Biochemie Löffler [PDF]

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Zitiervorschau

Heinrich · Müller · Graeve

Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie 9. Auflage

Springer-Lehrbuch

Peter C. Heinrich, Matthias Müller, Lutz Graeve (Hrsg.)

Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie 9., vollständig überarbeitete Auflage Mit 1080 farbigen Abbildungen

123

Prof. Dr. Peter C. Heinrich Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Matthias Müller Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Lutz Graeve Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft (140c) Universität Hohenheim Garbenstraße 30 70599 Stuttgart E-Mail: [email protected]

ISBN-13 978-3-642-17971-6 DOI 10.1007/978-3-642-17972-3

ISBN 978-3-642-17972-3 (eBook)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Medizin © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1975, 1979, 1985, 1990, 1997, 1998, 2003, 2007, 2014 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Christine Ströhla , Heidelberg Copyedition: Dr. Gaby Seelmann-Eggebert, Limburgerhof Projektmanagement: Rose-Marie Doyon, Heidelberg Projektkoordination: Michael Barton, Heidelberg Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: Kristallstruktur erstellt von Dr. Christophe Wirth – Institut für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Freiburg. Die Abbildung zeigt die Kristallstruktur des aktivierten Komplexes aus Ligand (rot), β2- adrenergem Rezeptor (gelb) und seinem trimeren Gs- Protein bestehend aus den Untereinheiten α (grün), β (hellblau) und γ (rot)  (Kristallstruktur erstellt anhand PDB 3SN6 nach: Rasmussen et al. 2011, Nature 477, 549–555). Grafische Gestaltung: KLEIN medicalARTWORK, Mainz Zeichnungen: Julius Ecke, München; Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg; Bitmap, Mannheim Satz und Reproduktion der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Medizin ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer.com

V

Der Springer-Verlag dankt seinen langjährigen Herausgebern und Gründervätern der Biochemie und Pathobiochemie Professor Georg Löffler und Professor Petro E. Petrides.

Geleitwort »65 Jahre molekulare Medizin – wohin führt der Weg?«

40 Jahre Lehrbuch Biochemie und Pathobiochemie geben Anlass zu einem Rückblick über die Entwicklung einer molekular orientierten Medizin in den letzten vier Jahrzehnten. In der Einleitung zur 1. Auflage im Jahre 1975 war zu lesen, dass »biochemisches Wissen und Methodik Eingang in nahezu alle Fachgebiete der Medizin gefunden hatten«. Dies war das Ergebnis einer Entwicklung, die 30 Jahre zuvor begonnen hatte, als im Frühjahr 1945 nachts auf dem Weg von Denver nach Chicago William Castle, Hämatologe in Boston, und Linus Pauling, Chemiker, damals in Pasadena, über die Wechselwirkung von Antikörpern mit den zugehörigen Antigenen ins Gespräch kamen. In diesem Zusammenhang erwähnte Castle, dass bei der vererbbaren Sichelzellanämie die Erythrozyten bei Sauerstoffabgabe eine Sichelform ausbilden und dabei im polarisierten Licht eine Doppelbrechung zeigen. Dies sprach für eine molekulare Umordnung des Hämoglobins als Träger des Sauerstoffmoleküls. Sichelzellen und die Sichelzellkrankheit waren zwar schon im Jahre 1910 von James Herrick, einem praktischen Arzt mit wissenschaftlichen Interessen in Chicago, erstmalig beschrieben worden. Aber erst im Jahre 1946 begann Paulings Arbeitsgruppe mit der Untersuchung des Hämoglobins von Patienten mit Sichelzellanämie. Für eine Beteiligung des Hämoglobins an dem pathologischen Geschehen sprach, dass Erythrozyten, aus denen das Hämoglobin entfernt worden war, bei Entzug von Sauerstoff die Sichelzellform nicht mehr ausbildeten. Im Sommer 1948 entdeckten die Forscher, dass Hämoglobin aus Sichelzellen bei der Elektrophorese eine veränderte Mobilität aufwies. Die Untersuchungen ergaben weiterhin, dass viele Individuen sowohl normales wie verändertes Hämoglobin enthielten. Sie waren offensichtlich heterozygot für die vermutete Mutation, hatten also ein normales und ein mutiertes Gen. Diese Ergebnisse, die 1949 in einem klassisch gewordenen Artikel veröffentlicht wurden, offenbarten eine direkte Verbindung zwischen der Existenz veränderter Hämoglobin-Moleküle und den entstehenden pathologischen Phänomenen. Mit dieser Schlussfolgerung wurde das Konzept der molekularen Krankheit in die Medizin eingeführt. In den 50er-Jahren gelang es in Cambridge (UK) erstmals dem Biochemiker Frederick Sanger, eine exakte Aminosäure-Sequenz eines Polypeptids, nämlich der A- und der B-Kette des Insulins, zu bestimmen. Damit war der Grundstein für die molekulare Analyse

von Peptiden und später von Proteinen anhand ihrer Sequenz gelegt. Im Jahre 1953 publizierten James Watson und Francis Crick ihr bahnbrechendes Modell der Doppelhelix der DNS und lieferten damit eine Erklärung des Mechanismus der Kopierung dieser Erbsubstanz. Mit der Entwicklung der Technik der Sequenzierung wurde auch die Ermittlung der Primärstruktur des mutierten Sichelzell-Hämoglobins im Jahre 1957 möglich. Die auf diese Pionierarbeiten folgenden zwei Jahrzehnte führten zu einem vertieften Verständnis des Stoffwechsels von Zellen und Geweben auf dem eingeschlagenen methodischen Weg der molekularen Analyse. Der Fortschritt war jedoch trotz allem eine »Schnecke«. Noch 1975, als die 1. Auflage des vorliegenden Lehrbuches erschien, hieß es, dass es »aufgrund der Größe und monotonen Sequenz der DNS noch nicht gelungen sei, die Basensequenz einzelner Gene zu bestimmen«. Vier Jahre später, in der 2. Auflage (1978), wurden die ersten neu entwickelten Sequenzierungsmethoden von Frederick Sanger und Alan Coulson bzw. Alan Maxam und Walter Gilbert (Boston) besprochen (Erste Generation-Sequenzierung). Es waren erstaunliche Verfahren, die sich den Mechanismus der Synthese von DNS mit genauer Einhaltung der Nukleotidsequenz einer Vorlage zunutze machten, wie sie überall in der Natur stattfindet (katalysiert vom Enzym DNS-Polymerase). Der geniale Trick, der die Ablesung der gesuchten Sequenz durch Neusynthese ermöglichte, bestand darin, dass die neugebildeten Moleküle eine physikalisch nachweisbare Markierung trugen (radioaktiv, später mit fluoreszierenden Farbstoffmolekülen). Dieses hochspezifische Verfahren wurde immer weiter ausgebaut, vervollkommnet und miniaturisiert. Weitere 20 Jahre später, fast zeitgleich mit der Jahrhundertwende, wurde die komplette Sequenz des menschlichen Genoms in weltweit zugänglichen Datenbanken eingespeichert. Seit der letzten Auflage dieses Lehrbuches im Jahre 2006 hat sich diese Entwicklung exponentiell beschleunigt. Es blieb nicht bei der Ermittlung der Sequenz eines einzigen typisch menschlichen Genoms. Vielmehr wurde es zunehmend möglich, die Unterschiede festzustellen, die der Genomtext zwischen einzelnen Individuen aufweist. Hatte die Ermittlung der ersten, sogenannten Referenz-Sequenz noch Jahrzehnte internationaler kooperativer Forschung und den Einsatz von mehr als einer Milliarde Dollar erfordert, so machte bereits 10 Jahre danach die Ankündigung eines »1000 Dollar Genoms« die Runde. Gegenwärtig ist es möglich, die individuelle Sequenz der

