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German Pages 129 Year 1972
WISSENSCHAFTLICHE UNTERSUCHUNGEN ZUM NEUEN TESTAMENT HERAUSGEGEBEN VON D. Dr. J O A C H I M J E R E M I A S U N D D . O T T O
MICHEL
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Der Vorhang vor dem Thron Gottes Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 6,19 f. und 10,19 £.
von
Otfried Hofius
1972 J. C. B. M O H R ( P A U L S I E B E C K )
TÜBINGEN
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs I der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, Abteilung Siegerland, gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
© Otfried Hofius J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1972 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Printed in Germany Satz und Druck: Christian Guide, Tübingen Einband: Heinrich Koch, Großbuchbinderei, Tübingen
ISBN 3 16 133671 2
VORWORT
Die vorliegende Studie setzt die i n meinem Buch „Katapausis" (WUNT 11) begonnenen Untersuchungen zum Problemkreis „He bräerbrief und Gnosis" fort. Sie wurde im Sommersemester 1971 von der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe als Habilita tionsschrift angenommen und ist für den Druck noch einmal durch gesehen worden. Zu danken habe ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor D. Dr. Joachim Jeremias, und den Herren Professoren Dr. Ingo Baldermann, Dr. Dr. Carsten Colpe und D. Otto Michel für alle freundliche Hilfe und Förderung, ferner der Deutschen Forschungs gemeinschaft für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses sowie Herrn stud. theol. Alfred Mengel für wertvolle Unterstützung beim Lesen der Korrekturen. Eiserfeld, im April 1972 OTFKIED HOFIUS
MEINER FRAU
INHALTSÜBERSICHT EINLEITUNG
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Α. DIE VORSTELLUNG V O M HIMMLISCHEN VORHANG IM ANTIKEN JUDENTUM
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1. Der Vorhang vor dem Thron Gottes a) Die Gestalt der altjüdischen Pargod-Spekulation b) Die Herkunft der altjüdischen Pargod-Spekulation
4 5 17
2. Der Vorhang zwischen Himmel und Erde
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a) Der Befund der Quellen α) Der kosmische Vorhang in der rabbinischen Literatur ß) Der kosmische Vorhang in der jüdisch-hellenistischen StiftszeltSymbolik γ) Der kosmische Vorhang in einem Zeugnis rabbinischer Stifts zelt-Symbolik
19 19
b) Herkunft und Bedeutung der Vorstellung
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B. DIE VORSTELLUNG V O M HIMMLISCHEN VORHANG IN DER GNOSIS 1. Der Vorhang zwischen Pleroma und Kosmos
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a) Der Vorhang als Schöpfungswerk des Urvaters
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b) Der Vorhang als illegales Werk der Pistis Sophia
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2. Vorhänge in der Äonenwelt
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3. Ergebnis
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C. DIE VORSTELLUNG V O M HIMMLISCHEN VORHANG IM HEBRÄERBRIEF 1. Die überkommene καταπέτασμα-Spekulation
49 49
a) Der Ort des himmlischen καταπέτασμα α) Das urbildliche Heiligtum im Hebräerbrief ß) Das καταπέτασμα — Vorhang vor dem Thron Gottes
49 50 73
b) Die religionsgeschichtliche Herkunft der καταπέτασμα-Vorstellung
74
2. Die Verwendung der Tradition vom himmlischen καταπέτασμα in Hebr 6,19 f. und 10,19 f
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a) Hebräer 10,19 f
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b) Hebräer 6,19 f
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SCHLUSS Literaturverzeichnis Stellenregister
95 97 III
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Außer den allgemein üblichen Sigla für biblische, altjüdische und frühchrist liehe Schriften werden folgende Abkürzungen verwendet: Jüdische und christliche
Quellen
ApokPls
Christliche Apokalypse des Paulus
3 Kor
Apokrypher 3. Korintherbrief
LibAntBibl
Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum
Testls
Testament des Isaak Gnostische
2ApokJak ApokrJoh (BG)
Quellen
Zweite Apokalypse des Jakobus (aus Codex V von Nag Hammadi) Apokryphon des Johannes (Version im Codex Berolinensis Gnosticus 8502)
ApokrJoh (CG II)
Apokryphon des Johannes (Version im Codex II von Nag Hammadi)
ApokrJoh (CG III)
Apokryphon des Johannes (Version im Codex III von Nag Hammadi)
ApokrJoh (CG IV)
Apokryphon des Johannes (Version im Codex IV von Nag Hammadi)
1BJ
Erstes Buch Jeü
2BJ
Zweites Buch Jeü
CorpHerm
Corpus Hermeticum
EV
Evangelium Veritatis
Exc ex Theod
Excerpta ex Theodoto
LGinza
Linker Ginza
RGinza
Rechter Ginza
(aus Codex I von Nag Hammadi)
OdSal
Oden Salomos
PhilEv
Philippusevangelium (aus Codex II von Nag Hammadi) Pistis Sophia
PS SJC (BG) ThPs
Sophia Jesu Christi (aus dem Codex Berolinensis Gnosticus 8502) Thomaspsalmen (aus dem Manichäisehen Psalm-Buch)
TS UAW WA
Titellose Schrift (aus Codex II von Nag Hammadi) Unbekanntes altgnostisches Werk Das Wesen der Archonten (aus Codex II von Nag Hammadi)
EINLEITUNG* Zweimal begegnet im Hebräerbrief die Vorstellung von einem himmlischen „Vorhang": Nach 6,19 f. ist der Hohepriester Jesus für uns εις τό έσώτερον του καταπετάσματος eingegangen; nach 10,19 f. hat er auch uns den Weg eröffnet, der durch das καταπέτασμα in das Allerheiligste des wahren Heiligtums führt. Beide Stellen sind für die Frage nach dem religionsgeschichtlichen Hintergrund des He bräerbriefs von nicht geringer Bedeutung. E . Käsemann findet in ihnen einen wichtigen Beleg für seine These, daß die Gesamtkon zeption unseres Briefes wie auch seine zentralen Motive deutlich den Einfluß gnostischer Anschauungen erkennen lassen und erst von ihnen her eine sinnvolle Interpretation erfahren können . Käsemanns Argumentation zur Vorstellung vom himmlischen Vorhang sei in wenigen Strichen skizziert: Zur Erklärung des „son derbaren καταπέτασμα-Begriffs" im Hebräerbrief genügt nicht ein fach die Feststellung, „daß der Vorhang an der Tür des Heiligen bzw. des Allerheiligsten durch καταπέτασμα bezeichnet werde" . Der auctor ad Hebraeos verbindet nämlich mit diesem Begriff „deutlich eine Spekulation, wonach auch Himmel und Erde durch ein ana loges καταπέτασμα voneinander geschieden werden" . Das himm lische καταπέτασμα ist demnach „nicht Urbild des Vorhanges in der irdischen Stiftshütte, sondern Grenze und Scheidewand zwischen Erde und Himmel" und somit als „ein ,Hindernis" auf dem Wege 1
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* Literatur wird in den Anmerkungen durchweg abgekürzt zitiert; die ge nauen bibliographischen Angaben sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Nur mit dem Verfassernamen angeführt werden die Kommentare zum Hebräer brief, außerdem A. JELLINEK, Bet ha-Midrasch; A. WÜNSCHE, Aus Israels Lehrhal len; S. A. WERTHEIMER, Batei Midrashot, sowie die in Anm. 1 bzw. Anm. 15 erwähnten Arbeiten von E . KÄSEMANN und G. W . M A C R A E . 1
4
E . KÄSEMANN, Das wandernde Gottesvolk, 1938 = 1961. Ebd. 135. 144 ff. Ebd. 135; vgl. 149. Auch 145 spricht KÄSEMANN von einer „seltsamen Vor stellung". 2
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Ebd. 135 (gegen RIGGENBACH
176).
Ebd. Ebd. 145. KÄSEMANN folgt hier R . GYLLENBERG, ZSTh 11 (1934) 675; s. dazu u. S. 52 f. 6
Einleitung
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zu Gott" verstanden . Diese Vorstellung ist aus einer „gnostischen Schultradition" abzuleiten, „die sich in ähnlicher Weise mit dem Vorhang zwischen Himmel und Erde befaßt" . Dabei stellt das Bild vom Vorhang nur eine judenchristlich-gnostische Variante der Vor stellung von der himmlischen Grenzmauer dar . Das καταπέτασμα nimmt somit im Hebräerbrief „die Stelle ein, welche in Eph 2,14 dem μεσότοιχον του φραγμού und im gnostischen Mythos der himm lischen bzw. dämonischen Grenzmauer zukommt" . — Soweit die Überlegungen Käsemanns . Betrachtet man die Belege, mit denen Käsemann seine Behaup tung einer „gnostischen Schultradition" vom Vorhang zwischen Himmel und Erde begründet , so fällt auf, daß neben Texte aus der gnostischen Literatur ganz unbefangen auch solche alt jüdischer Provenienz gestellt werden . M a n wird dies nur so verstehen kön nen, daß Käsemann auch diese Texte für Zeugnisse der von ihm vermuteten „gnostischen Schultradition" hält. Den Beweis dafür, daß wir in den jüdischen Äußerungen gnostische Anschauungen vor uns haben, bleibt Käsemann jedoch schuldig. De facto kann das von ihm gebotene Material lediglich belegen, daß von einem himm lischen Vorhang nicht nur im Hebräerbrief, sondern auch in jüdi schen und gnostischen Quellen die Rede ist. Keineswegs sind aber die für die religionsgeschichtliche Beurteilung entscheidenden Fra8
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Ebd. 145; vgl. 147. 148. Ebd. 135. Ebd. 145 Anm. 5. Ebd. 145. Der skizzierten Interpretation KÄSEMANNS stimmt vor allem E. GRÄSSER, Der Glaube im Hebräerbrief 34 Anm. 115; 37 Anm. 132; 111 und dort Anm. 278-283 vorbehaltlos zu. Vgl. ferner auch E. HAENCHEN, R G G II 1654; F. J. SCHIERSE, Verheißung und Heilsvollendung 36 f.; E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht 172 Anm. 1. Kritisch dagegen R. McL. WILSON, Gnosis and the New Testament 37 f. (= deutsche Übersetzung 39 f.). Sie sind notiert bei KÄSEMANN 135 Anm. 4. Zu streichen ist die ebd. 149 Anm. 1 erwähnte Stelle Exc ex Theod 27,1 ff.; denn hier haben wir es nicht mit Lehren des Gnostikers Theodot zu tun, sondern es kommt Clemens von Alexan drien selbst zu Wort. Seine Ausführungen bieten eine von philonischen An schauungen beeinflußte und an Hebr 9,3 anknüpfende allegorische Deutung des hohenpriesterlichen Eintritts in das irdische Allerheiligste: dem Gang des Hohen priesters durch das δεύτερον καταπέτασμα entspricht der Aufstieg der Seele in den κόσμος νοητός. Clemens hat also den Gedanken Philos vom Vorhang zwi schen κόσμος αισθητός und κόσμος νοητός (s. u. S. 23) übernommen. Vgl. dazu im einzelnen F. SAGNARD, Extraits de Theodote 220 ff.; G. W. MACP^AE (S. U. Anm. 15) I 73 f. UAW 360,1 ff.; PS passim; Exc ex Theod 38,1 ff. (daß der Abschnitt Exc ex Theod 38,1 u. 2 nicht für die Gnosis in Anspruch genommen werden kann, wird u. S. 13 ff. gezeigt!). HebrHen 45; PirqeRÄl 4; Massäkhäth Hekhaloth 7. Jüdischer Herkunft ist auch das Motiv vom Vorhang in den bei W. LUEKEN, Michael 98 f. mitgeteilten christlich-koptischen Texten, auf die KÄSEMANN 135 Anm. 4 ebenfalls hinweist. 8
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Einleitung
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gen gestellt und beantwortet: w i e in den jeweiligen Texten von dem himmlischen Vorhang gesprochen wird; in welchem Verhält nis zueinander die verschiedenen Texte und Aussagen stehen; ob hier Abhängigkeit und Beeinflussung vorliegt und — wenn das zu be jahen sein sollte — in welcher Richtung und mit welchen Modifika tionen im einzelnen. D i e s e Fragen, deren Beantwortung erst ein be gründetes religionsgeschichtliches Urteil ermöglicht, sollen in der vorliegenden Arbeit erörtert werden. Ich gehe im folgenden so vor, daß ich in einem ersten Kapitel (A) die jüdischen Quellen und in einem zweiten Kapitel (B) die gnostischen Texte behandle . Für beide Bereiche läßt sich dabei die Quellenbasis durch eine Fülle weiteren Materials noch erheblich erweitern . Das dritte Kapitel der Arbeit (C) soll dann der Frage gewidmet sein, welche Vor stellungen der Hebräerbrief mit dem in 6,19 f. und 10,19 f. erwähn ten himmlischen Vorhang verbindet und wo diese Gedanken reli gionsgeschichtlich einzuordnen sind. 15
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Die Teile A und B waren bereits erarbeitet und im Manuskript konzipiert, als ich durch Herrn Prof. Dr. R. McL. WILSON, St. Andrews, auf eine unge druckte Cambridger philosophische Dissertation aufmerksam gemacht wurde, die sich u. a. ebenfalls mit dem himmlischen Vorhang im antiken Judentum und in der Gnosis beschäftigt: G. W . MACRAE, Some Elements of Jewish Apocalyptic and Mystical Tradition and their Relation to Gnostic Literature, Maschinenschrift, Cambridge University 1966, Vol. I: Text, Vol. II: Notes. Herr Prof. Dr. MacRae, S. J., war so freundlich, eine Fotokopie der betreffen den Seiten seiner Dissertation (I 30-114; II 14-57) für mich anfertigen zu lassen, wofür ihm auch an dieser Stelle ausdrücklich gedankt sei. Die Lektüre ergab, daß sich MacRae's Arbeit und meine Studie kaum überschneiden, einander viel mehr glücklich ergänzen. Das Schwergewicht meiner Untersuchungen liegt - wie der Untertitel zeigt - auf dem Hebräerbrief, den MacRae nur im Vorübergehen streift (I 39-42). Die Besprechung der jüdischen und gnostischen Texte ist des halb im folgenden ständig von der Fragestellung geleitet, was diese Quellen für die religionsgeschichtliche Erklärung und Einordnung der y.aTajT8Taapia־Vorstellung von Hebr 6,19 f.; 10,19 f. austragen. - Da die Arbeit MacRae's bislang nicht gedruckt vorliegt, wird auf die maschinenschriftliche Dissertation Bezug genommen. Zum Judentum s. die in der folgenden Anm. genannten Arbeiten, zur Gnosis vor allem MACRAE I 73 ff. Unsere Zusammenstellung der jüdischen Texte geht über die bisherigen Materialsammlungen noch hinaus, ohne damit den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Doch darf das vorgelegte Quellenmaterial als repräsentativ gelten. 1 6
A. D I E V O R S T E L L U N G V O M H I M M L I S C H E N V O R H A N G IM ANTIKEN JUDENTUM In der Literatur des antiken Judentums ist i n einer zweifachen Weise von einem himmlischen Vorhang die Rede. Auf der einen Seite begegnen wir Texten, die davon sprechen, daß i m obersten Himmel ein Vorhang den Thron Gottes verhüllt. Neben dieser Vor stellung stoßen wir auf die andere, daß die gesamte Himmelswelt durch einen kosmischen Vorhang von der Erde getrennt ist. Beide Spekulationen sind streng auseinander zu halten; sie sollen deshalb je für sich dargestellt und besprochen werden.
1 . D e r V o r h a n g v o r dem T h r o n
Gottes 1
Für die Vorstellung von einem Vorhang vor dem Thron Gottes stehen zahlreiche Belege zur Verfügung, die i n den Umkreis der rabbinischen Esoterik und der Märkabhah-Mystik gehören. Wenn es sich dabei zum Teil auch um Texte aus relativ späten Schriften handelt, so ist doch zu beachten, daß die Werke der sog. HekhalothLiteratur „in echtem und ungebrochenem Traditionszusammenhang mit der talmudischen Geheimlehre stehen" und daß „die zentralen Vorstellungen dieser Texte . . . bis ins erste und zweite Jahrhundert hinauf(reichen)" . Was das Theologumenon von einem Vorhang vor dem Thron Gottes anlangt, so urteilt ein Sachkenner wie G. Scho len!: „Die Idee eines solchen Vorhangs muß sehr alt sein und wird schon in agadischen Redewendungen noch aus dem 2. Jahrhundert vorausgesetzt." Die Frage, ob das Theologumenon in noch frühere 2
3
1
Literatur: F . WEBER, Jüdische Theologie 163 f.; LUEKEN, Michael 36. 46.
97 ff. 131 f.; BILLERBECK I 783 f. 976; II 266 f.; H . ODEBERG, 3 Enoch II 141 ff.
(vgl. I 172); H . BIETENHARD, Die himmlische Welt 73 f.; G. SCHOLEM, Jüdische Mystik 77 f.; 400 Anm. 113 f.; DERS., Ursprung und Anfänge der Kabbala 100 Anm.
107; DERS., Jewish Gnosticism 35; M A C R A E I 50 ff.; P . ANDRIESSEN, B Z
15 (1971) 84 f. Vgl. auch A. MARMORSTEIN, Jahrbuch für Jüdische Volkskunde 1924/25, 379 Anm. 1. 2
SCHOLEM, Ursprung und Anfänge der Kabbala 16. SCHOLEM, Jüdische Mystik 77. In das 2. Jh. n. Chr. weist auch der Text Exc ex Theod 38,1 f., dessen genuin jüdischer Charakter u. S. 13 ff. aufgezeigt wird. 3
D e r V o r h a n g vor dem T h r o n
Gottes
5
Zeit zurückdatiert werden kann, muß angesichts des Schweigens der uns vorliegenden älteren Quellen hier zunächst offenbleiben; wir werden sie jedoch später (u. S. 75) noch einmal aufgreifen. Wenden wir uns nunmehr den Texten selbst zu! a ) D i e G e s t a l t der altjüdischen
Pargod-Spekulation 4
Der Gedanke, daß der himmlische Gottesthron von einer Hülle umschlossen ist, findet sich erstmals im masoretischen Text von H i 2 6 , 9 . Dort wird von Gott gesagt: „Er verhüllt den Anblick (seines) Thrones, breitet über ihn sein Gewölk." 5
Diesem Satz liegt die im Alten Testament mehrfach bezeugte A n schauung zugrunde, daß Gott sich mit „Wolkendunkel" umgibt . Auf entsprechende Schriftstellen nehmen denn auch gerne jene Schilderungen der himmlischen Thronsphäre Bezug, die uns i n rabbinisch-esoterischen Überlieferungen erhalten sind. So lesen wir in b C h a g h 1 2 b eine Beschreibung des obersten der sieben Himmel, in der es u. a. heißt: 6
Im 'Araboth „befinden sich Gerechtigkeit, Recht und Heil, die Schätze des Lebens, die Schätze des Friedens und die Schätze des Segens, die Seelen der Gerechten, die Geister und Seelen derer, die einst geboren werden, und der Tau, durch den der Heilige, gepriesen sei er, dereinst die Toten beleben wird . . . Da befinden sich ferner die Ophanim, die Seraphim, die heiligen Tiere, die Dienstengel und der Thron der Herrlichkeit; und der lebendige Gott, der hohe und erhabene König, thront über ihnen . . . Finsternis, Gewölk und Wolkendunkel ( ) ח ש ך ו ע נ ן ו ע ר פ לumgeben ihn, denn es heißt: ,Er machte Finsternis zu seiner Hülle, umgab sich mit Wasserdunkel, mit dichten Wolken als einer Hütte' (Ps 18,12)" . 7
4
Zur Vorstellung vom Thron Gottes s. BILLERBECK I 974 ff.; O. SCHMITZ, ThW III 160 ff.; SCHOLEM, Jüdische Mystik 43 ff.; J. MAIER, Vom Kultus zur Gnosis, passim. 5
מ א ח ז פני"יכסה פרשז ע ל י ו ע נ נ ו.
Die textkritische Erwägung mancher Ausleger,
daß statt des auch von 0, Targ und Vulg bezeugten kisseh = hisse' („Thron") ursprünglich käsäh („Vollmond") gelesen werden müsse, braucht hier nicht diskutiert zu werden. Uberzeugend ist dieser Vorschlag m. E. nicht. Ps 18,10.12 (= 2 Sam 22,10.12); 97,2; Nah 1,3b; vgl. auch 1 Kön 8,12; Hi 22,14; Klgl 3,44. Ob diese Stellen ihrerseits von den Berichten über die SinaiTheophanie (Ex 19,9.16; 20,21; 24,15; 34,5; Dtn 4,11) abhängig sind, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden; s. dazu JÖRG JEREMIAS, Theophanie 106 f. Vgl. mit bChagh 12b auch M i d h r a s c h 'asäräth had-debharoth, 1 . Gebot (JELLINEK I 64 f.; WÜNSCHE IV 73 f.): „In dem 'Araboth ist Recht und Gerechtigkeit und die Taue des Lebens und des Segens, die Seelen der Gerechten, der Thron der Herrlichkeit, die heiligen Tiere, die Seraphim, Ophanim und Keru6
7
D i e Vorstellung
6
vom himmlischen
Vorhang i m antiken
Judentum
Der letzte Satz wird dann gegen das Mißverständnis abgesichert, als sei es bei Gott selbst finster: Die Wolkenhülle ist nach innen, nach dem Raum Gottes zu, Licht — denn „das Licht wohnt bei ihm" (Dan 2,22) —, nach außen hingegen ist sie Finsternis . Neben die Schilderung von bChagh 12b sei ein Abschnitt aus Massäkhäth H e k h a l o t h 3 gestellt: 8
Der Glanz des Thrones der Herrlichkeit ist so stark, daß selbst „die Kerube der Allmacht und die Ophanim der Schekhina den Glanz der Herrlichkeit nicht anzuschauen vermögen". Deshalb hat der Heilige „Gewölk und Wolkendunkel ( ) ע נ ן ו ע ר פ לrings um sich, wie es heißt: ,Und er macht Finsternis zu seiner Umhüllung, rings um sich seine Hütte* (2 Sam 22,12) " . 9
Während in den bisher angeführten Texten der Ausdruck „Vorhang" selbst nicht erscheint , wird im T a r g u m zu H i 2 6 , 9 ausdrücklich gesagt, daß das den Thron Gottes umgebende „Wolkendunkel" einen Vorhang (Pargod ) bildet: 10
11
bim, und sie kommen, um die Herrlichkeit des Heiligen kund zu tun. . . Und die Engel . . . sind gebeugt vor dem Heiligen, gepriesen sei er, und sie sehen nicht den Ort seiner Schekhina und heiligen den Namen des Heiligen, gepriesen sei er, der auf hohem und erhabenem Throne sitzt, und Gewölk und Wolkendunkel ( ) ע נ ן ו ע ר פ לumgeben ihn, wie es heißt: ,Gewölk und Wolkendunkel rings um ihn, Gerechtigkeit und Recht die Stütze seines Thrones* (Ps 97,2)." Der Hymnus „Mäläkh *äljon" wird es später so formulieren: ע ר פ ל ל ו 8
ועמה שרא נהורא. םתרה
(zit. η. Μ. SACHS, Festgebete der Israeliten II 2, 126). R.
