Die wissenschaftliche Zuganglichkeit von Kriminalitat: Ein Beitrag zur Erkenntnistheorie der Sozialwissenschaften 3835070185, 9783835070189 [PDF]


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Die wissenschaftliche Zugänglichkeit von Kriminalität......Page 2
ISBN 9783835070189......Page 5
Inhalt......Page 6
Vorwort......Page 7
1 Zur Schwierigkeit des Zählens von Kriminalität......Page 10
2 Die gesellschaftliche Einbindung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und das Problem der subjektiven Perspektivengebundenheit......Page 34
3 Zeitströmungen und „Manieren des Sehens“......Page 41
4 Der empiristische Zugang: Sammeln von Tatsachen......Page 45
5 Der kritisch-rationale Zugang: Systematische Überprüfung......Page 47
6 Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Die vermeintlich kognitive Basis des Wissens um die „wirkliche“ Kriminalität......Page 53
7 Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten......Page 55
8 Die gebotene Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens......Page 71
9 Das interpretative Paradigma und seine methodischen Ausformulierungen......Page 76
10 Kriminalität als kontextuell gerahmter Bedeutungsknoten......Page 86
11 Nebeneinander unterschiedlicher, aber gleichrangiger Rahmungen von Kriminalität......Page 91
12 Kriminologie als Kulturwissenschaft jenseits unmittelbarer kriminalpolitischer Funktionalität......Page 99
13 Was bleibt von der Vorstellung einer „rationalen“ Kriminalpolitik?......Page 104
Literaturverzeichnis......Page 111
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Die wissenschaftliche Zuganglichkeit von Kriminalitat: Ein Beitrag zur Erkenntnistheorie der Sozialwissenschaften
 3835070185, 9783835070189 [PDF]

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Zitiervorschau

Karl-Ludwig Kunz Die wissenschaftliche Zugänglichkeit von Kriminalität

VS RESEARCH

Karl-Ludwig Kunz

Die wissenschaftliche Zugänglichkeit von Kriminalität Ein Beitrag zur Erkenntnistheorie der Sozialwissenschaften

VS RESEARCH

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Näheres zum Autor im Internet unter http://www.krim.unibe.ch/

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag und VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher Der Deutsche Universitäts-Verlag und der VS Verlag für Sozialwissenschaften sind Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-7018-9

Inhalt

Vorwort................................................................................................................. 7 1 Zur Schwierigkeit des Zählens von Kriminalität ................................ 11 2 Die gesellschaftliche Einbindung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und das Problem der subjektiven Perspektivengebundenheit..................................................................... 35 3 Zeitströmungen und „Manieren des Sehens“...................................... 42 4 Der empiristische Zugang: Sammeln von Tatsachen.......................... 46 5 Der kritisch-rationale Zugang: Systematische Überprüfung............. 48 6 Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Die vermeintlich kognitive Basis des Wissens um die „wirkliche“ Kriminalität .......... 54 7 Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten . 56 8 Die gebotene Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens .............................................................................................. 72 9 Das interpretative Paradigma und seine methodischen Ausformulierungen ................................................................................. 77 10 Kriminalität als kontextuell gerahmter Bedeutungsknoten............... 87 11 Nebeneinander unterschiedlicher, aber gleichrangiger Rahmungen von Kriminalität ....................................................................................... 92 12 Kriminologie als Kulturwissenschaft jenseits unmittelbarer kriminalpolitischer Funktionalität....................................................... 100 13 Was bleibt von der Vorstellung einer „rationalen“ Kriminalpolitik? .................................................................................... 105 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 113 Stichwortverzeichnis....................................................................................... 121

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Vorwort

Dieser Essay ist der Versuch einer mit Beispielen aus der Kriminalitätsforschung angereicherten Einmischung in die Erkenntnistheorie der Sozialwissenschaften. Versucht wird so etwas wie eine Standortbestimmung der sozialwissenschaftlichen Kriminalitätsbetrachtung, die für die sozialwissenschaftliche Theoriedebatte insgesamt ertragreich sein könnte. Dabei ausgerechnet von der Kriminalitätsforschung auszugehen, mag überraschen, gilt diese doch, bei optimistischer Betrachtung, als politisch einflussreich, aber nicht eben gerade als theoretisch avanciert. Dieser Zugangsweg hat indessen auch Vorteile, insofern er gewissermaßen das Feld der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung aus rückständigen Positionen von hinten her aufrollt und damit die Chance eröffnet, Fehlentwicklungen zu benennen und aus ihnen zu lernen. Kriminologie ist keine exakte Wissenschaft. Aus den Versuchen, sie dazu zu machen, spricht ein seltsames Bemühen nach der „Reinheit“ empirischer Tatsachenbeobachtung – ein um höchste Objektivität bemühter Purismus, der Begriffe wie „Kriminalität“ von ihrer politischen, also auf gesellschaftliche Wirkung angelegten Bedeutung entleert und so tut, als ob die faktisch zugewiesenen Bedeutungen objektive Bestimmungen wären. Der trügerische Schein objektiver Tatsachenbeobachtung hängt mit der in der Kriminalitätsforschung bevorzugten quantitativen Betrachtung der Kriminalität zusammen. Die faszinierende Exaktheit des zahlenmäßigen Ausdrucks suggeriert, dass damit das Studienobjekt objektiv eindeutig bestimmt werde. Die Auseinandersetzung damit, ob wirklich gezählt wird, was man zu zählen vorgibt und was es bedeutet, nur „Indikatoren“ für das eigentlich Interessierende erheben zu können, wird uns in der Folge erlauben, das Verständnis kriminologischer Tatsachenbeobachtung als scheinobjektiv zu kritisieren und, darauf aufbauend, die Kriminologie an einem kulturwissenschaftlichen Horizont auszurichten. Den Weg dorthin haben bereits Disziplinen beschritten, die sich vordem

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ebenfalls als quasi-objektivistisch verstanden, so die Soziologie, die Politikwissenschaft, die Klimaforschung und die politische Ökonomie. Längst ist in der Ökonomie Gemeingut, dass Kaufkraftvergleiche nach Maßgabe des realen Bruttoinlandsprodukts davon abhängen, was man in den zum Vergleich genommenen Warenkorb einpackt und welche Wertigkeit die verglichenen Volkswirtschaften diesen Waren zuweisen. Der für internationale Vergleiche gängige Maßstab des Preises für einen Hamburger wird von der OECD um Preise für 2500 Güter und Dienste ergänzt, um einen besseren Vergleichsmaßstab für die Kaufkraft zu erhalten. Indessen sind etwa die Preise für Wohnungen von deren Ausbaustand abhängig, so dass hohe Preise für Mietwohnungen nicht ohne weiteres geringe Kaufkraft, sondern womöglich hohe Wohnqualität bedeutet. Eine ähnliche Aufmerksamkeit dafür, was jeweils im Konzept Kriminalität „verpackt“ ist und was sein Inhalt „bedeutet“, würde die Probleme offenbaren, die sich aus dem Bemühen um eine exakte Bestimmung des Kriminalitätsvolumens in seinen raum-zeitlichen Bezügen ergeben. Es sollte der Kriminalitätsforschung zu denken geben, dass etwa auch Arbeitslosigkeit als solche nicht gezählt werden kann, sondern nur Meldungen von Arbeitslosigkeit an die Behörden oder Angaben darüber in standardisierten Bevölkerungsbefragungen (Arbeitskräfteerhebung), wobei die laienhaften Angaben durchaus Anderes ausdrücken als die statistisch erfassten Meldungen eines fachsprachlich definierten, von Stellensuche, Aussteuerung und Beschäftigungslosigkeit abgegrenzten Phänomens. Für Kriminologinnen1 und Kriminologen mögen die in der Folge angestellten Überlegungen ungewöhnlich und zunächst irritierend sein. Bei den im Alltagsgeschäft der statistischen Erhebungen und Bevölkerungsbefragungen zur Kriminalität Engagierten und bei den Anwendern dieser Wissensproduktion in den vielfältigen Sparten der Kriminalistik könnte sogar der Eindruck entstehen, dass die soziale Berechtigung und Wertschätzung ihrer Arbeit bezweifelt wird. Nichts wäre falscher als

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Weibliche Akteure sind künftig gleichberechtigt mit gemeint

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dies. Vorliegend geht es darum, grundsätzlich und möglichst vorurteilsfrei, also im besten Sinne „radikal“, über die empirische Zugänglichkeit von Kriminalität nachzudenken, dabei antrainierte Barrieren des Infragestellens zu überwinden und für das Verständnis der Kriminalität Denkwege zu nutzen, die in der neueren Theorie der Kulturwissenschaften gebahnt worden sind2. Für anregende Hinweise danke ich Claudio Besozzi und Fritz Sack. Verbleibende Irrtümer sind allein mir zuzurechnen.

Karl-Ludwig Kunz

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Vgl. zusammenfassend RECKWITZ 2000

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Zur Schwierigkeit des Zählens von Kriminalität

Lässt sich Kriminalität zählen? Aber ja doch, werden die Meisten – und vermutlich auch die meisten Kriminologen – antworten. Die Frage klingt provokant naiv, und sie ist es sogar in dem Sinne, dass scheinbar rasch und leicht zu beantwortende Fragen mitunter auf schwer oder gar nicht zu lösende Probleme verweisen. Die Kriminologie versteht sich als erfahrungswissenschaftliche Disziplin und sucht die Kriminalität in ihrer Tatsächlichkeit möglichst unbefangen und rational zu begreifen3. Die erfahrungswissenschaftliche Kriminalitätsforschung bedient sich zu einem wesentlichen Teil quantifizierender Methoden der Sozialforschung. Dabei wird das tatsächliche Vorkommen des interessierenden Phänomens mengenmäßig bestimmt und in seiner raum-zeitlichen Entwicklung mit der Häufigkeitsentwicklung anderer tatsächlich vorkommender Phänomene verglichen. Als mit quantitativen Methoden arbeitende Erfahrungswissenschaft bestimmt sich die Kriminologie neuerdings mit dem aus dem Amerikanischen stammenden Modewort „evidenzgestützt“4. Gemeint ist mit evidence-based criminology, dass statistisch evaluierte Informationen über kriminologisch bedeutsame Fakten geliefert werden, die einen Sachverhalt erhärten oder widerlegen. Wenn sich Kriminalität nicht in diesem Sinne zählen ließe, hätte dies unabsehbare und gewiss schwerwiegende Folgen, nicht nur für die quantitative empirische Kriminalitätsforschung, sondern auch für die Kriminalpolitik, die sich zur Rechtfertigung ihrer Interventionen bevorzugt auf die mengenmäßige Entwicklung der Kriminalität beruft.

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So etwa KUNZ 2004, 1 Vgl. etwa SCHUMANN 2003, 189. Korrekter wäre im Deutschen „beweisgestützt“

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Die Antwort auf unsere Ausgangsfrage scheint deshalb eindeutig „ja“ zu lauten. Zu ergänzen ist freilich: Ein klares, aber nicht wirklich überzeugtes „Ja“, weil kaum jemand die Frage ernsthaft stellte und sich unbefangen damit auseinandersetzte. Für die empirische Kriminalitätsforschung besteht das Problem nicht im Ob, sondern (nur) im Wie5. So mag man sich darüber streiten, ob nur kriminelle Handlungen oder auch straffällig gewordene Personen gezählt und dabei Mehrfachzählungen von Personen unberücksichtigt bleiben sollen, ob Dunkelfeldstudien verlässlicher als Kriminalstatistiken sind oder ob die polizeiliche Kriminalstatistik aussagekräftiger als eine gerichtliche ist. Dass es hingegen singuläre Fälle von Kriminalität gibt und diese quantifizierend erhoben werden können, scheint mit der Trivialität des nicht näher Begründungsbedürftigen klar. Woher rührt die Sicherheit dieser Überzeugung? Vermutlich aus einer fast zweihundert Jahre währenden ungebrochenen Wissenschaftstradition. Die Einzelfallbetrachtung von Verbrechen läuft stets Gefahr, von Emotionen überwältigt zu werden. Hingegen scheint sich die gebotene wissenschaftliche Distanz ungleich leichter herzustellen, wenn man Zahlen sprechen lässt. Während die Kunst sich stets für die gewaltsame Leidenschaft großer Verbrechen und die schauerlichen Sektionsberichte des Lasters begeisterte6, interessiert sich deshalb die Wissenschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts jenseits spektakulärer Einzelfälle vermehrt für allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die aus der Betrachtung einer Menge einzelner Verbrechenserscheinungen erkennbar werden. Dahinter steht die Vorstellung, die Analyse von Einzelfällen erschließe Besonderheiten, lasse aber keine verallgemeinerbaren Aussagen zu. Erst die Beobachtung einer hinreichenden Anzahl von Singularitäten erlaube es, übergreifende Gemeinsamkeiten auszumachen und so charakteristische Merkmale der Gattung Kriminalität zu bestimmen. Den Beginn dieser quantitativen Betrachtung des Verbrechens als mengenmäßig zu beobachtendes Phänomen markiert die zweibändige Abhandlung des Belgiers LAMBERT 5 Vgl. etwa AEBI 2006. Dessen Buch trägt den bezeichnenden Titel Comment mesurer la délinquance? und setzt damit deren Meßbarkeit voraus 6 Vgl., auch für den theoretischen Hintergrund, SCHILLER / MÜLLER-DIETZ / HUBER 2006

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ADOLPHE QUÉTELET über die Physique Sociale von 1834/ 35, eine Pionierleistung der politischen Arithmetik7. Der Titel des Werks „Soziale Physik“ ist Programm. In der Tat geht es darum, menschliche Handlungen, die einzeln betrachtet willkürlich erscheinen, in Gruppen zusammenzufassen und in ihrer Gesamtheit zu studieren. Die Vereinigung zu großen Zahlen offenbare wiederkehrende Gleichförmigkeiten, die das Walten eines über der menschlichen Willensfreiheit stehenden Naturgesetzes beweisen sollen. Diese Überlegung geht letztlich auf PLATO zurück: In der platonischen Tradition gelten die Universalien, also Mengen, Klassen und Zahlen, als die „wirkliche“ Wirklichkeit, während Einzelfälle als deren bloße, zumeist unzulängliche, Ableitungen aufgefasst werden. Am Anfang steht die so einfache wie einleuchtende Überlegung, die Beobachtung des Gangs der Lichtstrahlen in einzelnen Wassertropfen lasse keine Vorstellung von der vollkommenen Erscheinung des Regenbogens zu. Hingegen würden sich die individuellen Besonderheiten um so mehr verwischen und die allgemeinen Tatsachen um so mehr hervortreten, je mehr man vom Einzelfall Abstand nehme und je grösser die Zahl der beobachteten Einheiten sei. Gerade bei der mengenmäßigen Betrachtung von Verbrechen, bei denen man eigentlich annehmen würde, dass sie der menschlichen Voraussicht entgehen, sei eine auffällige Beständigkeit hinsichtlich Art und Häufigkeit, die Voraussagen erlaube, erkennbar: „Es gibt ein Budget, das mit erschreckender Regelmäßigkeit bezahlt wird, nämlich das der Gefängnisse, der Galeeren und Schafotte. … Wir können im voraus aufzählen, wie viele ihre Hände mit dem Blute ihrer Mitmenschen besudeln werden, wie viele Fälscher, wie viele Giftmischer es geben wird, fast so, wie man im voraus die Geburten und Todesfälle angeben kann, die einander folgen müssen“8. Damit ist bereits der vordringliche Gebrauchsnutzen einer Kriminalarithmetrik benannt: sich mit der Massenerscheinung Kriminalität abfindend zu einem vernunftgerechten Einsatz der Ressourcen des Kriminaljustizsystems beizutragen.

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QUETELET 1914; QUETELET 1921 QUETELET 1914, 104 f., 107

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Man mag spekulieren, ob das Interesse an der statistischen Aufbereitung von Straftaten zu einer nach institutionellen Kriterien geformten homogenen Menge noch andere Gründe findet: Die Verdichtung komplexer Geschehnisse auf wenige zählbare Informationen bringt ihren individuellen Handlungscharakter zum Verschwinden. Dies verunmöglicht den Nachvollzug der Handlungsmotivation und jedes mitmenschliche Verständnis. Zählbar gemachte „Fälle“ werden vergleichbar und bieten sich als eine Art Gradmesser des moralischen Zustandes einer Gesellschaft an. Die Aggregation einzelner Fälle in einer Statistik führt zu ihrer Verschmelzung zu dem Ganzen „der“ Kriminalität bzw. der sichtbaren Spitze ihres Eisberges. Kriminalität wird so zum Ding an sich, das von seinen sozialen Bezügen losgelöst betrachtet und bekämpft werden kann. Die Sozialstatistik bezweckt in den Worten QUÉTELETS, „uns die wahrheitsgetreue Darstellung eines Staates während einer bestimmten Epoche zu geben… Die Statistik beschäftigt sich mit einem Staate während eines bestimmten Zeitabschnittes; sie sammelt die auf das Leben dieses Staates bezüglichen Elemente, macht sie vergleichbar und stellt sie so zusammen, wie es für die Erkenntnis aller Tatsachen, die sie uns enthüllen können, am vorteilhaftesten ist“9. Die Schöpfer der Sozialstatistik verbanden damit die Vorstellung, fern eines rein „konstruktivistischen“ Zahlenspiels Teilaspekte der sozialen Wirklichkeit einzufangen, diese sinnvoll zu sortieren und daraus ein Mosaik zu formen, welche die Gestalt des sozialen Körpers wiedergibt. In ähnlicher Weise verstanden QUÉTELET und seine Zeitgenossen die Kriminalstatistik als wahrheitsgetreue Darstellung des Verbrechens überhaupt, so wie es wirklich ist10. Dieses Verständnis bedarf der Präzisierung, denn es ist alles andere als klar, was damit gemeint ist. In erster Linie setzt QUÉTELET die Kriminalstatistik in einer spezifischen Weise zur sozialen Wirklichkeit des Verbrechens in Bezug. Die Statistik tritt mit dem Anspruch auf, etwas über die Wirklichkeit auszusagen. Die

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QUETELET 1914, 111 f. Vgl. QUÉTELET 1914, 105 ff., 112 ff.; QUÉTELET 1921, 251 ff.

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Kriminalstatistik erscheint gemäß jenem Verständnis als ein mit den statistischen Darstellungsmitteln gezeichnetes Abbild der Verbrechenswirklichkeit. Zum zweiten fokussiert QUÉTELET die Kriminalstatistik auf jenen Teilbereich der sozialen Wirklichkeit, der spezifisch mit dem Verbrechen und seinem gattungsmäßigen Charakter „überhaupt“ zu tun hat. Die Kriminalität wird als das Referenzobjekt der Kriminalstatistik bestimmt. Da Kriminalität als Gattungsbegriff nicht tatsächlich vorhanden ist, sondern als Produkt des ordnenden Gedankens sich auf eine aus einer Vielzahl von Einzelfällen bestehende Tatsächlichkeit bezieht, gilt es drittens jene Einzelfälle zu bestimmen, auf welche die Kriminalstatistik sich erstreckt. Als singuläre Einheit gilt dabei ein Fall einer kriminellen Handlung, also ein konkretes Handlungsgeschehen, welches mit einer für eine Vielzahl von ähnlichen Fällen vorgesehenen juristischen Bewertung (strafbar als „Mord“, „Diebstahl“ …) attribuiert wird. Die Häufigkeit des Vorkommens von Fällen mit derselben juristischen Attribution lässt sich zählen und die Gattung Kriminalität damit nach QUÉTELET zahlenmäßig in Untergruppen differenziert ausdrücken. Die juristische Bewertung bestimmt, was als Kriminalität gilt11 und somit kriminalstatistisch bedeutsam ist. Kriminalität ist keine besondere Art des Handelns, sondern ein Handeln, dem die besondere Bewertung als strafrechtlicher Rechtsbruch beigemessen wird. Diese Bewertung nimmt Bezug auf einen gesetzlichen Deliktstatbestand, welcher ein solches Handeln generell-abstrakt als strafbar erklärt. Um im Einzelfall zu entscheiden, ob ein konkretes Verhalten strafbar ist, ist – jenseits einer deduktiven „Subsumtion“ des Sachverhalts unter die abstrakten Merkmale des Gesetzes – eine dialektische, wechselseitige Zurichtung von Sachverhalt und Rechtsnorm durch den Beurteilenden gefordert12. Insofern ist die Bewertung als Rechtsbruch eine vom Gesetz nicht abschließend determinierte eigenschöpferische Leistung des jeweiligen Bewertenden, in 11 12

Sogenannter juristischer Verbrechensbegriff, vgl. KUNZ 2004, 31 ff. Grundsätzlich dazu Kunz/Mona, 152 ff.

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die dessen subjektives Vorverständnis des Strafwürdigen einfließt. Von entscheidender Bedeutung dafür, was die Kriminalstatistik erfasst, ist daher, wer mit welchem spezifischen Vorverständnis die statistisch relevanten Einzelfallbewertungen als Kriminalität trifft. Diese Bewertungen werden bekanntlich durch die Instanzen der strafrechtlichen Sozialkontrolle, also durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Strafvollzugsbehörden getroffen, die ihre Arbeit dokumentieren und so einer statistischen Erfassung zugänglich machen. Der Einwand liegt darum auf der Hand, dass die Statistik nur registriert, was die registerführenden Instanzen darin abbuchen. Die in dem Einwand anklingende radikale Konsequenz, dass die Kriminalstatistik genau betrachtet überhaupt nicht registrierte Kriminalität, sondern Registrierungsverhalten der strafrechtlichen Kontrollinstanzen ausdrückt, oder, allgemeiner formuliert, das statistische Material von den Instanzen nicht eigentlich vorgefunden, sondern durch sie geschaffen wird, kam QUÉTELET nicht in den Sinn. Dem Grundkonzept der Sozialstatistik des 19. Jahrhunderts entsprechend war QUÉTELET überzeugt, dass die Kriminalstatistik die Wirklichkeit des Verbrechens abbilde. Freilich war ihm bewusst, dass nicht alle Taten entdeckt und nicht alle Verbrecher erwischt werden. In Folge dessen räumte er ein, dass die Kriminalstatistik die Verbrechenswirklichkeit nicht vollständig, sondern nur teilweise abbilde und es deshalb neben der statistisch erfassten Kriminalität einen weiteren Teilbereich der „im Dunkeln“ verbleibenden Kriminalität gäbe. Bereits in der Vorstellung QUÉTELETS scheint ein Widerspruch zwischen Anspruch und tatsächlichen Möglichkeiten der Kriminalstatistik zu bestehen: Dem ihr von QUÉTELET zugewiesenen Anspruch nach soll die Kriminalstatistik die Kriminalitätswirklichkeit getreulich wiedergeben. Faktisch kann sie das jedoch nur fragmentarisch, weil sich ihr der Kriminalitätsbereich im Dunkelfeld entzieht. Radikaler ausgedrückt: Weil bei der statistischen Erhebung Menge und Struktur der Kriminalität im Dunkelfeld verborgen bleiben, besagt die Kriminalstatistik nichts über die Gattung Kriminalität in ihrer Gesamtheit. Sind damit kriminalstatisti-

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sche Aussagen als Aussagen über Kriminalität „wertlos“, wie QUÉTELET sich rhetorisch selbstzweifelnd fragt? Dies ist in der Tat der Fall, wenn man nicht, wiederum mit QUÉTELET, zusätzlich annimmt, dass die Kriminalität im Dunkelfeld sich zu der von der Kriminalstatistik erfassten Kriminalität im Hellfeld proportional verhalte, und mithin die Kriminalstatistik Rückschlüsse auf Umfang und Struktur der Kriminalität im Dunkelfeld zulasse. In den Worten QUÉTELETS: „Unsere Beobachtungen (können) sich nur auf eine gewisse Anzahl bekannter und abgeurteilter Verbrechen unter einer unbekannten Totalsumme unbekannter Verbrechen stützen. Da diese Totalsumme von begangenen Verbrechen wahrscheinlich immer unbekannt bleiben wird, so werden alle auf sie gegründeten Schlüsse mehr oder weniger unrichtig sein; ich nehme sogar keinen Anstand, zu sagen, dass alle unseren statistischen Kenntnisse über die Verbrechen und Vergehen wertlos sein müssten, wenn man nicht stillschweigend annehmen würde, dass zwischen den bekannten und abgeurteilten Verbrechen und der Totalsumme der begangenen Verbrechen ein beinahe unveränderliches Verhältnis bestehe. Dieses Verhältnis ist notwendig, und ich wiederhole, wenn es nicht wirklich bestünde, so wäre alles, was bis jetzt auf Grund der statistischen Nachweisungen vorgebracht worden ist, falsch und absurd“13. Halten wir fest, was der Pionier der Kriminalstatistik in überraschender Offenheit ausdrückte: Die Kriminalstatistik vermag ihren Anspruch, die Kriminalitätswirklichkeit darzustellen, nur unter der statistisch nicht überprüfbaren, rein spekulativen Voraussetzung einzulösen, dass eine konstante Beziehung zwischen der erfassten und der statistisch nicht erfassbaren Kriminalität existiert. Dies wurde später das „Gesetz der konstanten Verhältnisse“ genannt14. Es dauerte über hundert Jahre, bis mit dem Aufkommen einer systematischen Dunkelfeldforschung die spekulative Annahme einer Entsprechung von Hell- und Dunkelfeld überprüft und widerlegt werden konn13 14

QUÉTELET 1921, 253 WADLER 1908,15

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te. Ein zentraler Ertrag der Dunkelfeldforschung besagt, dass das in Bevölkerungsbefragungen aufscheinende Dunkelfeld, bestehend aus Berichten über selbst verübte Kriminalität und kriminelle Opfererfahrungen, sich in vielerlei Weise vom Hellfeld der statistisch erfassten Kriminalität unterscheidet15. Freilich tritt nun die Dunkelfeldforschung mit dem Anspruch auf, die empirische Realität der Verbrechenswirklichkeit abzubilden16. Diesen Anspruch zu erheben, erscheint geradezu zwingend, wenn man die Dunkelfeldforschung als eine Prüfinstanz der Nähe statistischer Befunde zur Realität des Kriminalitätsgeschehens versteht: Die Wirklichkeitsentsprechung der Kriminalstatistik lässt sich nur mit Befunden widerlegen, welche ihrerseits behaupten, in ihren Ergebnissen die Verbrechenswirklichkeit wiederzugeben. In der Annahme der Wirklichkeitsentsprechung ihrer Befunde erweisen sich somit beide „große“ Forschungsrichtungen der empirisch-quantitativen Kriminalitätsforschung als verblüffend ähnlich – aber auch gleichermaßen angreifbar: Es liegt auf der Hand, dass die Dunkelfeldforschung nur ans Licht bringt, was in Befragungssituationen berichtet wird. Demnach verbleibt ein „doppeltes“ Dunkelfeld17 der nicht berichteten Kriminalität, welches auch der Dunkelfeldforschung verborgen bleibt. Um auf dem Anspruch Vgl. etwa KUNZ 2004, 291 ff. Besonders prononciert etwa KILLIAS 2006, 8: «Depuis l`avènement des sondages de victimisation et de délinquance autoreportée et de leur continuel perfectionnement au fil des trente dernière années, la criminologie dispose pour la première fois dans son histoire des moyens pour déterminer si, par exemple, la hausse des infractions répertoriées dans les statistiques policières reflète une tendance accrue chez les victimes à dénoncer les infractions subies aux autorités, ou si ces tendances correspondent bon ou mal an à une évolution réelle de la criminalité. De même, les clivages entre pays et régions peuvent, pour la première fois depuis Quételet, non seulement être décrits, mais véritablement validés et analysés. Les sondages de délinquance autoreportée permettent de saisir la distribution de la délinquance à travers la population en général et les classes d`âges jeunes en particulier. … En somme, ces données permettent enfin de comprendre les différences et de tester toutes sortes de théories en les confrontant aux réalités empiriques, ce qui a sans doute contribué à augmenter sensiblement la somme de connaissances de la discipline» 17 KUNZ 2004, 280 15 16

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bestehen zu können, die Kriminalität realitätsgetreu abzubilden, muss nun die Dunkelfeldforschung von der mit ihrem Instrumentarium nicht überprüfbaren, rein spekulativen Annahme ausgehen, dass zwischen der Kriminalität im Dunkelfeld und derjenigen im unerkannt bleibenden doppelten Dunkelfeld eine konstante Beziehung besteht. Das der Kriminalstatistik überhaupt erst einen kriminalitätsbezogenen Sinn verleihende „Gesetz der konstanten Verhältnisse“ wird so auf die Dunkelfeldforschung übertragen. Auch sie erlaubt Aussagen über „wirkliche“ Kriminalität nur unter der unüberprüfbaren Annahme einer konstanten proportionalen Beziehung ihrer Befunde zur Kriminalitätswirklichkeit. Nur wenn sich der Gültigkeitsbeweis des „Gesetzes der konstanten Verhältnisse“ für das Verhältnis zwischen dem Dunkelfeld als Aggregat der Forschung und dem für die Forschung unerreichbaren doppelten Dunkelfeld erbringen ließe, ließe sich von der Struktur des in Dunkelfeldforschungen abgebildeten Dunkelfeldes auf die Kriminalität insgesamt schließen. Nur dann ließe sich der Anspruch aufrechterhalten, vermittels dieser Forschungen das tatsächliche Kriminalitätsvorkommen wirklichkeitsentsprechend darzustellen. Dagegen spricht bereits der Zugang zum Dunkelfeld durch Befragung von Laien über Kriminalitätswahrnehmungen. Dem laienhaften Wahrnehmungshorizont zugänglich sind regelmäßig nur Geschehnisse, welche auf einer individuellen Täter-Opfer-Beziehung beruhen und sich durch einfache Beobachtung relativ eindeutig als strafbar bestimmen lassen. Regelmäßig verschlossen bleiben der Dunkelfeldforschung deshalb Vorgänge, deren Strafbarkeitsbestimmung spezielle Instrumente oder Sonderwissen (etwa besondere wirtschaftliche Kompetenz) erfordert, die Laien verborgen bleiben (Vorgänge in den Chefetagen, an der Börse, in organisierten Machtapparaten), deren Gemeingefahr sich noch nicht zu einer individuellen Gefährdung konkretisiert hat (Umweltgefährdungen) oder die sich gegen nicht-individuelle Opfer (Warenhäuser, Banken) richten. Der methodenbedingte Fokus auf Berichte über „klassische“ Vorsatzdelikte nach dem Muster von Diebstahl und Körperverletzung lässt eine Kongruenz des durch Forschung ans Licht gebrachten

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Dunkelfeldes mit dem doppelten Dunkelfeld höchst zweifelhaft erscheinen. Die vorläufige Bilanz dieser Überlegungen lautet, dass weder die Kriminalstatistik noch die Dunkelfeldforschung mit dem ihnen jeweils zur Verfügung stehenden methodischen Rüstzeug zu belegen vermögen, ob die von ihnen ermittelten Datenbestände der Kriminalitätswirklichkeit entsprechen. Beide Erkenntnismethoden können, auch in Verbindung miteinander, nur fragmentarische Aussagen über die Kriminalität als Realphänomen machen. Dabei bleibt prinzipiell offen, ob das, was gemessen wird, in einer proportionalen Beziehung zur Verbrechenswirklichkeit steht und damit überhaupt Rückschlüsse auf diese zulässt. Für viele Kriminologen und kriminalistische Praktiker, aber auch für die Öffentlichkeit, die Medien und die Kriminalpolitiker, die gewohnt sind, auf Befunde der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung zurückzugreifen, mag diese Bilanz geradezu atemberaubend gewagt erscheinen. Wenn beide quantitativen Forschungszweige weder die Totalsumme der Kriminalität noch das Verhältnis ihrer Befunde zu dieser Gesamtmenge zu bestimmen vermögen, dürfte alles, was wir über die Zählbarkeit von Kriminalität zu wissen glaubten, auf Treibsand bauen. Versuchen wir deshalb, unsere wahrlich kühne These nochmals in einfacheren Worten zu erläutern, indem wir sie in eine fiktive Geschichte kleiden: Es waren einmal zwei Besitzer eines Fischteichs, die ihren Teich leerfischen und dabei den Bestand der im Teich vorhandenen Raubfische bestimmen wollten. Zu diesem Zweck warfen sie jeden Abend ihr Netz und zählten und bestimmten die Art der so gefangenen Fische. Wochen danach war der eine Besitzer überzeugt, alle Raubfische des Teichs im Netz gefangen zu haben. Der andere Besitzer nahm an, dass, falls sich trotzdem noch Fische im Teich befinden sollten, man sich auf Grund der Fänge jedenfalls eine gute Vorstellung davon verschaffen könne, welche Fischarten im Teich verblieben waren und wie häufig die einzelnen Fischarten im Vergleich zu anderen im Teich vorkommen würden. Wenn der Netzfang etwa einen Ertrag von vier Fünfteln Karpfen und einem Fünftel Raubfischen, darunter doppelt so viele Forellen wie Hechte, er-

