKR den Ministerialbeamten Unterstützung in methodischen Fragen an. Nehmen die für einen Regelungsentwurf federführend zuständigen Beamten im Vorfeld keinen Kontakt zu Mitarbeitern des NKRSekretariats auf, dann wird der NKR erst im Rahmen der Ressortabstimmung über den Entwurf in Kenntnis gesetzt und erhält die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Frist für die Stellungnahme beträgt laut GGO mindestens vier Wochen, in der Praxis sind die Fristen aber meist enger gesetzt. Die Stellungnahme des NKR zu den mit dem Regelungsentwurf verbundenen Bürokratiekosten sowie zur Qualität der vorgenommenen SKM-Schätzung wird den Gesetzesoder Verordnungsentwürfen vor der Zuleitung ins Kabinett bzw. später in Bundestag und Bundesrat angehängt und ist somit öffentlich zugänglich. Während der NKR direkt im Anschluss an die Aufnahme der Darstellung von Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und die öffentliche Verwaltung in die GGO-Vorschriften zur Folgenabschätzung im Dezember 2006 damit begann, die Darstellung von Bürokratiekosten für Unternehmen in Gesetzentwürfen der Bundesregierung zu überprüfen, wurden Maßnahmen für Bürger und die öffentliche Verwaltung zunächst zurückgestellt. Erst 2008/09 beschäftigte man sich intensiver mit der Frage, wie eine konkrete Umsetzung von SKM-Verwaltung (Klippstein/Röttgen 2009) und SKM-Bürger aussehen könnte (Jann et al. 2009). Im November 2008 wurde der Leitfaden der Bundesregierung für die ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten um eine methodische Anleitung zur Bürokratiekostenschätzung für Bürger ergänzt (Bundesregierung 2008a, NKR 2008). Seit Anfang 2009 ist die ex ante Schätzung der (zeitlichen) Belastung von Bürgern mit Informationspflichten bei neuen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen obligatorischer Teil der Vorbereitung von Regierungsvorlagen. Die Darstellung der im Zusammenhang mit neuen Gesetzgebungsvorhaben zu erwartenden Bürokratiefolgen für Bürger wird vom NKR analog zum Verfahren für SKM-Unternehmen im Zuge der Ressortabstimmung überprüft. Vergleicht man die Einführung der Bürokratiekostenabschätzung mit dem SKM 2006/2007 mit der Einführung der GFA seit 2000, sind insbesondere die Unterschiede in der politischen Unterstützung des Themas sowie in der organi79

satorischen Verankerung des Verfahrens offensichtlich. Während für die Implementation der GFA kaum zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden, wurde die SKM-Einführung von der politischen Führung personell, finanziell und mit Worten stark unterstützt. Neben der Etablierung der zentralen Zuständigkeit für die Bürokratieabbaupolitik mit dem SKM im Bundeskanzleramt, schuf die Regierung ein umfangreiches organisatorisches Netz zur Koordination und Unterstützung der Anwendung des Abschätzungsverfahrens. Jährliche Berichtspflichten des NKR an den Bundeskanzler (§ 6 Abs. 2 NKRG) erhöhen die Verbindlichkeit der Umsetzung der Reformen zusätzlich. Für die Jahre 2008/09 sind (neben den bereits erwähnten) Diskussionen um die Ausweitung der Anwendungspraxis des SKM auf Bürger und Verwaltung einige weitere Aktivitäten und Diskurse zu erwähnen, die allesamt durch Überlegungen zur erneuten Ausweitung der Reforminhalte weg von der engen Fokussierung auf Bürokratiekosten für Unternehmen gekennzeichnet sind. Dabei sind drei Diskussionsstränge besonders hervorzuheben: D

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Im Fortschrittsbericht zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vom Oktober 2008 kündigte die Bundesregierung an, zukünftig im Rahmen der GFA auch die Auswirkungen auf eine nachhaltige Entwicklung zu untersuchen (Bundesregierung 2008b: 211). Für diese Verbindung von Nationaler Nachhaltigkeitsstrategie und Gesetzgebungsverfahren hatten sich sowohl die zuständigen Akteure im Bundeskanzleramt als auch der Parlamentarische Beirat für Nachhaltige Entwicklung stark gemacht. Die Bertelsmann-Stiftung ließ im Herbst 2008 eine Studie zur Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen der GFA erstellen (Jacob et al. 2009), die Erfahrungen aus anderen Ländern auswertete und ein mögliches Verfahren für Deutschland vorschlug. Im Mai 2009 wurde die GGO geändert und neu eingefügt, dass im Rahmen der Gesetzesbegründung darzustellen ist, „ob die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“ (§ 44 GGO). Das BMI erarbeitete in Kooperation mit anderen Ressorts eine neue Arbeitshilfe zur GFA (BMI 2009), welche eine einfache Anleitung zur Durchführung der GFA in fünf Schritten gibt und die gleichzeitig die Vorgaben des § 44 Abs. 1 GGO („Gesetzesfolgen“) in Form eines Fragenkataloges konkretisiert. Die Frage der Auswirkungen auf die Nachhaltige Entwicklung ebenso wie der Leitgedanke einer risikobasierten Regulierung wurden dabei mit aufgegriffen.

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Ähnlich wie in den Niederlanden entwickelte sich in Deutschland eine intensive Debatte über die Ausweitung des SKM in Richtung einer Messung der gesamten Regulierungskosten. Die Bertelsmann-Stiftung, einer der wichtigsten ‚Treiber’ der Ausweitungsdiskussion – publizierte u.a. ein „Handbuch zur Messung von Regulierungskosten“ (Bertelsmann-Stiftung 2009a) sowie einen internationalen Vergleich von Methoden zur Messung von Regulierungskosten (Bertelsmann-Stiftung 2009b), der NKR thematisierte in seinem Jahresbericht 2009 die Erweiterung seiner Prüfkompetenzen in Richtung Regulierungskosten (NKR 2009c: 64ff) und eine Studie des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) plädierte ebenfalls dafür, das SKM nach niederländischem Vorbild zu einer vollständigen Regulierungskostenmessung auszubauen (VCI 2009).

Festzuhalten ist, dass ‚bessere Rechtsetzung’ in Deutschland ein Thema ist, welches bereits seit mehreren Jahrzehnten zum Kernrepertoire der verwaltungspolitischen Agenda auf Bundesebene gehört. Nach den Wahlen 2005 wurde die politische Unterstützung und Aufmerksamkeit für den Reformbereich mit der Verlagerung der Zuständigkeit für das Regierungsprogramm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom BMI ins Bundeskanzleramt gestärkt. Die Einrichtung des NKR als unabhängiges Kontrollgremium ist eine Neuerung im Organisationsgefüge der Exekutive, welche allgemein als erfolgreich wahrgenommen wird. Ob dieses ‚Erfolgsmodell’ auch zur Stärkung anderer Politikinhalte genutzt werden kann, wird kontrovers diskutiert (Jann/Wegrich 2008).

2.2 Rationale Politikgestaltung durch Transparenz und Beteiligung? Mythos und Realität der Gesetzesvorbereitung in Schweden Politikformulierung im Allgemeinen und Gesetzgebung im Besonderen wird für den schwedischen Fall häufig mit dem Bild eines transparenten und stärker als in anderen Ländern durch sachliche Kriterien und rationale Argumente geprägten Entscheidungsmodus assoziiert. Das folgende Unterkapitel beschreibt die wesentlichen Charakteristika des schwedischen Rechtsetzungsprozesses und geht dabei in besonderem Maße auf die Rolle des Kommissionswesens und die Funktion der Ministerialverwaltung bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen ein. Darüber hinaus wird über die Bedeutung und den Einfluss von Interessengruppen und Parteien im vorparlamentarischen Stadium der Gesetzgebung 81

reflektiert und es wird dargestellt, welche Maßnahmen die schwedischen Reformpolitik zur ‚besseren Rechtsetzung’ in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Um denjenigen Lesern, die mit dem politisch-administrativen System Schwedens nicht vertraut sind, ein besseres Verständnis dieser Arbeit zu ermöglichen, erfolgt zunächst eine kurze Beschreibung und Charakterisierung der Organisation der schwedischen Staatsverwaltung.

2.2.1 Das schwedische Verwaltungssystem Der öffentliche Sektor in Schweden wird in drei Ebenen unterteilt: Zentral- bzw. Reichsebene (‚rik’), Regionalebene (‚län’) und Kommunalebene (‚kommuner’). In der Arbeitsverteilung zwischen den Ebenen hat es im Laufe der letzten Jahrzehnte zahlreiche Veränderungen gegeben. So wurden ehemals kommunale Angelegenheiten, wie die Arbeitsvermittlung und die Polizei, verstaatlicht. Der größere Anteil der Aufgaben ging jedoch im Zuge von Dezentralisierungsbemühungen von den höheren Ebenen an die Kommunen über (Kommunalisierung öffentlicher Aufgaben, s.a. Jann/Tiessen 2008). Zu den obligatorischen Aufgaben der Kommunen gehören heute u.a. das Schulwesen, die staatliche Fürsorge, das Bauwesen, das Wohnungswesen, das Rettungswesen, die Wasserwirtschaft und Bibliotheken. Hinzu kommen freiwillige kommunale Aufgaben wie Kultur, Freizeit und Straßen. Die Pflichtaufgaben der regionalen Ebene49 liegen v.a. im Gesundheitswesen. In bestimmten Bereichen wie z.B. dem öffentlichen Verkehr arbeiten Kommunen und Regionen zusammen. Da die Rechtsetzung auf zentralstaatlicher Ebene im Zentrum dieses Buches steht, wird im Folgenden nicht näher auf die regionale und kommunale Ebene in Schweden eingegangen, sondern ausschließlich das Verwaltungssystem auf Reichsebene beschrieben. Charakteristisch für den Aufbau der zentralen Staatsverwaltung in Schweden ist ein organisatorischer Dualismus (ausführlich Premfors et al. 2003: 60ff), womit die Zweiteilung in eine relativ kleine ‚Kanzlei der Ministerien’ (‚regeringskansliet’) (Premfors et al. 2003: 117; Jann/Tiessen 2006; Kaiser 2007: 92)

49 Schweden ist territorial in 21 Verwaltungsregionen (‚län’) gegliedert. Auf regionaler Ebene existiert eine Parallelstruktur zwischen zentralstaatlicher und kommunaler Verwaltung. Die ‚länsstyrelser’ bilden die regionale Ebene der Zentralregierung und werden von einem von der Regierung ernannten ‚landshövding’ geleitet. Die gewählten regionalen Selbstverwaltungsorgane der ‚län’ hingegen heißen ‚landsting’ und die regionale Exekutive heißt ‚landstingstyrelse’ (Jann/Tiessen 2008).

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und in vergleichsweise große, zentrale Verwaltungsbehörden50 (‚ämbetsverk’ und/oder ‚myndigheter’) gemeint ist. ‚Ämbetsverk’ werden diejenigen Zentralbehörden (Premfors et al. 2003: 165) genannt, die der Kanzlei der Ministerien direkt unterstellt sind, deren Wirkungsradius das gesamte Staatsgebiet umfasst und die in Untereinheiten aufgeteilt sind (z.B. das Amt für Naturschutz, das Reichspolizeiamt oder das Zentralamt für Straßenwesen).51 Daneben gibt es noch eine Vielzahl kleinerer Behörden (‚myndigheter’52), die häufig sehr spezialisierte Aufgaben wahrnehmen. Einige dieser kleinen Behörden haben eine ratgebende oder informierende Rolle (z.B. das schwedische Amt für Gentechnologie), andere dienen v.a. der Wissensproduktion (z.B. das Staatliche Institut für Wirtschaftsforschung) und wieder andere übernehmen typische Verwaltungsaufgaben (z.B. der Pressesubventionsausschuss) (Premfors et al. 2003: 164ff). In den letzten Jahren wurde der Begriff ‚ämbetsverk’ immer seltener benutzt, stattdessen werden die zentralen Verwaltungsbehörden heute im Allgemeinen alle als ‚myndigheter’ bezeichnet. Der Dualismus der Verwaltungsorganisation schlägt sich in einer klaren Aufgabenverteilung zwischen den Fachministerien (‚departement’) in der Kanzlei der Ministerien und den zentralen Verwaltungsbehörden nieder. So ist die Formulierung, Koordination und Abstimmung der Entwürfe von Gesetzen und Rechtsverordnungen Aufgabe der Fachministerien53, während die Politikimplementierung verbunden mit der Ausfertigung konkreter Ausführungsbestimmungen von den zentralen Verwaltungsbehörden übernommen wird. Das Personal in der Kanzlei der Ministerien ist gekennzeichnet durch eine große Nähe zur Politik verbunden mit einer stark ausgeprägten Loyalität gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und durch ein Selbstverständnis als ‚Verwaltungselite’ (Premfors/Sundström 2007: 35). Die einzelnen Referenten sind meist für relativ große Sachgebiete verantwortlich. Sie besitzen deshalb ein breites politikfeldbezogenes Fachwissen und sind weniger spezialisiert als ihre Kollegen in den zentralen Verwaltungsbehörden (Premfors/Sundström 2007: 192). 50 Zu Größe, Aufgaben und Funktionsmechanismen der zentralen Verwaltungsbehörden in Schweden siehe Tiessen 2007. 51 Derzeit gibt es ca. 70 ‚ämbetsverk’, wobei die genaue Bezifferung aufgrund von Abgrenzungsproblemen umstritten ist. 52 ‚Myndigheter’ heißen alle staatlichen Behörden. ‚Ämbetsverk’ sind ebenfalls ‚myndigheter’, sie besitzen jedoch bestimmte spezielle Merkmale. 53 Die Formulierung von ersten Entwürfen wird, wie später noch zu zeigen ist, nicht selten an zentrale Verwaltungsbehörden oder Kommissionen delegiert, Koordination und Abstimmung des finalen Entwurfes sind jedoch die Kernaufgabe der Ministerialverwaltung.

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Der Aufbau und die Struktur der Kanzlei der Ministerien in Schweden sind kaum reguliert. In der Verfassung wird lediglich angegeben, dass es eine Kanzlei der Ministerien zur Vorbereitung von Regierungsangelegenheiten gibt und dass diese aus verschiedenen Fachministerien besteht. Zudem legt die Verfassung fest, dass der Ministerpräsident unter seinen Ministern die Leiter der Ministerien auswählt. Nähere Bestimmungen zur Organisation und Arbeitsweise der Kanzlei der Ministerien sind in einer Verordnung niedergeschrieben (SFS 1996: 1515) und können somit relativ leicht verändert werden (Premfors et al. 2003: 147). Anders als im deutschen System, in dem jedes Bundesministerium eine eigenständige Behörde bildet, sind die Fachministerien in Schweden seit einer Strukturreform im Jahre 1997 formal in einer Behörde, der Kanzlei der Ministerien, mit einem gemeinsamen Behördenchef (‚statsminister’) und gemeinsamer Verwaltungszentrale54 (‚förvaltningsavdelningen’) zusammengefasst. Hinter dieser Reform stand die Hoffnung auf Effizienzsteigerungen (z.B. durch eine zentrale Verwaltungsabteilung) sowie auf Verbesserungen der strategischen Steuerungsfähigkeit durch die Eindämmung von Ressortegoismen und eine vereinfachte Koordination (Kaiser 2007: 91). Inwiefern diese Ziele mit der Reform tatsächlich erreicht werden konnten, ist umstritten. In der Forschung wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die organisatorischen Veränderungen symbolischer Natur waren und kaum Auswirkungen auf die tatsächlichen Abläufe innerhalb der Kanzlei der Ministerien hatten (Jacobsson 2001; Erlandsson 2000). Dafür spricht, dass sich die Häufigkeit der interministeriellen Kontakte ebenso wie die Beteiligung von Ministerialbeamten an ressortübergreifenden Arbeitsgruppen seit 1980 nur in geringem Maße erhöht hat (Premfors/Sundström 2007: 173). Trotz Strukturreform ist die Arbeit in der Kanzlei der Ministerien deshalb immer noch v.a. durch vertikale Kommunikationsmuster gekennzeichnet (Premfors/Sundström 2007: 182). Andere Untersuchungen hingegen weisen darauf hin, dass die Reform durchaus zu Veränderungen geführt hat. So kommt Thomas Persson in einer Studie über die Kanzlei der Ministerien aus dem Jahre 2003 zu dem Ergebnis, dass die Reform von 1997 eine Stärkung der Kanzlei des Ministerpräsidenten (‚statsrådsberedningen’) bewirkt habe. Die Kanzlei des Ministerpräsidenten ist (vergleichbar dem Bundeskanzleramt in Deutschland) die Regierungszentrale im engeren Sinne und übernimmt Führungs- und Koordinationsaufgaben innerhalb der Kanzlei der Ministerien. 54 Die Verwaltungszentrale ist für die interne Verwaltung der Kanzlei der Ministerien zuständig (Bibliothek, Archiv) und unterstützt die Fachministerien z.B. in IT-Fragen oder bei Personalangelegenheiten. Die Verwaltungszentrale wird nicht von einem Minister geleitet, sondern von einem „Verwaltungschef“.

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Trotz des formalen Zusammenschlusses in einer Behörde, sitzen die Fachministerien weiterhin in unterschiedlichen Gebäuden und besitzen jeweils eigene Geschäftsordnungen. Die politische Leitung der Fachministerien besteht aus ein bis drei Ministern sowie Staatssekretären, ‚politischen Sonderberatern’ und Pressesekretären. Sie alle sind politische Beamte und werden bei einem Regierungswechsel meist ausgetauscht. Die Staatssekretäre übernehmen ähnlich wie die beamteten Staatssekretäre in Deutschland Führungsaufgaben innerhalb des Ministeriums und gegenüber anderen staatlichen Organen. Die Funktion der ‚politischen Sonderberater’ (‚politisk sakkunniga’) hingegen kann recht stark variieren. Zum Teil fungieren diese in ähnlicher Art und Weise wie die Parlamentarischen Staatssekretäre in Deutschland als Bindeglied zwischen Ministerium und Parlament, zum Teil leiten sie eigene Fachbereiche des Ministeriums. Nicht immer übernehmen die ‚politischen Sonderberater’ interne Führungsaufgaben, sie können auch in erster Linie als Berater des Ministers wirken. Unterstützt wird die politische Leitung durch eine Reihe von zentralen Sekretariaten (z.B. Rechtssekretariat, Planungs- und Budgeteinheit, Internationales Sekretariat, Verwaltungseinheit). Außerdem gibt es in den meisten Ministerien einen Verwaltungsdirektor (‚expeditionschef’) und einen Direktor der Rechtsabteilung (‚rättschef’). Der Verwaltungsdirektor ist dafür verantwortlich, dass im Ministerium getroffene Entscheidungen mit geltendem Recht vereinbar sind. Die Zuständigkeit des Direktors der Rechtsabteilung bezieht sich auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen des Ministeriums. In vielen Ministerien werden die Aufgaben des Verwaltungsdirektors und des Direktors der Rechtsabteilung von ein und derselben Person wahrgenommen (Premfors/Sundström 2007: 43ff). Unterhalb der Leitungsebene sind die Fachministerien in Sacheinheiten strukturiert, welche von einem ‚departementsråd’ (entspricht in etwa dem Rang eines Ministerialdirigenten in Deutschland) geleitet werden. Innerhalb dieser Sacheinheiten findet zu wesentlichen Teilen die politikformulierende Arbeit der Regierung statt (Vorbereitung von Propositionen, Ausfertigung von Kommissionsdirektiven etc.). Auch die Steuerung der zentralen Verwaltungsbehörden erfolgt in hohem Grad durch die Sacheinheiten. In der Realität weichen die Fachministerien in unterschiedlichem Ausmaß von der dargestellten Grundstruktur ab. So besitzt beispielsweise das Finanzministerium oberhalb der Sacheinheiten zusätzlich Abteilungen mit einem Abteilungsleiter (Premfors/ Sundström 2007: 43ff). Die Kanzlei der Ministerien hat insgesamt ca. 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Regeringskansliet 2006: 140, inklusive Kommissionsangestellte). 85

Aufgrund der organisatorischen Zugehörigkeit der Auslandsvertretungen zum Außenministerium ist dieses mit ca. 1.400 Mitarbeitern personalmäßig am stärksten besetzt. Auch die Verwaltungszentrale besitzt mehr als 650 Mitarbeiter. Das Personal der übrigen Fachministerien schwankt zwischen 150 (Verteidigung, Landwirtschaft) und 450 (Finanzen) (Regeringskansliet 2006: 140). Insgesamt ist die Zahl der Angestellten in der Kanzlei der Ministerien in den letzten Jahrzehnten sukzessive angestiegen. Ende der 1960er Jahre waren ca. 1.500 Personen in der Kanzlei der Ministerien beschäftigt. Anfang der 1980er Jahre hingegen waren es bereits 2.600. Im Laufe der 1980er Jahre blieb diese Zahl relativ konstant. Anfang der 1990er Jahre begannen die Personalzahlen erneut zu wachsen. 2003 erreichten sie eine Größe von 4.500 Mitarbeitern und sind seitdem auf diesem Niveau geblieben (Premfors/Sundström 2007: 61). Der Anstieg der Personalzahlen in den 1990er Jahren und den ersten Jahren nach dem Jahrtausendwechsel war zwischen den einzelnen Bereichen nicht gleichmäßig verteilt, sondern konzentrierte sich in besonderem Maße auf die Kanzlei des Ministerpräsidenten, die Verwaltungszentrale sowie das Justizministerium, deren Personal sich zwischen 1995 und 2006 jeweils fast verdoppelte. Die Ursachen für den starken Personalanstieg sowohl in der Kanzlei des Ministerpräsidenten als auch im Justizministerium sind u.a. in der schwedischen EU-Mitgliedschaft zu finden. Die Zuständigkeit und Koordination der EUPolitik wurde in einer eigenen Abteilung innerhalb der Kanzlei des Ministerpräsidenten verankert.55 Das traditionell große Außenministerium hingegen verzeichnete im selben Zeitraum sogar eine leicht sinkende Anzahl an Mitarbeitern (Regeringskansliet 2005a: 161). Die Personalzahlen der übrigen Fachministerien sind seit den 1990er Jahren etwas angestiegen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kanzlei der Ministerien im Laufe der Jahrzehnte immer größer geworden ist. Zwischen 1995 und 2005 lag der Anstieg der Personalzahlen bei insgesamt 19%, was im Vergleich zu einer Gesamtwachstumsrate des öffentlichen Dienstes in Schweden zwischen 1995 und 2004 von ca. 2% ein sehr hohes Wachstum ist. Von einigen Autoren wird das Wachstum der Personalzahlen in der Kanzlei der Ministerien in den letzten Jahren auf die Einführung des Modells der ‚Ziel- und Resultatsteuerung’ im Rahmen des New Public Managements zurückgeführt. Die Nachfrage nach präzisen politischen Zielen und Direktiven sei deshalb stark angestiegen (ebenso wie das durch die Kanzlei der Ministerien auszuwertende Material), und dieser 55 Von einigen Autoren wird der Anstieg der Mitarbeiterzahl der Kanzlei des Ministerpräsidenten als Indikator dafür gewertet, dass sich die Position der Kanzlei als zentraler Koordinationsinstanz der Regierungspolitik in den letzten Jahren verstärkt hat (Premfors/Sundström 2007: 123).

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gestiegene Steuerungs- und Informationsverarbeitungsbedarf würde durch eine Erhöhung der Personalzahlen aufgefangen. In welchem Verhältnis stehen die Kanzlei der Ministerien und die zentralen Verwaltungsbehörden zueinander? Die zentralen Verwaltungsbehörden sind in Schweden zwar einem Ministerium zugeordnet, es gibt aber keine direkte und individuelle Ministerverantwortlichkeit wie in Deutschland (Jann/Tiessen 2008), sondern die Behörden sind der Regierung direkt unterstellt. Regierungsbeschlüsse erfordern den Konsens aller Regierungsmitglieder. Diese kollektive Ministerverantwortlichkeit ist in der Verfassung verankert. Entscheidungen werden von der Regierung kollektiv getroffen und verantwortet (s.a. Blondel/ Müller-Rommel 1997). Ein einzelner Minister kann somit prinzipiell keine bindenden Beschlüsse für die zentralen Verwaltungsbehörden fassen (Jann/ Tiessen 2006; Halvarson et al. 2003). Charakteristisch für den schwedischen Staatsaufbau ist die starke Unabhängigkeit der zentralen Verwaltungsbehörden. So ist zwar in der Verfassung einerseits festgelegt, dass die staatlichen Verwaltungsbehörden der Regierung unterstellt sind, andererseits räumt die Verfassung den Behörden jedoch auch ein hohes Maß an Selbständigkeit ein. Diese Selbständigkeit bezieht sich auf Beschlüsse, welche die Ausübung behördlicher Aufgaben gegenüber Privaten oder Kommunen betreffen und auf die Ausführung von Gesetzen. Weder die Regierung noch der Reichstag oder die beschließenden Organe der Kommunen dürfen laut Verfassung in das Recht der Behörden zur selbständigen Ausführung von Gesetzen und Erfüllung behördlicher Aufgaben eingreifen.56 In der Praxis heißt das, dass die Regierung zwar eine Behörde mit der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe – z.B. der Messung administrativer Lasten für Unternehmen – beauftragen kann und bestimmte Ziele und Rahmenbedingungen festlegt. Wie die Behörde diese Aufgabe konkret ausführt, liegt jedoch nicht im Ermessen der Regierung und kann durch diese nicht auf direktem Wege beeinflusst werden. Trotzdem verfügen Regierung und Reichstag über verschiedene Möglichkeiten zur Steuerung und Kontrolle der Verwaltungsbehörden. Neben allgemeinen Gesetzen und Rechtsvorschriften zur Tätigkeit der Behörden spielt vor allem die Finanzierung über das Budget eine erhebliche Rolle bei der Steuerung der Behörden. Hinzu kommen Zielvorgaben der Regierung, spezielle Instruk56 Regeringsformen Kap. 11, Art. 7: „Keine Behörde, und auch nicht der Reichstag oder die beschließenden Organe der Kommunen, darf entscheiden, wie eine Verwaltungsbehörde in bestimmten Fällen in Angelegenheiten entscheidet, welche die Ausübung behördlicher Aufgaben gegenüber Privaten oder Kommunen oder die Ausführung von Gesetzen betreffen.“ (s.a. Ahlbäck Öberg 2003: 152).

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tionen für jede Behörde sowie ein regelmäßiger Dialog zwischen Ministerium und Verwaltungsbehörde über die Performanz der behördlichen Tätigkeiten. Hinzu kommt ein jährlicher Rechenschaftsbericht an die Regierung. Ein wichtiges Instrument der Regierung zur Steuerung der zentralen Verwaltungsbehörden ist deren Befugnis zur Benennung der Behördenleiter. Die OECD stellte in ihrem Bericht zur Regulierungsreform in Schweden 2007 fest, dass diese „Nominierungsmacht“ (OECD 2007: 7) in den letzten Jahren immer systematischer genutzt wurde. Bezüglich der Leitung der zentralen Verwaltungsbehörden57 in Schweden existieren mehrere Modelle (Premfors et al. 2003: 167): D

D

D

Behördenleiter und Aufsichtsrat: Eine weit verbreitete Variante ist die Installation eines allein verantwortlichen Behördenchefs (Generaldirektor, Oberdirektor), der durch einen Aufsichtsrat kontrolliert wird. Behördenleiter und Laienvorstand: Eine zweite Form ist die Implementation einer Doppelspitze aus einem Behördenleiter und einem Laienvorstand58, dessen Mitglieder von der Regierung ernannt werden. Vorstand: In einem dritten Modell nimmt ein kollektives Leitungsgremium die gesamte Führungsverantwortung wahr.

Das zweite Leitungsmodell aus Behördenchef und Laienvorstand war in Schweden lange dominanierend. In den 1980er verstärkte sich jedoch die Kritik an den mit diesem Modell verbundenen uneindeutigen Verantwortungsverhältnissen, auch das korporative Prinzip der Einbindung von Verbänden in die Verwaltungsleitung wurde kritisiert. Deshalb gewannen in den 1990er Jahren die beiden anderen Modelle an Bedeutung (Premfors et al. 2003: 168). Behördenleiter bzw. Vorstandsmitglieder werden für einen Zeitraum von in der Regel sechs Jahren von der Regierung ernannt (Jahn 2003: 102). Alle anderen Personalien innerhalb der Behörden können von diesen selbständig entschieden werden. Nachdem die wichtigsten Merkmale des schwedischen Verwaltungssystems als relevante Hintergrundinformationen für den deutschen Leser dargestellt worden sind, kommt der folgende Abschnitt wieder auf das Kernthema der Untersuchung zurück und gibt einen Überblick über die verschiedenen Normtypen, den jeweiligen formalen Entscheidungsmodus und deren quantitative Bedeutung in Schweden. 57 Aufgrund der fehlenden Relevanz für das Thema werden die sogenannten ‚länsstyrelser’ als staatliche Behörden mit regionalem Wirkungskreis hier nicht weiter erwähnt. 58 Mit der etwas irreführenden Bezeichnung Laienvorstand ist gemeint, dass die Vorstandsmitglieder nicht Angestellte in der betreffenden Behörde sind (Rothstein 1988: 237).

88

2.2.2 Normtypen und Anzahl der Rechtsvorschriften Das Recht, generell bindende Rechtsvorschriften zu beschließen, ist in Schweden zwischen dem Parlament (‚riksdag’) und der Regierung verteilt. Unterschieden werden Gesetze mit Verfassungscharakter, einfache Gesetze sowie von der Regierung zu erlassende Rechtsverordnungen. Die Verfassung Schwedens besteht aus vier Grundgesetzen: dem Gesetz über die Regierungsform (‚regeringsformen’) aus dem Jahre 1974, der Thronfolgeordnung (‚successionsordningen’) von 1810, der Pressefreiheitsverordnung (‚tryckfrihetsförordningen’) von 1949 und dem Gesetz über die freie Meinungsäußerung (‚yttrandefrihetslagen’) von 1991. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden schlicht von „Verfassung“ gesprochen, wenn das Gesetz über die Regierungsform (RF) gemeint ist. Beziehen sich die Darstellungen auf eine andere Verfassungsnorm, dann wird dies explizit erwähnt. Neben den vier Grundgesetzen gibt es das Reichstagsgesetz, welches eine Zwischenstellung zwischen Verfassungsnorm und normalem Gesetz einnimmt. Verfassungsgesetze können nach Kap. 8 § 15 RF durch zwei zustimmende Beschlüsse des Reichstages mit einer dazwischen liegenden Wahl erlassen, geändert oder aufgehoben werden. Der erste Beschluss muss dabei mindestens neun Monate vor der Reichstagswahl gefasst worden sein (Kap. 8 § 15 RF). Eine zusätzliche formale Hürde besteht darin, dass ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung über die vorgeschlagene Verfassungsänderung verlangen kann. Änderungen der Hauptbestimmungen des Reichstagsgesetzes unterliegen denselben rechtlichen Hürden wie die vier Grundgesetze, es sei denn, dass bei einer Abstimmung im Reichstag eine Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen, die mehr als 50% der Mitglieder des Reichstages entsprechen muss, für die Änderung votiert (s.a. Jann/Tiessen 2008). Zusatzbestimmungen des Reichstagsgesetzes können genauso wie einfache Gesetze mit einer einfachen Mehrheit der Stimmen im Parlament geändert werden. Der Reichstag kann die Regierung zur Verabschiedung von Rechtsverordnungen ermächtigen (Kap. 8 §§ 7 bis 10 RF). Inhalt und Ausmaß dieser Ermächtigung wird im zugehörigen Gesetz geregelt. In bestimmten, in der Verfassung festgelegten, Fällen ist für den Erlass von Rechtsverordnungen keine Ermächtigung des Reichstages erforderlich (Kap. 8 § 13 RF). Der Reichstag kann festlegen, dass ihm bestimmte Rechtsverordnungen der Regierung zur Prüfung vorgelegt werden müssen (Kap. 8 § 12 RF). Zentrale Verwaltungsbehörden besitzen kein direkt aus der Verfassung ableitbares Recht zum Erlass von Rechtsnormen. Die Verfassung lässt jedoch zu, dass das Normgebungsrecht von Parlament und Regierung in einem gewis89

sen Ausmaß per Ermächtigung an Behörden delegiert werden kann (Kap. 8 § 11). Neben Vorschriften (‚föreskrifter’) können Behörden in Schweden auch sogenannte ‚Allgemeine Ratschläge’ (‚allmänna råd’) ausfertigen. Als ‚Allgemeine Ratschläge’ werden generelle Empfehlungen über die Anwendung einer Rechtsvorschrift bezeichnet, die angeben, wie man in bestimmten Situationen handeln kann oder sollte (SFS 1976: 725, § 1). ‚Allgemeine Ratschläge’ sind im Unterschied zu Vorschriften nicht bindend und benötigen auch keine Ermächtigung des Gesetzgebers. Ratschläge oder Empfehlungen, die sich auf einen anderen Bereich als auf die Anwendung/Ausführung von Rechtsvorschriften beziehen, sind von dem Begriff ‚Allgemeine Ratschläge’ nicht mit erfasst (Ds. 1998: 43). Werden Verwaltungsbehörden von der Regierung zur Ausfertigung von Vorschriften ermächtigt, dann werden die entsprechenden Vorschriften von den Behörden eigenständig ausgearbeitet, einem mehrstufigen59 Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen und schließlich – je nach Leitungsmodell – vom Vorstand oder vom Behördenleiter verabschiedet. ‚Allgemeine Ratschläge’ benötigen nicht immer einen formellen Beschluss des Vorstands/Behördenleiters, sondern werden zum Teil auch von Abteilungsleitern der Behörden erlassen und verantwortet. In den letzten Jahren hat es sich zunehmend durchgesetzt, dass zentrale Verwaltungsbehörden einen standardisierten ‚Vorschriftenprozess’ publizieren.60 Dies erhöht einerseits die Transparenz über behördeninterne Prozesse der Normentwicklung und Entscheidung und setzt andererseits gewisse Standards, beispielsweise in Bezug auf die Durchführung von Folgenabschätzungen. Die rechtliche Normgebungsmacht in Schweden wurde in den letzten Jahren ein Stück weit dezentralisiert. Zum einen erfolgte diese Dezentralisierung durch die zunehmende Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an die Regierung durch den Reichstag, zum anderen durch Ausgestaltung von Gesetzen als Rahmengesetze. Rahmengesetze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in erster Linie allgemeine Ziele und Richtlinien festlegen, während die präzise Rechtsetzung der Regierung, den Verwaltungsbehörden oder den Kommunen überlassen wird. Auch die Regionen können eigene Rechtsvorschriften, z.B. 59 1) ‚internremiss’: Abstimmung innerhalb der Behörde; 2) ‚samråd’: Abstimmung mit anderen betroffenen Behörden; 3) ‚externremiss’: umfassendes externes Konsultationsverfahren; 4) unter bestimmten Bedingungen Prüfung des Vorschlags durch das Zentralamt für Außenwirtschaft (innerhalb von drei Monaten) und ggf. Abänderung; 5) bei Änderungen infolge der Stellungnahme des Zentralamtes für Außenwirtschaft ggf. erneute externe Konsultation. 60 Vorreiter waren das Schwedische Zentralamt für Katastrophenschutz (‚räddningsverket’), das Schwedische Zentralamt für Landwirtschaft (‚jordbruksverket’) und das Staatliche Amt für Arzneimittelwesen (‚lädemedelsverket’).

