Der Geist Der Tiere - Philosoph - Dominik Perler [PDF]

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Zitiervorschau

Sind Tiere Lebewesen mit einem Geist? Denken sie? Haben sie Bewusst­ sein? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? In der gegenwärtigen Phi­ losophie des Geistes existiert eine Reihe von Ansätzen, die solche Fragen auf­ greifen, sie aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven erörtern und zu kontroversen Antworten gelangen. Dabei wird deutlich, dass die Tiere einen Testfall für Theorien des Geistes darstellen, denn am Beispiel der Tiere zeigt sich, wie tragfähig solche Theorien sind, welche Phänomene sie zu erklä­ ren vermögen und bis zu welchem Grad sie unseren unterschiedlichen Intui­ tionen gerecht werden. Zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat diese Diskus­ sion in den letzten Jahren durch die enge Verknüpfung mit der empirischen Verhaltensforschung. Der vorliegende Band macht wichtige Beiträge zu dieser Diskussion erst­ mals auf Deutsch zugänglich und enthält "Beiträge u. a. von Donald Davidson, Daniel C. Dennett, Fred Dretske, Ruth G . M illikan, David Papineau und John R. Searle. Eine ausführliche Einleitung ordnet die Diskussion sowohl systematisch als auch historisch ein und unterstreicht ihren Stellenwert in den aktuellen Debatten innerhalb der Philosophie des Geistes. Dominik Perler ist Professor für Theoretische Philosophie an der HumboldtUniversität zu Berlin; Markus W ild ist wissenschaftlicher Assistent am Lehr­ stuhl für Theoretische Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin.

Der Geist der Tiere Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion Herausgegeben von D om inik Perler und M arkus W ild

S uhrkamp

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie http://dnb.ddb.de suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 1741 © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2005 Erste Auflage 2005 Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Flümmer Gm bH, Waldbüttelbrunn Druck: Nomos Verlagsgesellschaft:, Baden-Baden Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von W illy Fleckhaus und R olf Staudt ISB N 3-518-29341-9 2 3 4 5 6 -

10 09 08 07 06 05

Inhalt V o rw o rt.................................................................................................

7

Dom inik Perler und M arkus W ild Der Geist der Tiere - eine E in fü h ru n g ........................................

10

I. Sprache und Überzeugungen Norman Malcolm Gedankenlose T ie re ............................................................................

77

Stephen P. Stich Haben Tiere Überzeugungen?................

95

D onald Davidson Rationale Lebew esen..........................

117

John R. Searle Der Geist der T ie r e ............................................................................

132

Hans-Johann Glock Begriffliche Probleme und das Problem des Begrifflichen . . . .

153

II. Repräsentation und Verhalten Colin A llen Tierbegriffe neu betrachtet. Ein empirischer Ansatz: Die Analyse einer Selbststeuerung.................................................. Ruth G. M illikan Verschiedene Arten von zweckgerichtetem Verhalten ................... F red Dretske Minimale Rationalität................ Jo elle Proust Das intentionale T ie r ...........................................................................

191

201

213

223

D avid Papineau Die Evolution des Zweck-Mittel-Denkens III.

244

Kommunikation und Gedankenlesen

John Dupre Gespräche mit Affen. Reflexionen über die wissenschaftliche Erforschung der Sprache ..........................

295

Colin A llen und E ric Saidel Die Evolution der R eferenz..............................................................

323

Kim Sterelny Primatenwelten...................................................................................

357

IV.

Bewusstsein

D aniel C. Dennett Das Bewusstsein der Tiere: Was ist wichtig und warum? . . . .

389

D aisie Radner Heterophänomenologie: Wie wir etwas über die Vögel und die Bienen lernen................. 408

Bibliographie..................................................................... H inweise zu den Autorinnen und Autoren ............................. Textnachweise......................................... In d e x ....................................................................................................

427 441 444 446

Vorwort » ... no truth appears to m e m ore evident, than that beasts are endow ’d w ith thought and reason as w ell as m an. T h e argum ents are in this case so obvious, that they never escape the m ost stupid and ignorant.« D. H um e, A Treatise o f H u m an N ature, I, 3, x v i1 »Ainsi dans les anim aux il n ’y a ni intelligence ni am e, com m e on l’entend ordinairem ent. Ils m angent sans plaisir, ils crient sans douleur, ils croissent sans le s^avoir: ils ne desirent rien, ils ne craignent rien, ils ne connoissent rien ...« N . M alebranche, D e la recherche d e la verite> V I, 2, vii2

Philosophische Probleme entstehen häufig dadurch, dass wir auf scheinbar simple Fragen intuitiv ganz unterschiedliche, teilweise so­ gar widersprüchliche Antworten geben. Eine dieser Fragen lautet: »Haben Tiere einen Geist?« Wir sind wohl geneigt, spontan zu antwor­ ten: »Natürlich haben sie einen Geist, denn sie sind imstande, Gegen­ stände in ihrer Umwelt zu erkennen und voneinander zu unterschei­ den, gezielte Handlungen auszuführen und zwischen verschiedenen Handlungsoptionen zu wählen.« Doch wir sind wohl ebenso geneigt, auch folgende Antwort zu geben: »Natürlich haben Tiere keinen Geist, denn sie verfügen über keine Begriffe, mit denen sie die Gegen­ stände in ihrer Umwelt erfassen und ordnen könnten, sie entbehren einer Sprache und der Fähigkeit, logisch zu überlegen.« Angesichts dieser widersprüchlichen Reaktion gilt es, genauer zu fragen, was 1 » ... keine Wahrheit erscheint mir offenkundiger, als dass Tiere, genauso wie der Mensch, mit Denken und Vernunft ausgestattet sind. Die Gründe sind in diesem Falle so offensichtlich, dass sie nicht einmal dem Dümmsten und Unwissendsten entgehen.« 2 »Also haben die Tiere weder Intelligenz noch Seele, wie man es gewöhnlicherweise versteht. Sie fressen ohne Vergnügen, sie schreien ohne Schmerz, sie wachsen, ohne es zu wissen: sie ersehnen nichts, sie fürchten nichts, sie wissen nichts ...« 7

unter einem Geist überhaupt zu verstehen ist und unter welchen Be­ dingungen wir bereit sind, einem Lebewesen einen Geist zuzuschrei­ ben. Die in diesem Band versammelten Beiträge, die aus der analyti­ schen Gegenwartsdebatte stammen, greifen diese zentralen Fragen auf und erörtern sie in sprachphilosophischer, erkenntnistheoreti­ scher und wissenschaftstheoretischer Perspektive. Sie verdeutlichen auf exemplarische Weise, dass die Tiere einen Testfall für Theorien des Geistes darstellen. Denn am Beispiel der Tiere zeigt sich, wie trag­ fähig solche Theorien sind, welche Phänomene sie zu erklären vermö­ gen und bis zu welchem Grad sie unseren unterschiedlichen Intui­ tionen gerecht werden. M it diesem Band wird zum ersten M al in deutscher Sprache eine philosophische Debatte dokumentiert und weitergeführt, die im an­ gelsächsischen und französischen Sprachraum schon seit geraumer Zeit einen wichtigen Platz einnimmt. Durch die enge Verknüpfung mit Forschungsdiskussionen in den empirischen Wissenschaften insbesondere in der kognitiven Ethologie, in der evolutionären An­ thropologie und in der vergleichenden Psychologie - hat sie in den letzten Jahren sogar noch an Bedeutung gewonnen. Die Aufsätze in diesem Band sollen die wichtigsten Problemstellungen aufzeigen, Lö­ sungsansätze vorstellen und unterschiedliche methodische Ansätze verdeutlichen. Die ausführliche Einleitung verfolgt das Ziel, die ganze Debatte systematisch und historisch einzuordnen, Entwicklungs­ linien nachzuzeichnen, Verbindungen zur kognitiven Ethologie her­ zustellen und einige Grundlagenprobleme zu diskutieren. Natürlich sollen die Leserinnen und Leser innerhalb und außerhalb der Philo­ sophie angeregt werden, die thematisierten Fragen aufzugreifen und selbständig weiterzuverfolgen. Der vorliegende Band wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen nicht zustande gekommen. Unser erster Dank richtet sich an die Autorinnen und Autoren der Beiträge, die von Anfang an großes Interesse an einem deutschen Sammelband zeigten und uns großzügig die Übersetzungsrechte überließen. Auch den Verlagen sind wir für die Erteilung der Übersetzungslizenzen dankbar. Gabi Weber sind wir für die Mitarbeit an den Übersetzun­ gen zu Dank verpflichtet, Sophia Pick für die sorgfältige Überarbei­ tung und stilistische Vereinheitlichung sämtlicher Übersetzungen, Floriana Müller, Stephan Schmid und Simone Ungerer für die Hilfe bei Recherchen und letzten Überarbeitungen. Der Carl und M ax

Schneider-Stiftung danken wir für eine finanzielle Unterstützung der Übersetzungsarbeit. Schließlich sei allen Teilnehmerinnen und Teil­ nehmern an unserem Seminar »Der Geist der Tiere« an der Hum­ boldt-Universität zu Berlin (Sommersemester 2004) für Hinweise zu den Texten und anregende Diskussionen gedankt. Berlin, im Juni 2004

D. P. undM .W .

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Dominik Perler und Markus Wild Der Geist der Tiere - eine Einführung i. K önnen w ir den T ieren einen G eist zuschreiben? Wenn wir Pflanzen beschreiben, halten wir es für selbstverständlich, dass wir ihnen eine Reihe von komplexen Zuständen und Verhal­ tensweisen zuschreiben können. Pflanzen nehmen Wasser auf, drehen sich dem Licht entgegen, wachsen und vermehren sich. Einige klet­ tern sogar Wände empor, andere fangen Fliegen, wieder andere schleudern Samenkörner. Wie komplex und raffiniert diese Verhal­ tensweisen auch sein mögen, sie verleiten uns nicht dazu, den Pflanzen einen Geist zuzuschreiben. Zwar verwenden wir gelegentlich Rede­ weisen, die den Anschein erwecken, als würden wir sie für Lebewesen halten, die mit einem Geist ausgestattet sind. So sagen wir etwa, der ausgedörrte Rosenstrauch verlange nach Wasser oder die üppig wach­ sende Zimmerpalme möchte umgetopft werden. Aber mit diesen anthropomorphisierenden Redeweisen wollen wir lediglich betonen, dass der Rosenstrauch dringend Wasser braucht oder die Zimmer­ palme mehr Erde benötigt. Pflanzen haben keinen Geist, der es ihnen erlauben würde, im wörtlichen Sinne etwas zu verlangen oder zu wol­ len. Sie sind Organismen, deren Verhalten durch eine genetische An­ lage und durch Umweltbedingungen vollständig bestimmt ist. Anders verhält es sich mit den Menschen, denen wir ganz selbstver­ ständlich einen Geist zuschreiben. Was veranlasst uns dazu? Erstens liegt dieser Zuschreibung die Tatsache zugrunde, dass Menschen ein Bewusstsein haben. Darunter ist zunächst nicht eine besonders elaborierte kognitive Fähigkeit zu verstehen, etwa Reflexionsfähigkeit oder Selbstbewusstsein. Bereits die Tatsache, dass wir über ein phäno­ menales Bewusstsein verfügen, motiviert uns dazu, uns selber und un­ seren Mitmenschen einen Geist zuzuschreiben. Wir haben nämlich ein bestimmtes Erlebnis, wenn wir etwas wahrnehmen oder empfin­ den. So fühlt es sich für uns —im Gegensatz zu den Pflanzen —auf eine bestimmte Art und Weise an, eine Lichtempfindung zu haben, durstig zu sein oder Hunger zu verspüren. Über dieses phänomenale Bewusst­ sein verfügen wir selbst dann, wenn wir nicht in der Lage sind, genau zu artikulieren, wie das jeweilige Erlebnis beschaffen ist und wie es sich von anderen Erlebnissen unterscheidet. Aufgrund dieses Beio

wusstseins haben wir so etwas wie eine »Innenwelt« und unterschei­ den uns von jenen Organismen, die nichts erleben und nichts fühlen. Zweitens schreiben wir uns und unseren Mitmenschen auch einen Geist zu, weil wir über intentionale Zustände verfügen, d. h. über Z u ­ stände, die sich auf etwas (Gegenstände, Ereignisse, Sachverhalte usw.) beziehen. Dies gilt bereits für simple Wahrnehmungszustände; denn wir sehen oder riechen nicht einfach, sondern wir sehen etwas, z. B. das helle Licht oder dass das Licht heller wird, und riechen etwas, z. B. den Rosenduft. Ebenso sind auch unsere Wünsche und Begier­ den intentional. Im Gegensatz zu den Pflanzen verlangen wir tatsäch­ lich etwas, z. B. Wasser, und wir wollen etwas, z. B. dass wir an die frische Luft kommen. Die intentionalen Zustände befähigen uns dazu, die Umwelt in einer bestimmten Perspektive zu erfassen und unser Handeln entsprechend auszurichten. Wenn wir uns nämlich wahrnehmend oder wünschend auf etwas beziehen, tun wir dies nicht schlechthin, sondern unter einem gewissen Aspekt, und genau die­ ser bestimmt unser Handeln. So sehen und wünschen wir nicht ein­ fach Wasser, sondern Wasser als ein durstlöschendes Getränk; dies veranlasst uns dazu, nach dem Wasser zu greifen, wenn wir durstig sind. Darin unterscheiden wir uns wiederum von den Pflanzen, die keinen perspektivischen, handlungsbestimmenden Zugang zur Welt haben. Sie sehen und wünschen Wasser ja nicht als etwas Durst­ löschendes, sondern sind einfach Prozessen der Hydration und De­ hydration unterworfen. Drittens halten wir es für selbstverständlich, Menschen einen Geist zuzuschreiben, weil Menschen über eine Sprache verfügen. Darunter ist nicht einfach eine Ansammlung von Lauten oder Buchstaben zu verstehen, sondern ein System von konventionell festgesetzten Zeichen, die eine Bedeutung haben, im Normalfall auf etwas Be­ zug nehmen und in einem bestimmten Kontext zu bestimmten Zwe­ cken verwendet werden. Dank der Sprache gelingt es uns, die Umwelt zu beschreiben, in verschiedene Kategorien einzuteilen und uns mit anderen über die Kategorisierung zu verständigen. Dies tun wir vor allem, indem wir prädikative Aussagen über Dinge in unserer Um­ welt bilden, etwa indem wir sagen: »Hier scheint helles Licht« oder »In jener Ecke ist es dunkel«. Auch dadurch unterscheiden wir uns in eklatanter Weise von den Pflanzen, die keine derartigen Aussagen äußern und nichts kategorisieren können. Sie sind nicht in der Lage, das Prädikat >Licht< zu bilden und auf die Lichtquelle anzuwenden, ii

der sie sich entgegenstrecken. Noch viel weniger sind sie imstande, dieses Prädikat von anderen Prädikaten, etwa von >DunkelheitWir sind Naturprodukte wie alle anderen Lebewesen auch. Die Welt richtet sich genausowenig nach unseren kognitiven Begrenzungen wie nach denen der einfacheren Lebewesen, um die es hier geht.«3 Wenn Comment l ’esprit vient aux betes. Essai sur la representation, Paris: Gallimard 1997, S. 7-19. 2 Th. Nagel, »What Is It Like to Be a Bat?«, in: id., Mortal Questions, Cambridge und N ew York: Cambridge University Press 1979, S. 165-180 (dt. »Wie ist es, eine Fleder­ maus zu sein?«, in: Analytische Philosophie des Geistes, hrsg. von P. Bieri, 2. Aufl., Weinheim: Athenäum 1993, S. 261-275). 3 M . Tye, »The Problem o f Simple Minds: Is There Anything It Is Like to Be a Honey Bee?«, Philosophical Studies 88 (1997), S. 289 (wiederabgedruckt in: id., Consciousness, Color and Content, Cambridge (Mass.): MIT Press 2000, S. 17 1 (dt. »Das Pro­ blem primitiver Bewußtseinsformen: Haben Bienen Empfindungen?«, in: Bewußt-

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wir also über Fledermäuse, Schimpansen und andere Tiere sprechen, müssen wir uns immer bewusst sein, dass wir dies im Rahmen unserer kognitiven Möglichkeiten tun. Nun könnte man einwenden, dass es im Hinblick auf das phänome­ nale Bewusstsein vielleicht eine kognitive Begrenzung gibt.4 Dies liegt daran, dass es sich dabei um etwas handelt, was nur aus der ErstenPerson-Perspektive erfasst und beschrieben werden kann. Betrachtet man die anderen Kriterien, ergibt sich aber kein Problem, weil wir In­ tentionalität, Sprache und Fähigkeit zu logischem Denken sehr wohl aus der Dritten-Person-Perspektive beschreiben und gegebenenfalls zuschreiben können. Dieser Einwand zielt offensichtlich darauf ab, zwei Arten von Kri­ terien zu unterscheiden: jene, die nur »von innen« (aus der ErstenPerson-Perspektive) angewendet werden können, und jene, die »von außen« (aus der Dritten-Person-Perspektive) anwendbar sind.5 Doch ist es tatsächlich so einfach, Kriterien »von außen« anzuwenden? Betrachten wir das Kriterium der Sprachfähigkeit. Empirische For­ schungen mit Menschenaffen haben gezeigt, dass diese Tiere eine Gebärdensprache (etwa »Ameslan«, die amerikanische Gebärdenspra­ che ftir Gehörlose) bis zu einem gewissen Grad lernen können und in der Lage sind, auf Fragen angemessen zu reagieren. Heißt dies, dass sie tatsächlich über eine Sprache verfügen? Die Antwort auf diese sein und Repräsentation, hrsg. von F. Esken und D. Heckmann, Paderborn: Mentis 1999, S. 91-92). 4 Freilich besteht diese Begrenzung dann nicht nur mit Bezug auf Tiere, sondern auch hinsichtlich anderer Menschen. Denn wie können wir sicher sein, dass sie eine In­ nenwelt haben, wenn uns diese Welt prinzipiell unzugänglich ist? Stellt man das Pro­ blem in dieser Form, handelt es sich um ein generelles skeptisches Problem bezüg­ lich des Fremdpsychischen. Die Tiere sind dann nur ein spezieller Anwendungsfall dieses Problems. Streng genommen muss man sogar zwei skeptische Probleme unter­ scheiden: (x) Können wir wissen, dass Tiere überhaupt einen Geist haben? (2) Kön­ nen wir wissen, welche Art von Geist sie haben? 5 Diese Zweiteilung ist natürlich alles andere als selbstverständlich. Man könnte einwenden, dass die ganze Rede von »innen« und »außen« irreführend ist und dass auch das phänomenale Bewusstsein aus der Dritten-Person-Perspektive beschrie­ ben werden kann. So plädiert M . Tye, »The Problem o f Simple Minds«, op. cit., dafür, dieses Bewusstsein als eine komplexe sensorische Repräsentation aufzufassen. D. Dennett, »Das Bewusstsein der Tiere: Was ist wichtig und warum?« (in diesem Band, S. 391-399), vertritt den Standpunkt, wir könnten auf der Grundlage physio­ logischer und ethologischer Studien sehr wohl sagen, wie sich ein Wahrnehmungs­ zustand für ein Tier »anfiihlt«.

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Frage ist sehr umstritten.6 Einige Primatologen vertreten in der Tat die Ansicht, dass Affen über eine genuine Sprache verfügen und damit eines der Kriterien für Geistzuschreibung erfüllen. Andere behaupten, die angebliche Sprachbeherrschung sei ein rein konditioniertes Ver­ halten. Die Affen seien mithilfe bestimmter Anreize einfach dazu trai­ niert worden, bestimmte Zeichen zu geben. Dieses Verhalten unter­ scheide sich nicht wesentlich von jenem konditionierter Ratten, die in bestimmten Situationen eine Taste drücken, um Nahrung zu erhal­ ten. Wieder andere Forscher weisen daraufhin, dass die Affen nur ein begrenztes Repertoire von Zeichen in immer gleicher Weise verwen­ den, jedoch nicht in der Lage sind, die gegebenen Zeichen zu variieren oder neu zu kombinieren. Angesichts dieser mangelnden Fähigkeit zu kreativem Zeichengebrauch könne nicht von einer eigentlichen Sprachbeherrschung gesprochen werden. Schließlich wenden einige Forscher ein, das bloße Verwenden isolierter Zeichen stelle noch kei­ nen Sprachgebrauch dar. Erst wenn ein Lebewesen fähig sei, eine syn­ taktische Struktur zu erfassen, könne man ihm eine Sprache zuschrei­ ben. Bereits diese kurze (und natürlich unvollständige) Liste unterschied­ licher Stellungnahmen verdeutlicht, dass hier ein grundsätzliches me­ thodologisches Problem besteht. Selbst wenn es möglich ist, »von außen« die Zeichenverwendung der Affen zu beobachten und zu protokollieren, ist die Beobachtung immer interpretationsbedürftig. Ob wir Schimpansen, Orang-Utans und anderen Primaten eine Spra­ che zuschreiben oder nicht, hängt nicht einfach davon ab, welchen Umgang mit Zeichen wir bei ihnen sehen, sondern wie wir diesen Um­ gang im Lichte unserer eigenen Auffassung von Sprache und erfolg­ reicher Sprachverwendung bewerten. Daher gilt auch hier: Wenn wir den Tieren eine Sprache zuschreiben (oder nicht), tun wir dies aus unserer Sicht mithilfe unserer kognitiven Ressourcen, mit denen wir das beobachtbare Verhalten auswerten, und vor dem Ffintergrund unserer theoretischen Annahmen darüber, was Sprache und erfolg­ reiche Sprachverwendung ist. Es wäre vermessen zu glauben, es gebe 6 Vgl. J. Dupre, »Gespräche mit Affen. Reflexionen über die wissenschaftliche Er­ forschung der Sprache« (in diesem Band, S. 295-322); S. Savage-Rumbaugh und K. E. Brakke, »Animal Language: Methodological and Interpretive Issues«, in: Readings in Animal Cognition, hrsg. von M . Bekoff und D. Jamieson, Cambridge (Mass.): MIT Press 1996, S. 269-288;]. Proust, Les animaux,pensent-ils?, Paris: Bayard 2003, S. 65-104.

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so etwas wie interpretationsneutrale Beobachtungen und allgemein akzeptierte Kriterien, die es uns erlauben, ein für alle M al festzustellen, ob Tiere einen Geist haben. Da wir Tiere immer aus unserer Sicht beobachten, besteht natür­ lich die Gefahr, dass wir zu einem Anthropomorphismus neigen. Wir beschreiben und evaluieren das Verhalten der Tiere so, wie wir ähnliches Verhalten bei Menschen charakterisieren würden. Dies hat zur Folge, dass wir Tieren gelegentlich auch dann einen Geist zuschreiben, wenn eine solche Zuschreibung unangebracht ist oder sogar den empirischen Evidenzen widerspricht. Ein konkretes Bei­ spiel möge dies veranschaulichen. Ameisen zeigen ein Verhalten, das auf den ersten Blick intelligent erscheint: Sie entfernen tote Art­ genossen aus ihrer Kolonie und verhindern so die Ausbreitung von Krankheiten. Heißt dies, dass sie ihre Artgenossen als tot erkennen? Bedeutet dies sogar, dass Ameisen über einen rudimentären Begriff von Tod verfügen und diesen auf die Artgenossen anwenden? Wir mögen vielleicht versucht sein, ihr Verhalten mit Rekurs auf diskriminatorische intentionale Zustände (x als F erkennen) oder gar mit Bezug auf Begriffsverwendung zu erklären, genau wie wir dies bei Menschen tun. Doch dann tappen wir in die Falle des Anthropomor­ phismus. Empirische Forschungen haben nämlich gezeigt, dass Amei­ sen einfach auf eine bestimmte Säure reagieren.7 Bestreicht man le­ bendige Artgenossen mit Ölsäure, schleppen sie diese ebenfalls weg. Somit wäre es unangemessen, ihnen intentionale Zustände und damit in dieser Hinsicht einen Geist zuzuschreiben. Das angeblich inten­ tional gesteuerte und intelligente Verhalten stellt sich als ein ReizReaktions-Muster heraus. Ein Anthropomorphismus lässt sich nur vermeiden, wenn man die Maxime befolgt, die der Psychologe und Verhaltensforscher C. Lloyd-Morgan bereits 1894 formulierte: »In keinem Fall sollten wir eine Handlung als das Resultat der Ausübung eines höheren geistigen Vermögens interpretieren, wenn sie auch als das Resultat eines Vermögens interpretiert werden kann, das in der geistigen Skala weiter unten steht.«8 Diese methodologische Maxime 7 Eine ausführliche Darstellung und philosophische Auswertung dieser Forschungen bieten C. Allen und M . Hauser, »Concept Attribution in Nonhuman Animais: Theoretical and Methodological Problems in Ascribing Complex Mental Processes«, in: Readings in Anim al Cognition, op. cit., S. 47-62 (besonders S. 52-55). Vgl. auch den Text von K. Sterelny in diesem Band, S. 363 £ 8 C. Lloyd-Morgan, An Introduction to Comparative Psychology, London: W. Scott

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(auch »Morgans Kanon« genannt) ist freilich nicht so zu verstehen, dass jede Handlung oder jedes Verhalten vollständig heruntergestuft (oder »entgeistigt«) werden soll, sodass es nur noch mit Rekurs auf ein Reiz-Reaktions-Muster erklärt wird. Es handelt sich hier nicht um eine Maxime, die für einen behavioristischen Reduktionismus plädiert. Denn erstens wird ja nicht festgehalten, dass die Handlung a uf ein nicht-geistiges Vermögen zurückgeführt werden soll, sondern a uf eines, das »in der geistigen Skala weiter unten steht«. Es geht Lloyd-Morgan zunächst um eine Differenzierung innerhalb der geis­ tigen Vermögen.9 Zweitens betont die Maxime, dass nur dann auf eine niedrigere Stufe rekurriert werden sollte, wenn eine entspre­ chende Handlungsinterpretation möglich ist. Dies lässt natürlich die Möglichkeit offen, dass einige Handlungen nicht auf einer nied­ rigeren Stufe interpretierbar sind. Oder anders ausgedrückt: Einige Handlungen können gegebenenfalls nur als Ausdruck eines elaborierten geistigen Vermögens interpretiert werden. Genau diese Hand­ lungen gilt es zu bestimmen, ohne dass damit gleich einem Anthro­ pomorphismus Vorschub geleistet wird. Neben dieser allgemeinen methodologischen Schwierigkeit wirft die Anwendung der Kriterien für die Zuschreibung eines Geistes noch ein weiteres Problem auf. Worauf sollen die Kriterien überhaupt an­ gewendet werden? Einfach auf die Tiere? Offensichtlich gibt es die Tiere nicht als eine homogene Gruppe. Es lässt sich vielmehr eine Bandbreite verschiedenster Lebewesen beobachten, die über ganz un­ terschiedliche Fähigkeiten verfügen und Verhalten von unterschied­ licher Komplexität zeigen. Man könnte eine Skala zeichnen, die von den Pantoffeltierchen (einzellige Lebewesen, die sich auf Nahrung zubewegen, ohne irgendeine Flexibilität oder Adaptionsfähigkeit im Verhalten zu zeigen) über Insektenlarven, Ameisen und Bienen bis zu Schimpansen und anderen hochentwickelten Säugetieren reicht. Dabei handelt es sich freilich nicht um eine lineare Skala, wie seit Ch. Darwins Arbeiten zur Evolutionstheorie bekannt ist, sondern

1894, S. 53. Zur Bedeutung dieser Maxime für die gegenwärtige Debatte vgl. G. Gra­ ham, Philosophy ofM ind. An Introduction, Oxford: Blackwell 1993, S. 82 ff. 9 Genauer gesagt geht es ihm um eine Skala der höheren und niedrigeren geistigen Ver­ mögen. Vgl. eine kritische Diskussion dieser Skala in E. Sober, »Morgan’s Canon«, in: The Evolution ofM ind, hrsg. von D. D. Cummins und C. Allen, Oxford und New York: Oxford University Press 1998, S. 224-242.

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um einen Stammbaum mit zahlreichen Verästelungen.10 Lebewesen weisen ein verzweigtes, baumartiges Verwandtschaftsmuster auf, ver­ mutlich weil die Konkurrenz zwischen nahe verwandten Arten stärker ist. Gegenwärtig existierende Tierspezies sind in evolutionären Ver­ zweigungen aus früheren Spezies hervorgegangen, andere sind aus­ gestorben. Wer die Frage stellt, ob man Tieren einen Geist zuschrei­ ben kann, sollte immer präzisieren, auf welche Tierspezies er sich im evolutionären Baum bezieht. Dies mag trivial erscheinen, erweist sich bei näherer Betrachtung aber als ein zentraler Punkt. Philosophi­ sche Debatten über Tiere gehen nämlich häufig von einer schemati­ schen Dreiteilung der Natur aus: Pflanzen, Tiere und Menschen.11 Auch zu Beginn dieser Einleitung wurde wie selbstverständlich ange­ nommen, dass sich die Tiere irgendwo zwischen den geistlosen Pflan­ zen und den mit einem Geist ausgestatteten Menschen befinden. Die Frage schien nur zu sein, welchem der beiden Pole sie eher zugeord­ net werden sollten. Betrachtet man jedoch die Bandbreite von aktuel­ len und ausgestorbenen Tierspezies, ist es fraglich, ob es überhaupt eine genau definierte Mittelposition zwischen den Pflanzen und den Menschen gibt. Ordnet man die Tiere gemäß ihren spezifischen Fä­ higkeiten, scheinen einige in die Nähe der Pflanzen zu gehören (so verfügen Pantoffeltierchen kaum über mehr Fähigkeiten als fleisch­ fressende Pflanzen), andere hingegen in die Nähe der Menschen (so ähneln Schimpansen, die zielgerichtete Handlungen ausführen, sozia­ les Verhalten zeigen und Emotionen äußern, in verblüffender Weise den Menschen). Daher sollte die Frage, ob Tieren ein Geist zuge­ schrieben werden kann, mit Bezug auf konkrete Tierspezies - etwa Schimpansen oder andere Primaten — gestellt werden. Hinsichtlich der Vertreter dieser Spezies, nicht der Tiere schlechthin, gilt es zu prü­ fen, ob wir ihnen phänomenales Bewusstsein, Intentionalität, Spra10 Vgl. Ch. Darwin, Die Entstehung der Arten, Stuttgart: Reclam 1963, S. 165. Zur Be­ deutung Darwins für gegenwärtige Theorien des Geistes vgl. K. Sterelny, »Darwinian Concepts in the Philosophy o f Mind«, in: The Cambridge Companion to Dar­ win, hrsg. von J. Hodge und G. Radwick, Cambridge und New York: Cambridge University Press 2003, S. 288-309. 11 Gelegentlich wird diesen drei Stufen noch eine vierte, nämlich jene der »intelli­ genten Automaten«, hinzugefügt, insbesondere wenn die Tierdebatte an die Dis­ kussionen über künstliche Intelligenz angebunden wird. Vgl. dazu D. Dennett, »Cognitive Ethology: Hunting for Bargains or a W ild Goose Chase«, in: id., Brainchildren. Essays on DesigningMinds, Cambridge (Mass.): MIT Press 1998, S. 307322.

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che und vielleicht sogar logisches Denken zuschreiben können. Und selbst innerhalb der Gruppe der hochentwickelten Säugetiere kann es markante Unterschiede geben. C. Allen und M . Bekoff haben daher zu Recht vorgeschlagen, nicht einfach von dem Geist zu sprechen, sondern von »Arten von Geist«, die es für verschiedene Tierspezies, aber auch für verschiedene Stufen innerhalb der evolutionären Ent­ wicklung, zu bestimmen gilt.12 Nun könnte man einwenden, dass die Bestimmung der jeweiligen »Art von Geist« in der Tat eine wichtige und spannende Aufgabe ist, jedoch keine Aufgabe für die Philosophie. Fällt es nicht den empiri­ schen Wissenschaften (insbesondere der Ethologie, der evolutionären Anthropologie und der Kognitionspsychologie) zu, mittels konkreter Feldforschungen und Laboruntersuchungen zu prüfen, ob einzelne Tierspezies über jene Zustände und Fähigkeiten verfügen, die gemäß den genannten Kriterien als »geistig« etikettiert werden können? So ist es beispielsweise Aufgabe der Ethologen, experimentell zu überprü­ fen, ob Schimpansen tatsächlich einen intentionalen Zugang zur Welt haben und ihr Verhalten danach ausrichten, oder ob sie lediglich ReizReaktions-Muster zeigen. Ebenso ist es ihre Aufgabe, die Möglichkeit eines Spracherwerbs bei solchen Tieren zu untersuchen. Die Frage, ob hochentwickelte Säugetiere einen Geist haben oder nicht, ist doch eine empirische Frage, die sich nur mithilfe empirischer Methoden beantworten lässt. Wenn es hier überhaupt eine philosophische Auf­ gabe gibt, so liegt sie im Bereich der praktischen Philosophie und stellt sich angesichts der Resultate der empirischen Forschung. Angenom­ men, diese Forschung zeigt, dass Tiere tatsächlich einen Geist haben. Muss den Tieren dann in ethischer Hinsicht ein ähnlicher Status wie den Menschen zugeschrieben werden? Sind Tiere (oder zumindest die Vertreter einiger Tierspezies) dann auch als Personen mit Rechten zu betrachten?13 Angenommen jedoch, die empirische Forschung 12 Vgl. C. Allen und M . Bekoff, Species ofM ind. The Philosophy and Biology ofCognitive Ethology, Cambridge (Mass.): MIT Press 1997. Die Autoren warnen freilich da­ vor, einige Tierspezies (etwa jene der Primaten) von vornherein als höherstufige Arten zu betrachten und entsprechend das Augenmerk ausschließlich auf diese höherstufigen »Arten von Geist« zu richten. Dies käme einem »Primatozentrismus« (ibid., S. X-XI) gleich, der sich methodologisch kaum von einem Anthropozentrismus unterscheiden würde. 13 Vgl. P. Cavalieri und P. Singer, The Great Ape Project. Equality beyond Humanity, New York: St. M artins Press 1993; D. Birnbacher, »Selbstbewusste Tiere und be­ wusstseinsfähige Maschinen - Grenzgänge am Rand des Personenbegriffs«, in: Per-

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belegt, dass Tiere keinen Geist haben. Sind Tiere dann als bloße Ob­ jekte zu betrachten, oder ist ihnen trotzdem ein besonderer Status zuzubilligen? Es scheint, als würden sich nur derartige Fragen als ge­ nuin philosophische Fragen stellen, und zwar erst nachdem das Prob­ lem einer Geistzuschreibung von den empirischen Wissenschaften geklärt ist. Wer so argumentiert, weist zu Recht darauf hin, dass es vermes­ sen wäre, ungeachtet der empirischen Forschung Behauptungen über Tiere aufzustellen. Wer als »Lehnstuhl-Philosoph« darüber sinniert, ob Schimpansen und Delfine einen Geist haben, läuft Gefahr, von un­ vollständigen oder gar falschen Beschreibungen des Verhaltens und der spezifischen Fähigkeiten dieser Tiere auszugehen und einfach das eigene empirische Ffalbwissen als Grundlage für nicht-empirische Überlegungen zu wählen. Daher ist es fiir Philosophinnen und Philo­ sophen unabdingbar, empirische Forschungen zur Kenntnis zu neh­ men und somit den »Lehnstuhl« zu verlassen, um die Resultate, aber auch die besonderen Fragestellungen und die Methoden der empiri­ schen Wissenschaften in den Blick zu bekommen.14 Wie die aktuelle Tierdebatte zeigt, ist dieses Bewusstsein für die Bedeutung der Empirie zum Glück weitgehend vorhanden. In der kognitiven Ethologie, einer noch jungen, interdisziplinär ausgerichteten Forschungsrichtung, ar­ beiten Philosophen eng mit Vertreterinnen und Vertretern verschie­ denster biologischer Disziplinen sowie der Entwicklungs- und der Kognitionspsychologie zusammen.15 Doch welche Aufgabe stellt sich den Philosophinnen und Philo­ sophen im Fächerverbund mit den empirischen Wissenschaften? Be­ steht ihr Beitrag wirklich nur darin, die ethischen Konsequenzen, die sich aus den empirischen Befunden ergeben, zu diskutieren und zu evaluieren? Zweifellos ist eine sorgfältige Diskussion dieser Kon­ sequenzen eine wichtige Aufgabe. Die Debatten in der Tierethik, die sich seit den einflussreichen und öffentlich wirksamen Arbeiten von P. Singer und T. Regan als eigenständige Teildisziplin der Ethik son. Philosophiegeschichte, theoretische Philosophie, praktische Philosophie, hrsg. von D. Sturma, Paderborn: Mentis 2001, S. 301-321. 14 Vgl. dazu programmatisch D. Dennett, »Out o f the Armchair and into the Field«, in: id., Brainchildren. Essays on DesigningMinds, op. cit., S. 289-306, sowie Kap. I in C. Allen und M . Bekoff, Species ofM ind, op. cit. 15 Zur Entstehung und zu den Zielen der kognitiven Ethologie vgl. unten, Ab­ schnitt 3.

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entwickelt haben, verdeutlichen, dass Tiere in der praktischen Philo­ sophie einen zentralen Platz einnehmend6 Doch auch in der theore­ tischen Philosophie kommt den Tieren weit mehr als eine marginale Bedeutung zu, auch wenn diese Bedeutung im deutschsprachigen Raum bislang erst ansatzweise diskutiert worden ist. Wer über die Frage nachdenkt, ob den Vertretern einiger Tierspezies ein Geist zu­ geschrieben werden kann, muss nämlich über Grundbegriffe der theoretischen Philosophie reflektieren, und zwar nicht erst nach einer Auswertung der empirischen Befunde, sondern bereits während einer solchen Auswertung. Wenn etwa gefragt wird, ob Schimpansen einen intentionalen Zugang zur Welt haben und sprechen können, muss geklärt werden, wie hier die Begriffe >Intentionalität< und >Sprachvermögen< zu verstehen sind und wie sie auf konkrete Fälle angewendet werden können. So betrachtet stellt sich die Aufgabe einer Begriffs­ klärung a posteriorr. A u f der Grundlage empirischer Befunde - nicht unabhängig davon - ist zu fragen, welche Begriffe zur Auswertung die­ ser Befunde angemessen sind. Betrachten wir zunächst den Begriff der Intentionalität. Wozu muss ein Lebewesen in der Lage sein, damit wir bereit sind, ihm inten­ tionale Zustände zuzuschreiben? Diese Frage gewinnt an Schärfe, wenn sie mit Bezug auf ein inzwischen berühmt gewordenes Experi­ ment von D. Premack und G. W oodruff gestellt wird.,16 17 Diese beiden Forscher stellten vor Sarah, einer Schimpansin, zwei Behälter in uner­ reichbarer Distanz auf; der eine Behälter war mit Nahrung gefüllt, der andere war leer. Um Nahrung zu bekommen, musste Sarah einem Trainer einen der beiden Behälter zeigen. Nun waren zwei Trainer an­ 1 6 Einen Überblick bietet J. Nida-Rümelin, »Tierethik I: Z u den philosophischen und ethischen Grundlagen des Tierschutzes«, in: Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, hrsg. von J. Nida-Rümelin, Stuttgart: Kröner 1996, S. 458-483; vgl. ausführlich U. Wolf, Das Tier in der Moral, Frankfurt/M.: Klostermann 1990. Wie Nida-Rümelin verdeutlicht, ist die Zuschreibung geistiger Zustände (der sog. »Mentalismus«) die Voraussetzung für eine Tierethik. Allerdings ergeben sich daraus allein noch keine moralischen Regeln fiir den Umgang mit Tie­ ren: »Diese ergeben sich erst aus den jeweiligen empirischen Annahmen tierliche mentale Zustände betreffend, zusammen mit den zugrunde gelegten ethischen Kri­ terien.« (Ibid., S. 470.) 17 Vgl. D. Premack und G. Woodruff, »Does the Chimpanzee Have a Theory of Mind?«, The Behavioral andBrain Sciences 4 (1978), S. 515-526 (besonders S. 524); »Intentional Communication in the Chimpanzee: The Development o f Deception», Cognition 7 (1979), S. 333-362.

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wesend, von denen der eine sich kooperativ verhielt. Wenn er von Sarah auf den mit Nahrung gefüllten Behälter hingewiesen wurde, brachte er ihn herbei und teilte die Nahrung mit ihr. Der andere Trai­ ner verhielt sich konkurrierend. Wenn er auf den gefüllten Behälter hingewiesen wurde, nahm er ihn an sich und verschwand. Was tat nun Sarah nach einigen Trainingsstunden? Sie verwies den koopera­ tiven Trainer auf den gefüllten Behälter, den konkurrierenden hinge­ gen auf den leeren. Wie lässt sich Sarahs Verhalten erklären? Können wir ihr intentio­ nale Zustände zuschreiben? Dies hängt davon ab, wie wir den Begriff der Intentionalität fassen und welche Bedingungen wir somit aufstel­ len, damit etwas als ein intentionaler Zustand anerkannt wird. Man könnte zunächst sehr restriktiv vorgehen und einen Zustand nur dann als einen genuin intentionalen Zustand akzeptieren, wenn er nicht (oder zumindest nicht ausschließlich) an ein bestimmtes Reiz-Reaktions-Schema gebunden ist. Da Sarah nicht von sich aus auf den ge­ füllten oder den leeren Behälter zeigte, sondern nur dann, wenn ein bestimmter Trainer anwesend war, liegt hier nicht mehr als ein simp­ les Reiz-Reaktions-Schema vor. Je mehr ein bestimmter Reiz verstärkt wird (Nahrungserhalt bei Sinneseindrücken von einem bestimmten Trainer), desto mehr verstärkt sich die entsprechende Reaktion (Ver­ weis auf den mit Nahrung gefüllten Behälter). Somit hätten wir hier noch keinen intentionalen Zustand, sondern - um es mit D. Dennetts Schema von den verschiedenen Intentionalitätsstufen zu beschrei­ ben18 - lediglich die nullte Stufe. Sarahs Verhalten lässt sich bereits auf dieser Stufe folgendermaßen erklären: o. Stufe:

Sarah erhält den Sinnesreiz S und antwortet darauf mit Re­ aktion R.

Natürlich ist Sarah weit mehr als ein Automat. Als Lebewesen erhält sie ja Sinnesreize und antwortet auf sie. Aber dies sind lediglich kau­ sale Relationen, keine intentionalen. Sarah nimmt nur Reize auf; sie 18 D. Dennett, »Intentional Systems in Cognitive Ethology: The >Panglossian Paradigm< Defended«, The Behavioral and Brain Sciences 6 (1983), S. 343-355; wie­ der abgedruckt in The Intentional Stance, Cambridge (Mass.): MIT Press 1987, S. 237-268 (dt. »Intentionale Systeme in der kognitiven Verhaltensforschung«, in: Kognitionswissenschaft. Grundlagen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von D. Münch, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 343-386).

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richtet sich nicht kognitiv auf den kooperativen oder den konkurrie­ renden Trainer und erkennt die beiden auch nicht als solche. Man könnte aber auch die Auffassung vertreten, dass ein Lebe­ wesen, das in einer bestimmten Situation gezielt Gegenstände be­ stimmen und voneinander unterscheiden kann, durchaus intentio­ nale Zustände hat. Da Sarah dazu in der Lage ist (sie kann ja sowohl die beiden Behälter als auch die beiden Trainer voneinander unter­ scheiden), könnte man ihr einen intentionalen Zustand erster Stufe zuschreiben, und zwar sowohl einen kognitiven als auch einen volitiven Zustand. Dies bedeutet: 1. Stufe:

Sarah erkennt den kooperativen Trainer und will, dass er ihr den mit Nahrung gefüllten Behälter bringt. Ebenso er­ kennt sie den konkurrierenden Trainer und w ill, dass er zum leeren Behälter greift.

Entscheidend ist dabei, dass Sarah auf dieser Stufe einen perspekti­ vischen Zugang zu den Gegenständen in ihrer Umgebung hat. Sie erkennt ja den einen Trainer als kooperativ, den anderen als konkur­ rierend. Genau dadurch ist sie imstande, die beiden voneinander zu unterscheiden und ihr Verhalten entsprechend auszurichten. Nun könnte man einwenden, dass diese Zuschreibung simpler in­ tentionaler Zustände noch nicht ausreicht, um Sarahs Verhalten zu erklären. Sie bezieht sich nämlich nicht nur auf Gegenstände, sondern auch auf die Meinung - also auf einen intentionalen Zustand - eines anderen Lebewesens. Sie hat somit einen intentionalen Zustand zwei­ ter Stufe. Dies heißt wiederum konkret: 2. Stufe:

Sarah erkennt den konkurrierenden Trainer und w ill, dass er irrtümlich meint, im Behälter befinde sich Nahrung. Daher führt sie ihn zum leeren Behälter.

Erklärt man Sarahs Verhalten auf diese Weise, geht man davon aus, dass sie eine Täuschungsabsicht hat. Ja, man unterstellt ihr sogar mi­ nimales logisches Denken. Denn eine Täuschungsabsicht ist nur möglich, wenn folgende Maxime erfasst wird: »Wenn du x täuschen willst, dann bringe in x eine falsche Meinung bezüglich y hervor.« Die Anwendung dieser Maxime bestimmt das Verhalten. Ist Sarahs Verhalten nun auf der nullten Stufe rein behavioristisch 23

zu erklären? Oder ist es auf der ersten Stufe als ein Ausdruck basa­ ler intentionaler Zustände zu verstehen? Oder ist es auf der zweiten Stufe als Ausdruck einer »Theorie des Geistes« —d. h. einer Meinung oder Volition bezüglich der Meinung eines anderen - zu deuten? Wie diese Fragen zu beantworten sind, ist äußerst umstritten. Hier sollen nicht die verschiedenen Positionen in dieser Kontroverse dargestellt und evaluiert werden.19 Entscheidend ist an dieser Stelle nur der grundsätzliche methodologische Punkt: Wenn wir das Verhalten eines Tieres beschreiben und erklären wollen, reicht es nicht aus, einfach empirische Daten zu sammeln. W ir müssen diese Daten immer auch auswerten und benötigen dazu bestimmte Begriffe, z. B. den Begriff der Intentionalität. Welche Auswertung erfolgt, hängt wesentlich da­ von ab, welchen Begriff wir zur Anwendung bringen und für angemes­ sen halten. Die Frage, ob Sarah sich auf etwas bezieht, ist also letztlich die Frage, mit welchem Begriff von »sich auf etwas beziehen« wir ope­ rieren und wie wir diesen Begriff von alternativen kognitiven oder nicht-kognitiven Begriffen abgrenzen. Dies ist natürlich eine prinzi­ pielle Frage, die sich nicht nur mit Bezug auf Sarah oder andere Tiere stellt. Sarahs Verhalten dient gleichsam als Testfall, um zu prüfen, wie präzis und explanatorisch relevant unser Begriff ist. Ähnliches gilt auch für einen weiteren Grundbegriff, nämlich je­ nen der Sprache. Dies zeigt sich wiederum deutlich an einem konkre­ ten Beispiel, das in der Forschung zur Affensprache immer wieder diskutiert wird. D. L. Cheney und R. M . Seyfarth haben die Lautäuße­ rungen von Grünen Meerkatzen (auch als Vervetaffen bekannt) un­ tersucht und dabei festgestellt, dass einige dieser Äußerungen Infor­ mationen über Raubfeinde wie Leoparden, Schlangen oder Adler übermitteln.20 Sobald ein Raubfeind auftauchte, stieß eine Meerkatze einen bestimmten Laut aus, worauf alle Artgenossen in der Gruppe die Flucht ergriffen. Für jede Art von Raubfeind gab es einen spezifi19 Eine kritische Auswertung der empirischen Forschungsergebnisse, die in den zwan­ zig Jahren nach dem Erscheinen von Premacks und Woodruffs einflussreichen Arbeiten erzielt wurden, bietet C. M . Heyes, »Theory o f Mind in Nonhuman Pri­ mates«, The Behavioral and Brain Sciences 21 (1998), S. io iri4 8 . Verschiedene Standpunkte in philosophischer und psychologischer Sicht versammeln die Bei­ träge in Theories o f Theories ofM ind, hrsg. von P. Carruthers und P. K. Smith, Cam­ bridge und New York: Cambridge University Press 1996. 20 Vgl. D. L. Cheney und R. M . Seyfarth, How Monkeys See the World. Inside theM ind ofAnother Species, Chicago: University o f Chicago Press 1990 (dt. Wie Affen die Welt sehen. Das Denken einer anderen Art, München: Hanser 1994).

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sehen Laut. Die beiden Forscher berichten auch, dass junge Meerkat­ zen lernten, diese Laute zu imitieren und so zu verfeinern, dass sie der Lautverwendung der Erwachsenen in der Gruppe entsprachen. Die Erwachsenen ignorierten die Lautäußerung jedoch in den Fällen, in denen das geortete Objekt kein Raubfeind war. Nahte tatsächlich ein Raubfeind, wurde der Laut von einem Erwachsenen wiederholt. Flaben wir es hier mit einer Form von Sprachverwendung zu tun? Können wir sagen, dass sich die Meerkatzen mit ihren Lauten auf Raubfeinde beziehen (referentielle Funktion), dass sie den Lauten eine bestimmte Bedeutung geben (semantische Funktion), dass sie da­ mit ihre Artgenossen warnen (pragmatische Funktion), dass die Jun­ gen und Erwachsenen sich über die korrekte Verwendung verstän­ digen (kommunikative Funktion)? Eine Beantwortung dieser Fragen hängt nicht nur davon ab, wie man die einzelnen Lautäußerungen beschreibt und in Relation zueinander setzt.21 Eine Antwort hängt auch und sogar entscheidend davon ab, was man hier unter einer Sprache versteht. Welche Bedingungen müssen von den Meerkatzen erfüllt werden, dass wir bereit sind, ihnen tatsächlich eine Sprache und nicht nur ein vokalisiertes Reiz-Reaktions-Muster zuzuschreiben? A u f diese Frage ist natürlich eine Bandbreite von Antworten möglich, und zwar je nach Sprachbegriff, der explizit oder implizit vorausgesetzt wird. In dieser Bandbreite lassen sich zwei Extreme bestimmen. A u f der einen Seite stehen jene, die eine evolutionäre Sicht auf die Sprache wählen und vorschlagen, sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch verschiedene Entwicklungsstufen der Sprache und des Sprachvermögens zu unterscheiden. Man müsste dann zunächst bei einer Vorstufe zur Sprache ansetzen, die —mit C. Allen und E. Saidel gesprochen - nur in der »mimetischen Referenz« besteht.22 Das heißt: Ein Lebewesen äußert Signale, die dem Referenten ähnlich sind und ein bestimmtes, dem Referenten entsprechendes Verhalten auslösen sollen. A u f der nächsten Stufe wäre die »stellvertretende Re21 So kann man sich fragen, ob die Erwachsenen die Jungen sprachlich unterrichteten und auch tatsächlich die Absicht hatten, sie zu unterrichten, oder ob bei den Jungen nur ein Reiz-Reaktions-Muster vorlag. Vgl. dazu T. M. Caro und M. D. Hauser, »Is There Teaching in Nonhuman Animais?«, Quarterly Review ofBiology 67 (1992), S. 151-174, sowie die Beiträge zum Thema »Communication, Language, and Meaning« in: The Cognitive Animal. Empirical and Theoretical Perspectives on Animal Cognition, hrsg. von M. Bekoff, C. Allen, G. M . Burghardt, Cambridge (Mass.): MIT Press 2002. 22 Vgl. »Die Evolution der Referenz« (in diesem Band, S. 323 ff.).

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ferenz« anzusiedeln: Ein Lebewesen gibt Signale, die dem Referenten nicht ähnlich sind, aber ebenfalls ein bestimmtes, dem Referenten ent­ sprechendes Verhalten auslösen sollen. Erst auf dieser Stufe wäre eine erste Form von Sprache anzusiedeln, weil erst hier arbiträre Zeichen verwendet werden. A u f einer nächsten Stufe wäre die »begriffliche Re­ ferenz« anzusiedeln. Sie tritt auf, wenn mithilfe von Begriffen auf Re­ ferenten verwiesen wird, ohne dass dadurch ein bestimmtes Verhalten ausgelöst werden soll und ohne dass der Referent anwesend sein muss. Man könnte nun noch weiter gehen und zusätzliche Stufen einfüh­ ren, etwa eine Stufe, auf der nicht mehr eine referentielle, sondern eine performative Funktion im Mittelpunkt steht. (Es wird ein be­ stimmtes Signal verwendet, ohne dass auf irgendetwas verwiesen wer­ den soll, allein mit der Absicht, beim Rezipienten eine bestimmte Wir­ kung zu erzielen. Oder mit dem Signal wird auf etwas verwiesen und gleichzeitig soll eine bestimmte Wirkung erzielt werden.) Welche und wie viele Stufen es gibt, müsste natürlich ausgiebig diskutiert wer­ den. Ebenso müsste untersucht werden, welche Lebewesen zu wel­ chen Stufen fähig sind. Aber im Prinzip könnte man eine aufsteigende Skala zeichnen, die von einer rudimentären Form von Sprache und Sprachvermögen bis zu einer komplexen Form reicht. Würde man so Vorgehen, könnte man den Meerkatzen sicherlich eine Sprache zuschreiben, denn man findet bei ihnen nicht einfach eine mimeti­ sche Referenz ,(ihre Rufe gleichen ja nicht den Geräuschen von Ad­ lern oder Schlangen), sondern bereits eine stellvertretende Referenz: Sie verwenden arbiträre Zeichen, die dem Referenten nicht gleichen. Dass sie über keine Begriffe verfügen, zeigt nicht, dass sie keine Spra­ che haben. Dies verdeutlicht nur, dass sie nicht zu begrifflicher Refe­ renz fähig sind und somit nicht über eine hochentwickelte Form von Sprache verfügen. Die andere Extremposition in der Bandbreite der möglichen Ant­ worten wird von all jenen eingenommen, die von Anfang an darauf insistieren, dass nur Lebewesen, die über Überzeugungen und andere propositionale Einstellungen verfügen, eine Sprache zugeschrieben werden kann. Eine besonders elaborierte Version dieser Auffassung vertritt D. Davidson.23 Seiner Ansicht nach reicht es nicht einmal 23

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Vgl. in diesem Band, S. 117 -13 1, sowie D. Davidson, »Thought and Talk«, in: id., Essays on Truth and Interpretation, Oxford: Clarendon Press 1984, S. 15 5-170 (dt. »Denken und Reden«, in: Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 224-246).

aus, einzelne Überzeugungen zu haben. Vielmehr muss ein Lebe­ wesen, das denkt und spricht, ein ganzes Netz von Überzeugungen haben, das mehr oder weniger kohärent ist. Davidson behauptet so­ gar, dass jemand erst dann denken und sprechen kann, wenn er nicht nur eigene Überzeugungen hat, sondern auch die Überzeugungen an­ derer interpretieren kann. Wendet man diese Auffassung von Denken und Sprechen, die im Kern holistisch und intersubjektivistisch ist, auf Tiere - etwa auf die genannten Meerkatzen - an, wird sofort klar, dass ihnen kein Denken und Sprechen zugeschrieben werden kann. Meer­ katzen haben keine Überzeugungen im strengen Sinn (d. h. propositionale Einstellungen der Form »Ich glaube, dass ...«) und können auch nicht die Überzeugungen anderer interpretieren. Dies zeigt sich schon darin, dass sie nicht imstande sind, eine Überzeugung mit an­ deren zu verbinden und in einem ganzen Netz von Überzeugungen zu lokalisieren. So können sie nicht sagen (oder mittels nicht-vokaler Zeichen irgendwie ausdrücken): »Ich glaube, dass ein Adler über mir fliegt; also glaube ich auch, dass ein Raubfeind über mir fliegt.« Sie sind höchstens zum Äußern von Signalen fähig. Dies ist keine Form von Sprachbeherrschung, sondern lediglich Ausdruck einer teils an­ geborenen, teils erworbenen Reaktion auf bestimmte Reize. Die beiden Extrempositionen lassen sich natürlich ausführlicher beschreiben, und es können zahlreiche Mittelpositionen genannt wer­ den, die sich weder mit einer minimalen Form von Referenz begnügen noch die maximale Forderung nach dem Verfügen über ein ganzes Netz von Überzeugungen aufstellen. Hier sind jedoch nicht die De­ tails der einzelnen Positionen von Interesse. Entscheidend ist viel­ mehr das methodologische Grundproblem: Ob jemand den Tieren eine Sprache zuschreibt, hängt davon ab, welchen Begriff von Spra­ che er verwendet - bildlich gesprochen: wie tief oder hoch er die Mess­ latte ansetzt, die ein Tier überwinden muss. Daher ist es unmöglich, in einem ersten Schritt empirisch zu bestimmen, ob bestimmte Tiere eine Sprache (und damit auch einen Geist) haben, um dann verschie­ dene Formen von Sprache miteinander zu vergleichen und begriff­ lich zu kategorisieren. Vielmehr muss die begriffliche Analyse von Anfang an in die Auswertung der empirischen Daten einbezogen wer­ den. Denn nur wenn man sich klar darüber wird, welchen Begriff von Sprache man zur Anwendung bringt, lässt sich auch bestimmen, wel­ ches Phänomen überhaupt in den Blick genommen und von anderen Phänomenen abgegrenzt werden soll. Genau zu dieser Klärung ver27

hilft eine nähere Betrachtung der Tierbeispiele. Sie zwingt uns gleich­ sam, unsere Begriffe zu analysieren, zu schärfen und gegebenenfalls zu revidieren. Und das heißt natürlich: Sie veranlasst uns dazu, eine genuin philosophische Aufgabe anzupacken.

2. D ie Entsteh u ng der m odernen T ierdebatte Die Fragen, ob Tiere einen Geist haben und auf welcher Grundlage wir ihnen überhaupt geistige Fähigkeiten und Zustände zuschreiben können, sind so alt wie die westliche Philosophie. Sie wurden bereits von antiken und mittelalterlichen Denkern aufgeworfen und ausführ­ lich debattiert.24 Eine besondere Brisanz gewannen sie allerdings in der frühen Neuzeit, als im Rahmen der »neuen Wissenschaft« zum einen neue empirische Modelle zur Analyse des Tierverhaltens ent­ worfen wurden (z. B. im Rahmen einer mechanistischen Physiologie), zum anderen aber auch die kognitiven Grundbegriffe einer radikalen Prüfung unterzogen wurden.25 Exemplarisch zeigt sich dieses inten­ sive Interesse an den Tieren in P. Bayles Dictionnaire historique et critique (Erstveröffentlichung 1697), in dem unter dem Stichwort »Rorarius«26 die neueren Beiträge zur Tierdebatte dargestellt und kri­ tisch diskutiert werden. Bayle zufolge sind die Tiere der Prüfstein für sämtliche Theorien des Geistes, denn am Beispiel der Tiere zeigt sich, ob diese Theorien den konkreten Phänomenen gerecht werden. Freilich betont Bayle gleich zu Beginn seiner Abhandlung, dass er die prominentesten Theorien für unzulänglich hält: »Die Fakten, wel­ che die Fähigkeiten der Tiere betreffen, bringen die Anhänger des 24 Zur antiken Debatte vgl. R. Sorabji, Anim al Minds and Human Morals. The Origins ofthe Western Debate, Ithaca und New York: Cornell University Press 1993; L ’a nimaldans l ’a ntiquite, hrsg. von B. Cassin und J. L. Labarriere, Paris: Vrin 1997; Th. Gontier, Lhomme et Tanimal. La philosophie antique, Paris: Presses Universitaire de France 1999. Z u den mittelalterlichen Diskussionen vgl. D. Perler, »Intentionality and Action. Medieval Discussions on the Cognitive Capacities o f Animais«, in: Intellect and Imagination in Medieval Philosophy, hrsg. von M. C. Pacheco und J. F. Meirinhos, Turnhout: Brepols 2004 (kn. Druck). 25 Vgl. M. Wild, Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der frühen Neu­ zeit bei Montaigne, Descartes und Hume (Diss. 2004, im Erscheinen). 26 H. Rorarius hatte 1654 die Schrift Quod animalia bruta ratione utantur melius homine (»Dass die Tiere die Vernunft besser gebrauchen als der Mensch«) publiziert, die P. Bayle als Ausgangspunkt verwendete.

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Descartes wie des Aristoteles gleichermaßen in Schwierigkeiten.«27 Angesichts dieser kritischen Einschätzung lohnt es sich, einen Blick auf einige dieser Schwierigkeiten und die daraus entstehenden Kont­ roversen zu werfen. In den frühneuzeitlichen Diskussionen wurden nämlich zahlreiche inhaltliche und methodologische Probleme the­ matisiert, die auch heute noch im Mittelpunkt des Interesses stehen. Daher sollen kurz zwei Hauptkontrahenten der frühneuzeitlichen Tierdebatte vorgestellt werden - nicht um einen philosophiehistori­ schen Überblick zu geben, sondern um die Fragestellungen und die Argumentationsmuster zu benennen, die auch heute noch relevant sind.28 Die frühneuzeitliche Tierdebatte wurde durch Michel de Mon­ taigne (1533-1592) eröffnet, der in seiner »Apologie für Raimond Sebond« (.Essais II, 12) ausführlich die Frage erörtert, ob wir den Tieren einen Geist zuschreiben können. Den Ausgangspunkt für Montaignes Überlegungen bildet eine traditionelle Anthropologie, die eine klare hierarchische Ordnung postuliert: Menschen sind als Abbild Gottes den Tieren überlegen, selbst wenn Tiere ein scheinbar intelligentes Verhalten an den Tag legen. Aufgrund der besonderen Stellung in der Schöpfung kann man den Menschen prinzipiell kognitive Fähig­ keiten zuschreiben, was im Falle der Tiere nicht möglich ist. Tieren können nur Sinnesreize, Instinkte, Triebe und gegebenenfalls ein an­ trainiertes Verhalten zugeschrieben werden. Gegen eine solche prinzi­ pielle Unterscheidung wendet Montaigne ein: »Wir stehen weder hö­ her noch tiefer als die übrigen Geschöpfe. [...] Es gibt Unterschiede, es gibt Rangordnungen und Stufen, doch stets nur als Erscheinungs­ formen der einen Natur.«29 In dieser Stellungnahme manifestiert sich 27 P. Bayle, Dictionnaire historique et critique, Bd. 12 (nouvelle edition de l’edition de Paris 1820-24), Genf: Slatkine 1969, S. 588 (dt. Historisches und kritisches Wörter­ buch, übers, und hrsg. von G. Gawlick und L. Kreimendahl, Hamburg: Meiner 2003, S. 280). 28 Für einen Überblick vgl. die Textsammlung von L. Ferry und C. Germe, Des animaux et des hommes. Anthologie des textes remarquables ecrits sur le sujet du XVe siecle ä nosjours, Paris: Librairie generale fran^aise 1994. Ältere Standardwerke dazu sind G . Boas, The Happy Beast in French Thought ofthe Seventeenth Century, Baltimore: Johns Hopkins Press 1933; L. C. Rosenfield, From Beast-machine to Man-machine. The Animal Soul in French Letters from Descartes to la Mettrie, New York: Oxford University Press 1940. 29 Essais II, 12, hrsg. von P. Villey, Paris: Presses Universitaires de France 1965, S. 459 A. [Der Buchstabe, der jeweils der Seitenzahl hinzugefügt wird, kennzeichnet die

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nicht nur die Zurückweisung einer hierarchisch konzipierten Schöp­ fungslehre, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sondern eine grundsätzliche methodologische Kritik an impliziten Vorausset­ zungen, die bei der Beschreibung von Tieren gemacht werden. Wenn man von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren ausgeht, wird das Tierverhalten von vornherein als defizitär betrachtet und am Maßstab des menschlichen Verhaltens gemessen, Was auch immer Tiere tun, äußern oder lernen, ihr Verhalten kann dem menschlichen nicht ebenbürtig sein. Es kann ihm höchstens in einigen Punkten ähneln, aber es kann nicht von gleicher Art sein und auch nicht in gleicher Weise verursacht werden. M it dieser Annähme wird freilich das antizipiert, was ein detaillierter Vergleich von Menschen und Tieren erst zeigen (oder gegebenenfalls auch wi­ derlegen) sollte, nämlich dass wir zur Beschreibung und Erklärung des Tierverhaltens nicht auf jene Kategorien zurückgreifen dürfen, die wir auf menschliches Verhalten anwenden. Oder zugespitzt ausge­ drückt: Es wird von Anfang an eine radikale anthropologische Diffe­ renz angenommen, die sämtliche Beobachtungen und Bewertungen von Einzelfällen bestimmt. Die Fälle »bestätigen« nur das, was ohne­ hin schon feststeht. Gegen ein derart unzulässiges Vorgehen fordert Montaigne, dass die These von einer radikalen Differenz aufgegeben werden muss. Er geht von folgendem Grundsatz aus: »Ich behaupte also, um auf mein Thema zurückzukommen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, zu meinen, die Tiere täten aus zwanghaftem Naturtrieb, was wir aufgrund eigener Wahl und erworbner Kunstfertigkeit tun. Von gleichen Ergebnissen müssen wir vielmehr auf gleiche Kräfte schlie­ ßen und folglich zugeben, dass ebender Verstand und ebender Weg, die unser Werken und Wirken bestimmen, im selben Maße auch für sie bestimmend sind, wenn nicht in höherem.«30 Es gilt also der Grundsatz, dass von gleichen Wirkungen auf gleiche Ursachen ge­ schlossen werden muss, ohne dass von vornherein prinzipielle Unter­ schiede angenommen werden dürfen. Konkret heißt dies: Sieht man einen Menschen und einen Hund an einer Weggabelung stehen und nach kurzem Zögern einen der drei Wege gehen, hat man zwei ErTextfassung: A = Fassung von 1580, B = Fassung von 1588, C = Exemplar von Bor­ deaux, 1588-92.] (Dt. Essais, übers, von H. Stilett, Frankfurt/M.: Eichborn 1998, S. 227.) 30

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Essais II, 12, ed. Villey, S. 460 A (dt. S. 227).

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klärungsmöglichkeiten.31 Entweder man sagt beim Menschen ebenso wie beim Hund, dass sie den einen Weg gegangen sind, weil sie über­ legt haben, welchen Weg sie gehen sollen, und weil sie sich für eine der drei Optionen entschieden haben. Man schließt also in beiden Fäl­ len von einem bestimmten Verhalten auf eine bestimmte kognitive Ursache. Oder man sagt beim Menschen genau wie beim Hund, dass sie den einen Weg gegangen sind, weil sie durch gewisse Reize oder durch ein antrainiertes Verhaltensmuster dazu gebracht wurden. Man schließt demnach in beiden Fällen auf eine nicht-kognitive Ursache. Eine solche Erklärungsstrategie schließt freilich nicht aus, dass das Verhalten von Menschen in einigen Situationen anders zu erklären ist als jenes von Tieren. Montaigne räumt ja ein, dass es »Rangordnungen und Stufen« innerhalb der einen Natur geben kann. Dies liegt aber nur daran, dass das menschliche Verhalten gelegentlich komplexer ist als jenes der Tiere, sodass auch auf eine komplexere Ursache rekur­ riert werden muss. Der Grund besteht aber nicht darin, dass das Ver­ halten von Menschen grundsätzlich anders zu erklären ist als jenes von Tieren: Graduelle Unterschiede erlauben keine prinzipielle D i­ chotomie. Montaigne weist allerdings darauf hin, dass das Verhalten der Tiere gelegentlich komplexer ist als jenes von Menschen, sodass bei den Tieren auf eine komplexere - vielleicht sogar auf eine kogni­ tive - Ursache geschlossen werden muss. Dies veranschaulicht das Beispiel des Chamäleons, das seine Farbe der Umgebung anpassen kann - ein Verhalten, zu dem wir Menschen nicht in der Lage sind. Aus dieser Beobachtung folgert Montaigne: »Solche Leistungen, die wir bei den anderen Lebewesen beobachten und die größer sind als unsre, beweisen daher, dass sie diesbezüglich eine uns überlegne Fä­ higkeit haben, die uns verborgen bleibt - wie wahrscheinlich viele andre Anlagen und Kräfte, die nicht einmal bis zu unserer Wahrneh­ mung dringen.«32 Genauso wie den Tieren unsere kognitiven Fähig­ keiten verborgen sind, können auch uns die kognitiven Fähigkeiten des Chamäleons und anderer Tiere unbekannt sein. Unsere kognitive Beschränktheit darf daher nicht der Grund sein, den Tieren prinzi­ piell kognitive Fähigkeiten abzusprechen. 31 Montaigne erwähnt dieses klassische Beispiel, das bereits von hellenistischen Phi­ losophen zitiert wurde. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte L. Floridi, »Scepticism and Animal Rationality: the Fortune o f Chrysippus’ Dog in the History o f Western Thought«, Archiv fü r Geschichte der Philosophie 79 (1997), S. 27-57. 32 Essais II, 12, ed. Villey, S. 469 A -C (dt. S. 232).

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Aus heutiger Sicht könnte man nun einwenden, dass man beim Cha­ mäleon keineswegs auf eine »überlegene Fähigkeit« schließen muss, schon gar nicht auf eine kognitive Fähigkeit. Das Chamäleon erkennt ja nicht die Farbe der Umgebung und entschließt sich nicht, seine Farbe anzupassen. Der Farbwechsel ist ein rein biologischer Vorgang der Anpassung, der mit Rekurs auf biochemische Prozesse und Um­ weltbedingungen erklärt werden kann. Ein solcher Einwand würde Montaignes Ffauptargument freilich verfehlen. Ihm geht es nicht da­ rum, die inhaltliche These zu vertreten, dass die Farbanpassung des Chamäleons eine kognitive Ursache haben muss. Welche Ursache vor­ liegt, ist ihm (wie auch allen anderen Menschen des 16. Jh.) verborgen, wie er offen eingesteht. Montaigne weist vielmehr auf einen metho­ dologischen Punkt hin: Wenn man davon ausgeht, (a) dass man von gleichen Wirkungen auf gleiche Ursachen schließen muss und (b) dass komplexe Wirkungen komplexe Ursachen haben, dann muss man diese beiden Grundsätze auch auf die Tiere anwenden. Es wäre unzu­ lässig zu behaupten, dass Menschen komplexe Verhaltensweisen an den Tag legen und daher auch über komplexe Ursachen - sprich: über kognitive Prozesse - verfügen, Tiere hingegen nur biologischen Pro­ zessen unterworfen sind. Wer methodisch korrekt Vorgehen will, muss wiederum zugestehen, dass es nur zwei Erklärungsmöglichkeiten gibt. Entweder man schließt bei den Menschen wie bei den Tieren von kom­ plexen Verhaltensweisen auf komplexe nicht-kognitive Ursachen, oder man schließt bei beiden auf kognitive Ursachen. Rekurriert man auf unterschiedliche Ursachen, muss man dafür konkrete empirische An­ haltspunkte haben, z. B. eine markante Differenz in der jeweiligen Ver­ haltensweise. Dies ist ein entscheidender Punkt, der auch in den heutigen Debat­ ten nicht an Bedeutung eingebüßt hat und vor allem von kognitiven Ethologen gegen die Vertreter einer prinzipiellen anthropologischen Differenz ins Felde geführt wird. Wenn etwa behauptet wird (heute natürlich ohne Verweis auf eine Hierarchie in der Schöpfung), dass Menschen prinzipiell anders beschaffen sind als Tiere und dass des­ halb nur menschliches Verhalten mit Verweis auf geistige Fähigkeiten erklärt werden kann, lautet die Erwiderung ähnlich wie bei M on­ taigne. So hält E. Saidel fest: »Es mag sein, dass Dinge, die sich von einem menschlichen Geist stark unterscheiden, keine Geister sind, aber wir sollten unsere Untersuchung bezüglich der Natur des Geis­ tes von Tieren nicht mit einer solchen Annahme beginnen. Dies sollte 32

etwas sein, was wir als das Resultat unserer empirischen Arbeit ent­ decken, nicht eine Rahmenbedingung, die wir von vornherein an unsere Arbeit stellen.«33 Konkret heißt dies: Es mag sehr wohl sein, dass Prozesse der Anpassung an die Umwelt bei Tieren ganz anders zu erklären sind als bei Menschen, weil Tieren bestimmte kognitive Fähigkeiten fehlen, über die wir verfügen. Aber ein solcher Mangel darf nicht von Anfang an angenommen werden. Falls er tatsächlich besteht, muss er mittels empirischer Studien gezeigt werden. Prima facie darf kein prinzipieller Unterschied zwischen Menschen und Tieren angenommen werden. Andernfalls »bestätigen« die Beobach­ tungen nur das, was durch die These von der anthropologischen Dif­ ferenz ohnehin von vornherein feststeht. M it seiner Kritik an der These, dass sich Menschen prinzipiell von Tieren unterscheiden, erreicht Montaigne ein zweifaches Ziel. Ei­ nerseits »animalisiert« er die Menschen, indem er anhand konkreter Beispiele aufzeigt, dass bestimmte Verhaltensweisen von Menschen ebenso auf Instinkte, Triebe und Sinnesreize zurückgeführt werden können wie jene von Tieren. Andererseits »humanisiert« er die Tiere, indem er verdeutlicht, dass zur Erklärung komplexer Verhaltenswei­ sen von Tieren ebenso kognitive Fähigkeiten in Anschlag gebracht werden können wie zur Erklärung analoger Verhaltensweisen von Menschen. Man könnte somit von einer Doppelstrategie sprechen, die auf die Überwindung einer starren hierarchischen Ordnung und auf die möglichst weitgehende Einebnung der Mensch-Tier-Differenz abzielt. Montaigne wendet diese Doppelstrategie auf verschie­ dene Bereiche an.34 Zwei davon spielen auch in der heutigen Debatte noch eine wichtige Rolle. Der erste Bereich betrifft das Sprachvermögen, das meistens den Menschen, nicht aber den Tieren zugesprochen wird. Was veranlasst uns zu dieser Asymmetrie? A u f den ersten Blick nur die Tatsache, dass wir uns mit anderen Menschen unterhalten können, mit den Tieren aber nicht. Dies ist aber kein ausreichender Grund, wie Mon­ taigne sogleich einwendet: »Diese Unfähigkeit zur Kommunikation zwischen ihnen und uns —warum sollte sie nicht ebenso unsere sein 33 E. Saidel, »Animal Minds, Human Minds«, in: The Cognitive Animal, op. cit., S. 54. 34 Für eine sorgfältige Analyse sämtlicher Bereiche vgl. Th. Gontier, De l ’homme ä TanimaL Montaigne et Descartes ou lesparadoxes sur la nature des animaux, Paris: Vrin 1998.

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wie ihre? Es bleibt eine offne Frage, wessen Fehler es ist, dass wir uns nicht verstehen, denn wir verstehen sie keineswegs besser als sie uns! So können sie uns mit gleichem Recht für vernunftlose Tiere halten wie wir sie.«35 Montaigne betont hier, dass wir nicht von vornherein von einer Asymmetrie ausgehen dürfen, d. h. wir dürfen nicht anneh­ men, dass wir Menschen über ein ausgeklügeltes Zeichensystem ver­ fügen, das interpretierbar und somit auch verstehbar ist, die Tiere hin­ gegen nicht. Aufgrund unserer eingeschränkten Perspektive können wir nur auf unser Zeichensystem und unsere Möglichkeiten der Inter­ pretation verweisen. Ob andere Lebewesen ihre eigenen Zeichensys­ teme haben, die auf ihre eigene Art interpretierbar sind, entzieht sich unserem Wissen. Daher dürfen wir den Tieren nicht von vornherein eine Sprache absprechen. Nun wäre es allerdings unbefriedigend, wenn wir zwar einräumen würden, dass andere Lebewesen ihre eigenen Zeichensysteme haben, gleichzeitig aber eingestehen müssten, dass wir über keine Möglich­ keit verfugen,, diese Systeme zu erkennen, geschweige denn in unsere Sprache zu übersetzen. Damit wir überhaupt auf andere Zeichensys­ teme verweisen und sie identifizieren können, brauchen wir gewisse Anhaltspunkte, die es uns erlauben, diese fremden Systeme überhaupt als Zeichensysteme bzw Sprachen zu bestimmen. Was wären solche Anhaltspunkte? In seiner Antwort auf diese Frage legt Montaigne die Grundlage fiir zahlreiche moderne Diskussionen über Tiersprachen. Im Gegensatz zu traditionellen Sprachtheoretikern verweist er nämlich nicht auf die semantische und die syntaktische Dimension einer Sprache, sondern auf die pragmatische: » ... denn was ist Sprechen anderes als die bei den Tieren zu beobachtende Fähigkeit, durch den Gebrauch ihrer Stimmen Jammer und Freude zu bekunden, sich gegenseitig zu Hilfe zu rufen und zum Liebesspiel zu locken?«36 Auch wenn wir etwa im Falle der Vögel nicht in der Lage sind, den einzelnen Zwitscherlauten eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben oder syntaktische Regeln zur Kombination der Laute zu bestimmen, kön­ nen wir doch erkennen, dass die Laute in bestimmten Situationen zu bestimmten Zwecken geäußert werden: Sie sollen ein bestimmtes Ver­ halten verursachen und dadurch die Interaktion mit Vertretern der eigenen Spezies oder anderer Spezies regeln. Dies verdeutlicht, dass die Zwitscherlaute weit mehr sind als Geräusche; sie sind Zeichen, 35 Essais II, 12, ed. Villey, S. 453 A (dt. S. 224). 36 Essais II, 12, ed. Villey, S. 458 A (dt. S. 226).