VII Geleitwort

DNS eines Menschen (mit rund 3 Milliarden Basenpaaren) innerhalb von wenigen Tagen zu ermitteln. Beschränkt man die Sequenzierung auf die besonders wichtigen ca. 180 000 Abschnitte (Exons), die die ca. 23 000 Codes für die menschlichen Proteine enthalten (insgesamt als Exom bezeichnet), dann fallen Kosten von nur noch etwa 2000 Euro an. Diese technische Revolution beruht auf der massiv-parallelen Durchführung der erforderlichen enzymatisch katalysierten Synthesen. Mithilfe der Methoden der sogenannten »Nächste Generation Sequenzierung« können heute – bei Erscheinen der 9. Auflage – ursächliche Mutationen bei angeborenen und erworbenen Erkrankungen durch Untersuchung großer Kollektive betroffener Menschen schnell ermittelt werden. Diese Entwicklung hat die Medikamentenentwicklung in der Krebsmedizin und vielen anderen Fachgebieten der Medizin revolutioniert. Heute kann man die intrazellulären Stoffwechselwege von menschlichen Tumoren molekular analysieren und die auftretenden Mutationen nachweisen. Anschließend werden neu entwickelte Medikamente eingesetzt, die im Idealfall spezifisch auf die mutierten Proteine wirken. Die Untersuchung menschlichen Tumorgewebes hat damit zur »personalisierten Medizin« geführt. Die Therapie ist auf die konkreten molekularen Defekte bestimmter »Tumorgene« des einzelnen Patienten ausgerichtet. Nur dadurch ist eine wirklich wirksame Therapie möglich geworden. Kritische Autoren sprechen dagegen von einer Stratifizierung zur Vermeidung von Ineffektivität, d. h., bestimmte Therapien werden nicht verabreicht, wenn die molekularen Voraussetzungen nicht vorliegen. Heute ist eine reduktionistische Entwicklung zu beobachten, die die Tumorerkrankung auf die Charakterisierung einiger weniger Tumorgene reduzieren möchte. Holistische Ansätze dagegen versuchen, durch die Untersuchung möglichst vieler Parameter (z. B. des Proteoms = Gesamtanalyse des Proteinspektrums einer Zelle oder eines Gewebes) tiefgreifende Unterschiede zu identifizieren, die für die Krankheitsentstehung von entscheidender Bedeutung sind. Wir stehen damit am Anfang einer Entwicklung, die in Zukunft für jeden Menschen innerhalb kurzer Zeit und zu erträglichen Kosten die Ablesung des individuellen Genoms ermöglichen wird. Da nahezu alle Krankheiten durch die Wechselwirkung der genetischen Konstitution mit den Umweltbedingungen, der Lebensweise und der Einwirkung von Noxen entstehen, wird sich eine Medizin der Zukunft nicht mehr auf den anonymen »Fall« aus einem mehr oder minder großen Kollektiv mit derselben Diagnose, sondern ganzheitlich auf das konkrete Schicksal der Person richten. Es sind allerdings auch ernst zu nehmende Bedenken formuliert worden, dass eine derart

vollständige molekulare Beschreibung den Menschen auf seine biologische Verfassung reduzieren und damit zahlreiche ursächlich wirkende soziale und ethnisch-kulturelle Faktoren beim Patienten ausblenden könnte. Damit ist in den 65 Jahren seit der Erstbeschreibung einer molekularen Erkrankung bis zum heutigen Tage eine sich zuletzt abrupt beschleunigende Entwicklung abgelaufen. Sie mündet in die Erkennung der molekularen Grundlagen unserer persönlichen Individualität und der damit verbundenen individuellen Ausprägung von Krankheiten. So erfreulich diese Entwicklung aus naturwissenschaftlicher Perspektive auch ist, darf sie uns den Blick auf die mitlaufenden Risiken einer hochgradig technifizierten zellbiologisch-genetischen Medizin nicht verstellen. Es ist ein besonderes Privileg, diese eindrucksvolle Entwicklung der modernen Biochemie (Zell- und Molekularbiologie) mit ihrer Bedeutung für die klinische Medizin über die vergangenen 40 Jahre einem großen Leserkreis vermittelt haben zu dürfen. Petro E. Petrides und Jens Reich

Prof. Dr. med. Petro E. Petrides, Arzt und Biochemiker, hat vor mehr als 40 Jahren die Gründung dieses Lehrbuches angeregt und seitdem mitherausgegeben. Er hat an verschiedenen Universitäten des In- und Auslandes (Ludwigs-Universität-München, Salk-Institut La Jolla, und Stanford-Universität, Palo Alto, Kalifornien, Charité Humboldt Universität Berlin) gearbeitet. An der aktuellen Auflage beteiligt er sich noch mit einzelnen Kapiteln. Er ist in eigener Praxis als Arzt und Dozent an der LMU München (Hämatologie/Onkologie) tätig. Prof. Dr. med. Jens Reich hat die Weiterentwicklung des Lehrbuches von Anfang an mit Interesse beobachtet und mit kritischen Anmerkungen befruchtet. Er hatte den Lehrstuhl für Bioinformatik am Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin an der Humboldt-Universität – Charité in Berlin inne und war von 2001 bis 2012 Mitglied des Deutschen (vormals Nationalen) Ethikrates.

IX

Vorwort Gegenstand der Biochemie ist die Aufklärung der molekularen Grundlagen des Lebens. Insbesondere auf Grund einer Vielzahl moderner Techniken und Forschungsansätze hat die Biochemie sehr stark ihre Nachbardisziplinen, wie die Zellbiologie, Molekularbiologie, Genetik, Entwicklungsbiologie, Physiologie, Pharmakologie, aber auch die klinische Medizin geprägt. Die Biochemie hat sich aber wegen ihrer Ausrichtung auf das molekulare Verständnis physiologischer Prozesse, wie z. B. der Stoffwechselvorgänge, stets ihre Individualität erhalten. Die seit Jahren mit ungebrochener Geschwindigkeit voranschreitende Zunahme unserer Kenntnisse in den Biowissenschaften, und hier speziell in der Biochemie, Molekular- und Zellbiologie, hat für die Medizin wichtige Konsequenzen. So haben neue Erkenntnisse zum tieferen Verständnis physiologischer Vorgänge, wie z. B. der Hormonwirkung, neurobiologischer Prozesse und immunologischer Reaktionen, aber auch pathobiochemischer Zusammenhänge geführt. Wir haben mit der vorliegenden 9. Auflage des Lehrbuches »Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie« versucht, dieser rasanten Entwicklung möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. So war es uns ein besonderes Anliegen, das moderne biochemische, vor allem aber das molekular- und zellbiologische Grundwissen zu aktualisieren und dabei dennoch kompakt darzustellen. Mit Sektion V »Funktionelle Biochemie der Organe« ist auch die neue Auflage des Lehrbuchs »Biochemie und Pathobiochemie« seiner traditionell starken Vernetzung von Biochemie/Molekularbiologie mit der Klinik treu geblieben. Wichtige Bezüge von Biochemie/Molekularbiologie zur Pathobiochemie werden nun entweder in eigenen kurzen Kapiteln beschrieben oder sind am Ende der meisten Kapitel hervorgehoben worden. Mit der 9. Auflage hat sich das Herausgebergremium verändert. Die Gründerväter des Buches Löffler und Petrides sind als Herausgeber ausgeschieden, als Kapitelautoren aber weiterhin präsent geblieben. Als neue Herausgeberkollegen konnten Matthias Müller und Lutz Graeve gewonnen werden, die beide über jahrelange Erfahrung in der akademischen Lehre und Lehrorganisation verfügen. Was ist außerdem neu an der 9. Auflage? Gegenüber der 8. Auflage mit 35 Kapiteln weist die »Biochemie und Pathobiochemie« jetzt 5 Sektionen mit insgesamt 74 Kapiteln auf. Die inhaltliche Umstrukturierung und Konzentrierung einzelner Themen auf kleinere Kapitel soll einer besseren Übersicht des Lehrstoffs