OTTO, Das Heilige 210 übersetzt sehr schön: „Finsternis birgt Ihn dicht. Doch Er selber wohnet im Licht." Zur Vorstellung von der Lichtwohnung Gottes, an deren Ausbildung vor allem auch Ps 104,1 f. beteiligt ist, vgl. besonders Sephär ha־razim ed. MARGALIOTH VII 1 ff. (= S. 107, Ζ. 1 ff.); VII 12 ff. (= ebd. Z. 12 ff.); deutsche Übersetzung von J. MAIER in: Judaica 24 (1968) 173, Ζ. 1 ff.; 176, Z. 31 ff. Im NT vgl. 1 Tim 6,16. JELLINEK II 41; WÜNSCHE III 36. Zur Vorstellung von der Wolke, die Gott umhüllt, vgl. auch Tanch Gen, wjr 23; MidrPs 24, § 12 zu V. 8; Maasäh Märkabhah ed. SCHOLEM § 30; Re'ijjoth Jechäzqel (WERTHEIMER II 133); Sedhär rabbah di Bereschith 43 (WERTHEIMER I 43); Sephär ha־razim ed. MARGALIOTH VII 34 (= S. 109, Z. 5). Auch auf die in der „Titellosen Schrift" aus Codex II von Nag Hammadi enthaltene ursprünglich jüdische Schilderung des Gottesthrones ist zu verweisen: „Er sitzt auf einem Thron (θρόνος) im Lichte einer großen Wolke, die ihn bedeckt (σκεπάζειν)" (TS 154,3 ff.). Die gleiche Vorstellung liegt auch ApokrJoh (BG) 38,6 ff. = (CG II) 10,14 ff. = (CG III) 15,16 ff. = (CG IV) 16,2 ff. zugrunde: Jaldabaoth, der die Züge des alttestamentlichen Gottes trägt, sitzt auf einem Thron mitten in einer „Lichtwolke" (der Kontext weist weitere Elemente einer jüdischen Märkabhah-Schilderung auf; s. BG 37,21 ff.; 39,1 ff.). Er begegnet allerdings in bChagh und Massäkhäth Hekhaloth an anderer Stelle: bChagh 15a (s. u. S. 8 Anm. 21). 16a (s. u. S. 8 Anm. 17); Massäkhäth Hekhaloth 7 (s. u. S. 11 f.). Zum Ausdruck פ ר ג ו דund seiner Etymologie s. MACRAE I 52 f. 9
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Der
Vorhang
vor dem Thron
Gottes
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Gott „hält fest (um sich gezogen) das Dunkel, das seinen Thron umgibt; damit ihn die Engel nicht sehen, breitet er über ihn wie einen Vorhang () פ ר ג ודא die Wolke seiner Herrlichkeit" . 12
Spricht diese Stelle davon, daß der Vorhang den Thron Gottes und damit Gott selbst den Blicken der Engel entzieht und die Wohnung Gottes für sie unnahbar macht , so wird der Traktat Sedhär G a n Edhän, 2. V e r s i o n * die trennende Funktion gegenüber den vollendeten Gerechten im Blick haben, wenn es dort heißt: Der obere Gan Eden „ist unterhalb des Vorhanges ()פרגוד, (der sich) unterhalb des Gottes Israels (befindet)" . Der Gedanke, daß Gott vor den im Himmel versammelten Frommen verborgen bleibt, ist auch in einem bSota 4 9 a überlieferten Ausspruch des R. Acha b. Chanina (Pal. um 300) vorausgesetzt. Nach R. Acha gilt dem Schriftgelehrten, der sich sogar in Armut mit der Tora befaßt, die Verheißung von Jes 30,20; d. h. er erfährt die besondere Auszeichnung, Gott, seinen Lehrer, schauen zu dürfen. Das wird mit den Worten umschrieben: „Selbst der Vorhang wird vor ihm nicht geschlossen" ()אף אין הפרגוד גנעא בפניו. 13
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Vgl. damit den folgenden, fraglos aus jüdischer Tradition stammenden Satz aus der äthiopischen Weihnachtsliturgie des H l . Gregorius, mit dem das Gebet nach dem Gesang des Trishagion beginnt: „Durch den Vorhang der Wolken war er (sc. der Herr Zebaoth) verborgen" (O. LÖFGREN/S. EURINGER, GregoriusAnaphoren 122 f.). Ein indirektes Zeugnis für den Gedanken, daß der Pargod von der Wolke der Herrlichkeit gebildet wird, liefert das u. S. 11 Anm. 41 mitgeteilte Zitat aus Sedhär Gan Edhän, 1. Version. Vgl. schließlich auch die folgenden Verse aus dem Hymnus „Ädhär jeqar eli" des R. Meschullam b. Kalonymos (zit. n. M . SACHS, Festgebete der Israeliten IV 102):.ה ש ר ת ס ב י ב סכו e
יקר עז ח ב י ו ן. ישב בסתר ע ל י ו ן. . . ל ס ו כ ו
; ח ש מ ל ב ל יE. SCHUBERT-CHRISTALLER,
Der
Gottesdienst der Synagoge 74 übersetzt: „Dunkel ist rings um ihn, kein Wesen schauet ihn . . . Der Höchste thront in Verborgenheit, ihn verhüllt der Glanz seiner Herrlichkeit." Die gleiche Bedeutung hat in äthHen 14,21 f. das Feuer, das den Thron Gottes umgibt; s. auch äthHen 71,6. Zu der Anschauung, daß auch die Engel Gott nicht schauen dürfen, s. außer dem bei BILLERBECK I 783 f. gesammelten Material z. B. noch TargEz 1,27; 8,2; Sephär ha־razim ed. MARGALIOTH VII 9 f. (= S. 107, Z. 9 f.); Massäkhäth Hekhaloth 3 (oben im Text zitiert); Hekhaloth zutarti, Ms. Oxford 1531, Bl. 45b (zit. b. SCHOLEM, Jüdische Mystik 68). Es ist natürlich kein Gegensatz zu der Auffassung, daß der Vorhang den Be־ reich Gottes gegen die ihn umgebende Himmelswelt abschließt, wenn es b B M 59a in einem Ausspruch des R. Abbahu (um 300) heißt: „Vor drei Dingen ist der Vorhang ( ) פ ר ג ו דnicht geschlossen: vor Betrug, Raub und Götzendienst"; denn hier liegt bildliche Redeweise vor. JELLINEK teilt zwei verschiedene Schriften dieses Titels mit: 1) II 52 f. = „Gan Eden" bei Wünsche III 21-24; 2) III 131-140 = „Die Mauern und Hailen von Gan 'Eden und seine Bewohner" bei WÜNSCHE III 48-66. 13
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JELLINEK III JELLINEK III 135,
138; WÜNSCHE III 61. Mit diesem פ ר ג ו דdürfte die ebd. Z. 10 v. u.; WÜNSCHE III 56, Z. 5 v. u. erwähnte פרוכת
D i e Vorstellung
8
vom himmlischen
Vorhang i mantiken
Judentum
Obwohl Gott selbst durch den Vorhang den Blicken und dem Zutritt der Engel entzogen ist, können diese doch an den Vorhang herantreten und die Stimme Gottes „von hinter dem Vorhang her" ( )מאחורי הפרגודhören . So hat nach T a r g 3er I Gen 3 7 , 1 7 Gabriel dem Joseph mitgeteilt, daß er „von hinter dem Vorhang her" ( )מבתר פרגודאgehört habe, an welchem Tag die ägyptische Knechtschaft ihren Anfang nehmen solle. In T a n c h D t n , w ' t h n n 6 wird erzählt, wie Mose aus dem Munde Metatrons die Ankündigung seines Todes empfängt und diesen daraufhin bittet, ihm durch Fürsprache bei Gott eine Verlängerung seines Lebens zu erwirken. Metatron gibt jedoch zur Antwort, daß er „von hinter dem Vorhang her" ( )מאחורי הפרגודvernommen habe, daß das Ge־ bet nicht erhört werden könne . Das „Hören von hinter dem Vorhang her" wird in anderen Texten auch von den Geistern der Verstorbenen , von den Dämonen *, vom Satan und von dem zur Märkabhah aufgestiegenen R. Elischa b. Abuja (um 120) ausgesagt. 16
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identisch sein. — Der Traktat spricht außerdem noch von einem Vorhang, der sich im Gan 'Eden selbst befindet (JELLINEK III 135, Z . 15; WÜNSCHE III 56, Z . 11): „Im Garten 'Eden ist von der Mauer nach innen eine Wolke ( ) ע נ ן geknüpft und Glanz ist ihre Umgebung. An der Nordseite ist ein Vorhang ( )מםדvon Glanz ausgebreitet, und grünes Feuer trennt zwischen den übrigen Himmelsgegenden des Gartens." In dieser Vorstellung haben wir — wie das auch der Text selbst erkennen läßt — eine Variante der älteren Anschauung zu erblicken, wonach die himmlische Sphäre durch „Wolken" unterteilt wird; vgl. Massäkhäth Hekhaloth 6 (JELLINEK II 44; WÜNSCHE III 40 f.) = Maasäh Märkabhah ed. WERTHEIMER 6 (I 59 f.); weitere Belege bei MAIER, Vom Kultus zur Gnosis 144 Anm. 186. Ich wähle diese für deutsches Sprachgefühl schlechte Übersetzung, da nur sie sachgemäß wiederzugeben vermag, was der hebräische (bzw. aramäische) Text meint: daß die Engel vor dem geschlossenen Vorhang stehend die Stimme des ihnen verborgenen Gottes vernehmen. Außer den beiden folgenden Belegen noch: bChagh 1 6 a ; Massäkhäth c h i h h u t haq-qäbhär 4 (JELLINEK I 152; WÜNSCHE III 5); Ma'asäh 'asarah h a r u g h e m a l k h u t h , 2. Rezension (JELLINEK VI 21); Dass., 3. Rezension (ebd. 31); M i d h r a s c h Elläh äzkerah (JELLINEK II 65); Selichah „Elläh äzkerah" (in: M . SACHS, Festgebete der Israeliten IV 368). Nach PirqeRÄl 7 ( 1 6 h ) steigen die gefallenen Engel zum Himmel hinauf, um „von hinter dem Vorhang her" ( ) מ א ח ו ר י ה פ ר ג ו דdie Stimme Gottes zu hören; sie werden aber mit einem Feuerstab an ihren Platz zurückgetrieben. Parallelen: T a n c h R D t n , w'thnn 6; Jalqut Schimborn 8 2 1 zu D t n 3 , 2 6 . hRer 18b; M i d h r a s c h 'asäräth had-debharoth, 7. Gebot (JELLINEK I 81; 1 6
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WÜNSCHE IV 103). 20
1 9 A
bChagh
16a.
bSanh 89b par T a n c h G e n , wjr' 2 2 : Als Abraham sich auf dem Weg zur Opferung seines Sohnes Isaak befindet, begegnet ihm der Satan, der ihm sagt: „Ich hörte von hinter dem Vorhang her ( ) מ א ח ו ר י ה פ ר ג ו ד, daß ein Schaf und nicht Isaak zum Brandopfer bestimmt ist." bChagh l S a , wo zweimal erwähnt ist, daß Acher „von hinter dem Vorhang 21
D e r V o r h a n g vor dem T h r o n
Gottes
9
Während es sich bei den im vorigen Absatz besprochenen Texten um das Hören bestimmter und umgrenzter Sachverhalte handelt, stoßen wir in dem kabbalistischen „Quell der W e i s h e i t " ( M a j a n C h o k h m a h ) auf das Theologumenon, daß durch das „Hören von hinter dem Vorhang her" die Enthüllung umfassender göttlicher Geheimnisse und Pläne erfolgt. Der Engel Gallizur — so erfahren wir — trägt auch den Namen Raziel , „weil er von hinter dem Vorhang her ( )מאחורי הפרגודhört, was (von Gott) beschlossen ist, daß es geschehen soll, und es in der Welt bekannt macht" . Als Ort umfassender göttlicher Offenbarung ist der Vorhang auch h e b r H e n 4 5 , 1 ff. verstanden: Metatron zeigt dem R. Jischma'el „den Vorhang Gottes ()פרגוד של מקום, der ausgebreitet ist vor dem Heiligen, gepriesen sei er" (45,1). Auf diesem Vorhang, der auch in hebrHen 10,1 und 48 D,7 erwähnt wird , sind alle Generationen der Welt und alle ihre Taten schon verzeichnet (45,1 ff.). Ganz ähnlich spricht die 1. Rezension des M i d h r a s c h A l p h a B e t h a de R. A q i b h a davon, daß Mose auf dem Vorhang Gottes ( ( מ ק ו ם בפרגוד של Geschehnisse sieht, die sich in der Welt ereignen werden . Zur Charakterisierung der in hebrHen 45 und im Alphabet-Midrasch 2 2
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her" ( ) מ א ח ו ר י ה פ ר ג ו דden Ruf gehört hat: „Kehrt um, ihr abtrünnigen Söhne, außer Acher (sc. dem Gott die Möglichkeit der Umkehr nicht mehr gewährt)." Nach bChagh 15a hat also R. Elischa* b. Abuja die Hallstimme bei seinem Aufstieg zur Märkabhah vernommen (anders: jChagh II 77b, 60 f.; MidrRuth 6,6 zu 3,13; MidrQoh 7,18 zu 7,8). Zum Motiv des Aufstiegs zum Vorhang vor dem Thron Gottes s. auch die noch zu besprechenden Stellen hebrHen 45,1 ff.; Midhrasch Alpha Betha de R. Aqibha, 1. Rezension; Testls 8,1 ff. Nach G. SCHOLEM, Zur Kabbala und ihrer Symbolik 56 f. 266 Anm. 5 ist der von JELLINEK I 58—61 unter dem Titel „Ma'jan Chokhmah" edierte und von WÜNSCHE I 127—133 übersetzte Text die Vorrede des nur handschriftlich erhaltenen Buches „Schimmusche Tora". In dem Namen steckt das hebr.-aram. „ = ר זGeheimnis". Zu diesem Engel selbst s. MAIER, Judaica 24 (1968) 104 Anm. 14. JELLINEK I 60; WÜNSCHE I 130 f. Eine enge Parallele findet sich in der H a g g a d h a t h Schema* Jisrael (JELLINEK V 165): Der Engel Gallizur/Raziel „steht hinter dem Vorhang ( ) ע ו מ ד א ח ו ר י ה פ ר ג ו ד, hört, was (von Gott) beschlossen ist, und macht es bekannt". = Sephär H e k h a l o t h ed. JELLINEK V 187 f. S. u. S. 11. So der Titel des Traktats bei JELLINEK III 12 ff. In WERTHEIMERS Batei Midrashot II 343 ff. lautet der Titel: Othijjoth de R. 'Aqibha, 1. Rezension. WÜNSCHE IV 199 ff. klassifiziert den Traktat als 2. und jüngere Rezension. Diese Wendung kommt in JELLINEKS Text dreimal vor (das erste Mal ist מ ק ו םversehentlich ausgelassen); in dem von WERTHEIMER gebotenen Text steht allerdings im ersten und im zweiten Fall ב פ ר ג ו ד ש ל ה ק ד ו ש ב ר ו ן ה ו א. e
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JELLINEK III
44;
WERTHEIMER II 388;
WÜNSCHE IV 258
f. Gemeint ist
an
dieser Stelle sicher nicht der äußere Vorhang des Himmels, wie Wünsche IV 258 Anm. 2 will, sondern der innere Vorhang vor dem Thron Gottes, von dem auch hebrHen 45,1 ff. spricht; vgl. ODEBERG, 3 Enoch II 141. 2
W U N T 14: Hofius
10
D i e Vorstellung
vom himmlischen
Vorhang
im antiken
Judentum
30
enthaltenen Vorstellung sei G. Scholem das Wort gegeben: Der Vorhang enthält „Bilder aller Dinge, wie sie seit den Schöpfungs tagen in der himmlischen Welt ein präexistentes Dasein haben". „Alle Generationen und alle ihre Taten sind in diesem Vorhang eingewoben . . . Ebenso wie der Lauf der Geschichte sind auch die Kämpfe der Endzeiten und die Taten des Messias hier schon prä formiert." Es bleibt noch zu erörtern, ob die Bilder der zukünftigen Ereig nisse in die Außen- oder in die Innenseite des Pargod eingewoben gedacht sind. Bedenkt man, daß der Sinn des Vorhangs gerade darin liegt, Gott und damit auch seine Pläne vor der ihn um gebenden Himmelswelt zu verbergen , so wird man sich für die zweite Deutungsmöglichkeit entscheiden . Nur wer den hinter dem Vorhang gelegenen Bereich der göttlichen Gegenwart betritt, kann durch die Betrachtung des Pargod die Erkenntnis der Geheimnisse Gottes erlangen . Dieser Gedanke bildet damit eine Parallele zu jener Anschauung, die in dem himmlischen Gottesthron den Ort esoterischer Offenbarung erblickt . Unsere Annahme, daß der Offenbarungsempfänger sich hinter den Pargod begibt, setzt voraus, daß die durch den Vorhang ver hüllte Wohnung Gottes dem antiken Judentum nicht grundsätzlich als unbetretbar gegolten hat. Daß dies der Fall war, belegen jene Texte, die besonders ausgezeichneten Engeln das Recht zusprechen, durch den Vorhang hindurch unmittelbar vor den Thron Gottes tre ten zu dürfen . So ist es nach b C h a g h I S α dem Metatron gestattet, an der Seite Gottes zu sitzen und die Verdienste Israels aufzuschrei31
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Vgl. noch Jalqut Schimoni 173 zu E x 4,15 (= Zitat aus dem Midhrasch Abhkir). SCHOLEM, Jüdische Mystik 77 f. Der Gedanke, daß der Vorhang, indem er Gott verhüllt, auch seine Pläne verbirgt, findet sich auch in der äthiopischen Hosanna-Liturgie des H l . Gregorius, die den Vorhang vor dem Allerheiligsten des Tempels „Verberger der Gottheit und Verhüller aller (sc. ihrer) Gedanken" nennt (LÖFGREN/EURINGER, a.a.O. 91). EURINGER merkt ebd. 115 dazu an: „Inwiefern man den Tempelvor hang so nennen kann, vermag ich nicht anzugeben"; die Lösung des Problems liefert das oben beschriebene alt jüdische Theologumenon. So auch ODEBERG, a.a.O. II 141 zu hebrHen 45,1 ff.: die zukünftigen Er eignisse sind „written down on the (inside of) Curtain"; s. ferner ebd. II 58 zu hebrHen 18,16. Auf diese Anschauung ist es m. E . auch zurückzuführen, wenn Ignatius, Phld 9,1 Christus als den Hohenpriester bezeichnet, „dem das (sc. himmlische) Allerheiligste anvertraut ist, dem allein die Geheimnisse Gottes (τά κρυπτά του ΰεον) anvertraut sind". S. dazu MAIER, Vom Kultus zur Gnosis 126. 141 f. Vgl. außer den im folgenden genannten Texten auch die o. S. 9 Anm. 24 zitierte Stelle aus der Haggadhath schema Jisrael (JELLINEK V 165). 31
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Der
Vorhang
vor dem Thron
Gottes
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ben . Auch nach h e b r H e n 4 8 D , 7 darf Metatron den Pargod durchschreiten ; und in h e b r H e n 1 0 , l ist diese Spekulation sogar dahingehend weitergebildet, daß Gott auch für Metatron einen Thron ge־ schaffen habe, ähnlich dem Thron der Herrlichkeit, und einen Vorhang ( ( פרשaus Lichtglanz, „ähnlich dem Vorhang ( )פרשdes Thrones der Herrlichkeit" . Der so ausgezeichnete Engel wird daher in der späteren esoterischen Literatur häufig „Engel des Innern" und „Fürst des Angesichts (sc. Gottes)" genannt. Aber auch andere Engel dürfen durch den Vorhang hindurch dem Thron Gottes nahen, so etwa die Erzengel Michael und Gabriel . Eine PirqeRÄl 4 ( 9 b . 1 0 a ) par Massäkhäth H e k h a l o t h 7 überlieferte und i n den Bereich esoterischer Märkabhah-Spekulationen gehörende Beschreibung der göttlichen Thronsphäre spricht dieses Vorrecht sogar allen sieben Erzengeln zu: 38
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Gott „sitzt auf einem hohen und erhabenen Thron . . . Ein Szepter von Feuer ist in seiner Hand und ein Vorhang ( ) פ ר ו כ תist vor ihm ausgebreitet, und seine sieben Engel, die am Anfang erschaffen worden sind, dienen vor ihm innerhalb des Vorhangs ( ) מ ן ה פ ר ו כ ת, und dieser wird פ ר ג ו דgenannt".
Die Worte מן הפרוכתlassen rein sprachlich auch die Übersetzung „vor dem Vorhang" zu, so daß dann an einen Dienst der Erzengel außerhalb des Pargod zu denken wäre . Da aber die sieben Erz48
3 7
Uber Metatron s. WEBER, Jüdische Theologie 178 ff.; BIETENHARD, Die himmlische Welt 143 ff.; SCHOLEM, Jüdische Mystik 72 ff. Über die Beziehung zwischen dem sog. hebräischen Henochbuch und bChagh IIb—16a s. ODEBERG, a.a.O. I 31 ff. = Sephär Hekhaloth ed. JELLINEK V 174. Zu diesem Terminus s. M A C R A E I 56 f. An dieser Stelle sei notiert, daß nach Sedhär Gan 'Edhän, 1 . Version (JELLINEK II 53; WÜNSCHE III 22) im Gan 'Eden sogar jeder Tora-Gelehrte 3 8
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einen „Vorhang von Herrlichkeitsgewölk" ( ) פ ר ג ו ד ש ל ע נ נ י כ ב ו דhat. 4 2
So in einigen christlich-koptischen Quellen, die das Motiv jedoch mit Sicherheit altjüdischen Traditionen entlehnt haben; s. LUEKEN, Michael 98 f. 131 f. Einen weiteren Beleg liefern die Excerpta ex Theodoto; s. u. S. 13 ff. hJoma 77a nach dem Codex hebraicus monacensis 95. In den späteren Editionen des Babli fehlt diese Angabe; s. M . JASTROW, Dictionary II 1214a s. v. ; פ ר ג ו דL. GINZBERG, Legends of the Jews VI 433 f. Anm. 7. — Zur Sache vgl. auch Luk 1,19. 4 3
4 4
JELLINEK II 46; WÜNSCHE III 45 f. (=
McCasäh Märkabhah
ed. W E R T -
HEIMER 7 [I 62]). Ich zitiere den Text nach PirqeRÄl. S. dazu MAIER, Vom Kultus zur Gnosis 131. Zu den sieben Erzengeln vgl. Tob 12,15; TargJer I Gen 11,7; Apk 8,2; 4 5
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ferner LUEKEN, a.a.O. 36 ff.
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Jes 6,1.
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In diesem Sinn ist die Wendung in Päräq de R . Äliäzär ed. C H . M . HORO WITZ, Aggadhath Aggadhoth I 6 verstanden: die sieben Erzengel dienen Gott לפני ה פ ר ו כ ת ה פ ר ו ס ה לפני ו.
Ebenso interpretiert LUEKEN, a.a.O. 36: „ante velum";
vgl. SCHOLEM, Ursprung und Anfänge der Kabbala 306 Anm. 268. 2*
D i e Vorstellung
12
vom himmlischen
Vorhang i m antiken
Judentum
engel bereits Tob 12,15 als solche gekennzeichnet werden, die „zu der Herrlichkeit des Heiligen Zutritt haben", empfiehlt sich doch aus sachlichen Gründen die in unserer Übersetzung vertretene Deu tung . 49
Wenn nun — wie wir gesehen haben — der Vorhang vor dem Thron der Herrlichkeit den Zugang zur Wohnung Gottes ver wehrt und nur besonders Auserwählte ihn durchschreiten dürfen, so erinnert das an den Vorhang vor dem Allerheiligsten im irdi schen Heiligtum, dem in jeder Hinsicht die gleiche Bedeutung zu kommt. Nun hat J. Maier überzeugend gezeigt, wie stark die Märkabhah-Theologie durch die alten Kulttraditionen Israels be stimmt ist , und den Nachweis dafür erbracht, daß „im Ritual des Tempelkults wesentliche Merkmale der späteren Märkäbäh-Mystik bereits vorgegeben sind" . Sollte — so möchten wir deshalb fragen — auch der Pargod vor dem himmlischen Gottesthron von daher zu verstehen sein, d. h. als die himmlische Entsprechung zu dem Vor hang zwischen Hekhal und Debhir im irdischen Heiligtum? Diese Frage ist zu bej ahen. Auf einen kultischen Zusammenhang weisen bereits die Ausfüh rungen in PirqeRÄl 4 par Massäkhäth Hekhaloth 7 hin (s. o.); denn die Schilderung der göttlichen Thronsphäre ist hier eingebettet in eine himmlische Liturgie . In den himmlischen Gottesdienst ver setzt uns ebenfalls ein Text, den Scholem dem in ein spätes Stadium der Märkabhah-Mystik gehörenden Buch Raza r a b b a zuschreibt und in dem es heißt: „In der Stunde, wo sie (die Priester) die Preisung sagen, erheben sie (die Engel) sich vor den himmlischen Vorhang." Wie (einst!) die Priester im Hekhal des irdischen Tem pels, so vollziehen die Engel im oberen Hekhal vor dem Vorhang den.täglichen Gottesdienst. Einen Hinweis auf das himmlische Hei ligtum enthalten ferner jene Texte, die dem Erzengel Michael das Recht zusprechen, durch den Vorhang hindurch die Wohnung Gottes betreten zu dürfen. Denn dem liegt das Theologumenon zugrunde, daß Michael im Himmel das Amt des Hohenpriesters versieht . 50
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So auch G. FRIEDLANDER, Pirke de Rabbi Eliezer 23; WÜNSCHE III 46;
BILLERBECK III 807; BIETENHARD, a.a.O. 74; M A C R A E I 60. 50
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MAIER, Vom Kultus zur Gnosis; bes. 18 ff. 131 ff. Ebd. 20. Zum Gedanken der himmlischen Liturgie s. SCHOLEM, Jüdische Mystik 61 ff.; DERS., Jewish Gnosticism 20 ff.; MAIER, a.a.O. 132 ff.; R. DEICHGRÄBER, Gotteshymnus und Christushymnus 47 ff. Zu diesem Buch s. SCHOLEM, Ursprung und Anfänge der Kabbala 94 ff. Ebd. 108 Anm. 115. S. dazu etwa bChagh 12b; bMen 110a; bZebh 62a; MidrPs 134 § 1 zu V. 1; Sedhär Gan 'Edhän, 2. Version (JELLINEK III 137; WÜNSCHE III 60); vgl. im übrigen LUEKEN, a.a.O. 30 f.; SCHOLEM, Jewish Gnosticism 49 Anm. 19. 52
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Der
Vorhang
vor dem Thron
Gottes
13
Schließlich darf auch daran erinnert werden, daß altjüdische Zeug nisse den Thron Gottes, vor dem ja der Pargod seinen Platz hat, gern im himmlischen Heiligtum , genauer: in dessen Allerheiligstem lokalisieren . F. Weber will deshalb auch unter der Mechica Gottes in bChagh 12b (s. o. S. 5) „das Allerheiligste des obersten Himmels" verstehen . In zwei Texten, die unsere Materialsammlung abschließen sollen, ist nun expressis verbis gesagt, daß der Pargod vor dem Thron Got tes das Allerheiligste des himmlischen Heiligtums verhüllt . Im Testament des I s a a k , c a p . S berichtet der Erzvater, wie er bei seinem mystischen Auf stieg zur Märkabbah von dem ihn geleitenden angelus interpres in den Himmel geführt und dort von seinem Vater Abraham und allen Frommen begrüßt wurde (8,1 f.). Isaak fährt dann fort: 56
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„Und sie gingen mit mir, sie brachten mich zu dem Vorhang (καταπέτασμα) des Vaters. Ich (aber) warf mich nieder, ich betete ihn an mit meinem Vater und mit allen Heiligen. Wir alle stimmten ihm ein Lied an, schrien und spra chen: ,Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; Himmel und Erde sind deiner heiligen Herrlichkeit νοΙΓ." (8,2b.3)
In Testls 8,4 ff. wird dann der Ort, von dem aus Gott zu Abra ham und Isaak redet, ausdrücklich als „der heilige Ort", d. h. als das Allerheiligste bezeichnet. Und in 10,9 begegnet wörtlich die aus Lev 16,2 (vgl. 12.15) bekannte Umschreibung für das Allerheiligste (τό έσώτερον του καταπετάσματος) : Der süße Wohlgeruch der Gott dargebrachten Opfer steigt „in das Innere des Vorhangs (καταπέτασ μα) des Allmächtigen" auf. Der zweite Text, den wir den E x c e r p t a ex T h e o d o t o entnehmen, sei zunächst in seinem vollen Wortlaut mitgeteilt: 61
Ποταμός εκπορεύεται πυρός ύποκάτω του θρόνου του Τόπου και ρεΐ είς τό κενόν του έκτισμένου, δ έστιν ή γέεννα, από κτίσεως του πυρός ρέοντος μή πληρουμένη* και αυτός δε ό Τόπος πύρινος έστι. δια τοΰτο, φησί, καταπέτασμα εχει, ΐνα μή εκ της προσόψεως άναλωθτ] τά πνεύματα* μόνος δε ό αρχάγγελος 5 6
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TargJes 6,1 ff.; Zusatz zu Dan I 30 ff.; AssMos 10,3. äthHen 14,15 ff. (zur Deutung dieser Stelle auf das himmlische Heiligtum
s. G. BEER bei E. KAUTZSCH, Apokryphen und Pseudepigraphen II 245 Anm. k und m; A. LODS, Le Livre d'Henoch 140; MAIER, a.a.O. 127); TestLev 3,4; 5,1;
bPes 54a par bNedh 39b; Tanch Ex, wjqhl 7. 5 8
WEBER, Jüdische Theologie 163;
vgl. M A C R A E I 50
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f.