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die gezielt eingesetzt werden, um beim Empfänger eine bestimmte Wirkung hervorzurufen. Die Beispiele, die Montaigne anführt, mögen heute anekdotisch anmuten.37 Entscheidend ist indessen nicht die Plausibilität der ein­ zelnen Beispiele, sondern der allgemeine Erklärungsansatz. Sobald Sprache in pragmatischer Hinsicht betrachtet wird, ist es durchaus möglich, Tieren eine Sprache zuzuschreiben. Wir sehen nämlich, dass bestimmte Lautäußerungen bestimmte Verhaltensweisen hervorrufen und dass sie genau zu diesem Zweck eingesetzt werden. So können wir fremde Zeichensysteme bestimmen, auch wenn wir nicht in der Lage sind, sie vollständig in unsere Sprache zu übersetzen. Dies ist ein Punkt, der auch von heutigen Forschern, die nach der Möglichkeit von Tiersprachen fragen, betont wird. So hält J. Proust fest, dass es unzulässig wäre, stets mit einem hoch angesetzten Sprachbegriff zu operieren und von jedem sprachfähigen Lebewesen gleich das Be­ herrschen einer Semantik und einer Syntax zu verlangen. A u f einer basalen Ebene beginnt Sprache mit einer zielgerichteten Informa­ tionsvermittlung, und auf dieser Ebene gilt: »Es gibt eine Kommuni­ kation, sobald die erhaltene Information das Verhalten des Rezipien­ ten bestim m t.. ,«38 Gelingt es einem Tier, mit gezielten Signalen in einem anderen Tier ein bestimmtes Verhalten zu bewirken, kann ihm eine gewisse (freilich nur basale) Form von Kommunikation und damit auch eine gewisse Sprachbeherrschung zugesprochen wer­ den. Ein zweiter Bereich, in dem Montaigne versucht, die Mensch-TierDifferenz einzuebnen, umfasst das rationale Handeln. Gewöhnlich gehen wir davon aus, dass Menschen bestimmte Handlungen ausfüh­ ren, weil sie sich Ziele setzen und überlegen, mit welchen Mitteln sie diese Ziele am besten erreichen können. Kurz gesagt: Wir schreiben den Menschen Zweckrationalität zu. Warum sollten wir diese nicht auch den Tieren zuschreiben? Montaigne veranschaulicht diese Frage anhand eines Beispiels. Angenommen, ein Fuchs erreicht einen zuge­ frorenen Fluss und wir beobachten, wie er sein Ohr zunächst dicht ans 37 So sagt er in Anlehnung an Dante, dass Ameisen miteinander sprechen, um sich gegenseitig nach dem Weg zu fragen und das Ziel zu finden. Vgl. Essais II, 12, ed. Villey, S. 458 A (dt. S. 226). 38 J. Proust, Les animaux, pensent-ils?, op cit., S. 69. Freilich betont die Autorin, dass damit höchstens eine Sprache auf der Ebene von Spuren und Signalen gegeben ist. D a eine Syntax fehlt, ist keine elaborierte Sprache vorhanden.

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Eis legt und dann stehen bleibt oder weiter geht. Sollten wir dann nicht sagen, dass der Fuchs sich ein Ziel setzt (der Fluss soll überquert werden) und dann prüft, ob ein bestimmtes Mittel (Überschreiten der Eisdecke) zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt werden kann oder nicht? Sollten wir nicht sogar annehmen, dass der Fuchs logische Überlegungen anstellt, etwa indem er denkt, dass er die Eisdecke nur überschreiten kann, wenn sie dick genug ist und sein Gewicht trägt? Freilich lässt sich nicht eindeutig feststellen, was der Fuchs denkt. Doch für Montaigne steht fest, dass wir das Fuchs verhalten nicht bloß mit Rekurs auf Sinneseindrücke erklären können: »Denn sein Verhalten lediglich der Schärfe seines Gehörs und nicht auch seinem logischen Denkvermögen zuzuschreiben, scheint mir völlig abwegig und keiner Erwägung wert.«39 Auch hier könnte man einwenden, dass Montaigne einem Anthro­ pomorphismus verfällt. Warum sollte der Fuchs Propositionen erfas­ sen und sie gemäß logischen Regeln miteinander verknüpfen? Es könnte ja sein, dass ein simples Reiz-Reaktions-Muster sein Verhal­ ten bestimmt: Immer wenn er bestimmte auditive Wahrnehmungs­ reize erhält (z. B. Geräusche von rauschendem Wasser), wird die Reak­ tion des Stehenbleibens ausgelöst. Ein solcher Einwand ist natürlich berechtigt und bedarf einer empirischen Prüfung. Doch auch hier ist nicht die Überzeugungskraft des konkreten Beispiels entschei­ dend.40 Wichtig ist vielmehr die Grundüberlegung, dass nicht von vornherein eine kognitive Tätigkeit ausgeschlossen werden darf, nur weil der Fuchs - im Gegensatz zu uns Menschen - keine solche Tätig­ keit sprachlich manifestiert. Oder verkürzt ausgedrückt: Nur weil der Fuchs nicht spricht, kann ihm noch nicht das Denken abgesprochen werden. Auch in diesem Punkt erweist sich Montaignes Ansatz als verblüf­ fend aktuell. In der gegenwärtigen Debatte stellen nämlich verschie39 Essais II, 12, ed. Villey, S. 460 A (dt. S. 227). 40 Es ist grundsätzlich zu beachten, dass Montaigne keine Behauptungen über die kognitiven Leistungen der Tiere aufstellt, sondern in Anlehnung an die Methode der pyrrhonischen Skepsis nur bestimmte Meinungen (z. B. dass der Fuchs Über­ legungen anstellt) anderen, bereits etablierten Meinungen gegenüberstellt und so einen Zustand der Isosthenie, d. h. der Gleichwertigkeit von Meinungen, erreichen will. Vgl. zu dieser Methode I. Maclean, M ontaignephilosophe, Paris: Presses Universitaires de France 1996, S. 48-51; F. Brahami, Le scepticisme de M ontaigne, Paris: Presses Universitaires de France 1997; M . Wild, »Les deux pyrrhonismes de Mon­ taigne«, Bulletin de la societe des amis de M ontaigne 19-20 (2000), S. 45-56.

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dene Philosophen die nach dem »linguistic turn« dominierende These von der Sprachabhängigkeit des Denkens in Frage. So bestreitet F. Dretske mit Nachdruck die Ansicht, dass nur Lebewesen, die in einem sozialen Kontext eine Sprache lernen und verwenden, auch denken können. Genau wie Montaigne führt auch Dretske teils em­ pirisch belegte, teils fiktive Beispiele von Tieren an, um zu verdeut­ lichen, dass ein Lebewesen bereits aufgrund innerer Repräsentatio­ nen, die Informationen über die Umwelt vermitteln, denken kann. Diese Repräsentationen entstehen durch Kausalbeziehungen zu Ge­ genständen in der Umwelt und dienen als »kognitive Karten« fiir das Verhalten. Dretske hält fest: »Gedanken sind als Karten beschrie­ ben worden, mit deren Hilfe wir navigieren. Ich mag diese Meta­ pher. Karten sind Repräsentationen, und ihr Navigationsvermögen ist die Rolle, die sie in der Festlegung eines Outputs spielen.«41 Wen­ det man diese Aussage auf das Fuchsbeispiel an, heißt dies: A u f der Grundlage der auditiven Eindrücke, die der Fuchs von der Eisdecke und dem Wasser erhält, eignet er sich eine kognitive Karte vom Fluss an - eine Karte, auf der einzelne Gegenstände und ihre Beziehun­ gen zueinander eingezeichnet sind. Diese kognitive Karte bestimmt unmittelbar das Verhalten des Fuchses, etwa sein Stehenbleiben oder sein Weitergehen. So gesehen denkt der Fuchs, auch wenn er nicht im­ stande ist, Begriffe im strengen Sinn (d. h. Prädikate) zu bilden und logische Überlegungen sprachlich zu artikulieren. Wie dieses Beispiel verdeutlicht, ist Montaignes Versuch, die Mensch-Tier-Differenz möglichst weitgehend einzuebnen und das Denken bereits auf einer vorsprachlichen Ebene anzusiedeln, nicht einfach ein skurriles Projekt der frühen Neuzeit. In seinem methodi­ schen Ansatz (wenn auch nicht in der Erklärung einzelner Beispiele) ist es auch heute noch von systematischer Bedeutung. Freilich steht ihm ebenfalls seit der frühen Neuzeit ein anderes Projekt gegenüber, das die Differenz zwischen Mensch und Tier betont. Dieses Gegen­ projekt ist vor allem durch Rene Descartes (1596-1650) bekannt ge­ worden, der in seiner Metaphysik bekanntlich einen dualistischen Ansatz wählte. Bereits dieser Ansatz impliziert eine prinzipielle und nicht nur eine graduelle Unterscheidung von Mensch und Tier. Wenn Menschen nämlich aus einem materiellen Körper und einer immate41

F. Dretske, »The Nature o f Thought«, in: id., Perception, Knowledge and Belief, Cambridge und N ew York: Cambridge University Press 2000, S. 240. Vgl. auch in diesem Band, S. 216 f.

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riellen Seele bestehen, Tiere hingegen nur aus einem materiellen Kör­ per, können Tiere und Menschen nicht gleich strukturiert sein, wie ähnlich ihr Verhalten auch erscheinen mag. Vor allem können Tiere keine Gedanken haben, denn Gedanken sind der cartesischen Meta­ physik zufolge Akte und Zustände (sog. »Modi«) des immateriellen Geistes.42 Was auch immer wir als Denken, Überlegen, Planen oder kluges Handeln bei einem Tier auffassen, muss somit »entgeistigt« und dem materiellen Körper zugeschrieben werden. Wenn man sich der in Abschnitt i dargestellten Unterscheidung verschiedener Inten­ tionalitätsstufen bedienen möchte, könnte man sagen, dass Descartes die Zustände des Fuchses auf der nullten Stufe erklärt: Der Fuchs zeigt nur ein Reiz-Reaktions-Muster, das in seinem Körper implemen­ tiert ist. Montaigne hingegen erklärt diese Zustände auf der ersten Stufe: Der Fuchs denkt an die Eisdecke und möchte sie überqueren. Er überlegt, dass er sie nur überqueren kann, wenn sie dick genug ist und sein Gewicht trägt. Eine solche Zuschreibung intentionaler Zustände ist Descartes zufolge nur bei einem Lebewesen mit einem immateriellen Geist möglich. Nun könnte man den Eindruck gewinnen, dass Descartes’ nega­ tives Verdikt einzig und allein in seiner dualistischen Metaphysik begründet ist. Lehnt man diese Metaphysik ab, wie dies die meisten Gegenwartsphilosophen fordern, entfällt auch die Begründungsba­ sis, um Tieren geistige Zustände absprechen zu können.43 Bereits die Überwindung des cartesischen Dualismus hat dann die Preisgabe einer prinzipiellen Mensch-Tier-Differenz zur Folge. Ein genauer Blick auf Descartes’ Schriften zeigt indessen, dass diese Differenz nicht allein in der dualistischen Metaphysik begründet ist. Descartes führt Argumente an, die ohne Rekurs auf die Dualismus-These zei­ gen sollen, dass eine prinzipielle Mensch-Tier-Differenz besteht.44 42 Vgl. Principia I, 8-9 und 32 (AT V III-i, 7-8 und 17) (dt. D ie Prinzipien der Philoso­ phie, übersetzt von A. Buchenau, Hamburg: Felix Meiner 1992, S. 3 und 11-12). Des­ cartes’ Werke werden nach der Ausgabe der CEuvres de Descartes, hrsg. von Ch. Adam und P. Tannery (= AT), »nouvelle presentation«, Paris: Vrin 1981 ff. zitiert. 43 Freilich könnte man auch umgekehrt argumentieren: Entfällt die dualistische Basis zugunsten einer materialistischen Metaphysik, entfällt auch die Möglichkeit, den Menschen geistige Zustände zuzusprechen. Menschen sind dann genauso physiolo­ gische Maschinen wie die Tiere im Rahmen der cartesischen Metaphysik. Eine Zu­ schreibung geistiger Zustände ist dann nur möglich, wenn die Möglichkeit mate­ rieller geistiger Zustände eingeräumt wird. 44 Ob diese beiden Argumente tatsächlich von der Dualismus-These unabhängig

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Er entwickelt diese Argumente, indem er zwei Tests einführt, um raf­ finierte Maschinen, die wie Menschen aussehen und sich scheinbar auch wie Menschen verhalten, von wirklichen Menschen zu unter­ scheiden.45 Der erste Test bezieht sich auf das Sprachvermögem Raffinierte M a­ schinen können zwar Laute äußern, sind aber nicht in der Lage, Wör­ ter oder andere Zeichen zu verwenden, um anderen Gedanken mitzu­ teilen. Will man herausfinden, ob ein sprechendes Wesen tatsächlich ein Mensch ist, muss man nur testen, ob es Wörter so miteinander ver­ bindet, dass es anderen etwas mitteilt. Der zweite Test betrifft das Handlungsvermögen: Maschinen können keine intelligenten, der je­ weiligen Situation angepassten Handlungen ausführen, sondern sind auf bestimmte Bewegungsmuster festgelegt. Auch hier muss man nur testen, ob ein Wesen sich einer neuen Situation anpassen kann, wenn man herausfinden will, ob es ein Mensch oder eine Maschine ist. Be­ merkenswert ist nun, dass Descartes die beiden Tests ausdrücklich auf die Tiere anwendet: »Nun, durch diese zwei Mittel kann man auch den Unterschied, den es zwischen den Menschen und den Tieren gibt, erkennen. Denn es ist ein sehr bemerkenswerter Sachverhalt, dass es die Verrückten nicht ausgenommen —keine so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, die nicht fähig wären, verschiedene Worte zusammenzustellen und daraus eine Rede zu bilden, durch die sie ihre Gedanken verständlich machen; und dass es umgekehrt kein anderes Tier gibt, das, so vollkommen und glücklich veranlagt es auch sein mag, Ähnliches leistet. [...] Ein sehr bemerkenswerter Sachverhalt ist auch, dass, obgleich es mehrere Tiere gibt, die in manchen ihrer Handlungen mehr Geschicklichkeit bezeugen als wir, man dennoch beobachtet, dass dieselben in vielen anderen überhaupt keine zeigen. Das, was sie besser als wir machen, beweist also nicht, dass sie Geist sind, ist unter Descartes-Exegeten freilich umstritten. Vgl. M . Dauier Wilson, »Ani­ mal Ideas«, in: id., Ideas and Mechanism. Essays on Early M odern Philosophy; Princeton: Princeton University Press 1999, S. 495-512; K. Morris, »Betes-machines«, in: Descartes’ N atural Philosophy, hrsg. von S. Gaukroger et al., London und New York: Routledge 2000, S. 401-419; L. Newman, »Unmasking Descartes’s Case for the Bete Machine Doctrine«, Canadian Jo urn al o f Philosophy 31 (2001), S. 389-426. 45 Vgl. Discours de la methode V (AT VI, 56-57) (dt. Bericht über die Methode, übers, von H. Ostwald, Stuttgart: Reclam 2001, S. 105); dazu ausführlich D. Perler, »Des­ cartes über Fremdpsychisches«, A rchiv fü r Geschichte der Philosophie 77 (1995), S. 42-62.

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besitzen, denn dies angenommen, hätten sie mehr als irgendeiner von uns und würden es in allen Dingen besser machen.«46 Wie für die M a­ schinen gilt somit auch für die Tiere, dass sie sich von den Menschen unterscheiden, weil sie weder über Sprach- noch über Handlungsver­ mögen verfügen. Ja, die Tiere sind nichts anderes als lebendige M a­ schinen (Descartes vergleicht sie mit aufgezogenen Uhren), die ge­ mäß einem festgelegten Mechanismus funktionieren. Die unmittelbare Anwendung der beiden Tests auf die Tiere ver­ deutlicht, dass die berühmte »bete-machine«-These ein Bestandteil der »corps-machine«-These ist.47 Da die Tiere Descartes zufolge die beiden Tests nicht bestehen, sind sie für ihn nichts anderes als Kör­ per-Maschinen: nach Naturgesetzen funktionierende Organismen, die keine geistigen Zustände haben. Doch warum bestehen die Tiere die Tests nicht? M it Bezug auf den ersten Test könnte man sogleich einwenden, dass Tiere doch mit gezielt eingesetzten Signalen anderen etwas mitteilen können. So können Grüne Meerkatzen ihre Artge­ nossen vor einem herannahenden Raubfeind warnen. Sind dies nicht Formen der Mitteilung, die weit über das mechanische Äußern von Lauten hinausgehen? Auch Descartes’ negatives Fazit bezüglich des zweiten Tests scheint nicht überzeugend zu sein. Können Tiere ihre Handlungen nicht neuen Situationen anpassen und dadurch eine ge­ wisse Lernfähigkeit an den Tag legen? So kann ein Schimpanse doch lernen, welcher Trainer ihm einen mit Nahrung gefüllten Behälfer bringt und welcher Trainer diesen Behälter für sich behält. Entspre­ chend kann er seine Handlung der Situation anpassen, indem er den kooperativen Trainer zum gefüllten Behälter führt, den konkur­ rierenden hingegen nicht. Ist dies nicht eine intelligente, der Situation | angepasste Handlung, die weit mehr darstellt als ein mechanisches Bewegungsmuster? Diese Einwände verdeutlichen, dass Descartes’ Tests direkt den Kern jener Probleme berühren, die auch heute noch im Mittelpunkt der Debatte stehen. Es stellt sich nämlich die Frage, welche Bedingun­ gen ein Lebewesen erfüllen muss, damit ihm Sprach- und Handlungs­ vermögen zugesprochen werden. Die gegenwärtigen Kontroversen bezüglich dieser Frage zeigen, dass Descartes’ Standpunkt keineswegs vollständig antiquiert ist, wie man zunächst vermuten könnte. Be- 1 46 Discours de la methode V (AT VI, 57-58) (dt. S. 107 und S. 109). 47 Vgl. dazu M . Wild, »Tiere als >bloße< Körper? Über ein Problem bei Descartes und McDowell«, Studia Philosophica 62 (2003), S. 13 3-147.

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trachten wir den ersten Test: Wenn Descartes den Tieren ein Sprachvermögen abspricht, so nicht, weil sie keine Zeichen oder Signale zur Bezugnahme auf Dinge in ihrer Umgebung verwenden können; er spricht ihnen nicht die Fähigkeit zur Referenz ab. Ebenso wenig leug­ net er, dass Tiere ganz bestimmte Zeichen zu bestimmten Zwecken einsetzen können, etwa zur Warnung vor Raubfeinden. Der Grund für die mangelnde Sprachfähigkeit liegt seiner Ansicht nach darin, dass sie nicht kreativ mit Sprache umgehen und genau dadurch be­ weisen, dass sie nicht selbständig Gedanken bilden und anderen mitteilen. Sie sind zwar imstande, ein bestimmtes Repertoire von Signa­ len zu verwenden. Doch sie greifen immer auf das gleiche Repertoire zurück, das sie nicht variieren oder neu zusammenstellen können. An­ ders verhält es sich bei den Menschen. Diese »erfinden für gewöhnlich selbst irgendwelche Zeichen, durch die sie sich denjenigen verständ­ lich machen, die mit ihnen Umgang pflegen .. .«48 A u f den Einwand, dass Grüne Meerkatzen sehr wohl eine Signalsprache verwenden kön­ nen, um ihren Artgenossen etwas mitzuteilen, würde Descartes somit antworten, dass sie immer die gleichen Signale äußern, um vor Raub­ feinden zu warnen. Und jede Grüne Meerkatze äußert die gleiche Art von Signal; es gibt keine Erfindung eigener Signale und keine in­ dividuelle Neukombination bereits verwendeter Signale. Diese Kritik wird auch in heutigen Debatten immer wieder ge­ äußert. So haben S. Savage-Rumbaugh und K. E. Brakke zahlreiche Experimente, die mit Schimpansen, Bonobos und anderen Affen an­ gestellt wurden, evaluiert und kritisch festgestellt, dass die getesteten Tiere zwar Signale lernten und diese erfolgreich zur Bezugnahme auf bestimmte Gegenstände verwendeten. Sie waren aber nicht in der Lage, die einmal gelernten Signale neu zu kombinieren. Diese Beobachtung hat die beiden Forscherinnen zu folgendem Schluss gebracht: »Diese Daten legen nahe, dass nicht eine Tendenz zur Imi­ tation oder ein Mangel an syntaktischer Kompetenz für die Tatsache verantwortlich ist, dass Nim [sc. einer der untersuchten Affen] nicht imstande ist, eine Sprache zu lernen, wie Terrace argumentiert. Die Schwierigkeit liegt noch tiefer. Es stellt sich heraus, dass Nim unfähig ist, unabhängig von der jeweiligen Ordnung wirklich neue ZweiWort-Kombinationen zu bilden.«49 Kurz gesagt: Nim und andere 48 Discours de la methode V (AT VI, 58) (dt. S. 107). 49 S. Savage-Rumbaugh und K. E. Brakke, »Animal Language: Methodological and Interpretive Issues«, in: Readings in A nim al Cognition, op cit., S. 282.

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Affen sind unfähig, kreativ mit einem Repertoire von Signalen umzu­ gehen. Aus diesem Grund sind Savage-Rumbaugh und Brakke heute genau wie Descartes im 17. Jh. - nicht bereit, diesen Tieren ein Sprachvermögen zuzusprechen. Die Kreativität spielt auch für den Test des Handlungsvermögens eine entscheidende Rolle. Descartes spricht den Tieren ein gewisses Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten nicht ab. So würde er nicht bestreiten, dass ein Schimpanse sich gegenüber einem kooperativen Trainer anders verhalten kann als gegenüber einem konkurrierenden Trainer. Entscheidend ist für ihn die Frage, ob der Schimpanse eine bestimmte Handlung frei wählt und gegebenenfalls variiert oder ob er sie nur aufgrund eines Reiz-Reaktions-Musters ausführt, das in seinem »Bauplan« festgelegt ist, ähnlich wie die Bewegung der Zeiger im Mechanismus einer Uhr angelegt ist. Könnte der Schimpanse sich etwa dazu entscheiden, den konkurrierenden Trainer plötzlich zum Behälter mit Nahrung zu führen, nachdem er ihn zehnmal zum leeren Behälter gelenkt hat? Oder ist der Schimpanse darauf festgelegt, auf einen bestimmten Reiz immer mit dem Hinführen zum leeren Behälter zu reagieren? Allgemeiner gefragt: Ist das Verhalten eines Tiers biologisch determiniert, oder wird es durch kognitive Zustände hervorgebracht, die auch eine Variation erlauben? Die Frage ist keineswegs endgültig entschieden, wie wiederum ein Blick auf die neuere ethologische Forschung zeigt. So ist ausgiebig dis­ kutiert worden, ob Tiere (insbesondere bestimmte Vogelarten) ihr Ha­ bitat wählen oder ob sie sich nur aufgrund eines genetisch festgelegten Verhaltensmusters in ein Habitat begeben.50 Einige Forscher behaup­ ten, Tiere würden ihr Habitat tatsächlich wählen, weil sie eine »kog­ nitive Karte« von ihrer Umgebung anlegen können und mit dieser Karte die geeignete Umgebung aussuchen. Andere wenden dagegen ein, selbst wenn eine solche Karte existiere, ermögliche sie keine freie Wahl. Sie lege nämlich ein Tier darauf fest, immer die gleiche Art von Habitat aufzusuchen; von einer Wahl könne nur bei einer Flexibilität und Variabilität im Verhalten gesprochen werden. Damit wird natür­ lich genau jener Punkt betont, den bereits Descartes in den Mittel­ punkt seiner Überlegungen stellte: Ohne Flexibilität im Verhalten gibt es kein Anzeichen für eine Wahl und damit auch kein Indiz für einen kognitiven Zustand. 50

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Vgl. M . L. Rosenzweig, »Do Animais Choose Habitats?«, in: Readings in A nim al Cognition, op. cit., S. 185-199.

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Wie dieses Beispiel verdeutlicht, ist Descartes5 Kritik an der These, dass Tiere über kognitive Zustände verfügen, auch nach der Preisgabe der dualistischen Metaphysik nicht verstummt. Im Gegenteil: Die kri­ tische Evaluation empirischer Untersuchungen mit Affen, Vögeln und anderen Lebewesen hat den beiden Tests, die Descartes zur Unter­ scheidung von Menschen und Tieren anführte, wieder neues Gewicht gegeben. Hinter diesen Tests verbirgt sich stets die Frage, ob Sprache und Verhalten bei Tieren tatsächlich einen kognitiven Ursprung ha­ ben oder ob sie auf ein Reiz-Reaktions-Muster zurückgeführt werden können.

3. D ie kognitive Eth ologie Die These Descartes5und seiner Anhänger, dass es sich bei Tieren um Maschinen handele, ist also, blendet man den metaphysischen Hinter­ grund des Cartesianismus aus, keineswegs mit historischem Edelrost überzogen. Betrachten wir eine cartesianische Erklärung für das be­ reits mehrfach erwähnte Rufverhalten der Grünen Meerkatzen. Diese Affen verfügen über mindestens drei deutlich unterschiedene Alarm­ rufe für Leoparden, Adler und Schlangen. Auch die Alarmreaktionen sind deutlich unterschieden. Beim Leopardenruf flüchten die Meer­ katzen auf die Bäume, beim Adlerruf schauen sie zuerst in die Luft und verschwinden in Büschen, beim Schlangenruf stellen sie sich auf die Hinterbeine und verfolgen die Bewegungen der Schlange. W ie würde Descartes diese Beobachtungen erklären? Er- würde unge­ fähr Folgendes sagen: Eine Meerkatze ist physiologisch so disponiert, dass sie auf drei Klassen von Reizen als Reaktion drei Arten von Lau­ ten produziert. Wenn beispielsweise ein Leopardenbild im Sehorgan der Meerkatze entsteht, werden diese Außenreizungen an die Nerven weitergeleitet, die bestimmte Regionen im Gehirn aktivieren. Der Affe braucht dabei den Leoparden nicht als solchen zu identifizieren. Er ist physiologisch einfach so disponiert, dass er beim Leoparden­ muster den Leopardenruf ausstößt. Die Wirkung des Leopardenrufs auf andere Meerkatzen ist analog, nur dass der akustische Leopar­ denruf nun die Funktion des visuellen Leopardenbilds als Reiz über­ nimmt. Descartes5 Physiologie ist natürlich sehr primitiv, doch man wird sie mit einem moderneren physiologischen Apparat aufrüsten kön43

nen. Bis in die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Affenlaute als unwillkürlich und indexikalisch betrachtet.51 Das heißt erstens: Die Rufe entspringen einem unwillkürlichen, d. h. unflexiblen und ange­ borenen Reflex. Der einzelne Affe muss hier nichts lernen oder sonst eine kognitive Leistung erbringen. Diese Art von Rufen ist ihm ange­ boren und mit bestimmten Reizen »fest verdrahtet«. Das heißt zwei­ tens: Die Rufe geben nur Auskunft über einen affektiven Zustand des Rufers. Es handelt sich um unmittelbare Äußerungen der inneren Er­ regung. Sie beziehen sich also nicht auf äußere Objekte oder gar auf Sachverhalte. Die neurophysiologische Basis dafür ist, dass Affenrufe durch Reizungen im subkortikalen Bereich des Gehirns ausgelöst wer­ den, vor allem in jenem Bereich, der für die affektiven Reaktionen zuständig ist. Dazu könnte Descartes ohne Weiteres seine Zustim­ mung geben. Vor nicht einmal dreißig Jahren erschienen den Psychologen und Philosophen Fragen wie »Haben Tiere ein Bewusstsein?« oder »Denken Tiere?« ebenso abwegig wie unwissenschaftlich. Die damals vorherrschende wissenschaftliche Psychologie, der Behaviorismus, verbat sich ja den Gebrauch mentaler Begriffe oder betrachtete diese Begriffe als Bezeichnungen für Verhaltensweisen oder für Dispositio­ nen zu Verhaltensweisen. Es war verpönt, Behauptungen aufzustellen wie »Die Taube glaubt, dass p «. Wenn man nun doch nicht umhin kam, so zu sprechen, musste man stets darauf achten, mentale Begriffe wie >glauben< als vage Bezeichnung für ein bestimmtes Verhak ten zu begreifen oder zumindest für die Disposition zu diesem Verhalten. Betrachten wir ein konkretes Beispiel für eine solche Deutung mentaler Begriffe. Eine Taube hat in ihrem Käfig gelernt, dass ein Schnabeihieb auf einen roten Knopf Futter bringt. M it der Zeit lernt die Taube, wenn sie Futter möchte, diesen roten Knopf zu betätigen. Zeit­ gleich mit dem Schnabelhieb blinkt eine Lampe a u f M it der Zeit wird die Taube beim Blinken dieser Lampe auf Futter warten, ja ihre Schnabeihiebe auf den roten Knopf aufgrund des bloßen Blinkens des Lichts ausführen. Die »Überzeugung« der Taube nun, dass der Schnabeihieb auf den roten Knopf ihr Futter verschafft, ist nichts weiter als die durch positive Verstärkung hervorgerufene Neigung oder Dispo­ sition, diesen Knopf zu betätigen. Mentale Ursachen kommen hier 51

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Vgl. dazu D. L. Cheney und R. M . Seyfarth, How Monkeys See the World, op. cit., S. 136-14 1.

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nicht in Betracht. Weiter kann das Verhalten der Taube durch belie­ bige Reize konditioniert werden, wie eben durch das Blinken einer Lampe. Angeborene Verhaltensweisen kommen hier also ebenso we­ nig in Betracht. Die ausschließliche Berücksichtigung des sichtba­ ren Verhaltens bietet natürlich den Vorteil größerer Wissenschaftlich­ keit, weil dieses Verhalten an sichtbaren, körperlichen Bewegungen und mithilfe überprüfbarer Testverfahren ohne Rückgriff auf verbor­ gene Variablen beschrieben werden kann. Ähnlich gehen wir im All­ tag vor: Wir beziehen uns selbstverständlich auf das Verhalten, auch auf das Sprechverhalten. Aber wir erklären Verhaltensweisen sowohl bei Menschen als auch bei vielen Tieren durch das, was sie glauben oder wünschen. Unsere Alltagspsychologie bezieht sich auf mentale Ursachen für Verhalten. Der Behaviorist, so lässt sich einwenden, ver­ wechselt Evidenzen für die Zuschreibung mentaler Zustände mit den mentalen Zuständen selber. Die Behavioristen stellten ihre Verhaltensexperimente mit Ratten oder Tauben meist in künstlichen Umgebungen an, in so genann­ ten Skinner-Käfigen, benannt nach dem Psychologen B. F. Skinner (1904-1990). Das dort gezeigte Verhalten ist kein Fall eines »Trialand-Error«-Lernens. Die Taube in der Skinner Box versucht sich ja nicht an zahlreichen Möglichkeiten, um ein bestimmtes Ziel zu er­ reichen, sondern ein beliebiges Verhalten (das Picken auf den roten Knopf) wird mit einer Belohnung versehen, die ein natürliches Be­ dürfnis befriedigt, und wird dadurch verstärkt. Diese instrumenteile Konditionierung formt das zukünftige Verhalten der Taube. Der behavioristische Ansatz lässt sich auf E. L. Thorndikes (1874-1949) Ge­ setz der Wirkung {law o f effect) und das diesem Gesetz zugrunde liegende Reiz-Reaktions-Modell zurückführen. Das Gesetz der Wir­ kung bezieht sich auf das Lernen am Erfolg, das durch subjektive Be­ friedigung verstärkt wird: Stets werden jene Verbindungen zwischen Reizen und Reaktionen verstärkt, die in einem Lebewesen einen an­ genehmen Effekt erzeugen.52 Die Grundlage ist das alte Assoziations52 »Of several responses made to the same Situation those which are accompanied or closely followed by satisfaction to the animal will, other things being equal, be more firmly connected with the Situation, so that, when it recurs, they will be more likely to recur; those which are accompanied or closely followed by discomfort to the animal will, other things being equal, have their Connections to the Situation weakened, so that, when it recurs, they will be less likely to occur. The greater the satisfaction or discomfort, the greater the strengthening or weakening o f the

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modell des Geistes, das in der Psychologie des 18. und des 19. Jahrhun­ derts gebräuchlich war. Das paradigmatische Tier des Behaviorismus also ist die instrumen­ teil konditionierte Tabula-rasa-Taube im Skinner-Käfig. Descartes hätte auch hier prinzipiell seine Zustimmung geben können. (Freilich hätte er sich der von den Behavioristen vorgenommenen Übertragung derselben Erklärungsmuster auf menschliches Verhalten heftig wider­ setzt.) Sowohl die behavioristische Verhaltenserklärung als auch die oben erwähnte neurophysiologische Erklärung der Affenlaute entspre­ chen Descartes’ Analyse des Verhaltens einer dressierten Elster, die ihrer Herrin »Guten Tag!« sagt. Die Lautäußerung der Elster, so Des­ cartes, sei ihr durch Konditionierung beigebracht worden. Mithin handele es sich nicht um eine spontane Äußerung, sondern um ein gezieltes Training. Die Elster hat auch gar nicht die Absicht, »Guten Tag!« zu sagen. Sie vollzieht keinen Sprechakt. Was sie will, ist dasje­ nige, womit sie abgerichtet wurde: Futter. Weiter bemerkt Descartes, das Verhalten der Elster sei lediglich Ausdruck ihres inneren physio­ logischen Zustands.53 Die beiden skizzierten quasi cartesianischen Erklärungsmodelle liefern Null-Hypothesen bezüglich des Geistes der Tiere. Auch Dennetts Stufenmodell intentionaler Zustände hält ja, wie wir gesehen haben, eine solche Null-Hypothese (die Dennett bisweilen als »Spiel­ verderber-Hypothese« bezeichnet) bereit. Solche Hypothesen müssen im Prinzip möglich sein, und Behauptungen, dass Tiere über Bewusst­ sein, Gedanken oder Überzeugungen verfügen, müssen sich gegen sol­ che Null-Hypothesen bewähren. Etwas anderes ist es freilich, Fragen nach dem Geist der Tiere von vornherein als unwissenschaftlich aus­ zuklammern und gleichsam unter Naivitätsverdacht zu stellen oder die Beweislast ganz auf die Seite derjenigen zu schieben, die bereit sind, Tieren einen Geist zuzuschreiben. Heute ist die Frage nach dem Geist der Tiere zurückgekehrt und bond.« E. L. Thorndike, A nim al Intelligence, New York: Macmillan 19 11, S. 244. Eine Lehrbuchfassung findet sich in D. McFarland, Biologie des Verhaltens. Evolu­ tion, Physiologie, Psychobiologie (2. neubearbeitete Auflage), Heidelberg und Berlin: Spektrum 1999, S. 287-288. Die Funktion dieses Gesetzes für F. Dretskes Theorie der Indikatorfestlegung diskutiert J. Proust, Comment l ’esprit vient aux betes, op. cit., S. 14 9 -156; vgl. auch D. Dennett, »Why the Law o f Effect W ill Not Go Away«, in: id., Brainstorms. Philosophical Essays on M in d and Psychology, Cambridge (Mass.): MIT Press 1978, S. 71-89. 53 Brief an Newcastle, 23. 11. 1646 (AT IV, 574-575).

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neu erwacht. Das verdankt sich unter anderem dem so genannten cognitive turn, der kognitiven Wende in der Psychologie und in der Lin­ guistik, die zur Entstehung des weiten Felds der Kognitionswissen­ schaften geführt hat. Diese Wende hat unterschiedliche Wurzeln. O ft werden N . Chomskys Attacke gegen Skinners behavioristische Sprachtheorie54 und seine Ausarbeitung einer Generativen Gramma­ tik oder der Beginn der Computertechnologie und der Forschung zur künstlichen Intelligenz an deren Anfang gesetzt.55 Es ist wichtig zu beachten, dass beide Ursprünge von Bedeutung sind. M it dem Com­ putermodell wird ein mögliches Modell für die Funktionsweise des Geistes gewonnen. Das Computermodell wird zum einschlägigen Bild für ein funktionalistisches Verständnis geistiger Prozesse als Ver­ arbeitungsprozesse von kodierter Information.56 Chomsky legt, wie Descartes in seinem Sprachtest, das Gewicht auf die Kreativität und die relative Aneignungsgeschwindigkeit der Sprache. Unter anderem schließt er daraus (gegen den Behaviorismus), dass gewisse gramma­ tische Strukturen angeboren sein müssen. Chomskys Rückgriff auf eingeborene Strukturen hat sich in den Kognitionswissenschaften als fruchtbar erwiesen. Unter dem Stichwort der »Modularität« wird die Idee einer angeborenen kognitiven Architektur des Geistes dis­ kutiert. Die Grundidee besteht darin, dass der Geist nicht dank eines generellen Mechanismus (etwa demjenigen der Assoziation oder des Reiz-Reaktions-Musters) alle möglichen kognitiven Aufgaben zu be­ wältigen vermag, sondern aus vielen autonomen, in sich geschlosse­ nen, spezialisierten Systemen besteht, die für die kompetente und schnelle Bewältigung spezialisierter Aufgaben zuständig sind, wie bei­ spielsweise der visuellen Wahrnehmung, der Gesichterkennung oder des Spracherwerbs.57 54 N. Chomsky, »Verbal Behavior by B. F. Skinner«, in: Language 35 (1959), S. 26-58. Diese kritische Rezension bezieht sich auf B. F. Skinner, Verbal Behavior, Englewood Cliffs: Prentice-FIall 1957. 5 5 Vgl. die ausführliche Einleitung »The Life o f Cognitive Science« in: A Companion to Cognitive Science, hrsg. von W. Bechtl und G. Graham, London: Blackwell 1998, S. 1-104; M . Urchs, Maschine, Körper, Geist. Eine Einführung in die Kognitionswis­ senschaft, Frankfurt/M.: Klostermann 2002. 56 Vgl. dazu die Einleitung »Computermodelle des Geistes« in: Kognitionswissenschaf­ ten. Grundlagen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von D. Münch, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 7-53. 57 Vgl. dazu die Diskussion bei D. Papineau (in diesem Band, S. 244-246 und S. 287 f.). Eingeführt wurde die Idee der Modularität durch J. Fodor, The M odularity o f

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Neben den beiden genannten Elementen der kognitiven Wende, dem Computermodell und der eingeborenen mentalen Architektur, tritt als drittes Element die Wiederaufnahme von inneren mentalen Zuständen zur Beschreibung und Erklärung des Verhaltens von Orga­ nismen (und intelligenten Maschinen) hinzu. Mentale Begriffe wie vor allem derjenige der mentalen Repräsentation, aber auch diejeni­ gen des Plans, des Ziels, der bildlichen Vorstellung oder der Überzeu­ gung, werden zentral in psychologischen Erklärungen.58 Die generelle Arbeitshypothese der Kognitionswissenschaften kann so verstanden werden, dass der Geist als ein teilweise eingeborenes Aggregat von Me­ chanismen aufgefasst wird, der mentale Repräsentationen ähnlich wie ein sehr komplexer Computer verarbeitet.59 Die kognitive Wende hatte natürlich auch Einfluss auf die Tier­ psychologie.60 Das dyadische behavioristische Modell von Reiz und Reaktion wird durch die Triade Input (externe Informationseinhei­ ten), Operation (Informationsverarbeitungen) und Output (das sicht­ bare Verhalten) abgelöst. Die paradigmatischen Tiere der kognitiven Tierpsychologie sind nun Labor-Affen, die bestimmte, an trainierte Aufgaben lösen. Man kann der Tierpsychologie aber den Vorwurf ma­ chen, dass sie das mechanistische Modell des Behaviorismus ledig­ lich durch ein neurologisches Computermodell ablöst, dass sie einen Behaviorismus mit Computern darstellt. Der vom Behaviorismus gleichsam eingeklammerte oder eliminierte Innenraum wird durch die Operation, die Informationsverarbeitung, ersetzt. Solche Berech­ nungsprozesse können aber, wie im Computer, ohne einen Funken M in d: A n Essay on Faculty Psychology, Cambridge (Mass.): MIT Press 1983; id., »Precis o f The Modularity o f Mind», Behavioral and Brain Sciences 8 (1985), S. 1-42. $8 Vgl. zur philosophischen Diskussion R. Schumacher: »Philosophische Theorien mentaler Repräsentation«, in: Deutsche Zeitschrift fü r Philosophie 5 (1997), S. 785-815; zur Diskussion in der Psychologie die Beiträge in M entale Repräsenta­ tion, hrsg. von J. Engelkamp, T. Pechmann, Bern: Hans Huber 1993. 59 Eine umfassende, aber auch sehr umstrittene Darstellung des Geistes in dieser Per­ spektive findet sich bei S. Pinker, How theM ind Works, New York: Norton 1997 (dt. Wie das Denken im K o p f entsteht, München: Kindler 1998). 60 Vgl. die Übersichtsdarstellungen von H. Roitblat, »Animal Cognition«, in: A Companion to Cognitive Science, op. cit., S. 114 -120; J. Vauclaire, A nim al Cognition, Cambridge (Mass.): Harvard University Press, 1996; S.J. Shettleworth, Cognition, Evolution, and Behavior, New York und Oxford: Oxford University Press 1998; C. D. L. Wynne, A nim al Cognition, London: Palgrave 2001. Eine geraffte Über­ sicht bietet S. J. Shettleworth, »Animal Cognition and Animal Behavior«, A nim al Behavior 61 (2001), S. 277-286.

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Bewusstsein oder eine Spur Überlegung ablaufen. Die nun verwende­ ten mentalen Ausdrücke sind zwar nicht mehr Platzhalter für Verhal­ tensweisen und Dispositionen, aber sie sind in erster Linie explanatorische Platzhalter für neurologische Korrelate. Schließlich werden auch hier Labor-Tiere lediglich künstlichen Aufgaben in einem künst­ lichen Umfeld ausgesetzt. Es wird also nicht darauf geachtet, wie Tiere in ihrer natürlichen Umwelt tätig sind und mit dieser interagie­ ren. Kritikpunkte dieser Art und die Fragen, wie es nun wirklich ist, ein bestimmtes Tier zu sein, und was es nun wirklich ist, was Tiere den­ ken, haben den Zoologen D. Griffin (1915-2003) in den 70-er Jahren abseits der breiten Forschungsströme dazu geführt, die Frage nach dem Bewusstsein von Tieren zu stellen.61 Für Griffin geht es darum, ein Fenster zum Geist der Tiere hin zu öffnen (togeta window on their minds). Der Untertitel von Griffins erstem Buch lautet: »Die evolu­ tionäre Kontinuität des mentalen Erlebens.« Griffin nimmt damit die These Darwins einer durch die Evolutionstheorie suggerierten mentalen Kontinuität zwischen Mensch und Tier wieder auf. Dar­ win hatte nämlich behauptet, dass es keinen fundamentalen Unter­ schied zwischen dem Menschen und den höheren Tieren hinsichtlich ihrer mentalen Vermögen gibt.62 Diese Kontinuitätsthese hatten be­ reits Psychologen unmittelbar nach Darwin aufgenommen, darunter am entschiedensten G. J. Romanes (1848-1894).63 Griffin interessiert sich nun aber nicht nur für das Lernverhalten, für die Intelligenz, die Kommunikation oder das Denken, sondern in erster Linie für die schwierige Frage nach dem Bewusstsein anderer Tiere. Griffin ist näm­ lich der experimentelle Entdecker der Echolokation bei Fledermäu­ sen, der besonderen Fähigkeit dieser Tiere, sich in völliger Dunkelheit 61 D. R. Griffin, The Question o f A nim alAwareness. Evolutionary Continuity o f M ental Experience, New York: Rockefeiler University Press 1976; id., A nim al M inds, Chi­ cago: University o f Chicago Press 1992. 6z »There is no fundamental difference between man and the higher animals in their mental faculties«, Ch. Darwin, The Descent ofM an and Selection in Relation to Sex, London: Random House 1931, S. 448. 63 G. J. Romanes, A nim al Intelligence, London: Kegan, Paul, Trench und Co. 1882; id., M ental Evolution in Anim als, New York: Appelton und Co. 1884. Einen kurzen, konzisen Überblick gibt G .M . Burghardt, »Animal Awareness. Current Perceptions and Historical Perspectives«, The Am erican Psychologist 40 (1985), S. 905-919; ausführlicher die Studie von R. Boarkes, From D arw in to Behaviourism. Psychology an d the M inds o f Anim als, Cambridge: Cambridge University Press 1984.

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mittels der Echos ihrer Ultraschallrufe zu orientieren. Erst aufgrund der Forschungen Griffins hat Th. Nagel seinen bereits erwähnten A u f­ satz »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?« schreiben können. Nagels Überlegungen wiederum haben Griffins Bemühungen herausgefor­ dert, ein Fenster zum bewussten Erleben der Tiere hin zu öffnen.64 Ein solches Fenster kann es laut Nagel nicht geben, denn er zweifelt ja daran, dass wir je werden wissen können, wie es ist, ein Individuum einer anderen Spezies zu sein. Griffin glaubt, dass wir vor allem durch zwei Fenster einen Blick auf das Bewusstsein der Tiere erhaschen kön­ nen, nämlich durch die Untersuchung von komplexem, flexiblem und neuartigem Verhalten bei Tieren und durch die (partizipative) Unter­ suchung der Kommunikation zwischen den Tieren.65 In einem ge­ wissen Sinne macht sich Griffin also für die Aufnahme der beiden cartesischen Tests stark, getragen jedoch von der intuitiven Überzeu­ gung, dass es phänomenal irgendwie sein muss, ein bestimmtes Tier zu sein. Griffin war es nun auch, der den Ausdruck >kognitive Ethologie< prägte.66 Er bestimmte die Aufgabe der kognitiven Ethologie ganz all­ gemein wie folgt: Unsere Aufgabe ist es, die Speziesgrenze zu überschreiten und zu versuchen, befriedigende Informationen darüber zu sammeln, was andere Spezies denken und fühlen mögen. Diese kognitive Ethologie - eine Wissenschaft, die noch in den Kinderschuhen steckt - sollte nicht durch den Neid au f die Computer beengt werden, der einen großen Teil der derzeitigen kognitiven Psychologie kennzeichnet.67 64 Auch die von D. Griffin organisierte Tagung in Berlin zeugt von der engen Zusam­ menarbeit zwischen den Naturwissenschaften und der Philosophie, vgl. A nim al M in d —Human M in d (Report o f the Dahlem Workshop on Animal Mind, Human Mind, Berlin 1981, march 22-27), hrsg. von D. R. Griffin, Heidelberg und New York: Springer 1982. 65 Griffins Versuch, das Thema des Bewusstseins in die wissenschaftliche Verhal­ tensforschung einzubringen, wurde Gegenstand heftiger Kritik. Eine Übersicht der Einwände geben M. Bekoff und C. Allen, »Cognitive Ethology: Slayers, Sceptics, and Proponents«, in: Anthropomorphism, Anecdotes, an d Anim ais, hrsg. von R. W. Mitchell, N. S. Thompson und H. L. Miles, Albany: Suny Press 1997,

s. 313-33466 D. R. Griffin, »Prospects for a Cognitive Ethology«, Behavioral andBrain Sciences 4 (1978), S. 527-538. 67 D. R. Griffin, Wie Tiere denken. Ein Vorstoß ins Bewußtsein der Tiere, BLV Verlags­ gesellschaft: München 1985, S. 22. 50

Es wird erkennbar, dass die einflussreiche Orientierung am Com ­ putermodell für Griffin wenig hilfreich erscheint bei der Frage nach dem Bewusstsein anderer Tiere. Mittlerweile ist die kognitive Etho­ logie ihren Kinderschuhen etwas entwachsen.68 Einer ihrer führenden Vertreter, der Biologe M . Bekoff, definiert die kognitive Ethologie wie folgt: Die kognitive Ethologie ist die vergleichende, evolutionäre und ökologische Erforschung des Geistes von nicht-menschlichen Tieren — Denkprozesse, Überzeugungen, Vernunft, Informationsverarbeitung und Bewusstsein mit eingeschlossen .69

In dieser Definition wird sowohl die Initiative Griffins als auch die Re­ habilitation mentalen Vokabulars durch die Kognitionswissenschaf­ ten sichtbar. A u f Letzteres verweist ja auch der Name der Forschungs­ richtung als einer kognitiven Ethologie. Der andere Teil des Namens entlehnt sie der klassischen Ethologie, der Verhaltensforschung also, die durch die Arbeiten von K. Lorenz (1903-1989) oder von N . Tinbergen (1907-1988) bekannt geworden ist. Ebenso wie die Behavioristen und die Tierpsychologen halten sich die Vertreter der klassischen Ethologie gegenüber Fragen des tieri­ schen Bewusstsein oder des tierischen Denkens und Meinens zurück. Tinbergen gibt sich aus Gründen der Wissenschaftlichkeit sehr reser­ viert. Lorenz ist zwar mit Gefühlsausdrücken sehr freizügig, auf die Frage aber, ob Tiere ein subjektives Erleben haben, antwortet er aus­ weichend: »Wenn ich darauf antworten könnte, hätte ich das LeibSeele-Problem gelöst!«70 Die klassische Ethologie interessiert sich in erster Linie für das Instinkt-Verhalten. Die Verhaltensforschung fragt bei einem bestimmten Verhalten nach vier explanatorischeri Momen­ ten, nämlich (i) nach den externen Umweltursachen, (ii) nach den 68 Dies bedeutet nicht, dass sie nicht vielfältiger Kritik ausgesetzt wäre, vgl. C. Heyes, »Contrasting Approaches to the Legitimation o f Intentional Language within Comparative Psychology«, Behaviorism 15 (1987), S. 41-50; C. Heyes und A. Dickinson, »The Intentionality o f Animal Action«, M in d and Language 5 (1990), S. 87-104; J. Shettleworth, Cognition, Evolution, and Behavior, op. cit., Kap. 11 69 M . Bekoff, »Cognitive Ethology«, in: A Companion to Cognitive Science, op. cit., S. 371-379: »Cognitive ethology is the comparative, evolutionary, and ecological study o f nonhuman animal minds, including thought process, beliefs, rationality, Information processing, and consciousness.« 70 K. Lorenz, »Haben Tiere ein subjektives Erleben?«, in: id., Über tierisches und menschliches Verhalten, Bd. II, München: Piper 1965, S. 617.

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evolutionären Anpassungsvorteilen, die diese Verhaltensweise mit sich bringt, (iii) nach der phylogenetischen und (iv) nach der ontogenetischen Entwicklung der Verhaltensweise. Man kann dies am besten an einem Beispiel erklären, etwa am berühmten Beispiel der Prägung von bestimmten Jungvögeln, vor allem von Enten und Gänsen. Was ist Prägung? Das Erste, was Gänseküken sehen, wenn sie aus dem Ei schlüpfen, ist normalerweise ein Elterntier. Gänseküken erkennen dieses Elterntier aber nicht als Elterntier. Sie nehmen in dieser »sen­ siblen Phase« einfach das erste bewegte Objekt als Elterntier an und folgen ihm. Das ist die Prägung. Unter künstlichen Umständen kann man das Elterntier auch durch einen bärtigen Verhaltensforscher er­ setzen. Im Fall der Graugans Martina nämlich war Lorenz selbst Ziel­ objekt des Prägeverhaltens. Martina widersetzte sich dann allen Versu­ chen, einer echten Gans untergeschoben zu werden. Dieses Verhalten ist nicht besonders intelligent. Es handelt sich vielmehr um einen an­ geborenen, evolutionär selektionierten, instinktiven Mechanismus, der aufgrund eines Schlüssel-Reizes (der in diesem Fall sehr vage ist) ausgelöst wird. Hier kann man also die Ursache dieses spezifi­ schen Verhaltens eruieren (ein Lebewesen in der Umgebung des Nests), die adaptiven Vorteile erkennen (die Küken begeben sich so­ fort unter den Schutz eines Elterntiers) und die ontogenetische Ent­ wicklung beobachten (die Prägung erfolgt nur in einem bestimmten Alter). Durch vergleichende Forschungen ergeben sich Hypothesen bezüglich der Phylogenese. Anders als der Behaviorismus und die Tierpsychologie betrachtet die klassische Ethologie Tiere nicht als Verhaltens- oder Kognitionsorganismen, sondern vielmehr als durch die Evolution geformte Wesen, die zum Schutz und zur Befriedigung ihrer Triebe verschiedene instinktive Verhaltensmuster entwickelt ha­ ben. Anders als der Behaviorismus und die Tierpsychologie beobach­ ten die Ethologen das Verhalten der Tiere oft in der freien Wildbahn und versuchen dabei möglichst einfache, nicht-invasive Experimente anzustellen. Die kognitive Ethologie teilt nun eine gewisse Vorliebe für Be­ obachtungen von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung und ebenso die Vorliebe für nicht-invasive Experimente. Die paradigmatischen Tiere der kognitiven Ethologie sind, wie für Lorenz oder Tinbergen, freilebende soziale Tiere in ihrem natürlichen oder quasi-natürlichen Habitat. Ebenso teilt die kognitive Ethologie die Überzeugung, dass zu diesen ökologischen Gesichtspunkten evolutionäre hinzu kommen

müssen. Im Unterschied zur klassischen Ethologie jedoch interessiert sich die kognitive Ethologie erstens nicht vorrangig für das InstinktVerhalten und verwendet zweitens mentales Vokabular sowohl zur Erklärung als auch zur Beschreibung und zur Interpretation des Ver­ haltens von Tieren. Sie ergänzt die vier genannten Erklärungsprinzipen der klassischen Ethologie mithin um ein fünftes: den Geist der Tiere.71 Z u den bekanntesten und interessantesten Forschungsbeiträgen aus dem Bereich der kognitiven Ethologie gehören die schon mehr­ fach erwähnten Arbeiten von R. S. Seyfarth und D. L. Cheney zu freilebenden Grünen Meerkatzen. Auch Seyfarth und Cheney haben sich, wie Griffin, Anregungen aus der Philosophie geholt. So fragen sie zunächst im Sinne Nagels, wie es ist, ein Affe zu sein. Was sie dann aber detailliert beschreiben, sind weniger subjektive Erlebnisse. Viel­ mehr versuchen sie, die Verhaltensweisen einer anderen Art mentalistisch zu beschreiben und zu erklären. Dabei greifen sie auf ein Ge­ dankenexperiment des Philosophen Quine zurück und vergleichen sich mit einem Sprachforscher, der sich in den Urwald begibt, um die völlig unbekannte Sprache eines bislang unbekannten Stammes zu studieren und zu übersetzen. Cheney und Seyfarth gehen davon aus, dass die Alarmrufe der Meerkatzen auf eine begriffliche Fähig­ keit schließen lassen. Meerkatzen unterscheiden Lebewesen ihrer Umwelt von bloßen physikalischen Körpern. Weiterhin lernen sie, einige Lebewesen als ernstzunehmende Feinde zu klassifizieren.72 Junge Meerkatzen reagieren beispielsweise mit dem Adlerruf auf fast alles, was fliegt, sogar auf fallende Blätter. Erwachsene reagieren des­ halb nicht auf Rufe junger Meerkatzen. M it der Zeit beginnen junge Meerkatzen nur noch auf große Vögel zu reagieren. Erwachsene Meer­ katzen schauen in die Luft und entdecken dort manchmal nur einen ungefährlichen Geier und reagieren nicht. Erwachsene Meerkatzen schließlich haben gelernt, nur noch auf große Adler, etwa Kampf­ adler, zu reagieren. Meerkatzen lernen also, ihren Alarmrufen eine bestimmte Referenz zu geben. Der Gehalt der Alarmrufe liegt nicht 7 1 Vgl. dazu M . Bekoff und D. Jamieson, »On Aims and Methods o f Cognitive Ethology«, Philosophy o f Science Association 2 (1993), S. 110-124 . Auch hier handelt es sich um die Zusammenarbeit zwischen einem Philosophen (Jamieson) und einem Naturwissenschaftler (Bekoff). 72 Vgl. dazu das Schema bei D. L. Cheney und R. S. Seyfarth, How Monkeys See the World, op. cit., S. 176.

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von Anfang an fest, sondern wird durch zwei Komponenten festge­ legt: erstens durch das soziale Umfeld, nämlich die Reaktion der er­ wachsenen Meerkatzen; zweitens durch die spezifische Umwelt, denn nicht in allen Gebieten müssen Meerkatzen vor gleichen Feinden auf der Hut sein. In einer anderen Umwelt sind nicht Kampfadler, son­ dern Kronenadler gemeint. Meerkatzen scheinen sich also intentio­ nal auf Objekte ihrer Umwelt zu beziehen. Cheney und Seyfarth be­ trachten Meerkatzen daher, angeregt durch den oben dargestellten Vorschlag von Dennett, mindestens als intentionale Systeme erster Stufe.73 Selbstverständlich ist die kognitive Ethologie der Kritik ausgesetzt. Besonders drei methodologische Einwände sind zu erwähnen. Der erste Kritikpunkt wurde bereits eingangs angesprochen, nämlich der Anthropomorphismus. Zahlreiche kognitive Ethologen verhalten sich dieser Kritik gegenüber offensiv. Wenn wir etwas über den Geist der Tiere herausfinden wollen, müssen wir natürlich mit Analogie­ schlüssen arbeiten. Ebenso wie wir das Verhalten anderer Menschen mit mentalem Vokabular beschreiben, erklären und interpretieren, können wir dies bei Tieren. Allerdings muss man sich dieser Über­ tragung stets bewusst sein. Das heißt, dass der Anthropomorphismus reflektiert sein muss. Vor allem dient die anthropomorphistische Ana­ logie der Ausarbeitung von Verhaltenstests. M it der oben erwähnten Maxime Morgans in der Hand kann dann überprüft werden, ob die zugeschriebenen mentalen Zustände erklärungs- und beschreibungs­ relevant sind oder nicht. Der Anthropomorphismus muss also kritisch sein. Setzt man Anthropomorphismen reflektiert und kritisch ein, dann sind sie nicht unwissenschaftlich, sondern dienen im Gegenteil der wissenschaftlichen Erforschung des Geistes der Tiere. Ein zweiter Punkt bezieht sich auf die Vorliebe der kognitiven Etho­ logie für Beobachtungen und Versuche in freier Wildbahn. Nur schwer können dort die hohen Standards für wissenschaftliche Expe­ rimente beachtet werden, insbesondere die Durchführung von Kontrollversuchen zur Ausschaltung alternativer Interpretationen. Einige interessante Beobachtungen bleiben lediglich anekdotisch. Dieser Vorwurf wird vor allem von Tierpsychölogen erhoben. Am Beispiel 73

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D. Dennett, »Intentional Systems in Cognitive Ethology«, op. cit.; id., »The Inten­ tional Stance in Theory and Practice«, in: M achiavellian Intelligence. Social Exper­ tise and the Evolution ofln tellect in Monkeys, Apes, and Humans, hrsg. von R. W. Byrne und A. Whiten, Oxford: Oxford University Press 1988, S. 180-202.

der Grünen Meerkatzen und ihrer Alarmrufe jedoch kann man sehr schön sehen, wie wichtig die Beobachtung von Tierarten in ihrer na­ türlichen Umwelt ist. Denn bei der Beobachtung gefangener Affen in einem Labor hätte sich womöglich nicht einmal die Chance erge­ ben, etwas über die Existenz dieser Alarmrufe herausfinden zu kön­ nen. Drittens schließlich ist das mentale Vokabular selber problema­ tisch. An diesem Punkt wird wiederum der Kontakt zwischen der kognitiven Ethologie und der Philosophie wichtig. Die Anwendungs­ bedingungen mentaler Ausdrücke führen knifflige methodologische Probleme mit sich: Wann können wir einem Wesen einen Geist zu­ schreiben? Griffins Anspruch, es müsse ein Fenster zum Bewusst­ sein der Tiere geöffnet werden, wurde teilweise zu Recht kritisiert, weil er einen lediglich vagen und intuitiven Begriff von Bewusstsein verwendete. Ebenso wurden seine Kriterien für Bewusstsein beanstan­ det, denn komplexes Verhalten und Kommunikation scheinen von sich aus noch keine hinreichenden Ableitungsgründe bereitzustellen. Betrachten wir einen Aspekt dieses dritten Kritikpunktes genauer. Es handelt sich um die Vagheit der Zuschreibung von Überzeugun­ gen gegenüber Tieren. Verschiedene Philosophen haben behauptet, dass wir Tieren keine Überzeugungen mit einem bestimmten Gehalt zuschreiben können, weil wir über keine Mittel verfügen, den zu­ geschriebenen Gehalt genauer zu bestimmen.74 Die Mittel, die uns fehlen, sind die sprachlichen Äußerungen. Wir können sprachlosen Lebewesen somit überhaupt keine bestimmten mentalen Gehalte zu­ schreiben und ein nur unbestimmter Gehalt ist explanatorisch natür74 Vgl. zu diesen Argumenten die Texte von D. Davidson und S. Stich in diesem Band. Stich hat sein Argument etwas modifiziert in From Folkpsychology to Cognitive Sci­ ence, The Case Against Belief, Cambridge: MIT Press 1983, S. 104-106. Kritische Stimmen zu Davidsons Argument finden sich bei J. Bishop, »More Thought on Thought and Talk«, M in d 89 (1980), S. 1-16; R. Routley, »Alleged Problems in Attributing Beliefs and Intentionality to Animais«, Inquiry 24 (1981), S. 385-417; P. Smith, »On Animal Beliefs«, The Southern Jo urn al o f Philosophy 20 (1982), S. 503-512; R. Jeffrey, »Animal Interpretation«, in: Actions and Events. Perspectives on the Philosophy o f D onald Davidson, hrsg. von E. LePore, B. P. McLaughlin, Ox­ ford und New York: Basil Blackwell 1985, S. 481-487; A. Ward, »Davidson on At­ tributions o f Belief to Animais«, Philosophia 18 (1988) S. 97-106; H.-J. Glock, »Animals, Thoughts and Concepts«, Synthese 123 (2000) S. 35-64; D. Beisecker, »Some More Thoughts About Thought and Talk: Davidson and Fellows on Animal Be­ lief«, Philosophy 77 (2002), S. 115-124.

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lieh wenig erhellend. Der Philosoph C. Allen hat sich dieses Argu­ ments angenommen.75 Der springende Punkt der kognitiven Etholo­ gie ist ja dieser: Intentionales Vokabular, besonders der Begriff des mentalen Gehalts, kann zur wissenschaftlichen Erklärung, Beschrei­ bung und Vorhersage von Tierverhalten (innerhalb eines vergleichen­ den, evolutionären Rahmens) dienen. Das Argument nun, dass wir sprachlosen Tieren keine spezifischen mentalen Gehalte zuschreiben können, ist offensichtlich direkt relevant für die kognitive Ethologie. M it ihm wird das Projekt einer kognitiven Ethologie in Frage gestellt. Formulieren wir das Argument etwas genauer aus und betrachten wir Aliens Entgegnung: 1. Ein springender Punkt der kognitiven Ethologie ist, dass der Be­ griff des mentalen Gehalts zur wissenschaftlichen Erklärung und Vorhersage von Tierverhalten dienen kann. 2. Der Begriff des mentalen Gehalts ist nun aber ungeeignet für die Vorhersage und Erklärung von Tierverhalten, denn (2a) solches Verhalten kann mithilfe der Zuschreibung mentalen Gehalts nur erklärt und vorausgesagt werden, wenn mentaler Gehalt bei Tieren mit Bestimmtheit spezifiziert werden kann. (2b) Weil den Tieren eine Sprache (oder zumindest eine hinreichend feinkörnige Form der Kommunikation) fehlt, kann der mentale Gehalt bei ihnen nicht mit Bestimmtheit spezifiziert werden. 3. Also sollte die kognitive Ethologie auf den explanatorischen und prognostischen Gebrauch des Begriffs des mentalen Gehalts bei Tieren verzichten. Aliens Strategie besteht zunächst darin zu zeigen, dass für (2a) die An­ sprüche an den explanatorischen und vor allem an den prognostischen Wert von Gehaltzuschreibungen zu hoch angesetzt sind. Interessan­ ter ist die Kritik an (2b). Denken wir an einen Hund, der glaubt, dass eine von ihm gejagte Katze auf einen bestimmten Baum geflüchtet ist, obwohl, wie wir Zuschauer wissen, die Katze dort gar nicht steckt. 75 Vgl. C. Allen, »Mental Content«, British Jo urn al fo r the Philosophy o f Science 43 (1992), S. 537-553; C. Allen und M . Bekoff, »Intentionality, Social Play, and De­ finition«, Biology and Philosophy 9/1 (1994), S. 63-74; C. Allen und M . Bekoff, »Cognitive Ethology and the Intentionality o f Animal Behaviour«, M in d and Language, 10/4 (1995), S. 313-328; C. Allen und M . Bekoff, Species ofM in d. The Philosophy and Biology o f Cognitive Ethology, op. cit., Kap. 5 und 6; vgl. auch C. Al­ len, »Philosophy o f Cognitive Ethology«, http://host.uniroma3.it/progetti/kant/ field/ceth.htm.

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Der Hund steht unter dem falschen Baum und bellt hinauf. Er glaubt allem Anschein nach, die Katze befinde sich auf diesem Baum.76 Aber können wir dem Hund tatsächlich die Überzeugung zuschreiben »Der Hund glaubt, dass die Katze auf diesem Baum ist«? Glaubt der Hund, wenn überhaupt etwas, genau dies? Das Argument lautet nun, dass wir dem Hund keine bestimmte Überzeugung zuschreiben können, weil uns der Hund nichts an die Hand gibt für eine solche Zuschreibung. Dagegen sprechen jedoch einige Überlegungen. Erstens ist es vielleicht so, dass wir den mentalen Gehalt mit unse­ ren Mitteln nicht spezifizieren können. Der Hund hat mit Sicherheit nicht unseren Begriff eines Baums oder unseren Begriff einer Katze. Das bedeutet jedoch nicht, dass es prinzipiell unmöglich ist, den Ge­ halt seiner Überzeugung zu spezifizieren. Vielleicht sind Hunde Hedonisten und sie denken an den Baum als dasjenige, wo im Schatten geschlafen werden kann oder wo Knochen vergraben liegen, wo kon­ stant bestimmte Gerüche anzutreffen sind oder wo sie nicht hinauf­ kommen. Der Hundebegriff des Baums besteht aus einem anderen Netz von Überzeugungen, die den Gehalt des Begriffs spezifizieren. Zweitens sind wir auch nicht immer in der Lage, den Gehalt der Überzeugungen unserer Mitmenschen zu spezifizieren. Denkt meine Nachbarin auch, dass die Katze nicht auf dem Baum ist? Oder denkt sie, dass Onkel Tobis Mimilein auf jenem Baum steckt, der nächste Woche gefällt werden soll? Vielleicht denkt ihre kleine Tochter, dass ein M iau auf einem Baum ist. Trotzdem sprechen wir ihnen weder Gehalt noch Gedanken ab. Natürlich kann man hier zu Recht ein­ wenden, dass wir unsere Nachbarin oder das Kind ja einfach fragen können. Hier schließt eine dritte Überlegung an. Natürlich können wir andere Personen oft nach dem Gehalt ihrer Überzeugungen fragen und sie geben uns darüber oft kompetent Aus­ kunft. Das ist aber lediglich eine Vereinfachungsbedingung, keine Ermöglichungsbedingung dafür, dass ein Gedanke einen mentalen Gehalt hat. Bei einem Tier müssen wir die Gehaltspezifikation teil­ weise aus seinem Verhalten ablesen. Nun sind aber auch die aufgrund von Verhalten zuschreibbaren Gehalte zunächst schlecht spezifiziert. Ein Beispiel: Wenn ich jemandem einen Apfel und eine Birne hinhalte und er den Apfel nimmt, zeigt er dann eine Präferenz für Äpfel oder für runde Dinge oder für rote Dinge? Oder zeigt er eine Abneigung 76 Vgl. dazu den Text von N . Malcolm (in diesem Band, S. 86).

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gegen Birnen oder gegen längliche Dinge oder gegen gelbe Dinge? Es sieht so aus, als könnte man den Gehalt der Präferenz durch das beobachtete Verhalten allein nicht bestimmen. Doch auch hier geht es nicht um eine prinzipielle Unmöglichkeit. Vielmehr geht es dar­ um, die Umwelt des betreffenden Lebewesens kennen zu lernen und unsere Zuschreibungen zum Beispiel durch Versuchsanordnun­ gen weiter zu spezifizieren. Ich biete ihm eine rote Birne und einen roten Apfel, eine gelbe Birne und einen gelben Apfel usw. Dann kann ich die Interpretation seiner Präferenzen einschränken und spezifi­ zieren. Zusammenfassend handelt es sich auch hier um die Infragestel­ lung der Adäquatheit unserer Begriffe für den Gehalt bei Tieren, um die Problematik eines doppelten Standards hinsichtlich der Ge­ haltspezifikation bei Mensch und Tier, um die Möglichkeit anderer Mittel der Spezifikation (wie das Verhalten) und schließlich um die Verwechslung der Schwierigkeit mit der Unmöglichkeit der Gehalt­ spezifikation. Der letzte Punkt besagt, und das ist natürlich eine phi­ losophische These, dass das Zuschreiben eines mentalen Gehalts nicht konstitutiv dafür ist, dass ein Lebewesen auch einen solchen Ge­ halt hat. Das Sprechen einer Sprache erweitert zwar die Gehalte, die wir überhaupt erfassen können, immens, und es verfeinert und er­ leichtert die Spezifikation des Gehalts. Aber auch hier brauchen wir nicht zwingend davon auszugehen, dass das Sprechen einer Sprache konstitutiv dafür ist, dass ein Lebewesen auch einen solchen Gehalt hat. Aus diesen Überlegungen folgt, dass das Projekt der kognitiven Ethologie nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Das Beispiel Aliens zeigt wiederum auf, dass die systematischen Beziehungen zwischen der kognitiven Ethologie und der Philosophie des Geistes sehr eng sein können.77 Wir haben bereits auf diesen Zusammenhang zwischen den Arbeiten von D. Griffin und Th. Na­ gel hingewiesen. Forscher und Forscherinnen im Bereich der kogniti­ ven Ethologie werden durch Philosophen angeregt und erhalten von ihnen argumentative Herausforderung und Unterstützung. Philoso­ phen wiederum können ihr empiriearmes Handwerk mit reichhalti­ 77 Eine Nutzung der kognitiven Ethologie für eine naturalisierte Erkenntnistheorie versucht H. Kornblith, »Wissen beim Menschen und anderen Tieren«, Erkenntnis­ theorie. Positionen zwischen Tradition und Gegenwart, hrsg. von T. Grundmann, Paderborn: Mentis 2001, S. 305-327; id., Knowledge and Its Place in Nature, Ox­ ford: Oxford University Press 2003, Kap. 2.

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gen, komplexen und interessanten Beispielen bereichern und ihre Theorien entweder den Herausforderungen solcher Beispiele stellen oder durch solche Beispiele bestätigen.

4. Z w e i Problem felder: G edankenlesen und Bew usstsein Es gibt unterschiedliche Kandidaten für eine anthropologische Diffe­ renz, d. h. für einen Mensch-Tier-Unterschied, der so wesentlich ist, dass er konstitutiv für die kognitive und kulturelle Ausstattung unse­ rer Spezies ist. Zahlreiche Philosophen und Wissenschaftler halten das Sprachvermögen, das »Gedankenlesen« oder die zeitlichen Per­ spektiven der Vergangenheit und Zukunft {m ental time travelling) für sehr aussichtsreiche Kandidaten. Doch auch das subjektive Erle­ ben, das Bewusstsein stellt ein besonderes epistemologisches Problem dar. Im Folgenden wird zunächst das »Gedankenlesen« dargestellt. Anschließend wird ein aufsehenerregendes Beispiel für eine subjek­ tive Perspektive auf die Vergangenheit bei Vögeln vorgestellt, aller­ dings mit der harten Grenze des subjektiven Bewusstseins. Affen und zahlreiche andere Tiere verfügen nicht nur über eine Art Wissen von ihrer physischen, sondern auch von ihrer sozialen Umwelt. So wissen viele Affen ausgezeichnet über die Verwandt­ schafts- und Dominanzbeziehungen zwischen Mitgliedern ihrer Ge­ meinschaft Bescheid. Liegt es da nicht auf der Hand, dass sie auch ein Wissen vom mentalen Leben ihrer Artgenossen haben? Offen­ sichtlich können Grüne Meerkatzen Individuen an ihren Stimmen unterscheiden. Eine oft angewendete Form des Feldversuchs von Che­ ney und Seyfarth ist das Playback-Verfahren, also das Abspielen von Tonaufnahmen. Spielt man einer Meerkatzengruppe - wenn kein Ad­ ler in der Nähe ist—vom Tonband den Adler-Alarmruf eines bestimm­ ten Gruppenmitglieds vor, schauen sie in die Luft, rennen aber nicht einfach weg - weil kein Adler in der Nähe ist - , sondern schauen den Rufer an. Der vermeintliche Falschrufer verliert bei häufiger Wie­ derholung dieses Versuchs seine Glaubwürdigkeit als Warner.78 Die­ ser Befund wirft verschiedene Fragen auf. Was denken die Meer­ katzen darüber, was der Rufer wollte? Was denkt der Rufer darüber, 78

Vgl. R. S. Seyfarth und D. L. Cheney, »Do monkeys understand their relations?«, in: M achiavellian Intelligence. Social Expertise and the Evolution oflntellect in Monkeys, Apes, andH um ans, op. cit., S. 69-84.