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über Naturreservate oder lokale Verkehrsvorschriften, erlassen. Kommunen besitzen in Schweden laut Verfassung das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Zwar können Kommunen genauso wie die Verwaltungsbehörden zum Erlass von Vorschriften ermächtigt werden (Kap. 8 § 11), die Verfassung enthält aber keine spezifischen Rechte der Kommunen und Regionen, d.h. die der subnationalen Ebene eingeräumten Kompetenzen und Entscheidungsspielräume können theoretisch jederzeit von der Zentrale widerrufen werden (Jann/Tiessen 2008). Rechtsvorschriften der Kommunen und der Regionen werden aufgrund der fehlenden Relevanz für die Fragestellung dieser Arbeit im Folgenden nicht näher behandelt. Stellt man sich die Frage, wie viele gültige Gesetze, Rechtsverordnungen und Vorschriften der zentralen Verwaltungsbehörden es in Schweden gibt, so fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Rechtsvorschriften (ebenso wie in Deutschland) mit abnehmender Hierarchiestufe zunimmt. Die Gesamtzahl der schwedischen Gesetze und Rechtsverordnungen ist seit dem Jahr 2000 ungefähr konstant und liegt bei 3.200 bis 3.300 (davon 1/3 formelle Gesetze und 2/3 Rechtsverordnungen). Betrachtet man die Entwicklung der Normenanzahl im Zeitverlauf, so wird evident, dass sich die Gesamtanzahl der gültigen Gesetze und Rechtsverordnungen in Schweden seit Beginn der politischen Bemühungen um eine Reduzierung des Normenbestandes seit Mitte der 1980er Jahre (siehe Kap. 2.2.7.2) deutlich verringert hat. 1985 waren ca. 3.900 Gesetze und Rechtsverordnungen in Kraft.61 Ähnliche Tendenzen wie für die Gesamtanzahl der Gesetze und Rechtsverordnungen lassen sich für die pro Jahr verabschiedeten Gesetzesänderungen konstatieren: Während in den 1980er und in der ersten Hälfte der 1990er Jahre jährlich mehr als 200 Regelungsvorhaben neu in Kraft traten, sank die Anzahl der pro Jahr verabschiedeten Gesetze und Rechtsverordnungen Ende der 1990er Jahre auf ca. 170 und befindet sich seitdem auf diesem Niveau (Regeringskansliets rättsdatabaser, Stand: 2006). Der größte Teil der schwedischen Rechtsetzung erfolgt durch Verwaltungsbehörden. Ein Fall, für welchen dies besonders deutlich wird, ist das Schwedische Lebensmittelgesetz (SFS 2006: 804). Dieses relativ knapp gehaltene Gesetz wird ergänzt durch mehr als 100 Vorschriften von Verwaltungsbehörden, die insgesamt über 1.800 Seiten lang sind (OECD 2007: 78). Welche Verwaltungsbehörden zur Ausfertigung von Vorschriften berechtigt sind, ist per Verordnung (SFS 1976: 725) festgelegt. Seit 1976 sind alle zentralen Verwaltungsbe61 Der Rückgang hängt z.T. damit zusammen, dass 1986 eine umfassende Rechtsbereinigung nach dem Guillotine-Prinzip stattfand (OECD 2007: 9f).

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hörden in Schweden dazu verpflichtet (SFS 1976: 725, § 18), ein Verzeichnis sämtlicher gültiger Vorschriften und ‚Allgemeinen Ratschläge’ zu führen sowie dieses Verzeichnis regelmäßig zu drucken und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Hinsichtlich der Entwicklung der Anzahl der Vorschriften und ‚Allgemeinen Ratschläge’ der zentralen Verwaltungsbehörden lässt sich ähnlich wie bei Gesetzen und Rechtsverordnungen eine starke Abnahme seit Mitte der 1980er Jahre festhalten. So gibt es heute ca. 8.200 (OECD 2007: 9) gültige Vorschriften der Verwaltungsbehörden, 1994 waren es 12.200 und 1986 mehr als 20.000 (RRV 1996: 50, zitiert nach: Premfors et al. 2003: 281). Ungefähr die Hälfte davon sind externe Vorschriften und knapp 30% interne Vorschriften. Bei den übrigen 20% handelt es sich um rechtlich nicht bindende ‚Allgemeine Ratschläge’ (Sterzel 2004). Zusammenfassend lässt sich festhalten: D

D

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Die Anzahl der jährlich in Kraft getretenen Gesetze und Rechtsverordnungen ist in Schweden ebenso wie die Gesamtzahl dieser Arten von Rechtsnormen seit den 1980er Jahren deutlich zurückgegangen. Heute gibt es in Schweden ca. 3.300 gültige Gesetze und Rechtsverordnungen. Diese Zahlen überraschen wenig angesichts der Dezentralisierungstendenzen in der Normgebung. Der quantitativ größte Teil der schwedischen Rechtsetzung erfolgt durch fachlich spezialisierte, zentrale Verwaltungsbehörden (Agencies). Zentrale Verwaltungsbehörden erlassen zwei Arten von Normen: Rechtlich bindende Vorschriften (häufig zur Konkretisierung und Ausführung von Gesetzen und Rechtsverordnungen) sowie ‚Allgemeine Ratschläge’. Insgesamt gibt es derzeit 8.200 Vorschriften und ‚Allgemeine Ratschläge’. Die rechtlich bindenden Vorschriften bilden quantitativ gesehen die Mehrheit (80%).

Daraus folgt, dass im schwedischen Rechtsetzungssystem die zentralen Verwaltungsbehörden eine wichtige Rolle spielen. Diese Tatsache spiegelt sich nicht nur in der Anzahl der erlassenen Vorschriften wider, sondern auch darin, dass Beamte der zentralen Behörden häufig den Vorsitz der für die Gesetzesvorbereitung in Schweden außerordentlich bedeutenden staatlichen Untersuchungskommissionen innehaben (SOU 1999: 121). Im nächsten Kapitel wird die Institution des Kommissionswesens und deren Rolle für die Vorbereitung von Gesetzen näher beleuchtet.

92

2.2.3 Vorstrukturierung von Politikinhalten im Kommissionswesen Öffentliche Untersuchungskommissionen des Staates (‚statens offentliga utredningar’, kurz: SOU), im Folgenden als Kommissionen bezeichnet, werden in Schweden zu bestimmten Themenbereichen von der Regierung eingesetzt und führen im Vorfeld der Rechtsetzung umfassende Recherchearbeiten und Untersuchungen durch. Sie analysieren die wesentlichen Entwicklungslinien eines Policy-Bereiches und systematisieren aktuelle Problemfelder. Auf dieser Grundlage erarbeiten die Kommissionen alternative Lösungsvorschläge für die Regierung und bewerten diese (in unterschiedlicher Intensität und Schwerpunktsetzung) im Hinblick auf zu erwartende politische Steuerungswirkungen. Die von einer Kommission entwickelten Policy-Empfehlungen werden im Rahmen eines Schlussgutachtens (‚betänkande’) publiziert. Häufig veröffentlichen die Untersuchungskommissionen bereits vor Erstellung des Schlussgutachtens ein oder mehrere Teilgutachten (‚delbetänkande’), die sich mit bestimmten Unteraspekten des Themas auseinandersetzen. Alle Kommissionsgutachten werden einem ausführlichen und offenen schriftlichen Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen. Die Kommissionsgutachten und die Stellungnahmen aus dem RemissVerfahren bilden die Grundlage für die Erstellung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen in der Kanzlei der Ministerien.62 Die Regierungsentwürfe können mit den Kommissionsvorschlägen identisch sein, manchmal weichen sie aber auch erheblich davon ab. Ziele, Arbeitsweise und -dauer sowie das Budget der Kommissionen legt die Regierung im Rahmen von sogenannten Kommissionsdirektiven (im Folgenden kurz: Direktiven) fest. Gelegentlich wird der Untersuchungsauftrag an die Kommissionen zu einem späteren Zeitpunkt noch durch sogenannte „Zusatzdirektiven“ ergänzt. Direktiven der Regierung werden von der für den Problembereich zuständigen Einheit eines Fachministeriums ausgearbeitet. Sie sind meist zwischen zehn und 20 Seiten lang, in Einzelfällen aber auch etwas kürzer oder etwas umfangreicher.63 Die Direktiven enthalten üblicherweise eine Zusammenfassung des Untersuchungsauftrages, eine Beschreibung der Gründe für die Einberufung der Kommission, eine detaillierte Beschreibung der Untersuchungsziele und -inhalte sowie Angaben zur Durchführung (z.B. zu evaluierende Folgenaspekte, Kostenberechnungen, zu nutzende Unterstützungsmateria62 Ca. 15% der Kommissionsberichte werden von der Regierung fallen gelassen und nicht zu einem Gesetzentwurf ausgearbeitet (Jann/Tiessen 2008). 63 Eigene Auszählung der Autorin.

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lien, einzubeziehende Akteure oder Institutionen64) und zum Zeitplan. Darüber hinaus formulieren die Direktiven meist den expliziten Auftrag an die Kommissionen, die aus ihren Politikvorschlägen resultierenden rechtlichen Änderungen in konkrete Gesetzes- oder Verordnungsentwürfe zu fassen. Die Arbeitsdauer von Kommissionen in Schweden reicht von einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren. Seit der Kommissionsreform im Jahr 1982 hat sich die durchschnittliche Arbeitszeit von Kommissionen deutlich verringert (RR 1996/97: 6), sie liegt gegenwärtig bei knapp zwei Jahren. Im Gegensatz zur Zeit vor 1982 ist es heute üblich, den Kommissionen im Rahmen der Direktiven klare zeitliche Vorgaben zu machen. Eine empirische Studie von Johansson verdeutlicht, dass nach 1982 der Anteil der Kommissionen, welche ihr Schlussgutachten nach drei oder mehr Jahren ablieferte, rapide sank (1982: 39%; 1988: 17%) (Johansson 1992: 75). Zudem waren bis Mitte der 1970er Jahre in weniger als einem Viertel der Kommissionsdirektiven Zeitvorgaben enthalten, während 1988 93% der Direktiven zeitliche Begrenzungen für die Kommissionsarbeit setzten (Johansson 1992: 81). Bei der politischen Steuerung der Kommissionen spielen neben den Direktiven die per Regierungsbeschluss erfolgenden Festlegungen zur personellen Zusammensetzung eine wichtige Rolle. Die Besetzung der Kommissionen weist eine große Bandbreite auf. Je nach Problemlage können sie nur aus ein oder zwei Personen bestehen oder aber ein großes Gremium aus Vertretern der öffentlichen Verwaltung, Sachverständigen und Experten65, Interessenvertretern und Parlamentsmitgliedern sein. Formal unterscheidet die Kommissionsverordnung (SFS 1996: 119) zwei Typen von Kommissionen: Kommissionen mit einem Vorsitzenden und mehreren stimmberechtigten Mitgliedern (dazu gehören auch die sogenannten Parlamentarischen Kommissionen) sowie Einmannkommissionen (‚särskild utredare’) (Gunnarsson/Lemne 1998: 13). In der Praxis variieren Bezeichnung66 und Zusammensetzung der Kommissionen doch deutlich 64 Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat es sich immer mehr durchgesetzt, den Kommissionen im Rahmen der Direktiven explizit vorzuschreiben, mit welchen Institutionen sie sich bei ihrer Arbeit beraten sollen (Johansson 1992: 81). 65 In der Terminologie des Kommissionswesens wird zwischen Sachverständigen und Experten unterschieden. Sachverständige sind für einen längeren Zeitraum (häufig für die gesamte Arbeitsperiode der Kommission) an die Kommission gebunden, während Experten nach Bedarf kurzfristig zur Kommissionsarbeit hinzugezogen werden. Sachverständige und reguläre Kommissionsmitglieder unterscheiden sich in der Praxis kaum. Beide Gruppen haben z.B. das Recht, im Rahmen von „Reservationen“ schriftlich abweichende Positionen publik zu machen. 66 Üblich sind Organisationskomitee, Delegation, Arbeitsgruppe, Untersuchung, Rat oder Kommission (Gunnarsson/Lemne 1998: 38).

94

stärker als dies in der Kommissionsverordnung vorgesehen ist. So kann beispielsweise ein ‚särskild utredare’ sowohl Kommissionsmitglieder als auch Sachverständige an sich gebunden haben und damit einer normalen Kommission ähneln. Während bis Anfang der 1980er Jahre die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder Beamte aus den zentralen Verwaltungsbehörden waren, bilden seit Mitte der 1980er Jahre Parteivertreter die größte Gruppe (siehe Abb. 1) (SOU 1999: 121: 29; Johansson 1992: 69). Die abnehmende Bedeutung von klassischen Beamten (‚ämbetsmann’) aus den zentralen Verwaltungsbehörden betrifft vor allem Kommissionen mit mehreren stimmberechtigten Mitgliedern, während Einmannkommissionen auch heute noch häufig von einem Behördenvertreter geleitet werden (SOU 1999: 121: 29). Auch beim Anteil der Verbandsvertreter zeigen sich deutliche Differenzen zwischen Einmannkommissionen und den Kommissionen mit mehreren Mitgliedern. Während Einmannkommissionen nur sehr selten von Verbandsvertretern geleitet werden, lag der Anteil der Verbandsvertreter an den Kommissionsmitgliedern in größeren Kommissionen in der Blütezeit des schwedischen Korporatismus in den 1950er und 1960er Jahren bei 20%, sank dann bis 1985 kontinuierlich auf unter 10%, stagnierte in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auf diesem Niveau und stieg danach wieder etwas an. 1995 besaßen 14% der Kommissionsmitglieder (ohne Einmannkommissionen) einen Hintergrund als Verbandsvertreter (SOU 1999: 121: 29). Insgesamt ist die Anzahl der Kommissionen, in welchen Vertreter aller wichtigen Interessengruppen eines Politikfeldes vertreten sind, in den letzten drei Jahrzehnten gesunken (Ullsten 2003). Für die Arbeitsweise, den Diskurs und die Entscheidungsfindung im Kommissionswesen sind nicht nur die stimmberechtigten Mitglieder von Bedeutung, sondern auch die nicht-stimmberechtigten Sachverständigen und Experten. Daten zum beruflichen Hintergrund dieser Gruppe liegen leider nur für den Zeitraum 1955–1989 vor. Die deutlich größte Berufsgruppe unter den Sachverständigen und Experten waren 1989 die Beamten aus zentralen Verwaltungsbehörden (42%), gefolgt von den Ministerialbeamten (33%). Interessant sind die eindeutigen Entwicklungslinien in diesen beiden Berufsgruppen, welche sich bei der Betrachtung der Zeitreihe zeigen (siehe Abb. 2). Verbandsvertreter, Repräsentanten von privaten Unternehmen und Wissenschaftler stellten die übrigen drei relevanten Berufsgruppen unter den Sachverständigen und Experten im Kommissionswesen dar. Politiker hingegen, welche unter den stimmberechtigten Mitgliedern die größte Gruppe bildeten, spielten als Sachverständige oder Experten im Kommissionswesen keine Rolle. 95

Abb. 1: Kommissionsmitglieder 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen (SWE) 60

50

40

30

20

10

0 195557

195773

197376

197678

197879

SAP +C

SAP

SAP

C+Fp+M

Fp

197981

198182

C+Fp+M C+Fp

198288

198889

SAP

SAP

P olit iker

M inist erialbeam t er

Behörde

Verband

P rivat e

W issenschaft ler

Anmerkungen: Angaben in %. Zeiträume nach Regierung (SAP = Sozialdemokratische Partei; C = Zentrumspartei; Fp = Liberale Partei; M = Moderate Sammlungspartei); Kategorien „Sonstige“ und „keine Angabe“ in Abb. nicht enthalten; Datenquelle: Johansson 1992, S. 67; eigene Grafik.

96

Abb. 2: Experten und Sachverständige im schwedischen Kommissionswesen 1955 bis 1989 nach Berufsgruppen 70 60 50 40 30 20 10 0 195557

195773

197376

197678

197879

SAP +C

SAP

SAP

C+Fp+M

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197981

198182

C+Fp+M C+Fp

198288

198889

SAP

SAP

P olit iker

M inist erialbeam t er

Behörde

Verband

P rivat e

W issenschaft ler

Anmerkungen: Angaben in %. Zeiträume nach Regierung (SAP = Sozialdemokratische Partei; C = Zentrumspartei; Fp = Liberale Partei; M = Moderate Sammlungspartei); Kategorien „Sonstige“ und „keine Angabe“ in Abb. nicht enthalten; Datenquelle: Johansson 1992, S. 67; eigene Grafik.

Unabhängig von der Zahl der stimmberechtigten Mitglieder sowie der Sachverständigen und Experten besitzt jede Kommission ein Kommissionssekretariat im zuständigen Fachministerium. Das Kommissionssekretariat kümmert sich um die laufende Kommissionsarbeit, führt Teilstudien durch, bereitet die Beschlüsse 97

der Kommission vor und dokumentiert diese. Im Normalfall ist es auch das Kommissionssekretariat, welches ausgehend von den Beschlüssen und Vorgaben der Kommissionsmitglieder die schriftlichen Gutachten der Kommission ausformuliert (Premfors et al. 2003: 157). Mitarbeiter des Kommissionssekretariats haben üblicherweise einen Hintergrund als Beamte in einer zentralen Verwaltungsbehörde (65–75%), oder sie stammen aus dem federführend zuständigen Ministerium (20–25%) (Johansson 1992: 68). Zwar ist es auch in anderen Staaten üblich, bestimmte politische Entscheidungen außerhalb der regierungseigenen Verwaltung im Rahmen von Sachverständigenkommissionen vorzubereiten, jedoch nicht im selben Ausmaß wie in Schweden, wo fast alle wichtigen politischen Entscheidungen durch eine, zum Teil aber auch durch mehrere Kommissionen vorbereitet werden. Betrachtet man die Anzahl der staatlichen Kommissionen, so lässt sich die ‚große Zeit’ des Kommissionswesens in Schweden auf den Zeitraum von 1965 bis 1980 datieren. Mitte der 1960er Jahre erhöhte sich die Anzahl der Kommissionen von 250 auf 300. 1980 erreichte die Anzahl der Kommissionen mit 422 ihren Höhepunkt. Danach setzte ein starker Rückgang ein. 1987 gab es ‚nur’ noch 195 Kommissionen, die staatlichen Ausgaben für die Kommissionen waren von 230 Mio. SEK 1981/82 auf 120 Mio. SEK 1986/87 gesunken. Das Personal der Kommissionen verringerte sich zwischen 1981 und 1988/89 um zwei Drittel. Der Rückgang der Gesamtanzahl der Kommissionen in den 1980er Jahren hing eng mit der Kommissionsreform 1982 zusammen, welche neben der bereits erwähnten Begrenzung des Zeitrahmens eine Verringerung der Anzahl der Kommissionen zum Ziel hatte. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stieg die Gesamtanzahl der Kommissionen im Zusammenhang mit den beiden Regierungswechseln 1991 und 1994 wieder an und lag seit Mitte der 1990er Jahre bis 2004 konstant bei ca. 300 aktiven Kommissionen pro Jahr (Skr. 2002/03: 103; Skr. 2003/04: 103; Skr. 2004/05: 103; Gunnarsson/Lemne 1998: 33; Premfors et al. 2003: 155). 2005 sank die Gesamtanzahl der Kommissionen wieder etwas (280). Im Wahljahr 2006 war der Rückgang noch deutlicher (236 Kommissionen) (Skr. 2005/06: 103; Skr. 2006/07: 103). Unabhängig vom quantitativen Rückgang in der Anzahl der Kommissionen im Vergleich zu den 1970er Jahren bilden staatliche Untersuchungskommissionen in Schweden heute weiterhin eine fest verankerte und wichtige Institution im Politikformulierungsprozess. Die enorme Bedeutung des Kommissionswesens spiegelt sich in den von der Regierung zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel wider. Fast ein Fünftel der Ressourcen der Kanzlei der Ministerien (außer Außenministerium) entfallen auf das Kommissionswesen (Untersuchung für das Jahr 1997, Gunnarsson/Lemne 1998: 13). 98

Das Kommissionswesen bildet auch deshalb ein wichtiges Charakteristikum des schwedischen politischen Systems und der politischen Kultur, weil dessen historische Wurzeln bereits bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen.67 Kommissionen werden problemorientiert eingesetzt. Das Fachwissen von Sachverständigen und Experten sowie die Verwendung sozialwissenschaftlicher Methoden bei der Beurteilung des Status Quo und bei der Bewertung alternativer Handlungsoptionen spielen in der Kommissionsarbeit eine wichtige Rolle. Deshalb wurde in der Wissenschaft zum Teil davon gesprochen, dass das Kommissionswesen Ausdruck eines „rational orientierten“ schwedischen Politikstil sei (Anton 1969). Empirische Studien zeigen, dass diese Einschätzung zwar tendenziell zutrifft, jedoch deutlich eingeschränkt werden muss. So kam Johansson Anfang der 1990er Jahre auf Grundlage mehrerer Fallstudien im Kommissionswesen zu dem Schluss, dass bei den zentralen politischen Fragestellungen sachliche Argumente nur eine untergeordnete Rolle spielen und stattdessen das Streben nach politischem Einfluss im Vordergrund steht. „Wissen“ stellt im Prozess der Entscheidungsfindung eine wesentliche Machtressource dar, um eigene Interesse durchzusetzen und Einfluss auszuüben: „Was sich auch zeigt ist, wie wenig sachlich die verschiedenen Akteure in der Kommissionsarbeit über wichtige Fragen diskutieren. Möglicherweise beruht dies darauf, dass die Teilnehmer die gegenseitigen Positionen gut von früher kennen. Man hat sich bereits in anderen Kommissionen oder auf anderen Arenen getroffen. Sicher ist es möglich, die ‚technisch beste’ Lösung für weniger wichtige Teile der Untersuchungsarbeit zu finden. (…) Aber bei den zentralen Fragen ist dies weniger üblich. Bei der Kommissionsarbeit geht es stattdessen vor allem um das Streben der verschiedenen Akteure nach Einfluss. Wissen scheint ein wichtiges Mittel beim Austragen dieser Konflikte zu sein.“ (Johansson 1992: 240)

Obwohl politische Interessen, Macht und Einfluss in der Kommissionsarbeit eine nicht unbedeutende Rolle spielen, kann konstatiert werden, dass die Institution des Kommissionswesens einen sachlichen Diskurs über politische Lösungsansätze auf Basis umfassender und transparenter Untersuchungen zum Problemfeld fördert, da – wie auch im oben genannten Zitat erwähnt – die Akteure ihre Interessen durch nachvollziehbare Argumente untermauern müssen, um im diskursiven Verhandlungsprozess erfolgreich zu sein. Von großer Bedeutung ist hierbei das im Remiss-Verfahren strukturell verankerte Öffentlichkeitsprinzip, 67 Für eine historische Darstellung bis Anfang des 20. Jahrhunderts, leider nur auf schwedisch, siehe Hesslén 1927; eine Darstellung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liefert Meijer 1956.

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welches eine Aushandlung von interessengeleiteten politischen Kompromissen in geschlossenen Netzwerken ohne die Unterstützung durch Sachargumente und ohne öffentliche Kontrolle erschwert.68 Neben der Generierung und Strukturierung von Wissen über Probleme und Lösungen erfüllen Kommissionen im schwedischen Prozess der Gesetzesvorbereitung eine weitere wichtige Funktion: Sie übernehmen die Vor-Abstimmung von Regelungsvorschlägen, indem sie verschiedene gesellschaftliche Akteure in die Gestaltung von Reformvorhaben mit einbeziehen. Diese Vorstrukturierung und Aushandlung von Politikinhalten findet in zwei Stufen statt: 1) in der Kommissionsarbeit durch die Integration relevanter gesellschaftlicher Interessengruppen und 2) im Remiss-Verfahren zum Kommissionsgutachten durch die Möglichkeit zur Stellungnahme und Intervention in einer frühen Phase des Rechtsetzungsprozesses. Dadurch wird die gesellschaftliche und parlamentarische Akzeptanz von Gesetzentwürfen der Regierung gefördert. Die Kompromiss- und Konsensorientierung ist im Kommissionswesen strukturell darin verankert, dass sich die Kommissionsmitglieder auf ein Schlussgutachten einigen müssen. Allerdings besitzen (wie bereits erwähnt) die Kommissionsmitglieder und Sachverständigen die Möglichkeit, eine sogenannte ‚reservation’ zu schreiben, falls zu bestimmten Fragen kein Konsens erzielt werden konnte. Besonders ausgeprägt ist die Integrations- und Kompromissförderungsfunktion von Kommissionen im Falle der sog. ‚Parlamentarischen Kommissionen’. Als Parlamentarische Kommissionen werden diejenigen Kommissionen bezeichnet, zu deren Mitgliedern mindestens zwei Parlamentarier gehören. Unterschieden werden Parlamentarische Kommissionen, in denen alle Reichstagsparteien mitarbeiten und solche, in welchen nur die größten Fraktionen vertreten sind. Insbesondere durch die Mitarbeit in den alle Reichstagsparteien umfassenden Parlamentarischen Kommissionen werden Mitglieder der Oppositionsparteien frühzeitig am Politikformulierungsprozess beteiligt und können ihre Vorstellungen und Positionen einbringen. Durch die formelle Einbindung und Integration in die konsensorientierten Strukturen des Kommissionswesens werden die Möglichkeiten der Opposition zur Entwicklung von grundsätzlichen Gegenentwürfen zur Regierungspolitik sowie zur Äußerung von Kritik an den Gesetzgebungsvorhaben der Regierung eingeschränkt. Im Gegensatz zum verbreiteten Bild der Kommissionen als Arenen eines argumentativen und offenen Diskurses über Politikgestaltung wurden sie in Schweden von einigen Forschern 68 Das bedeutet nicht, dass es nicht auch in Schweden sog. ‚sub-governments’ gibt, aber deren dauerhafte Etablierung und Abschließung nach außen wird durch strukturelle Merkmale des schwedischen Systems deutlich erschwert.

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dafür kritisiert, dass sie politische Entscheidungen zugunsten der Vorstellungen der etablierten Akteure eines Politikbereiches (Verwaltung und Interessengruppen, Fachpolitiker der Regierungsparteien) präjudizieren und einschränken (Jann 1989: 392). Hier zeigt sich eine gewisse Ambivalenz in den Argumenten: Kommissionen stellen einerseits institutionalisierte und geschlossene Entscheidungsnetzwerke dar und verringern damit den Wettbewerb von Politikinhalten in anderen Arenen (z.B. im Reichstag im Falle der Parlamentarischen Kommissionen), andererseits unterliegen sie durch Publikationspflichten und das Remiss-Verfahren einer öffentlichen Kontrolle. Ihr nicht-dauerhafter und formeller Charakter trägt zudem dazu bei, dass die Akteurskonstellationen in den PolicyNetzwerken transparent bleiben und sich nicht zu stark verfestigen können, schließlich müssen Entscheidungen über die Zusammensetzung von Kommissionen im Einzelfall immer wieder neu ausgehandelt werden. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen an allen Kommissionen deutlich verringert. So waren Anfang der 1980er Jahre noch ein Drittel aller Kommissionen Parlamentarische Kommissionen, Mitte der 1990er Jahre betraf dies ein Fünftel und 2002 lag der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen nur noch bei einem Zehntel aller Kommissionen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Parlamentarische Kommissionen, in denen Repräsentanten aller Reichstagsparteien vertreten sind, heute viel seltener sind als in den 1970er und 1980er Jahren (RiR 1996/97: 6; RiR 2004: 2). Auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint die Tatsache, dass sich trotz der abnehmenden Bedeutung Parlamentarischer Kommissionen der Anteil der Parteipolitiker im Kommissionswesen in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht hat (SOU 1999: 121). Betrachtet man die Daten näher, löst sich dieser Gegensatz jedoch auf, da Parlamentarische Kommissionen als Kommissionen definiert werden, in denen mindestens zwei Parlamentsparteien vertreten sind. Die Zunahme der Parteivertreter im Kommissionswesen lässt sich deshalb darauf zurückführen, dass in immer mehr Kommissionen nur die größte (Regierungs-)Partei vertreten war. Diese empirischen Phänomene sind ein Ausdruck der wachsenden Steuerung des Kommissionswesens durch die Regierung seit Anfang der 1980er Jahre, in der Forschung meist als „Politisierung des Kommissionswesens“ (Gunnarsson/Lemne 1998: 55) bezeichnet. Die groß angelegte schwedische „Machtuntersuchung“ 1990 sprach von einem „Bedeutungsverlust des Kommissionswesens“ (SOU 1990: 144). Forscher konstatierten, dass die Kommissionen als Instrument zur Generierung neuen Wissens (Fors/Uhrwing 2003: 7) und zur Kompromissfindung (Gunnarsson/Lemne 1998: 13; Jahn 2003: 103) an Bedeu101

tung verloren hätten. Kritisiert wurde, dass die Kommissionen zu stark durch die Regierung gelenkt werden und deshalb ihre Konsensbildungsfunktion nicht mehr erfüllen. Letzteres äußere sich - wie die Kommission zu „Demokratie und Macht in Schweden“ 1990 feststellte - beispielsweise darin, dass unaufgelöste Meinungsgegensätze, welche im Kommissionswesen in den ‚Reservationen’ ihren Ausdruck finden, zugenommen hätten (SOU 1990: 44: 188; s.a. Johansson 1992: 232). Zudem wurden in den 1980er und 1990er Jahren immer mehr Einmannkommissionen (Johansson 1992: 91; s.a. Gunnarsson/Lemne 1998: 13) eingesetzt. 1960 waren ca. ein Drittel aller Kommissionen Einmannkommissionen, 1995 hingegen betraf dies zwei Drittel (SOU 1999: 121: 29). Weitere Indizien für eine Verringerung der Unabhängigkeit der Kommissionen sind die zunehmende Steuerung der Kommissionen über Direktiven der Regierung (beginnend in den 1960er Jahren bis Mitte der 1990er Jahre) (Johansson 1992: 81)69 und die bereits dargestellten Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der Kommissionen, insbesondere der sich erhöhende Anteil von Sachverständigen und Experten aus der Ministerialverwaltung70 und von Parteipolitikern als Kommissionsmitgliedern, verbunden mit einem sinkenden Anteil von klassischen Verwaltungsbeamten (aus den zentralen Verwaltungsbehörden) (Johansson 1992: 67). Zusammenfassend sind folgende Merkmale und Entwicklungstendenzen des schwedischen Kommissionswesens festzuhalten: D D

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Fast alle wichtigen Gesetzgebungsvorhaben in Schweden werden durch Kommissionen vorbereitet. Kommissionen dienen der Erarbeitung und Analyse von politischen Handlungsmöglichkeiten, ihre Ergebnisse (Gutachten) werden einem offenen und schriftlichen Konsultationsverfahren unterzogen. Bereits im Kommissionswesen werden gesetzgeberische Steuerungsoptionen vorabgestimmt. Die Arbeitsweise der Kommissionen ist konsensorientiert. Empirische Daten konstatieren jedoch seit Anfang der 1980er Jahre eine abnehmende Bedeutung der Kommissionen als Foren der gesamtgesellschaftlichen Konsensbildung: sinkende Anzahl Parla-

69 Seit 1995 ist die absolute Zahl der Kommissionsdirektiven (inklusive Zusatzdirektiven) relativ konstant (1995: 165; 2006: 141) (Regeringskansliet 2006: 101). 70 In einer Interviewstudie 2005 äußerten sich viele Kommissionsmitglieder und -sekretäre kritisch gegenüber der Rolle von Ministerialbeamten in den Kommissionen: „Die Vertreter der Ministerien sitzen (…) im Allgemeinen nur dabei und bewachen bereits von Anfang an feststehende Positionen.“ (Regeringskansliet 2005b: 64).