Vgl. außerdem noch ApokPls 44 (christlich): Der Apostel schaut im Himmel τό θυσιαστήριο ν και τον θρόνον και τό καταπέτασμα (ähnlich der lateinische Text; s. die Übersetzung bei E. HENNECKE/W. SCHNEEMELCHER, Apokryphen II 560). Zählung im folgenden nach P. RIESSLER, Altjüdisches Schrifttum 1135 ff. 6 0
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Vgl. Hebr. 6,19
und MICHEL 253
f.
D i e Vorstellung
14
vom himmlischen
Vorhang
im antiken
Judentum
εισέρχεται προς αυτόν, ου κατ' εικόνα και ό άρχιερεύς απαξ του ένιαυτοΰ εις τά αγια των αγίων είσήει . 62
Käsemann nimmt diese Sätze für die von ihm behauptete „gnostisehe Schultradition" vom Vorhang zwischen Himmel und Erde in Anspruch . Nun kann kein Zweifel sein, daß der zitierte Text in einem Rahmen steht , der als typisch gnostisch beurteilt werden m u ß . Gnostisch ist der Gedanke, daß der Weg zum Pleroma durch den Demiurgen verwehrt wird und daß das zum Pleroma aufsteigende σπέρμα den gefahrbringenden Ort des Demiurgen durchschreiten m u ß . Unser Text selbst enthält nun die Beschreibung des Demiurgen. Betrachtet man diese losgelöst von ihrem gnostischen Kontext, so erweist sie sich als rein jüdisch . Der Demiurg trägt den Namen Τόπος; das ist das genaue Äquivalent zu dem hebräischen מקום, der bekannten Umschreibung des Gottesnamens . Dementsprechend ist der θρόνος του Τόπου identisch mit dem כסא של מקןס in den jüdischen Märkabhah-Texten . Die Vorstellung von dem Feuerstrom, dem נהר דינור, hat ihren Ursprung in Dan 7,10 und bildet einen festen Bestandteil der alt jüdischen Märkabhah-Aussagen . Daß dieser Strom unaufhörlich fließt, finden wir ζ. B. auch GenR 78,1 zu 32,26 erwähnt. Das Verständnis der Gehenna als eines „Feuerpfuhls" ist eine in der Apokalyptik wie in der rabbinisehen Literatur tief verankerte Vorstellung . Daß dieser Pfuhl aus 63
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Exc ex Theod 38,1 f. (zit. n. W. VÖLKER, Quellen zur Gnosis 126).
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KÄSEMANN 145 Anm.
4.
6 4
S. Exc ex Theod 38,3. Vgl. dazu C.-M. EDSMAN, Le Bapteme de Feu 15 ff. δίοδος Exc ex Theod 38,3 = ή δια πυρός διέξοδος ebd. 52,2. So auch EDSMAN, a.a.O. 19: „Le fond juif de notre passage est ä tous egards visible" (vgl. auch ebd. 28 f.). S. ferner die trefflichen Ausführungen bei SCHOLEM, Jewish Gnosticism 34 f. (auch ebd. 49 Anm. 19); ferner LUEKEN, 6 5
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Michael 96 f.; M A C R A E I 74 f. 6 8
Vgl. nur hebrHen 45,1 (o. S. 9) und Midhrasch Alpha Betha de R. Aqibha, 1. Rezension (s. S. 9), wo vom פ ר ג ו ד ש ל מ ק ו םdie Rede ist! S. ferner SCHOIJEM, a.a.O. 35. S. SCHOLEM ebd. 6 9
70
Vgl. dazu besonders ODEBERG, 3 Enoch II 112 ff. Anm. zu hebrHen 33,4
f.;
EDSMAN, a.a.O. 19 ff. 71
äthHen 14,19; 71,2; hebrHen 18,19.21; 33,4 f.; 36,1 f.; 47,1 f.; GenR 78,1 zu 32,26; bChagh 13b. 14a; MidrSpr zu 11,8 (dazu SCHOLEM, Jüdische Mystik 76 f. 400 Anm. 112); Haggadhath Schema* Jisrael (JELLINEK V 165); Ma jan Chokhmah (JELLINEK I 59; WÜNSCHE I 130); Aggadhath schir hasch-schirim ed. SCHECHTER zu Hhld 8,6; Sephär ha־razim ed. MARGALIOTH VII 7 f. (= S. 107, Z. 7 f.); Ma'asäh Märkabhah ed. SCHOLEM § 3; Sedhär rabbah di Bereschith 47 e
(WERTHEIMER I 46);
Massäkhäth Hekhaloth 6 (JELLINEK II 44; WÜNSCHE III
40)
= Ma'asäh Märkabhah ed. WERTHEIMER 6 (I 59). Zur Herkunft der Vorstellung s. C . COLPE, Kairos 12 (1970) 91 ff. S. BILLERBECK IV 1075 f. und die Belege ebd. 1077 f. unter b und d. 72
D e r V o r h a n g vor dem T h r o n
Gottes
15
dem vom Thron Gottes ausgehenden Feuerstrom gespeist wird, wird öfter gesagt . Wenn der Τόπος selbst als πύρινος bezeichnet wird, so ist das eine durchaus jüdische Anschauung , auf die auch Hebr 12,29 (ο ׳θεός ημών πυρ καταναλίσκον) zurückgeht. Weil der Anblick Gottes vernichtet , entzieht ein Vorhang = καταπέτασμα ihn den Blicken der πνεύματα, d. h. der Engel ; der gleiche Gedanke ist Massäkhäth Hekhaloth 3 und TargHi 26,9 vorausgesetzt . In dem αρχάγγελος, der allein durch den Vorhang hindurchgehen darf, haben wir den Erzengel Michael zu erblicken, der auch in Texten des antiken Judentums als himmlischer Hoherpriester erscheint . Die Bemerkung, daß der Gang des irdischen Hohenpriesters in das Allerheiligste ein Abbild dieses εισέρχεσθαι sei, beweist schließlich mit aller Deutlichkeit, daß die jüdische Vorstellung vom himmlisehen Heiligtum vorliegt . Auch der Gedanke, daß der irdische Priesterdienst ein Abbild des himmlischen Priesterdienstes darstellt, ist spezifisch jüdisch . Wir haben also — wie wir nun zusammenfassend feststellen können — in dem zitierten Text Exc ex Theod 38,1 f. eine genuin jüdische Schilderung der himmlischen Wohnung Gottes mit dem Thron der Herrlichkeit und dem ihn verhüllenden Vorhang vor uns. Dieser Text, dem selbst jeder gnostische Zug fehlt, ist erst sekundär in einen gnostischen Rahmen eingefügt worden . Seine besondere Bedeutung liegt darin, daß er bereits für 73
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bChagh 13b; GenR 78,1 zu 32,26; hebrHen 33,4 f.; vgl. auch äthHen 18,11; 21,7. Auch hinter der seltsamen Bezeichnung der Gehenna als τό κενόν του έκτισμένου und der Vorstellung, daß der Feuerstrom die γέεννα vergeblich anzufüllen versucht, steht wahrscheinlich eine jüdische Volksetymologie, die ג י א ח נ םsetzte und dies als „Tal des Vergeblichen" interpretierte (vgl. eine ähnliche Etymologie in b'Erub 19a). Ich verdanke diesen Hinweis Herrn Prof. JOACH. JEREMIAS (brieflich). 7 4
Vgl. bereits im AT Ex 24,17; Dtn 4,24; 9,3; 2 Sam 22,9.13; Jes 33,14; auch Am 5,6. Ferner: Dan 7,9; ApokAbr 18,1 ff.; VitAd 25; hebrHen 47,1; Midhrasch Alpha Betha de R. 'Aqibha, 1. Rezension (JELLINEK III 25. 37; WÜNSCHE IV 225. 245 f.); vgl. auch äthHen 14,22; 71,5 f. Zur rabbinischen Literatur s. BILKERBECK III 702; im N T vgl. Apk 4,5. 7 5
Vgl. Ex 33,20; Jes 6,5; Sephär ha־razim ed. MARALIOTH VII 10 ( = S. 107, Z. 10). Zur altjüdischen Bezeichnung der Engel als „Geister" s. E. SJÖBERG, ThW VI 373, bes. Anm. 214. Zum Gedanken, daß auch die Engel Gott nicht schauen können, s. o. S. 7 Anm. 13. S. o. S. 6 f. So auch LUEKEN, a.a.O. 96 f.; SCHOLEM, Jewish Gnosticism 49 Anm. 19; vgl. die S. 11 Anm. 42 erwähnten christlich-koptischen Quellen. Zum Gedanken, daß dem irdischen Hohenpriester ein himmlischer Hoherpriester entspricht, vgl. etwa j Joma VII 44b, 37 ff. Testls 5,9; jJoma VII 44b, 37 ff. In diesen Zusammenhang gehört auch der Vergleich der Priester mit den Engeln: Jub 31,14; lQSb 4,24 ff. So auch EDSMAN, a.a.O. 18 f. (vgl. ebd. 19 Anm. 2); SCHOLEM, Jewish 7 6
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D i e Vorstellung
vom himmlischen
Vorhang i m antiken
Judentum
relativ frühe Zeit (Mitte oder auch Anfang des 2. Jh. n. Chr.) eine voll ausgebildete und in sich geschlossene Pargod-Vorstellung be zeugt. Blicken wir an dieser Stelle auf das vorgelegte Quellenmaterial zurück, so wird man als das Grundmotiv der Pargod-Spekulation die Idee ansehen dürfen, daß sich im höchsten Himmel ein Heiligtum befindet, in dessen Allerheiligstem Gott auf dem Thron der Herrlich keit sitzt, den Blicken und dem Zutritt der himmlischen Wesen durch einen das Allerheiligste verschließenden Vorhang entzogen. Weitere Elemente konnten zu diesem Motiv hinzutreten: das „Hören von hinter dem Vorhang her", das Verständnis des Pargod als einer Stätte göttlicher Offenbarung, der Gedanke eines hohen priesterlichen Eintritts durch den Vorhang hindurch in das Aller heiligste. Was Sinn und Bedeutung des Pargod selbst anlangt, so läßt sich formulieren: Der Vorhang vor dem Thron Gottes markiert den tiefen Abstand, der zwischen Gott und seinen himmlischen Dienern bzw. zwischen Gott und der ihn umgebenden Himmels welt besteht. E r ist damit Ausdruck für die überweltliche Hoheit, Reinheit und Heiligkeit dessen, der in einem unzugänglichen Lich te wohnt und so von allen seinen Geschöpfen qualitativ geschie den ist . Es will jedoch beachtet sein, daß eine geringere Dignität der himmlischen Welt streng von der Relation zu Gott her behauptet wird . Eine grundsätzliche Abwertung der Himmel wie auch der irdischen Welt ist in den jüdischen Quellen dagegen nicht ausge sprochen . 82
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Gnosticism 49 Anm. 19. Daß in den Excerpta ex Theodoto auch sonst jüdisches Material verarbeitet ist, zeigt SCHOLEM ebd. 34 f.; vgl. auch noch EDSMAN ebd. 28 f. Anm. 5. Vgl. Siphra zu Lev 11,44; 11,45; 20,26; LevR 24,4 zu 19,2, wo Gottes Hei ligkeit als Abgesondert—Sein definiert wird. Vgl. 1 Tim 6,16: Gott wohnt in einem φως άπρόσιτον. Als ein symbolischer Hinweis auf die überweltliche Heiligkeit Gottes wird auch der Vorhang verstanden, der in den orthodoxen und orientalischen Kir chengebäuden das Sanctissimum verhüllt; s. dazu C. SCHNEIDER, Kyrios 1 (1936) 57 ff.; N . VON ARSENIEW, Ostkirche und Mystik 78. 81; L . OUSPENSKY, Symbolik 59 ff.; E. HAMMERSCHMIDT, Kultsymbolik 182 ff. 216 f. Im Hintergrund dieser Vorhang-Symbolik wird die altjüdische Pargod-Spekulation vermutet werden dürfen. Zum Gedanken s. bereits Hi 15,15 und dazu F. HORST, Hiob 1, 226; vgl. auch TargHi 15,15. An dieser Stelle sei anmerkungsweise darauf hingewiesen, daß die PargodVorstellung auch in der späteren jüdischen Mystik eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Eine Spezialuntersuchung zu diesem Thema fehlt m. W. bislang; doch s. LUEKEN, Michael 46; GINZBERG, Legends of the Jews V 75 Anm. 19; 82 Anm. 27; SCHOLEM, Jüdische Mystik 127. 299; DERS., Ursprung und An82
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Der
Vorhang
vor dem Thron
17
Gottes
b ) D i e H e r k u n f t der altjüdischen P a r g o d - S p e k u l a t i o n Nachdem wir uns Gestalt und Bedeutung der alt jüdischen PargodSpekulation vergegenwärtigt haben, sei in aller Kürze auf die Frage eingegangen, wo die Vorstellung vom Vorhang vor dem Thron Gottes ihren Ursprung hat. H . Odeberg denkt an eine Übertragung des Vorhangs vor dem Allerheiligsten des irdischen Tempels in die Himmels weit: „The Curtain separates the Throne of Glory and its innermost mysteries from the other parts of the highest heaven and from the world of angels in general, just as the curtain veiled off the Holy of Holies in the sanctuary." Ebenso urteilt G. W . MacRae: „The pargod is the projection into heaven of the Temple veil." H . Bietenhard nimmt eine doppelte Wurzel an : Er führt die Vorstellung einerseits unter Hinweis auf bChagh 12b auf das alttestamentliche Theologumenon zurück, daß Gott von „Wolkendunkel" umgeben ist ; andererseits denkt er auch an den Tempel Vorhang, wenn er hinzufügt: „Ich möchte allerdings vermuten, daß zu dieser Vorstellung auch die Erinnerung an den Tempel mitgewirkt hat, in dem ein Vorhang das Heilige vom Allerheiligsten trennte." Eine andere Herleitung vertritt Th. Klauser, der Bietenhards Erklärungsversuch für zu eng hält und den Vorhang vor dem Thron Gottes von der Einrichtung der orientalischen Paläste her verstehen möchte, in denen der König nach persischem Vorbild von seinen Untertanen durch einen Vorhang getrennt blieb . A . Büchler schließlich führt die Vorstellung vom Pargod auf die römische 87
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fange der Kabbala 282. 300. Auch in der reichen Gebets- und Hymnenliteratur des Judentums hat die Pargod-Idee ihren Niederschlag gefunden. Sie ist etwa — um nur ein Beispiel zu nennen — in dem eindrucksvollen Hymnus „Jah schimkha" des Jehuda Halevi vorausgesetzt: Dem nach Gott verlangenden Dichter geht blitzartig und überwältigend der Himmel auf, so daß er den Heiligen erschaut: ״all־um glühnd, Geleucht aussprühnd, schleierlos, Vorhangbefreit" ( ) ה ב ה י ר כ א ו ר מ ז ה י ר ב ל י מ ס ך ו ל א מ כ ס ה. Den
hebräischen Text s. bei
S.
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LUZZATTO, Divan I 24; die deutsche Ubersetzung bei F. ROSENZWEIG, Jehuda Halevi 13 ff. 8 7
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ODEBERG, 3 Enoch II 141 Anm. M A C R A E II 28 Anm. 53; vgl. I 68.
BIETENHARD, Die himmlische Welt 73 f. S. o. S. 5 Anm. 6. BIETENHARD, a.a.O. 74.
T H . KLAUSER, in: JAC 3, 141 f. Vorhänge, die den Thronsaal — hier der Frau des Hiob — verhängen, werden TestHiob 25,1 f. erwähnt. Vgl. auch u. S. 20 Anm. 113. Diese Vorstellung dürfte MekhEx zu 19,9 vorliegen, falls — wie wahrscheinlich — פ ר ג ו דhier im übertragenen Sinne einen königlichen Bediensteten bezeichnet, der vor dem Vorhang am Gemach des Königs seinen Platz hat; so JASTROW, Dictionary und J. LEVI, Wörterbuch jeweils s.v.; J. WINTER/ A. WÜNSCHE, Mechiltha 198 in der Ubersetzung. Im einzelnen s. MACRAE I 51 f.; II 23 Anm. 49.
18
D i e Vorstellung
vom himmlischen
Vorhang im antiken
Judentum
Gerichtspraxis zurück, nach der sich der Richter hinter einem Vorhang mit seinen Beisitzern berät . Die These Büchlers ist kaum überzeugend , und Klausers Ableitung macht allenfalls ein Moment namhaft, das erst sekundär der bereits ausgebildeten Pargod-Spekulation assoziiert werden konnte . Das Selbstzeugnis der Quellen spricht m. E . uneingeschränkt dafür, daß die Idee eines himmlischen Vorhangs aus Spekulationen über ein jenseitiges Urbild des irdischen Heiligtums erwachsen ist, wobei der Ausbildung dieser Idee die alttestamentlichen Aussagen über das Gott umhüllende „Wolkendunkel" entgegenkamen. Auf den Tempelvorhang weist schon der Terminus פרגודhin, der im Targum Pseudo-Jonathan zum Pentateuch an allen den Stellen vorkommt, an denen im masoretischen Text das hebräische Wort פרוכתsteht, das ausschließlich den Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten bezeichnet . In PirqeRÄl 4 (10a) par Massäkhäth Hekhaloth 7 ist sogar eben dieses Wort פרוכתgebraucht. Der Gedanke, daß sich im Himmel vor dem Thron Gottes ein der irdischen פרוכתanaloger Vorhang befindet, war in dem Augenblick als selbstverständlich mitgegeben, wo aus der Anschauung, daß das irdische Heiligtum nach einem von Gott gegebenen „Modell" oder „Plan" als Abbild eines himmlischen Urbildes geschaffen sei , die Vorstellung von einem im Himmel real vorhandenen Heiligtum entwickelt wurde. Wie verbreitet diese Vorstellung im antiken Judentum war, ist bekannt . Das irdische Heiligtum — so wurde aus Ex 25,8 f.40; 26,30 (vgl. 27,8) geschlossen — war genau nach dem Vorbild des präexistenten himmlischen Heiligtums angefertigt ; und zwar galt das sowohl für die von Mose errichtete Stiftshütte , für den 93
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A. BÜCHLER, MGWJ 76 (1932) 418 Anm. 2, unter Berufung auf GenR 36,1 zu 9,18 par LevR 5,1 zu 5,3. 9 4
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Kritisch zu BÜCHLER auch M A C R A E II 27 f. Anm. 53. Zu KLAUSERS These vgl. auch M A C R A E I 67 f.
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Ex 26,31 ff.; 27,21; 30,6; 35,12; 36,35; 38,27; 39,34; 40,3.21 f. 26; Lev 4,6.17, 16,2.12.15; 21,23; 24,3; Num 4,5; 18,7; s. auch 2 Chr 3,14; hebrSir 50,5. So Ex 25,8 f.40; 26,30 (vgl. 27,8); 1 Chr 28,11. 97
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Vgl. z. B. BILLERBECK III 700 ff.; H . WENSCHKEWITZ, Spiritualisierung 109 ff.; BIETENHARD, a.a.O. 123 ff.; G. SCHRENK, ThW III 239 f.; MICHEL 287 ff.
Auch in 4QS1 40, 24,2 wird unter der „Wohnung des Gottes der Erkenntnis" das himmlische Heiligtum zu verstehen sein. Im NT s. Apk 8,3 ff.; 11,19; 14,17; 15,5 f. 8; 16,17. Die Idee eines himmlischen Tempels liegt m. E. noch nicht an den alttestamentlichen Stellen wie Jes 6,1; M i 1,2; Ps 11,4; 18,7; 20,3; 78,69 vor; erst die spätere jüdische Exegese interpretiert solche Stellen in diesem Sinn. 9 9
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Zur Präexistenz s. BILLERBECK I 974; II 335.
Zur Herkunft dieses Theologumenon s. A. JEREMIAS, Babylonisches im Neuen Testament 62 ff.; F. JEREMIAS, Das orientalische Heiligtum. SyrBar 4,5; LibAntBibl 11,15; 13,1; PesiqR 20 (98a); so auch Apg 7,44 und Hebr 8,5. 101
D e r V o r h a n g zwischen
H i m m e l und E r d e
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salomonischen Tempel wie für das herodianische Heiligtum . Auch wo im antiken Judentum für die Heilszeit die Errichtung eines neuen irdischen Heiligtums erwartet wird , ist dieses als nach dem himmlischen Urbild erbaut gedacht . Gemäß dem kultischen Abbild/Urbild-Schema entspricht das Allerheiligste „unten" dem Allerheiligsten „oben" und die Bundeslade dem himmlischen Gottesthron . Auch der Priesterdienst auf Erden ist ein Abbild des Priesterdienstes im Himmel, den die Engel verrichten , die im oberen Heiligtum unblutige Opfer des Lobes und der Anbetung dar bringen . Schließlich kann sogar davon die Rede sein, daß dem irdischen Hohenpriester ein himmlischer Hoherpriester gegenüber steht . Alle diese Beobachtungen lassen m. E . keinen anderen Schluß zu, als daß mit dem skizzierten kultischen Abbild/UrbildDenken der Vorstellungsrahmen gegeben war, in dem die Idee eines Vorhangs vor dem Thron Gottes entwickelt werden konnte. 104
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2. D e r V o r h a n g zwischen
H i m m e l und Erde
Wenn wir uns nunmehr den Texten zuwenden, die von einem kosmischen Vorhang zwischen Himmel und Erde handeln, so haben wir es mit einem Theologumenon zu tun, das sich sowohl nach seinem Aussagegehalt wie nach seinem Ursprung von der PargodSpekulation grundlegend unterscheidet. Aber auch im Blick auf die Idee des kosmischen Vorhangs selbst ist zwischen drei Formen dieser Anschauung zu differenzieren. a) D e r B e f u n d der Q u e l l e n a) Der kosmische Vorhang in der rabbinischen Literatur In rabbinischen Texten wird gelegentlich ein Vorhang zwischen der Erde und dem himmlischen Bereich erwähnt, der nicht, wie der Vorhang vor dem Thron Gottes, ( פרגודbzw. פרוכת 1 1 1
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SapSal 9,8; vgl. 1 Chr 28,11 ff. So durchweg in der rabbinischen Literatur; eine Auswahl von Belegen bei
BILLERBECK III 700 104 106 107
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Belege ebd. III 852 f. Vgl. bereits Ez 40 ff. jBer IV 8c, 14; MidrHhld zu 4,4 § 9; BILLERBECK III 701. MekhEx zu 15,17; Tanch Ex, wjqhl 7. S. o. S. 15 Anm. 80. TestLev 3,5 f. S. o. S. 15 Anm. 79. So in PirqeRÄl 4 (9b. 10a) par Massäkhäth Hekhaloth 7. So hebrHen 10,1. 1 1 0
D i e Vorstellung
20
vom himmlischen
Vorhang i mantiken
Judentum
113
sondern ( ויאוןWilon) genannt wird . So erfahren wir i n T a n c h B G e n , hjj s r h 6, daß R. Jochanan (gest. 279) die Worte בא בימים Gen 24,1 folgendermaßen ausgelegt hat: Abraham „kam an den "ויאון של העואם הזה, d. h. an den Vorhang, der diese Welt von der jenseitigen trennt. Dieser Vorhang dürfte mit dem ויאוןidentisch sein, der in einer h C h a g h 1 2 b , A b h o t h R N 37 und M i d r P s 1 1 4 § 2 zu V. 1 überlieferten Aufzählung als der unterste der sieben Hirnmel erscheint . Oberhalb des Wilon liegt als zweiter Himmel der Raqi'a von Gen 1,6, so daß also der Wilon selbst die Grenze zwischen dem irdischen Bereich und der Himmelswelt markiert. M i t einem bereits fortgeschrittenen Stadium der Wilon-Spekulation werden wir es zu tun haben, wenn dann in b C h a g h 1 2 b davon die Rede ist, daß der ריאיןauf- und zugezogen wird: 114
„Der Wilon hat keine andere Aufgabe, als daß er morgens antritt und abends 115
abtritt ( ) נ כ נ ס ש ח ר י ת ו י ו צ א ע ר ב י תund (so) täglich das Schöpfungswerk erneuert."
1 1 3
ו י ל ו ןist ein Lehnwort aus dem Lateinischen (= velum) und bezeichnet sonst in der rabbinischen Literatur vor allem den Vorhang vor einer Tür; s. z. B. Kel 20,6; Negh 11,11; TosKelBM 11,8; bBega 14b; MidrPs 19 § 6 zu V. 1. In einem Gleichnis des R. Chanina b. Papa (Pal. um 300), das den Unterschied zwischen den Propheten Israels und den Propheten der Heidenvölker verdeutliehen will, heißt der Vorhang, der in einem Palast den König von seiner Umgebung trennt, ו י ל ו ן: Wie ein König den Vorhang beiseite zieht, um mit seinem Freund von Angesicht zu Angesicht zu reden, so redet Gott unverhüllt mit den Propheten Israels; mit den Propheten der Völker redet Gott dagegen nur מ א ח ו ר י ה ו י ל ו ן (GenR 52,7 zu 20,3; 74,5 zu 31,26; LevR 1,13 zu 1,1; Jalqut Schim'oni 897 zu H i 4,13). An die reale Existenz eines Vorhangs vor Gott ist in diesem Gleichnis sicher nicht gedacht. Ebenso dürfte im Hinblick auf den PesiqR Nachtrag I 1 (194a) überlieferten Ausspruch des R. Jigchaq II (Pal. um 300) zu urteilen sein, wonach die himmlischen Wesen die Herrlichkeit Gottes nicht unmittelbar, sondern nur „wie durch einen Vorhang" ( ) כ מ ת ו ך ו י ל ו ן schauen können. Da es sich in diesem Ausspruch wie auch in dem Gleichnis des R. Chanina bloß um bildliche Redeweise handelt, gehören beide Texte nicht in die Gruppe der o. S. 4 ff. besprochenen Belege für die Vorstellung vom Vorhang vor dem Thron Gottes. S. ferner h e b r H e n 1 7 , 3 ; Sedhär rdbhah di Bereschith 18 (WERTHEIMER I 29); M i d h r a s c h 'asäräth had-debharoth, 1 . Gebot (JELLINEK I 63 f.; WÜNSCHE IV 72); Jalqut Schimborn 4 4 5 zu Jes 4 0 , 2 2 . Die Autorenangaben schwanken: bChagh 12b par Jalqut Schim'oni a.a.O.: Resch Laqisch (um 250); AbhothRN 37: R. Meir (um 150); MidrPs 114 § 2 zu V. 1: R. El azar (um 270). - Von bChagh 12b parr abweichende Listen der sieben Himmel finden sich z. B. LevR 29,9 zu 23,24; DtnR 2,23 zu 6,4; Pesiq 23 (154b); Reijjoth Jechäzqel (WERTHEIMER II 130). Diese Texte kennen einen Himmel namens „Wilon" nicht; der unterste Himmel heißt hier ש מ י ם. So auch M i d h r a s c h Konen (JELLINEK II 36 f.; WÜNSCHE III 195); Jalqut Schimoni a . a . O . In Sedhär rabbah di Bereschith 3 4 (WERTHEIMER I 39) steht 1 1 4
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die umgekehrte Formulierung: ; נ כ נ ם ע ר ב י ת ו י ו צ א ש ח ר י תs. dazu WERTHEIMER I
381 f.