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gäbe, sei zu vermuten, dass dieses Verhältnis auch bei Entleerung des Teichs vorzufinden sei. Als die beiden das zwei Freunden berichten, lächeln diese überlegen. Der erste Freund entgegnet, dass das Netz Maschen habe, durch die alle Fische, die dünner sind als diese, entschlüpfen. Über die vom Netz nicht erfassten Fische könne der Fang mit dem Netz nichts aussagen. Der erste Freund meint, es bliebe darum nichts anderes übrig, als das Wasser des Teichs abzulassen, um sämtliche Raubfische des Teichs zu ermitteln. Der zweite Freund kommentiert auch diese Bemerkung mit einem skeptischen Blick. Er wendet ein, dass es neben den im Netz gefangenen und den nach Entleerung des Teichs vorgefundenen Fischen noch eine dritte Gruppe von Fischen gibt, die sich beim Entwässern des Teichs in den Schlick des Bodens zurückziehen und dort nicht aufgespürt werden können. Freilich sei anzunehmen, dass die unerkannt bleibenden Fische im Schlick den bei Ablassen des Wassers auf dem Teichgrund vorgefundenen Fischen in Arten und relativer Häufigkeit entsprächen. Diese Annahme sei erst recht naheliegend, falls sich bereits hinsichtlich der ermittelten Fischarten bei Netzfang und bei Entleerung des Teichs eine solche Entsprechung ergäbe. Die Geschichte des Teichs lässt sich unschwer in unseren Kontext übersetzen: Die Fische repräsentieren eine Bevölkerungspopulation, die Raubfische die darin vorkommenden Kriminellen, die Besitzer des Teichs sind die strafrechtlichen Kontrollinstanzen, die Aufstellung der ins Netz gegangenen Raubfische ist die Kriminalstatistik und die nach Ablassen des Wassers vorgefundenen Raubfische ergeben die Kriminalität im Dunkelfeld18. Gewiss ist die Geschichte nicht vollständig auf das Kriminalitätsthema übertragbar. Die beschreibende Systematisierung der Tiergattung Fisch mit ihren Untergliederungen stützt sich auf beobachtbare biologische Eigenarten dieser Tiere ab. Hingegen ist die Charakteristik 18 Zu berücksichtigen ist freilich, dass in Kriminalstatistiken und Dunkelfeldstudien Berichte über Kriminalitätswahrnehmungen erfaßt werden, die sich nicht auf Personen, sondern auf Handlungen beziehen. Hier stösst das Gleichnis unserer Geschichte an seine Grenzen

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der Gattung Kriminalität rein normativ bestimmt: sie weist keine naturhaft gegebene beobachtbare Besonderheit gegenüber regelkonformem Verhalten auf. Freilich birgt die Gattungsbezeichnung des „Raubfischs“ eine nicht rein biologisch begründbare normative Komponente, die dem Wertungsbegriff des Kriminellen ähnelt. Die Charakterisierung als Räuber schreibt dem damit Gemeinten eine negative Eigenschaft zu und legitimiert seine Bekämpfung. Was einen Räuber ausmacht, ist wie beim Feind19 nicht inhaltlich klar, sondern weitgehend von der Bewertungsperspektive des Beurteilenden abhängig. Damit stellen sich bei der Definition des Raubfischs hinsichtlich der Kriterien und der Konsequenzen dieser Definition ähnliche Fragen wie bei der Bestimmung des Kriminellen, etwa: Wer bestimmt wie, was Raubfische sind? Sollen diese soweit wie möglich bekämpft werden oder sind sie sogar begrenzt nützlich, um das Ökosystem zu erhalten? Die Überzeugung des ersten Besitzers, nach sorgfältigem Abfischen alle Raubfische im Netz gefangen zu haben, entspricht der bereits von QUÉTELET als naiv erkannten Annahme, die Kriminalstatistik sei ein vollständiges Zahlenwerk über Kriminalität. Diese Annahme ist widerlegt, wenn nach Ablassen des Wassers weitere Raubfische vorgefunden werden, die nicht ins Netz gegangen sind. Dies wird in einer „offenen“ Gesellschaft stets der Fall sein: Nur unter Zugrundelegung einer totalitären Ideologie ließe sich das Ideal einer „gläsernen“ Gesellschaft vertreten, in der das Netz der förmlichen Sozialkontrolle lückenlos ist und alles verdächtige Verhalten aufspürt. Schon im normativen Programm eines individuelle Freiheiten respektierenden Gemeinwesens, und erst recht in seiner faktischen Umsetzung, ist die Strafverfolgung lückenhaft, so dass das von den Verfolgungsinstanzen wahrgenommene und verfolgte Verhalten stets nur einen Teil des eigentlich zu verfolgenden Verhaltens bildet. Desgleichen lässt sich die – der Auffassung QUÉTELETS entsprechende – Annahme des zweiten Besitzers, die Arten und die relative Artenhäufigkeit der mit dem Netz gefangenen Fische entsprächen denjenigen im

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Zur inhaltlichen Beliebigkeit des Feindbegriffes in verräterischer Klarheit SCHMITT 1932

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Teich, durch die Dunkelfeldforschung vermittels Ablassen des Wassers widerlegen: Ähnlich wie das Netz die Fische durch die Struktur seiner Maschen selektiert, sind die in der Kriminalstatistik „gefangenen“ Vorgänge durch die selektive Meldebereitschaft der Bevölkerung und selektive Kontrollpraktiken der Instanzen gefiltert. Folglich ist es nicht zulässig, von dem Hellfeld des in der Kriminalstatistik präsentierten Fangs an Raubfischen Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des nach dem Abfischen im Teich verbleibenden Dunkelfeldes zu ziehen. Während diese Schlussfolgerungen in der heutigen Kriminologie weithin akzeptiert sind, verdient die Annahme des ersten Freundes, durch Ablassen des Wassers ließen sich sämtliche Fische des Teichs ermitteln, eine genauere Prüfung. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass – Zu- und Abgänge außer Betracht gelassen – der ursprünglich im Teich befindliche Fischbestand sich aus der Summe der gefangenen und der nach Ablassen des Wassers vorgefundenen Fische zusammensetzt. Die Gesamtsumme kriminellen Verhaltens scheint sich demnach aufzuteilen in solches, welches amtlich registriert und verfolgt wird20 und kriminelles Verhalten, welches von den Instanzen unbemerkt bleibt. Als quantifizierbare Ausprägungen der abhängigen Variable Kriminalität werden folglich zum einen die in einer Kriminalstatistik aufbereiteten amtlichen Registrierungen von Kriminalität verstanden. Eine zweite Aggregation von Variablen für Kriminalität wird in den in Dunkelfeldforschungen demoskopisch erhobenen Angaben über Opferschaft und Täterschaft erblickt. Mit beiden Datenmengen verbindet sich die Vorstellung, dass darin kriminelles Verhalten erfasst wird, welches sich in das „Hellfeld“ der registrierten Kriminalität und das „Dunkelfeld“ des den Instanzen nicht bekannt werdenden kriminellen Verhaltens aufteilt. Zudem wird verbreitet angenommen, dass die Summe von Hell- und Dunkelfeld die Gesamtmenge kriminellen Verhaltens bildet.

20 Hier läßt sich etwa weiter unterscheiden, ob das Verhalten abgeurteilt und verurteilt wird und zur Einweisung in den Strafvollzug führt

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Nun wendet der zweite Freund mit Recht ein, das Abfischen und das Entleeren des Teichs böten keine Sicherheit dafür, wirklich sämtliche Raubfische erfasst zu haben: Gefangen wird bestenfalls, was die Fangtechniken zulassen. Da beide Techniken ungeeignet sind, um Fische aufzuspüren, die sich in den Schlick zurückgezogen haben, ist mit dieser nicht ganz unwahrscheinlichen Möglichkeit zu rechnen und damit die Annahme des ersten Freundes widerlegt. Es ist also davon auszugehen, dass die Datenbestände der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung sogar zusammen genommen zur Bestimmung von Ausmaß und Struktur des kriminellen Verhaltens unvollständig sind. Die Gesamtmenge kriminellen Verhaltens ergibt sich nach der Vorstellung des zweiten Freundes aus der Summe von drei Teilmengen: Dem „Hellfeld“ der registrierten und statistisch dokumentierten Kriminalität, dem Feld der von der Dunkelfeldforschung erfassten von der Bevölkerung berichteten Kriminalität und schließlich dem „doppelten“ Dunkelfeld, welches auch der Dunkelfeldforschung verborgen bleibt. Der zweite Freund meint, aus der Struktur des Dunkelfeldes könne auf diejenige des „doppelten Dunkelfeldes“ geschlossen werden. Zumindest sei jenes „doppelte“ Dunkelfeld mehr oder weniger gut bestimmbar, wenn sich ergäbe, dass die Inhalte von Kriminalstatistiken und Dunkelfeldforschungen sich hinsichtlich der Häufigkeitsverteilungder ermittelten Delikte der ermittelten Delikte ähnlich seien. Dann sei nämlich anzunehmen, dass diese Häufigkeitsverteilung auch in dem „doppelten“ Dunkelfeld bestehe. Auch diese Annahme ist offensichtlich unbegründet: Die Ergebnisse von Kriminalstatistiken und Dunkelfeldforschungen gestatten nur Aussagen über die mit ihrem methodischen Instrumentarium zugänglichen Untersuchungsfelder. Das damit nicht erschließbare „doppelte“ Dunkelfeld der als Kriminalität wahrgenommenen Vorgänge, die weder der Polizei noch in Dunkelfeldforschungen berichtet werden, dürfte wegen der mangelnden Bereitschaft von Betroffenen und Beteiligten zur Offenbarung darüber spezifische Inhalte besitzen. Jedenfalls ist es nicht statthaft, aus einer etwaigen Ähnlichkeit der Strukturen des Hellund des Dunkelfeldes spekulierend auf eine ähnliche Beschaffenheit so-

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gar des „doppelten“ Dunkelfeldes zu schließen21. Bei einem solchen Schluss handelt es sich um einen klassischen induktiven (naturalistischen) Fehlschluss, also eine Verwechslung von Akzidens mit Wesenhaftigkeit. Da das „doppelte“ Dunkelfeld als der dritte Teil der Gesamtmenge kriminellen Verhaltens mit den verfügbaren Methoden der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung nicht wissenschaftlich auslotbar ist und sozusagen ein schwarzes Loch bildet, bleibt auch die Gesamtmenge kriminellen Verhaltens in Ausmaß und Struktur unbekannt. Mangels Nachweisbarkeit eines konstanten Verhältnisses zwischen bekannter und unbekannter Kriminalität sind alle Rückschlüsse von der bekannten Kriminalität auf die Gesamtmenge kriminellen Verhaltens spekulativ. Beziehungen zwischen der bekannten Kriminalität und der Gesamtkriminalität lassen sich, da letztere unbekannt bleibt, nicht herstellen. Versuchen wir, jenen Gedanken noch etwas allgemeiner zu fassen: Die thematisch auf mengenmäßig bestimmbares kriminelles Verhalten ausgerichtete quantitative empirische Kriminalitätsforschung wählt einen Untersuchungsgegenstand, welcher in seiner Gesamtheit einer Beobachtung und Messung nicht zugänglich ist. Um dennoch sinnvolle Aussagen über diesen Gegenstand machen zu können, muss sie unterstellen, dass die mit den verfügbaren quantitativen Erhebungsinstrumenten der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung ermittelbaren Daten in einer linearen Beziehung zur unbekannten Gesamtmenge des Untersuchungsgegenstandes stehen, also einen proportionalen Anteil der Gesamtmenge kriminellen Verhaltens bezeichnen, welcher Rückschlüsse auf Bestand und Inhalt der Gesamtmenge zulässt. Damit wird suggeriert, dass die in amtlichen Registrierungen und Dunkelfeldforschungen aggregierten Daten zwar nicht mit „wirklicher“ Kriminalität völlig identisch sind, aber

21

So aber tatsächlich AEBI 2006, 17 f., 19, 71, 261, 265 ff., 267

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doch mehr oder weniger verlässliche Indikatoren für das Gesamtphänomen kriminellen Verhaltens darstellen22. Mit dem unscharfen Begriff des „Indikators“ ist eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Gemessenen und etwas nicht Gemessenen gemeint, welche aus dem Bekannten Rückschlüsse auf das Unbekannte erlauben soll. Solche Rückschlüsse setzen eine analogische Entsprechung zwischen Bekanntem und Unbekanntem voraus, welche belegt und begründet werden muss, um nicht einem induktiven Fehlschluss zu verfallen. So ist ein Thermometer ein Indikator der Lufttemperatur, weil die Höhe seiner Quecksilbersäule beginnend von einem Nullpunkt mit der Außentemperatur empirisch nachweisbar linear ansteigt. Kriminalstatistische und dunkelfeldspezifische Befunde besitzen wie das Quecksilber im Thermometer eine Entsprechung zu einer Realität, welche unabhängig von ihnen existiert. Sie sind also in diesem Sinne „Indikatoren“. Die Frage ist nur, wofür. Die Wirklichkeit, auf die sich die Kriminalstatistik und die Dunkelfeldforschung beziehen, ist eine andere als kriminelles Verhalten. Die Kriminalstatistik ist in Wahrheit eine Kriminalitätskontrollstatistik, die Vorgänge der Strafverfolgung in einem Raster von Delikts- und Täterkategorien erfasst. Sie dokumentiert, in strafrechtliche Kategorien unterteilt, was den Strafverfolgungsorganen „ins Netz“ ging. Die Dunkelfeldforschung besteht hingegen in demoskopischen Befragungen über Erlebnisse, welche in der Laienperspektive als kriminell bestimmt wurden. Die Kriminalstatistik ist demnach ein Indikator für Art, Häufigkeit und InSo ausdrücklich AEBI 2006, 12, 116, 267: «Nous partons d`une hypothèse corroborée par la plupart des chercheurs qui ont étudié de manière empirique le problème, à savoir que les principaux indicateurs officiels – données de police et du casier judiciaire – et non officiels de la criminalité – sondages de délinquance autoreportée – sont relativement valides, c`est à dire qu`ils mesurent tous le phénomène criminel, mais avec différentes limitations. … La validité d`un indicateur de la criminalité peut être défini comme son aptitude à mesurer efficacement le phénomène criminel. … Notre résultat le plus intéressant dans ce contexte est sans doute que les données officielles sont relativement valides. En effet, les données empiriques montrent que les personnes contactées plus fréquemment par la police sont précisément celles qui avouent être le plus impliquées dans la délinquance»

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tensität der Strafverfolgungstätigkeit, die Dunkelfeldforschung ein Indikator für das laienhafte Kriminalitätsverständnis und das Bedrohungsempfinden der Bevölkerung. Beide Messinstrumente beziehen sich weder auf das reale Kriminalitätsvorkommen noch messen sie dasselbe. Hier findet unser bildhafter Vergleich definitiv sein Ende: Während es in der Geschichte des Teichs stets um Fische geht, „fischen“ Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung unterschiedliche Phänomene. Das Kuriosum, dass Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung nicht das erfassen, was sie zu erfassen scheinen (also in diesem Sinne nicht inhaltsvalide sind), ist keine Besonderheit der quantitativen Kriminalitätsforschung. Auch Intelligenztests messen nicht „Intelligenz“, sondern Variablen, die in erster Linie Erinnerungsvermögen, Sitzfleisch oder Bildungsstand ausdrücken. Der Grund dafür, dass das tatsächlich Gemessene hier wie dort von dem angestrebten Messobjekt abweicht, besteht schlicht darin, dass Kriminalität und Intelligenz, Aggressivität oder Ängstlichkeit nicht als Tatsächlichkeit einer wissenschaftlichen Prüfung unmittelbar zugänglich sind. Es handelt sich dabei vielmehr um abstrakte Begrifflichkeiten23, die im Alltagsverständnis vieldeutig und verschieden interpretierbar sind. Die Begriffe drücken Sammelbezeichnungen für eine unbestimmte Anzahl von Realphänomenen aus, die von verschiedenen Subjekten unter einem je bestimmten Blickwinkel als artgleich gekennzeichnet und der Sammelbezeichnung zugeordnet werden. Die begriffliche Bedeutung dieser Konzepte muss zunächst aus dem facettenreichen Alltagsverständnis destilliert, mit Blick auf relevante Fragestellungen in einen theoretischen Zusammenhang gebracht und auf die Instrumente der methodischen Überprüfung zugerichtet werden. Beim Abfischen mit dem Netz und beim Ablassen des Wassers werden zweifellos natürliche Objekte, nämlich: Fische vorgefunden, die mit unseren Sinnesorganen wahrgenommen werden können, indem wir sie betasten, daran riechen und sie essen. Kriminalität ist uns hingegen nicht wie

Zu begrifflichen Generalisierungen als Gegenstand der Sozialwissenschaften CICOUREL 1974, 13 23

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ein natürliches Objekt unmittelbar vorgegeben. Um Kriminalität zu bestimmen und zu analysieren, muss man sich zuvor eine Vorstellung davon bilden, und was man sodann bestimmt und analysiert, ist genau besehen nicht Kriminalität, sondern die wertende Vorstellung darüber. Dies ist nicht nur bei der wissenschaftlichen Beobachtung, sondern prinzipiell bei jeder Wahrnehmung von Kriminalität der Fall: sie wird nicht einfach als sinnlich wahrnehmbares Objekt gesehen, sondern es wird etwas gesehen, das sodann mit einem bestimmten Hintergrundwissen als Kriminalität verstanden und dementsprechend interpretiert wird. Deshalb beobachtet der Forscher Kriminalität nicht wie der Teichbesitzer die Fische im Wasser, sondern macht sich Vorstellungen über etwas, das ihm allein als Produkt der bewerteten Vorstellungswelt des gesellschaftlichen Umfeldes zugänglich ist. Kriminalität zu bestimmen heißt, sich Deutungen von gesellschaftlichen Deutungen von Kriminalität zu bilden. Im Grunde ist es ganz einfach: Die Kriminologie ist kein Spiegel der Kriminalität. Sie bildet Kriminalität nicht ab, sondern verständigt sich mit der Gesellschaft über dieses Thema, indem sie sich die Kriminalitätsverständnisse partikularer gesellschaftlicher Akteure erschließt und dadurch die Vielfalt möglicher Verständnisse bewusst macht. Stets werden Bilder interpretierend reproduziert und als neuerlich vorstellungsbildende Imagination der gesellschaftlichen Verständigung darüber ausgesetzt. Die Wissenschaft kann sich in diesem gesellschaftlichen Diskurs über Kriminalität mit „nützlicher Besserwisserei“ hervortun, indem sie etwa der „Einkapselung“ des Problemfeldes Kriminalität in gängige Clichés entgegen wirkt und auf die theoretischen Defizite der mit praktischem Gebrauchsnutzen verbundenen quantitativen Datenauswertung hinweist. So wie nach RICHARD RORTY die Philosophie nicht nach objektiver Wahrheit suchen, sondern das Gespräch darüber in Gang halten sollte, sollte die Kriminalitätsforschung bestrebt sein, dem Gespräch über Kriminalität neue Wendungen zu geben: „Ihr Ziel bleibt das eine: sie erfüllt die soziale Funktion, die Dewey das «Sprengen der Kruste von Konventionen» genannt hat; sie sucht zu verhindern, dass der Mensch sich selbst

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täuscht und glaubt, er kenne sich oder das andere anders als jeweils unter einer fakultativen Beschreibung“24. Der Begriff „Kriminalität“ dient zur Vergewisserung der Grenze zwischen öffentlicher Toleranz und förmlich sanktionierender Missbilligung, welche sich im sozialen Wandel verschiebt und für jede geschichtlichgesellschaftliche Situation in ihrer Einmaligkeit neu zu fixieren ist. Die jeweiligen Inhalte des Grenzbegriffes Kriminalität geben über die jeweilige gesellschaftliche Befindlichkeit Auskunft – also über etwas, was man im frühen 19. Jahrhundert „l` état moral de la nation“ zu nennen pflegte25. Insofern ist „Kriminalität“ ein gesellschaftstheoretischer Begriff, dessen Konturen als Metaphern26 eines je bestimmten Gesellschaftsbildes zu verstehen sind. In dieser theoretischen Bedeutung bleibt „Kriminalität“ eine latente, nicht direkt beobachtbare Größe, die sich von der Gesamtzahl der in einem bestimmten Raum-Zeit-Gebiet festgestellten strafrechtlichen Gesetzesverstöße unterscheidet. Für eine sozialwissenschaftlich orientierte Kriminologie ist Kriminalität in diesem Sinne als gesellschaftstheoretische Kategorie, nicht als Summe kriminell definierten Verhaltens von Interesse. Jenes spezifisch sozialwissenschaftliche Erkenntnisinteresse kommt in der Suizidforschung von EMILE DURKHEIM27 exemplarisch zum Ausdruck, indem DURKHEIMS Analyse sich nicht eigentlich auf den Suizid als in seiner Häufigkeit bestimmbares singuläres Vorkommnis, sondern auf die „Suizidalität“ einer Gesellschaft bezieht. In der Folge werden wir genauer zu belegen haben, dass die kriminalstatistische und die dunkelfeldbezogene Forschung nicht auf kriminelles Verhalten, sondern auf Interpretationen dessen aus den Wahrnehmungsperspektiven verschiedener sozialer Akteure bezogen sind. Die Kriminalstatistik rekonstruiert die gesellschaftliche Deutung von Kriminalität durch registerführende Instanzen der strafrechtlichen Kontrolle,

RORTY 1981, 410 DE STAËL 1802 26 RICOEUR 1981, 165 ff. 27 DURKHEIM 1973 24 25

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die Dunkelfeldforschung deutet die gesellschaftliche Deutung von Kriminalität durch ausgewählte befragte Bevölkerungskreise, die in der Befragungssituation in die Rolle potentieller Opfer oder Täter versetzt worden sind. Beide Forschungsrichtungen studieren unterschiedliche Phänomene, welche beide nicht kriminelles Verhalten, sondern Interpretationen dessen aus den verschiedenartigen Wahrnehmungsperspektiven von Instanzen und Bevölkerung darstellen. Kriminalität ist, mit anderen Worten, keine beobachtungsunabhängige Eigenschaft von Handlungen, die gleichermaßen mit Mitteln der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung bestimmt und gezählt werden könnte. Die Frage, ob die Kriminalität zugenommen habe, wie dies stets und überall erwartet zu werden scheint, lässt sich folglich nicht seriös beantworten. Messen lässt sich die Registrierungshäufigkeit von Vorfällen, welche zur Eröffnung einer Strafuntersuchung führen. Desgleichen lassen sich Angaben Befragter zu Opferschaft, krimineller Betätigung und Sicherheitsgefühl erheben. Doch der Verbund von Politik, Massenmedien und Öffentlichkeit interessiert sich vorab für die Kriminalität als solche: Ungeschminkte, harte Zahlen ohne relativierendes Brimborium und methodischen Schnickschnack. Warum interessiert man sich für eine Frage, die sich seriös nicht beantworten lässt? Vermutlich, weil man mit einer den Erwartungen eines Kriminalitätszuwachses entsprechenden Antwort „politisieren“, also öffentliche Aufmerksamkeit herstellen, Stimmungen evozieren und Einstellungen prägen kann. Das Thema Kriminalität präsentiert sich heute scheinbar unpolitisch, insofern ein vorgeblich neutrales Risikomanagement sich mit einer allseits geteilten Grundstimmung nach mehr Sicherheit verbindet. Tatsächlich jedoch ist das „K-Thema“ ein Trendsetter für andere Politikthemen. Einerlei ob Sozial-, Medien- oder Rechtspolitik: Aus dem Verständnis von Kriminalität und des Umgangs mit ihr ergeben sich wie von selbst die inhaltlichen Konzepte anderer Politiksparten. Nirgends sonst lassen sich persönliche Grundhaltungen so knapp und markant ausdrücken wie bei der Empfehlung zu einem bestimmten Umgang mit Kriminalität. Und wie sonst nirgends lässt sich Meinungsfüh-

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rerschaft und damit persönlicher politischer Mehrwert so rasch und unaufwendig herstellen wie mit einer öffentlichen Inszenierung, die den besorgten Blick auf die ansteigenden Kriminalitätszahlen mit dem dezidierten Ruf nach Recht und Ordnung verbindet. Die praktischen Konsequenzen des Nichtwissens um die „wirkliche“ Struktur und Entwicklung des Kriminalitätsvolumens sind klärungsbedürftig. Die Diagnose, dass Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung zur Bestimmung der „wirklichen“ Kriminalität nichts beitragen, wird den Anbietern und Nachfragenden nach Informationen über die Verbreitung von Kriminalität nicht behagen. Sie werden sie deshalb mit der pragmatischen Attitude derer, die sich gegen praxisferne Spitzfindigkeit wenden und sich mangels Besserem mit bloßen annäherungsweise zutreffenden Indikatoren zufrieden geben, bezweifeln. Wenn man, mit mir, im Interesse der wissenschaftlichen Aufrichtigkeit eine Dekonstruktion von Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung als die vermeintliche bipolare Wissensbasis über Kriminalität für notwendig erachtet, mag man damit Irritationen, Missverständnisse und Feindschaften auslösen. Viel schwerwiegender und belastender ist der Umstand, dass man damit der Kriminalpolitik eine Legitimationsbasis zu entziehen scheint, auf der diese seit langem operierte. Die Vorstellung, kriminalpolitische Entscheidungen so weit wie möglich „rational“ treffen zu können, wenn man sich nur mit Daten aus Statistiken und Bevölkerungsbefragungen hinreichend über die quantitative Verbreitung von Kriminalitätserscheinungen informieren und durch solche empirisch gesicherte Befunde leiten ließ, entsprach dem Grundkonzept der Kriminalpolitik der Moderne. Eben dieses verliert seine Gültigkeit, falls unsere Diagnose zutrifft. Dann fragt es sich, woran sich Kriminalpolitik überhaupt noch vernünftigerweise ausrichten kann. Dies wird uns am Ende dieses Essays beschäftigen (Kap. 13). Vorerst gilt es, den Faden unserer wissenschaftstheoretischen Analyse zu spinnen und dabei die Vorstellung eines gleichsam „dinglichen“ Vorhandenseins von Kriminalität einer Art Spektralanalyse zu unterziehen. Dazu werden wir in zunächst begründen, weshalb sozialwissenschaftli-

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che Erkenntnis stets perspektivengebunden und vom Zeitgeist geprägt ist (Kap. 2, 3). Sodann gilt es darzulegen, dass die sozialwissenschaftliche Kriminalitätsforschung mehrheitlich diese notwendige Perspektivengebundenheit methodologisch verdrängt und einem positivistischen Erkenntnismodell zu folgen versucht, welches dem Objektivitäts- und Exaktheitsideal der Naturwissenschaften nachgebildet ist (Kap. 4 bis 6). Die auf dieser Basis erarbeiteten Wissensbestände der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung scheinen die kriminelle Wirklichkeit objektiv darzustellen, wobei sie in Wahrheit nur perspektivische Eindrücke bestimmter sozialer Akteure davon wiedergeben. Die Verwechslung des kriminellen Handlungsgeschehens mit seiner Wahrnehmung ignoriert die Begrenztheit von Sichtfeldern und schafft eine Vielzahl methodischer Probleme (Kap. 6, 7). Eine Alternative zu positivistischen Zugangsversuchen zur Kriminalität eröffnet sich mit dem Gebot der Gegenstandsadäquanz sozialwissenschaftlichen Beobachtens (Kap. 8). Dem interpretativen Paradigma und seinen methodischen Ausformulierungen folgend (Kap. 9), werden wir ein Verständnis von Kriminalität als „Bedeutungsknoten“ vorschlagen, dem von verschiedenen sozialen Akteuren unterschiedliche, miteinander konkurrierende Inhalte zugewiesen werden (Kap. 10, 11). Dieses Verständnis führt zu einer Bestimmung der Kriminologie als Kulturwissenschaft (Kap. 12). Zur Begründung meiner Ideen zur Erkennbarkeit von Kriminalität (und damit von sozialen Phänomenen schlechthin) werde ich ungewöhnlich häufig auf Begriffe aus der Theorie der Malerei zurückgreifen: Es wird von Bild, Perspektive, Spiegel, Rahmen und Rahmung die Rede sein. Dazu haben mich die „Begegnungen“ von DANIEL ARASSE mit großen Malern28 inspiriert. Denn in der Tat bezieht sich die wissenschaftliche Wahrnehmung von Kriminalität stets auf ein Bild von einem Geschehen, das im Augenblick des Wahrnehmens nicht mehr präsent ist. Die Wahrnehmung richtet sich auf ein Bild, welches etwa in einer Kriminalstatistik zum Ausdruck kommt und die Kriminalität repräsentieren soll. Dabei ist die bildliche Reproduktion so wenig „realistisch“ wie die Malerei vor 28

ARASSE 2006

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COURBET29. Bilder übersetzen Realität in eine zweidimensionale gerahmte Darstellung. Die bildliche Darstellung arrangiert das Dargestellte in einer Szene, die von dem Maler und nicht von den Akteuren des dargestellten Geschehens stammt. Die Szene setzt sich mit früheren Inszenierungen derselben Thematik auseinander. Das Kriminalitätsbild der Kriminalstatistik etwa beruht im Wesentlichen auf den Kriminalitätsbildern der Anzeige Erstattenden, die bei der Anzeige ihrerseits Bilder aus den Medien präsent haben. So wie die Malerei mit Malerei beladen ist30, ist die Wahrnehmung von Kriminalität mit Bildern über Kriminalität beladen. Die besondere Raffinesse des Gemäldes von DIEGO VELÁZQUEZ „Die Hoffräulein“ (las meninas), mit dem MICHEL FOUCAULT sich eingehend auseinandersetzte31, zeigt mit dem nur im Spiegel sichtbaren Königspaar, dass Bilder nicht einfach nur Repräsentationen von Wirklichkeit sind, sondern mitunter sogar Repräsentationen von Repräsentationen (hier in der klassischen Form des Spiegels). Fern einer naturalistischen Reproduktion reflektiert der Spiegel bei VELÁZQUEZ eine Vorstellung davon, wer das Bild betrachtet – und lehrt damit, dass es in einem kulturell überformten gesellschaftlichen Kontext prinzipiell nicht um Wahrnehmung als getreuliche Erfassung von Gegebenem, sondern um Spiegelung eines in der Vorstellung geschaffenen Bildes geht. Bilder verlangen die Einnahme eines bestimmten Standpunktes der Betrachtung. Sie können nicht rein objektiv beobachtet werden, weil die Beobachtung über memorierte Bilder im Hinterkopf statt findet, wobei die sinnliche Wahrnehmung mit Assoziationen verknüpft wird. Die perspektivische Wahrnehmung aus einem bestimmten Vorverständnis heraus ist bei der Betrachtung kultureller und sozialer Phänomene unvermeidlich. Freilich kann das Bild die Perspektive der Betrachtung begrenzt vorgeben. Der bevorzugte Kunstgriff dafür ist die im Bild selbst festgelegte Perspektive, deren Fluchtpunkt die Position des Auges des Betrach29 Wobei dieser seinen „Realismus“ mit den Worten bestimmt: „Man nennt mich einen Realisten, dann will ich auch realistisch sein!“, vgl. ARASSE 2006, 130 30 ARASSE 2006, 143 unter Berufung auf HUBERT DAMISCH 31 FOUCAULT 2003, 31 ff., kritisch dazu ARASSE 2006, 138 ff.