verbunden mit größerer Leserfreundlichkeit dienen. 17 Kapitel wurden völlig neu geschrieben. Grundlegend überarbeitet wurden neun Kapitel der Molekularbiologie. Durch Einbringung zahlreicher neuer Abbildungen sind die molekularbiologischen Themen aktualisiert und umfassender behandelt. Auch die 17 Kapitel, die sich mit dem Energiestoffwechsel, der Synthese von Speicher- und Baustoffen, sowie der Regulation des Stoffwechsels beschäftigen, wurden neu gestaltet. Alle übrigen Kapitel sind in intensiver Zusammenarbeit der Autoren mit den Herausgebern überarbeitet worden. Zu allen Kapiteln finden die Leserinnen und Leser wichtige und wertwolle Literaturhinweise im Internet  auf einer Webseite des Springer-Verlags www. springer.com/978-3-642-17971-6. Die biochemischen Inhalte des neuen Gegenstandskatalogs des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) von 2014 werden mit der vorliegenden 9. Auflage des Lehrbuchs »Biochemie und Pathobiochemie« umfassend abgedeckt. Die Benutzung unseres Lehrbuchs wird die Studierenden der Medizin in die Lage versetzen, den 1. Abschnitt der ärztlichen Prüfung erfolgreich zu bestehen. Das Lehrbuch »Biochemie und Pathobiochemie« ist auf ein molekulares Verständnis pathobiochemischer Zusammenhänge als Grundlage und Vorbereitung für die ärztliche Tätigkeit ausgerichtet. Mit seiner umfassenden Darstellung biochemischer und molekularbiologischer Themen richtet es sich aber auch an Biologen, Biochemiker, Ernährungswissenschaftler, Pharmakologen, Pharmazeuten und Psychologen. Darüber hinaus ist es als eine Orientierungshilfe für die in der Klinik und Praxis tätigen Ärztinnen und Ärzte gedacht. Ein Buch ist niemals perfekt. Es lebt von der Kritik und den Anregungen seiner Leserinnen und Leser. Wir sind daher – wie in der Vergangenheit – auch künftig dankbar für Kommentare, Korrekturen und Verbesserungsvorschläge. Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Freude an dem spannenden Fach Biochemie/Pathobiochemie. Die Herausgeber

Februar 2014

Danksagung Die folgenden Kollegen haben durch kritische und kompetente Durchsicht der verschiedenen Kapitel ganz wesentlich zum Gelingen des Buches beigetragen: Christian Bästlein (Freiburg), Willi Bannwarth (Universität Freiburg), Wolfgang Bettray (RWTH Aachen), Wilhelm Jahnen Dechent (RWTH Aachen), Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz), Otto Haller (Universität Freiburg), Carola Hunte (Universität Freiburg), Katrin Kuscher (Universität Freiburg), Christine Lambert (Universität Hohenheim), Chris Meisinger (Universität Freiburg), Khosrow Mottaghy (RWTH Aachen), Tobias Recker (RWTH Aachen), Natalie Rinis (RWTH Aachen), Harald Wajant (Universität Würzburg), Christophe Wirth (Universität Freiburg) danken wir für die Hilfe beim Entwurf der Cover-Abbildung und Ernst-Peter Fischer (Universität Konstanz) für die Überlassung des Textes in »Übrigens« (Kapitel 10). Für die unermüdliche Hilfe bei der Anfertigung zahlreicher neuer Abbildungen möchten sich die Autoren bei Peter Freyer (Aachen) und zum Kapitel 49 bei Carlo Maurer (Universität Freiburg) recht herzlich bedanken. Ganz besonderer Dank geht an Katrin Kuscher, Severin Weigend, Matthias Behringer und Markus Bever für ihren Enthusiasmus und ihre Hilfe bei LiteraturRecherchen und der Korrespondenz zwischen Autoren, Herausgebern und dem Springer-Verlag.

Bei unseren Studierenden bedanken wir uns für zahlreiche Kommentare und Vorschläge. Ebenso wie für die vergangenen Auflagen war auch für die neunte Auflage der unermüdliche Einsatz der Lehrbuchabteilung des Springer-Verlages von großer Bedeutung: Ganz besonders möchten wir in diesem Zusammenhang Rose-Marie Doyon, Renate Scheddin, Christine Ströhla und Dorit Müller danken. Volker W. Klein (Mainz) sind wir für die graphische Umsetzung des Covers zu Dank verpflichtet. Besonderer Dank gilt auch unserer Lektorin Gaby SeelmannEggebert. Sehr zu Dank verpflichtet ist Peter Heinrich dem Direktor des Instituts für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Freiburg, Prof. Nikolaus Pfanner für die großzügige Unterstützung der Arbeit an dem Lehrbuch. Auch die Hilfe von Wolfgang Fritz und Hans-Peter Henninger darf nicht unerwähnt bleiben. Zum Schluss möchten wir unseren Familien für ihre Geduld und ihr Verständnis für unsere Arbeit an diesem Buch herzlich danken. Die Herausgeber

Februar 2014

XI

Die Herausgeber Peter C. Heinrich Studierte Chemie an den Universitäten in Frankfurt und Marburg. Promotion bei Karl Dimroth an der Universität Marburg, research associate an der Yale University (J. S. Fruton), im Anschluss wissenschaftlicher Assistent am Biochemischen Institut der Universität Freiburg (H. Holzer). Von 1970–1973 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Firma Hoffmann LaRoche, Basel. 1975 Habilitation für das Fach Biochemie an der Universität Freiburg. 1980 Professur für Biochemie an der Universität Freiburg. 1986 visiting professor an der Stanford University Medical School (G. Ringold). Von 1987 bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie und Molekularbiologie und Geschäftsführender Direktor des Institutes für Biochemie an der RWTH Aachen. 1994–2004 Sprecher der DFG-Forschergruppe/Sonderforschungsbereichs 542 »Molekulare Mechanismen Zytokin-gesteuerter Entzündungsprozesse: Signaltransduktion und pathophysiologische Konsequenzen«. Editorial Board Member: 1994–2001 Biochemical Journal; 1995–2008 Journal of Interferon and Cytokine Research; 2003–2007 Journal of Biological Chemistry. Wichtige wissenschaftliche Beiträge: Identifikation des Hepatozyten-stimulierenden Faktors als Interleukin-6; Entdeckung des Transkriptionsfaktors APRF/STAT3α; Aufklärung der molekularen Mechanismen der Interleukin-6 Signaltransduktion über den Jak/STAT-Weg und deren Signalabschaltung. Seit 2008 Gastprofessor im Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Freiburg. 2012 visiting professor am Beckman Research Institute und der Irell & Manella Graduate School of Biological Sciences, Pasadena. Professor Heinrich hat langjährige Erfahrung in der Lehre und Betreuung von Medizin-, Biologieund Biochemiestudenten.