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was die Meerkatzen über den R u f denken? Kurzum: Können be- j stimmte Tiere ihre Artgenossen als Lebewesen mit einem Geist wahr­ nehmen? Unter Rückgriff auf einen wichtigen Aufsatz von D. Premack wird häufig diskutiert, ob Schimpansen - die Diskussion dreht sich vorwie­ gend um diese Spezies - eine »Theorie des Geistes« {theory o fm ind) hätten, ob sie »Gedankenleser« (mindreaders ) seien, und nicht ledig­ lich »Verhaltensleser«. Bereits im Zusammenhang mit dem Behavioris­ mus wurde daraufhingewiesen, dass wir im Alltag wie selbstverständ­ lich Verhaltensweisen sowohl bei Menschen als auch bei vielen Tieren durch das, was sie glauben oder wünschen, erklären. Unsere Alltags­ psychologie bezieht sich auf mentale Ursachen.79 Menschenkinder lernen das Gedankenlesen schon sehr früh. Das zeigt ein einfaches Experiment.80 Einem Kind wird folgende Geschichte erzählt: Sally legt ihren Ball in einen Korb und verlässt das Zimmer. Anna versteckt den Ball in einer Schachtel. Sally kommt zurück. Wo wird Sally den Ball suchen? W ir denken, dass die Leserinnen und Leser nun denken, dass Sally denkt, dass der Ball im Korb liegt. Das scheint kinderleicht zu sein. Es ist jedoch nicht kinderleicht. Wenn wir die Geschichte einem Kleinkind erzählen und fragen, wo Sally den Ball suchen wird, antwortet es: In der Schachtel! Es berichtet, was es selbst denkt. Es ist (noch) nicht in der Lage zu berichten, was Sally denkt. Es ist noch kein Gedankenleser. Erst mit etwa 4 Jahren wird es das.81 Weil wir Gedanken lesen, können wir zwei Dinge tun, nämlich Voraussagen was jemand als nächstes tun wird (Sally geht zum Korb) und erklä­ ren, warum jemand bestimmte Dinge tut (Sally wundert sich). Wir

,

79 Eine differenzierte Übersicht über diese Diskussion geben S. Stich und S. Nichols, : »Folk Psychology«, in: The Blackw ell G uide to Philosophy ofM in d, hrsg. von T. A. Warfield und S. Stich, Oxford: Basil Blackwell 2003, S. 235-255; vgl. ausführlicher S. Nichols und S. Stich, M indreading. An Integrated Acount o f Pretence, SeifAwareness, and Understanding Other M inds, Oxford: Clarendon Press 2003. 80 Das folgende Beispiel ist eine einfache Variante einer sog. »false belief task«. Zur Einführung dieser experimentellen Aufgabenstellung vgl. H. Wimmer und J. Perner, »Beliefs about Beliefs. Representation and Constraining Function o f Wrong Beliefs in Young Children’s Understanding o f Deception«, in: Cognition 13 (1983), S. 103-128. Zur Kritik dieser Aufgabenstellung als Test für eine Theorie des Geistes j vgl. jedoch P. Bloom und T. German, »Two Reasons to Abandon the False Belief { Task as a Test o f Theory o f Mind«, in: Cognition 77 (2000), S. 25-31. 81 Vgl. J. Perner, Understanding the RepresentationalM ind, Cambridge (Mass.): MIT Press 1991, S. 82 und 189.

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machen uns also Gedanken über Gedanken. Ohne das könnten wir ein Lebewesen nicht als etwas verstehen, das Wünsche oder Gedan­ ken hat, könnten wir andere nicht erfolgreich belügen, nicht als We­ sen mit einem Innenleben behandeln, uns nicht in ihre Haut verset­ zen. W ir können uns natürlich nicht nur Metagedanken über andere machen, sondern auch über uns. Und Schimpansen? Gedankenlesen ist eine besondere kognitive Fähigkeit. Sie scheint so besonders zu sein, dass einige Psychologen, Philosophen und Anthropologen denken, dass sie uns von anderen Tieren unterscheidet, insbesondere von unseren nächsten Verwand­ ten.82 Insbesondere der Psychologe M . Tomasello hat die These vertre­ ten, dass sich Menschen von Schimpansen (und mithin von anderen Tieren) im Wesentlichen deshalb unterscheiden, weil sie Gedankenle­ ser sind.83 Dies würde —mit Dennett gesprochen —bedeuten, dass selbst Schimpansen keine intentionalen Systeme zweiter Stufe sind. Tomasello hat darauf aufbauend die weitgehende These entwickelt, dass diese meta-mentale Fähigkeit Grundlage fiir zwei spezifisch menschliche Errungenschaften sein muss, nämlich für die Evolution einer komplexen Kultur und eines komplexen Kommunikationssys­ tems. Tomasellos These ist ein Beispiel für den komparativen Aspekt der Verhaltensforschung. Denn Tomasello vergleicht ja offenbar die kognitiven Fähigkeiten von Schimpansen und Menschen, um dar­ aus den entscheidenden Unterschied herleiten zu können. Es bleibt natürlich eine offene Frage, ob es den einen entscheidenden Unter­ schied gibt. Denn die Möglichkeit besteht, dass eine ganze Gruppe von Unterschieden existiert und dass diese Unterschiede nicht total, sondern lediglich graduell sind. Hier bleibt somit die Frage offen, ob man die anthropologische Differenz stark oder schwach ansetzen soll. Im Allgemeinen neigen kognitive Ethologen dazu, die Unter­ schiede schwach anzusetzen, oder sie versuchen dieser Frage nach der anthropologischen Differenz aus dem Weg zu gehen, weil sie nach ihrer Meinung die Sicht auf das kognitive Leben der unterschied­ lichen Tierarten versperrt. Allerdings sind viele Fragen in diesem Bereich noch offen. Umstrit­ ten ist nicht nur, ob Primaten Gedankenleser sind oder nicht. Toma82 Vgl. J. Proust, Les animaux, pensent-ils?, op. cit., S. 105-160. 83 M . Tomasello, The C ultural Origins o f Human Cognition, Cambridge (Mass.): Har­ vard University Press 1999 (dt. D ie kulturelle Entwicklung des menschlichen D en­ kens. Z u r Evolution der Kognition, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002).

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sello beispielsweise rückt in seinen jüngsten experimentellen Arbei­ ten von seinem negativen Standpunkt ab.84 A. Whiten und R. Byrne haben schon zuvor die These der sozialen Intelligenz portiert. Ihr zu­ folge ist es ein evolutionärer Vorteil für Tiere, die in komplexen so­ zialen Systemen leben, eine Fähigkeit zum Gedankenlesen zu ent­ wickeln. Diese Fähigkeit zeige sich vor allem in der Imitation der Verhaltensweisen und der taktischen Täuschung anderer Gruppen­ mitglieder.85 Ebenso umstritten und noch viel grundlegender (und daher philo­ sophisch interessanter) ist die Frage, was für eine Art von Fähigkeit das Gedankenlesen überhaupt sein soll. Verfügen wir über so etwas wie eine ausgebaute Theorie darüber, wie die Gedanken, Absichten, Wün­ sche und Verhaltensweisen von anderen Personen und anderen Lebe­ wesen kausal Zusammenhängen? Oder versetzen wir uns einfach in der Art einer Simulation in die Haut einer anderen Person oder eines anderen Lebewesens?86 Ist uns diese Fähigkeit wie ein mentales M o­ dul gleichsam angeboren? Oder handelt es sich um eine mit der Sozia­ lisation erworbene Fertigkeit?87 Was wäre ein gültiger Test dafür, ob ein Lebewesen sich wirklich Gedanken über die Gedanken und nicht über das Verhalten eines Artgenossen macht? Gibt es dafür überhaupt einen gültigen Test oder handelt es sich nicht vielmehr um eine gra­ duelle Fähigkeit?88 Diese Fragen werden sowohl in der Primatenfor­ 84 Vgl. M . Tomasello, B. Hare und B. Agnetta, »Chimpanzees Follow Gaze Direc­ tum Geometrically«, A nim al Behaviour 58 (1999), S. 769-777; B. Hare, J. Call, B. Agnetta und M . Tomasello, »Chimpanzees Know What Conspecifics Do and Do not See«, A nim al Behaviour 59 (2000), S. 771-785; M. Tomasello, J. Call und B. Hare, »Chimpanzees Understand Psychological States: The Question Is Which Ones and to What Extent«, Trends in Cognitive Sciences 7 (2003), S. 153-156. 85 Vgl. M achiavellian Intelligence. Social Expertise and the Evolution o fln tellect in Monkeys, Apes, andH um ans, hrsg. von R. W. Byrne und A. Whiten, Oxford: Cla­ rendon Press 1988. 86 Grundlegende Texte zu diesen beiden Theorien des Gedankenlesens (der sog. »Theorie-Theorie« und der »Simulationstheorie« des Gedankenlesens) finden sich in Theories o f Theories ofM ind, op. cit. In ihrem Buch M indreading, op. cit., bemü­ hen sich S. Stich und S. Nichols um einen Ansatz, der die beiden Theorien inte­ griert. 87 Vgl. dazu die Sammelrezensionen von G. Currie und K. Sterelny, »How to Think About the Modularity o f Mind-Reading?«, The Philosophical Quarterly 50 (2000), S. 145-160, und von M. Mameli, »Modules and Mindreaders«, Biology andPhilosophy 16 (2001), S. 377-393. 88 Vgl. dazu den Beitrag von K. Sterelny (in diesem Band, S. 357-386).

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schung und in der Psychologie als auch in der Philosophie des Geistes intensiv diskutiert. Rufen wir uns die Definition der kognitiven Ethologie von M . Bek off in Erinnerung: Die kognitive Ethologie ist die vergleichende, evolutionäre und ökologische Erforschung des Geistes von nicht-menschlichen Tieren - Denkprozesse, Überzeugungen, Vernunft, Informationsverarbeitung und Bewusstsein mit eingeschlossen.

An letzter Stelle steht, was D. Griffin an erster gefordert hat, nämlich die Erforschung des Bewusstseins der Tiere. Doch gerade damit tut sich die kognitive Ethologie offenbar am schwersten. Griffin be­ merkte unlängst, dass trotz der großen Fortschritte in der Erforschung des Geistes der Tiere in der kognitiven Ethologie und in der Tierpsy­ chologie ein großer Bogen um die Frage nach dem Bewusstsein ge­ macht werde.89 Zur Debatte steht hier eine besondere Art des Be­ wusstseins, das phänomenale Bewusstsein. A u f diese besondere Form des Bewusstseins haben wir bereits im Zusammenhang mit Nagels Essay darüber, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, hingewiesen. Im Alltag werden wir zahlreiche Personen treffen, die skeptisch sind gegenüber Ansichten, dass Tiere denken, Schlüsse ziehen oder sich etwas überlegen, bevor sie etwas tun. Aber dennoch werden sie womöglich ohne weiteres zugeben, dass Tiere sicher Bewusstsein, bewusste Erlebnisse haben. Es gibt jedoch prominente philosophische Theorien, die dies bestreiten.90 In der kognitiven Ethologie wird das nicht rundheraus abgelehnt.91 Aber es stellt sich verschärft das metho89 In seinem Nachwort »What is it Like?«, in: The Cognitive Anim al, öp. cit.,

S. 471-47390 Vgl. den Text von D. Dennett in diesem Band und die Texte von P. Carruthers, »Brüte Experience«, The Jo u rn al ofPhilosophy 86 (1989), S. 258-269; id., »Why the Question o f Animal Consciousness Might not Matter Very Much«, PhilosophicalPsychology 18 (2005). Ihre Theorien des Bewusstseins finden sich in D. Dennett, Consciousness Explained, Boston (Mass.): Little und Brown 1991 (zum Bewusstsein bei Tieren, S. 441-455); P. Carruthers, Phenomenal Consciousness. A N aturalistic Theory, Cambridge: Cambridge University Press 2000 (zum Bewusstsein bei Tie­ ren, S. 193-209). 91 Der Rubikon des Bewusstseins wird von vorsichtigen Forscherinnen methodologisch-agnostisch ausgelegt. Weil wir keinen Verhaltenstest für Bewusstsein haben, können wir nicht wissen, ob Tiere bewusst erleben oder nicht (vgl. S. Shettleworth, Cognition, Evolution, and Behavior, op. cit., S. 5-10). Kühnere Psychologen wie E. MacPhail, »The Search for a Mental Rubicon«, in: The Evolution o f Cognition,

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dologische Problem, wie etwas über das bewusste Erleben bei Tieren empirisch in Erfahrung gebracht werden kann. Betrachten wir dazu ein Beispiel, das diesmal nicht aus der Welt der Affen und Primaten stammt. Aufregende Forschungen werden zurzeit vor allem an Corviden (Krähenvögeln) angestellt. Das Beispiel illustriert, wie selbst ingeniöse empirische Versuchsanordnungen bei der Frage nach dem Bewusstsein ins Stocken geraten. Das bewusste Erleben, das phäno­ menale Bewusstsein, wird in der Philosophie nicht umsonst als das »harte Problem« in der Philosophie des Geistes bezeichnet: Seine Exis­ tenz ist rätselhaft und es erweist sich als schwierig, empirisch an es heranzugelangen. Häher sammeln Vorräte, verstecken sie an Hunderten von Orten und finden diese Verstecke auch zuverlässig wieder —im Unterschied etwa zu Eichhörnchen. Bei wildlebenden Hähern wurde beobachtet, dass diese Vögel eher Nüsse und Kerne als Würmer und Insekten lagern und dass sie Würmer und Insekten eher suchen und verzeh­ ren als Nüsse und Kerne.92 Diese an wildlebenden Hähern gemachte Beobachtung lässt sie geeignet erscheinen, das Vorhandensein einer bestimmten Form des Gedächtnisses an ihnen zu testen, nämlich das episodische Gedächtnis. Zahlreiche Dinge, die wir wissen, haben wir erlernt, und wir wissen um diese Dinge, weil wir sie im Gedächtnis gespeichert haben. Aber wir wissen meistens nicht mehr, wann und wo wir bestimmte Dinge in Erfahrung gebracht haben. So wissen die meisten von uns bestimmt, dass Athen die Hauptstadt Griechen­ lands ist, aber die wenigsten werden sich daran erinnern können, wann und wo sie dies zum ersten M al in Erfahrung gebracht haben. Wir haben hier ein Wissen einer bestimmten Tatsache. Demgegen­ über können wir aber natürlich auch Erinnerungen an das Was, Wann und Wo eines bestimmten Erlebnisses haben. W ir haben Wissen von Eigenerlebnissen in der subjektiven Zeit, wenn wir uns beispielsweise an den Tag erinnern, an dem wir zum ersten M al die Akropolis be­ stiegen haben. Dies ist die episodische Erinnerung. Das damit verbun­ dene, spezifische Bewusstsein nennt der Erfinder des Begriffs, der Psychologe E. Tulving, »autonoetisches Bewusstsein«, ein Bewusst­ sein, das wir beispielsweise kaum mit dem Wahrnehmungsbewussthrsg. von C. Heyes und L. Huber, Cambridge (Mass.): MIT Press 2000, S. 253-271, bestreiten, dass Tiere ein bewusstes Erleben haben. 92 N. Clayton et al., »Seasonal patterns o f food storing in the European jay (Garrulus glandarius)«, Ibis 138 (1996), S. 250-255.

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sein eines bestimmten Gegenstands vor unseren Augen verwechseln. Eine Erinnerung »fühlt« sich anders an als eine Wahrnehmung. Dieses »autonoetische Bewusstsein« ist natürlich ein besonderer Aspekt des phänomenalen Bewusstseins. Zahlreiche Autoren halten das episodi­ sche Gedächtnis aufgrund der erwähnten besonderen Eigenschaften für spezifisch menschlich.93 N . Clayton et al. nun haben verschiedene Versuche mit Hähern (genauer: mit Kalifornischen Buschhähern, Aphelocoma californica) durchgeführt, auch um zu testen, ob das epi­ sodische Gedächtnis tatsächlich ein spezifisch menschliches Vermö­ gen ist.94 Haben Häher eine Erinnerung an das Was, das Wo und das Wann? Die Resultate sind positiv.95 Es lohnt sich, diese innova­ tiven Versuche genauer zu betrachten, denn erst vor dem Hintergrund dieser Versuche wird sichtbar, wie hilflos die experimentelle Verhal­ tensforschung vor dem Phänomen des Bewusstseins steht. Die in einem Labor gehaltenen Häher werden in zwei Gruppen auf­ geteilt, die wir Gruppe i und Gruppe 2 nennen wollen. Beide Grup­ pen erhalten die Gelegenheit, Nüsse (N) und Würmer (W) in be­ stimmten Geschirren zu verstecken, die Sand enthalten. Der Witz der Auswahl dieser beiden Nahrungsmittel liegt in Folgendem: Häher 93 »Mit einer einzigen Ausnahme verläuft der Zeitpfeil geradlinig. [...] Der Zeitfluss ist irreversibel. Die einzige Ausnahme stellt das menschliche Vermögen der Erinne­ rung an vergangene Dinge dar. Wenn jemand daran denkt, was er gestern getan hat, dann wird der Zeitpfeil zu einer Schlaufe umgebogen. [...] Das episodische Gedächtnis ermöglicht die geistige Zeitreise durch die subjektive Zeit, von der Vergangenheit in die Gegenwart, und erlaubt uns, durch das autonoetische Be­ wusstsein, unsere vergangenen Erfahrungen wiederzuerleben.« E. Tulving, »Episodic Memory: From Mind to Brain«, A nnual Review ofPsychology 53 (2002), S. 1-2 und 5. 94 N. S. Clayton und A. Dickinson, »What, where and when: Evidence for episodiclike memory during cache recovery by scrub jays«, Nature 395 (1998), S. 272-274; id., »Scrub jays (Aphelocoma coerulescens) remember when as well as where and what food itmes they cached«, Jo urn al o f Comparative Psychology 113 (1999), S. 403-416; D. P. Griffiths, A. Dickinson und N. S. Clayton, »Declarative and episodic memory: What can animals remember about their past?«, Trends in Cognitive Science 3 (1999), S. 74-80; N. S. Clayton, D. P. Griffiths, A. Dickinson, »Declarative and Episodic-like Memory in Animals: Personal Musings o f a Scrub Jay«, in: The Evolution o f Cognition, hrsg. von C. Heyes und L. Huber, Cambridge (Mass.): MIT Press 2000, S. 273-288; D. P. Griffiths und N. S. Clayton, »Testing episodic memory in animals: a new approach«, Physiological Behaviour 73/5 (2001), S. 755-762. 95 Einwände erheben T. Suddendorf und J. Busby, »Mental time travel in animals?«, Trends in Cognitive Science 7 (2003), S. 391-396.

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haben eine intrinsische Präferenz für die Würmer. Aber die Würmer werden schneller ungenießbar als die Nüsse. Wie bei Lebensmitteln läuft ihr Datum sozusagen ab. Nur die Häher der Gruppe i erhalten aber die Gelegenheit zu lernen, dass die Würmer nach einer bestimm­ ten Zeit (nämlich nach 124 Stunden) ungenießbar werden. Nach 4 Stunden sind die Würmer noch ganz schmackhaft. Wichtig ist es zu beachten, dass, die Häher der Gruppe 2 auch nach insgesamt 124 Stunden nach wie vor eine Präferenz für die versteckten Würmer an den Tag legen. Damit kann gezeigt werden, dass der Wechsel der Gruppe 1 zu den Nüssen erlernt ist und nicht einer genetischen Prä­ disposition entspringt. Während des Trainings bleiben die versteck­ ten Nüsse und Würmer, wo sie versteckt worden sind. Für den Test­ versuch selber werden die Nüsse und Würmer heimlich aus den Geschirren entfernt, damit sich die Häher weder auf ihren Gesichtsnoch auf ihren Geruchssinn, sondern nur auf ihre Erinnerung verlas­ sen können. Im folgenden Schema werden der Gesamtversuch sowie die be­ schriebene Vorbereitung der beiden Gruppen veranschaulicht. G ru p p e 1

Lernt, dass W (nicht N ) nach 12 4 h (nicht nach 4 h) verderben. Präferenz fü r W nach 4 h (auch w en n Versteck leer). Präferenz fü r N nach 12 4 h (auch w enn Versteck leer)

G ru p p e 2

Lern t nichts über W u n d N Präferenz fü r W auch nach 12 4 h —> keine genetische Prädisposition

N -W -V ersu ch

t : H versteckt N in G eschirr

Prognose

links

G ru p p e 1 —> G eschirr rechts

t + 12 0 h: H versteckt W in

G ru p p e 2 —» G eschirr rechts

G eschirr rechts t + 12 4 h : H kehrt zur F u t­ tersuche zurück W -N -V ersu ch

t : H versteckt W in G eschirr links t + 12 0 h : H versteckt N in G eschirr rechts t + 12 4 h: H kehrt zur Fut. tersuche zurück

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Prognose G ru p p e 1 —> G eschirr rechts G ru p p e 2 —> G eschirr links

Die beiden Gruppen werden zwei verschiedenen Versuchen unter­ zogen. Im ersten Versuch (dem N-W-Versuch) verstecken die Häher beider Gruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt t zuerst die Nüsse, und zwar links im Geschirr, und 120 Stunden später erst die Würmer, nämlich rechts im selben Geschirr. Wenn sie nur 4 Stunden nach der letzten Aktion (d. i. 124 Stunden nach t) zurückkehren, um nach dem versteckten Futter zu suchen, werden die Mitglieder beider Grup­ pen nach den Würmern in der rechten Hälfte des Geschirrs suchen. Interessant ist nun der zweite Versuch (der W-N-Versuch). Hier wird lediglich die Reihenfolge der Futterart umgekehrt. Zuerst werden die Würmer zum Zeitpunkt t im Geschirr links versteckt, erst 120 Stun­ den später die Nüsse in der rechten Hälfte des Geschirrs. Nur 4 Stun­ den darauf wird den Hähern die Rückkehr erlaubt. Die Mitglieder der Gruppe 2 werden sich genau gleich wie im ersten Versuch ver­ halten und ihrer Vorliebe für Würmer folgen. Aber die Mitglieder der Gruppe 1 suchen zuerst in der rechten Hälfte des Geschirrs nach den Nüssen! Das Resultat von Clayton et al. lautet, dass die Häher (der Gruppe 1) etwas darüber wissen, was sie versteckt haben (näm­ lich Würmer oder Nüsse), wo sie es versteckt haben (nämlich links oder rechts im Geschirr) und wann sie es versteckt haben (nämlich vor 4 Stunden oder vor 124 Stunden). Und zwar zeigt sich dies an ihrem Verhalten. Dessen Grundlage bildet erstens eine intrinsische Präferenz (sie mögen Würmer lieber als Nüsse), aber die Wahl der Nüsse im zweiten Versuch erfolgt nicht aufgrund einer phylogeneti­ schen, sondern aufgrund einer erlernten Disposition. Zweitens ver­ halten sich die Häher aufgrund einer einzigen, spezifischen Erfahrung in der Vergangenheit (nämlich dem Verstecken von Würmern bzw. von Nüssen zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimm­ ten Ort). Häher haben also eine episodische Erinnerung an das Wann, das Was und das Wo. Clayton und Co. sprechen bei Hähern von einem Gedächtnis, das (im Minimum) »episodic4ike« ist. Der Grund für die vorsichtige Formulierung eines Episoden.-ähnlichen Gedächt­ nisses liegt darin, dass mit verhaltensspezifischen Tests zwar eruiert werden kann, ob sich die Häher an das Was, das Wo und das Wann erinnern, nicht aber, ob die Häher ein autonoetisches Bewusstsein davon haben. Laut Tulving ist ja das autonoetische Bewusstsein, das bewusste Erinnern individueller Eigenerlebnisse in subjektiver Zeit, konstitutiv für das episodische Gedächtnis. Wie steht es damit bei den Hähern? 67

Die große Lücke besteht darin, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Vögel automatisches Bewusstein zum A u fru f ihrer Erlebnisse in der Vergangenheit verwenden. Dies ist bei Tieren wahrscheinlich nicht testbar, denn dieser Zu­ stand äußert sich nicht in offenkundiger Weise im nicht-sprachlichen Verhal­ ten. Dieser Z u g macht die »episodische« Erinnerung momentan zu einer ein­ zigartig menschlichen Erscheinung, und das wird wahrscheinlich immer so bleiben .96

Diese vorsichtige Schlussfolgerung ist empirischen Studien angemes­ sen. Allerdings sollte man dabei nicht übersehen, dass sich die empi­ rische Forschung nun mit philosophischen Fragestellungen berührt. W ir haben eingangs bereits auf das Bewusstsein als ein Merkmal hingewiesen, das wir bei einem Lebewesen feststellen müssen, um ihm einen Geist zuschreiben zu können und die entsprechenden me­ thodologischen Schwierigkeiten vermerkt, die sich konkret zeigen. Hier könnte man fragen: Gibt es tatsächlich keine nicht-sprachliche Manifestation subjektiver Erlebnisse im Allgemeinen und des spezi­ fischen, episodische Erinnerungen begleitenden Bewusstseins im Be­ sonderen? Existiert keine ausgearbeitete Theorie des Bewusstseins, die es uns ermöglichen würde, den Hähern aufgrund der von ihnen an den Tag gelegten kognitiven Leistungen Bewusstsein zuzuschrei­ ben? Aber welche Art von Bewusstsein? Andererseits lässt das Ergeb­ nis von Clayton et al. tatsächlich die Möglichkeit offen, dass Tiere trotz beträchtlicher kognitiver Leistungen ohne bewusste Erlebnisse sind. Es könnte sein (und dies ist ja die These der oben erwähnten phi­ losophischen Bewusstseinstheorien), dass Tiere zwar intentionale Zu­ stände haben, dass sie diese auch verbinden und sich aufgrund dieser Verbindungen in Zuständen des Wissens und des Erinnerns befinden, dass sich aber alle diese kognitiven Prozesse in völliger oder großer mentaler Dunkelheit abspielen.97

96 N. S. Clayton, D. P. Griffiths, A. Dickinson, »Declarative and Episodic-like Me­ mory in Animais: Personal Musings o f a Scrub Jay«, op. cit., S. 285. 97 Skeptische Argumente bezüglich des (Schmerz-)Bewusstseins bei Tieren finden sich bei P. Harrison, »Do Animais Feel Pain?«, Philosophy 66 (1991), S. 25-40. Eine Übersicht gibt C. Allen, »Animal Consciousness«, The Stanford Encyclopedia o f Phi­ losophy (Summer 2003), hrsg. von E. N. Zalta, http://plato.stanford.edu/archives/ sum2003/entries/consciousness-animal.

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5- Tiere als Prüfstein für Kognitionsmodelle W ir haben an unterschiedlichen Beispielen gesehen, wie kognitive Ethologen ihre Forschungen ausrichten. Dabei haben wir die kogni­ tive Ethologie von der Tierpsychologie abgegrenzt, die sich unter an­ derem stark an Labor-Experimenten und neurologischen Untersu­ chungen orientiert. Freilich verfolgen heute zahlreiche Forscher eine integrierte Methode. Einer der profiliertesten Wissenschaftler auf die­ sem Gebiet ist der Psychologe M . Hauser. Er geht von einem vierstu­ figen Forschungsprozess aus. In einem ersten Schritt geht es darum, in Feldstudien etwas über die ökologischen und sozialen Herausforde­ rungen festzustellen, denen sich bestimmte Tierarten ausgesetzt fin­ den, und die Bewältigungsstrategien dieser Tierarten zu beobachten. Nun werden Hypothesen über die mentalen und kognitiven Struk­ turen entwickelt, die diese bestimmte Tierart ausgebildet haben muss, um diese Herausforderungen zu bewältigen. In einem zweiten Schritt sollen in kontrollierten Laborversuchen diese Hypothesen über die mentalen und kognitiven Strukturen getestet werden. Den dritten Schritt stellt die neurologische Arbeit dar, die Suche also nach den neuronalen Korrelaten, den zugrunde liegenden Verarbeitungspro­ zessen der kognitiven Strukturen. In einem vierten Schritt werden schließlich komparative Fragen verfolgt: Es geht darum, Gemeinsam­ keiten zwischen Menschen und anderen Tieren festzulegen, damit die Unterschiede (oder der Unterschied) herausgearbeitet werden können. Hauser ist der Ansicht, dass wir über den Geist weitaus besser Bescheid wissen werden, wenn wir nicht nur den Geist von Menschen, sondern auch jenen von Tieren erforschen und die Ergebnisse dann vergleichen. So verfallen wir nicht der Versuchung, den menschlichen Geist, der uns ja viel vertrauter ist, als den Geist schlechthin zu hypostasieren.98 98

Als empirischer Forscher legt Hauser großen Wert darauf, dass keine generellen Fra­ gen gestellt werden, wie etwa diejenige, ob Tiere intelligent seien, oder ob sie den­ ken. Wie sollte man solche unbestimmten Fragestellungen bearbeiten? Die Fragen müssen vielmehr spezifischer Natur sein. Dennoch zeigt Hauser in einem bemer­ kenswerten Buch aus dem Bereich der kognitiven Ethologie und der Tierpsycholo­ gie, dass man auch mit spezifischen Fragestellungen nicht die generellen Probleme und den Überblick in der Erforschung des Geistes der Tiere aus dem Blick verliert, M . D. Hauser, Wild Minds: What Animais Really Think, New York: Henry Holt Publishers 2000 (dt. Wilde Intelligenz. Was Tiere wirklich denken, München: C. H. Beck 2001). 69

Z u Beginn dieser Einleitung haben wir auf die Tatsache hingewie­ sen, dass es problematisch ist, den Tieren insgesamt eine Mittelposi­ tion zwischen Menschen einerseits und Pflanzen andererseits zuzuweisen. Denn offensichtlich gibt es die Tiere nicht als eine homogene Gruppe. Es lässt sich vielmehr eine Bandbreite verschiedenster Lebewesen beobachten, die über ganz unterschiedliche Fähigkeiten verfügen und Verhalten von unterschiedlicher Komplexität zeigen. Bei zahlreichen Philosophen und Philosophinnen hat sich nicht zuletzt aus diesem Grund die Methode des Entwurfs kognitiver Modelle durchgesetzt. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, der nicht zuerst von den Unterschieden zwischen Mensch und Tier ausgeht, sondern von den Gemeinsamkeiten zwischen den Lebewesen. Es wird zunächst danach gefragt, welche Vorstufen des Geistes es gibt, und dann, welche sozusagen basalsten und simpelsten Geister wir in der Natur antreffen. D arauf aufbauend können nun verschiedene kognitive Modelle unterschieden werden, die ausgehend von Nullstufen und Vorfbrmen zu zunehmend ausdifferenzierteren und komplexeren geis­ tigen Fertigkeiten und Vermögen fuhren. Der Gedanke einer Ent­ wicklung kognitiver Modelle setzt also bottom-up bei den Minimalbedingungen Für basale oder simple »Geisthaber« an und schafft eine gestufte, vergleichende Ordnung kognitiver System e." R. Millikan formuliert die grundlegende Idee der Methode kognitiver Modelle wie folgt: Was wirklich erforderlich ist, um die nicht-propositionale Kognition von Tieren zu verstehen, ist nicht eine Übersetzung ins Deutsche, sondern eine explizite Beschreibung der Arten von Repräsentationssystemen, die Tiere tat­ sächlich verwenden, und in welcher Weise sie diese verwenden. Das letzte Ziel muss darin bestehen, Modelle für die kognitiven Systeme einer jeden der ver­ schiedenen Tierspezies zu konstruieren und zu testen [...]. W ir werden aber sicher in die Irre gehen, wenn wir nicht bedenken, dass es zahlreiche M ög lichkeiten zwischen dem propositionalen Denken des Menschen und dem Fehlen jeglichen Denkens gibt .9 100 9

99 Zum Unterschied zwischen Bottom-up und Top-down auf diesem Gebiet vgl. F. Dretske, »Two Conceptions o f Knowledge: Rational vs. Reliable Belief«, in: id., Perception, Knowledge, and Belief. Selected Essays, Cambridge: Cambridge University Press 2000, S. 80-93. 100 Vgl. in diesem Band, S. 212. 70

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Millikan weist wie C. Allen (vgl. unten, S. 191) darauf hin, dass die exakte Spezifikation des Gehalts von Gedanken (oder der intentiona­ len Zustände) anderer Lebewesen (zum Beispiel in der natürlichen Sprache des Englischen) nicht entscheidend ist. Vielmehr geht es darum, herauszufinden, wie sich Lebewesen in ihrer physischen und sozialen Umwelt tatsächlich zurechtfinden, um darauf aufbauend testbare Modelle unterschiedlicher kognitiver Systeme zu entwerfen. Im Hintergrund dieser Methode liegt die Einsicht, dass es keine Sache des Alles-oder-Nichts ist, ob ein Lebewesen einen Geist hat. Verschie­ dene Arten des Geistes - um mit Allen und Bekoff zu sprechen - sind denkbar.101 Auch die französische Philosophin J. Proust arbeitet mit der Methode kognitiver Modelle. Sie unterscheidet vier Stufen der Fä­ higkeit bis hin zu mentalen Repräsentationen (wir erinnern uns, dass dies ein zentraler Begriff der Kognitionswissenschaften ist). Mentale Repräsentationen stellen einem Lebewesen Informationen seiner Um­ welt zur Verhaltenssteuerung zur Verfügung. Ihre Grundfrage lautet: Inwieweit ist ein System fähig, Informationen zu gebrauchen? Skiz­ zieren wir kurz diese kognitiven Modelle.102 1. Die erste Stufe ist auch hier eine Nullstufe (ähnlich wie bei Dennett) des Informationsgebrauchs. Man kann den Thermostaten als Modell nehmen. Der Thermostat nutzt Information über die Temperatur seiner Umgebung, ohne jedoch etwas über die Tempe­ ratur glauben oder wissen zu müssen. Er reagiert auf unflexible, vorprogrammierte Art und Weise auf die Temperaturschwankungen (und auf kaum sonst etwas) seiner Umgebung. Die Informa­ tion selber spielt keine kausale Rolle in der Steuerung seines Ver­ haltens.103 2. Nun folgt auf der zweiten Stufe ein erster tatsächlicher Grad der Informationsnutzung. Hier kann ein Lebewesen Informationen 10 1 Wir haben in D. Dennetts Stufenmodell intentionaler Systeme bereits ein ein­ faches, jedoch auf die Intentionalität eingeschränktes Beispiel eines Modells un­ terschiedlicher kognitiver Systeme kennen gelernt. Ein anderes Beispiel findet sich bei D. Papineau (in diesem Band, S. 247-253). 102 J. Proust, Comment l ’esprit vient aux betes, op. cit., S. 139-185; id., Les animaux, pensent-ilsl, op. cit., S. 19-33. 103 Vgl. dazu den Text von F. Dretske (in diesem Band, S. 213-222), aber auch id., »Machines, Plants and Animais. The Origins o f Agency«, in: Erkenntnis 51/1 (1999), S. 19-31 (dt. »Maschinen, Pflanzen und Tiere: Ursprünge des Handlungs­ vermögens«, in: Handlungen und Handlungsgründe, hrsg. von R. Stoecker, Pader­ born: Mentis 2002, S. 76-88). 7i

auf verschiedenen Sinneskanälen empfangen und in einem kurz­ lebigen Gedächtnis speichern. Es verfügt daher auch über eine mi­ nimale, rein assoziative Lernfähigkeit und seine Reaktionen auf bestimmte Reize sind nicht mehr unwillkürlich und invariant, sodass dieses Lebewesen auch die Reaktion für eine bestimmte Zeit verzögern kann. Es entsteht eine Protorepräsentation, d. h., dass ein innerer Zustand im Lebewesen mit einem äußeren Zustand kovariiert. Protorepräsentationen leiten in bescheidener Weise das Verhalten eines Organismus. Laut Proust funktioniert beispiels­ weise eine Schnecke auf diese A rt.104 3. Die dritte Stufe ist erreicht, wenn zur Protorepräsentation Kate­ gorisierungen der Umwelt hinzutreten. Ereignisse und Dinge der Umwelt werden in Kategorien eingeteilt und auf diese Kategorien folgen unterschiedliche Reaktions- und Verhaltensweisen. So kön­ nen beispielsweise Spinnen aufgrund der Vibrationen ihres Net­ zes ihre Beute kategorisieren. Je nach Größe der Beute muss die Spinne hinzueilen, um sie dingfest zu machen. Befinden sich meh­ rere Beutestücke im Netz, so speichert die Spinne die Information der jeweiligen Positionierung. 4. Erst auf der vierten Stufe erfolgt der Schritt von der Protoreprä­ sentation zur mentalen Repräsentation. Die nutzbar gemachte In­ formation ist nun speicherbar und kann auch auf andere Situa­ tionen übertragen werden. Der Gehalt der Information löst sich also aus der unmittelbaren Einbettung in den Zirkel von Wahr­ nehmung und Verhalten. Als weitere Forderungen an mentale Re­ präsentationen nennt Proust, dass ihr Gehalt wahr oder falsch ist und dass aus ihnen eine Anzahl Folgerungen gezogen werden kön­ nen. Als avanciertes Beispiel kann hier das Verhalten der Häher herangezogen werden. Der Entwurf kognitiver Modelle macht sich also sozusagen auf die Suche nach den Entstehungsspuren des Geistes. Er interessiert sich sowohl für Vorstufen des Geistes (etwa in Form der Protorepräsenta­ tion) als auch für ausgebildete Stufen (etwa in Form der mentalen Re­ präsentation). Dieser methodische Ansatz, der stark empirisch ausge­ richtet ist, unterscheidet sich von jenem Ansatz, der den menschlichen Geist von vornherein als etwas Einzigartiges auffasst und begrifflich zu fassen versucht. Er zielt auf die bereits erwähnte Begriffsklärung 104 Vgl. dazu J. Proust (in diesem Band, S. 224 £). 72

a posteriori ab: Vor dem Hintergrund empirischer Untersuchungen sollen verschiedene Stufen des Geistes und damit auch verschiedene Begriffe für kognitive Tätigkeiten unterschieden werden. R. Brandom hat die beiden methodischen Ansätze treffend mit den Stichwörtern >Assimilationismus< und >Differentialismus< benannt.105 Der Assimilationismus geht von den Gemeinsamkeiten zwischen Men­ schen und Tieren aus und versucht die unterschiedlichen Arten von Geist, die sich empirisch feststellen lassen, schrittweise zu differenzie­ ren. So würden sich zuletzt auch die wichtigen Unterschiede zwi­ schen uns Menschen und den anderen Lebewesen erkennen lassen. Der Differentialismus hingegen geht von einem prinzipiellen Unter­ schied zwischen Menschen und anderen Lebewesen aus. Dieser wird meistens in der Sprache gesehen, aber auch im Gemeinschaftshandeln oder in der Erschaffung einer Kultur. Im Gegensatz zwischen diesen beiden methodischen Ansätzen manifestiert sich nicht zuletzt der Grundlagenstreit um die sog. Naturalisierung des Geistes. Den Assimilationisten erscheint es nämlich durchaus einleuchtend, dass der menschliche Geist sich evolutionär aus niedrigeren Stufen des Geis­ tes heraus entwickelt haben muss, dass wir den menschlichen Geist auf diesem Weg auch besser verstehen können und dass wir für die Erklärung geistiger Eigenschaften auf Naturprozesse zurückgreifen sollten, die sich auch bei Tieren finden. Die Differentialisten hin­ gegen betonen, dass wir auf diesem Wege gerade die Eigenart des menschlichen Geistes verkennen und dass es ein Fehlschluss wäre, seine biologische Herkunft mit seiner Existenz in einem sozialisierten, kulturellen und rationalen Wesen zu verwechseln. Hier, so scheint es, weist die erste Methode einen Vorteil auf. Wenn der differentialistische Ansatz nämlich zur Folge hat, dass wir den Tieren einen Geist absprechen müssen, gerät er unter einen Argumentationsdruck, der nicht nur aus unserer intuitiven Alltagsansicht, sondern auch aus den Ergebnissen der empirischen Forschung entsteht. Denn wie kön­ nen wir das komplexe Verhalten der Tiere adäquat beschreiben und erklären, wenn wir es nicht mehr mithilfe eines kognitiven Vokabulars charakterisieren dürfen? Wie können wir es dann vermeiden, die Tiere nur noch cartesianisch als lebendige Maschinen zu beschreiben? Angesichts dieses Dilemmas ist es ratsam, nicht von vornherein eine 105

Vgl. R. Brandom, Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism, Cam­ bridge (Mass.): Harvard University Press 2000, S. 2-3 (dt. Begründen und Begrei­ fen. Eine Einführung in den Inferentialismus, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001). 73

Kluft zwischen Tieren und Menschen aufzureißen und den Tieren prinzipiell einen Geist abzusprechen. Die entscheidende Frage sollte nicht lauten, ob Tiere einen Geist haben, sondern welche A rt von Geist sie haben.

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I. Sprache und Überzeugungen

John R. Searle Der Geist der Tiere I Viele Tierarten haben Bewusstsein, Intentionalität und Gedanken­ prozesse. M it »Bewusstsein« meine ich jene subjektiven Zustände der Empfindung und des Gewahrseins, die wir im Wachzustand (und mit geringerer Intensität in unseren Träumen) haben; mit »Inten­ tionalität« meine ich jenes Merkmal des Geistes, mit dem er sich auf Objekte und Sachverhalte in der Welt richtet oder von diesen handelt; und mit »Gedankenprozessen« meine ich jene zeitlichen Sequenzen intentionaler Zustände, die sich systematisch aufeinander beziehen, wobei die Beziehung durch einige rationale Prinzipien eingeschränkt wird. Beispiele für bewusste Zustände sind etwa das Verspüren eines Schmerzes oder das Hören eines Geräuschs. Beispiele für intentionale Zustände sind Dinge wie etwas essen wollen oder glauben, dass sich jemand nähert. Beispiele für Gedankenprozesse sind Dinge wie he­ rausfinden, wie man eine Banane kriegt, die sich außer Reichweite be­ findet, oder das Verhalten einer Beute überwachen, die in Bewegung ist und flüchten will. Obwohl sich diese drei Phänomene —Bewusst­ sein, Intentionalität und Gedankenprozesse — überschneiden, sind sie nicht identisch. Einige bewusste Zustände sind intentional, andere nicht. Einige intentionale Zustände sind bewusst, viele sind es nicht. Mein gegenwärtiger Gedanke etwa, dass es wahrscheinlich nicht reg­ nen wird, ist bewusst; wenn ich im Schlaf überzeugt bin, dass Bill Clinton der Präsident der Vereinigten Staaten ist, so ist diese Über­ zeugung unbewusst. Alle Gedankenprozesse sind so, wie ich sie defi­ niert habe, intentional; aber nicht jeder intentionale Zustand kommt als Teil eines Gedankenprozesses vor. Ein auf nichts gerichtetes Angst­ gefühl beispielsweise ist, obwohl bewusst, doch nicht intentional. Ein plötzlicher Wunsch nach einem kalten Bier ist sowohl bewusst als auch intentional. Ein Tier, das ein plötzliches Hungergefühl empfin­ det, kann dieses haben, ohne dass es Teil irgendeines Gedankenpro­ zesses ist. Ich habe gesagt, dass viele Tierarten Bewusstsein, Intentionalität und Gedankenprozesse haben. Warum aber bin ich mir dessen so sicher? Warum bin ich mir z. B. so sicher, dass mein Hund, Ludwig 132

Wittgenstein Searle, Bewusstsein hat? Nun, warum ist er sich so si­ cher, dass ich Bewusstsein habe? Ich glaube, dass ein Teil der richti­ gen Antwort sowohl für Ludwig als auch fiir mich lautet, dass jede andere Möglichkeit außer Frage steht. Beispielsweise kennen wir uns nun schon ziemlich lange, sodass eigentlich kein Zweifel mög­ lich ist. Philosophisch betrachtet lautet die interessante Frage, weshalb uns die Einsicht, dass solche Antworten die richtigen sind, in der Philo­ sophie und den Naturwissenschaften solche Schwierigkeiten berei­ tet. Ich werde später darauf zurückkommen. Jetzt möchte ich die ursprüngliche Frage umkehren und fragen, warum so viele Denker bestritten haben, was so offensichtlich scheint, nämlich dass viele Tierarten außer unserer eigenen Bewusstsein, Intentionalität und Ge­ dankenprozesse haben. Überlegen Sie einen Moment, wie kontrain­ tuitiv solche Leugnungen sind: Ich kehre von der Arbeit nach Hause zurück und Ludwig stürmt mir entgegen. Er springt auf und ab und wedelt mit dem Schwanz. Ich bin sicher, dass er (a) Bewusstsein hat, (b) sich meiner Anwesenheit bewusst ist (Intentionalität), und (c) dass dieses Bewusstsein in ihm einen Zustand der Lust hervorruft (Ge­ dankenprozess). W ie könnte irgendjemand (a), (b) oder (c) abstrei­ ten? Wie sein Namensvetter vielleicht gesagt hätte: »So spielen wir das Sprachspiel mit (dem Wort) >sicherglauben< und >wünschen< werden oft in einer Art und Weise benutzt, dass sie eine gewisse Lockerheit, eine Unbestimmtheit in Bezug darauf zulassen, welche der Nebenformen der allgemeinen Einstellung durch den Handelnden exemplifiziert werden. So kann ich etwa glauben, dass es regnen wird, ohne dass ich selbst - ohne darüber nachzudenken - sagen könnte, ob dies eine starke oder eine schwache Überzeugung, eine Ahnung, eine Gewissheit oder eine Mut­ maßung ist. Und selbst wenn ich diese Fragen beantworten kann, wenn ich darüber nachdenke, so kann das Nachdenken selbst die relevante Einstellung festlegen. Bevor ich darüber nachdachte, mag es ganz einfach nichts gegeben haben, das faktisch darauf hinwies, welche Art von Überzeugung es war; ich glaubte einfach, es würde regnen. Deshalb schließe ich daraus: Die Tatsache, dass für Überzeu­ gungen und Wünsche der Tiere keine fein abgestuften Unterschei­ dungen gemacht werden können, zeigt nicht, dass Tiere keine Über­ zeugungen und Wünsche haben. Ein verwandtes Argument hat D. Davidson erwogen (ich bin mir

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Dies war während meiner Studententage in Oxford in den 5oer-Jahren ein weit verbreitetes Argument. Ich hörte es erstmals in Vorlesungen und Seminaren von S. Hampshire. Ich weiß nicht, ob er es je publizierte. [A. d. Ü.: S. Hampshire ver­ weist auf ein ähnliches Argument in: Thought and Action, London, 1959, S. 97; vgl. T. A. Long, »Hampshire on Animais and Intentions«, M in d 72 (1963), S. 414416.]

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nicht sicher, ob er es anerkennt).3 Die feinen Unterscheidungen, die wir beim propositionalen Gehalt von Überzeugungen und Wünschen machen, können für die angeblichen intentionalen Zuschreibungen gegenüber Tieren nicht gemacht werden. Wir sagen, der Hund glau­ be, sein Herrchen sei zu Hause. Aber glaubt er, Herr Schmid (der sein Herrchen ist) sei zu Hause, oder der Bankdirektor (dasselbe Herr­ chen) sei zu Hause? Ohne eine Antwort auf derlei Fragen können wir dem Hund keine Überzeugungen zuschreiben. Dieses Argument verläuft parallel zu einem bereits erwähnten. Ge­ mäß jenem Argument gibt es keinen intentionalen Zustand ohne eine bestimmte Tatsache, die seinem psychologischen Typ entspräche; gemäß diesem Argument gibt es keinen intentionalen Zustand ohne eine bestimmte Tatsache, die seinem propositionalen Gehalt entsprä­ che. Das Argument unterliegt demselben Einwand wie das bereits erwähnte. Die Prämisse scheint falsch. Selbst wenn wir annehmen, dass es nichts gibt, das faktisch daraufhinweist, welche die korrekte Übersetzung der mentalen Repräsentationen des Hundes in unser Vokabular ist, zeigt dies alleine noch nicht, dass dem Hund jegliche mentale Repräsentationen, Überzeugungen und Wünsche fehlen, die wir zu übersetzen versuchen. Davidson erwähnt dieses Argument nur beiläufig. Ein Argument, das er mit größerem Ernst gegen die Existenz von Tiergedanken ins Feld führt, ist das Folgende: Damit ein Tier einen Gedanken ha­ ben kann, muss der Gedanke in einem Netz von Überzeugungen auftreten. Sein Bespiel lautet: Um zu denken, dass der Revolver geladen ist, muss ich überzeugt sein, dass Revolver ein Waffentypus sind und dass ein Revolver ein beständiges physisches Objekt ist. Damit man einen Gedanken haben kann, müssen also Überzeugungen vorhan­ den sein. Aber, und dies ist der entscheidende Schritt, um eine Über­ zeugung zu haben, muss ein Geschöpf den Begriff der Überzeugung haben. Weshalb? Weil man, um eine Überzeugung zu haben, wahre von falschen Überzeugungen unterscheiden können muss. Aber der Gegensatz zwischen dem Wahren und dem Falschen »kann nur im Kontext der Interpretation« (von Sprache) auftreten.4 Die Vorstellung einer wahren oder falschen Überzeugung hängt von der Vorstellung 3 D. Davidson, »Thought and Talk«, in: Truth and Interpretation, Oxford: Oxford University Press 1984, S. 155-170 [dt. »Denken und Reden«, in: id., Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 224-246]. 4 D. Davidson, op. cit., S. 170 [dt. S. 246]. 139

von wahren und falschen Äußerungen ab, und diese Vorstellungen können ohne eine gemeinsame Sprache nicht existieren. Deshalb kann nur ein Geschöpf, das eine Sprache hat und sie interpretiert, Ge­ danken haben. Die grundsätzliche Idee dieses Arguments ist anschei­ nend diese: D a Wahrheit< ein metasprachliches semantisches Prädi­ kat ist und da der Besitz von Überzeugungen die Fähigkeit erfordert, zwischen wahren und falschen Überzeugungen unterscheiden zu kön­ nen, folgt daraus anscheinend unmittelbar, dass der Besitz von Über­ zeugungen metasprachliche semantische Prädikate verlangt, und dies setzt offensichtlich Sprache voraus. Dieses Argument ist nicht so klar, wie es sein könnte, und man könnte gegen einige seiner Schritte Einwände erheben. Der Punkt, auf den ich mich hier konzentrieren möchte, ist das, was ich für den zentralen Kern des Argumentes halte: Um den Unterschied zwi­ schen wahren und falschen Überzeugungen zu erkennen, bedarf es eines sprachlich artikulierten Begriffs der Überzeugung. Die Behauptung lautet, dass man nur innerhalb einer Sprache korrekte von nicht korrekten Überzeugungen unterscheiden kann. Ich bin mit der Voraussetzung für diese Forderung einverstanden: Um einen intentionalen Zustand zu haben, muss man die Fähigkeit besitzen, Bedingungen, die den intentionalen Zustand erfüllen, von solchen zu unterscheiden, die ihn nicht erfüllen. Ich möchte diesen Punkt sogar auf alle intentionalen Zustände ausdehnen und nicht nur auf Überzeugungen beschränken. Allgemein muss man den Un­ terschied zwischen erfüllten und unerfüllten intentionalen Zustän­ den erkennen können, um intentionale Zustände zu haben. Ich sehe jedoch keinen Grund zur Annahme, dass dies notwendigerweise einer Sprache bedarf, und sogar die zwangloseste Beobachtung von Tie­ ren legt nahe, dass sie typischerweise zwischen der Erfüllung und der Frustration ihrer intentionalen Zustände unterscheiden, und zwar ohne eine Sprache. Wie funktioniert dies? Nun, die erste und wichtigste Sache ist die, dass Überzeugungen und Wünsche nicht nur in ein Netz an­ derer Überzeugungen und Wünsche eingebettet sind, sondern, was noch wichtiger ist, in ein Netz von Wahrnehmungen und Handlun­ gen, und diese sind die biologischen Grundformen der Intentiona­ lität. Schon seit Beginn dieser Diskussion reden wir so, als ob Wahr­ nehmung und Handlung keine Formen der Intentionalität wären; sie sind es jedoch sehr wohl, und zwar die biologischen Grundformen. 140

Bezeichnenderweise legt Wahrnehmung bei Tieren wie bei Men­ schen Überzeugungen fest, und gemeinsam mit Wünschen bestim­ men Überzeugungen den Verlauf einer Handlung. Betrachten wir aus dem Leben gegriffene Beispiele: Warum bellt mein Hund die­ sen Baum hoch? Weil er glaubt, dass die Katze auf dem Baum ist, und weil er sie erwischen will. Warum glaubt er, die Katze sei auf dem Baum? Weil er sie hinaufrennen sah. Warum hört er nun auf, den Baum hinaufzubellen, und fängt an, in Richtung des Nachbar­ gartens zu rennen? Weil er nicht mehr glaubt, die Katze sei auf dem Baum, sondern im Nachbargarten. Und warum hat er seine Über­ zeugung korrigiert? Weil er gerade sah (und zweifellos roch), wie die Katze in den Nachbargarten rannte; und sehen und riechen ist glauben. Der allgemeine Punkt ist der, dass Tiere ihre Überzeugun­ gen andauernd auf der Grundlage ihrer Wahrnehmungen korrigie­ ren. Um diese Korrekturen zu machen, müssen sie in der Lage sein, den Sachverhalt, in dem ihre Überzeugung erfüllt wird, von einem Sachverhalt zu unterscheiden, in dem sie nicht erfüllt wird. Und was für Überzeugungen gilt, gilt auch für Wünsche. Warum aber müssen wir Überzeugungen und Wünsche überhaupt »postulieren«? Warum können wir in solchen Fällen nicht einfach die Existenz von Wahrnehmungen und Handlungen zugestehen? Die Antwort ist die, dass das Verhalten ohne die Voraussetzung von Über­ zeugungen und Wünschen unverständlich ist; weil das Tier z. B. sogar dann den Baum hochbellt, wenn es die Katze nicht mehr sehen oder riechen kann, und so die Überzeugung manifestiert, dass die Katze auf dem Baum ist, selbst wenn es weder sehen noch riechen kann, dass die Katze auf dem Baum ist. Und es zeigt ähnliche Verhaltensweisen, die ein Verlangen nach Futter bekunden, selbst wenn es weder Futter sieht, riecht noch frisst. In solchen Fällen unterscheiden Tiere wahre von falschen Über­ zeugungen, befriedigte von unbefriedigten Wünschen, ohne dass sie die Begriffe von Wahrheit, Falschheit, Befriedigung oder noch nicht einmal von Überzeugung und Wünschen haben. Und weshalb sollte das irgendjemanden überraschen? Schließlich unterscheiden gewisse Tiere beim Sehen zwischen roten und grünen Objekten, ohne die Begriffe >SichtFarberot< oder >grün< zu haben. Ich denke, viele Menschen glauben, es sei etwas Besonderes an >wahr< und >falschwahr< und >falsch< zur Charakterisierung von Überzeugungen müsse irgendwie von einer fundamentaleren Verwendung abgeleitet werden, um beispielsweise sprachliche Entitäten, Sätze und Feststellungen zu charakterisieren. Und dann scheint uns, dass ein Geschöpf, wenn es zwischen wahren und falschen Überzeugungen unterscheiden können sollte, erst eine Objektsprache haben müsste, um der ursprünglichen metasprach­ lichen Unterscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit—nun durch Ausdehnung auf etwas Nichtsprachliches angewandt - überhaupt einen Halt zu geben. Doch all dies ist falsch. >Wahr< und >falsch< sind in der Tat meta­ sprachliche Prädikate, aber noch viel grundsätzlicher sind sie meta­ intentionale Prädikate. Sie werden verwendet, um Erfolg und Ver­ sagen von Repräsentationen im Erreichen von Übereinstimmung in der Geist-auf-Welt-Ausrichtung einzuschätzen. Innerhalb dieser Aus­ richtung sind Feststellungen und Sätze nur ein spezieller Fall. Es ist ebenso wenig geheimnisvoll, dass ein Tier wenigstens manchmal sagen kann, ob seine Überzeugung wahr oder falsch ist, wie dass es sagen kann, ob sein Wunsch befriedigt oder frustriert wird. Weder für Überzeugungen noch für Wünsche braucht das Tier eine Spra­ che; vielmehr braucht es eine Einrichtung, um zu erkennen, ob die Welt so ist, wie sie zu sein scheint (Überzeugung), und ob die Welt so ist, wie es das Tier gerne hätte (Wunsch). Aber ein Tier braucht, um wahre von falschen Überzeugungen zu unterscheiden, genauso wenig eine Sprache, wie es sie braucht, um befriedigte von unbefrie­ digten Wünschen zu unterscheiden. Denken wir etwa an das Beispiel des Hundes, der die Katze jagt.

IV Ich schließe daraus, dass die Argumente, die Tieren geistige Phäno­ mene verwehren und von Descartes bis Davidson reichen, kraftlos sind. Ich wende mich jetzt einer verbleibenden Frage zu: Wie unter­ scheiden wir jene intentionalen Zustände, die eine Sprache verlan­ gen und Tieren daher unmöglich sind, von jenen, die dies nicht tun? Ich glaube, die beste Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, ist die, einige Kategorien intentionaler Zustände, die eine Sprache ver­ langen, aufzuzählen, und die Gründe zu erklären, warum sie einer 142

Sprache bedürfen. Ich bezweifle, dass ich an alle gedacht habe, aber hier sind erst einmal fünf. 1. Intentionale Zustände, die von Sprache handeln. Ein Wesen kann beispielsweise nicht denken, dass »essen« ein transitives Verb ist, oder sich fragen, wie es »Je n’aurais pas pu« ins Englische überset­ zen soll, wenn es nicht die Fähigkeit besitzt, eine Sprache zu spre­ chen. 2. Intentionale Zustände, die von Tatsachen handeln, für die Sprache teilweise konstitutiv ist. Zum Beispiel kann ein Tier nicht denken, dass das Ding, das es vor sich hat, eine Zwanzig-Dollar-Note ist, oder dass der Mann, den es sieht, der Geschäftsführer des Philoso­ phischen Instituts der Universität von Kalifornien ist, weil die re­ präsentierten Tatsachen vom Menschen geschaffene Institutionen wie Geld und Universitäten umfassen und der Sprache als ein kon­ stitutives Element bedürfen. 3. Intentionale Zustände, die Tatsachen repräsentieren, die räumlich und zeitlich so weit von der Erfahrung des Tieres entfernt sind, dass sie ohne Sprache nicht darstellbar sind. Zum Beispiel könnte mein Hund denken, dass ich jetzt gerade etwas Gutes esse, aber er kann nicht denken, dass Napoleon etwas Gutes aß. 4. Intentionale Zustände, die komplexe Tatsachen repräsentieren, de­ ren Komplexität ohne Sprache nicht dargestellt werden kann: Dies ist eine sehr große Gruppe. So kann mein Hund einen herabfal­ lenden Gegenstand fürchten, aber er kann nicht von der Existenz des Gravitationsgesetzes überzeugt sein, obwohl der herabfallende Gegenstand ein Beispiel dafür, darstellt. Er kann vielleicht ein paar einfache konditionale Gedanken haben, aber er kann keine kon­ junktivischen, kontrafaktischen Gedanken haben. Vielleicht kann er denken: »Wenn er mir diesen Knochen gibt, werde ich diesen fressen«, aber nicht: »Hätte er mir nur einen größeren Knochen ge­ geben, der hätte mir besser geschmeckt!« 5. Intentionale Zustände, die Tatsachen darstellen, die durch den Prä­ sentationsmodus in Bezug auf ein sprachliches System verortet wer­ den. Mein Hund kann z. B. überzeugt sein, dass es hier jetzt warm ist, aber er kann nicht überzeugt sein, dass der 30. April 1993 ein warmer Tag ist, weil das System, das einen Tag als Datum repräsen­ tiert, wesentlich sprachlich ist. Zweifellos ließe sich diese Liste fortsetzen. Soweit zeigt sich, dass sich die Gründe dafür, dass ein intentionaler Zustand für seine Existenz 143

eine Sprache wesentlich erfordert, zwei Klassen zuordnen lassen. Ent weder hat der Zustand Erfüllungsbedingungen, die wesendich sprach­ lich sind, oder der Repräsentationsmodus dieser Erfüllungsbedingun­ gen ist wesentlich sprachlich. Oder meist beides. Eine dritte Art von Grund bestünde darin, dass der Zustandstyp gerade für den Besitz eines Zustandes dieses Typs einer Sprache bedarf. Ich habe Behaup­ tungen gehört, nach denen es solche Zustandstypen gibt - Hoffnung und Unmut wären vielleicht Beispiele - , aber ich habe nie ein überzeu­ gendes Argument dafür gehört.

V Ich kehre nun zur Frage zurück: Was sollten wir in einer vom Dualis­ mus gereinigten Philosophie von geistigen Phänomenen bei Tieren halten? Die Antwort ist eine Form dessen, was ich anderswo »biolo­ gischen Naturalismus« genannt habe. Bewusstsein und andere For­ men geistiger Phänomene sind biologische Vorgänge, die in mensch­ lichen und bestimmten tierischen Gehirnen Vorkommen. Sie sind genauso ein Teil der biologischen Naturgeschichte der Tiere wie die Laktation, die Absonderung von Galle, die Mitose, Meiose, Wachs­ tum und Verdauung. Wenn wir uns einmal daran erinnern, was wir über das Gehirn wissen, und unsere dualistische Kinderstube verges­ sen, ist der allgemeine Umriss für die Lösung des so genannten LeibSeele-Problems, ob für Mensch oder Tier, ziemlich einfach. Geis­ tige Phänomene werden durch niederstufige neuronale Prozesse in menschlichen und tierischen Gehirnen verursacht und sind selbst höherstufige oder Makromerkmale dieser Gehirne. W ir wissen natür­ lich noch nicht genau, wie dies funktioniert, wie die ziemlich spezifi­ sche Neurobiologie menschlicher und tierischer Nervensysteme die ganze enorme Vielfalt unseres geistigen Lebens verursacht. Aber da­ raus, dass wir noch nicht wissen, wie dies funktioniert, folgt nicht, dass wir nicht wissen, dass es funktioniert. Ebenso wenig folgt aus der Tatsache, dass menschliche und tie­ rische Gehirne Bewusstsein verursachen, dass nur menschliche und tierische Gehirne dies tun könnten. Vielleicht könnte man mit Hilfe irgendeiner künstlichen Einrichtung die Art von Bewusstsein erzeu­ gen, die in uns und anderen Tieren existiert; vielleicht könnte man es in Systemen erzeugen, die überhaupt nicht aus Molekülen auf der 144

Basis von Kohlenstoff bestehen. Und nach allem, was wir wissen, hat sich Bewusstsein vielleicht auch bei Tieren in anderen Galaxien oder in anderen Sonnensystemen innerhalb unserer eigenen, geschätzten Galaxie entwickelt, die unsere lokale Besessenheit von Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff nicht kennen. Aber eines wis­ sen wir mit Sicherheit: Jedes System, das Bewusstsein und andere geistige Phänomene verursachen kann, muss dafür kausale Fähigkei­ ten haben, die denen der minimalen biologischen Fähigkeiten von Gehirnen, sowohl unserer eigenen menschlichen Gehirne sowie der Gehirne anderer Tierarten, gleichkommen. Von der Tatsache, dass Ge­ hirne dies kausal tun, darauf zu schließen, dass irgendein anderes Sys­ tem, das es ebenso kausal tut, minimale kausale Kräfte haben muss, die denen des Gehirns gleichkommen, ist eine triviale logische Konse­ quenz. Falls dies trivial klingt - genau das soll es. Allerdings wird das routinemäßig von einer wirren zeitgenössischen Philosophie des Geis­ tes bestritten, die versucht, Bewusstsein als ein rein formales abstrak­ tes Phänomen zu behandeln, das völlig unabhängig von irgendeiner biologischen oder physikalischen Realität existiert. Zeitgenössische Versionen dieser Sicht werden manchmal »Starke Künstliche Intel­ ligenz« genannt.5 Sie sind Ausdruck von einem der Hauptlehrsätze des traditionellen Dualismus, nämlich der Ansicht, dass die spezifi­ sche Neurobiologie des Gehirns in Bezug auf den Geist von geringer Wichtigkeit ist. Bisher haben wir nicht die leiseste Ahnung davon, wie wir Bewusst­ sein in einem anderen Medium künstlich herstellen können, weil wir nicht genau wissen, wie es in unserem eigenen Gehirn erzeugt wird. Einige unserer besten zeitgenössischen Theorien sagen uns, es sei eine Sache variabler Quoten von Neuronenfeuerungen, die sich auf be­ stimmte spezifische neuronale Architekturen beziehen. Aber was ge­ nau an der merkwürdigen Elektrochemie der Neuronen, Synapsen, Transmitter, Rezeptoren etc. ermöglicht es ihnen, Bewusstsein zu er­ zeugen? Im Moment wissen wir es nicht. Deshalb sind die Aussichten auf künstliches Bewusstsein extrem gering, obwohl die Existenz des Bewusstseins in nicht menschlichen Gehirnen nicht ernsthaft angezweifelt wird. 5 Vgl. J. R. Searle, »Minds, Brains and Programs«, Behavioral and Brain Sciences 3 (1980), S. 417-424 [dt. »Geist, Gehirn und Programme«, in: Kognitionswissenschaft. Grundlagen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von D. Münch, Frankfurt/M.: Suhrkamp

1992,8.225-252]. 145

Und was ist nun mit den Spezialproblemen, die mit dem Geist des Tiers zu tun haben? Bisher habe ich so gesprochen, als säßen Men­ schen und Tiere im selben Boot, aber wie steht es mit den speziellen Merkmalen des Geists der Tiere? Man kann die diesbezüglichen Pro­ bleme grob in zwei Klassen einteilen, und es ist wichtig, sie auseinan­ der zu halten: Erstens ontologische Probleme, die mit der Natur, dem Charakter und den Kausalrelationen von geistigen Phänomenen des Tiers zu tun haben: Wodurch werden sie verursacht und was verursa­ chen sie wiederum selbst? Zweitens epistemologische Probleme, die damit zu tun haben, wie wir etwas über geistige Zustände des Tiers herausfinden, wie wir wissen, dass Tiere geistige Zustände haben, und wie wir wissen, welche Tiere welche Arten geistiger Zustände haben. Aus den bisher von mir geäußerten Ansichten folgt, dass es über die Ontologie des geistigen Lebens der Tiere im Allgemeinen und über das Bewusstsein der Tiere im Besonderen nicht viele in­ teressante philosophische Fragen gibt. Die wichtigsten Fragen sind hiervor allem Fragen für Tierpsycholog/innen, Biolog/innen und spe­ ziell Neurobiolog/innen. Genauer gesagt: Wenn wir wissen, dass un­ sere Gehirne Bewusstsein erzeugen, und deshalb wissen, dass jedes an­ dere System, das Bewusstsein erzeugen kann, die relevanten kausalen Kräfte haben muss, die denen unseres eigenen Gehirns entsprechen, dann wird die Frage eine tatsächliche empirische Frage: Welche Arten tierischer Gehirne können Bewusstsein erzeugen und aufrechterhal­ ten? In diesem Bereich werden Epistemologie und Ontologie allerdings oft durcheinander gebracht. Der Turing-Test verleitet uns genau zu dieser Verwechslung, weil der Behaviorismus, der hinter dem Test steckt, zu Argumenten wie den folgenden führt: Wenn zwei Syste­ me sich gleich verhalten, haben wir die gleiche Grundlage, dem einen wie dem anderen geistige Zustände zuzuschreiben. Sowohl Schne­ cken als auch Termiten etwa können scheinbar zielgerichtetes Verhal­ ten an den Tag legen, welchen Sinn kann also die Behauptung ma­ chen, Schnecken hätten Bewusstsein und Termiten nicht? Nun, da zielgerichtetes Verhalten ein Merkmal von allen möglichen Artefak­ ten wie beispielsweise Mausefallen und Infrarot-Raketen zu sein scheint, warum sollen wir, wenn wir Schnecken und Termiten auf­ grund von zielgerichtetem Verhalten Bewusstsein zuschreiben, dies dann nicht auch für irgendein zielgerichtet erscheinendes System tun, wie etwa für Mausefallen oder Infrarot-Raketen? 146

Wenn aber, wie ich behaupte, dieser Ansatz Epistemologie und On­ tologie miteinander verwechselt, wie sollte man solche Fragen dann richtig angehen? Wie etwa würden wir die Hypothese testen, dass Schnecken Bewusstsein haben und Termiten nicht? Hier ist ein mög­ licher Weg: Nehmen wir an, wir hätten eine Wissenschaft des Gehirns, die es uns ermöglichte, die kausalen Grundlagen des Bewusstseins beim Menschen schlüssig nachzuweisen. Nehmen wir an, wir würden entdecken, dass bestimmte elektrochemische Sequenzen kausal not­ wendig und hinreichend für menschliches Bewusstsein wären. Neh­ men wir an, wir wüssten, dass Menschen, die diese Merkmale haben, Bewusstsein hätten und Menschen ohne sie nicht. Nehmen wir an, wir wüssten etwa von uns selbst, dass wir, wenn wir diese spezifischen Merkmale mit Hilfe von Betäubungsmitteln ausschalteten, bewusst­ los würden. W ir dürfen annehmen, dass dies ein extrem kompliziertes elektrochemisches Phänomen ist, und ich werde, einer langen philo­ sophischen Tradition folgend, seine Beschreibung einfach mit X Y Z abkürzen. Nehmen wir an, das Vorhandensein der Merkmale X Y Z im sonst normalen menschlichen Gehirn wäre kausal sowohl notwen­ dig als auch hinreichend für Bewusstsein. Wenn wir nun X Y Z bei Schnecken, aber nicht bei Termiten fänden, würde das nach einem sehr starken empirischen Beleg dafür aussehen, dass Schnecken Be­ wusstsein hätten und Termiten nicht. Wenn wir eine genügend reich­ haltige Theorie hätten, sodass wir X Y Z als kausal sowohl notwendig als auch hinreichend für Bewusstsein identifizieren könnten, so könn­ ten wir die Hypothese für definitiv bewiesen betrachten (die üblichen Vorbehalte bezüglich der prinzipiellen Falsifizierbarkeit jeder wissen­ schaftlichen Hypothese natürlich nicht eingerechnet).

VI Wenn die ontologischen Fragen vor allem eine Sache der Spezialisten sind, wie steht es dann mit der Epistemologie? Wir finden hier eine Menge Möglichkeiten, philosophische Verwirrungen aufzuklären. Ich habe gesagt, dass wir im Gegensatz zu Descartes vollkommen zuversichtlich sein können, dass höhere Tiere bewusst sind. Was aber ist die Grundlage für unsere Zuversicht? Schließlich können wir M a­ schinen erfinden, die sich auf bestimmten Gebieten genauso intel­ ligent verhalten können wie Tiere, vielleicht sogar noch intelligenter, 147

und wir tendieren nicht dazu, diesen Maschinen Bewusstsein zuzu­ schreiben. Wo liegt der Unterschied? Was sonst als biologischer Chau­ vinismus würde uns dazu bringen, Tieren, nicht aber etwa Compu­ tern, Bewusstsein zuzuschreiben? Die Standardantwort war, dass wir von der Existenz des Fremd­ psychischen bei Tieren in derselben Weise wie beim Menschen wis­ sen: Wir schließen aus dem Verhalten des Menschen oder des Tieres, dass er oder es Bewusstsein und andere geistige Phänomene hat. Da das Verhalten anderer Menschen und Tiere meinem eigenen auf rele­ vante Weise ähnlich ist, folgere ich daraus, dass sie bewusste Zustände wie ich haben. Aus dieser Sicht müssten wir sagen, dass auch ein me­ chanisches Tier Bewusstsein hätte, wenn wir eines aus Tinker-ToyTeilen* bauen könnten, das sich wie ein richtiges Tier verhielte. Als Antwort darauf möchte ich sagen, dass ich diese Sicht für hoff­ nungslos konfus halte und dass das Verhalten an und für sich schlicht irrelevant ist. Selbst wenn wir uns auf verbales Verhalten beschrän­ ken, wie Descartes es tat, ist der Hinweis wichtig, dass mein Autora­ dio ein sehr viel intelligenteres verbales Verhalten nicht nur als jedes Tier an den Tag legt, sondern sogar als jeder Mensch, den ich kenne. Es liefert mir auf Anfrage Wettervorhersagen, Berichte über die letz­ ten Neuigkeiten, Diskussionen der Börse sowie Country-Songs und Rock’n’Roll-Musik, und es zeigt eine ganze Anzahl anderer Formen von verbalem Verhalten, sogar einige, bei denen dasselbe Radio mit vielen seiner verschiedenen Stimmen gleichzeitig spricht. Aber ich glaube keine Sekunde lang, dass mein Radio Bewusstsein hat, und ich zweifle nicht daran, dass mein Hund Bewusstsein hat. Der Grund für die Unterscheidung ist der, dass ich eine Theorie habe. Ich habe eine Theorie darüber, wie Radios funktionieren, und ich habe eine Theorie darüber, wie Hunde funktionieren. M it »Theorie« meine ich nichts Extravagantes, bloß so etwas wie eine Commonsense-Theorie. Ich weiß, dass ein Radio eine Maschine ist, die dazu bestimmt ist, die Musik und die Stimmen von weit entfernten Menschen so zu über­ tragen, dass ich sie in meinem Wohnzimmer oder meinem Auto hören kann. Ich weiß, dass mein Hund eine bestimmte innere kausale Struk­ tur hat, die meiner eigenen auf relevante Weise ähnlich ist. Ich weiß, dass mein Hund Augen, Ohren, Haut etc. hat und dass diese einen Teil der kausalen Grundlagen seines geistigen Lebens bilden, genauso * [A. d. Ü.: >Tinker Toy< ist ein Baukastensystem fiir Kinder, das Anfang des 20. Jh.s in den USA erfunden und dort rasch populär wurde.]