D e r V o r h a n g zwischen
H i m m e l und E r d e
21 e
Gemeint ist, daß der Wilon lediglich den Tag über die am Raqi a befestigten Gestirne verhüllt, daß er aber am Abend zurückgezogen wird, damit Mond und Sterne die Erde erleuchten können . Den Schriftbeweis für die Existenz des Wilon liefert Jes 40,22: 116
„Er spannt den Himmel aus wie einen Schleier ()ךק und breitet ihn hin wie ein Zelt zum Wohnen." 117
Einige jüngere Midraschim unternehmen den Versuch zu erklären, weshalb der Vorhang zwischen Himmelswelt und Erde den Namen „Wilon" t r ä g t . So vergleicht z. B. der M i d h r a s c h K o n e n den „ =( ויאוןvelum") mit dem am Tor eines Palastes angebrachten „vexillum", das die Anwesenheit des Königs anzeigt : 118
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„Warum heißt er Wilon? Weil er dem Zeichen der Könige ( ] ס י מ ן ש ל מ ל כ י ם gleicht, das man am Eingang des königlichen Palastes anbringt. Von der Stunde an, da der König in seinen Palast hineingeht, bringt man es an; und in der Stunde, da er herausgeht, schafft man es fort. Ebenso verhält es sich mit dem Wilon. In der Stunde, in der die Morgenröte emporsteigt, geht die Sonne hervor, um die Welt zu bedienen. Dann ist er (der Wilon) ausgespannt in der Welt und bedeckt die Oberfläche des Raqi a vor der Sonnenkugel, die in der Welt ihren Weg läuft. Und wenn die Sonne hinweggeht, rollt man ihn zusammen und schafft ihn fort, damit der Mond und die Sterne und die Planeten aufsteigen, um die Oberfläche der Erde zu erleuchten." e
Diese gekünstelte Erklärung verrät sich deutlich als sekundär. Nicht anders steht es mit dem folgenden Text aus dem M i d h r a s c h asäräth h a d - d e b h a r o t h (zum 1 . G e b o t ) , der den Himmelsvorhang mit dem \) ) לan der Tür eines Hauses in Verbindung bringt : e
ר
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„Ferner schuf der Heilige, gepriesen sei er, sieben Raqi'im. Der unterste von ihnen allen heißt Wilon, und er ist wie ein Vorhang ( ) ו י ל ו ן, der vor dem Eingang der Häuser vorgezogen ist, so daß die Inneren zwar die Äußeren, die Äuße1 1 6
Vgl. bBer J8b (R. Huna b. Jeboschua* [um 350]): „Er reißt den Wilon durch, rollt ihn fort, und das Licht des Himmels wird sichtbar"; ferner Midhrasch Konen (JELLINEK II 37; WÜNSCHE III 196); Sedhär rabbah di Bereschith a.a.O. und die bei WERTHEIMER I 382 f. notierten Belege. Die Bemerkung bei BILLERBECK II 265, daß der Wilon „in der Nacht den Himmel verhüllt", ist also zu korrigieren! So außer bChagh 12b auch Midhrasch Konen a.a.O.; Sedhär rabbah di Bereschith a.a.O.; Jalqut Schim'oni a.a.O. Vgl. auch M i d r P s 19 § 6 zu V A : R. Jehoschua b. Levi (Pal. um 250) entnimmt Jes 40,22, daß Gott den Himmel „ähnlich wie einen Vorhang" ( ) כ מ י ן ו י ל ו ןausgebreitet hat. 118 ß den im folgenden genannten Belegen noch Sedhär rabbah di Bereschith a.a.O. sowie die bei WERTHEIMER I 382 mitgeteilten Texte. 1 1 7
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JELLINEK II 37; WÜNSCHE III
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120 Ygj MACRAE I 50 mit dem Hinweis, daß „vexillum" Deminutivum von „velum" ist. 1 2 1
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vom himmlischen
Vorhang im antiken
Judentum
ren aber nicht die Inneren sehen können. In dem Wilon befinden sich Fenster, und die Dienstengel sehen die Menschenkinder, die auf der Erde wandeln: den, der auf gutem, und den, der auf bösem Wege wandelt. Wer auf bösem Wege wandelt, den lassen sie (gewähren) und lassen ihn glücklich sein in seiner Bos heit bis zum Tage der Vergeltung."
Für die Frage, weshalb in der älteren rabbinischen Tradition der kosmische Vorhang mit dem Fremdwort „Wilon" bezeichnet wor den ist, sind die Erklärungsversuche der jüngeren Midraschim wertlos. Sie zeigen nur, daß offensichtlich bereits ihren Verfassern ein Rätsel war, was auch für den modernen Forscher ein noch un gelöstes Problem darstellt. ß) Der kosmische Vorhang in der jüdisch-hellenistischen StiftszeltSymbolik Auch im hellenistischen Judentum begegnen wir der Vorstellung von einem Vorhang zwischen Himmel und Erde, und zwar im Rahmen einer symbolischen Deutung des Stiftszeltes, derzufolge das irdische Heiligtum ein Abbild der ganzen Schöpfung darstellt . Die für unsere Fragestellung wichtigen Äußerungen des Josephus finden sich im 3. Buch seiner „Antiquitates" . Josephus bezeichnet dort die Einteilung des Stiftszeltes als eine μίμησις της των δλων φύσεως und seine Einrichtungen als eine άπομίμησις και διατύπωσις των ολων und erklärt das folgendermaßen: Das den Priestern ver schlossene Allerheiligste war ein Abbild des Himmels, der allen Menschen unzugänglich und ausschließlich für Gott bestimmt ist. Das Heilige und der Vorhof hingegen, zu denen die Priester Zu gang hatten, waren ein Abbild von Land und Meer, die allen Men schen offen stehen . In diesem Schema symbolisiert dann der Vor hang zwischen Hekhal und Debhir , den Josephus im gleichen Zu sammenhang schildert und symbolisch deutet , die Trennung zwi schen Himmel und Erde . 122
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Zur kosmologischen Stiftszelt-Symbolik im hellenistischen Judentum s. be sonders U . FRÜCHTEL, Die kosmologischen Vorstellungen 69 ff.; auch MACRAE I 42 ff. Ant. III 122 f. 179 ff. Vgl. außerdem noch Bell. IV 324; V 217 f.; Ant. VIII 107; zur Sache FRÜCHTEL, a.a.O. 98 ff. Ant. III 123. Ebd. 180. Ebd. 123. 181. Josephus nennt diesen xaxajtExaa^ia (Bell. V 219; Ant. VIII 90), ebenso auch den Vorhang vor dem Heiligen (Bell. V 212; Ant. VIII 75; XII 250). Ant. III 126 vgl. 183. Eine ähnliche Deutung des Vorhangs vor dem Allerheiligsten wird in der Schilderung des Jerusalemer Tempels in Bell. V 212 ff. mit anklingen; s. dort § 219 und vgl. dazu K. GALLING, ZNW 43 (1950/51) 264 Anm. 2. 123
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Die gleiche symbolische Deutung des Stiftszeltes vertritt der M i d h r a s c h Tadhsche, eine relativ späte Schrift, deren Verfasser aber aus alten Überlieferungen schöpft , darunter auch aus solchen jüdisch-hellenistischer Herkunft. Im 2. Kapitel des Midrasch heißt es : 130
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„Die Wohnung (d. h. das Stiftszelt) wurde entsprechend der Erschaffung der Welt gemacht . . . Die Himmel und die Erde und das Meer sind die Häuser . . . Entsprechend den oberen Himmeln wurde das Haus des Allerheiligsten ge macht, und entsprechend der Erde wurde das Haus des äußeren Heiligen ge macht, und entsprechend dem Meer wurde der Vorhof gemacht." 132
In diesem Text wird der Vorhang zwischen Hekhal und Debhir zwar nicht erwähnt , doch wäre er gemäß der i n ihm gebotenen symbolischen Erklärung des Stiftszeltes als Trennwand zwischen Himmel und Erde zu verstehen. Schließlich ist noch auf die i m einzelnen recht komplizierte kosmologische Stiftszelt- und Tempel-Symbolik bei P h i l o zu verwei sen . Für Philo symbolisiert der Vorhang (καταπέτασμα) zwischen Hekhal und Debhir die Trennung zwischen veränderlicher und unveränderlicher Welt, zwischen κόσμος αισθητός und κόσμος νοη τός . Das ist zweifellos eine philosophische Abwandlung jener Deutung des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, die wir bei Josephus bezeugt fanden und die ein älteres Stadium jüdisch-helleni stischer Stiftszelt-Symbolik repräsentiert. 133
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)ץDer kosmische Vorhang in einem Zeugnis rabbinischer StiftszeltSymbolik Eine besonders interessante symbolische Deutung des Stiftszeltes, die jüdisch-hellenistische Anschauungen mit rabbinischer Schriftgelehrsamkeit kombiniert, lesen wir T a n c h Ex, p q w d j 2 par NumR 130
SCHOLEM, Ursprung und Anfänge der Kabbala 14.
1 3 1
JELLINEK III 164 f.; WUNSCHE V 89. SCHOLEM, Jüdische Mystik 391 Anm. 8
bemerkt zu dieser Stelle: „Die Auffassung des Stiftszelts als einer Parallele zur ganzen Schöpfung, wie sie sich im Kapitel 2 des Midrasch tadsche findet, scheint der spätesten Periode der Midrasch-Literatur anzugehören und aus Südfrankreich zu kommen." SCHOLEM hat übersehen, daß schon Josephus diese Auffassung vertritt. Gemeint sind die drei Räume des Stiftszeltes; s. WÜNSCHE ebd. Anm. 3. Der Midrasch spricht lediglich in cap. 10 (JELLINEK III 173; WÜNSCHE V 105) von dem Vorhang ( ) פ ר ו כ תim irdischen Heiligtum. S. dazu im einzelnen FRÜCHTEL, a.a.O. 69 ff. Besonders Qu.Ex II 91 (zu Ex 26,31a); II 94 (zu Ex 26,33b); Vit. Mos. II 132
133
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135
74 ff.; und vgl. M A C R A E I 43 ff.; FRÜCHTEL 77; E . R. GOODENOUGH, By Light,
Light 112 f.
D i e Vorstellung
24
vom himmlischen
Vorhang i mantiken
Judentum
1 2 , 1 6 zu 7,1. Wie Josephus und der Midhrasch Tadhsche, so erklärt der Autor des Textes zunächst, daß das Stiftszelt „dem Universum entspricht" ( ( ה ע ו ל ם ש ק ו ל כנגד. Die E zelnen geht dann aber nicht von einem Vergleich der drei Abteilungen des Heiligtums mit Himmel, Erde und Meer aus, sondern es werden in kunstvoller Anwendung der zweiten Hillelitischen Auslegungsregel (Gezera schawa) bestimmte Aussagen von Gen 1,1—2,3 und Ps 104,2 zu Angaben über die Einrichtung des Stiftszeltes in Ex 25 ff. und Num 7,1 in Beziehung gesetzt : 1
3
6
137
„Es heißt (Gen 1,1): ,Im Anfang schuf Gott usw.' und ferner (Ps 104,2): ,Er spannt den Himmel aus wie eine Z e l t b a h n ' , und bei der Wohnung heißt es (Ex 26,7): ,Du sollst Z e l t b a h n e n aus Ziegenhaaren für das Zelt über der Wohnung anfertigen/ ־־Am zweiten Tag heißt es (Gen 1,6): ,Es entstehe ein Firmament und es bilde eine Scheidewand usw.', und bei der Wohnung heißt es (Ex 26,33): ,Und der Vorhang soll für euch die Scheidewand bilden/ - Am dritten Tag heißt es (Gen 1,9): ,Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich', und bei der Wohnung heißt es (Ex 30,18): ,Du sollst ein bronzenes Becken und ein dazugehöriges bronzenes Gestell zum Waschen anfertigen . . . und Wasser hineintun/ - Am vierten Tag heißt es (Gen 1,14): ,Es sollen Leuchten werden am Firmament des Himmels', und bei der Wohnung heißt es (Ex 25,31): ,Und du sollst einen Leuchter von reinem Gold anfertigen usw.' - Am fünften Tag heißt es (Gen 1,20): ,Und Vögel sollen über der Erde fliegen usw.', und bei der Wohnung heißt es (Ex 25,20): ,Und die Keruben sollen ihre Flügel ausbreiten.' Am sechsten Tag wurde der Mensch geschaffen (Gen 1,26), und bei der Wohnung heißt es (Ex 28,1): ,Und du sollst deinen Bruder A a r o n zu dir herantreten lassen/ ־־Am siebten Tag heißt es (Gen 2,1): ,Und es wurden vollendet der Himmel usw.', und bei der Wohnung heißt es (Ex 39,32): ,Und es wurde die ganze Arbeit für die Wohnung vollendet usw.* - Bei der Erschaffung der Welt heißt es (Gen 2,3): ,Und Gott segnete', und bei der Wohnung heißt es (Ex 39,43): ,Und er segnete sie/ - Am siebten Tag heißt es (Gen 2,2): ,Und Gott vollendete', und bei der Wohnung heißt es (Num 7,1): ,Und es geschah an dem Tag, an dem Moses vollendet hatte/ — Am siebten Tag heißt es (Gen 2,3): ,Und er heiligte ihn', und bei der Wohnung heißt es (Num 7,1): ,Und er heiligte sie.' " 138
139
Es ist hier nicht der Ort, diesen Text in seinen Einzelheiten zu besprechen. Für uns ist wichtig, daß die Schrift stellen Gen 1,6 ff. und Ex 26,33 einander parallelisiert werden: Wie das Firmament Schei1 3 6
So in NumR 12,16, während es in TanchEx, pqwdj 2 heißt :שקול כנגד בריאת עולם. Nach dem Midrasch Tanchuma wäre R. Ja'aqob b. Asi (Pal. um 330) der Autor dieser Deutung wie auch (?) der ganzen folgenden Erklärung. Ich zitiere nach NumR 12,16. 138 Im Text von NumR 12,16 geht das Bibelzitat nur bis zum Wort „anfertigen", doch weist ein „usw." darauf hin, daß der ganze Vers gelesen sein will, da das entscheidende Wort „Wasser" erst an dessen Ende steht. Die Gezera schawa setzt hier den generellen Begriff „Mensch" zu dem speziellen „Aaron" in Beziehung. 1 3 7
1 3 9
D e r V o r h a n g zwischen
H i m m e l und E r d e
25
dewand zwischen Himmel und Erde ist, so der Vorhang der Stiftshütte Scheidewand zwischen Allerheiligstem und Heiligem . Demnach ist der Himmel selbst als das Allerheiligste, das Firmament aber als der Vorhang vor diesem Allerheiligsten verstanden . Daß sich die hier bezeugte Vorstellung von der Wilon-Spekulation unterscheidet, die den kosmischen Vorhang u n t e r h a l b des Raqfa lokalisiert, darf nicht übersehen werden. 140
141
b ) H e r k u n f t u n d B e d e u t u n g der V o r s t e l l u n g Fragen wir nun nach der Herkunft der Anschauung vom kosmischen Vorhang, wie sie uns in den besprochenen Texten begegnet ist, so dürfte hinsichtlich der jüdisch-hellenistischen Version die Antwort nicht zweifelhaft sein: Die Idee eines Vorhangs zwischen Himmel und Erde ist so fest in der symbolischen Deutung des Stiftszeltes verankert, daß sie nur in Verbindung mit dieser Deutung entstanden sein kann. Damit ist zugleich eine Entscheidung im Blick auf Tanch Ex, pqwdj 2 par NumR 12,16 zu 7,1 getroffen. Denn daß die dort gebotenen Ausführungen das jüdisch-hellenistische Theologumenon vom universalen Heiligtum erst nachträglich exegetisch zu begründen suchen, liegt auf der Hand. Schwieriger gestaltet sich ein Urteil über den Ursprung der rabbinischen Vorstellung vom Wilon. In bChagh 12b parr fanden wir als Schriftbeleg Jes 40,22 zitiert: Gott „spannt den Himmel ()שמיס aus wie einen Schleier (" )דלו. Aus dieser Stelle konnte schriftgelehrte Exegese ganz unmittelbar den Schluß ziehen, daß der שמיםgenannte erste H i m m e l einen Vorhang bildet, der den Erdkreis überspannt und den irdischen Bereich von der himmlischen Welt scheidet . W i r hätten demnach in der Wilon-Vorstellung eine Weiter142
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1 4 0
Vgl. noch M i d h r a s c h Aggadhah zu Ex 3 8 , 2 1 : der Vorhang vor dem Allerheiligsten „entspricht dem ; " ר ק י עferner M i d h r a s c h Bereschith r a b h a t h i 11 zu Gen 1,6. Daß das Firmament einen Vorhang bildet, dürfte auch gemeint sein, wenn R. Jehuda b. Schiin on (um 240) nach GenR 4,1 zu 1,6 die Worte י ה י ר ק י ע Gen 1,6 als י ע ש ה מ ט ל י ת ל ר ק י עgedeutet hat. Für diese Interpretation spricht m. E. die Berufung auf Ex 39,3. Vgl. außerdem auch j B e r I 2c, 69 ff. S. o. S. 21 Anm. 117. 141
1 4 2
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S. dazu BILLERBECK III 531
1 4 4
ff.
Neben Jes 40,22 wäre auch an Ps 104,2b zu erinnern: „Er spannt den Himmel ( ) ש מ י םaus wie eine Zeltbahn ( ) י ר י ע ה." Das Wort י ר י ע הwird in der rabbinischen Literatur nicht selten (z. B. Tanch Ex, trwmh 9; ExR 50,4.6 zu 37,1) und י ר י ע ת אim Aramäischen durchgängig in der Bedeutung „Vorhang" verwendet; s. JASTROW, Dictionary 596b. 597a. Ps 104,2b konnte deshalb direkt in dem Sinne verstanden werden: „Er spannt den Himmel aus wie einen Vorhang." So dürften in der Tat die Worte ד מ ת ח ש מ י א ה י ך י ר י ע ת אin TargPs 104,2b 3
W U N T 14: Hofius
26
D i e Vorstellung
vom himmlischen
Vorhang im antiken
Judentum
bildung der vor allem bei Deuterojesaja bezeugten Anschauung vom HimmelszeZ^ zu erblicken , und die Ansicht, daß der Wilon den Raqi'a verhüllt, wäre als eine Kombination dieser Anschauung mit der im Alten Testament vorherrschenden Auffassung von einer Himmels/este (*TPl) zu begreifen. Allerdings ist ein anderer Entwicklungsprozeß nicht von vorne herein auszuschließen. Denkbar wäre nämlich durchaus, daß das hellenistische Theologumenon vom Vorhang zwischen Himmel und Erde in rabbinische Spekulationen Eingang gefunden hat und daß dann erst sekundär Jes 40,22 als Schriftbeweis herangezogen wor den ist. Eine solche Vermutung könnte sich insofern nahelegen, als die hellenistische Vorstellung durch Philo bereits für den Anfang des 1. Jh. n. Chr. bezeugt ist, während sich die rabbinische A n schauung frühestens für die Mitte des 2. J h . , vielleicht sogar erst für das 3. Jh. quellenmäßig belegen l ä ß t . Jedoch ist gegenüber derartigen Erwägungen Vorsicht geboten! Die relativ späte Bezeu gung sagt ja noch nichts über das Alter der Wilon-Idee selbst . Gegen eine Abhängigkeit dieser Idee von der jüdisch-hellenistischen xaiajceTaafxa-Spekulation spricht aber vor allem die folgende Beob achtung: Die rabbinischen Texte liefern auch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß es sich bei dem Wilon ursprünglich ein mal um den Vorhang eines Himmel und Erde umfassenden Heilig tums gehandelt hat. Ich halte es deshalb für das wahrscheinlichste, daß die jüdisch-hellenistische xatajistaapia-Vorstellung einerseits und die rabbinische Wilon-Anschauung andererseits unabhängig von einander entwickelt worden sind, — erstere im Zusammenhang einer symbolischen Deutung des Stiftszeltes, letztere aufgrund einer Exe gese von Jes 40,22. Daß die Quellenlage eine eindeutige Entschei dung nicht erlaubt, sei allerdings nochmals betont. Sicheren Boden betreten wir dagegen, wenn wir Sinn und Bedeu tung des kosmischen Vorhangs zu beschreiben suchen. Sowohl in 145
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148
gemeint sein. Allerdings fehlt ein ausdrücklicher Beleg dafür, daß Ps 104,2b an der Ausbildung der Wilon-Vorstellung beteiligt gewesen ist. Außer Jes 40,22 noch 42,5; 44,24; 45,12; 51,13.16; s. ferner Ps 104,2b (einziger vorexilischer Beleg!); Jer 10,12; 51,15; Sach 12,1; H i 9,8. Zur Sache vgl. K. KOCH, ThW zum AT 1 1/2 (1970/71) 132. So, wenn man mit W. BACHER, Die Agada der Tannaiten II 65 f.; BILLERBECK III 532 u. a. der Angabe in AbhothRN 37 Vertrauen schenkt, derzufolge die Liste der sieben Himmel auf R. Me'ir (um 150) zurückgeht. S. bChagh 12b: Resch Laqisch (um 250); MidrPs 114 § 2 zu V. 1: R. El'azar (um 270); TanchB Gen, hjj srh 6: R. Jochanan (gest. 279); bBer 58b: R. Huna b. Jehoschua* (um 350). So läßt sich z. B. die Pargod-Anschauung als beträchtlich älter erweisen, als es aus den altjüdischen Zeugnissen ersehen werden kann; s. u. S. 75. 145
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D e r V o r h a n g zwischen
H i m m e l und E r d e
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den rabbinischen wie in den jüdisch-hellenistischen Texten grenzt der Vorhang die himmlische Welt als den Bereich höchster Heilig keit von der Erdenwelt ab, die als ein Raum geringerer Qualität an gesehen wird. Eine grundsätzlich negative Beurteilung des irdi schen Bereichs liegt den Quellen jedoch ganz fern. Sie ist schon dadurch ausgeschlossen, daß die Erde im Kontext der Zeugnisse vom Wilon als Gottes Schöpfung und in den jüdisch-hellenistischen Be legen als das Heilige des universalen Heiligtums gekennzeichnet wird.
3*
B. D I E V O R S T E L L U N G V O M H I M M L I S C H E N V O R H A N G IN D E R GNOSIS Wenn man aus der Materialzusammenstellung, mit der Käsemann die Behauptung einer „gnostischen Schul tradition" von einem Vor hang zwischen Himmel und Erde zu begründen sucht , die jüdi schen Texte ausscheidet, so bleiben folgende gnostische Belege übrig: U A W 360,1 ff.; PS 29 ff. 86 u. öfter; sowie der nur mit Vorbehalt zu nennende Text Exc ex Theod 38,1 f., der nach Inhalt und Ur sprung als rein jüdisch zu gelten hat und erst von seinem Kontext her gnostischen Sinn gewinnt . E. Gräßer hat auf drei weitere gnosti sche Texte aufmerksam gemacht: PhilEv 76, PhilEv 125 und W A 142,5 ff. . Damit ist das Material jedoch keineswegs erschöpft. Es kommen vielmehr hinzu : W A 143,20 ff.; TS 146,11 ff.; SJC (BG) 118,7 ff.; 2BJ 50 (318,30 f.); 52 (325,37 ff.); ApokrJoh (CG II) 13,32 ff.; mehrere Stellen in 1BJ und Weiteres i n U A W ; außer dem Belege aus der mandäischen und manichäischen Literatur so1
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KÄSEMANN 155 Aiim. 4
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S. o. S. 13 ff. KÄSEMANN 145 Anm. 4 charakterisiert das xaTajtsxaajia von Exc ex Theod 38,1 f. als „die Scheidewand zwischen Pleroma und der gefahr drohenden und den Seelenaufstieg hindernden Sphäre des Topos". Diese Deu tung hat jedoch am Text keinen Anhalt. Das xaTajtexaajia ist vielmehr der Vorhang vor dem Demiurgen und bildet somit die Scheidewand zwischen der Sphäre des Topos und den unterhalb dieser Sphäre gelegenen Bereichen. Inner halb des gnostischen Kontexts gehört Exc ex Theod 38,1 f. demnach in die Kategorie „Vorhänge in der Äonenwelt", auf die u. S. 43 ff. eingegangen wird. GRÄSSER, Der Glaube im Hebräerbrief 37 Anm. 132; 111 Anm. 280. Folgende Schriften aus dem Fund von Nag Hammadi lagen mir bis zum Abschluß meiner Arbeit in wissenschaftlichen Editionen bzw. in Ubersetzungen vor: Apokrypher Jakobusbrief (Codex I), Evangelium Veritatis (I), Traktat über die Auferstehung (I), Apokryphon des Johannes (*II, III, IV), Thomas evangelium (II), *Philippusevangelium (II), *Das Wesen der Archonten (II), *Titellose Schrift (II), Exegese über die Seele (II), Buch von Thomas dem Athleten (II), Ägypterevangelium (III, IV), Eugnostosbrief (III, V), Apokalypse des Paulus (V), 1. und 2. Apokalypse des Jakobus (V), Apokalypse des Adam (V). In den durch * gekennzeichneten Schriften ist von einem himmlischen Vor hang die Rede. 3 4
5
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S. u. S. 44.