Matthias Müller Studium der Humanmedizin an der Universität Freiburg. Am Biochemischen Institut der Universität Freiburg Promotion bei Gerhard Schreiber und nach der Approbation Wissenschaftlicher Assistent bei Helmut Holzer. Anschließend Postdoktorand und später Assistant Professor bei Günter Blobel, The Rockefeller University, New York. Habilitation für das Fach Biochemie an der Universität Freiburg (1987). Professor für Biochemie/Molekularbiologie von 1993-1997 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, seit 1997 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Neben zahlreichen anderen nationalen und internationalen Forschungsförderungen, seit 1988 Projektleiter in mehreren Sonderforschungsbereichen. Forschungsschwerpunkte: Sec- und Tat-abhängiger Proteintransport in Bakterien; molekulare Chaperone; Biogenese von α-helikalen und β-tonnenförmigen Membranproteinen; Sekretion von bakteriellen Pathogenitätsfaktoren. Langjähriges und breitgefächertes, transregionales Engagement in der Biochemielehre und deren Organisation.

Lutz Graeve Studierte Biologie an der Universität Hamburg. Promotion am Institut für Physiologische Chemie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei Joachim Kruppa. Von 1986-1990 als Postdoktorand bei Enrique Rodriguez-Boulan im Department of Anatomy and Cell Biology an der Cornell University Medical School in New York. Von 1990-2000 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Biochemie des Klinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen bei Peter C. Heinrich. 1995 Habilitation für das Fach Biochemie an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen. Seit 2000 Professor für das Fachgebiet Biochemie der Ernährung an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Von 2005–2012 Studiendekan, seit 2013 Studiengangsleiter für die ernährungswissenschaftlichen Studiengänge. Die Arbeitsgebiete umfassen zelluläre Signaltransduktion insbesondere von Interleukin-6-Typ Cytokinen, Biologie von Lipid Rafts, Rolle von Caveolae und Matrix-Metalloproteinasen in der Tumorbiologie und Einfluss sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe auf zelluläre Signalvorgänge.

Das Layout

Einleitung: Kurzer Einstieg ins Thema

Abbildungen: Mehr als 1000 Abbildungen veranschaulichen komplexe Zusammenhänge

Schwerpunkte: Zentrale Themen des Kapitels auf den Punkt gebracht

Roter Faden: Zusammenfassende Kernaussagen

Übrigens: Interessante Zusatzinfos zum Vertiefen und zum Schmökern

Pathobiochemie: Erklärt die biochemischen Grundlagen von Krankheiten

Zusammenfassung: Das Wichtigste zum Kapitel in Kürze

Tafelteil: Wichtige Formeln sind in einem separaten Tafelteil am Ende von Kapitel 3 zusammengestellt

Literatur: Eine umfassende Literaturliste finden Sie auf der Produktseite unter springer.com/978-3-642-17971-6

XV

Die Autoren Prof. Dr. Siegfried Ansorge

Prof. Dr. Peter Bruckner

IMTM GmbH ZENIT-Technologiepark Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg

Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie Universitätsklinikum Münster Waldeyerstraße 15 48129 Münster 

Prof. Dr. Cord-Michael Becker

Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman

Institut für Biochemie Universität Erlangen-Nürnberg Fahrstraße 17 91054 Erlangen

Klinik für Dermatologie und Venerologie Universitätsklinikum Freiburg Hauptstraße 7 79104 Freiburg

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hubert E. Blum

Prof. Dr. Hannelore Daniel

Abteilung Innere Medizin II Medizinische Universitätsklinik Freiburg

Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie Technische Universität München

Hugstetter Straße 55 79106 Freiburg

Gregor-Mendel-Straße 2 85350 Freising-Weihenstephan

Prof. Dr. Hans Bock

Prof. Dr. Rainer Deutzmann

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf

Lehrstuhl für Biochemie I Universität Regensburg Universitätsstraße 31 93053 Regensburg

Prof. Dr. Burkhardt Brandt

Prof. Dr. Hartmut Follmann †

Institut für Klinische Chemie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Arnold-Heller-Straße 3 (Haus 17) 24105 Kiel

(ehemals) Biochemie – Institut für Biologie Universität Kassel Heinrich-Plett-Straße 40 34109 Kassel

Prof. Dr. Ulrich Brandt

Prof. Dr. Dieter O. Fürst

Nijmegen Centre for Mitochondrial Disorders (NCMD) Department of Pediatrics Radboud University Nijmegen Medical Centre Geert Groteplein-Zuid 10, Route 772 NL-6525 GA Nijmegen

Institut für Zellbiologie Universität Bonn Ulrich Haberlandstraße 61a 53121 Bonn

Prof. Dr. Lutz Graeve Prof. Dr. Regina Brigelius-Flohé Deutsches Institut für Ernährungsforschung Abt. Biochemie der Mikronährstoffe Potsdam-Rehbrücke Arthur-Scheunert-Allee 114–116 14558 Nuthetal

Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft (140c) Universität Hohenheim Garbenstraße 30 70599 Stuttgart

Prof. Dr. Serge Haan Dr. Jan Brix Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg

Life Sciences Research Unit University of Luxembourg 162A, Avenue de la Faiencerie L-1511 Luxembourg

XVI

Die Autoren

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ulrich Häring

Prof. Dr. Armin Kurtz

Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie Medizinische Universitätsklinik Tübingen Otfried-Müller-Straße 10 72076 Tübingen

Lehrstuhl f. Physiologie I Universität Regensburg Universitätsstraße 31 93053 Regensburg

Prof. Dr. Georg Löffler Prof. Dr.  Dieter Häussinger Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie  Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5  40225 Düsseldorf 

Institut für Biochemie Universität Regensburg Universitätsstraße 31 93053 Regensburg

Prof. Dr. Monika Löffler Prof. Dr. Peter C. Heinrich Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg

Institut für Physiologische Chemie Universität Marburg Karl-von-Frisch-Straße 1 35032 Marburg

Prof. Dr. Petra May PD Dr. Heike Hermanns Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 2 (D15) 97080 Würzburg

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf

Prof. Dr. Joachim Mössner Prof. Dr. Dr. Hans R. Kalbitzer Institut für Biophysik und Physikalische Biochemie Universität Regensburg Universitätsstraße 31 93053 Regensburg

Prof. Dr. Monika Kellerer Zentrum für Innere Medizin I Marienhospital Stuttgart Böheimstraße 37 70199 Stuttgart

Prof. Dr. Hans-Georg Koch Institut für Biochemie und Molekularbiologie, ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg

Prof. Dr. Josef Köhrle Institut für Experimentelle Endokrinologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Charité Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Prof. Dr. Thomas Kriegel Institut für Physiologische Chemie Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Technische Universität Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden

Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie Universitätsklinikum Leipzig, AöR Liebigstraße 20 04103 Leipzig