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wie ähnliche Strukturen einen Teil der kausalen Grundlagen meines geistigen Lebens bilden. Indem ich diese Antwort gebe, versuche ich nicht, »dem Skeptiker zu antworten« oder »das Problem des Fremdpsychischen zu lösen«. Ich glaube, es gibt kein solches Problem, und ich nehme den Skeptizismus nicht ernst. Vielmehr erkläre ich, was tatsächlich und im richtigen Leben der Grund für unser vollkom­ menes Vertrauen darin ist, dass Hunde Bewusstsein haben und Radios nicht. Für sich selbst genommen ist das Verhalten irrelevant. Verhalten ist für uns nur in dem Ausmaß interessant, in dem wir es als Ausdruck einer ontologisch fundamentalen Kausalstruktur be­ trachten. Das Prinzip, mit dessen Hilfe wir »das Problem des Fremd­ psychischen für Tiere lösen«, ist nicht, dass intelligentes Verhalten ein Beweis für Bewusstsein ist, sondern das Prinzip ist vielmehr folgen­ des: Wenn das Tier eine kausal relevante Struktur besitzt, die unserer eigenen ähnlich ist, dann produziert es wahrscheinlich ähnliche geis­ tige Zustände als Reaktion auf ähnliche Stimuli. Das »Verhalten« ist einfach der Beleg dafür, dass es so reagiert. Weiter nichts. Entgegen der ganzen epistemologischen Tradition schlage ich vor, dass die Grundlage, auf der unsere Gewissheit beruht, dass Tiere Be­ wusstsein haben, nicht darin liegt, dass intelligentes Verhalten, das un­ serem gleich oder ähnlich ist, der Beweis für Bewusstsein ist, sondern vielmehr darin, dass gleiche oder ähnliche kausale Strukturen, die un­ seren eigenen gleichen oder ähneln, die gleichen oder ähnliche Aus­ wirkungen haben. Verhalten, sogar sprachliches Verhalten, ist nur re­ levant, wenn wir bestimmte Annahmen über die Struktur treffen. Deshalb schreiben wir Menschen und Tieren mit oder ohne Sprache Bewusstsein zu, nicht aber Radios. Aber sogar diese Behauptung scheint mir ein zu großes Zugeständ­ nis zu sein. Fast unvermeidbar wird sie den Eindruck vermitteln, dass ich tatsächlich an die Existenz eines Problems des Fremdpsychischen glaube, dass es Prüfungen gibt, die ein System bestehen muss, um einen Geist zu haben, und dass Hunde und Paviane die Prüfungen bestehen und Computer sowie Stühle und Tische durchfallen. Ich glaube, dies ist die falsche Art, diese Angelegenheiten zu betrachten, und werde nun zu erklären versuchen, warum. Der schlimmste Fehler, den wir vom Cartesianismus geerbt haben, ist der Dualismus, zusammen mit seiner idealistischen, monistischen, materialistischen, physikalistischen Nachkommenschaft. Der zweit­ schlimmste Fehler aber war es, die Epistemologie ernst zu nehmen, 149

oder anders ausgedrückt, sie auf die falsche Weise ernst zu nehmen. Descartes und die britischen Empiristen bis hin zu den Positivisten und Behavioristen des 20. Jahrhunderts haben uns den Eindruck ver­ mittelt, dass die Frage: »Woher bzw. wie weiß man das?« die funda­ mentale Frage sei, deren Antwort die Beziehung zwischen uns als be­ wussten Wesen und der Welt erklären würde. Die Vorstellung ist, dass wir uns auf die eine oder andere Art immer in einer epistemischen Haltung gegenüber der Welt befinden, in der wir aus Hinweisen ver­ schiedenster Art unsere Schlüsse ziehen. W ir sind damit beschäftigt zu folgern, dass die Sonne morgen aufgehen wird, dass andere Leute Bewusstsein haben, dass Objekte fest sind, dass Begebenheiten in der Vergangenheit wirklich geschahen etc. In diesem Fall lautet die Vor­ stellung: Der Beleg, den wir dafür haben, dass andere Menschen Be­ wusstsein haben, beruht auf ihrem Verhalten; und da wir in relevanter Weise ähnliches Verhalten bei Hunden und Primaten beobachten, können wir durchaus folgern, dass auch sie Bewusstsein haben. Im Gegensatz zu dieser Tradition möchte ich sagen, dass die Epistemolo­ gie in der Philosophie und im täglichen Leben von relativ geringem Interesse ist. Sie hat ihre eigene kleine Interessensnische dort, wo wir uns etwa auf solche Dinge konzentrieren, wie z. B. gewisse tradi­ tionelle skeptische Argumente zu verstehen sind; unsere wesentlichen Beziehungen zur Realität sind jedoch selten epistemologischer Natur. Ich folgere genauso wenig, dass mein Hund Bewusstsein hat, wie ich, wenn ich ein Zimmer betrete, folgere, dass die anwesenden Menschen Bewusstsein haben. Ich reagiere einfach so auf sie, wie es angemessen ist, auf bewusste Wesen zu reagieren. Ich behandle sie einfach als be­ wusste Wesen, und das ist es dann auch schon. Nun sagt jemand: »Ja, aber ignorieren Sie nicht die Möglichkeit, dass andere Menschen unbewusste Zombies sein könnten, und der Hund, wie Descartes meinte, eine geschickt konstruierte Maschine sein könnte, und dass die Tische und Stühle, wer weiß, Bewusstsein haben könnten? Igno­ rieren Sie diese Möglichkeiten nicht einfach?« Die Antwort lautet: Ja. Ich ignoriere all diese Möglichkeiten einfach. Sie stehen außer Frage. Ich nehme keine von ihnen ernst. Epistemologie ist in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Sprache von sehr geringem In­ teresse aus dem einfachen Grund, dass in Bezug auf Geist und Spra­ che sehr wenig von unserem Verhältnis zum fraglichen Phänomen epistemisch ist. Die epistemische Haltung ist eine sehr spezielle Ein­ stellung, die wir unter gewissen besonderen Umständen einnehmen. 150

Normalerweise spielt sie in unserem Umgang mit Menschen und Tieren eine sehr kleine Rolle. Anders ausgedrückt: Es ist eigentlich egal, wie ich weiß, dass mein Hund Bewusstsein hat, oder sogar, ob ich »weiß« oder nicht »weiß«, dass er Bewusstsein hat. Tatsache ist, dass er Bewusstsein hat, und dass Epistemologie auf diesem Gebiet von dieser Tatsache ausgehen muss. Es gibt tatsächlich Gründe für meine Gewissheit im Falle von Hun­ den, Stühlen, Tischen, Pavianen und anderen Menschen, und ich habe bereits versucht, einige dieser Gründe darzulegen, aber wichtig ist, dass ich mir sicher bin. Wenn ich die Gründe für meine Sicherheit darlege, versuche ich nicht, den philosophischen Skeptizismus zu be­ antworten oder zu »beweisen«, dass Tiere einen Geist haben, Tische und Stühle aber nicht. Obwohl mir jedoch die allgemeine oder philosophisch skeptische Form des »Problems des Fremdpsychischen bei Tieren« verworren scheint, gibt es ziemlich spezifische Fragen zu spezifischen Mechanis­ men, deren Antworten für den wissenschaftlichen Fortschritt auf die­ sem Gebiet wesentlich sind. Wie ähnlich oder verschieden etwa sind die visuellen Erlebnisse von Katzen und Menschen? Wir wissen da­ rüber recht viel, weil wir das visuelle System der Katze ziemlich einge­ hend untersucht haben, und wir haben einen zusätzlichen Anreiz für die Beantwortung dieser Frage, weil wir wissen müssen, wie viel wir von der Arbeit mit Katzen über das visuelle System des Menschen lernen können. Ferner nehmen wir momentan an, dass bestimmte Vo­ gelarten navigieren, indem sie das Magnetfeld der Erde aufspüren. Und es stellt sich die Frage: Falls sie dies tun, tun sie es dann bewusst? Und wenn ja, welches sind die Mechanismen für ein bewusstes Auf­ spüren des Magnetismus? Ähnlich navigieren Fledermäuse, indem sie in der Dunkelheit Schallwellen auf feste Objekte prallen lassen. Wir würden nicht nur gerne wissen, wie sich das anfühlt, sondern auch, welches die Mechanismen sind, die das bewusste Erlebnis, ma­ terielle Objekte durch reflektierte Schallwellen auszumachen, hervorrufen. Die grundsätzlichste Frage ist folgende: Welches sind genau die neurobiologischen Mechanismen, durch die Bewusstsein bei Tieren und Menschen erzeugt und aufrechterhalten wird? Eine Antwort auf diese Frage gäbe uns solide epistemische Grundlagen zur Klärung des Problems, welche Tiere Bewusstsein haben und welche nicht. Derlei epistemische Fragen scheinen mir bedeutungsvoll, wichtig, und in der Tat entscheidend für wissenschaftlichen Fortschritt auf

diesen Gebieten. Aber beachten Sie, wie sehr sie sich vom traditio­ nellen philosophischen Skeptizismus unterscheiden. Man kann sie be­ antworten, indem man spezifische Arbeit zu spezifischen Mechanis­ men unter Verwendung der besten verfügbaren Werkzeuge leistet. Niemand hätte etwa im Voraus und nur auf der Basis philosophischer Reflexion sagen können, dass sich die Verwendung von PositronenEmissions-Tomographie- (PET) und Computertomographie- (CAT) Aufzeichnungen bei der Untersuchung des menschlichen und tie­ rischen Geistes als entscheidend erweisen würden. Die Antwort auf diese wirklich epistemischen Fragen ist immer dieselbe: Gebrauche deinen Einfallsreichtum. Gebrauche jede Waffe, die du bekommen kannst, und bleibe bei jeder Waffe, die funktioniert. M it dieser Art von Epistemologie haben wir die besten Aussichten, sowohl den Geist der Menschen als auch den der Tiere zu verstehen. Aus dem Englischen von Gabi Weber

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Hans-Johann Glock Begriffliche Probleme und das Problem des Begrifflichen

Begriffe spielen eine doppelte Rolle in diesem Aufsatz. Wie die meis­ ten philosophisch interessanten Themen, so werfen auch die geisti­ gen Fähigkeiten von Tieren Probleme auf, die spezifisch begrifflicher Natur sind. Kann man nicht-menschlichen Tieren (von nun an ein­ fach >TiereEr denkt, die Katze sei diese Eiche hochgeklettert. ausdrücken kann.18 18

H. J. Glock, »Philosophy, Thought and Language«, in: ThoughtandLanguage, hrsg. von J. Preston, Cambridge: Cambridge University Press, S. 151-169, besonders S. 166-168. 16 3

Selbst wenn die »verifikationstranszendente« Zuschreibung von Gedanken nicht streng genommen sinnlos ist, so wäre sie doch für den Alltag und die Verhaltenswissenschaften nutzlos. Für Letztere kommt es entscheidend darauf an, Methoden zur Feststellung nicht­ sprachlicher Gedanken anzugeben.19 Die Perspektive der dritten Per­ son läuft aber auch nicht auf Behaviorismus hinaus. Es ist Teil des Begriffs des Denkens, dass es sich im Verhalten ausdrücken kann, aber das heißt nicht, dass man das Fassen eines bestimmten Gedankens als eine Disposition zu genau spezifizierbaren Verhaltensweisen definie­ ren kann.20 Searle hat der Perspektive der dritten Person dennoch entschieden widersprochen. Ihm zufolge ist »Verhalten ganz einfach irrelevant« für die Zuschreibung geistiger Eigenschaften, da »mein Autoradio ein sehr viel intelligenteres verbales Verhalten nicht nur als jedes Tier an den Tag legt, sondern sogar als jeder Mensch, den ich kenne«.21 Ver­ ließe man sich auf diese Passage, würde man Searle nicht um seinen Umgang beneiden. Selbst wenn man die Produktion von Geräuschen durch das Radio überhaupt als Verhalten klassifizieren könnte, wäre dieses doch strohdumm. Das Radio fällt beim Turing-Test blamabel durch. Sogar auf seine nicht-sprachliche Umgebung reagiert es nicht in zielgerichteter und flexibler Weise, weswegen es auch inmitten eines staubedingten Hupkonzertes die Worte ausstoßen kann: »Im Moment herrscht hier Grabesstille.« Intelligent sind allenfalls die vom Radio bloß übertragenen Äußerungen, wobei auch das sehr vom Sender ab­ hängt. Searle hat zugegebenermaßen eine Antwort auf die Frage, wie sich die Zuschreibung von Gedanken ohne Bezug auf Verhalten rechtfertigen lässt, nämlich durch Verweis auf neurophysiologische Vorgänge. Falls die Neurowissenschaft zwingend zeigen könnte, dass die »kausale Basis von Bewusstsein bei Menschen« in elektrochemi­ schen Abfolgen X Y Z besteht, d. h. X Y Z für dieses Bewusstsein »kau­ sal notwendig und hinreichend ist«, so wäre das Auftauchen X Y Z bei Schnecken und seine Abwesenheit bei Termiten »ein sehr star­ 19 J. Dupre, Humans and Other Anim ais, op. cit., Kap. 10; J. L. Bermüdez, Thinking without Words, op. cit. 20 D. Davidson, Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford: Oxford University Press 1984, S. 170 [dt. Wahrheit und Interpretation, S. 246]; id., »Rationale Lebe­ wesen«, in diesem Band, S. 128 f. 21 J. Searle, »Der Geist der Tiere«, in diesem Band, S. 148. 16 4

ker empirischer Beleg, dass Schnecken Bewusstsein haben und Termi­ ten nicht«.22 Das Problem mit diesem Encephalozentrismus ist jedoch, dass wir nach der kausalen Basis von Bewusstsein überhaupt nur dann fr a ­ gen können, wenn wir das Phänomen des Bewusstseins unabhängig von dieser Basis iden tifiziert haben. Darin drückt sich die bereits erwähnte Unumgänglichkeit begrifflicher Fragen aus. Und aus der ebenfalls erwähnten Funktion unserer mentalen Begriffe ergibt sich deren Bindung an die Perspektive der dritten Person. Man kann z. B; Überzeugungen nicht als rein private Zustände verstehen, völ­ lig losgelöst von den Verhaltenserklärungen und -Vorhersagen, zu de­ nen normale Sterbliche ohne neurophysiologische Instrumente in der Lage sind. Viele kognitive Verhaltensforscher bedienen sich ungeniert der Idee der mentalen Repräsentation, die ihnen u. a. als Waffe gegen die behavioristische Leugnung tierischer Gedanken dient. Aber im Gegensatz zu einigen Philosophen23 bleibt die Postulierung dieser Repräsenta­ tionen stets an die Erklärung von Verhalten geknüpft. Der Haupt­ zweck der Terminologie besteht darin, daraufhinzuweisen, dass Tier­ kognition über unmittelbare Sinneswahrnehmung hinausgeht.24 Die umsichtigeren Vertreter der Zunft betonen außerdem, dass ihr Begriff einer mentalen Repräsentation bescheiden ist und nicht die Unterstel­ lung von »Bildern im Kopf« oder von Symbolen in einer »Sprache des Denkens« beinhaltet.25 In den meisten Zusammenhängen kann die Rede von mentalen Repräsentationen daher durch die Rede von höheren mentalen Fä­ higkeiten (etwa das Erinnerungsvermögen oder die Fähigkeit mit Vor­ aussicht zu planen) ersetzt werden. Wie wir sehen werden, bestehen wichtige Unterschiede zwischen diesen Fähigkeiten und bloßen Ver­ haltensdispositionen. Ob die kausale Erklärung dieser Fähigkeiten darin besteht, dass im Gehirn physische Vorkommnisse der Symbole einer Programmsprache auftauchen, wie Repräsentationalisten be­ haupten, oder ob andere Faktoren im Spiel sind, wie z. B. die Konnek22 J. Searle, »Der Geist der Tiere«, in diesem Band, S. 147. 23 Z. B. P. Carruthers, »Brüte Experience«, JournalofPhilosophy 86 (1989), S. 258-269. 24 Z. B. C. Allen und M . Hauser, »Concept Attribution in Nonhuman Animais. Theoretical and Methodological Problems in Ascribing Complex Mental Processes«, in: Readings in A n im a l Psychology, op . cit., S. 4 7 - 6 2 , beso n d ers S. 54 -55.

25 M. Tomasello und J. Call, Prim ate Cognition, op. cit., S. 7-12. 16 5

tivisten einwenden, ist eine andere Frage,26 die man aber offen lassen sollte, wenn es um das Problem geht, ob Tiere Gedanken und Begriffe haben. Die Rede von Fähigkeiten anstatt von Repräsentationen vermei­ det außerdem die Annahme, dass sich Menschen oder Tiere nicht direkt durch die Ausübung ihrer mentalen Fähigkeiten auf die Welt beziehen, sondern durch »innere« Stellvertreter. Dieser Perspektiven­ wechsel ist m. E. besonders angebracht im Fall von Begriffen. Gemäß der mentalistischen und physikalistischen Auffassung sind Begriffe Repräsentationen, Episoden im Geist bzw. Gehirn von Individuen. Diese Position ist jedoch unvereinbar mit der objektiven Natur von Begriffen, also der Tatsache, dass sie von Individuen geteilt werden können, die mentale Bilder bzw. neurale Reize nicht teilen können und selbst Muster neuraler Reizungen nicht zu teilen brauchen?7 Die platonistische Gegenposition, der zufolge Begriffe abstrakte En­ titäten sind, schneidet hier zwar besser ab, hat aber Schwierigkeiten bei der Erklärung der Rolle, die Begriffe in unserem Denken und Han­ deln spielen. Beide Unzulänglichkeiten werden m. E. von einer dritten Position vermieden, die auf Aristoteles und Kant zurückgeht, und Be­ griffe als Klassifikationsprinzipien oder -regeln behandelt, die man am besten dadurch erläutert, dass man den Besitz von Begriffen über den Besitz der Fähigkeit zur Klassifikation erklärt.28 26 A. Beckermann, Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, Berlin und New York: de Gruyter 2001, Kap. 10. 27 Manche Repräsentationalisten versuchen diesen Einwand zu umgehen, aber ohne Erfolg. J. Fodor (op. cit.) gesteht einerseits zu, dass Begriffe teilbar sind, andererseits behauptet er aber auch, Begriffe seien »mental particulars« (S. 3 bzw. S. 28). Auch sein klammheimliches Eingeständnis (S. 3, ni), dass er eigentlich nicht von Begrif­ fen redet, sondern von Begriffsvorkommnissen {tokens), macht seine Position nicht konsistent, da solche Vorkommnisse gerade nicht teilbar sind. Auch C. Aliens Un­ terscheidung zwischen individuellem und sozialem Begriff löst das Problem nicht (C. Allen, »Tierbegriffe neu betrachtet«, in diesem Band, S. 193 £). Selbst ein Be­ griff, der nicht tatsächlich von Individuen geteilt wird, muss teilbar sein; und in welchem Maße zwei Individuen einen Begriff teilen, lässt sich unabhängig von deren neuralen Reizungen feststellen. Falls Allen mit individuellem Begriff aber etwas Ähnliches im Sinn hat wie Fodors tokens, so handelt es sich hier um die kau­ sale Basis für den Besitz eines Begriffes durch ein Individuum, die aber sowohl vom B egriff als auch von dessen Besitz unterschieden werden muss. 28 Zeitgenössische Vertreter dieser Position sind P. Geach, M entalActs, London: Routledge and Kegan Paul 1957, und C . Peacocke, A Study ofConcepts, Oxford: Oxford 16 6

In diesem Aufsatz möchte ich allerdings nur zeigen, dass selbst aus einer nicht-repräsentationalistischen Perspektive der dritten Per­ son die Beziehungen zwischen Denken und Begriffen keinen Lin­ gualismus nahe legen, sondern die oben erläuterte Zwischenposi­ tion.29

4. Die Intensionalität von Gedanken Ein Problem für die Zuschreibung von Gedanken an Tiere ist, dass wir bei sprachlosen Subjekten keine feinen Unterscheidungen zwi­ schen verschiedenen Gedanken treffen können, die sich im selben nicht-sprachlichen Verhalten ausdrücken. Gedankenzuschreibungen an Menschen schaffen intensionale Kontexte: wenn wir innerhalb des Inhaltssatzes >dass p< Termini mit demselben Bezug füreinander einsetzen, kann dies von einer wahren zu einer falschen Zuschreibung führen (z. B. »Sarah glaubt, dass Brandt Deutscher war«, zu »Sarah glaubt, dass Frahm Deutscher war«). Dagegen führt die Substitution bezugsgleicher Termini im Fall von Tieren oft von Zuschreibungen, die wir allgemein für wahr halten, zu solchen, die absurd oder unver­ ständlich sind. Die Eiche, die die Katze hochkletterte, ist zufällig auch der älteste Baum in Sichtweite und derselbe Baum, den die Katze bei der letzten Verfolgung hochgeklettert ist. Aber kann Malcolms Hund glauben, dass die Katze auf den ältesten Baum in Sichtweite geklettert ist oder auf denselben Baum wie beim letzten Mal? Ähnlich mag ein Hund wissen, dass sein Herr an der Tür ist. Aber weiß er auch, dass der Bankpräsident an der Tür ist? Wir haben keinen echten Anhalts­ punkt dafür, wie diese Frage zu entscheiden oder auch nur zu versteUniversity Press 1992. Zur ihrer Verteidigung gegen den Repräsentationalismus siehe H. J. Glock, »Wie wichtig ist Erkenntnistheorie?«, Zeitschrift fü r Philosophi­ sche Forschung 56 (2002), S. 115 -116 , und »Neural Representationalism«, Facta Philosophica 5 (2003), S. 105-129. 29 Ein bekanntes Argument Davidsons gegen tierische Gedanken, das Triangulations­ argument, werde ich allerdings nicht behandeln, da es m. E. im Gegensatz zu den hier besprochenen Argumenten auf Voraussetzungen beruht, die nicht prima facie plausibel sind und daher weniger Licht auf unser Thema wirft als auf Davidsons Sprachphilosophie. Für eine ausführliche kritische Diskussion, vgl. H .J. Glock, »Animais, Thoughts and Concepts«, Synthese 119 (2000), S. 260-262; H .J. Glock, Quine and Davidson on Language, Thought and Reality; Cambridge: Cambridge University Press 2003, S. 286-291. 16 7

hen ist.30 Der Grund dafür ist, dass ein Hund weder glauben kann, dass sein Herr der Bankpräsident ist, noch dass er es nicht ist. Eine Replik auf diese Schwierigkeit besteht darin, den Ausdruck >diese Eiche< in i

Der Hund denkt, dass die Katze diese Eiche hochgeklettert ist.

de re anstatt de dicto aufzufassen. Demnach lässt sich (i) unter Umge­ hung des Intensionalitätsproblems umformulieren als i ' Der Hund denkt mit Bezug auf diese Eiche, dass die Katze an ihr hochgeklettert ist. Aber diese Replik setzt trotzdem voraus, dass die De-re-Beschreibung einen Gegenstand herausgreift, »den derjenige mit der Überzeugung irgendwie herausgreifen könnte«.31 Wäre Malcolms Hund unfähig, die Eiche von anderen Gegenständen wie der Buche oder dem Zaun zu unterscheiden, so könnte man sein Verhalten trotzdem unter Ver­ weis auf diese erklären, genau wie wir die Zuckungen einer Auster un­ ter Verweis auf eine sie stechende Nadel erklären können. Aber ( i ') wäre nicht mehr angemessen. Denn D e-re-Konstruktionen wie >mit Bezug auf< oder >von< verlangen in dem auf sie folgenden Satzglied nach einem anaphorischen Personalpronomen, einem >esalles< oder >nichtsintentional< wird von Philosophen verwendet, um auf Dinge Bezug zu nehmen, die von anderen Dingen handeln; so han­ deln z. B. der Satz >Paris ist schön< und ein Stadtplan von Paris beide von Paris. Die Überzeugung, dass Paris schön ist, der Wunsch, Paris zu besuchen, und die Absicht, Paris zu besuchen, handeln natür­ lich auch von Paris. Alle diese Dinge manifestieren »Intentionalität«. Äußere Dinge, die Intentionalität manifestieren, etwa Sätze, graphi­ sche Darstellungen, Schaubilder, Karten, Straßenzeichen, Musikno­ ten und darstellende Gemälde, werden »Repräsentationen« genannt. Eine vorherrschende Theorie, der ich zustimme, schlägt vor, dass in­ nere intentionale Dinge, etwa Überzeugungen, Hoffnungen, Wünsche und Intentionen, in ähnlicher Weise Repräsentationen sind. Allgemei­ ner ausgedrückt: Alle Kognitionen sind innere Repräsentationen d. h. innere Modelle im abstraktesten mathematischen Sinn - dessen, wovon sie handeln.5 Der Unterschied zwischen rein biologischen 4 Vgl. eine ausführlichere Behandlung dieses Themas in Language, Thought, and Other Biological Categories, op. cit., Kap. 2, und in White Queen Psychology, op. cit., Kap. 9. 5 Vgl. Language, Thought, and Other Biological Categories, op. cit., und White Queen Psychology, op. cit., Kap. 3-5. 207

Zwecken und intentionalen Zwecken liegt darin, dass im zweiten Fall die biologischen Zwecke des Lebewesens durch die Herstellung und Verwendung von inneren Repräsentationen implementiert werden Repräsentationen von der Umwelt und/oder Repräsentationen von den Zielen des Lebewesens. Menschliche Überzeugungen, Wunsche und Intentionen lassen sich dadurch unterscheiden, dass sie - zumin­ dest teilweise —in einem besonders verfeinerten System innerer Reprä­ sentationen enthalten sind. A u f dieses System komme ich gleich noch einmal zurück. Allerdings stützen sich Menschen zweifellos auch wei­ terhin auf andere Kognitionsebenen, auf primitivere Formen der Re­ präsentation. Um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie abstrakt die Modelle sein können, die Repräsentationen sind, möchte ich deutsche Sätze als Modelle nennen. Signifikante Veränderungen in deutschen Sätzen (meistens Veränderungen, die durch Substitution erfolgen) ent­ sprechen den Veränderungen jener Dinge, von denen die Sätze han­ deln; das Gebiet der wahren Sätze bildet das Gebiet der realen Welt ab oder steht dazu in einer abstrakten isomorphen Relation. Für diejenigen, die damit vertraut sind, sei folgendes Beispiel genannt: Die Darstellung neuronaler Netze in Modellen ist zum größten Teil eine Untersuchung sehr abstrakter Formen, die mentale Repräsenta­ tionen möglicherweise annehmen. Das Lebewesen, das etwas erkennt, ist dazu fähig, eine Vielzahl von alternativen inneren Modellen zu konstruieren. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Zustände des Nervensystems, die aufgrund von abstrakten Regeln der Übereinstim­ mung dazu passen, woran das Lebewesen denkt. Diese abstrakten M o­ delle, diese abstrakten mathematischen »Landkarten«, funktionieren vielleicht als Karten für die Umwelt: Sie stellen Tatsachen aus der Welt des Lebewesens in einem Modell dar. Oder sie können als Entwürfe dienen, die die gewünschten Ergebnisse von Handlungen anzeigen, oder als Pläne für bestimmte Handlungen. Lassen Sie mich das anhand einer naheliegenden Analogie konkre­ ter darstellen. Betrachten Sie für einen Moment den Tanz der Honig­ biene. Veränderungen des Tanzes (z. B. eine Rotation auf der langen Achse des Tanzes um so und so viele Grade) entsprechen Veränderun­ gen des Repräsentierten (Veränderungen der repräsentierten Richtung vom Nektar zum Bienenstock). Der Tanz ist eine abstrakte mathe­ matische Karte, eine Repräsentation der Lokalisierung des Nektars. Der biologische Zweck, der darin besteht, die Arbeiterinnen zur Be208

Schaffung des Nektars zu bringen, der von anderen Arbeiterinnen ge­ sichtet wurde, wird durch die Zusammenarbeit zweier Systeme be­ werkstelligt. Das erste System produziert Karten vom Ort, an dem sich der Nektar befindet. Diese dienen als Entwürfe von konkreten biolo­ gischen Zielen, die zu erfüllen sind, nämlich zu diesem oder jenem Ort zu gelangen, an dem sich der Nektar befindet. Das zweite System »liest« diese Entwürfe, d. h. reagiert in angemessener Weise auf sie, sodass die angestrebten biologischen Ziele erreicht werden. In diesem Fall tanzen einige Bienen, während andere zuschauen. Die Repräsen­ tationen befinden sich freilich nicht in den Bienen, sondern außerhalb von ihnen. Die Tänze sind Repräsentationen, aber als solche nicht kognitive Repräsentationen oder Kognitionen. Nehmen wir jedoch an, die Mechanismen, die für das Herstellen eines Umweltmodells verantwortlich sind, das Modell selbst und die Interpretationsmecha­ nismen befänden sich alle innerhalb desselben Organismus. Dann hätte man primitive Kognitionen - Gedanken (wenn auch nicht not­ wendigerweise bewusste Gedanken) von der Beschaffenheit der Um­ welt, von den zu erreichenden Zielen. Einem Lebewesen intentionale Zwecke zuzuschreiben heißt, ihm irgendein System innerer Repräsentation zuzuschreiben, eine M ög­ lichkeit, um die Welt und die eigenen Ziele auf einer Karte einzuzeich­ nen. Diese Einzeichnung dient als Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Der wirklich interessante Teil besteht jedoch darin, über die vielfäl­ tigen Möglichkeiten und Wege nachzudenken, die die biologischen Systeme bei der Anwendung der Prinzipien der Einzeichnung be­ schreiten könnten. Beispielsweise gibt es eine Reihe sehr fundamen­ taler Aspekte, in denen sich menschliche Überzeugungen und Wün­ sche von Repräsentationen wie etwa dem Bienentanz unterscheiden müssen (natürlich abgesehen davon, dass sich Bienentänze nicht in­ nerhalb des Organismus befinden und somit keine Kognitionen dar­ stellen). Drei dieser Unterschiede möchte ich jetzt nennen.6 Erstens gibt es bei den Bienentänzen keine Unterscheidung zwi­ schen dem indikativen oder Tatsachen beschreibenden Modus und dem imperativen oder Anweisungen gebenden Modus. Der Tanz sagt den Arbeiterinnen, wo der Nektar ist (Tatsachen); ebenso sagt er ihnen, wohin sie fliegen sollen (Anweisungen). Der Schritt von die­ ser Art primitiver Repräsentation hin zu menschlichen Überzeugun6 Verschiedene andere entscheidende Unterschiede werden in White Queen Psychology, Kap. 4, Abschnitt 5, aufgefiihrt. 209

gen und Intentionen ist riesig, denn er enthält die Trennung der indi­ kativen von den imperativen Funktionen des Repräsentationssystems. Repräsentationen, die nicht zwischen indikativem und imperativem Modus unterscheiden, verknüpfen Sachverhalte direkt mit Handlun­ gen - mit bestimmten Dingen, die angesichts dieser Tatsachen zu tun sind. Menschliche Überzeugungen sind nicht direkt mit Handlun­ gen verbunden. Wenn sie nicht mit geeigneten Wünschen kombiniert werden, bringen menschliche Überzeugungen keine Handlung her­ vor. Und menschliche Wünsche sind ebenso machtlos, wenn sie nicht mit Überzeugungen darüber kombiniert werden, wie die Wünsche zu erfüllen sind. Es gibt aber keinen Grund zur Annahme, dass die Fähigkeit, reines Faktenwissen zu speichern - Wissen, das von allen spezifisch geplanten Verwendungen abgekoppelt ist - oder explizite Wünsche zu hegen, die von allen spezifischen Vorstellungen ihrer Er­ füllungsmöglichkeiten abgekoppelt sind, ein Merkmal jedes erken­ nenden Lebewesens ist. Viele hegen vielleicht nur undifferenzierte in­ nere Repräsentationen.7 Zweitens: Da die indikativen und die imperativen Funktionen in den inneren Repräsentationssystemen von Menschen getrennt sind, müssen sie reintegriert werden, um Handlungen hervorzubringen. Damit vollziehen Menschen praktisches Schlussfolgern: Sie kom­ binieren Überzeugungen und Wünsche auf neuartige Weise, um zu­ nächst Intentionen und dann Handlungen zu erzeugen. Auch kom­ binieren Menschen Überzeugungen mit Überzeugungen, um neue Überzeugungen zu erzeugen. Es könnte aber sein, dass andere Spezies nicht über derartige inferentielle Fähigkeiten verfügen oder dass sie diese in beschränkterem Maße haben. Drittens: Das Repräsentationssystem, zu dem der Bienentanz ge­ hört, enthält keine Negation. Es enthält nicht einmal widersprüchliche Repräsentationen. Wenn zwei Bienen zur selben Zeit verschiedene Tänze aufführen, stehen diese Tänze nicht in Konflikt zueinander, denn es kann sehr wohl sein, dass an zwei verschiedenen Orten gleich­ zeitig Nektar vorhanden ist. (Andererseits können die Bienen nicht gleichzeitig zu zwei Orten fliegen.) Aber in einem Repräsentations­ system ohne Negation können keine Widersprüche auftreten. Würde den inneren Repräsentationen eines erkennenden Lebewesens die Negation und somit die Möglichkeit zum Widerspruch fehlen, wäre 7

Vgl. meinen Aufsatz »Pushmi-pullyu Representations«, Philosophical Perspectives 9 (1995), S. 185-200.

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dies äußerst signifikant. Wenn wir der philosophischen Tradition fol­ gen, spielt das Gesetz der Widerspruchsfreiheit eine absolut zentrale Rolle in Erwerb und Entwicklung all jener Begriffe, die nicht durch Definition an eine bestimmte Bedeutung für eine Handlung gebun­ den sind. Lebewesen, denen die Negation in ihren inneren Repräsen­ tationssystemen fehlt, wären unfähig, neue Begriffe zu lernen, sofern diese nicht direkt an eine Handlung gebunden sind. Alle ihre Begriffe müssten entweder rein praktisch sein oder statisch, ererbt, angebo­ ren. Zudem habe ich dargelegt, dass die Negation von einer Sub­ jekt-Prädikat-Struktur abhängt, d. h. von einer propositionalen Struk­ tur, und umgekehrt. Einfachere Repräsentationen drücken keinen propositionalen Gehalt aus.8 Nicht einmal so raffinierte Repräsenta­ tionen wie Karten, Schaubilder und Musiknoten enthalten Subjekte und Prädikate. Lebewesen, die ausschließlich in Repräsentationen ohne Subjekt-Prädikat-Struktur dächten, würden nicht propositional denken. Es wäre vollkommen unangemessen zu versuchen, die Inhalte der Kognitionen von Lebewesen, die nicht zwischen dem indikativen und dem imperativen Modus unterscheiden, oder die Inhalte der Kognitionen ohne Subjekt-Prädikat-Struktur oder der Kognitionen ohne Negationsmöglichkeit oder der Kognitionen, die nicht an Pro­ zessen des Schlussfolgere oder der Informationsvermittlung teilha­ ben, durch Übersetzung in deutsche Sätze oder durch Korrelation mit eben solchen auszudrücken. Betrachten wir den »Fliegendetek­ tor« im Sehnerv eines Frosches, um ein extremes Beispiel zu nehmen. Man könnte ihn als etwas betrachten, das eine sehr elementare Art in­ nerer Repräsentation hervorbringt. Das Feuern des Detektors zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort verzeichnet die Prä­ senz einer Fliege auf einer Karte zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort - zur selben Zeit und am selben Ort. Das Feuern zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort repräsentiert eine Fliege zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort. Oder sollten wir etwa sagen, in Wirklichkeit sei das Feuern eine Befehlsrepräsen­ tation, die dem Frosch sagt, er solle zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort schnappen? Sagt es: »Hier ist jetzt eine Fliege«? Oder sagt es: »Schnell, schnapp hier und jetzt«? In Wirklich­ keit sagt das Feuern des Detektors dem Frosch (oder seinem Gehirn) 8 Vgl. Language, Thought, and Other Biological Categories, op. cit. 211

nichts von diesen Dingen. Um »Hier ist jetzt eine Fliege« zu sagen, müsste es einer möglichen Repräsentation widersprechen, die sagt »Hier ist jetzt nicht eine Fliege«, und ebenso anderen möglichen Re­ präsentationen, die z. B. sagen: »Hier ist jetzt eine Biene« oder »Hier ist jetzt eine Katze« oder »Dienstag um vier war hier ein Fisch«. Was wirklich erforderlich ist, um die nicht-propositionale Kogni­ tion von Tieren zu verstehen, ist nicht eine Übersetzung ins Deut­ sche, sondern eine explizite Beschreibung der verschiedenen Reprä­ sentationssysteme, die Tiere tatsächlich verwenden, und in welcher Weise sie diese verwenden. Das letzte Ziel muss darin bestehen, M o­ delle für die kognitiven Systeme einer jeden der verschiedenen Tier­ spezies zu konstruieren und zu testen, so wie Humanpsychologen jetzt damit beginnen, Modelle für menschliche Informationsprozesse zu konstruieren und zu testen. Im Moment können wir allerdings zum größten Teil nur spekulieren, welche verschiedenen Arten von Repräsentationssystemen im Prinzip möglich sind und welche davon tatsächlich von biologischen Systemen verwendet werden könnten. Wir werden aber sicher in die Irre gehen, wenn wir nicht bedenken, dass es zahlreiche Möglichkeiten zwischen dem propositionalen Den­ ken des Menschen und dem Fehlen jeglichen Denkens gibt. Aus dem Englischen übersetzt von Dom inik Perler

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Fred Dretske Minimale Rationalität Wenn Sie eine plötzliche Bewegung in Richtung meiner Augen ausfiihren, so blinzle ich. Ich kann nicht anders. Natürlich möchte ich Ihren Finger nicht in meinem Auge haben. Ich glaube auch, dass eine Möglichkeit, Ihren Finger von meinem Auge fernzuhalten, darin be­ steht, mein Auge zu schließen, wenn Sie dorthin greifen. Aber obwohl ich dies glaube, und obwohl ich mein Auge schließe, wenn Sie dort­ hin greifen, schließe ich meine Augen nicht, weil ich dies denke. Ich würde meine Augen schließen, egal ob ich diese Überzeugungen und Wünsche hätte oder nicht. Die Mechanismen für diese Reflexe sind fest verdrahtet. Lange bevor der Gedanke Zeit zum Handeln hat, treten die Reflexe schon in Aktion. Ich habe gute Gründe dafür, meine Augen zu schließen, aber meine Gründe dafür, sie zu schlie­ ßen, sind nicht der Grund, weshalb ich sie schließe. Obwohl ich genau das tue, von dem ich denke, dass es mir das Ge­ wünschte bringt, ist mein Verhalten keine zweckgerichtete Handlung. Es stellt nicht das dar, was ich im Folgenden m inim ale Rationalität nenne. Obwohl das Verhalten mit den Gedanken übereinstimmt, wird es nicht durch Gedanken erklärt und gesteuert. Minimale Rationalität verlangt, dass Gedanken an dem Prozess beteiligt sind, durch den das Verhalten hervorgebracht wird. Sie ist deshalb anspruchsvoller als das, wasA. Kacelnik1 als biologische Rationalität beschreibt-ein Verhalten, das durch die natürliche Auslese mit dem konsistenten Ziel höherer Überlebensfähigkeit geformt worden ist; so betrachten oder interpre­ tieren wir es. Der Blinzelreflex ist biologisch, nicht aber minimal ratio­ nal. Er trägt zur Überlebensfähigkeit bei, aber nicht auf eine Art und Weise, die dem Handelnden die Auszeichnung der Rationalität ein­ trägt, nämlich durch einen Prozess, an dem Gedanken beteiligt sind. In einem anderen Sinn jedoch ist minimale Rationalität weniger anspruchsvoll als biologische Rationalität. Minimale Rationalität ver­ langt, dass das, was getan wird, überhaupt aus Gründen getan wird, aber nicht, dass es aus guten Gründen getan wird. Ebenso wenig verlangt sie ein ^gründ en [reasomn£[. Obwohl das Verhalten durch einen Gedanken erklärt werden muss, um als minimal rational zu geli A. Kacelnik, »Meanings o f Rationality«, in: RationalAnim ais, hrsg. von S. L. Hurley und M. Nudds, Oxford: Oxford University Press 2005 (im Druck). 2 13

ten, muss es nicht durch den Gedanken, der es erklärt, rationalisiert werden, und der Handelnde braucht seinen Weg zu diesem Ergebnis nicht begründet zu haben.2 Nicht einmal unter idealen Bedingungen muss das Verhalten zur generellen Überlebensfähigkeit eines Orga­ nismus beitragen. Das Verhalten kann die Überlebensfähigkeit sogar herabsetzen. Es kann das Ergebnis des Begründens, der Vernunft aber entgegengesetzt sein. Ein bekannter Witz illustriert ein Minimum an minimaler Ratio­ nalität. Clyde sucht seinen Schlüsselbund in einer dunklen Nacht unter einer Straßenlampe. Jane: Was machst du? Clyde: Suche meinen Schlüsselbund. Jane: Hast du ihn hier verloren? Clyde: Nein, dort drüben (zeigt in eine dunkle Gasse). Jane: Warum suchst du denn hier? Clyde: Weil es hier viel heller ist. Wenn man davon ausgeht, dass Clyde das, was er tut, aus dem von ihm angegebenen Grund tut, ist sein Verhalten minimal rational. Der Gedanke (dass es hier heller ist) kontrolliert sein Verhalten. Clyde ist dennoch irrational. Aufgrund der Wahrheit seiner Überzeugungen besteht keine Chance, dass er seine Schlüssel hier findet, keine M ög­ lichkeit, dass sein Verhalten sein Ziel erreichen kann. Obwohl der Gedanke, dass es hier heller ist, sein Verhalten kontrolliert, rationali­ siert dieser Gedanke sein Verhalten nicht. Er vergrößert, geschweige denn maximiert, Clydes Nutzen nicht (Kacelniks ökonomischer Sinn von Rationalität). Ganz im Gegenteil. Sein Verhalten ist kontrapro­ duktiv, aber nichtsdestotrotz immer noch minimal rational. Es wird von Gedanken kontrolliert. Was Clyde tut, lässt sich durch das erklä­ ren, was er denkt. 2 Ich betrachte das Nachahmungsverhalten - zumindest einiges davon - der Art, die R. Byrne (»Who Needs Rationality?«, in: RationalAnim ais, op. cit.) beschreibt, und dasjenige von L. Hermans Großen Tümmlern (»Evidence for Rationality in Dolphins«, in: RationalAnim ais, op. cit.) als minimal rational. Wenn man das Verhalten, das nachgeahmt wird, beobachtet, eine Repräsentation davon im Gedächtnis gespei­ chert wird, und das Nachahmungsverhalten dann später von irgendeiner symboli­ schen Geste oder einem Signal ausgelöst wird, wird das Verhalten durch einen Ge­ danken in meinem Sinne erklärt. 2 14

Oder denken wir an das Beispiel, das S. Boysen in einer Diskussion während der Konferenz* erwähnte. Jemand schnallt sich Sprengstoff um, besteigt einen Bus und jagt sich und sechzig andere Menschen in die Luft. Sein Grund? Man hatte ihm gesagt - und er glaubte es —, dass die Tat der Sache dienlich sei (stellen Sie sich eine beliebige Sache vor) und dass vierzig Jungfrauen ihn als himmlische Belohnung erwarteten. Ist es vernünftig, dies zu tun? Ist es rational? Es steigert bestimmt nicht die Überlebensfähigkeit. Ich nehme an, dass die meis­ ten von uns finden, es sei ein Akt des Wahnsinns. Ist er minimal ratio­ nal? Ja. Das Verhalten erklärt sich daraus, was der Terrorist glaubt und will. Ob wir das Verhalten für vollkommen irrational halten oder nicht, es wird von Gedanken kontrolliert. Das Verhalten ist zielge­ richtet, wie sehr wir das Ziel auch ablehnen mögen. Minimale Rationalität verlangt nicht Rationalität in irgendeinem normativen Sinne des Begriffs. Sie oder ich müssen nicht denken, dass das Verhalten V rational ist. Um minimal rational zu sein, muss es nicht mit unserem Bild dessen übereinstimmen, was wir für sinn­ voll oder das Beste halten. Dies ist in der Tat der Grund, warum ich glaube, dass minimale Rationalität ein nützlicher Begriff ist, wenn man sich über die Rationalität der Tiere Gedanken macht. Der Be­ griff hält die Probleme des Normativen in Schach und klammert sie aus, sodass wir untersuchen können, ob Tiere Dinge aus Gründen tun, ganz abgesehen davon, ob wir glauben oder ob sonst jemand glaubt, es seien gute Gründe. Warum sollte ein Schimpanse oder eine Krähe tun müssen, was Sie und ich für rational halten, um genau das­ selbe zu tun (nämlich etwas schlechthin aus Gründen tun), was Sie und ich tun, wenn wir das tun, was wir für rational halten? Warum kann das Verhalten eines Tieres nicht genauso wie unseres von Ge­ danken kontrolliert werden, obwohl wir den Sinn oder Zweck (die rationale Rechtfertigung) eines solchen Verhaltens nicht sehen? Wenn wir die Rationalität der Tiere untersuchen, warum identifizieren wir dann nicht erst minimale Rationalität bei Tieren und fragen dann nachdem wir sicher sind, dass das, was getan wird, überhaupt aus Gründen getan wird —, ob die Gründe, aus denen etwas getan wird, es zu etwas Vernünftigem machen? Machen die Gründe, die ein Ver­ halten erklären, daraus auch etwas, was zu tun vernünftig ist? Aber eins nach dem anderen. * [A. d. Ü.: Workshop »Rational Animais?«: http://www.warwick.ac.uk/staff7 S. L. Hurley/papers/r acsa.rtf]

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Dasselbe Verfahren ist geeignet, um über den »Geist der Maschi­ nen« nachzudenken. Statt dass wir sofort fragen, ob Computer klüger sind als wir - ob etwa »Big Blue« (der Computer von IBM, der den Weltmeister »schlägt«) ein besserer Schachspieler als Kasparov ist - , wollen wir zuerst fragen, ob das, was Maschinen zeigen, überhaupt Intelligenz ist. Spielen sie überhaupt Schach? Wollen sie gewinnen? Verfolgen sie Zwecke? Intentionen? Wird irgendetwas, das sie tun, durch das erklärt, was sie wollen? Haben sie einen minimalen Geisti Addieren und subtrahieren Taschenrechner? Oder addieren und subtrahieren w ir m it Taschenrechnern genauso, wie wir Nägel mit Hämmern einschlagen? Wenn Computer nicht einmal Schach spie­ len, wenn sie in dieser Art von Aktivität nicht im Mindesten glaub­ würdig sind, wie können sie darin dann besser oder schlechter sein als wir? Minimale Rationalität ist Voraussetzung für das Rationalitätsspiel. Egal, wie gescheit Sie auch scheinen mögen: Wenn sich nichts da­ von, was Sie tun, durch das, was Sie denken, erklären lässt, sind Sie kein rationales Wesen. Sie sind ein Hochstapler. Jemand anderes — wer oder was immer Sie entworfen hat - mag sehr gewieft sein (Mut­ ter Natur?), aber nicht Sie. Man könnte genauso gut sagen, dass eine Sprinkleranlage gescheit sei, weil sie das Feuer löscht, das sie sonst zerstören würde. Wenn ich das täte — wenn ich ein Feuer löschen würde, weil es mich bedroht - , wäre ich rational. Mein Verhalten ließe sich erklären durch das, was ich denke. Aber das ist nicht der Grund, weshalb eine Sprinkleranlage es tut. Sie hat keine minimale Rationa­ lität. Und ich lege auch keine minimale Rationalität an den Tag, wenn ich schwitze - und mich damit abkühle - , sobald meine Körpertem­ peratur zu steigen beginnt. Dieses Verhalten wird nicht von Gedan­ ken kontrolliert. Es mag klug sein, das zu tun, aber ich bin nicht klug, weil ich es tue. Was aber heißt es, von Gedanken gelenkt zu werden? Wie können Gedanken Verhalten erklären? Ist es genug, wenn innere Repräsenta­ tionen (Gedanken?) das Verhalten verursachen? Nein. Es gibt einen Unterschied zwischen Folgendem: von einem Ereignis, das B be­ deutet (repräsentiert), verursacht zu werden, oder durch die Tatsache erklärt zu werden, dass es B bedeutet (repräsentiert). Dieser Unter­ schied ist wichtig, um zu verstehen, unter welcher Voraussetzung etwas als minimal rational gelten kann. Dieser Unterschied erklärt, warum Maschinen und Pflanzen - und vielleicht sogar einige Tiere - , 2 16

die genau dasselbe tun wie wir, nicht als rational Handelnde gelten können. Denken wir an einen gewöhnlichen Thermostat. Er schaltet die Heizung ein und aus. Indem er dies tut, hält er den Raum in einer an­ genehmen Temperatur. Dies ist typisches Thermostatverhalten. Wenn wir dies täten, würde unser Verhalten als zweckgerichtet, als rational betrachtet werden. Warum ist es ein bloßes Verhalten, keine rationale Handlung, nicht einmal minimal rational, wenn der Thermostat es tut? Weil das Verhalten des Thermostats nicht - im relevanten Sinn davon kontrolliert wird, was er über Temperatur »denkt« (repräsen­ tiert). Was lenkt das Verhalten des Thermostats, wenn er die Heizung einschaltet? Nun, die meisten Thermostaten enthalten einen Bimetall­ streifen, der sowohl als Thermometer —das für die Raumtemperatur steht oder diese repräsentiert —als auch als elektrischer Schalter funk­ tioniert. Sein Grad der Krümmung repräsentiert die Raumtempera­ tur. Wird es im Raum zu kalt, krümmt sich der Bimetallstreifen ent­ sprechend und berührt einen verstellbaren elektrischen Kontakt. Das schließt den Stromkreis zur Zentralheizung, und die Heizung wird warm. Das Verhalten des Thermostaten —sein Ein- und Ausschalten der Heizung - wird also durch ein internes Element kontrolliert, durch den Metallstreifen, der die Temperatur repräsentiert. Der Ther­ mostat »verspürt« gewissermaßen einen Temperaturabfall und rea­ giert, indem er die Heizung einschaltet. Wenn wir die Tatsache ver­ nachlässigen, dass durch diese Vorrichtung unsere Wünsche (nicht diejenigen des Thermostaten) befriedigt werden, gleicht das Verhal­ ten bemerkenswert einer minimal rationalen Handlung: Eine interne Repräsentation der Temperatur (was wir vage als Wahrnehmung der Temperatur interpretieren könnten) veranlasst die Vorrichtung, auf angemessene Weise zu reagieren. Das Verhalten des Instruments wird dadurch kontrolliert, was es bezüglich der Temperatur denkt (reprä­ sentiert). Wenn wir für einen Moment die Tatsache vernachlässigen, dass die Temperaturrepräsentation des Thermostats nicht ganz das ist, woran wir dachten, als wir von Gedanken (über Temperatur) spra­ chen, die ein Verhalten erklären, gibt es immer noch einen wichti­ gen Unterschied zwischen dem Verhalten des Thermostats und z. B. unserem Verhalten, wenn wir die Heizung aufdrehen, sobald es kühl wird. Unser Verhalten erklärt sich daraus, was wir über die Tempera­ tur denken - nämlich, dass es kühl wird. Selbst wenn wir dem Ther­ 2 17

mostat »Gedanken« über Temperatur zugestehen, erklärt sich sein Verhalten nicht dadurch, was er über Temperatur denkt. Das Verhal­ ten des Thermostats wird wohl durch seine »Gedanken« über Tempe­ ratur verursacht, aber nicht (wie bei uns) durch das erklärt, was der Thermostat über Temperatur »denkt«. Warum? Um dies zu verstehen, können wir uns überlegen, warum wir ein Mikrophon nicht als folg­ sam betrachten, bloß weil es das tut, was wir ihm sagen, und oben­ drein, w eil wir es ihm sagen. Ich sage etwas in ein Mikrophon, nämlich: »Vibriere schnell!« Die Membran des Mikrophons reagiert auf meinen Befehl mit schnellen Vibrationen. Das Verhalten dieses Geräts wird durch die Frequenz und die Amplitude der Geräusche bestimmt, die ich erzeuge. Diese Geräusche haben eine Bedeutung. Sie bedeuten »Vibriere schnell!«. Das Mikrophon führt also genau das aus, was ich ihm befehle. Trotz dieser Tatsache und trotz der Tatsache, dass durch meinen Befehl, schnell zu vibrieren, schnelle Vibrationen in ihm verursacht werden, wird das Verhalten des Geräts nicht durch das gelenkt, was ich ihm sage. Nicht was ich sage, ist für das Verhalten des Mikrophons rele­ vant und kontrolliert es dadurch auch. Vielmehr sind es die Geräu­ sche, die ich produziere, indem ich es sage. Es existiert also ein Unterschied zwischen der Verursachung durch ein Ereignis, das die Bedeutung B hat, und der Erklärung durch die Tatsache, dass es die Bedeutung B hat. Dieser Unterschied ist wichtig, um zu verstehen, unter welcher Voraussetzung etwas minimal ratio­ nal ist. Denn sogar wenn ein Tier (ein Computer, ein Thermostat?) Gedanken hat, und selbst wenn diese Gedanken das Tier dazu veran­ lassen, etwas zu tun, so tut das Tier (der Computer, der Thermostat), was es tut, vielleicht nicht deshalb, weil es das denkt, was es denkt. Was das Lebewesen »denkt«, also der Gehalt oder die Bedeutung sei­ ner Gedanken, kann kausal ziemlich irrelevant sein. Dies ist im Falle des Thermostats besonders offensichtlich. Es ist der Grad der Krüm­ mung des Metallstreifens, und nicht, was diese Krümmung über Tem­ peratur aussagt, der erklärt, warum er den elektrischen Kreislauf zur j Zentralheizung schließt - und so die Fleizung einschaltet. Wenn wir erst einmal - und das sollten wir - zwischen einem mit Bedeutung geladenen Ereignis, das Verhalten verursacht, und seiner Bedeutung, die das Verhalten erklärt, unterscheiden und wenn wir dann die Lenkung von Verhalten durch Gedanken mit Letzterem identifizieren, so scheiden Maschinen sofort als minimal rational 218

Handelnde aus. Sie bringen eine Menge zustande, Dinge, die rational wären, wenn Sie oder ich sie täten, aber die Maschine gilt deshalb nicht als rational. Ihr Verhalten mag durch innere Repräsentationen verursacht werden, aber es erklärt sich nicht (wie bei uns) durch die Art, wie diese Repräsentationen etwas repräsentieren. Dasselbe gilt für Pflanzen. Eine Pflanze, die Scharlachrote Gilia (Aggregata Ipomopsis), wech­ selt jeden Sommer Mitte Juli ihre Farbe von rot zu weiß. Das ist etwas, das die Pflanze tut, eine Verhaltensweise der Pflanze. Eine Pflanze hat weder Gedanken noch Wünsche, weder Absichten noch Pläne. Aber sie tut gewisse Dinge, bisweilen sehr interessante Dinge, und Bo­ taniker und Botanikerinnen sind an Erklärungen des Verhaltens von Pflanzen interessiert. Warum tut die Scharlachrote Gilia so etwas? Wa­ rum wechselt sie jedes Jahr Mitte Juli ihre Farbe von rot zu weiß? Eine Erklärung (die die Botaniker geben, von denen ich das Beispiel habe) lautet, dass die Pflanze das tut, um Bestäuber anzulocken.3 Z u Be­ ginn der Blütezeit sind Kolibris die Hauptbestäuber, und diese wer­ den stärker durch rote Blüten angezogen. In der späteren Blüteperiode ziehen die Kolibris weg, und dann werden Schwärmer, die weiße Blü­ ten bevorzugen, zu den wichtigsten Bestäubern. Gemäß Paige und Whitman wechselt die Pflanze ihre Farbe, um diese jahreszeitlichen Veränderungen den Umständen entsprechend auszunutzen. Durch den Farbwechsel setzt sie mehr Früchte an, und deshalb tut sie das. Wenn dies tatsächlich die korrekte Erklärung dafür ist, warum sie die Farbe wechselt, ist die Pflanze vollkommen rational in Kacelniks biologischem Sinne von Rationalität. Aber ist sie minimal rational? Erklärt sich irgendetwas von dem, was sie tut, durch ihre inneren Re­ präsentationen? Damit die Pflanze den vollen Nutzen ziehen kann, muss dieses Ver­ halten zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten. Für einen maxi­ malen Vorteil muss es zu der Zeit auftreten, zu der die Kolibris weg­ ziehen und die Schwärmer kommen. Es muss deshalb in der Pflanze etwas geben, eine Art pflanzlicher Uhr oder pflanzlicher Kalender, das sowohl angibt, wann die Zeit reif ist, und zugleich wie ein che­ mischer »Schalter« funktioniert, der den für den Farbwechsel ver­ antwortlichen Prozess in Gang setzt. Kausal gesprochen, spielt diese pflanzliche Uhr genau dieselbe Rolle im Verhalten dieser Pflanze 3 K. N . Paige und T. G. Whitman, »Report o f Research Published in Science«, Scien­ tific Am erican 252 (4), 74 (1985). 2 19

wie der Bimetallstreifen im Verhalten des Thermostats. Sie repräsen­ tiert (je nachdem zutreffend oder unzutreffend) sowohl die äußeren Bedingungen, unter denen das Verhalten (für einen maximalen Vor­ teil) eintreten sollte, und löst auch die Ereignisse aus, die für das Ver­ halten konstitutiv sind. Diese Pflanzen können »übertölpelt« werden. Z u frühes warmes Wetter und Trockenheit lassen die innere Uhr zu schnell laufen. An­ fang Juni treten chemische Veränderungen auf, die sich normaler­ weise nicht vor Juli einstellen, dem Monat, in dem die Kolibris weg­ ziehen. D a Kolibris keine weißen Blüten mögen, ignorieren sie die Pflanze. Die Schwärmer tauchen erst sechs Wochen später auf, sodass . keine Bestäubung erfolgt. Die Pflanze büßt für ihre »Irrtümer«. Wenn Verhalten durch derartige interne Repräsentationen hervor­ gebracht wird, sind wir versucht, intentionales Vokabular zu verwen­ den. Ich sprach davon, dass die Pflanze »übertölpelt« wird und »Irrtümern« unterliegt. Das machen wir bei Geräten und bei Pflanzen. Auch Botaniker unterliegen dieser Versuchung, indem sie das Ver­ halten der Pflanzen in zweckgerichteten Ausdrücken erklären: die Pflanze wechselt ihre Farbe, so sagen sie, »um« Bestäuber anzulocken. Dennoch finden wir ganz klar noch nicht so etwas wie eine Handlung oder Absicht, nichts, das ein »um zu« rechtfertigen würde, nichts, das als minimale Rationalität gelten könnte. Die interne Uhr dieser Pflanzen mag bedeuten, dass es Juli ist, aber die Tatsache, dass sie dies bedeutet, ist irrelevant dafür, warum sie die Farbe wechselt. Um zu verstehen, ob - und falls ja, wie und warum - sich das Ver­ halten von Tieren von demjenigen von Maschinen und Pflanzen un­ terscheidet, und so als minimal rational gelten kann (und deshalb möglicherweise als rational im umfassenden normativen Sinn des Begriffs), wird es sich als nützlich erweisen, einen sehr einfachen Fall von tierischem Lernen zu betrachten. Hier, so glaube ich, fängt die Bedeutung zum ersten M al an, eine genuin explanatorische Rolle im Tierverhalten zu spielen. Hier erscheint minimale Rationalität zum ersten M al auf dem evolutionären Schauplatz. Betrachten wir also einen einfachen Fall von erlerntem Verhalten. Ein nach Futter suchender Vogel versucht, einen Monarch-Schmet­ terling (Danausplexippus) zu verspeisen. Die Larve dieses Schmetter­ lings ernährt sich von einer toxischen Form der Wolfsmilch. Solche Schmetterlinge sind giftig und bringen Vögel zum Erbrechen. Nach einer solch unschönen Begegnung meidet der Vogel Schmetterlinge, 220

die so aussehen wie derjenige, von dem ihm übel geworden ist. Am fol­ genden Tag erblickt unser Vogel einen schmackhaften Eisvogel (Lim enitis archippus), einen Schmetterling mit einem Erscheinungsbild, das dem schädlichen Monarchen bemerkenswert ähnelt. Der Eisvogel jedoch ist nicht giftig. Er hat seine Färbung als Schutz vor räuberischen Vögeln entwickelt. Er imitiert das Erscheinungsbild des Monarchen, sodass Vögel »denken«, dass er gleichfalls widerlich schmeckt, und ihn meiden. Unser Vogel erblickt den Eisvogel und fliegt davon. Eine vollkommen schmackhafte Mahlzeit wird von einem hungri­ gen Vogel ignoriert. Warum? Warum hat der Vogel den Eisvogel nicht gefressen? Wir alle wissen - oder glauben zu wissen - warum, doch müssen wir unsere Worte sorgfältig wählen. Wenn das von ihm erblickte In­ sekt ein giftiger Monarch gewesen wäre, hätten wir sagen können, dass der Vogel den Schmetterling als eines dieser widerlich schme­ ckenden Insekten (wieder)erkannt und es verschmäht hat, weil er nicht will, dass ihm abermals übel wird. Aber was er gesehen hat, war kein widerlich schmeckendes Insekt. Keine Erkenntnis hat statt­ gefunden. Es gab kein Wissen. Wir brauchen ein anderes Wort. Wie nennen wir (Philosophen) einen Wahrnehmungszustand, der Er­ kenntnis oder Wissen wäre, wenn er nur wahr wäre? Überzeugung! Urteil! Gedanke! Der Vogel denkt (wie sich herausstellt, fälschlicher­ weise), dass das Insekt schlecht schmeckt. Deshalb frisst er es nicht. Der Gedanke lenkt also sein Verhalten. Die Kausalstruktur des VogelVerhaltens ist derjenigen des Thermostats und der Gilia bemerkenswert ähnlich. Der Vogel erblickt den Schmetterling, unterscheidet ihn von anderen Objekten, und nachdem der Vogel gelernt hat, kontrolliert dieser (im Vogel durch den Eisvogel veranlasste) Wahrnehmungszustand das Verhalten. Die­ ses Wahrnehmungselement im Vogel informiert den Vogel auf die­ selbe Weise über die Anwesenheit eines M-artigen Insekts, wie etwas im Thermostaten ihn über die zu niedere Temperatur informiert und etwas in der Pflanze sie darüber informiert, dass es Juli ist. Es gibt also etwas innerhalb des Vogels, das bedeutet, dass ein M-artiges Insekt anwesend ist, und dieses Element funktioniert auf die gleiche Weise als »Verhaltensschalter« (es löst ein Vermeidungsverhalten aus) wie bedeutungstragende Elemente im Thermostaten und in der Pflanze als Schalter fiir elektrische und chemische Aktivitäten. Anders aber als beim Thermostaten und bei der Pflanze ist die Be­ 221

deutung der internen Repräsentation des Schmetterlings beim Vogel für sein Verhalten direkt relevant. Wie beim Thermostaten und bei der Pflanze hat diese Repräsentation (nennen wir sie R) eine Bedeu­ tung, und sie spielt eine kausale Rolle, aber im Gegensatz zum Gerät und zur Pflanze erklärt die Bedeutung ihre kausale Rolle. R verursacht ein Vermeidungsverhalten. R wurde diese Aufgabe zugeteilt, weil R be­ deutet, dass ein M-TyprSchmetterling anwesend ist, jene Sorte von Objekten, die der Vogel nach seiner unerfreulichen Erfahrung lieber meidet. Die kausale Geschichte sieht also so aus: ein R, das B bedeu­ tet, verursacht ein Vermeidungsverhalten, weil es B bedeutet. Ein be­ deutungstragender Zustand verursacht nicht nur ein Verhalten (das traf auch beim Thermostaten und bei der Pflanze zu), seine Bedeu­ tung erklärt auch, warum er es verursacht. Die Bedeutung ist also explanatorisch relevant für die Frage, warum der Vogel sich so verhält, wie er sich verhält. Aber ist das Verhalten des Vogels wirklich zweckgerichtet? D enkt der Vogel wirklich, dass der Schmetterling schlecht schmeckt, und meidet er ihn aus diesem Grund? Ich weiß, dass ich lediglich dargelegt habe, dass bei dieser Art Lernen ein interner Zustand, der etwas über die externe Umwelt des Vogels aussagt, eine Rolle im darauf folgenden Verhalten des Tiers spielt, weil er etwas bedeutet (Nicola Claytons Beschreibung des Versteckverhaltens von Buschhähern, die durch ver­ gangene Erfahrungen beeinflusst werden,4 ist ein noch dramatische­ res Beispiel dieses Prozesses). Die Bedeutung dieses internen, ursäch­ lichen Elements ist also genuin explanatorisch. Ich gebe zu, dass das nicht hinreicht, um zu zeigen, dass ein Gedanke das angeeignete Ver­ halten im relevanten (explanatorischen) Sinne lenkt, denn ich habe nicht gezeigt, dass interne Zustände mit Bedeutungen dieser Art Ge­ danken sind. Dennoch haben wir hier, wenn auch nicht einen Ge­ danken selbst, einen plausiblen Vorläufer von Gedanken — eine in­ terne Repräsentation, deren Bedeutung oder Gehalt erklärt, warum sich das System, in dem sie auftritt, so und so verhält. Für mich klingt das ausreichend nach Gedanken, um nicht darum feilschen zu müs­ sen, was noch fehlt. Aus dem Englischen übersetzt von Gabi Weber und M arkus W ild 4 N . Clayton, »The Rationality o f Animal Memory. Social Inference in Thieving Scrub Jays«, in: Rational Anim ais, op. cit. (im Druck). 222

Joelle Proust Das intentionale Tier Ein Tierfreund hält es für vollkommen natürlich, das Verhalten der ihm vertrauten Lebewesen zu interpretieren, indem er ihnen Wünsche und Überzeugungen zugesteht, die seinen eigenen ähnlich sind. Bei­ spielsweise schreibt ein Hundebesitzer seinem Tier jeden Tag ohne Zögern die Überzeugung zu, dass der Zeitpunkt für einen Spazier­ gang gekommen ist, oder er schreibt ihm die Lust zu, den Briefträger zu beißen. Er nimmt sogar an, dass das Tier fähig ist, Überzeugun­ gen und Wünsche in Bezug darauf zu bilden, was die anderen denken oder wünschen. Dafür genügt es ihm, in der »Tierliteratur« zu blät­ tern, in der es eine Fülle von Anekdoten gibt; sie berichten, dass ein Tier listig mit den Erwartungen seiner Artgenossen umgegangen ist, dass es ihnen Fallen gestellt hat, dass es absichtlich sein Wissen an seine Jungen weitergegeben hat oder dass es versucht hat, die Wirk­ lichkeit falsch darzustellen, um seine Rivalen zu täuschen. Die meis­ ten Beispiele dafür gibt es natürlich in der Primatologie. So berichtet F. de Waal, dass »die Orang-Utans Gemüse auf ihren K opf legen, um die erzielte Wirkung zu beobachten«. Einige weibliche Schimpansen »gehen in ihrer Raffinesse so weit, daß sie sich Schlingpflanzen um den Hals hängen, um sich zu verschönern«.1 Ein Schimpanse kann in Anwesenheit eines dominanten Männchens seine Erektion mit der Hand verbergen. Ein Weibchen kann eine versöhnende Geste ma­ chen, um sein Opfer besser beißen zu können.2 Zahlreiche Autoren — unter ihnen so anspruchsvolle Experimentalforscher wie D. Premack3 - haben behauptet, sie hätten Verhaltensweisen der selektiven Täuschung beobachtet, die sich gegen unkooperative Individuen ge­ richtet hätten. Diese Beobachtungen werfen mehrere Fragen auf. Verfügen Tiere 1 F. de Waal, Le bon singe. Les bases naturelles de la morale, Paris: Fayard 1997, S. 91 [dt. D er gute A ffe. D er Ursprung von Recht und Unrecht bei Menschen und anderen Tieren, München: Hanser 1997, S. 92; orig. GoodNatured. The Origins o f Right and Wrong in Humans and Other Anim ais, Cambridge und London: Harvard University Press 1996]. 2 F. de Waal, op. cit., S. 100 [dt. op. cit., S. 100]. 3 Vgl. D. Premackund A. J. Premack, L ’E sprit de Sarah, Paris: Fayard 1984. [TheM ind o f an Ape, New York und London: Norton 1983.] 223

David Papineau Die Evolution des Zweck-Mittel-Denkens i. Einleitung Als ich vor einigen Tagen aufwachte, gingen mir folgende Gedanken durch den Kopf: »Ich muss mir die Haare schneiden lassen. Wenn ich das heute morgen nicht als Erstes tue, werde ich in den nächsten zwei Wochen keine Gelegenheit mehr dazu finden. Doch wenn ich zum Frisör in meiner Straße gehe, wird er sich mit mir über Philosophie unterhalten wollen. Besser also, ich gehe zu dem in Camden Town. Die U-Bahn wird zwar sehr überfüllt sein. Allerdings ist schönes Wet­ ter. Warum gehe ich nicht einfach zu Fuß dorthin? Das dauert nur zwanzig Minuten. Ich ziehe also besser gleich diese Schuhe an, früh­ stücke unverzüglich und mache mich auf den Weg nach Camden.« Dies ist ein paradigmatischer Fall dessen, was ich Zweck-MittelDenken nennen werde. In dieser Art des Denkens wägen wir die Fol­ gen von unterschiedlichen Handlungsverläufen ab und wählen jenen Verlauf, der sich für die Gesamtheit unserer Zwecke am besten eig­ net. Ich gehe davon aus, dass es unumstritten ist, dass alle mensch­ lichen Wesen zum Zweck-Mittel-Denken fähig sind und dass diese Art des Denkens viele unserer Handlungen leitet. Ich gehe in der Tat sogar davon aus, dass diese Fähigkeit zum Zweck-Mittel-Den­ ken einen der wichtigsten Unterschiede —wenn nicht den wichtigs­ ten Unterschied —zwischen Menschen und anderen Tieren darstellt. Doch aus irgendwelchen Gründen ist dieses Thema aus der Mode gekommen. Das Zweck-Mittel-Denken scheint von der theoretischen Tagesordnung vieler verschwunden zu sein, von denen man eigent­ lich erwarten würde, dass sie das größte Interesse daran haben müss­ ten, nämlich diejenigen, die die menschliche Kognition in einem ver­ gleichenden oder evolutionären Zusammenhang erforschen. Es gibt heute eine ansehnliche Forschungsindustrie, die sich der Theorie des Geistes, der Sprache und anderen für die menschliche Kognition vermeintlich charakteristischen »Modulen« widmet. Aber das ZweckMittel-Denken selbst wird unter den Teppich gekehrt als etwas, wor­ über man in modischer theoretischer Gesellschaft nicht spricht. M it diesem Aufsatz möchte ich ein Plädoyer für dieses etwas alt­ modische Thema halten. Natürlich haben die Sprache, die Theorie 244

des Geistes und zweifellos noch andere Module eine bedeutende Rolle in der menschlichen Evolution gespielt, aber ich denke, dass man gute Argumente für die Bedeutung des Zweck-Mittel-Denkens Vorbrin­ gen kann. Es handelt sich natürlich um eine knifflige Angelegenheit, die genauen evolutionären Abhängigkeiten zwischen den verschie­ denen kognitiven Vermögen zu verzeichnen, die dem Menschen ei­ gentümlich sind. Die Bemerkungen, die ich zu diesem spezifischen Thema gegen Ende des Aufsatzes anbringen werde, sind bestenfalls abstrakt und spekulativ. Dann aber hoffe ich, Sie zumindest davon überzeugt zu haben, dass das Zweck-Mittel-Denken ein wichtiges und eigenständiges evolutionäres Thema darstellt. Meine erste Aufgabe wird darin bestehen, deutlicher zu sagen, was ich mit Zweck-Mittel-Denken meine. Wenn ich Sie davon überzeu­ gen soll, dass das Zweck-Mittel-Denken für die menschliche Evolu­ tion wichtig ist, dann ist an diesem Punkt offensichtlich Sorgfalt an­ gebracht. Denn wenn wir den Maßstab zu niedrig ansetzen, wird sich das Zweck-Mittel-Denken über das gesamte Tierreich vertei­ len und keine eigentümlich menschliche Anpassungsleistung sein. Schließlich verfügen beinahe alle Tiere über irgendwelche Möglich­ keiten, um den momentanen Umständen und Bedürfnissen angemes­ sene Verhaltensweisen auszuwählen. A u f der anderen Seite geht es je­ doch nicht an, den Maßstab zu hoch anzusetzen, indem etwa Schrift­ oder Rechenfähigkeit erforderlich wären. Denn dann hätten wir kei­ nen Grund zur Annahme, dass das Zweck-Mittel-Denken etwas mit der menschlichen Biologie zu tun hätte, wie wichtig es auch immer für die Entwicklung einer höheren Zivilisation gewesen sein mag. Entsprechend werde ich in den nächsten beiden Abschnitten da­ rauf abzielen, ein spezifisches Verständnis des Zweck-Mittel-Den­ kens zu bestimmen, das mit meinen Behauptungen bezüglich seiner Bedeutung für die menschliche Evolution übereinstimmt. Anschlie­ ßend werde ich versuchen, diese Behauptungen zu verteidigen. Bevor wir fortfahren, lohnt es sich vielleicht doch, zu einem be­ stimmten Einfluss Stellung zu nehmen, der die derzeitige theoretische Mode vom Zweck-Mittel-Denken weggeführt hat. Wie ich vermute, steht das Zweck-Mittel-Denken in den Köpfen vieler Zeitgenossen als Antithese zur »Modularität«. Das ist so, weil das Zweck-MittelDenken tendenziell mit jener Art von allgemeinem zweckgerichteten Lernen und Problemlosen verknüpft wird, die von der traditionellen Psychologie als Sitz der gesamten Tierintelligenz betrachtet wurde. 24 5

Enthusiastische Befürworter der Modularität verwerfen jedoch diese alle Bereiche umfassende Vorstellung der Tierintelligenz und argu­ mentieren dafür, dass alle wirklichen Fortschritte bezüglich der kog­ nitiven Fähigkeiten - insbesondere der charakteristischen Merkmale der menschlichen Psychologie - in zweckgerichtet gebauten »Modu­ len« bestehen, die für gewisse intellektuelle Aufgaben selektiert wor­ den sind.1 Also neigen enthusiastische Modularisten zur Ungeduld gegenüber der Rede vom Zweck-Mittel-Denken, denn sie sehen darin eine Rückkehr zu den schlechten alten Zeiten des allgemeinen zweck­ gerichteten Lernens und Problemlösens. Gleichwohl glaube ich nicht, dass das Zweck-Mittel-Denken der Modularität auf diese Weise entgegengesetzt ist. Insofern es eine wohl­ geformte Antithese zwischen traditionellen Allzweckmechanismen und Modulen gibt, neige ich dazu, das Zweck-Mittel-Denken auf der Seite der Module zu platzieren. Was seinen Gehalt betrifft, dürfte das Zweck-Mittel-Denken zwar in dem Sinne alle Bereiche umfassen, dass es keine Einschränkung bezüglich der Arten von Information kennt, mit denen es arbeiten kann. Doch dasselbe könnte über unsere sprachlichen Fähigkeiten gesagt werden, obwohl diese weithin als das Paradigma für »modulare« Fähigkeiten betrachtet werden. Darüber hinaus sollte das Zweck-Mittel-Denken, so wie ich es verstehe, nicht als generelle Schnittstelle zwischen WahrnehmungsInputs und Verhaltens-Outputs gedacht werden, also nicht im Sinne jenes nicht-modularen »Zentralsystems«, das J. Fodor in The M odu­ lar ity o fM in d ursprünglich zwischen Wahrnehmung und Handlung angesiedelt hat.2 Vielmehr betrachte ich das Zweck-Mittel-Denken als Zusatz, der spät in der Evolution aufgetaucht ist, spezifischen Be­ dürfnissen dient und sich bereits zuvor bestehenden Mechanismen (welche auch immer das sein mögen) anlagert, um Wahrnehmung und Handlung zu koordinieren. Häufig reagieren Skeptiker auf die modularistische Metapher des Geistes - der Geist als »Schweizer Taschenmesser« - , indem sie fra­ gen, was denn darüber entscheide, welche Klinge bei welcher Gele­ genheit verwendet werde. Das ist eine sehr verständliche Frage, und 1 L. Cosmides und J. Tooby, »The Psychological Foundations o f Culture«, in: The A daptedM ind, hrsg. von J. Barkow, L. Cosmides und J. Tooby, Oxford: Oxford University Press 1991, S. 19-136. 2 J. Fodor, The M odularity o f M ind. An Essay on Faculty Psychology, Cambridge (Mass.): MIT Press 1983. 246

einige meiner späteren Bemerkungen werden mögliche Antworten aufzeigen. Doch das Zweck-Mittel-Denken selbst spielt diese Rolle nicht. Es handelt sich vielmehr um einen spezialisierten Mechanis­ mus, der durch unterschiedliche Prozesse aktiviert wird, und diese koordinieren die verschiedenen Aspekte einer Kognition. Aus dieser Perspektive ist das Zweck-Mittel-Denken einfach ein weiteres tolles Werkzeug im Schweizer Taschenmesser und keine Meta-Vorrichtung, die die ganze Sache koordiniert.