6
S. u. S. 30 ff. 45 f.
7
S. u. S. 30. 43; ferner M A C R A E I 112 f.
Dazu MACRAE I 113 f. Nach ADAM, Die Psalmen des Thomas 35 wäre auch eine Stelle aus dem 13. Thomaspsalm in diese Liste aufzunehmen. ADAM will
D e r V o r h a n g zwischen
P l e r o m a und
Kosmos
29 9
wie gnos tisch beeinflußte Aussagen in koptischen magischen Papyri und in späteren Schriften der koptischen Kirche . Überblickt man das gnostische Material, so bietet sich eine Ein^ teilung in zwei Gruppen an: Auf der einen Seite stehen solche Texte, die von einem Vorhang sprechen, der die Scheidewand zwischen dem göttlichen Pleroma und dem durch den Fall entstandenen Kosmos bildet. Daneben begegnen wir der Anschauung, daß sich in der Äonenwelt Vorhänge befinden, die jeweils die Sphäre eines be stimmten Äons von den unterhalb dieser Sphäre gelegenen Berei chen abgrenzen. Innerhalb der ersten Gruppe lassen sich außerdem zwei Typen von Spekulationen unterscheiden: Der Vorhang er scheint entweder als ein Werk des Urvaters (bzw. eines der höchsten Äonen), das nach dem Fall zum Schutz des Pleroma als Trennwand zwischen dem Lichtreich und der Welt der Finsternis geschaffen wor den ist; oder aber der Vorhang stellt das erste illegale Schöpfungs werk der Pistis Sophia dar, das dann seinerseits die Entstehung der materiellen Welt erst verursacht hat. Es seien nun die wichtigsten, d. h. die charakteristischen und repräsentativen Belege dargeboten und besprochen, wobei uns vor allem die Frage interessiert, ob sich Anhaltspunkte für eine Bestimmung der religionsgeschichtlichen Herkunft der gnostischen ywatajtetaajia-Vorstellungen aufzeigen lassen. 10
1 . D e r V o r h a n g zwischen a) D e r V o r h a n g als Schöpfungswerk
Pleroma u n d
Kosmos
des U r v a t e r s
Wie i n zahlreichen gnostischen Schriften, so wird auch i n der koptischen S o p h i a Jesu C h r i s t i die Entstehung der materiellen Welt auf einen Fehltritt der Sophia zurückgeführt . Das Apokryphon be schreibt dann die Reaktion des Urvaters auf den illegalen Schöp fungsakt der Sophia mit den Worten: „Er schuf den Vorhang (wxtajietaajia) zwischen den Unsterblichen und denen, die nach diesen 11
die Vorstellung von einem Vorhang zwischen Lichtreich und Welt hinter der Bemerkung erkennen, daß der Gewaltige sich nach dem Zustand in der Welt erkundigen muß, also nicht selbst hinunterschauen kann (ThPs 13,17 f. = 219,1 ff. ALLBERRY). Da der Terminus „Vorhang" bzw. „Schleier" an dieser Stelle jedoch nicht vorkommt, bleibt ADAMS These eine bloße Vermutung. 9
1 0 1 1
Dazu M A C R A E I 111 f.
S. ebd. II 53 Anm. 206. SJC (BG) 118,1 ff. Zum entsprechenden Text der in Codex III von Nag
Hammadi enthaltenen Version der SJC s. W. FOERSTER/M. KRAUSE/K. RUDOLPH,
Die Gnosis II 158 Anm. 48.
D i e Vorstellung
30
vom himmlischen
V o r h a n g i n der
Gnosis
12
entstanden sind." Dieser zum Zweck der Scheidung und des Schutzes eingerichtete Vorhang erinnert, wie H . Jonas zutreffend bemerkt , an den Horos der Valentinianer, und zwar an dessen zweite Funktion, die darin besteht, zwischen dem Pleroma und dem υστέρημα zu scheiden, „damit nichts von dem Fehl den im Pleroma befindlichen Äonen zu nahe kommen könne" . Wenn es in den Excerpta ex Theodoto vom Horos heißt: χωρίζει . . . τον κόσμον του Πληρώματος , so ist eben dies nach der Sophia Jesu Christi die Aufgäbe des vom Urvater geschaffenen Vorhangs. Während die knappe Notiz in der Sophia Jesu Christi keine Schlüsse auf die Herkunft der in ihr zum Ausdruck gebrachten VorStellung zuläßt, führen mandäische Aufstiegsschilderungen weiter, die von einem Vorhang vor dem „Haus des Lebens" bzw. vor dem „Schatzhaus" reden und diesen als den „großen Vorhang der Sicherheit" bezeichnen . Im mandäischen Text trägt der Vorhang nämlieh den Namen ! בר גודר, in dem unschwer das Wort פרגודwiederzufinden ist . Dieser terminologische Befund weist deutlich auf eine Beziehung zur jüdischen Pargod-Spekulation hin. Ein Zusammenhang zwischen den gnostischen Anschauungen und alt jüdischen Theologumena wird dann auch in zwei Abschnitten aus dem U n b e k a n n t e n a l t g n o s t i s c h e n W e r k greifbar, in denen von „Vorhängen" zwischen dem Pleroma und der Welt der Materie die Rede ist . Im Unterschied zur Sophia Jesu Christi erblickt das Unbekannte altgnostische Werk in diesen Vorhängen allerdings nicht ein Werk des Urvaters selbst, sondern eine Schöpfung höchster, aus dem Urvater hervorgegangener Äonen. Der erste Abschnitt lautet: 13
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„Damals hat das Existierende sich von dem Nichtexistierenden getrennt, und das Nichtexistierende ist das Böse (κακία), das sich in der Materie (υλη) manifestiert hat. Und die Kleiderkraft (—δύναμις) trennte das Existierende von dem Nichtexistierenden und nannte das Existierende ,ewig* (αιώνιος) und das Nichtexistierende ,Materie* (υλη), und sie trennte in der Mitte das Existierende von dem Nichtexistierenden und legte zwischen sie Vorhänge (καταπετάσματα)." 12
Ebd. 118,7 ff.; vgl. dazu W. C. TILL, Die gnostischen Schriften des kopti schen Papyrus Berolinensis 8502, 59 f. Unklar bleibt, was unter den „Vorhängen eines Geistes" ebd. 119,1 und unter den „Schleiern" ( nh bsö) ebd. 120,16 f. zu verstehen ist. H . JONAS, Gnosis und spätantiker Geist I (Beiheft) 387. Hippolyt, Ref. VI 31,6; vgl. JONAS ebd. I 367. Das Verhältnis von κατάπέτασμα und Horos untersucht eingehend MACRAE I 91 lf. Exc ex Theod 42,1; vgl. auch 35,1; 64. RGinza 212,7 f.; LGinza 429,6 ff. e
e
13 14
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1 7
18
Vgl. ODEBERG, 3 Enoch I 76.
UAW 13 (353,22 ff.); ebd. 8 (344,32) erwähnt.
172.
19 (360,1 ff.); diese Vorhänge werden außerdem UAW 13 (353,22 ff.). 1 9
D e r V o r h a n g zwischen
P l e r o m a und
Kosmos
51
Daß wir in diesen Ausführungen über die Trennung des Existie renden von dem Nichtexistierenden eine gnostische Interpretation von Gen 1,3 f. vor uns haben, liegt auf der Hand . Sollte — was m. E . durchaus wahrscheinlich ist — die „Kleiderkraft" mit der un mittelbar vorher erwähnten Monas identisch sein, so würde auch dieser merkwürdige Ausdruck von einem alttestamentlichen Text, nämlich von Ps 104,1 f. her seine Erklärung finden . Trifft aber diese Deutung zu, so gehen die καταπετάσματα letztlich auf den Pargod zurück, der die Lichtsphäre Gottes umhüllt. Eine gnostische Auslegung von Gen 1,3 f. enthält auch der zweite, nun zu betrachtende Abschnitt : 20
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„Und der Herr der Herrlichkeit ließ sich nieder und sonderte die Materie (ΰλη) ab und teilte sie in zwei Teile (μέρη) und in zwei Gebiete (χώραι) . . . Und er nannte das [Gebiet] zur Rechten ,das Gebiet des Lebens* und das zur Linken ,das Gebiet des Todes ; und er nannte das Gebiet zur Rechten ,das Gebiet des Lichtes* und das zur Linken ,das Gebiet der Finsternis*; und er nannte das Gebiet zur Rechten ,das Gebiet der Ruhe (άνάπαυσις)* und das Ge biet zur Linken ,das Gebiet des Leidens*. Und er zog zwischen sie Grenzen und Vorhänge (καταπετάσματα), damit sie nicht einander erblickten, und stellte Wächter (φύλακες) an ihren Vorhängen (καταπετάσματα) auf." 24
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Dieser Text bildet eine Parallelversion zu U A W 13 (353, 22 ff.). Die Bezeichnung des Äons als „Herr der Herrlichkeit" geht wieder auf alt jüdische Tradition zurück, stellt sie doch eine Gottesbezeich nung dar, die mehrfach im äthiopischen Henochbuch vorkommt . Ins antike Judentum weist auch die Erwähnung der „Wächter" an den Vorhängen; ihr liegt die alt jüdische Anschauung zugrunde, daß die Engel in der himmlischen Welt als „Wächter" fungieren , wo27
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2 0
Vgl. auch die u. S. 37 ff. behandelten Texte TS 146,11 ff.; WA 142,4ff. UAW 12 (353,17 f.); s. zu dieser Stelle u. S. 45 f. Vgl. die gnostische Exegese von Ps 104,5 in UAW 11 (350,1 ff.). UAW 19 (360,1 ff.). Da im folgenden das Gebiet des Lebens, des Lichtes und der Ruhe die transzendente göttliche Welt meint, kann sich das Pronomen nicht auf die ΰλη beziehen, sondern nur auf den gesamten, nunmehr geteilten Rereich. Im folgenden steht für „Gebiet" stets das griechische Lehnwort χώρα. Vgl. auch die „Vorhänge (καταπετάσματα), die sich zwischen denen von der Linken und denen von der Rechten befinden" in dem ursprünglich selbständigen titellosen Werk, das jetzt die Kapitel 136-148 der Pistis Sophia bildet: PS 139 (238,9 ff.); 140 (239,1 ff. 29 ff.; 240,16 ff.; 241,10 ff.). Auch hier wird der jüdi sche Hintergrund wieder sichtbar, wenn der Äon des Gebietes zur Rechten Sabaoth, Jeu, Melchisedek und Jao heißt. äthHen 25,3; 27,3.5; 40,3; 63,2. S. z. R. Dan 4,10.14.20; äthHen 10,7.9.15; 12,4; 15,2; 20,1; slavHen 18,1 ff.; 42,3; Jub 4,15.22; CD 2,18; Massäkbäth Hekbaloth 4 (JEKLINEK II 43; WÜNSCHE III 38) = Ma'asäh Märkabhah ed. WERTHEIMER 4 (I 58); Sedhär 2 1
2 2
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2 8
Gan
'Edhän, 2. Version (JELLINEK III
135;
WÜNSCHE III
56).
D i e Vorstellung
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vom himmlischen
V o r h a n g i n der
Gnosis
bei wir uns besonders daran erinnern dürfen, daß nach bChagh 15b (Ende) die Dienstengel den Zugang zur Thronsphäre Gottes ver wehren . 29
Die Vorstellung von einem „Vorhang" der das Pleroma von den durch den Fall entstandenen Bereichen trennt, liegt auch an zwei Stellen im koptischen P h i l i p p u s e v a n g e l i u m aus Codex II von Nag Hammadi vor (Sprüche 76 und 125) . Wir erfahren hier zwar nichts darüber, wann diese Trennwand errichtet worden ist, doch geht aus dem Zusammenhang klar hervor, daß der Vorhang auf die Seite des Pleroma und nicht etwa auf die der gefallenen materiellen Welt ge hört. S p r u c h 76 (= 117,14-118,4) ist leider zum Teil (117,28-118,1) nur bruchstückhaft erhalten; der Vergleich mit Spruch 125 erlaubt jedoch eine einigermaßen gesicherte Rekonstruktion : 30
31
117,14 15
Es gab drei Häuser, um Opfer (προσφορά) darzubringen, in Jerusalem: Das eine war zum Westen hin geöffnet und wurde ,das Heilige* genannt; das andere war zum Süden hin geöffnet und wurde ,das Heilige des Heiligen genannt; das dritte war zum Osten hin geöffnet und wurde ,das Heilige der Heiligen* genannt, der Ort, den der Hohepriester (άρχιερεύς) all[ein] zu betreten pflegte. Die Taufe (βάπτισμα) ist das heilige Haus, [die] Erlösfung] ,das Heilige des Heiligen*. ,Das Heiflige] der Heiligen* ist das Brautgemach (νυμφών). Die [Tau]fe ([βάπτισ]μα) hat zur Folge die Auferstehufng] (άνάστασ[ις]) [und die] Erlösung, während die Erlösung im Brautgemach (νυμφών) erfolgt. [Das Braut]gemach ([νυ]μφών) aber befindet sich in dem, was höher ist als [sie, in dem was wahrhaft ex]ist[iert]. Du kannst nichts finden, was ihm [gleicht. Die es empfangen ], sind die, die [in Geist und Wahrheit] anbeten . [Sie beten nicht in] Jerusalem [an. Es gibt Leute in] Jerusalem, 4
20
25
32
30
33
2 9
Vgl. auch PirqRÄl 7 (16b); s. o. S. 8 Anm. 17. Die beiden Texte PhilEv 76 und 125 unterscheiden sich insofern von den vorher besprochenen Zeugnissen, als sie das xatajtstaajxa zwischen dem Pleroma und der ^eaotrjg als der obersten Region der außerpleromatischen Welt lokali sieren. 3 0
3 1
Vgl.
die
Ergänzungsversuche von
H . - M . SCHENKE in:
J. L E I P O L D T / H . ־M .
SCHENKE, Koptisch-gnostische Schriften 52 sowie die Korrekturen SCHENKES in ThLZ 90 (1965) 329 f. SCHENKE setzt „empfangen" irrtümlich außerhalb der Klammer; ein kopti sches Äquivalent ist jedoch nicht erhalten. Joh 4,23 f. 3 2
3 3
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35
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Kosmos
33
die [zwar in] Jerusalem [anbeten], die [aber] warten [auf die Mysterien (μυστήριον)], die genannt wer [den: ,Die Heiligen] der Heiligen* [und: ,Das, was der Vor] hang ([κα]ταπέτασμα) trennt.* [Aber was ist das] Brautgemach (παστός) anderes als (ειμή) das Abbild (είκών) [des Brautgemachs (νυμφών), das der Hure]rei (πορν]εία) enthoben ist. Sein Vorhang (καταπέτασμα) zerriß von oben bis unten. Denn es war einigen bestimmt, von unten nach oben zu gehen. 34
118,1
Der Text, den in allen Einzelheiten zu exegesieren sich erübrigt, enthält eine allegorische Deutung des Jerusalemer Tempels mit sei nen drei Abteilungen Ulam, Hekhal und Debhir. Die merkwürdige Bezeichnung der drei Abteilungen als „das Heilige" ( p e t w a a b = τό αγιον [117,17]), „das Heilige des Heiligen" ( p e t w a a b m p e t w a a b = τό αγιον του άγιου [117,18 f.23 f.]) und „das Heilige der Heiligen" ( p e t w a a b n n e t w a a b = τό αγιον των άγιων [117,20 f.24]) wie auch die Benennung des Brautgemachs in 117,34 f. als „die Heiligen der Heiligen" ( n e t w a a b * n n e t w a a b = τα άγια των άγιων) werden ein fach so zu erklären sein, daß der gnostische Autor die verschiedenen ihm bekannten judengriechischen Ausdrücke für das Heilige bzw. das Allerheiligste herangezogen und sie in typisch gnostischer Manier miteinander kombiniert hat. Die Tempel-Allegorie selbst ist nach zwei Richtungen hin ausge führt, wobei sich beide Deutungen durchdringen: Das Allerheiligste gilt einerseits als Symbol des „Brautgemachs", d. h. des göttlichen Pleroma, das durch ein καταπέτασμα von den unteren Regionen ab getrennt ist. Den drei „Häusern" des Tempels entsprechen zum andern drei der im Philippusevangelium vorausgesetzten Sakra mente — das der Taufe, das der Erlösung und das des Brautge machs —, und das Fortschreiten von der Taufe über die άπολύτρωσις bis zum Mysterium des Brautgemachs gleicht dem Gang des Hohene
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Gemeint ist: das Mysterium des Brautgemachs; s. SCHENKE in: LEIPOLDT/ SCHENKE, a.a.O. 52 Anm. 3. So die Ergänzung bei W. C. TILL, Das Evangelium nach Philippos 40; J. E. Menard, L'ßvangile selon Philippe 82; sie ist durch 132,30 f. und 133,19 f. nahegelegt. In 132,22 f. heißt das Brautgemach dagegen petwaab h mpetwaab. τό αγιον ζ. Β. Ex 26,33 LXX. τό αγιον του αγίου ζ. Β. bei Josephus, Ant. III 125; Bell. V 219; τό αγιον των αγίων ζ. Β. Εχ 26,33 LXX; τά αγια των αγίων ζ. Β. 3 Kön 8,6 LXX; 2 Chr 4,22; 5,7 LXX; Philo, leg. all. II 56; mut. nom. 192; Hebr 9,3. Zur Sakramentslehre des PhilEv s. E . SEGELBERG, Numen 7 (1960), 189 ff.; MENARD, a.a.O. 25 ff. 3 5
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priesters durch die Vorhalle und das Heilige i n das Allerheiligste hinein. D a nun aber das Allerheiligste sowohl ein Abbild des Pleroma wie auch des Mysteriums des Brautgemachs ist, bedeutet der Empfang der drei Sakramente eine symbolische Antizipation des Aufstiegs durch den himmlischen Vorhang hindurch in das Pleroma. Daß dieser Aufstieg für die Pneumatiker möglich ist, wird durch den Hinweis auf das Zerreißen des Tempelvorhangs (Mt 27,51) aus drücklich hervorgehoben (118,1 ff.). Eng verwandt mit dem in PhilEv 76 Gesagten sind die Gedanken, die der gnostische Autor i n S p r u c h 125 ( = 132,21—133,21) ent wickelt: 39
132,21
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Das Schlaf
gemach (κοιτών) aber ist verborgen. Es ist das Allerhei ligste. Der Vorhang (καταπέτασμα) zwar verdeckte zuerst, wie (πώς) Gott die Schöpfung (κτίσις) einrichtete (διοικεΐν) . Wenn aber der Vorhang (καταπέτασμα) zerreißt und die (Dinge) des Inneren zum Vorschein kommen, wird man aber dieses Haus öde (έρημος) zurücklassen; vielmehr (μάλλον δε) man wird es zer[stören] (κατα[λύειν]). Aber die gesamte Gottheit wird fliehen [aus] diesen Orten, (allerdings) nicht bis in das Aller heiligste hinein. Denn sie wird sich nicht mischen können mit dem [un]vermischten L[icht] und dem [makel]losen Pleroma (πλήρωμα). [Sonder]n sie wird (nur) gelangen bis unter die Schwingen des Kreuzes (σταυρός) [und unter] seine Arme. Die Arche (κιβωτός) wird [für sie zur] Rettung werden, wenn die Sintflut (κατακλυσμός) von Wasser Macht über sie gewinnt. Wenn einige in dem Stamm (φυλή) der Priesterschaft sind, werden diese hineingehen können in das Innere des Vorhanges (καταπέτασμα) zusammen mit dem Hohenpriester (άρχιερεύς). Deswegen zerriß der Vorhang (καταπέτασμα) nicht nur oben, da (έπεί) es sich (so) nur für die Oberen geöffnet hätte. Noch auch (οΰτε) zerriß er nur unten, da (έπεί) es sich (so) nur den Unteren geoffenbart hätte. Sondern er zerriß von oben bis unten. Das Obere öffnete sich uns, denen von unten, 40
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Die Pneumatiker sind diejenigen, „die [in Geist und Wahrheit] anbeten"
(117,30). Ich übersetze öior/elv mit TILL, a.a.O. 67; SCHENKE, a.a.O. 63 übersetzt: „verwalten", MENARD, a.a.O. 113: „gouverner", R. McL. WILSON, The Gospel of 4 0
Philip 60: ,,control". Sc. das Allerheiligste. 41
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SCHENKE, a.a.O. 64 und MENARD, a.a.O. 115 übersetzen (anders als TILL,
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damit wir hineingehen in das Verborgene der Wahrheit (αλήθεια) . . . 18 20
. . . Deshalb hat sich das Vollkommene (τέλειον) und das Verborgene der Wahrheit (αλήθεια) für uns geöffnet. Und das AIlerheiligste hat sich geoffenbart, und das Schlafgemach (κοιτών) hat uns eingeladen . . .
Was wir in den zitierten Sätzen vor uns haben, ist ein typisches Beispiel gnostischer Schriftexegese, die R. M . Grant treffend cha rakterisiert: ,,This passage is significant for Valentinian exegesis of the New Testament. It shows that these Gnostics were busy at work combining various New Testament passages, especially the more mysterious ones, in an effort to produce new mysteries and fit them into their system." Kombiniert und gnostisch interpretiert werden Aussagen des Hebräerbriefs (6,19 f; 10,20) und des Mat thäusevangeliums (Mt 23,37 f.; 24,2; 27,51) . Wieder wird, wie in PhilEv 76, das Pleroma = Brautgemach mit dem Allerheiligsten identifiziert (132,21—23). Das himmlische καταπέτασμα schloß es her metisch ab und „verdeckte zuerst, wie Gott die Schöpfung ein richtete" (132,23—25). M i t „Gott" dürfte hier der unterhalb des „Vorhangs" waltende Demiurg gemeint sein , der zunächst unbe helligt von dem höchsten Gott sein Schöpfungswerk vollbrachte. Diese materielle Schöpfung wird jedoch rückgängig gemacht, so bald der Vorhang zerreißt, d. h. der Zugang zum Pleroma offen wird. Dann wird „dieses Haus", d. h. die Schöpfung des Demiur43
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a.a.O. 69 und WILSON, a.a.O. 61) den Plural n a psa ntpe sachlich richtig singu larisch: „das Obere". Der Ausdruck meint hier nicht die in 133,6 erwähnten „Oberen", sondern das Pleroma; vgl. die pluralischen Formulierungen in 133,18 ff. 4 3
R . M . GRANT, JBL 79 (1960) 8. Vgl. R . M c L . WILSON, Gnosis and the New
Testament 74: ,,Here . . . we have a whole series of New Testament texts woven together and pressed into the service of Valentinian theory" (s. deutsche Ubersetzung 73). — Die folgende Interpretation von PhilEv 125 setzt die valentinianischen Spekulationen als bekannt voraus und beschränkt sich deshalb auf knappe Hinweise. Daß das PhilEv den Hebräerbrief gekannt und benutzt hat, ist eindeu tig erwiesen; s. R. McL. WILSON, NTS 9 (1963/64) 291 ff. Eine typisch gnostische Deutung von Hebr 3,7 ff. findet sich ζ. B. PhilEv 82. R . M . GRANT, VigChr 15 (1961) 136 f. Zustimmend WILSON, The Gospel of Philip 190; DERS., Gnosis and the New Testament 73 f. (deutsch: 72 f.); s. fer 4 4
45
ner MENARD, a.a.O. 32. 4 6
Für das „Brautgemach" verwendet das PhilEv drei Begriffe: παστός, νυμφών und — an unserer Stelle — κοιτών. So auch SCHENKE, a.a.O. 63; WILSON, Gnosis and the New Testament 73 47
(deutsch: 72); MENARD, a.a.O. 243; M A C R A E I 78.
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gen , aufgelöst (132,25-29). Die „gesamte Gottheit" (132,29), will sagen: der Demiurg und seine Mächte werden allerdings nicht in das Allerheiligste, i n das Pleroma aufsteigen können, sondern i n einer Region Zuflucht finden, die durch das „Kreuz" vom Pleroma getrennt ist (132,29—34). Das entspricht der in anderen Zeugnissen der valentinianischen Gnosis begegnenden Anschauung, daß der Demiurg i n die unterhalb des Pleroma gelegene Mesotes bzw. i n die Ogdoas versetzt wird, nachdem die Sophia aus dieser i n das Brautgemach aufgestiegen ist . Das „Kreuz" hat i n unserem Text wie auch sonst in der valentinianischen Literatur die Funktion des Horos . Die Rettung des Demiurgen wird (132,34—133,1) vergli chen mit der Rettung Noas i n der Arche (Gen 7,7 ff.; Hebr 11,4; vgl. IPetr 3,20) . Während unser Spruch bis hierher von dem Demiurgen und den zu ihm gehörigen Psychikern handelt, geht es i n 133,1 ff. um die oberen, außerhalb des Pleroma befindlichen Äonen und um die Pneumatiker . Zunächst wird — i n offenkundiger Bezugnahme auf den Hebräerbrief — betont, daß die Pneumatiker als die zur φυλή der Priesterschaft Gehörenden mit dem Hohenpriester, d. h. dem Soter in das Allerheiligste eingehen werden . Daß die Pneu matiker i n das Pleroma zurückkehren können, wird dabei ähnlich wie in PhilEv 76 mit M t 27,51 begründet (133,5-13). Der Vorhang zerriß „von oben bis unten", — das bedeutet: nicht nur den „Obe ren", d. h. der Achamoth, dem Soter und den Engeln, sondern auch den „Unteren", d. h. den Pneumatikern, ist die Rückkehr ins Plero ma ermöglicht . Ihnen steht, wie 133,18 ff. nochmals ausführlich hervorgehoben wird, der Weg ins Brautgemach offen. Fragen wir nun, woher die Vorstellung vom himmlischen Vorhang im Philippusevangelium stammt, so kann die Antwort nicht zweifel haft sein: Der Hebräerbrief ist die Quelle, aus der die beiden Sprü che PhilEv 76 und 125 diese Idee genommen haben, und der synop49
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Vgl. SCHENKE ebd.; MAORAE I 79.