Prof. Dr. Matthias Müller Institut für Biochemie und Molekularbiologie; ZBMZ Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Straße 17 79104 Freiburg

Prof. Dr. Gerhard Müller-Newen Institut für Biochemie und Molekularbiologie RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen

Prof. Dr. Petro E. Petrides Hämatologisch-onkologische Schwerpunktpraxis Am Isartor Zweibrückenstraße 2 80331 München und Medizinische Klinik Ludwig-Maximilians-Universität München

XVII Die Autoren

Prof. Dr. Gabriele Pfitzer

Dr. Michael Täger

Institut für Vegetative Physiologie Universität Köln Robert-Koch-Straße 39 50931 Köln

IMTM GmbH ZENIT-Technologiepark Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg

Prof. Dr. Klaus-Heinrich Röhm

Prof. Dr. Uwe Wenzel

Institut für Physiologische Chemie Universität Marburg Karl-von-Frisch-Straße 1 35032 Marburg

Molekulare Ernährungsforschung Justus-Liebig-Universität Gießen IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26–32 35392 Gießen

Prof. Dr. Fred Schaper Institut für Biologie  Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Forschungsgebäude Systembiologie Universitätsplatz 2  39106 Magdeburg  

Prof. Dr. Wolfgang Schellenberger Institut für Biochemie Medizinische Fakultät Universität Leipzig Johannisallee 30 04103 Leipzig

Prof. Dr. Lutz Schomburg Institut für Experimentelle Endokrinologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Prof. Dr. Rolf Schröder Institut für Neuropathologie Schwabachanlage 6 91054 Erlangen

PD Dr. Ulrich Schweizer Institut für Biochemie und Molekularbiologie Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Nussallee 11 53115 Bonn

Prof. Dr. Harald Staiger Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie Medizinische Universitätsklinik Tübingen Otfried-Müller-Straße 10 72076 Tübingen

Prof. Dr. Norbert Stefan Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie Medizinische Universitätsklinik Tübingen Otfried-Müller-Straße 10 72076 Tübingen

Inhaltsverzeichnis I 1

Grundlagen der Biochemie und der Molekularen Zellbiologie

. . . . . . . . . . .

1

Ohne Wasser kein Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Peter C. Heinrich

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

2

Eigenschaften des Wassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolligative Eigenschaften des flüssigen Wassers und osmotischer Druck Autoprotolyse von Wasser, pH-Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Säuren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Puffersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 6 7 8 10

Vom Molekül zum Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

Hartmut Follmann †

2.1 2.2 2.3

3

Die chemischen Elemente lebender Organismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von chemischer Materie zu biologischer Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 17 23

Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens . . . . . . . . . .

26

Georg Löffler, Matthias Müller

3.1 3.2 3.3 3.4

Kohlenhydrate Lipide . . . . . . Aminosäuren . Nucleotide . . .

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26 32 39 42

Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

4

Bioenergetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

54

4.1 4.2 4.3

Thermodynamische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energietransformation und energetische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 57 58

5

Proteine – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Hans R. Kalbitzer

5.1 5.2 5.3

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75

5.4 5.5

Aufbau von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konformation von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen . . . . . . . . . . . . . . Proteinevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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80 84

6

Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung . . . . . . . . . . .

86

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61 62

Hans R. Kalbitzer

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

7

Isolation und Reinigung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakterisierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachweisverfahren und Identifizierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen Proteombestimmung (Proteomik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese von Peptiden und Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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86 90 92 95 98 99

Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

7.1 7.2

Struktur und Funktion der Biokatalysatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101 105

XIX Inhaltsverzeichnis

7.3 7.4 7.5 7.6 7.7

8

Multiple Formen von Enzymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ribozyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechanismen der Enzymkatalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition, Maßeinheiten und Bestimmung der Enzymaktivität Michaelis-Menten-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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106 107

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107 108 111

Regulation der Enzymaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115

Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

9

Einfluss von Temperatur und pH-Wert auf die Enzymaktivität . . . . . . . . . . . Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Enzym- und Substratkonzentration Regulation der Enzymaktivität durch Hemmstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperativität und allosterische Kontrolle der Enzymaktivität . . . . . . . . . . Regulation der Enzymaktivität durch covalente Modifikation . . . . . . . . . . . Regulation der Enzymaktivität durch Protein-Protein-Interaktion . . . . . . . .

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115 116 116 119 122 124

Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

9.1 9.2 9.3

Anwendung von Enzymen in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung von Enzymen in biologischen Flüssigkeiten (Enzymdiagnostik) . . . . . . . . . . . . . . . . . Enzyme als Zielstrukturen von Pharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126

10

Nucleinsäuren – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130

129

Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

10.1 10.2 10.3 10.4

Struktur und Funktion von DNA und RNA Die DNA-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . DNA als Trägerin der Erbinformation . . . Funktion und Struktur der RNA . . . . . . .

. . . .

130 131 141 146

11

Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Graeve, Matthias Müller

149

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6

Aufbau und Eigenschaften von Biomembranen Membranfluidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lipid rafts oder membrane rafts . . . . . . . . . . . Membranproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport durch Membranen . . . . . . . . . . . . . Biosynthese von Membranen . . . . . . . . . . . .

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149 149 150 152 153 155

12

Zellorganellen und Vesikeltransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

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Lutz Graeve, Matthias Müller

12.1 12.2 12.3

Die Zellkompartimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vesikulärer Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteinsortierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 166 169

13

Cytoskelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

Lutz Graeve, Matthias Müller

13.1 13.2 13.3 13.4

Mikro- oder Actinfilamente Mikrotubuli . . . . . . . . . . Intermediärfilamente . . . Motorproteine . . . . . . . .

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174 177 178 179

XX

Inhaltsverzeichnis

II

Zellulärer Metabolismus

14

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181

Glucose – Schlüsselmolekül des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

Georg Löffler, Matthias Müller

14.1 14.2 14.3

15

Katabole Verwertung von Glucose und Fructose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung und Verwertung der Glycogenspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gluconeogenese – endogene Glucoseproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183 192 195

Mechanismen der Glucosehomöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

Georg Löffler, Matthias Müller

15.1 15.2 15.3

Glucosetransport durch Membranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierte Leerung und Füllung der Glycogenspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerung von Glucoseabbau und Glucoseproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199 203 208

16

Zucker – Bausteine von Glykoproteinen und Heteroglycanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214

Georg Löffler

16.1 16.2

17

Glucose als Substrat für die Biosynthese anderer Zucker, Aminozucker und Zuckersäuren . . . . . . . . Die Saccharide von Proteoglycanen, Hyaluronsäure und Peptidoglycan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214 218

Pathobiochemie des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

Georg Löffler

17.1 17.2

18

Erworbene Defekte des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hereditäre Defekte des Kohlenhydratstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 224

Der Citratzyklus – Abbau von Acetyl-CoA zu CO2 und H2O . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

Ulrich Brandt

18.1 18.2 18.3 18.4 18.5

19

Stoffwechselbedeutung des Citratzyklus . Einzelreaktionen des Citratzyklus . . . . . Regulierte Schritte im Citratzyklus . . . . . Anabole Reaktionen im Citratzyklus . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . .