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ters fixiert. So wie eine Kriminalstatistik die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Aspekte des in ihr reproduzierten Geschehens lenkt und deren mediale Aufbereitung diese Aspekte auf einfache Weise kommensurabel macht, schafft die in der Malerei vorherrschende monofokale Zentralperspektive mit der Bestimmung eines einzigen unbeweglichen Auges einen für jeden leicht einnehmbaren Beobachterstandpunkt32. Vor der Bestimmung der Perspektive muss freilich der Bildausschnitt, in dem die Szene spielt, bestimmt werden. Die rechteckige Rahmung des Geschehens macht die Darstellung vollends zu einem Bild, das unabhängig von dem Dargestellten und getrennt von der sonstigen Realität existiert. So wie bestimmte Sujets von Künstlern sehr verschieden gerahmt werden, existieren im sozialen Kontext unterschiedliche Rahmungen von Kriminalitätsbildern, die mehr oder weniger grell oder unauffällig ausfallen. Die Frage, ob eine bestimmte Rahmung der Wirklichkeit des Dargestellten nahe kommt, stellt sich nicht, da die Funktion des Rahmens gerade darin besteht, das Bild als Wirklichkeit für und an sich zu betonen. Die Verwendung dieser in der Theorie der Malerei geläufigen Begriffe weist nicht zuletzt auf Entsprechungen hin, die zwischen der Kriminologie und sonstigen Kulturwissenschaften bestehen.

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ARASSE 2006, 30, 34 ff.

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Die gesellschaftliche Einbindung sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und das Problem der subjektiven Perspektivengebundenheit

Kriminalität ist keine Chimäre, sondern etwas, von dem man sagen kann: Es ist der Fall. Bezeichnen wir sie – unbefangen ohne naturalistischen Beiklang – als ein gesellschaftliches Realphänomen. Die Erkenntnismöglichkeit eines solchen Phänomens ist dadurch erschwert, dass derjenige, welcher das Phänomen beobachtet, selbst Teil des gesellschaftlichen Ensembles ist, auf das sich die Beobachtung bezieht. Diese Selbstbezüglichkeit der wissenschaftlichen Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität erscheint auf den ersten Blick trivial, insofern die Wissenschaft unvermeidlich Teil der Gesellschaft ist, welche sich mit der Brille der Wissenschaft selbst beobachtet. Die Schwierigkeit ist eine methodische, weil die Notwendigkeit der Beobachtung der Gesellschaft aus einer gesellschaftlichen Binnenperspektive in einen unfruchtbaren Zirkel zu führen scheint, in welchem nur das erkannt wird, was sich dem subjektiven Wahrnehmungshorizont aus seiner situativen Befangenheit erschließt. Wie sollte dabei so etwas wie wissenschaftliche „Objektivität“ möglich sein? Die Unvermeidlichkeit eines am Untersuchungsobjekt teilnehmenden Beobachterstandpunktes schließt eine Objektivität in einem strengen Sinne aus, würde diese doch voraussetzen, dass das Objekt der Beobachtung völlig unabhängig vom beobachtenden Subjekt existierte und nur deshalb von diesem „objektiv“ erkannt werden könnte. Die Sozialwissenschaften sind aber nicht auf einer fernen Galaxie angesiedelt, welche mit ihrem Studienobjekt keine Verbindung aufweist, so dass dieses gleichsam mit dem Teleskop aus großer Distanz beäugt werden könnte. Darum erscheint die zwangsläufige subjektive Perspektivengebundenheit des wissenschaftlichen Beobachtens gesellschaftlicher Vorgänge als ein schwer überwindliches Hindernis wissenschaftlicher Unbefangenheit.

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Der in der Sozialwissenschaft geläufige Begriff des „Beobachtens“ entspricht dem Alltagsverständnis nicht völlig. Im Alltag kann ich sinnlich wahrnehmbare Vorgänge durchaus unvermittelt beobachten: Ich sehe etwa die Sonne und den Mond, wie sie auf- und untergehen. Solche Beobachtungen sind gültig, obwohl sie einer bestimmten Betrachterperspektive entstammen, der sich etwa die erdabgewandte Seite des Mondes entzieht. Erst wenn die Alltagsbeobachtung sich mit einer Deutung des Beobachteten verbindet, kommt die unvermeidlich subjektive Perspektivengebundenheit der Interpretation ins Spiel. Diese kann bei der Interpretation natürlicher Vorgänge recht zuverlässig überprüft und widerlegt werden. So erweist sich die aus der Beobachtung des Tagesverlaufs der Sonne abgeleitete Annahme, die Sonne kreise um die Erde, als falsch. Anders bei der sozialwissenschaftlichen Beobachtung: Diese besteht nicht in der sinnlichen Wahrnehmung natürlicher Vorgänge, deren anschließende Interpretation objektiv überprüfbar und widerlegbar ist, sondern im deutenden Aufgreifen gesellschaftlich gedeuteter Ereignisse, die stets nur in einer kulturell mit Sinn gefüllten Begrifflichkeit verfügbar sind. Die sozialwissenschaftliche Deutung ist nicht streng falsifizierbar, weil sie sich nicht von der standpunktbestimmten Teilhabe an ihrem Untersuchungsfeld lösen kann. Die zwangsläufige Einbindung der Sozialwissenschaften in ihr Untersuchungsfeld schließt einen streng objektiven Zugang aus. Wegen dieser Einbindung ist der sozialwissenschaftlichen Beobachtung die unmittelbare Sicht auf das gesellschaftliche Ensemble in ähnlicher Weise versperrt wie der Ameise die Sicht auf den Ameisenhaufen. Und dennoch braucht es den Vorgriff auf das Ganze, um einzelne Geschehnisse deutend einordnen und mit für andere begreiflichem Sinn füllen zu können. Freilich besteht diese Bezugnahme zum gesellschaftlichen Ensemble nicht in einer Wirklichkeitsbeobachtung, sondern in einem Deutungsvorschlag, der nicht objektiv wahr, sondern bestenfalls faktisch akzeptiert und damit raumzeitbezogen gültig sein kann. Das Missverständnis einer streng objektiven Erkennbarkeit des Sozialen geht auf den Versuch zurück, Erkenntnis nach dem Modell des Beobachtens von Gegebenem zu denken, also das Erkennen als einen „Spiegel der

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Natur“33 zu verstehen. Demzufolge hinterlässt eine Wahrnehmung gleichsam einen „Eindruck“ auf der Wachstafel des Erkenntnisvermögens. Dieses Konzept lässt außer Betracht, dass Eindrücke beurteilt werden müssen, um zu fundiertem Wissen zu gelangen. Der Gegenstand sinnlicher Anschauung muss durch den Verstand gebildet werden34. Die hier angedeutete Kritik am Erkenntnismodell des „Spiegels der Natur“ ist ihrerseits angreifbar. Denn ihr stellt sich das Problem, dass die äußere Welt der Erscheinungen aus unseren inneren Wahrnehmungen gebildet sein müsste. Dies führt in die Paradoxie, dass die Außenwelt zwar als Ding an sich real vorhanden ist, für unsere Beobachtung aber nur in der Form einer subjektiven Wahrnehmung davon existiert35. Die Annahme, dass die Wahrnehmung der Realität entspricht und damit objektiv „wahr“ ist, ist so letztlich unbeweisbar. Die Kritik teilt mit dem von ihr kritisierten „Spiegel der Natur“ das fatale Bedürfnis nach einem festen Fundament des Erkennens. Es gilt deshalb, von dem Versuch Abstand zu nehmen, unsere subjektiven Wahrnehmungen auf die objektiv vorhandene Außenwelt abzustimmen und durch diese „Eichung“ der inneren Vorstellungen an der äußeren Welt der Erscheinungen eine Kongruenz zwischen beidem herzustellen. Vielmehr gilt es, radikaler, den „Mythos des Gegebenen“36 in Frage zu stellen: Die Möglichkeit des unmittelbaren Kontakts mit der Sozialwelt ohne Teilnahme an der sozialen Praxis ihrer Sinngebung. Sozialwissenschaftliche Erkenntnis ist Teil dieser sozialen Praxis, der Praxis des Rechtfertigens eigener Annahmen gegenüber seinen Mitmenschen und damit gegenüber der Gesellschaft, die ausschnittweise untersucht wird: „The essential point is that in characterizing an episode or a state as RORTY 1981 KANT 1923, 90 f., B75: “Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken, der Verstand… Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ 35 RORTY 1981, 167, damit KANT kritisierend 36 SELLARS 1997, 117, sect. 63: “The myth of the given” 33 34

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that of knowing, we are not giving an empirical description of that episode or state; we are placing it in the logical space of reasons, of justifying and being able to justify what one says“37. Die hier im Folgenden vertretene Gegenposition bestimmt deshalb Sozialwissenschaft pragmatisch als eine soziale Praxis, die sich über ihre Vorverständnisse mit dem gesellschaftlichen Ganzen verständigt und sich dabei selbst korrigiert. Nicht die Beobachtung in einer SubjektObjekt-Beziehung, sondern die Verständigung in einer Subjekt-SubjektRelation ist „der unhintergehbare Kontext, in dem die Erkenntnis verstanden werden muss“38. Damit ist eine Position markiert, die sich als das interpretative Paradigma oder auch das Verstehensmodell der Sozialwissenschaften – im Gegensatz zum Erklärungsmodell – kennzeichnen lässt39. Der Wandel von einem Zuschauermodell des Beobachtens40 zu einer teilnehmenden Erschließung der durch sprachliche Interaktionen gebildeten Sozialwelt, auch als cultural turn bezeichnet, fügt sich in übergreifende Entwicklungen der Sozialphilosophie und der Gesellschaftstheorie. Wir werden dieses interpretative Paradigma nachzeichnen und für unser eigentliches Thema aktualisieren (Kap. 9). Vorerst sei freilich betont, dass das interpretative Paradigma besonders in den anwendungsorientierten Bereichen der Sozialwissenschaften nicht vorherrschend wurde: Dort dominiert nach wie vor das Erklärungsmodell, das dem Postulat der objektiven Beobachtbarkeit einer vorgegebenen Empirie verhaftet bleibt41. Die Sozialwissenschaften haben traditionell ihre notwendige „Eingebundenheit“ nicht optimistisch als zugangsverschaffende Verbundenheit und damit als Bedingung des Erkennens, sondern pessimistisch als Bürde begriffen. Am Idealbild der vermeintlich streng objektiv verfahrenden SELLARS 1997, 76, sect. 36 RORTY 1981, 422 39 VON WRIGHT 1974. Für die Kriminologie: KUNZ 2004, 5 ff. 40 JOHN DEWEY: „spectator model of knowledge“ 41 Zusammenfassende Darstellungen bei RADNITZKY 1968, ABEL 1993, SELLARS 1997, RECKWITZ 2000, FULLER 2002 37 38

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und exakten Naturwissenschaften ausgerichtet, erschien den Sozialwissenschaften ihre die streng objektive Beobachtung verunmöglichende Teilhabe am Untersuchungsgegenstand als ein Hindernis. Sie haben dieses Hindernis zu überwinden versucht, indem sie seit ihren Anfängen die Unvermeidlichkeit ihrer Einbindung in die zu beobachtende Gesellschaft verdrängten. Nach dem Vorbild der scheinbar streng objektiv möglichen Naturbeobachtung propagierte AUGUSTE COMTE in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein einheitswissenschaftliches Modell des Erkennens, welches die Beobachtung gesellschaftlicher Vorgänge nach denselben Regeln postulierte, die für die Naturbeobachtung angenommen wurden. Dieses einheitswissenschaftliche Modell bestimmte COMTE als „positivistische Philosophie“, die sich mit der positiven Gegebenheit sozialer Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetze befasst42. Die Begrenzung der wissenschaftlichen Wahrnehmung auf die Beobachtung von Gegebenheiten ist Ausdruck einer non-kognitivistischen Erkenntnishaltung, die es als unmöglich erachtet, Wertungen rational zu begründen. Seither wurden die Sozialwissenschaften positivistisch bestimmt. Damit ist eine erkenntnistheoretische Grundhaltung bezeichnet, welche den Gegenstand des Erkennens als ein Sein versteht, das unabhängig von zwangsläufig wertbezogenen subjektiven menschlichen Sinngebungen zu erschließen sei. Der Positivismus beruht auf der nicht mehr hinterfragbaren, also aporetischen Gewissheit, der Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis sei unabhängig vom methodischen Zugang und der subjektiven Einstellung des Erkennenden als ein Sein positiv vorhanden und könne deshalb wie ein Faktum unbeteiligt, also streng wertneutral und „objektiv“ erkannt werden. Die Annahme, der Gegenstand der Erkenntnis sei dem erkennenden Subjekt als ein passives Objekt der Wahrnehmung vorgegeben, mag bei der naturwissenschaftlichen Beobachtung noch einigermaßen einleuchten. Der erkenntnistheoretische Positivismus behauptet indessen die Gültigkeit dieser Annahme auch für die Sozial- und Geisteswissenschaften und vertritt damit ein Konzept, welches menschliches Handeln und gesellschaftliche Zusammenhänge 42

Comte 1975

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nach denselben Regeln wie ein den Kausalgesetzen der Physik unterworfenes Objekt der Natur, also einheitswissenschaftlich, zu erkennen trachtet. Mit der Leugnung der Trivialitäten einer untrennbaren Verbundenheit der Wissenschaft mit der Gesellschaft und einer zwangsläufig subjektiven Perspektivengebundenheit des Beobachtens gesellschaftlicher Vorgänge vertritt die positivistische Sozialwissenschaft einen rigiden Purismus der Möglichkeit eines voraussetzungsfreien „reinen“ Erkennens, welcher das Kind mit dem Bade ausschüttet. Seine Plausibilität des ersten Anscheins bezog das positivistische Konzept der Sozialwissenschaften einzig aus der Erwägung, dass die Gegenposition zu der Beliebigkeit einer subjektiven Standpunktabhängigkeit führen würde, die Wissen mit Überzeugung vermischt und haltlos im Strudel unüberprüfbarer divergierender Einschätzungen treibt. Dies ist indessen keineswegs zwingend der Fall. Allein aus dem Umstand, dass die Wissenschaft die Gesellschaft stets aus dem biographisch geprägten Blickwinkel konkreter Wissenschaft treibender Subjekte situativ perspektivisch wahrnimmt, folgt weder, dass die Brille der Wissenschaft von der Gesellschaft oder einzelnen Subjekten beliebig manipulierbar sei noch, dass die Standpunktbezogenheit der Wahrnehmung dem Wahrnehmenden nicht zugänglich sei, weil er auf diesem Punkt steht. Obwohl Teil der Gesellschaft (und damit deren Deutungsmustern und Verwertungsinteressen unterworfen), erweist sich die Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft in gewisser Weise widerständig: Sie erhebt Ansprüche des möglichst realistischen, oder besser: „authentischen“, Beobachtens, der bestmöglichen Unvoreingenommenheit des Bestimmens und Bewertens, der Nachvollziehbarkeit ihrer Schlussfolgerungen und des Abwägens möglicher Gegenargumente. Mit dem der Wissenschaft eigenen Anspruch der Vernünftigkeit und der Institutionalisierung des Zweifels anerkennt sie wissenschaftsimmanente Rationalitätsmaßstäbe und hebt sich dadurch von der gesellschaftlichen Praxis ab. Diese Maßstäbe ergeben sich freilich nicht aus einem einen streng objektiven und damit illusionären gottähnlichen Standpunkt jenseits der gesellschaftlichen Lebenspraxis, sondern beziehen ihre Gültigkeit aus der

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Übereinstimmung mit generellen Kriterien sozialer Angemessenheit43. Dies mildert den Zwiespalt, dass die Sozialwissenschaften einerseits Teil und Mitgestalter der gesellschaftlichen Praxis sind und dabei den lebenspraktisch befangenen Blick ihrer Akteure auf die Gesellschaft nicht völlig ablegen können, andererseits aber gegenüber dem Objekt ihrer Beobachtung eine gewisse reflexive Distanz beanspruchen, welche nach engagierter Ausübung von „Wissenschaftsfreiheit“44 verlangt.

43 44

RECKWITZ 2000, 25 Vgl. Art. 5 Abs. 3 GG

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Zeitströmungen und „Manieren des Sehens“

Die Sozialwissenschaften waren stets von gesellschaftlichen Einflüssen geprägt, die erst im geschichtlichen Rückblick vollends deutlich werden. Während wissenschaftliche Autonomie eher nur verbal beansprucht wurde, folgte die Forschungspraxis weitgehend dem Zeitgeist und seinen „Manieren des Sehens“. Auch verlief die Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung nicht kontinuierlich im Sinne eines Aufstockens auf dem Theoriegebäude des Vorgängers, sondern eher wie ein Emporschießen von Pilzen, die auf dem Humus der jeweiligen Weltsicht gediehen und dabei ältere Pilzsorten verdrängten. Das durch einen naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungsschub geprägte ausgehende 19. Jahrhundert legte die Verwendung „exakter“ naturwissenschaftlicher Methoden zur Erkenntnis der gesellschaftlichen Realität nahe. Beim Bemühen, den Bereich des Sozialen ebenso wie den der Natur durch Beobachtung und Berechnung beherrschbar zu machen, ging es darum, das Bestehende zu bestimmen, Prognosen für die weitere Entwicklung zu erstellen und damit planvolles politisches Handeln zu ermöglichen. Im 20. Jahrhundert dominierte die Skepsis gegenüber absoluten Wahrheiten und damit auch gegenüber der Befähigung der Sozialwissenschaften, die Gesetzmäßigkeiten des Sozialen definitiv zu bestimmen und durchgängig rational gestalten zu können. Eine kritischrationale Erkenntnishaltung wies der Wissenschaft die Aufgabe der zweifelnden Überprüfung vermeintlicher Gewissheiten zu und erachtete nicht die Bestätigung, sondern nur die Widerlegung von hypothesegeleiteten Annahmen in experimentellen Erfahrungstests als möglich. Später propagierten Relativisten in einer radikalen Methodenkritik eine Wissenschaft ohne verbindliche Regeln45.

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KUHN 1967, LAKATOS / MUSGRAVE 1970, FEYERABEND 1983

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Gegen Ende des 20. Jahrhunderts werden unter dem Einfluss der Spätmoderne soziale Beziehungen und wissenschaftliche Vorstellungen davon „fluide“46. Arbeit, Freizeit- und Konsumverhalten sind nicht länger an bestimmte Zeiten und Orte gebunden, die klassische Kleinfamilie wird durch multiple alternative Lebensformen ergänzt, Globalisierung und Migrationen führen zu einem Verlust traditioneller kultureller Einbindung und schaffen parallele Lebenswelten. Soziale Kontakte werden zunehmend durch das Abtauchen in mediale virtuelle Realitäten ersetzt. Dieser Bindungs- und Orientierungsverlust bei gleichzeitiger Explosion der Optionen greift auch auf die Wissenschaft – und speziell die Sozialwissenschaft – über. Gewissheiten werden zu subjektiven Glaubenssätzen, Leitideen zu Konzepten, Theorien zu heuristischen Ansätzen, Autoritäten zu Meinungsträgern unter vielen. Insofern es in der Spätmoderne nicht mehr den einen objektiven Beobachterstandpunkt gibt, verschließt sich ein solcher auch der Wissenschaft, welche die Gesellschaft der Spätmoderne beobachtet. Mehr noch sind die Standpunkte, welche immer auch die Wissenschaft einnehmen mag, gegenüber nicht wissenschaftlich begründeten Positionen nicht mehr zwingend vorzugswürdig. Die Wissenschaft hat in der Spätmoderne an Prestige, ja an „Aura“ eingebüßt. Wissenschaftliches Expertentum wie überhaupt das Konzept des „Wissens“ verlieren an gesellschaftlicher Bedeutung47, was zu einer ungeklärten Koexistenz von wissenschaftlich etablierten und mehr oder weniger „intuitiven“ Sichtweisen führt48. Der Eindruck, auch die Wissenschaft werde von der die Spätmoderne insgesamt prägenden Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit eingeholt49, ist angesichts dessen nicht völlig unbegründet. Gleichwohl erscheint diese Skizzierung des aktuellen Bedeutungsverlusts der Sozialwissenschaften allzu grobschlächtig und in ihrer Zuspitzung nicht zutreffend. Das Bewusstsein für die Ungewissheit hinter dem BAUMAN 2000 BECK 1986, 254 ff. 48 KUNZ / BESOZZI 2003, 10 f. 49 HABERMAS 1985 46 47

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Wahrgenommenen mag eine Grundstimmung unserer Zeit ausdrücken. Geblieben ist jedoch die Neugier auf die Ungewissheit und das Bestreben, sie zurückzudrängen. Das Fehlen eines Mastercodes zur Entschlüsselung von Ungewissheit schafft Raum für eine neue Kreativität des wissenschaftlichen Suchens50, die sich einem Methodenzwang widersetzt. In der Wissenschaftstheorie sucht man in der Auseinandersetzung mit dem „Postpositivismus“ durch Ausbildung etwa eines „normativen Naturalismus“51 und einer „sozialen Epistemologie“52 nach neuen Wegen. Die Identifizierung von Fehlentwicklungen und die Bereitschaft, aus ihnen zu lernen, macht die ursprüngliche einfache Bedeutung des heute viel gebrauchten „Zauberwortes“ Reflexivität aus. Im Folgenden sollen anhand der Frage nach der erfahrungswissenschaftlichen Zugänglichkeit von Kriminalität historisch beschrittene Zugangswege geprüft und gegebenenfalls als Irrwege ausgewiesen werden. Damit verbindet sich die Hypothese, dass die sozialwissenschaftliche Kriminalitätsforschung im Verlaufe ihrer Einbindung in die Kriminologie und im Zuge der institutionellen Etablierung der Kriminologie als eigenständiges Fachgebiet im beschriebenen Sinne an Reflexivität eingebüßt hat53. Die Zuordnung der sozialwissenschaftlichen Befassung mit abweichendem Verhalten zu dem Sammelbegriff „Kriminologie“, der stets auch mit naturwissenschaftlich betriebenen Kriminalitätserklärungen assoziiert wurde und die mühsame Emanzipation dieses Fachgebietes von der eo ipso naturwissenschaftlichen Technik der Verbrechensverfolgung (Kriminalistik) legten es nahe, auch die sozialwissenschaftliche Analyse strafrechtlich abweichenden Verhaltens mit einer den Naturwissenschaften entlehnten Methodik, also positivistisch, zu betreiben. Der behauptete Verlust an Reflexivität ergibt sich deshalb daraus, dass die sozialwissenschaftliche Kriminalitätsforschung – deutlich akzentuierter und beharrlicher als die Sozialwissenschaften im Übrigen – sich ganz Ähnlich BESOZZI 2003, 57 LAUDAN 1996, 125 ff. 52 FULLER 2002 53 Vgl. auch Besozzi 2003, 31 50 51

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überwiegend als positivistisch erweist. Zur wissenschaftlichen Erfassung der Kriminalität wurden und werden nämlich im Wesentlichen zwei methodische Zugangswege gewählt, welche den beiden Entwicklungsstufen des erkenntnistheoretischen Positivismus entsprechen.

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Der empiristische Zugang: Sammeln von Tatsachen

Der historisch erste und erkenntnistheoretisch naivste positivistische Zugang zur Kriminalität entspricht einer empiristischen Sichtweise. Diese geht davon aus, dass Erkenntnis im Sammeln von Erfahrung bestehe, die man unmittelbar durch Beobachtung von Tatsachen gewinne. Beobachtung und Theorie seien strikt zu trennen, wobei die Beobachtung primär und unproblematisch mit einem „unschuldigen Auge“ möglich sei. Daraus wurde geschlossen, dass theoretische Aussagen („Hypothesen“) durch Beobachtung verifizierbar seien. Kriminalität ist danach ein strafrechtlich verbotenes Verhalten, von welchem angenommen wird, es sei als jeweils singuläres Geschehen aus seiner Verflechtung im gesellschaftlichen Ensemble isolierbar und als Tatsache oder Faktum der erfahrungswissenschaftlichen Wahrnehmung unvermittelt und objektiv zugänglich. Erkenntnisse über Kriminalität bestehen demzufolge in der systematischen „Sammlung“ von Aussagen, welche Beobachtungen über menschliches Verhalten enthalten, das strafrechtlich verboten ist54. Angenommen wird, dass in der kriminologischen Beobachtung sich einzelne kriminelle Handlungen als Realien abbilden, wie sie wirklich sind. Als Exemplare der Gattung Kriminalität lassen sie sich folglich – ähnlich Schmetterlingen – sammeln, vergleichend bestimmen und in Gruppen verschiedener „Kriminalitätserscheinungen“55 rubrizieren, deren Größe quantifizierbar ist. Die empiristische Sichtweise findet ihre Wurzeln in der positivistischen Soziologie COMTES56, in der Erkenntnistheorie des Logischen Empiris-

Dieses Verständnis kommt teilweise noch immer in kriminologischen Gesamtdarstellungen zum Ausdruck, vgl. nur KAISER 1997 1 ff. 55 Beispielsweise Gewalt-, Vermögens- und Wirtschaftskriminalität, kritisch dazu KUNZ 2004, 10 56 COMTE 1975 54

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mus57 und in der Rechtstatsachenforschung ARTHUR NUSSBAUMS58. Der Empirismus verkennt, dass Realität sich in der Wahrnehmung nicht authentisch abbildet und theoretische Annahmen nicht durch Realitätsbeobachtung beweisbar sind. Es gibt kein "unschuldiges Auge“, jede Beobachtung ist theoriebeladen, in jedem eine Beobachtung erfassenden Begriff sind bereits theoretische Annahmen enthalten. Besonders die Wahrnehmung gesellschaftlicher Wirklichkeit erfolgt nicht rein rezeptiv, sondern aktiv sinngebend, indem ein in der öffentlichen Kommunikation als sozial bedeutsam markiertes, mit einem spezifischen Sinn besetztes Phänomen mit dem Vorverständnis des Interpreten re-interpretiert und damit neu bestimmt wird. Belege für die realistische Wahrnehmung von Realität sind stets interpretierte Beobachtungen, die ihren Sinn erst innerhalb eines Theoriezusammenhanges erhalten. Wo dieses „Sense-Making“ der Sozialwissenschaften verkannt und als rezeptives „natürliches“ Beobachten begriffen wird, gerät die vermeintlich „reine“ Wissenschaft unwillentlich zur Magd der jeweils vorherrschenden politischen Weltsicht. Praktizierungsversuche der empiristischen Sichtweise verdeutlichten alsbald, dass sich in der vorgeblich unvermittelten Beobachtung Konzepte dessen, was von allgemeinem Interesse ist und wie man dies sehen will, verbergen. Dies gilt erst recht für Kriminalität, die im Alltagsverständnis als wesensmäßig moralisch schlecht und in sich böse bestimmt wird. Dass der Versuch, dieses Böse empiristisch zu beobachten, scheitern muss, hat schon SHAKESPEARE betont, indem er Hamlet sagen lässt: „Nichts ist gut oder schlecht, was nicht unser Denken dazu macht“59. Was etwa CESARE LOMBROSO als Kriminalität zu studieren und der von ihm angeblich beobachteten „Verbrechernatur“ zuzuordnen können glaubte, erwies sich als ein die Wahrnehmung seiner Epoche und seines gerichtsmedizinischen Berufsstandes spiegelnder Ausdruck des Elends in venezianischen Strafanstalten.