2. Vor der Zweck-Mittel-Rationalität Die letzten Bemerkungen sind lediglich als Hinweis auf meine ge­ samte Geschichte gedacht. Die Einzelheiten werden im Verlauf der Erzählung eingefügt. Der erste Schritt besteht in einer detaillierteren Erklärung dessen, was ich unter Zweck-Mittel-Denken verstehe. In diesem Abschnitt werde ich diese Frage sozusagen »von unten nach oben« angehen. Ich betrachte, wie das Verhalten von Lebewesen, de­ nen jegliches Zweck-Mittel-Denken ganz klar fehlt, an die entspre­ chenden Umstände angepasst sein kann. Dadurch hoffe ich, eine Be­ deutung von Zweck-Mittel-Denken zu identifizieren, die interessante Fragen über deren evolutionäre Entstehung ermöglicht. Die Strategie wird letztlich darin bestehen, eine wichtige Bedeutung von ZweckMittel-Denken zu isolieren, indem ich betrachte, was jenen Lebewe­ sen fehlt, die ohne Zweck-Mittel-Denken zurechtkommen. Ich werde abstrakt und in einzelnen Ebenen vorgehen und nur ziemlich allgemeine Merkmale kognitiver Designs in Erwägung zie­ hen. Ich werde mit einem möglichst einfachen Design beginnen, um dann zu raffinierteren fortzuschreiten. Ebene o - »Monomaten« - Tue V A u f der allereinfachsten Ebene, der Ebene Null sozusagen, befindet sich jene Art von Lebewesen, das immer dasselbe tut, nämlich V. Es könnte sich beispielsweise ziellos fortbewegen und dabei blind seine Mundwerkzeuge öffnen und schließen, wobei es sich alles ein­ verleibt, was ihm in den Weg kommt. Ebene i - »Opportunisten« - Wenn B, tue V 247

Einen Schritt weiter finden sich Lebewesen, die ihr Verhalten auf die unmittelbaren Bedingungen B abstimmen und dadurch Energie für jene Situationen sparen, in denen ihr Verhalten V Erfolge zeitigt. Bei­ spielsweise bewegen sie ihre Mundwerkzeuge erst, wenn sie das Vor­ handensein von Nahrung entdeckt haben. (In einem solchen Fall können wir auch davon ausgehen, dass das Verhalten V durch die Empfänglichkeit gegenüber Bedingungen »geformt« wird. Das sagen­ hafte Fliegenfang-Verhalten des Frosches gehört hierhin. Nicht nur lassen Frösche ihre Zungen zu einem bestimmten Zeitpunkt heraus­ schnellen, dann nämlich, wenn die Umwelt Nahrung anbietet; sie las­ sen ihre Zungen auch in eine bestimmte Richtung schnellen, in jene Richtung nämlich, aus der die Nahrung sich ankündigt.) Ebene 2 - »Bedürftige« —Wenn B und T, tue V A u f der nächsten Ebene finden sich Lebewesen, deren Verhalten nicht nur auf momentane Gelegenheiten reagiert, sondern ebenso auf mo­ mentane Bedürfnisse. Wir können uns beispielsweise Insektenfres­ ser vorstellen, die ihre Zungen nicht auf vorbeiziehende Zielobjekte schnellen lassen, sofern sie nicht zugleich einen Nahrungsmangel re­ gistrieren. Offenbar gehören Frösche nicht dazu und sind deshalb überfütterungsanfällig. Auch nachdem ihre Nahrungsbedürfnisse be­ friedigt sind, lassen sie ihre Zunge auf vorbeischwirrende Fliegen schnellen. Obwohl Frösche ohne ein für Bedürfnisse empfängliches kognitives Design zurechtkommen, kann es dennoch offenkundig von Vorteil sein, ein solches zu entwickeln. Zahlreiche Lebewesen ha­ ben das offenbar getan. Bevor wir zur nächsten Komplexitätsebene fortschreiten, ist eine Mahnung zu Vorsicht angebracht. Es ist natürlich (und tatsächlich oft sehr hilfreich), einfache kognitive Designs in repräsentierenden Begrifflichkeiten zu erfassen, und ich werde das in diesem Aufsatz durchgehend tun. Aber es besteht die Gefahr, mehr in die repräsen­ tierende Beschreibung hineinzulegen, als durch das spezifische De­ sign gerechtfertigt erscheint und damit eine hochtrabende repräsen­ tierende Beschreibung als ernsthafte Erklärung misszuverstehen. Im Prinzip sollten wir stets sorgfältig zeigen, dass Zuweisungen von re­ präsentierendem Gehalt vollauf berechtigt sind. Es würde den Rah­ men dieses Aufsatzes sprengen, dies in jedem Stadium auf angemes­ sene Weise zu leisten, aber soweit ich kann, möchte ich versuchen 248

sicherzustellen, dass meine repräsentierenden Beschreibungen in aus­ drücklichen Spezifizierungen der kognitiven Designs gründen. Um die Gefahr zu illustrieren, betrachte man die von mir soeben eingeführte Unterscheidung zwischen Bs, die eine Empfänglichkeit gegenüber »Bedingungen« der Umwelt bezeichnen, und Ts, die mo­ mentane Bedürfnisse registrieren (und damit als verwandt mit »Wün­ schen« oder - etwas vorsichtiger - mit »Trieben« betrachtet werden können). Es mag ganz natürlich erscheinen, zwischen informierenden Bs und motivierenden Ts auf diese Weise zu unterscheiden. Gleich­ wohl wird dieser Gegensatz durch das, was ich bislang gesagt habe, keineswegs gerechtfertigt. Denn schließlich treten B und T in der schematischen Formulierung in der Überschrift zu diesem Unterab­ schnitt einigermaßen symmetrisch auf: Wenn B und T, tue V. Bisher haben wir keine Grundlage dafür gelegt, diese Zustände so zu behan­ deln, als würden sie unterschiedliche Rollen in der Verhaltensregulie­ rung spielen. Da ich nun diesen Punkt angesprochen habe, möchte ich ihn für einen Moment weiterverfolgen. Um das Problem schärfer fassen zu können, will ich Folgendes festlegen: Sowohl Bs als auch Ts sollen fortan als interne Zustände verstanden werden, die ein resultieren­ des Verhalten V auslösen. (Es muss solche internen Zustände geben, wenn distale Bedingungen und Bedürfnisse überhaupt Verhalten be­ stimmen sollen.) A u f den ersten Blick gibt es scheinbar eine einleuch­ tende Grundlage dafür, motivierende Ts von informierenden Bs zu unterscheiden. Wenn beispielsweise ein T durch einen niedrigen Blut­ zuckerspiegel ausgelöst wird, spielt es dann nicht eine distinkte mo­ tivierende Rolle — im Gegensatz zu einem informierenden B, das beispielsweise ein vorbeischwirrendes Insekt registriert? Ist T nicht dazu nötig, das Tier zu aktivieren, im Gegensatz zu B, das lediglich faktische Informationen liefert und ihm damit keinen motivieren­ den »Schub« verabreicht? Aber dieser Gegensatz täuscht. B ist ebenso nötig zur Aktivierung des Tiers; wie niedrig sein Blutzuckerspiegel auch immer sein mag, das Tier wird seine Zunge nicht einmal her­ ausstrecken, bevor es nichts zu fangen gibt. So weit bleibt alles sym­ metrisch, und sowohl B als auch T sollten zugleich als motivierend und als informierend betrachtet werden —in R. Millikans Terminolo­ gie: als »pushm i-pullym -XxxstinAt.3 Beide können sowohl als impera3 R. Millikan, »Pushmi-pullyu Representations«, in: Philosophical Perspectives IX, hrsg. von J. Tomberlin, Atascadero: Ridgeview Press 1996, S. 185-200. 249

tiv als auch als indikativ betrachtet werden. Sie sagen: »Tue V (wenn der andere Zustand ebenfalls eingeschaltet ist)!« bzw. »Hier gibt’s eine Gelegenheit, V zu tun (wenn der andere Zustand ebenfalls ein­ geschaltet ist)«. Eine tragfähige Einteilung in motivierende und informierende Z u ­ stände tritt erst dann auf, wenn es hinter den Bs und Ts eine zusätz­ liche Struktur gibt. Ohne allzu sehr auf die Einzelheiten einzugehen, möchte ich den Gedanken hier grob umreißen. Ein Zustand B ist eher informierend als motivierend, wenn er nicht mehr an ein bestimmtes Verhalten gekoppelt ist und stattdessen Information bereitstellt, die durch viele verschiedene Verhaltensdispositionen verwendet werden kann. Wir können von verhaltenskomplexen Lebewesen erwarten, dass sie Sinneszustände ausbilden, die zuverlässig auf äußere Gegen­ stände und Eigenschaften reagieren und zur Verfügung stehen, um ein breites Band möglicher Aktivitäten auszulösen. Das wird insbe­ sondere dann von Vorteil sein, wenn Lebewesen lernfähig sind (vgl. Ebene 4). Wenn ein interner Zustand B nicht mehr einer spezifischen Verhaltensroutine gewidmet ist, wird er keinen imperativen Gehalt mehr haben und kann als rein informierend betrachtet werden.4 Motivierende Zustände können sich in der umgekehrten Richtung spezialisieren. Auch hier sind Zustände nicht mehr an ein bestimmtes Verhalten gekoppelt. Doch im Falle motivierender Zustände ist dies nicht deshalb so, weil sie allgemein nutzbare Informationen bereit­ stellen würden, sondern vielmehr deshalb, weil sie eine distinkte Rolle übernehmen - nämlich zu signalisieren, dass gewisse Ergebnisse be­ nötigt werden. Der Grund dafür, dass dadurch motivierende Zustän­ de von spezifischen Verhaltensweisen losgelöst werden, besteht da­ rin, dass verschiedene Verhaltensweisen in verschiedenen Umständen zum Erreichen dieser Ergebnisse wirkungsvoll sind. Dass solche mo­ tivierenden Ts vielleicht immer einen informierenden Gehalt haben (etwa: der Blutzuckerspiegel ist niedrig), ist durchaus denkbar; aber sie unterscheiden sich von rein informierenden Bs, wenn man davon ausgeht, dass sie die spezielle Verantwortung für die Mobilisierung von Verhaltensweisen tragen, die ein erforderliches Ergebnis erzie­ len. Demgegenüber besitzen informierende Bs keine solchen Ergeb­ nisse. 4 R. Millikan, »Some Different Ways to Think« [A. d. Ü.: Vgl. http://www.california.comLmcmf/Millikanthink.html]. 250

Ebene 3 —»Wähler« - Wenn B 1 und T 1, tue V 1, WENN T 1 das dominierende Bedürfnis ist Verfugen Lebewesen erst einmal über Zustände, deren Rolle darin be­ steht, Bedürfnisse zu registrieren, dann besteht das Potential für eine weitere Komplexitätsebene. Wenn B 1 und T 1 das Verhalten V 1 hervorrufen, B2 und T 2 aber ein damit unvereinbares Verhalten V 2, ist es von Vorteil, einen Mechanismus zu haben, der über den Vorrang entschei­ det. Offenbar ist dieses System eines, das T 1 irgendwie mit T 2 ver­ gleicht und zwischen den Vs in Abhängigkeit davon auswählt, wel­ ches Bedürfnis wichtiger ist. Es ist nicht schwierig, sich Mechanismen vorzustellen, die Bedürfnisse entweder nach Qualität oder Quantität ordnen. Ebene 4 - »Lerner« - NACHDEM die Erfahrung gezeigt hat, dass B 1, T 1 und V 1 zu einer Belohnung führen, dann (wie zuvor): Wenn B 1 und T 1, tue V 1, wenn T 1 das dominierende Bedürfnis ist Bislang habe ich implizit angenommen, dass die treibenden Bs und Ts mit den reaktiven Verhaltensweisen V »fest verdrahtet« sind, d. h., die relevanten Verknüpfungen »B, T —»V« haben sich durch generationsübergreifende, genetische Evolution etabliert und entwickeln sich bei jedem Einzellebewesen, das normal heranwächst. Das Lernen fügt eine weitere Ebene des Raffinements bei Tieren hinzu. M it >Lernen< meine ich hier einfach, dass die Verknüpfungen »B, T -> V« durch die spezifischen Erfahrungen des Tiers —nämlich welche Verhaltens­ weisen welche Ergebnisse unter welchen Umständen erzielen — be­ einflusst werden können. Der naheliegende Weg dahin führt über Mechanismen, die die Verknüpfungen »B, T —>V« für jene Fälle ver­ stärken, in denen V - gegeben B und T - zu bestimmten Ergebnissen führt. Im obenstehenden Schema habe ich die relevanten Verstärkungs­ ergebnisse einfach als >Belohnung< charakterisiert. Das wirft eine Reihe vom Fragen auf. Eine davon lautet, ob das Verschwinden - oder die Reduktion - eines bedürfnisregistrierenden T immer in der »Be­ lohnung« enthalten ist, die die Wahrscheinlichkeit von V — gegeben B und T - für die Zukunft verstärkt. Ein Mechanismus dieser Art ist aufgrund der Tatsache naheliegend, dass viele Triebe (wie Hun­ ger oder Durst) Funktionen haben (die Einnahme von Nahrung oder 251

Wasser), deren Erfüllung in der Regel notwendig und hinreichend für die Reduktion der Triebe selbst ist. Lernmechanismen, durch die diese Triebreduktionen zu einer Verstärkung führen, selektieren dadurch Verhaltensweisen, die zur Erfüllung der Triebfunktion (d. h. Nahrung oder Wasser zu bekommen) geeignet sind. Dennoch ist es nicht einleuchtend, dass alle Triebe darauf angelegt sind, Ergebnisse zu erzielen, die dann ihrerseits ganz selbstverständ­ lich diese Triebe befriedigen. Ein Beispiel: Als Anzeichen einer Ge­ fahr muss ein Lebewesen irgendetwas Ungewöhnliches in seiner Um­ welt identifizieren können. Nehmen wir an, es existiere ein Trieb T (Alarmbereitschaft oder Wachsamkeit), der das Bedürfnis registriert, alles Ungewöhnliche zu identifizieren, und dessen Funktion darin bestünde, das Lebewesen dazu zu bringen, solche Identifikationen vorzunehmen. Nun wäre es sicher keine gute Idee, dass dieser Trieb jedes M al befriedigt würde, wann immer es ihm gelänge, seine Funk­ tion zu erfüllen. Denn wenn man etwas Ungewöhnliches bemerkt, sollte man noch wachsamer und nicht weniger wachsam werden (und umgekehrt sollte die Wachsamkeit nachlassen, wenn man nichts Ungewöhnliches findet). Allgemeiner ausgedrückt: Es scheint kei­ nen Grund zu geben, Triebe auszuschließen, die durch ihre eigene Erfüllung aufrechterhalten oder sogar verstärkt werden. Doch wenn es solche Triebe gibt, dann wird kein mit ihnen verknüpfter Lern­ mechanismus dazu imstande sein, das Verschwinden des Triebs als Quelle der Verstärkung zu verwenden, zumal dieses Verschwinden kein guter Stellvertreter für die Erfüllung seiner Funktion ist. Viel­ mehr muss der Lernmechanismus mithilfe eines anderen Anzeichens so funktionieren, dass ein Verhalten ein wirksames Mittel für die Erfüllung eines Triebes ist (z. B. wirklich etwas Ungewöhnliches zu finden). Ich bin mir nicht sicher, ob die Natur dem Tierreich tatsächlich Lernmechanismen dieser Art vererbt hat oder ob alle wirklichen Lern­ mechanismen von Tieren mit Triebreduktionen als Verstärkern funk­ tionieren. Es stellt sich eine weitere Frage, wie auch immer die Ant­ wort auf die vorhergehende ausfallen mag: Rührt alles Lernen bei Tieren von einem einzigen Mechanismus her, der alle triebspezifi­ schen Verstärker (Sättigung des Hungers, Löschen des Durstes, Wahr­ nehmung von etwas Ungewöhnlichem) auf einen gemeinsamen Nen­ ner reduziert (die Ausschüttung von körpereigenen Opiaten etwa) ? Oder gibt es eine bestimmte Anzahl von Lernmechanismen - einen 252

für jeden Trieb so dass jeder Mechanismus seinen eigenen Trieb mit Verhaltensweisen in Abhängigkeit davon verknüpft, welche Verhal­ tensweisen sich in der vergangenen Erfahrung als wirksam erwiesen haben, um die spezifische Funktion dieses Triebs zu erfüllen? Die zweite Option würde eine verfeinertere Verhaltenskontrolle erlauben. Aber es handelt sich wiederum um eine empirische Frage, inwieweit sich die Natur dieser Möglichkeit bedient hat. An dieser Stelle schlage ich vor, die angefarigene Klassifikation kog­ nitiver Strukturen abzubrechen. Wir verfügen über genügend Ebe­ nen, um vorwärts zu kommen. Sie werden im nächsten Abschnitt die Grundlage für eine erste Charakterisierung des Zweck-MittelDenkens abgeben. Doch bevor wir fortfahren, wird es sich lohnen, kurz innezuhal­ ten und zu bemerken, dass sich bereits auf diesen Anfangsebenen der Begriff des >Triebs< als erstaunlich facettenreich erwiesen hat. In einem gewissen Sinn ist ein Trieb eine primitive Version des Wunsches. Ich werde in Abschnitt 4.v ein wenig mehr über die im Wunsch hin­ zukommenden Elemente sagen. Aber schon bevor wir zur verfeinerteren Ebene der Wünsche gelangen, zeigen sich Triebe als etwas, das über verwirrend viele Facetten verfügt. A u f der primitiven Ebene 1, auf der sich bedürfnisregistrierende Triebe nicht wirklich von Z u ­ ständen unterscheiden, die Umweltbedingungen registrieren, signali­ sieren Triebe einfach die momentane Angemessenheit bestimmter Verhaltensweisen. Wenn Triebe auf der Ebene 2 erst einmal als Regis­ trierungen weniger von Bedingungen als vielmehr von Bedürfnissen unterscheidbar werden, dann erhalten sie die Funktion, Verhaltens­ weisen auszulösen, die jene Bedürfnisse innerhalb der momentanen Bedingungen befriedigen. Eine weitere, für die Ebene 3 charakteris­ tische Rolle besteht darin, mit anderen Trieben zu konkurrieren, wenn diese Triebe unvereinbare Verhaltensweisen hervorrufen. Man beachte, dass die Rolle der Ebene 2 jene der Ebene 3 nicht zwingend nach sich zieht: Wir können uns ein Lebewesen - wie Buridans Esel vorstellen, das zuverlässig funktioniert, wenn nur ein Trieb aktiv ist, angesichts von mehreren Trieben aber wie gelähmt ist. Realistischer ausgedrückt: W ir können uns Lebewesen vorstellen, die die Konkur­ renz zwischen Trieben auf arbiträre, nicht-funktionale Art und Weise lösen. A u f der Ebene 4 schließlich finden wir Triebe, die noch eine weitere Rolle spielen; sie verstärken Verhaltensweisen, die zur Re­ duktion von Trieben führen (was jedoch, wie gesagt, nur bei Trieben 253

funktioniert, deren Erfüllung natürlicherweise zu ihrer Auslöschung führt). Wiederum ziehen die niederstufigeren Rollen nicht zwingend die Rolle der Ebene 4 nach sich, denn die niederen Rollen können bei Lebewesen vorhanden sein, die überhaupt nicht lernen. A u f den ersten Blick kann der Begriff des Triebs als recht einfach erscheinen. Aber es stellt sich heraus, dass er eine ganze Reihe von Merkmalen beinhaltet, die voneinander getrennt werden können und bei realen Tieren nicht immer zusammen angetroffen werden.5

3. Allgemeines Wissen Jetzt wollen wir unsere Aufmerksamkeit einem auffälligen Merkmal der Lebewesen auf den Ebenen o bis 4 zuwenden (ich nenne sie von nun an >einfache LebewesenÜberzeugung< übergehen. Nehmen wir an, ich gestehe Dennett um des Arguments willen zu, dass so­ gar einfache Lebewesen allgemeine »Überzeugungen« in diesem Sinn haben können. Daraus folgt in keiner Weise, dass sie über ein Zweck-Mittel-Denken in meinem Sinn verfügen. Denn ich habe das Zweck-Mittel-Denken nicht in den Begrifflichkeiten allgemei­ ner »Überzeugungen« definiert, sondern in den Begrifflichkeiten des Designs: als eine Sache des Gebrauchs allgemeiner Repräsenta­ tionen, um Verhalten zu leiten. Was auch immer man über die Bedeu­ tung von >Überzeugung< denken mag, es bleibt eine grundlegende Frage übrig: Welche Lebewesen gebrauchen allgemeine Repräsenta­ tionen tatsächlich auf diese Art und Weise? Im Folgenden möchte ich Unklarheiten aus dem Weg gehen, indem ich die Rede von >Überzeugungen< auch weiterhin vermeide. Einige Leser und Leserinnen werden sich an dieser Stelle fragen, warum ich mir nach eigenem Ermessen so sicher bin, dass einfache Lebewesen keine allgemeinen Repräsentationen gebrauchen, um ihr Verhalten zu leiten. Sind nicht gerade allgemeine Repräsentationen 7 D. Dennett, Brainstorms. Philosophical Essays on M in d and Psychology, Brighton: Härtester Press 1985; id., The Intentional Stance, Cambridge (Mass.): MIT Press 1987. [Vgl. D. Dennett, »Intentionale Systeme«, in: Analytische Philosophie des Geis­ tes, hrsg. von P. Bieri, Königstein: Anton Hain 1981, S. 162-183.] 256

in einem gewissen Sinn in den Verhaltensdispositionen dieser Lebe­ wesen verkörpert? Nehmen wir nur ein Tier, das dazu disponiert ist, aus Teichen zu trinken, wenn es durstig ist, eben weil sich dies in seiner individuellen Vergangenheit oder in der Vergangenheit seiner Vorfahren als ein wirkungsvoller Weg erwiesen hat, um an Wasser zu gelangen. In diesem Fall ist es anscheinend vernünftig zu sagen (besonders für diejenigen, die, wie ich selbst, eine selektionistische Sichtweise auf semantische Fragen bevorzugen), dass diese Disposi­ tion - die das Verhalten des Tiers gewiss leitet —die Tatsache reprä­ sentiert, dass das Trinken aus Teichen Wasser liefert. Schließlich hat das Tier jetzt diese Disposition genau deshalb, weil dieses Verhalten ebenjenes Ergebnis in der Vergangenheit erzielt hat. Dementspre­ chend erfüllt diese Disposition ihre biologische Funktion genau des­ halb, weil - wie in unserem Fall - Trinken Wasser liefert. Sollten wir daher diese Disposition selbst nicht als Verkörperung der allgemei­ nen Information betrachten, dass das Trinken aus Teichen Wasser lie­ fert? Gerade solche Gehaltszuschreibungen möchte ich nicht bestrei­ ten. Ich lasse es gerne zu, dass diese Art von Disposition Informatio­ nen über die allgemeine »Verknüpfung-von-Reaktion-mit-Resultat« (B & T, V ^ R) verkörpert; sie ist dafür verantwortlich, dass die Dis­ position überhaupt dauerhaft wirken konnte. Wenn ich also dieses Zugeständnis mache, muss ich die Definition des Zweck-Mittel-Denkens enger fassen, wenn es eine Art des Den­ kens definieren soll, die für einfache Lebewesen nicht verfügbar ist. In meiner Ausgangsdefinition des Zweck-Mittel-Denkens habe ich mich auf die explizite Repräsentation allgemeiner Information be­ zogen. Vielleicht kann ich etwas aus dieser Formulierung herausho­ len und darlegen, dass allgemeine Informationen durch Flandlungsdispositionen nur im plizit, nicht explizit, repräsentiert werden. Wenn das Zweck-Mittel-Denken explizite Repräsentationen spezifisch er­ fordert und bloße Verhaltensdispositionen diesem Erfordernis nicht nachkommen, dann folgt daraus nicht mehr, dass einfache Lebewe­ sen automatisch als Zweck-Mittel-Denker gelten können. Ein Weg zur Entfaltung dieses Gedankens bestünde in der These, dass echte explizite Repräsentationen eine Art satzähnliches Vehikel, einen artikulierten körperlichen Zustand, benötigen, dem wir einen Gehalt zuschreiben können. A u f diese Weise wäre die Repräsenta­ tion bestimmter Tatsachen —die ebenfalls bestimmte Modifikationen 257

sensorischer Prozessoren umfassen würde — bei einfachen Organis­ men explizit. Aber die vermeintlichen, in Verhaltensdispositionen ver­ packten Repräsentationen würden nach dieser Maßgabe ausscheiden - so würde dieser Gedanke laufen denn solche Dispositionen verfügen nicht über jene körperliche Greifbarkeit, die für vollkom­ men explizite Repräsentationen erforderlich ist. Ich denke jedoch nicht, dass dieser Gedankengang viel Substanz hat. Denn schließlich müssen Verhaltensdispositionen irgendeine Art physischer Verkörperung haben. Ein Tier, das dazu disponiert ist, aus Teichen zu trinken, muss sich auf substantielle kausale Art und Weise von einem Tier unterscheiden, das dies noch nicht gelernt hat. Warum also lässt man diesen realen Unterschied - worin auch immer er bestehen mag - nicht als Vehikel für den Gedanken »Aus Teichen trinken liefert Wasser« fungieren? Darüber hinaus wird die­ ses Vehikel - was auch immer es sein mag - für die Verhaltenserzeu­ gung mit der Repräsentation von Bedürfnissen und Bedingungen an­ gemessen interagieren. Das Tier wird nur aus dem Teich trinken, wenn sich dieses Vehikel (von dem wir annehmen, dass es »Aus Tei­ chen trinken liefert Wasser« repräsentiert) auf angemessene Weise an die Zustände bindet, die das Bedürfnis nach Wasser bzw. die Ge­ genwart des Teichs repräsentieren, und zwar gemäß dem klassischen praktischen Syllogismus. Alles in allem also scheint es keinen Grund dafür zu geben, eine Disposition nicht als vollkommen expliziten Re­ präsentanten zu betrachten: Sie muss eine physische Verkörperung ha­ ben, und darüber hinaus muss diese Verkörperung mit anderen, nicht gegenläufigen Repräsentanten so Zusammenarbeiten, wie es ihrem mutmaßlichen Gehalt angemessen ist. Dennoch gibt es vielleicht noch eine andere Möglichkeit, weshalb es solchen mutmaßlichen dispositionsbezogenen Repräsentanten all­ gemeiner Information nicht gelingt, hinreichend explizit zu sein. In vertrauteren Fällen können allgemeine Repräsentationen so miteinan­ der kombiniert werden, dass sie neue allgemeine Repräsentationen liefern. Wir können »Täler enthalten Teiche« und »Teiche enthalten Wasser« nehmen, um daraus »Täler enthalten Wasser« zu bilden. Bei einfachen Lebewesen gibt es nichts, das so etwas gestatten würde. Ihre Verhaltensdispositionen mögen allgemeine Informationen ver­ körpern, doch sie verfügen über kein System, das diese einzelnen Teile allgemeiner Information verarbeitet und neue allgemeine Informatio­ nen hervorbringt. Wie im letzten Absatz dargestellt, interagieren diese 258

dispositionsbezogenen Repräsentanten höchstens mit einzelnen Infor­ mationen (»Hier ist ein Teich«) und Trieben (»Wasser wird benötigt«), um - wie im bekannten praktischen Syllogismus - bestimmte Verhal­ tensweisen hervorzubringen. Um den Punkt zu veranschaulichen, kann man sich ein einfaches Lebewesen vorstellen, das in einer Verhaltensdisposition implizit über eine Information der Art Diesen Baum schütteln bringt Früchte ver­ fügt und in einer anderen implizit über eine Information wie Werfen von Gegenständen in der Größe von Äpfeln vertreibt Bären. Handelt es sich um ein einfaches Lebewesen, wird es keine Möglichkeit finden, diese beiden so zusammenzufügen, dass es auf die kluge Idee verfällt: Wenn ein B är in der Nähe umherschleicht und gerade keine Wurf­ geschosse zur H and sind, kann man einen Baum schütteln. Natürlich kann diese Information selbst in einer Disposition verkörpert werden, wenn die natürliche Selektion oder das Lernen eine spezifische Dis­ position dafür eingibt, Bäume zu schütteln und die dabei herabfallen­ den Früchte zu werfen, wenn Bären in der Nähe sind. Doch der allge­ meine Punkt trifft immer noch zu: Während der Organismus implizit über unterschiedliche Stückchen allgemeiner Information in seinen verschiedenen Verhaltensdispositionen verfügt, hat er jedoch noch im­ mer kein System, diese zu kombinieren und zu gebrauchen, um da­ raus den Wert von Verhaltensweisen abzuleiten, die nicht schon durch seine kognitive Architektur gesteuert werden. Dies stellt eine außerordentlich bedeutsame Einschränkung dar. Denn das heißt, dass einfache Lebewesen niemals dazu imstande sein werden, Verhaltensweisen auszuführen, die sie oder ihre Vorfah­ ren nicht bereits erfolgreich in der Vergangenheit ausgeführt haben. Es handelt sich dabei um Verhaltensweisen, die entweder im Verlaufe der individuellen Ontogenese durch psychische Belohnung verstärkt oder aufgrund ihres Reproduktionserfolgs in der Phylogenese der Vor­ fahren selektiert worden sind. Die einzigen Teile allgemeiner Infor­ mation, die in die praktischen Syllogismen einfacher Lebewesen eingehen können, haben sozusagen die Form: »Bei B und T, V führt zu R.« Dabei ist V ein zuvor schon ausgeführtes Verhalten (in B und T) und R das Resultat, dessen Erfolg in der Vergangenheit ontogenetisch oder phylogenetisch zur gegenwärtigen Disposition, V zu tun (ge­ geben B und T), geführt hat. Es gibt für sie keine Möglichkeit, aus an­ deren Einzelteilen allgemeiner Information abzuleiten, dass ein V zu einem R in B und T führen wird und dementsprechend zu handeln. 259

Sie sind darauf beschränkt, nach Verknüpfungen der Form »B & T, V —» R« zu handeln, die sie oder ihre Vorfahren selbst ausgeführt ha­ ben. Lassen Sie mich nun festhalten: Das Zweck-Mittel-Denken erfor­ dert die explizite Repräsentation allgemeiner Information in dem spe­ zifischen Sinn, dass diese Inform ation so verarbeitet werden kann., dass sie neue Einzelteile allgem einer Inform ation liefert. Ob nun die Verhal­ tensdispositionen einfacher Lebewesen einen expliziten allgemeinen Gehalt in einem anderen Sinn tragen oder nicht, sie befriedigen dieses Erfordernis nicht, denn einfache Lebewesen können ihre Verhaltens­ dispositionen nicht so kombinieren, dass sie neue Dispositionen er­ zeugen können. Deswegen können einfache Lebewesen keine neuar­ tigen Handlungen ausführen. Tatsächlich habe ich nun das ZweckMittel-Denken als die Fähigkeit definiert, neuartige Handlungen aus­ zuführen. (Der hier erforderliche Begriff der Neuartigkeit verdient weitere Diskussion. Ich werde in Abschnitt 4.1 darauf zurückkom­ men.) Ausgehend von dieser Definition befinden wir uns jetzt endlich in der Lage, die Bedeutung des Zweck-Mittel-Denkens für die Evo­ lution höherer Kognition betrachten zu können. Damit wir dieses Thema genau in den Blick nehmen können, möchte ich die starke Hypothese aufstellen, dass das Zweck-Mittel-Denken im soeben fest­ gelegten Sinn eine biologische Anpassung ist, die menschlichen We­ sen eigentümlich ist. Dieser Aufsatz wird sicher keine durchschla­ gende Verteidigung dieser Hypothese leisten können, und tatsächlich werden sich im weiteren Verlauf mehrere Modifikationen als not­ wendig erweisen. Dennoch wird sie einen nützlichen Aufhänger für die Diskussion abgeben. Im Rest dieses Aufsatzes werde ich zwei Einwände gegen die Be­ hauptung, das Zweck-Mittel-Denken sei eine fiir menschliche Wesen eigentümliche biologische Anpassung, ins Auge fassen. Erstens gibt es diejenigen, die denken, dass das Zweck-Mittel-Den­ ken zu einfach und deshalb im Tierreich weit verbreitet sei. Dagegen werde ich im nächsten Abschnitt argumentieren, dass nicht-mensch­ liche Lebewesen auf viele verschiedene Arten und Weisen gewitzt und raffiniert sind; aber es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, sie des Zweck-Mittel-Denkens im Besonderen für fähig zu halten. Zweitens gibt es diejenigen, die denken, dass das Zweck-MittelDenken zu schwierig und deshalb kein wesentlicher Bestandteil un­ 260

seres evolutionären Erbes sei. In dieser Sichtweise sind keine der menschlichen Eigenschaften deswegen biologisch selektiert worden, w eil sie das Zweck-Mittel-Denken gefördert haben. Eher handelt es sich beim Zweck-Mittel-Denken einfach um eine nicht-biologische Spandrille;8 sie ist aus anderen spezifischen Fähigkeiten hervorge­ gangen, die die Evolution den Menschen vererbt hat. Dagegen werde ich im übernächsten Abschnitt argumentieren, dass Standarderklä­ rungen dieser Form nicht funktionieren und dass es jedenfalls allge­ meine Gründe dafür gibt, weshalb das Gewicht des Zweck-MittelDenkens nicht von einer Spandrille getragen werden kann.

4. Nicht-menschliches Raffinement Ich vermute, dass viele Leser und Leserinnen, die die kognitive Re­ volution in der Psychologie durchlebt haben, im Verlauf der Analyse der beiden vorhergegangenen Abschnitte zunehmend ungeduldiger geworden sind. Wissen wir denn heute nicht, dass die meisten Tiere viel zu raffiniert, viel zu verfeinert sind, um in den Begrifflichkeiten von simplen Verknüpfungen zwischen stimulierenden Bs, antreiben­ den Ts und reaktiven Vs verstanden zu werden? A u f diese Weise ver­ suchten die Ur-Behavioristen und ihre verschiedenen neo-behavio8 Vgl. S. J. Gould und R. C. Lewontin, »The Spandrels o f San Marco and the Panglossian Paradigm. A Critique o f the Adaptationist Programme«, Proceedings ofthe Royal Society o f London 205 (1979), S. 581-598. [A. d.Ü: >Spandrille< ist ursprünglich ein Begriff aus der Architektur. Dort ist eine Spandrille ein meist auf einer Spitze stehen­ des Zierdreieck (ein Zwickel) zwischen einem (Fenster-) Bogen und dessen recht­ winkliger Einfassung. Gould und Lewontin haben diesen Begriff metaphorisch auf die Evolutionstheorie angewendet. Wie es in der Bogenarchitektur nicht-funktio­ nale Elemente (beispielsweise eben Spandrillen) als Nebenprodukt architektonisch funktionaler Elemente (beispielsweise der Bogen) gibt, kann es im evolutionären Bauplan von Organismen nicht-funktionale Elemente geben, die keine unmittelba­ ren, adaptiven Funktionen haben und somit gleichfalls Nebenprodukte darstellen. Dass es sich dabei um Nebenprodukte handelt, heißt jedoch keineswegs, dass sie als solche nicht eine wichtige Funktion übernehmen können. Es handelt sich dann aber nicht mehr um eine adaptive, biologische Funktion. Gould und Lewontin rich­ ten diese Überlegungen gegen den Adaptionismus, der jedes Merkmal eines Organis­ mus als adaptiv-funktional betrachtet: Ein Merkmal existiert, weil es diese und jene Funktion erfüllt. Diese unter Evolutionstheoretikern verbreitete Haltung wird von Gould und Lewontin als >Panglossianismus< bezeichnet. Vgl. dazu in diesem Band die A. d. Ü. im Text von Dennett, S. 395.]

ristischen Nachfolger Tiere zu verstehen. Aber sicher begreifen wir heutzutage (so der Gedankengang), dass Tiere sehr viel komplizierter sind. Tiere sind mit einer großen Anzahl kognitiver Vorrichtungen ge­ segnet, die sie dazu befähigen, mit ihrer Umwelt zurechtzukommen, indem sie raffinierte Reaktionen auf die jeweiligen Umstände in Echt­ zeit zustande bringen. Daraus ergibt sich, dass Tiere eine große An­ zahl von Verhaltensweisen in ihrem Repertoire haben, die sich ganz offensichtlich nicht auf behavioristischer Grundlage erklären lassen und die ganz klar Grade der Verhaltenskontrolle zeigen, die für die im letzten Abschnitt diskutierten simplen Geschöpfe unerreichbar sind. Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nichts in meiner bisherigen Analyse mich auf einen Behaviorismus gegenüber einfachen Lebe­ wesen festlegt. Ich habe die Sache wohl in Ausdrücken von Bs, Ts und Vs schematisiert, doch das allein überführt mich kaum des Den­ kens in behavioristischen Kategorien. Schon ein kurzes Nachden­ ken wird in der Tat deutlich machen, dass es eine Reihe von Wegen gibt, auf denen meine einfachen Lebewesen die behavioristischen Ein­ schränkungen hinter sich lassen können. Der Behaviorismus ist der Ansicht, dass die Tiere alle Handlungs­ dispositionen (alle »B, T -> V«-Verknüpfungen) durch allgemeine Lernmechanismen aufnehmen, die im Bereich von WahrnehmungsInputs und Verhaltens-Outputs operieren. Nichts in meiner Analyse einfacher Lebewesen legt mich auf eine derartige Pauschalansicht hinsichtlich der Quellen von Input-Output-Verknüpfungen fest. Es trifft zu, dass ich auf Ebene 4 die Möglichkeit des Lernens durch instrumenteile Konditionierung zugelassen habe. Aber das bedeutet nicht, dass einfache Tiere nicht auch strukturierte, »fest verdrah­ tete« Input-Output-Verknüpfungen haben können, die nicht von Lernprozessen herrühren. Schließlich müssen Input-Output-Ver­ knüpfungen bei Lebewesen unterhalb der Ebene 4 »fest verdrahtet« sein; und selbst auf Ebene 4 können neben erlernten auch »fest ver­ drahtete« Verknüpfungen existieren. Darüber hinaus impliziert nichts von dem, was ich über einfache Lebewesen gesagt habe, dass instrumentelles Lernen auf Ebene 4 von »gehaltfreien« Mechanismen herrühren muss, die gleichermaßen für die Verknüpfung aller mög­ lichen Wahrnehmungs-Inputs mit allen möglichen Verhaltens-Out­ puts zuständig sind. Instrumentelles Lernen kann stark beschränkt sein, mit einem nur eingeschränkten Spielraum von Input-Output262

Kanälen, die der Formung durch individuelle Erfahrung zugänglich sind. Ähnliches trifft auf die Inputs und Outputs selbst zu. Der Behavio­ rismus geht von minimal strukturierten Räumen sinnlicher Qualitä­ ten als Inputs und von Verhaltensatomen als Outputs aus. Doch nichts legt mich auf dieses streng empiristische Bild der Dinge fest. Es trifft zu, dass ich im zweiten Abschnitt von einer gewissen Unter­ scheidung zwischen Wahrnehmungs-Inputs und Verhaltens-Out­ puts ausgegangen bin (und ich werde mich zu dieser Unterscheidung in Abschnitt 4.1 äußern). Doch darüber hinaus habe ich nichts ge­ sagt, das implizieren würde, dass Inputs und Outputs einfach oder unstrukturiert sein müssen. Damit habe ich offen gelassen, ob einfa­ che Lebewesen vielleicht hoch strukturierte, fest verdrahtete InputVorrichtungen (Wahrnehmungs-»Module«, wenn man so will) und stark strukturierte, fest verdrahtete Output-Vorrichtungen (Verhaltens-»Module«) haben.9 Um es zu wiederholen: Nichts in meiner Analyse legt mich auf einen Behaviorismus gegenüber einfachen Lebewesen fest. Diese Klar­ stellung wird nun aber bei einem eingeschworenen Kognitivisten wahrscheinlich die entgegengesetzte Reaktion hervorrufen: »In Ord­ nung - ich verstehe: Wenn Sie davon sprechen, dass nicht-mensch­ liche Lebewesen >einfach< sind, meinen Sie nicht, dass sie behavioristische Einfaltspinsel sind. Sie geben zu, dass sowohl deren Inputund Output-Module als auch die Verknüpfungen dazwischen stark strukturiert sein können. Doch warum bei diesem Zugeständnis stehen bleiben? Warum den Tieren nicht ebenso das Zweck-MittelDenken zugestehen? Wenn Sie zugestehen, dass sie die mentalen Res­ sourcen für eine raffinierte Analyse sensorischer Reize und für eine verfeinerte Verhaltenskontrolle haben, warum daran zweifeln, dass 9 Wenn ich im Folgenden von >Modulen< spreche, dann lediglich als stilistische Varian­ te für >Mechanismus< oder >SystemModuls< ein theoretischer Wirrwarr. Fodor hat ursprünglich eine Reihe notwendiger Bedingungen für Modularität festgelegt, aber er hat uns nicht gesagt, wie wir die vielen interessanten Typen kognitiver Mechanismen nennen sollen, die einige dieser Kriterien erfüllen, andere aber nicht. Darüber hinaus hat sich he­ rausgestellt, dass einige dieser Kriterien selbst eine Anzahl verschiedenartiger und unvereinbarer Anforderungen mit sich bringen: »fest verdrahtet« [hard-wired], »be­ reichsspezifisch« [domain-specific] und »bezüglich der Information abgeschlossen« [informationally encapsulated], haben sich unter diesem Aspekt als besonders pro­ blematisch erwiesen.

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sie nicht auch die besten Mittel für ihre Zwecke »ausknobeln« kön­ nen? Denn schließlich liegt es auf der Hand, dass viele der spezialisier­ ten Wahrnehmungs- und Verhaltenssysteme bei Tieren - wie etwa Ge­ sichtswahrnehmung oder Orientierung — komplexer Berechnungen bei der Repräsentationsverarbeitung bedürfen. Da es sich dabei offen­ bar genau um jene Verarbeitungsprozesse handelt, die für das ZweckMittel-Denken erforderlich sind, wäre es —gelinde gesagt —erstaun­ lich, wenn die Evolution diese Verarbeitungsprozesse bei Tieren nicht in den Dienst des Zweck-Mittel-Denkens gestellt hätte. Hat man es erst einmal, ist das Zweck-Mittel-Denken offenbar ein sehr wirkungs­ volles Werkzeug der Anpassung. Wenn die Materialien für einen sol­ chen Zweck-Mittel-Denker sozusagen zur Hand sind, dann kön­ nen wir mit Sicherheit erwarten, dass die Evolution sich ihrer just zu diesem Zweck bedient hat.« Dieser Gedankengang ist jedoch alles andere als überzeugend. Die Evolution führt nur solche Merkmale herbei, die einen selektiven Vor­ teil bereit stellen; und es ist nicht unmittelbar ersichtlich, welcher selektive Vorteil den meisten Tieren aus einem dem Zweck-MittelDenken gewidmeten Berechnungsprozessor - einer Art »TheoremBestätiger« - erwachsen sollte. Man beachte in diesem Zusammenhang, dass einfache Lebewesen, wie ich sie mir denke, trotz fehlendem Zweck-Mittel-Denken mit Sicherheit über eine breite Palette an raffinierten Verhaltensweisen verfügen. Nichts hindert diese Geschöpfe daran, für die vertracktes­ ten Merkmale ihrer Umwelt empfänglich zu sein und unter der An­ leitung der dabei gewonnenen Informationen äußerst komplexen Routinen nachzugehen. Ihre kognitiven Mechanismen können so­ wohl in ihren Input- und Output-Modulen als auch in den dazwi­ schen liegenden Verknüpfungen hoch strukturiert sein. Alles, was ihnen fehlt, ist ein System mit dem Zweck, einzelne Teile allgemeiner Information zusammenzusetzen, um daraus weitere allgemeine Fol­ gerungen zu ziehen. Es lohnt sich vielleicht zu betonen, dass Input- und Output-Sys­ teme, wie ich sie mir vorstelle, tatsächlich sehr komplex sein können. Ein von mir bislang noch nicht explizit formulierter Gedanke besteht darin, dass das Lernen sowohl innerhalb als auch zwischen periphe­ ren Wahrnehmungssystemen stattfinden kann. Somit kann es Wahr­ nehmungssysteme mit der während der individuellen Entwicklung erworbenen Fähigkeit geben, Tiere oder Pflanzen, Autos oder Flug­ 264

zeuge, individuelle Gesichter oder Gangarten, musikalische Kompo­ sitionen oder das Fehlen einer Bauernfront im Abwehrzentrum zu erkennen. Desgleichen kann es Verhaltenssysteme geben, die sich die Fähigkeit aneignen, eine Vorhand zu spielen, mit Zehn zu multi­ plizieren, belegte Brötchen zu schmieren, zur Arbeit zu fahren oder sich zu entschuldigen. Weitere Komplexitätsgrade sind möglich. A u f der Seite des Inputs könnten einige Wahrnehmungssysteme Informationen von anderen empfangen; andere könnten ihre Funde in Erinnerungsspeichern ablegen. Das würde einer Information über bestimmte Umstände auch über eine zeitliche Distanz hinweg erlauben, Flandlungen zu lenken. A u f der Seite des Outputs könnte die Ausübung von Ver­ haltensroutinen durch Informationsressourcen, die aus speziellen In­ formationskanälen stammen, in Echtzeit gelenkt werden. Darüber hinaus könnten Verhaltensroutinen miteinander verschränkt werden, wobei kompliziertere aus einfachen Modulen entstünden. Alle diese Raffinements bei einfachen Tieren untergraben den Ge­ danken, dass es bereits seit dem Frühstadium der evolutionären Ge­ schichte von einfachen Tieren einen starken Selektionsdruck zuguns­ ten des Zweck-Mittel-Denkens gegeben haben muss. Warum sollten sich einfache Tiere dem selektiven Nachteil der Konstruktion eines kostspieligen »Theorem-Bestätigers« ausgesetzt haben, wenn sie be­ reits dazu imstande waren, auf intelligente Art und Weise mit allen möglichen Umständen, die ihnen in ihren Umwelten begegneten, zu­ rechtzukommen ? An dieser Stelle kann leicht ein neuer Vorbehalt gegenüber meiner Argumentation entstehen. Wenn ich all das in die einfachen Lebe­ wesen hineinpacke, besteht dann nicht die Gefahr, dass schon die einfachen Lebewesen das Zweck-Mittel-Denken in dem von mir de­ finierten Sinn praktizieren? Sie werden wohl kaum einen abschließen­ den »Theorem-Bestätiger« —eine spezifische Vorrichtung, die satzarti­ ge Prämissen aufnimmt und aus ihnen mittels einer mechanischen Umsetzung des Prädikatenkalküls entsprechende Schlussfolgerungen ableitet - in ihrem K opf herumtragen. Aber wenn man von dem Maß an kognitiver Struktur ausgeht, das ich ihnen zugestehe: würden sie meine Anforderungen an das Zweck-Mittel-Denken nicht in jedem Fall und auch ohne eine solche Vorrichtung erfüllen? Im Rest dieses Abschnitts werde ich fünf verschiedene Möglich­ keiten betrachten, diese Herausforderung auszuformulieren, indem

ich verschiedene Arten kognitiven Raffinements untersuche, die sich bei nicht-menschlicheti Lebewesen zweifellos finden. Ich sollte be­ reits an dieser Stelle zugeben, dass einige dieser Erwägungen zu signi­ fikanten Modifikationen meiner starken Hypothese über die nicht­ menschliche Einfachheit führen werden. Doch selbst wenn die mir verbleibende Position nicht exakt jener ursprünglich vorgebrachten starken Hypothese entspricht, so läuft sie immer noch auf eine sub­ stantielle Behauptung über die charakteristischen Fähigkeiten hinaus, die Menschen zur Wahl ihrer Handlungen gebrauchen. 4.1 Modulare Kombinationen Der erste Gedanke, den ich in Erwägung ziehen möchte, ist folgender: Die kombinierten Operationen von unterschiedlichen Elementen in einfachen kognitiven Systemen laufen von selbst auf ein Zweck-Mittel-Denken in dem von mir definierten Sinn hinaus. Das trifft insbe­ sondere dann zu, wenn Input-Systeme (oder Output-Systeme) mit Input-Output-Verknüpfungen kombiniert werden, um ein Verhalten zu erzeugen. Man erinnere sich, dass ich in Abschnitt 3 zugestanden habe, dass es richtig sein kann, Verhaltensdispositionen als Verkörperungen allge­ meiner Informationen zu betrachten. Wenn ein durstiges Tier dazu disponiert ist, aus Teichen zu trinken, weil dies in seiner individuellen Vergangenheit oder in der Vergangenheit seiner Vorfahren zur Was­ seraufnahme geführt hat, dann habe ich mich damit einverstanden erklärt, dass diese Disposition zu Recht so betrachtet werden kann, dass sie die allgemeine Behauptung »Aus Teichen trinken liefert Was­ ser« repräsentiert. Nun beachte man jedoch, dass etwas Ähnliches über Dispositio­ nen innerhalb von Wahrnehmungs-Input-Modulen gesagt werden kann. Ein Beispiel: Ein Tier ist zum Urteil disponiert, dass sich ein Teich vor ihm befindet, sobald es die retinale Reizung X empfängt. Das ist ein Ergebnis der ontogenetischen oder phylogenetischen Se­ lektion: In seiner individuellen Vergangenheit oder in der seiner Vor­ fahren ergab sich genau dann ein verstärkendes Ergebnis, wenn das Tier dieses Urteil unmittelbar nach einer solchen Reizung bildete. Soll ich nun gleichfalls zugestehen, dass diese Wahrnehmungsdispositio­ nen die allgemeine Behauptung repräsentiert, dass die Reizung X ein Indikator für Teiche ist? 266

In der Tat, ich räume das gerne ein. Nun folgt jedoch anscheinend, dass ein Tier das Zweck-Mittel-Denken in meinem Sinn immer dann praktiziert, wenn zwei seiner Dispositionen eine dritte — aus ihnen abgeleitete — konstituieren: »Wenn durstig, trinke beim Empfang der Reizung X!« Denn auf der Ebene der Repräsentation läuft diese Ableitung auf die Kombination der allgemeinen Behauptungen »Rei­ zung X ist ein Indikator für Teiche« und »Aus Teichen trinken lie­ fert Wasser« hinaus, die die weitere allgemeine Behauptung erzeugt »Trinken nach der Reizung X liefert Wasser«. Man beachte insbesondere, dass ein Tier diese abgeleitete Dispo­ sition sehr wohl haben könnte, auch wenn auf die Reizung X plus Trinken in seiner individuellen Vergangenheit oder in der seiner Vor­ fahren niemals Wasser gefolgt wäre. Setzen wir voraus, dass X-Reizungen bislang den Urteilen über Teiche und dass (verschiedene) Ur­ teile über Teiche plus Trinken bislang dem Wasser vorausgegangen wären: dann hätte die vergangene Erfahrung dem Tier sozusagen die Prämissen gegeben, die zusammengenommen zur Ableitung der hinsichtlich der Erfahrung neuartigen Schlussfolgerung führen, dass auf die Reizung X plus Trinken dann Wasser folgt. Etwas Ähnliches trifft auf Dispositionen zu, die sich innerhalb von Verhaltens-Output-Modulen entwickeln. Nehmen wir an, ein Tier hätte die Disposition, die spezifischen Bewegungen Y unter den Umständen Z auszuführen, weil diese Handlung in seiner individuel­ len Vergangenheit oder in der Vergangenheit seiner Vorfahren das Trinken aus Teichen konstituiert hat. Wie zuvor könnte diese Dis­ position so betrachtet werden, dass sie die Information verkörpert »Unter den Umständen Z konstituieren bestimmte Bewegungen Y das Trinken aus Teichen«. Nehmen wir weiter an, dass das Tier über eine Input-Output-Disposition verfügt, die, wie zuvor, die allgemeine Information »Aus Teichen trinken liefert Wasser« verkörpert. Wie­ derum würde eine Kombination dieser beiden Einzelinformationen die hinsichtlich der Erfahrung neuartige Schlussfolgerung liefern »Unter den Umständen Y werden bestimmte Bewegungen Z Wasser liefern«. Meine Antwort auf diesen Gedankengang lautet: Obwohl diese abgeleiteten Dispositionen in einem gewissen Sinn hinsichtlich der Erfahrung neuartig sein können, verbleibt dennoch ein anderer Sinn von >NeuartigkeitTeiche< klassifiziert, wenn es Informationen an andere kognitive Systeme sen­ det. A u f dieser Ebene also, der Ebene der Wahrnehmungsklassifikationen des Tieres, gibt es - ausgehend von Erfahrungen mit vorhergeh­ enden, wasserliefernden Teichen —nichts Neues an der Tatsache, dass ein weiterer Teich Wasser liefert. A u f der Seite des Outputs muss eine Handlung ebenso wenig allein deswegen als neuartig betrachtet wer­ den, weil sie mit einem einzelnen unterscheidbaren Bewegungsablauf verbunden ist, bei dem es sich einfach um den einzelnen Fall eines Verhaltenstyps handelt - wenn dieser Verhaltenstyp schon zuvor als solcher durch die Kontrollmechanismen des Verhaltens ausgelöst wor­ den ist. Lassen Sie mich nun jene Neuartigkeit bestimmen, die für echtes Zweck-Mittel-Denken erforderlich ist: Es handelt sich um Neuartig­ keit relativ zur Struktur der Wahrnehmungs- und Verhaltens Systeme eines Lebewesens. Echte Neuartigkeit erfordert neue Zuordnungen innerhalb der einem Lebewesen eigenen Wahrnehmungs- und Verhal­ tenstypologie. Einige Leser und Leserinnen werden sich denken, dass dies der Ty­ pologie eines Tiers allerhand zumutet. Das wirft weitreichende Fra­ gen auf, doch im gegenwärtigen Zusammenhang möchte ich einfach feststellen, dass wir uns auf die Realität solcher Typologien bereits in einem frühen Stadium festgelegt haben. Sobald wir nämlich Lebe­ wesen der Ebene 2 erreicht haben, Lebewesen mit spezialisierten In­ formationssystemen also, haben wir ein Repertoire von Wahrneh­ mungsurteilen unterstellt (wie »Hier ist ein Teich«), die ihre Identität über die Interaktionen mit unterschiedlichen Trieben und Verhal­ tensweisen hinweg beibehalten. Und mit den »Lernern« der Ebene 4, wenn nicht schon vorher, haben wir ein Repertoire von Reaktionen unterstellt (wie »nähere dich«, »weiche zurück«, »iss«, »trink«), die ihre Identität - über den Anstoß durch unterschiedliche Triebe und Wahr­ nehmungen hinweg — beibehalten. In Anbetracht dessen, dass ich diese Klassifikationen früh eingeführt und darüber hinaus die M o­ tive dafür skizziert habe, ist es kein besonderes zFA/wc-Manöver, sie nun für die Charakterisierung der »Neuartigkeit« des Verhaltens zu gebrauchen. 268

4. ii In Stellung gehen R. Millikan hat im Anschluss an R. Gallistel aufgezeigt,10 inwiefern Reaktionen auf Bedingungen adaptiv sein können - nicht etwa weil sie direkt zu vorteilhaften Resultaten führen, sondern weil sie ein Le­ bewesen wahrscheinlich mit weiteren Bedingungen konfrontieren, die dann eine Reaktion hervorrufen, die zu einem vorteilhaften Re­ sultat führt (oder zu einer weiteren Bedingung, die dann eine Reak­ tion hervorruft, die das Lebewesen wahrscheinlich mit einer weiteren Bedingung konfrontiert,. . . die schließlich eine Reaktion hervorrufen wird, die zu einem vorteilhaften Resultat führt). Wenn beispielsweise ein Vogel hungrig ist, wird er zum Fliegen getrieben und dann, wenn er einen Obstbaum sieht, wird er getrieben, sich ihm zu nähern, und dann, wenn er Obst sieht, getrieben, danach zu picken. A u f den ersten Blick sieht dies wie das Zweck-Mittel-Denken mei­ ner Definition aus. Wenn der Vogel losfliegt, dann liegt der Sinn die­ ser Handlung darin, als Mittel zu fungieren, um einen Obstbaum zu sehen und sich ihm zu nähern, was wiederum ein Mittel dafür ist, Obst zu finden und zu fressen, was ein Mittel dafür ist, an Nahrung zu gelangen. Dennoch handelt es sich hier nicht um einen wirklichen Fall von Zweck-Mittel-Denken in meinem Sinn. Denn eine derartig allge­ meine Tatsache, dass jener Vogelflug ein Mittel dafür ist, Obstbäume zu finden, muss nirgends im Vogel repräsentiert werden. Nicht einmal in jenem großzügigen Sinn, in dem, wie ich zugestanden habe, solche Informationen durch Verhaltensdispositionen repräsentiert sein kön­ nen. Um dies zu verstehen, braucht man nur Folgendes zu beachten: Nach dem bislang Gesagten kann das Resultat, das dem Tier die Dis­ position beigebracht hat, bei Hunger zu fliegen, nur darin bestehen, dass Fliegen in der Vergangenheit zu N ahrung geführt hat.11 In die10 Für R. Millikan vgl. »Some Different Ways to Think«, op. cit.; R. Gallistel, The Organisation ofBehavior, Hillside: Earlbaum 1980. 1 1 Etwas anderes wäre es, wenn der Vogel in der Lage wäre, einen Wunsch nach rele­ vanten Mitteln, wie etwa dem Finden von Obstbäumen, zu erwerben, denn dann könnte ein Annäherungsverhalten wie das Fliegen durch das Erreichen dieses Wun­ sches verstärkt werden, und nicht allein durch das Zur-Nahrung-Führen. Ich bin außerstande, mich in diesem Aufsatz abschließend mit dem Erwerb von Wünschen auseinander zu setzen. Dennoch werde ich im Abschnitt 4 .V einige Bemerkungen dazu machen.

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sem Fall sollte diese Disposition nicht als etwas betrachtet werden, das etwas anderes repräsentieren würde, als dass Fliegen bei Hunger zu Nahrung fuhrt. Insbesondere wird damit nicht repräsentiert, dass Fliegen zum Finden von Bäumen und dies wiederum zum Finden von Obst führt. Es stimmt: Nur kraft der zusätzlichen Tatsachen in Bezug auf diese Mittel trifft es zu, dass Fliegen zu Nahrung führt. Wenn aber das Ziel des Fliegens, wie es durch die phylogenetische oder ontogenetische Geschichte festgelegt worden ist, eher in der Nahrungssuche liegt als in diesen intermediären Mitteln, dann gibt es keinen Grund dafür, die Disposition so zu betrachten, als würde sie irgendetwas über diese Mittel repräsentieren. (Das wäre so, als würde man meine Überzeugung, dass Aspirin gegen Kopfschmerzen hilft, als eine Repräsentation der Fakten chemischer Hirnreaktionen betrachten, obwohl ich davon so gut wie nichts verstehe.) Es erscheint womöglich willkürlich, das Fliegen als etwas zu be­ trachten, das direkt auf Nahrung und nicht auf die intermediären Mittel abzielt. Man bedenke aber Folgendes: Tiere werden hungrig, wenn sie Nahrung brauchen, und die spezifische Funktion dieses Triebs besteht dementsprechend darin, ein Verhalten hervorzurufen, das zu Nahrung führt. Unter dieser Voraussetzung hängt die phylo­ genetische oder ontogenetische Selektion des Fliegens bei Hunger wesentlich davon ab, ob Fliegen zu Nahrung führt, und nicht, ob es zu anderen Resultaten führt. (Schließlich wäre das Fliegen nicht se­ lektiert worden, wenn es zu Obstbäumen, nicht aber zu Nahrung ge­ führt hätte; doch es wäre selektiert worden, hätte es zu Nahrung, wenn auch nicht auf dem Weg über Obstbäume, geführt.) Es mag eine Schwierigkeit in der Annahme liegen, dass ein Verhal­ ten (wie das Fliegen) durch einen Gewinn (Nahrung) selektiert wer­ den kann, von dem es durch eine lange Kette intermediärer Mittel ge­ trennt ist. Aber man beachte nur, wie sich solche Verhaltensweisen durch Zuwachs entwickeln können. Wenn hungrige Vögel beim An­ blick von Obst erst einmal zum Fressen disponiert sind, wird für hung­ rige Vögel der Selektionsdruck geschaffen, sich zu nähern, sobald sie Obstbäume sehen. Und wenn sie erst einmal dazu disponiert sind, dann wird dies wiederum den Selektionsdruck schaffen, bei Hunger zu fliegen. Durch genetische Selektion zwischen den Generationen funktioniert ein solcher Prozess vielleicht besser als durch ontogenetisches Lernen. Denn ein ontogenetischer Lernmechanismus muss das Verhalten irgendwie mit dem weit entfernten Gewinn verbinden. 270

Wenn die zeitliche Verzögerung zu groß ist, dürfte sich dies als schwie­ rig erweisen. Im Gegensatz dazu ist dies unter dem Gesichtspunkt der genetischen Selektion kein Problem: Das Verhalten wird selektiert, solange Überleben und Fortpflanzung durch die Verbindung dieses Verhaltens mit dem Gewinn zuverlässig beeinflusst wird - wie groß die zeitliche Verzögerung auch sein mag. 4. m Intramodulares Zweck-Mittel-Denken Bislang habe ich angenommen, dass das Zweck-Mittel-Denken wenn es denn irgendwo gefunden werden soll —irgendwie zwischen Wahrnehmungs-Inputs und Verhaltens-Outputs vermittelt (oder viel­ leicht, wie in 4.1 angedeutet, der Interaktion zwischen peripheren M o­ dulen und Input-Output-Verknüpfungen entspringt). Doch wie steht es mit der Möglichkeit, dass das Zweck-Mittel-Denken innerhalb von peripheren Modulen angetroffen werden könnte, insbesondere inner­ halb von verhaltensgenerierenden Systemen? Man betrachte zum Beispiel die besondere Orientierungsfähigkeit, die vielen Tieren gemeinsam ist. Sie befähigt sie dazu, den Nachhause­ weg oder den Rückweg zu vorher aufgestöberter Nahrung zu finden, auch wenn diese Ziele versteckt oder weit entfernt sind. Es ist denk­ bar, dass einige Tiere das können, weil sie gegebene Einzelteile allge­ meiner (kausaler, konditionaler) Information zu neuen allgemeinen Schlussfolgerungen kombinieren. Sie könnten beispielsweise mit den Informationen anfangen »Wenn ich von hier aus westwärts gehe, komme ich nach A« und »Wenn ich von A aus nordwärts gehe, komme ich zum Futter« und daraus ableiten: »Wenn ich westwärts bis nach A und dann nordwärts gehe, komme ich an das Futter«. D arauf könnte ich hier zwei mögliche Antworten geben. Einerseits kann ich auf den Gedankengang in 4.1 zurückgreifen, um solche intramodularen Inferenzen aus der Klasse des Zweck-Mittel-Denkens auszuschließen. Man erinnere sich, dass ich dort das Zweck-Mit­ tel-Denken so bestimmt habe, dass es neuartige Input-Output-Ver­ knüpfungen relativ zur Verhaltenstypologie eines Tieres nach sich zieht. Ausgehend davon kann das Ausdenken neuartiger »Nachhause­ wege« nicht zum Zweck-Mittel-Denken gezählt werden, wenn »Nach­ hausegehen« die Funktion einer einfachen Verhaltenseinheit ausübt relativ zur Struktur des Motivations- und Lernsystems eines Tiers. (So könnten unterschiedliche Triebe unter unterschiedlichen Um­ 271

ständen jeweils die Routine des »Nachhausegehens« in Gang setzen; das »Nachhausegehen« wiederum könnte eine Reaktion sein, die als solche durch instrumentelles Lernen verstärkt oder gelöscht werden kann.) Dieser ausschließende Gedankengang wird durch Folgendes gestützt: Im Vergleich zum Zweck-M ittel-Denken ausgewachsener Menschen, das mit so ziemlich jeder Art von Information arbeiten kann, sind intramodulare, inferentielle Mechanismen wahrschein­ lich stark gehaltspezifisch. Ein Orientierungssystem beispielsweise beschäftigt sich nur mit räumlichen Informationen und wählt nur räumliche Pfade als Mittel aus. Selbst wenn wir aber andererseits annehmen, dass Routinen wie das Nachhausegehen tatsächlich als primitive Verhaltenseinheiten bei nicht-menschlichen Lebewesen funktionieren (und weiterhin die Möglichkeit besteht, dass empirische Daten zeigen könnten, dass dem nicht so ist), ist das anscheinend eine ziemlich armselige Grund­ lage, um den Tieren das Zweck-Mittel-Denken abzusprechen. Wenn Tiere verschiedene Stücke allgemeiner Information innerhalb der Sys­ teme zusammenfügen, die ihre Verhaltensroutinen lenken, und da­ durch herausfinden, was zu tun ist, dann ähnelt dies doch sicher jener Verhaltensflexibilität, mit der ich mich in diesem Aufsatz befasse. Schließlich sind solche Tiere fähig, bestimmte Verhaltensweisen zu extrapolieren, die sich in der Vergangenheit als vorteilhaft erwiesen haben, und zwar indem sie separate Stücke allgemeiner Information zu Inferenzen kombinieren. Warum sollte man das herunterspielen, nur weil es als Vorgang innerhalb von »Modulen« betrachtet wer­ den kann und nicht zwischen ihnen? Und warum sollte es wiederum wichtig sein, dass diese Inferenzen nur hinsichtlich spezifischer Ge­ genstände funktionieren? Es ist ja nicht so, dass wir allen Ernstes hät­ ten erwarten können, dass nicht-menschliche Tiere über denselben weiten Bereich hinweg Inferenzen bilden wie Menschen. Ich möchte davon absehen, diese wesentlich klassifikatorische Frage weiterzuverfolgen. Im Rest dieses Aufsatzes werde ich damit fortfahren, mich auf das Zweck-Mittel-Denken zu konzentrieren, das allgemein zwischen Input- und Output-Systemen vermittelt und dementsprechend keine eingebauten Beschränkungen hinsichtlich der Arten des zu bewältigenden Gehalts kennt. Doch indem ich das tue, möchte ich nicht suggerieren, dass es unwichtig ist, ähnliche in­ ferentielle Fähigkeiten innerhalb von Verhaltensmodulen lokalisieren zu können. Auch wenn der Schwerpunkt meines Aufsatzes woanders 272

liegt, ist dies eine wirklich bedeutsame und eigenständige Frage zur Kognition bei Tieren. Bevor wir diese Sache hinter uns lassen, möchte ich mich kurz über die substantielle Frage auslassen, ob die Raumorientierung von Le­ bewesen tatsächlich ein gehaltspezifisches, intramodulares ZweckMittel-Denken involviert. Das ist keine ganz einfache Frage. Es ist unbestritten, dass zahlreiche Tiere —darunter Vögel und Insekten nicht-egozentrische, räumliche Karten ihrer Umwelten und der Ziel­ objekte ihres Verhaltens anlegen. Sie können sich selbst mithilfe von Orientierungspunkten auf solchen Karten verorten und sich orien­ tieren. Gleichwohl läuft das nicht notwendigerweise auf ein ZweckMittel-Denken hinaus, wie ich es verstehe. Das hängt davon ab, wie sie diese Karten bei der Erzeugung von Verhalten gebrauchen. Vielleicht fuhrt ihr Gehirn einfach etwas aus, das dem Ziehen ei­ ner geraden Linie von ihrer momentanen Position zu ihrem Ziel­ objekt entspricht (vielleicht wiederholen sie bei der Annäherung an ihr Zielobjekt diese Strategie, insbesondere nach Umwegen zur Um­ gehung von Hindernissen). Das läuft keinesfalls auf so etwas wie ein Zweck-Mittel-Denken hinaus, so wie ich es verstehe. Anders wäre es freilich bei Lebewesen, die etwas Vergleichbares mithilfe der Kognition ausführen: Sie verzeichnen einen kontinuier­ lichen, alle Hindernisse vermeidenden Weg von ihrer Ausgangsposi­ tion hin zu ihrem Zielobjekt und nehmen sich dann vor, diesem Weg zu folgen. Das scheint nun deutlich als Zweck-Mittel-Denken in meinem Sinn gelten zu können. Denn es entspräche der oben skiz­ zierten Art und Weise, separate Einzelteile kausaler Information zu kombinieren: »Wenn ich westwärts bis nach A und dann nordwärts gehe, werde ich zum Futter gelangen.« 4. iv Klassische Konditionierung Bislang ist die instrumentelle Konditionierung der einzige von mir in Betracht gezogene Lerntyp gewesen. Darin wird die Disposition, eine Reaktion V bei B und T auszuführen, verstärkt, und zwar durch das Erreichen eines verstärkenden Resultats in der Vergangenheit. Es exis­ tiert jedoch noch ein weiterer Lerntyp: klassisches — oder pavlovsches - Lernen. Darin lernt ein Lebewesen, einen Reiz A mit einem Reiz B - nachdem es deren Verbindung in der Vergangenheit beob­ achtet hat - so zu verknüpfen, dass es nun auf A genauso reagiert 273

wie zuvor auf B. (Man beachte, dass die klassische Konditionierung kein Feedback durch vorhergehende »Belohnungen« enthält; erfor­ derlich ist allein, dass zuvor gleichzeitig aktivierte Wahrnehmungs»Knoten« sich nun gegenseitig aktivieren.) Hier haben wir eine weitere Kandidatin für das Zweck-Mittel-Denken. Man stelle sich ein Lebewesen vor, das ursprünglich auf B (und T) mit V reagiert und dann aufgrund der klassischen Konditionie­ rung von A mit B nun ebenso auf einen Anlass A reagiert. Ich habe mich zuvor damit einverstanden erklärt, die ursprüngliche Disposi­ tion könne so verstanden werden, dass sie die Information »V bei B (und T) verschafft R« repräsentiert (wobei R das relevante vorteil­ hafte Resultat darstellt). Unter dieser Voraussetzung ist es natürlich, wenn man die klassische Konditionierung wie folgt betrachtet: Sie verschafft die Zusatzinformation »Alle As sind Bs«, die anschließend mit der ursprünglichen Information so kombiniert wird, dass »V bei A (und T) verschafft R« erzeugt wird. Tatsächlich gibt es nichts, das die Wiederholung solcher Inferen­ zen verhindern könnte. Ein Tier könnte erlernen: »Alle As sind Bs« und dann — davon unabhängig — »Alle As sind Cs«; und als Folge könnte es dazu disponiert sein, auf die Wahrnehmung von C so zu rea­ gieren, wie es ursprünglich auf die Wahrnehmung von B reagiert hat. Es handelt sich um eine empirische Frage, wie lang solche inferentiellen Ketten in einem lebendigen Tier sind. Aber man darf an­ nehmen, dass jeder Mechanismus, der die klassische Konditionierung untermauert, solche Wiederholungen zulässt. Fälle dieser Art können nicht wie in 4.1 durch den Hinweis beiseite geschoben werden, dass sich die allgemeine Zusatzinformation innerhalb des Wahrnehmungssystems befinde. Denn die neuen Einzelteile allgemeiner Information, die mit den ursprünglichen Verhaltensdis­ positionen kombiniert werden, sind nun in Verknüpfungen zwischen den Outputs der Wahrnehmungssysteme verkörpert, und nicht in Strukturen innerhalb solcher Systeme. (Es ist zu beachten, dass die­ ser Punkt nichts mit irgendwelchen Vorgaben zur Identifizierung von »Wahrnehmungsmodulen« zu tun hat. Wie auch immer wir uns entscheiden, »Module« zu unterscheiden: Es wird ein allgemeiner, assoziativer Lernmechanismus sein, der Verknüpfungen zwischen ih­ nen herstellt.) Ich sehe keinen Grund, der dagegen spricht, dass assoziatives Ler­ nen auf diesem Weg zum Zweck-Mittel-Denken führt, wie es bis hier­ 274

her definiert worden ist. Es ist jedoch zu beachten, dass Lebewesen, die zum Zweck-Mittel-Denken in diesem spezifischen Sinne fähig sind, im Vergleich zu ausgewachsenen menschlichen Denkern kog­ nitiv dennoch äußerst eingeschränkt sind. Sie können lediglich Infe­ renzen über die Bedingungen ziehen, die eine Handlung angemessen erscheinen lassen, nicht aber über die Konsequenzen, die Handlungen haben können. Sie können allgemeine Informationen verwenden, um herauszufinden, dass A eine ebenso gute Gelegenheit für V zum Errei­ chen von R bietet wie B. Doch wenn es darauf ankommt herauszu­ finden, wozu V überhaupt gut sein soll, dann fehlen die inferentiellen Fähigkeiten gänzlich. Sie bleiben bei Informationen der Form »V wird R verschaffen« stecken, wobei V ein Stück aus ihrem Verhal­ tensrepertoire ist und R jenes Resultat, das den Lebewesen die Dispo­ sition zu V in der Vergangenheit beigebracht hat. Insbesondere haben sie keine Denkfähigkeit der Form: »Vverschafft M« und »M verschafft R« —also: »V verschafft R«. Der Punkt liegt darin: das assoziative Lernen ermöglicht den Tie­ ren herauszufinden, dass neue Bedingungen zu alten Verhaltensdispo­ sitionen passen. Doch es kann keine neuen Verhaltensdispositionen erzeugen. Wenn es auf Informationen ankommt, die - vom Verhalten aus gesehen - sozusagen kausal vorwärts gerichtet sind, dann ist die Verkörperung in Verhaltensdispositionen das einzige bislang verfüg­ bare Repräsentationsmittel. Und der einzige Mechanismus zur Aus­ bildung solcher Dispositionen ist nach wie vor die phylogenetische oder die ontogenetische Selektion eines V, das in der Vergangenheit zu R geführt hat. Bis hierher haben, wir noch keinen Weg zur Aneig­ nung von Information der Form »V führt zu R« entdeckt - mit Aus­ nahme des Weges, der direkt über eine derartige Selektion führt. Sowohl Gopnik, Glymour und Sobel als auch Millikan haben diese Einschränkung mit der Egozentrik des Kartographierens von Räu­ men verglichen.12 Eine egozentrische Karte des Raums lokalisiert Ob­ jekte allein durch ihre Relation zur eigenen Position und Orientierung des Subjekts. Wie ich im vorhergehenden Abschnitt erwähnt habe, lassen viele Tiere diese räumliche Egozentrik hinter sich und reprä­ sentieren ihre räumliche Welt objektiv durch Karten, auf denen sie 12

A. Gopnik und C. Glymour, »Causal Maps and Bayes Nets: A Cognitive and a Computational Account ofTheory-Formation«, in: The Cognitive Basis o f Science, hrsg. von P. Carruthers, S. Stich und M. Siegal, Cambridge: Cambridge University Press 2002, S. 117 -132 ; für Millikan, »Some Different Ways to Think«, op. cit. 275

selbst nur ein Punkt unter anderen sind. Gleichwohl können räumlich objektive Lebewesen immer noch kausal egozentrisch sein. Das trifft insbesondere auf die pavlovschen Lebewesen zu, mit denen wir uns momentan befassen. Trotz ihrer Befähigung zur klassischen Konditio­ nierung fehlt ihnen jeder Begriff eines objektiven »kausalen Raums«, der viele objektiv interagierende Gegenstände enthält, unter denen ihre Handlungen lediglich einen Sonderfall darstellen. Stattdessen ist ihre gesamte kausale Information notwendigerweise von egozen­ trischer Form. Ein Stück Verhalten V befindet sich auf der einen und ein verstärkendes Resultat R auf der anderen Seite. An dieser Stelle möchte ich den Einsatz für Zweck-Mittel-Denken vollen Umfangs nochmals erhöhen, um dadurch einen gewissen Grad an kausaler Nicht-Egozentrizität mit aufzunehmen. Ich fordere nun­ mehr, dass das Zweck-Mittel-Denken nicht nur des Gebrauchs von allgemeiner Information zur Ableitung neuer allgemeiner Schluss­ folgerungen bedarf, sondern insbesondere, dass es einem Lebewesen erlaubt, neue —und im Verhalten vorwärts gerichtete —kausale Tat­ sachen der Form »V führt zu R« aus anderen kausalen Tatsachen ab­ zuleiten. Von jetzt an gilt: Zweck-Mittel-Denken vollen Umfangs ver­ wendet nicht-egozentrische kausale Tatsachen, um herauszufinden, durch welche Verhaltensweisen welche neuartigen Ergebnisse hervor­ gebracht werden können. 4.V Dickinsons Ratten Jetzt, da die Sache einen klaren Fokus hat, stellt sich die Frage, ob es bei nicht-menschlichen Lebewesen direkte Hinweise auf ein nicht­ egozentrisches Gewahrsein kausaler Relationen gibt. Die wenigen Studien, die diese Frage frontal angepackt haben, le­ gen nahe, dass sogar Menschenaffen und andere Primaten eine nur sehr eingeschränkte Fähigkeit zum Erfassen objektiver, kausaler Re­ lationen haben. Während Menschenaffen den neuartigen Gebrauch von Werkzeugen sicherlich erlernen können, repräsentieren sie kau­ sale Relationen anscheinend nicht auf eine Art und Weise, dass sich ein Zweck-Mittel-Denken ausbilden könnte. Es gibt keine direkten Hinweise darauf, dass nicht-menschliche Primaten das Wissen, dass eine Mittlerursache M ein Endresultat R hervorbringt, jemals mit dem Wissen kombinieren, dass ein Verhalten V zu M führt, und dass sie diese beiden Informationsstücke zusammennehmen, um »neu­ 276

artige Wege in der Hervorbringung der Mittlerursache und somit des Endresultats zu gehen«.13 Gleichzeitig jedoch gibt es detaillierte, in der Tradition des Tierler­ nens stehende Arbeiten - insbesondere von A. Dickinson und seinen Mitarbeitern die nahe legen, dass Ratten exakt jene Art von Inferen­ zen bilden, nach denen ich suche.14 Betrachten wir folgendes Experiment (es handelt sich zwar nur um ein Experiment in einer Reihe zusammenhängender Ratten-Experimente, aber es enthält die wesentlichen Punkte): Hungrige, aber nicht durstige Ratten werden in einer Umwelt trainiert, in der sie durch das Drücken eines Hebels Futterkügelchen und durch das Ziehen einer Kette Zuckerlösung bekommen. Sowohl die Kügelchen als auch die Zuckerlösung stillen den Hunger, doch wie es sich trifft, löscht nur die Zuckerlösung den Durst. Man mache nun einige dieser Rat­ ten durstig und überlasse ihnen die Wahl, den Hebel zu drücken oder an der Kette zu ziehen. M it einer wichtigen Einschränkung, von der gleich die Rede sein wird, werden die durstigen Ratten unverzüg­ lich eine Präferenz für das Ziehen der Kette an den Tag legen. Da während des Trainings nichts getan wurde, um das Ziehen der Kette gegenüber dem Drücken des Hebels zu verstärken, stellt dieses Experiment prim a facie Gründe für die Vermutung bereit, dass die Ratten explizit die kausale Information speichern, dass das Ziehen der Kette zur Zuckerlösung führt, was sie anschließend mit der Tat­ sache kombinieren, dass die Lösung den Durst löscht, um daraus die Schlussfolgerung abzuleiten, dass das Ziehen an der Kette den Durst löschen wird. Es mag den Anschein haben, als ob das Argument ein Schlupf­ loch enthielte. Auch wenn die Ratten während der Trainingsphase nicht durstig gewesen sind: Wäre ihr ohnehin geringer »Durst-Trieb« nicht - mittels Ziehen der Kette - durch die Flüssigkeit noch weiter reduziert worden, nicht aber —mittels Drücken des Hebels —durch die Kügelchen? Wenn die Ratten über einen triebspezifischen Lern­ mechanismus verfügen würden (vgl. dazu die Diskussion der Ebene 13 M. Tomasello und J. Call, Prim ate Cognition, Oxford: Oxford University Press 1997, S. 390; vgl. auch den Rest der Kapitel 3 und 12. 14 C. Heyes und A. Dickinson, »The Intentionality o f Animal Action«, M in d and Language 5 (1990), S. 87-104; A. Dickinson und B. W. Balleine, »Causal Cognition and Goal-Directed Action«, in: The Evolution o f Cognition, hrsg. von C. Heyes und L. Huber, Cambridge (Mass.): MIT Press 2000, S. 185-204. 277

4), dann könnten sie sich auf dieser Basis eine präferentielle Disposi­ tion für das Ziehen der Kette bei Durst angeeignet haben. (Die dahin­ ter stehende Idee lautet: Gewisse Verhaltensweisen, hier das Ziehen der Kette, heften sich an gewisse Triebe, hier Durst, nicht etwa, weil sie sich in der Vergangenheit allgemein als lohnend herausgestellt hät­ ten, sondern weil sie ganz spezifisch in der Vergangenheit den Durst löschten.) Dieser Geschichte widerspricht jedoch eine andere Tatsache hinsichtlich des Experiments. Das ist der Zusatz, den ich oben erwähnt habe. Die trainierten Ratten würden die Kette nicht ziehen, auch nicht, wenn sie durstig wären, wenn man ihnen nicht zuvor die Gelegenheit geboten hätte, von der Zuckerlösung zu trinken, wenn sie durstig sind, um dabei zu entdecken, dass diese den Durst löscht. In der gerade vorgeschlagenen Geschichte müsste diese zusätzliche Erfahrung überflüssig sein, denn gemäß dieser Geschichte sollte das anfangliche Training bereits im Ziehen der Kette, wenn durstig, bestehen. Es scheint somit unbestreitbar, dass die Ratten aus ihrem Training irgendwie die Information ableiten, dass das Ziehen der Kette ganz spezifisch zur Zuckerlösung fuhrt, auch wenn fiir sie der Unterschied zwischen der Zuckerlösung und den Futterkügelchen bis dahin noch keine motivierende Bedeutung hat. Später werden die Ratten sich dann die zusätzliche Information aneignen, dass die Zuckerlösung den Durst löscht. An diesem Punkt kombinieren die Ratten beide Infbrmationsstücke und leiten daraus ab, dass das Ziehen der Kette, im Gegensatz zum Drücken des Hebels, ein Mittel zu Befriedigung des Dursts ist. Dabei eignen sie sich eine neuartige Verhaltensdisposition an, eine Disposition, die selbst nie zuvor durch die Befriedigung des Dursts verstärkt worden ist. In dieser Beschreibung hätten die Ratten ganz klar ein Vermögen zum nicht-egozentrischen kausalen Denken der von mir jetzt als voll­ gültiges Zweck-Mittel-Denken geforderten A rt.15 Aber vielleicht gibt 15 Dickinson selbst unterscheidet streng zwischen Geschöpfen, die symbolische Re­ präsentationen verarbeiten, und bloßen Konditionierungslernem. Er ist der Mei­ nung, seine Experimente würden zeigen, dass Ratten in die erstgenannte Kategorie gehören. Wie die Argumentation in diesem Aufsatz jedoch darlegt, betrachte ich diese Dichotomie zwischen dem Repräsentieren und dem konditionierten Lernen als falsch: Bei Konditionierungslernem gibt es sehr viele Repräsentationen. Die wirkliche Frage lautet: Welche Repräsentationen genau sind in den Ratten verkör­ pert, und auf genau welche Weise lenken diese Repräsentationen das Verhalten?

