Atome, Moleküle und optische Physik 2: Moleküle und Photonen - Spektroskopie und Streuphysik [vol 2, 1 ed.] 3642119727, 9783642119729 [PDF]

Diese Lehrbücher wenden sich in erster Linie an fortgeschrittene Studierende der Physik und der Physikalischen Chemie bi

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German Pages 639 [656] Year 2010

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Table of contents :
Front Matter....Pages i-xxv
Zweiatomige Moleküle....Pages 1-88
Mehratomige Moleküle....Pages 89-136
Laser, Licht und Kohärenz....Pages 137-204
Kohärenz und Photonen....Pages 205-246
Molekülspektroskopie....Pages 247-327
Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse....Pages 329-390
Inelastische Stoßprozesse – ein erster Überblick....Pages 391-446
Elektronenstoßanregung und -ionisation....Pages 447-491
Die Dichtematrix – eine erste Annäherung....Pages 493-529
Die optischen Bloch-Gleichungen....Pages 531-569
Back Matter....Pages 571-630

Atome, Moleküle und optische Physik 2: Moleküle und Photonen - Spektroskopie und Streuphysik [vol 2, 1 ed.]
 3642119727, 9783642119729 [PDF]

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Zitiervorschau

Springer-Lehrbuch

Ingolf V. Hertel · C.-P. Schulz

Atome, Molek¨ule und optische Physik 2 Molek¨ule und Photonen Spektroskopie und Streuphysik

123

Prof. Dr. Ingolf V. Hertel Max-Born-Institut f¨ur Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie Max-Born-Str. 2 A 12489 Berlin Deutschland [email protected]

Dr. C.-P. Schulz Max-Born-Institut f¨ur Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie Max-Born-Str. 2 A 12489 Berlin Deutschland [email protected]

Zum Umschlagbild: Ausschnitt aus den Potenzialhyperfl¨achen des dreiatomigen Molek¨uls Li3 mit konischer Durchschneidung, ein sogenannter Mexikanischer Hut“. Angedeutet ist auch die Pseudorotation“ ” ” der drei Atome. N¨ahere Einzelheiten s. Kapitel 15.6.2.

ISSN 0937-7433 ISBN 978-3-642-11972-9 e-ISBN 978-3-642-11973-6 DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der ¨ Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)

Meiner Frau Erika IVH

Meinem Vater CPS

Vorwort

Der hier vorgelegte Band 2 unseres Lehrbuchs1 mit den Kapiteln 11 - 20 versucht (zusammen mit Band 1) so etwas wie einen Grundkanon der modernen Atom- und Molek¨ ulphysik abzudecken und einen ersten Einstieg in die optische Physik zu bieten. Angesichts der allgemeinen Tendenz zur Verdichtung der einschl¨agigen Studienpl¨ ane an unseren Universit¨aten kann nicht eindringlich genug betont werden, dass dieses unvermindert lebendige und außerordentlich produktive Themenfeld physikalischer Forschung – trotz oder gerade wegen seiner beachtlichen Geschichte – nach wie vor eine unverzichtbare Grundlage bildet f¨ ur ein vertieftes Verst¨ andnis fast aller Zweige der aktuellen Physik, der Physikalischen Chemie und teilweise auch der Materialwissenschaften, die sich zunehmend auf molekulare Grundlagen st¨ utzen. Das Lehrbuch wendet sich daher zum einen an Studierende der Physik und der Physikalischen Chemie in h¨ oheren Semestern, die sich im Rahmen ihres Studiums oder ihrer Forschungsarbeit mit den angesprochenen Themen zu befassen haben, zugleich aber auch an alle, die in anderem Kontext feststellen, dass ihnen wichtige Grundlagen aus diesem Gebiet fehlen. Nat¨ urlich wendet sich das Buch auch und ganz besonders an den Doktoranden oder an die junge Forscherin, die erstmals in diesem Gebiet selbst aktiv werden wollen – oder einfach mehr dar¨ uber wissen m¨ ochten. Sie werden hier verl¨assliches Wissen und stimulierende Anregungen f¨ ur die eigene Arbeit finden. Wir haben daher wieder versucht, neben der Vermittlung elementarer Grundlagen, wo immer m¨oglich auch an die Grenzen der aktuellen Forschung heranzuf¨ uhren. So werden die interessierten Leser und Leserinnen vieles finden, was u ¨ber die typischen Inhalte von Vorlesungen zur Atom- und Molek¨ ulphysik hinausgeht: zahlreiche Ankn¨ upfungspunkte zur modernen Molek¨ ulspektroskopie (vorbereitet in Kap. 11 und 12 und ausgef¨ uhrt in Kap. 15), eine Pr¨azisierung des Begriffs Licht in Kap. 13 (mit einer kompakten Kurzeinf¨ uhrung des Werkzeugs Laser ), einen sanften, ersten Einstieg in die Quantenoptik in Kap. 14, 1

http://staff.mbi-berlin.de/AMO/Buch-homepage/index.html Band 1 dieses Lehrbuchs (Hertel und Schulz, 2008) ist bei Springer erschienen.

VIII

Vorwort

drei ausf¨ uhrliche Kapitel (16-18) u ¨ber den aktuellen Stand der Physik elektronischer, atomarer, molekularer und ionischer St¨oße (einschließlich der Stoßionisation), bis hin zu einer handfesten Nutzanleitung f¨ ur die Dichtematrix und Theorie der Messung (Kap. 19), und schließlich, darauf aufbauend, in Kap. 20 die optischen Blochgleichungen, wobei das Thema Quantenoptik mit vielen spannenden Beispielen noch einmal aufgenommen wird. Ein geplanter Band 3 wird zu gegebener Zeit noch n¨ aher an die aktuelle Forschung auf ausgew¨ahlten, sich besonders dynamisch entwickelnden Gebieten, wie ultrakalte Materie und Quantengase, Ultrakurzzeit- und Attosekundenphysik und uhren. ¨ahnliche Themen heranf¨ Die hier vorgestellten Inhalte basieren teilweise auf Vorlesungen zur Atomund Molek¨ ulphysik I und II an der Freien Universit¨at Berlin, welche durch die Verfasser vielfach gehalten wurden, sowie auf mehreren Spezialvorlesungen, die u ¨ber die Jahre aufgebaut und weiterentwickelt wurden. Band 2 geht davon aus, dass der Leser oder die Leserin Band 1 einigermaßen gr¨ undlich verarbeitet hat, oder aus anderer Quelle u ¨ber entsprechendes Wissen aus Atomphysik und Spektroskopie verf¨ ugt. Hilfreich sind auch gr¨ undliche Kenntnisse der Quantenmechanik, wiewohl der Leser feststellen wird, dass das Herangehen an beobachtbare, physikalische Ph¨ anomene aus dem Blickwinkel der Experimentalphysik erfolgt. Zwar hat man sich hier der notwendigen theoretischen Grundlagen zu versichern. Doch schon aus Platzgr¨ unden muss die Darstellung wesentlich heuristischer und pragmatischer sein, als dies ein strenges, theoretisches Lehrbuch zu leisten vermag. Wir haben uns in mehreren Lesungen“ bem¨ uht, Text, mathematischen ” Formelapparat und Abbildungen so fehlerfrei zu erzeugen, wie dies im Rahmen einer vertretbaren zeitlichen Frist m¨ oglich war. Die Leserinnen und Leser des Buches werden herzlich gebeten, uns ihre kritischen Kommentare, Fehlerentdeckungen (auch Tippfehler u.¨ a.) oder Verbesserungsvorschl¨age mitzuteilen ([email protected]). Wir werden Fehler (wie schon bei Band 1) auf der Website http://staff.mbi-berlin.de/AMO/Buch-homepage/Druckfehler/ DruckfehlerAMO2.pdf korrigieren, sofern und sobald sie uns bekannt werden. Schließlich sei Studenten, die sich vertieft mit den hier angesprochenen Themen befassen wollen, eine Reihe weiterer Textb¨ ucher empfohlen, als erg¨anzende Lekt¨ ure zum Nachschlagen und Vergleichen: Blum (1996); Brink und Satchler (1994); Bransden und Joachain (2003); Demtr¨oder (2000b,a); Engelke (1996); Edmonds (1964); Kneub¨ uhl und Sigrist (1999); Loudon (1983); Meschede (1999); Mukamel (1999); Otter und Honecker (1996); Steinfeld (1985); Weissbluth (1978); Atkins und Friedman (2004); Bergmann und Schaefer (1997); Bethge et al. (2004); Born und Wolf (1999). Wir w¨ unschen allen unseren Leserinnen und Lesern eine spannende, anregende Lekt¨ ure sowie effizientes Verstehen und erfolgreiches Lernen. Berlin-Adlershof Oktober 2010

Ingolf Hertel Claus-Peter Schulz

Danksagungen

Viele Kollegen haben uns in den letzten Jahren ermuntert und ermahnt, dieses Werk voranzubringen, und uns viele kritische Hinweise, zahlreiche Anregungen, vor allem aber auch anschauliches, aktuelles Datenmaterial u ¨bermittelt. Sie haben ganz wesentlich dazu beigetragen, wenn es uns gelungen sein sollte, eine L¨ ucke in der einschl¨ agigen Lehrbuchliteratur zu schließen – wie wir jedenfalls hoffen. Ihnen allen m¨ ochten wir nachdr¨ ucklich danken. Beispielhaft seien Robert Bittl, Wolfgang Demtr¨ oder, Kai Godehusen, Uwe Griebner, Hartmut Hotop, Marsha Lester, John P. Maier, Reinhardt Morgenstern, Hans-Hermann Ritze, Horst Schmidt-B¨ ocking, Ernst J. Schumacher, G¨ unter Steinmeyer, Joachim Ullrich, Mark Vrakking und Roland Wester genannt; ihre Beitr¨age werden im Literaturverzeichnis speziell gew¨ urdigt. Nat¨ urlich sind dort auch all die zahlreichen weiteren Quellen dokumentiert, an Hand derer wir uns informiert haben und mit deren Hilfe wir die Abbildungen dieses Buchs erstellen konnten. Erw¨ahnt sei, dass das gesamte hier gezeigte graphische Material – nat¨ urlich mit Hilfe der Literatur – genuin f¨ ur diesen Zweck gefertigt und nicht im cut ” and paste“ Verfahren aus den Vorlagen kopiert wurde. Dabei hat in einer fr¨ uhen Phase Monika Weber sehr fleißig an der Gestaltung der Abbildungen mitgewirkt, wof¨ ur wir ihr großen Dank schulden. Ganz herzlicher Dank geht auch an meine Tochter (IVH) Melanie Dornhaus, deren engagierte und kritische Durchsicht des Textes und der Bilder vor und w¨ahrend der Drucklegung viel zur Verringerung der unvermeidlichen Fehler und zur Beseitigung einer Reihe von Missverst¨andlichkeiten beigetragen hat. Auch hat sie uns davon u urzungsverzeichnis f¨ ur den ¨berzeugt, dass ein Abk¨ Leser sehr hilfreich sein wird. Bei der Durchsicht des Textes hat uns auch eine Reihe j¨ ungerer Wissenschaftler aus dem Max-Born-Institut sehr geholfen, Tippfehlern und anderen Unachtsamkeiten auf die Spur zu kommen. Wir danken allen sehr herzlich, besonders aber Sascha Birkner, Franziska Buchner, Christian Eickhoff, Dominik Kandula, Jens Kopprasch und Jan Philippe M¨ uller, welche mit großem Engagement und viel Konzentration Druckfahnen gelesen haben.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX . X Abk¨ urzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 11 Zweiatomige Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Charakteristische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Hamilton-Operator f¨ ur zweiatomige Molek¨ ule . . . . . . . . . 11.1.2 Elektronische Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Schwingungsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Rotationsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Born-Oppenheimer-N¨ aherung, Molek¨ ulpotenziale . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Die Kernwellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Allgemeine Form der Molek¨ ulpotenziale . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Harmonisches Potenzial und harmonischer Oszillator . . . 11.2.5 Morse-Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.6 Dispersionswechselwirkung und Van-der-Waals-Molek¨ ule 11.3 Kernbewegungen: Rotation und Vibration . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Der starre Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Besetzung der Rotationsniveaus und Kernspinstatistik . 11.3.4 Vibration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Nicht starrer Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.6 Dunham Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Dipol¨ uberg¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Rotations¨ uberg¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Stark-Effekt: Polare Molek¨ ule im elektrischen Feld . . . . . 11.4.3 Schwingungs¨ uberg¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.4 Rotations-Schwingungs-Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 2 3 4 4 5 5 6 8 9 12 14 17 17 18 20 24 26 29 29 30 34 35 37

XII

Inhaltsverzeichnis

11.4.5 Rydberg-Klein-Rees-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Molekulare Orbitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Variationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Spezialisierung auf H+ 2 ............................. 11.5.3 Ladungsaustausch im System H+ 2 .................... 11.5.4 MOs f¨ ur homonukleare Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.1 Gesamtbahndrehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.2 Spin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.3 Gesamtdrehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.4 Hund’sche Kopplungsf¨ alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.5 Reflexionssymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.6 Lambda-Verdopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.7 Beispiel H2 – MO Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.8 Valence-Bond-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.9 Das Stickstoff- und das Sauerstoffmolek¨ ul . . . . . . . . . . . . 11.7 Heteronukleare Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.1 Energielagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.2 Besetzung der Orbitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.3 Lithiumhydrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.4 Alkali-Halogenide: Ionische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.5 Stickstoffmonoxid, NO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 41 41 43 47 53 59 59 60 60 61 64 67 68 73 73 76 76 78 80 82 86

12 Mehratomige Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 12.1 Rotation mehratomiger Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 12.1.1 Allgemeine Zusammenh¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 12.1.2 Sph¨ arischer Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 12.1.3 Symmetrischer, starrer Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 12.1.4 Asymmetrischer Rotator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 12.2.1 Normalschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 ¨ 12.2.2 Energien und Uberg¨ ange bei Normalschwingungen . . . . . 98 12.2.3 Lineare, dreiatomige Molek¨ ule AB2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 12.2.4 Nicht lineare, dreiatomige Molek¨ ule AB2 . . . . . . . . . . . . . 102 12.2.5 Inversionsschwingung im Ammoniak . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 12.3 Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 12.3.1 Symmetrieoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 12.3.2 Punktgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 12.3.3 Eigenzust¨ ande mehratomiger Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . . 112 12.3.4 Jahn-Teller-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 12.4 Elektronische Zust¨ ande dreiatomiger Molek¨ ule . . . . . . . . . . . . . . 119 12.4.1 Ein erstes Beispiel: H2 O . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 12.4.2 Ammoniak, NH3 und Methan, CH4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 12.5 Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 12.5.1 Bildung der sp3 -Orbitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Inhaltsverzeichnis

XIII

12.5.2 σ-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 12.5.3 Doppelbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 12.5.4 Dreifachbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 12.6 Konjugierte Molek¨ ule und H¨ uckel-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 13 Laser, Licht und Koh¨ arenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 13.1.1 Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 13.1.2 Fabry-Perot-Resonator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 13.1.3 Stabile, transversale Moden und Beugungsverluste . . . . . 142 13.1.4 Das Verst¨ arkermedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 13.1.5 Schwellenbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 13.1.6 Bilanzgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 13.1.7 Besetzungsinversion und Linienprofil, Lochbrennen . . . . 149 13.2 Gauß’sche Strahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 13.2.1 Beugungsbegrenztes Profil eines Laserstrahls . . . . . . . . . . 152 13.2.2 Fraunhofer-Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 13.2.3 Strahl-Transfer-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 13.2.4 Fokussierung eines Gauß-Strahles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 13.2.5 Profilmessung mit der Rasierklinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 13.2.6 Der M2 Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 13.3 Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 13.3.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 13.3.2 Polarisationsbedingte Zeitabh¨angigkeit der Intensit¨at . . 173 13.3.3 Viertel- und Halbwellen-Platten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.3.4 Stokes-Parameter, unvollst¨ andig polarisiertes Licht . . . . 177 13.4 Wellenpakete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 13.4.1 Beschreibung von Laserimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 13.4.2 R¨ aumliche und zeitliche Intensit¨atsverteilung . . . . . . . . . 183 13.4.3 Frequenzspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 13.4.4 Korrelationsfunktion erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 13.4.5 Frequenzk¨ amme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 13.5.1 Zum Prinzip des Anrege-Abtastverfahrens . . . . . . . . . . . . 189 13.5.2 Faltung und Autokorrelationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . 190 13.5.3 Signal bei interferometrischer Messung . . . . . . . . . . . . . . . 191 13.5.4 Experimentelle Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 13.6 Nichtlineare Prozesse in Gauß’schen Laserstrahlen . . . . . . . . . . . 198 ¨ 13.6.1 Allgemeine Uberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 13.6.2 Zylindrische Geometrie (2D-Geometrie) . . . . . . . . . . . . . . 200 13.6.3 Konische Geometrie (3D-Geometrie) . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 13.6.4 R¨ aumlich aufgel¨ ostes Messverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

XIV

Inhaltsverzeichnis

14 Koh¨ arenz und Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 14.1 Grundlagen der Quantenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 14.1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 14.1.2 Quasimonochromatisches Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 14.1.3 Longitudinale Koh¨ arenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 14.1.4 Koh¨ arenzgrad 2ter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 14.1.5 Hanbury-Brown-Twiss-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 14.1.6 R¨ aumliche Koh¨ arenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 14.1.7 Michelson’sches Stellar-Interferometer . . . . . . . . . . . . . . . . 221 14.1.8 HBT-Stellar-Interferometer (1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 14.2 Photonen und Photonzust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 14.2.1 Einf¨ uhrung und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 14.2.2 Moden des Strahlungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 14.2.3 Zahl der Photonen pro Mode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 14.2.4 Die Photonenzahl-Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 14.2.5 Glauber-Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 14.2.6 Multimode-Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 ¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange . . . . . . . . . . . 236 14.3.1 Der Wechselwirkungs-Hamiltonian f¨ ur einen Dipol¨ ubergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 ¨ 14.3.2 St¨ orungstheorie f¨ ur induzierte und spontane Uberg¨ ange 241 15 Molek¨ ulspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 ¨ 15.1 Ubersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 15.2 Mikrowellenspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 15.3 Infrarotspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 15.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 15.3.2 Fourier-Transformations-IR-Spektroskopie (FTIR) . . . . . 255 15.3.3 Infrarot-Aktionsspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 15.4.1 Franck-Condon-Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 ¨ 15.4.2 Auswahlregeln f¨ ur elektronische Uberg¨ ange . . . . . . . . . . . 266 ¨ 15.4.3 Strahlungslose Uberg¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 ¨ 15.4.4 Rotationsanregung bei elektronischen Uberg¨ angen . . . . . 270 15.5 Elektronische Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 15.6.1 Laserinduzierte Fluoreszenz (LIF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 15.6.2 REMPI an einem einfachen“ dreiatomigen Molek¨ ul . . . 277 ” 15.6.3 Cavity-Ring-Down-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 15.6.4 Spektroskopie kleiner, freier Biomolek¨ ule . . . . . . . . . . . . . 288 15.6.5 Weitere wichtige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 15.7 Raman-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 15.7.1 Einf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 15.7.2 Klassische Erkl¨ arung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 15.7.3 Quantenmechanische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

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XV

15.7.4 Experimentelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 15.7.5 Beispiele f¨ ur Raman-Spektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 15.7.6 Kernspinstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 15.8 Nichtlineare Spektroskopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 15.8.1 Einige Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 15.8.2 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 15.9 Photoelektronenspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 15.9.1 Experimentelle Grundlagen und Prinzip der PES . . . . . . 311 15.9.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 15.9.3 Weitere Methoden der PES: TPES, PFI, ZEKE, KETOF, MATI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 15.9.4 PES an negativen Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 15.9.5 PEPICO, TPEPICO und Variationen . . . . . . . . . . . . . . . . 322 16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse . . . . 329 16.1 Einf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 16.1.1 Totale Wirkungsquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 16.1.2 Prinzip des detaillierten Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . 333 16.1.3 Integrale elastische Streuquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . 335 16.1.4 Eine erste Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 16.2 Differenzielle Wirkungsquerschnitte und Kinematik . . . . . . . . . . 339 ¨ 16.2.1 Experimentelle Uberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 16.2.2 Stoßkinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 16.2.3 Ein spezielles Beispiel: Massenselektion von Clustern . . . 346 16.3 Elastische Streuung und klassische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 16.3.1 Der differenzielle Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . 349 16.3.2 Der optische Regenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 16.3.3 Die klassische Ablenkfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 16.3.4 Regenb¨ ogen und andere erstaunliche Oszillationen . . . . . 356 16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 16.4.1 Allgemeiner Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 16.4.2 Drehimpuls, Stoßparameter und Streuebene . . . . . . . . . . . 365 16.4.3 Partialwellenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 16.4.4 Semiklassische N¨ aherung f¨ ur die elastische Streuung . . . 368 16.4.5 Streuphasen bei niedrigen Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 16.4.6 Streumatrizen f¨ ur Fußg¨ anger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 16.5 Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 16.5.1 Typen und Ph¨ anomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 16.5.2 Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 16.5.3 Ein Beispiel: e-He Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 16.6 Die Born’sche N¨ aherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

XVI

Inhaltsverzeichnis

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick . . . . . . . . . . . 391 17.1 Einfache Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 17.1.1 Reaktionen ohne Schwellenenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 17.1.2 Das Modell der absorbierenden Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . 393 17.1.3 Ein Beispiel: Ladungsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 17.1.4 Das Massey-Kriterium f¨ ur inelastische Stoßprozesse . . . . 395 17.2 Anregungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 17.2.1 Stoßanregung mit Elektronen und Protonen . . . . . . . . . . 398 17.2.2 Elektronenstoßanregung von He . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 17.2.3 Feinere Details der Elektronenstoßanregung von He . . . . 402 17.2.4 Elektronenstoß – Vergleich verschiedener Edelgase . . . . . 403 17.2.5 Elektronenstoß am Quecksilber – Franck-Hertz-Versuch 405 17.2.6 Molek¨ ulanregung im Elektronenstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 17.3 Schwellengesetze f¨ ur Anregung und Ionisation . . . . . . . . . . . . . . . 408 17.4 Streutheorie f¨ ur das Vielkanalproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 17.4.1 Allgemeine Formulierung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . 410 17.4.2 Potenzialmatrix und Kopplungselemente . . . . . . . . . . . . . 414 17.4.3 Die adiabatische Repr¨ asentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 17.4.4 Die diabatische Repr¨ asentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 17.5 Semiklassische N¨ aherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 17.5.1 Zeitabh¨ angige Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 421 17.5.2 Kopplungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 17.5.3 L¨ osung der gekoppelten Differenzialgleichungen . . . . . . . 425 17.5.4 Landau-Zener Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 17.5.5 Ein einfaches Beispiel: Na+ + Na(3p) . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 17.5.6 St¨ uckelberg-Oszillationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 17.6 Stoßprozesse mit hochgeladenen Ionen (HCIs) . . . . . . . . . . . . . . . 436 17.6.1 Das u ¨ ber die Barriere“ Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 ” 17.6.2 Elektronenaustausch im Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 17.6.3 HCI St¨ oße und ultraschnelle Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . 443 17.7 Surface hopping, konische Durchschneidungen und Reaktionen 443 18 Elektronenstoßanregung und -ionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 18.1.1 Close-Coupling-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 18.1.2 Rechenmethoden und experimentell belegte Beispiele . . 451 18.2 Born’sche N¨ aherung f¨ ur inelastische St¨oße . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 18.2.1 FBA Streuamplitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 18.2.2 Wirkungsquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 18.2.3 Zusammenhang mit der Rutherford-Streuung . . . . . . . . . 459 18.2.4 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 18.3 Generalisierte Oszillatorenst¨ arke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 18.3.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 18.3.2 Entwicklung f¨ ur kleinen Moment¨ ubertrag . . . . . . . . . . . . . 462 18.3.3 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

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XVII

18.3.4 Integrale inelastische Wirkungsquerschnitte . . . . . . . . . . . 463 18.4 Elektronenstoßionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 18.4.1 Integrale Wirkungsquerschnitte und die Lotz-Formel . . . 466 18.4.2 SDCS: Energieaufteilung auf die beiden Elektronen . . . 468 18.4.3 Verhalten an der Ionisationsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 18.4.4 DDCS: Doppelt differenzielle Wirkungsquerschnitte und Born’sche N¨ aherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 18.4.5 TDCS: Dreifach differenzielle Wirkungsquerschnitte . . . 477 18.5 Elektronenimpuls-Spektroskopie (EMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 18.6 Rekombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 19 Die 19.1 19.2 19.3

Dichtematrix – eine erste Ann¨ aherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Reine und gemischte Zust¨ ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Dichteoperator und Dichtematrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Matrix Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 19.3.1 Ausgew¨ ahlte Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 19.3.2 Koh¨ arenz und Polarisationsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 19.4 Theorie der Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 19.4.1 Zustandsselektor und -analysator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 19.4.2 Zustandsselektives Wechselwirkungsexperiment . . . . . . . . 510 19.5 Spezielle Beispiele f¨ ur die Dichtematrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 19.5.1 Polarisationsmatrix f¨ ur quasimonochromatisches Licht . 515 19.5.2 Dichtematrix f¨ ur ein Atom in einem isolierten 1 P-Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

20 Die optischen Bloch-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 20.1 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 20.2 Das Zweiniveausystem im quasiresonanten Lichtfeld . . . . . . . . . . 534 20.2.1 Das elektrische Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 20.2.2 Bekleidete Zust¨ ande (Dressed States) . . . . . . . . . . . . . . . . 535 20.2.3 Rabi-Frequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 20.2.4 Drehwellenn¨ aherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 20.2.5 Das gekoppelte System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 20.3 Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 20.4 Autler-Townes-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 20.5 Quantensysteme im elektromagnetischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . 543 20.5.1 Zeitliche Entwicklung der Dichtematrix . . . . . . . . . . . . . . 544 20.5.2 Optische Bloch-Gleichungen f¨ ur ein Zweiniveausystem . . 544 20.6 Anregung mit kontinuierlichem (cw) Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 20.6.1 Eingeschwungener, relaxierter Zustand . . . . . . . . . . . . . . . 547 20.6.2 S¨ attigungsverbreiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 20.6.3 Breitbandige und schmalbandige Anregung . . . . . . . . . . . 549 20.6.4 Ratengleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 20.6.5 Kontinuierliche Anregung ohne Relaxation . . . . . . . . . . . . 551 20.6.6 Kontinuierliche Anregung mit Relaxation . . . . . . . . . . . . . 553

XVIII Inhaltsverzeichnis

20.7 Bloch-Gleichungen und Kurzzeitspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . 553 20.7.1 Anregung mit kurzen Laserimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 20.7.2 Kurzzeitspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 20.7.3 Ratengleichungen und optische Bloch-Gleichungen . . . . . 557 20.8 STIRAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 20.8.1 Dreiniveausystem in zwei Laserfeldern . . . . . . . . . . . . . . . 561 20.8.2 Energieaufspaltung und Zustandsentwicklung . . . . . . . . . 563 20.8.3 Experimentelle Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Born’sche N¨ aherung f¨ ur e+Na(3s)→ e+Na(3p) . . . . . . . . . . . . . . . . 573 H.1 Auswertung der generalisierten Oszillatorenst¨arke . . . . . . . . . . . 573 H.2 Integration des differenziellen Wirkungsquerschnitts . . . . . . . . . . 576 Optisches Pumpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 I.1 Das Standardbeispiel Na(3 2 S1/2 ↔ 3 2 P3/2 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 I.2 Multipolmomente und experimenteller Nachweis . . . . . . . . . . . . . 580 I.3 Optisches Pumpen mit zwei Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 F¨ uhrung, Nachweis und Energieanalyse von Elektronen und Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 J.1 SEV, Channeltron, Vielkanalplatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 J.2 Brechungsindex, Linsen und Richtstrahlwert . . . . . . . . . . . . . . . . 591 J.3 Der hemisph¨ arische Energieselektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 J.4 Magnetische Flasche und andere Laufzeitmethoden . . . . . . . . . . 595 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619

Abku ¨ rzungsverzeichnis

3CC . . . . . . . . . . Drei Zustands CC-N¨ aherung 3CCO . . . . . . . . drei Zustands CC-N¨ aherung mit zus¨atzlichem optischen Potenzial a.u. . . . . . . . . . . . atomare Einheiten – atomic units ABCD . . . . . . . . -Matrizen zur Berechnung optischer Strahleng¨ange ADC(3) . . . . . . Quantenchemische Methode zur Bestimmung der Valenzorbitale großer Molek¨ ule – Third Order Algebraic-Diagrammatic Construction ADP . . . . . . . . . Ammoniumdihydrogenphosphat, ein doppelbrechender Kristall, dessen Eigenschaften sich durch elektrische Felder beeinflussen lassen (Faraday-Effekt) Anal. . . . . . . . . . Analysator AOM . . . . . . . . . Akustooptischer Modulator APES . . . . . . . . adiabatische Potenzialfl¨ ache – Adiabatic Potential Energy Surface ASE . . . . . . . . . . verst¨ arkte spontane Emission – Amplified Spontaneous Emission BBO . . . . . . . . . Beta-Barium-Borat, Kristall mit nichtlinearen optischen Eigenschaften BO . . . . . . . . . . . Born-Oppenheimer BOXCARS . . . Messanordungsmatrix f¨ ur NLO-Methoden BPP . . . . . . . . . . Strahlparameter-Produkt: Angabe zur Qualit¨at eines Laserstrahls – Beam-Parameter-Product CARS . . . . . . . . koh¨ arente Anti-Stokes Raman-Spektroskopie – Coherent Anti-Stokes Raman Scattering CC . . . . . . . . . . . streutheoretische N¨ aherung – Close Coupling (Approximation) CCC . . . . . . . . . s. auch CC – Convergent Close Coupling (Approximation) CCD . . . . . . . . . -Kamera – Charge Coupled Device Camera CEM . . . . . . . . . Elektronen-Kanalvervielfacher – Channel Electron Multiplier kurz Channeltron

XX

Abk¨ urzungsverzeichnis

CI . . . . . . . . . . . . CM . . . . . . . . . . . col . . . . . . . . . . . . COLTRIMS . . COORS . . . . . . CPA . . . . . . . . . . CRD . . . . . . . . . CSRS . . . . . . . . . cw . . . . . . . . . . . . DCS . . . . . . . . . . DDCS . . . . . . . . DF . . . . . . . . . . . DFT . . . . . . . . . . DFWR . . . . . . . DNA . . . . . . . . . DW . . . . . . . . . . EBIS . . . . . . . . . EBIT . . . . . . . . . ECR . . . . . . . . . . el . . . . . . . . . . . . . ELI . . . . . . . . . . . EMS . . . . . . . . . . EPR . . . . . . . . . . ESCA . . . . . . . . ESI . . . . . . . . . . . ESR . . . . . . . . . . EUV . . . . . . . . . FBA . . . . . . . . . . FC . . . . . . . . . . . FDIRS . . . . . . . FEICO . . . . . . . FEL . . . . . . . . . .

Konfigurations-Wechselwirkung – Configuration Interaction Schwerpunkt (-Koordinatensystem) – Centre of Mass collision Reaktionsmikroskop – Cold Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy gew¨ ohnliche Raman-Spektroskopie – Common Ordinary Old Raman Scattering Dehnung ultrakurzer Laserimpulse vor der Verst¨arkung – Chirped Pulse Amplification Resonator-Abklingverfahren – Cavity Ring Down Koh¨ arente Stokes-Raman-Streuung – Coherent Stokes Raman Scattering Dauerstrich (z.B. Laser) – continuous wave differenzieller Wirkungsquerschnitt – Differential Cross Section doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt – Double Differential Cross Section spektral aufgel¨ oste Fluoreszenz – Dispersed Fluorescence Dichtef unktionaltheorie entartete Vierwellenmischung – Degenerate Four Wave Mixing Desoxyribonukleins¨ aure – Deoxyribonucleic Acid streutheoretische N¨ aherung – Distorted Wave (approximation) Elektronenstrahl-Ionenquelle –Electron Beam Ion Source Elektronenstrahl-Ionenfalle – Electron Beam Ion Trap Elektronen-Zyklotron Resonanz – Electron Cyclotron Resonance elastisch, gelegentlich auch elliptisch European Laser Institute Elektronenimpuls-Spektroskopie – Electron Momentum Spectroscopy Elektronen paramagnetische Resonanz, s. auch ESR Elektronenspektroskopie f¨ ur die chemische Analyse – Electron Spectroscopy for Chemical Analysis Elektrospray Ionisation Elektronenspin Resonanz, gleichbedeutend mit EPR extrem Ultravioletter Spektralbereich (Wellenl¨angen zwischen 20 − 10 nm) erste Born’sch N¨ aherung – First Born-Approximation Franck-Condon Fluoreszenz-Dip-Infrarot-Spektroskopie Femtosekunden zeitaufgel¨ oster Nachweis von Elektronen und Ionen in Koinzidenz Freie-Elektronen-Laser

Abk¨ urzungsverzeichnis

XXI

FIR . . . . . . . . . . f erner Infrarot-Spektralbereich (Wellenl¨angen zwischen 1 mm −15µ) FORT . . . . . . . . spezielle optische Teilchenfalle – Far-Off Resonance Optical Dipole Trap FPI . . . . . . . . . . . Fabry-Perot-Interferometer FS . . . . . . . . . . . . Feinstruktur FSR . . . . . . . . . . freie Spektralbreite – Free Spectral Range FT . . . . . . . . . . . Fourier-Transformation FTIR . . . . . . . . . Fourier-Transformationspektroskopie im infraroten Spektralbereich FTMW . . . . . . . Fourier-Transformations-Spektroskopie mit Mikrowellen FWHM . . . . . . . Halbwertsbreite – Full Width at Half Maximum FWM . . . . . . . . . Vierwellenmischung – Four Wave Mixing GOS . . . . . . . . . . generalisierte Oszillatorenst¨ arke GOSD . . . . . . . . generalisierte Oszillatorenst¨ arken-Dichte HBT . . . . . . . . . Hanbury-Brown-Twiss – Bezeichnet den von Hanbury Brown und R. Q. Twiss 1954; 1956a gefundenen Effekt und die entsprechenden Experimente HCI . . . . . . . . . . hoch geladenes Ion – Highly Charged Ion HF . . . . . . . . . . . Hartree-Fock-Verfahren zur Berechnung von Wellenfunktionen unter Ber¨ ucksichtigung der Antisymmetrisierung der elektronischen Wellenfunktionen, gelegentlich auch Hochf requenz HF-SCF . . . . . . selbstkonsistentes Hartee-Fock-Verfahren – Hartree-Fock Self Consisent Field approximation HFS . . . . . . . . . . Hyperf einstruktur HHG . . . . . . . . . Erzeugung hoher Harmonischer einer Laserfrequenz – High Harmonic Generation HITRAN . . . . . Molek¨ uldatenbank HOMO . . . . . . . h¨ ochstes besetztes Molek¨ ulorbital – Highest Occupied Molecular Orbital IAS . . . . . . . . . . . Infrarot Aktionsspektroskopie – Infrared Action Spectroscopy ic . . . . . . . . . . . . . interne Konversion von einem elektronischen Zustand in einen anderen – Internal Conversion ICS . . . . . . . . . . . winkelintegrierter Wirkungsquerschnitt – Integral Cross Section iPEPICO . . . . . bildgebendes PEPICO – imaging Photo-Electron Photo-Ion Coincidence IR . . . . . . . . . . . . infraroter Spektralbereich ¨ ange zwischen Singulett- und Triplettsystem – interisc . . . . . . . . . . . . Uberg¨ system crossing Isomer . . . . . . . . Molek¨ ul gleicher atomarer Zusammensetzung aber unterschiedlicher Struktur

XXII

Abk¨ urzungsverzeichnis

Isotopolog . . . . Molek¨ ul gleicher atomarer Zusammensetzung aber mit unterschiedlichen Isotopen Isotopomer . . . Molek¨ ul gleicher Struktur und Isotopenzusammensetzung aber unterschiedlicher Position der atomaren Isotope ivr . . . . . . . . . . . . interne Umverteilung von molekularer Schwingungsenergie – internal vibrational relaxation JT . . . . . . . . . . . . Jahn-Teller JTE . . . . . . . . . . Jahn-Teller-Effekt JWKB . . . . . . . . Jeffreys-Wenzel-Kramers-Brillouin-N¨aherung – semiklassisches N¨ aherungsverfahren KETOF . . . . . . Bestimmung der kinetischer Energie von Ionen durch verz¨ogerte Flugzeitmessung – Kinetic Energy Measurement by Time of Flight kin. . . . . . . . . . . . kinetisch Konformer . . . . Isomer, das durch Rotation um eine Molek¨ ulbindung entsteht Lab . . . . . . . . . . . Labor (-Koordinatensystem) Laser . . . . . . . . . Lichtverst¨ arkung durch stimulierte Emission – Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation LCAO . . . . . . . . Linearkombination atomarer Orbitale – linear combination of atomic orbitals LHC . . . . . . . . . . links zirkular (polarisiert) – Left Hand Circularly (Polarized) LIF . . . . . . . . . . . Laser induzierte Fluoreszenz LUMO . . . . . . . niedrigstes unbesetztes Molek¨ ulorbital – Lowest Unoccupied Molecular Orbital M2 . . . . . . . . . . . -Faktor, s. BPP MALDI . . . . . . . Matrix unterst¨ utzte Laser-Desorptions Ionisation – Matrix Assisted Laser Desorption/Ionisation Maser . . . . . . . . Mikrowellenverst¨ arkung durch stimulierte Emission – Microwave Amplification by Stimulated Emission of Radiation MATI . . . . . . . . Ionennachweis an der Schwelle – Mass Analyzed Threshold Ionisation MB . . . . . . . . . . . Molekularstrahl – Molecular Beam MB-MWFT . . Molekularstrahl-Mikrowellen-Fourier-TransformationsSpektrometer MCA . . . . . . . . . Vielkanal-Impulsh¨ ohenanalysator – Multi Channel Analyzer MCP . . . . . . . . . Multikanalplatte – Multi Channel Plate MD . . . . . . . . . . . molekular-dynamische, (meist klassische) Rechnung MO . . . . . . . . . . . molekulares Orbital mol . . . . . . . . . . . molekular(es Koordinatensystem) MOT . . . . . . . . . magneto-optische Falle – Magneto-Optical-Trap MOTRIMS . . . Magneto-Optical Trap Recoil Ion Momentum Spectroscopy MPI . . . . . . . . . . Multi-Photon-Ionisation MWIR . . . . . . . . mittelwelliges Infrarot

Abk¨ urzungsverzeichnis XXIII

Nd:YAG . . . . . . Neodym:Yttrium-Aluminium-Granat (Aktives Lasermaterial) NIFS . . . . . . . . . National Institute for Fusion Science NIR . . . . . . . . . . naher Infrarot-Spektralbereich (Wellenl¨angen zwischen 1.5µ− 800 nm) ¨ NIST . . . . . . . . . Aquivalent zur Physikalischen Technischen Bundesanstalt in den USA – National Institute of Standards and Technology NLO . . . . . . . . . . nichtlineare Optik NMR . . . . . . . . . kernmagnetische Resonanz – Nuclear Magnetic Resonance OMA . . . . . . . . . Optischer Vielkanalanalysator – Optical Multi Channel Analyser OODR . . . . . . . Optisch-optische Doppelresonanz OOSD . . . . . . . . optische Oszillatorenst¨ arken-Dichte ORNL . . . . . . . . Oak Ridge National Laboratory OVGF . . . . . . . . Quantenchemische Methode zur Bestimmung der Valenzorbitale großer Molek¨ ule – Outer Valcence Greens-Functions PC . . . . . . . . . . . Personal Computer, gelegentlich auch Photon Counter PD . . . . . . . . . . . Photodiode PECS . . . . . . . . Numerische, vollst¨ andige L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung – Propagating Exterior Complex Scaling PEPICO . . . . . . Koinzidenter Nachweis von Photoelektronen und Photoionen – Photo-Electron Photo-Ion Coincidence PES . . . . . . . . . . Photoelektronenspektroskopie PFI . . . . . . . . . . . Ionisation durch gepulste elektrische Felder – Pulsed Field Ionisation PFI-PEPICO . Pulsed Field PEPICO ph . . . . . . . . . . . . Photon PIEQ . . . . . . . . . Photoionisations-Elektronenquelle PJTE . . . . . . . . . Pseudo-Jahn-Teller Effekt PSD . . . . . . . . . . positionsempfindlicher Detektor – Position Sensitive Detector PWIA . . . . . . . . N¨ aherung f¨ ur die Elektronenstoßionisation – Plane-Wave Impulse Approximation QED . . . . . . . . . Quantenelektrodynamik R2PI . . . . . . . . . identisch mit RTPI REMPI . . . . . . . resonant verst¨ arkte Multiphotonen Ionisation – Resonantly Enhanced Multi Photon Ionisation res . . . . . . . . . . . . resonant RHC . . . . . . . . . rechts zirkular (polarisiert) – Right Hand Circularly (Polarized) RIDIRS . . . . . . resonante Ionendip Infrarotspektroskopie RKR . . . . . . . . . Rydberg-Klein-Rees – Verfahren zur Potenzialbestimmung aus spektroskopischen Daten RMPS . . . . . . . . streutheoretische N¨ aherung: R-Matrix Theorie mit Pseudozust¨ anden

XXIV Abk¨ urzungsverzeichnis

rot. . . . . . . . . . . . rotatorisch RTE . . . . . . . . . . Renner-Teller Effekt RTPI . . . . . . . . . Resonante Zweiphotonen Ionisation – Resonant Two Photon Ionisation RWA . . . . . . . . . Drehwellenn¨ aherung – Rotating Wave Approximation SCF . . . . . . . . . . Methode des selbstkonsistenten Feldes, ein Verfahren zur L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung bei Vielelektronenproblemen – Self Consisent Field approximation SDCS . . . . . . . . . einfach differenzieller Wirkungsquerschnitt – Single Differential Cross Section SEC . . . . . . . . . . Einzelelektroneneinfang – Single Electron Capture Sel. . . . . . . . . . . . Selektor SEM . . . . . . . . . . Sekund¨ arelektronen-Vervielfacher – Secondary Electron Multiplier s. auch SEV SEP . . . . . . . . . . optisches Pumpen durch stimulierte Emission – Stimulated Emission Pumping SERS . . . . . . . . . Oberfl¨ achenverst¨ arkte Raman-Spektroskopie – Surface Enhanced Raman-Spectroscopy SEV . . . . . . . . . . Sekund¨ arelektronenvervielfacher, s. auch SEM SHG . . . . . . . . . . Erzeugung der zweiten Harmonischen einer Laserfrequenz – Second Harmonic Generation STIRAP . . . . . . stimulierte Raman-Streuung beim adiabatischem Durchgang – Stimulated Raman Adiabatic Passage SVE . . . . . . . . . . N¨ aherung der langsam ver¨ anderlichen Feldeinh¨ ullenden – Slowly Varying Envelope SVEI . . . . . . . . . bildgebende Geschwindigkeitsanalyse langsamer Elektronen – Slow Velocity Electron Imaging SWIR . . . . . . . . kurzwelliges Infrarot – Short Wavelength Infra Red TAC . . . . . . . . . . Elektronisches Ger¨ at, das Zeit in Impulsh¨ohe umwandelt – Time to Amplitude Converter Tautomere . . . . Isomere, die durch bestimmte chemische Reaktionen ineinander u uhrt werden ¨berf¨ TC-RFWM . . . resonante Zweifarben Vierwellenmischung – Two Colour Resonant Four Wave Mixing TDC . . . . . . . . . elektronisches Ger¨ at, das Zeiten digital misst – Time to Digital Converter TDCS . . . . . . . . dreifach differenzieller Wirkungsquerschnitt – TripleDifferential Cross Section TEM . . . . . . . . . Transversal-Elektro-Magnetische Welle Ti:Saphire . . . . Titan-Saphir – Verst¨ arkerkristall f¨ ur ultrakurze Laserimpulse TOF . . . . . . . . . . Flugzeit (z.B. Massenspektrometer) – Time of Flight TPEPICO . . . . Koinzidenter Nachweis von Schwellen-Photoelektronen und Photoionen – Threshold Photo-Electron Photo-Ion Coincidence

Abk¨ urzungsverzeichnis

XXV

TPES . . . . . . . . Photoelektronen-Spektroskopie bei verschwindender kinetischer Energie – Threshold Photoelectron Spectroscopy UPS . . . . . . . . . . Photoelektronenspektroskopie mit UV-Licht – Ultraviolett Photoelectron Spectroscopy UV . . . . . . . . . . . ultravioletter Spektralbereich (Wellenl¨angen zwischen 400 − 10 nm) vdW-WW . . . . Van-der-Waals-Wechselwirkung, auch Dispersionswechselwirkung vib. . . . . . . . . . . . vibratorisch VUV . . . . . . . . . Vakuum-Ultravioletter Spektralbereich (Wellenl¨angen zwischen 190 − 40 nm) WAS . . . . . . . . . Keil- und Streifen (Anoden) – Wedge and Strips willk. Einh. . . . willk¨ urliche Einheiten WKB . . . . . . . . . Wenzel-Kramers-Brillouin-N¨aherung – semiklassisches N¨aherungsverfahren WWW . . . . . . . World-Wide-Web XANES . . . . . . . kantennahe R¨ ontenabsorptionsspektroskopie – X-ray Absorption Near Edge Spectroscopy XAS . . . . . . . . . . R¨ ontgenabsorptionsspektroskopie – X-ray Absorption Spectroscopy XPS . . . . . . . . . . Photoelektronenspektroskopie mit R¨ontgenstrahlung – Xray Photoelectron Spectroscopy XUV . . . . . . . . . weiche R¨ ontgenstrahlung (Wellenl¨angen zwischen 40 − 4 nm) ZEKE . . . . . . . . Spektroskopie mit Elektronen ohne kinetische Energie – Zero Electron Kinetic Energy ZKE . . . . . . . . . . (Elektronen) verschwindender kinetischer Energie – Zero Kinetic Energy

11 Zweiatomige Moleku ¨le Der Schritt vom Atom zum Molek¨ ul bringt uns auf eine h¨ ohere, wesentlich komplexere Ebene der Struktur der Materie. Obwohl die Eigenschaften der Atome eine wichtige Rolle bei der Beschreibung der Molek¨ ule spielen, lassen sich Molek¨ ule nicht durch eine bloße Summation ¨ uber atomare Eigenschaften beschreiben. Sie unterscheiden sich vielmehr grunds¨ atzlich von den Atomen, aus denen sie zusammengesetzt sind – nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ. In diesem Kapitel wollen wir durch geeignete N¨ aherungen die wichtigsten molekularen Ph¨ anomene an zweiatomigen Beispielen identifizieren und jeweils m¨ oglichst kompakt einzeln darstellen.

Hinweise f¨ ur den Leser: Dieses Kapitel f¨ uhrt in die Grundlagen der Molek¨ ulphysik ein, deren Verst¨ andnis in den meisten der folgenden Kapitel wie auch in Band 3 vorausgesetzt werden muss. Es ist gewissermaßen ein Herzst¨ uck dieser drei Lehrb¨ ucher. Der Leser sollte sich gr¨ undlich mit allen Aspekten dieses Kapitels besch¨ aftigen.

Eine breite Palette von Methoden steht heute zur Verf¨ ugung, um genaue Information u ulen zu erhalten. Eine ¨ ber Struktur und Dynamik von Molek¨ zentrale Rolle spielt dabei die Spektroskopie in allen Spektralbereichen: vom Radiofrequenzbereich (NMR) u ¨ber den Mikrowellenbereich (ESR und Rotationsspektroskopie), das ferne und nahe Infrarot (Schwingungen), das sichtbare und ultraviolette Spektralgebiet (elektronische Anregung) bis hin zur R¨ontgenspektroskopie (chemische Verschiebung von R¨ontgenlinien). Durch Absorption und Emission elektromagnetischer Strahlung gewinnt man in unterschiedlichsten Verfahren eine F¨ ulle von Information ohne welche unser heutiges Verst¨andnis kleiner aber auch großer Molek¨ ule nicht zu denken w¨are. Daneben seien als besonders wirksame Verfahren zur Strukturbestimmung die R¨ontgenbeugung und die Neutronenstreuung genannt, die sehr direkte Information u aumliche Struktur der Molek¨ ule liefern. Streuphysik, ¨ber die r¨ und in j¨ ungerer Zeit die Kurzzeitphysik, erschließen weitere wichtige Strukturinformation, erlauben es aber vor allem, deren Dynamik, also den Verlauf von Prozessen in und zwischen Molek¨ ulen bei deren Wechselwirkung untereinander und mit Photonen zu untersuchen. Wir werden diese Themen in Kap. 16–18 sowie in Band 3 ausf¨ uhrlich behandeln. Hier legen wir die theoreI.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 1, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

2

11 Zweiatomige Molek¨ ule

tischen Grundlagen f¨ ur das Verst¨ andnis der einfachsten molekularen Systeme, n¨amlich der zweiatomigen Molek¨ ule. Darauf aufbauend werden wir die wichtigsten experimentellen Befunde f¨ ur homonukleare (A2 ) und heteronukleare (AB) diatomare Molek¨ ule behandeln.

11.1 Charakteristische Energie Der große Massenunterschied zwischen Elektronen (me ) und Atomkernen (M ) me ' 10−3 . . . 10−5 M ist eine wesentliche Grundlage f¨ ur die wichtigsten N¨aherungen in der Molek¨ ulphysik. Wie beim Atom haben wir es auch bei Molek¨ ulen praktisch ausschließlich mit elektromagnetischen Wechselwirkungen zu tun. Da die Coulomb-Kraft auf Elektronen und Kerne identisch wirkt, ist die Geschwindigkeit der Atomkerne typischerweise viel kleiner als die der Elektronen. Die Kerne nehmen daher eine nahezu feste Position ein, w¨ahrend sich die Elektronen rasch um sie herum bewegen. Typische Gleichgewichtsabst¨ande R0 = RAB liegen in einem relativ engen Bereich zwischen 0.75 und 1.8 ˚ A. So wird f¨ ur das Wasserstoffmolek¨ ul (H2 ) RHH = 0.7417 ˚ A, f¨ ur Sauerstoff (O2 ) ROO = 1.2074 ˚ A, f¨ ur Stickstoff (N2 ) RNN = 1.0976 ˚ A und f¨ ur Kohlenmonoxid (CO) RCO = 1.1282 ˚ A. In einigen wenigen F¨allen kommen auch gr¨oßere Abst¨ande vor, beispielsweise bei K2 mit RKK = 3.923 ˚ A oder bei I2 mit RII = 2.668 ˚ A. H

Mehratomige Molek¨ ule treten in den verschiedensten Geometrien auf. Ein Beispiel von besonderer Symmetrie ist das Methan (CH4 ), dessen Atome C als Tetra¨eder angeordnet sind, wie in Abb. 11.1 H H skizziert. Der Gleichgewichtsabstand1 betr¨agt hier Abb. 11.1. Tetra¨eder- RCH = (1.08595 ± 0.0003) ˚ A. H

struktur von Methan

11.1.1 Hamilton-Operator f¨ ur zweiatomige Molek¨ ule In diesem Kapitel konzentrieren wir uns ganz auf zweiatomige Molek¨ ule und beginnen damit, den Hamilton-Operator aufzustellen. Dazu benutzen wir auf den Schwerpunkt (O) bezogene Relativkoordinaten, da die Translation des gesamten Molek¨ uls f¨ ur die weitere Betrachtung keine Rolle spielt (thermische Bewegung), wie in Abb. 11.2 skizziert. In atomaren Einheiten (a.u.) wird die 1

Im chemischen Sprachgebrauch nennt man den Gleichgewichtsabstand der Kerne u ange“. Der hier angegebene Wert f¨ ur CH4 basiert ¨ blicherweise Bindungsl¨ ” auf modernsten quantenchemischen Rechnungen und dem Vergleich mit hochpr¨ azisen Infrarot und Raman-Spektren verschiedener Isotopologe von CH4−x Dx nach Stanton (1999).

11.1 Charakteristische Energie

3

Abb. 11.2. Molek¨ ulkoordinaten f¨ ur ein zweiatomiges Molek¨ ul: Die Kernkoordinaten f¨ ur Atom A und B sind durch Großbuchstaben charakterisiert, die Koordinaten der einzelnen Elektronen durch Kleinbuchstaben. Die Massen der beiden Atomkerne werden mit MA und MB bezeichnet, ihre Kernladungszahlen mit ZA und ZB

kinetische Energie der Atomkerne bzw. der N Elektronen Tbn = −

1 ∇2 2µ/mel R

bzw.

Tbe =

 N  X 1 − ∇2ri 2 i=1

(11.1)

mit dem Kernabstand R = RB − RA , der reduzierten Kernmasse µ = MA MB / (MA + MB ) und den Elektronenkoordinaten ri . Das Coulomb-Potenzial f¨ ur alle Teilchen – ebenfalls in a.u. – ist V (r, R) = −

N X i=1

N N X X ZA ZB e2 ZA ZB − + + . (11.2) |r i − RA | |r i − RB | |r i − r k | R i=1

i,k=1 i R mit 1 0 2 4 µ2 ω0 R0 µ2 ω02 R04 Das Molek¨ ul streckt“ sich also mit zunehmender Rotation, und die Rotati” onskonstante wird kleiner. Die gesamte Rotationsenergie des gestreckten Molek¨ uls ergibt sich aus der Energie der Rotation und der potenziellen Energie:

28

11 Zweiatomige Molek¨ ule

WN =

~2 N (N + 1) 1 + k(Rc − R0 )2 2µRc2 2

Setzt man nun Rc ein, entwickelt um R0 und vernachl¨assigt Terme h¨oheren Ordnung, so erh¨ alt man WN =

~4 ~2 N (N + 1) − 3 2 6 N 2 (N + 1)2 + · · · 2 2µR0 2µ ω0 R0

' Bhc N (N + 1) − De hc N 2 (N + 1)2 .

(11.46)

Als Gr¨oßenordnung sch¨ atzt man ab: 3

De =

1 1 4 (Bhc) 4B 3 ~4 4B 3 = = = 2 hc 2ω02 µ3 R06 hc ~2 ω02 ωe2 (Wv /hc)

Der Vergleich mit den in Tabelle 11.6 auf der vorherigen Seite zusammengestellten Parametern f¨ ur CO, NO und NaCl zeigt, dass diese Absch¨atzung recht gut mit den spektroskopisch bestimmten Werten u ¨bereinstimmt. Eine genauere Behandlung der Schr¨ odinger-Gleichung (11.31) erfordert mindestens noch einen weiteren Term. Typischerweise schreibt man: WγvN /hc = Te

elektronischer Term (11.47) 

+ ωe v +

1 2



 − ωe xe v +

1 2

2 Vibration mit Anharmonizit¨at 2

+ Be N (N + 1) − De N 2 (N + 1)   1 N (N + 1) − αe v + 2

Rotation mit Streckkorrektur vib.-rot.-Kopplung

 Der elektronische Term entspricht dabei Te = Wγ (R0γ ) − W0 R00 /hc, und der letzte Term beschreibt die Vibrations-Rotationskopplung, die man auch ¨ als Anderung der Rotationskonstanten B durch die Schwingungsaufweitung verstehen kann. Oft geht man noch weiter: 2

F (N ) = Bv N (N + 1) − De N 2 (N + 1)   2  1 1 mit Bv = Be − αe v + + ... + γe v + 2 2

(11.48) (11.49)

Und auch die Vibrationsterme werden entsprechend weiterentwickelt:    2 3  1 1 1 G(v) = ωe v + + ωe ye v + + ... − ωe xe v + 2 2 2

(11.50)

Die spektroskopische Genauigkeit tr¨ agt in Einzelf¨allen so  weit, dass eine Entwicklung bis zur 6ten oder gar 10ten Potenz von v + 21 sinnvoll wird (s. z.B. Mantz et al., 1971; LeRoy, 1970).

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

29

11.3.6 Dunham Koeffizienten Noch etwas allgemeiner schreibt man die Eigenwerte der Schr¨odinger-Gleichung (11.31) als Reihenentwicklung nach beiden Quantenzahlen v und N : WvN /hc =

X

i  1 k N k (N + 1) Yik v + 2

(11.51)

Diese Darstellung wurde erstmals von Dunham (1932) schon in den fr¨ uhen Jahren der Quantenmechanik eingef¨ uhrt und setzt sich zunehmend durch. Zum Vergleich verschiedener spektroskopischer Literatur ist es n¨ utzlich, fol¨ gende Aquivalenzen der Dunham-Koeffizienten Yik – nicht zu verwechseln mit den Kugelfl¨achenfunktionen! – festzuhalten: Y10 Y20 Y30 Y40 Y01

' ωe ∝ 1/µ1/2 ' −ωe xe ∝ 1/µ ' ωe ye ∝ 1/µ3/2 ' ωe ze ∝ 1/µ2 ' Be ∝ 1/µ

Y11 Y21 Y02 Y12 Y03

' −αe ∝ 1/µ3/2 ' γe ∝ 1/µ2 ' −De ∝ 1/µ2 ' −βe ∝ 1/µ5/2 ' −He ∝ 1/µ3

(11.52)

Es handelt sich hierbei um N¨ aherungen, die aber f¨ ur die meisten Vergleichszwecke ausreichend sind. Die genauen Ausdr¨ ucke findet man in der Originalarbeit von Dunham (1932). Wir notieren hier lediglich, dass die Vibrationsterme wegen der Anharmonizit¨ aten gegen¨ uber dem Potenzialminimum streng bei G(v) + Y00

mit 2

Y00 = Be /4 + αe ωe /12Be + (αe ωe ) /144Be3 − ωe xe /4 liegen (Mantz et al., 1971). Wichtig ist auch die Abh¨angigkeit von der reduzierten Masse, welche es gestattet, die Spektren unterschiedlicher Isotopologe entsprechend zu vergleichen.

11.4 Dipolu ange ¨ berg¨ ¨ Welche Uberg¨ ange werden nun durch elektromagnetische Wellen tats¨achlich induziert? Zur Beantwortung dieser Frage k¨ onnen wir direkt an das in Kap. 4, Band 1 f¨ ur Atome Behandelte ankn¨ upfen. Die Rotationsspektren (Infrarot bzw. Mikrowellen) sind wegen des ν 3 -Faktors bei den Einstein-Koeffizienten Af i ∝ Bf i ν 3 nur in Absorption beobachtbar (bei speziellen Anordnungen ggf. auch in induzierter Emission), nicht aber in spontaner Emission. F¨ ur ein zweiatomiges Molek¨ ul mit N Elektronen der Ladung −e0 und den Kernladungen +e0 Zk wird der im Regelfall relevante Dipoloperator ! ! 2 N N X X X e D (R, r) = e0 r i = e0 ZR − Zk Rk − ri , (11.53) k=1

i=1

i=1

30

11 Zweiatomige Molek¨ ule

wobei wir mit r wieder alle Elektronenkoordinaten zusammenfassen. Bez¨ uglich der Atomkerne wirkt das Feld auf eine abstandsgewichtete, mittlere Ladung e = (ZA RA + ZB RB )/(RA + RB ) . Z

(11.54)

¨ Die Ubergangswahrscheinlichkeit von Zustand a (= b γvN M ) in den Zustand b (= b γ 0 v 0 N 0 M 0 ) ist proportional zum Quadrat des Dipol(¨ ubergangs)matrixelements zwischen den beiden Zust¨ anden: Z D b←a = Ψb∗ (r, R) D (R, r) Ψa (r, R) d3 R d3 r (11.55) Z  ∗ = YN 0 M 0 (Θ, Φ) R−1 R∗γ 0 v0 N 0 (R) φ∗γ 0 (r; R) × D (R, r) ×φγ (r; R) R−1 RγvN (R) YN M (Θ, Φ) d3 R d3 r Hier haben wir (11.7) und (11.30) eingesetzt. Es gilt nun, dieses nicht mehr ¨ triviale Matrixelement f¨ ur die verschiedenen Ubergangstypen auszuwerten. 11.4.1 Rotations¨ uberg¨ ange Bei reinen Rotations¨ uberg¨ angen bleibt der Schwingungszustand v und der elektronische Zustand γ unver¨ andert. Mit d3 R = R2 dR sin Θ dΘ dΦ und b R, dem Einheitsortsvektor der relativen Kernkoordinate, l¨asst sich das Di¨ ur einen Ubergang N 0 ← N in Radialteil pol¨ ubergangsmatrixelement (11.55) f¨ und Winkelanteil trennen: Z b YN M sin Θ dΘ dΦ 0 D N ←N = Dγv YN∗ 0 M 0 R (11.56) Dabei ist Dγv das permanente Dipolmoment des Molek¨ uls im Zustand |γvi. Machen wir von der Symmetrie um die Molek¨ ulachse Gebrauch, beziehen wir b und identifialso die elektronischen Koordinaten auf die Molek¨ ulachse (k R) zieren diese f¨ ur die Elektronen mit ζi , so ergibt sich mit (11.53) aus (11.55) ! Z Z X N 2 2 3 e − Dγv = e0 ζi |φγ (r; R)| d r i |Rγv (R)| dR, ZR (11.57) i=1

wieder mit r = {r 1 r 2 . . . r N } f¨ ur alle elektronischen Koordinaten. Die Beitr¨age der beiden anderen Komponenten ξi und ηi verschwinden in dieser Symmetrie bei der Mittelung u ¨ber alle r i . Reine Rotationsspektren werden also nur bei Molek¨ ulen mit einem permanenten Dipolmoment beobachtet, nicht jedoch bei homonuklearen Molek¨ ulen wie H2 , N2 . Daher sind von den Beispielen der Tabelle 11.4 nur HCl und CO infrarotaktiv. Die Auswahlregeln ergeben sich ganz analog zu den ∆` und uhrlich beschrie∆m` Auswahlregeln bei Atomen, wie in Kap. 4.3, Band 1 ausf¨ ben. Um (11.56) auswerten zu k¨ onnen, muss man lediglich das elektronische

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

31

b Dipolmoment e0 r durch das permanente Dipolmoment des Molek¨ uls Dγv R ersetzen und die 3 Komponenten des Einheits-Ortsvektors in Polarkoordinab = {C1−1 (Θ, Φ) , C10 (Θ, Φ) , C11 (Θ, Φ)} . Dabei erh¨alt man ten ausdr¨ ucken R ganz analoge Auswahlregeln: ∆N = ±1 ∆MN = 0, ±1

(11.58) (11.59)

¨ F¨ ur die Absorption, d.h. f¨ ur einen Ubergang N 0 = N + 1 ← N , ist die ¨ Ubergangsenergie in Wellenzahlen ν¯ = (WN +1 − WN ) /hc = B [(N + 1) (N + 2) − N (N + 1)] . = 2B (N + 1) .

(11.60)

Bei der Emission N 0 − 1 ← N 0 gilt entsprechend ν¯ = (WN − WN −1 ) /hc = 2B N .

(11.61)

Die Spektrallinien eines reinen Rotationsspektrums haben also beim starren Rotator stets den gleichen Abstand 2B. Die Messung eines ganzen derartigen Spektrums ist allerdings wegen des dabei zu erfassenden breiten Wellenl¨angenbereichs im Mikrowellen-, Millimeter- und Submillimeter-Gebiet nicht ganz trivial. Man findet meist Zusammenstellungen tabellierter Werte aus verschiedenen Messungen. 100% relative Transmission

Abb. 11.18. Mit den Daten von Lovas et al. (2005) synthetisiertes RotationsAbsorptionsspektrum des CO im IR. Die Linien haben einen Abstand von 2B = 3.84 bis 3.76 cm−1 entsprechend der in Tabelle 11.4 auf S. 20 kommunizierten Rotationskonstante B0 = 1.9225 cm−1 . Die Absorption wurde nach (11.64) abgesch¨ atzt

0

20

40 60 νrot / cm-1

80

100

Wir zeigen in Abb. 11.18 ein k¨ unstlich synthetisiertes Spektrum der CO Rotationslinien im Vibrationsgrundzustand v = 0, das wir einfach aus den ¨ gewonnen haben. bei Lovas et al. (2005) publizierten Ubergangsfrequenzen Es ist recht lehrreich, sich die Intensit¨ aten dieser Linienspektren einmal zu u ur einen bestimm¨berlegen. Die Absorptionswahrscheinlichkeit RN 0 M 0 N M f¨ ¨ ten Ubergang zwischen einzelnen Orientierungszust¨anden |N 0 M 0 i ← |N M i ist

32

11 Zweiatomige Molek¨ ule

proportional zum Betragsquadrat des Rotationsdipolmatrixelements (11.56), welches wir mit (4.69) und (D.26) in Band 1 2

2

RN 0 M 0 N M ∝ |Dγv | |hN 0 M 0 |C1q | N M i| 2

= |Dγv | (2N 0 + 1)(2N + 1) ×



0

N 1N 0 0 0

2 

0

N 1N M q M0

(11.62) 2

schreiben. Dabei sind C1q (Θ, Φ) die renormierten Kugelfl¨achenfunktionen, q charakterisiert die Polarisation des eingestrahlten Lichts und N 0 = N + 1 ist die Rotationsquantenzahl des oberen Zustands; Definitionen und verschiedene algebraische Ausdr¨ ucke f¨ ur die 3j-Symbole findet man in Anhang B, Band 1. Angesichts der Tatsache, dass sehr viele Rotationszust¨ande besetzt ussen wir hier stets auch die sind, wie wir in Abschn. 11.3.3 diskutiert haben, m¨ induzierte Emission ber¨ ucksichtigen! Die Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Projektionszustand |N M i bzw. |N 0 M 0 i des Rotationsterms N bzw. N 0 besetzt zu finden, ist bei einer Temperatur T durch den Boltzmann-Faktor exp (−N (N + 1)βr ) gegeben, wobei βr = Trot /T die auf T normierte Rotationstemperatur ist.10 Nun ist die Wahrscheinlichkeit f¨ ur die Absorption |N 0 M 0 i ← |N M i gleich der f¨ ur die induzierte Emission |N 0 M 0 i → |N M i: 2

2

2

2

RN 0 M 0 N M ∝ |Dγv | |hN 0 M 0 |C1q | N M i| = |Dγv | |hN M |C1q | N 0 M 0 i| ∝ RN M N 0 M 0

Andererseits ist aber der Boltzmann-Faktor f¨ ur den oberen Rotationszustand ¨ etwas kleiner als der f¨ ur den unteren, sodass sich f¨ ur jeden einzelnen Ubergang insgesamt eine Netto-Absorption der eingestrahlten Lichtintensit¨at I ∆I(M 0 N 0 M N )/I 2

0

(11.63) 2

0

0

0

∝ |Dγv | |hN M |C1q | N M i| [exp (−N (N + 1)βr ) − exp (−N (N + 1)βr )] ergibt. Um die Gesamtabsorption zu erhalten, haben wir u ¨ber alle unteren ur und oberen Orientierungszust¨ ande zu summieren. Mit (11.62) ergibt sich f¨ die Rotationslinie N 0 ↔ N insgesamt: X ∆I(N 0 N )/I = ∆I(M 0 N 0 M N )/I M 0M 2

∝ |Dγv | [exp (−N (N + 1)βr ) − exp (−N 0 (N 0 + 1)βr )] ×  0 2 X  2 N 1N N 1 N0 (2N 0 + 1)(2N + 1) × M q M0 0 0 0 0 M M

10

Man beachte, dass f¨ ur den Einzelzustand |N M i das statistische Gewicht gN M = 1 ur alle M −Zust¨ ande eines ist, im Gegensatz zum Faktor 2N + 1, der in (11.37) f¨ Rotationsniveaus N einzusetzen ist

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

33

(WN+1 - WN )/(N +1) / cm-1

Wir k¨onnen nun die Orthogonalit¨ atsrelation (B.25) und (B.36) zur Ermittlung des verbleibenden 3j-Symbols benutzen. Man erh¨alt damit schließlich f¨ ur die Gesamtabsorption der Linie N 0 ← N den einfachen Ausdruck h i 2 N +1 e−N (N +1)βr − e−(N +2)(N +1)βr , (11.64) ∆I(N 0 N )/I ∝ |Dγv | 3 ur den Vibrationsgrundzustand des CO dargestellt ist. der in Abb. 11.18 f¨

3.84

Abb. 11.19. Zentrifugalaufweitung beim CO. Quadratischer Fit an die spektroskopischen Daten von Lovas et al. (2005). Der Ordinatenabschnitt ergibt 2B, aus der leicht gekr¨ ummten Kurve leitet man nach (11.65) die Parameter De und H ab

CO υ=0

3.83 3.82 3.81 0

400

800

1200

(N+1)2

Bei genauerer Analyse der Daten stellt man allerdings fest, dass der Linienabstand mit zunehmendem N leicht abnimmt, was klar auf die in Abschn. 11.3.5 behandelte Zentrifugalaufweitung hinweist. Zur quantitativen Auswertung des experimentellen Materials schreiben wir die Rotationsenergie WN /hc = BN (N + 1) − De N 2 (N + 1)2 + HN 3 (N + 1)3 und erhalten, wie man leicht verifiziert: 2

4

(WN +1 − WN ) /hc(N +1) = 2B−(4De −2H) (N + 1) +6H (N + 1) (11.65) Abbildung 11.19 zeigt diesen Ausdruck f¨ ur CO im Vibrationsgrundzustand 2 v = 0 gegen (N + 1) aufgetragen. In erster N¨aherung ergibt dies eine Gerade, deren Steigung −4De ist, w¨ ahrend man aus dem Ordinatenabschnitt 2B abliest. Die so gewonnen Parameter best¨atigen exakt die Werte in H 35Cl υ = 0 N=1←0 F = 5/2 ← 3/2

3/2 ← 3/2 625.90

1/2 ← 3/2

625.92 625.94 Frequenz / GHz

Abb. 11.20. Mit Fourier-TransformationsSpektroskopie im fernen IR aufgenommener N = 1 ← 0 Rotations¨ ubergang an H 35 Cl im v = 0 Schwingungszustand nach Klaus et al. (1998). Die extreme Pr¨ azision erlaubt es hier ¨ sogar, die Hyperfeinstruktur des Ubergangs 35 aufzul¨ osen ( Cl hat den Kernspin 3/2)

34

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Tabelle 11.6. Die Kr¨ ummung der Fitkurve erlaubt sogar noch den Parameter H = 0.1715(4) Hz zu bestimmen. Heute vermisst man solche Rotationslinien mit h¨ochster Pr¨azision durch Fourier-Transformations-IR-Spektroskopie (FTIR-Spektroskopie). Ein Beispiel zeigt Abb. 11.20. Wir werden das Verfahren in Kap. 15.3.2 noch im Detail erl¨autern. 11.4.2 Stark-Effekt: Polare Molek¨ ule im elektrischen Feld Wir sind jetzt auch ger¨ ustet, den Stark-Effekt, also die Ver¨anderung der Rotationsniveaus polarer Molek¨ ule in einem externen elektrischen Feld zu behandeln. Wir hatten den Stark-Effekt bei Atomen in Kap. 8.5, Band 1 ausf¨ uhrlich diskutiert und festgestellt, dass dieser f¨ ur niedrig liegende elektronische Terme sehr klein ist. Bei hoch liegenden Rydberg-Zust¨anden kann er aber wegen der Wechselwirkung mit eng benachbarten Rydberg-Zust¨anden betr¨achtlich werden. F¨ ur die Rotationszust¨ ande der Molek¨ ule erwarten wir wegen der mit N entsprechend (11.33) quadratisch ansteigenden Energielagen gerade bei niedrigem N den gr¨oßten Stark-Effekt. Das externe Feld vom Betrag E liege in Richtung der z-Achse. Das relevante Wechselwirkungsmatrixelement (8.51) k¨onnen wir dann mit (11.62) hγvN 0 M 0 |Vel | γvN M i = EDγv hN 0 M 0 |C10 (Θ)| N M i

(11.66)

schreiben. Wegen der Eigenschaften der 3j-Symbole gibt es nach (8.55) und (8.56) zu jedem Ausgangszustand N > 0 zwei nicht verschwindende Matrixelemente (f¨ ur N = 0 nur eines): hγvN 0 M 0 |Vel | γvN M i = (11.67) s  (N + 1)2 − M 2    ur N 0 = N + 1  (2N + 1)(2N + 3) f¨ EDγv δM 0 M δN 0 N ±1 s  N2 − M2    ur N 0 = N − 1  (2N − 1)(2N + 1) f¨ Die Diagonalmatrixelemente verschwinden also f¨ ur die jeweils 2N + 1 entarteten M -Zust¨ande eines Rotationsniveaus, und der Stark-Effekt wird quadratisch wie im atomaren Fall bei aufgehobener `-Entartung. Dieser berechnet sich nach (8.60) zu (0)

2

∆WN M = WN M − WN M = |EDγv |

X hN 0 M |C10 | N M i2 . WN − WN 0 0

N 6=N

(11.68)

103 f(N,M )

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

5 0 −5 −10

35

|M | = 0 1 N=4 2

Setzen wir jetzt (11.67) ein, so summieren sich die je zwei Terme zu

3

|EDγv | f (N, M ) (11.69) Bhc 1 N (N + 1) − 3M 2 f (N, M ) = 2 N (2N + 3) (2N − 1) (N + 1) bzw. = −1/6 f¨ ur N = 0

2

∆WN M =

4

Abb. 11.21. Stark-Aufspaltung bei einem polaren Molek¨ ul f¨ ur N = 4

mit

ur den Fall N = 4. Abb. 11.21 illustriert diese etwas komplizierte Formel f¨ Um uns ein Gef¨ uhl f¨ ur die Gr¨ oßenordnung des Stark-Effekts zu verschaffen, betrachten wir das Beispiel CO, welches im Grundzustand ein moderates Dipolmoment von Dγv = 0.3662 × 10−30 C m und eine Rotationskonstante von B = 1.9225 cm−1 besitzt. Bei einer elektrischen Feldst¨arke von 1 kV/cm erh¨alt man damit eine relative Stark-Verschiebung 2

∆WN M |Dγv E| = 2 2 2 f (N, M ) ' 10−6 f (N, M ) , WN M B h c

(11.70)

was angesichts der hohen Pr¨ azision der Mikrowellenspektroskopie durchaus nachweisbar ist. Auch mit elektromagnetischen Wechselfeldern erh¨alt man bei recht moderaten Intensit¨ aten I schon erhebliche Aufspaltungen. Wir schreiben (11.70) in Intensit¨ aten I um und erhalten 2 Dγv 2I I ∆WN M = 2 2 3 f (N, M ) ' 6.9 × 10−10 f (N, M ) WN M B h 0 c W cm−2

(11.71)

im Fall von CO. Damit wird im Feld von Kurzpulslasern die Stark-Aufspaltung solcher Molek¨ ule betr¨ achtlich. So wird die relative Stark-Absenkung des Zustands N = 4, M = 4 im CO schon f¨ ur I = 1010 W cm−2 ca. 6.3%. Der Stark-Effekt ist auch Grundlage f¨ ur die Ausrichtung von Molek¨ ulen durch elektrische Felder oder Laserimpulse. 11.4.3 Schwingungs¨ uberg¨ ange ¨ Wir betrachten auch hier nur Uberg¨ ange innerhalb eines elektronischen Zustands und gehen bei der Auswertung des Dipol¨ ubergangsmoments (11.55) wie in Abschn. 11.4.1 vor. In (11.56) ist jetzt Dγv durch Z Dγv0 ←v = R∗γv0 (R) Dγ (R) Rγv (R) dR mit (11.72) ! Z X N 2 e − Dγ (R) = e0 ZR ζi |φγ (r; R)| d3 r i (11.73) i=1

zu ersetzen. Wir haben hier wieder die Symmetrie des zweiatomigen Molek¨ uls b gew¨ahlt. ausgenutzt und f¨ ur die Elektronenkoordinaten ζi k R

36

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Man kann Dγ (R) (11.73) nun um den Gleichgewichtsabstand R0 herum entwickeln: ∂Dγ (R − R0 ) + · · · (11.74) Dγ (R) = Dγ (R0 ) + ∂R Setzt man dies in (11.72) ein, so verschwindet wegen der Orthogonalit¨at der ¨ Rv (R) bei einem Ubergang ν 0 ← ν der erste Term. Somit wird f¨ ur elektrische, dipolinduzierte (E1) Vibrations¨ uberg¨ ange der lineare Term der Entwicklung verantwortlich: Z ∂Dγ R∗v0 (R) (R − R0 ) Rv (R) dR + · · · (11.75) Dv0 ←v = ∂R R0 Die Auswertung ergibt folgende Auswahlregeln bez¨ uglich der Vibration: Schwingungs¨ uberg¨ ange sind nur erlaubt, wenn ∂Dγ /∂R|R0 6= 0. Da bei homonuklearen Molek¨ ulen das Dipolmoment und damit auch seine Ableitung Null ist, gibt es keine reine Schwingungsanregung in H2 , N2 , O2 , etc. Diese Gase sind im infraroten Spektralbereich transparent. Dagegen ist CO ein starker IR Absorber, da ∂Dγ /∂R|R0 hier sehr groß ist. Die Richtung unden parallel zur Molek¨ ulachse. von ∂D γ /∂R|R0 ist aus Symmetriegr¨ • F¨ ur den reinen, harmonischen Oszillator gilt ∆v = ±1. Die Spektroskopie wird sehr einfach, da der Energieunterschied •

∆G = ωe [(v + 1 + 1/2) − (v + 1/2)] = ωe zu nur einer Spektrallinie f¨ uhrt und unabh¨angig von v ist. Bei gr¨oßeren Genauigkeitsanforderungen muss ber¨ ucksichtigt werden, dass das Potenzial anharmonisch ist, zum anderen k¨onnen auch h¨ohere Ableitungen uhrt dazu, in der Reihenentwicklung (11.74) von Null verschieden sein. Beides f¨ ¨ dass die Auswahlregel ∆v = ±1 nicht mehr streng gilt, und auch Uberg¨ ange mit ∆v = ±2, ±3, . . . schwach erlaubt sind. Auch ¨andern sich im anharmonischen Potenzial die Energieabst¨ ande mit v. Auch die Vibrationszust¨ ande sind im thermischen Gleichgewicht wieder nach Boltzmann besetzt:     g (v) Wv ~ω0 (v + 1/2) Nv = exp − ' exp − mit der (11.76) Zv kB T kB T   ∞ X Wv Zustandssumme Zv = exp − kB T v=0   ∞ X ~ω0 (v + 1/2) exp (−~ω0 /(2kB T )) ' exp − , = kB T 1 − ~ω0 / (kB T ) v=0 wobei der dritte Teil der Gleichungen f¨ ur den harmonischen Oszillator gilt. Da es hier im Gegensatz zur Rotation keine Entartung gibt, also g (v) = 1 ist,

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

37

nimmt Nv monoton mit v ab. F¨ ur die zweiatomigen, kleineren Molek¨ ule gilt, ur einige Beispiele dokumentiert, dass bei Zimwie in Tabelle 11.4 auf S. 20 f¨ mertemperatur ~ω0  kB T (kB 293 K = b 203 cm−1 ). Somit ist im thermischen Gleichgewicht praktisch nur der Vibrationsgrundzustand (v = 0) besetzt. 11.4.4 Rotations-Schwingungs-Spektren Reine Schwingungs¨ uberg¨ ange sind nun freilich nicht m¨oglich, da ja auch hier (11.56) gilt (wobei Dγv durch Dγv0 ←v zu ersetzen ist). Nach (11.58) sind ¨ ¨ aber keine Uberg¨ ange ohne Anderung der Rotationsquantenzahl N m¨oglich (Parit¨atserhaltung). Insgesamt gelten also die Auswahlregeln: ∆v = ±1 (im anharmonischen Fall auch ± 2), und ∆N = ±1 ∆MN = 0, ±1

(11.77)

Nach Herzberg bezeichnet man die oberen Zust¨ande mit v 0 N 0 , die unteren mit v 00 N 00 . Als einf¨ uhrendes Beispiel zeigt Abb. 11.4.4 das Infrarotabsorptionsspektrum des CO im Grundzustand (v 0 = 1 ← v 00 = 0). Man erkennt

Transmission

P-Zweig

N''

20

N'

19

1← 0

R-Zweig

19 20

1 0 0 1

2← 0

CO ×100 2000

4000 2050

υ' = 1 ← υ'' = 0 2100

_ ν / cm-1

2150

2200

2250

Abb. 11.22. Nach HITRAN (Rothman et al., 2009) simulierte RotationsSchwingungsbande f¨ ur CO (R- und P -Zweig) im elektronischen Grundzustand. Schwingungs¨ ubergang v 0 = 1 ← v 00 = 0 bei einer Temperatur von 293 K. Der Einschub zeigt auch die zweite Harmonische v 0 = 2 ← v 00 = 0

38

11 Zweiatomige Molek¨ ule

eine typische Bandenstruktur mit vielen Linien. Das hier gezeigte Spektrum wurde synthetisch aus der HITRAN Datenbank generiert (sogenanntes SticksSpektrum). In dieser Datenbank findet man z.Zt. insgesamt u ¨ber 2.7 Mio. Spektrallinien von 39 Molek¨ ulen – ein echter Schatz f¨ ur den Analytiker und Spektroskopiker, der damit auf diagnostische Gasspurensuche gehen will, etwa in der Erdatmosph¨ are. Diese Bandenstruktur wird durch eine Kombination von Schwingungs- und Rotations¨ uberg¨ angen verursacht. Der Einschub in oßerer, nicht rotationsaufgel¨oster Skala die (wesentlich Abb. 11.4.4 zeigt auf gr¨ schw¨achere) Oberschwingung v 0 = 2 ← v 00 = 0. ¨ ange ur N 0 v 0 ← N 00 v 00 Uberg¨ Die Differenzenergien ν (in Wellenzahlen) f¨ ergeben sich mit (11.48) und (11.50) aus: ν (N 0 v 0 ← N 00 v 00 ) = F (N 0 ) + G(v 0 ) − F (N 00 ) − G(v 00 )

(11.78)

Die wesentlichen Charakteristika der Rotations-Schwingungs-Banden kann man bereits unter Vernachl¨ assigung aller Terme h¨oherer Ordnung in (v + 1/2) und N erkennen. Wir ber¨ ucksichtigen zun¨ achst lediglich die Anharmonizit¨at. ¨ Es gibt im Prinzip drei Zweige“ von Rotations-Schwingungs-Uberg¨ angen (wir ” ur schreiben daf¨ ur ν = P (N ), Q(N ) und R(N )), von denen aber der Q-Zweig f¨ reine Schwingungs¨ uberg¨ ange bei zweiatomigen Molek¨ ulen verboten ist: 1. P -Zweig mit ∆N = −1 (d.h. N 0 = N 00 − 1): P (N 00 ) = ωe − 2ωe xe (v + 1) − 2BN 00

mit

N 00 = 1, 2, 3, . . .

(11.79)

2. Q-Zweig mit ∆N = 0 (verboten bei zweiatomigen Molek¨ ulen): Q(N 00 ) = ωe − 2ωe xe (v + 1) 0

mit N 00 = 0, 1, 2, 3, . . .

(11.80)

00

3. R-Zweig mit ∆N = +1 (d.h. N = N + 1): R(N 00 ) = ωe − 2ωe xe (v + 1) + 2B (N 00 + 1)

mit N 00 = 0, 1, 2, 3, . . . (11.81)

Man beachte, dass der Bandenursprung (Q-Zweig, v 00 = 0) wegen der Anharur das CO-Spektrum monizit¨at nicht bei ωe liegt, wie man es in Abb. 11.4.4 f¨ sieht: nach Tabelle 11.4 auf S. 20 ist ωe = 2 169.756, der Ursprung (zwischen P- und R-Zweig) liegt bei 2 143.24 cm−1 , entsprechend (11.80). Abbildung 11.23 erl¨ autert die Entstehung der Bandenstruktur aufgrund der Rotation schematisch. Gegen¨ uber einem hypothetischen, reinen Schwingungsspektrum (Q-Zweig) Q(N ) = ωe haben die Linien des R-Zweigs eine h¨ohere Energie (R(N ) > ωe ), die des P -Zweigs eine niedrigere (P (N ) < ωe ). Ein Q-Zweig, also Linien mit ∆N = 0, fehlt wegen der Parit¨atsauswahlregel. Etwas pr¨aziser gesagt, liegt das daran, dass das Dipolmoment D γ (R) = b dessen Anderung ¨ Dγ (R)R, ja nach (11.72), (11.73), (11.74) und (11.75) f¨ ur den Schwingungs¨ ubergang verantwortlich ist, parallel zur Molek¨ ulachse

11.4 Dipol¨ uberg¨ ange

N' = 5 4 υ=1 3 21 0 ΔN = −1

Abb. 11.23. Entstehung der P -, (Q-) und RZweige in einem RotationsSchwingungsspektrum

ΔN = +1 ΔN = 0

P-Zweig

39

N'' = 5 4 3 υ=0 21 0

Q-Zweig R-Zweig ν

liegt (wie stets bei zweiatomigen Molek¨ ulen). Man spricht von parallelen“ ” ¨ Uberg¨ angen. Schon bei dreiatomigen, linearen Molek¨ ulen kann das anders sein, wie wir in Kap. 12.2.3 sehen werden.11 Die Intensit¨atsverteilung der Rotations-Schwingungs-Linien l¨asst sich ganz analog zu den f¨ ur reine Rotations-Spektren in Abschn. 11.4.1 gemachten ¨ Uberlegungen verstehen. Sie ist im Wesentlichen wieder durch die thermische Besetzung der Rotationszust¨ ande bestimmt. Allerdings spielt hier die induzierte Emission keine Rolle, da der End-Vibrationszustand anf¨anglich kaum besetzt ist. F¨ ur h¨ohere Genauigkeitsanspr¨ uche muss man nat¨ urlich ber¨ ucksichtigen, dass Terme h¨oherer Ordnung in (v + 1/2) und N zu F (N ) wie auch zu G(v) beitragen und dass Bv nach (11.49) auch vibrationsabh¨angig ist. Damit werden die Spektren wesentlich komplizierter, da die Term-Abst¨ande nicht mehr gleich sind. Bei der Auswertung bedient man sich eines netten Tricks, um die Rotationskonstanten f¨ ur oberes und unteres Schwingungsniveau zu separieren. Man bildet Differenzen von Spektrallinien, bei denen nach (11.50) und (11.48) die einen oder anderen Konstanten herausfallen: R(N − 1) − P (N + 1) = (4B 00 − 6De00 ) (N + 1/2) − 8De00 (N + 1/2)3 (11.82) R(N ) − P (N ) = (4B 0 − 6De0 ) (N + 1/2) − 8De0 (N + 1/2)3

(11.83)

Durch entsprechende Auftragung und Fitten der Daten (analog zu dem in Abschn. 11.3.5 diskutierten Verfahren) kann man die 4 gesuchten Parameter B 0 und De0 f¨ ur den oberen bzw. B 00 und De00 f¨ ur den unteren Vibrationszustand bestimmen. Darauf aufbauend erh¨ alt man die Schwingungskonstanten. 11

¨ Auch bei Uberg¨ angen zwischen verschiedenen elektronischen Zust¨ anden kann es durchaus einen Q-Zweig geben: n¨ amlich dann, wenn der Photonendrehimpuls auf uck. die Elektronenh¨ ulle u ¨bertragen wird. Wir kommen darauf in Kap. 15.4.4 zur¨

40

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Durch Vermessung mehrerer Vibrationszust¨ ande ermittelt man schließlich die Anharmonizit¨aten. Wie bei reinen Rotationslinien beobachtet man auch bei Rotations-Schwingungs-Linien einen Isotopen-Effekt. Neben der Ver¨anderung des Tr¨agheitsmoments p I0 spielt jetzt auch die Verschiebung der Schwingungsfrequenz ω0 = k/µ eine Rolle. In der Regel ist die Isotopenverschiebung der Schwingungslinien st¨arker als die Verschiebung der Rotationslinien. Als Beispiel zeigen wir in Abb. 11.24 das Infrarotabsorptionsspektrum des HCl, welches ebenfalls wegen seines (großen) Dipolmoments infrarotaktiv ist. Das Spektrum (wieder eine Modellierung mit Hilfe der HITRAN Datenbank) zeigt, dass man bei der Interpretation solchen Spektren die Isotopologe durchaus ber¨ ucksichtigen muss.

2700

3015 2945 2963

2981

2998

2906

2800 _ 2900 ν / cm-1

2926

2866 2844

2799 2822

2776

Transmission

2752

_ ν0

die tieferen Minima rühren von H35Cl, die kleineren von H37Cl her 2600

3030 3045 3059 3073

R-Zweig

2703 2728

2678

2652

2626

P-Zweig

3000

HCl 3100

Abb. 11.24. Nach HITRAN (Rothman et al., 2009) simulierte Rotations-Schwingungsbande (Absorptionsspektrum; Sticks) von HCl

11.4.5 Rydberg-Klein-Rees-Verfahren Bevor wir uns der ab initio (also der quantenmechanischen) Berechnung der Molek¨ ulpotenziale zuwenden, wollen wir noch kurz eine wichtige Standardmethode zur Bestimmung von Potenzialkurven zweiatomiger Molek¨ ule aus experimentellen Daten vorstellen. Das von Rydberg, Klein und Rees schon in den fr¨ uhen Jahren der Quantenmechanik entwickelte sogenannte RKR-Verfahren benutzt die gemessenen Rotations-Schwingungs-Spektren in einem semiklassischen Ansatz, um die L¨ osung der Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur Energien und

11.5 Molekulare Orbitale

41

Kernwellenfunktion sozusagen umzukehren. Dazu m¨ ussen die Vibrationsterme G(v) und die Rotationskonstanten B(v) m¨oglichst genau und f¨ ur viele v bekannt sein. Diese Funktionen werden als kontinuierlich aufgefasst, und man bestimmt daraus die klassischen Umkehrpunkte Rmax (v, N = 0) und Rmin (v, N = 0). Aus diesen l¨ asst sich dann das Potenzial konstruieren, wie in Abb. 11.7 auf S. 12 illustriert. Man kann streng zeigen, dass p p Rmax = f 2 − f /g + f und Rmin = f 2 − f /g − f (11.84) ist. Dabei gilt Z v ~ 1 dv 0 p (Rmax − Rmin ) = √ 2 2hcµ vmin G(v) − G(v 0 )  √  Z 2hcµ v 1 1 B(v 0 )dv 0 1 p = − g= . 2 Rmax Rmin ~ G(v) − G(v 0 ) vmin

f=

(11.85) (11.86)

Die Auswertung dieser Integrale ist nicht ganz trivial und der interessierte Leser sei auf die Literatur verwiesen, z.B. auf Mantz et al. (1971); Fleming und Rao (1972), wo auch die Originalzitate zu finden sind.

11.5 Molekulare Orbitale 11.5.1 Variationsverfahren rA

e-

rB

r

A O

B R

Abb. 11.25. Koordinaten f¨ ur das H+ ul 2 -Molek¨

Wir wenden uns nun dem elektronischen Teil der Schr¨ odinger-Gleichung (11.9) zu und werden das ¨ Verfahren der Ubersichtlichkeit halber am einfachsten aller Molek¨ ule, dem H+ , erl¨ autern. Die Erwei2 terung auf Mehrelektronensysteme ist aber relativ geradlinig. Mit den in Abb. 11.25 definierten Koordinaten wird der Hamilton-Operator (wieder in a.u.): 2 2 2 b el = − 1 ∇2r − e0 − e0 + e0 H 2 rA rB R

(11.87)

F¨ ur eine grobe Bestimmung der Potenziale, also der elektronischen Energien als Funktion von R, benutzt man hier traditionsgem¨aß das Variationsverfahren. Man w¨ ahlt eine geeignet parametrisierte Testfunktionen φ(r i ; R), b = W φ umschreibt: mit der man die Schr¨ odinger-Gleichung Hφ Z Z ∗ b 3 φ∗ φ d3 r (11.88) W = φ Hφ d r Dabei muss φ(r; R) nicht zwingend auf 1 normiert sein. Den besten Energie¨ wert erh¨alt man durch Variation von φ (also durch Anderung der φ definierenden Parameter) so, dass W ein Minimum wird. Formal minimiert man also !

das Funktional W (φ), indem man ∂W (φ)/∂φ = 0 sucht.

42

11 Zweiatomige Molek¨ ule

MOs aus LCAO Als Testwellenfunktion f¨ ur die molekularen Orbitale (MO) benutzt man in der Molek¨ ulphysik oft eine lineare Kombination von atomaren Orbitalen (sogenannte MO aus LCAO: linear combination of atomic orbitals): X X φ(r; R) = ci Φi (r k ) (11.89) i

k=A,B

Zu summieren ist u ¨ber eine angemessene Zahl von Atomorbitalen i sowie u ¨ber die beiden Atomkerne k = A, B. Im einfachsten Fall sind die Φi Eigenfunktionen des H-Atoms, allerdings jetzt bei verschiedenen Atomen lokalisiert, sodass man sie auf das gemeinsame Koordinatensystem mit dem Ursprung O umtransformieren muss. Bei unterschiedlichen Massen MA und MB ist der Ursprung O in Abb. 11.25 in Richtung der schwereren Masse verschoben, und es wird mit M = MA + MB : r B = r − (MA /M ) R

und r A = r + (MA /M ) R

(11.90)

(Im Falle mehrerer beteiligter Elektronen stehen r, r A und r B f¨ ur jeweils alle Elektronenkoordinaten.) Man variiert die Koeffizienten ci nun so, dass (11.88) eine m¨oglichst niedrige Energie liefert. Durch Einsetzen der LCAOTest“-Wellenfunktion φ nach (11.89) erhalten wir: ” RP ∗ ∗ P b ci Φi H ck Φk d3 r i k ε= R P ∗ ∗P >W ci Φi ck Φk d3 r i

k

Hierbei ist der Testenergiewert ε stets gr¨ oßer als der wahre Energieeigenwert W . Da die Koeffizienten ci reine (komplexe) Zahlenfaktoren sind, k¨onnen Summation und Integration vertauscht werden. Wir erhalten: PP ∗ ci ck Hik i k (11.91) ε = PP ∗ ci ck Sik i

Z mit

Hik =

k

b k d3 r Φ∗i HΦ

Z und Sik =

Φ∗i Φk d3 r ,

wobei Sii = 1, da die atomaren Orbitale Φi normiert sind. Man beachte aber, ¨ dass die sogenannten Uberlappintegrale Sik f¨ ur i 6= k nur f¨ ur Orbitale an identischen Atomen verschwinden. Gesucht wird das Minimum von ε, das dem wahren Eigenwert W am n¨ achsten kommt. Es muss also f¨ ur alle i ∂ε ∂ε = ∗ =0 ∂ci ∂ci werden. Hierzu wird (11.91) umgeschrieben

11.5 Molekulare Orbitale

XX i

c∗i ck Hik = ε

XX i

k

43

c∗i ck Sik

k

und nach c∗i differenziert. Mit ∂ε/∂c∗i = 0 erhalten wir nach Umordnung X (Hik − εSik ) ck = 0 (11.92) k

f¨ ur den optimalen Satz {ck }. Dieses homogene lineare Gleichungssystem hat nur dann nicht triviale L¨ osungen, wenn det (Hik − ε Sik ) = 0 .

(11.93)

Hieraus erh¨alt man eine charakteristische Gleichung (Polynom) f¨ ur ε. Die L¨osungen εγ (Nullstellen des Polynoms) sind die gesuchten Energien des elektronischen Systems und werden in das lineare Gleichungssystem (11.92) eingesetzt, um die Koeffizienten {cγk } zu berechnen (je ein Satz f¨ ur jedes εγ ). 11.5.2 Spezialisierung auf H+ 2 Wir setzen die tiefst liegenden MOs einfach aus zwei atomaren 1s-Wasserstofforbitalen (AOs) zusammen, die jeweils auf einem der beiden Protonen zentriert seien: 1/2  A B 1 e−rA /a0 und auf Proton A: ΦA = Φ1s (rA ) = a0 π  1/2 A B 1 auf Proton B: ΦB = Φ1s (rB ) = e−rB /a0 a0 π Die beiden AOs sind schematisch in Abb. 11.26 skizziert. Da ΦA und ΦB ¨ normiert sind, gilt SAA = SBB = 1. Zu berechnen ist das Uberlappintegral S (R): Z S (R) = SAB (R) =

Φ∗1s (rA ) Φ1s (rB ) d3 r

Dieses Zwei-Zentren-Integral hat die Grenzwerte S

(11.94)

= 0 und S = 1.

R→∞ ΦA und

R→0

Zur Berechnung der Hik wird ausgenutzt, dass ΦB Eigenfunktionen des H-Atoms sind. Wir schreiben (in atomaren Einheiten):

44

11 Zweiatomige Molek¨ ule

ΦA A

ΦB R

B

Abb. 11.26. ¨ Uberlappbereich (schraffiert) der am Kern A bzw. B lokalisierten Atomorbitale

bA =H }| { b el = −O2 − 1 − 1 + 1 H e r rB R | {zA } bB =H z

Damit wird: Z Z b A Φ1s (rA ) d3 r A − Φ∗1s (rA ) 1 Φ1s (rA ) d3 r A + 1 HAA = Φ∗1s (rA ) H {z } | rB R W1s Φ1s (rA ) Z 1 1 Φ1s (rA ) d3 r A = W1s + − Φ∗1s (rA ) R rB 1 (11.95) = W1s + − C(R) R Das Coulomb-Integral C(R) ist positiv und −C(R) ist einfach die Wechselwirkung der um den Kernort A verteilten Elektronenladung mit der positiven Ladung von Kern B, die bei großem R verschwindet und bei kleinem R gerade die Coulomb-Abstoßung der Kerne kompensiert. Aus Symmetriegr¨ unden gilt: Z b el Φ1s (rB ) d3 r B = HAA HBB = Φ∗1s (rB )H Das Matrixelement HAB wird auch Resonanz-Integral genannt: Z Z 1 −1 ∗ 3 b B ] Φ1s (rB )d3 r b + +H HAB = Φ1s (rA )Hel Φ1s (rB ) d r = Φ∗1s (rA )[ {z } rA R | W1s Φ1s (rB )   Z 1 1 = W1s + Φ1s (rB ) d3 r S(R) − Φ∗1s (rA ) R rA   1 = W1s + S(R) − K(R) = HBA (aus Symmetriegr¨ unden) R (11.96) Das Integral K(R) ist eine Art Austauschintegral. F¨ ur nicht allzu kleine R ¨ wird HAB kleiner als Null, da das Uberlappintegral S mit zunehmendem R kleiner wird, und −K(R) dominiert.

11.5 Molekulare Orbitale

W1s

(HAA – HAB )/(1– S ) ψu = 1σu*

A

Wir erhalten damit die Determinante: HAA − ε HAB − εS HAB − εS HAA − ε = 0 (11.97)

W1s B

ψg = 1σg

45

Die charakteristische Gleichung ist eine quadratische Gleichung in ε mit den L¨osungen:

(HAA + HAB )/(1+ S )

HAA − HAB 1−S HAA + HAB εg = 1+S

Abb. 11.27. Energieschema f¨ ur H+ 2 : Anhebung bzw. Absenkung der 1s Energien f¨ ur das 1σu∗ bzw. 1σg MO

und

εu =

(11.98) (11.99)

Mit HAB < 0 f¨ uhrt dies zu dem in Abb. 11.27 skizzierten Energieschema. Durch Einsetzen der ε-Werte in das Gleichungssystem (11.92) k¨onnen auch die Koeffizienten c1 und c2 berechnet werden: 1 (g) (g) cA = cB = p 2 (1 + S)

(u) (u) und cA = −cB = p

|ψg|2

|ψu|2

ψg

ψu A

B

A +

H2

B

1 2 (1 − S)

(11.100)

Abb. 11.28. LCAOMolek¨ ulorbitale f¨ ur H+ 2 aus φ1s (rA ) und φ1s (rB ) f¨ ur die tiefst liegenden Zust¨ ande. Die endliche Elektronendichte zwischen den Atomkernen A und B beim φg MO f¨ uhrt zur Molek¨ ulbindung

Damit ergeben sich als LCAO-MOs von H+ uber Inversion r → −r 2 ein gegen¨ gerader (g) und ein ungerader (u) Zustand: φg = p φu = p

1 2 (1 + S (R)) 1 2 (1 − S (R))

[Φ1s (rA ) + Φ1s (rB )]

(11.101)

[Φ1s (rA ) − Φ1s (rB )]

(11.102)

ur die beiden Abbildung 11.28 illustriert diese MOs (Wellenfunktionen) f¨ Zust¨ande (mehr zur g-u Symmetrie in Abschn. 11.5.4). Die Ladungsdichte wird

46

11 Zweiatomige Molek¨ ule 2

−e0 [Φ∗ (rA ) ± Φ∗1s (rB )] [Φ1s (rA ) ± Φ1s (rB )] (11.103) 2 (1 ± S) 1s i −e0 h 2 2 = |Φ1s (rA )| + |Φ1s (rB )| 2 (1 ± S) e0 [Φ∗ (rA ) Φ1s (rB ) + Φ∗1s (rB ) Φ1s (rA )] , ∓ 2 (1 ± S) 1s | {z } ¨ Uberlapp der Atomorbitale

−e0 |φg,u | =

wobei die Vorzeichen ± f¨ ur den g bzw. u Zustand gelten. Die Wellenfunktionen haben Zylindersymmetrie um die Molek¨ ulachse. Außerdem gilt: •

Das φg = 1σg -Orbital mit der Energie εg (R) hat gerade Inversionssymmetrie, das Vorzeichen der Wellenfunktion ¨ andert sich also nicht bei Inversion r → −r. Es beschreibt den energetisch tiefst liegenden Zustand des H+ 2Molek¨ uls, also den Grundzustand, und ist ein bindendes Orbital. • Das φu = 1σu∗ -Orbital mit der Energie εu (R) hat ungerade Symmetrie, das Vorzeichen der Wellenfunktion ¨ andert sich bei Inversion r → −r. Es ist ein antibindendes Orbital, was durch den * gekennzeichnet wird. F¨ ur die Bindung des symmetrischen Orbitals ist das negative Vorzeichen von HAB verantwortlich, also nach (11.96) letztlich das Austauschintegral Z 1 Φ1s (rB ) d3 r . (11.104) K(R) = Φ∗1s (rA ) rA ¨ Entscheidend f¨ ur die Bindung ist damit der Uberlapp der Atomorbitale Φ1s (rA ) und Φ1s (rB ), d.h. der zweite Term in der Ladungsdichte (11.103). Man kann f¨ ur das H+ 2 die Energien εg und εu nach (11.98) und (11.99) als Funktion von R explizit berechnen und so die Potenziale bestimmen, also auch den Gleichgewichtsabstand R0 und die Bindungsenergie De . Einsetzen der Integrale (11.95) und (11.96) ergibt:    W1s + R1 − C (R) ± W1s + R1 S (R) − K (R) HAA ± HAB = εg,u (R) = 1±S 1 ± S (R) 1 C (R) K (R) εu (R) = W1s + − + (11.105) R 1 − S (R) 1 − S (R) C (R) K (R) 1 − (11.106) εg (R) = W1s + − R 1 + S (R) 1 + S (R) Die endliche Ladungsdichte zwischen den Atomen im Falle von φg , in Abb. 11.28 erkennbar, f¨ uhrt zur Anziehung und Stabilisierung des H+ uls. 2 -Molek¨ Die Zwei-Zentren-Integrale S (R), C (R) und K (R) k¨onnen analytisch berechnet werden. Dazu verwendet man konfokale elliptische Koordinaten. Wir kommunizieren hier nur das Ergebnis (wieder in atomaren Einheiten):

11.5 Molekulare Orbitale

47

  1 2 −R S (R) = 1 + R + R e 3  1  1 − (1 + R) e−2R C (R) = R K (R) = [1 + R] e−R

W(R) / W0

2Σ +

u

0.10 1σg LCAO

0.05 0.00

1

2

De

R0

3

1σu* LCAO 2 1 4

- 0.05 - 0.10

2Σ +

g

W(R) / eV 3

exakt

exakt

5

R / a0 -1 -2 -3

Abb. 11.29. Potenziale f¨ ur das H+ -Molek¨ u l: LCAO2 Orbitalenergien in einfachster Form (gestrichelt) und Vergleich mit dem exakten Potenzial nach Sharp (1971) (volle Linien). F¨ ur den Grundzustand (1σu bzw. 2 Σ+ g ) liefert LCAO ein grobe N¨ aherung. F¨ ur den repulsiven Zustand sind exaktes 2 Σ+ Potenzial u und N¨ aherung (1σu∗ ) praktisch identisch. Der Energienullpunkt ist f¨ ur dissoziierte Atome festgelegt

Wie in Abb. 11.29 dokumentiert, erh¨ alt man mit diesem einfachsten LCAO Ansatz (gestrichelt) bereits ein nicht unvern¨ unftige Potenzial f¨ ur den binden˚ -Zustand, mit R ' 1.32 A und D ' 1.77 eV. Die Energie des den 1σg 2 Σ+ 0 e g repulsiven, antibindenden Zustands ist ebenfalls in Abb. 11.29 eingetragen. Interessanterweise ist f¨ ur das H+ ul (als einziges Molek¨ ul u ¨berhaupt) 2 −Molek¨ eine vollst¨andig analytische L¨ osung m¨ oglich, da sich der Hamilton-Operator Hel in konfokalen elliptischen Koordinaten separieren l¨asst. Man erh¨alt dann R0 = 1.06 ˚ A und De = 2.79 eV, die den experimentellen Werten R0 ' 1.06 ˚ A und De ' 2.65 eV sehr nahe kommen (volle rote Linie in Abb. 11.29). 11.5.3 Ladungsaustausch im System H+ 2 Die Symmetrieeigenschaften des H+ uls geben Anlass zu einer Reihe 2 Molek¨ von interferenzartigen, experimentell direkt beobachtbaren Ph¨anomenen. Sie h¨angen damit zusammen, dass das Molek¨ ul gerade oder ungerade Symmetrie haben kann. In beiden Zust¨ anden ist die Wahrscheinlichkeit gleich groß, das Elektron am einen oder am anderen Ion zu finden. Man kann die beiden Positionen quantenmechanisch streng genommen gar nicht unterscheiden. Trennt man aber die beiden Kerne durch einen Stoß oder in einem photoinduzierten Dissoziationsprozess, dann muss sich das Elektron w¨ahrend dieser Trennung irgendwann einmal entscheiden“, bei welchem der beiden Kerne es auf Dauer ” verbleiben will.

48

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Ladungsaustausch im Stoßprozess H+ + H Das klassische Beispiel sind St¨ oße zwischen einem Proton und einem H-Atom, erstmals von Lockwood und Everhart (1962) untersucht. Ein schneller Protonenstrahl wird durch ein Targetgas von H-Atomen geschickt. Wenn sich die beiden Atomkerne nahe begegnen ( close encounter“), wird kurzzeitig ein H+ 2” Molek¨ ul gebildet. Dabei wird prinzipiell ununterscheidbar, welcher Kern die Elektronenladung tr¨ agt, es kann also Ladung zwischen den beiden Protonen ausgetauscht werden. In der Gesamtbilanz sind zwei Prozesse m¨oglich:

H e-

H+ pB

pA t p'B

(a) p'B

H2+ p' A e-

H e- p'A H+

H + H+ → (H+ 2)

(b) p'B

H+

eH

p'A

Abb. 11.30. Ladungsaustausch im H+ +H Stoß schematisch mit den Impulsen der Teilchen pA,B und p0A,B vor bzw. nach dem Stoß. Die Zeit t l¨ auft von oben nach unten im Bild. Vor dem Stoß ist die Ladung an einem der Protonen fixiert. Im Stoß bildet sich kurzzeitig H+ 2 . Nach dem Stoß kann sich das System entweder in Konfigurationen (a) oder (b) befinden

% H + H+ elastischer Stoß & H+ + H Ladungsaustausch

(a) (b)

(11.107)

usse“ im Schwerpunktsystem ilDies ist in Abb. 11.30 durch Schnappsch¨ ” lustriert. Nach dem Stoß weist man den Ladungsaustausch nach, indem man die neu gebildeten, schnellen H-Atome detektiert, die unter einem bestimmten Winkel θ (in diesem speziellen Experiment θ = 3◦ ) gestreut werden. Im Experiment werden zun¨ achst alle unter dem Winkel θ gestreuten Teilchen durch eine Aperturblende von den ungestreuten getrennt und mit einem Teilchenmultiplier nachgewiesen (Signal SA + SB ). Sodann lenkt man aus diesem gestreuten Teilchenstrahl die Protonen mit Hilfe eines elektrischen Feldes ab und weist nur die schnellen H-Atome (Signal SB ) nach. So stellt man sicher, dass eine nahe Begegnung der beiden Protonen stattgefunden hat, und bestimmt die Wahrscheinlichkeit we = SB /(SA + SB ) f¨ ur den Elektronenaustausch. W¨ahrend der Zeit intensiver Wechselwirkung kann man prinzipiell nicht unterscheiden, ob sich das System H+ + H auf der zu φg (1σg ) bzw. zu φu (1σu ) geh¨origen Potenzialkurve bewegt (s. Abb. 11.29 auf der vorherigen Seite). Man hat es quasi mit einem Doppelspaltexperiment“ zu tun und muss da” her Amplituden f¨ ur die beiden m¨ oglichen Wege addieren, was zu typischen Interferenzph¨anomenen f¨ uhrt. Vor dem Stoß (t → −∞) ist das Elektron beim

11.5 Molekulare Orbitale

49

Proton A lokalisiert. Mit (11.101) und (11.102) kann man dies f¨ ur R → ∞ (wo S = 0 wird) ins molekulare H+ 2 -Bild umschreiben: 1 Φ1s (rA ) ≡ √ (φg + φu ) 2

(11.108)

Wenn wir nun die zeitliche Entwicklung beschreiben wollen, m¨ ussen wir ber¨ ucksichtigen, dass die beiden Zust¨ ande unterschiedliche Zeitabh¨angigkeiten     εg (R) εu (R) φg (R, t) = φg exp −i t bzw. φu (R, t) = φu exp −i t ~ ~ (11.109) haben, da die Energien f¨ ur g- und u-Zustand bei der√Ann¨aherung aufspalten. Die Anfangswellenfunktion Φ1s (rA ) = (φg + φu ) / 2 entwickelt sich daher ebenfalls zeitabh¨ angig und wird: 1 φ (t) ' √ [φg exp (−iεg t/~) + φu exp (−iεu t/~)] 2

(11.110)

Mit ∆W = εg (R) − εu (R) und W = (εg (R) + εu (R)) /2 kann man dies umschreiben zu:   1 ∆W t ∆W t 1 φ (t) ' √ (φg + φu ) cos + i √ (φg − φu ) sin exp (−iW t/~) 2~ 2~ 2 2 (11.111) Die Phasenfaktoren sin (∆W t/2~) und cos (∆W t/2~) sorgen also f¨ ur zeitlich wechselnde Vorzeichen von φg und φu . Daher wird φ (t) abwechselnd 1 √ (φg + φu ) ' Φ1s (rA ) 2

oder

1 √ (φg − φu ) ' Φ1s (rB ) . 2

W¨ahrend der Wechselwirkung oszilliert“ das Elektron also sozusagen zwi” schen Proton A und Proton B hin und her. Streng genommen gilt der Ansatz (11.110) nat¨ urlich nur f¨ ur konstante Energieaufspaltung zwischen g- und u- Zustand. F¨ ur eine gute Absch¨atzung der Situation nach dem Stoß gen¨ ugt es aber, u ¨ber die gesamte Zeit τcol des Stoßprozesses zu mitteln12 und zu ersetzen:   Z ∞ ∆W t 1 ∆W t → ∆W (R) × dt (11.112) = 2~ 2~ 2~ −∞ Z ∞ ha∆W (R)i 1 1 = ∆W (R) × dR = (11.113) 2~v −∞ 2~ v Dabei haben wir etwas u ¨bersimplifizierend die Relativgeschwindigkeit der Teilchen mit v = dR/dt identifiziert, d.h. wir haben eine gerade Trajektorie entlang der internuklearen Achse angenommen. Schließlich schreiben wir das 12

Das entspricht im Wesentlichen dem semiklassischen WKB-Verfahren.

50

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Integral als Mittelwert aus Wechselwirkungsl¨ ange a und Energieaufspaltung als ha∆W (R)i aus. Dies entspricht einer effektiven Wechselwirkungszeit τcol = a/v

(11.114)

u ¨ber eine mittlere Ausdehnung des Potenzials a. Nach dem Stoß k¨onnen wir die Wellenfunktion (11.111) des Systems wieder als lineare Superposition von Atomorbitalen Φ1s (rA ) und Φ1s (rB ) identifizieren:     ha∆W (R)i 1 ha∆W (R)i 1 lim φ (t) = Φ1s (rA ) cos + iΦ1s (rB ) sin t→∞ 2~ v 2~ v Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron nach dem Stoß am Proton A bzw. B zu finden, wird durch das Quadrat der Amplituden gegeben, also durch cos2 (..) bzw. sin2 (..). Die Elektronenaustauschwahrscheinlichkeit wird also   ha∆W (R)i 1 we = sin2 . (11.115) 2~ v Wir erwarten ein entsprechendes oszillatorisches Verhalten der Austauschwahrscheinlichkeit als Funktion von 1/v. Genau das wird im Experiment beobachtet, wie in Abb. 11.31 anhand der Originaldaten dokumentiert. Wir sehen

1.0

we

20.1

3.92

h  〈aΔW 〉

0.8

1.57

h  〈aΔW 〉

0.78 keV

h  〈aΔW 〉

0.6 0.4 0.2 0

h  〈aΔW 〉 0

1

h  〈aΔW 〉 H+ + H → H + H+ 3º Austausch-Streuung

Abb. 11.31. Experimentell beobachtete Elektronenaustauschwahrscheinlichkeit we beim H + H+ Stoß nach Lockwood und Everhart (1962). Aufgetragen ist die Wahrscheinlichkeit des Ladungsaustauschs als Funktion der reziproken Geschwindigkeit (kinetische Energie des Protons 0.5–50 keV)

2 3 1/ / 10-6 m-1 s

deutlich ausgepr¨ agte Maxima und Minima f¨ ur die Austauschwahrscheinlichkeit, auch wenn aufgrund endlicher Winkelaufl¨ osung die Minima nicht ganz auf Null gehen, wie von (11.115) vorhergesagt. Maxima des Ladungsaustauschs sollten nach diesem simplen Modell gerade dann beobachtet werden, wenn     1 h 1 1 ha∆W (R)i 1 = n+ = π d.h. n+ (11.116) 2~ v 2 v ha∆W (R)i 2

11.5 Molekulare Orbitale

51

wird. Im Experiment liest man auf der reziproken Geschwindigkeitsskala ∆ (1/v) ' 6.6 · 10−7 m−1 s ab (mit leichten Unterschieden von Maximum zu Maximum bzw. Minimum zu Minimum). Das entspricht ha∆W i = h/∆ (1/v) ' 62.7 eV ˚ A. Aus dem Potenzialdiagramm Abb. 11.29 auf S. 47 sch¨atzt man einen mittleren Wert f¨ ur den Abstand zwischen 1σg - und 1σu∗ -Potenzial von ∆W ' 10 eV ab. Damit ergibt sich f¨ ur den effektiven Wechselwirkungsbereich a ≈ 6˚ A, ein durchaus plausibler Wert f¨ ur die Wechselwirkung zwischen Atom und Proton, die danach u uldurchmesser wirkt. Wir merken ¨ber ca. 3 Molek¨ noch an, dass das erste Maximum nicht wie nach (11.116) erwartet bei einer Phase von π/2 liegt, sondern bei einem deutlich h¨oheren entsprechenden Wert von 1/v. Dies zeigt die Grenzen des einfachen, hier diskutierten Modells auf. Photoinduzierte Dissoziation von H+ 2 im Feld ultrakurzer Laserimpulse

kinetische Energie von D+ / eV

Als weiteres Beispiel f¨ ur solche Ladungsozillationen diskutieren wir ein sehr sch¨ones state of the art“ Experiment mit ultrakurzen Laserimpulsen von ” Kling et al. (2006), bei welchem die laserinduzierte Dissoziation von D+ 2 studiert wird. Hierbei werden extrem kurze (5–7 fs FWHM), intensive (1 × 1014 W cm−2 ) Lichtimpulse mit nur wenigen Oszillationszyklen des elektrischen Feldes (Wellenl¨ ange ∼ 800 nm) dazu benutzt, D2 -Molek¨ ule zun¨achst zu ionisieren und das so entstandene D+ 2 -System dann zu dissoziieren. Wir k¨onnen hier nicht auf die Details dieses anspruchsvollen Experiments eingehen. Es kombiniert ein bildgebendes Nachweisverfahren f¨ ur die kinetische Energie der D+ -Fragmentionen (¨ ahnlich dem f¨ ur Elektronen in Kap. 5.5.5, Band 1 besprochenen) mit modernster Kurzzeitlasertechnik (die wir in Band 3 behandeln werden). Abbildung 11.32 zeigt in (a) and (b) einige experimentelle Ergebnisse zusammen mit einer Modellrechnung in (d) und (e). gemessene Asymmetrie 12 (a) 10 8 6 4 2 0 Signal

(c)

(b)

0.2 0.5 0

berechnete relative Elektronendelokalisierung -5 0 5 10

1

2

3 4 Phase φce / � Laserimpulstyp

- 0.2 - 0.5

15

Laserimpuls

0

0

(d)

t / fs

A B

A

(e)

B Ladungsasymmetrie (schematisch)

Abb. 11.32. Experiment und Modellrechnung f¨ ur die Dissoziation von D+ 2 durch phasenstabilisierte, ultrakurze Laserimpulse (5 fs) nach Kling et al. (2006)

52

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Das gemessene Ionensignal (D+ ) ist in Abb. 11.32a als Funktion der kinetischen Energie dargestellt – hier f¨ ur einen nicht phasenstabilisierten Impuls. Was hat es nun mit dieser Phase (ϕce ), der sogenannten Tr¨ager-Einh¨ ullendenPhase ( Carrier Envelope Phase“), auf sich? Dies erl¨autern die Skizzen von ” Laserimpulsen in Abb. 11.32c, wo der elektrische Feldverlauf exp(−t2 /2τ 2 ) cos(ω0 t − ϕce ) gezeigt ist. Es handelt sich um linear polarisiertes Licht. Im Experiment selektiert man pr¨ aferentiell solche Dissoziationsprozesse, bei denen die Molek¨ ulachse parallel zum Laserfeld liegt. Wir denken uns diese Molek¨ ule parallel zur Vertikalen der Papierebene ausgerichtet. Alle drei gezeigten Impulse haben gleiche Tr¨ agerfrequenz ω0 und gleiche Impulsdauer, die durch die einh¨ ullende Gauß-Funktion charakterisiert ist (τ gibt die 1/e Breite der Intensit¨at des Impulses). Sie unterscheiden sich lediglich durch die Phase: W¨ahrend f¨ ur ϕce = 0, 2π etc. das Feld im Maximum des Impulses in Bezug auf das Molek¨ ul nach oben“ zeigt, ist es f¨ ur ϕce = π, 3π etc. im Maximum nach un” ” ten“ gerichtet. F¨ ur ϕce = π/2, 3π/2 etc. sind die h¨ochsten Feldst¨arken nach oben und unten gleich groß. Es geht nun darum, ob diese Phase einen Einfluss auf den Dissoziationsprozess hat. Abbildung 11.32b zeigt die experimentellen Resultate, wieder als Funktion der kinetischen Energie, und hier nun auch als Funktion der Phase. Aufgetragen ist die Asymmetrie (SA −SB )/(SA +SB ) der Signale f¨ ur Protonen die nach oben“ (SA ) bzw. unten“ (SB ) dissoziieren. ” ” Der Einfluss der Phase ist verbl¨ uffend deutlich im Bereich kinetischer Energien zwischen ca. 2 eV und 8 eV, w¨ ahrend f¨ ur niedrigere kinetische Energien keine Asymmetrie beobachtet wird. Auch diese Prozesse kann man anhand des Potenzialdiagramms Abb. 11.29 f¨ ur das H+ ul verstehen. Zwar k¨ onnen wir hier nicht auf die recht kom2 -Molek¨ plexen Reaktionsschritte eingehen, die den Dissoziationsprozess einleiten und in die Relativbewegung der beiden Kerne z.T. erhebliche kinetische Energie einbringen. Wir nehmen aber einmal an, das D+ ulion werde durch die 2 -Molek¨ Wechselwirkung mit dem intensiven, kurzen Laserimpuls auf die dissoziative 1σu Potenzialkurve gehoben. Es werden also durch den Laserimpuls Wellenpakete unterschiedlicher kinetischer Energie generiert, welche die auseinander laufenden Protonen beschreiben. F¨ ur kleine kinetische Anfangsenergie verl¨auft der Prozess ganz im Rahmen der Born-Oppenheimer-N¨aherung (man spricht von einem adiabatischen“ Prozess), d.h. das Molek¨ ul l¨auft einfach auf der ” 1σu Potenzialkurve auseinander. Da in diesem Orbital (11.102) das Elektron mit gleicher Wahrscheinlichkeit bei Atom A oder B lokalisiert ist, wird keine Asymmetrie beobachtet. Anders ist das bei h¨ oheren kinetischen Energien. Unter dem Einfluss des Laserfeldes sind in diesem Fall die beiden Zust¨ande 1σu und 1σg stark gekoppelt und die negative Ladung oszilliert zwischen beiden Zust¨anden. Ganz analog zum Ladungsaustauschprozess, den wir oben besprochen haben, bedeutet dies eine Oszillation der Elektronendichte zwischen den beiden Atomen A und B, wie dies in der (sehr schematischen) Skizze Abbilur die mit der Zeit t auseinander laufenden Protonen angedeutet dung 11.32e f¨ ist. Das in Abbildung 11.32d dargestellte Ergebnis einer Modellrechnungen

11.5 Molekulare Orbitale

53

¨ f¨ ur die Ladungsasymmetrie als Funktion der Zeit belegt diese Uberlegung quantitativ. Im gezeigten Beispiel (ϕce = 0) findet sich die Elektronenladung bei großen Zeiten vorzugsweise am Atom B (unten), im Detektor weist man dann das D+ -Ion A (oben) nach. Dies ist, wie Abbildung 11.32b zeigt, stark abh¨angig von der Phasenlage ϕce des Laserfelds in Bezug auf die Einh¨ ullende. F¨ ur ϕce = π sind die Richtungen A (oben) und B (unten) gerade umgedreht und man beobachtet vorzugsweise das D+ Ion B. 11.5.4 MOs f¨ ur homonukleare Molek¨ ule Im folgenden behandeln wir die Aufbauprinzipien der molekularen Orbitale f¨ ur homonukleare zweiatomige Molek¨ ule. Das entspricht der Diskussion beim Auff¨ ullen der n`-Schalen im atomaren Fall und f¨ uhrt zu so etwas wie einem periodischen System f¨ ur Molek¨ ule. Symmetrie und Drehimpuls Atome haben ein kugelsymmetrisches Potenzial. Daher l¨asst sich ihre elektronische Wellenfunktion, wie wir wissen, in einen radialen und einen Winkelanteil separieren: φn`m (r) = Rn` (r) Y`m (θ, ϕ) Bei linearen Molek¨ ulen liegt dagegen Zylindersymmetrie vor. Der atomare Ansatz, mit dem Rn` und Y`m separiert werden konnten, funktioniert hier nicht mehr, da das Potenzial im elektronischen Hamilton-Operator (11.87) u ¨ber rA 2 ˆ und rB vom Polarwinkel θh abh¨ angig i wird. Daher vertauscht L nicht mehr mit ˆ 2 6= 0, und die Bahndrehimpulsquantenzahl b el , L dem Hamilton-Operator H ` ist keine gute Quantenzahl mehr. Das verwundert uns nicht, kennen wir das Ph¨anomen doch schon vom Stark-Effekt (s. Kap. 8.5.3 und 8.5.8 in Band 1). Wir k¨onnen das H+ ul ja durchaus als einen Grenzfall des Stark-Effekts 2 -Molek¨ ansehen: als ein H-Atom im (sehr starken) Feld eines Protons! Hier wie in Kap. 8.5.8 ist wegen der Symmetrie um die Molek¨ ulachse (zˆ auf diese, d.h. L ˆ z , immer noch eine ErhaltungsAchse) die Projektion von L h i b el , L ˆ z = 0. Damit sind die Eigenwerte von L ˆ z wie bei den gr¨oße, d.h. H Atomen m` ~, und m` bleibt eine gute Quantenzahl. Der nat¨ urlichen Symmetrie angepasst, schreibt man die elektronische Wellenfunktion f¨ ur zweiatomige Molek¨ ule daher in Zylinderkoordinaten (ρ, z, ϕ) mit ρ = r sin θ und z = r cos θ (mit der Komponente φγλ (ρ, z) separat auf 1 normiert) √ (±λ) (11.117) φel (ρ, θ, ϕ) = φγλ (ρ, z) exp(±iλϕ )/ 2π ˆ z φ(±λ) (ρ, θ, ϕ) = ±λφ(±λ) (ρ, z, ϕ) mit L el el (wieder in a.u.). Die relevante Quantenzahl ist λ = |m` |, da das Vorzeichen von m` (wie beim Stark-Effekt) keinen Einfluss auf die Energie hat. Die Winkelanteile der elektronischen Wellenfunktionen werden daher zweckm¨aßigerweise

54

11 Zweiatomige Molek¨ ule

aus den reellen Darstellungen der Kugelfl¨ achenfunktionen konstruiert, die wir uhrt und ausf¨ uhrlich behandelt haben. in Kap. 8.5.8, Band 1 eingef¨ Die Quantenzahl λ wird bei zweiatomigen Molek¨ ulen zur Charakterisierung der Einelektronzust¨ ande (MOs) benutzt und ersetzt in gewisser Weise die Quantenzahl ` bei den Atomen. Man benutzt daf¨ ur in Anlehnung an die Bezeichnung der atomaren s, p, d etc. Orbitale die folgende Notation: λ

0 σ

1 π

2 δ

3 φ

...

(11.118)

Entsprechend benutzt man zur Charakterisierung des Gesamtzustands eines Molek¨ uls mit mehreren Elektronen den griechischen Buchstaben Λ (Lambda) f¨ ur die Quantenzahl der Projektion des Gesamtdrehimpulses bez¨ uglich der Molek¨ ulachse: Λ

0 Σ

1 Π

2 ∆

3 Φ

...

(11.119)

P Da sich die Drehimpulse auch hier vektoriell zusammensetzen, gilt Λ ≤ λi . Eine weitere erlaubte Symmetrieoperation bei homonuklearen Molek¨ ulen ist die Inversion am Massenschwerpunkt , d.h. r → −r bzw. in Zylinderkoordinaten z → −z und ϕ → ϕ + π. Die Zust¨ ande werden daher zus¨atzlich nach ihrer Parit¨at als g (gerade) und u (ungerade) unterschieden: gerade: ungerade:

φg (r) = φg (−r) φu (r) = −φu (−r) .

Auch wenn LCAO-MOs nicht die allerbeste N¨aherung zur Berechnung von R0 und De sind, so geben sie doch eine gute Richtschnur zur Konstruktion der molekularen Orbitale. Wichtig ist, dass die an einem MO beteiligten Atomorbitale die gleiche Symmetrie bez¨ uglich der Molek¨ ulachse besitzen, da nur ¨ dann das Uberlappintegral nicht verschwindet Sik 6= 0. Nur solche Orbitale bilden eine erlaubte Kombination. F¨ ur den Aufbau von MOs aus atomaren s- und p-Elektronen ergeben sich damit folgende M¨ oglichkeiten (wir schreiben etwas locker |si , |px i , |py i , |pz i f¨ ur die AOs und |σg,u i und |πg,u i etc. f¨ ur die MOs): |si + |si −→ |σg i und |si − |si −→ |σu∗ i |pz i + |pz i −→ |σu∗ i und |pz i − |pz i −→ |σg i |py i + |py i −→ |πu i und |py i − |py i −→ πg∗ Nicht-bindende Zust¨ ande werden mit einem Stern * gekennzeichnet. Die πu und πg∗ -Orbital sind jeweils zweifach entartet, da sie auch durch |px i+|px i bzw. |px i−|px i gebildet werden k¨ onnen. Abbildung 11.33 gibt ein anschauliches Bild davon. Man beachte, dass die nicht-bindenden Orbitale stets eine Knotenebene senkrecht zur Verbindungslinie der beiden Kerne haben (angedeutet durch die gestrichelte Linie). Wichtig ist auch, dass die Symmetrie der bindenden σ-Orbitale gerade ist, die der bindenden π-Orbitale aber ungerade.

11.5 Molekulare Orbitale

55

Abb. 11.33. Aufbau von Molek¨ ulorbitalen aus |si und |pi Atomorbitalen: (a) |si ± |si, (b) |py i ± |py i (y ⊥ Ebene), (c) |pz i ± |pz i. Rot schattiert sind die positiven, schwarzgrau die negativen Bereiche der Wellenfunktion markiert. Die jeweils oberen MOs sind bindend, die unteren antibindend (durch * gekennzeichnet)

Korrelationsdiagramme ¨ Um einen Uberblick u ¨ ber die relative energetische Lage der einzelnen Energieniveaus zueinander zu bekommen, k¨ onnen wir zwei Extremf¨alle betrachten und dann versuchen, sie miteinander zu verkn¨ upfen: einerseits die getrenn” ten Atome“ in unendlichem Abstand und andererseits das vereinigte Atom“ ” mit beliebig kleinem Kernabstand und der Summe beider Kernladungen. Dazwischen bilden sich die molekularen Orbitale, wie schematisch f¨ ur die eben behandelten MOs in Abb. 11.34 skizziert. Aus der energetischen Zuordnung der MOs zu vereinigten bzw. getrennten Atomen ergeben sich die sogenannten Korrelationsdiagramme, welche eine semiquantitative Diskussion der energetischen Lage der Energiebeitr¨age der einzelnen MOs erlauben. Abbildung 11.35 zeigt diesen Verlauf der Energie als Funktion des Kernabstands schematisch und generell. Bei der Verbindung der Energien von Orbitalen f¨ ur getrennte Atome mit denen des vereinigten Atoms durch Linien oder Potenzialkurven sind folgende Regeln zu beachten: 1. Es d¨ urfen nur Zust¨ ande mit gleichem Bahndrehimpuls λ miteinander verbunden werden. 2. Die Parit¨at muss erhalten bleiben, also (g ↔ g und u ↔ u). 3. Potenzialkurven gleicher Symmetrie kreuzen sich nicht. Die Nichtkreuzungsregel 3 haben wir bereits in Kap. 8.2, Band 1 in allgemeiner Form besprochen.

56

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Vereinigtes Atom

Molekülorbital

3pσ*↔ σu*2p

p

3d�*↔ �*g2p

p-p

p

2p� ↔ �u2p

p+p

s

2sσ ↔ σg2p

p-p

p

2pσ*↔ σu*1s

s-s

1sσ ↔σg1s

s+s

Vereinigtes Atom (R = 0) 3p

2p 2s 1s

Molekül 1π *

3pπ 3pσ* 3sσ 2pπ 2pσ* 2sσ 1sσ

3σu*

g

2σg

Getrennte Atome (R → ∞) πg* 2p

3σg 1πu

Abb. 11.34. Korrelation von Atomorbitalen und Molek¨ ulorbitalen beim ¨ Ubergang vom vereinigten Atom zu den getrennten Konstituenten. Positive Bereiche der Wellenfunktion sind hier rosa gezeichnet, negative grau. Antibindende MOs sind mit Stern (*) gekennzeichnet. Je nachdem, ob man mehr die molekulare Natur der MOs oder die LCAO Sicht ausdr¨ ucken will, schreibt man sie in der einen oder anderen Notation, wie unter den MOs ausgewiesen

p+p

d

s

3s

Getrennte Atome

2σu*

σu*2p 2p πu σg 2p σu*2s 2s σg 2s

1σu*

σu*1s

1σg

σg1s

Li2 F2 H2 He2 B2 N2 O2 C2 N2+ O+2 R

1s

Abb. 11.35. Korrelationsdiagramm f¨ ur die Orbitalenergien zweiatomiger Molek¨ ule. Die Abszisse korrespondiert mit dem Kernabstand, die Ordinate reflektiert sehr scheden Verlauf der Poσmatisch u2s tenziale. Die gestrichelten Linien deuten die MO-Energien f¨ ur eine Reihe spezieller Molek¨ ule an. Die Notation der MOs entspricht links dem vereinigten Atom, rechts den getrennten Atomen, in der Mitte wird einfach durchgez¨ ahlt

Im Korrelationsdiagramm Abb. 11.35 kann man die Energien f¨ ur die verschiedenen Molek¨ ulorbitale als Funktion des Kernabstands ablesen. Hier ist dies schematisch und generell f¨ ur die atomaren 1s-, 2s- und 2p-Orbitale dargestellt. Bei unendlichem Abstand bilden diese gerade drei (atomare) Energieniveaus, im Fall der vereinigten Atome sind es acht. In Abb. 11.35 sind

11.5 Molekulare Orbitale

57

durch senkrechte Linien auch die Orbitalenergien einiger wichtiger zweiatomiger Molek¨ ule aus der ersten Reihe des Periodensystems eingeordnet. Ist man an den genauen Verh¨ altnissen f¨ ur ein bestimmtes Molek¨ ul interessiert, so muss man nat¨ urlich f¨ ur dieses ein spezifisches Korrelationsdiagramm zeichnen. Eine genaue Inspektion zeigt, dass bei den leichteren Molek¨ ulen bis zu N2 das 1πu -Orbital energetisch niedriger liegt als das 3σg -Orbital.13 Dies ist in Abb. 11.36 Schema I noch einmal zusammengefasst. Beim Sauerstoffmolek¨ ul kehrt sich die Reihenfolge um, wie in Abb. 11.36 Schema II skizziert.

2p

3σu* 1�g* 3σg

2p

2p

3σu* 1�g* 1�u 3σg

1�u

2p

2s

2σu* 2σg

2s

2s

2σu* 2σg

2s

1s

1σu* 1σg

1s

1s

1s

B

A

1σu* 1σg

A

Schema I

Schema II

B

Abb. 11.36. Orbitalschema: Die Reihenfolge der Energien bei Molek¨ ulorbitalen. F¨ ur leichte Molek¨ ule gilt Schema I, bei O2 kehrt sich die Reihenfolge der niedrigsten, mit 2p korrelierten Zust¨ ande um, und es gilt Schema II. Geteilte Striche deuten den Entartungsgrad eines Zustands an. Die Gesamtzahl von Zust¨ anden der isolierten Atome A und B ist identisch mit der Zahl der MOs

Auff¨ ullen der Orbitale Wie bei den Atomen m¨ ussen sich die Zust¨ ande verschiedener Elektronen nach dem Pauli-Prinzip in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden. Beim Aufbau komplexerer Molek¨ ule d¨ urfen die einfach entarteten σg,u -Orbitale also jeweils 2, die zweifach entarteten πg,u -Orbitale je 4 Elektronen enthalten. Entsprechend werden die Orbitale mit Elektronen gef¨ ullt: man erh¨alt so das H+ ul, das H2 und He2 etc. – also eine Art Periodensystem der Mo2 -Molek¨ lek¨ ule. Man findet in der Literatur leicht unterschiedliche Notationen f¨ ur die Orbitale: so spricht man z.B. vom 2px σu - oder σu 2px - oder auch einfach vom 3σu -Orbital. ulorbitale Das Schema in Abb. 11.37 illustriert, wie die niedrigsten Molek¨ f¨ ur die Molek¨ ule H+ ullt werden. Wie bei den Atomen gibt es einige 2 bis C2 gef¨ Unregelm¨aßigkeiten, so z.B. beim B2 . Man nennt das h¨ochste besetzte Orbital HOMO (highest occupied molecular orbital ) und das niedrigste nicht besetzte Orbital LUMO (lowest unoccupied molecular orbital ). Das 1σg -Orbital ist bindend, und das 1σu∗ -Orbital ist nicht-bindend. H+ 2, H2 und He+ ule, da sie mehr bindende als nicht-bindende 2 sind stabile Molek¨ 13

In dieser h¨ aufig gebrauchten Notation werden die Orbitale einfach durchnummeriert, ohne auf die Korrelation zu den vereinigten bzw. getrennten Atomen hinzuweisen.

58

11 Zweiatomige Molek¨ ule Abb. 11.37. Auff¨ ullen der Molek¨ ulorbitale f¨ ur die kleinsten zweiatomigen Molek¨ ule

3σ*u 3*g 3σg 1u 2σ*u 2σg 1σ*u 1σg

+

H2

H2

He+2

He2

Li2

Be2

B2

C2

Elektronen im Grundzustand besitzen. H2 besitzt dabei die meisten bindenden Elektronen. Es hat daher auch den kleinsten Kernabstand und die st¨arkste Bindung unter diesen 3 Spezies. Die St¨ arke einer Bindung l¨asst sich durch die sogenannte Bindungsordnung absch¨ atzen: man definiert diese als Differenz der Anzahl bindender und nicht-bindender Elektronen dividiert durch 2, also + durch (n − n∗ ) /2. H+ ur 2 und He2 haben demnach die Bindungsordnung 1/2, f¨ H2 ist die Bindungsordnung 1. He2 mit der Bindungsordnung 0 sollte nach ¨ dieser Uberlegung kein stabiles Molek¨ ul bilden. Wir hatten bereits in Abschn. 11.2.6 besprochen, dass in der Tat nur eine extrem schwache vdW-Bindung beobachtet wird. Nach dem gleichen Verfahren k¨ onnen nun die zweiatomigen Molek¨ ule aus der ersten Reihe des Periodensystems aufgebaut werden. Hierbei muss beachtet werden, dass sich die energetische Reihenfolge der Molek¨ ulorbitale zwischen N2 und O2 a ndert (siehe Korrelationsdiagramm Abb. 11.35 und Term¨ ur schema Abb. 11.36). In Tabelle 11.7 findet man einige einschl¨agige Daten f¨ die wichtigsten kleinen, homonuklearen zweiatomigen Molek¨ ule. Wie man sieht, sind ab Li2 die Bindungsl¨ angen durchweg gr¨oßer als bei H+ 2, + H2 und He2 . Grund sind die gr¨ oßeren Valenzorbitale (n = 2) der Molek¨ ule. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass O2 zwei ungepaarte Elektronen ausweist. Dies ist eine Folge der Hund’schen Regel, die wir schon bei den Atomen kennengelernt hatten (s. insbes. Kap. 7 in Band 1). Sie besagt, dass bei ansonsten gleicher Elektronenkonfiguration die Zust¨ande mit h¨ochstem Gesamtspin am tiefsten liegen: Elektronen werden zun¨achst in jedes der entarteten Orbitale eingebracht, bevor eines dieser Orbitale aufgef¨ ullt, d.h. doppelt besetzt wird. Die Elektronenspins der einfach besetzten Orbitale zeigen in die gleiche Richtung und bilden beim Sauerstoff einen Triplettzustand mit S = 1. Im Gegensatz zu Stickstoff ist Sauerstoff daher paramagnetisch. Bei der n¨aherungsweisen Behandlung von Molek¨ ulen mit mehreren Elektronen kann man sich in der Regel auf einige wenige ¨außere Elektronen (Valenzelektronen) beschr¨ anken, also auf die jeweils h¨ochst liegenden Orbitale. Die anderen Elektronen sind stark an den Atomkernen lokalisiert und tragen wenig zur Molek¨ ulbindung bei. Nat¨ urlich gilt auch hier, dass eine strenge Berechnung von Energien und sonstigen Eigenschaften der Molek¨ ule um so besser wird, je mehr Elektronen und je mehr MOs man ber¨ ucksichtigt.

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

59

Tabelle 11.7. Schema f¨ ur den MO-Schalenaufbau der einfachsten, zweiatomigen, homonuklearen Molek¨ ule (elektronische Konfigurationen der Grundzust¨ ande). Die Bindungsordnungen werden durch (n−n∗ )/2 gegeben. Termenergien Te nach (11.47) beziehen sich auf die Potenzialminima, ebenso wie Dissoziationsenergien De und Gleichgewichtsabst¨ ande R0 . F¨ ur den elektronischen Grundzustand des neutralen Molek¨ uls setzt man in der Regel Te = 0 Molek¨ ul elektron. Konfig. H+ 2 H2 He+ 2 He2 Li2 Be2 B2 C2 N+ 2 N2 O2 F2 Ne2

(σg 1s)1 (σg 1s)2 (σg 1s)2 (σu∗ 1s)1 (σg 1s)2 (σu∗ 1s)2 He2 (σg 2s)2 He2 (σg 2s)2 (σu∗ 2s)2 He2 (σg 2s)2 (σu∗ 2s) . . . (πu 2px )2 (σg 2pz ) Be2 (πu 2px )2 (πu 2py )2 Be2 (πu 2px )2 (πu 2py )2 . . . (σg 2pz ) Be2 (πu 2px )2 (πu 2py )2 . . . (σg 2pz )2  N2 πg∗ 2px πg∗ 2py  2 2 N2 πg∗ 2px πg∗ 2py  2 2 N2 πg∗ 2px πg∗ 2py . . . (σu∗ 2pz )2

n − n∗ Zustand De / eV 2 1/2 1 1/2 0 1 0 2

2

Σ+ g Σ+ g 2 + Σu 1 + Σg 1 + Σg 1 + Σg 3 − Σg

3.0

1.052 125 443 0.74 0 1.08 178 400 2.97 0 2.67 0 nicht beobachtet 1.59 0

Σg+ Σ+ g

6.32 8.85

1.243 1.12

0 125 744 0

1

2.65 4.48 2.47 0.00095 1.07

R0 / ˚ A Te / cm−1

2 2 1/2

1

3

1

Σ+ g

9.90

1.098

2 1 0

3

Σ− g Σ+ g

5.21 1.66

1.21 0 1.41 0 nicht beobachtet

2

1

11.6 Aufbau der Gesamt-Moleku ande ¨ l-Zust¨ 11.6.1 Gesamtbahndrehimpuls Auch f¨ ur den gesamten Bahndrehimpuls eines molekularen Elektronenzuˆ z eine Erhaltungsgr¨oße. Sie ergibt sich stands ist nur die z-Komponente L aus den z-Komponenten der einzelnen MOs: X X ˆz = ˆ zi mit den Eigenwerten ML = L L mi (11.120) i

i

Die Bezeichnung Λ = |ML | mit der Term-Notation Σ, Π, ∆ usw. f¨ ur Λ = 0, 1, 2 usw. wurde bereits eingef¨ uhrt. Wir notieren hier aber, dass die molekularen Orbitale wohl definierte Reflexionssymmetrien haben, die bei der Zusammensetzung der Gesamtwellenfunktion erhalten bleiben m¨ ussen. Daher k¨onnen zu einem Gesamtzustand positive und negative mi in unterschiedlichen Kombinationen beitragen, sodass die Zust¨ ande etwas komplexer zusammengesetzt sind, als dies (11.120) suggeriert.

60

11 Zweiatomige Molek¨ ule

11.6.2 Spin Wie beim Atom ergibt sich der Gesamtspin aus der Summe der Einzelspins p X b = S (S + 1)~ b b i mit S S= S i

und f¨ uhrt zu einer Multiplizit¨ at 2S + 1 der einzelnen elektronischen Niveaus. b auf die Molek¨ Die Projektion von S ulachse nennt man Σ = |Ms |. Achtung: nicht mit einem Σ-Zustand verwechseln! Zu jedem S gibt es 2S + 1 Werte Σ = S, S − 1, S − 2, . . . , − S . In Analogie zur Nomenklatur bei den Atomen benutzt man als Termbezeichnung eines Molek¨ ulzustands: 2S+1

Λg,u

(11.121)

Wir erinnern kurz und symbolisch an die ausf¨ uhrlich in Band 1 besprochene Konstruktion der Spinzust¨ ande (hier f¨ ur ein bzw. zwei Elektronen): S = 1/2 Dublett E 1/2 |↑i = χ1/2

S=0 Singulett

S=1 Triplett |↑↑i = χ11 0 0 √ √ E [|↑↓i − |↓↑i] / 2 = χ0 [|↑↓i + |↓↑i] / 2 = χ1 −1/2 |↓i = χ1/2 |↓↓i = χ−1 1

(11.122)

Nat¨ urlich gilt hier ebenso wie bei Atomen mit mehreren Elektronen das PauliPrinzip, d.h. die Gesamtwellenfunktion muss antisymmetrisch sein. F¨ ur ein System mit zwei aktiven Elektronen – z.B. f¨ ur das H2 -Molek¨ ul – bedeutet dies wie beim He-Atom: f¨ ur einen Singulett-Zustand (zwei antiparallele Spins, antisymmetrische Spinfunktion, 3. Spalte in (11.122)) muss die elektronische Ortsfunktion symmetrisch sein; f¨ ur Triplett-Zust¨ande (zwei parallele Spins, symmetrische Spinfunktion, 4. Spalte in (11.122)) ist umgekehrt die Ortsfunktion antisymmetrisch. 11.6.3 Gesamtdrehimpuls

3∆

Λ

3

3∆

2

3∆

1



Λ Λ

Ω Σ =1

Ω Σ=0 Σ = −1

Abb. 11.38. Drehimpulskopplung bei zweiatomigen Molek¨ ulen am Beispiel Λ = 2 (∆Zustand) mit S = 1 (Triplett): nur die Komponenten der Drehimpulse in Richtung der Molek¨ ulachse sind gute Quantenzahlen

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

61

ˆ e eines MoDie Projektion des gesamten elektronischen Drehimpulses J lek¨ ulzustands auf die Molek¨ ulachse (z-Achse) nennt man in der Regel Ω. Wie ˆ (auf die z-Achse in Abb. 11.38 skizziert, setzt sie sich aus Bahndrehimpuls L ˆ (auf die z-Achse projiziert Σ) zusammen: projiziert Λ) und Gesamtspin S Ω = |Λ + Σ|

(11.123)

Bei komplexer aufgebauten Zust¨ anden findet man daher anstelle von g bzw. oße Ω als Index angegeben. u nach (11.121) oft die Gr¨ Wenn nun das Molek¨ ul rotiert, so muss man alle relevanten Drehimpulse nach den in Band 1 ausf¨ uhrlich diskutierten Drehimpulskopplungsregeln zu ˆ des Systems zusammenf¨ einem Gesamtdrehimpuls J ugen. Je nach St¨arke der Kopplung zwischen Bahndrehimpuls, Spin und nuklearer Rotation hat man daf¨ ur mehrere verschiedene M¨ oglichkeiten – ganz ¨ahnlich wie im atomaren Fall, wo wir Bahndrehimpuls(e), Elektronenspin(s) und Kernspin(s) zu einem Gesamtdrehimpuls zu koppeln hatten und dies wiederum mit der Wechselwirkung in externen Feldern vergleichen mussten. Nur ist bei den Molek¨ ulen alles noch etwas komplizierter. 11.6.4 Hund’sche Kopplungsf¨ alle Man unterscheidet nach Herzberg (1989) mehrere sogenannte Hund’sche Kopplungsf¨ alle, die f¨ ur die Interpretation von Rotationsbanden in elektronischen Spektren von zentraler Bedeutung sind. Wir k¨onnen nicht auf die Details eingehen und verweisen den interessierten Leser auf die einschl¨agige Spezialliteratur, z.B. auf Hougen (2007). Wir wollen hier nur eine Einf¨ uhrung geben. achst die Bezeichnung der von uns gebrauchten In Tabelle 11.8 stellen wir zun¨ Drehimpulsoperatoren und Quantenzahlen zusammen und diskutieren dann die wichtigsten F¨alle. Dabei folgen wir weitgehend Herzberg (1989).14 Tabelle 11.8. Drehimpulse und Quantenzahlen f¨ ur zweiatomige Molek¨ ule Drehimpulstyp

Quantenzahl Gesamt Projektion auf Achse b L Bahndrehimpuls L Λ b S Elektronenspin S Σ be = L b +S b Elektronengesamtdrehimpuls J Je Ω c N Kernrotation N 0 b =L b +S b +N c J Gesamtdrehimpuls J Ω c=L b +N c K Gesamt ohne Spin K Λ

14

Operator

Dagegen benutzt Hougen (2007) die Buchstaben R anstelle von N und N anstelle von K. Die Endlichkeit des Alphabets begrenzt hier die Wahlm¨ oglichkeiten.

62

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Abb. 11.39. Hund’scher Fall (a)

Der Hund’sche Fall (a): Hier nimmt man an, dass die Kopplung zwischen der Rotation der Atomkerne und b und den elektronischen Drehimpulsen bez¨ uglich Bahn L b sehr schwach ist. Dagegen sei die Kopplung Spin S des Bahndrehimpulses an die internukleare Achse sehr stark, und der Spin kopple mit dem so parallel zur Molek¨ ulachse ausgerichteten internen Magnetfeld. Die Situation entspricht dem elektrischen Analogon zum Paschen-Back-Effekt. Man hat dann wie beim nicht rotierenden Molek¨ ul Ω = |Λ + Σ|, und Ω bildet zusamc den Gesamtdrehimpuls J b. men mit der Kernrotation N Werte J < Ω kommen nicht vor und es wird: J = Ω, Ω + 1, Ω + 2, . . .

(11.124)

Wegen (11.123) kann J auch halbzahlig sein, wenn der Spin halbzahlige Werte annimmt. In diesem Kopplungsfall l¨ asst sich die Gesamtenergie nach (11.40) f¨ ur einen 2S+1 ΛΩ Zustand pr¨ azisieren (hier ohne Beweis): WγvN /hc = Te + G(v) + F (N )

mit

F (N ) = Bv (N (N + 1) − Ω 2 ) (11.125)

Die elektronische Termenergie Te kann noch einer Feinstrukturaufspaltung Te = T0 + AΛΣ

(11.126)

unterliegen. Bis auf die Lage des niedrigsten Rotationszustands und das Fehlen der Werte J < Ω unterscheidet sich (11.125) nicht vom starren Rotator nach (11.33), wenn man N durch J ersetzt. Zu jedem Feinstrukturniveau eines bestimmten elektronischen Zustands gibt es eine eigene Rotationsleiter.

Abb. 11.40. Hund’scher Fall (b)

Der Hund’sche Fall (b): Wenn der Bahndrehimpuls verschwindet, oder wenn der Elektronenspin nur sehr schwach mit dem magnetischen Feld der Bahn koppelt, gibt es auch keine Kopplung des Spins an die internukleare Achse. Dann haben wir es praktisch mit eic mit nem starren Rotator zu tun, dessen Drehimpuls N b c der Projektion des Bahndrehimpulses Lz zu K koppelt. Die Quantenzahl K ersetzt dann die Rotationsquantenzahl und ist f¨ ur Σ-Zust¨ ande sogar mit N identisch. Erst ganz zum Schluss muss man noch die Feinstrukturwechselwirkung ber¨ ucksichtigen. Nach den u ¨blichen Regeln wird die Gesamtdrehimpulsquantenzahl: J = K + S, K + S − 1, ... |K − S|

(11.127)

Die Energie der Rotationszust¨ ande ist im Wesentlichen durch die Kernrotation bestimmt und zeigt ggf. eine kleine, (2S + 1)-fache FS-Aufspaltung. F¨ ur das besonders einfache Beispiel eines 2 Σ-Zustands wird die Rotationsenergie

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

γ 1 K f¨ ur J = K + 2 2 γ 1 = B(v)K(K + 1) − (K + 1) f¨ ur J = K − , 2 2

F (K) = B(v)K(K + 1) +

63

(11.128)

wobei die (kleine) Konstante γ die Feinstrukturwechselwirkung reflektiert.

Abb. 11.41. Hund’scher Fall (c)

L K N

Der Hund’sche Fall (c): Wenn die Kopplung des Bahndrehimpulses an die internukleare Achse schwach ist, wird die Spin-Bahn-Wechselwirkung der Elektronenh¨ ulle nicht aufgebrochen. Es bildet sich ein elektronischer Geb e , der seinerseits an die internukleasamtdrehimpuls J re Achse koppelt. Die Projektion nennen wir wieder Ω. Diese Komponente des elektronischen Drehimpulses c zum Gekoppelt schließlich wieder mit der Rotation N b . Im Ergebnis unterscheidet sich diesamtdrehimpuls J ser Fall also kaum vom Hund’schen Fall (a). Energielagen und m¨ ogliche Drehimpulsquantenzahlen J werden in der Tat durch (11.125) bzw. (11.124) beschrieben. Der Hund’sche Fall (d): Abbildung 11.42 zeigt das recht einfache Vektordiagramm f¨ ur den Fall, dass die Koppb mit der lung des elektronischen Bahndrehimpulses L internuklearen Achse sehr schwach ist, was z.B. bei elektronisch hoch angeregten Zust¨anden der Fall sein wird. Andererseits sei die Kopplung der molekularen Rotation c an L b stark. Man beobachtet dann in erster N¨aherung N wieder das Energiespektrum des starren Rotators F (N ) = B(v)N (N + 1) ,

Abb. 11.42. Hund’scher Fall (d)

c mit L b zu (2L + 1)wobei freilich die Kopplung von N facher Aufspaltung jedes Rotationsniveaus f¨ uhrt. b b stark Der Hund’sche Fall (e): Schließlich gibt es auch den Fall, dass L und S b e bilden, miteinander koppeln und einen elektronischen Gesamtdrehimpuls J dass aber die Wechselwirkung mit der internuklearen Achse gering ist. Das f¨ uhrt dann zu einer Situation, die sehr ¨ ahnlich zu Fall (d) ist. Lediglich die Aufspaltung der Rotationsniveaus ist jetzt durch (2Je + 1) gegeben. In Herzberg (1989) liest man dazu noch, dass solch ein Fall zwar denkbar sei, bislang aber nicht beobachtet wurde. Das hat sich inzwischen ge¨andert: so ist dieser Fall z.B. bei moderat hoch liegenden Rydberg-Zust¨anden in zweiatomigen Molek¨ ulen wie dem O2 inzwischen klar nachgewiesen worden, und auch bei der Diskussion von Stoßprozessen muss man sich damit auseinandersetzen, wenn es z.B. um stoßinduzierte Feinstruktur¨ uberg¨ange geht. In der spektroskopischen Praxis gibt es nat¨ urlich auch alle erdenklichen ¨ Uberg¨ ange zwischen den hier vorgestellten Reinformen der f¨ unf Hund’schen

64

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Kopplungsf¨alle, auf die wir aber nicht eingehen k¨onnen. Genauere Betrachtungen und Pr¨azisionsmessungen erfordern schließlich auch die Ber¨ ucksichtigung der Hyperfeinwechselwirkung, falls die atomaren Konstituenten eines Molek¨ uls einen Kernspin besitzen. Hinweise darauf haben wir ja schon in Abb. 11.20 auf S. 33 gesehen. Die Analyse dieser Wechselwirkungen folgt im Wesentlichen den in der Atomphysik vorgestellten Methoden. Dabei sind die Hund’schen F¨alle entsprechend zu erg¨ anzen. Die obligat komplexeren Verh¨altnisse f¨ ur Molek¨ ule wollen wir hier aber nicht behandeln. 11.6.5 Reflexionssymmetrie F¨ ur eine Reihe von Fragen ist es wichtig, auch die Reflexionssymmetrie der elektronischen Zust¨ ande bez¨ uglich einer Ebene durch die internukleare Achse zu kennen. F¨ ur einzelne Orbitale ist das recht u ¨bersichtlich und kann auf die ¨ Uberlegungen aufbauen, die wir in Anhang E.1, Band 1 angestellt hatten. Wir bezeichnen mit σ ˆv (yz) den Reflexionsoperator bez¨ uglich einer Ebene yz. Mit Blick auf die schematische Darstellung der einfachsten MOs in Abb. 11.33 ist offensichtlich, dass alle σ-Orbitale positive Reflexionssymmetrie in Bezug auf jede durch die internukleare Achse gelegte Ebene haben: σ ˆv (xz) |σi = + |σi Ebenso wird in diesem Fall σ ˆv (yz) |σi = + |σi. Dagegen gibt es – bez¨ uglich der Reflexionssymmetrie – zwei unterschiedliche Typen von π-Orbitalen : σ ˆv (xz) |πx i = + |πx i

und σ ˆv (xz) |πy i = − |πy i

Es ist instruktiv, sich dies anhand der Wellenfunktion f¨ ur die Orbitale zu verdeutlichen. Dazu benutzt man in der Regel reelle Kombinationen der in (11.117) gegebenen Ausdr¨ ucke, ganz ¨ ahnlich denen, die wir bereits f¨ ur Atome uhrt hatten. Es gilt f¨ ur σ-Orbitale mit λ = 0 mit (E.3) in Band 1 eingef¨ √ |σi → φel (ρ, z, ϕ) = φσ (ρ, z) / 2π (11.129) w¨ahrend f¨ ur π-Orbitale mit λ = 1 φπ (ρ, z) √ [exp(+iλϕ ) + exp(−iλϕ )] 2 π φπ (ρ, z) √ |πy i → [exp(+iλϕ ) − exp(−iλϕ )] 2 πi

|πx i →

oder

(11.130) (11.131)

wird. Der Winkelanteil ist dabei auf 1 normiert. Reflexion an der xz-Ebene bedeutet einfach ϕ → −ϕ zu ersetzen. Man sieht an dieser Schreibweise sofort, dass |πx i und |πy i bez¨ uglich der xz-Ebene positive bzw. negative Reflexionssymmetrie haben. Wir erinnern daran, dass Inversion dagegen z → −z und ϕ → ϕ + π entspricht.