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mentarischer Kommissionen mit Vertretern aller Parteien, weniger Kommissionen mit Vertretern aller wichtigen Interessengruppen eines Politikfeldes, mehr Einmannkommissionen, mehr Reservationen. Seit der Kommissionsreform im Jahr 1982 ist die Arbeitszeit der Kommissionen deutlich kürzer geworden, gleichzeitig werden jährlich mehr Kommissionen neu eingesetzt. Die Gesamtzahl der Kommissionen hingegen ist (nach einem deutlichen Rückgang bis Ende der 1980er Jahre) seit Mitte der 1990er Jahre konstant. Anfang der 1980er Jahre setzte ein Prozess der Politisierung des Kommissionswesens ein. Damit ist die stärkere Steuerung der Kommissionen durch die Regierung bzw. eine sinkende politische Unabhängigkeit gemeint. Diese Tendenz spiegelte sich in einer quantitativen Zunahme und wachsenden Detailliertheit der Direktiven bis Mitte der 1990er Jahre, in der prozentualen Zunahme des Anteils regierungsnaher Kommissionsmitarbeiter (Regierungsparteivertreter als Mitglieder, Ministerialbeamte als Sachverständige oder Experten) und in der wachsenden Bedeutung leicht steuerbarer Einmannkommissionen wider.

Trotz der aufgezeigten Veränderungstendenzen können Kommissionen in Schweden auch heute noch in einer gewissen Unabhängigkeit von der Regierung agieren und leisten nicht selten einen wesentlichen Beitrag zur Offenlegung, Diskussion und Abstimmung widerstreitender Positionen. 71 Sie entlasten damit die Ministerialverwaltung, deren Rolle und Aufgaben im Prozess der Gesetzesvorbereitung im Zentrum des folgenden Unterkapitels steht, von Aufgaben der Vorabstimmung von Politikinhalten, der Wissensgenerierung und der Alternativenbeurteilung.

2.2.4 Gesetzesvorbereitung in der Ministerialverwaltung Nach der schwedischen Verfassung haben die Regierung, einzelne Mitglieder oder Gruppen des Reichstages sowie ständige Ausschüsse das Recht, Gesetzentwürfe in den Reichstag einzubringen oder (nur im Falle parlamentarischer Initiativen) die Regierung aufzufordern, Gesetzentwürfe vorzubereiten. Das Initiativrecht der Reichstagsabgeordneten ist an einen bestimmten Zeitraum des 71 Dass viele Konflikte schon im Kommissionswesen gelöst werden, zeigt anschaulich die Fallstudie von Erlandsson zur Entstehung der Proposition zur Raubtierpolitik 2001.

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parlamentarischen Jahres gebunden (die sogenannte „allgemeine Motionszeit“). Die ‚allgemeine Motionszeit’ erstreckt sich über die ersten fünfzehn Tage nach Einbringen des Budgetvorschlages im Anschluss an die parlamentarische Sommerpause (spätestens bis zum 20. September in Nicht-Wahljahren). Danach beschränkt sich das Initiativrecht der Reichstagsmitglieder auf Änderungsanträge (sog. ‚Folgemotionen’) zu Regierungsentwürfen. Die Gesetzesinitiativen der Mitglieder des Reichstages haben in der Regel nicht die Form einer fertigen Gesetzesvorlage, sondern enthalten lediglich die Aufforderung an die Regierung, Lösungsvorschläge für bestimmte Angelegenheiten zu entwickeln (Jann/Tiessen 2008). Motionen werden ohne Behandlung im Plenum den Ausschüssen zugewiesen, die diese beraten und mit einem zustimmenden oder ablehnenden Votum dem Plenum wieder vorlegen. Anschließend kann der Reichstag die Regierung beispielsweise zur Einsetzung einer Kommission auffordern. Insgesamt gehen ca. ein Fünftel der Gesetzesinitiativen auf den Reichstag zurück. In vier Fünftel der Fälle hingegen kommt der formale Anstoß für Gesetzgebungsvorhaben von der Regierung72, häufig durch Einsetzen einer Kommission. Auch wenn das schwedische Kommissionswesen im internationalen Vergleich von herausragender Bedeutung ist, werden bei weitem nicht für alle Regelungsvorhaben Kommissionen eingesetzt. Bei weniger umfangreichen Problemstellungen wird in der Regel eine Einheit des zuständigen Ministeriums mit den Vorbereitungsarbeiten betraut (s.a. Kap. 3.3.3 zum Anteil der Propositionen aus dem Jahr 2006, welche durch Kommissionen vorbereitet wurden). Üblich ist es auch, die grundlegenden Vorbereitungsarbeiten für neue Regelungen an eine zentrale Verwaltungsbehörde zu delegieren oder private Beratungsunternehmen mit Zuarbeiten zu beauftragen (Premfors et al. 2003: 158f). Politikformulierung in Schweden ist keine Aufgabe, die ausschließlich von der Ministerialverwaltung wahrgenommen wird, sondern sie geschieht zu bedeutenden Anteilen im Rahmen des Kommissionswesens sowie durch Zuarbeiten der staatlichen Behörden oder von anderen Institutionen. Auch die im Rahmen des Remiss-Verfahrens getätigten Stellungnahmen bilden eine wichtige Grundlage für die Erstellung von Regelungsentwürfen. Aufgabe der Ministerien ist es vor allem, den auf eine Vielzahl von Akteuren verteilten Politikformulierungsprozess zu steuern und zu koordinieren (Premfors et al. 2003: 146). Zudem sind die Ministerien dafür verantwortlich, 72 Vom wem die Initiative für Gesetzesänderungen oder neue Gesetze real ausgegangen ist, lässt sich im Nachhinein oft nur schwer feststellen. Trotz der formalen Dominanz der Regierung spielt der Reichstag dabei ebenfalls oft eine wichtige Rolle (s.a. Jann 1989: 383f; Zahlen aus Jann/Tiessen 2008).

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auf Grundlage der vorhandenen Materialien den finalen Regierungsentwurf (Proposition) zu erstellen und diesen politisch so abzustimmen, dass er vom Kabinett verabschiedet werden kann. Wie intensiv die politische Führung in den Prozess der Propositionserstellung eingreift, hängt ebenso wie in Deutschland stark davon ab, ob es sich um ein öffentlich und politisch stark diskutiertes Thema handelt oder nicht. Bei Themen, die weniger im Rampenlicht stehen, sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Ministerialverwaltung in der Regel größer und die Steuerungseingriffe der Politik seltener und finden im Prozessverlauf meist erst relativ spät statt (Erlandsson 2001: 43). Hilfestellung für die Ministerialbeamten beim Ausformulieren von Gesetzentwürfen bieten verschiedene Handbücher und Leitfäden, z.B. die „Richtlinien für die Gesetzessprache“ (PM 1994: 4), das „Schwarze Buch“ (PM 2004: 1) mit einer Liste von in Rechtstexten nicht zu verwendenden Wörtern und Phrasen oder die im Jahr 1969 erstmals von der Kanzlei des Ministerpräsidenten unter der Bezeichnung „Grünes Buch“ herausgegebenen Richtlinien für das Schreiben von Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen und Rundschreiben. Diese umfangreichen Richtlinien, die zuletzt im Jahr 1998 in einer neuen Auflage herauskamen (Ds. 1998: 66), enthalten vorrangig technische Hinweise zur Verwendung von Rubriken, zum Einleitungstext, zu Sprache und Redaktion sowie zur Formulierung von bestimmten Inhalten (wie z.B. von Strafbestimmungen oder Bestimmungen über das In- und Außerkrafttreten von Vorschriften). Von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus das sogenannte „Propositionshandbuch“ (Ds. 1997: 1), welches auf reichlich 150 Seiten praxisorientierte Hinweise zu rechtlichen Regelungen und zur Erstellung von Propositionen gibt, und verschiedene Unterstützungsmaterialien zur Folgenabschätzung und Qualitätssicherung im Rechtsetzungsprozess (siehe Kap. 3.3.1) sowie zur Rechtsetzung in der EU (PM 2005: 3). Daneben enthalten Handbücher für die zentralen Verwaltungsbehörden (Ds. 1988: 43; Ds. 2004: 45) und das Kommissionshandbuch (Ds. 2000: 1) hilfreiche Hinweise, die auch für den Bereich der Kanzlei der Ministerien Relevanz besitzen (Ds. 1997: 1: 84). Liegt ein erster Regelungsentwurf vor, wird dieser zunächst hausintern innerhalb des zuständigen Fachministeriums (mit anderen betroffenen Sacheinheiten sowie mit der politischen Spitze im Ministerium) abgestimmt. Ist die hausinterne Abstimmung abgeschlossen, erfolgt die Abstimmung mit anderen betroffenen Ministerien im Rahmen eines interministeriellen schriftlichen Konsultationsverfahrens (‚delning’). Das zuständige Ministerium sendet im Rahmen dieses Verfahrens einen Entwurf an die anderen Ministerien, welche innerhalb einer Frist von mindestens fünf Arbeitstagen schriftlich dazu Stellung nehmen 105

können (Premfors/Sundström 2007: 54ff; Ds. 1997: 1: 89). Kann auf der Arbeitsebene keine Einigkeit über einen Entwurf erzielt werden, dann wird die Abstimmung auf die Staatssekretärsebene gehoben. Ist auch hier keine Einigkeit möglich, landet die strittige Frage auf der Agenda der Minister. Die „Verordnung über die Kanzlei der Ministerien“ in Schweden legt fest, dass Regierungsangelegenheiten, die den Zuständigkeitsbereich mehrerer Ministerien berühren, gemeinsam vorbereitet werden sollen. Wie diese „gemeinsame Vorbereitung“ aussehen soll, ist nicht näher geregelt (SFS 1996: 1515, § 15). In der Praxis kann die gemeinsame Vorbereitung auf vielfältige Art und Weise geschehen: per E-Mail, durch informelle Gespräche, Treffen oder die Bildung von interministeriellen Arbeitsgruppen. Anders als man vermuten könnte, hat jedoch weder die Tatsache, dass die Kanzlei der Ministerien seit 1997 eine Behörde ist noch das Gebot der gemeinsamen Vorbereitung zu einer erkennbaren Zunahme der aktiven, horizontalen „positiven Koordination“ (Scharpf 1993) geführt. Dominierendes Kommunikationsprinzip in der Kanzlei der Ministerien ist weiterhin die vertikale Kommunikation. Interministerielle Arbeitsgruppen gibt es heute nicht wesentlich häufiger als vor 30 Jahren. Gemeinsame Vorbereitung von Regierungsentwürfen findet in der Regel nicht aktiv statt (Premfors/Sundström 2007: 189). Die Vorstellungen und Positionen sowie die möglichen Einwände anderer Einheiten sind den für einen Entwurf zuständigen Ministerialbeamten in der Regel gut bekannt und werden bei der Vorbereitung von Regelungen von Anfang an mit berücksichtigt. Regelungsvorschläge werden häufig ohne direkten Kontakt mit anderen Einheiten in einer Art und Weise gestaltet, von der die zuständigen Einheiten annehmen, dass sie von anderen betroffenen Einheiten oder Ministerien akzeptiert werden. Horizontale Abstimmung von Regelungsentwürfen in Schweden hat also meist einen eher passiven und antizipierenden Charakter (Premfors/Sundström 2007: 189f). Eine wesentliche Grundlage für das effektive Funktionieren dieses Systems ist nach Premfors und Sundström (2007: 192) die geringe Größe der Kanzlei der Ministerien, welche nahe Kontakte zwischen Ministerialbeamten und Politikern sowie zwischen unterschiedlichen Sacheinheiten und Fachministerien ermöglicht. Nach dem der Regelungsentwurf intra- und interministeriell abgestimmt wurde und bevor das federführende Ministerium oder die zuständige interministerielle Arbeitsgruppe die endgültige Regierungsvorlage (‚proposition’) erstellt, wird eine große Anzahl betroffener Institutionen in einem speziellen Konsultationsverfahren (‚remiss’) zu den Vorschlägen befragt. Die Liste der Organisationen, die in das Remiss-Verfahren einbezogen werden, wird vom zuständigen Ministerium festgelegt und ist häufig sehr umfangreich. Darüber hinaus können 106

auch Organisationen, die auf dieser Liste nicht berücksichtigt wurden und sogar einzelne Bürger eine Stellungnahme abgeben. Das Konsultationsverfahren zeichnet sich durch einen hohen Grad an Offenheit aus. Die an die Regierung im Laufe der in der Regel mindestens dreimonatigen Konsultationsfrist (Ds. 1997: 1: 32) gesandten Stellungnahmen sind ebenso wie die Abschluss- und Zwischenberichte der Kommissionen öffentlich zugänglich (Öffentlichkeitsprinzip). Die Integration aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen in das Remiss-Verfahren bewirkt, dass den Opponenten einer Regelung ‚der Wind aus den Segeln genommen’ wird, schließlich können sie umfassend Stellung nehmen und werden gehört. Anton vergleicht dieses Verfahren mit dem Prinzip einer Geiselnahme, in welcher die Geiseln mit den Geiselnehmern sympathisieren, Verständnis für deren Handeln entwickeln und Möglichkeiten zum Widerstand deshalb nicht mehr nutzen: „Since the number of participants is typically large, particularly on major proposals, remiss procedures have the effect of creating a large number of agency and interest group organizations who, because they have participated in shaping a proposal, are effectively prevented from opposing it. We have elsewhere referred to these processes as the ‚hostage principle’. (…) Hostages are the essential ingredient of Swedish political consensus.” (Anton 1980: 165)

Seit Oktober 2008 muss spätestens im Rahmen des formalen Remiss-Verfahrens eine Konsultation des Regelrates (‚regelråd’) erfolgen. Der Regelrat ist ein unabhängiges Beratungsgremium der schwedischen Regierung, welches nach dem Vorbild von ACTAL in den Niederlanden und vom NKR in Deutschland eingerichtet wurde. Er besteht aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern (Dir. 2008: 142), die durch ein Sekretariat unterstützt werden. Der Regelrat ist dem Wirtschaftsministerium zugeordnet. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, ob neue Regulierungen so formuliert worden sind, dass sie möglichst geringe administrative Lasten für Unternehmen mit sich bringen. Darüber hinaus ist der Regelrat für eine Qualitätsprüfung der Folgenabschätzung zuständig. Seine Stellungnahmen erfolgen schriftlich (Dir. 2008: 57). Nach Abschluss des Remiss-Verfahrens wird der Gesetzentwurf ggf. noch einmal geändert und einer finalen Abstimmungsrunde in der Kanzlei der Ministerien unterzogen. Die der Regierung und dem Reichstag zum Beschluss vorgelegten Propositionen enthalten nicht nur den oder die Gesetzentwürfe, sondern darüber hinaus umfangreiche Informationen zum Problembereich, den Ergebnis-

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sen vorbereitender Kommissionen, den Vorschlägen der Remiss-Instanzen sowie zu Alternativen und Folgen der vorgeschlagenen Regelungen. Bevor das Kabinett einen Beschluss fällt, werden die meisten Propositionen dem 1979 eingerichteten Gesetzgebungsrat (‚lagråd’) zur rechtsförmlichen Prüfung sowie zur Stellungnahme zu Fragen der Zweckmäßigkeit und Umsetzung vorgelegt. In Kap. 8 § 18 der schwedischen Verfassung ist festgelegt, unter welchen Bedingungen ein Gesetzentwurf durch den Gesetzgebungsrat, ein aus Richtern des Obersten Gerichtshofes (‚högsta domstolen’) und des Obersten Verwaltungsgerichtshofes (‚regeringsrätten’) bestehendes Gremium, geprüft werden muss. Die Liste der Fälle, in denen ein Gutachten des Gesetzgebungsrates eingeholt werden soll, ist umfangreich und führt in der Praxis dazu, dass der Gesetzgebungsrat in der Mehrzahl der Fälle konsultiert wird. Inhaltlich beschäftigen sich die Gutachten des Gesetzgebungsrates einerseits mit rechtsförmlichen Fragen (Einpassung ins bestehende Normengefüge, Verhältnis der Paragraphen untereinander, Auswirkungen auf die Rechtssicherheit) und andererseits mit Fragen der Zweckmäßigkeit sowie mit möglichen Umsetzungsproblemen. Bei der Prüfung der Zweckmäßigkeit stehen rein rechtliche Fragen im Mittelpunkt, politische Einschätzungen und Abwägungen sollen in der Stellungnahme des Gesetzgebungsrates keine Rolle spielen. Propositionen werden von der gesamten Regierung kollektiv beschlossen, bevor sie dem Reichstag vorgelegt werden. Um einen Beschluss fällen zu können, müssen bei der Kabinettssitzung mindestens fünf Minister anwesend sein. Die meisten Propositionen legt die Regierung dem Reichstag im Monat März vor. Diese Tatsache ist dadurch begründet, dass der Reichstag zwischen Juni und September eine Sommerpause hat. Sollen also Propositionen noch innerhalb des laufenden (Reichstags-)Jahres verabschiedet werden können, dann muss die Proposition spätestens Mitte März in den parlamentarischen Prozess gebracht werden. Besonders wichtig ist dies in Wahljahren, wo alle Vorhaben, die noch in der laufenden Wahlperiode durchgesetzt werden sollen, bis Mitte März an den Reichstag weitergeleitet werden müssen. Die Monate Februar und März sind daher eine besonders arbeitsintensive Zeitperiode in der Kanzlei der Ministerien (Premfors/Sundström 2007: 58). Nachdem die Regierungsvorlage im Reichstag angekommen ist, haben die Abgeordneten innerhalb eines bestimmten Zeitraums (normalerweise 15 Tage) die Möglichkeit, sich schriftlich zur Proposition zu äußern. Diese Art der Stellungnahme wird als ‚Folgemotion’ bezeichnet. Folgemotionen können sowohl von einzelnen Abgeordneten als auch von Gruppen von Delegierten abgegeben werden. In wichtigen Fragen geben Parteigruppen ihre Ansichten und Stand108

punkte zu bestimmten Fragen in Parteimotionen bekannt. Die Proposition der Regierung sowie die Folgemotionen der Reichstagsmitglieder bilden die Grundlage der folgenden Ausschussarbeit. Die Ausschüsse führen häufig Anhörungen durch oder stellen zusätzliche eigene Untersuchungen an. Am Ende legt der Ausschuss ein Gutachten (‚utskottsbetänkande’) zum Beschluss vor, das anschließend im Reichstag debattiert und ggf. beschlossen wird. Danach wird die Regierung durch ein kurzes formelles Schreiben (‚skrivelse’) über den Reichstagsbeschluss informiert. Anschließend verkündet die Regierung das Gesetz in der Schwedischen Gesetzessammlung (Svensk författningssamling: SFS).73

2.2.5 Interessenverbände: Kommissionskorporatismus, Verwaltungskorporatismus oder Entkorporatisierung? Verbände spielen bei der Politikformulierung und -implementation in Schweden traditionell eine wichtige Rolle.74 Eine international vergleichende Studie aus den 1970er Jahren hob hervor, dass die intensive Integration von Interessengruppen in die Politikformulierung und sehr enge Kontakte zwischen Verwaltung und Verbänden insbesondere auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden typisch für das schwedische System seien (Anton 1980: 133). Verbände wirken in Schweden regelmäßig an den von der Regierung eingesetzten Kommissionen mit (Kap. 2.2.3). Sie erhalten Kommissionsgutachten und Regelungsvorschläge der Regierung im Rahmen des Remiss-Verfahrens zur Stellungnahme, sie werden in den Reichstagsausschüssen angehört, sie pflegen direkte Kontakte zu Parlamentsmitgliedern und Beamten in der Kanzlei der Ministerien (Petersson 1989) und sie sind in den nationalen Verwaltungsbehörden auf unterschiedlichem Niveau vertreten. Große Interessenorganisationen haben meist regelmäßigen Kontakt zu ‚ihren’ Behörden (Lundquist 1992: 229). Die institutionalisierte Integration großer Interessenorganisationen in die öffentliche Verwaltung wurde zwar seit den 1980er Jahren verschiedentlich kritisiert, dominierend ist in Schweden jedoch eine Betonung der positiven Seiten der Interessenrepräsentation (Expertise, Unterstützung der Verwaltung etc.) (Rothstein 1988; Lundquist 1992: 231). 73 Für eine kurze Übersicht zum schwedischen Gesetzgebungsprozess in englischer Sprache siehe OECD 2007: 18, in deutscher Sprache siehe Jann/Tiessen 2008. 74 Schweden wird im internationalen Vergleich als ein Land mit besonders starken und einflussreichen Interessenorganisationen gesehen (SOU 1990: 44; s.a. Rothstein 1992).

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Abb. 3: Formaler Gesetzgebungsprozess in Schweden Initiative (Parlament, Regierung, externe Akteure und/oder EU) Gesetzesvorbereitung durch Kommission  Gutachten (publiziert in der SOU-Reihe) Vorbereitungsarbeiten durch zentrale Verwaltungsbehörden  Studie, Bericht oder Gesetzentwurf, ggf. Remiss

Remiss  Zusammenstellung der Stellungnahmen (Publikation als separates Dokument in der Ds-Reihe)

Gesetzesvorbereitung in der Kanzlei der Ministerien  Departementspromemoria (ggf. publiziert in der Ds-Reihe)

Delning (Abstimmung zwischen den Fachministerien)  keine Publikation

Remiss  Zusammenstellung der Stellungnahmen (Publikation als separates Dokument in der Ds-Reihe und Zusammenfassung in der Proposition)

Gesetzgebungsrat  Lagrådets yttranden (Publikation in der Proposition)

Regierungsentwurf  Proposition (Publikation als Reichstagsdokument = Riksdagtrycket del B)

Parlamentarisches Verfahren  Motionen, Ausschussgutachten, Debatte und Beschluss, „Skrivelser“ des Reichstags (publiziert als Reichstagsdokumente = Riksdagtrycket del D, E, A, F)

Ausfertigung des Gesetzes  Gesetz (publiziert in der Schwedischen Gesetzessammlung SFS)

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Zuarbeiten von externen Institutionen (Consultants, Verbände oder wissenschaftliche Einrichtungen)

Forscher weisen zunehmend darauf hin, dass sich das schwedische System des Korporatismus in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten gewandelt habe. In Bezug auf die Politikformulierung wird dieser Wandel häufig an einer Entkorporatisierung des Kommissionswesens festgemacht (Ullsten 2003). Als Ursache hierfür wird angegeben, dass sich der Einfluss der Kommissionen auf politische Entscheidungen verringert hat (SOU 1990: 44: 187; Ullsten 2003: 43) und die Verbände demzufolge zunehmend andere Formen der Einflussnahme nutzen. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch ein sehr differenziertes Bild, was eindeutige Schlussfolgerungen erschwert. So zeigte eine Studie von Ullsten (basierend auf zahlreichen Interviews mit Vertretern von Interessenverbänden), dass sich weder die Arbeitsweise der Kommissionen noch die Möglichkeiten der Interessenvertreter, im Rahmen des Kommissionswesens Einfluss auszuüben, deutlich verändert haben. Auch der Gesamtanteil der Interessenvertreter in den Kommissionen hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich gewandelt (Ullsten 2003: 43; Johansson 1992: 67)75, und war – so muss ergänzt werden – nie besonders hoch (siehe Kap. 2.2.3). Was die Politikformulierung im Kommissionswesen angeht, waren korporative Elemente schon immer dem Beamtenstaat (ämbetsmännastaten) untergeordnet (SOU 1999: 121: 28). Interessenorganisationen spielten im Kommissionswesen vor allem dann eine Rolle, wenn es sich um größere Kommissionen mit mehreren stimmberechtigten Mitgliedern handelte. In den, meist von Beamten geleiteten, sogenannten Einmannkommissionen wirkten in der Regel keine Verbandsvertreter mit. Der Korporatismus beschränkte sich zudem schon immer auf bestimmte Sektoren, traditionell die Landwirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, während er in der Justiz-, Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik kaum eine Rolle spielte (SOU 1999: 121: 28). In einigen Sektoren, insbesondere der Landwirtschafts- und Kommunikationspolitik, ist der Anteil der im Kommissionswesen (außer Einmannkommissionen) vertretenen Interessenverbände seit den 1960er Jahren deutlich zurückgegangen (SOU 1999: 121: 28), während er in anderen Sektoren (z.B. Arbeitsmarktpolitik) konstant ist. Wenn man von Entkorporatisierung des Kommissionswesens (Ullsten 2003: 44) spricht, dann bezieht sich dieses Phänomen also vor allem auf einzelne Sektoren. Darüber hinaus lässt sich allgemein feststellen, dass der Anteil der Kommissionen, in denen alle wichtigen Organisationen und widerstreitenden Interessen in einem Feld vertreten sind, in den letzten Jahrzehnten insgesamt deutlich gesunken ist. Kategorisiert man die Kommissionen 75 Die gegenteilige Position bezieht Jonsson 1989: 148.

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nach der vorherrschenden Policy nach Lowi76, so fällt weiterhin auf, dass redistributive Policies im Kommissionswesen eine immer geringere Rolle spielen. Außerdem ist der Anteil der Interessenvertreter an den Kommissionsmitgliedern im redistributiven Bereich stark gesunken. Diese Erkenntnisse untermauern die These eines gewachsenen Konfliktniveaus in der schwedischen Gesellschaft (Kap. 4.4.1). Politische Entscheidungen mit einer strukturell umverteilenden Wirkung können deshalb im konsensorientierten Kommissionswesen nicht mehr so gut bearbeitet werden und werden in andere, meist stärker konfliktorientierte Arenen verlagert. Inwiefern diese Thesen zutreffen, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht empirisch überprüft werden. Festzuhalten ist: D

D

D

Interessenverbände waren und sind in Schweden in bestimmten Sektoren (insbesondere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik) üblicherweise in größeren Untersuchungskommissionen vertreten, während sie in anderen Sektoren nie eine größere Rolle gespielt haben. Entkorporatisierungstendenzen im Kommissionswesen lassen sich empirisch nur für den Landwirtschaftsbereich und die Kommunikationspolitik belegen. Die sinkende Bedeutung der Kommissionen als konsensbildende Institutionen für die Gesamtgesellschaft spiegelt sich jedoch darin wider, dass Kommissionen, in welchen alle wichtigen Interessengruppen eines Feldes vertreten sind, in den letzten Jahren seltener geworden sind.

Eindeutiger als für den Bereich des Kommissionswesens zeigt sich ein Wandel des korporatistischen Systems in Schweden im Bereich der zentralen Verwaltungsbehörden (Svensson/Öberg 2003: 5; Lewin 1992). Bis in die 1980er Jahre hinein war es üblich (und wenig umstritten, siehe z.B. Rothstein 1988: 23777), dass Interessenorganisationen in den Laienvorständen der zentralen Verwaltungsbehörden vertreten waren. Der gesamtgesellschaftliche Konsens über die positiven Wirkungen des Verwaltungskorporatismus im schwedischen Modell bekam erst Risse, als Anfang der 1980er Jahre am Beispiel der staatlichen 76 Lowi unterscheidet Policies nach ihren vorherrschenden Wirkungen u.a. in distributive und redistributive Policies. Distributive Politik besteht aus Leistungen und Ressourcen, die verteilt werden, ohne dass dies auf Kosten eines anderen Beteiligten geht (z.B. Kindergeld, Steuerbefreiungen für den Eigenheimbau etc.). Redistributive Politik hingegen zielt auf eine Umverteilung ab (z.B. progressive Besteuerung, Lowi 1964). 77 Eine Ausnahme bildeten marxistische Gruppen, welche den Verwaltungskorporatismus bereits in den 1970er Jahren kritisierten.

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Schulaufsicht erstmals eine politische Diskussion über den Einfluss von Partikularinteressen auf die öffentliche Verwaltung entflammte, in deren Konsequenz die entsprechenden Leitungsgremien zu Expertengremien umstrukturiert wurden (s.a. Rothstein/Bergström 1999: 9). 1985 schlug eine öffentliche Kommission vor, dass die Interessenorganisationen als Vertreter einer bestimmten Klientel nicht länger direkt in die Verwaltungsführung integriert werden sollten, sondern stattdessen eine ratgebende Funktion ausüben sollten (SOU 1985: 40: 129). Dieser Vorschlag wurde im Folgenden kontrovers diskutiert, wobei die Befürworter des alten Systems betonten, wie wichtig es sei, dass die Verwaltung ihre Aktivitäten im Dialog mit den Betroffenen entwickle, während die Gegner des alten Systems den unkontrollierten politischen Einfluss der Interessenorganisationen kritisierten. Eine im Anschluss an das 1985er Kommissionsgutachten vorgelegte Proposition (Prop. 1986/87: 99) der Regierung veränderte zwar nur wenig am bestehenden System des Verwaltungskorporatismus, aber das Thema stand seit diesem Zeitpunkt immer wieder auf der politischen Agenda und wurde seitdem immer wieder problematisiert. Im Januar 1991 beschloss der schwedische Arbeitgeberverband SAF („Svensk Arbetsgivareföreningen“; seit 2001 „Svensk Näringsliv“) nach umfassenden internen Diskussionen, sich ab 1992 einseitig aus allen staatlichen Leitungsfunktionen sowohl auf zentraler als auch auf regionaler/lokaler Ebene zurückzuziehen (s.a. Rothstein/Bergström 1999).78 Den Hintergrund dieser Entscheidung bildeten verschiedene Faktoren. Bedeutenden Einfluss hatten mit Sicherheit verwaltungspolitische Strukturveränderungen zur Erhöhung der politischen Steuerbarkeit der Behörden in den 1980er Jahren, welche bewirkten, dass die ehrenamtlichen Vorstände der Behörden zentrale Entscheidungskompetenzen an die leitenden Beamten (d.h. die Generaldirektoren der staatlichen Behörden) abgeben mussten und damit wichtige Einflussmöglichkeiten verloren. Diese verwaltungspolitischen Veränderungen führten dazu, dass SAF durch Integration in die Behördenvorstände politische Entscheidungen mittrug und legitimierte, während die Organisation gleichzeitig immer weniger Einfluss auf eben diese Entscheidungen hatte. Verstärkend wirkte zudem die ideologisch bedingte Skepsis von SAF gegenüber dem öffentlichen Sektor. Die Möglichkeiten des Verbandes zur Ausübung einer politischer Opposition wurden durch die bestehenden korporatistischen Arrangements also stark beschränkt. Rothstein/ Bergström fassen treffend zusammen:

78 Mit Ausnahme des allgemeinen Pensionsfonds sowie des Arbeitsgerichts.

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„Ganz klar ist in jedem Fall, dass die Organisation [SAF; Einfügung der Autorin] das Gefühl hatte, für eine Politik einzustehen und diese zu legitimieren, hinter welcher sie selbst nicht vollständig stand. (…) Da die Einwände von SAF gegenüber einer Beteiligung an der Behördenleitung umso stärker wurden, je mehr sich die Macht der ehrenamtlichen Vorstände verringerte, kann man annehmen, dass SAF nicht länger Verantwortung für eine Politik übernehmen wollte, die sie nicht beeinflussen konnte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass SAF 1992 seine Repräsentanten in denjenigen Gremien behielt, die nicht an Einfluss verloren hatten, z.B. dem Arbeitsgericht.“ (Rothstein/Bergström 1999: 79f)

Hinzu kam ein weiteres Argument, welches sich auf Fragen des Agenda-Setting bezog. So bemängelte SAF am Verwaltungskorporatismus, dass man zwar Einfluss auf diejenigen Fragen ausüben könne, welche in den Behörden diskutiert werden, dass man jedoch keinen Einfluss darauf hätte, welche Fragen dies seien. Der Austritt aus den Behördenvorständen wurde von SAF als ein Weg gesehen, diese Situation zu ändern und den eigenen Einfluss auf das Agenda-Setting zu erhöhen (Rothstein/Bergström 1999: 80).79 Nach dem Rückzug von SAF aus den Leitungsgremien der öffentlichen Verwaltung veränderte sich auch die staatliche Politik in Bezug auf verwaltungsorganisatorische Fragen. Die bürgerliche Regierung schaffte das korporative Repräsentationsprinzip ab. Behördenvorstände werden seitdem nicht mehr mit Repräsentanten von Interessengruppen besetzt, sondern mit Personen, welche der Regierung gegenüber durch ein persönliches Mandat verantwortlich sind. Somit wurde der korporative Mechanismus (Interessenvertreter übernehmen Verantwortung für ausgehandelte Entscheidungen und disziplinieren ihre Mitglieder) zwar formal außer Kraft gesetzt, in der Realität blieb er jedoch bestehen. Das heißt, dass Vertreter von Interessenverbänden, die heute in einem Behördenvorstand sitzen, zwar formal ein persönliches Mandat besitzen, in der Praxis jedoch weiterhin als Vertreter der entsprechenden Interessenorganisation wahrgenommen werden (Svensson/Öberg 2003: 9). Quantitativ hat sich der Anteil der Interessenvertreter in den Behördenvorständen im Zuge der politischen Veränderungen in den 1990er Jahren sichtbar verändert. Waren 1976 noch 36% der Vorstandsmitglieder Interessenvertreter, so betrug deren Anteil 1997 nur noch 27% und 2001 26%. Im Gegenzug wuchs der Anteil der Beamten (1976: 41%; 2001: 47%) und der 79 Ähnlich argumentierte SAF auch in Bezug auf das Kommissionswesen. Im Laufe der 1980er Jahre hatte SAF seine „Kommissionspolitik“ so geändert, dass der Status als Experte demjenigen als stimmberechtigtes Mitglied vorgezogen wurde, um mehr Handlungsfreiheit zu erhalten (Johansson 1992: 104).