Vertreten vom sog. „Wiener Kreis“, vgl. etwa CARNAP 1928 NUSSBAUM 1968 59 In der Übersetzung von Erich Fried, zitiert nach SESSAR 2004, 34 57 58

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Der kritisch-rationale Zugang: Systematische Überprüfung

Ein zweiter subtilerer positivistischer Zugangsweg zu Kriminalität verzichtet auf die angreifbare Annahme der objektiven Abbildung des Realphänomens Kriminalität in der kriminologischen Beobachtung. Wie bei der empiristischen Sichtweise wird behauptet, dass eine objektive, streng wertneutrale Beobachtung von Entitäten der sozialen Empirie möglich sei. Freilich ergibt sich die Objektivitätsannahme nicht mehr daraus, dass die Wahrnehmungen und Beschreibungen der Forschung soziale Wirklichkeit unverstellt abbildeten, sondern aus der Wahl einer dem Kritischen Rationalismus KARL R. POPPERS60 entsprechenden Methode, welche Fehlannahmen schrittweise und prinzipiell nachprüfbar eliminieren will. Objektivität wird aus dieser Sicht nicht länger bei der wissenschaftlichen Beobachtung vorgefunden, sondern vermittels eines Forschungsdesigns, welches die systematische Überprüfung plausibler Hypothesen in einem Erfahrungstest zulässt, hergestellt. Versuchen wir, uns auf zunächst einfache Weise klar zu machen, was dies bedeutet. Um ein gesellschaftliches Realphänomen wie Kriminalität erklären zu können, muss zunächst theoretisch bestimmt werden, was dessen charakteristische Merkmale ausmachen („Konstruktbildung“). Anschließend ist der so bestimmte Gegenstand des Erklärens („Explanandum“) auf die Möglichkeit einer vergleichenden Betrachtung auszurichten, indem er in die Form einer „Variablen“ übersetzt wird, welche sich quantitativ ausdrücken lässt und damit mengenmäßige Vergleiche erlaubt. Um einen Vergleich zu ermöglichen, sind sodann andere davon unabhängige Realphänomene ebenfalls in ihren charakteristischen Eigenschaften theoretisch zu bestimmen und in die Form von Variablen zu bringen. Sodann wird hypothetisch ein Zusammenhang (eine „Korrelati60

Vgl. POPPER 1971

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on“) zwischen den mengenmäßigen Ausprägungen der zu erklärenden „abhängigen“ Zielvariable (Kriminalität) mit den erklärenden „unabhängigen“ Variablen (etwa Alter, soziale Schicht, berufliche Situation) hergestellt, der durch Veränderung der Versuchsbedingungen auf seine statistische Regelmäßigkeit überprüfbar wird. So lässt sich die mengenmäßige Beziehung zwischen der Kriminalität ausdrückenden zu erklärenden Zielvariable und den erklärenden Variablen prüfen. Dies ergibt ein „multivariates“ Geflecht sich überlagernd verstärkender und gegenläufig sich aufhaltender Einflüsse. Auf diese Weise lässt sich die statistische Beziehung zwischen der abhängigen Variable und den unabhängigen Variablen in ihrer relationalen Ausprägungsstärke ausdrücken und eine Wahrscheinlichkeitsaussage darüber treffen, unter welchen Bedingungen mit dem Auftreten der abhängigen Variable Kriminalität zu rechnen ist. Eben dies macht das Erklären aus. Jenes im Vergleich zum empiristischen Konzept ungleich anspruchsvollere Erkenntnismodell des kritischen Rationalismus scheint eine objektive Erkenntnis zu ermöglichen, ohne sich auf die naive Annahme einer unmittelbaren Realitätswahrnehmung mit unschuldigem Auge zu stützen. Die vermeintliche Objektivität des Erklärens ergibt sich aus der Untersuchungsanordnung, die replizierbar und damit für andere objektiv überprüfbar ist. Zwar sind bei der Herstellung einer Untersuchungsanordnung Wahlentscheidungen zu treffen, die zwangsläufig von persönlichen Wertorientierungen und dem perspektivischen Blickwinkel konkreter Wissenschaft treibender Subjekte beeinflusst werden. Dies ändert dem kritisch-rationalen Verständnis zufolge jedoch nichts an der Möglichkeit einer streng objektiven Überprüfung. Die in der Tat unvermeidliche Perspektivengebundenheit der Wahrnehmung sei Bestandteil des Entstehungs- oder Entdeckungszusammenhanges von Fragestellungen. Wie und wovon sich der Wissenschaftler dabei inspirieren lasse, sei für die anschließende „eigentliche“ wissenschaftliche Prüfung der Fragestellung belanglos. Wissenschaftlich bedeutsam sei einzig der Überprüfungs- oder Begründungszusammenhang, in welchem die Fragestellung einem Erfahrungstest unterzogen werde. Diese Überprüfung sei streng objektiv, insofern jeder durch Replikation der Versuchsbedingungen den Erfah-

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rungstest wiederholen könne und, sofern er dabei zu demselben Ergebnis kommt, die vorläufige, stets widerlegbar bleibende Vermutung der Gültigkeit des Ergebnisses bestätige. Mit der „künstlichen“ Trennung von Entstehungs- und Überprüfungszusammenhang und der Bestimmung allein des letzteren als wissenschaftlich maßgeblich werden die den Entstehungszusammenhang charakterisierenden bewertenden und selektierenden Vorentscheidungen aus dem Erkenntnisprozess ausgeschieden und dieser auf die rein objektive Überprüfung des Zusammenhanges von Tatsächlichkeiten reduziert. Die positivistische Prämisse der Möglichkeit von Seinsbeobachtung ohne wertbezogene subjektive menschliche Sinngebung wird damit vom kritischen Rationalismus nur in anderer, nicht minder aporetischer Weise wieder eingeführt. Nur deshalb erscheint der Prozess des Erklärens als ein sich schrittweise vollziehendes Experiment, welches nach objektiven, labormäßig repetierbaren Kriterien abläuft. In Wahrheit lässt sich keiner der verschiedenen Schritte des Erklärens (Konstruktbildung, Bestimmung und Prüfung der Variablen, Feststellung kausaler Zusammenhänge, Abbruch des Erklärungsvorganges) mit der positivistischen Annahme reiner Seinsbeobachtung in Einklang bringen. Die Fragwürdigkeit des quantitativen „kritisch-rationalen“ Zugangs zur sozialen Welt kommt in CICOURELs zusammenfassenden methodischen Überlegungen zum Ausdruck: „Nachdem wir eine ausgearbeitete Reihe methodologischer Entscheidungen durchgeführt haben (in denen jedesmal viele unausgesprochene Voraussetzungen eingebaut sind), nehmen wir an, dass die vierfachen Tabellen oder quantitativen Masse irgendwie für sich stehen, unabhängig von den Verfahren, durch die sie hervorgebracht wurden. Die quantitativ ausgedrückten Resultate konkretisieren notwendig die zur Untersuchung stehenden Ereignisse; aber ihre Interpretationen durch uns – selbst nach den üblichen förmlichen Entschuldigungen und Warnungen bezüglich der Allgemeingültigkeit und Präzision – werden als positive Ergebnisse behandelt, von denen man fiktiv annimmt, sie seien replizierbar und gültig. All dies tendiert dahin, Sozialforschung eher zu etwas wie einem geschlossenen Unternehmen zu ma-

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chen als zu einer offenen Suche nach Wissen in Beziehung zu einer gegebenen Epoche“61. Wir haben erwähnt, dass dem Kritischen Rationalismus zufolge der Forschungsgegenstand nicht vorgefunden, sondern vermittels des Forschungsdesigns hergestellt wird. Die Methode der numerischen Auswertung quantitativer Zusammenhänge kann also nicht einfach auf einen gesellschaftlichen Wirklichkeitsausschnitt angewendet werden, vielmehr muss der soziale Realitätsbereich in spezifischer Weise für die systmatische Auswertung zugerichtet werden, indem das Untersuchungsthema durch Konstruktbildung vorstrukturiert wird. Konstrukte sind auf den Forschungsprozess zugerichtete Interpretationen von Realität, hingegen drücken sie prinzipiell Wirklichkeit nicht abbildend objekthaft aus. Die Philosophie bezeichnet sie als Deutungsschemata, also mit IMMANUEL KANT als Entwürfe, welche unser Verstand hervorbringt. Nicht Tatsächlichkeiten, sondern theoretische Konstrukte davon bilden den Untersuchungsgegenstand, welcher sich sodann in Variablen umformen und durch deren Bezugsetzung empirisch überprüfen lässt. Um das theoretische Konstrukt der Untersuchung empirisch überprüfen zu können, muss es in veränderlichen numerisch fassbaren Größen („Variablen“) ausgedrückt und so „operationalisiert“ werden. Die Umformung des theoretischen Konstrukts in empirisch prüfbare Variablenzusammenhänge ist einer Übersetzung vergleichbar. Da ein Konstrukt sich nicht inhaltsgleich durch eine Variable oder eine Variablenbeziehung ausdrücken lässt, gelingt die Umsetzung eines theoretischen Konstrukts in eine operationalisierbare Variablenbeziehung nicht vollständig, sondern stets nur mehr oder weniger. Zudem ist die Beurteilung, ob eine Variablenbeziehung das Konstrukt genügend angemessen repräsentiert, nicht objektiv möglich, sondern beruht auf einer prinzipiell bestreitbaren subjektiven Bewertung. Die Feststellung eines statistischen Zusammenhanges besagt als solche wenig. Die Wahl und die Spezifikation jener Phänomene, welche in einen 61

CICOUREL 1974, 317

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Zusammenhang miteinander gebracht werden, verlangen Entscheidungen. Da nie alle denkbaren Zusammenhänge überprüft werden können, ist eine Selektion gefordert, welche nicht ohne subjektive Bewertung möglich ist. Bei der Überprüfung festgestellter Zusammenhänge bestehen methodenimmanente Vorbehalte. Der festgestellte Zusammenhang kann nur scheinbar bestehen („Scheinkorrelation“), weil in Wahrheit nicht überprüfte andere oder übergeordnete Variablen (systematische „Störvariablen“ oder unsystematische „Zufallsvariablen“) ihrerseits das Verhältnis der geprüften Variablen bestimmen und es daher an der angenommenen Aussagekraft der unabhängigen für die abhängige Variable fehlt. Die Gefahr von Scheinkorrelationen lässt sich durch multivariate Analysen nur verringern. Die Prüfung der Nichtumkehrbarkeit der Wirkungsrichtung, die Kontrolle möglicher Einflüsse von Störvariablen und die Minimierung der Effekte von Zufallsvariablen sind aufwendig und nur begrenzt möglich. Um aus statistischen Zusammenhängen von Variablenbeziehungen weitergehende Aussagen ableiten zu können, muss die Wirkungsrichtung der Zusammenhänge bestimmt, also aus der statistischen Beziehung eine Kausalbeziehung hergeleitet werden. Dabei geht es darum, Beobachtungen deutend in ein Ursache-Wirkungs-Schema zu bringen. Bei der Deutung der erhobenen Zusammenhänge durch im Datenmaterial nicht enthaltene Ursächlichkeitsannahmen ist abermals eine subjektiv sinnstiftende Bewertung verlangt, welche in der kritisch-rationalen Methode nicht vorgesehen und mit dem strengen Objektivitätsanspruch des systematischen Erklärens nicht vereinbar ist. Schon DAVID HUME hat erkannt, dass Kausalität sich nicht beobachten, sondern immer nur interpretierend an reale Vorgänge herantragen lässt. Wir können sehen, dass der Wasserpegel sich hebt, wenn ein Fels ins Wasser fällt. Das „Weil“ sehen wir nicht62. Damit wird nicht bestritten, dass es Kausalität tatsächlich „gibt“: freilich nur als Produkt unseres Denkens und nicht als beobachtbare Gegeben-

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HUME 1984, 71 ff., 92 ff.

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heit an sich63. Demnach sind die Entstehungszusammenhänge von Kriminalität nicht einmal in dem von POPPER behaupteten probabilistischen Sinn objektiv beobachtbar und beweisbar, sondern verlangen interpretierende Schlussfolgerungen, die als Bedeutsamkeit stiftende Bewertungen das stets subjektive Verständnis des Interpreten ausdrücken und Raum für abweichende Interpretationen belassen. Um ein Realphänomen wie Kriminalität aus der Beobachtung seiner statistischen Zusammenhänge mit anderen Phänomenen erklären zu können, muss letztlich darüber entschieden werden, die theoretisch unendliche Suche nach weiteren möglicherweise relevanten Variablen und die stets noch weiter differenzierbare Prüfung von Scheinkorrelationen abzubrechen. Dieser Entschluss wird häufig nur deshalb nicht bewusst, weil er durch die Begrenztheit von Forschungsbudgets erzwungen wird und deshalb als selbstverständlich erscheint. Die kritisch-rationale Methode enthält kein Kriterium dafür, wann genau ein Abbruch der Suche nach weiteren empirischen Zusammenhängen zu erfolgen hat. Allenfalls empfiehlt sie, die Suche so lange fortzusetzen, wie sie aussichtsreich erscheint. Damit verlangt der Entschluss zum Abbruch weiterer möglicherweise ergiebiger Prüfungen eine nicht mehr objektivierbare wertende Entscheidung des forschenden Subjekts. Die subjektive Komponente gesellschaftlicher Wirklichkeitswahrnehmung, welche der kritische Rationalismus mit objektiv nachprüfbaren Erfahrungstests zu eliminieren trachtete, kehrt also in der Forschungspraxis unvermeidlich auf jeder Stufe der systematischen Überprüfung zurück.

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Dazu eingehend DURKHEIM 1981, 489 f.

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Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Die vermeintlich kognitive Basis des Wissens um die „wirkliche“ Kriminalität

Ungeachtet dessen wird Kriminalität sowohl im Alltag wie in den Kriminalwissenschaften gemeinhin als objektive Gegebenheit verstanden, ohne dass die zwangsläufige Perspektivengebundenheit und die Rahmung des jeweiligen Kriminalitätsbildes ins Bewusstsein treten. Als kognitive Basis des „seriösen“ Wissens um die Kriminalität dienen, wie bereits mehrfach erwähnt, die Kriminalstatistik und, gleichsam als deren komplementäre Ergänzung, die Dunkelfeldforschung. Die Kriminalstatistik wird verbreitet unzutreffend als mengenmäßige Beschreibung der den Behörden zur Kenntnis gelangenden kriminellen Wirklichkeit aufgefasst. Das Missverständnis, die Kriminalstatistik sei ein Zahlenwerk über amtlich bekannt gewordene Kriminalität, wird von ihr selbst geweckt und unterstützt, insofern sie gemäß ihrer Bezeichnung als Kriminalstatistik und ihren einzelnen nach juristischen Delikts(gruppen)bezeichnungen benannten Rubriken Aussagen über die Häufigkeit von Straftaten zu machen scheint. Nur im klein Gedruckten wird dieser Eindruck relativiert64. Von den von den verschiedensten Behörden in der Instanzenkette der strafrechtlichen Kontrolle erstellten Kriminalstatistiken (der Staatsanwaltschaft, der Strafgerichte, der Bewährungshilfe, der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs) findet die polizeiliche Kriminalstatistik bei weitem die größte gesellschaftliche Aufmerksamkeit, weil ihre Daten raumzeitlich am nächsten zur Tatbegehung liegen und daher das kriminelle Geschehen am authentischsten wieder64 Beispielsweise ist in der PKS der Schweiz beim „Wichtigsten in Kürze“, in den einzelnen Rubriken und Grafiken durchwegs von dokumentierten „Straftaten“ die Rede. Erstmals 2004 wird an anderer Stelle die Erwähnung für Wert befunden, daß es sich um eine bloße „Anzeigenstatistik“ handelt.

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zugeben scheinen. Dieses behördlich erstellte, mit homogenen Erfassungskriterien jährlich wiederholte und damit Zeitvergleiche ermöglichende Zahlenwerk gilt dementsprechend als ein mit dem Amtssiegel versehener Ausdruck der polizeilich erfassten kriminellen Wirklichkeit. Neben den aggregierten amtlichen Datensammlungen der Kriminalstatistik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine sozialwissenschaftliche Erforschung des so genannten „Dunkelfeldes“ der Kriminalität etabliert, die hauptsächlich mittels repräsentativer demografischer Bevölkerungsbefragungen Erfahrungen kriminellen Opferwerdens, und mitunter auch Täterwerdens, zu erfassen beansprucht. Wie bei der polizeilichen Kriminalstatistik entsteht der Eindruck, mit der Erhellung des Dunkelfeldes der „selbstberichteten“ Kriminalität oder Viktimisierung werde kriminelle Wirklichkeit sichtbar gemacht – im Unterschied zur Kriminalstatistik nicht die amtlich wahrgenommene, sondern die von der Bevölkerung wirklich erlebte. Die Dunkelfeldstudien treten diesem Eindruck kaum je entgegen, sondern stützen eher die Falscheinschätzung65. Anders als in den USA und einigen anderen europäischen Ländern werden im deutschsprachigen Raum keine von einer staatlichen Institution regelmäßig betriebene Dunkelfeldbefragungen durchgeführt. Immerhin existiert europaweit eine Reihe von teilweise miteinander koordinierten und international vergleichenden Studien verschiedener Forschungsinstitutionen66. Ohne diese Datenbestände ausführlich erörtern zu wollen67, sei hier nur auf das beharrlich vermittelte Missverständnis eingegangen, die kriminalstatistische und die dunkelfeldbezogene Forschung bildeten kriminelle Wirklichkeit in sich gegenseitig ergänzender Weise ab.

65 Beispielsweise heisst es im Vorwort des International Crime Victims Survey (ICVS), http://www.unicri.it/icvs/, es handele sich dabei um „a formidable instrument for monitoring crime“. Auch die Cross National Studies in Crime and Justice 2004, http;//www.ojp.usdoj.gov/bjs/ beanspruchen einführend, über „number of crimes committed“ zu informieren. 66 Übersicht in KUNZ 2004, 290 ff.. 67 Siehe dazu KUNZ 2004, 276 ff..

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Die Verwechslung von Bildersammlungen mit dem Abgebildeten

Mit der Aufteilung des Gesamtbestandes der Kriminalität in die amtlich erfasste und die nicht registrierte, aber von der Bevölkerung erlebte wird die Vielfalt der in der gesellschaftlichen Praxis vorhandenen Wahrnehmungen und Deutungen von Kriminalität auf die statistisch bzw. demoskopisch dokumentierbaren Sichtweisen von Strafverfolgungsorganen und Bevölkerung reduziert, ohne dass man sich der rahmenden Bildhaftigkeit beider Kriminalitätsvorstellungen bewusst würde. Während andere Sichtweisen, etwa der Medien oder der Kunst68, als bloße Wahrnehmungen aus perspektivischen Blickwinkeln erscheinen, werden die Kriminalitätsbilder von Experten und Bevölkerung als authentische Abbildungen der „wirklichen“ Kriminalität genommen, an denen sich die Wirklichkeitsnähe etwa künstlerisch bearbeiteter oder medieninszenierter Kriminalitätsdarstellung bemessen lasse. Dem schließt sich die Annahme an, die kriminalstatistische und die dunkelfeldbezogene Forschung stellten die beiden einzigen Zugangswege zur wissenschaftlichen Erfassung der Kriminalitätswirklichkeit dar. Dabei wird verkannt, dass beispielsweise die Darstellungsformen und Inhalte medieninszenierter Kriminalität im zeitlichen Wandel ein ebenso legitimes und ertragreiches Untersuchungsfeld darstellen69 wie die Entwicklung des amtlich registrierten Kriminalitätsvorkommens. Problematisieren wir zunächst die Annahme, die von den Instanzen strafrechtlicher Kontrolle erstellten Datenbestände, insbesondere die polizeiliche Kriminalstatistik, brächten die amtlich erfasste kriminelle Dazu später in Kap. 11 So erlauben Entwicklungen der Häufigkeit und Struktur der Kriminalitätsdarstellungen in der jugendlichen Unterhaltungsliteratur Rückschlüsse auf das normierte Kriminalitätsverständnis der jeweiligen Epoche, vgl. KUNZ / SIDLER 1999, 67 ff. 68 69

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Wirklichkeit zum Ausdruck. Dagegen spricht bereits die simple Einsicht, dass die Grundeinheit, welche in Kriminalstatistiken aufgezeichnet wird, gar nicht das raumzeitliche Geschehen einer kriminellen Handlung, sondern die amtliche Registrierung und Rekonstruktion des angenommenen Verdachts eines solchen Geschehens ist. Bürokratische Registriersysteme wie die Kriminalstatistik dienen dazu, die Erfahrungen der staatlichen Arbeitsaktivitäten zu erfassen und daraus Konzepte zur Steigerung der Arbeitseffizienz abzuleiten. Das quantitative Produkt der Registrierung ist auf die Rationalisierung bürokratischer Arbeitsabläufe hin zugerichtet. Die faktischen Daten, die in der Registrierung enthalten sind, spiegeln nicht die Struktur der sozialen Handlungen, die von der Bürokratie ursprünglich beobachtet wurden. Auch wenn die Daten vom bürokratischen Personal als „gegeben“ genommen werden, drückt der Datenbestand in Auswahl und Arrangement den auf die Optimierung ihrer Effizienz gerichteten Blick der Behörde, also die bürokratische Wahrnehmungsperspektive und nicht das damit Wahrgenommene, aus70. Die statistische Erfassung bezieht sich nicht bloß auf die institutionelle Strafverfolgung; sie ist zugleich Aspekt und Teil derselben, insofern ihr Zweck in der Optimierung der Strafverfolgungstätigkeit besteht. Kriminalstatistiken drücken deshalb nicht kriminelles Handlungsgeschehen aus, sondern sind eine zahlenmäßige Bilanz der Aktivitäten strafrechtlicher Sozialkontrolle. Zwischen dem verdächtigen Handlungsgeschehen und dessen polizeilicher Registrierung spannt sich ein zeitlicher und örtlicher Zwischenraum, in dem eine Reihe von Beteiligten und Beobachtern das ursprüngliche Handlungsgeschehen mit je unterschiedlichen Interessen, Motiven, Fähigkeiten und Ressourcen wahrnehmen und sich damit auseinander setzen. Wegen dieses Zwischenraums mit intermittierenden Aktionen und Reaktionen verschiedener zumeist privater Akteure gelangt nur ein Teil der Informationen über das ursprüngliche Handlungsgeschehen zu amtlicher Kenntnis und Registrierung, und 70 Zum Zusammenhang von bürokratischer Organisation und quantitativen Daten als vermeintlich „gegebenes“ Ausgangsmaterial sozialwissenschaftlicher Forschung CICOUREL 1974, 59 ff.

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zwar ganz überwiegend nicht durch polizeiliche Beobachtung, sondern durch Meldungen Privater. Die polizeiliche Registrierung setzt eine Kette von Aktivitäten jenseits des registrierten Handlungsgeschehens voraus. Die Länge dieser Kette und das Gewicht ihrer Glieder schaffen eine Distanz zwischen dem registrierten Verhalten und seiner Registrierung. In Folge dessen erscheint die Registrierung nur noch sehr entfernt als Konsequenz des Verhaltens und statt dessen viel eher als Resultat reaktiver Prozesse des laienhaften Wahrnehmungsvermögens, der Meldebereitschaft und der bürokratischen Aufarbeitung. Im Einzelnen ist eine Anzeige oder (seltener) eine polizeiliche Wahrnehmung auf Grund proaktiver Ermittlungen nötig. Damit eine Verdachtswahrnehmung der Polizei angezeigt wird, muss sie faktisch sinnlich erfassbar und für Laien als kriminell bestimmbar sein. Dies ist typischerweise nur bei „klassischer“ Kriminalität mit individueller Opferschaft, nicht hingegen bei verdeckt operierender und manipulativ tätiger Kriminalität im weißen Kragen der Fall. Längst nicht jedes Verhalten, das von Laien als kriminell bestimmt wird, wird der Polizei zur Kenntnis gebracht: Die Anzeigebereitschaft wird vor allem durch die subjektiv wahrgenommene Schwere der Viktimisierung bestimmt. Sie variiert mit soziodemographischen Merkmalen der anzeigenden Person und dem Bekanntheitsgrad zwischen der anzeigenden und der beschuldigten Person71. Ferner hängt die Anzeigeerstattung von dem persönlichen Strafverlangen und der Einschätzung der Überführbarkeit des Beschuldigten ab. Die Anzeige muss entgegengenommen werden, was mitunter gesetzeswidrig (Legalitätsprinzip) unterbleibt, wobei die Personalausstattung, die mutmaßliche Deliktsschwere und die Respektabilität des Anzeigeerstatters darauf Einfluss haben72. Für die Registrierung ist sodann von Bedeutung, ob diese bei der ersten amtlichen Kenntnisnahme (Eingangsstatistik) oder bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen (Ausgangs-

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SCHWIND 2001 DÖLLING 1999

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statistik) erfolgt. Eine Eingangsstatistik (wie in Schweden) misst den ungefilterten Input polizeilicher Tätigkeit ex ante und registriert damit mehr und schwerere Delikte als eine Ausgangsstatistik (wie in Deutschland), in die nur Fälle eingehen, in denen sich der Tatverdacht nach Abklärung ex post bestätigt hat. Maßgeblich sind weiter das zur Erfassung geforderte Mindestalter der Tatverdächtigen sowie die Zählregeln bei Serienstraftaten, bei mehreren Geschädigten und bei Handlungen, die mehrere Gesetze verletzen. Neben diesen formalen Registrierungsregeln ist die informelle Handhabung der Regeln dafür von Bedeutung, ob und wie ein Geschehen statistisch dokumentiert wird. Dabei spielt eine Rolle, dass die Polizei im Vergleich zur Staatsanwaltschaft und (erst recht) zu den Gerichten zu einer Überschätzung der Deliktschwere neigt, sowie ein strategisches Registrierverhalten, welches die Zahlen in die Höhe treibt, und Erfassungsfehler vorkommen73. So wurde in Österreich Anfang 2007 von einigen Medien von einem 40%igen Anstieg der bekannt gewordenen Kriminalität gegenüber dem Vorjahr berichtet: Ein eifriger Beamter der Nationalbank hatte jede einzelne von 850 gefälschten Euromünzen als Grundlage für eine gesondert gezählte strafbare Handlung genommen und damit kurzerhand eine exorbitante Steigerung der Registrierungen dieser Delikte verursacht74. Der Umstand, dass ein Großteil der an sich interessierenden Handlungen den amtlichen Wahrnehmungsrastern entschlüpft, stellt entgegen verbreiteter Einschätzung keinen Systemmangel dar, sondern bildet geradezu eine Voraussetzung der betriebswirtschaftlichen Funktionsfähigkeit des strafrechtlichen Kontrollsystems angesichts begrenzter Ressourcen. Mehr noch ist die allgemeine Unkenntnis über Struktur und Ausmaß des amtlichen Informationsverlusts eine Voraussetzung für die generalpräventive Wirksamkeit der amtlichen Kriminalitätskontrolle75. Insofern amtliche Registrierungen ganz überwiegend auf Anzeigen aus der Bevölkerung zurückgehen, ist die polizeiliche Kriminalstatistik nicht nur RÜTHER 2001. Zusammenfassend THOME / BIRKEL 2007, 56 ff. GRAFL 2006/2007, 197 75 Unübertroffen analysiert von P OPITZ 1968 73 74

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eine Bilanz polizeilicher Aktivitäten, sondern daneben Ausdruck einer zur Aktivierung polizeilicher Verfolgung veranlassenden „Gereiztheit“ der Bevölkerung, in der sich allgemeine Verunsicherung, spezifische Kriminalitätsfurcht und Straflust widerspiegeln. Ob und inwieweit quantitative Veränderungen der in der Kriminalstatistik erhobenen Daten auf entsprechende Veränderungen der Häufigkeit des kriminellen Handlungsgeschehens schließen lassen, entzieht sich der statistischen Aussagekraft. Denn, um es durch Wiederholung zu betonen: Die Statistik sagt über das kriminelle Handlungsgeschehen nichts aus. Ihre Entwicklung ist von den Filterungen im Vorfeld des administrativen Vorganges statistischer Erfassung abhängig. Nur wenn man unterstellen könnte, dass sämtliche anderen potentiellen Einflussfaktoren auf das Registrierungsverhalten im Vergleichszeitraum konstant geblieben wären, könnten die Registrierungen den Häufigkeiten krimineller Betätigung entsprechen. So aber bleibt prinzipiell offen, ob kriminalstatistische Auffälligkeiten auf Veränderungen der Häufigkeit von Betätigungen zurückgehen, die zu polizeilicher Ermittlung Anlass bieten, oder ob sie durch Veränderungen des Anzeigeverhaltens der Bevölkerung oder der polizeilichen Ermittlungsintensität bedingt sind. Ebenso wenig wie die Kriminalstatistik kriminelles Verhalten erfasst und als Indikator für die „wirkliche“ Kriminalität zu verstehen ist, ist dies bei Dunkelfeldstudien der Fall. Solche Studien bringen weder Fälle amtlich nicht erfasster Kriminalität ans Licht noch lassen sie Rückschlüsse auf Ausmaß und Struktur der Kriminalitätswirklichkeit insgesamt zu. Bevölkerungsbefragungen zu erlittenen oder verübten kriminellen Betätigungen drücken das Antwortverhalten der Befragten aus, welches nicht mit tatsächlich erlittener oder verübter krimineller Betätigung gleichzusetzen ist. Nicht um selbstberichtete Kriminalität und Viktimisierung, sondern um Selbstberichte über Kriminalität und Viktimisierung geht es. Die substantivische Bedeutung des Berichtscharakters unterstreicht, dass es um eine Narration geht, die nicht einfach Tatsachen rapportiert, sondern Erlebtes in einer dem Setting der Befragung entsprechenden aufbereiteten Form präsentiert.

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Opferbefragungen erheben prinzipiell nur diejenige Opferschaft, welche von dem befragten Individuum wahrgenommen und laienhaft als strafrechtliche Normverletzung beurteilt wurde, ihm in Erinnerung bleibt und im Zusammenhang der Befragungssituation kommuniziert wird. Die befragte Person muss ein Erlebnis wahrnehmen, in der Laienperspektive als „kriminell“ interpretieren, es memorieren, es genügend bewältigen, um generell darüber reden können, und in der Befragungssituation mitteilungsbereit sein. Die Perzeptionen und Interpretationen variieren mit der Biografie des Befragten, der Gelegenheit des Berichtens, der ausgesprochenen Sprache, dem inneren Horizont des Befragten und seinen unausgesprochenen Relevanzen. Das Antwortverhalten wird durch das Befragungsdesign beeinflusst: von Frageformulierungen, Erläuterungen und Filterfragen76. Man mag durchaus daran zweifeln, ob Mitteilungen in Dunkelfeldbefragungen eine erlittene Viktimisierung verlässlicher indizieren als Anzeigen bei der Polizei: Da Interviews mit Forschenden unter Zusage der Anonymität den unverbindlichen Charakter des folgenlosen Plauderns besitzen, während aus einer Anzeige bei der Polizei die Erwartung folgt, dafür später als Zeuge vor Gericht mit Wahrheitspflicht einstehen zu müssen, könnte es mit der Ernsthaftigkeit der in Interviews berichteten Viktimisierungen sogar weniger weit her sein. Fehlleistungen beim Erinnern stehen in Abhängigkeit von Bildungsstand und Referenzzeitraum. Je nach Zeitdauer, auf welche sich die Frage nach der Viktimisierung erstreckt (in den vergangenen zwölf Monaten, in den vergangenen fünf Jahren oder während des Lebens), ergibt sich eine andere „Viktimisierungswirklichkeit“. Kurze Zeiträume erheben relativ homogene, allen Befragten präsente Geschehnisse, blenden aber schwerwiegende Ereignisse der Vergangenheit aus. Bei langen Zeiträumen ist mit Einflüssen des Alters der Befragten, ihrer Vergesslichkeit und dem Umstand, dass die Zeit Wunden heilen kann, zu rechnen.