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

65

Beispiel H2 -Molek¨ ul F¨ ur Mehrelektronensysteme gilt es, entsprechende Kombinationen zu bilden, die zugleich der Ununterscheidbarkeit der Elektronen und dem Pauli-Prinzip Rechnung tragen. Wir erl¨ autern das anhand einiger Beispiele. Der einfachste Fall liegt vor, wenn wir nur ein Orbital mit zwei Elektronen zu f¨ ullen haben, sagen wir das 1sσ-Orbital beim Grundzustand des H2 -Molek¨ uls. Die Gesamtwellenfunktion ist einfach (Notation s. Abb. 11.34, nahe vereinigtes Atom) 1 + 0 Σg = χ0 |φ1sσ (ρ1 , z1 ) · φ1sσ (ρ2 , z )i . (11.132) 2 Da der Ortsanteil (rechtes ket) offensichtlich symmetrisch uber der Ver Egegen¨ MS antisymmetrisch, tauschung der Teilchen ist, muss die Spinfunktion χS also ein Singulett sein, wie aufgeschrieben. Da f¨ ur beide Elektronen λ = 0 ist, bleibt auch der Gesamtdrehimpuls Λ = 0, wir haben es also mit einem Σ-Zustand zu tun. Nat¨ urlich ist diese Funktion u ¨berdies symmetrisch gegen Inversion, und schließlich bleibt auch die Reflexionssymmetrie des 1sσ Orbitals f¨ ur beide Elektronen insgesamt positiv. Man kennzeichnet dies durch ein hochgestelltes Plus-Zeichen (+ ). Der gebundene Grundzustand des H2 Molek¨ uls ist ein Singulett X 1 Σ+ g -Zustand (X dient lediglich als Kurzbezeichnung, man beginnt mit X f¨ ur den Grundzustand, es folgen A, B, . . . f¨ ur angeregte Zust¨ande). Halten wir nun ein Elektron im 1sσ Orbital fest und bringen das andere in das n¨achst h¨oher liegende 2pσ ∗ Orbital. Dann k¨onnen wir aus der Konfiguration |1sσ2pσ ∗ i zwei verschiedene Ortswellenfunktionen bilden: √ (11.133) [φ1sσ (ρ1 , z1 ) φ2pσ∗ (ρ2 , z2 ) ∓ φ1sσ (ρ2 , z2 ) φ2pσ∗ (ρ1 , z1 )] / 2 Beide Funktionen haben wieder Σ+ Reflexionssymmetrie (sie erben diese Eigenschaft von den Konstituenten), aber beide ¨ andern das Vorzeichen bei Inversion (wegen der Beteiligung eines 2pσ ∗ -Orbitals), d.h. eine ist antisymmetrisch, die andere symmetrisch gegen Vertauschung der beiden Elektronen. Die Spinfunktion muss also Triplett bzw. Singulett sein. Es zeigt sich, dass der resultierende 3 Σ+ u -Zustand repulsiv ist (ein bindendes, ein antibindendes Orbital). Der andere Zustand f¨ uhrt u ¨berhaupt nicht zu einem tief liegenden Molek¨ ulzustand. Betrachten wir als n¨ achstes die Konfiguration |1sσ 2pπi (zwei bindende Orbitale, λ1 = 0, λ2 = 1). Damit k¨ onnen wir z.B. einen bindenden, gegen Elektronenvertauschung symmetrischen, ungeraden angeregten Zustand aufbauen. Wir erhalten mit (11.130) bei Λ = λ1 + λ2 = 1, also: √ 1 0 Πu = χ0 {|1sσ 2pπx i + |2pπx 1sσi} / 2 (11.134) 0   iϕ2 −iϕ2 = χ0 φ1σg (z1 ρ1 )φ1πu (z2 ρ2 ) e + e  √  + φ1σg (z2 ρ2 )φ1πu (z1 ρ1 ) eiϕ1 + e−iϕ1 / 2 π Die Reflexionssymmetrie dieses Zustandes bez¨ uglich der xz-Ebene ist positiv (πx -artig – man ersetzte ϕ1 → −ϕ1 und ϕ2 → −ϕ2 ). Man kann aber durch

66

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Drehung der Molek¨ ulachse (z-Achse) um π/2 auch einen Zustand erzeugen, dessen Reflexionssymmetrie negativ ist (πy -artig). Das elektronische Problem aber ollig symmetrisch, und die beiden Zust¨ande ist uglich der z-Achse v¨ bez¨ 1 Π+ und 1 Π− sind entartet. Man schreibt daher die Symmetriebezeichu u nung ± bei Molek¨ ulen mit Λ 6= 0 in der Regel nicht aus. Wir werden aber in Abschn. 11.6.6 die Grenzen dieser Betrachtungsweise behandeln. Beispiel O2 -Molek¨ ul Wie sieht es nun aber bei Λ = 0, also bei Σ-Zust¨anden aus, wenn man sie z.B. aus zwei π-Orbitalen mit entgegengesetzter Richtung der Drehimpulsprojektion zusammensetzt? Ein Beispiel ist nach Tabelle 11.7 der Grundzustand des O2 , wo wir zus¨ atzlich zu der gut bindenden Konfiguration des N2 noch 2 zwei πg∗ -Orbitale zu f¨ ullen haben (Konfiguration πg∗ 2p mit λ1 = λ2 = 1). Zun¨achst halten wir fest, dass der Gesamtzustand gegen Inversion auf jeden Fall gerade (g) ist. Wir gehen hier wieder von E den komplexen Orbitalen (±λ) nach (11.117) aus und schreiben diese hier φel = πg∗ 2p±1 . Nach der Hund’schen Regel erwarten wir als tiefsten Zustand ein Triplett (das sind drei entartete Zust¨ande, wenn man von der Spin-Bahn-Wechselwirkung einmal absieht). Da die Spinwellenfunktion also symmetrisch ist, muss die Ortsfunktion gegen Elektronenvertauschung antisymmetrisch sein. Dazu sind Produkte der beiden unterschiedlichen Orbitale mit verschiedenem Vorzeichen zu kombinieren: 3 − M E  ∗ √ Σg = χ S πg 2p−1 πg∗ 2p1 − πg∗ 2p1 πg∗ 2p−1 / 2 1 o E 1 1 n i(ϕ2 −ϕ1 ) S −i(ϕ2 −ϕ1 ) ∗ ∗ √ e − e = χM φ (z ρ )φ (z ρ ) 1 1πg 1 1 1πg 2 2 π 2 2i E  √  E S ∗ = χM (11.135) φ1πg (z1 ρ1 )φ1πg∗ (z2 ρ2 ) sin (ϕ2 − ϕ1 ) / π 2 1 An den e±i(ϕ2 −ϕ1 ) Termen sieht man, dass sich die Drehimpulse kompensieren,   ˆ z1 + L ˆ z2 3 Σ− ≡ 0 , L g und Λ = λ1 −λ2 = 0 wird. Es handelt sich also in der Tat um einen Σ-Zustand. Reflexion an der xz-Ebene (d.h. ϕ1 → −ϕ1 und ϕ2 → −ϕ2 ) ¨andert das Vorzeichen, wir haben es also mit negativer Reflexionssymmetrie zu tun. Eine beliebige Drehung um die z-Achse um einen Winkel δ (d.h. ϕ1 → ϕ1 − δ und ϕ2 → ϕ2 −δ) ¨andert in diesem Fall nichts an der Eigenfunktion! Dies liegt ganz offensichtlich daran, dass sich die beiden Drehimpulse gerade kompensieren. Daher ist bei Σ-Zust¨ anden die Reflexionssymmetrie eine gute Quantenzahl, welche einen bestimmten Zustand charakterisiert. Das gilt auch f¨ ur den zu aren Zustand: (11.135) komplement¨ E 1 + 0 √  Σg = χ0 φ1π∗ (z1 ρ1 )φ1π∗ (z2 ρ2 ) cos (ϕ2 − ϕ1 ) / 2 π (11.136) g g

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

67

Er hat offensichtlich positive Reflexionssymmetrie unabh¨angig von der Lage der xz-Ebene, und auch die Vertauschungssymmetrie bez¨ uglich der Ortskoordinaten (1 und 2) ist hier positiv (cos-Funktion), die Spinfunktion muss also antisymmetrisch sein. Es handelt sich um einen Singulett-Zustand mit deutlich anderer Energie. Dagegen sind Π-, ∆-, . . . -Zust¨ ande bez¨ uglich der ± Symmetrie entartet. 2 Das sieht man z.B. – bei gleicher Elektronenkonfiguration πg∗ 2p – explizit an den beiden verbleibenden Singulettzust¨ anden, deren Ortsfunktion ebenfalls gegen Vertauschung der Elektronen symmetrisch sind. Wir bilden 1 0  ∗ √ ∆g = χ0 πg 2p−1 πg∗ 2p1 + πg∗ 2p1 πg∗ 2p−1 / 2 o 0 1 n i(ϕ2 +ϕ1 ) e + e−i(ϕ2 +ϕ1 ) = χ0 φ1πg∗ (z1 ρ1 )φ1πg∗ (z2 ρ2 ) √ 2 πi E 0 √  = χ0 φ1πg∗ (z1 ρ1 )φ1πg∗ (z2 ρ2 ) sin (ϕ2 + ϕ1 ) / 2 π (11.137) mit Λ = λ1 +λ2 = 2, was den identischen Vorzeichen von ϕ2 und ϕ1 geschuldet ist. Es handelt sich also um einen 1 ∆g -Zustand. Er hat negative Reflexionssymmetrie bez¨ uglich der xz-Ebene. Allerdings entsteht ein weiterer (orthogonaler), energetisch entarteter 1 ∆g -Zustand durch eine π/4-Drehung um die z Achse (d.h. ϕ1 → ϕ1 +π/4 und ϕ2 → ϕ2 +π/4), f¨ ur den 1 ∆g ∝ cos (ϕ2 + ϕ1 ) ist. Seine Reflexionssymmetrie ist nun positiv, w¨ahrend die Vertauschungssymmetrie ebenfalls positiv bleibt. 2 Diese insgesamt 6 Zust¨ ande, die sich aus der Konfiguration πg∗ 2p ergeben, illustrieren sehr deutlich, warum nur f¨ ur Σ-Zust¨ ande die Reflexionssymmetrie bez¨ uglich einer Ebene durch die Molek¨ ulachse unabh¨ angig von der Richtung dieser Ebene ist. Wir kommen auf die entsprechenden Zust¨ande des uck. Es handelt sich dabei in der Tat O2 noch einmal in Abschn. 11.6.9 zur¨ 1 1 + um die tiefst liegenden Zust¨ ande X 3 Σ− g , a ∆g und b Σg – in dieser energeti¨ schen Reihenfolge und wieder in voller Ubereinstimmung mit der Hund’schen Regel (h¨ochste Multiplizit¨ at liegt am tiefsten, bei gleicher Multiplizit¨at liegt der h¨ochste Gesamtdrehimpuls am tiefsten, s. Kap. 7 in Band 1). 11.6.6 Lambda-Verdopplung Zum Abschluss dieser Diskussion weisen wir noch auf das spektroskopisch wichtige Ph¨anomen Lambda-Verdopplung (Λ-Type Doubling) hin. Es ist bei den Hund’schen F¨ allen (a) und (b) immer dann von Bedeutung, wenn Λ 6= 0 (also f¨ ur Π-, ∆- etc. Zust¨ ande) und die Rotationsquantenzahl groß ist. Wir haben ja bislang die Kopplung zwischen Rotation und elektronischem Bahndrehimpuls vernachl¨ assigt. Eine solche Kopplung ergibt sich einfach dadurch, dass bei zweiatomigen Molek¨ ulen Zust¨ ande mit Λ 6= 0 ohne Rotation doppelt entartet sind, wie gerade besprochen: sie k¨onnen positive und negative Reflexionssymmetrie bez¨ uglich der xz-Ebene besitzen.

68

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Betrachten wir als einfaches Beispiel einen 2 Π-Zustand, der aus einem einzigen π-Orbital besteht. Die Energien des 2 Π+ - und des 2 Π− -Zustands sind v¨ollig identisch, sofern das Molek¨ ul nicht rotiert. Denn x- bzw. y-Achse k¨onnen ja beliebig (senkrecht zur Molek¨ ulachse z) definiert werden, und die πpy -und πpx -Orbitale sind v¨ ollig ¨ aquivalent. Sobald das Molek¨ ul aber rotiert, ist diese Symmetrie aufgehoben. Wenn das Molek¨ ul etwa um die y-Achse rotiert, so k¨onnen wir uns ganz anschaulich vorstellen, dass das py -Orbital davon kaum beeinflusst wird, w¨ ahrend die Elektronen in einem px -Orbital der Zentrifugalkraft stark ausgesetzt werden. Das f¨ uhrt zu einer Aufspaltung, die man Λ-Verdopplung nennt. Auch wenn es sich dabei um einen energetisch sehr kleinen Effekt handelt, ist er mit modernen spektroskopischen Methoden gut beobachtbar. Von großer Bedeutung ist das Ph¨anomen etwa bei Dissoziationsprozessen, bei denen zweiatomige Molek¨ ule aus einem gr¨oßeren Komplex abgespalten werden. Die Rotationsverteilung kann ausgesprochen asymmetrisch bez¨ uglich der beiden Rotationsachsen senkrecht zur Molek¨ ulachse sein. 11.6.7 Beispiel H2 – MO Ansatz Wir wenden uns jetzt noch einmal kurz der Bestimmung von elektronischen Wellenfunktionen zweiatomiger Molek¨ ule im Detail zu und konzentrieren uns dabei zun¨achst auf das H2 -Molek¨ ul mit seinen zwei ¨aquivalenten Elektronen. Wir bauen dabei auf das in Abschn. 11.5.2 Erarbeitete auf und fassen auch noch einmal kurz zusammen, was wir in Abschn. 11.6.5 herausgefunden haben. Die Wellenfunktionen m¨ ussen insgesamt antisymmetrisch sein (Pauli Prinzip), b =S b1 + S b 2 (Σ = 0 oder 1) und Λ = und bei zwei aktiven Elektronen wird S |λ1 ± λ2 |. Die Ortsfunktion k¨ onnen wir aus geraden und ungeraden Orbitalen ur nach (11.101) konstruieren. Insgesamt ergeben sich analog zum He-Atom f¨ die Gesamtwellenfunktionen des H2 zwei Typen von Zust¨anden: Singulett φS (1, 2) = φ+ (1, 2)χ00 (1, 2) mit MS = 0

und

S Tripletts φT (1, 2) = φ− (1, 2)χM 1 (1, 2) mit MS = −1, 0, 1

(11.138) (11.139)

mit symmetrischer φ+ (1, 2) bzw. antisymmetrischer Ortsfunktion φ− (1, 2). F¨ ur die niedrigsten Zust¨ ande diskutieren wir nur die 1σg - und 1σu∗ -MOs und schreiben die entsprechende Ortswellenfunktion kurz φg (i) bzw. φu (i) je nachdem, welches der beiden Elektronen i sich in diesen Orbitalen befindet. Der Grundzustand X wird durch zwei Elektronen im bindenden 1σg -Orbital gebildet, und die Gesamtwellenfunktion ist ein Singulett vom Typ X 1 Σ+ g :

φX (1, 2) = φg (1)φg (2)χ10 .

(11.140)

Bringt man eines der beiden Elektronen in das antibindende 1σu∗ - Orbital, so erh¨alt man den niedrigst liegenden Triplettzustand: b3 Σ + u :

1 S φb (1, 2) = √ [φg (1)φu (2) − φg (2)φu (1)] χM 1 2

(11.141)

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

69

Die ausf¨ uhrliche Rechnung zeigt, dass es sich um einen repulsiven, nicht bindenden Zustand handelt. Im Prinzip kann man auch den entsprechenden Singulettzustand bilden: 1

Σ+ u :

1 φ3 (1, 2) = √ [φg (1)φu (2) + φg (2)φu (1)] χ10 2

Er wird nach der Hund’schen Regel noch deutlich h¨oher liegen und tr¨agt in der Tat nicht zu einem Zustand bei, der mit dem Grundzustand korreliert. Noch weniger bindend ist das System, wenn beide Elektronen ein antibindendes Orbital besetzen: 1 + Σg : φ4 (1, 2) = φu (1)φu (2)χ10 Die beiden letzt genannten Zust¨ ande tragen lediglich zu angeregten, schw¨acher gebunden Zust¨anden bei. In entsprechender Weise werden auch die Molek¨ ul-Zust¨ande von komplexeren MOs konstruiert. Wir haben die Prinzipien dazu bereits in Abschn. ¨ 11.6.5 behandelt. Eine Ubersicht u ¨ber die mit modernen quantenchemischen Methoden berechneten Potenziale f¨ ur das H2 -Molek¨ ul einschließlich seiner Io+ 11.6.7. Wie schon erw¨ a hnt, werden die Zust¨ande nen H− und H gibt Abb. 2 2 in der Regel mit Großbuchstaben gelabelt“, der Grundzustand mit X, die ” n¨achst h¨oheren, gebundenen Zust¨ ande mit A, B, C etc. Gelegentlich ist diese Nomenklatur aber aufgrund der historischen Entwicklung durchbrochen. Auch Kleinbuchstaben werden benutzt, um sp¨ater gefundene Zust¨ande zu benennen. Wegen der besonderen Bedeutung von H2 ist ein Ausschnitt aus dem Energiediagramm noch einmal vergr¨ oßert in Abb. 11.6.7 dargestellt. Man beachte, dass es kein stabiles negatives Ion (Anion) H− 2 gibt. Die tiefste Energie von H− liegt vielmehr oberhalb des neutralen, gebundenen 2 − Grundzustands. H− 2 kann daher spontan in H2 + e zerfallen – wenn es denn u ¨berhaupt gebildet wird. Man beobachtet solche Zust¨ande als Resonanz bei der Streuung niederenergetischer Elektronen an H2 , ein Ph¨anomen, welches der in Kap. 7, Band 1 behandelten Autoionisation sehr ¨ahnlich ist. Auf einen verwandten Prozess, die Pr¨ adissoziation, sei hier im Zusammenhang mit bemerkenswerten Potenzialmaxima f¨ ur eine Reihe von H2 -Zust¨anden hingewiesen, wie man sie in Abb. 11.6.7 z.B. f¨ ur die mit I, i und h gekennzeichneten Zust¨ande deutlich erkennt – eine Folge vermiedener Kreuzungen. Diese Maxima gestatten es, energetisch oberhalb der Dissoziationsgrenze liegende Schwingungszust¨ ande zu bilden, die also im Prinzip zerfallen k¨onnen. Sie sind aber dennoch f¨ ur einige Zeit stabil, da die Potenzialbarriere sie vor dem Zerfall sch¨ utzt. Die Wahrscheinlichkeit f¨ ur die Dissoziation solcher Molek¨ ule durch Tunneln“ h¨angt von der H¨ ohe und Breite der Barriere ab. ” Analog zum Vorgehen beim H+ uls 2 kann man die Potenziale des H2 -Molek¨ durch Einsetzen entsprechender Testfunktionen (trialfunctions) in die Schr¨odingergleichung ermitteln. Der elektronische Hamiltonian ist hier (in a.u.)

70

11 Zweiatomige Molek¨ ule



 1 1 + r12 R 1 1 1 b i = − ∇2i − − . H 2 rAi rBi

b =H b1 + H b2 + H mit

(11.142)

Dabei ist r12 der Abstand der beiden Elektronen, R der Kernabstand und rAi und rBi der Abstand des Elektrons i vom Atomkern A bzw. B. Die potenzielle Energie eines Zustands φγ berechnet man wieder durch Minimieren von (11.88), wobei im Ritz’schen Variationsverfahren die φγ durchaus als Linearkombinationen von Molek¨ ulorbitalen φg bzw. φu aufgebaut sein k¨onnen. Die MOs, welche man f¨ ur den Ansatz (11.140) ben¨otigt, kann man z.B. durch L¨osung der Schr¨ odinger-Gleichung f¨ ur H+ 2 b i φ(r i ) = W φ(r i ) H erhalten. Es ist aber durchaus instruktiv, als erste N¨aherung von LCAO-MOs ur die auszugehen, im einfachsten Falle also von (11.101). Explizit ergibt sich f¨ Grundzustandswellenfunktion damit: φX(S) (1, 2) =

φ00 (1, 2) × 2(1 + S(R)) { [Φ1s (rA1 ) Φ1s (rB2 ) + Φ1s (rA2 ) Φ1s (rB1 )] + [Φ1s (rA1 ) Φ1s (rA2 ) + Φ1s (rB1 ) Φ1s (rB2 )]}

(11.143) (11.144)

¨ Das Uberlappintegral S(R) nach (11.94) normiert diese Wellenfunktion. Die beiden Teile (11.143) und (11.144) kann man mit einem kovalenten und einem ionischen Anteil identifizieren. Der kovalente Anteil repr¨asentiert eine gleichm¨aßige Verteilung beider Elektronen bei beiden Atomen. F¨ ur große H+H Abst¨ande der Atome geht die kovalente Wellenfunktion u ¨ber in die Beschreibung zweier getrennter H-Atome H + H. Dagegen sind beim ionischen Anteil beide Elektronen entweder an Atom A lokalisiert (Φ1s (rA1 ) Φ1s (rA2 )) oder an Atom B (Φ1s (rB1 ) Φ1s (rB2 )). Dies entspricht also der Situation H− +H+ bzw. H+ +H− . Asymptotisch liegt der so beschriebene Zustand auf der hier benutzen Energieskala im Vibrationsgrundzustand des H2 bei einer Energie WI + D00 − WEA ' 17.32 eV (WI = Ionisationspotenzial des H-Atoms, D00 = Dissoziationsenergie H2 und WEA = Elektronenaffinit¨at von H). Ein Blick auf Abb. 11.6.7 zeigt, dass dies weit oberhalb der H + H Asymptote liegt. Zum angeregten B 1 Σ+ acher gebunden ist, als der X 1 Σ+ g -Zustand, der viel schw¨ gGrundzustand des H2 , tr¨ agt der ionische Zustand allerdings bei. Zur Auswertung der Energie nach (11.88) mit der einfachen Testfunktion uhrt man wieder die Koordinatentransformation (11.90) durch, um (11.145) f¨ die auftretenden Integrale mit etwas Aufwand auszurechnen. Wir verzichten hier aufs Detail, zumal das Resultat nicht gerade u ¨berzeugend ist: man erh¨alt mit diesem Ansatz R0 = 0.08 nm und De = 2.68 eV, was mit den genau berechneten bzw. experimentellen Werten R0 = 0.07414 nm und D00 +~ω0 /2 = 4.747 eV (s. Tabelle 11.2 auf S. 14) zu vergleichen ist.

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

71

24

24

H2+

22

2 + 2p

Σu

D'' 1Πu5p�

20

σu

+

X 2Σ+g 1sσg

+

e 3Σu2pσ

16

Potenzielle Energie V(R)/eV

14 12 + C +e - 2

B

Σg

10

1Σ+ 2pσ u

+

H 1Σg+3sσ

c+ e - 2Σ+g

8

22

B'' 1Σu 4pσ

20

+

+

g 3Σg 3dσ

B' 1Σu3pσ

18

D' 1Πu4p� V 1Πu4f�

H2

H++H(1s)

5ℓ 4ℓ d 3Πg3p� H(1s)+H(3ℓ) + 16 m3Σu4fσ i 3 3d Πg � + h 3Σg 3sσ H(1s)+H(2ℓ) 14

H(2s)+H-(1s2) 1 D Πu3p� und J,j 1,3∆g 3dδ 1 I Πg3d� C 1Πg2p� m3Σu 4fσ a 3Σ+g 2sσ c 3Πu2p� + E,F 1Σg 2sσ + 2pσ2

12 10 8

+

6

6

b 3Σu 2pσ b +e- 2Σ+g

H2

4

-

2

5

H(1s)+H(1s) 10

-

H(1s)+H

+

X+e - 2Σg

4

(1s2)

H2

2

X 1Σ+g 1sσ

0 0

1

2 3 Kernabstand R / Å

0 4

5

6

Abb. 11.43. Potenziale f¨ ur die wichtigsten Zust¨ ande des H2 -Molek¨ uls (sowie zum + Vergleich f¨ ur H− 2 und H2 ) nach Sharp (1971). Der Gleichgewichtsabstand im elektronischen X 1 Σ+ agt R0 = 0.07416 nm, die Dissoziatig -Grundzustand des H2 betr¨ onsenergie D0 = 4.476 eV. Der b3 Σ+ urze wegen u -Zustand ist nicht bindend. Der K¨ wird bei den Zustandsbezeichnungen 1sσ weggelassen. Man beachte: das Ionenpaar p + H− (1s2 ) wird bei 17.5 eV gebildet

72

11 Zweiatomige Molek¨ ule

17

17 V 1Πu 4f�

H2+

+

+

16 X

2Σ+

d 3Πu 3p� J, j 1,3Δg 3dδ 1 D' Πu 4p�

g

D'' 1Πu 5p� 15

Potenzielle Energie V(R)/eV

H(1s) +H(3ℓ)

B''

1Σ+ u

D

g 3Σg 3dσ



u

16

3p� i 3Πg 3d� I 1Πg 3d� +

h 3Σg 3sσ

4pσ + B' 1Σu 3pσ

14

m 3Σu 4fσ

15 H(1s) +H(2ℓ)

14

+ +

H 1Σg 3sσ C 1Πu 2p� +

a 3Σg 3sσ

+

13

e 3Σu 3pσ

13

+

E,F 1Σg 2sσ + 2pσ 2

12

c 3Πu 2p�

+

H2

12

B 1Σu 2pσ +

11

b 3Σu 2pσ 0.5

1.0

11 1.5 2.0 2.5 Kernabstand R / Å

3.0

3.5

Abb. 11.44. Vergr¨ oßerter Ausschnitt aus dem Potenzialdiagramm f¨ ur H2 in Abb. 11.6.7 nach Sharp (1971). Man beachte auch die interessanten Zust¨ ande E, F und H mit Doppelminimumspotenzial und die pr¨ adissoziierenden“ Zust¨ ande I, i und h ”

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

73

11.6.8 Valence-Bond-Methode Anstelle MOs auszugehen, kann man auch einfach mit einer kovalenten Ladungsverteilung als Testfunktion beginnen. Man w¨ahlt also z.B. f¨ ur den H2 Grundzustand (nicht normiert) φX(S) (1, 2) = [Φ1s (rA1 ) Φ1s (rB2 ) + Φ1s (rA2 ) Φ1s (rB1 )] × χ00 (1, 2) (11.145) und berechnet daraus die Energie f¨ ur den X 1 Σ+ g -Zustand: WS =

b |φS i hφS | H hφS | φS i

Entsprechend kann man mit dem Ansatz φb(T ) (1, 2) = [Φ1s (rA1 ) Φ1s (rB2 ) − Φ1s (rA2 ) Φ1s (rB1 )] × χ1MS (1, 2) das Potenzial f¨ ur den repulsiven, nicht bindenden 3 Σ+ u -Zustands berechnen. Dieses von Heitler und London eingef¨ uhrte Valence-Bond-Verfahren ist unkomplizierter als das MO-Verfahren und gibt beim H2 sogar etwas bessere Ergebnisse als der einfachste MO-Ansatz.15 Beim heutigen Stand der Computertechnik kann man mit Hilfe moderner quantenchemischer Verfahren – zumindest f¨ ur kleinere Molek¨ ule – problemlos Molek¨ ulpotenziale und Molek¨ uleigenschaften praktisch exakt“ ab initio ” berechnen, ohne auf die beschriebenen Hilfskonstruktionen zur¨ uckgreifen zu m¨ ussen. Solche Programme benutzen hinreichend große und erprobte MObzw. AO-Basiss¨atze. Die einschl¨ agigen Verfahren wurden schon in Band 1 f¨ ur Vielelektronensysteme besprochenen. Man benutzt ausgefeilte, selbstkonsistente Hartree-Fock-Verfahren (HF-SCF) mit Konfigurationswechselwirkung (CI) und vielf¨altigen Korrekturen. Wir verzichten hier darauf, die zahlreichen Akronyme f¨ ur die verschiedenen N¨ aherungen aufzulisten. F¨ ur gr¨oßere Molek¨ ule benutzt man heute zunehmend die Dichtefunktionaltheorie (DFT), die letztlich auf dem hier im Grundprinzip skizzierten Variationsansatz zur Bestimmung optimierter Elektronendichteverteilungen basiert. Man kann heute eine Reihe sehr leistungsf¨ ahiger Rechenprogramme f¨ ur die verschiedenen Anwendungsfelder kommerziell erwerben. F¨ ur den Einstieg verweisen wir auf einige Klassiker (GAMESS, 2010; Gaussian, 2009; Molpro, 2010; Turbomole, 2010). 11.6.9 Das Stickstoff- und das Sauerstoffmolek¨ ul Als Beispiele f¨ ur etwas komplexere zweiatomige Molek¨ ule – im Vergleich zum ur N2 H2 mit seiner 2s2 -Konfiguration – sind in Abb. 11.45 die Potenziale f¨ und in Abb. 11.46 f¨ ur O2 gezeigt. Nach Tabelle 11.7 ist N2 das stabilste der 15

Das verwundert in diesem Falle nicht. Wir haben ja gesehen, dass die ionische Komponente der MOs zu v¨ ollig falschen asymptotischen Zust¨ anden f¨ uhrt.

74

11 Zweiatomige Molek¨ ule

28 u

25

u

u

24

4Σ –

2∆



u

B2Σu+

20

4∆

16

+

N

X 2 Σ g+

E 3Σg

12

a

10

N(4So) + N(2Do) 5Π

u

g

8



5Σ +

w1∆u

– a' 1Σ

N(4So) + N (2Po)

b' 1Σu

C 3Πu 1Π

+N

N(2Do) + N(2Do)

C' 3Πu

+

+

Potenzielle Energie V(R) /eV



A2Πu

14

u

g



7Σ +

N(4So) + N (3P)

u

N(4So) + N(4So)

3∆

u

B' 3Σu B 3Πg

+

A 3Σu



N2

4

X

2 0

D2Πg

u

+

18

u

4Σ +

N2

N(4So) + N+(3P)

u

u

22

N(4So) + N+(1D)

2Σ –

C 2Σ +

6

N(2Do) + N+(3P)



N2



g

X 1Σg+ 0.4

0.8

1.2

1.6

2.0

2.4

2.8

3.2

3.6

Kernabstand R / Å Abb. 11.45. Potenziale f¨ ur das Stickstoffmolek¨ ul und seine Ionen nach Gilmore (1965). Das Potenzial des instabilen N− 2 -Anions wurde an die Lage der experimentell beobachteten Resonanzen angepasst (s. Kap. 18.1.2)

11.6 Aufbau der Gesamt-Molek¨ ul-Zust¨ ande

75

24 O(3P) + O+(2Do)

22



g



20 b 18

Potenzielle Energie V(R) /eV

g

4Σ – g



4Σ+

g

g

A 2Πu

16

O(1D) + O+(4So)

u

2Σ –

6Σ +, 6Σ+ , 6Π 4Π

g

g

O(3P) + O+(4So)

g 2Σ +

g

+

O2

a 4Πu



u,

u

+

und 4Σu

X 2Πg

14

1Σ +

12

u

10

u

O(1D) + O(1D) B



g

6 A

3Σ+

u

A'

4

O(3P) + O(1S)



O2

8



0.8

5Σ +

g



g und

5Σ +

u

u

g

5Σ – , 3Σ +

+

und 1Σg

O(3P) + O(3P) c 1Σu

u



u

u

g



X 3Σg



u

3Π 1Πu





u

o

O(3P) + O (2P )



O2

a 1Δg 0

O(3P) + O(1D)

3Σ –

b 1Σg+

2

O(1D) + O(1S)

X 2Πg 1.2

1.6

2.0

2.4

2.8

3.2

3.6

Kernabstand R / Å Abb. 11.46. Potenziale f¨ ur das Sauerstoffmolek¨ ul und seine Ionen nach Gilmore (1965); Minima der A-, A0 - und c-Zust¨ ande modifiziert nach Jenouvrier et al. (1999)

76

11 Zweiatomige Molek¨ ule

leichten Molek¨ ule. Alle bindenden, aus 2p-Atomorbitalen zusammengesetzten MOs sind aufgef¨ ullt (K- und L-Schale). Am X 1 Σ+ g -Grundzustand sind 6 bindende 2p-Elektronen beteiligt und alle Spins sind abges¨attigt. Man hat es gewissermaßen mit einer abgeschlossenen Molek¨ ulschale zu tun. Entsprechend ist N2 auch chemisch sehr inert. Der erste angeregte A 3 Σ+ u -Zustand liegt mit 6 eV recht hoch u ¨ber dem Grundzustand und auch das Ionisationspotenzial geh¨ort mit 15.6 eV zu den h¨ ochsten (ersten) Ionisationspotenzialen f¨ ur Molek¨ ule u ¨berhaupt. Das Anion ist dagegen nicht stabil, sein Grundzustand X 2 Πg ist in Abb. 11.45 grau eingezeichnet und liegt 1.6 eV u ¨ber dem neutralen Grundzustand. Als (kurzlebige) Resonanz in der Elektronenstreuung kann man den Zustand aber deutlich beobachten, wie wir in Kap. 18.1.2 noch besprechen werden (s. Abb. 18.3 auf S. 456). Entsprechend der elektronischen Konfiguration des O-Atoms im Grundzustand, 2s2 2p4 3 P, erwartet man f¨ ur das O2 eine noch komplexere elektronische Struktur. Nach Tabelle 11.7 muss hier aber der sehr stabile, stark gebundene und elektronisch symmetrische N2 1 Σ+ g -Rumpf lediglich um zwei antibindende πg∗ -Elektronen erg¨ anzt werden. Wir haben dies z.T. schon in Abschn. 11.6.5 erarbeitet: der Grundzustand X 3 Σg hat nach der Hund’schen Regel die h¨ochste Multiplizit¨ at. Es folgen der a1 ∆g - und der b1 Σ+ g -Zustand. ¨ Die Ubersicht u uls und seiner Ionen ¨ber die Potenziale des Sauerstoffmolek¨ in Abb. 11.46 basiert auf den Daten der sehr systematischen Arbeit von Gilmore (1965). Dort wurden zum einen experimentelle, spektroskopischer Daten im Geiste des RKR-Verfahrens (s. Abschn. 11.4.5) ausgewertet, zum anderen aber auch quantenchemische Rechnungen einbezogen. Auch wenn seither u ¨ber viele neue Messungen und Rechnungen in der Literatur berichtet wurde, haben wir nur einige wenige, wichtige Modifikationen an dieser Kompilation vorgenommen, da eine kritische Gesamtwertung aller Daten derzeit fehlt. Die parallelen Elektronenspins im X 3 Σg -Grundzustand mit S = 1 sorgen daf¨ ur, dass Sauerstoffgas paramagnetisch ist. Interessant ist auch, dass es ein − − stabiles O− 2 im Grundzustand gibt (im Gegensatz zu H2 und N2 ). Allerdings − zerf¨allt auch O2 → O2 + e, wenn es in vibrationsangeregte Zust¨ande gebracht wird: es kann umgekehrt auch wieder als Resonanz bei der Elektronenstreuung nachgewiesen werden.

11.7 Heteronukleare Moleku ¨ le 11.7.1 Energielagen ¨ Wir verallgemeinern jetzt die Uberlegungen aus Abschn. 11.5. Bei zweiatomigen Molek¨ ulen mit zwei verschiedenen Atomkernen gibt es keine Inversionssymmetrie mehr, die Molek¨ ulorbitale sind nicht mehr nach gerade und ungerade zu unterschieden. Die kovalente Bindungsenergie ist in der Regel schw¨acher als bei homonuklearen Molek¨ ulen, da HAA 6= HBB . Bei homonuklearen Molek¨ ulen war die Orbitalenergie (11.98) bzw. (11.99)

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

77

εg,u = HAA ± HAB , ¨ ¨ wobei wir der Ubersichtlichkeit halber das Uberlappintegral S = SAB (R) = 0 gesetzt haben (was die Verh¨ altnisse nur bei sehr starker Ann¨aherung der beiden Atome verf¨ alschen w¨ urde). Bei heteronuklearen Molek¨ ulen wird die S¨akulargleichung (11.97) dann (HAA − ε) (HBB − ε) − HAB HBA = 0 , 2

∗ und wegen HAB = HBA gilt HAB HBA = |HAB | . Die Energieeigenwerte sind s 2 (HAA − HBB ) HAA + HBB 2 ± + |HAB | ε± = 2 4 s 2 HAA + HBB HAA − HBB 4 |HAB | = ± 1+ 2 . 2 2 (HAA − HBB )

F¨ ur viele heteronukleare Molek¨ ule gilt (insbesondere, wenn die Kernladungen sehr unterschiedlich sind) |H aherung AA − HBB |  |HAB |. Mit der N¨ √ 1 + x2 ≈ 1 + x2 /2 werden die beiden Eigenwerte dann: 2

ε+ = HAA +

|HAB | HAA − HBB

ε− = HBB −

|HAB | HAA − HBB

(11.146)

2

In der Skizze Abb. 11.47 haben wir angenommen, dass HAA > HBB ist.

ε+ |HAB |2 ___________

HAA −HBB

HBB B

ε-

|HAB |2 ___________

HAA

HAA − HBB

Abb. 11.47. Energieanhebung bzw. Absenkung der Orbitalenergien f¨ ur heteroatomare, zweiatomige Molek¨ ule schematisch

A 2

Dann ist Energieabsenkung durch die Bindung |HAB | / (HAA − HBB ) = ∗ |HAB | × |HAB | / (HAA − HBB )  |HAB |. Die Bindung ist also stark, wenn die Energien der beteiligten AOs ¨ ahnlich sind (HAA ' HBB ). F¨ ur die Orbitale erhalten wir anstatt der geraden bzw. ungeraden Funktionen φg und φu nach (11.101) bzw. (11.102) jetzt die unsymmetrische Bildung (±)

(±)

φ± = cA ΦA + cB ΦB , wobei f¨ ur die Koeffizienten gilt:

78

11 Zweiatomige Molek¨ ule (+)

cA

(+) cB

'

HAB HAA − HBB = 1 ε+ − HAA HAB

(−)



cA

(−) cB

'−

HAB HAB =  1. ε− − HAA HAA − HBB

Die Molek¨ ulorbitale unterscheiden sich also nur wenig von den AOs, d.h. es wird φ+ ' ΦA und φ− ' −ΦB und der hier tiefer liegende, bindende Zustand korreliert erwartungsgem¨ aß mit ΦB . 11.7.2 Besetzung der Orbitale Eine direkte Folge der asymmetrischen Molek¨ ulorbitale ist eine ungleiche Ladungverteilung im Molek¨ ul. Die heteronuklearen zweiatomigen Molek¨ ule haben daher ein permanentes elektrisches Dipolmoment. Im Vergleich zu den homonuklearen Molek¨ ulen Abb. 11.36 auf S. 57 ist der Aufbau der Molek¨ ulorbitale etwas differenzierter. 6σ* F¨ ur Molek¨ ule aus Atomen mit ¨ahnlicher Kernladungszahl (z.B. CO) ergeben sich Molek¨ ulorbita2�* 2p le aus den Atomorbitalen nach dem Schema Abb. 2p 5σ 11.48. Man nummeriert die Orbitale zu jeweils ei1� nem Wert von λ einfach durch, da die Unterscheidung g und u jetzt wegf¨allt. Darauf aufbauend wer4σ* den die entsprechenden Korrelationsdiagramme ent2s 2s 3σ wickelt. Man beachte, dass wegen der unterschiedlichen Kernladung im Grenzfall getrennter Atome nun zwei unterschiedliche Energien f¨ ur die Atomorbitale 2σ* 1s 1s, 2s, 2p auftreten, je eine pro Atom. Daher ver1s 1σ schwindet die g–u Symmetrie. Ansonsten gelten die A B gleichen Nichtkreuzungsregeln. Ein typisches ScheAbb. 11.48. Orbital- ma zeigt Abb. 11.49, das mit Abb. 11.35 auf S. 56 Entstehung bei zweiato- zu vergleichen ist. Wie bei den homonuklearen Momigen, heteronuklearen lek¨ ulen tendieren Zust¨ande mit h¨oherem λ bei gleiMolek¨ ulen chem ` zu h¨ oheren Energien. Wir haben dies im Zusammenhang mit dem Stark-Effekt in Kap. 8.5.7, Band 1 ausf¨ uhrlich besprochen. Es gilt also f¨ ur große Abst¨ ande die energetische Reihenfolge σ < π < δ. Allerdings kann sich wegen der Korrelation mit dem vereinigten Atomschema dieser Trend im MO-Bild umkehren. In Abb. 11.49 sieht man dies besonders deutlich an den 1π-, 5σ-, 2π- und 6σ- Zust¨ anden. In Tabelle 11.9 sind Elektronenkonfigurationen, Gleichgewichtsabstand R0 und Bindungsenergie De der Grundzust¨ ande einer Reihe zweiatomiger, heteronuklearer Molek¨ ule zusammengestellt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass das hier kommunizierte Schema f¨ ur ¨ die Entwicklung von Molek¨ ulorbitalen lediglich einen ersten Uberblick erlaubt.

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

3d 3dδ 3dπ 3dσ* 3p 3pπ 3s 3pσ 3sσ* 2p 2pπ 2s 2pσ 2sσ* 1s 1sσ Vereinigtes Atom (R = 0)

3π 7σ* 6σ* 2π 5σ* 4σ* 1π 3σ 2σ*

σ*3sA π2pB σ*2p π2pA B σ2p σ*2sB A σ2sA σ*1sB σ1sA

1σ Molekül R

3sA 2pB 2pA 2sB 2sA

79

Abb. 11.49. Korrelationsdiagramm f¨ ur zweiatomige, heteronukleare Molek¨ ule

1sB 1sA

Getrennte Atome ZA > ZB (R → ∞)

Tabelle 11.9. Molek¨ ulorbitale f¨ ur heteronukleare, zweiatomige Molek¨ ule MoleErwartete k¨ ul elektronische Konfiguration

Beobachtungen Bind.- 2S+1 Λ R0 De ordn. (˚ A) (eV) 1 + BeO (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 2 1.3309 4.69 Σ 2 + BeF (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)1 2 21 1.3610 ≈ 6.0 Σ 3 BNa (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)3 (5σ)1 2 1.3291 3.99 Π 2 2 2 2 4 1 2 + 1 BO (1σ) (2σ) (3σ) (4σ) (1π) (5σ) 22 1.2045 8.40 Σ 1 + BF (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)2 3 1.2625 7.89 Σ 2 2 2 2 4 + 1 CN (1σ) (2σ) (3σ) (4σ) (1π) 2 1.1729 4.93 Σ 2 + CN (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)1 2 21 1.1718 7.83 Σ 2 2 2 2 4 2 − CN (1σ) (2σ) (3σ) (4σ) (1π) (5σ) 3 1.14 ≈ 10 2 + CO+ (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)1 2 21 1.1151 8.47 Σ 2 2 2 2 4 2 1 + CO (1σ) (2σ) (3σ) (4σ) (1π) (5σ) 3 1.1283 11.22 Σ 2 CF (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)2 (2π)1 2 21 1.2718 5.75 Π 2 2 2 2 4 2 + 1 + NO (1σ) (2σ) (3σ) (4σ) (1π) (5σ) 3 1.0632 11.00 Σ 2 NO (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)2 (2π)1 2 21 1.1508 6.61 Π R0 und De , soweit nicht anders vermerkt, nach Huber und Herzberg (1979). a Li und Paldus (2006).

In der Praxis wird man sich in jedem Einzelfall die energetischen Bedingungen und die atomaren Konfigurationen genau ansehen m¨ ussen, um einen geeigneten MO-Basissatz f¨ ur die Beschreibung des Molek¨ uls zu finden. Wie schon bei den homonuklearen Molek¨ ulen erw¨ ahnt, gibt es daf¨ ur heute ausgefeilte Verfahren und effiziente, auch kommerziell erh¨ altliche Rechenprogramme. Um hier beispielhaft etwas konkreter zu werden, wollen wir im folgenden einige interessante Spezialf¨ alle betrachten.

80

11 Zweiatomige Molek¨ ule

11.7.3 Lithiumhydrid LiH ist ein recht bemerkenswertes, freilich nicht aus der Gasflasche erh¨altliches Molek¨ ul, an dem man einige Besonderheiten studieren kann. Es hat in j¨ ungster Zeit auch im Kontext der Bose-Einstein-Kondensation ultrakalter Atome Interesse gefunden (s. z.B. Cˆ ote et al., 2000; Juarros et al., 2006), u.a. wegen seines großen Dipolmoments, das spezielle, langreichweitige Effekte erwarten l¨asst. Man kann ggf. Zweiphotonenprozesse anwenden, um solche Molek¨ ule durch Photoassoziation aus ultrakalten Atomen zu generieren. Die Konstituenten des LiH-Molek¨ uls haben die Konfiguration 1s2 2s (Li) und 1s (H), wobei 2 die geschlossene 1s -Schale des Lithiums an der Bindung nicht teilnimmt. Die beiden Elektronen f¨ ullen das beim Li-Atom lokalisierte 1σ-Molek¨ ulorbital. Ein Vergleich der Energien der ersten angeregten Zust¨ande, 1s2 2p (Li) und 2s, p (H) mit 1.848 bzw. 10.2 eV zeigt uns, dass ein Korrelationsdiagramm in diesem Fall nicht weit f¨ uhren wird: die aktiven MOs werden nach den vorangehenden ¨ Uberlegungen stark durch die leichter anregbaren AOs des Li bestimmt. Im Grundzustand ist das aktive Elektron des Lithiums das 2s-Elektron, das mit dem 1s-Elektron des Wasserstoffs wechselwirkt: die atomaren Orbitale 2s (Li) ur einige und 1s (H) bilden ein 2σ-MO. In Abb. 11.50 sind die Potenziale f¨ Zust¨ande des LiH nach aktuellen Daten zusammengestellt. Dipolmomente / e0 a0

Li++H

V(R) /eV 5

Li++ H– Topftiefe ca. 34.5 meV 3Σ+

4 3

B

2 A

1 0

Li(2p 2P) +H(1s 2S)

Li+H– Li(2s 2S) +H(1s 2S)

−1

0

2

4

DA

DX

2 1 0 -1

X 1Σ+

−2

4 3

1Π+

1Σ+

a3Σ+

R→∞

DB

-2 6

8

10

0 R /10-10 m

2

4

6

8

10

Abb. 11.50. Potenziale (links) und Dipolmomente (rechts) des LiH-Molek¨ uls. Grundzustand und angeregter A 1 Σ+ -Zustand sind stark vom ionischen Li+ H− gepr¨ agt wie durch das rot gestrichelte 1/R Potential angedeutet. Triplettzust¨ ande und B-Zustand sind im Wesentlichen kovalent (nach Partridge und Langhoff, 1981; Yiote et al., 2000) annopoulou et al., 1999; Cˆ

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

81

Am u ur die Triplettzust¨ande 3 Σ, bei ¨bersichtlichsten ist die Situation f¨ denen das Pauli-Prinzip f¨ ur eine r¨ aumliche Abstoßung der σ-MOs aus nl − 1s sorgt. Ein feinere Betrachtung zeigt (in Abb. 11.50 nicht erkennbar), dass auch hier durch langreichweitige Dispersionswechselwirkung eine leichte Anziehung auftritt. Beim a3 Σ+ -Zustand spielt dies im Bereich von 10–20 ˚ A eine Rolle und ist f¨ ur die Wechselwirkung ultrakalter Atome von signifikanter Bedeutung. Komplizierter sind die Verh¨ altnisse bei den Singulettzust¨anden, f¨ ur welche neben der symmetrischen AO-Konfiguration Li0 H0 auch das Ionenpaar Li+ H− ber¨ ucksichtigt werden muss. Die hypothetische Energie des Ionenpaars ist in Abb. 11.50 durch die gestrichelte Linie angedeutet. Asymptotisch liegt die Energie des Ionenpaars wie angedeutet um die Elektronenaffinit¨at des HAtoms, WEA = 0.756 eV, unter der Ionisationsenergie des Li (5.39 eV). Ein MO, welches dies ber¨ ucksichtigt, muss eine deutlich asymmetrische Ladungsverteilung aufweisen. Im einfachsten Fall realisiert man das durch eine Linearkombination eines 2s-und eines 2pz -AOs des Lithium, wie in Abb. 11.51 skizziert. Eine solche Kombination von Atomorbitalen mit unterschied〉 lichem Drehimpuls nennt man Hybridorbital. Wir haben dar¨ uber bereits in Band 1 im Zusammenhang mit dem linearen Stark-Effekt bei den 2p-, – 2s-Zust¨ anden des H-Atoms gesprochen. Im Falle der – Molek¨ ulbildung wirkt das starke elektrische Feld der beiden Atomkerne entsprechend. Das Ph¨anomen Abb. 11.51. Entstehung tritt immer dann auf, wenn ns- und np-Zust¨ ande des sp-Hybridorbitals energetisch dicht beieinander liegen. Durch lineare p Superposition eines p symmetrischen σs-Orbitals φσs (ρ, z) 1/2π mit einem σp-Orbital φσp (ρ, z) 1/2π (der Konsistenz mit Abschn. 11.6.5 wegen in Zylinderkoordinaten geschrieben) entsteht eine asymmetrische Wellenfunktion, wie in Abb. 11.51 skizziert. Entsprechend verschiebt sich die Ladungsdichte – im vorliegenden Falle weg vom Li-Atom hin zum Wasserstoffatom. Dies f¨ uhrt schon beim Grundzustand des LiH dazu, dass die Wasserstoffseite des Molek¨ uls deutlich negativer geladen ist als die Lithiumseite. Entsprechend hat das Molek¨ ul ein großes Dipolmoment DX wie im rechten Teil von Abb. 11.50 dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass DX bei 2–3 ˚ A maximal wird, also gerade dort, wo die hypothetische Potenzialkurve f¨ ur Li+ H− (gestrichelt) dem tats¨achlichen Potenzial des X 1 Σ+ -Grundzustand besonders nahe kommt. Es ist also dieser u ¨berwiegend ionische Charakter der beteiligten Orbitale, der zur Bindung f¨ uhrt. Daher liegt hier auch der Singulettzustand (abweichend von der u ¨blichen Hund’schen Regel) tiefer als der Triplettzustand, der keinen ionischen Charakter hat. Um Missverst¨ andnissen vorzubeugen, sei hier noch einmal betont, dass das gestrichelt eingezeichnete Potenzial f¨ ur die ionische Li+ H− -Bindung bei kleinen Abst¨anden keinen realen Zustand repr¨asentiert: die entsprechenden – –

82

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Orbitale sind sozusagen im X 1 Σ+ Zustand, aber auch im angeregten A 1 Σ+ aufgegangen.16 Der letztgenannte Zustand hat offenbar im Bereich der ver” miedenen Kreuzung“ bei ca. 4–6 ˚ A ein noch gr¨oßeres Dipolmoment, wie ebenfalls rechts in Abb. 11.50 zu sehen ist. Man liest ein Maximum von 5e0 a0 bei 5 ˚ A ab, was einer Ladungsverschiebung von u ¨ber 25% entspricht. Offenbar kehrt sich das Vorzeichen der Ladungsverschiebung im A-Zustand f¨ ur kleine Abst¨ande um, wenn also das H-Atom voll in das angeregte 2p-Orbital des Li eintaucht. Das Potenzial des A-Zustands hat noch eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft: Es hat einen negativen Wert f¨ ur ωe xe , d.h. es ist im Gegensatz zum u ¨blichen Verhalten (etwa bei einem Morse-Potenzial) unten flach und wird nach oben hin steiler – eine weitere Folge des lokal stark ionischen Charakters der Bindung. Interessant ist auch der B 1 Π Zustand, der mit den angeregten 2px bzw. ¨ 2py Atomorbitalen korreliert. Der Uberlapp mit dem 1s-Orbital des H-Atoms ist minimal. Wegen des π-Charakters der beteiligten Orbitale gibt es hier auch keine vermiedene Kreuzung mit der hypothetischen ionischen Potenzialkurve (der Grundzustand des Li− hat die Konfiguration 1s2 2s2 ). Das f¨ uhrt insgesamt zu dem in Abb. 11.50 gezeigten sehr flachen Verlauf der Potenzialkurve. Die Potenzialtopftiefe reicht aber noch aus, um immerhin 3 stabile Vibraur tionszust¨ande zu erm¨ oglichen (Partridge und Langhoff, 1981), die ggf. f¨ die Bose-Einstein-Kondensation als Zwischenzustand genutzt werden k¨onnen (Juarros et al., 2006). Auch viele h¨oher angeregte Singulett- und Triplettzust¨ande sind bekannt, z.T. mit interessanten Formen der Potenzialminima. Die Berechnung erfordert ausgedehnte Basiss¨ atze bis hin zu f -Orbitalen (Yiannopoulou et al., 1999). 11.7.4 Alkali-Halogenide: Ionische Bindung Die Alkalihalogenide, also LiF, NaCl, NaI, KBr etc. sind prototypische Vertreter der ionischen Molek¨ ulbindung und als kristalline Festk¨orper auch von erheblicher praktischer Bedeutung. Ihre Herstellung als spektroskopierbares, freies Molek¨ ul erfordert einige Anstrengung (z.B. Verdampfung bei hohen Temperaturen). Trotzdem gibt es ein große F¨ ulle von Arbeiten u ¨ber diese interessanten Molek¨ ule. Sie haben u.a. eine zentrale Rolle beim Verst¨andnis elementarer chemischer Reaktionen mit Hilfe von Molekularstrahlen gespielt, f¨ ur welche Herschbach, Lee und Polanyi (1986) mit dem Nobelpreis f¨ ur Chemie ausgezeichnet wurden. Dabei geht es um reaktive Prozesse vom Typ A + BC → A+ + (BC)− → A+ B− + C , 16

(11.147)

Nat¨ urlich kann man im Prinzip ein Li+ Kation mit einem H− Anion in einem Streuprozess zur Wechselwirkung bringen. F¨ ur große Abst¨ anden wird das Wechselwirkungspotenzial dieses Systems dann durchaus durch die gestrichelte Linie (∝ −1/r) beschrieben und bleibt bei hinreichend hoher kinetischer Energie auch eine gute erste N¨ aherung f¨ ur kleinere Abst¨ ande. Das kann zu entsprechenden ¨ Uberg¨ angen an den (vermiedenen) Kurvenkreuzungen f¨ uhren.

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

83

wobei A typischerweise ein Alkaliatom und BC ein halogenhaltiges Molek¨ ul ist (also z.B. Br2 , CCl4 etc.). Das relativ niedrige Ionisationspotenzial WI der Alkaliatome und die hohe Elektronenaffinit¨ at WEA der Halogene macht den im mittleren Teil der Reaktionsgleichung (11.147) angedeuteten Elektronensprung energetisch g¨ unstig, wenn sich die Reaktionspartner nahe kommen, sagen wir auf einen Abstand RH . Da sich die Ionen danach kr¨ aftig anziehen, werden sie in heftige Wechselwirkung gebracht, und die Reaktion kann stattfinden. Man nennt dies einen Harpooning“-Prozess, bei dem das Elektron des Atoms A quasi als Harpune ” auf das Molek¨ ul BC geschossen wird und es damit einf¨angt. Im Experiment wird die Winkelverteilung der Reaktanden und/oder der Reaktionsprodukte nach der Wechselwirkung gemessen. Der Wirkungsquerschnitt f¨ ur die Reaktion wird n¨aherungsweise durch den Harpunen-Radius RH bestimmt, ist also 2 σr ' πRH . Man kann sich den Elektronensprung im Prinzip schon am zweiur das Beispiel atomigen Molek¨ ul veranschaulichen, wie dies in Abb. 11.52 f¨ NaCl illustriert ist. 4 Potenzielle Energie / eV

3 2 1 0 -1 -2 -3

NaCl

1Σ+

Na(3p) + Cl(3p)5 Vγ (∞) =1.522 eV

A1Σ+ Na+Cl

Na+ + Cl

Na(3s) + Cl(3p)5



X1Σ+

De = 4 6 4.23eV 2 R0 = 2.36079 Å



RH 8

10

12

14 R/Å

Abb. 11.52. Einige 1 Σ + Potenzialkurven f¨ ur NaCl als typisches Beispiel f¨ ur Ionenbindung: die rot gestrichelte Kurve zeigt das Potenzial f¨ ur ein hypothetisches, rein ionisches System Na+ + Cl− , das f¨ ur große R gegen 1.522 eV konvergiert. Der Grundzustand wird durch die ionische Bindung dominiert. Bei etwa 10 ˚ A sieht man die klassische, vermiedene Kreuzung mit dem angeregten A 1 Σ + Zustand, der f¨ ur kleinere Abst¨ ande kovalent wird

Die Konfiguration der atomaren Orbitale ist bei diesem System . . . 3s (Na) und . . . 3s2 3p5 (Cl). Das 3s-Valenzelektron des Natriums ist nur schwach gebunden und kann leicht abgegeben werden, um im Chloratom die 3p-Schale abzuschließen. Das Ionisationspotenzial des Na-Atoms ist WI = 5.1391 eV, die Elektronenaffinit¨ at des Cl ist WEA = 3.617 eV. Bei unendlichem Abstand ben¨otigt man also eine Energie Vγ (∞) = WI − WEA = 1.522 eV,

(11.148)

um das Ionenpaar Na+ und Cl− zu bilden. Werden die beiden Ionen aber zusammengef¨ uhrt, so gewinnt man Energie durch die Coulomb-Anziehung und erwartet ein ionisches Wechselwirkungspotenzial

84

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Vγ (R) = Vγ (∞) −

e20 , 4π0 R

welches rot gestrichelt in Abb. 11.52 eingetragen ist. F¨ ur Abst¨ande R < RH ' 10 ˚ A kompensieren sich Coulomb-Wechselwirkung und Bildungsenergie f¨ ur Na+ + Cl− , und das Elektron kann vom Na zum Cl springen“. Es wird ” also bei Abst¨anden R < RH spontan ein Na+ Cl− Ionenpaar gebildet, was zu einem gebundenen Molek¨ ul f¨ uhrt. Bei sehr kleinen Abst¨anden u ¨berlappen sich nat¨ urlich die Elektronendichten der abgeschlossenen Schalen von Na+ und Cl− . Das f¨ uhrt (wie bei zwei Edelgasatomen) schließlich zu einem stark repulsiven Potenzial. Das Ergebnis ist ein typisches, recht stark gebundenes Molek¨ ulpotenzial mit De = 4.2303 eV bei R0 = 2.36079 ˚ A. Der Vergleich der hypothetischen ionischen Potenzialkurve mit den richtigen (d.h. semiempirisch berechneten, bzw. spektroskopisch vermessenen) Potenzialen in Abb. 11.52 illustriert sehr eindr¨ ucklich, dass die ionische Bindung die Verh¨altnisse im Bereich mittlerer Abst¨ ande in der Tat sehr gut beschreibt. Entsprechend groß ist f¨ ur NaCl auch das Dipolmoment DX = 30 × 10−30 C m (s. Tabelle 11.2). Beim Gleichgewichtsabstand R0 entspricht das einer effektiven Ladung von etwa 0.8e0 ! Man sieht auch, dass das Potenzial des X 1 Σ+ Grundzustands (in Abb. 11.52 als volle schwarze Linie dargestellt17 ) im Bereich R0 bis RH deutlich von der ionischen Komponente bestimmt ist. Bei RH kommt es dann zu der eben erw¨ahnten vermiedenen Kreuzung mit dem angeregten A 1 Σ+ Zustand. Dieser ist offenbar im Wesentlichen kovalent, bildet aber aufgrund der vermiedenen Kreuzung doch einen Potenzialtopf, in welchem gebundene Vibrationszust¨ande Platz haben. Der mit dem angeregten 3p Elektron des Na korrelierende, n¨achst h¨ohere Zustand kann aus energetischen Gr¨ unden nicht mehr mit dem ionischen Zustand kreuzen. Die beim NaCl angetroffenen Verh¨ altnisse sind typisch f¨ ur alle Alkalihalogenide – bis auf die Spin-Bahn-Wechselwirkung, die man bei h¨oherer Ordnungszahl Z nicht mehr vernachl¨ assigen kann. Sie ist z.B. beim atomaren Iod bereits 0.9078 eV, viel gr¨ oßer als die Austauschwechselwirkung. Wir diskutieren die Konsequenzen und einige weitere Details am Beispiel NaI anhand j¨ ungerer ab initio Rechnungen von Alekseyev et al. (2000). Die dabei ber¨ ucksichtige Konfiguration der Valenzelektronen besteht aus 9 + 7 Elektronen in den Atomorbitalen: 2s2 2p6 3s (Na) und 5s2 5p5 (I). F¨ ur die h¨ochstliegenden AO-MOs ist dies schematisch in Abb. 11.53 illustriert. Quantenchemisch berechnet man als ersten Schritt im SCF-Verfahren 17

F¨ ur kleine Abst¨ ande und die Umgebung des Potenzialminimums haben wir das von Ram et al. (1997) angegebene, analytisch an spektroskopische Daten angepasste Potenzial benutzt. F¨ ur gr¨ oßere Abst¨ ande erschienen uns die semiempirischen Valenz-Bond Rechnungen von Cooper et al. (1987) plausibler: die Experimente wurden bei Vibrationszust¨ anden bis zu maximal v = 8 gemacht (ca. 350 meV). Es ist nicht anzunehmen, dass die Extrapolation dieser Daten auf u ¨ber 4 eV Anregungsenergie in der N¨ ahe von RH verl¨ asslich sein kann.

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

y x σ* antibindend + -- + z σ* 3s +- π ”lone pairs“ π +

+

σ Na

NaI

+ +-

5p σ bindend I

85

Abb. 11.53. Molekulare Orbitale aus Atomorbitalen f¨ ur das NaI Molek¨ ul. Wegen der unterschiedlichen Orbitalenergien sind die π Elektronen stark am I-Atom lokalisiert und nicht wesentlich an der Bindung beteiligt. Man spricht von sogenannte lone pairs“ von Elek” tronen

– ohne Ber¨ ucksichtigung der spinabh¨ angigen Kr¨afte – den X . . . σ 2 π 4 1 Σ+ Grundzustand und die entsprechenden angeregten Zust¨ande. Die niedrigsten angeregten Zust¨ande sind 1 Π und 3 Π mit der kovalenten MO-Konfiguration . . . σ 2 π 3 σ ∗ . Sie unterscheiden sich nun wenig: die Austauschwechselwirkung zwischen den σ ∗ und π Orbitalen ist sehr klein, denn diese sind – wie in Abb. 11.53 angedeutet – wegen des großen Energieunterschieds weit voneinander entfernt beim Na bzw. I Atom lokalisiert. Die n¨achsten A1 Σ+ und 3 Σ+ Zust¨ande, die mit den MOs . . . σπ 4 σ ∗ gebildet werden, liegen etwas h¨oher, denn die Anregung des bindenden σ-Orbitals erfordert mehr Energie, als die Anregung aus den lone pair“ π-Orbitalen des Iod. Bei diesem Stand der ” Rechnung ergibt sich ein Bild, das ganz dem im Falle des NaCl in Abb. 11.52 diskutierten entspricht, mit einer ausgepr¨ agten Kurvenkreuzung infolge des ionischen Einflusses. Nun muss man aber noch den gesamten Hamiltonian unter Ber¨ ucksichtigung der Spin-Bahn-Wechselwirkung diagonalisieren. Dies f¨ uhrt zu einer Reihe von Ω ± Zust¨anden, die sich aus Λ+Σ ergeben, wie wir dies formal schon in Abschn. 11.6.3 besprochen haben. Abbildung 11.54 zeigt davon drei Zust¨ande, die durch optische Anregung aus dem Grundzustand erreichbar sind.

Potenzielle Energie / eV

3

NaI

0+

2

Na(2P1/2) + I(2P3/2)

B0+

1

Na(2S1/2) + I(2P1/2)

A0+

0 Na+I

-1

Na(2S1/2) + I(2P3/2)



-2

De= 3.026eV

RH1

X 0+ 4



Na+ + I

6

R0 = 2.836Å

8

RH2 10

12

14 R/Å

Abb. 11.54. Die wichtigsten Potenzialkurven f¨ ur NaI in der Ω-Symmetrie nach Alekseyev et al. (2000). Die rot gestrichelte Kurve gibt wieder den Verlauf des hypothetischen, rein ionischen Systems Na+ + I− , das f¨ ur große R gegen 5.105 eV konvergiert. Das f¨ uhrt hier zu zwei vermiedenen Kreuzungen bei RH = 7.2 und 12.5. Daraus entstehen zwei quasigebundene, angeregte Zust¨ ande A0+ und B0+

86

11 Zweiatomige Molek¨ ule

Aus den o.g. Λ-Zust¨ anden mit S = 0 bzw. 1 entstehen nach Alekseyev unf Ω-Zust¨ande, die asymptoet al. (2000) neben dem X0+ -Grundzustand f¨ tisch in Na(3 2 S1/2 ) + I(52 P3/2 ) u ¨bergehen (2(I), 1(I), 1(II), 0− (I) und A0+ ), wovon aus Symmetriegr¨ unden aber nur der A0+ Zustand mit der ionischen Konfiguration wechselwirkt und zu einer vermiedenen Kreuzung f¨ uhrt. Außerdem gibt es drei Zust¨ ande, die f¨ ur R → ∞ in Na(3 2 S1/2 ) + I(52 P1/2 ) u ¨bergehen (1(III), 0− (II) und B0+ ), von denen wiederum nur der B0+ Zustand mit der ionischen Konfiguration wechselwirkt und die Kreuzung vermeidet. Durch die vermiedenen Kreuzungen entstehen nun zwei angeregte, quasigebundene Zust¨ ande, A0+ und B0+ , wie in Abb. 11.54 deutlich erkennbar. Der Vollst¨ andigkeit halber haben wir auch noch einen weiteren mit Na(3 2 P1/2 ) + I(52 P3/2 ) korrelierenden Zustand 0+ (IV ) nach Cooper et al. (1987) eingezeichnet, der aber nicht bindend wird, da das ionische Potenzial diesen nicht mehr kreuzt. Die Diagonalisierung mit Spin-BahnWechselwirkung beeinflusst den Grundzustand kaum, f¨ uhrt aber zu einer Absenkung bzw. Anhebung der asymptotischen Potenziale um −1/3 bzw. +2/3 der Spin-Bahn-Aufspaltung des Iod-Atoms (0.9426 eV). Damit wird die Bindungsenergie des X0+ Grundzustands De = 3.02631 eV. Das Minimum liegt bei R0 = 2.836 ˚ A. NaI hat bei der Entwicklung der Femtochemie eine sehr wichtige Rolle gespielt. Mit ultrakurzen Laserimpulsen kann man Wellenpakete links auf dem repulsiven Teil des Potenzials im angeregten A0+ -Zustands erzeugen. Diese Wellenpakete k¨ onnen zwischen linkem und rechtem Rand des A0+ Potenzials hin und her oszillieren, wie bei einem klassischen Oszillator. Allerdings sind diese Schwingungszust¨ ande nicht ganz stabil, denn an der vermiedenen Kreuzungen hat der Potenzialtopf sozusagen ein Leck, durch das bei jeder Oszillation ein gewisser Teil des Wellenpakets herausfließt“. Mit ” der Femtosekunden Anregungs- und Abtastmethode (pump-probe) kann man diesen Vorgang verfolgen. F¨ ur seine bahnbrechenden Arbeiten zum Studium ¨ solcher Ubergangszust¨ ande bei chemischen Reaktionen mit Hilfe der Femtosekundenspektroskopie wurde Zewail (1999) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. 11.7.5 Stickstoffmonoxid, NO Zum Abschluss unserer Diskussion der zweiatomigen Molek¨ ule wollen wir noch kurz auf das NO-Molek¨ ul hinweisen, das von großer und vielf¨altiger Bedeutung in der Biologie bzw. Physiologie, in der Atmosph¨arenchemie, bei technischen Verbrennungsprozessen u.v.a.m. ist. Es ist ein ¨ außerst reaktives Radikal, l¨asst sich aber dennoch in Flaschen lagern. Es besitzt ein Dipolmoment (ist also infrarotaktiv) und hat eine gut bekannte elektronische Struktur. Es ist daher auch in der Molek¨ ulphysik ein sehr beliebtes Referenzobjekt, an dem unz¨ahlige spektroskopische Untersuchungen durchgef¨ uhrt wurden. So wird es etwa im Zusammenhang mit Multiphotonenprozessen an Molek¨ ulen geradezu als eine Art Drosophila der Molek¨ ulphysik gesch¨ atzt (¨ahnlich dem Natrium in der ¨ Atomphysik). Eine Ubersicht u ¨ber die Potenziale des NO und die niedrigsten

11.7 Heteronukleare Molek¨ ule

87

Zust¨ande des Kations NO+ gibt Abb. 11.55 auf der n¨achsten Seite. Die hier kommunizierten Daten sind, wie schon bei O2 (s. Abb. 11.46 auf S. 75), der Arbeit von Gilmore (1965) entnommen. Entsprechend den AO-Konfigurationen . . . 2s2 2p3 (N) und . . . 2s2 2p4 (O) der Konstituenten, ergibt sich (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1π)4 (5σ)2 (2π)1 als MOKonfiguration f¨ ur den Grundzustand des Molek¨ uls. NO ist also durch ein ungepaartes 2π ∗ Elektron charakterisiert. Dies bedingt seine hohe Reaktivit¨at als Radikal. NO ist paramagnetisch und sein Grundzustand muss ein X 2 Π Zustand sein. Was man an diesem Beispiel sehr sch¨ on sehen kann, ist der Unterschied zwischen sogenannten Rydberg-Zust¨ anden und Valenzzust¨ anden der Molek¨ ule. Regt man nur das ¨ außerste Valenzelektron aus dem antibindenden 2π ∗ Orbital18 an, dann wird das so angeregte Molek¨ ul st¨arker gebunden sein, als der Grundzustand (kleineres R0 und steiferes Potenzial). So entsteht eine ganze Serie von Zust¨anden A 2 Σ+ , C 2 Π, D 2 Σ+ , E 2 Σ+ mit nahezu identischer Potenzialform. Wie man in Abb. 11.55 erkennt, konvergieren diese Zust¨ande gegen den Grundzustand X 1 Π des NO+ -Kations und reflektierten bereits dessen Potenzial: das Elektron ist weit vom Molek¨ ulrumpf entfernt und nimmt praktisch nicht mehr an der Bindung teil. Es verh¨alt sich wie ein RydbergElektron bei Atomen, weshalb man von Rydberg-Zust¨anden spricht. Demgegen¨ uber zeigen die Zust¨ ande a 4 Π, B 2 Π, b 4 Σ− weder mit dem neutralen ¨ und sind deutnoch mit dem ionischen Grundzustand große Ahnlichkeiten lich weniger stark gebunden als diese beiden: sie entstehen durch Anregung tiefer liegender, bindender Elektronen und einer deutlichen Reorganisation der Elektronenkonfiguration, die zu einer Lockerung der Bindung f¨ uhrt. Man spricht von Valenzzust¨ anden. Da sich Rydberg-Zust¨ande und Valenzzust¨ande gleicher Symmetrie nicht kreuzen d¨ urfen, kommt es zu einer ganzen Serie von vermiedenen Kreuzungen, die in Abb. 11.55 bei Energien zwischen 7 und 9 eV deutlich zu sehen sind. Wie in Abb. 11.55 zu erkennen, gibt es auch ein NO− -Anion, das freilich nicht sehr stabil ist (Elektronenaffinit¨ at WEA = 24 meV). Es kann aber gut als Resonanz bei der Streuung niederenergetischer Elektronen beobachtet werden. Wir werden darauf in Kap. 17.2.6 noch kurz zu sprechen kommen.

18

Siehe Abb. 11.48 auf S. 78 zur Ordnung der Orbitale.

88

11 Zweiatomige Molek¨ ule 1Σ+ und 3Σ+

22

7Σ +

20

5Σ +

1Δ 1Σ-

A 1Π

18

w

b 3Π

14

o

o

N(4S )+O+(4S )

3Σ-



16 Potenzielle Energie V(R)/eV

N+(3P)+O(3P)

NO+

a 3Σ+

12

X 1Σ+

10

4Σ-

F 2Δ E 2Σ +

8

D 2Σ+ C 2Π

6

A 2Σ + b 4Σ

4

NO

o

N(4S )+O(1S) o N(2P )+O(3P) S 2Σ+, M 2Σ+, K 2Π (von oben nach unten) o H' 2Π und H 2Σ N(2D )+O(3P) 2Σ+ 2Φ o 4Δ 4Π N(4S )+O(1D) - i i G2Σ 4Σ+ und 6Σ+ 6Π o B' 2Δ i N(4S )+O(3P) 2Σ+ -



B 2Πr



und 5Σ

-

o

-

o

N(4S )+O (2P )

a 4Πi

NO

2

-

-

X 3Σ

0 -2

X 2Πr (1σ)2 (2σ)2 (3σ)2 (4σ)2 (1�)4 (5σ)2 (2�)1 0.4

0.8

1.2

1.6

2.0

2.4

2.8

3.2

3.6

Kernabstand R / Å Abb. 11.55. Potenziale f¨ ur das Stickstoffmonoxidmolek¨ ul und seine Ionen nach Gilmore (1965)

12 Mehratomige Moleku ¨le Bei der Beschreibung von drei- und mehratomigen Molek¨ ulen spielt ihre Symmetrie eine zentrale Rolle – etwas allgemeiner: die geometrische Anordnung der N ¨ Atomkerne. Die in Kap. 11 angestellten Uberlegungen sind also zu generalisieren. Die Kernbewegung ist jetzt (neben der trivialen Translationsbewegung) durch drei Freiheitsgrade der Rotation und 3N − 6 Schwingungsfreiheitsgrade gekennzeichnet. Auch die Charakterisierung der elektronischen Zust¨ ande wird entsprechend komplexer.

Hinweise f¨ ur den Leser: Zweiatomigen Molek¨ ule bieten nur einen ersten Einstieg in die Welt realer Molek¨ ule. Wer etwas tiefer eindringen will, sollte in das folgende Kapitel zumindest einmal hineinlesen. Abschnitt 12.1 stellt den beliebig geformten, starren Rotator vor. Normalkoordinaten zur Behandlung der Schwingung werden in Abschn. 12.2 eingef¨ uhrt. Abschnitt 12.3 widmet sich der Symmetrie von Punktgruppen als zentralem Ordnungsprinzip. In die Besonderheiten der elektronischem Struktur mehratomiger Molek¨ ule f¨ uhrt Abschn. 12.4 anhand der noch relativ u ¨berschaubaren und wichtigen Beispiele H2 O und NH3 ein. Ein vor allem f¨ ur organische Molek¨ ule viel benutztes, anschauliches Konzept ist die Hybridisierung elektronischer Orbitale (Abschn. 12.5), und f¨ ur konjugierte Doppelbindungen bietet die H¨ uckel-Methode hilfreiche erste Absch¨ atzungen (Abschn. 12.6).

12.1 Rotation mehratomiger Moleku ¨le 12.1.1 Allgemeine Zusammenh¨ ange Wir rekapitulieren zun¨ achst etwas klassische Mechanik und konzentrieren uns auf den Fall des starren, jetzt beliebig geformten Rotators. Wir nehmen also an, dass die N Atomkerne des Molek¨ uls mit den Massen m1 , m2 , . . . , mk , . . . , mN durch Koordinaten R1 , R2 , . . . , Rk , . . . , RN beschrieben werden, die bez¨ uglich ihres Abstands vom Schwerpunkt und ihrer relativen Orientierung innerhalb des Molek¨ uls konstant sind. Schreiben wir Xk = Rk,1 , Yk = Rk,2 und Zk = Rk,3 , so sind die Komponenten des Tr¨ agheitstensors Iˆ Iij =

X

 mk R2k δij − Rk,i Rk,j .

k

I.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 2, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

(12.1)

90

12 Mehratomige Molek¨ ule

In Bezug auf eine Achse in beliebiger Richtung, charakterisiert durch Zeilenb e = R/R e b = R/R, kann man das Tr¨agheitmoment oder Spaltenvektor R bzw. R 3 X b e · Iˆ · R b = 1 IR = R Ri Iij Rj R2 ij=1

(12.2)

schreiben. Nun gibt es stets ein k¨ orperfestes Koordinatensystem, das wir durch die Achsen a, b, c charakterisieren wollen, in welchem der Tr¨agheitstensor diagonal wird. Die so definierten Haupttr¨ agheitsmomente ordnet man wie folgt: Ia ≤ Ib ≤ Ic

(12.3)

 b e = a1 b1 c1 mit a2 + b2 + c2 = 1 im In Bezug auf eine Achse in Richtung R 1 1 1 k¨orperfesten System wird das Tr¨ agheitsmoment nach (12.2) dann einfach (12.4) IR = Ia a21 + Ib b21 + Ic c21 . √ Dividiert man durch IR , schreibt a1 / IR = a etc. und variiert a, b und c so, dass 1 = Ia a2 + Ib b2 + Ic c2 (12.5) gilt, so beschreibt dies ache zweiter Ordnung, genauer ein Ellipsoid. √ eine Fl¨ Der Abstand |R| = √ a2 + b2 + c2 jedes Punkts dieser Fl¨ache vom Ursprung entspricht gerade 1/ IR , wobei IR das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich einer Achalso das Tr¨ agheitsellipsoid se in Richtung R ist. Gleichung (12.5) beschreibt √ √ √ des Molek¨ uls mit den die Hauptachsen 1/ Ia , 1/ Ib bzw. 1/ Ic . Z

uglich Dies ist in Abb. 12.1 skizziert. Bez¨ des raumfesten Koordinatensystems XY Z β ist das k¨ orperfeste System abc durch die Euler-Winkel αβγ charakterisiert, die wir in K b Anhang C, Band 1 kennengelernt haben. Die γ c des starren RotaLage des Drehimpulses N Y',Y'' X α tors wird nun durch zwei Gr¨oßen spezifiziert: α X' β durch die uns schon bekannte Projektion M Y auf die raumfeste Z-Achse, und zus¨atzlich X'' γ a durch die Projektion K auf eine k¨orperfeste Abb. 12.1. Tr¨ agheitsellipsoid Achse, z.B. die c-Achse. Die Quantenmechaund Euler-Winkel α, β, γ nik des starren, ausgedehnten Rotators wurde bereits innerhalb eines Jahres nach Entstehung der Quantenmechanik (1927) von Rabi und anderen beschrieben. Wir wollen hier nicht in die Details gehen, sondern referieren lediglich die wichur die Komtigsten Ergebnisse. Wir erweitern die Notation von Kap. 11.3.2 f¨ ponenten des Drehimpulsoperators in Bezug auf das raumfeste KoordinatenbX , N bY bzw. N bZ , und bez¨ system, N uglich der drei orthogonalen Hauptachsen ba , N bb bzw. N bc . F¨ des Tr¨agheitsellipsoides N ur das Quadrat des Drehimpulsoperators gilt c

M

N

12.1 Rotation mehratomiger Molek¨ ule 2

c =N b2 + N b2 + N b2 = N b2 + N b2 + N b2 . N X Y Z a b c

91

(12.6)

2

c und seine Komponenten gehorchen den u N ¨blichen Regeln der Drehimpulsalgebra in ortsfesten wie auch in k¨ orperfesten Koordinaten. Man kann Zust¨ande 2 c ,N bZ und N bc sind: |N M Ki finden, die simultan Eigenzust¨ ande von N 2

c |N M Ki = ~2 N (N + 1) |N M Ki mit N = 0, 1, 2, . . . N (12.7) bZ |N M Ki = ~M |N M Ki und N bc |N M Ki = ~K |N M Ki sowie N mit M = 0, ±1, ±2, · · · ± N und K = 0, ±1, ±2, · · · ± N Analog zu den in sph¨ arischen Komponenten des Drehim Band 1gebrauchten √ pulses Jˆ± = ∓ Jˆx ± iJˆy / 2 kann man auch hier entsprechende KombinaˆX und N ˆY bzw. von N ba und N bb bilden:1 tionen von N   √ ba ± iN bb / 2 b± = ∓ N N

(12.8)

Allerdings entsprechen die Matrixelemente im k¨orperfesten System hier jeweils denen der konjugiert komplexen Operatoren im raumfesten System (s. z.B. van Vleck, 1951). Es wird also entsprechend (B.11) und (B.12), Band 1: E D p b ± (12.9) N M ± 1K N N M K = ∓ ~ [N (N + 1) − M (M ± 1)] /2 E D p b ± N M K ∓ 1 N (12.10) N M K = ∓ ~ [N (N + 1) − K (K ∓ 1)] /2 In der Ortsdarstellung entsprechen den Eigenzust¨anden |N M Ki Eigenfunktionen DN M K (αβγ), die wir bereits als Drehmatrizen in (C.1), Band 1 kennengelernt haben. Den Hamilton-Operator schreibt man zweckm¨aßigerweise bez¨ uglich der k¨orperfesten Achsen a, b, c, da im isotropen Raum (d.h. ohne externe Felder) die Energie nicht von der Orientierung M des Drehimpulses bez¨ uglich der raumfesten Achsen abh¨ angt, wohl aber von der bez¨ uglich der Achsen des Tr¨agheitsellipsoides. Es wird also ! ba2 b2 bc2 N N 1 N b b + + Hrot = . (12.11) 2 Ia Ib Ic Im allgemeinsten Falle treten hierbei drei verschiedene Rotationskonstanten A=

~2 ~2 ~2 , B= und C = 2Ia hc 2Ib hc 2Ic hc

(12.12)

auf, die man entsprechend (12.3) nach A ≥ B ≥ C sortiert. 1

Man beachte, dass wir hier die orthonormierten Operatoren im Gegensatz zu den ˆa ± iN ˆb benutzen. h¨ aufig in der Literatur gebrauchten Kombinationen N

92

12 Mehratomige Molek¨ ule

12.1.2 Sph¨ arischer Rotator Am einfachsten ist naturgem¨ aß der sph¨ arische Rotator (Ia = Ib = Ic = I) zu l¨osen, welcher Molek¨ ule wie CH4 , SF6 und ¨ ahnliche, symmetrische Molek¨ ule beschreibt. Die Schr¨ odingergleichung wird 2 b rot |N M Ki = ~ N (N + 1) |N M Ki H 2I

(12.13)

mit Rotationsenergien WN =

~2 N (N + 1) = Bhc N (N + 1) 2I

(12.14)

ganz analog zu (11.33). Allerdings sind diese (2N + 1)2 -fach entartet – im Gegensatz zum linearen Molek¨ ul, das lediglich (2N + 1)-fach entartet ist. 12.1.3 Symmetrischer, starrer Rotator Ebenfalls noch recht u ¨bersichtlich ist der starre, symmetrische Rotator (auch symmetrischer Kreisel, engl. symmetric top“), der durch eine wohl definierte, ” mindestens dreiz¨ ahlige Symmetrieachse des Molek¨ uls charakterisiert ist, f¨ ur den also zwei der drei Haupttr¨ agheitsmomente identisch sind. Beim gestreckten (zigarrenf¨ ormigen, prolate top“) symmetrischen Rota” tor ist Ia < Ib = Ic und somit A > B = C. Beispiele sind Methylchlorid Cl-CH3 , Chloroform CHCl3 oder Propin CH3 C≡CH. Abgeplattet (pfannenkuchenartig, oblate top“) heißt er im Fall Ia = Ib < Ic und somit A = B > C. ” Beispiele sind Ammoniak NH3 sowie alle planaren Molek¨ ule wie etwa Benzol C6 H6 . Die entsprechenden Rotations-Tr¨ agheitsellipsoide zeigt Abb. 12.2. Zur L¨osung der Schr¨ odinger-Gleichung schreibt man dem Hamiltonian (12.11) geschickt um. F¨ ur den gestreckten, symmetrischen Rotator ergibt sich 2 2    N c c 1  b2 N 1 1 c2 a 2 b b Hrot = Nb + Nc + = + − Na , 2Ib 2Ia 2Ib 2Ia 2Ib

c

(a)

(b)

K

(12.15)

c N

N a

K

b

a

b

ˆ Abb. 12.2. (a) Gestrecktes Rotationsellipsoid (prolate) mit Gesamtdrehimpuls N und Projektion K auf die Symmetrieachse, hier a. (b) Abgeplattetes Rotationsellipsoid. Die Symmetrieachse ist hier c

12.1 Rotation mehratomiger Molek¨ ule

93

sodass die Schr¨odinger-Gleichung mit (12.7) geschlossen l¨osbar wird:  2   2 2 1 1 b rot |N M Ki = ~ N (N + 1) + ~ K H |N M Ki (12.16) − 2Ib 2 Ia Ib Die Rotationsenergie wird also WN K = Bhc N (N + 1) + (A − B) hcK 2 .

(12.17)

F¨ ur den abgeplatteten, symmetrischen Rotator ergibt sich entsprechend WN K = Bhc N (N + 1) + (C − B) hcK 2 .

(12.18)

Die Rotationsenergie h¨ angt jetzt offenbar auch von der Projektion |K| = c auf die Figurenachse ab. Die sich so 0, 1, . . . , N des Gesamtdrehimpulses N 12.3 als Funktion von N und K skizziert. ergebenden Termlagen sind in Abb.

WNK / arb. un.

20

10

(a)

(b)

gestreckt

N= 3

2

2 1 0 0 |K|= 0

abgeplattet

N= 3

Abb. 12.3. Termlagen des starren, symmetrischen Rotators. (a) gestreckter Rotator (prolate), B = 1, A = 2, (b) abgeplatteter Rotator (oblate), B = 2, A = 1

1 1

2

3

0

0

1

2

3

Nach (12.17) bzw. (12.18) ist der Vorfaktor von K 2 im Falle des gestreckten Rotators (A > B = C) positiv, beim abgeplatteten Rotator (A = B > C) negativ, was man sich anhand von Abb. 12.2 auf der vorherigen Seite leicht veranschaulicht: im ersten Falle ist die Rotationsenergie am gr¨oßten, wenn c m¨ der Gesamtdrehimpuls N oglichst parallel zur Symmetrieachse (hier a) orientiert ist, d.h. (K = N ). Dagegen werden beim abgeplatteten Rotator die c senkrecht zur Symmetrieachse (hier c), Terme dann am h¨ ochsten, wenn N d.h. in der ab-Ebene liegt (K = 0). Dann geht (12.18) in den entsprechenden Ausdruck (11.33) mit I = Ib f¨ ur den linearen, starren Rotator u ¨ber. c Schließlich kann N nat¨ urlich noch unterschiedliche Orientierung im Raum uckt wird. Terme haben, was in (12.16) durch die Quantenzahl M ausgedr¨ mit K = 0 sind daher (2N + 1)-fach entartet, diejenigen mit |K| > 0 aber 2(2N + 1)-fach, da K positiv oder negativ sein kann. Wir notieren hier schließlich noch beil¨ aufig (ohne Beweis), dass f¨ ur ein ebenes Molek¨ ul mit einer mindestens dreiz¨ ahligen Symmetrieachse (abgeplatteter, symmetrischer Rotator) Ic = 2Ia = 2Ib , d.h. A = B = 2C gilt.

94

12 Mehratomige Molek¨ ule

12.1.4 Asymmetrischer Rotator Im allgemeinen Fall des asymmetrischen Rotators ist Ia 6= Ib 6= Ic , und die im letzten Abschnitt benutzten, geschickten Umschreibungen helfen nicht weiter: Energien und Eigenfunktionen des asymmetrischen Rotators sind – auch f¨ ur den Fall des starren Rotators – nicht mehr in geschlossener Form darstellbar. Dabei geh¨oren viele wichtige Molek¨ ule zu dieser Klasse, so z.B. auch die mit zweiz¨ahliger Symmetrieachse wie H2 O. Um sich die Termlagen wenigstens im Prinzip zu veranschaulichen, ist es hilfreich, zwischen gestrecktem und abgeplatteten symmetrischen Rotator zu interpolieren. Dies ist schematisch in Abb. 12.4 skizziert. gestreckt (prolate) A = 2, B = C = 1

asymmetrisch A= 2 > B > C = 1

N Ka

N Ka Kc 220

2 2

221

2 1 2 0 1 1 1 0 0 0

212

211

abgeplattet (oblate) A = B = 2, C=1 N Kc 2 0 2 1

Abb. 12.4. Lage der Energieniveaus (schematisch) f¨ ur den asymmetrischen, starren Rotators (asymmetric top) im Vergleich zum gestreckten (links) und abgeplatteten Rotator (rechts)

2 2

202 110 111 101 000

1 0 1 1 0 0

Der asymmetrische Rotator wird durch drei Rotationskonstanten A > B > C charakterisiert, die den drei Hauptachsen a, b und c des Rotationsellipsoides (Ia < Ib < Ic ) zugeordnet sind. Der gestreckte Rotator (A > B = C) und der abgeplatteter Rotator (A = B > C) sind die Grenzf¨alle in dieser Notation. Die zweifache Entartung der Niveaus mit K > 0 beim symmetrischen Rotator ist jetzt aufgehoben. Man spricht auch von K-Verdopplung (K-type doubling) ganz entsprechend zur Λ-Verdopplung, die wir bei den elektronischen Zust¨anden zweiatomiger Molek¨ ule in Kap. 11.6.6 kennengelernt hatten: sie folgt hier zwangsweise aus der Symmetriebrechung und wird entsprechend durch zwei Quantenzahlen charakterisiert, die man z.B. Ka und Kb nennt. Im Grenzfall des gestreckten, symmetrischen Rotators geht Ka in die bisher K genannte Projektionen des Gesamtdrehimpulses auf die Achse des kleinsten Tr¨agheitsmomentes u ¨ber, im Falle des abgeplatteten, symmetrischen Rotators wird aus Kc die Projektion auf die Achse des gr¨oßten Tr¨agheitsmomentes. Schließlich ist jeder durch |N Ka Kc i beschriebene Zustand (2N + 1)-fach ent-

12.1 Rotation mehratomiger Molek¨ ule

95

c auf (2N + 1)-fache Weise artet, da sich auch hier der Gesamtdrehimpuls N im Raum orientieren kann (wieder beschrieben durch die Quantenzahl M ). Die exakte Berechnung der Eigenzust¨ ande und Eigenenergien gestaltet sich einigermaßen aufwendig. Im Prinzip schreibt man den Hamiltonian (12.11) in einer Form  2  2  − + 2 2 b b b b b + N , (12.19) Hrot = αN + β Nc + γ N b + und N b − die in (12.8) definierten Operatoren. Die Konstanten α, β wobei N und γ bedeuten verschiedene Linearkombinationen von A , B und C, die je nach den Verh¨altnissen A : B : C so gew¨ ahlt werden, dass die Abweichung vom symmetrischen Rotator γ m¨ oglichst klein wird. Die Eigenzust¨ande |N M Γ i des Hamiltonian lassen sich dann als Linearkombinationen der Eigenzust¨ande von b 2 und N bc entwickeln: N |N M Γ i =

N X

fN K |N M Ki

K=−N

ucksichtiMit diesem Ansatz hat man nun den Hamiltonian (12.19) unter Ber¨ gung von (12.10) f¨ ur jeden Wert von N zu diagonalisieren, was f¨ ur gr¨oßere N ¨ zu zunehmend komplizierteren Ausdr¨ ucken f¨ uhrt. Uberdies ist der starre Rotator nat¨ urlich nur ein erster Ansatz. Um der spektroskopischen Genauigkeit gerecht zu werden, muss man dar¨ uber hinaus auch Zentrifugalaufweitungungen, Rotations-Schwingungs-Kopplung und Kopplung an den elektronischen Drehimpuls im Sinne der Hund’schen F¨ alle ber¨ ucksichtigen und ggf. auch die Hyperfeinwechselwirkung. Auch vibronische Kopplungen, die wir im Zusammenhang mit dem Jahn-Teller-Effekt in Abschn. 12.3.4 besprechen werden, k¨onnen eine gewichtige Rolle spielen. Numerische Methoden und N¨aherungen sind hierf¨ ur entwickelt und in Reviews und Monographien zusammengefasst worden. Heute interpretiert man die experimentell beobachtbaren Spektren durch direkten, numerischen Vergleich mit einem umfassend parametrisierten Ansatz und mit Hilfe ausgefeilter Simulationsprogramme. O Å c 8 1

0.0347Å 0.9 a 57 7 5 1 9 8 104. 474° Å 0.

Wir k¨ onnen darauf hier nicht im Detail eingehen und skizzieren lediglich als Beispiel das H2 O-Molek¨ ul. Aus der in Abb. 12.5 gegebenen Geometrie von H2 O und den bekannten atomaren Massen berech2 H H net man die drei Tr¨agheitsmomente (in u ˚ A ) zu b Abb. 12.5. Geometrie Ia = 0.632, Ib = 1.154 und Ic = 1.786. Die entsprechenden Rotationskonstanten sind wegen des des H2 O-Molek¨ uls leichten H-Atoms sehr groß (nach Bernath, 2002b, A0 = 835 839.10 MHz bzw. 27.880591 cm−1 , B0 = 435 347.353 MHz bzw. 14.5216246 cm−1 und C0 = 278 139.826 MHz bzw. 9.27774594 cm−1 ). Die reinen Rotationsspektren liegen im Submillimeterbereich und nur wenige expe¨ rimentelle Daten sind verf¨ ugbar. Eine Ubersicht erhalten wir f¨ ur den grob

96

12 Mehratomige Molek¨ ule

vereinfachten starren Rotator mit dem sehr bequemen, frei verf¨ ugbaren Rechenprogramm PGopher“ von Western (2007) in der Online-Version. Die ” Ergebnisse sind in Abb. 12.6 f¨ ur 0 ≤ N ≤ 3 dargestellt.

WN K K / cm-1 a c

300

NKaKb

330 331 321 322

200

312 313 303

220 221 211

100 110 111 0

000

Abb. 12.6. Rotationsterme des H2 O-Molek¨ uls f¨ ur Gesamtdrehimpulse N ≤ 3. Die Terme sind von links nach rechts entsprechend steigendem Kc und fallendem Ka angeordnet

212 202

101

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Moleku ¨ le 12.2.1 Normalschwingungen Ein Molek¨ ul aus N Atomen hat 3N Freiheitsgrade, da jedes Atom sich in die drei Raumrichtungen bewegen kann. Von diesen 3N Freiheitsgraden beschreiben 3 die Bewegung des Gesamtmolek¨ uls (Translation des Schwerpunkts). Die Rotation des Molek¨ uls wird im allgemeinen Fall durch 3 weitere Freiheitsgrade beschrieben (bei linearen Molek¨ ulen durch 2 Freiheitsgrade). Es bleiben 3N − 6 Freiheitsgrade (3N − 5 f¨ ur lineare Molek¨ ule) zur Beschreibung der internen Bewegung, also der Schwingungen der Molek¨ ule. Jeder Atomkern im Molek¨ ul kann Oszillationen um seine Gleichgewichtslage ausf¨ uhren. Die relativen Auslenkungen, gemessen in einem k¨orperfesten Koordinatensystem, nummerieren wir der Einfachheit halber mit ξi durch. Wir haben also insgesamt (3N − 6) Koordinaten, welche die internen Bewegungen aller N Atome im Molek¨ ul beschreiben. Bei kleinen Oszillationen um die Gleichgewichtslage kann, wie beim zweiatomigen Molek¨ ul, das Potenzial in eine Reihe entwickelt werden: 3N −6 3N −6 X 1 X ∂ 2 V ∂V ξi + ξi ξj (12.20) V = V0 + ∂ξi ξi =0 2 i,j ∂ξi ∂ξj 0 i

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

97

Wir setzen V0 = 0, w¨ ahlen also das absolute Potenzialminimum als Energienullpunkt. Da wir um die Gleichgewichtslage entwickelt haben, sind die partiellen Ableitungen ∂V /∂ξi |ξi =0 = 0, und f¨ ur die Gesamtenergie gilt: W =

3N −6 3N −6 1 X ∂ 2 V 1 X mi ξ˙i2 + ξi ξj 2 i 2 i,j ∂ξi ∂ξj 0

(12.21)

Im n¨achsten Schritt f¨ uhren wir massengewichtete Koordinaten qi =



mi ξ i

(12.22)

und die sogenannten Hesse’schen Matrix (Hessian matrix) Vb ein mit: ∂ 2 V Vij = (12.23) ∂qi ∂qj 0 Die Hesse’sche Matrix ist reell, symmetrisch (Vij = Vji ) und positiv definit, da das Potenzial f¨ ur qi = 0 ein Minimum hat. Damit wird die Energie (12.21) 3N −6 3N −6 1 X 2 1 X W = q˙i + Vij qi qj . 2 i 2 i,j

(12.24)

e wie in (12.2), kann man kompakt Mit Spalten- und Zeilenvektoren, q bzw. q W =

1 b 1e eVq q˙ · q˙ + q 2 2

(12.25)

schreiben. Im Allgemeinen ist Vij 6= 0, und es treten Kreuzterme qi qj bei der Summation auf: die so beschriebenen Schwingungen sind gekoppelt. Man sucht daher neue Koordinaten Qi , in denen diese Kopplung aufgehoben ist. Da die Matrix Vˆ symmetrisch und reell ist, gibt es eine orthogonale ˆ welche Vˆ diagonalisiert: Matrix A, b Aˆ−1 Vb Aˆ = Ω

(12.26)

b sind die Eigenwerte von Vb . Da Vb positiv Die Elemente der Diagonalmatrix Ω definit ist, sind auch alle Eigenwerte positiv, und wir nennen sie ωi2 . Setzt man die entsprechend transformierten Koordinaten Q = Aˆ−1 q

(12.27)

e alt man mit Aˆ = Aˆ−1 nach kurzer Rechnung in (12.25) ein, so erh¨ W =

 1 e˙ ˙ 1 X ˙2 1e b ΩQ = Qi + ωi2 Q2i = T + V . QQ + Q 2 2 2 i

(12.28)

98

12 Mehratomige Molek¨ ule

Die neuen Koordinaten Qi nennt man Normalkoordinaten, und die Energie l¨asst sich durch eine einfache Summe u ¨ber i darstellen. Das heißt, die Bewegungen sind entkoppelt, und die Qi beschreiben 3N − 6 unabh¨ angige harmonische Oszillatoren. F¨ ur die klassische Behandlung des Problems ergibt sich mit den kanonischen Orts- und Impulskoordinaten-Paaren Qi und Pi = Q˙ i die HamiltonFunktion mit den kinetischen und potenziellen Energien Ti bzw. Vi H=

 X 1X 2 Pi + ωi2 Q2i = (Ti + Vi ) . 2 i i

(12.29)

Die klassischen Bewegungsgleichungen ∂H ¨i P˙i = − = −ωi2 Qi = Q ∂Qi

¨ i + ωi2 Qi = 0 , =⇒ Q

sind v¨ollig entkoppelt und werden gel¨ ost durch: Qi (t) = Qi (0) e±iωi t Die Bewegung in den Koordinaten Qi sind also einfache, harmonische Schwingungen mit den Frequenzen ωi . Man nennt sie Normalschwingungen des Molek¨ uls, auch Normalmoden. Die R¨ ucktransformation in die urspr¨ unglichen (massengewichteten) Molek¨ ulkoordinaten erfolgt durch lineare Superposition aller Normalschwingungen X ˆ q = AQ oder qj = Ajk Qk (12.30) k

und beschreibt in der Regel eine komplexe Bewegung aller Atome des Molek¨ uls. Wenn nur eine Normalmode Qi angeregt ist, so wird qj = Aji Qi nach (12.30); es werden also alle Atome j mit gleicher Frequenz ωj und in Phase schwingen (sofern Aji 6= 0): eine Normalschwingung ist u ¨ber das ganze Molek¨ ul verteilt (delokalisiert). Umgekehrt kann man sogenannte lokale Moden, bei denen dominant nur eine Bindung schwingt, durch geschickte ¨ Uberlagerung verschiedener Normalmoden konstruieren. ¨ 12.2.2 Energien und Uberg¨ ange bei Normalschwingungen Ausgangspunkt f¨ ur die quantenmechanische Beschreibung der Schwingungen eines mehratomigen Molek¨ uls ist die Hamilton-Funktion (12.29). Der Hamilton-Operator f¨ ur die (voneinander entkoppelten) Normalschwingungen wird: 2 2 X b = b i mit H b i = − ~ d + 1 ωi2 Q2i (12.31) H H 2 dQ2i 2 i Die Eigenfunktionen lassen sich wegen der Separierbarkeit als Produkt von Eigenfunktionen des harmonischen Oszillators schreiben:

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

Rv1 v2 v3 ... (Q) = Rv1 (Q1 ) · Rv2 (Q2 ) · Rv3 (Q3 ) · . . .

99

(12.32)

mit 3N − 6 (oder −5) Faktoren f¨ ur alle Qi . F¨ ur jede Koordinate Qi gibt es eine Vibrationsquantenzahl vi , und die Gesamtenergie wird X W = (vi + 1/2) ~ωi . (12.33) i

F¨ ur große Molek¨ ule ergeben sich damit erhebliche innere Energien schon bei thermischer Anregung. Ja selbst die Nullpunktsenergien k¨onnen betr¨achtlich werden: Das Fußball“-Molek¨ ul C60 z.B. hat 174(!) Normalmoden (niedrigs” te Energie entsprechend ν¯ ' 500 cm−1 ). Die Rechnung ergibt f¨ ur C60 eine Nullpunktsenergie in der Gr¨ oßenordnung von Wmin & 5.4 eV. Die Auswahlregeln f¨ ur Dipol¨ uberg¨ ange gewinnt man analog zu den in Kap. ¨ 11.4 angestellten Uberlegungen. In harmonischer N¨aherung wird also ∆vi = ±1

f¨ ur alle Qi ,

¨ und das Ubergangsdipolmoment ist Z Y Y Rvi (Qi ) dQ1 dQ2 . . . R∗vi0 (Qi ) D γ (Q) Dv0 ←v = i

i

Das permanente elektronische Diplomoment D γ (Q) h¨angt von allen Normalkoordinaten Q = (Q1, Q2 . . . Qi . . . ) ab. Eine Reihenentwicklung um Qi = 0 ergibt analog zu (11.74) X ∂D γ Qi + · · · D γ (Q) = D γ (R0 ) + (12.34) ∂Q i 0 i ¨ Nach den Uberlegungen in Kap. 11.4.3 wird auch eine Normalschwingung Qi nur dann infrarotaktiv sein (mit vi00 = vi0 ± 1), wenn ∂D γ /∂Qi |0 6= 0. Alle anderen Schwingungsquantenzahlen vj bleiben unver¨andert. Zur Berechnung der Normalschwingungen von polyatomaren Molek¨ ulen stehen heute effiziente Rechenprogramme zur Verf¨ ugung, welche z.B. die Diagonalisierung der Hesse’schen Matrix vornehmen. Wesentliche Vereinfachungen ergeben sich durch Ber¨ ucksichtigung der Molek¨ ulsymmetrie. F¨ ur die verschiedenen Punkt-Gruppen, in die sich die Molek¨ ule einteilen lassen, stellt die Gruppentheorie geeignete Werkzeuge zur Bestimmung der Normalmoden zur Verf¨ ugung. Wir verzichten hier darauf, die Transformation in Normalschwingungen im Detail zu diskutieren und stellen im Folgenden lediglich f¨ ur einige einfache Beispiele die Ergebnisse zusammen. Es sei aber generell darauf hingewiesen, dass die hier besprochene harmonische N¨aherung nat¨ urlich wieder nur ein erster N¨aherungsansatz ist, und die heutige spektroskopische Genauigkeit wesentlich h¨ ohere N¨ aherungen erfordert – und so entsprechend pr¨azise Strukturbestimmungen auch komplizierter Molek¨ ule erm¨oglicht.

100

12 Mehratomige Molek¨ ule

12.2.3 Lineare, dreiatomige Molek¨ ule AB2 q1

q2

q3

Ein lineares, dreiatomiges Molek¨ ul (z.B. CO2 ) hat insgesamt 3N − 5 = 4 innere Freiheitsgrade, d.h. mB mA mB 4 Normalschwingungen:2 es gibt zwei Schwingungsk k typen entlang der Molek¨ ulachse sowie zwei Biegeschwingungen in zwei senkrecht zueinander stehenO=C=O den Ebenen. Die nachfolgenden Zusammenh¨ange zwischen Normalkoordinaten und massengewichteAbb. 12.7. CO2 Koorditen Ortskoordinaten qi beziehen sich auf Abb. 12.7: naten und Massen •

Bei der symmetrischen p Streckschwingung √ Q1 = (q1 − q3 ) / 2 mit der Eigenfrequenz ω1 = k/mB bleibt das CAtom in Ruhe. Die Schwingungsfrequenz ω1 entspricht der eines an einer festen Wand u ¨ber eine Federkonstante k befestigten Sauerstoff-Atoms.



Die asymmetrische Streckschwingung  √ √ √ √ Q3 = mA q1 − 2 mB q2 + mA q3 / 2M hat die Eigenfrequenz ω3 = p kM/ (mA mB ), wobei M = mA + 2mB die Gesamtmasse des Molek¨ uls ist. Wird das Zentralatom sehr schwer (mA  mB ) ergibt sich√eine Eigenfrequenz ω32 ≈ k/mB mit der Koordinate Q3 ≈ 12 (q1 + q3 ) / 2. Dies entspricht wieder der Schwingung der leichteren Atome B gegen eine feste Wand (unendlich schweres Atom A).



Die beiden ¨ aquivalenten Biegeschwingungen werden durch die Koordinaten Q2 mit y1 = −Q2 (t), y2 = 2 (mB /mA ) Q2 (t), y3 = −Q2 (t) bzw. eine dazu orthogonale, ansonsten identische Bewegung in x-Richtung beschrieben (senkrecht zur Papierebene).

Wir wollen als Beispiel das Kohlendioxid, CO2 , etwas genauer betrachten, das wegen seiner großen Bedeutung (Atmosph¨arenphysik und -chemie, Astrophysik etc.) heute mehr denn je von aktuellem Interesse ist (s. z.B. Rodriguez-Garcia et al., 2007). Die Bindungsl¨ange C = O betr¨agt im Gleichgewicht R0 = 1.166 ˚ A, die experimentell bestimmten Eigenfrequenzen sind f¨ ur die symmetrische Streckschwingung ν¯1 = 1 285.4 cm−1 , f¨ ur die Biegeschwingung ν¯2 = 667.4 cm−1 und schließlich f¨ ur die antisymmetrische Streckschwingung ν¯3 = 2 349.2 cm−1 .3 Die Energieterme werden unf Quantenzahlen  durch f¨ charakterisiert: W (v1 , v2 , v3 , `, N ) – kurz v1 v2` v3 , wobei die Quantenzahlen v1 , v2 und v3 die beschriebenen Normalschwingungen bzw. ihre Obert¨one bezeichnen. Die Drehimpulsquantenzahl ` tr¨ agt der Tatsache Rechnung, dass die 2

3

Man kann sich die Wahl der Koordinaten plausibel machen, indem man beachtet, dass der Schwerpunkt des Molek¨ uls bei der Bewegung entlang der NormalKoordinaten in Ruhe bleiben muss. In der ¨ alteren Literatur (z.B. Herzberg, 1991) wird f¨ ur ν¯1 der Wert 1 388.3 cm−1 −1 und f¨ ν2 1 285.5 angegeben, was zu einer Vertauschung der Zust¨ ande ur 2¯  cm 100 0 und 020 0 f¨ uhrt.

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

101

beiden Biegeschwingungen zwar entartet sind, aber bei richtiger Phasenlage zu einer effektiven Rotation um die Molek¨ ulachse und damit zu unterschiedlicher Energie f¨ uhren k¨ onnen. Diese Drehimpulsquantenzahl kann die Werte |`| = v2 , v2 − 2, v2 − 4, . . . 1 bzw. 0 annehmen. Schließlich ist N wieder die Rotationsquantenzahl. Die Rotationskonstanten f¨ ur CO2 sind recht klein, z.B. wird B000 1 = 0.38714044 cm−1 , die Rotationsbesetzung bei Raumtemperatur ist also erheblich und f¨ uhrt zu einer Verbreiterung der Vibrationsbanden. Die beiden Sauerstoffatome im CO2 sind elektro-negativ, d.h. sie tragen eine kleine negative Ladung. Das Kohlenstoffatom ist dagegen leicht positiv geladen. Aus Symmetriegr¨ unden verschwindet aber in der Gleichgewichtslage das Dipolmoment D γ (Q) = 0. Bei der symmetrischen Streckschwingung Q1 bleibt diese Symmetrie erhalten; sie ist daher nicht infrarotaktiv. Die anderen Moden, Q2 und Q3 f¨ uhren aber zu einer Brechung der Symmetrie“ ” ¨ und damit zu einer Anderung des permanenten elektrischen Dipolmoments ¨ ∂D γ /∂Qi |0 6= 0. Sie sind infrarotaktiv. Eine Ubersicht u ¨ber die niedrigst liegenden, experimentell bestimmten Vibrationsterme gibt Abb. 12.8. W(υ1,υ2,υ3,ℓ) / cm-1 2000

1000

(1110)

(1000)

(0330) (0310)

(0001) µm 9.4 µm .4 10 (0200) (0220)

Abb. 12.8. Vibrationsterme des CO2 . Durch rote, volle bzw. gestrichelte Linien sind zwei Fermi-Paare gekennzeichnet (s. Text). Graue Pfeile deuten IR-aktive ¨ Uberg¨ ange an

(011 0) 0

(0000)

Beim Vergleich der symmetrischen und antisymmetrischen Streckschwin¨ gung mit den p zur Normalschwingungsanalyse f¨allt auf, dass p obigen Uberlegung mit ω1 = k/mB und ω3 = kM/mA mB das Verh¨altnis ω3 /ω1 = 1.915 sein sollte, w¨ahrend der experimentelle Wert bei 1.828 liegt. Der Grund hierf¨ ur  ist eine nahezu Entartung der Zust¨ ande 100 0 und 020 0 bei sonst gleicher Symmetrie. Diese sogenannte Fermi-Resonanz bedingt eine Wechselwirkung der beiden Terme: die Zust¨ ande werden gemischt und die Terme stoßen sich ¨ ab, wie wir dies auch bei vermiedenen Kreuzungen erfahren haben. Ahnliches passiert auch zwischen den Zust¨ anden (111 0) und (033 0). Diese beiden FermiPaare sind in Abb. 12.8 rot markiert. Fermi-Resonanzen kommen in vielen Bereichen der Atom- und Molek¨ ulphysik vor. uberg¨ange (graue Ebenfalls angedeutet sind in Abb. 12.8 einige Infrarot¨ Pfeile). Von besonderer Bedeutung sind die mit 9.4 und 10.4 µm gekennzeich-

102

12 Mehratomige Molek¨ ule

¨ neten Uberg¨ ange: dies sind die wichtigsten Laser¨ uberg¨ange im CO2 -Laser, der u. a. von großer technischer Bedeutung ist. Wegen der eng liegenden Rotationslinien kann man CO2 -Laser unter Einsatz verschiedener Isotope in einem Spektralbereich von 9.2 µm bis u ¨ ber 11 µm quasi kontinuierlich abstimmen. Die Infrarotspektren von CO2 sind hervorragend dokumentiert (so in P-Zweig

Q-Zweig

R-Zweig

Transmission in %

1.00 0.96 0.92 0.88 0.84 1180

1900

1920_ 1940 ν / cm-1

1960

1980

Abb. 12.9. Infrarotbanden des Schwingungs¨ ubergangs (111 0) ← (000 0) im 12 C16 O2 in einer Simulation von Tashkun und Perevalov (2008) bei 297 ◦ C, 1 atm und einer ¨ Absorptionsl¨ ange von 100 cm . Man beachte, dass f¨ ur diesen senkrechten Ubergang neben P - und R-Zweig auch ein Q-Zweig beobachtet wird

einer ganz dem CO2 gewidmeten Datenbank von Tashkun und Perevalov, 2008). Wir zeigen in Abb. 12.9 als Beispiel ein simuliertes  CO2 Rotations ¨ Schwingungsspektrum des (schwachen) Ubergangs 111 0 ← 000 0 . Das Spektrum ist auch insofern interessant, als es hier neben dem P - und RZweig auch einen Q-Zweig gibt. Bei den zweiatomigen Molek¨ ulen (s. Kap. 11.4.4) hatten wir ∆N = 0 ja aus Parit¨ atsgr¨ unden ausgeschlossen. Nun ist ¨ CO2 zwar auch ein lineares Molek¨ ul. Die Anderung des Dipolmoments mit der Schwingung, welche nach (11.72), (11.73), (11.74) und (11.75) ja den Schwingungs¨ ubergang bestimmt, liegt bei dieser Biegeschwingung aber senkrecht zur Molek¨ ulachse, sodass die Mittelung u ¨ber YN∗ M (Θ, Φ)YN M (Θ, Φ) in diesem Fal¨ le nicht verschwindet und der Ubergang erlaubt ist (sogenannter senkrechter“ ” ¨ Ubergang). 12.2.4 Nicht lineare, dreiatomige Molek¨ ule AB2 In diesem Fall gibt es 9 − 6 = 3 Schwingungs-Moden Qi . Wir diskutieren beispielhaft das Wassermolek¨ ul, H2 O. Auch hier liegt wieder eine kleine Ladungsverschiebung vor: Das Sauerstoffatom ist leicht negativ geladen, die beiden Wasserstoffatome leicht positiv. Die drei Schwingungsmoden sind in Abb.

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

103

12.10 illustriert. F¨ ur alle drei Moden gilt ∂D γ /∂Qi |0 6= 0. Sie sind also in-

ν1

ν2

O H+

H+

O -

ν3 H+

H+

O -

H+

H+

Abb. 12.10. Normalschwingungen von H2 O: Q1 symmetrische Streckschwingung, Q2 Biegeschwingung, Q3 asymmetrische Streckschwingung

frarotaktiv, jedoch sind die Absorptionsquerschnitte f¨ ur die drei Moden sehr unterschiedlich (σ(ν1 ) : σ(ν2 ) : σ(ν3 ) ' 0.07 : 1.47 : 1.00). Es leuchtet ein, ¨ dass die Anderung des Dipolmoments f¨ ur die symmetrische Streckschwingung, ν1 , am geringsten ist . Die Eigenfrequenzen f¨ ur die drei wichtigsten Isotopologe im Vibrationsgrundzustand sind in Tabelle 12.1 zusammengestellt, und die Termlagen der niedrigsten Vibrationsniveaus sind in Abb. 12.11 abgebildet. Das Termschema l¨ asst bereits ahnen, dass das gesamte Vibrationsspektrum Tabelle 12.1. Eigenfrequenzen des Wassermolek¨ uls im Grundzustand f¨ ur die drei wichtigsten Isotopologe ν1 / cm−1 ν2 / cm−1 ν3 / cm−1 H2 16 O 3 657.053 1 594.746 3 755.929

W(υ1,υ2, υ3) / cm-1

HD 16 O 2 723.68

1 403.48

3 707.47

D2 16 O 2 669.40

1 178.38

2 787.92

(210)

(031)

8000 (200) (050) (002) (130) (101) (120) (021) (040) 6000 (110) (011) (030) 4000 (100) (020) (001) (010)

2000 0

(111)

Abb. 12.11. Vibrationsterme des H2 O. Rote Linien markieren die drei Grundschwingungsterme, dar¨ uber sind die jeweiligen Harmonischen eingetragen. In den Spalten rechts sind beobachtet Kombinationsschwingungsterme dargestellt. Verwendet wurden spektroskopische Daten nach Tennyson et al. (2001)

(000)

des Wassermolek¨ uls hoch kompliziert ist: die harmonische N¨aherung ist hier nur begrenzt anwendbar, und zahlreiche Obertonbanden werden beobachtet.

104

12 Mehratomige Molek¨ ule

Intensität / willk. Einheiten

Wie bei den zweiatomigen Molek¨ ulen sind die Schwingungsanregungen jeweils von der Rotationsstruktur u ¨berlagert, die bei diesem asymmetrischen Rotor urlich viel komplizierter entsprechend der Diskussion in Abschn. 12.1.4 nat¨ ist als bei den zweiatomigen Molek¨ ulen. Die Kopplung von Vibration und Rotation, die Zentrifugalaufweitung usw. f¨ uhren zu einer Vielzahl nicht trivial auswertbarer Absorptions- und Emissionslinien in einem Spektralbereich vom nahen Infraroten bei 1 595 cm−1 (6.3 µm) u ¨ber das ganze sichtbare Gebiet hinweg (12 500 bis 25 000 cm−1 ) bis hin ins nahe UV-Gebiet. Inzwischen sind weit u uberg¨ange hoch pr¨azise vermessen ¨ber 20 000 Vibrations-Rotations¨ und wohl analysiert (Tennyson et al., 2001). Wir zeigen in Abb. 12.12 einen kleinen Ausschnitt aus einem Fourier-Transformations-Absorptionsspektrum im sichtbaren Spektralgebiet, um die Komplexit¨at der Spektren zu illustrieren. Auch als Treibhausgas“ spielt das Wassermolek¨ ul eine wichtige Rolle, ” da es u ¨ber das gesamten Spektrum der Sonne ein Vielzahl von signifikanten Absorptionsbanden besitzt (s. z.B. Bernath, 2002a). 0.10 0.08 0.06 0.04 16870

16880 16890 16900 Wellenzahlen / cm-1

Abb. 12.12. FourierTransformationsAbsorptionsspektrum bei RotationsVibrationsanregung von H2 16 O in einem kleinen Ausschnitt des sichtbaren Spektralgebiets nach Carleer et al. (1999). Es werden kombinierte Obert¨ one der Grundschwingungen mit entsprechender Rotationsstruktur beobachtet

12.2.5 Inversionsschwingung im Ammoniak Tunnelaufspaltung Das Ammoniak-Molek¨ ul hat eine pyramidale Struktur, wie in Abb. 12.13a skizziert. Der Bindungswinkel α = 106.67o weicht nur leicht vom idealen Tetraeder ab, dessen Winkel 109.5o sind, der Bindungsabstand N-H ist ˚ R0 = 1.0137 Gleichgewichtsabstand der Inversionskoordinate x ist q A. Der   ˚ NH3 hat, wie in Abb. 12.13b Re = R0 cos2 α − 1 sin2 α = 0.383 A. 2

3

2

illustriert, 3 × 4 − 6 = 6 Eigenschwingungen: die symmetrische Streckschwingung mit der Eigenfrequenz ν1 = 3 336.6 cm−1 , die sogenannte Regenschirmoder Inversionsschwingung mit ν2 = 950 cm−1 , sowie asymmetrische Streckschwingungen ν3 = 3 443.8 cm−1 und Biegeschwingungen ν4 = 1 626.8 cm−1 . Die beiden letzteren sind je zweifach entartet.

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

(a)

x 0

-Re

(b)

N

H

7Å 13 106.7o 0 . 1 H

N

ν1

HHH H

ν3

N HHH

N H

H

ν2 H

ν4

N HHH

105

Abb. 12.13. NH3 : (a) Koordinatensystem: x ist der Abstand von der (H-H-H)-Ebene zum N-Atom, Re = 0.383 ˚ A der Gleichgewichtsabstand der Inversionsschwingung; (b) Normalschwingungen, ν3 und ν4 sind je zweifach entartet

Etwas n¨aher wollen wir uns hier mit der wichtigen Regenschirmschwingung (umbrella mode) befassen. Das leicht negativ geladene N-Atom an der Spitze der Pyramide kann gegen die leicht positive geladene H3 -Ebene schwingen – wegen der Massenverh¨ altnisse sollte man genauer sagen: die H-Atome schwingen gegen das (nahezu) ortsfeste N-Atom. Wie bei einem richtigen Regenschirm kann das Ammoniak-Molek¨ ul auch umklappen, d.h. in Abb. 12.13a kann das N-Atom auch unterhalb der H3 -Ebene liegen. Die Barriere f¨ ur das Umklappen (Inversion) ist mit ca. 0.3 eV (' 2 400 cm−1 ) etwa dreimal h¨oher, als die Anregungsenergie der Regenschirmschwingung. Diese Inversion kann aber durch einen Tunnelprozess bereits im Vibrationsgrundzustand auftreten. Wir untersuchen nun anhand eines eindimensionalen Modells die Auswirkung des Tunnelprozesses auf Wellenfunktionen und Energieeigenwerte. Dazu betrachten wir die Bewegung eines Teilchen mit der reduzierten Masse µ = 3mH mN / (3mH + mN ) in einem Potenzial mit Barriere. Nach Damburg und Propin (1972) benutzt man ein Modellpotenzial 2  V (x) = k Re2 − x2 / 8Re2 (12.35) mit der Kraftkonstante k = µω22 und den beiden Gleichgewichtslagen x = ±Re , das in Abb. 12.14a skizziert ist (gestrichelte rote Linie). Im Bereich des Vibrationsgrundzustands der ν2 Mode ist V (x) eine gute N¨aherung, gibt aber die Barrierenh¨ohe nicht richtig wieder. Wir haben daher V (x) nach Augenmaß korrigiert (volle rote Linie). Im klassischen Bild kann ein Teilchen der Energie W < Vb die Barriere nicht u ¨berqueren. Die quantenmechanische Behandlung der Tunnelprozess erfolgt heute problemlos durch numerische Integration der eindimensionalen Schr¨odingergleichung entlang der Inversionskoordinate auf einer m¨oglichst guten Potenzialhyperfl¨ ache. Die in Abb. 12.14a kommunizierten Termlagen entsprechen den experimentell bestimmten Werten, die theoretisch sehr genau reproduziert werden. Zum physikalischen Verst¨ andnis des Tunnelprozesses und der daraus resultierenden Aufspaltungen ist es aber hilfreich, von den Eigenfunktionen des harmonischen Oszillators auszugehen. Im Vibrationsgrundzustand, wo die beiden Minima durch eine hohe Barriere getrennt sind, gehen wir zun¨achst davon

106

12 Mehratomige Molek¨ ule

597

(a)

H

H H

N

V(x) / cm-1

– + 4000

N

H H

(b)

H

υ2=4

4.5υ2

υ2=3

35.7 284.7 511.4

3.5υ2 + 3000 V – b 2.5υ2 + 2000 1.5υ2 +–

0.793



+– -0.8

-0.4

1000 -Re

Re 0.0

υ2=2 υ2=1 υ2=0

υ2/2 0.4

Abb. 12.14. Schnitt durch die NH3 Hyperfl¨ ache in Richtung der Inversionsschwingung (rote Linien) und entsprechende harmonische N¨ aherung (grau). Die Termlagen f¨ ur die ν2 - Mode sind durch horizontale Linien angedeutet – (a) korrekte Werte unter Ber¨ ucksichtigung der Tunnelaufspaltung, (b) harmonische N¨ aherung

-0.8 x

aus, dass die Schwingung ganz im linken oder ganz im rechten Potenzialminimum stattfindet. Angepasste harmonische Potenziale nach Abb. 12.14b sind als graue Linien in Abb. 12.14a angedeutet. In dieser nullten N¨aherung sind die Eigenfunktionen nach Tabelle 11.1 auf S. 11 z.B. f¨ ur den Grundzustand µω2 l (x+Re )2 1 − 2~ und e hx v2 = ϕl (x) = √ 4 π µω2 (x−Re )2 1 − r 2~ hx |v2 i = ϕr (x) = √ , e 4 π je nachdem ob sich das Molek¨ ul in der N¨ ahe des linken oder rechten Minimums befindet. Die entsprechenden Energielagen des harmonischen Oszillators sind in Abb. 12.14b aufgetragen und durch die Vibrationsquantenzahl v2 = 0, 1, . . . charakterisiert. Jeder Term ist entsprechend den beiden m¨oglichen Lagen zweifach entartet. Nun sind die beiden Lagen aber physikalisch v¨ollig ¨aquivalent, wir k¨onnen sie gar nicht unterscheiden und m¨ ussen die Zust¨ande daher symmetrisieren oder antisymmetrisieren – ganz analog etwa zu den elektronischen Eigenfunktionen des H+ uls (s. Kap. 11.5.2). Anders ausgedr¨ uckt: Das Potenzial 2 -Molek¨ b und der HamiltonV (x) hat gerade Symmetrie, d.h. der hParit¨ aitsoperator P b P b = 0. Wir definieren gemeinsame b des Systems vertauschen: H, Operator H Eigenzust¨ande durch symmetrische und antisymmetrische Linearkombinationen:   +  1  v = √1 |v2r i + v2l und v2− = √ |v2r i − v2l 2 2 2

12.2 Schwingungsmoden mehratomiger Molek¨ ule

107

F¨ ur den Vibrationsgrundzustand v2± = 0 sind die zugeh¨origen Wellenfunktionen ϕ+ (x) und ϕ− (x) in Abb. 12.15 skizziert. H H N H

φ(x) N

φl (x)

H H H

φr (x) 0.1 -0.2

φ-(x) 0.1

-

0.1 0.1 -0.1

φ+(x) 0.1

+

-0.8

-0.4

-Re

0.4 Re

x -0.8

Abb. 12.15. Realistische Konstruktion der Symmetrieangepassten Grundzustandswellenfunktionen f¨ ur das Doppelminimumspotenzial des NH3 . Oben die beiden lokalisierten Funktionen, ϕl (x) und ϕr (x) (schwarze Linien), unten die symmetrischen und antisymmetrischen, ϕ+ (x) bzw. ϕ− (x) (rote Linien). Links ein vergr¨ oßerter Ausschnitt aus dem klassisch verbotenen Bereich um x = 0 herum

St¨orungstheoretisch f¨ uhrt dieser Ansatz zur Aufhebung der Entartung. ur die entsprechenden Eigenzust¨ande v2+ und Die Energien Wv+ und Wv− f¨ 2 2 − v findet man, indem man die Diagonalmatrixelemente der Abweichung 2 des Inversionspotenzials V (x) von den beiden isolierten harmonischen Oszillatorpotenzialen berechnet. Wir wollen das nicht im Einzelnen ausf¨ uhren, stellen aber fest, dass die symmetrische Eigenfunktion ϕ+ (x) im Bereich der Barriere (kleinere potenzielle Energie) eine gr¨oßere Wahrscheinlichkeitsamplitude hat als die antisymmetrische ϕ− (x). Daher werden die Energien der symmetrischen Zust¨ ande tiefer liegen als die der antisymmetrischen, wie dies in Abb. 12.14a dargestellt ist. Da die Wahrscheinlichkeitsamplitude im Bereich der Barriere um so gr¨ oßer ist, je n¨ aher die Energie Wv2 an die Barriere kommt, werden die h¨ oher liegenden Zust¨ ande st¨arker aufgespalten sein. Dieser Trend setzt sich nat¨ urlich oberhalb der Barriere fort. F¨ ur den Grundzustand entspricht die Aufspaltung einer Frequenzdifferenz der beiden Moden von (W0− − W0+ ) /h = ∆ω0 /2π = 23.870 GHz. Zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion Nun kann man nat¨ urlich die Frage stellen: wie schnell tunnelt das Molek¨ ul? Nehmen wir also an, zum Zeitpunkt t = 0 h¨ atten wir das Molek¨ ul in einem der beiden Minima pr¨ apariert, sagen wir im rechten. Sein Zustand sei also: 1   |ϕ (t = 0)i ≡ |v2r i = √ v2+ + v2− 2

108

12 Mehratomige Molek¨ ule

Die zeitliche Entwicklung des so pr¨ aparierten Zustands ist gegeben durch: i 1 h |ϕ (t)i = √ e−iW0+ t/~ v2+ + e−iW0− t/~ v2− 2 Nach kurzer Rechnung findet man f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsdichte: 2

2

2

|ϕ (x, t)| = cos2 (∆ω0 t/2) |ϕr (x)| + sin2 (∆ω0 t/2) |ϕl (x)|

Dies ergibt folgendes Bild: Zur Zeit t = 0 ist die Wahrscheinlichkeitsdichte im rechten Potenzialtopf konzentriert. Nach der Zeit t = π/ (2∆ω0 ) haben wir eine Gleichverteilung, und zur Zeit t = π/∆ω0 ist die Dichte in den linken Potenzialtopf getunnelt“. Danach kehrt sich der Prozess um, und nach ” t = 2π/∆ω0 ist der Ausgangszustand wieder erreicht. Die Wasserstoffatome des Ammoniak-Molek¨ uls oszillieren mit der Frequenz ∆ν = ∆ω0 /2π = 23.870 GHz (also in 42 ps) von einer zur anderen Seite des Stickstoffatoms. Daher wird ∆ω0 /2π Inversionsfrequenz genannt und entspricht genau der Energiedifferenz zwischen den beiden Zust¨ anden ϕ0− und ϕ0+ . Da die Wellenfunktionen ϕv+ und ϕv− unterschiedliche Parit¨at haben, sind 2 2 zwischen den beiden Zust¨ anden elektrische Dipol¨ uberg¨ange erlaubt. F¨ ur den ¨ untersten Zustand liegen dieser Uberg¨ ange bei Ammoniak im MillimeterwellenBereich mit ∆ν = 23.87 GHz (λ = 12.56 mm; ν¯ = 0.796 cm−1 ). Mikrowellenresonator Molekülstrahl inhomogenes elektrisches Feld

Abb. 12.16. Schema des NH3 Maseraufbaus. Durch ein elektrostatisches Feld werden die beiden Zust¨ ande ϕ0+ und ϕ0− unterschiedlich abgelenkt und k¨ onnen so getrennt werden, sodass im Resonator eine Besetzungsinversion entsteht

Am Beispiel der Inversionsschwingung im Ammoniak konnte Townes (Gordon et al., 1955) erstmal demonstrieren, dass eine Verst¨arkung von elektromagnetischer Strahlung durch stimulierte Emission m¨oglich ist. Dieser Maser (M icrowave Amplification by S timulated E mission of Radiation) ist der Vorg¨anger des Lasers. Voraussetzung f¨ ur stimulierte Emission ist stets die h¨ohere Besetzung eines energetisch h¨ oher liegenden Zustands, eine sogenannte Besetzungsinversion. Dies ist ein Zustand, der im thermischen Gleichgewicht ¨ nicht erreicht werden kann. Da die Ubergangsenergie ~∆ω0  kT ist, sind beide Zust¨ande ϕ0+ und ϕ0− bei Raumtemperatur nahezu gleichbesetzt. Man kann die beiden Zust¨ ande aber in einem Molekularstrahl mit Hilfe eines inhomogenen elektrischen Felds (Stark-Effekt) r¨ aumlich trennen, wie dies in Abb. 12.16 sehr schematisch skizziert ist. Das Verfahren basiert darauf, dass die beiden Zust¨ ande ein entgegengesetztes, permanentes Dipolmoment

12.3 Symmetrien

109

besitzen, und sich so im inhomogenen elektrischen Feld trennen lassen (anaur den log zu dem in Kap. 1.13, Band 1 behandelten Stern-Gerlach Effekt f¨ Elektronenspin in Magnetfeldern). Die im energetisch h¨oher liegende Zustand ϕ0− befindlichen Molek¨ ule im Strahl werden auf diese Weise in einen Mikrowellenresonator gelenkt. Dieser ist auf die Inversionsfrequenz abgestimmt und erlaubt es, die Verst¨ arkung entsprechender Mikrowellen nachzuweisen.

12.3 Symmetrien Das Verst¨andnis des Aufbaus kleiner Molek¨ ule vereinfacht sich betr¨achtlich, wenn man ihre Symmetrieeigenschaften ber¨ ucksichtigt. Mit Hilfe der (mathematischen) Gruppentheorie lassen sich Anzahl und Eigenschaften von Normalschwingungen und Molek¨ ulorbitalen auch f¨ ur komplexere Molek¨ ule relativ leicht ableiten. Vor allem sind Symmetriebetrachtungen f¨ ur die Spektroskopie mehratomiger Molek¨ ule und die Bestimmung von erlaubten und verbotenen ¨ Uberg¨ angen von zentraler Bedeutung. Eine leicht verst¨andliche Einf¨ uhrung in die Anwendung der Gruppentheorie in der Molek¨ ulphysik gibt Engelke (1996), sehr umfassend ist die Darstellung in Bunker und Jensen (2006). Viele weitere Lehrb¨ ucher aber auch Webseiten (z.B. Goss, 2009; Wikipedia contributors, 2009, 2010; Vanovschi, 2008) widmen sich den Molek¨ ulsymmetrien und ihren Anwendungen sehr ausf¨ uhrlich. Wir kommunizieren daher hier lediglich einige Grundbegriffe, die z.T. sp¨ ater wieder benutzt werden. Eine vertiefte Behandlung w¨ urde den Rahmen dieses Lehrbuchs sprengen. 12.3.1 Symmetrieoperationen Symmetrieoperationen in der Molek¨ ulphysik sind lineare Transformationen eines Molek¨ uls im Raum. Sie u uhren ¨ aquivalente Atome ineinander und das ¨berf¨ Molek¨ ul insgesamt in eine von der Ausgangslage ununterscheidbare Geometrie. Man definiert acht Operation: b E bn C σ ˆ σ ˆh σ ˆv σ ˆd ˆi b Sn

Identit¨at bzw. Drehung um 360o Drehung bez¨ uglich einer Symmetrieachse um den Winkel 2π/n mit b bnn = E n = 2, 3, . . . Es gilt C b Spiegelung an einer Ebene; es gilt σ ˆ·σ ˆ=σ ˆ2 = E spezielle Spiegelung an einer horizontalen Ebene senkrecht zur Hauptsymmetrieachse (Achse mit dem h¨ ochsten n) spezielle Spiegelung an einer vertikalen Ebene, welche die Hauptsymmetrieachse enth¨ alt einen spezieller Fall von σ ˆv , bei dem die vertikale Ebene die zwei Symmetrieachsen senkrecht zur Hauptsymmetrieachse halbiert Inversion oder Punktspiegelung am Ursprung Drehspiegelung oder unechte Rotation: eine Rotation um 2π/n mit nachfolgender Spiegelung an einer Ebene senkrecht zur Drehachse, bn = C bn σ b2 und ˆıC b2 = σ also Sbn = σ ˆh C ˆh . Es gilt Sˆ2 = ˆı sowie ˆıσ ˆh = C ˆh

110

12 Mehratomige Molek¨ ule

12.3.2 Punktgruppen Die genannten Symmetrieoperationen lassen sich zu Gruppen im mathematischen Sinne zusammenfassen. Sie werden Punktgruppen genannt, da die Gesamtheit aller Symmetrieoperationen mindestens einen Punkt im Raum invariant l¨asst. Nach Sch¨ onflies unterscheidet man die nachstehend aufgef¨ uhrten Molekül j

D∞υ

j

i?

n

n

linear ?

zwei oder mehr Cn mit n>2 ?

j

C∞υ j

n

i?

n

j

Td

Cn? n

C2 ┴ zu Cn mit größtem n?

n

Cs

j

n

j Th

j

C3?

Dnh

j

n Oh

j

3C4? n Ih

σh ?

Ci

n Dnd

j

σh?

nσd?

j

j

i?

n

C1

Cnh

n

n

nσυ ?

Dn Cn

σ?

j

Cnυ

n n

S2n ?

j

S2n

Abb. 12.17. Entscheidungsbaum zur Bestimmung der Molek¨ ulsymmetrien in der Nomenklatur nach Sch¨ onflies

12.3 Symmetrien

111

Punktgruppen, die man – wie in Abb. 12.17 illustriert – auf eindeutige Weise den Symmetrieeigenschaften eines Molek¨ uls zuordnen kann. Gruppen niedriger Symmetrie C1 Ci Cs

diese triviale Gruppe enth¨ alt alle Molek¨ ule, die u ¨berhaupt keine Symmetrie haben; z.B. C H F Cl Br) = S2 enth¨ alt als Symmetrieoperation nur die Inversion ˆı; z.B. antiC2 H2 Br2 Cl2 nur eine Spiegelebene σ ˆ ; z.B. O N Cl

Drehgruppen Cn Cnh Cnv

nur Rotation um einen Winkel 2π/n um eine Achse; z.B. hat H2 O2 (Wasserstoffperoxid) C2 -Symmetrie Rotation um 2π/n sowie Spiegelung an einer Ebene senkrecht zur Rotationsachse, σ ˆh ; z.B. geh¨ ort B(OH)3 zur C3h -Gruppe Rotation um 2π/n sowie n-Spiegelungen an Ebenen parallel zur Rotationsachse, σ ˆv ; z.B. hat H2 O (Wasser) C2v - und NH3 (Ammoniak) C3v -Symmetrie

Spezielle Punktgruppen C∞v D∞h

lineare Molek¨ ule ohne Inversionszentrum, z.B. HCl, N2 O lineare Molek¨ ule mit Inversionszentrum, z.B. H2 , CO2

Drehspiegelgruppen Sn

nur Symmetrieoperationen Sbn . Man beachte: S2 entspricht Ci , und falls n ungerade ist, entspricht Sn = Cnh . Nur die Gruppen S4 , S6 , S8 , . . . haben ihre eigene Berechtigung; z.B. geh¨ort S4 N4 F4 zu S4

Di¨edergruppen Dn Dnh

Dnd

bn -Achse (Hauptachse) und n C b2 -Achsen senkrecht zur Haupteine C achse wie Dn , zus¨ atzlich eine Spiegelebene σ ˆh senkrecht zur Hauptachse; ¨ z.B geh¨ort C2 H4 (Athen) zur Gruppe D2h und C6 H6 (Benzol, der einfachste aromatische Ring) zur Gruppe D6h wie Dn , zus¨ atzlich n Spiegelebenen σ ˆd parallel zur Hauptachse; z.B. ¨ hat C2 H6 (Athan) D3d -Symmetrie

112

12 Mehratomige Molek¨ ule

Tetraedergruppe T

Td

Th

b 4C b3 , 4C b 2 , (Achsen von Gruppe der echten Tetraederrotationen: E, 3 Ecke zu Fl¨ achenmitte), 3Cˆ2 (Achsen von Seitenmitte zu Seitenmitte), also insgesamt 12 Symmetrieelemente wie T und zus¨ atzlich noch die Operationen, die sich durch Ebenenspiegelungen (Multiplikation mit σ ˆd ) ergeben, also 24 Symmetrieelemente z.B. CH4 wie T und zus¨ atzlich noch die Operationen, die sich durch Drehspiegelung (Multiplikation mit ˆı) ergeben, also ebenfalls 24 Symmetrieelemente, z.B. C60 Br24

Oktaedergruppe O

Oh

b 8C b3 (Achsen sind die W¨ Gruppe der echten W¨ urfelrotationen: E, urfelb b diagonalen) 3C2 und 6C4 (Achsen von Fl¨achenmitte zu Fl¨achenmitte), 6Cˆ20 (Achsen von Seitenmitte zu Seitenmitte), somit 24 Symmetrieelemente vollst¨andige Oktaedersymmetriegruppe: O und zus¨atzlich noch die Operationen, die sich durch Drehspiegelungen (Multiplikation mit ˆı) ergeben, also 48 Symmetrieelemente, z.B. SF6

Ikosaedergruppe Die Ikosaedergruppe umfasst: • den echten Ikosaeder bestehend aus 20 kongruenten, gleichseitigen Dreiecken mit 30 Kanten und 12 Ecken, • den Dodekaeder bestehend aus 12 kongruenten, gleichseitigen F¨ unfecken, 30 gleichlangen Kanten und 20 Ecken und • den abgestumpften Ikosaeder ( truncated icosaeder“, deutscher Fußball), ” bestehend aus 12 F¨ unfecken und 20 Sechsecken. Man kann ihn sich entstanden denken aus einem echten Ikosaeder, dessen 12 Ecken zu F¨ unfecken abgeflacht wurden. Er hat die volle Symmetrie des Ikosaeders. Bei den Symmetrien unterscheidet man: I Drehungen und Drehspiegelungen mit 60 Symmetrieoperationen. Ein Beispiel ist das kleine Fulleren C20 Ih wie I und zus¨ atzlich noch die Operationen, die sich durch Multiplikation mit ˆı ergeben, also 120 Symmetrieelemente. Prominentestes Beispiel ist das Buckminster-Fulleren C60 .

12.3.3 Eigenzust¨ ande mehratomiger Molek¨ ule Aus der Atomphysik ist uns die volle, 3-dimensionale Rotationsgruppe vertraut (O(3) bzw. SO(3) genannt, je nachdem ob mit Inversion oder auf echte Rotationen beschr¨ ankt). Sie bestimmt das Drehimpulsverhalten der Atome.

12.3 Symmetrien

113

Es liegt auf der Hand, dass bei mehratomigen Molek¨ ulen diese volle Freiheit der Rotationen den Symmetrieoperationen der Punktgruppen weichen muss, wodurch die Beschreibung komplizierter wird – auch oder gerade weil alle oben beschriebenen Punktgruppen nur Untergruppen von O(3) sind. Einen Vorgeschmack davon haben wir schon bei zweiatomigen Molek¨ ulen erhalten. Dort konnten wir aber die elektronischen Zust¨ande noch auf u ¨bersichtliche Weise aus den Projektionen der Kugelfl¨ achenfunktion auf die Symmetrieachse ableiten. Bei nichtlinearen drei- und mehratomigen Molek¨ ulen werden die Verh¨altnisse wesentlich komplexer. Die Symmetriegruppen helfen dabei, die ¨ Ubersicht zu bewahren. Jede Punktgruppe l¨ asst sich nun durch einen Satz irreduzibler Repr¨asentationen Γi darstellen, die an die Stelle der Drehimpulszust¨ande |LM i der Atomphysik treten. Letztere sind ja ihrerseits nichts anderes als irreduzible Darstellungen der vollen O(3)-Drehgruppe. Seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts charakterisiert man nach Mulliken (Nobelpreis f¨ ur Chemie, Mulliken, 1966) die Symmetrie der Zust¨ ande entsprechend einer Buchstabenund Indizierungskonventionen, die in Tabelle 12.2 zusammengestellt ist. Wie in der Atomphysik werden elektronische Orbitale mit kleinen Buchstabe, Gesamtzust¨ ande mit großen Buchstaben geschrieben. Vibrationen werden meist durch Kleinbuchstaben charakterisiert; dabei wird der Buchstabe t b∞v und D∞h beh¨alt man die Nomendurch f ersetzt. Bei den Punktgruppen C klatur Σ, Π, ∆, . . . von Kap. 11 bei. Die als Entartung gekennzeichnete Eigenschaft der Molek¨ ulzust¨ ande beschreibt die Zahl der M¨oglichkeiten, die gleichen Symmetrieeigenschaften durch unterschiedlicher Anordnung der Zust¨ande im Raum zu generieren. Dies entspricht in der Atomphysik der 2L+1 fachen Entartung der |LM i Drehimpulszust¨ ande durch unterschiedliche Projektionen M bez¨ uglich der z-Achse. Die Buchstaben mit ihren Indizes treten also anstelle der Zustandbezeichungen 2S+1 L der Atomphysik (2 S, 1 P etc.), wobei auch die Multiplizit¨at 2S+1 von Gesamtzust¨ anden mit wohl definiertem S in bew¨ahrter Weise angegeben wird. Nach diesem Schema zur Bezeichnung von Zust¨anden, Orbitalen oder Normalschwingungen steht z.B. 3 A1g f¨ ur einen totalsymmeTabelle 12.2. Bezeichnung der irreduziblen Repr¨ asentationen der 3Dbn steht f¨ b20 bzw. Punktgruppen nach Mulliken. C ur Rotation um die Hauptachse, C 00 b2 f¨ C ur Rotation um eine bzw. zwei zur Hauptachse senkrechte, zweiz¨ ahlige Achsen Symbol Entartung Symmetrie bn A 1 + bez. C bn B 1 − bez. C E T G H

2 3 4 5

Indizierung g, u 0 00 , 1, 2 3 3

tief hoch tief tief tief

Symmetrie bez¨ uglich b20 C b200 σ ˆı σ ˆh C ˆv +, − +, − +, − − − keine



114

12 Mehratomige Molek¨ ule 4

trischen Triplettzustand. Bei einer Elektronenkonfiguration {. . . (ne2g ) . . . } nummeriert die Quantenzahl n die unterschiedlichen Orbitale gleichen Charakters (analog zu den n` in der Atomphysik), und speziell die e2g -Orbitale sind gegen¨ uber zwei Drehungen antisymmetrisch, bez¨ uglich Inversion symmetrisch und hier mit 2 × 2 = 4 Elektronen gef¨ ullt – was nach dem Pauli-Prinzip gerade dem Maximum f¨ ur einen zweifach entarteten Zustand entspricht. Jede (endliche) Punktgruppe besitzt nun N irreduzible Darstellungen Γi (i = 1 bis N ), wobei N die Zahl der Symmetrieoperationen dieser Gruppe ist. Wirkt eine bestimmte Symmetrieoperation auf einen Molek¨ ulzustand, der durch eine solche irreduzible Darstellung Γi charakterisiert wird, so f¨ uhrt das zu einer linearen Transformation. Man kann diese z.B. in Form einer Matrix darstellen (bei den |LM i Zust¨ anden geschah dies durch die Drehmatrizen). Die Spur dieser Matrix ist ein sogenannter Charakter der Repr¨ asentation, also des Molek¨ ulzustands. Es zeigt sich, dass die irreduzible Repr¨asentation einer bestimmten Punktgruppe durch die Gesamtheit ihrer Charaktere in dieser Gruppe vollst¨andig beschrieben wird. Die Charaktere f¨ ur alle irreduziblen Darstellungen einer Punktgruppe fasst man in der sogenannte Charaktertafel zusammen. F¨ ur die einfacheren Gruppen und Symmetrieoperationen geben die Charaktere +1 bzw. −1 jeweils an, ob der Zustand unter dieser Symmetrieoperation sein Vorzeichen beibeh¨ alt oder ¨andert. Bei den entarteten Zust¨anden erkennt man das Ergebnis nicht auf einen Blick, da hierbei Linearkombinationen der verschiedenen entarteten Zust¨ande transformiert werden. Hier wollen wir Charaktertafeln lediglich an einem etwas komplexeren Beispiel illustrieren: an der vollst¨andigen Oktaedergruppe Oh . Sie spielt nicht nur in der Molek¨ ulphysik eine wichtige Rolle, sondern beschreibt z.B. auch die Struktur von Mischkristallen mit kubischem Gitter. Man denke sich, wie in Abb. 12.18 skizziert, ein zentrales Kation im Zentrum des Oktaeders positioniert, die Liganden an seinen 8-Ecken, d.h. im Zentrum der W¨ urfelfl¨achen. Die Charaktertafel der Oh -Gruppe, Tabelle 12.3, bildet eine 10 × 10 Abb. 12.18. Oktaeder in kubiMatrix. Links oben steht die Bezeichnung scher Umgebung der Punktgruppe, hier Oh , darunter in der ersten Spalte die Mulliken-Symbole f¨ ur die Repr¨asentationen Γi . In der ersten Reihe stehen die Symmetrieoperationen der Gruppe (die Zahlen davor geben die jeweilige Anzahl unterschiedlicher Drehungen bzw. Spiegelungen an). Hauptinhalt der Charaktertafeln sind die Charaktere der irreduziblen Darstellungen (d.h. der durch sie beschriebenen Molek¨ ulzust¨ande). Die Charaktere in der zweiten Spalte, welche sich auf den Einheitsoperator beziehen, geben die Entartung der Repr¨ asentationen an. Die Repr¨asentation A1g in der ersten Reihe steht f¨ ur eine totalsymmetrische Wellenfunktion, deren Charaktere alle +1 sind. Die beiden zus¨ atzlichen, letzten Spalten deuten außerdem an,

12.3 Symmetrien

115

Tabelle 12.3. Charaktertafel der Oh Punktgruppe b3 6C b2 6C b4 3C b20 ˆ 8C Oh E A1g A2g Eg T1g T2g A1u A2u Eu T1u T2u

ˆ4 8S ˆ6 3ˆ ˆ ı 6S σh 3ˆ σd

1 1 1 1 1 1 1 1 −1 −1 1 1 2 −1 0 0 2 2 3 0 −1 1 −1 3 3 0 1 −1 −1 3 1 1 1 1 1 −1 1 1 −1 −1 1 −1 2 −1 0 0 2 −2 3 0 -1 1 −1 −3 3 0 1 −1 −1 −3

1 1 1 1 x2 + y 2 + z 2 −1 1 1 −1 0 −1 2 0 (3z 2 − r2 , x2 − y 2 ) 1 0 −1 −1 (Rx , Ry , Rz ) −1 0 −1 1 (xy, yz, zx) −1 −1 −1 −1 1 −1 −1 1 0 1 −2 0 −1 0 1 1 (x, y, z) 1 0 1 −1

wie sich die Kartesischen Basisvektoren (x, y, z), die entsprechenden Rotationen (Rx , Ry , Rz ) und die in x, y, z bilinearen bzw. quadratischen Funktionen bei diesen Transformationen verhalten: sie werden den irreduziblen Repr¨asentationen zugeordnet, welche sich auf gleiche Weise transformieren. Aus der Zuordnung von x, y, z liest man zugleich die irreduzible Repr¨asentation des Dipoloperators ab: f¨ ur die Oh -Gruppe ist dies nach Tabelle 12.3 offensichtlich T1u . Diese Zuordnung wird sich in Kap. 15.4.2 als entscheidend bei der ¨ Diskussion von dipolinduzierten Uberg¨ angen erweisen. Das prominenteste Molek¨ ulbeispiel f¨ ur diese Gruppe ist das Schwefelhexafluorid, SF6 , bei welchem sechswertiger Schwefel jeweils ein Fluoratom bindet. Das Schwefelatom im Zentrum hat den gleichen Abstand R0 (SF) = 0.156 nm von allen 6 Fluoratomen in den Ecken des Oktaeders. Die totalsymmetrische Streckschwingung (gleiche Verl¨ angerung bzw. Verk¨ urzung aller S-F Abst¨ande) hat eine Eigenfrequenz ωe = 769 cm−1 (¨ahnlich wie Cl2 ). Ganz selbstverst¨andlich ist eine solche Geometrie nicht, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden. Sie basiert hier auf den voll gef¨ ullten Orbitalen. Die atomare Elektronenkonfiguration f¨ ur die Valenzelektronen von S ist 3s2 3p4 , die Elektronenkonfiguration (s. z.B. Tachikawa, 2002) des oktohedralen SF6 ist (1t2u )6 (5t1u )6 (1t2g )6 , insgesamt ein 1 A1g Zustand. Neben den 6 Valenzelektronen des Schwefels tragen also noch jeweils zwei Elektronen der Fluoratome (2s2 2p5 ) zu den insgesamt 16 Bindungen bei. Das SF6 wird technisch u.a. als Elektronenquencher eingesetzt, weil es ein zus¨atzliches Elektron binden kann (Elektronenaffinit¨ at zwischen 0.4 und 1.5 eV). Dieses f¨ ullt dann ein 6a1g -Orbital, das negative Ion SF− beh¨ a lt die oktaedrische Struktur, wird 6 aber etwas aufgeweitet (R0 (SF) = 0.1732 nm), und 2 A1g beschreibt den Gesamtzustand. aufig anzutreffende PunktgrupIn Abschn. 12.4.1 werden wir die sehr h¨ b2v am Beispiel des H2 O-Molek¨ pe C uls etwas n¨aher kennen lernen, bei der Behandlung des Benzols in Abschn. 12.6 werden die Orbitale im Rahmen der D6h -Gruppe zu klassifizieren sein, und in Kap. 15.6.2 wird uns D3h im Zusam-

116

12 Mehratomige Molek¨ ule

menhang mit der interessanten Spektroskopie des Na3 begegnen. Die Charaktertafeln aller in der Molek¨ ulphysik relevanten Symmetriegruppen sind z.B. in den zu Eingang dieses Abschnitts genannten B¨ uchern und Internetseiten gut dokumentiert. Dort findet man auch weitere n¨ utzliche Informationen: Korrelationstabellen erlauben beim Wechsel von einer zur anderen Symmetriegruppe (z.B. bei Erniedrigung der Symmetrie durch Verzerrung der Kernanordnung) die Zuordnung der irreduziblen Darstellungen in einer Symmetriegruppe zu ¨ der in einer anderen. Produkttabellen geben Ubersicht u upfung ¨ber die Verkn¨ verschiedener Symmetrieoperationen (Repr¨ asentationsprodukte) sowie u ¨ber¨ ¨ Dipol-erlaubte bzw. -verbotene Uberg¨ ange (Ubergangsprodukte). 12.3.4 Jahn-Teller-Effekt Im Kontext dieser Symmetriebetrachtungen sei auf einen wichtigen, bereits 1937 von Hermann Arthur Jahn und Edward Teller (JT) behandelten Effekt (JTE) hingewiesen. Das JT-Theorem besagt: Die Kernkonfiguration jedes nicht-linearen (mehr als zweiatomigen) Molek¨ ulsystems in einem entarteten elektronischen Zustand ist instabil in Bezug auf Kernbewegungen, welche die Symmetrie erniedrigen und die Entartung aufheben. Das bedeutet im Prinzip, dass Potenzialhyperfl¨achen von mehratomigen Molek¨ ulen im Minimum nicht entartet sein k¨ onnen. Aus heutiger Sicht ist das JT-Theorem etwas unklar, wenn nicht sogar unkorrekt formuliert. Der wesentliche Punkt ist, dass eine elektronische Entartung von Potenzialhyperfl¨achen, die im Rahmen der Born-Oppenheimer-N¨ aherung bestimmt wurde, zu einer Kopplung zwischen Kernkoordinaten und elektronischen Koordinaten f¨ uhrt (sogenannte vibronische Kopplung), die einer gesonderten Behandlung bedarf. Die Literatur hierzu ist umfangreich (s. z.B. Bersuker, 2001, und Zitate dort), und wir beschr¨anken uns hier auf eine kurze, einf¨ uhrende Skizze. Der JTE ist von sehr grunds¨ atzlicher Bedeutung, macht er doch die Grenzen der Born-Oppenheimer-N¨ aherung deutlich. Schon 1934 hatte R. Renner die Situation f¨ ur lineare, dreiatomige Molek¨ ule untersucht und fand, dass entartete elektronische Zust¨ ande bei der Biegeschwingungen aufspalten (heute spricht man vom Renner-Teller-Effekt, RTE). Ein verwandtes Verhalten hatten wir bereits bei zweiatomigen Molek¨ ulen als vermiedene Kreuzungen der Potenzialkurven von Zust¨ anden gleicher Symmetrie kennengelernt. Bei mehr als einem Freiheitsgrad sind solche Kreuzungen auf Fl¨achen reduzierter Dimensionalit¨at allerdings m¨ oglich. So k¨ onnen sich bei zwei relevanten Freiheitsgraden die entsprechenden Potenzialhyperfl¨achen in einem Punkt schneiden. Das f¨ uhrt zu sogenannten konischen Durchschneidungen, die uns sp¨ater, auch in Band 3, noch ¨ ofter begegnen werden. Diese entsprechen aber eben keinem Minimum adiabatischer Potenzialfl¨ achen, sondern sind bez¨ uglich der Kernkoordinaten instabil, wie es das JT-Theorem fordert. Solche vibronischen Kopplungen spielen auch dann eine Rolle, wenn elektronische Zust¨ande zwar

12.3 Symmetrien

117

nicht entartet sind, aber sehr dicht beieinander liegen. Man spricht dann vom Pseudo-Jahn-Teller-Effekt (PJTE ). Allen drei Effekten (RTE, JTE und PJTE) gemeinsam sind die vibronischen JT-Kopplungen, welche die BornOppenheimer-N¨aherung erg¨ anzungsbed¨ urftig machen. H¨aufig wird der Jahn-Teller-Effekt anhand der Stauchung bzw. Streckung von Molek¨ ulkomplexen mit gleichseitiger Oktaeder Geometrie Oh erl¨autert onnen bei Verbindungen von Metallatomen auf(s. Abschn. 12.3.3). Diese k¨ treten, die mehrere d-Elektronen besitzen, z.B. beim doppelt geladenen Kupferion (Cu2+ , Konfiguration 3d9 ), welches Komplexe vom Typ Cu(H2 O)2+ 6 bildet. Um die Verh¨ altnisse zu verstehen, ist es n¨ utzlich, sich an die Winkelabh¨angigkeit der d-Orbitale zu erinnern (Kap. 2 in Band 1). In der Atomphysik benutzt man in der Regel die komplexe Darstellung (Eigenfunktionen des Bahndrehimpulses mit den Quantenzahlen L und M ), gelegentlich auch die reelle, bei welcher L und |M | gute Quantenzahlen sind, die man aus Tabelle 2.1 ableitet und u ¨blicherweise mit dz2 , dxz , dyz ,dx2 −y2 und dxy bezeichnet (|M | = 0, 1, 1, 2 und 2): t2g :

xz r2  1 = 2 3z 2 − r2 2r

dxz =

dxy

dz 2

dx2 −y2

xy yz dyz = 2 r22 r x − y2 = r2 =

(12.36)

Alternativ und f¨ ur den oktaedrischen Fall symmetrieangepasst, kann man die beiden letzteren auch zusammenfassen als:  √  √ (12.37) eg : 2dz2 + dx2 −y2 / 5 und 2dz2 − dx2 −y2 / 5 So ergeben sich drei t2g - und zwei eg -Orbitale, die in Abb. 12.19 skizziert sind.4 Elektronen in eg -Orbitalen sind also kleeblattartig zu den 6 Liganden in den Ecken des Oktaeders hin ausgerichtet, w¨ ahrend die t2g -Orbitale (ebenfalls kleeblattartig) auf die 8 Kanten zeigen, also genau zwischen die Liganden. Geht man davon aus, dass die Liganden Anionen sind, so erwartet man f¨ ur eg Elektronen eine st¨ arkere Abstoßung als f¨ ur t2g -Elektronen. Daher spalten die im isotropen O(3)-Raum entarteten f¨ unf d-Niveaus auf in zwei h¨oher liegende eg - und drei tiefer liegende t2g -Niveaus, wie in Abb. 12.20 links dargestellt. Abbildung 12.20 illustriert dar¨ uber hinaus, wie im speziellen Fall eines Cu2+ -Ions im Zentrum die neun 3d-Elektronen auf die Orbitale zu verteilen sind (ein prominentes Beispiel ist der Cu(H2 O)2+ ur das 6 -Komplex). F¨ h¨oher liegende, zweifach entartete eg -Orbital sind dabei nur noch drei Elektronen verf¨ ugbar, wodurch sich ein Elektronenloch ergibt. Die drei Elektronen k¨onnen also mit ihrer Spinausrichtung auf zwei energetisch v¨ollig ullen (↑↓ + ↑ bzw. ↑ + ↑↓). Nach ¨aquivalente Weisen die beiden Suborbitale f¨ der St¨orungstheorie spalten solche Zust¨ ande in Anwesenheit eines geeigneten 4

Man beachte: Oh -Symmetrie (s. Tabelle 12.3) wird jeweils nur in Kombination der zwei eg - bzw. drei t2g -Orbitale realisiert. Mathematisch und zeichnerisch wird ahlt wurde. das etwas un¨ ubersichtlich, weshalb die Darstellung der Abb. 12.19 gew¨

118

12 Mehratomige Molek¨ ule Abb. 12.19. Winkelanteil der f¨ unf d-Orbitale in reeller, an die Oh -Symmetrie angepasster Darstellung. Aufgetragen sind die entsprechend dem Vorzeichen kolorierten Betr¨ age der Wellenfunktionen

Wechselwirkungspotenzials auf (hier die molekulare Umgebung). Im vorliegenden Fall geht die Oh -Symmetrie durch Stauchung oder Streckung des Oktaeder (je nach chemischer Umgebung) in D4h u ¨ber, wie in Abb. 12.20 rechts skizziert. Dabei korrelieren die eg -Orbitale mit a1g und b1g und die t2g -Orbitale mit b2g und zwei entarteten eg (jetzt bez¨ uglich der D4h -Gruppe). Bei der in Abb. 12.20 gezeigten Streckung liegt das a1g -Orbital um δ1 energetisch tiefer als b1g , und eg um δ2 unter b2g . Dabei gilt ∆  δ1 > δ2 . Bei einer Stauchung drehen sich die Orbitallagen gerade um. Wir haben es hier also mit einer speziellen Auspr¨agung des JTE zu tun: Aufspaltung und Symmetriever¨ anderung bei entarteten Zust¨anden. InterO(3)

Oh

D4h

z y

y

x Streckung

x

2 entartete Zustände 5 d-Orbitale (entartet) dz2 dx2-y2 dxy dxz dyz

eg

z

b1g(dx2-y2) a1g(dz2)



1



t2g

b2g (dxy) eg (dxz ,dyz)

}δ2

Abb. 12.20. Jahn-TellerEffekt bei Verbindungen des Cu2+ (Elektronenkonfiguration 3d9 ). W¨ urden die Orbitale eg und t2g der Oh -Gruppe (Mitte) mit diesen Elektronen gef¨ ullt, so erg¨ abe sich eine Spinverteilung wie durch die kleinen roten Pfeile angedeutet. Drei Elektronen in den eg -Orbitalen k¨ onnen aber auf zwei energetisch entartete Weisen untergebracht werden (angedeutet durch den gestrichelten Pfeilbogen). Daher kommt es zur Jahn-TellerAufspaltung mit Stauchung bzw. Streckung des Oktaeder (D4h -Gruppe)

12.4 Elektronische Zust¨ ande dreiatomiger Molek¨ ule

119

essanterweise zeigt der entsprechende Nickelkomplex Ni(H2 O)2+ keine JT6 Verschiebung: die Elektronenkonfiguration von Ni ist 3d8 , sodass die eg Orbitale mit nur zwei Elektronen zu f¨ ullen sind. Das wiederum ist nur auf eine Weise m¨oglich, folglich gibt es keine entarteten Zust¨ande und somit auch keinen JTE. Wir schließen diesen kurzen Exkurs zum Jahn-Teller-Effekt mit dem Hinweis, dass eine konsequente Behandlung der dabei auftretenden vibronischen Kopplung zwischen elektronischen und nuklearen Freiheitsgraden nicht im Rahmen der Born-Oppenheimer-N¨ aherung m¨ oglich ist. Wie bereits in Kap. 11 erl¨autert und in den nachfolgenden Abschnitten weiter ausgef¨ uhrt, berechnen die auf der BO-N¨aherung basierenden Standardmethoden der Quantenchemie die elektronische Struktur vielatomiger Molek¨ ule bei festgehaltenen Kernkoordinaten. Die Kerndynamik spielt sich auf den so ermittelten adiabatischen Potenzialhyperfl¨achen (APES, adiabatic Potenzial energy surfaces) ab. Dagegen k¨onnen vibronische JT-Kopplungen nicht einfach als kleine St¨orungen behandelt werden, auch wenn die Kernbewegung selbst klein sein mag. Vielmehr werden die APES, welche ja die Schwingungsfrequenzen und ihre Anharmonizit¨aten bestimmen, selbst durch die vibronische Kopplung mit anderen elektronischen Zust¨ anden kontrolliert (Bersuker, 2001). Wir werden in Kap. 15.6.2 und 17.4.3 auf vibronische Kopplungen noch ausf¨ uhrlich zur¨ uckkommen (dort auch nicht adiabatische Kopplungen genannt).