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Politiker (1976: 23%; 2001: 26%) an den Vorstandsmitgliedern. Hervorzuheben ist außerdem, dass immer mehr Interessenvertreter, die in Behördenvorständen sitzen, keinen Verbandshintergrund haben, sondern Unternehmensvertreter sind.80 1997 kamen noch zwei Drittel der Interessenvertreter in den Vorständen aus den Verbänden und ein Drittel aus Unternehmen. 2001 hingegen lag der Anteil der Unternehmensvertreter schon bei über 50% aller Interessenvertreter in Vorständen (Sandberg 2003: 56). Deutlich wird die abnehmende Repräsentation von Interessenverbänden in Behördenvorständen auch, wenn man die Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse betrachtet (siehe Abb. 4). Vor dem Hintergrund des Reichstagsbeschlusses zur Abschaffung des korporativen Repräsentationsprinzips in den Vorständen sind die Veränderungen jedoch als eher gering einzuschätzen, da Interessenvertreter immer noch eine wichtige Gruppe in den Behördenvorständen bilden (Sandberg 2003: 56f; Bjerstedt 1997: 26). Zudem hatte SAF 1992 im Zusammenhang mit dem Rückzug aus direkten Steuerungsfunktionen in der öffentlichen Verwaltung signalisiert, dass der Arbeitsgeberverband trotzdem an einer weiteren Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden in ratgebender Funktion interessiert sei. So wurden in den folgenden Jahren parallel zu den behördlichen Leitungsgremien zahlreiche beratende Ausschüsse gebildet (Rothstein/Bergström 1999: 28). Rothstein und Bergström kommen für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu dem Schluss, dass Vertrauen und Konsensorientierung als Merkmale des politischen Prozesses in der Arbeitsmarktpolitik an Bedeutung verloren hätten und dass die Konflikt- und Konfrontationsbereitschaft zugenommen hätten. Durch den Rückzug der Verbände aus der politischen Mitverantwortung hätten sich die Interaktionsmuster stark verändert. Die Anreize, über einen Dialog gemeinsame Lösungen und Konsens zu erreichen, hätten sich stark verringert. Im Gegenzug hätte die ideologisch bedingte Konfrontation als Politikstil an Bedeutung gewonnen. Der Rückzug von SAF aus den meisten staatlichen Behörden ist laut Rothstein und Bergström nicht als Beginn einer Veränderung des schwedischen Verwaltungskorporatismus zu werten, sondern als dessen Schlusspunkt (Rothstein/Bergström 1999: 151ff). Vom Ende des Korporatismus in Schweden zu sprechen ist jedoch nicht gerechtfertigt. Die häufig mit dem Begriff der Entkorporatisierung (Svensson/Öberg 2003: 5; Lindvall/Rothstein 2006: 48) beschriebenen Veränderungen im schwedischen System des Korporatismus (z.B. die deutlich verringerte Repräsentation von Interessenverbänden in Behördenvor80 Zur Rolle der Vertreter der privaten Wirtschaft hat Eklund eine qualitative Studie basierend auf Tiefeninterviews mit Vorstandsmitgliedern aus der Wirtschaft durchgeführt (Eklund 2003).

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ständen und die Veränderungen im Kommissionswesen) sind zwar nicht zu leugnen (Ullsten 2003: 15; Lewin 1992), im internationalen Vergleich spielen die Verbände in Schweden jedoch immer noch eine wichtige Rolle und sind stark in den Prozess der Politikformulierung und -umsetzung integriert (s.a. Jann/Tiessen 2008; Svensson/Öberg 2002; 2003: 4). Betont werden sollte, dass die gesunkene formale Integration von Interessenverbänden in die verschiedenen Phasen des politischen Prozesses in Schweden nicht automatisch mit einem verringerten Einfluss dieser Gruppen gleichzusetzen ist. Eine gewachsene Einflussnahme auf informellem Wege ist zwar bisher empirisch nicht nachgewiesen. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass die Professionalisierung der Lobbyisten in Schweden in den letzten Jahren zugenommen hat (SOU 1999: 21; Svenssion/Öberg 2002).

Anteil der Vorstände (in %), in denen die jeweilige Gruppe die relative M ehrheit besitzt

Abb. 4: Mehrheitsverhältnisse in den Behördenvorständen (SWE) 60 50 40 Beam t e 30

P olit iker Int eressenvert ret er

20 10 0 1976

1997

2001

Angaben in %. Quelle: Sandberg 2003, S. 58 (eigene Grafik).

2.2.6 Parlament und Parteien im Gesetzgebungsprozess Der schwedische Reichstag wird heute im internationalen Vergleich meist als relativ einflussreich beschrieben (als „politikschaffendes“ Parlament, Jacobsson/ Sundström 2006: 55f). Eine wichtige Ursache für den vergleichsweise großen 116

Einfluss des schwedischen Parlaments (bzw. genauer: der Oppositionsfraktionen) im Gesetzgebungsprozess bilden die weit verbreiteten Minderheitsregierungen, welche politisch motivierte grundsätzliche Änderungen im parlamentarischen Verfahren eher begünstigen. Minderheitsregierungen setzten sich in Schweden mit der Verfassungsänderung von 1971, welche die erste Kammer der Legislative abschaffte, als Regelfall durch. Das Zweikammersystem hatte den im 20. Jahrhundert dominierenden Sozialdemokraten häufig zu stabilen Regierungsmehrheiten verholfen. Nach der Verfassungsreform waren in Schweden meist Minderheitsregierungen an der Macht (von 1970–1976, von 1978–1979 und von 1981–2006). Die Einflussnahme der Nichtregierungsparteien im parlamentarischen Verfahren gewann dadurch an Bedeutung. Eine besondere Rolle im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess spielt das Ausschusswesen, da jeder Entwurf einen Ausschuss durchlaufen muss und insbesondere in Zeiten von Minderheitsregierungen wesentliche Kompromisse und Absprachen von den Mitgliedern der Parlamentsausschüsse ausgehandelt werden. Die Arbeit in den Ausschüssen ist nicht öffentlich (Jahn 2003). Aktuelle Zahlen zu der Änderungsfrequenz von Gesetzentwürfen der Regierung in Schweden liegen leider nicht vor. Für die 1970er und 1980er Jahre zeigte eine Studie von Mats Sjölin (1993), dass der Anteil der Regierungsentwürfe mit wesentlichen inhaltlichen Modifikationen in der parlamentarischen Phase im Untersuchungszeitraum (1972–1987) erheblich schwankte. In denjenigen Jahren, in welchen Schweden durch schwache Minderheitsregierungen regiert wurde, lag der Anteil der im Reichstag substantiell geänderten Regierungsentwürfe zwischen 18% und 26%. In Zeiten von Mehrheitsregierungen oder bei Minderheitsregierungen mit einem relativ stabilen Unterstützungsblock81 im Parlament hingegen wurden deutlich weniger Gesetzentwürfe der Regierung substantiell geändert (8% bis 11% bei Mehrheitsregierungen; 9% bis 14% bei starken Minderheitsregierungen) (Sjölin 1993: 172; s.a. Jann/Tiessen 2008).82 Betrachtet man die empirischen Befunde von Sjölin, so bestätigt sich zwar, dass im Falle von Minderheitsregierungen die Oppositionsparteien im Reichstag mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben als bei Mehrheitsregierungen. Insgesamt ist die Änderungsfrequenz von Regierungsentwürfen im schwedischen Parlament trotzdem eher gering, weshalb der Reichstag manchmal als ‚ratifizierendes 81 Zur Rolle der beiden Blöcke (sozialistisch, bürgerlich) im schwedischen Parteiensystem siehe Sjölin 1993: 28. 82 Etwas abweichende Zahlen finden sich bei Isberg 1982 und Sundelin 1979.

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Parlament’83 oder als „Förderband“ (Jann/Tiessen 2008) für Gesetzentwürfe der Regierung bezeichnet wurde. Diese Vergleiche vernachlässigen jedoch, dass wichtige Einflussmöglichkeiten der Parlamentsparteien und der einzelnen Abgeordneten in Schweden außerhalb des formalen parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses liegen. Wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten besitzt und nutzt das Parlament, indem es die Regierung im Rahmen der Allgemeinen Motionszeit zur Auseinandersetzung mit bestimmten politischen Fragen und zur Entwicklung von Lösungsvorschlägen auffordert. Wenn die Regierung in der Folgezeit eine staatliche Untersuchungskommission einsetzt, Studien in Auftrag gibt oder politische Programme entwickelt, dann gehen diese Initiativen häufig auf Anstöße aus dem Parlament zurück. Schließen sich im Falle von Minderheitsregierungen Oppositionsparteien und eine oder mehrere der die Regierung stützenden Parteien aus dem regierungsnahen politischen Block zusammen, um bestimmte PolicyAnstöße zu geben, dann werden diese Themen in der Regel von der Regierung aufgegriffen. In der Entwicklung ihrer Politikinhalte orientiert sich die Regierung dann meist an den (zum Teil konkreten und detaillierten) Vorstellungen der entsprechenden Parlamentsparteien. Parteien und Abgeordnete nehmen darüber hinaus Einfluss auf die Vorbereitung von Regierungsentwürfen, indem sie informelle Kontakte zu Fachministerien und Behörden pflegen. Parlamentarier werden häufig auch formal in den Prozess der Gesetzesvorbereitung durch die Regierung einbezogen, indem sie in staatlichen Untersuchungskommissionen mitarbeiten. Wie in Kap. 2.2.3 beschrieben, wurden in den 1970er Jahren oft sogenannte Parlamentarische Kommissionen mit Mitgliedern aller Reichstagsparteien zur Ausarbeitung von Regelungsentwürfen eingesetzt. In diesen Gremien hatten alle Parlamentsparteien die Möglichkeit, politische Aushandlungsprozess in einer frühen Phase zu beeinflussen. Die integrierende und konsensfördernde Funktion der Parlamentarischen Kommissionen förderte das ‚Durchwinken’ von Regierungsentwürfen im Parlament, schließlich hatte die Abstimmung und Kompromissfindung bereits in der Kommissionsarbeit stattgefunden. Heute spielen Parlamentarische Kommissionen eine weitaus geringere Rolle, gleichzeitig hat die Einbindung von Parteipolitikern der Regierung in das Kommissionswesen seit den 1980er Jahren zugenommen (siehe Kap. 2.2.3). 83 Jann (1989: 405) relativiert diese Annahme, indem er auf die außerhalb des formalen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens liegenden Einflussmöglichkeiten der Abgeordneten hinweist.

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Eine innovative Maßnahme, um Änderungen von Regierungsentwürfen im parlamentarischen Verfahren abzuwehren und die parlamentarische Unterstützung der Regierung zu stärken, wurde von der sozialdemokratischen Minderheitsregierung Persson II (2002–2006) genutzt. Die Regierung Persson II hatte nach der Wahl 2002 mit den Grünen und den Linken einen sogenannten ‚Zusammenarbeitsvertrag’ ausgehandelt, welcher u.a. festlegte, dass jede ‚Zusammenarbeitspartei’ eine eigene ‚Zusammenarbeitskanzlei’ (‚samarbetskansli’) in der Kanzlei der Ministerien mit jeweils acht ‚politischen Sachverständigen’ erhalten sollte. Formell waren die ‚Zusammenarbeitskanzleien’ der Verwaltungszentrale zugeordnet und sie wurden über das Budget der Kanzlei der Ministerien finanziert. Die ‚Zusammenarbeitskanzleien’ wurden auf Initiative des jeweils zuständigen Staatssekretärs nach Abschluss der interministeriellen Konsultation in die Abstimmung von Regierungsentwürfen einbezogen. Auch wenn es im Zuge der Konsultation der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ zu Änderungen in den Regierungsentwürfen kam, wurden die übrigen Ministerien nicht noch einmal konsultiert. Stattdessen mussten die Änderungen von der Kanzlei des Ministerpräsidenten gutgeheißen werden. Premfors und Sundström (2007: 111) betonen, dass die Etablierung der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ die Stellung der Kanzlei des Ministerpräsidenten innerhalb der Regierung stärkte und die Fachministerien zum Vorteil der Zusammenarbeitsparteien schwächte. Die Etablierung der ‚Zusammenarbeitskanzleien’ war ein Versuch, die ‚Zusammenarbeitsparteien’ stärker in den Prozess der Formulierung von Regierungsentwürfen einzubinden. Damit sollte deren Loyalität gegenüber der Regierungspartei gestärkt werden. Die Möglichkeiten der parlamentarischen Opposition, Einfluss auf Regierungsentwürfe zu nehmen und wesentliche Änderungen durchzusetzen, wurden durch diese Konstellation verringert.

2.2.7 ‚Bessere Rechtsetzung’ durch Folgenabschätzungen: Entwicklungslinien und Reformkontext Das folgende Unterkapitel widmet sich den schwedischen Reformbemühungen zur Verbesserung der Rechtsetzung. Zentrales Ziel ist es, analog zu den Darstellungen für den deutschen Fall (Kap. 2.1.4) die wesentlichen Entwicklungen seit Ende der 1960er Jahre darzustellen und herauszuarbeiten, in welchen Bereichen die Schwerpunkte der schwedischen Modernisierungsbemühungen lagen bzw. liegen. Die Darstellung beschränkt sich auf die im Zentrum dieses Buches stehenden Maßnahmen zur ex ante Folgenabschätzung. Andere Reformbereiche 119

der ‚besseren Rechtsetzung’ werden nur insoweit betrachtet, als dass eine Einordnung der Bedeutung von Folgenabschätzungen in den gesamten Reformkontext vorgenommen wird.

2.2.7.1 Die 1970er Jahre: Einschränkung und Kontrolle der Kostenfolgen für den Staat Ebenso wie in Deutschland war die Verbesserung von rechtlichen Regelungen durch die strukturierte Bereitstellung von Informationen über deren Folgen spätestens seit den 1970er Jahren ein wichtiges Thema, welches in Schweden in engem Zusammenhang mit dem Ausbau (und der Krise) des Wohlfahrtsstaates stand. Betrachtet man den Anteil der Staatsbediensteten an der Gesamtbevölkerung Schwedens, so lag die große Expansionsperiode des schwedischen Wohlfahrtstaates zwischen Ende der 1950er und Anfang der 1980er Jahre: Von 8% im Jahr 1960 stieg deren Anteil auf 17% im Jahr 1980. Diese Entwicklung ging einher mit einer Politik, die durch die Verteilung großzügiger staatlicher Leistungen an breite gesellschaftliche Gruppen gekennzeichnet war. Charakteristisch war dabei ein öffentliches Monopol oder Fast-Monopol der Produktion dieser Wohlfahrtsdienstleistungen. Öffentliche Ausgaben und Steuern schossen in die Höhe, um 1970 avancierte Schweden zum OECD-Land mit der höchsten Staatsquote. Stark beeinflusst war die Größe und spezifische Ausformung der schwedischen Wohlfahrtspolitik (deren Hang zur Einheitlichkeit, zu ‚Großbetriebslösungen’ und zum öffentlichen Produktionsmonopol) durch das historische Erbe einer großen und einflussreichen schwedischen Staatsverwaltung (Premfors et al. 2003: 57f). Im Zusammenhang mit der Blütezeit des Wohlfahrtsstaates war die Anzahl der staatlichen Untersuchungskommissionen und insbesondere der Anteil der Parlamentarischen Kommissionen seit Mitte der 1960er Jahre immer weiter gestiegen (s.a. Kap. 2.2.3). Eine umfassende Vorbereitung staatlicher Politik und eine Einbettung von Steuerungsentscheidungen in die schwedische Konsenskultur im Wohlfahrtsstaat bildeten wichtige Charakteristika des Politikformulierungsprozesses. Während der ökonomischen Krise in den 1970er Jahre zeigten sich erste Schwachpunkte und Problembereiche des ‚Schwedischen Modells’. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einer wachsenden Bürokratiekritik, gelangte 1976 erstmals nach mehreren Jahrzehnten sozialdemokratischer Alleinherrschaft eine bürgerliche Regierung (die erste von insgesamt vier bürgerlichen Regierungen zwischen 1976 und 1982) an die Macht. Verwal120

tungspolitische Reformen avancierten zu einem politischen Schwerpunktthema und es wurden mehrere große verwaltungspolitische Kommissionen eingesetzt (Premfors et al. 2003: 267). Die übergeordnete Zuständigkeit für verwaltungspolitische Reformen blieb, wie bisher, beim Finanzministerium. Die Erhöhung der Effizienz im öffentlichen Sektor und die Reduzierung von Staatsausgaben (durch neue Steuerungsmodelle und Dezentralisierung) sowie eine Verwaltungsvereinfachung (im Sinne eines verbesserten Services für Bürger und Unternehmen) bildeten die zentralen politischen Ziele. Einsparungen und Rationalisierungen entwickelten sich im Laufe der 1970er Jahre zu den dominanten verwaltungspolitischen Reformleitbildern. Die Verbesserung der Rechtsetzungstätigkeit der zentralen Verwaltungsbehörden stellte in diesem Zusammenhang einen wichtigen Teilbereich der Reformen dar. Mit dem Wachstum des Wohlfahrtsstaates in den 1950er und 1960er Jahren war auch die Anzahl der Rechtsvorschriften von Behörden gestiegen. Diese Entwicklung, insbesondere die negativen Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung und die Handlungsspielräume für Unternehmen, wurde von Kommunen und Wirtschaftsvertretern harsch kritisiert. Zwar war bereits 1970 die sogenannte „Begrenzungsbekanntmachung“ (SFS 1970: 641) in Kraft getreten, welche staatliche Behörden dazu verpflichtete, neue oder abgeänderte Vorschriften, Anweisungen oder „Allgemeine Ratschläge“ der Regierung zur Prüfung vorzulegen, wenn diese „geltende Standards oder angewendete Normen beeinflussen oder in einem mehr als unwesentlichen Grad zu direkten oder indirekten Kostenerhöhungen“ (SFS 1970: 641) führen könnten, in der Praxis war die „Begrenzungsbekanntmachung“ aber weitgehend wirkungslos geblieben. 1977 wurde die „Begrenzungsbekanntmachung“ deshalb dahingehend erweitert, dass die Kostenfolgen von Regelungsentwürfen durch die zuständigen Behörden quantifiziert bzw. berechnet werden sollten. Nicht nur auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden, sondern auch im Kommissionswesen versuchten die bürgerlichen Regierungen, die systematische Analyse der Kostenfolgen von Gesetzesvorschlägen durchzusetzen. So führte man im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise 1978 und 1980 „generelle Direktiven“ zur Darstellung der Kostenfolgen von Kommissionsvorschlägen sowie zu deren Finanzierung ein (Dir. 1978: 40; Dir. 1980: 20; Dir. 1984: 5). Mit der Direktive aus 1978 (der sog. „Nulldirektive“) hielt man die Kommissionen dazu an, kostenwirksame Vorschläge möglichst durch Umverteilungen und Prioritätensetzungen innerhalb des betreffenden Sachgebietes zu finanzieren. Die Zusatzdirektive von 1980 ging sogar so weit, dass Kommissionen keine erhöhten

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Staatsausgaben mehr vorschlagen sollten, wenn nicht gleichzeitig im selben Regelungsgebiet Einsparungspotentiale aufgezeigt würden.

2.2.7.2 Die 1980er Jahre: Erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Normadressaten und gesamtgesellschaftliche Kostenfolgenabschätzung Anfang der 1980er Jahre verschob sich die Hauptpriorität der Reformbemühungen vom Fokus auf Kosten im staatlichen Bereich auf die Verringerung der Bürokratiebelastungen von Normadressaten, insbesondere von Kleinen Unternehmen (KU) und Kommunen. 1981 wurde die Kommissionsverordnung dahingehend geändert, dass Kommissionen in ihren Gutachten die Effekte ihrer Vorschläge für die kommunale Selbstverwaltung beschreiben mussten, wenn kommunale oder regionale Sachverhalte berührt wurden (SFS 1976: 119, § 13). 1982 trat neben einem Gesetz zur Verbesserung der Bedingungen für kleine Unternehmen eine Verordnung in Kraft, welche die staatlichen Behörden dazu verpflichtete, Unternehmen und Kommunen am Prozess der Erarbeitung neuer Formulare und anderer Systeme zur Informationseinsammlung zu beteiligen (SFS 1982: 668). Zur Umsetzung dieser Verordnung bildeten mehrere Wirtschaftsverbände 1982 die Dachorganisation FUD (Företagens Uppgiftslämnardelegation), welche später in NNR (Näringslivets Regelnämnd) umbenannt wurde. NNR ist das Beratungsorgan der Wirtschaft, wenn es um mit staatlichen Vorschriften verbundene Informationsanforderungen für Unternehmen geht. Die Konsultation des NNR ist seit 1982 immer dann obligatorisch, wenn mit einer Vorschrift neue Informationsanforderungen für Unternehmen verbunden sind oder Formulare geändert bzw. neu eingeführt werden. 1982 fand in Schweden nach sechsjähriger Regierungszeit von liberalen und/oder bürgerlichen Parteien ein Machtwechsel statt und die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Olof Palme übernahmen die Regierungsgeschäfte. Mit Hilfe einer Währungsabwertung (unter dem Schlagwort des Dritten Weges) kurbelten die Sozialdemokraten die immer noch kriselnde Wirtschaft an. Es breitete sich ein starker Optimismus und Zukunftsglaube aus, sowohl unter Politikern als auch in der schwedischen Öffentlichkeit (Premfors et al. 2003: 273). Als Lehre aus der Bürokratiekritik in den 1970Jahren, welche immer noch anhielt, schuf die sozialdemokratische Regierung ein eigenständiges Verwaltungsreformministerium (civildepartement). Angestrebt wurde die Entwicklung eines verwaltungspolitischen Reformprogramms („Erneuerungsprogramm“), welches nicht nur aus lose gekoppelten und unzusammenhängenden Einzelmaßnahmen 122

besteht, sondern eine umfassende und durchdachte Reformstrategie enthält. Außerdem erkannte man den politischen Nutzen und die Bedeutung der Vermittlung von Ideen und Leitbildern für den Erfolg verwaltungspolitischer Reformen. Auf Konferenzen und Vorträgen warb der damalige Zivilminister intensiv für seine „Erneuerungspolitik“ (Premfors et al. 2003: 276ff). Schwerpunkte des „Erneuerungsprogramms“ lagen vor dem Hintergrund des ökonomischen Aufschwungs weniger im Bereich von Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen, sondern vor allem im Ziel einer Verbesserung des Verhältnisses von Verwaltung und Bürger (Service, Transparenz und Partizipation als demokratische Werte) und in einer Modernisierung der interorganisatorischen Steuerung durch eine verstärkte Outputorientierung.84 Im Feld der besseren Rechtsetzung konzentrierte sich die sozialdemokratische Reformpolitik auf eine quantitative Reduzierung des Normenbestandes (Außerkrafttreten von Normen mit Beweislastumkehrung, systematische Durchsicht der Bemächtigungen und Regierungsaufträge an zentrale Verwaltungsbehörden) und konnte hier einige Erfolge erzielen (siehe Kap. 2.2.2). Auf kommunaler Ebene initiierte man ab 1984 den Modellversuch „Freie Kommunen“ (fri kommuner). Im Rahmen des Modellversuchs erhielten Kommunen und Regionen Ausnahmegenehmigungen von vielen staatlichen Rechtsvorschriften (experimentelle Deregulierung) (Premfors et al. 2003: 281f). Bezüglich der im Zentrum dieser Arbeit stehenden Folgenabschätzungen im Prozess der Politikformulierung auf zentraler Ebene wurden in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bis zur erneuten Regierungsübernahme durch eine bürgerliche Koalition im Jahr 1991 eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, welche die Folgenabschätzungstätigkeit der Behörden, Ministerien und Kommissionen bei der Erstellung von Rechtsvorschriften sowie die Partizipationsmöglichkeiten von Normadressaten auf Behördenebene verbessern sollten. Auf Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden wurde die „Begrenzungsbekanntmachung“ 1987 durch die „Begrenzungsverordnung“ (SFS 1987: 1347) ersetzt und darin festgelegt, dass Behörden bei der Ausarbeitung neuer Vorschriften nicht nur deren kostenmäßige und andere Folgen untersuchen müssen, sondern auch dazu verpflichtet sind, den von der Regelung Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Der schwedische Rechnungshof erhielt in diesem Zusammenhang von der Regierung den Auftrag, eine Methode für die gesamtwirtschaftliche Folgenabschätzung zu entwickeln und publizierte 84 Einen guten Überblick zur in den 1980er Jahren in Schweden eingeführten „Resultatsteuerung“ gibt Tiessen 2007; s.a. Naschold/Bogumil 2000.

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1988 eine Informationsschrift zur Methodenfrage (RRV 1988). Ab Januar 1990 weitete man die Vorschriften der Begrenzungsverordnung durch ein gemeinsames Rundschreiben (C 1989: 7) der Kanzlei des Ministerpräsidenten, des Finanz- und des Innenministeriums auf Beschlussunterlagen von Gesetzen und Rechtsverordnungen innerhalb der Kanzlei der Ministerien aus. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Finanzministeriums, des Innenministeriums, der Kommunen und Provinziallandtage und des Rechnungshofes entwickelte die vom Rechnungshof vorgeschlagene Methode zur gesamtwirtschaftlichen Folgenabschätzung weiter und stellte 1991 ein einheitliches Modell für Folgenabschätzungen im öffentlichen Sektor vor (RRV 1991: 2). Im Kommissionswesen setzten die Sozialdemokraten in den 1980er Jahren v.a. auf eine Reduzierung der Arbeitszeit sowie auf eine verstärkte Prüfung von Bürokratieabbau- und Dezentralisierungspotentialen durch die Kommissionen sowie auf eine inhaltliche Ausweitung der Vorschriften zur Kostenfolgenabschätzung: D

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Zeitliche Straffung: Im Rahmen der Reform der Kommissionsverordnung 1982 begrenzte die sozialdemokratische Regierung die Arbeitszeit der Kommissionen auf in der Regel maximal zwei Jahre (mit klaren zeitlichen Vorgaben in der Direktive). Die Regierung begann außerdem damit, Untersuchungsaufträge in verstärktem Maße an zentrale Verwaltungsbehörden zu delegieren (Premfors et al. 2003: 275). Erweiterung der Vorgaben zur Kostenfolgenabschätzung: 1984 wurde eine Direktive zum Umgang der Kommissionen mit den Kostenfolgen ihrer Vorschläge (Direktive zur ökonomischen Ausrichtung von Kommissionsvorschlägen, Dir. 1984: 5) erlassen.85 Dabei blieben die in der bürgerlichen Regierungszeit erlassenen Vorschriften zur Darstellung der Finanzierung von Ausgabenerhöhungen oder Einnahmenverminderungen durch Rationalisierungen und Einsparungen im selben Sachgebiet erhalten. Zudem wurde festgelegt, dass Kostenberechnungen nicht nur Kosten für den Staat, sondern auch für die Kommunen, den Sozialversicherungssektor, Unternehmen und Private enthalten sollten und dass sowohl direkte als auch indirekte Kostenfolgen betrachtet werden sollten. Etwas schwammig legte man darüber hinaus fest, dass die Kommissionen auch andere wichtige Folgen analysieren müssten.

85 Die Direktive 1980: 20 wurde durch die Direktive 1984: 5 ersetzt.

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Verbesserte Zusammenarbeit von Behörden: Besondere Aufmerksamkeit sollten die Kommissionen auf Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Behörden mit dem Ziel einer Verringerung der Sektoralisierung der Gesellschaft legen (Dir. 1984: 5). Förderung der Dezentralisierung: Auch Maßnahmen zur Beseitigung unnötiger Bürokratie und zur Dezentralisierung von Verwaltungsaufgaben seien durch die Kommissionen zu prüfen und sollten gefördert werden (Dir. 1984: 5).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Fokus von Folgenabschätzungen, welcher zur Zeit der bürgerlichen Regierungen 1976 bis 1982 vorrangig auf einer Analyse und Verringerung der Kostenfolgen für den Staat lag, in der sozialdemokratischen Regierungszeit 1982 bis 1991 erheblich erweiterte. Die Folgen für andere Verwaltungsebenen gerieten ebenso wie die Folgen für Bürger und Unternehmen stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Man versuchte zudem, bereits im Kommissionsstadium systematisch Ideen zum Bürokratieabbau zu generieren und die Partizipationsmöglichkeiten von Bürgern und Unternehmen insbesondere im behördlichen Vorschriftenprozess zu verbessern, um unnötigen Bürokratieaufwand zu vermeiden.

2.2.7.3 Die erste Hälfte der 1990er Jahre: Notwendigkeitsprüfung und Diversifizierung der Vorgaben zur Folgenabschätzung Nach den Reichstagswahlen 1991 gelangte eine Koalition aus vier bürgerlichen Parteien an die Spitze des Staates. In Folge des Regierungswechsels wurde die Zuständigkeit für den Bereich der Verwaltungspolitik wieder in das Finanzministerium verlagert. Nach Einschätzung des schwedischen Sozialwissenschaftlers Rune Premfors war dieser Wechsel weniger ein Ergebnis eines „Revierstreits“ zwischen Finanz- und Zivilministerium, sondern eher ein Ausdruck der erneuten verwaltungspolitischen Prioritätensetzung im finanziellen Bereich (Premfors et al. 2003: 292). Bereits unter sozialdemokratischer Führung war ab Ende der 1980er Jahre eine Stärkung des Wettbewerbs und ein Rückzug des Staates in verschiedenen Wirtschaftssektoren zu einem wichtigen Thema geworden. Die Liberalisierungstendenzen und Bemühungen um eine Reduzierung des öffentlichen Sektors durch Privatisierungen intensivierten und beschleunigten sich ab 1991. Verschlankung und Wettbewerb bildeten die zentralen Reformleitbilder der 1990er Jahre. 125

Eine wichtige politische Zielvorstellung jener Zeit bestand darin, den Staat „auf seinen Kern“ zu reduzieren. Bereits im Kommissionsstadium sollte deshalb eine Auseinandersetzung mit der Frage stattfinden, ob ein Sachverhalt überhaupt vom Staat geregelt werden muss. 1994 verabschiedete die bürgerliche Regierung die „Direktive zur Prüfung öffentlicher Verpflichtungen“ (Dir. 1994: 23)86 (und ersetzte damit die „Direktive zur ökonomischen Ausrichtung von Kommissionsvorschlägen“ aus dem Jahr 1984). Die Direktive legte fest, dass jede Kommission in ihrem Tätigkeitsbereich prüfen muss, welche Aufgaben weiterhin vom Staat erledigt werden sollten und welche nicht. Analysiert werden sollte außerdem, welche Möglichkeiten zur Einsparung von Kosten, zur Steigerung der Effektivität sowie zur Erhöhung der staatlichen Einnahmen es im Tätigkeitsbereich der Kommissionen gäbe. Die bereits Ende der 1970er Jahre eingeführten Vorschriften zur Darstellung der Kostenfolgen und zur Finanzierung blieben bestehen. Die Anforderungen an eine Folgenabschätzung wurden durch umfassende Quantifizierungsvorgaben verschärft: „Alle Folgen der Kommissionsvorschläge sollen identifiziert, quantifiziert und so weit wie möglich abgeschätzt werden. Sowohl die Ausgangslage als auch die Veränderungen in Folge der Kommissionsvorschläge sollen finanziell und wenn möglich volkswirtschaftlich beschrieben werden." (Dir. 1994: 23)

Im Zuge der bereits erwähnten politischen Schwerpunktsetzungen in den Bereichen Privatisierung, Deregulierung und Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit seit Ende der 1980er Jahre und in Anpassung an internationale Entwicklungen (insbesondere: Deregulierungsinitiativen der EU) setzte die schwedische Regierung 1993 die sog. Deregulierungskommission (avregleringsdelegationen) ein. Die Kommission legte im Mai 1994 ein Gutachten zum Thema „Deregulierung für Wachstum und mehr Arbeitsplätze“ vor. In diesem Gutachten nannte die Kommission neben der Schaffung eines Systems zur Deregulierung die Erhöhung des Wissens über Gesetzesfolgen und die Erleichterung der Arbeitsbedingungen von kleinen Unternehmen als wesentliche Schwerpunkte einer Politik zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Schweden. Als 1994 die Sozialdemokraten wieder die Macht übernahmen, betonten sie die Kontinuität in der schwedischen Verwaltungspolitik und setzten die Privatisierungs- und Deregulierungspolitik der bürgerlichen Regierung fort (Premfors et al. 2003: 298). Darüber hinaus beanspruchte die bevorstehende EU-Mitglied86 Darüber hinaus hatte die bürgerliche Regierung bereits 1992 eine Direktive zur Darstellung regionalpolitischer Konsequenzen verabschiedet (Dir. 1992: 50).