76 Über den hindernisreichen Weg vom Erlebnis zu der in Opferbefragungen dokumentierten Viktimisierung näher KUNZ 2004, 289, Schaubild 5/14

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Obwohl demoskopische Opferbefragungen sich an einen repräsentativen Teil der Wohnbevölkerung richten, werden gewisse Bevölkerungskreise wie Obdachlose und Drogensüchtige, die vermutlich überdurchschnittlich viktimisiert werden, und Personen ohne Festnetz-Telefonanschluss nicht erreicht. Inwiefern die üblich gewordenen Telefonbefragungen angesichts des verbreiteten Verbergens der Festnetznummer und des Umsteigens auf Mobiltelefone noch Repräsentativität beanspruchen können, wäre abklärungsbedürftig. Erfahrungsgemäß antwortet ein erheblicher Teil der Adressaten, etwa ein Fünftel bis ein Viertel, nicht. Die Populationen der nicht Erreichten und nicht Antwortenden dürften sich von derjenigen der Antwortenden markant unterscheiden: Zu erwarten ist, dass unter den Nicht-Antwortenden Personen mit niedriger Schulbildung und Vorbehalten gegenüber neugierigen redegewandten Interviewern, Personen, die extrem zurückgezogen leben und solche, deren Kontaktfurcht ausgeprägt ist, deutlich überwiegen. Neben diesen Dunkelfeldern der nicht Erreichten und nicht Antwortenden bleibt in Dunkelfeldbefragungen das Dunkelfeld der falsch Antwortenden verborgen. Nur wenige Studien verwenden interne Überprüfungsinstrumente der Richtigkeit der Antworten, wobei alle verfügbaren Instrumente wenig valide sind. Mitunter lassen Widersprüche erhebliche Falschantworten erkennen. Wenn etwa in derselben Studie 75% mehr Männer als Frauen angeben, in den letzten fünf Jahren heterosexuelle Kontakte gehabt zu haben, lässt sich daraus allein nur schließen, dass entweder die Männer übertreiben oder die Frauen untertreiben und damit ein erheblicher Teil der Befragten lügt77. Opferbefragungen verwenden das Sicherheitsgefühl nachts draußen alleine in der Wohngegend als Standardindikator der Kriminalitätsfurcht. Qualitative Nachbefragungen zeigen jedoch, dass dieser üblicherweise nur quantitativ erhobene Indikator die Kriminalitätsfurcht deutlich überschätzt, weil er eher allgemeine, nicht kriminalitätsbezogene Ängstlich77

LAUMANN / GAGNON / MICHAEL / MICHAELS 1995

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keit erfasst, die zudem auf nur sehr spezifische, selten eintretende Situationen bezogen wird78. Erhebungen zur berichteten Häufigkeit häuslicher Gewalt, zur schichtspezifischen Verteilung selbstberichteter Jugendkriminalität und zur Viktimisierungshäufigkeit weißer US-Bürger und Afroamerikaner weisen extrem unterschiedliche Ergebnisse auf und sind oft mit anderen Datenquellen inkonsistent79. Der Kontext der Umfrage bestimmt die Häufigkeit der als relevant geschilderten Ereignisse. Im Zusammenhang möglicher Gesundheitsschädlichkeit wird ungleich häufiger über erlittene häusliche Gewalt berichtet als im Zusammenhang der Wahrnehmung als Straftat80. Bei internationalen Viktimisierungsstudien ist die Vergleichbarkeit der erhobenen Befunde fragwürdig. So kann die Berichtsbereitschaft von Frauen über erlittene sexuelle Übergriffe davon abhängen, dass in dem einen Land Frauen nur von weiblichen Interviewern befragt wurden, in dem anderen hingegen auch von männlichen Interviewern. Wenn das Sanktionsverlangen international vergleichend mit einem zu beurteilenden Fall eines 21-jährigen Mannes erhoben wird, der zum zweiten Mal wegen Einbruchs verurteilt wird, weil er aus einer Privatwohnung einen Fernseher gestohlen hat81, so drücken die Antworten nicht nur das Sanktionsklima in einzelnen Ländern, sondern zugleich auch die jeweilige Wertigkeit des Diebesobjekts in einem armen oder reichen Land aus. Beim regionalen Vergleich berichteter Viktimisierungen werden diese gewöhnlich zur Wohnbevölkerung in Bezug gesetzt. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass dieser Bezug nur für „geschlossene“ Gesellschaften mit „endogener“ Kriminalität angemessen ist, hingegen die heutigen Nationen sich durch ein hohes, je unterschiedliches Ausmaß an Mobilität auch der kriminellen Betätigung („Kriminaltourismus“, Kriminalität von Per-

FARALL / BANNISTER / DITTON / GILCHRIST 1997, KURY / LICHTBLAU / NEUMAIER / OBERGFELL-FUCHS 2005 79 YOUNG 2004, 21 80 STRAUS 1999 81 VAN DIJK / MAYHEW / KILLIAS 1990 78

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sonen ohne Aufenthaltsberechtigung und Asylbewerbern, international organisierte Kriminalität) auszeichnen. Täterbefragungen, die Selbstberichte über eigenes Straffälligwerden dokumentieren, betreffen nur spezifische Populationen zumeist junger Menschen (Schüler, Studenten, Rekruten, junge Strafgefangene). Inwiefern es ihnen gelingt, die Tabuschwelle einer üblicherweise gegenüber Dritten verheimlichten Deliktsverübung zu durchbrechen, ist methodisch schwer kontrollierbar. Da mit steigender Kriminalitätsbelastung und Deliktschwere die Zuverlässigkeit der Angaben sinken dürfte, ist bei Täterbefragungen mit einer Überrepräsentation leichter alltäglicher Kriminalität zu rechnen82. Zudem stellen sich auch hier die für Dunkelfeldforschungen erwähnten methodischen Probleme. Fasst man diese Unzulänglichkeiten zusammen, so ergibt sich eine vielfache und erhebliche Inadäquanz von quantitativen Angaben in Dunkelfeldstudien als Kriminalitätsindikatoren. Der in solchen Studien typischerweise ausdrücklich oder implizit erhobene Anspruch einer vollständigen oder zumindest repräsentativen quantitativen Ausleuchtung des Dunkelfeldes und damit einer „Sichtbarmachung“ der Struktur und des Ausmaßes der für die Instanzen „im Dunkeln“ befindlichen Kriminalität ist uneinlösbar. Eine skrupulöse Offenlegung der methodischen Probleme und eine Klarstellung dessen, was genau erhoben wird, wäre dringlich – was freilich nichts an der hier nur an einigen Beispielen belegten prinzipiellen Inadäquanz auch der Dunkelfeldforschung für Aussagen über kriminelles Verhalten ändert. Ob überhaupt und wie genau die in Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung aggregierten Daten dem Phänomen Kriminalität entsprechen, ob sie verlässliche Repräsentationen des wahren Kriminalitätsgeschehens sind oder als bloßer vorläufiger Anhaltspunkt dafür verstanden werden können, ist unwissenschaftliche Spekulation83. So oder so ist die Annahme einer Indizfunktion von amtlichen Kriminalstatistiken oder Dunkel82 83

KUNZ 2004, 286 Jock Young spricht insoweit von „Voodoo-Criminology“, vgl. YOUNG 2004

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felderhebungen für das „wirkliche“ kriminelle Verhalten unzutreffend und verschleiernd. Was die empirische Kriminalitätsforschung als „kriminelles Verhalten“ bestimmt und als Untersuchungsgegenstand wählt, ist kein reales Handlungsgeschehen, sondern die reale Deutung eines Verhaltens als Rechtsbruch. Das Verhalten wird als gegen rechtsverbindliche Erwartungen verstoßend bestimmt, wobei diese Bestimmung Enttäuschung, Distanzierung und Verhinderungsbedürftigkeit ausdrückt. Das Objekt der Kriminalitätsforschung ist mithin ein negatives Bild, das sich die Gesellschaft über von ihr als kriminell bestimmtes Verhalten bildet. Die Kriminalitätsforschung greift dieses Bild auf und reproduziert es mit den ihr verfügbaren Mitteln, von welchen im Bereich der quantitativen Forschung die Mittel der Statistik und der Dunkelfeldstudien die verbreitetsten sind. Indem die Forschung sich ein Bild von dem gesellschaftlichen Bild der Kriminalität macht, erschließt sie sich soziale Wahrnehmungen und Reaktionen auf ein Bündel von Verhaltensweisen, welche in diesen Wahrnehmungen und Reaktionen als Kriminalität bestimmt werden. Die Verhaltensweisen, auf die sich die gesellschaftliche Bestimmung als kriminell bezieht, haben keine Eigenart als solche, sondern erhalten ihre Besonderheit durch diese Bestimmung zugewiesen. Die Konsequenzen dessen sind aus der Diskussion in den 80er Jahren um den so genannten Labeling Approach bekannt – und scheinen heute weitgehend vergessen. Das Missverständnis der Beobachtbarkeit rein des Verhaltensaspekts von Kriminalität ergibt sich aus einem naiven empiristischen Verständnis, welches, wie wir erläutert haben84, bereits mit einer kritisch-rationalen Erkenntnishaltung – und erst recht mit dem interpretativen Paradigma – unvereinbar ist. Dieses Missverständnis entsteht durch den empiristischen Fehlschluss, dass theoretische Modellbildungen Tatsächlichkeiten unvermittelt ausdrückten, die empirisch belegbar seien. Jener empiristische Fehlschluss ist in der empirischen Kriminalitätsforschung besonders naheliegend, weil die Konzeptualisierung der abhän84

Oben Kap. 5

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gigen Variable Kriminalität trotz ihrer Abstraktheit – und insoweit im Gegensatz zu „Intelligenz“, „Aggressivität“ oder „Ängstlichkeit“ – geradezu banal einfach erscheint. Kriminalität ist ein Verhalten, welches das Strafgesetz als solches bestimmt und verbietet85. Demnach scheint eine wissenschaftliche Konstruktbildung insoweit überflüssig, da das Konstrukt in der Sozialwirklichkeit durch die strafrechtliche Verbotsmaterie vermeintlich vorgegeben ist und sich der wissenschaftlichen Beobachtung damit als Gegebenheit zu erschließen scheint. Dies legt es nahe, die anspruchsvollen Anforderungen des kritischen Rationalismus an die Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstandes beim Studium der Kriminalität zu vernachlässigen und hier zum simplen empiristischen Verständnis der Beobachtung eines vom Strafgesetz objektiv definierten Realphänomens zurückzukehren. Angesichts der vom Strafgesetz vorbestimmten abhängigen Variable Kriminalität scheint nur noch das Verhalten erklärungsbedürftig, welches vom Strafgesetz verboten ist. Die verhaltensbezogene Erklärung richtet sich auf die verschiedenen Varianten des strafgesetzlich verbotenen Verhaltens, ihre Rubrizierungsmöglichkeit in Untergruppen („einzelne Kriminalitätserscheinungen“), deren mengenmäßiges Vorkommen und die möglichen Ursachen für das Auftreten solchen Verhaltens. Jenseits der Verhaltensebene ist nur für eine differenzierte Betrachtung danach Raum, ob die mit dem gesetzlichen Verbot verbundene Aufgabe der Instanzen der strafrechtlichen Kontrolle, das darunter fallende Verhalten zu verfolgen und zu bestrafen, tatsächlich vollzogen wird. Bereits der kritische Rationalismus behauptet jedoch keine Entsprechung des empirisch überprüften Datenbestandes mit einer realen Tatsächlichkeit, sondern postuliert eine möglichst gute („konstruktvalide“) Entsprechung dessen, was empirisch getestet wird mit den theoretischen Konstruktionen, welche den Untersuchungsgegenstand bilden. Eine bestmögliche Übereinstimmung zwischen dem, was ich mir als Thema vorgebe und dem, was ich als Variablenbeziehungen teste, ist gefordert. 85 Zur Unumgänglichkeit des formalen Verbrechensbegriff des Strafrechts als Ausgangspunkt kriminologischer Analyse KUNZ 2004, 31 ff.

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Damit wird nicht behauptet, dass die Zusammenhänge, die ich mit Daten aus amtlichen Registrierungen oder Dunkelfeldbefragungen teste, in irgendeiner Weise mit „realem“ Verhalten zusammenhängen. Diese Übereinstimmung ist bei der Operationalisierung kriminellen Verhaltens mit den aggregierten Daten der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung nicht annähernd gegeben. Anders gesagt: Die Inhaltsvalidität von Kriminalstatistiken und Dunkelfeldforschungen, also die Eigenschaft, das zu messen, was gemessen werden soll, bezieht sich nicht auf kriminelles Verhalten, sondern auf Einschätzungen dessen durch je spezifische Gruppen sozialer Akteure. Was üblicherweise als Hell- und Dunkelfeld bezeichnet und damit als zusammengehörig und die Gesamtheit kriminellen Verhaltens ausmachend gedacht wird, wird von den Instanzen der strafrechtlichen Kontrolle und den Opferbefragenden nach je unterschiedlichen Regeln bestimmt. Die Inhalte beider „Felder“ sind heterogen, und beide enthalten nicht Verhaltensweisen mit der gemeinsamen Eigenschaft „kriminell“. Damit ist die Bestimmung kriminellen Verhaltens in den je divergierenden Kontexten von strafrechtlicher Kontrolle und Bevölkerungsbefragungen, nicht aber das dabei als kriminell bestimmte Verhalten das Thema. Daraus folgen Binsenweisheiten, die im kriminologischen Alltagsgeschäft des Datensammelns und -auswertens mitunter verdrängt und darum hier einmal mehr erwähnt) werden: Die Kriminalstatistik bildet nicht (wie immer getreulich oder rudimentär) den Teilbereich jener Kriminalität ab, welche amtlich registriert wird, sondern dokumentiert (mehr oder weniger korrekt) das Registrierungsverhalten der Instanzen strafrechtlicher Kontrolle. Die Erträge der Dunkelfeldforschung geben nicht den der registrierten Kriminalität reziproken Teilbereich von Kriminalität, welcher den Instanzen verborgen bleibt, wider, sondern sind (bestenfalls) getreulicher Ausdruck des Berichtsverhaltens der Bevölkerung in Befragungssituationen. Allgemein ausgedrückt: In der Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung sammeln sich Bilder, welche die Behörden und die Bevölkerung sich von ihren jeweiligen Kriminalitätswahrnehmungen gemacht haben.

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Die statistische und die demoskopische Forschung erfassen somit nicht Indikatoren sozialer Wirklichkeit von Kriminalität, sondern reproduzieren die ihren unterschiedlichen Forschungsdesigns zugängliche wirkliche Kriminalitätswahrnehmung von Instanzen und Bevölkerung. Wenn überhaupt amtliche Registrierungen und Angaben aus Dunkelfeldforschungen als Indikatoren verstanden werden sollen, bezieht sich die Indikatoreigenschaft nicht auf eine Entsprechung zu „tatsächlichem“ kriminellen Verhalten, sondern darauf, dass die erhobenen Registrierungen den tatsächlichen amtlichen Bearbeitungen und die Angaben aus Dunkelfeldforschungen den tatsächlichen Wahrnehmungen der Befragten bestmöglich entsprechen. Auch diese Entsprechung, von CICOUREL als „ökologische Validität“ bezeichnet86, ist keineswegs trivial zu unterstellen. Dies besagt nicht, dass die Aussagen von Kriminalstatistiken und Dunkelfeldforschungen belanglos wären. Wertlos sind sie, wie QUÉTELET festhält, nur für die Erkenntnis der Kriminalität, weil diese kein mit Mitteln der quantitativen Datenerhebung unmittelbar zugängliches Thema bildet. Der Gebrauchsnutzen quantitativer aggregierter Datensammlungen liegt generell in der übersichtlichen Information über Zusammenhänge einzelner Datenkategorien. Speziell Kriminalstatistiken und Dunkelfeldforschungen sind nützlich, soweit sie als Hinweise auf die Wahrnehmung und Bestimmung des Problemfeldes Kriminalität durch bestimmte soziale Akteure verstanden werden. Zwar dürften qualitative Analysen nötig sein, um wirklich zu begreifen, was es genau bedeutet, to see it my way. Immerhin besagen quantitative Analysen etwas darüber, wie häufig die jeweiligen Akteure Bestimmungen von Kriminalität vornehmen, welche Konsequenzen sie daran anknüpfen und wie diese Konsequenzen sich zu einem Gesamtbild informeller und förmlicher Kontrollaktivitäten zusammenfügen. So kann die Kriminalstatistik als nützliches Indiz der bürokratischen Auslastung der polizeilichen und justiziellen Instanzen verstanden werden und Bearbeitungsschritte, Erledigungsformen und Selektionsvorgänge aufzeigen. Die Dunkelfeldforschung 86

CICOUREL 1996

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eröffnet die Möglichkeit einer Erweiterung des Untersuchungsbereichs auf Erkenntnisse über die lebensweltliche Einschätzung des Kriminalitätsproblems87. Sie kann – unter Berücksichtigung der erwähnten Vorbehalte – sinnvoll etwa die Verbreitung und Struktur des Berichtsverhaltens über als kriminell gedeutete Erlebnisse, über die zeitliche Persistenz des Opferempfindens und seine individuelle Bewältigung erfassen. Der Nutzen besteht stets – nur, aber immerhin! – in quantitativen Angaben über registrierte oder berichtete Vorgänge des Bestimmens und Verarbeitens, welche das System der Kriminaljustiz produziert oder die Bevölkerung informell vornimmt. Die Frage bleibt, wieso die empirische Kriminologie sich traditionell damit schwer tut, die Herkunft ihrer Datenbestände aus Bestimmungsvorgängen explizit offen zu legen und stattdessen gemeinhin suggeriert, Repräsentationen kriminellen Verhaltens zu erheben. Das damit verbundene wissenschaftstheoretische Programm des Empirismus entstammt dem frühen 20. Jahrhundert und war Mitte dieses Jahrhunderts durch den kritischen Rationalismus methodisch widerlegt. Erklärbar ist diese eigentümliche methodische Rückständigkeit der empirischen Kriminalitätsursachenforschung nur damit, dass diese Forschung eminent starke gesellschaftspolitische Bedürfnisse bedient. Aus der politischpraktischen Notwendigkeit der Kriminalitätsbekämpfung folgt ein permanentes und prinzipiell unersättliches Verlangen nach Wissen über das Phänomen – seine Häufigkeit, seine Erscheinungsformen, seine Zusammenhänge mit anderen Phänomenen – welches es zu bekämpfen gilt. Darum scheinen empirisch gestützte Aussagen über kriminelles Verhalten in der politisch-gesellschaftlichen Diskussion ungleich wichtiger als solche über das Registrierungsverhalten der strafrechtlichen Kontrollinstanzen oder das Berichtsverhalten der Bevölkerung. Dabei fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung die Sensitivität dafür, dass dasjenige, was als wichtig gilt, nicht direkt beobachtbar und messbar ist, während dasjenige, was als weniger bedeutsam erscheint, empirisch darstellbar ist. An sich wäre es die Aufgabe der Wissenschaft, auf diese mangelnde Sensiti87

HEINZ 2006, 245

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vität des öffentlichen Bewusstseins aufklärend hinzuweisen. Dies nicht zu tun, ist ein wissenschaftspolitisches Manko der mit Daten aus kriminalstatistischen Erhebungen oder Dunkelfeldforschungen arbeitenden Kriminalitätsforschung. Indem die empirische Kriminologie sich als erklärende Ursachenforschung in den Dienst der Prävention des im Fokus der Kriminalitätsbekämpfung stehenden kriminellen Verhaltens stellt, kann sie nicht anders, als so zu tun, als ob dieses Verhalten mit „unschuldigem Auge“ als solches wahrnehmbar sei. Was das „unschuldige Auge“ dabei wahrnimmt, entspricht jeweils den Wahrnehmungserwartungen dessen, der das Auge fokussiert. So erscheint in der Schwereskala kriminellen Verhaltens für den einen die Straßengewalt, für den anderen die Korruption und für die dritte die häusliche Gewalt oben zu stehen. Als Ursachen kriminellen Verhaltens wird schlicht alles in der Bandbreite von Anlage und Umwelt ausgemacht. Den einen erscheinen Kriminelle als durch soziale oder psychologische Defizite determinierte Wesen, den anderen als autonome Wahlentscheider zum eigenen Vorteil. Die vermeintlich in Statistiken und Befragungen zum Ausdruck kommende Häufigkeit bestimmter Arten von krimineller Betätigung bietet sich gleichermaßen für nüchterne Erklärungen wie für Dramatisierungen an. Eine Änderung dessen zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil: Mit der Erweiterung der Bedrohungsszenarien auf organisierte Kriminalität und Terrorismus, mit dem Ausbau und der internationalen Verflechtung der Verfolgungsinstanzen und mit bei diesen Instanzen angesiedelten oder von ihnen finanzierten kriminologischen Forschungseinrichtungen wächst der Bedarf an verhaltensbezogenen Erklärungen. Die Entwicklung wird begünstigt durch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen denen, welche die Datenerhebung organisieren und jenen, welche die Daten interpretieren. Kontrollinstanzen, die ihre Bearbeitungsvorgänge statistisch selbst erfassen, tun dies in ihrer Perspektive und nach ihren Interessen. Der derart aufbereitete Datenbestand ist für eine unabhängige wissenschaftliche Analyse, die auf Rohdaten angewiesen wäre, wenig geeignet. Die Kategorien einer Kriminalstatistik geben deren Interpreta-

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tionsmöglichkeiten vor. Eine statistische Differenzierung nach Delikten und Deliktskategorien macht die Klarstellung, dass damit nicht wirklich Straftaten erfasst werden, zu einer mühseligen Daueraufgabe mit geringer öffentlicher Wertschätzung. Wenn bei Großprojekten wie nationalen und internationalen Opferbefragungen die Forschenden ihre Befragungen nicht selbst durchführen, sondern in Auftrag geben und womöglich an Befragungsinstitute delegieren, erhalten sie bereits „vorgereinigte“ Informationen in der Form numerisch aufbereiteten Datenmaterials zurück, dessen Herstellungsbedingungen unkenntlich sind. Verloren geht dabei die einfache Einsicht, dass die Datenerhebung durch die Situationsgestaltung der daran beteiligten sozialen Akteure geprägt wird. Interviewsituationen sind soziale Beziehungen, in denen Interaktionen zwischen Interviewten und Interviewern ablaufen, deren Ergebnis davon abhängt, wie die Interviewer und die Interviewten sich und ihre jeweilige Wahrnehmungsperspektive einbringen. Der ursprünglich interpretative Zugang zu den Datenquellen ist bei der Auswertung des aufbereiteten Datenmaterials unsichtbar geworden.

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Die gebotene Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens

Bei der Auseinandersetzung mit einer positivistisch zugerichteten Sozialforschung geht es um mehr als um bloße Methodenkritik. Insofern sich die Kritik aus einer begleitenden Beobachtung der spezifischen Weise des positivistischen Beobachtens der Sozialwelt entwickelt, nimmt sie eine Perspektive in Anspruch, welche von den Rändern der Brille des positivistischen Beobachtens verdeckt ist und zugleich auf die Notwendigkeit des Beobachtens der Sozialwelt ohne diese Randverblendung verweist. Freilich muss sich auch die kritische Beobachtung der Kritik ihrer eigenen Wahrnehmungsperspektive aussetzen. Erfolgreich verteidigen lässt sich die skizzierte positivismuskritische Position nur durch den Nachweis, dass sie, anders als der Positivismus, dem Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis gemäß ist und insofern das Postulat der Gegenstandsadäquanz sozialwissenschaftlichen Beobachtens88 erfüllt. Grundlegend dafür ist ein Verständnis des Menschen, das diesen als sinnhaft handelnd und seinen Handlungen Bedeutungen zuschreibend bestimmt. Dieses Verständnis löst sich von der einheitswissenschaftlichpositivistischen Vorstellung, menschliches Verhalten und seine institutionellen Kontexte seien wie natürliche Objekte passive, nichtkommunizierende Erkenntnisgegenstände, die durch statistische Zusammenhänge mit anderen Gegebenheiten ursächlich zu erklären seien. Mit der Bestimmung des Menschen als ein self-interpreting animal (CHARLES TAYLOR) ändern sich die Referenzbegriffe: vom beobachtbaren Verhalten zum sinnhaften Handeln, von den objektiven Ursachen zu den intentionalen Gründen, vom disengaged subject, das wie der aufgespießte Schmetterling mit der Linse der Wissenschaft beobachtbar scheint, zum

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CICOUREL 1974, 39

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sozialen Akteur, der befähigt ist, auf den wissenschaftlichen Beobachter zurückzuwirken. Der intentionale Sinnbezug menschlichen Handelns lässt sich nicht „erklären“, weil die Erklärungsstrategie dem einheitswissenschaftlichen Modell des Positivismus entspricht und den Erklärungsgegenstand verdinglicht. Eine zum Erklären komplementäre Erkenntnisstrategie ist gefordert, für die sich der Begriff des Verstehens eingebürgert hat89. Mit der Vorstellung des sinnhaft handelnden Akteurs und der daraus folgenden Notwendigkeit, seine Handlungsintentionen verstehend zu interpretieren, verbindet sich kein ontologisches Menschenbild. Vielmehr geht es allein um eine der Beobachtung menschlichen Handelns gemäße Beschreibungsform, die sich für solche Beobachtungen als heuristisch fruchtbar erweist90. Gesellschaftliche Realphänomene sind keine der Beobachtung unmittelbar zugänglichen Objekte. Die soziale Welt ist von Menschen ge- und bedeutet, also von sozialen Akteuren intentional mit Sinn verbunden. In diskursiven Praktiken wird dieser Sinn durch andere soziale Akteure interpretiert, mit anderen Deutungen konfrontiert und möglicherweise neu ausgehandelt. Das Geflecht dieser Bedeutung stiftenden Praktiken bezieht sich nicht auf eine davon unabhängig vorhandene soziale Wirklichkeit. Vielmehr ermöglichen die sinngebenden Praktiken für uns Menschen zu allererst ein Verständnis der sozialen Wirklichkeit und machen die Wirklichkeit für uns verfügbar. Dabei werden nicht nur Dinge mit Wörtern benannt. Im hin-deutenden Ausdruck werden die sozialen „Dinge“ in bestimmter Weise ins Licht gerückt und rahmend mit Empfindungen versehen. Alle sozialen Akteure, welche die betreffende Sprache beherrschen, sind befähigt, Bedeutungen von Dingen zu verstehen, indem sie diese mit ihren eigenen Assoziationen versehen und so sich davon „ihr“ Bild machen. Jede Wahrnehmung der sozialen „Dinge“ beruht auf einem von ihnen gewonnenen persönlichen Eindruck, der das

89 90

Vorn Kap. 2 RECKWITZ 2000, 107

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Wahrgenommene wertend nach Belangvollem und Unbedeutendem strukturiert und den Dingen Sinn beimisst. Da die Wahrnehmung sozialer „Dinge“ stets mit subjektiver Sinngebung verbunden ist, kommt auch die Wissenschaft nicht ohne sie aus. Insofern die soziale Welt sich durch diskursive Praktiken bildet und erschließt, muss auch der Forschende diese Praktiken rekonstruieren und dabei auf dieselben Fertigkeiten zurückgreifen, welche diejenigen ausüben, deren Verhalten er zu analysieren versucht. Im Sinne einer „doppelten Hermeneutik“91 ist die Sozialwissenschaft bei der ReInterpretation des durch Vor-Interpretationen sozialer Akteure gebildeten Themas in den Prozess gesellschaftlicher Bedeutungs- und Identitätsstiftung eingebunden und wirkt mit ihren wissenschaftlichen Interpretationen auf den gesellschaftlichen common sense zurück. Der „normalen“ Umgangssprache kommt dabei eine Brückenfunktion zu. Sie ist zugleich Ausdrucksmittel sozialer und sozialwissenschaftlicher Realitätswahrnehmung wie Medium der Verständigung über die Gültigkeit der Wahrnehmung im gesellschaftlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs. Anders die exakte Sprache der Mathematik ist die Umgangssprache, in der sich die Sozialwelt ausdrückt, nicht nur abbildend, sondern vielmehr für die Hervorbringung und Erhaltung von Empfindungen konstitutiv. Wirklichkeitswahrnehmungen werden umgangssprachlich mit einem Sinn gefüllt, der nicht nur etwas über das damit Bezeichnete aussagt, sondern zugleich die Wahrnehmungsperspektive des Bezeichnenden ausdrückt. Die Umgangssprache verweist in ihrer Bedeutung über die bloße Bezeichnung von Gegenständen auf das Verständnis des Autors. Die Bezeichnung ist von dem Verständnis nicht unabhängig, vielmehr werden die Gegenstände im Vorhinein als in bestimmter Weise verstanden bezeichnet. In diesem Sinne drückt die Umgangssprache die Verständnisse der Sozialwelt aus, welche sich uns nicht als solche, sondern stets als eine empfundene Wirklichkeit erschließt. Über ihre Funktion als Ausdrucksmittel hinaus ist die Umgangssprache Kommunikati-

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GIDDENS 1984, 191, 199; vgl. auch RECKWITZ 2000, 30 ff.

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onsmittel: Sie dient der Verständigung über die Verständnisse, bei der neue Verständnisse produziert werden, die wiederum zum Thema der Verständigung werden. Indem die empfundene Wirklichkeit kommunikativ vermittelt und in einem nicht zu Ende kommenden Prozess neu bestimmt wird, konstituiert sich eine soziale Praxis der Sinngebung. Diskursive Praktiken des Bestimmens und Auslegens der sozialen „Dinge“ sind Vorgänge kultureller Selbstauslegung, mit denen eine Gesellschaft ihre Identität stiftet und fortwährend re-formuliert. Die Einsicht, dass die Sozialforschung in die kulturelle Selbstauslegung der Gesellschaft eingebunden ist, hat seit den siebziger Jahren in der Sozialtheorie zu dem bereits erwähnten92 cultural turn geführt. Dieser ist im Kern dadurch bestimmt, dass die Sozialforschung sich als in ihr Forschungsthema einbezogen versteht und ihre Aufgabe darin sieht, die Sinnmuster der Sozialwelt mit denselben sprachlichen Mitteln, in welcher sich die Sozialwelt ausdrückt, zu rekonstruieren. Dabei bedient sich die Forschung vornehmlich verschiedener Techniken der interpretativen Entschlüsselung von Sinnstrukturen und der teilnehmenden Beobachtung, die in Abgrenzung zu den quantitativen Methoden der positivistischen Sozialforschung als „qualitativ“ bestimmt werden93. Der Leitgedanke einer sinnhaften Konstitution der sozialen Welt und des menschlichen Handelns94 verlangt von der Sozialforschung – jenseits eines hier gar nicht möglichen streng objektiven Problemzuganges – ein Einlassen auf die Praktiken sozialer Sinngebung und ihre notwendig perspektivische Rekonstruktion aus dem jeweiligen Verständnishorizont des Forschenden. Dabei gilt es, die Wirklichkeitsdeutungen über die Schultern derjenigen, die sie tätigen, zu interpretieren. Da wir als erkennende Subjekte Teil des sozialen Ensembles sind, einzelne Realphänomene nur durch Zuordnung zu diesem Ensemble bestimmbar sind und diese Zuordnung standpunktabhängig ist, kann die Erkenntnis gesellschaftlicher Realphänomene nicht in einem wissenschaftlich exakten, also „szientistiKap. 2 Näher dazu die Beiträge von Besozzi und Sack in KUNZ / BESOZZI 2003 94 RECKWITZ 2000, 30 92 93

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schen“, Sinne wahr oder falsch sein. Möglich ist immerhin eine Erkenntnis, die sich ihrer Standpunktbezogenheit bewusst ist, sich darüber vergewissert, wie sie sich in den jeweils herrschenden epochalen Deutungsrahmen einfügt und diesen dabei in seiner Zeitgebundenheit relativiert. In den Worten von RECKWITZ: „Gegen das methodologische Postulat der »Einheitswissenschaft« (Neurath) von Natur- und Sozialwissenschaften gilt es für die Sozialwissenschaften im Kontext des cultural turn festzuhalten, dass sie nicht Bedeutungen über sinnfremde Gegenstände, sondern Bedeutungen über Bedeutungen produzieren. Die immer wieder neu zu stellende Aufgabe der «qualitativen» sozialwissenschaftlichen Methodologie besteht demnach darin, Methoden zu erproben, die einen möglichst fruchtbare und dem Gegenstand »angemessene« Interpretation der Sinnmuster versprechen, in denen sich die soziale Welt reproduziert.“95 Die Einsicht in die Notwendigkeit gegenstandsadäquaten sozialwissenschaftlichen Erkennens vermittelt eine nur ungefähre Vorstellung darüber, wie jenes Erkennen konkret vonstatten gehen soll. Empfehlungen von Empfindsamkeit, Intuition und Kreativität bestimmen das Wofür der nötigen Qualitäten eher als Kunst(fertigkeit) denn als Wissenschaft. Der inzwischen etablierte Sprachgebrauch eines „qualitativen“ Vorgehens bezeichnet eher ein alternatives Paradigma zur positivistischen quantitativen sozialwissenschaftlichen Forschung denn ein einheitliches methodisches Konzept96.