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226 228 231 232 234

Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Ulrich Brandt

19.1 19.2

20

Die mitochondriale Energietransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie der Mitochondrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 249

Oxidoreduktasen und oxidativer Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

Ulrich Brandt

20.1 20.2

Katalyse von Redoxreaktionen durch Oxidoreduktasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oxidativer Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 254

21

Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher . . . . . . . . . . . . . . . .

257

Georg Löffler

21.1 21.2 21.3

22

Aufbau und Abbau von Triacylglycerinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation von Lipogenese und Lipolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 263 275

Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

Georg Löffler

22.1 22.2 22.3

Synthese und Abbau von Phosphoglyceriden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese und Abbau von Sphingolipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Metabolite von Membranlipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 284 286

XXI Inhaltsverzeichnis

23

Stoffwechsel von Cholesterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292

Georg Löffler

23.1 23.2 23.3

24

Cholesterin – Membranlipid und Ausgangssubstanz von Steroidhormonen und Gallensäuren . . . . . Synthese von Isoprenlipiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cholesterinhomöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 293 296

Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300

Georg Löffler

24.1 24.2

25

Zusammensetzung der Lipoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion und Umsatz einzelner Lipoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300 302

Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

Georg Löffler

25.1 25.2 25.3 25.4

Störungen des Fettsäurestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen und pharmakologische Beeinflussung des Eicosanoidstoffwechsels Störungen des Stoffwechsels von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden . . . Störungen des Lipoproteinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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307 308 309 310

26

Prinzipien von Aminosäurestoffwechsel und Stickstoffumsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

313

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Klaus-Heinrich Röhm

26.1 26.2 26.3 26.4

Beziehung zwischen Stickstoff, Ammoniak und Aminosäurestoffwechsel Stickstoffumsatz im menschlichen Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Enzymatische Mechanismen des Aminosäurestoffwechsels . . . . . . . . . Prinzipien des Aminosäureabbaus beim Menschen . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

313 315 317 322

27

Funktioneller Aminosäurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325

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Klaus-Heinrich Röhm

27.1 27.2

Organspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel einzelner Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325 332

28

Pathobiochemie des Aminosäurestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

352

Klaus-Heinrich Röhm

28.1 28.2 28.3

29

Neurotoxizität von Ammoniak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeborene Störungen im Aminosäurestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aminosäurestoffwechsel in Therapie und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

352 352 355

Purinnucleotide – Biosynthese, Wiederverwertung und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

Monika Löffler

29.1 29.2 29.3 29.4

30

Biosynthese von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . Regulation der Biosynthese von Purinnucleotiden Wiederverwertung von Purinen . . . . . . . . . . . . . Abbau von Purinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . .

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Pyrimidinnucleotide – Biosynthese, Wiederverwertung und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . .

357 360 361 362 365

Monika Löffler

30.1 30.2 30.3 30.4 30.5

31

Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . Biosynthese von Desoxyribonucleotiden . . . . . . . . . . Regulation der Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden Wiederverwertung der Pyrimidine . . . . . . . . . . . . . . Abbau von Pyrimidinnucleotiden . . . . . . . . . . . . . . .

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365 366 368 370 371

Pathobiochemie des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Monika Löffler

31.1 31.2 31.3

Transport und Wirkung von Hemmstoffen der Purin- und Pyrimidinbiosynthese . . . . . . . . . . . . . . Störungen im Purinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen im Pyrimidinstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

372 374 376

XXII

Inhaltsverzeichnis

32

Porphyrine – Synthese und Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Müller, Hubert E. Blum, Petro E. Petrides

379

32.1 32.2 32.3

Die Bildung von Häm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau und Ausscheidung von Häm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie des Porphyrinstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379 384 387

III

Zelluläre Kommunikation

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

33

Prinzipien zellulärer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395

Gerhard Müller-Newen, Peter C. Heinrich, Heike M. Hermanns, Fred Schaper

33.1 33.2 33.3 33.4

Kommunikation zwischen Zellen . . . . . . . . . . . Extrazelluläre Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeptoren als zentrale Signalvermittler . . . . . . Prinzipien der intrazellulären Signaltransduktion

. . . .

395 396 398 401

34

Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter C. Heinrich, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper

407

34.1 34.2

Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Rezeptoren und ihre Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter C. Heinrich, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper

411

35.1 35.2 35.3 35.4 35.5 35.6 35.7

Nucleäre Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivierung membranständiger Rezeptoren . . . . . . . . G-Protein-gekoppelte Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . Rezeptoren mit intrinsischer Kinase (Rezeptorkinasen) . Rezeptoren mit assoziierten Kinasen . . . . . . . . . . . . . Spezielle Aktivierungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . Regulation der Rezeptoraktivierung und -inaktivierung .

. . . . . . .

411 412 413 420 426 436 439

36

Insulin – das wichtigste anabole Hormon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Staiger, Norbert Stefan, Monika Kellerer, Hans-Ulrich Häring

442

36.1 36.2 36.3 36.4 36.5 36.6 36.7

Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese in den β-Zellen des Pankreas . . . Sekretionsmechanismus . . . . . . . . . . . . Konzentration und Halbwertszeit im Serum Wirkspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie: Diabetes mellitus . . . . .

. . . . . . .

442 443 445 447 447 449 451

Glucagon und Katecholamine – Gegenspieler des Insulins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

458

37

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407 408

Harald Staiger, Norbert Stefan, Monika Kellerer, Hans-Ulrich Häring

37.1 37.2

38

Glucagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katecholamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

458 461

Integration und hormonelle Regulation des Energiestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . .

466

Georg Löffler

38.1 38.2 38.3

39

Stoffwechsel während des Hungerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel bei Nahrungszufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerung der Nahrungsaufnahme über Appetit und Sättigungsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

466 473 479

Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

483

Josef Köhrle, Lutz Schomburg, Ulrich Schweizer

39.1 39.2 39.3

Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

483 489 494

XXIII Inhaltsverzeichnis

40

Steroidhormone – Produkte von Nebennierenrinde und Keimdrüsen . . . . . . . . . . . . . . . .

495

Ulrich Schweizer, Lutz Schomburg, Josef Köhrle

40.1 40.2 40.3 40.4 40.5

Gemeinsame Schritte bei der Biosynthese von Cortico- und Sexualsteroiden Das Nebennierenrindenhormon Cortisol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gonadotropine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Männliche Sexualsteroide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weibliche Sexualsteroide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

495 497 502 503 506

41

Schilddrüsenhormone – Zentrale Regulatoren von Entwicklung, Wachstum, Grundumsatz, Stoffwechsel und Zelldifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512

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Josef Köhrle, Ulrich Schweizer, Lutz Schomburg

41.1 41.2 41.3 41.4

Regulation der Hormonproduktion der Schilddrüse durch das hypothalamisch-hypophysäre System Biosynthese der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zelluläre Effekte und Wirkungsmechanismen der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512 516 521 524

42

Wachstumshormon und Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

528

Lutz Schomburg, Ulrich Schweizer, Josef Köhrle

42.1 42.2 42.3

Wachstumshormon (GH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prolactin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531 532

IV

Molekularbiologie .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

43

Zellzyklus – Koordination der Zellteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

535

528

Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Jan Brix

43.1 43.2 43.3 43.4

44

Chronologie des Zellzyklus . . . . . . . . . Kontrolle des Zellzyklus . . . . . . . . . . . Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen Wachstumsfaktoren und Zellzyklus . . .