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schaft weite Kapazitäten der zuständigen Instanzen, musste doch die schwedische Verwaltung an die EU-Anforderungen angepasst werden. Im Bereich der besseren Rechtsetzung setzten die Sozialdemokraten ihre in den 1980er Jahren eingeleitete Reformpolitik hin zu einer umfassenden GFA zunächst fort. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang der schwedische Reichstag, aus welchem wichtige Impulse für die Reformpolitik und ein Druck zum Agenda-Setting stammten (siehe u.a. Budgetproposition 1991 und 1993; Motion 1992/93: K 312). Hintergrund hierfür war das Verständnis von Folgenabschätzungen als Instrument zur Stärkung der Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung und gegenüber der Ministerialverwaltung (Motion 1992/93: K 312). Folgende Maßnahme wurden ergriffen, um Kommissionen, Ministerien und Behörden zur Analyse und Darstellung von Gesetzesfolgen zu verpflichten: D

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Die Vorschriften zur Folgenabschätzung im Kommissionswesen wurden um zwei allgemeine Direktiven erweitert: 1994 um die Direktive zur Analyse gleichstellungspolitischer Folgen (Dir. 1994: 124) und 1996 um die Direktive zur Darstellung der Folgen auf die Kriminalität und die kriminalitätsvorbeugende Arbeit (Dir. 1996: 49). Im Jahr 1995 publizierte die Kanzlei des Ministerpräsidenten eine Checkliste (PM 1995: 2) zur Durchführung von Folgenabschätzung bei der Erstellung neuer Rechtsverordnungen und Gesetzen. Ebenfalls 1995 beschloss die Regierung im Rahmen der Werksverordnung (SFS 1995: 1322), welche die allgemeinen Rahmenbedingungen der Steuerung, Organisation und Tätigkeit staatlicher Behörden regelt, neue Vorschriften zur Durchführung von Folgenabschätzungen bei der Rechtsetzung durch zentrale Verwaltungsbehörden. In der Werksverordnung wurde nicht mehr von „gesamtwirtschaftlicher Folgenabschätzung“ gesprochen, sondern schlicht von „Folgenabschätzung“ (im Schwedischen: konsekvensutredning). Die veränderte Wortwahl war nicht nur ein Formalismus, sondern spiegelte sich inhaltlich darin wider, dass die Regelungen zur Darstellung der Folgen neuer Vorschriften in der Werksverordnung wesentlich detaillierter und umfassender waren als vorher. Von der Durchführung von Folgenabschätzungen ausgenommen waren lediglich Vorschriften und Allgemeine Ratschläge, die nur Tätigkeiten innerhalb von Behörden berührten (interne Vorschriften) sowie Vorschriften über von den Behörden erhobene Gebühren. Die Verpflichtung zur Durchführung von Folgenabschätzungen 127

war ansonsten ausnahmslos und umfasste sämtliche neue oder geänderte Vorschriften und Allgemeine Ratschläge, unabhängig davon, ob es sich um geringere Anpassungen oder bedeutende Veränderungen im Regelungsfeld handelte (SOU 2004: 23: 211).87 Die Zuständigkeit für die Unterstützung der zentralen Verwaltungsbehörden bei der Durchführung von Folgenabschätzungen sowie für deren Qualitätssicherung erhielt laut § 27 Abs. 2 der Werksverordnung seit 1995 die Nationale Schwedische Behörde für Finanzmanagement (Ekonomistyrningsverket). Das Ekonomistyrningsverket veröffentlichte 1996 einen Leitfaden zur Durchführung von Folgenabschätzungen in den zentralen Verwaltungsbehörden. Weitere Maßnahmen zur organisatorischen Institutionalisierung der Folgenabschätzungen laut Werksverordnung wurden nicht getroffen.

2.2.7.4 Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Simplex-Folgenabschätzung Nachdem mit der Werksverordnung eine allgemeine Verpflichtung zur Durchführung von Folgenabschätzungen eingeführt worden war, traten 1999 darüber hinaus mehrere Vorschriften in Kraft, welche Ministerien und Behörden, aber auch die öffentlichen Untersuchungskommissionen zu einer speziellen Folgenabschätzung in Bezug auf kleine Unternehmen (KU) verpflichteten (= SimplexFolgenabschätzung). Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung war zum einen, dass die Regierung Göran Persson nach den Parlamentswahlen im September 1998 die Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung zu ihrem wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziel für die kommende Legislaturperiode erklärt hatte und dabei insbesondere die Notwendigkeit zur Verbesserung der Bedingungen kleiner Unternehmen hervorhob. Man argumentierte, dass fast alle in Schweden ansässigen Unternehmen eher klein seien88, aber gerade diese Gruppe besonders stark von mit Regulierungen verbundenen Lasten und Hürden betroffen sei, da sie im Gegensatz zu großen Unternehmen nicht die Ressourcen hätten, um 87 Diese Gleichbehandlung aller Vorschriften in Bezug auf die Verpflichtung zur Folgenabschätzung wurde vom schwedischen Rechnungshof 1998 kritisiert (RRV 1998: 33). Der Rechnungshof äußerte die Auffassung, dass Folgenabschätzungen aufgrund des fehlenden Proportionalitätsprinzips in vielen Fällen nur oberflächlich durchgeführt würden. Zudem bestünde die Gefahr, dass die Durchführung von Folgenabschätzungen nur noch als bürokratische Routine ohne inhaltliche Wirkungen aufgefasst werde. 88 1998 hatten 98% der schwedischen Unternehmen weniger als 19 Angestellte.

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spezialisierte Fachabteilungen mit den entstehenden Verwaltungs- und Informationsaufgaben zu betrauen (Regeringskansliet 2001: 6). Zum anderen hatte eine im Herbst 1996 von der Regierung eingesetzte Kommission zum Thema der Beseitigung von Hindernissen für die Gründung und das Wachstum kleiner Unternehmen (Dir. 1996: 70) (im Folgenden kurz: KU-Kommission) im Juni 1998 ihren Abschlussbericht vorgelegt (SOU 1998: 94). In diesem wurde unter anderem empfohlen, eine spezielle Folgenabschätzung in Bezug auf KU durchzuführen, wenn diese von einer geplanten Regelung in größerem Umfang beeinflusst werden könnten, sowie KU-Panels einzurichten. Die Panels sollten als Ergänzung zu den traditionellen Untersuchungs- und Konsultationsverfahren fungieren, um in geeigneten Fällen Vorschläge für neue Regulierungen zu testen. Davon erhoffte man sich ein konkretes und direktes Feedback über praktische Probleme. Die KU-Kommission schlug außerdem vor, dass bei der Einführung neuer oder Veränderung bestehender Regelungen eine Verpflichtung zur frühzeitigen Konsultation von Wirtschaftsvertretern eingeführt werden solle. In Bezug auf die Etablierung wirksamer Strukturen zur Umsetzung von spezifischen Simplex-Folgenabschätzungen unterbreitete die KU-Kommission den Vorschlag, im Wirtschaftsministerium eine spezielle Einheit zur Übernahme von Leitungs-, Kontroll-, Unterstützungs- und Koordinierungsaufgaben in Bezug auf die Durchführung von Folgenabschätzungen89 und den Einsatz von KU-Panels einzurichten. Für die konkrete Durchführung der Simplex-Folgenabschätzungen sollten dezentral diejenigen Einheiten verantwortlich sein, die den Regelungsentwurf erarbeiten. In den zentralen Verwaltungsbehörden sollten Ansprechpartner für das Thema festgelegt werden. Bezüglich einer zentralen organisatorischen Verankerung der Reformpolitik wurde vorgeschlagen, in jedem Ministerium einen Staatssekretär mit Zuständigkeit für Fragen der Regulierungsreform zu benennen. In Folge der Vorschläge der KU-Kommission wurde, wie bereits erwähnt, in den Jahren 1998/1999 der Aufbau eines neuen Systems für Folgenabschätzungen für kleine Unternehmen eingeleitet. Die Durchführung von SimplexFolgenabschätzungen wurde dabei auf drei Ebenen in Form von Rechtsvorschriften verbindlich festgeschrieben:

89 Korrekterweise wurde im Bericht noch von Problem- und Folgenabschätzungen (PKA: „problem- och konsekvensanalyser“) gesprochen. Dieser Begriff wird heute jedoch nicht mehr verwendet, sondern das Verfahren wird wie im internationalen Sprachgebrauch üblich einfach als Folgenabschätzung bezeichnet.

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Dies betraf zum einen die Simplex-Verordnung (SFS 1998: 1820), welche über die allgemeinen Vorschriften der Werksverordnung hinausging und alle staatlichen Behörden zur Durchführung von besonderen Folgenabschätzungen für kleine Unternehmen verpflichtete. Zum anderen traten 1999 Richtlinien zur Durchführung von Folgenabschätzungen im Bereich der Kanzlei der Ministerien in Kraft (Beschluss der Staatssekretärsgruppe mit besonderer Zuständigkeit für Regulierungsvereinfachung vom 30.03.1999). Zum dritten wurde 1998 eine neue Kommissionsverordnung (SFS 1998: 1474) verabschiedet, die u.a. Bestimmungen über die Verpflichtung von Kommissionen zur Folgenabschätzung enthielt.

Die wesentlichen Inhalte dieser Vorschriften sowie der in der Folge herausgegebenen Handbücher (Kommissionshandbuch, Simplex-Handbuch) sind in Kap. 3 ausführlich dargestellt. Um die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen in denjenigen staatlichen Untersuchungskommissionen zu fördern, die sich mit KU-relevanten Themen beschäftigen, verankert die schwedische Regierung seit 2001 in den entsprechenden Kommissionsdirektiven die Verpflichtung, den Dachverband der schwedischen Wirtschaft für bessere Regulierung (NNR) bezüglich der Abschätzung der Folgen für die Wirtschaft und Unternehmen zu konsultieren (OECD 2007: 46). Für die Koordination und Leitung der operativen Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen (sowie mit „Regulierungsvereinfachung“, welches das übergeordnete Reformschlagwort in Schweden war) richtete man – wie von der KU-Kommission empfohlen – im Wirtschaftsministerium eine spezielle Einheit, die sogenannte Simplex-Einheit, ein (Dnr. N1998/3110). Im Jahr 2001 gab das Wirtschaftsministerium zur Unterstützung von Ministerien, Behörden und Kommissionen bei der Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen und bei der Anwendung der Simplex-Checkliste (siehe Tab. 7) ein Handbuch heraus (Regeringskansliet 2001). Im Handbuch wurden zu jeder der zwölf Fragen der Simplex-Checkliste ein- bis zweiseitige Hinweise zu deren Bearbeitung und kurze praktische Beispiele gegeben. Ergänzend zur Publikation des Simplex-Handbuches organisierte die Simplex-Einheit Fortbildungen (Halbtagsfortbildung für den Bereich Regulierungsvereinfachung als Teilelement eines umfangreicheren Fortbildungsangebotes).90 90 Diese Fortbildungsveranstaltung wurde laut Regierungsauskunft 2003 von 300 Beamt(inn)en in Schlüsselpositionen durchlaufen (Skr. 2002/03: 8).

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Um die Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen durch die zentralen Verwaltungsbehörden besser unterstützen und kontrollieren zu können und um den seit 2000 jährlich vorgelegten Regierungsbericht an den Reichstag über die Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen vorzubereiten, war in § 4 der Simplex-Verordnung festgelegt worden, dass die zentralen Verwaltungsbehörden jährlich spätestens bis zum 1. Februar der Regierung über praktische Erfahrungen und Resultate ihrer Arbeit mit Simplex-Folgenabschätzungen berichten sollten. Zudem waren die Behörden seit Herbst 2000 dazu aufgefordert, ihre Simplex-Folgenabschätzungen der Simplex-Einheit im Wirtschaftsministerium vorzulegen. Diese Vorschrift zusammen mit der Zuständigkeit der SimplexEinheit für die Qualitätssicherung der Simplex-Folgenabschätzungen in der Kanzlei der Ministerien und für die kritische Prüfung von Kommissionsdirektiven im Hinblick auf Simplex-Anforderungen führte dazu, dass die SimplexEinheit jährlich eine sehr große Anzahl an zu prüfenden Materialien zugesandt bekam. Allein im Jahr 2000 erhielt die Simplex-Einheit 284 Simplex-Folgenabschätzungen von den zentralen Verwaltungsbehörden (Skr. 2000/01: 143: 10). Hinzu kamen Dokumente für das Kommissionswesen und die Propositionen der Kanzlei der Ministerien. Darüber hinaus sollte die Simplex-Einheit laufenden Kontakt zu den Behörden pflegen, Fortbildungen organisieren, Hilfestellung bei der Durchführung von Simplex-Folgenabschätzungen geben und Kontaktorgan für kleine Unternehmen in Regulierungsfragen sein (Skr. 1999/2000: 148: 14). Für die Simplex-Einheit, die nur aus wenigen Sachbearbeiter(inne)n und einem Leiter bestand, war die Vielzahl dieser Aufgaben personell nicht zu bewältigen (Interview NUTEK 2005; Interview Schwedisches Wirtschaftsministerium 2005). Während die Defizite der Simplex-Einheit für die zentralen Verwaltungsbehörden vor allem im Bereich der mangelnden Kontakte und Hilfestellungen bei der Anwendung von Folgenabschätzungen lagen (Skr. 2000/01: 143; Interview Schwedisches Zentralamt für Landwirtschaft 2005), konnte sich die Einheit aufgrund einer zu geringen Unterstützung durch die politische Spitze und aufgrund fehlender Sanktionsmöglichkeiten auch regierungsintern nicht als durchsetzungsfähiges Gremium etablieren. In der Folge wurde die Simplex-Einheit im Herbst 2004 aufgelöst. Die Zuständigkeit für Fragen der Regierungsvereinfachung und für die Simplex-Folgenabschätzung innerhalb der Kanzlei der Ministerien ging an die Abteilung „Unternehmen“ im Wirtschaftsministerium über, während die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der Simplex-Verordnung in den zentralen Verwaltungsbehörden ab Januar 2005 an die „Nationale Behörde für Wirtschaftsentwicklung“ (NUTEK) delegiert wurde (SFS 2004: 1371). Diese strukturelle Veränderung im Simplex-System wird 131

durch einen Mitarbeiter des NNR insbesondere durch die nachlassende politische Unterstützung erklärt: „It was changed for many reasons. One was that they didn‚t want to have this inside the government (…). The first is that I think they haven‚t put enough effort on this, they are not interested in it. That‚s my view. Because you have to see what happened: The government is pressed by the Parliament to do this [better regulation measures; comment by the author]. This is nothing that comes from heart. They are pressed with the decision from 2002, so they have to move in some directions. And (…) they answer to this because they have failed a lot of times, either they understand or they don‚t understand that this is a matter of very high political concern. If they don‚t put very high political pressure in the matter you will have no results.” (Interview NNR 2005)

Die Regierung merkte, dass sich mit dem Simplex-System im ex ante Bereich kaum gut zu ‚vermarktende’ politische Erfolge generieren ließen, weshalb sich die politische Spitze zunehmend auf konkrete, gut zu kommunzierende Vereinfachungsmaßnahmen konzentrierte und den eher ‚lästigen’ Bereich der SimplexFolgenabschätzung so weit wie möglich auf Behördenebene verlagerte, was auch den Vorteil mit sich brachte, dass ggf. auftretende Misserfolge nicht mehr direkt der Regierung angelastet werden konnten: „It was a lot of politics when it [Simplex] was established in 1998 (…). They went out with lot of papers and statements (...), then they came into the ordinary world and they found out that it was not so easy to simplify as they said from the beginning. So it’s become some kind of heavy burden.“ (Interview NNR 2005)

Die von den zentralen Verwaltungsbehörden durchgeführten Simplex-Folgenabschätzungen ebenso wie die Berichte der Behörden über ihre Arbeit mit Regulierungsvereinfachungen werden seit Januar 2005 an NUTEK geschickt. Zeitgleich erweiterte die Regierung auch die in § 4 der Simplex-Verordnung festgelegte Verpflichtung zur jährlichen Berichterstattung dahingehend, dass die Behörden zusätzlich zu den praktischen Erfahrungen und Arbeitsresultaten in Bezug auf Simplex-Folgenabschätzungen nun auch darüber Rechenschaft ablegen mussten, welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung des Regelungsumfeldes für Unternehmen von den Behörden in Angriff genommen wurden oder geplant waren. Diese Erweiterung stand in engem Zusammenhang mit dem 2004 eingeleiteten Aktionsprogramm der Regierung Persson zur Reduzierung administrativer Lasten für Unternehmen (Skr. 2004/05: 48). 132

2.2.7.5 Reformfokus seit 2004: Abschätzung administrativer Lasten für Unternehmen Wie bereits dargestellt, war die Reduzierung des bürokratischen Aufwands für die Adressaten von Rechtsvorschriften, insbesondere für Unternehmen, in Schweden bereits in den 1980er Jahren ein wichtiges Thema gewesen. Im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Schwerpunktsetzung im Bereich der Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen Unternehmen seit Ende der 1990er Jahre geriet die Frage nach der Reduzierung des Bürokratieaufwands für die Wirtschaft erneut auf die politische Agenda. Ein erstes – wenn auch sehr vages – Ziel für die Reduzierung der administrativen Lasten von Unternehmen wurde von der schwedischen Regierung bereits im Jahr 2000 formuliert. In einem Schreiben an den Reichstag verkündete die Regierung, dass „innerhalb einer Dreijahresperiode die mit Regulierungen verbundenen administrativen Lasten für kleine Unternehmen deutlich zu verringern“ (Skr. 1999/2000: 148: 12) seien. Die administrativen Lasten sollten dabei am besten als „verwendete Stunden und Kronen in kleinen Unternehmen“ (Skr. 1999/2000: 148: 13) gemessen werden. Nach den Reichstagswahlen vom September 2002, bei denen die sozialdemokratische Regierung Göran Persson in ihrem Amt bestätigt wurde, räumte die Regierung jedoch ein, dass sie ihrem selbst gesteckten Ziel nicht gerecht geworden sei. Der Reichstag übte erheblichen politischen Druck im Hinblick auf die Etablierung von Reformaktivitäten aus. Die sozialdemokratische Minderheitsregierung erhielt im Parlament Unterstützung durch die Linkspartei und die Grünen, was jedoch keinesfalls hieß, dass in Sachfragen automatisch gemeinsam agiert wurde.91 Dies verstärkte die Handlungsmöglichkeiten der parlamentarischen Opposition. So waren es bei der hier interessierenden Thematik die parlamentarischen Oppositionsparteien zusammen mit den Grünen, welche die Messung administrativer Lasten erstmals auf die politische Agenda gebracht hatten. Sie waren es auch, die Ende 2002 einen Parlamentsbeschluss zum Thema durchsetzten, in dessen Folge die Regierung die Durchführung von konkreten Messungen der Bürokratiebelastungen von Unternehmen sowie die Entwicklung des bereits erwähnten Aktionsprogramms mit konkreten Maßnahmen zur Lastenreduzierung ankündigte (Bet. 2002/03:NU1).

91 Dieses Phänomen beschrieb Sjölin bereits im Jahr 1993 als ein typisches Merkmal der schwedischen Minderheitsregierungen (Sjölin 1993: 43).

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Anfang 2004 startete die schwedische Regierung ein erstes Pilotprojekt zur Messung der administrativen Lasten mit Hilfe des in den Niederlanden entwickelten Standardkosten-Modells (SKM) im Bereich der Mehrwertsteuergesetzgebung. Noch im selben Jahr folgten weitere Messungen im Steuerbereich. In den folgenden Jahren wurden in Schweden Messungen in allen bürokratieintensiven Rechtsbereichen durchgeführt (s.a. Veit 2008a: 74ff). Anders als in Deutschland wurde für die interne Koordination der SKM-Messungen keine Institution neu geschaffen, sondern auf bestehende Strukturen zurückgegriffen. Die Zuständigkeit für die Koordination der SKM-Messungen erhielt die zentrale Verwaltungsbehörde NUTEK, welche, wie oben bereits erwähnt, ab Januar 2005 auch für die Simplex-Folgenabschätzungen auf Behördenebene zuständig war. NUTEK führte jedoch nicht alle operativen Aufgaben selbst aus, sondern beauftragte Beratungsfirmen mit der Durchführung der Messungen. Eine einheitliche Methodenanwendung im Messprozess versuchte NUTEK durch die Aufrechterhaltung eines laufenden Kommunikationsprozesses mit den Beratungsunternehmen sicherzustellen.

2.2.7.6 Aktuelle Entwicklungen Die im Herbst 2006 an die Macht gelangte bürgerliche Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt beließ zwar die Verantwortung für die Durchführung der Messungen bei NUTEK, etablierte aber im Gegensatz zur Vorgängerregierung auch eine sichtbare organisatorische Zuständigkeit zum übergeordneten Thema Regulierungsvereinfachungen in der Kanzlei der Ministerien, bestehend aus einer Staatssekretärsgruppe zur Koordinierung der Regulierungsvereinfachungs-Politik und einer inter-ministeriellen Arbeitsgruppe. Zudem wurden in allen Ministerien für die Koordination der Regulierungsvereinfachungspolitik zuständige Einheiten sowie Ansprechpartner für Regulierungsvereinfachungen in denjenigen Abteilungen, die wirtschaftsrelevante Fragen bearbeiten, benannt. Weiterhin wurde bereits in der Budgetproposition 2007 angekündigt, in der Kanzlei der Ministerien ein dem Nationalen Normenkontrollrat in Deutschland ähnliches Gremium zu etablieren. Im Folgejahr wurde der aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern bestehende, dem Wirtschaftsministerium zugeordnete, aber formal unabhängige ‚regelråd’ berufen. Seit Oktober 2008 muss spätestens im Rahmen des formalen Remiss-Verfahrens eine Konsultation des Regelrates (‚regelråd’) erfolgen. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, ob neue Regulierungen so 134

formuliert worden sind, dass sie möglichst geringe administrative Lasten für Unternehmen mit sich bringen. Darüber hinaus ist der Regelrat für eine Qualitätsprüfung der Folgenabschätzung zuständig. Seine Stellungnahmen erfolgen schriftlich (Dir. 2008: 57). Die Einrichtung des Regelrates ist zum einen auf verschiedene politische Ursachen (Regierungswechsel, internationale Diffusion eines bestimmten Organisationsmodells zum Bürokratieabbau mit dem SKM, OECD-Evaluation der Regulierungsreform in Schweden 2007) zurückzuführen, zum anderen aber auch auf ein inhaltliches Defizit im Bereich der Integration des SKM-Modells in den ex ante Bereich der Rechtsetzung. So wurden in Schweden zwar erfolgreiche SKM-Nullmessungen durchgeführt und Reduzierungsmaßnahmen eingeleitet, eine systematische Abschätzung der mit neuen Vorschriften verbundenen Bürokratiekosten fand aber in der Praxis bisher nicht statt (s.a. Veit 2008b). Das ‚blinde Auge’ der politischen Entscheidungsträger im ex ante Bereich spiegelte sich darin wider, dass Bürokratiekostenabschätzungen für neue Vorschriften bis Ende 2007 weder rechtlich vorgeschrieben waren noch organisatorisch institutionalisiert wurden. Ende 2007 trat jedoch eine neue Verordnung zu Folgenabschätzungen in Kraft (SFS 2007: 1244).92 In dieser Verordnung wird die ex ante Abschätzung von Bürokratiekosten erstmals rechtlich fixiert und in das breiter angelegte Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung integriert. Die Verabschiedung einer eigenständigen Folgenabschätzungs-Verordnung war in Schweden bereits seit mehreren Jahren ein politisches Thema. Der Hauptgrund für die Etablierung einer neuen rechtlichen Regelung bestand in der Tatsache, dass in Schweden seit der Etablierung der Simplex-Folgenabschätzung Ende der 1990er Jahre ein doppeltes Folgenabschätzungssystem existiert hatte. Dieses implizierte, dass staatliche Behörden für alle Vorschriften mit Auswirkungen auf KU zwei Folgenabschätzungen durchführen mussten: eine allgemeine Folgenabschätzung nach der „Werksverordnung“ und eine Simplex-Folgenabschätzung – ein Umstand, der viel Kritik auf sich zog. So merkte z.B. das für einen großen Anteil der Simplex-Folgenabschätzungen stehende93 Schwedische Zentralamt für Landwirtschaft bereits im Jahr 2000 an, dass die Doppelverpflichtung zu Folgenabschätzungen nach Werks- und Simplex-Verordnung nicht 92 Neben den allgemeinen Vorschriften zu Folgenabschätzungen gibt es auch fachspezifische Verordnungen, welche die Durchführung von Folgenabschätzungen vorschreiben (z.B. die Verordnung zur Verwaltung der Wasserqualität SFS 2004: 660). Auf diese politikfeldspezifischen Vorschriften wird im Folgenden nicht eingegangen. 93 Eine Mitarbeiterin von NUTEK schätzte 2005, dass 40–50% aller Simplex-Folgenabschätzungen, die NUTEk erhält, vom Schwedischen Zentralamt für Landwirtschaft stammen.

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praktikabel sei und Unverständnis bei den Mitarbeitern des Amtes hervorrufen würde (Skr. 1999/2000: 148: 8). Obwohl die zwischen Dezember 2001 und Februar 2004 tätige Sachverständigenkommission zur Erneuerung der „Werksverordnung“ in ihrem Abschlussgutachten für eine Integration der zwei Folgenabschätzungssysteme in eine eigenständigen Verordnung über Folgenabschätzungen plädierte (SOU 2004: 23) und dieser Vorschlag im Konsultationsprozess breite Zustimmung erfuhr (Skr. 2005/2006: 49), trat die neue Verordnung erst nach einer langen ,Denkpause’ des Wirtschaftsministeriums (und einem Regierungswechsel, durch den sich der politische Druck auf das Thema deutlich erhöhte, Interview NUTEK 2005) in Kraft (SFS 2007: 1244). Die Vorschriften der Simplex- und der Werksverordnung verloren zum Jahresende 2007 ihre Gültigkeit. Nach der Folgenabschätzungs-Verordnung vom Dezember 2007 müssen Verwaltungsbehörden in Schweden „so früh wie möglich“ eine Folgenabschätzung durchführen. Wie bisher müssen die kostenmäßigen und anderen Folgen einer Vorschrift oder eines Allgemeinen Ratschlages vor der offiziellen Beschlussfassung untersucht und in einer Folgenabschätzung dokumentiert werden. Neu eingeführt wurde das Prinzip der Proportionalität, d.h. die Folgenabschätzung ist je nach Bedeutung des Entwurfes „in dem Umfang, der im Einzelfall notwendig ist“ (SFS 2007: 1244, § 4 Abs. 1) durchzuführen. Außerdem enthält die aktuelle Folgenabschätzungs-Verordnung deutlich mehr Ausnahmetatbestände, die einen Verzicht auf das Durchführen einer Folgenabschätzung rechtfertigen. Im Unterschied zur Simplex-Verordnung sind kleine Unternehmen im neuen Folgenabschätzungssystem Schwedens nur noch ein Punkt unter vielen. Insgesamt wird die Analyse wirtschaftsrelevanter Folgen im Vergleich zu anderen Folgenaspekten besonders betont. Die Abschätzung von Bürokratiekosten bildet einen Teilbereich der relativ detailliert geregelten Verpflichtungen zur Analyse der Auswirkungen von Rechtsnormen auf Unternehmen, wobei nicht nur die Bürokratiekosten darzustellen sind, sondern auch der Zeitaufwand, den die Rechtsvorschrift für Unternehmen mit sich bringt. Darüber hinaus enthält die Folgenabschätzungs-Verordnung eine Verpflichtung der Behörden zur laufenden Beobachtung ihrer Vorschriften und Allgemeinen Ratschläge: „Haben sich die grundlegenden Voraussetzungen der Regelung geändert, so muss diese überprüft werden und eine neue Folgenabschätzung durchgeführt werden.“ (SFS 2007: 1244, § 8 ) Nach der neuen Folgenabschätzungs-Verordnung teilen sich das Ekonomistyrningsverket und NUTEK die Zuständigkeit für Methodenentwicklung, Unterstützung der Behörden und Fortbildung, wobei NUTEK eine ,koordinierende Verantwortung’ trägt. 136

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass ,bessere Rechtsetzung’ und Bürokratieabbau in Schweden – ebenso wie in Deutschland – seit vielen Jahren parteipolitische und gesellschaftliche Konsensthemen sind. Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesetzgebung durch Folgenabschätzungen ließen sich auf der formalpolitischen Entscheidungsebene relativ leicht durchsetzen, da sie unkontrovers waren. Ein Mitarbeiter des NNR illustrierte am Beispiel der Simplex-Verordnung und der Verordnung zur Verhinderung administrativer Lasten aus dem Jahr 1982, dass sich die formalen Entscheidungen politisch sehr leicht durchsetzen ließen, aber dass es hinsichtlich der konkreten Umsetzung später durchaus zu heftigen Kontroversen kam: „No one was against it. No one has been against anything actually but the problems came later on in the discussion. So there was a non-socialistic government in 1982 implemented this ordinance about reporting burden, there was no discussion, very little discussion. And it was very little discussion about this ordinance about Simplex. It was actually thought that it would solve a lot of problems. So the discussions came up afterwards. Very much.” (Interview NNR 2005)

Dieses Zitat zeigt deutlich, dass die Herstellung einer politischen Entscheidung zur Durchführung von Folgenabschätzungen oder zu Beteiligungspflichten bestimmter Akteure zur Förderung des Bürokratieabbaus in Schweden häufig leicht war und unkontrovers verlief, weil Themen wie Bürokratieabbau und ,bessere Rechtsetzung’ auf einer abstrakten und unkonkreten Ebene keine politischen Gegner hatten und haben. Kommt es hingegen zur Umsetzung dieser Maßnahmen, zeigt sich schnell, dass auch von diesen Maßnahmen politische Interessen tangiert werden. Politische Konflikte brechen dann auf, wenn es um konkrete Regelungsfelder und konkrete Gesetzgebungsvorhaben geht (Jann 2004b und 2007). Die Implementation von Folgenabschätzungen im Gesetzgebungsprozess kann deshalb nicht losgelöst vom politischen Prozess der Aushandlung und Abstimmung von Interessen betrachtet werden.

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2.3 Wesentliche Charakteristika der exekutiven Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden Im Folgenden werden die wesentlichen Charakteristika der Gesetzesvorbereitung in Deutschland und Schweden und die zentralen Merkmale der Reformbemühungen zur ,besseren Rechtsetzung’ in beiden Ländern zusammengefasst. Deutschland ist als föderaler Staat durch eine Aufgabentrennung zwischen Bundes- und Länderebene verbunden mit einem hohen Grad an vertikaler und horizontaler Politik- und Verwaltungsverflechtung gekennzeichnet. Während der Bund vorrangig gesetzgeberisch tätig wird, ist die Gesetzesausführung in den meisten Fällen den Ländern überlassen (Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder als Normalfall). Umgekehrt besitzen die Länder zwar nur relativ wenige eigene Gesetzgebungskompetenzen, wirken aber über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit und besitzen dadurch ein erhebliches Vetopotential. In Schweden hingegen gibt es keine zweite Kammer des Parlaments, der Staatsaufbau ist unitarisch. Wesentliches Kennzeichen der schwedischen Zentralverwaltung ist ein Dualismus zwischen einer relativ kleinen Kanzlei der Ministerien, deren Aufgabe die Politikformulierung und Vorbereitung von Entscheidungen ist, und großen zentralen Verwaltungsbehörden, welche für den Vollzug von Gesetzen und Verordnungen verbunden mit der Ausfertigung von Ausführungsvorschriften zuständig sind. Ein einzelner Minister kann in Schweden im Prinzip nicht steuernd in die Tätigkeiten der zentralen Verwaltungsbehörden eingreifen, da es keine individuelle Ministerverantwortlichkeit wie in Deutschland gibt, sondern alle Beschlüsse (zumindest formal) von der Regierung als Kollektiv getroffen werden. Ebenso wie die deutschen Bundesländer sind die zentralen Verwaltungsbehörden in Schweden in der Ausführung der Gesetze relativ frei. Die Regierung kann zwar Ziele setzen und bestimmte Rahmenbedingungen festlegen, die Wahl der Mittel bleibt aber den Fachbehörden überlassen. Ein wichtiges Instrument (neben anderen, wie Personal und Budget) für Regierung und Ministerialverwaltung, um die Verwaltungsbehörden zu steuern, ist deshalb die Festlegung von Prozeduren zur Entscheidungsfindung. Zu dieser Art von „Institutionenpolitik“ (s.a. Jann et al. 2005) gehört auch die im Zentrum dieser Arbeit stehende Regulierung von Verfahren zur Folgenabschätzung. Aufgrund des schleichenden Verlustes der Vormachtstellung der Sozialdemokraten, war in Schweden seit den 1980er Jahren eine Tendenz zur stärkeren zentralen Steuerung der Behörden zu verzeichnen (Johansson 1992: 241). Dies ist ein Grund dafür, warum sich Reformmaßnahmen zur ,besseren Rechtsetzung’ in Schweden in hohem Maße 138

auf die Ebene der zentralen Verwaltungsbehörden konzentrieren. Die Steuerung erfolgt über Institutionenpolitik, weil eine inhaltliche Steuerung nur in sehr eingeschränktem Maße zugelassen ist. Ähnliche Mechanismen zur Nutzung von Vorgaben zur Folgenabschätzung als Möglichkeit zur Steuerung durch die Ministerialverwaltung gelten für das schwedische Kommissionswesen. In der BRD hingegen kann der Bund laut Verfassung keine Verfahrensregeln für Normgebungsprozesse auf Landesebene festlegen. ‚Bessere Rechtsetzung’ als Institutionenpolitik mit dem Ziel einer erhöhten zentralen Steuerung der Länder spielt deshalb in Deutschland keine Rolle.94 Neben den genannten Unterschieden im Staatsaufbau und in der funktionalen Aufgabenteilung bei der Ausführung von Gesetzen, besteht eine weitere wesentliche Differenz zwischen Deutschland und Schweden in den Strukturen der Gesetzesvorbereitung. Während in Deutschland die meisten Gesetze von Beamten der Ministerialverwaltung selbst ausgearbeitet werden, wird ein erheblicher Teil der Vorbereitungsarbeit in Schweden an unabhängige Kommissionen oder an zentrale Verwaltungsbehörden delegiert. Die Ministerialverwaltung in Deutschland ist stärker als diejenige in Schweden eine Fachverwaltung, für die Wissensgenerierung und -aufarbeitung ein wichtiger Aufgabenbereich im Prozess der Politikformulierung und insbesondere der Gesetzgebung ist. Die Hauptaufgabe der Mitarbeiter der schwedischen Kanzlei der Ministerien besteht hingegen darin, die meist von Kommissionen oder Behörden entwickelten und häufig bereits vorabgestimmten95 Gesetzentwürfe innerhalb des politisch-administrativen Systems durchzusetzen. Gesetzesvorbereitung in Schweden ist also, anders als in Deutschland, formal auf mehrere Institutionen verteilt. Diese Unterschiede im Aufgabenspektrum spiegeln sich auch in den Personalzahlen wider. Insgesamt hatte die bundesdeutsche Ministerialverwaltung 2006 knapp 17.500 Mitarbeiter/innen96, während zur selben Zeit in der schwedischen Kanzlei der Ministerien rund 4.500 Mitarbeiter/innen angestellt waren. 97 Mit Ausnahme des Außenministeriums, in welchem ca. 1.400 Mitarbeiter/innen beschäftigt sind, arbeiten in einem schwedischen Fachministerium im Schnitt 94 Bund und Länder besitzen jeweils eine eigene Reformagenda. Das bedeutet aber nicht, dass Reformen zur besseren Rechtsetzung in Bund und Ländern deutlich unterschiedliche Schwerpunkte besitzen und andersartige Instrumente propagieren. Der Reformbereich auf beiden Ebenen ist durch einen hohen Grad an Isomorphismus geprägt. 95 Durch die Mitarbeit von Partei-, Behörden- und Verbandsvertretern in Kommissionen und durch deren Teilnahme am Remiss-Verfahren. 96 Quelle: Bundeshaushaltsplan 2006. Ohne Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und ohne Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. 97 Quelle: Regeringens årsbok 2006: 142.