95 96

RECKWITZ 2000, 26 BESOZZI 2003, 32

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Das interpretative Paradigma und seine methodischen Ausformulierungen

Ein genaueres Verständnis der Methode der sinnrekonstruierenden Sozialforschung ergibt sich, wenn man die Entwicklungsstufen der kulturtheoretisch orientierten Sozialwissenschaften und die dabei vollzogenen Revidierungen nachvollzieht. Das neue interpretative Paradigma der Sozialwissenschaften wird durch ALFRED SCHÜTZ eingeführt, indem dieser in seinem Frühwerk „Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“97 den wissenschaftlichen Zugang zur sozialen Welt im Sinnverstehen des Subjekts mit alltagsphänomenologischen Deutungsschemata bestimmt. Während für SCHÜTZ noch die Frage im Vordergrund steht, wie das Subjekt sich über intentionale Sinnzuschreibungen seine Lebenswelt konstituiert, richten spätere interpretative Ansätze, ERVING GOFFMAN folgend98, ihre Aufmerksamkeit auf die „öffentlichen“ sozialen Praktiken und die übersubjektiven kulturellen Bedingungen des Sinnverstehens. CLIFFORD GEERTZ prägt das Programm einer interpretativen Kulturanthropologie, indem er Kultur als symbolischen, mit Sinnmustern besetzten Text beschreibt, der jenseits mentaler Eigenschaften von Subjekten zu lesen ist99. CHARLES TAYLOR unternimmt in seiner Theorie der von Hintergrundwissen geleiteten sozialen Praxis den Versuch, die konstitutive Bedeutung subjektiven Verstehens mit der Übersubjektivität kultureller Deutungsrahmen zusammenzuführen100. Die von SCHÜTZ ausformulierte Verpflichtung der Sozialwissenschaften auf die subjektive Perspektive von Verstehensleistungen des forschenden Subjekts ist einer grundsätzlichen Begründungsschwierigkeit ausgesetzt, SCHÜTZ 1974 Insbesondere GOFFMAN 1974 99 GEERTZ 1993, GEERTZ 2000 100 Insbesondere TAYLOR 1985b, TAYLOR 1995 97 98

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welche sich als „individualistisches Dilemma“101 bezeichnen lässt. Das Dilemma folgt aus dem Problem, wie aus einer subjektiven Perspektive die übersubjektive, kollektive Struktur der sozialen Welt erschließbar sein soll. SCHÜTZ hatte die Zwangsläufigkeit einer subjektiven wissenschaftlichen Wahrnehmung aus der philosophischen Phänomenologie EDMUND HUSSERLS102 und der Hermeneutik WILHELM DILTHEYS103 übernommen. Dort stellt sich dieses Problem indessen nicht. In der philosophischen Phänomenologie bedeutet Subjektivität nicht die Diversität empirischer Subjekte, sondern eine transzendentale, universal verstandene Subjektivität jenseits empirischer Differenzen104. In der zunächst nur für die Geisteswissenschaften entwickelten Hermeneutik ist zwar eine individuelle Verstehensleistung eines konkreten empirischen Subjekts gefordert. Indessen geht es bei der hermeneutischen Auslegung um die Interpretation des Texts eines Autors, wobei der Text als Erzählung verstanden wird, deren Sinn durch eine Art fiktives Gespräch zwischen Interpret und Autor allmählich aus dem Text herausgeschält wird. Anders als bei der Text-Interpretation ist in der verstehenden Sozialforschung nicht eine Verständigung mit dem textlich fixierten Bericht eines individuellen Autors, sondern die teilnehmende Beobachtung von lebensweltlichen Praktiken der Gesellschaft gefordert. Wegen dieses individualistischen Dilemmas ist fraglich, wie die notwendig perspektivische Rekonstruktion der Sozialwelt aus dem Blickwinkel konkreter Forschender durch eine wissenschaftliche Vernunft diszipliniert werden kann. Abermals sei betont, dass es in der Sozialforschung, anders als in der Kunst, nicht um die Beliebigkeit einer wie immer „sensitiven“ Inspiration auf der Basis bloß subjektiver Standpunktbezogenheit gehen kann. Obwohl sich der Zugang zur Sozialwelt nur über die persönliche sinnstiftende Wahrnehmung konkreter Wissenschaft treibender Subjekte vollzieht, stellen sich an wissenschaftliche Wahrnehmungen ALEXANDER 1988 HUSSERL 1992 103 DILTHEY 1973 104 RICOEUR 1981, 101 ff. 101 102

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Ansprüche der Gültigkeit. Die Maßstäbe wissenschaftlicher Gültigkeit ergeben sich aus generellen gesellschaftlichen Vorstellungen des Richtigen und Angemessenen und sind darum mehr als eine bloße subjektive Vorstellung des Forschenden von den gesellschaftlichen Vorstellungen des Richtigen und Angemessenen. Die Existenz kollektiver Sinnsetzungen des Sozialen jenseits subjektiver Verständnisse einzelner sozialer Akteure entzieht sich einer streng subjektiven Perspektive, die Wirklichkeitswahrnehmung nur als Verstehensakt eines einzelnen Subjekts bestimmt. Da das subjektive Bewusstsein dabei als das einzig Wirkliche gedacht wird, ist der methodisch individualistische Zugang zur Sozialwelt unfähig, deren überindividuelle Strukturen zu bestimmen. Das Gegenmodell eines objektiven Verständnisses der Strukturen der Sozialwelt meidet jenes Problem, ohne die Objektivität der Sozialwelt mit derjenigen der Naturwelt gleichsetzen und damit zu dem einheitswissenschaftlichen Positivismus zurückkehren zu müssen. EMILE DURKHEIM hatte jene für die Soziologie zentrale Theorietradition begründet, indem er das kollektive Bewusstsein (la conscience collective) dem individuellen Bewusstsein überordnete. Fortan widmete sich der soziologische Struktur-Funktionalismus der Analyse jener kollektiven Wissenssysteme, welche als gesellschaftliche Objektivität verstanden wurden. In den USA rückte TALCOTT PARSONS die Funktionalität sozialer Strukturen in den Blickpunkt. In Deutschland setzten MAX WEBER, RENÉ KÖNIG und RALF DAHRENDORF diese Tradition fort, wobei letzterer die Prägung des Individuums durch kollektive Wissenssysteme zu einem in soziale Rollen eingebundenen homo sociologicus beschrieb105. In seinem wissenssoziologischen Spätwerk formuliert DURKHEIM: „Da die Welt, die das Gesamtbegriffssystem ausdrückt, die Welt ist, die sich die Gesellschaft vorstellt, kann uns allein die Gesellschaft die allgemeinsten Begriffe liefern, nach denen die Welt vorgestellt werden muss. Nur ein Subjekt, das alle Einzelsubjekte umfasst, kann ein solches Objekt 105

DAHRENDORF 1986

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umfassen. Da das Universum nur insofern existiert, als es gedacht wird, und da es total nur durch die Gesellschaft gedacht wird, geht es in diese ein. Es wird ein Element des inneren Lebens der Gesellschaft, und damit ist diese allein die Totalität außerhalb derer nichts existiert. Der Begriff der Totalität ist nur die abstrakte Form des Begriffs der Gesellschaft. Sie ist das Ganze, das alle Dinge umfasst, die oberste Klasse, die alle anderen Klassen umschließt.“ 106 Und weiter: „Damit scheint die Soziologie berufen zu sein, einen neuen Weg für die Wissenschaft des Menschen zu eröffnen. Bisher stand man vor der Alternative: entweder die höheren und spezifischen Fähigkeiten des Menschen auf die niedrigen Formen des Seins zurückzuführen, die Vernunft auf die Sinne, den Geist auf die Materie, was darauf hinauslief, ihre Besonderheit zu verneinen; oder auf irgendeine außererfahrungsmäßige Wirklichkeit, die man postuliert, deren Existenz aber durch keine Beobachtung ermittelt werden kann. Diese Verwirrung des Geistes entstand, weil man das Individuum als finis naturae angenommen hatte. Es schien, als ob es darüber hinaus nichts mehr gäbe, wenigstens nichts, was die Wissenschaft hätte erreichen können. Aber von dem Augenblick an, als man erkannt hatte, dass über dem Individuum die Gesellschaft steht und dass sie kein normales und vernunfterdachtes Wesen ist, sondern ein System von handelnden Kräften, wurde eine neue Art möglich, den Menschen zu erklären. Um ihm seine wesentlichen Attribute zu erhalten, braucht man ihn jetzt nicht mehr außerhalb der Erfahrung anzusiedeln. Ehe man zu diesem äußersten Ende kommt, muss man wenigstens untersuchen, ob das, was im Individuum das Individuum überschreitet, von dieser überindividuellen Wirklichkeit kommt oder in der Erfahrung, nämlich in der Gesellschaft, gegeben ist“107. Für den soziologischen Strukturalismus ergibt sich ein gegenüber dem individualistischen Dilemma spiegelbildliches „kollektivistisches Dilemma“: Wie soll die übersubjektive, kollektive Struktur der sozialen Welt erschließbar sein, wenn deren Wahrnehmung notwendig über Ver106 107

DURKHEIM 1981, 581 ff., 590 DURKHEIM 1981, 596 f.

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stehensleistungen eines konkreten empirischen Subjekts erfolgt? Und überdies: Wie soll sich soziale Reproduktion erklären lassen, die mitunter sprunghaft instabil verläuft und dabei soziale Strukturen sprengt und in neue transformiert? Die Konsequenz aus beiden Dilemmata kann nur in der Überwindung des unfruchtbaren Dualismus von subjektivistischer Sozialphänomenologie und objektivistischem Strukturalismus bestehen. Gesucht wird ein Interpretationsmuster, welches die subjektiv sinnstiftende und diesen Sinn rekonstruierende Handlungsebene mit den kollektiven Wissensstrukturen verschränkt. Die Antwort auf das Problem findet sich darin, dass das kollektive Wissen einen semiotischen Gehalt aufweist, also ein übergreifendes Sinnsystem darstellt, an welches individuelle Handlungsinterpretationen anknüpfen. Das kollektive Wissen bildet in einer Art „Hintergrundsprache“108 ein Regelwerk, mit dem die Individuen ihre Verstehensleistungen ordnen und anderen vermitteln. Die Hintergrundsprache entwickelt sich kontinuierlich, indem die Akteure in der Alltagspraxis relativ gleichförmige Handlungen repetitiv und routinisiert vollziehen und mit einer gleichförmigen Bedeutung versehen. Mit der Routinisierung bildet sich eine als „Aneignung“ zu bestimmende109 Vertrautheit der Deutungen, die nicht mehr bewusst gemacht und verbalisiert werden müssen, sondern implizit bleiben. Die kontinuierliche und gleichförmige Praxis strukturiert die Handlungsbedeutung zu einer Form, die von Einzelheiten abstrahiert und sie über zeitliche und räumliche Grenzen relativ stabil macht. So entstehen durch Schematisierungen und Klassifizierungen gleichsam hinter dem Rücken der Subjekte kollektive Sinnmuster, deren Summe die kognitive Wissensordnung der Gesellschaft bildet. Diese Sinnmuster stellen ein allen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Kollektiv verfügbares hintergründiges Regelwerk dar. Als shared knowledge bilden sich kulturelle Schemata, welche die Zuschreibung von Bedeutungen regeln110. Diese Schemata sind objektiv vorhanden, jedoch nicht in einem RECKWITZ 2000, 137 Grundlegend: RICOEUR 1981, 185 ff. 110 RECKWITZ 2000, 149 108 109

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ontologischen Sinne, sondern in der Praxis des gesellschaftlichen Sprachgebrauchs111. Jene hier in Anlehnung an RECKWITZ skizzierte Antwort auf die komplementären individualistischen und kollektivistischen Dilemmata findet sich bei verschiedenen Autoren. Bereits Schütz hat in seinen Spätschriften112 betont, dass die Wissensvorräte des Subjekts als Elemente mannigfaltiger überindividueller „geschlossener Sinnprovinzen“ und einer alle anderen Wirklichkeitsordnungen überspannenden Lebenswelt des Alltags (paramount reality) zu verstehen seien. Die Annahme, dass Bedeutungen öffentlich sind, prägt fortan das interpretative Paradigma. ERVING GOFFMAN, mit dem sich für Kriminologen der Begriff „totaler Institutionen“ verbindet, bestimmt die soziale Welt als ein Produkt von Sinnzuschreibungen in einer gemeinsamen Praxis sozialer Interaktionen. Individuelle Situationsdefinitionen werden mit Hilfe eines kulturellen, übersubjektiv und übersituativ vorhandenen Bestandes von Bedeutungsrahmen gebildet, in welche das Individuum das Geschehen einrückt und so zu einer subjektiven Sinnzuschreibung gelangt. Das Rahmungswissen enthält die Bedingungen, unter welchen Individuen etwas für wirklich erachten. Die Rahmung des Geschehens ermöglicht es dem Akteur, das Geschehen nach generellen Bedeutungsmustern zu dechiffrieren und sich mit diesen Bedeutungsmustern auseinandersetzend zu verhalten113. Um zu entscheiden, welche Sinnzuschreibungen in einer Handlungssituation auf der Grundlage des sozial prä-existenten Rahmenwissens adäquat sind, geben sich die sozialen Akteure Interpretationshilfen, etwa in Form von Körperzeichen. Da die Akteure wissen, dass sie beobachtet werden, versuchen sie, ähnlich wie beim Theaterspiel, sich in einer Weise darzustellen, die bei den Beobachtern die vom Akteur intendierten Deutungsschemata aktiviert. Dieser Versuch, auf der Grundlage des kollektiv vor-

Deshalb wäre es verfehlt, das interpretative Paradigma als „konstruktivistisch“ zu verstehen 112 SCHÜTZ / LUCKMANN 1979, 1984 113 GOFFMAN 1977, 11 ff. 111

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handenen Bestandes von Sinnmustern einander in Handlungssituationen bestimmte Interpretationen nahezulegen, ist wechselseitig und schließt Fehlleistungen, Manipulationen und Zurückweisungen des Nahegelegten ein. Im Wechselspiel reziproker Perspektiven des gegenseitigen impression management bildet sich das Selbst: Man ist das, als was die anderen einen wahrnehmen. Das für wirklich gehaltene Soziale, hinter dem sich keine eigentliche ontologische Wirklichkeit verbirgt, reproduziert sich in einem permanenten ergebnisoffenen Interaktionsgeschehen im Wechselspiel der öffentlichen Vermittlung von Suggestionen teilweise verräterisch inkonsistenter, zum anderen Teil in sich stimmiger Selbstbilder und dem entsprechender oder davon abweichender Fremdeinschätzungen. Die Formung des Selbst durch suggerierte, dem entsprechend vorgenommene oder abweichende Fremdzuschreibungen ist ähnlich fragil. Bei Zweifeln an der Akzeptanz der Suggestion ist der Akteur „modulierend“ bemüht, sich selbst von seinem ursprünglich vorgeschlagenen Bedeutungsrahmen zu distanzieren und in einen anderen zu wechseln. Auch die Beobachter reagieren „modulierend“, indem sie den Akteur in wiederum andere Bedeutungsrahmen stellen. Das Selbst hat deshalb einen veränderlichen Gehalt, in dem sich verschiedene Selbstund Fremdidentifikationen zeitgleich überlagern können (simultaneous multiplicity of selves). Es ist weder Teil des Bewusstseins noch hat es als „wahres Ich“ eine über das Soziale hinausgehende Identität, sondern existiert nur in interaktiven Praktiken der Selbst- und Fremdbestimmung, welche sich des kollektiven Arsenals sozialer Bedeutungsrahmen bedienen114. Einen weiteren großen Schritt zum Verständnis der Öffentlichkeit von Bedeutungen vollzieht CLIFFORD GEERTZ mit seiner interpretativen Kulturanthropologie. Dieser zufolge besteht die Sozialstruktur aus „Sinnstrukturen“ (structures of meaning), die nach einer subjektiven, psychologisch nahen und einfühlenden Interpretation der subjektiven Perspektive des Handelnden (from the actor`s point of view) verlangen115. Damit ver114 115

GOFFMAN 1977, 298 GEERTZ 2000, 56

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bindet GEERTZ eine konsequent auf den konkreten historischen Kontext bezogene Betrachtung des „lokalen Wissens“ (local knowledge)116, die in einer den Besonderheiten des Untersuchungsfeldes möglichst nahen „dichten Beschreibung“ (thick description)117 dargestellt werden soll. Dabei bestimmt GEERTZ die Sinnstrukturen nicht als Produkte des mentalen Sinnverständnisses einzelner Individuen, sondern als Kollektivphänomene, die sich in öffentlich wahrnehmbaren Symbolen und öffentlichen Praktiken ihres Gebrauchs ausdrücken. Vom Spätwerk LUDWIG WITTGENSTEINS inspiriert, werden die überindividuellen Regeln des Sprachgebrauchs, in denen eine Gesellschaft ihr Netzwerk von Bedeutungen spinnt, zum zentralen Thema. Die gesellschaftliche Praxis hängt mit Sprache zusammen, weil sich im Handeln sozialer Akteure symbolische Bedeutungen ausdrücken. Das menschliche Handeln und seine Produkte sagen „etwas von etwas“118 aus. Wie in einem geschriebenen Text ist in sozialem Handeln Bedeutung „inskribiert“. Das Handeln ist Träger einer darin fixierten Bedeutung, die Teil eines Sprachsystems ist, das das Verstehen von Handlungen ermöglicht. Die dem Handeln inskribierte Bedeutung überdauert den Zeitpunkt des Handelns, ist öffentlich zugänglich und kann von anderen auch ohne Kenntnis der Einzelheiten des Handlungsvollzugs durch die Beherrschung der Regeln der Sprache119 verstanden werden. Die symbolische Bedeutung von Handlungen hat ein kognitives und ein motivationales Element: Kognitiv enthält die Handlungsbedeutung ein Verständnis von etwas (model of); motivational bewertet die Bedeutung die Handlung als erwünscht oder missbilligt (model for). Das Verstehen der Bedeutung von Handlungen ist kein rein mentaler Vorgang, sondern Praxisanleitung: Indem ich mir die Bedeutung des Handelns anderer erschließe, verschaffe ich mir ein Set von Fähigkeiten zum Vollzug eigenen Handelns. Kultur bestimmt sich demnach als „his-

Vgl. GEERTZ 2000 GEERTZ 2003 118 GEERTZ 2000, 233 119 Vgl. WITTGENSTEIN 1995, 262, Nr. 43: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ 116 117

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torically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitude towards life”.120 Der dem Kommunitarismus zuzurechnende Sozialphilosoph CHARLES TAYLOR teilt mit den erwähnten Autoren die Einschätzung, dass die Menschen sich ihre Welt sinnhaft erschaffen, indem sie dieser und sich selbst als Akteuren in ihren interpretativen Akten Bedeutung zuschreiben. Um zu begreifen, was den menschlichen Akteur als Gemeinschaftswesen (engaged agent) und dessen Handlungsfähigkeit (agency) ausmacht, ist dessen routinisierte Handlungspraxis auf kollektive Deutungsmuster eines Hintergrundverständnisses (background understanding) zu beziehen. Dieses Verständnis macht das routinisierte Verhalten erst begreifbar und damit für den Akteur praktizierbar. Es vermittelt in einer hintergründigen Sprache (französisch: langue) qualitative Sinndifferenzen wie etwa zwischen dem Schönen und dem Hässlichen, dem Guten und dem Bösen und schafft damit einen Rahmen, in dem Sinnzuschreibungen gegenüber einzelnen Phänomenen (französisch: parole) möglich werden. Indem das Hintergrundverständnis qualitative Unterscheidungen verfügbar macht, die mit positiven und negativen Wertungen (strong evaluations) konnotiert sind, wird das Wahrgenommene nicht nur kategorisiert, sondern mit Vorstellungen des Erwünschten oder Abzulehnenden verknüpft. Die deskriptive Bedeutung kann deshalb nicht von der evaluativen getrennt werden. In dem Ensemble von weitgehend unausgesprochenen Hintergrundverständnissen sind kulturspezifische Deutungsmuster angelegt, welche die Selbstinterpretation von Akteuren steuern. Sie bilden die Grundlage für jeweilige kulturspezifische Vorstellungen eines „guten sinnvollen Lebens“121. Als gemeinsames Legat dieser verschiedenen Ausformulierungen des interpretativen Paradigmas lässt sich festhalten: Die soziale Welt findet in

120 121

GEERTZ 2002, 89 TAYLOR 1994

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sinnstiftenden sozialen Praktiken Ausdruck, welche hintergründige Bewertungsrahmen liefern, mit denen soziale Akteure zumeist routinisiert und implizit Situationen definieren und Handlungsverständnisse entwickeln. Von Interesse ist deshalb nicht, wie die Welt selbst objektiv beschaffen ist, sondern wie sie im Sinnhorizont der sozialen Akteure konstituiert wird. Die Themen der Sozialforschung sind gesellschaftliche Sinnsetzungen, die sich in Prozessen des Bestimmens und Auslegens der sozialen „Dinge“ zu kulturellen Systemen122 oder kollektiven Sinnsystemen123 verdichtet haben – und damit weder die Summe partikularer subjektiver Verständnisse der sozialen Welt noch eine hinter den Sinnsetzungen liegende „eigentliche“ Wirklichkeit. Von zentralem Interesse sind die Verstehensleistungen und Deutungsmuster, mit denen Akteure sich ihr Handlungsumfeld verständlich machen und sich so ihre Wirklichkeit herstellen. Mit TAYLOR ausgedrückt: „The claim is that our interpretation of ourselves and of our experience is constitutive of what we are, and therefore cannot be considered as merely a view on reality, separable from reality”.124

Vgl. GEERTZ 2002 RECKWITZ 2000, 22 124 TAYLOR 1985a, 47 122 123

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10 Kriminalität als kontextuell gerahmter Bedeutungsknoten

Die Erklärung des interpretativen Paradigmas ist eine Sache, seine Anwendung auf spezifische gesellschaftliche Phänomene ist eine andere. Gleichwohl bieten die erarbeiteten methodischen Ausformulierungen Anleitungen zu einem gegenstandsadäquaten Zugang zu Einzelphänomenen. Das Phänomen, welches wir als Kriminalität bezeichnen, hat nach dem Gesagten kein in einer bestimmten Eigenschaft von Handlungen manifestiertes ontologisches Dasein. Es existiert nicht in der Form einer Summe bestimmter Handlungen, sondern ist Produkt von Handlungsinterpretationen. Dieses Verständnis von Kriminalität wird seit etwa 50 Jahren durch die kriminalitätsspezifische Ausgestaltung des interpretativen Paradigmas im sogenannten „Labeling Approach“ vermittelt. Ohne auf die Besonderheiten und Probleme jenes Ansatzes einzugehen125, genügt es hier, auf die naheliegende Mißverständlichkeit eines Kriminalitätsverständnisses hinzuweisen, das entscheidend auf die Zuschreibung der Eigenschaft kriminell in Handlungsinterpretationen abstellt. Handlungsinterpretationen sind einzelne Akte, die mit einem subjektiv gemeinten Sinn von sozialen Akteuren in konkreten Kontexten vollzogen werden. Die Überführung dieses subjektiv gemeinten Sinns auf die soziale Ebene vollzieht sich nach der üblichen Lesart des Labeling Approach durch die intersubjektive Auseinandersetzung um die Dominanz eines bestimmten subjektiven Sinnverständnisses. Das Aushandeln von Sinn ist in der „harten“ gesellschaftlichen Realität durch die Definitionsmacht der beteiligten Akteure bestimmt. Die Kriterien einer erfolgreichen Zuschreibung von Kriminalität erscheinen damit als in den gesellschaftlichen Machtstrukturen verankert. Die Verläufe und Ergebnisse der Kriminalitätskon125

Noch immer beispielhaft KECKEISEN 1974

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trolle werden so aus der asymmetrischen Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft abgeleitet. Diese herrschaftskritische Deutung des Labeling Approach entfernt sich vom interpretativen Paradigma, indem sie unterstellt, dass die sozialen Aushandlungsprozesse von Kriminalität direkt und einzig von dem Interesse an Aufrechterhaltung und Festigung der asymmetrischen gesellschaftlichen Machtverteilung bestimmt seien. Damit wird die verstehende Grundhaltung durch eine erklärende ersetzt, welche die gesellschaftliche Aushandlung von Kriminalität als durch die ungleiche Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen streng kausal determiniert begreift126. Die Praktiken des sozialen Aushandelns von Kriminalität sind ohne die semiotischen Regeln ihres Gebrauchs nicht verständlich. Subjektive Handlungsinterpretationen stehen, wie gezeigt, auf einem kollektiven Fundament, das die Interpretationskriterien abgibt. Nicht die Sprechakte auf den Marktplätzen, wo Handlungen als kriminell getauft werden, sind von Interesse – “other marketplaces, other Anschauungen!”127 – , sondern die übersubjektiven und übersituativen konstitutiven Regeln der Anwendung des Sprachspiels krimineller Zuschreibung128. Um die allgemeine, über die einzelnen subjektiven Verständnisse hinausgehende und insofern übersubjektive Bedeutung von Kriminalität herauszuschälen, bedarf es des Rekurses auf jene kollektiven Regeln, auf deren Grundlage die einzelnen Interpretationen erfolgen. Jene Regeln sind in einer gemeinsam geteilten Hintergrundsprache angelegt, welche für die sozialen Akteure einen über längere Zeiträume relativ stabilen Vorrat an Wissen und Unterscheidungen bereitstellt. Die entscheidende Frage lautet also, wie das Regelwerk beschaffen ist, in Anwendung dessen sich Interaktionen über die Bestimmung von Handlungen als kriminell vollziehen.

Näher dazu KUNZ 2004, 184 ff. GEERTZ 2000, 175 128 Zur Sprechakttheorie und den konstitutiven Regeln vgl. SEARLE 1969, 54 ff..Vgl. auch SEARLE 1997 126 127

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Als Ergebnis einer über längere Zeiträume relativ stabilen gesellschaftlichen Ausarbeitung drücken Begriffe wie „Kriminalität“, „Armut“ oder „Wohlstand“ historisch gewachsene kollektive Vorstellungen aus, welche von Details abstrahieren und in ihrer begrifflichen Fixierung eine gewisse Offenheit für wandelbare Erscheinungsformen und persönliche Sinngebungen aufweisen. Die Unpersönlichkeit und die Beständigkeit solcher Begriffe erwecken den falschen Eindruck, dass es sich bei dem damit Bezeichneten um eine objektive Gegebenheit handele. In Wahrheit handelt es sich um Schöpfungen des gesellschaftlichen Ganzen oder, in DURKHEIMS Worten, um „Werke der Gemeinschaft“, die mit einer gewissen Konstanz Elemente des sozialen Lebens in Zeiten überdauernden Sammelbezeichnungen erfassen, deren individuelle Ausdeutung zwar verschieden ausfallen kann, die aber gleichwohl auf einem etablierten kollektiven Verständnis beruhen. Kriminalität lässt sich in einem übersubjektiven und übersituativen Sinn bestimmen als ein genuine genre of cultural expression129, in dem sich die jeweilige Kultur pars pro toto ausdrückt und zu dem Knoten einer spezifischen Bedeutsamkeit verdichtet. Solche Bedeutungsknoten (TAYLOR: webs of meaning) wie Staat, Recht, Geld und eben auch Kriminalität, Kriminaljustiz und Strafvollzug haben einerseits eine rezeptiv ordnende Funktion, indem sie Deutungen menschlicher Handlungen und ihrer institutionellen Verfestigung unter einem bestimmten gemeinsamen Bezugspunkt als artgleich bestimmen. Neben dieser kognitiven Ordnungsfunktion hat der Bedeutungsknoten Kriminalität eine emotionale handlungsstimulierende Orientierungsfunktion. Kriminalität ist ein zu verfestigten Handlungsdispositionen anleitender Unterscheidungsbegriff, der negativ besetzt ist und eine Sinndifferenz zu positiv besetzten Begriffen wie Ansehen, Erwünschtheit, Privileg markiert. Als „negatives Gut“130 animiert Kriminalität zu ausgrenzender Distanz, Stigmatisierung und Beschneidung von Ressourcen. Das Wissen über die ordnende und die orientierende Funktion von Kriminalität ist als ein generelles und impli129 130

GEERTZ 2000, 92 SACK 1968, 469

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zites, jedoch bei Bedarf situativ explizierbares Hintergrundwissen (tacit knowledge) in den einzelnen sozialen Akteuren mental verankert. Durch Aktivierung dieses Hintergrundwissens lassen sich wahrgenommene Handlungen in einen Vorrat an Unterscheidungen einordnen und Sinnzuschreibungen vornehmen. Für soziale Bedeutungsknoten wie Kriminalität ist charakteristisch, dass ihr Bedeutungskern nicht fix situiert ist, sondern sich je nach seiner „Rahmung“ in einem spezifischen kulturellen Kontext innerhalb des Begriffshofs verschiebt. Die relative Flexibilität der Bedeutung von Kriminalität wird dadurch gefördert, dass die sie thematisierende Wissenschaft methodisch wenig gefestigt ist und das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgreift. Aufklärerische Philosophen, Anthropologen, Sozialarbeiter, Psychologen, Soziologen, Ökonomen und – nicht zuletzt – Strafjuristen gewinnen ihm jeweils eine andere Bedeutung ab, deren Relevanz je begrenzt bleibt. Die Pluralität der wissenschaftlichen Anschauungen bewirkt, dass der Rahmen des Themas sich diesen entsprechend anders spannt. Für die einen geht es um biologische Dispositionen, für andere um das persönliche Umfeld, die Sozialstruktur oder um soziale Reaktionen auf Kriminalität. Der Zeitgeist prägt auch die wissenschaftliche Wahrnehmung und führt dazu, dass das Erkenntnisinteresse sich wandelt und neue Erklärungsmodelle bevorzugt werden. Stichworte zu den Veränderungen in den letzten dreißig Jahren lauten: Kriminalität wurde von einem sozialschädlichem Verhalten, das nach Reaktionen verlangt, zu einem Risiko, welches vor Schadenseintritt zu kalkulieren und kontrollieren ist. Dementsprechend haben sich die regulierenden Praktiken der Kriminalpolitik von nach- zu vortatbezogenen Interventionen verlagert, wobei das staatliche Sicherheitsmonopol zugunsten von Eigenvorsorge und einer Marktöffnung für nichtstaatliche Sicherheitsanbieter durchbrochen wurde. Die Kriminalpolitik hat ihren politischmoralischen Bezug zur Schaffung einer gerechteren Welt aufgegeben und konzentriert sich auf ein technologisch betriebenes Sicherheitsmanagement. Die Kriminalprävention hat ihren Schwerpunkt von personenbezogenen sozialpolitischen und resozialisierenden Interventionen, mit denen man mutmaßliche Kriminalitätsursachen grundlegend anzugehen

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glaubte, auf die situationsbezogene Erschwerung von Tatgelegenheiten in pragmatischen kleinen Schritten verlagert131. Dem jeweils dominanten Blickwinkel der Wissenschaft korrespondiert eine entsprechende gesellschaftliche Grundströmung der Problemwahrnehmung, welche sich ihrerseits je nach sozialen Kontexten differenziert. Das jeweilige konkrete Kriminalitätsverständnis ist kontextbezogen, aber für den Interpreten nicht beliebig, weil die Hintergrundsprache nur eine begrenzte Anzahl von Rahmen bereit hält und die Wahl des kontextangemessenen Rahmens durch den Verwendungszusammenhang vorgegeben ist. Da in der Sozialwirklichkeit Kriminalität gleichzeitig in verschiedenen Verwendungszusammenhängen thematisiert wird, überlagern sich die unterschiedlichen Bedeutungsrahmen und führen zu einer gleichzeitigen Vielfalt von Rahmungen132. Jede dieser Rahmungen ist wirklich und keine ist grundsätzlich vorrangig, da alle Rahmungen Wirkungen auslösen, indem Menschen sie aufgreifen und sich dem jeweiligen Verständnis entsprechend verhalten.