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535 536 537 543

Replikation – Die Verdopplung der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

545

Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

44.1 44.2 44.3 44.4 44.5 44.6

Die DNA-Replikation ist semikonservativ . . Das Replikonmodell . . . . . . . . . . . . . . . Initiation – Start der Replikation . . . . . . . Elongation – Neusynthese der DNA . . . . . Termination – Beendigung der Replikation Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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545 546 547 549 555 556

45

DNA-Mutationen und ihre Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

559

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Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

45.1 45.2

Mutationen – Veränderungen der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNA-Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

559 562

46

Transkription und Prozessierung der RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

567

Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich

46.1 46.2 46.3

47

Grundlegender Mechanismus der Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkription bei Prokaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkription bei Eukaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

567 569 572

Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression . . . . . .

588

Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich

47.1 47.2

Kontrolle der Transkription bei Prokaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Transkription bei Eukaryonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

588 588

XXIV

Inhaltsverzeichnis

48

Translation – Synthese von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600

Matthias Müller, Lutz Graeve

48.1 48.2 48.3

49

Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Translationsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modifikation der Translationsaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600 606 611

Proteine – Transport, Modifikation und Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

615

Matthias Müller, Lutz Graeve

49.1 49.2 49.3

50

Proteinfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transmembraner Proteintransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Covalente Modifikation von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

615 618 623

Proteine – Mechanismen ihres Abbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

629

Matthias Müller, Lutz Graeve

50.1 50.2 50.3 50.4 50.5

Proteasen . . . . . . . . . . . . Markierung für den Abbau . Abbau durch das Proteasom Lysosomale Proteolyse . . . . Intramembrane Proteolyse .

. . . . .

629 629 630 631 631

51

Apoptose – Der programmierte Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

633

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Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Jan Brix

51.1 51.2 51.3

Auslöser der Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effektorcaspasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontrolle der Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

633 637 637

52

Grundlagen der Tumorentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

638

Burkhard Brandt, Petro E. Petrides

52.1 52.2 52.3 52.4 52.5

53

Krebsepidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekulare Parameter der Malignität von Tumorzellen Das Genom der Tumorzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkriptom der Tumorzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion des Tumorproteoms . . . . . . . . . . . . . . . . .

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638 639 640 642 643

Spezifische Tumore – Entstehung, Progression und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

649

Burkhard Brandt, Petro E. Petrides

53.1 53.2

Funktion von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen bei den häufigsten Karzinomen Bedeutung von Mutationen in Mutator- und Tumorsuppressorgenen für die genetische Prädisposition der häufigsten Karzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viren als Auslöser von malignen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tumorprogression: Molekulare Mechanismen der Metastasenbildung . . . . . . . . . . Effektive Therapien solider Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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649

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652 655 655 658

54

Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Brix, Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Georg Löffler

660

54.1 54.2 54.3 54.4 54.5

Grundlagen der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vektoren zum Einschleusen fremder DNA in Wirtszellen . DNA-Bibliotheken (DNA-Banken) . . . . . . . . . . . . . . . . Gentechnik in den Grundlagenwissenschaften . . . . . . . Gentechnisch produzierte Medikamente (Biologicals) . .

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660 669 673 674 676

Gentechnik in höheren Organismen – Transgene Tiere und Gentherapie . . . . . . . . . . . . . .

679

53.3 53.4 53.5

55

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Jan Brix, Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Georg Löffler

55.1 55.2 55.3 55.4

Transgene Tiere als Modellorganismen . . . . . . . . Knockout-Mäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genregulation durch RNA-Interferenz: Knockdown Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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679 679 681 683

XXV Inhaltsverzeichnis

V

Funktionelle Biochemie der Organe

56

Energiebilanz und Ernährungszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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685 687

Hannelore Daniel, Uwe Wenzel

56.1 56.2 56.3

57

Die Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ernährungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positive und negative Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687 692 693

Makronährstoffe und ihre Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

696

Hannelore Daniel, Uwe Wenzel

57.1 57.2

58

Die Stoffwechselbedeutung von Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten und ihre Beteiligung an der Homöostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Ernährungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

696 703

Fettlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

706

Regina Brigelius-Flohé

58.1 58.2 58.3 58.4 58.5

59

Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . Vitamin A – Retinol und seine Derivate . . Vitamin D – Calciferole . . . . . . . . . . . . . Vitamin E – Tocopherole und Tocotrienole Vitamin K . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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706 708 712

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714 717

Wasserlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720

Regina Brigelius-Flohé

59.1 59.2 59.3 59.4 59.5 59.6 59.7 59.8 59.9 59.10

Vitamin C – Ascorbinsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitamin B1 – Thiamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitamin B2 – Riboflavin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niacin und Niacinamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitamin B6 - Pyridoxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pantothensäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vitamin B12 – Cobalamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biochemischer Nachweis von Mangelzuständen wasserlöslicher Vitamine .

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720 723 724 724 726 728 729 730 732 734

60

Essentielle Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

736

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Regina Brigelius-Flohé, Petro E. Petrides

60.1 60.2 60.3 60.4 60.5 60.6 60.7 60.8 60.9 60.10 60.11

Definition, Einteilung und Bedarf . Chrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cobalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fluor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kupfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mangan . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molybdän . . . . . . . . . . . . . . . . Selen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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736 736 736 736 740 740 740 741 741 741 743

61

Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Löffler, Joachim Mössner

745

61.1 61.2 61.3 61.4

Verdauungssekrete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation gastrointestinaler Sekretion und Pathobiochemie Verdauung und Resorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intestinales Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

745 753 758 768

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XXVI

62

Inhaltsverzeichnis

Leber – Zentrales Stoffwechselorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

770

Dieter Häussinger, Georg Löffler

62.1 62.2 62.3 62.4 62.5 62.6

Der Aufbau der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechselleistungen der Hepatocyten . . . . . . . . . . . . . . . . Biotransformation – Metabolisierung von Endo- und Xenobiotica Gallesekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristika von Sinusendothelien, Kupffer- und Sternzellen . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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770 772 776 779 783 783

63

Quergestreifte Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

787

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Dieter O. Fürst, Rolf Schröder

63.1 63.2 63.3 63.4 63.5

64

Funktioneller Aufbau der Skelettmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekularer Aufbau und Funktion der Skelettmuskulatur . . . . . . . . . Stoffwechsel der Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der Herzmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie angeborener und erworbener Muskelerkrankungen

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787 788 796 799 801

Die glatte Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

805

Gabriele Pfitzer

64.1 64.2 64.3 64.4 64.5 64.6 64.7

65

Aufgaben der glatten Muskulatur und funktionelle Einteilungsprinzipien . . . Struktur der glatten Muskulatur und Proteine des kontraktilen Apparats . . . . Molekulare Grundlagen der Kontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erregungs-Kontraktions-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relaxation der glatten Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plastizität der glatten Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die glatte Muskulatur ist an vielen Erkrankungen der inneren Organe beteiligt

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805 806 807 812 814 815 815

Niere – Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

817

Armin Kurtz

65.1 65.2 65.3 65.4 65.5 65.6 65.7 65.8 65.9

Funktionen und Aufbau der Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiestoffwechsel in der Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endokrine Aktivitäten der Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natriumhaushalt und renale Natriumreabsorption . . . . . . . . . . . . . . . Wasserhaushalt und renale Wasserreabsorption . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaliumhaushalt und renale Kaliumausscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . Renale Reabsorption von Monosacchariden, Peptiden und Aminosäuren Harnpflichtige Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie des Wasser- und Elektrolythaushalts . . . . . . . . . . . . .