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ca. 260 Personen98, während in einem deutschen Bundesministerium durchschnittlich rund 1.150 Beamte und Angestellte tätig sind.99 Die Größe der Ministerien schwankt in Schweden von ca. 150 (Landwirtschaft, Verteidigung) bis hin zu deutlich mehr als 400 Mitarbeiter/innen in den großen Ministerien Finanz (458) und Wirtschaft (415). Das Außenministerium mit seinen rund 1.400 Mitarbeitern ist eine Ausnahme, da die Auslandsvertretungen in die Personalberechnung mit eingehen. Deutlich kleiner als die Fachministerien ist in beiden Ländern die Regierungszentrale (Kanzlei des Ministerpräsidenten in Schweden: 106 Mitarbeiter/innen; Bundeskanzleramt: 449 Mitarbeiter/innen). Zwar ist die Kanzlei der Ministerien heute deutlich größer als vor einigen Jahrzehnten, im Vergleich zu den größten zentralen Verwaltungsbehörden oder beispielsweise zur Stadtverwaltung von Stockholm ist sie jedoch immer noch eine überraschend kleine Institution. Die unterschiedliche Größe der Ministerialverwaltung in Deutschland und Schweden hat mehrere Gründe und lässt sich nicht allein auf die Differenzen in der Staatsgröße zurückführen. Eine wichtige Ursache ist die bereits erwähnte Auslagerung der ersten Phase der Gesetzesvorbereitung (Alternativenentwicklung, erste Abstimmung, Entwicklung eines Entwurfes) in unabhängige Untersuchungskommissionen und zentrale Verwaltungsbehörden in Schweden, welche das übliche Vorgehen zur Erarbeitung größerer Regelungsvorhaben bildet. Die Delegation von Vorbereitungsarbeiten an obere Bundesbehörden oder Kommissionen und Beiräte ist zwar auch in Deutschland übliche Praxis, wird aber nicht so umfassend und weitreichend praktiziert wie in Schweden. Die Ministerialverwaltung in Schweden muss sich kaum mit Aufgaben der Informationsbeschaffung auseinandersetzen, sondern sie erhält meist sehr detailliert ausformulierte Vorschläge von den Kommissionen, die bereits ein öffentliches Konsultationsverfahren durchlaufen haben. Aufgabe der Ministerialverwaltung ist die politische Koordination und Abstimmung der Entwürfe, so dass diese im Kabinett mehrheitsfähig sind und gute Durchsetzungschancen im Parlament haben. In Deutschland ist auch die konkrete Ausarbeitung eines ersten Entwurfes sowie die Eruierung der Positionen verschiedener Gruppen von Normadressaten in den meisten Fällen Aufgabe der Ministerialverwaltung, weshalb deutlich mehr personelle Ressourcen vorgehalten werden müssen. Informationsbeschaffung und -verarbeitung für die Regierung ist in Deutschland eine der Hauptaufgaben der Bundesministerien (König/Knoll 2001). 98 Ohne Auswärtiges Amt, Kanzlei des Ministerpräsidenten und Verwaltungszentrale. 99 Ohne Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt.

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Eine zweite wichtige Ursache der Größendifferenz zwischen den Ministerialverwaltungen Deutschlands und Schwedens liegt im bereits erwähnten Dualismus des schwedischen Verwaltungssystems. Politische Programme werden in der Kanzlei der Ministerien oft nicht bis ins Detail ausgearbeitet, sondern es wird ein Rahmen vorgegeben, welcher von den Fachbeamten in den zentralen Verwaltungsbehörden durch die Entwicklung und Umsetzung von Policy-Maßnahmen (auch in Form von Rechtsvorschriften) konkretisiert wird. Premfors und Sundström stellten deshalb in ihrer Studie zur Kanzlei der Ministerien aus dem Jahr 2007 treffend fest: „Gäbe es den Dualismus nicht, so käme der schwedische Staat nicht mit so einer kleinen Organisation an der Spitze aus.“ (Premfors/ Sundström 2007: 35) Dass die beiden größten Fachministerien in Deutschland, das Finanzministerium und das Verteidigungsministerium, zusammen fast so groß sind wie die gesamte Kanzlei der Ministerien in Schweden (inklusive Auslandsvertretungen des Außenministeriums) lässt sich zudem auf bestimmte Charakteristika des deutschen Verwaltungssystems zurückführen. In Deutschland werden nur wenige Aufgaben von der Bundesverwaltung selbst ausgeführt. In den Bereichen, wo dies der Fall ist (z.B. Wehrverwaltung und Finanzverwaltung) schlägt sich das deutlich im Umfang der Ministerien nieder.100 Im Falle des für nur wenige Rechtsnormen federführend zuständigen Verteidigungsministeriums hat die Größe des Ministeriums wenig mit der Organisation der Politikformulierung zu tun, im Falle des Bundesministerium der Finanzen jedoch schon, schließlich steht das BMF für viele Gesetze und Rechtsvorordnungen sowie für einen Großteil der gültigen Verwaltungsvorschriften in Deutschland. Aufgrund der Größe und hierarchischen Linienorganisation der Ministerien in Deutschland, welche durch eine hohe Leitungstiefe und geringe Leitungsspanne auf der Arbeitsebene (den Referaten) gekennzeichnet ist, sind Ministerialbeamte in deutschen Fachministerien meist sehr stark spezialisiert. Schwedische Mitarbeiter/innen der Kanzlei der Ministerien werden im Gegensatz dazu eher als Politikfeldexperten mit einem breiteren Zuständigkeitsgebiet charakterisiert. Hinzu kommt eine flexiblere Organisationsstruktur der Ministerien in Schweden mit in der Regel geringerer Leitungstiefe als in Deutschland. Stabsartige Strukturen sind in Schweden weiter verbreitet und auch die Basiseinheiten der schwedischen Fachdepartements zeichnen sich durch eine große Nähe zur Politik aus. Die Größe und die Art der Binnenorganisation haben 100 Insgesamt ist die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Bundesverwaltung in Deutschland die Ausnahme, da in den meisten Politikfeldern die Länder die Ausführung der Gesetze und Rechtsverordnungen (entweder im Auftrag des Bundes oder als eigene Angelegenheit) übernehmen.

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erheblichen Einfluss auf die Art der Problemperzeption sowie die Koordination und Abstimmung von Politikinhalten zwischen den Ressorts. Die stark spezialisierten Referate der Ministerien in Deutschland neigen zur selektiven Wahrnehmung von Problemen und politischen Lösungen. Tabelle 2: Exekutive Gesetzesentwicklung in Deutschland und Schweden Arenen der Politikformulierung Aufgaben der Ministerialverwaltung Personal der Ministerialverwaltung Verfahren

BRD Ministerialverwaltung Entwurfsentwicklung und -abstimmung Laufbahnbeamte, Spezialisten

Koordinationsmodus

Hausabstimmung, Ressortabstimmung, externe Konsultationen negative Koordination

Transparenz

gering

SWE Kommissionswesen und Ministerialverwaltung Abstimmung Verwaltungskarriere, Generalisten Hausabstimmung, Ressortabstimmung, externe Konsultationen negative Koordination (abgeschwächt) hoch (Kommissionswesen), gering (Ministerialverwaltung)

Zwar stellt die ,selektive Perzeption’ auch in Schweden ein Problem dar, sie wird jedoch abgeschwächt durch einen breiteren Zuständigkeitsbereich der Basiseinheiten. Gleiches gilt für den vorherrschenden Abstimmungsmodus der ,negativen Koordination’, der in Deutschland durch die hierarchische Linienorganisation und die geringe Verbreitung interministerieller Projekt- und Arbeitsgruppen im Prozess der Gesetzesvorbereitung manifestiert wird. In Schweden hat die Zusammenlegung der Fachministerien in einer Behörde Ende der 1990er Jahre zwar nicht die erwünschten Erfolge hinsichtlich einer Verstärkung der fachbereichsübergreifenden horizontalen Zusammenarbeit mit sich gebracht. Die Erfassung politikfeldübergreifender Problemzusammenhänge und -lösungen wird jedoch durch die Institution des Kommissionswesen, das Gebot der ,gemeinsamen Vorbereitung’ von Gesetzentwürfen und die nicht nur in Ausnahmefällen erfolgende Bildung von inter-ministeriellen Arbeitsgruppen gefördert. Zwar findet eine aktive ressortübergreifende Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben in der Kanzlei der Ministerien regelmäßig statt, in der Mehrzahl der Gesetzgebungsvorhaben hat die horizontale Abstimmung jedoch eher einen passiven und 142

antizipierenden Charakter. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden im Hinblick auf die vorherrschenden Koordinationsmechanismen sind also nicht grundsätzlicher Natur, sondern graduell (siehe Tab. 2). Der von Scharpf geprägte Begriff der ,negativen Koordination’ beschreibt die Realität vieler Abstimmungsprozesse in der schwedischen Ministerialbürokratie ebenso gut wie in der deutschen Bundesverwaltung, allerdings existieren in Schweden mehr strukturelle Gegenkräfte zur Förderung ,positiver Koordinationsmechanismen’. Ein weiterer Faktor, in welchem sich das deutsche und das schwedische System wesentlich unterscheiden und der Einfluss auf die Art der Gesetzesvorbereitung hat, ist die übliche Form der Regierungsbildung. Während in Deutschland Mehrheitsregierungen in Form einer „Minimal Winner Coalition“ (d.h. kleinstmögliche Koalition, meist aus zwei Parteien bestehend, Lijphart 1984) der Normalfall sind, amtieren in Schweden häufig Minderheitsregierungen. So waren in dem skandinavischen Land von 1945–1951, 1957–1968, 1970–1976, 1978–1979 und von 1981–2006 Minderheitsregierungen an der Macht. Die Sozialdemokraten waren im gesamten letzten Jahrhundert dominierende Partei Schwedens. Während sie von 1945–1976 konstant die Regierung stellten, geriet seitdem etwas Bewegung in die vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse. Zwischen 1976 und 1982, von 1991–1994 und seit 2006 stellten bürgerliche Parteien die Regierung (meist in Koalitionen aus mindestens drei Parteien, Hartmann 2004: 55). In Deutschland gibt es zwei große Volksparteien, die in der Regel in Koalition mit einer kleineren Partei die Regierung stellen. Dabei hatte sich bis in die 1980er Jahre hinein ein stabiles Dreiparteiensystem mit der FDP als dem ,Zünglein an der Waage’ etabliert. Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag und der festen Verankerung als vierter Partei im Parteiensystem sowie mit den Erfolgen der PDS bzw. später der Partei DIE LINKE vor allem in den fünf neuen Bundesländern und Berlin veränderte sich die grundsätzliche Architektur des bundesdeutschen Parteiensystems ebenso wie die potentiellen Koalitionsmöglichkeiten. In Deutschland sind Exekutive und Legislative in hohem Maße miteinander verschmolzen. Die Trennlinie verläuft weniger zwischen Regierung und Parlament als zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit auf der einen Seite und parlamentarischer Opposition auf der anderen Seite. Während die parlamentarischen Oppositionsparteien anders als bei den Minderheitsregierungen in Schweden dadurch im Bundestag in einer sehr schwachen Position sind, besitzen sie häufig ein erhebliches Vetopotential über den Bundesrat. Die Dominanz von Minderheitsregierungen in Schweden wird vielfach damit erklärt, dass es sich um eine Gesellschaft mit insgesamt relativ geringem Konfliktniveau und hoher Konsensorientierung handelt, welches sich auch im 143

Parteienspektrum niederschlägt. Im Falle von Minderheitsregierungen besitzen die Oppositionsparteien im Reichstag eine relativ starke Position gegenüber der Regierung, da die Minderheitsregierungen keine grundsätzlich abgesicherten Mehrheiten besitzen. Die Regierung muss also je nach Sachfrage Koalitionspartner für einzelne Gesetzgebungsvorhaben finden. Trotzdem ist es auch in Schweden so, dass viele gesetzgeberische Entscheidungen nicht erst im Parlament ausgefochten werden, sondern bereits vorher in anderen Gremien formell oder informell abgestimmt wurden. Das Parlament nimmt seine Einflussmöglichkeiten vielfach bereits in der Initiierungsphase von Policies wahr, indem es die Regierung im Rahmen der allgemeinen Motionszeit zur Bearbeitung bestimmter Probleme auffordert und politische Vorstellungen, die dann von der Regierung antizipiert werden, frühzeitig kommuniziert (Jann 1989: 405ff). Während Parlamentsmitglieder ebenso wie Verbandsvertreter in Deutschland normalerweise nicht formal in den Prozess der Gesetzesvorbereitung durch die Regierung integriert werden, ist eine solche formale Einbindung von Interessenvertretern und Parlamentarier im Kommissionswesen und über die Behördenvorstände in Schweden durchaus üblich, wenn auch in abnehmender Tendenz wie z.B. die sinkende Anzahl stimmberechtigter Interessenvertreter im Kommissionswesen seit Mitte der 1970er Jahre zeigt. Parlamentarier, Parteien und Interessenvertreter gestalten den Prozess der Alternativenauswahl und Politikkonkretisierung in Schweden in hohem Maße inhaltlich mit. In Deutschland erfolgt die Einflussnahme von Parteien und Verbänden auf die Rechtsetzung v.a. auf informellem Wege über Kontakte zwischen Verbänden und Ministerialbeamten sowie über Absprachen der Koalitionspartner, die über die politische Leitung der Ministerien an die Beamten herangetragen werden. Die geringere institutionalisierte Integration von Parteien in die vorparlamentarische Phase der Gesetzesvorbereitung bedeutet nicht, dass die Einflussmöglichkeiten der Parteien in Deutschland kleiner wären. Die Einflussnahme ist jedoch insgesamt weniger transparent. Besonders deutlich wird dies im Gesetzgebungsverfahren am Konsultationsprozess. In Schweden, wo das Öffentlichkeitsprinzip in der Verfassung verankert ist, werden alle Stellungnahmen eines Konsultationsverfahrens veröffentlicht und es wird transparent dargestellt, welche Positionen warum und von welchen Akteuren übernommen wurden. In Deutschland hingegen werden zwar auch externe Akteure im Gesetzgebungsverfahren konsultiert, deren Positionen und der Einfluss dieser auf eventuelle Änderungen im Entwurf werden jedoch nicht öffentlich zugänglich gemacht. Ob das im Januar 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland hier zu einem Kulturwandel beitragen wird, ist offen. 144

3 Empirische Ergebnisse zur Implementation von Folgenabschätzungen

Das folgende Kapitel setzt sich empirisch mit der Integration von Folgenabschätzungen in den Prozess der exekutiven Gesetzeserstellung in Deutschland und Schweden auseinander. In Kap. 3.1 wird zunächst kurz die methodische Vorgehensweise erläutert, bevor in Kap. 3.2 und 3.3 die Ergebnisse einer Untersuchung deutscher und schwedischer Regierungsvorlagen aus dem Jahr 2006 101 vorgestellt werden. Um die erhobenen Daten einordnen und mit sekundärempirischem Material vergleichen zu können, wird eine Übersicht zu den Erkenntnissen früherer Studien zur Implementation von Folgenabschätzungen der Beschreibung der eigenen primärempirischen Daten jeweils vorangestellt. Kap. 3.4 enthält einen Vergleich der Untersuchungsergebnisse für Deutschland und Schweden anhand derjenigen Prüfkriterien, die in beiden Ländern Gültigkeit besitzen. Mit Hilfe von Kap. 3.5 werden die Resultate zur Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland und Schweden 2006 in eine längerfristige zeitliche Perspektive eingeordnet, indem sie mit einer Stichprobe deutscher und schwedischer Gesetzesvorlagen aus den 1970er Jahren verglichen werden. Dieses Vorgehen soll dabei helfen, dauerhafte landesspezifische Charakteristika sowie Veränderungen in der Ausformulierung von Regierungsvorlagen zu neuen Gesetzentwürfen zu erkennen.

3.1 Methodisches Vorgehen Um den Implementationsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland und Schweden zu untersuchen, führte die Autorin eine Analyse deutscher und schwedischer Gesetzesmaterialien durch.

101 Für Deutschland wurden wegen des Fehlens sekundärempirischer Daten ergänzend die Jahre 1999 und 2003 untersucht.

Während eine Abgrenzung des zu untersuchenden Materials im schwedischen Fall relativ einfach war (alle Propositionen der Regierung, die Gesetzentwürfe enthalten), gestaltete sich der Auswahlprozess im deutschen Fall etwas komplizierter, da viele Regierungsentwürfe aus Zeitgründen (Umgehung des Bundesrates in erster Instanz) über die Mehrheitsfraktionen des Parlaments in den Bundestag eingebracht werden (von Beyme 1997: 176f). Auch dann, wenn Initiativen der Fraktionen der Regierungsparteien tatsächlich aus der Mitte des Bundestages stammen, üben sachverständige Ministerialbeamte häufig einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesetzesvorlagen aus (Busse 1996: 445f). In die vorliegende Untersuchung wurden deshalb nicht nur alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung, sondern auch alle Entwürfe der Regierungsfraktionen einbezogen.102 Als Prüfkriterien fungierten diejenigen Folgenabschätzungsaspekte, welche in Deutschland bzw. in Schweden durch Rechtsvorschriften, Handbüchern und/ oder Leitfäden als verbindliche Elemente einer ex ante Folgenabschätzung von Gesetzentwürfen festgeschrieben sind (Kap. 3.2.1 und 3.3.1). Die Analysegrundlage bildeten für Deutschland die Vorblätter und Begründungen von Gesetzentwürfen und für Schweden die Propositionen der Regierung, welche einen oder mehrere Gesetzentwürfe zu einem Problemfeld enthalten und darüber hinaus umfangreiche Hintergrundinformationen zum Politikformulierungsprozess, zum Problemfeld und zur vorgeschlagenen Problemlösung geben. Der Untersuchungszeitraum war das Jahr 2006 und es handelte sich für diesen Zeitraum um eine Vollerhebung. Die Analyse umfasste deshalb für Deutschland etwas mehr Dokumente (154 Regierungsentwürfe) als für den schwedischen Fall (132 Propositionen). Um herauszufinden, inwieweit die GGO-Änderung im Jahr 2000 in Deutschland zu Änderungen im Grad der Erfüllung der Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen in den Vorblättern und Begründungen der Entwürfe führte, wurden neben den Gesetzentwürfen des Jahres 2006 für den deutschen Fall zusätzlich alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen aus den Jahren 1999 (vor der GGO-Novellierung) und 2003 (nach der GGO-Novellierung) im Hinblick auf die Prüfkriterien untersucht. Unterschiede und Entwicklungen im Zeitverlauf können so sichtbar gemacht werden. Den drei Erhebungszeiträumen (1999, 2003, 2006) ist gemeinsam, dass es sich jeweils um das Jahr nach der Bundestagswahl in drei verschiedenen Legislaturperioden handelt. Nachwahljahre wur102 Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Opposition wurden nicht mit in die Untersuchung einbezogen, da im Zentrum des Interesses die Gesetzesvorbereitung und Umsetzung von Folgenabschätzungsanforderungen innerhalb der Bundesministerien steht.

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den deshalb ausgewählt, weil die Gesetzgebungstätigkeit hier aufgrund der noch ausstehenden Zeit bis zur nächsten Parlamentswahl ohne zusätzliche Beeinflussung durch Wahlkampf und die damit verbundenen Zwänge (Zeitdruck, Stimmengewinnung) stattfinden kann. Zudem sollte der erhobene Zeitraum möglichst vergleichbare Rahmenbedingungen aufweisen. Es wurde nicht als sinnvoll angesehen, direkt nach Inkrafttreten der novellierten GGO im Jahr 2000 Untersuchungen durchzuführen, da neue Regelungen immer eine gewisse Übergangszeit benötigen, bevor sie sich ggf. als neue Routinen etablieren (oder nicht, wenn eine Implementation ausbleibt oder nur unvollständig erfolgt). Für den schwedischen Fall erfolgten keine weiteren primärempirischen Erhebungen, da die Datenlage zur Implementation von Folgenabschätzungen wesentlich besser ist als in Deutschland (siehe Kap. 3.3.2) und es deshalb möglich war, Entwicklungen für den gleichen Zeitraum (1999–2006) mit Hilfe von sekundärempirischen Studien nachzuzeichnen. Bei der Bewertung der Implementation von einzelnen Folgenabschätzungskriterien wird zwischen ‚formaler Erfüllung’ und ‚tatsächlicher Erfüllung’ von Anforderungen zur Analyse von Gesetzesfolgen unterschieden. Unter ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird eine fundierte inhaltliche Prüfung bestimmter Kriterien der besseren Rechtsetzung verstanden, die sich in der Regierungsvorlage in Form von ausführlichen und mit einer Begründung versehenen Aussagen niederschlägt. Eine ‚formale Erfüllung’ hingegen liegt schon dann vor, wenn im Gesetzesvorblatt und/oder in der Gesetzesbegründung bzw. in der Proposition eine Aussage zur entsprechenden Variable zu finden ist, selbst wenn das Statement nur sehr kurz ist und nicht begründet wird. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ wird also als Teilmenge der ‚formalen Erfüllung’ definiert. Die Differenz zwischen ‚formaler Erfüllung’ und ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird im Folgenden als ‚rein formale Anpassung’ bezeichnet, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Folgenabschätzungskriterium durch ein floskelhaftes, in vielen Gesetzentwürfen so oder in ähnlicher Art und Weise zu findendes Statement ‚abgehakt’ wird, ohne dass substantielle Begründungen geliefert werden. Im gewählten Untersuchungsdesign nicht erfasst werden Fälle, in welchen aus strategischen oder taktischen Gründen auf eine Darstellung der Ergebnisse von Folgenabschätzungen verzichtet wurde, um die Durchsetzungsfähigkeit eines Entwurfes nicht zu gefährden. Insofern ist bei der Interpretation der Daten zu beachten, dass eine ‚rein formale Erfüllung’ ebenso wie ein Nichterfüllung nicht automatisch bedeutet, dass keinerlei Folgenuntersuchungen stattgefunden haben. Die Ergebnisse zeigen lediglich, dass der Verpflichtung zur Darstellung von bestimmten Folgenaspekten nicht nachgekommen wurde. Um den Zusam147

menhang zwischen realer Informationsbeschaffung und Analyseaktivität im Prozess der Entwurfserstellung und der letztendlichen Folgendarstellung in den offiziellen Begleitdokumenten zum Gesetzentwurf im Einzelfall zu verstehen, wäre ein auf konkrete Gesetzgebungsvorhaben bezogenes Fallstudiendesign erforderlich, dessen Nachteil jedoch darin läge, dass keine umfassenden und repräsentativen Daten gewonnen werden. Die Entscheidung für das beschriebene Untersuchungsdesign erscheint gerechtfertigt, wenn man in Augenschein nimmt, dass Folgenabschätzungen in Europa (anders als in den USA) in der Regel als Kommunikationswerkzeuge zwischen Regierung und Parlament verstanden werden (Radaelli 2005: 11). Es geht also um Machtprozesse zwischen diesen Institutionen. Der Grad der Herstellung von Transparenz in den Regierungsvorlagen ist zur Erfassung der Rolle von Folgenabschätzungen und zur Einschätzung des Implementationsgrades aus dieser Perspektive ein geeigneter Indikator.

3.2 Erfüllung der GGO-Kriterien zur Folgenabschätzung in Deutschland Das folgende Unterkapitel setzt sich empirisch mit der Frage nach dem Implementionsgrad von Vorschriften zur Folgenabschätzung in Deutschland auseinander. Kap. 3.2.1 stellt die derzeit gültigen Folgenabschätzungsanforderungen bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen durch die Bundesregierung detailliert dar und erläutert die aus der GGO abgeleiteten Prüfkriterien für die von der Autorin durchgeführte primärempirische Untersuchung von Gesetzesvorblättern und -begründungen. Kap. 3.2.2 gibt eine Übersicht zum Stand der empirischen Forschung zur Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland. Kap. 3.2.3 beschreibt die empirischen Ergebnisse im Hinblick auf die einzelnen Prüfkriterien. Abschließend wird in Kap. 3.2.4 dargelegt, ob und in welchem Ausmaß sich die ‚formale Erfüllung’ und die ‚tatsächliche Erfüllung’ von Anforderungen zur Folgenabschätzung in Deutschland unterscheiden.

3.2.1 Anforderungen der GGO und Prüfkriterien Am 1. September 2000 trat in Deutschland eine novellierte Fassung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in Kraft. Im Zuge dieser GGO-Novellierung waren u.a. die Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen durch die federführenden Einheiten der Ministerien im Rahmen der 148

Gesetzesbegründungen und auf dem Gesetzesvorblatt überarbeitet und modifiziert worden (s.a. Kap. 2.1.4.3). Wesentliche Neuerungen der GGO bestanden D D D D D

in einer Aufnahme des umfassenden Begriffs der „Gesetzesfolgen“ in den GGO-Text; in der neu eingeführten Verpflichtung, zur Frage einer ex post Evaluation des Gesetzes Stellung zu nehmen; in der Streichung der expliziten Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen für Umwelt und Verkehr; in der Straffung der Vorschriften zur Darstellung von Gesetzesfolgen für die öffentlichen Haushalte und den Vollzug sowie in der expliziten Aufnahme einer Notwendigkeitsprüfung in den GGOText (vorher nur als Anhang im Rahmen der „Blauen Prüffragen“) verbunden mit der Integration eines Prüfkataloges zur Beurteilung von Regulierungsalternativen (insbesondere der Frage, ob eine Aufgabenerledigung durch Private möglich ist).

Diese Aufzählung der Modifizierungen im Rahmen der GGO-Novellierung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche Textfragmente aus der alten GGO II in identischer Form oder nur mit marginalen Änderungen übernommen wurden, so dass in einigen Bereichen (z.B. Darstellung der Ziele, der Aufgliederung der Kostenfolgen nach Gebietskörperschaften, der Preiswirkungen, der Auswirkungen auf die Wirtschaft) kaum Unterschiede zwischen der novellierten und der alten GGO bestanden. Die Vorschriften zur Gliederung des Gesetzesvorblattes wurden im Rahmen der Novellierung nur geringfügig modifiziert. So ersetzte man den Gliederungspunkt A „Zielsetzung“ durch „Problem und Ziel“. Außerdem wurde unter Gliederungspunkt D der Begriff „Kosten“ durch das neutralere „finanzielle Auswirkungen“ ersetzt. Neu eingeführt wurde zudem, dass die finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte bereits auf dem Vorblatt nach den Gebietskörperschaften Bund, Ländern und Kommunen aufgegliedert werden müssen (siehe Tab. 3). Sechs Jahre nach der GGO-Novellierung wurde das Gesetzesvorblatt im Zuge der Einführung der Bürokratiekostenmessung mit dem SKM zudem um den Gliederungspunkt F „Bürokratiekosten“ erweitert (GGOÄnderung vom 1.12.2006103). Im Vergleich zu den anderen Vorgaben zur Gliede103 Der § 44 GGO wurde um die Anforderung erweitert, dass die „Bundesministerien (…) die Bürokratiekosten im Sinne des § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates ermitteln und darstellen [müssen]“.

149

rung des Vorblattes ist Punkt F stark ausdifferenziert. So muss angegeben werden, wie viele Informationspflichten für Unternehmen, Bürger/innen und die Verwaltung eingeführt, vereinfacht und/oder abgeschafft werden, wie viele Unternehmen bzw. welche Kreise davon betroffen sind, in welcher Periodizität die Informationspflichten anfallen sowie welche Mehrkosten und/oder Kostenreduzierungen erwartet werden (Tab. 3). Tabelle 3: Gliederung des Vorblattes (GGO II und novellierte GGO) Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Besonderer Teil (GGO II); Stand: 1999 A. Zielsetzung B. Lösung C. Alternativen D. Kosten der öffentlichen Haushalte, differenziert nach Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand und Vollzugsaufwand

E. Sonstige Kosten (z.B. Kosten für die Wirtschaft, Kosten für soziale Sicherungssysteme)

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung (Stand: 31.12.2006) A. Problem und Ziel B. Lösung C. Alternativen D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, getrennt für Bund, Länder und Kommunen, differenziert nach Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand und Vollzugsaufwand E. Sonstige Kosten (z.B. Kosten für die Wirtschaft, Kosten für soziale Sicherungssysteme, Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau) F. Bürokratiekosten (seit 1.12.2006) Es werden Informationspflichten für a) Unternehmen, b) Bürgerinnen und Bürger und c) die Verwaltung eingeführt/vereinfacht/abgeschafft Anzahl: betroffene Unternehmen/Kreise: Häufigkeit/Periodizität: erwartete Mehrkosten: erwartete Kostenreduzierung:

Tabelle 4 gibt einen Überblick zu den Vorschriften zur Folgenabschätzung in der novellierten GGO, inklusive der Änderungen des Jahres 2006 zur Bürokratiekostenmessung, und den daraus abgeleiteten Prüfkriterien für die empirische Untersuchung von Gesetzesvorblättern und -begründungen. Darüber hinaus wurden einige weitere Variablen zur Strukturierung der Untersuchungsgesamtheit erhoben (Datum des Gesetzentwurfes, federführendes Ministerium, Seiten150

anzahl, Art des Gesetzes, Rolle der EU).104 Ausgeklammert wurden Regelungen zur rechtstechnischen Prüfung der Entwürfe, zur Darstellung eventuell vorgenommener Rechtsvereinfachungen sowie Vorschriften zur sprachlichen Verständlichkeit und redaktionellen Prüfung, da diese Aspekte zwar im weiteren Sinne zur ‚besseren Rechtsetzung’ gehören, im engeren Sinne aber keine Anforderungen zur Darstellung von Gesetzesfolgen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beinhalten und für die Fragestellung dieser Forschungsarbeit insofern keine zentrale Rolle spielen. Obwohl in den §§ 42 bis 45 GGO ausschließlich von Gesetzentwürfen die Rede ist, gelten die Vorschriften der GGO zur Darstellung von Gesetzesfolgen nach § 62 Abs. 2 GGO in gleichem Maße für Rechtsverordnungen und (unter bestimmten Bedingungen) für allgemeine Verwaltungsvorschriften. Bei Rechtsverordnungen ist die Durchführung einer Folgenabschätzung nach § 44 GGO nur dann nicht erforderlich, wenn keine anderen Folgen, als die bereits in der jeweiligen Gesetzesbegründung dargestellten, zu erwarten sind. In einem solchen Fall ist in der Begründung des Entwurfes der Rechtsverordnung auf die bereits erfolgte Darstellung in der Gesetzesbegründung zu verweisen. Für Verwaltungsvorschriften kommen die GGO-Regelungen zur Folgenabschätzung nach § 70 Abs. 1 GGO nur dann zur Anwendung, wenn der Entwurf nicht ohne Weiteres aus sich heraus verständlich ist oder wenn eine Folgenabschätzung aus anderen Gründen sachdienlich ist. Die GGO hält in § 69 Abs. 3 fest, dass auf die Verringerung und Vereinfachung bestehender Vorschriften hinzuwirken und dass die Notwendigkeit neuer Verwaltungsvorschriften zu begründen sei. Außerdem sind nach § 70 Abs. 2 GGO Angaben über die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte zur Vorlage an das Kabinett oder den Bundesrat beizufügen, wenn und soweit sie nicht schon im Rahmen der Begründung eines Gesetzes oder einer Verordnung gemacht wurden.

104 Ein allgemeines Prüfkriterium „Gesetzesfolgen“ wurde nicht erhoben, da eine intersubjektiv nachprüfbare Operationalisierung dieser Variable sehr schwierig ist. Verwiesen wird deshalb auf die Darstellung konkreter Gesetzesfolgen in bestimmten Bereichen sowie auf die qualitative Analyse einzelner Gesetzentwürfe (Kap. 3.5).