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es eine andere Sichtweise auf ihre kognitiven Leistungen, die sie weni­ ger weit von einfachen Lebewesen entfernt. Nehmen wir Folgendes an: Wir betrachten ihren Umgang mit der Zuckerlösung bei Durst nicht so, als würde er ihnen tatsächlich die Information geben, dass Zuckerlösung den Durst löscht, sondern vielmehr so, dass dieser Um­ gang ihnen einen neuen, »erworbenen Trieb« nach Zuckerlösung bei­ bringt. In dieser Betrachtungsweise unterscheiden sich die Ratten nicht allzu sehr von einfachen Lebewesen. Wir können das präferierte Ver­ halten - an der Kette ziehen - als Ergebnis zweier Elemente betrach­ ten: (a) eines Triebs, Zuckerlösung zu bekommen und (b) einer Ver­ haltensdisposition zum Ziehen der Kette, um die Zuckerlösung zu bekommen, wenn dieser Trieb aktiv ist. Die Ratten werden somit dazu gebracht, gemäß jenem praktischen Syllogismus zu handeln, der auch bei anderen Tieren am Werk ist. Vorausgesetzt, dass der »erworbene Zuckerlösungs-Trieb« aktiv ist, wenn die Ratten Durst haben, werden anhand dieses Erklärungsmodells dieselben Verhaltensvoraussagen ge­ troffen wie mit dem Modell des Zweck-Mittel-Denkens. Natürlich müssen wir immer noch anerkennen, dass sich diese Ratten in entscheidenden Punkten von den bisher diskutierten ein­ fachen Lebewesen unterscheiden. Am offensichtlichsten ist die Tat­ sache, dass wir ihnen nun die Fähigkeit zum Erw erb neuer Triebe zuschreiben, während man zuvor von allen Trieben angenommen hatte, sie seien angeboren. Das ist in der Tat eine massive Ausweitung der kognitiven Fähigkeiten. Da es anscheinend keinen Grund dafür gibt, dass Ratten nicht über das Potential zum Erwerb von Trieben für alle möglichen Umstände, die sie als solche erkennen können, verfügen sollten, haben wir hier Folgendes: Wir haben uns von Lebe­ wesen, deren Ziele auf ein paar wenige, grundlegende Ergebnisse be­ schränkt sind, zu Lebewesen erhoben, die so gut wie alles als Ziel ins Auge fassen können. Wenn wir eine scharfe Trennlinie zwischen »Trie­ ben« und »Wünschen« ziehen wollen, dann ist dieser Ort so gut wie jeder andere. Flinzu kommt, und das dürfte sogar noch interessanter sein, dass wir auch Folgendes anerkennen müssen: Ratten können die Disposi­ tion erwerben, V zu tun (Ziehen der Kette), um R (Zuckerlösung) zu bekommen, obwohl die Tatsache, dass V a u f diese Weise zu R fü h rt, zu­ vor niemals einen Trieb befriedigt hat. Der von mir verfolgte Gedan­ kengang besteht darin, dass die Information »V führt zu R« nirgends 279

verkörpert sein muss, außer in einer Disposition, V zu tun, wenn ein Trieb nach R aktiv ist. Gelinde gesagt ist es aber verblüffend, dass eine solche Disposition erworben werden kann, bevor eine interne Repräsentation von R den Status eines Triebs überhaupt erworben hat.16 Vor dem Hintergrund dieses letzten Punktes mag es scheinen, als würde ich versuchen, auf einer äußerst dürftigen Grundlage eine Un­ terscheidung zu treffen. Ich lasse es zu, dass die R-Produktivität von V repräsentiert werden kann, auch wenn V noch gar nicht derart ver­ drahtet ist, um durch einen Trieb nach R ausgelöst zu werden. Wird den Ratten damit nicht bereits die wesentliche kognitive Fähigkeit zugestanden, die zur Debatte steht? Gleichwohl besteht immer noch eine entscheidende Einschränkung in der Tatsache, dass dieses kau­ sale Wissen auf sozusagen »dispositionsfertige« Art und Weise ver­ körpert sein muss. Bevor die Ratte einen auf R gerichteten Trieb hat, vermag sie das Verhalten V bereits irgendwie mit einer internen Repräsentation von R zu verknüpfen. Diese Verknüpfung könnte aber 16

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nur einfach darin bestehen, dass die Ratte V tun würde, wenn ihre Re­ präsentation von R einen »Trieb-ist-aktiv«-Status erwerben würde. Wenn das zutrifft, dann leiden Ratten nach wie vor an einer Form der kausalen Egozentrik. Die einzige für sie erreichbare kausale In­ formation würde am vorderen Ende der Kausalrelation immer noch ein Stück ihres eigenen Verhaltens V haben. Wenn wir die Ratte so betrachten, bringt das den Vorteil einer Er­ klärung mit sich, warum ihre Fähigkeiten zum Zweck-Mittel-Denken so beschränkt sind, wie sie es nun einmal sind.17 Sicher sind Dickinsons Ratten - auch im Sinne meiner Begrifflichkeiten - in der Lage, auf neuartige Weise zu handeln. Indem sie ihr abgespei­ chertes Wissen, dass V zu R führt, mit einem neu erworbenen Trieb nach R kombinieren, werden sie zu Handlungen geleitet, die sie nie­ mals zuvor ausgefiührt haben. Die produktive Kraft ihres gesamten kognitiven Systems ist gleichwohl durch ihre Fähigkeit beschränkt, neue Triebe zu erwerben, wenn ihre V —» R-Informätionen auf die soeben vorgeschlagene Art in einer gleichsam »schlafenden Disposi­ tion« abgespeichert sein müssen. Hier ist nicht der Ort, um über die Einzelheiten der Mechanismen zum Erwerb neuer Triebe nachzu­ denken (eine, wie ich finde, entscheidende Angelegenheit nicht nur für das Verständnis von Ratten, sondern auch für das Verständnis von Menschen). Doch wenn diese Mechanismen mithilfe einer Art direkter Verknüpfung mit schon zuvor existierenden Trieben arbei­ ten müssen, was durchaus plausibel ist, dann vermögen egozentrische Ratten weit weniger Neuartigkeiten im Verhalten hervorzubringen als Denkende, die V R-Informationen aus einer uneingeschränkten Bandbreite von kausalen Verknüpfungen ableiten können.

1 7 Darüber hinaus wird uns dies auch gestatten, die oben erwähnten Begrenzungen von Menschenaffen und anderen Primaten zu erklären. Primaten teilen vermutlich alle bei Ratten anzutreffenden kognitiven Raffinements. Wenn wir den Ratten Zweck-Mittel-Denken in vollem Umfang zugestehen würden, befänden wir uns also etwas in der Klemme, wenn wir das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Primaten erklären müssten. 281

5. Zufälliges Denken Alles in allem ist der vorhergehende Abschnitt eine Antwort auf den Gedanken, dass das Zweck-Mittel-Denken viel zu einfach ist, um eine eigentümlich menschliche Anpassung zu sein, und dass es des­ halb im Tierreich weit verbreitet sein muss. Ich möchte mich nun dem umgekehrten Gedanken zuwenden, dass das Zweck-Mittel-Denken nämlich viel zu schwierig ist, um eine biologische Anpassung zu sein, und deshalb für Menschen nur als Nebeneffekt anderer biolo­ gischer Entwicklungen verfügbar geworden ist. Aus dieser Sicht wäre das Zweck-Mittel-Denken mit Arithmetik oder Musik vergleichbar. Besonders gute Leistungen in diesen Tätig­ keiten könnten seit der Zeit ihrer Entstehung ebenfalls einen repro­ duktiven Vorteil in dem Sinne gebracht haben, dass diese Meister viel­ leicht durchschnittlich mehr Kinder gehabt hätten. Aber das macht : sie nicht zu evolutionären Anpassungen. Sobald Arithmetik oder Mu­ sik erst einmal in unserer Kultur aufgetaucht sind, ermöglichen uns ; andere Fähigkeiten mit unabhängigen evolutionären Erklärungen, ihr Auftauchen und ihre Erhaltung zu erläutern.18 Ohnehin ist viel­ leicht seit dem Beginn dieser Praktiken zu wenig Zeit vergangen, da­ mit Gene sie selektiv hätten bevorzugen können. Nach diesem Modell beruht das Zweck-Mittel-Denken auf an­ deren Fähigkeiten mit einem biologischen Zweck, hat aber selbst kei­ nen solchen Zweck. In der durch Stephen Jay Gould und Richard Lewontin berühmt gewordenen Terminologie würde es sich um eine Spandrille handeln.19 Der Idee, dass es sich beim Zweck-Mittel-Den­ ken um eine Spandrille handeln könnte, begegnet man vermutlich öfter im Gespräch als in gedruckten Texten. Doch sie ist bei einer überraschend großen Anzahl von Theoretikern beliebt - angefangen bei Evolutionspsychologen, über Dennettianer bis hin zu neo-assoziationistischen Experimentalisten.

1 8 Damit möchte ich nicht bestreiten, dass diese Erklärungen selbst durch biologische Tatsachen gestützt werden können. Welche Praktiken durch »Kultur« erhalten wer­ den, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Disposition uns durch die natürliche Selektion vererbt wurde; vgl. D. Sperber, Explaining Culture, Oxford: Basil Black­ well 1996. 19 Vgl. Fußnote 8.

282

5-1 Das Verstehen des Geistes Diesen allgemeinen »Spandrillen-Ansatz« kann man mit verschiede­ nen Hypothesen über die entscheidenden primären Fähigkeiten kom­ binieren. Ein modischer Kandidat ist das »Verstehen des Geistes«. Die Geschichte geht so: Sobald das Modul für das »Verstehen des Geistes« aufgetaucht ist, haben wir die intellektuellen Ressourcen für das Zweck-Mittel-Denken zur Hand - zusammen mit anderen kulturellen Nebenerzeugnissen, wie etwa dem Versprechen. Dieser Vorschlag scheint mir allerdings weit mehr der intellektuel­ len Mode als seriöser Analyse zu verdanken.20 Es gibt einen einleuch­ tenden Grund dafür, dass das Zweck-Mittel-Denken evolutionär ge­ sehen nicht im Huckepack mit dem Verstehen des Geistes gereist sein kann. Der Grund besteht darin, dass die Standarderklärungen für das Verstehen des Geistes erst dann sinnvoll sind, wenn wir anneh­ men, dass bereits »Gedankenleser« zum Zweck-Mittel-Denken in der Lage sind. Das trifft sowohl auf die »Simulationstheorie« zu, die davon ausgeht, dass das Verstehen des Geistes weitgehend in der Fä­ higkeit zur Simulation von Entscheidungsprozessen anderer besteht, als auch auf die »Theorie-Theorie«, die davon ausgeht, dass das Verste­ hen des Geistes von einer ausformulierten Theorie des Geistes her­ rührt. Der Punkt ist für die »Simulationstheorie« vermutlich noch nahe­ liegender. Die zentrale Annahme dieser Theorie besagt: »Gedanken­ leser« verfahren so, dass sie die Wunsche und Überzeugungen anderer simulieren und deren Entscheidungsprozesse anschließend »off-line« nachahmen. Doch diese »Entscheidungsprozesse« sind nichts anderes als das Zweck-Mittel-Denken, das wir zu verstehen versuchen. Wahr­ scheinlich setzt die Fähigkeit, dieses Denken »off-line« zu praktizie­ ren, die primäre Fähigkeit voraus, dies »on-line« zu tun. Diese Version der Geschichte setzt somit einfach das voraus, was wir erklären möch­ ten. Die »Theorie-Theorie«-Variante des Verstehens des Geistes steht nicht viel besser da. Gemäß dieser Version antizipieren »Gedanken­ leser« die Reaktionen anderer, indem sie Voraussagen aufgrund einer ausformulierten Theorie des Geistes treffen. Das heißt, sie weisen an20

Vgl. jedoch D. Sperber, »Intuitive and Reflective Beliefs«, M in d and Language 12 (1997), S. 67-83, für einige spezifische Vorschläge zur Verbindung zwischen dem Verstehen des Geistes und der Logik allgemein. 283

deren Überzeugungen und Wünsche zu, speisen diese als Ausgangs­ bedingungen einer Menge von Annahmen über den Geist ein und rechnen sich auf dieser Basis die besten Strategien aus, um mit dem Verhalten anderer zurechtzukommen. Doch dabei handelt es sich um nichts anderes als um einen Spezialfall des Zweck-Mittel-Denkens, das wir bislang betrachtet haben. Wiederum setzt die Geschich­ te schlicht das zu Erklärende voraus.21 j 5.ii Sprache

Eine etwas plausiblere Version des Spandrillen-Ansatzes wäre die, i dass das Zweck-Mittel-Denken nicht im Huckepack mit dem Verste­ hen des Geistes, sondern mit der Sprache entstanden ist. Aber auch hier finden sich Schwierigkeiten. Zunächst kann man sagen, dass auch für diese Geschichte die Gefahr besteht, dass sie voraussetzt, was erklärt werden muss. Der besorgniserregende Punkt ist hier, dass der primäre biologische Zweck der Sprache darin bestehen könnte, den Informationsvorrat jedes Individuums zu vergrößern. Aber diese Zusatzinformationen würden Geschöpfen überhaupt nichts nutzen, ; die nicht schon Zweck-Mittel-Denker wären, denn sie wären außer j Stande, diese zur Erschließung von weiteren Schlussfolgerungen für i angemessenes Verhalten zu gebrauchen. Vielleicht ist das etwas übereilt. Es könnte sein, dass sich Sprache zuerst als Instrument für die Weitergabe bestimmter Informationen entwickelt hat (»Ein Tiger kommt«, »Auf diesem Baum sind Früchte« usw.). Da sogar einfache Geschöpfe durch besondere Informationen über ihre Lebenslage gelenkt werden, ruft die Nutzbarmachung die21 (Nachträglich hinzugefügte Fußnote zur Erstveröffentlichung:) Es bleibt denkbar, dass die Evolution des Zweck-Mittel-Denkens durch einen Bestandteil des Verste­ hens des Geistes erleichtert wurde, insbesondere durch einen Bestandteil, der das Zweck-Mittel-Denken nicht schon voraussetzt. Beispielsweise werde ich am Ende des Aufsatzes den Vorschlag machen, dass das Zweck-Mittel-Denken von einer Kombination der bildlichen Vorstellungskraft mit der Fähigkeit, die erfolgreichen Handlungen anderer zu imitieren, herrühren könnte. Aber vielleicht hängt die Fä­ higkeit, das erfolgreiche Handeln anderer zu imitieren, wiederum von der Fähigkeit zur Empathie mit ihren Erfolgen ab. (Denn warum sonst sollten ihre Erfolge deine Handlungsdispositionen verstärken?) Man beachte, dass das Postulieren solcher empathischer Fähigkeiten nicht von sich aus schon zum Postulieren eines Systems führt, das die Voraussage des Verhaltens anderer durch den Gebrauch eines zuvor bereits existierenden Vermögens zum Zweck-Mittel-Denken voraussetzt.

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1 [ ■ |

ser Informationen noch nicht nach dem Zweck-Mittel-Denken. Es könnte also sein, dass das Zweck-Mittel-Denken erst aufgetaucht ist, nachdem unsere Vorfahren bereits eine relativ ausgeklügelte Spra­ che zur Berichterstattung besonderer Tatsachen entwickelt hatten. A u f dieser Grundlage entwickelte sich die Sprache vielleicht danach biologisch weiter, um allgemeine Behauptungen zu verarbeiten und zu berichten. Das Problem besteht nun aber darin, dieses letzte Stück zu erklären. Worin genau bestand der zusätzliche biologische Druck, der zu einer Sprache führte, mit der allgemeine Informationen berichtet und ver­ arbeitet werden konnten? Wenn die Antwort lautet, dass die Spra­ che dieses Merkmal entwickelte, um das Zweck-Mittel-Denken zu erleichtern, dann bedeutet dies, dass das Zweck-Mittel-Denken doch keine Spandrille ist. Es könnte weitgehend von Sprache in dem Sinn abhängig gewesen sein, dass seine Entstehung auf die Selektion der ersten Sprachfähigkeiten warten musste. Aber falls gewisse Gene ge­ zielt selektiert wurden, weil sie uns zum Zweck-Mittel-Denken verhalfen, wird es als eine eigenständige Anpassung gelten dürfen und nicht als Spandrille. Wenn die Antwort andererseits lautet, dass Sprache die Fähig­ keit zur Repräsentation und Verarbeitung allgemeiner Informationen aus einem unabhängigen Grund entwickelte, entstehen weitere Pro­ bleme. W ir brauchen dann unmittelbar eine Erklärung dafür, war­ um die Sprache überhaupt für den Bericht und die Verarbeitung all­ gemeiner Behauptungen selektiert werden sollte, wenn nicht zur Erleichterung des Zweck-Mittel-Denkens. Es gibt jedoch ein funda­ mentaleres Problem. Wenn wir von der Annahme einer von den Zielen des Zweck-Mittel-Denkens unabhängigen sprachlichen Verar­ beitung allgemeiner Behauptungen ausgehen, dann benötigen wir eine Geschichte davon, wie diese unabhängige Fähigkeit anschlie­ ßend spandrillenartig zum Zweck-Mittel-Denken ausgebaut worden ist. Nehmen wir an, dass unsere Vorfahren —aus vom Zweck-MittelDenken ganz unabhängigen Gründen - zuerst die Fähigkeit erwor­ ben haben, allgemeine Behauptungen zu formulieren und neuartige Schlussfolgerungen aus ihnen zu ziehen. A u f welche Weise führten diese neuartigen theoretischen Schlussfolgerungen dann im einzel­ nen zu Unterschieden in ihren praktischen Tätigkeiten? Flier liegt der Punkt darin, dass das Zweck-Mittel-Denken eine Verhaltens-Y^onxxdhz ausüben muss. Abgesehen von Dispositionen, sich 285

auf bestimmte Weise zu verhalten, wenn dies durch Wahrnehmungen oder konkurrierende Triebe ausgelöst wird, hat die in einfachen Tieren vorgegebene kognitive Architektur jedoch schlicht nicht die M ög­ lichkeiten zur Ausübung eines anderen Verhaltens. Irgendwie muss die Fähigkeit zur Verarbeitung allgemeiner Repräsentationen dazu imstande sein, dieser Menge von Dispositionen etwas hinzuzufügen (entweder vorübergehend - »Wenn ich das nächste Mal einen Brief­ kasten sehe, werfe ich diesen Brief ein« —oder dauerhaft —»Von jetzt an esse ich anstatt Fleisch nur noch Fisch«). Eine Fähigkeit, aus all­ gemeinen Behauptungen Schlussfolgerungen zu ziehen, und seien es auch Schlussfolgerungen über Mittel zum Zweck, dürfte dies nicht von selbst sicherstellen. Zusätzlich müssen die Outputs solcher Über­ legungen in die Verhaltenskontrolle eindringen. Ohne dazu imstande zu sein, unser Programm zur Verhaltenssteuerung auf diese Art zu verändern, macht das Zweck-Mittel-Denken keinen Unterschied für unser Tun. 5.m Weshalb das Zweck-Mittel-Denken keine Spandrille sein kann Wie es sich trifft, scheint mir dieser Argumentationsgang nicht nur für die Idee, dass das Zweck-Mittel-Denken im Huckepack mit der Sprache entstanden sein soll, eine Schwierigkeit darzustellen, sondern für jede Version der Ansicht, dass es eine nicht-adaptive Spandrille ist. Das Problem besteht darin, Folgendes zu verstehen: Wie konnte eine neue Möglichkeit, unser Verhalten zu verändern, ohne grund­ legende biologische Veränderung entstehen? Die Annahme, dass eine reine Spandrille auf bislang unbekannten Wegen in das für die Hand­ lungssteuerung zuständige biologische System eindringen konnte, ist kaum sinnvoll. Vor dem Zweck-Mittel-Denken wurde das Ver­ halten durch eine Reihe von Dispositionen kontrolliert, die entwe­ der durch Gene oder durch Konditionierung festgelegt wurden. Das Zweck-Mittel-Denken —wie auch immer es umgesetzt wird —muss die Fähigkeit mit sich gebracht haben, neue Dispositionen dieser Art zu erschaffen. Es ist nur schwer vorstellbar, wie dies ohne bio­ logische Selektion geschehen könnte, ohne irgendeine Veränderung unseres biologischen Designs also, die es dem Output eines Entschei­ dungsprozesses erlaubt hätte, unsere Handlungsdispositionen neu aus­ zurichten. 286

Man beachte, dass dies noch kein Argument dafür ist, im mensch­ lichen Hirn einen ganz separaten spezifischen Mechanismus für das Zweck-Mittel-Denken zu vermuten. Ein solcher Mechanismus könn­ te durchaus existieren, worauf ich gleich zurückkommen werde. Doch das von mir soeben dargestellte Argument stützt nur die sehr viel schwächere Schlussfolgerung, dass es irgendeinen biologischen Me­ chanismus für das Zweck-Mittel-Denken geben muss. Das könnte eine ganz unauffällige Sache sein; einige wenige genetische Verände­ rungen etwa, die die Beeinflussung des Verhaltens seitens einer be­ reits vorhandenen kognitiven Tätigkeit zulassen. Die einleuchtendste Möglichkeit wäre die oben bereits vorgeschlagene: Die sprachliche Fähigkeit zur Verarbeitung und Berichterstattung allgemeiner Infor­ mationen hat sich aus unabhängigen Gründen entwickelt. Ist dies einmal geschehen, erlauben weitere evolutionäre Schritte, dass ihre Outputs das Verhalten beeinflussen. 5.iv Das Zweck-Mittel-Denken als Modul In der Einleitung zu diesem Aufsatz habe ich gesagt, wenn ich wählen müsste, würde ich das Zweck-Mittel-Denken eher auf der Seite der »Module« als der kognitiven Allzweckmechanismen ansiedeln. Nun bin ich besser in der Lage, die Stoßrichtung dieser Auffassung zu erläutern. M it der Klassifikation des Zweck-Mittel-Denkens als M o­ dul wollte ich nicht behaupten, dass es im Hirn einen Prozessor gibt, der eigens für die Ausübung des Zweck-Mittel-Denkens gebaut ist. Zwar wäre dies, wie ich soeben gesagt habe, durchaus möglich, aber ich möchte nicht darauf beharren. Ich wollte vielmehr hervorhe­ ben, dass das Zweck-Mittel-Denken ein kognitiver Mechanismus ist, der unter bestimmten Umständen im Dienste bestimmter Bedürf­ nisse aktiv wird. Es handelt sich nicht um ein Metasystem, das sämt­ liche menschlichen Handlungen kontrolliert, indem es kontinuierlich jene Verhaltens-Outputs auswählt, die am besten zu den momentanen Wahrnehmungs-Inputs passen. Es handelt sich um eine implizite Annahme vieler philosophischer Überlegungen, dass alles menschliche Verhalten - abgesehen viel­ leicht von den groben Reflexen —genau durch ein derartiges meta-systemisches Zweck-Mittel-Denken ausgewählt wird. Das ist jedoch nicht das Bild der Dinge, das sich in diesem Aufsatz ergibt. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass menschliches Verhalten in ers­ 287

ter Linie auf dieselbe Weise wie das Verhalten einfacher Lebewesen be­ stimmt wird. Wir besitzen eine Menge feststehender Dispositionen, die durch momentane Wahrnehmungsinformationen und konkur­ rierende Triebe ausgelöst werden. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir Menschen - jenseits von genetischer Vererbung und Konditionierung - über eine zusätzliche Möglichkeit verfügen, um diese Dispositionen richtig einzustellen. Manchmal nehmen wir uns eine Auszeit, um das Für und Wider unterschiedlicher Optionen zu erwägen, und finden heraus, dass der beste Weg — gegeben B und T - R zu bekommen, darin besteht, V zu tun. Und dann werden unsere feststehenden Dispositionen neu ausgerichtet, so dass wir beim nächs­ ten M al dazu disponiert sind, V zu tun, wenn B und T sich einstellen. Aus dieser Sicht der Dinge wäre es wahrscheinlich keine gute Sache für das Zweck-Mittel-Denken, wenn es als Dauervermittler zwischen Wahrnehmungs-Inputs und Verhaltens-Outputs aktiv sein müsste. Das Zweck-Mittel-Denken nimmt Zeit in Anspruch, doch die Hand­ lung kann nicht immer auf die Überlegung warten. Wenn wir jedes M al innehielten und überprüften, ob wir wirklich das Beste tun, wäre der Zeitpunkt zum Handeln normalerweise schon vorbei. Meistens also erlauben wir unseren feststehenden Dispositionen einfach, dass sie uns lenken. Aber manchmal, wenn die Dinge schwerer wiegen und die Zeit nicht drängt, verzögern wir die Handlung und aktivie­ ren an dessen Stelle unsere Fähigkeit zum Zweck-Mittel-Denken. (Man kann sich dies wiederum selbst als eine feststehende Disposi­ tion denken, die ausgelöst wird, wenn die Dinge schwerer wiegen und die Zeit nicht drängt.) Nachdem das Zweck-Mittel-Denken seine Arbeit erledigt hat, verändern wir unsere momentanen Disposi­ tionen und lassen erneut zu, dass sie uns lenken.22

22 Man beachte, dass man gerade in dieses Modell, in dem das Zweck-Mittel-Denken unsere Handlungsdispositionen »neu ausrichtet«, leicht Pläne integrieren kann, d. h. komplizierte und zur Erreichung eines Ziels notwendige Handlungsabfolgen. Dazu ist lediglich erforderlich, dass das Zweck-Mittel-Denken vielfältige Hand­ lungsszenarien zu erzeugen vermag, die eine Verhaltensabfolge auslösen, wenn eine Abfolge entsprechender Reize angetroffen wird. (Einige davon können auch ein­ fach in der Vervollständigung vorhergehender Verhaltensweisen bestehen.) 28 8

5 -v Abschließende Spekulationen

Ich möchte diesen Aufsatz mit einigen knappen, zusätzlichen Bemer­ kungen über die evolutionäre Entstehung des Zweck-Mittel-Denkens abschließen. Bisher habe ich nur die Ansicht vertreten, dass das Zweck-Mittel-Denken zumindest eine gewisse Rolle in der biolo­ gischen Evolution gespielt haben muss.23 Wie ich soeben argumen­ tiert habe: auch wenn das Zweck-Mittel-Denken biologisch nach der Sprache kam, muss es dennoch als solches selektiert worden sein, damit seinem Einfluss auf das Verhalten Rechnung getragen werden kann. Das ist, wie ich bemerkt habe, immer noch damit vereinbar, dass das Zweck-Mittel-Denken nur ein kleiner biologischer Zusatz zum Sprachvermögen ist, das sich aus ganz eigenen und unabhängi­ gen Gründen entwickelt hat. Gleichwohl ist es möglich, dass das Zweck-Mittel-Denken in der Evolution eine bedeutendere Rolle gespielt hat. Selbst wenn wir beim Gedanken bleiben, dass Sprache das einzige Medium des Zweck-Mittel-Denkens darstellt,24 besteht die Möglichkeit, dass das ZweckM ittel-Denken die primäre Funktion der Sprache ist und dass Kom­ munikation die nebenher hinzugefügte Spandrille ist, nachdem sich Sprache ursprünglich zur Erleichterung des Zweck-Mittel-Denkens entwickelt hat. Etwas plausibler ist die Annahme, dass sowohl das Zweck-Mittel-Denken als auch die Kommunikation biologische Funktionen der Sprache sind. Dieser Gedanke fügt sich auf natür­ liche Weise in ein ko-evolutionäres Modell ein: Ist erst einmal der erste kleine biologische Schritt auf dem Weg zur Sprache getan, um etwa die Kommunikation zu erleichtern, dann ermöglicht dies ei­ nen weiteren Schritt zur Erleichterung des Zweck-Mittel-Denkens, was wiederum einen weiteren Schritt zur Erleichterung der Kom­ munikation ermöglicht usw. Um dieses Bild der Dinge noch komplizierter zu machen, muss man bedenken, dass die unterschiedlichen Aspekte der Sprache un­ terschiedliche evolutionäre Modelle erfordern können. An früherer 23 Ich erachte es zugleich für unbestritten, dass das Zweck-Mittel-Denken eine he­ rausragende Rolle in der nicht-biologischen Entwicklung der menschlichen Zivili­ sation spielte, nachdem es erst einmal biologisch in Erscheinung getreten war. 24 Ich sollte vielleicht deutlich machen, dass mein Begriff von >Sprache< sowohl die mentale Verarbeitung internalisierter Sätze einer öffentlichen Sprache als auch die offene Äußerung dieser Sätze umfasst. 289

Stelle habe ich eine Sprache für besondere Tatsachen von einer Spra­ che für allgemeine Tatsachen unterschieden. Vielleicht hat sich die Sprache für besondere Tatsachen - wie an früherer Stelle eingeführt ganz und gar zu kommunikativen Zwecken entwickelt, während sich die Sprache für allgemeine Tatsachen primär im Dienste des ZweckMittel-Denkens entwickelt hat. Oder vielleicht hat sich die Spra­ che für allgemeine Tatsachen unter dem ko-evolutionären Druck des Zweck-Mittel-Denkens und der Kommunikation entwickelt. Oder sonst etwas. Es fällt nicht schwer, sich weitere Möglichkeiten auszudenken. Alle diese Vorschläge nehmen auf die eine oder andere Weise an, dass das Zweck-Mittel-Denken zusammen mit der Sprache aufge­ treten ist. Das ist in der Tat eine attraktive Annahme. Denn zum einen führt die kombinatorische Struktur der Sprache ganz natürlich zu jener Art von Inferenz, die für das Zweck-Mittel-Denken zentral ist. Darüber hinaus erklärt diese Annahme unmittelbar, weshalb das Zweck-Mittel-Denken den Menschen Vorbehalten ist. Dennoch sind Spekulationen interessant. Könnten sich einige For­ men des Zweck-Mittel-Denkens ursprünglich nicht unabhängig von der Sprache entwickelt haben? Eine naheliegende Hypothese könnte lauten, dass sich das Zweck-Mittel-Denken in einem Anfangsstadium die bildliche Vorstellungskraft zunutze gemacht hat. Unsere Vorfah­ ren spielten zahlreiche Szenarien vor ihrem »geistigen Auge« durch und machten sich dies für die Entscheidung zwischen alternativen Handlungsabläufen zunutze. Diese Verwendung der bildlichen Vorstellungskraft ist so vertraut, dass sie in theoretischen Kontexten einfach vorausgesetzt wird. Doch diese Vertrautheit ist trügerisch. Es gibt hier eine Menge theoretischer Rätsel. Ist das Zweck-Mittel-Denken die primäre Funktion der bild­ lichen Vorstellungskraft? Welche Beziehung unterhält diese »bildliche Antizipation« zur Erinnerung? Ist die Verwendung der bildlichen Vor­ stellungskraft für das Zweck-Mittel-Denken eine Verallgemeinerung bereichsspezifischer Verwendungen wie etwa der räumlichen M ani­ pulation von Gegenständen oder, wie zuvor schon besprochen, der räumlichen Orientierung? Um auf ein zentrales. Thema dieses Ab­ schnitts zurückzukommen - wie konnten die Ergebnisse des bild­ lichen Vorstellens die Macht gewinnen, die bereits bestehenden Struk­ turen der Handlungskontrolle zu beeinflussen? Hier, als Antwort auf diesen letzten Punkt, eine weitere Hypothese: 290

Vielleicht war es ein entscheidender evolutionärer Schritt, als sich unsere Vorfahren die Fähigkeit aneigneten, komplexe Handlungsab­ folgen anderer zu imitieren. Dazu war es erforderlich, das Tun ihrer Lehrer visuell zu repräsentieren, das erfolgreiche Ergebnis zu würdi­ gen und dann diese bildliche Information in eine Handlung zu über­ setzen. War dies erst einmal möglich, könnte es ein kleiner evolutionä­ rer Schritt gewesen sein, eine vorgestellte visuelle Repräsentation des eigenen voraussichtlich erfolgreichen Verhaltens in eine Handlung zu übersetzen. Wir haben genug Spekulationen, um weiterzumachen. Sie setzen bereits das Programm für eine Reihe weiterer Aufsätze fest. Ich hoffe, dass dieser Aufsatz zumindest zeigen konnte, dass das Zweck-Mit­ tel-Denken ein Thema ist, das lohnenswert genug ist, um es weiterzu­ verfolgen. Aus dem Englischen übersetzt von M arkus W ild

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John Dupre Gespräche mit Affen Reflexionen über die wissenschaftliche Erforschung der Sprache Gegenwärtige Versuche, Menschenaffen* eine Form von Sprache bei­ zubringen, gehen auf die Arbeiten von B. und A. Gardner zurück. Be­ reits früher wurde eine Reihe von Versuchen unternommen, domes­ tizierten Schimpansen gesprochene Sprachen beizubringen,1 doch sie waren durchweg erfolglos. Die Gardners gelangten zur Einsicht, dass die Misserfolge ebenso auf das Fehlen eines passenden Stimm­ apparats bei den Affen wie auf deren Mangel an Spracheignung zurückgeführt werden können.2 Daher versuchten sie, ihren Schütz­ lingen - vor allem der Schimpansin Washoe, der zweifellos bekann­ testen unter den sprechenden Affen - die amerikanische Gebärden­ sprache (»American Sign Language« = »Ameslan«) beizubringen. Die Gardners reklamierten einen beträchtlichen Erfolg für dieses Projekt; Washoe habe ein Vokabular von gut über hundert Zeichen3 und be­ deutende Gesprächsfähigkeiten erworben. Seither sind eine Reihe

*

1 2

3

Ich danke R. Gagnier und D. Satz dafür, dass sie mich auf zahlreiche Unklarheiten in einer früheren Fassung aufmerksam gemacht haben. [A. d. Ü.: Im Englischen wird zwischen >apes< und >monkeys< unterschieden. Der erste Ausdruck bezieht sich auf die sog. Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen, Bonobos und Gibbons), der zweite auf alle anderen Affenarten der Alten und der Neuen Welt. Zusammenfassend wird von >primates< gesprochen. Sprachversuche werden nur mit Menschenaffen (sogar nur mit großen Menschenaf­ fen, nicht mit Gibbons) durchgeführt. Deshalb wird im Folgenden einfach der Aus­ druck >Affe< verwendet (und nicht ausdrücklich Menschenaffeape< steht.] Für eine kurze Zusammenfassung vgl. A. Premack, Why Chimps Can Read, New York: Plarper & Row 1976, Kap. 2. B. Gardner und A. Gardner, »Two-Way Communication with an Infant Chimpanzee«, in: Behavior o f Non-Human Prim ates (Bd. IV), hrsg. von A. M. Schrier und F. Stollnitz, New York: Academic Press 19 7 1, S. 117-183. Die wirkliche Zahl mag höher liegen, vielleicht bei mehreren Hundert. Es werden Kriterien von unterschiedlichem Grad an Strenge angewendet, um zu entscheiden, ob das Tier bestimmte Zeichen wirklich beherrscht hat. 29 5

von anderen Schimpansen4 sowie ein Gorillapaar5 und ein OrangUtan6 in der Gebärdensprache unterrichtet worden. D. Premack,7 D. Rumbaugh8 und S. Savage-Rumbaugh9 haben dagegen eine ganz andere Strategie verfolgt. Sie versuchten, Schimpansen vollkommen künstliche symbolische Systeme beizubringen. Das bedeutet, dass diese in einem ersten Schritt lernen mussten, Metallstücke in unter­ schiedlichen Farben und Formen der Reihe nach auf eine Magnettafel zu legen, um dann in einem zweiten Schritt Tasten auf einer speziell gestalteten Computertastatur zu drücken. Der Unterschied zwischen der Gebärdensprache und anderen Forschungsansätzen wird weiter unten diskutiert. Diese Forschung wirft zahlreiche interessante Fragen a u f Ich möchte die derzeitige Diskussion in drei Hauptkategorien einteilen, Zuerst möchte ich kurz betrachten, was diese verschiedenen Affen wirklich zu tun gelernt haben. Zweitens möchte ich im Hauptteil die­ ses Kapitels verschiedenen Einwänden nachgehen, die gegen die Be­ hauptung erhoben wurden, diese Affen hätten genuin sprachliche Fä­ higkeiten erworben. Diese Einwände verdeutlichen, in welcher Weise die entsprechende Forschung wichtige methodologische Fragen zur wissenschaftlichen Untersuchung der Sprache aufwirft. Schließlich möchte ich einige der unterschiedlichen Ziele und Interessen betrach­ ten, die diesem Forschungsprogramm und der Kritik daran zugrunde liegen.

4 Vgl. R. Fouts, »Acquisition and Testing in Four Young Chimpanzees«, Science 180 (I973), S. 978-980; H. Terrace, N im , New York: Columbia University Press 1987. 5 F. Patterson und E. Linden, The Education ofKoko, New York: Holt, Rinehart und Winston 1981. 6 H. L. Miles, »Apes and Language. The Search for Communicative Competence«, in: Language in Prim ates, hrsg. von J. de Luce und H. T. Wilder, New York: Springer 1983. 7 »Teaching Language to an Ape«, Scientific Am erican 227 (1972), S. 92-99. 8 Language Learning by a Chimpanzee: The Lana Project, New York: Academic Press 1977. ■ 9 Ape Language, New York: Columbia University Press 1986. 296

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I j j ]

i. W as lernen A ffen? Die Behauptung, dass Affen - wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad - eine Sprache beherrschen, hat eine riesige Kontroverse aus­ gelöst. Ein Hauptpunkt in dieser Kontroverse betrifft die Frage, ob Affen jemals irgendwelche syntaktischen Fähigkeiten erwerben.10 An­ gesichts der weithin geteilten Idee von N . Chomsky, dass das Wesen der Sprache in ihren unendlichen produktiven Kräften liegt, die in der Syntax wurzeln, ist dieses Problem oft dahingehend interpretiert worden, dass die Äußerungen11 von Menschenaffen nicht wirklich sprachlich sind. Andererseits wird in der Debatte anscheinend weit­ gehend eingeräumt, dass die Frage, was für die syntaktische Kompe­ tenz denn erforderlich sei, vollkommen ungeklärt ist; ich möchte sie hier übergehen. Ziemlich klar ist, dass man Affen beibringen kann, ein ganz be­ trächtliches Repertoire von Symbolen zu verwenden (das Gorillaweib­ chen Koko, allem Anschein nach der Star auf diesem Gebiet, soll über ein Vokabular von rund 150-600 Wörtern verfügen, je nach Strenge der Kriterien, die angewendet werden12). Auch wenn dies etwas um­ strittener ist, kann man zudem sagen, dass Affen gewisse Sprechakte vollziehen können. Diese beiden Behauptungen werden hinreichend durch eine Leistung veranschaulicht, bei der weitgehende Überein­ stimmung darüber herrscht, dass Affen dazu in der Lage sind: etwas zu verlangen. Meistens zeigt sich in den Äußerungen, die von sprachtrainierten Affen berichtet werden, dass sie verschiedene Nahrungs­ mittel und Getränke, Kitzeleien und andere bevorzugte Vergnügen einfordern. Angesichts der Tatsache, dass diese Forderungen durch die Verwendung von wesentlich arbiträren Symbolen (von Zeichen, einer Auswahl von Tasten, die mit geometrischen Symbolen gekenn­ zeichnet sind, usw.) erfolgen, scheint es klar, dass diese Affen Sym­ bole verwenden können. Dagegen wird gelegentlich eingewandt, dass 10 Unter denjenigen, die syntaktische Fähigkeiten bei Affen infrage stellen, befindet sich bemerkenswerterweise einer der führenden Forscher in diesem Gebiet, H. Terrace, N im , op. cit. 11 Ich verwende den Terminus >Äußerung< durchgehend, um auf die mutmaßlich sprachlichen Produkte von Affen Bezug zu nehmen. Es liegt auf der Hand, dass Affen nicht im strengen Sinn etwas »äußern«; aber diese Verwendung hat sich einge­ bürgert. 12 F. Patterson und E. Linden, The Education ofKoko, op. cit., S. 84. 297

alles, was dabei geschehen ist, darin besteht, die Affen in einer kru­ den Weise ä la Skinner so zu kpnditionieren, dass sie bestimmte erwünschte Resultate hervorbringen. Dieser Ansicht nach tut ein Affe, von dem man sagt, er gäbe das Zeichen >Gib mir eine BananeXGib mir eine Banane< zu geben ist im Wesentlichen das Gleiche wie einen Baum zu schütteln, damit Bananen herunterfallen. Wahrscheinlich sollte man nicht an­ nehmen, die Zurückweisung dieser Kritik erfordere den Nachweis, dass Affen explizit semantische Überzeugungen hätten, z. B. die Über­ zeugung, dass >X< Banane bedeutet.. Die Beherrschung eines derarti­ gen semantischen Aufstiegs würde sicherlich die meisten Kleinkinder und viele Erwachsene von unseren Sprachgemeinschaften ausschlie­ ßen; Sätze wie »>Banane« bedeutet Banane< sind ja ziemlich raffinierte Bestandteile von philosophischen Spielereien. Es wäre viel vernünf­ tiger zu fordern, dass man fähig sein muss, mit >X< mehr zu tun, als lediglich ein Verlangen zu äußern, damit das Verwenden von >X< als Symbol gilt (allerdings beachte man die berühmten Sprachspiele in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen, §§ 1-7). Diese Forderung scheint in der neueren Affensprachen-Forschung ziemlich weitgehend berücksichtigt worden zu sein. Die Tatsache, 1 dass die Fähigkeit eines Affen, ein Symbol auf eine besondere Weise zu verwenden, nicht zur Folge hat, dass er alle Fähigkeiten besitzt, die wir natürlicherweise mit dem Wissen von der Bedeutung eines gewöhnlichen Substantivs verbinden, ist durch einige Experimente von Savage-Rumbaugh schön gezeigt worden.13 Beispielsweise kann 13 S. Savage-Rumbaugh, Ape Language, op. cit. 29 8

Affen beigebracht werden, Äußerungen zu produzieren, die für das Fordern von verschiedenen verfügbaren Nahrungsmitteln geeignet sind. Doch die Affen geben keinen Hinweis darauf, dass sie in an­ gemessener Weise als Adressaten der gleichen Äußerungen antworten können, z. B. indem sie den genannten Gegenstand aus einer Gruppe von Gegenständen auswählen. (Eine ähnliche Trennung von sprach­ licher Produktion und Rezeption ist auch in der Sprachentwicklung von Kindern festgestellt worden.) Andererseits ist es ebenso klar, dass dies nicht der typische Fall für trainierte Affen ist. In den oben er­ wähnten Experimenten zeigten die Tiere - sobald sie die Fähigkeit er­ worben hatten, bestimmte Äußerungen ebenso zu beantworten wie selber zu produzieren — keine Schwierigkeit, diese Fertigkeit in Be­ zug auf neu erworbene Zeichen zu verallgemeinern. Viel verblüffen­ dere Illustrationen für den flexiblen Zeichengebrauch können aus den Berichten der Forschungsarbeiten von Patterson gewonnen wer­ den. Sie berichtet von Beschreibungen, die ihre Gorillas von gegen­ wärtigen und vergangenen Ereignissen gemacht haben, sowie von Witzen, Drohungen und Beleidigungen. Von Koko wird berichtet, sie verwende Zeichen, wenn sie mit ihren Puppen spiele (obwohl sie anscheinend verlegen ist, wenn sie dabei beobachtet wird), und dis­ kutiere sogar über den Tod: Maureen (eine Ausbilderin): Wohin Gorillas gehen, wenn (sie) ster­ ben? Koko: Angenehm Nest Heia. Maureen: Wann Gorillas sterben? Koko: Problem alt.14 (Das in Klammern gesetzte Wort erscheint nicht als Zeichen im ursprünglichen »Ameslan«.) Ohne dass solche Aufzeichnungen von Unterhaltungen gleich bril­ lante Dialoge oder Philosophie darstellen, legen sie doch sicher mehr als konditionierte Reflexe nahe. Ihre Bedeutung ist jedoch ernsthaft infrage gestellt worden. Ich möchte jetzt die Angriffe genauer betrach­ ten, die gegen die Schlussfolgerung, diese Affen würden eine echte Sprachfähigkeit an den Tag legen, vorgetragen worden sind.

14 F. Patterson und E. Linden, The Education ofKoko, op. cit., S. 191. 29 9

2. K ritik an der A ffensprach en-Forsch u ng Betrachten wir die Kritik, die an der Erforschung der sprachlichen Fähigkeiten von Affen geübt wurde, so ist es hilfreich, zwischen den Zeichensprachprojekten der Gardners, von Fouts, Terrace und Patterson einerseits und den künstlichen Sprachen von Premack, Rumbaugh und Savage-Rumbaugh andererseits scharf zu unterschei­ den. Grob gesprochen kann man die erstgenannten Projekte so auffassen, dass sie durch das Ziel motiviert sind, die Ebene der Kommunikation mit den Probanden so hoch wie möglich anzusetzen. Dies steht im Gegensatz zu den zweiten Projekten, bei denen der Möglichkeit, saubere, unzweideutige und gut kontrollierte Daten zu gewinnen, größte Bedeutung beigemessen wurde. So ist man in der ersten Kategorie —um die Arbeiten von Patterson exemplarisch anzufiihren — verblüfft über die Herstellung einer Beziehung zwischen dem Probanden und dem Forscher über eine längere Zeit hinweg. Patterson betont beispielsweise die Art, wie die kommunikative Absicht ihrer Probanden zumindest für den erfahrenen Beobachter deutlich ge­ macht werden kann, als eine Art, die eine »wörtliche« Interpretation von Zeichenketten übersteigt; neuen und unerwarteten Produktio­ nen wird besonderer Nachdruck verliehen. Das andere Extrem liegt bei den Experimenten von Premack, bei denen das mögliche Verhal­ ten der Probanden vom Experimentierenden eng begrenzt wird. Üb­ licherweise wird dem Affen nur zu einer sehr eng begrenzten Anzahl von Zeichen Zugang gewährt. Dadurch werden quantitativ auswert­ bare Voraussagen und eine Analyse der Antwort erleichtert, die der Affe auf besondere Anregungen gibt. In gewisser Weise ist diese scharfe Dichotomie natürlich eine Karikatur. Denn einerseits dis­ kutieren die Forscher, die sich mit künstlicher Sprache befassen, die affektiven Bindungen, die sie mit ihren Schützlingen hergestellt haben. Beispielsweise misst Savage-Rumbaugh den unvorhergesehenen und spontanen Produktionen eine beträchdiche Bedeutung bei (in ihren Experimenten hatten die Schimpansen anscheinend einen kontinuierlichen Zugang zu einer größeren Bandbreite von Zeichen als die Tiere in Premacks Experimenten, wenn auch nicht zu einem Re­ pertoire des Umfangs, wie es Koko oder Washoe zugänglich war). Andererseits verwenden Patterson, die Gardners und andere, die mit Gebärdensprache experimentieren, viel Mühe auf ziemlich streng kontrollierte Tests mit dem Vokabular ihrer Affen. Ich denke jedoch, 300

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dass diese Gegenüberstellung den Schwerpunkt der verschiedenen Ex­ perimente recht gut aufzeigt und dass sie auch dazu dient, die Haupt­ linien der Kritik an diesen Experimenten voneinander zu unterschei­ den. Zwei prominente Kritiker der Affensprachen-Forschung, J. Umiker-Sebeok und T. A. Sebeok, unterscheiden in nützlicher Weise drei Hauptlinien einer solchen Kritik.15 Diese sind (i) ungenaue Beob­ achtungen und/oder Aufzeichnungen des Affenverhaltens; (2) die Überinterpretation des Affenverhaltens; (3) die unbeabsichtigte Ver­ änderung des Verhaltens eines Tiers in Richtung der erwünschten Resultate. Ich werde im Folgenden jeden dieser Kritikpunkte prüfen. Vorwürfe bezüglich ungenauer Beobachtung und Aufzeichnung richten sich insbesondere gegen die Forschung, die Gebärdensprache verwendet. Beispielsweise zitiert D. Premack16 eine Studie von M . S. Seidenberg und L. A. Petitto17 (Mitarbeiter von Terrace), die nahe legt, dass die Bandaufzeichnungen von Washoes Verhalten und die von den Gardners publizierten Berichte oft in signifikanter Weise nicht übereinstimmen, wenn man sie vergleicht. Wenn z. B. von Washoe be­ richtet wird, sie habe auf eine Frage mit den Zeichen für >du mir/ mich< geantwortet, war die wirkliche Antwort >du mir/mich du aus mirVogel< und >Nuss< von deskriptiven in pejo­ rative Ausdrücke, indem sie die Stellung verändert, in der das Zeichen gegeben wird: nicht mehr dem Gesicht gegenüber, sondern seitlich davon.) Nachdem Koko noch eine Weile Namen rief, gab sie den Kam pf auf, verwendete das Zeichen M ir 3 10

Es ist schwierig, bei bestimmten Disputen den Schiedsrichter zu spielen. Doch ein Punkt sollte betont werden: Sparsamkeit ist kaum ein objektives, theorieunabhängiges Konzept. Warum ist es sparsamer, in einem Doppelblind-Versuch einen komplexen und versteckten Kommunikationskanal anzunehmen, als davon auszugehen, dass der Affe weiß, was er tut? Wenn man glaubt, dass der Affe tatsächlich zu dem zur Debatte stehenden Verhalten fähig ist, ist die zweite Erklärung sicherlich sparsamer. Ebenso gilt: In der Koko-Anekdote ist für Pat­ terson, die sich sicher ist, dass Koko das Gebärdenzeichen >trinken< geben könnte, wenn sie nur wollte, die Interpretation im Sinne eines Witzes ganz natürlich. Der Skeptiker, der nicht geneigt ist, dem Affen sprachliche Fähigkeiten zuzugestehen, wird zur Ansicht tendieren, dass jede alternative Erklärung plausibler ist. Welche Interpretation natürlich oder »sparsamer« ist, hängt in beiden Fällen sehr von der vorgängigen Überzeugung ab. Natürlich wird man dagegen den Ein­ wand erheben, dass die freundliche Annahme zirkulär ist, weil sie ge­ nau das ist, was das Experiment nachweisen soll. Aber dies ist irrelevant für die vorgängige Wahrscheinlichkeit, die man an die Frage knüpft, ob die Affen über die untersuchte Fähigkeit verfügen oder nicht. Ich sollte vielleicht sagen, dass im »Klugen-Hans-Phänomen« mehr steckt, das von Interesse ist, als meine Diskussion vielleicht vermuten lässt. Der entscheidende Punkt ist folgender: Unabhängig von den strittigen Fragen zu den sprechenden Affen gibt es ein großes Maß an Kommunikation, das zwischen Menschen und Tieren möglich ist. Sebeok bemerkt, dass »die zoosemiotische Kommunikation, die in beide Richtungen erfolgt, somit nicht das Thema ist. Eine Kom­ munikation, die durch verbale Mittel zwischen Mensch und Tier er­ folgt, ist jedoch eine andere Sache.«32 Sebeoks Einwände gegen die Forschung mit Affensprache beruhen auf seiner Ansicht, dass »der >Kluge-Hans-Effekt< alle möglichen zweistelligen Interaktionen prägt, ja dass er sie in der Tat auf heimtückische Weise infiziert, ob sie nun zwischen Personen oder zwischen Mensch und Tier erfolgen, wobei egalgut und machte sich mit dem Zeichen Schlecht davon. - Man kann leicht sehen, wie diese Anekdote dahingehend interpretiert wird, dass sie einer Reihe von Anfor­ derungen an Wissenschaftlichkeit nicht genügt. Mein allgemeiner Punkt ist aber, dass dies nicht ausreicht, um zu zeigen, dass es unzulässig ist, solche Berichte im offensichtlichen Sinn zu verstehen. 32 T. A. Sebeok, »Looking in the Destination for what should have been Sought in the Source«, in: Sebeok und Umiker-Sebeok, op. cit., S. 426.

auch die Interaktionen lebender Organismen mit einem Computer nicht ausgenommen sind«.33 (Man fragt sich nur, warum dies »heim­ tückisch« sein soll. Welche sprachliche Essenz soll idealerweise aus dem nicht-sprachlichen Geräusch destilliert werden?) Er betont auch, dass die Bandbreite nonverbaler Mittel in einer solchen Kommuni­ kation bislang noch nicht ausreichend verstanden worden ist. Aber während es durchaus möglich ist, dass viele Affensprachen-Forscher in Bezug auf diese Kommunikationsmittel naiv sind, ist doch nur schwerlich einzusehen, warum die Existenz solcher Mittel die künst­ lich etablierten Kommunikationskanäle, von denen sie reden, in Zwei­ fel ziehen sollte. Gerade das Gegenteil würde man annehmen. Daher verstehe ich nicht, wie der »Kluge-Hans-Effekt« bei all dem, was da­ ran an sich interessant sein mag, uns zu einer skeptischen Interpreta­ tion der Berichte von Affenäußerungen drängen sollte. Ein letzter Punkt zu den Einwänden, die auf dem »Klugen-HansEffekt« beruhen, ist besonders wichtig. Wie für den »Klugen Hans« selbst, so gilt auch für die Art von Tätigkeit, bei der versteckte Hin­ weise am wahrscheinlichsten sind, dass es sich dabei um eine T ä­ tigkeit handelt, bei der es in entscheidender Weise richtige oder fal­ sche Antworten gibt. Es sind also vielleicht ironischerweise genau die Experimente, die saubere unzweideutige Daten liefern, die für diesen kritischen A ngriff besonders anfällig sind. Wenn der Affe da­ gegen eine Äußerung produziert, die neu und unerwartet ist, kann diese Art von Kritik anscheinend überhaupt nicht greifen. (Somit bewegt sich der Kritiker in diesen Fällen auf einem ganz anderen Ter­ rain - dort geht es darum, einen Zufall oder Irrtum zu vermuten.) Pat­ tersons Bericht darüber, wie Koko mit ihren Puppen schwatzt, aber sofort damit aufhört, sobald sie feststellt, dass sie beobachtet wird, kann kaum so verstanden werden, dass der Experimentierende unbe­ wusste Hinweise gibt. Andererseits wird dies als »anekdotisch« bei­ seite geschoben —das Wort der Verdammnis schlechthin im Lexikon der wissenschaftlichen Normen. Es wird auf Berichte angewendet, die ganz offenkundig den Anforderungen an angemessene Kontrollen und Reproduzierbarkeit nicht genügen (vgl. etwa den Dialog, der in Anm. 31 zitiert wurde). Die Ironie besteht darin, dass genau die voraussagbaren, reproduzierbaren Reaktionen, die diesen Anforde­ rungen tatsächlich genügen, anfällig für den Verdacht auf versteckte 33 Ibid. 3 12

Hinweise sind. Es scheint somit, dass die Forschung mit Affenspra­ che beidseitig auf den Hörnern eines methodischen Dilemmas auf­ gespießt ist. Einerseits gilt: Je genauer das Tierverhalten kontrolliert wird und je besser es voraussagbar ist, desto schwieriger wird es, den Vorwurf der Manipulation — erfolge sie nun bewusst oder an­ ders - zurückzuweisen. Andererseits gilt: Je mehr Freiheit dem Tier gegeben wird und je spontaner und unkontrollierter seine Äußerun­ gen sind, desto mehr sinken die Berichte über sein Verhalten in die wissenschaftlichen Niederungen des »Anekdotischen« ab. Es ist je­ doch auch eine optimistischere Interpretation möglich, nämlich dass beide Formen der Forschung wechselseitig die Schlussfolgerung stüt­ zen, dass sich Affen tatsächlich mit Absicht und oft erfolgreich an den bescheidenen Leistungen sprachlicher Kommunikation beteili­ gen. Sofern die methodologischen Zwänge die Möglichkeit, ein sol­ ches Ergebnis zu erzielen, a p rio ri auszuschließen drohen, sollten wir vielleicht eher die Methodologie infrage stellen. Ich glaube, dass es tatsächlich wichtige Anhaltspunkte für einen starken Zweifel gibt, ob bestimmte methodologische Normen, die in der bisherigen Diskussion erwähnt wurden, für diese Art von For­ schung angemessen sind. Die Koppelung von Objektivitätsvorstellungen, von wiederholbaren vs. anekdotischen Ergebnissen und der Ab­ lehnung affektiver oder »interpretierender« Beziehungen zwischen dem Experimentierenden und dem Probanden: Alles dies gerät zur Konzeption von der angemessenen Rolle des wissenschaftlichen For­ schers - eine Konzeption, die H. Hediger, ein weiterer prominenter Kritiker der Forschung mit Affensprache, treffend formuliert hat. He­ diger schreibt: »Die ideale Bedingung für alle derartigen Experimente wäre dann gegeben, wenn das Versuchstier vom Leiter des Experi­ ments vollständig isoliert wäre.«34 Wenn aber - was sicherlich nicht unvernünftig ist - das Ziel des »Leiters des Experiments« darin be­ steht, mit dem Versuchstier zu kommunizieren, scheint dies eine ernsthafte Einschränkung zu sein. Wenn man überdies annimmt, dass sprachliche Kommunikation untrennbar mit einer Palette von Aus­ drücken verknüpft ist, die über das Aneinanderreihen von Zeichen hinausgeht - davon gehen auch Umiker-Sebeok und Sebeok aus, neh­ me ich an, obwohl solche Ausdrücke zweifellos in die verbotene Ka­ tegorie der »versteckten Hinweise« fallen - , dann ist die Forderung 34

H. Hediger, »Do You Speak Yerkish? The Newest Colloquial Language with Chimpanzees«, in: T. A. Sebeok und J. Umiker-Sebeok, op. cit., S. 409. 3 13

nicht nur unmöglich, sondern in ihrer Motivation auch fehlgeleitet. Wie ich angedeutet habe, kann die Schwierigkeit mit Blick auf ein sehr allgemeines Bild von der Rolle des Wissenschaftlers verstan­ den werden. Die Ideale von wissenschaftlicher Forschung, die ich erörtert habe, setzen beständig das Bild eines aktiven (jedoch un­ parteiischen) Beobachters voraus, der von einem passiven Untersu­ chungsobjekt abgegrenzt wird. Was in den Studien zur Affensprache aber ganz offensichtlich untersucht wird - wenn auch nicht aus­ schließlich in der Forschung mit Gebärdensprache - , ist die Interak­ tion zwischen zwei intelligenten Subjekten. Vielleicht denkt man, die zur Debatte stehende Frage sei gerade, ob der Affe tatsächlich ein intelligentes Subjekt ist oder eher ein passives Objekt, das me­ chanisch, wenn auch auf komplexe Weise, auf einen Fluss von Inputs reagiert. Ich möchte zum Schluss mehr zu diesem Thema sagen. Mein Eindruck ist jedoch, dass Forscher, die sich mit Experimenten zur Affensprache befassen, diese Frage aus guten Gründen nicht sehr ernst nehmen.

3. Die Ziele der Affensprachen-Forscher und ihrer Kritiker Ebenso interessant wie die methodologischen Vorurteile, die in der Debatte über die Affensprachen-Forschung zutage treten, sind die verschiedenen Zielsetzungen, die sowohl bei denjenigen, die diese Forschung betreiben, als auch bei ihren Kritikern erkennbar sind. Einige dieser Motive und Bedenken, seien sie nun lobenswert oder nicht, betreffen mein Anliegen hier nur am Rande. Beispielsweise ist es sicher lobenswert, dass die Forschungsarbeit von Savage-Rumbaugh auf die Verbesserung von Methoden abzielt, mit denen man geistig behinderten Kindern eine Sprache beibringen kann. Solche Ziele sind ziemlich oft explizite Bestandteile der Affensprachen-For­ schung. Weniger lobenswert ist vielleicht, dass man auf einige ziem­ lich offene disziplinäre Flahnenkämpfe stoßen kann. Beispielsweise erörtern Umiker-Sebeok und Sebeok die Forschungsarbeiten zu Del­ finen in einem Kontext, der wenig Zweifel daran lässt, dass sie diese Ergebnisse auf die Affenforschung anwenden möchten. Im Vergleich zu diesen nicht sehr erfolgversprechenden Anstrengungen mit Del­ finen, so bemerken sie, werden Computer »innerhalb der nächsten zehn Jahre« fähig sein, Englisch zu sprechen, wenn nicht sogar zu 3 14

verstehen. Sie fahren fort: »Damit Computer das angestrebte Niveau technischer Verfeinerung erreichen können, wird eine beträchtliche Finanzierung erforderlich sein, die sich aber rechtfertigen lässt. Geld für schimärische Experimente mit sprachlosen, vermenschlichten Ge­ schöpfen der Tiefe auszugeben, kommt aber der Verschleuderung knapper Ressourcen gleich.«35 Wie sie dann sogleich festhalten, ist auch das Halten von Affen teuer. Unter der Oberfläche einer wissen­ schaftlichen Kontroverse lauert oft - vielleicht nicht überraschend wirtschaftlicher Wettbewerb in der Milliarden-Dollar-Welt der heu­ tigen Wissenschaft. Mein Interesse richtet sich hier aber eher auf die Fragen nach der Natur von Affen und Menschen, die der offizielle Beweggrund für diese Forschung sind. Es ist naheliegend, die Diskussion nun auf fol­ gende Fragen aufzuteilen: Was kann uns diese Forschung über Affen sagen? Und was kann sie uns über Menschen sagen? In Hinsicht auf die Frage, ob sich die hier untersuchte Forschung als produktive Methode zur Erforschung von Affen erweisen kann, neige ich zu einem gewissen Skeptizismus. Wie Umiker-Sebeok und Sebeok im obigen Zitat bemerken, ist der Prozess, dem diese Affen unter­ worfen werden, ein Vorgang der Domestizierung oder gar der »Ver­ menschlichung«. Es ist nicht ganz korrekt, diese Affen als »Haus­ affen« zu bezeichnen, denn Domestizierung lässt sich am ehesten als eine Koevolution von Menschen und einer anderen Spezies verste­ hen, die über längere Zeit hinweg in einer symbiotischen Beziehung leben; bloß »sozialisierte« Tiere sind etwas ganz anderes.36Aber weder domestizierte noch sozialisierte Tiere liefern ein zuverlässiges Modell, um Kenntnisse von der Natur ihrer freilebenden Verwandten zu ge­ winnen, wenn man nicht sorgfältig auf die Auswirkungen achtet, die diese Prozesse auf ihr Verhalten haben. Heutzutage mögen Hauskat­ zen und Hunde hinreichend interessante quasi-natürliche Arten sein, die es verdienen, für sich untersucht zu werden, und man kann ihre Beziehung zu nicht domestizierten Artgenossen systematisch erfor­ schen. Aber nichts davon lässt sich in plausibler Weise von einem so 35 J. Umiker-Sebeok und T. A. Sebeok, op. cit., S. 27. 36 Für eine detaillierte Diskussion vgl. T. J. Daniels und M . Bekoff, »Domestication, Exploitation, and Rights«, in,: Explanation and Interpretation in the Study ofA nim al Behavior. Comparative Perspectives, hrsg. von M . Bekoff und D. Jamieson, Boulder: Westview Press 1990. Ich danke M . Bekoff dafür, dass er meine Aufmerksamkeit auf diese Unterscheidung gelenkt hat. 3U

seltenen und exotischen Artefakt wie dem sprachtrainierten Affen sagen. Was die Affen betrifft, sollten wir lieber den Beobachtungen von Primatologen wie J. van Lawick-Goodall oder D. Fossey Beach­ tung schenken, die der Erforschung dieser Geschöpfe in ihrer natür­ lichen Umgebung Jahre ihres Lebens gewidmet haben. Es trifft zu, dass die Mittel, mit denen Affen in der Wildnis kommunizieren, trotz dieser ausgedehnten Beobachtungen in Dunkelheit gehüllt bleiben. Zweifellos gibt es hier noch viel zu lernen. Recht detailliert ist das ziemlich raffinierte System von Rufen beschrieben worden, das Grüne Meerkatzen verwenden (vermutlich viel simplere Tiere als die Men­ schenaffen), um verschiedene Arten von Raubtieren differenziert zu identifizieren.37 Und dies ist nur eines aus einer großen Palette tierischer Kommunikationssysteme, die man zumindest teilweise ver­ steht. Ein weiterer Punkt, der die kommunikativen Fähigkeiten untrai­ nierter Primaten gut illustriert, ist folgender: Ein wichtiges Kriterium für beabsichtigte Kommunikation ist, wie schon häufig festgestellt j wurde, die Möglichkeit zur täuschenden Kommunikation.38 In einem hilfreichen Überblick hat D. Quiatt eine beeindruckende Spannbreite j von Belegen zusammengestellt;39 sie zeigen, dass Menschenaffen und j sogar gewöhnliche Affen sehr wohl dazu in der Lage sind. Es wäre also j seltsam, wenn soziale Tiere, die so intelligent wie Schimpansen oder Gorillas sind, nicht auch ziemlich raffinierte Kommunikationsmittel verwenden würden. Aber abgesehen davon, dass dies die Suche nach solchen Mitteln in gewissem Maße anregt, gibt es keinen Grund für die Erwartung, dass die sprachlichen Leistungen hoch sozialisierter Affen sehr viel mehr Licht in diese Fragestellung bringen. Die Tatsa­ che, dass ein einzelner Schimpanse in den Weltraum geschossen wor­ den ist, wird uns kaum helfen zu verstehen, wie Schimpansen es schaf­ fen, sich von Baum zu Baum zu schwingen. Oft - wenn nicht sogar immer - sind jedoch viel tiefergehende phi­ losophische Interessen mit den positiven oder negativen Interpretatio­ 37 Vgl. R. M. Seyfarth, »What the Vocalizations o f Monkeys Mean to Humans and What They Mean to the Monkeys Themselves«, in: The M eaning o f Prim ate Sym­ bols, hrsg. von R. Harre und V. Reynolds, Oxford: Oxford University Press 1984; D. L. Cheney, »Category Formation in Vervet Monkeys«, in: R. Harre und V. Rey­ nolds, op. cit. 38 Vgl. z. B. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 249-250. 39 D. Quiatt, »Devious Intentions o f Monkeys and Apes«, in: Harre und Reynolds, op. cit., S. 9-40. 3 16

nen der Experimente mit Affensprache verknüpft. Häufig wird Descartes herbeizitiert, um diese Experimente mit den langwierigen und noch andauernden Debatten über das innere Leben der Tiere zu verbinden. Ein durchgehendes Thema ist, dass die Forschung Licht in das vermeintliche Problem des Innenlebens von Tieren (oder des Fehlens eines solchen Innenlebens) bringen soll. Besonders relevant für dieses Thema ist die cartesianische These, dass Sprache der einzige zuverlässige Indikator für genuin geistige Prozesse sei. Ebenfalls rele­ vant ist die Nebenthese, dass Verhalten im Allgemeinen in einem nur kontingenten Verhältnis zu den grundlegenden geistigen Prozessen stehe, von denen man eigentlich annehmen könnte, es reflektiere sie. Aus bestimmten Gründen, die freilich wenig mit meiner Aus­ wertung der Experimente mit Affensprache zu tun haben, glaube ich zwar an keine dieser Thesen, aber dass sich beide Thesen bester Gesundheit erfreuen, wird durch einen Großteil der Debatte über diese Experimente belegt. Terrace stellt Descartes’ Ansicht, dass Tiere nur »mechanische Le­ bewesen« seien, Darwins Meinung gegenüber, dass Tiere sich an »For­ men des Denkens« beteiligten, die »dem menschlichen Denken ho­ molog sind«.40 Dann bemerkt er, dass »es bis vor kurzem nur eine schmale konkrete Basis gegeben hat, um eine Wahl zwischen den einander widersprechenden Positionen von Darwin und Descartes zu treffen«. Er fährt fort, indem er die Studien zum Spracherwerb bei Affen in ein entstehendes Corpus von Arbeiten zur kognitiven Psychologie einordnet. Diese Arbeiten lassen die Waage der Belege mehr und mehr zugunsten des Darwinschen Ansatzes ausschlagen. D a Terrace die Studien zur Affensprache ausdrücklich in eine grö­ ßere Gruppe von Arbeiten zur kognitiven Psychologie einschließt, scheint die Frage nach dem Sprachtraining von besonderer Bedeu­ tung zu sein. Wenn die Frage nämlich lautet, ob Tiere überhaupt Gedanken haben, dann liegt der beste Weg, um dies herauszufinden, vielleicht darin, dass man ihnen die Gelegenheit gibt, diese auszudrü­ cken. Obwohl viele Forscher, die die kognitiven Fähigkeiten von Tieren untersuchen, sich genau wie Terrace ausdrücklich der cartesianischen Konzeption von Tieren als »mechanischen Lebewesen« widersetzen, ist es doch erstaunlich, dass sie mit dem größten Teil der übrigen car40 In: S. Savage-Rumbaugh, op. cit., S. ix. 3 17

tesianischen Sichtweise in der Regel einverstanden sind. Sogar jene, die die kognitiven Leistungen und Fähigkeiten von nicht-mensch­ lichen Wesen am eifrigsten verteidigen, akzeptieren häufig die cartesianische Annahme, dass es prinzipiell unmöglich sei, das Denken oder gar das Bewusstsein von Tieren zu beweisen, weil dies vom Ver­ halten begrifflich unabhängig sei.41 Dieselbe Tendenz lässt sich in der Forschung zur Affensprache leicht erkennen. Savage-Rumbaugh lei­ tet ihre Forschung zum vielfältigen Symbolgebrauch von Affen damit ein, dass sie die folgende Annahme früherer Forscher infrage stellt: »Wenn ein Affe ein Symbol >korrekt< verwendet, hatte er offensichtlich ein bestimmtes Bezugsobjekt im Sinn«, und somit hat er das Symbol verwendet, um ein Objekt zu benennen.42 Zweifellos hat sie Recht, wenn sie argumentiert, dass Benennen eine komplexe Aktivität sei, aber anscheinend stellt sie das nicht infrage, was nach Descartes’ Auf­ fassung die referentielle Verwendung eines Wortes konstituiert. Und dadurch bleibt vollkommen im Dunkeln, auf welche Weise die Viel­ falt referentieller Verwendungen für das Problem, was der Affe »offen­ sichtlich im Sinn hat«, überhaupt relevant sein könnte. Die Unhaltbarkeit dieser cartesianischen Voraussetzungen kann hier nicht in angemessener Weise erörtert werden.43 Sie erfordern eher einen philosophischen Exorzismus als empirische Forschung; dies wird vielleicht dadurch klar, dass Wissenschaftler hinter vorge­ haltener Hand oft zugeben, streng genommen könnten die erwünsch­ ten Schlussfolgerungen zum Geist der Tiere von keinem Beleg er­ härtet werden. Im Moment möchte ich mich auf die Beziehung der Affensprachen-Forschung zu einigen zeitgenössischen philosophi41 Vgl. z. B. D. R. Griffin, Anim al Thinking, Cambridge (Mass.): Harvard University Press 1984; M . Stamp Dawkins, »From an Animal’s Point o f View: Consumer Demand Theory and Animal Welfare«, Behavioral and Brain Sciences 13 (1990), S. 1-9. 42 S. Savage-Rumbaugh, op. cit., S. 10. 43 Die loci classici sind Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, und G . Ryle, The Concept ofM ind, London: Hutchinson 1949 [dt. Der B egriff des Geistes, Stutt­ gart: Reclam 1969]. Letzterer zeigt ganz deutlich, wie sogar für den Fall des Menschen eine große Palette von Verhalten, die über das sprachliche Verhalten hinausgeht, die Zuschreibung von Intelligenz und Denken ausreichend fundieren kann. Ich habe versucht, einige dieser Einsichten spezifisch auf Fragen nach nicht­ menschlichen geistigen Zuständen anzuwenden; vgl. »The Mental Lives o f Non-Human Animais«, in: H umansand OtherAnimais, Oxford: Clarendon 2002, S. 217-235. 3 18

sehen Ansichten konzentrieren, die damit verknüpft sind. Ich hoffe, dass dies gleichzeitig ein Licht auf die Unangemessenheit der cartesianischen Perspektive werfen wird. Neuere philosophische Ansichten zum Verhältnis von Denken und Sprache verleihen der Affensprachen-Forschung anscheinend eben­ falls besondere Bedeutung. Im Gegensatz zu Descartes’ Ansicht, dass Sprache ein zuverlässiges Symptom für etwas sei, das davon aber ziem­ lich verschieden ist, nämlich Denken, behauptet Donald Davidson, dass Sprache eine notwendige Bedingung für Denken sei.44 Auch wenn die Argumente für und gegen diese Position hier wiederum nicht gründlich untersucht werden können,45 eröffnet die Affenspra­ chen-Forschung jedoch eine spannende Perspektive auf diese These. Wenn Davidsons Position nämlich korrekt wäre, dann stände bei der Kontroverse um die Affensprache nicht nur die Frage auf dem Spiel, ob man Affen das Sprechen beibringen könnte, sondern viel­ mehr, ob man ihnen das Denken beibringen könnte. Die Vorstellung, dass die Affen, die von den Gardners und anderen trainiert wurden, sich darin von ihren wilden oder untrainierten Artgenossen unter­ scheiden, dass nur sie über rudimentäres Denken verfügen, ist sehr viel unplausibler als die Vorstellung, ihnen sei einfach eine rudimen­ täre Form menschlicher Sprache beigebracht worden; das zieht die Annahme von der wesentlichen Gleichwertigkeit der beiden Ereig­ nisse in Zweifel. Ein Grund dafür besteht darin, dass die kommuni­ kativen Fähigkeiten sprachtrainierter Affen ganz klar ein Kontinuum mit jenen von Tieren bilden, die sich außerhalb der Bildungselite be­ finden. Dieser Punkt steht in Verbindung mit einem anderen, den ich zuvor betont habe: Noch nicht einmal die menschliche Sprachkom­ munikation ist der Art nach vollkommen verschieden von jenem Be­ reich nonverbaler Kommunikation, der einen entscheidenden Teil ihres Kontexts bildet. Bescheidener erscheint auf den ersten Blick der Vorschlag von P. 44 Vgl. »Thought and Talk«, in: M in d and Language, hrsg. von S. Gutenplan, Oxford: Oxford University Press 1975 [dt. »Denken und Reden«, in: id., Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 224-246]; »Ratiofial Animais«, Dialectica 36 (1982), S. 318-327 [in diesem Band , S. 117 -131]. 45 Davidsons Schlussfolgerungen bezüglich der Tiere werden kritisiert von R. Je ff­ rey, »Animal Interpretation«, in: Actions and Events: Perspectives on the Philosophy o f Donald Davidson, hrsg. von E. LePore und T. McLaughlin, Oxford: Black­ well 1985, und in meinem Aufsatz »The Mental Lives o f Non-Human Animais«, op. cit. 3 19