Dazu neuerdings ZEDNER 2007 In demselben Sinne spricht GOFFMAN von einer simultaneous multiplicity of selves, vgl. GOFFMAN 1961, 132 131 132

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11 Nebeneinander unterschiedlicher, aber gleichrangiger Rahmungen von Kriminalität

Das methodisch-begriffliche Instrumentarium der sich einander überlagernden Rahmungen des Bedeutungsknotens Kriminalität bedarf der kulturspezifischen Anwendung, um den jeweiligen Rahmen bestimmte Inhalte zuweisen zu können. Diese Inhaltsbestimmung ist nicht methodisch-begrifflich ableitbar. Die Inhalte der Bedeutungsrahmen werden in einer asiatischen Schamkultur anders ausfallen als in der neoliberalen Ellbogenkultur. Nötig ist, GEERTZ folgend, eine den Besonderheiten des Untersuchungsfeldes möglichst nahe „dichte Beschreibung“ des „lokalen Wissens“. Im Kosmos des hier und jetzt praktizierten Diskurses über Kriminalität finden sich zeitgleich überlagernde Schichten der Rahmung von Kriminalität in den Kontexten der Expertenkultur, des Moralunternehmertums, der künstlerischen Aufarbeitung, der persönlichen Besorgtheit und des Opfermitfühlens, der Medieninszenierung und des Politikmachens. In der Expertenkultur der Instanzen förmlicher Kriminalitätskontrolle ist Kriminalität strafrechtlich definierter und mit Sanktionen bedrohter Rechtsbruch. Im Blickpunkt der Experten steht dabei die von ihnen erfasste und verfolgte Kriminalität, also besonders die unterschichtdominierte Eigentumskriminalität und die den „hölzernen Händen“ der strafrechtlichen Kontrolle (WINFRIED HASSEMER) noch einigermaßen zugängliche sexuelle und körperliche Gewalt. Die Kontrollperspektive fixiert sich auf das „realistisch Machbare“ zur Täterermittlung und situativen Erschwerung von Tatgelegenheiten. Ihre technokratische Einstellung zu Kriminalität vermittelt gegenüber der Allgemeinheit den Eindruck der Nützlichkeit und Wertigkeit. Gegenüber den Beschuldigten wird ein professioneller Umgang des seinen Job Machens gepflegt. In einer von globalen Bedrohungen eingeschüchterten Angstkultur werden das orga-

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nisierte Verbrechen und der Terrorismus zu deklarierten, tatsächlich aber kaum erreichten Zielobjekten der Experten. Generell gewinnt die Symbolik eines raschen und entschiedenen Zugriffs an Bedeutung, wobei schon eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen auch ohne spätere Verurteilung als Erfolg bilanziert werden. Das Rahmenmuster des Moralunternehmertums bestimmt Kriminalität mit dem empörten Zeigefinger auf das „eigentlich“ Kriminelle, das in systematischer Verschleierung den „hölzernen Händen“ der strafrechtlichen Kontrolle zumeist entschlüpft und dessen gesetzliche Kriminalisierung oft genug von einflussreichen Akteuren verhindert wurde. Themen des moralunternehmerischen Diskurses sind die hoch sozialschädliche, gegen die Interessen der Allgemeinheit gerichtete „Makrokriminalität“ (HERBERT JÄGER) und die moralwidrigen Machenschaften in den gesellschaftlichen Führungsetagen. Durch EDWIN H. SUTHERLAND zunächst in einem Vortrag 1939 in die provokante Frage: „Is ‚White-Collar Crime‘ Crime?“133 gefasst, skandalisiert das Moralunternehmertum den Respekt vor sozialen Eliten, die sich allzu oft moral holidays gönnen und sich expert techniques of concealment134 bedienen. Die Verlagerung des Bedeutungskerns von Kriminalität von crime in the streets auf das nicht verfolgte und oft gar nicht strafbare crime in the suites135 ist ein in der sozialkritischen Literatur (von PROUDHON über MARX bis zu BRECHT) durchgängig und in der Bevölkerung für spektakuläre Einzelfälle136 („… die Großen lässt man laufen!“) verbreitetes Deutungsmuster. Mitunter verbindet sich das Moralunternehmertum mit der sozialrevolutionären Gegenanklage und rechtfertigt systemdestabilisierende Überzeugungstaten. Das in der künstlerischen Aufarbeitung gezeichnete Kriminalitätsbild ist demgegenüber vielfältig und schillernd. Im Widerschein der Belletris-

SUTHERLAND 1983 SUTHERLAND 1983, 33 135 Dazu grundsätzlich KUNZ 2001 136 Man denke etwa an die Reaktionen, als der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann bei Prozeßbeginn als Angeklagter das Siegeszeichen machte 133 134

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tik137 wird Kriminalität als kulturelles Drama in den Erzählformen der Tragödie und – seltener – der Komödie inszeniert. In tragischen Narrationen – von FRIEDRICH SCHILLER bis zu HENNING MANKELL– wird üblicherweise eine spektakuläre Gewalttat in den Hintergrund eines durch Normlosigkeit und Desorientierung geprägten sozialen Klimas eingebettet. Die an sich unbegreifliche Gewalttat erscheint dabei als ein die sozialen Zustände brennglasartig zum Ausdruck bringendes Fanal. Von latenter Gesellschaftskritik getragen, wird der Eindruck vermittelt, dass Reaktionen auf die Gewalttat zur Aufarbeitung des Geschehenen nicht hinreichen und stattdessen eine Überwindung der desolaten sozialen Zustände nötig wäre, aber illusorisch ist. Kömodienhafte Erzählungen überlagern die Narration von der Ohnmacht des Einzelnen angesichts der Unüberwindlichkeit desolater sozialer Zustände mit einer zweiten Textspur, die deutlich macht, dass das, was auf der Bühne geschieht, nicht zum Nennwert zu nehmen ist. In der Alltagseinschätzung der Bevölkerung138 überwiegt eine von persönlicher Besorgtheit, Opfermitfühlen und Distanzierung geprägte Kriminalitätswahrnehmung. Kriminalität wird als etwas empfunden, das einem individuellen Opfer Leid zufügt. Dementsprechend ist das Kriminalitätsbild auf die gegen individuelle Rechtsgüter, namentlich Leben, Leib, sexuelle Integrität und Eigentum gerichtete Kriminalität fokussiert, während die gegen Gemeinschaftsrechtsgüter gerichtete Kriminalität weitgehend ausgeblendet bleibt. Überwiegend werden vollendete Erfolgsdelikte perzipiert und mit klischeehaften angsteinflößenden Bildern (Überfall, Einbruch) verbunden. Die Kriminalitätsvorstellung des Alltags bezieht sich auf einfach deutbare Vorgänge sichtbarer krimineller Betätigung, wobei das Täterbild weitgehend Vorstellungen der Fremdheit und Andersartigkeit und das Opferbild dem des zu uns Gehörigen, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war, entspricht. Die einfache Nachvollziehbarkeit des Vorgestellten und seine Ausmalung in Schwarz137 LÜDERSSEN 2002, SCHILLER WALTER 2003 138 Dazu SMAUS 1985

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MÜLLER-DIETZ

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HUBER 2006, MÜLLER-DIETZ 1999,

Weiß-Tönen begünstigt die Identifikation mit dem Opfer, dessen Leid mitfühlend nachvollzogen wird. Die persönliche Besorgtheit bezieht sich darauf, Ähnliches selbst erleben zu können. Die Alltagseinschätzung wird freilich selten durch persönliche Bedrohungserfahrungen oder Erlebnisberichte von Opfern geprägt. Der persönliche Erlebnishorizont beschränkt sich vornehmlich auf Ärgernisse, die sich gleichermaßen aus Bagatellkriminalität und Belästigungen wie aus deren vermeintlich reaktionsloser Hinnahme durch die Behörden ergeben. Die Basis des Bedrohtheitsempfindens durch „eigentliche“ Kriminalität wird hingegen zumeist durch die mediale Inszenierung spektakulärer Einzelfälle vermittelt. Kognitiv dominiert die Vorstellung des Unbegreiflichen und Rätselhaften. Das Bemühen, die Selbstverständlichkeit des Alltags aufrechtzuerhalten, die von Straftaten in unterschiedlichem Maß in Frage gestellt wird, verlangt nach Erklärungen, wie so etwas möglich sei. Aus dem bunten Strauß wissenschaftlicher Erklärungsangebote nach Zeitgeschmack gewählte intuitiv einleuchtende Ursachenbestimmungen befriedigen das Publikum nicht völlig und lassen Raum für ein Grundverständnis des Mysteriösen. Die medieninszenierte Kriminalität ist Ergebnis einer Entwicklung, welche die Medien kaum mehr als Informationsplattform und Kontrollorgan der Politik, sondern zunehmend als einen kompetitiven Markt für Unterhaltung, Ablenkung und Nervenkitzel versteht und dabei sex and crime als bevorzugte Themen verwendet. Das neue Infotainment schreibt „info“ klein und „entertainment“ groß. Unterschiede in der Präsentation von Kriminalität ergeben sich durch die Ausrichtung auf ein bestimmtes Zielpublikum, wobei die Sachzwänge des Marktes auch bei „Qualitätsmedien“ dramatisierende Stilisierungen erzwingen. Printmedien setzen bevorzugt auf rasch konsumierbare Bildberichte mit plakativen Schlagzeilen. Bedeutsamer als diese werden die unmittelbar Gefühle ansprechenden Bildmedien wie Fernsehen, Film und interaktive Computerspiele, die spontane schlagkräftige Reaktionen verlangen und so Verhaltensmuster der Gegengewalt gegen simulierte Untäter einstudieren. Den kommerziellen Zielen und den Sachzwängen des medialen Inszenierens entsprechend muss das vermittelte Kriminalitätsbild attraktiv und leicht

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konsumierbar sein, darf das Publikum weder überfordern noch langweilen. Daraus erwächst ein Kriminalitätsbild des Spektakulären und Unbegreiflichen, welches das Böse in einer an sich guten und friedlichen Welt verkörpert. Dem entsprechend erscheint Kriminalität als individuelles Phänomen, dessen sozialen Bezüge ausgeblendet bleiben. Die Täter sind Menschen ohne Biografie, die Darstellung konzentriert sich auf den Tathergang und endet zumeist mit der Verhaftung des Beschuldigten. In der Darstellung dominieren Gewaltdelikte, die mit der Alltagserfahrung des Publikums wenig zu tun haben. Quantitativ wird die Kriminalität als ständig ansteigend begriffen. Ein reflektierender Umgang mit dem gesellschaftlichen Problemfeld Kriminalität, der sich bemüht, Vorgänge zu verstehen und vernünftig und angemessen damit umzugehen, fehlt nahezu völlig139. Das Medienthema Kriminalität dient in erster Linie der Ablenkung und der Entlastung von der nicht selten zutreffenden pessimistischen Einschätzung der Unabänderlichkeit persönlicher Defizite. Bei der eskapistischen Flucht in die virtuelle Welt der Auseinandersetzung mit dem Bösen erscheint dessen Bekämpfung wie von selbst als gut. Indem der Medienkonsument sich mit den Crime Fightern identifiziert, suggeriert er sich die Veränderbarkeit seiner Umwelt durch eigenes Tun. Gerade statusniedere Menschen und sozial benachteiligte Jugendliche, die faktisch weitgehend fremdbestimmt sind, können sich so zeitweilig die Illusion des aktiv das eigene Schicksal Gestaltens verschaffen. Die Kriminalität und deren Bekämpfung sind für die Politikmachenden Profilierungsthemen, anhand deren sich gesellschaftspolitische Grundhaltungen auf einfache Weise deutlich machen lassen140. Wer etwa für eine neoliberale Gesellschaftspolitik einsteht, kann dies kurz und bündig durch Voten für Strafgerechtigkeit, gegen Resozialisierungsanstrengungen und für marktwirtschaftliche Konkurrenz der Sicherheitsproduzen-

FREHSEE 2000, KANIA 2004, WALTER 2000 Man denke nur an das von ALEXANDRE LACASSAGNE stammende Motto der französischen Gegenbewegung zu der kriminalanthropologischen Schule LOMBROSOS: „Les sociétés ont les criminels qu`elles méritent!“ oder, aktuell, an die kriminogenen Wirkungen des Betäubungsmittelstrafrechts, dazu KUNZ 2004, 88

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ten begreiflich machen. In dem Maße, wie die Politik zunehmend in den Arenen der Massenkommunikation auf plakative Positionsbestimmungen angewiesen ist, wird die Auseinandersetzung mit Kriminalität zu einer bevorzugten Präsentationsfläche des eigenen politischen Standpunktes. Das Politikmachen mit Kriminalität (governing through crime)141 meint darüber hinaus heute zunehmend das eigene Profitschöpfen aus der Problemdramatisierung und dem populistisch simplifizierenden Anpreisen harten Einschreitens. Das publikumswirksame Eintreten für ein stets noch härteres Vorgehen lässt den Politiker als volksnah, mitfühlend und aktionsfähig erscheinen. Die Haltung des tough on crime scheint sich für Politiker in Medienpräsenz, Bekanntheit und Prestige auszuzahlen. Seit etwa 40 Jahren wird Kriminalität, zunächst in u.s.amerikanischen Präsidentschaftswahlen und später auch in Westeuropa, als zentrales Wahlkampfthema genutzt und mit Forderungen nach „Null Toleranz“ und mehr Strafhärte verbunden. Während zunächst nur rechtspopulistische Hardliner vor „gefährlichen Experimenten“ in liberalen Strafrechtsreformen warnten, haben inzwischen alle großen Parteien mit kaum merklichen Differenzen auf die Linie eines harten entschlossenen Vorgehens gegen Kriminalität eingeschwenkt. GERHARD SCHRÖDERS Ratschlag des „Wegschließens – und zwar für immer!“142, JOHN MAJORS Empfehlung „to condemn more and to understand less“143 und NICOLAS SARKOZYS unfreiwillige Reklame für die Firma Kärcher, deren Hochdruckreiniger nach dem Wunsch des jetzigen französischen Präsidenten auch gegen Kriminelle eingesetzt werden sollten144, lassen sich als Programmsätze einer kriminalpolitischen Internationale verstehen, die mit Stammtischparolen eigenen Machterhalt betreibt. Die Aufklärungsfeindlichkeit dieser Parolen kommt in einem von Verunsicherungen geprägten gesellschaftlichen Klima nicht zum Ausdruck. Verbreitete Empfindungen einer strukturellen Verletzlichkeit der westlichen Gesellschaft im Gefolge

SACK 2004 unter Berufung auf SIMON 1997 Bild am Sonntag, 8. Juli 2001 143 GARLAND 2001, 184, Fn. 52 144 Davon berichteten die französischen Tageszeitungen im Juli 2005 141 142

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des neoliberalen Wandels und der Welle terroristischer Anschläge seit dem Elften September schüren Ängste und wecken Sicherheitserwartungen, welche sich eher symbolisch als real erfüllen lassen. Die Politik reagiert auf überzogene Sicherheitserwartungen, indem sie die bislang eher schamhaft geleugnete Lust am Strafen rehabilitiert und ihr mehr und mehr Raum gibt. So wird erstens das Strafrecht im Vergleich zu anderen Systemen sozialer Regulierung aufgewertet. Zweitens wird das Strafrecht auf eine mit der Angstkultur kommunizierende Symbolik der Ausgrenzung ausgerichtet, welche traditionell liberal-rechtstaatliche Anliegen ausblendet und das Strafrecht mit der neuen Straflust kompatibel macht. Drittens werden extrem Angst auslösende Gewaltdelikte in den Vordergrund gestellt und mit der Forderung nach „endlösend“ ausgrenzenden Sanktionen verbunden. Von Kriminalität zu reden bedeutet, die Diskursbreite eines solchen Rahmens aufzugreifen und seine eigene Position darin zu verorten. Nochmals sei betont, dass Kriminalität nicht anders als in solchen kontextbezogenen Rahmungen existentiell vorhanden ist, dass jeder dieser Rahmen wirklich ist und dass sich von keinem annehmen lässt, er bilde die „wirkliche Kriminalitätswirklichkeit“ wirklichkeitsgetreuer als die anderen ab. Das Problem der mehr oder weniger getreulichen Wirklichkeitsentsprechung der einen oder anderen Rahmung stellt sich nicht, weil die Wirklichkeit von Kriminalität stets eine gerahmte ist. Darum ist etwa die übliche Redeweise, die Massenmedien stellten die Realität des Kriminalitätsgeschehens verzerrt dar, ebenso unzutreffend wie die Annahme, die von sozialen Minoritäten gepflegten Kriminalitätsverständnisse des Moralunternehmertums und der Kunst könnten in einer „seriösen“ Kriminalitätsanalyse vernachlässigt werden. Das medieninszenierte Kriminalitätsbild ist ebenso real wie dasjenige der Expertenkultur, die künstlerische Kriminalitätsdarstellung repräsentiert gleichermaßen die nur gerahmt verfügbare Kriminalität wie das durch Opferempathie bestimmte Alltagsverständnis. Unabhängig davon, dass sämtliche Rahmungen im Prinzip gleichrangige Wirklichkeitsebenen von Kriminalität repräsentieren, werden die Rah-

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mungen im jeweiligen kulturspezifischen Kontext, welcher über das Kriminalitätsthema hinaus Vorstellungen einer „guten“ Ordnung und des gebotenen Umgangs mit Störern vermittelt, mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt und in eine Rangordnung der Bedeutsamkeit gestellt. In dem Maße, wie das für den Wohlfahrtsstaat charakteristische paternalistische Interventionsmuster einem technokratischen Management sozialer Risiken und sodann zunehmend einer angstgesteuerten, punitiv reagierenden Kultur der Kontrolle weicht145, ändern sich auch die Inhalte der Bedeutungsrahmen und ihre Wertigkeit im Verhältnis zueinander. Eine expandierende Kultur der Kontrolle stellt in sämtlichen Bedeutungsrahmen die emotionale Temperatur from cool to hot146. Kulturelle Schablonen, welche im Mittelalter mit dem Hexentum assoziiert wurden (weltweite Konspiration, Heimtücke, Bereitschaft zu grausamer und massenhafter Tötung, nicht zu durchbrechende Verschwiegenheit), können reaktiviert werden, um Phänomene wie die „organisierte Kriminalität“ und den „neuen Terrorismus“, die zum Teil Angstprojektionen darstellen, kognitiv zu verarbeiten. Überdies weist die Kultur der Kontrolle jenen Bedeutungsrahmen ein erhöhtes Gewicht zu, welche sich besonders dazu eignen, mit Angst und Straflust gefüllt zu werden. Durch diese Einfärbung mit Punitivität erhalten die Rahmungen der Medien und der Politiker eine zeitentsprechend überragende Bedeutung. Dies besagt indessen nur, dass das dramatisierende Kriminalitätsbild des Interessenbündels von Medien und Politik besser als eine gesellschaftskritische künstlerische Darstellung dem herrschenden Zeitgeist entspricht – keineswegs jedoch, dass die politisch-mediale Rahmung „die“ Kriminalität wirklichkeitsgetreuer abbildet.

145 146

Luzide beschrieben von GARLAND 2001 GARLAND 2001, 11

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12 Kriminologie als Kulturwissenschaft jenseits unmittelbarer kriminalpolitischer Funktionalität

Archäologie ist Kulturwissenschaft, keine Schatzsuche mit Schaufel und Sieb. Die Archäologie des Wissens über Kriminalität muss sich ein entsprechendes Selbstverständnis erst noch erarbeiten. Unser Vorwurf gegenüber der üblichen Kriminalitätsforschung lautet deshalb nicht, sie grabe mit zu grobem Werkzeug und mache nur oberflächlich zugänglich, was es eigentlich zu entdecken gäbe. Die Pointe unserer Kritik lautet, dass Grabungen nicht wirklich Kriminalität zum Vorschein bringen, wohl aber den Zugang zu kulturellen Hinterlassenschaften eröffnen, aus denen sich rekonstruieren lässt, wie die jeweilige Gesellschaft sich mit dem stets als „Problem“ verstandenen Kriminalitätsthema auseinandersetzt und es zu bewältigen versucht. Nicht um die eitle Suche nach Tatsachen über Kriminalität geht es, sondern um die Rekonstruktion des der jeweiligen Gesellschaft besonderen Problemverständnisses darüber, was sie als Kriminalität imaginiert. Dabei geht es nicht um einen Streit um Worte, um Petitessen einer differenzierteren Wahrnehmung – und damit letztlich um kleinliche Besserwisserei. Ein Verständnis von Archäologie als Schatzsuche vermittelt keine vergröberte, aber im Wesentlichen zutreffende Vorstellung über das Fach, sondern bestimmt dieses unzutreffend. Das Verständnis der Kriminologie als Kriminalitätstatsachenforschung ist ebenso unzutreffend und ersetzungsbedürftig. Das gesellschaftliche Realphänomen Kriminalität ist nicht einfach vorhanden und als solches messbar. Wenn wir etwa unser persönliches Umfeld danach befragen, wer wann und wie oft strafbare Gewalt ausgeübt oder erlitten hat, werden wir die Antworten nicht einfach zählen dürfen, sondern müssen in Rechnung stellen, dass die Verständnisse von und die Toleranz gegenüber Gewalt variieren. Wer viel Gewalt erlitten hat und eine hohe Toleranzschwelle

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aufweist, wird sich wenig als Gewaltopfer empfinden und umgekehrt. Gewiss lässt sich das Gewaltphänomen spezifizieren, indem wir nach bestimmten, etwa gesetzlich definierten Gewalthandlungen fragen. Indessen verschiebt sich dabei die Antwortvarianz nur in die mit Missverständnissen gespickte laienhafte Ausdeutung juristisch-technischer Definitionen. Obendrein hängen die Antworten davon ab, wie wir fragen und dabei das „Klima“ der Situation gestalten, wie wir unsere Sicht der Dinge, das von uns verfolgte Interesse und die möglichen Verwertungen der Antworten transparent machen. Bei demoskopischen Erhebungen durch den Befragten nicht bekannte Interviewer sind die „klimatischen“ Einflüsse stärker und unkontrollierbarer; sie produzieren eine noch breitere Antwortvarianz, deren Streubreite durch die Vielfalt der möglichen Befragungstechniken und ihrer unterschiedlichen Eignung zu einer annähernd authentischen Verständigung bedingt ist. Ein face-to-face-Interview simuliert eher die Ungezwungenheit eines persönlichen Gesprächs als ein Telefoninterview oder ein schriftlicher Fragebogen. Die Antworten hängen ab von der Strukturierung der Fragen und Antworten und von dem Raum, den die Befragungssituation für Antworten belässt. Die Ergebnisse werden beeinflusst von der individuellen Bereitschaft der Befragten, sich gegenüber Fremden „zu öffnen“ und ein „Bild“ von sich zu geben, von der jeweiligen Neigung, Geschichten um Erlebtes zu weben, von der Verfremdung von Erlebnissen durch Erinnerung und überdauernde grundsätzliche Werthaltungen. Die Ergebnisse der Datenerhebung sind geprägt durch die Situationsgestaltung der Akteure des Befragungsgeschehens. Befragen nach Täterschaft oder Viktimisierungserlebnissen bedeutet nicht Abfragen von Fakten, sondern interagieren, das sich in seiner kommunikativen Struktur nicht angemessen in der Eindimensionalität quantitativ messbarer Daten abbilden lässt. Ähnliches gilt für die Interpretation von amtlichen Registrierungen als Kriminalität. Auch diese verlangen danach, nicht schlicht als Fakten gezählt, sondern in ihrer Bedeutung als Wahrnehmungen von Behördenvertretern mit spezifisch begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten und einer perspektivischen Sicht und verstanden zu werden. Die Instanzen nehmen vornehmlich wahr, was durch Anzeigen aus der Bevölkerung an

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sie herangetragen wird, wobei das Herantragen und die Entgegennahme eine Interaktionsbeziehung bildet, in der gegenseitiges Verständnis, aber auch Misstrauen und Missverständnisse möglich sind. Die Bereitschaft, einen Vorgang zur Anzeige zu bringen, ist Ergebnis einer individuell variierenden Bewertung des beanzeigten Geschehens als nicht mehr informell zu bereinigender Konflikt. Dieser Bewertung geht eine informelle Interaktion der Konfliktbeteiligten voraus, wobei sozialer Einfluss und interpersonelle Machtverhältnisse, individuelle Hartnäckigkeit oder Nachgiebigkeit das Einschalten der Polizei oder den Verzicht darauf beeinflussen. Von den polizeilichen Instanzen ergänzend durch proaktive Ermittlungen getätigte Wahrnehmungen sind von den spezifischen Vorverständnissen ihrer Akteure über „verdächtige“ Situationen und Personen und den Umständen des Ablaufs der Interaktionen bei Verdachtsabklärungen geprägt. Die statistische Aufbereitung des Registrierungsgeschehens und seiner komplexen Zusammenhänge verlangt wertende Vorentscheide darüber, was aufgegriffen und wie gezählt werden soll, welche Mengenbeziehungen hergestellt, welche Zusammenhänge kleingerechnet und welche mit dem Markierstift hervorgehoben werden sollen. Dabei wird die Darstellung durch die Interessenlage der auswertenden Instanz und ihre Rücksichtnahme auf die Interessenlage der Behörden, deren Entscheide registriert werden, beeinflusst. Insbesondere wirkt sich das bürokratischen Organisationen immanente Bedürfnis, die eigene Tätigkeit als gesellschaftlich wertvoll und effizient erscheinen zu lassen, auf die statistische Präsentation aus. Diese ist eine Art Leistungsbilanz, mit der um Ressourcenerhalt im Verteilungskampf um knappe Personal- und Sachmittel gestritten wird. Der wissenschaftliche Nachvollzug solcher in Befragungen und Statistiken zum Ausdruck kommender Bewertungen und Interaktionen ist auch einem „aufgeklärten“ kritisch-rationalen Erklärungsansatz nicht möglich. Nicht um das Erklären einer vorgefundenen oder experimentell erzeugten Objektivität geht es, sondern um das Verstehen der Sinnsetzungen sozialer Akteure bei ihren Interaktionen. Damit ist angedeutet, dass die

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Kriminologie als Sozial-, oder besser: Kulturwissenschaft sich von der positivistischen Grundannahme lösen muss, ihr Untersuchungsfeld bestünde aus Objektivitäten, deren wechselseitige Abhängigkeit kausalgesetzlich erklärt werden könne. Gesellschaft, und damit auch das gesellschaftliche Phänomen Kriminalität, reproduziert sich durch gesellschaftliche Kontakte und Interaktionen. Jeder Teilnehmer an solchen Kontakten bringt dabei seine Ressourcen zur Sinngebung von Kontaktsituationen ein und greift dabei, zumeist routinemäßig, auf seinen Wahrnehmungshorizont und seine Grundüberzeugungen zurück. Das Verstehen von menschlichen Handlungen verlangt, sie als intentionale Gestaltungen von Interaktionsprozessen sozialer Akteure zu deuten. Um die sinnstiftende Intentionalität von Handlungen nachvollziehen zu können, muss das Wissenschaft betreibende Subjekt diese mit seinem – notwendig perspektivischen – Wahrnehmungshorizont nachvollziehen und dabei seine praktischen Ressourcen, die ihn als Gesellschaftsmitglied zur sozialen Interaktion befähigen, in die wissenschaftliche Beobachtung einbringen. Fern einer streng objektiven Wahrnehmung von „Fakten“ geht es um ein möglichst authentisches Erfassen der Sinndeutungen aus der Subjektperspektive der sozialen Akteure, um eine mit Vorverständnissen behaftete und ihrer Vorverständnishaftigkeit bewusste „teilnehmende“ Beobachtung im sozialen Kontext „vor Ort“. Kurzum: Nicht quantitative Messungen, sondern qualitative Sondierungen des Interaktionsgeschehens, durch welches sich Gesellschaft bildet und fortentwickelt, sind gefordert147. „Nähe“ und „Sensitivität“ sind dafür Schlüsselbegriffe: Nähe der explorierenden Methode zu den damit nachzuvollziehenden Narrationen, Nähe des forschenden Subjekts zu den sozialen Akteuren und dem gesellschaftlichen Interaktionsgeschehen. Sensitivität für die Attitüden, mit denen die Menschen sich darstellen148, Vertrauen und Zweifel ausdrüZur grundsätzlichen Bedeutung des Verstehens im Gegensatz zum Erklären und zur Abgrenzung qualitativer von quantitativer Kriminalitätsforschung vgl. Kunz 2004, 5 ff., 21. Vgl. auch FERELL 1997 148 In Italienisch unübertrefflich „fare una bella figura“ genannt 147

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cken, für die Geschichten, mit denen sie ihr Leben zu einem sinnvollen Ganzen zusammenspinnen und einzelne Erlebnisse einweben, wie Identität und Selbstachtung unter widrigen Umständen hergestellt wird, wie Fehler beschönigt werden, Verantwortung abgeschoben wird. Solche qualitative Sondierungen mögen kriminalpolitisch wenig ergiebig sein. Der Wissenschaftlichkeit der Kriminologie könnte es gleichwohl gut tun, vermehrt qualitative Sondierungen vorzunehmen und sich dabei von der Instrumentalisierung durch die praktische Kriminalpolitik partiell zu lösen. Augenscheinlich kommt das spätmoderne Gesellschaftsverständnis der hier vorgebrachten Kritik am erkenntnistheoretischen Positivismus der main stream-Kriminologie und der Fruchtbarmachung des interpretativen Paradigmas für die Kriminalitätsforschung entgegen. Zwar geht von der scheinbar makellos wertfreien Messung von „Fakten“ noch immer eine Faszination des ersten Anscheins aus, die, wenn sie genügend „dekonstruiert“ auf die präzise Bestimmung des Gemessenen und die Angemessenheit numerischer Erfassung bezogen wird, für Verwertungsbedürfnisse der Praxis dienlich sein mag. Stets aber gilt es, diese Dekonstruktion „harter Fakten“ zu leisten. Dabei zeigt sich, dass oft mit „Fakten“ nicht das ausgedrückt wird, was sie auszudrücken vorgeben, und das, was sie ausdrücken beanspruchen, oft nicht ohne Verlust an lebensweltlichem Realitätsgehalt benennbar und messbar ist.

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13 Was bleibt von der Vorstellung einer „rationalen“ Kriminalpolitik?

Der Ertrag unserer Überlegungen lässt sich in zweierlei Weise bewältigen: Indem man die angelegten Maßstäbe als übermäßig streng „kleinredet“ und den etablierten quantitativen Datenbeständen „immerhin doch“ eine praxistaugliche Indikatoreigenschaft für das wirkliche Kriminalitätsvorkommen zuweist; oder, indem man die Ausführungen beim Wort nehmend die Tauglichkeit quantitativer Messungen zur Erhebung des Kriminalitätsgeschehens leugnet. Die zuletzt genannte Alternative mag in ihrer Rigorosität zunächst schroff erscheinen. Sie könnte den Eindruck entstehen lassen, damit über das eigentliche Thema hinaus in einen fundamentalen Skeptizismus gegenüber der menschlichen Erkenntnisfähigkeit des Sozialen zu verfallen. Richtigerweise verlangt die Sokratische Weisheit des „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ indessen nur, Wissen nicht dort zu unterstellen, wo es nicht vorhanden ist. Mit dem Bestreiten der Möglichkeit gesicherten Wissens über den Bestand und die Struktur der Verbrechenswirklichkeit wird weder die Existenz von Kriminalität als ein gesellschaftlich belastendes Problem mit Regulierungsbedarf geleugnet noch die Bedeutung der Kriminologie zur Absicherung kriminalpolitischer Handlungsstrategien in Abrede gestellt. Entscheidungen praktischer Kriminalpolitik sind mehr oder weniger vernünftig, und ihre Vernünftigkeit ist durch Verweis auf Erträge kriminologischer Forschung diskursiv begründungsfähig und bedürftig. Insofern besteht ein notwendiger Zusammenhang von Kriminologie und Kriminalpolitik: Die Kriminalpolitik ist zur kritischen Prüfung ihrer Vernünftigkeit auf eine Kriminologie mit kriminalpolitischer Blickrichtung149 angewiesen.

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KUNZ 2004, 305 ff.