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Irenaeus, Adv. haer. I 7,1; Exc ex Theod 64; vgl. SCHENKE ebd. 63 Anm. 8; WILSON, The Gospel of Philip 192; MENARD, a.a.O. 243. Vgl. Irenaeus ebd. I 2,2.4; Exc ex Theod 42,1. Dagegen wird kaum außerdem auch auf die Bundeslade (Hebr 9,4) ange 50 51
spielt sein, wie GRANT, JBL 79 (1960) 8; M A C R A E I 79 meinen; vgl. MENARD,
a.a.O. 243. Zu vergleichen sind die Spekulationen über die Arche des Noa in ApokrJoh (BG) 73,4 ff. Vgl. WILSON, The Gospel of Philip 192; M A C R A E I 80. 52
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Hebr 6,19 f.; 10,20! e
ehün epsa nhün mpkatapetasma (133,3 f.) = ε'ις τό έσώτερον του καταπετάσματος; vgl. Lev 16,2.12.15; Hebr 6,19. Zur Deutung der „Priesterschaft" und des „Hohenpriesters" s. SCHENKE, a.a.O. 64 Anm. 1; M A C R A E I 81. Vgl. SCHENKE ebd. 64 Anm. 2 f. 5 5
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tische Bericht vom Zerreißen des Tempelvorhangs lieferte ein weite res Element, das mit den einschlägigen Stellen des Hebräerbriefs verbunden wurde. Darüber hinaus werden wir aber auch damit rechnen können, daß der gnostische Autor mit Gedanken jüdisch hellenistischer Stiftszelt- und Tempel-Symbolik vertraut war.
b ) D e r V o r h a n g a h i l l e g a l e s W e r k der P i s t i s S o p h i a Wir wenden uns nun solchen Texten zu, in denen der Vorhang zwischen dem Pleroma und der unteren Welt nicht als ein Werk des Urvaters bzw. eines der höchsten Äonen verstanden ist, sondern als das erste Glied in der genealogischen Ableitung der Finsternis aus dem uranfänglichen F a l l , bei dem die Gottheit in der Entfal tung ihrer selbst sich verirrt und die Welt aus sich entlassen hat. In diesen Texten ist der Vorhang grundsätzlich negativ qualifiziert, als ein „Vorhang der Finsternis", der „nicht in einer Vollkommenheit entstanden war" . E r ist damit sachlich identisch mit der in ande ren gnostischen Quellen erscheinenden kosmischen bzw. dämonischen Grenzmauer, die den Kosmos von der jenseitigen göttlichen Welt hermetisch abschließt . Als das wichtigste Dokument für diese Anschauung darf die T i t e l l o s e Schrift aus Codex II von Nag Hammadi gelten . Sie stellt zu wesentlichen Teilen eine gnostische Paraphrase und Interpreta tion der ersten drei Kapitel der Genesis dar , die an nicht wenigen Stellen deutlich die Aufnahme und Verarbeitung alt jüdischer Tradi tionen erkennen läßt . Der uns interessierende Abschnitt, in dem von einem hier παραπέτασμα genannten „Vorhang" gesprochen 56
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Vgl. JONAS, Gnosis und spätantiker Geist I (Beiheft) 387 f. So ApokrJoh ( C G II) 1 3 , 3 2 ff. S. dazu H . SCHLIER, Christus und die Kirche im Epheserbrief 18 ff.; DERS., Der Brief an die Epheser 129 ff.; JONAS, a.a.O. I 161 f. Die ersten 14 der insgesamt 31 Seiten dieser Schrift übersetzte zuerst H.-M. SCHENKE, ThLZ 84 (1959) 243 ff.; eine vollständige wissenschaftliche Edi tion mit Übersetzung und Erläuterungen besorgten A . BÖHLIG/P. LABIB, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex II von Nag Hammadi, 1962 (vgl. die Rezension von K. RUDOLPH in: ThLZ 89 [1964] 17-20). Vgl. RUDOLPH, a.a.O. 18; A. BÖHLIG in: Mysterion und Wahrheit (s. Anm. 61) 90 ff. S. dazu besonders die grundlegenden Untersuchungen von A. BÖHLIG: Der jüdische Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, in: Myste rion und Wahrheit, 80—101; Religionsgeschichtliche Probleme aus der Schrift ohne Titel des Codex II von Nag Hammadi, ebd. 119—126; Urzeit und End zeit in der titellosen Schrift des Codex II von Nag Hammadi, ebd. 135—148. Vgl. ferner auch RUDOLPH, a.a.O. 18 f. 57
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wird , gehört in den Zusammenhang einer gnostischen Deutung der Schöpfungsgeschichte Gen 1, insbesondere der Verse 1—5 dieses Ka pitels. Der Verfasser der Titellosen Schrift will, wie er i n den einleiten den Zeilen seines Werkes angibt (TS 145,24 ff.), die Ansicht wider legen, „daß nichts vor dem Chaos existiert habe", und beweisen, daß das Chaos nicht von Anbeginn bestanden hat, sondern erst aus einem schon vorher vorhandenen „Werk" hervorgegangen ist. „Das Chaos" — so führt er TS 146,2 ff. aus — stammt „aus einem Schat ten; man hat es Finsternis genannt. Der Schatten aber stammt aus einem Werk (έργον), das seit dem Anfang existiert. Es ist aber (dann) offenbar, daß es (sc. das έργον) bestand, als das Chaos noch nicht geworden war, das dem ersten Werk (έργον) folgte". Was i n diesen Worten gesagt wird, ist nichts anderes als eine gnostische Deutung von Gen 1,1 f.: „Am Anfang schuf Gott den Himmel ( = das έργον, das seit dem Anfang existiert) und die Erde (= der Schatten). U n d die Erde (= der Schatten) war wüst und leer (= das Chaos), und es war finster auf der Tiefe ( = die Finsternis)." Wie es zu der Entstehung des Chaos im einzelnen kam, wird sodann in dem Passus TS 146,11—31 beschrieben, der Gen 1,3—5 auslegt. Dabei identifiziert der gnostische Exeget das Gen 1,1 f. Gesagte mit dem i n Gen 1,3—5 Berichteten, d. h. er setzt den „Himmel" und das „Licht", die „Erde" und die „Finsternis" in eins: 146,11
Als die Natur (φύσις) der Un sterblichen sich aus dem Grenzenlosen vollendet hatte, da floß ein Bild aus der Pistis, die Sophia genannt wurde. Es wollte und wurde zu einem Werk (έργον), das dem zuerst existierenden Lichte gleicht . Und sogleich trat ihr Wille in Erscheinung als ein Himmelsbild von unaus denkbarer Größe (μέγεθος), das sich (nun) zwischen den Unsterblichen und denen befindet, die nach ihnen dem himmlischen Vorbild entsprechend entstanden sind, ein Vorhang (παραπέτασμα) , der die 63
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Auch die Kirchenväter verwenden gelegentlich neben καταπέτασμα das
Wort παραπέτασμα; s. F. E . BRIGHTMAN/C. E . HAMMOND, Liturgies I 523 f. Mit SCHENKE, a.a.O. 248 und JONAS, a.a.O. I (Beiheft) 399 ist in TS 146,14 6 3
erof in eros zu ändern (vgl. WA 142,5 f.); anders BÖHLIG in seiner Ubersetzung und in den Erläuterungen z. St. SCHENKE ebd. übersetzt freier, aber sachlich richtig: „[Sie] wollte, [daß] es zu einem Werke würde, das dem Lichte gleicht, das zuerst existierte." Sc. der Pistis Sophia. Mit SCHENKE, a.a.O. 248 ist in Z . 21 f. statt eso ein ero zu lesen, das sich auf ine Z . 18 bezieht; anders BÖHLIG in seiner Edition, a.a.O. 38 Anm. z. St. 6 4
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Menschen und die Himmlischen trennt. Der Äon (alcbv) der Wahrheit aber hat keinen Schatten in seinem Innern , denn das Licht, das unermeßlich ist, erfüllt ihn überall. Sein Äußeres jedoch ist Schatten. Man hat es deshalb Finsternis ge nannt. Eine Kraft (öiwx^ig) trat in Erscheinung über der Finsternis. Den Schatten aber nannten die Kräfte (öijvafxig), die später entstanden sind, das grenzenlose Chaos. 67
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In diesem Text wird der biblische Bericht Stück für Stück gnostisch interpretiert, wobei wesentliche Deuteelemente aus Spekula tionen des antiken Judentums stammen. Der Satz „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht" (Gen 1,3) wird in Z. 13—16 paraphrasiert. Typisch gnostisch ist es, wenn der biblische Gedanke der Schöpfung durch den der Emanation ersetzt ist. Daß an die Stelle Gottes im gnostischen Text die Pistis Sophia getreten ist, geht auf das jüdische Theologumenon von der „Weisheit" als Schöpfungs mittlerin zurück . Das „Werk", das die Pistis Sophia aus sich ent läßt (= das „erste Werk" TS 146,7 vgl. 146,4), ist das „Licht" von Gen 1,3. Allerdings versteht der gnostische Autor darunter nicht, wie etwa die Rabbinen es tun , das „Urlicht", sondern dessen Ab bild: „ein Werk, das dem zuerst existierenden Lichte gleicht" (Z. 15 f.); denn das Urlicht selbst ist ja identisch mit dem „Äon der Wahrheit", der ganz vom Licht erfüllt ist (Z. 23 ff.). So sehr sich diese Auffassung von der gängigen rabbinischen Anschauung un terscheidet, so ist sie doch im antiken Judentum präformiert; denn nach der Deutung von Gen 1,3 im 4. Esrabuch befahl Gott, „einen Strahl des Lichtes" aus seinen „Kammern" zu holen , was voraus setzt, daß das Urlicht bereits vor Beginn der Weltschöpfung bei Gott vorhanden war . Die Pistis Sophia, die selbst zu den „Unsterbli70
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Mit
SCHENKE ebd.
Anm.
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und
BÖHLIG ebd.
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Anm.
z. St.
ist
mpefbol
zu mpefhün zu konjizieren. Gemeint ist: der Bereich, der außerhalb des Äons der Wahrheit liegt. 69 Wörtlich: „nach ihnen". Vgl. etwa Spr 8,22; SapSal 7,22.27; 8,1.5; 9,9. Ähnlich ist die gnostische An schauung vom Fall und von der Heimkehr der Pistis Sophia eine Umprägung des jüdischen Theologumenon von der „Weisheit" Gottes, die den Himmel ver läßt, die Erde aufsucht und — von den Menschen abgewiesen — wieder in den Himmel zurückkehrt (äthHen 42); vgl. BÖHLIG, Mysterion und Wahrheit 85; G. W. MACRAE, NovTest 12 (1970) 86 ff. 6 8
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S. dazu BILLERBECK IV 891.
961
ff.
4Esr 6,40: Tunc dixisti de thesauris tuis proferri lumen luminorum. Auch im rabbinischen Judentum gibt es allerdings vereinzelt die Meinung, daß Gott das Licht vor der Welt geschaffen habe; s. etwa GenR 3,1 zu 1,3. 7 3
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chen" (Z. 11 f. 20) und damit also zu dem „Äon der Wahrheit" (Z. 23 f.) gehört, läßt - so TS 146,13 - das Licht als ein „Bild", d. h. Abbild des Urlichts aus sich herausfließen, als ein „Himmelsbild von unausdenkbarer Größe" (Z. 18 f.). Dieses „Himmelsbild" trennt den „Äon der Wahrheit" bzw. die „Unsterblichen" von der später entstehenden Chaos- und Finsterniswelt (Z. 20 ff.). Dem hegt der Satz Gen 1,4b zugrunde: „Da schied Gott das Licht von der Finsternis." Der gnostische Ausleger bezieht jetzt — anders als in Gen 1,3 — den Begriff „Licht" auf das „zuerst existierende Licht" (Z. 15 f.), auf das göttliche Urlicht, das den „Äon der Wahrheit" erfüllt (Z. 25 f.) und von der Welt des Chaos und der Finsternis radikal geschieden ist. Im Hintergrund dieser Interpretation steht das jüdische Verständnis von Gen 1,4b, wonach Gott das Urlicht „verborgen" und für sich selbst ausgesondert hat . In Z. 22 ff. erfahren wir nun, wie der gnostische Autor sich die Entstehung der Chaosund Finsterniswelt vorgestellt hat. Das von der Pistis Sophia hervorgebrachte „Himmelsbild" ist als ein „Vorhang" vor dem „Äon der Wahrheit" ausgebreitet. Im Innern des Äons herrscht unermeßliches Licht, nach außen aber wirft der Vorhang einen „Schatten" , und damit entsteht die Finsternis, das Chaos . Das erinnert stark an bChagh 12b (s. o. S. 5 f.): Gott ist von „Wolkendunkel" umgeben — von dem „Wolkendunkel", das dann in anderen Texten als ein Vorhang (Pargod) verstanden wird! —; innerhalb dieses „Wolkendunkels" wohnt das Licht, außerhalb seiner hingegen wohnt das Dunkel. Es kann m. E . kein Zweifel bestehen, daß wir in den Gedanken unseres gnostischen Exegeten eine Weiterbildung und Umgestaltung dieses jüdischen Theologumenon vor uns haben. Der in TS 146,11 ff. entfaltete gnostische Gedanke, daß eine Emanation aus dem Urlicht als Scheidewand zwischen diesem und der nachher entstehenden Finsternis liegt, hat außerdem eine frappante Parallele im M i d h r a s c h K o n e n , einer späten Schrift, die jedoch „manche Gedankengänge der alten Merkaba- und Bereschith-Spekulationen wiedergibt" . Im 1. Stück dieses Werkes , das übrigens 74
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So ζ. B. jBer VIII 12b, 63; GenR 3,7 zu 1,4; MidrPs 27 § 1 zu V. 1. Vgl. die σκιά του ονόματος Exc ex Theod 31,4. Der griechische Ausdruck läßt jüdischen Ursprung vermuten (τό δνομα = = השםGott); und in der Tat finden wir in rabbinischen Texten die Anschauung vom „Schatten Gottes" (bBer 55a) bzw. vom „Schatten der Wolken der Herrlichkeit des Allmächtigen" (TargPs 91,1). Vgl. schließlich auch Philo, leg. all. III 96 ff. Deshalb heißt dieser Vorhang in ApokrJoh ( C G II) 1 3 , 3 2 ff. (vgl. C G IV 21,23 f.) der „Vorhang (h bsö) der Finsternis"; zu diesem Text s. ausführlich 7 5
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e
M A C R A E I 90 7 7
f.
SCHOLEM, Ursprung und Anfänge der Kabbala 64. Wie wir ebd. 229 erfahren, denkt SCHOLEM gerade auch an den Anfang des Midrasch, den er als
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die mit der Tora identifizierte „Weisheit" als vorweltliche Hypostase und als Schöpfungsprinzip kennt , ist zu lesen : 79
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Gott „nahm Wasser und (Ur)licht, vermischte sie miteinander und machte davon die Hütte der Finsternis und das Gewölk der Herrlichkeit, wie es heißt: ,Er machte Finsternis zu seiner Hülle, umgab sich mit Wasserdunkel, mit dichten Wolken als einer Hütte* (Ps 18,12) . . . Der Heilige, gepriesen sei er, fing an, im Lichte zu stehen, und seine Schekhina unter den Oberen, und er schloß zu hinter dem Dunkel ( ) א ו פ ל, versiegelte und verriegelte seine Fenster . . . (Denn Gott sprach:) Ich werde trennen und das Licht von der Finsternis hinwegnehmen, so daß das Licht bei mir wohnt, wie es heißt: ,Und das Licht wohnt bei ihm* (Dan 2,22), und die Finsternis unten wohnt, wie es heißt: ,Und Finsternis war auf der Oberfläche des Urmeeres* (Gen 1,2), und wie es ferner heißt: ,Und Gott . . . schied zwischen dem Licht und der Finsternis* (Gen 1,4)".
In diesen Sätzen kommen Spekulationen zu Wort, mit denen auch der Verfasser der Titellosen Schrift vertraut gewesen sein m u ß . Die vielfältigen Berührungen, die zwischen dem oben zitierten Text aus der Titellosen Schrift und alt jüdischen Ideen bestehen, und die enge Verwandtschaft zwischen dem in TS 146,23—28 Ge־ sagten und der Beschreibung der Wohnung Gottes in bChagh 12b sprechen nun m. E . eindeutig dafür, daß sich hinter dem παραπέτασμα des gnostischen Textes der Pargod vor dem Thron Gottes verbirgt. Wenn das παραπέτασμα als ein „Himmelsbild" charakterisiert wird, aus dem dann der gesamte Kosmos entstanden ist, so läßt sich auch dieser Gedanke leicht als eine gnostische Modifikation der altjüdischen Anschauung verstehen, daß auf dem himmlischen Vorhang alle Dinge, die in der Welt geschehen werden, bereits abgebildet sind . Mit der Schilderung in TS 146,11—31 stimmt inhaltlich ein Abschnitt völlig überein, den wir in dem koptisch-gnostischen Traktat D a s Wesen der A r c h o n t e n finden. Auch dieser Traktat, der im Codex II von Nag Hammadi der Titellosen Schrift voraufgeht und starke Berührungen mit ihr aufweist , ist zu einem wesentlichen 81
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„eine kosmogonisch-kosmologische Komposition aus Merkaba- und BereschithStücken" charakterisiert. Über die vier Stücke des Midrasch s. JELLINEK II, p. XII ff. 78
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JELLINEK II 23 f.; WÜNSCHE III
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JELLINEK II 24; WÜNSCHE III
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f.
Vgl. auch noch rabbinische Spekulationen zu Ps 104,2, wie sie einerseits ExR 15,22 zu 12,12 und andererseits GenR 3,4 zu 1,3 par ExR 50,1 zu 37,1; LevR 31,6 zu 24,2 überliefert sind. S. ferner PirqeRÄl 3 (7b. 8a). HebrHen 45,1 ff.; Midhrasch Alpha Betha de R. 'Aqibha, 1. Rezension; s. o. S. 9 f. Vgl. SCHENKE in ThLZ 84 (1959) 246 f. sowie in: LEIPOLDT/SCHENKE, Koptisch-gnostische Schriften 84; ferner JONAS, Gnosis und spätantiker Geist I 82
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Teil als eine gnostische Paraphrase der biblischen Urgeschichte zu beurteilen , deren Abhängigkeit von mancherlei alt jüdischen Traditionen vielfältig spürbar wird. Der TS 146,11—51 entsprechende Passus W A 142,4 ff. hat folgenden Wortlaut : 84
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Oben in den grenzenlosen Äonen existiert die Unvergänglichkeit. Die Sophia, die ,die Pistis* genannt wird, wollte ein Werk allein ohne ihren Paargenossen vollbringen. Und ihr Werk (έργον) wurde zu einem Himmelsbild, so daß ein Vorhang (καταπέτασμα) existiert zwischen den Oberen und den Äonen, die unten sind. Und ein Schatten entstand unterhalb des Vorhangs (καταπέτασμα). Und jener Schatten wurde zu Materie (ΰλη).
Das καταπέτασμα begegnet dann noch an einer zweiten Stelle, und zwar in einer Schilderung des Archonten Sabaoth . Die Pistis Sophia — so wird dort berichtet — setzt den Sabaoth zum Lohn für seine Buße „über den siebten Himmel ein, unterhalb des Vorhangs (καταπέτασμα) zwischen oben und unten. Und sie nannten ihn den ,Gott der Kräfte (δύναμις) Sabaoth', denn er ist oberhalb der Kräfte (δύναμις) des Chaos . . . " (WA 143,20—25). Sabaoth schafft sich nun „einen großen viergesichtigen (— πρόσωπον) Cherub in-Wagen (αρμα) und unzählbar viele Engel (άγγελος), damit sie (ihm) dienten (ύπηρετεΐν), dazu Harfen (ψαλτήριον) und Cithern (κιθάρα)" (145,26 bis 51). Daß hier eine jüdische Märkabhah-Schilderung aufgenommen ist, beweisen schlagend der Name „Sabaoth", die Erwähnung des viergesichtigen Cherubin-Wagens und der Ausdruck „Gott der Kräfte" (pnüte * n n d y n a m i s = θεός των δυνάμεων = ( א א ה י ם צבאות. Auch das καταπέτασμα wird der gnostische Verfasser in dieser Märkabhah-Schilderung vorgefunden haben. Daß der Vorhang in dem von ihm konzipierten Text „seinen Platz wechseln mußte, nimmt 86
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(Beiheft) 386. Die Parallelen sind jeweils im Kommentar zur Titellosen Schrift bei BÖHLIG/LABIB (S. O. S. 37 Anm. 59) angegeben. 8 4
WA 135,23 ff. = Gen 1,26 ff.; 2,7; WA 136,15 f. = Gen 2,7b; WA 136, 19 ff. = Gen 2,19; WA 136,24 ff. = Gen 2,15 ff.; WA 137,3 ff. = Gen 2,21 f.; 3,20; WA 137,31-139,11 = Gen 3; WA 139,11-30 = Gen 4,1-16; WA 139,30 ff. = Gen 4,25; WA 140,3 ff. = Gen 6,1.5 ff.; 7,1 ff.; WA 144,27 f. = Gen 3,15. Ich folge der Übersetzung von SCHENKE, in: LEIPOLDT/SCHENKE, a.a.O. 76. 86 ^ Α 143,13 ff. Eine bedeutend umfangreichere Parallele steht TS 151,32 ff., wo allerdings das καταπέτασμα keine Erwähnung findet, statt dessen jedoch die „Lichtwolke", die den Sabaoth umgibt (TS 154,3 ff.). Vgl. Ez 1,10; 10,14; ApokAbr 18,11; ApokMos 33; TestHiob 33,9; 4QS1 40, 24,6; hebrHen 46,7. Vgl. Ps 80 [79] ,5.8.20. Ebenso ist ptschojs n n k j o m in TS 152,10 Wiedergäbe von κύριος των δυνάμεων — י ח ז ה צ ב א ו ת. 8 5
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nicht wunder" , sondern liegt in der Konsequenz der gnostischen Degradierung des Gottes Israels zu einem Äon niedrigeren Ranges.
2. Vorhänge i n der Äonenwelt Die im ersten Paragraphen dieses Kapitels besprochenen Texte konnten bereits einen Eindruck davon vermitteln, welch komplizierter Gedankengänge gnostische Autoren fähig waren. Noch unvergleichlich bunter, verwirrender und undurchsichtiger ist das Bild, das die Spekulationen bieten, die in den Schriften der koptischgnostischen Codices Askewianus und Brucianus ihren Niederschlag gefunden haben . Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß gerade diese Schriften in einer sehr gefächerten Variabilität eine Vielfalt von „Vorhängen" kennen, die in der Äonenweit ihren Platz haben, und zwar sowohl i n den außerpleromatischen Regionen wie auch innerhalb des Pleroma selbst. Nach den „Büchern des Erlösers", die jetzt zusammen mit einem titellosen Werk das Buch P i s t i s S o p h i a bilden , liegt zwischen dem Pleroma und der diesseitigen Welt ein „ungeheurer Abgrund" , eine Fülle von Zwischen weiten. Diese Zwischenwelten, die selbst durch καταπετάσματα untergliedert werden , sind gegen den irdisehen Bereich durch „das Firmament (στερέωμα) mit all seinen Vorhängen (καταπετάσματα)" abgeschlossen . Das entspricht genau der bChagh 12b bezeugten Vorstellung von dem Wilon, der vor den =( רקיעστερέωμα) gezogen ist . Auch zwischen der obersten der Ζ wischenweiten und dem Pleroma befindet sich eine Scheidewand: das καταπέτασμα vor dem „Lichtschatz" , das selbst Licht ist und den 13. Äon, in dem die 90
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BÖHLIG, Mysterion und Wahrheit 89. A. VON HARNACK konnte seinerzeit im Blick auf die Pistis Sophia das Ur־ teil fällen: „In der Tat kann man kaum etwa Verwirrteres und Ermüdenderes lesen als diese mit den Ausgeburten der gnostischen Phantasie bedeckten Blätter, die bei flüchtigerem Studium zum Zwecke der Verbreitung des systematischen Blödsinns geschrieben zu sein scheinen"; zit. b. H . LEISEGANG, Die Gnosis 350. Die „Bücher des Erlösers" umfassen die Kapitel 1—135 (s. das Postscriptum S. 231), das titellose Werk liegt in den Kapiteln 136—148 vor. JONAS, Gnosis und spätantiker Geist I 124 Anm. 2. PS 14 (14,5.8 f.); 29 (25,30 f.); 84 (120,19); 93 (137,26). PS 93 (137,20 f.). Vgl. damit R G i n z a 1 0 3 , 2 3 ff.: „Ein Vorhang hob sich in die Höhe, stieg empor und stellte sich am Herzen des Himmels auf. Als das Firmament ausgespannt war, verneigte er sich und pries . . . seinen Schöpfer." S. o. S. 20 f. PS 29 (26,10); 30 (26,32.37); 31 (28,2); 86 (125,16.30); 130 (216,16); u. ö. 90
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Pistis Sophia ursprünglich ihren Sitz hatte, von dem Lichtreich trennt . Dieser Vorhang ist nichts anderes als der Pargod, der die Lichtfülle der Märkabhah verhüllt und der auch i n hebrHen 10,1 als aus Licht bestehend beschrieben wird. F ü r den jüdischen U r sprung der Vorstellung spricht auch wieder die Erwähnung eines „Wächters (φύλαξ) des Vorhanges (καταπέτασμα) des großen Lich tes" , der den Zutritt zum Lichtreich verwehrt . Was schließlich das Pleroma selbst anlangt, so erwähnen die „Bü cher des Erlösers" ein καταπέτασμα vor dem „ersten" aus dem Ur vater hervorgegangenen „Mysterium" . Die Erwägungen, die wir sogleich zu U A W 7 (343,6 ff.); 12 (353,17 f.) anstellen werden, legen nahe, auch hinter diesem Vorhang den Pargod zu vermuten. Wie i n den „Büchern des Erlösers", so spielen auch i m E r s t e n B u c h Jeu Vorhänge i n der Äonenwelt eine große Rolle . Das Buch beschreibt i n ermüdender Schilderung den Aufstieg durch die zahl reichen Äonensphären mit ihren καταπετάσματα. A n den Vorhän gen sind „Wächter" eingesetzt, die erst dann den Durchgang ge statten, wenn der Aufsteigende ein magisches „Siegel" vorzeigen und geheimnisvolle fremdsprachige Namen nennen kann . Die Parallelen zu jüdisch-esoterischen Berichten vom Aufstieg bzw. Ab stieg zur Märkabhah sind evident: A n den Pforten der himmlischen Hallen stehen „Torwächter", die nur denjenigen passieren lassen, der „Siegel" mit geheimen, aus fremdsprachigen Worten gebilde ten Namen vorweisen kann . Von Vorhängen, die sich innerhalb des Pleroma befinden, ist dann im Z w e i t e n B u c h Jeu die Rede, das καταπετάσματα vor dem „gro ßen König des Lichtschatzes" und vor dem „unsichtbaren Gott" des 12. Äons angebracht sein läßt. Was die erstgenannte Stelle betrifft, so läßt der Umstand, daß der König des Lichtschatzes den 98
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Ebd. 29 (26,9 ff.); 30 (26,31ff.);u. ö. Vgl. o. PhilEv 76.125 (S. 32 ff.). PS 86 (125,16.30). S. dazu o. S. 31 f. Auch sonst haben die „Bücher des Erlösers" mancherlei Elemente aus der altjüdischen Märkabhah-Mystik aufgenommen; s. G . QUISPEL, R G G V 388; auch ODEBERG, 3 Enoch I 189 und SCHOLEM, Jüdische Mystik 73 f. Für die Vorhang-Spekulationen der Pistis Sophia vermutet auch SCHOLEM, Ur sprung und Anfänge der Kabbala 282 Anm. 221 jüdischen Einfluß. PS 1 (1,6); 95 (142,37). 1BJ 33 (290,7; 291,3.18); 34 (291,34); 36 (292,9); 37 (292,30); 38 (293,3.27); 39 (295,3); 40 (295,31; 296,22.33). S. jeweils den Kontext der in Anm. 102 angegebenen Stellen. S. dazu SCHOLEM, Jüdische Mystik 54 ff. und vgl. besonders die Aufstiegsschilderung in Hekhaloth rabbathi 15 ff. (JELLINEK III 94 ff.). Nach SCHOLEM ebd. 55 gehören die voces mysticae zur ältesten Märkabhah-Tradition. 2BJ 50 (318,30 f.). Ebd. 52 (325,37 ff.). 9 8
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Namen Jeü trägt , im Hintergrund wieder die altjüdische PargodSpekulation sichtbar werden. Die Übernahme und Modifikation jüdischen Märkabhah־Mate־ rials wird schließlich auch im U n b e k a n n t e n a l t g n o s t i s c h e n W e r k greifbar. Für zwei Abschnitte aus dieser Schrift konnten wir bereits o. S. 30 ff. die Abhängigkeit von altjüdischen Anschauungen feststel len. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Betrachtung zweier Texte, in denen wir Vorhängen vor bestimmten Äonen innerhalb des Pleroma begegnen. Der erste Text handelt von der „Einheit" (μονάς) und lautet: 108
„Ihr Vorhang (καταπέτασμα), welcher sie wie ein Turm (πύργος) umgibt, hat zwölf Tore (πύλαι); bei jedem Tor (πύλη) befinden sich zwölf Myriaden Kräfte (δυνάμεις), und sie werden ,Erzengel* (αρχάγγελοι) und auch ,Engel* (άγγελοι) genannt."