Carruthers;46 er meint, das Denken der Tiere könne nicht bewusst sein, weil sie keine Sprache hätten. Ich sage, dass er »auf den ersten Blick« bescheidener ist, denn diese Anregung ist faktisch eine par­ tielle Wiederbelebung der absurden cartesianischen These, dass nicht­ menschliche Lebewesen überhaupt kein Bewusstsein haben. Die Über­ legungen, die im vorherigen Abschnitt gegen die Verwendung von Sprache zur Verteidigung der Kommunikationsapartheid47 »Mensch versus Tier« angeführt wurden, sind hier anscheinend in gleichem Maße angebracht. Eine Betrachtung von Carruthers’ Beweggründen für diese neo-cartesianische (oder vielleicht besser: neuro-cartesianische) Doktrin muss an einem anderen Ort stattfinden. Seine Diskus­ sion wirft allerdings ein weiteres wichtiges Problem auf: Fragen nach dem Bewusstsein der Tiere sind weit davon entfernt, einfach nur eine abstruse philosophische Debatte in Gang zu bringen. Sie sind unmit­ telbar relevant für eine ethische Problematik, die in jüngster Zeit zu Recht in den Vordergrund der philosophischen Debatte gerückt ist. Jüngst hat eine Reihe von Denkern vor allem die ethische Legitimität der prim a facie abscheulichen Behandlung von Tieren in Tierfabri­ ken und in der wissenschaftlichen Forschung infrage gestellt (von »Freizeitbeschäftigungen« wie Jagen ganz zu schweigen). A u f Grund­ lage der erwähnten These behauptet Carruthers, dass diese Prakti­ ken nicht nur zulässig sind, insofern sie dem menschlichen Wohlerge­ hen dienen, sondern sogar geboten.48 Wie ich hoffendich deutlich gemacht habe, denke ich zwar nicht, dass das moralisch Abstoßen­ de an dieser Schlussfolgerung in irgendeiner Weise vom Erfolg (oder Misserfolg) der Tiersprachen-Projekte abhängt. Dennoch stellen die­ se Projekte nützliche rhetorische Munition bereit. Wenn man nicht die absurde Meinung vertritt, dass es zulässig (oder geboten) ist, jedes Tier außer einem gebildeten Affen zu quälen, muss ein Verteidiger der Position Carruthers die Apartheid in Bezug auf die menschliche Kom­ munikation verteidigen —eine Meinung, der zufolge die Affensprache auf der Tierseite des Grabens liegt. Ich hoffe, dass ich zumindest einige Hindernisse für diese Strategie aufgezeigt habe. Schließlich stellt sich die Frage, ob uns diese Forschung irgend46 »Brüte Experience«, Journal ofPhilosophy 86 (1989), S. 258-269. 47 Ich entleihe diesen Ausdruck einem aufschlussreichen Aufsatz zu den Bedeutungen von Tiersignalen von R. Harris, »Must Monkeys Mean?«, in: R. Harre und V. Rey­ nolds, op. cit., S. 116 -137. 48 P. Carruthers, op. cit., S. 268. 320

etwas über uns selbst sagen kann. Diese Frage ist weitgehend schlicht das Gegenstück zur vorhergehenden. Das heißt, die offizielle Moti­ vation für die Forschung betrifft zum großen Teil die Frage, ob Men­ schen in einem radikal diskontinuierlichen Verhältnis zum Rest des Tierreichs stehen oder nicht. Und für die Verteidiger der Diskonti­ nuität besteht die größte verbleibende Bastion in der Auffassung von Sprache als etwas, das von jedem niederen Kommunikationssys­ tem kategorisch verschieden ist. Auch hier glaube ich, dass diese Po­ sition nicht dadurch zu widerlegen ist, dass man schaut, ob Affen unsere Sprache lernen können, sondern vielmehr dadurch, dass man erstens Untersuchungen über das komplexe und interessante Leben von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung anstellt, und dass man zweitens die naiven Auffassungen von Sprache entlarvt, die diese Po­ sition voraus setzt. Die einflussreichste Sprachauffassung, die bei der Verteidigung der These von der radikalen Diskontinuität gemeinhin in Anspruch ge­ nommen wird, ist die von N . Chomsky,49 in der Sprache als ein einzig­ artig menschliches kognitives Organ dargestellt wird. Doch selbst wenn sich diese Ansicht (irgendwie) als wahr herausstellen sollte, scheint dies für das hier zu diskutierende Problem irrelevant zu sein. Denn das Problem betrifft wohl eher die Dinge, die Menschen tun können, nicht die Organe, die sie vielleicht verwenden, um solche Dinge zu tun. Ich gehe davon aus, dass die einzigen ernsthaften Kan­ didaten für Fähigkeiten, mit denen Menschen durch ein Sprachorgan auf einzigartige Weise ausgestattet werden könnten, Kommuni­ kation und Denken sind. Aber es gibt viele Arten nicht-sprachlichen Verhaltens, die Kommunikation ermöglichen, und viele nicht-sprach­ liche Manifestationen von Denken.50 Wenn man argumentiert, die Existenz eines speziellen Sprachorgans zeige, dass nur Menschen den­ ken oder kommunizieren können, gliche dies der Argumentation, dass nur Fische schwimmen können, weil nur sie auf einzigartige Weise mit Schwimmblasen ausgestattet sind. So glaube ich zu guter Letzt nicht, dass die Forschung zur Sprachfähigkeit von Affen - bei allem Charme, den sie zweifellos hat - uns über uns selbst oder über Affen viel sagen kann, was wir nicht ebenso gut auf vielen anderen Wegen lernen könnten. Sie bietet uns jedoch die Gelegenheit zu einer Fülle von interessanten Beobachtungen in 49 Language andM ind, New York: Harcourt, Brace & World 1968. 50 Vgl. wiederum G. Ryle, op. cit. 321

Bezug auf die Reaktionen und Annahmen derjenigen, die sich in die­ sem Forschungsgebiet betätigen oder es kritisieren. Und vielleicht ist ja auch Charme eine nicht vollkommen zu vernachlässigende wissen­ schaftliche Tugend. Aus dem Englischen übersetzt von Dom inik Perler

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Colin Allen und Eric Saidel Die Evolution der Referenz Dem ungelenken, ungeschulten Denken Des Javamenschen könnt’ gelingen, Allein zu sinnen von konkreten Dingen, Die gegenwärtig seinen Sinnen.*

Vögel tun es, Bienen tun es und besonders gebildete Schimpansen tun es.** Aber wie verhalten sich die nicht-menschlichen Fähigkeiten, es zu tun, zu den scheinbar unendlichen menschlichen Möglichkeiten, es zu tun? Wenn es sich bei der fraglichen Fähigkeit um jene zur Kom­ munikation handelt, dann existiert kaum Übereinstimmung darüber, was wir durch das Studium der Tierkommunikation über die mensch­ liche Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation erfahren können. Unter zahlreichen Linguisten, Psychologen und Philosophen besteht eine große Skepsis darüber, was uns das Grunzen, Knurren, Pfeifen und Heulen unserer behaarten und gefiederten Verwandten über die menschliche Sprache sagen kann. Noch umstrittener ist die Bedeu* [A. d. Ü.: W. V. O. Quine, »Identity, Ostension, and Hypostasis«, in: id., Front a Logical Point ofV iew , Cambridge und London: Harvard University Press 1953, S. 77m »The unreflned, untutored mind / O f Homo javanensis / Could only treat o f things concrete / And present to the senses.« Dieser Vierzeiler Quines steht in fol­ gendem Zusammenhang: »Das Begriffsschema, mit dem wir aufwachsen, ist ein ek­ lektisches Erbe, und die Kräfte, die seine Evolution seit den Tagen des Javamen­ schen bedingt haben, sind Gegenstand von Vermutungen. Ausdrücke für physische Gegenstände mussten seit den frühesten Sprachperioden eine zentrale Position ein­ genommen haben, denn solche Gegenstände boten relativ feste Referenzpunkte für die soziale Entwicklung der Sprache.« Der Homo javanensis, eigentlich Pithecanthropus erectus (aufrechtgehender Affenmensch), ist eine Ausprägung des Homo erectus. Überreste des Javamenschen wurden 1891 vom holländischen Arzt E. Dubois auf Java gefunden, der sich auf die Suche nach dem zuvor von Ch. Darwin und vor allem von E. Haeckel postulierten fehlenden Glied —von Haeckel interessanter­ weise Pithecanthropus alalus (sprachloser Affenmensch) genannt - zwischen Affe und Homo sapiens gemacht hatte.] c* [A. d. Ü.: Hier handelt es sich um eine beliebte philosophische Weise mit vielen Va­ riationen eines Lieds von Cole Porter (L et’s do it), vgl. etwa J. Fodor: » ... (Vamp tili ready). . . Oh: Birds do it / Bees do it / Even paramecia and fleas do it.«, J. Fodor, »Why Paramecia Don’t Have Mental Representation«, Midwest Studies in Philosophy 10 (1986), S. 3.] 323

gen haben, sie öffentlich zu machen, sei sie hier abschließend angeftigt: Das raffinierte und geschulte Denken Des Homo sapiens ist entstanden, Z u unkonkreten Dingen hin zu lenken, Was bewegte Referenten banden.41

Aus dem Englischen übersetzt von M arkus W ild

41 The well refined and tutored mind / O f homo sapiens is / Evolved to treat things inconcrete / From moving references. 356

Kim Sterelny Primatenwelten i. Primaten als Gedankenleser Verstehen nicht-menschliche Primaten etwas vom Geist anderer? Was würde ein solches Verstehen zeigen? Welches ist der einfachste Geist, der fähig ist, den Geist anderer zu repräsentieren? Wann, warum und wie wurden Primaten »Gedankenleser«, die nicht nur ein Bewusstsein von den wahrscheinlichen zukünftigen Verhaltensweisen ihrer Grup­ penmitglieder, sondern auch von den geistigen Ursachen dieser Ver­ haltensweisen haben? Dieser Aufsatz versucht, einige dieser Fragen im Rahmen der »Hypothese der sozialen Intelligenz« zu beantworten. Diese zurzeit verbreitete Theorie legt nahe, dass die kognitive Evolu­ tion der Primaten durch die Selektion nach* sozialen Fähigkeiten vo­ rangetrieben wurde. Z u einem bestimmten Zeitpunkt wurden Prima­ tengesellschaften komplex. Diese Steigerung der Komplexität trieb die Selektion nach gesteigerter individueller Intelligenz voran, und mit dieser Steigerung der Intelligenz wurden Primatengesellschaften noch komplexer. Die Uberlebensfähigkeit von Primaten wurde in ge­ steigertem Maße von der sozialen Orientierungsfähigkeit abhängig. Das Ergebnis war eine Rückkoppelungsschlaufe immer höherer Intel­ ligenz, die der Lösung der Probleme eines komplexen sozialen Lebens angepasst war. Im gleichen Zuge wurde die Selektion nach sozialer * [A. d. Ü.: Im Original »selection jför social skills« und nicht »selection o/social skills«. Die Selektion nach X (»selection for«) ist stärker und bezeichnet das durch den Selek­ tionsdruck der Umwelt herbeigeführte Merkmal eines Lebewesens. Die Selektion von Y (»selection of«) kann auch ein Nebenprodukt der Selektion nach X sein. Die Selektion nach X ist die Ursache für das Bestehen des Merkmals X eines Lebewesens, die Selektion von Y ist die Folge der Selektion nach X. Das bedeutet, dass in der Hy­ pothese der sozialen Intelligenz die Selektion der sozialen Intelligenz kein Nebenpro­ dukt, sondern das gleichsam erwünschte Produkt darstellt. Diese Unterscheidung wurde eingeführt von E. Sober, The Nature o f Selection, Cambridge (Mass.): MIT Press 1984. K. Sterelny veranschaulicht die Unterscheidung an einem Beispiel in The Representational Theory ofM ind, Oxford: Blackwell 1990, S. 127: Ein Trichter lässt nur Kugeln mit einem Durchmesser von 1 cm oder weniger passieren. Zufällig sind nun alle Kugeln, die den Trichter passieren, grün (die Farben der Kugeln, die größer sind als 1 cm, sind grün, gelb, rot etc.). Der Trichter hat nur nach dem Durch­ messer selektiert, nicht aber nach der Farbe. Dennoch hat er auch grüne Kugeln selektiert.] 357

Intelligenz eine Selektion nach dem Vermögen, Gedanken zu lesen, denn die Handlungen anderer werden am besten durch die Repräsen­ tation jener geistigen Zustände verfolgt, die diese Handlungen erzeu­ gen.1 Im Fachjargon sind solche Lebewesen als »Gedankenleser« be­ kannt, im Gegensatz zu niederen Verhaltenslesern, die lediglich fähig sind, aktuelle und potentielle »Verhaltensweisen« anderer zu repräsen­ tieren. Gedankenleser repräsentieren nicht nur, sie meta-repräsentieren auch. Vermutlich durch den Einfluss der Hypothese der sozialen Intelli­ genz hat sich die Einschätzung weit verbreitet, dass sich der Übergang vom Verhaltenslesen zum Gedankenlesen irgendwo innerhalb der Evolution des Menschenaffenzweigs ereignet hat. Das Hauptgewicht von Feld- und Laborstudien hat bislang darauf gelegen, nach Bele­ gen für Gedankenlesen in dieser Gruppe zu forschen. Auch diesen Untersuchungen möchte ich meine Aufmerksamkeit zuwenden. Es ist jedoch wichtig, nicht der Meinung zu verfallen, Gedankenlesen sei ein Ersatz für kognitive Verfeinerung im Allgemeinen. W ir sollten der verlockenden Annahme widerstehen, dass jegliches Zeichen kog­ nitiver Verfeinerung den Übergang zum Gedankenlesen signalisiert. Verhaltensleser müssen nicht auf einfaches Lernen durch Verstärkung eingeschränkt sein. Dickinson und Balleine behaupten, dass Ratten die kausalen Beziehungen zwischen Handlungen und Ergebnissen verstehen.2 Auch Nachahmung zeugt von kognitiver Verfeinerung. Aber sie weist, trotz gegenteiliger Behauptungen,3 nicht auf das Ver­ mögen hin, Gedanken zu lesen - so meine Argumentation.4 Es ist 1 Die zentrale Idee der Hypothese der sozialen Intelligenz stammt von N. Humphrey, »The Social Function o f Intellect«, in: GrowingPoints in Ethology, hrsg. von P. P. G. Bateson und R. A. Hinde, Cambridge: Cambridge University Press 1976, S. 303-317, und A. Jolly, »Lemur Social Behavior and Primate Intelligence«, Science 153 (1966), S. 591-606. Beide wurden wieder abgedruckt in Machiavellian Intelligence. Social Expertise and the Evolution o f Intellect in Monkeys, Apes, and Humans, hrsg. von R. W. Byrne und A. W. Whiten, Oxford: Clarendon Press 1988. Seit ihrer ersten Formulierung wurde sie auf etwas andere Art und Weise durch Dunbar, Tomasello, Byrne, Whiten und andere weiterentwickelt. 2 A. Dickinson und B. W. Balleine, »Causal Cognition and Goal-Directed Action«, in: The Evolution o f Cognition, hrsg. von C. Heyes und L. Huber, Cambridge (Mass.): MIT Press 2000, S. 185-204. [A. d. Ü.: Es handelt sich um den Sammelband, dem auch K. Sterelnys Text entstammt.] 3 M . Tomasello, »Two Hypothesis About Primate Cognition«, in: C. Heyes und L. Huber, op. cit., S. 165-184. 4 K. Sterelny, »Intentional Agency and the Metarepresentation Hypothesis«, in: id.,

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möglich, (relativ) schlau zu sein und doch nicht meta-repräsentieren zu können. Eine heterodoxe Behauptung dieses Aufsatzes besteht da­ rin, dass es für ein Lebewesen trotz seiner (relativen) Einfachheit auch möglich ist, meta-repräsentieren zu können. In der Betrachtung des Übergangs vom Verhaltenslesen zum Ge­ dankenlesen möchte ich mich auf die Idee verlassen, dass Repräsen­ tationen Anpassungsvorteile mit sich bringen. Es ist deshalb wichtig, eine Erklärung des angenommenen Nutzens meta-repräsentierender Fähigkeiten zu entwickeln. Der offensichtlichste Nutzen besteht in der erhöhten Fähigkeit, die Handlungen anderer sowohl in koopera­ tiven als auch in kompetitiven Interaktionen vorwegnehmen zu kön­ nen. In ihrem berühmten Aufsatz zur Evolution der Kommunika­ tion nehmen Krebs und Dawkins an, dass dies der kritische Vorteil des Gedankenlesens sei.5 Oft wird angenommen, dass das Gedanken­ lesen nützlich sei, um Verhalten unter neuen Umständen vorwegzu­ nehmen. So behauptet Tomasello zum Beispiel, dass diese Art der Kognition Organismen befähigt, Probleme in besonders krea­ tiver, flexibler und vorausschauender Weise zu lösen. So ermöglicht das intentionale/kausale Verstehen einem Individuum in vielen Fällen, Ereignisse vor­ auszusehen oder zu kontrollieren, auch wenn deren gewöhnliches Antezedens nicht vorhanden ist - wenn es nämlich ein anderes Ereignis gibt, das dazu dient, die auslösende Kraft in Gang zu setzen. So kann zum Beispiel ein In­ dividuum eine neue Möglichkeit erfinden, um einen Konkurrenten abzulen­ ken.6

In diesem Bild der Dinge erlernen Verhaltensleser spezifische Umwelt-Reaktions-Regeln. Triffst du Fritz am Bananenbehälter, bleibe ja auf Distanz, sonst beißt er dich. Diese Regeln, so lautet die Idee, bieten einem Verhaltensleser keine Grundlage dafür, das Verhalten eines Akteurs unter neuartigen Umständen vorauszusehen. Wie wird sich Fritz wohl am Mangobehälter benehmen? In dieser Sichtweise verfügt ein meta-repräsentierender Primat, wenn die Primaten-Umwelten unvorhersehbarer werden, über eine soziale Orientierungsfä­ higkeit, die einem nur verhaltenslesenden Primaten fehlt. Eine der The Evolution o f Agency and Other Essays, Cambridge: Cambridge University Press 2001, S. 221-240. 5 J. R. Krebs und R. Dawkins, »Animal Signals, Mind-reading and Manipulation«, in: BehaviouralEcology. An EvolutionaryApproach, hrsg. von J. R. Krebs und N. Davies, Oxford: Blackwell Scientific 1984, S. 380-402. 6 M. Tomasello, »Two Hypothesis«, op. cit., S. 173. 359

empirischen Herausforderungen besteht nun darin, von dieser Sicht­ weise unabhängige Belege für eine gesteigerte Heterogenität der Um­ welt vorzulegen. Das ist nicht einfach, denn diese Heterogenität hängt teilweise davon ab, wie Lebewesen ihre Umwelt kategorisieren. Wenn ein Pavian seine Umwelt in konkreten, sinnlichen Begriffen charakte­ risiert, dann wird er sich öfters in einer scheinbar neuartigen Umwelt vorfinden. Sollte er mit abstrakteren Kategorien ausgerüstet sein, so wird er sich weniger oft in neuartigen Umwelten befinden. Es gibt noch weitere Probleme. Der Vorteil kommt nur sehr raffinierten Ge­ dankenlesern zu. So dreht sich etwa Tomasellos Beispiel um etwas Neues, das das Ziel des Akteurs unverändert lässt, die potentiellen Mittel für dieses Ziel jedoch verändert. Neue Umwelten üben oft die­ sen Einfluss auf die Überzeugungs- und Präferenzenstruktur eines Akteurs aus. Doch nicht immer - etwas Neues kann auch die Präfe­ renzen eines Akteurs verändern. Um also voraussehen zu können, wie sich ein anderer Akteur in einer neuen Umwelt verhalten wird, muss das gedankenlesende Tier wissen, ob eine Neuheit eine Neuord­ nung der Präferenzen oder nur der instrumenteilen Überzeugungen verursacht. Das ist schon ziemlich avanciertes Gedankenlesen. Es gibt noch eine zweite Möglichkeit. Leser können von der Fä­ higkeit profitieren, andere als Instrumente einzusetzen, die ihnen et­ was über die Welt sagen. Sie machen sich Geist-Welt- und Verhal­ ten-Welt-Relationen zunutze, um etwas über den aktuellen Zustand der Welt herauszufinden, und weniger, um etwas über die zukünfti­ gen Verhaltensweisen eines Akteurs herauszufinden. Dennett prägte den Ausdruck »Informationsgradient«, um Gruppen zu beschreiben, in denen sich Individuen beträchtlich darin unterscheiden, was sie wissen.7 Ein Informationsgradient selektiert nach der Fähigkeit, an­ dere als Informationsquellen für die Welt einzusetzen. Die Idee, an­ dere als Informationsquellen zu gebrauchen, ist meistens im Kon­ text des Phänomens der Nachahmung diskutiert worden. Aber andere zum Einsatz zu bringen, muss kognitiv nicht so verfeinert sein wie die Nachahmung. Andere können Informationsquellen dafür sein, 7 D. Dennett, »Intentional Systems in Cognitive Ethology. The >Panglossian Paradigm< Defended«, Behavioral and Brain Sciences 6 (1983), wieder abgedruckt in: The Intentional Stance, Cambridge (Mass.): MIT Press, 1987. [Dt. »Intentionale Systeme in der kognitiven Verhaltensforschung«, in: Kognitionswissenschaft. Grund­ lagen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von D. Münch, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 343- 386.] 36 0

was in der Umwelt wichtig ist. Das Lesen der Motive anderer ist ein plausibler Ausgangspunkt für den Einsatz anderer als Informations­ speicher. Daher stammt das als »Reizsteigerung« bekannte Phäno­ men in sozialen Lernprozessen: eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Interessen anderer. Wenn es eine Selektion nach Gedankenlesern gegeben hat, dann müssen sich Gedankenleser anders als Verhaltensleser verhalten, und die Anpassungsvorteile des Gedankenlesens müssen im Verhalten der Gedankenleser auffindbar sein. Darüber hinaus gilt: Ein Verhal­ tensunterschied, der äußerst subtil ist, oder einer, der sich nur sehr selten äußert, würde wahrscheinlich nicht genug Vorteile mit sich bringen, um sich auszuzahlen. Das Vermögen des Gedankenlesens ist wahrscheinlich recht kostspielig, zumindest wenn es eine Ausdeh­ nung des Neokortex erforderlich macht. Also sollten die Verhaltens­ unterschiede auffallen.8 Es gibt in der Primatologengemeinde eine ganze Menge von Feld- und Laborarbeiten, welche (a) die Verhaltens­ signatur des Gedankenlesens zu isolieren und (b) die Existenz die­ ser Signatur bei nicht-menschlichen Primaten zu verifizieren oder zu falsifizieren versuchen. Es wird wohl kaum einen verhaltensspe­ zifischen Volltreffer geben, der die Existenz des Gedankenlesens be­ weist. Wie Whiten und Dennett hervorheben, liegt der Unterschied zwischen Verhaltens- und Gedankenlesen eher in einem umfassen­ den Kompetenzmuster als in einer spezifischen Fähigkeit, die den Ge­ dankenlesern, nicht aber den Verhaltenslesern, zur Verfügung stände. Wir können nicht annehmen, dass es unzweideutige Anzeichen für das Gedankenlesen gibt. Im nächsten Abschnitt skizziere ich eine allgemeine Theorie der Re­ präsentation und ihrer Funktion und wende diese auf eine Sichtweise der Meta-Repräsentation von Primaten an. In den nachfolgenden Ab­ schnitten möchte ich diese allgemeine Theorie für zwei Fallstudien fruchtbar machen, bevor ich mit der »Moral der Geschieht5« schließe. Die erste Fallstudie betrifft eine relativ grundlegende Eigenschaft des Geistes eines anderen: seinen Fokus visueller Aufmerksamkeit. Die zweite Fallstudie betrifft ein raffinierteres und, was das Verhalten betrifft, weniger offensichtliches Merkmal: das Wissen eines anderen Akteurs. 8 Vgl. R. I. M. Dunbar, »Causal Reasoning, Geistig Rehearsal, and the Evolution of Primate Cognition«, in: C. Heyes und L. Huber, op. cit., S. 205-220.

2. Geistige Zustände repräsentieren Unser Vermögen, das Verhalten anderer zu verstehen und vorauszuse­ hen, wird normalerweise als etwas betrachtet, das vom Beherrschen einer »Alltagspsychologie« abhängig ist. Es handelt sich dabei um eine implizite Theorie, die die Überzeugungen, Präferenzen, Emotionen usw. eines Akteurs mit seinen Verhaltensweisen verbindet (diese An­ sicht ist jedoch zurzeit noch umstrittener als früher ohnehin schon9). Dieser Erklärungsansatz für unsere Fähigkeit, andere Akteure zu ver­ stehen, hat die Tendenz erzeugt, zwei Fragen gleichzusetzen, nämlich: »Können nicht-menschliche Primaten die geistigen Zustände ande­ rer repräsentieren?« und »Verfügen nicht-menschliche Primaten über eine Theorie des Geistes?«. Gemäß dieser Argumentationslinie beherr­ schen Gedankenleser so etwas wie eine Alltagspsychologie. In ihrer kürzlich erschienenen skeptischen Besprechung der Literatur über die »Theorie des Geistes bei Primaten« übernimmt Heyes diese Ten­ denz, wenn sie schreibt: [E]in Lebewesen mit einer Theorie des Geistes glaubt, dass geistige Zustände eine kausale Rolle in der Erzeugung von Verhalten spielen, und es leitet das Vorhandensein geistiger Zustände bei anderen durch die Beobachtung ihrer Erscheinung und ihres Verhaltens unter sich verändernden Umständen ab.10

Für diejenigen, die die Debatte so interpretieren, besitzt ein Lebewesen genau dann Begriffe für geistige Zustände, wenn dieses Lebewesen an­ gemessene Erwartungen in Bezug auf die Verknüpfungen von Über­ zeugungen, Präferenzen und Verhaltensweisen hat. Wenn man den Besitz von Begriffen an die inferentiellen Verknüpfungen zwischen Begriffen bindet, dann gelangt man natürlich zu dieser Sichtweise. Es handelt sich dabei um die »inferentielle Rollen-Theorie der Be­ deutung«. Die Verteidiger dieser Theorie vertreten die Auffassung, dass die Bedeutung eines Begriffs teilweise oder ganz vom Netz inferentieller Verknüpfungen zwischen jenen Überzeugungen abhängt, in denen dieser Begriff auftaucht. Was macht beispielsweise meinen Tiger-Begriff zu einem Tiger-Begriff? Die inferentiellen Verknüpfun­ gen von Tiger-Überzeugungen mit Überzeugungen in Bezug auf Lebe9 K. Sterelny, »Navigating the Social World. Simulation versus Theory«, Philosophical Books 27 (1997), S. 11-29. 10 C. Heyes, »Theory o f Mind in Nonhuman Primates«, Behavioral andBrain Sciences 21 (1998), S. 102. 362

wesen, Raubtiere, Beute, große gestreifte Katzen usw. Mein Tiger-Be­ griff wird durch meine implizite Tiger-Theorie - meine kleine Tiger­ kunde - bestimmt, die in diesem Netz von Inferenzen zum Ausdruck kommt. Für diejenigen, die die inferentielle Rollen-Theorie als Be­ deutungstheorie akzeptieren, ist es nur natürlich, den Besitz der Be­ griffe >UberzeugungPräferenz< usw. mit der Aneignung von etwas wie einer Alltagspsychologie gleichzusetzen, d. h. mit einem Ensemble von Überzeugungen in Bezug auf die Verknüpfungen zwischen Über­ zeugungen, Präferenzen, Absichten und Verhalten. In dieser Begriffs­ theorie gilt: Einen Begriff von Überzeugung zu haben heißt, eine Über­ zeugungs-Theorie zu beherrschen. Nun ist diese Ansicht vom Besitz von Begriffen nicht zwingend. Es gibt alternative Sichtweisen, in denen Begriffe nicht durch ihre Ver­ knüpfungen im internen Haushalt des Geistes identifiziert werden, sondern durch ihre Beziehungen zur Außenwelt. Wir wollen jetzt kurz auf ein allgemeineres Problem ausweichen: Was heißt es für ein Lebewesen, etwas zu repräsentieren? Ich habe an anderer Stelle die These vertreten, dass ein Organismus ein Merkmal seiner Um­ gebung dann repräsentiert —im Unterschied zu: lediglich darauf rea­ giert —, wenn er dieses Merkmal seiner Umwelt mittels mehr als nur einer Klasse proximaler Stimuli aufspüren \track] kann. Ein Lebe­ wesen, das X repräsentiert, ist ein Lebewesen mit mehreren unab­ hängigen Informationskanälen für das X-Merkmal seiner Umwelt. Es spürt X mehrspurig auf.11 Betrachten wir ein gegensätzliches Bei­ spiel. Gliederfüßer verfügen oft über wunderbar einfallsreiche M ög­ lichkeiten, relevante Merkmale ihrer Umgebung zu registrieren [detect\, aber sie sind oft von einem einzigen proximalen Reiz abhängig. Das Hygieneverhalten von Ameisen und Bienen —sie entsorgen tote Nestgefährtinnen — hängt von einem einzigen derartigen Reiz ab, nämlich von der durch Zerfall erzeugten Ölsäure. Sie verfügen über kein Äquivalent für jene Mechanismen der Wahrnehmungskonstanz, die sie dazu befähigen würden, anhand verschiedener Kanäle zu ver­ folgen, ob ihre Nestgefährtinnen noch leben. Die Kommunikation i i K. Sterelny, »Basic Minds«, PhilosophicalPerspectives 9 (1995), S. 251-270 [wieder abgedruckt in id., The Evolution o f Agency, op. cit., S. 198-220], und id., »Situated Agents: The Descent o f Desire«, in: Biology Meets Psychology. Constraints, Conjectures, Connections, hrsg. von V. Hardcastle, Cambridge (Mass.): MIT Press 1999, S. 203-219 [wieder abgedruckt in K. Sterelny, The Evolution o f Agency, op. cit., S. 241-259]. 36 3

in und auf einem Ameisenhaufen ist normalerweise von sehr spezi­ fischen chemischen Signalen abhängig. Wie die erfolgreiche Koordination in einem Ameisenhaufen oder in einem Bienenstock zeigt, kann reizgebundenes Verhalten sehr effi­ zient sein. Doch sind Kontrollsysteme, die auf spezifischen Reizen basieren, in entscheidenden Hinsichten störanfällig. Ein Organis­ mus, der seine Umwelt nur mittels eines einzigen, spezifischen Rei­ zes registrieren kann, verfügt über eine sehr beschränkte Fähigkeit, zur Kontrolle und Anpassung seines Verhaltens Feedback zum Ein­ satz zu bringen, denn er verlässt sich auf Veränderungen dieses einen Reizes. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass Organismen, deren Verhalten reizgebunden ist, über Fähigkeiten verfügen, die in unterschiedlichen Umwelten funktionieren und stabil bleiben, denn Umweltveränderungen werden das Input oftmals verzerren. Damit Verhaltensweisen stabil sein können, ist die Fähigkeit erforderlich, funktional relevante Merkmale einer Umwelt auf mehr als nur einem Weg aufzuspüren. Innerhalb der Unterscheidung zwischen reizgebundenen Organis­ men und solchen, die ein gegebenes Merkmal ihrer Umwelt durch mehrfache Reize aufspüren, müssen wir zwischen dem Einsatz mehr­ facher Reize und deren Variationen einerseits und der Verallgemeine­ rung eines einzigen Stimulus andererseits unterscheiden. Das liegt auf der Hand, wenn Organismen ihre Umwelt anhand von unterschied­ lichen Sinnen mehrspurig aufspüren. Ein Zebra, das den Grad der Ge­ fährdung durch eine Hyäne aufgrund ihrer Haltung und ihrer Blick­ richtung aufspürt, verwendet zwei Reize, nicht einen, auch wenn es die Gesichtswahrnehmung für beide gebraucht. Der Unterschied zwischen dem Einsatz zweier Reize und der Verallgemeinerung eines Stimulus, der von einem einzigen Reiz ausgeht, ist wahrscheinlich schwer zu definieren. Denn schließlich werden keine zwei Annähe­ rungsversuche von Hyänen genau denselben Netzhautstimulus auf das Zebra-Auge projizieren. Doch viele Einzelfälle sind deutlich ge­ nug. Betrachten wir zum Beispiel das oft diskutierte Phänomen der Selbsterkennung im Spiegel, die Fähigkeit von Schimpansen und an­ deren Menschenaffen, ihr eigenes Abbild in einem Spiegel zu erken­ nen. Heyes weist zu Recht darauf hin, dass Selbsterkennung im Spie­ gel nicht den Besitz eines Begriffs des Selbst beweist.12 Sie hebt hervor, 12 364

C. Heyes, »Reflections on Self-Recognition in Primates«, Anim al Behaviour 47

dass Lebewesen, die sich durch Umwelten voller Objekte bewegen, ihr Verhalten nach der Position ihres Körpers im Raum ausrichten müssen. Dazu müssen sie über eine Art »Körper-Begriff« verfügen. Sie benutzen Informationen über ihren Körper, um ihr Verhalten zu kontrollieren. Selbsterkennung im Spiegel ist lediglich ein weniger ge­ wöhnliches Beispiel desselben Phänomens. Es weist ebenso wenig auf Selbstbewusstsein hin wie das Verhalten eines leichtfüßigen Elefanten im Porzellanladen. Doch obwohl Selbsterkennung kein Beweis für Selbstbewusstsein ist, verweist sie auf die Fähigkeit, körperliche Merk­ male durch den Einsatz ungewöhnlicher Wahrnehmungs-Inputs auf­ zuspüren. Also haben Lebewesen, die zur Selbsterkennung im Spiegel fähig sind, keinen reizgebundenen Körper-Begriff. Ihr Körper-Begriff ist eine reale Repräsentation ihres Körpers, denn sie können unge­ wöhnliche Informationskanäle verwenden, um ihn den aktuellen Um­ ständen anzupassen. Wir sollten nun diese Unterscheidung zwischen Repräsentieren und Registrieren einsetzen, um einen Zu griff auf die Repräsentationsfähig­ keiten von Primaten zu bekommen. Im Allgemeinen passen Primaten ihr Verhalten den psychologischen Zuständen anderer Primaten an. Schimpansen reagieren zum Beispiel differenziert auf Schimpansen, die sie motiviert angreifen wollen. Das heißt, dass sie oft jene Reize — etwa Drohungen - erkennen, die einen bevorstehenden A ngriff sig­ nalisieren. Ihr eigenes Verhalten ist Verhaltensweisen angepasst, die durch bestimmte psychologische Zustände verursacht werden. Sie er­ kennen und reagieren auf eine Reihe von Verhaltensweisen, die Hin­ weise auf bestimmte psychologische Zustände geben, weil sie deren Folgen sind. In diesem minimalen Sinn also können Primaten die psychologischen Zustände von anderen Primaten aufspüren, ebenso wie Ameisen die Eigenschaft »Nestgefährtin« verfolgen können. Sie reagieren oft angemessen auf einen drohenden A ngriff aufgrund eines Informationsflusses, der den Motivationszustand eines potentiellen Angreifers betrifft, und auf diesem Wege reagieren sie schließlich auf den Geist des reagierenden Primaten. Außerdem handeln sie in Über­ einstimmung mit Verhaltensregeln, die eine angemessene Handlung festlegen - angesichts des Zustands des anderen Akteurs. Dennoch ist es eine Sache, geistige Zustände aufzuspüren; eine andere Sache ist es, sie eher zu repräsentieren als nur aufzuspüren. Dazu müssen (1994), S. 909-919; C. Heyes, »Self-Recognition in Primates. Further Reflections Create a Hall o f Mirrors«, Anim al Behaviour 51 (1995), S. 1533-1541. 36 5

wir wissen, wie zum Beispiel Bonobos das Verhalten anderer Bonobos kategorisieren. Nehmen wir Folgendes an: 1. Ein Bonobo deutet die Handlungen a, b, c, d, e , . . . immer als Handlun­ gen desselben Typs. 2. Die Handlungen a, b, c, d, e, . . . sind tatsächlich immer durch einen bestimmten geistigen Zustand Qentstanden; nehmen wir an, Q sei Wut.

An dieser Stelle können wir sagen, dass der Bonobo den geistigen Z u ­ stand eines anderen zumindest aufspürt, denn seine Reaktion kovariiert mit Wut. Sein Verhalten ist an dieses Merkmal seiner Umwelt angepasst. Nun repräsentiert unser Bonobo aber die geistigen Z u ­ stände anderer vielmehr und spürt sie nicht bloß auf, wenn: 3. a, b, c, d, e , . . . keinen einzelnen, einfachen, gemeinsamen sensorischen Reiz haben.

Neuere Arbeiten legen nahe, dass Schimpansen visuelle Aufmerksam­ keit mittels eines einfachen Reizes aufspüren: »Gesicht sichtbar«. Nehmen wir an, dass Bonobos Wut nicht auf diese Weise aufspüren. Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Laute speisen alle unabhängig voneinander die Verhaltensregel der »Drohbesänftigung«.* Wenn die Wut-Verhaltensweisen, die der Bonobo in eine Kategorie fasst, keinen einzelnen, bestimmten sensorischen Reiz gemeinsam ha­ ben, dann ist der Bonobo hinsichtlich der Wut nicht stimulusgebun­ den, sondern er kann sie anhand einer Bandbreite von Äußerungen aufspüren. Diese Schlussfolgerung wird verstärkt, wenn sich die Fä­ higkeit des Bonobos, Wut aufzuspüren, der Vollständigkeit annähert: 4. Es ist nicht nur so, dass a, b, c, d, e , . . . durch Wut erzeugt werden, son­ dern der Bonobo reagiert auf dieselbe Art und Weise auf die meisten Ver­ haltensweisen, die typischerweise durch Wut erzeugt werden.

Alles in allem also reagiert ein Primat auf einen geistigen Zustand eines anderen, wenn er ihn aufspüren kann - das heißt, er reagiert mit einiger Zuverlässigkeit unterschiedlich auf eine Abfolge von Ver­ haltensweisen, die tatsächlich durch einen spezifischen geistigen Z u ­ stand verursacht werden, wie etwa Wut oder Furcht. Wenn, wie F. de * [A. d. Ü.: Sterelny spielt hier auf die einzigartige sexuelle »Entspannungspolitik« der Bonobos bei sozialen Konflikten an, vgl. F. de Waal, Peacemaking Among Primates, Cambridge (Mass.): Harvard University Press 1989 (dt. Wilde Diplomaten. Versöh­ nung und Entspannungspolitik bei Affen und Menschen, München: Hanser 1991).]

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Waal nahe legt, ein Bonobo wütendes Verhalten dadurch befriedet, dass er Sex für Frieden eintauscht, dann spürt er Wut auf. Wir unter­ suchen, ob es sich um die Aufspürung oder um die Repräsentation von Wut handelt, indem wir die Stabilität des Aufspürens experimen­ tell überprüfen. Insbesondere handelt es sich eher um Aufspüren als um Repräsentieren, wenn diese Fähigkeit reizgebunden ist. Zugleich können wir experimentell die Verfeinerung des Aufspürens untersu­ chen, indem wir die Bandbreite der Reaktionen auf Wut testen. Passt sich der Wut-Leser wütendem Verhalten in einer Umwelt anders an, die zu einer anderen Äußerung dieses Verhaltens führt? Reagiert er an­ ders, wenn sich die physische oder soziale Umwelt auf einschneidende Art und Weise verändert? Reagiert er anders auf Wut, wenn er noch andere geistige Zustände des Lebewesens erkennt? Oder lautet die Verhaltensregel des »Wut-Verhaltens« einfach: »Weglaufen«? In die­ sem Bild der Dinge zeichnen sich also zwei getrennte experimentelle Untersuchungen ab. W ir untersuchen einerseits die Fähigkeit eines Primaten, einen geistigen Zustand zu repräsentieren, indem wir die Stabilität seiner Fähigkeit, diesen geistigen Zustand aufzuspüren, unter­ suchen. Die Stabilität besteht in der Vielfalt beobachtbarer Reize, die er zum Aufspüren einsetzt. Wir können andererseits aber auch seine Reaktionsbandbreite a u f das Aufspüren untersuchen. Die Bandbreite liegt in dem Ausmaß, in dem die Erwartung und die Reaktionen des Aufspürers in Bezug auf das Verhalten eines Akteurs angemessen durch das modifiziert werden, was der Aufspürer sonst noch bemerkt. Wir können uns also die soziale Intelligenz eines Lebewesens so denken, dass sie sich durch zwei Arten von Verhaltensregeln entwi­ ckelt. Über Erkennungsregeln ist ein Gedankenleser mit einem auf­ gespürten geistigen Zustand verknüpft. Nach den Erkennungsregeln eines Lebewesens suchen wir, indem wir die Umwelt des Gedan­ kenlesers so weit wie möglich festhalten, aber die Reize für einen einzelnen, grundlegenden kognitiven Zustand variieren, um heraus­ zufinden, ob der Gedankenleser dieselbe Reaktion auf diese unter­ schiedlichen Reize zeigt. Ich habe dargelegt, dass ein Lebewesen nur dann ein Gedankenleser ist, wenn es eine ganze Reihe von Erken­ nungsregeln für einzelne geistige Zustände hat. Output-Regeln steu­ ern die Reaktionen auf jene Zustände, die ein Gedankenleser aufspü­ ren kann. W ir testen die Output-Regeln eines Lebewesens, indem wir den für den Gedankenleser bestimmten Reiz festlegen, die Umwelt variieren und die verschiedenen Reaktionen testen. 367

Ich habe an anderer Stelle dargelegt,* dass die Fähigkeit zur Reprä­ sentation sich dann aus der Fähigkeit zum Aufspüren entwickelt, wenn Organismen in einer Umwelt leben, die für sie in Bezug a u f In ­ form ation durchscheinend ist [inform ationally translucent environments\. Umwelten sind für einen Organismus in dem Maße durch­ scheinend, in dem sich ökologisch relevante Merkmale seiner Umwelt in komplexer, eins-zu-vielfacher Weise auf seine durch unmittelbare Sinnesreizungen dargestellte Welt abbilden lassen. Wenn sich Futter, Verstecke, Räuber, Partner zur Paarung, Freund und Feind in komple­ xer Art und Weise nur anhand aufspürbarer physischer Signale abbil­ den lassen, wird das Verhalten reizgebundener Organismen öfters fehl­ schlagen. Ich muss die Informationsdurchlässigkeit als Faktor in die Unterscheidung zwischen mehrspurigem und reizgebundenem Auf­ spüren mit einberechnen. In einem minimalen Sinn ist ein Lebewe­ sen, das zu konditionierter Assoziation fähig ist, auch dazu imstande, ein Merkmal seiner Umgebung mehrspurig zu verfolgen. Der be­ rühmte Hund Pavlovs lernte das Aufspüren von eintreffendem Futter nicht einfach nur durch Sichtkontakt, sondern ebenso durch den Klang einer Glocke. Doch hier handelt es sich nicht um die Form mehrspurigen Aufspürens, die ich beschrieben habe. Denn wie seine Reaktion zeigt, hat der Hund nicht die Fähigkeit, den Informations­ fluss im einen Kanal dazu einzusetzen, um gleichzeitig die Zuverläs­ sigkeit des anderen Kanals zu kontrollieren. Mehrspuriges Aufspüren, das Organismen an das Problem der Durchlässigkeit anpasst, muss eine Form der Integration oder der gegenseitigen Kontrolle der Ka­ näle enthalten. Auch ist es wichtig, zwischen dem Gebrauch mehrfa­ cher Reize und der Veränderung eines einzigen Reizes im Verlauf der Zeit zu unterscheiden. Die Tatsache, dass ein Lebewesen im Verlauf der Zeit eine Verformbarkeit in seinen Reaktionen gegenüber einem Merkmal seiner Umwelt an den Tag legt, zeigt nicht, dass es dieses Merkmal zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrspurig aufspürt. Es gibt also einen Unterschied zwischen: (i) einer gegebenen Handlung zusätzliche Auslösereize hinzuzufügen;13 (2) einen neuen und kom­ * [A. d. Ü.: K. Sterelny, The Evolution ofAgency, op. cit. Diese Thesen fiihrt Sterelny weiter aus in Thought in a Hostile World. The Evolution o f Human Cognition, Lon­ don: Blackwell Publishers 2003, S. 20-29.] 13 Zusätzliche Auslösereize können eine ihnen eigene funktionale Prägnanz aufweisen. Es kann sehr wichtig sein, der Verhaltenskontrolle eine gewisse Redundanz hinzuzufiigen, um falsche Negative (falscher Fehlalarm etwa) zu vermeiden. 36 8

plexeren Auslösereiz durch Lernen zu entwickeln, der in einer Gestalt* besteht, deren Elemente nicht einzeln hervortreten; und (3) fähig zu sein, eine Anzahl unabhängiger, sich aber gegenseitig kontrollieren­ der Informationskanäle einzusetzen. Nur (3) passt ein Lebewesen an das Problem der Informationsdurchlässigkeit an. Die Bedeutung der wechselseitigen Kontrolle zwischen den Ka­ nälen steckt beispielsweise implizit in Whitens Erörterung von Täu­ schung und deren Aufdeckung. Eine Täuschung kann durch eine Kombination von Reizen aufgedeckt werden und damit durch den Versuch von Gedankenlesern, Motive über unterschiedliche Reize hinweg aufzuspüren.14 So kann etwa die bekannte Lebensgeschichte eines Akteurs darauf hinweisen, dass sein tatsächliches Verhalten von seinem angekündigten Verhalten abweichen wird. Grüne Meerkat­ zen können lernen, dem unzuverlässigen Alarm ruf eines Artgenos­ sen zu misstrauen. Ein deutlicheres Beispiel des Vorteils von wech­ selseitiger Kontrolle zwischen den Kanälen hängt von der Tatsache ab, dass eine Ankündigung »undicht« sein kann —vielsagende Reize können die Information unterlaufen, die ein Tier ankündigt. De Waal präsentiert einige hübsche, wenn auch anekdotische Belege von Schim­ pansen, die versuchen, undichte Stellen zu stopfen; beispielsweise ver­ suchen sie, bei Konfrontationen Angstsignale zu unterdrücken. Die Umwelt kann ebenfalls »undicht« sein. Das heißt, dass ein Akteur auf eine Art und Weise handeln kann, die, wie der Beobachter weiß, in der aktuellen Umwelt unangemessen ist. Zum Beispiel kann er sich so verhalten, als würde er etwas sehen; der andere Akteur weiß jedoch, dass es nicht da ist.15 Aus meiner Sicht also ist Repräsentation an mehrspuriges Aufspü­ ren im starken Sinne gebunden, und das mehrspurige Aufspüren ist eine Anpassung an das Problem, das durch informationsdurchsch ei­ nende Umwelten entsteht. Viele Versionen der Hypothese der sozia* [A. d. Ü.: Dt. im Original.] 14 A. Whiten, »When Does Smart Behavior-Reading Become Mind-Reading?«, in: Theories o f Theories ofM ind, hrsg. von R Carruthers und R K. Smith, Oxford: Ox­ ford University Press 1996, S. 277-292. 15 Es gibt eine saubere Untersuchung dieser Möglichkeit in Hausers Diskussion der Futterrufe von Haushühnern. Männchen erzeugen weniger oft falsche Rufe, wenn die Weibchen in der Nähe sind und sehen können, ob das Männchen Futter hat; vgl. M . Hauser, »Minding the Behavior o f Deception«, in: Machiavellian Intelligence II. Extensions and Evaluations, hrsg. von R. W. Byrne und A. Whiten, Cambridge: Cambridge University Press 1997, S. 112-14 3.

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len Intelligenz werden am besten als Argumente dafür betrachtet, dass die sozialen Umwelten von Primaten - oder von bestimmten Prima­ ten — informationsdurchscheinend sind. Diese Hypothesen implizie­ ren, dass das Verhältnis zwischen Verhaltenshinweisen und innerem Zustand oft komplex ist. Ein einzelner, von anderen isolierter Hinweis ist nicht zuverlässig. Beispielsweise müssen Menschenaffen einige in­ nere Zustände aufspüren, und sie können das nur dadurch, dass sie diese repräsentieren. Sie müssen also die M ehrspurigkeit der Zeichen für innere Zustände verwerten und nicht einen einzelnen proximalen Ersatz. Wie Povinelli und Cant in ihren Ausführungen über OrangUtans gezeigt haben, ist die schiere Körpergröße der Menschenaffen von Bedeutung, denn diese führt zu einem körperlichen Verhalten, das weniger stereotyp ist.16 Für sich genommen heißt das, dass die inneren Ursachen für diese Verhaltensweisen weniger leicht an den Verhaltenshinweisen selbst ablesbar sind. Bewegt sich ein Lebewesen in einer höchst stereotypen Weise durch seine Umwelt, dann kann eine bestimmte Körperhaltung gut als angemessener Hinweis auf Flucht oder auf A ngriff dienen. Ist die Bewegung jedoch nicht ste­ reotyp und überschneiden sich funktional bestimmte Verhaltens­ muster mit Verhaltensweisen, die durch motorische Muster bestimmt sind, dann sind Verhaltenshinweise auf den jeweiligen Zustand der Motivation weniger direkt erkennbar. Die soziale und kognitive Komplexität der Primaten verschärft die Probleme für den Beobachter. Wenn zum Beispiel Tömasello mit sei­ ner Ansicht Recht hat, dass nur Primaten die Beziehungen zwischen Dritten aufspüren und ihr Verhalten entsprechend anpassen,17 dann ist das Verhalten von Primaten anhand eines einzigen Hinweises we­ niger voraussagbar als das soziale Verhalten anderer Lebewesen. Je größer die Anzahl von Faktoren ist, die zusammen das Verhalten eines Akteurs bestimmen, desto mehr Verhaltensweisen müssen von einem Beobachter zur Kenntnis genommen werden, wenn er dessen Hand­ lungen Voraussagen möchte. Soziale Organisationen, in denen sich die Gewichtungen verschieben — Organisationen also, die instabile Mischungen kooperativer und kompetitiver Interaktionen darstel­ len —, können das Problem der Voraussagbarkeit ebenso verschlim­ mern. In einigen Affen-Gesellschaften wird der soziale Status durch 1 6 D. Povinelli und J. G. H. Cant, »Arboreal Clambering and the Evolution o f SelfConception«, Quarterly ofBiology 70 (1995), S. 393-421. 17 M. Tomasello, »Two Hypothesis«, op. cit. 370

die Mutter weitergegeben. Gibbon-Populationen können aus höchst kooperativen Familien zusammengesetzt sein, die von einem mono­ gamen Paar abstammen. In solchen Gesellschaften ist es vermutlich im Interesse aller Beteiligten, das Verhaltenslesen so einfach wie mög­ lich zu machen. Aber je dynamischer die Mischung aus Kooperation und Wettbewerb wird, je wichtiger es wird, etwas zu verbergen und andere zu täuschen, desto weniger transparent wird die Umwelt. In dieser Sichtweise ist die schiere Größe einer Gruppe nicht signifikant. Denn obwohl die Größe Anforderungen an das Gedächtnis stellt, ist sie ein transparentes und kein durchlscheinendes Merkmal der Um­ welt. Die Hauptsache ist nicht, ob diese Plausibilitätsüberlegungen zu­ treffen. Viel mehr geht es darum, ob dieses Bild der Repräsentation zu einem empirisch haltbaren Ansatz für die Unterscheidung zwi­ schen Verhaltenslesen und Gedankenlesen führt. In meinen hier dar­ gelegten Vorschlägen stimme ich mit Whiten und Sober überein.18 Beide behandeln das Gedankenlesen als Postulat einer verborgenen Va­ riablen, die das gegenwärtige und zukünftige Verhalten eines Lebe­ wesens verbindet. Aber ihre Sichtweise beruht nicht auf der Unter­ scheidung zwischen Aufspüren und Repräsentieren. Sie behaupten, dass durch die Festlegung von Voraussagen in einer verborgenen Va­ riablen der Vorteil entsteht, dass Effizienz kodifiziert wird. Es gibt keine Verhaltensweisen, die nur von einem Akteur vorausgesagt wer­ den können, der eine auf eine verborgene Variable gestützte Analyse zur Anwendung bringt. Doch wenn die Anforderungen an die Voraussagbarkeit für einen Akteur steigen, dann wird es effizienter sein, wenn er Voraussagen aufgrund der Zuschreibung von Überzeugungen und Motiven gegenüber anderen Akteuren macht. An dieser Stelle treffen sich ihre und meine Vorschläge. Die Kodifizierung der Effizienz rührt von der Tatsache her, dass es bestimmte offensichtliche Zeichen für einen inneren geistigen Zustand gibt, und dass dieser innere Zustand in unterschiedlichen Umwelten unterschiedliches Verhalten erzeugt. Kann man den inneren Zustand aufspüren, dann braucht man nicht jede einzelne Verbindung zwischen Stimulus und Verhalten aufzuspü­ ren. 18 A. Whiten, »When Does Smart Behavior-Reading Become Mind-Reading?«, op. cit.; E. Sober, »Black Box Inference. When Should Intervening Variables Be Postulated?« British Journalfor the Philosophy ofScience 49 (1998), S. 468-498. 371

3. Eine Fallstudie: Visuelle Aufmerksamkeit und implizites Wissen über Fremdpsychisches Experimentelle Untersuchungen, die bei Menschenaffen nach einer voll ausgeprägten »Theorie des Geistes« suchen, haben bestenfalls mehrdeutige Resultate hervorgebracht. Eine Reaktion darauf besteht darin, weniger ehrgeizige Ideen darüber zu entwickeln und zu über­ prüfen, was Menschenaffen über Fremdpsychisches wissen. Ein wich­ tiges Beispiel ist die Untersuchung der Frage, inwieweit Schimpansen die visuelle Aufmerksamkeit anderer begreifen. Diese Untersuchung ist wichtig, weil es sich scheinbar bei der Repräsentation von Auf­ merksamkeit um kein sehr anspruchsvolles Problem handelt, denn Aufmerksamkeit hat eine offenkundige Verhaltenssignatur. Dennoch legen die experimentellen Resultate nahe, dass Schimpansen einen überraschend beschränkten Z u griff auf die visuelle Aufmerksamkeit haben. Insofern Schimpansen Dinge wie »verstecken« oder »sich anpir­ schen« verstehen, müssen sie zumindest die Fähigkeit besitzen, die visuelle Aufmerksamkeit anderer aufzuspüren. Sie können der Blick­ richtung zu einem Objekt hin folgen.19 Doch Povinelli und Eddy haben eine Reihe von Experimenten durchgeführt, die anscheinend zeigen, dass die Fähigkeit zum Aufspüren visueller Aufmerksamkeit reizgebunden ist und dass das Erfassen der Auswirkung dieser Auf­ merksamkeit auf das Verhalten ebenso rudimentär ist. In diesen Expe­ rimenten wurden Schimpansen zuerst darauf trainiert, ihre natürliche Bettelgeste zu benutzen, um Futter von einem Trainer zu erbetteln, indem sie sich entweder zur rechten oder zur linken Seite eines Ge­ heges begaben (je nach Standort des Trainers) und dabei durch eine Öffnung in einer durchsichtigen Wand bettelten. In diesen Versuchen wurde zunächst allgemein die Aufmerksamkeit überprüft, indem Ex­ perimente gemacht wurden, in denen ein Trainer Futter und ein an­ derer wertlose Dinge anbot. Schimpansen verlangten ohne Weiteres das Futter. Probedurchläufe wurden abwechselnd mit Standardver­ suchen durchgeführt, um eine kontinuierliche Motivation für das Verlangen nach Futter zu gewährleisten. Es scheint keinen Grund zur Annahme zu geben, dass die Versuchsanordnung den Schimpan­ sen irgendwelche besonderen Probleme bereitet hätte. In den Probe­ durchläufen wurde den Schimpansen nun die Wahl überlassen, ent19

A. Whiten, »The Macchiavellian Mindreader«, in: Machiavellian Intelligence II, op. cit., S. 164.

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weder von einem Trainer Futter zu verlangen, der seine Aufmerksam­ keit auf sie richtete, oder von einem anderen, der dies nicht tat. Es wurde eine Reihe verschiedener »Aufmerksamkeits-Vernichter« ge­ prüft. Unaufmerksame Trainer hatten entweder einen Eimer über dem Kopf, verbundene Augen, saßen von den Tieren abgewandt da oder hielten sich die Augen zu. In Fällen, in denen Ablenkungen eine Schwierigkeit hätten darstellen können, wurden die aufmerk­ samen Trainer mit »Ablenkern« versehen. Sie saßen mit Kübeln auf den Schultern, mit verbundenen Mündern da und hielten sich die Ohren zu.20 Das bemerkenswerte Resultat ist, dass die Schimpansen alle Auf­ gaben nur zufällig lösten, mit Ausnahme derer, in denen einer von zwei Trainern den Schimpansen entweder zu- oder abgewendet war. Sogar das hing anscheinend von einem reichlich plumpen Reiz ab. Denn die Ergebnisse fielen auf ein Zufallsniveau zurück, wenn die Ex­ perimente so wiederholt wurden, dass beide Trainer von den Schim­ pansen abgewandt dasaßen, der eine jedoch über die Schulter zu­ rückblickte. Povinelli und Eddy überprüften, ob vielleicht zu viele »Ablenker« vorhanden waren, die die Schimpansen überforderten, obwohl das wirklich nur für Trainer mit Kübeln und Augenbinden plausibel erscheint. Sie veränderten die Versuchsanordnung, damit sich die Schimpansen erst einmal mit merkwürdig ausstaffierten Trainern vertraut machen konnten, doch das änderte die wesent­ lichen Resultate nicht. Schließlich lernten die Schimpansen, die auf­ merksamen Trainer anzubetteln - doch anscheinend nur, weil sie die Regel abgeleitet hatten, ihre Aufmerksamkeit dem Trainer mit einem sichtbaren Gesicht zuzuwenden. Daher kehrten sie zum Z u ­ fallsverhalten zurück, sobald sie zwischen Trainern mit offenen und mit geschlossenen Augen unterscheiden mussten. Der Nennwert des experimentellen Ergebnisses lautet, dass Schimpansen entweder visuelle Aufmerksamkeit aufspüren, aber nicht repräsentieren kön­ nen oder dass sie nur über beschränkte Möglichkeiten verfügen, ihre Repräsentationen der visuellen Aufmerksamkeit zum Aufspüren von Verhalten einzusetzen; oder beides zusammen. Povinelli selbst inter­ pretiert seine Experimente anscheinend so: Sie zeigen, dass die Schim­ pansen die Verknüpfung »Aufmerksamkeit hin zu Verhalten« be­ schränkt erfassen. Das bedeutet, dass sie rudimentäre Output-Regeln 20

D .J. Povinelli und T. J. Eddy, »What Young Chimpanzees Know About Seeing«, Monographs ofthe Society fo r Research in Child Development 6i (1996), S. 1-152. 373

haben. Doch ebenso möglich ist es, dass ihr Problem in der Verknüp­ fung »Erscheinung hin zur Aufmerksamkeit« liegt: Es ist eher so, dass sie sich auf plumpe Aufmerksamkeitssignale verlassen, als dass sie die Bedeutung der Aufmerksamkeit für das Verhalten überhaupt nicht verstehen würden. Meiner Ansicht nach sind die Resultate in Bezug auf Input und Output zweideutig. Als ich von diesen Experimenten las, wollte ich wissen, ob die Schimpansen Geräusche oder Gesten machten oder auf andere Art Aufmerksamkeit zu erregen versuchten. Diese starren Blickrichtungen sind im natürlichen Leben von Schimpansen be­ stimmt sehr anomal. Das mag erklären, weshalb Schimpansen über­ leben und dennoch in Bezug auf visuelle Aufmerksamkeit reizge­ bunden sein können. Der Reiz »Ich sehe das Gesicht eines Akteurs« genügt zum Aufspüren von Aufmerksamkeit, gerade weil die Blick­ richtung nicht starr ist. Früher oder später, eher früher, wird man ge­ sehen. Aufmerksamkeit könnte ein transparenter —kein durchschei­ nender - Zug ihrer Welt sein und damit nichts, was anhand vieler Reize verfolgt werden müsste. Selbst wenn dem so wäre, sind Schim­ pansen vielleicht immer noch in der Lage, visuelle Aufmerksamkeit einzusetzen und zu manipulieren. Ich denke, dass es einige experimentelle Ergebnisse gibt, die die Idee stützen, dass Schimpansen Aufmerksamkeit auf labile Weise verfolgen, durch einen einfachen Reiz nämlich, und dass ihre Reak­ tionsbandbreite dennoch nicht rudimentär ist. Wenn sie erst einmal Aufmerksamkeit aufspüren, wissen sie, was sie damit anfangen sol­ len. Insbesondere wissen sie, wie man sie erhält (und erlangt). Gomez berichtet von einer Reihe von Experimenten in dieser Richtung.21 Von Povinellis Schimpansen wurde verlangt, dass sie zwischen auf­ merksamen und unaufmerksamen Trainern wählen. Von Gomez’ Schimpansen wurde verlangt, Trainer auf sich aufmerksam zu ma­ chen, also Aufmerksamkeit zu erregen. Die Trainer von Gomez hat­ ten je nach Situation den Schimpansen den Rücken zugewandt, ihre Augen geschlossen, starrten in eine Ecke des Geheges oder blickten über den K opf des Schimpansen hinweg. Obwohl sie die Aufgabe mit den geschlossenen Augen schwierig fanden, schnitten diese Schim­ pansen viel besser ab als diejenigen von Povinelli. 21

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J. C. Gomez, »Non-Human Primate Theories o f (Non-Human Primate) Minds. Some Issues Concerning the Origin o f Mind-Reading«, in: Theories o f M ind, op. cit., S. 330-343.

Gomez selbst interpretiert die Experimente mithilfe einer Unter­ scheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen. Die intui­ tive Idee besteht darin, dass implizite Informationen stärker als expli­ zite Informationen kontextabhängig und vielleicht eher ein Wissenwie als ein Wissen-dass sind. Wissen wird umso expliziter, je mehr es aus sehr spezifischen Kontexten und Handlungen herausgelöst wer­ den kann. Er interpretiert seine Arbeit so, dass Schimpansen und G o­ rillas, mögen sie auch kein explizites Wissen über das geistige Leben anderer Primaten haben, doch ein implizites Wissen davon haben. Ins­ besondere verfügen sie über ein Wissen-wie hinsichtlich geistiger Z u ­ stände, die sich im Verhalten manifestieren, wie etwa das Sehen. Dennoch ist die Unterscheidung zwischen impliziter und explizi­ ter Repräsentation eher ein Stellvertreter für eine Theorie der Reprä­ sentation als selbst eine Theorie. Diese Fragestellungen werden em­ pirisch handhabbar, wenn wir die Unterscheidung zwischen implizit und explizit in die Unterscheidung zwischen der Stabilität des Aufspürens und der Reaktionsbandbreite überführen. Betrachten wir zum Beispiel die Reaktionsbandbreite. Ich bezweifle, dass irgendein Verhalten völlig unbedingt ist, denn der Motivationszustand eines Gedankenlesers spielt normalerweise eine Rolle. Aber es kann Verhal­ ten geben, das unabhängig davon ist, was der Akteur sonst noch von seiner Umwelt repräsentiert. Also hängt die Reaktionsbandbreite eines Gedankenlesers von Folgendem ab: (i) vom Spektrum der an­ deren Merkmale des Akteurs, die der Gedankenleser verfolgt, und (2) vom Ausmaß, in dem seine Reaktion nicht nur vom anderen Ak­ teur, sondern auch vom Rest der Umwelt abhängig ist: die Auswir­ kung von Anhängern der einen oder der anderen Partei, die physische Geographie der Interaktion, der Wert einer Ressource (in Konflikt­ situationen) und Ähnliches sind relevant für die Bandbreite des Out­ puts. (3) Wie das Beispiel der visuellen Aufmerksamkeit zeigt, kann die Bandbreite der Reaktion auch von der Fähigkeit abhängen, In­ teraktionen zu initiieren. Kann ein Gedankenleser Aufmerksamkeit in einem breiten Spektrum von Situationen und eher subtil erregen (wie einige Anekdoten über »taktische Täuschungen« nahe legen) oder nur plump, durch Berührung und Geschrei? Wenn die Reaktion eines Lebewesens von Veränderungen in seiner (nicht-sozialen) Umwelt abhängt, müssen wir darüber nachdenken, wie ein Lebewesen seine Umwelt kategorisiert. Sind diese Kategorisie­ rungen konkret und sinnlich, oder sind sie manchmal funktional und 375

abstrakt?22 In der Debatte darüber, wie Lebewesen ihre Umwelt wahr­ nehmen, ist Kausalität - die kausale Verknüpfung zwischen Ereig­ nissen - ein wichtiger Punkt. Rumbaugh und Hillix behaupten, dass einige Primaten gewisse Kausalketten verständen.23 Dickinson und seine Mitstreiter behaupten, dass sogar Ratten das schaffen würden.24 Dagegen behauptet Tomasello, dass ein wahres Verstehen von kau­ salen Relationen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit Vorbehalten sei.25 Die Unterscheidung zwischen der Stabilität des Aufspürens und der Reaktionsbandbreite ist hilfreich, wenn man die hier vorhandenen Meinungsverschiedenheiten wirklich auseinander halten will. Dickin­ son und Balleine behaupten, dass Ratten Kausalität verständen. Rat­ ten, so behaupten sie, handelten intentional, weil ihr Verhalten durch eine Interaktion ihrer Präferenzen mit ihren instrumentellen Überzeu­ gungen gelenkt werde. Diese instrumentellen Überzeugungen sind kausale Überzeugungen. Dickinson und Balleine behaupten, Ratten verständen die kausale Relation zwischen ihren Handlungen und den daraus folgenden Ergebnissen, die sie erfahren. Dagegen behaup­ tet Tomasello, dass nicht-menschliche Primaten die kausalen Rela­ tionen zwischen Ereignissen in ihrer Umwelt nicht verständen. Es scheint, falls Ratten nicht klüger sind als Affen, dass nicht beide Recht haben können. Bei genauerer Analyse stellt sich heraus, dass sich Dickinson und Balleine mit Erkennungsregeln befassen; Tomasello hingegen konzentriert sich auf die Bandbreite der Reaktion. Dickin­ son und Balleine befassen sich mit dem Aufspüren, also damit, welche Beziehungen Ratten in ihrer Umwelt aufspüren können. Ihre expe­ rimentelle Strategie besteht darin, die Ratten mit einem Spektrum von Umwelten zu konfrontieren, in denen die Beziehung zwischen A und B manchmal kausal, manchmal probabilistisch und manch­ mal nur zufällig ist (so folgt B oft auf A, aber B folgt ebenso auf 22 Vgl. N. J. Mackintosh, »Abstraction and Discrimination«, The Evolution o f Cogni­ tion, op. cit., S. 123-142; P. Bateson, »What Must Be Known in Order to Understand Imprinting?«, in: The Evolution o f Cognition, op. cit., S. 85-102. 23 D. M. Rumbaugh, M . J. Beran, W. A. Hillix, »Cause-Effect Reasoning in Humans and Animais«, in: The Evolution o f Cognition, op. cit., S. 221-238. 24 A. Dickinson und B. W. Balleine, op. cit.; A. Dickinson und D. Shanks, »Instrumen­ tal Action and Causal Representation«, in: Causal Cognition. A Multidisciplinary Debate, hrsg. von D. Sperber, D. Premack, A. J. Premack, Oxford: Clarendon Press 1996, S. 5-24. 25 M. Tomasello, »Two Hypotheses«, op. cit.

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nicht-A). Sie benutzen ein einfaches Verhalten (die Bereitschaft der Ratte zum Drücken eines Hebels), um zu überprüfen, ob die Rat­ ten eine kausale Beziehung zwischen A und B aufspüren oder ob sie irgendeine andere Beziehung verfolgen (beispielsweise eine zeitliche Kontinuität), die sich mit der kausalen überschneidet. Sie befassen sich nicht in erster Linie mit den Reizen, anhand derer die Ratten die kausalen Verknüpfungen aufspüren. Noch weniger geht es ihnen um den Nachweis, dass Ratten ihr Wissen flexibel - über eine be­ schränkte Anzahl von Aufgaben hinweg - einsetzen können. Tomasellö hingegen befasst sich mit der Reaktionsbandbreite. Er weiß, dass Primaten den Relationen zwischen verschiedenen Ereignissen in ihrer Welt auf der Spur bleiben, doch er bezweifelt, dass sie kausale Relationen verstehen, weil sie nicht viel mit ihrem Wissen anfangen können. So zitiert er die Experimente von Visalberghi, die zeigen, dass weder Menschenaffen noch gewöhnliche Affen dazu imstande sind, ohne extensive Anwendung der Trial-und-Error-Methode ein ange­ messenes Werkzeug für eine simple Objektmanipulation auszuwäh­ len. Zusammengefasst: Die Unterscheidung zwischen der Stabilität des Aufspürens und der Reaktionsbandbreite ist ein nützliches analyti­ sches Werkzeug bei der Prüfung der Debatten um die visuelle Auf­ merksamkeit und vielen damit verbundenen Streitpunkten. Insbe­ sondere hilft sie uns dabei, diese Debatten zu differenzieren. Es ist eine wichtige Einsicht, dass es a p rio ri keinen Grund für die Erwar­ tung gibt, dass die Merkmale des Gedankenlesens miteinander ver­ knüpft sind. Das Aufspüren kann von der Reaktionsbandbreite ge­ trennt werden: Ein Akteur kann die Bereitschaft zum Spielen anhand eines einzigen Reizes aufspüren, dem Spiel-Gesicht, und dennoch über ein reichhaltiges Ensemble von Verhaltensregeln in Bezug auf die Folgen dieses Zustands verfügen. Soweit ich sehe, können auch die unterschiedlichen Aspekte der Bandbreite unabhängig voneinan­ der variieren. Es würde sich dann um eine interessante empirische Entdeckung handeln, wenn man zeigen könnte, dass sie miteinander verbunden sind. Ebenso wäre eine evolutionäre Hypothese oder eine Entwicklungshypothese wichtig, die solche Verknüpfungen Vorher­ sagen könnte.

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4- Eine »Theorie des Geistes« nachweisen: Was die Experimente zeigen Ich habe darauf insistiert, dass die Fähigkeit zur Repräsentation von Fremdpsychischem nicht an den Besitz einer Theorie über die Ver­ knüpfungen zwischen Überzeugungen, Präferenzen und Verhalten ge­ bunden ist. Weiter habe ich dargelegt, dass es Plausibilitätsüberlegun­ gen gibt, die nahe legen, dass Primaten die geistigen Zustände anderer repräsentieren, nicht einfach nur aufspüren. Doch die stärkere Be­ hauptung - dass Primaten so etwas wie eine Theorie des Fremdpsychi­ schen haben - ist selbst wichtig und interessant. Was würde zeigen, dass ein Lebewesen so etwas wie eine Theorie des Geistes hat? Whiten und Heyes haben mit der Idee geliebäugelt, dass Rollentausch, Perspektivenübernahme und ähnliche Experimente diagnostische Tests für eine Theorie des Geistes sein könnten.26 In einer einfachen Form von Rollentausch-Experimenten werden Schimpansen auf ein oder zwei Rollen trainiert. Entweder müssen sie einem uninformierten Menschen einen Behälter mit Fut­ ter zeigen, der es dann mit ihnen teilt, oder sie müssen Anweisun­ gen von einem informierten Menschen entgegennehmen. Povinelli berichtet, dass drei von vier Schimpansen ein Rollentauschverhalten zeigen: Wurden sie auf die eine Rolle trainiert, konnten sie auch die andere übernehmen. Whiten räumt ein, dass es Probleme mit diesen Experimenten gäbe (denn vielleicht wurde das Erlernen der neuen Rolle lediglich beschleunigt), aber er neigt zur Ansicht, dass es von Gedankenlesen zeuge, wenn die Schimpansen einen Rollentausch begreifen. Der Schimpanse kopiert nicht einfach nur das Verhalten eines Akteurs, dessen Rolle er übernommen hat. Ein Rollentausch ist nicht bloß eine verzögerte Nachahmung, zumindest dann nicht, wenn Nachahmung nur die Nachahmung eines motorischen Musters bedeutet.27 Heyes ist allen durchgeführten Experimenten gegenüber skeptisch, die angeblich eine Theorie des Geistes bei Primaten aufzeigen. Aber sie neigt dazu, bei den Rollentausch-Experimenten des ursprüng­ lichen Aufsatzes von Premack und W oodruff Zugeständnisse zu ma­ 26 A. Whiten, »When Does Smart Behavior-Reading Become Mind-Reading?«, op. cit.; C. Heyes, »Theory o f Mind in Nonhuman Primates«, op. cit. 27 A. Whiten, »When Does Smart Behavior-Reading Become Mind-Reading?«, op. cit.