151

Tabelle 4: GGO-Quelle und Prüfkriterien Bereich

GGO (Stand: März 2008)

Prüfkriterium für die empirische Erhebung

Zieldefinition

§ 43 Abs. 1 (1) Anlage 5 zu § 42 Abs. 1 § 43 Abs. 1 (3) (4) § 44 Abs. 2 und 3

ĸ Zieldefinition

Alternativen Bund, Länder, Gemeinden

ĸ Alternativen ĸ Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (HoV)

ĸ Nachvollziehbarkeit der HoV ĸ Aufgliederung HoV nach Gebietskörperschaften

ĸ Vollzugsaufwand ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zum Vollzugsaufwand

ĸ Aufgliederung Vollzugsaufwand nach Gebietskörperschaften Sonstige Kosten

§ 44 Abs. 4

ĸ Kosten für die Wirtschaft ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Kosten für die Wirtschaft

ĸ Auswirkungen auf Einzelpreise ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Auswirkungen auf Einzelpreise

ĸ Auswirkungen auf Preisniveau und Verbraucher

ĸ Nachvollziehbarkeit der Angaben zu den Gleichstellung

§ 42 Abs. 5

Befristung

§ 43 Abs. 1

Evaluation Bürokratiekosten (ab 1.12.2006)

§ 44 Abs. 6 § 42 Abs. 1 § 44 Abs. 5 § 45 Abs. 1

152

Auswirkungen auf Preisniveau und Verbraucher ĸ Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung ĸ Aussage zu einer möglichen Befristung des Gesetzentwurfes ĸ ex post Evaluation ĸ Vorhandensein der Kategorie F (Bürokratiekosten) auf dem Vorblatt ĸ Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und Verwaltung ĸ Berechnungsgrundlage SKM ĸ Stellungnahme NKR

3.2.2 Stand der empirischen Forschung Im Folgenden wird ein Überblick über existierende wissenschaftliche Studien sowie über Berichte von Institutionen aus Politik und Verwaltung gegeben, die sich mit Fragen der Implementation von Folgenabschätzungen in der bundesdeutschen Ministerialverwaltung beschäftigen. Die Übersicht beschränkt sich auf empirische Studien oder Berichte, die nach der GGO-Änderung im Jahr 2000 erschienen sind: D

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DEBR-Studie: Im Auftrag der DEBR-Gruppe (Directors and Experts of Better Regulation), einem Gremium der EU bestehend aus Experten der Nationalstaaten im Bereich ‚bessere Rechtsetzung’, führte das italienische Institut Formez (Centro di Formazione Studi) 2003-04 eine Studie zur GFA-Praxis in zehn EU-Staaten, unter anderem in Deutschland, durch. Methodische Basis war ein von administrativen Experten ausgefüllter Fragebogen zum nationalen GFA-System verbunden mit Beispielen für eine GFA. Die Länderstudien gingen jedoch kaum über die formalrechtliche Ebene hinaus und lieferten insofern wenig Input zur Bewertung der Implementation der GFA in Deutschland. Grundsätzlich wurde eingeschätzt, dass die Implementation aufgrund der kurzen Zeitspanne seit der Einführung der GFA noch nicht weit fortgeschritten sei (DEBR 2004). Bundesrechnungshof: Im Jahr 2004 führte der Bundesrechnungshof eine stichprobenartige Untersuchung von 25 Gesetzgebungsvorhaben im Hinblick auf die Beachtung der GGO-Anforderungen zur GFA durch. Er stellte fest, dass ein großer Teil der untersuchten Gesetzesmaterialien die Kriterien der GGO nur unzureichend berücksichtige (BT-Drs. 15/4200: 106), dass Zahlen zu Gesetzesauswirkungen häufig nicht begründet werden konnten und dass unbeabsichtigte Nebenwirkungen bei der Begründung der Gesetzesvorlagen keine größere Aufmerksamkeit fanden. Im Hinblick auf die Umsetzung der GFA durch die Ministerialbeamten kritisierte der Rechnungshof vor allem das mangelnde Bewusstsein für den Nutzen des Instrumentes, die zu geringen Ressourcen für eine fundierte Folgenanalyse sowie das Fehlen praxisorientierter Hilfsmittel. Der Rechnungshof wies zudem darauf hin, dass Termindruck und bindende politische Zielsetzungen nicht selten die Durchführung einer den Vorgaben entsprechenden GFA verhindern würden (BT-Drs. 15/4200: 104ff). 153

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OECD: Eine 2004 durchgeführte Evaluation der OECD zur Regulierungsreform in Deutschland kritisierte in Bezug auf die GFA eine „erhebliche Umsetzungslücke“ (OECD 2004a: 19), wobei einschränkend zu erwähnen ist, dass diese Bewertung sich vor allem auf Expertenmeinungen stützte und keine belastbare empirische Grundlage hatte. Die OECD konstatierte eine geringe Anwendung der GFA und gab umfangreiche Empfehlungen zur verbesserten Integration des Verfahrens in den Rechtsetzungsprozess (OECD 2004a: 80ff). MATISSE: Im Rahmen des von der Europäischen Kommission 20052008 geförderten Projektes MATISSE (kurz für: Methods and Tools for Integrated Sustainibility Assessment) setzte sich eine internationale Forschergruppe unter anderem mit der Anwendung von integrierten Nachhaltigkeitsbewertungen (Integrated Sustainability Assessment = ISA)105 im Politikformulierungsprozess auseinander. Zur Evaluation der Praxis der Nachhaltigkeitsbewertung auf Bundesebene in Deutschland wurden Fallstudien zu sieben Gesetzgebungsvorhaben durchgeführt. Eine wesentliche Erkenntnis aus diesen Fallstudien ist, dass die GFA vom federführenden Ministerium häufig als eine Formalität betrachtet wird, während Folgenabschätzungen in der Praxis als fragmentierte Einzelanalysen verschiedener betroffener Ministerien erfolgen und in Art und Tiefe je nach Regelungsvorhaben erheblich variieren: „Often, a considerable range of impacts will be analysed, but mostly from cognate ministries rather than the lead ministry. The results of these fragmented analysis processes are not brought together in an overall assessment, but negotiated politically during the extensive interministerial coordination process.” (Hertin et al. 2007: 12). Die Publikationen des MATISSE-Projektes betonen darüber hinaus, dass Gutachten und Studien über zu erwartende Gesetzesfolgen in Deutschland vor allem als politische Munition im regierungsinternen ‚Häuserkampf’ (dem kon-

105 Der Begriff der integrierten Nachhaltigkeitsbewertung wird weiter definiert als die GFA: „(...) Integrated Sustainability Assessment (ISA) has been defined as a cyclical, participatory process of scoping, envisioning, experimenting, and learning through which a shared interpretation of sustainability (...) is developed and applied in an integrated manner, in order to explore solutions to persistent problems of unsustainable development. ISA is conceptualised as a complement to other forms of sustainability assessment, such as Sustainability Impact Assessment, Integrated Assessment and Regulatory Impact Assessment. Whereas these other forms of assessment fulfil the pragmatic need for ex ante screening of incremental sectoral policies that are developed within the prevailing policy regime, ISA is conceptualised as a support to longerterm and more strategic policy processes (Hertin et al. 2007: 3).

154

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fliktären Prozess der Entscheidungsfindung zwischen den verschiedenen Fachministerien) benutzt werden und dass die Praxis von Folgenabschätzungen und anderen Verfahren der ex ante Evaluation von Politikentwürfen in Deutschland durch mangelnde Transparenz und einen hohen Grad an Informalität gekennzeichnet ist. ENBR: Bei diesem von der Europäischen Kommission 2006-2008 finanzierten Projekt (ENBR steht für European Network for Better Regulation) handelte es sich um Aktivitäten zur Etablierung eines europäischen Netzwerks mit 18 Partnerinstitutionen. ENBR verfolgte das Ziel, den Grad und die Art und Weise der Implementation von Verfahren zur Folgenabschätzung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu verbessern. Zu diesem Zweck wurde eine Datenbank mit Beispielen für Folgenabschätzungen aus den verschiedenen Ländern eingerichtet. Darüber hinaus war die Publikation jährlicher Fortschrittsberichte über den Stand der Implementation von Folgenabschätzungen in den EU-Mitgliedsstaaten geplant, dies wurde aber nicht umgesetzt. EVIA: Im Rahmen des von der Europäischen Kommission finanzierten EVIA-Projektes (Evaluating Integrated Impact Assessments) wurde die bisher umfangreichste Evaluation der nationalen Systeme zur Folgenabschätzung in der Europäischen Union durchgeführt. Dies beinhaltete eine Analyse der formalen Regelungen und institutionellen Verankerung von RIAs für 27 EU-Mitgliedsstaaten und die EU, eine Durchführung von 22 konkreten Fallstudien in vier Ländern (Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Polen) und auf EU-Ebene und eine Befragung von Ministerialbeamten und Stakeholdern in drei Ländern (BRD, Großbritannien, Niederlande) und auf EU-Ebene. Eine über die Formalebene hinausgehende Implementationsstudie von GFA oder SKM in Deutschland wurde im Rahmen des Projektes nicht durchgeführt. Die Fragebogenerhebung unter deutschen Ministerialbeamten zeigte, dass Ministerialbeamte in Deutschland skeptischer als ihre Kollegen in den Niederlanden und Großbritannien sind, wenn es um die Bewertung des Nutzens von Quantifizierungen und Monetarisierungen im Rahmen von Folgenabschätzungen geht (Jacob et al. 2008: 8). Jahresberichte des NKR: In den Jahresberichten des NKR wird dargestellt, wie viele Gesetzes- und Verordnungsentwürfe durch den NKR geprüft wurden, wie sich die Anzahl der gültigen Informationspflichten in den geprüften Entwürfen entwickelt hat und wie sich die Gesamtbelastung mit Bürokratiekosten verändern würde, wenn im parlamentari155

schen Verfahren keine weiteren Änderungen der Entwürfe erfolgen (was de facto meist nicht zutrifft). Nicht dargestellt wird, ob der NKR tatsächlich alle Rechtsentwürfe der Ministerien erhalten hat und in welchem Ausmaß und in welcher Qualität die GGO-Vorschriften zur Darstellung von Bürokratiekosten umgesetzt werden. Zwar geben die Berichte einige ‚weiche’ Informationen zur Frage der Umsetzung in den Ressorts (z.B.: „gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“, NKR 2007: 6), deren Bedeutungsgehalt sicher zum Teil politischer Natur ist, eine tatsächliche Evaluation der Implementation findet im Rahmen der Berichte aber nicht statt. Betrachtet man das existierende empirische Material zur Frage der Implementation von Folgenabschätzungen in Deutschland, so fällt auf, dass es bisher keine umfassende und repräsentative empirische Untersuchung zur Umsetzung der GGO-Anforderungen gibt. Die vorhandenen wissenschaftlichen Studien beziehen ihre Erkenntnisse vorrangig aus einzelnen Fallbeispielen/-studien (DEBR, MATISSE) oder aus einer Analyse der Formalstruktur (DEBR, OECD, EVIA) verbunden mit Experteneinschätzungen (DEBR, OECD, ENBR, EVIA). Zudem besitzen alle Studien einen eindeutigen ‚Instrumentenfokus’ (in der Regel auf die GFA, meist im europäischen Vergleich) und gehen nicht von den rechtlich verankerten Vorschriften zur Folgenabschätzung im Gesetzgebungsprozess aus, sondern von einem normativen Ideal der GFA, gegen welches die Ländererfahrungen gespiegelt werden. Ein weiteres Defizit ist, dass keine der Untersuchungen in umfassender Weise auf die Erfüllung der einzelnen materiellen Anforderungen eingeht (außer Bundesrechnungshof, allerdings ist hier die Stichprobe viel zu klein), sondern man in der Beurteilung in der Regel auf einer allgemeinen Ebene der Bewertung der Folgenabschätzungspraxis verbleibt. Eine Selbstbeobachtung des politisch-administrativen Systems in Form von Evaluationen zur Folgenabschätzung fehlt. Ein Ausnahme bilden die seit 2007 jährlich publizierten Berichte des NKR zur Umsetzung der Bürokratiekostenmessung, die jedoch nur einen kleinen und sehr spezifischen Ausschnitt der GGO-Anforderungen beleuchten. Die genannten Lücken werden durch die vorliegende Arbeit geschlossen, indem auf breiter empirischer Basis ein inhaltlich umfassendes Bild der Umsetzung von Vorschriften zur Folgenabschätzung in der bundesdeutschen Ministerialverwaltung gezeichnet wird.

156

3.2.3 Empirische Analyse von Gesetzentwürfen der Jahre 1999, 2003 und 2006 Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und Regierungsfraktionen bezüglich der Erfüllung der in Kap. 3.2.1 erläuterten Prüfkriterien zur Folgenabschätzung dargestellt.

3.2.3.1 Merkmale der Untersuchungsgesamtheit Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Untersuchung um eine Vollerhebung aller Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sowie Gesetzentwürfe der Regierungsfraktionen (ohne Haushaltsgesetze) aus den Jahren 1999, 2003 und 2006.106 Insgesamt wurden 391 Gesetzesvorlagen analysiert (1999: 103; 2003: 136; 2006: 152). Die meisten Gesetzentwürfe stammten aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) und dem Bundesministerium der Justiz (BMJ). Diese beiden Ministerien stehen jeweils für rund 16% aller untersuchten Entwürfe. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) brachten im Untersuchungszeitraum nur sehr wenige Gesetzentwürfe in den Bundestag ein (Abb. 5). Da die Abgrenzung zwischen Änderungsgesetzen (Novellen) und neuen (Stamm-)Gesetzen in der Literatur umstritten ist (von Beyme 1997: 64)107, wurde auf eine Differenzierung dieser beiden Gesetzesarten verzichtet, wobei bekannt ist, dass ein Großteil der Gesetzgebung der Änderung bestehender Vorschriften dient und regelmäßig nur sehr wenige neue Stammgesetze verabschiedet werden. Unterschieden wurde lediglich zwischen Gesetzen, welche der Ratifikation oder der Umsetzung von internationalen Verträgen dienen (im Folgenden: Vertragsgesetze) und allen anderen Gesetzen (Änderungs- und Stammgesetze). Haushaltsgesetze wurden nicht in die Untersuchung einbezogen. Betrachtet man die drei Untersuchungszeiträume, so ist festzustellen, dass der Anteil der Vertragsgesetze 1999 am größten war (37%). 2003 waren 34% der untersuchten Vorlagen Vertragsgesetze und 2006 lag deren Anteil bei 28%. Differenziert nach den Ressorts zeigt sich, dass der Anteil der Vertragsgesetze beim 106 Quelle: Drucksachenbände des Deutschen Bundestages. 107 Während eine Kategorisierung als Änderungsgesetz bei Einzelnovellen unumstritten ist, sind Mantelgesetze und Ablösungsgesetze nicht immer eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen.

157

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) besonders groß ist (66%). Auch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) dienen überdurchschnittlich viele Gesetze der Ratifizierung von internationalen Verträgen (47%). Abb. 5: Ursprung der analysierten Gesetzentwürfe (BRD) BM Z BM Vg BM BF BM FSFJ BM W A BM W i AA BM AS BM G + BM GS BM ELV BM U BM I Andere BM VBS RegFrak BM J BM F

1 2 4 5 11 15 16 17 18 18 20 21 34 35 49 62 63 0

10

20

30

40

50

60

70

Anmerkungen: Angaben zu Gesetzentwürfen sind absolute Zahlen. In der Kategorie „Andere“ sind gemeinsame Gesetzentwürfe verschiedener Ministerien sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zusammengefasst.

Der Einfluss des EU-Rechts ist zwischen 1999 und 2006 angestiegen. Waren 1999 knapp 16% aller Entwürfe auf EU-Anforderungen zurückzuführen, betraf dies 2003 bereits 23% der Gesetzesvorlagen. 2006 lag der Anteil der EU-induzierten Gesetzentwürfe bei rund 30%. Diese Ergebnisse befinden sich vom Niveau her zwischen den Resultaten einer von Ulrich Karpen et al. im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) durchgeführten Studie, die den Anteil der durch EU-Recht beeinflussten Gesetze und Rechtsverordnungen im Zeitraum von Herbst 2005 bis zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause 2007 auf 26% datiert (Karpen et al. 2007) und den Berechnungen von Annette Elisabeth Töller, die für die 15. LP (2002–2005) des Deutschen Bundestages einen EU-Anteil an der Gesetzgebung von 34,6% ausmacht (Töller 2006). Die sich auf wenige Prozentpunkte belaufenden Differenzen zwischen den Untersu158

chungen von Karpen et al., Toeller und der vorliegenden Studie sind auf unterschiedliche Erhebungszeiträume, auf nicht deckungsgleiche Untersuchungsgesamtheiten sowie auf Differenzen in der Operationalisierung zurückzuführen. Der auf eine Äußerung des EU-Kommissionschefs Jacques Delors Ende der 1980er Jahre zurückgehende Mythos einer im Bereich von 80% liegenden Dominanz der EU für den nationalen Gesetzgeber, der später unter anderem durch eine Publikation des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog108 und durch eine Schätzung der Konrad-Adenauer-Stiftung genährt wurde109, wird durch diese Zahlen stark relativiert (Moravcsik/ Töller 2007). Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass bei den empirischen Untersuchungen weiche Mechanismen der Einflussnahme der EU (z.B. durch die Offene Methode der Koordinierung) nicht mit erhoben wurden. Töller und Moravcsik ziehen deshalb den Schluss, dass die tatsächliche Europäisierung der deutschen Gesetzgebung zwar über den genannten Zahlen liegt, aber mit Sicherheit auch deutlich unter dem Mythos der 80% (Moravcsik/Töller 2007). Je nach Politikbereich variierte der Anteil der EU-induzierten Entwürfe erheblich. Ein besonders starker Einfluss der EU zeigte sich bei den Gesetzentwürfen110 des BMU. Auch bei den Gesetzentwürfen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), des Gesundheitsministeriums (BMG) und des BMJ lag der EU-Einfluss etwas über dem Durchschnitt, während der EU-Einfluss beim BMF, beim BMVBS und beim BMI unterdurchschnittlich war. Am schwächsten war der Einfluss der EU bei den Entwürfen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Bei der Mehrzahl der untersuchten Gesetzentwürfe (59%) umfasste der Entwurfstext nur ein oder zwei Seiten. Lässt man die – meist einseitigen – Gesetzentwürfe außer Acht, bei denen es um die Ratifizierung internationaler Verträge geht (kurz: Vertragsgesetze), reduziert sich dieser Anteil jedoch erheblich: Von denjenigen Regelungsvorlagen, die keine Vertragsgesetze waren, beinhalteten 39% einen ein- bis zweiseitigen Gesetzestext. Im Vergleich der drei untersuchten Jahrgänge ist tendenziell ein Absinken des Anteils der ein- bis zweiseiti108 Der Direktor des Centrums für Europäische Politik in Freiburg, Lüder Gerken, und Roman Herzog behaupteten, dass 84% der deutschen Gesetze aus Brüssel stammen. Zur Berechnungsgrundlage siehe Plehwe 2007: 7. 109 Röhl (2006) schätzte den Anteil der auf EU-Recht zurückzuführenden Gesetzgebung in der BRD auf 70%. 110 Die Darstellung in diesem Absatz bezieht sich ausschließlich auf diejenigen Bundesministerien, die in den drei untersuchten Jahren mindestens zehn Gesetzentwürfe zu verantworten hatten. Alle anderen Ministerien wurden aus der Betrachtung der Verbindung zwischen Ministerium und EU-Einfluss aufgrund zu geringer Fallzahlen ausgeklammert.

159

gen Entwurfstexte festzustellen: Waren 1999 noch insgesamt 71% der Entwürfe maximal zwei Seiten lang, betraf dies 2003 60% und 2006 nur noch 50% der Entwürfe. Im Gegenzug nahm die Zahl der Entwürfe mit drei bis vier Seiten (1999: 13%; 2003: 14%; 2006: 18%) ebenso wie die der fünf- bis sechsseitigen Entwürfe (1999: 5%; 2003: 8%; 2006: 12%) zu. Auch der Anteil der Entwürfe mit mehr als elf Seiten war 2003 und 2006 größer als 1999 (Abb. 6). Abb. 6: Seitenanzahl der Gesetzestexte (BRD) 80

Gesetzentwürfe in %

70 60 50 40 30 20 10 0 1-2 Seiten

3-4 Seiten

5-6 Seiten

1999

7-8 Seiten

2003

9-10 Seiten Mehr als 10 Seiten

2006

Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe eines Jahres (inklusive Vertragsgesetze).

Der Rückgang der ein- bis zweiseitigen Entwürfe im Zeitverlauf lässt sich zum Teil mit dem sinkenden Anteil der meist nur wenig Gesetzestext umfassenden Vertragsgesetze erklären. Aber auch bei den übrigen Gesetzen ging der Anteil der sehr kurzen Entwurfstexte zwischen 1999 und 2006 stark zurück. Waren 1999 53% der Nicht-Vertragsgesetze nur ein bis zwei Seiten lang, so betraf dies 2003 nur noch 39% und 2006 33%. Insgesamt ist also für die drei Untersuchungsjahre im Zeitverlauf eine Tendenz hin zu längeren Gesetzestexten zu konstatieren. Die Darstellung der Gesetzesfolgen und anderer wichtiger Aspekte der besseren Rechtsetzung erfolgt im Vorblatt von Gesetzentwürfen und – meist in aus160

führlicherer Art und Weise – in den Gesetzesbegründungen. Betrachtet man die Seitenanzahl dieser Begründungen, so zeigen sich eine tendenzielle Zunahme des Umfangs der Gesetzesbegründungen im Zeitverlauf (siehe Abb. 7). Der Anteil derjenigen Gesetze, deren Begründung bis zu fünf Seiten umfasste, halbierte sich zwischen 1999 und 2006, während sich der Anteil der Gesetze mit einer sechs- bis zehnseitigen Begründung fast verdoppelte. Die durchschnittliche Gesetzesbegründung 1999 umfasste neun Seiten, während sie 2003 15 Seiten und 2006 13 Seiten lang war. Bei der Interpretation dieser Mittelwerte ist zu beachten, dass die hohe durchschnittliche Seitenzahl für 2003 durch mehrere „Ausreißer“ mit ungewöhnlich langen Begründungsschreiben in diesem Jahrgang zustande kommt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Gesetzesbegründungen 2003 und 2006 im Vergleich zu 1999 deutlich länger waren. Abb. 7: Seitenanzahl der Gesetzesbegründungen (BRD) 70

Gesetzentwürfe in %

60 50 40 30 20 10 0 1-5 Seiten

6-10 Seiten 11-15 Seiten 16-20 Seiten 21-25 Seiten Mehr als 25 Seiten

1999

2003

2006

Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe eines Jahres (ohne Vertragsgesetze).

Für die Implementation von Folgenabschätzungen ist dabei besonders interessant, ob und inwieweit sich die Länge des „Allgemeinen Teils“ (AT) der Gesetzesbegründungen im Untersuchungszeitraum verändert hat. Festzustellen ist, dass sich der Anteil der nur eine Seite umfassenden Ausführungen im AT seit 1999 deutlich reduziert hat (1999: 40%; 2003: 29%; 2006: 23%), ebenso wie der 161

Anteil derjenigen Gesetze, in deren Begründung kein AT vorhanden ist, kleiner geworden ist (1999: 4%; 2003: 2%; 2006: 1%). Der Anteil der Gesetze, in welchen der AT zwei oder mehr Seiten umfasst, ist hingegen seit 1999 angestiegen (1999: 56%, 2003: 69%; 2006: 76%). Besonders viele ‚lange’ AT in den Gesetzesbegründungen gab es 2003: Während 1999 lediglich 3% der AT mehr als sieben Seiten hatten, waren es 2003 über 15% und 2006 knapp 6%. Vertragsgesetze, die der Ratifikation von internationalen Verträgen dienen, besitzen einen abweichenden formalen Aufbau. Statt der Gesetzesbegründung gibt es eine sogenannte „Begründung zum Vertragsgesetz“ sowie eine „Denkschrift“ zu dem jeweiligen Übereinkommen. Auch bei dieser Art von Gesetzen ist eine leichte Tendenz hin zu längeren Begründungen festzustellen. Während die „Begründung zum Vertrag“ 1999 noch in 100% der Fälle nur eine Seite umfasste, gab es 2003 und 2006 einige Entwürfe von Vertragsgesetzen mit zweioder dreiseitigen Begründungen (2003: 15%; 2006: 10%). Betrachtet man die Denkschriften, fällt auf, dass 1999 noch 29% aller Vertragsgesetze eine einseitige Denkschrift aufwiesen, während dies 2006 nur noch bei 5% der Fall war. Im Durchschnitt waren die Denkschriften 1999 zweieinhalb Seiten lang, 2003 und 2006 hingegen vier Seiten lang. Fasst man die auf den letzten Seiten vorgestellten Merkmale der Untersuchungsgesamtheit in den drei Jahren 1999, 2003 und 2006 zusammen, so fällt auf, dass die Gesetzestexte im Zeitverlauf länger geworden sind, ebenso wie der Umfang der Begründungsschreiben zugenommen hat. Diese Ergebnisse könnten als Indizien für eine wachsende Verrechtlichung und als Reaktion auf die zunehmende Komplexität der Regelungsmaterien gewertet werden. Dass solche Interpretationen ohne das Betrachten einer längeren, empirisch fundierten Zeitreihe nicht vorschnell vorgenommen werden sollten, zeigt das Beispiel der Anzahl der Gesetzesvorlagen in den drei untersuchten Jahren. Während 1999 insgesamt 105 Gesetzentwürfe der Regierung/Regierungsfraktion in den Bundestag eingebracht wurden, waren es 2006 fast 50% mehr (152). Wie in Kapitel 2.1.1 empirisch belegt wird, wäre die auf den ersten Blick nahe liegende Interpretation, dass die Gesetzgebungstätigkeit immer mehr zunimmt, nicht richtig. Die Anzahl der verabschiedeten Gesetze ist in den letzten 60 Jahren relativ konstant geblieben, ein ‚Aufwärtstrend’ bezüglich der pro Legislaturperiode verabschiedeten Gesetzentwürfe ist nicht zu verzeichnen. Inwiefern die Gesetzestexte und deren Begründungen im Zeitverlauf länger geworden sind, bedarf also weitergehender Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden können und sollen. Festzuhalten ist jedoch, dass im Hinblick auf die hier betrachteten drei Untersuchungszeiträume die Länge der Gesetzestexte und -begründun162

gen im Zeitverlauf zugenommen hat, ebenso wie der Einfluss der EU größer geworden ist. Ob die zunehmende Länge der Gesetzesbegründungen auch bedeutet, dass Gesetzesfolgen 2003 und 2006 besser und ausführlicher dargestellt wurden als 1999, ist im nächsten Abschnitt zu klären.

3.2.3.2 Zieldefinition und Alternativen Eine Zieldefinition war in den Gesetzesvorblättern und -begründungen aller untersuchten Entwürfe zu finden. Der Grad der Detailliertheit dieser Zielbeschreibung war jedoch sehr unterschiedlich und reichte von allgemeinen und nicht näher erklärten Oberzielen wie beispielsweise „Förderung der deutschen Wirtschaft“ (BT-Drs. 16/637) zu ausführlicheren Problem- und Zielbeschreibungen. Dass die Anforderung, eine Aussage über die Ziele des Gesetzentwurfes zu tätigen, formal immer erfüllt wurde, ist angesichts der Tatsache, dass eine Zielbeschreibung den ersten Gliederungspunkt auf dem Gesetzesvorblatt bildet (Herstellung von Transparenz), wenig verwunderlich. Die Anreize, sich zu diesem Punkt zu äußern, sind somit sehr hoch. Die Motivation, sich tatsächlich intensiver mit Zielfragen auseinander zu setzen, wird von dieser Maßnahme hingegen kaum beeinflusst. Es ist eine bekannte und in der Wissenschaft weit akzeptierte Erkenntnis der Steuerungsdebatte und der Policy-Forschung, dass die Beschreibung konkreter Steuerungsziele im politischen Prozess nicht selten sogar kontraproduktiv ist, da eine solche die Durchsetzungschancen eines Entwurfes vermindern kann. Ziele nicht oder nur unpräzise zu beschreiben, kann im politischen Entscheidungsprozess dazu dienen, Gesetzentwürfe mehrheitsfähig zu machen, indem Zielkonflikte in die Implementationsphase verschoben werden. Ziele werden deshalb oft so beschrieben, dass sie verschieden interpretierbar und möglichst konsensfähig sind. Die Auswertung der im Gesetzesvorblatt angegebenen Anzahl von Alternativen kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der GGO-Novellierung im Jahr 2000 und der damit verbundenen stärkeren Gewichtung der Alternativen-Darstellung (Prüfkatalog zur Feststellung von Selbstregulierungsmöglichkeiten in Anlage 7 der GGO) die Zahl der Fälle, in denen die Frage nach Alternativen schlicht mit „keine“ beantwortet wurde, in den letzten Jahren angestiegen ist. Bereits 1999 war es so, dass ein sehr großer Anteil der Gesetzentwürfe (86%) die Aussage enthielt, dass keine Alternativen bestünden. 2003 betraf dies 90% der untersuchten Entwürfe und 2006 betrug der Anteil dieser Kategorie sogar 94%. Eine Al-

163

ternative wurde 1999 in jedem zehnten Gesetzentwurf angegeben, 2003 nur noch in jedem zwölften und 2006 in jedem zwanzigsten Entwurf. Die Angabe von zwei oder drei Alternativen war schon 1999 mit 3,9% sehr gering. 2003 lag der Anteil dieser Kategorie bei 1,5% und 2006 bei 0,7%. Betrachtet man die Verteilung der Alternativen-Angaben auf die einzelnen Ministerien, fällt auf, dass eine oder mehrere Alternativen am häufigsten bei den Entwürfen der Regierungsfraktion angegeben wurden (22% der Fraktionsentwürfe gaben mindestens eine Alternative an). Von den Regierungsentwürfen waren die Gesetzesvorlagen des BMAS111 (15%), des BMI und des BMVBS (je 14%) diejenigen, in denen am häufigsten eine oder mehrere Regelungsalternativen genannt wurden. Das BMJ gab in 6% der Fälle mindestens eine alternative Regelungsoption an, das BMF in 5% und das Wirtschaftsministerium (BMWi)112 in 4% seiner Entwürfe. Sieben Ministerien (AA, BMBF, BMELV, BMFSFJ, BMU, BMVg, BMZ) beantworteten die Fragen nach Alternativen im Gesetzesvorblatt bei allen untersuchten Entwürfen (in allen drei Untersuchungsjahren) mit „keine“, wobei einschränkend erwähnt werden muss, dass es sich bei diesen Ministerien – abgesehen vom BMELV und vom BMU – um Ministerien mit sehr geringer Gesetzgebungsaktivität handelt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Gesetzentwürfe der untersuchten Jahre, trotz gewisser Unterschiede zwischen den Ressorts, nur sehr selten alternative Regelungsmöglichkeiten erwähnten.

3.2.3.3 Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte Für die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte (ohne Vollzugsaufwand) ergibt sich ein differenziertes Bild (Abb. 8). Auf hohem Niveau befindet sich der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, für die angegeben wurde, dass sie „keine Auswirkungen“ auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte hätten (1999: 54,4%; 2003: 58,5%; 2006: 53,9%). Im Zeitverlauf fallen zwei Tendenzen auf: Zum einen wurde nach der GGO-Novellierung deutlich seltener als vorher überhaupt keine Aussage zu den Haushaltsauswirkungen getätigt (2003: 0,7%; 2006: 1,3%; zum Vergleich 1999: 5,8%). Zum anderen ist der Anteil derjenigen Entwürfe, in denen zumindest eine partielle Quantifizierung der Kostenfolgen durchgeführt wurde, in den letzten Jahren größer geworden (1999: 19,4%; 2003: 23,7%; 2006: 25%). 111 Inklusive BMWA-Entwürfe, die sich auf Arbeitsmarktfragen beziehen. 112 Wegen der wechselnden Ressortzuschnitte ohne 2003.

164

Abb. 8: Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (BRD, alle Gesetzentwürfe) 65 60 55

Gesetzentwürfe in %

50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage

keine Auswirkungen

qualitative Aussage

1999

2003

monetäre Aussage

tatsächliche Erfüllung

2006

Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.

Um herauszufinden, inwieweit die Haushaltsauswirkungen tatsächlich überprüft wurden, ist es sinnvoll, zu analysieren, wie häufig die Aussage „keine Haushaltsauswirkungen“ mit einer substantiellen Begründung versehen war. Addiert man zum prozentualen Anteil derjenigen Entwürfe, die gar keine Aussage zu den Haushaltsauswirkungen enthielten, die Entwürfe dazu, für welche angegeben wurde, dass sie „keine Auswirkungen“ hätten, ohne dass dies näher begründet wurde, dann erhält man den Anteil der Entwürfe, für welche eine ‚rein formale Anpassung’ konstatiert werden kann. Insgesamt ist der Grad der ‚rein formalen Anpassung’ seit 1999 gesunken bzw. positiv ausgedrückt: Die ‚tatsächliche Erfüllung’ der Verpflichtung zu Beschreibung von Haushaltsauswirkungen ist in den letzten Jahren um zehn Prozentpunkte gestiegen (Abb. 8, letzte Kategorie). Unter ‚tatsächlicher Erfüllung’ wird eine fundierte inhaltliche Prüfung der Haushaltsauswirkungen verstanden, die sich in der Gesetzesvorlage in Form

165

von mit einer Begründung versehenen Aussagen niederschlägt. ‚Tatsächliche Erfüllung’ heißt also, dass entweder eine qualitative oder monetäre Beschreibung der Haushaltsauswirkungen zu finden war oder dass die Aussage, dass „keine Auswirkungen“ entstünden, nachvollziehbar begründet wurde. Die Zunahme der ‚tatsächlichen Erfüllung’ beim Prüfkriterium Haushaltsauswirkungen im Zeitverlauf lässt sich allerdings nicht mehr beobachten, wenn man die Stichprobe ohne Vertragsgesetze analysiert. Der Anteil der Vertragsgesetze hat sich, wie bereits dargestellt, seit 1999 deutlich reduziert, was Auswirkungen auf die Gesamtergebnisse haben kann, wenn man davon ausgeht, dass bei Vertragsgesetzen besonders selten Angaben zu den Haushaltsauswirkungen getätigt werden. Betrachtet man ausschließlich die Stamm- und Änderungsgesetze (ohne Vertragsgesetze), dann ergibt sich ein von der Untersuchungsgesamtheit der jeweiligen Jahre abweichendes Bild. So bleiben zwar die anfangs beschriebenen Tendenzen erhalten (weniger Entwürfe ohne Aussage zu den Haushaltsauswirkungen, mehr Quantifizierungen), aber im Unterschied zu den in Abb. 8 dargestellten Resultaten zeigt sich, dass 1999 fast doppelt so viele Stamm- und Änderungsgesetze qualitative Beschreibungen der Haushaltsauswirkungen enthielten wie 2003. Damit einhergehend lässt sich für die Stammund Änderungsgesetze keine eindeutige Tendenz bezüglich der ‚tatsächlichen Erfüllung’ im Zeitverlauf feststellen (Abb. 9). Wie häufig die Frage nach den Haushaltsauswirkungen in den Gesetzentwürfen mit „keine Auswirkungen“ beantwortet wurde, variierte je nach Ministerium erheblich. In den Entwürfen des BMJ und des BMVBS wurde besonders häufig angegeben (71% bzw. 69%), dass „keine Haushaltsauswirkungen“ damit verbunden seien, während die Entwürfe des BMF besonders selten (30%) „keine Haushaltsauswirkungen“ implizierten. Die Unterschiede zwischen den Ministerien lassen sich zum Teil auf die verschiedenen Regelungsmaterien zurückführen. So ist einleuchtend, dass privatrechtliche Regelungen des BMJ häufig keine direkten Haushaltsauswirkungen mit sich bringen, während Regulierungen des BMF meist finanzielle Fragen unmittelbar tangieren. Monetäre Angaben zu den Haushaltsauswirkungen wurden besonders häufig vom BMF (41% monetäre Aussagen) und vom BMI (33% monetäre Aussagen) getätigt. Besonders selten fand eine Quantifizierung der finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte in den Gesetzentwürfen des BMELV (0%), des BMJ (3%) und des BMU (5%) statt.