Hier stammt alles verwendete Material aus dem antiken Juden t u m : die zwölf Himmelstore , der Ausdruck δύναμις für die Engelmächte , die Vorstellung von Myriaden Dienstengeln an den himmlischen Toren . Auch die zweite Stelle spricht von der von „unbeschreiblichem Licht" erfüllten Monas und von dem sie umgebenden Vorhang : 109
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„Sie (die Monas) sammelte ihre Kleider (ενδύματα) an sich und machte sie in der Gestalt eines Vorhanges (καταπέτασμα), der sie von allen Seiten umgibt."
Dieser Text verrät sich deutlich als eine Paraphrase von Ps 104,1 f.: „In Pracht und Hoheit hast du dich gekleidet, in Licht dich gehüllt wie in ein Kleid." 115
Daß dieser Psalmvers in den esoterischen Märkabhah-Spekulationen eine besondere Rolle gespielt hat, zeigt zur Genüge eine rabbinische Überlieferung, wonach die Auslegung der zitierten Worte nur „flüsternd" vorgetragen werden durfte . 116
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Ebd. 50 (318,35 f.). UAW 7 (343,6 ff.). Selbst in dem Namen „Monas" könnte das Bekenntnis Israels zur Einzig keit Jahwes nachklingen. äthHen 72,2 ff.; 75,4 fE. Dazu W. GRUNDMANN, ThW II 297 f. S. etwa Sedhär Gan *Edhän, 1. Version (JELLINEK II 52; WÜNSCHE III 21). Myriaden von Engeln werden bereits Dan 7,10 genannt. UAW 12 (353,15). Ebd. 12 (353,17 f.). Daß Ps 104 den Verfasser des Unbekannten altgnostischen Werkes be schäftigt hat, zeigt UAW 11 (350,1 ff.), wo der 5. Vers des Psalms zitiert und gnostisch interpretiert wird. GenR 3,4 zu 1,3; LevR 31,6 zu 24,2; MidrPs 104 § 4 zu V. 1 f.; Pesiq 21 (145b) 1 0 9
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Es kann m. E . kein Zweifel daran bestehen, daß den beiden Stel len U A W 7 (343,6 ff.) und 12 (353,17 f.) das jüdische Theologumenon vom Pargod vor dem Thron Gottes zugrunde liegt. Der gnostische Autor hat Aussagen, die ursprünglich dem Gott Israels galten, auf Äonen übertragen, die zwar innerhalb des Pleroma eine besonders ausgezeichnete Stellung einnehmen, aber dem höchsten Gott der Gnosis untergeben sind. Der gleiche Vorgang ist auch an zunehmen, wenn das Unbekannte altgnostische Werk in anderem Zusammenhang von „Vorhängen (xaTajteTaa^ctTa) der (sc. innerpleromatischen) Äonen" und von Vorhängen (xatajreT&apiaTa) vor dem „Unteilbaren" spricht . Nichts hindert daran zu folgern, daß in gleicher Weise die xaTajteTaajxa-Spekulationen in den oben an geführten Texten PS 1 (1,6); 95 (142,37) und 2BJ 50 (318,30 f.); 52 (325,37 ff.) der altjüdischen Pargod-Idee verpflichtet sind. 117
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3. E r g e b n i s Unsere Betrachtung der Quellen hat gezeigt, daß im Hintergrund der mannigfaltigen gnostischen Vorhang-Spekulationen alt jüdische Anschauungen sichtbar werden . Allerdings erlaubt das uns bis lang vorliegende gnostische Material es nicht, die genetischen Sach verhalte im einzelnen exakt zu bestimmen. Das sei an der uns vor allem interessierenden Vorstellung von einem Vorhang zwischen dem Pleroma und der gefallenen Welt verdeutlicht. Die einschlägigen gnostischen Texte weisen, wie wir gesehen ha ben, vielfach Spuren der jüdischen Pargod-Lehre auf. Wenn ein Teil der Quellen in dem Vorhang zwischen Pleroma und Kosmos ein Werk des Urvaters erblickt, andere Schriften ihn hingegen als ein Gebilde der Finsternis beschreiben, so läßt sich auch dies von der Pargod-Idee her erklären. Im ersten Fall ist die Ansicht aufge nommen, daß die Gott umgebende Hülle sich in ihrem Innern als Licht darstellt; im zweiten Fall wird daran angeknüpft, daß das Äußere dieser Hülle aus Finsternis besteht. Trotz dieser Feststel lungen muß offenbleiben, ob das gnostische Theologumenon vom 119
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UAW 11 (349,39). Ebd. 9 (345,9). Damit hat sich uns eine schon verschiedentlich geäußerte Vermutung be stätigt; s. etwa ADAM, Die Psalmen des Thomas 35 Anm. 15; MENARD, L'ßvangile selon Philippe 29 Anm. 117 und ebd. 196; WILSON, Gnosis and the New Testament 37 (= deutsche Übersetzung 39). — Einzig in PhilEv 76 und 125 knüpfen die Aussagen über das xatajtexaafxa an Hebr 6,19 f.; 10,19 f. an; doch auch für diese Stellen darf außerdem ein Einfluß jüdisch-hellenistischer Stiftszelt- und Tempel-Symbolik angenommen werden. 1 1 9
Ergebnis
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%axantxao\ia zwischen Pleroma und Kosmos unmittelbar und einlinig auf die Pargod-Vorstellung zurückgeführt, d. h. ausschließlich als eine Weiterbildung und Umgestaltung dieser Vorstellung be urteilt werden darf. Die behandelten gnostischen Texte werfen ja das Problem auf, wie sich die Pargod-Anschauung bei ihrer Rezep tion durch die Gnosis so grundlegend verschieben konnte, daß aus dem durch den Vorhang vom Allerheiligsten getrennten himm lischen Heiligen etwas Widergöttliches wurde. Nun ist ein nicht unbedeutender Ansatzpunkt für einen solchen Entwicklungsprozeß zweifellos in der Pargod-Spekulation selbst gegeben, insofern diese nämlich das Äußere des Pargod als „Finsternis" charakterisiert. Hier konnte gnostisches Denken ansetzen und im Unterschied zu den jüdischen Quellen, die eine geringere Dignität der Himmelswelt nur in strenger Relation zu der unermeßlichen Lichtfülle der Wohnung Gottes behaupten, den außerhalb des Pargod gelegenen Bereich als eine Stätte der Finsternis schlechthin verstehen. Es erhebt sich je doch die Frage, ob der erwähnte Aspekt des Pargod genügte, um den auffallenden Anschauungswandel zu initiieren, oder ob der An stoß dazu nicht doch an einer anderen Stelle gesucht werden muß. Eine Vermutung sei gewagt. Die o. S. 32 ff. besprochenen Texte aus dem koptischen Philippusevangelium legen die Annahme nahe, daß dem gnostischen Denken die jüdisch-hellenistische Vorstellung von einem Vorhang zwischen Himmel und Erde nicht unbekannt ge blieben ist. In der Gnosis mußte dieses Theologumenon insofern eine schwerwiegende Modifikation erfahren, als jetzt der Kosmos nicht mehr, wie i m hellenistischen Judentum, als ein Ort relativer Gottesferne, sondern als ein Raum absoluter Widergöttlichkeit auf gefaßt wurde. Es wäre nun durchaus denkbar, daß die Gnosis zu nächst die jüdisch-hellenistische Idee eines xatajtetaafxa zwischen Himmel und Erde übernommen und erst in einem zweiten Schritt diese Idee mit der Pargod-Vorstellung kombiniert hat. Stand gnostischem Denken einmal die Existenz eines Vorhangs als einer unüberwindlichen Trennwand zwischen Finsterniswelt und Licht welt fest, so konnte dieses xaTajtetaajia um so leichter mit dem Pargod in eins gesetzt werden, wobei sich dann die Pargod-Vorstellung selbst in der beschriebenen Weise verschob. Während wir uns im Blick auf die genetischen Fragen mit Ver mutungen begnügen müssen, lassen sich Sinn und Bedeutung des Vorhangs zwischen Pleroma und Kosmos mit Sicherheit definieren. Das KaxanExao[ia bringt jenen radikalen antikosmisch-metaphysi schen Dualismus von göttlicher Welt und gefallener Welt zum Aus druck, der für das gnostische Denken charakteristisch ist. Wie die kosmische Mauer, so zeigt auch das xaTajteTaajicc an, daß diese Welt
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der Finsternis völlig von der jenseitigen Welt des Lichtes abgeschlos sen ist und somit ein Gefängnis bildet, i n dem das lichte Selbst des Menschen so lange unentrinnbar festgehalten wird, bis es durch die rettende yvcaaig den Aufstieg zum Licht findet. In jenen Texten, die den Vorhang als ein Werk der Finsternis kennzeichnen, erscheint das xatajr8taa(xa geradezu als Exponent der von ihrem göttlichen Ursprung gänzlich entfremdeten materiellen Welt.
C. D I E V O R S T E L L U N G V O M H I M M L I S C H E N V O R H A N G I M HEBRÄERBRIEF Unsere bisherigen Untersuchungen haben zu dem Ergebnis ge führt, daß es in der Umwelt des Neuen Testaments — und zwar so wohl im antiken Judentum wie auch in der Gnosis — recht unter schiedliche und i m einzelnen genau gegeneinander abgrenzbare xaTa3Tstaa|ia-Spekulationen gegeben hat. Diese Erkenntnis bewahrt vor dem Kurzschluß, bereits die bloße Erwähnung des himmlischen „Vorhangs" in Hebr 6,19 f. und 10,19 f. als ein Indiz für Gnosis zu werten. Sie zeigt zugleich den Weg an, auf dem ein religions geschichtliches Urteil über diese Stellen erst gewonnen werden kann. Zwei Schritte sind hier erforderlich: 1. E . Käsemann sagt mit Recht, daß die xatajcetaa^a-Vorstellung im Hebräerbrief „viel zu blaß und selbstverständlich eingeführt" wird, als daß man in ihr ein von dem Verfasser selbst geprägtes Theologumenon erblicken könnte . Hat man somit im Hintergrund der beiden genannten Texte eine dem auctor ad Hebraeos schon überkommene Spekulation anzunehmen, so ist i n einem ersten Schritt die Gestalt dieser Spekulation zu ermitteln und zu entschei den, ob wir es mit einer spezifisch jüdischen oder mit einer typisch gnostischen Tradition zu tun haben. 2. Der Verfasser des Hebräerbriefs hat die ihm überkommene HaTajtetaa^a-Spekulation in 6,19 f. und 10,19 f. dazu benutzt, be stimmte Inhalte seiner Christologie zu verdeutlichen. W i r werden deshalb in einem zweiten Schritt fragen müssen, ob die christologische Verwendung der ihm vorgegebenen Tradition einen Einfluß gnostischer Gedanken erkennen läßt. 1
1 . D i e überkommene a ) D e r O r t des himmlischen
xaxan£xaG\ia-Spekulation
xaTOJtetaajia
Wollen wir feststellen, welche Gestalt der xatajtetaafxa-Spekulation im Hebräerbrief vorausgesetzt wird, so ist von der Überlegung 1
KÄSEMANN 135.
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auszugehen, wo der Verfasser des Briefes den himmlischen Vorhang lokalisiert. Nun ist sowohl in 6,19 f. wie auch in 10,19 f. die Idee des καταπέτασμα fest in der Vorstellung vom wahren, urbildlichen Heiligtum (8,2.5) verankert. Es muß daher geklärt werden, was unser Brief unter diesem Heiligtum versteht. α) Das urbildliche Heiligtum im Hebräerbrief Mit der Frage nach dem urbildlichen Heiligtum ist ein beson ders schwieriges und immer noch umstrittenes Problem der Hebräerbrief-Forschung angesprochen . Die mit dem Thema befaßte Lite ratur bietet uns das verwirrende Bild zahlreicher untereinander stark divergierender und in sich selbst oft recht komplizierter Lö sungsversuche, unter denen es auch an ganz phantastischen Kon struktionen nicht fehlt . Zwei Vorschläge, die m. E . ernsthafte Be achtung verdienen, seien zunächst skizziert und kritisch geprüft. Der erste hier zu beschreibende Deutungsversuch faßt das urbild liche Heiligtum als h i m m l i s c h e s Heiligtum auf und versteht darun ter nicht eine einzelne Lokalität im Himmel, sondern den Himmel selbst . Diese Interpretation muß allerdings dem Verfasser des Hebräerbriefs eine nicht einheitliche Verwendung der Begriffe ή σκηνή, τα άγια und οί ουρανοί unterstellen und zwischen dem in 8,2 einerseits und in 9,11 f. andererseits Dargelegten eine Diskre panz konstatieren. Dies sei an den Ausführungen bei E . Riggen bach und O. Michel expliziert. Nach Riggenbach liegen im Hebräerbrief „zwei verschiedene Be trachtungsweisen" vor, „die im Grunde auf dasselbe hinauskom men" . In 8,2 sieht Riggenbach die σκηνή und die τα αγια genannte Stätte in eins gesetzt. Beide Ausdrücke bezeichnen hier das mit dem Himmel identische „wahre Heiligtum" , das in dem Allerheiligsten der Stiftshütte sein unvollkommenes Abbild hat . In dieses wahre 2
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Vgl. Kuss 131. Das Buch von A. CODY, Heavenly Sanctuary and Liturgy in the Epistle to the Hebrews, St. Meinrad, Indiana, war mir nicht zugänglich. Hierher gehören etwa die Darlegungen von J . UNGEHEUER, Der Große Priester 113 ff., aber auch manche Partien bei SCHIERSE, Verheißung und Heils vollendung 26—59. 3
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S. besonders RIGGENBACH 118. 221. 258. 284 f.; MICHEL 205 mit Anm. 2. 311 f. 323 f.; ebenso ζ. B. BLEEK, DE WETTE, LÜNEMANN, A. SEEBERG, JAVET, GROSHEIDE, STRATHMANN, MONTEFIORE, Kuss; auch H . TRAUB, ThW V 527 f.
Noch weiter geht C. SPICQ II 235: ,,On peut . . . identifier la vraie tente au ciel . . . , mais en réalité, ce sanctuaire est Dieu lui-même . . . , où réside, vit et agit le Souverain Prêtre." 6
RIGGENBACH 118.
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Ebd. 220 f.; vgl. 118 f. 258.
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Ebd. 176. 249.
D i e überkommene
καταπίτασμα-Spekulation
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Heiligtum als den „Ort der unmittelbarsten Gegenwart Gottes" ist der Hohepriester Jesus eingegangen (6,19 f.; 9,24). Nach dieser er sten Betrachtungsweise wird also „der Himmel schlechthin als die Stätte der absoluten Gottesnähe der Erde als der Stätte der relativen Gottesferne gegenübergestellt" . Eine andere Betrachtungsweise fin det Riggenbach dagegen in 9,11 f. A n dieser Stelle — so meint er — werden σκηνή und τά αγια voneinander unterschieden . Jetzt ist die σκηνή eine überirdische Durchgangssphäre , „eine dem vorderen Raum der Stiftshütte . . . analoge Stätte der bloßen Annäherung an Gott" ; und der Ausdruck τά αγια meint nicht — wie i n 8,2; 9,8; (9,24) ; 10,19 — den Himmel schlechthin, sondern den von der überirdischen Durchgangssphäre unterschiedenen eigentlichen Wohn sitz Gottes. M i t der σκηνή von 9,11 sind nach Riggenbach die i n 4,14 und 7,26 erwähnten „Himmel" identisch, bei denen es sich um die „unteren Regionen der Himmelswelt" handelt, durch die hin durch und über die hinaus Christus i n das wahre bzw. überwelt liche Heiligtum, d. h. i n „die Stätte der unmittelbarsten und voll kommensten Gegenwart Gottes" gelangt ist . Demnach liegt eine doppelte Verwendung des Ausdrucks οί ουρανοί vor: i n 4,14; 7,26 bezeichnet er die niederen Sphären der Himmelswelt, i n 8,1; 9,23; 12,23.25 hingegen die gesamte Himmelswelt, die in 9,24 mit dem Singular ό ουρανός benannt wird. Was schließlich das καταπέτασμα von 6,19 f.; 10,19 f. anlangt, so ist Riggenbach der Ansicht, daß sich der Verfasser des Hebräerbriefs dieses Begriffs nur i n bildlicher Weise bedient, ohne an eine reale Existenz des himmlischen Vor hangs zu denken . Damit erübrigt sich für Riggenbach die Frage nach dem Ort des καταπέτασμα. Wie Riggenbach, so findet auch Michel in den Aussagen des He bräerbriefs über das himmlische Heiligtum zwei verschiedene Be trachtungsweisen. In 8,2 entsprechen σκηνή und τά αγια einander, und beide Begriffe stehen hier für den Himmel als das wahre Hei ligtum . Anders liegen die Dinge dagegen in 9,11 f. Michel erach tet es für „auffallend", daß nach dieser Stelle Jesus „nicht i n das größere und vollkommenere Zelt eingeht, sondern es durchschreitet, um i n das Allerheiligste zu gelangen" . E r folgert daraus: „Zelt 10
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Ebd. 176. 220. Ebd. 119.
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Ebd. 220 f. 258 f.
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So ζ. B. auch DE WETTE 206. 212; LÜNEMANN 288; HERING 84; Kuss 117 f. vgl. 107. 131; KÄSEMANN 148 Anm. 3; TRAUB, ThW V 527 f.; F. SCHRÖGER,
Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger 237. 1 3
RIGGENBACH 220; vgl. 118 f. 257 f.
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In Hebr 9,24 ist αγίων zu των αληθινών zu ergänzen.
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RIGGENBACH 211; vgl. 118 f. 258. MICHEL 288; vgl. 310.
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Vgl. ebd. 176 f. 259. 315 f. Ebd. 310.
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im Hebräerbrief
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und Heiligtum (sie! ) müssen . . . voneinander verschieden sein, während sie nach 8,2 gleichgesetzt werden" . Im Unterschied zu Riggenbach will Michel jedoch in 9,11 f. nicht das himmlische Hei ligtum als Wohnsitz Gottes von den unteren Regionen der H i m melswelt unterschieden wissen, sondern den Text so verstehen, daß der Verfasser sich das himmlische Heiligtum entsprechend dem irdi schen (9,2 f.) als in „zwei Zelte" unterteilt vorstellt : in das „Zelt" (σκηνή) V. 11, das Christus bei seinem Aufstieg durchschreitet, und in das „Heiligtum" (τά αγια) V. 12, i n dem er sein Opferblut dar bringt . ,,Κτίσις, σκηνή, αγια sind also Sphären, die einander ab lösen." Das „Zelt" ist dabei identisch mit den „Himmeln" von 4,14 und 7,26, die als eine „Zwischensphäre zwischen Heiligtum und Erde" aufzufassen sind; das „Heiligtum" ist identisch mit dem „Himmel" von 9,24 bzw. den „Himmeln" von 8,1; 9,23; 12,23. 25 als dem „eigentlichen Wohnort der Gottheit" . Die Frage nach dem Ort des himmlischen καταπέτασμα wird von Michel nicht erör tert, doch wäre nach seiner Konzeption der „Vorhang" als Scheide wand zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten des H i m mels zu begreifen. Während Riggenbach und Michel das urbildliche Heiligtum als Ganzes zu der himmlischen Welt in Beziehung setzen, wollen an dere Ausleger lediglich das Allerheiligste des wahren Heiligtums auf den Himmel deuten. Sie fassen also das urbildliche Heiligtum nicht als eine himmlische, sondern als eine H i m m e l u n d E r d e umgreifen de Größe auf. Auch diese Interpretation, die wir an R. Gyllenberg und E . Käsemann demonstrieren wollen, muß einräumen, daß sich die Stelle Hebr 9,11 f. gegen eine solche Deutung sträubt. Gyllenberg findet dafür die Erklärung, daß die Vorstellung vom wahren Heiligtum im Hebräerbrief „nicht einheitlich" sei, daß vielmehr zwei miteinander konkurrierende Anschauungen unter20
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Unglücklicherweise gebraucht MICHEL hier und auch sonst den Ausdruck „das Heiligtum", wo er das Allerheiligste des himmlischen Heiligtums meint. 2 0
MICHEL 310; vgl. 288. So ζ. B. auch BLEEK II 2, 6. 533; DE WETTE 164. 206. 212; LÜNEMANN 165. 250. 258. 283. 288. 304; Kuss 70. 103 f. 106 f. 117 f. 125 f. 130 f.; TRAUB, a.a.O.; SCHRÖGER, a.a.O. Wie RIGGENBACH urteilen dagegen auch GROSHEIDE 159. 185. 206; MONTEFIORE 152. 2 1
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Gemeint ist — s. o. Anm. 19 — das Allerheiligste.
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MICHEL 311.
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Ebd.
= Anm. 22. = Anm. 22. Ebd. 205 Anm. 2 und 311 f. Von den beiden Sphären der himmlischen Welt unterscheidet MICHEL ebd. noch die zur vergänglichen Schöpfung gehö renden „Himmel" in 1,10 ff.; 11,12; 12,26. Auch nach TRAUB, a.a.O. liegen im Hebräerbrief „verschiedene Begriffe von Himmel" vor. GYLLENBERG, ZSTh 11 (1934) 674 f. 2 7
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7iaxajiixaa\ia-Spekulation
schieden werden müßten: „Nach der einen ist die himmlische Welt das Urbild, alles Irdische nur Abbild. Der irdische Tempel ist nur ein Abbild und Schatten des himmlischen wahren Zeltes . . . Dem gemäß herrscht ein vollkommener Parallelismus zwischen dem himmlischen und dem irdischen Tempel." Gyllenberg verweist für diese erste Anschauung auf 9,1 ff. 11 f. und fährt dann fort: „Es sind aber schon i m gleichen Zusammenhang Züge bemerkbar, die mit diesem Bilde nicht vereinigt werden können"; denn nach 9,8 f. und 9,24 sind „der Himmel und das Allerheiligste gleichgesetzt, und folglich ist das Irdische eben das vordere Zelt. Der Vorhang, xatajtEtaafxa, ist demnach nicht ein himmlisches Urbild für den Vor hang i n der irdischen Stiftshütte, sondern die Grenze und Scheide wand zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen" . Die Überlegungen Gyllenbergs hat sich Käsemann uneinge schränkt zu eigen gemacht . Auch er sieht den Gedanken des urbild lichen Heiligtums im Hebräerbrief „nicht einheitlich durchge führt" . Während nach 9,11 f. die „unteren Regionen des H i m mels" vom Allerheiligsten unterschieden werden , wird in 9,8 f. und 9,24 „das Allerheiligste mit dem Himmel identifiziert", woraus folgt, das jetzt das Irdische als „vorderes Zelt" erscheint . Der „Vorhang" von 6,19 f.; 10,19 f. gehört in den Zusammenhang der zweiten Vorstellung und ist demnach „Grenze und Scheidewand zwischen Erde und Himmel" . A n dieser Stelle wird, wie wir be reits (o. S. 1 f.) sahen, für Käsemann der Einfluß gnostischer A n schauungen greifbar . 29
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Neben Gyllenberg und Käsemann soll auch noch F. J. Schierse zu Wort kom men. Schierse vertritt zwar in seinen Ausführungen über „Das ,wahre Zelt heiligtum' des Hb" eine recht eigenwillige, hier nicht weiter zu erörternde Auf fassung ; er berührt sich aber insofern mit den beiden genannten Autoren, als 37
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Ebd. 674. Ebd. 675. KÄSEMANN 144 f. 148 Anm. 3.