12.4 Elektronische Zust¨ ande dreiatomiger Moleku ¨ le Bei zweiatomigen Molek¨ ulen haben wir gelernt, dass eine Molek¨ ulbindung dann zustande kommt, wenn hinreichend viel Elektronendichte im Gebiet zwi¨ schen den Atomkernen vorhanden ist, also ein m¨oglichst großer Uberlapp zwischen den Atomorbitalen besteht. Diese Bedingung gilt nat¨ urlich auch f¨ ur mehratomige Molek¨ ule und bestimmt deren Geometrie. Wir k¨onnen also folgende Bindungsregel aufstellen: Eine Bindung zwischen zwei Atomen tritt in der Richtung auf, in der die atomaren Wellenfunktionen, welche die Molek¨ ulorbitale bilden, sich am st¨ arksten u ¨berlappen. Im Folgenden werden wir also versuchen, • •

aus bekannten atomaren bzw. molekularen Orbitalen Geometrien vorherzusagen oder aus beobachteten Geometrien auf die beteiligten Orbitale zu schließen.

12.4.1 Ein erstes Beispiel: H2 O Wir beginnen mit diesem auf den ersten Blick scheinbar einfachen und eminent wichtigen Beispiel, an dem man eine Menge Grunds¨atzliches u ¨ber mehratomige Molek¨ ule lernen kann. Das Rotations- und Schwingungsspektrum des H2 O-

120

12 Mehratomige Molek¨ ule

Molek¨ uls hatten wir ja bereits in Abschn. 12.1.4 und 12.2.4 als außerordentlich komplex kennengelernt. In kondensierter Phase weist Wasser denn auch 63 Anomalien seiner physikalischen Eigenschaften auf, die letztlich eine Folge der molekularen Struktur und Dynamik sind. F¨ ur eine umfassende Faktensammlung u ¨ber Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzust¨anden verweisen wir auf die gut gepflegte und breit angelegte Web-Seite von Chaplin (2008). Hier nur folgendes Zitat zur weiteren Motivation: Wasser ist der Hauptabsor” ber von Sonnenlicht. Die 13 000 Milliarden Tonnen Wasser in der Atmosph¨are beseitigen etwa 70% der Strahlung, haupts¨ achlich im infraroten Spektralbereich, wo Wasser starke Absorptionsbanden zeigt. Wasser tr¨agt wesentlich zum Treibhauseffekt bei, der sicher stellt, dass unser Planet bewohnbar ist. Es sorgt dabei auch f¨ ur eine negative R¨ uckkopplung durch Wolkenbildung, welche die globale Erw¨ armung d¨ ampft“. Der Treibhauseffekt ist also keineswegs ein durchweg negatives Ph¨ anomen, wie man angesichts der aktuellen, onnte. Es kommt einfach auf die optimale ¨offentlichen Diskussion meinen k¨ Balance an, welche die Natur in unserer Atmosph¨are eingestellt hat, und an welcher der Mensch m¨ oglichst wenig ¨ andern sollte! Zur¨ uck zum isolierten H2 O-Molek¨ ul. Koordinatendefinition, Geometrie und Symmetrie sind in Abb. 12.21 illustriert. Auch die Richtung des permanenten Dipolmoments (Vektor D) des Wassermolek¨ uls entlang der Symmetrieachse ist angedeutet. Mit |D| = 2.35 D = 7.84 × 10−30 C m = 0.489 e0 ˚ A ist es recht groß (vergleiche Tabelle 11.2 auf S. 14), was seiner elektronischen Konfiguration geschuldet ist. Abb. 12.21. Geometrie und Symmetrie beim H2 O-Molek¨ ul. Links die Definition der Molek¨ ulparameter, rechts die der Koordinaten und Symmetrieb2v Punktgruppe (in operationen der C der Literatur findet man manchmal auch x und y vertauscht). D deutet das permanente Dipolmoment des H2 O-Molek¨ uls an

Wir nutzen die Gelegenheit, um unsere kleine Einf¨ uhrung in die Symmetriegruppen (Abschn. 12.3) etwas zu vertiefen. H2 O geh¨ort zur Punktgruppe C2v , deren Symmetrieoperationen rechts in Abb. 12.21 angedeutet sind: eine b2 , und Drehung um die zweiz¨ ahlige Molek¨ ulachse z, charakterisiert durch C je eine Spiegelung in Bezug auf die xz-Ebene und die yz-Ebene, charakterisiert durch σ ˆv (xz) bzw. σ ˆv0 (yz). Tabelle 12.4 stellt die C2v -Charaktertafel vor, die hier eine 4 × 4 Matrix ist, entsprechend den vier m¨oglichen Symˆ (erste Reihe). Die Bemetrieoperationen einschließlich Einheitsoperator E nennung der irreduziblen Repr¨ asentationen der Gruppe (erste Spalte), d.h.

12.4 Elektronische Zust¨ ande dreiatomiger Molek¨ ule

121

Tabelle 12.4. Charaktertafel f¨ ur die Punktgruppe C2v und Basisfunktionen bC b2 σ C2v E ˆ v (xz) σ ˆ v0 (yz) A1 A2 B1 B2

1 1 1 1 1 −1 1 −1

1 −1 1 −1

1 −1 −1 1

z x2 , y2 , z 2 Rz xy x, Ry xz y, Rx yz

der m¨oglichen Gesamtzust¨ ande, Orbitale oder Schwingungen, folgt dem in Abschn. 12.3 erl¨auterten Schema. Die Zust¨ ande ¨andern entsprechend der Tabelle ihr Vorzeichen oder nicht, wenn die Symmetrieoperationen auf sie angewandt werden. Die beiden letzten Spalten enthalten die sogenannten Basisfunktionen: das sind lineare bzw. quadratische Kombinationen von x, y, z oder auch die axialen Vektoren Rx , Ry und Rz in die jeweiligen Richtungen: polare wie axiale Vektoren ¨ andern sich nicht unter der jeweiligen Drehung. Inversion dagegen ¨andert das Vorzeichen der polaren Vektoren, nicht aber das der axialen. Um die Bildung der molekularen Orbitale zu verstehen, erinnern wir uns daran, dass das Sauerstoffatom (s. Kap. 10 in Band 1) die Elektronenkon2 2 4 figuration (1s) (2s) (2p) hat. Die 1s- und 2s-Schale sind abgeschlossen und nehmen nicht bzw. nur wenig (2s) an der Bindung teil. Im Koordinatensystem nach Abb. 12.21 sind von den 4 Elektronen in der 2p-Schale zwei mit entgegengesetztem Spin im 2px -Zustand und je eines mit gleichem Spin im 2py - bzw. 2pz -Zustand. Die beiden letzteren sind ungepaart und k¨onnen daher mit je einem Wasserstoffatom im 1s-Orbital eine Bindung eingehen. Dies f¨ uhrt zu den in Abb. 12.22 gezeigten sp-Hybridorbitalen, wie wir sie schon in Kap. 11.7.3 beim LiH kennengelernt hatten. Die beiden hier maßgeblichen Orbitale kann man als (1s+2pz ) bzw. (1s +2py ) schreiben. Im molekularen Koordinatensystem nach Abb. 12.21 entspr¨ ache dies nach Tabelle 12.4 einem a1 -Orbital, was in dieser reinen Form zu einem Bindungswinkel von 90◦ f¨ uhren w¨ urde. In der Tat tr¨agt ein Orbital dieses Typs erheblich zur H2 O-Bindung bei. Allerdings ist das Schema doch sehr grob vereinfachend, denn wir haben z.B. den gleichen Ursprung f¨ ur die 1s- und 2p-Orbitale angenommen. Experimentell beobachtet wird ein H-O-H Winkel von 104.474◦ , was die lediglich schematische Aussage von Abb. 12.22 unterstreicht. Wie bereits in Abschn. 12.1.4 berichtet, ist die experimentell bestimmte Bindungsl¨ ange ROH = 0.95718 ˚ A. Der Ursprung der H-1s-Orbitale ist also deutlich verschieden von dem der O-2p-Orbitale. Abb. 12.22. Entstehung von zwei bindenden spHybridorbitalen beim H2 O – sehr schematisch

122

12 Mehratomige Molek¨ ule

Außerdem ist auch die Abstoßung der Protonen zu ber¨ ucksichtigen, sowie die Beimischung weiterer Orbitale. In Abb. 12.23 ist skizziert, wie die MOs aus den Atomorbitalen aufgebaut werden, wobei die MO-Bezeichnung a1 , b1 , b2 auf die Elemente der Charaktertafel Tabelle 12.4 auf der vorherigen Seite Bezug nimmt. Schematisch zeigt Abb. 12.23 rechts auch, wie die Elektronendichteverteilung der besetzten Orbitale und einige unbesetzte Valenz-Orbitale aussieht. Die Energien W der besetzten Orbitale sind in Abb. 12.23 maßst¨ ablich gezeichnet.5 Es ist interessant zu notieren, dass diese Bindungsenergien der Elektronen im freien Molek¨ ul n¨aherungsweise auch in der fl¨ ussigen Phase gelten – wegen der sich um jedes Molek¨ ul herum bildenden Solvath¨ ulle sind sie lediglich um etwa 1.5 bis 2 eV kleiner (s. z. B. Winter et al., 2004, 2007). Die Bindungsenergien der

Abb. 12.23. Entstehung der tiefsten MOs des Wassermolek¨ uls aus den AOs von O und H (links). Schematische Ladungsverteilung dieser MOs (C2v -Geometrie) nach Chaplin (2008). Man beachte: f¨ ur die 1b1 - und 3a1 -Orbitale ist die Papierebene die xz-Ebene, f¨ ur alle anderen Orbitale aber die yz-Ebene 5

Aus Photoionisationsenergien in der Gasphase bestimmt wurden folgende Bindungsenergien −W = 539.9 eV (1a1 ), 32.6 eV (2a1 ), 18.8 eV (1b2 ), 14.89 eV (3a1 ) und 12.6 eV (1b1 ). Nach Koopman’s Theorem sollten diese Werte den Orbitalenergien entsprechen.

12.4 Elektronische Zust¨ ande dreiatomiger Molek¨ ule

123

unbesetzten H¨ ullenorbitale werden in Hartree-Fock-N¨aherung angegeben.6 Die Konfiguration von H2 O im elektronischen Grundzustand ist demnach b2v . (1a1 )2 (2a1 )2 (1b2 )2 (3a1 )2 (1b1 )2 in der Terminologie der Symmetriegruppe C Alle Orbitale sind mit je zwei Elektronen besetzt, sind also spinabges¨attigt. Nach der eingangs formulierten Bindungsregel sind die Orbitale 2a1 , 1b2 und 3a1 bindend. Das innere Orbital 1a1 bleibt unbeteiligt. Das gilt aber auch f¨ ur das Valenzorbital 1b1 (das HOMO), welches ebenfalls mit zwei Elektronen 2 besetzt ist und mit den (spinabges¨ attigten) Orbitalen (2px ) des O-Atoms (px in der Geometrie von Abb. 12.21 auf S. 120) korreliert. In diesem sim2 plen Modell bilden die (1b1 ) -Elektronen also ein lone pair“ (s. auch Kap. ” 11.7.4). Detaillierte quantenchemische Rechnungen zeigen allerdings eine eher glatte Elektronendichteverteilung beim isolierten Wassermolek¨ ul und lassen das lone pair“ nicht erkennen. F¨ ur die Eigenschaften des Wassermolek¨ uls, ” vor allem auch f¨ ur die Struktur des fl¨ ussigen Wassers, sind sie jedoch von erheblicher Bedeutung und erm¨ oglichen z.B. eine tetraedrische Koordination des Wassermolek¨ uls in Solvath¨ ullen wie auch im fl¨ ussigen Wasser.

W I = 12.6 eV 12 11

~ D

Energie / eV

10

~ B

9 8

~ C

~ F ~ ~ E' D''

~ A

7

~ ~ E' 1A' D'' 1A'' ~ ~1 C 1A'' F A' ~ D 1A'

2 1A1 ~1 B A2 ~ A 1B1

6 5

~ 1 D'' A2 ~ 1 D A ~1 ~1 1 F A1 C B1 ~ E' 1B2

~ B 1A''

2 1A'

~ A 1A'' asymmetrisch (Cs)

symmetrisch (C2υ) 0

1

2 3 σ / 10-17cm-1

2

3 4 R(O-H1,2) / a0

2

3 4 R(O-H1) / a0

5

Abb. 12.24. Links: Photoabsorptionsspektrum des H2 O-Molek¨ uls. Die Energie des Photons ist als Ordinate, der Absorptionsquerschnitt σ als Abszisse aufgetragen, um direkt mit den Energien der Potenzialdiagramme vergleichen zu k¨ onnen. Mitte: b2v -Symmetrie (beide OH-Bindungen werden Schnitt durch die Potenzialfl¨ ache in C bs -Symmetrie (nur eine OH-Bindung wird gestreckt). Die Potengestreckt). Rechts: C ziale sind nach Rechnungen von van Harrevelt und van Hemert (2000) gezeichnet. Wir haben die dort ver¨ offentlichten Werte allerdings so skaliert, dass die experimentell beobachteten Spektren energetisch mit den Potenzialen u ¨bereinstimmen

6

nach Chaplin (2008): 6 eV (4a1 ), 8 eV (2b2 ) und 28 eV (3b2 ).

124

12 Mehratomige Molek¨ ule

F¨ ur die Spektroskopie des freien Wassermolek¨ uls (in der Gasphase) muss man nat¨ urlich die Gesamtenergien kennen, die – wie wir schon von den Atomen wissen – ja nur mittelbar mit den Orbitalenergien zusammenh¨angen. Die elektronische Gesamtwellenfunktion ergibt sich wieder als Linearkombination der Produkte der Elektronenorbitale. Sie muss ebenfalls den Symmetriebeb2v gen¨ ziehungen f¨ ur die Punktgruppe C ugen und wird mit Großbuchstaben ˜ 1 A1 gekennzeichnet. Der Grundzustand des H2 O ist ein totalsymmetrischer X Singulett-Zustand. Auch hier schreibt man links oben wieder die Multiplizit¨at ˜ ist – wie bei den zweiatomi(2S + 1), wobei S der Gesamtspin ist, und X gen Molek¨ ulen – eine spektroskopische Abk¨ urzung f¨ ur den Grundzustand (die Tilde setzt man zur Unterscheidung von den zweiatomigen Molek¨ ulen). Wenn man die elektronischen Struktur solcher mehratomigen Molek¨ ule, insbesondere die angeregten Zust¨ ande verstehen will, muss man sich vergegenw¨artigen, dass die elektronischen Energien Wγ (R) jetzt von mehr als einem Parameter R abh¨ angen. Man hat es nicht mehr mit Potenzialkurven sondern mit Potenzialhyperfl¨ achen zu tun, auf denen auch die Kernbewegung ¨ abl¨auft. Ublicherweise stellt man Potenzialfl¨ achen als Schnitte entlang einer relevanten Koordinate oder als zweidimensionale H¨ohenlinienbilder in zwei Koordinaten dar. F¨ ur das freie Wassermolek¨ ul zeigen wir in Abb. 12.24 links ˜ 1 A1 ein Absorptionsspektrum im UV- und VUV-Spektralbereich aus dem X ˜ ˜ Grundzustand in die angeregten Zust¨ ande A, B etc. Daneben – energetisch ur Schnitte durch die direkt vergleichbar – zeigt Abb. 12.24 zwei Beispiele f¨ Potenzialhyperfl¨ache des H2 O, welche die Komplexit¨at des Problems veranschaulichen: in beiden F¨ allen ist das Potenzial entlang der ROH -Koordinate b2v -Symmetrie erhalten, d.h. beide gezeigt. Einmal jedoch (Mitte) bleibt die C OH-Bindungen werden symmetrisch aufgeweitet (Mitte), w¨ahrend im zweiten Falle (rechts) nur eine Bindung aufgeweitet wird, d.h. die Symmetrie wird gebrochen, und es bleibt nur noch die Reflexionssymmetrie σ ˆv0 (zy) bez¨ uglich der zy-Ebene. Wir lernen wieder ein St¨ uckchen Gruppentheorie: Diese Punktbs hat nur zwei Elemente: A0 , wenn das Vorzeichen unter Reflexion an gruppe C der Molek¨ ulebene erhalten bleibt, und A00 , wenn es sich a¨ndert. Der Vergleich b2v (Tabelle 12.4 auf S. 121) zeigt, dass A1 und B2 mit der Charaktertafel f¨ ur C bei der Symmetriebrechung in A0 u ¨bergehen, A2 und B1 in A00 . Wir sehen den dramatischen Unterschied zwischen symmetrischer und asymmetrischer Streckung: w¨ ahrend im ersteren Falle der A˜ 1 B1 -Zustand gebunden zu sein scheint, offenbart die zweite Geometrie, dass er in Wahrheit bs -Symmetrie ist A˜ 1 A00 stark repulsiv. Dies rasch dissoziieren kann, denn in C spiegelt sich direkt im Absorptionsspektrum wider (links in Abb. 12.24): die ˜ zum A-Zustand ˜ ¨ Absorptionsbande f¨ ur den Ubergang vom Xist breit und ˜ unstrukturiert, es gibt also wegen der kurzen Lebensdauer des A-Zustands keine scharfen Energien, die man Schwingungen zuordnen k¨onnte. Dagegen sind von den h¨oher angeregten elektronischen Zust¨anden offenbar einige gegen¨ uber beiden Verformungen bindend (es gibt je ein Energieminimum), und folglich ist das Absorptionsspektrum zunehmend sch¨arfer strukturiert. Wegen der sehr großen Zahl dicht liegender Rotations- und Vibrationszust¨ande

12.5 Hybridisierung

125

werden aber stets mehr oder weniger breite Banden beobachtet, die sich nur partiell aufl¨osen lassen. 12.4.2 Ammoniak, NH3 und Methan, CH4 Die Orbitalbildung beim Ammoniak, NH3 , geschieht in a¨hnlicher Weise: Hier sind alle drei Zust¨ ande 2px , 2py und 2pz ungepaart, der Bindungswinkel sollte in unserem einfachen Hybridmodell, bei welchem wir ein H(1s)-Orbital mit je einem dieser Orbitale kombinieren, ebenfalls wieder 90◦ betragen. Beobachtet werden aber 106.7◦ . Eine schematische, aber realistischere Darstellung der beteiligten Orbitale NH3 zeigt Abb. 12.25. N H H H

106.7o

Abb. 12.25. Geometrie und Elektronendichte im elektronischen Grundzustand des NH3 . Man erkennt deutlich den Ursprung der bindenden Orbitale aus den hybridisierten spx,y,z Orbitalen

106.7o

¨ Ahnlich ist die Situation beim Methan. CH4 bildet einen Tetraeder mit 4 gleichwertigen CH-Bindungen, wobei der Bindungswinkel 109.47◦ betr¨agt. 2 2 Das Kohlenstoff-Atom mit der Elektronen-Konfiguration (1s) (2s) (2px ) (2py ) sollte daher nur zwei Bindungen eingehen. Wir sehen, dass das einfache Bild der Atomorbitale nicht richtig sein kann. Im n¨achsten Abschnitt wollen wir die dabei auftretende Hybridisierung an dem besonders wichtigen Beispiel des C-Atoms ausf¨ uhrlicher besprechen.

12.5 Hybridisierung 12.5.1 Bildung der sp3 -Orbitale Das Konzept geht auf Linus Pauling (1931) zur¨ uck, der 1954 daf¨ ur den Nobelpreis erhielt. Es bildet letztlich die Grundlage f¨ ur ein theoretisches Verst¨andnis der gesamten organischen Chemie. Dabei werden ggf. auch mehr als zwei Atomorbitale kombiniert, und auch angeregte Orbitale k¨onnen an der Bindung beteiligt sein. Beim C-Atom muss hierzu z.B. ein 2s-Elektron in das leere 2pz -Orbital gebracht werden: 2

C-Atom: (2s) (2px ) (2py ) → (2s ↑) (2px ↑) (2py ↑) (2pz ↑) Diese Reorganisation innerhalb des Atoms kostet Energie, die allerdings durch die starke Bindungsenergie kompensiert wird, wie in Abb. 12.26 illustriert.

126

12 Mehratomige Molek¨ ule

4 H(1s) + C(sp3) 5S 8.56 eV

- 25.31eV

Abb. 12.26. Energieverh¨ altnisse bei der sp3 Hybridisierung der Kohlenstoff AOs zur Erkl¨ arung der Kohlenstoffchemie am Beispiel CH4

4 H(1s) + C(2s)²(2px)(2py) 3P0 CH4

Damit sind im Prinzip vier Bindungen realisierbar: drei durch die 2px -, 2py - und 2pz Orbitale in x-, y- und z-Richtung und eine durch das 2s-Orbital. Wie in Abb. 12.27 gezeigt, w¨ aren diese vier Bindungen aber ganz offensichtlich nicht gleichwertig (dreimal pσartig und einmal sσ). Auch w¨ urden sie zu einem Bindungswinkel von 90◦ f¨ uhren und Abb. 12.27. Orbitale ◦ nicht zu den beobachteten 109.47 beim Medes C-Atoms than und anderen Kohlenwasserstoffen. Durch sogenannte Hybrid-Atomorbitale, also durch lineare Kombination dieser Orbitale kann man aber andere Geometrien realisieren. Bei der sp3 Hybridisierung werden die 2s- und 2p-Orbitale im Verh¨altnis 1 : 3 gemischt: 1 |1i = √ [|2si − |2px i + |2py i + |2pz i] 4 1 |2i = √ [|2si − |2px i − |2py i − |2pz i] 4 1 |3i = √ [|2si + |2px i − |2py i + |2pz i] 4 1 |4i = √ [|2si + |2px i + |2py i − |2pz i] 4

(12.38)

Diese vier neuen, ¨ aquivalenten Hybridorbitale (AOs) in Abb. 12.28 sind insofern gleichwertig, als jeweils alle vier urspr¨ unglichen Atomorbitale mit gleichem Gewicht beitragen. Andere Linearkombinationen sind ebenfalls m¨oglich. Man u ahlten orthonormiert sind und – ¨berzeugt sich leicht, dass die hier gew¨ wie in Abb. 12.29 illustriert – einen Tetraeder aufspannen. Die p-Anteile der √ sp3 -Hybride (|jip = |ji − |2si / 4 mit j = 1, 2, 3) bestimmen die Richtung. Da die so definierten |jip reell sind, kann man sie wie Vektoren behandeln. So berechnet man z.B. den Winkel zwischen |1i und |2i (den Tetraederwinkel) aus dem Skalarprodukt: q q cos θ = h1 |2ip / h1 |1ip h2 |2ip = −1/3 =⇒ |θ| = 109.47◦ (12.39)

12.5 Hybridisierung

1

3

z

z y

x

2

4

z

z y

x

y

x

y

x

Abb. 12.28. Die vier atomaren sp3 Hybridorbitale (AOs) nach (12.38). Aufgetragen ist hier wie auch in Abb. 12.27 der Winkelanteil des Betrags der Wellenfunktion

127

Abb. 12.29. Kombination der vier sp3 -Hybridorbitale nach (12.38) zu einem Tetraeder. Zur Illustration ist hier die Quadratsumme der vier Ladungsverteilungen skizziert

Zur Beschreibung einer Molek¨ ulbindung sind die vier Hybridorbitale (12.38) wie gewohnt mit geeigneten Orbitalen der Nachbaratome zu u ¨berlagern. W¨ urde man lediglich ihre Betragsquadrate addieren, so erg¨abe sich eine ku¨ gelsymmetrische Ladungsverteilung. Uberh¨ oht man sie aber in ihren jeweiligen Richtungen, so l¨ asst sich daraus der erwartete Tetraeder bilden, wie in Abb. 12.29 gezeigt. Generell findet man, dass die Ladungsverteilungen in der Realit¨at viel glatter sind, als es die prototypischen, in der Chemie benutzten Sinnbilder es suggerieren (so etwa in der Skizze f¨ ur Ammoniak in Abb. 12.25).

12.5.2 σ-Bindung Zur Beschreibung des CH4 muss man also das hybridisierte Kohlenstoffatom mit vier Wasserstoffatomen zusammenf¨ uhren und aus den hybridisierten Cund den H(1s)-Atomorbitalen vier Molek¨ ulorbitale (MOs) bilden: |σ1 i = C [a |1si1 + b |1i] |σ2 i = C [a |1si2 + b |2i] |σ3 i = C [a |1si3 + b |3i] |σ4 i = C [a |1si4 + b |4i] √ Dabei ist |1sij das 1s-Orbital des j-ten H-Atoms und C = 1/ a2 + 2abS + b2 ¨ die Normierungskonstante mit dem Uberlappintegral S (s. Kap. 11.5). Wegen ¨ der Ahnlichkeit mit den σ-Orbitalen zweiatomiger Molek¨ ule nennt man diesen Bindungstyp σ-Bindung. Auch diese σ-MOs k¨onnen wieder mit je zwei Elektronen gef¨ ullt werden, im vorliegenden Fall also mit vier Elektronen vom

128

12 Mehratomige Molek¨ ule

C-Atom und je einem von den vier H-Atomen. Wir erhalten damit das Tetraeder f¨ormige Methan-Molek¨ ul, wie es schematisch in Abb. 12.30 skizziert ist.7

Abb. 12.30. Die vier jeweils mit zwei Elektronen besetzten σ-MOs beim Methan, CH4

H

109.5o

109.5o

C

H

H

109.5o

H

109.5o

Auch bei den Kohlenstoffketten mit Einfachbindungen spielen σ-Bindungen ¨ eine wesentliche Rolle. Die Kohlenstoffatome werden durch den Uberlapp 3 zweier sp -Hybrid-Wellenfunktionen zusammengehalten, welche die σ-Orbitale bilden. Dies ist, wiederum sehr schematisch, in Abb. 12.31 f¨ ur das Beispiel ¨ Athan (C2 H6 ) skizziert. H CH H

H H C H C(sp3)

C(sp3)

H

H

H CH H

Abb. 12.31. σ-Bindung im ¨ Athan

Bindung

H 109.6o C C 154 pm

H

H HC H

H

H

12.5.3 Doppelbindung Ebene Molek¨ ule mit einer C C-Doppelbindung erkl¨art man durch sp2 Hybrid-Atomorbitale, die aus den 2s-, 2pz - und 2py -Orbitalen gebildet werden. 7

Die dabei meist gezeigten, typischen W¨ urste“ entsprechen nicht der realen La” dungsverteilung der Orbitale. Diese ist wesentlich glatter und l¨ asst die Richtungscharakteristik der Bindungen in der Regel nur andeutungsweise erkennen

12.5 Hybridisierung

129

Legen wir die z-Achse parallel zu Molek¨ ulachse (und damit zur Doppelbindung), dann ergeben sich die drei sp2 -AOs als: p 2  √  sp σ1 = 1/ 3 |2si + 2/3 |2pz i  √  p 2  √  sp σ2 = 1/ 3 |2si − 1/6 |2pz i + 1/ 2 |2py i (12.40)     p √ √ 2 sp σ3 = 1/ 3 |2si − 1/6 |2pz i − 1/ 2 |2py i Auch diese haben σ-Charakter. Den Winkel zwischen diesen sp2 σ-AOs beAbb. 12.32. Bildung der sp2 Hybrid-Atomorbitale nach (12.40)

rechnet ¨ahnlich wie bei den sp 3 σ-AOs. zu (12.39) ergibt sich aus den Analog sp2 σ1 und sp2 σ2 f¨ p-Anteilen der Orbitale u r cos θ = −1/2, d.h. |θ| = 120◦ . 2 Die drei sp σj -Orbitale sind also in der yz-Ebene in einem gleichseitigen Dreieck angeordnet. Das vierte Orbital ist ein px -Orbital, welches senkrecht zur yz-Ebene steht, wie in Abb. 12.32 illustriert. Man beachte, dass die Wellenfunktionen des px -Orbitals negative Reflexionssymmetrie gegen¨ uber Spiegelung an der yz-Ebene hat. ¨ Im Athylen, C2 H4 , bilden die drei sp2 -Hybridorbitale jedes Kohlenstoffatoms insgesamt drei σ-Bindungen (zwei zu je einem H-Atom und eine zum jeweils anderen C-Atom). Es bleibt je ein 2px -Elektron u ¨brig. Diese beiden Orbitale bilden zusammen eine zus¨ atzliche Bindung, deren Elektronenverteilung senkrecht zur yz-Ebene, also zur der σ-Bindung ausgerichtet ist, wie dies in Abb. 12.32 illustriert ist. Man spricht – wieder in Anlehnung an den zweiatomigen Fall – von einer π-Bindung. Aus der Geometrie dieser Orbitale b2v -Symmetrie des ist unmittelbar einsichtig, dass die Doppelbindung eine C Molek¨ uls bewirkt, bei der alle vier H-Atome in einer Ebene liegen. Nach Ta¨ belle 12.4 auf S. 121 hat der hier beschriebene Grundzustand des Athylens offensichtlich B2 -Charakter. 12.5.4 Dreifachbindung Schließlich ist noch der dritte wichtige Typ der Hybridisierung beim Kohlenstoffatom zu diskutieren: das sp-Hybrid, das f¨ ur alle Dreifachbindungen

130

12 Mehratomige Molek¨ ule

–Bindung

C H

Abb. 12.33. Die Doppelbin¨ dung bei Athylen: eine σ- und eine π-Bindung.

y

C H

H –Bindung

ben¨otigt wird. Das einfachste Beispiel ist das Azetylen, C2 H2 , ein lineares Molek¨ ul. Das sp-Hybridorbital wird aus 2s- und 2pz -Orbitalen gebildet: √ |spσ1 i = [|2si + |2pz i] / 2 (12.41) √ |spσ2 i = [|2si − |2pz i] / 2 Die beiden Orbitale zeigen in +z bzw. −z Richtung. Zusammen mit den entsprechenden AOs der Nachbaratome ergibt sich also je Nachbar ein bindendes σ-Orbital (sowie ein antibindendes σ ∗ -Orbital, welches ggf. zu h¨oher angeregten Zust¨anden beitragen kann). Abb. 12.34. Dreifachbindung des Azetylens. Oben: getrennte Atome mit spHybriden, und px - bzw. py AOs am C, sowie H(1s)Orbitale. Unten: gebundenes Molek¨ ul mit σ- und π-MOs. Die rot schraffierten Bereiche der π-MOs deuten unterschiedliches Vorzeichen der Wellenfunktion an

Die beiden anderen Elektronen – im 2px - bzw. 2py -Orbital – bilden gemeinsam mit einem benachbarten C-Atom zwei zus¨atzliche π-Bindungen. Insgesamt wird so eine Dreifachbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen m¨oglich, wie in Abb. 12.34 f¨ ur das Beispiel Azetylen skizziert. Die σπ-Doppel- bzw. Dreifachbindung besitzt eine gewisse Starrheit, welche eine Drehung um die C = C-Achse erschwert. Im Gegensatz dazu ist die Barriere f¨ ur Drehung bei einer σ-Einfachbindung gering. Dieser Unterschied hat einen wichtigen Einfluss auf die molekularen Eigenschaften vieler organischer Molek¨ ule, z.B. bei der cis-trans Isomerisierung.

12.6 Konjugierte Molek¨ ule und H¨ uckel-Methode

131

Auch bei den zu Anfang dieses Kapitels diskutierten Molek¨ ulen H2 O und NH3 spielt die Hybridisierung eine wichtige Rolle um die Bindungswinkel von 104.5◦ und 106.7◦ zu erkl¨ aren. Im Gegensatz zum C-Atom sind beim N- und O-Atom die drei 2px,y,z -Orbitale bereits besetzt und m¨ ussen nicht durch Anregung aktiviert werden.

12.6 Konjugierte Moleku ¨le und Hu ¨ ckel-Methode Die Klasse der konjugierten organischen Molek¨ ule besteht aus einer Kette von Kohlenstoffatomen, die untereinander durch die (in einer Ebene liegenden) σ-Bindungen mit sp2 -Hybridorbitalen und π-Bindungen des dazu senkrechten 2p-Orbitals gebunden sind. Beispiele hierf¨ ur sind das Butadien, C4 H6 , oder das zyklische Benzol, C6 H6 . Das Grundger¨ ust dieser Molek¨ ule wird durch die Eigenschaften der sp2 -Hybridorbitale bestimmt (z.B. 120◦ Bindungswinkel). Die zus¨ atzlichen π-Bindungen sind in den konjugierten System delokalisiert. Die naive Annahme (durch die g¨angige chemische Schreibweise suggeriert), dass die σπ-Doppelbindungen zwischen beC C C C stimmte C-Atompaare geklemmt seien, ist nicht richtig! Speziell beim Benzol, in Abb. 12.35 gezeigt, sind die 6 C-Atome v¨ ollig ¨aquivalent. Die π-Bindungselektronen k¨onnen sich mehr oder weniger frei zwischen den C-Atomen bewegen und sind nicht in bestimmten Gebieten des Molek¨ uls lokalisiert, wie das bei den Elektronen einer σ-Bindung der Fall ist. Dies gilt zumindest im energetisch tiefsten MO, wie wir im n¨ achsten Abschnitt diskutieren werden. Das Benzol geh¨ ort zur Symmetriegruppe D6h . Die Hauptsymmetrieachse b6 ) steht senkrecht auf der Ringebene, einige C b2 -Achsen sind in Abb. 12.35 z (C angedeutet. Laut Charaktertafel Tabelle 12.5 besitzt die D6h -Gruppe insgesamt 11 Symmetrieoperationen (neben dem Einheitsoperator). Man u ¨berzeugt –Bindung

C6 H

H

C

C

C

C

C

C

H C2

H C2

–Bindung C C C

C C

C

H H

C2

Abb. 12.35. MOs beim Benzol (symmetrischer 6erRing, Symmetriegruppe D6h ). Oben: die Struktur wird durch die 18 σsp2 -Orbitale definiert (6 f¨ ur die H-Bindung, und 12 f¨ ur die σ-σ-Bindung). Unten: hinzu kommen 6 πpz -Orbitale, welche in der energetisch niedrigsten Konfiguration frei beweglich sind

132

12 Mehratomige Molek¨ ule

Tabelle 12.5. Charaktertafel f¨ ur die Punktgruppe D6h und Basisfunktionen b 2C b 2 3C b 6 2C b3 C b 02 3C b 00 D6h E 2 A1g A2g B1g B2g E1g E2g A1u A2u B1u B2u E1u E2u

1 1 1 1 2 2 1 1 1 1 2 2

1 1 −1 −1 1 −1 1 1 −1 −1 1 −1

1 1 1 1 −1 −1 1 1 1 1 −1 −1

1 1 −1 −1 −2 2 1 1 −1 −1 −2 2

1 −1 1 −1 0 0 1 −1 1 −1 0 0

ˆ ˆ3 2S ˆ6 σ ˆ h 3ˆ σ d 3ˆ σv i 2S

1 1 −1 1 −1 1 1 1 0 2 0 2 1 −1 −1 −1 −1 −1 1 −1 0 −2 0 −2

1 1 −1 −1 1 −1 −1 −1 1 1 −1 1

1 1 1 1 −1 −1 −1 −1 −1 −1 1 1

1 1 −1 −1 −2 2 −1 −1 1 1 2 −2

1 −1 1 −1 0 0 −1 1 −1 1 0 0

1 x2 + y 2 , z 2 −1 Rz −1 1 0 (Rx , Ry ) (yz, zx)  2 0 x − y 2 , xy −1 z 1 1 −1 0 (x, y) 0

sich leicht, dass die π-Elektronenkonfiguration in Benzol (Abb. 12.35 unten) den Charakter a2u hat: keine Vorzeichen¨anderung bei Drehungen um b6 , C b3 , C b2 ), ebenso wie bei Spiegelungen an Ebenen durch die Hauptachse (C die Hauptachse (ˆ σd , σ ˆv ); alle Operationen, die Oben und Unten irgendwie vertauschen, ¨andern das Vorzeichen. Die σ-Orbitale (Abb. 12.35 oben) sind insgesamt totalsymmetrisch (a1g ), die Elektronen sind spinabges¨attigt. Daher wird der Grundzustand des Benzols insgesamt 1 A2u . Zur Berechnung der Bindungsenergien und Verteilung der 2pz -Elektronen in konjugierten Molek¨ ulen benutzt man h¨ aufig eine von Ernst H¨ uckel schon 1931 entwickelte Methode, die letztlich eine Anwendung der f¨ ur H+ 2 benutuckelzen Variationsrechnung darstellt (siehe Kap. 11.5.1). Wir wollen die H¨ Methode am Beispiel des Benzols illustrieren und konzentrieren uns dabei auf die π-Orbitale der 6 Kohlenstoffatome. Das ist zwar recht simpel, gibt aber dennoch brauchbare Resultate zur Einsch¨ atzung der elektronischen Struktur. Wie gerade diskutiert, haben die σ-Bindungen in diesem planaren Molek¨ ul eine andere Symmetrie als die π-Bindungen. Daher kann man die entsprechenden Orbitale im Hamilton-Operator trennen – sie haben keine gemeinsamen Nichtdiagonalelemente – und kann die L¨ osungen unabh¨angig voneinander ermitteln. Die σ-Bindungen sind wesentlich st¨ arker, als die π-Bindungen. Die π- und π ∗ -Bindungen liegen in der Bandl¨ ucke zwischen σ und σ ∗ . Daher sind es gerade die π- und π ∗ -Orbitale, welche das spektroskopische Verhalten konjugierter Molek¨ ule bestimmen, insbesondere die Absorption und Fluoreszenz im sichtbaren und UV-Spektralgebiet. Wir werden hier also ausschließlich die πpz -Orbitale behandeln. Die H¨ uckel-N¨ aherung kann man wie folgt zusammenfassen: ¨ 1. hpi |pj i = δij alle Uberlappintegrale sind Null

12.6 Konjugierte Molek¨ ule und H¨ uckel-Methode

133

ˆ |pi i = α die Diagonalelemente des Hamiltonian entsprechen den 2. hpi | H atomaren Orbitalenergien, ˆ |pj i = βδij±1 nur benachbarte Orbitale wechselwirken miteinander. 3. hpi | H Dabei beschreibt |pj i das 2pz -Orbital am C-Atom j. Die Werte f¨ ur α (CoulombIntegral ) und β (Resonanzintegral) sind beide negativ und werden als am Experiment kalibrierbare Parameter behandelt. Man beginnt mit der Konstruktion von Molek¨ ulorbitalen aus Atomorbitalen (MO aus LCAO): X |φi = cj |pj i (12.42) k 2

Da beim Benzol alle C-Atome ¨ aquivalent sind, muss |cj | f¨ ur alle j gleich sein. Am einfachsten ist es nun, die Hamiltonmatrix aufzustellen und nach den Standardregeln zu diagonalisieren. Analog zu (11.97) hat man es jetzt mit einer 6 × 6 Determinante zu tun, deren Wurzeln zu finden sind. Nach den eben aufgestellten Regeln ergibt sich: α − W β 0 0 0 β β α−W β 0 0 0 0 β α − W β 0 0 = 0. (12.43) 0 0 β α − W β 0 0 0 0 β α−W β β 0 0 0 β α−W Die Auswertung f¨ uhrt zu den L¨ osungen: W0 = α + 2β,

W±1 = α + β,

W±2 = α − β,

W3 = α − 2β

(12.44)

Zwei dieser Energieniveaus (W±1 und W±2 ) sind zweifach entartet. z

Alternativ kann man f¨ ur Ringmolek¨ ule mit n CAtomen und identischen konjugierten Bindungen eiosung des linearer Gleichungssysy ne allgemeine L¨ tems (11.92) auch aus der Symmetrie herleiten. Hierzu definiert man als Ausgangswellenfunktion ϕ (r) Rj ein Kohlenstoff-2pz -Orbital, das im Mittelpunkt des x Benzolrings lokalisiert ist, wie in Abb. 12.36 skizAbb. 12.36. πpz - ziert. Die sechs Atomorbitale ϕj ergeben sich mit Orbital im Benzolring dem Ortsvektor Rj des C-Atoms j zu: pz

ϕj (r) = ϕ (r − Rj ) ˆ sei der effektive Hamiltonian f¨ H ur die π-Elektronen. Wegen der Symmetrie ˆ invariant gegen¨ des Molek¨ ulrings ist H uber einer Drehung um 360◦ /n. Er bn , dem Operator einer Drehung um 360◦ /n, vertauschen: muss also mit C h i ˆ C bn = 0 H,

134

12 Mehratomige Molek¨ ule

ˆ und C bn . Die Eigenwerte Es gibt daher gemeinsame Eigenfunktionen von H ˆ bn identifiziert von H (die Energien W ) k¨ onnen mit den Eigenwerten von C ¨ werden. Ohne hier auf die Details dieser Uberlegung einzugehen, erscheint es sofort plausibel, dass dabei eine L¨ osung vom Typ   2π k (12.45) Wk = α + 2β cos n herauskommt, die f¨ ur n = 6 die Werte nach (12.44) ergibt. Graphisch lassen sich diese Energien nach Abb. 12.37 auftragen. Die spezielle Symmetrie dieser Ringsysteme erlaubt es, dies f¨ ur alle Ringe in Abb. 12.38 noch etwas suggestiver darzustellen. Wk

k=3

-1

k=-2

-2

α + 2β cos(4π/6) = α - β α

-3

k=-1

k=1

HOMO

-4 -5

k=2

LUMO

α - 2β

α + 2β cos(2π/6) = α + β

k=0 -3

-2

-1

0

α + 2β 1

2

3

k

Abb. 12.37. Orbitalenergien der π-Elektronen des Benzols im H¨ uckel-Modell. Die rot gestrichelte Kurve zeigt (12.45), die roten Punkte geben die Orbitalenergien f¨ ur k = −2 bis +3, welche die Energieterme (volle rote Linien) festlegen. Die drei niedrigstliegenden Orbitale sind mit je zwei π-Elektronen unterschiedlicher Spinausrichtung besetzt (schwarze Pfeile)

Wj = α + 2β cos(2π j/6)

Abb. 12.38. Graphische L¨ osung“ der Energiedeterminante f¨ ur Ringsysteme nach ” dem H¨ uckel-Verfahren

Um die Gestalt der MOs zu diskutieren, braucht man nun noch die Koeffizienten der |pj i in (12.42), die sich aus der L¨osung der S¨akulargleichung ergeben. Man verifiziert leicht, dass

12.6 Konjugierte Molek¨ ule und H¨ uckel-Methode

cj+1 = e

2πi 6 k

135

cj ,

wobei nat¨ urlich cj+6 = cj ist. Die L¨ osung f¨ ur die Koeffizienten {cj } ist also (k)

cj

=e

2πi 6 k·j

(k)

c0

mit

(k) 2 (k) 2 cj = c0 ,

d.h. f¨ ur den Einelektronzustand |ki ist die Wahrscheinlichkeit, das Elektron am Atom j anzutreffen, unabh¨ angig von j. Die π-Elektronen sind symmetrisch delokalisiert. Die symmetrieangepassten Wellenfunktionen ergeben sich zu φk (r) =

X

(k)

(k)

cj ϕ (r − Rj ) = c0

6 X

e

2πi 6 k

j

ϕ (r − Rj )

(12.46)

j=1

j

√ (k) mit k = 0, ±1, ±2, 3. Die Normierungskonstante c0 ist beim Benzol 1/ 6. Die Molek¨ ulorbitale werden nun mit den sechs 2pz -Elektronen nach dem Pauli-Prinzip aufgef¨ ullt. Es ergibt sich das in Abb. 12.37 skizzierte Bild. Die Niveaus k = ±1 sind also die HOMOs. Wenn wir h¨ohere Niveaus f¨ ullen, erhalten wir angeregte Zust¨ ande des Benzol. Die Gesamt-Grundzustandsenergie ergibt sich additiv aus den Einzelorbitalen: WX˜ = 2 (α + 2β) + 4 (α + β) = 6α + 8β Bei der Annahme von lokalisierten Doppelbindungen w¨are die Gesamt-Grundzustandsenergie:8 Wloc = 6α + 6β Durch die Delokalisierung wird also die zus¨ atzliche Energie 2β gewonnen. Explizit werden die Eigenfunktionen (12.46) φ3 (b2g ) ∝ −ϕ1 + ϕ2 − ϕ3 + ϕ4 − ϕ5 + ϕ6 φ±2 (e2u ) ∝ e±

2π 3 i π

ϕ1 + e±

4π 3 i



ϕ2 + e±2πi ϕ3 + e±

φ±1 (e1g ) ∝ e± 3 i ϕ1 + e± 3 i ϕ2 + e±πi ϕ3 + e± φ0 (a2u ) ∝ ϕ1 + ϕ2 + ϕ3 + ϕ4 + ϕ5 + ϕ6 ,

8π 3 i

4π 3 i

ϕ4 + e±

ϕ4 + e±

10π 3 i

5π 3 i

ϕ5 + e±4πi ϕ6

ϕ5 + e±2πi ϕ6

hier nach ihrer Energie geordnet. In Abb. 12.39 sind links ihre Symmetrieeigenschaften skizziert, entsprechend den Elementen der Punktgruppe D6h (vgl. Tabelle 12.5). Einen dreidimensionalen Eindruck dieser sechs π-Orbitale gibt Abb. 12.39 rechts. Hierzu sei auch auf die Web-Seite von Nash (2004) verwiesen, wo man diese Bilder mit Hilfe des universellen Programms Chime (kostenloser BrowserPlugin) beliebig drehen und betrachten kann. 8

Zur Erinnerung: Bei zweiatomigen lokalisierten Bindungen galt: ε+ = (H11 + H12 ) / (1 + S). Mit der hier benutzten Definition der Parameter wird dar¨ aus ε+ = α + β, wenn man vom Uberlappintegral S absieht.

136

12 Mehratomige Molek¨ ule

-

+ +

+

-

-

+

+ -

b2g α-2β

-

+ +

+

+

-

e2u α-β e1g α+β a2u α+2β

Abb. 12.39. Symmetrieeigenschaften (D6h ) der 6 Benzol π-Orbitale (links). Bezeichnung der Orbitale entsprechend den Elementen der D6h -Gruppe (Mitte, schwarz ) und deren H¨ uckelEnergie (Mitte, rote Schrift ). Rechts: 3DDarstellung der Gesamtelektronendichte nach Nash (2004)

Die hier vorgestellte H¨ uckel-Methode eignet sich nat¨ urlich nur f¨ ur eine sehr qualitative, erste analytische Beschreibung der Energien und der Struktur der Orbitale (HOMOs), ist aber sehr vielseitig und erlaubt durchaus eine Absch¨atzung des Verhaltens gr¨ oßerer Molek¨ ule und Cluster. So kann man z.B. die obigen Betrachtungen auch allgemein auf N regelm¨aßig angeordnete, identische Atome erweitern. Man kommt damit zu einem eindimensionalen Modell f¨ ur den Festk¨ orper. Die Eigenfunktionen gehen dann u ¨ber in die BlochFunktionen und an Stelle der diskreten Energieeigenwerte erh¨alt man Energieb¨ander. Die Methode ist mit dem in der Festk¨orperphysik h¨aufig benutzten Tight-Binding-Verfahren eng verwandt.

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz Licht und Photonen spielen bei allen spektroskopischen Methoden eine zentrale Rolle. Wir haben ihre Verf¨ ugbarkeit und Manipulierbarkeit bislang stillschweigend vorausgesetzt und Licht implizit als ebene, elektromagnetische Welle verstanden. R¨ aumliche und zeitliche Abh¨ angigkeiten spielten dabei eine untergeordnete Rolle. Diese Beschr¨ ankung wollen wir jetzt aufheben.

Hinweise f¨ ur den Leser: Wir bleiben in diesem Kapitel noch bei einer klassischen Beschreibung von Licht und f¨ uhren in Abschn. 13.1 zun¨achst (sehr knapp) in die Laserphysik ein. Daran anschließend behandeln wir Gauß’sche Lichtstrahlen in Abschn. 13.2 und besprechen auch M¨oglichkeiten, sie zu vermessen und zu manipulieren. Abschnitt 13.3 pr¨azisiert den Begriff der Polarisation und beschreibt wichtige experimentelle Hilfsmittel. Wellenpakete sind Thema in Abschn. 13.4. Zeitlich strukturierte Wellen werden an Beispielen aus der aktuellen Forschung besprochen. Abschnitt 13.5 f¨ uhrt den Begriff Korrelationsfunktion“ ein und beschreibt Messmethoden f¨ ur Impulsdauern. ” In Abschn. 13.6 wenden wir uns schließlich sehr intensiven Laserfeldern zu, die heute in der aktuellen Forschung eine große Rolle spielen und verlassen dabei die klassische, lineare Spektroskopie.

13.1 Laser – eine Kurzeinfu ¨hrung Laser sind heute aus Wissenschaft, Technik und t¨aglichem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie bilden auch eine wesentliche experimentelle Basis f¨ ur die moderne Atom- und Molek¨ ulphysik und nat¨ urlich f¨ ur die optische Physik. Es gibt dazu eine F¨ ulle von Literatur, deren Aufz¨ ahlung viel Platz beanspruchen w¨ urde. Beispielhaft sei hier nur Siegman (1986) als umfangreicher Klassiker genannt (letzte Druckfehlerkorrektur M¨ arz 2009, Homepage des Autors), sowie eine etwas spezialisiertere Monographie j¨ ungeren Datums (Hodgson und Weber, 2005) als Einstieg f¨ ur vertieftes Studium. In diesem Abschnitt wollen wir lediglich einige wenige Grundbegriffe und Definitionen einf¨ uhren, von denen in diesem Lehrbuch an anderer Stelle Gebrauch gemacht wird. Die Geschichte des Lasers ist ein Musterbeispiel f¨ ur gl¨ uckhaft unerwartete Entwicklungen (engl. serendipidy) von wissenschaftsbasierter Innovation. Die wesentlichen theoretischen Grundlagen wurden schon 1916 von Einstein ¨ mit seinen Uberlegungen zur induzierten Emission bei der alternativen AbleiI.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 3, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

Nichtlineare QED fokussierte Intensität / Wcm-2

1025

1020

1015

2.35 × 1028: λc e0 E0 = 2me c2

Ultrarelativistische Optik

8.5 × 1018: Up = mc2 @ λ = 800nm 3.51×1015:

1010 1960

Relativistische Optik

EH (im H-Atom bei a0)

1MeV Starke Laserfelder

Chirped Pulse Amplification (CPA) Moden-Synchronisation (mode-locking) 11 3.69 × 10 : x0 ~ a0 @ λ = 800nm Güteschaltung (Q-switching) 1970

1980

1990

1 TeV

2000

2010

1 eV

@ λ = 800nm

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Ponderomot. Potenzial Up

138

Abb. 13.1. Fortschritt bei der Erzeugung h¨ ochster Intensit¨ aten in Laserimpulsen seit Realisierung des ersten Lasersystems. In Rot sind physikalische Ph¨ anomene angedeutet, die mit den jeweiligen Intensit¨ aten zu verbinden sind. Schwarze Markierungen kennzeichnen methodische Entwicklungspr¨ unge. Die Trendkurve (voll, schwarz ), adaptiert vom Erfinder des Chirped Pulse Amplification, CPA“ Mourou (Strickland ” und Mourou, 1985) musste etwas nach unten an die Realit¨ at anpasst werden

tung der Planckschen Strahlungsgesetzes gelegt. Es dauerte aber 40 Jahre bis Townes und Mitarbeiter (Gordon et al., 1955) den ersten Ammoniak-Maser (M icrowave Amplification by S timulated E mission of Radiation), also einen molekularen Verst¨ arker f¨ ur Mikrowellen realisierten. Der erste publizierte und durchgerechnete Vorschlag, dieses Prinzip auch f¨ ur das infrarote und sichtbare Spektralgebiet zu nutzen, stammt von Schawlow und Townes (1958), als erster Festk¨orperlaser wurde der Rubinlaser von Maiman (1960) realisiert, und als ersten Gaslaser brachten Javan et al. (1961) den auch heute noch beliebten Helium-Neon-Laser bei 1.1 µm zum Schwingen. Nobelpreise erhielten Townes, Basov und Prokhorov (1964) sowie Bloembergen und Schawlow (1981). Unklar ist, wer den Begriff Laser (Light Amplification by S timulated E mission of Radiation) erstmals einf¨ uhrte. Es gibt aber bereits 1961 eine ganze Reihe von Arbeiten, die dieses Wort verwenden, w¨ ahrend Schawlow – ebenfalls 1961 – einen Scientific American Artikel noch betitelte: Optical masers - These de” vices generate light in such a manner as to open a whole realm of applications for electromagnetic radiation – salient feature of light they produce is that its waves are all in step“. Eine treffliche Charakterisierung und Vorhersage! Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden die ersten Fl¨ ussigkeitslaser erprobt und abstimmbare Farbstofflaser gibt es seit etwa 1970. Der Fortschritt der letzten 40 Jahre in der Laserphysik und ihrer spektroskopischen und technischen Anwendung ist spektakul¨ar und weiterhin anhaltend. Wir nennen einige zentrale Aspekte: (1) Ein breiter Spektralbereich

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

139

wird heute von Lasern erschlossen, man kann sagen vom Mikrowellen- bis ins R¨ontgengebiet, in vielen F¨ allen verbunden mit hervorragender Abstimmbarkeit der Frequenzen. (2) Stabilit¨ at und Monochromasie der Strahlung erlauben es heute, Lichtfrequenzen auf wenige Hz genau u ¨ber lange Zeitr¨aume hinweg zu definieren. (3) Umgekehrt werden phasenkontrollierte Lichtimpulse im sichtbaren Spektralgebiet von wenigen fs Dauer verl¨asslich f¨ ur Experimente bereitgestellt, und die k¨ urzesten Impulsdauern (im weichen R¨ontgenbereich) liegen heute bei einigen Attosekunden (1 as = 10−18 s). (4) Der Fortschritt bei den erzielbaren Spitzenintensit¨ aten in einem hart fokussierten, gepulsten Laserstrahl ist in Abb. 13.1 illustriert. Um diese dramatische Entwicklung richtig einsch¨atzen zu k¨ onnen, sollte man sich vor Augen f¨ uhren, dass eine 100 W Gl¨ uhbirne etwa ca. 120 cd liefert, was 0.176 W / sr Lichtleistung oder ca. 2.1 mW / cm2 im Abstand von 1 m entspricht.1 Man beachte (rechte Skala in Abb. 13.1) die extrem hohen, heute erreichbaren ponderomotiven Potenziale freier Elektronen in solchen Laserimpulsen (vgl. dazu Kap. 8.9 in Band 1). Mit neuen Großger¨ aten (European Laser Institute, ELI) hofft man, in den kommenden Jahren Intensit¨ aten von 1024 W cm−2 erreichen und damit in den Bereich der ultrarelativistischen Optik vorstoßen zu k¨onnen. 13.1.1 Grundprinzip Nach diesen Vorbemerkungen wenden wir uns dem Prinzip des Lasers zu. Dem Grundgedanken nach entspricht es dem jedes Generators f¨ ur elektromagnetische Wellen, wie es f¨ ur einen HF-Generator und einen Laser in Abb. 13.2 skizziert ist. Die drei wesentlichen Elemente sind: 1. Der Verst¨arker, welcher die Energie der Welle/Schwingung bereitstellt und Verluste kompensiert, 2. der Resonator, der daf¨ ur sorgt, dass alle Wellenl¨angen/Frequenzen außer der gew¨ unschten unterdr¨ uckt werden, und 3. die R¨ uckkopplung des verst¨ arkten Signals zum Eingang des Verst¨arkers, sodass insgesamt nach mehrfachem Durchgang durch das System ein einmal erzeugtes Signal bei der gew¨ unschten Frequenz (und eben nur bei dieser) immer wieder verst¨arkt wird und im Gleichgewicht zwischen unvermeidbaren Resonatorverlusten und Verst¨ arkung zu einem stabilen Ausgangssignal f¨ uhrt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die G¨ ute Q des Resonators, die man u ¨ber die D¨ ampfung einer einmal angeregten (elektrischen) Feldamplitude 1

Per Definition entspricht 1 cd bei 555 nm einer Lichtleistung von (1/683) W / sr. Dagegen liefert schon (ein relativ schwacher) abstimmbarer Farbstofflaser problemlos 100 mW Ausgangsleistung, und f¨ uhrt unfokussiert bereits zu weit mehr als ¨ 0.63 W / cm2 , die man braucht, um den Natrium-D-Ubergang massiv in S¨ attigung onnte, zu treiben – wie wir in Kap. 20.6.2 zeigen werden. Der gleiche Laser k¨ gut fokussiert auf 1 µm Durchmesser, bereits 1.3 × 107 W cm−2 erzeugen. Moderne Kurzpulslaser-Großanlagen erreichen heute bei harter Fokussierung 1021 bis 1022 W cm−2 im Brennpunkt.

140

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

HF - Generator

Rückkopplung Resonator

Rückkopplung

L

C

R1= 100%

Stromquelle

L

HF Ausgang

Verstärker

Resonator

Laser

LV Verstärker Medium

Laserstrahl Ausgang R2 < 100% Energie (Pumpe)

Abb. 13.2. Schema eines HF-Generators (links) und eines Lasers (rechts). Die wichtigsten Elemente sind in beiden F¨ allen Verst¨ arker, Resonator, R¨ uckkopplung – und nat¨ urlich eine Energiequelle

E(t) = E0 exp(−iωt −

ωt ) 2Q

(13.1)

definiert (Resonanzkreisfrequenz ω). Die im (passiven) Resonator gespeicherte Energie bzw. Intensit¨ at nimmt entsprechend I(t) = I0 exp(−ωt/Q) = I0 (t) exp(−t/τr )

(13.2)

ab, wenn zur Zeit t = 0 die Intensit¨ at I0 war. Die mittlere Lebensdauer eines Photons im Resonator h¨ angt also u ¨ber τr = Q/ω

(13.3)

mit der Resonatorg¨ ute zusammen. Die Fourier-Transformation dieser D¨ampfung f¨ uhrt zu einem Lorentz-Profil mit der Resonatorbandbreite ∆ωh (FWHM), deren Zusammenhang mit der G¨ ute gegeben ist durch: Q = ω/∆ωh = ν/∆νr

(13.4)

Da man einen Teil der im Resonator gespeicherten Energie auskoppeln m¨ochte, ist dieser Auskopplungsgrad in der Regel f¨ ur die G¨ ute des Resonators und seine Bandbreite bestimmend. Den Verst¨ arker charakterisiert man entsprechend durch eine auf die Zeit umgerechnete Verst¨ arkung α. Beim Durchgang durch das Verst¨arkermedium w¨achst das Signal mit der Zeit t bzw. dem Ort z = ct entsprechend I(t) = I0 (t) exp(αt) = I0 (t) exp(αz/c) .

(13.5)

Laseraktivit¨at erwartet man, wenn die Verst¨ arkung die Verluste u ¨bertrifft: α > ω/Q = 1/τr

(13.6)

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

141

13.1.2 Fabry-Perot-Resonator Ein Laserresonator ist in der Regel ein speziell ausgelegtes Fabry-Perot-Interferometer (FPI). Wir haben dieses als spektroskopisches Werkzeug in Kap. 6.1.1, Band 1 kennengelernt und fassen hier kurz seine f¨ ur die Nutzung als Laserresonator wichtigsten Charakteristika zusammen. Wie rechts in Abb. 13.2 angedeutet, besteht ein Fabry-Perot-Resonator im einfachsten Falle aus zwei im Abstand L parallel aufgestellten, mit h¨ochster Pr¨azision geschliffenen Spiegeln, von denen einer eine Reflektivit¨ at (bez¨ uglich der Intensit¨at) von m¨oglichst R1 = 100%, der andere eine etwas geringere R2 < 100% hat, um einen Teil (1 − R2 ) der erzeugten Intensit¨ at nutzbringend auszukoppeln. Die Spiegel k¨onnen, je nach Anwendung, planar oder gekr¨ ummt sein. Die Resonatoreigenschaften werden durch zwei wesentliche Parameter bestimmt: 1. Die freie Spektralbreite (free spectral range, FSR) des Resonators nach (6.4) in Band 1 bestimmt den Frequenzabstand zweier Transmissionsmaxima. Sie ist gleich der inversen Umlaufzeit Tr und betr¨agt2 ∆νf rei =

c 1 = 2L Tr

(13.7)

bzw. in Wellenzahlen ∆¯ νf rei = 1/2L. F¨ ur ganze Zahlen m (Ordnung der Interferenz bzw. Index der Mode) wird Licht der Frequenzen ν(m) = m∆νf rei

(13.8)

maximal transmittiert. Bei diesen – und nur bei diesen – Frequenzen kann elektromagnetische Energie im Resonator gespeichert werden: als stehende Welle. Man bezeichnet diese als longitudinale Moden des Resonators. 2. Die Finesse F eines Fabry-Perot-Interferometers ist das Verh¨altnis von freier Spektralbreite zu transmittierter Frequenzhalbwertsbreite ∆νr der √ Intensit¨at im passiven Resonator. Mit R = R1 R2 gilt √ ∆νf rei π R F= . (13.9) = ∆νr 1−R Das spektrale Transmissionsprofil des Resonators wird durch eine AiryFunktion nach (6.9) in Band 1 beschrieben, die bei hinreichend hoher Finesse F & 5 sehr gut durch eine Serie von Lorentz-Verteilungen der Halbwertsbreite ∆νr approximiert wird. Mit der Finesse (13.9) und (13.8) wird die Resonatorg¨ ute (13.4) Q= 2

ν ν = F = mF , ∆νr ∆νf rei

(13.10)

Streng genommen m¨ ussten wir statt der Vakuumlichtgeschwindigkeit c die Grup¨ pengeschwindigkeit vg einsetzen. Der Ubersichtlichkeit halber setzen wir den Brechungsindex im Resonator aber n ≡ 1.

142

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

wobei wir die Ordnung m der Interferenz nach (13.8) eingesetzt haben. Die G¨ ute ist u osungsverm¨ogen des FPI, wenn man ¨brigens identisch mit dem Aufl¨ es als Spektrometer benutzt, und F entspricht einer effektiven Zahl interferierender Strahlen. Die effektive Lebensdauer eines Photons (13.3) im Resonator wird schließlich: τr =

mF mF FL F 1 = = = = 2π∆νr ω0 2πν0 πc 2π∆νf rei

(13.11)

Um zwei typische Beispiele zu geben: bei einem He-Ne-Laser kann man wegen seiner niedrigen Verst¨ arkung nur wenig auskoppeln (typisch R ' 99%, F ' 312), bei einem gepulsten Excimer-Laser ist das Gegenteil der Fall (R = 30%, F = 2.5). Bei einer Resonatorl¨ ange von 1 m f¨ uhrt das zu Photonenlebensdauern von τr = 330 ns bzw. 2.6 ns. Nat¨ urlich gibt es neben den Auskoppelverlusten weitere Verluste, die ggf. zu ber¨ ucksichtigen sind. Befindet sich im Resonator der L¨ange L z.B. ein Medium der L¨ange L1 , das absorbiert (Absorptionskoeffizient µ, Einheit uhrt dies pro Resonatorumlaufzeit Tr [µ] = m−1 , s. (4.4) in Band 1), so f¨ zu zus¨atzlichen Verlusten ∝ exp(−2µ L1 ), auf die Zeit t umgerechnet: I/I0 = exp [−2µ L1 (t/Tr )] = exp [−µ (L1 /L) ct] = exp [−t/τa ]

(13.12)

13.1.3 Stabile, transversale Moden und Beugungsverluste Von besonderer Bedeutung sind Verluste durch Beugung. Wir werden sehen, dass diese letztlich die r¨ aumliche Verteilung des elektromagnetischen Felds im Resonator bestimmen, d.h. die Modenstruktur des Lichts. Bislang hatten wir das Fabry-Perot-Interferometer so behandelt, als habe es keine Randbegrenzung und eine ideale, unendlich ausgedehnte ebene Welle laufe in ihm um. In der Realit¨ at haben Spiegel und insbesondere das Verst¨arkermedium aber endliche Durchmesser: man spricht von einem offenen ” Resonator“. Im Bild der geometrischen Optik kann man sich leicht vor Augen f¨ uhren, dass nicht exakt senkrecht auf die Spiegel treffende Strahlen nach einigen Uml¨aufen aus diesem offenen Resonator herauswandern, was unweigerlich zu Verlusten f¨ uhrt. In einer fr¨ uhen, grundlegenden Arbeit konnten Kogelnik und Li (1966) zeigen, dass der Fabry-Perot-Resonator mit planparallelen Spiegeln in dieser Hinsicht keineswegs die ideale Resonatorkonfiguration darstellt. Es gibt aber stabile“ Spiegelkombinationen, bei denen auch ein nicht parallel ” zur optischen Achse verlaufender Strahl trotz mehrfacher Reflexion an den Spiegeln dennoch im Resonator verbleibt. F¨ ur diese muss gelten 0 < (1 − L/r1 ) (1 − L/r2 ) < 1 ,

(13.13)

mit der Resonatorl¨ ange L und den Kr¨ ummungsradien der Endspiegel r1 bzw. r2 . Dies ist im Stabilit¨ atsdiagramm Abb. 13.3 illustriert. Aus Sicht der Wellenoptik findet an den strahlbegrenzenden Aperturen Beugung statt, die den Strahl aufweitet. Bei jedem Hin- und R¨ ucklauf wird das

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

1- L/r2

L/r1

-1

L r1 r2

0

-1

0

Abb. 13.3. Stabilit¨ atsdiagramm f¨ ur Laserresonatoren nach Kogelnik und Li (1966). Instabile Bereiche sind schraffiert. Man sieht, dass eine Anordnung mit planparallelen Spiegeln an der Grenze des stabilen Bereichs liegt, ebenso wie im anderen Extrem zwei konzentrische Spiegel. Eine besondere Rolle spielt der konfokale Resonator in der Mitte zwischen stabilem und instabilem Bereichen

planparallel r1= r2 = ∞

1- L/r1

1

143

konfokal r1= r2 = L konzentr. r1= r2 = L/2 L/r2

elektromagnetische Wellenfeld aufs neue begrenzt, d.h. seine Gesamtenergie wird reduziert, und das Spiel wiederholt sich. Man kann sich diesen Vorgang entlang der optischen z-Achse ausgerollt vorstellen, wie in Abb. 13.4 illustriert.

Endspiegel S0 links

ρ

rechts

S1

ρ

links

S2

ρ

rechts

S3 z

j=0

L

1

L

2

L

3

Intensität nach j halben Resonatordurchläufen Abb. 13.4. Schematische Illustration zur Ausbildung eines radialen Strahlprofils bei wiederholter Beugung an den begrenzenden Aperturen (z.B. den Endspiegeln links und rechts im Resonator). Sj bezeichnet die strahlbegrenzenden Beugungsfl¨ achen

Etwas strenger formuliert muss man f¨ ur den eingeschwungenen, station¨aren Zustand fordern, dass sich das Strahlprofil in der ρφ-Ebene (senkrecht zur optischen z-Achse) von Reflexion zu Reflexion entsprechend Ej+1 (ρ, φ) = e−κ+iδ Ej (ρ, φ) reproduziert – bis auf die unvermeidliche, durch κ beschriebene D¨ampfung und eine Phasenverschiebung δ. Quantitativ kann man Ej+1 (ρ, φ) als Ergebnis der Beugung von Ej (ρ, φ) an der begrenzenden Aperturfl¨ache Sj verste-

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

TEM00

TEM01*

TEM10

TEM01

TEM20

TEM02

Verluste pro Umlauf / %

144

100

pp

10 1 0.1 0.01 0.4

TEM 10 00

10 00

20 konfokal

0.8 1.2 F = w2 / λ L

Abb. 13.5. Links: Modenstruktur im zylindersymmetrischen Resonator f¨ ur die niedrigsten TEM-Moden; gezeigt ist das Intensit¨ atsprofil (sehr schematisch) in einer Ebene senkrecht zur optischen z-Achse. Rechts: Beugungsverluste einiger Moden als Funktion der Fresnel-Zahl F f¨ ur den Fabry-Perot-Resonator mit planparallelen Spiegeln (pp) sowie f¨ ur einen konfokalen Resonator

hen und mit Hilfe der klassischen Beugungstheorie berechnen. Auf letztere uck. Hier kommunizieren wir einige kommen wir in Abschn. 13.2.2 noch zur¨ wichtige Ergebnisse, ohne auf die Einzelheiten dieser Rechnungen einzugehen. Man findet, dass sich neben der schon erw¨ ahnten longitudinalen Modenstruktur (stehende Wellen in z-Richtung) auch verschiedene Intensit¨atsverteilungen in der dazu senkrechten ρφ-Ebene ausbilden k¨onnen, sogenannte transversale Moden. Im offenen Resonator sind, wie bei freien elektromagnetischen Wellen, elektrisches und magnetisches Feld transversal zur Ausbreitungsrichtung. Man bezeichnet sie daher als TEMij -Moden. Einige Beispiele sind links in Abb. 13.5 schematisch skizziert. Die Grundmode TEM00 hat eine Gauß’sche Intensit¨atsverteilung als Funktion des Radius ρ. Wir werden Gauß’sche Strahlen im n¨achsten Abschnitt ausf¨ uhrlich behandeln. H¨ohere Moden zeigen Knoten in radialer und/oder azimutaler Richtung. Die mit TEM01∗ gekennzeichnete Verteilung ist eine Linearkombination der gezeigten TEM01 -Mode und einer mit ihr entarteten, dazu um 90◦ gedrehten. Interessant sind nun die Beugungsverluste der verschiedenen Moden. Sie werden durch die Fresnel-Zahl w2 (13.14) λL bestimmt, wobei w der Radius der strahlbegrenzenden Apertur ist und L wieder die L¨ange des Resonators. Einige Beispiele zeigt Abb. 13.5 rechts. Erwartungsgem¨aß nehmen die Beugungsverluste mit zunehmender Fresnel-Zahl rasch ab. Als typische Gr¨ oßenordnung sch¨ atzen wir f¨ ur einen He-Ne Laser F ' 0.8 − 3.2 ab (Resonatorl¨ ange von L = 50 cm, strahlbegrenzendes Gasentladungsrohr w = 0.5 − 1 mm, λ = 632.8 nm). Die konkreten Werte in Abb. 13.5 rechts zeigen uns, dass bei diesen Bedingungen die Beugungsverluste der TEM00 -Mode f¨ ur einen konfokalen Resonator vernachl¨assigbar werden. Allerdings erweist sich, wie bereits erw¨ ahnt, eine planparallele Spiegelanordnung F =

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

145

als ¨außerst unvorteilhaft: sie ist nicht nur unstabil sondern f¨ uhrt auch zu sehr hohen Beugungsverlusten. Besonders bemerkenswert sind auf jeden Fall die deutlich h¨ oheren Verluste f¨ ur h¨ ohere Moden im Vergleich zur Grundmode. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass in fast allen Lasersystemen in der Regel nur die Grundmode TEM00 anschwingt: f¨ ur alle anderen Moden reicht die Verst¨arkung meist nicht aus, um die Verluste zu kompensieren. Nat¨ urlich muss man auch f¨ ur die Grundmode die Beugungsverluste ber¨ ucksichtigen (effektive Photonenlebensdauer τb ), wenn man ein Laserschema quantitativ verstehen will. Insgesamt multiplizieren sich alle Verluste durch die verschiedenen Mechanismen nach dem Schema I = I0 exp(−t/τr ) × exp(−t/τa ) × exp(−t/τb ) . . . . Die inversen, effektiven Photonenlebensdauern sind also zu addieren und die Intensit¨ at wird insgesamt: I = I0 exp(−t/τe ) mit

1/τe = 1/τr + 1/τa + 1/τb + . . .

(13.15)

13.1.4 Das Verst¨ arkermedium ¨ Strahlungsinduzierte und spontane optische Uberg¨ ange wurden ausf¨ uhrlich in Kap. 4, Band 1 behandelt. Bei der Beschreibung des Verst¨arkungsprozesses gehen wir von den in Kap. 4.1 heuristisch eingef¨ uhrten Ratengleichungen aus.3 ˜ Wir erinnern uns, dass dabei meist die spektrale Energiedichte u(ω) = I(ω)/c ˜ bzw. die Intensit¨ at I(ω) pro Kreisfrequenz ω = 2πν zur Ermittlung der ¨ Ubergangswahrscheinlichkeiten benutzt wurde. Absorption und induzierte Emission wurden dort durch den Einstein’schen B-Koeffizienten charakterisiert, wobei die Bandbreite des Lichts typischerweise viel gr¨oßer war als die Breite ∆ωb (FWHM) der Absorptionslinie. Hier nun haben wir es mit sehr schmalbandiger Strahlung wohl definierter Richtung und Polarisation zu tun, deren Kreisfrequenz ω = 2πν (nahezu) in ¨ Resonanz mit einer Ubergangsfrequenz ωba des Mediums ist und deren Bandbreite klein oder jedenfalls vergleichbar mit ∆ωb ist. Daher wirkt jetzt die Gesamtintensit¨at I des Lichts, [I] = W cm−2 , die sich mit der Zeit a¨ndern kann und wir m¨ ussen die Frequenzabh¨ angigkeit von B(ω) ber¨ ucksichtigen. urlicher LinienverWir hatten in Kap. 5 plausibel gemacht, dass dies bei nat¨ breiterung durch ein Lorentz-Profil zu ber¨ ucksichtigen ist: B(ω) =

3λ3 A2 /4 2πh A2 /4 + ∆ω 2

und ∆ω = ωba − ω

(13.16)

A ist der Einstein-Koeffizient der spontanen Emission und gibt zugleich die Breite der Linie ∆ωb auf der Kreisfrequenzskala an. Man verifiziert leicht, dass bei Integration u ¨ber die ganze Linie die aus Kap. 4 bekannte Beziehung uckgewonnen wird: A/B = 4h/3λ3ba . (4.107) zwischen den Koeffizienten zur¨ 3

Eine etwas fundiertere Begr¨ undung werden wir in Kap. 20.6 vorstellen.

146

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Die Besetzungsdichte des oberen Zustands sei Nb , die des unteren Na . Man definiert als Besetzungsinversion ∆N = (Nb − Na )

(13.17)

und erh¨alt Verst¨arkung f¨ ur ∆N > 0. Die induzierte Emission entspricht bekanntlich nach Frequenz, Richtung und Polarisation genau der sie hervorrufenden Strahlung. Die Photonendichte N~ω = I/c~ω in der Resonatormode ([N~ω ] = Photonenzahl/Volumen) ¨ andert sich also mit der Zeit: dN~ω = B(ω) ∆N I(t)/c dt

(13.18)

Entsprechend nimmt Nb ab und Na zu. Wir k¨onnen (13.18) auch schreiben: dI = ~ω B(ω) ∆N I = α(ω) I dt

(13.19)

Mit (13.16) wird der in (13.5) eingef¨ uhrte Verst¨arkungsfaktor ([α(ω)] = 1/ s): α(ω) =

3λ2 c ∆N 2π 1 + (2∆ω/A)2

(13.20)

Wir haben bislang angenommen, dass die Linienbreite des oberen Laserniveaus ∆ωb = A sei, also ausschließlich durch radiativen Zerfall bedingt. Ist dies nicht der Fall, dann wird (13.20) zu: α(ω) =

3λ2 c A ∆N = c σba (ω) ∆N , 2π ∆ωb 1 + (2∆ω/∆ωb )2

(13.21)

Der hier eingef¨ uhrte Wirkungsquerschnitt σba (ω) = σab (ω) hat ein Maximum σba (ωba ) =

3λ2 A , 2π ∆ωb

(13.22)

das 0.477λ2 bei rein radiativer Linienbreite ∆ωb = A wird. Im Falle einer inhomogenen Linienverbreiterung (Mittelung u ¨ber Atome unterschiedlicher Absorptionsfrequenzen) ist das Lorentz-Profil in (13.21) entsprechend zu ersetzten, z.B. durch eine Gauß-Verteilung bei Doppler-Verbreiterung. Jedenfalls wird sich – sofern es keine sonstigen Verluste gibt – die Intensit¨at des Lichts beim Durchgang durch das Verst¨ arkermedium nach I(ω) = I0 exp(α(ω)z/c) = I0 exp(σba (ω) ∆N z)

(13.23)

entwickeln. Als Verst¨ arkungsprofil eines Lasers bezeichnet man die Intensit¨ats¨anderung als Funktion der Frequenz nach einem vollen Umlauf durch den Resonator: G(ω) =

I(ω) = exp(α(ω)2 L/c) = exp(σba (ω) ∆N 2 L) I0

(13.24)

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

Abb. 13.6. Verst¨ arkungsverengung (gain narrowing) eines Lorentz-artigen Verst¨ arkungsprofils (schwarz ) α (ω). Die verst¨ arkte Intensit¨ at (rot) I(ω) ist als Funktion der Frequenz wesentlich schmalbandiger

α(ω) I(ω) -3

-2

-1

0 1 ω / Δωu

147

2

3 .

Bemerkenswert an dieser Formel ist, dass ein hoch verst¨arktes Intensit¨atsprofil ganz anders aussehen wird als das Linienprofil (13.21). Im Zentrum der Linie, wo die Verst¨ arkung hoch ist, wird der Exponentialfaktor zu besonders hoher Intensit¨at f¨ uhren, am Linienrand wird kaum verst¨arkt. Dies f¨ uhrt zu einer deutlichen Verengung der Linie (gain-narrowing) wie in Abb. 13.6 illustriert. Bedenkt man, dass in einem Laseraufbau das Verst¨arkungsprofil noch mit dem Resonatorprofil gefaltet wird, der ja gezielt Verluste f¨ ur die falschen Frequenzen herbeif¨ uhrt, dann versteht man, warum die vom Laser erzeugte Strahlung viel schmalbandiger ist als das Verst¨arkungs- oder Resonatorprofil. Bislang haben wir noch nicht u ¨ber die spontane Emission gesprochen, die als Nebenprodukt stets anf¨ allt. Sie kann in einem Verst¨arkermedium ebenfalls verst¨arkt werden und z.B. bei einem langgestreckten geometrischen Aufbau mit hoher Verst¨arkung schon bei einem Durchlauf (also ohne Spiegel) zu sehr hohen Lichtintensit¨ aten f¨ uhren. Diese verst¨ arkte spontane Emission (amplified spontaneous emission, ASE) wird vielfach als intensive, laserartige Lichtquelle verwendet, wie z.B. bei Stickstofflasern oder sogenannten R¨ontgenlasern. ASE kann freilich auch sehr st¨ orend wirken, so etwa bei der Erzeugung intensiver, kurzer Laserimpulse, wo man in der Regel zun¨achst Besetzungsinversion aufbauen will, ehe man die eigentliche Laseraktivit¨at ausl¨ost – w¨ahrend dieser Aufbauzeit kann ASE dazu f¨ uhren, dass die Besetzungsinversion vorzeitig abgebaut wird, und st¨ orender Untergrund entsteht. 13.1.5 Schwellenbedingung Es ist nun sehr einfach, Kriterien daf¨ ur anzugeben, wann Laseraktivit¨at m¨oglich ist. Dazu m¨ ussen wir die Intensit¨ atsverst¨arkung nach (13.19) wie auch die Verluste nach (13.15) ber¨ ucksichtigen und erhalten f¨ ur die Laserintensit¨at im Resonator: I I dI = α (ω) I − = cσba (ω)∆N I − (13.25) dt τe τe Hier wurde der Einfachheit halber angenommen, dass das Verst¨arkermedium den gesamten Resonator ausf¨ ullt. Verst¨arkung nach einem vollen Umlauf erh¨alt man nur, falls dI/dt ≥ 0 gilt. Daraus folgt als Schwellenbedingung f¨ ur das Anschwingen eines Lasers: ∆N =

1 σba (ω) c τe

(13.26)

148

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Dabei kann die effektive Photonenlebensdauer τe nach (13.15) aus mehreren Beitr¨agen bestehen, und c τe ist so etwas wie ein effektiver Lebensweg“ eines ” Photons. Im Volumen σba c τe muss sich also mindestens ein Atom mehr im oberen als im unteren Zustand befinden, um Laseraktion zu bewirken. Streng genommen ist in (13.25) auch noch einen Zuwachs durch spontane Emission zu ber¨ ucksichtigen. Da diese aber in den gesamten Raumwinkel und ¨ mit der vollen Bandbreite ∆ωb des Ubergangs emittiert wird, entf¨allt davon nur ein vernachl¨assigbarer Teil auf die aktive Lasermode. Sie spielt f¨ ur das Anschwingen des Lasers eine Rolle, kann aber sonst vernachl¨assigt werden. 13.1.6 Bilanzgleichungen In einem Zwei-Niveau-System k¨ onnen wir allenfalls kurzzeitig eine Besetzungsinversion erzeugen. Daher haben Lasermaterialien typischerweise 3 oder 4 Niveaus. Die Bilanzgleichungen f¨ ur den Laserprozess m¨ ussen alle Verluste und Zugewinne der Besetzung f¨ ur die beteiligten Laserniveaus ber¨ ucksichtigen, ebenso wie die Entwicklung der Laserintensit¨ at I(t) nach (13.25): Pb Pa

Nb σba I ħω Na

A

γb γa

dNb I∆N = Pb − σba (ω) − ANb − γb Nb (13.27) dt ~ω dNa I∆N = Pa + σba (ω) + ANb − γa Na (13.28) dt ~ω

Hier haben wir ber¨ ucksichtigt, dass weitere Niveaus ins Spiel kommen, wie in Abb. 13.7 skizziert. Diese k¨onnen mit Besetzungsraten Pb bzw. Pa von anderen Niveaus aufgef¨ ullt werden ([Pa,b ] = s−1 m−3 ) und mit den Raten γb bzw. γa in wiederum andere Niveaus zerfallen ([γa,b ] = s−1 ). Idealerweise w¨ urde man sich w¨ unschen, dass im station¨aren Zustand Na = 0 und ∆N = Nb oder doch zumindest Na  Nb ist. Dazu sollte Pa = 0 und γa  σba I/~ω sein, damit das untere Niveau im Laserbetrieb rasch entv¨ olkert wird. Der Rubinlaser, der erste tats¨achlich realisierte LaP Nb ser, war ein 3-Niveau-Laser. Bequemer und heute meist in der Praxis anzutreffen sind 4-Niveau-Laser, mit denen man den Idealbedingungen schon sehr naPumpe Na he kommen kann. Ein solches Schema ist in Abb. 13.8 skizziert. Stark vereinfacht nehmen wir an, dass σba I γb = 0 und γa tats¨achlich so groß ist,4 dass wir γa >> ħω Na ' 0 und ∆N ' Nb setzen k¨onnen. Mit A = 1/Tb und Pb = P wird aus (13.27) dann: Abb. 13.8. Abb. 13.7. Laserbilanz

4-Niveau-Laser Schema

I∆N d∆N = P − σba (ω) − ∆N/Tb dt ~ω 4

(13.29)

Beim He-Ne-Laser wird der untere Zustand interessanterweise u ande ¨ber die W¨ entv¨ olkert, sodass der Durchmesser des Plasmarohrs nicht zu groß werden darf.

13.1 Laser – eine Kurzeinf¨ uhrung

149

Im eingeschwungenen Zustand muss nat¨ urlich dI/dt = 0 gelten. Nach (13.25) bedeutet dies aber, dass (13.26) auch im station¨aren Laserbetrieb gelten muss. Die wichtige Botschaft daraus lautet also: die Besetzungsinversion im Laserbetrieb ist gleich der Schwelleninversion. Außerdem muss im station¨ aren Betrieb d∆N/ dt = 0 gelten. Setzt man ur die Laserintensit¨at dies und ∆N nach (13.26) in (13.29) ein, so ergibt sich f¨ I = P ~ω c τe −

~ω . σba Tb

(13.30)

Mit steigender Pumprate P w¨ achst zwar nicht die Besetzungsinversion, wohl aber – erwartungsgem¨ aß – die Intensit¨ at im Laserresonator. Diese wird bei optimaler Abstimmung mit (13.22) I = P ~ω cτe −

4π 2 ~c∆ωb , 3λ3

(13.31)

wobei wir noch angenommen haben, dass die Relaxationszeit des oberen Zustands Tb nur durch spontanen, radiativen Zerfall des Laser¨ ubergangs bestimmt ist (ATb = 1). Die Laserintensit¨ at I ist also abh¨angig von der Pumprate P und von den Resonatorverlusten (¨ uber τe ), w¨ahrend der negative Term mit der effektiven Linienbreite ∆ωb des angeregten Niveaus systemspezifisch ist. Dieses Ergebnis zeigt noch einmal sehr deutlich die Proportionalit¨at des Verlustterms zu λ−3 ∝ ν 3 , der erkl¨ art, warum es um so schwieriger wird, Laser zu bauen, je k¨ urzer die Wellenl¨ ange ist. Arbeitet man weit oberhalb der Schwelle, so kann man den Verlustterm in (13.31) vernachl¨ assigen und es wird I . P ~ω cτe . Es sieht zun¨achst so aus, also ob man nur τe vergr¨ oßern, also z.B. die Spiegelreflektivit¨at R des Resonators erh¨ohen m¨ usse, um mehr Intensit¨ at zu erhalten. Innerhalb des Resonators stimmt das sogar, und man nutzt dies verschiedentlich in der Spektroskopie achlichen Ausgangsleistung Iout des Laaus (s. z. B. Kap. 15.6.3). Bei der tats¨ sers m¨ ussen wir aber ber¨ ucksichtigen, dass nur ein Anteil (1−R) ausgekoppelt wird. Andererseits reduziert gerade diese Auskopplung die Photonenlebensatzt man ab: dauer. Mit (13.15), (13.11) und (13.9) sch¨ √ Iout . P ~ω cτe (1 − R) < P ~ω cτr (1 − R) = P ~ω R L (13.32) Die Ausgangsintensit¨ at h¨ angt nat¨ urlich von der Bev¨olkerungsrate P des oberen Zustands und von der L¨ ange L des Resonators ab (die wir ja gleich der L¨ange des Verst¨ arkermediums angenommen haben). Durch geringere Auskopplung gewinnt man interessanterweise tats¨achlich etwas an Ausgangsleistung – allerdings nur so lange nicht andere Verluste, etwa durch Beugung oder Absorption, wesentlich zu den Resonatorverlusten, d.h. zu 1/τe beitragen. 13.1.7 Besetzungsinversion und Linienprofil, Lochbrennen ¨ Abschließen wollen wir diesen Abschnitt mit einigen wichtigen Uberlegungen zur Besetzungsdichte im aktiven Lasermedium. Wir k¨onnen dabei teilweise an

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

σba(ω)ΔN

(a)

Resonatorfrequenzen

Schwelle

Verstärkungsprofil passiv

Δωb

(c)

homogen Betriebspunkt

Schwelle

Resonatormoden passiv Δ ωr Δωfrei

ω

Δωfrei σba(ω)ΔN

(b) Transmission

150

σba(ω)ΔN

(e)

ω

inhomogen

Schwelle

A Δωb

Δωfrei

I(ω)

(d)

Verstärkungsprofil aktiv ω

Resonatormode aktiv ω

I(ω)

(f )

Δωfrei

ω

Resonatormoden aktiv ω

Abb. 13.9. Verst¨ arkungsprofile ∝ σba (ω) ∆N und longitudinale Moden im passiven und aktiven Resonator f¨ ur homogene und inhomogene Linienprofile - Details s. Text

das ankn¨ upfen, was wir im Zusammenhang mit Doppler-freier Spektroskopie in Kap. 6.1.5, Band 1 besprochen haben. Abbildung 13.9 fasst das bislang u ¨ber Verst¨arkung, Linienprofile und Modenstruktur im aktiven und passiven Laserresonator Besprochene zusammen und interpretiert die Ergebnisse. Insbesondere ist das unterschiedliche Verhalten bei homogener und inhomogener Linienverbreiterung gegen¨ ubergestellt. Abbildung 13.9a zeigt – noch ohne Laseraktivit¨at – ein typisches Linienprofil (FWHM ∆ωb ) f¨ ur ein verst¨arkendes Medium als Funktion der Kreisfrequenz ω, etwa (13.21) entsprechend. Die strichpunktierte, horizontale rote Linie markiert die f¨ ur Laseraktivit¨at notwendige Schwellenverst¨ arkung. Die Position der Resonanzfrequenzen (vertikal, gestichelt, grau) und die freie Spektralbreite ∆ωf rei des Laserresonators sind angedeutet. Zwei Resonanzfrequenzen sind rot hervorgehoben: an diesen Stellen liegt die Verst¨ arkung u ¨ber der Schwelle, und Laseraktivit¨at ist hier im Prinzip m¨oglich. Komplement¨ ar dazu ist in Abb. 13.9b die Transmission des passiven Laserresonators aufgetragen. Die Bandbreite der Transmissionslinien ∆ωr ist nach (13.11) eine Funktion der Finesse F des Resonators. ur den aktiven Laser und zwar Abbildung 13.9c illustriert die Situation f¨ im Fall einer homogenen Linienverbreiterung (z.B. nat¨ urliche Linienbreite, Druckverbreiterung etc.). Da hierbei alle verst¨arkenden Atome oder Molek¨ ule mit dem gleichen Linienprofil zur Verst¨ arkung beitragen, die Besetzungsinversion im Betrieb aber gleich der Schwelleninversion ist, wird das gesamte

13.2 Gauß’sche Strahlen

151

Verst¨arkungsprofil so weit abgesenkt, dass es am Betriebspunkt gerade der Schwellenverst¨arkung entspricht. Wie in der Abbildung illustriert, ist dies in der Regel nur f¨ ur eine longitudinale Lasermode m¨oglich, da im Betrieb f¨ ur alle anderen Moden die Verst¨ arkung nun unter der Schwelle liegt. Die so erzeugte, monochromatische Intensit¨ atsverteilung ist in Abb. 13.9d skizziert. Ganz anders ist das Verhalten bei inhomogener Linienverbreiterung (z.B. Doppler-Verbreiterung im Plasma) wie in Abb. 13.9e erl¨autert. Da wir hier das Verst¨arkungsprofil nach Gruppen von Atomen oder Molek¨ ulen mit je eigenem, individuellen Linienprofil unterscheiden m¨ ussen (z.B. entsprechend ihrer Geschwindigkeit), beeinflussen sich diese nicht gegenseitig. Die Bandbreite dieser Gruppenprofile entspricht typischerweise der nat¨ urlichen (oder stoßverbreiterten) Linienbreite, in der Abbildung mit A gekennzeichnet. Bei allen Resonatorfrequenzen, bei denen die Verst¨arkung (im passiven Zustand) oberhalb der Laserschwelle liegt, kann der Laser jetzt auch tats¨achlich anschwingen. An diesen und nur an diesen Stellen wird das Verst¨arkungsprofil bis zur Schwelleninversion abgebaut. Man findet ein typisches Lochbrennen“, ” wie wir es schon in Band 1 kennengelernt haben. Die Ausgangsleistung des Lasers ist in solch einem Falle u ¨ber mehrere longitudinale Moden verteilt, wie ahnt, sind die Laserlinienbreiten um in Abb. 13.9f dargestellt. Wie schon erw¨ ein Vielfaches schmaler als die Resonator-, Verst¨arker- oder auch Lochlinienbreite. Es sei hier aber ausdr¨ ucklich darauf hingewiesen, dass die in Abb. ¨ hal13.9 gezeigten Linienbreiten und Frequenzabst¨ande der Ubersichtlichkeit ber nicht maßst¨ablich gezeichnet wurden. Insbesondere ist bei inhomogener Linienverbreiterug in der Regel Verst¨ arkung f¨ ur sehr viele Resonatormoden m¨oglich. Aber auch inhomogene Linienformen k¨onnen sehr breit sein und im Prinzip Laseraktivit¨ at in mehreren konkurrierenden Moden unterst¨ utzen. Nach dem hier Besprochenen ist klar, dass ein einfacher Laseraufbau nach dem in Abb. 13.2 auf S. 140 rechts gezeigten Cartoon nur in den seltensten F¨allen streng monochromatische Strahlung emittieren wird. In aller Regel findet man ein recht breites Liniengemisch vieler longitudinaler Moden, die sich gegenseitig im Wettbewerb um Besetzungsinversion beeinflussen, und meist heftig fluktuieren. Man muss daher zus¨ atzliche, Bandbreite begrenzende und stabilisierende Maßnahmen ergreifen, um Strahlung zu erhalten, die dem Idealbild des monochromatischen, hoch koh¨ arenten und parallelen Laserlichtes entspricht. F¨ ur weitere Details verweisen wir den interessierten Leser auf die einschl¨agige Literatur.

13.2 Gauß’sche Strahlen Wie bereits angek¨ undigt, wollen wir uns nun etwas eingehender mit der Strahlung besch¨aftigen, die eine Laseranordnung verl¨asst, und zwar mit der in den meisten F¨allen prim¨ ar erw¨ unschten TEM00 -Grundmode, die bei freier Ausbreitung im Raum als Gauß’scher Strahl in Erscheinung tritt. Wir werden dabei h¨aufig Gebrauch von Formeln und Ableitungen aus Band 1 machen und

152

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

manches Detail wird dem Leser bekannt, ja trivial vorkommen. Wir m¨ ussen aber eine sichere Grundlage schaffen, um sp¨ ater Missverst¨andnisse zu vermeiden. Dabei werden wir auch einiges an simplem, aber wichtigem Handwerkszeug besprechen, wie es in einem typischen Laserlabor gebraucht wird. Zun¨achst geht es um die Pr¨azisierung von Begriffen wie Strahlradius und Divergenz. Der komplexe Strahlparameter und die Rayleigh-L¨ange wird eingef¨ uhrt, und wir untersuchen die Intensit¨ atsverh¨ altnisse im Gauß’schen Strahl. Sodann f¨ uhren wir die f¨ ur die gesamte Laserphysik sehr wichtigen ABCD Matrizen ein und besprechen die Fokussierung und Aufweitung von Laserstrahlen. Schließlich erfahren wir, wie man die Strahlparameter misst und wie man in der Praxis Abweichungen vom Ideal quantifiziert. 13.2.1 Beugungsbegrenztes Profil eines Laserstrahls Feldverteilung und Strahlparameter Naiver Weise mag man sich einen Lichtstrahl als Konus mit einem sehr kleinen Divergenzwinkel θ und einem endlichen Radius vorstellen, der mit (quasi)monochromatischen ebenen Wellen der Kreisfrequenz ω bzw. der Wellenl¨ange λ (Wellenvektor |k| = 2π/λ) gef¨ ullt ist. Das w¨ urde eine konstante Amplitude u ¨ber den ganzen Strahlquerschnitt erfordern. Obwohl das Auge einen Laserstrahl so wahrnehmen mag, ist dies noch keine realistische Beschreibung der tats¨ achlichen r¨ aumlichen Energieverteilung. Ein solch scharf begrenztes Profil stellt einfach keine L¨ osung der allgemeinen Wellengleichung   1 ∂2 (13.33) ∆ − 2 2 E(x, y, z, t) = 0 c ∂t f¨ ur das elektrische Feld E dar. Eine triviale L¨ osung ist ja bekanntlich die ebene Welle. Versucht man nun, eine unendlich ausgedehnte ebene Welle mit Hilfe einer kleinen zirkularen Blende vom Radius w0 zu beschneiden, so bildet der so ausgeschnittene Strahl“ sofort ein typisches Beugungsprofil aus, wie wir es ” schon beim Laserresonator (Abb. 13.4 auf S. 143) gesehen haben. Im Fernfeld nimmt dessen Intensit¨ at mit dem Radius ab, und ein divergentes Lichtb¨ undel entsteht. Die Beugung verwischt also alle scharfen Strahlgrenzen. Man kann aber nach dem strahlartigsten“ Profil suchen, das mit der ” Wellengleichung vertr¨ aglich ist. Wir suchen also einen Wellentyp, der sich in z-Richtung ausbreitet, dabei aber noch flexibel bei der Beschreibung seines r¨aumlichen Profils ist und schreiben dessen reelle Feldamplitude: E=

i E0 (x, y, z) e∗ e−i(kz−ωt) + conj. compl. 2

(13.34)

Eingesetzt in (13.33) erh¨ alt man f¨ ur den einh¨ ullenden Ortsanteil ∂ 2 E0 ∂ 2 E0 ∂E0 ∂ 2 E0 + + − 2ik = 0. 2 2 2 ∂x ∂y ∂z ∂z

(13.35)

13.2 Gauß’sche Strahlen

153

Wir suchen nach L¨ osungen, bei denen sich die Amplitude so langsam ver¨andert, dass der Charakter einer ebenen Welle nicht verloren geht. Man fordert E0 δE0 δE0 δE0 , ,  δx δy δz λ und nennt dies die N¨ aherung der langsam variierenden Einh¨ ullenden (slowly varying envelope approximation, SVE ). Vernachl¨assigt man die zweite Ableitung nach z v¨ollig, so erh¨ alt man: ∂ 2 E0 ∂E0 ∂ 2 E0 + − 2ik = 0. ∂x2 ∂y 2 ∂z

(13.36)

Zur L¨osung macht man nun den Ansatz x2 + y 2 E0 (x, y, z) = A(z) exp − 2q(z) 

 (13.37)

mit dem komplexen Strahlparameter q(z) = z + iz0 ,

(13.38)

charakterisiert durch die sogenannte Rayleigh-L¨ ange z0 . Ohne auf die Details der Rechnung einzugehen, kommunizieren wir die wesentlichen Ergebnisse f¨ ur ein solches, frei propagierendes elektromagnetisches Feld, die man durch Einsetzen in (13.36) leicht verifiziert. Wir suchen speziell zylindersymmetrische L¨osungen, also solche, die nur p angen, und finden f¨ ur die Feldamvon z und vom Radius ρ = x2 + y 2 abh¨ plitude den wichtigen Ausdruck     ikρ2 ρ2 E0 × exp(iφ(z)) × exp − × exp − E0 (ρ, z) = q w(z)2 2R(z) 2 1 + (z/z0 ) (13.39) q 2

mit dem Maximalwert E0 / 1 + (z/z0 ) auf der Strahlachse. Diese Gleichung beschreibt einen Gauß’schen Strahl. Dabei wurde (13.38) umgeschrieben in i 1 1 λ 1 = −i 2 , 2 − 2 = q R(z) πw (z) z(1 + (z0 /z) ) z0 (1 + (z/z0 ) ) mit dem Strahlradius

q w(z) = w0

2

1 + (z/z0 )

(13.40)

(13.41)

und dem Kr¨ ummungsradius (Ort konstanter Phase im Fernfeld, z  z0 ) h i 2 R(z) = z 1 + (z0 /z) . (13.42) Nach (13.40) h¨angt die Strahltaille w0 mit der Rayleigh-L¨ange z0 u ¨ber

154

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

z0 =

kw02 πw02 = λ 2

(13.43)

zusammen. Der Gauß-Strahl wird also durch nur einen Parameter charakterisiert, wobei man entweder z0 oder w0 w¨ ahlen kann. An der Strahltaille z = 0 ist w(0) = w0 und R(0) = ∞. Im Fernfeld z  z0 w¨achst w linear mit z (wie in der geometrischen Optik) w (z) =

2 |z| λ |z| w0 |z| = = , z0 kw0 πw0

(13.44)

w¨ahrend R (z) = z wird. Dazwischen liegt bei z = ±z0 die st¨arkste Kr¨ ummung 1/ |R| = 1/2z0 , und f¨ ur den Strahlradius gilt w2 (z0 ) = 2w02 . Der erste Faktor in (13.39) sorgt f¨ ur die Erhaltung der Gesamtenergie im Strahl, der zweite beschreibt das eigentliche radiale Gauß-Profil. Der dritte  Faktor exp −ikρ2 /2R(z) charakterisiert die Kr¨ ummung der Wellenfront, also die wesentliche Abweichung des Gauß’schen Strahls von der ebenen Welle. Er wird auch Fresnel-Faktor genannt.5 Im Fernfeld geht er gegen 1 und der Gauß’sche Strahl wird praktisch eine ebene Welle. Der letzte Faktor in (13.39) enth¨alt die sogenannte Gouy-Phase: φ(z) = − arctan(z/z0 ) Das ist eine Phase, welche die Welle gegen¨ uber einer ebenen Welle dadurch aufsammelt“, dass sich die Kr¨ ummung der Wellenfl¨achen ¨andert. Sie l¨auft ” von −π/2 bis +π/2 und ist so definiert, dass die Gesamtphase der Welle bei R = 0 verschwindet. Genau 50% davon ergeben sich zwischen ±z0 . Die GouyPhase gewinnt zunehmend an Bedeutung im Zusammenhang mit ultrakurzen Laserimpulsen und wurde erstmals von Lindner et al. (2004) vermessen. Praktische Formeln Es ist wichtig festzuhalten, dass mit (13.39) der Strahlradius w den Abstand von der Strahlachse angibt, bei welchem die Feldamplitude auf 1/e (also auf 36.8%) abgefallen ist (ISO 11146). Entsprechend ist die Intensit¨at6 I (ρ, z) =

h i 1 2 2 0 c |E0 (ρ, z)| = I0 (z) exp −2 (ρ/w) 2

(13.45)

des Gauß-Strahls beim dem so definierten Strahlradius w nur noch 1/e2 (also 13.5%) ihres Maximalwertes auf der z-Achse. Dieser ist nat¨ urlich noch von z abh¨angig. F¨ ur manche Zwecke ist es g¨ unstiger, einen Gauß-Radius 5

6

Wir k¨ onnen den Exponenten auch ikρ2 /2R = iπρ2 /λR schreiben und erkennen die Fresnel-Zahl nach (13.14) wieder. Wir erinnern uns: (0 c)−1 = Z0 = 376.7 Ω ist der Wellenwiderstand des Vakuums, womit sich Intensit¨ at und Feldst¨ arke bequem ineinander umrechnen lassen.

13.2 Gauß’sche Strahlen

ln(I/I0) 0

I/I0

-1

d1/2 2a

d1/2

-2

2w

2a

-3 -4

2w -2

0

155

ρ / mm

-5

2

-2

0

ρ / mm

2

Abb. 13.10. Radiales Intensit¨ atsprofil eines kontinuierlichen Ring-Farbstofflasers. Experimentell bestimmte Punkte (•) und Gauß-Fit (—) sind links linear, rechts logarithmisch aufgetragen. Die im Text definierten Gr¨ oßen Halbwertsbreite d1/2 , Gauß-Radius a und Strahlradius w sind maßst¨ ablich eingetragen

√ a = w/ 2

(13.46)

zu benutzen, womit sich die Rayleigh-L¨ ange als z0 =

2πa20 πw02 = ka20 = = kw02 /2 λ λ

und die Strahlintensit¨ at bei festem z als I (ρ) = I0 (z) exp −ρ2 /a2



(13.47)

schreibt. Der Strahldurchmesser bei halber Intensit¨at (FWHM) wird √ d1/2 = 2 ln 2 a = 1.665a = 1.177w . (13.48) Die Maximalintensit¨ at I0 (z) l¨ asst sich durch Integration von (13.47) in einpr¨agsamer Weise durch die Gesamtleistung Ptot im Strahl ausdr¨ ucken: I0 (z) =

2Ptot Ptot Ptot = = 0.693 2 2 2 πa πw π d1/2 /2

(13.49)

Damit wird die Intensit¨ at im Maximum des Gauß-Strahles gerade gleich der Intensit¨at in einem hypothetischen, zylindrischen Strahl mit Radius a. Ein typisches, gemessenes laterales Profil f¨ ur einen Laserstrahl zeigt Abb. 13.10 im Vergleich mit einem Gauß’schen Fit. Die Gauß-Verteilung (13.47) ist bei diesem Beispiel also durchaus realistisch, wenn auch keineswegs perfekt. Oft ist man interessiert an dem Teil der Gesamtlaserintensit¨at P (ρ) der Gesamtleistung Ptot , die im Zentrum des Strahls zwischen ρ = 0 und ρ steckt. alt man die n¨ utzliche Formel Durch Integration von Gl. (13.47) erh¨   I (ρ) . (13.50) P (ρ) = Ptot 1 − I0

156

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz Tabelle 13.1. Intensit¨ at und Leistung in einem Gauß’schen Strahl ρ

I(ρ)/I0

P (ρ)/Ptot

Imittel /I0

%

%

0

1

0

100

0.83 a

1/2 = 0.5

50

72

a √ w = 2a

1/e = 0.367

63.3

63

1/e = 0.135

86.5

43

2a

1/e4 = 0.0183

98.7

25

2

F¨ ur praktische Zwecke sind in Tabelle 13.1 einige Zahlen zusammengestellt. Wir sehen, dass auf eine Kreisscheibe um die Achse mit Radius a nur 63.3% der Gesamtleistung treffen, hingegen ≈ 99% auf eine Scheibe mit Radius 2a. Angegeben ist in der Tabelle auch die mittlere Intensit¨at Imittel . Selbstverst¨andlich macht eine solche Angabe nur Sinn, wenn man Prozesse untersucht, die linear von der Intensit¨ at abh¨ angen. Wir werden darauf noch in Abschn. 13.6 zur¨ uckkommen. Der Vollst¨andigkeit halber notieren wir explizit noch die Abh¨angigkeit der Intensit¨at von ρ und z, die man aus (13.45) mit (13.41) und (13.49) erh¨alt ! I0 2ρ2 I(ρ, z) = (13.51) 2 exp − 2 2 1 + (z/z0 ) w0 (1 + (z/z0 ) ) mit I0 = I0 (0) = 2Ptot /πw02 . Die rote Linie in Abb. 13.11a zeigt schematisch, wo die Intensit¨at I(ρ, z) auf 1/e2 abgefallen ist und definiert asymptotisch die Strahldivergenz θe . Das 2D-Profil in Abb. 13.11b, eine Art Hundeknochen“, ” 2

(a)

k

2w0

-20

ρ/w0 R θe

-2 1/e2

der Maximalintensität R/w0 20 10

(c) -20

w(z) z/w0 20

-10

ρ/w0

(b)

w0 = 2λ

20 z/w0

0.6

0.0

-2.0

I/I0 1.0 0.8

1.0

0.4

-1.0 -10 10 -20

z0 = 2πw0

2.0

0.2

w0 -5

0 b = 2z0

0 5

10 z/w0

Abb. 13.11. Profil und Parameter eines Gauß-Strahls bei starker Fokussierung (w0 = 2λ). (a) Geometrie in der N¨ ahe der Strahltaille w0 , (b) 2D-Darstellung des Intensit¨ atsprofils im Strahlfokus, (c) Radius der Wellenfront als Funktion von z/w0

13.2 Gauß’sche Strahlen

157

gibt einen Ausschnitt aus der Mitte von (a). Auch der Konfokalparameter b = 2z0 ist angedeutet. Er hat eine sehr praktische Bedeutung, denn f¨ ur z = ±z0 hat sich die Strahlfl¨ ache πw(z0 )2 = 2πw02 gegen¨ uber der Taille jeweils verdoppelt. Die Intensit¨ at f¨ allt also innerhalb des Konfokalparameters in beide Richtungen jeweils auf 50% der Maximalintensit¨at ab. Abbildung 13.11c zeigt zur Orientierung auch noch den Radius R der Wellenfront als Funktion von z/w0 . Man beachte die ausgepr¨ agten Minima mit R = 2z0 bei z = z0 . Strahldivergenz und Beugung Im Fernfeld z  z0 geht (13.51) mit (13.43) und (13.49) u ¨ber in ! k2 ρ2 k 2 I(ρ, z) = Ptot , 2 exp − 2 2π (z/w0 ) 2 (z/w0 )

(13.52)

was man f¨ ur kleine Divergenzwinkel des Strahles mit θ ' ρ/z  1 auch umrechnen kann auf die in ein Raumwinkelelement 2πθdθ ausgestrahlte Leistung   2 2 P (θ) = Ptot 2π (kw0 ) exp − (θkw0 ) /2 (13.53) mit [P (θ)] = W / sr . Der Winkel, bei dem ein Gauß-Strahl auf 1/e2 der maximalen Intensit¨ at abgefallen ist (die Feldst¨ arke auf 1/e), wird also √ 2 w0 λ 2 θe = = = = . (13.54) kw0 z0 πw0 ka0 Dies entspricht einer Raumwinkeldivergenz δΩe = πθe2 =

λ2 . πw02

(13.55)

13.2.2 Fraunhofer-Beugung Es ist instruktiv, die Winkeldivergenz eines Gauß-Strahles zu vergleichen mit der des Beugungsbildes einer ebenen Welle an einer zirkularen Apertur vom Radius w0 . Wir hatten das Thema schon im Zusammenhang mit der Entstehung der Lasermoden und Beugungsverluste in Abschn. 13.1.3 angesprochen. Wir nutzen jetzt die Gelegenheit, einen kleinen Exkurs in ein wichtiges Thema der klassischen Wellenoptik (s. z.B. Born und Wolf, 1999) einzuschieben und betrachten die Beugung einer ebenen Welle an einer Kreisblende.7 Nach dem Huygen-Fresnel’schen Prinzip, kann man recht allgemein die 7

Wir verzichten hier auf die streng formale Ableitung nach Kirchhoff, die auch die Vorfaktoren begr¨ undet. Wir nehmen der Einfachheit halber senkrechtes Auftreffen der Welle auf ein ebenes Objekt an und setzen das Feld skalar sowie aus rechentechnischen Gr¨ unden komplex an.

158

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Beugung einer ebenen Welle der Amplitude ES an einem ebenen Objekt der Fl¨ache S als Superposition von Kugelwellen schreiben. Das Feld an einem Detektionspunkt rD ergibt sich danach zu I iES exp (ikr) E(r D ) = − T (ρ, ϕ) ρ dρ dϕ . (13.56) λ r S

η

ξ

w0 S φ ρ

r dρ

Abb. 13.12. Geometrie bei der Fraunhofer-Beugung

Beugungsbild am Detektor y

r0

ψ D s

θ

x

z

dφ beugende Fläche

Die Geometrie ist in Abb. 13.12 skizziert. Wir w¨ahlen zur Berechnung Zylinderkoordinaten z, ρ und ϕ. Das Objekt werde durch eine (im allgemeinen komplexe) Transmissionsfunktion T (ρ, ϕ) charakterisiert, die sowohl die Phase, wie auch die Amplitude der einfallenden Welle ES am Ort der Beugungsfl¨ache noch ver¨andern kann. F¨ ur den Abstand r eines durch ρ und ϕ auf S charakterisierten Punktes zu einem durch s und ψ beschriebenen Detektorpunkt D gilt nach Abb. 13.12 2

2

r 2 = (x − ξ) + (y − η) + z 2 , w¨ ahrend r02 = x2 + y 2 + z 2   xξ + yη ξ 2 + η 2 2 2 ist, sodass r = r0 1 − 2 + r02 r02 wird. Mit dem Skalarprodukt der beiden Radialvektoren auf der beugenden Fl¨ache ρ und am Detektor s schreibt sich xξ + yη = ρ · s = ρs cos(ψ − ϕ). Wir ersetzen ξ 2 + η 2 = ρ2 und entwickeln f¨ ur w0 < r0 s xξ + yη ρ2 ρs cos(ψ − ϕ) ρ2 r = r0 1 − 2 + 2 ' r0 − + . (13.57) 2 r0 r0 r0 2r0 Ber¨ ucksichtigen wir noch, dass der Beugungswinkel θ = s/r0 ist, so k¨onnen wir die Kugelwelle in (13.56) schließlich schreiben:   exp (ikr) exp (ikr0 ) ρ2 → exp (−ikρθ cos(ψ − ϕ)) exp −ik r r0 2r0

13.2 Gauß’sche Strahlen

159

Der letzte Faktor ist wieder der Fresnel-Faktor, den wir schon beim GaußStrahl kennen gelernt haben. Auch hier kommt also die Fresnel-Zahl F nach (13.14) ins Spiel, und je nach charakteristischer Abmessung der beugenden Fl¨ache (' w0 ) und Distanz zum Detektionsort (r0 ' z) unterscheidet man: Fraunhofer-Beugung f¨ ur

F = w02 /zλ  1/π

Fresnel-Beugung f¨ ur

F = w02 /zλ & 1/π

und zugleich w0  z .

Am einfachsten auszuwerten  ist die Fraunhofer-Beugung, da dann der Fresnel-Faktor exp −ikρ2 /2r0 ' 1 wird. Das elektrische Feld am Beobachtungsort bei z ergibt sich schließlich durch Einsetzen in (13.56) zu iES E(r D ) = − exp (ikz) λz

Z

w0

Z

0



T (ρ, ϕ) exp (−ikρθ cos(ψ − ϕ)) dϕ .

ρ dρ 0

(13.58) F¨ ur die jeweils interessierenden Geometrien und Transmissionsfunktionen T hat man nun dieses Integral auszuwerten. Die Intensit¨at im Beugungsbild erh¨alt man als Quadrat des Absolutbetrags dieses Ausdrucks. Besonders einfach ist das f¨ ur eine kreisf¨ ormige Aperturblende mit Radius w0 und T (ρ, ϕ) ≡ 1. Man macht sich dabei die Eigenschaften der Bessel-Funktionen erster Ordnung zu Nutze Z π Z x 1 iu cos ϕ inϕ e e dϕ und xJ1 (x) = u J0 (u) du Jn (u) = 2πin −π 0 und erh¨alt mit n = 0 und u = kθρ die Feldst¨ arke  2 Z kθw0 2π 1 uJ0 (u) du λz kθ 0 kw02 J1 (kw0 θ) , = −iES exp (ikz) z kw0 θ

E(r D ) = −iES exp (ikz)

(13.59)

und f¨ ur das gebeugte Licht ergibt sich schließlich pro Raumwinkel  P (θ) ∝ Ptot

2J1 (kw0 θ) kw0 θ

2 .

(13.60)

Dies wird in Abb. 13.13 mit einem Gauß-Profil (13.53) verglichen. Man sieht, dass der Gauß-Strahl etwas besser kollimiert ist, aber die gleiche Gr¨oßenordnung f¨ ur die Divergenz liefert. Der Gauß-Strahl ist die bestm¨ ogliche Ann¨ aherung an den hypothetischen Lichtstrahl der geometrischen Optik. Man kann (13.54) etwas salopp sogar als eine Art Unsch¨arferelation interpretieren: k⊥ w0 ≥ 2, wobei k⊥ = kθe als transversale Komponente des Wellenvektors zu interpretieren ist. Man definiert auch ein sogenanntes Strahlparameter-Produkt (beam parameter product) BP P ≡ w0 θ, welches die Qualit¨at eines Lichtstrahls charakterisiert. Beim Gauß-Strahl gilt f¨ ur das BP P

160

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz Abb. 13.13. Vergleich der winkelabh¨ angigen Profile eines Gauß-Strahls im Fernfeld (rot) mit dem einer aperturbegrenzten ebenen Welle (grau)

1.0

P(θ)

0.5 - 3.83 -6

-4

3.83 -2

0

2

4

kw0θ

6

BP P = w0 θ = 2/k = λ/π ,

(13.61)

w¨ahrend f¨ ur die aperturbegrenzte ebene Welle nach (13.60) gilt: w0 θ ≥ 3.83/k = 1.22

λ 2

bzw.

sAiry = θz = 1.22

zλ 2a

(13.62)

Dabei gibt sAiry den Radius des zentralen Beugungsbildes (das sogenannte Airy-Scheibchen) auf dem Detektorschirm an.8 Wir kommen auf diese Ausdr¨ ucke in Kap. 14.1.6 noch einmal im Zusammenhang mit der Diskussion der lateralen Koh¨arenz von nat¨ urlichem Licht und Laserstrahlung zur¨ uck. 13.2.3 Strahl-Transfer-Matrizen Bevor wir zu der experimentell sehr wichtigen Fokussierbarkeit von Gauß’schen Strahlen kommen, wollen wir ein wichtiges Werkzeug der geometrischen Optik einf¨ uhren, das auch f¨ ur Gauß’sche Strahlen anwendbar ist: die Stahl-TransferMatrizen (auch ABCD Matrizen genannt), welche die Propagation von achsennahen Lichtstrahlen beschreiben, also von solchen Strahlen, bei denen der Winkel zur optischen Achse θ = ρ/z gesetzt werden kann, wie dies f¨ ur Laserstrahlen in aller Regel der Fall ist. Die ABCD Matrizen gestatten es, den Weg des Lichtstrahls, auch den eines Gauß’schen Strahls, durch ein Arrangement von optischen Bauelementen (Linsen, Spiegel, Glasfl¨achen etc.) sehr bequem zu berechnen. Sie bilden u.a. die Basis f¨ ur die Berechnung von Laserresonatoren. Man charakterisiert den Lichtstrahl an einem bestimmten Ort z der optischen Achse durch eine sogenannte Strahlmatrix:   ρ θ

Strahl

entsprechend dem Schema

ρ θ opt. Achse

z

¨ In Abb. 13.14 ist die Anderung des Strahls in einen Strahl’ f¨ ur die zwei wich8

Der Ausdruck entspricht auch dem bekannten Rayleigh-Kriterium f¨ ur das beugungsbegrenzte Aufl¨ osungsverm¨ ogen optischer Instrumente.

13.2 Gauß’sche Strahlen

Strahl

d Strahl' ρ

ρ'

θ

Strahl' Strahl θ

θ'

ρ ρ'

161

Abb. 13.14. Zur Wirkung der ABCD Matrizen auf einen Lichtstrahl. Links: Strahltranslation u ¨ber eine Strecke d. Rechts: Reflexion an einer Grenzfl¨ ache zwischen zwei Materialien

¨ tigen F¨alle Translation und Brechung skizziert. Eine solche Anderung beim Durchgang eines Strahls durch eine optische Anordnung entspricht einer linearer Transformation der Strahlmatrix.9 Man beschreibt sie mit Hilfe der sogenannten ABCD Matrix:    0  AB ρ ρ = . (13.63) θ0 CD θ Speziell f¨ ur einen Gauß-Strahl a ¨ndert sich (hier ohne Beweis; s. z.B. Kogelnik und Li, 1966) dabei der komplexe Strahlparameter (13.40) von q nach q 0 entsprechend: Aq + B 1 C + D/q q0 = oder (13.64) = Cq + D q0 A + B/q Wir stellen die wichtigsten einfachen F¨ alle in Tabelle 13.2 zusammen. Man verifiziert, dass im Fall 1 der Strahl tats¨ achlich einfach translatiert wird      0  1d ρ ρ + θd ρ = = , θ0 01 θ θ w¨ahrend sich im Fall 2 

ρ0 θ0

 =

1 0 n 0 0 n

!  ρ = θ

ρ nθ n0

!

das Snellius’sche Brechungsgesetz n0 θ0 = nθ ergibt (achsennahe Strahlen mit sin θ ∼ = θ). Die Propagation eines Strahls durch mehrere optische Anordnungen dieser Art beschreibt das Produkt ihrer ABCD-Matrizen. So ergeben sich die Strahlparameter nach Translation und Ablenkung durch eine d¨ unne Linse indem man Matrix 1 mit Matrix 3 aus Tabelle 13.2 multipliziert:       1 d   ρ + dθ 1 0 1 dρ ρ  1  d ρ + dθ  (13.65) = 1 = − 1 01 θ θ − 1− θ− f f f f 9

Im mathematischen Sinne ist die Strahlmatrix einfach der Ortsvektor in Zylinderkoordinaten geschrieben, mit dem Abstand ρ des Strahls von der optischen Achse (z-Achse) und dem Polarwinkel θ. Die zur Darstellung benutzten Bildchen sind in diesem Sinne nicht immer ganz korrekt, daf¨ ur aber anschaulich.

162

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz Tabelle 13.2. Die wichtigsten einfachen ABCD Matrizen Fall

Beschreibung

ABCD 1

d n 01

!

1

Translation u ¨ber Weg d in Medium mit Brechungsindex n

1 0 n 0 0 n

!

2

Brechung an ebener Fl¨ ache Brechungsindex links n, rechts n0

Schematisch

n d

n n′

 3

D¨ unne Linse der Brennweite f

4

Reflexion an Hohlspiegel

 1 0  1  − 1 f 1 0 2 − 1 R

f

f

!

 5

Brechung an gekr¨ ummter Fl¨ ache

 1 0  n0 − n n0  − 0 0 nR n

R

n n′

R

Man verifiziert, z.B. f¨ ur einen aus dem Brennpunkt kommenden Strahl (d = f und ρ = 0), dass nach Durchgang durch die Linse der Austrittswinkel stets θ 0 = 0 ist, der Strahl die Linse also parallel verl¨asst. Umgekehrt wird bei einem parallel eintretender Strahl (θ = 0) unabh¨ angig von d und ρ stets ρ0 = ρ und 0 θ = −ρ/f sein, der Strahl wird also in den Brennpunkt hinein gebrochen. Umgekehrt k¨onnen wir auch die Propagation des Strahls hinter der Linse an den Ort d0 berechnen, wenn wir die Strahlparameter vor der Linse kennen:       d0 0   ρd0  0 0 1 0   1 − d ρ − + d θ 1d  ρ   ρ   f f 1  = =   (13.66) ρ 1 − 1 0 1 θ θ − + θ − 1 f f f So verifiziert man etwa, dass vor der Linse achsenparallele Strahlen (θ = 0) hinter der Linse bei d0 = f die Achse schneiden. Das Produkt von Matrix 1 mit Matrix 2 und nochmals mit Matrix 1 erlaubt die Abbildung durch eine Linse zu beschreiben, und durch weitere Multiplikation mit den Matrizen f¨ ur zus¨atzliche optische Wegstrecken und Bauelemente kann man beliebig komplizierte Aufbauten rasch analysieren. Wir werden dies jetzt auf die Manipulation eines Gauß-Strahls mit Linsen anwenden.

13.2 Gauß’sche Strahlen

163

13.2.4 Fokussierung eines Gauß-Strahles Das Fokussieren, Defokussieren, Aufweiten und B¨ undeln von Gauß-Strahlen ist f¨ ur die Praxis im Labor ¨ außerst wichtig. Im Prinzip sind sowohl beliebig große Strahlradien darstellbar wie auch die Fokussierung auf sehr kleine Brennflecke. Dabei gilt aber stets: das Produkt aus Strahlradius w0 und Divergenzwinkel θe bleibt konstant. Speziell gilt nach (13.54) im Idealfall des beugungsbegrenzten Gauß’schen Strahls θe w0 = λ/π. Zum Ein¨ uben lassen wir einen Gauß-Strahl frei propagieren und nehmen an, dass wir anf¨anglich einen ideal parallelen Strahl mit R = ∞ und Strahlradius wL vorfinden. Der komplexe Strahlparameter ist nach (13.38) und (13.40) also 1 i λ = −i 2 = − . q πwL z0 Dabei wurde zur Abk¨ urzung die Rayleigh-L¨ ange (13.43) eingesetzt, hier z0 = 2 πwL /λ. Wir berechnen nach (13.64) mit Hilfe der Propagationsmatrix (Fall 1 in Tabelle 13.2) den komplexen Strahlparameter im Abstand d = z 0 zu C + D/q 1/q 1 = = , q0 A + B/q 1 + z 0 /q woraus nach kurzer Rechnung folgt: 1 i 1 λ 1 = 0 − = 0 − i 02 q0 z (1 + z02 /z 02 ) z0 (1 + z 02 /z02 ) R πw Durch Vergleich von Real- und Imagin¨ arteil aufp beiden Seiten der Gleichung ucke erh¨alt man R0 = z 0 1 + z02 /z 02 und w0 = wL 1 + z 02 /z02 , also Ausdr¨ die v¨ollig ¨aquivalent zu (13.42) und (13.41) sind. Wir sehen, dass die Matrixmethode also tats¨ achlich das Verhalten eines Gauß-Strahles reproduziert, der sich entlang der optischen Achse ausbreitet – einschließlich des richtigen Divergenzwinkels θe = λ/πwL entsprechend (13.54). Wir wollen nun diesen Laserstrahl durch eine Sammellinse der Brennweite f fokussieren. Sie sei am Ort z = 0 platziert, und wir pr¨azisieren die anf¨angliche Parallelit¨ at durch R  f . In der geometrischen Optik w¨ urde die Linse diese ebene Welle“ in ihren Brennpunkt fokussieren und dabei die ebe” ne Wellenfront (R = ∞) in eine sph¨ arische Welle mit Radius R0 = (z − f ) umwandeln. In der Realit¨ at wird der Punkt durch Beugungseffekte zu einer Kreisscheibe mit endlichem Radius w0 , wie dies in Abb. 13.15 skizziert ist. Mit RL = ∞ und einem anf¨ anglichen Strahlradius wL wird der komplexe 2 Strahlparameter vor der Linse 1/q = −iλ/πwL wie im letzten Beispiel. Nach (13.64) berechnen wir diesmal mit Hilfe der Produktmatrix (13.66) den neuen komplexen Strahlparameter:  2 −1/f − iλ/ πwL 1 C + D/q  . (13.67) = = 0 q0 A + B/q 2) 1 − zf − z 0 iλ/ (πwL

164

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

wL

√2 w'0

w'0

Laser Strahl weit entfernt von der Taille R=∞

w'(z' )

2 z'0

f

z'

Abb. 13.15. Fokussierung eines parallelen Gauß’schen Strahls

2θ'e

R' = f

Ohne auf die Details einzugehen, vermerken wir, dass – wie erwartet – der Strahlradius w0 (zur Erinnerung: bei 1/e2 Intensit¨at) mit der Distanz z 0 vom Brennpunkt der Linse zunimmt. Der Einfachheit halber konzentrieren wir uns auf den Brennpunkt der Linse, z 0 = f , um die Taille w0 = w0 (f ) zu berechnen. Dort erhalten wir das einfache Ergebnis 1 λ 1 πw2 1 = 0 − i 02 = − i L 0 q R πw f λf 2 und durch Vergleich von Real- und Imagin¨ arteil den Taillenradius w00 w00 =

fλ . πwL

(13.68)

Der Kr¨ ummungsradius der Wellenfront10 wird hier R0 = f . F¨ ur praktische Zwecke notieren wir noch√ den Zusammenhang f¨ ur den eingangs definierten 1/e Gauß-Radius a = w/ 2 : a00 =

fλ 2πaL

(13.69)

Interessanterweise wird offenbar der Strahlradius im Fokus (w00 bzw. a00 ) um so kleiner, je gr¨oßer er an der fokussierenden Linse war. Die Maximalintensit¨at 2 achst sogar proportional zu 1/wL bzw. 1/a2L . im Fokus nach (13.49) w¨ Mit der Rayleigh-L¨ ange z0 nach (13.43) ergibt sich schließlich durch Einsetzen von (13.68) noch der sogenannte Konfokalparameter (das ist die Distanz um den Fokus, innerhalb derer die Intensit¨ at auf 50% abf¨allt): b = 2z0 = 10

2λf 2 2πw02 = . 2 λ πwL

Bei genauerer Betrachtung findet man, dass der kleinste Querschnitt tats¨ achlich  bei z = f z02 / z02 + f 2 liegt, also etwas vor dem Brennpunkt der Linse. Dort geht dann auch R → ∞. Da wir es hier aber typischerweise mit einem zun¨ achst relativ großen Strahlradius wL zu tun haben, f¨ ur den z0  f gilt, spielt dieser kleine Unterschied praktisch keine Rolle.

13.2 Gauß’sche Strahlen

165

Tabelle 13.3 gibt einige Beispiele f¨ ur das Fokussieren von Gauß-Strahlen mit zwei unterschiedlichen Anfangsstrahldurchmessern wL f¨ ur drei verschiedene Linsenbrennweiten f . Als Wellenl¨ange haben wir 800 nm gew¨ahlt, die Wellenl¨ange des Titan-Saphir Lasers, der in der Kurzzeitspektroskopie eine zentrale Rolle spielt. Man kann nat¨ urlich auch umgekehrt einen fokussierten Laserstrahl wieder parallel machen, indem man eine Linse der Brennweite f im Abstand f von der Taille platziert. Wie in Abb. 13.16 illustriert, konvertiert die Linse in diesem Fall die gekr¨ ummte Wellenfront in eine im Wesentlichen ebene Welle. Gehen wir von einer Strahltaille w0 bei z = 0 und einem Kr¨ ummungsradius RL = −f aus, so wird der komplexe Strahlparameter des Laserstrahls in der Taille 1 λ 1 =− −i 2 . q f πw0 Benutzen wir wieder (13.64), diesmal aber mit der Produktmatrix (13.65), so erhalten wir nach kurzer Rechnung f¨ ur den komplexen Strahlparameter hinter der Linse: C + D/q π 1 = = −i 2 w02 q0 A + B/q f λ Damit wird unmittelbar hinter der Linse der Strahlradius w00 =

fλ und R0 = ∞ . πw0

Das ist erwartungsgem¨ aß gerade die Umkehrung der Fokussierung nach (13.68). Wir m¨ ussen aber beachten, dass der so neu definierte Laserstrahl nun seine Taille an der Linse hat und sich von dort aus wiederum leicht divergent ausbreitet, wie wir das im ersten Beispiel dieses Abschnitts besprochen haben. Daher wird der neue Divergenzwinkel des parallelisierten“ Gauß-Strahls ” w0 λπw 0 = . (13.70) θe0 = λ/πw00 = πf λ f Tabelle 13.3. Strahl Radius w00 (bei 1/e2 Intensit¨ at) und Konfokalparameter im Fokus einer Linse der Brennweite f . Es wird urspr¨ unglich ein paralleler Gauß-Strahl mit Radius wL ) bei einer Wellenl¨ ange λ = 800 nm angenommen. Man sieht, dass die laterale Justierung sehr kritisch ist, die longitudinale deutlich weniger f / mm

wL / mm

wL /f

w00 /µm

b

100

0.4

0.004

64

31 mm

50

0.4

0.008

31

8 mm

100

2

0.02

13

1.3 mm

50

2

0.04

6.4

318 µm

10

0.4

0.04

6.4

318 µm

10

2

0.2

1.2

12 µm

166

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Laserstrahl θe nahe an der Taille

w0'

z=0

w'(z')

Abb. 13.16. Defokussierung eines Gauß’schen Strahls

z'

w0 RL=- f f

θ'e Sammellinse R' = ∞

θ'e

Diese Divergenz l¨asst sich sehr anschaulich deuten, wie in Abb. 13.16 skizziert: sie entspricht gerade jener Divergenz, die man erwarten w¨ urde, wenn eine ausdehnte Lichtquelle mit dem urspr¨ unglichen Taillenradius w0 auf geometrische Weise durch die Linse abgebildet w¨ urde. Um ein Gef¨ uhl f¨ ur die Divergenz Gauß’scher Strahlen zu geben, sind in ur verschiedene Strahlradien w0 Tabelle 13.4 eine Reihe numerischer Werte f¨ (bzw. a¨quivalente Rayleigh-L¨ angen z0 oder Divergenzwinkel θe ) zusammengestellt. Die Strahlradien bei verschiedenen Abst¨anden z von der Taille zeigen deutlich, dass auch Gauß’sche Strahlen bei gr¨oßeren Abst¨anden auseinander laufen – wie man es bei manchen Laserilluminationen am n¨achtlichen Stadthimmel beobachten kann (bei trockenem Wetter dank der Rayleigh-Streuung, bei feuchtem Wetter noch besser sichtbar, aufgrund der Mie-Streuung, wie wir das schon in Band 1 besprochen haben). Die Art, wie sich Gauß’sche Strahlen aufweiten, verdient einige Beachtung. Vergleichen wir z.B. die Strahlen Nr. 1, unglich ein ziemlich breiter Pinsel“. 3 und 5 in Tabelle 13.4. Strahl 1 ist urspr¨ ” Er weitet sich aber nur um einen Faktor 3 u ¨ber eine Distanz von 1 km auf und kann daher gut f¨ ur Zwecke der Telekommunikation oder der Metrologie benutzt werden. Dagegen sehen die Strahlen 3 oder 5 auf dem Lasertisch sehr schmal und richtig laserartig aus. Sie weiten sich aber rasch stark auf und haben in einiger Entfernung einen sehr großen Radius. Strahl 6 wird man kaum noch im 20 m entfernten Nachbarlabor nutzen k¨onnen, und Strahl 7 schließlich ist ein stark fokussierter Strahl, mit dem man hohe Intensit¨aten im Brennpunkt erzeugen kann, seine Ausbreitungseigenschaften sind aber katastrophal: die Rayleigh-L¨ ange betr¨ agt weniger als 0.5 mm, die Intensit¨at f¨allt also innerhalb einer Konfokall¨ ange von weniger als 1 mm auf 50% ab. Um Strahlen weit zu transportieren, muss man sie also zun¨achst aufweiten. Man benutzt dazu Teleskopsysteme, wie in Abb. 13.17 skizziert. Am Ende der Strecke, u ¨ber welche man den Strahl zu transportieren hat, kann ggf. ein zweites, mehr oder weniger identisches, umgekehrt ausgerichtetes System stehen, um den Strahl wieder zu verengen. Auch wenn man sehr stark fokussieren will, empfiehlt es sich, den Strahl zun¨ achst einmal aufzuweiten, da der erreichbare Fokus w0 nach (13.68) umgekehrt proportional zum Radius wL des Laserstrahls an der Linse ist. Wie Abb. 13.17 zeigt, kann man Teleskopsysteme auf zwei Weisen konstruieren: entweder nach Keppler mit zwei Sammellinsen, die

13.2 Gauß’sche Strahlen

167

Tabelle 13.4. Strahlradien Gauß’scher Strahlen als Funktion des Abstands von der ange Strahltaille f¨ ur verschiedene Taillenradien wo nach (Gl. (13.41)). Die Rayleigh-L¨ zR und der Fernfeld-Divergenzwinkel θe h¨ angen von wo u ¨ber (13.43) und (13.54) ab. Die Zahlen gelten f¨ ur die Ti:Saphire Wellenl¨ ange λ = 800 nm Nr.

Strahlparameter w0 / mm

1 2

w/ mm Strahlradius bei 1/e2 Intensit¨ at bei z (Abstand von der Taille) 1m 2m 20 m 100 m 1 000 m

z0 / m

θe / mrad

10

400 × 103

2.5 × 10−2

10

10

10

10.3

27

3

3

−2

3

3

3.4

9

85

35 × 10

3

3 × 10

3.9 × 10

3

1

0.25

1

1.1

5.2

25

255

4

0.3

353

0.84

0.9

1.7

16

85

850

5

0.1

39

2.5

2.5

5

51

254

2 546

6

0.03

3.5

8.5

8.5

16

170

850

8 500

7

0.01

0.4

25

25

50

250

2 550

25 465

f1 2w1

Linse 1

f2

2w2

2w0

Blende

Linse 2 f2

- f1

Linse 1

Linse 2

Abb. 13.17. Teleskopsysteme zur Aufweitung eines Gauß’schen Strahls. Die obere, Keppler’sche Anordnung (zwei Sammellinsen) ist mit einer Blende (r¨ aumliches Filter) zur Strahlqualit¨ atsverbesserung ausgestattet, die untere nach Galilei (Zerstreuungs- und Sammellinse) ist auch bei h¨ ochsten Intensit¨ aten verwendbar

man konfokal aufbaut (oben) oder nach Galilei mit einer Zerstreuungslinse und einer Sammellinse, deren virtueller Fokus im r¨ uckw¨artigen Brennpunkt der Zerstreuungslinse liegt. Aus der Geometrie von Abb. 13.17 liest man ab, dass die Strahlaufweitung vom Radius w1 nach w2 in beiden F¨allen durch w2 = w1 |f2 /f1 |

(13.71)

gegeben ist. Den Divergenzwinkel des aufgeweiteten Strahls sch¨atzt man wieder nach (13.54) ab: λ θ2 = (13.72) πw2

168

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

Dies gilt nat¨ urlich streng nur, wenn der Radius der Phasenfl¨ache bei Linse 2 exakt an f2 angepasst ist – was man stets durch Feinjustierung der Linsenposition erreichen kann. Beide Varianten des Teleskopsystems haben ihre speziellen Vorteile. W¨ahrend mit zwei Sammellinsen ein realer Brennpunkt existiert, in den man z.B. eine Aperturblende stellen kann (Durchmesser typischerweise 3 bis 5×w0 ), wie oben in Abb. 13.17 angedeutet. Mit diesem sogenannten Raumfilter gelingt es oft, die Strahlqualit¨ at von nicht ganz perfekt Gauß’schen Strahlen wesentlich zu verbessern. Man braucht f¨ ur die korrekte longitudinale und laterale Justierung einer solchen Blende freilich schon etwas Geschick. Arbeitet man mit hohen Laserintensit¨ aten, wie dies heute oft der Fall ist, wenn man Laserimpulse mit einer Dauer τ von einigen Femtosekunden benutzt (I0 ∝ 1/τ ), dann m¨ ochte man gerade vermeiden, dass es einen realen Fokus gibt. Das kann in Raumluft leicht zu Ionisation und zum elektrischen Durchbruch f¨ uhren, und der Laserimpuls wird zerst¨ort. Daher benutzt man in diesem Fall nur den Galilei’sche Teleskopaufbau, der dies vermeidet. 13.2.5 Profilmessung mit der Rasierklinge Wenn man schon weiß, dass es sich um einen Gauß’schen Strahl handelt, oder wenn (13.47) wenigstens das radiale Profil in guter N¨aherung beschreibt, kann man den Radius a oder w nach (13.48) in der Praxis durch ein sehr einfaches Verfahren leicht bestimmen. Man benutzt daf¨ ur eine Rasierklinge (engl. knife-edge“), die man auf einem hoch pr¨azisen Verschiebetisch von ” der Seite her, sagen wir in −y-Richtung, in den Strahl schiebt. Man misst die durchgelassene Intensit¨ at. Ist der Strahl von p y = y0 bis y = ∞ von der Rasierklinge bedeckt, registriert man mit ρ = x2 + y 2 am Detektor die Leistung Z +∞  2  Z x + y2 Ptot y0 dy dx exp − . (13.73) P (y0 ) = πa2 −∞ a2 −∞ Dies kann in geschlossener Form integriert werden, und man erh¨alt  2 Z y0  P (y0 ) y 1 1   y0  exp − 2 dy = = √ erf +1 Ptot a π −∞ a 2 a 1.0

P(y0) ____ Ptot

Abb. 13.18. Signal beim RasierklingenVerfahren zur Bestimmung des Gauß-Radius. Man bestimmt a aus der Differenz der y0 Werte f¨ ur das Signalverh¨ altnis 0.24 und 0.76 – wie angedeutet

0.5 -2

-1

0 y0/a = 1

(13.74)

1

2 y0 / a

13.3 Polarisation

169

mit dem Fehlerintegral erf(y0 /a). P (y0 /a)/Ptot l¨auft von 0 bis 1 wie in Abb. 13.18 dargestellt. F¨ ur y0 /a = ∓ 0.5 erwarten wir 0.2398 bzw. 0.7602. An diesen beiden, in Abb. 13.18 markierten Stellen liest man den Gauß-Radius a ab. 13.2.6 Der M2 Faktor Zum Abschluss unserer Betrachtungen u ussen wir ¨ber Gauß’sche Strahlen m¨ darauf hinweisen, dass Laserstrahlen nat¨ urlich niemals v¨ollig perfekt sind. Mehr oder weniger deutliche Abweichungen vom idealen Gauß’schen Strahlprofil sind die Regel. Das spielt eine große Rolle bei der Bewertung der Qualit¨at eines Lasersystems. Am deutlichsten wird dies durch das Strahlparameteruckt: je gr¨oßer das BPP, desto schlechter Produkt BPP nach (13.61) ausgedr¨ der Strahl. Nach ISO 11146 definiert man zur quantitativen Charakterisierung eines Lasers mit dem Divergenzwinkel θ und dem Strahlradius w0 den sogenannten M 2 Faktor u ¨ber die Beziehung θ = M2

λ . πw0

(13.75)

Man kann M 2 also als Verh¨ altnis von idealem zu realem BP P schreiben: M2 =

θw0 BP P BP P = = λ/π λ/π BP Pideal

M 2 charakterisiert also, um wieviel die gemessene Divergenz θ eines Strahls gr¨oßer ist als der ideale Wert λ/πw0 . F¨ ur den Gauß-Strahl gilt M 2 = 1, 2 dagegen ist M ' 1.2 ein typischer Wert f¨ ur ein sehr gutes, reales Lasersystem.

13.3 Polarisation uhrten Begriffe zur PolaWir rufen zun¨achst die in Kap. 4.3.2, Band 1 eingef¨ risation des elektromagnetischen Felds in Erinnerung und erg¨anzen sie. Wir beginnen mit voll polarisiertem Licht, werden aber in Abschn. 13.3.4 mit der Einf¨ uhrung von Stokes-Parametern und Polarisationsgrad auch die Grenzen dieser einfachen Darstellung ansprechen. Dabei werden nochmals die Vorteile der von uns bevorzugten Helizit¨ atskoordinaten deutlich (im Gegensatz zu kartesischen). Auch einige experimentelle Werkzeuge und Rezepte“ zur ” Pr¨aparation und Analyse von optischer Polarisation werden vorgestellt. 13.3.1 Begriffe Wir wissen inzwischen, dass wir die laterale Feldverteilung bzw. Variation der Intensit¨at problemlos mit einem Gauß’schen Strahl beschreiben k¨onnen. Wir lassen jetzt diese, sozusagen triviale, Komplikation des Problems erst einmal

170

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

außen vor und schreiben die elektromagnetische Welle als monochromatische, uhrt. Wir weisen voll polarisierte, ebene Welle wie mit (4.26) in Band 1 eingef¨ hier nochmals darauf hin, dass der elektrische Feldvektor E (r, t) eine Observable in der realen Welt ist, die vom Ortsvektor r und der Zeit t abh¨angt, und die man streng genommen auch wirklich als reelle Gr¨oße schreiben muss, um alle beobachtbaren Ph¨ anomene beschreiben zu k¨onnen:   i E (r, t) = E0 e ei(kr−ωt) − e∗ e−i(kr−ωt) . (13.76) 2 Dabei ist E0 die Feldamplitude, die wir uns mit E0 (ρ, z) durchaus auch als von ρ und z abh¨ angig denken k¨ onnen, e ist der Einheits-Polarisationsvektor und k der Wellenvektor mit |k| = 2π/λ. In (13.76) wird die Vektornatur des Feldes ganz durch den Einheits-Polarisationsvektor e ausgedr¨ uckt, der auch komplex sein kann. Wir nehmen wieder an, dass sich das Licht in +z-Richtung ausbreite (z k k). Da es transversal polarisiert ist, kann jeder beliebige Polarisationsvektor in diesem Koordinatensystem als geeignete Kombination von Einheitsvektoren in der kartesischen Basis (ex , ey ) oder in der sph¨arischen Basis (Helizit¨atsbasis) (e+1 , e−1 ) geschrieben werden, die f¨ ur atomphysikalische Probleme oft besser angepasst ist. Die beiden Basissysteme sind u ¨ber −1 ex = √ (e+1 − e−1 ) 2

i und ey = √ (e+1 + e−1 ) 2

−1 e+1 = √ (ex + iey ) = −e∗−1 2

bzw.

(13.77)

1 und e−1 = √ (ex − iey ) = −e∗+1 (13.78) 2

miteinander verkn¨ upft. F¨ ur den sp¨ ateren Gebrauch seien hier auch die Einheitspolarisationsvektoren f¨ ur linear polarisiertes Licht in 45◦ und 135◦ in Bezug auf die x-Achse angegeben: 1 e (45◦ ) = √ (ex + ey ) 2

 −1 und e (135◦ ) = √ ex − ey 2

(13.79)

In der sph¨arischen Basis schreibt sich das: 1 [(i − 1) e+1 + (i + 1) e−1 ] 2 1 e (135◦ ) = [(i + 1) e+1 + (i − 1) e−1 ] 2 e (45◦ ) =

(13.80)

Man beachte, dass die Polarisationsvektorenpaare (13.77), (13.78) und (13.80) bzw. (13.79) jeweils einen orthonormalen Basissatz f¨ ur Licht beschreiben, welches sich in z-Richtung ausbreitet. F¨ ur alle diese Paare (eq , eq0 ) gilt eq eq∗0 = δqq0

mit

eq∗ = e−q .

(13.81)

Wir geben einige Beispiele von so definierten Wellenfeldern: F¨ ur e = ex , also f¨ ur linear in x-Richtung polarisiertes Licht, wird (13.76) zu

13.3 Polarisation

k x +t +t k

171

Abb. 13.19. Schematische Illustration von links zirkular polarisiertem σ + -Licht. Die grauen Pfeile zeigen die Ausrichtung des elektrischen Feldvektors senkrecht zur z k k-Achse bei festgehaltener Zeit t = 0. F¨ ur Zeiten t > 0 ist die Richtung der Drehung angedeutet

+t y

E x (r, t) = −E0 sin (kr − ωt) ex .

(13.82)

Das Wellenfeld bei linearer Polarisation in y-Richtung wird beschrieben durch E y (r, t) = −E0 sin (kr − ωt) ey .