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chen.28 In diesem Aufsatz berichteten Premack und Woodruff über die Schimpansin Sarah; sie wählte Fotografien aus, welche Lösungen zu einer Reihe von Problemen repräsentierten, die sich anderen Akteuren stellten. Die Idee ist die folgende: Um diese Aufgabe zu lösen, muss Sarah den Begriff eines Plans haben und anderen Akteuren Pläne zu­ schreiben; sie muss das intendierte, finale Ziel einer Reihe von Hand­ lungen identifizieren. Heyes hebt hervor, dass Sarahs Erfolge nicht entscheidend sind, da jeder einzelne Fall »weg erklärt« werden kann. Doch sie gesteht zu, dass es keine einheitliche Spielverderber-Hypo­ these gibt, die Sarahs Leistungen insgesamt »weg erklären« würde. Ich denke nicht, dass diese Experimente auf so etwas wie eine All­ tagspsychologie hinweisen - selbst wenn man sie wiederholen würde, um eine gewisse Künstlichkeit jener Art zu vermeiden, die Heyes diskutiert. Stattdessen, denke ich, können sie durch Byrnes Idee ei­ nes Verhaltensprogramms erklärt werden.29 In seiner Erörterung der Nachahmung bei Gorillas behauptet er, es gäbe Belege dafür, dass Menschenaffen nicht lernen, indem sie jeden Brocken motorischen Verhaltens nachahmen, sondern durch die Erfassung eines Verhal­ tensprogramms. Ein solches Programm leistet die Gesamtorgani­ sation und den Ablauf von Handlungseinheiten, die zusammen eine bestimmte Fertigkeit bilden. Gorillas beispielsweise verspeisen oft Disteln und andere eher unangenehme Pflanzen. Daher müssen sie ihr Futter zunächst ziemlich stark manuell bearbeiten, bevor sie es verspeisen können. Diese Bearbeitung ist recht komplex und um­ fasst eine Arbeitsteilung zwischen den beiden Händen, die sich wäh­ rend der unterschiedlichen Bearbeitungsphasen verändert. Wenn nun einige Fertigkeiten von Verhaltensprogrammen abhängen, dann dürf­ te Nachahmung eher in einem Kopiervorgang dieses Programms als von spezifischen motorischen Mustern liegen. Obwohl es eine Menge anekdotischer Belege für Imitation bei Menschenaffen gibt, ist die experimentelle Beweislage für Nachahmung verblüffend schmal.30 , 28 D. Premack und G. Woodruff, »Does the Chimpanzee Have a Theory o f Mind?«, Behavioral and Brain Sciences 1/4 (1978), S. 515-524. 29 R. W. Byrne, The ThinkingApe. Evolutionary Origins o f Intelligence, Oxford: Ox­ ford University Press 1995; id., »The Technical Intelligence Hypothesis. An Addi­ tional Evolutionary Stimulus to Intelligence?«, in: Machiavellian Intelligence II, op. cit., S. 289-311. 30 R. W. Byrne, The ThinkingApe, op. cit.; A. E. Russon, »Exploiting the Expertise o f Others«, in: Machiavellian Intelligence II, op. cit., S. 174-206. 379

Wenn Menschenaffen jedoch zur Nachahmung fähig sind, dann ist das beeindruckend, denn das zeigt die Befähigung eines Beobach­ ters, ein Programm aus einem motorischen Verhalten zu extrahie­ ren. In einer persönlichen Mitteilung hat sich Heyes gegenüber der Angemessenheit dieser erneuten Analyse äußerst zurückhaltend ge­ zeigt, weil sie bezweifelt, dass der Begriffeines Verhaltensprogramms im Einzelnen so bestimmt worden sei, dass er überprüfbar wäre. In ihren Augen verfügt Byrne über kein Kriterium dafür, die Nach­ ahmung eines Verhaltensprogramms von ungenauer oder teilweise gespielter Imitation desselben zu unterscheiden. Er könne nicht zwi­ schen einer Nachahmung auf der Ebene des Programms und einer Nachahmung von detaillierten Verhaltenssequenzen, die nicht irrtums­ frei ist, unterscheiden. Heyes’ Infragestellung ist angebracht. Den­ noch gibt es zumindest prinzipiell eine empirische Unterscheidung zwischen der Nachahmung auf der Ebene des Programms und einer nur ungenauen Nachahmung. Erstens: Würde soziales Lernen in der ungenauen Nachahmung einer vollständigen Verhaltensroutine bestehen, dann würden wir nicht erwarten, dass Irrtümer bei verschiedenen Subjekten dasselbe Muster haben. Sie müssten zufällig auftreten. Das wäre nicht der Fall, wenn soziales Lernen in der Nachahmung von Verhaltensprogram­ men bestände. Verschiedene Subjekte dürften sich in den Kompo­ nenten einer Fertigkeit, die sie in einem Verhaltensprogramm identi­ fiziert haben, nicht voneinander unterscheiden. Wenn etwa Gorillas eine Lernfähigkeit auf der Ebene eines Programms hätten und diese Fähigkeit beispielsweise darin zeigten, dass sie von einem Modell erlernen, wie man Artischocken verspeist, so würden wir erwarten, dass verschiedene Subjekte dem Modell bei gleicher Aufgabe in den­ selben Hinsichten glichen, da sie die Aufgabe auf dieselbe Art unter­ teilen würden. Das würde nicht zutreffen, wenn die Irrtümer bloß Nebengeräusche wären. Zweitens: Die Nachahmung kann von anderen Arten sozialen Lernens durch eine Versuchsanordnung unterschieden werden, in der ein gegebenes Ergebnis auf mehr als einem Weg erreicht wer­ den kann. Wenn die Zuschauer also eine Aufgabe erfüllen, indem sie die Technik des M odells gebrauchen, dann haben wir Grund zur Annahme, dass sie vom Modell nicht nur etwas über Ziele, son­ dern auch etwas über Mittel lernen. Das ist als »Two-Action-Ttst« be­ 380

kannt.* Wenn wir einen Two-Action-Test mit einem zweiten verschrän­ ken, können wir eine Nachahmung auf der Ebene des Programms von nur ungenauer Nachahmung unterscheiden. W ir brauchen eine Aufgabe der folgenden Art: (i) Sie soll eine Lösung mit mehr als nur einem Verhaltensprogramm erlauben; das heißt, dass die Aufgabe auf unterschiedliche Weise in Unteraufgaben zerlegt werden kann. (2) Es muss verschiedene, aber gleichermaßen angemessene Arten geben, die Unteraufgaben auszuführen. Jede Unteraufgabe ist also selbst ein Two-Action-Tcst. Ein Beispiel: Ich finde heraus, dass Schim­ pansen für eine Aufgabe manchmal eher ihre Füße als ihre Hände gebrauchen. Nun sei angenommen, dass der Mime und das Modell die gleiche Unterteilung der Gesamtaufgabe vornehmen, aber der Mime verwendet eher die Füße als die Hände. D a Variationen in den Einzelhandlungen nicht als Irrtümer oder Fehler gelten, würde es sich hier eher um Programmnachahmung als um eine irrtumsge­ leitete gespielte Imitation handeln. Bei der Programmnachahmung gibt es keine Irrtümer. Der Schimpanse hat vom Modell die Zerle­ gung der Aufgabe in Komponenten erlernt. W ir haben hier eine über­ greifende Ähnlichkeit in ihrer Wahl der Mittel, aber keine Ähnlichkeit der einzelnen körperlichen Bewegungen; auf der Ebene der Unterauf­ gaben gibt es also keine Nachahmung. Ich weiß nicht, ob die experimentellen Belege die Behauptung stützen würden, dass Menschenaffen die Fähigkeit haben, Verhal­ tensprogramme zu repräsentieren. Aber ich glaube, dass diese Idee ausreichend gut definiert ist, um damit eine alternative Hypothese gegenüber jenen Erklärungen ihrer avancierteren Verhaltensfähigkei­ ten darzustellen, die auf eine Theorie des Geistes zurückgreifen. Wenn Schimpansen beispielsweise einen Rollentausch vornehmen, dann ist das eine beeindruckende kognitive Leistung. Sie verweist auf die Fähigkeit, von den motorischen Details hin zu einem über­ greifenden Handlungsprogramm zu abstrahieren. Es ist wie das Er­ lernen von sozialen Rollen oder von Rollen in einem Spiel. Schimpan* [A. d. Ü.: Ein Two-Action-Test besteht in Folgendem: Es gibt die beiden Versuchs­ gruppen 1 und 2. 1 beobachtet Handlung A und 2 beobachtet Handlung B. Dann müssen 1 und 2 die beobachteten Handlungen selber ausführen. Wenn 1 die Hand­ lung A und 2 die Handlung B ausführt, dann imitieren die Subjekte. Ein einfaches Beispiel: Die i-Ratten sehen A: der Hebel wird nach links gedrückt (damit Futter kommt). Die 2-Ratten sehen B: der Hebel wird nach rechts gedrückt (damit Futter kommt).] 381

sen könnten dazu imstande sein, die Regeln des Geben-Teilen-Zeigen-Spiels zu lernen. Das ist ein weiteres Verhaltensprogramm. Sie erkennen durch Trainingserfahrung, worin das Spiel und ihre Rolle darin besteht. Wenn das soziale Verhalten von Schimpansen auf ver­ schiedenartige und nicht stereotype Weise strukturiert ist, wäre es nicht überraschend, wenn sie so etwas tun könnten. Sollten sich kol­ lektives Jagen und schimpansische Kriegsführung als Bestandteil ihres Standard-Repertoires herausstellen, wären das natürliche Bei­ spiele koordinierter und nicht-stereotyper Handlungen, in denen ver­ schiedene Spieler verschiedene Rollen, jedoch nicht immer dieselbe Rolle spielen. Heyes glaubt gewiss nicht, dass irgendeines der bislang durch­ geführten Experimente überzeugend genug ist, um begründen zu können, dass ein Primat Gedanken liest. Beispielsweise ist sie auch der Meinung, dass die Spielverderber-Ergebnisse der Experimente zur Aufmerksamkeitsüberwachung von Povinelli und Eddy die Idee sehr in Frage stellen, Schimpansen verständen die Rolle der visuel­ len Aufmerksamkeit für das Verhalten. Ihr Hauptpunkt ist aber, dass das Experiment nicht überzeugend genug ist, um ein unumstößli­ ches Ergebnis zu liefern. Das Experiment kann nicht bestätigen, dass Schimpansen die Bedeutung dessen, was ein Akteur sieht, verstehen im Hinblick auf das, was er tut. Sie meint, dass einfache Techniken der Unterscheidung [...] uns sagen können, welche be­ obachtbaren Reize Schimpansen einsetzen, wenn sie entscheiden, wen sie um Futter angehen müssen, doch können sie uns nicht sagen, warum Schim­ pansen diese Reize einsetzen.31

Man stelle sich vor, die Daten wären so klar und eindeutig gewesen, wie sie nur hätten sein können. W ir hätten immer noch zwei Hypothe­ sen übrig. Die eine besagt: Schimpansen wissen, dass man Futter von Leuten mit sichtbaren Augen erbetteln soll, denn nur Leute mit sicht­ baren Augen sehen dich. Die andere Hypothese besagt: Schimpansen haben nur eine Tendenz, Leute mit sichtbaren Augen anzubetteln, und selbst wenn sie wüss­ ten, dass das Anbetteln von Leuten mit sichtbaren Augen mit größerer Wahr­ scheinlichkeit belohnt wird, so erklären sie sich selbst dieses Zusammentref­ fen nicht in Begriffen des Geistes oder au f irgendeine andere Art und Weise.32 31 C. Heyes, »Theory o f Mind in Nonhuman Primates«, op. cit., S. 108. 32 Ibid.

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Das ist richtig. Doch es gibt ein analoges Problem für die von ihr selbst vorgeschlagene Versuchsanordnung. Sie putzt nämlich das Experi­ ment der »Wissenden/Vermutenden« von Povinelli nur ein bisschen heraus. In Povinellis Experimenten zur »Perspektivenübernahme« wurden Schimpansen daraufhin untersucht, ob sie die Verbindung zwischen Wissen und Sehen begreifen. In der ersten Phase des Expe­ riments befindet sich der Schimpanse in einem Raum mit zwei Ex­ perimentatoren und verschiedenen Behältern. Einer der Experimenta­ toren (der »Wissende«) versieht einen Behälter mit Futter, nachdem der andere den Raum verlassen hat. Der abwesende Trainer (der »Ver­ mutende«) kehrt zurück, und beide Trainer zeigen auf je einen Be­ hälter. In Povinellis Experiment lernte die Hälfte der Schimpansen, dem Rat des »Wissenden« zu folgen. Doch die kritische zweite Phase dieses Experiments untersuchte die Stabilität dieses Ergebnisses: Fol­ gen die Schimpansen auch dann der richtigen Empfehlung, wenn der Rat des »Vermutenden« durch andere Mittel als durch das Verlas­ sen des Raums offenkundig nutzlos gemacht wird - insbesondere durch einen Sack über dem K opf —, während der Behälter mit Futter versehen wird?33 Heyes zeigt auf, dass die ursprüngliche Versuchsanordnung nicht spezifisch genug ist, um zu überprüfen, ob die Annahme der Empfeh­ lung des »Wissenden« wirklich davon abhängt, dass die Verbindung zwischen Sehen und Wissen verstanden worden ist. Doch sie glaubt, dass es sich um die richtige Art von Experiment handelt, weil es uns ermöglicht, unsere Aufmerksamkeit genau auf das zu richten, worauf Schimpansen in einer Situation achten. Während der Trainingsphase kovariieren ein kausaler Reiz und ein sinnlicher Reiz. Das Verlassen des Raums ist der sinnliche Reiz, der mit dem kausalen Reiz kovariiert. Dieser liegt in der Unfähigkeit zu sehen, welcher der Behälter mit Futter versehen worden ist. Der sinnliche Reiz des Im-RaumBleibens kovariiert mit dem kausalen Reiz, der im Nicht-Sehen-Können liegt, welcher der Behälter mit einem Köder versehen worden ist. Bei den Probedurchläufen bleiben beide Trainer im Raum und der »Vermutende« trägt einen Sack über dem Kopf. Nach der An­ sicht von Heyes vermag diese Versuchsanordnung die Möglichkeit eines Transfers auf der alleinigen Basis von sinnlichen Erfahrungs­ werten nicht äuszuschließen. Vielleicht spürten die Schimpansen 33

D. J. Povinelli (et al.), »Inferences about Guessing and Knowing by Chimpanzees«, Jo u rn al o f Comparative Psychology 104 (1990), S. 203-210.

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nur den »sichtbaren Kopf« auf. In diesem Falle würden sie die Probe­ durchläufe immer noch erfolgreich bestehen, aber nicht durch ein Ver­ ständnis der Verbindung zwischen Wissen und Sehen. Heyes schlägt deshalb eine Versuchsanordnung vor, bei der durchsichtiges und undurchsichtiges Glas verwendet wird, um die Möglichkeit zu mini­ mieren, dass die Schimpansen einen bloß sinnlichen Erfahrungswert einsetzen, um dem Sehen auf der Spur zu bleiben. Anhand der Versuchsanordnung von Heyes können wir herausfin­ den, ob Schimpansen das Sehen eher repräsentieren als aufspüren. Ihre Versuchsanordnung kann uns sagen, ob Schimpansen mehrspurige Reize anwenden können, um die Merkmale des Nichtwissens und des Wissens aufzuspüren. Aber das ist anscheinend nicht ihre Sorge. Sie möchte nicht die Erkennungsregeln für das Sehen testen. Vielmehr gilt ihr Interesse der Frage, ob und wie Schimpansen die kausale Bedeu­ tung des Sehens verstehen. Doch das ist eine Angelegenheit der Reak­ tionsbandbreite, der Output-Regeln also. Ich kann nicht erkennen, inwiefern ihre Versuchsanordnung in dieser Hinsicht gegenüber derje­ nigen von Povinelli einen Fortschritt darstellt. Keine Versuchsanord­ nung untersucht die Reaktionsbandbreite des Aufspürens, den wei­ ten Bereich der Fähigkeiten, aufgrund des Sehens zu handeln. Wenn Schimpansen das Sehen erst einmal aufgespürt haben, müssen sie zur erfolgreichen Bewältigung der Versuchsaufgaben nur recht einfache voraussetzungslose Output-Regeln beherrschen. Sie repräsentieren das Sehen, doch vielleicht ohne große Reaktionsbandbreite. In einem von Premacks Experimenten beispielsweise entfernte eine Schimpansin die Augenbinde, die einen Trainer daran hinderte, ihr zu einem Be­ hälter zu folgen, den sie geöffnet haben wollte. Dazu muss sie aber nur verstehen, dass es eine Verbindung gibt zwischen ungehinderter Blick­ richtung und der Fähigkeit, ihr zu folgen. Sie muss nicht verstehen, dass diese Verbindung durch einen verborgenen inneren Zustand ver­ mittelt wird oder dass sie für alle möglichen weiteren Interaktionen wichtig ist. Ebenso könnten Schimpansen bei diesen Versuchen Erfolg haben, indem sie der Regel folgen »Bettle um Futter bei denen, die es gesehen haben«, ohne eine Theorie über die inneren Ursachen des Ver­ haltens oder eine Einschätzung der Rolle des Sehens in vielen anderen Kontexten zu haben. Sie müssen nur den visuellen Kontakt verfolgen und auf ihn reagieren. Obwohl also die Versuchsanordnung von Heyes uns bei der Triangulation des Sehens helfen kann — des Sehens als einem kritischen Reiz, den Schimpansen repräsentieren und gebrau­ 38 4

chen —, erkenne ich nicht, wie diese Versuchsanordnung eine kritische Rolle bei der Identifizierung einer erkennbaren, wenn auch rudimen­ tären Alltagspsychologie im Geiste der Schimpansen spielen könnte. Nichts in diesem Argument spielt den Wert experimenteller Unter­ suchungen der Schimpansen-Welt herunter. Der springende Punkt liegt vielmehr darin, dass weitreichende Verhaltenskompetenzen sei­ tens der Primaten nicht durch ein einzelnes Experim ent enthüllt wer­ den. Darüber hinaus gibt es keine privilegierte Reaktionsbandbreite, deren Einhaltung vernünftigerweise als Kriterium für den Besitz einer Alltagspsychologie betrachtet werden könnte. Unsere Beweisführung ist hier von der Art, wie sie von Whiten und Dennett empfohlen wird: Je mehr Situationen und Umstände es gibt, in denen Schimpansen die Relevanz der Blickrichtung einsetzen und anwenden können, desto mehr kann gelten, dass sie die Blickrichtung als etwas verstehen, das durch den Geist vermittelt ist. Ich verstehe diesen Punkt eher me­ thodologisch und weniger metaphysisch. Wenn Fodor Recht hat, dann gibt es so etwas wie eine einzigartige kognitive Architektur, die für den Besitz einer Alltagspsychologie konstitutiv ist. Selbst wenn das so ist, wird deren experimentelle Signatur verschwommen sein. Ich denke, das Beste, was wir tun können, ist Folgendes: Ein Schim­ panse hat eine Theorie des Geistes (i) je mehr geistige Zustände ande­ rer er aufspüren kann; (2) je mehr davon er eher repräsentieren als auf­ spüren kann; (3) je weitreichender seine Verhaltenskompetenzen in Bezug auf die so aufgespürten Zustände sind. Aber das ist gut genug, um weiterzukommen.

5. Zusammenfassung Meiner Ansicht nach repräsentierte in Organismus ein M erkm al seiner Welt - im Unterschied zu: er reagiert nur darauf- , wenn er das Merk­ mal der Umwelt anhand von mehr als nur einer Art von proximalem Stimulus aufspüren kann. Gliederfüßer reagieren auf die Welt oft in einer adaptiv komplexen Weise, aber nur anhand eines einzigen In­ formationskanals. Sie sind (oft) reizgebunden hinsichtlich der für sie wichtigen Merkmale ihrer Welt; sie registrieren die Merkmale ihrer Welt nur und reagieren auf sie. Im Gegensatz dazu zeigen Lebewesen, die beispielsweise der Selbsterkennung im Spiegel fähig sind, die Fä­ higkeit, körperliche Merkmale aufzuspüren, indem sie ungewöhn­ liche Wahrnehmungs-Inputs einsetzen. 385

Ich verwende diese Unterscheidung zwischen Repräsentieren und Registrieren, um einen Zugriff auf die Fähigkeiten zur Repräsenta­ tion bei Primaten zu bekommen. Ein Primat reagiert auf den geis­ tigen Zustand eines anderen, wenn er einige durch einen geistigen Zustand tatsächlich verursachte Verhaltensabfolgen aufspüren kann, d. h., wenn er mit einiger Zuverlässigkeit gezielt reagiert. Wenn bei­ spielsweise ein Bonobo Wutverhalten dadurch befriedet, dass er Sex für Frieden eintauscht, spürt er Wut auf. Wir untersuchen nun, ob es sich um das Registrieren von Wut oder um das Repräsentieren von Wut handelt, indem wir experimentell die Stabilität des Aufspürens tes­ ten. Zugleich können wir experimentell die Verfeinerung dieses Auf­ spürens untersuchen, indem wir die Bandbreite der Reaktionen auf die Wut testen. Passt sich der Wut-Leser wütendem Verhalten in einer Umwelt anders an, die bewirkt, dass sich dieses Verhalten anders aus­ drückt? Dieses Bild der Dinge bestimmt somit zwei voneinander getrennte experimentelle Untersuchungen. Wir untersuchen die Fä­ higkeit eines Primaten zur Repräsentation eines geistigen Zustandes, indem wir die Stabilität seiner Fähigkeit testen, diesen geistigen Z u ­ stand aufzuspüren. Die Stabilität besteht in der Vielfalt der Beobach­ tungsreize, die er zum Aufspüren geistiger Zustände einsetzt. Ebenso können wir die Bandbreite seiner Reaktion auf das Aufspüren unter­ suchen. Eine Reaktionsbandbreite ist das Ausmaß, in dem die Erwar­ tungen eines Aufspürenden gegenüber dem Verhalten eines Akteurs verändert werden; oder in dem Ausmaß, in dem seine angemessenen Reaktionen auf eine angemessene Art und Weise durch die Umwelt sowie durch weitere geistige Zustände, die der Gedankenleser auf­ spürt, modifiziert werden. Die soziale Intelligenz eines Lebewesens entwickelt sich anhand zweier Arten von Verhaltensregeln. Erkennungsregeln verbinden einen Gedankenleser mit aufgespürten geistigen Zuständen. Ein Lebewe­ sen liest nur dann Gedanken, wenn es ein Arsenal von Erkennungs­ regeln für einige geistige Zustände hat. Die Reaktionen auf jene Zustände, die ein Gedankenleser aufspüren kann, werden von Out­ put-Regeln geleitet. Wir untersuchen die Output-Regeln eines Lebe­ wesens, indem wir die Reize für den Leser festlegen, die Umwelt ver­ ändern und die verschiedenen Reaktionen testen. Aus dem Englischen übersetzt von M arkus W ild

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IV. Bewusstsein

Daniel C. Dennett Das Bewusstsein der Tiere: Was ist wichtig und warum?

Haben Tiere ein Bewusstsein? So wie wir? Welche Spezies und war­ um? Wie ist es, eine Fledermaus, eine Ratte, ein Geier oder ein Wal zu sein? Doch vielleicht wollen wir die Antworten auf diese Fragen gar nicht wirklich wissen. Wir sollten den Wunsch nach Nichtwissen nicht gering achten. Gibt es nicht eine Menge Dinge, die uns selbst oder unsere Nächsten betreffen, die wir lieber nicht wissen möchten? Ich für meinen Teil bin mir sicher, dass ich einige Anstrengungen auf mich nehmen würde, um nicht alle Geheimnisse der Leute um mich herum kennen zu müssen: wen sie abscheulich finden, wen sie insge­ heim bewundern, welche Verbrechen und Dummheiten sie begangen haben oder glauben, dass ich sie begangen hätte! Würde ich all dies in Erfahrung bringen, wäre meine Gemütsruhe zerstört und meine Einstellung gegenüber meinen Mitmenschen verkrüppelt. Vielleicht hätte es auf unsere Beziehungen zu unseren tierischen Verwandten eine ähnlich vergiftende Wirkung, wenn wir zu viel über sie erführen. Wenn dem aber so ist, dann wollen wir es freimütig eingestehen und das Thema fallen lassen, anstatt dem rührseligen Kurs weiter zu fol­ gen, den zurzeit so viele einschlagen. Das gegenwärtige Nachdenken über das Bewusstsein der Tiere ist nämlich ein ziemliches Wirrwarr. Verdeckte und weniger verdeckte Hintergedanken verzerren die Diskussion und behindern die For­ schung. Wendet man sich der »Geschichte der Geschichte« dieser Kontroversen zu, kann man eine Art komischer Erleichterung ge­ winnen —wenn man für bittere Ironie zu haben ist. Ich bin nicht ge­ rade bekannt für meine flammende Verteidigung von Rene Descartes, aber ich stelle fest, dass ich doch mit einem ehrlichen Wissenschaft­ ler sympathisieren muss, der offensichtlich das erste Opfer zügelloser Fehldarstellungen von Extremisten der Tierrechtsbewegung wurde. Tierrechtsaktivisten wie R Singer oder M . Midgley haben unlängst zur Verbreitung des Mythos beigetragen, Descartes sei gerade aufgru n d seiner Ansicht, dass Tiere (im Gegensatz zu Menschen) bloße Automaten seien, ein abgestumpfter Vivisecteur gewesen und dem 38 9

Leid der Tiere gegenüber gänzlich gleichgültig. Wie jedoch J. Leiber in einer strengen Neuuntersuchung der dafür unterstellten Belege betont hat: »Es gibt schlicht und einfach keine Zeile bei Descartes, die nahe legt, dass er der Ansicht gewesen wäre, es stehe uns frei, Tiere nach Belieben zu verprügeln, oder wir hätten die Freiheit, so etwas zu tun, w eil ihr Verhalten mechanisch erklärt werden kann.«1 Darüber hinaus war Montaigne —die bevorzugte Autorität der Ankläger von Descartes, auf den sich auch Singer und Midgley unkritisch bezie­ hen - ein leichtgläubiger Romantiker von atemberaubender Igno­ ranz und nur darauf aus, noch die phantastischsten Märchen über den Geist der Tiere beim Wort zu nehmen; und im Gegensatz zu Des­ cartes war Montaigne nicht im Geringsten daran interessiert herauszufinden, wie Tiere tatsächlich funktionieren. Genau diese Haltung ist heute Gemeingut. Es gibt eine merkwür­ dige Toleranz gegenüber ausgemachter Inkonsistenz und Obskuran­ tismus und eine bizarre Einseitigkeit im Umgang mit Belegen für den Geist der Tiere. E. Marshall Thomas hat ein Buch geschrieben, Das geheime Leben der Hunde, das genaue Beobachtung und imagina­ tionsstarke Hypothesenbildungen mit schierer Phantasie vermischt.2 In der allgemein wohlwollenden Rezeption dieses Buchs weist kaum jemand darauf hin, dass es verantwortungslos von ihr ist, ihre poten­ tiell wertvollen Beobachtungen durch gut gemeinte romantische Ver­ kündigungen zu verunreinigen, für die sie keine haltbare Grundlage haben kann. Wenn man an das Bewusstsein von Hunden glauben will, so ist ihre Art der Poesie die Lizenz dafür. Wenn man etwas über das Bewusstsein von Hunden wissen will, dann muss man sich eingeste­ hen, dass sie zwar viele gute Fragen stellt, ihre Antworten aber nicht vertrauenswürdig sind. Das heißt nicht, dass alle ihre Behauptungen falsch wären, sondern dass sie als Antworten auf diese Fragen einfach nicht genügen. Nicht, wenn wir die Antworten wirklich wissen wollen. Vergebliche Liebesmüh’, werden einige sagen. Gewisse Fragen, heißt es, seien für die Wissenschaft zurzeit nicht (und vielleicht nie) zu beantworten. Der Deckmantel des Mysteriums fällt günstig ge­ rade über diejenigen Streitpunkte, die Licht auf die Grundlagen un­ serer moralischen Einstellungen gegenüber verschiedenen Tieren zu 1 J. Leiber, »Cartesian Linguistics?«, in: The Chomskian Turn, hrsg. von A. Kasher, Cambridge (Mass.) und Oxford: Basil Blackwell 1991, S. 150-181. 2 E. Marshall Thomas, The H idden L ife o f Dogs, Boston: Hughton M ifflin 1993 [dt. Das geheime Leben der Hunde, Hamburg: Rowohlt 1995]. 390

werfen versprechen (oder zu werfen drohen). Auch hier kann man wiederum eine bemerkenswerte Asymmetrie erkennen. Wir verlan­ gen nicht nach absoluter cartesianischer Gewissheit dafür, dass unsere Mitmenschen ein Bewusstsein haben - wir verlangen nur, was zu­ treffend als »moralische Gewissheit« bezeichnet wird. Können wir eine moralische Gewissheit nicht auch hinsichtlich des Bewusstseins von Tieren verlangen? Bislang habe ich noch kein Argument eines Philo­ sophen oder einer Philosophin gesehen, das schlüssig zeigt, dass wir auch mit Hilfe der Wissenschaften nicht in der Lage sind, Tatsachen über den Geist der Tiere festzuhalten, die über denselben Grad an mo­ ralischer Gewissheit verfügen, der uns im Falle unserer eigenen Artge­ nossen befriedigt. Ob es nun also überzeugende Argumente für das »prinzipielle« Mysterium des Bewusstseins gibt oder nicht (mich ha­ ben die bislang vorgebrachten Argumente ganz und gar nicht über­ zeugt) —sie führen auf Holzwege. Über das Bewusstsein von Tieren können wir genug in Erfahrung bringen, um die Fragen in Bezug auf unsere Verantwortung zu klären. Die moralische Frage nach den Tieren ist wichtig, und aus genau diesem Grund darf es nicht gestat­ tet sein, sowohl die empirische als auch die begriffliche Forschung abzulenken, auf der eine gut unterrichtete Ethik aufgebaut werden könnte. Ein schlagendes Beispiel für den einseitigen Gebrauch von Bele­ gen ist Th. Nagels berühmter Aufsatz »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«.3 Eine der rhetorischen Eigentümlichkeiten von Nagels Auf­ satz besteht darin, dass er Fledermäuse auswählt und sich dann die Mühe macht, einige der faszinierenden Tatsachen über Fledermäuse und deren Echolokation anzuführen, vermutlich weil diese hart er­ arbeiteten, aus der Perspektive der dritten Person gewonnenen wis­ senschaftlichen Tatsachen uns etwas über das Bewusstsein von Fle­ dermäusen sagen. Was sagen sie denn? In erster Linie stützen sie unsere Überzeugung, dass Fledermäuse ein Bewusstsein haben. (Na­ gel schrieb ja keinen Aufsatz mit dem Titel »Wie ist es, ein Back­ stein zu sein?«.) Zweitens (und viel wichtiger) stützen sie seine Be­ hauptung, dass das Bewusstsein von Fledermäusen sehr verschieden von unserem Bewusstsein ist. Die rhetorische Eigentümlichkeit — um nicht zu sagen: offene Inkonsistenz - seiner Darstellung der An3 Th. Nagel, »What is it Like to be a Bat?«, PhilosophicalReview 83 (1974), S. 435-450 [dt. »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«, in: Analytische Theorien des Selbstbewusst­ seins, hrsg. von M. Frank, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994, S. 135-154].

gelegenheit kann in eine naheliegende Frage gefasst werden: Wenn einige solcher Tatsachen etwas über das Bewusstsein von Fledermäu­ sen darlegen können, könnten dann weitere Tatsachen dieser Art nicht noch mehr sichtbar machen? Nagel hat sich ja bereits auf »objek­ tive«, »vom Standpunkt der dritten Person durchgeführte«, wissen­ schaftliche Nachforschungen verlassen, um die Hypothese aufzustel­ len (oder sie zumindest auf vernünftige Weise glaubhaft zu machen), dass Fledermäuse ein Bewusstsein haben, aber nicht ein Bewusstsein, wie wir es haben. Warum sollten uns weitere solcher Tatsachen nicht Auskunft darüber geben können, in genau welchen Hinsichten das Bewusstsein von Fledermäusen nicht wie das unsrige ist - wobei sie uns dann auch sagen würden, wie es ist, eine Fledermaus zu sein? Was für eine Art von Tatsache ist das eigentlich, die nur für eine Seite einer empirischen Frage ausschlaggebend ist? Tatsächlich verlassen wir uns alle ohne Zögern auf Verhaltensbe­ lege aus der Perspektive der dritten Person, um Hypothesen über das Bewusstsein bei Tieren zu stützen oder zu verwerfen. Was sollte schließlich sonst die Quelle unserer »vortheoretischen Intuitionen« sein? Aber diese Intuitionen sind für sich genommen unzuverlässig und bedürfen sehr der reflektierten Bewertung. Was sieht man bei­ spielsweise im Verhalten einer fleischfressenden Pflanze, einer Amöbe oder einer Qualle: »Empfindungsfähigkeit« oder »bloße diskriminatorische Reaktionsfähigkeit«? Was sieht man über die bloße diskriminatorische Reaktionsfähigkeit hinaus — eine Fähigkeit, die auch viele Roboter zeigen - , wenn man in einer Kreatur Empfindungsfähig­ keit sieht} Tatsächlich ist es lächerlich einfach, Menschen starke Intui­ tionen nicht nur in Bezug auf Empfindungsfähigkeit, sondern auch in Bezug auf ein ausgereiftes Bewusstsein (voll von Bosheit, Neugierde oder Freundschaft) einzuflößen, indem man sie ziemlich simplen Ro­ botern gegenüberstellt, die so gebaut sind, dass sie sich a u f vertraute, säugetierartige Weise in säugetierartigen Geschwindigkeiten bewegen. COG, ein erfreulich humanoider Roboter, der gerade am M IT ge­ baut wird, hat Augen, Hände und Arme, die sich wie unsere be­ wegen — flink, entspannt und gefällig.4 Sogar diejenigen unter uns, die an diesem Projekt mitarbeiten und sich im Klaren darüber sind, dass wir noch nicht einmal begonnen haben, die höherstufigen Pro­ zesse zu programmieren, die COG vermutlich mit Bewusstsein aus4 Vgl. D. Dennett, »The Practical Requirements for Making a Conscious Robot«, Philosophical Transactions o f the Royal Society o f London 348 (1994), S. 133-146. 392

statten könnten, haben das beinahe überwältigende Gefühl, sieh in der Gegenwart eines anderen bewussten Beobachters zu befinden, wenn COGs Augen einer Handbewegung folgen - nach wie vor blind und ziemlich stupide. Wiederum plädiere ich für Symmetrie. Wenn wir die zur Illusion verführende Macht dieser eleganten und lebens­ nahen Bewegungen anerkennen, so müssen wir festhalten, dass es eine nach wie vor offene Frage sein sollte, ob wir nicht auch von unserer geliebten Katze, dem geliebten Hund oder dem edlen Elefanten ver­ zaubert werden. Gefühle werden viel zu leicht hervorgerufen, um hier ausschlaggebend sein zu können. Wenn das Verhalten, beiläufig von Leichtgläubigen oder Großher­ zigen beobachtet, ein trügerischer Orientierungswert ist, könnte dann vielleicht die Zusammensetzung - Material und Struktur - einen gewichtigen Einfluss haben? Die Geschichte bietet eine nützliche Perspektive auf diese Frage an. Vor nicht allzu langer Zeit —in Descartes’ Tagen — wurde die Hypothese, dass ein materielles Gehirn von sich aus Bewusstsein aufrechterhalten könnte, als grotesk betrach­ tet. Man konnte sich nur vorstellen, dass allein immaterielle Seelen bewusst seien. Was damals unvorstellbar war, ist jetzt leicht vorstell­ bar. Heute können wir uns nämlich leicht vorstellen, dass ein Gehirn, ohne Unterstützung durch immaterielle Begleiter, ein hinlänglicher Sitz für das Bewusstsein sein kann, auch wenn wir uns fragen, wie das überhaupt möglich ist. Doch in den Augen der allermeisten ist dies sicher eine M öglichkeit, und viele von uns denken, dass die Belege für deren Wahrheit fast Gewissheit schaffen. Zum Beispiel würde heutzutage kaum jemand denken,, die »Entdeckung«, dass Linkshän­ der keinen immateriellen Geist, sondern nur Gehirne haben, würde uns unmissverständlich zeigen, dass sie lediglich Zombies wären. Unbeeindruckt von diesem Eingeständnis scheuen heute manche Leute schon vor der bloßen Idee eines Silizium- oder anderen künst­ lichen Bewusstseins zurück. Aber die Gründe für solche allgemeinen Ansichten sind, gelinde gesagt, nicht sehr beeindruckend. Es sieht mehr und mehr so aus, als müssten wir einfach darauf achten, was gewisse Entitäten - in diesem Fall Tiere, aber auch Roboter und an­ dere aus ungewöhnlichem Material hergestellte Dinge - tatsächlich tun können, und dies als den tauglichsten Leitfaden in der Frage ge­ brauchen, ob Tiere Bewusstsein haben, und wenn ja, warum und wovon. Ich habe einmal mit dem Gefühl der Faszination und, wie ich ge­ 393

stehen muss, mit Abscheu Hunderte von Geiern beobachtet, die sich unter der heißen Sonne eines Junitages in Kenia an einem verwesen­ den Elefantenkadaver gütlich taten. Ich fand den Gestank so über­ wältigend, dass ich mir die Nase zuhalten und durch ein Halstuch atmen musste, um ein Würgen zu verhindern; daher blieb ich die ganze Zeit auf Distanz. Doch da waren diese Geier, die sich gegensei­ tig gierig beiseite drängten und für die leckersten Bissen in den Ka­ daver stiegen. (Ich werde Ihnen die haarsträubendsten Einzelheiten ersparen.) Nun, ich bin ziemlich sicher und erwarte Ihre Zustim­ mung: bei dieser Gelegenheit konnte ich einen ziemlich guten Beleg dafür gewinnen, dass diese Geier meinen olfaktorischen Erfahrungs­ raum nicht teilen. Wie ich später erfuhr, verlassen sich die Geier der Alten Welt - im Unterschied zu ihren eher entfernten Verwandten in der Neuen Welt - tatsächlich überhaupt nicht auf Geruchswahrneh­ mung; sie benutzen ihren scharfen Gesichtssinn, um Aas auszuspä­ hen. Die spezifischen ekelerregenden Ausdünstungen verfaulenden Aases hingegen, die zusammen mit so treffend bezeichneten Am i­ nen wie »Cadaverin« oder »Putreskin« auftreten,* sind Lockstoffe für den Truthahngeier (Cathartes aurd) der Neuen Welt. Die Erklä­ rung dafür lautet wohl, dass sich diese Vögel der Neuen Welt in einer Umwelt entwickelt haben, in der sie nach Nahrung jagen mussten, die unter einem Blätterdach verborgen war, was die Nützlichkeit des Gesichtssinns verringerte und jene des Geruchssinns vergrößerte. D. Houston hat Experimente durchgeführt, in denen er frische, reife und stark gereifte Hühnerkadaver benutzte, versteckt und außer Sicht­ weite in den Wäldern einer panameischen Insel, um das olfaktorische Talent der Truthahngeier zu titrieren, d. h. einer chemischen Analyse zur Bestimmung der olfaktorischen Reizbarkeit zu unterziehen.5 Wir machen also Fortschritte! Wir wissen jetzt —mit moralischer Gewiss­ heit - etwas über den Unterschied, wie es ist, ein afrikanischer Geier zu sein, und wie es ist, ein mittelamerikanischer Truthahngeier zu sein. Machen wir weiter so! Wie riecht ein verfaulter Hühnerkadaver für einen Truthahngeier? A u f den ersten Blick liegt es anscheinend auf der Hand, dass wir in diesem Fall das philosophische Problem * [A. d. 0 .: Cadaverin ist eine Fäulnisbase, die bei bakterieller Eiweißzersetzung u. a. als Leichengift entsteht; Putreskin ist eine bei Fleischfäulnis entstehende nicht-toxi­ sche Fäulnisbase.] 5 D. C. Houston, »Scavenging Efficiency o f Turkey Vultures in Tropical Forest«, The Condor 88 (1986), S. 318-323. 394

des Fremdpsychischen sicher beiseite lassen und zweifellos annehmen dürfen, dass diese Geier ziemlich auf Aasgeruch stehen. Oder sollte jemand unter den Anwesenden vermuten, dass Geier vielleicht hel­ denhafte Märtyrer in der Welt der Aasfresser sind, die tapfer ihren Ekel unterdrücken, während sie die ihnen zugewiesene Pflicht erfüllen? Offensichtlich korrigieren wir hier eine Extrapolation von uns selbst als Menschen durch eine weitere: Wir befreien unsere Zuschrei­ bung von unserem eigenen Abscheu, indem wir die augenfällige Be­ gierde, die sich im Verhalten der Geier zeigt, zur Kenntnis nehmen. Wir legen eine solche Begierde an den Tag, wenn wir etwas mögen, also müssen auch die Geier mögen, was sie tun und empfinden. W ir sor­ gen uns ja auch nicht um die armen Robbenbabies auf ihrer Eis­ scholle, ob sie sich ihre kleinen Flossen erkälten. Lägen w ir nackt auf dem Eis im heulenden Wind, würden wir Höllenqualen erleiden. Sie aber sind für die Kälte gemacht. Sie schlottern und sie winseln nicht, und in der Tat zeigen sie das Benehmen von Tieren, die in ihrer momentanen Lage gar nicht glücklicher sein könnten: Trautes Heim, Glück allein! »Moment!«, ruft der Philosoph aus, »Sie sind mit diesen Alltagszu­ schreibungen entsetzlich liederlich umgegangen. W ir sollten uns überlegen, was im Prinzip möglich ist. Ekel der Geier ist im Prinzip möglich, nicht wahr? Sie wollen doch das an ihnen beobachtbare Ver­ halten nicht zu einem Kriterium für Lust machen, oder? Sind Sie einer dieser umnachteten Behavioristen? Die Annahme, dass es für Geier keinen Sinn machen würde, sich vor der ihnen zugeteilten Ernährung zu ekeln, ist doch nichts weiter als panglossianischer Optimismus.* * [A. d. Ü.: >Panglossianismus< ist ein von S. J. Gould und R. Lewontin eingeführter Ausdruck für den evolutionären Adaptionismus: Jedes Merkmal eines Lebewesens wurde wegen des biologischen Vorteils dieses Merkmals selektiert. Dr. Pangloss ist der optimistische Philosoph in Voltaires Roman C andide. In Dr. Pangloss verspottet Voltaire den Optimismus des Philosophen Leibniz, der behauptet hatte, wir würden in der besten aller möglichen Welten leben. Pangloss versucht das zu beweisen, in­ dem er zeigt, dass alles in der Welt (Gutes wie Schlechtes) einen letztlich guten Zweck verfolgt. In gewissem Sinne würden wir also gemäß dem Adaptionismus in der besten aller möglichen Welten leben, die aber nicht Gott erschaffen hat, sondern die Evolution. Dennett verteidigt diesen evolutionären Panglossismus in »Intentio­ nale Systeme in der kognitiven Verhaltensforschung«, in: Kognitionswissenschaft: Grundlagen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von D. Münch, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 343-386 (vgl. dazu in diesem Band die Anmerkung im Text von D. Papineau, S. 261).] 3 95

Vielleicht wurden Geier durch die Evolution fehlkonzipiert. Viel­ leicht fanden sich die Vorfahren der Geier in einer Art evolutionä­ rer Sackgasse. Sie verabscheuten den Geruch und Geschmack der ein­ zigen in ihrer Nische noch verfügbaren Nahrung, hatten aber keine andere Wahl, als ihren Abscheu zu überwinden und ihn hinunter­ zuschlucken. Vielleicht haben sie seither ein stoisches Auftreten ent­ wickelt, und was Sie als Begeisterung gedeutet haben, ist tatsächlich schiere Verzweiflung!« Einverstanden, entgegne ich. Mein schnelles Urteil war vermut­ lich ein wenig zu voreilig. Verfolgen wir die Sache also weiter und sehen wir, ob für die Alternativhypothese des Philosophen irgendwel­ che stützenden Belege gefunden werden können. Folgendes ist eine relevante Tatsache: Truthahngeier werden vom Geruch von ein oder zwei Tage alten Kadavern angelockt, aber sie schenken älterer, noch schärfer riechender Kost keine Beachtung. Man vermutet, dass die toxische Dosis in solch fliegenübersäten Überresten sogar für die Toxin-toleranten Geier zu hoch ist, sodass sie diese lieber den M a­ den überlassen. Insekten, so nimmt man an, benutzen die Entstehung der Zerfallsprodukte als Hinweis darauf, dass ein Kadaver ausrei­ chend verfault ist, um einen passenden Ort für die Eiablage und da­ mit für die Entwicklung der Maden abzugeben. Das lässt aber die ver­ bleibende Frage, ob Truthahngeier den Geruch von Aas mittlerer Reife wirklich mögen, immer noch offen. An diesem Punkt jedoch ver­ siegt mein Wissen über die tatsächliche oder in Betracht gezogene Geier-Forschung, sodass ich für den Moment einige frei erfundene Möglichkeiten erwägen muss. Es wäre faszinierend, wenn man so etwas wie einen unvollständig unterdrückten Würgreflex entdeckte, der Bestandteil des gewöhnlichen Fressverhaltens der Geier wäre, oder vielleicht Spuren gegeneinander arbeitender Annäherungs- und Vermeidungs-Systeme, die in den Gehirnen der Geier aneinander he­ rumzerrten. Eine Aktivität, so könnten wir uns ausmalen, die man in den Gehirnen von Vögeln mit appetitlicheren Speiseplänen nicht fin­ det. Entdeckungen dieser Art würden der erstaunlichen Hypothese des Philosophen eine wirkliche Unterstützung bieten, aber selbstver­ ständlich würde es sich nur um weitere »behavioristische« oder »funk­ tionale« Belege handeln. Einmal mehr würde eine oberflächlich plau­ sible, aber rückblickend betrachtet naive oder zu einfache Deutung durch einen raffinierteren Gebrauch von verhaltensspezifischen Er­ wägungen über den Haufen geworfen. Doch der Philosoph könnte 39 6

die Unterstützung durch die von mir ausgemalten Evidenzen kaum akzeptieren, ohne zugleich einzugestehen, dass das Fehlen einer sol­ chen Entdeckung gegen seine Alternative und fü r meine anfängliche Deutung spräche. Das könnte, ja, das darf überhaupt nur der Anfang einer langen und schwierigen Untersuchung der möglichen funktionalen Deutun­ gen von Ereignissen in den Nervensystemen der Geier sein. Aber wir wollen die Jagd hier abbrechen. Denn ich stelle mir vor, dass unser Philosoph nicht einverstanden ist und letztlich darauf besteht: selbst wenn die eine oder andere Hypothese in Bezug auf die Komplexi­ tät der Q€\£i-Reaktionen auf Aas erfolgreich bestätigt worden wäre, könnte uns dennoch keine der nur aus der Perspektive der dritten Per­ son durchgeführten Untersuchungen (»im Prinzip«) sagen, wie es für einen Geier wirklich ist, Aas zu riechen. Das würde allerdings nicht aufgrund irgendeines weiteren Arguments behauptet, sondern alleine deshalb, weil das am Ende die »intuitive« Trumpfkarte ist, die routine­ mäßig gespielt wird. Was ich an dieser wohl bekannten Sackgasse empörend finde, ist die Verbindung einer munteren Bewusstseinsbehauptung mit einem ebenso sorglosen M angel an N eugier darauf, was diese Behauptung wohl bedeuten und wie man sie untersuchen könnte. J. Leiber bietet uns eine handliche Bewertungsskala an: Montaigne ist in dieser Hinsicht sehr ökumenisch, indem er sowohl für Spin­ nen als auch für Ameisen Bewusstsein reklamiert und sogar über unsere Pflich­ ten gegenüber Bäumen und Pflanzen schreibt. Singer und Clarke stimmen darin überein, dass sie Schwämmen Bewusstsein absprechen. Singer loka­ lisiert die Trennlinie irgendwo zwischen Garnelen und Austern. Für jeman­ den, der anderen harte Anklagen entgegenschmettert, kommt er beim Fall von Insekten, Spinnen und Bakterien mit einer auffälligen Bequemlichkeit ins Gleiten; denn diese fühlen, pace Montaigne, offenbar und bequemerweise keine Schmerzen. Die unerschrockene M idgley hingegen scheint willens, über die subjektiven Erfahrungen von Bandwürmern zu spekulieren. [...] Nagel [...] scheint bei Flundern und Wespen einen Strich zu ziehen, obwohl er seit Kurzem vom inneren Leben von Küchenschaben spricht.6

Diese Liste könnte fortgesetzt werden. In einem kürzlich erschiene­ nen Aufsatz nimmt M . Lockwood - wie so viele —an, Nagels »Wieist-es«-Formel lege eine Bedeutung von >Bewusstsein< fest. Anschlie­ 6 J. Leiber, »Cartesian Linguistics?«, op. cit., S. 158. 397

ßend sagt er: »In diesem Sinne kann Bewusstsein vermutlich bei allen Säugetieren gefunden werden und wahrscheinlich auch bei allen Vö­ geln, Reptilien und Amphibien.«7 Es ist das >Vermutlich< und das Wahrscheinlich, auf die ich unsere Aufmerksamkeit lenken möchte. Lockwood gibt keinen Hinweis darauf, wie er es anstellen würde, diese Ausdrücke durch etwas Bestimmteres zu ersetzen. Ich verlange keineswegs nach Gewissheit. Aber Vögel sind nicht nur wahrschein­ lich Warmblüter, und Amphibien sind nicht nur vermutlich Lungenatmer. Nagel gesteht von Anfang an ein, nicht zu wissen - oder kein Rezept für die Entdeckung zu haben - , wo man die Linie ziehen soll, wenn wir die Skala der Komplexität (oder ist es die Skala der Knuddeligkeit?) hinuntersteigen. Diese Verlegenheit wird von denjenigen routiniert zur Seite gewischt, für die es klar auf der Hand liegt, dass es irgendwie ist, eine Fledermaus oder ein Hund zu sein, ebenso wie auf der Hand liegt, dass es nicht irgendwie ist, ein Backstein zu sein, und dass es im M oment wenig hilft, sich darüber zu streiten, ob es überhaupt irgendwie ist, ein Fisch oder eine Spinne zu sein. Doch was bedeutet es, zu sagen, dass es irgendwie ist oder dass es nicht irgendwie ist? Es hat bislang als gutes philosophisches Benehmen gegolten, hier an ein gegenseitiges Einvernehmen zu appellieren: Wir wissen, wovon wir sprechen, auch wenn wir es noch nicht erklären können. Ich möchte das in Frage stellen. Ich behaupte, dass diese routinierte me­ thodische Annahme keine klare vortheoretische Bedeutung hat - trotz ihrer unbestreitbaren »intuitiven« Anziehungskraft - und dass sie, eben weil dem so ist, ideal dazu geeignet ist, die lähmende Rolle einer »gemeinsamen« Intuition zu spielen, die die Lösung vor uns verbirgt. Vielleicht gibt es in dieser Hinsicht wirklich einen gewaltigen Unter­ schied zwischen uns und allen anderen Arten; vielleicht sollten wir »radikale« Hypothesen in Erwägung ziehen. Lockwood sagt, dass »wahrscheinlich« alle Vögel Bewusstsein haben, aber vielleicht sind einige - oder sogar alle - so etwas wie Schlafwandler! Und wie steht es mit dem Gedanken, dass es unbewusste Schmerzen geben könnte (und dass die Schmerzen der Tiere, obwohl real und in der Tat mora­ lisch wichtig, unbewusste Schmerzen wären) ? Vielleicht liegt ein ge­ wisses Maß an großherziger Selbsttäuschung (was ich einmal das »Beatrix-Potter-Syndrom« genannt habe) darin, wenn wir uns gegen­ 7 M . Lockwood, »Dennetfs Mind«, Inquiry 36 (1993), S. 66.

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seitig freundlich versichern, dass »pace Descartes, Bewusstsein —so verstanden —auf diesem Planeten nicht im Entferntesten das Mono­ pol menschlicher Wesen ist«, wie Lockwood es formuliert.8 Wie kön­ nen wir jedoch diese >Vielleichts< je erforschen? Wir könnten es in konstruktiver und fundierter Weise tun, indem wir uns als Erstes eine Theorie zurechtlegen, die sich ausschließlich auf das menschliche Bewusstsein konzentriert — auf jene einzige Form also, bei der wir keine >Vielleichts< und kein Wahrscheinlich dulden - und dann schauen w ir, welche Merkmale dieses Ansatzes auf welche Tiere zutref­ fen und warum. Es liegt eine Menge Arbeit vor uns, die ich mit ein paar Beispielen veranschaulichen werde —Aufwärmübungen für die anstehenden Aufgaben. H. Melville stellt in Mohy D ick einige wunderbare Fragen dazu, wie es ist, ein Pottwal zu sein. Die Augen des Wals befinden sich an den gegenüberliegenden Seiten einer riesigen Masse: »der Vorderteil des Pottwalkopfs«, so erzählt uns Melville auf erinnerungswürdige Weise, »ist eine tote, blinde Mauer ohne ein einziges Organ oder einen emp­ findlichen Vorsprung irgendwelcher Art«.9 Melville bemerkt: »So muß der Wal auf der einen Seite ein selbständiges Bild und auf der anderen Seite ein zweites sehen, während für ihn dazwischen Dunkel­ heit und Leere herrscht.«10 Nun lehrt uns zwar die Erfahrung, daß wir mit einem Blicke eine unter­ schiedslose Menge von Dingen erfassen können, daß es uns aber unmöglich ist, zwei Gegenstände, seien sie groß oder klein, zu gleicher Zeit aufmerksam und vollständig zu betrachten, selbst wenn sie nebeneinander liegen und sich berühren. Wenn man nun die beiden Gegenstände voneinander trennt und jeden einzelnen mit einem Kreis tiefen Dunkels umgibt, so wird, wenn man seine Aufmerksamkeit auf den einen konzentriert, der andere zeitweise völ­ lig aus unserem Bewußtsein ausgeschaltet werden. W ie ist das nun beim Wal? Sicherlich müssen seine Augen gleichzeitig in Tätigkeit sein. Aber ist sein Gehirn in der Lage, so viel mehr aufzufassen und genauer zu verarbeiten als das des Menschen, daß er zur gleichen Zeit zwei verschiedene Bilder scharf zu beobachten vermag, das eine au f der einen, das andere auf der genau ent­ gegengesetzten Seite?11 8 Ibid. 9 H. Melville, Moby D ick oder D er Wal (übersetzt von R. Mummendey), München: Winkler 1964, S. 415 (Kap. 76). 10 Ibid., S. 407 (Kap. 74). 11 Ibid., S. 408. 399

Melville vermutet weiter, dass die durch den Pottwal ausgeführten »au­ ßerordentlich unentschlossenen Bewegungen«, während er »von drei oder vier Booten angegriffen« wird, ihren »Grund in der hilflosen Ver­ wirrung haben, in die sein Wille infolge der geteilten und entgegen­ gesetzten Gesichtseindrücke gestürzt wird«.12 Könnten diese »außerordentlich unentschlossenen Bewegungen« nicht vielmehr Versuche des Wales sein, mit den kreisenden Booten in visuellem Köntakt zu bleiben? Viele Vögel, die ebenfalls unter Au­ gen »leiden«, die sich auf den gegenüberliegenden Seiten ihres Kopfes befinden, erreichen ein gewisses Maß an »binocularer« Tiefenschärfe, indem sie ihre Köpfe hin und her wenden. Damit stellen sie ihrem Gehirn zwei leicht verschiedene Ansichten zur Verfügung und gestat­ ten es der relativen Bewegung der Parallaxe, ihnen annäherungsweise dieselbe Tiefeninformation zu geben, die wir auf einen Blick durch unsere beiden Augen mit ihren sich überschneidenden Sehfeldern erhalten. Wie immer es auch ist, ein Wal zu sein - Melville nimmt an, dass es in einer Hinsicht dem menschlichen Bewusstsein ähnlich ist: Ein ein­ zelner Kapitän sitzt am Steuer, ein »Ich« oder »Ego«, das entweder auf übermenschliche Weise seinen Blick auf völlig unterschiedliche Sze­ narien verteilt oder auf menschliche Weise zwischen zwei konkurrie­ renden Szenarien hin und her springt. Aber könnten wir hier nicht viel radikalere Entdeckungen erwarten? Wale sind nicht die einzigen Tiere, deren Sehfelder sich wenig oder gar nicht überschneiden; Ka­ ninchen sind ein weiteres Beispiel. Bei Kaninchen gibt es zwischen den beiden Augen keinen Lerntransfer! Trainiert man ein Kanin­ chen darauf, dass eine bestimmte Gestalt eine Gefahrenquelle dar­ stellt, indem man die Darbietungen sorgfältig auf sein linkes Auge beschränkt, so wird das Kaninchen kein »Wissen« in Bezug auf diesen Umriss und weder Furcht noch Fluchtverhalten zeigen, wenn die be­ drohliche Gestalt seinem rechten Auge präsentiert wird. Wenn wir fra­ gen, wie es ist, dieses Kaninchen zu sein, so müssen wir anscheinend unserer Frage zumindest den Zusatz dexter oder sinister anfügen, um sie wohlgeformt zu stellen. Nun wollen wir die weite Kluft überspringen, die unsere nahen Ver­ wandten, den Wal und das Kaninchen, von einer viel entfernteren Ver­ wandtschaft trennt, der Schlange. In einem eleganten Aufsatz zeigt 12 Ibid.

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P. Gärdenfors auf, »warum Schlangen nicht an Mäuse denken kön­ nen«:13 Es scheint, dass eine Schlange nicht über eine zentrale Repräsentation von einer Maus verfügt, sondern sich lediglich auf transduzierte Informationen verlässt. Die Schlange wendet au f eine Beute - wie eine Maus - drei verschie­ dene sensorische Systeme an. Um die Maus mit den Giftzähnen zu schlagen, benutzt die Schlange das visuelle System (oder die Wärmesensoren). Ist die Maus geschlagen, stirbt sie normalerweise nicht sofort, sondern rennt noch ein kleines Stück davon. Ist die Beute erst einmal geschlagen, benutzt die Schlange ihren Geruchssinn, um die Maus zu lokalisieren. Das Suchverhalten ist ausschließlich mit dieser Modalität verdrahtet. Selbst wenn die Maus di­ rekt vor den Augen der Schlange stirbt, wird diese immer noch der Geruchs­ spur der Maus folgen, um sie zu finden. Diese Unimodalität ist »besonders of­ fensichtlich bei Schlangen wie Boas oder Pythons, die die Beute oftmals in den W indungen des Körpers festhalten, wenn sie beispielsweise von einem Ast herunterhängen. Trotz der Tatsache, dass die Schlange über ausreichend propriozeptorische Informationen für die Lokalisierung der von ihr gehaltenen Beute verfügen muss, sucht sie stochastisch nach ihr, rundherum, einzig mit­ hilfe des olfaktorischen Sinnesorgans.«14 Nachdem die Maus lokalisiert wor­ den ist, muss die Schlange schließlich ihren K o p f finden, um sie zu verschlin­ gen. Das könnte offenbar mithilfe des Geruchs oder der Sicht getan werden, aber dieser Vorgang kommt bei den Schlangen allein mit taktiler Information aus. Somit wendet die Schlange drei getrennte Modalitäten an, um eine Maus zu fangen und zu fressen.

Können wir von etwas sprechen, zu dem die Schlange selbst einen »Zugang hat«, oder nur von etwas, zu dem ihre verschiedenen Teile Zugang haben? Ist irgendetwas davon augenfällig hinreichend für Be­ wusstsein? Die zugrunde gelegte Annahme, dass Nagels Wie-ist-esFrage überhaupt einen Sinn hat, wenn man sie auf Schlangen anwen­ det, wird durch solche Möglichkeiten in Frage gestellt. In Philosophie des menschlichen Bewußtseins15 habe ich ausführ­ lich dargelegt, dass wir nicht mit der spezifischen Informationsverein­ heitlichung geboren werden, die die wichtigste Voraussetzung unserer 13 P. Gärdenfors, »Cued and detached representations in animal cognition«, BehavioralProcesses 35/1-3 (1996), S. 263. 14 S. Sjölander, »Some cognitive breakthroughs in the evolution o f cognition and consciousness and their impact on the biology o f language«, in: Evolution a n d Cogni­ tion 3 (1993), S. 1-10. 15 D. Dennett, Consciousness Explained, Boston: Little/Brown 1991 [dt. Philosophie des menschlichen Bewußtseins, Hamburg: Hoffmann und Campe 1994]. 401

Spielart von Bewusstsein darstellt. Sie ist kein Teil unserer angebore­ nen »Verdrahtung«, sondern in überraschend großem Maß ein Arte­ fakt unseres Eintauchens in die menschliche Kultur. Diese frühe Er­ ziehung erzeugt in uns eine gutartige »Benutzer-Illusion«, die ich das »Cartesianische Theater« nenne: die Illusion, es gäbe in unserem Gehirn einen Ort, an dem sich das Theater abspielt, dem alle Wahrnehmungs-»Inputs« Zuströmen und aus dem alle »bewussten Absich­ ten« zum Handeln und Sprechen fließen. Ich behaupte, dass andere Arten - und neugeborene Menschen - von dieser Illusion des Cartesianischen Theaters einfach nicht befallen sind. Solange sich die Organisation nicht formiert hat, gibt es da drinnen keinen Benutzer, der zum Narren gehalten werden könnte. Ohne Zweifel ist das ein radikaler Vorschlag. Es fällt vielen Denkern schwer, ihn ernst zu neh­ men, schwer, ihn auch nur in Betracht zu ziehen. Lassen Sie mich dies also wiederholen, da viele Kritiker die Möglichkeit außer Acht ge­ lassen haben, dass ich es ernst meine (ein Versagen ihrer großzügigen Loyalität gegenüber dem Prinzip der Nachsichtigkeit). Um Bewusstsein zu haben - um jene Art von Ding zu sein, für die es irgendwie ist, etwas zu sein - ist es notwendig, über eine bestimmte Art von Informationsorganisation zu verfügen, die jenes Ding mit einer ausreichenden Menge kognitiver Vermögen ausstattet (wie etwa die Vermögen der Reflexion und der wiederholten Repräsentation). Diese Art interner Organisation geht nicht automatisch mit der so genannten Empfindungsfähigkeit einher. Es handelt sich nicht um ein Geburtsrecht der Säugetiere, der Warmblüter oder der Wirbel­ tiere; es handelt sich nicht einmal um ein Geburtsrecht menschlicher Wesen. Es handelt sich um eine Organisation, die blitzschnell von einer Spezies erlangt wird —der unseren —und von keiner sonst. Zwei­ fellos bringen auch andere Arten eine ungefähr ähnliche Organisation zustande, doch die Unterschiede sind so groß, dass die meisten der spekulativen Übertragungen unserer Einbildungskraft von uns auf sie keinen Sinn machen. Meine Behauptung lautet nicht, dass anderen Spezies unsere Spiel­ art des S^/^djewusstseins fehlt, wie Nagel und andere vermutet ha­ ben.16 Ich behaupte, dass das, was der bloßen Reaktions- und Un­ terscheidungsfähigkeit hinzugefügt werden muss, um überhaupt als Bewusstsein gelten zu können, eine Organisation ist, die keineswegs 16 Th. Nagel, »What We Have in Mind When We Say We’re Thinking« (Review of Consciousness Explained), Wall Street Journal, n . 07. 1991.

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bei allen empfindungsfähigen Organismen zu finden ist. Diese Idee ist von den meisten Denkern glatt von der Hand gewiesen worden.17 Nagel etwa hält sie für eine »bizarre Behauptung«, aus der »unplausib­ lerweise folgt, dass Säuglinge keine bewussten Empfindungen haben können, bevor sie lernen, Urteile,über sich selbst zu bilden«. Lock­ wood ist gleichermaßen emphatisch: »Vergesst Kultur, vergesst Spra­ che. Das Mysterium beginnt beim niedersten Organismus, der nicht nur reagiert, wenn man ihn mit einer Nadel sticht, sondern tatsäch­ lich etwas fühlt.« In der Tat, dort beginnt das Geheimnis, wenn man darauf beharrt, dort zu beginnen —mit der Annahme nämlich, dass man weiß, was man mit dem Kontrast zwischen bloßer Reaktion und tatsächlichem Fühlen meint. Und das Geheimnis wird offenbar niemals gelüftet, wenn man dort beginnt. In einem an Einsichten reichen Essay über Fledermäuse (und darüber, ob es irgendwie ist, eine Fledermaus zu sein) unternimmt K. Akins eine detaillierte Untersuchung der funktionalen Neurowissenschaft, die Nagel meidet.18 Sie zeigt, dass Nagel bestenfalls schlecht beraten ist, wenn er annim mt, dass eine Fledermaus eine subjektive Perspektive haben muss. Akins skizziert einige der vielen verschiede­ nen Geschichten, die vom Gesichtspunkt der unterschiedlichen Sub1 7 Zwei seltene - und weitgehend missverstandene - Ausnahmen dieser Tradition stel­ len J. Jaynes, The O rigin ofConsciousness a n d the Breakdown ofthe B icam eralM ind, Boston: Houghton M ifflin 1976, und H. Margolis, Patterns, Thinking, a n d Cog­ nition , Chicago: University o f Chicago Press 1987, dar. Deren vorsichtige Beob­ achtungen sondieren das Untersuchungsfeld, das ich weiter zu öffnen vorschlage: »Ein Geschöpf mit einem sehr großen Gehirn, das fähig ist, eine große Anzahl kom­ plexer Muster zu speichern und diese durch elaborierte Sequenzen interner Reprä­ sentationen zu führen, das diese Fähigkeit auf einem hohen Niveau verfeinert und ausgearbeitet hat, wäre ein Geschöpf wie du und ich. Wie ich betont habe, tritt das Bewusstsein irgendwie an diesem Punkt hoch elaborierter, dynamischer, interner Repräsentationen deutlich ins Bild der Dinge. Ob zutreffend oder nicht, so finden doch die meisten von uns die Vorstellung schwierig, dass ein Insekt Bewusstsein hat, wenigstens ein Bewusstsein, das auch nur annäherungsweise dem Sinn entspricht, in dem Menschen ein Bewusstsein haben. Aber es ist schwierig sich vorzustellen, dass ein Hund kein Bewusstsein hat, zumindest in jener Art und Weise, in der es ein Kind hat.« (Margolis, op. cit., S. 55.) 18 K. Akins, »What is it Like to be Boring and Myopie?«, in: D ennett a n d his Critics, hrsg. von B. Dahlbom, Cambridge: Blackwell 1993, S. 124-160; id., »ABat Without Qualities?«, in: Consciousness. PsychologicalandPhilosophicalPerspectives, hrsg. von M . Davies und G. Humphreys, Cambridge: Blackwell 1993, S. 258-273. 403

Systeme aus erzählt werden können, aus denen sich das Nervensystem einer Fledermaus zusammensetzt. Wenn man diese Details erzählt bekommt, dann ist es verführerisch, sich die Frage zu stellen: »Und wo im Gehirn wohnt die Fledermaus selbst?« Doch das ist im Fall der Fledermaus eine noch zweifelhaftere Fragestellung als in unse­ rem Fall. Man kann viele parallel verlaufende Geschichten über das erzählen, was in Ihnen und was in mir abläuft. Was einer dieser Ge­ schichten über uns immer und überall eine herausragende Stellung gibt, ist schlicht Folgendes: Es handelt sich um die Geschichte, die Sie oder ich auf Anfrage erzählen (um eine komplizierte Angelegenheit sehr vereinfacht auszudrücken). Wenn wir ein Wesen betrachten, das kein Erzähler ist - das keine Sprache hat - , was geschieht dann mit der Annahme, dass eine seiner Geschichten privilegiert ist? Die Hypothese, es gäbe eine solche Geschichte, die uns sagte (wenn wir sie verstünden), wie es tatsäch­ lich wäre, dieses Wesen zu sein, steht ohne einsichtige Grundlage oder Motivation im Raum - außer einer fragwürdigen Tradition. Wie wir verfügen Fledermäuse über eine ganze Menge relativ peri­ pherer neuronaler Mechanismen, die jener »niederstufigen Verarbei­ tung« dienen, von der normalerweise angenommen wird, dass sie in uns ganz und gar unbewusst abläuft. Fledermäuse haben natürlich keinen dem unseren analogen Mechanismus, der dazu dient, öffent­ liche Protokolle über ihre momentanen subjektiven Umstände auszu­ senden. Haben sie also ein anderes »höherstufiges« oder »zentrales« System, das eine privilegierte Rolle spielt? Vielleicht haben sie es, und vielleicht nicht. Vielleicht gibt es überhaupt keine Rolle, die eine derartige höhere Stufe zu spielen hätte, keinen Platz für irgendein Sys­ tem, um die Aufgabe auszuführen, bisher nur unbewusste neuronale Prozesse in bewusste Prozesse zu erheben, eine Aufgabe, von der wir im Übrigen nur eine ungenaue Vorstellung haben. Schließlich hat selbst P. Singer keine Schwierigkeiten mit der Annahme, dass ein In­ sekt auch ohne ein solches zentrales System seine Sache im G riff hat. Es handelt sich um eine offene empirische Frage, oder eher um ein mo­ mentan noch nicht ausgemaltes und komplexes Ensemble offener em­ pirischer Fragen, was für »höhere Stufen« man bei welchen Spezies und unter welchen Bedingungen finden soll. Folgendes ist beispielsweise eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte: Der Fledermaus fehlt die Gehirnausstattung, um Ur­ teile (in einer Sprache) auszudrücken, aber sie könnte nichtsdestotrotz 404

gezwungen sein, Urteile zu bilden (auf irgendeine unartikulierte Art und Weise), um ihre sprachlosen Aktivitäten zu organisieren und zu modulieren. Wir müssen uns dort nach dem privilegierten Gesichts­ punkt der Fledermaus umsehen, wo auch immer sich diese unarti­ kulierten, urteilsähnlichen Dinge ereignen mögen. Aber dies würde genau das Postulat komplizierter Urteile auf den Plan bringen, dessen Zuschreibung an Kleinkinder Nagel für so unplausibel befunden hat. Wenn die Unterscheidung zwischen Bewusstem und Unbewuss­ tem mit etwas, das so komplex wie ein Urteil ist, nichts zu tun hat — womit dann sonst? Kehren wir zu unseren Geiern zurück. Betrachten wir folgende H y­ pothese: Für einen Truthahngeier riecht ein verfaulender Hühnerka­ daver genau so, wie gebratener Truthahn für mich riecht. Kann die Wissenschaft auf diese Hypothese irgendein Licht werfen, das für oder gegen sie spricht? Ja , sie kann diese Hypothese fast mühelos zu­ rückweisen: Da sich wie gebratener Truthahn fü r mich riecht aus ungeheuer vielen reaktiven Dispositionen, Erinnerungseffekten usw. usf. zusammensetzt (und sich darin auch erschöpft), die im Prinzip in meinem Gehirn und in meinem Verhalten nachweisbar sind, da vie­ les davon völlig jenseits der Mechanismen im Gehirn irgendeines Gei­ ers ist, ist es schlechterdings unmöglich, dass irgendetwas für einen Geier so riechen könnte, wie gebratener Truthahn für mich riecht. Wie riecht denn nun ein verfaulender Hühnerkadaver wirklich für einen Truthahngeier? (Ganz genau?) Wie geduldig und wissbegierig wollen Sie sein? Wir können die entsprechende Familie reaktiver Dis­ positionen der Geier durch dieselben Methoden entdecken, die bei mir funktionieren. Und während wir das tun, werden wir mehr und mehr über die zweifelsohne höchst idiosynkratischen Beziehungen erfahren, die ein Geier gegenüber einer Reihe von olfaktorischen Sti­ muli ausbilden kann. Doch wir wissen bereits vieles, das wir nicht erfahren werden. Wir werden niemals einen Geier finden, der durch diese Reize dazu veranlasst wird, sich zu fragen, ob das Huhn heute Abend nicht schon ein klein wenig zu lange im Kühlschrank ge­ standen hat, wie dies ein Mensch tun kann. Ebenso werden wir keine Witzeleien, elaborierte Assoziationsmuster und Proust’sche Reminis­ zenzen finden. Liege ich hier angesichts der Forschung daneben? Ein bisschen. Aber man beachte, um welche Art von Untersuchungen es sich handelt. Es stellt sich heraus, dass wir dort landen, wo wir begon­ nen haben: Wir analysieren Verhaltensmuster (externe und interne — 405

aber keine »privaten«) und bemühen uns im Lichte evolutionärer H y­ pothesen über ihre ehemaligen und gegenwärtigen Funktionen um ihre Deutung. Die bloße Idee, es existiere eine Trennlinie zwischen jenen Ge­ schöpfen, »für die es irgendwie ist, zu sein« und jenen, die bloße »Automaten« sind, nimmt sich mehr und mehr wie ein Kunstprodukt unserer traditionellen Vermutungen aus. Ich habe eine Vielfalt von Gründen angeführt, die darauf schließen lassen, dass beim erwach­ senen menschlichen Bewusstsein keine prinzipielle Möglichkeit zur Unterscheidung besteht, wann oder ob die mythische Glühbirne des Bewusstseins eingeschaltet ist (und diesen oder jenen Gegenstand beleuchtet).19 Ich behaupte, dass das Bewusstsein —sogar in jenem Fall, den wir am besten kennen, nämlich unserem eigenen - kein Phä­ nomen des Alles-oder-Nichts, des Ein-oder-Aus ist. Wenn das zutrifft, dann ist das Bewusstsein nicht die Art von Phänomen, wofür es die meisten Teilnehmer an der Debatte über das Bewusstsein der Tiere halten. Sich zu fragen, ob es »wahrscheinlich« ist, dass alle Säugetiere es haben, nimmt sich mehr und mehr so aus, als würde man sich fra­ gen, ob Vögel weise sind oder nicht und ob Reptilien Köpfchen haben oder nicht: Hier wird ein Ausdruck aus der Alltagspsychologie über­ strapaziert, der seine Nützlichkeit zusammen mit seinen scharfen Rändern verloren hat. Einige Denker bleiben durch solche Aussichten ungerührt. Sie sind sich nach wie vor unerschütterlich sicher, dass Bewusstsein —»phäno­ menales« Bewusstsein in N . Blocks Terminologie20 - ein Phänomen ist, das entweder anwesend oder abwesend ist, so als ob einige Ereig­ nisse im Gehirn im Dunkeln leuchteten und der Rest nicht.21 Wenn 19 D. Dennett, Consciousness Explained , op. cit. 20 N . Block, »Begging the Question Against Phenomenal Consciousness (Commentary on Dennett and Kinsbourne)«, Behavioral a n d B rain Sciences 15 (1992), S. 205-206; id., »Review o f Dennett: Consciousness Explained«, Jo u rn a l ofPhilosophy 90 (1993), S. 181-193; id., »What Is Dennett’s Theory a Theory ofi«, Philosophical Topics 22 (1994), S. 23-40; id., »On a Confusion about a Function o f Conscious­ ness«, Behavioral a n d Brain Sciences 18 (1995), S. 227-247 [dt. »Eine Verwirrung über eine Funktion des Bewußtseins«, in: B ew u ß tsein -B eiträg e aus der Gegenwarts­ philosophie,, hrsg. von T. Metzinger, Paderborn: Mentis 3i996, S. 523-582]. 21 Auch J. Searle ist ein strenger Anhänger dieses Mythos, vgl. J. Searle, The Redis. covery o fM in d , Cambridge (Mass.): MIT Press 1992 [dt. D ie Wiederentdeckung des Geistes, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996], und meine Besprechung davon im Jo u rn a l ofPhilosophy 90 (1993), S. 193-205. 406

man natürlich die Hypothese einfach nicht in Betracht ziehen will, dass sich das Bewusstsein vielleicht nicht als eine Eigenschaft heraus­ stellt, die das Universum in zwei Hälften scheidet, wird man .sich si­ cher sein, dass ich das Bewusstsein ganz und gar übersehen haben muss. Doch dann sollte man ebenso anerkennen, dass man das Ge­ heimnis des Bewusstseins durch die Weigerung aufrechterhält, die Belege für eine der vielversprechendsten Theorien dafür abzuwägen. Aus dem Englischen übersetzt von M arkus W ild

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