Ebd. 148 Anm. 3. Ebd. Ebd. 145 (KÄSEMANN schreibt statt 9,8 f. versehentlich 9,12). Ebd. Selbst wenn der Hebräerbrief den „Vorhang" zwischen Himmel und Erde lokalisieren würde (so z. B. noch A. OEPKE, Das neue Gottesvolk 66; GRÄSSER, Der Glaube im Hebräerbrief 111), so wäre damit das religionsgeschichtliche Pro blem noch keineswegs im Sinne KÄSEMANNS entschieden. Wie wir o. S. 19 ff. feststellen konnten, kennt nicht allein die Gnosis, sondern bereits das antike Judentum die Idee eines Vorhangs, der Himmel und Erde voneinander trennt. Es müßte demnach erst geprüft werden, in welche Tradition, die jüdische oder die gnostische, wir die Anschauung des Hebräerbriefs einzuordnen hätten. SCHIERSE, Verheißung und Heilsvollendung 26—59; durchweg zustim3 3
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auch er für den Hebräerbrief die Vorstellung von einem Vorhang zwischen Himmel und Erde voraussetzt . Schierse geht aus von 9,2 ff., wo das Heilige der Stiftshütte als πρώτη σκηνή und das Allerheiligste als δευτέρα σκηνή be zeichnet wird. Durch diese Formulierung sieht er die Trennung der beiden Räume so stark betont, „daß fast der Eindruck entstehen könnte, es handle sich um zwei Zelte" . Zur Erklärung der als seltsam empfundenen Ausdrucksweise er innert Schierse daran, daß Josephus (Ant. III 123. 180 f.) in der Zweiteiligkeit des Stiftszeltes „das Abbild des ganzen Weltalls, die Scheidung von Himmel und Erde im empirischen Sinne" erblickt und daß Philo (Vit. Mos. II 81 f.) „das äußere, erste Zelt auf die Sinnenwelt und das Innere, das Allerheiligste, auf den Bereich der geistigen, ewigen Ideen" deutet . Eine ähnliche allegorische Ausdeutung des Stiftszeltes liegt nun nach Schierse auch im Hebräerbrief vor: Das „erste Zelt" symbolisiert, wie durch 9,8 bestätigt wird, die irdische Schöp fung bzw. die Erde, das „zweite Zelt" ist ein Abbild des Himmels . Dement sprechend ist das καταπέτασμα „einfach die Grenze, die den Bereich der sicht baren, zugänglichen Welt von der himmlisch-verborgenen trennt" . Eine Dis krepanz zwischen der aus 9,2 ff. 8 herausgearbeiteten Vorstellung und dem in 9,11 f. Gesagten stellt Schierse im Unterschied zu Gyllenberg und Käsemann nicht fest. Er deutet die μείζων και τελειότερα σκηνή von 9,11 nicht auf die unteren Regionen der Himmels weit, sondern findet durch diese Wendung „die ganze historische Erscheinung Christi" theologisch qualifiziert: „Wozu das irdi sche Vorzelt des Alten Bundes nicht dienen konnte, nämlich die Basis für den Eintritt in das wahre Allerheiligste des Himmels zu sein, das ist jetzt durch das 38
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mend W. KOESTER, Scholastik 31 (1956) 545 ff. — Die von SCHIERSE, a.a.O. ent wickelte These einer „doppelten ,Zwei-Zelte-Theorie' " im Denken des Hebräer briefs ist m. E. aus philologischen Gründen unhaltbar. Auch „eine Auslegung, die nicht von außen begreifen, sondern von innen her verstehen will" (so ebd. 36), kann der exakten philologischen Textanalyse nicht entraten. Verheißung und Heilsvollendung 30 ff.; vgl. SCHIERSE, Der Brief an die Hebräer 74 ff., bes. 77. Verheißung 29; Hebräerbrief 75. SCHIERSE geht dann über diese noch vorsichtige Formulierung hinaus, wenn er ständig von dem „ersten Zelt" und dem „zweiten Zelt" spricht. Ebd. Verheißung 32. 35. 37; Hebräerbrief 75 f. Verheißung 36 f. (das Zitat findet sich dort 37); vgl. auch 59. SCHIERSE bezeichnet dieses xarajceTaa^ia als den „dunklen Vorhang, . . . die unübersteigbare Mauer unseres Gefängnisses, das von dämonischen Mächten bewacht wird" (Hebräerbrief 94 f.; vgl. Verheißung 37) und spricht KÄSEMANN das Verdienst zu, „die xaxajT8Taa|xa-Vorstellung in ihren religionsgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet zu haben" (Verheißung 36). Von dem zur irdischen, schattenhaften und vorläufigen Wirklichkeit gehörenden Vorhang, der — wenn ich Verheißung 32 richtig verstehe — auch Hebr 6,19 f. gemeint ist, unterscheidet SCHIERSE (Verheißung 51 ff. 57 ff. 168 f.; Hebräerbrief 95) das x a x a K E T a a \ i a von Hebr 10,19 f. Hier handele es sich um den „wahren Vorhang" am himmlischen Hei ligtum (Verheißung 168), der mit dem „himmlischen Vorzelt" 9,11 identisch (ebd. 58) und auf das „Fleisch Christi" zu deuten sei, „das in Ewigkeit bleibt* (ebd. 168). 3 8
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,größere und vollendetere Zelt* des Lebens Jesu gegeben." Diese schon von den Kirchenvätern , aber auch von J. Calvin und J. A. Bengel vorgetragene Aus legung hat in der neueren Exegese mit Recht kaum Zustimmung erfahren . Man müßte somit, wenn man Schierse in seiner Deutung der Verse 9,2 ff. und 9,8 folgen wollte, doch zugeben, daß diese Aussagen mit den in 9,11 f. ge äußerten Gedanken nicht zu vereinbaren sind. 44
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Wir brechen hier das Referat ab und fragen, wie die im vorigen geschilderten Deutungsvorschlage zu beurteilen sind. Μ. E. erheben sich sowohl gegen die Identifizierung des wahren Heiligtums mit dem Himmel wie auch gegen die Gleichsetzung von urbildlichem Allerheiligstem und himmlischer Welt schwerwiegende Bedenken. Ist dem Verfasser des Hebräerbriefs wirklich eine solch unausge glichene und i n sich widersprüchliche Verwendung der Termini ή σκηνή, τά άγια und οι ουρανοί zuzutrauen, wie sie die skizzierten Interpretationen vorauszusetzen gezwungen sind? Und weiter: Kann es eine befriedigende Lösung sein, wenn man zur Erklärung dieses terminologischen Sachverhalts mit der doch wohl problematischen Hypothese operieren muß, daß eben im Hebräerbrief zwei verschie dene Betrachtungsweisen vorliegen bzw. zwei unterschiedliche Vor stellungen vom wahren Heiligtum miteinander konkurrieren? Diese kritischen Einwände geben Anlaß zu erwägen, ob sich aus den ein schlägigen Texten des Hebräerbriefs nicht ein Bild vom wahren Hei ligtum gewinnen läßt, das uns erlaubt, eine Einheitlichkeit sowohl in der Terminologie wie auch in der Vorstellung selbst anzunehmen. Dem soll nunmehr nachgegangen werden. Der Verfasser unseres Briefes bemerkt i n 8,5, daß die von Mose errichtete irdische σκηνή ein „Abbild und Schatten" (υπόδειγμα και σκιά) des himmlischen „Urbildes" (τύπος) war. Ähnlich werden in 9,23 das irdische Zelt und seine Einrichtungen (V. 21 f.) als υποδείγ ματα των εν τοις ούρανοΐς charakterisiert . In 8,5 zitiert der Verfasser Ex 25,40 — jene Stelle, die auch in der altjüdischen Apokalyptik und 48
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Hebräerbrief 81; vgl. Verheißung 55 ff.
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S. dazu RIGGENBACH 259 Anm. 16.
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J. CALVIN, Commentarius in Hebr 9,11. J. A. BENGEL, Gnomon zu Hebr 9,11.
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Vgl. ζ. B . RIGGENBACH, a.a.O.; KÄSEMANN 148 Anm. 3; MICHEL 310
f.;
Kuss 118; W. MICHAELIS, ThW VII 377 f. Auch die Deutung des „größeren und vollkommeneren Zeltes" Hebr 9,11 auf den verherrlichten Leib Christi (A. VANHOYE, La structure litteraire 157 Anm. 1; DERS., Bibl. 46 [1965] 1 ff.) oder auf den eucharistischen Leib Christi (J. SWETNAM, Bibl 47 [1966] 91 ff.) überzeugt nicht. Der Verfasser bedient sich hellenistischer Terminologie. Bereits daraus zu folgern, daß er dem philonischen Urbild/Abbild-Denken verpflichtet sei, ist m. E . ein kurzschlüssiges Verfahren; vgl. MICHEL 290 ff., der hier sorgfältige Abgren zungen vornimmt. Auch rabbinische Autoren, die unzweifelhaft an einem rea48
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bei den Rabbinen eine entscheidende Rolle spielt. Wie bereits erwähnt, wurde aus dieser und anderen alttestamentlichen Stellen gefolgert, daß in dem räumlich gedachten Himmel realiter ein Heiligtum existiert, das wie das irdische Abbild aus dem Heiligen und dem Allerheiligsten besteht, wobei ein Vorhang vor dem Sanctissimum die Wohnung Gottes mit dem Thron der Herrlichkeit verhüllt . Manche Ausleger haben auch für den Hebräerbrief ein realistisches Verständnis des himmlischen Heiligtums vermutet , — wie mir scheint, mit gutem Grund. Ich möchte sogar annehmen, daß der auctor ad Hebraeos so genau die soeben beschriebene altjüdisehe Auffassung teilt, daß auch er sich das himmlische Heiligtum als in zwei Räume aufgeteilt vorstellt. Der Nachweis dafür darf m. E . als erbracht gelten, wenn ein Zweifaches gezeigt werden kann: 1. Der Terminologie, die der Verfasser für das irdische Heiligtum verwendet, muß eine analoge Terminologie für das himmlische Heiligtum entsprechen. 2. Alle Stellen, die von dem wahren Heiligtum handeln, müssen unter der Voraussetzung der realistischen Auffassung eine sprachlich einwandfreie und sachlich sinnvolle Interpretation erlauben. Sie dürfen — umgekehrt — weder sprachlich noch sachlich zu einer anderen, diese Voraussetzung als unhaltbar erweisenden Auslegung nötigen. Fragen wir nun nach der Terminologie, die der auctor ad Hebraeos zur Beschreibung des irdischen Heiligtums verwendet, so ist um der begrifflichen Klarheit willen die Stelle 9,2 f. auszuklammern. Denn dort liegt nicht ein dem Verfasser eigentümlicher Sprachgebrauch vor, sondern es wird, wie die Worte ήτις λέγεται V. 2 und ή λεγομένη V . 3 erkennen lassen, die traditionelle Benennung der beiden Räume des Stiftszeltes angeführt: der erste Raum heißt "Αγια, der zweite, hinter dem δεύτερον καταπέτασμα gelegene Raum "Αγια Αγίων. Hier entspricht "Αγια dem hebräischen הקודשbzw. aramäischen , קודשאΑγιαΆ γ ι ω ν dem Ausdruck קודש הקדשיםbzw. ק ו ד ש קודשין. Wenn der Hebräerbrief dabei das singularische הקודש bzw. קודשאpluralisch wiedergibt, so ist das keineswegs ungewöhnlieh, da im judengriechischen Sprachgebrauch für das Heilige τό 49
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listischen Verständnis des himmlischen Heiligtums festhalten, können die Stiftshütte als „Schatten, den Bezalel gemacht hat" bezeichnen; s. ExR 34,1 zu 25,10; MidrPs 91 § 1 zu V. 1. S. o. S. 18 f. S. z. B. R. ASTING, Die Heiligkeit im Urchristentum 248; WINDISCH 69. 113; K. BORNHÄUSER, Empfänger und Verfasser 69; H . WENSCHKEWITZ, Spiritualisierung 195 ff., bes. 201. 209 f. 213: BIETENHARD, Die himmlische Welt 125 ff.; MICHAELIS, ThW VII 376 ff.; wohl auch L . GOPPELT, Typos 200. 4 9
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Vgl. BILLERBECK III 704
f.
D i e überkommene
καταπέτασμα־5ρβ&ιιΖα£ίοτζ
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αγιον und τά αγια, für das Allerheiligste τό αγιον των άγιων und τά αγια των αγίων nebeneinander gebräuchlich sind . Was nun die für den Hebräerbrief selbst charakteristische Terminologie anlangt, so ergibt sich folgendes Bild: a) Das irdische Heiligtum in seiner Gesamtheit heißt ή σκηνή (8,5; 9,21; 13,10), die beiden Teile werden ή πρώτη σκηνή = „der erste Teil (Raum) des Zeltes" und ή δευτέρα σκηνή = „der zweite Teil (Raum) des Zeltes" genannt (9,2 ff.) . Unser Brief folgt dem Sprachgebrauch des griechischen Alten Testaments, in dem das Wort σκηνή die Stiftshütte als Ganze bezeichnet . Neben σκηνή verwendet der Hebräerbrief in 9,1 für das irdische Heiligtum den Ausdruck τό αγιον, —· eine Bezeichnung, die sich bereits in der Septuaginta , aber auch bei Philo und Josephus findet . b) A n drei Stellen, die vom irdischen Heiligtum handeln, begegnet der Terminus (τά) αγια (9,24.25; 13,11). Da der Verfasser an allen drei Stellen auf den großen Versöhnungstag, genauer gesagt: auf den Gang des Hohenpriesters in das Sanctissimum der Stiftshütte anspielt, ist es zwingend, daß unter der τά αγια genannten Stätte das Allerheiligste — und nicht etwa das Heilige oder das Heiligtum allgemein — verstanden werden m u ß . Dieser merkwürdige Sprachgebrauch ist als ein Biblizismus zu beurteilen. E r entstammt der Schilderung des großen Versöhnungstages in Lev 16; dehn in diesem Kapitel wird das hinter dem zweiten Vorhang gelegene Allerheiligste seltsamerweise nicht קודש הקדשיםgenannt, sondern schlicht הקודש, was die Septuaginta mit τό αγιον wiedergibt . Dieser Ausdrucksweise folgt der Hebräerbrief, nur daß er den Singular durch den Plural τά αγια ersetzt . c) Den Vorhang, der im irdischen Heiligtum den Debhir vom Hekhal trennt (Ex 26,33), erwähnt der Hebräerbrief an einer Stelle: in 9,3; er bezeichnet ihn dort als das δεύτερον καταπέτασμα . 52
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S. ebd. Die pluralischen Formen hat ζ. B. auch Philo; s. die Belege bei
G. SCHRENK, ThW
III
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Unsere Übersetzung von ή πρώτη σκηνή und ή δευτέρα σκηνή wird u. S. 61 begründet. 5 4
S. MICHAELIS, ThW
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Num 3,38; Ez 45,4.18; u. ö.
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S. SCHRENK, ThW III 233 Vgl. DELITZSCH 323.
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VII 372
f.
f.
Lev 16,2.3.16.17.20.23.27; s. dazu M . NOTH, Das dritte Buch Mose 102 f. Im AT findet sich diese ungewöhnliche Terminologie nur noch Ez 41,21.23. Einige Minuskeln haben statt dessen den Plural τά αγια. Den Beweis liefert Hebr 13,11, wo der Verfasser Lev 16,27 zitiert, statt des Singular jedoch den Plural verwendet. In den nicht apokryphen Schriften der Septuaginta bezeichnet καταπέτασμα in den meisten Fällen den Vorhang vor dem Allerheiligsten (= ) פרוכת: Ex 5 9
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W U N T 14: Hofius
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Wie in den Bemerkungen über das irdische Heiligtum, so erschei nen auch in den Ausführungen über das himmlische Heiligtum die Begriffe σκηνή (8,2; 9,11), τά αγια (8,2; 9,8; 9,12; 9,24 ; 10,19) und καταπέτασμα (6,19; 10,20). Wenn unser Brief die altjüdische realisti sche Vorstellung teilen und dem auch in einer exakten und ein heitlichen Terminologie Rechnung tragen sollte, so müßte sich folgendes Bild ergeben: a) Das Urbild der in 8,5 als υπόδειγμα και σκιά των επουρανίων charakterisierten irdischen σκηνή (8,5; 9,21; 13,10) müßte gemeint sein, wenn in 8,2 von der σκηνή αληθινή, ην επηξεν ό κύριος, ουκ άνθρωπος und in 9,11 von der μείζων και τελειότερα σκηνή ου χειροποίητος, τούΥ εστίν ου ταύτης της κτίσεως die Rede ist. Das Wort σκηνή müßte also an beiden Stellen das himmlische Heiligtum in seiner Gesamtheit bezeichnen. b) Das Urbild des irdischen Allerheiligsten (= τά αγια 9,24.25; 13,11), das in 9,24 αντίτυπα των αληθινών (sc. αγίων) genannt wird, müßte mit dem 8,2; 9,8; 9,12; 10,19 begegnenden und in 9,24 zu των αληθινών zu ergänzenden Ausdruck τά αγια gemeint sein, der also an allen diesen Stellen Terminus für das Sanctissimum des himmlischen Heiligtums wäre. c) Das Urbild des δεύτερον καταπέτασμα von 9,3 hätten wir dann in dem 6,19 und 10,20 erwähnten καταπέτασμα zu suchen und dieses als Trennwand zwischen den beiden Abteilungen des wahren Hei ligtums zu verstehen. 62
26,31 ff.; 27,21; 30,6; 35,12; 37,3 (= 36,35 MT); 38,18 (vgl. 36,34-36 MT); 39,4 (= 38,27 MT); 40,3. 21 f. 26; Lev 4,6.17; 16,2.12.15; 21,23; 24,3; Num 4,5; 18,7; 2 Chr 3,14. An einigen Stellen meint der Ausdruck den Vorhang an der Tür des Heiligen (Ex 26,37; 37,5 [= 36,37 M T ] ; 39,19 [= 39,40 M T ] ; 40,5; Num 3,10) und fünfmal den Vorhang an dem Tor des Vorhofs (Ex 37,16 [ = 38,18 M T ] ; 39,19 [= 39,40 M T ] ; Num 3,26; 4,32; 3Kön 6,36 B). Josephus nennt — wie 1 Makk 4,51 (s. u.) — beide Vorhänge im Heiligtum καταπέτασμα (Bell. V 212. 219; Ant. VIII 75. 90; XII 250). Philo will zwar Vit. Mos. II 101 im Sprachgebrauch grundsätzlich unterschieden wissen: der Vorhang vor der Tür des Heiligen heiße κάλυμμα, der vor dem Allerheiligsten καταπέτασμα (vgl. II 87); er nennt jedoch spec. leg. I 171 au:h den Vorhang vor dem Heiligen καταπέτασμα, ebd. I 274 sogar τό πρότερον καταπέτασμα. Mit der letztgenannten Stelle ist spec. leg. I 231 zu vergleichen, wo für beide Vorhänge der Ausdruck καταπέτασμα vorausgesetzt ist. Auch sonst findet sich in der alt jüdischen und frühchristlichen Literatur das Wort zur Bezeichnung sowohl des äußeren (z. B. Sir 50,5 LXX; 1 Makk 4,51; EpArist 86) wie des inneren Vorhangs (z. Β. 1 Makk 1,22; 4,51; ProtevJac 10,1). Umstritten ist Mk 15,38 par Mt 27,51; Lk 23,45; PetrEv 5,20, doch dürfte mit BILLERBECK I 1044 f.; C. SCHNEIDER, ThW
III
631;
BAUER, Wörterbuch 822 f.;
M A C R A E I 38
u.a.
an
den
inneren
Vorhang zu denken sein. Zu TestLev 10,3 f. und TestBenj 9,3 f. s. BILLERBECK I 1045; W. BAUER, Das Leben Jesu 230 f. S. o. S. 51 Anm. 14. 6 2
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χατακέτασμα-Spekulation
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A n der Auslegung der Stellen 8,1 f.; 9,8/10,19 ; 9,11 f. und 9,24 muß sich nun erweisen, ob dieses Bild aufrechterhalten werden kann. Hebr 8,1 f. Diese Stelle steht einem realistischen Verständnis des himmlischen Heiligtums nicht entgegen. Der Relativsatz V. l b gehört zu den vier Aussagen unseres Briefes über die sessio Christi ad dexteram Dei, die in synoptischer Anordnung aufgeführt seien : 64
1,3: 8,1: 10,12: 12,2:
έκάθισεν έν δεξιά έκάθισεν έν δεξιά του θρόνου έκάθισεν έν δεξιά κεκάθικεν έν δεξιά του θρόνου
της μεγαλωσύνης εν ύψηλοΐς της μεγαλωσύνης έν τοις ούρανοΐς του θεοΰ του θεοΰ.
Christus hat — so erfahren wir — den Ehren- und Herrscherplatz zur Rechten Gottes bzw. seines Thrones eingenommen . Durch die sach lich gleichbedeutenden und auf έκάθισεν zu beziehenden präpositionalen Bestimmungen έν ύψηλοΐς 1,3 und έν τοις ούρανοΐς 8,1 wird der Thron Gottes zunächst ganz allgemein in der himmlischen Sphäre lokalisiert. V. 2 gibt dann eine noch nähere Bestimmung dieses Ortes: Chri stus ist Priester (λειτουργός) an einer τα άγια genannten Stätte und an der σκηνή αληθινή. Faßt man, wie die meisten Ausleger es tun, das και in V. 2 als και explicativum auf, so wären τα αγια und ή σκηνή als synonyme Begriffe anzusehen, die beide das himmlische Heiligtum bezeichnen . Gegen das explikative Verständnis des και spricht nun aber die Beobachtung, daß die Wendung τά αγια και ή σκηνή wieder — wie die ungewöhnliche Verwendung des Begriffs τά αγια für das Allerheiligste — in der Schilderung des großen Versöhnungstages Lev 16 ihre Entsprechung hat und somit als Biblizismus zu beurteilen ist. In Lev 16,20 lesen wir die Bestim mung, daß der Hohepriester am großen Versöhnungstag eine Sühne handlung für das Heiligtum vollziehen soll, und zwar heißt es da: συντελέσει έξιλασκόμενος τό αγιον και τήν σκηνήν του μαρτυρίου. Es 65
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Hebr 9,8 und 10,19 werden aus sachlichen Gründen zusammen besprochen. Ich stelle zum Zweck des Vergleichs den Text von 12,2 um. Wie der Vergleich von 1,3 mit 10,12 einerseits und von 8,1 mit 12,2 an dererseits lehrt, ist μεγαλωσύνη Umschreibung des Gottesnamens; s. dazu u. S. 74 Anm. 141. A. SEEBERG, Der Katechismus der Urchristenheit 147. 6 4
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DELITZSCH 323; LÜNEMANN 72. 258; MICHEL 102. 287 mit Anm. 4. So ζ. B. LÜNEMANN 258 f.; VON SODEN 61; A. SEEBERG 90; RIGGENBACH f. (vgl. 118 f. 258); MOFFATT 105; SPICQ II 234; HERING 76; MONTEFIORE (vgl. 153); MICHEL 288; Kuss 107; MICHAELIS, ThW VII 377.
S. o. S. 57.
D i e Vorstellung
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vom himmlischen
V o r h a n g i m Hebräerbrief
steht außer Frage, daß in diesem Satz τό αγιον das Allerheiligste, ή σκηνή του μαρτυρίου aber in übergeordnetem Sinn das ganze Zelt (und nicht etwa bloß den vorderen Raum der Stiftshütte) meint . Wir haben also zu übersetzen: er vollende die Sühnehandlung „für das Allerheiligste und für das (ganze) Zelt". Ähnlich wird Lev 16,16 gesagt: der Hohepriester schaffe Sühne „für das Allerhei ligste . . . , und dasselbe tue er für das (ganze) Zelt" (έξιλάσεται τό αγιον . . . , και οΰτω ποιήσει τη σκηνή του μαρτυρίου). Schließlich ist noch Lev 16,33 zu vergleichen: έξιλάσεται τό αγιον του αγίου και τήν σκηνή ν του μαρτυρίου. Diesen für Lev 16 bezeichnenden Sprachge brauch hat der Hebräerbrief an unserer Stelle aufgenommen : Christus ist Priester (vgl. 9,23 f.!) „am (himmlischen) Allerheiligsten und am (ganzen) wahren Zelt". Durch das καί wird also „nicht ein nebengeordneter, sondern . . . ein übergeordneter Begriff zum Vorhergehenden hinzugefügt" . Das bedeutet: unter der σκηνή αληθινή dürfen wir das himmlische Heiligtum in seiner Gesamtheit verstehen und in τα αγια eine Bezeichnung für das Allerheiligste dieses Heiligtums erblicken. Daß die σκηνή αληθινή der Himmel selbst sei, kann dem Wortlaut von Hebr 8,1 f. nicht entnommen werden. 70
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Hebr 9,8/10,19
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Der Satz Hebr 9,8b: μήπω πεφανερώσθαι τήν των αγίων όδόν έ'τι της πρώτης σκηνής έχούσης στάσιν läßt für Gyllenberg, Käsemann und Schierse eine Anschauung vom wahren Heiligtum erkennen, derzufolge die Trennung zwischen Himmel und Erde in der Tren nung der beiden Räume des irdischen Stiftszeltes abgebildet ist . Diese Interpretation versteht also an unserer Stelle unter der πρώτη σκηνή die irdische Welt und unter τα αγια den transzendenten, himmlischen Bereich. Unsere Exegese führt jedoch zu einem an deren Ergebnis . 74
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S. dazu NOTH, Das dritte Buch Mose 106. Dagegen ist es falsch, wenn RIGGENBACH 220 Anm. 13 behauptet, in Lev 16 L X X stehe ״τό αγιον . . . als das Allerheiligste der σκηνή dem Heiligen gegenüber". Zur Ersetzung des Singulars τό αγιον durch den Plural s. o. S. 57. 7 1
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So richtig RIGGENBACH 220, der zum
Vergleich Mt 26,59 und Apg
5,29
heranzieht. Allerdings steht seine Deutung selbst in einer merkwürdigen Span nung zu dieser treffenden Feststellung. Im folgenden werden Gedanken aufgenommen und weitergeführt, die ich zuerst in ZNW 61 (1970) 271 ff. vorgetragen habe. S. o. S. 52 ff. Dankbar sei vermerkt, daß die m. E . hilfreichsten Ausführungen zum Verständnis von Hebr 9,1—10 in dem immer noch sehr beachtenswerten und in seiner Art vorbildlichen Kommentar von LÜNEMANN ZU finden sind; s. dort 271 ff. 7 3
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D i e überkommene
K