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Freilich ist die Verbindung zwischen Kriminologie und Kriminalpolitik loser und zerbrechlicher als sie bei Zugrundelegung des positivistischen Paradigmas einer vorgegebenen und objektiv erfassbaren Kriminalitätswirklichkeit erscheint. Kriminologie ist nicht länger eine dem politischen Meinungsstreit vorgelagerte weltanschauungsfreie Informationsplattform über Kriminalitätsgeschehen. Sie liefert keine jeweils bis zur Widerlegung feste Wissensbasis für politische Agenturen und Agenten jedweder Couleur. Ihre Befunde sind nicht wie Tofu neutral und erhalten erst durch die jeweilige politische Verwendung eine persönlich wertende Würze. Die Hoffnung, durch periodische Kartierung des Kriminalitätsvorkommens die Beurteilung krimineller Gefährdung fortlaufend aktualisieren und so einen zeitnahen und problemgerechten Masterplan zur Kriminalitätsbekämpfung entwickeln zu können, erweist sich als trügerisch. Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis der Kriminalpolitik. Als typisches Kind der Aufklärung und Projekt der Moderne geht es der Kriminalpolitik traditionell darum, die Praxis der staatlichen Sozialkontrolle durch ihre kritisch-wissenschaftliche Anleitung selbst zu einem rationalen Unternehmen zu machen. Dieses seit VOLTAIRE und BECCARIA in theoretischer Überhöhung formulierte Anliegen war indessen nie realitätsentsprechend. Der gelehrte und belehrende Diskurs über die Praxis der Verbrechenskontrolle, die sich auf Grund objektiver Befunde an zwingenden Maßstäben der Rationalität ausrichtet, befasste sich im Wesentlichen mit einer Chimäre des Elfenbeinturmes. Für ein rationales Entscheiden auch nur in Einzelfällen, etwa ob eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, waren stets mehr und genauere Informationen nötig als tatsächlich zur Verfügung standen. So orientierte sich die Praxis notgedrungen an weitgehend unüberprüften Alltagsvorstellungen – und tat so, als ob sie bei ihren Entscheiden von zwingenden Folgerungen aus empirischen Fakten hätte leiten lassen. Aus der Unmöglichkeit, die Uneinlösbarkeit der geforderten Rationalitätsansprüche einzugestehen, ergab sich eine notorische Differenz zwischen den offiziell proklamierten Entscheidungsgründen (Darstellungsebene) und den die

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Entscheidung tatsächlich motivierenden Gründen (Herstellungsebene)150. Schlimmer noch: Hinter dem Anspruch eines empirisch informierten streng rationalen Entscheidens verbarg sich eine Praxis, welche sich zunehmend gegenüber erfahrungswissenschaftlicher Durchdringung abschottete, etwa indem sie anstelle der empirisch bezweifelten Zielvorstellungen der Abschreckung und der Resozialisierung auf die gegenüber empirischer Widerlegung weitgehend immunen Programme der positiven Generalprävention und der Incapacitation umstellte151. Anstatt die Praxis durch Theorie rational zu bewältigen, wurde die Theorie der Kriminalpolitik zunehmend von deren Praxis überwältigt. Das Goretex-Prinzip der Lehrbuchweisheit: Von der Wissenschaft zur Praxis hin durchlässig, umgekehrt abweisend, wurde damit umgekehrt. Im Kontrast zu ihrer aufklärerischen Geste liefert die akademische Kriminalpolitik heute im Wesentlichen nur noch zweckrationale sozialtechnologische – also: „praxistaugliche“! – Lösungskonzepte für Probleme, die sich der Praxis der Kriminalitätskontrolle im Banne der öffentlichen Meinung stellen152. Seltsamerweise passt der große aufklärerische Gestus mit der scheinbar bescheidenen situationsorientierten sozialtechnischen Beratungsfunktion zusammen: Beides liefert die Legitimation für eine entpolitisierte Kriminalpolitik, die sich scheinbar zwingend an harten Fakten orientiert und deshalb von allen politischen Richtungen geteilt werden kann. Sinn macht dies freilich nur unter der Voraussetzung, dass Kriminalität als ein Phänomen verstanden wird, welches ungeachtet seiner möglichen Ursachen als solches erfolgreich zu bekämpfen ist. Der kriminalpolitische Fokus richtet sich dann auf Anreize zur Reduzierung des Angebots kriminellen Verhaltens, die das angeblich zur Kriminalität führende zweckrationale Wahlverhalten abschreckend zu beeinflussen suchen. Die Frage,

Dazu erstmals R. HASSEMER 1983 KUNZ 2000, 75 ff. 152 Ausführlich dazu KUNZ 2000, 12 ff. 150 151

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warum nach kriminellem Verhalten nachgefragt153 wird, entzieht sich diesem ökonomischen Rationalitätskonzept völlig. Folgerichtig geht es in der sich als streng rational ausgebenden Kriminalpolitik zunehmend um die Entwicklung von situativen Vorsorge- und Bekämpfungsszenarien der Kriminalität ohne tiefer greifende Ursachensuche. Kein Wunder, dass TONY BLAIRS proklamierte Doppelstrategie von tough on crime and tough on the roots of crime faktisch nur zur ersten Hälfte umgesetzt wurde. Mit dem Scheitern des einheitswissenschaftlichen Konzepts, die soziale Welt wie die Natur streng objektiv beobachten und abbilden zu wollen, scheitert auch der Anspruch, Gefährdungen des sozialen Gleichgewichts in gleicher Weise wie Naturgefahren rein technisch beherrschen zu können. Sozialtechnologische Bewältigungsvorstellungen von Kriminalität, wie sie erstmals von BECCARIA propagiert wurden154 und zuletzt im Verständnis von Kriminalität als „situativ“ und damit scheinbar ideologisch indifferent zu praktizierendes155 Risikomanagement zum Ausdruck kommen, sind Teil des inzwischen hinfällig gewordenen Programms der Moderne, die Gesellschaft mit quasi-naturwissenschaftlicher Rationalität steuern zu wollen. Wissenschaftlich möglich sind nicht völlig neutrale, wohl aber subjektiv aufrichtige, das eigene Vorverständnis transparent machende und dieses relativierende Deutungen der Äußerungen von Empfindungen, die bestimmte soziale Akteure mit Kriminalität verbinden. Nicht das Kriminalitätsgeschehen, sondern seine Rahmung in sozial als bedeutsam empfundenen Bildern ist der Untersuchungsgegenstand. Und die Methode ist nicht die der wirklichkeitsgetreuen Abbildung, sondern eher diejenige der sinnentsprechenden Nachempfindung mit dem groben Pinsel, der in persönlicher Handschrift Charakteristika akzentuiert. Anders als beim Künstler bedarf es neben dem Pinselstrich eines Kommentars darüber,

Zu Angebots- und Nachfrageorientierung in der Kriminologie GARLAND 2001, 129 („supply side criminology“), SACK 2003 154 KUNZ 2004, 86 ff. 155 Problematisiert bei KUNZ 2004, 207 153

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warum diese Pinselführung, -farbe und -stärke gewählt wurde, was den kriminologischen Interpreten demnach bewog, fremde kriminalitätsbezogene Empfindungen so und nicht anders zu präsentieren. Ob der Pinsel des einzelnen Interpreten wirklich den Punkt trifft, kann sich nur in der vergleichenden Betrachtung verschiedener kriminologischer Zeichnungen und ihrer Kommentierung, im Diskurs über ihre je zeitgemäße Angemessenheit erweisen. Sozialwissenschaft ist zugleich Deutung des sozialen Geschehens und Erläuterung des Vorverständnisses der eigenen Deutung, die sich der Auseinandersetzung mit fremden Deutungsvorverständnissen stellt. In der Summe der Selbst- und Fremdkommentierungen bilden sich Deutungsallianzen und um die Deutungsdominanz streitende Schulen. Es gibt keinen Gültigkeitsmaßstab kriminologischer Kriminalitätsrekonstruktion jenseits der Gemeinschaft der Forschenden156 und letztlich der Gesellschaft. Die Vorstellung einer streng „rationalen“, also kriminologisch mit hinreichenden Daten über die Kriminalitätswirklichkeit informierten und diese Informationen bei ihren Entscheiden berücksichtigenden Kriminalpolitik schrumpft damit zu dem Konzept einer kritischen Auseinandersetzung mit Deutungen des Kriminalitätsthemas und ihren Kommentierungen. Auch für diese Auseinandersetzung gibt es keinen anderen Maßstab als den der subjektiven Aufrichtigkeit und der Bereitschaft zur diskursiven Infragestellung eigener Wahrnehmungen. Immerhin eröffnet sich damit eine neue Brücke zwischen Kriminologie und Kriminalpolitik, insofern diese sich nicht grundsätzlich verschiedener, sondern durchaus ähnlicher Methoden zur vernunftgerechten Wahrnehmung und Entscheidungsorientierung bedienen. Damit zeichnet sich wenigstens in Umrissen ein Weg ab, dem radikalen Skeptizismus und der subjektiven Beliebigkeit der Spätmoderne (Was ist eigentlich Realität? Was Illusion? Wie funktioniert die Wirklichkeit?)157

Zur community of researchers als Gültigkeitsinstanz wissenschaftlicher Erkenntnis APEL 2002. 157 Vgl. etwa den Spielfilm “What the Bleep do we know?” 2007 - Horizon Film Distribution 156

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zu entgehen, ohne dem Trugbild eines sozialtechnokratischen Risikomanagements von Kriminalität zu verfallen. Fern der Vorstellung, dass das richtige Leben sich unserer Wahrnehmung entzieht oder gar die Wirklichkeit nicht existiert, gilt es einzusehen, dass die soziale Welt, in der das Kriminalitätsgeschehen eingebettet ist, sich aus Interaktionen konkreter Akteure zusammensetzt, die nur aus der Perspektive eines an den Interaktionen beteiligten Akteurs – und damit zwangsläufig standpunktbezogen – zugänglich ist. In Ermangelung eines streng objektiven Meisterstandpunktes gibt es keinen anderen Beurteilungsmaßstab als den des aufrichtig um vertiefte Einsicht bemühten Beobachters, der über seine persönliche „Brille“ so gut wie möglich Rechenschaft ablegt. Dass andere davon abweichende Maßstäbe als gültig erachten, sollte nicht irritieren, sondern als Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Pluralität und Entwicklung betrachtet werden. Die Vernunft, welche der Kriminalpolitik als Richtwert und Prüfungsmaßstab dienen könnte, ist eher die lebenspraktische des um Klarheit bemühten menschlichen Verstandes als eine streng rationalistische, die sich aus der zwingenden Beurteilung exakter empirischer Daten ableiten ließe. Die Kriminalpolitik müsste deshalb darauf verzichten, sich wie MÜNCHHAUSEN durch den Anschein eines aus objektiven Tatsachen folgenden Entscheidungskalküls an den eigenen Haaren ziehend auf den Thron der Vernünftigkeit zu befördern. Anders gesagt: Kriminalpolitik müsste wieder politisch kontrovers werden: ihrer Herkunft aus ideologisch geprägten gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen bewusst eine Konkurrenz unterschiedlicher Konzepte des Umgangs mit Kriminalität eröffnen. Formal fügt sich dies in ein Verständnis von Kriminalpolitik als learning by doing. Kennzeichnend dafür ist das Prinzip des ständigen Überdenkens und womöglich Korrigierens getroffener Entscheide, das SCHÜLERSPRINGORUM als think twice bezeichnet hat158. Das Prinzip verlangt die Bereitschaft zum kontrollierten Experimentieren mit zeitlich befristeten

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SCHÜLER-SPRINGORUM 1991.

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Gesetzen und wissenschaftlich begleiteten Modellversuchen, zum Wagnis unpopulärer risikobehafteter Entscheide entgegen der Devise „Sicher ist sicher“. Kriminalpolitik als lernendes System verabschiedet sich von den starren Entscheidungsprozeduren im „Wenn-Dann-Schema“, bestimmt Vorgaben nur noch zielorientiert und überlässt die Wahl der Wege dorthin der problemnahen dezentralen und möglichst demokratischen Beurteilung „vor Ort“. Solche mit Flexibilisierung, Prozeduralisierung und Selbstregulierung bestimmten159 Entscheidungsmechanismen kennzeichnen eine alternative Kriminalpolitik nur oberflächlich. Entscheidend dürfte sein, ob es gelingen wird, die vergessenen Wurzeln der Kriminalität wieder ins Bewusstsein zu rücken und damit eine Diskussion neu zu entfachen, die auf eine Umorientierung der angebotsorientierten auf eine nachfrageorientierte Kriminalpolitik abzielt. Dabei kann es nicht schlicht um die Wiederbelebung der Resozialisierungsidee mit einem über Menschen objekthaft verfügenden Behandlungskonzept gehen, sondern eher um integrationsbemühte Angebote zu einem Lernen des Respekts vor einer Pluralität von Überzeugungen ohne Zwang. Was das hier und heute bedeuten könnte, wäre der Klärung wert.

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KUNZ / MONA 2006, 226 f.

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Stichwortverzeichnis

Analysen multivariate.......................... 52 qualitative............................. 68 quantitative .......................... 68 Angstkultur ........................ 92, 98 Anzeigebereitschaft ................. 58 Anzeigeverhalten der Bevölkerung................. 60, 101 Arasse, Daniel........................... 32 Ausgangsstatistik..................... 59 background understanding Siehe Hintergrundverständnis BECCARIA, CESARE .......... 106, 108 Bedeutungs- und Identitätsstiftung, gesellschaftliche................... 74 Bedeutungsknoten ....... 32, 89, 90 Bedeutungsmuster................... 82 Begründungszusammenhang 49 Beobachterstandpunkt ............ 34 objektiver.............................. 43 teilnehmender...................... 35 Beobachtung .... 12, 13, 19, 25, 28, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 42, 46, 47, 48, 53, 58, 66, 72, 73, 80 Begrifflichkeit ...................... 36 naturwissenschaftliche ....... 39 objektive ......................... 39, 43 positivistische ...................... 72

sozialwissenschaftliche. 36, 72 subjektive Perspektivengebundenheit .................. 40 teilnehmende ......... 75, 78, 103 Verbindung mit einer Deutung ........................... 36 wissenschaftliche............... 103 Zuschauermodell................. 38 Beschreibung, dichte................ 92 Bevölkerungsbefragungen. 8, 18, 31, 55, 60, 67 standardisierte ....................... 8 Bewertung subjektiv sinnstiftende........ 52 subjektive.............................. 52 Bewusstsein, kollektives ......... 79 BLAIR, TONY ............................. 108 Brecht, Bertold .......................... 93 Cicourel ............................... 50, 68 Comte, Auguste.................. 39, 46 Courbet...................................... 33 Crime Fighter.............................. 96 crime in the streets...................... 93 crime in the suites ....................... 93 cultural turn .................. 38, 75, 76 DAHRENDORF, RALF .................. 79 Deutungsmuster, kulturspezifische ................. 85 Deutungsschemata....... 51, 77, 82

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Dilemma, kollektivistisches.... 80 DILTHEY, WILHELM ................... 78 disengaged subject ...................... 72 Dunkelfeld .......................... 17, 62 doppeltes ........................ 18, 24 Dunkelfeldbefragungen ... 55, 61, 62, 67 Dunkelfeldforschung.. 18, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 27, 30, 31, 32, 54, 55, 64, 67, 68, 70 als Abbildung der empirischen Realität der Verbrechenswirklichkeit 18 als Indikator für das laienhafte Kriminalitätsverständnis und das Bedrohungsempfinden der Bevölkerung .................... 27 quantitative Erhebungsinstrumente .. 25 systematische ....................... 17 Dunkelfeldstudien 12, 55, 60, 64, 65 Durkheim, Emile.......... 29, 79, 89 Eingangsstatistik ...................... 58 Elfter September....................... 98 Empirismus............................... 69 logischer ............................... 47 engaged agent ............................. 85 Epistemologie, soziale ............. 44 Erfahrungstest, experimenteller.................... 42 Erfahrungswissenschaft.......... 11

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Erfolgsdelikte............................ 94 Erkenntnis, sozialwissenschaftliche. 37, 76 Erkenntnishaltung kritisch-rationale............ 42, 65 non-kognitivistische............ 39 Erkenntnistheorie....................... 7 Erklären ............................... 49, 50 vermeintliche Objektivität.. 49 Erklärungsmodelle................... 90 der Sozialwissenschaften ... 38 Ermittlungen, proaktive.......... 58 evidence based criminology ... 11 expert techniques of concealment 93 Expertenkultur ................... 92, 98 Expertentum, wissenschaftliches.................... 43 Explanandum ........................... 48 Fehlschluss empiristischer ...................... 65 induktiver (naturalistischer).................. 25 Flexibilisierung....................... 111 Foucault, Michel....................... 33 Fremdeinschätzungen ............. 83 GEERTZ, CLIFFORD ......... 77, 83, 92 Gegenstand des Erkennens..... 39 Gegenstandsadäquanz des sozialwissenschaftlichen Beobachtens.......................... 72 Geisteswissenschaften ....... 39, 78 Gemeingefahr ........................... 19 Gemeinschaftsrechtsgüter Siehe Rechtsgüter, allgemeine

Generalprävention ................... 59 positive ............................... 107 Gesamtmenge kriminellen Verhaltens ............................ 23 als Summe aus Hellfeld, Dunkelfeld und doppeltem Dunkelfeld... 24 als Summe von Hell- und Dunkelfeld....................... 23 Gesellschaftliche Wirklichkeit, Wahrnehmung..................... 47 Gesellschaftskritik.................... 94 Gesellschaftspolitik, neoliberale ............................ 96 Gesellschaftstheorie ................. 38 Gesetz der konstanten Verhältnisse.......................... 17 Globalisierung .......................... 43 GOFFMAN, ERVING .............. 77, 82 governing through crime, Siehe Kriminalität, Politikmachen Gültigkeitsmaßstab kriminologischer Kriminalitätsrekonstruktion ................... 109 Gute Ordnung, Vorstellungen davon gemäss einem kulturspezifischen Kontext 99 Handlungsbedeutung ....... 81, 84 Handlungsinterpretationen... 81, 87, 88 HASSEMER, WINFRIED ............... 92 Häufigkeitsverteilung der ermittelten Delikte .............. 24

Hellfeld .................... 17, 18, 23, 24 Hermeneutik............................. 78 doppelte................................ 74 Hintergrundsprache .... 81, 88, 91 Hintergrundverständnis ......... 85 Hölzerne Hände ................. 92, 93 homo sociologicus........................ 79 HUME, DAVID ............................ 52 HUSSERL, EDMUND .................... 78 impression management ............. 83 Incapacitation ........................... 107 Individualistisches Dilemma .............................. 78, 80 Indizfunktion amtlicher Kriminalstatistiken.............................. 64 von Dunkelfelderhebungen .......................... 64 Infotainment ............................... 95 Instanzen der strafrechtlichen Sozialkontrolle ............... 16, 67 Intuition..................................... 43 JÄGER, HERBERT ......................... 93 KANT, IMMANUEL ...................... 51 Kommunitarismus ................... 85 KÖNIG, RENÉ .............................. 79 Konstruktbildung......... 48, 50, 51 wissenschaftliche................. 66 Kontrollinstanzen..................... 70 strafrechtliche................. 21, 69 strafrechtliche, Registrierverhalten ......... 16 Kontrollsystem, strafrechtliches..................... 59

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Körperzeichen .......................... 82 Korrelation ................................ 49 Kreativität des wissenschaftlichen Suchens................................. 44 Kriminalarithmetrik ................ 13 Kriminalistik als naturwissenschaftliche Verbrechensverfolgung...... 44 Kriminalität.....7, 8, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 45, 46, 47, 48, 53, 54, 55, 56, 64, 65, 67, 68, 87, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 98, 107, 108, 110 Alltagseinschätzung der Bevölkerung .................... 94 als abhängige Variable ....... 66 als Bedeutungsknoten .. 89, 90 als beobachtungsabhängige Eigenschaft von Handlungen .................... 30 als Deutungen von gesellschaftlichen Deutungen von Kriminalität ..................... 28 als Ding an sich.................... 14 als ein generelles und implizites, bei Bedarf situativ explizierbares Hintergrundwissen ........ 90 als ein gesellschaftlich belastendes Problem mit Regulierungsbedarf...... 105

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als Faktum der erfahrungswissenschaftlichen Wahrnehmung .... 46 als Gattungsbegriff.............. 15 als genuine genre of cultural expression .......................... 89 als gesellschaftliches Phänomen...................... 103 als gesellschaftliches Realphänomen ... 35, 48, 53, 100 als gesellschaftstheoretischer Begriff............................... 29 als individuelles Phänomen........................ 96 als Massenerscheinung....... 13 als mediale Inszenierung.... 95 als Medienthema ................. 96 als negatives Gut ................. 89 als objektive Gegebenheit... 54 als Problem........................... 69 als Produkt des ordnenden Gedankens ....................... 15 als Produkt von Handlungsinterpretationen .............. 87 als Produktionsfläche des politischen Standpunktes............................. 97 als Profilierungsthema........ 96 als Referenzobjekt der Kriminalstatistik ............. 15 als Risiko............................... 90 als statistisch relevante Einzelfallbewertungen... 16

als strafrectlich verbotenes Verhalten ......................... 46 als Tatsache .......................... 46 als Trendsetter in der Politik ............................... 30 als Wahlkampfthema.......... 97 amtliche Registrierungen . 101 Archäologie des Wissens . 100 Begrifflichkeit ...................... 29 Bekämpfung durch situative Vorsorge ........................ 108 erfahrungswissenschaftliche Zugänglichkeit................ 44 gesellschaftliche Aushandlung .................. 88 Indikatoren........................... 64 kulturspezifische Deutung. 92 naturwissenschaftliche Erklärungen..................... 44 organisierte...................... 70 Politikmachen ...................... 97 positivistischer Zugang ...... 46 rein normativ bestimmt...... 22 Selbstberichte ....................... 60 situative .............................. 108 Sozialschädlichkeit.............. 93 sozialtechnologische Bewältigungsstrategien ....................... 108 Wahrnehmungen ................ 67 Wirklichkeit 16, 17, 20, 56, 60, 98, 106, 109 Wurzeln .............................. 111 Zuschreibung als

Sprachspiel ........................... 88 Kriminalitätsbekämpfung als politisch-praktische Notwendigkeit..................... 69 Kriminalitätsbetrachtung, sozialwissenschaftliche......... 7 Kriminalitätsdarstellung künstlerische ........................ 98 medieninszenierte ............... 56 Kriminalitätserscheinungen .. 31, 46, 66 Kriminalitätsforschung ............. 7 empirische .......... 11, 12, 25, 65 empirisch-quantitative.. 18, 25 sozialwissenschaftliche....... 44 Kriminalitätsfurcht ............ 60, 62 Kriminalitätskontrolle ...................... 88, 92, 107 amtliche ................................ 59 Kriminalitätskontrollstatistik Siehe Kriminalstatistik Kriminalitätsvorkommen, amtlich registriertes ............ 56 Kriminalitätsvorstellungen..... 56 Kriminalitätswirklichkeit ........ 19 Kriminalpolitik .... 11, 31, 90, 106, 107, 108, 109, 110 als Kind der Aufklärung und als Projekt der Modern 106 als technologisch betriebenes Sicherheitsmanagement. 90 alternative........................... 111 Entzug der Legitimationsbasis.......... 31

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Instrumentalisierung ........ 104 nachfrageorientierte.......... 111 praktische ........................... 105 rationale.............................. 105 sozialtechnische Beratungsfunktion........ 107 Vernunft als Richtwert und Prüfungsmassstab ........ 110 Zusammenhang mit der Kriminologie ................. 105 Kriminalprävention als situationsbezogene Erschwerung von Tatgelegenheiten ................. 90 Kriminalstatistik.... 12, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 31, 32, 34, 54, 55, 57, 60, 64, 67, 68, 70 als Abbild der Verbrechenswirklichkeit 15 als Ausdruck der polizeilich erfassten kriminellen Wirklichkeit..................... 55 als Indikator für Art, Häufigkeit und Intensität der Strafverfolgungstätigkeit ............................ 26 als Kriminalitätskontrollstatistik............................. 26 polizeiliche ......... 12, 54, 56, 59 quantitative Erhebungsinstrumente .. 25 selektive Kontrollpraktiken der Instanzen................... 23

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selektive Meldebereitschaft der Bevölkerung ............. 23 Kriminaltourismus................... 63 Kriminologie 7, 11, 23, 28, 29, 32, 44, 100, 104, 105, 106, 109 als Erschliessung der Kriminalitätsverständnisse partikularer gesellschaftlicher Akteure.................. 28 als Kriminalitätstatsachenforschung ............................ 100 als Kulturwissenschaft...... 103 empirische ...................... 69, 70 Entsprechungen zu sonstigen Kulturwissenschaften .... 34 evidenzgestützt Siehe evidence based criminology Zusammenhang mit der Kriminalpolitik.............. 105 Kultur der Kontrolle ................ 99 Kulturanthropologie, interpretative.................. 77, 83 Kulturwissenschaften ................ 9 la conscience collective Siehe Bewusstsein, kollektives Labeling Approach ...... 65, 87, 88 langue ......................................... 85 Lebenswelten, parallele........... 43 Legalitätsprinzip ...................... 58 local knowledge ........................... 84 Lokales Wissen ................... 84, 92 Lombroso, Cesare..................... 47 Lust am Strafen Siehe Straflust

main-stream-Kriminologie ... 104 MAJOR, JOHN ............................. 97 Makrokriminalität.................... 93 Management sozialer Risiken 99 Mankell, Henning .................... 94 Marktwirtschaftliche Konkurrenz der Sicherheitsproduzenten...... 97 Marx, Karl ................................. 93 MEDIEN ...................................... 95 Medieninszenierung................ 92 Menschenbild ........................... 72 ontologisches ....................... 73 Messungen, quantitative Tauglichkeit ....................... 105 Methoden kritisch-rationale ................. 53 quantifizierende .................. 11 quantitative .......................... 11 Methodenkritik ........................ 42 Methodologie, qualitative sozialwissenschaftliche....... 76 moral holidays............................. 93 Moralunternehmertum ... 92, 93, 98 MÜNCHHAUSEN, BARON VON 110 Mythos des Gegebenen ........... 37 Narration..................... 60, 94, 103 Naturalismus, normativer ...... 44 Naturwissenschaften, Methoden ............................. 42 Neoliberale Ellbogenkultur .... 92 Null Toleranz............................ 97 Nussbaum, Arthur................... 47

Objektivität, Herstellung......... 48 Objektivität, wissenschaftliche35 Ausschluss............................ 35 Ökologische Validität .............. 68 Ökonomisches Rationalitätskonzept ......... 108 Opferbefragungen........ 61, 62, 71 Paradigma, interpretatives .... 32, 38, 65, 77, 82, 85, 87, 88, 104 Paradigma, positivistisches .. 106 paramount reality ....................... 82 parole........................................... 85 PARSONS, TALCOTT.................... 79 Perspektivengebundenheit des wissenschaftlichen Beobachtens gesellschaftlicher Vorgänge............... 35 subjektive.............................. 35 Phänomenologie, philosophische ..................... 78 Philosophie, positivistische .... 39 Physique Sociale Siehe Soziale Physik Plato ........................................... 13 Popper, Karl R. ................... 48, 53 Positivismus............ 39, 72, 73, 79 erkenntnistheoretischer .... 39, 45, 104 Postpositivismus ...................... 44 Proudhon, Pierre-Joseph ......... 93 Prozeduralisierung ................ 111 Punitivität.................................. 99 Quételet, Lambert Adolphe ... 12, 13, 14, 15, 16, 17, 22, 68

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Rationalismus,kritischer .. 48, 49, 50, 51, 53, 66, 69 Rationalitätsmaßstäbe,wissenschaftsimmanente ............... 40 Realphänomene, gesellschaftliche ....................................... 73 Rechtsgüter allgemeine ............................ 94 individuelle .......................... 94 Rechtstatsachenforschung ...... 47 RECKWITZ, ANDREAS .......... 76, 82 Reflexivität ................................ 44 Registrierungshäufigkeit ........ 30 Resozialisierungsanstrengungen ............................................... 96 Risikomanagement .. 30, 108, 110 Rorty, Richard .......................... 28 SARKOZY, NICOLAS ................... 97 Schamkultur, asiatische........... 92 Scheinkorrelationen........... 52, 53 Schiller, Friedricht.................... 94 SCHRÖDER, GERHARD ............... 97 SCHÜLER-SPRINGORUM, HORST .................................. 110 SCHÜTZ, ALFRED ........... 77, 78, 82 Selbstauslegung, kulturelle .... 75 Selbstbezüglichkeit der wissenschaftlichen Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität... 35 Selbstbilder ............................... 83 Selbstregulierung ................... 111 self-interpreting animal .............. 72 Sense-Making ........................... 47

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sex and crime .............................. 95 Shakespeare .............................. 47 shared knowledge ........................ 81 Sicherheitsanbieter, nichtstaatliche ...................... 90 Sicherheitsgefühl................ 30, 62 Sicherheitsmonopol, staatliches ............................. 90 simultaneous multiplicity of selves ...................................... 83 Sinnsetzungen, gesellschaftliche................... 86 Sinnstrukturen.................... 75, 83 Sinnsystem, kollektives ........... 86 Skeptizismus, radikaler......... 109 Sondierungen, qualitative.... 103, 104 Soziale Physik........................... 13 Sozialforschung .... 11, 50, 75, 77, 78, 86 positivistische ................ 72, 75 Sozialkontrolle, strafrechtliche...................... 57 Sozialphänomenologie, subjektivistische................... 81 Sozialphilosophie ..................... 38 Sozialstatistik ............................ 14 Sozialwirklichkeit..................... 66 Sozialwissenschaft 36, 38, 40, 43, 74 als Deutung des sozialen Geschehens und als Erläuterung des

Vorverständnisses der eigenen Deutung .......... 109 Sozialwissenschaften .... 7, 35, 36, 38, 41, 42, 44, 47, 76, 77 Bedeutungsverlust .............. 43 kulturtheoretisch orientierte ............................. 77 positivistische Bestimmung ........................ 39 positivistisches Konzept..... 40 Theoriebildung .................... 42 Soziologie .................. 8, 46, 79, 80 Spätmoderne..................... 43, 109 Spiegel der Natur..................... 37 Störvariablen ............................ 52 Strafgerechtigkeit ..................... 96 Straflust ......................... 60, 98, 99 Strafverfolgung ............ 22, 26, 57 Strafverlangen, persönliches .. 58 structures of meaning Siehe Sinnstrukturen Strukturalismus objektivistischer................... 81 soziologischer ...................... 80 Struktur-Funktionalismus, soziologischer ...................... 79 supply side criminology ....... 108 SUTHERLAND, EDWIN H............ 93 Symbolik der Ausgrenzung ... 98 System, kulturelles................... 86 Systeme sozialer Regulierung 98 tacit knowledge Siehe Kriminalität als generelles und implizites, bei Bedarf situativ

explizierbares Hintergrundwissen Täterbefragungen..................... 64 Täter-Opfer-Beziehung............ 19 Tatsachenbeobachtung empirische .............................. 7 kriminologische ..................... 7 objektive ................................. 7 TAYLOR, CHARLES .. 72, 77, 85, 86, 89 Terrorismus......................... 70, 93 neuer ..................................... 99 Theoriebildung, sozialwissenschaftliche......... 7 thick description.......................... 84 tough on crime .................... 97, 108 Überprüfungszusammenhang Siehe Begründungszusammenhang Umgangssprache...................... 74 als Ausdrucksmittel ............ 74 als Ausdrucksmittel sozialer und sozialwissenschaftlicher Realitätswahrnehmung.. 74 als Kommunikationsmittel. 74 als Medium der Verständigung über die Gültigkeit der Wahrnehmung im gesellschaftlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs ....... 74 Unschuldiges Auge...... 47, 49, 70 Ursache-Wirkungs-Schema .... 52

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Variablen ....23, 27, 48, 50, 51, 52, 53 abhängige ....................... 49, 52 Beziehungen......................... 52 Operationalisierung ............ 51 unabhängige .................. 49, 52 Velázquez, Diego ..................... 33 Verbrechenskontrolle ............ 106 Verbrechernatur ....................... 47 Verhalten abweichendes ...................... 44 Indikatoren kriminellen Verhaltens........................ 26 kriminelles... 23, 25, 26, 29, 30, 60, 64, 65, 67, 69 Verstehensmodell der Sozialwissenschaften .......... 38 Viktimisierung........ 55, 58, 60, 61 Viktimisierungserlebnisse .... 101 Viktimisierungsstudien, internationale....................... 63 Viktimisierungswirklichkeit... 61

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VOLTAIRE ................................. 106 Wahrnehmung Perspektivengebundenheit ....................... 49 perspektivische .................... 33 WEBER, MAX .............................. 79 webs of meaning Siehe Bedeutungsknoten White-Collar Crime .................... 93 Wirklichkeit ontologische ......................... 83 soziale ................. 14, 15, 48, 73 Wissenschaft Autonomie............................ 42 Wissenschaftsfreiheit............... 41 Wissenschaftstheorie ............... 44 WITTGENSTEIN, LUDWIG ........... 84 Zielvariable, abhängige ........... 49 Zufallsvariablen ....................... 52 Zufallsvariablen, unsystematische .................. 52 Zusammenhang, statistischer. 51