(13.83)

Der Einheitspolarisationsvektor e = e+1 schließlich beschreibt links(h¨ andig) zirkular polarisiertes Licht (left-hand circularly polarized, LHC), auch σ + Licht genannt. Durch Einsetzen von (13.78) in (13.76) erh¨alt man 1 E + (r, t) = √ E0 [sin (kr − ωt) ex + cos (kr − ωt) ey ] , 2

(13.84)

w¨ahrend e−1 f¨ ur rechts zirkular polarisiertes Licht (RHC) σ − -Licht steht: 1 E − (r, t) = √ E0 [sin (kr − ωt) ex − cos (kr − ωt) ey ] 2

(13.85)

Eine vektorielle Illustration von σ + -Licht gibt Abb. 13.19. Gezeigt ist der E-Vektor bei einer festen Zeit t = 0 entlang der z-Achse. Wie angedeutet rotiert – an einem festgehaltenen Ort im Raum – E im Uhrzeigersinne um den Ausbreitungsvektor des Lichts, d.h. mit positiver Helizit¨at (σ + -Licht). Man verifiziert das am einfachsten in (13.84) mit kr = 0, oder entsprechend in Abb. 13.19, wenn man sich die Zeit fortschreitend denkt. Den allgemeinsten (Einheits-)Polarisationsvektor f¨ ur elliptisch polarisiertes Licht mit Ausbreitungsrichtung parallel zur +z-Achse, kann man so schreiben: X aq eq (13.86) eel = e−iδ cos β e+1 − eiδ sin β e−1 = a+ e+1 + a− e−1 = q

Den Grad der Elliptizit¨ at beschreibt der Elliptizit¨ atswinkel β, w¨ahrend der Polarisationswinkel δ die Ausrichtung11 (alignment angle) der Ellipse in Bezug auf ex angibt. Durch Einsetzen von (13.86) in (13.76) erhalten wir den 11

Leider werden in der Literatur die Begriffe Alignment“ und Orientierung“ (s. ” ” Anhang I.2) immer wieder durcheinandergebracht: Alignment, (deutsch Ausrich-

172

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

x δ y

a b

Abb. 13.20. Polarisationsellipse gesehen aus der +z Richtung. Das Licht ist, wie angedeutet, linksh¨ andig polarisiert (positive Helizit¨ at). Die Parameter sind δ ∼ 110◦ , β = 25.1◦ . Damit ist der zirkulare Polarisationsgrad sin2 β − cos2 β = −0.64 w¨ ahrend der lineare Polarisationsgrad (a2 − b2 )/(a2 + b2 ) = 0.6 ist

elliptischen Feldvektor, parametrisiert mit den Winkeln β und δ:  √  E el (r, t) = − E0 / 2 × {[cos β sin (kr − ωt − δ) + sin β sin (kr − ωt + δ)] ex + [cos β cos (kr − ωt − δ) − sin β cos (kr − ωt + δ)] ey }

(13.87)

Das Minuszeichen vor E0 stammt von einem Phasenfaktor aus der Definitionskonvention (13.78). Mit ein klein wenig Algebra kann man zeigen, dass dies einen elektrischen Vektor beschreibt, der (bei festgehaltenem r) auf einer Ellipse rotiert, die um den Winkel δ gegen die x-Achse geneigt ist, wie in Abb. 13.20 skizziert. Die Halbachsen werden dem Betrage nach durch √ a = E0 (cos β + sin β) / 2 = E0 sin (β + π/4) (13.88) √ b = E0 (cos β − sin β) / 2 = E0 cos (β + π/4) beschrieben. Man beachte, dass a2 + b2 = E02 . In der Literatur wird h¨aufig auch die sogenannte Elliptizit¨ at  = min(a, b)/ max(a, b) = cot(β + π/4)

(13.89)

angegeben – eine etwas ungl¨ uckliche, da nicht ganz eindeutige Definition. Zwei Spezialf¨ alle sind von besonderer Bedeutung: 1. F¨ ur rein linear polarisiertes Licht k¨ onnen wir β = π/4, also sin β = √ cos β = 1/ 2 setzen. Dr¨ uckt man e+1 und e−1 nach (13.78) durch die Basisvektoren ex und ey in kartesischen Koordinaten aus, so wird der Polarisationsvektor (13.86) e (δ) = cos δ ex + sin δ ey

(13.90)

mit einem Polarisationswinkel δ zur x-Achse (f¨ ur δ = 0◦ wird daraus ex ◦ und f¨ ur δ = 90 ergibt sich ey ). Die Feldamplitude f¨ ur diesen Fall erh¨alt man wieder durch Einsetzen in (13.76): E el (r, t) = −E0 {cos δ sin (kr − ωt) ex + sin δ sin (kr − ωt) ey } (13.91) tung) bezieht sich auf die Richtung eines polaren Vektors in einer Ebene (z.B. des E-Vektors bei linear polarisiertem Licht). Orientierung bezeichnet den Drehsinn eines axialen Vektors (also z.B. links bzw. rechts zirkular polarisiertes Licht).

13.3 Polarisation

173

2. Links zirkular polarisiertes (σ + ) Licht entspricht nach (13.86) einem Elliptizit¨atswinkel β = 0◦ , rechts zirkular polarisiertes (σ − ) Licht erh¨alt man f¨ ur β = −π/2. 13.3.2 Polarisationsbedingte Zeitabh¨ angigkeit der Intensit¨ at Wie wir schon in Band 1 ausf¨ uhrlich diskutiert haben, bestimmt die Polari¨ sation die Auswahlregeln f¨ ur optische Uberg¨ ange. Wir notieren hier, dass die Elliptizit¨at dar¨ uber hinaus auch Einfluss auf die Zeitabh¨angkeit der Lichtin−1 tensit¨at hat. Mit I0 = E02 /(2Z0 ) und Z0 = (0 c) = 376.7 Ω wird diese I(t, β) = −

2 E02  −iωt ee − e ∗ eiωt = I0 [1 − sin (2β) cos (2ωt)] , 4Z0

(13.92)

vom Elliptizit¨atswinkel β abh¨ angig. Bei zirkular polarisiertem Licht (β = 0 bzw. π/2) ist sie konstant, bei linear polarisiertem Licht oszilliert sie mit der doppelten Lichtfrequenz. In der linearen Spektroskopie ist das erfreulicherweise ohne Bedeutung, da (13.92) im zeitlichen Mittel hI(t, β)i = I0 = E02 /(2Z0 ), also unabh¨angig von β wird. F¨ ur nichtlineare Prozesse gilt das jedoch nicht ur die Multiphotonenabmehr. So spricht z.B. die allgemeine Formel (5.31) f¨ sorptionsrate ∝ I N , die wir in Band 1 behandelt haben, eher daf¨ ur, dass bei der Absorption von N -Photonen die zeitlich gemittelte N te Potenz der Intensit¨at relevant sein k¨ onnte. F¨ ur diese findet man (Shchatsinin et al., 2009) Z 2π/ω

N ω N [1 − sin (2β) cos (2ωt)] dt I (t, β) = I0N 2π 0 N  2 X N N sin2K β cos2N −2K β (13.93) = I0 K K=0   1 N N = I0 cos (2β) PN , cos (2β) wobei PN (x) das Legendre-Polynom N ter Ordnung ist. Man verifiziert leicht, dass I N (t, β) mit zunehmender Elliptizit¨ at stark abnimmt. In der Tat konnte k¨ urzlich gezeigt werden, dass im starken Feld intensiver Femtosekundenimpulse die Ausbeute bei der Multiphotonenionisation mit zunehmender Elliptizit¨ ¨berraschend gut mit

N at des Lichts ebenfalls rasch abnimmt und z.T. u I (t, β) korreliert (Hertel et al., 2009; Shchatsinin et al., 2009). ¨ Die Ubersichtlichkeit dieser Ausdr¨ ucke ist u ¨brigens ganz wesentlich der Benutzung von Helizit¨ atskoordinaten geschuldet. Nur so kann man linear, elliptisch und zirkular polarisiertes Licht im gleichen Koordinatensystem beschreiben. Dagegen wechselt man in der einschl¨agigen Literatur meist das Koordinatensystem: z parallel zum Polarisationsvektor f¨ ur lineare Polarisation, z parallel zur Ausbreitungsrichtung f¨ ur zirkulare Polarisation. Das macht die Ergebnisse nicht nur un¨ ubersichtlich, dieses Vorgehen erlaubt es auch nicht, ¨ einen kontinuierlichen Ubergang zwischen den Polarisationen zu beschreiben.

174

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

13.3.3 Viertel- und Halbwellen-Platten Wir wollen uns nun mit einigen experimentellen Hilfen zur Manipulation von polarisiertem Licht befassen. Wir beginnen mit der Erzeugung von zirkular polarisiertem Licht aus einem linear polarisierten Laserstrahl. Wie man an (13.84) und (13.85) abliest, kann man sich zirkular polarisiertes Licht ja aus zwei linearen Komponenten zusammengesetzt denken, die senkrecht zueinander schwingen und eine Phasendifferenz von ±π/2 haben. Das Standardwerkzeug f¨ ur die Erzeugung dieser Bedingungen ist ein sogenanntes λ/4-Pl¨attchen. Das ist eine d¨ unne, sehr gut plan geschliffene, doppelbrechende Platte (typischerweise aus Kalkspat oder Magnesiumfluorid). Sie hat verschiedene Brechungsindizes nf und ns > nf f¨ ur zwei Kristallachsen, die sogenannte schnelle (fast f ) und die langsame (slow s) Achse. Die Phasengeschwindigkeit f¨ ur Licht, dessen Feldvektor parallel zu diesen Achsen zeigt (also Licht, welches sich senkrecht zu diesen Achsen ausbreitet), ist vf = c/nf bzw. vs = c/ns , mit vf > vs . Die Wellenl¨ angen f¨ ur schnelle und langsame Achse sind entsprechend λf > λs , und die beiden senkrechten Feldkomponenten entwickeln eine Phasendifferenz. Speziell f¨ ur eine λ/4-Platte ist diese 90◦ , d.h. die Dicke der Platte d ist d × (ns − nf ) =

λ . 4

(13.94)

Die Umwandlung von linear polarisiertem Licht in zirkular polarisiertes Licht

Ex

45°

Ey

Abb. 13.21. Schematische Illustration der Wirkungsweise einer λ/4-Platte, die σ + -Licht aus linear polarisiertem Licht erzeugt. Um σ − Licht zu erzeugen, muss der E(z = 0) Vektor zu Anfang unter −45◦ ausgerichtet sein anstatt in +45◦ Richtung

ist schematisch in Abb. 13.21 skizziert: Linear polarisiertes Licht f¨allt senkrecht auf die λ/4-Platte, der E-Vektor ist 45◦ gegen schnelle und langsame Achse eingestellt. Seine Komponenten Eξ und Eη sind jeweils parallel zu den zwei Kristallachsen. Die Abbildung illustriert, wie am Austritt aus der λ/4Platte eine optische Wegl¨ angendifferenz von λ/4 zwischen den beiden Komponenten entsteht. Zusammen bilden diese beiden Komponenten dann ein elektrisches Feld E, welches wie angedeutet rotiert: es handelt sich in diesem

13.3 Polarisation

175

Beispiel um σ + -Licht (LHC). Umgekehrt erh¨alt man rechts zirkular polarisiertes σ − -Licht (RHC), wenn man den linear polarisierten E-Vektor unter einem Winkel von −45◦ gegen die schnelle ξ-Achse ausrichtet. Eine praktische Warnung ist hier angesagt: Man muss λ/4-Platten sehr sorgf¨altig justieren, sowohl in Hinsicht auf senkrechte Inzidenz als auch auf die 45◦ -Ausrichtung. Man kann das Resultat mit einem Linearpolarisator pr¨ ufen, den man im zirkularen Lichtstrahl rasch dreht, z.B. mit einem rotierenden Motor. Das durchgelassene Licht darf keinerlei Variation seiner Intensit¨at zeigen, was man sich ggf. auf einem Oszillografen anschauen kann. Um den Drehsinn des Lichtes zu bestimmen, gibt es eine Regel: Der Drehsinn von zirkular polarisiertem Licht ergibt sich so, dass man den einfallenden (linear polarisierten) E-Vektor auf k¨ urzestem Weg in die langsame Achse dreht. Diese Regel gilt unabh¨angig von der Richtung, in die man auf den Strahl schaut. Da u ¨blicherweise ns − nf  1 gilt, ist eine λ/4-Platte viel dicker als λ/4 – sonst w¨are sie auch ein extrem fragiles Objekt. Erw¨ ahnt sei, dass man die Platten u ¨blicherweise nicht streng parallel schleift, sondern mit einem ganz leichten Keil versieht ¨ (engl. wedge“), um Interferenzen zu vermeiden. Aquivalente Phasenverschie” bungen kann man nat¨ urlich auch mit Platten der Dicke 5d, 9d, etc. erreichen. Man spricht von erster und h¨ oherer Ordnung λ/4-Platten. Bei extrem kurzen Lichtimpulsen muss man damit freilich vorsichtig sein. Zum einen f¨ uhren dickere Platten zu unerw¨ unschten nichtlinearen Effekten. Zum anderen muss man daran denken, dass z.B. ein 800 nm Impuls von 5 fs Dauer (das ist heute im Labor standardm¨ aßig darstellbar) nur noch aus wenigen Wellenz¨ ugen besteht! Ein Vergleich der Impulsz¨ uge nach Durchgang durch ein λ/4-Pl¨attchen erster und h¨ oherer Ordnung in Abb. 13.22 illustriert die Konsequenzen f¨ ur einen solchen Laserimpuls sehr deutlich. Der absoluten Phasenlage in Bezug auf die Einh¨ ullende des Feldverlaufs kommt bei diesen extrem kurzen Impulsen offenbar große Bedeutung zu. F¨ ur die in schneller bzw. langsamer Achsenrichtung propagierenden Feldvektoren ergibt sich eine deutliche zeitliche Verschiebung. Ein Vielfaches von 2π kann hier nicht ohne Folgen hinzugef¨ ugt werden, w¨ ahrend das bei kontinuierlichen Lichtstrahlen zu ¨ keiner Anderung f¨ uhrt. Viertelwellenplatten haben den Nachteil, dass sie nur f¨ ur eine spezielle ugen. Alternativ kann man z.B. Wellenl¨ange exakt der Bedingung (13.94) gen¨ die Phasendifferenz nutzen, die sich bei Totalreflexion im Inneren eines Pris-

(a)

-10

E(t) / E0

1

-5

0 -1

5

(b)

t / fs 10 -10

schnelle Achse langsame Achse

E(t) / E0

1

-5

0 -1

5

t / fs 10

Abb. 13.22. Kurze Laserimpulse nach Durchtritt durch ein λ/4-Pl¨ attchen (a) erster Ordnung bzw. (b) zweiter Ordnung

176

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

elliptisch

zirkular

langsam

linear

Abb. 13.23. FresnelRhombus und Drehsinn der zirkularen Polarisation, der aus linear polarisiertem Licht nach Durchlaufen des Rhombus erhalten wird

schnell ein aus Aufsicht

54º37'

Seitenansicht

mas ergibt. Ein spezielles Bauteil ist der in Abb. 13.23 skizzierte sogenannte Fresnel-Rhombus. Zwei Totalreflexionen mit je einer Phasenverschiebung von 45◦ werden dabei genutzt. F¨ ur einen Brechungsindex von n = 1.5 (Glas) muss der Rhombuswinkel 54◦ 370 sein. Die Abbildung illustriert auch den Drehsinn des zirkular polarisierten Lichtes, den man bei den beiden m¨oglichen Ausrichtungen des einfallenden E-Vektors erh¨ alt. Nach der obigen Regel ist die Vertikalrichtung des Rhombus die langsame Achse“. Der Fresnel-Rhombus ” hat den großen Vorteil, dass er u ¨ber einen breiten Wellenl¨angenbereich einsetzbar ist. Ein Nachteil ist der Strahlversatz. Fresnel-Rhomben werden daher meist als um 180◦ gedrehte Paare benutzt und ergeben so eine λ/2-Platte, bei welcher der Strahlversatz kompensiert ist. Halbwellenplatten aus zwei Fresnel-Rhomben oder aus einem doppelbrechenden Kristall sind ebenfalls sehr n¨ utzliche Ger¨ate. Bei ihnen gilt (13.94) entsprechend modifiziert: λ d (ns − nf ) = , (13.95) 2 Sie werden z.B. f¨ ur die Drehung der Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht benutzt, wie in Abb. 13.24 gezeigt. Die schnelle Achse der λ/2Platte sei um einen Winkel α zum E-Vektor des einfallenden Lichtstrahls gedreht. Wie in Abb. 13.24a angedeutet, kann man sich den E wieder in zwei Komponenten zerlegt denken. Nach halbem Durchgang durch die Platte (entsprechend einer λ/4 Platte) ist der Strahl elliptisch polarisiert, wie in Abb. 13.24b skizziert. Nach vollem Durchgang durch die λ/2-Platte ist die Phasenverschiebung π, d.h. der elektrische Vektor entlang der langsamen Achse hat das umgekehrte Vorzeichen wie der entlang der schnellen Achse. Daher ist der

(a)

x schnell α E(0) E(0)

(b)

x

schnell

(c) langsam

E(λ/4) y langsam

δ = 2α E(λ/2) y

y langsam

x

schnell

Abb. 13.24. Rotation der Polarisationsebene durch eine λ/2 Platte. (a) E-Vektor beim Eintritt in die Platte, (b) auf halbem Wege, (c) nach vollem Durchgang

13.3 Polarisation

177

sch

Abb. 13.25. Soleil-BabinetKompensator

hII

lan

hI

gs

am

langsam

ne

ll

E-Vektor, wie in Abb. 13.24c gezeigt, um einen Winkel δ = 2α gedreht. Eine volle Drehung der λ/2-Platte um 2π dreht also den Polarisationsvektor um 4π, er wird also 4 mal parallel zur Richtung am Eintritt. Alternativ nutzt man ¨ λ/2-Pl¨attchen auch zur Anderung des Drehsinns bei zirkular polarisiertem Licht.

schnell

Schließlich erw¨ ahnen wir noch als besonders flexibles Ger¨at den sogenannte Soleil-Babinet-Kompensator (kommerziell erh¨altlich), der aus zwei doppelbrechenden Kristallkeilen besteht, deren Kristallachsen gegeneinander um 90◦ verdreht sind, bei denen also schnelle und langsame Achse gerade vertauscht sind. Einer der beiden Keile kann verschoben werden, so dass sich der optische Weg durch ihn entsprechend ver¨ andert, wie in Abb. 13.25 angedeutet. Insgesamt erh¨alt man so eine optische Wegl¨ angendifferenz ∆s = (ns − nf ) (hI − hII )

(13.96)

mit den jeweiligen geometrischen Wegen hI und hII durch die beiden Platten. Offenbar kann man ∆s von negativen zu positiven Werten ver¨andern, typischerweise von −λ/4 bis zu 2λ. Die Ger¨ate sind so gebaut, dass diese Wegl¨angendifferenz konstant u ¨ber eine hinreichend große, nutzbare Fl¨ache der Platte sind, wie man das f¨ ur ausgedehnte Strahlen ben¨otigt. Noch etwas komfortabler verwendet man elektro-optisch aktive Kristalle (z.B. ADP), deren Doppelbrechung man durch Anlegen eines hohen elektrischen Felds kontinuierlich ver¨andern kann (sogenannte Pockels-Zellen). 13.3.4 Stokes-Parameter, unvollst¨ andig polarisiertes Licht Stokes-Parameter Alternativ zur Beschreibung der Polarisation von Licht durch Polarisationsvektoren, benutzt man traditionell auch die experimentell direkt zug¨anglichen Stokes Parameter (1852 von George Gabriel Stokes eingef¨ uhrt):

178

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

I (0◦ ) − I (90◦ ) I (0◦ ) + I (90◦ ) I (45◦ ) − I (135◦ ) P2 = I (45◦ ) + I (135◦ ) I (RHC) − I (LHC) P3 = I (RHC) + I (LHC) P1 =

(13.97) (13.98) (13.99)

Sie charakterisieren die relativen Intensit¨ atsanteile I(ep ) eines Lichtstrahls bez¨ uglich der drei in Abschn. 13.3.1 definierten, paarweise orthogonalen Polarisationsvektoren. Zu ihrer Messung ben¨ otigt man im Prinzip 6 Filter, die jeweils nur genau eine dieser verschiedenen Polarisationen ep durchlassen. F¨ ur 0◦ , 45◦ , 90◦ und 135◦ ist das einfach ein linearer Polarisationsfilter (z.B. ein Nicol-Prisma), f¨ ur die Analyse des zirkularen Lichtanteils eine Kombination von λ/4-Pl¨attchen und linearem Polarisationsfilter. Die Parameter β und δ des allgemeinen Einheitsvektors f¨ ur elliptisch polarisiertes Licht eel nach (13.86) kann man leicht in Stokes-Parameter umrechnen. Man projiziert eel dazu auf die jeweiligen Polarisationsvektoren ep nach (13.77), (13.78) bzw. (13.80) und bildet das Betragsquadrat der so erhaltenen Amplituden. Die Stokes-Parameter ergeben sich dann zu 2

2

P1 = |eel · ex | − |eel · ey | = cos 2δ sin 2β ◦

2



2

P2 = |eel · e (45 )| − |eel · e (135 )| = sin 2δ sin 2β 2

2

P3 = |eel · e (RHC)| − |eel · e (LHC)| = − cos 2β .

(13.100) (13.101) (13.102)

Polarisationsgrad ¨ Bei allen vorangehenden Uberlegungen sind wir davon ausgegangen, dass die betrachteten Lichtstrahlen oder Wellenfelder im Wesentlichen monochromatische, ebene Wellen sind – bei Gauß’schen Strahlen modifiziert durch eine r¨aumlich variable Amplitude im Rahmen der SVE-N¨aherung. In der physikalischen Realit¨at haben wir es aber h¨ aufig mit (i) nur quasimonochromatischen und (ii) nur partiell polarisierten Lichtstrahlen bzw. Wellenfeldern zu tun. Wir werden uns ihrer Beschreibung in mehreren Schritten n¨ahern. So wird in ¨ achst die Uberlagerung von Wellen verschiedener FrequenAbschn. 13.4 zun¨ zen besprochen, die zu sogenannten Wellenpaketen f¨ uhrt. In Kap. 14 werden wir dann den Begriff quasimonochromatisch etwas genauer fassen und schließlich zu einer quantenmechanischen Beschreibung der Zust¨ande von Licht gelangen. Kurz vorab zusammengefasst: Die Phase der Wellen ist nicht u ¨ber beliebig lange Zeiten stabil, sondern im Mittel nur u ber eine endliche, so¨ genannte Koh¨arenzzeit τ , die nach der Heisenberg’schen Unsch¨arferelation zu einer endlichen Bandbreite f¨ uhrt. Nat¨ urlich k¨onnen dann auch die Phasendifferenzen zwischen zwei Lichtwellenz¨ ugen mit zueinander orthogonalen

13.3 Polarisation

179

Polarisationsvektoren nur f¨ ur Zeiten von der Gr¨oßenordnung τ korreliert sein. Um die daraus resultierende unvollst¨ andige Polarisation quantitativ zu fassen, ben¨otigt man eine statistische Beschreibung von Lichtzust¨anden unter Benutzung der Dichtematrix. Damit werden wir uns in Kap. 19 befassen. Wir kommen dort noch einmal auf den Begriff der Polarisation zur¨ uck. Hier sei lediglich notiert, dass man im Falle unvollst¨andiger Polarisation den Polarisationsgrad des Lichts als q |P| = P12 + P22 + P32 mit 0 ≤ |P| ≤ 1 (13.103) definiert. F¨ ur vollst¨ andig polarisiertes wird P = 1, wie man durch Einsetzen von (13.97)-(13.99) leicht verifiziert. F¨ ur viele Laserquellen ist in der Tat P ∼ ur nat¨ urliches Licht meist P = 0 gilt, dies also un= 1, w¨ahrend f¨ polarisiert ist. Das gilt z.B. f¨ ur diffuse Beleuchtung durch Tageslicht, f¨ ur Gl¨ uhlampen oder – etwas physikalischer – f¨ ur schwarze Strahler (Hohlraumstrahler). Generell charakterisieren die drei Stokes-Parameter den Polarisationszustand von beliebigem Licht vollst¨ andig, man spricht auch vom StokesVektor P = (P1 P2 P3 ) des Lichts. Sein Betrag P wird durch (13.103) gegeben. Man kann auch einen linearen Polarisationsgrad P12 definieren: q 0 ≤ P12 = + P12 + P22 ≤ 1 (13.104) Die Grenzen ergeben sich mit 0 ≤ P3 ≤ 1 zwanglos aus (13.103). Findet man bei einer Messung der Linearpolarisation also P12 < 1, so kann dies zweierlei bedeuten: entweder ist das Licht insgesamt nicht vollst¨andig polarisiert (P < 1) oder/und es enth¨ alt einen Anteil von zirkularem Licht (P3 6= 0). Polarisationsmessung im allgemeinen Fall, Polarisationsgrad F¨ ur reale Experimente muss man ber¨ ucksichtigen, dass auch die Analysatoren, mit denen man die Polarisation eines Lichtstrahls vermessen kann, nicht immer perfekt sind. Ganz allgemein kann man einen  Analysator ebenfalls durch  (anal) (anal) (anal) einen Stokes-Vektor P = P1 P2 P3 beschreiben. Ein idealer Analysator w¨are demnach durch den Polarisationsgrad P (anal) = 1 ausgezeichnet, f¨ ur jeden realen Analysator erwartet man 0 < P (anal) < 1. Wir werden dies in Kap. 19.5.1 formal ableiten, halten hier aber im Vorgriff bereits die einleuchtende Beziehung f¨ ur das Signal fest:   (anal) (anal) (anal) (13.105) I (pol) = (I0 /2) 1 + P1 P1 + P2 P2 + P3 P3 Dieses wird hinter einem solchen Analysator gemessen, wenn man einen Lichtstrahl der Gesamtintensit¨ at I0 mit den Stokes-Parametern P1 P2 P3 durch ihn schickt. Mit dem Stokes-Vektor des Lichts P und des Analysators P (anal) kann man dies auch kompakt in vektorieller Form schreiben:

180

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

  I (pol) = (I0 /2) 1 + P · P (anal) .

(13.106)

Die 1 in der Klammer von (13.105) deutet an, dass bei v¨ollig unpolarisiertem Licht mit P ≡ 0 stets die H¨ alfte der Intensit¨ at I0 noch durch den Analysator transmittiert wird – dieser unterdr¨ uckt ja immer nur jeweils eine Polarisationskomponente (sofern nicht zus¨ atzlich noch Licht unspezifisch absorbiert wird). Als Beispiel betrachten wir eine Polarisationsmessung mit einem idealen Analysator f¨ ur linear polarisiertes Licht. Dieser unterscheidet also nicht zwi(anal) = 0 wird (cos 2β = 0 schen RHC und LHC Licht, sodass nach (13.100) P3 und sin 2β = 1). Er l¨ asst aber linear polarisiertes Licht in Richtung seiner Polarisationsachse zu 100% durch, sodass er nach (13.103) durch P (anal) = q (anal)2 (anal)2 P1 + P2 = 1 charakterisiert wird. Wird seine Polarisationsachse um den Winkel δ gegen die x-Achse des Lichtstrahls gedreht, dann erhalten wir (anal) (anal) nach (13.100) und (13.101) f¨ ur P1 = cos 2δ bzw. P2 = sin 2δ. Die linearen Polarisationseigenschaften des untersuchten Lichts werden durch die Stokes-Parameter P1 und P2 beschrieben. Wir parametrisieren diese entsprechend durch einen Alignment-Winkel γ und den linearen Polarisationsgrad P12 nach (13.104): P1 = P12 cos 2γ

und P2 = P12 sin 2γ

(13.107)

alt man die Signalintensit¨at: Setzt man dies alles in (13.105) ein, so erh¨ I(δ) =

1 I0 [1 + P12 cos 2(δ − γ)] 2

(13.108)

Variiert man die Ausrichtung δ des Analysators, so kann man sowohl P12 als auch den Winkel γ bestimmen, bei dem das Signal am gr¨oßten wird. Im Grenzfall maximaler linearer Polarisation P12 = 1 ergibt sich die wohlbekannte Formel I(δ) = I0 cos2 (δ − γ). Falls man aber feststellt, dass P12 < 1 ist, so impliziert dies einen unpolarisierten oder zirkular polarisierten Untergrund, und das Verh¨altnis von minimalem (Imin ) zu maximalem Signal (Imax ) berechnet man nach Imin 1 − P12 I(π/2 + γ) = = . (13.109) Imax I(γ) 1 + P12

13.4 Wellenpakete 13.4.1 Beschreibung von Laserimpulsen Die Beschreibung des elektromagnetischen Feldes als monochromatische Welle nach (13.76) ist in vieler Hinsicht eine grobe Idealisierung. F¨ ur eine realistische Darstellung m¨ ussen wir vor allem die strenge Monochromasie mit nur einer Frequenz (ω bzw. ν) und die feste Ausbreitungsrichtung mit nur

13.4 Wellenpakete

181

einem Wellenvektor (k) revidieren. Selbst der Strahl aus einem EinmodenLaser hat eine nicht verschwindende Verteilung von (Kreis)frequenzen mit einer Bandbreite δω um einen Mittelwert ωc (die sogenannte Tr¨ agerfrequenz – engl. carrier frequency“). Ebenso muss man die endliche Winkeldivergenz δΩ ” uhrt. Der in Abschn. 13.2.1 ber¨ ucksichtigen, wie bereits in Abschn. 13.2 ausgef¨ und 13.3 benutzte Amplitudenvorfaktor E0 kann daher noch langsam von Ort und Zeit abh¨angen E0 = E0 (r, t) – wie wir das f¨ ur den r¨aumlichen Anteil beim Gauß-Strahl ja schon behandelt haben. Eine realistische Beschreibung des Lichtstrahls kann z.B. von einem Ensemble ebener Wellen mit verschiedenen ω und k ausgehen (|k| = c/ω). Im einfachsten Falle geschieht dies durch lineare Superposition12 Z ˜ (k) ei(kr−ωt) d3 k . (13.110) E (r, t) = e E (Fourier-transformierte Funktionen im k-Raum kennzeichnen wir zur Unterscheidung im Folgenden mit einer Tilde). Die (zeitabh¨angige) Intensit¨at im Ortsraum wird damit 2 Z ˜ (k) ei(kr−ωt) d3 k , (13.111) I(r, t) = 0 c E (r, t) E ∗ (r, t) = 0 c E wobei in der Regel I(r, t) zeitlich noch u ¨ber mindestens eine Periode zu mitteln ist, um das Antwortverhalten typischer Lichtdetektoren zu ber¨ ucksichtigen. Bei linearer Mittelung f¨ uhrt dies, wie in (13.45) bereits ber¨ ucksichtigt, zu ˜ (k) = E ˜ (k (ω)) wollen wir anneheinem Faktor 1/2. F¨ ur die Feldamplitude E men, dass sie ein Maximum bei der Tr¨ agerfrequenz ωc habe und f¨ ur |ω − ωc |  δω verschwinde. Es ist wichtig zu beachten, dass (13.110) keinen kontinuierlichen Lichtstrahl beschreibt, sondern ein Wellenpaket, d.h. einen Lichtimpuls mit einer endlichen Ausdehnung in Raum und Zeit. Mit heutigen Ultrakurzpulslasersystemen kann man solche (nahezu) Fourier-Transformations-begrenzte (Fourier transform limited) Lichtimpulse problemlos erzeugen, typisch mit Impulsdauern zwischen Pikosekunden und einigen Femtosekunden. Um uns mit den relevanten Parametern vertraut zu machen, simplifizieren wir noch etwas weiter, indem wir eine feste Polarisationsrichtung annehmen und uns einen Gauß’schen Strahl auf seiner Strahlachse autert wurde. Der Strahl breite sich also vorstellen, wie das in Abschn. 13.2 erl¨ in k0 Richtung, parallel zur z-Achse aus, sodass wir kr durch kz = ωz/c ersetzen k¨onnen. Positionieren wir einen Detektor an einem festen Ort im Raum, so haben wir nur noch die zeitliche Abh¨ angigkeit der elektrischen Feldst¨arke zu beschreiben: E(t) = (E0 /2) h(t) exp(−i(ωc t − ϕce )) + compl.conj. 12

(13.112)

Wegen der Integrationen von −∞ bis +∞ brauchen wir im Folgenden nur den ersten Term von (13.34) zu benutzen. Wir behalten aber im Sinn, dass die elektrische Feldst¨ arke ein reeler Vektor ist.

182

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

φce

Die Erfahrung zeigt, dass bei ultrakurzen Laserimpulsen h¨ aufig auch die zeitliche Abh¨angigkeit – ganz ahnlich wie die r¨ aumliche Variation – in guter N¨aherung ¨ durch eine Gauß-Verteilung beschrieben werden kann (als Alternativen werden aus z.T. guten Gr¨ unden auch die mathematisch etwas schwieriger zu handha-3 -2 -1 1 2 3 benden sech2 - oder sinc2 -Funktion benutzt). Meist t/τ -0.5 geht man davon aus, dass die Einh¨ ullende der Feldamplitude (carrier envelope) h(t) sich deutlich langAbb. 13.26. Feldverlauf samer ver¨ andert als die Tr¨agerwelle der Periode (grau) und Einh¨ ullende Tc = 2π/ωc . Man benutzt also auch f¨ ur die zeitli(rot) bei extrem kurzem che Abh¨ a ngigkeit gerne eine SVE-N¨ a herung. Der akGauß’schen Impuls tuelle Fortschritt der Ultrakurzzeitphysik f¨ uhrt diese mathematisch angenehme Annahme zunehmend an ihre Grenzen: wie in Abb. 13.26 angedeutet wird die relative Phasenlage ϕce der Feldoszillation gegen¨ uber der Einh¨ ullenden messbar. Wir kommen darauf noch zur¨ uck. Im Folgenden setzen wir aber zun¨ achst einmal in SVE-N¨aherung an:   h(t) = exp −t2 /2τ 2 (13.113) E(t) ____ E(0)

1.0

F¨ ur die Intensit¨at ergibt sich der zeitliche Verlauf der Intensit¨at nach Mittelung u ¨ber eine Periode zu h i 2 I (t) = I0 exp − (t/τ ) . (13.114) Die volle zeitliche Halbwertsbreite (FWHM) f¨ ur die Intensit¨at des Gauß’schen Impulses ist p (13.115) ∆t1/2 = 2 ln (2)τ = 1.665 τ . Alternativ ergibt sich mit der Sekans-Hyperbolicus Funktion I (t) = I0 sech2 (t/τS ) =

 et/τS

2 + e−t/τS

2 .

Diese hat eine Halbwertsbreite   √  ∆t1/2 = 2 ln 1 + 2 τS = 1.763τS .

(13.116)

(13.117)

Um die gleiche Halbwertsbreite wie beim Gauß-Profil (13.114) zu erhalten, muss man also τS = 0.945 τ setzen. In Abb. 13.27 werden die beiden Zeitverl¨aufe verglichen, jeweils in linearer und logarithmischer Darstellung. Der Hauptunterschied liegt in den Fl¨ ugeln, wo die Gauß-Verteilung f¨ ur große |t| schneller abnimmt. Anzumerken ist noch, dass in der Literatur oft auch die Breite bei 1/e2 mit τ bezeichnet wird. Wir werden hier aber konsequent mit τ diejenige Zeit benennen, bei der 1/e der Intensit¨ at erreicht ist.

13.4 Wellenpakete

I(t) 1.0

sech2(1.763t)

exp[-(1.665t)2] 1.0

0.5

183

1.0 1.0

10-1 10-2

0

-2

-1

0

1

2

10-3 -2

t / Δt1/2

-1

0

1

2

Abb. 13.27. Vergleich einer Gauß- und einer sech2 Intensit¨ atsverteilung (rot bzw. grau) im linearen (links) und logarithmischen Maßstab (rechts). Die Halbwertsbreiten ∆t1/2 (FWHM) sind in beiden F¨ allen gleich, die Zeitskala wird in Einheiten dieser FWHM gemessen

13.4.2 R¨ aumliche und zeitliche Intensit¨ atsverteilung Wir k¨onnen nun den gesamten zeitlichen und r¨aumlichen Intensit¨atsverlauf eines Gauß’schen Lichtimpulses beschreiben, indem wir I0 in (13.51) durch I(t) nach (13.114) ersetzten ([I] = W / cm2 ): h i h i I0 2 2 I(ρ, z, t) = exp −2 (ρ/w) exp − (t/τ ) (13.118) 1 + ζ2 2Wtot mit ζ = z/z0 , w2 = w02 (1 + ζ 2 ) und I0 = 3/2 2 π τ w0 Der Ausdruck f¨ ur I0 , d.h. die absolute Skalierung der Intensit¨at ergibt sich aus der Integration u uhrt ¨ber Zeit und Ort.13 Integration u ¨ber die Zeit f¨ zun¨achst zur sogenannten Fluenz ([F] = J / cm2 ): Z ∞ h i √ I0 2 exp −2 (ρ/w) τ π F(ρ, z) = I(ρ, t)dt = (13.119) 1 + ζ2 −∞ Durch Integration u ¨ber den Strahlquerschnitt findet man schließlich I0 =

Wtot E02 (0, 0) 2Wtot F(0, 0) = 3/2 2 = 0.83 = √ 2Z0 πτ ∆t1/2 d21/2 π τ w0

(13.120)

−1

mit der Gesamtenergie Wtot des Impulses und Z0 = (0 c) = 376.7 Ω, dem Wellenwiderstand des Vakuums. ur F¨ ur eine zeitliche Abh¨ angigkeit nach sech2 gilt anstelle von (13.120) f¨ die Beziehung zwischen Impulsenergie Wtot und Intensit¨at: I0 = 13

Wtot Wtot = 0.78 τ πw02 ∆t1/2 d21/2

(13.121)

Wir haben bisher ja auf eine Normierung der Gauß-Funktionen f¨ ur die r¨ aumliche und zeitliche Verteilung von Feldst¨ arke und Intensit¨ at verzichtet.

184

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

13.4.3 Frequenzspektrum Wir f¨ uhren im Folgenden einige f¨ ur das Weitere allgemein wichtige Begriffe ein. Das Frequenzspektrum eines Lichtimpulses l¨asst sich u ¨ber die FourierTransformierte des elektrischen Feldes bestimmen: Z Z 1 1 iωt ˜ E0 h (t) ei(ω−ωc )t dt E (t) e dt = (13.122) E (ω) = 2π 2π h i 2 F¨ ur den Gauß-Impuls mit h(t) = exp − (t/τ ) /2 nach (13.113) ergibt dies wieder eine Gauß-Verteilung h i ˜ (ω) = E √0 exp − ((ω − ωc ) /ωe )2 /2 (13.123) E ωe 2π mit

ωe = 1/τ ,

(13.124)

also eine in Zeit und Frequenz symmetrische Darstellung. Das Intensit¨ats 2 ˜ ˜ spektrum ist I(ω) ∝ E (ω) und in normierter Form wird es h i 2 exp − ((ω − ω ) /ω ) ˜ c e I(ω) √ = . I0 ωe π

(13.125)

Wir verbinden auch diese Zusammenh¨ ange mit einigen konkreten Zahlenrelationen. Die Dauer des Impulses (FWHM) ∆t1/2 ist f¨ ur ein Gauß-Profil mit der Frequenzbandbreite (FWHM) ∆ν1/2 = ∆ω1/2 /(2π) nach (13.115) upft u und (13.124) verkn¨ ¨ber ∆ν1/2 ∆t1/2 = 2

ln 2 = 0.441 . π

(13.126)

Es ist praktisch, dies auch in Wellenzahlen anzugeben als ∆¯ ν1/2 ∆t1/2 = 14710 , cm−1 fs

(13.127)

oder in Wellenl¨angeneinheiten 2

∆λ1/2 / nm = 1.471 × 10−3

(λ/ nm) . ∆t1/2 / fs

(13.128)

Als Beispiel findet man f¨ ur einen typischen, nicht allzu kurzen Laserimpuls mit ∆t1/2 = 100 fs eine Bandbreite von ∆¯ ν1/2 ' 150 cm−1 (oder ∆λ1/2 ' 10 nm bei 800 nm). F¨ ur den Sekans-Hyperbolikus ergibt sich analog die zu (13.116) geh¨orende spektrale Intensit¨ atsverteilung ˜ I(ω) = sech2 (ω/ωS ) I0

mit ωS =

2 , πτS

13.4 Wellenpakete

FT 2{exp(-(t/τ)2/2)}

1.0

FT 2{sech(t/τS)}

0.5 0.315

185

Abb. 13.28. Vergleich der Fourier-Transformierten (mit FT bezeichnet) f¨ ur Fourier limitierte Gauß- und sech2 Impulse. Die Frequenzen dieser Profile werden hier in Einheiten 1/∆t1/2 gemessen

0.441 -0.6

-0.4

-0.2

0

0.2

0.4

0.6

Δν Δt1/2

wobei analog zu (13.117) die Kreisfrequenzbreite (FWHM) ∆ω1/2 = 1.763 ωS =

1.122 4 τS

wird. Andererseits ist die zeitliche Halbwertsbreite ∆t1/2 = 1.763 τS und ∆ω1/2 = 2π∆ν1/2 , sodass sich schließlich ein Impulsdauer-Bandbreite Produkt von ∆ν1/2 ∆t1/2 = 0.315 (13.129) ur die Gauß-Verteilung. In Abb. 13.28 werden ergibt, anstelle von (13.126) f¨ beide Fourier-Transformierten verglichen. 13.4.4 Korrelationsfunktion erster Ordnung Man kann die spektrale Intensit¨ atsverteilung (13.125) mit Hilfe von (13.122) und der Substitution t0 = t + δ umschreiben: Z Z 2 0 1 ˜ ˜ E ∗ (t) E (t0 ) eiω(t−t ) dtdt0 I(ω) ∝ E (ω) = 2 4π Z ∞ Z ∞ 1 iωδ = e dδ E ∗ (t) E (t + δ) dt (13.130) 4π 2 −∞ −∞ Das f¨ uhrt zur Definition einer Korrelationsfunktion erster Ordnung: Z 1 E ∗ (t) E (t + δ) dt = hE ∗ (t) E (t + δ)i , (13.131) G(1) (δ) = Tav Tav hier f¨ ur die elektrischen Feldamplitude E (t). Die Integration ist dabei u ¨ber einen hinreichend langen, aber nat¨ urlich in der Praxis endlichen Zeitraum Tav durchzuf¨ uhren. Die kompaktere Schreibweise mit den eckigen Klammern h. . . i deutet an, dass es sich neben der Integration u ¨ber die Zeit ggf. auch um eine Mittelung u ¨ber ein statistisches Ensemble handeln kann. Man nennt ein System ergodisch, wenn das zeitliche Mittel gleich dem Mittel u ¨ber

186

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

ein repr¨ asentatives Ensemble ist. In unserem Kontext macht man immer dann von der Ergodizit¨ at Gebrauch, wenn sich das untersuchte Licht (auch n¨aherungsweise) nicht einfach analytisch darstellen l¨asst. So etwa bei einer Gl¨ uhbirne, einem verrauschten Laser, einem Hohlraumstrahler etc. Wir kommen anhand von Beispielen noch darauf zur¨ uck. Es ist zweckm¨ aßig die Korrelationsfunktion zu normieren, und man definiert einen zeitlichen Koh¨ arenzgrad erster Ordnung: g (1) (δ) =

hE ∗ (t − δ) E (t)i hE ∗ (t) E (t + δ)i = = g (1) (−δ) ∗ hE (t) E (t)i hE ∗ (t) E (t)i

(13.132)

Wir haben hier zugleich als wichtige Eigenschaft von g (1) die Symmetrie bez¨ uglich des Nullpunkts notiert, die sich ergibt, weil nur die relative Phasenlage der beiden Feldverteilungen von Bedeutung ist. Damit kann man das normierte Frequenzspektrum auch 2 ˜ Z ∞ E (ω) I˜ (ω) 1 = =R g (1) (δ)eiωδ dδ 2 I0 2π −∞ ˜ E (ω) dω schreiben. Explizit gilt f¨ ur Wellenpakete nach (13.122) Z ∞ h (t) h (t + δ) dt , g (1) (δ) = e−iωc δ

(13.133)

(13.134)

−∞

und speziell f¨ ur den Gauß-Impuls (13.112) findet man damit g (1) (δ) = e−iωc δ e−δ

2

/4τ 2

.

(13.135)

F¨ ur das Gauß’sche Intensit¨ atsspektrum folgt mit (13.133) und τ = 1/ωe :   2 Z ∞ exp − [(ω − ω ) /ω ] ˜ c e 2 2 1 I(ω) √ = e−δ /4τ ei(ω−ωc )δ dδ = (13.136) I 2π −∞ ωe π ¨ Man beachte, dass wir mit diesen Uberlegungen das Spektrum nicht durch Quadrieren der Fourier-Transformierten des elektrischen Feldes, sondern durch Fourier-Transformation des Koh¨ arenzgrads erster Ordnung ermittelt haben. 13.4.5 Frequenzk¨ amme ansch (2005) sind Frequenzk¨amSp¨atestens seit dem Nobelpreis f¨ ur Hall und H¨ me als Kalibrationsmethode f¨ ur die hochpr¨ azise Vermessung der Frequenzen ¨ von Licht auch einer breiteren wissenschaftlichen Offentlichkeit bekannt geworden. Wir wollen das Konzept daf¨ ur aus dem jetzigen Kontext heraus kurz vorstellen. Bei der Beschreibung eines Gauß-Impulses sind wir bislang davon ausgegangen, dass es sich um genau einen, isolierten Impuls (mit einer

13.4 Wellenpakete

187

Dauer von z.B. einigen fs) handelt. Das kann man im Labor durchaus darstellen. Zun¨achst aber erzeugt ein sogenannter Moden-gekoppelter Laser einen Impulszug. Wir k¨ onnen das leicht verstehen, wenn wir uns noch einmal den Grundaufbau eines Laserresonators im aktiven Betrieb vor Augen f¨ uhren, den wir in Abb. 13.2 auf S. 140 (rechts) vorgestellt hatten. Wie in Abschn. 13.1.2 ausgef¨ uhrt, ist f¨ ur den Fabry-Perot-Resonator seine longitudinale Modenstruktur (in der Frequenzdom¨ ane) charakteristisch. Bei einem Modenabstand ∆νf rei nach (13.7) im 10–100 MHz Bereich und einer optischen Lichtfrequenz von ν ' 380 THz (bei 800 nm) ist der longitudinale Modenindex m nach (13.8) eine sehr große Zahl (typischerweise 107 ± 105 ). ur kontinuierliche, Im Gegensatz zu der in Abb. 13.9 auf S. 150 gezeigten, f¨ schmalbandige Laser typischen Situation, benutzt man bei Kurzpulslasern ein Verst¨arkermedium mit großer Frequenzbandbreite, sodass sich m¨oglichst viele longitudinale Moden ausbilden k¨ onnen. Diese bringt man nun syn¨ chron so zur Uberlagerung (Modensynchronisation), dass sie sich am Ort des Verst¨arkermediums konstruktiv u ¨berlagern. Dies gelingt durch geschickte Manipulation der entstehenden Impulse durch sogenanntes aktives oder passives Modelocking. Der wesentliche Punkt dabei ist, dass der Verst¨arkungsprozess die h¨ochsten Intensit¨ aten bevorzugt, und somit das Maximum eines Impulses besonders bevorzugt wird. Damit wird der Impuls bei jedem Durchlauf in der Mitte immer h¨ oher, insgesamt also immer k¨ urzer. Die Umlaufzeit Tr eines Impulses im Resonator war ja gerade = 1/∆νf rei und man kann die freie Spektralbreite daher auch als die Wiederholfrequenz νr verstehen, mit der ein Impuls im Resonator hin und her l¨ auft. Die entsprechende Kreisfrequenz wird ωr =

2πvg . 2L

Wir benutzen hier korrekt die Gruppengeschwindigkeit vg anstatt wie bisher n¨aherungsweise die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Wir werden gleich sehen, warum das wichtig ist. Die Tr¨ agerkreisfrequenz k¨onnen wir ωc = mc ωr + ω0 schreiben und die Kreisfrequenz der Lasermoden wird ωn = (m + mc )ωr + ω0

(13.137)

wie in Abb. 13.29 skizziert. Dabei erlaubt der Offset“ ω0 mit 0 ≤ ω0 < ωr , ” dass die genauen Modenfrequenzen nicht zwingend mit einem ganzzahligen Vielfachen der Resonatorfrequenz u ¨bereinstimmen muss, was wir gleich begr¨ unden werden. ¨ Das Lichtfeld einer solchen Modenstruktur ergibt sich aus der Uberlagerung aller Moden. Dabei werden diese entsprechend dem Verst¨arkungsprofil des Lasers unterschiedlich stark sein (wir nehmen f¨ ur dieses der Einfachheit halber ein Gauß-Profil der Halbwertsbreite ∆ωb an). Die Feldamplitude wird somit:

188

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

~ E (ω)

ωr

ωc= mc ωr +ω0

ω0

ω Abb. 13.29. Frequenzspektrum eines Frequenzkamms mit Tr¨ agerfrequenz ωc , freier Spektralbreite (Umlauffrequenz) ωr und Offset“ ω0 (nach Udem et al., 2002) ” ∞ X

E(t) ∝ Re

{exp [i ((m + mc ) ωr + ω0 ) t)] ×

(13.138)

m=−∞

h io 2 exp −4 ln 2 [mωr /∆ωb ] . Die Summation muss nat¨ urlich nur dort durchgef¨ uhrt werden, wo es das Verst¨arkungsprofil hergibt. Auch das sind noch sehr viele Moden – typischerweise in der Gr¨ oßenordnung von 105 . Diese Fourier-Reihe ersetzt also im vorliegenden Falle vieler diskreter Moden das Fourier-Integral (13.110). Wir illustrieren den zeitlichen Feldverlauf solcher Impulsz¨ uge in Abb. 13.30. Feldamplitude

φ

Δt1/2 ~ Tr / 5 0

0.5

Einhüllende 1

Feldamplitude

0.5

1.5

2

φ

Δt1/2 ~ Tr / 10 0





Einhüllende 1

1.5

2 t / Tr

Abb. 13.30. Zwei Beispiele f¨ ur den zeitlichen Verlauf der Feldamplitude aus Frequenzk¨ ammen mit verschiedenen Bandbreiten ∆ωb des Laserverst¨ arkers (unten doppelt so groß wie oben)

Wir hatten anhand von Abb. 13.26 auf S. 182 bereits darauf hingewiesen, dass bei sehr kurzen Impulsen die relative Phase der Tr¨agerwelle in Bezug auf die Einh¨ ullende eine wichtige Rolle spielen kann. Hier haben wir nun einen

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse

189

solchen Fall. Dadurch, dass die Tr¨ agerwelle mit der Phasengeschwindigkeit propagiert, die Einh¨ ullende aber mit der Gruppengeschwindigkeit, ergibt sich pro Umlaufperiode eine kleine Phasenverschiebung ϕ = ω0 /Tr , die sich von Einzelimpuls zu Einzelimpuls aufsummiert, wie in Abb. 13.30 illustriert. Beim Arbeiten mit Frequenzk¨ ammen und der Leidenschaft f¨ ur Pr¨azision“, wie sie ” ansch (2005) kultiviert wird, geht es nicht zuvon Nobelpreistr¨ager Ted H¨ letzt darum, diesen Offset zu messen, bzw. den Frequenzkamm so stabil zu machen, dass der Offset verschwindet. Interessant ist, dass die kurzen Laserimpulse, aus denen diese Frequenzk¨ amme bestehen, mehrere Oktaven im Frequenzspektrum u onnen – und dabei phasenkoh¨arent bleiben. ¨berstreichen k¨ Dies er¨offnet ehemals ungeahnte Perspektiven f¨ ur die pr¨aziseste Vermessung von Lichtfrequenzen, die man auf diese Weise quasi durch Abz¨ahlen ihrer Oszillationen bestimmen kann. F¨ ur eine detaillierte Diskussion verweisen wir auf den lehrreichen Nature Artikel von Udem et al. (2002) und Referenzen dort.

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse 13.5.1 Zum Prinzip des Anrege-Abtastverfahrens Wir wenden uns nun der Vermessung von Laserimpulsen zu. Ultrakurze Impulse im Sub-Piko, Femto- oder gar Attosekunden-Bereich, wie sie heute in der Forschung benutzt werden, sind viel zu schnell, um sie direkt mit einem elektronischen Ger¨ at erfassen zu k¨ onnen. Man muss daher auf optische Verfahren zur¨ uckgreifen. In der Regel erfolgt der Nachweis durch nichtlineare optische Effekte. Dabei bestimmt man gerade solche Korrelationsfunktionen bzw. Autokorrelationsfunktionen, wie wir sie eben kennengelernt haben. In Abb. 13.31 ist das Prinzip einer solchen Messung skizziert. Der Lichtimpuls wird zun¨achst in zwei Teile aufgespalten, z.B. durch einen semitransparent beschichteten Spiegel, die dann getrennte Wege durchlaufen. In einem Zweig ist eine variable Verz¨ ogerung um die Zeit δ eingebaut. In der Praxis geschieht das durch eine optische Verz¨ ogerungsstrecke, die einfach einen l¨angeren optischen Weg erzeugt, z.B. mit Hilfe eines Interferometeraufbaus nach Michelson oder Mach-Zehnder. Am Ende werden beide Strahlen mit den (m¨oglichst gleichen) Feldamplituden E (t) und E (t + δ) bzw. Intensit¨aten I (t) und I (t + δ) wieder u aparierte elektromagnetische Feld benutzt man ¨berlagert. Das so pr¨

2I(t)

Detektor

I(t)

× Verzö- I(t+δ) gerung



Abb. 13.31. Prinzipschema zur Bestimmung einer Autokorrelationsfunktion

190

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

zur Erzeugung eines Signals, welches proportional zu einer Potenz der eingestrahlten Intensit¨at ist. In der Regel wird es quadratisch von dieser abh¨angen. Im Effekt multipliziert man so die Intensit¨ aten oder Felder der beiden Wellenz¨ uge miteinander. Unabh¨ angig vom Nachweissystem wird bei allen Verfahren schließlich u uge zeitlich gemittelt. Konkrete experimen¨ber viele Wellenz¨ telle Beispiele werden wir am Ende dieses Abschnitts beschreiben. 13.5.2 Faltung und Autokorrelationsfunktion Im einfachsten Falle geht es also um die Mittelwertbildung f¨ ur ein Produkt aus zwei Funktionen zu unterschiedlichen Zeiten. Man nennt dies eine Faltung – eine außerordentlich wichtige mathematische Manipulation von Funktionen, die uns in der experimentellen Physik und Messtechnik u ¨berall begegnet, und an die wir hier kurz erinnern wollen. Sie tritt immer dann auf, wenn man eine physikalische Gr¨oße zu bestimmen hat, die verschiedene Messwerte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annimmt (sagen wir mit einer Verteilung f1 (x) in Abh¨angigkeit von einem relevanten Parameter x). Auch das Messger¨at wird nie genau f¨ ur nur einen Messwert x ein Signal anzeigen. – Vielmehr wird es unterschiedliche Messwerte x mit unterschiedlicher Nachweiswahrscheinlichkeit f2 (x) detektieren. Typische Beispiele findet man bei jeder Spektroskopie von Atomen, Molek¨ ulen, Festk¨ orpern oder Elementarteilchen: das System absorbiert, emittiert, reflektiert Licht, Elektronen, Atome, Elementarteilchen als Funktion einer Energie, Frequenz oder Wellenl¨ange x. Dies hat physikalische Ursachen im untersuchten System, die wir messen wollen. Ein geeigneter Detektor detektiert diese mit seiner spezifischen Nachweiswahrscheinlichkeit, die z.B. bestimmt ist durch die Spaltbreite eines Spektrographen, die Transmissionskurve eines Frequenzfilters etc. Man variiert den Wert x → x + δ, f¨ ur welchen der Detektor maximale Nachweiswahrscheinlichkeit hat – wohl wissend, dass links und rechts daneben auch noch Signal detektiert wird. Man mittelt zwangsweise u ¨ber das gesamte Signal. Die Bestimmung von Impulsformen als Funktion der Zeit t bzw. im einfachsten Fall als Funktion der Impulsdauer, ist ein spezieller Anwendungsfall. Hierbei faltet man den zu vermessenden Impuls f1 (t) mit einem im Idealfall bekannten Impuls f2 (t), wobei f1 bzw. f2 die Feldamplituden, die Intensit¨at, oder andere charakteristische Gr¨ oßen des Impulses sein k¨onnen. Zur Messung verz¨ogert man den zu messenden Impuls um eine wohl definierte Zeit δ gegen den Referenzimpuls, multipliziert beide miteinander und integriert bzw. mittelt u ¨ber alle Zeiten t. Das nachgewiesene Signal ist dann eine Funktion der Verz¨ogerungszeit δ. Die Faltung ist also definiert durch Z ∞ f1 (t) f2 (t + δ) dt . (13.139) S (δ) = f1 (δ) ⊗ f2 (δ) = −∞

Im speziellen Falle eines Gauß’schen Impulses (13.114) mit der 1/e Abklingzeit τ1 , der mit einem Gauß’schen Referenzimpuls (Abklingzeit τ2 ) gefaltet wird, findet man das Ergebnis in geschlossener Form:

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse

Z

191



h i h i 2 2 exp − (t/τ1 ) exp − ((t + δ) /τ2 ) dt −∞   √ δ2 πτ1 τ2 exp − 2 =p 2 (13.140) τ2 + τ12 τ2 + τ12

S (δ) = f1 (δ) ⊗ f2 (δ) =

Die Faltung zweier Gauß’schen Intensit¨ atsprofile uhrt also wieder zu einem pf¨ Gauß’schen Signal, dessen Gesamtbreite durch τ22 + τ12 bestimmt ist. Man nennt eine solche Faltung u ¨ber die Zeit auch Korrelationsfunktion, etwas pr¨aziser Kreuzkorrelationsfunktion, hier eine solche erster Ordnung der Intensit¨aten zweier Laserimpulse. H¨aufig benutzt man als Referenzimpuls den gleichen Impuls wie den zu Bestimmenden – was nat¨ urlich voraussetzt, dass man dessen allgemeine Form schon gut kennt. In diesem Fall spricht man von einer Autokorrelationsfunktion. Der Impuls fragt sich also selbst daraufhin ab, wieweit er sich gewissermaßen zu einer sp¨ ateren Zeit noch an seine Vorgeschichte erinnert. Speziell f¨ ur den Gauß-Impuls ist die Autokorrelationsfunktion wieder eine GaußVerteilung r   t2 π 2 exp − , (13.141) IGauss (t) ⊗ IGauss (t) = I0 2 2τ 2 √ ur die die um einen Faktor 2 breiter ist als die der Ausgangsverteilung. F¨ Halbwertsbreiten von Autokorrelationsfunktion und Ausgangsimpuls gilt also beim √ Gauß-Impuls: ∆tauto 2∆t1/2 (13.142) 1/2 = F¨ ur einen mit sech2 (t/τ ) beschriebenen Impuls ist das etwas komplizierter. Die Autokorrelationsfunktion ist in diesem Falle sech4 (t/2.2445τ ). Tats¨achlich benutzt man aber – in relativ guter N¨ aherung – f¨ ur diese ebenfalls gerne eine sech2 (t/τ auto ) und passt diese m¨ oglichst gut an die exakte Funktion an. Man findet f¨ ur die Autokorrelationsfunktion beim sech2 -Impuls:

auto ∆t1/2 = 1.542∆t1/2

(13.143)

Sie ist etwas st¨arker verbreitert als beim Gauß-Impuls.14 13.5.3 Signal bei interferometrischer Messung uhrten Messaufbau Bei dem in Abb. 13.31 auf S. 189 sehr schematisch eingef¨ zur Bestimmung von Impulsdauern ist der Multiplikator ein Schl¨ usselelement. Hier werden die beiden Teilstrahlen u ¨berlagert und nachgewiesen. Dabei spielen Interferenzeffekte naturgem¨ aß eine zentrale Rolle. Allerdings versucht man 14

In der R¨ ucktransformation f¨ uhrt das beim Sekans-Hyperbolikus-Quadrat Impuls zu scheinbar etwas k¨ urzeren Impulsdauern – was wohl der Grund ist, warum sich diese Beschreibung kurzer Impulse trotz umst¨ andlicherer Mathematik bei Experimentatoren großer Beliebtheit erfreut.

192

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

in den meisten Messanordnungen, diese gerade zu vermeiden, da sie eine erhebliche r¨aumliche und zeitliche Stabilit¨ at der Strahlf¨ uhrung erfordern. Bei Standardmessungen mittelt man daher nach M¨oglichkeit u ¨ber einen r¨aumlich so ausgedehnten Bereich, dass erwartete Interferenzen sich gerade wegmitteln. Will man aber tats¨ achlich die Interferenzeffekte beobachten, so muss man Stabilisierungvorkehrungen f¨ ur Quelle und optischen Aufbau treffen und wird zweckm¨aßigerweise die beiden Teilstrahlen m¨oglichst parallel u ¨berlagern, um die Interferenzeffekte geometrisch gut lokalisieren zu k¨onnen. Man spricht dann von einem interferometrischen Aufbau. Wir werden im Folgenden stets zun¨ achst von einem solchen Aufbau ausgehen und erst im Nachgang die zeitlich-r¨ aumlichen Mittelungsprozesse vor¨ nehmen. Wie schon erw¨ ahnt, ist der Multiplikator f¨ ur diese Uberlegungen von zentraler Bedeutung. Diesem wollen wir uns jetzt zuwenden und m¨ ussen dabei auch die Funktionsweise des Detektors verstehen. Korrelationsfunktionen werden uns dabei helfen. Typischerweise verwendet man f¨ ur den Nachweis Mehrphotonenprozesse, die im intensiven elektromagnetischen Feld kurzer, bandbreitenbegrenzter Laserimpulse leicht zu realisieren sind. Besonders h¨aufig benutzt man die Erzeugung von Oberwellen in nichtlinearen Kristallen, insbesondere der zweiten Harmonischen (second harmonic generation, SHG). Beim Durchgang eines intensiven Lichtimpulses (Kreisfrequenz ωc ) durch gewisse nichtlineare optische Kristalle wird n¨ amlich ein Teil des Lichts umgewandelt in Licht der Kreisfrequenz 2ωc . Man kann aber auch auf die Multiphotonenionisation oder -anregung von Atomen und Molek¨ ulen zur¨ uckgreifen. Ganz allgemein ist f¨ ur einen N -Photonenprozess das Signal proportional zur N -ten Potenz der Lichtintensit¨ at. Nach Abb. 13.31 ergibt sich die elektrische Feldst¨arke am Detektor durch Superposition (Interferenz) der Felder der beiden um δ gegeneinander verschobenen Teilstrahlen. Die Intensit¨at ist das Produkt dieses Feldes und seines konjugiert Komplexen. Somit wird das am Detektor nachgewiesene Signal proportional zu E D E 1 D N N {[E (t) + E (t + δ)] [E ∗ (t) + E ∗ (t + δ)]} S (δ) = {I (δ)} = 2Z0 E 1 D N ∗ = {E (t) E (t) + 2 Re [E (t) E ∗ (t + δ)] + E (t + δ) E ∗ (t + δ)} 2Z0 Z  2 N N = I0 h (t) + 2 h (t) h (t + δ) cos (ωc δ) + h2 (t + δ) dt, (13.144) Tav

wobei h(t) die Einh¨ ullende der Feldamplitude nach (13.112) ist. Die eckigen Klammern verweisen hier, wo wir es mit einem Laserimpuls zu tun haben, auf eine zeitliche Integration u ¨ber große Zeiten Tav  (τ + δ), also u ¨ber viele Periodendauern. Zus¨ atzlich mittelt das Experiment ggf. u ¨ber Phasendifferenzen in ωc δ (diese k¨onnen z.B. von Impuls zu Impuls statistisch fluktuieren oder durch

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse

193

den experimentellen Aufbau ausgemittelt werden15 ). Wir ber¨ ucksichtigen das durch eine weitere Integration Z Tc /2 1 S (δ) dδ S (δ) = Tc −Tc /2 u agerfrequenz Tc = 2π/ωc . Wir diskutieren einige ¨ber eine Periode der Tr¨ typische Beispiele, die in Abb. 13.32 illustriert sind. 2

N =1

8

S(δ)

S(δ)

N=4

S(δ)

5

1

0

N=2

S(δ)

-4

-2

0

2

4

1 0

-4

-2

0

2

4

120 100 80 60 40 S(δ) 20 0 -4 -2

0

S(δ)

2

4

Abb. 13.32. Autokorrelationsfunktionen S(δ) als Funktion der Verz¨ ogerungszeit δ f¨ ur verschiedene Ordnungen N , berechnet nach (13.144) f¨ ur einen Gauß’schen Impuls. Rot S(δ): bei interferometrischer Stabilit¨ at, schwarz S(δ): u ¨ber Phasenfluktuationen gemittelt. Normiert ist auf das Signal S(δ → ∞) bei großer Verz¨ ogerung

N =1 Nehmen wir zun¨ achst an, dass wir einfach die Gesamtintensit¨at der kombinierten Wellenz¨ uge mit Hilfe eines linearen Detektors (Photodiode, Multiplier, Thermos¨aule) messen, d.h. es ist nur ein Photon am Detektionsprozess beteiligt. Dann beschreibt (13.144) eine Situation analog zum klassischen Young’schen Interferenzexperiment am Doppelspalt. Mit dem in (13.134) definierten Koh¨arenzgrad erster Ordnung g (1) (δ) wird das Signal (13.144) hier (13.145) S (δ) /S (∞) = 1 + g (1) (δ) cos (ωc δ) . F¨ ur eine Gauß’sche Einh¨ ullende h(t) nach (13.113) kann man g (1) (δ) nach (13.113) einsetzen und erh¨ alt, normiert auf das Signal f¨ ur δ/τ  1, 2

S (δ) /S (∞) = 1 + e−(δ/2τ ) (cos ωc δ) , 15

(13.146)

Man beachte: hierbei geht es nicht um die absolute Stabilit¨ at der Phasenlage (also ¨ der carrier envelope phase“ ϕce nach Abb. 13.26 auf S. 182). Uber diese wird in ” orend wirken hier lediglich“ Fluktuationen (13.144) keine Aussage gemacht. St¨ ” der relativen Phasenlage ϕ = ωδ zwischen den beiden zeitverz¨ ogerten Impulsen.

194

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

welches links in Abb. 13.32 illustriert ist: das Young’sche Doppespaltexperiment misst also den Koh¨ arenzgrad erster Ordnung (die Autokorrelationsfunktion der Feldamplitude). Im Prinzip kann man ein solches Interferenzexperiment benutzen, um Impulsdauern auszuwerten, wenn die Phase ϕ = ωc δ hinreichend stabil ist (etwaige Fluktuationen m¨ ussen klein sein ∂ (ϕ)  π). Das ist aber meist nicht der Fall, sodass man u ur einige Perioden sta¨ber δ f¨ tistisch mitteln muss, und es wird cos (ωc δ) → 0 und S (δ)/S (∞) → 1. Das Signal wird also v¨ ollig strukturlos, wie es die schwarze horizontale Linie in Abb. 13.32 (links) andeutet. N =2 Man vermeidet diese Ausl¨ oschung der Korrelationsfunktion, indem man einen nichtlinearen Prozess zum Nachweis benutzt. Speziell an der SHG-Erzeugung sind offenbar zwei Photonen der Frequenz ωc beteiligt, das erzeugte Signal h¨angt quadratisch (N = 2) von der Intensit¨at ab.16 F¨ ur den Fall der Gauß’schen Einh¨ ullenden (13.113) kann man (13.144) wieder geschlossen integrieren und erh¨alt als Autokorrelationsfunktion (2ter Ordnung f¨ ur die Feldamplitude) ein Interferenzmuster S (δ) /S (∞) = 1 + 4e−3(δ/τ )

2

/8

cos ωc δ + e−(δ/τ )

2

/2

(1 + 2 cos2 ωc δ) , (13.147)

das in Abb. 13.32 (Mitte) skizziert ist. Die Maxima sind massiv u ¨berh¨oht wegen der quadratischen Abh¨ angigkeit des Signals von der Intensit¨at, bzw. von 4 |E(t)| (roter Kurvenzug). Ohne spezielle Maßnahmen zur Realisierung eines interferometrischen Aufbaus, werden Phasenfluktuationen auch hier wieder eine Mittelung u ¨ber mindestens eine Periode bewirken. Von den cos-Termen verschwindet dann der erste, der zweite mittelt sich zu 1/2. Das Signal S (δ)/S (∞) = 1 + 2e−(δ/τ )

2

/2

(13.148)

bleibt aber in diesem Falle abh¨ angig von der Zeitverz¨ogerung δ, was als schwarze Linie in Abb. 13.32 (Mitte) ausgewiesen ist. Man sieht: mit dieser Art von Messung kann man auch bei Phasenfluktuationen die Autokorrelationsfunkat bestimmen. Um pr¨azise zu sein: das Messsition (13.141) der Laserintensit¨ gnal (13.148) entspricht der Autokorrelation zweiter Ordnung der Feldamplitude und der Exponentialterm ist gerade die Autokorrelationsfunktion erster Ordnung der Intensit¨ at. Unabh¨ angig von der Linienform (13.113) kann man den phasengemittelten Fall f¨ ur N = 2 bei beliebigem δ nach der Mittelung u ¨ber die schnellen Phasenfluktuationen schreiben als:

16

Im realen experimentellen Aufbau schneiden sich typischerweise die beiden zeitverz¨ ogerten Strahlen unter einem kleine Winkel, und das SHG Signal wird in der Winkelhalbierenden nachgewiesen (Phasen- und Impulsanpassung). Das Messsignal wird dann praktisch untergrundfrei.

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse

R∞ S (δ) −∞ =1+2 S (∞)

195

h2 (t) h2 (t + δ) dt R∞

(13.149) h4

(t) dt

−∞

arenzgrad Den zweiten Term bezeichnet man in Analogie zu (13.145) als Koh¨ ur die Standardanalyzweiter Ordnung. Gleichung (13.149) bildet die Basis f¨ se kurzer Laserimpulse mit Hilfe des Nachweises der zweiten Harmonischen (SHG). N =4 Als weiteres Beispiel zeigen wir in Abb. 13.32 (rechts) das Interferenzsignal f¨ ur einen Vierphotonenprozess von zwei koh¨ arenten Gauß’schen Laserimpulsen als Funktion der Verz¨ ogerungszeit δ (im Wesentlichen ist das die Autokorrelationsfunktion 4ter Ordnung des Laserfeldes). Die volle rote Linie erh¨alt man auch hier genau dann, wenn der Detektor nur u ¨ber kleine Phasenfluktuationen δ  τ mittelt. Die schwarze Glockenkurve gibt wieder den Mittelwert bei starker Phasenfluktuation. Das Maximum dieses sogenannten 4-Photonen Koh¨ arenzsignals ist u oher als der Untergrund bei δ  τ . ¨ber 50 mal h¨ In Tabelle 13.5 sind die obigen Ergebnisse und einige weitere zusammenge¨ stellt. Man sieht, wie stark die Uberh¨ ohung des Maximums mit zunehmender Ordnung N gegen¨ uber dem Untergrund f¨ ur δ  τ anw¨achst, w¨ahrend zugleich die zeitliche Breite ∆t1/2 des Signals deutlich abnimmt. Verallgemeinerung Bislang haben wir als Beispiel Gauß’sche Einh¨ ullende der Feldamplituden diskutiert. Wichtige Grenzf¨ alle von (13.144) lassen sich aber auch allgemein formulieren. So verschwinden f¨ ur große Verz¨ ogerungszeiten nicht nur alle Interferenzterme in (13.144), sondern auch alle Produkte von Termen, die zu Tabelle 13.5. Bestimmung von Korrelationsfunktionen durch unterschiedliche Multiphotonenprozesse mit N Photonen: phasengemitteltes Signal S(x)/S(∞) als Funktion der Verz¨ ogerung x = δ/τ , FWHM ∆t1/2 und Signalmaxima S(0)/S(∞) – zum Vergleich auch die Maxima S(0)/S(∞) bei interferometrischer Messung N

S(x) f¨ ur Gauß’sche Einh¨ ullende

zum 1 2 3 4

Vergleich: e−x 1 2 1 + 2e−x /2 −2x2 /3 1 + 9e 2 2 1 + 18e−x + 16e−3x /4

5 6

1 + 100e−6x /5 + 25e−4x /5 + 5e−9x /20 2 2/2 2 1 + 36e−5x /6 + 200e−3x + 225e−4x /3

2

2

2

2

S(0)

∆t1/2 /τ S(0) √ 1 2 ln 2 = 1.665 1 1 ∞ 2 √ √ 3 2 2 ln 2 = 2.355 8 √ √ 10 6 ln 2 = 2.039 32 35 1.7788 128

131 462

1.602 512 1.428 2048

196

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

unterschiedlichen Zeiten t bzw. t + δ geh¨ oren. Somit tragen nur die N -ten Potenzen des ersten und letzten Terms (additiv) bei, und wir erhalten f¨ ur δτ

N

einfach S (δ → ∞) = 2 × (I0 )

.

Der andere Grenzfall ist δ = 0, was nach (13.144) zu einem maximalen Signal N von S (δ = 0) = (4 × I0 ) f¨ uhrt, sodass 4N S (δ = 0) = S (δ → ∞) 2

(13.150)

wird. Diese Formel beschreibt also das Maximum des Signals bei (bei δ = 0) im Falle eines interferometrisch stabilen Experiments, bei welchem o¨rtliche oder zeitliche Fluktuationen der Phase φ = ωc δ im Beobachtungsvolumen und u ¨ber die Beobachtungszeit klein sind. Ist umgekehrt die Phasenfluktuation bzw. Variation im Beobachtungsvolumen groß (d.h. ∂ (φ)  π) – und das ist in der Tat bei den meisten Messanordnungen der Fall – dann kann man auch diese Mittelung in den Grenzf¨allen unabh¨angig vom Linienprofil auswerten. Wir gehen davon aus, dass die Impulsdauer immer noch lang gegen¨ uber der Periodendauer des Lichtes ist, dass also ωc  1/τ . Dann kann man h (t) ∼ h (t + δ) u ¨ber die Phasenmittelung als konstant annehmen und vor der Integration u ¨ber die Zeit t mitteln. So wird unabh¨ angig von der Impulsform f¨ ur δτ

stets

N

S (0) = 2N I0N [1 + cos (φ)]

S(0) 1 = 22N −1 S (∞) 2π

Zπ cos

2N

−π

und

(13.151)

  φ (2N )! dφ = 2 , 2 2 (N !)

(13.152)

letzteres nach Integration zwischen ±π. Diese Formel reproduziert die in Tabelle 13.5 bereits f¨ ur den Gauß-Impuls ermittelten Werte. 13.5.4 Experimentelle Beispiele ungeres Messbeispiel f¨ ur einen Moden-gelockten LaAbbildung 13.33 zeigt ein j¨ serimpuls aus einem Dioden-gepumpten, neuen Material (Yb:LuScO3 -Kristall) nach Schmidt et al. (2010).17 Das experimentell bestimmte Verst¨arkungsprofil ˜ asst sich erstaunlich gut durch eine Gauß- oder sech2 I(λ) in Abb. 13.33a l¨ Funktion anpassen und hat eine Bandbreite (FWHM) von ca. 22.4 nm (entsprechend ∆ν1/2 = 6.25 THz). Die Autokorrelationsfunktion Abb. 13.33b wurde in einem Anrege-Abtastverfahren vermessen, wie gerade beschrieben (N = 2). Aus einem Fit der experimentellen Daten mit einer sech2 (t/τS )Verteilung ergibt sich f¨ ur die Autokorrelationsfunktion FWHM ≈ 118 fs, was 17

¨ Wir danken U. Griebner f¨ ur die Uberlassung der Originaldaten.

13.5 Vermessung kurzer Laserimpulse

~ I(λ)

1

(a)

(b)

10-0

0.5 FWHM 118 fs

10-1

1

Spektrum

0.5

Δλ ~

22.5nm

0 1000 1050 Wellenlänge λ / nm

197

(c) sech2

Gauß 0 1100 -200 Δν1/2 Δt1/2 = 0.45

200 -100 0 Verzögerungszeit / fs

100

Abb. 13.33. Experimentell bestimmte spektrale (a) und zeitliche (b, c) Intensit¨ atsverteilung eines nahezu Fourier-begrenzten Laserimpulses, mit ∆ν1/2 = 6.25 THz und ∆t1/2 = 74 fs nach Schmidt et al. (2010)

nach (13.143) einer Impulsbreite von ∆t1/2 = 74 fs entspricht. Die logarithmische Darstellung Abb. 13.33c erlaubt einen sch¨onen Vergleich der beiden in Abschn. 13.4.1 diskutierten Impulsformen und zeigt in diesem Falle eine exzel¨ lente Ubereinstimmung mit einem angepassten Gauß-Profil. Das ImpulsdauerFrequenzbandbreiteprodukt liegt bei ca. 0.45, was mit dem Idealwert 0.315 nach (13.129) zu vergleichen ist. Man kann den Impuls als nahezu Fourierbegrenzt bezeichnen, zumal die Auswahl der zum Anpassen benutzen Profile nicht zwingend ist (s. auch Fußnote auf S. 191). Abbildung 13.34 zeigt die Realisierung einer typischen interferometrischen Messanordnung. Der hier benutzte experimentelle Aufbau besteht aus einem sehr kleinen, extrem stabilen Michelson-Interferometer und einem Nachweis

SHG

S(δ) S(∞)

Detektor

Filter

Eingang

8

Verzögerung 1 -150

-100

-50 0 50 Verzögerung / fs

100

150

0

Abb. 13.34. Interferometrische Bestimmung der Autokorrelationsfunktion eines ultrakurzen Laserimpulses (FWHM ∆t1/2 = 19.5 fs) zur Verf¨ ugung gestellt von G. Steinmeyer (2010), MaxBorn-Institut, Berlin

198

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

durch die zweite Harmonische, die in einem d¨ unnen BBO Kristall erzeugt wird (N = 2). Zur Kompensation der Dispersion werden in diesen speziellen Aufbau zwei Strahlteiler verwendet. Dadurch ist die Anordnung auch f¨ ur sehr kurze Laserimpulse (< 10 fs) geeignet. Die gezeigte Messkurve stammt von einem Ti:Saphir-Laser (800 nm) mit einer Impulsdauer von ca. 19.5 fs. Man sieht ein zu δ = 0 symmetrisches Interferenzmuster, das dem erwarteten Verh¨altnis S(0) : S(δ) = 1 : 8 sehr nahe kommt (vgl. Abb. 13.32 Mitte). Die deutlich sichtbaren Nebenmaxima stammen von Satellitenimpulsen, die auf einen unvollst¨andigen Ausgleich der Modenumlaufzeiten im Laserresonator zur¨ uckzuf¨ uhren sind.18

13.6 Nichtlineare Prozesse in Gauß’schen Laserstrahlen ¨ 13.6.1 Allgemeine Uberlegungen Solange man linear von der Intensit¨ at abh¨ angige Prozesse bei moderaten Intensit¨aten untersucht, also klassische Absorption und Emission, spielt das r¨aumliche und zeitliche Profil des benutzten Lichtstrahls bei der Mittelung u ¨ber ein Beobachtungsvolumen keine Rolle, da der Wirkungsquerschnitt ja nicht von der Intensit¨ at abh¨ angt. Wir haben aber bereits im vorangehenden Abschnitt gesehen, dass das bei nichtlinearen Prozessen durchaus anders sein uhrend kann. Einige solcher Prozesse haben wir in Kap. 5.3, Band 1 bereits einf¨ besprochen. Da die Wechselwirkung von Atomen, Molek¨ ulen und Clustern mit starken Laserfeldern ein wichtiges Thema moderner Laser-basierter Forschung ist, wollen wir dies hier am Beispiel der Multiphotonenionisation (MPI) noch etwas genauer veranschaulichen. (N ) Sei N die Teilchendichte der untersuchten Substanz, σba der relevante Wirkungsquerschnitt f¨ ur N -Photonenionisation und Φ = I/~ω der Photonenfluss. Nach (5.31) wird die Rate f¨ ur den MPI-Prozess: (N )

(N )

N

ΦN = sN I N (ρ, z, t) mit sN = σ (N ) / (~ω) (13.153) h i (N ) N −1 2N N −1 mit den Einheiten Rba = s bzw. [sN ] = cm s /J

Rba = σba

Solche Prozesse kann man effizient mit kurzen Laserimpulsen untersuchen. Wir nehmen einen Gauß-Strahl an, dessen Intensit¨at entsprechend (13.118) orts- und zeitabh¨ angig ist. Zur Berechnung des Messsignals muss man nun u ucksichti¨ber die Zeit und das Nachweisvolumen integrieren. Dabei ist zu ber¨ gen, dass sich die urspr¨ ungliche Targetdichte N0 in einem starken Laserfeld w¨ahrend eines Laserimpulses erheblich ¨ andern kann. Es wird dN (ρ, z, t) = −N (ρ, z, t)sN I N (ρ, z, t)dt , 18

ur die freundliche Bereitstellung des exWir danken G¨ unter Steinmeyer (2010) f¨ perimentellen Materials, f¨ ur die Apparaturskizze und f¨ ur hilfreiche Hinweise.

13.6 Nichtlineare Prozesse in Gauß’schen Laserstrahlen

199

und Integration u uhrt zu ¨ber die Zeitdauer des gesamten Laserimpuls f¨  N (ρ, z) = N0 exp −sN τN I N (ρ, z) . (13.154) Dabei haben wir eine effektive N -Photonen-Impulszeit r Z ∞ π 2 τ τN = exp(−N (t/τ ) )dt = N −∞

(13.155)

eingef¨ uhrt. Wir definieren nun eine S¨ attigungsintensit¨ at −1/N

Is = (τN sN )

(13.156)

und schreiben damit (13.154) um in   N N (ρ, z) = N0 exp − (I (ρ, z) /Is ) .

(13.157)

Im Fokus des Gauß-Strahls wird I(ρ, z) = I0 . Wenn also diese Maximalintensit¨at gleich der S¨ attigungsintensit¨ at wird, d.h. I0 /Is = 1, dann ist die urspr¨ ungliche Targetdichte N0 nach dem Laserimpuls auf 1/e, also auf 37% abgesunken. Im Zentrum des Laserfokus werden also 63% der Atome/Molek¨ ule ionisiert, wenn die maximale Intensit¨ at I0 = Is ist. Das insgesamt gemessene Signal ergibt sich durch Integration u ¨ber das gesamte, vom Experiment eingesehene Targetvolumen V und wird (abgesehen von der experimentellen Nachweiswahrscheinlichkeit) ( "  N #)   Z I (ρ, z) I0 = N0 . (13.158) dV 1 − exp − S Is Is V Wir setzen die r¨aumliche Intensit¨ atsabh¨ angigkeit nach (13.118) ein, schreiben  u = (I0 /Is ) / 1 + ζ 2 und integrieren in Zylinderkoordinaten – zun¨ achst in radialer Richtung:     Z ∞ ρ2 ρdρ 1 − exp −uN exp −2N 2 dS (u) = 2πN0 dz (13.159) w 0 Z ∞     πN0 w02 z0 2 1 + ζ dζ = ρdρ 1 − exp −uN exp −ρ2 N 0   πN0 w02 z0 2 1+ζ γ + ln uN + E1 uN dζ (13.160) = 2N Hierbei R ∞ ist γ = 0.57722 R ∞ die Euler’schen Zahl und E1 (x) = − Ei(−x) = − x (e−u /u)du = − 1 (e−xt /t)dt das Exponentialintegral (s. z.B. Weisstein, 2004). Alternativ kann man den Integranden in (13.159) in eine Reihe entwickeln und dann integrieren:

200

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz ∞

dS (u) =

=

jN X πN0 w02 z0 j−1 u dζ 1 + ζ2 (−1) 2N j j! j=1

(13.161)

∞ jN 1−jN πN0 w02 z0 X j−1 (I0 /Is ) (−1) dζ 1 + ζ2 2N j j! j=1

F¨ ur hinreichend kleine Intensit¨ aten I0 /Is  1 dominiert der erste Term der Reihe, und unabh¨ angig von der Geometrie wird das Signal erwartungsgem¨aß N ∝ (I0 /Is ) . Schwieriger wird es, wenn die Intensit¨at in die Gr¨oßenordnung der S¨attigungsintensit¨ at kommt, da dann die Reihenentwicklung nur sehr langsam konvergiert. Man muss nun zwei experimentelle Geometrien unterscheiden. 13.6.2 Zylindrische Geometrie (2D-Geometrie) Am einfachsten auszuwerten ist das Signal f¨ ur die streng zylindrische 2DGeometrie, bei welcher das Target ein d¨ unner Streifen der Breite d  z0 ist, den der Laserstrahl im Fokus senkrecht durchdringt. Dies ist wie im Einschub Abb. 13.35 rechts unten skizziert. In diesem Fall ist die ζ Abh¨angigkeit in (13.160) vernachl¨ assigbar und man erh¨ alt f¨ ur das Signal einfach "  #) (   N I0 I0 πN0 w02 d + E1 . (13.162) γ + N ln S (u) = 2N Is Is In Abb. 13.35 ist dies f¨ ur eine 5- und 8-Photonenionisation illustriert. Als experimentelles Beispiel sind Messdaten f¨ ur die Ionisation von C60 in fokussierten 800 nm (1.55 eV) Laserimpulsen von t1/2 = 27 fs Dauer nach Shchatsinin et al. (2006) gezeigt. Die doppelt logarithmische Auftragung erlaubt es, das Potenzgesetz S ∝ uN als Steigung N bei kleinen Intensit¨aten abzulesen. Die Erzeugung von C+ otigt offenbar 5 Photonen (S ∝ I 5 ), die Dop60 (rot) ben¨ ++ pelionisation (C60 grau) zeigt n¨ aherungsweise ein S ∝ I 8 Verhalten,19 was energetisch gut mit den Ionisationspotenzialen von C60 (7.56 eV . 5~ω) bzw. C+ ur Intensit¨aten I0 > Is erkennt man 60 ( 11.8 eV . 8~ω) zusammenpasst. F¨ deutlich das S¨attigungsverhalten. Es beginnt, wenn im Zentrum alle neutralen Targetmolek¨ ule ionisiert sind. Das Volumen (hier eine Kreisscheibe), f¨ ur welche I(ρ, z) > Is wird, w¨ achst mit zunehmender Maximalintensit¨at I0 . Der Signalzuwachs oberhalb der S¨ attigungsintenist¨at (im Zentrum) resultiert also aus einem Zuwachs an effektivem Volumen. F¨ ur gr¨oßere uN & 3 verschwindet N u ¨brigens das Exponentialintegral E1 (u ) sehr schnell, sodass der Signalzuwachs rein logarithmisch wird. Diese einfache Geometrie kann man also gut auswerten. Tr¨agt man, wie von Hankin et al. (2001) vorgeschlagen, alternativ zur log − log Darstellung das Signal linear gegen log(I0 ) auf, so liest man nach (13.162) durch lineare 19

aten wurden auf die Abbildung 13.35 ist dimensionslos skaliert, d.h. die Intensit¨ S¨ attigungsintensit¨ at Is normiert, das Ionensignal S auf das Signal S(I = Is ).

13.6 Nichtlineare Prozesse in Gauß’schen Laserstrahlen

201

S / willk. Einh

Abb. 13.35. Multiphotonenionisationssignal S als Funktion der Intensit¨ at I, gemessen in Einheiten der S¨ attigungsintensit¨ at Is in log − log Auftragung. Die streng zylindrische Geometrie ist im Einschub rechts unten skizziert. Die vollen Kurven sind nach (13.162) berechnete Beispiele f¨ ur Intensit¨ atsabh¨ angigkeiten S ∝ I 5 und ∝ I 8 . Die experimentellen Punkte sind Daten f¨ ur die Ionisation von C60 →C+ 60 (rot ) bzw. C++ (grau) mit 800 nm 60 Laserimpulsen von 27 fs Impulsdauer nach Shchatsinin et al. (2006)

4 C602+ 2

0

Is

0.2

I0/

1

C60+ 2

1014 Wcm-2

10

Abb. 13.36. Multiphotonenionisationssignal S als Funktion der Intensit¨ at I wie in Abb. 13.35, hier jedoch in lin− log Darstellung. Die experimentellen Daten (Signal S in willk. Einh., Maximalintensit¨ at I0 im Fokus in W cm−2 ) sind hier nicht skaliert. Es ergeben sich leicht unterschiedliche S¨ attigungsintensit¨ aten f¨ ur C+ 60 und ++ C60 (rote bzw. graue, strichpunktierte Linie)

Extrapolation der Daten bei hoher Intensit¨ at die S¨attigungsintensit¨at Is als Achsenabschnitt ab (bis auf eine kleine Verschiebung aufgrund der Konstanten γ). Dies ist f¨ ur das eben behandelte Beispiel in Abb. 13.36 illustriert. Die experimentellen Daten sind hier nicht skaliert und man sieht, dass im ++ vorliegenden Beispiel die S¨ attigungsintensit¨ aten f¨ ur C+ 60 und C60 nur wenig voneinander verschieden sind – ein etwas merkw¨ urdiger Befund, wenn man von sequentieller Ionisation nach dem Schema C60 + N1 ~ω →C+ 60 + e und sodann C+ 60 + N2 ~ω ausgeht (mit N1 = 5 und N2 = 8): offenbar ist die Physik etwas komplizierter! Aus den so bestimmten S¨attigungsintensit¨aten kann man u ¨ brigens den MPI-Wirkungsquerschnitt bestimmen, indem man (13.156) einfach umkehrt. Mit (13.155) und (13.153) erh¨alt man: sN =

1 τN IsN

N

bzw.

σ (N ) =

(~ω) τN IsN

(13.163)

Das ist nat¨ urlich nur richtig, wenn das Potenzgesetz streng bis zur S¨attigung gilt – wovon man nicht unbedingt ausgehen kann. Immerhin leistet diese Gr¨oße doch gute Dienste zur Absch¨ atzung eines ¨aquivalenten“ MPI” Wirkungsquerschnitts. Wir halten fest, dass – vorausgesetzt (13.153) ist streng g¨ ultig – die gemessene S¨ attigungsintensit¨ at von der Impulsdauer abh¨angt.

202

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

F¨ ur unterschiedliche Impulsdauern τ1 und τ2 verhalten sich bei gleichem Wirkungsquerschnitt die S¨ attigungsintensit¨ aten (13.156) entsprechend Is1 = Is2



τ2 τ1

1/N .

13.6.3 Konische Geometrie (3D-Geometrie) Um zu besonders hohen Intensit¨ aten zu gelangen, muss man sehr stark fokussieren. Bei solchen Experimenten wird die Ausdehnung des eingesehenen Volumens in z-Richtung aber deutlich gr¨ oßer als die Rayleigh-L¨ange, d  z0 . Man kann dann nicht mehr von der einfachen, in Abb. 13.35 skizzierten zylindrischen Geometrie ausgehen, sondern findet die in Abb. 13.11c veranschaulichte Hundeknochen“-Geometrie vor, u ¨ber die zu integrieren ist (Speiser und Jort” ner, 1976). Wir sch¨ atzen zun¨ achst (sehr) grob das Volumens Vs ab, innerhalb dessen die Intensit¨ at gr¨ oßer als die S¨ attigungsintensit¨at Is ist: Bei hinreichend hohem I0 wird die Grenze von Vs im Fernfeld liegen, die Intensit¨at (13.118) auf der Strahlachse kann hinreichend genau mit I = I0 /ζ 2 abgesch¨atzt werden. Die Ausdehnung des ges¨attigten Hundeknochens“ in zp ” atzen also ab Richtung wird also zs = z0 I0 /Is . Wir sch¨ Z Vs =

Z

zs

dV = −zs

πw2 w2 dz = π 20 2 z0

Z 0

zs

z 2 dz =

πw02 z0 3



I0 Is

3/2 .

Die hier abgeleitete I 3/2 Abh¨ angigkeit ist charakteristisch f¨ ur ges¨attigte Prozesse in 3D-Geometrie. Eine saubere Berechnung hat auch die radiale Aufweitung zu ber¨ ucksichtigen, die aber nichts grunds¨atzlich a¨ndert. Streng genommen muss man nat¨ urlich auch die Bereiche außerhalb des S¨attigungsvolumens Vs ber¨ ucksichtigen, also die z-Integration von (13.160) bzw. (13.161) u ¨ber alle z von −∞ bis +∞ ausf¨ uhren. Es zeigt sich, dass das Integral f¨ ur N > 3/2 existiert, aber nicht ganz trivial ist, da die Reihe (13.161) sehr langsam konN vergiert. Man integriert daher f¨ ur kleine (I0 /Is ) ≤ L = 3 die Reihe, f¨ ur gr¨oßere Werte (13.160), wobei dort das Exponentialintegral vernachl¨assigt werden kann. Insgesamt ergeben sich dabei etwas komplizierte Formeln, die erstmals von Cervenan und Isenor (1975) entwickelt wurden. Mit u ≡ I0 /Is wird das Signal f¨ ur uN > L   ∞  −j S(u) u3/2 X a(j) u/L1/N + G(u/L1/N ) + H(u/L1/N ) = S(1) V (N ) j=0 und f¨ ur kleine Intensit¨ aten uN < L ∞

1 X (−1)j−1 N j S(u) = u V (N j) S(1) V (N ) j=1 j j!

mit

13.6 Nichtlineare Prozesse in Gauß’schen Laserstrahlen

203

m

V (m) =

(−1) Γ (1/2)π Γ (m − 1) Γ (5/2 − m) j

a(j) = (−1)

∞ n X Γ (1/2) (−L) Γ (j + 1)Γ (1/2 − j) n=1 (2 (N n + j) − 3) nn!

1 1/2 (γ + ln L) (1 + 2/u) (1 − 1/u) 3    2  3/2 1/2 H(u) = N (1 − 1/u) + 6 1/u − 1 − arcsin (1 − 1/u) . 9 G(u) =

In Abb. 13.37 ist der Verlauf dieser Funktion in der vollen 3D-Geometrie skizziert. Man sieht, dass dies zu einem st¨ arkeren Anwachsen des Signals im S¨attigungsbereich im Vergleich zu 2D-Geometrie f¨ uhrt.

S

1000 100

3D-Geometrie (I/Is) 3/2

2D-Geometrie

1 0.1

10 0.01

(I/Is) 5

10-4 (I/Is) 8

ln( I/Is)

10-6

100 I/Is

Abb. 13.37. Multiphotonenionisationssignal S als Funktion der Intensit¨ at I, gemessen in Einheiten der S¨ attigungsintensit¨ at Is in log − log Auftragung, analog zu Abb. 13.35 auf S. 201. Im Gegensatz dazu ist hier u ¨ber das gesamte Volumen des Laserstrahls integriert (3D-Geometrie). Zum Vergleich sind die entsprechend skalierten (I0 /Is )3/2 -Verl¨ aufe (gestrichelt) sowie das f¨ ur zylindrische 2D-Geometrie geltende ln(I0 /Is )-Verhalten (d¨ unne Linien) nach Abb. 13.35 eingetragen

In der Praxis sind die Beobachtungen meist noch komplexer. Die schon angedeutete sequentielle Mehrfachionisation, aber auch Fragmentationsprozesse bei Molek¨ ulen, oder in Clustern die Wechselwirkungen mit einem im Cluster erzeugten Mikroplasma, k¨ onnen zu vielen, voneinander abh¨angigen Prozessen f¨ uhren. Diese pr¨ agen wiederum u ¨ber ihre Intensit¨atsabh¨angigkeit eine zeitliche und r¨ aumliche Struktur aus. In jedem Fall ist die Wechselwirkung von Atomen, Molek¨ ulen und Nanoteilchen mit intensiven Laserimpulsen ein spannendes, aktuelles Forschungsgebiet, das sich rasant entwickelt. 13.6.4 R¨ aumlich aufgel¨ ostes Messverfahren Die soeben erw¨ahnte r¨ aumlich-zeitliche Struktur dieser Prozesse wurde in einem recht sch¨onen, noch verh¨ altnism¨ aßig einfachen Experiment in j¨ ungerer Zeit von Strohaber und Uiterwaal (2008) untersucht. Es ist in Abb. 13.38 zusammengefasst. Hier geht es um MPI von Xe-Atomen mit einem kurzen Laserimpuls (800 nm, 50 fs). Dabei wird durch die Kombination (Abb. 13.38a) einer

13 Laser, Licht und Koh¨ arenz

MCP Ionentrajektorie

V3

(b)

Laserstrahl

Linse

V2

d Repeller

V1 = 0 V =0 V0 = (x0/d)VR

z

TOF(x)

5.0 N(x)

4.9 1.5

2.0

0 132Xe

131Xe

y

TOF/µs S(TOF)

Xe2+ Xe3+ 4+ Xe Xe+ 40µ y 20

VR

x0 optische Achse

5.1

(d)

x / mm

x

x

(c)

Ionensignal / willk. Einh.

(a)

Spalt

204

0 20 40µm Xe+ Xe2+ Xe3+ Xe4+ -30

0

30 µm

Abb. 13.38. Experiment zum r¨ aumlich aufgel¨ osten Nachweis der Multiphotonionisation am Xe Atom im Fokus eines Gauß-Strahl nach Strohaber und Uiterwaal (2008). (a) Experimentelle Anordnung (b) Abh¨ angigkeit der Flugzeit T OF vom Entstehungsort x. (c) Ionensignale verschiedener Ladungszust¨ ande Xeq+ als Funktion von x (Signalkurven) und (d) in der xy-Ebene als 2D-Darstellung

schmalen Blende (y-, im Prinzip auch z-Koordinate) mit einer Flugzeitanalyse (TOF) der Ionen (x-Koordinate) eine r¨ aumliche 3D-Abbildung der verschiedenen, beobachteten Ladungszust¨ ande realisiert. Abbildung 13.38b zeigt die durch Flugzeitanalyse gewonnene x-Abh¨ angigkeit des Entstehungsorts der Xeq+ Ionen f¨ ur q = 1 − 4. Die S¨ attigungsintensit¨at f¨ ur diese MPI-Prozesse ist f¨ ur q = 4 am h¨ochsten und wird unter den hier gew¨ahlten Bedingungen offenbar gerade im Zentrum des Fokus erreicht, wo alle anderen Ionensignale schon ausgebleicht sind. Je kleiner q desto niedriger die S¨attigungsintensit¨at, was zur Entstehung dieser Ionen in den Randzonen des Laserstrahls f¨ uhrt: je kleiner ¨ der beobq desto ferner vom Fokus. Abbildung 13.38c gibt eine 2D Ubersicht achteten Intensit¨aten und damit letztlich eine direkte, nichtlineare Abbildung der Laserintensit¨at. Man kann dieses Bild direkt mit der Hundeknochen“” Intensit¨atsverteilung in Abb. 13.11 auf S. 156 vergleichen.

14 Koh¨ arenz und Photonen Im Jahre 1900 hatte Max Planck – zun¨ achst noch sehr z¨ ogerlich – ein dem elektromagnetischen Feld zugeordnetes Energiepaket W = hν postuliert – heute Photon“ genannt. Im Jahre 1905, dem ber¨ uhmten ” annus mirabilis“ Einsteins, kam dann die klassische ” Physik endg¨ ultig zu Fall: Einstein erkl¨ arte mit Hilfe des Planck’schen Wirkungsquantums h den Photoeffekt, er formulierte die spezielle Relativit¨ atstheorie, fand ¨ die Aquivalenz von Masse und Energie und lieferte eine atomistische Erkl¨ arung der Braun’schen Bewegung. Der Beginn der eigentlichen Quantenoptik aber ist erst auf die fr¨ uhen 1950’er Jahre zu datieren. Das vorliegende Kapitel will in die Basics“ dieses ” modernen Forschungsgebiets einf¨ uhren.

Hinweise f¨ ur den Leser: In diesem Kapitel wenden wir uns den Teilcheneigenschaften des Lichts zu und damit verbunden den statistischen Eigenschaften der Photonen. In Abschn. 14.1 werden Begriffe wie quasi” monochromatisches“ und partiell koh¨ arentes“ Licht definiert und an ein” fachen Modellen f¨ ur Laser und klassisches Licht erl¨autert. Wir lernen die grundlegenden Experimente kennen, beginnend mit dem ber¨ uhmten Hanbury-Brown-Twiss-Experiment“. In Abschn. 14.2 versuchen wir, einen ” pragmatischen Zugang zur quantenmechanische Beschreibung von Photonenzust¨anden zu entwickeln – gewissermaßen eine Einf¨ uhrung f¨ ur Fußg¨an” ger“. Schließlich werden wir in Abschn. 14.3 das so gewonnene Instrumentarium in die Theorie der Absorption und Emission von Licht einbringen, also die Quantennatur des Photons ber¨ ucksichtigen und dabei auch erstmals die spontane Emission ableiten – im Gegensatz zur bisher benutzen semiklassischen Behandlung dieses inh¨ arent quantenmechanischen Ph¨anomens.

14.1 Grundlagen der Quantenoptik 14.1.1 Vorbemerkungen Die bahnbrechenden Arbeiten zur Quantenstatistik des Lichtes wurden ab 1954 gemacht. Von grundlegender Bedeutung sind die Experimente von R. Hanbury Brown1 und R.Q. Twiss (1954; 1956a). Roy J. Glauber war einer 1

Man spricht immer vom Hanbury-Brown-Twiss-Experiment“, sollte aber wissen, ” dass Hanbury ein Vorname ist.

I.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 4, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

206

14 Koh¨ arenz und Photonen

der Pioniere der theoretischen Quantenstatistik (siehe z.B. Glauber, 1963) und erhielt daf¨ ur 2005 den Nobelpreis – zusammen mit John Hall und Ted H¨ansch, die wir z.B. im Zusammenhang mit Frequenzk¨ammen in Kap. 13.4.5 bereits erw¨ahnt haben. Die Arbeiten von Glauber bilden einen wesentlichen, theoretischen Hintergrund f¨ ur dieses Kapitel. 14.1.2 Quasimonochromatisches Licht Wir wenden uns zun¨ achst der Beschreibung eines kontinuierlichen Laserstrahls zu, dessen Licht nicht streng monochromatisch ist.2 Er besitze eine zwar sehr kleine, aber endliche Bandbreite δωc um eine Zentralfrequenz ωc herum. Man spricht von quasimonochromatischem Licht, wenn δωc  ωc .

(14.1)

Wir werden sehen, dass dieser Begriff sehr eng mit Koh¨ arenz bzw. partieller Koh¨ arenz verkn¨ upft ist. Diese wichtigen Begriffsbildungen, die uns immer wieder begegnen werden, sollen hier etwas ausf¨ uhrlicher besprochen werden. F¨ ur weitere Details verweisen wir auf das Standardwerk von Loudon (1983). Der Laserimpuls, den wir bisher diskutiert haben, wurde in Kap. 13.4.3 ¨ durch eine koh¨ arente Uberlagerung von ebenen Wellen aus einem begrenzten Frequenzbereich mit einer Halbwertsbreite (FWHM) ∆ω1/2 beschrieben. Ein solcher Impuls hat eine endliche Dauer τ ∝ 1/∆ω1/2 . Alternativ haben uge durch eine Fourier-Reihe beschriewir in Kap. 13.4.5 periodische Impulsz¨ ben. Keine der beiden Beschreibungen erfasst offensichtlich einen realistischen, quasimonochromatischen und kontinuierlichen Laser-Strahl (cw-Laser). Denn der leuchtet ja – wenn auch nur quasimonochromatisch – von t = −∞ bis t = +∞ (oder doch zumindest f¨ ur einige Stunden). Mit etwas Geschick und guter Elektronik kann man die Frequenz eines solchen Lasers problemlos f¨ ur viele Stunden auf wenige Hz stabilisieren. Das l¨asst sich ganz offensichtlich mit keiner Art von Wellenpaket beschreiben. Stellen wir uns also vor, dass der Laserstrahl aus einer sehr großen Anzahl von Impulsz¨ ugen konstanter Amplitude aber endlicher Dauer bestehe. Einen einzelnen solchen Wellenzug beschreiben wir durch  E0 ei[kc (z−zi )+ϕi ] f¨ ur zi < z < zi + `i (14.2) E i (r, 0) = 0 sonst wie in Abb. 14.1a skizziert. Wir betrachten hier eine Momentaufnahme. Der Impuls beginne also, sagen wir zur Zeit t = 0, bei z = zi und habe eine L¨ange 2

Ganz ¨ ahnlich behandelt man auch chaotisches Licht mit sehr großen Phasenund Intensit¨ atsfluktuationen, wie es z.B. eine stark stoßverbreiterte Gasentladungslampe, ein Hohlraumstrahler oder ein Ensemble angeregter, spontan emittierender Atome aussendet – lediglich die in diesem Abschnitt zu definierende Koh¨ arenzeit bzw. -l¨ ange wird entsprechend k¨ urzer.

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

E(z)

zi

E(z) ℓ1 z1

(a)

ℓi

ℓ2 z2

z

λc ℓ3 z3

ℓ4

(b)

207

Abb. 14.1. (a) Illustration des durch (14.2) beschriebenen Wellenzuges, (b) schematische Darstellung des Modells f¨ ur einen station¨ aren, quasimonochromatischen Laser (der deutlichen Darstellung wegen haben wir λc viel zu groß gezeichnet; in der Realit¨ at ist nat¨ urlich λ  `i )

z

z4

`i . Wir nehmen an, die Wellenl¨ ange λc sei u ¨ber diese Strecke konstant. In der L¨ange `i solch eines Wellenzuges sind typisch 108 bis 1011 Perioden enthalten. Die Fourier-Transformierte des Einzelimpulses (14.2) in der k-Dom¨ane l¨asst sich in geschlossener Form schreiben: ˜i (k) = 1 E0 E 2π

zZ i +`i

exp [i (kc z − kc zi + ϕi − kz)] dz zi

(14.3)

exp [i (kc − k) `i ] − 1 1 E0 exp [i (ϕi − kzi )] = 2π i (kc − k) ˜i [ω] = E ˜i [k (ω)] /c Mit kc = ω folgt daraus in der ω-Dom¨ ane E ˜i (ω) = 1 E0 exp [i (ϕi − ωτi )] exp [i (ωc − ω) τi ] − 1 . E 2π i (ωc − ω)

(14.4)

Da wir hier eine in +z fortschreitende ebene Welle (bzw. einen entsprechenden Gauß-Strahl) angenommen haben, k¨ onnen wir die Beschreibung vollkommen ane durchf¨ uhren und dabei die Impulsdauer ¨aquivalent auch in der Zeitdom¨ τi = `i /c einf¨ uhren. F¨ ur eine beliebige Zeit t wird ein solcher Wellenzug mit den Substitutionen ζ = z − tc und θ = z/c − t beschrieben durch Z Z Z ikζ i(kz−ωt) ˜i (ω) eiωθ dω . ˜ ˜ dk = Ei (k) e dk = E E i (r, t) = Ei (k) e (14.5) Soweit ist dies lediglich ein weiterer Spezialfall der in Kap. 13.4.1 diskutierten Wellenpakete, n¨ amlich das in Abb. 14.1a gezeigte. Die spektrale Intensit¨atsverteilung erhalten wir analog zu (13.125):   2 |Ei (ω)| E02 sin2 12 (ωc − ω) τi ˜ I (ω) = (14.6) = 2 2Z0 4πZ0 (ωc − ω) Einen realen, quasimonochromatischen Lichtstrahl, der sich weit im Raum und in der Zeit ausdehnt, modellieren wir nun durch sehr viele solcher Impulsz¨ uge wie in Abb. 14.1b angedeutet. Sie k¨onnen sich nat¨ urlich auch ganz

208

14 Koh¨ arenz und Photonen

oder teilweise u ¨berlappen. Die Frequenzbreite eines Lasers ist u ¨blicherweise durch mechanische und thermische Instabilit¨ aten des experimentellen Aufbaus bestimmt, also durch feine Vibrationen der Spiegelhalterungen, Fluktuationen oder Stoßprozesse im Verst¨ arkermedium, Staubpartikel die zuf¨allig in den Laserresonator gelangen etc. Solche Prozesse geschehen v¨ollig statistisch und, so nehmen wir an, mit konstanter mittlerer Rate. Um es nicht zu kompliziert zu machen, stellen wir uns vor, dass solche Ereignisse nach Zeiten τ1 , τ2 , . . . , τi ¨ jeweils lediglich eine statistische Anderung der Phase um ϕ1 , . . . , ϕi , . . . verursachen. Die Amplitude setzen wir dagegen als konstant an. Die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur, dass ein Impulszug eine Dauer zwischen τi und τi +dτi hat, wird nach den Regeln der Statistik durch eine Exponentialverteilung beschrieben: p (τi ) dτi =

1 −τi /τ0 e dτi . τ0

(14.7)

Die mittlere Zeit zwischen solchen Phasen¨ anderungen der elektromagnetischen Welle wird mit dieser Definition τ0 , und wir nennen sie Koh¨ arenzzeit. Die uge, `0 = τ0 c, nennt man mittleren L¨ange der in Abb. 14.1 skizzierten Wellenz¨ Koh¨ arenzl¨ ange. Der Lichtstrahl als Ganzes wird durch diese statistische Verteilung individueller Impulsz¨ uge beschrieben. Jeder davon ist durch eine spektrale Verteiurliche, statische Phase lung nach (14.6) charakterisiert und besitzt eine willk¨ ϕi . Ausdr¨ ucklich sei darauf hingewiesen, dass dieser insgesamt kontinuierliche Lichtstrahl nicht durch eine koh¨ arente, lineare Superposition von Wellen beschrieben werden kann. Seine spektrale Intensit¨atsverteilung findet man durch statistische Mittelung (im Folgenden angedeutet durch eckige Klammern h. . . i) der spektralen Verteilungen der Einzelwellenz¨ uge nach (14.6) u ¨ber die Wahrscheinlichkeiten (14.7) f¨ ur alle m¨ oglichen Dauern τi der Einzelwellenz¨ uge. Das kann in geschlossener Form geschrieben werden:    2 1 2  Z ∞ sin (ω − ω) τ c i 2 ˜i (ω) ∝ dτi I˜ (ω) ∝ E p (τi ) 2 (ωc − ω) 0 τ0 I (14.8) I˜ (ω) = π 1 + (ωc − ω)2 τ02 Man findet also ein Lorentz-Profil, das hier so normiert ist, dass die Integration u ¨ber alle Frequenzen die (lokale, mittlere) Gesamtintensit¨at I des Laserstrahls ergibt (hier unabh¨ angig von der Zeit angenommen). Schreibt man das in die u ¨bliche Form der Lorentz-Verteilung 2 ∆ω1/2 /2 2I ˜ I (ω) = (14.9)  π ∆ω1/2 (ω − ωc )2 + ∆ω1/2 /2 2 um, dann h¨angt die Halbwertsbreite (FWHM) f¨ ur die Kreisfrequenz u ¨ber ∆ω1/2 = 2/τ0 = 2c/`0

(14.10)

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

209

von der Koh¨arenzzeit τ0 bzw. der Koh¨ arenzl¨ ange `0 = cτ0 ab.3 Das Maximum der spektralen Intensit¨ atsverteilung (Intensit¨ at pro Kreisfrequenz) bei ω = ωc wird 2I I˜ (ωc ) = . (14.11) π ∆ω1/2 Als Beispiel mag ein kontinuierlicher Farbstofflaser dienen, wie er f¨ ur die Spektroskopie benutzt wird. Dort hat man – ohne großen Aufwand zu trei˜ c) ' ben – typischerweise ∆ω1/2 ' 107 s−1 und I ' 1 W / cm2 , so dass I(ω −8 2 6.4 × 10 W s / cm wird. F¨ ur den sp¨ ateren Gebrauch erinnern wir an die Definition der spektralen Strahlungsdichte nach (4.2) u (ω) = I˜ (ω) /c

(14.12)

(hier pro Kreisfrequenz). Ihr Maximalwert ist f¨ ur eine Lorentz-Verteilung u (ωc ) =

2u 2I = , πc ∆ω1/2 π ∆ω1/2

(14.13)

was sich sp¨ater als eine recht bequeme Relation erweisen wird. arenzgrad erster Ordnung erh¨alt man F¨ ur den in (13.132) definierten Koh¨ g (1) (δ) = e−iωc δ e−|δ|/τ0

(14.14)

beim Lorentz-Profil (14.9), was man mit (13.133) leicht verifiziert. Die Definition der Koh¨arenzzeit fassen wir damit etwas allgemeiner: die Koh¨ arenzzeit τ0 ist diejenige Zeit bei welcher der Koh¨ arenzgrad erster Ordnung auf 1/e abgefallen ist. Alternativ muss man je nach experimenteller Situation ggf. auch von anderen elementaren Wellenz¨ ugen als den in Abb. 14.1 skizzierten ausgehen. Ist die Strahlungsquelle z.B. u ¨berwiegend Doppler-verbreitert, dann wird man statt einer statistisch verteilten Phase unterschiedliche Frequenzen zu ber¨ ucksichtigen haben, deren Wahrscheinlichkeit eine Gauß-Verteilung beur den schreibt. Dies f¨ uhrt anstelle von (14.14) zu einer Gauß-Verteilung f¨ ur die Feldeinh¨ ullende (13.113) Koh¨ arenzgrad entsprechend (13.135), den wir f¨ eines Gauß-Impulses abgeleitet hatten. Die Koh¨arenzzeit wird nach der gerade (Gauß) gegebenen Definition jetzt τ0 = 2τ . Um die Koh¨arenzgrade beider Verteilungen vergleichen zu k¨ onnen, skalieren wir sie entsprechend. In Abb. 14.2 wird der Betrag des Koh¨ arenzgrads als Funktion der Verz¨ogerungszeit f¨ ur statistisches Licht aus Quellen mit Lorentz-Profil bzw. Gauß-Profil verglichen und ˜ dem einer streng monochromatischen, klassischen Welle (I(ω) ∝ δ(ω − ωc )) gegen¨ ubergestellt. Letztere zeigt – im Gegensatz zu den beiden statistischen Lichtquellen – keinerlei Fluktuationen, was durch g (1) (δ) ≡ 1 ausgedr¨ uckt wird.4 3

4

Man beachte, dass dies leicht von den Zusammenh¨ angen beim Lorentz-Profil (5.6) f¨ ur die spontane Emission in Band 1 abweicht. Dort war die FWHM ∆ω1/2 = 1/τ . Die Koh¨ arenzzeit einer nat¨ urlich verbreiterten Spektrallinie ist als τ0 = 2τ . Nat¨ urlich k¨ onnen von diesem Vergleich keine quantitativen Aussagen erwartet werden, da die Definition der Koh¨ arenzzeit τ0 etwas willk¨ urlich ist. Wir notieren

210

14 Koh¨ arenz und Photonen

|g(1)(δ)|

voll kohärente Welle statistisches Licht (Gauß)

1.0 statistisches Licht (Lorentz) 0.5

-3

-2

-1

0

1

2

Abb. 14.2. ter Ordnung,

Betrag arenzgrads ers des Koh¨ (1) ur statistisches (chao g (δ) f¨

tisches) Licht einer Koh¨ arenzzeit τ . Verglichen werden Lichtquellen mit spektralem Gaußbzw. Lorentz-Profil. Gegen¨ ubergestellt werden diese einer voll koh¨ a renten (unendlich ausge dehnten) Welle mit g (1) (δ) = 1

δ/τ0

Zusammenfassend haben wir mit (14.3–14.10) einen quasimonochromatischen Lichtstrahl beschrieben, der durch die (gemischte) Gesamtheit seiner individuellen Impulsz¨ uge und die Wahrscheinlichkeit (14.7) sie anzutreffen charakterisiert wird. Ein solcher Lichtstrahl kann nicht durch eine lineare Superposition von Wellenfunktionen“ E i (r, t) beschrieben werden. Er ist nicht ” voll koh¨arent: sein Koh¨ arenzgrad erster Ordnung ist durch (14.14) gegeben. ur Wir werden in Kap. 19 sehen, dass wir eine ¨ahnliche Darstellung auch f¨ Atome und andere Teilchen benutzen m¨ ussen, wenn diese nicht mehr durch reine Zust¨ande charakterisiert werden k¨ onnen. F¨ ur Puristen sei hier noch vermerkt, dass in der vorangehende Diskussion wieder das Ergodizit¨ atstheorem benutzt wurde, das wir schon in Kap. 13.4.4 angesprochen hatten. Danach k¨ onnen in einem physikalisch vern¨ unftigen“ ” System Ensemblemittelwerte stets durch Zeitmittelwerte ersetzt werden. Im vorliegenden Fall haben wir den Lichtstrahl durch einen Satz von Wellenz¨ ugen beschrieben, die statistisch im Raum verteilt waren. Der Ensemblemittelwert w¨are in diesem Falle also f¨ ur eine feste Zeit aufzunehmen. Zu vermessen h¨atte man ϕi , zi und `i f¨ ur alle Komponenten des gesamten Laserstrahls, der sich bei ungest¨orter Ausbreitung u ¨ber viele Millionen von Kilometern erstrecken mag. Ein in der Praxis unm¨ ogliches Ansinnen. Statt dessen ist es problemlos, an einem festen Punkt im Raum Phasen, Anfangszeiten und Zeitdauern der vorbeikommenden Impulse – oder einfach die Frequenzverteilung – u ¨ber eine hinreichend lange Mittelungszeit zu bestimmen. Ergodizit¨at bedeutet, dass das Ergebnis in beiden F¨ allen v¨ ollig equivalent ist. 14.1.3 Longitudinale Koh¨ arenz Wir wollen nun den Begriff der Koh¨ arenz mit Hilfe des eben definierten Koh¨arenzgrads erster Ordnung noch etwas pr¨ aziser und quantitativ fassen. Das ¨ ist zugleich n¨ utzlich f¨ ur Uberlegungen, die wir sp¨ater im Zusammenhang mit der Polarisation und Zustandsverteilungen von Atomen in Kap. 19 anstellen werden. Hier behandeln wir zun¨ achst die Koh¨arenz erster Ordnung, die sich noch, dass beim Gauß’schen spektralen Profil (13.136) mit unserer Definition ωe = 2/τc entspricht.

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

PunktQuelle

Kollimatorlinse

Doppelspalt bzw. Strahlteiler rA , kc ri Strahl A

paralleler Lichtstrahl

f

rB , kc

211

sA

Interferenz

sB

Lichtdetektor

Strahl B optische Verzögerung

Abb. 14.3. Schema eines Interferenzexperiments mit einer punktf¨ ormigen Lichtquelle bzw. parallelen Lichtstrahlen

aus Interferenzexperimenten ergibt, wie z.B. beim Young’schen Doppelspaltexperiment oder beim Michelson-Interferometer. In Abb. 14.3 sind die essentiellen Bestandteile eines solchen Experiments schematisch illustriert. Der benutzte Lichtstrahl sei quasiparallel (TEM00 Mode eines Lasers oder eine m¨ oglichst punktf¨ ormige Lichtquelle, die parallelisiert wird). Das elektrische Feld E (r i , t) wird in zwei Teile E (r A , t) und E (r B , t) aufgespalten, z.B. durch einen Doppelspalt im Beugungsexperiment oder mit Hilfe eines Strahlteilers in einem Interferometer. Die beiden Teilstrahlen A und B m¨ogen nun unterschiedliche optische Wege sA und sB zur¨ ucklegen – sei ¨ es durch Beugung, Anderungen des Brechungsindex oder durch verschiedene Wegstrecken – so dass eine Zeitverz¨ ogerung δ und eine entsprechende Phasendifferenz ωδ zwischen den beiden Teilstrahlen entsteht. Schließlich werden beide Teilstrahlen auf dem Lichtdetektor wieder u ¨berlagert und zur Interferenz gebracht. Sie treffen sich dann zu effektiv unterschiedlichen Zeiten tA und tB . Das resultierende Feld am Detektor wird E (r, t) = aA E (r A , tA ) + aB E (r B , tB ) sB sA , tB = t − . tA = t − c c

mit

(14.15)

Die Faktoren aA bzw. aB ber¨ ucksichtigen m¨ogliche Abschw¨achungen der Strahlteile A bzw. B, bevor sie den Detektor erreichen. Die momentane Intensit¨at am Detektor ist gegeben durch n 1 1 2 2 2 0 c |E (r, t)| = 0 c a2A |E (r A , tA )| + a2B |E (r B , tB )| 2 2 +2aA aB Re [E (r A , tA ) E ∗ (r B , tB )]} . (14.16)

I (r, t) =

Die beiden ersten Terme in der Klammer {. . . } sind die Intensit¨aten IA = a2A I

und IB = a2B I ,

(14.17)

212

14 Koh¨ arenz und Photonen

die man beobachten w¨ urde, wenn nur Strahl A bzw. B den Detektor tr¨afe. Der dritte Term ist ein typischer Interferenzterm, den wir im Folgenden n¨aher betrachten wollen. F¨ ur das partiell koh¨ arente Licht, das wir im vorangehenden Abschnitt spezifiziert haben, erwarten wir nur solange einen nicht verschwindenden Interferenzterm, wie die Zeitverschiebung der beiden Teilstrahlen A und B nicht wesentlich gr¨oßer als die Koh¨ arenzzeit τ0 ist. Der Lichtdetektor integriert in der Regel u ¨ber eine dagegen lange Zeit. Wir haben also den zeitlichen Mittelwert von (14.16) zu bilden – oder den Ensemblemittelwert. Um das einfach schreiben zu k¨onnen, nehmen wir wieder (ohne Verlust an Allgemeinheit) an, dass sich der parallele Lichtstrahl in +z-Richtung ausbreite. Wir benutzen die Fourier-Entwicklung (14.5) mit (14.4) f¨ ur die individuellen Lichtz¨ uge. Den Ensemblemittelwert f¨ ur den Interferenzterm schreiben wir dann hE (r A , tA ) · E ∗ (r B , tB )i = (14.18) Z  Z ˜i (ω) ei(kzA −ωtA ) E ˜j∗ (ω 0 ) e−i(k0 zB −ω0 tB ) . dω dω 0 E Wir beachten nun, dass jeder Wellenzug i und j nach (14.4) eine rein statistische Phase ϕi bzw. ϕj tr¨ agt. Daher werden die komplexen Gr¨oßen ∗ 0 ˜ ˜ Ei (ω) Ej (ω ) v¨ollig zuf¨ allig auf Kreisen in der komplexen Ebene verteilt sein, und der Mittelwert u ¨ber das ganze Ensemble wird

f¨ ur i 6= j Ei (ω) Ej∗ (ω 0 ) = 0 . (14.19) Nur Terme, die vom gleichen Wellenzug i = j ausgehen, tragen zu (14.18) bei. Etwas locker sagt man: Ein Photon interferiert immer nur mit sich selbst. Wir k¨onnen (14.18) somit vereinfachen zu hE (r A , tA ) · E ∗ (r B , tB )i = Z Z E D 0 ˜i (ω) E ˜i∗ (ω 0 ) , dω dω 0 ei(ωθA −ω θB ) E

(14.20)

wobei wir die Abk¨ urzungen θA = zA /c−tA und θB = zB /c−tB benutzt haben. ˜i (ω). ur E Wir setzen nun k = ω/c und benutzen die in (14.4) gegebene Form f¨ ˜i (ω) E ∗ (ω 0 ) den Faktor exp [izi (ω 0 − ω) /c] enth¨alt, der Wir beachten, dass E i wiederum im Ensemblemittel alle Terme mit ω 0 6= ω verschwinden l¨asst, da zi statistisch verteilt ist. Somit wird  2  E D 2 ˜ ˜ ∗ 0 0 ˜ ˜ Ei (ω) Ei (ω ) = δ (ω − ω ) Ei (ω) = I (ω) δ (ω − ω 0 ) . (14.21) 0 c Setzen wir dies in (14.20) ein, so erhalten wir den Interferenzterm als Funktion der Verz¨ogerungszeit δ = θA − θB : Z 2 ∗ eiωδ I˜ (ω) dω . (14.22) hE (r A ,tA ) · E (r B , tB )i = 0 c

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

(√IA+√IB)2

= 2�/ωc ^

IA + IB

(√IA-√IB)2 -3

-2 -1

^ =τ 0

0

1

2

213

Abb. 14.4. Interferenzmuster f¨ ur zwei Strahlen, der Intensit¨ at IA und IB als Funktion ihrer zeitlichen Verschiebung δ (gemessen in Einheiten der Koh¨ arenzzeit τ0 ). Die d¨ unnen grauen Linien entsprechen (bez¨ uglich des Mittelwertes IA + IB ) dem Betrag der Korrelationsfunktion erster Ordnung f¨ ur eine Lorentz’sche Frequenzverteilung mit einer Koh¨ arenzzeit τ0 . Man beachte, dass f¨ ur einen quasimonochromatischen Laser ωc τ0  π gilt, was hier nicht maßst¨ ablich darstellbar ist

δ /τ0

Im Falle einer Lorentz-Verteilung (14.9) f¨ ur I˜ (ω) kann man das Integral ana5 lytisch auswerten : hE (r A , tA ) · E ∗ (r B , tB )i =

I iωc δ−|δ|/τ0 I (1) e = g (δ) , 0 c 0 c

(14.23)

Im letzten Schritt haben wir das Resultat mit dem Koh¨arenzgrad erster Ordnung (14.14) identifiziert. Im allgemeinen Fall w¨are dieser entsprechend der Definition (13.132) zu ersetzen durch |hE (r A , tA ) · E ∗ (r B , tB )i| g (1) (δ) = eiωc δ rD ED E. 2 2 |E (r A , tA )| |E (r B , tB )|

(14.24)

Um das Interferenzexperiment zu beschreiben, m¨ ussen wir also die momentane Intensit¨atsverteilung in (14.16) durch die Ensemblemittelwerte (14.22) und (14.23) ersetzen und erhalten schließlich f¨ ur das Interferenzmuster: p (14.25) I (r) = IA + IB + 2 IA IB g (1) (δ) cos ωc δ Das typische Interferenzmuster als Funktion der Zeitverz¨ogerung zwischen beiden Strahlen ist in Abb. 14.4 illustriert. Bei dem hier diskutierten experimentellen Aufbau (s. Abb. 14.3) ist zA = zB , das heißt die optische Wegdifferenz ergibt sich ausschließlich aus unterschiedlichen Laufzeiten tA und tB in den Verz¨ogerungseinheiten, und es wird δ = θ A − θ B = tA − tB =

sA − sB . c

(14.26)

Die charakteristischen Interferenzringe werden durch den cos-Term in (14.25) bewirkt und h¨angen von der Phasendifferenz ωc δ = k (sA − sB ) zwischen den Strahlen ab. Sie verschwinden, wenn der Koh¨arenzgrad g (1) (δ) gegen Null geht, d.h. f¨ ur δ → ∞. Maximalen Kontrast finden wir bei g (1) (0) = 1. 5

Durch Integration in der komplexen Ebene, was wir hier nicht im Detail ausf¨ uhren.

214

14 Koh¨ arenz und Photonen

Der Koh¨arenzgrad ist zugleich auch das gesuchte quantitative Maß f¨ ur die Koh¨arenz und f¨allt f¨ ur ein spektrales Lorentz-Profil bei einer Verz¨ogerungszeit |δ| = τ0 auf 1/e ab. Wir erinnern uns: die Koh¨ arenzzeit τ0 entspricht der mittleren Zeitdauer der Impulsz¨ uge, die das zeitliche Verhalten des Lichtstrahls definieren. Wir sprechen hier von zeitlicher bzw. longitudinaler Koh¨ arenz. Der Zusammenhang mit der FWHM der spektralen Intensit¨atsverteilung (14.9) ist: `0 2 1 λ2 τ0 = = = = (14.27) c ∆ω1/2 π ∆ν1/2 πc ∆λ1/2 F¨ ur praktische Zwecke haben wir auch die Beziehungen zur FWHM ∆ν1/2 und ∆λ1/2 in der Frequenz- und Wellenl¨ angenverteilung notiert. 14.1.4 Koh¨ arenzgrad 2ter Ordnung Wir erweitern jetzt den in Kap. 13.4.4 eingef¨ uhrten Begriff des Koh¨arenzgrades. Ganz allgemein definiert man einen Koh¨ arenzgrad N -ter Ordnung f¨ ur die Feldamplitude E(r, t) als: g (N ) (r 1 t1 ..r N tN ; r N +1 tN +1 ..r 2N t2N ) = ∗

rD

(14.28)



hE (r 1 , t1 )..E (r N , tN )E(r N +1 tN +1 )..E(r 2N , t2N )i E D ED E D E . 2 2 2 2 |E(r 1 , t1 )| .. |E(r N , tN )| |E(r N +1 , tN +1 )| .. |E(r 2N , t2N )|

Wir diskutieren hier nur den wichtigen Koh¨ arenzgrad 2ter Ordnung, den wir der Einfachheit halber wieder auf die Zeitkoordinate beziehen (die Ortskoordinate h¨angt ja in trivialer Weise u ¨ber z = ct mit der Zeit zusammen): g (2) (δ) =

hE ∗ (t) E ∗ (t + δ) E (t + δ) E (t)i hE ∗

2

(t) E (t)i

=

hI (t) I (t + δ)i 2

hI (t)i

(14.29)

In Analogie zu (13.132) gilt auch hier die Symmetriebeziehung g (2) (−δ) = g (2) (δ) .

(14.30)

W¨ahrend aber f¨ ur den Koh¨ arenzgrad erster Ordnung die Grenzen 0 ≤ g (1) (δ) ≤ 1 galten, kann eine obere Schranke f¨ ur g (2) (δ) nicht festgelegt werden. Man kann aber zeigen, dass g (2) (δ) ≥ 0

und f¨ ur δ = 0 :

g (2) (0) ≥ 1 .

2 Letzteres folgt mit D E Hilfe der Cauchy-Schwarz’schen Ungleichung, die zu I = 2 2 hI (t)i ≤ I (t) f¨ uhrt.6 Ein wichtiger Grenzfall ist die klassische, kontinuierliche und stabile Welle, z.B. ein HF-Generator oder ein idealer cw-Laser. 6

Die Cauchy-Schwarz’sche Ungleichung kann man sehr einsichtig als Relation zwischen N -dimensionalen Vektoren fassen: |a · b|2 ≤ |a|2 · |b|2 . W¨ ahlt man die Intensit¨ aten I(tj ) als Komponenten des Vektors a und 1 als Komponenten von b so folgt letztere Relation unmittelbar.

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

215

Hier ist hI (t)i = I, es gibt keinerlei Intensit¨ atsfluktuationen und somit wird g (2) (δ) = 1. Wir diskutieren noch zwei weitere Beispiele. Beispiel: Impulszug (Frequenzkamm) Betrachten wir die in Kap. 13.4.5 behandelten Frequenzk¨amme. Um die Sache nicht allzu kompliziert zu machen, betrachten wird dabei nur die Einh¨ ullende, also einen Gauß’schen Impulszug mit Impulsabst¨anden Tr . Die Feldst¨arke der einzelnen Impulse sei " 2 #  1 t − jTr Ej (t) = E0 exp − , 2 βTr P und der Wellenzug wird durch j Ej (t) beschrieben. Dabei nehmen wir die Breite des Einzelimpulses βTr als klein gegen den Impulsabstand Tr an (β  1). Dann wird f¨ ur den einzelnen Impuls "  "  2 # 2 # Z t t+δ I02 ∞ exp − exp − dt hI(t)I(t + δ)i = Tr −∞ βTr βTr " r 2 #  π 1 δ 2 = I0 β exp − , 2 2 βTr und die mittlere Intensit¨ at des Einzelimpulses ist 

I0 hI(t)i = Tr 2

Z



h

exp − (t/βTr )

i

2 dt

= I02 πβ 2 .

−∞

Setzen wir dies in (14.29) ein, so wird   1 1 1 2 (2) g (δ) = √ exp − (δ/βTr ) 2 2π β I(t) 1.0 0 .5

g(2)(δ) 4 3 2 1

2

0

1

2

3 δ / Tr

0

1

2

3 δ / Tr

1 1 . und g (2) (0) = √ 2π β

Abb. 14.5. Koh¨ arenzgrad zweiter Ordnung f¨ ur einen Impulszug. Oben ist der Impulszug gezeigt, unten der Koh¨ arenzgrad als Funktion der Verz¨ ogerungszeit δ in Einheiten des Impulsabstands Tr . Als Beispiel wurde hier f¨ ur die Impulsbreite βTr = 0.1Tr gesetzt

216

14 Koh¨ arenz und Photonen

Da die Einzelimpulse des Frequenzkamms sich nicht u ¨berlappen und alle den gleiche Koh¨arenzgrad 2ter Ordnung haben, ist das Gesamtergebnis f¨ ur den ¨ Kamm einfach eine periodische Uberlagerung dieser Terme wie in Abb. 14.5 skizziert. Offensichtlich wird der Maximalwert der Korrelationsfunktion zur Zeitdifferenz δ = 0 um so gr¨ oßer, je k¨ urzer die Impulse im Verh¨altnis zu ihrem Abstand sind. Dagegen nimmt g (2) (δ) mit wachsendem δ rasch ab und verschwindet f¨ ur δ  βTr . Beispiel: Chaotisches Licht Wie in Abschn. 14.1.2 beschrieben, l¨ asst sich chaotisches Licht mit Hilfe seiner statistischen Eigenschaften beschreiben. Insbesondere ist die Koh¨arenz durch die Wahrscheinlichkeit (14.7) bestimmt, einen Wellenzug nach einer Zeit τi noch in Phase zu finden. F¨ ur lange Zeiten gibt es keinerlei Korrelation in den statistischen Intensit¨ atsfluktuationen. Es gilt: g (2) (δ) → 1

f¨ ur δ  τ0 .

Ohne Beweis notieren wir, dass 2 g (2) (δ) = 1 + g (1) (δ)

(14.31)

f¨ ur alle Arten von chaotischem Licht gilt. F¨ ur Licht entsprechend einer Lorentz’schen oder einer Gauß’schen Form der Statistik ergeben sich als Koh¨arenzgrad zweiter Ordnung: g (2) (δ) = 1 + exp(− |δ| /τ0 ) bzw. g (2) (δ) = 1 + exp(−δ 2 /τ02 )

(14.32) (14.33)

Dies ist in Abb. 14.6 schematisch dargestellt. 14.1.5 Hanbury-Brown-Twiss-Experiment Man kann wohl sagen, dass das Experiment von Hanbury Brown und Twiss (kurz HBT) am Anfang der modernen Quantenoptik stand. Man misst dabei die Korrelationen der Intensit¨ at einer ausgedehnten Lichtquelle. Im Gegensatz zum Young’schen Interferenzexperiment, wo man die elektrischen Feldamplituden u aumlich getrennten Z¨ ahlern die Intensit¨ at ¨berlagert, wird hier aber in r¨ des Lichts gemessen. Das Experiment wurde urspr¨ unglich f¨ ur die Vermessung von Sterndurchmessern entwickelt. Am klarsten erkennt man aber das Prinzip in einem nachtr¨aglich von Brown und Twiss (1956a) untersuchten Laboraufbau, der in Abb. 14.7 skizziert ist. Man teilt das Licht aus einer Spektrallampe mit Hilfe eines Strahlteilers zu je 50% in zwei Teile auf und erh¨ alt I1 (z, t) = I2 (z, t) = 12 I(z, t). Das Licht

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

|g(2)(δ)|

2

Abb. 14.6. Koh¨ arenzgrad zweiter Ordnung f¨ ur chaotisches Licht. Verglichen werden Lichtquellen mit Lorentz-Verteilung und GaußVerteilung gleicher Koh¨ arenzzeit τ0 mit einer klassischen, stabilen Lichtquelle (z.B. einem cw-Laser hoher Koh¨ arenzl¨ ange). Die Verz¨ ogerungszeit δ ist in Einheiten der Koh¨ arenzzeit angegeben

Gauß

Lorentz 1 klassische Welle -2

-1

(a)

0

1 δ/τ0

217

2 g(2) - 1

Quecksilberbogenlampe

(b)

1.0

Filter Lochblende halbdurchlässiger Spiegel

Photomultiplier (2) verschiebbar (d)

Photomultiplier (1)

×

Integrator &Detektor

0.5

0

0

5

10

Verschiebung ders Multipliers d / mm

Abb. 14.7. Das Laborexperiment von Brown und Twiss (1956a). (a) Experimenteller Aufbau. Der von der Quecksilberbogenlampe ausgehende, gefilterte und kollimierte Lichtstrahl (rot) wird mit einen halbdurchl¨ assigen Spiegel in zwei Teile aufgetrennt, die durch je einen der beiden Photomultiplier registriert werden. (b) Experimentelles Ergebnis f¨ ur g (2) − 1 als Funktion der Verschiebung d der beiden Multiplier. Die schwarze Linie gibt eine Anpassung mit (14.33) (nach der Originalarbeit), die rot gestrichelte Linie entspricht (14.32)

wird dann in einem Arm verz¨ ogert, und man registriert als Signal die Anzahl der echten Koinzidenzen zwischen beiden Detektoren, also h[I1 (z, t1 ) − I1 ] [I2 (z, t2 ) − I2 ]i = g (2) (δ) − 1 , I1 I2

(14.34)

wobei g (2) nach (14.32) bzw. (14.33) gegeben sein sollte. Allerdings mittelt das Experiment noch u ¨ber die Antwortzeiten der Detektoren, was das Ergebnis erheblich weniger spektakul¨ ar ausfallen l¨ asst. Man kann das aber zur¨ uckrechnen. Das rekalibrierte Signal nach Brown und Twiss (1958) ist in Abb. 14.7b gezeigt: eine Gauß’sche Korrelationsfunktion (14.33), wie in der Originalarbeit angenommen, passt offenbar. Aber auch die mit einer Lorentz’sche Spektralverteilung verkn¨ upfte Korrelationsfunktion (14.32) hat ihre Verdienste.

218

14 Koh¨ arenz und Photonen

Der Effekt erscheint auf den ersten Blick außerordentlich verbl¨ uffend: man misst ja einfach die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur, dass in den beiden aufgeteilten Strahlen aus der Spektrallampe jeweils gleichzeitig ein Photon an Photomultiplier (1) und (2) ankommt. Insgesamt werden ohnehin nur sehr wenige Photonen gez¨ahlt. Aber wenn eines bei (1) registriert wird, dann ist offenbar die Wahrscheinlichkeit, gleichzeitig ein zweites bei (2) zu registrieren doppelt so hoch (g (2) (δ) = 2) wie die statistische Wahrscheinlichkeit bei unkorrelierten Strahlen (g (2) (δ) = 1). Dieses Photon-Bunching“ ist eine typische Eigen” schaft von Bosonen. Bei Elektronen, die ja Fermionen sind, kann man in geeigneten Anordnungen das Gegenst¨ uck dazu beobachten: ein Anti-Bunching! Freilich zeigen nur chaotische Lichtstrahlen diesen Effekt. Beim gleichen Experiment mit einem idealen Laserstrahl beobachtet man etwas ganz anderes: in diesem Falle gibt es keinerlei spezielle Korrelation zwischen solchermaßen aufgeteilten Teilstrahlen bei δ = 0. Man misst lediglich eine rein statistische Korrelation g (2) (δ) = 1 ganz unabh¨ angig von der Verz¨ogerungszeit δ zwischen beiden Teilstrahlen! Wir kommen darauf noch einmal zur¨ uck. 14.1.6 R¨ aumliche Koh¨ arenz In den bislang behandelten Koh¨ arenzexperimenten sind wir von strikt parallelen, quasimonochromatischen Lichtstrahlen ausgegangen. Auch diese, f¨ ur reale Lichtstrahlen unrealistische Annahme, lassen wir nun fallen. Selbst Laur das serstrahlen haben eine endliche Winkeldivergenz θ, wie in Kap. 13.2 f¨ Winkelprofil eines Gauß’schen Strahls ausgef¨ uhrt. Hier wollen wir nun eine ausgedehnten Lichtquelle (Durchmesser 2w0 ) von statistisch emittierenden Strahlern betrachten. Ein Lichtstrahl“ im weiteren Sinne entsteht daraus ” nach Kollimierung. Diese Lichtquelle sei im Brennpunkt einer Linse der Brennweite f platziert. Wie in Abb. 14.8 skizziert, ist die Winkeldivergenz durch θ ≈ w0 /f gegeben, ganz analog zur Situation beim Gauß’schen Strahl nach Abb. 13.16 auf S. 166, wenn wir die Strahltaille dort mit der Ausdehnung der Doppelspalt bzw. Strahlteiler rA , k'

ausgedehnte Quelle

θ k Strahl A

θ0

2w0

2w f

θ

divergenter Lichtstrahl

rB , k' θ k Strahl B

Δk

Δk

sA

sB

Interferenz

Lichtdetektor

optische Verzögerung

Abb. 14.8. Zur r¨ aumlichen Koh¨ arenz: Interferenzexperiment mit divergentem Lichtstrahl von einer ausgedehnten Quelle – schematisch

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

219

Lichtquelle hier identifizieren. Wenn die dabei auftretenden Winkel nicht zu groß sind, gilt f¨ ur den Aperturwinkel θ0 der Linse w0 θ0 ≈ wθ ,

(14.35)

sofern wir den Strahl bis zum Radius w nutzen. Mit dieser realistischeren Beschreibung des Lichtstrahls m¨ ussen wir die Behandlung des Interferenzexperiments nach Abschn. 14.1.3 modifizieren. Ein Vergleich von Abb. 14.3 und 14.8 zeigt, dass wir jetzt die Interferenz von ebenen Wellen mit Wellenvektoren ki um k herum zentriert zu behandeln haben. In Analogie zur Mittelung u ¨ber die Frequenzen, die wir im vorangehenden Kapitel behandelt haben, m¨ ussen wir jetzt zus¨atzlich u age aller ki summieren. Wie zuvor l¨oschen ¨ber die Beitr¨ sich – wegen der statistischen Phasenverteilung der Einzelwellen – alle Beitr¨age aus, die aus der Superposition unterschiedlicher ki und kj entstehen: wir hatten ja festgestellt, dass jedes Photon nur mit sich selbst interferiert“. ” Die zentrale Frage ist daher, ob und wie weit sich die Interferenzmuster f¨ ur ¨ verschiedene ki Werte gegenseitig st¨ oren. Wir folgen dabei den Uberlegungen uge, die von Abschn. 14.1.3 und gehen von (14.5) aus. Wir schreiben Lichtz¨ von r A kommen und zur Zeit tA = t − sA /c gemessen werden, als Z E i (r A , tA ) = Ei (ω) ei(krA −ωc tA +∆ki ·rA ) dω . (14.36) Den Ausbreitungsvektor ki haben wir hier durch den zentralen Wellenvektor k ausgedr¨ uckt: ki = k + ∆ki . (14.37) Nun liest sich (14.18) zusammen mit (14.21) als hE (r A , tA ) · E ∗ (r B , tB )i = Z D E 2 dω |Ei (ω)| ei[k(rA −rB )−ω(tA −tB )+∆ki (rA −rB )] .

(14.38)

Die Mittelung h. . .i hat jetzt die Winkeldivergenz einzuschließen, die sich in ∆ki (r A − r B ) widerspiegelt. Wir schreiben r A − r B = ∆r und nutzen die Tatsache, dass der Abstandsvektor ∆r per Definition senkrecht zu k steht, dass also k·∆r = 0 gilt. Nennen wir die Verz¨ ogerungszeit wieder δ = tA −tB = (sA − sB ) /c, so wird (14.38) zu Z D E 2 ∗ hE (r A , tA ) · E (r B , tB )i = dωeiωδ |Ei (ω)| ei∆ki ·∆r . (14.39) Wir k¨onnen die Mittelung u uhren. In Abb. ¨ber den Winkelanteil zuerst ausf¨ 14.8 sehen wir, dass f¨ ur kleine Divergenzwinkel θ die Projektion von ∆ki auf die Abbildungsebene im Wesentlichen parallel zu ∆r ist und somit ∆ki · ∆r = |∆ki | 2w cos ϕ

(14.40)

220

14 Koh¨ arenz und Photonen

wird. Dabei ist ϕ der Azimutwinkel von ∆k in Bezug auf ∆r. Wir nehmen Zylindersymmetrie um die Strahlachse k an und eine konstante Intensit¨at von θi = 0 bis θ, bzw. ¨ aquivalent f¨ ur ∆k = 0 bis k θ. Somit kann die Mittelung u uckt werden durch ¨ber den Winkelanteil ausgedr¨ g

(2D)



i∆ki ·∆r

(θw) = e



Zkθ ∝

Z2π d (∆ki )

0

dϕei 2|∆ki |w cos ϕ .

(14.41)

0

Dieses Integral ist genau das gleiche, das wir in Kap. 13.2.2 schon bei der Berechnung des Beugungsbilds einer kreisf¨ ormigen Aperturblende kennengelernt haben. Nach (13.59) wird es durch die Bessel-Funktion erster Ordnung J1 (x) beschrieben. Dieser r¨ aumliche Anteil des Koh¨arenzgrades (14.24) wird r¨ aumliche Korrelationsfunktion genannt. In richtiger Normierung gilt g (2D) (θw) =

2 J1 (θwk) θwk

(14.42)

wie in Abb. 14.9 skizziert. Die r¨ aumliche Korrelationsfunktion erreicht ihr hal1.0 (2D) g (θw)

Abb. 14.9. R¨ aumliche Korrelationsfunktion f¨ ur einen Lichtstrahl mit Radius w und Winkeldivergenz (halber Winkel) θ

0.5

0

3.83

2

4

6

8 θwk

10

bes Maximum bei θak ≈ 2, geht durch Null f¨ ur θak = 3.83 und ¨andert sogar ihr Vorzeichen f¨ ur gr¨ oßere Argumente. Damit k¨onnen wir (14.39) weiter auswerten und die Tatsache ausnutzen, dass g (2D) (θw) sich nicht wesentlich u ¨ber die Lorentz-Verteilung der Kreisfrequenzen ¨ andert. Somit kann man (14.39) ¨ faktorisieren und im Ubrigen wie in Abschn. 14.1.3 auswerten. So erhalten wir schließlich f¨ ur die Interferenzintensit¨ at: p (14.43) I (r) = IA + IB + 2 IA IB g (1) (δ) g (2D) (θa) cos ωc δ Wir sehen, dass die Interferenzstruktur nicht nur bei langen Verz¨ogerungszeiten verloren geht – dort f¨ ur |δ| > τ0 als Folge von optischen Wegl¨angendifferenzen, die gr¨ oßer als die Koh¨ arenzl¨ ange sind (|sA − sB | > `0 ) – sondern auch dann verschwindet, wenn man einen Lichtstrahl mit zu großem Radius bzw. zu große Divergenzwinkel benutzt: Interferenz ist nur beobachtbar, wenn θwk < 3.83 ≈ 4

oder 2wθ < 1.22 λ

(14.44)

14.1 Grundlagen der Quantenoptik

221

gilt, wobei 2w der Durchmesser des Lichtstrahls ist. Dabei sind die Strahlparameter u ¨ber (14.35) von den Quellenparametern w0 und θ0 abh¨angig (s. Abb. 14.8). Wir definieren daher (etwas willk¨ urlich) eine r¨ aumliche (laterale) Koh¨ arenzl¨ ange 2 λ wcoh = = . (14.45) θk θπ Diese Beschreibung impliziert, dass alle Wellenz¨ uge, die aus einem Quer2 schnitt des Lichtstrahls . πwcoh kommen, als koh¨arent angesehen werden k¨onnen: in dem Sinne, dass ihre jeweiligen Interferenzmuster sich gegenseitig nicht wesentlich st¨ oren. Wir nennen daher die Fl¨ache 2 Acoh = πwcoh =

λ2 λ2 = πθ2 δΩ

(14.46)

die Koh¨ arenzfl¨ ache des nat¨ urlichen Lichts, wobei δΩ = πθ2 der volle Raumwinkel des Strahls ist. Wir kombinieren schließlich die Konzepte der longitudinalen und lateralen Koh¨ arenz nach (14.27) bzw. (14.46) und definieren ein Koh¨ aherenzvolumen Vcoh = Acoh 2`0 =

4c λ2 . ∆ω1/2 δΩ

(14.47)

Photonen, die aus einem r¨ aumlichen Bereich ±`0 in k-Richtung um das Zentrum des Strahls (z.B. Taille) herum stammen, sehen wir also als koh¨arent an.7 Entsprechend dem hier entwickelten Gedankengang bedeutet das f¨ ur nat¨ urliches Licht nicht mehr, als dass sich Phasenfluktuationen eines so definierten Volumens des Lichtstrahls“ bei Interferenz und Beugung nicht ” st¨orend bemerkbar machen. F¨ ur einen frei propagierenden cw-Laserstrahl bietet sich die Definition aber zwingender an. Sei das radiale Profil Gauß-f¨ ormig, das Frequenzprofil wieder Lorentz-artig. Die laterale Koh¨arenzl¨ange identifizieren wir mit der Strahltaille w0 (wir erinnern uns: nach Tabelle 13.1 auf S. 156 fließen ca. 86% der Gesamtleistung durch den entsprechenden Querschnitt). Nach (13.54) ist w0 identisch mit wcoh nach (14.45). Auch die (longitudinale) Koh¨arenzl¨ ange `0 = cτ0 = 2c/∆ω1/2 ist die gleiche wie eben besprochen. Zusammenfassend gelten auch f¨ ur den quasimonochromatischen, Gauß’schen Laserstrahl die Ausdr¨ ucke (14.45-14.47). 14.1.7 Michelson’sches Stellar-Interferometer Eine direkte Anwendung des eben skizzierten Konzepts zur r¨aumlichen Koh¨arenz von Licht ist die Vermessung ausgedehnter Lichtquellen bzw. die Messung der Divergenz von Licht, welches aus entfernten Regionen stammt: dies hat sich zu einer wichtigen Methode f¨ ur die Vermessung von Sterndurchmessern 7

Diese Definition ist bez¨ uglich der numerischen Faktoren nat¨ urlich etwas willk¨ urlich.

222

14 Koh¨ arenz und Photonen

bzw. der Winkeldivergenz ihres Lichts entwickelt. Bei diesem experimentellen Aufbau analysiert man mit einem Michelson-Interferometer die Interferenzf¨ahigkeit von Sternenlicht und bestimmt daraus nach (14.44) die Winkeldivergenz des vom Stern emittierten Lichts. Sofern der Abstand des Sterns von der Erde bekannt ist, folgt daraus direkt der Sternradius. Abb. 14.10. Schema eines Michelson’schen Stellarinterferometers

Licht vom Stern (fast parallel) θ

θ S3

S4

S1

S2

Detektor d

Das Schema ist in Abb. 14.10 skizziert. Ver¨andert man den Basisabstand d der beiden Empf¨angerspiegel, so verschwindet nach (14.44) bei d θ = 1.22λ die Interferenz. Daraus ergibt sich θ. Man bestimmt also den Winkel θ, welchen der Sterndurchmesser aus Sicht der Erde aufspannt. Die erreichbare Aufl¨osung h¨angt vom maximal (stabil) einstellbaren Abstand der Teleskope ab und wird z.B. bei d = 10 m und Beobachtung mit sichtbarem Licht ungef¨ahr θ = 0.00700 .

14.1.8 HBT-Stellar-Interferometer (1954) Im Prinzip kann man f¨ ur solch eine Messung auch die Korrelationsfunktion 2. Ordnung benutzen, d.h. man kann die Intensit¨atsfluktuationen messen. Die Praktikabilit¨ at eines solchen Experiments haben Brown und Twiss (1954) erstmals gezeigt. Diese Art der Messung ist viel flexibler, da man hierzu keinen interferometrischen, hochpr¨ azisen und hochstabilen Aufbau braucht und somit die Basis d sehr viel gr¨ oßer w¨ ahlen kann. Man f¨angt also das Lichtsignal u ¨ber zwei Teleskope mit je einem Photomultiplier an zwei (weit auseinander liegenden) Orten auf und vermisst die Wahrscheinlichkeit, dass gleichzeitig auf beiden Multipliern ein Signal registriert wird. Die Anordnung hierf¨ ur ist in Abb. 14.11a skizziert. Gemessen wird wieder eine Koinzidenzrate 2 hI1 (t) I2 (t)i = I +∆I12 . Die Basis (bis zu einigen 100 m) wird verschoben, bis keine Korrelationen mehr registriert werden. Es wird ein Signal entsprechend Abb. 14.6 auf S. 217 erwartet, das allerdings noch mit der experimentellen

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

(a)

(b)

g(2) - 1

Licht vom Stern (fast parallel)

223

1.0 PM (1)

Teleskop (1)

Verstärker (1)

d

×

PM (2) 0.5 Teleskop (2) δ Verstärker (2)

0

Integrator &Detektor

0

5

10

Basisabstand d / m

Abb. 14.11. Hanbury-Brown-Twiss-Stellarinterferometer. (a) Experimenteller Aufange d war im urspr¨ unglichen Expebau nach Brown und Twiss (1954). Die Basisl¨ riment von 1954 einige 100 m. Der Detektor wirkt zugleich als Integrator. (b) Vergleich von Theorie und Experiment am Beispiel des Sirius mit einer so bestimmten Winkeldivergenz von 0.06300 nach Brown und Twiss (1956b)

Aufl¨osung gefaltet werden muss. Als Beispiel ist in Abb. 14.11b die Vermessung der Winkeldivergenz des Lichts des Stern Sirius gezeigt. Aufgetragen ist das normierte Signal g (2) (d) − 1.

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande 14.2.1 Einf¨ uhrung und Begriffe Bisher haben wir Lichtstrahlen als klassisches Strahlungsfeld behandelt. Das ist eine recht korrekte Beschreibung f¨ ur einen Laserstrahl, obwohl wir wissen, dass Licht auch Teilcheneigenschaften hat, die wir den Photonen“ zu” ordnen. Die im letzten Abschnitt beschriebenen Experimente zum Koh¨arenzgrad zweiter Ordnung sind in gewisser Weise Manifestationen dieser Tatsache. Ein Laserstrahl enth¨ alt eine große Anzahl von Photonen. Wir werden in Abschn. 14.2.3 quantifizieren, was diese Aussage genau bedeutet. Schon jetzt k¨onnen wir vermuten, dass aufgrund des Korrespondenzprinzips die klassische Beschreibung eine sehr gute N¨ aherung ist. Daher wird auch die Wechselwirkung eines Strahlungsfelds mit Atomen sehr gut auf semiklassische Weise beschrieben, wie in Kap. 4, Band 1 beschrieben: man behandelt die Atome quantenmechanisch, das Feld klassisch. Es gibt aber mindestens zwei Gr¨ unde, eine voll quantisierte Beschreibung f¨ ur das Feld einzuf¨ uhren: Zum einen wird die

224

14 Koh¨ arenz und Photonen

spontane Emission in der semiklassischen Darstellung nur als eine Art Nachgedanke behandelt, w¨ ahrend sie in der quantenmechanischen Behandlung als Resultat erscheint. Spontane Emission ist aber ein zentrales Ph¨anomen in der gesamten Physik, sodass es nunmehr angezeigt erscheint, sie einigermaßen korrekt zu behandeln. Der zweite Grund ist mehr ¨asthetischer Art: es erscheint w¨ unschenswert, das Energieerhaltungprinzip auch bei strahlungsinduzierten Prozessen explizit zum Ausdruck zu bringen. Nat¨ urlich wird Energie ben¨otigt, um etwa ein Atom anzuregen. Und irgendwie kann diese Energie auch nicht verloren gehen, wenn es wieder abgeregt wird. Im semiklassischen Bild gibt man sich dar¨ uber aber keine Rechenschaft, und die Energie kommt irgendwoher und verliert sich auch wieder irgendwohin. In der voll quantisierten Darstellung dagegen sind Absorption und Emission mit der Vernichtung oder Erzeugung von Photonen verbunden und somit bedeuten diese Prozesse einen Austausch von Energie zwischen Atom- bzw. Molek¨ ulzust¨anden und Photonenzust¨anden. F¨ uhren wir also Photonen ein und beschreiben sie durch Zust¨ande. Wir werden das hier heuristisch tun und verweisen den interessierten Leser auf tiefer gehende Darstellungen der Literatur u ¨ber Quantenelektrodynamik. Wir erinnern zun¨achst noch einmal an die bekannten experimentellen Befunde. Vom Photoeffekt wissen wir, dass die Energie des elektromagnetischen Feldes nur geb¨ undelt auftritt, und zwar in Paketen von Wph = ~ω ,

(14.48)

was wir mit einem Teilchen – Photon genannt – assoziieren. Das Photon bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit und hat keine Ruhemasse. Ebenfalls aus dem Experiment (Compton-Effekt) kennen wir aber seinen endlichen Impuls: pph = ~k =

h . λ

(14.49)

Schließlich haben Photonen einen intrinsischen Drehimpuls, den Photonenspin S, mit der Spinquantenzahl S = 1. Auch dies ist zun¨achst ein experimenteller Befund (Beth, 1936), wie in Kap. 4.3.1 in Band 1 berichtet. b und seine Wir f¨ uhren nun – ganz formal – einen Photonenspinoperator S z-Komponente Sbz ein und ordnen ihm einen Zustandsvektor |ei des Photons im Strahlungsfeld zu, welcher das quantenmechanische Analogon zur klassischen Beschreibung des Strahlungsfelds durch einen Polarisationsvektor e nach Kap. 13.3 darstellt. Die Drehimpulsalgebra ist identisch zu der bislang f¨ ur den Drehimpuls von Elektronen, Atomen und Molek¨ ulen benutzten. F¨ ur die Basisvektoren |eq i der Photonen gilt also b 2 |eq i = ~2 S (S + 1) |eq i = 2~2 |eq i S

mit

heq |eq0 i = δqq0 .