166

Abb. 9: Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand (BRD, ohne Vertragsgesetze) 65 60 55

Gesetzentwürfe in %

50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage

keine Auswirkungen

qualitative Aussage

1999

2003

monetäre Aussage

tatsächliche Erfüllung

2006

Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Stamm- und Änderungsgesetze des jeweiligen Jahres (ohne Vertragsgesetze).

Laut § 44 Abs. 3 GGO müssen die Haushaltsauswirkungen von neuen Gesetzen für die Gebietskörperschaften einzeln aufgegliedert werden. Diese Vorschrift wurde in den untersuchten Jahrgängen zunehmend besser erfüllt. Während 1999 noch in 42% der Fälle keinerlei Aufschlüsselung nach Gebietskörperschaften erfolgte, betraf dies 2003 nur noch 38% und 2006 32% der Fälle. Eine komplette Aufgliederung der Haushaltsauswirkungen für alle drei staatlichen Ebenen (Bund, Länder und Gemeinden) erfolgte allerdings auch 2006 nur in 47% der Fälle (1999: 46%, 2003: 51%). Bei 21% der Gesetzentwürfe aus dem Jahr 2006 wurde die Aufschlüsselung nach Gebietskörperschaften aber immerhin teilweise vorgenommen, während der Anteil dieser Kategorie 1999 und 2003 nur jeweils 11% betrug.

167

Abb. 10: „Keine Haushaltsauswirkungen“ nach Entwurfsverfasser (BRD) BMF RegFrak BMWi

30 39 47 47

BMG + BMGS BMAS BMELV BMU AA BMI

47 48 50 50 52 64

BMWA BMVBS BMJ

69 71 0

20

40

60

80

100

Anmerkungen: Angaben in %. Für das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n < 10) keine Angaben gemacht. Das BMWA und das BMGS existierten in dieser Form nur im Untersuchungsjahr 2003. Das BMG, das BMAS und das BMWi existierten in den Untersuchungsjahren 1999 und 2006.

Ebenso wie für das Prüfkriterium ‚Haushaltsauswirkungen ohne Vollzugsaufwand’ lässt sich für die in Gesetzesvorblättern und -begründungen beschriebene Kategorie Vollzugsaufwand feststellen, dass der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, in welchen gar keine Aussage zu diesem Thema zu finden ist, seit 1999 deutlich gesunken ist (Abb. 11). So wurde 1999 noch in 28% der Fälle „keine Aussage“ zum Vollzugsaufwand gemacht. 2003 betraf dies nur noch 14% und 2006 11%. Auf hohem Niveau befand sich jedoch auch 2006 noch der Anteil der Gesetzentwürfe, für welche konstatiert wurde, dass sie „keinen Vollzugsaufwand“ verursachten. Tendenziell ist der Anteil derjenigen Gesetzentwürfe, in welchen der Vollzugsaufwand entweder beschrieben oder sogar berechnet wird, seit 1999 größer geworden. So wurde 1999 in 37% der Fälle der Vollzugsaufwand beschrieben oder quantifiziert, 2003 lag der Anteil bei 43% und 2006 fielen bereits 53% in diese Kategorie. Insgesamt ist die ‚tatsächliche Erfüllung’ (letzte Spalte der Abb. 11) der GGO-Verpflichtung, den Vollzugsaufwand von Gesetzen darzustellen, in den

168

letzten Jahren deutlich gestiegen. Dieser Anstieg lässt sich zum einen auf einen stark gesunkenen Anteil an Entwürfen ohne Aussage zum Vollzugsaufwand zurückführen, zum anderen spielt eine Rolle, dass die Angaben zum Vollzugsaufwand in jüngerer Zeit häufiger als früher mit einer substantiellen Begründung versehen waren. Anders als beim Prüfkriterium Haushaltsauswirkungen, verändert sich beim Vollzugsaufwand keine der dargestellten Tendenzen, wenn man die Häufigkeitsauswertungen nur für die Stamm- und Änderungsgesetze (= ohne Vertragsgesetze) durchführt. Die ‚tatsächliche Erfüllung’ befindet sich allerdings ohne Vertragsgesetze auf noch höherem Niveau: Während die ‚tatsächliche Erfüllung’ für die gesamte Untersuchungsmenge 1999 bei 42%, 2003 bei 48% und 2006 bei 67% lag (siehe Abb. 11, letzte Spalte), betrug sie ohne Vertragsgesetze 1999 52%, 2003 54% und 2006 71%. Abb. 11: Angaben zum Vollzugsaufwand (BRD) 70 65 60 55 Gesetzentwürfe in %

50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 keine Aussage

kein Vollzugsaufwand

qualitative Aussage

1999

2003

monetäre Aussage

tatsächliche Erfüllung

2006

Anmerkung: Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe des jeweiligen Jahres.

169

Betrachtet man die Verteilung der Aussagen zum Vollzugsaufwand auf die federführenden Ministerien113 ergibt sich ein differenziertes Bild (Abb. 12). Die Anforderung der GGO, dass eine Aussage zum Vollzugsaufwand neuer bzw. geänderter Gesetze erfolgen muss, wird in den Gesetzentwürfen des BMI, des BMELV und des BMU besonders gut erfüllt (vollständige Compliance, d.h. in allen untersuchten Gesetzentwürfen wird eine Aussage zum Vollzugsaufwand gemacht). Keine Aussage zum Vollzugsaufwand erfolgte am häufigsten in den Gesetzentwürfen der Regierungsfraktionen (37%), des BMF (29%) und des BMAS (24%). In absoluten Zahlen wurden monetäre Aussagen zum Vollzugsaufwand am häufigsten vom BMJ (sieben Gesetzentwürfe) getätigt, gefolgt vom BMI und vom BMF (jeweils fünf Gesetzentwürfe). Da die Gesamtzahl der untersuchten Gesetzentwürfe je Ministerium jedoch sehr unterschiedlich ist, sind die prozentualen Angaben aussagekräftiger. Prozentual gesehen ist der Anteil der Gesetzentwürfe mit einer monetären Aussage zu den Vollzugskosten beim BMF am größten (36%), gefolgt vom BMI (24%), vom BMG (22%) und vom BMJ (11%). Bei allen anderen Ministerien und auch bei den Gesetzentwürfen der Regierungsfraktion beträgt der Anteil der Gesetzesvorlagen, die monetäre Aussagen zum Vollzugsaufwand enthalten, weniger als 10%. Fasst man die beiden Kategorien ‚monetäre Aussage’ und ‚qualitative Aussage’ zusammen und betrachtet somit den Anteil der Gesetzentwürfe je Ministerium, welche den Vollzugsaufwand entweder in Worten oder mit Zahlen beschreiben, dann zeigt sich, dass das BMU (65%) und das BMWA (64%) hier ‚Spitzenreiter’ sind. Am Ende der Skala befinden sich das BMVBS (40%), das BMAS (35%) und das AA (25%). Gleichzeitig sind das auch diejenigen Ministerien, in deren Gesetzentwürfen am häufigsten entweder keine Aussage zum Vollzugsaufwand getätigt wurde oder konstatiert wurde, dass kein Vollzugsaufwand entstünde. Bei der Betrachtung der Aufschlüsselung des Vollzugsaufwands nach Gebietskörperschaften fällt auf, dass diese Anforderung in jüngerer Zeit seltener erfüllt wurde. So erfolgte 1999 in 26% der Fälle, in denen der Gesetzentwurf eine Aussage zum Vollzugsaufwand enthielt, keine Aufgliederung nach Gebietskörperschaften, 2003 betraf dies 32% und 2006 sogar 36%. Eine Aufschlüsselung für alle drei Ebenen wurde 1999 in 49% der Fälle durchgeführt, 2003 bei 42% und 2006 nur bei 31% der Gesetzentwürfe. 113 In die Analyse der Daten nach Ministerien wurden das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ aufgrund der geringen Fallzahlen (n  10) nicht mit einbezogen.

170

Gesetzentwürfe des jeweiligen M inisterium s in %

Abb. 12: Angaben zum Vollzugsaufwand nach Ministerien (BRD) 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 RegFrak BMF

keine Aussage

BMAS BMWi

AA

BMG + BMVBS BMWA BMGS

kein Vollzugsaufwand

qualitative Aussage

BMJ

BMU

BMI

BMELV

monetäre Aussage

Anmerkungen: Für das BMVg, das BMFSFJ, das BMBF und das BMZ wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n 50%) werden zudem die bisherigen Regelungen (rechtlicher Status Quo) im Rechtsentwurf beschrieben. Die Kostenfolgen von rechtlichen Regelungen ebenso wie die totalen Kosten für Unternehmen werden nach Einschätzung des NNR hingegen nur sehr selten dargestellt. Nur in 25% der Fälle findet eine zeitige Konsultation von Normadressaten (d.h. Konsultation vor Fertigstellung eines ausgearbeiteten Regelungsvorschlages) statt. Der Anteil der Entwürfe, für welche eine Simplex-Analyse durchgeführt wurde, hat sich in den letzten Jahren verringert, während die administrativen Lasten gestiegen sind. Ein besonders positiver Trend zeichnet sich laut NNR bei der Angabe der Anzahl der betroffenen Unternehmen ab: Enthielten 2002 nur 6% der Entwürfe derartige Zahlenangaben, waren es 2007 40%. Die NNR-Daten zeigen außerdem einen besonders hohen Anstieg 2007 beim ‚goldplating’, wobei der NNR zu diesem Punkt selbst eingesteht, dass die methodische Basis eigentlich keine Bewertung zulässt und der Anstieg darauf zurückzuführen ist, dass in den Regelungsentwürfen überhaupt dargestellt wurde, wie sie sich zum EU-Recht verhalten (denn das war das eigentliche Prüfkriterium, die Bezeichnung ‚goldplating’ ist insofern irreführend, NNR 2007: 8).

3.3.3 Empirische Analyse zur Darstellung von Gesetzesfolgen in Propositionen der schwedischen Regierung Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchung von Propositionen der schwedischen Regierung vorgestellt. Ziel ist die Generierung empirischer Erkenntnisse über den Grad der Implementation von Vorschriften zur Folgenabschätzung bei der Gesetzesvorbereitung im Bereich der Kanzlei der Ministerien.

205

3.3.3.1 Merkmale der Untersuchungsgesamtheit Es wurden 132 Propositionen der schwedischen Regierung aus dem Jahr 2006 ausgewertet, welche insgesamt 549 einzelne Gesetzentwürfe enthielten. Bei der Interpretation dieser Zahl muss beachtet werden, dass in Schweden – anders als in Deutschland – jede Änderung eines Gesetzes als eigenständiger Gesetzentwurf aufgeführt wird.127 In Deutschland hingegen ist es üblich, in einem Änderungsgesetz mehrere inhaltlich miteinander verbundene Änderungen verschiedener bestehender Gesetze zusammenzufassen. In Schweden erfolgt eine ähnlich geartete Zusammenfassung im Rahmen der Propositionen. Vergleicht man die Anzahl der schwedischen Propositionen des Jahres 2006 mit der Anzahl der Gesetzesvorlagen der deutschen Bundesregierung im selben Jahr, so sind die Unterschiede relativ gering (Schweden: 132 Propositionen, Deutschland: 154 Gesetzentwürfe der Bundesregierung). Die meisten Propositionen der Untersuchungsgesamtheit (Abb. 18) stammten aus der Feder des Justizministeriums (32%), gefolgt vom Finanzministerium (20%), vom Sozialministerium (14%), vom Wirtschaftsministerium (12%) und vom Umweltministerium (10%). Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur trug für 5% der Regierungsvorlagen die federführende Verantwortung. Landwirtschafts- und Außenministerium waren für jeweils 4% der Propositionen federführend verantwortlich. Das Schlusslicht bildete das Verteidigungsministerium (1%). Mehr als ein Drittel der untersuchten Propositionen (34%) enthielten Regelungen zur Umsetzung von EU-Recht. Bei der Interpretation dieser Angaben ist zu beachten, dass zwar einige Propositionen vollständig der Umsetzung von EU-Richtlinien oder der Anpassung an EU-Verordnungen dienten, andere jedoch nur einzelne Regelungen zur EU-Rechtsanpassung umfassten und gleichzeitig Regelungen nationalen Ursprungs enthielten. Von denjenigen Ministerien, die 2006 mehr als zehn Propositionen vorlegten, wiesen das Wirtschaftsministerium (50%), das Umweltministerium (46%) und das Finanzministerium (42%) einen besonders hohen Anteil EU-induzierter Entwürfe auf, während der EUEinfluss beim Justizministerium (24%) und beim Sozialministerium (17%) unterdurchschnittlich war. 127 36% der untersuchten Propositionen der schwedischen Regierung enthielten einen Gesetzes(änderungs)vorschlag, 18% enthielten zwei und 11% drei Gesetzentwürfe. 8% aller Regierungsvorlagen bestanden aus mehr als zehn einzelnen Gesetzentwürfen. Im Durchschnitt enthielten die untersuchten Propositionen vier Gesetzentwürfe.

206

Abbildung 18: Ursprung der analysierten Propositionen Umweltministerium

13

Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

7

Außenministerium

4

Sozialministerium

18

Wirtschaftsministerium

16

Justizministerium

42

Landwirtschaftsministerium

5

Verteidigungsministerium

1

Finanzministerium

26

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

Anmerkung: Angaben zur Anzahl der Propositionen sind absolute Zahlen.

Bei der Analyse der deutschen Gesetzentwürfe wurde erhoben, wie viele Seiten Gesetzestext in den Entwürfen enthalten waren. Eine solche Analyse ist für den schwedischen Fall jedoch nicht aussagekräftig, da Änderungsvorschläge grundsätzlich in einer Synopse dargestellt werden. Eine Vergleichbarkeit der Zahlen wäre somit nicht gegeben. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine Darstellung der Seitenanzahl der Entwurfstexte verzichtet. Eine gewisse Vergleichbarkeit besteht jedoch im Hinblick auf den Indikator „Seitenumfang der Gesetzesbegründungen“. In Abb. 19 ist dargestellt, wie sich der Seitenumfang der Gesetzesbegründungen auf die untersuchten Regierungsvorlagen verteilt. Die Begründungen der Propositionen in Schweden sind in der Regel sehr umfangreich. Fast die Hälfte aller Propositionsbegründungen des Jahres 2006 umfasste mehr als 40 Seiten, 20% waren sogar mehr als 80 Seiten lang. Der Mittelwert lag bei 54 Seiten. Hinzu kamen durchschnittlich 45 Seiten Anlagen, welche zusätzliche Informationen wie zum Beispiel ein Verzeichnis der Konsultationsinstanzen, frühere Regelungsentwürfe, Zusammenfassungen von Kommissionsberichten, Ergebnissen von Studien oder den Text von EU-Richtlinien enthielten. Insgesamt waren die Propositionen aus 2006 im Durchschnitt 115 Seiten lang.

207

Abb. 19: Seitenanzahl der Propositionsbegründungen 20 18 16 14

Pro p o sitio n en (%)

12 10 8 6 4 2 0 1-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 91S S S S S S S S S 100 S

> 100 S

Anmerkung: S=Seiten; Seitenangaben ohne Entwurfstext und ohne Anlagen.

Die meisten Propositionen (93%) enthielten in ihrem Inhaltsverzeichnis einen eigenständigen Gliederungspunkt zur Kostenfolgenabschätzung (unter dem Titel „Folgen“, „Folgenabschätzung“ oder „Ökonomische Folgen“), welcher Angaben zu den Kosten für den Staat und ggf. für die Wirtschaft enthielt. Anderen Folgenaspekten sowie möglichen Regelungsalternativen wurde im Rahmen der übrigen Gliederungspunkte im entsprechenden sachlichen Zusammenhang Aufmerksamkeit geschenkt. Der Textteil zum Gliederungspunkt Kostenfolgenabschätzung umfasste in der Regel nur wenige Seiten: Bei knapp zwei Dritteln aller Propositionen war er nur eine oder zwei Seiten lang. Nur bei 9% aller Propositionen umfasste der Gliederungspunkt zur Kostenfolgenabschätzung mehr als vier Seiten.

208

3.3.3.2 Art der Gesetzesvorbereitung und Konsultationen Eine schwedische Besonderheit ist die Vorbereitung von Gesetzentwürfen im Rahmen des Kommissionswesens (s.a. Kap. 2.2.3). In der vorliegenden empirischen Studie erfolgte die Vorbereitung der Regelungsentwürfe in 46% der Fälle mit Unterstützung einer oder mehrerer staatlicher Untersuchungskommissionen, für weitere 8% wurde die externe Erarbeitung einer Studie oder eines Berichtes in Auftrag gegeben. Häufig wurden solche Studien durch eine oder mehrere der zentralen Verwaltungsbehörden erstellt, welche im Gegensatz zu den Ministerien Implementationsaufgaben wahrnehmen und mehr direkten Kontakt mit den Regelungsadressaten haben. In fast 20% der Fälle beruhten die Propositionen auf mehreren vorbereitenden Studien und/oder den Gutachten von mehreren Kommissionen. In 46% der untersuchten Regierungsvorlagen enthielten die Propositionsunterlagen keine Hinweise auf vorbereitende Kommissionen oder Auftragsstudien/Berichte. Die durchschnittliche Arbeitszeit der zur Vorbereitung der 2006 in den Reichstag eingebrachten Propositionen eingesetzten Kommissionen betrug 21 Monate. Diese Zahl bestätigt die Angaben von Staffan Magnusson (2001) sowie von Kim Forss und Marie Uhrwing (2003: 45), welche die durchschnittliche Arbeitszeit der staatlichen Untersuchungskommissionen in Schweden auf zwei Jahre beziffern. Bei der Interpretation dieser Zeitangaben ist jedoch darauf zu achten, dass die Anzahl der Mitarbeiter im Kommissionswesen erheblich variieren kann. Auch die Komplexität des Regelungsfeldes und die Quantität der Kommissionsarbeitszeit stehen keineswegs in einem einfachen linearen Zusammenhang zueinander. Die Dauer der durch die Regierungsdirektiven vorgegebenen Arbeitszeit von Kommissionen hängt unter anderem davon ab, wie dringend ein politisches Problem angegangen werden muss. So arbeiteten zum Beispiel die beiden infolge der Terroranschläge am 11. September 2001 auf das World Trade Center eingesetzten Kommissionen nur jeweils 16 bzw. zwölf Monate an ihrem Gutachten (SOU 2003: 32 und SOU 2005: 70). Ähnlich verhält es sich bei neuen Technologien, deren Entwicklung in einem sehr schnellen Tempo vor sich geht und insofern relativ kurzfristige Regelungen erforderlich macht. Beispielsweise arbeitete die Kommission zur Untersuchung der Möglichkeiten der gemeinsamen Ausnutzung von Mobilfunkmasten durch verschiedene Anbieter nur neun Monate an ihrem Bericht (SOU 2005: 97). Im Gegensatz dazu tagte die Kommission zur Rentierhaltung 50 Monate lang (SOU 2001: 101). In Schweden ist es üblich, die von den Kommissionen vorgelegten Gutachten (Teil- und Schlussgutachten) zum Remiss auszusenden, d.h. einem für alle 209

interessierten Teilnehmer offenen, schriftlichen Konsultationsverfahren zu unterziehen. In der Regel wird eine Liste der Konsultationsteilnehmer den Propositionen als Anlage beigefügt. In der hier untersuchten Stichprobe betraf dies 91% der Fälle.128 In 9% der Fälle hingegen war aus den Propositionen heraus nicht ersichtlich, wer am Remiss-Verfahren zum Kommissionsgutachten teilgenommen hat. Die wichtigsten Ergebnisse des Remiss-Verfahrens in Bezug auf die zukünftige gesetzliche Regelung werden in Schweden normalerweise im Rahmen der Proposition dargestellt (2006: 92%129). Die Anmerkungen der RemissInstanzen werden dabei meist inhaltlich nach bestimmten Teilfragen strukturiert. Eine ausführliche Zusammenfassung der Remiss-Antworten existiert darüber hinaus üblicherweise in Form eines eigenständigen Dokumentes des federführenden Ministeriums, auf das in den Propositionen ebenfalls verwiesen wird. Der nächste Schritt des Gesetzgebungsverfahrens nach Abschluss des Remiss-Verfahrens zum Kommissionsbericht (bzw. nach Abschluss alternativer Verfahren zur Informationsbeschaffung, beispielsweise über externe Studien, Berichte der Verwaltungsbehörden oder Input durch andere gesellschaftliche oder politische Akteure) besteht in der Erstellung einer Proposition in der Kanzlei der Ministerien. Für 55% der Propositionen wurde angegeben, dass der oder die Gesetzentwürfe innerhalb des federführenden Ministeriums erarbeitet worden sind. In 3% der Fälle setzte man eine interministerielle Arbeitsgruppe ein. 42% der Propositionen des Jahres 2006 enthielten keine Aussage darüber, auf welche Art und Weise die verwaltungsinterne Gesetzesvorbereitung erfolgte. Die Daten zeigen, dass in zwei Drittel der Fälle, in denen die Propositionen durch Kommissionen, externe Studien oder Studien der zentralen Verwaltungsbehörden vorbereitet wurden, keine Angabe zur Gesetzesvorbereitung innerhalb der Kanzlei der Ministerien gemacht wurde. Es kann davon ausgegangen werden, dass in der Mehrzahl dieser Fälle die Gesetzentwürfe weitgehend von den Kommissionen oder aus den Gutachten der zentralen Verwaltungsbehörden übernommen wurden und kein stark davon abweichender, eigenständiger Referentenentwurf des Ministeriums erarbeitet wurde. Diese Resultate verdeutlichen, dass trotz des organisatorischen Zusammenschlusses der Fachministerien in der Kanzlei der Ministerien (siehe Kap. 2.2.1) die meisten Gesetzentwürfe federführend innerhalb eines Fachministeriums erarbeitet oder von Kommissionen/Be128 Die Prozentangabe bezieht sich auf die Gesamtzahl der Propositionen, zu deren Vorbereitung mindestens eine Kommission eingesetzt wurde. 129 Die übrigen 8% verteilen sich wie folgt: 5% keine Darstellung der Inhalte der Stellungnahmen der Konsultationsteilnehmer im Haupttext, aber Verweis auf die Zusammenfassung der Fachministerien; 3% keine Angabe zu den Inhalten der Remiss-Äußerungen.

210

hörden übernommen wurden, während fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppen zur Erarbeitung von Gesetzen die Ausnahme bildeten. Die innerhalb der Kanzlei der Ministerien erarbeiteten Gesetzentwürfe wurden meist einem schriftlichen Konsultationsverfahren (‚remiss’) unterzogen (89% der betreffenden Propositionen). Angaben über die Remiss-Teilnehmer waren entweder im Haupttext der Proposition (18%) oder in einer Anlage (80%) zu finden. Nur in Ausnahmefällen enthielten die Propositionen keine Angabe darüber, welche Akteure sich am Remiss-Verfahren beteiligt hatten (2%). Die Anmerkungen der Konsultierten wurden meist im Haupttext der Proposition wiedergegeben (90%). In den übrigen Fällen stellten die Propositionen keine Transparenz über die Aussagen der Konsultierten her (1% Verweis auf andere Veröffentlichungen, 9% keine Angabe zu Inhalten der Remiss-Stellungnahmen). Eine alternative oder ergänzende Möglichkeit zum schriftlichen Konsultationsverfahren ist es, betroffene Institutionen zu einem Konsultationstreffen (‚remissmöte’) einzuladen. Diese Variante der Konsultation wurde für zwölf Propositionen (9% der Untersuchungsgesamtheit) genutzt. In neun Fällen wurde das Konsultationstreffen dabei als ergänzendes Instrument zum schriftlichen Remiss-Verfahren benutzt. In drei Fällen fand ausschließlich ein Konsultationstreffen und kein schriftliches Verfahren statt. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Meinungen und Einschätzungen der von einem Gesetzentwurf betroffenen Behörden und Normadressaten auf informellem Wege einzuholen. Diese Art der Informationsbeschaffung als Ersatz für ein schriftliches Konsultationsverfahren oder ein Konsultationstreffen im Gesetzgebungsverfahren sollte laut Propositionshandbuch jedoch die Ausnahme bleiben (Ds. 1997: 1: 27). Die erhobenen Daten bestätigen, dass diese Anforderung in der Praxis erfüllt wird. Nur für 3% aller Propositionen wurde angegeben, dass die Informationsbeschaffung auf informellem Wege erfolgte und dass weder ein schriftliches Remiss-Verfahren noch ein Konsultationstreffen durchgeführt wurde. Insgesamt wurde für 10% aller Propositionen angegeben, dass Informationen auf informellem Wege beschafft wurden. Der informelle Weg wurde dabei in vielen Fällen, ergänzend zum formellen Konsultationsverfahren zur Klärung bestimmter Teilaspekte genutzt. Meist stellte der Propositionstext Transparenz darüber her, mit welchen Institutionen auf informellem Wege Informationen ausgetauscht wurden. In zwei Fällen wurde jedoch keine genaue Angabe dazu gemacht, wer auf informellem Wege konsultiert wurde. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist darauf zu achten, dass wahrscheinlich nicht in allen Fällen angegeben wurde, inwieweit informelle Wege bei der Informationsbeschaffung eine Rolle gespielt haben. 211

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zu den Inhalten von fast allen Propositionen (98%) mindestens eine formelle Konsultation stattgefunden hat, bevor diese in den Reichstag eingebracht wurden. Häufig hatten die betroffenen Parteien sogar an mehreren Stellen des Gesetzgebungsprozesses die Möglichkeit, ihre Ansichten einzubringen, da Remiss-Verfahren sowohl zu den Kommissionsberichten als auch zu möglichen Referentenentwürfen stattgefunden haben. In der Regel fanden die Konsultationen schriftlich statt und waren durch ein hohes Maß an Transparenz geprägt. So war meist gut nachvollziehbar, wer konsultiert wurde und welche Positionen und Anmerkungen von den Konsultationsinstanzen hervorgebracht wurden. Vor dem formellen Kabinettsbeschluss werden Vorschläge für Gesetzesänderungen oder für neue Rechtsnormen unter bestimmten, in Kap. 8 § 18 der schwedischen Verfassung (RF) festgelegten Bedingungen dem Gesetzgebungsrat zur rechtsförmlichen Prüfung sowie zur Stellungnahme zu Fragen der Zweckmäßigkeit und Umsetzung vorgelegt (s.a. Kap. 2.2.4). 82% der Propositionen des Jahres 2006 wurden dem Gesetzgebungsrat zur Stellungnahme unterbreitet. Weitere 14% der Propositionen enthielten die Angabe, dass eine Anhörung des Gesetzgebungsrates aufgrund der Beschaffenheit des Regelungsinhaltes nicht notwendig oder der Regelungsinhalt selbst von sehr geringer Relevanz sei. 4% der Propositionen beinhalteten keine Aussage zur Frage einer Anhörung des Gesetzgebungsrates.

3.3.3.3 Umsetzung der Anforderungen zur Folgenabschätzung Der Untersuchung der Propositionen in Bezug auf die Befolgung von Vorschriften zur Folgenabschätzung ist voranzustellen, dass der Darstellung möglicher ‚Folgen’ in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen sowie einer Abwägung des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen in den Propositionsentwürfen grundsätzlich ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Charakteristisch waren darüber hinaus eine relativ ausführliche Darstellung des Ist-Zustandes (Status Quo), eine Begründung des Regelungsbedarfes sowie das Vorhandensein komplexer Problem- und Zielbeschreibungen. Zu beachten ist, dass in der empirischen Analyse der Propositionen des Jahres 2006 nur diejenigen Elemente einer Folgenabschätzung erhoben wurden, welche in den einschlägigen Richtlinien, Handbüchern und Checklisten für die Kanzlei der Ministerien enthalten sind. Darüber hinaus gibt es bestimmte Folgenabschätzungselemente, welche sehr häufig geprüft wurden, die aber für die ministerielle Ebene nicht explizit vorge212

schrieben sind. Dazu gehören die potentiellen Auswirkungen des Regelungsvorschlages auf das Gerichtswesen und die Klagehäufigkeit, auf welche in vielen Propositionen eingegangen wird. Auch eine Beschreibung der Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter, auf integrationspolitische Ziele und auf die Kriminalität ist für die Erarbeitung von Gesetzentwürfen in der Kanzlei der Ministerien nicht direkt vorgeschrieben. Häufig werden diese Punkte aber in den Propositionen trotzdem erwähnt, da sie für das Kommissionswesen im Rahmen des Kommissionshandbuches (Ds. 2000: 1) als relevante Elemente einer Folgenabschätzung beschrieben werden. Grundsätzlich wird bei der Folgenbeschreibung weniger schematisch vorgegangen als in deutschen Gesetzesbegründungen, sondern es werden die im spezifischen Fall für relevant erachteten inhaltlichen Bereiche einer Folgenabschätzung unterzogen130, während nicht zutreffende Fragen nicht erörtert werden. Ein schematisches Abhaken von Anforderungen durch eine floskelhafte Beantwortung der Folgenfrage für bestimmte Bereiche ist in den schwedischen Propositionen deutlich seltener als in den deutschen Gesetzentwürfen zu finden. Ebenso wie die deutschen Gesetzentwürfe wurden die schwedischen Propositionen des Jahres 2006 daraufhin überprüft, ob Alternativen zur vorgeschlagenen Regelungsoption bzw. zu bestimmten Regelungsaspekten im Rahmen der Gesetzesvorbereitung betrachtet und im Begründungstext zur Proposition dargestellt wurden. Es zeigte sich, dass in 94% der Fälle Alternativen betrachtet wurden und nur in 6% der Fälle im Propositionstext keine Alternativen angegeben waren. Häufig stammten alternative Vorschläge aus den Reihen der Konsultationsinstanzen, zum Teil stellten aber auch die Entwurfsverfasser die Vor- und Nachteile verschiedener alternativer Regelungsoptionen von sich aus ausführlich dar. Die Vorschläge von Konsultationsteilnehmern wurden im Propositionstext zum Teil lediglich erwähnt, meist war es aber so, dass im Anschluss dargestellt wurde, warum dieser Vorschlag von der Regierung aufgegriffen wurde oder warum dies nicht der Fall war. Eine explizite Prüfung der Nullalternative fand meist nicht statt. Es wurde jedoch in der Regel umfangreich dargelegt, wie die derzeitige rechtliche Regelung aussieht und welche Probleme aufgetreten sind. Dieses Vorgehen kommt einer Nullalternativenprüfung sehr nahe. Ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung über neue Regulierungen ist die Frage, mit welchen Kosten für die öffentliche Hand und mit wie viel Vollzugsaufwand diese verbunden sein werden. Die Analyse der Propositionen aus 2006 130 Beispielsweise wurde zu einer der untersuchten Propositionen eine Kinderfolgenabschätzung, d.h. eine Abschätzung der Auswirkungen des Entwurfes auf Kinder und deren Lebensverhältnisse durchgeführt.

213

ergab, dass die Kostenfolgen, welche aufgrund der geplanten Gesetzentwürfe für die öffentliche Hand entstehen, bei fast jedem zweiten Entwurf (49%) qualitativ beschrieben wurden. Reichlich ein Viertel der Propositionen (26%) enthielt darüber hinaus quantitative Angaben zu den finanziellen Auswirkungen für den Staat. 11% der Propositionen beinhalteten keine Aussage zu den Kostenfolgen für den Staat und für 14% der Entwürfe wurde angegeben, dass die geplanten Regelungseingriffe keine finanziellen Auswirkungen auf das Staatsbudget hätten. Zeitliche Aspekte spielten bei der Kostenkalkulation in vielen Fällen keine Rolle: So wurde der Verpflichtung, die Folgenabschätzung längerfristig anzulegen (PM 1995: 2, Frage 6.1), lediglich in einem Drittel der Entwürfe (33,6%) nachgekommen, während bei den übrigen zwei Dritteln keine längerfristige Kalkulation der Kostenfolgen für den Staat erfolgte.

Pro positionen d es jeweilig en M in isterium s in %

Abb. 20: Kostenfolgen für das Staatsbudget nach Ministerien (SWE) 10 0 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Finan zm in ist erium

keine Aussage

Just izm inist erium W irt schaft sm inist erium So zialm in ist erium

keine Auswirkun gen

qualit at ive Aussage

Um welt m inist erium

m o net äre Aussage

Anmerkungen: Für das Landwirtschaftsministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurden aufgrund der geringen Fallzahlen (n