(14.50)

Speziell f¨ ur zirkular polarisiertes Licht wird Sbz |eq i = q~ |eq i

mit

q = ±1 .

(14.51)

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

225

Die Basisvektoren f¨ ur linear polarisiertes Licht k¨onnen unter Benutzung von (13.78) als Linearkombination der q = ±1 Zust¨ande geschrieben werden: 1 |ex i = − √ [|e+1 i − |e−1 i] 2

bzw.

i |ey i = √ [|e+1 i + |e−1 i] 2

(14.52)

Mit (14.51) und (14.52) verifiziert man, dass diese linear polarisierten Zust¨ande Eigenzust¨ande von Sbz2 sind Sbz2 |ex i = ~2 |ex i und Sbz2 |ey i = ~2 |ey i

(14.53)

aber nicht von Sbz . Der Erwartungswert von Sbz wird vielmehr null sowohl f¨ ur den |ex i als auch f¨ ur |ey i Zustand. Auch das belegt das Experiment. In ur vollst¨andiger Analogie zu (13.86) kann der allgemeinste Photonenzustand f¨ elliptisch polarisiertes, sich in k-Richtung ausbreitendes Licht E E E (k) (k) (k) = e−iδ cos β e+1 − eiδ sin β e−1 (14.54) e geschrieben werden, wobei das Superskript (k) die Ausbreitungsrichtung andeutet, und das Subskript ±1 sich auf eine Koordinatensystem bezieht, dessen z-Achse parallel zu k ist. Ausdr¨ ucklich sei hier darauf hingewiesen, dass (14.51) nur Drehimpulszust¨ande mit q = ±1 enth¨ alt, d.h. Zust¨ ande mit einer Drehimpulskomponente ±~ in z-Richtung. Obwohl also (14.50) und (14.51) formal drei Unterzust¨ande des Teilchens Photon“ definieren k¨ onnten (mit q = 0, ±1), haben f¨ ur je” de Ausbreitungsrichtung nur zwei dieser Zust¨ande physikalische Bedeutung, n¨amlich die mit q = ±1. Dieses etwas unorthodoxe Verhalten f¨ ur Drehimpulszust¨ande ist mit der transversalen Polarisation des Lichts verbunden und mit der Tatsache, dass Licht nur bei Lichtgeschwindigkeit existiert. Klassisch k¨onnen die sph¨arischen Basisvektoren mit drei Oszillatoren assoziiert werden: zwei davon oszillieren in der xy-Ebene (q = ±1) und einer entlang der z-Achse. Die damit verbundenen Strahlungscharakteristiken entsprechen den in Kap. 4, Band 1 beschriebenen. In etwas lockerer Sprechweise k¨onnen wir sagen, dass der q = 0 Photonenzustand wegen der transversalen Natur elektromagnetischer Strahlung nicht entlang der z-Achse propagiert. 14.2.2 Moden des Strahlungsfeldes E (k) Die Photonenzust¨ ande e±1 entsprechen monochromatischen, ebenen Wellen, die sich in k-Richtung ausbreiten. Wie bei der vorangehenden klassischen Beschreibung m¨ ussen wir nun unsere Diskussion so erweitern, dass wir in der Lage sind, einen quasimonochromatischen, station¨aren Lichtstrahl mit endlichem Divergenzwinkel zu beschreiben. Wir nehmen an, dass die Intensit¨atsverteilung des Strahles in einen schmalen Bereich von Kreisfrequenzen der Breite δω um ωc (bzw. einer Breite δk = δω/c um den entsprechenden

226

14 Koh¨ arenz und Photonen

Betrag des Wellenvektors k) f¨ allt, und dass die Winkelverteilung durch δθ bzw. durch einen Raumwinkel δΩ = π δθ 2 charakterisiert ist. Wie bei der klassischen Beschreibung wird der Lichtstrahl durch die Wahrscheinlichkeit E (k ) charakterisiert, Photonenzust¨ ande e±1i mit dem Wellenvektor ki anzutreffen. Abb. 14.12. Zweidimensionaler Schnitt durch den k-Raum, aufgeteilt in ein Gitter der Einheitsl¨ ange 2π/L. Ein Lichtstrahl wird charakterisiert durch die Wahrscheinlichkeit, die Wellenvektoren ki in dem rot schraffierten Bereich um den Wellenvektor k der Tr¨ agerwelle herum zu finden

Um Komplikationen zu vermeiden, die sich aus einer unendlichen Zahl von Photonenzust¨anden ergeben, teilt man den gesamten k-Raum in sehr kleine aber endlich große Elemente ∆3 k auf und weist jeder solchen Zelle einen m¨oglichen Wellenvektor ki zu. So teilen wir das elektromagnetische Feld in eine diskrete Anzahl von Wellen auf – Moden genannt. Dies ist in Abb. 14.12 schematisch f¨ ur einen Lichtstrahl mit einem mittlerem Wellenvektor k skizziert. Der Lichtstrahl wird jetzt also durch die Besetzungswahrscheinlichkeiten dieser Moden mit Wellenvektor ki charakterisiert. Der schraffierte Bereich in Abb. 14.12 deutet schematisch die am Strahl beteiligten Moden an. Um nun die Gr¨ oße der Elemente des k-Raum Gitters zu spezifizieren, ist es bequem anzunehmen, dass das gesamte Strahlungsfeld in einem endlichen Volumen eingeschlossen ist – sagen wir in einem W¨ urfel der Seitenl¨ange L mit perfekt leitenden W¨ anden, so dass wir periodische Randbedingungen auf jeder Fl¨ache des W¨ urfels annehmen k¨ onnen (wo die elektrische Feldst¨arke null ist). Diese Randbedingungen implizieren kx = mx

2π , L

2π 2π , kz = mz L L mit mx , my , mz = 0, 1, 2, 3, ... . ky = my

(14.55)

Die Abmessung der Zellen im k-Raum sind also durch ∆kx = ∆ky = ∆kz = 2π/L gegeben. Interessanterweise ist diese Strukturierung des k-Raums gleichbedeutend mit einer Aufteilung des Phasenraums in Elemente der Gr¨oße h3 , da nach (14.55)  3 2π 3 ∆ k = ∆kx ∆ky ∆kz = (14.56) L

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

227

wird, und andererseits ∆3 p L3 = ∆ k= 3 ~ L3 3



2π L

3

∆3 p L3 . h3

(14.57)

Dabei haben wir lediglich von der Definition des Wellenvektors durch den Impuls des Photons k = p/~ Gebrauch gemacht. Nun kann (14.56) und (14.57) nur dann gleichzeitig richtig sein, wenn f¨ ur die Phasenraumzelle gilt: ∆3 p L3 = h3

(14.58)

Es sei hier darauf hingewiesen, dass im vorangehenden Absatz eine grund¨ s¨atzliche Annahme gemacht wurde, die f¨ ur die nachfolgenden Uberlegungen von entscheidender Bedeutung ist: die periodischen Randbedingungen oder – alternativ und v¨ ollig ¨ aquivalent – die Definition einer Minimalgr¨oße h3 f¨ ur Phasenraumelemente. Dies – zusammen mit der Annahme wohl definierter Energiepakete ~ω – ist der entscheidende Schritt zur Quantisierung des elektromagnetischen Wellenfeldes. Die Begriffsbildungen erfolgen hier ganz analog ur das freie Elektronengas vorgenommen zu denen, die wir in Kap. 2.5, Band 1 f¨ haben. Der wesentliche Unterschied ist freilich, dass es sich bei den Elektronen um Fermionen handelt, und jeder Zustand kann nur mit maximal zwei Elektronen besetzt sein. Dagegen sind Photonen Bosonen, und die hier eingef¨ uhrten Moden des elektromagnetischen Feldes k¨onnen mit beliebig vielen Photonen besetzt werden. Es ist wichtig festzustellen, dass die Box der Gr¨oße L3 , auf die wir uns beziehen, nicht unbedingt eine reale physikalische Situation beschreibt. Vielmehr ist sie in der Regel ein mathematisches Konstrukt, welches eingef¨ uhrt wird, um unendlich viele Photonenzust¨ ande zu vermeiden. Dabei muss L nur groß genug sein, und das Gitter somit fein genug, um eine angemessene Beschreibung des Strahls zu erm¨ oglichen. Andererseits gibt es nat¨ urlich Situationen, wo das Normierungsvolumen tats¨ achlich eine physikalische Geometrie beschreibt, etwa die eines Laserresonators, in welchem das Licht eingesperrt ist. Dort werden die hier definierten Moden zwangsl¨aufig die sein, die in der Tat in einem solchen Laserresonator stabil bestehen k¨onnen (s. Kapitel 13.1.3). Wir werden sp¨ ater einen Ausdruck ben¨ otigen, der es uns gestattet, die Anzahl von Moden in einem spezifizierten Bereich des k-Vektors bestimmter Polarisation e anzugeben. Die Zahl der Moden dmke zwischen k = (kx , ky , kz ) und k+dk = (kx +dkx , ky +dky , kz +dkz ) erh¨ alt man, indem man das k-RaumElement dkx dky dkz durch die Gr¨ oße der Einheitszelle (14.58) dividiert: dmke =

dkx dky dkz 3

(2π/L)

=

L3 3

(2π)

k 2 dk dΩ = ρ (k, e) dk dΩ .

(14.59)

Mit ω = kc k¨onnen wir dies auf das Kreisfrequenzintervall dω beziehen: dmωe =

L3 3

(2πc)

ω 2 dω dΩ = ρ (ω, e) dω dΩ

(14.60)

228

14 Koh¨ arenz und Photonen

Die Gr¨oßen dmke bzw. dmωe geben an, wieviele Moden der Polarisation e sich in den Raumwinkel dΩk ausbreiten und Wellenvektoren zwischen k und k + dk bzw. Kreisfrequenzen zwischen ω und ω + dω haben. Die Ausdr¨ ucke L3 2 dmωe = 3 k dk dΩ (2π) dmωe L3 2 bzw. ρ (ω, e) = = 3 ω dω dΩ (2πc) ρ (k, e) =

(14.61) (14.62)

werden Modendichte genannt. Im Folgenden sind oft Observable zu bestimmen, bei denen u ¨ber die Feldmoden zu summieren ist. Bei hinreichend großem L werden die Moden so engmaschig, dass die Summation durch eine Integration u ¨ber den Raumwinkel Ω und u ¨ber k bzw. ω ersetzt werden kann. Mit Hilfe der gerade abgeleiteten Modendichte (14.61) bzw. (14.62) schreiben wir symbolisch Z Z X L3 L3 2 . . . k dk dΩ = . . . ω 2 dω dΩ . (14.63) ... → 3 3 (2π) (2πc) ki k,Ω

k,Ω

In den einschl¨agigen Textb¨ uchern nimmt man oft r¨ aumliche Isotropie des Strahlungsfelds an und integriert (14.63) u ¨ber den Winkelanteil, sodass Z Z X L3 L3 . . . k 2 dk = . . . ω 2 dω (14.64) ... → 2 2 c3 2π 2π i k

ω

f¨ ur jede spezifizierte Polarisation e wird. Da sich unsere Diskussion u ¨berwiegend auf Laserstrahlen beziehen wird, k¨ onnen wir in der Regel (14.64) nicht benutzen und m¨ ussen (14.63) direkt anwenden. Wir hatten darauf schon bei der ¨ semiklassischen Behandlung von Uberg¨ angen in Kap. 4 hingewiesen. Alle Ausdr¨ ucke, die wir hier abgeleitet haben sind proportional zum Normierungsvolumen L3 , welches – wie schon gesagt – ganz willk¨ urlich gew¨ahlt werden kann, soweit L nur groß genug ist, um ein hinreichend feines Gitter ∆kx,y,z = 2π/L im k-Raum zu definieren. Die Physik, die wir auf diese Weise beschreiben muss nat¨ urlich unabh¨ angig von der speziellen Wahl von L sein. Gl¨ ucklicherweise wird sich zeigen, dass es sich bei allen messbaren Gr¨oßen, die wir berechnen werden, um Dichten handelt, d.h. wir haben sie pro Volumen zu nehmen. Auf diese Weise f¨ allt dann L3 wieder aus den Endresultaten heraus. 14.2.3 Zahl der Photonen pro Mode Bislang haben wir bei der Definition der Photonenzust¨ande u ¨berhaupt noch nicht spezifiziert, welche Feldst¨ arke, bzw. Intensit¨at der elektromagnetischen Strahlung wir damit beschreiben wollen. Die Photonenzust¨ande |eq i, die wir oben definiert haben, beziehen sich immer auf ein Photon in einer bestimmten

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

229

Mode i. In der Realit¨ at, z.B. bei einen Laserstrahl, befinden sich aber sehr viele Photonen in einer Mode und wir m¨ ussen spezifizieren, was wir eigentlich mit der Zahl der Photonen in einer Mode meinen. Die Gesamtzahl aller Photonen Ne der Polarisation e im Normierungsvolumen L3 erh¨alt man aus Energiedichte u bzw. Strahlintensit¨ at I = cu und Photonenenergie ~ω: Ne = u

I L3 L3 = ~ω c ~ω

(14.65)

In einem spezifizierten Frequenzintervall zwischen ω und ω + dω befinden sich Ne (ω) dω = u ˜ (ω)

L3 I˜ (ω) L3 dω = dω ~ω c ~ω

(14.66)

Photonen, wobei u ˜ (ω) = I˜ (ω) /c die spektrale Strahlungsdichte und I˜ (ω) die Intensit¨atsverteilung pro Einheit der Kreisfrequenz darstellen. F¨ ur Strahlen mit endlichem Divergenzwinkel m¨ ussen wir noch etwas spezifischer sein und die Zahl der Photonen der Polarisation e im Frequenzinterval dω im Raumwinkelement dΩ angeben: N (ω, Ω; e) dω dΩ =

I˜ (ω) L3 dω dΩ δΩ c~ω

(14.67)

Mit der Zahl der Moden dmωe in diesem Frequenz- und Raumwinkelbereich nach (14.60) erhalten wir die Anzahl der Photonen pro Mode: Nke =

3 N (ω, Ω; e) dω dΩ I˜ (ω) (2πc) I˜ (ω) λ3 = = dmω,e δΩ c~ω 3 δΩ c~

(14.68)

Kreisfrequenz ω und Wellenl¨ ange λ beziehen sich hier auf die durch k bestimmte Mode. Wir haben somit eine Beziehung erarbeitet, welche die quantenmechanisch relevante Photonenzahl pro Mode mit der direkt messbaren Intensit¨ at pro Kreisfrequenzintervall verbindet. Wie erwartet ist Nke unabh¨angig vom Normierungsvolumen, da sowohl die Zahl der Photonen wie auch die Zahl der Moden im Normierungsvolumen linear mit L3 w¨achst. Es ist instruktiv Nke zu konkretisieren, z.B. f¨ ur einen Gauß’schen Strahl mit Lorentz’schem Frequenzprofil (FWHM ∆ω1/2 = 2/τ0 ). Setzen wir den Maximalwert von I˜ (ωc ) nach (14.11) in (14.68) ein, so wird Nke =

I λ3 4λ2 = . ∆ω1/2 δΩ πc~ ~ω ∆ω1/2 δΩ 2I

(14.69)

Mit dem Koh¨arenzvolumen Vcoh nach (14.47) kann dies als Nke =

I Vcoh c~ω

(14.70)

geschrieben werden. Da I/ (chω) die Photonenzahl-Dichte ist, erlaubt (14.70) eine direkte physikalische Interpretation: Die Anzahl Nke von Photonen

230

14 Koh¨ arenz und Photonen

Tabelle 14.1. Parameter von Lichtquellen: Intensit¨ at I, Wellenl¨ ange λ, Kreisfrequenz (FWHM) δω, Strahldivergenz δθ, Koh¨ arenzzeit τ0 , Koh¨ arenzl¨ ange `0 , Anzahl von Photonen pro Sekunde und Quadratmeter I/~ω und Anzahl der Photonen pro Mode Nke Lichtquelle

I/ W m−2

∆ω1/2 / s−1

λ

δθ/ rad

= 2π∆ν1/2 / Hz −17

ruhende Atome (kollimiert) 5 × 10 Spektrallampe

2

10

590 nm

6 × 107

590 nm

10

> 10

7

2.5 × 10−2 0.3

cw Farbstofflaser

10

590 nm

10

10−3

Titan-Saphir Laserimpuls

1018

800 nm

1.4 × 1013

2.5 × 10−3

10

10 cm

100

10−2

τ0 / s−1

`0 / m

I/~ω/ m−2 s−1

Nke

10

1.6 × 102

10−15

0.06

3.3 × 1020

< 0.07

22

7 × 108

Mikrowellengenerator Fortsetzung: Lichtquelle

2

4

ruhende Atome (kollimiert) 3.3 × 10−8 Spektrallampe cw Farbstofflaser Titan-Saphir Laserimpuls Mikrowellengenerator

2 × 10−10 −7

2 × 10

3.3 × 10

60

30 × 10−15 18 × 10−6 −2

2 × 10

6

6 × 10

4 × 1036 27

3.3 × 10

4 × 1015 3 × 1023

pro Mode ist ¨ aquivalent zur Anzahl von Photonen im Koh¨ arenzvolumen des Strahls. Wir erinnern uns, dass f¨ ur einen Laserstrahl das Koh¨arenzvolumen einfach gegeben war durch den geometrischen Strahlquerschnitt (bei 1/e2 der Maximalintensit¨ at) und die doppelte Koh¨ arenzl¨ange 2`0 = 2c τ0 . Schließlich ¨ sei darauf hingewiesen, dass unsere Uberlegungen von einer zeitlich konstanten Strahlintensit¨ at ausgingen. Wenn diese Annahme nicht mehr gerechtfertigt ist, muss man die Betrachtung spezifisch modifizieren. So wird z.B. in einem Femtosekundenlaserimpuls, den wir als intrinsisch koh¨arent ansehen k¨onnen, die Mode identisch mit dem ganzen Laserimpuls. ur einige charakterisTabelle 14.1 stellt die hier diskutierten Parameter f¨ tische Lichtquellen beispielhaft zusammen, um ein quantitatives Gef¨ uhl f¨ ur Gr¨oßenordnungen zu vermitteln. Die Tabelle gibt Intensit¨at, Bandbreite und typische Winkeldivergenz f¨ ur diese Quellen. Daraus berechnen sich Koh¨arenzzeit und -l¨ange nach (14.27) sowie die Zahl der Photonen pro Mode Nke (nicht zu verwechseln mit der Zahl von Photonen pro Zeit- und Fl¨acheneinheit, I/~ω). Verglichen werden zwei im Wesentlichen statistische Lichtquellen im sichtbaren Spektralgebiet, n¨ amlich eine herk¨ ommliche Spektrallampe und ein kontinuierlicher, nicht besonders gut stabilisierter Farbstofflaser, sodann ein fs-Laserimpuls aus einem Titan-Saphir Laser (1 mJ, 30 fs sanft fokussiert auf w = 100µm) und schließlich der Prototyp einer klassischen Strahlungsquelle, ein HF- bzw. Mikrowellengenerator. Interessant ist auch der Vergleich mit einer etwas hypothetischen Quelle von Atomen in Ruhe, f¨ ur welche wir ty-

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

231

pische Atomstrahlbedingungen annehmen, mit etwa 1010 angeregten Atomen  und einer Lebensdauer von 1.6 × 10−8 s, wie dies f¨ ur Na 3 2 P zutrifft (relativ gut kollimiert durch entsprechende Aperturblenden). Man beachte, dass sich beim Laserstrahl eine sehr große Zahl von Photonen in einer Mode befindet (7 × 108 ) w¨ahrend man im Licht der Spektrallampe (und erst recht bei den strahlenden Atomen) im Mittel viel weniger als 1 Photon (!) pro Mode findet. Das heißt, die meisten Moden sind in diesen F¨allen unbesetzt. 14.2.4 Die Photonenzahl-Zust¨ ande Wir wollen jetzt die eben gewonnene Information u ¨ber die Relation von Feldst¨arke zu Photonenzahl in das Konzept der Photonenzust¨ande einbringen. (k ) Wir tun das einfach, indem wir die bisherigen Einphotonenzust¨ande |eq i i durch Photonenzahl Zust¨ ande |N i ersetzen. Sie repr¨asentieren einen Zustand mit Ni Photonen der Polarization eq in einer Mode, die durch den Wellenvektor ki spezifiziert ist. Dabei ist die mittlere Zahl von Photonen pro Mode Ni gegeben durch (14.68). Wir beschreiben diese Zust¨ ande hier in einer etwas heuristischen Weise, um die Physik zu erl¨autern, die hinter diesem Konzept steckt und verzichten auf eine streng formale Ableitung. Der Einfachheit halber nehmen wir zun¨achst an, dass nur eine einzige Mode u ¨berhaupt besetzt sei. In dieser Mode k¨onnen sich dann 0, 1, 2, . . . , N . . . Photonen befinden, wobei jede dieser Situationen durch einen Zustandsvektor |0i , |1i , |2i , . . . , |N i . . . beschrieben wird. Die in dieser Feldmode enthaltenen Energien, sind 0, ~ω, 2~ω, . . . , N ~ω . . . . Energie ^+

a a ^



Anzahl Photonen N +1 N

N -1

5 ħω / 2

2

3 ħω / 2

1

ħω / 2 0

0

Abb. 14.13. Energieniveaudiagramm der Photonen in einer Mode des elektromagnetischen Strahlungsfeldes. Angedeutet ist die Wirkung der Photonerzeugungs- und Photonver nichtungsoperatoren a ˆ+ bzw. a ˆ

Wir veranschaulichen das in Form des Energiediagramms Abb. 14.13. Es zeigt Energieniveaus mit gleichem Abstand und erinnert uns an einen harmonischen Oszillator der Frequenz ω. Man kann nun in der Tat in einigem Detail zeigen, dass die Mathematik des harmonischen Oszillators formal direkt auf die quantenmechanische Beschreibung des Strahlungsfeldes in einer bestimmten Mode angewandt werden kann. Die Anregung der N -ten harmonischen Schwingung entspricht gerade N -Photonen in der Mode. Wir erinnern uns, dass es beim harmonischen Oszillator keinen Zustand der Energie Null

232

14 Koh¨ arenz und Photonen

gibt, sondern dass selbst ohne Besetzung der tiefste Zustand immer noch die Energie der Nullpunktsschwingung enth¨ alt. Wir werden sehen, dass diese Null¨ punktsenergie f¨ ur unser Uberlegungen ohne direkte Bedeutung ist, allerdings zur Veranschaulichung der spontanen Emission herangezogen werden kann. Die quantenmechanische Beschreibung dieser Zust¨ande des freien Feldes baut – wie nicht anders zu erwarten – auf einer station¨aren Schr¨odingergleichung auf, die man b F |N i = WN |N i H (14.71) schreiben kann. Sie hat die Eigenwerte WN = (N + 1/2) ~ω

mit

N = 0, 1, 2, . . . .

(14.72)

Wir erinnern uns daran, dass man nach den Regeln elementarer Quantenmechanik die Eigenzust¨ ande |N i des harmonischen Oszillators aus dem Vakuumzustand |0i generieren kann, indem man darauf einen Operator a ˆ+ anwendet, den wir f¨ ur unseren Zweck den Photonerzeugungsoperator nennen. Man konstruiert ihn auf solche Weise, dass √ (14.73) a ˆ+ |N i = N + 1 |N + 1i wird. Komplement¨ ar dazu gibt es einen Photonvernichtungsoperator a ˆ √ (14.74) a ˆ |N i = N |N −1i , der jeweils ein Photon vernichtet. Er muss zugleich der Relation a ˆ |0i ≡ 0

(14.75)

gen¨ ugen, da ein nicht existierendes Photon, d.h. der Vakuumzustand |0i, nicht weiter zerst¨o√ rt werden kann. Ausgehend vom Vakuumzustand kann man mit N (ˆ a+ ) |0) √ = N ! |N i die√Photonenzahlzust¨ ande sukzessive konstruieren. Die Faktoren N + 1 und N in (14.73) bzw. (14.74) stellen sicher, dass die Zust¨ande richtig orthonormiert sind: hN | N 0 i = δN N 0 .

(14.76)

Wenn wir nun a ˆ+ auf a ˆ |N i anwenden finden wir nach (14.73) und (14.74) b |N i = N |N i a ˆ+ a ˆ |N i = N

(14.77)

und k¨onnen ganz ¨ ahnlich ableiten, dass gilt b + 1. a ˆa ˆ+ = a ˆ+ a ˆ+1=N

(14.78)

Somit wird ein neuer Operator b =a N ˆ+ a ˆ

(14.79)

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

233

definiert, den wir Photonenzahloperator nennen. Er z¨ahlt offenbar einfach die Anzahl der Photonen N in der Mode. Unter Benutzung von (14.77) kann man nun den Hamiltonian des freien Feldes explizit schreiben als     1 b F = ~ω a b+1 . H ˆ+ a ˆ+ = ~ω N (14.80) 2 2 Man verifiziert (14.71) und (14.72) leicht aus (14.80) und (14.77). Diese Schreibweise eines Hamiltonians, die man auch auf andere Quantenobjekte anwenden kann, nennt man zweite Quantisierung. Die zeitliche Entwicklung der Einmoden-Photonenzahlzust¨ande |ψN (t)i erh¨alt man aus der zeitabh¨ angigen Schr¨ odinger-Gleichung b F |ψN (t)i = i~ δ |ψN (t)i , H δt

(14.81)

deren L¨osungen wie u ¨blich durch |ψN (t)i = e−iWN t/~ |N i = e−i(N + 2 )ωt |N i 1

(14.82)

gegeben sind. Die Lage des Energienullpunkts ist dabei nat¨ urlich willk¨ urlich. Wir weisen darauf hin, dass im hier benutzten Schr¨odinger-Bild die gesamte Zeitabh¨angigkeit des elektromagnetischen Feldes durch die Zeitabh¨angigkeit der Photonenzahlzust¨ ande repr¨ asentiert wird! Im vorangehenden Abschnitt hatten wir gesehen, dass die mittlere Zahl von Photonen pro Mode in einem Laserstrahl sehr hoch ist. Somit erwarten wir, dass die Photonenzahlzust¨ ande sehr hohe N haben werden. Allerdings kann eine bestimmte Intensit¨ at des Lichtes und damit eine wohl definierte mittlere Zahl von Photonen pro Mode auf viele verschiedene Arten auf die Zust¨ande |0i , |1i , . . . , |N i . . . verteilt sein. Die Art dieser Verteilung bestimmt die Koh¨arenzeigenschaften des elektromagnetischen Strahlungsfeldes! Dies ist ein zentrales Thema der modernen Quantenoptik und f¨ uhrt weit u ¨ber den ¨ Rahmen unserer gegenw¨ artigen Uberlegungen hinaus. 14.2.5 Glauber-Zust¨ ande Es ist wichtig zu wissen, dass die eben definierten Photonenzahlzust¨ande (sogenannte number states“) kein koh¨ arentes Licht beschreiben. Koh¨arentes ” Licht wird vielmehr durch eine lineare Superposition eben dieser Zust¨ande realisiert, wie erstmals von Glauber (1963) gezeigt. Diese sogenannen GlauberZust¨ ande (auch koh¨ arente Photonenzust¨ ande genannt) sind als   1 2 X αN |αi = exp − |α| |N i (14.83) 1/2 2 N (N !) definiert. Die Zahlen α k¨ onnen dabei komplex sein und entsprechen im Grenzfall sehr hoher mittlerer Photonenzahlen Phase und Amplitude des zugrunde

234

14 Koh¨ arenz und Photonen

liegenden elektromagnetischen Feldes. Die Glauber-Zust¨ande sind normiert, denn es wird X α∗N αN 2 = 1, (14.84) hα |αi = exp(− |α| ) N! N

da der Ausdruck unter der Summe gerade die Exponentialfunktion ist. Sie sind jedoch nicht orthogonal, vielmehr wird     1 2 1 2 1 2 1 2 X α∗N β N exp − |α| − |β| − α∗ β , hα |βi = exp − |α| − |β| 2 2 N! 2 2 N

und f¨ ur das Betragsquadrat dieses Skalarprodukts gilt 2

2

|hα |βi| = exp(− |α − β| ) .

(14.85)

Der Satz koh¨arenter Zust¨ ande ist also u ¨bervollst¨andig, und es gibt viel mehr koh¨arente Zust¨ande als Photonenzahlzust¨ ande |N i. Wir sehen aber an (14.85), dass zwei Glauber-Zust¨ ande nahezu orthogonal werden, wenn |α − β|  1. Wenden wir den Photonvernichtungsoperator auf (14.83) an, so erhalten wir mit (14.74)  X 1 αN a ˆ |αi = exp − |α|2 N 1/2 |N − 1i (14.86) 1/2 2 N (N !)   1 2 X αN −1 |N − 1i = α |αi . = α exp − |α| 1/2 2 N ((N − 1)!) Die Glauber-Zust¨ ande sind also Eigenzust¨ ande des Photonvernichtungsoperators a ˆ. Man kann einem Glauber-Zustand Photonen entziehen, ohne dass er sich ver¨andert. Umgekehrt ist |αi kein Eigenzustand des Erzeugungsoperators! Schließlich notieren wir noch die Beziehung zur Intensit¨at der Welle. Zun¨achst stellen wir fest, dass die Besetzung der Photonenzahlzust¨ande durch eine Poisson-Verteilung gegeben ist, denn nach (14.83) ist die Besetzungswahrscheinlichkeit f¨ ur den Zustand |N i 2N

2

pN = exp(− |α| )

|α| . N!

(14.87)

Der Erwartungswert des Photonenzahloperators (14.79) im Zustand |αi wird b |αi = N = exp(− |α|2 ) hα| N

X α∗N αN N

2

N!

2

N = |α| .

(14.88)

|α| = N gibt also die mittlere Anzahl der Photonen in einem koh¨arenten Zustand an. Die mittlere Breite der Photonenverteilung entspricht der bekannten Breite einer Poisson-Verteilung:

14.2 Photonen und Photonzust¨ ande

q ∆N =

b 2 |αi − hα| N b |αi2 p hα| N = |α| = N b |αi hα| N

235

(14.89)

Im weiteren Verlauf des Buches werden wir uns nicht weiter mit den Glauber-Zust¨anden belasten, sondern in der Regel annehmen, dass wir es mit reinen |N i Zust¨anden zu tun haben, wobei N der mittleren Zahl von Photonen pro Mode entspricht. Nach (14.88) und (14.89) ist das f¨ ur eine hinreichend pro Mode angemessen, da f¨ ur die relative hohe mittlere Zahl N von Photonen √ √ Breite der Poisson-Verteilung ja N /N =1/ N gilt. Bei der Benutzung von Lasern wie sie in Tabelle 14.1 charakterisiert sind, kann man diese Unsicherheit getrost vernachl¨ assigen, und die Repr¨ asentation eines Laserstrahls durch einen reinen Photonenzahlzustand ist in diesem Kontext v¨ollig angemessen. 14.2.6 Multimode-Zust¨ ande Abschließend m¨ ussen wir noch die Beschr¨ ankung auf einen einzigen Mode fallen lassen und Multimodenzust¨ ande zulassen. Diese sind wie Vielteilchenzust¨ande allgemein als Produkt der Einteilchenzust¨ande definiert:  Nkeq = |N1 i |N2 i . . . |Ni i |. . .i = |N1 N2 . . . Ni . . .i (14.90) Ein solcher Zustand beschreibt ein elektromagnetisches Feld der Polarisation eq mit N1 , N2 , . . ., Ni , . . . Photonen in Moden, die durch k1 , k2 , . . . , ki . . . charakterisiert sind. Ebenso definieren wir entsprechende Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren f¨ ur Photonen in der Mode i mit Polarisationsvektor eq : p  Nke Ni + 1 |N1 . . . Ni + 1 . . .i a ˆ+ =a ˆ+ q ki q ki q |N1 . . . Ni . . .i = p  a ˆki q Nkeq = a ˆki q |N1 . . . Ni . . .i = Ni |N1 . . . Ni − 1 . . .i a ˆki q |N1 ...0...i ≡ 0 . (14.91) Auch diese Zust¨ande sind orthonormiert hN1 N2 . . . Ni . . . |N10 N20 . . . Ni0 . . .i = δN1 N10 δN2 N20 . . . δNi Ni0 . . . ,

(14.92)

und der gesamte Hamilton-Operator f¨ ur ein freies Feld mit allen Moden der individuellen Frequenzen ωk ergibt sich als Summe u ¨ber diese Moden:   X 1 bF = H a ˆ+ ˆkq + ~ωk . (14.93) kq a 2 kq

Wir haben jetzt somit ein Werkzeug, mit dem wir einen quasimonochromatischen Lichtstrahl kleiner, aber endlicher Divergenz und Bandbreite voll quantenmechanisch beschreiben k¨ onnen. Freilich m¨ ussen wir im Auge behalten – wie im Detail in Abschn. 14.1 bis 14.1.6 diskutiert – dass man ein

236

14 Koh¨ arenz und Photonen

beliebiges klassisches Strahlungsfeld in der Regel nicht einfach durch eine lineare Superposition ebener Wellen beschreiben kann. Ebenso k¨onnen wir – außer im Spezialfall der koh¨ arenten Zust¨ ande  – dies auch quantenmechanisch nicht durch eine lineare Superposition von Nkeq Zust¨anden tun. Wie wir es im klassischen Fall in Abschn. 14.1.3 diskutiert haben, wird das Feld durch Erwartungswerte der Amplituden definiert und durch die Frequenzverteilung hE (ω) E ∗ (ω 0 )i charakterisiert. Wir haben gesehen, dass diese diagonal in ω war. Entsprechendes gilt f¨ ur die quantenmechanische Beschreibung des Lichtstrahls. Wir m¨ ussen also bei einer quantenmechanischen Beschreibung des Lichtfeldes die Wahrscheinlichkeit angeben, die Photonen in einem bestimmten Mode zu finden. In unserem etwas vereinfachten Bild der Photonenzahlzust¨ande heißt das, wir m¨ ussen die Wahrscheinlichkeiten angeben, Photonen in den folgenden Zust¨anden zu finden: |N1 00 . . . 0i , |0N2 0 . . . 0i , |00N3 . . . 0i , . . . , |00 . . . Ni . . . 0i , . . .

(14.94)

Man kann das auf verschiedene Weise tun. Zun¨achst kann man die Frequenzskala in kleine Intervalle ∆ω = 2πc/L teilen und jedem Frequenzintervall ωi und jedem relevanten Raumwinkel Ωi eine Photonenzahl Nki eq pro Mode ucksichtigt man die spektrale Verteilung und nach (14.68) zuweisen. So ber¨ Divergenz des Strahls. Sofern es n¨ otig sein sollte, kann man in einem weiteren Schritt diese Photonenzahl auch als Mittelwert N ki eq der Mode i auffassen und innerhalb dieser Mode eine Verteilung von Besetzungszahlen Ni entspreur koh¨arente Zust¨ande so w¨ahlen, chend der Poisson-Verteilung nach (14.83) f¨ dass damit dieser Mittelwert realisiert wird.

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg ange ¨ Wie schon diskutiert, ist eine voll quantenmechanische Behandlung des elektromagnetischen Strahlungsfeldes aus zwei Gr¨ unden geboten: Sie gew¨ahrleistet die Energieerhaltung explizit und beschreibt den Prozess der spontanen Emission ohne weitere Annahmen. Wir wollen uns nun zu Abschluss dieses Kapi¨ tels einen Uberblick u ¨ber den Formalismus verschaffen. Dabei lassen wir uns weitgehend vom Vorgehen bei der semiklassischen Beschreibung nach Kap. 4 in Band 1 leiten, ber¨ ucksichtigen aber jetzt mit Hilfe der eben entwickelten Werkzeuge die Quanteneigenschaften des elektromagnetischen Feldes. Wir benutzen im Folgenden wieder die St¨orungstheorie erster Ordnung, ¨ um optische Uberg¨ ange zu beschreiben und werden diese Einschr¨ankung erst in Kap. 20 fallen lassen. Wie wir bereits festgestellt haben, kann schon ein moderat starker, kontinuierlicher Laser hohe elektrische Felder erzeugen. Insbesondere generieren Kurzpulslaser in aller Regel so hohe Feldst¨arken, dass der einfache, st¨orungstheoretische Ansatz bald u ¨berfordert ist. Wir werden auch sehen, dass es die St¨ orungsrechnung erster Ordnung nicht gestattet, die

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange

237

nat¨ urliche Linienbreite direkt zu berechnen, die ja durch spontane Emission bedingt ist. Man kann diese allenfalls u ¨ber Ratengleichungen nachtr¨aglich einf¨ uhren, welche Gebrauch von den Ergebnissen der St¨orungsrechnung erster Ordnung machen. Auf jeden Fall aber wird die jetzige Behandlung des Themas die Basis f¨ ur die sp¨ ater zu besprechende, exaktere Betrachtungswei¨ se liefern. Man kann n¨ amlich die Ubergangswahrscheinlichkeiten, welche wir hier diskutieren, leicht korrigieren, indem man die Ausdr¨ ucke f¨ ur die spektrale Intensit¨atsverteilung angemessen modifiziert. 14.3.1 Der Wechselwirkungs-Hamiltonian f¨ ur einen Dipol¨ ubergang ¨ Zun¨achst ben¨otigen wir ein quantenmechanisches Aquivalent f¨ ur das elektrourde den Rahmen dieses Buches sprengen, den magnetische Feld (13.76). Es w¨ b streng formal aus den Grundlagen der Theorie herleiten. Wir Feldoperator E kommunizieren statt dessen das Ergebnis der Theorie und machen es plausibel. Die Grundlage bilden die mit (14.73) und (14.74) eingef¨ uhrten Erzeugungsund Vernichtungsoperatoren a ˆ+ ˆk f¨ ur Photonen in der Mode k mit der k und a Polarisation e. Sofern nur eine Mode besetzt ist, wird der Operator f¨ ur das elektrische Feld: r  ~ωk ∗ −ikr b k (r) = i a ˆk e eikr − a ˆ+ (14.95) E k e e 3 20 L Beim Vergleich mit dem klassischen Feld (13.76) erkennen wir bereits eine sehr enge Analogie: Offenbar muss man nur die zeitabh¨angige Amplitude E0 e−iωt durch den Photonvernichtungsoperator a ˆk ersetzen und mit einer sinnvollen Normierungskonstante multiplizieren. Das komplex-konjugierte dieser (trivial) zeitabh¨ angigen Amplitude ersetzt man entsprechend durch den adjungierten Operator, den Photonerzeugungsoperator a ˆ+ k . Der quantisierte Ausdruck f¨ ur das elektromagnetische Feld (14.95) ist also intuitiv einleuchtend. Er ist aber auch konsistent mit den Konzepten, die wir in Kap. 13 entwickelt haben. Wir erinnern an den klassischen Ausdruck f¨ ur die Energiedichte eines elektrischen Felds: u = I/c = 0 E k · E ∗k Der Energiedichteoperator f¨ ur eine Mode wird entsprechend ganz formal:  ∗ bk · E b + = 1 ~ωk a u ˆ = 0 E ˆk a ˆ+ ˆ+ ˆk e∗ · e k k e·e +a k a 2 L3

(14.96) i  2 ∗ 2 ∗ − (ˆ ak ) e · e exp (2ikr) e − a ˆ+ e · e exp (−2ikr) k

b F f¨ Daraus folgt H ur die Gesamtenergie durch Integration u ¨ber das Normierungsvolumen L3 . Die Exponentialterme mit e±2ikr mitteln sich weg, und mit e · e∗ = 1 finden wir schließlich f¨ ur den Hamiltonian des Feldes:

238

14 Koh¨ arenz und Photonen

Z bF = H

    1 1 + + + u ˆd r = ~ωk a ˆk a ˆk + a ˆk a ˆk = ~ωk a ˆk a ˆk + 2 2 3

(14.97)

L3

Dabei haben wir a ˆk · a ˆ+ k nach (14.78) umgeformt. Wir sehen, dass dieser Hamiltonian, den wir aus der Definition des Feldoperators (14.95) abgeleitet haben, unabh¨angig von L3 wird und v¨ ollig identisch mit dem nach (14.80) ist, welcher die Energie des Photonenzustands in einer spezifizierten Mode mit Ausbreitungsvektor k beschreibt. Man verallgemeinert den Feldoperator f¨ ur beliebige Besetzung vieler Moden, indem man (14.95) u ¨ber die verschiedenen k-Vektoren summiert: 1X b E(r) = 2 k



~ωk L3 0

1/2

  ∗ −ikr a ˆk e eikr − a ˆ+ k e e

(14.98)

Aus diesem Ausdruck ergibt sich der Hamiltonian f¨ ur das Multimodenfeld auf gleiche Weise wie f¨ ur das Einmodenfeld. Dabei nutzt man wieder die Tatsache, dass sich die Summe u ¨ber Terme, welche verschiedene Moden k und k0 mischen, bei der Integration u ¨ber den ganzen Raum wegmittelt, wie das auch beim klassischen Feld der Fall war (s. Abschn. 14.1). Wir weisen hier nochmals darauf hin, dass der so definierte Feldoperator angig ist, dass wir also das Schr¨odinger-Bild benutzen. Jeg(14.98) zeitunabh¨ liche Zeitabh¨angigkeit des klassischen elektromagnetischen Feldes wird ausschließlich durch die zeitliche Entwicklung der Photonenzust¨ande beschrieben, wie sie f¨ ur den Einmodenfall in (14.81) angegeben ist. Alternativ – und vollst¨andig equivalent, soweit es messbare Gr¨oßen betrifft – kann man nat¨ urlich auch das Heisenberg-Bild benutzen, und dabei einen von der Zeit b abh¨angigen E(r, t) Operator einf¨ uhren, wobei dann die Photonenzust¨ande zeitunabh¨angig werden. In der kommenden Diskussionen werden wir uns aber am Schr¨odinger-Bild orientieren. Unter Benutzung des Feldoperators (14.98) ist es jetzt einfach, die Wech¨ selwirkungsenergie f¨ ur elektrische Dipol¨ uberg¨ ange (E1-Uberg¨ ange) zu formulieren. Wie in der semiklassischen Behandlung wird diese f¨ ur ein Elektron im elektromagnetischen Feld dominiert von der Dipolenergie dieses Elektrons im Feld. In guter N¨ aherung vernachl¨ assigt man f¨ ur nicht zu kurze Wellenl¨angen wieder die Abh¨ angigkeit des Feldes von r, da bei optisch induzierten ¨ Uberg¨ angen die Wellenl¨ ange groß im Vergleich zu den atomaren Dimensionen ist. Also wird k · r  1 und exp (ik · r) ' 1. Wir werden uns in diesem ¨ Teil des Buches ausschließlich auf E1-Uberg¨ ange beschr¨anken. Die Verallgemeinerung ist bei Bedarf entsprechend den in Kap. 5, Band 1 gemachten b nach (14.95) wird der Wechselwirkungs¨ Uberlegungen vorzunehmen. Mit E Hamiltonian zwischen Atom und Feld ganz analog zu (4.27) r X   ~ωk b = −D · E b =i b (r) = e0 r · E e0 r · e a ˆk − e∗ a ˆ+ (14.99) U k , 3 2L 0 k

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange

239

wobei e0 die Elementarladung, r die Position des atomaren Elektrons und D = −e0 r das Dipolmoment des Elektrons ist. Gibt es mehr als ein aktives Elektron, so muss man r ersetzen durch X ri , (14.100) r→ i

wobei r i die Koordinaten des i-ten Elektrons beschreibt. Der WechselwirkungsHamiltonian ist also zeitunabh¨ angig und dokumentiert Energieerhaltung: in diesem voll quantisierten Bild wird Energie lediglich zwischen atomaren und photonischen Zust¨ anden ausgetauscht. b beBevor wir die Matrixelemente des Wechselwirkungs-Hamiltonian U rechnen, weisen wir darauf hin, dass jede relevante Mode k in der Summation alt: Der erste Teil zerst¨ort ein Photon (ˆ ak ) und korre(14.99) zwei Teile enth¨ spondiert mit der Absorption, w¨ ahrend der zweite Term den Emissionsprozess beschreibt (ˆ a+ k erzeugt ein Photon in der Mode, das durch den Wellenvektor k und den Polarisationsvektor e charakterisiert wird). Wir erinnern uns daran, dass der Ursprung dieser zwei Terme im negativen bzw. positiven Frequenzanteil des elektromagnetischen Feldes liegt, s. (13.76). Ohne Wechselwirkung zwischen Feld und atomarem System kann man die Eigenzust¨ande des Gesamtsystems als Produktzust¨ande der atomaren Zust¨ande |ψi und der Photonenzust¨ ande |N i nach (14.90) schreiben.

>

Wenn die spektrale Verteilung der eingestrahlten elektromagnetischen Wellen in der N¨ahe einer Resonanz liegt, ist ein reines Zweiniveau-System (two ħωba ħω level system) wie in Abb. 14.14 skizziert meist eine sehr gute N¨ aherung. Die Eigenfunktion |ψi ent|a spricht dann dem oberen oder unteren Atomniveau, Abb. 14.14. |bi bzw. |ai, w¨ ahrend N1 , N2 . . . Ni . . . die Zahl der Zweiniveau-System Photonen in den Moden k1 , k2 . . . ki . . . definiert. Die Matrixelemente des Wechselwirkungs-Hamiltonians werden einfach: E E D D b b b; N1 N2 . . . Ni . . . b; {Ni0 } U a; {Ni } = a; N10 N20 . . . Ni0 . . . e0 r · E E D b (14.101) = e0 hb| r |ai · N10 N20 . . . Ni0 . . . E N1 N2 . . . Ni . . . ħΔω |b

>

b nur Die letzte Umformung kann man machen, da r nur auf den atomaren, E ¨ auf den Photonenteil des Systems wirkt. Das Dipol-Ubergangs-Matixelement D ab = D ∗ba = ha| e0 r |bi .

(14.102)

ist nat¨ urlich das gleiche wie bei der semiklassischen Behandlung in Kap. 4, Band 1. Da r ungerade Parit¨ at hat, m¨ ussen |bi und |ai unterschiedliche Parit¨at haben. Die Operatoren a ˆ+ ˆki erzeugen und vernichten nach (14.91) ki und a je ein Photon in nur einer Mode und die Photonenzust¨ande sind nach (14.92)

240

14 Koh¨ arenz und Photonen

orthogonal. Daher wird das Matrixelement des Feldoperators nur dann ungleich null, wenn f¨ ur eine der Photonenzahlen Ni0 = Ni ± 1 gilt, w¨ahrend alle ¨ anderen sich vor und nach dem Ubergang nicht unterscheiden. F¨ ur eine einzelne, besetzte Mode, d.h. f¨ ur Nke Photonen mit Impuls ~k und Polarisation e, lassen sich die nicht verschwindenden Matrixelemente (14.101) in kompakter Form schreiben: p ∗ b |b Nke i = iTbba ha Nke + 1| U Ck Nke + 1 (14.103) p b |b Nke i = iTbba Ck Nke (14.104) ha Nke − 1| U p ∗ b b (14.105) hb Nke + 1| U |a Nke i = iTba Ck Nke + 1 p b |a Nke i = iTbba Ck Nke hb Nke − 1| U (14.106) Dabei sorgt die Normierungskonstante r Ck = e0

~ ωk 2L3 0

(14.107)

daf¨ ur, dass die Energie des Feldes mit (14.96) und (14.97) richtig beschrieben ¨ wird. Das Ubergangsmatrixelement haben wir wie in Band 1 abgek¨ urzt: ∗ Tbba = D ba · e = r ba · e = Tbab

¨ Modifikation von Tbba erlaubt auch die Behandlung anderer als E1 Uberg¨ ange. Emission ^ 〈a N+1|U |b N 〉

â+

Absorption ^ 〈b N–1|U |a N 〉

â

ħω

(a)

(c)

|b〉 |a〉

〈a N–1|U |b N 〉

(b)

|b〉 ħω

^

|a〉

|b〉

â ^

〈b N+1|U |a N 〉

(d)

ħω

â+ ħω

|a〉 |b〉 |a〉

Abb. 14.15. Atom-Feld Wechselwirkungsmatrixelemente schematisch

Bei der Ableitung von (14.103) bis (14.106) aus (14.99) und (14.101) haben wir (14.73) und (14.74) benutzt. Dabei k¨onnen wir der etwas abstrakten Zahl Nke von Photonen in der Mode nach (14.68) mit der spektralen Intensit¨atsverteilung I˜ (ωk ) eine reale, messbare physikalische Gr¨oße zuordnen. Die physikalische Bedeutung der Matrixelemente erl¨autert schematisch Abb. 14.15. Nur zwei dieser Matrixelemente entsprechen im Rahmen der St¨orungstheorie erster Ordnung auch realen physikalischen Prozessen: •

Abbildung 14.15a: Abregung eines Systems aus dem angeregten |bi in den unteren |ai Zustand unter Erzeugung (Emission) eines Photons nach (14.103),

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange



241

Abbildung 14.15c: Anregung eines Systems bei gleichzeitiger Vernichtung (Absorption) eines Photons nach (14.106).

Die beiden anderen, nicht verschwindenden Matrixelemente entsprechen virtuellen Abregungs- bzw. Anregungsprozessen durch Absorption bzw. Emission eines Photons. Das sind nicht energieerhaltende Prozesse, die im Rahmen der St¨orungstheorie erster Ordnung keine Rolle spielen, wie wir gleich sehen werden. Sie sind aber von großer Bedeutung bei der Beschreibung von Prozessen h¨oherer Ordnung, also etwa bei der Multiphotonenanregung oder -Ionisation in starken Feldern, beim Raman-Effekt und bei ¨ahnlichen Prozessen. ¨ 14.3.2 St¨ orungstheorie f¨ ur induzierte und spontane Uberg¨ ange Die zeitabh¨angige St¨ orungsrechnung f¨ ur das quantisierte Feld wird in einschl¨agigen Lehrb¨ uchern ausf¨ uhrlich behandelt. Wir beschr¨anken uns hier auf die Hauptpunkte – jetzt unter korrekter Ber¨ ucksichtigung der Quantennab A , der f¨ tur des Strahlungsfeldes! Sei der freie, atomare Hamiltonian H ur das b F . Die station¨ elektromagnetische Feld H are Schr¨odingergleichung f¨ ur das ungest¨orte atomare System ist b A |bi = ~ωb |bi H

b A |ai = ~ωa |ai , und H

(14.108)

¨ mit der Ubergangsfrequenz ωba = ωb − ωa > 0 w¨ahrend b F |Nke i = Nke ~ωk |Nke i H

(14.109)

einen Zustand mit Nke ungest¨ orten Photonen in der Mode k mit der Polarisation e beschreibt. Wir beginnen unsere Ableitung wieder mit einer einzigen besetzten Feldmode und summieren sp¨ ater u ¨ber alle Moden, was wegen der Orthogonalit¨atsrelation (14.92) problemlos m¨oglich ist. Wir haben also die zeitabh¨angige Schr¨ odingergleichung i~

   ∂ |ψ(t)i  b bA + H bF + U b |ψ (t)i b |ψ (t)i = H = H0 + U ∂t

(14.110)

b nach (14.99) zu l¨osen. mit dem Wechselwirkungsterm U bA +H bF +U b f¨ Wir beachten hier, dass auch der volle Hamiltonian H ur Atom, Feld und Wechselwirkung zeitunabh¨ angig ist, und dass daher Energieerhaltung in diesem voll quantisierten Schr¨ odinger-Bild gilt – im Gegensatz zur semiklassischen Strahlungstheorie (4.31), wo die Wechselwirkung ja zeitabh¨angig war. Man muss also im Prinzip station¨ are L¨osungen von (14.110) suchen. Wir werden dies tats¨ achlich in Kap. 20 tun. Im Augenblick sind wir erst ein¨ mal interessiert an den m¨ oglichen Uberg¨ angen, die durch das Einschalten der Wechselwirkung induziert werden. Ganz allgemein kann man daher |ψ (t)i nach ungest¨orten Eigenfunktionen des Systems wie folgt entwickeln:

242

14 Koh¨ arenz und Photonen

|ψ (t)i =

X

cjN (t) |jN i e−i(ωj +N ω)t

(14.111)

Nj

Hier ist cjN die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ ur, N -Photonen im Feld zu finden, wobei sich das Atom im Zustand |ji befindet. Der einfachen Schreibweise wegen haben wir die Indizes k und e f¨ ur die Photonenzust¨ande N und f¨ ur die Kreisfrequenz ω des elektromagnetischen Feldes fallen gelassen. Wir setzen (14.111) in (14.110) ein, multiplizieren im Fall des Zweiniveausystems von Links mit hbN 0 | bzw. haN 0 | und erhalten zwei S¨atze von Differenzialgleichungen f¨ ur cbN und caN : dcbN (t) i X b |aN i ei[(N 0 −N )ω+ωba ]t caN 0 hbN 0 | U =− dt ~ 0 N dcaN (t) i X b |bN i ei[(N 0 −N )ω−ωba ]t cbN 0 haN 0 | U =− dt ~ 0

(14.112)

N

Wir haben hier schon ausgenutzt, dass nur Matrixelemente zwischen verschiedenen Atomzust¨ anden nicht verschwinden. Wir k¨onnen jetzt explizit die Werte der Matrixelemente aus (14.103) bis (14.106) einsetzen. Da nur Terme mit N 0 = N ± 1 nicht verschwinden, erhalten wir in (14.112) zwei Typen von Exponentialfaktoren, n¨ amlich • •

Energie-erhaltenden Terme mit exp [±i (ω − ωba ) t] und nicht Energie-erhaltende Terme mit exp [±i (ω + ωba ) t].

In einer St¨orungsentwicklung werden diese Terme gewichtet mit Resonanznennern vom Typ 1/ (ω − ωba ) und 1/ (ω + ωba ). Wir wollen uns jetzt auf nahezu resonante Verh¨ altnisse beschr¨ anken, wobei wir durchaus auch kleine ¨ Verstimmungen ∆ω der Laserfrequenz ω von der atomaren Ubergangsfrequenz ωba zulassen, wie in Abb. 14.14 auf S. 239 angedeutet: |∆ω| = |ω − ωba |  ωba .

(14.113)

Bei typischen spektroskopischen Anwendungen werden wir Verstimmungen ¨ von einigen 108 s−1 zu behandeln haben, was zu vergleichen ist mit Uber15 −1 gangsfrequenzen in der Gr¨ oßenordnung von 10 s . Wir k¨onnen daher in sehr guter N¨aherung die nicht resonanten Terme mit 1/ (ω + ωba ) vernachl¨assigen. Diese N¨aherung wird Drehwellenn¨ aherung (rotating wave approximation) genannt, da die Terme exp [±i (ω − ωba ) t] gewissermaßen einer Rotation des Systems in Phase mit dem Feld entsprechen, w¨ahrend die anderen im Gegensinne rotieren und sich wegmitteln.8 uhrt f¨ ur das Im Ergebnis vereinfacht dies (14.112) ganz erheblich und f¨ Zweiniveausystem zu lediglich zwei gekoppelten Differenzialgleichungen. 8

Diese Terminologie stammt urspr¨ unglich aus der Mikrowellen- bzw. RFSpektroskopie (EPR und NMR), wo dies einer tats¨ achlichen, physikalischen Rotation der Spins durch das anregende Feld entspricht.

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange

c˙bN = KN caN +1 ei(ωba −ω)t c˙aN +1 =

∗ −KN

−i(ωba −ω)t

cbN e

mit KN

Ck √ N + 1 Tbba = i e0 =i ~

s

(N + 1) ω b Tba , 2L3 ~0

243

(14.114) (14.115)

(14.116)

ur wobei wir die Normierungskonstante Ck nach (14.107) eingesetzt haben. F¨ die Ableitung der Anregungswahrscheinlichkeit nehmen wir nun wie im semiklassischen Fall an, dass sich zur Zeit t = 0 alle Atome im Zustand |ai befinden und alle Photonen in der Mode k mit Polarisation e durch den Photonenzahlzustand |N i repr¨ asentiert werden, d.h. wir haben die Anfangsbedingungen caN (0) = 1

und

cjN 0 (0) ≡ 0

f¨ ur alle j, N 0 6= a, N .

(14.117)

In erster Ordnung St¨ orungsrechnung nimmt man an, dass caN ' 1 konstant bleibt. Daher kann man (14.114) direkt integrieren, um die Wahrscheinlichkeitsamplitude cbN −1 (t) f¨ ur |b N − 1i zu finden, wobei das System durch Absorption eines Photons in den angeregten Zustand |bi u ¨bergeht. Absorbiert wird dabei eines der urspr¨ unglich N Photonen der Mode k, sodass in v¨olliger Analogie zum semiklassischen Fall (4.42) cbN −1 (t) = KN −1

ei(ωba −ω)t − 1 i (ωba − ω)

(14.118)

¨ wird. Die Ubergangswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit erh¨alt man auch hier 2 ¨ wieder als |cbN −1 (t)| /t. Dies f¨ uhrt zu einer Ubergangsrate 2

Nk dRba = 2π |KNk −1 | g(ωk ) =

π ωk e20 L3 0 ~

2 b Tba Nke g(ωk )

(14.119)

induziert durch die Nke Photonen einer Mode. Der Klarheit halber haben wir hier die Indizes f¨ ur Polarisation e und Wellenvektor k der Strahlung wieder eingef¨ uhrt. Mit g(ωk ) bezeichnen wir wieder das in Kap. 4.2.5, Band 1 eingef¨ uhrte Linienprofil, dessen Integral u ¨ber alle Frequenzen auf 1 normiert ist. Ganz analog ermittelt man f¨ ur den Abregungsprozess |bi → |ai zu den Anfangsbedingungen cbN (0) = 1

und sonst

c0jN (0) ≡ 0

(14.120)

durch Integration von (14.115) die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ ur, das System im Zustand |a N + 1i zu finden. Daraus folgt die Rate f¨ ur den ¨ Ubergang a ← b unter Emission eines Photons in die Mode k,e: Nk dRab =

π ωk e20 b 2 Tab (Nke + 1) g (ωk ) L3 0 ~

(14.121)

244

14 Koh¨ arenz und Photonen

Soweit verlief die Ableitung in v¨ olliger Analogie zur semiklassichen Betrachtungsweise. Wir m¨ ussen uns nun aber daran erinnern, dass es dmωe Moden im Frequenzintervall dωk und Raumwinkelelement dΩ gibt, wobei dmωe durch (14.60) gegeben ist. Somit finden wir die Absorptions- und Emissionswahrscheinlichkeit in einen gegebenen Raumwinkel dΩ durch Integration u ¨ber alle verf¨ ugbaren Kreisfrequenzen des eingestrahlten Feldes, und es wird 2 +∞ Z Z π L3 e20 Tbba Nk 3 Nke dRba = dRba dmωk e = dΩ dωk ωk g (ωk ) 3 (2πc) L3 0 ~ −∞ 2 b 3 2 T π ωba e0 ba = dΩ Nke . (14.122) 3 0 ~ (2πc) ¨ Im letzten Schritt haben wir angenommen, dass das Linienprofil des Ubergangs sehr schmal gegen¨ uber der Breite des eingestrahlten Spektrums ist. Wir werur eine schmalbandigen Linie zu modifiden in Kap. 20 diskutieren, wie das f¨ zieren ist. F¨ ur die Emission ergibt sich entsprechend: 2 b 3 2 T π ωba e0 ba dRab = dΩ (Nke + 1) (14.123) 3 0 ~ (2πc) Hier ist, wie mehrfach erw¨ ahnt, Nke die mittlere Anzahl von Photonen pro Mode k vor der Absorption bzw. Emission, die eine Kreisfrequenz haben, ¨ welche der Ubergangsfrequenz ωba entspricht. Wir notieren, dass auch hier das Normierungsvolumen L3 schließlich herausgefallen ist, da wir die Integration u ¨ber die Modendichte vornehmen mussten. Nach (14.122) ist evident, dass das Atom nur dann aus dem unteren Zustand |ai in den oberen Zustand |bi angeregt werden kann, wenn Nke > 0 – wenn also wenigstens ein Photon der Frequenz ωba in der Feldmode k verf¨ ugbar ist. Der Absorptionsprozess reduziert diese Zahl von Photonen um genau eins. Wir nehmen nun an, dass die Zahl der√Photonen pro Mode Nke so hoch ist, dass wir die relative Ungenauigkeit 1/ Nke vernachl¨assigen k¨onnen und den Mittelwert nach (14.68) benutzen k¨ onnen. Dieser ist in (14.122) und (14.123) einzusetzen, um die Absorptionswahrscheinlichkeit mit der experimentell messbaren Gr¨ oße I˜ (ωba ) zu verbinden, d.h. mit der Intensit¨at des anregenden pro Kreisfrequenzintervall bei ωba . Wir erinnern dar Laserstrahls b 2 2 angig ist von der Ausbreitungsrichtung des an, dass Tba = |r ba · e| abh¨ Lichts. F¨ ur jeden vern¨ unftigen, gut in einen Raumwinkel δΩ  1 kollimierten 2 Laserstrahl k¨onnen wir aber |r ba · e| als konstant f¨ ur alle Vektoren k ansehen, die im Strahl enthalten sind. Unter dieser Voraussetzung kann die Integration uhrt werden. Man erh¨alt so die von (14.122) u ¨ber den Winkel einfach ausgef¨ gesamte Absorptionswahrscheinlichkeit

¨ 14.3 Quantenmechanik elektromagnetischer Uberg¨ ange

Z Rba =

dΩ beam

=

3 2 π ωba e0 3

(2πc)

245

2 b Tba I˜ (ωba ) (2πc)3 3 0 ~ cdΩ ~ωba

2 I (ωba ) π e20 b 2 2 I(ωba ) b , T I (ω ) = 4π α Tba = Bba ba ba 2 0 c~ ~ c

(14.124)

wobei wir wieder die Feinstrukturkonstante α eingef¨ uhrt haben. Wir notieren, dass dieser Ausdruck v¨ ollig identisch ist mit dem semiklassisch abgeleiteten (4.47). Die Rate Rba ([Rba ] = 1/ s) ist, wie schon dort bemerkt, um einen Faktor 3 gr¨ oßer als meist in Lehrb¨ uchern angegeben, da wir es hier mit einem gerichteten Lichtstrahl zu tun haben. ¨ Spannend wird nun die Emission eines Photons beim Ubergang |bi → |ai. Der Faktor (Nke + 1) in (14.123) legt es nahe, zwischen induzierter und spontaner Emission zu unterscheiden: Die induzierte Emissionswahrscheinlichkeit setzen wir als proportional zu Nke an, also zur Zahl der Photonen pro Mode vor dem Emissionsprozess. Wie der Vergleich von (14.122) und (14.123) zeigt, ist sie v¨ollig ¨aquivalent zur Absorptionswahrscheinlichkeit. F¨ ur je einen wohl definierten oberen und unteren Zustand, |bi bzw. |ai gilt: Rab = Rba

(14.125)

Es entspricht dem hier benutzten Konzept der Aufteilung des Strahlungsfelds in einzelne, beliebig scharf definierbare Moden, dass bei der Emission ein Photon genau in der Mode erzeugt wird, durch welche dieser Prozess stimuliert wird. Wir finden hier die quantitative Begr¨ undung f¨ ur die bei der semiklassischen Rechnung einfach postulierte Tatsache, dass die induzierte Emission in Frequenz und Richtung exakt mit dem sie induzierenden Feld u ¨bereinstimmt. uber hinaus noch, dass Der Faktor (Nke + 1) in (14.123) impliziert aber dar¨ es auch dann Emission gibt, wenn anf¨ anglich u ¨berhaupt keine Feld vorhanden war, wenn also anfangs Nke = 0 galt. Es gibt eine zus¨atzliche, endliche ¨ Ubergangswahrscheinlichkeit f¨ ur den Abregungsprozess |bi → |ai , die gewissermaßen vom Vakuumfeld (Ausgangszustand |b 0i) stimuliert wird. Die so ¨ definierte spontane Ubergangswahrscheinlichkeit f¨ ur die Emission eines Photons der Polarisation e in den Raumwinkel dΩ ist nach (14.123) somit gegeben durch: 3 2 ωba e0 b 2 (spont) dRab = (14.126) Tba dΩ 8π 2 c3 0 ~ 3 8π 2 α 2 αωba b 2 = Tba dΩ = 3 Tbba dΩ 2 2π c λba Hierbei k¨onnen wir uns nun aber freilich nicht mehr auf eine Mode beschr¨anken, denn auch alle anf¨ anglich leeren Moden der Kreisfrequenz ωba tragen im Prinzip bei. Die Winkelverteilung dieser Strahlung und ihre Pola 2 b 2 ur die Details verweisen risation wird durch Tba = |r ba · e| beschrieben. F¨

246

14 Koh¨ arenz und Photonen

wir auf Kap. 4 in Band 1. Die Summation u ¨ber alle Polarisationen und Raum2 winkel f¨ uhrte dort wie hier zu einem Faktor 8π/3 |r ba | . Somit wird XZ 4α 1 (spont) (spont) 2 3 dRab = |r ba | ωba = Aab = . (14.127) Rab = 2 3 c τ ab e 4π

Wir haben somit nichts weniger als die ber¨ uhmten Einstein-Koeffizienten abgeleitet. Aab ist die spontane Zerfallswahrscheinlichkeit f¨ ur einen Zustand |bi in den Zustand |ai. Wir weisen auf die wohl bekannte ω 3 Abh¨ angigkeit der spontanen Emission hin, wogegen die induzierten Wahrscheinlichkeiten nicht ¨ explizit von der Ubergangsfrequenz abh¨ angen. Die detaillierte Auswertung der A und B Koeffizienten f¨ ur spezielle Fallbeispiele hatten wir bereits in Kap. 4.3, Band 1 behandelt. Abschließend m¨ ussen wir uns die Grenzen der hier vorgestellten Behandlung von Emission und Absorption im elektromagnetischen Wechselfeld bewusst machen. Diese ergeben sich letztlich aus der Beschr¨ankung auf die St¨orungstheorie erster Ordnung. F¨ ur die induzierten Prozesse werden wir das in Kap. 20 korrigieren. Wir werden dort sehen, dass der Satz gekoppelter Differenzialgleichungen (14.114) und (14.115) im Rahmen der Drehwellenn¨aherung exakt gel¨ ost werden kann, wenn man die spontane Emission ganz vernachl¨assigt. F¨ ur st¨ arkere Laserfelder und Zeiten, die kurz im Vergleich zur nat¨ urlichen Lebensdauer sind, ist dies in der Tat eine exzellente N¨aherung. Dennoch ist die spontane Emission nat¨ urlich f¨ ur jede gr¨ undlichere Diskussion von großer Bedeutung. Ihre saubere Behandlung erfordert weitere Anstrengungen, die wir im Rahmen dieses Buches nicht ausf¨ uhren k¨onnen. Das Problem liegt darin, dass die Anfangsbedingungen (14.120) streng genommen nicht korrekt sind. F¨ ur alle leeren Moden sind sie ja offenbar nicht g¨ ultig. Diese nehmen aber durch spontane Emission am Prozess teil. Diese St¨orung durch sehr viele unbesetzte Moden f¨ uhrt zu der wohlbekannten Verbreiterung des oberen Niveaus – als nat¨ urliche Linienbreite bekannt – und man kann g(ω) in (14.119) und (14.121) nicht mehr einfach als δ-Funktion behandeln, sondern muss ein Lorentz-Profil ansetzen. Das wird besonders dann problematisch, wenn man schmalbandige Laser benutzt, f¨ ur welche die Frequenzbandbreite leicht viel enger sein kann, als die nat¨ urliche Linienbreite. Dann sind auch die ur die induzierten Prozesse in dieser Form nicht l¨anger Ausdr¨ ucke (14.124) f¨ g¨ ultig. Wir werden in Kap. 20 jedoch zeigen, dass man dieses Problem (etwas heuristisch) mit einer kleinen Modifikation kurieren kann. Das Problem der Linienverbreiterung durch spontane Emission kann aber sauber erst im Rahmen einer vertieften Behandlung der St¨ orungsrechnung in zweiter Ordnung gel¨ost werden.

15 Moleku ¨ lspektroskopie In Kap. 11 und 12 haben wir die Struktur und Eigenschaften von zwei- und mehratomigen Molek¨ ulen besprochen und die Grundlagen der Rotations- und Schwingungsspektroskopie kennengelernt. Hier wollen wir dies vertiefen und sodann an ausgew¨ ahlten Bei¨ spielen auch in die Spektroskopie elektronischer Uberg¨ ange einf¨ uhren. Diese ist heute in weiten Teilen gepr¨ agt durch die Verf¨ ugbarkeit schmalbandiger, meist auch abstimmbarer Laser einerseits, und Synchrotronstrahlungsquellen andererseits, die zusammen einen extrem breiten Spektralbereich vom fernen Infrarot bis ins R¨ ontgengebiet erschließen.

¨ Hinweise f¨ ur den Leser: Nach einer einf¨ uhrenden Ubersicht (Abschn. 15.1) wollen wir die Spektroskopie von Rotations- (Mikrowellen, Abschn. 15.2) und Vibrations¨ uberg¨ angen (Infrarot, Abschn. 15.3) erg¨anzen, und mit kurzen Exkursen zur Infrarot-Fourier-Transformations-Spektroskopie (FTIR, Abschn. 15.3.2) und IR-Aktionsspektroskopie vervollst¨andigen. In ¨ Abschn. 15.4 wenden wir uns der Spektroskopie elektronischer Uberg¨ ange zu (sichtbar, UV und VUV) und stellen einige Methoden der modernen Molek¨ ulspektroskopie an Hand aktueller Beispiele vor. In Abschn. 15.7 werden Grundlagen der Raman-Spektroskopie entwickelt, die gewissermaßen zwischen elektronischer und Rotations-Vibrations-Spektroskopie steht. In Abschn. 15.6.4 illustrieren wir an gr¨ oßeren, z.T. auch biologisch bedeutsamen Molek¨ ulen die erstaunliche Leistungsf¨ ahigkeit heutiger Molek¨ ulspektroskopie mit ausgefeilten Verfahren. Abschließend sprechen wir in Abschn. 15.9 das wichtige Gebiet der Photoelektronenspektroskopie an.

¨ 15.1 Ubersicht Was wir in Kap. 11 und 12 u ¨ ber molekulare Strukturen erfahren haben, wurde im Laufe von mehr als einem Jahrhundert auf der Grundlage von experimentellen Daten erarbeitet. Wie auch in der Atomphysik ist dabei Spektroskopie die wichtigste Quelle der Informationen, auf denen unser heutiges Verst¨andnis der Molek¨ ule aufbaut. Wir fassen hier zun¨achst noch einmal kurz die wichtigsten Grundlagen aus Kap. 11.2 zusammen. Die Gesamtwellenfunktion ΨγvN (r, R) l¨ asst sich im Rahmen der Born-Oppenheimer-N¨aherung I.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 5, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

248

15 Molek¨ ulspektroskopie

Wυ,N Vγ(R )

höherer elektronischer Zustand

Rotationsniveaus WN'

V'(R0' ) -V''(R''0)

rot. vib.-rot. e l.-vi b .-r

o t.

niedrigerer elektronischer Zustand R0'

V'(R )

υ' = 3 υ' = 2 υ' = 1 υ' = 0 V''(R)

Rotationsniveaus WN'' υ'' = 3 υ'' = 2 υ'' = 1 υ'' = 0 R''0

Vibrationsniveaus, Wυ'

Vibrationsniveaus, Wυ'' R

Abb. 15.1. Zusammensetzung der Gesamtenergie eines zweiatomigen Molek¨ uls aus Rotation, Vibration und elektronischer Energie. Die schwarzen, kr¨ aftigen Doppelpfeile deuten die drei verschiedenen Arten von Molek¨ ulspektren an: elektronische Banden mit Rotations- und Schwingungs¨ uberg¨ angen (el.-vib.-rot.), Rotationsschwingungsspektren (vib.-rot.) und reine Rotationsspektren (rot.)

als Produkt von elektronischer und nuklearer Wellenfunktion, φγ (r i ; R) bzw. ψγvN (R), schreiben: ΨγvN (r, R) = φγ (r i ; R) × ψγvN (R) Letztere kann man wiederum meist in sehr guter N¨aherung nochmals nach Vibration und Rotation faktorisieren: ψγvN (R) =

RγvN (R) × YN MN (Θ, Φ) R

Die Indizes γ, v und N kennzeichnen dabei den elektronischen Zustand, die Vibrations- und die Rotationsquantenzahlen. Die Gesamtenergie WγvN stellt sich nach (11.40) und (11.41) als Summe von elektronischer Energie, Rotations-, und Vibrationsenergie (der verschiedenen Freiheitsgrade) dar: WγvN = Vγ (R0γ ) + Wv + WN

(15.1)

Zur Abk¨ urzung schreibt man f¨ ur das Minimum der elektronischen Energien oft Teγ = Vγ (R0γ ) /(hc) (in Wellenzahlen cm−1 ). Die jeweiligen Energien und relativen Termlagen der verschiedenen Energieformen sind in Abb. 15.1 schematisch zusammengefasst. Nat¨ urlich sind die jeweils drei Komponenten der Energieterme in (15.1) bzw. Abb. 15.1 bei genauerem Hinsehen nicht ganz voneinander unabh¨ angig, wie in Kap. 11.3.5 und 11.3.6 bereits ausf¨ uhrlich

¨ 15.1 Ubersicht

249

besprochen. Dennoch bildet das Energieschema Abb. 15.1 eine anschauliche Basis f¨ ur alles nachfolgend zu Besprechende. Auch f¨ ur mehratomige Molek¨ ule ¨ kann man die hier und im folgenden Abschnitt vorgestellten Uberlegungen und Befunde im Prinzip problemlos (in der Praxis mit einigem Aufwand) erweitern. Die R-Koordinate in Abb. 15.1 ist dann lediglich als aktive Normalkoordinate oder repr¨ asentative Kombination von Ortskoordinaten zu lesen. Wie durch die schwarzen Doppelpfeile in Abb. 15.1 angedeutet, gibt es ¨ bei Uberg¨ angen zwischen gebundenen Molek¨ ulzust¨anden im Wesentlichen drei spektroskopisch zu unterscheidende Kategorien: Rotationsspektren, RotationsSchwingungsspektren und elektronische Bandenspektren; in letzteren spiegeln sich sowohl die elektronischen, wie auch Rotations- und Schwingungs¨ Uberg¨ ange wieder. Abbildung 15.2 zeigt das uns aus Band 1 gut bekannte Spektrum der elektromagnetischen Strahlung – hier einmal aus molekularer Sicht – und ordnet die genannten Typen von Molek¨ ulspektren ein. Die verschiedenen molekula¨ ren Uberg¨ ange liegen also in sehr unterschiedlichen Spektralbereichen, und sehr unterschiedliche experimentelle Techniken und Methoden kommen f¨ ur ¨ molek¨ ulspektroskopische Untersuchungen zum Einsatz. Uberwiegend handelt ¨ es sich um elektrische Dipol¨ uberg¨ ange (E1-Uberg¨ ange) – bis auf die NMRund EPR-Spektroskopie (nicht in Abb. 15.2 gezeigt): •

Im Gebiet der Radiofrequenzen (kHz bis einige 100 MHz) liegen die Kernspin¨ Resonanz-Uberg¨ ange. Die NMR-Spektroskopie nutzt diese mit großem Raffinement zur Strukturbestimmung von gr¨oßeren Molek¨ ulen. Wir haben einige Grundlagen dazu bereits im Zusammenhang mit der Hyperfeinstruktur in Kap. 9, Band 1 vorgestellt. Eine weitere Vertiefung w¨ urde den Rahmen dieses Buches sprengen. • Elektromagnetische Wellen mit Frequenzen von etwa 1–100 GHz (λ ' 30 cm –3 mm) bezeichnet man als Mikrowellen. Elektronenspin-Resonanzen liegen in diesem Frequenzbereich. Auf die EPR-Spektroskopie sind wir in Band 1 bereits eingegangen. Aber auch die Rotations¨ uberg¨ange gr¨oßerer Molek¨ ule fallen in dieses Gebiet, wie wir in Kap. 11 gesehen haben. PhotoelektronenRotationselektronische spektroskopie SchwingungsBanden XPS UPS sichtbar banden Röntgenabsorption EUV

RotationsBanden

1mm Mikrowellen

100µm FIR

10µm 1µm SWIR LWIR MWIR NIR

100nm UV

VUV

10nm XUV

1nm Röntgen

Abb. 15.2. Spektrum der elektromagnetischen Strahlung aus molek¨ ulspektroskopischer Sicht. FIR: fernes Infrarot (IR); LWIR: langwelliges IR; MWIR: mittelwelliges IR; SWIR: kurzwelliges IR; NIR: nahes IR; UV: Ultraviolett; VUV: Vakuum-Ultraviolett; XUV: extremes UV

15.2 Mikrowellenspektroskopie

251

Fourier-Transformationsspektrometrie (FT) vermessen. Dabei wird der Resonator durchgefahren, wobei man die Fourier-Transformierte des Absorptionsspektrums misst, die man dann in den Frequenzraum zur¨ uck transformiert. Wir kommen auf das in vielen Spektralbereichen benutzte Prinzip der FTuck. Der Aufbau eines solchen MBSpektroskopie in Abschn. 15.3.2 noch zur¨ MWFT-Spektrometers ist schematisch in Abb. 15.3 skizziert. Das Spektrome160MHz

GasDüse ν+ Resonator 160MHz

ν

Mol. Strahl

Mischer

ν

1. IF 157.5 MHz 2. IF

MWQuelle

Mischer

ν

A/D Computer

PM

Motor& Mikrophon

Abb. 15.3. MB-MWFT Spektrometer nach Andersen et al. (1990). Durch eine gepulste D¨ use wird der ¨ Uberschallstrahl parallel zur Resonatorachse eingef¨ uhrt. Der Resonator wird mit einem Motor und einem Mikrophon durchgestimmt. Die Mikrowellentr¨ agerfrequenz ν aus der MWQuelle wird mit verschiedenen Mischern moduliert und im Nachweis wieder demoduliert. Das Messsignal wird schließlich mit einem AnalogDigital-Wandler gemessen und im Computer nachgewiesen, der auch das Experiment steuert. Mit dem Leistungsmessger¨ at PM wird lediglich der Resonator optimiert

ter nach Andersen et al. (1990) arbeitet im X-Band in einem Frequenzbereich von 4 bis 18 GHz (7.5–1.7 cm) und erlaubt die Bestimmung von Absorptionslinien auf kHz genau, d.h. mit einer Aufl¨ osung von ' 107 . Aus der gepulsten ¨ D¨ use tritt der Uberschallstrahl parallel zur Resonatorachse ein. Der Resonator wird mit einem Motor und einem Mikrophon durchgefahren. Auf die Mikrowelle (Tr¨agerfrequenz ν) wird zun¨ achst ein Seitenband aufgemischt“, sie wird ” sodann mit einer Pin-Diode gepulst und mit u ¨blichen Mikrowellentechniken in den Fabry-Perot-Resonator eingef¨ uhrt, wo aufgrund der hohen Resonatorg¨ ute Absorption durch R¨ uckreflexion extrem empfindlich nachgewiesen wird. Das r¨ uckreflektierte Signal wird u ¨ber zwei Stufen (1. IF und 2. IF) herunter kon” vertiert“ und schließlich bei 2.5 MHz u ¨ber einen Analog-Digital-Wandler nachgewiesen und im Computer registriert. Das Leistungsmessger¨at PM dient zur Optimierung des Resonators. Mit dieser und ¨ ahnlichen Anordnungen sind zahlreiche einfache aber auch sehr komplizierte Molek¨ ule außerordentlich genau vermessen worden. Zwar wird das Rotationsspektrum eines Molek¨ uls u ¨berwiegend durch seine 3 Haupttr¨agheitsmomente bestimmt – bereits das erlaubt eine pr¨azise Bestimmung der Kernabst¨ande. Wegen der extrem hohen Pr¨ azision dieser Messungen k¨onnen aber auch die verschieden Verzerrungen und Modifikationen der Gleichgewichtslagen durch Rotation, durch Vibrationsanregung, durch innere Rota-

252

15 Molek¨ ulspektroskopie

tionen von Molek¨ ulgruppen wie auch Hyperfeinwechselwirkung mit großer Genauigkeit bestimmt werden.

Signal (linear) H

H N

10-8

(b)

6-4 8-6

0+404-303A

H H C H

10285.6

10286.0

10286.4

Signal 1012 1011 1010

0+404-303A

(a)

Abb. 15.4. Ausschnitte aus dem Mikrowellenabsorptionsspektrum des p-Toluidins nach Hellweg (2008), das mit dem in Abb. 15.3 gezeigten MB-MWFT-Spektrometer gemesse¨ nen wurde. (a) Ubersichtsspektrum (b) Ausschnitt aus dem Rotations¨ spektrum mit den Uberg¨ angen 404 − 303 der Methyl-Torsionsmode A aus dem vinv = 0+ Schwingungszustand heraus. Gezeigt sind drei Hyperfein¨ uberg¨ ange 2F 00 → 2F 0 , 108, 6-4 und 8-6. Die mit rechteckigen Klammern markierten Aufspaltungen dieser Linien r¨ uhren vom Dopplereffekt her

0+404-303E 0 404-303A 0 404-303E

109 108 107 10240

10280 10260 Frequenz / MHz

10300

Wir illustrieren das in Abb. 15.4 am Beispiel p-Toluidin (4-Methylanilin) anhand zweier Ausschnitte aus einem k¨ urzlich von Hellweg (2008) vermessenen und analysierten Spektrum. Es handelt sich um einen Benzolring mit einer Amino- und einer Methylgruppe (Summenformel C7 NH9 ), also um einen ¨ asymmetrischen Rotator (s. Kap. 12.1.4), dessen Uberg¨ ange durch drei Rotationsquantenzahlen NKa Kc beschrieben werden. Dar¨ uber hinaus hat dieses Molek¨ ul noch weitere Besonderheiten: die Methylgruppe kann rotieren, was zu den zwei Serien mit A- und E-Symmetrie f¨ uhrt, und die Aminogruppe, deren zwei H-Atome aus der Ebene herausragen (s. Abb. 15.4b), kann eine Inversionsschwingung ausf¨ uhren. Ganz ¨ ahnlich wie bei NH3 (s. Kap. 12.2.5) f¨ uhrt dies zu zwei aufgespaltenen Vibrationsgrundzust¨anden vinv = 0+ und 0− , wobei letzterer wegen der K¨ uhlung im Molekularstrahl nur schwach besetzt ist. Schließlich gibt es noch eine Hyperfeinstruktur, wobei sich Kernspin

250



• •

15 Molek¨ ulspektroskopie

Der infrarote Spektralbereich erstreckt sich von den Mikrowellen bis zum Beginn des sichtbaren Spektralbereichs bei 800 nm. Im langwelligen Teil, dem fernen Infraroten (λ = 0.1–1 mm), liegen die Rotationsspektren vieler Molek¨ ule. Die Rotations-Schwingungsspektren sind in der Mitte des IRBereich zu finden, erstrecken sich aber auch bis in das nahe Infrarot (λ = 700 nm –1.4 µm). ¨ Die elektronischen Uberg¨ ange bzw. die damit verbundenen Bandenspektren liegen u ¨berwiegend im sichtbaren und UV- bzw. VUV -Spektralbereich. Jenseits des VUV-Bereichs schließt sich der XUV-, R¨ ontgen- und γStrahlungsbereich an. Mit diesen hohen Photonenenergien werden Zust¨ande der inneren Elektronen untersucht, meist mit Hilfe der Photoelektronenspektroskopie (UPS: mit ultraviolettem Licht; XPS: mit R¨ontgenstrahlung). Aber auch die R¨ ontgenabsorptionsspektroskopie (XAS, XANES) kann wichtige Information liefern. Da hierbei ganz spezielle, lokalisierte Atome angesprochen werden, sind solche Methoden sehr selektiv bez¨ uglich der Geometrie des untersuchten Molek¨ uls.

In den folgenden Abschnitten wird ein Auswahl leistungsf¨ahiger spektroskopischer Methoden f¨ ur die verschiedenen Spektralbereiche und Kategorien von Spektren vorgestellt und an m¨ oglichst aktuellen Beispielen erl¨autert.

15.2 Mikrowellenspektroskopie Wir k¨onnen uns hier kurz fassen, da das Wesentliche schon in Kap. 11.4.1 erl¨autert wurde. Rotations¨ uberg¨ ange werden fast ausschließlich in Absorpti¨ on beobachtet, da die Ubergangswahrscheinlichkeiten f¨ ur Emission wegen der ¨ geringen Ubergangsfrequenzen sehr klein sind. Ein typisches Mikrowellenspektrometer besteht aus einer Mikrowellenquelle, einer Wellenleiteranordnung, in welche die zu untersuchende, gasf¨ ormige Substanz eingebracht wird, und einem Detektor. Als Quellen benutzt man Klystrons, oder die etwas weiter durchstimmbaren Magnetrons. Wegen der geringen Absorptionskoeffizienten und der geringen Dichten (um Stoßverbreiterung der Linien zu vermeiden) braucht man lange Absorptionswege (Meter) oder entsprechende Resonatoren, deren D¨ampfung als Funktion der Frequenz man bestimmt. Bei hoher Resonatorg¨ ute ist dies einem sehr langen Absorptionsweg ¨aquivalent. Zur Verbesserung des Signal-Rausch-Verh¨ altnisses benutzt man Modulationstechniken in Verbindung mit einem phasensensitiven Nachweis. Bei Rotationslinien kann die Modulation z.B. durch ein elektrisches Wechselfeld erfolgen, das die ¨ Ubergangsfrequenz mit Hilfe des Stark-Effekts periodisch verschiebt. Mit einer solchen Anordnung lassen sich die Rotationslinien mit einer Aufl¨osung von 106 bestimmen. ¨ Alternativ misst man an einem gepulsten Uberschallmolekularstrahl (MB), sodass man es mit nur wenigen, besetzten Vibrationsniveaus zu tun hat. Der Molekularstrahl wird in einen Mikrowellenresonator eingef¨ uhrt und mit

15.2 Mikrowellenspektroskopie

253

I (I = 1 f¨ ur 14 N) und Rotationsdrehimpuls N zu einem Gesamtdrehimpuls F zusammensetzen (F = N oder N ± 1). Interessant ist auch, dass in Abb. 15.4b eine Doppler-Aufspaltung sichtbar wird. Zwar ist diese wegen ∆ν = νv/c im Mikrowellen- und Hochfrequenzbereich sehr klein. Bei der extrem hohen Aufl¨osung kann man aber die entsprechenden ca. 100 kHz deutlich sehen. Man beachte, dass es sich hier um eine Aufspaltung und nicht um eine Doppler-Verbreiterung handelt (die Mikrowelle kann den Molek¨ ulstrahl bei der Anordnung nach Abb. 15.3 auf dem Weg nach rechts wie auch nach Reflexion anregen, also auf dem Weg ¨ nach links). Da die innere Translationstemperatur im Uberschallstrahl sehr klein ist, kann man die beiden Komponenten gut identifizieren und auswerten. Durch Theorie-gest¨ utzte Auswertung dieser Spektren konnte Hellweg (2008) 44 wohl definierte Molek¨ ulparameter dieses Systems bestimmen – was die Leistungsf¨ahigkeit der Mikrowellenspektroskopie bei der Strukturbestimmung auch gr¨oßerer molekularer Systeme unterstreicht. 111

(a) 101

(d)

000

18708.5

88 1.6

90.04o

Å Å

72

1.2

25

111.02o

Å

F=1-1

0.9

18709.5

F=0-1

(c)

(b)

(c)

(d)

80154 80158 Frequenz / MHz

Abb. 15.5. Mikrowellenspektroskopie am HO3 -Radikal nach Suma et al. (2005). (a) Rotations-Termschema, (b) mit diesem Experiment bestimmte Geometrie des HOOO, (c) Mikrowellen-Absorption (FTMWSpektroskopie) f¨ ur den Rotationsu ¨bergang (NKa Kc = 101 − 000 , J = 1.5 − 0.5, F = 2 − 1), (d) Doppelresonanz (NKa Kc = 111 − 000 , J = 0.5 − 0.5) mit Hyperfeinaufspaltung durch das Proton (F = 1 − 1 und ¨ F = 0 − 1), beobachtet als Anderung des Maximums von Signal (c) beim Durchstimmen der mm-Welle durch ¨ Ubergang (d) im Termschema (a)

Oft ist es hilfreich, solche Mikrowellenspektroskopie mit mehreren Wellenl¨angen gleichzeitig durchzuf¨ uhren (sogenannte Doppelresonanzspektroskopie). Wir illustrieren diese wichtige und sehr selektive Methode am Beispiel des HO3 Radikals in Abb. 15.5. Ein Ausschnitt aus dem Rotationstermschema des HOOO ist in Abb. 15.5a skizziert (ohne Hyperfeinaufspaltung). Das einfache“ ” Absorptionssignal der cm-Wellen, hier bei der Anregung einer Rotationslinie, ur einen bestimmten Rotations¨ ubergang gezeigt. (N ist ist in Abb. 15.5c f¨ dabei wieder die Rotationsquantenzahl, Ka und Kc sind die in Kap. 12.1.4 eingef¨ uhrten Projektionsquantenzahlen bez¨ uglich der Molek¨ ulachsen dieses asymmetrischen Rotators.) Abbildung 15.5d zeigt das Doppelresonanzsignal beim Durchstimmen der mm-Welle im Bereich 80 154 − 80 162 MHz. Man beobachtet es als Reduktion des einfachen Absorptionssignals im Maximum der

254

15 Molek¨ ulspektroskopie

Absorptionslinie nach (c), hier bei ' 18 709.1 MHz. Trifft man eine (zweite) Resonanz, wie im Termschema der Abb. 15.5a mit (d) angedeutet, so nimmt das reine Absorptionssignal nach (c) ab, da der Grundzustand entv¨olkert wird. Mit Hilfe solcher Pr¨ azisionsspektroskopie kann man die Struktur dieses f¨ ur die Atmosph¨arenchemie bedeutsamen Radikals sehr genau bestimmen. Die wichtigsten Befunde sind in Abb. 15.5b dokumentiert. Wir werden auf das HO3 Molek¨ ul sp¨ater noch zur¨ uckkommen.

15.3 Infrarotspektroskopie 15.3.1 Allgemeines Auch bei der Infrarotspektroskopie werden die Vibrations-Rotationsbanden in Absorption vermessen. Konventionell werden nach wie vor sogenannte Glowbar’s als Strahlungsquellen eingesetzt. Das sind Graphit- oder SiC-St¨abe, die durch einen Stromfluss auf 1 000 − 1 500 ◦ C erhitzt werden und dann eine kontinuierlich IR-Strahlung entsprechend der Planck-Verteilung emittieren. Die IR-Strahlung wird mit Hilfe von Spiegeln durch die (ggf. recht lange) Absorptionszelle geleitet. Meist wird ein Referenzstrahl durch eine zweite, leere Absorptionszelle geschickt, um Schwankungen der IR-Quelle registrieren und bei der Auswertung ber¨ ucksichtigen zu k¨ onnen. Hinter der Zelle wird die Strahlung spektral durch ein Gitterspektrometer zerlegt und f¨allt auf einen Detektor. Es werden thermische Detektoren (Bolometer) oder IR-empfindliche Photodioden benutzt. Der IR-Strahl wird in der Regel moduliert, um das Signal von IR-Untergrund (W¨ armestrahlung) der Apparatur zu unterscheiden. Zunehmend benutzt man heute aber auch abstimmbare Laserquellen, wo immer m¨oglich auch Laserdioden, die in immer breitere IR-Spektralbereiche vordringen und nat¨ urlich h¨ ohere Empfindlichkeit und verbesserte Aufl¨osung mit sich bringen. Gerade in den verschiedenen Bereichen der Analytik setzt sich mehr und mehr die abstimmbare Laserdiode durch. Auch Synchrotronstrahlung wird gerne genutzt, wenn es um breite Abstimmbarkeit geht. Weltweit stehen dar¨ uber hinaus auch eine Reihe, speziell im Bereich des IR operierende Freie-Elektronen-Laser (FEL) zur Verf¨ ugung, die sich als interessantes Werkzeug in der Molek¨ ul- und Clusterspektroskopie erwiesen haben. Ganz allgemein ist Infrarotspektroskopie eine ¨außerst wichtige Methode in vielen Bereichen der chemischen und physikalischen Analytik. Es gibt zahlreiche Lehrb¨ ucher, welche dieses Themenfeld (oft zusammen mit der RamanSpektroskopie) umfassend behandeln, sodass wir es hier bei einem Hinweis auf die spezielle Selektivit¨ at der IR-Spektroskopie f¨ ur bestimmt Bindungstypen belassen wollen, die man – im Zusammenhang mit umfangreichen Datensammlungen – in diesem Kontext ausnutzt. Verschiedene Molek¨ ulgruppen schwingen n¨amlich in gr¨ oßeren Molek¨ ulen typischerweise bei sehr charakteristischen Frequenzen: so findet man z.B. die Streckschwingung der CH-Gruppe bei 3 000 cm−1 , NH bei 3 400 cm−1 und OH bei 3 600 cm−1 . Dagegen liegen

15.3 Infrarotspektroskopie

255

Knick- und Biegeschwingungen meist bei Wellenzahlen unter 1 000 cm−1 . Der Experte kann aus einem charakteristischen Schwingungsspektrum meist bereits ohne genauere Auswertung wichtige R¨ uckschl¨ usse auf die Struktur eines Systems ziehen. F¨ ur genauere Analysen gibt es sehr leistungsf¨ahige Rechenprogramme, mit deren Hilfe man die gemessenen Spektren m¨oglichst experimentgetreu modelliert. Da wir in Kap. 11 und 12 bereits eine Reihe von Vibrations-Rotationsspektren f¨ ur zwei- und mehratomige Molek¨ ule kennengelernt haben, beschr¨ anken wir die Diskussion hier auf zwei besonders wichtige und interessante spezielle Methoden der IR-Spektroskopie. 15.3.2 Fourier-Transformations-IR-Spektroskopie (FTIR) Ein großer Nachteil von Gitterspektrographen ist das sequentielle Durchstimmen des Spektrums u ¨ber die einzelnen Linien: so erreicht immer nur ein kleiner Bruchteil des gesamten Spektrums den Detektor. Das Signal ist daher meist sehr klein, was zu langen Messzeiten f¨ ur ein ausreichendes Signal-RauschVerh¨altnis f¨ uhrt. Diesen Nachteil haben die Fourier-Transformations-IRSpektrometer (FTIR-Spektrometer) nicht, da stets das ganze Spektrum gleichzeitig mit Hilfe eines Michelson-Interferometers analysiert wird. Die FourierTransformations-Spektroskopie geh¨ ort daher (auch in anderen Spektralbereichen) heute zu den leistungsf¨ ahigsten Methoden moderner optischer Spektroskopie. Wir haben bereits in vorangehenden Kapiteln auf Anwendungsbeispiele hingewiesen, so in Kap. 11.4.1 und 15.2. Zum Verst¨andnis der FTIRSpektroskopie k¨onnen wir an das in Kap. 13 u ¨ber Fourier-Transformation, Interferenz und Koh¨ arenz Besprochene ankn¨ upfen. Experimenteller Aufbau ur typischerweise verwendeter Aufbau In Abb. 15.6 ist schematisch ein hierf¨ unter Benutzung eines Michelson-Interferometers skizziert. Man verwendet eine breitbandige Lichtquelle (Weißlicht), die durch den Kollimator parallelisiert wird und von der Strahlteilerplatte in zwei gleich intensive Teilb¨ undel fester Spiegel

Probe im Fokus

Kompensator Strahlteiler

s/2 bewegter Spiegel

Kollimator

Detektor

IRQuelle

Abb. 15.6. Michelson-Interferometeraufbau als FTIR-Spektrometer

256

15 Molek¨ ulspektroskopie

aufgespalten wird. Beide Teilb¨ undel durchlaufen unterschiedliche optische Wege. Der u ¨ber eine Strecke s/2 bewegbare Spiegel erlaubt es, einen variablen optischen Wegl¨angenunterschied s bzw. eine zeitliche Verschiebung δ = s/c

(15.2)

zwischen beiden Strahlenb¨ undeln einzuf¨ uhren (es werden hier achsenparallele Strahlen angenommen). Nach Durchlaufen der Verz¨ogerungsstrecken werden die Wellenfronten beider Strahlenb¨ undel durch den Strahlteiler wieder vereint, und sodann auf die zu untersuchende Probe fokussiert. Dort wird das Spektrum aufgepr¨ agt, und schließlich wird das so modifizierte Weißlicht auf den Detektor fokussiert und zur Interferenz gebracht. Durch kontinuierliche ¨ Anderung der o¨rtlichen bzw. zeitlichen Verschiebung erh¨alt man ein Interferogramm, welches die gesamte spektrale Information u ¨ber die Probe enth¨alt. Methode – Fourier-Transformation eines Spektrums Um dies zu sehen, stellen wir zun¨ achst fest, dass der FTIR-Aufbau weitgehend dem in Kap. 14.1.3 besprochenen Interferenzexperiment entspricht. Nach (14.16) besteht die am Detektor gemessene Intensit¨at aus einem konstanten Untergrund und einem Interferenzterm, der nach (14.16) und (14.22) von der optischen Laufzeitdifferenz δ und der Spektralverteilung I˜ (ω) der Lichtquelle abh¨angt. F¨ ur das FTIR-Spektrometer, wo die Ausgangsintensit¨at I0 der Lichtquelle in zwei gleiche Teilstrahlen zerlegt wird, l¨asst sich das am Detektor zusammengef¨ uhrte Interferenzsignal ohne die Probe mit (14.16) als Z  I(δ) = Re 1 + eiωδ I˜ (ω) dω (15.3) schreiben. Beim Durchtritt durch die Probe wird diese Intensit¨atsverteilung ˜ nun mit dem Absorptionsprofil der Probe multipliziert, wodurch aus I(ω) → ˜ S(ω) wird. Das ist wiederum nichts anderes als das Spektrum, wie man es mit einem dispersiven Monochromator beim Durchstimmen u ¨ber alle Frequenzen beobachten w¨ urde (bei gleicher Probe und gleicher Lichtquelle). War die Gesamtintensit¨at am Eingang des FTIR-Spektrometers Z (15.4) I0 = I˜ (ω) dω , ˜ so integriert der Detektor nun entsprechend (15.3) u ¨ber das Spektrum S(ω) Z  ˜ I(δ) = Re 1 + eiωδ S(ω)dω , (15.5) sodass wir ein von der zeitlichen Verschiebung abh¨angiges Messsignal I(δ) erhalten. Der erste Term dieses Integrals liefert einfach einen konstanten Untergrund (er ist praktisch identisch mit I0 , da u ¨ber das gesamte Spektrum

15.3 Infrarotspektroskopie

257

in aller Regel nur ein vernachl¨ assigbarer Bruchteil des eingestrahlten Lichts absorbiert wird). Der zweite Term hingegen h¨angt explizit von δ ab: Z iωδ ˜ dω = I (δ) − I0 (15.6) Re S(ω)e ˜ Das ist aber nichts anderes als die Fourier-Transformierte des Spektrums S(ω) der Probe, das man direkt durch die inverse Fourier-Transformation Z ˜ S(ω) ∝ Re I(δ)e−iωδ dδ (15.7) erh¨alt. Diese Integration u ¨ber das Messsignal I(δ) kann heute problemlos mit schnellen Rechenprogrammen und entsprechenden Prozessoren durchgef¨ uhrt werden. Der große Vorteil des FTIR-Verfahrens ist, dass keine Trennung der Frequenzkomponenten wie bei einem dispersiven Monochromator stattfinden muss. Man multiplext“ also stets alle Spektralkomponenten, registriert sie ” sozusagen gleichzeitig. Von entscheidender Bedeutung ist außerdem, dass man mit einem ausgedehnten Lichtstrahl arbeitet und die endliche Ausdehnung der Lichtquelle, also deren laterale Koh¨ arenz, gegen¨ uber konventionellen Spektrometern wesentlich unkritischer ist. Aufl¨ osung des FTIR-Spektrometers Nat¨ urlich wachsen auch hier die B¨ aume nicht unbegrenzt in den Himmel. Die Aufl¨osung wird im Wesentlichen durch die endliche optische Wegl¨angendifferenz s beschr¨ ankt, die durchfahren werden kann. Abbildung 15.7 il2 2 2 ˜ lustriert dies f¨ ur eine Lorentz-Linie, S(ω) = (w/2) /((w/2) + (ω − ω0 ) ), die wir uns mit einem FTIR-Spektrometer aufgenommen denken. Ihre spektrale Halbwertsbreite w (FWHM), bezogen auf die Kreisfrequenz ω, entspricht auf der Frequenzskala ∆ν1/2 = w/2π. Ihre Fourier-Transformierte ist I (δ) ∝ exp(−wδ/2). Die R¨ ucktransformation   Z t1 wδ e−iωδ dδ (15.8) S (ω; t1 ) ∝ exp − 2 0 k¨onnen wir nur bis zu einem maximalen t1 = s/c durchf¨ uhren, das durch die maximale optische Wegl¨ angendifferenz s des Spektrometers gegeben ist. Abbildung 15.7 zeigt das beobachtete Profil f¨ ur zwei verschiedene Werte wt1 = 2πt1 ∆ν1/2 im Vergleich mit dem Lorentz-Profil bei voller R¨ ucktransformation t1 → ∞. Die sich ergebenden Linienformen sind in der Tat den experimentell beobachteten recht ¨ ahnlich, wie wir sie in Abb. 11.20 auf S. 33 kennengelernt haben. F¨ ur wt1 ≥ π, d.h. f¨ ur 2t1 ≥ 1/∆ν1/2 wird S (ω; t1 ) dem urspr¨ unglichen Linienprofil bereits sehr ¨ ahnlich.

258

15 Molek¨ ulspektroskopie

S(ω;t1)

1.0 0.5 w

wt1=1

wt1→∞ -6

-4

-2

0 2 (ω-ω0) /w

wt1=2 4

6

Abb. 15.7. Vergleich eines LorentzLinienprofils (volle rote Linie) mit der abgeschnittenen r¨ ucktransformierten Fourier-Transformierten nach (15.8). Die R¨ ucktransformation wurde auf verschiedene Zeitintervalle entsprechend wt1 = 2πt1 ∆ν1/2 = 1 (grau) bzw. = 2 (rot gestrichelt) begrenzt

Mit ∆ν1/2 ' 1/ (2t1 ) ist das Aufl¨ osungsverm¨ogen dieses Spektrometers also – bis auf einen etwas willk¨ urlichen, numerischen Vorfaktor, der die Trennbarkeit benachbarter Spektrallinien charakterisiert – n¨aherungsweise gegeben durch: λ ν s s ' ' 2t1 ν = 2 ν = 2s¯ ν =2 =N ×z (15.9) ∆λ ∆ν1/2 c λ ur das Dies entspricht der schon in Band 1 diskutierten Grundformel (6.1) f¨ Aufl¨osungsverm¨ogen aller auf Interferenz basierender Spektrometer. Dabei haben wir die Zahl 2 mit der Anzahl N der interferierenden Strahlen identifiziert und s/λ mit der Ordnungszahl z. Die Auswertbarkeit komplexer Spektren wird aber weiterhin durch die in Abb. 15.7 illustrierten Nebenmaxima der Fourier-R¨ ucktransformierten beeintr¨achtigt. Um den Einfluss des endlichen Wegs zu minimieren werden die gemessenen Interferogramme apodisiert, d.h. mit einer Funktion p (x) multipliziert, die keine (oder nur kleine) Nebenmaxima hat, z.B. eine Dreiecksfunktion. Auch die Schrittweite der Verschiebung s muss sorgf¨altig gew¨ahlt werden. Das sogenannte Nyquist-Sampling Theorem fordert, dass pro Periode mindestens zwei Punkte bekannt sein m¨ ussen, um eine Sinus-Funktion zu reproduzieren. Schließlich muss man auch den endlichen Divergenzwinur achsenparkel der Strahlen ber¨ ucksichtigen, denn (15.2) gilt streng nur f¨ allele Strahlen. Moderne, kommerziell erh¨ altliche FTIR-Spektrometer haben Aufl¨osungsverm¨ogen von 1 000 bis zu 1 000 000. Sollen z.B. zwei Linien bei ν¯ ' 3 300 cm mit einem Wellenzahlunterschied ∆¯ ν = 0.1 cm−1 aufgel¨ost werden, muss der Spiegel nach (15.9) um mindestens 5 cm verfahren werden. Typische Wegstrecken in FTIR-Spektrometern liegen bei einigen 10 cm bis zu 2 m. Technisches und Zusammenfassung Fourier-Transformations-Spektrometer werden besonders gern im IRSpektralbereich eingesetzt. Wir hatten aber bereits auch ihre Anwendung im Mikrowellenbereich kennengelernt. Die Spiegel in diesen Spektrometern m¨ ussen u urfen sich dabei nur um ¨ber sehr lange Stecken bewegt werden und d¨ Bruchteile einer Wellenl¨ ange dejustieren. Dies ist wegen der l¨angeren Wellenl¨angen im IR und a fortiori im Mikrowellenbereich leichter zu realisieren

15.3 Infrarotspektroskopie

259

als im Sichtbaren. Zunehmend wird die Technik aber auch im sichtbaren, ultravioletten und sogar im VUV-Spektralbereich verf¨ ugbar, wobei ausgefeilte Verfahren f¨ ur die Stabilisierung der Strahlf¨ uhrung angewendet werden. Als breitbandige Lichtquelle kann man mit Vorteil auch Synchrotronstrahlung einsetzen. Auch f¨ ur die Spektroskopie astronomischer Objekte, der Sonne oder auch der Atmosph¨ are bietet sich die Fourier-Spektrometrie geradezu an, denn man hat es ja mit breitbandigen Strahlungsquellen zu tun, deren Feinstruktur man untersuchen will. Die Fourier-Transformation kann heute quasi on-line“ mit einem PC und ” Fast-Fourier-Algorithmen“ durchgef¨ uhrt werden. Eine interessante Variante, ” die z.B. in der Biologie großes Interesse findet, ist die Kombinationen des FTIR-Verfahrens mit mikroskopischer Ortsaufl¨osung, die sich angesichts des in Abb. 15.6 gezeigten Aufbaus geradezu anbietet. Zusammenfassend haben FT-Spektrometer gegen¨ uber Gitterspektrographen zwei entscheidende Vorteile: •

Zu jedem Zeitpunkt wird das Licht aller Wellenl¨angen simultan analysiert (Fellgett-Vorteil ). Die Lichtintensit¨ at am Detektor ist wesentlich h¨oher und die Messzeiten verringern sich entsprechend. ¨ • FT-Spektrometer erlauben wesentlich gr¨ oßere Offnungswinkel im Vergleich zum Gitterspektrographen (Jacquinot-Vorteil ).

15.3.3 Infrarot-Aktionsspektroskopie Hat man nur wenige Teilchen zur Verf¨ ugung, etwa bei der Untersuchung von dynamischen Prozessen in Molekularstrahlen oder bei der IR-Spektroskopie ¨ molekularer Cluster im Uberschallstrahl, so st¨oßt die IR-Absorptionsspektroskopie, wie wir sie bislang beschrieben haben, wegen der kleinen Absorptionskoeffizienten, der begrenzten Empfindlichkeit und des endlichen dynamischen Bereichs der Detektoren rasch an ihre Grenzen – zumal ja Absorptionsspektroskopie generell den Nachteil hat, Signale auf einem hohen Untergrund (dem eingestrahlten Licht) nachweisen zu m¨ ussen. Es gibt aber verschiedene Verfahren, dieses Problem zu u ¨berlisten, indem man einen direkten Nachweis der durch die Infrarotabsorption bewirkten Prozesse versucht. Solche Verfahren k¨onnen sehr empfindlich sein und praktisch den Nachweis einzelner Teilchen erm¨oglichen. Einige davon werden wir noch in den folgenden Abschnitten erw¨ahnen. Hier stellen wir die sogenannte Infrarot-Aktionsspektroskopie (Infrared Action Spectroscopy, IAS) vor, deren Wirkungsweise wir anhand aktueller Experimente f¨ ur HO3 erl¨ autern wollen, dessen Nachweis als stabile Spezies erst in j¨ ungster Zeit gelang. Wir haben dieses Radikal HOOO und seine Struktur schon in Abschn. 15.2 kennengelernt. Es spielt u.a. in der Atmosph¨arenchemie ein wichtige Rolle als Zwischenstufe einer Reihe von kritischen Reaktionen bei der Ozonchemie vom Typ

260

15 Molek¨ ulspektroskopie

H + O3 → HOOO → OH(v ≤ 9) + O2 OH(v) + O2 → HOOO → OH(v − 1) + O2 O + HO2 → HOOO → OH + O2 .

(15.10)

onnten auf diese Weise in einer H¨ohe von 10–15 km Nach Murray et al. (2007) k¨ ca. 50% der atmosph¨ arischen OH-Radikale in HOOO gespeichert sein. Der spektroskopischen Identifizierung dieses Molek¨ uls kommt daher eine wichtige Bedeutung zu. Derro et al. (2007) haben das HO3 -Radikal durch Pho¨ tolyse in einem Uberschall-Molekularstrahl erzeugt. In einem Gasgemisch aus O2 und Ar als Tr¨agergas, das mit Salpeters¨ aure (HONO2 ) versetzt ( seeded“) ” ist, wird direkt hinter einer gepulsten D¨ use durch Bestrahlung mit einem ArF Excimer-Laser (192 nm) OH erzeugt, welches nach (15.10) mit O2 zu HOOO ¨ reagiert. In der Uberschallexpansionszone wird es gek¨ uhlt, also stabilisiert. Das Energie- und Nachweisschema ist in Abb. 15.8 skizziert. Angewendet wird es ca. 15 mm stromabw¨ arts im Strahl. Angeregt wird im IR. Da die Anregungsenergie u ur die HO OO Bin¨ber der Bindungsenergie f¨ dung liegt, ist das System danach nicht mehr dauerhaft stabil. Die Vibrationsenergie kann aus der OH-Schwingung mehr oder weniger schnell in andere Vibrationsfreiheitsgrade umverteilt werden. Man nennt derartige Prozesse interne vibratorische Relaxation der Energie, ivr (intra molecular vibrational relaxation). Auf diese Weise dissoziiert das System schließlich in OH und O2 . Nachgewiesen wird das gebildete OH durch laserinduzierte Fluoreszenz (LIF), wie ebenfalls in Abb. 15.8 angedeutet (volle schwarze Pfeile nach oben = Anregungslaser, gestrichelte graue Pfeile nach unten = Fluoreszenz).

Energie / 103cm-1

34.0 32.0 8.0 6.0 5.0 2.0

OH

UV-Probe, fest Vibrations_ prädisso2νOH ziation IR-Pump (durch_ νOH stimmen)

0.0 -2.0

A2Σ+

HOOO X 2A''

O2 a 1Δg

N= 9 8 υ=1 0 LIF

9 8 υ=0 0 OH X 2ΠΩ _ +O2 X 3Σg

Abb. 15.8. IR-Pump, UV-Probe Schema f¨ ur den Nachweis der OHSchwingungen im HOOO Radikal nach Derro et al. (2007). Nach IR Anregung in den v = 1 (alternativ v = 2) Zustand der OH-Streckschwingung νOH zerf¨ allt das Molek¨ ul unter Verlust eines hνOH -Quants in die Endprodukte OH(v − 1) X 2 ΠΩ + O2 X 3 Σg− . Detektiert wird die IR Absorption u ¨ber Laser induzierte Fluoreszenz (LIF) im freigesetzten OH nach UV-Anregung. Die Energieskala bezieht sich auf den Dissoziationskanal OH+O2 (man beachte den Skalenwechsel zwischen 8 000 und 32 000 cm−1 )

Dieses Doppelresonanzexperiment illustriert sehr eindrucksvoll den hohen methodischen Stand moderner Molek¨ ulspektroskopie: Als IR-Quelle (2.8 bzw. 1.4 µm f¨ ur νOH bzw. 2νOH ) werden abstimmbare optisch parametrische Os-

15.3 Infrarotspektroskopie

Intensität

(a)

_ 2νOH

(b)

-10

_ νOH

-5 5 _0 IR Δν / cm-1

10

261

Abb. 15.9. IR-Aktionsspektren f¨ ur das HOOO-Radikal in (a) der νOH und (b) der 2νOH Region nach Derro et al. (2007). Der experimentelle Nachweis (schwarze Linien) erfolgte mit fester Probe-Laser-Wellenl¨ ange, auf dem ¨ P1 (4)-Ubergang in der OH A 2 Σ+ ← X 2 Π (v = 1, 0)- bzw. (1, 1)-Bande. Die Simulation (grau, kaum vom Experiment unterscheidbar) ber¨ ucksichtigt trans-HOOO (voll rot) und cis-HOOO (gestrichelt rot). Die relativen Wellenzahlen beziehen sich auf die Bandenurspr¨ unge des trans-HOOO bei ν¯OH = 3 569.30±0.05 bzw. 2¯ νOH = 6 974.18± 0.05 cm−1

zillatoren benutzt, gepumpt mit einem injektionsgepumpten Nd:YAG-Laser. F¨ ur die Anregung des Produkts OH kommt ein frequenzverdoppelter Farbstofflaser zum Einsatz, der ebenfalls mit einem Nd:YAG-Laser gepumpt wird. Der Nachweis erfolgt somit zustandsselektiv und auch die Rotationsverteilung des OH kann bestimmt werden. Hohe Anspr¨ uche m¨ ussen an die Abschirmung von Streustrahlung und die Nachweisempfindlichkeit der Detektoren gestellt werden. Abbildung 15.9 zeigt zwei typische Rotations-Vibrationsspektren, die auf diese Weise gewonnen wurden (mit P -, R- und Q-Zweig). Die Rotationsstruktur dieses asymmetrischen Rotators ist nur partiell aufgel¨ost und wegen des großen Tr¨agheitsmomentes wesentlich enger als wie wir es z.B. in Kap. 11 f¨ ur zweiatomige Molek¨ ule gesehen haben. Das Auftreten des Q-Zweiges bei mehratomigen Molek¨ ulen hatten wir schon in Kap. 12.2.3 besprochen. Die in Abb. 15.9 gezeigte Simulation der Spektren von Derro et al. (2007) basiert auf einer anspruchsvollen quantenchemischen Berechnung (MRCI), benutzt aber die von Suma et al. (2005) bestimmten Rotationskonstanten. Es zeigt sich dabei, dass die Ber¨ ucksichtigung zus¨ atzlicher Parameter wie Zentrifugalaufweitung, Spin-Rotation und magnetische Dipol-Kopplung keine Verbesserung der ¨ insgesamt exzellenten Ubereinstimmung von Experiment und Modell bringt. Bemerkenswert ist der unstrukturierte, breite Untergrund in den Spektren der Abb. 15.9, der dem rot gestrichelten Beitrag entspricht. Er wird der cisKonfiguration des HOOO zugeschrieben (H-Atom und endst¨andiges O-Atom befinden sich auf der gleichen Seite), die offenbar nur sehr kurzlebig ist, sodass die Rotationsstruktur verwaschen wird. Inzwischen wurden die IR-Spektren von HO3 und DO3 im Detail vermessen und zahlreiche Kombinations- und Oberschwingungen wurden bestimmt (s. z.B. Derro et al., 2008). Die in Abb. 15.10 gezeigten Normalschwingun-

262

15 Molek¨ ulspektroskopie

1= OH ,

4,

OH-Streck

OOO-Biege

2,

5,

OO-End-Streck

3,

zentrale OO-Streck

HOO-Biege

Abb. 15.10. Normalschwingungen des trans-HOOO nach Derro et al. (2008)

6, Torsion

gen dieses Radikals m¨ ogen beispielhaft illustrieren, welche Details moderne IR-Spektroskopie heute aufkl¨ aren kann.

15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines 15.4.1 Franck-Condon-Faktoren ¨ Bei elektronischen Uberg¨ angen ¨ andern sich nicht nur die elektronischen Quan1 0 tenzahlen (γ ← γ 00 ), sondern in der in der Regel auch die Vibrations- (v 0 ← ¨ v 00 ) und Rotationsquantenzahlen (N 0 ← N 00 ). Die Ubergangswahrscheinlichkeit 00 vom Grundzustand aus (γ = 0) ist dann proportional zum Dipol¨ ubergangs¨ matrixelement (11.55) mit dem Dipoloperator nach (11.53). Der Ubersichtlichkeit halber unterdr¨ ucken wir zun¨ achst die Rotations¨anderung. In Born-Oppenheimer-N¨aherung findet die Kernbewegung (Schwingung) im Anfangs- (0) und Endzustand (γ 0 ) jetzt in unterschiedlichen Potenzialen statt. Die Indizierung der Schwingungswellenfunktion R∗γ 00 v 00 N 00 (R) /R auch nach γ bekommt also entscheidende Bedeutung. Bei der Auswertung des Dipol¨ ubergangsmatrixelements Dγ 0 v 0 ←0v00 nach (11.55) kann man zun¨ achst u ¨ ber die elektronischen Koordinaten r i integrieren und erh¨alt ein elektronisches Dipol¨ ubergangsmatrixelement Dγ 0 ←0 . Da˜ des Dipoloperators D (R, r) keinen bei erbringt die Kernkomponente e0 ZR Beitrag, da wegen der Orthogonalit¨ at der elektronischen Wellenfunktionen R ∗ φγ 0 (r i ; R) R φ0 (r i ; R) d3 r i = 0 wird, und zwar unabh¨angig von R sofern nur γ 0 6= 0. Somit ist lediglich Z X 0 D γ ←0 (R) = −e0 φ∗γ 0 (r i ; R) r i φ0 (r i ; R) d3 r i (15.11) i

auszuwerten, was abh¨ angig vom Kernabstand wird, ganz ¨ahnlich wie wir es in Kap. 11.4.3 bei den reinen Schwingungs¨ uberg¨angen besprochen haben. Die 1

Wir benutzen weiterhin die in Kap. 11 eingef¨ uhrte spektroskopische Notation nach Herzberg: unterer Zustand doppelt gestrichen 00 , oberer einfach 0 .

15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines

263

¨ Ubergangswahrscheinlichkeit bzw. der Absorptionsquerschnitt wird somit insgesamt proportional zu 2 Z 2 ∗ 00 0 0 00 (15.12) |D γ v ←0v | = Rγ 0 v0 (R) D γ←0 (R)R0v (R) dR . D γ 0 ←0 (R) variiert nur langsam mit R, und die Wellenfunktionen sind auch nur in einer Umgebung von R0 von Null verschieden. Wir k¨onnen daher D γ 0 ←0 (R) in erster N¨aherung durch den Mittelwert hD γ 0 ←0 (R)i ersetzen: 2 Z 2 2 (15.13) |D γ 0 v0 ←0v00 | = |hD γ 0 ←0 (R)i| R∗γ 0 v0 (R) R0v00 (R) dR Der zweite Term in dieser Beziehung ist der sogenannte Franck-Condon-Faktor 2 Z (15.14) F C (γ 0 v 0 ← 0v 00 ) = R∗γ 0 v0 (R) R0v00 (R) dR kurz

2

= |hγ 0 v 0 |0v 00 i| ,

der die relativen Intensit¨ aten der Schwingungs¨ uberg¨ange innerhalb eines elek¨ ¨ tronischen Ubergangs γ 0 ← 0 bestimmt. Er ist das Quadrat des Uberlappintegrals zwischen den Schwingungswellenfunktionen im Potenzial V0 (R) und Vγ 0 (R). Die Franck-Condon-Faktoren k¨ onnen in harmonischer N¨aherung explizit ausgerechnet werden, da die Radialfunktionen Rγ 00 v00 (R) dabei einfach die Hermiteschen Funktionen (11.23) sind, mit x nach (11.21). Man kann relativ leicht zeigen, dass f¨ ur Absorption die Summenregel X F C (γ 0 v 0 ← 0v 00 ) = 1 (15.15) v0

unabh¨angig vom anf¨ anglichen Vibrationszustand gilt. Entsprechendes gilt nat¨ urlich auch f¨ ur die Emission: Die Lebensdauer elektronisch angeregter Molek¨ ulzust¨ ande h¨ angt nur vom elektronischen, nicht aber vom Vibrationszustand ab. Diese N¨ aherung (Condon approximation) geht uck, der das von James Franck (1926) auf Edward U. Condon (1928) zur¨ mit semiklassischen Argumenten eingef¨ uhrte Prinzip erstmals streng quantenmechanisch formulierte. Wie alle N¨ aherungen hat auch diese ihre Grenzen (Non-Condon transitions), z.B. dann, wenn mehrere, u ¨berlappende Molek¨ ulpotenziale miteinander wechselwirken (s. auch Abschn. 15.4.3). Bei Zimmertemperatur ist (wegen ~ω0  kT ) im elektronischen Grundzustand in der Regel nur das v 00 = 0 Niveau besetzt. F¨ ur die Absorption soll 2 uhrt der es hier daher gen¨ ugen |D γv0 ←00 | nach (15.13) auszuwerten. Dabei f¨ 2 elektronische Teil |hD γ 0 ←0 (R)i| wie in der Atomphysik zu mehr oder weniger strengen Auswahlregeln aufgrund der Drehimpulserhaltung. Wir werden hierauf im n¨achsten Abschnitt kurz eingehen. Welche Schwingungsniveaus bei Absorption bzw. Emission bev¨ olkert werden ist dagegen eine ganz molek¨ ulspezifische Angelegenheit und wird durch die Franck-Condon-Faktoren

264

15 Molek¨ ulspektroskopie

(15.14) bestimmt. Wir werden sehen, dass es sich dabei nicht um strenge Auswahlregeln handelt, sondern eher um eine Art Vorzugsregeln“ (propensi” ty rules). Diese ergeben sich vor allem durch die Lage und Form der Poten¨ zialt¨opfe der beiden am Ubergang beteiligten elektronischer Zust¨ande. Wir unterscheiden die zwei h¨ aufigsten F¨ alle: Der Fall R000 < R00

V(R) γ'

γ'' = 0 υ'' = 0

R'0

R''0

υ' = 16

υ' = 8 υ' = 4 υ' = 0

Abb. 15.11. Zur Veranschaulichung des Franck-Condon Prinzips: ¨ Uberg¨ ange (hier Absorption) finden bevorzugt dann statt, wenn der ¨ gemittelte Uberlapp der Schwingungswellenfunktionen vor und nach der Anregung groß ist. Das ist insbes. bei ¨ vertikalen Uberg¨ angen (fetter Pfeil ) der Fall

R

Abbildung 15.11 veranschaulicht die Lage der Vibrationsniveaus und die Form der Radialfunktionen. Im Vibrationsgrundzustand sind dies im Wesentlichen (im Fall des harmonischen Oszillators exakt) Gauß-Funktionen, und so ¨ wird der Uberlapp von R00 (R) im elektronischen Grundzustand mit Rγ 0 0 (R) im angeregten Zustand hier sehr klein – und damit auch der Franck-CondonFaktor (15.14). Mit steigendem v 0 wird Rγ 0 v0 (R) ungef¨ahr am klassischen Umkehrpunkt der Schwingung maximal und ¨ andert sich dort langsam, oszil¨ liert aber f¨ ur gr¨oßere R rasch. Daher erreicht der Uberlapp zwischen R00 (R) und Rγ 0 v0 (R) etwa dort sein Maximum, wo der klassische Umkehrpunkt der Schwingung im angeregten Zustand u ¨ber dem Minimum des Grundzustands ¨ liegt. Man spricht von einem vertikalen Ubergang und denkt sich diesen vom Grundzustand bei R = R0 ausgehend senkrecht nach oben bis zum Schnittpunkt mit der angeregten Potenzialkurve Vγ 0 (R). Mit weiter steigendem v 0 nehmen die F C 0 s aber schließlich wieder ab, denn bei der Integration u ¨ber R mitteln sie sich wegen der dann raschen Oszillation von Rγ 0 v0 (R) weg. Dieses quantenmechanische Bild ist konsistent mit einer klassischen Betrachtung: Die elektronische Anregung findet so schnell statt (' fs), dass sich die Kerne in dieser Zeit nicht bewegen k¨ onnen (breiter, schwarzer Pfeil in Abb. 15.12). Der Kernabstand R wie auch der Kernimpuls µR˙ ' 0 bleiben ¨ unver¨andert im Falle eines solchen vertikalen Ubergangs. Betrachtet man die gesamte Dynamik einer solchen optischen Anregung und ihrer Folgen, wie dies in Abb. 15.12 skizziert ist, dann wird man nach der Absorption eine Reemission der Strahlung erwarten.

15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines

W(R)

Dissoziation

D0' υ' = 0

Fluoreszenz

X

De'

ivr (in mehrat. Molek.) Absorption

Anregung

A

Stokes-Shift Emission Absorption Anreg.

16

18 20 ν / 1000 cm-1

Te'

De'' D0''

υ'' = 0

R

265

Abb. 15.12. Franck-Condon Prinzip bei der optischen Anregung eines Molek¨ uls aus einem Zustand X in einen Zustand A. Bei mehratomigen Molek¨ ulen oder in einem relaxierenden Medium wird die anf¨ angliche Vibrationsanregung im A-Zustand rasch umgewandelt und das Molek¨ ul emittiert aus dem Vibrationsgrundzustand von A. Das f¨ uhrt zu einer Rotverschiebung der Fluoreszenz gegen¨ uber dem Absorptionsprofil (Stokes-Shift), wie im Einschub am Beispiel Rho¨ damin 6G in Athanol gezeigt (Anregung bei 480 nm)

Die Lebensdauer des angeregten Molek¨ uls ist im Vergleich zur reziproken ¨ elektronischen Ubergangsfrequenz (aber auch zur Vibrationsperiode) sehr lang (typisch 10−9 s). In dieser Zeit kann die Anregung umverteilt werden, z.B. durch St¨oße mit anderen Molek¨ ulen oder Atomen, oder bei mehratomigen Molek¨ ulen auch durch ivr, wie wir schon in Kap. 15.3.3 gesehen haben. Im thermischen Gleichgewicht wird dann der tiefste Vibrationszustand v 0 = 0 des elektronisch angeregten Systems γ 0 bevorzugt besetzt. Von diesem aus findet daher in der Regel die Reemission (Fluoreszenz) in den Grundzustand statt (breiter, rosa Pfeil in Abb. 15.12). Die emittierten Intensit¨aten sind somit (in der gleichen N¨aherung) durch |D

γ 0 0→00

2 Z ∗ 00 | ∝ Rγ 0 0 (R) R0v (R) dR 2

bestimmt. Diese Franck-Condon-Faktoren f¨ ur die Emission sch¨atzt man ebenso ab wie bei der Absorption. Die intensivsten Linien liegen in einem Bereich ¨ um den senkrechten Ubergang herum (γ 0 0 → 0v 00 ) mit hohem v 00 , wie in Abb. ¨ 15.12 durch den breiten, rosa Pfeil angedeutet. Ein direkter Ubergang nach v = 0 ist unwahrscheinlich. Die Emissions¨ uberg¨ange sind deshalb zu l¨angeren ur den beWellenl¨angen verschoben, wie dies im Einschub zu Abb. 15.12 f¨ ¨ kannten Laserfarbstoff Rhodamin 6G, gel¨ ost in Athanol, illustriert ist. Diese Rot-Verschiebung nennt man Stokes-Shift. Absorptions- und Emissionsspektren sind n¨aherungsweise spiegelbildlich.

266

15 Molek¨ ulspektroskopie

Der Fall R000 ' R00 ¨ In diesem Fall ist der Ubergang v 00 = 0 ←→ v 0 = 0 in Absorption und Emission am st¨arksten. Die Spektren sind schmaler und asymmetrisch. Die Rot-Verschiebung ist klein.

Energie

(a)

(b)

V'(R)

V'(R) 3

4

3

2 1 υ' = 0

3 2 1 υ'' = 0

V''(R)

0←0 1←0 2←0 3←0 _ ν / cm-1

R

3 2 1 υ'' = 0

V'(R)

4

3

4

4

2 1 υ' = 0

2 1 υ' = 0 4

(c)

V''(R)

R 3←0 2←0 4←0 5←0 1←0 6←0 _ ν / cm-1

3 2 1 υ'' = 0

4

V''(R)

R

_ ν / cm-1

¨ Abb. 15.13. Intensit¨ atsverh¨ altnisse bei unterschiedlichen Anderungen des Kernabstands: (a) Der Gleichgewichtskernabstand R0 ¨ andert sich bei Anregung nicht (Fall R000 ' R00 ). (b) Der Kernabstand R0 nimmt zu (Fall R000 < R00 ). (c) Der Kernabstand R0 im angeregten Zustand ist soweit verschoben, dass fast nur Anregung in das Dissoziationskontinuum m¨ oglich ist

¨ In Abb. 15.13 ist das Prinzip der vertikalen Uberg¨ ange und der dabei erwarteten Spektren nochmals f¨ ur unterschiedliche Gleichgewichtslagen von Grund- und angeregtem Zustand skizziert. Aus der unterschiedlichen Form ¨ eines Banden-Spektrums kann also auf die Anderung des Gleichgewichtsabstands R0 bei elektronischer Anregung geschlossen werden. ¨ 15.4.2 Auswahlregeln f¨ ur elektronische Uberg¨ ange ¨ W¨ahrend die Franck-Condon-Faktoren bevorzugte Uberg¨ ange identifizieren, gelten nat¨ urlich auch bei Molek¨ ulen die durch Erhaltung von Drehimpuls und Parit¨at bestimmten Auswahlregeln, wie wir sie aus der Atomphysik kennen. Wir fassen hier nur die wesentlichen Regeln kurz zusammen, da diese im Einzelnen zwar recht kompliziert sein k¨ onnen (zumal man auch die Ro¨ tation in die Uberlegungen einzubeziehen hat), aber gegen¨ uber den Atomen

15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines

267

¨ Tabelle 15.1. Erlaubte elektronische E1-Uberg¨ ange bei zweiatomigen Molek¨ ulen f¨ ur die Hund’schen Kopplungsf¨ alle (a) und (b). Zusammengestellt sind die Auswahlregeln f¨ ur die verschiedenen elektronischen Drehimpulse Auswahlregel f¨ ur Kopplungsfall Gesamtdrehimpuls ∆J = 0, ±1 alle J 0 = 0 = J 00 = 0 Elektronenspin ∆S = 0 alle ∆Σ = 0 nur a Bahndrehimpuls ∆Λ = 0, ±1 a und b Σ + ↔ Σ+ , Σ − ↔ Σ − , Σ + = Σ − Elektronen∆Ω = 0, ±1 nur a gesamtdrehimpuls ∆J = 0 verboten falls Ω = 0 → Ω = 0 Gesamtdrehimpuls ∆K = 0, ±1 nur b ohne Spin ∆K = 0 verboten f¨ ur Σ–Σ

keine grunds¨atzlich neuen Aspekte auftreten. Ganz allgemein muss f¨ ur den Gesamtdrehimpuls J wie stets in elektrischer Dipoln¨aherung gelten: ∆J = 0, ±1 aber J 0 = 0 = J 00 = 0 und ∆MJ = 0, ±1

(15.16)

Außerdem bleibt f¨ ur leichte Molek¨ ule (LS-Kopplung) der gesamte Elektronenspin beim elektrischen Dipol¨ ubergang erhalten, es soll also ∆S = 0 sein. Man nennt das Interkombinationsverbot. Im konkreten Einzelfall h¨angen die Auswahlregeln nat¨ urlich von der Kopplung der verschiedenen Drehimpulse (Bahndrehimpuls der Elektronen, Elektronenspin, Kernrotation, Kernspin) und von den Symmetrieverh¨ altnissen im Molek¨ ul ab. Am u ¨bersichtlichsten sind wieder die zweiatomigen Molek¨ ule. F¨ ur die Hund’schen Kopplungsf¨alle a und b sind in Tabelle 15.1 die wichtigsten Regeln zusammengefasst. Wir werden diese Auswahlregeln f¨ ur einzelne Beispiele weiter unten illustrieren. Komplizierter sind die Verh¨ altnisse bei mehratomigen, nichtlinearen Mo¨ lek¨ ulen. Ubergangswahrscheinlichkeiten werden hier ganz wesentlich durch die Molek¨ ulsymmetrie bestimmt. Das Dipolmatrixelement (15.11) wird also abh¨angig von der Richtung des elektrischen Vektors bez¨ uglich der Molek¨ ulachsen und von der Symmetrie des Anfangs- und Endzustands. Mit Hilfe der in Kap. 12.3 angesprochenen Instrumente der Gruppentheorie kann man ¨ auf relativ einfache Weise Aussagen u ange ¨ber erlaubte bzw. verbotene Uberg¨ machen, sofern die Symmetriegruppe des Anfangs- und Endzustands bei ei¨ nem Ubergang die gleiche ist.2 Ein Dipol¨ ubergang ist erlaubt, wenn das direkte Produkt der irreduziblen Darstellung des Anfangszustands (ΓAZ ), des Endzustands (ΓEZ ) und des Dipoloperators (ΓD ) die totalsymmetrische irreduzible Darstellung (ΓSym ) enthalten, wenn also gilt: ΓAZ ⊗ ΓD ⊗ ΓEZ ⊃ ΓSym 2

(15.17)

¨ Das ist freilich nicht selbstverst¨ andlich, denn eine Anderung der elektronischen Struktur kann nat¨ urlich auch zu Symmetrie¨ anderungen f¨ uhren.

268

15 Molek¨ ulspektroskopie ¨ Tabelle 15.2. Dipol-erlaubte Uberg¨ ange in der Punktgruppe C2v C2v A1 A2 B A1 A2 B1 B2

+ + + + + +

1

+ + +

B

2

+ + +

Diese Regel folgt direkt aus (15.11) unter Anwendung der Gruppentheorie. Sie ist unmittelbar einleuchtend, denn nur wenn das Produkt unter dem Integral (15.11) totalsymmetrische Anteile zumindest enth¨alt, wird das Integral u ¨ber den gesamten Raum nicht verschwinden. Je nach Symmetriegruppe wird die totalsymmetrische irreduzible Darstellung mit A, A1 , A1g , Ag oder A0 bezeichnet, wie dies in den Charaktertafeln der Symmetriegruppen aufgef¨ uhrt ist. Die irreduzible Gruppe des Dipoloperators, also im Wesentlichen die des Vektors (x, y, z) ist ebenfalls in den Charaktertafeln zu finden. So ist z.B. f¨ ur ur die C2v die Oktaedergruppe Oh nach Tabelle 12.3 auf S. 115 ΓD = T1u . F¨ Gruppe gilt nach Tabelle 12.4 ΓD = A1 + B1 + B2 , wobei das + Zeichen hier gruppentheoretisch zu verstehen ist: der gesamte Dipoloperator ist nur durch eine Kombination der drei irreduziblen Repr¨asentationen darstellbar. Unterschiedliche Polarisationen k¨ onnen in diesem Fall also unterschiedliche ¨ Uberg¨ ange induzieren. F¨ ur die in der Molek¨ ulphysik relevanten Symmetriegruppen findet man die entsprechenden Dreifachprodukte tabelliert bei den in Kap. 12.3 genannten Quellen. So sind z.B. innerhalb der C2v -Gruppe, zu ¨ der auch das H2 O geh¨ ort, die Dipol erlaubten Uberg¨ ange in Tabelle 15.2 mit einem + gekennzeichnet. ¨ 15.4.3 Strahlungslose Uberg¨ ange Auch das Interkombinationsverbot (∆S = 0) ist bei gr¨oßeren Molek¨ ulen meist nicht mehr streng erf¨ ullt. Das gilt insbesondere, wenn Atome mit hohem Z b e starke Spin-Bahnbeteiligt sind, und der elektronische Hamilton-Operator H Kopplungsterme enth¨ alt. Wie in der Atomphysik nehmen diese mit Z 4 zu. Im Falle gr¨oßerer Molek¨ ule erm¨ oglicht diese Beimischung auch bei relativ schwacher Spin-Bahn-Wechselwirkung ein sogenanntes Intersystem Cros” sing“ (isc), das bei der Anregungs- und Emissionsdynamik organischer Molek¨ ule eine große Rolle spielt. Dies ist schematisch in Abb. 15.14 illustriert. Man bezeichnet die dabei beteiligten Singulett- und Triplettzust¨ ande h¨ aufig einfach mit Sn bzw. Tn . Durch Absorption eines Photons geeigneter Wellenl¨ange ¨ findet typischerweise ein Ubergang aus thermisch besetzten, niedrigen Vibrationszust¨anden des S0 -Grundzustands in den dar¨ uber liegenden FranckCondon-Bereich der Sn -Zust¨ ande statt (in der Regel zu h¨oher angeregten Vibratonszust¨anden). Wir betrachten hier neben dem Grundzustand S0 nur den ersten, optisch anregbaren Singulettzustand S1 und den etwas darunter liegen-

15.4 Elektronische Spektren: Allgemeines

V(R)

S1

ivr

isc

υ' = 0 Emission

Absorption

T1

S0

269

Abb. 15.14. Schematische Darstellung eines Intersys” tem Crossing“ (isc, horizontaler grauer Pfeil) nach optischer Anregung. Dazwischen und danach kann in großen Molek¨ ulen Schwingungsenergie weiter relaxieren (ivr). Am Schluss steht ein sehr langsamer Emissionsprozess in den Grundzustand, Phosphoreszenz genannt

repräsentative Ortskoordinate

den, tiefsten Triplettzustand T1 (wie in der Atomphysik, etwa beim He-Atom, gibt es keinen T0 -Zustand). Nach der optischen Anregung k¨ onnen in gr¨oßeren Molek¨ ulen meist recht effizient die schon oben erw¨ ahnten, strahlungslosen Energierelaxationsprozesse durch interne Umverteilung der Schwingungsenergie (ivr) stattfinden. Bei l¨angerer Lebensdauer des S1 -Zustands k¨ onnen sich daran (ebenfalls strahlungslos) isc-Prozesse vom Singulett- in den Triplettzustand (S1 → T1 ) anschließen, die mit der spontanen Reemission (S1 → S0 ) konkurrieren – typischerweise auf einer Zeitskala bis zu einigen ns, je nach St¨arke der Spin-BahnWechselwirkung und Gr¨ oße der FC-Faktoren zwischen den Vibrationsniveaus von S1 - und T1 -Zustand. Im T1 -Zustand kann die anf¨anglich hohe Vibrationsenergie wiederum effizient durch weitere ivr-Prozesse relaxieren, sodass das System sich schließlich im tiefsten Vibrationszust¨anden des T1 -Zustands befinuckreaktion det (in Abb. 15.14 mit v 0 = 0 angedeutet). Von hier aus ist keine R¨ in den S1 -Zustand mehr m¨ oglich.3 Auf diese Weise kann also die Anregungsenergie f¨ ur lange Zeit im niedrigsten Triplettzustand T1 gespeichert werden, denn dieser hat wegen des ¨ Interkombinationsverbots nur eine sehr geringe Ubergangswahrscheinlichkeit in den darunter liegenden S0 -Grundzustand. Schlussendlich zerf¨allt die Anregung aber doch durch Abstrahlung, durch sogenannte Phosphoreszenz. Dies ist eine schwache, lang anhaltende Strahlung, da die Lebensdauer des T1 Zustands zwischen Millisekunden und Minuten liegen kann. 3

Man muss bei dieser Darstellungsweise daran erinnern, dass Energie beim ivrProzess nat¨ urlich nicht verloren geht, wie man aus den Energielagen in Abb. 15.14 vermuten k¨ onnte. Sie wird lediglich auch auf die zahlreichen weiteren Freiheitsgrade des Molek¨ uls verteilt, und die Wahrscheinlichkeit eines R¨ uckflusses in die hier betrachtete repr¨ asentative Ortskoordinate“ wird aus statistischen Gr¨ unden ” um so kleiner, je gr¨ oßer das Molek¨ ul ist.

270

15 Molek¨ ulspektroskopie

Der Vollst¨andigkeit halber sei hier noch erw¨ahnt, dass es viele weitere ¨ Typen von strahlungslosen Uberg¨ angen gibt. Ganz analog zum Intersystem ¨ Crossing k¨onnen solche Uberg¨ ange ohne Emission eines Photons auch innerhalb eines Multiplettsystems (z.B. Sn0 (v 0 )→ Sn00 (v 00 )) stattfinden, wenn sie in ihrer energetischen Lage passend u ¨berlappen. Man spricht dann von interner Konversion (internal conversion, ic). Daneben gibt es weitere, sogenannte ¨ nichtadiabatische Uberg¨ ange, surface hopping“, konische Durchschneidungen ” uckkommen. und andere wichtige Prozesse, auf die wir in Kap. 17.5 noch zur¨ ¨ 15.4.4 Rotationsanregung bei elektronischen Uberg¨ angen Bisher hatten wir bei der elektronischen Anregung von Molek¨ ulen nur die ¨ Anderung des Schwingungszustands ber¨ ucksichtigt. Nat¨ urlich kann sich auch der Rotationszustand ¨ andern, wie ein Blick auf Abb. 15.1 auf S. 248 nahe legt. ¨ Die gesamte Ubergangsenergie setzt sich nach (11.47-11.50) zusammen aus ∆W/hc = ∆Te + ∆G + ∆F , wobei ∆Te , ∆G und ∆F f¨ ur die Energiedifferenzen (in cm−1 ) der elektronischen Terme, der Vibrations- bzw. Rotationsniveaus stehen. Unter Verur letztere: nachl¨assigung der Zentrifugalaufweitung ergibt sich nach (11.49) f¨ ∆F = Bv0 0 N 0 (N 0 + 1) − Bv0000 N 00 (N 00 + 1) Es ist hierbei zu beachten, dass die Rotationskonstanten Bv0 0 und Bv0000 zu unterschiedlichen elektronischen Zust¨ anden geh¨oren und sich deshalb stark unterscheiden k¨onnen. Als Auswahlregel gilt˙ : ∆N = 0, ±1 Im Gegensatz zu den reinen Rotationsschwingungsspektren, die wir in Kap. 11.4.4 behandelt haben, ist ∆N = 0 jetzt im Prinzip erlaubt, da der Drehimpuls des Photons auch vom elektronischen System aufgenommen werden ¨ kann. Daher gibt es bei den elektronischen Uberg¨ angen drei Zweige, zu denen die Rotations¨ uberg¨ ange jeweils unterschiedliche Beitr¨age ∆F = P (N ), Q(N ) bzw. R(N ) liefern: P -Zweig N 0 = N 00 − 1 : P (N 00 ) = −2Bv0000 N 00 − (Bv0000 − Bv0 0 ) N 00 (N 00 − 1) Q-Zweig N 0 = N 00 : Q(N 00 ) = − (Bv0000 − Bv0 0 ) N 00 (N 00 + 1) 0 00 R-Zweig N = N + 1 : R(N 00 ) = 2Bv0000 (N 00 + 1) (15.18) 00 0 00 00 − (Bv00 − Bv0 ) (N + 1) (N + 2) Wie bei den Rotationsschwingungsspektren sind beim R-Zweig die h¨och¨ sten, beim P -Zweig die niedrigsten Ubergangswellenzahlen zu erwarten (jedenfalls f¨ ur kleine Rotationsquantenzahlen N 00 ). Da die Differenz (Bv0000 − Bv0 0 )

15.5 Elektronische Spektren

271

aber betr¨achtliche positive wie auch negative Werte annehmen kann, wer¨ den starke Abweichungen von der Aquidistanz (2Bv0000 ) der Linien auftreten, wie wir sie bei reinen Rotations- bzw. Rotationsschwingungsspektren als erste N¨aherung kennengelernt haben. ¨ Das Absorptionsspektrum eines elektronischen Ubergangs wird also in der Regel recht kompliziert aussehen und ist durch Vibrationsbanden mit ihrer jeweiligen Rotationsstruktur gepr¨ agt. Tr¨ agt man die Rotationsquantenzahl ¨ ¨ N 00 der individuellen Uberg¨ ange als Funktion der Ubergangsenergie ν¯ auf, so ergeben sich im allgemeinen Fall Parabeln, sogenannte Fortrat-Diagramme ν¯ = a + bN 00 + cN 002 , deren genaue Form die Ausdr¨ ucke R(N 00 ), Q(N 00 ) und P (N 00 ) beschreiben. Sie sind in Abb. 15.15 skizziert. Aus der Form dieser Parabeln kann man im B' < B''

N'' P

Q

B' = B''

N''

R

P

_ ν

Q

N'' R

_ ν

B' > B'' P

Q

R _ ν

Abb. 15.15. Fortrat Diagramme f¨ ur verschiedene Gr¨ oßen der Rotationskonstanten

¨ Prinzip auf die Differenz (Bv0000 − Bv0 0 ) schließen und damit auf die Anderung des Gleichgewichtsabstands zwischen elektronischem Grund- und angeregtem Zustand. In der Regel simuliert man heute die gemessenen, idealerweise rotationsaufgel¨osten Spektren mit vielparametrigen Fitfunktionen. Dazu muss man die relativen Linienst¨ arken der Rotations¨ uberg¨ange kennen (bei linearen Molek¨ ulen sind das die sogenannten H¨ onl-London-Faktoren) und mit der thermischen Besetzungsverteilung der Rotationszust¨ande im Anfangszustand wichten (s. Beispiele in Kap. 11.3.3).

15.5 Elektronische Spektren: Klassische Emissions- und Absorptionsspektroskopie ¨ Nach den vorangehenden grunds¨ atzlichen Uberlegungen ist klar, dass Emissions- und Absorptionsspektren auch von einfachen Molek¨ ulen bei elektroni¨ schen Uberg¨ angen in aller Regel sehr komplex sein werden. Absorptionsspektren wird man typischerweise im UV oder VUV erwarten, Emissionsspektren auch im sichtbaren Spektralgebiet. Insbesondere in Emission erwartet man

272

15 Molek¨ ulspektroskopie

dabei die Superposition vieler Vibrations-Rotationsbanden mit unterschiedlichem v 0 und v 00 , die jeweils eine typische Struktur mit P -, Q- und R-Zweig aufweisen wie eben besprochen. Bereits ein Blick auf die Potenzialdiagramme der einfachsten zweiatomigen Molek¨ ule, wie sie beispielhaft in Kap. 11 gezeigt wurden, macht deutlich, dass als weitere Komplikation oft mit der ¨ ¨ Uberlagerung vieler verschiedener elektronischer Uberg¨ ange zu rechnen ist. Aus heutiger Sicht ist es daher kaum mehr vorstellbar, dass das Gros der einfachen Molek¨ ule spektroskopisch lange vor der Erfindung des Lasers vermessen wurde. Molek¨ ulspektroskopie wird seit weit u ¨ber 100 Jahren systematisch betrieben und die wichtigsten, grundlegenden Ergebnisse wurden in der ersten H¨alfte des vergangenen Jahrhunderts gesammelt und verstanden. Richtungsweisend bei der Erfassung und Interpretation des umfangreichen Datenmaterials war dabei das Lebenswerk von Gerhard Herzberg und der von ihm begr¨ undeten Schule, wof¨ ur er 1971 den Nobelpreis erhielt.

P

QR rotationsaufgelöste 0 - 0 Bande

267.71nm (P I)

0 -2 1 -3 2 -4 3 -5 4 -6 5 -7 ∆υ = -2

238.12nm (As I)

0 -1 1 -2 2 -3 3 -4

0 -0 1 -1

4 -4 5 -5

∆υ = -1

∆υ = 0

1 -0 2 -1 2 -0 3 -2 3 -1 4 -3 4 -2 5 -4 5 -3 ∆υ = 1

υ' = 0 υ' = 1 υ' = 2 υ' = 3 υ' = 4 υ' = 5

∆υ = 2

¨ Abb. 15.16. Emissionsspektrum des A 1 Π → X 1 Σ+ -Ubergangs im PN-Molek¨ ul nach Curry et al. (1933) aufgenommen mit einem hochaufl¨ osenden 3m UVGittermonochromator (zur Kalibration wurden atomare Spektrallinien von P I und As I benutzt). Mitte: photographische Aufnahme des Spektrums (in erster Beugungsordnung) u oste ¨ber mehrere Vibrationsbanden. Oben: (partiell) rotationsaufgel¨ 0-0-Bande (zweite Beugungsordnung, stark vergr¨ oßerter Ausschnitt) mit Lage des P -, Q- und R-Bandenkopfs. Unten: Interpretation der Banden nach dem Nobelpreisvortrag von Herzberg (1971)

15.5 Elektronische Spektren

273

Die aufwendige Detektivarbeit ganzer Generationen von Spektroskopikern mag Abb. 15.16 etwas illustrieren. Dort ist das Emissionsspektrum des zweiatomigen PN-Molek¨ uls zu sehen, das in einer Gasentladungslampe erzeugt wurde und auf klassische Weise mit einem hochaufl¨osenden Gitterspektrographen und Photoplatte aufgezeichnet wurde. Die Originalarbeit erschien noch in der damals f¨ uhrenden deutschsprachigen Zeitschrift – ehe Herzberg Deutschland verlassen musste, um in Canada seine neue Heimat zu finden. Die in seinem Nobelpreisvortrag (Herzberg, 1971) erl¨ auterte Interpretation im unteren Teil des Bildes ist weitgehend selbst erl¨ auternd, l¨ asst aber erahnen, wie viel experimentelles Geschick, spektroskopische Intuition und Kombinationsf¨ahigkeit in jenen fr¨ uhen Tagen vor dem Laser erforderlich waren, um das gewaltige Wissen anzusammeln, u ugen. ¨ber das wir heute wie selbstverst¨andlich verf¨ Solche hochaufl¨ osenden Emissions- oder Absorptionsspektren haben sich aber auch nach der Erfindung des Lasers als h¨ochst n¨ utzliche Werkzeuge der Molek¨ ulspektroskopie erwiesen. Nat¨ urlich haben sich die Registiertechniken Zug um Zug verbessert. Spektralphotometer (Mikrodensitometer) und Bildverst¨arker traten in der zweiten H¨ alfte des letzten Jahrhunderts an die Stelle der direkten Vermessung von Photoplatten. Handelte es sich im Fall des PN (Abb. 15.16) um ein noch erstaunlich u ¨bersichtliches, u ¨berlagerungsfreies Spektrum eines etwas exotischen Molek¨ uls, so illustriert Abb. 15.17 wie komplex und trotz Mikrodensitometer schwierig auszuwerten solche Emissionsspektren schon bei einem der wichtigsten zweiatomigen Molek¨ ule O2 werden ¨ k¨onnen, wenn sich verschiedene elektronische Uberg¨ ange u ¨berlagern. Die in Abb. 15.17 gezeigten Banden sind Ausschnitte (sichtbarer Spektralbereich) der in der Atmosph¨ arenphysik bedeutsamen, f¨ ur elektrische Dipol¨ uberg¨ange verbotenen sogenannten Herzberg-Banden. Wir erinnern uns (Abb. 11.46 auf S. 75), dass O2 aus zwei Triplett 3 P Atomen aufgebaut ist und daher eine große Vielfalt von Molek¨ ulzust¨ anden bildet. Die hier gezeigten Spektren werden im Nachleuchten einer str¨ omenden O2 -He-Gasentladung (engl. flowing afterglow ) beobachtet und f¨ uhren aus den eng beieinander liegenden drei angereg03 3 + ten Zust¨anden c 1 Σ− u , A ∆u und A Σu (jeweils im Vibrationsgrundzustand) in h¨ohere Vibrationszust¨ ande des X 3 Σ− u -Grundzustands, bzw. in einem Fall des ersten angeregten a 1 ∆g -Zustands, der nur 1 eV oberhalb des X-Zustands liegt. Die hier angegebenen Interpretationen sind ohne weitere Erl¨auterungen mit Blick auf Abb. 11.46 gut nachvollziehbar. Auch hier steht man aber wiederum voller Hochachtung vor der intellektuellen Leistung einer Generation von Spektroskopikern, die eine F¨ ulle solcher verzwickter Puzzles (mit Hilfe der einschl¨agigen Theorie) schließlich in eine Schar von Molek¨ ulpotenzialen des in Kap. 11.6 und 11.7 gezeigten Typs transformiert haben. Solche Klassische Spektrometer werden bis zum heutigen Tage benutzt und konkurrieren oft erstaunlich gut mit wesentlich aufwendigeren laserspektroskopischen Methoden – insbesondere auch f¨ ur analytische Zwecke. Nachweis und Registrierung geschieht heute typischerweise u ¨ber optische Vielkanalanalysatoren (optical multi channel analyser, OMA), die computergesteuert ausgelesen werden. Daneben wird zunehmend FTIR-Spektroskopie im sicht-

274

15 Molek¨ ulspektroskopie +



c 1Σu→X 3Σg 0-12 1 +

Intensität

∞ 100 50 30



b Σg→X 3Σg 0-0

0-11

0-10 –

A' 3Δu( Ω =2)→X 3Σg 0 -11

OH Meinel-Bandenköpfe

0-9

0-8

0 -10

+

0-7

0 -9



0-6

0-8

A 3Σu→X 3Σg 0-10

0-9 0-8

0-6

0-3

20 15 10 5 0

A' 3Δu( Ω =1)→a 1Δg 0-9 750

0-8 700

650

0 -7

600 550 Wellenlänge / nm

0-5

0-4 500

450

400

Abb. 15.17. Ausschnitt aus den Herzberg-Banden des O2 im sichtbaren Spektralgebiet. Diese Emissionsspektren wurden von Slanger (1978) im Nachleuchten einer O2 He Entladung mit einem hochaufl¨ osenden Echelle-Spektrometer mit Bildverst¨ arker noch auf Film aufgenommen und mit einem Mikrodensitometer vermessen (Man beachte die im Wesentlichen logarithmische Empfindlichkeit des Films, welche die quantitative Auswertung der Intensit¨ aten erschwert.)

baren Spektralgebiet wie auch im UV eingesetzt. Nach wie vor ist aber die ¨ Interpretation solcher, im Ubrigen unselektierter, Emissions- oder auch Absorptionsspektren eine h¨ ochst aufwendige und komplizierte Angelegenheit.

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie Hier setzt nun die Laserspektroskopie ein. Aufgrund der enormen Schmalban¨ digkeit der Laserstrahlung gelingt es in einem ersten Schritt, einen Ubergang zwischen einer Gruppe oder idealerweise zwischen genau je einem VibrationsRotationszustand des elektronischen Anfangs- und Endzustands zu induzieren und so die F¨ ulle potentiell an einem Spektrum beteiligter Zust¨ande drama¨ tisch zu reduzieren. Man gewinnt also erheblich an Ubersichtlichkeit, Klarheit und nat¨ urlich auch an Pr¨ azision, erkauft sich diese aber durch einen in aller Regel erheblich h¨oheren technischen Aufwand. Seit der Entdeckung des Lasers 1960 und vor allem seit flexible und breitbandig abstimmbare Lasertypen (beginnend mit den nach wie vor beliebten Farbstofflasern) zur Verf¨ ugung stehen, sind zahlreiche, mehr oder weniger aufwendige und effiziente Methoden der Laserspektroskopie entwickelt worden. Sie unterscheiden sich vor allem durch die Pr¨aparationsmethoden f¨ ur die zu

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

275

untersuchenden Spezies und Detektionsverfahren f¨ ur die benutzten Photoabsorptionsprozesse und zeichnen sich oft durch eine erhebliche experimentelle Raffinesse aus. Das damit erworbene Datenmaterial ist gewaltig und kann hier auch nicht andeutungsweise zusammengefasst werden. Wir wollen ledig¨ lich eine kurze Ubersicht u ¨ber die wichtigsten Verfahren geben und einzelne, besonders interessante Beispiele vorstellen. 15.6.1 Laserinduzierte Fluoreszenz (LIF) Bei der laserinduzierten Fluoreszenz, der wohl am weitesten verbreiteten Methode der Laserspektroskopie, wird mit einem (m¨oglichst schmalbandigen) Laser angeregt und die daraufhin emittierte Fluoreszenz detektiert. Im einfachsten Falle stimmt man bei diesem Verfahren den anregenden Laser durch und detektiert die gesamte emittierte Fluoreszenz. Immer, wenn der anregende Laser eine Resonanz trifft, steigt die Fluoreszenz entsprechend an. Das Ergebnis einer solchen Messung entspricht grunds¨ atzlich der klassischen Absorptionsspektroskopie. Zum einen kann dabei aber die Aufl¨osung aufgrund der Schmalbandigkeit von Laserquellen erheblich gesteigert werden. Zum anderen ist die Nachweiswahrscheinlichkeit dieses Verfahrens weit gr¨oßer als bei der Absorptionsspektroskopie, da man die Fluoreszenz ja auf einem verschwindenden Untergrund sehr empfindlich messen kann (es handelt sich, salopp gesprochen, um ein flop in Experiment). Dagegen misst man bei der normalen Absorptionsspektroskopie in Transmission lediglich die ggf. geringe Reduktion der intensiven, anregenden Strahlung (flop out Experiment). Daher kann man die LIF auch gut mit Doppler-freien Verfahren kombinieren, wie wir sie in Band 1 an verschiedenen Stellen kennen gelernt haben. Insbesondere werden solche ¨ Experimente heute in kalten, molekularen Uberschallstrahlen durchgef¨ uhrt, wodurch die Zahl thermisch besetzter Vibrations- und Rotationszust¨ande im elektronischen Ausgangszustand niedrig gehalten werden kann. Man gelangt so zu sehr u ¨bersichtlichen, relativ leicht interpretierbaren Spektren. Alternativ kann man auch eine feste Anregungswellenl¨ange einstellen und die emittierte Fluoreszenz spektral analysieren. Man erh¨alt auf diese Weise Emissionsspektren wohl definierter, elektronisch angeregter RotationsSchwingungszust¨ande. Die Kombination beider Verfahren f¨ uhrt schließlich zu sehr umfassenden und eindeutigen (bei Bedarf auch redundanten) Datens¨atzen, die eine pr¨ azise, zweifelsfreie Bestimmung der elektronischen und nuklearen Struktur auch komplizierter Molek¨ ule erlauben. Als ein spezielles, besonders u ¨bersichtliches Beispiel wollen wir hier die laserinduzierte Fluoreszenz von isolierten Iod-Molek¨ ulen I2 f¨ ur einen bestimmten Anregungsprozess etwas ausf¨ uhrlicher diskutieren. Das hier gezeigte Beispielspektrum wurde sogar im Rahmen eines einfachen Vorlesungsversuchs aufgenommen.4 I2 ist ein Molek¨ ul, das spektroskopisch u ¨beraus genau unter4

Die Daten wurden uns freundlicherweise von Hartmut Hotop (2008) zur Verf¨ ugung gestellt, dem daf¨ ur herzlich gedankt sei.

276

15 Molek¨ ulspektroskopie

W /eV

I2

Laseranregung 514.5nm

sucht wurde. Wegen seiner hohen Molmasse von 253.8 (sehr kleine DopplerVerbreiterung) und seines praktisch isotopenfreien Vorkommens (spektroskopisch eindeutig) eignet es sich hervorragend als spektroskopischer Standard. Viele tausend Absorptions- und Emissionslinien des I2 sind in Atlanten außerordentlich genau verzeichnet und werden heute vielfach als sekund¨ares L¨angennormal eingesetzt.

B 0u ( 3 Πg )

2

1

+

_ ν /1000cm-1 2P

3/2 +

2P

1/2

12

υ' = 43 N' = 12;16 2P

3/2 +

2P

3/2

X 0g+ (1Σg+)

υ'' = 40 30 20 10 0 0 0.2 0.3 0.4 0.5 R / nm R0 = 0.266 nm

14

Laser 514.5 nm

40

Zelle I2 Moleküle Monochromator _ ν

30

Det.

20 16 10 18

υ=4 υ'' = 0

20

Fluoreszenzintensität

Abb. 15.18. Laserinduzierte Fluoreszenz am I2 nach Anregung B(v 0 = 43, N 0 = 12; 16) ← X(v 00 = 0, N 00 = 13; 15). Links: Potenzialdiagramm (im Wesentlichen nach de Jong et al., 1997). Angedeutet sind die vertikale Absorption (schwarzer Pfeil ) von λ = 514.5 nm (monochromatischer Argon-Ionen-Laser) sowie die Emission (rosa Doppelpfeil ). Rechts im Kasten ist der einfache Versuchsaufbau mit einer Iodzelle schematisch skizziert, mit welchem das in der Mitte gezeigte Fluoreszenzspektrum B(v 0 = 43) → X(v ≥ 0) aufgenommen wurde (nach Hotop, 2008)

Wie in Abb. 15.18 skizziert, geht es hier um die Fluoreszenz, die man be3 + obachtet, wenn der Zustand B 0+ u (bzw. Πg ) vom Grundzustand X 0g (bzw. 1 + Σg ) aus angeregt wird. Wie man sieht, ist die Spin-Bahn-Aufspaltung hier sehr groß.5 Der X-Zustand konvergiert f¨ ur R → ∞ zu zwei Grundzustandsatomen I(2 P3/2 ), der angeregte B-Zustand zu je einem I-Atom im 2 P3/2 und 5

Daher wird die Kopplung der Drehimpulse im Molek¨ ul sinnvollerweise als Hund’scher Fall (c) beschrieben (s. Kap. 11.6.4). Die gelegentlich benutzte Klassifizierung nach Singuletts und Tripletts verliert wegen der starken Spin-Bahn¨ Kopplung ihre Bedeutung, wie man am vorliegenden, sehr kr¨ aftigen Ubergang sieht, der ja sonst unter das Interkombinationsverbot fallen w¨ urde.

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

277

einem im angeregten 2 P1/2 Zustand . Bei der im Experiment (grau hinterlegter Kasten oben rechts in Abb. 15.18) benutzen Wellenl¨ange (Argon-IonenLaser-Linie bei 514.5 nm, gr¨ un) erfolgt die Anregung zwischen wohl definierten Vibrations- und Rotationszust¨ anden, wobei hier aufgrund einer zuf¨alligen Koinzidenz sowohl X(v 00 = 0, N 00 = 13) → B(v 0 = 43, N 0 = 12) als auch X(v 00 = 0,N 00 = 15) → B(v 0 = 43, N 0 = 16) angeregt werden. Bei ¨ ange der Reemission (rosa Doppelpfeil in Abb. 15.18 links) finden nun Uberg¨ 0 00 00 B(v = 43) → X(v ≥ 0) mit ∆N = 0, ±1 statt, wobei die kleine Rotationsverbreiterung hier nicht aufgel¨ ost wird. Die u ¨brigen elektronischen Zust¨ande, grau gestrichelt in Abb. 15.18, spielen bei diesem Experiment keine Rolle. ¨ Das Fluoreszenzspektrum zeigt sehr klar Uberg¨ ange in alle Vibrationsniveaus des elektronischen Grundzustands mit 40 & ν 00 ≥ 0 (im Spektrum durch horizontale, schwarze, bis zu v 00 = 4 ¨ aquidistante Linien im Abstand von 2 214 cm−1 angedeutet). Die Franck-Condon-Faktoren |hB (v 0 = 43) | X (v 00 )i| werden mit zunehmendem v rasch kleiner, wie man sich anhand der Lagen der Potenziale leicht klar macht. Auch die alternierende Intensit¨at der Linien kann man gut verstehen, wenn man sich die wechselnde (n¨aherungsweise) gerade bzw. ungerade Symmetrie der Schwingungswellenfunktionen R0v00 (R) bez¨ uglich R0 vor Augen f¨ uhrt (s. Abb. 11.5 auf S. 10): im einen Fall liegen die Maxima im B-Zustand(v 0 = 43) u ¨ber den Maxima des X (v 00 ) Zustands, im anderen Fall koinzidieren die Maxima gerade mit den Nulldurchg¨angen, sodass sich gewisse Bereiche der Wellenfunktionen wegmitteln. Abschließend sei erw¨ ahnt, dass die LIF auch ein sehr effizientes Nachweisverfahren f¨ ur Molek¨ ule oder Radikale bietet, deren Spektren man bereits kennt. Wir haben das im Falle des OH in Abschn. 15.3.3 bereits kennenge¨ lernt: man stimmt dabei den Anregungslaser auf einen bekannten Ubergang der untersuchten Spezies ab und registriert u ber die Fluoreszenz deren Vor¨ handensein bzw. deren Bildung. Das Verfahren ist nicht nur sehr empfindlich und erlaubt die Detektion geringer Konzentrationen, es ist zugleich auch noch zustandsselektiv und wird z.B. bei der Analyse von reaktiven Stoßprozessen oder von photoinduzierten Reaktionen mit großem Erfolg eingesetzt. 15.6.2 REMPI an einem einfachen“ dreiatomigen Molek¨ ul ” Neben LIF geh¨ort die resonant verst¨ arkte Multiphotonionisation (resonantly enhanced multi photon ionisation, REMPI ), insbesondere die resonante Zweiphotonenionisation (resonant two photon ionisation RTPI, auch R2PI ), zu den wohl h¨aufigst benutzten und besonders empfindlichen Verfahren der modernen Molek¨ ulspektroskopie mit Lasern. Der Grundgedanke ist dabei ganz ¨ahnlich wie bei der LIF. Der Nachweis erfolgt jetzt jedoch u ¨ber die Ionisation des Molek¨ uls mit Hilfe eines oder mehrerer weiterer Laserquellen. Das f¨ uhrt zu einer noch deutlich h¨ oheren Nachweiswahrscheinlichkeit, denn die Ionen k¨onnen durch Abzug mit elektrischen Feldern vollst¨andig eingesammelt und mit nahezu 100%iger Effizienz detektiert werden. Durch Verwendung von Flugzeit- oder Quadrupolmassenspektrometern ist dar¨ uber hinaus Mas-

278

15 Molek¨ ulspektroskopie

senselektivit¨at m¨oglich, was z.B. bei nat¨ urlichen Isotopengemischen oder bei photoindizierten Fragmentationsprozessen von großer Bedeutung sein kann. Allerdings ist das Verfahren naturgem¨ aß auf Molek¨ ule in der Gasphase oder an Oberfl¨achen im Vakuum beschr¨ ankt, da man die erzeugten Ionen oder Elektronen ja verlustfrei zum Detektor transportieren will. Das Verfahren, dem wir bereits im Zusammenhang mit Doppler-freien Methoden in Band 1, Kap. 6.1.7 begegnet sind, ist in Abb. 15.19a schematisch skizziert. Mit dem abstimmbaren Pump“-Photon hνpu k¨onnen ver” W

e-

e

(a) ABC+

WI

hνpr hνpu

ABC*

W

(b)

AB++C

eABC+

AB*+C

hνpr1

A+BC ABC

hνpu

AB++C hνpr2 AB*+C

ABC* ABC

Qi

e-

AB+C A+BC

Abb. 15.19. Schemata zur (a) resonant verst¨ arkten Zweiphotonenionisationspektroskopie (RTPI) und (b) Entv¨ olkerungsspektroskopie durch Ionisation oder selektivem Fragmentnachweis

Qi

schiedene Rotations-Vibrations-Niveaus im Franck-Condon-Bereich des elektronisch angeregten Zustands ABC* bev¨ olkert werden. Aus diesen Niveaus heraus wird dann mit einem Probe“-Photon hνpr fester Frequenz io” nisiert. Detektiert werden z.B. die ABC+ Ionen, ggf. auch die dabei freigesetzten Elektronen (s. auch Abschn. 15.9). Man erh¨alt auf diese Weise ein elektronisches Molek¨ ulspektrum, das dem klassischen Absorptionsspektrum ¨aquivalent ist (d.h. typische Rotationsbanden mit P -, Q- und R-Zweigen), nur eben mit viel h¨ oherer Nachweiswahrscheinlichkeit. Zudem kann man in ¨ Uberschallmolekularstrahlen, die anf¨ angliche Rotations- und Vibrationsbesetzung der untersuchten Molek¨ ule dramatisch abk¨ uhlen, sodass die Spektren wesentlich u ussigkeit ¨bersichtlicher werden, als das etwa in einer Gaszelle oder Fl¨ erreichbar ist. Problematisch wird der Nachweis freilich dann, wenn der angeregte Zustand nicht stabil ist, sondern rasch zerf¨ allt, z.B. durch unimolekulare Dissoziation ABC∗ → AB + C, durch innere Konversion (ic) oder andere Prozesse – allen kann man entweder versuchen, wie in Abb. 15.19b illustriert. In solchen F¨ als Signal die Reaktionsprodukte direkt nachzuweisen, indem man sie mit dem Probe-Photon hνpr2 ionisiert (ein Beispiel haben wir in Abschn. 15.3.3 kennengelernt). Alternativ kann man die Entv¨ olkerung des Ausgangszustands im ¨ ABC-Molek¨ uls durch Ionisation mit hνpr1 detektieren und die Anderung dieses Signals als Funktion der Energie hνpu des Pump-Photons aufnehmen. Man spricht dann von Entv¨ olkerungs-Spektroskopie (depletion-spectroscopy).

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

(a) 500

(b)

605 16500

550

600

9/ 7/ 5/ 3/ 1/ 2 2 2 2 2 3/ 1/ 2 2

610 16400

9/ 7/ 5/ 3/ 1/ 2 2 2 2 2

615 16300

650 nm

9/ 7/ 5/ 3 / 1/ 2 2 2 2 2

620 16200

16100

625 nm 16000 cm-1

279

Abb. 15.20. TPRISpektren des Na3 Molek¨ uls, aufgenommen mit zwei gepulsten Farbstofflasern. (a) ¨ Ubersichtsspektrum im sichtbaren Spektralgebiet. (b) Ausschnitt f¨ ur einen elek¨ tronischen Ubergang, mit Interpretation der Banden durch halbzahlige Quantenzahlen f¨ ur die Pseudorotation (nach Delacr´etaz et al., 1986)

Die Literatur ist voller sch¨ oner und vielf¨ altiger Beispiele zu beiden Varianten der Ionisationsspektroskopie. Sie reichen vom zweiatomigen Molek¨ ul, mit NO gewissermaßen als Drosophila der RTPI Studien, bis hin zu kleineren Biomolek¨ ulen mit vielen Atomen, die wir in Abschn. 15.6.4 vorstellen werden. Hier wollen wir uns die bereits recht komplexen Spektren von Na3 und Li3 ansehen, anhand derer wir eine Reihe interessanter Aspekte der Molek¨ ulspektroskopie kennen lernen werden. Diese dreiatomigen Molek¨ ule (wegen ihrer schwachen Bindung spricht man ¨ auch von Metallclustern) werden im Uberschallmolekularstrahl hergestellt. Ein Edelgas hohen Drucks (meist Argon, 2–20 bar) str¨omt durch eine temperaturbest¨andige Kartusche (Ofen) mit den erhitzten Metallatomen (Dampfdruck 10–100 mbar), expandiert mit diesen adiabatisch durch eine enge D¨ use ins Vakuum (sogenannter seeded“ beam) und k¨ uhlt sich dabei stark ab. Die ” so entstehenden Cluster haben interne Vibrations- und Rotationstemperaturen von nur wenigen Grad K. Durch einen meist konischen Skimmer“ wird ” daraus ein wohl begrenzter Clusterstrahl geformt und in einer zweiten, differenziell gepumpten Vakuumkammer mit den Laserstrahlen gekreuzt. Aus dem Wechselwirkungsvolumen zieht man dann Ionen oder auch Elektronen ab, die man (ggf. massenselektiv hinter einem Quadrupol- oder Flugzeitspektrometer) sehr empfindlich durch Sekund¨ arelektronenvervielfachung nachweisen kann (s. Anhang J.1). Pionierexperimente zum Na3 wurden bereits 1986 mit gepulsten, abstimmbaren Farbstofflasern (Delacr´etaz et al., 1986; Broyer et al., 1986, 1987) durchgef¨ uhrt. Der in Abb. 15.19 gezeigte Ausschnitt aus den Daten illustriert, welch reichhaltige spektroskopische Information es hier zu interpretieren gilt. Delacr´etaz et al. (1986) haben dies unter Verwendung von halbzahligen Quantenzahlen versucht, welche sie sogenannten Pseudorotationen des durch den

280

15 Molek¨ ulspektroskopie

Jahn-Teller-Effekt verzerrten, in seiner Grundform gleichseitigen Dreiecks aus drei Na-Atomen zuordneten. Sp¨ atere quantenchemische Rechnungen zeigten, dass das Na3 -System doch um einiges komplizierter ist, als es urspr¨ unglich angenommen wurde, und konnten die in Abb. 15.20b gegebene Interpretation nicht best¨atigen (der JT-Effekt wird vom PJT-Effekt u ¨berlagert; s. dazu Kap. 12.3.4). Seither hat eine ganze Reihe theoretischer und experimenteller Arbeiten das Verst¨ andnis wesentlich vorangetrieben. Neuere, h¨ochstaufgel¨oste Messungen und aufwendige, verl¨ assliche Rechnungen am deutlich einfacheren Li3 (Kr¨amer et al., 1999; Keil et al., 2000) haben zu einem vollen Verst¨andnis der ro-vibronischen Struktur solcher Systeme und ihrer interessanten Spektroskopie gef¨ uhrt (s. auch Bersuker, 2001). Wir wollen – ohne in die Tiefe gehen zu k¨onnen – eine kurze Einf¨ uhrung in die damit verbundenen, nicht ganz trivialen Ph¨anomene geben. Die Ausgangsform ist, wie gesagt, ein gleichseitiges Dreieck, D3h -Symmetrie also. Die Charaktertafel Tabelle 15.3 listet die m¨oglichen irreduziblen Darstellungen dieser Symmetriegruppe. Tabelle 15.3. Charaktertafel der Punktgruppe D3h ˆ 3 2S ˆ3 3C ˆ2 σ ˆσ D3h E ˆ h 2C ˆv A01 A02 E0 A001 A002 E00

1 1 1 1 2 2 1 −1 1 −1 2 −2

1 1 1 1 −1 −1 1 −1 1 −1 −1 1

1 1 x2 + y 2 , z 2 −1 −1 Rz 0 0 x, y x2 − y 2 , xy 1 −1 −1 1 z 0 0 Rx , Ry xz, yz

Der elektronische Grundzustand des Li3 geh¨ort (wie beim Na3 ) zur zweifach entarteten E0 Repr¨asentation. Wie in Kap. 12.3.4 besprochen, f¨ uhrt diese Entartung zu einer Jahn-Teller (JT) Verzerrung, bei welcher das Energieminimum abgesenkt wird. Qb Es bilden sich zwei Potenzialbl¨atter, die sich konisch durchschneiden. In der N¨ahe dieser Durchschneidung l¨ asst sich der Zustand nicht mehr einfach Qa als (Born-Oppenheimer) Produkt von elektronischer und Kernwellenfunktion beschreiben. Eine exakte Abb. 15.21. Die drei Beschreibung erfordert vielmehr die volle Ber¨ uckNormalschwingungen sichtigung aller ro-vibronischen Kopplungen und die von Trimeren (z.B. Li3 ) gemeinsame Behandlung aller Freiheitsgrade. Wie in D3h -Geometrie aus Abb. 15.21 ersichtlich, bleibt die D3h Symmetrie bei der symmetrischen Streckschwingung Qs erhalten. Dagegen brechen die Biegeschwingung Qb und die asymmetrische Streckschwingung Qa diese Qs

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

281

Symmetrie. Die Kombination Qb sin φ ± Qa cos φ beschreibt eine sogenannte Pseudorotation in C2v -Geometrie, wie in Abb. 15.22 illustriert. Dabei wechselt das Molek¨ ul seine Gestalt zwischen stumpf- und spitzwinkligem, gleichseitigem Dreieck durch eine koordinierten Bewegung der drei Atome, die eine Rotation des ganzen Dreiecks um sein Zentrum vort¨auscht (eine Art Hula” Hoop“ Bewegung, die aber eben keine echte Rotation ist). Um ein Gef¨ uhl f¨ ur die Gr¨ oßenordnungen am Beispiel des Li3 zu geben: im Potenzialminimum der D3h -Symmetrie (gleichseitiges Dreieck) betragen die Atomabst¨ande 5.428a0 im X(1 2 E0 )-Grundzustand bzw. 5.551a0 im angeregten A(1 2 E00 )-Zustand. Die JT-Verzerrung f¨ uhrt zu stumpfwinkligen (71.6◦ ◦ bzw. 77.3 ), gleichschenkligen Dreiecken f¨ ur die Potenzialminima in C2v Symmetrie (L¨ange der gleichen Schenkel 5.225a0 bzw. 5.551a0 ). Die Potenzialabsenkung betr¨agt dort WJT = 501.8 bzw. 787.2 cm−1 , und die Barrierenh¨ohe (Sattelpunkt) zwischen den drei Minima ist 72 bzw. 156 cm−1 im X- bzw. AZustand. gleichseitiges Dreieck (konische DurchD3h schneidung)

W(Qb,Qa)

C2υ

φ = 0o

φ = 240o C2υ

Qb

φ = 60o WJT

C2υ

φ =180o C2υ

Qa

C2υ

φ = 120o

Abb. 15.22. Adiabatische Potenzialfl¨ achen mit konischer Durchschneidung f¨ ur ein Trimer (schematisch). Bei Ber¨ ucksichtigung von linearen und quadratischen vibronischen Jahn-Teller-Kopplungstermen ergibt sich f¨ ur den unteren Potenzialteil der hier gezeigte, etwas deformierte Mexikanische-Hut“ mit drei durch entsprechende ” Potenzialw¨ alle getrennten Minima. Der obere Potenzialteil bildet einfach einen zylindersymmetrischen Konus. WJT bezeichnet die JT-Absenkung gegen¨ uber dem Ort der konischen Durchschneidung. Die Minima korrespondieren mit stumpfwinkligen, die Sattelpunkte dazwischen mit spitzwinkligen gleichschenkligen Dreiecken

Die in Abb. 15.22 gezeigten Barrieren zwischen den Minima behindern nat¨ urlich die Pseudorotation im vibronischen Grundzustand. Die niedrige H¨ohe der Barriere f¨ uhrt aber zu einer Tunnelaufspaltung, ganz ¨ahnlich wie wir das in Kap. 12.2.5 bei der Inversionsschwingung des NH3 kennen gelernt haben. F¨ ur das konkrete Beispiel Li3 zeigt Abb. 15.23 einen Schnitt entlang

282

15 Molek¨ ulspektroskopie

A-Zustand

W / cm-1

160 80

A1'' E''

0 X-Zustand

80 0

A2' E'

0

60 120 180 240 300 Pseudorotationswinkel φ / o

360

Abb. 15.23. Schnitt durch die Potenzialfl¨ achen beim Li3 entlang dem Pseudorotationswinkel φ. Die Vibrationsgrundzust¨ ande X(0, 0, 0) im elektronischen Grundzustand und A(0, 0, 0) im angeregten Zustand zeigen eine Tunnelaufspaltung (Repr¨ asentation in D3h -Symmetrie). Gestrichelt sind die Quadrate der Wellenfunktionen der lokalisierten Pseudorotatorzust¨ ande gezeigt. Nach Keil et al. (2000)

der Pseudorotationskoordinate φ durch die in Abb. 15.22 illustrierte Potenzialhyperfl¨ache. Ebenfalls gezeigt sind die energetischen Lagen der sich so ergebenden Pseudorotatorzust¨ ande E 0 und A02 des vibronischen Grundzustands X(0, 0, 0) und des elektronisch angeregten A(0, 0, 0) Zustands. Dabei stehen die Zahlen in Klammern (hier und im Folgenden) f¨ ur die Vibrationsquantenzahlen (vs , vb , va ). Sehen wir uns nun einige Ergebnisse der beeindruckenden Arbeiten von Kr¨amer et al. (1999) und Keil et al. (2000) f¨ ur das Li3 einmal an. Abbildung 15.24 zeigt die entsprechend dem RTPI-Schema Abb. 15.19a aufgenomme¨ nen Spektren f¨ ur den A(1 2 E00 ) ← X(1 2 E0 )-Ubergang. Hier wurde das Isoto7 ¨ polog ( Li)3 (kurz 21 Li3 ) massenselektiv detektiert. Das Ubersichtsspektrum Abb. 15.24a u ¨ber mehrere Vibrationsbanden A(vs , vb , va ) ← X(0, 0, 0) wurde mit gepulsten Farbstofflasern aufgenommen. Der stark vergr¨oßerte, voll rour die A(0, 0, 0) ← tationsaufgel¨oste Ausschnitt Abb. 15.24b (oberer Teil) f¨ X(0, 0, 0) Bande wurde mit einem kontinuierlichen, abstimmbaren SingleMode-Farbstofflaser f¨ ur den Anregungsschritt und einem ebenfalls kontinuierlichen Argon-Ionen-Laser f¨ ur den Ionisationsschritt gemessen. Mit einem Quadrupolmassenfilter werden die verschiedenen Isotopologe getrennt. Die Modellierung der RTPI-Spektren wurde mit Hilfe verl¨asslicher quantenchemischer Rechnungen und einer detaillierten Analyse ro-vibronischer Zust¨ande ¨ durchgef¨ uhrt. Die hervorragende Ubereinstimmung mit den experimentellen Daten dokumentiert u ¨berzeugend, dass man durch die Kombination von modernen Methoden der h¨ ochstaufl¨ osenden Laserspektroskopie und state of the ” art“ Quantenchemie ein solches System heute voll beherrscht. Man muss dabei bedenken, dass das System ja auch noch rotieren kann, und dass diese normale“ Rotation mit der Pseudorotation zu ro-vibronischen ” Zust¨anden in der D3h -Symmetrie zu kombinieren ist. Hilfreich ist dabei, dass sich das System in erster N¨ aherung als symmetrischer Rotator mit den Quantenzahlen N und Kc beschreiben l¨ asst. Trotzdem ist die eindeutige Identi-

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

(0,0,0)

283

(7Li)3

(a) (0,1,0)

(0,0,1) 14600

(1,0,0) (0,2,0) 14800

(1,1,0) (2,0,0) (0,3,0) (0,2,0) (1,2,0) (0,0,2) (0,4,0) (0,0,3) 15000

Wellenzahl / cm-1

Experimentelles Spektrum Q-Zweig P-Zweig

R-Zweig

(b)

Berechnetes Spektrum 14568

14572

14576

14580

14584 cm-1

¨ Abb. 15.24. RTPI-Spektrum des A(1 2 E00 ) ← X(1 2 E0 )-Ubergangs im Li3 . (a) ¨ Ubersichtsspektrum nach Kr¨ amer et al. (1999) f¨ ur verschiedene Vibrationsbanden A(vs , vb , va ) ← X(0, 0, 0). (b) Stark vergr¨ oßerter Ausschnitt f¨ ur den A(0, 0, 0) ← ¨ X(0, 0, 0)-Ubergang mit voll aufgel¨ oster Rotationsstruktur nach Keil et al. (2000). Man kann die P, Q und R-Zweige ahnen. Der Vergleich mit der Theorie (b, unten) bei einer Rotationstemperatur“ von T = (8 + N/2) K dokumentiert u ¨berzeugend ” ein volles, quantitatives Verst¨ andnis des Systems

fikation der Linien alles andere als trivial. Keil et al. (2000) haben daher einen zus¨atzlichen Trick, eine weitere Stufe der spektroskopischen Verfeinerung angewendet: die optisch-optische Doppelresonanz (OODR). Das Prinzip der OODR ist in Abb. 15.25, links, skizziert. Benutzt werden hier zwei abstimmbare, kontinuierliche Farbstofflaser mit unterschiedlichen Photonenenergien. Mit dem Pumpphoton hνpu markiert man einen der Ausgangsrota¨ tionszust¨ande, indem man aus diesem einen wohl definierten Ubergang in ein ansonsten unbeteiligtes ro-vibronisches Niveau des oberen Zustands anregt (hier im A(1, 0, 0)-Schwingungszustand). Beim Durchstimmen des Pumpphotons ergibt sich das im rosa hinterlegten Einschub gezeigte RTPI-Spektrum. Die ausgew¨ahlte, beim OODR-Experiment festgehaltene Linie ist mit einem Pfeil markiert. Das Pumpphoton (der ausgew¨ ahlten Energie hνpu ) wird mit einer Frequenz f1 mechanisch an- bzw. abgeschaltet, sodass die Besetzung des so markierten unteren Niveaus entsprechend moduliert ist. Auch das Probephoton hνpr wird moduliert, allerdings mit einer anderen Frequenz f2 . Detektiert wird in jedem Fall auch hier wieder durch Ionisation mit einem dritten Photon

hνpu mit f1

R(3,3,E'' )

14837.0

Q(6,6,E' )

14835.5

Q(8,8,A2' )

Nachweislaser Li3(A) (Ar-Ion)

RTPI

P(3,2,E' )

OODR Signal detektiert bei f1+f2

P(3,2,A1'' )

Li3

R(2,0,E' )

hνpu +:

R(3,2,E' ) R(3,2,EA1' )

15 Molek¨ ulspektroskopie

Q(1,1,E'' ) Q(3,2,E' ) Q(1,1, A2'' )

284

RTPI

hνpr OODR mit f2 hνpr / cm-1 Li3(X ) markierter Anfangszustand 14572.25 14572.30 14575.25 14575.30 14579.00 14579.05 Abb. 15.25. Optisch-optische Doppelresonanz am 21 Li3 nach Keil et al. (2000). Links (grau hinterlegt): das experimentelle Schema. Pump- und Probephoton (hνpu bzw. hνpr ) werden mit der Frequenz f1 bzw. f2 moduliert. Oben (rosa hinterlegt): Mit hνpu aufgenommenes A(1, 0, 0) ← X(0, 0, 0) RTPI-Spektrum; die benutzte ¨ Pumplinie ist mit Pfeil markiert. Mit hνpr wurde f¨ ur den vibronischen Ubergang A(0, 0, 0) ← X(0, 0, 0) sowohl das RTPI-Spektrum (Mitte) wie auch das eigentliche ¨ OODR-Spektrum (unten) aufgenommen (s. Text). Die Anderung der Rotationsquantenzahl wird wie u ¨ blich mit P, Q und R bezeichnet, die Werte in Klammern (N 00 , Kc00 , Γ 00 ) beziehen sich auf die anf¨ anglichen Rotationsquantenzahlen und die ro-vibronische Anfangssymmetrie Γ 00 . Alle Linien im RTPI-Spektrum sind HFS aufgespalten. Man beachte die dramatische Vereinfachung des Spektrums durch OODR

fester Energie aus einem Argon-Ionen-Laser. Beim Durchstimmen des Probephotons kann man nun das einfache RTPI-Spektrum vom OODR-Spektrum unterscheiden: ersteres ist mit der Frequenz f2 moduliert, letzteres mit f1 +f2 , was sich mit Hilfe eines sogenannten Lock-in-Verst¨ arkers elektronisch leicht trennen l¨asst. Ein Ausschnitt der rotationsaufgel¨ osten A(0, 0, 0) ← X(0, 0, 0) Bande des 21 Li3 – als Funktion von hνpr aufgenommen – zeigt Abb. 15.25 f¨ ur beide Nachweisarten: als RTPI- und als OODR-Spektrum. W¨ahrend das RTPI-Spektrum ¨ die volle Komplexit¨ at der ro-vibronischen Uberg¨ ange illustriert (trotz guter K¨ uhlung des Li3 Strahls ist ja noch eine Vielzahl von Ausgangsniveaus bev¨olkert), ist das OODR dramatisch vereinfacht: man sieht nur noch die P -, Q- und R-Linien (entsprechend ∆N = −1, 0 bzw. 1), die von einem einzigen ro-vibronischen Anfangsniveau (hier N 00 = 3, Kc00 = 2, Γ 00 = E0 ) ausgehen. Die Repr¨asentation Γ 00 bezieht sich hier auf die ro-vibronische Symmetrie des Anfangszustands. Anstelle der etwas problematischen, halbzahligen Pseudorotationsquantenzahlen benutzen Keil et al. (2000) zur Charakterisierung der L¨osungen des vollen Hamiltonians f¨ ur das JT-Problem diese Nomenklatur (zu

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

285

unterscheiden von der elektronischen wie von der vibronischen Symmetrie, f¨ ur welche die gleichen Buchstaben der Repr¨ asentationen benutzt werden). Wir k¨onnen hier nicht auf die Details dieses doch recht komplexen Problems eingehen und verweisen auf die ausf¨ uhrliche Darstellung bei Kr¨amer et al., 1999; Keil et al., 2000. Erw¨ ahnt sei jedoch die Potenzialbestimmung in einer anspruchsvollen MR-CI-N¨ aherung und die Diagonalisierung des vollen JT-Hamiltonians in hypersph¨ arischen Koordinaten. Dabei wurde u.a. auch die Wechselwirkung von Pseudorotation und Rotation ber¨ ucksichtigt (CoriolisKopplung). Schließlich sei noch auf die Hyperfeinwechselwirkung hingewiesen – die Aufspaltung aller Rotationslinien Linien im RTPI-Probe-Spektrum der Abb. 15.25 wird dem aufmerksamen Leser nicht verborgen geblieben sein. 7 Li hat einen Kernspin von 3/2, was u ¨ber die Fermi-Kontaktwechselwirkung (s. Kap. 9.2.4, Band 1) mit dem einen ungepaarten Elektronenspin der drei Valenzelektronen im 21 Li3 zu einer deutlich messbaren Aufspaltung f¨ uhrt. Im OODRSpektrum tritt diese nat¨ urlich nicht auf, da man mit dem Pumpphoton nur genau eines der Anfangshyperfeinniveaus markiert. 15.6.3 Cavity-Ring-Down-Spektroskopie Eine weitere, ebenfalls sehr effiziente Methode zum Nachweis der Photoabsorption in Molek¨ ulen ist das Resonator-Abklingverfahren (Cavity Ring Down, CRD). Es wird (alternativ zu REMPI-Verfahren) f¨ ur Spezies eingesetzt, die in nur geringer Konzentration verf¨ ugbar sind (Radikale, Molek¨ ulionen) oder ex¨ trem schwach absorbieren (verbotene Uberg¨ ange). Die Idee ist dabei recht einfach: man l¨asst das Licht viele Male durch das absorbierende Medium laufen. Am effizientesten geschieht dies in einem Fabry-Perot-Resonator m¨oglichst hoher G¨ ute (d. h. mit hoher Finesse F, s. Kap. 13.1.2). Nach (13.11) ist im leeren Resonator (L¨ ange L) die Photonenlebensdauer τr = FL/(πc). Ein absorbierendes Medium ¨ andert diese Lebensdauer τr → τe . Man f¨ ullt also einen Resonator, in welchem sich das Medium befindet, durch einen kurzen Laserimpuls mit Photonen und misst das exponentielle Abklingen dieser F¨ ullung (und damit τe ) als Funktion der eingestrahlten Photonenenergie hν. Nach (13.15) bestimmt man durch Vergleich mit dem leeren Resonator 1/τa = 1/τe − 1/τr und so mit Hilfe von (13.12) den Absorptionskoeffizienten µ. Je gr¨oßer τr , desto geringere Absorption kann man nachweisen. Abbildung 15.26 illustriert am Beispiel des Aufbaus von John Maier und Mitarbeitern (Birza et al., 2002) anschaulich, dass die Realisierung eines solchen Experiments alles andere als trivial ist. Die zu untersuchenden Molek¨ ulionen oder Radikale werden erzeugt mit Hilfe eines gepuls¨ ten Uberschallstrahls aus einer Schlitzd¨ use (3 cm ×200 µm), in welchem ei¨ ne Plasmaentladung gez¨ undet wird. In der Uberschallexpansion k¨ uhlen sie auf 20–40 K Rotationstemperatur ab. Das Herzst¨ uck des Aufbaus ist ein FPResonator bestehend aus hoch reflektierenden, sph¨arischen Spiegeln (SS) im Abstand von 32 cm mit R = 99.995%, welcher den Plasmajet im Vakuum

286

15 Molek¨ ulspektroskopie

umschließt. Die Photonenlebensdauer im Resonator betr¨agt 27 µs, was bedeutet, dass das Target ca. 25 000 Mal durchlaufen wird. Zusammen mit der Schlitzanordnung erreicht man so eine recht beachtliche Gesamtabsorptionsl¨ange von ca. 760 m. Absorptionsspektren werden mit einem kontinuierlichen, abstimmbaren Farbstofflaser aufgenommen. Da man Photonen aber nur bei Resonanz in den FP-Resonator einf¨ ullen kann, muss der Resonator des Farbstofflasers mit dem Messresonator gekoppelt werden (sogenanntes passives Modelocking). Dazu wird der Laserstrahl (bei festgehaltener Wellenl¨ange) u ¨ber einen akustooptischen Modulator (AOM) in den FP-Messresonator eingekoppelt (Zustand an“). Sodann wird die L¨ange des Mess-Resonators mit ” einem Piezokristall durchgestimmt, angetrieben durch eine Dreiecksrampe aus dem Piezo-Generator (s. Abb. 15.26 oben, Kurve I). Der Hub des Piezokristalls entspricht zwei freien Spektralbreiten des FP-Resonator, sodass dieser beim Vor- und Zur¨ uckfahren des Piezos viermal in Resonanz kommt (Kurve II). Nur eine dieser Resonanzen wird jeweils f¨ ur die Messung genutzt (rot markiert in Kurve II). Die Resonanzen werden im Transmissionssignal auf der Photodiode (PD) detektiert. Bei einer bestimmten Signalh¨ohe (Schwellendetektor) wird der Laserstrahl u ¨ber den AOM ausgekoppelt (Zustand aus“), ” und man verfolgt das Abklingen des transmittierten Signals. Diese Prozedur wird mehrfach wiederholt. Nur bei jedem zweiten Abklingzyklus wird die Plasmaentladung zur Messung von τe gez¨ undet und mit τr (ohne Plasma) verglichen (s. Abb. 15.26 oben, Kurve III und IV ). Nach jeweils 15 Messungen mit und 15 Messungen ohne Plasma, wird die Laserwellenl¨ange ge¨andert (Autoscan).

Plasma

IV

Datenaufnahme Resonatorresonanzen Piezorampe

III II I 66

Impulsgenerator

Hochspannung

Jet

Pumplaser

Autoscan

L SS

an

CW-Ring Farbstofflaser

Gaseinlass

t /ms

132

Piezo

0

AOM

aus

Schwellendetektor Computer

SS PD Oszillograph

Piezo-Generator

Abb. 15.26. Schema eines ResonatorAbkling-Experiments (CRD) nach Birza et al. (2002). Kernst¨ uck ist der Fabry-Perot-Resonator zwischen zwei hoch reflektierenden, sph¨ arischen Spiegeln (SS). Er umschließt das Plasma (Jet) aus einer gepulsten Schlitzd¨ use mit den untersuchten Molek¨ ulionen (oder Radikalen). Einschub oben: Impulssequenzen zur Steuerung des Experimentablaufs (s. Text)

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

287

H + C H H C C C C C H

Maier und Mitarbeiter haben eine große Zahl von Molek¨ ulionen und Radikalen mit dieser Methode spektroskopiert. Von potenzieller astrophysikalischer Bedeutung sind vor allem unges¨attigte Kohlenwasserstoffe, deren Spektren mit Hilfe solcher MessunAbb. 15.27. Struktur gen in der interstellaren Materie identifiziert wur+ des C6 H4 ions den. Ganz einfach ist die Analyse freilich nicht und erfordert eine gute Kenntnis der Spektroskopie verwandter Spezies. Isotopensubstitution ist dabei oft hilfreich (s. z.B. Jochnowitz und Maier, 2008). Als typisches Beispiel mag das C6 H+ 4 Kation dienen. Abbildung 15.28 zeigt Ausschnitte aus den mit CRD aufgenommen Spektren bei 604 nm und deren Simulation mit einem asymmetrischen Rotatormodell, wie in Abb. 15.28b durch Angabe von Ka und N angedeutet. Es handelt sich hier nahezu um einen gestreckten, symmetrischen Rotator; nur f¨ ur Ka = 1 kann man eine leichte Asymmetrie erkennen. Auf Details k¨ onnen wir hier nicht eingehen.

(a) C6H4+

R-Zweig Q-Zweig

P-Zweig

× × 16540

×

16545

Ka= 4 Ka= 3 Ka= 2 246 Ka= 1 1 3 57 Ka= 0 0 2 46

(b) C6H4+

×

16550

16545

_

16546

16547

16548

ν / cm-1 Abb. 15.28. Mit der Resonator-Abkling-Methode (CRD) bei 604 nm aufgenommene Absorptionsspektren der Ursprungsbande 2 A00 ← X 2 A00 des C6 H+ 4 -Kations (rot) und Simulation der Spektren (dunkelgrau). (a) Nach Birza et al. (2002) mit einer experimentellen Aufl¨ osung von 0.15 cm−1 ; die Simulation ergab beste ¨ Ubereinstimmung f¨ ur eine Temperatur von 40 K; mit × markierte Peaks stammen nicht vom C6 H+ 4 . (b) Ausschnitt aus dem Spektrum (R-Zweig) nach einem verbesserosung betr¨ agt hier 0.01 cm−1 , ten Experiment von Khoroshev et al. (2004); die Aufl¨ die Rotationstemperatur 20 K

288

15 Molek¨ ulspektroskopie

15.6.4 Spektroskopie kleiner, freier Biomolek¨ ule Es gibt wohl kaum ein Einsatzfeld moderner Laserspektroskopie, wo sich deren Leistungsf¨ahigkeit so eindrucksvoll dokumentiert wie bei der Strukturaufkl¨arung von isolierten Aminos¨ auren, Peptiden und ¨ahnlichen, biologisch relevanten Molek¨ ulen und deren vielf¨ altigen Verbindungen und Komplexen. Das Interesse an dieser Spektroskopie liegt in der M¨oglichkeit, die intrinsischen Eigenschaften dieser Bausteine des Lebens“ frei von einer komplexen biolo” gischen Umgebung untersuchen zu k¨ onnen, und in einer sozusagen reduktionistischen Herangehensweise den elementaren Aufbau biologischer Grundbausteine kennen zu lernen. Dabei k¨ onnen ggf. auch gezielt weitere Komponenten biologischer Umgebungen, z.B. einzelne Wassermolek¨ ule, hinzugef¨ ugt werden. Die große Herausforderung dabei ist es zum einen, diese Molek¨ ule unzerst¨ort in die Gasphase zu bringen und zum anderen, die sich dabei bildenden vielf¨altigen Strukturen der Komplexe anhand von z.T. außerordentlich komplizierten Spektren zuzuordnen und im Detail zu identifizieren. In den vergangenen zwei Dekaden sind hierbei erstaunliche Fortschritte erzielt und umfangreiche Informationen erschlossen worden (f¨ ur einen Review s. z.B. de Vries und Hobza, 2007). Zur Pr¨ aparation dieser Spezies benutzt man ¨ in der Regel geseedete“ Uberschalld¨ usenstrahlen, in denen man die Unter” schungsobjekte einem Tr¨ agergas (Neon, Argon) beigemischt und auf diese Weise m¨oglichst gut abk¨ uhlt. Zunehmend kommen dabei auch Varianten der Nobelpreis gekr¨onten MALDI- (Matrix Assisted Laser Desorption/Ionisation Tanaka, 2002) und ESI-Verfahren (Elektrospray-Ionisation Fenn, 2002) zum Einsatz, wodurch auch nicht leicht verdampfbare Biomolek¨ ule untersucht werden k¨onnen. Der Nachweis geschieht auch hier wieder u ¨ber LIF und REMPI – meist erg¨anzt durch verschiedene Doppelresonanzverfahren, von denen drei Varianten in Abb. 15.29 schematisch illustriert sind. Den Grundgedanken der

(a)

(b)

(c)

UV-UV RIDIRS S1 FDIRS Lochbrennen Mol+ +edunkle hνUV2 hνUV2 hνIR Zustände (fest) (fest) (var) ic S1

S0

hνUV1 (fest) hνUV (var)

hνUV1 (fest) hνIR (var)

hνLIF

Abb. 15.29. Schemata f¨ ur Doppelresonanzexperimente an biologisch relevanten Molek¨ ulen nach Zwier (2001): (a) UV-UV DoppelresonanzLochbrennspektroskopie, (b) Resonante Ionendip Infrarotspektroskopie (RIDIRS), (c) S1 -Zustands Fluoreszenzdip Infrarotspektroskopie (S1 FDIRS) – Einzelheiten s. Text

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

289

optisch-optischen Doppelresonanzspektroskopie haben wir ja schon in Abschn. 15.6.2 kennengelernt (s. Abb. 15.25): Dort ging es um die Markierung bestimmter Rotationsniveaus im Grundzustand. Hier markiert man bestimmte Spezies, Geometrien oder Isomere. Wir haben es hier typischerweise mit Molek¨ ulen zu tun, die aus vielen (typisch mehr als einem Dutzend) Atomen bestehen, und die zudem ¨außerst flexibel sind. Sie treten also nicht nur in verschiedenen Isomerenformen auf (gleiche Massenformel aber unterschiedliche Struktur bzw. Reihenfolge der Atome), sondern meist gibt es auch zahlreiche Konformere (bei ansonsten gleicher Abfolge der Atome unterschiedliche r¨ aumliche Ausrichtung einzelner Baugruppen, z.B. durch Drehung um spezielle Bindungen). Die beobachteten Spektren sind in aller Regel ¨ außerst komplex und bestehen meist aus ¨ Uberlagerungen verschiedener Komponenten, die sich nicht einfach mithilfe der Massenspektroskopie spezifischen Molek¨ ulstrukturen zuordnen lassen. Es bedarf also einer aufwendigen und oft langwierigen Detektivarbeit, um Klarheit u ¨ber die Struktur und Dynamik solcher Systeme zu erlangen. Neben umfangreichen, oft hochaufl¨ osenden und m¨ oglichst selektiven Messungen untersucht man verschiedene Isotopomere, ggf. auch spezifische Anlagerungen und Substituenten. Stets ist daneben auch die unmittelbare Unterst¨ utzung durch modernste quantenchemische Rechnungen unverzichtbar. ¨ Der Ubergang vom elektronischen Grundzustand in den ersten angeregten Zustand S1 f¨allt bei den hier interessierenden Biomolek¨ ulen meist ins UVGebiet. So detektiert man bei der UV-UV-Doppelresonanz-Lochbrennspektroskopie nach Abb. 15.29a das Ionensignal nach einem resonant verst¨arkten Ionisationsprozess (RTPI) mit zwei UV-Photonen hνUV1 und hνUV2 (die in g¨ unstigen F¨allen auch die gleiche Frequenz haben k¨onnen). Wichtig ist, dass man hνUV1 fest auf eine wohl definierte Absorptionsbande des S1 ← S0 ¨ Ubergangs f¨ ur ein bestimmtes Isomer bzw. Konformer einstellt. Zeitlich vor diesem Nachweisprozess l¨ asst man nun den Probelaser mit dem Target wechselwirken und stimmt hνUV durch: das Ionensignal wird dabei immer dann re¨ duziert (man brennt ein Loch“), wenn hνUV auf einen S1 ← S0 Ubergang der ” mit dem RTPI-Prozess (hνUV1 , hνUV2 ) markierten Spezies trifft. Der durchstimmbare (var) Probelaser hνUV vermisst also das Absorptionsspektrum dieser Spezies. Pionierarbeiten zur Spektroskopie von Basenpaaren, die Elementarbausteine der DNA, wurden u.a. von de Vries und Mitarbeitern geleistet. Als Beispiel sind in Abb. 15.30 UV-RTPI-Spektren f¨ ur ein Basenpaar gezeigt, das aus zwei Guanin-Molek¨ ulen besteht. Diese ordnen sich – das schließt man aus den Spektren und begleitenden quantenchemischen Rechnungen – u.a. in zwei verschiedenen, n¨ aherungsweise planaren Geometrien an. Der Vergleich des einfachen RTPI-Spektrums in Abb. 15.30 (GG) mit den UV-UV Lochbrennspektren (GG1 und GG2), die jeweils bei unterschiedlichen Frequenzen des Markierungslasers hνUV1 aufgenommen wurden, zeigt, dass beide Spezies sehr charakteristische, unterschiedliche UV-Absorptionsspektren haben. Auch wenn die beiden Doppelresonanzspektren naturgem¨aß etwas verrausch-

290

15 Molek¨ ulspektroskopie

GG1 UV - UV GG2 UV - UV GG UV - RTPI 33000

33200

33400 33600 hνUV / cm-1

Abb. 15.30. UV-UV RTPI Lochbrennspektroskopie am Basenpaar Guanin-Guanin nach Abo-Riziq et al. ¨ (2005), das in einem Uberschallstrahl erzeugt und mit TOF Massenspektroskopie nachgewiesen wird. In Rot ist das einfache, mit zwei UV-Photonen gewonnene RTPI-Spektrum gezeigt (GG), die beiden anderen Messungen GG1 und GG2 zeigen Lochbrennspektren f¨ ur die zwei dominierenden Anordnungen der beiden GuaninMolek¨ ule

ter sind, kann man doch deutlich erkennen, dass sie zusammengenommen das RTPI-Spektrum weitgehend gut reproduzieren. Komplement¨ar zur UV-UV Doppelresonanzspektroskopie kann man auch die resonante Ionendip-Infrarotspektroskopie (RIDIRS) nach Abb. 15.29b auf das System anwenden. Der Nachweis ist der gleiche wie beim UV-UVLochbrennen. Jetzt nimmt man aber mit dem durchstimmbaren (var) Probephoton hνIR das Infrarotabsorptionsspektrum im S0 -Grundzustand auf – ¨ anstelle des elektronischen Absorptionsspektrums f¨ ur den S1 ← S0 -Ubergang im vorangehenden Fall. Ergebnisse sind Abb. 15.31 zusammengestellt. Die so

GG2

GG1

3400

3600 3800 hνIR / cm-1

Abb. 15.31. Resonante IonendipInfrarotspektroskopie an zwei Modifikationen des Guanin-GuaninBasenpaars nach Abo-Riziq et al. (2005). Mit Hilfe quantenchemischer Rechnungen konnten charakteristische Schwingungen identifiziert werden (Strichspektren), die sich den beiden IR-Absorptionsspektren zuordnen lassen. Die Einsch¨ ube zeigen die zugrunde liegenden Anordnungen der beiden Guanin-Molek¨ ule. Volle rote Kreise entsprechen O-Atomen, offene schwarze Kreise deuten N-Atome an

aufgenommen IR-Spektren der beiden Spezies GG1 und GG2 (sie entsprechen denen in Abb. 15.30) zeigen sehr charakteristische Unterschiede. Wie anhand der Strukturbilder angedeutet, gelingt es mit Hilfe der Theorie diese Banden verschiedenen Schwingungsmoden (Pfeile) der beiden Basenpaare zuzuordnen und so die Struktur dieser hoch komplizierten, anharmonischen und flexiblen

15.6 Elektronische Spektren: Laserspektroskopie

291

Gebilde zu identifizieren. Wir k¨ onnen hier leider nicht weiter auf die Details eingehen. Eine weitere interessante Modifikation der Doppelresonanzspektroskopie, die hier zumindest erw¨ ahnt sei, ist die in Abb. 15.29c skizzierte S1 -Zustands Fluoreszenzdip-Infrarotspektroskopie (S1 -FDIRS). Mit ihr kann man die Schwingungsmoden des angeregten S1 -Zustands spektroskopieren. Detektiert wird in diesem Falle mit LIF. Das Fluoreszenzsignal wird moduliert, wenn man den Infrarotlaser hνIR abstimmt und einen Vibrations¨ ubergang trifft, der dann z.B. durch interne Konversion (ic) f¨ ur die weitere Messung verloren geht. Solche Strukturbestimmungen von Biomolek¨ ulen, ihren Clustern und Verbindungen aber auch die Erschließung der photoinduzierten Dynamik kann nur in enger Zusammenarbeit von raffinierten spektroskopischen Verfahren und quantenchemischen Rechnungen bew¨ altigt werden und ist ein aktuelles modernes Forschungsgebiet. Eine Reihe hoch spezialisierter Arbeitsgruppen widmet sich dieser Aufgabe, oft mit vereinten Kr¨aften. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel daf¨ ur gibt eine neuere Arbeit am Tryptamin von B¨ohm et al. (2009). Das Tryptamin – 2-(1H-Indol-3-yl)-ethanamine – mit der Sum(a)

0,0+332cm-1

(b) (c)

0,0+403cm-1

(d) -20000

-10000

0

Experiment

(e) 0,0+412cm-1

Simulation

(f ) Simulation

Experiment

(g)

Simulation

(h)

-40000 10000 relative Frequenz / MHz

Experiment

0

40000

Abb. 15.32. Rotationsaufgel¨ oste Absorptionsspektren von S1 ← S0 Banden des Tryptamins oberhalb des Ursprungs (0, 0) nach B¨ ohm et al. (2009). Die experimentellen Spektren wurden mit optimierten Parameters¨ atzen simuliert, (g) und (h) illustrieren die Zusammensetzung der Simulation (f ) aus zwei Komponenten

menformel C10 H12 N2 ist ein wichtiges Stoffwechselprodukt und eng verwandt mit Tryptophan, einer der drei aromatischen Aminos¨auren, die f¨ ur Fluoreszenzeigenschaften von Proteinen verantwortlich sind. Tryptamin besitzt allein 9 niedrig liegende Konformere im S0 -Grundzustand und die Spektroskopie des S1 -Zustands wird u.a. durch konische Durchschneidungen mit benachbarten Zust¨anden zus¨ atzlich kompliziert. B¨ ohm et al. (2009) gehen das Problem mit einer breiten Palette heute verf¨ ugbarer experimenteller und theoretischer Methoden an. Das reicht vom Einsatz der oben skizzierten Doppelresonanztechniken u oste, laserinduzierte Fluoreszenz (dispersed fluorescence, ¨ber aufgel¨

292

15 Molek¨ ulspektroskopie

DF ) bis hin zur rotationsaufgel¨ osten Absorptionsspektroskopie und deren Interpretation mit Hilfe genetischer Algorithmen – eine sehr interessante Methode, die F¨ ulle an Daten bei solchen Spektren zu bew¨altigen (s. z.B. die ¨ Ubersichtsarbeit von Meerts und Schmitt, 2006). Abbildung 15.32 gibt ein eindrucksvolles Beispiel f¨ ur die Leistungsf¨ ahigkeit solcher modernen Methoden und belegt u ¨berzeugend die Stimmigkeit von Experiment und Modell bei einem so großen und komplexen Molek¨ ul (23 Atome!). Auch hier m¨ ussen wir den interessierten Leser auf die Originalquellen f¨ ur weitere Einzelheiten verweisen. 15.6.5 Weitere wichtige Verfahren Es gibt viele weitere laserspektroskopische Methoden unterschiedlichen Raf¨ finements, die beim Studium elektronischer, photoinduzierter Uberg¨ ange in kleinen und großen Molek¨ ulen eingesetzt werden. Zumindest erw¨ahnt seien hier noch die Photofragmentspektroskopie an (positiven oder negativen) Ionen in elektromagnetischen Fallen (Penning-Falle, Paul-Falle) und die Matrixisolationsspektroskopie. Beide Verfahren eignen sich besonders f¨ ur seltene bzw. schwierig herzustellende Spezies. Bei der Matrixisolationsspektroskopie pr¨apariert man die Molek¨ ule, Radikale oder Cluster auf geeignete Weise und deponiert sie in einer Edelgasmatrix bei niedrigen Temperaturen (typisch in einer Ne-Matrix bei 6 K). Dabei kann man z.B. Massenspektrometer zur spezifischen Selektion bestimmter Molek¨ ulgr¨ oßen benutzen und durch Deposition u ¨ber l¨angere Zeit anreichern (die deponierten Ionen werden in der Matrix nat¨ urlich in der Regel neutralisiert). An einer so pr¨aparierten Matrix kann man schließlich normale Absorptionsspektren der verschiedensten Art aufnehmen. Es handelt also um eine Art Festk¨ orperspektroskopie, mit vielerlei potenziellen Komplikationen. Da aber die Wechelwirkung der untersuchten Spezies mit der Edelgasmatrix meist sehr gering ist, kann man auf diese Weise eine gu¨ te erste Ubersicht u ulklassen ¨ber die Absorptionsspektren unbekannter Molek¨ gewinnen, die meist nur wenig gegen¨ uber den Spektren freier Molek¨ ule verschoben sind. Insbesondere als erstes Screening“ neuer Molek¨ ultypen, hat ” sich die Matrixisolationsspektroskopie hervorragend bew¨ahrt (s. z.B Jochnowitz und Maier, 2008). Darauf aufbauend kann man diese dann genauer mit Hilfe von LIF, TPRI oder CRD untersuchen.

15.7 Raman-Spektroskopie 15.7.1 Einf¨ uhrung 1928 fanden Raman und gleichzeitig Landsberg und Mandelstam, dass bei nicht-resonanter Streuung von Licht an Molek¨ ulen zus¨atzliche Linien im Spektrum erscheinen. Daraus entwickelte sich sehr schnell eine außerordentlich

15.7 Raman-Spektroskopie

293

m¨achtige Art der Molek¨ ulspektroskopie, welche – komplement¨ar zu der in Abschn. 15.3 behandelten IR-Spektroskopie – einen direkten Zugang zur Bestimmung der Schwingungsfrequenzen von Molek¨ ulen aber auch Festk¨orpermaterialien erm¨oglicht, und die auch heute noch zu den wichtigsten spektroskopischen Werkzeugen, insbesondere f¨ ur analytische Zwecke z¨ahlt. Schon 1930 erhielt Raman daf¨ ur den Nobelpreis. Man beobachtete drei Typen von Linien, deren Ursprung Abb. 15.33 erl¨autert. Eine gegen¨ uber der eingestrahlten Energie hν unverschobene Linie hν 0 = hν (sogenannte Rayleigh-Linie), eine Schar von Linien bei kleineren Energien hν 0 = ~ (ν − νji ) < hν (Stokes-Linien) und eine weitere, schw¨achere Schar von Linien mit h¨ oheren Energien hν 0 = h (ν + νji ) > hν (Anti-Stokes-Linien). Die Verschiebung der Linien ist unabh¨angig vom ein¨ gestrahlten Licht und wird ausschließlich durch die Ubergangsenergie hνji = hνj − hνi = −hνij zwischen Raman-aktiven (s.u.) Schwingungs- und Rotationsniveaus des untersuchten Molek¨ uls bestimmt. Raman-Prozesse sind, wie Stokes Raman k k k

ν

ν' =ν –νji

Rayleigh Streuung

ν ν

ν' = ν

AntiStokes

Fluoreszenz

ν' = ν –νij ν0 ν' ≤ ν = ν +νji ν0

νji = νj –νi = –νij

k k

}

j i

IR-Absorption

Abb. 15.33. Niveauschema zur Entstehung eines RamanSpektrums (JablonskyDiagramm). Graue Pfeile entsprechen dem eingestrahlten Licht ν0 , rote Pfeile dem gestreuten (ν0 − νji Stokes-, ν0 Rayleigh- und ν0 + νji Anti-Stokes-Linie). Die rot-gestrichelten Linien bezeichnet man gelegentlich als virtuelle Zwischenzust¨ ande. Real gibt es aber nur die schwarzen, mit i, j und k bezeichneten Energieniveaus. Zum Vergleich sind auch Infrarotabsorption und Fluoreszenz angedeutet

aus Abb. 15.33 ersichtlich, Zweiphotonen¨ uberg¨ange, die von jedem besetzten Vibrations-Rotationszustand des untersuchten Molek¨ uls ausgehen k¨onnen. Nat¨ urlich h¨angt die Streurate von der Besetzungsdichte des jeweiligen Anfangszustands |ii ab. F¨ ur die Stokes-Linien erwarten wir daher deutlich h¨ohere Streuintensit¨aten als f¨ ur die Anti-Stokes-Linien, da im ersteren Falle der Anfangszustand ja tiefer als im letzteren liegt, also infolge der thermischen Verteilung st¨arker besetzt ist als im Anti-Stokes-Fall. Auch hier muss man wieder – wie bei der Infrarotspektroskopie – die Rota¨ tionsbesetzung und die Anderung der Rotationsquantenzahl N ber¨ ucksichtigen. Am u ur den starren, linearen Rotator. Da es sich beim ¨bersichtlichsten ist das f¨

294

15 Molek¨ ulspektroskopie

Raman-Prozess um einen Zweiphotonen¨ ubergang handelt, bei dem ein Drehimpuls 2~ u ¨bertragen wird, gilt hier die Auswahlregel ∆N = N 00 − N 0 = 0, ±2 ,

(15.19)

wobei N 00 und N 0 wieder den tiefer bzw. h¨oher liegenden Rotationszustand bezeichnen. Analog zu den P -, Q- und R-Zweigen bei der Vibrations¨ Rotationsspektroskopie bzw. bei elektronischen Uberg¨ angen (Abschn. 15.4.4) ¨ entstehen drei Ubergangstypen: O-, N = N 00 − 2,

QN = N 00

0

und bzw.

0

S-Zweig f¨ ur 0 00 N =N +2 .

(15.20)

ur die Stokes-Linien Die Entstehung dieser drei Zweige ist in Abb. 15.34 f¨ veranschaulicht und wird mit der Infrarotabsorptionsspektroskopie verglichen. ¨ Nach diesen Uberlegungen ist in Abb. 15.35 (sehr schematisch) ein typisches Raman-Spektren f¨ ur ein zweiatomiges Molek¨ ul skizziert. Die charakteristischen Rotations-Schwingungsbanden mit ihren Zweigen sind jeweils rot (Stokes) bzw. blau (Anti-Stokes) gegen¨ uber der eingestrahlten Frequenz verschoben. F¨ ur den O-Zweig erniedrigt sich die Rotationsquantenzahl des Endzustands |ji um 2 gegen¨ uber dem Anfangszustand |ii. Somit wird, wie man sich anhand von Abb. 15.33 leicht u ¨berlegt, die Stokes-Verschiebung beim OZweig gegen¨ uber der eingestrahlten Linie ν geringer als beim Q- und S-Zweig, im Anti-Stokes Fall wirkt sich das gerade umgekehrt aus. Ausdr¨ ucklich sei darauf hingewiesen, dass es (bei zweiatomigen Molek¨ ulen) im Falle eines reinen Rotations-Raman-Spektrums (Abb. 15.35 Mitte) nur SZweige gibt: bei den Stokes-Linien (ν 0 ν) entstehen, wenn man auf einem h¨oher liegenden Rotationsniveau N 0 startet und in einem niedrigerem ¨ Niveau N 00 = N 0 − 2 endet. Auch dies ist nach (15.20) wieder ein S-Ubergang. Raman-Streuung (Stokes)

IR-Absorption N' = 2 1 0

υ=1 ΔN = -1 ΔN = +1

ΔN = 2 ΔN = 0

ΔN = -2

N'' = 2 1 0 Q-Zweig P-Zweig R-Zweig S-Zweig O-Zweig

υ=0

2B

4B

νji

ν - νji

Abb. 15.34. Rechts: Entstehung des S-, Q- und O-Zweigs der Rotationsbanden im Stokes-Bereich eines Raman-Spektrums. Links: Im Vergleich dazu P - und R-Zweig bei der IRAbsorptionsspektroskopie polarer Molek¨ ule

15.7 Raman-Spektroskopie

Stokes Stokes 2. Harm. Q S

ν – 2νji

Rayleigh 4B

~ ~

O S ν – νji

Anti-Stokes

S ν

OQ S ν + νji

νR

295

Abb. 15.35. Raman-Spektren eines zweiatomigen Molek¨ uls schematisch: Stokes und Anti-Stokes Vibrations-Raman jeweils mit S-, Qund O-Zweig; das reine RotationsRaman-Spektrum links und rechts der Rayleigh-Linie nur mit S-Zweig. Ganz links (schw¨ acher) das StokesSpektrum der Oberschwingung 2νji

15.7.2 Klassische Erkl¨ arung Bei der beliebten klassischen Erkl¨ arung betrachtet man das Molek¨ ul zeitabh¨angig. Im elektrischen Wechselfeld (ω = 2πν) des eingestrahlten Lichts E(t) = E 0 cos (ωt) wird das Molek¨ ul polarisiert, wodurch ein mit der Lichtfrequenz schwingender Dipol erzeugt wird: D el = αE E = αE E 0 cos (ωt)

(15.21)

Die Polarisierbarkeit αE ist im allgemeinen Fall ein Tensor, wird hier aber der Einfachheit halber zun¨ achst als Skalar behandelt (isotrope Polarisierbarkeit). Man entwickelt αE um den Gleichgewichtsabstand R0 herum: dαE αE (R) = αE (R0 ) + (R − R0 ) + · · · (15.22) dR R0 Ohne das Feld oszilliert das Molek¨ ul harmonisch mit einer Eigenfrequenz ωji = 2πνji um seine Ruhelage R0 : R(t) − R0 = R1 cos (ωji t)

(15.23)

Setzen wir dies und (15.22) in (15.21) ein, so ergibt sich: ! dαE Del (t) = αE E (t) = αE (R0 ) + R1 cos (ωji t) E0 cos (ωt) = dR R0 (15.24) dαE R1 E0 {cos [(ω + ωji ) t] + cos [(ω − ωji ) t]} αE (R0 ) E0 cos (ωt) + dR R0 Der feldinduzierte Dipol schwingt also auf drei Frequenzen, d.h. die eingestrahlte Frequenz ω wird mit zwei Seitenb¨ andern moduliert. Dies entspricht gerade den drei Linientypen, die wir bereits kennengelernt haben: • • •

der unverschobenen Rayleigh-Linie: Del (t) ∝ cos (ωt) der Stokes-Linie: Del (t) ∝ cos [(ω − ωji ) t]) und der Anti-Stokes-Linie: Del (t) ∝ cos [(ω + ωji ) t]

296

15 Molek¨ ulspektroskopie

Nach (15.24) ist ein Molek¨ ul dann und nur dann Raman-aktiv, wenn sich die Polarisierbarkeit mit dem Kernabstand ¨ andert, d.h. wenn dαE /dR|R0 6= 0 ist. Dies kann sehr wohl auch bei homonuklearen Molek¨ ulen der Fall sein. Raman-Spektren k¨ onnen daher auch f¨ ur H2 , N2 und O2 aufgenommen werden – im Gegensatz zur reinen IR-Absorptionsspektroskopie. 15.7.3 Quantenmechanische Theorie Die ersten Ans¨atze zu einer quantenmechanischen Behandlung des Ramanoppert-Mayer (1931) zur¨ uck. Um Auswahlregeln Effekts gehen bereits auf G¨ und die Intensit¨atsverh¨ altnisse in den Raman-Spektren quantitativ abzuleiten, muss man mindestens eine St¨ orungsrechnung 2. Ordnung durchf¨ uhren, da bei der Raman-Streuung ja zwei Photonen involviert sind (das eingestrahlte und das emittierte Photon). Die Rechnung folgt im Wesentlichen den ¨ Uberlegungen, die wir bereits in Kap. 5, Band 1 im Zusammenhang mit der Mehrphotonenabsorption vorgestellt haben. Explizit hatten wir dort die Zweiphotonenanregung ausgef¨ uhrt. Auch hier erwarten wir einen Ausdruck ¨ahnlich zu (5.34). Allerdings ist bei dem hier behandelten (spontanen) Raman-Effekt, nur die Absorption des eingestrahlten Photons hν ein induzierter Prozess, w¨ahrend das gestreute Photon hν 0 spontan emittiert wird. Die Vorfaktoren ¨ sind daher jetzt etwas anders. F¨ ur den spontanen Raman-Ubergang vom Anfangszustand |ii der Energie hνi in den Endzustand |ji mit der Energie hνj wird der differenzielle Streuquerschnitt X hj|Tb0 |kihk|Tb|ii hj|Tb|kihk|Tb0 |ii 2 dσji 4 2 2 03 = (2π) r0 me νν + dΩ hνki − hν hνki + hν 0 k

× δ(hν 0 − hν + hνji )

(15.25)

mit r0 = α2 a0 , dem klassischen Elektronenradius, α = 1/137, der Feinstrukturkonstanten und me , der Elektronenmasse. Den Dipol¨ ubergangsoperator haben wir wieder geschrieben als Tb = r · e = D · e/e0 bzw. Tb0 = r · e0 f¨ ur das anregende bzw. gestreute Photon. Man beachte die f¨ ur spontane Prozesse typische Proportionalit¨ at zu ν 03 . Die Deltafunktion sorgt f¨ ur Energieerhaltung: das gestreute Photon hat die Energie hν 0 = hν − hνji mit hνji = hνj − hνi . urlich Nach Abb. 15.33 auf S. 293 entspricht dies einem Stokes-Prozess. Nat¨ bleibt (15.25) auch f¨ ur die Anti-Stokes Banden g¨ ultig, man hat lediglich i und j zu vertauschen. Leicht verifiziert man, dass der Wirkungsquerschnitt tats¨achlich die Einheit [σji ] = m2 hat: Es handelt sich um einen linearen Prozess, dessen Wahrscheinlichkeit proportional zur eingestrahlten Intensit¨ at w¨ achst.

15.7 Raman-Spektroskopie

hν'



hν'

297



Charakteristisch f¨ ur die St¨orungsrechnung 2ter Ordnung ist die Summation u ¨ber alle (a) (b) m¨ oglichen Zwischenzust¨ande |ki, im Prink i k i j j zip einschließlich des Kontinuums. Man kann Abb. 15.36. Graphen zur sich die beiden Terme in der Summe gut Raman-Streuung anhand der Feynman-artigen Graphen nach Abb. 15.36 veranschaulichen (jeweils von rechts nach links zu lesen). Graph (a) entspricht dem ersten Summenterm in (15.25): ein eingestrahltes Photon hν wird absorbiert, wodurch Zustand |ii in |ki u ater wird dann das Photon hν 0 emittiert, wobei aus ¨bergeht. Etwas sp¨ |ki nun |ji wird. Graph (b) entspricht dem zweiten Summenterm in (15.25): zuerst wird das Photon hν 0 emittiert und |ii geht u ¨ber in |ki, im zweiten Schritt erst wird hν absorbiert und |ki in |ji u uhrt. ¨berf¨ Bei der quantitativen Auswertung der Dipolmatrixelemente in (15.25) geht man analog zu Abschn. 15.4.1 vor. Neben strengen Auswahlregeln vom Typ (15.19) bestimmen nat¨ urlich wieder Franck-Condon-Faktoren die Streuintensit¨aten – hier zwischen dem Anfangszustand |ii und den Zwischenzust¨anden |ki sowie zwischen diesen und dem Endzustand |ji. Die gesamte Summe in (15.25) ist u ¨brigens nahezu identisch mit dem Polarisationstensor, womit die Verbindung zur klassischen Interpretation hergestellt ist. In grundlegenden Arbeiten zur Raman-Streuung geht man daher auch meist von letzterem aus. Hier sei festgehalten, dass bei der Berechnung der entsprechenden Di¨ pol¨ ubergangsmatrixelemente die in Abschn. 11.4.3 angestellten Uberlegungen bez¨ uglich der R-Abh¨ angigkeit ganz analog anzuwenden sind. Dies f¨ uhrt zur quantenmechanischen Begr¨ undung der im letzten Abschnitt erschlossenen Regel (jetzt etwas allgemeiner formuliert): •

Ein Molek¨ ul ist dann und nur dann bez¨ uglich einer bestimmten Normalschwingung qi Raman-aktiv, wenn sich die elektronische Polarisierbarkeit mit dieser Koordinate ¨ andert.

F¨ ur Details der Auswertung verweisen wir auf Albrecht (1961) sowie Chandrasekharan und Silvi (1981) und dort zitierte Referenzen. Allerdings verwenden diese Arbeiten nicht das SI-System. Die Rechnungen k¨onnen im Detail recht aufwendig werden, und man versucht, N¨aherungen zu finden (angepasst an die jeweils gew¨ ahlten experimentellen Bedingungen), um mit einer endlichen Anzahl von Zwischenzust¨ anden zu vern¨ unftigen Absch¨atzungen der ¨ Ubergangswahrscheinlichkeiten zu gelangen. Die Gr¨oße der Raman-Verschiebung hνji h¨angt dagegen in trivialer Wei¨ se von den Termenergien der an den Uberg¨ angen beteiligten RotationsVibrationszust¨ande ab. Besonders u ¨bersichtlich sind wieder die zweiatomigen Molek¨ ule, f¨ ur die man die Stokes-Verschiebungen in den drei Zweigen einfach als Differenzen aus den Rotations- und Schwingungstermen F (N ) und G(v) nach (11.49) bzw. (11.50) berechnet (in Wellenzahlen):

298

15 Molek¨ ulspektroskopie

O(N ) = ν¯10 + (2B1 − 4D1 ) − (3B1 + B0 − 12D1 ) N 2

(15.26) 3

+ (B1 − B0 − 13D1 + D0 ) N + (6D1 + 2D0 ) N − (D1 − D0 ) N 4 2

Q(N ) = ν¯10 + (B1 − B0 ) N (N + 1) − (D1 − D0 ) N 2 (N + 1) S(N ) = ν¯10 + (6B1 − 36D1 ) + (5B1 − B0 − 60D1 ) N

(15.27) (15.28)

+ (B1 − B0 − 37D1 + D0 ) N 2 − (10D1 − 2D0 ) N 3 − (D1 − D0 ) N 4 Hier sind B1 und B0 die Rotationskonstanten im angeregten bzw. anf¨anglichen Vibrationszustand, D1 und D0 die entsprechenden Rotationsstreckkorrektu¨ ren und ν¯10 = ∆G (1 ← 0) ist die Schwingungsfrequenz des Ubergangs nach ucken kann man die Struktur der Spektren recht gut (11.80). Mit diesen Ausdr¨ absch¨atzen. Insbesondere wird deutlich, dass der Q-Zweig nur zu einer sehr kleinen Rotations-Raman-Verschiebung f¨ uhrt, da in diesem Falle lediglich die (kleinen) Differenzen der Rotationskonstanten B und der Korrekturterme D f¨ ur die zwei beteiligten Vibrationsniveaus wirksam werden. F¨ ur gr¨oßere N erwartet man aber ein quadratisches Anwachsen der Linienabst¨ande, w¨ahrend die O- und S-Zweige in erster N¨ aherung konstante Abst¨ande zwischen den Rotationslinien erwarten lassen. Wirkungsquerschnitte f¨ ur die Raman-Streuung sind notorisch sehr klein. Da in aller Regel hνki 6= hν f¨ ur alle Zwischenzust¨ande |ki gilt, bei der sogenannten normalen Raman-Spektroskopie sogar hνki  hν ist, gibt es in (15.25) typischerweise keine Resonanznenner – im Gegensatz zu den Wirkungsquerschnitten f¨ ur die Einphotonen-Absorption und Emission, die wir in Kap. 4 und 5, Band 1 behandelt haben, und welche letztere so effizient machen. Zwar kann in speziellen F¨ allen durchaus auch einmal hνki ' hν werden (man muss dann einen D¨ ampfungsterm iΓe in dem entsprechenden Nenner in ugen). Man spricht gelegentlich von Resonanz-Raman-Streuung“. (15.25) einf¨ ” Aber eigentlich handelt es sich dabei um eine spezielle Variante der optisch induzierten Fluoreszenz, meist also der spektral aufgel¨osten, Laser-induzierten ¨ Fluoreszenz (DF). Die Uberg¨ ange sind zumindest sehr fließend. 15.7.4 Experimentelles Die klassische Absorptions- und Emissionsspektroskopie an Molek¨ ulen konnte bereits im 19ten und in der ersten H¨ alfte des 20sten Jahrhunderts ihre Erfolge feiern. Der Siegeszug der Raman-Spektroskopie bei der Strukturaufkl¨arung von Molek¨ ulen und als eines der wichtigsten Werkzeuge der Analytik ist erst mit der Entwicklung des Lasers m¨ oglich geworden. Es gab zwar seit der Entdeckung des Effekts 1928 eine Reihe viel beachteter Arbeiten und der Nobelpreis f¨ ur Raman 1930 dokumentiert, dass die große Bedeutung der Raman-Streuung fr¨ uh erkannt wurde. Aber die Wirkungsquerschnitte sind doch so klein, dass effiziente Verfahren erst unter Benutzung von intensiven, hoch geb¨ undelten Laser-Lichtquellen zur Verf¨ ugung standen – wobei eine oder mehrere Festfrequenzen v¨ ollig ausreichen, wie sie seit den 60iger Jahren des

15.7 Raman-Spektroskopie

299

vergangenen Jahrhunderts in Form von Gasentladungs-Lasern (insbesondere Ar-Ionen-Lasern) problemlos zur Verf¨ ugung stehen. Eintrittspalt

des Spektrometers L2 F2 L1

Messzelle

FPI

Austrittsfenster SSp F1 FPE λ/2

L = Linsen F = Filter LP = Laserprisma Sp = Spiegel SSp = Sammelspiegel FPE = Fabry-Perot-Etalon FPI = Fabry-Perot-Interferometer Argon-Ionen-Laser

LP + Sp

SSp

Abb. 15.37. Aufbau eines Raman-Spektrometers schematisch. Der Laserstrahl des Ar-Ionen-Lasers wird mehrfach innerhalb der Messzelle, gef¨ ullt mit Gas, hin und her reflektiert, um einen großen Wechselwirkungsbereich zu erm¨ oglichen. Sehr wichtig sind die Spiegel SSp, die Raman-Streulicht sammeln und zum Spektrometer lenken

Einen typischen Aufbau f¨ ur ein Raman-Spektrometer zeigt – weitgehend selbst erkl¨arend – Abb. 15.37. Zwar ist das Messprinzip sehr einfach. Die große experimentelle Herausforderung der Raman-Spektroskopie besteht aber (i) im effizienten Sammeln der gestreuten Stokes- (gelegentlich auch einmal der Anti-Stokes-) Photonen, (ii) ihrer sorgf¨ altigen Abtrennung von der um Gr¨oßenordnungen intensiveren Rayleigh-Streuung, ebenso vom direktem Steulicht, das an den verschiedenen Bauteilen des Spektrometers reflektiert oder gebeugt wird und (iii) schließlich in der Bereitstellung h¨ochster spektraler Aufl¨osung. Raman-Spektrometer sind heute kommerziell in den verschiedensten Varianten verf¨ ugbar, sowohl f¨ ur die Gasphasenanalyse wie auch f¨ ur die Untersuchung von Festk¨ orpern und Oberfl¨ achen – in letzterem Falle auch ortsaufgel¨ost auf einer µm- und sub-µm-Skala, was im Zeitalter der Nano-, Bio- etc. Technologien von besonderer Bedeutung ist. Dabei kann die RamanStreuung in speziellen F¨ allen durch die Oberfl¨ ache erheblich verst¨arkt werden, was man bei der Surface Enhanced Raman Spectroscopy“ (SERS) gezielt ” nutzt. Moderne, h¨ochstaufl¨ osende Raman-Spektrometer arbeiten (ganz ¨ahnlich wie IR-Spektrometer) mit interferometrischen Analyseverfahren, also insbesondere mit der Fourier-Transformations-Spektroskopie (s. z.B. Chase und Rabolt, 1994) und mit hoch stabilisierten Einzelmoden-Argon-Ionen-Lasern, typischerweise bei 488 nm. Aufl¨ osungen im Bereich von 0.01 cm−1 werden dabei erreicht, wobei man freilich wegen der Doppler-Verbreiterung den Sammelwinkel erheblich einschr¨ anken muss. F¨ ur Details zu den verschiedenen Spektrometertypen, Verfahren und Anwendungen verweisen auf die einschl¨agige Originalliteratur und eine F¨ ulle spezialisierter Monographien.

300

15 Molek¨ ulspektroskopie

15.7.5 Beispiele f¨ ur Raman-Spektren Im Folgenden wollen wir einige charakteristische Beispielspektren diskutieren und beginnen mit den beiden prominentesten zweiatomigen Bestandteilen der uns umgebenden Luft. Abbildung 15.38 zeigt das Rotations-VibrationsRaman-Spektrum des N2 -Molek¨ uls. Angeregt wird die Grundschwingung, f¨ ur

N2

Q - Zweig

6 8 4

2 3 1

10 12 5 7

14

9 11

13

0 S(20) S(15) S(10)

2500

S(5)

S(0) Q(0) O(5) O(10)

2400 2300 Stokes-Verschiebung νji / cm-1

O(15)

2200

2330 2329 2328 2327 νji / cm-1

Abb. 15.38. Rotations-Vibrations-Raman-Bande f¨ ur N2 . Das linke Spektrum, urspr¨ unglich von Barrett und Adams (1968) mit der 488 nm-Linie eines Ar+ -IonenLasers aufgenommen, wurde leicht gestreckt und verschoben, um es an die neuesten, hoch aufgel¨ osten Daten von Bendtsen und Rasmussen (2000) anzupassen. Letzterer Arbeit wurde auch die rotationsaufgel¨ oste Q-Bande rechts entnommen. Die unteren Skalen geben die Stokes-Verschiebung der Linien gegen¨ uber der eingestrahlen Frequenz. Ebenfalls eingetragen sind die Ausgangsrotationsquantenzahlen N 00 der Spektren f¨ ur die O-, Q- und S-Zweige. In Folge der Kernspinstatistik ist die Intensit¨ at f¨ ur ungerade N 00 um einen Faktor 2 geringer (s. Text)

welche man mit den Werten aus Tabelle 11.6 auf S. 27 nach (11.80) berechnet: ν¯10 = ∆G (1 ← 0) = 2 329.92 cm−1 (das entspricht innerhalb der Linienbreite genau dem Wert f¨ ur die Q(0)-Linie in Abb. 15.38; die Werte werden mit Hilfe der Raman-Spektroskopie laufend weiter verbessert). Das Spektrum zeigt sehr sch¨on die nach (15.26) und (15.28) erwarteten, nahezu konstanten Linienabst¨ande f¨ ur O- und S-Zweig und den schmalen Q-Zweig. Der vergr¨oßerte Ausschnitt rechts mit hoher Aufl¨ osung zeigt die von (15.27) vorhergesagte quadratische Abh¨angigkeit der Raman-Verschiebung im Q(N )-Zweig. Interessant ist die alternierende Linienintensit¨ at, welche der Kernspinstatistik geschuldet ist, wie wir gleich besprechen werden.

15.7 Raman-Spektroskopie

Abb. 15.39. RotationsVibrations Raman-Bande f¨ ur die Grundschwingung von O2 nach Barrett und Adams (1968) aufgenommen mit der 488 nm-Linie eines Ar+ Ionen-Lasers. Die untere Skala gibt die Stokes-Verschiebung der Linien gegen¨ uber der eingestrahlen Frequenz, dar¨ uber sind wieder die Ausgangsrotationsquantenzahlen N 00 der Spektren f¨ ur die O-, Q- und S-Zweige eingetragen. In Folge der Kernspinstatistik gibt es beim O2 nur Niveaus mit ungeradem N (s. Text)

O2

S(23) S(17) S(11) S(5)

1700

Q O(5) O(11) O(17)

O(23)

1600 1500 Stokes-Verschiebung νji / cm-1

301

1400

Zun¨achst wollen wir aber kurz noch das in Abb. 15.39 gezeigte RotationsVibrations-Raman-Spektrum f¨ ur das O2 -Molek¨ ul besprechen. Hier ergeben die Werte aus Tabelle 11.6 auf S. 27 ν¯10 = 1 556.23 cm−1 , was genau der als Q(0) markierten Grenze des Q-Zweigs entspricht. Es gibt inzwischen neuere, pr¨azisere Messungen, die aber meist nur tabelliert vorliegen, weshalb wir hier dieses erste, mit einem Ar+ -Ionen-Laser vermessene Raman-Spektrum des O2 von Barrett und Adams (1968) zeigen. Hier stellen wir eine weitere, mit dem Kernspin zusammenh¨ angende Besonderheit fest: es gibt im elektronischen Grundzustand des O2 offenbar nur Rotationszust¨ande mit ungeradem Rotationsdrehimpuls N , wie im n¨ achsten Abschnitt erkl¨art wird. S(N) 70 60 50 40 30 N HC

55

20 10 35

10

15

15

20 30 35

55

40

50 60 70 S(N)

75 R(N)

N N

70

H C

R(N) 75

C H

60 50 40 30 20 10 Anti-Stokes-Verschiebung / cm-1

0

10

20 30 40 50 60 70 Stokes-Verschiebung / cm-1

Abb. 15.40. Hoch aufgel¨ ostes, reines Rotations-Raman-Spektrum des s-Triazin, aufgenommen mit der 488 nm Ar+ -Ionen-Laser Linie nach Weber (1979)

302

15 Molek¨ ulspektroskopie

Schließlich sei in Abb. 15.40 noch ein hoch aufgel¨ostes, reines RotationsRaman-Spektrum (∆v = 0) f¨ ur ein mehratomiges Molek¨ ul, das s-Triazin geautert, gibt es bei reinen Rotationszeigt. Wie am Ende von Abschn. 15.7.1 erl¨ Raman-Spektren zweiatomiger (linearer) Molek¨ ule sowohl auf der Stokes- wie auch auf der Anti-Stokes-Seite nur je einen S-Zweig (∆N = 2). Entsprechendes gilt auch beim symmetrischen und asymmetrischen Rotator. Wegen der ¨ m¨oglichen Anderung der Rotationsprojektionsquantenzahlen K tritt hier nun aber zus¨atzlich auf beiden Seiten der eingestrahlten Frequenz auch ein RZweig auf (∆N = 1). Auf eine detaillierte Auswertung dieses Typs von Spektren großer Molek¨ ule m¨ ussen wir hier aber verzichten. 15.7.6 Kernspinstatistik Wir hatten uns schon in Kap. 11.3.3 mit dem Einfluss des Kernspins auf die Besetzung der Rotationsniveaus homonuklearer, zweiatomiger Molek¨ ule befasst. Dort hatten wir ortho- und para-Wasserstoff kennengelernt. Die eben gezeigten Raman-Spektren von N2 und O2 n¨ otigen uns, das Thema noch einmal aufzunehmen. Der beim N2 beobachtete Intensit¨ atswechsel von 2 : 1 zwischen geraden und ungeraden Rotationsquantenzahlen N ebenso wie das Ausbleiben der Linien f¨ ur gerades N beim O2 hat den gleichen Ursprung. Solche Intensit¨atswechsel k¨ onnen bei Molek¨ ulen mit zwei gleichen Kernen auftreten und sind eine Folge des Pauli-Prinzips, wonach die Gesamtwellenfunktion von Fermionen (Teilchen mit halbzahligem Spin) antisymmetrisch gegen Vertauschung sein muss, bei Bosonen (Teilchen mit ganzzahligem Spin) dagegen symmetrisch. Die Gesamtwellenfunktion des Molek¨ uls kann man als Produkt aus Ortsund Spinfunktionen bez¨ uglich der Elektronen- und der Kernkoordinaten, r und R, darstellen. Bei den hier zu diskutierenden Symmetrien spielen nur die mit Drehimpulsen (einschließlich der Kernspins) zusammenh¨angenden Anteile eine Rolle. Wir schreiben etwas locker: Ψ (r, R) = φel (r)ψrot (R)χsp (I)

(15.29)

Hier beschreibt φel (r) die winkelabh¨ angigen Anteile der elektronischen Welur die Kugelfl¨achenfunktionen lenfunktionen (s. Kap. 11.6) und ψrot (R) steht f¨ bez¨ uglich der Kernkoordinaten. Da wir hier nur die Vertauschung der Atomkerne betrachten, spielt der Elektronenspin nur insofern eine Rolle, als er die elektronische Ortswellenfunktion und damit die Symmetrie der lokalen Umgebung der Kerne bestimmt: χsp (I) bezieht sich daher ausschließlich auf den Kernspin. Im Folgenden betrachten wir eine Abfolge von Symmetrieoperationen, die insgesamt zum Austausch der beiden Atomkerne in einem homonuklearen Molek¨ ul f¨ uhrt. In Abb. 15.41 kennzeichnen wir die beiden Kerne zur Veranschaulichung durch A und B (in der Realit¨ at sind sie nat¨ urlich ununterscheidbar).

15.7 Raman-Spektroskopie

Kernaustausch B↑ A↓ ^ PAΨ = ±Ψ 180o-Drehung um z-Achse ^ N C 2 χrot=(-1) χrot B↓ A↑ z-Achse Inversion des Elektronensystems (g,u)

A↑ B↓

303

Abb. 15.41. Zur Veranschaulichung der im Text diskutierten Symmetrieoperationen: der komplette Austausch der Kerne A und B (roter, horizontaler Pfeil oben) ist ¨ aquivalent der skizzierte Abfolge von Symmetrieoperationen

B↓ A↑ Spiegelung des Elektronensystems (±) Kernspinaustausch B↓ A↑ B↑ A↓ ^ PS χsp = ± χsp

Die elektronische Zustandsfunktion φel (ˆ r) wird durch die Ellipse charakterisiert, deren Symmetrieverhalten wir anhand der roten Markierung verfolgen k¨onnen. Der komplette Austausch der Kerne (Austauschoperator PbA ) muss insgesamt zu PbA Ψ = ±Ψ f¨ uhren, je nachdem ob wir es mit Bosonen oder Fermionen zu tun haben. Um diesen Austauschprozess konkret f¨ ur die Wellenfunktion (15.29) zu realisieren, f¨ uhren wir nacheinander folgende Operationen durch, deren Wirkungen f¨ ur einen gegebenen Molek¨ ulzustand bekannt sind: b2 : Rotation des ganzen Molek¨ uls bez¨ uglich der z-Achse (senkrecht zur 1. C Molek¨ ulachse) um 180◦ . Wir erhalten: b2 ψrot = (−1)N ψrot C

(15.30)

Die elektronische und Spin-Wellenfunktion haben keinen Phasenfaktor. 2. ˆı : Inversion der elektronischen Wellenfunktion: ˆıφel = ±φel

(15.31)

Es gilt das + oder das − Zeichen, je nachdem ob wir es mit einem g- oder einem u-Zustand zu tun haben (homonukleare Molek¨ ule). 3. σ ˆh : Spiegelung der elektronischen Wellenfunktion an einer Ebene durch die Kernverbindungsachse: σ ˆh φel = ±φel

(15.32)

Speziell f¨ ur Σ± -Zust¨ ande gilt das + bzw. das − Zeichen. 4. PbS : Austausch der beiden Kernspins. PbS χsp = ±χsp

(15.33)

304

15 Molek¨ ulspektroskopie

Die Symmetrie der Kernspinfunktion χsp (I) = |I I IMi ergibt sich nach den u ¨blichen Regeln der Drehimpulskopplung. Wir bezeichnen die beiden Kernspins mit I, den Gesamtkernspin mit I und seine Projektion mit M. Wegen 0 ≤ I ≤ 2I mit jeweils (2I + 1) Unterzust¨anden gibt es insgesamt (2I + 1)(2I + 1) verschieden Kernzust¨ ande, die entweder symmetrisch oder antisymmetrisch sind – man kann sich dies im Einzelfall leicht u ¨berlegen. Wie in Abb. 15.41 illustriert, ist die gesamte Abfolge der Symmetrieoperationen 1–4 tats¨achlich ¨ aquivalent zum vollst¨andigen Kernaustausch. Somit wird insgesamt: N PbA Ψ = σ ˆhˆıφel (−1) ψrot PbS χsp = ±Ψ

Wir betrachten im Folgenden die drei Beispiele, die uns bisher begegnet sind. 1

H2 -Molek¨ ul

ur welchen sowohl ˆı Der elektronische Grundzustand ist ein 1 Σ+ g -Zustand, f¨ wie auch σ ˆh den Eigenwerte +1 haben. Daher hat φel keinen Einfluss auf die Gesamtsymmetrie. Der Kernspin von 1 H ist I = 1/2, es handelt sich um Fermionen und die Gesamtwellenfunktion muss antisymmetrisch sein. Wie beim Zweielektronensystem gibt es ein antisymmetrisches Singulett mit I = 0 ur gerade N und ein symmetrisches Triplett mit I = 1. Mit (15.30) muss f¨ also die Kernspinfunktion antisymmetrisch sein (ein Zustand), w¨ahrend f¨ ur ungerade N die Kernspinfunktion symmetrisch sein muss (drei Zust¨ande). Im Raman-Spektrum (hier nicht gezeigt) ist das Intensit¨atsverh¨altnis von Linien mit geradem N zu ungeradem N tats¨ achlich 1 : 3. 14

N2 -Molek¨ ul

Auch hier ist der elektronische Grundzustand ein 1 Σ+ g -Zustand, φel also ohne Einfluss auf die Statistik. Der Kernspin von 14 N ist I = 1 und wir haben es jetzt mit Bosonen zu tun, deren Gesamtwellenfunktion symmetrisch sein muss. Hier gibt es nun ein symmetrisches (!)6 Kernspin-Singulett mit I = 0, ein antisymmetrisches Triplett mit I = 1 und ein symmetrisches Quintuplett mit I = 2, insgesamt also 9 Kernspinzust¨ ande, von denen 6 symmetrisch, 3 antisymmetrisch sind. Um eine gerade Gesamtwellenfunktion zu erzeugen, m¨ ussen jetzt die symmetrischen Kernspinzust¨ande mit den geraden N kombiniert werden, die antisymmetrischen geh¨ oren zu den ungeraden N . Dies erkl¨art also die im Raman-Spektrum Abb. 15.38 auf S. 300 beobachteten Intensit¨atsverh¨altnisse von Linien mit geradem N zu ungeradem N von 2 : 1.

6

Man kann dies leicht durch Berechnung oder Nachschlagen der entsprechenden Clebsch-Gordan-Koeffizienten verifizieren.

15.8 Nichtlineare Spektroskopien 16

305

O2 -Molek¨ ul

Hier haben wir es mit einem elektronischen 3 Σ− ur g -Grundzustand zu tun, f¨ welchen σ ˆhˆıφel = −φel wird. Es handelt sich um Bosonen: der Kernspin von 16 O2 ist I = 0 und die Gesamtwellenfunktion muss wieder symmetrisch sein. Nun k¨onnen wir aber aus zwei Kernspins I = 0 nur einen symmetrischen Singulett Gesamtkernspinzustand mit I = 0 konstruieren. Die positive Gesamtsymmetrie l¨asst sich dann nur mit ungeraden Werten der Rotationsquantenzahl N herstellen, welche die negative Symmetrie von φel kompensieren. Deshalb gibt es im Raman-Spektrum Abb. 15.39 auf S. 301 nur Linien, die von ungeraden N ausgehen: im elektronischen Grundzustand von 16 O2 gibt es einfach nur solche Zust¨ ande. Diese Kernspinstatistik hat nat¨ urlich auch Konsequenzen f¨ ur die sonstigen Eigenschaften von O2 , wie etwa beim Temperaturverlauf der spezifischen W¨ armekapazit¨ at. Ganz allgemein kann man zeigen (und f¨ ur die drei hier besprochenen F¨alle leicht verifizieren), dass sich die Anzahl gs von symmetrischen zur Zahl ga von antisymmetrischen Gesamtspinzust¨ anden verh¨alt wie I +1 gs . = ga I

15.8 Nichtlineare Spektroskopien Bei allen bislang behandelten spektroskopischen Methoden h¨angt das beobachtete Signal linear von der Intensit¨ at der eingestrahlten elektromagnetischen Welle ab. Das gilt, wie bereits bemerkt, auch f¨ ur die gerade besprochene spontane (auch inkoh¨ arent genannte) Raman-Streuung. Bei h¨oheren Intensit¨aten des eingestrahlten Lichts, wie man sie heute bequem mit Lasern herstellen kann, muss man aber u ¨ber die Bedeutung von nichtlinearen Prozessen nachdenken, die in der Tat sehr vorteilhaft f¨ ur viele spektroskopische Anwendungen eingesetzt werden k¨ onnen. Nichtlineare-Optik und Nichtlineare-Spektroskopie definieren heute ein aktuelles, wichtiges Forschungsgebiet, in das wir auch nicht ansatzweise ernsthaft einf¨ uhren k¨ onnen. Dies leisten viele Reviews (z.B. Wright et al., 1991; Knight et al., 1990; Druet und Taran, 1981) und umfangreiche Monographien (z.B. Boyd, 2008; Shen, 2003). Wir werden hier lediglich einige Grundlagen kommunizieren und anhand eines j¨ ungeren Beispiels das Potenzial nichtlinearer Prozesse f¨ ur die Spektroskopie freier Molek¨ ule andeuten. 15.8.1 Einige Grundlagen Nichtlineare Prozesse entstehen durch die Ver¨anderung der Materie bei der Wechselwirkung mit elektromagnetischer Strahlung, die wiederum auf das

306

15 Molek¨ ulspektroskopie

elektromagnetische Feld zur¨ uckwirkt. In einem st¨orungstheoretischen Ansatz, also f¨ ur nicht allzu hohe Intensit¨ aten, beschreibt man dies durch eine feldinduzierte Polarisation P, die man in allgemeiner Form h¨aufig als   P = P(1) + PN L = 0 χ(1) · E + χ(2) · E E + χ(3) · E E E + . . . (15.34) ansetzt. Dieser Ausdruck ersetzt also (8.96), Band 1, wo wir lediglich einen linearen Term P = P(1) angesetzt hatten. In Analogie zur (linearen) Suszeptibilit¨at χ(1) bezeichnet man χ(2) und χ(3) als nichtlineare Suszeptibilit¨aten zweiter bzw. dritter Ordnung,7 die entsprechenden Terme PN L als nichtlineare Polarisation. Die absolute Gr¨ oße der Polarisation ist nat¨ urlich wie im linearen Fall (8.98) proportional zur Teilchendichte des Untersuchungsobjekts. Es bedarf also einer gewissen Mindestdichte, um nichtlineare Prozesse u ¨berhaupt beobachten und sinnvoll f¨ ur die Spektroskopie nutzen zu k¨onnen. Nach (8.100) sind Brechungsindex n und lineare Suszeptibilit¨at (im Falle isotroper Medien) u upft, in Festk¨orpermaterialien ist ¨ber χ(1) = n2 − 1 miteinander verkn¨ (1) χ also typisch von der Gr¨ oßenordnung 1. Ganz allgemein zeigt es sich, dass die Terme zweiter und dritter Ordnung in der Regel sehr klein gegen den linearen Term sind. Sie werden (jenseits von Resonanzen) erst dann vergleichbar groß, wenn die elektrische Feldst¨  arke in die Gr¨oßenordnung der atomaren Feldst¨arke EH = e0 / 4π0 a20 nach (8.130) kommt, also bei Intensit¨aten ≥ 3 × 1016 W / cm2 . Unter Ber¨ ucksichtigung der linearen und nichtlinearen Polarisation ist die allgemeine Wellengleichung (13.33) zu ersetzen durch:   n2 ∂ 2 1 ∂PN L ∆ − 2 2 E(x, y, z, t) = 2 (15.35) c ∂t c 0 ∂t2 Diese Wellengleichung beschreibt die Ausbreitung elektromagnetischer Strahlung in Materie und muss somit auch f¨ ur die Beschreibung spektroskopischer Experimente angewandt werden. Wegen der Terme h¨oherer Ordnung in (15.34) kann es dabei auch zur Bildung von Summen und Differenzen aller im Spektrum der eingestrahlten elektromagnetischen Welle(n) enthaltenen Frequenzkomponenten kommen. Gleichung (15.35) bildet zusammen mit (15.34) die Basis aller nichtlinearen Spektroskopie. Im allgemeinen Fall ist die Auswertung dieser Gleichungen freilich nicht trivial. Die Suszeptibilit¨ aten χ(1) , χ(2) und χ(3) sind n¨amlich streng genommen Tensoren zweiter, dritter bzw. vierter Stufe, und die Ausdr¨ ucke in (15.34) sind als Summen u ¨ber die Polarisationskomponenten der Feldvektoren, multipliziert mit den entsprechenden Tensorelementen, zu verstehen. In der Praxis vereinfachen Symmetrie¨ uberlegungen das Problem aber meist dramatisch. So ist χ(2) nur dann von Null verschieden, wenn das bestrahlte System keine Zentrosymmetrie besitzt – optisch aktive Kristalle zeichnen sich in der 7

Man beachte aber, dass diese Gr¨ oßen nicht dimensionslos sind wie χ(1) , sondern 2 2 in m / V bzw. m / V gemessen werden.

15.8 Nichtlineare Spektroskopien

307

Tat durch ihre Anisotropie aus und werden z.B. zur Erzeugung der zweiten Harmonischen von Laserlicht benutzt. Besitzt das untersuchte Target aber ¨ Zentrosymmetrie (wie z.B. ein Uberschall-Molekularstrahl oder eine isotrope Fl¨ ussigkeit), so entf¨ allt nicht nur der χ(2) -Term vollst¨andig, auch die χ(3) Terme k¨onnen relativ u ¨bersichtlich werden. Die nichtlineare Polarisation PN L = 0 χ(3) · E E E beschreibt in diesem Fall sogenannte (koh¨ arente) Vierwellenmischprozesse (coherent four wave mixing, CFWM ): drei elektromagnetische Wellen unterschiedlicher oder teilweise auch gleicher Frequenz (ν1 , ν2 , ν3 ) und Polarisation (e1 , e2 , e3 ) werden eingestrahlt und generieren eine zeitlich ver¨anderliche Polarisation PN L , welche ihrerseits ein viertes elektromagnetisches Feld der Frequenz ν4 und Polarisation e4 , eben das gew¨ unschte Signal, erzeugt, das koh¨arent emittiert wird. Im einfachsten Fall, wenn alle eingestrahlten Lichtwellen die gleiche Polarisation haben, wird χ(3) (−ν4 , ν1 , ν3 , −ν2 ) einfach eine skalare Funktion der eingestrahlten Frequenzen (positives Vorzeichen entspricht hier einem Anregungsprozess, negatives Vorzeichen einer stimulierten Emission), und die nichtlineare Polarisation wird PN L = 0 χ(3) E 3 , wobei E(t, z) die Summe der eingestrahlten Wellen repr¨ asentiert. Die Berechnung von χ(3) erfolgt u ucke, die ¨ahnlich wie (15.25) ¨ber Ausdr¨ aufgebaut sind, hier freilich in St¨ orungsrechnung dritter Ordnung: Es handelt sich also um Dreifachsummen u ¨ber die Produkte von jeweils 4 Dipol¨ ubergangsmatrixelementen zwischen Anfangszustand bzw. Endzustand und verschiedenen Zwischenzust¨ anden, die mit jeweils drei Green’schen Propagatoren (Resonanznennern) vom Typ (hν − hνkj + iΓkj )−1 multipliziert werden, wobei ν = ν3 ∓ν2 ±ν1 oder ν3 ±ν2 ±ν1 sein kann; hνkj sind die Energiedifferenzen zu den Zwischenzust¨ anden und Γkj der Mittelwert der nat¨ urlichen Linienbreite der beteiligten Niveaus j und k. Die Auswertung dieser Ausdr¨ ucke, die aus bis zu 48 Summanden bestehen, ist eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe, bei der man sich Feynman-artiger Diagramme nach Yee et al. (1977) bedient, auch Bord´e (1983) Diagramme genannt (wir hatten diese schon bei der spontanen Raman-Streuung benutzt). F¨ ur Details im Kontext der hier interessierenden Prozesse verweisen wir z.B. auf Williams et al. (1994, 1995, 1997) und Di Teodoro und McCormack (1999). Es gibt eine F¨ ulle solcher Vierwellenmischprozesse, die man im Prinzip f¨ ur die Spektroskopie nutzen kann. In Abb. 15.42 ist eine kleine Auswahl anhand von Niveauschemata skizziert. Wir schließen uns dabei der u ¨blichen Konvention an: ν1 und ν3 beschreiben Absorptions-, ν2 und ν4 Emissionsprozesse, wobei die Frequenzen ν1 , ν2 und ν3 eingestrahlt werden, ν4 beschreibt das erzeugte, koh¨arente Signal. CARS ist die koh¨ arente Form der Raman-Streuung, die eine F¨ ulle interessanter, vibrationsselektiver Anwendungen in der Spektroskopie erlaubt. So etwa in der ortsaufgel¨ osten Oberfl¨ achenanalytik. DFWM, die entartete, resonante Vierwellenmischung, bei der drei gleiche Frequenzen zu einem Signal eben dieser Frequenz gemischt werden, kann ¨ahnlich wie die Absorpti¨ ons oder LIF Spektroskopie zur Untersuchung elektronischen Uberg¨ ange eingesetzt werden. TC-RFWM, resonante Zweifarben-Vierwellenmischprozesse,

308

15 Molek¨ ulspektroskopie

elektronisch angeregte Zustände ω2

ωStokes

ω1

e'

ω4 =

i' DFWM

e Pump ω1 = ω2

ω4 ωvib

CARS

ω3

i

ω2 ω3

ωvib

ωvib COORS oder LIF ω2 ω4

ω1

Pump Probe ω1 ω3

ω0

e

ω4

CSRS e' Dump ω3 f

i TC-RFWM, SEP

e Pump ω1 = ω2 i

ω4

f Probe = ω3 i'

TC-RFWM, UP

Abb. 15.42. Vergleich von COORS (Common Ordinary Old Raman Scattering) bzw. im resonanten Fall LIF mit verschiedenen Vierwellenmischprozessen. Volle rote Pfeile entsprechen eingestrahlten Frequenzen, gestichelte rosa Pfeile dem Signal. CARS (Coherent Anti-Stokes Raman Scattering): ν1 = ν3 (Pump bzw. Probe), ν2 =Stokes, ν4 =Anti-Stokes Signal; CSRS (Coherent Stokes Raman Scattering): ν2 = ν3 (Pump bzw. Probe), ν3 =Anti-Stokes, ν4 =Stokes Signal; DFWR (degenerate four wave mixing): vier gleiche Frequenzen, ausgehend von zwei gleichen (oder unterschiedlichen), entarteten Grundzust¨ anden i und i0 zu zwei gleichen (oder unterschiedlichen), entarteten angeregten Zust¨ anden e und e0 ; TC-RFWM, SEP (two colour resonant four wave mixing, stimulated emission pumping): ν1 = ν2 (Pump), ν3 = ν4 (Dump) ; TC-RFWM, UP (mit Doppelresonanz ausgehend vom Grundzustand): ν1 = ν2 (Pump), ν3 = ν4 (Probe)

stellen in der UP-Version eine spezielle Variante von Doppelresonanzspektroskopie dar, die uns in linearer Auspr¨ agung bereits mehrfach begegnet ist. Die u ¨brigen Diagramme in Abb. 15.42 sind weitgehend selbst erl¨auternd, sodass wir hier auf eine vertiefte Diskussion verzichten. Ganz allgemein bew¨ahren sich nichtlineare Verfahren h¨ aufig dort, wo lineare Methoden versagen. So z.B. wenn es gilt, einen diffusen Untergrund zu unterdr¨ ucken, wie beim Nachweis und der Spektroskopie von Radikalen oder Molek¨ ulionen, die in einer selbst leuchtenden Plasmaentladung erzeugt werden. Es ist wichtig festzuhalten, dass bei allen in Abb. 15.42 skizzierten Prozessen Energie- und Impulserhaltungssatz gelten m¨ ussen: hν1 + hν3 = hν2 + hν4 k1 + k3 = k2 + k4

(15.36) (15.37)

15.8 Nichtlineare Spektroskopien

309

mit den vier Wellenvektoren kj . Die letzte Beziehung garantiert die sogenannte Phasenanpassung der vier Wellen (phase matching). Phasenanpassung stellt also die koh¨arente Wechselwirkung der zu mischenden Wellen sicher und bildet das Herzst¨ uck bei der Realisierung eines jeden nichtlinearen Prozesses. Eine genaue Analyse (Williams et al., 1997) zeigt, dass die beobachteten Signalintensit¨aten durch Ausdr¨ ucke vom Typ 2

I4 ∝ [Ni ] × L2 × I1 I2 I3 2

2

(15.38) 2

2

× [Sie ] [Sef ] × |L(ν1 , ν3 )| × [G(e4 , e1 , e2 , e3 ; Ni , Ne , Nf )]

beschrieben werden (dieser spezielle Ausdruck gilt f¨ ur TC-RFWM Anordnungen). Hier steht Ni f¨ ur die Targetteilchendichte im Anfangszustand, L f¨ ur die L¨ange der Wechselwirkungszone, I1 , I2 und I3 sind die drei eingestrahl2 ¨ ten Intensit¨aten und Sjk ∝ |hj kDk ki| die Linienst¨arken der Uberg¨ ange uhrt, zwischen den Zust¨ anden j und k. Wie in Anhang F.2, Band 1 ausgef¨ sind die Linienst¨ arken proportional zum Quadrat des reduzierten Matrix¨ ur den jeweiligen Ubergang – und im elements des Dipoloperators (F.24) f¨ vorliegenden Fall abh¨ angig von den beteiligten Vibrations- und Rotationsquantenzahlen Ni , Ne , Nf . Das Linienprofil L(ν1 , ν3 ) ber¨ ucksichtigt insbesondere die Geschwindigkeitsverteilung der Targetmolek¨ ule (also die Doppler¨ Verbreiterung) sowie die nat¨ urlichen Linienbreiten der Uberg¨ ange. Schließlich beschreibt G(e4 , e1 , e2 , e3 ; Ni , Ne , Nf ) den Einfluss der Polarisationen der eingestrahlten bzw. der nachgewiesenen Wellen und h¨angt nat¨ urlich vom Drehimpuls der beteiligten Zust¨ ande, also von den Rotationsquantenzahlen ab. Wir weisen besonders darauf hin, dass das Signal als koh¨arent verst¨arkter Prozess vom Quadrat der Targetdichte Ni und der Wechselwirkungsl¨ange L abh¨angt und somit die selbst verst¨ arkende Natur dieser Prozesse reflektiert. Sie erfordert das koh¨ arente Zusammenwirken vieler Teilchen. Am einzelnen Atom oder Molek¨ ul gibt es solche Prozesse nicht. Die Folge ist ein hoch kollimierter Signalstrahl, den man bequem vom spontanen Fluoreszenzuntergrund unterscheiden kann. 15.8.2 Ein Beispiel Abbildung 15.43 zeigt einen typischen experimentellen Aufbau nach Mazzotti et al. (2008) mit einer sogenannten BOXCARS Anordnung (a), mit welcher die Phasenanpassung realisiert werden kann. Die Schlitzd¨ use mit Plasmaentladung ist uns schon in Abschn. 15.6.3 begegnet, wo wir Messungen mit der CRD-Methode kennengelernt haben. Hier wird nun DFWM und TC-RFWM f¨ ur die elektronische Spektroskopie an Radikalen benutzt. Charakteristisch ist die Strahlf¨ uhrung mit Hilfe einer Matrix M, welche durch Blenden die Eintrittswinkel und Austrittswinkel und die Divergenzen (auch f¨ ur das nachzuweisende Signal) definiert. Der Kreuzungswinkel der Strahlen ist 1.7◦ , der ¨ Strahldurchmesser vor der Sammellinse (L) ca. 2 mm, wodurch ein Uberlapp

310

15 Molek¨ ulspektroskopie

I1

(a)

Jet I3

k4 M

(b)

M

k3

k2

I2

M

Jet

üse

k1

tzd hli

Sc

Ventil P M

Oszillograph

HV Computer

R Pumpe RF L P ST R R R R

Dye-Laser Nd:YAG Impulsgenerator

Probe RF

Nd:YAG

PD

Dye-Laser

R

Abb. 15.43. Experimentelles Schema zur Vierwellenmischspektroskopie nach Mazzotti et al. (2008). (a) BOXCARS Anordnung zur Phasenanpassung am Plasma¨ Schlitz Uberschallmolekularstrahl mit Masken (M) zur Strahldefinition. (b) Gesamtaufbau mit zwei gepulsten, abstimmbaren Farbstofflasersystemen (bei DFWM wird davon nur einer benutzt), Strahlteilern (ST), hochreflektierenden Spiegeln, Raumfiltern (RF), Jet-Anordnung (mit Hochspannung (HV) f¨ ur die Plasmaerzeugung), Photodetektoren zum Triggern (PD) des Experiments und Signalnachweis (PM) sowie typischer Steuer und Nachweiselektronik

von L ' 30 mm im Target entsteht (L geht wie erw¨ahnt quadratisch ins Signal ein). Der Photomultiplier f¨ ur den Signalnachweis steht in 4 m Entfernung vom Jet. Mehrere Raumfilter auf dem Weg dorthin (nicht in Abb. 15.43 gezeigt) erlauben eine sehr gute Trennung des Signals vom Streulicht aus der Plasmaquelle. ¨ Abbildung 15.44 zeigt am Beispiel des d3 Πg − a3 Πu -Ubergangs im C2 typische, so gewonnene DFWM-Spektren (alle vier Wellen haben hier also die gleiche Frequenz und werden durchgestimmt. Die Temperaturen wurden aus einer Simulation der Spektren (nicht gezeigt) abgesch¨atzt. Wir k¨onnen hier nicht auf Details der Spektroskopie des C2 -Molek¨ uls eingehen, weisen aber auf das exzellente Signal zu Rauschverh¨ altnis hin. Die Rotationsprogressionen der R-, Q- und P -Zweige zeichnen sich durch eine hohe Linienvielfalt aus. F¨ ur hohe Rotationsquantenzahlen N ist im R-Zweig eine klare Triplettstruktur infolge des Spins der elektronischen Zust¨ ande zu erkennen.

15.9 Photoelektronenspektroskopie Photoelektronenspektroskopie (PES) ist eine weitere wichtige Methode der Molek¨ ulspektroskopie, die an freien Molek¨ ulen, vor allem aber auch zur Charakterisierung von Festk¨ orperoberfl¨ achen und dort deponierten Molek¨ ulen breite Anwendung findet. Ihre Anf¨ ange gehen letztlich auf die Interpretation des Photoeffekts durch Einstein 1915 zur¨ uck. Grundlegende Pionierarbeiten

15.9 Photoelektronenspektroskopie

R Trot = 140 K

Q

0-0 515

516

R Trot = 100 K

0-0

(b)

Trot = 40 K 514

(a)

P

517

P

311

Abb. 15.44. DFWMSpektren f¨ ur C2 nach Mazzotti et al. (2008). (a) 0–0 d 3 Πg −a 3 Πu ¨ Ubergang bei Trot ' 140 K, (b) dto. aber bei Trot ' 40 K (c) 1−0 d 3 Πg −a 3 Πu ¨ Ubergang bei Trot ' 100 K. Die Rotationstemperaturen Trot wurden mit Hilfe von Simulationsrechnungen abgesch¨ atzt (hier nicht gezeigt)

(c)

Q

1-0 472

473 Wellenlänge / nm

474

wurden zwischen 1950 und 1970 von Kai Siegbahn (1981) und Mitarbeitern durchgef¨ uhrt und mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Ihre Bl¨ utezeit erlebte die Elektronenspektroskopie in den letzten drei Jahrzehnten des 20sten Jahrhunderts, wo sie sich durch grundlegende Untersuchungen, technische Entwicklungen und raffinierte Verfahren zu einer ausgereiften analytischen Methode entwickelte. In zahlreichen Monographien (z.B. Berkowitz, 1979; Powis et al., 1995) wird das Feld umfassend dargestellt. Grundlagen zum Verst¨andnis der Photoionisation und Beispiele zur PES an Atomen hatten wir schon in Kap. 5.5, Band 1 behandelt. Hier wollen wir kurz in die PES an Molek¨ ulen einf¨ uhren und einige interessante, j¨ ungere Entwicklungen skizzieren. 15.9.1 Experimentelle Grundlagen und Prinzip der PES Abbildung 15.45a illustriert, sehr schematisch, den experimentellen Aufbau eines Elektronenspektrometers. Die benutzten Photonenenergien reichen vom ultravioletten Spektralbereich (oft nur wenige eV oberhalb der adiabatischen Ionisationsgrenze WI ) bis hin zu harter R¨ ontgenstrahlung. Im ersteren Falle spricht man von UPS (ultraviolett photoelectron spectroscopy), mit der man lediglich Valenzelektronen untersuchen kann, im letzteren von XPS (X-ray photoelectron spectroscopy), wobei vor allem Elektronen aus inneren Schalen emittiert werden. Als Strahlungsquellen werden f¨ ur UPS sowohl Gasentladungslampen, wie auch frequenzvervielfachte Laser, f¨ ur XPS R¨ontgenr¨ohren und in beiden F¨allen nat¨ urlich Synchrotronstrahlung als flexible Lichtquelle eingesetzt. Der Vollst¨ andigkeit halber sei erw¨ahnt, dass auch die Elektronenstoßionisation als Prim¨ arprozess benutzt werden kann, wie in Kap. 18.5 n¨aher ausgef¨ uhrt. Sehr interessante Perspektiven bieten in j¨ ungster Zeit auch HHG-Quellen, in welchen man durch hart fokussierte Femtosekunden-

312

15 Molek¨ ulspektroskopie

laserimpulse hohe Harmonische der Laserstrahlung generiert (s. Kap. 8.9.6, Band 1). Diese Quellen versprechen zugleich hohe Zeitaufl¨osung f¨ ur das Studium dynamischer Prozesse. Als Targets kommen Molek¨ ule in der Gasphase ¨ zum Einsatz (heute vorzugsweise im Uberschallstrahl sehr kalt pr¨apariert), aber auch Fl¨ ussigkeiten, ebenfalls in D¨ usenstrahlen pr¨apariert (s. Abschn. 15.9.2). Ihre breiteste Anwendung finden UPS und XPS heute aber in der Oberfl¨achenphysik, wo man etwas locker einfach von Photoemission spricht.

(a) Elektronendetektor

eWkin



X+

X

A+B+

AB+

D0'

WX +υ'N' (min) υ' = 0

AB WX υ''N''

Elektronenspektrometer

(b)

Wkin(max)

Ionisation

Elektronen

W(R)

FC-Region

Synchrot.

Probe Gas(jet) Flüssigjet Oberfläche

Elektonenlinse

UV (UPS)

Monochromator: hν

Ionisation/Anregung Röntgen (XPS)

υ'' = 0

WI

A+B WV D0'' R

Abb. 15.45. Photoelektronenspektroskopie an Molek¨ ulen. (a) Experimentelle Realisierung, schematisch, mit unterschiedlichen Anregungsquellen, verschiedener Targetpr¨ aparation, Elektronenstrahlf¨ uhrung, Energieanalyse (Kugelkondensator) und Elektronennachweis. (b) Energieverh¨ altnisse mit adiabatischem Ionisationspotenzial WI , und vertikalem Ionisationspotenzial WV . Aus der gemessenen kinetischen Energie der Elektronen Wkin und der Photonenenergie hν ergeben sich die Energielagen der ionischen Zust¨ ande nach (15.39)

Die Photoelektronen werden – wie im Zusammenhang mit der Ionisation von Atomen in Kap. 5.5, Band 1 besprochen – mit einer charakteristischen Winkelverteilung in alle Raumwinkel emittiert. Im Experiment selektiert man daraus einen Ausschnitt und kann so bei Bedarf auch den Anisotropieparameter β bestimmen. In Anhang J sind einige Details zu den experimentellen Methoden zusammengestellt. Man verwendet heute meist elektrostatische Anordnungen. Der in Abb. 15.45a angedeutete und in Anhang J.3 n¨aher erl¨auterte Kugelkondensator erfreut sich besonderer Beliebtheit. Wie in Anhang J.4 aus-

15.9 Photoelektronenspektroskopie

313

gef¨ uhrt, werden alternativ auch Flugzeitspektrometer zur Energiebestimmung benutzt, was insbesondere bei gepulsten Lichtquellen vorteilhaft ist. Die Elektronen m¨ ussen schließlich nachgewiesen werden, was im allgemeinen durch Sekund¨arelektronenvervielfacher, SEV (secondary electron multiplier, SEM ) geschieht, die in Anhang J.1 beschrieben werden. Heute kommen h¨aufig bild” gebende“ Verfahren zum Einsatz, mit denen man hinter dem elektrostatischen Monochromator einen breiten Ausschnitt aus der Energieverteilung der Elektronen registrieren und somit simultan ein ganzes Photoelektronenspektrum aufnehmen kann. Wir hatten auf solche Verfahren schon in Kap. 5.5.5, Band 1 hingewiesen. ur das einfachste Beispiel eines zweiatomigen Abbildung 15.45b illustriert f¨ Molek¨ uls die energetischen Verh¨ altnisse bei einem UPS-Prozess. Es gilt hν + AB(γ 00 v 00 N 00 ) → AB+ (γ 0 v 0 N 0 ) + e− (Wkin ) ,

(15.39)

wobei sich die Quantenzahlen γ, v und N wie u ¨blich auf elektronischen Zustand, Vibration und Rotation beziehen. Wir nehmen hier an, dass γ 00 und γ 0 dem elektronischen Grundzustand X bzw. X + von neutralem Molek¨ ul bzw. seinem Kation entsprechen. Die (experimentell zu bestimmende) kinetische Energie der Elektronen Wkin ergibt sich aus der ionisierenden Photonenenergie hν, dem adiabatischen Ionisationspotenzial WI des Molek¨ uls im tiefsten Vibrations-, Rotationsniveau von γ 00 , der anf¨anglichen Kernanregungsenergie Wγ 00 v00 N 00 des Ausgangszustands8 und der Anregungsenergie Wγ 0 ν 0 N 0 , in welcher das Ion nach dem Prozess verbleibt: Wkin = hν − WI + Wγ 00 v00 N 00 − Wγ 0 ν 0 N 0

(15.40)

In Abb. 15.45b ist v 00 = 0 im elektronischen Grundzustand γ 00 = X angenommen, typischerweise mit mehreren besetzten Rotationsniveaus N 00 . Das Ion wird ebenfalls in seinem elektronischen Grundzustand γ 0 = X + erzeugt. Die Ionisation f¨ uhrt bei der angedeuteten Lage der Potenziale zu einer Verteilung verschiedener Vibrations-Rotations-Zust¨ ande. Deren Besetzung erfolgt ganz a¨hnlich wie bei der elektronischen Anregung durch elektrische Dipol¨ uberg¨ange (s. Kap. 11.4). Wir erwarten also auch hier wieder, dass die Franck-Condon (FC) Faktoren (zwischen Ausgangsgrundzustand und erreichtem ionischen Zustand) eine entscheidende Rolle f¨ ur die entsprechenden Ionisationsquerschnitte spielen. Oft ist dabei die Wahrscheinlichkeit gering, ja sogar verschwindend, den energetisch tiefst liegenden Rotations-Vibrationszustand im elektronischen Grundzustand des Ions anzuregen. Dies ist in Abb. 15.45b durch den dicken schwarzen Aufw¨ artspfeil angedeutet. Aus der maximal beobachteten kinetischen Energie der Elektronen Wkin (max) bestimmt man dann die 8

Oft gibt man auch die Bindungsenergie des emittierten Elektrons WB (γ 00 v 00 N 00 ) = −(WI − Wγ 00 v00 N 00 ) an, wobei die Literatur bez¨ uglich des Vorzeichens nicht ganz durchg¨ angig ist. Bezieht man die Bindungsenergie auf das vom Molek¨ ul getrennte Elektron, so gilt nat¨ urlich das Minuszeichen.

314

15 Molek¨ ulspektroskopie

minimale Anregungsenergie Wγ 0 ν 0 N 0 (min) im Ion. Man nennt das so vermessene, scheinbare Ionisationspotenzial WV = hν − Wkin (max) = WI − Wγ 00 v00 N 00 + Wγ 0 ν 0 N 0 (min) = −WBV (15.41) h¨aufig vertikales Ionisationspotenzial“ und WBV = −WV entsprechend ver” ” tikale Bindungsenergie“ des Elektrons. Diese Gr¨oßen sind aber, wie man Abb. 15.45b entnimmt, nur relativ vage definiert, da die Grenze der FC-Region unscharf sein kann. Insgesamt entsprechen Photoelektronenspektren bei der Ionisation im Wesentlichen den Absorptionsspektren bei der elektronischen Anregung. Im Gegensatz zur Absorptionsspektroskopie wird hier aber die Photonenenergie hν in der Regel festgehalten, die kinetische Energie der emittierten Elektronen sorgt f¨ ur Energieerhaltung und gibt die gesuchte spektroskopische Information. Nat¨ urlich k¨onnen auch beim Ionisationsprozess bei hoher Photonenenergie verschiedene elektronische Endzust¨ ande im Ion erreicht werden, was – wie bei der Absorptionsspektroskopie – die beobachteten Spektren erheblich verkompliziert. Hinzu kommt bei der PES, dass unterschiedliche Elektronen ionisiert werden k¨onnen. Bei UPS Untersuchungen sind das z.B. verschiedene Valenzelektronen mit unterschiedlicher Bindungsenergie, die auch zu jeweils eigenen Vibrations-Rotationsspektren f¨ uhren k¨ onnen. Bei XPS werden u ¨berwiegend Elektronen aus den inneren Schalen emittiert, die aufgrund ihrer chemischen Umgebung charakteristische Energieverschiebungen aufweisen und daher f¨ ur die chemische Analyse eben dieser Umgebung eingesetzt werden; man spricht nach Siegbahn von ESCA (electron spectroscopy for chemical analysis). 15.9.2 Beispiele Wir wollen hier nur einige wenige, charakteristische Beispiele besprechen, die das Potenzial, aber auch die Grenzen der Photoelektronenspektroskopie beleuchten. Wir beginnen mit dem uns schon vertrauten H2 O-Molek¨ ul. Das Photoelektronenspektrum von H2 O in der Gasphase wurde mit Synchrotronstrahlung erstmals von Truesdale et al. (1982), etwas sp¨ater von Banna et al. (1986) u ¨ber einen gr¨oßeren Energiebereich, 30 eV ≤ hν ≤ 100 eV, untersucht. Wie in Kap. 12.4.1 besprochen, ist die Elektronenkonfiguration im Grundzustand des H2 O-Molek¨ uls (1a1 )2 (2a1 )2 (1b2 )2 (3a1 )2 (1b1 )2 . Mit Photonenenergien von 100 eV kann man nur die Elektronen aus den vier Valenzorbitalen ionisieren, wie man in Abb. 12.23 auf S. 122 abliest. Man spektroskopiert dabei nach dem in Abb. 15.45b skizzierten Schema Ionenzust¨ande (Dubletts) – jeweils mit einem Loch in einer der Valenzschalen. Die entsprechenden Ionisationsprozesse lassen sich also wie folgt beschreiben:

Elektronensignal / willk. Einh.

15.9 Photoelektronenspektroskopie

(b)

1b1

×5 3a1

1b2 -20

Gasphase

-15 2a1

-10

(c)

flüssige Phase -40

2a1 -30

315

1b1

(a)

Gasphase

1b2

3a1

1b2

3a1

-20 Bindungsenergie / eV

1b1

-10

Abb. 15.46. Photoelektronspektrum der Valenzelektronen von Wasser. (a) H2 O in der Gasphase bei hν = 100 eV (b) mit verbesserter Aufl¨ osung, nach Godehusen (2004); (c) gemessen am Wasserstrahl, also an der Oberfl¨ ache der Fl¨ ussigkeit bei 60 eV nach Winter et al. (2004). Deutlich ist die Verschiebung (s. gestrichelte Linien) der Absorptionsmaxima durch die Solvatationsenergie in der Fl¨ ussigkeit zu erkennen

 2 H2 O + hν → H2 O+ 1b−1 B1 , v 0 + e− (Wkin ) 1  2 H2 O + hν → H2 O+ 3a−1 A1 , v 0 + e− (Wkin ) 1  2 H2 O + hν → H2 O+ 1b−1 B1 , v 0 + e− (Wkin ) 2  2 B2 , v 0 + e− (Wkin ) H2 O + hν → H2 O+ 2a−1 1

(15.42) (15.43) (15.44) (15.45)

Abbildung 15.46a (bzw. Abb. 15.46b hochaufgel¨ost) zeigt charakterisitische Photoelektronenspektren aus einer neueren Messung nach Godehusen (2004) bei hν = 100 eV mit guter Energieaufl¨ osung. Die vier Hauptstrukturen entsprechen ohne Zweifel den Prozessen (15.42), (15.43), (15.44) und (15.45) ¨ (der Ubersichtlichkeit halber werden einfach die Ausgangsorbitale zur Charakterisierung benutzt). Man tr¨ agt das Signal u ¨blicherweise gegen die Bin” dungsenergie“ WB = Wkin − hν auf, muss sich dabei aber dar¨ uber im Klaren sein, dass im Ion auch Vibrationszust¨ ande v 0 angeregt werden k¨onnen, die tats¨achliche Bindungsenergie also eigentlich nach (15.40) aus −Wγ 0 ν 0 N 0 zu bestimmen ist. Im vorliegenden Fall findet offensichtlich eine solche Vibrationsanregung statt: man erkennt, insbes. im hochaufgel¨osten Spektrum Abb. 15.46b, deutliche Vibrationssubstrukturen innerhalb der Hauptpeaks 1b1 , 1a2 und 1b2 (dabei gehen wir davon aus, dass sich das H2 O zu Anfang u ¨berwiegend im Vibrationsgrundzustand befand). Abbildung 15.46 illustriert zugleich auch die Grenzen der Photoelektronenspektroskopie. Die typische Bandbreite der Monochromatoren liegt im besten Falle bei einigen meV, was f¨ ur die Analyse von Vibrationsstrukturen oft ausreicht, Rotationsaufl¨osung aber in der Regel ausschließt. Zum Vergleich sind neben den Spektren f¨ ur das isolierte H2 O-Molek¨ ul auch Photoelektronenspektren f¨ ur die Wasser-Fl¨ ussigkeitsoberfl¨ache nach Winter et al. (2004) gezeigt. Man kann solche Spektren heute an einem sehr

316

15 Molek¨ ulspektroskopie

d¨ unnen Wasserstrahl (wenige µm Durchmesser) mit gut fokussierter Synchrotronstrahlung messen. In der Fl¨ ussigkeit kann man sich jedes Wassermolek¨ ul von einer eigenen Solvath¨ ulle umgeben vorstellen. Die hohe Dielektrizit¨atskonstante9 des Wassers (opt ' 1.8) schw¨acht die Coulomb-Potenziale, welche die Elektronen im H2 O binden, auf (1 − 1/opt ) ab und reduziert so die Bindungsenergie. Diese Reduktion um ca. 2 eV ist in Abb. 15.46c im Vergleich zu Abb. 15.46a deutlich zu erkennen. Die spektralen Strukturen werden durch Fluktuationen der Fl¨ ussigkeitsumgebung gegen¨ uber der Gasphase aber auch verbreitert, sodass Vibrationsanregungen nicht mehr zu erkennen sind. In der Gasphase wurden von Truesdale et al. (1982) und Banna et al. (1986) auch die Verl¨ aufe der Ionisationsquerschnitte und die Asymmetrieparameter β als Funktion der Photonenenergie aufgenommen. Wir erinnern an die in Band 1 besprochene Winkelverteilung (5.66) der Photoelektronen, die f¨ ur streng linear polarisiertes Licht gilt. F¨ ur nicht voll polarisiertes Licht muss man entsprechend korrigieren, wof¨ ur lediglich der lineare Polarisationsgrad P12 des ionisierenden Lichts nach (13.104) bekannt sein muss.10 Der Anisotropieparamters β enth¨ alt wertvolle Information u ¨ber die Eigenschaften der ionisierten Orbitale. So wird, wie in Kap. 5.5.3 besprochen, β = 2, wenn sich das Elektron urspr¨ unglich in einem reinen s-Orbital befand. F¨ ur Elektronen in p-Orbitalen h¨angt β stark von der Energie ab; man findet aber bei nicht zu ¨ hohen Energien typischerweise β < 0. Ahnliches gilt f¨ ur σ- und π-Elektronen in Molek¨ ulen. Im allgemeinen Fall ist die Berechnung von β f¨ ur Molek¨ ule freilich komplizierter als f¨ ur Atome, wo mit (5.76) eine klare Rechenvorschrift gegeben ist. Zum einen sind die elektronischen Zust¨ande jetzt bez¨ uglich der Molek¨ ulgeometrie definiert und nicht mehr einfach Kugelfl¨achenfunktionen, zum anderen muss man die Kernbewegung in geeigneter Weise ber¨ ucksichtigen und ggf. u ber verschiedene Molek¨ u lorientierungen mitteln. Immerhin zeigt sich ¨ beim H2 O, dass die dem 2a1 -Orbital zugeordnete Struktur den gr¨oßten Wert von β u ¨ber ein breiteren Photonenenergiebereich aufweist (hier nicht gezeigt), also tats¨achlich einem s-artigen Orbital entspricht. Als weiteres Beispiel, welches die Komplexit¨at der Probleme verdeutlicht, die man heute mit PES angehen kann, zeigen wir in Abb. 15.47 das Photoelektronenspektrum f¨ ur die Valenzschalen der Nukleobase Cytosin nach Trofimov et al. (2006), also f¨ ur einen der 4 Buchstaben“ des DNA Alphabets. Insge” samt konnten 16 Valenzelektronen eines bestimmten Tautomers durch Vergleich mit theoretisch modellierten Strichspektren zugeordnet werden, wie in Abb. 15.47 gezeigt. Die so bestimmten Valenzorbitale sind rechts aufgelistet. Wir k¨onnen hier nicht weiter auf die recht aufwendigen quantenchemischen Rechnungen eingehen (ADC (3) steht f¨ ur third order algebraic-diagrammatic ” 9

10

Wir m¨ ussen hier die dynamische Dielektrizit¨ atskonstante einsetzen, die viel kleiner ist als die statische (stat ' 80). |P12 | ≤ 1 wird meist anhand bekannter Winkelverteilung f¨ ur Edelgase bestimmt. Man gewinnt β sodann aus der Winkelverteilung des Photoelektronensignals, das mit dieser Korrektur ∝ {1 + β [1 + 3P12 cos (2γ)] /4} wird. Man kann diese Formel im Prinzip mit Hilfe der in Kap. 19 skizzierten Theorie der Messung herleiten.

15.9 Photoelektronenspektroskopie

(a)

Experiment bei hν = 80 eV

Abb. 15.47. Photoelektronenspektrum von Cytosin (2b) in der Gasphase nach Trofimov et al. (2006). (a) Experiment und OVGS-Strichspektrum (b) ADC(3) Strichspektrum und Mittelung dar¨ uber

Strichspektrum: OVGF/6-311++G**

NH2

Photoelektronensignal

N O H

12 11

N

10 8 9

7 6

5

4

2

31

Theorie: ADC(3)/6-31G

(b )

15 + 16

14

11 8 12 10

13

7

9 6

5

4

317

2

-22 -20 -18 -16 -14 -12 -10 Bindungsenergie / eV

3 1 -8

1 = 21a(π5 ) 2 = 20a(π4 ) 3 = 19a(σN ) 4 = 18a(σN ) 5 = 17a(π3 ) 6 = 16a(π2 ) 7 = 15a(σO) 8 = 14a(σ) 9 = 13a(π1 ) 10 = 12a(σ) 11 = 11a(σ) 12 = 10a(σ) 13 = 9a(σ) 14 = 8a(σ) 15 = 7a(σ) 16 = 6a(σ)

construction“ und OVGF f¨ ur outer valcence Greens-functions“, die weiteren ” Zus¨atze bezeichnen den jeweiligen Basissatz).

Elektronensignal

O H H F F C C O C C H F H H

-10 -5 ΔWchem / eV

0 = WB = -284.6 eV

Abb. 15.48. ESCA an Ethylenfluoroacetat nach Gelius et al. (1974) (die Bindungsenergie f¨ ur das C1s-Elektron am CH3 wurde korrigiert; f¨ ur reinen Kohlenstoff liegt die K-Kante bei 283.8 eV). Die gemessene Bindungsenergie WB bzw. die chemische Ver” schiebung“ ∆Wchem ist charakteristisch f¨ ur die chemische Umgebung, wie durch die rot gepunkteten Linien angedeutet

Abbildung 15.48 zeigt abschließend ein klassisches Beispiel f¨ ur die Rumpfelektronenspektroskopie mit XPS nach Gelius et al. (1974). Untersucht wurden die C1s-Elektronen von Ethylenfluoroacetat, einem organischen Molek¨ ul,

318

15 Molek¨ ulspektroskopie

das in der Gasphase mit der Al Kα -Linie (ca. 1 560 eV) ionisiert wurde. Man misst ausgepr¨ agt unterschiedliche Bindungsenergien WB der Photoelektronen, die von den vier Kohlenstoffatomen mit unterschiedlicher chemischer Umgebung stammen. Hier wird die so bestimmte chemische Verschie” bung“ (chemical shift) auf die Bindungsenergie der CH3 -Umgebung bezogen, ∆Wchem = WB − WB (CH3 ). Die Rumpfelektronen proben – anders als die Valenzelektronen – einen ganz bestimmten Ort im Molek¨ ul, und man kann mit ihnen sehr spezifisch die chemische Umgebung erkunden (daher der Name ESCA). Die Methode wird heute standardm¨aßig in der Oberfl¨achenphysik und -chemie eingesetzt. XPS (alias ESCA) wurde u ¨ber die letzten Dekaden hinweg zu einer effizienten und robusten Methode der chemischen Analyse von Oberfl¨achen, Beschichtungen und d¨ unnen Filmen f¨ ur die verschiedensten Materialien entwickelt und kann auch ortspezifisch, z.B. in Verbindung mit der R¨ontgenmikroskopie durch Synchrotronstrahlung verwendet werden. Neben der f¨ ur organische Materialen besonders interessanten C1s-Kante eignen sich auch die K-Kanten von O, N, S und anderen charakteristischen Atomen zur Analyse der chemischen Umgebung. Aber auch die K- und gelegentlich L-Kanten von Metallen werden intensiv zur quantitativen Analyse von Oberfl¨achen und Tiefenprofilen d¨ unner Schichten benutzt (letztere in Verbindung mit Oberfl¨achen abtragenden Methoden). Ausgereifte Apparate f¨ ur solche Analysen sind heute kommerziell in verschiedenen Ausf¨ uhrungen erh¨altlich (s. z.B. Kelly, 2004). 15.9.3 Weitere Methoden der PES: TPES, PFI, ZEKE, KETOF, MATI Vergleicht man die bislang gezeigten Photoelektronenspektren mit optischen Spektren, wie wir sie in den vorangehenden Abschnitten dieses Kapitels kennengelernt haben, so f¨ allt die um Gr¨ oßenordnung schlechtere Aufl¨osung der PES auf – letztlich den grunds¨ atzlich unterschiedlichen Eigenschaften von Photonen und Elektronen geschuldet. Dennoch kann man auf den energieselektiven Elektronennachweis nicht verzichten, wenn ionische Zust¨ande spektroskopiert werden sollen. Daher wurden seit den fr¨ uhen Tagen der Elektronenspektroskopie immer wieder Anstrengungen unternommen, die Elektronenenergieaufl¨osung zu verbessern bzw. die Vorteile von optischer Spektroskopie und PES zu kombinieren. Als erfolgreich hat sich dabei ein Grundgedanke erwiesen: wenn man nur solche Elektronen nachweist, die an der energetischen Schwelle eines jeden Ionisationsprozesses mit wohldefinierten Anfangs(γ 00 v 00 N 00 ) und Endquantenzahlen (γ 0 v 0 N 0 ) nach (15.39) entstehen – also Elektronen praktisch vernachl¨ assigbarer kinetische Energie – dann kann man diese ¨ Uberg¨ ange mit optischer Pr¨ azision bestimmen, indem man die ionisierende Wellenl¨ange durchstimmt. Man nutzt dabei die Tatsache, dass Photoelektronen mit endlicher Energie und Impuls in den gesamten Raumwinkel von 4π emittiert werden. Man muss somit besondere Anstrengungen unternehmen, um sie zu detektieren.

15.9 Photoelektronenspektroskopie

319

'Steradiancy' Analysator

feldfrei ktiert) - (nicht dete e e ll schne Detektionskegel

hν 123 V θr sehr rasch ab, da dort nur noch eine Traagt. Auch das nach (16.49) erwartete jektorie zum Querschnitt (16.58) beitr¨ Vorw¨artsmaximum ist deutlich zu sehen. Daneben erkennt man einige weniger ausgepr¨agte Maxima f¨ ur θ < θr . Diese Nebenregenb¨ ogen (supernumery

1000

100



10

1

Abb. 16.22. Gemessener differenzieller Streuquerschnitt f¨ ur das System Cs-Hg nach Buck et al. (1972). Links: I (θ) gewichtet mit sin θ, Einschub rechts oben: I (θ) gewichtet mit θ7/3 bis zum Regenbogenwinkel θr

θ 7/3 I(θ)

sinθ I(θ)

10° 20° 30° 40°

θr



60° 120° Streuwinkel θ

180°

358

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

θ 7/3 I(θ) / willk. Einh.

8

Abb. 16.23. Mit hoher Winkelund Geschwindigkeitsaufl¨ osung gemessener differenzieller, elastischer Streuquerschnitt f¨ ur Li-Hg I (θ) gewichtet mit θ7/3 nach Buck et al. (1974). Man erkennt neben mehreren Regenb¨ ogen auch deutlich sehr schnelle Oszillationen

LiHg

6 4 2 0



10° 20° 30° Streuwinkel θ

40°

rainbows) entsprechen denen, die wir schon beim optischen Regenbogen kennengelernt haben. Ganz offensichtlich gelangen wir aber mit der Interpretation der verschiedenen Oszillationen an die Grenzen der klassischen Streutheorie, denn es handelt sich hier um Interferenzph¨ anomene, welche der Wellennatur der stoßenden Atome geschuldet sind. Man sieht das besonders deutlich an dem vergr¨oßerten Ausschnitt im Bereich des Regenbogenwinkels in Abb. 16.22 rechts oben, wo der differenzielle Querschnitt entsprechend (16.49) mit θ7/3 skaliert wurde, um den raschen Abfall bei kleinen Winkeln zu kompensieren. Noch deutlicher wird das bei dem mit hoher Winkelaufl¨osung gemessenen differenziellen Streuquerschnitt f¨ ur Li-Hg in Abb. 16.23 (der Deutlichkeit halber wieder mit θ7/3 multipliziert). Wie kommen diese verschiedenen oszillatorischen Strukturen im differenziellen Streuquerschnitt zustande? Die Analyse zeigt, dass man sie als Interferenzen zwischen Trajektorien mit unterschiedlichem Stoßparameter auffassen kann, die zum gleichen Streuwinkel f¨ uhren, wie in Abb. 16.21 f¨ ur b01 , b2 , b3 angedeutet. Ganz wie in der Optik u ¨berlagern sich diese Teilchenwellen und f¨ uhren aufgrund der mit dem Streuwinkel variierenden Phasendifferenzen zu charakteristischen Interferenzoszillationen. Dabei werden Trajektorien, die auf der gleichen Seite des Streuzentrums verlaufen (z.B. b2 und b3 ), zu kleinen Phasendifferenzen und entsprechend langsamen Oszillationen f¨ uhren (Nebenregenb¨ogen). Dagegen sammeln Trajektorien, die auf unterschiedlichen Seiten am Target vorbeilaufen (b01 und b2 bzw. b3 ) große Phasendifferenzen auf und geben Anlass zu schnellen Oszillation. ur verschiedene Anomalien verAbbildung 16.24 stellt schematisch die f¨ antwortlichen Trajektorien zusammen. Abbildungen 16.24 (a) und (b) illustrieren den Ursprung der gerade dokumentierten, langsamen (Abb. 16.22, Regenbogen und Nebenregenb¨ ogen) bzw. schnellen Oszillationen (in Abb. 16.23 auf den Nebenregenb¨ ogen erkennbar). Verwandt damit sind die sogenannten Glorien-Oszillationen nach Abb. 16.24 (c). Sie entstehen durch Interferenzen zwischen Trajektorien bei sehr großen und kleinen Stoßparametern bg , die beide zu Vorw¨artsstreuung f¨ uhren – letztere durch Kompensation der Ablen-

16.3 Elastische Streuung und klassische Theorie

(a)

Nebenregenbögen

(b)

schnelle Oszillationen

(c)

Glorienoszillation

b3 b2

(d)

Resonanzeinfang

(e )

Schattenstreuung (Beugung) θ ~ λdB / a

(f)

Symmetrieoszillationen

b2 , b3 b1'

bg

359

Abb. 16.24. Schematische Illustration von Trajektorien (s. Abb. 16.21) zum Ursprung der verschiedenen Oszillationstypen bei der elastischen Atom-Atom Streuung

kung im attraktiven und repulsiven Teil des Potenzials (s. auch Abb. 16.21c). Experimentell beobachtet man sie naturgem¨ aß am deutlichsten im integralen Querschnitt, wie bereits in Abb. 16.6 auf S. 337 gezeigt. Bei dem in Abb. 16.24 (d) angedeuteten Ph¨anomen handelt es sich um Resonanzeinfang einer Trajektorie (sogenannte orbiting resonance) in das Potenzial des Targetteilchens. Es wird also kurzzeitig ein quasistabiler, gebundener Zustand (Stoßkomplex) der beiden Stoßpartner gebildet. Ein besonders sch¨ones Beispiel nach Toennies (2007) ist der in Abb. 16.25 gezeigte integrale elastische Querschnitt f¨ ur die H+Xe Streuung. Quantenmechanisch k¨onnen solche kurzlebigen Resonanzen z.B. hinter einer Rotationsbarriere gebildet werden, die durch Superposition eines anziehenden Potenzials und des repulsiven Zentrifugalpotenzials zustande kommt, wie dies im Einschub in Abb. 16.25 schematisch illustriert ist. Das kann zu Resonanzen bei sehr niedrigen kinetischen Energien f¨ uhren, die nat¨ urlich eine besondere experimentelle Herausforderung bedeuten. Im hier gezeigten Beispiel wurden die erforderlichen, sehr niedrigen kinetischen Energien dadurch erreicht, dass zwei kalte, gut geschwindigkeitsselektierte Atomstrahlen unter einem Win¨ kel von 45◦ (anstatt der u Resonanzen ¨blichen 90◦ ) gekreuzt wurden. Ahnliche kennt man u ulspektroskopie, dort unter der Be¨brigens auch aus der Molek¨ zeichnung Pr¨ adissoziation. Sie werden bei der Anregung von Molek¨ ulen in quasigebundene Zust¨ ande kurz oberhalb der nominellen Dissoziationsenergie eines Zustands im effektiven Potenzial gebildet, ganz wie dies im Einschub von Abb. 16.25 skizziert ist (Shape-Resonanzen). Ein anderer Typ von Resonanzen sind die sogenannten Feshbach-Resonanzen, die kurz unterhalb gebundener Zust¨ande auftreten, z.B. bei der Rotations- oder Schwingungsanregung von Molek¨ ulen im Schwerteilchenstoß oder bei der elektronischen Anregung

integraler elast. Wirkungsquerschnitt σ / Å2

360

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

500

0.5

CM Stoßenergie WT / meV 2 5 10 20 50

1

100

200

Veff

500 ℓ=7 ℓ=6 ℓ=5 R

ℓ=7 ℓ=6 100

50 200

ℓ=5

H + Xe

500

1000 2000 5000 Relativgeschwindigkeit u / m s-1

10000

Abb. 16.25. Orbiting Resonanzen im integralen elastischen Wirkungsquerschnitt bei der Streuung von H an Xe aus zwei verschiedenen Experimenten (Messpunkte mit Fehlerbalken) im Vergleich mit quantenmechanischen Modellierungen (Linien) nach Toennies (2007). Der Einschub rechts oben illustriert schematisch das Zustandekommen dieser Resonanzen im effektiven Potenzial Vef f f¨ ur Drehimpulse ~`

von Atomen durch Elektronenstoß. Wir kommen darauf noch in Abschn. 16.5 zur¨ uck. Eng verwandt mit den eben diskutierten Interferenzph¨anomenen ist die sogenannte Schattenstreuung, welche in gewissem Sinne die Beugungsgrenze der Streuphysik markiert, wie in Abb. 16.24 (e) symbolisiert. Schattenstreuung ist das wellenmechanische Analog zur optischen Beugung an einem kleinen Objekt bei kleinen Streuwinkeln. F¨ ur thermische Schwerteilchenst¨oße ist sie nicht von den bereits behandelten Oszillationstypen zu trennen. Sie ist aber f¨ ur kleine De-Broglie-Wellenl¨ angen λdB = 2π/k = h/µu, also bei der Elektronenoder Ionenstreuung mit kinetischen Energien im keV-Bereich von Interesse: man erwartet f¨ ur die Teilchenwellen in v¨ olliger Analogie zu (13.59) ein typisches Fraunhofer’sches Beugungsbild f¨ ur den differenziellen Querschnitt 2 Z ∞ (16.59) bJ0 (kbθ)T (b)db . I(θ) ∝ 0

Dabei ist T (b) eine im allgemeinen komplexe Transmissionsfunktion f¨ ur den untersuchten Streuprozess, welche auch die Ausdehnung des Wechselwirkungspotenzials ber¨ ucksichtigt. F¨ ur eine harte Kugel vom Radius a an der ein punktf¨ormiges Projektil gestreut wird, ergibt das Integral das gleiche Resul¨ des zentralen tat (13.60) wie im optischen Fall, mit einem Offnungswinkel

16.3 Elastische Streuung und klassische Theorie

6 LaserLi-Detektor strahlen (Na-Falle)

Ablenkspulen

Na+ - Detektor (positionsempfindlich)

+ Li+ _

υ = 0.15 a.u.

y x

Li +

z

ra h

MOT-Spulen

(c)

(a) 0.40 a.u.

l

pz / a.u. 2.5 0 - 2.5

(b)

-S t

361

-2.5 0 2.5 -2.5 0 2.5

pz / a.u.

0.20 a.u. υ = 0.15 a.u.

0

0.135 a.u. 0.04 θz / grad

0

0 -0.04

0

0.04 θy / grad

0 0.04

0

-0.04

0

0.40 a.u.

0.28 a.u.

Abb. 16.26. Fraunhofer-Beugungs-Figuren in der Kleinstwinkelstreuung beim Ladungsaustauschprozess 6 Li+ + 23 Na(3s) → Li(3s) + Na+ nach van der Poel et al. (2002). (a) Experimenteller Aufbau mit MOT (die dicken roten Pfeile markieren die Laserstrahlen, welche die Na-Atome k¨ uhlen und in der Falle positionieren), (b) experimentelle Rohdaten, (c) daraus rekonstruierte differenzielle Streuquerschnitte f¨ ur kleinste Beugungswinkel θ bei verschiedenen Geschwindigkeiten in atomaren Einheiten (Energien 2.4–40 keV)

¨ Beugungsscheibchens von der Gr¨ oßenordnung θ1 = 0.61λ/a. Uber eine experimentelle Beobachtung ist in der Vergangenheit gelegentlich berichtet, aber meist kontrovers diskutiert worden (s. z.B. Geiger und Moron-Leon, 1979; Bonham, 1985). Die Anforderungen an die experimentelle Winkelaufl¨osung zur Beobachtung dieses Ph¨ anomens sind extrem. Beim Ladungsaustausch 6 Li+ + 23 Na(3s) → Li(3s) + Na+ haben van der Poel et al. (2002) solche Fraunhofer’schen Beugungsringe bei Stoßenergien von 2.4–40 keV untersucht. Bei einem typischen Wechselwirkungsradius a ' 5–10 a0 ergeben sich Beugungswinkel θ1 im Bereich von 0.01◦ –0.005◦ . Um solche Strukturen aufl¨ osen zu k¨ onnen, bedarf es modernster Messverfahren. Abbildung 16.26a zeigt ein Schema des verwendeten experimentellen Aufbaus. Mit Hilfe eines sogenannten Reaktionsmikroskops gelang eine vollst¨andige Impulsanalyse durch r¨ aumlich und zeitlich aufgel¨osten, koinzi-

362

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

denten Nachweis beider Stoßpartner nach dem Stoß.6 Um diese Analyse mit hinreichender Pr¨azision zu erm¨ oglichen, muss man nicht nur einen gut kollimierten Li+ -Projektilstrahl benutzen (die Winkelaufl¨osung war < 0.3◦ ), auch das Na-Targetgas muss extrem kalt sein, sodass der Anfangszustand des Systems insgesamt wohl definiert ist. In diesem Experiment wurde eine sogenannte magneto-optische Falle (magneto optical trap, MOT ) benutzt, die Temperaturen < 1 mK erzielte (wir werden auf solche Teilchenfallen und Lasermethoden zur Atomk¨ uhlung in Band 3 zur¨ uckkommen). Die Kombination dieser Techniken erm¨ oglicht schließlich die erforderliche Impuls- und Winkelaufl¨osung. Die experimentellen Rohdaten sind f¨ ur zwei Geschwindigkeiten in Abb. 16.26b gezeigt. Eine dreidimensionale Rekonstruktion der Winkelverteilung auf der Basis der experimentellen Ergebnisse ist in Abb. 16.26c gezeigt. Die beeindruckenden, charakteristischen Beugungsbilder sind optischen Beugungserscheinungen in der Tat ¨ außerst ¨ ahnlich. Sie erlauben sehr kritische Tests der einschl¨agigen quantenmechanischen Methoden zur Berechnung des Ladungsaustauschprozesses. Abschließend sollen noch die sogenannten Symmetrieoszillationen gew¨ urdigt werden. Schematisch ist ihr Ursprung in Abb. 16.24 (f) veranschaulicht. ¨ Sie entstehen durch Uberlagerung der Vorw¨ arts- und R¨ uckw¨artsstreuung in Systemen zweier identischer Teilchen durch die quantenmechanische Ununterscheidbarkeit der beiden Teilchen. Entsprechend (16.58) erwartet man in dieser Situation einen differenziellen Wirkungsquerschnitt 2

I(θ, T ) = |fj (θ) ± f (π − θ)| ,

(16.60)

wobei das positive Vorzeichen f¨ ur Bosonen, das negative f¨ ur Fermionen einzusetzen ist. Solche Symmetrieoszillationen werden sich nat¨ urlich auch auf den integralen Querschnitt auswirken. Ein geradezu historisch zu nennendes Pionierexperiment zu diesem faszinierenden Ph¨ anomen wurde von Feltgen et al. (1982) durchgef¨ uhrt. Abbildung 16.27 illustriert den experimentellen Aufbau zur Untersuchung des integralen elastischen Wirkungsquerschnitts σel f¨ ur die He+He Streuung. Es handelt sich, wie man leicht erkennt, um ein recht aufwendiges Experiment, das unter anderem zwei Tieftemperaturkryostaten ben¨otigte und gr¨oßte Anforderungen an das Geschick und die Frustrationsbest¨andigkeit der Experimentatoren stellte. Gute Geschwindigkeitsaufl¨osung des Projektilstrahls und ein m¨oglichst kaltes Targetgas zur Begrenzung der kinematischen Unsicherheiten sind Voraussetzung f¨ ur die in Abb. 16.28 zusammengestellten Ergebnisse. Sowohl 4 He als auch 3 He wurden in den verschiedenen m¨oglichen Kombinationen untersucht. Die Symmetrieoszillationen als Funktion der relativen Geschwindigkeit der Stoßpartner sind klar erkennbar f¨ ur das System 4 He + 4 He 6

F¨ ur Details zu dieser außerordentlich leistungsf¨ ahigen Methode, urspr¨ unglich unter dem Namen COLTRIMS (Cold Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy) eingef¨ uhrt, verweisen wir den interessierten Leser auf die grundlegende ¨ Ubersichtsarbeit von Ullrich et al. (2003). Siehe auch Anhang J.4.

16.3 Elastische Streuung und klassische Theorie

(a) G

C1

KA St

A

GB

KB St V C2 C3

P S M

(b)

N S

C1

σelast /willk. Einh.

4He

Sc

+ 4He

η0= 0

3He

EM C2 C3

−N= 1 2 3 4 56

+ 3He −N= 1

3He

1

St

4.5×4.5 ∅ 6 ∅3 ∅5 384 178 12 656 265

4×3

10

Sc

( ( ( ( ( ( ( (

D

+ 4He

η1= 0

1.6 K

100

υLab / ms-1

1000

2 3 45

363

Abb. 16.27. Experiment zur elastischen He +He-Streuung nach Feltgen et al. (1982) als konkretes Beispiel f¨ ur das Schema nach Abb. 16.24f. (a) apparative Details GA , GB : Gaseinlass f¨ ur A bzw. B; S: Prim¨ arquelle f¨ ur A; M: Geschwindigkeitsselektor; Sc: Streukammer; D: Detektor (Ionisation und Ablenker); EM: Elektronenmultiplier; KA , KB : Kryostate; St: Strahlungsschilde; N: Strahlunterbrecher; P: Strahlblockierung; C1 –C3 : Kollimationsblenden. (b) Bemaßung der Apparatur in mm Abb. 16.28. Integraler, elastischer Wirkungsquerschnitt σelast f¨ ur die He +He-Streuung als Funktion der Laborgeschwindigkeit vLab (des jeweils erstgenannten Stoßpartners) nach Feltgen et al. (1982). Die sogenannte g-u Oszillationen sind f¨ ur die symmetrischen Prozesse 4 He + 4 He sowie 3 He + 3 He sehr deutlich, nicht aber f¨ ur das Paar 3 He + 4 He, dessen Wechselwirkungspotenzial identisch mit dem der beiden anderen Paare ist

wie auch f¨ ur 3 He + 3 He – wenn auch mit einem deutlich verschobenen Verhalten von Maxima und Minima. Dagegen gibt es keinerlei solche Oszillationen beim System 4 He + 3 He. Um diesen erstaunlichen Befund zu w¨ urdigen, muss man sich daran erinnern, dass das Wechselwirkungspotenzial, welches ja nur von der Atomh¨ ulle herr¨ uhrt, in allen drei F¨ allen v¨ollig identisch ist. Der Unterschied besteht lediglich in der Bosonen- bzw. Fermionen-Eigenschaft der Stoßpartner. Im ersten Falle haben wir es mit Bosonen zu tun, wo die Regeln der Quantenmechanik Symmetrie der Wellenfunktion gegen Vertauschung der Teilchen fordert. Im zweiten Fall, dem Stoß zweier Fermionen, m¨ ussen die Gesamtwellenfunktionen antisymmetrisch sein. Im dritten Fall handelt es sich um die Streuung eines Bosons an einem Fermion, die quantenmechanisch im Prinzip unterscheidbar sind, und deren Gesamtwellenfunktion daher keinen Symmetrieforderungen unterliegt. Unzweifelhaft ber¨ uhren diese experimentellen Befunde die subtilsten und grundlegensten Aspekte unseres Verst¨ andnisses der Quantenmechanik: keine der bekannten Wechselwirkungen ist dazu in der Lage, die beiden Streuteilchen ihren bosonischen oder fermionischen Charakter untereinander kommunizieren zu lassen: das Wechselwirkungspotenzial ist in allen drei F¨allen

364

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

identisch! Und dennoch wissen“ sie von Anfang an, wie sie ihre Wellenfunktio” nen zu arrangieren haben: symmetrisch oder antisymmetrisch oder gar nicht. Nat¨ urlich kann man das experimentell beobachtete Ergebnis pr¨azise nach den Regeln der Quantenmechanik berechnen. Man braucht dazu nur das richtige Rezept anzuwenden: das f¨ ur Bosonen oder Fermionen oder unterscheidbare Teilchen. Aber warum die Teilchen sich so verhalten, kann man nicht weiter erkl¨aren – das ist eine der Fragen, die man nicht zu stellen hat. Es gibt nur wenige Beispiele in der Physik, wo die philosophischen Implikationen (man mag sagen: Wunderlichkeiten) der Quantenmechanik so evident sind – und die korrekte, quasi rezeptologische Behandlung des Ph¨anomens dabei doch so einfach, erfolgreich und ohne gr¨ oßeren mathematischen Aufwand m¨oglich!

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung Wie wir gerade gesehen haben, gen¨ ugt die klassische Theorie nicht, um alle Streuprozesse und die vielf¨ altigen, experimentell beobachteten Ph¨anomene zu erkl¨aren. Bei der Elektronenstreuung ist dies nach (16.36) schon wegen der großen De-Broglie-Wellenl¨ angen λ evident. Bei der Schwerteilchenstreuung sind es die Interferenzeffekte, die uns zu einer quantenmechanischen Behandlung zwingen. Wir werden in diesem Abschnitt am Beispiel elastischer Prozesse zun¨achst in die grundlegenden quantenmechanischen Konzepte mit Streuamplituden und Partialwellenanalyse einf¨ uhren und typische Streuphasen f¨ ur charakteristische F¨ alle diskutieren. 16.4.1 Allgemeiner Formalismus Grunds¨atzlich ist die Quantenmechanik immer dann anzuwenden, wenn λdB = 2π/k = h/µu vergleichbar mit kritischen Dimensionen der Wechselwirkung ist (z.B. mit der Differenz der Stoßparameter, die zu gleichen Ablenkwinkeln f¨ uhren). Bei der rein elastischen Streuung bleiben die internen Eigenfunktionen der streuenden Teilchen im Stoß unver¨ andert. Wir m¨ ussen also lediglich are Schr¨odinger-Gleichung f¨ ur die (16.27) auf die u ¨bliche Weise in die station¨ Relativbewegung u ¨bersetzen:  2  ~ 2 ~2 k 2 − ∇ + V (R) − ψ (R) = 0 (16.61) 2µ 2µ Dabei ist k = p/~ der Wellenvektor der relativen Teilchenbewegung, f¨ ur den wiederum k 2 = 2µT /~2 gilt. In diesem station¨aren Bild beschreibt man den Projektilstrahl (genauer: die Relativbewegung der Teilchen) als ebene Welle ψ0 und das Streuzentrum wird der Ursprung einer auslaufenden Kugelwelle ψs . Wir suchen f¨ ur (16.61) also asymptotische L¨osungen vom Typ R→∞

ψ (R) −→ ψ0 + ψS = eika R +

eikb R f (θ, ϕ) . R

(16.62)

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

365

Die Streuamplitude f (θ, ϕ) beschreibt die Abh¨angigkeit der gestreuten Kugelwelle von Polar- und Azimutwinkel, und ka bzw. kb sind die Wellenvektoren der relativen Teilchenbewegung vor und nach dem Stoß. Aus der Flussdichte7 der gestreuten Teilchen 2

js =

~kb ~kb |f (θ, ϕ)| 2 |ψs | = 2 µ µ Rdet

(16.63)

ergibt sich die Anzahl gestreuter Teilchen ∆N˙ , die den Detektor pro Zeiteinheit und pro streuendes Atom im Abstand Rdet vom Streuzentrum trifft: 2 ∆N˙ = j s · Adet = |js | Rdet ∆Ω .

(16.64)

2 Adet = Rdet ∆Ω ist die Detektorfl¨ ache bei einem Akzeptanzraumwinkel ∆Ω. Normieren wir noch auf den anf¨ anglichen Teilchenfluss

j0 =

~ka , µ

(16.65)

so ergibt sich nach den Definitionen (16.21) und (16.22) der DCS zu: I (θ, ϕ) =

2 ∆N˙ js Rdet kb dσ 2 = = = |f (θ, ϕ)| . dΩ j0 ∆Ω j0 ka

(16.66)

Im Fall der elastischen Streuung wird |kb | = |ka | = k, sodass sich f¨ ur den differenziellen bzw. integralen elastischen Streuquerschnitt ergibt: Z dσ el 2 2 = |f (θ, ϕ)| bzw. σ el = |f (θ, ϕ)| dΩ (16.67) dΩ 16.4.2 Drehimpuls, Stoßparameter und Streuebene F¨ ur die quantenmechanische L¨ osung des Streuproblems muss man die Wellenfunktion nach Drehimpulsen entwickeln. Es ist hilfreich, dabei den Zusammenhang mit dem klassischen Teilchenbild nach Abb. 16.29 im Auge zu behalten. Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgr¨ oße w¨ ahrend des Stoßes und ergibt sich aus (Relativ-)Impuls p und Ortsvektor R im CM-System als ` = R × p = R × ~k .

(16.68)

Der Drehimpuls ` definiert zugleich eine Streuebene.8 F¨ ur r¨aumlich isotrope Potenziale w¨ahlt man u ¨blicherweise die Richtung des einfallenden Teilchenstrahls als Quantisierungsachse z (col) und ` zeigt senkrecht in die x(col) z (col) Streuebene hinein, parallel zu y (col) . Drehimpulserhaltung f¨ uhrt zu einer 7

8

Formal erh¨ alt man diese durch Anwendung des quantenmechanischen Ausdrucks j =~/2mi [ψ∇ψ ∗ − (∇ψ ∗ ) ψ] auf die asymptotische Wellenfunktion (16.62). Hier und im folgenden bezeichnen wir den Bahndrehimpuls der Kernbewegung mit `, seine Quantenzahl – wie u ¨blich – mit `. Die kleine Inkonsistenz mit der Bezeichnung des molekularen Drehimpulses N und der Rotationsquantenzahl N ussen wir in Kauf nehmen. nach Kap. 11 m¨

366

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

einfallender Teilchenstrahl

p=ħk

b R y(col) ℓ e i kz x(col)

z(col) +Θ klassische Trajektorie

Abb. 16.29. Streuebene x(col) -y (col) z (col) definiert durch Ortskoordinate R und Impuls p = ~k vor dem Stoß. Mit dem Stoßparameter b ist der Betrag des Drehimpulses |`| = `~ = bp

wichtigen Aussage: elastische St¨ oße finden in einer durch Impuls und Streuzentrum definierten Ebene statt, in der auch der auslaufende Impuls liegt. Dies gilt auch noch f¨ ur inelastische St¨ oße, wenn das Wechselwirkungspotenzi¨ al vor oder nach dem Stoß isotrop ist. Eine Anderung der Streuebene ist dann m¨oglich, wenn Drehimpuls auf einen der Stoßpartner u ¨bertragen wird. Dem Betrage nach ist p (16.69) |`| = `~ = bp = b~k = b 2µT bzw. b = `/k . (16.70) St¨oße mit Stoßparametern, f¨ ur die 0 < b < 1/2k gilt, entsprechen also sWellen, f¨ ur 1/2k < b < 3/2k sind es p-Wellen, usw. 16.4.3 Partialwellenentwicklung Wie bei gebundenen Zust¨ anden l¨ ost man die Schr¨odinger-Gleichung (16.61) durch einen Separationsansatz ψ (R) =

u` (R) Y`m` (θ, ϕ) R

(16.71)

mit den sph¨arischen Harmonischen Y`m` , wobei wie u ¨blich ` und m` die Quantenzahlen f¨ ur den Betrag und die Ausrichtung des Bahndrehimpulses im Raum sind. Die Radialgleichung wird wie im Fall gebundener Zust¨ande  2  d 2µ ` (` + 1) 2 + k − 2 V (R) − u` (R) = 0 . (16.72) dR2 ~ R2 ¨ Wir haben hier der Ubersichtlichkeit wegen ein sph¨arisch isotropes Potenzial V (R) angenommen, weshalb f (θ, ϕ) = f (θ) wird. Die Verhalten der sogenannten Partialwellen u` (R) veranschaulicht man sich zum Eingew¨ ohnen zun¨ achst in einer eindimensionalen Vereinfachung. Abbildung 16.30 illustriert das asymptotische Verhalten der Wellenfunktion u(R) = sin(kR + η), welche das Streupotenzial V (R) durchlaufen hat. Es unterscheidet sich von der sich frei ausbreitenden Welle sin(kR) lediglich durch eine Phasenverschiebung η der Wellenz¨ uge, der sogenannten Streuphase. Das

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

V(R) u(R) sin(kR) WT

sin(kR+η) η0 sin(kR+η)

R Potenzialtopf

R Potenzialwall sin(kR)

367

Abb. 16.30. Illustration der Streuphase η f¨ ur ein (hypothetisches) eindimensionales Streuproblem: f¨ ur ein anziehendes (links), bzw. abstoßendes Potenzial (rechts). Die vollen roten Linien repr¨ asentieren die Streuwelle, die d¨ unneren grauen Linien die ungest¨ orte Welle

Vorzeichen dieser Streuphase η ist positiv oder negativ, je nachdem ob wir es mit einem anziehenden oder abstoßenden Potenzial zu tun haben. Zur¨ uck zur vollen Radialgleichung im dreidimensionalen Fall. Bei der L¨osung von (16.72) benutzten wir die in Abb. 16.29 skizzierte Wahl des Koordinatensystems. Dann gilt m` = 0 vor dem Stoß, und wegen der Drehimpulserhaltung auch danach. Im Gegensatz zu den gebundenen Zust¨anden der Atomphysik hat man es beim Streuproblem aber immer mit einer Superposition vieler Bahndrehimpulse zu tun – ganz einfach deswegen, weil es unm¨oglich ist, das Streusystem vor dem Stoß mit wohl definiertem Stoßparameter bzw. Bahndrehimpuls zu pr¨ aparieren. Das macht die L¨osung des Streuproblems erheblich komplizierter als die Suche nach gebundenen Zust¨anden. Man schreibt also die gesamte Wellenfunktion (16.62) als sogenannte Partialwellenentwicklung ∞ 1 X ψ (R) = A` u` (R) P` (cos θ) (16.73) kR `=0 p mit den Legendre-Polynomen P` (cos θ) = 4π/ (` + 1)Y`0 (θ, 0). Auch die als Anfangszustand definierte ebene Welle ψ0 entwickeln wir nach (G.5)-(G.10), Band 1 in Partialwellen: ψ0 (R) = eika z =

∞ X

(2` + 1)i` j` (kR)P` (cos θ) .

(16.74)

`=0

Dabei sind die L¨ osungen von (16.72) bei verschwindendem Potenzial V (R) → 0 als sph¨arische Bessel-Funktionen j` (kR) = u0` (kR)/kR geschrieben. F¨ ur die Auswertung des Streuprozesses interessiert uns lediglich das asymptotische Verhalten (R → ∞). Im potenzialfreien Fall wird das mit (G.9) in Band 1  π (0) u` (R) ∝ sin kR − ` . (16.75) r→∞ 2 ussen diejenigen ausUnter den allgemeinen L¨ osungen u` (R) von (16.72) m¨ gew¨ahlt werden, die das Verhalten der Streufunktion (16.62) durch die Partiur das asymptotische Veralwellenentwicklung (16.73) korrekt beschreiben. F¨ halten erwartet man

368

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

  π u` (R) ∝ sin kR − ` + η` r→∞ 2   π π + tan η` cos kR − ` . ∝ sin kR − ` r→∞ 2 2

(16.76)

Es unterscheidet sich von dem der freien, ebenen Welle (16.75) lediglich um die oben schon diskutierten Streuphasen (scattering phase shift) η` , die nun nat¨ urlich `-abh¨ angig werden. Die Partialwellenentwicklung der gestreuten Welle ergibt sich mit der Definition (16.62) durch Subtraktion der ebenen Welle (16.74) von der vollen Wellenfunktion (16.73): ψs (R) = ψ (R) − ψ0 (R) →

eikR f (θ) R

(16.77)

Aus dem asymptotischen Verhalten (16.76), (16.75) und mit etwas Algebra erh¨alt man die Streuamplitude f (θ) =

∞ 1 X (2` + 1)(e2iη` − 1)P` (cos θ) . 2ik

(16.78)

`=0

Daraus folgt mit (16.67) schließlich der differenzielle und integrale Wirkungsquerschnitt. Somit ist eine direkte Verbindung zwischen messbaren Gr¨oßen und Schr¨odinger-Gleichung (16.72) hergestellt. Zusammenfassend besteht die Quantentheorie der elastischen Streuung in der Bestimmung der Phasenverschiebungen η` zwischen Partialwellen des Drehimpulses ` mit und ohne Potenzial. Das Quadrat der Streuamplitude f (θ) nach (16.78) ergibt den differenziellen Wirkungsquerschnitt. Die Integration u uhrt zum integralen elastischen Querschnitt: ¨ber alle Streuwinkel f¨ σel =

∞ 4π X (2` + 1) sin2 η` k2

(16.79)

`=0

Wir notieren noch, dass nach (16.78) mit P` (1) = 1 f¨ ur θ = 0 f (0) =

∞ 1X (2` + 1) sin η` eiη` k

(16.80)

`=0

wird. Eingesetzt in (16.79) f¨ uhrt dies zum sogenannten optischen Theorem: σel =

4π Im f (k, θ = 0) k

(16.81)

16.4.4 Semiklassische N¨ aherung f¨ ur die elastische Streuung Wie gerade besprochen, haben wir zur Bestimmung der elastischen Streuquerschnitte die Radialgleichung (16.72) zu l¨ osen und die Streuphasen η` aus den

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

369

asymptotischen L¨ osungen (16.76) zu entnehmen. Dies ist z.B. bei der Streuung niederenergetischer Elektronen mit einigen eV kinetischer Energie nicht allzu schwer (wenn man das Streupotenzial hinreichend genau kennt bzw. berechnen kann), da in diesem Fall nach (16.69) nur einige wenige Partialwellen beteiligt sind. Hat man es jedoch mit großen Drehimpulsen zu tun – und das ist bei der Schwerteilchenstreuung fast immer der Fall – dann wird die volle quantenmechanische Berechnung der Streuphasen eine umfangreiche Aufgabe. Es ist daher sehr hilfreich, wenn man auf angemessene N¨aherungsverfahren zur¨ uckgreifen kann. Semiklassische Methoden bieten sich hierf¨ ur an, wenn die De-Broglie-Wellenl¨ ange λdB = 2π/k` klein ist gegen¨ uber typischen Dimensionen, u andert, und wenn zugleich auch ¨ber welche sich das Potenzial ¨ dλdB 1 dR

(16.82)

w¨ahrend des Stoßprozesses gilt. Dann ist die klassische Trajektorie, die man im Prinzip f¨ ur jeden Stoßparameter (16.70) b = `/k zu berechnen hat, eine gute nullte N¨ aherung. Um quantenmechanische Interferenzeffekte zu ber¨ ucksichtigten, berechnet man bei der sogenannten Eikonal-N¨ aherung die Phasenentwicklung entlang dieser Trajektorien im effektiven Potenzial: Vef f = V (R) +

~2 ` (` + 1) b2 = V (R) + W 2µR2 R2

(16.83)

Die Wellenzahlen der freien Kugelwelle e k` und der Partialwelle k` im Streupotenzial V (R) sind dann (` + 1/2)2 e k`2 (R) = k 2 − bzw. R2 (` + 1/2)2 2µ . k`2 (R) = k 2 − 2 V (R) − ~ R2

(16.84) (16.85)

Man beachte, dass wir `(` + 1) durch (` + 1/2)2 ersetzt haben, was f¨ ur große ` ohne numerische Bedeutung ist. Damit ergibt sich zwanglos die Streuphasenverschiebung (nach Jeffreys-Wenzel-Kramers-Brillouin) als JWKB-Streuphase: Z∞

Z∞ k` (R)dR −

η` = R`

e k` (R)dR

(16.86)

˜` R

˜ ` = (`+1/2)/k und R` sind dabei die Wurzeln Die klassischen Umkehrpunkte R von (16.84) bzw. (16.85). In der Praxis sind die JWKB-Phasen wegen der Singularit¨aten beim klassischen Umkehrpunkt nicht ganz trivial zu berechnen (s. z.B. Cohen, 1978, mit effizienten Berechnungsverfahren). Man benutzt nun die asymptotische Entwicklung der Legendre-Polynome r    1 π 2 `→∞ cos ` + θ− , P` (cos θ) −→ π` sin θ 2 4

370

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

und erh¨alt damit f¨ ur die Streuamplitude (16.78): Z∞√   1 ` eiΦ+ (`) + eiΦ− (`) d` f (θ) = √ ik 2π sin θ

(16.87)

0

π (16.88) 4 Entwickelt man Φ± (`) um einen noch zu bestimmenden Wert von ` = `0 " # dη` (0) Φ± (`) = Φ± + 2 ± θ (` − `0 ) + . . . , d` `0 mit

Φ± (`) = 2η` ± `θ ∓

so sieht man, dass sich das Integral in (16.87) in aller Regel durch rasche Oszillationen als Funktion von ` zu Null weg mittelt. Nur f¨ ur solche `0 , f¨ ur welche dΦ± dη` ±θ ≡0 (16.89) =2 d` d` `0 wird, ergibt das Integral in (16.87) einen endlichen Wert. Man nennt diese Werte von Φ± (`0 ) station¨ are Phasen. Dieses bemerkenswerte Resultat erlaubt es uns, in einem weiteren Schritt eine direkte Verbindung zwischen Partialwellenentwicklung (16.87) und klassi¨ scher Trajektorie herzustellen. Explizit wird n¨ amlich die Anderung der Phase 0 in JWKB-N¨aherung (16.86) (mit ` = ` + 1/2): Z∞ Z∞ `0 dR `0 dR dη` q q = − (16.90) d` 2 2 − `02 2 2 − 2µ V (R) − `02 R k R k 2 2 2 R ~ R R` e R`

π = −b 2

Z∞ R2

p

Θ(b) dR = , 2 1 − Vef f (R)/T

(16.91)

e` R

Der letzte Schritt folgt aus dem direkten Vergleich mit der klassischen Ablenkfunktion Θ(b) nach (16.43). Setzt man dies nun in (16.89) ein, so erkennt man: station¨ are Phasenbedingungen werden genau dann realisiert, wenn der Streuwinkel θ der klassischen Ablenkfunktion ±Θ(b) entspricht. Es tragen also nur solche Partialwellen bzw. Stoßparameter zur Streuamplitude f (θ) nach ahe der entsprechenden klassischen Trajektorie liegen. (16.87) bei, die in der N¨ ur einen willk¨ urlich in der N¨ahe des Schematisch ist dies in Abb. 16.31 f¨ Regenbogens liegenden Streuwinkel θ illustriert. Die Abbildung stellt gewis¨ sermaßen das semiklassische Aquivalent zu Abb. 16.21 dar. Mit d¨ unnen roten Linien sind die Stoßparameter angezeigt, bei denen die Phasen Φ+ bzw. Φ− ein Maximum oder Minimum haben (also station¨ar“ sind) und somit zur ” Streuamplitude beitragen. Es sei hier darauf hingewiesen, dass diese semiklassichen Methoden außerordentlich leistungsf¨ahig sind und es erlauben, die elastische Schwerteilchenstreuung, wie wir sie in Abschn. 16.2 vorgestellt haben, so genau zu beschreiben, wie dies experimentell u ¨berhaupt darstellbar ist.

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung



Θ ηℓ θ -θ -θr

Θ

bg

br

0

b, ℓ ηℓ

b'1 b 2

b3

Φ+ Φ-

Φ+

0 Φ-

b, ℓ

371

Abb. 16.31. Klassische Ablenkfunktion Θ(b) (rot) und Streuphase η` (schwarz ) als Funktion des Stoßparameters b bzw. der Drehimpulsquantenzahl ` = bk sowie die Phasen Φ+ (`) (gepunktet) und Φ− (`) (gestrichelt) nach (16.88). Markiert sind die Stoßparameter f¨ ur die Glorienstreuung bg und f¨ ur den Regenbogen br beim Maximum bzw. beim Wendepunkt der Streuphase ηl . Außerdem sind die drei Punkte station¨ arer Phase bei b01 , b2 und b3 angedeutet, die zur Streuamplitude beim Streuwinkel θ beitragen. Sie sind direkt mit den klassischen (schematischen) Trajektorien nach Abb. 16.21 auf S. 356 zu vergleichen

16.4.5 Streuphasen bei niedrigen Energien Die eben besprochene semiklassische N¨ aherung ist hervorragend, solange die De-Broglie-Wellenl¨ ange klein gegen charakteristische Dimensionen des Wechselwirkungspotenzials ist. Bei der Elektronenstreuung ist dies aber nur bei sehr hohen Energien (mindestens ≥ 100 eV) der Fall. In der Regel muss man osen, um die Streuphasen zu bestimdie Radialgleichungen (16.72) explizit l¨ men. Das gilt ebenso f¨ ur die Schwerteilchenstreuung im Bereich sehr kleiner Energien, also z.B. f¨ ur den bereits besprochenen Resonanzeinfang im subthermischen Energiebereich. Vor allem aber haben Stoßprozesse ultrakalter ” Atome“, die ja in den letzten Jahren erhebliches Aufsehen erregt haben, das Interesse an den einschl¨ agigen Methoden aus der Mitte des letzten Jahrhunderts wieder erweckt. Im Prinzip kann man nat¨ urlich die Streuphasen durch L¨osung von (16.72) heute recht unproblematisch mit numerischen Methoden gewinnen, wenn man das Streupotenzial V (R) kennt. Man kann auch umgekehrt versuchen, dieses durch eine Partialwellenanalyse mit Hilfe von gemessenen integralen oder differenziellen Wirkungsquerschnitten zu ermitteln. Potenzialtopf Es ist aber auch hier sehr n¨ utzlich, allgemein g¨ ultige Trends zu kennen, und einfache N¨aherungen jenseits der schwarzen Box Computer-Code“ zu nut” ¨ zen. Wir wollen uns daher einen Uberblick u ¨ber das typische Verhalten der Streuphasen in diesem niederenergetischen Bereich verschaffen und mit klassischen Beispielen hinterlegen. Dazu betrachten wir zun¨achst Streuphasen f¨ ur einen (hypothetischen) Potenzialtopf oder Potenzialwall V (R) der Tie2 fe/H¨ohe V0 = ∓ ~2 k0 /2. Man schreibt (16.72) dann dimensionslos und

372

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

misst Abst¨ande R in Einheiten der Topfbreite a. In Lehrb¨ uchern der Quantenmechanik oder theoretischen Streuphysik (s. z.B. Bransden und Joachain, 2003) findet man, dass (16.72) in diesem Fall durch eine Kombination von sph¨arischen Bessel- und Neumann-Funktionen (j` (kR) bzw. n` (kR)) exakt gel¨ost wird, und die Streuphasen sich zu tan η` (x) =

κ ˜ j`0 (˜ κ) j` (κ) − κj`0 (κ) j` (˜ κ) 0 κ ˜ n` (˜ κ) j` (κ) − κj`0 (κ) n` (˜ κ)

(16.92)

q 2 2 ergeben. Dabei sind κ = (ka) + (k0 a) und κ ˜ = ka die dimensionslos geschriebenen Wellenvektoren innerhalb bzw. außerhalb des Potenzialtopfs.9 Da Streuphasen im Prinzip nur modulo 2π definiert sind, legt man fest: η` −→ 0

(16.93)

k→∞

Abbildung 16.32 illustriert einige allgemeine Trends der Streuphasen ηs , ηp und ηd (` = 0, 1, 2) bei niedrigen Energien f¨ ur verschiedene attraktive (links) und repulsive (rechts) Potenzialtopftiefen bzw. Barriereh¨ohen. Wie wir bereits in Abschn. 16.4.3 diskutiert und in Abb. 16.30 auf S. 367 veranschaulicht haben, ist die Streuphase positiv bzw. negativ in einem anziehenden bzw. abstoßenden Potenzial (bei moderaten Energien und nicht zu hohem `). Die absoluten Werte der Streuphasen wachsen meist schnell mit k (bzw. mit der Energie), erreichen ein Maximum und fallen dann langsam gegen den Grenzwert (16.93) ab. Es gibt aber bemerkenswerte Ausnahmen im Falle anziehend

abstoßend

η / rad 2�

η / rad 0

ηs ηp



ηd

0 �

ηs 5

ηp 0 � ─ 4 0 9

k0a = 6

ηs

ηd 5

ηp 0

10

10

k0a=4.4 ka k0a=1.5

ηd 5

ka

10

ka

-�

5 ηd

ηs

ηd

� -─ 2

ηs ηp

0

5 ηd

� -─ 5

ηp

ka

ηp 5

0

10

ηs

10 ka

10 ka

Abb. 16.32. Niederenergetisches Verhalten der s-, pund d- Streuphasen η` f¨ ur die elastische Streuung an einem Potenzialtopf der Tiefe/H¨ ohe V0 = ∓~2 k02 /2µ vom Radius a. Der charakteristische, dimensionslose Potenzialparameter ist k0 a. Links ist η` (ka) f¨ ur ein anziehendes Potenzial (Topf) zu sehen, rechts f¨ ur ein repulsives (Wall). Die leichten Oszillationen bei gr¨ oßeren k0 a r¨ uhren von der scharfen Begrenzung des Potenzials her und verschwinden in der viel glatteren Realit¨ at

Bei der Auswertung von (16.92) muss man die Mehrdeutigkeit bei der Inversion der Tangensfunktion beachten.

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

373

des anziehenden Potenzials, wenn es besonders tief wird: w¨ahrend f¨ ur kleine Topftiefe (k0 a = 1.5) alle Phasen bei η` (ka = 0) = 0 beginnen, hat bei k0 a = 4.4 sowohl die s- als auch die p-Phase f¨ ur verschwindendes k den Grenzwert π. Und f¨ ur den tiefsten hier gezeigten Potenzialtopf (k0 a = 6) entspricht die s-Streuphase bei der Energie Null bereits einer ganzen Wellenl¨ange (ηs = 2π). Die p- und d-Wellen beginnen in diesem Fall bei ηp (0) = ηd (0) = π. Dagegen gibt es im repulsiven Fall (rechts in Abb. 16.32) keine solchen Besonderheiten. Levinson-Theorem, Streul¨ ange und Ramsauer Effekt Eine genauere Untersuchung der zugrunde liegenden Mathematik zeigt, dass die Anzahl N` gebundener Zust¨ ande mit Drehimpuls `, die in einem gegebenen Potenzial m¨ oglich sind, das Verhalten der Streuphasen bei verschwindender kinetischer Energie bestimmt. Man kann zeigen, dass dort in einem beliebigen Potenzial das sogenannte Levinson-Theorem gilt: η` (k) −→ N` π k→0

(16.94)

Somit zeigt uns Abb. 16.32, dass je ein s- und ein p-Zustand im Potenzialtopf mit k0 a = 4.4 gebunden sein kann. Bei k0 a = 6 gibt es demnach sogar zwei gebundene s-Zust¨ ande und je ein p- und ein d-Zustand. Sehr interessant ist auch das Verhalten der d-Streuphase im mittleren Schaubild links in Abb. 16.32: bei k0 a = 4.4 gibt es offenbar gerade eben noch keinen gebundenen d-Zustand, denn im Grenzfall ist η2 (0) = 0. Allerdings steigt die d-Streuphase bei ka ' 0.7 sehr schnell von 0 auf nahezu π an. Man sagt, dass dort ein quasigebundener Zustand im Kontinuum liegt. Solche Resonanzph¨ anomene haben wir z.B. in Abb. 16.25 auf S. 360 schon als Orbiting-Resonanzen bei der Schwerteilchenstreuung kennengelernt, und wir werden uns im n¨achsten Abschnitt mit Streuresonanzen noch n¨ aher befassen. Hier merken wir ledig¨ lich an, dass solch rasche Anderung einer Streuphase (um nahezu π) nach (16.78) und (16.79) zu deutlichen Strukturen im differenziellen und integralen Wirkungsquerschnitt f¨ uhren muss. Die in Abb. 16.32 am eindimensionalen Beispiel illustrierte Dominanz kleiner ` bei niedrigen Energien macht die effektive Reichweitenentwicklung (effective range expansion) plausibel,10 die unter gewissen (s. z.B. OMalley et al., 1961, und weitere Zitate dort) Bedingungen f¨ ur den allgemeinen Fall gilt: k 2`+1 cot η` = −

 1 + k 2 r` + O k 4 a`

(16.95)

Dabei sind a` und r` Konstanten. Insgesamt halten wir fest: das Verhalten der Streuphasen wird bei niedrigen Energien durch (16.94) und (16.95) zusammengefasst, und im Grenzfall verschwindender Stoßenergie T → 0 gilt: 10

Angesichts der zunehmenden Pr¨ azision bei der Vermessung von Wirkungsquerschnitten und des inzwischen umfangreichen Datenmaterials werden heute auch erweiterte Konzepte der effektiven Reichweitenentwicklung angewandt (s. z.B. Gulley et al., 1994).

374

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

η` −→ −k 2`+1 a` + N` π k→0

(16.96)

F¨ ur sehr niedrige Energien (so insbesondere f¨ ur ultrakalte Atome bei Temperaturen unter µK, d.h. f¨ ur T < 10−11 eV!) ist praktisch nur die s-Streuung relevant. Man nennt as Streul¨ ange (scattering length) und rs effektive Reichweite (effective range). Die Streul¨ ange ist positiv f¨ ur repulsive und negativ f¨ ur (nicht zu stark) attraktive Potenziale. Im Grenzfall geht ηs −→ −kas und die Streuamplitude (16.78) wird f (θ, k) −→

k→0

 ηs 1 ' −as e−2iηs − 1 ' 2ik k

und I(θ) −→ a2s .

(16.97)

Schließlich ergibt sich der integrale elastische Wirkungsquerschnitt (16.79) zu σel −→ 4π a2s . k→0

(16.98)

Er ist also f¨ ur diese niedrigsten Streuenergien endlich! Interessanterweise ist f¨ ur die Streuung eines punktf¨ ormigen Projektils an einer harten Kugel vom Durchmesser d die Streul¨ ange gerade as = d/2 (die Phase einer vom Ursprung ausgehenden Kugelwelle auf der Kugeloberfl¨ ache ist −η = kd/2). Damit wird der effektive Streuquerschnitt der Kugel bei tiefsten Energien nach (16.98) σel = πd2 , also vier mal so groß wie der geometrische Querschnitt (16.55). Das gilt u ur ein Beugungsscheibchen bei der Streuung von Lichtwel¨brigens auch f¨ len. Der Grund sind in beiden F¨ allen Interferenzeffekte. ηs � 0

Ramsauer Minimum

as 0

as 0

anziehend

I

II

k IV

Abb. 16.33. Vier verschiedene M¨ oglichkeiten f¨ ur das Verhalten der s-Streuphase ηs f¨ ur niedrige Energien entsprechend einer effektiven Reichweitenentwicklung. Nach (16.96) ergibt sich die Streul¨ ange as aus der Steigung von ηs (k) bei sehr kleinem k

abstoßend

Mit steigender Energie ¨ andern sich die Phasen. F¨ ur die s-Streuphase zeigt Abb. 16.33 schematisch vier grunds¨ atzlich m¨ogliche Verhaltensweisen von ηs (k) bei kleinen Energien, wobei Terme bis zur Ordnung k 3 ber¨ ucksichtigt sind. Dabei sind unterschiedliche Gr¨ oßen und Vorzeichen von as und rs und eine unterschiedliche Zahl gebundener Zust¨ ande angenommen (je einer f¨ ur I, II und keiner f¨ ur III, IV). In allen F¨ allen ist der integrale elastische Streuquerschnitt nach (16.98) f¨ ur k = 0 endlich. Ein besonders interessanter Fall ist Kurve I: bei einem bestimmten endlichen Wert von k geht in diesem Fall ηs durch π, sodass sin ηs = 0. Damit wird der integrale elastische Querschnitt dort ein Minimum annehmen, ja er kann sogar fast verschwinden, da die anderen Phasen in (16.79) wegen des k 2`+1 Verhaltens noch sehr klein sein k¨onnen. Dieser

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

375

Effekt wurde erstmals von Ramsauer entdeckt, und wir haben eindrucksvolle Beispiele daf¨ ur bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel kennengelernt (s. Abb. 16.8). Das ist ein recht bemerkenswertes Ph¨anomen, welches wir nun als Durchgang der Streuphase durch N ×π verstehen k¨onnen. Beispiele zur Partialwellenanalyse: e-He, Ne Streuung Die Streuphasen im Bereich sehr niedriger Stoßenergien kann man experimentell aus genauen Messungen des differenziellen Wirkungsquerschnitts (16.66) u ¨ber eine sogenannte Partialwellenanalyse ermitteln – wenigstens solange nur wenige Partialwellen an (16.78) teilhaben. Dabei werden die Streuphasen η` als Fitparameter zur optimalen Anpassung an experimentelle Daten behandelt. ¨ Eine aktuelle Ubersicht u ¨ber den Stand bei der Elektronenstreuung an Edelgasen findet man z.B. bei Adibzadeh und Theodosiou (2005). Einige typische Ergebnisse f¨ ur die elastische Elektronenstreuung an He und Ne sind in Abb. 16.34 zusammengestellt. Links sind Beispiele f¨ ur die experimentell bestimmten Winkelverteilungen gezeigt, rechts die angepassten Werte der Streuphasen als Funktion der kinetischen Energie T der gestreuten Elektronen. An jede dieser Winkelverteilungen kann ein Satz Streuphasen angepasst werden. F¨ ur die e-He Streuung zeigt sich, dass im Energiebereich von 0 bis zu etwa 15 eV ex¨ zellente Ubereinstimmung bereits mit s-, p- und d-Phase erzielt wird (Abb. I(θ ) / Å2 sr –1 e + He

0.6 0.4 0.2 0

2 eV

(a)

0.6

0

10 eV

0.2

(c)

0 12 eV

0.4 0.2

e + Ne 0.4



180º θ

s

(e)

p

0.3

0.1

(d)

10-2 90º

2.5

0.2

10-1

(b)

6.2 6.0 5.8 5.6

e + He

3.0

2.0 50 eV

1

ηℓ / rad

ηℓ / rad

I(θ ) / Å2 sr –1



90º 180º

0

d

(f ) 0

10

3.1

e + Ne

(g)

s

(h)

p

(i)

d

3.0 0.06 0.04 0.02 0 20 0 T / eV

f 2

4

6

Abb. 16.34. Partialwellenanalyse f¨ ur e + He nach Andrick und Bitsch (1975) und e + Ne nach Gulley et al. (1994) und Adibzadeh und Theodosiou (2005). (a)–(d): gemessene differenzielle Querschnitte I(θ) (beim He liegen die Messfehler in der Gr¨ oßenordnung der Linienst¨ arken); (e)–(i) aus einer entsprechenden Partialwellenanalyse gewonnene Streuphasen η` f¨ ur die s-, p-, d- (und f¨ ur Ne auch f -) Wellen

376

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

16.34e,f), w¨ahrend f¨ ur die e-Ne Streuung auch die f -Wellen ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Angemerkt sei hier, dass die Werte π f¨ ur die s-Phase von e-He (e) sowie von 2π bzw. π f¨ ur die s-Phase (g) bzw. p-Phase von e-Ne (g) bei verschwindender kinetischer Energie nicht darauf schließen lassen, dass es ein He oder Ne Anion g¨ abe: zwar sagt das Levinson-Theorem (16.94), dass das Wechselwirkungspotenzial im Prinzip einen bzw. drei gebundene Zust¨ande zulassen w¨ urde. Diese Zust¨ ande sind aber aufgrund der bereits voll besetzten s-Schalen nach dem Pauli-Prinzip nicht mehr besetzbar. 16.4.6 Streumatrizen f¨ ur Fußg¨ anger Wir kommen nun zu etwas formalen, aber wichtigen Konzepten der Streutheorie. Im Geiste dieses Buches werden wir auch diese wieder eher heuristisch angehen und diskutieren dazu Abb. 16.35. Strahlbegrenzungsblende

Detektorblende

einlaufende ^ T ebene Stoß Quelle Welle |k a

>

θ

|kb

>

Detektor für ebene Streuwelle

ungestreute Welle ^ gestreute Welle T |ka

>

Abb. 16.35. Schema des Streumatrixformalismus. Die Tˆ-Matrix wirkt auf die einfallende ebene Welle |ka i. Aus der so gebildeten Streuwelle Tb |ka i projiziert der Detektor eine gestreute ebene Welle heraus |kb i

Der einlaufende, durch Aperturblenden gut kollimierte Teilchenstrahl kann durch eine ebene Welle |ka i beschrieben werden, die in Richtung ka propagiert. Der Hauptteil dieser Welle passiert das Streuzentrum unbeeinflusst, ein sehr kleiner Teil wird gestreut. Die gestreute Welle erh¨alt man ganz formal, indem man einen Operator Sb bzw. Tb auf |ka i wirken l¨asst: |ka i → Sb |ka i = |ka i + Tb |ka i

(16.99)

Man nennt Sb Streumatrix oder Streuoperator und Tb die T-Matrix oder den ¨ Ubergangsoperator (transition operator). (16.99) ist gewissermaßen das theo¨ retische Aquivalent zu Abb. 16.35. Der Detektor, der weit vom Streuzentrum entfernt ist, detektiert ebenfalls einen gut kollimierten Strahl. Durch die Detektorblende definiert, kann man auch diesen durch eine ebene Welle |kb i in Richtung kb beschreiben. Mit diesen Festlegungen ergibt sich die Streuamplitude f (θ, ϕ) als Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ ur das Vorhandensein von |kb i b in der gestreuten Welle T |ka i, d.h. indem man erstere auf letztere projiziert: 2π D b E fb←a (θ, ϕ) = √ k b T k a kb ka

(16.100)

16.4 Quantentheorie der elastischen Streuung

377

Im elastischen Fall gilt ka = kb = k. Der Vorfaktor vor dem Matrixelement ist so gew¨ahlt, dass das Ergebnis mit (16.78) kompatibel wird.11 Der differenzielle Streuquerschnitt ergibt sich damit schließlich nach (16.66). Eine Partialwellenentwicklung der T-Matrix findet man, indem man die ebene Welle vor und nach der Streuung jeweils in Partialwellen entwickelt und erh¨alt unter Nutzung der Orthogonalit¨ atsrelationen f¨ ur Y`m` die Streuamplitude: 2π f (θ, ϕ) = i √ ka kb

X

0

∗ i`−` T`0 m0` `m` Y`0 m0` (θ, ϕ) Y`m (θa , ϕa ) `

(16.101)

`0 m0` `m`

T`0 m0` ,`m` (k) sind die Matrixelemente von Tb, und θ, ϕ bzw. θa , ϕa charakterisieren die Richtung der vom Detektor nachgewiesenen bzw. der einlaufenden ebenen Welle, |kb i bzw. |ka i. Letztere w¨ ahlt man meist parallel zur z-Achse, sodass θa = ϕa = 0 und m` = 0 wird. F¨ ur die elastische Streuung an einem isotropen Potenzial k¨ onnen wir dies mit der Partialwellenentwicklung (16.78) vergleichen, die diagonal in ` ist. Also wird bei der elastischen Streuung T`0 m0` ,`m` = δ`0 ` δm0` m` T` ,

(16.102)

und man findet durch den direkten Vergleich von (16.101) mit (16.78) T` = e2iη` − 1 .

(16.103)

Dabei haben wir das Additionstheorem der Kugelfl¨achenfunktionen (D.20), Band 1 benutzt. Alternativ zur T-Matrix benutzt man auch die S-Matrix, f¨ ur welche S` = e2iη` = 1 + T`

(16.104)

b und Tb-Matrizen ledigim isotropen, elastischen Fall gilt. Soweit bieten die Slich eine triviale M¨ oglichkeit zur Umschreibung der Partialwellenentwicklung (16.78) der Streuamplitude: 1 X (2` + 1) P` (cos θ) (S` (k) − 1) 2ik ` 1 X (2` + 1) P` (cos θ) T` (k) = 2ik

f (θ) =

(16.105) (16.106)

`

Der integrale elastische Wirkungsquerschnitt nach (16.79) schreibt sich damit σel =

∞ π X 2 (2` + 1) |T` | . k2

(16.107)

`=0

11

Man findet in der Literatur leicht Varianten von (16.100). Oft wird z.B. noch ein Phasenfaktor i = exp(iπ/2) vor die einlaufende ebene Welle |ka i gesetzt. Wir folgen hier Burke (2006).

378

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

F¨ ur den allgemeinen Fall nicht isotroper Potenziale und/oder bei der inelastischen Streuung, wo die Drehimpulse der Partialwellen an die Eigenzust¨ande von Projektil und Target gekoppelt sind, sind Tb und Sb jedoch Matrizen mit nicht verschwindenden Nichtdiagonaltermen, die eine transparente Darstellung des Streuprozesses durch (16.101) erlauben. Dann definiert man ˆ − Tb Sb = E

ˆ. mit SbSb+ = E

(16.108)

Die Streumatrix Sb ist also ein unit¨ arer Operator. Mit Blick auf (16.99) dr¨ uckt diese Unitarit¨atsrelation nichts anderes aus als die Erhaltung des Teilchenflusses bei einem Streuprozess. b und Tb-Operatoren erlauben es, die Symmetrie eines Streuprozesses Die Sbez¨ uglich der ein- und auslaufenden ebenen Welle auf klare Weise zu formulieren: wir k¨onnen das Streuexperiment invertieren, indem wir alle Strahlrichtungen einfach umdrehen. In Abb. 16.35 wird also die Quelle zum Detektor und umgekehrt. Dann haben wir (16.99) durch die zeitinvertierte Gleichung zu ersetzen: |kb i → |kb i + Tb+ |kb i = Sb+ |kb i (16.109) Die zu (16.100) inverse Streuamplitude wird demnach: 2π D b+ E k a T k b fa←b (θ, ϕ) = √ ka kb 2π D b E∗ ∗ kb T ka = fb←a (θ, ϕ) =√ ka kb

(16.110)

F¨ ur den sp¨ateren Gebrauch notieren wir schließlich noch eine alternative Darstellung der asymptotischen L¨ osungen der Partialwellen (16.76) als Superposition von ein- und auslaufenden Wellen:   π u` (R) −→ sin kR − ` + η` = a∗` e−ikR + a` e+ikR 2  (16.111) π π π π 1 ∝ e−ikR+i` 2 − S` e+ikR−i` 2 ∝ sin kR − ` − 2 T` eikR−i` 2 2   π a` 1 (16.112) und S` = − ∗ ei`π = e2iη` . mit a` = exp −i` + iη` 2i 2 a`

16.5 Resonanzen 16.5.1 Typen und Ph¨ anomene Resonanzen geh¨oren zu den faszinierendsten Ph¨anomenen der Physik in praktisch jedem ihrer Teilgebiete. Sie zeigen sich als ausgepr¨agte Strukturen in bestimmten Observablen, wenn man diese als Funktion der Energie bzw. Frequenz untersucht. Sie entstehen als Interferenzph¨anomen durch die Existenz

16.5 Resonanzen

379

quasigebundener Zust¨ ande, die in ein Kontinuum eingebettet sind, in welches sie zerfallen k¨ onnen und mit dem sie interferieren. In Band 1 haben wir bereits mehrfach u uhrlich ¨ber solche Resonanzen gesprochen, besonders ausf¨ im Zusammenhang mit der Autoionisation am He-Atom in Kap. 7.7. Dort ging es um quasistabile Konfigurationen, die oberhalb des Ionisationspotenzials liegen. Auch in der Molek¨ ulphysik kennt man (neben der Autoionisation weitere) solche Ph¨ anomene, z.B. unter dem Begriff Pr¨ adissoziation: oberhalb der Dissoziationsgrenze eines molekularen Systems k¨onnen Rotations- oder Vibrationszust¨ande existieren, die z.B. durch eine Zentrifugalbarriere quasigebunden sind. In der N¨ ahe vermiedener Kreuzungen, wie wir sie in Kap. 11.6 und 11.7 kennengelernt haben, k¨ onnen solche Zust¨ande ebenfalls beobachtet werden. Auch bei elektronischen, atomaren und molekularen Stoßprozessen trifft man quasigebundene Zust¨ ande h¨ aufig an, u.a. wenn Potenzialbarrieren im Spiel sind. Der einzige Unterschied ist hier, dass im Experiment der fragliche Zustand bzw. seine Wellenfunktion urspr¨ unglich bei großen Abst¨anden der miteinander wechselwirkenden Teilchen im Kontinuum gebildet wird. Das Stoßpaar kann dann f¨ ur kurze Zeit in den quasigebundenen Zustand eingefangen werden, wenn seine kinetische Energie mit der Resonanzenergie des Zustands u ¨bereinstimmt. Dies ist in Abb. 16.36 schematisch f¨ ur die zwei am h¨aufigsten anzutreffende Resonanztypen illustriert. Abbildung 16.36a zeigt die Potenzialverh¨altnisse f¨ ur die Bildung einer sogenannten Formresonanz – wir werden hier durchg¨angig die englische Bezeichnung Shape-Resonanz benutzen: f¨ ur Drehimpulse ` > 0 kann die Zentrifugalbarriere hoch genug sein, um einen oder mehrere quasigebundene Zust¨ ande im effektiven Potenzial Vef f (R) zu erm¨oglichen. Einige davon k¨ onnen oberhalb des Energienullpunkts liegen. Nat¨ urlich sind diese Zust¨ ande nicht stabil und haben eine endliche Lebensdauer τ = ~/Γ , entsprechend der Tunnelwahrscheinlichkeit Γ durch die Zentrifugalbarriere. Dennoch k¨ onnen diese die Streuwelle erheblich beeinflussen, wenn die kinetische Relativenergie des Systems mit dem quasigebundenen Zustand ungef¨ahr resonant ist. Dann kann die Zentrifugalbarriere durchtunnelt werden (hinein und auch wieder heraus), sodass der quasigebundenen Zustand kurzzeitig besetzt wird. Beim energetischen Durchgang durch eine solche Resonanz springt die Streuphase um nahezu π. Wir haben den Einfluss solcher ur das Kastenpotenzial Zust¨ande auf die Streuphase schon in Abschn. 16.4.5 f¨ besprochen. Bereits in Abb. 16.32 auf S. 372 hatten wir (bei k0 a = 4.4) f¨ ur in die d-Partialwelle einen solchen Phasensprung identifiziert. Eine etwas andere Situation ist in Abb. 16.36b skizziert. Diese sogenannte Feshbach-Resonanz manifestiert sich als quasigebundener Zustand im Potenzial eines angeregten Zustands, der eingebettet ist in das Dissoziazions- oder Ionisationskontinuum des Ausgangszustands. Die Resonanz w¨ urde also einen stabilen, gebundenen, angeregten Zustand des Streusystems bilden, wenn es keine Kopplung zwischen diesem Zustand und dem Kontinuum g¨abe. Auch diese Situation ist mit einem Sprung der Streuphase um π u ¨ber einen kleinen

380

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

Veff (R)

(a)

V(R)

(b)

angeregter Zustand

Zentrifugalbarriere Wr

Shape-Resonanz

Wr R

Abb. 16.36. Typische Potenzialsituation bei der Bildung von (a) Shape- und (b) Feshbach-Resonanzen bei einer Resonanzenergie Wr

R Feshbach-Resonanz

Bereich kinetischer Energien verbunden und f¨ uhrt zu ausgepr¨agten Interferenzstrukturen im integralen wie auch im differenziellen Streuquerschnitt. Abschließend sei freilich eine kleine Warnung bei der Diskussion solcher Konzepte bei der Elektronenstreuung ausgesprochen: Die beiden in Abb. 16.36 gezeigten Potenzialbilder“ sind mit etwas Vorsicht zu benutzen, denn das Po” tenzial, welches ein Elektron erf¨ ahrt, das z.B. an einem Atom gestreut wird, ergibt sich ja unter Einbeziehung aller Atomelektronen. Und daf¨ ur gibt es – wegen der ¨ahnlichen Geschwindigkeiten von Projektilelektron und Elektronen im Targetatom – keine Born-Oppenheimer N¨ aherung. Man kann allenfalls auf das bei der Berechnung komplexer Atome bew¨ahrte Modell der unabh¨angigen Teilchen bauen (s. Kap. 10.1, Band 1), bei dem man sinngem¨aß u ¨ber alle Atomelektronen zu mitteln h¨ atte. Die Benutzung solcher Pseudopotenziale ist in vielen F¨allen bei der Elektronenstreuung durchaus erfolgreich. Im allgemeinen Fall, insbesondere bei Anregungsprozessen, muss man das Problem aber mit umfassenderen Methoden angehen, die wir in Kap. 17.4 erl¨autern werden. 16.5.2 Formalismus Beide eben diskutierten Resonanztypen sind dadurch charakterisiert, dass der Endzustand, also eine Streuwelle wohl definierter Energie, sowohl u ¨ber einen direkten Prozess als auch u aren Einfang des Streuteilchens ¨ber den tempor¨ in einen quasigebundenen Zwischenzustand erreicht werden kann. Diese beiden Prozesse wollen wir durch die Streuamplituden fdir und fres beschreiur ben. Eine ganz ¨ahnliche Situation hatten wir bereits in Kap. 7.7, Band 1 f¨ die Autoionisation diskutiert. Dort u ¨berlagerten sich direkte Ionisation und ¨ Doppelanregung. Die nachfolgenden Uberlegungen sind an das Streuproblem angepasst. Auch hier sind die beiden Kan¨ ale ABres % & fres , τ A + B −→ A + B fdir

prinzipiell nicht zu unterscheiden. Daher m¨ ussen die Amplituden koh¨arent addiert werden, um den elastischen DCS zu erhalten:

16.5 Resonanzen

dσ 2 = I (θ) = |fdir + fres | . dΩ

381

(16.113)

Dies f¨ uhrt zu typischen Interferenzstrukturen als Funktion der Phasendifferenz zwischen beiden Amplituden – ganz wie beim Young’schen Doppelspalt Experiment. Hier ist es die Resonanzstreuamplitude, die sich u ¨ber einen kleinen Energiebereich hinweg schnell ¨ andert, w¨ ahrend die direkte Amplitude im Wesentlichen konstant bleibt. Da die Resonanz eine endliche Lebensdauer τ hat, kann man diesen quasigebundenen Zustand formal beschreiben, indem man fr zuordnet, welche den Zerfall ber¨ ihm eine komplexe Energie W ucksichtigt. Diese Methodik haben wir bereits erprobt, so etwa in Kap. 5.1.1, Band 1 zur semiklassischen Behandlung des spontanen Zerfalls bei der optischen Anregung. Wir setzten also f¨ ur die Resonanzenergie fr = Wr − iΓ/2 , W wobei Wr die Resonanzenergie des gebundenen Zustands ohne Zerfall w¨are und Γ = ~/τ seine Breite infolge des Zerfalls. Mit in den in Abschn. 16.4.6 entwickelten Begriffen kann man Resonanzstreuung wie folgt charakterisieren: eine Resonanz tritt in einer bestimmten Partialwelle auf, sagen wir f¨ ur ` = ζ. Sie hat rein auslaufenden Charakter, und die einlaufende Partialwelle muss f¨ ur fr verschwinden, d.h. f¨ die komplexe Energie W u r den entsprechenden Entwick  fr → 0 gelten. F¨ lungskoeffizienten nach (16.111) muss a∗ζ W ur Streuenergien ∗ T ' Wr k¨onnen wir aζ also um die Resonanzenergie herum entwickeln: a∗ζ =

 T − Wr +

iΓ 2



da∗ζ dT Wr

(16.114)

Damit wird die Streumatrix (16.112) f¨ ur die Partialwelle ζ Sζ = −

T − Wr − aζ iζπ e = ∗ aζ T − Wr +

iΓ 2 iΓ 2

eiζπ

daζ /dT |Wr da∗ζ /dT

Wr

Nat¨ urlich gilt |Sζ | ≡ 1 (Unitarit¨ at). Auch der letzte Bruch in diesem Ausdruck ist dem Betrage nach ≡ 1, sodass wir eiζπ 

daζ /dT |Wr 0 ∗ = e2iηζ daζ /dT |Wr

abk¨ urzen k¨onnen. Die Streumatrix l¨ asst sich dann umschreiben zu:   0 res 2i 2iηζ0 1− Sζ = e = e2iηζ +2iηζ (16.115) ε+i Dabei ist ε die relative Stoßenergie bezogen auf die Resonanzbreite

382

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

ε=

T − Wr Γ/2

und ηζres = arctan

−1 ε

(16.116)

die Resonanzphase,12 wogegen im Rahmen dieser Entwicklung ηζ0 eine konstante Hintergrundphase darstellt. Man sieht also, dass der resonante Teil der Streuphase sich rasch um π ¨ andert, wenn die Energie durch die Resonanz l¨ auft und f¨ ur Wr − T ein ungeradzahliges Vielfaches von π/2 annimmt. F¨ ur den speziellen Fall, dass alle Streuphasen bis auf die Resonanzphase verschwinden, wird der integrale Wirkungsquerschnitt (16.82) σ=

4π (2ζ + 1) sin2 ηζres , k2

uhrt was mit (16.116) zu einer Lorentz’schen Resonanzlinienform13 f¨ σ=

(Γ/2)2 4π (2ζ + 1) , 2 k (Wr − W )2 + (Γ/2)2

(16.117)

wie wir sie von der optischen Anregung atomarer Linien kennen. Bei der Elektronen- und Atomstreuung tragen u ¨blicherweise aber viele Partialwellen bei. Sie f¨ uhren zu einem nicht resonanten, nur langsam ver¨ anderlichen Unter¨ grund, w¨ahrend sich eine solche rasche, resonanzbedingte Anderung meist nur in einer Partialwelle zeigt. Wir hatten dies schon in Abb. 16.32 (links, Mitte) f¨ ur die d-Wellen-Streuphase am Kastenpotenzial gesehen: als Konsequenz einer entsprechenden Shape-Resonanz. Nun sind wir in der Lage, den heuristisch eingef¨ uhrten Ausdruck (16.113) aus der Partialwellenentwicklung (16.78) abzuleiten, indem wir dort (16.115) einsetzen. F¨ ur eine Resonanz in der Partialwelle ` = ζ erhalten wir so:   ∞  0 0 res 1 X (2` + 1) e2iη` P` (cos θ) + (2ζ + 1) e2iηζ +2iηζ Pζ (cos θ) f (θ) =  2ik  `=0 `6=ζ

(∞ X 0 1 = (2` + 1) e2iη` P` (cos θ) 2ik `=0   o 0 res + (2ζ + 1) e2iηζ e2iηζ − 1 Pζ (cos θ)

(16.118)

Es gelingt also in der Tat die Trennung in zwei interferierende Amplituden f (θ) = fdir (θ) + fres (θ, ε) ,

(16.119)

in eine direkte Streuamplitude fdir (θ), die in der u ¨blichen Partialwellenentwicklung mit langsam u anderlichen Phasen η`0 beschrieben ¨ber der Energie ver¨ werden kann, und in eine resonante Amplitude in der Partialwelle ` = ζ 12

13

Man verifiziert dies leicht anhand von (16.115) unter Verwendung der Beziehung  tan 2η = 2 tan η / 1 − tan2 η . H¨ aufig auch Breit-Wigner-Verteilung genannt, da Breit und Wigner (1936) diese Formel als erste auf die Resonanzstreuung von Neutronen angewendet haben.

16.5 Resonanzen

 0

res

fres (θ, ε) = (2ζ + 1) e2iηζ e2iηζ



− 1 Pζ (cos θ) ,

383

(16.120)

die im Resonanzbereich mit ηζres (ε) nach (16.116) stark von der Energie abh¨angig ist. Alternativ kann der entscheidende, energieabh¨angige Faktor res

fres (ε) ∝ e2iηζ − 1 auch res 2 2εi 2i − 2 eiηζ = 2 =√ 2 ε +1 ε +1 ε +1

(16.121) (16.122)

geschrieben werden. Dies erm¨ oglicht den direkten Vergleich mit den f¨ ur die Autoionisation entwickelten Formeln (7.69) in Band 1, die sich lediglich um einen willk¨ urlichen Normierungs- und Phasenfaktor 1/2i davon unterscheiden. 2 Wir sehen hier nochmals, dass der rein resonante Streuquerschnitt ∝ |fres | die typische Breit-Wigner Energieabh¨ angigkeit nach (16.117) zeigt, w¨ahrend die direkte Streuamplitude nahezu konstant u ¨ber die Resonanz bleibt. Sowohl fdir (θ) als auch fres (θ, ε) sind vom Streuwinkel abh¨angig. Allerdings ist die Winkelabh¨angigkeit des resonanten Anteils u ¨ber Pζ (cos θ) ausschließlich durch eine Partialwelle ` = ζ bestimmt. Je nach relativer Phasenlage und Betrag von direkter und resonanter Amplitude, fdir bzw. fres , kann die Interferenz konstruktiv oder destruktiv sein und verschiedene, auch dispersionsartige Formen annehmen: genau so, wie wir dies bereits im Fall der Autoionisation in Band 1 beschrieben und in Abb. 7.10 illustriert haben. Nat¨ urlich kann man auch hier eine Parametrisierung entsprechende dem Fano’schen Linienprofil 2

σ (T ) = σres

( + q) + σdir 1 + 2

(16.123)

mit dem Asymmetrieparameter q vornehmen, wie wir dies bei der Autoionisation getan haben. Die Partialwellenentwicklung, die wir hier vorgestellt haben, ist aber bei der Analyse von differenziellen Streuquerschnitten wesentlich leistungsf¨ahiger, da (16.118) im Prinzip eine konsistente Beschreibung f¨ ur alle Streuwinkel mit ganz wenigen freien Parametern erlaubt. 16.5.3 Ein Beispiel: e-He Streuung Man findet Streuresonanzen sowohl bei Schwerteilchenst¨oßen (bei sehr niedrigen Energien, s. Abb. 16.25), als auch und vor allem bei der Elektronenstreuung. Sie treten dort in einem weiten Energiebereich auf und wurden w¨ahrend der letzten vier Jahrzehnte sehr gr¨ undlich und umfassend untersucht. ¨ Einen guten Uberblick u ¨ber den Stand von Theorie und Experiment bei der ¨ e-Atomstreuung gibt Buckman und Clark (1994), und die Ubersichtsarbeit von Hotop et al. (2003) gibt einen entsprechenden Einblick in die vielf¨altigen Ph¨anomene bei der Streuung niederenergetischer Elektronen an Molek¨ ulen und Clustern.

384

16 Grundlagen atomarer Streuphysik: Elastische Prozesse

Ein Benchmark“ ist die He− (1s2s2 2 S1/2 ) Feshbach-Resonanz, eine Re” sonanz in der s-Welle also. Sie bot die erste experimentelle Evidenz f¨ ur die hier diskutierte Art von Resonanzstrukturen in der Elektron-Atomstreuung und wurde von Schulz (1963) im totalen e-He Wirkungsquerschnitt entdeckt. ¨ Uber die ersten winkelaufgel¨ osten Messungen f¨ ur diese und ¨ahnliche Resonanzen konnten Andrick und Ehrhardt (1966) berichten. Die Energieaufl¨osung14 lag damals bei etwa 50 meV, womit zugleich die Grenzen von spektroskopischen Untersuchungen im Streukontinuum deutlich werden: der Preis, den man f¨ ur die hohe Informationstiefe durch Energie und Winkelabh¨angigkeit bei der Untersuchung der Stoßdynamik zahlen muss, ist ein im Vergleich zur optischen Spektroskopie deutlich reduziertes Aufl¨ osungsverm¨ogen. Seither wurde hart an einer Verbesserung dieser Situation gearbeitet. Mit dem derzeit sozusagen ultimativen“, von Hotop und Mitarbeitern entwickelten Experiment ” (s. z.B. Gopalan et al., 2003), wird heute eine Energieaufl¨osung bis hinunur detaillierte ter zu 4 meV (FWHM) erreicht (Bommels et al., 2005) und f¨ und informative Untersuchungen zu Resonanzen und Schwellenverhalten bei der elastischen und inelastischen Elektron-Atom und -Molek¨ ulstreuung eingesetzt. Abbildung 16.37 illustriert schematisch die wichtigsten Aspekte dieses ausgefeilten experimentellen Aufbaus, in dem 40 Jahre methodischer und apparativer Entwicklung der Streuphysik kulminieren. Ein Kernst¨ uck der Apparatur ist die Photoionisations-Elektronenquelle (in Abb. 16.37a links mit PIEQ gekennzeichnet), in der ein Kaliumatomstrahl (−z-Richtung) durch zwei schmalbandige Laserstrahlen (y-Richtung) ionisiert wird. So kann man von Elektronen einer wohl definierten Anfangsenergie aus einem kleinen Startvolumen ausgehen. Entscheidend dabei ist, dass die zun¨achst durch die erzeugenden Laser bestimmte Anfangsenergie T0 der Photoelektronen nicht wesentlich durch die Raumladung der sie abgebenden Kaliumionen verbreitert wird. Wie detaillierte Simulationen zeigen, muss man dazu eine Ionisationsenergie sehr knapp oberhalb des Ionisationspotenzials w¨ahlen und die extrahierte Stromst¨ arke auf einige 10–100 pA begrenzen. Daher der aufwendige, resonante 2-Photonen Ionisationsprozess u ¨ber den K(4 2 P3/2 ) Zwischenzustand, der mit einem kontinuierlichen Titan:SaphirLaser (λ1 = 766.7 nm) angeregt wird (zum optischen Pumpen s. auch Anhang I). Die zwei Hyperfeinniveaus F = 2 und 3 werden simultan angeregt, ur der Laser entsprechend stabilisiert und wie in Abb. 16.37c skizziert, wof¨ elektro-optisch moduliert wird. Um angesichts der kleinen Ionisationsquerschnitte gen¨ ugend hohe Intensit¨ at verf¨ ugbar zu haben, wird der Zwischenzustand sodann im Inneren des Resonators (intra cavity) eines schmalbandigen

14

Klassisch erzeugt man die ben¨ otigten Elektronenstrahlen durch thermische Emission aus einer Kathode, aus deren breiter Energieverteilung mit elektrostatischen Monochromatoren ein mehr oder weniger breiter Ausschnitt herausgefiltert, winkelselektiert und auf Sollenergie beschleunigt wird. Nach dem Streuprozess muss man die Energie der gestreuten Elektronen in der Regel entsprechend analysieren.

16.5 Resonanzen

(a)

z

Kaliumstrahl

385

zum Detektor für metastabile Atome

Targetstrahl x

Elektronenabzug SK Elektronenstrahl

QV PIEQ

Elektronenlinsen und Ablenkung

Faraday Becher

155 mm Kontinuum

(b)

423
Ujj gilt. Die Born-Oppenheimer-N¨ aherung k¨ onnen wir (wenigstens E als erste N¨aherung) D

2 2 (R) b ¨ 0 ˆ anwenden, wenn ~ ∇R /2 +hUjj i  hP jj · ui+ Tjj 0 gilt. Eine Ubersicht gibt Tabelle 17.1. F¨ ur das molekulare Bindungsproblem oder f¨ ur sehr niedrige Stoßenergien (elastische Streuung bei thermischen Energien) haben wirD die kinetische E p (R) ˆ i und Tbjj 0 Energie des Systems T ∼ hUjj i me /µ mit hP jj 0 · u zu vergleichen. Bei der Schwerteilchenstreuung werden inelastischen Prozesse nicht (R) ˆ i  Ujj < T sind. (Tbjj 0 kann man bei Atomauftreten, solange hP jj 0 · u Atom- bzw. Ionen-Atom-St¨ oßen stets vernachl¨assigen, da das Verh¨altnis von Elektronenmasse me zur Masse der schweren Teilchen sehr klein ist.) ˆ wird durch Die relative Gr¨ oße der nichtadiabatischen Kopplung P jj 0 · u das Verh¨altnis von Schwerteilchen- zu Elektronengeschwindigkeit (uR bzw.

17.4 Streutheorie f¨ ur das Vielkanalproblem

417

Tabelle 17.1. Gr¨ oßenordnung von Energien und Kopplungsmatrixelementen, die f¨ ur die molekulare Bindung bzw. inelastische Stoßprozesse in erster Ordnung BornOppenheimer-N¨ aherung relevant sind Anwendungsfall:

gebundene Molek¨ ule

inelastische Streuung

T  hUjj i ∼ W0 /2 r me dominant in 1.BO T ∼ hUjj i µ r ˆ hP jj 0 · ui me vernachl¨ assigt in 1.BO ∼4 T µ D E (R) r ˆ Tjj 0 me Gr¨ oßenordnungen ∼ T µ

T ≥ hUjj i hUjj i r ˆ hP jj 0 · ui me T uR ∼ = hUjj i µ Ujj ur D E (R) ˆ Tjj 0 me ∼ hUjj i µ

ur ) bestimmt. Solange uR /ur nicht zu groß ist, gilt die (adiabatische) BornOppenheimer-N¨aherung, und inelastische Prozesse sind unwahrscheinlich. Das entspricht nat¨ urlich gerade dem in Abschn. 17.1.4 behandelten Massey-Kriterium. Inelastische Prozesse k¨ onnen entweder bei h¨oheren Energien geschehen oder dann, wenn die zu u ¨berwindende Energiedifferenz Ubb − Uaa klein ist, also z.B. in der N¨ahe von Kreuzungen der Potenzialkurven. Zusammenfassend f¨ uhrt die adiabatische Herangehensweise an das inelastische Streuproblem zu einem Satz gekoppelter Differenzialgleichungen ! X ~2 kj2 ~2 2 ˆ ψj 0 (R) − ∇ + Ujj (R) − ψj (R) = − P jj 0 · u (17.40) 2µ 2µ 0 j

ausgeschrieben:

=

X ~2 j0

µ

hφj |∇R | φj 0 i ∇R ψj 0 (R) ,

die (16.61) ersetzen. Daraus sind die inelastischen Streuamplituden fba (θ, ϕ) entsprechend (17.21) zu bestimmen. Die Betr¨age der Wellenvektoren kj f¨ ur jeden Kanal ergeben sich dabei mit der anf¨ anglichen kinetischen Energie T und den asymptotischen, inneren Energien Ujj (±∞) = Wj (insbes. Wa und Wb ) der Stoßpartner aus der Energieerhaltung nach (17.19). Wir weisen ausdr¨ ucklich darauf hin, dass die nichtadiabatischen Kopplungsterme auf der rechten Seite von (17.40) das Skalarprodukt zweier Vektoren sind. Man kann dies ganz analog zu den optisch induzierten Dipol¨ uberg¨angen (Kap. 4.2, Band 1) sehen, wo das Skalarprodukt aus Dipol¨ ubergangsmatrixelement und elektrischem Feld bzw. dessen Polarisations¨ vektor die Uberg¨ ange bewirkt und die Auswahlregeln festlegt. Im jetzigen ¨ ˆ , welche Uberg¨ Falle bestimmt P jj 0 · u ange m¨ oglich sind und welche nicht. Da ˆ = −i~∇R /µ sowohl auf R wie auch auf θCM und ϕCM wirkt, unterscheiu det man Radial- und Rotationskopplung. Wie wir in Abschn. 17.5.2 ausf¨ uhren ¨ werden, kann die Radialkopplung lediglich eine Anderung der Hauptquanten-

418

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

zahl ohne Drehimpuls¨ anderung hervorrufen, w¨ahrend die Rotationskopplung als Linearkombination der Komponenten des Bahndrehimpulses darstellbar ¨ ist (s. z.B. Smith, 1969) und somit Anderungen des atomaren Drehimpulses durch den Stoßprozess erm¨ oglicht. 17.4.4 Die diabatische Repr¨ asentation Das eben skizzierte adiabatische Vorgehen ist zwar ziemlich allgemein f¨ ur die inelastische Schwerteilchenstreuung einsetzbar, konvergiert aber nicht notwendigerweise schnell genug, insbesondere nicht f¨ ur hohe kinetische Energien. Aber selbst bei niedrigen Energien kann alternativ zur adiabatischen Basis eine sogenannte diabatische Basis praktisch sein. Diese versucht man so zu (R) w¨ahlen, dass die Matrixelemente P jj 0 (R) und Tˆjj 0 der nichtadiabatischen Kopplung verschwinden. Es soll also !

hφj (r; R) |∇R | φj 0 (r; R)i ≡ 0

(17.41)

Potenzialmatrix bzw. Kopplungselemente

gelten. Das ist nicht immer auf eindeutige Weise m¨oglich, und der Preis, den man daf¨ ur zahlen muss, ist eine nicht diagonale Potenzialmatrix Ujj 0 (R). Wir wollen hier nicht auf die verschiedenen Methoden eingehen, wie man solche Darstellung findet, und statt dessen sp¨ ater einzelne Beispiele diskutieren. So werden in Abschn. 17.5.5 illustrieren, dass die Charakterisierung einer Basis als adiabatisch oder diabatisch auch vom Typ der Kopplung abh¨angt. Abbildung 17.17 vergleicht die unterschiedlichen Betrachtungsweisen f¨ ur den wichtigen Fall einer lokalisierten (vermiedenen) Kreuzung zweier Potenziale beim internuklearen Abstand Rx . Wir haben solche Kreuzungen z.B. bei den Alkali-Halogeniden bereits in Kap. 11.7.4 kennengelernt. Man trifft sie

Trajektorie adiabatisch Wba(Rx) Ubb

Ubb Uaa

Uaa uPab Trajektorie Wba(Rx)

Fa Fb

diabatisch (D)

Ubb

4a (D)

Uaa

(D)

4×Uba

Rx

R

Abb. 17.17. Adiabatische Ujj und (D) diabatische Ujj Darstellung der Potenziale (oberes bzw. unteres Bild ) zur Beschreibung inelastischer Prozesse in der N¨ ahe einer (vermiedenen) Kreuzung nach Smith (1969). Im diabatischen Fall kann man im Kreu(D) (D) zungsbereich Ujj (R) = Ujj (Rc ) + Fj (R − Rc ) linear entwickeln (· · · · · · ). ¨ Uberg¨ ange werden im adiabatischen Bild durch das nicht adiabatische Kopplungselement uP ab (- - -), im diabatischen Fall durch das nichtdia(D) gonale Potenzialmatrixelement Uab induziert (- - -)

17.4 Streutheorie f¨ ur das Vielkanalproblem

419

bei vielen zweiatomigen Systemen A-B – insbesondere bei ionisch gebundenen Molek¨ ulen. Im adiabatische Fall, in Abb. 17.17 oben, bezeichnen wir die Potenziale mit Uaa und Ubb und das zugeh¨ orige adiabatische Kopplungselement mit Pab (hier ist sehr schematisch nur die radiale Komponente dargestellt). Man beachte, dass sich der Charakter der adiabatischen Zust¨ande, die zu diesen adiabatischen Potenzialen geh¨ oren, am Kreuzungspunkt in der Regel rasch ¨andert, wie dies in Abb. 17.17 farblich angedeutet ist. Am Kreuzungspunkt ist ihr energetischer Abstand Wba (Rx ) nat¨ urlich viel kleiner als der asympto¨ tische Wert Wba (∞) = Ubb (∞) − Uaa (∞). Daher k¨onnen Uberg¨ ange zwischen den beiden Zust¨anden |ai und |bi schon bei weit niedrigeren Stoßenergien T (bei einigen ’zig eV bis zu einigen keV) stattfinden, als man das nach dem Massey-Kriterium ξ ≤ 1 f¨ ur Wba erwarten w¨ urde (s. Abschn. 17.1.4). Im Stoß von A mit B werden diese vermiedenen Kurvenkreuzungen typischerweise von Trajektorien aus einem begrenzten Bereich von Stoßparametern b ' Rx erreicht und k¨onnen u ¨ber die entsprechenden reduzierten Streuwinkel T θ = τ (b) ¨ identifiziert werden. Man kann sich also f¨ ur die Behandlung solcher Uberg¨ ange auf ein Zweizustandssystem beschr¨ anken. Komplement¨ar dazu, aber v¨ ollig ¨ aquivalent, ist in Abb. 17.17 unten die (D) ur die diabatische Basis dargestellt. Die entsprechende Potenzialmatrix Ujj 0 f¨ diabatischen Zust¨ ande, die mit diesen Potenzialen verkn¨ upft sind, ¨andern im Gegensatz zu den adiabatischen Zust¨ anden ihren Charakter am Kreuzungspunkt nicht. Auch dies ist farblich hervorgehoben. F¨ ur große R gehen die (D) (D) ur kleine R ist die Potenziale ineinander u ¨ber, Uaa → Uaa und Ubb → Ubb , f¨ (D) Zuordnung umgekehrt. Das Nebendiagonalelement Uab ist hier maßst¨ablich dargestellt. Die im oberen Teil gezeigte Aufspaltung der adiabatischen Potenziale ergibt sich aus der diabatischen Darstellung, wie bereits in Kap. 8.2, Band 1 ausgef¨ uhrt. Nach (8.35) wird in der jetzigen Schreibweise: r (D) (D) 2 Uaa + Ubb 1  (D) (D) 2 (D) Uaa − Ubb (17.42) + 4 Uab ± Uaa bzw. Ubb = 2 2 (D)

(D)

An der (diabatischen) Kreuzung ist Uaa (Rx ) = Ubb (Rx ), die Aufspaltung der adiabatischen Potenziale wird somit (D) (17.43) Wba (Rx ) = 2 Uab (Rx ) . Umgekehrt l¨asst sich das diabatische Kopplungspotenzial nach am Kreuzungspunkt durch die Aufspaltung der adiabatischen Potenziale bestimmen: (D)

Uba (Rx ) =

1 [Uaa (Rx ) − Ubb (Rx )] 2

(17.44)

Wir werden im Rahmen der semiklassichen N¨aherung in Abschn. 17.5 noch etwas genauer ausf¨ uhren, wie man solche elektronischen Anregungsprozesse quantitativ in der einen oder anderen Repr¨ asentation beschreiben kann.

420

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

Hier wollen wir zun¨ achst noch auf eine weitere, sozusagen triviale M¨ oglichkeit hinweisen, diabatische Zust¨ ande zu definieren, die sich immer dann empfiehlt, wenn die Born-Oppenheimer-N¨ aherung selbst als nullte N¨aherung keine brauchbare Beschreibung der A-B Wechselwirkung darstellt. Das gilt insbesondere f¨ ur die Ionen-Atom-Streuung bei sehr hohen Energien und a fortiori f¨ ur die Elektron-Atom- oder Molek¨ ulstreuung. Wir sprechen also u ¨ber die sogenannten direkten Anregungsprozesse, die durch sehr kleine Masseyuglich der asymptotischen Energiedifferenz Wba chaParameter (17.14) bez¨ rakterisiert sind. Die Basis φj der Wahl f¨ ur die Zustandsbeschreibung nach (17.20) ist hier ganz einfach die Produktwellenfunktion der getrennten Teilchen A und B, v¨ollig unabh¨ angig vom Abstand R beiden Stoßpartner: B φj (r; R) = φA jA (r A ) φjB (r B )

(17.45)

Hier sind r A und r B die jeweiligen inneren Koordinaten von A und B, jA und jB die entsprechenden Quantenzahlen. Da φj (r, R) jetzt unabh¨angig von R (R) ullt. Ebenso verschwinden alle Tˆjj 0 . Die ist, wird definitionsgem¨ aß (17.41) erf¨ Komponenten des Hamiltonians (17.17) kann man entsprechend b (A) H

b (B) H

zh

}| }| i{ hz i{ (R) (r A ) (A) (r B ) (B) b b b b H=T + V (R, r) + T + V (r A ) + T + V (r B ) {z } | b (el) H

zuzuordnen. Der Potenzialmatrix Ujj 0 (R) nach (17.36) besitzt jetzt nicht ver¨ schwindende Nichtdiagonalterme, die Uberg¨ ange induzieren k¨onnen. Die weitere Rechnung wird u ¨bersichtlicher, wenn die innere Struktur eines der Stoßpartner keine Rolle spielt. So kann A z.B. ein Ion mit abgeschlossener Edelgasschale sein, die nicht angeregt wird, oder auch ein Elektron hoher kinetischer Energie, f¨ ur das Elektronenaustausch mit dem Target B vernachl¨assigbar ist. Dann vereinfacht sich (17.45) zu φj (r; R) = φB j (r), also zu Eigenfunktionen des untersuchten Targets. An Stelle von (17.33) und (17.34) schreiben wir den Hamiltonian jetzt b = Tb(R) + V (R, r) + H b (B) . H

(17.46)

V (R, r) ist die Wechselwirkung des Projektils A mit den N Elektronen b (B) ist der N -Elektronenund dem Kern (Ladung Z) des Targets B, und H Hamiltonian f¨ ur das Targetatom B, dessen Eigenwerte Wj und Wellenfunktionen φj (r) ≡ φj (r 1 , r 2 . . . r N ) berechnet werden, wie bereits in Kap. 10.1, Band 1 behandelt.3 Bei der Elektron-Atom-Streuung wird 3

Oft kann man das Verfahren dadurch wesentlich vereinfachen, dass man zwischen aktiven Leuchtelektronen und passiven Rumpfelektronen unterscheidet und anstelle −Z/R ein entsprechendes Pseudopotenzial V (core) (R) benutzt. Die Erweiterung auf Molek¨ ule als Targets ist vom Ansatz her problemlos, macht die L¨ osung aber wesentlich komplizierter.

17.5 Semiklassische N¨ aherung

V (R, r) =

N X

e20 Ze20 − , 4π0 |R − r n | 4π0 R n=1

421

(17.47)

und die Potenzialmatrixelemente (17.36) schreiben sich Ujj 0 = Vjj 0 + Wj δjj 0

mit

Vjj 0 (R) = hφj (r) |V (R, r)| φj 0 (r)i .

odinger-Gleichung schließlich Anstelle von (17.40) wird die Schr¨ ! X ~2 kj2 ~2 − ∇2 − W j − ψj (R) = Vjj 0 (R) ψj 0 (R) . 2µ 2µ j

(17.48)

(17.49)

Offensichtlich ist die Struktur dieser gekoppelten Differenzialgleichungen unabh¨angig von der spezifischen Natur des Wechselwirkungspotenzials V (R, r) zwischen Projektil A und Target B. Sie sind exakt, solange man eine vollst¨andige Basis φj verwendet und Elektronenaustausch keine wesentliche Rolle spielt. In der Praxis muss man nat¨ urlich mit einem endlichen Basissatz auskommen und kann Austausch nur bei hohen Energien ausschließen. Die Implikationen sind je nach Einzelfall zu bewerten (s. z.B. Kimura und Lane, 1989). uck. Wir kommen darauf in Kap. 18 zur¨

17.5 Semiklassische N¨ aherung 17.5.1 Zeitabh¨ angige Schr¨ odinger-Gleichung Wie wir gesehen haben, finden inelastische Prozesse bei Schwerteilchenst¨oßen meist bei relativ hohen Geschwindigkeiten statt. Partialwellenentwicklungen – bei der Elektronenstreuung die Methode der Wahl – werden bei den sich daraus ergebenden sehr hohen Drehimpulsen nur extrem langsam konvergieren. Andererseits ist die De-Broglie-Wellenl¨ ange bei Schwerteilchenst¨oßen selbst bei relativ niedrigen Energien in der Regel klein gegen¨ uber typischen Distanzen, u ¨ber welche sich das Wechselwirkungspotenzial wesentlich ¨andert. Semiklassische Methoden bieten sich also f¨ ur die Behandlung dieser Streuprobleme an. In Kap. 16 haben wir die Leistungsf¨ahigkeit dieser Methoden bereits f¨ ur die elastische Schwerteilchenstreuung dokumentiert und in Kap. 16.4.4 ausf¨ uhrlich diskutiert. F¨ ur inelastische Schwerteilchenst¨ oße ist die semiklassischen Theorie ohne Zweifel die am h¨ aufigsten benutzte N¨ aherung. Mit entsprechenden Modifikationen wird sie immer dann angewandt, wo es um ¨ Uberg¨ ange von einer Potenzialfl¨ ache auf eine andere geht, die durch die Bewegung des Kernger¨ usts molekularer Systeme induziert werden. So auch bei der Dynamik in isolierten, mehratomigen Molek¨ ulen, wo z.B. nach Photoan¨ regung elektronische Uberg¨ ange, Umordnungsreaktionen oder Dissoziationsprozesse stattfinden k¨ onnen. Man berechnet dabei eine klassische Trajektorie R (t) f¨ ur die Relativbewegung der Stoßpartner (ggf. ihrer Einzelatome bzw. Ionen, soweit Molek¨ ule

422

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

beteiligt sind) und erh¨ alt daraus zeitabh¨ angige Wechselwirkungspotenziale Ujj 0 (R(t)) und Kopplungselemente P jj 0 (R(t)). Bei komplexen Systemen und moderaten kinetischen Energien wird man nach heutigem Stand der Forschung versuchen, die klassischen Bewegungsgleichungen m¨oglichst vollst¨andig zu integrieren – mit sogenannten molecular dynamics (MD) Rechnungen, f¨ ur die es inzwischen kommerzielle Programme gibt. Dabei ist es sogar m¨oglich, mit Hilfe geeigneter quantenchemischer Programme vorausschauend, on the fly“ wie ” man sagt, die relevanten Potenziale bzw. Kr¨ afte in der Umgebung der klassisch bestimmten Trajektorie gleich mit zu berechnen. So kann man die aufw¨andige Berechnung komplexer Potenzialhyperfl¨ achen bei vielatomigen Systemen auf die Bereiche begrenzen, die auch wirklich ben¨otigt werden. Bei einfachen Atom-Atom- bzw. Atom-Ion-St¨oßen gen¨ ugt es meist, die Trajektorien auf einem zwischen Anfangs- und Endzustand geeignet gemittelten Potenzial zu berechnen, ja in vielen F¨ allen – vor allem bei hohen Stoßenergien – liefert bereits die Annahme geradliniger Trajektorien R (t) = ut + b ¨ befriedigende Ergebnisse. Die elektronischen Uberg¨ ange werden dann durch die zeitabh¨angigen, nichtdiagonalen Wechselwirkungspotenziale bzw. Kopplungsmatrixelemente bestimmt – je nachdem ob man eine diabatische oder adiabatische Basis bevorzugt. Die zeitabh¨angige Schr¨ odinger-Gleichung   b (el) − i~ ∂ Ψ (t, r) = 0 (17.50) H ∂t b (el) nach (17.34) ersetzt jetzt f¨ ur die elektronische Wellenfunktion, mit H zusammen mit den Trajektorien R (t) die station¨are Schr¨odinger-Gleichung ur das Gesamtsystem. Anstelle des Ansatzes“ (17.20) tritt eine (17.16) f¨ ” zeitabh¨angige Entwicklung X Ψ (t, r) = cj (t) e−iϕj (t) φj (r; R (t)) (17.51) j

mit den semiklassischen Phasenfaktoren Z Z 1 R Ujj (R (t)) 1 t dR . Ujj (R (t0 )) dt0 = ϕj (t) = ~ −∞ ~ ∞ uR (R (t))

(17.52)

Das Potenzial Ujj wird durch (17.36) bzw. (17.48) gegeben und uR = dR/dt ist die relative Radialgeschwindigkeit. Mit (17.51) und (17.52) f¨ uhrt (17.50) nach den u ¨blichen Manipulationen schließlich zu einem Satz gekoppelter, zeitabh¨ angiger, linearer Differenzialgleichungen erster Ordnung:4 c˙j (t) = −

1X Gjj 0 (t) ei(ϕj −ϕj0 ) cj 0 (t) ~ 0

(17.53)

j 6=j

4

Man findet leicht unterschiedliche Notationen in der Literatur, die sich um i bzw. i/~ in der Definition des Kopplungselements Gjj 0 unterscheiden.

17.5 Semiklassische N¨ aherung

423

Hat man diese gekoppelten Gleichungen in einer angemessenen N¨aherung ¨ gel¨ost, so erh¨alt man die S-Matrixelemente aus den Ubergangsamplituden, daraus die Streuamplitude nach (17.29) und schließlich den differenziellen Wirkungsquerschnitt nach (17.30). Alternativ kann man bei hinreichend hohen Energien ¨ahnlich wie bei der elastischen Streuung nach Kap. 16.4.4 auch auf die Eikonal-Methode zur¨ uckgreifen. Im Grenzfall kleiner Streuwinkel und hoher Energien erh¨ alt man (s. z.B. Dubois et al., 1993) die Streuamplitude µu (−i)1+|Mb −Ma | e−i(Mb −Ma )ϕ × fba (θ, ϕ) = ~ Z ∞ bdbJ|Mb −Ma | (Kb) (cba (b, ∞) − δba )

(17.54)

0

(vgl. Gl. (16.59) f¨ ur die Schattenstreuung). Diese Streuamplitude beschreibt ¨ einen Ubergang zwischen den Zust¨ anden |aMa i und |bMb i mit den Projektionsquantenzahlen Ma bzw. Mb des elektronischen Drehimpulses des Targets bez¨ uglich der z-Achse (hier parallel zur Relativgeschwindigkeit vor dem Stoß). ¨ J|Mb −Ma | (x) ist eine Bessel-Funktion und K = 2(µu/~) sin(θ/2) die Anderung des Wellenvektors (∝ Impuls¨ ubertrag) im Stoß. 17.5.2 Kopplungselemente Wie in Abschn. 17.4.3 und 17.4.4 bereits besprochen, h¨angt es vom Einzelfall ¨ ab, ob man bei der praktischen Berechnung von stoßinduzierten Ubergangswahrscheinlichkeiten nach (17.53) eine adiabatische oder diabatische Basis w¨ahlt. Es gibt daf¨ ur keine allgemeinen Regeln, und oft werden beide Ans¨atze alternativ erprobt. ur W¨ahlt man die adiabatische Basis nach (17.39), so folgen aus (17.50) f¨ j 6= j 0 die nichtadiabatischen Kopplungsterme:   ∂ (17.55) Gjj 0 (t) = φj (r; R (t)) ~ φj 0 (r; R (t)) ∂t Wie in Abb. 17.16 auf S. 411 illustriert, wird die klassische Trajektorie durch den internuklearen Abstand R (t) und den Winkel ΘCM (t) im Schwerpunktsystem beschrieben.5 Das Stoßkoordinatensystem definiert man meist wieder so, dass die z (col) -Achse parallel zur Relativimpuls P bzw. zur Relativgeschwindigkeit u der Teilchen vor dem Stoß angenommen wird. Die x(col) -Achse liegt in der durch P und P 0 definierten Streuebene und zeigt in die Richtung, in welche das Teilchen gestreut wird. Die Winkelgeschwindigkeit Θ˙ CM hat in dieser Darstellung ein positives bzw. negatives Vorzeichen, je nachdem auf welcher Seite die Teilchen aneinander vorbei laufen: positives bzw. negatives Vorzeichen von ΘCM (∞) entspricht also einem effektiv attraktiven bzw. repulsiven Potenzial (f¨ ur die in Abb. 17.16 gezeigte Trajektorie ist Θ˙ CM > 0 und 5

Wie schon im elastischen Fall kann man dem klassischen Ablenkwinkel ein Vorzeichen zuordnen, weshalb wir hier Θ und nicht θ schreiben.

424

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

ebenso gilt ΘCM (∞) > 0). Der nukleare Bahndrehimpuls6 in y (col) Richtung ist `y = R × P und sein Betrag |`y | = `~ = µbu = µR2 Θ˙ CM ergibt sich aus Stoßparameter b und Relativgeschwindigkeit u. Mit der reduzierten Masse µ und dem momentanem Abstand R(t) wird also die Winkelgeschwindigkeit der Relativbewegung: `~ bu (17.56) Θ˙ CM = ± 2 = ± 2 R µR Damit k¨onnen wir die zeitliche Ableitung der Wellenfunktion, die in das Kopplungselement (17.55) eingeht, explizit als ∂φj (r; R(t)) dR ∂φj dΘCM ∂φj ∂φj ` ˆ iLy φj = + = uR ± ∂t dt ∂R dt ∂ΘCM ∂R µR2

(17.57)

schreiben. Dabei haben wir die relative Radialgeschwindigkeit uR = dR/dt ˆ y = −i~∂/∂ΘR sowie den elektronischen Drehimpulsoperator des Atoms L eingesetzt. Mit (17.57) wird das Kopplungselement (17.55) schließlich   ∂ `~ D ˆ E φj 0 Gjj 0 (t) =~uR φj ± φj iLy φj 0 . (17.58) ∂R µR2 Radialkopplung

Rotationskopplung

Die beiden Komponenten von Gjj 0 (t) repr¨ asentieren die schon erw¨ahnte Radial- bzw. Rotationskopplung. Das Radialkopplungsmatrixelement entsteht ¨ durch Anderung der Wellenfunktion des Stoßsystems A-B mit dem internuklearen Abstand R. Es kann nur Zust¨ ande gleicher Winkelsymmetrie koppeln, also z.B. Σ- mit Σ- und Π- mit Π-Zust¨ anden. Dagegen wird durch die Rotationskopplung gerade die Symmetrie der moˆ y a¨ndert den Bahndrehimpuls lekularen Zustands ge¨ andert. Der Operator L ¨ bez¨ uglich der y (col) Achse um ±~, sodass er Σ → Π oder Π → Σ, ∆-Uberg¨ ange etc. induzieren kann: die Symmetrie der Molek¨ ulzust¨ande bezieht sich ja auf die internukleare Achse z (mol) zwischen A und B. Diese rotiert w¨ahrend des Stoßes um y (col) . Die elektronische Ladungswolke w¨ urde also raumfest parallel zu z (col) ausgerichtet bleiben, w¨ are da nicht die molekulare Wechselwirkung, welche die Orbitale entlang z (mol) festzuhalten versucht. Typischerweise findet ˆ y | φj 0 i nahezu unabh¨ man, dass hφj |L angig von R ist, sodass die Rotationskopplung ∝ 1/R2 wird und f¨ ur kleine internukleare Abst¨ande dominiert. ur das Alternativ kann man eine diabatische Basis nach (17.41) w¨ahlen. F¨ Beispiel Elektronenstreuung kommen wir in Kap. 18.1 noch darauf zur¨ uck. Bei der Schwerteilchenstreuung wird man in der Regel versuchen, die Dia(D) gonalmatrixelemente Ujj des Potenzials m¨ oglichst gleich den adiabatischen Energien des Systems zu machen – außer in unmittelbarer N¨ahe der Kreuzung. Das diabatische Kopplungselement (17.55) bestimmt man jedenfalls nach 6

Wir erinnern daran, dass wir (etwas unsystematisch aber u ¨blich) die Bezeichnungen ` bzw. ` f¨ ur den nuklearen Bahndrehimpuls und seine Quantenzahl zur Unterscheidung vom elektronischen Bahndrehimpuls L benutzen.

17.5 Semiklassische N¨ aherung

E b (el) 0 Gjj 0 (t) = Ujj 0 (R(t)) = φj (r; R (t)) H φj (r; R (t)) . D

425

(17.59)

17.5.3 L¨ osung der gekoppelten Differenzialgleichungen Wenn man schließlich die Potenziale sowie die Kopplungen nach (17.58) oder (17.59) und die Trajektorien kennt, dann kann man die gekoppelten Gleichungen (17.53) im Prinzip mit Standardmethoden integrieren und z.B. die Anre2 gungswahrscheinlichkeit |cba (∞)| f¨ ur den Zustand |bi aus einem Zustand |ai heraus berechnen (mit ca (−∞) = 1 und cj (−∞) = 0 f¨ ur j 6= a). Einige charakteristische Merkmale der L¨ osungen kann man ganz allgemein diskutieren. So erkennt man die besondere Bedeutung des exponentiellen Phasenfaktors exp (i (ϕj − ϕj 0 )) schon in erster Ordnung St¨ orungsrechnung, wo +∞ 2 Z 1 2 Gba (t) ei(ϕb (t)−ϕa (t)) dt . |cba (∞)| = 2 ~

(17.60)

−∞

wird. Man sieht, dass ganz unabh¨ angig von der St¨arke der Kopplung Gba Anregung nur in den Bereichen der Trajektorie erfolgen kann, wo die Phasendifferenz ϕb (t)−ϕa (t) nicht zu rasch variiert – anderenfalls w¨ urde die schnelle Oszillation des Integranden positive und negative Beitr¨age zur Anregungsamplitude ausl¨oschen. Man kann grunds¨ atzlich zwei F¨alle unterscheiden: 1. Bei der direkten Anregung sind die Potenziale der beiden Zust¨ande u ¨ber die gesamte Trajektorie hinweg deutlich getrennt und ihr Abstand ist n¨aherungsweise durch die asymptotischen Bedingungen bestimmt. Mit (17.52) wird die Phasendifferenz dann n¨ aherungsweise ∆ϕ (t) = ϕb (t) − ϕa (t) '

(Wb − Wa ) (Wb − Wa ) R t, ∼ ~ uR ~

(17.61)

und der Exponentialfaktor im Integranden von (17.60) oszilliert mit der Zeit. Je nachdem, ob diese Oszillation langsam (hohe Geschwindigkeit u) oder schnell (kleines u) u ¨ber den typischen Wechselwirkungsbereich ist, ¨ wird die Ubergangswahrscheinlichkeit signifikant sein oder verschwinden. ¨ Diese Uberlegung best¨ atigt also in quantitativer, allgemeiner Weise das Massey’sche Adiabatizit¨ atskriterium: die Phasendifferenz ∆ϕ (tcol ) f¨ ur die gesamte Stoßzeit tcol ist nach (17.61) in der Tat identisch mit dem MasseyParameter (17.14). ¨ 2. Komplement¨ ar dazu k¨ onnen nichtadiabatische Uberg¨ ange aber auch an einer Kreuzung der Potenzialkurven f¨ ur Zustand |ai und |bi stattfinden, wie ur kleine Geschwinin Abb. 17.17 auf S. 418 illustriert – und zwar auch f¨ digkeiten und asymptotisch sehr unterschiedlichen Energien. Denn im Bereich der Kreuzung bei Rx bleibt die Phasendifferenz ∆ϕ (t) hinreichend

426

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

klein, jedenfalls solange (R − Rx ) ≤ ~uR / (Ubb − Uaa ) ' ~uR /Wab (Rx ) ist, sodass die Kopplung wirksam werden kann. Man kann sich in diesem Falle wieder auf zwei Zust¨ ande beschr¨ anken und hat ein System von zwei gekoppelten, linearen Differenzialgleichungen nach (17.53) zu l¨osen. Neben der direkten numerischen L¨ osung des gekoppelten Differenzialgleichungssystems (sozusagen brute force“) gibt es eine Reihe, z.T. recht ele” ganter N¨aherungsans¨ atze, die ebenfalls zum Ziel f¨ uhren. Wir besprechend im Folgenden lediglich die bereits von Landau (1932) und Zener (1932) entwickelte, auch heute noch oft sehr hilfreiche und wichtige N¨aherung. 17.5.4 Landau-Zener Formel ¨ Wir betrachten den Ubergang vom Zustand |ai nach |bi an einer bei Rx lokalisierten Kreuzung im diabatischen Bild, entsprechend Abb. 17.17 auf S. 418 ¨ unten. Wir berechnen also die Ubergangswahrscheinlichkeit zwischen a(D) (D) und b . Nach (17.53) hat man mit den Anfangsbedingungen caa (−∞) = 1 und cba (−∞) = 0 folgende gekoppelten Differenzialgleichungen zu l¨osen (der zweite Index bezieht sich auf den Anfangszustand): i (D) c˙aa (t) = − Uab (t) ei∆ϕab cba (t) ~ i (D) c˙ba (t) = − Uba (t) e−i∆ϕab caa (t) mit ~ Z  1 t  (D) 0 (D) Uaa (t ) − Ubb (t0 ) dt0 ∆ϕab (t) = ~

(17.62) (17.63) (17.64)

In der N¨ahe der Kreuzung bei Rx , die bestimmt ist durch (D)

(D) Uaa (Rx ) = Ubb (Rx ) ,

entwickelt man f¨ ur kleine Abst¨ ande von der Kreuzung ∆R = R − Rx die diabatischen Potenziale:7    ∂  (D) (D) (D) (D) Uaa − Ubb Ubb − Uaa = ∆R ∂R Rx = (Fa − Fb ) ∆R = Fab ∆R

(17.65) (17.66)

Die Entwicklungskonstante Fab ist die Differenz der Steigungen beider Potenziale an der Kreuzung, also die Differenz der auf die Trajektorie jeweils wirkenden Kr¨afte, und es wird ∆R = uR t, wenn wir als Zeitnullpunkt den Durchgang 7

¨ Hier haben wir der Ubersichtlichkeit halber nur Radialkopplung angenommen, f¨ ur welche das Landau-Zener Modell auch meist benutzt wird. Allan und Korsch (1985) haben gezeigt, dass der Formalismus auch f¨ ur Rotationskopplung gilt.

17.5 Semiklassische N¨ aherung

427 (D)

der Trajektorie durch die Kreuzung definieren. Das Kopplungselement Uab wird als konstant u ¨ber den relevanten Kreuzungsbereich angenommen: (D) (D) (D) (17.67) Uab (R) = Uba (R) = Uab Mit (17.65) ergibt sich die Phasendifferenz (17.64) zu π ∆ϕab (t) = α t2 2

mit

α=

Fab uR , π~

(17.68)

und die gekoppelten Gl. (17.62) und (17.63) werden einfach: π i (D) iα t2 c˙aa (t) = − Uab e 2 cba (t) ~ π i (D) −iα t2 2 caa (t) c˙ba (t) = − Uba ´e ~

(17.69)

Wir betrachten der Anschaulichkeit halber zun¨ achst die L¨osungen dieses Gleichungssystems in erster Ordnung St¨ orungsrechnung. Rechts in (17.69) setzen √ wir also caa (−∞) = 1 und cba (t) = cba (−∞) = 0. Wir substituieren x = αt und integrieren in der zweiten Zeile von −∞ bis ∞: π 2 x signum (α) − i (D) p Uab e 2 dx = ~ |α| −∞ R R R F¨ ur exp(−iπx2 /2)dx = cos(−πx2 /2)dx + i sin(−πx2 /2)dx haben wir dabei die bekannten Grenzwerte der Fresnel-Integrale eingesetzt. Die Wahr a(D) → b(D) beim einmaligen Durchgang ¨ scheinlichkeit f¨ ur den Ubergang durch die Kreuzung ist somit in erster Ordnung St¨orungsrechnung: (D) 2 (D) 2 2 Uab 2π Uab (D) wba ' = = 2πξ (17.70) ~2 |α| ~ |Fab | uR i (D) cba (∞) = − √ Uab ~ α

Z



−i

Nat¨ urlich gilt diese N¨ aherung nur f¨ ur 2πξ  1. Wie aber schon Zener (1932) gezeigt hat, kann man das Gleichungssystem (17.69) auch exakt l¨osen. Eine ansprechende, moderne Ableitung daf¨ ur findet man z.B. bei Wittig (2005). ¨ Danach ist die Wahrscheinlichkeit f¨ ur einen Ubergang zwischen den adiabatischen Zust¨ anden |ai → |bi – was identisch mit der Wahrscheinlichkeit ist, auf einem der diabatischen Potenziale zu bleiben – wba = e−2πξ .

(17.71)

Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit, beim vom einen Kreuzungsdurchgang zum anderen diabatischen Zustand a(D) → b(D) zu gelangen

428

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick (D)

wba = 1 − e−2πξ ,

(17.72)

uhrt. was im Grenzfall sehr kleiner ξ wieder zur St¨ orungsn¨aherung (17.70) f¨ Es lohnt sich, den entscheidenden Parameter (D) 2  Uab ∂  (D) (D) ξ= mit Fab = Ubb − Uaa (17.73) ~uR |Fab | ∂R etwas genauer zu betrachten. Im Fall reiner Radialkopplung ist nach (17.43) (D) das Kopplungselement u ¨ber Uab = Wab /2 mit der Aufspaltung der nichtadiabatischen Potenziale am Kreuzungspunkt Wab verkn¨ upft. Damit wird 2

2

ξ=

1 |Wab | a |Wba | a |Wab | = = = ωba tcol , 4~uR |Fab | ~ uR |Fab | 4a ~uR

und wir erkennen in ξ den Massey’schen Adiabatizit¨ atsparameter (17.14) wieder: dazu haben wir die effektive Wechselwirkungsdistanz a so zu interpretieren, dass bei einem Abstand (R − Rx ) = 4a vom Kreuzungspunkt die diabatische Aufspaltung gerade identisch der adiabatischen am Kreuzungspunkt ist, n¨amlich 4aFab = Wab . Dies ist im unteren Teil von Abb. 17.17 eingetragen. Wir haben es also hier mit so etwas wie einem modifizierten MasseyKriterium zu tun: der Wechselwirkungsbereich ist jetzt auf die Kreuzung beschr¨ankt, und die Gr¨ oße der energetischen Aufspaltung an der Kreuzung ¨ hat entscheidenden Einfluss auf die Ubergangswahrscheinlichkeit. Je gr¨oßer die Aufspaltung, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit (17.71) f¨ ur einen Sprung vom einen zum anderen adiabatischen Zustand. Umgekehrt nimmt ¨ diese Ubergangswahrscheinlichkeit mit der Radialgeschwindigkeit uR ebenso zu wie mit der Differenz der Steigungen. F¨ ur u → 0 (und somit uR → 0) geht in diesem Falle wba → 0. uR

ussen wir uns Mit Blick auf Abb. 17.18 m¨ nun aber u berlegen, zu welchem Gesamter¨ u gebnis der Stoß f¨ u hrt. Denn jede TrajektoR Rc rie passiert zweimal die Kreuzung bei Rx , (col) b x z sofern die Stoßenergie hoch genug ist: (1) auf dem mit ein“ gekennzeichneten Weg hin x(col) ” zum klassischen Umkehrpunkt Rc und (2) Abb. 17.18. Trajektorie mit zweimaliger Kurvenkreuzung auf dem mit ”aus“ gekennzeichneten Weg ( ein“ bzw. aus“) bei Rx . Rc ist vom klassischen Umkehrpunkt weg. Bei je” ” der Passage des Kreuzungspunkts k¨onnen der klassische Umkehrpunkt ¨ Uberg¨ ange stattfinden oder auch nicht. Es gibt also insgesamt zwei verschiedene Trajektorien, die zu einem nichtadiab¨ tischen Ubergang |bi ← |ai f¨ uhren: ein

aus

-θCM

1. F¨ ur eine Trajektorie, die auf dem Hinweg den Sprung |bi ← |ai mit der Wahrscheinlichkeit wba geschafft hat, wird die Wahrscheinlichkeit auf dem

17.5 Semiklassische N¨ aherung

429

Hinausweg in diesem Zustand |bi zu bleiben (1 − wba ). Insgesamt also ist ¨ die adiabatische Ubergangswahrscheinlichkeit wba (1 − wba ). 2. Andererseits kann auch eine Trajektorie, die auf dem Weg hinein nicht gesprungen ist (Wahrscheinlichkeit 1 − wba ), es auf dem Weg hinaus mit der Wahrscheinlichkeit wba schaffen. Auch f¨ ur diese Trajektorie ist die Sprungwahrscheinlichkeit insgesamt also (1 − wba ) wba . ¨ Beide Trajektorientypen tragen zu den Uberg¨ angen bei. Schließlich wird 8 ¨ die Gesamtwahrscheinlichkeit f¨ ur den Ubergang |bi ← |ai: tot wba = 2wba (1 − wba )

(17.74)

¨ Dies ist die Landau-Zener Ubergangswahrscheinlichkeit f¨ ur einen nicht-adia¨ batischen Ubergang an einer lokalisierten Kreuzung. Ihr Verlauf als Funktion des Adiabatizit¨ atsparameters ξ ist ¨ ahnlich wie in Abb. 17.5 auf S. 396 tot skizziert, hat aber bei ξ ' 0.11 ein Maximum von wba = 1/2 – es k¨onnen ¨ also nie mehr als 50% aller Prozesse zu einem nichtadiabatischen Ubergang f¨ uhren. Das Landau-Zener Modell ist zwar recht qualitativ, hat sich aber f¨ ur ¨ die Diskussion nichtadiabatischer Uberg¨ ange bei atomaren Stoßprozessen oder intramolekularer Dynamik sehr bew¨ ahrt und wird auch heute noch vielfach angewandt – auch wenn eine quantitative Untersuchung nat¨ urlich die exakte L¨osung der gekoppelter Differenzialgleichungen (17.53) erfordert. 17.5.5 Ein einfaches Beispiel: Na+ + Na(3p) Als noch recht u ¨bersichtliches Beispiel diskutieren wir einen Ionenstoßprozess mit einem angeregten Atom, bei welchem besonders ausgepr¨agt zwei inelastische Prozesse stattfinden k¨ onnen: ein superelastischer“ (exothermer) Abre” gungsprozess und ein Anregungsprozess nach dem Schema ( → Na+ + Na(3s 2 S) + (T + 2.10 eV) + 2 . (17.75) Na + Na(3p P3/2 ) + T → Na+ + Na(3d 2 D) + (T − 1.48 eV) Abbildung 17.19 zeigt die relevanten Wechselwirkungspotenziale des Systems Na+ 2 . Mit Kreisen markiert sind drei Kreuzungen, von denen wir hier nur ¨ ¨ (C) f¨ ur den Ubergang |3pi → |3si und (B) f¨ ur den Ubergang |3pi → |3si diskutieren.9 Es handelt sich in beiden F¨ allen um Kreuzungen zwischen |n`Σu iund |n0 `0 Πu i-Zust¨ anden, deren Potenziale sich als L¨osungen der elektronischen Schr¨odinger-Gleichung (17.39) f¨ ur das System Na+ 2 ergeben. In der f¨ ur statische Betrachtungen von Molek¨ ulen u ¨blichen Darstellung als Funktion von R, wie wir sie in Kap. 11 stets benutzt haben, sind dies 8

9

Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit beim Gesamtprozess im Ausgangszustand tot zu bleiben wba wba + (1 − wba ) (1 − wba ) = 1 − wba . Die Kreuzung (D) ist f¨ ur die Polarisationsabh¨ angikeit des Prozesses wichtig, die wir hier nicht besprechen k¨ onnen.

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

430

6

B

5 4

B

6 5

5

6

2

7

4

5

Na(3d 2D) + Na+

u

Potenzielle Energie / eV



3d 2 Π

C

3

3

C

3p 2 Σ u

2 3p 2 Π u

1

Na(3p 2P) + Na+

3p 2 Σ g

3s 2 Σ u

0 -1

3p 2 Σ g D

Na(3s 2S1/2)+Na+

3s 2 Σ g 0

10

20 R / a0

30

40

6

Abb. 17.19. Potenziale f¨ ur Na+ 2 nach Daten von Magnier und Masnou-Seeuws (1996). Die hier relevanten Potenziale sind rot gezeichnet. F¨ ur die beobachteten inelastischen Ionenstoßprozesse sind die mit (B) und (C) markierten Kreuzungen verantwortlich. In den Eins¨ atzen sind diese Kreuzungen vergr¨ oßert herausgezeichnet. Die u ¨brigen Potenziale tragen nicht zu den hier beschriebenen Prozessen bei. Die Bezeichnung der Kreuzungen ist historisch bedingt

echte Kreuzungen. Denn die Radialteile der Zust¨ande sind zwar von R abh¨angig, wegen der verschiedenen Symmetrie im Winkelanteil wird aber hn`Σu |∂/∂R| n0 `0 Πu i ≡ 0, und die Zust¨ ande spalten entlang R nicht auf. Andererseits gibtes aber nach (17.58) eine nicht verschwindende Rotationskoppˆ y |n0 `0 Πu i, die Uberg¨ ¨ lung `~/µR2 hn`Σu |iL ange an den Kreuzungen verursachen kann. Quantitativ findet man, dass die Kopplungsmatrixelemente hier ˆ y |3sΣu i und h3pΣu |L ˆ y |3dΠu i hier ' ~ sind (Allan und Korsch, 1985). h3pΠu |L Die Begriffsbildungen diabatisch und adiabatisch sind hier offenbar etwas verwirrend, und man sollte daher besser u ¨ber kreuzende bzw. nicht kreuzende Potenziale sprechen. Die Potenziale der als Funktion von R kreuzenden Zust¨ande, welche wir bei (D) der Diskussion des Landau-Zener Modells in Abschn. 17.5.4 mit Uaa bzw. (D) Ubb bezeichnet haben, sind im Falle der Rotationskopplung also die adiabatischen Eigenwerte des elektronischen Hamiltonians, die als Funktion des ¨ Ablenkwinkels ΘR (t) aufspalten.10 Das in die Ubergangswahrscheinlichkeit (D)

eingehende Kopplungspotenzial Uab ist die Rotationskopplung. Die Wahrscheinlichkeit, auf den jeweiligen anf¨ anglichen (sich kreuzenden) Potenzialen zu bleiben, wird demnach im Landau-Zener Modell

10

Wir notieren hier beil¨ aufig, dass die Potenzialaufspaltung durch Rotationskopplung, die letztlich durch die unvermeidbare Drehung der internuklearen Achse beim Stoß auftritt, eine direkte Entsprechung in der Molek¨ ulspektroskopie besitzt: wir hatten diese in Kap. 11.6.6 als Lambda-Verdopplung kennengelernt – eine Aufspaltung der Energieniveaus in Λ+ - und Λ− -Zust¨ ande bei h¨ oheren Rotationsquantenzahlen, die durch Kopplung von elektronischem Bahndrehimpuls Λ und Kernrotation N entsteht.

17.5 Semiklassische N¨ aherung

 wab = exp(−2πξ)

mit ξ =

D E 2 2 n`Σ L ˆ y n0 `0 Πu u `~ µR2 ~uR |Fab |

431

(17.76)

und geht bei sehr kleiner Relativgeschwindigkeit u → 0 (` → 0 sowie uR → 0) u ¨ber in wab → 1. Das ist gleichbedeutend mit verschwindender ¨ ¨ Ubergangswahrscheinlichkeit (1 − wab ) f¨ ur den Ubergang |n`Σu i → |n0 `0 Πu i. ¨ Bei mittleren und h¨ oheren kinetischen Energien finden Uberg¨ ange an den ¨ Kreuzungen aber sehr wohl statt. Dabei h¨ angt die Ubergangswahrscheinlichkeit 2 nat¨ urlich vom Stoßparameter ab, der u ¨ber `~ = µub und uR = u(1−(b/R) )1/2 in die Rechnung eingeht – letzteres liest man an Abb. 17.18 auf S. 428 ab. F¨ ur eine belastbare Berechnung der differenziellen Wirkungsquerschnitte im Rahmen der semiklassichen N¨ aherung muss man einerseits die klassische Ablenkfunktion Θ(b) auf einem angepassten Potenzial bestimmen, welches ggf. die Spr¨ unge zwischen den beiden Zust¨anden ber¨ ucksichtigt. Sodann ist das gekoppelte Differenzialgleichungssystem (17.53) exakt oder nach einem angemessenen Modell zu l¨ osen (f¨ ur eine endlich Zahl von Zust¨anden). Schließlich sind die Streuphasen ηa,b als Funktion von ` zu berechnen, z.B. als JWKB-Phasen nach (16.86). Ohne auf die Details einzugehen (s. z.B. Allan und Korsch, 1985; Bandrauk und Child, 1970), sei hier die sich ergebende S-Matrix notiert:   (`) Saa = e−2πξ + (1 − e−2πξ )e−2iδ e2iηa   (`) Sbb = e−2πξ + (1 − e−2πξ )e2iδ e2iηb (17.77) p (`) (`) −πξ i(ηa +ηb ) −2πξ Sab = Sba = 2ie 1−e sin δe Dabei sind ξ, ηa , ηb und δ von ` bzw. b abh¨ angig, und Sˆ ist nat¨ urlich unit¨ar. Die zus¨atzliche Phase δ(`) ber¨ ucksichtigt die im Kreuzungsbereich m¨oglichen, in Abschn. 17.5.4 diskutierten alternativen Wege, auf denen unterschiedliche Phasen aufgesammelt werden k¨ onnen. In der S-Matrix f¨ uhrt das zu charakteristischen Interferenzen, sogenannten St¨ uckelberg-Oszillationen. Die Streuamplitude erh¨ alt man schließlich durch Einsetzen von (17.77) in (17.29), woraus wiederum der differenzielle Wirkungsquerschnitt I(θ) nach ur sehr kleine Wellenl¨angen (hohe ki(17.30) folgt. Alternativ kann man f¨ netische Energien, große Massen) I(θ) wie bei der Schattenstreuung auch als Beugungsintegral (16.59) berechnen. Die komplexe Transmissionsfunkti¨ on T (b) wird dann durch die semiklassische Ubergangsamplitude cba (∞, b) gegeben, die man in einer m¨ oglichst exakten Rechnung aus den gekoppelten Differenzialgleichungen bestimmt und einschließlich der reellen Phasen berechnet. Abbildung 17.20 zeigt f¨ ur den ersten der beiden in (17.75) genannten Prozesse die von Allan und Korsch (1985) semiklassisch berechne¨ te Ubergangswahrscheinlichkeit durch Rotationskopplung (Kreuzung (C) in Abb. 17.19). Zum Vergleich ist die unter gleichen Bedingungen berechnete ¨ Landau-Zener Ubergangswahrscheinlichkeit nach (17.76) gezeigt. Der klassisch maximal wirksame Stoßparameter liegt f¨ ur eine nahezu geradlinige Trajektorie bei b = Rx ' 4.9 a0 . Wie man sieht, finden in quantenmechanischer ¨ Rechnung auch f¨ ur gr¨ oßere b noch Uberg¨ ange statt.

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

432

|S12|2 1.0

0

1

2

3

4

b / a0 5 6

0.8 0.6

LZ

0.4 0.2 0.0

AKo85 0

400

800

1200 ℓ

Abb. 17.20. Berechnete Wahrschein¨ lichkeit f¨ ur den Ubergang |3pi → |3si beim Stoß von Na(3p) mit Na+ bei 47.5 eV als Funktion von relativem Kernbahndrehimpuls ` bzw. Stoßparameter b. Gezeigt werden die semiklassisch exakt berechneten Werte |S12 |2 nach Allan und Korsch (1985) (——) im Vergleich mit der ¨ Landau-Zener Ubergangswahrscheinlichkeit 4 exp(−2πξ) [1 − exp(−2πξ)] (- - - -)

1600

Fluoreszenzdetektor

Na-Ofen

θLab

Ionen-Dete

ktor

Atomstrah l

Ionenquelle

Verschluss Strahlaufweiter λ/4 Platte Polarisator FarbstoffLaser

(b) dσ/dΩCM / 100 2a0 sr-1

(a)

Laserstrahl

Diese Prozesse wurden von B¨ ahring et al. (1984) detailliert untersucht (s. ¨ auch den Ubersichtsartikel von Campbell et al., 1988). Wir zeigen hier in Abb. ¨ 17.21 nur eine sehr schematische Ubersicht der verwendeten Ionenstreuapparatur. Die Na+ -Ionen werden an einer heißen, mit Na impr¨agnierten Metalloberfl¨ache erzeugt, durch einen elektrostatischen 180◦ -Halbkugelkondensator mit einer Bandbreite von ca. 150 meV selektiert und in einer Ionenoptik zum Strahl geformt. Dieser kreuzt bei Laborenergien im Bereich von 40–100 eV einen Natrium-Atomstrahl unter rechtem Winkel. Die unter einem Laborwinkel θLab gestreuten Na+ -Ionen werden mit einem elektrostatischen Energie-

3

3d← 3p 3s← 3p

2 1

0



2º 4º θ CM





10º

Abb. 17.21. Na+ + Na(3p) → Na+ + Na(3s, 3d) Streuexperiment: (a) experimenteller Aufbau, schematisch. (b) Differenzieller Wirkungsquerschnitt als Funktion des Streuwinkels θCM im Schwerpunktsystem bei einer kinetischen Energie TCM = 47.5 eV: Messpunkte •,  verbunden durch Linie zur Augenf¨ uhrung - - - nach B¨ ahring et al. (1984); semikklassische Rechnungen — nach Allan und Korsch (1985), im Winkel leicht reskaliert (s. Text)

17.5 Semiklassische N¨ aherung

θCM 10º 8º 6º 4º 2º 0º 0.0

3 d← 3p 258 eV º 3 s← 3p 185 eV º

433

Abb. 17.22. Reduzierter Streuwin¨ kel f¨ ur maximale Ubergangswahrscheinlichkeit bei inelastischen und superelastischen Na+ + Na(3p)-St¨ oßen (17.75) nach B¨ ahring et al. (1984)

0.01 0.02 0.03 0.04 0.05 -1

TCM / eV-1

analysator (ebenfalls ein 180◦ -Halbkugelkondensator) analysiert und schließlich mit einem Teilchenmultiplier nachgewiesen. Auch der relative Azimutwinkel der Nachweisebenen des Detektors ist einstellbar. Die Na-Target Atome im Streuzentrum werden mit linear polarisiertem, senkrecht zur Streuebene eingestrahltem cw-Laserlicht in den Na(3 2 P3/2 , F = 3)-Zustand angeregt (zum ur kleine Streuwinkel ist die Kinematik optischen Pumpen s. Anhang J). F¨ des Systems leicht vom Labor ins Schwerpunktsystem umzurechnen (s. Kap. 16.2.2): TCM ' TLab /2 und θCM ' 2θLab . Damit wird der reduzierte Streuwinkel τ , der wie im elastischen Fall eine Funktion des Stoßparameters b ist, durch τ = TCM θCM = TLab θLab gegeben. Abbildung 17.21b vergleicht die experimentell bestimmten, differenziellen Wirkungsquerschnitte f¨ ur die beiden Reaktionen nach (17.75) mit den semiklassischen Rechnungen nach Allan und Korsch (1985). Da die Lage der Kreuzungen Rx nach Magnier und Masnou-Seeuws (1996) bei etwas gr¨oßeren Werten als den in der Rechnung benutzten liegt, haben wir den Streuwinkel mit θCM ∝ 1/Rx jeweils leicht skaliert. Das ist sinnvoll, denn nach (16.47) gilt ungef¨ahr θCM ∝ 1/b (wir haben es im Bereich der relevanten Abst¨ande n¨aherungsweise mit einem Coulomb-Potenzial zu tun). Das f¨ uhrt zu einer ¨ verbesserten Ubereinstimmung von Theorie und Experiment, die angesichts der Einfachheit des Modells erstaunlich gut ist, selbst im Vergleich der Querschnitte f¨ ur die beiden betrachteten Prozesse (die absolute Skalierung wurde mit Hilfe der Theorie vorgenommen). In Abb. 17.22 sind schließlich die Messungen f¨ ur verschiedene Stoßenergien zusammengefasst. Es zeigt sich, dass der reduzierte Streuwinkel τ = T θ, bei welchem der differenzielle Wirkungsquerschnitt maximal wird, in der Tat recht gut eine Konstante ist, wie man es in erster N¨aherung nach (16.53) auch erwartet. 17.5.6 St¨ uckelberg-Oszillationen Wir hatten im vorangehenden Abschnitt bereits erw¨ahnt, dass bei der Stoßanregung durch Potenzialkreuzung unterschiedlichen Phasen auf den beiden m¨oglichen, zum gleichen Streuwinkel f¨ uhrenden Wegen zwischen einlaufender

434

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

C3+(3p)+He2+ [11]

U(R) / eV 0

C2+(2s3p)+He2+ [10] C4+ + He [9]

U(R) / eV 20

C3+(3s)+He2+ [8] C2+(2s3s)+He2+ [7] -10

-20

C2+(2s2p)+He2+ [4]

2

C3+(2p)+He+ [3]

-30

C2+(2s2)+He2+ [2] 40

60



20

4

80



6

Barat et al. 1990

40 20

[9] [2] [3]

0

C3+(2s)+He+ [1] 0

[2] [3]

[1]

-20

C2+(2p2 1D)+He2+ [5]

-40

0

C2+(2p2 1S)+He2+ [6]

- 20

[1] 0

2

4

6

[6] [4]

8

10

[7] [5]

12

CHe4+

R / a0

Abb. 17.23. Potenziale und Energetik f¨ ur das System CHe4+ nach Pichl et al. (2006). Zustand [9] —– repr¨ asentiert den Eingangskanal, gestrichelte graue Linien entsprechen dem 2e-Einfang, volle Linien dem 1e-Einfang. Links: Gesamt¨ ubersicht; rechts oben: kritischer Kreuzungsbereich; rechts unten: vereinfachtes Vierzustandsmodell nach Barat et al. (1990), schwarz gepunktet diabatische Basis. Rote Kreise deuten die relevanten Kreuzungen an

und auslaufender Kreuzung (s. Abb. 17.18) akkumuliert werden k¨onnen. Das inelastische Streumatrixelement Sab nach (17.77) l¨asst danach Interferenzen erwarten, die sich in Oszillationen als Funktion des Streuwinkels (oder auch uckelberg der Energie) auswirken sollten. Das Ph¨ anomen wurde bereits von St¨ (1932) erstmals behandelt. Die in Abb. 17.20 gezeigte Rechnung zum vorangehenden Beispiel mag dies verdeutlichen. Leider sind die Oszillationen nach Umrechnung in den differenziellen Wirkungsquerschnitt nach Ausweis von Abb. 17.21b dann doch so klein, dass sie dort nicht beobachtet werden. Es gibt aber zahlreiche Beispiele, wo diese Interferenzen deutlich sichtbar werden. Wir diskutieren hier den Ladungsaustausch zwischen einem vierfach geladenen C4+ -Ion und einem neutralen He-Atom. Das Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht interessant und popul¨ ar unter Streuphysikern: es ist relativ bequem darstellbar (das hochgeladene Ion wird an Standardquellen bereit gestellt), die beiden Stoßpartner haben am Anfang identische elektronische Strukturen (1s2 1 S0 ), der Prozess verl¨ auft exotherm in mehrere Endkan¨ale, die leicht durch Nachweis der gestreuten C3+ - oder C2+ -Ionen identifiziert werden k¨onnen. Auch haben wir es hier mit einem Fall reiner Radialkopplung zu tun, gewissermaßen ein Gegenst¨ uck zum eben behandelten Fall. Eine ganze

17.5 Semiklassische N¨ aherung

dσ __ / a2 rad-1 0 dθ 2e Einfang 1600 9.6 keV 1200

500 400 300

800

200

400

100

0

1e Einfang 9.6 keV

0

2

4

6

0 8 10 12 0 2 τ / keV deg

4

6

435

Abb. 17.24. Differenzieller Wirkungsquerschnitt f¨ ur C4+ + He als Funktion des reduzierten Streuwinkels τ nach Barat et al. (1990) bei 9.6 keV. Die Messpunkte werden mit semiklassischen Rechnungen (—–) in einem 4 Zustandsmodell verglichen

8 10 12

Reihe von Elektroneneinfangprozessen mit je nach Kanal unterschiedlichem Energiegewinn ∆W in die verschiedenen angeregten Zust¨ande des zweifach und dreifach ionisierten Cq+ -Ions ist m¨ oglich:  + 3+ 2 2  C (1s n` L) + He (1s) + ∆W C4+ (1s2 1 S)+He(1s2 1 S) → C2+ (1s2 2sn0 `0 1 L0 ) + He2+ + ∆W (17.78)   2+ 2 C (1s 2pn00 `00 1 L00 ) + He2+ + ∆W ur alle exothermen ProzesIn Abb. 17.23 zeigen wir die Potenzialkurven f¨ se nach Pichl et al. (2006). Bei den Konfigurationsangaben werden der ¨ Ubersichtlichkeit halber 1s-Elektronen nicht erw¨ahnt. Die Potenziale sind u ¨berwiegend durch die Coulomb-Abstoßung in den Ausgangskan¨alen bestimmt, der Anfangskanal entspricht einer nahezu horizontalen Linie, die durch vermiedene Kreuzungen unterbrochen wird. Die vergr¨oßerte Darstellung rechts oben l¨ asst die vermiedenen Kreuzungen (rote Kreise) deutlich erkennen, an denen der Ladungsaustausch nach (17.78) stattfindet. Auch hier gibt es nat¨ urlich (mehrere) verschiedene Wege zum klassischen Umkehrpunkt hin und beim Auseinanderlaufen – ganz so wie wir das in Abschn. 17.5.4 besprochen haben. Die Phasendifferenzen f¨ uhren in diesem Fall zu deutlichen Interferenzstrukturen, die von Barat et al. (1990) bei hohen kinetischen Energien untersucht wurden. Abbildung 17.24 gibt Beispiele f¨ ur den Ein- und Zweielektroneneinfang bei 9.6 keV, wo der differenzielle Wirkungsquerschnitt summiert u ande als Funktion des reduzierten ¨ber die verschiedenen Endzust¨ Streuwinkels τ = T θ gezeigt ist. Die experimentellen Daten werden mit einer semiklassischen Rechnung nach den oben diskutierten Modellen verglichen. Barat et al. (1990) benutzten daf¨ ur die diabatische Version eines vereinfachten Vierzustandsmodells mit den in Abb. 17.23 rechts unten skizzierten Po¨ tenzialen. Die Ubereinstimmung von Theorie und Experiment ist angesichts des recht einfachen Modells erstaunlich gut. Man beachte, dass die beim Einfacheinfang wirksamen Kreuzungen bei recht kleinem internuklearen Abstand

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

Wab /eV

436

30 20 10 0 -10 30 20 10 0 -10 30 20 10 0 -10

Abb. 17.25. Doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt f¨ ur den 2e-Einfang beim Stoß C4+ + He bei niedrigen Energien als Funktion des Laborstreuwinkels θLab und des Energiegewinns ∆W nach Hoshino et al. (2007). Die glatte und die gestrichelte Kurve geben (f¨ ur ∆W = 33.4 bzw. ∆W = 20.7 eV) die Differenz der nach der Kinematik erwarteten, im Labor gemessen kinetischen Energien des C2+ bzw. C4+ nach und vor dem Stoß als Funktion des Laborstreuwinkels θLab

440 eV

320 eV

240 eV C2+(1s22s2 1S) C2+(1s22s2p 1P) -8˚

-4˚

0˚ θ 4˚ Lab



liegen, der wegen der Coulomb-Abstoßung nur bei hohen Energien erreicht wird. Bei deutlich niedrigeren Energien wurde der Zweielektroneneinfang k¨ urzlich von Hoshino et al. (2007) als Funktion von Energieverlust und Streuwinkel bestimmt. Abbildung 17.25 zeigt eine 2D Darstellung des doppelt-differenziellen Wirkungsquerschnitts als Funktion des Energiegewinns (T 0 − T ) und des Laborstreuwinkels. Der dominante Prozess ist hier offensichtlich der 2e-Einfang in den Grundzustand des C2+ (1s2 2s2 ). Auch hier sind die St¨ uckelbergOszillationen deutlich als Funktion des Streuwinkels zu erkennen.

17.6 Stoßprozesse mit hochgeladenen Ionen (HCIs) Wir hatten in Kap. 6.5, Band 1 bereits im Zusammenhang mit der LambShift darauf hingewiesen, dass man heute sehr grundlegende Experimente mit hochgeladenen Ionen (highly charged ions, HCI ) durchf¨ uhrt. So erlauben wasserstoffartige Ionen von schweren Elementen (bis hin zum 91-fach ionisierten Uran mit der Kernladungszahl 92) empfindliche Tests der Quantenelektrodynamik, deren Einfluss bekanntlich nach Potenzen des Produkts von Feinstrukturkonstante (α ' 1/137) und wirksamer Kernladungszahl q zu entwickeln ist. St¨orungstheorie wird also mit zunehmender Kernladungszahl problematischer. Im Anschluss an die eben besprochenen Ladungsaustauschprozesse mit C4+ wollen wir hier auf sehr spezifische Ph¨ anomene bei HCI-St¨oßen hinweisen. Dieses interessante Spezialgebiet der Stoßphysik hat sich in den letzten

17.6 Stoßprozesse mit hochgeladenen Ionen (HCIs)

437

zwei bis drei Dekaden sehr produktiv entwickelt (s. Morgenstern und SchmidtB¨ocking, 2009). Die extrem hohen potenziellen Energien hochgeladener Ionen k¨onnen zu sehr heftigen und vielseitigen Reaktionen f¨ uhren. In Abb. 17.26 sind 106

Xe q +

Wpot (q) / eV

105

Ar q+

104

Abb. 17.26. Potenzielle Energie Wpot hochgeladener, atomarer Ionen als Funktion ihrer Ladung q nach Winter und Aumayr (1999). Im Prinzip kann Wpot (q) beim Einfang von q Elektronen freigesetzt werden

Thq+

103 102 10

0

20

40

q

60

80

100

diese Energien Wpot als Funktion der Ladungszahl q f¨ ur drei Beispiele zusammengestellt.11 Man sieht, dass z.B. bereits der nackte Argonkern (Ar18+ ) eine potenzielle Energie von fast 16 000 eV tr¨ agt, und dass bei der vollst¨andigen Rekombination von Th90+ mit all seinen Elektronen nahezu 1 MeV frei werden. Neben dem grundlegenden akademischen Interesse an solchen Prozessen haben hochgeladene Ionen aber auch vielerlei praktische Bedeutung. HCIs kommen relativ h¨aufig im Kosmos vor und k¨ onnen daher f¨ ur diagnostische Zwecke eingesetzt werden, so etwa – um eine etwas exotische Anwendung zu nennen – zur Temperaturbestimmung des Sonnenwinds durch St¨oße in Kometenatmosph¨aren. Auch in Fusionsplasmen spielen HCIs eine Rolle, wo durch Ionenbombardement schwere Elemente aus den W¨anden geschlagen werden. Im Zusammenhang mit Anwendungen zur Nanostrukturierung von Oberfl¨achen oder biomedizinischen Objekten wird die hohe Energiedichte und exzellente Fokussierbarkeit von HCI-Strahlen hervorgehoben. Man kann hochgeladene Ionen heute auf verschiedene Weise herstellen. Beschleuniger-basierte Quellen, bei welchen Ionen bei hoher Energien durch d¨ unne Folien geschossen werden, wo sie ihre Elektronen verlieren, werden zunehmend durch ECR- (electron cyclotron resonance) sowie EBIS - und EBIT Quellen (electon beam ion source bzw. ... trap) abgel¨ost. In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte gemacht, sodass solche Quellen heute weltweit in einer Reihe von spezialisierten Labors verf¨ ugbar sind. Sie basieren im Wesentlichen auf den gleichen physikalischen Prinzipien, sind aber in ihrer Konstruktion recht unterschiedlich. In allen drei F¨allen werden die HCIs durch wiederholten Elektronenstoß in zahlreichen Einzelschritten erzeugt und in einem elektrischen Feld gespeichert, w¨ ahrend starke Magnetfelder (z.T. mit Supraleitern erzeugt) die Elektronen zusammenhalten und fokussieren. In der 11

Wpot ist die Summe aller Ionisationspotenziale WI (q 0 ) f¨ ur q 0 ≤ q.

438

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

EBIT-Quelle spielen die Elektronen eine wichtige Rolle bei der Speicherung der Ionen. Beimischung verschiedener leichter Gase erlaubt u ¨ber KleinwinkelIonenst¨oße eine effiziente K¨ uhlung (sogenannte Verdampfungsk¨ uhlung). F¨ ur die Untersuchung von Stoßprozessen werden die HCIs dann aus der Quelle extrahiert, beschleunigt, nach Energie und Masse selektiert und schließlich auf ein Target fokussiert oder in einen Speicherring eingef¨ uhrt. Die Vielfalt der m¨ oglichen Prozesse in St¨ oßen mit HCIs ist sehr groß, weshalb hoch effiziente Nachweis- und Messverfahren f¨ ur die entstehenden Reaktionsprodukte entscheidend beim Erfolg solcher Experimente sind. Zunehmend werden orts- und zeitaufgel¨ oste Methoden eingesetzt, h¨aufig mit koinzidenter Bestimmung der Impulskomponenten mehrerer Reaktionsprodukte (z.B. mit autert wird). COLTRIMS , das in Anhang J.4 kurz erl¨ 17.6.1 Das u ber die Barriere“ Modell ”¨ Von besonderer Bedeutung sind Ladungsaustauschprozesse. Wir beschr¨anken ¨ uns hier der Ubersichtlichkeit halber auf den Einfang von nur einem Elektron (single electron capture, SEC ) nach dem Schema Aq+ + B → A(q−1)+ (n`) + B+ .

(17.79)

Sei die Bindungsenergie (< 0) des transferierten Elektrons Wb0 nach dem Stoß bzw. Wb vor dem Stoß, dann wird bei hoher Ladung q der sogenannte Energiedefekt des Prozesses Q = Wb0 − Wb (17.80) typischerweise negativ sein, da das eingefangene Elektron in A(q−1)+ viel st¨arker gebunden ist als zuvor in B. Man hat es also mit exothermen Prozessen zu tun, die – wie schon in Abschn. 17.1.1 besprochen – hohe Wirkungsquerschnitte haben k¨ onnen. Das HCI (Aq+ ) wirkt im Stoß mit einem neutralen, ruhenden Target (B) wegen seiner hohen potenziellen Energie gewissermaßen wie ein Staubsauger, der die Elektronen aus dem neutralen Teilchen begierig aufnimmt, sofern es nur hinreichend nahe kommt. Dabei wird, wie in Abb. 17.27 skizziert, die Potenzialbarriere zwischen Projektil und Target dramatisch abgesenkt. Dieses sogenannte klassische u ¨ber die Barriere“ ” (over-the-barrier ) Modell wurde bereits in den sp¨aten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt (s. Niehaus, 1986, und weitere dort zitierte Arbeiten), erfreut sich aber nach wie vor großer Beliebtheit f¨ ur qualitative Diskussionen und macht erstaunlich akkurate Vorhersagen. Wir diskutieren hier die Grundideen. Wenn sich das Projektil dem Target n¨ahert, so durchl¨auft das vom ¨ außeren Targetelektron (Koordinate r) effektiv gesehene“ Potenzial V (r; R) die in Abb. 17.27a–h skizzierten Szenarien bei ” verschiedenen internuklearen Abst¨ anden R. Bei einer kritischen Ann¨aherung auf den Abstand R = Rth sinkt die Barriere unter die lokale Bindungsenergie der Targetelektronen, wie in Abb. 17.27c angedeutet. Projektil und Target bilden dann f¨ ur kurze Zeit ein Quasimolek¨ ul und das Elektron kann seinen

17.6 Stoßprozesse mit hochgeladenen Ionen (HCIs)

0

-20 R→ ∞

(a)

-2 -4

0

t

(h) B+

(b)

-2

20

n=8

0

(c)

-2 -4 0

n=9 8 7 Rth = 12.4a0

-4

R=8 -20

0

n=9 8 7 Rth = 12.4a0

(e)

(d)

-2

-2

R = 50

(f)

20

40 60 -20 0 Elektronenkoordinate r / a0

-2 0

n=8

R→ ∞ R = 50

0 -4

A(q-1)+

(g)

-4

R→ ∞



Aq+



B

0 V(r;R) / 27.2 eV

20



-20



0

439

-4 0 -2 -4 0 -2 -4

R=8 20

40

60

Abb. 17.27. Klassisches over-the-barrier Modell f¨ ur einen Einelektronaustauschprozess (SEC) am Beispiel He+Ar18+ (wir folgen hier einer Darstellung von R. Morgenstern, Morgenstern und Schmidt-B¨ ocking, 2009). Die dicken roten Pfeile deuten den zeitlichen Ablauf an. Rote, horizontale Linien entsprechen den Energieniveaus in den isolierten Stoßpartnern bzw. f¨ ur R ≤ Rth im Quasimolek¨ ul (voll : besetzt, gestrichelt: unbesetzt). Der energetischen Konsistenz wegen wurden die beiden HeElektronen auch beim Hereinlaufen auf unterschiedlichem Niveau gezeichnet – auch wenn sie nat¨ urlich im ersten Ionisationsschritt ununterscheidbar sind

Platz wechseln. Dabei kommen sich HOMO des Targets und hoch angeregte, unbesetzte n`-Zust¨ ande des Ions energetisch sehr nahe. Das Elektron besetzt diese Zust¨ande mit hoher Wahrscheinlichkeit und wird auch bei der Trennung auf dem Weg nach außen (Abb. 17.27f) nur mit kleiner Wahrscheinlichkeit vom Projektil A zum Target B zur¨ uckwechseln, denn der Phasenraum (Entartungsgrad) ist in den hoch liegenden Projektilzust¨anden viel gr¨oßer als bei dem meist viel leichteren Target. Typischerweise werden hohe Stoßenergien untersucht, sodass – anders als in Abschn. 17.1 – n¨aherungsweise geradlinige Trajektorien angenommen werden k¨ onnen. Der kritische Abstand Rth kann dann mit dem maximalen Stoßparameter bm f¨ ur einen Ladungsaustauschpro2 zess identifiziert werden. Daraus resultieren Einfangquerschnitte σ ' πRth , die sehr groß werden k¨ onnen. Quantitativ geht man von einem Potenzial   t q V (r; R) = − − r R−r

440

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

aus. Hier und im Folgenden benutzen wir wieder atomare Einheiten W0 (Energie) und a0 (L¨ange). Die effektive Ladung t des Targetrumpfs erlaubt eine realistische Ber¨ ucksichtigung der Abschirmung des Atomkerns durch die inneren Elektronen des Targets B (s. z.B. Kap. 7.2, Band 1). Wie man nach den Regeln der pAnalysis leicht ausrechnet, liegt das Maximum der Barriere bei rM = R/ q/t + 1 und hat dort den Wert VM (R) = −

√ √ 2 q + t /R .

(17.81)

Die Bindungsenergie Wb des HOMO Elektrons schreiben wir Wb (∞, HOMO) = −WIB (mit dem Ionisationspotenzial WIB ). Durch das sich n¨ahernde HCI wird sich diese ¨andern. Das u ¨ber die Barriere“ Modell nimmt nun an, dass diese ” Absenkung bei der kritischen Distanz Rth einfach durch das Potenzial des HCIs gegeben sei: (B)

Wb (Rth , HOMO) = −WI

− q/Rth

(17.82)

Die kritische Distanz ergibt sich mit (17.81) also aus (B)

VM (R) = −WI − q/Rth √ √ 2 (B) q + t /Rth = WI + q/Rth , woraus folgt: Rth =

√ t + 2 qt

(17.83)

(B)

WI

Ganz analog zu (17.82) werden auch die Energien der n` Endzust¨ande des Projektil-Ions bei Rth abgesenkt: Wb0 (Rth , n`) = Wb0 (∞, n`) − t/Rth

(17.84)

Beim Einfang eines Elektrons werden im Projektilion bevorzugt jene Niveaus n` bev¨olkert, deren Energie bei Rth dort m¨ oglichst gut mit der Energie des Targetelektrons nach (17.82) u ¨bereinstimmt: q t ' Wb0 (∞, n`) − . Rth Rth √ q + 2 qt q−t √ , = −WIB Wb0 (∞, n`) ' −WIB − Rth t + 2 qt

−WIB −

(17.85)

letzteres unter Benutzung von (17.83). Damit wird der Energiedefekt (17.80): (B)

Q = Wb0 (∞, n`) − Wb (∞, HOMO) = −WI

(q − t) √ t + 2 qt

(17.86)

17.6 Stoßprozesse mit hochgeladenen Ionen (HCIs)

441

Schreiben wir schließlich die Bindungsenergie des ausgetauschten Elektrons im Projektilion Wb0 (∞, n`) = −q 2 /(2n∗2 ), so wird mit (17.85) die Quantenzahl der vorzugsweise besetzten Zust¨ ande −1/2  t + 2√qt 1/2  (B) ∗ √ n ' q 2WI . (17.87) q + 2 qt

17.6.2 Elektronenaustausch im Experiment Wir wollen als konkretes Beispiel die Reaktion Arq+ + He → Ar(q−1)+ (n`) + He+

(17.88)

ur q ≥ 15 bei Projektilenergien von betrachten, die von Knoop et al. (2008) f¨ 14 keV /q in einem COLTRIMS-Experiment untersucht und mit state of the ” art“ Close-Coupling-Rechnungen verglichen wurde.12 Dabei wird also eines der He-Elektronen in einen Rydberg-Zustand n` eingefangen. Die bei diesem Prozess freiwerdende Energie Q(n`) wird im Experiment aus dem Impuls p des r¨ uckgestreuten He+ -Ions bestimmt. Man detektiert dieses in Koinzidenz mit dem jeweiligen Projektilion nach dem Stoß und stellt somit sicher, dass wirklich nur Signale aus dem SEC-Prozess (17.88) analysiert werden. Sehen wir uns kurz die Kinematik an, die dieser Prozessanalyse zugrunde liegt. Man kann bei diesen hohen Energien von nahezu geradlinigen Trajektorien und entsprechend kleinem Streuwinkel θ ausgehen, sodass p nahezu parallel zum Impuls pA des Projektils wird. Aus der Komponente p⊥ = p sin θ bestimmt man den Streuwinkel, aus pk ' p den Energiedefekt. Die Masse des Projektils Aq+ ist vor bzw. nach dem Stoß MA bzw. (MA + me ) (Elektronenmasse me ), seine Geschwindigkeit vor dem Stoß v = pA /MA . B wird vor dem Stoß als ruhend angenommen, und seine Masse sei vor dem Stoß MB und nach dem Stoß entsprechend (MB − me ). Der Einfachheit halber betrachten wir hier nur solche Target-Recoil-Ionen, die entlang der Projektilachse (vorw¨arts bzw. r¨ uckw¨ arts) gestreut werden, f¨ ur die also pk = ±p gilt. Der Impuls des Projektils nach dem Stoß (mit eingefangenem Elektron) wird dann p0A = pA − pk . (17.89) 0

Mit der kinetischen Energie p2A /2MA vor bzw. pA2 /2 (MA + me ) nach dem Stoß ergibt sich aus der Energiebilanz f¨ ur den Energiedefekt (17.80): 2 2 p2k pA − p k (pA ) − − . (17.90) Q= 2MA 2 (MA + me ) 2 (MB − me ) 12

Die in Abb. 17.27 skizzierten Szenarien entsprechen gerade den energetischen Verh¨ altnissen dieser Reaktion f¨ ur q = 18 (also f¨ ur den nackten Ar-Kern). Nicht ganz korrekt aber anschaulich haben wir in dieser Darstellung die Absenkung der Zust¨ ande auch bei R > Rth in Anlehnung an (17.82) und (17.84) gezeichnet.

442

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

Entwickelt man die Nenner nach me /MA bzw. me /MB bis zum linearen Glied und benutzt pA = MA v, so wird schließlich   p2k MB me v 2 1+ , (17.91) + pk v − Q= 2 2MB MA

Ionenausbeute / Anzahl

wenn man me /MA und me /MB  1 (sub-Promille) vernachl¨assigt. In der einschl¨agigen Literatur findet man nur die in ersten beiden Terme (s. z.B. Ullrich et al., 2003; Depaola et al., 2008, wo allerdings unterschiedliche Vorzeichendefinitionen benutzt werden). F¨ ur hohe Energien (im hier besprochenen Experiment > 200 keV) ist der dritte Term aber ebenfalls vernachl¨assigbar, leicht verifiziert und auch me v 2 /2 ist in der Regel deutlich kleiner als wie man pk v . Negatives Q (exotherme Reaktion) f¨ uhrt somit zu pk < 0: das Targetion wird also tats¨achlich zur¨ uck gestreut. uge aus den Ergebnissen von Knoop et al. (2008) In Abb. 17.28 sind Ausz¨ gezeigt. Sehr deutlich wird dabei, dass der Elektroneneinfang ins Projektilion in der Tat sehr selektiv auf wenige Zust¨ ande n` beschr¨ankt ist (Abb. 17.28a, b). F¨ ur q = 18 dominieren n = 8 und 7, bei q = 15 wird bevorzugt n = 7 und 6 besetzt. Ein Blick auf Abb. 17.27c zeigt, dass dies im Wesentlichen mit den Vorhersagen des over-the-barrier Modells u ¨bereinstimmt. Quantitativ ergeben

1500

8

(a)

Ar18+

7

1000 500

n =6

9 10

dσ/dθ /10-12cm2

10

0.1 0.01 0.0

600

(b)

7

Ar15+

n=6

400

0 -120 -80 -40 Q-Wert /eV

1

800

0

Ar18+

0

-120

0.2 θ / mrad

n=6 n=7 n=8 0.3 0.4

-80

-40 0 Q-Wert /eV

10 1

(c)

0.1

8

200

0.1 0.01 0.0

Ar15+

(d)

0.1

0.2 0.3 θ / mrad

0.4

Abb. 17.28. Einelektroneinfang bei den Reaktionen Ar18+ + He → Ar17+ (1sn`) + He+ (a, c), sowie Ar15+ (1s2 2s) + He → Ar14+ (1s2 2sn`) + He+ (b, d), nach Knoop ur die Beet al. (2008); (a, b) gemessene Q-Wert Spektren mit Fits (rote Linien) f¨ setzung der n` Zust¨ ande, (c, d) experimentell bestimmte differenzielle Wirkungsquerschnitte und Vergleich mit der Theorie

17.7 Surface hopping, konische Durchschneidungen und Reaktionen

443

sich nach (17.87) die Werte n∗ = 8.5 bzw. 7.3, was zwar leicht oberhalb der experimentellen Beobachtung liegt, aber angesichts der Simplifikationen des ¨ Modells doch eine verbl¨ uffend gute Ubereinstimmung bedeutet. Die beobachteten differenziellen Querschnitte (Abb. 17.28c, d) sind wie ¨ erwartet stark vorw¨ arts gerichtet, und die Ubereinstimmung mit der Theorie ist beeindruckend. Die berechneten integralen Querschnitte, mit denen das Experiment kalibriert wird, sind – bedingt durch die großen Werte f¨ ur die kritische Distanz Rth – sehr groß. Summiert u ¨ber alle besetzten n∗ Zust¨ande liegt σ(q) zwischen 24 und 26.9 × 10−16 cm2 f¨ ur q = 15 bis 18. 17.6.3 HCI St¨ oße und ultraschnelle Dynamik Der aufmerksamen Leser wird bemerkt haben, dass das hier benutzte over¨ the-barrier Modell eine starke Ahnlichkeit mit den Konzepten besitzt, die wir in Kap. 8.9, Band 1 zur Beschreibung des Verhaltens von Atomen und Molek¨ ulen in intensiven Femtosekunden-Laserimpulsen benutzt haben. In der Tat sind die elektrischen Feldst¨ arken, die bei der Wechselwirkung mit einem hoch geladenen Ion auftreten vergleichbar mit denen eines intensiven Laserfeldes, und so verwundert es nicht, dass z.B. das jeweils beobachtete Ionisations¨ und Fragmentationsverhalten h¨ aufig frappierende Ubereinstimmungen zeigt. Auch die Wechselwirkungszeit bei solchen St¨ oßen kann extrem kurz sein. In dem eben behandelten Fall findet man, dass das Projektil eine Strecke von der Gr¨oßenordnung des kritischen Radius Rth in ca. 0.5 fs durchquert. Diese Zeit kann durch Erh¨ohung der Energie oder Betrachtung kleinerer Wechselwirkungsbereiche durchaus noch um eine Gr¨ oßenordnung reduziert werden. Wir haben es also hier mit Attosekundenphysik zu tun – die auch ein hot topic“ ” der aktuellen Laserphysik ist. Allerdings sind die von HCIs erzeugten Impulse in der Regel monodirektional – eine Eigenschaft, von der Laserphysiker bisweilen tr¨aumen. In aller Fairness muss man freilich sagen, dass die HCIStoßphysik im Gegensatz zu Experimenten mit Attosekunden-Laserimpulsen naturgem¨aß keine Anrege-Abtastexperimente kennt, die wiederum Grundvoraussetzung f¨ ur die Echtzeitbeobachtung dynamischer Prozesse sind.

17.7 Surface hopping, konische Durchschneidungen und Reaktionen Unsere Einf¨ uhrung in die inelastische Schwerteilchenstreuung war bislang auf zwei relative kleine Stoßpartner beschr¨ ankt (Elektronen, Atome, Ionen, kleine Molek¨ ule), also auf einen ganz kleinen Ausschnitt aus der Realit¨at bimolekularer Wechselwirkungen. Zunehmend kann man heute mit effizienten experimentellen und theoretischen Methoden auch St¨oße und Reaktionen mehratomiger Systeme im Detail untersuchen. Statt der im Vorangehenden dis¨ kutierten Kurvenkreuzungen und Landau-Zener artigen Uberg¨ ange, hat man ¨ es dabei mit Uberg¨ angen zwischen multidimensionalen Potenzialhyperfl¨achen

444

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

zu tun und spricht von surface hopping“. Solche Prozesse geschehen aber ” nicht nur in (bimolekularen) Stoßprozessen sondern auch in angeregten, isolierten, gr¨oßeren Molek¨ ulen oder Clustern. Diese intra- und intermolekulare Dynamik kann heute f¨ ur viele interessante Beispiele detailliert zeitaufgel¨ost verfolgt werden. Solche real time“ Untersuchungen im Femto- oder gar Atto” sekunden Zeitbereich sind ein aktuelles, modernes Forschungsgebiet, das wir in Band 3 behandeln werden. Bei der theoretischen Beschreibung solcher Prozesse ist im Verlauf der letzten Jahren deutlich geworden, dass sogenannte konische Durchschneidungen eine große Bedeutung haben: das sind Punkte (genauer: Hyperfl¨achen reduzierter Dimensionalit¨ at), auf welchen verschiedene Zust¨ande energetisch entartet sind. Wie wir gelernt haben, werden Kreuzungen bei zweiatomigen Molek¨ ulen f¨ ur Zust¨ ande gleicher Symmetrie vermieden. Im vieldimensionalen Fall sind sie aber auf Fl¨ achen reduzierter Dimension durchaus m¨oglich und sogar ein sehr typisches Ph¨ anomen. F¨ ur ein Verst¨andnis photoinduzierter Reaktionsdynamik auf atomarem Niveau sind die so m¨oglichen Spr¨ unge zwischen verschiedenen Potenzialhyperfl¨ achen in der Tat entscheidend. Auch darauf werden wir in Band 3 noch zur¨ uckkommen. Typische chemische Reaktionen k¨ onnen aber bereits auf einer einzigen (freilich multidimensionalen) Potenzialhyperfl¨ ache ablaufen. Der Wunsch, den Ablauf chemische Prozesse auf einem atomaren Niveau zu verstehen, war vom Anfang der Streuphysik an eine der wesentlichen Triebfedern f¨ ur aussagekr¨aftige Experimente mit gekreuzten Molekularstrahlen. Pionierarbeiten dazu wurden zwischen 1960 und 1990 weltweit in vielen Labors, vor allem aber in den Gruppen Dudley R. Herschbach, Yuan T. Lee und John C. Polanyi ur Cheund ihren Sch¨ ulern durchgef¨ uhrt und (1986) mit dem Nobelpreis f¨ mie gew¨ urdigt. Heute gibt es eine große Vielfalt von experimentellen und theoretischen Methoden zur Untersuchung und Beschreibung solcher Prozesse. Herschbach konnte schon in seinem Nobel-Vortrag auf mehr als 500 Reviews und weit u urfte ¨ber 5 000 aktuelle Originalartikel hinweisen. Seither d¨ sich deren Zahl verzehnfacht haben. Wir wollen unsere Ausf¨ uhrung u ¨ber Schwerteilchenstreuung daher lediglich mit einem Blick auf den aktuellen Stand der experimentellen Technik beschließen. War man fr¨ uher f¨ ur das Studium reaktiver Prozesse auf große, mechanisch aufwendige Molekularstrahlapparaturen angewiesen, so kann man heute dank verbesserter Pr¨ aparations- und Nachweistechniken viele Fragestellungen mit kleinen handlichen Apparaturen angehen. Abbildung 17.29 zeigt ein solches Experiment, das wieder eine COLTRIMS Anordnung benutzt, optimiert f¨ ur die hier angesprochenen Messaufgaben. Wesentliche Bestandteile sind eine gepulste Quelle f¨ ur niederenergetische Ionen und ein ebenfalls gepulster Molekularstrahl f¨ ur das Target. Langsame (thermische) Ionen werden aus einem sehr kurz gepulsten Neutralatomstrahl durch Elektronenstoß erzeugt. Neutralstrahl und Ionenstrahl haben wohl definierte kinetische Energien und kreuzen sich im Reaktionszentrum. So wird nicht nur die Relativenergie TCM vor dem Stoß gut definiert, auch der Zeitpunkt eines Stoßprozesses wird f¨ ur

17.7 Surface hopping, konische Durchschneidungen und Reaktionen

445

Abb. 17.29. Reaktionsmikroskop nach Mikosch et al. (2006). Die wichtigsten Komponenten sind ein gepulster Projektilionenstrahl (rot gestrichelt), ein ebenfalls gepulster Targetgasstrahl (weiß gestrichelt) und das bildgebende Ionenlinsensystem, welches die Reaktionsprodukte (rosa Linie) auf eine Vielkanalplatte abbildet. Ein spezielles Druckmessger¨ at und eine Elektronenkanone dienen der Charakterisierung des Gasstrahls und der Detektorkalibrierung

die nachfolgende Flugzeitanalyse festgelegt. Der Ionenabzug geschieht mit Hilfe gepulster Spannungsger¨ ate, und der Nachweis erfolgt in einem wohl definierten Zeitfenster. Die gestreuten Ionen oder Reaktionsprodukte werden mit einem (sorgf¨altig berechneten und kalibrierten) Linsensystem auf eine Mikrokanalplatte abgebildet. Der Ort, an dem die Ionen auftreffen, wird u ¨ber einen Phosphoreszenzschirm mit einer Computer gesteuerten CCD-Kamera positionsempfindlich ausgelesen. Die Flugzeit bestimmt man durch gepulstes Einschalten des Detektorsystems. Aus der Position, an welcher die Ionen auf dem Detektor auftreffen und ihrer Flugzeit kann man die Geschwindigkeitskomponenten der gestreuten Ionen und Reaktionsprodukte eindeutig bestimmen. Mit dieser Apparatur kann man z.B. Vibrations- und Rotationsanregung kleiner Molek¨ ule bei niederenergetischen St¨ oßen und Reaktionen vom Typ X− + RY → XR + Y−

(17.92)

untersuchen, bei denen ein Ion durch ein anderes ausgetauscht wird. Dabei erfolgt die Messung von winkel- und energieaufgel¨osten differenziellen Wirkungsquerschnitten in einem bildgebenden Verfahren. Als Beispiel zeigt Abb. 17.30 (links) die experimentell bestimmten Reaktionswahrscheinlichkeiten f¨ ur die sogenannte nukleophile Substitutionsreaktion CH3 I + Cl− → CH3 Cl + I− nach Mikosch et al. (2008). Die Farbschattierungen (rot: sehr hoch, weiß: mittel, schwarz: verschwindend) repr¨asentieren die Streuintensit¨at als Funktion der x- und y-Komponente der Relativgeschwindigkeit des gestreuten I− -Ions nach der Reaktion im Schwerpunktsystem. Die Reaktion l¨auft (f¨ ur die hier benutzte kinetische Anfangsenergie von 1.9 eV) offenbar dann am effizientesten ab, wenn das Produktion I− in Richtung des einlaufenden Cl− -Ions emittiert wird, d.h. wenn das Reaktionsprodukt CH3 Cl r¨ uckw¨arts gestreut wird: man beobachtet also einen direkten Prozess f¨ ur die Reaktion (17.92). Dies erkl¨ art man recht suggestiv durch den in Abb. 17.30 (rechts) skizzierten Reaktionsablauf, bei welchem das Cl− -Ion das Targetmolek¨ ul CH3 I auf der dem I abgewandten Seite attackiert. Der Potenzialverlauf (rote Linie) entlang der sogenannten Reaktionskoordinate, die durch

446

¨ 17 Inelastische Stoßprozesse – ein erster Uberblick

Abb. 17.30. Nukleophile Reaktion CH3 I + Cl− → CH3 Cl + I− nach Mikosch et al. (2008). Links: f¨ ur TCM = 1.9 eV gemessene Geschwindigkeitslandkarte“ als ” Funktion der Relativgeschwindigkeiten in x- und y-Richtung im CM-System. Die eingetragenen Newton-Kreise markieren Orte gleicher Energie im CM-System. Der gr¨ oßte Kreis entspricht der maximal m¨ oglichen kinetischen Energie nach dem Stoß. Rechts: ab initio berechneter Potenzialverlauf entlang der Reaktionskoordinate“ ” RC−I − RC−Cl ; charakteristische Maxima und Minima sind in kcal / mol angegeben

RC−I − RC−Cl charakterisiert ist, wurde ab initio berechnet. Gezeigt ist ein Schnitt durch die vieldimensionale Potenzialhyperfl¨ache (das System hat 12 innere Freiheitsgrade). Die Reaktionskoordinate charakterisiert den Weg von den Edukten (Ausgangsmolek¨ ulen) zu den Produkten mit lokal jeweils mini¨ maler Anderung der potentiellen Energie. Man kann sich das wie eine Rodelbahn auf der Potenzialhyperfl¨ ache vorstellen, wo es m¨oglichst bergab geht, gelegentlich auch mal bergauf – dann aber mit kleinstem Energieaufwand. Wie die rote Potenzialkurve in Abb. 17.30 (rechts) zeigt, durchl¨auft die Reaktion dabei eine Reihe von Maxima und Minima auf der Potenzialhyper¨ fl¨ache (sogenannte Ubergangszust¨ ande). Nat¨ urlich begegnen sich die Reaktionspartner im Experiment nicht nur in der hier skizzierten Geometrie: viele unterschiedliche Stoßparameter k¨ onnen im Prinzip zur Reaktion f¨ uhren, und die Orientierung CH3 I relativ zum Cl− -Ion ist weitgehend statistisch anzunehmen. Die von Mikosch et al. (2008) bei 1.9 eV experimentell beobachtete Pr¨aferenz f¨ ur I− -Emission in +CM-Achsenrichtung und die u ¨berwiegende Umwandlung fast der gesamten Reaktionsenergie in kinetische Relativenergie der Produkte besagt einfach, dass die angedeutete Orientierung der Molek¨ ule f¨ ur die Reaktion am effizientesten ist. Wir k¨ onnen hier nicht auf weitere Details eingehen, erw¨ahnen aber, dass das hier skizzierte Verhalten stark energieabh¨angig ist.

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation ¨ Im vorangehenden Kapitel haben wir eine Ubersicht uber inelastische Streuprozesse insgesamt gegeben, in ¨ die Theorie der Anregung durch Schwerteilchenst¨ oße eingef¨ uhrt und dies mit Beispielen hinterlegt. Hier wollen wir nun einen Schritt auf etwas schwieriges Terrain wagen und ein vertieftes Verst¨ andnis f¨ ur Elektronenstoßanregung und -ionisation entwickeln. Insbesondere letztere ist nicht nur intellektuell herausfordernd, sondern auch f¨ ur die Praxis wichtig.

Hinweise f¨ ur den Leser: In Abschn. 18.1.1 entwickeln wir zun¨achst – etwas abstrakt – die Close-Coupling-Theorie, greifen dann als einfachste N¨aherung f¨ ur die Elektronenstoßanregung in Abschn. 18.2 noch einmal die Born’sche N¨aherung auf und stellen das zur optischen Anregung komplement¨are Konzept der generalisierten Oszillatorenst¨ arke f¨ ur e-Atom-St¨oße vor. In Abschn. 18.4 behandeln wir die Elektronenstoßionisation, beginnend ¨ mit den f¨ ur praktische Zwecke wichtigen integralen Querschnitten. Uber einfach und doppelt differenzielle Wirkungsquerschnitte gelangen wir schließlich zu den dreifach differenziellen. Sie beinhalten die maximale Information u ¨ber den sogenannten (e,2e)-Prozess. Dies wird in Abschn. 18.5 vertieft mit einen kurzen Ausflug in die (e,2e)-Spektroskopie, die man als komplement¨ar zur Photoelektronen-Spektroskopie (s. Kap. 15.9) im VUV- und XUV-Gebiet verstehen kann. Abschließend geben wir in Abschn. 18.6 ein Beispiel f¨ ur den zur Photoionisation inversen Prozess der Rekombination.

18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen Der nicht an Details interessierte Leser mag diesen etwas anspruchsvollen Abschnitt ohne Sorge um das Verst¨ andnis des nachfolgenden Texts u ¨berspringen. 18.1.1 Close-Coupling-Gleichungen Hier wollen wir in die Theorie der Elektronenstoßanregung e + B(a) + T → e + B(b) + (T − Wba )

(18.1)

¨ von Atomen oder Molek¨ ulen (B) einf¨ uhren (einen guten Uberblick u ¨ ber den aktuellen Stand findet man z.B. bei Burke, 2006; Burke et al., 2007). Der Elektronenstoß unterscheidet sich von der Schwerteilchenstreuung grunds¨atzlich, I.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 8, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

448

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

da das Streuelektron Geschwindigkeiten hat, die vergleichbar sind mit der Geschwindigkeit der Elektronen im Target. Der adiabatische Potenzialansatz, der ja darauf beruht, dass der Stoßprozess langsam im Vergleich zur inneren Elektronendynamik der Stoßpartner abl¨ auft, ist daher allenfalls bei extrem niedrigen kinetischen Energien T sinnvoll. In aller Regel muss man von eiur das Vielkanalstreuproblem ner diabatischen Repr¨ asentation nach (17.45) f¨ (17.16) ausgehen und hat ein Differenzialgleichungssystem vom Typ (17.49) zu l¨osen. Allerdings hat das Streuelektron (seine Ortskoordinate sei R) zwar keine ¨ innere Struktur, wohl aber einen Spin. Ahnlich wie wir dies bei der Berechnung gebundener Atomzust¨ ande in Kap. 10.3, Band 1 kennengelernt haben, muss man die Gesamtwellenfunktion (17.20) antisymmetrisieren. Die asymptotische Wellenfunktion (17.21) schreibt sich dann unter Ber¨ ucksichtigung s der Spinfunktion χm 1/2 sa Ψ (R, r) ' eika R χm 1/2 φa (r) +

X

fba (θ, ϕ)

b

eikb R msb χ φb (r) . R 1/2

(18.2)

Im Rahmen der Russel-Saunders-Kopplung (also f¨ ur leichte Atome) bleibt dabei ein Satz von Quantenzahlen Γ ≡ LML SMS Pges des Gesamtsystems Streuelektron + Target w¨ahrend des Stoßes erhalten. L und S sind die Quantenzahlen f¨ ur Gesamtbahndrehimpuls bzw. den Gesamtspin, ML und MS ihre jeweiligen Komponenten bez¨ uglich einer vorgegebenen z-Achse und Pges die Parit¨ at. Als Bezugsachse z w¨ahlt man meist auch hier die Richtung des einlaufenden Elektrons (obwohl auch viele gute Symmetriegr¨ unde f¨ ur eine z-Achse senkrecht zur Streuebene sprechen, wie wir in Kap. 19.5.2 sehen werden). In diesem Koordinatensystem setzen sich die Zust¨ande |Γ i des Stoßsystems nach den u ¨blichen Regeln (unter Benutzung der entsprechenden Clebsch-Gordan-Koeffizienten) zusammen aus den Zust¨anden f¨ ur Gesamtbahndrehimpuls und Gesamtspin des Targetatoms |Lj MLj Sj MSj i und des Streuelektrons ` m` = 0 s = 12 ms . Die Partialwellenentwicklung f¨ allt jetzt etwas komplizierter als (16.74) aus. Statt der Radialgleichung (16.72) hat man wegen der erforderlichen Antisymmetrisierung ein System von gekoppelten Integro-Differenzialgleichungen f¨ ur die radialen Wellenfunktionen uΓba (r) des Streuelektrons zu l¨osen:  2  d `b (`b + 1) 2 − + kb uΓba (R) = (18.3) dR2 R2   Z ∞ 2µ X Γ Kbj (R, R0 )uΓja (R0 ) dR0 = 2 VbjΓ (R)uΓja (R) + ~ j 0 Hier bezeichnet `j den Bahndrehimpuls und kj den Wellenvektor des Streuelektrons im Kanal j. Rechts ist u ¨ber alle Quantenzahlen und Zust¨ande j des

18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen

449

gew¨ahlten Basissatzes zu summieren. Das lokale, direkte Potenzial Vj`Γ (R) ucksichtigt die u vom Typ (17.48) ber¨ ¨ber alle Atomelektronen gemittelten Γ Coulomb-Anziehungen und -Abstoßungen, w¨ ahrend Kj` (R, R0 ) die nicht lokalen Austauschpotenziale repr¨ asentiert, die durch recht komplizierte Ausdr¨ ucke beschrieben werden. Sie werden in der Praxis noch erg¨anzt durch einen geeigneten Satz von Funktionen, welche die Elektronenkorrelation beschreiben. Auf einen endlichen Basissatz beschr¨ ankt und ohne Korrelationsterme nennt man (16.72) close coupling“ Gleichungen. ” ur die Aufbauend auf (17.21–17.30) kann die inelastische Streuamplitude f¨ Elektronenstreuung an einem neutralen Atom durch T-Matrixelemente ausgedr¨ uckt werden, die sich aus den asymptotische L¨osungen von (18.3) entsprechend (17.22) ergeben. Im LS-Kopplungsschema wird 2π fba (θ, ϕ) = i √ kb ka

X

i`a −`b hLa MLa `a m`a |LML i Sa MSa 21 msa |SMS

LML SMS `a m`a `b m`b

× hLb MLb `b m`b |LML i Sb MSb 21 msb |SMS Γ × Tba Y`b m`b (θ, ϕ) Y`∗a m`a (θa , ϕa )

(18.4)

¨ f¨ ur einen Ubergang vom Anfangszustand |ai = |γa La MLa Sa MSa msa i in den Endzustand |bi = |γb Lb MLb Sb MSb msb i. Hier stehen γa und γb f¨ ur alle sonstigen Quantenzahlen, die man zur vollst¨ andigen Beschreibung von AnfangsΓ Γ und Endzustand ben¨ otigt. Die T-Matrixelemente Tba = Sba − δba beschreiben ¨ die Partialwellenamplituden f¨ ur den Ubergang |bi ← |ai zu jedem m¨oglichen Wert von Γ . Bei der Partialwellenentwicklung f¨ ur den elastischen Fall (ohne Elektronenaustausch) war b = a und es gab zu jedem Bahndrehimpuls ` des Γ Elektrons nur einen m¨ oglichen Wert f¨ ur Γ = `. Somit wurde Tba nach (16.102) diagonal. Hier wird nun das Streuelektron durch `a m`a bzw. `b m`a charakterisiert. Daher sieht der Ausdruck (18.4) zwar etwas kompliziert aus, f¨ uhrt aber in (17.29) lediglich die Kopplung der Bahndrehimpulse (La,b bzw. `a,b ) sowie der Spins (Sa,b bzw. 1/2) von Atom bzw. Streuelektron ein – jeweils vor und nach dem Stoß (a bzw. b). Sie bilden einen Gesamtbahndrehimpuls L und einen Gesamtspin S und bestimmen so wesentlich die Erhaltungsgr¨oße Γ . Der ka -Vektor des einlaufenden Elektrons hat in dieser Formulierung die durch θa , ϕa gegebene Richtung in Bezug auf die z-Achse. Wenn man, wie u = ϕa = m`a ≡ 0), vereinfacht ¨blich, ka in Richtung der z-Achse√legt (θa √ sich (18.4) mit Y`∗a m`a (θa , ϕa ) → 2`a + 1/ 4π noch etwas. Die differenziellen Wirkungsquerschnitte ergeben sich aus den Amplituden wieder nach (17.30). Man beachte, dass auch der Azimutwinkel der Streurichtung ϕ in die Streuamplitude eingeht, und somit die Erhaltung der Streuebene, wie wir sie in der klassischen Beschreibung der elastischen Streuung kennengelernt haben, nicht mehr zwingend ist. Immer dann, wenn das Target nicht isotrop pr¨apariert oder detektiert wird, spielt diese Azimutabh¨angikeit eine Rolle. Sie zu messen, erfordert allerdings zus¨ atzliche experimentelle Selektivit¨at.

450

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

Die Spinquantenzahlen des Atom- und des Streuelektrons (Sj MSj und mit j = a, b) k¨ onnen sich im allgemeinen Fall w¨ahrend des Stoßes durchaus ¨andern. Wenn die Spin-Bahn-Kopplung vernachl¨assigbar ist – und das ist f¨ ur alle leichten Atome eine sehr gute N¨aherung, bleibt der Gesamtspin (S und MS ) nach Betrag und Richtung w¨ahrend des Stoßes aber erhalten. Allerdings k¨ onnen sich die Komponenten MSa,b bzw. ma,b sehr wohl durch Austausch ¨ andern. So etwa bei der Anregung eines Triplett-Zustands aus einem Singulett-Zustand, wie wir das in Kap. 17.2 kennengelernt haben, oder durch Austausch des Leuchtelektrons beim Elektronenstoß mit einem 2 ¨ S1/2 Atom. Diese Anderung der Spinrichtung des Streuelektrons kann man nat¨ urlich auch experimentell untersuchen, indem man den Polarisationszustand des Elektrons vor und/oder nach dem Stoß bestimmt. Streuexperimente mit polarisierten Elektronen konstituieren ein interessantes, aktives Teilgebiet der Streuphysik, auf das wir hier nicht im Detail eingehen k¨onnen (der interessierte Leser sei auf bei Kessler, 1985; Andersen et al., 1997; Andersen und Bartschat, 2003, verwiesen). Wir skizzieren lediglich den Zusammenhang zwischen dem experimentell zug¨anglichen Austauschur das noch recht querschnitt Iex (θ) und den Streuamplituden nach (18.4) f¨ einfache Beispiel der Elektronenstreuung an einem Quasieinelektronsystem mit einem aktiven Leuchtelektron, also mit Sa,b ≡ 1/2. In diesem Fall kann man die Clebsch-Gordan-Koeffizienten, welche die Spinkopplung beschreiben, vor die u ¨brigen Summationen ziehen und (18.4) in Singulett (S = 0) und Triplettamplitude (S = 1), f 0 bzw. f 1 , aufspalten:



0 msb msa fba = 12 MSa 21 msb |00 12 MSa 21 msa |00 fba (18.5) 1 2 msj ,

+

1 X

1

1 2 MSb 2 msb |1MS

1

1 2 MSa 2 msa |1MS



1 fba

MS =−1

Dieser Ausdruck erlaubt es, die Ergebnisse von Streurechnungen mit verschiedenen experimentellen Messgr¨ oßen zu vergleichen. So kann man z.B. beim Stoß ¨ mit einem unpolarisierten Target die Wahrscheinlichkeit f¨ ur die Anderung der Orientierung des Spins des Streuelektrons (sogenannter Spinflip) bestimmen. Alternativ zu den Singulett- und Triplettstreuamplituden wird oft auch eine direkte Streuamplitude (f ) und eine Austauschamplitude (g) definiert. F¨ ur ein Quasieinelektronsystem sind die verschiedenen m¨oglichen Prozesse und zugeh¨origen Amplituden in Tabelle 18.1 zusammengestellt. Der Zusammenhang ergibt sich direkt durch Einsetzen der jeweiligen Clebsch-GordanKoeffizienten in (18.5). F¨ ur den hier besprochenen Fall, dass Spineffekte nur infolge des Elektronenaustauschs auftreten, ist das also noch relativ u ¨bersichtlich. Man sieht an (18.4) aber sofort, dass die Verh¨ altnisse f¨ ur die Elektronenstreuung an schweren Atomen, also bei großer Spin-Bahn-Wechselwirkung, wesentlich komplexer werden. Wir haben dies in Kap. 17.2 schon am Beispiel des Quecksilbers gesehen. In den Radialgleichungen (18.3) muss man dann Spin-BahnKopplungsterme ber¨ ucksichtigen, hat es also mit einer von MS und ML

18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen

451

Tabelle 18.1. Amplituden f¨ ur e-Streuprozesse an einem Quasieinelektronatom unter Ber¨ ucksichtigung des Elektronenspins. Die Spinorientierung ±1/2 ist jeweils mit ↑ bzw. ↓ abgek¨ urzt Spins vor bzw. nach dem Stoß m sa M Sa m sb M Sb ↑↑ ↑↑

Amplitude

f1 = f − g

↑↓

↓↑

↑↓

↑↓

↓↑

↑↓

↓↑

↓↑

 −g = f 1 − f 0 /2  f = f 1 + f 0 /2  −g = f 1 − f 0 /2  f = f 1 + f 0 /2

↓↓

↓↓

f1 = f − g

explizit abh¨angigen Wechselwirkung zu tun. Auch L und S sind dann keine unabh¨angigen Erhaltungsgr¨ oßen mehr. Entsprechend wird die T-Matrix von weiteren Parametern abh¨ angig und die Zahl unabh¨angiger Streuamplituden erh¨oht sich drastisch. Zus¨ atzlich zum Elektronenaustausch kann sich der Spin des Streuelektrons jetzt auch durch Umklappen ¨andern, und die Streuamplituden k¨onnen im Prinzip links-rechts asymmetrisch werden, also je nach Spinorientierung f¨ ur ϕ = 0 und ϕ = π unterschiedlich sein. 18.1.2 Rechenmethoden und experimentell belegte Beispiele Elastische, inelastische und ionisierende Wechselwirkungsprozesse von Elektronen mit Atomen, Molek¨ ulen und ihren Ionen spielen – ebenso wie die damit methodisch verwandte Photoionisation – eine entscheidende Rolle in vielen Anwendungsfeldern. Daher besteht ein großer Bedarf an einem detaillierten Verst¨andnis dieser Prozesse und an quantitativen und verl¨asslichen Daten f¨ ur die entsprechenden Wirkungsquerschnitte. Deren Bedeutung reicht von der Astrophysik (gasf¨ ormige, interstellare Materie, Stern- und Planetenatmosph¨aren) u ¨ber die Physik und Chemie unserer Erdatmosph¨are und ihrer Modellierung (nicht zuletzt im Zusammenhang mit der aktuellen Herausforderung durch die globale Erw¨ armung), u ¨ber die Plasmaphysik (etwa im Kontext der kontrollierten Kernfusion oder beim intelligenten Design energiesparender Gasentladungslampen) bis hin zum Verst¨ andnis von biologisch relevanten Strahlungssch¨aden und der Wechselwirkung mit Molek¨ ulen an katalytischen Oberfl¨achen. An eine vollst¨ andige experimentelle Erschließung des erforderlichen, umfangreichen Datenmaterials zu denken, ist angesichts der Vielzahl dabei relevanter Targets und des breiten, zu u ¨berdeckenden Energiebereichs (von subthermisch bis MeV) v¨ ollig unrealistisch. Daher wurden – im weltweiten Verbund einer Reihe starker Theoriegruppen – u ¨ber die letzten Jahrzehnte hinweg leistungsf¨ ahige, quantitative L¨ osungsverfahren f¨ ur das Streuproblem (18.1) entwickelt und in effiziente Computercodes umgesetzt.

452

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

Der dabei erforderliche mathematisch numerische Aufwand ist erheblich und wird sich wohl kaum je so stromlinienf¨ ormig bew¨altigen lassen, wie dies heute f¨ ur gebundene Zust¨ ande m¨ oglich ist. Diese k¨onnen inzwischen ja mit immer h¨oherer Pr¨ azision f¨ ur immer gr¨ oßere Molek¨ ulsysteme bereits auf der Basis kommerziell verf¨ ugbarer, quantenchemischer ab initio Programme routinem¨aßig berechnet werden. Im Unterschied dazu bilden Kontinuumszust¨ande als Voraussetzung f¨ ur die Behandlung des Streuproblems, der Stoßionisation und der Photoionisation schon seit den Anfangszeiten der Quantenmechanik eine große Herausforderung, die erst relativ sp¨at, n¨amlich von Born (1926a,b) mit seinem ber¨ uhmten N¨ aherungsansatz angegangen wurde. Die speziellen Randbedingungen, die große Zahl erforderlicher Drehimpulse und die im Prinzip unendliche Ausdehnung der Basiswellenfunktionen erzwingen entsprechend aufwendigere Ans¨ atze. Wie schon f¨ ur einige Beispiele in Kap. 17.2 illustriert, haben moderne N¨aherungsverfahren aber in den letzten Jahren beachtliche Genauigkeit und breite Anwendbarkeit erlangt. Bei dieser Entwicklung war es von entscheidender Bedeutung, dass die theoretischen Ans¨atze und Resultate sich an speziellen, ausgew¨ahlten Beispielen zu beweisen hatten, die experimentell gut zug¨anglich sind. Eine besondere Herausforderung f¨ ur die Theorie war es dabei, neben der exakten Vorhersage differenzieller und integraler Wirkungsquerschnitte auch sehr detaillierte Messgr¨ oßen zu berechnen, die man heute f¨ ur ausgew¨ahlte Beispiele mit aufwendigen Experimenten vergleichen kann. So kann man moderne Rechenverfahren erproben und kontinuierlich verbessern. Auf die Einzelheiten k¨ onnen wir hier nicht eingehen, wollen aber einige wichtige, h¨aufig gebrauchte Begriffe kurz erl¨ autern, um dem Leser die Orientierung in der einschl¨ agigen Literatur zu erleichtern. In jedem Fall hat man (16.72), die sogenannten Close-Coupling-Gleichungen (CC-Gleichungen), in geeigneten N¨aherung zu den Randbedingungen (18.2) zu l¨osen. Dazu schreibt man bei der Elektronenstreuung die Wellenfunktionen des Systems (17.20) typischerweise (s. z.B. Bartschat, 1998b) als ΨkΓ (1 . . . N + 1) = (18.6) X X Γ Γ Γ Γ −1 bjk χj (1 . . . N + 1) , aijk ψj (1 . . . N ) R uij (R) + Aˆ ij

j

wobei Aˆ der Antisymmetrisierungsoperator ist, die Zahlen 1 . . . N + 1 f¨ ur die Orts- und Spinkoordinaten von Target- und Streuelektronen stehen und R die Ortskoordinate des Streuelektrons bezeichnet. Die ψjΓ (1 . . . N ) k¨onnen z.B. aus Hartee-Fock Orbitalen der Targetfunktionen entwickelt werden. Die Funktionen χΓj (1 . . . N + 1) ber¨ ucksichtigen ggf. Korrelationen, die in der ersten Summe nicht enthalten sind. Die Radialfunktionen des Streuelektrons uij (R) in den verschiedenen Kan¨ alen werden als L¨osungen der Close-CouplingGleichungen gesucht. Ihr asymptotisches Verhalten liefert nach (17.22) bzw. (17.23) die K- bzw. T- oder S-Matrix, aus welchen Streuquerschnitte und andere experimentell zug¨ angliche Parameter zu berechnen sind.

18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen

453

Approximiertes Spektrum

Ionisationsschwelle

Pseudozustände

Exaktes Spektrum des Targets

gebundene Zustände

gebundene Zustände Kontinuumszustände

Die dabei im Prinzip erforderliche Summation u ¨ber einen vollst¨andigen Basissatz von Targetwellenfunktionen muss man nat¨ urlich auf eine endliche Zahl von Kan¨ alen beschr¨ anken. Die eigentliche Kunst der Theorie ist es, eine m¨oglichst rasch konvergierende Auswahl von Basiszust¨anden zu finden. Im einfachsten Fall wird man nur eine kleine Zahl gebundener Zust¨ande ber¨ ucksichtigen (neben dem Anfangs- und Endzustand solche, die einen großen ¨ Uberlapp mit jenen erwarten lassen) und hat damit die Close-CouplingGleichungen f¨ ur alle interessierenden Energien zu l¨osen. Das Verfahren wird freilich nur f¨ ur solche Energien zu vern¨ unftigen Ergebnissen f¨ uhren, die nicht wesentlich gr¨oßer als die Anregungsenergien der eingeschlossenen offenen Kan¨ale sind. Anspruchsvolle Rechnungen ber¨ ucksichtigen dar¨ uber hinaus die u ande, deren Charak¨brigen Zust¨ande pauschal durch sogenannte Pseudozust¨ ter m¨oglichst viele gebundene und ungebundene Zust¨ande repr¨asentieren soll, wie dies in Abb. 18.1 skizziert ist. Bei geschickter Wahl der Pseudozust¨ande kann man damit neben inelastischen Prozessen (f¨ ur nicht all zu hohe Energien) auch die Stoßionisation und die Photoionisation gut beschreiben. Je nach Methode der Auswahl von Pseudozust¨anden und Integrationsverfahren spricht man von der Pseudozustandsmethode, von konvergenter CloseCoupling-Rechnung (CCC) oder R-Matrix-Theorie. Letztere hat in der vergangenen Dekade zunehmende Bedeutung als sehr leistungsf¨ahiges Werkzeug f¨ ur die erfolgreiche Berechnung zahlreicher Prozesse gewonnen. Dabei teilt man den gesamten Raum in zwei (genauer drei) Teilbereiche auf. Der innere Bereich rn ,R ≤ a wird so gew¨ahlt, dass nur hier Elektronenaustausch und Korrelation zu ber¨ ucksichtigten ist. Auf dieser Grenzfl¨ache“ ” sind die Targetwellenfunktionen typischerweise auf 0.1% ihres Maximalwerts

Abb. 18.1. Exaktes Spektrum eines Atoms oder Ions (links) und seine Repr¨ asentation durch Pseudozust¨ ande (rechts) nach Burke (2006)

454

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

abgefallen, und die Radialgleichungen f¨ ur die Projektilwellenfunktionen l¨ost man so, dass sie eine m¨ oglichst vollst¨ andige, zu den Targetzust¨anden orthogonale Basis bilden, welche den R-Matrix Randbedingungen duij a =b (18.7) uij (0) = 0 und uij (a) dR R=a gen¨ ugt. Man legt sich also auf eine im Prinzip willk¨ urliche Konstante b (z.B. = 0) f¨ ur die logarithmische Ableitung der Radialfunktion des Streuelektrons auf der Grenzfl¨ache fest. Im Innenraum braucht man diese Rechnung nur einmal durchzuf¨ uhren. Daraus ergibt sich die R-Matrix, welche die Projektilfunktionen im Innen- und Außenraum verkn¨ upft. Im Außenraum muss man die Radialgleichungen zwar f¨ ur jede interessierende Energie P l¨osen, hat es hier aber nur noch mit langreichweitigen Potenzialen vom Typ ∝ Cs R−s zu tun, und es gibt keinen Elektronenaustausch mehr. Schließlich erh¨alt man (dritter Bereich) aus dem asymptotischen Verhalten dieser L¨osungen uij (R)|R→∞ die K-, T- und S-Matrix. Eine weitere M¨ oglichkeit zur pauschalen Ber¨ ucksichtigung des Kontinuums, die insbesondere f¨ ur h¨ ohere Stoßenergien angewendet wird, ist die Einf¨ uhrung von lokalen oder nichtlokalen Polarisationspotenzialen, und schließlich die sogenannten Distorted-Wave (DW)“-Methoden, bei welchen man die ” T-Matrix aus den Close-Coupling-Gleichungen unter Benutzung approximativer erster N¨aherungen f¨ ur die Streuwelle ermittelt. Sie stellen gewissermaßen intelligente Weiterentwicklungen der Born’schen N¨aherung dar, deren Anwendung auf die inelastische Elektronenstreuung wir im n¨achsten Abschnitt behandeln werden. Eine Reihe von Beispielen f¨ ur die Leistungsf¨ahigkeit dieser modernen Methoden der Streutheorie hatten wir bereits zu Eingang von Kap. 17 vorgestellt. Man findet eine F¨ ulle von Daten in der Literatur (s. z.B. Buckman und Sullivan, 2006). Wir wollen diesen Exkurs mit zwei weiteren, als Benchmark“ ” dienlichen Systemen beenden.

DCS

I(θ) / Å2 sr-1

104

T = 54.4 eV

T = 20 eV

100 1 0.01

3CC

104

3CCO

T = 10 eV

100 1

T = 100 eV

0.01 0

45

90 135 θ / grad

0

45

90 135 180

Abb. 18.2. DCS f¨ ur die inelastische Elektronenstreuung e + Na(3 2 S) → e + Na(3 2 P) nach Bray et al. (1991). Verglichen werden f¨ ur mehrere kinetische Anfangsenergien T experimentelle Daten verschiedener Autoren (•) mit Close-Coupling-Rechnungen (3CC · · · ), auch unter Einschluss eines nicht lokalen Polarisationspotenzials (3CCO —)

18.1 Formale Streutheorie und Anwendungen

455

Ein noch relativ einfacher Fall, mit einem Quasieinelektrontarget, ist die in Abb. 18.2 gezeigte Elektronenstoßanregung von Na-Atomen aus dem 3s 2 S1/2 Grundzustand in das Resonanzdoublett 3p 2 P1/2,3/2 . F¨ ur verschiedene kinetische Energien T des anregenden Elektrons und f¨ ur einen fast vollen Streuwinkelbereich von 0–140◦ k¨ onnen hier experimentelle Daten f¨ ur den differenziellen Wirkungsquerschnitt (DCS) aus verschiedenen Quellen direkt mit der Theorie verglichen werden. Bei der grau gepunkteten Linie handelt es sich um eine Close-Coupling-Rechnung, bei welcher lediglich die Atomzust¨ande 3 2 S, 3 2 P und 3 2 D als Hartree-Fock-Targetorbitale eingehen. Die rote Linie ber¨ ucksichtigt außerdem pauschal alle u ¨brigen Zust¨ande (einschließlich des Kontinuums) durch ein nicht lokales Polarisationspotenzial. Man sieht die Verbesserung der Theorie durch das Polarisationspotenzial. Allerdings bestehen nach wie vor deutliche Abweichungen von den experimentellen Daten. Beachtet man, dass der differenzielle Querschnitt hier im logarithmischen Maßstab dargestellt ist, dann wird deutlich, dass selbst bei diesem, doch so einfach scheinenden Fall der e + Na Streuung, noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. In Hinblick auf die sehr unterschiedlichen experimentellen Resultate (die Fehlerbalken werden typischerweise sehr viel kleiner als die Differenzen zu anderen Autoren angegeben) w¨ urden wir hier dazu neigen, eher der Theorie zu vertrauen. Dass diese Art von Rechnung auch f¨ ur Molek¨ ule verl¨assliche Ergebnisse lieur das Beispiel der elastischen und inelastischen fert, dokumentiert Abb. 18.3 f¨ Elektronenstreuung am N2 -Molek¨ ul. Hier ist ein kleiner, besonders interessanter Ausschnitt aus der Anregungsfunktion nach Abb. 17.13 gezeigt. Wir hatten schon in Kap. 11.6.9 (s. Abb. 11.45 auf S. 74) darauf hingewiesen, dass es ein kurzlebiges N− ur den 2 -Anion gibt. Die Abbildung 18.3 (a) und (b) liefern daf¨ Beleg durch eine sehr eindrucksvolle Resonanzstruktur: immer dann, wenn die Elektronenenergie gerade der Energie eines Vibrationszustands dieses instabilen Anions entspricht, beobachtet man ausgepr¨agte, allerdings relativ breite Maxima (die Halbwertsbreiten geben einen Anhaltspunkt f¨ ur die Lebensdauer der Zust¨ande, die einige fs betr¨ agt). Der Streuprozess l¨asst sich daher schematisch so beschreiben: − 2 0 1 + 00 e + N2 (X 1 Σ+ g v = 0) −→ N2 (X Πg v ) −→ e + N2 (X Σg v )

(18.8)

Wie in Kap. 16.5 besprochen, kann auch hier wieder neben der Resonanzstreuung ein direkter Prozess stattfinden, der zu Interferenzen f¨ uhrt. Die leicht unterschiedlichen Lagen der Maxima f¨ ur die elastische (a) und vibrationsinelastische (b) Streuung sind der Vibrationsdynamik im Resonanzzustand geschuldet. In Abb. 18.3c und d sind die Winkelabh¨angigkeiten der differenziellen Streuquerschnitte dargestellt.1 Auch bereits ohne eine detaillierte Parti1

Neuere experimentelle und theoretische Daten (s. z.B. Telega und Gianturco, ¨ 2006, und dort zitierte Quellen) zeigen eine leicht verbesserte Ubereinstimmung. ¨ Der Ubersichtlichkeit halber verzichten wir hier auf einen Vergleich.

456

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

(a)

1.6 1.4

4

I(θ) / Å2 sr-1

1.2

DCS

(c)

5

υ=0→0

1.0

3

υ=0→0

2 1

0.8 1

2

(b)

0.20

3

4

0

0

1.0 υ=0→1

135

180

45 90 135 Streuwinkel θ / grad

180

45

90

(d)

0.8

υ=0→1

0.6 0.4

0.10

0.2 0.00

1

2 3 Elektronenenergie T / eV

4

0

0

Abb. 18.3. Differenzielle Wirkungsquerschnitte I(θ) f¨ ur die elastische und inelastische Elektronenstreuung am N2 im Bereich der N− -Resonanzenergie nach Sun et al. 2 (1995). (a, b) Energieabh¨ angigkeit der Querschnitte bei θ = 60◦ , (c, d) I(θ) in Abh¨ angigkeit vom Streuwinkel bei den jeweils (links) durch einen Pfeil angedeuteten Energien. (a, c) elastische Streuung, (b, d) Vibrationsanregung. Experimentelle alen Daten • und CCC Rechnungen — mit 15 Vibrationskan¨

alwellenanalyse sticht die ann¨ ahernd pz -artige Winkelverteilung ins Auge: eine Folge der Dominanz von ` = 1 in der Partialwellenentwicklung, welche den Π-Charakter des kurzzeitig gebildeten X 2 Πg -Grundzustands im N− 2 -Anions 2 reflektiert. N− (X Π ) kann nur durch Anlagerung eines pπ-artigen Elektrons g 2 an den Grundzustand X 1 Σ+ g des neutralen N2 gebildet werden (es handelt sich hier um eine Shape-Resonanz, s. Kapitel 16.5). Die Experimente werden hier wiederum mit CCC-Rechnungen f¨ ur den elektronischen Grundzustand des N2 verglichen, bei welchem die CC-Gleichungen mit 15 Vibrationszust¨anden gel¨ost wurden. Die Rotation nimmt man bei diesem Prozess als sehr langsam (adiabatisch) an. Nat¨ urlich kompliziert dieses nicht isotrope Streupotenzial des Molek¨ uls die Rechnungen gegen¨ uber isotropen Atomen. Offenbar gen¨ ugt es aber in diesem Fall, u oglichen statistischen Ausrichtungen des ¨ber alle m¨ ¨ Molek¨ uls zu mitteln. Die Ubereinstimmung zwischen Theorie und Experiment ist angesichts all dieser Schwierigkeiten beeindruckend!

18.2 Born’sche N¨ aherung f¨ ur inelastische St¨ oße

457

18.2 Born’sche N¨ aherung fu oße ¨ r inelastische St¨ 18.2.1 FBA Streuamplitude Die Born’sche N¨aherung f¨ ur die Stoßanregung kann man in vollst¨andiger Anauhren. Sie erlaubt logie zum elastischen, in Kap. 16.6 vorgestellten Fall durchf¨ ¨ einen raschen ersten Uberblick u oßenordnung von Streuquerschnit¨ber die Gr¨ ten und bietet f¨ ur hohe Stoßenergien oft recht verl¨assliche Daten:2 im klassischen Bild entsprechen hohe Energien einer kurzen Wechselwirkungszeit, w¨ahrend derer sich der Zustand des Targetatoms nur wenig ver¨andern kann. Auch Austauschprozesse kann man dann vernachl¨assigen, sodass wir in (17.49) das Streuelektron in nullter N¨ aherung wieder durch eine ebene, einlaufende Welle im Anfangskanal |ai beschreiben k¨ onnen: ψa(0) (R) = eika R

(0)

und ψb (R) ≡ 0

f¨ ur b 6= a

(18.9)

alt man die L¨osung f¨ ur die inelasSetzt man dies rechts in (17.49) ein, so erh¨ tische Streuwelle ψb in erster Ordnung wie im elastischen Fall mit Hilfe der Green’schen Funktion (16.128): (1)

ψb (R) = −

1 2µ 4π ~2

Z

0

0 eikb |R−R | Vba (R0 ) eika R d3 R0 |R − R0 |

(18.10)

Wir suchen nach einer asymptotischen L¨ osung entsprechend (18.2), allerdings ¨ ohne Anderung des Elektronenspins. F¨ ur große R (R  R0 ) k¨onnen wir wie im elastischen Fall exp(ikb R)/R vor das Integral ziehen und erhalten die inelastische Streuamplitude f¨ ur die Anregung des Zustands |bi aus dem Zustand |ai: Z 0 µ ei(ka −kb )R Vba (R0 ) d3 R0 (18.11) fba (θ, ϕ) = − 2 2π~ Die inelastische Streuamplitude in Born’scher N¨aherung wird also ebenfalls durch den Impuls¨ ubertrag vom gestreuten Elektron auf das Target A q (18.12) K = ka − kb mit K = kb2 + ka2 − 2kb ka cos θ bestimmt – nur leicht komplizierter als (16.134) im elastischen Fall. Dabei ist θ wieder der Streuwinkel des Elektrons, µ die reduzierte Masse. Die Born’sche N¨aherung hat also auch im inelastischen Fall axiale Symmetrie – im Gegensatz zur allgemeinen L¨ osung, f¨ ur welche die Wellenvektoren des Projektilelektrons vor und nach dem Stoß, ka bzw. kb , eine Symmetrieebene definieren. Wir k¨onnen die inelastische Streuamplitude (18.11) weiter vereinfachen, indem wir explizit die Ausdr¨ ucke (17.47) bzw. (17.48) f¨ ur das Wechselwirkungspotenzial einsetzen: 2

F¨ ur eine detaillierte Darstellung verweisen wir auf den ausgezeichneten Review ultigkeit und von Inokuti (1971), der auch nach fast 40 Jahren nichts an seiner G¨ Allgemeinheit eingeb¨ ußt hat.

458

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

µ fba (θ, ϕ) = − 2π~2 *

Z

0

ei(ka −kb )R × (18.13) N + X e20 Ze20 φj (r 1 . . . r N ) − φ 0 (r 1 . . . r N ) d3 R0 0 0 j 4π |R − r | 4π R 0 n 0 n=1

Wegen der Orthogonalit¨ at der atomaren Wellenfunktionen φa und φb ergibt die Wechselwirkung Ze20 / (4π0 R) mit dem Atomkern keinen Beitrag. F¨ ur das verbleibende Doppelintegral drehen wir nach Bethe die Reihenfolge der Integrationen u ¨ber Streukoordinate R0 und innere Koordinaten r i um und verwenden das sogenannte Bethe-Integral (hier ohne Beweis) Z

4π eiK·r 3 d r= 2, r K

(18.14)

mit dem wir Z

0

ei(ka −kb )R 3 0 d R = eiK·rn |R0 − r n |

Z

0

4π eiK·(R −rn ) 3 0 d R = 2 eiK·rn 0 |R − r n | K

umschreiben k¨onnen. Damit erhalten wir schließlich als FBA-Streuamplitude ¨ f¨ ur den Ubergang von |ai nach |bi beim Winkel θ, ϕ fba (θ, ϕ) = −2

µ a0 Mba (K) me (Ka0 )2

(18.15)

mit dem Bohr’schen Radius a0 und dem (dimensionslosen) atomaren Matrixelement 1 P iK·rn b a ne Ka0 Z X 1 = eiK·rn φa (r) d3 r 1 . . . d3 r N . φ∗b (r) Ka0 n

Mba (K) =

(18.16)

18.2.2 Wirkungsquerschnitte Im Folgenden beschr¨ anken wir uns auf die Elektronenstoßanregung (µ/me ∼ = 1) und schreiben den DCS in kompakter Form:3 (F BA)

dσba

(θ, ϕ)

dΩR 3

=

4kb a20 2 |Mba (K)| ka (Ka0 )4

(18.17)



P Die Summation im Matrixelement b n eiK·rn a braucht man bei gr¨ oßeren Atomen mit abgeschlossenen Schalen freilich nur u ¨ber die aktiven Elektronen zu erstrecken. Die Wechselwirkung mit den Rumpfelektronen l¨ asst sich in V (core) (R) zusammenfassen, das in der FBA aufgrund der Orthogonalit¨ at der φj herausf¨ allt.

18.2 Born’sche N¨ aherung f¨ ur inelastische St¨ oße

459

Bei einem isotropen Target h¨ angt der differenzielle Streuquerschnitt nicht von ϕ ab, und der Streuwinkel θ wird ausschließlich durch den Betrag des Moment¨ ubertrags K nach (18.12) bestimmt. Die integralen inelastischen Wirkungsquerschnitte σba erh¨alt man wie R u ur wechselt man die Variablen mit ¨blich durch Integration . . . d(cos θ). Daf¨ Hilfe von (18.12) und schreibt mit d(K 2 ) = 2kb ka sin θdθ = ka kb dΩR /π: (F BA)

dσba (θ) 4π a20 2 = |Mba (K)| d(K 2 ) ka2 (Ka0 )4

oder auch

(18.18)

(F BA)

dσba (θ) πa20 W02 2 |Mba (K)| = dW T W2

(18.19) 2

ubertrag W/W0 = (Ka0 ) /2 eingeIn (18.18) wurde der sogenannte Energie¨ setzt.4 Bei der Integration u andern sich die Integrationsgrenzen zu ¨ber K ¨ Kmax = ka + kb

bzw.

Kmin = ka − kb =

2Wba . (ka + kb )

Mit (18.12) erh¨alt man schließlich Z Kmax a0 4πa20 1 (F BA) 2 |Mba (K)| d (Ka0 ) . σba = 2 (ka a0 ) Kmin a0 Ka0

(18.20)

(18.21)

¨ Die vorangehenden Uberlegungen gehen im Wesentlichen auf Bethe (1930) zur¨ uck, der f¨ ur verschiedene Anregungszust¨ ande des H-Atoms das Integral auch ausgewertet hat. Eine Hochenergien¨ aherung l¨asst sich allgemein in Form der sogenannten Bethe-Formel angeben:   T 2πa20 (Bethe) A ln +B (18.22) σba = T /W0 W0 /2 18.2.3 Zusammenhang mit der Rutherford-Streuung Eine wichtige Anmerkung sei hier noch zur Struktur der Formeln (18.17) bzw. ur den differenziellen Wirkungsquerschnitt in Born’scher N¨ aherung (18.19) f¨ gemacht. Er ist offenbar das Produkt aus einem reinen Coulomb-Anteil nach (16.138) bzw. (16.139), der einfach die Rutherford-Streuung des Projektilelektrons an einem freien Elektron beschreibt (q1 = q2 = 1), und dem Betragsquadrat einer Art Atomformfaktor Mba (K), wie man durch Vergleich von (18.16) mit (1.19) in Band 1 feststellt. Dieser inelastische Atomformfaktor modifiziert also die reine Coulomb-Abstoßung zweier freier Elektronen entsprechend der elektronischen Dichteverteilung im Anfangs- und Endzustand des Targets. W¨are nicht diese Komplikation durch Anfangs- und Endzustand, so k¨onnte man daran denken, auf diese Weise die Impulsverteilung der Elektronen im Target zu bestimmen. Wir kommen auf diesen Gedanken aber noch einmal im Zusammenhang mit der Stoßionisation zur¨ uck. 4

s. Fußnote Seite 390.

460

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

18.2.4 Ein Beispiel Die Bethe-Formel (18.22) benutzt man, ggf. in geeignet modifizierter Form, mit großem Erfolg z.B. in der Strahlenchemie zur Berechnung des Bremsverm¨ogens verschiedener Materialien f¨ ur schnelle Elektronen. Ganz allgemein kann man sagen, dass die Born’sche N¨ aherung – auch wenn sie nur f¨ ur hohe Energien T  Wba = (Wb − Wa ) wirklich g¨ ultig ist – doch h¨aufig einen guten Anhaltspunkt f¨ ur die generellen Verl¨ aufe von Anregungsfunktionen gibt und einfache, erste Absch¨ atzungen f¨ ur Prozesse ohne Austausch erlaubt. Wenn man die atomaren oder molekularen elektronischen Zust¨ande gut kennt (und daf¨ ur gibt es heute hinreichend verl¨ assliche Programmpakete), so l¨asst sich ur große Energien gehen auch (18.17) mit moderatem Aufwand auswerten. F¨ die so gewonnenen Querschnitte in die Bethe-Formel u ¨ber. Wir verschaffen uns wieder einen Eindruck am Beispiel der inelastischen Elektron-Natrium-Streuung f¨ ur die Abb. 18.4 den absolut gemessenen integralen Querschnitt f¨ ur die 3P ← 3S- und den 3D ← 3S-Anregung zeigt. Die (etwas ¨alteren, und nicht ganz u ¨bereinstimmenden) experimentellen Daten werden mit CCC- und R-Matrix-Rechnungen verglichen. Wie man sieht, gibt die Born’sche N¨aherung (FBA) die Trends richtig wieder und stimmt bei hohen Energien, wo solche anspruchsvollen Theorien nicht mehr anwendbar sind, gut mit dem Experiment u ¨berein – dabei wird die etwa um einen Faktor zehn schw¨ achere 3D-Anregung selbst im Bereich des Anregungsmaximums n¨aherungsweise fast richtig wiedergegeben (wohl aufgrund der in diesem Fall viel kleineren St¨ orung). Wir notieren auch, dass die Betheur den gesamten hochenergetischen Teil mit Formel (18.29) in diesem Fall f¨ der vollst¨andigen Born’schen N¨ aherung nahezu exakt u ¨bereinstimmt. Generell gibt die Born’sche N¨ aherung auch den Trend richtig wieder, dass optisch ¨ verbotene Uberg¨ ange insbesondere bei kleinen Stoßenergien angeregt werden, ¨ w¨ahrend sich f¨ ur große Stoßenergien die Ubergangswahrscheinlichkeiten tendenziell wie bei der optischen Anregung verhalten. unde, die Born’sche N¨ aherung f¨ ur optisch Nach Kim (2007) gibt es gute Gr¨ ¨ erlaubte Uberg¨ ange so zu reskalieren, dass σint / Å2

FBA

e+Na (3 2P←3 2S)

CCC

BE-skaliert Bethe

30 20

R-Matrix

10 0

3 2D←3 2S 1

Wth

10 100 T / eV

1000

Abb. 18.4. Integraler Wirkungsquerschnitt f¨ ur die inelastische Elektronenstreuung e + Na(3 2 S) → e + Na(3 2 P) bzw. → e + Na(3 2 D) nach Lin und Boffard (2005). Verglichen werden als Funktion der Stoßenergie T verschiedene experimentelle Daten (◦, •) mit CCC (—), R-Matrix-Theorie (− − −), Born’scher (– – –) und BE-skalierter Born’scher N¨ aherung (—). Rosa hinterlegt ist f¨ ur hohe Energien die BetheFormel – fast identisch mit der FBA

18.3 Generalisierte Oszillatorenst¨ arke (BE)

σba

=

T (F BA) σ T + Wba + WI ba

461

(18.23)

wird. Dabei ist WI die Bindungsenergie (Ionisationspotenzial) des aktiven Elektrons. Diese sogenannte BE skalierte N¨ aherung reduziert das u ¨berschießende Maximum der Born’schen N¨ aherung, ohne das hochenergetische Verhalten zu ¨andern. Die BE-N¨ aherung, in Abb. 18.4 als volle schwarze Linie eingezeichnet, trifft in der Tat die Datenlage hier erstaunlich gut. Dieser Befund ist inzwischen auch f¨ ur einer Reihe anderer Beispiele best¨atigt worden.

18.3 Generalisierte Oszillatorenst¨ arke Die Born’schen N¨ aherung erlaubt es, Stoßprozesse und optische Anregung auf einleuchtende Weise zu vergleichen. Dazu f¨ uhrt man den Begriff der generalisierten Oszillatorenst¨ arke ein. 18.3.1 Definition Der wirksame Operator exp(iK · r) in der Born’schen, inelastischen Streu¨ ¨ amplitude hat große Ahnlichkeit mit dem Ubergangsoperator eines elektromagnetischen Feldes, den wir bislang vielfach benutzt haben (s. z.B. Band 1 Gl. F.18). Der wesentliche Unterschied ist das Fehlen eines zeitlich oszillierenden Vorfaktors und der daraus resultierenden, ausschließlich resonanten Anregung bei Einstrahlung eines elektromagnetischen Wechselfeldes. Die inelastische Elektronenstreuung hat daher eine ¨ ahnliche Wirkung wie breitbandige ( weiße“) elektromagnetische Strahlung. Diese Analogie l¨asst sich pr¨azisieren, ” indem man die dimensionslose, sogenannte generalisierte Oszillatorenst¨ arke (kurz GOS) einf¨ uhrt (erstmals von Bethe, 1930, definiert): (GOS)

fba

=

2me Wba 2 (Wba /W0 ) 2 2 |Mba | |Mba | = 2 ~2 K 2 (Ka0 )

(18.24)

Dabei ist Wba = Wb − Wa die Anregungsenergie und Mba das Matrixelement nach (18.16). Der differenzielle, inelastische Wirkungsquerschnitt (18.17) wird dann (F BA) (GOS) dσba (θ, ϕ) fba (K) kb . (18.25) = 2a20 2 dΩ ka (Ka0 ) Wba /W0 Man sieht hier noch einmal sehr deutlich, dass die gesamte Dynamik in Born’scher N¨aherung nicht direkt von der kinetischen Energie T und vom Streuwinkel θ abh¨ angt, sondern nur u ¨ber den Impulstransfer K ins Endresultat eingeht (abgesehen von den Flussfaktoren kb und ka ).

462

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

18.3.2 Entwicklung f¨ ur kleinen Moment¨ ubertrag Um die enge Beziehung zwischen der so definierten GOS und der u ¨blichen optischen Dipol-Oszillatorenst¨ arke nach (F.29) in Band 1 explizit zu sehen, entwickeln wir in (18.24) das Matrixelement Mba entsprechend der Definition ¨ (18.16) nach Kr (f¨ ur kleine Impuls¨ ubertr¨ age Ka0  1). Der Ubersichtlichkeit wegen betrachten wir nur Einelektronsysteme (wie z.B. H, Na, K etc.) und schreiben alle Ausdr¨ ucke in atomaren Einheiten W0 bzw. a0 : E 2 2Wba D (GOS) 2 fba = (18.26) φb (r) 1 + iK · r − (K · r) /2 + ... φa (r) 2 K Die Quantisierungsachse z f¨ ur die inelastische Elektronenstreuung in erster Born’scher N¨aherung w¨ ahlt man sinnvollerweise parallel zu K. Dann k¨onnen wir K · r = K z = Kr cos θB schreiben.5 Die Integration u ¨ber die Winkelko¨ Uberg¨ angen ordinaten f¨ uhrt – a hnlich wie bei den entsprechenden optischen ¨ mit linear polarisiertem Licht – zu einer Auswahlregel ∆M = 0. Nutzen wir die Orthogonalit¨at der atomaren Wellenfunktionen φb und φa so kann man (18.26) sortiert nach Potenzen von K 2 umschreiben: n h 2 o

i (GOS) 2 fba = 2Wba |hb |z| ai| + K 2 b z 2 a − 2 hb |z| ai b z 3 a + . . . (opt)

= fba

+ f2 K 2 + f4 K 4 + O(K 6 )

(18.27)

Wie man sieht, handelt es sich offenbar um eine Art Multipolentwicklung in Form einer Potenzreihe von K 2 . Der erste Term ist nach (F.29) in Band 1 (opt) vollst¨ andig identisch mit der optischen Dipol-Oszillatorenst¨ arke fba f¨ ur linear polarisiertes Licht mit einem Polarisationsvektor parallel zu K. Der zweite Term setzt sich aus Quadrupol- und Oktopol-Termen zusammen usw. Wir finden also eine fast vollst¨ andige Analogie zu den elektromagnetisch induzierten Atomanregungen. Der wesentliche Unterschied ist neben der schon erw¨ahnten Breitbandigkeit der Anregung auch die Tatsache, dass der Impuls¨ ubertragsvektor K, der hier den Wellenvektor des Photons ersetzt, nicht vernachl¨assigbar ist, sondern nach (18.12) durchaus groß werden kann. Durch Elektronenstoß kann man daher fast beliebige, f¨ ur optische Anregung stark ¨ verbotene Uberg¨ ange, wie etwa Oktopol¨ uberg¨ange beobachten (s. z.B. Hertel und Ross, 1969). F¨ ur hohe Stoßenergien T sind die differenziellen Querschnitte typischerweise stark vorw¨arts gerichtet, wie man an ihrer 1/K 2 Abh¨angigkeit nach (18.25) abliest. In vielen praktischen F¨ allen gen¨ ugen daher einige wenige Terme in der Potenzreihe (18.27), um die Kleinwinkelstreuung bei hohen Energien gut zu beschreiben. In der Praxis bestimmt man in der Regel effektive GOS aus den gemessenen differenziellen Anregungsquerschnitten durch Umkehrung ubertr¨agen K hin von (18.25) und kann diese dann zu verschwindenden Impuls¨ 5

θB ist der Polarwinkel des Ortsvektors r des Targetelektrons bez¨ uglich K – nicht zu verwechseln mit dem Streuwinkel θ, der nach (18.12) in K enthalten ist.

18.3 Generalisierte Oszillatorenst¨ arke

463

extrapolieren. Dabei ist zu beachten, dass der Grenzwert K = 0 im Experioßen nie erreicht werden kann. ment nach (18.20) bei inelastischen St¨ Das große Gebiet der Elektronenspektroskopie basiert letztlich auf (18.27). Die Grundlagen wurden u.a. von Lassettre et al. (1968) entwickelt. Op¨ tisch Dipol-verbotene Uberg¨ ange verschwinden f¨ ur K 2 → 0, werden aber f¨ ur gr¨oßere Impuls¨ ubertr¨ age signifikant. Man kann also aus der Abh¨angigkeit der generalisierten Oszillatorenst¨ arke von K 2 sofort erkennen, um welchen Typ ¨ von Ubergang es sich handelt. 18.3.3 Ein Beispiel Abbildung 18.5 zeigt als Beispiel die Elektronenstoßanregung des 3s 2 S → ¨ 3p 2 P-Ubergangs im Na-Atom. Dabei werden auch die Grenzen der Born’schen N¨aherung im Vergleich mit exakten Streurechnungen deutlich. Wir haben hierzu die in Abb. 18.2 auf S. 454 kommunizierte 3CCO-Theorie von Bray et al. (1991) nach (18.25) in die GOS umgerechnet und vergleichen diese mit (18.24). Alternativ zeigen wir die ersten drei Entwicklungsterme von (18.27), die man typischerweise in der Elektronenspektroskopie benutzt. Die Auswertung von (18.16) mit realistischen Wellenfunktionen ist als illustratives Beispiele in Anhang H beschrieben. Abbildung 18.5 zeigt noch einmal, dass die Born’sche N¨aherung die Oszillatorenst¨arke bzw. die Streuquerschnitte f¨ ur kleine Energien insgesamt u bersch¨ a tzt, dennoch aber den Trend als Funktion des Streuwinkels grob ¨ richtig wiedergibt. (Wie verl¨ asslich die 3CCO-Rechnungen bei ganz kleinem K 2 wirklich sind, kann nicht abgesch¨ atzt werden. Es mag durchaus sein, dass im Grenzfall K → 0 die Ungenauigkeiten der dort benutzten NaWellenfunktionen u ¨berbetont werden, denn in diesem Fall tragen sehr kleine Werte von r verst¨ arkt zu den notwendigen Integrationen bei.) 18.3.4 Integrale inelastische Wirkungsquerschnitte Auch die Berechnung der integralen, inelastischen Wirkungsquerschnitte l¨asst sich jetzt einen Schritt weitertreiben. Setzt man die generalisierte Oszillatofba 1.0 0.8 0.6

e + Na(3s) → e + Na(3p) 100eV 40 eV 20eV 10eV

0.4

f (opt) - f1K 2+f2K4 FBA

0.2 0

10-3

0.01

0.1 1 (Ka0)2

10

Abb. 18.5. Generalisierte Oszillatorenst¨ arke f¨ ur die e + Na(3s) → e + Na(3p)-Anregung als Funktion des Quadrats des Impuls¨ ubertrags K 2 . Die umgerechneten differenziellen 3CCO-Wirkungsquerschnitte (Abb. 18.2) nach Bray et al. (1991) — werden verglichen mit der ersten Born’schen N¨ aherung — und deren Entwicklung f¨ ur sehr kleine K 2 - - -

464

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

renst¨arke nach (18.24) in (18.21) ein, so erh¨ alt man (F BA)

σba

=

πa20 (Wba /W0 ) (T /W0 )

Z

Kmax a0

Kmin a0

1 (GOS) f d (Ka0 ) . Ka0 ba

(18.28)

(GOS)

Entwickelt man nun fba f¨ ur kleinen Impuls¨ ubertrag entsprechend (18.27) und setzt die Integrationsgrenzen nach (18.20) ein, so erh¨alt man eine Konkretisierung der Bethe-Formel (18.22):   πa20 T (Bethe) (opt) σba = + B(T ) (18.29) f ln (Wba /W0 ) (T /W0 ) ba W0 /2

18.4 Elektronenstoßionisation Das detaillierte Verst¨ andnis der Stoßionisation eines atomaren oder molekularen Targets C durch ein Elektron, kurz C(e, 2e)C+ -Prozess, nach dem Schema e− (T, kT ) + C → e− (WA , kA ) + e− (WB , kB ) + C+ (γj, q I ) mit T ∼ = WI + WA + WB oder auch WB + WI ∼ = T − WA und kT = kA + kB + q I

(18.30) (18.31) (18.32) (18.33)

geh¨ort zu den anspruchsvollsten Problemstellungen der Atom- und Molek¨ ulphysik.6 Schon im einfachsten Fall, beim Wasserstoffatom, haben wir es mit einem echten Dreik¨ orperproblem zu tun, das sich allgemein weder klassisch noch quantenmechanisch exakt l¨ osen l¨ asst. Wir bezeichnen mit T und kT Energie bzw. Wellenvektor des Projektilelektrons vor dem Stoß, WA,B und kA,B sind die Energien bzw. Wellenvektoren7 der beiden am Prozess beteiligten Elektronen nach der Ionisation. Das Ionisationspotenzial WI ist im allgemeinen Falle noch davon abh¨angig, welches Elektron j aus dem Atom herausgeschlagen wird, und ebenso vom Zustand γ, in welchem das Ion C+ nach dem Prozess verbleibt. Abbildung 18.6 illustriert die nicht ganz triviale Energetik und Kinematik. Nur eine entsprechend vollst¨andige Analyse f¨ uhrt zu einem detaillierten, atomistischen Verst¨andnis. Man unterscheidet meist pragmatisch zwischen dem gestreuten Prim¨ arelektron (Energie WA ≥ WB , Impuls kA ) und dem emittierten Sekund¨ arelektron (Energie WB , Impuls kB ) – wobei wir nat¨ urlich im Auge behalten, 6

7

¨ Der Ubersichtlichkeit halber und weil das experimentelle wie auch theoretische Datenmaterial hier bei weitem am umfangreichsten ist, konzentrieren wir uns ausschließlich auf Elektronenst¨ oße. Wir notieren aber, dass schnelle Ionenst¨ oße ganz analog zu behandeln sind, wie wir dies schon bei inelastischen Prozessen gesehen haben. Die Kinematik ist bei der Ionenstoßionisation freilich etwas komplizierter. Wir werden im Folgenden k h¨ aufig synonym f¨ ur den Impuls ~k benutzen, uns also auf atomare Einheiten beziehen.

18.4 Elektronenstoßionisation

e-

(a)

ε ħω

e-

eWB

kB

(b)

WA T

x y

465

z θB θA

-φ kT kA

qI = kT - kB - kA K = kT - kA

Wba WI

Abb. 18.6. (a) Energetik und (b) Kinematik des (e, 2e)-Prozesses: Energien und Wellenvektoren des Projektilelektrons vor (T und kT ) bzw. nach der Ionisation (WA und kA ) sowie des Sekund¨ arelektrons (WB und kB ) entsprechend (18.31) und (18.33). In (a) ist zum Vergleich ganz links die Energetik f¨ ur einen Ionisationsprozess durch ein Photon der Energie ~ω skizziert

dass beide Elektronen streng quantenmechanisch gesehen nicht unterscheidbar sind. Beide Elektronen sind nach dem Prozess frei und teilen sich den Energie¨ uberschuss T − WI nach (18.31) im Prinzip in beliebiger Weise, bestimmt durch die Dynamik des Ionisationsprozesses. Das ' Zeichen in (18.31) gilt, da das zur¨ uckbleibende Targetion C+ wegen seiner großen Masse nur sehr wenig Energie aufnehmen kann, die wir hier vernachl¨assigen. Die Impulsbilanz (18.33) kann stets durch den auf C+ u uckstoßimpuls ¨ bertragenen R¨ q I = kT − kA − kB befriedigt werden. Man kann auch sagen, der prim¨ are Impulstransfer K = kT − kA vom Projektil auf das Targetatom wird auf das Sekund¨arelektron und das zur¨ uckbleibende Ion aufgeteilt. Wie aus Abb. 18.6 ersichtlich, sind f¨ ur jeden Streuwinkel θA (Raumwinkelbereich dΩA ) des Elektrons A im Prinzip beliebige Polar- und Azimutwinkel θB , ϕ (Raumwinkelbereich dΩB ) f¨ ur Elektron B m¨oglich. Anspruchsvoll ist das Problem experimentell, weil es gilt, neben den f¨ ur die Anwendungspraxis sehr wichtigen integralen Wirkungsquerschnitten auch die Winkel- und Energieverteilung der beiden, nach der Ionisation freien Elektronen zu bestimmen. Je nach Detaillierungsgrad unterscheidet man den einfachen (SDCS), doppelt differenziellen (DDCS) und dreifach differenziellen Ionisationsquerschnitt (TDCS): SDCS =

dσ dW

T DCS =

d3 σ dWA dΩA dΩB

DDCS =

d2 σ dW dΩ

(18.34) (18.35)

W¨ahrend beim SDCS lediglich die Energie W eines Elektrons nach dem Ionisationsprozess bestimmt wird, beim DDCS zwar auch noch sein Streuwinkel, aber ohne die beiden Elektronen zu unterscheiden, wird beim TDCS das gestreute Elektron A in Koinzidenz mit dem herausgeschlagenen Elektronen B

466

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

nachgewiesen. Außerdem wird die Energie mindestens eines dieser Elektronen (und damit die des anderen) bestimmt. F¨ ur die theoretische Beschreibung gilt es – um im klassischen Bild zu sprechen – die Trajektorien beider Elektronen u ¨ber große Distanzen zu bestimmen, bzw. – quantenmechanisch – die asymptotischen Wellenfunktionen der beiden entweichenden Elektronen im langreichweitigen Coulomb-Potenzial des zur¨ uckbleibenden Ions zu berechnen. Das Problem wurde bereits in den Anfangszeiten der Quantenmechanik bearbeitet. Bethe (1930) hat hierzu maßgebliche Beitr¨age geleistet, aber erst in den letzten vier Jahrzehnten ist es gelungen, ein umfassendes Bild zu gewinnen, basierend auf detaillierten Experimenten und der Entwicklung verl¨ asslicher theoretischer Methoden. Heute versteht man die Dynamik der Stoßionisation in ihren wesentlichen Aspekten recht gut und kann dieses Verst¨ andnis auch quantitativ f¨ ur wichtige Anwendungsfelder nutzen. Wir k¨ onnen auch hier wieder nur einige Grundfragen einf¨ uhrend beleuchten und verweisen den tiefer interessierten Leser auf die einschl¨agige, umfangreiche Literatur (einen Einstieg bieten z.B. die Reviews von Coplan et al., 1994; McCarthy und Weigold, 1991; Byron und Joachain, 1989; Ehrhardt et al., 1986; Inokuti, 1971, und die dortigen Zitate). 18.4.1 Integrale Wirkungsquerschnitte und die Lotz-Formel ¨ In einem ersten Schritt wollen wir uns einen Uberblick anhand der integralen Querschnitte f¨ ur die Stoßionisation verschaffen, die u ¨ber alle Streuwinkel und Energien des gestreuten Elektrons und des Sekund¨arelektrons integriert sind. (ion) Sie werden total genannt, σtot , wenn auch u ¨ber alle Elektronen des Targets summiert wird (was ohne zus¨ atzliche Selektion typischerweise der Fall ist). Bei der Modellierung von Plasmen unterschiedlicher Art sind gerade diese totalen Ionisationsquerschnitte in Abh¨ angigkeit von der kinetischen Energie T des Stoßelektrons von Bedeutung. Es ist wichtig, sie f¨ ur viele atomare und ionische Spezies zu kennen. Gut aufbereitete Datensammlungen findet man ur die Modellierung z.B. bei NIFS und ORNL (2007). Um sie effizient z.B. f¨ von Plasmen nutzen zu k¨ onnen, wurden im Laufe der Jahre verschiedene, quasiempirische Relationen entwickelt. Ausgangspunkt ist dabei in aller Regel die Bethe-Formel (18.29) f¨ ur die Nj Elektronen aller atomaren oder ionischen Unterschalen j eines Targets mit den jeweiligen Ionisationspotenzialen (Bindungsenergien) WIj , welche die Anregungsenergie in (18.29) ersetzen: ( =0 f¨ ur T < WIj (ion) σj ln(T /WIj ) ∝ WIj ×T f¨ ur T ≥ WIj Nun ist die Bethe-Formel, die ja ihrerseits auf der Born’schen N¨aherung basiert, eine ausgesprochene Hochenergien¨ aherung. Will man sie f¨ ur kleine Energien erg¨anzen, so muss man sie durch zus¨ atzliche, empirische Parameter an

18.4 Elektronenstoßionisation

467

das experimentelle und theoretische Datenmaterial anpassen. Ein Standard ist dabei nach wie vor die von Lotz (1967, 1968, 1970) entwickelte Formel (ion)

σtot

=

N X

aj Nj

j=1

ln(T /WIj ) {1 − bi exp [−ci (T /WIj − 1)]} , T × WIj

(18.36)

10

13.6 eV

e + H → 2e + H+ 1s: a = 3.9 b = 0.56 c = 0.45 WI =13.6 eV

mittlere WT

Schwellenbereich

6 5 4 3 2 1 0

niedrige WT

(ion)

σtot / 10-17 cm2

wobei die einzelnen Terme jeweils nur f¨ ur T ≥ WIj beitragen. Man verifiziert leicht, dass diese Lotz-Formel f¨ ur den Schwellenbereich T & WIj ein lineares Verhalten ∝ (T − WIj ) reproduziert und f¨ ur hohe Energien in die BetheFormel u ¨bergeht. Die Parameter aj liegen typischerweise zwischen 2.6 und 4.5 × 10−14 cm−2 eV2 und sind, ebenso wie bj und cj , f¨ ur jedes Atom und jede Schale individuelle Konstanten. Die von Lotz f¨ ur zahlreiche Atome und Ionen tabellierten Parameter basieren freilich auf ¨ alteren Experimenten und m¨ ussen bei Bedarf an die aktuelle Datenlage angepasst werden.Wir zeigen in Abb. 18.7 beispielhaft die totalen Ionisationsquerschnitte f¨ ur das Wasserstoff- und das Argon-Atom nach neueren Messungen und Rechnungen, welche wir mit der Lotz-Formel gefittet haben. Der typische Verlauf des Ionisationsquerschnitts ist dem f¨ ur Elektronenstoßanregung recht ¨ ahnlich – allerdings hier im Schwellenbereich n¨aherungsweise linear8 ansteigend – und f¨ allt nach Erreichen des Maximums (bei etwa 4 bis 5-facher Schwellenenergie) im Wesentlichen nach der Bethe-Formel

hohe WT>10 WI

100

1000

25 20 15 10 5 0 10

Elektronenenergie T / eV

e + Ar → 2e + Ar+ 3s: 2a = 7.2 b = 0.69 c = 0.0 WI = 29.2 eV 3p: 6a = 28 b = 0.61 c = 0.16 WI =15.76 eV 100 15.8 eV

1000

Abb. 18.7. Totaler Ionisationsquerschnitt als Funktion der kinetischen Elektronenenergie T . Links e + H: Experimente (•) nach Shah et al. (1987) und CCCRechnungen (. . . . . . ) nach Bartschat und Bray (1996). Rechts e + Ar: Experiment nach Krishnakumar und Srivastava (1988) (•) bzw. Sorokin et al. (2000) (◦) sowie SCOP-Rechnungen (. . . . . . ) nach Vinodkumar et al. (2007). Die experimentellen Daten werden durch die Lotz-Formel (—–) approximiert, die Fit-Parameter a, b, c f¨ ur die beteiligten Schalen sind jeweils angeben 8

Diese experimentellen Daten erlauben aber keine Pr¨ ufung des theoretischen vorur hergesagten Schwellengesetzes ∝ (T − WI )1.127 nach (17.15), das ohnedies nur f¨ einen sehr engen Energiebereich oberhalb der Schwelle gilt, s. Abschn. 18.4.3.

468

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

¨ ln(T /WIj )/T ab. Die Ubereinstimmung von Theorie, Experiment und LotzFormel ist f¨ ur das H-Atom sehr gut, f¨ ur Argon gibt es offenbar noch Kl¨arungsbedarf: Messungen und Rechnungen stimmen oberhalb von ca. 200 eV recht gut u ur kleine Energien liegt allerdings die an die experimentel¨berein. F¨ len Daten angepasste Lotz-Formel zu hoch, w¨ahrend die j¨ ungste Theorie von Vinodkumar et al. (2007) mit einem sph¨ arischen, komplexen optischen Potenzial, SCOP, zu niedrig liegt. Offenbar wird die Ionisationswahrscheinlichkeit f¨ ur die schw¨acher gebundenen 3p6 -Elektronen (WI = 15.8 eV) untersch¨atzt. 18.4.2 SDCS: Energieaufteilung auf die beiden Elektronen ¨ Als N¨achstes dr¨angt sich die Frage auf, wie denn die Uberschussenergie T − WI = WA + WB im Ionisationsprozess (18.30) auf Prim¨ar- und Sekund¨arelektron aufgeteilt wird. Nach Mott (s. z.B. Rudd, 1991; Kim, 1975a) geht man zum Verst¨ andnis dabei vom Rutherford-Querschnitt (16.139) aus (f¨ ur Projektil und herausgeschlagenes Elektron mit qA = qB = 1). Dem dort W genannten Energie¨ ubertrag auf das gebundene Elektron entspricht hier W + WI , wobei W die kinetische Energie des nach der Ionisation detektierten Elektrons ist, also entweder WA oder WB , sodass der SDCS ∝ −2 (W + WI ) w¨ urde. Das muss freilich wegen der prinzipiellen Ununterscheidbarkeit von Projektil- und Sekund¨ arelektron symmetrisiert werden, wof¨ ur man sich der Relation (18.32) bedient. So wird schließlich aus (16.139) der MottQuerschnitt: " # πa20 W02 1 dσ M 1 1 = (18.37) 2 + 2 − (W + W ) (T − W ) dW T I (W + WI ) (T − W ) Der letzte Term ber¨ ucksichtigt noch die Interferenz zwischen direkter (Rutherford) und Austauschamplitude. Mit dieser mehr erahnten als begr¨ undeten Formel wird das experimentelle Datenmaterial qualitativ durchaus vern¨ unftig, im Detail aber nur n¨ aherungsweise wiedergegeben. Rudd (1991) hat die Mott-Formel daher so erg¨anzt und in semiempirischer Weise parametrisiert, dass das asymptotische Verhalten des integralen Wirkungsquerschnitts f¨ ur H und He bei hohen Energien gut beschrieben wird: dσ R S = F (t) f1 (w, t) dw WI / eV  2 W0 A1 ln t + A2 + A3 /t 2 mit S = qI π (a0 ) , F (t) = WI t 1 1 1 f1 (w, t) = n + n − n/2 n/2 (w + 1) (t − w) (w + 1) (t − w)

(18.38) und

Hier werden reduzierte Energien w = W/WI bzw. t = T /WI benutzt. F¨ ur e + He →2e + He+ -Prozesse setzt man nach Rudd (1991) die Werte n = 2.4,

18.4 Elektronenstoßionisation

SDCS / Å2 eV -1

5×10-2

1×10-2 0.0 5×10-2

(a)

0.02

(b)

5×10-2

26.3 eV

0.04

0.06 0.0691

(c)

1×10-2 0.0 10-1

28.3 eV

0.2

(d)

469

40.7 eV

0.4

0.6 0.6545

500 eV

10-2 10-3 1×10-2 0.0

0.05

0.10

0.15

10-4

0

W / WI

5

10

15

19.32

Abb. 18.8. dσ/dw (SDCS) f¨ ur den He(e, 2e)He+ -Prozess als Funktion der Elektronenenergie w = W/WI nach der Ionisation. Experimentelle Daten (◦) und CCCRechnungen (- - -) von Schow et al. (2005) f¨ ur kleine Prim¨ arenergien und f¨ ur 500 eV nach Oda (1975). Im Vergleich mit der modifizierten Mott-Formel (18.38) nach Rudd (1991) (—)

A1 = 0.85, A2 = 0.36 und A3 = −0.1 ein. Wie in Abb. 18.8 dokumentiert, reproduziert diese Formel ganz hervorragend nicht nur ¨altere Messungen der einfach differenziellen Wirkungsquerschnitte (SDCS) bei hohen Energien nach Oda (1975) (die in die Parametrisierung eingeflossen sind), sondern bemerkenswerterweise auch j¨ ungste Experimente im Bereich der Schwelle nach Schow et al. (2005). Die entsprechenden CCC-Rechnungen zeigen etwas mehr Variation als die Rudd-Formel, die Experimente erlauben aber keine Entscheidung u at. ¨ber deren Validit¨ Charakteristisch f¨ ur diese Energieverteilungen ist die Symmetrie bez¨ uglich ¨ W = (T − WI ) /2. F¨ ur sehr kleine Uberschussenergien (T − WI )  WI ist die Verteilung nahezu konstant, f¨ ur sehr hohe Energien wird sie dagegen ausgesprochen bimodal : f¨ ur T  WI kann man also mit Recht von einem Prim¨arelektron (mit fast maximaler Energie) und einem (sehr langsamen) Sekund¨arelektron sprechen. Auch f¨ ur mittlere Energien best¨atigen weitere Daten aus den letzten Jahren die hier skizzierten Trends (z.B. Bray et al., 2003). 18.4.3 Verhalten an der Ionisationsschwelle Hypersph¨ arische Koordinaten F¨ ur das fundamentale Dreik¨ orper-Coulomb-Problem, also z.B. H− oder H(e, 2e)H+ + aber auch H2 , kann man nach Macek (1967) den Hamiltonian (in a.u.)

470

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

b = − ∆ 1 − ∆2 − 1 − 1 + 1 H 2 2 r1 r2 r12

(18.39)

vorteilhaft in hypersph¨ arischen Koordinaten ausdr¨ ucken. Dabei setzt man: q mit 0 ≤ R ≤ +∞ (18.40) R = r12 + r22 cos α = r1 /R, r1 · r2 cos θ12 = r1 r2

sin α = r2 /R

mit

0 ≤ α ≤ π/2

mit

0 ≤ θ12 ≤ π

In diesen Koordinaten schreibt sich die Schr¨ odinger-Gleichung    1 d2 Λ2 + 15/4 ζ(α, θ12 ) R5/2 Ψ = 0 − − + W 2 2 2 dR 2R R

(18.41)

mit dem sogenannten Casimir-Operator: 1 Λ =− 2 sin α cos2 α 2



d sin α cos α dα 2

2



ˆ`2 ˆ`2 2 1 + + cos2 α sin2 α

(18.42)

Dabei sind ˆ`1 und ˆ`2 die u ¨blichen Drehimpulsoperatoren der beiden Elektronen und das Potenzial ζ(α, θ12 )/R ist gegeben durch: ζ(α, θ12 ) = −

1 1 R R 1 R − + =− − +√ (18.43) r1 r2 r12 cos α sin α 1 − sin 2α cos θ12

Die Potenzialfl¨ ache Wir k¨onnen hier nicht die mathematischen Details zur approximativen L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung nach (18.41) ausbreiten (s. z.B. Macek, 1967; Lin, 1974; Deb und Crothers, 2002, und weitere Zitate dort). Instruktiv ist aber bereits eine Betrachtung der Potenzialhyperfl¨ache, die zu einem sozusagen visuellen Verst¨andnis der korrelierten Dynamik der beiden Elektronen f¨ uhrt. In Abb. 18.9 ist ζ(α, θ12 ) dargestellt, also die Abh¨angigkeit der potenziellen Energie von den Korrelationswinkeln α und θ12 , welche die Position der beiden Elektronen zueinander beschreiben. In einer weiteren Dimension muss man sich die Abnahme des Potenzials mit dem Hyperradius ∝ 1/R denken. Man kann sich intuitiv recht gut vorstellen, dass im Bereich des Grats dieser Potenzialfl¨ache (α = 45◦ , sogenannte Wannier Ridge“, in Abb. 18.9 schwarz ” strichpunktiert) stabile Bewegungsformen bei niedrigen Energien T m¨oglich sind. Das bedeutet r1 ' r2 auch f¨ ur große R, und somit Ionisation. Tendenziell wird die Bewegung dabei zu cos θ12 = −1 f¨ uhren, wo das Minimum des Grates liegt, und wo sich die beiden Elektronen mit θ12 = 180◦ in entgegensetzte Richtung vom Ion entfernen. Je mehr α aber einmal vom Wert α = 45◦

18.4 Elektronenstoßionisation

90˚

ζ

α

60˚

30˚



4 2 0

-2

5

90˚ α

0.0

60˚

Abb. 18.9. Potenzialfunktion ζ (α, θ12 ) in hypersph¨ arischen Koordinaten (s. z.B. Lin, 1974) f¨ ur das System e + e + H+ zur Veranschaulichung des Dreik¨ orperproblems. ¨ Aquipotenziallinien sind weiß gekennzeichnet, die strichpunktierte schwarze Linie deutet den Wannier-Grat an

-4

-6 0.5 -8

471

1.0

-6

60 30

30˚

0 cos θ12

0˚ -1

1

abweicht, w¨ahrend die drei Teilchen noch stark miteinander wechselwirken, desto gr¨oßer ist die Chance, dass die Trajektorie rasch links oder rechts ins Tal rollt“, also hin zu α → 90◦ oder → 0◦ (man erwartet das vor allem f¨ ur ” cos θ12 > 0). Nach (18.40) bedeutet dies, dass eines der beiden Elektronen das Atom nicht verl¨asst, dass also keine Ionisation stattfindet. Wir werden noch diskutieren, wieweit diese Vermutungen der Realit¨at entsprechen. Das Wannier’sche Schwellengesetz Wannier (1953) und Rau (1971) haben das Dreik¨orperprobem in hypersph¨arischen Koordinaten auf klassische bzw. quantenmechanische Weise behandelt und dabei das Schwellengesetz σ (ion) ∝ (T − WI )1.127 f¨ ur den integralen Ionisationsquerschnitt abgeleitet, das wir bereits in Kap. 17.3 erw¨ahnt haben. Viele Versuche sind unternommen worden, dies experimentell nachzuweisen, was aber wegen der kleinen Abweichung von der Steigung 1 nicht ganz trivial ist. Recht u ¨berzeugend ist dies erstmals Cvejanov und Read (1974) gelungen, die sich daf¨ ur eines raffinierten Tricks bedienten: anstatt den integralen Querschnitt zu messen, haben sie den SDCS f¨ ur Schwellenelektronen als Funktion der Stoßenergie T bestimmt. Dabei wurde eine nur f¨ ur Elektronen verschwindender Energie W empfindliche Messanordnung benutzt – sozusagen ein fr¨ uher Vorl¨ aufer der ZEKE-Spektroskopie (s. Kap. 15.9.3) f¨ ur Elektronenst¨oße. Wie wir in Abschn. 18.4.2 gesehen haben, ist der SDCS in Schwellenn¨ahe f¨ ur eine gegebene Prim¨ arenergie T praktisch unabh¨angig von W . Der Zusammenhang mit dem integralen Ionisationsquerschnitt (hier integriert auch u ¨ber alle Energien W der emittierten Elektronen) ist dann n¨aherungsweise durch σ (ion) =

Z 0

T −WI

dσ dσ(W ) dW ' (T − WI ) dW dW

472

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

gegeben. Man erwartet also f¨ ur den experimentell zu bestimmenden Verlauf des SDCS f¨ ur Elektronen verschwindender Energie (W ' 0) einen Anstieg σ (ion) dσ ' ∝ (T − WI )0.127 , dW T − WI

niederenergetisches Elektronensignal

sofern das Schwellengesetz (17.15) von Wannier und Rau gilt. Man kann auf diese Weise sehr empfindlich die Abweichung des Schwellenverhaltens von der ur e + He → 2e + He+ die Steigung 1 bestimmten. Abbildung 18.10 zeigt f¨ von Cvejanov und Read (1974) gemessene Ausbeute an Schwellenelektronen als Funktion der kinetischen Energie T des Stoßelektrons. Die Abh¨angigkeit ∝ (T − WI )0.127 f¨ ur T oberhalb der Ionisationsschwelle WI ist durch die rote Fitlinie klar dokumentiert. Das Schwellengesetz (17.15) scheint f¨ ur diesen Fall in einem Bereich von mindestens 1.5 eV oberhalb der Schwelle g¨ ultig zu sein. He(1s4ℓ)

1s5ℓ 1s6ℓ He+(1s) + e 7ℓ ∝ ( T - WI ) 0.127

23.5

24.0 T / eV

24.5 WI

25.0

25.5

26.0

Abb. 18.10. Ausbeute langsamer Elektronen bei der Elektronenstoßionisation He(e,2e)He+ im Bereich der Schwelle (Ionisationspotenzial WI ) als Funktion der kinetischen Anfangsenergie der Elektronen T nach Cvejanov und Read (1974). Die volle rote Linie —– ist ein Fit ∝ (T − WI )0.127 an die experimentellen Daten

Interessant ist dar¨ uber hinaus, dass auch unterhalb der Schwelle im Mittel offenbar ein ¨ ahnliches Anregungsgesetz (gespiegelt) f¨ ur hohe RydbergZust¨ande gilt. Die angeregten Rydberg-Zust¨ ande wurden bei diesem Experiment durch Feldionisation nachgewiesen – ganz so wie (viel sp¨ater) beim ZEKE-Experiment (s. Kap. 15.9.5). Mit Blick auf die Potenzialhyperfl¨ache Abb. 18.9 ist dieser Verlauf nicht verwunderlich: die eigentliche Elektronendynamik sollte kurz unterhalb und oberhalb der Schwelle nicht sehr verschieden sein. Rydberg-Anregung entspricht dann Trajektorien, die es nicht ganz zur Ionisation schaffen“, sondern vorher bei α = 0◦ oder 90◦ ins Tal rollen“. ” ”

18.4 Elektronenstoßionisation

473

Auch der Winkel θ12 zwischen den beiden Elektronen f¨ ur den Schwellen¨ bereich (Wannier-Bereich), also f¨ ur Uberschussenergien bis zu etwa 1.5 eV, war und ist Gegenstand experimenteller und theoretischer Untersuchungen. ¨ Die klassischen Uberlegungen, ja schon die einfache Betrachtung von Abb. 18.9, suggerieren, dass bei niedrigen Energien die beiden Elektronen nur unter 180◦ auseinander laufen k¨ onnen, sofern u ¨berhaupt Ionisation stattfindet. Dies wird in der Tat experimentell von Cvejanov und Read (1974) und durch aktuelle, quantenmechanische Berechnungen von Bartlett und Stelbourlich gibt es auch hier eine Winkelverteilung, devics (2004b) best¨atigt. Nat¨ ¨ ren Breite (FWHM) mit der Uberschussenergie zunimmt – f¨ ur das System + e + H → 2e + H entsprechend (π − θ12 ) ' 3(T − WI )1/4 . Neueste experimentelle Ergebnisse hierzu besprechen wir in Abschn. 18.4.5 (s. inbesondere Abb. 18.18 auf S. 483). 18.4.4 DDCS: Doppelt differenzielle Wirkungsquerschnitte und Born’sche N¨ aherung Einen noch tieferen Einblick in die Ionisationsdynamik erlaubt der doppelt differenzielle Wirkungsquerschnitts (DDCS), also die Streuverteilung bezogen auf Energie- und Winkelintervall. F¨ ur hinreichend hohe kinetische Energien T  WI und kleinen Impuls¨ ubertrag ~K < ~a−1 aherung 0 ist die Born’sche N¨ uglich der wieder ein guter Ansatz (s. z.B. Kim, 1975a,b,c; Inokuti, 1971). Bez¨ energetischen Verh¨ altnisse sei an Abb. 18.6 auf S. 465 erinnert. Man muss sich dar¨ uber im Klaren sein, dass die Born’sche N¨aherung die Unterscheidbarkeit der beiden Elektronen impliziert, was f¨ ur hohe Energien auch gerechtfertigt ist: f¨ ur die kinetische Energie des gestreuten Elektrons (in FBA als ebene Welle angenommen) muss WA  WI und sie darf sich nur wenig von der kinetischen Anfangsenergie T & WA unterscheiden. Dann werden die Verh¨altnisse vergleichbar mit der Photoionisation, die wir in Kap. 5.5, Band 1 behandelt haben. Der Photonenenergie ~ω im optischen Falle entspricht die auf das Targetsystem u ¨bertragene Energie ~ω → WB + WI = T − WA

(18.44)

(bei der inelastischen Stoßanregung entsprach dies der Anregungsenergie Wba = ~ωba ). Die Oszillatorenst¨ arke pro Energieintervall hatten wir nach (5.49) bei der Photoionisation dfεa /dε genannt. Bei der Stoßionisation bezieht sich der entsprechende Ausdruck auf die Energie des Sekund¨arelektrons (ε → WB ). Dagegen bezieht man den doppelt differenziellen Wirkungsquerschnitt stets auf das detektierte Elektron, dessen Energie wir allgemein mit W bezeichnen, und das beim DDCS sowohl das gestreute, wie auch das emittierte Elektron sein kann. In Born’scher N¨ aherung wird der DDCS f¨ ur die Stoßionisation entsprechend (18.25) also

474

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

10-2

10-4

1

102 GOSD / W0

1.5

1.0

Abb. 18.11. Bethe-Fl¨ ache f¨ ur die generalisierte Oszillatorenst¨ arkendichte (GOSD) bei der Stoßionisation von atomarem Wasserstoff. Die GOSD pro atomare Energieeinheit (W0 ) ist f¨ ur Energie¨ ubertr¨ age WB + WI von der Schwelle bei 13.6 eV bis zu 270 eV und f¨ ur Impuls¨ ubertr¨ age Ka0 von 0.01 bis 10 (im log K 2 Maßstab) gezeigt. Der Bethe-Grat ist schwarz, strichpunktiert eingezeichnet

0.5 0 WI (W

5

B+

W

I)/

W

10 10-4

10-2

1

102

0

(Ka0)2

0

mit

r (GOS) d2 σ (θ) WA W0 dfBa (K, WB ) 2 = 2a0 dW dΩ T (WB + WI ) (Ka0 )2 dWB   p 2 (Ka0 ) = 2 T + WA − 2 T WA cos θA .

(18.45) (18.46)

(GOS)

Die hier eingef¨ uhrte Gr¨ oße dfBa (K)/dWB nennt man generalisierte Oszillatorenst¨ arken-Dichte (GOSD). Man kann sie im Prinzip nach (18.24) und (18.16) berechnen, wobei Wba → W +WI entsprechend (18.44) zu ersetzen ist. F¨ ur das Matrixelement Mba → MBa sind m¨oglichst gute Wellenfunktionen f¨ ur das emittierte Elektron hB| im Kontinuum bzw. im Anfangszustand |ai des Targets zu benutzen. Erstere sind pro Energieintervall zu normieren, wie wir dies in Band 1 beschrieben haben (Dimension [GOSD] = Energie−1 ). Die GOSD h¨angt von K und WB ab und geht im Grenzfall K → 0 wie beim Anregungsprozess nach (18.27) in die optische Oszillatorenst¨ arken-Dichte (OOSD) u ¨ber:9 (GOS) (opt) dfBa (K, WB ) dfεa −→ (18.47) K→0 dWB dε Man beachte, dass die OOSD in der Regel stark von der Energie ε des Kontinuumselektrons abh¨ angt, das hier dem Sekund¨arelektron entspricht. Entsprechend h¨angt die GOSD f¨ ur die Stoßionisation von der Energie ε → WB = T − WA − WI des Sekund¨ arelektrons bzw. vom Energie¨ ubertrag 9

Dieser Grenzfall K → 0 kann beim Stoßprozess nach (18.46) zwar beliebig gut angen¨ ahert, aber nie erreicht werden.

18.4 Elektronenstoßionisation

475

WB + WI = T − WA ab. F¨ ur das Wasserstoffatom als einziges System kann man die GOSD in geschlossener Form berechnen, was bereits Bethe getan hat. Die etwas komplizierte Formel l¨ asst sich nach Inokuti (1971) u ¨bersichtlich als sogenannte Bethe-Fl¨ ache darstellen, wie in Abb. 18.11 illustriert. Man tr¨agt die GOSD als Funktion des Energie¨ ubertrags WB + WI und des Logarithmus’ von K 2 auf, hier in atomaren Einheiten. Im optischen Grenzfall K → 0 f¨allt die GOSD wie die OOSD rasch mit WB + WI ab. Bemerkenswert ist das Auftreten eines Maximums der GOSD bei h¨oherem K und die Verschiebung dieses Maximums mit gr¨ oßer werdendem Energie¨ ubertrag WB + WI hin zu betr¨achtlichen Werten des Impuls¨ ubertrags K. Dies ist der Bereich des sogenannten Bethe-Grats, wo – das zeigt eine genauere Analyse (s. z.B. Coplan et al., 1994) – die Dynamik des Ionisationsprozesses im wesentlich als bin¨ are Wechselwirkung zwischen Streuelektron und herausgeschlagenem Elektron verstanden werden kann. Das verbleibende Ion ist gewissermaßen nur als Zuschauer beteiligt. ¨ etwas ausf¨ uhrlicher anWir illustrieren die vorangehenden Uberlegungen + hand der He(e, 2e)He -Reaktion – eine Art Benchmark f¨ ur die Elektronenstoßionisation. Hier gibt es nat¨ urlich keine analytische Formel f¨ ur die GOSD. Es sind aber zahlreiche experimentelle und theoretische Untersuchungen an diesem System durchgef¨ uhrt worden, besonders systematisch f¨ ur h¨ohere Eneruller-Fiedler et al. (1986). In Abb. 18.12 zeigen wir als Beispiel f¨ ur gien von M¨ T = 100 eV und 500 eV den DDCS, also die Winkelverteilung des gestreuten Elektrons, jeweils bei mehreren Energien WA . Die Ionisationsenergie f¨ ur He ist WI = 24.6 eV, die Energie des Sekund¨ arelektrons reicht hier also von praktisch 0 bis zu 20 bzw. 40 eV. Bemerkenswert ist die starke Vorw¨artsstreuung des ionisierenden Elektrons bereits bei einer Prim¨arenergie T = 100 eV und a fortiori so bei 500 eV. Mit steigendem Energie¨ ubertrag an das Atom f¨allt der Wirkungsquerschnitt, wie nach Abb. 18.8d zu erwarten, und wird in seiner Winkelabh¨angigkeit etwas flacher. Die verschiedenen theoretischen Modelle reproduzieren die experimentellen Befunde qualitativ und quantitativ recht uller-Fiedler et al. (1986) mit denen gut. Wie der Vergleich der Daten von M¨ von Avaldi et al. (1987) bei 500 eV zeigt, gibt es auch gewisse Unsicherheiten beim Experiment. Auch wenn man Prim¨ ar- und Sekund¨ arelektron vom Grundsatz her eigentlich nicht streng unterscheiden kann, gibt die starke Vorw¨artsstreuung (zusammen mit der in Abschn. 18.4.2 diskutierten Energieverteilung) einen klaren Beleg daf¨ ur, dass die Austauschamplitude bei diesen hohen Energien sehr klein ist. Somit ist das anschauliche Konzept von einem gestreuten und einem herausgeschlagenen Elektron in diesem Energiebereich durchaus anwendbar. Dies wird um so deutlicher, wenn man die Winkelverteilung des niederenergetischen Elektrons betrachtet, die f¨ ur einige F¨alle in Abb. 18.13 gezeigt ist: das Sekund¨arelektron wird jedenfalls nicht dominant vorw¨arts emittiert und l¨asst erst bei h¨ oheren Sekund¨ arenergien eine ausgepr¨agtere Abh¨angigkeit vom Emissionswinkel erkennen. Die hier pauschal erfasste Dynamik scheint auf den ersten Blick auch nur wenig von der kinetischen Anfangsenergie T ab-

476

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

T = 100eV

DDCS / Å2 eV-1 sr-1

10-1

WA = 75.4 eV WA = 73.4 eV WA = 71.4 eV WA = 55.4 eV

10-2 10-3

GA



20°

WA= 475.4 eV WA = 471.4 eV WA = 435.4 eV Avaldi 435.4

10-2 10-3

DWB

10-4

T = 500eV

10-1

DWB GA

10-4 40°

60° 80° Streuwinkel θA



20°

40°

Abb. 18.12. Doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt f¨ ur die Elektronenstoßionisation von He bei 100 und 500 eV Prim¨ arenergie f¨ ur verschiedene Energien WA des gestreuten Elektrons als Funktion des Streuwinkels. Experimentelle Daten von M¨ uller-Fiedler et al. (1986) und Avaldi et al. (1987) (ein Datensatz), rekalibriert aherung (GA) nach Ray et al. (1991) nach Saenz et al. (1996). Theorie: Glauber-N¨ und Distorted-Wave-Born (DWB) nach McCarthy und Zhang (1989)

T = 500eV

2eV 4eV 10eV 20eV

DDCS / Å2 eV-1 sr-1

10-3 10-4

40eV

0

°

40

°

80

°

120

°

160°

T = 100eV 10-3

2eV 4eV 10eV 20eV

10-4

40eV



40°

80° 120° Streuwinkel θB

Abb. 18.13. Doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt (DDCS) f¨ ur die Elektronenstoßionisation von He bei T = 100 und 500 eV bei verschiedenen Energien WB des Sekund¨ arelektrons als Funktion des Emissionswinkels θB . Ordinatenmaßstab wie in Abb. 18.12. Experimentelle Datenpunkte von M¨ uller-Fiedler et al. (1986), CCC-Rechnungen (ausgezogene Linien) f¨ ur T = 500 eV von Bray und Fursa (1996)

160°

zuh¨angen. Der Vergleich von Experiment und theoretischen CCC-Rechnungen von Bray und Fursa (1996) zeigt qualitativ, teilweise auch quantitativ exzel¨ lente Ubereinstimmung. Das etwas un¨ ubersichtliche Verhalten f¨ ur die Winkelverteilungen der gestreuten Prim¨arelektronen nach Abb. 18.12 kann man u ¨brigens mit Hilfe der Born’sche N¨aherung sehr u ¨berzeugend einordnen – also mit dem einfachsten

18.4 Elektronenstoßionisation

477

aller m¨oglichen Ans¨ atze. Wir stellen in Abb. 18.14 die GOSD bei drei verschiedene Energie¨ ubertr¨ agen WB + WI f¨ ur jeweils sechs unterschiedliche kinetische Energien T zusammen, die aus theoretischen Daten und aus Experimenten uller-Fiedler et al. (1986) gewonnenen wurden (nach Saenz et al., 1996, von M¨ rekalibriert). Nach der Born’schen N¨ aherung sollte die effektive GOSD f¨ ur einen gegebenen Energie¨ ubertrag WB + WI unabh¨angig von der Anfangsenergie T des Streuelektrons sein. Wie man sieht, best¨atigt Abb. 18.14 dies in gewissen Grenzen, zeigt allerdings auch deutlich die erwartete Abweichung f¨ ur gr¨oßere Impuls¨ ubertr¨ age. Bei WB + WI = 44.6 eV ' 1.6 W0 erkennt man 2 f¨ ur (Ka0 ) ' 1.5 auch hier bereits ein Maximum – und kann sich die Ausbildung eines Bethe-Grats bei h¨ oherem Energie¨ ubertrag durchaus vorstellen, ur H(e, 2e)H+ nach Abb. 18.11. ¨ahnlich dem f¨ Neuere experimentelle und theoretische Arbeiten f¨ ur niedrigere kinetische Energien T geben ein weiter differenziertes Bild, gerade auch im Schwellenbereich. Die Beobachtungen lassen sich oft anhand des hypersph¨arischen Poaren. F¨ ur Details verweisen wir tenzials Abb. 18.9 auf S. 471 intuitiv gut erkl¨ auf die Originalliteratur (s.z.B. Schow et al., 2005; Bray et al., 2003). 18.4.5 TDCS: Dreifach differenzielle Wirkungsquerschnitte Maximale Information u ¨ber die Dynamik der Stoßionisation erh¨alt man durch Messung der dreifach differenziellen Wirkungsquerschnitte (TDCS). Dazu muss man die beiden nach der Ionisation freien Elektronen in Koinzidenz nachweisen und ihre Streuwinkel und kinetischen Energien bestimmen. Auf Theorie Experiment bei T = 100 eV 200 eV 300 eV 400 eV 500 eV 600 eV

1.5 1.0 0.5

WB + WI = 24.6eV

0.0 1.0

GOSD / W0-1

0.5 WB + WI = 34.6eV 0.0

0

0.5 0.0 0.1

WB + WI = 44.6eV (Ka0)2

0.5

1

5

Abb. 18.14. Generalisierte Oszillatorenst¨ arkendichte GOSD pro atomare Energieeinheit W0 f¨ ur die Elektronenstoßionisation von He als Funktion des Impuls¨ ubertrags in a−1 ur drei verschie0 . F¨ dene Energie¨ ubertr¨ age WB + WI = T − WA werden die Rechnungen von Saenz et al. (1996) und effektive, aus den Daten von M¨ uller-Fiedler et al. (1986) bestimmte Werte bei sechs verschiedenen Prim¨ arenergien T verglichen. Man beachte den Ansatz eines Bethe-Grats bei WB + WI = 44.6 eV und (Ka0 )2 ' 1.5

478

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

diese Weise wird die Kinematik nach Abb. 18.6 auf S. 465 vollst¨andig bestimmt. Erste Pionierexperimente dieser Art wurden – mit unterschiedlichen Zielrichtungen – von Ehrhardt et al. (1969) und Amaldi et al. (1969) durchgef¨ uhrt. Damals war der experimentelle und zeitliche Aufwand f¨ ur derartige Experimente erheblich, wie man schon anhand des in Abb. 18.15 gezeigten historischen Aufbaus der Ehrhardt-Gruppe ahnen kann. Die Abbildung ist weitgehend selbst erkl¨ arend. Angedeutet ist die aufbaubedingte Begrenzung der koinzident nachweisbaren Streuwinkel des Experiments. Die Geometrie ist bez¨ uglich der beiden detektierten Elektronen koplanar mit der Richtung des Projektilelektrons kA , eine Anordnung in der auch die meisten Nachfolgeexperimente durchgef¨ uhrt wurden. Inzwischen gibt es eine F¨ ulle von Daten verschiedener experimenteller Gruppen zu diesem Themenkomplex, u ¨berwiegend f¨ ur die Elektronenstoßionisation von He- und H-Atomen. Dabei sind die Daten f¨ ur e + He → 2e + He+ experimentell einfacher zu gewinnen und daher umfassender, detaillierter und wohl auch verl¨asslicher, als f¨ ur das System e + H → 2e + H+ . Die experimentellen Schwierigkeiten bei der Benutzung eines atomaren Wasserstoff Targets sind nicht zu untersch¨atzen, auch wenn aus theoretischer Sicht das H-System nat¨ urlich fundamentaler und deutlich einfacher zu behandeln ist. Insgesamt wurde aber, vor allem am Beispiel dieser beiden Systeme, u ¨ber die letzten vier Jahrzehnte ein recht weitreichendes Verst¨andnis f¨ ur die Dynamik der Elektronenstoßionisation von Atomen gewonnen, wobei die Kaiserslauterner Gruppe von Ehrhardt und Sch¨ ulern, Multiplier 2 5 cm

Kolle ktor B -125º

Elektronenkanone Linsen 2 Selektor

Repeller

Linsen 5 +70º -70º

feldfrei eKollimierung

Multiplier 1

Atomstrahl Linsen 4

Linsen 1 Kathode

+125º

Kollektor A

Linsen 3

Analysator

Abb. 18.15. Pionierexperiment zur Messung des dreifach differenziellen Wirkungsquerschnitts (TDCS) f¨ ur den He(e, 2e)He+ -Prozess mit koinzidentem Nachweis von gestreutem und ionisiertem Elektron nach Ehrhardt et al. (1969)

18.4 Elektronenstoßionisation

479

aber auch weitere Gruppen in Italien, Frankreich, Australien und den USA eng mit verschiedenen Theoriegruppen weltweit zusammengearbeitet haben. Dabei wurden die Experimente Zug um Zug vervollkommnet und die theoreti¨ schen Modelle erweitert und verfeinert. Die Ubereinstimmung von Experiment und Theorie ist heute in vieler Hinsicht beeindruckend und die Ergebnisse sind sehr vielf¨altig. Noch recht u ¨bersichtlich und z.T. anschaulich einleuchtend ist die Situation bei mittleren und h¨ oheren Energien, w¨ahrend im Bereich der Ionisationsschwelle und bei niedrigen Energien unterhalb des Querschnittsmaximums eine zum Teil sehr komplexe Dynamik beobachtet wird. Born’sche N¨ aherung (FBA) f¨ ur den TDCS Als Ausgangspunkt f¨ ur die quantitative Behandlung soll auch hier wieder die Born’sche N¨aherung dienen, die f¨ ur sehr hohe Energien T und kleine Impuls¨ ubertr¨age K gelten sollte. Formal ist in (18.45) nun auch der Emissionswinkel θB zu ber¨ ucksichtigen. Da die generalisierte Oszillatorenst¨arkendichte nach (18.47) im Grenzfall verschwindender Werte von K in die optische Oszillatorenst¨arke u agt man die bei der Photoionisation f¨ ur das ¨bergeht, u ¨bertr¨ Photoelektron gefundene Winkelverteilung (5.66), Band 1 mit dem charakteristischen Anisotropieparameter β auf den hier diskutierten (e, 2e)-Prozess. Dabei identifiziert man das emittierte Photoelektron hier mit dem emittierten Sekund¨arelektron – was nach dem Energiediagramm Abb. 18.6a durchaus nahe liegt. Im Grenzfall sehr kleiner Impuls¨ ubertr¨age erwartet man also f¨ ur den TDCS: d3 σ (θ) (18.48) dΩA dΩB dWB r (opt) dfWB W0 a2 WA [1 + βP2 (cos θB )] −→ 0 K→0 2π T (Ka0 )2 (WI + WB ) dWB Die Integration u uhrt unabh¨angig von β wieder ¨ber alle Emissionswinkel θB f¨ zu (18.45). Bei der Photoionisation eines s-Zustands wird bekanntlich β = 2, was ein auslaufendes p-Elektron beschreibt. Zwar ist die Elektronenstoßionisation komplizierter, in jedem Fall u ubertrag K ¨bernimmt aber der Impuls¨ jetzt die Rolle des Photonen-Polarisationsvektors e als Symmetrieachse der Elektronenverteilung – soweit die FBA g¨ ultig ist. TDCS f¨ ur die Elektronenstoßionisation von He Wir konzentrieren unsere Diskussion auf drei charakteristische Beispiele bei T = 250 eV f¨ ur das System e + He →2e + He+ , die in Abb. 18.16 zusammengestellt sind. Die experimentellen Daten Schlemmer et al. (1991) vergleichen wir mit einer sehr aufwendigen, vollst¨ andigen Close-Coupling-Rechnung mit 101 Zust¨anden, CCC(101), von Bray und Fursa (1996) und beschr¨anken uns

480

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

-45° K

0° kA 5.0 2.5

-90°

90°

-120°

-45° K -90°

K

θA = 4° WB = 2.5 eV θK = 48.6° K = 0.376 a 0-1

120° ±180° 0° kA 1.0 0.5

-120°

-45°

(a)

45°

(b)

45° 90° 120°

±180° 0° k A 0.5

45°

0.25

-90°

90°

-120°

θA = 10° WB = 5 eV θK = 65.2° K = 0.77 a 0-1

(c) θA = 14° WB = 10 eV θK = 66.1° K = 1.053 a 0-1

Abb. 18.16. TDCS f¨ ur e + He → 2e + He+ (T = 250 eV) im Polardiagramm als Funktion des Emissionswinkels θB des Sekund¨ arelektrons der Energie WB . Die Gr¨ oße der TDCS ist proportional zum Abstand vom Ursprung (Zahlen an den Koordinatenkreisen in 10−18 cm2 sr−2 eV−1 ). Das Projektilelektron wird unter 0◦ eingeschossen, die Richtung des gestreuten Elektrons kA ist angedeutet, ebenso wie die des Impuls¨ ubertrags K. Experimentelle Daten von Schlemmer et al. (1991), Theorie (—–) CCC(101) von Bray und Fursa (1996). Im oberen Diagram (sehr kleines K) ist zum Vergleich auch noch eine Winkelverteilung in der FBA nach (18.48) mit β = 2 eingetragen (- - -)

120° ±180°

– relativ willk¨ urlich als Beispiel – auf diese eine theoretische Rechnung, obwohl viele weitere Ans¨ atze erprobt wurden, welche die Experimente mehr oder weniger zufriedenstellend reproduzieren. Zur Orientierung ist die Born’sche N¨aherung f¨ ur den Grenzfall K → 0 nach (18.48) mit β = 2 als gestrichelte rote Doppelglockenkurve in Abb. 18.16a eingetragen. F¨ ur diesen sehr kleinen Impuls¨ ubertrag 0.376/a0 stimmt die FBA also qualitativ gut mit der Realit¨at u ¨berein. In der einschl¨agigen Literatur unterscheidet man die beiden Maxima und spricht vom Binary Peak , der nahezu parallel zu K aus gerichtet ist, also parallel zum Impuls¨ ubertrag, den das Prim¨ arelektron an das Target abgibt, und vom Recoil Peak (also vom R¨ uckstoß-Signal ) in nahezu entgegengesetzter Richtung. Der Bin¨ ar-Peak in seiner Reinstform ist gewissermaßen das Ergebnis einer reinen Coulomb-Streuung des Projektilelektrons mit einem als ruhend gedachten Targetelektron, das in Richtung von K herausgeschlagen wird. Der R¨ uckstoß-Peak reflektiert den Komplement¨arprozess, bei welchem

18.4 Elektronenstoßionisation

481

das herausgeschlagene Elektron in intensive Wechselwirkung mit dem Targetion tritt.10 Bei genauerem Hinsehen stellt man freilich fest, dass die Symmetrie der Born’schen N¨aherung selbst bei diesem kleinen Wert von K von den Daten nicht hunderprozentig best¨ atigt wird: es gibt eine kleine Abweichung hin zu gr¨oßeren Betr¨agen der Winkel f¨ ur das maximale Signal, sowohl f¨ ur den Bin¨ar- wie auch f¨ ur den R¨ uckstoß-Peak. Die ebenfalls in Abb. 18.16a gezeigte CCC(101) Rechnung stimmt dagegen exzellent mit den experimentellen Daten u ubertrag, so beobachtet man, wie in Abb. ¨berein. Erh¨oht man den Impuls¨ 18.16b und c gezeigt, den erwarteten deutlichen Abfall der absoluten Gr¨oße des TDCS. Nach wie vor bleibt aber K n¨ aherungsweise Symmetrieachse. Allerdings dominiert mit steigendem K zunehmend der Bin¨ar-Peak auf Kosten des R¨ uckstoßsignals. Praktisch alle Theorien sagen diese Tendenz voraus (selbst die Born’sche N¨aherung, wenn man u ¨ber ihren Grenzfall (18.48) hinausgeht). Aber es bedarf einigen Aufwands, korrekte, quantitative Aussagen etwa u ¨ber das Verh¨altnis Bin¨ ar-Peak zu R¨ uckstoß-Peak zu erhalten. Zum sp¨ateren Gebrauch halten wir hier aber fest, dass mit h¨oherem Moment¨ ubertrag (also etwa im Bereich des Bethe-Grats) der R¨ uckstoßpeak verschwindet und der Ionisationsprozess zunehmend als bin¨are Wechselwirkung zwischen Streuelektron und Targetelektron aufgefasst werden kann. ¨ Uber die Jahre sind zahlreiche Theorien und Rechenverfahren an einem immer umfangreicheren experimentellen Material getestet worden. Die in Abb. 18.16 gezeigte CCC(101)-Rechnung schneidet dabei im ganzen hervorragend ab (die Diskrepanz beim absoluten Wert des TDCS k¨onnte auch ein experimenteller Kalibrierungsfehler sein). Neben der anf¨anglich benutzten Born’schen N¨ aherung, die nur begrenzten Vorhersagewert hat, wurden u.a. die Born’sche Reihe, modifizierte Born’sche N¨aherungen z.B. mit auslaufenden Coulomb-Wellen, diverse distorted wave“ N¨aherungen oder auch ” die Glauber-N¨aherung (eine Eikonal-N¨ aherung auf den in Kapitel 16.4.4 besprochenen Grundgedanken aufbauend) mit recht gutem Erfolg eingesetzt – ohne dass ein dem Themenfeld ferner Stehender einen u ¨berraschenden Durchbruch erkennen k¨ onnte. Es zeigt sich, dass ein so schwieriges Problem eben mit entsprechend hohen Rechenaufwand behandelt werden muss, weshalb die brute Force“ Methode, f¨ ur welche die hier gezeigte CCC(101) Beispiel sein ” m¨oge, recht erfolgreich ist. Das gilt a fortiori f¨ ur den hier nicht behandelten Energiebereich an und knapp oberhalb der Ionisationsschwelle. Hinzu kommt die zus¨atzliche Schwierigkeit, dass das e + He System eben kein Zwei- sondern ein Dreielektronensystem ist, bei welchem der Einfluss des weiteren Elektrons zus¨atzliche Komplikationen bringt. 10

Der Vollst¨ andigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die hier beobachteten Emissionsverteilungen weit komplexer werden, wenn wir es nicht mit einem sTarget zu tun haben, sondern z.B. mit einem anf¨ anglichen p-Zustand. Das gilt ja auch bereits f¨ ur die Photoionisation, wo im Prinzip Werte von −1 ≤ β ≤ 2 m¨ oglich sind. Wir k¨ onnen hier aber auf diese Komplikationen nicht eingehen, zumal das Datenmaterial dazu recht begrenzt ist.

482

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

Neuere Ergebnisse f¨ ur das System e + H Unbeschadet des inzwischen erreichten, sehr weitgehenden Verst¨andnisses ist die Stoßionisation als echtes Mehrk¨ orperproblem nach wie vor f¨ ur Experimentatoren und Theoretiker gleichermaßen eine Herausforderung, der man sich mit neuen Ideen und Konzepten immer wieder stellt. Dabei wird zunehmend der H(e, 2e)H+ -Prozess als echtes Dreik¨orperproblem ¨ untersucht. Bei entsprechendem Aufwand f¨ uhrt dies zu beeindruckender Ubereinstimmung von Experiment und Theorie. Zur Illustration des Fortschritts bzw. Trends aus j¨ ungerer Zeit sei hier auf die Bem¨ uhungen um effizientere Messverfahren hingewiesen, auf die wir auch an anderen Stellen schon hingewiesen haben. R¨ aumlich aufl¨ osende, parallele Nachweistechniken mit raffinierten Analysatoren und Detektoren ersetzen zunehmend langwierige, serielle Methoden, die fr¨ uher oft viele Monate stabilen Messens erforderten. In Abb. 18.17 zeigen wir einen solchen Aufbau von van Boeyen und Williams (2005) mit einem toroidalen Elektronenenergieanalysator, bei welchem (gestreutes) Prim¨ arelektron und Sekund¨ arelektron mit einem einzigen Analysator nach Energie und Emissionswinkel sortiert in Koinzidenz gemessen werden k¨onnen. Benutzt werden dabei sogenannte wedge and stripes“ Anoden ” (WSA), die den zeitlichen und ¨ ortlichen Nachweis von Teilchen erm¨oglichen (unten in Abb. 18.17 r¨ otlich schattiert angedeutet). Im Gegensatz zur traditionelleren, planaren Geometrie der Kaiserslauterner Gruppe, wo das gestreute und das emittierte Elektron in einer Ebene mit dem Projektilelektron nachgewiesen werden, benutzt man hier eine senkrechte Geometrie, bei der gestreutes und emittiertes Elektron beide senkrecht zum Projektilelektronenstrahl nachgewiesen werden. In unserer Terminologie, nach Abb. 18.6, bedeutet das θA = θB = π/2, wobei im Prinzip die beiden Elektronen koinzident unter Azimutwinkeln 0 ≤ ϕ ≤ 360◦ nachgewiesen werden k¨onnen – einfach durch Detektion bei entsprechenden, unterschiedlichen Positionen auf Elektronenkanone Elektronentrajektorien toroidale Sektorfelder

positionsempfindliche Detektoren

Eintrittslinsen Faradaybecher

Austrittslinsen

Abb. 18.17. Toroidale, multidimensionale Analysatoranordung zur simultanen Winkel- und Energiebestimmung zweier Elektronen (senkrechte Geometrie) mit koinzidentem Nachweis nach van Boeyen und Williams (2005)

TDCS / 10-20 cm2 sr -2 eV-1

18.4 Elektronenstoßionisation

20

T -WI = 0.5eV T-WI = 6.8eV (×5) WB /WA =1:10 WB /WA =1:10 15 WB = WA WB = WA

10 5 0

0

90°

φ

180°

270°

360°

483

Abb. 18.18. TDCS f¨ ur e + H → 2e + H+ in senkrechter Geometrie (θA = θB = 90◦ ) als Funktion des Azimutwinkels ϕ f¨ ur zwei verschiedene Stoßenergien T bei je zwei verschiedenen Aufteilungen der Energie. Experimentelle Datenpunkte (gemessen mit der in Abb. 18.17 gezeigten Anordnung) und exakte quantenmechanische Berechnungen (Linien, s. Text) nach Williams et al. (2006)

den WSA hinter dem Toroidanalysator. Ein Winkel ϕ = 180◦ entspricht dabei gerade einem Auseinanderlaufen der beiden Elektronen in entgegengesetzte Richtung. Zwar ist der TDCS in dieser Geometrie um ein bis zwei Gr¨oßenordnungen kleiner als in der koplanaren. Es hat sich aber gezeigt, dass die Ergebnisse besonders kritische Tests f¨ ur die Theorie darstellen. Zugleich ist diese Anordnung f¨ ur quantitative Messungen besonders geeignet, da alle Signale mit dem gleichen Analysator und den gleichen Detektoren gemessen werden. Die Nachweiswahrscheinlichkeiten werden somit direkt vergleichbar bzw. leicht kalibrierbar. Abbildung 18.18 zeigt erste Ergebnisse von Williams et al. (2006) mit dieser effizienten Apparatur f¨ ur e + H im Energiebereich knapp oberhalb der ¨ Ionisationsschwelle T & WI . F¨ ur Uberschussenergien 0.5 bzw. 6.8 eV wurden jeweils zwei Energieaufteilungen auf die beiden Elektronen untersucht: eine sehr asymmetrische und die vollsymmetrische WA = WB = (T − WI )/2. Interessanterweise ¨ andert sich der TDCS nur wenig mit dieser Aufteilung. ¨ Markant ist allerdings die dramatische Anderung der ϕ-Abh¨angigkeit mit der Prim¨arenergie. W¨ ahrend bei T − WI = 0.5 eV das von Wannier vorhergesagte Auseinanderlaufen der Elektronen in entgegensetzte Richtung (ϕ = 180◦ ) sehr deutlich beobachtet wird, ist dieses schon 6.8 eV oberhalb der Schwelle verschwunden und wird von einer strukturierten Winkelverteilung abgel¨ost. Die durchgezogenen Linien in Abb. 18.18 entsprechen exakten, quantenmechanischen Rechnungen mit einer propagating exterior complex scaling ” (PECS)“ genannten Methode nach Bartlett und Stelbovics (2004a): auf einem Gitter der Gr¨oße Rmax = 180a0 wird die Schr¨odinger-Gleichung numerisch ¨ f¨ ur Partialwellen bis zu L = 5 gel¨ ost! Die phantastische Ubereinstimmung von Theorie und Experiment f¨ ur dieses fundamentale Dreik¨orperproblem in Schwellenn¨ahe dokumentiert sehr eindrucksvoll den aktuellen Stand von Theorie und Experiment in diesem Forschungsfeld.

484

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

18.5 Elektronenimpuls-Spektroskopie (EMS) Wir wollen dieses Kapitel nicht beenden, ohne auf einen sehr wichtigen, spektroskopischen Aspekt der (e, 2e)-Experimente einzugehen, der seit mehreren Jahrzehnten von einigen Gruppen intensiv verfolgt und genutzt wird. W¨ahrend bei unserer bisherigen Diskussion die Dynamik der Ionisation im Zentrum des Interesses stand, kann man die Koinzidenztechnik unter gewissen Randbedingungen auch benutzen, um die Impulsverteilung der Elektronen in einem atomaren oder molekularen Target, also letztlich ihre Wellenfunktion zu bestimmen. Dies wird sofort plausibel, wenn man sich daran erinnert, dass z.B. die generalisierte Oszillatorenst¨ arkendichte GOSD ja mit (18.16) direkt von der Impulsverteilung der Targetelektronen abh¨angt. Die Grundidee dieser Electron Momentum Spectroscopy (EMS ) geht davon aus, dass der Impuls kB des herausgeschlagenen Elektrons (des Sekund¨arelektrons) durch die Summe von Impulstransfer K und seinem eigenen Impuls q zum Zeitpunkt des Stoßes bestimmt ist. Die Streuverteilung, so die Idee, erlaubt demnach direkte R¨ uckschl¨ usse auf die Impulsdichteverteilung des herausgeschlagenen Elektrons vor dem Stoß, und diese ist ihrerseits wiederum die Fourier-Transformierte der Elektronendichteverteilung im Ortsraum. So kann man also im Prinzip ein direktes Abbild der Wellenfunktion gewinnen. Wir betrachten dazu noch einmal die Kinematik des (e, 2e)-Prozesses nach ul sei vor dem Stoß in Ruhe Abb. 18.6 auf S. 465. Das Targetatom oder -molek¨ (geringf¨ ugige thermische Bewegung k¨ onnen wir in aller Regel vernachl¨assigen). Es hat also vor dem Prozess keinen Nettoimpuls, man kann auch sagen, der resultierende Impuls der Elektronen im Target gemittelt u ¨ber die gesamte Impulsdichteverteilung verschwindet. Nach dem Stoß hat das Targetion nun aber in der Regel einen nicht verschwindenden Impuls q I = kT −kB −kA , sodass die Impulsbilanz befriedigt wird. Nach Abzug des Impulstransfers K = kT − kA vom Impuls kB des Sekund¨ arelektrons m¨ ussen die Momente von Elektron q und R¨ uckstoßion sich aber wieder zu Null summieren. Der Elektronenimpuls q vor dem Stoß ist also dem Betrag nach gleich dem des Ionenr¨ uckstoßimpulses q I und entgegengesetzt gerichtet. Aus dieser Sicht kann man die Impulsbilanz (18.30) also kT = kA + kB − q (18.49) schreiben. Die mit dem R¨ uckstoßimpuls verbundene R¨ uckstoßenergie q 2I /2Mion des Ions ist dagegen sehr klein und kann vernachl¨assigt werden. Bei der Messung des TDCS bestimmt man nach (18.33) ja gerade q I – und damit nach diesem Konzept auch q = −q I . Um daraus aber wirklich Impulsdichteverteilungen des Targetatoms gewinnen zu k¨onnen, muss man sicher stellen, dass der Prozess tats¨ achlich als bin¨are Wechselwirkung zwischen Streuelektron und Targetelektron beschrieben werden kann, und dass weder das Projektil, noch das gestreute Elektron, noch das herausgeschlagene Elektron dar¨ uber hinaus das Target beeinflussen oder von diesem beeinflusst werden.

18.5 Elektronenimpuls-Spektroskopie (EMS)

485

F¨ ur hohe Energien, bei denen also sowohl T als auch WA und WB groß gegen die Bindungsenergie WIj des untersuchten Targetelektrons sind, kann man hoffen, dass diese Annahme unter bestimmten kinematischen Bedingungen gerechtfertigt ist. Man benutzt dann die sogenannte plane-wave impulse approximation (PWIA), bei welcher sowohl das einlaufende Projektil vor dem Stoß, als auch das gestreute Elektron und das herausgeschlagene Sekund¨arelektron nach dem Stoß als ebene Wellen angenommen werden. Dann findet man – analog zur Ableitung des inelastischen Born-Querschnitts in ur den dreifach differenziellen Ionisationswirkungsquerschnitt: Abschn. 18.2 – f¨ d3 σ (θ) (18.50) dΩA dΩB dWB E 2 m2e kA kB D ikA ·R ikB ·rB (+) = φγj (r) |V (R, r B )| φ (r, r B ) eikT ·R e e 2 4 4π ~ kT Hier beschreibt |φ (r, rEB )i den Zustand des Targets mit N Elektronen vor dem (+) Prozess und φγj (r) das Ion mit den Quantenzahlen γ, dem ein Elektron j fehlt. Dabei steht r B f¨ ur das zu ionisierende Elektron, r f¨ ur die restlichen N − 1 Elektronen, R f¨ ur das Streuelektron, und der Flussfaktor kA kB /kT sorgt f¨ ur die Erhaltung der Teilchenzahlen. Das Potenzial V (R, r B ) besteht wieder aus reinen Coulomb-Termen, und die Kernanziehung liefert wegen der Orthogonalit¨at der Wellenfunktion keinen Beitrag. Man benutzt wieder das Bethe-Integral, um die Integration u ¨ber das Streuelektron vorzuziehen und erh¨ alt schließlich in a.u.: E 2 4 kA kB D (+) d3 σ (θ) (18.51) = 4 φγj (r) eiq·rB φ (r, r B ) dΩA dΩB dWB K kT mit q = kA + kB − kT = kB − K, was nach (18.49) dem Impuls des Elektrons B unmittelbar vor der Wechselwirkung mit Elektron A entsprechen sollte. Der TDCS (18.51) in PWIA-N¨ aherung ist also nichts anderes als das Produkt aus der (bin¨aren) Rutherford-Streuung ∝ K −4 , u ¨ber die wir bereits mehrfach gesprochen haben, einem Flussfaktor und der Fourier-Transformierten ¨ des Uberlappintegrals von Anfangszustand und ionischem Endzustand zum Wert q, der gleichzeitig mit dem TDCS experimentell bestimmt wird. Eine weitere Vereinfachung ist m¨ oglich, wenn sich der Zustand des Targets und des Ions als einfaches Produkt von Orbitalen φi (r i ) schreiben lassen, wie wir dies bei Molek¨ ulzust¨ anden in Kap. 11 und 12 als gute N¨aherung (bis auf die notwendige Symmetrisierung) mehrfach getan haben. Dann l¨asst sich das entscheidende Matrixelement in (18.51) faktorisieren. Es wird D E (+) φγj (r) eiq·rB φ (r, r B ) (18.52) EZ D (+) eiq·rB φB (r B )d3 r B , = φγj (r) φ1 (r 1 ) . . . φN −1 (r N −1 )

486

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

¨ wobei h. . . i f¨ ur das Uberlappintegral u ¨ber die restlichen Orbitale des Targets und des Ions steht, und das letzte Integral gerade die Fourier-Transformierte des Targetorbitals ist, also die gesuchte Impulsverteilung. Noch einen Schritt weiter kann man im Rahmen der sogenannten N¨aherung des eingefrorenen Rumpfes (frozen-core approximation) gehen, auch pl¨ otzliche N¨ aherung, (sudden approximation), genannt. Dabei nimmt man an, dass sich der ionische Rumpf nicht ¨andert, w¨ ahrend das Sekund¨ arelektron aus dem Potenzial des Rumpfes entweicht. In diesem Fall sind die Orbitale vor und (kurz) nach der ¨ Ionisation identisch, und das Uberlappintegral h. . . i in (18.52) wird ≡ 1, sodass der TDCS direkt proportional zu der gesuchten Impulsdichte wird. Unter welchen experimentellen Bedingungen und wieweit all diese Annahmen G¨ ultigkeit haben, war in den 1990er Jahren Gegenstand intensiver Untersuchungen von Experiment und Theorie. Auf die Einzelheiten k¨onnen wir hier nicht eingehen und verweisen den interessierten Leser wieder auf die einschl¨agige Literatur (z.B. Weigold und McCarthy, 1999; Coplan et al., 1994; McCarthy und Weigold, 1991). Inzwischen ist die (e, 2e)-EMS aber eine gut etablierte und leistungsf¨ ahige Methode der Spektroskopie – oftmals auch Synchrotron der Armen“ genannt (da man ¨ ahnliche Information bei insge” samt weit gr¨oßerem Aufwand auch aus der Photoionisation mit kurzwelliger XUV- und R¨ontgenstrahlung erlangen kann). Hohe Energien (T > 1 keV) sind Voraussetzung f¨ ur eine klare Interpretierbarkeit der Daten. Man benutzt in der Regel nicht die koplanare Anordnung, die sich bei der Untersuchung der Dynamik bew¨ahrt hat. H¨aufig werden symmetrische Messanordnungen verwendet (θA = θB und WA = WB ), bei denen der Impuls¨ ubertrag K konstant bleibt, und statt dessen der Azimutwinkel ϕ variiert wird, von dem q unmittelbar abh¨ angt. Die Messsignale sind dabei zwar niedrig. Zunehmend werden aber parallelisierte Verfahren zum koinzidenten Elektronennachweis durch ortsaufl¨ osende Detektoren eingesetzt und Energieanalysatoren des in Abb. 18.17 auf S. 482 gezeigten Typs. So gelingt es, in vertretbarer Messzeit eine gute Statistik zu erlangen. In den letzten Jahren konnte so beachtliches Datenmaterial an experimentell vermessenen Impulsdichteverteilungen f¨ ur Atome und Molek¨ ule gewonnen werden. Wir illustrieren dies abschließend anhand eines k¨ urzlich ver¨offentlichten Beispiels f¨ ur das H2 O-Molek¨ ul von Ning et al. (2008). Dabei wird bei T = 1200 eV gemessen, mit guter Energie- und Winkelaufl¨osung (∆W = 0.68 eV, ∆ϕ = ±0.84◦ , ∆θ = ±0.53◦ ) bei voll symmetrischen Bedingungen mit WA = WB = (T − WIj ) /2 und θA = θB = 45◦ . Hier ist WIj wieder das Ionisationspotenzial (= −Bindungsenergie) der untersuchten Orbitale. Die Koinzidenzrate, das heißt der TDCS wird als Funktion des Azimutwinkels ϕ mit einem positionsempfindlichen Detektor (PSD) registriert, und zwar hinter einem Doppel-Toroidanalysator, den beide Elektronen durchlaufen. Anhand der Energiebilanz (18.30) kann das Messsignal eindeutig einer bestimmten Bindungsenergie WIj zugeordnet werden, womit man zugleich das Orbital identifizieren kann, aus welchem das nachgewiesene Elektron stammt. In dieser Geometrie ist der R¨ uckstoßimpuls q I = −q eine eindeutige Funktion des

18.5 Elektronenimpuls-Spektroskopie (EMS)

487

Azimutwinkels ϕ und erlaubt im Prinzip bei G¨ ultigkeit der PWIA-N¨aherung mit eingefrorenem Ionenrumpf eine direkte Bestimmung der Impulsdichteverteilungen der untersuchten Orbitale vor dem Ionisationsprozess. Um einen bildlichen Eindruck von dieser Impulsverteilung (und damit von den Wellenfunktionen der verschiedenen Orbitale) zu erhalten, tr¨agt man den TDCS in einer 2D Darstellung als Funktion der Bindungsenergie und des Azimutwinkels auf. Dies ist f¨ ur die Valenzelektronen von H2 O in Abb. 18.19a dargestellt. Die Projektion dieser Dichteverteilungen auf die Achse der Bindungsenergie in Abb. 18.19b reproduziert die aus der Photoelektronenspektroskopie bekannten Spektren der Bindungsenergien f¨ ur die Valenzelektronen. 30º 1b1 3a1 φ

20º

2a1

1b2

(a)

10º 0º -10º -20º -30º

10

1b1

20

30

3a1 1b2

40 eV 2a1

(b)

Abb. 18.19. Elektronenimpulsspektroskopie (EMS) an den Valenzorbitalen von H2 O nach Ning et al. (2008): (a) experimentell bestimmte Impulsdichteverteilungen aufgetragen als Funktion von Bindungsenergie und Azimutwinkel ϕ. Der R¨ uckstoßimpuls qI = −q ist eine eindeutige Funktion von ϕ. Man beachte die Knotenfl¨ achen bei den 1b1 -, 3a1 - und 1b2 -Orbitalen im Gegensatz zum 2a1 -Orbital. (b) Energiespektren der Valenzorbitale gewonnen aus der Integration der obigen Dichteplots u ¨ber alle ϕ, projiziert auf die Achse der Bindungsenergien

×5 10

20

30

40 WI / eV

Man erkennt in Abb. 18.19a sehr sch¨ on die unterschiedlichen Symmetrien der verschiedenen Orbitale, die sich direkt in der Impulsdichteverteilung widerspiegeln. Wir erinnern uns an unsere Diskussion der Valenzorbitale von H2 O in Kap. 12. Ein Blick auf Abb. 12.23 auf S. 122, wo sie schematisch skizziert sind, zeigt, dass 1b1 , 3a1 und 1b2 jeweils einen Knoten haben, 2a1 dagegen nicht. Dies schl¨ agt sich direkt in der Impulsdichteverteilung nieder, die ja die Fourier-Transformierte der Ortsverteilung ist. Knoten f¨ uhren zu entsprechenden Minima wie in Abb. 18.19a gezeigt, w¨ahrend die 2a1 -Verteilung kein solches Minimum aufweist. Bei dieser Betrachtung muss man nat¨ urlich im Auge haben, dass die r¨aumliche Orientierung des gasf¨ ormigen, freien Wassermolek¨ uls, das hier untersucht wurde, statistisch verteilt ist. Daher k¨onnen wir auch keine Aussage u ¨ber diese Orientierung in den Impulsdichteverteilungen erwarten. Ein

488

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

quantitativer Vergleich zwischen modernen quantenchemischen Verfahren zur Berechnung dieser Orbitale mit den gemessenen Verteilungen muss also die entsprechenden Mittelungen durchf¨ uhren und theoretische Aussagen mit der experimentellen Aufl¨ osung falten. EMS-Experimente k¨onnen so einen wichtigen, kritischen Test f¨ ur die Qualit¨ at der Berechnung von Molek¨ ulorbitalen liefern, der u ¨ber das hinausgeht, was normalerweise mit der optischen Spektroskopie geleistet werden kann: diese erlaubt es ja lediglich, Energien zu bestimmen, wenn auch mit hoher Pr¨ azision. Die EMS macht dar¨ uber hinaus Aussagen zur r¨aumlichen Struktur der Wellenfunktionen.

18.6 Rekombination Abschließend wollen wir noch kurz den zur Ionisation umgekehrten Prozess, die Rekombination behandeln, die u.a. f¨ ur die quantitative Beschreibung von Plasmen sehr wichtig ist. Nun ist freilich der zu (18.30) direkt inverse Prozess als Dreierstoß in aller Regel beliebig unwahrscheinlich – außer in sehr dichten Plasmen. Wichtig sind aber die zur Photoionisation umgekehrten Prozesse, wo ein Elektron von einem Ion eingefangen wird. Die dabei frei werdende Energie wird direkt oder indirekt als Photon freigesetzt. Besonders gut untersucht sind solche Prozesse f¨ ur hochgeladene Ionen (HCI), deren Querschnitte besonders groß sind (der interessierte Leser sei auf den detaillierten und informativen Reuller, 2008, hingewiesen, der sich allgemein der Elektronen-Ionen view von M¨ Streuung widmet). Wir haben HCIs ja bereits in Kap. 17.6 als interessante Stoßpartner kennengelernt. Der einfachste Fall ist die sogenannte direkte oder Strahlungsrekombination (radiative recombination) Aq+ + e− (langsam) → A(q−1)+ + hν ,

(18.53)

¨ wo das Photon unmittelbar beim Ubergang des eingefangenen Elektrons aus dem Kontinuum in einen gebundenen Zustand emittiert wird. Die Wirkungsquerschnitte sind in der Regel sehr klein – letztlich weil der Phasenraum bzw. die Zustandsdichte im Kontinuum viel gr¨ oßer ist als in gebundenen Zust¨anden. Die Querschnitte wachsen aber mit abnehmender Energie und k¨onnen f¨ ur sehr langsame Elektronen beachtlich werden. Anders ist es bei der sogenannten dielektronischen Rekombination, die gewissermaßen invers zu einem Auger-Prozess (s. Kap. 10.6.1, Band 1) ist. Schematisch kann man diesen Prozess in drei Phasen zerlegen, wie in Abb. 18.20 skizziert. Der kritische erste Schritt (a) ist nur dann m¨oglich, wenn Energieerhaltung gesichert ist, wenn also die kinetische Energie des Elektrons T (n) zusammen mit der (negativen) Bindungsenergie Wn des Zustands |ni gerade der Anregungsenergie Wba = Wb − Wa entspricht (man kann sagen, es wird ein virtuelles Photon ausgetauscht): T (n) − Wn = Wba

(18.54)

18.6 Rekombination

489

Der kurzlebige, angeregte Zustand |bi verliert seine Energie durch spontane Emission eines Photons hν. Wegen der langen Lebensdauer hoher RydbergZust¨ande, in welchen das Elektron eingefangen wird, bleibt der Zustand |ni besetzt, das innere Elektron findet man in seinem Ausgangszustand wieder. Wir halten fest, dass es sich bei der dielektronischen Rekombination – im Gegensatz zur direkten Strahlungsrekombination – um einen resonanten Prozess handelt, der nur bei wohl definierten Energien ! 2 W0 qef f (18.55) T (n) = Wba − 2 n2 des einzufangenden Kontinuumselektrons stattfinden kann. F¨ ur (18.55) haben wir (18.54) umgeschrieben und angenommen, dass nur in hoch angeregte Zust¨ande |ni des Ions A(q−1)+ eingefangen wird, bei welchen die RydbergFormel f¨ ur wasserstoffartige Atome gilt, ggf. unter Ber¨ ucksichtigung einer unvollst¨andigen Rumpfabschirmung durch qef f . Wir zeigen als charakteristisches Beispiel die e− -Rekombination mit dem 5-fach geladene Sauerstoffion O5+ , die von B¨ohm et al. (2002) untersucht wurde. Der Aufbau dieses sogenannten Merged Beam Experiments an einem Ionenspeichering ist in Abb. 18.21a skizziert. Der Elektronenstrahl kommt aus einer Gl¨ uhkathode, wird auf einige 100 eV beschleunigt, fokussiert und durch trochoidale Magnetfelder mit dem O5+ -Ionenstrahl (3.3 bis 9.4 MeV) im Speicherring zusammengef¨ uhrt und nach einer Wechselwirkungsstrecke wieder getrennt. Die Rekombination wird mit Hilfe eines Dipolmagneten, welcher Mutterionen O5+ und Produkte O4+ trennt, und einem entsprechenden Detektor nachgewiesen. Gemessen wird das O4+ -Signal als Funktion der Elektronenenergie (und damit der verf¨ ugbaren Relativenergie T im Schwerpunktsystem).

(a)

(b)

(c)

T(n) 0

|n>

Wn

|b>

Wb

-W

Wa

WI hν

Wba

Aq+

|a>

[A(q-1)+]**

[A(q-1)+]*

Abb. 18.20. Schematisierter Ablauf eines dielektronischen Rekombinationsprozesses – von links nach rechts: (a) ein Kontiuumselektron wird eingefangen, ein Elektron einer inneren Schale wird simultan angeregt; (b) das angeregte Elektron gibt seine Energie durch Photoemission wieder ab; (c) das eingefangene Elektron verbleibt im hoch angeregten Rydberg-Zustand, dessen Lebensdauer sehr lang ist

490

18 Elektronenstoßanregung und -ionisation

(a) Ionenstrahl O5+

Glühkathode Elektronenstrahl

O5+

O4+

RekombiKorrektur- Dipol- nationsTorroide magnete magnet detektor

Ratenkoeffizient / 10-10cm3s-1

(b) 1.5 1.0 0.5

n=6

O5+

7

8

9 10 12 14



6d 6p 6s

Abb. 18.21. Dielektronische Rekombination nach B¨ ohm et al. (2002). (a) Experimenteller Aufbau des Merged Beam Experiments (sehr schematisch). (b) Rekombinationsrate O5+ + e− → O4+ (n`) als Funktion der relativen kinetischen Energie des Elektrons im CM-System. Man beachte die gute Energieaufl¨ osung, welche es erlaubt, die resonante Besetzung auch hoher Rydberg-Zust¨ ande zu identifizieren

0 2 4 6 8 10 12 Elektron-Ion Stoßenergie T / eV

Das Experiment ist alles andere als trivial. Wir verweisen bez¨ uglich vieler wichtiger Details auf die Originalarbeit. Von allgemeiner Bedeutung sind die Vorteile der parallelen Strahlf¨ uhrung von Targetion und Elektron bei dieser Merged Beam Anordnung. Man kann nicht nur die Wechselwirkungsstrecke ausreichend lang w¨ ahlen, um vern¨ unftige Signalst¨arken zu erhalten, auch f¨ ur die Einstellung der Energie und die Energieaufl¨osung ist dieser Aufbau sehr vorteilhaft. Da n¨amlich nur die Relativenergie µ µ 2 = T = vrel 2 2

r

2We − me

r

2Wi mi

!2 (18.56)

der beiden Strahlen f¨ ur den Stoßprozess relevant ist, braucht man keine sehr langsamen, schwer zu kontrollierenden Elektronenstrahlen zu verwenden und auch die relativ großen Energiebreiten der Elektronen (Gl¨ uhkathode!) wie auch des Ionenstrahls werden dramatisch reduziert. Bei den verwendeten Ionenenergien von 3.3 bis 9 MeV erh¨ alt man die ben¨otigten Relativenergien von 2 ≤ T ≤ 15 eV bei Elektronenergien zwischen 100 und 400 eV im Labor, wobei die Energiebreiten mindestens um einen Faktor 10 verringert werden. Man verifiziert dies leicht11 anhand von (18.56). Den hier untersuchten Prozess kann man sich so vorstellen: 11

Bei den hier verwendeten Geschwindigkeiten von weniger als 5% der Lichtgeschwindigkeit braucht man noch nicht relativistisch zu rechnen, auch wenn dies uller, 2008). Die Erebenfalls problemlos m¨ oglich w¨ are (s. z.B. Formel (45) in M¨ gebnisse sind im Rahmen der experimentellen Aufl¨ osung identisch.

18.6 Rekombination

O5+ (1s2 2s) + e− → O4+ (1s2 2pn`) 4+

→O

491

(18.57)

2

(1s 2sn`) + hν

¨ Mit der Ubergangsenergie W2p←2s = 11.95 bzw. 12.02 eV (f¨ ur den 2 P1/2 2 bzw. P3/2 Zustand) und qef f = 5 wird nach (18.55) der niedrigst liegende Rydberg-Zustand, der bev¨ olkert werden kann, bei der Hauptquantenzahl n = 6 liegen, was T (n) ' 2.5 eV entspricht. Die in Abb. 18.21b gezeigten experimentellen Ergebnisse lassen dort sogar teilaufgel¨oste 6` Zust¨ande zu verschiedenen Bahndrehimpulsen erkennen. Die Ergebnisse sind als Ratenkonstanten hσvrel i publiziert, d.h. als Produkt aus Wirkungsquerschnitt und Relativgeschwindigkeit gemittelt u ¨ber die Energieverteilung von Elektronen und Ionen. Die Besetzung hoher, nicht mehr voll aufgel¨oster Rydberg-Zust¨ande bis hin zum Kontinuum ist deutlich erkennbar. Ein großer Teil der gesamten Rekombinationsst¨ arke ist dort angeh¨ auft. Dass das Signal an der Ionisationsgrenze stark abf¨ allt, wird einem experimentellen Artefakt zugeschrieben, n¨amlich dem Quenchen hoch liegender Rydberg-Zust¨ande in den eingesetzten a¨ußeren elektrischen und magnetischen Feldern. Wir wollen es dabei bewenden lassen und bemerken lediglich abschließend, dass auch in diesem Forschungsgebiet heute durch ausgekl¨ ugelte Experimentiertechniken und ebenso durch anspruchsvolle theoretische Methoden ein ho¨ her Erkenntnisstand erreicht wurde. Uber den intellektuellen Gewinn hinaus k¨onnen sich zahlreiche Anwendungen, insbesondere in der Plasmaphysik, auf diese Daten st¨ utzen und verlassen.

19 Die Dichtematrix – eine erste Ann¨ aherung So mancher Leser wird mit Dichtematrix“ ein ” eher abstraktes Konzept aus fortgeschrittenen Theorievorlesungen und -lehrb¨ uchern assoziieren, das man tunlichst meiden sollte. Man braucht sie aber immer dort zur Interpretation von tats¨ achlich messbaren Observablen, wo sich ein reales Quantensystem nicht durch einen einzigen Satz wohl definierter Quantenzahlen vollst¨ andig beschreiben l¨ asst – und das ist in der experimentellen Praxis leider die meist anzutreffende Situation. Wir versuchen daher, einen heuristisch, pragmatischen Weg zur Erschließung dieses wichtigen Werkzeugs zu gehen und mit konkreten Beispielen zu hinterlegen. So mag deutlich werden, dass es sich im Grunde um ein einfach zu handhabendes, sehr n¨ utzliches Instrument f¨ ur den Forschungsalltag handelt..

Hinweise f¨ ur den Leser: Wer auch das folgenden Kapitel sowie Band 3 gewinnbringend lesen m¨ ochte, sollte – soweit nicht bereits damit vertraut – das hier Zusammengestellte gr¨ undlich verinnerlichen. Nach kurzen Vorbemerkungen konkretisieren wir in Abschn. 19.1 zun¨achst die Begriffe reiner und gemischter Zustand, f¨ uhren in Abschn. 19.2 den Dichteoperator formal ein und illustrieren in Abschn. 19.3 das Konzept in der Matrixdarstellung mit einfachen Beispielen. Ein Formalismus zur allgemeinen Beschreibung physikalischer Messungen wird in Abschn. 19.4 entwickelt. Schließlich konkretisiert Abschn. 19.5 das allgemein Formulierte an zwei Beispielen. Bislang haben wir die Quantensysteme, mit denen wir es zu tun hatten, stets durch ihren Zustand bzw. ihre Wellenfunktion mit einem wohl definierten Satz von Quantenzahlen charakterisiert und sind davon ausgegangen, dass dieser Zustand zu einem Anfangszeitpunkt t → −∞ vollst¨andig bekannt ist. Die Entwicklung unter dem Einfluss eines Hamilton-Operators, welcher das Gesamtsystem beschreibt, vollzieht sich entsprechend der zeitabh¨angigen Schr¨odinger-Gleichung. Zu einem sp¨ ateren Zeitpunkt t → +∞ wird das System also weiterhin durch eine Wellenfunktion vollst¨andig charakterisiert, die ¨ typischerweise eine koh¨ arente Uberlagerung von Zust¨anden beschreibt. Dies gilt in aller Strenge f¨ ur vollst¨ andig isolierte Quantensysteme, die wir u ¨ ber alle interessierenden Zeiten als Gesamtheit betrachten. In der realen Welt ist schon die Eingangsannahme nicht allgemein verbindlich, denn h¨aufig kennen wir den Anfangszustand gar nicht ganz genau. Man I.V. Hertel, C.-P. Schulz, Atome, Molek¨ ule und optische Physik 2, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-11973-6 9, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010

494

19 Die Dichtematrix – eine erste Ann¨ aherung

denke nur an die thermische Besetzung der Vibrations- und Rotationszust¨ande eines Molek¨ uls, wie auch deren Ausrichtung im Raum, die wir durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu beschreiben haben. Auch haben wir es h¨aufig mit recht komplexen Quantensystemen zu tun, die aus mehreren Subsystemen (Photonen, Elektronen, Atomen, Molek¨ ulen) bestehen, deren Einzelschicksale wir im Detail gar nicht alle verfolgen k¨ onnen oder wollen, sodass am Ende eines Experiments in aller Regel nur einige charakteristische Observable des Systems gemessen werden. In quantenmechanischer Sprechweise: wir projizieren den Zustand des Gesamtsystems auf eine bestimmte Untermenge von Zust¨anden, die uns experimentell zug¨ anglich sind. Sehr h¨aufig tritt das System zudem in Wechselwirkung mit einer dissipativen Umgebung, mit einem sogenannten Bad“, einem sehr großen Quantensystem, dessen Zustand sich ” einer detaillierten Beschreibung entzieht. Dort werden die sch¨onen, koh¨arenten Zust¨ande, von denen wir ausgingen, gewissermaßen weggesp¨ ult. Man muss daher bei realen Experimenten auf Mittelungsverfahren u ¨ber die nicht beobachteten Quantenzahlen zur¨ uckgreifen, wenn man die Resultate mit theoretischen Vorhersagen vergleichen will. Die Dichtematrix bietet einen bequemen Buchhaltungsformalismus daf¨ ur. Erw¨ahnt sei hier, dass es durchaus Ans¨ atze gibt, die das Konzept der Dichtematrix bzw. des Dichteoperators ganz zu vermeiden suchen. Man kann statt dessen auch die Erwartungswerte gewisser Tensoroperatoren (Multipolmomente) benutzen, die man aus Drehimpulsoperatoren konstruiert. Es zeigt sich, dass diese Gr¨ oßen den irreduziblen Komponenten der Dichtematrix ¨aquivalent sind. – Aber selbst, wenn man die Dichtematrix manchmal ” furchterregend“ findet (Zare, 1988), bleibt es zweifelhaft, ob diese irreduziblen Tensoroperatoren dem normalen Leser einfacher zug¨anglich sind. Wir werden im Gegenteil zeigen, dass die Dichtematrix sich in vielen F¨allen der normalen physikalischen Intuition viel direkter erschließt. Erw¨ahnt sei aber auch, was wir erst in Band 3 detailliert ausf¨ uhren werden, dass diese Darstellung durch Multipolmomente eine sehr klare Entflechtung von dynamischen Parametern (die einen physikalischen Wechselwirkungsprozess charakterisieren) und bloßen Geometriefaktoren (die eine spezifische experimentellen Anordnung beschreiben) erlaubt. Auch ist es einfacher, die oft notwendigen Drehungen im Raum und Umkopplung von Drehimpulsen f¨ ur irreduzible Momente aufzuschreiben als f¨ ur die Dichtematrix selbst. Daher wurde dieser elegante Ansatz von Fano und Macek (1973) benutzt, um Strahlungscharakteristik und Polarisation von Licht zu beschreiben, das Atome nach Stoßanregung aussenden. Macek und Hertel (1974) erweiterten das Konzept auf Stoßprozesse mit laserangeregten Atomen, und Greene und Zare (1983) entwickelten es weiter zur Analyse der laserinduzierten Fluoreszenz ausgerichteter Molek¨ ule. Die Dichtematrix und ihre irreduziblen Momente werden in vielen Lehrb¨ uchern und Monographien umfassend behandelt (Brink und Satchler, 1994; Zare, 1988; Blum, 1996; Kleiman et al., 1998; Mukamel, 1999; Andersen und Bartschat, 2003). Wir versuchen hier lediglich, eine Kurzfassung dessen zu geben, was man heute an theoretischem R¨ ustzeug f¨ ur die Konzeption und Interpretation vieler, fortgeschrittener laserspektroskopischer und

19.1 Reine und gemischte Zust¨ ande

495

stoßphysikalischer Experimente braucht. Bei dieser Darstellung – gewissermaßen f¨ ur Fußg¨anger“ – werden wir wie gewohnt auf l¨angliche mathemati” sche Ausf¨ uhrungen verzichten und auf die Bereitschaft des Lesers vertrauen, gewisse n¨ utzliche Resultate einfach zu akzeptieren.

19.1 Reine und gemischte Zust¨ ande Der Dichtematrixformalismus erweist sich immer dann als hilfreiches Werkzeug bei der Beschreibung von atomaren oder molekularen Systemen in Wechselwirkung, wenn die Quantenzust¨ ande der beteiligten Subsysteme vor oder/und nach dem Prozess nicht vollst¨ andig bekannt sind – also eigentlich bei fast allen realen Experimenten. Um etwas Konkretes vor Augen zu haben, sind in Abb. 19.1 drei typische Versuchsanordnungen sehr schematisch skizziert. asentiert ein gewissermaßen ideales“ WechselwirAbbildung 19.1a repr¨ ” kungsexperiment zweier Subsysteme (A,B) – denken wir an ein Streuexperiment oder an eine chemische Reaktion – bei welchem die Quantenzust¨ ande |qA i und |qB i beider Partner vor dem eigentlichen Wechselwirkungsprozess gut charakterisiert seien. Man erreicht das durch angemessene Zustandsselektoren (Sel. A,B), deren physikalischer Aufbau hier nicht weiter interessieren soll. Jedenfalls sei das Gesamtsystem vor der Wechselwirkung durch eine Wellenfunktion vom Typ

A

Sel. A{qA} A

(a) C ^

Anal. C

T B

Sel. B{qB} B

D

(b)

C{qC'}

A Anal. D

Sel. A

A{qA}

^

T

(c) ^

A Bad B

T hν{k,e}

Δt

Anal. C Anal. D

hν{k,e}

D{qD'}

Δt

A'

Anal. A' hν'{k',e'}

Bad B'

Abb. 19.1. Prototypische Wechselwirkungsexperimente schematisch: Eine m¨ oglichst vollst¨ andige Charakterisierung der Quantenzust¨ ande vor und nach der Interaktion (Tb) mit Hilfe von Zustandsselektoren (Sel.) und Analysatoren (Anal.) wird angestrebt. (a) Reaktions- bzw. Stoßexperiment zwischen A und B, (b) Photoanregungsprozess im isolierten System A, (c) Photoanregung von A im Bad“ B ”

496

19 Die Dichtematrix – eine erste Ann¨ aherung

hr A r B R | qA qB ka i = eika R φA (r A ) φB (r B )

(19.1)

beschreibbar. Dabei seien r A und r B die jeweiligen Koordinaten aller inneren Frei