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817 820 821 822 829 834 835 836 836

66

Der Säure-Basen- und Mineralhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

840

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Armin Kurtz

66.1 66.2 66.3

67

Der Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Calcium- und Phosphathaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie des Säure-Basen- und Mineralhaushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

840 846 853

Blut – Bestandteile und Blutplasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

857

Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides

67.1 67.2 67.3 67.4

Bestandteile des Blutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrolyte und niedermolekulare Bestandteile des Blutplasmas Plasmaproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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857 857 858 862

68

Blut – Hämatopoese und Erythrocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

863

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Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides

68.1 68.2 68.3

Hämatopoese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erythrocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

863 865 875

XXVII Inhaltsverzeichnis

69

Blut – Thrombocyten und Leukocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

877

Gerhard Müller-Newen, Petro E. Petrides

69.1 69.2

Thrombocyten – Blutgerinnung und Fibrinolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leukocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

877 887

70

Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Ansorge, Michael Täger

893

70.1 70.2 70.3 70.4 70.5 70.6 70.7 70.8 70.9 70.10 70.11 70.12 70.13

Rolle des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unspezifische, angeborene Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das spezifische, adaptive Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente und Mechanismen der Antigenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessierung und Präsentation von Protein-Antigenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellen der spezifischen Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechanismen der T-Zell-Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B-Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zirkulation von Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktionen der unspezifischen, angeborenen und spezifischen, adaptiven Immunantwort . Immunabwehr von Mikroorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

893 894 899 900 901 903 906 911 914 922 923 925

. . . . .

927

Extrazelluläre Matrix – Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

931

71

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

Rainer Deutzmann, Peter Bruckner

71.1 71.2 71.3

72

Aufbau der extrazellulären Matrix (EZM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau der extrazellulären Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie: Angeborene Erkrankungen des Kollagenstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

931 949 950

Knorpel- und Knochengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

952

Rainer Deutzmann, Peter Bruckner

72.1 72.2 72.3 72.4 72.5 72.6 72.7

Aufbau und Biosynthese von Knorpel und Knochen . . . . . Regulation der Chondro- und Osteogenese durch Hormone Osteoklasten – Abbau und Umbau von Knochen . . . . . . . . Knochenwachstum bis zur Pubertät . . . . . . . . . . . . . . . . Homöostase von Knochengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . Knochenumbau durch Cytokine und Steroidhormone . . . . Pathobiochemie: Knochenerkrankungen . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

952 955 955 957 957 957 958

73

Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leena Bruckner-Tuderman, Peter Bruckner

961

73.1 73.2 73.3 73.4 73.5

Aufbau und Funktionen der Haut . Epidermis . . . . . . . . . . . . . . . . Dermoepidermale Junktionszone Dermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathobiochemie der Haut . . . . . .

. . . . .

961 961 962 963 964

74

Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

968

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Petra May, Cord-Michael Becker, Hans H. Bock

74.1 74.2 74.3 74.4 74.5

Neuronen, Erregungsleitung und -übertragung Glia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blutgefäße und Liquor . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffwechsel des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . Neurodegenerative Erkrankungen . . . . . . . . .

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968 984 986 988 990

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

995

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetischer Code, Wichtige Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

996 998 999

Vorbemerkungen Maßeinheiten Die IFCC (International Federation for Clinical Chemistry) und die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) haben gemeinsame Empfehlungen zur Vereinheitlichung von Maßeinheiten verabschiedet, die sog. SI-Einheiten (Système International d‘Unités). Das Maßsystem basiert auf sieben Grundeinheiten: Meter (m), Kilogramm (kg), Sekunde (s), Ampère (A), Kelvin (K), Mol (mol) und Candela (cd) (. Tab. 1). Die Einheiten für z. B. Volumen, Konzentration, Kraft und Druck werden von diesen Grundeinheiten abgeleitet (. Tab. 2). . Tabelle 1 SI-Basiseinheiten, Namen und Symbole SI-Basisgröße

Größensymbol

Einheitenzeichen

SI-Einheit

Unübliche Einheiten

Länge

l

m

Meter

1 Ångström (Å) = 10–10 m = 0,1 nm

Masse

m

kg

Kilogramm

Zeit

t

s

Sekunde

Stromstärke

i

A

Ampère

Temperatur

T

K

Kelvin

Stoffmenge 1 mol = 6,022 · 1023 Teilchen

n

mol

Mol

Lichtstärke

lV

cd

Candela

1 min = 60 s 1 h = 3600 s 1 d = 86400 s Temp. in °C = Temp. in K – 273,2

. Tabelle 2 Abgeleitete Basiseinheiten, Namen und Symbole Abgeleitete Größe

Symbol

Name der Einheit

Einheit

Definition (in SI-Einheiten)

Unübliche, alte Einheiten

Volumen

V

Liter

l

10–3 m3

1 dm3 = 1 l 1 cm3 = 1 ml 1 mm3 = 1 µl

Konzentration

c

Molarität

M

mol · l–1

1 mol · m–3 = 1 mmol · l–1 1mmol · m–3 = 1 µmol · l–1 Angaben in g%, g/100 ml, mg/100 ml sowie mol%, mval/l oder äq/l, mäq/l sollten nicht mehr verwendet werden

Dalton

Da

g · mol–1

Molekulare Masse (M) = Masse (m) / Stoffmenge (n) (früher: Molekulargewicht)

Newton

N

kg · m · s–2

1 dyn = 10–5 N

m–2

Molare Masse, Molmasse Wenn ein Atom 1,66 · 10–24 g wiegt, beträgt die Molmasse: (1,66 · 10–24)g · (6,022 · 1023) = 0,999652 g Kraft

F

Druck

p

Pascal

Pa



Energie, Arbeit, Wärmemenge

E, A, Q

Joule

J

N·m

Frequenz

f

Hertz

Hz

s–1

Leistung

P

Watt

W

J · s–1 = V · A

Elektrische Ladung

q

Coulomb

C

A·s

Elektrische Spannung

U

Volt

V

W · A–1

Reaktionsgeschwindigkeit

v



v

mol · s–1

Katalytische Aktivität

Einheit

U Katal

µmol · min–1 mol · s–1

Sedimentationskoeffizient

Svedberg

S

10–13 s

Radioaktivität

Bequerel

Bq

1 Zerfall · s–1

1 bar 1 mm Hg 1 atm 1 Torr 1,013 · 105

= 105 Pa = 750 mm Hg = 133,3 Pa = 1,0133 bar = 1,3332 mbar = 1 atm

1 Kalorie (cal) = 4,1868 J 1 Elektronenvolt (eV) = 1,602 10–19 J 1 PS = 735 W

1 Curie (Ci) = 3,7 · 1010 Bq

. Tabelle 3 Häufig verwendete Zehnerpotenzen, Präfixe und Symbole Dezimale Vielfache u. Teile

Präfix

Symbol

Dezimale Vielfache u. Teile

Präfix

Symbol

1015

Peta-

P

10–6

Mikro-

µ

1012

Tera-

T

10–9

Nano-

n

Giga-

G

10–12

Pico-

p

106

Mega-

M

10–15

Femto-

f

103

Kilo-

k

10–18

Atto-

a

10–3

Milli-

m

10

9

XXIX Vorbemerkungen

Reaktionsschemata

Es bedeuten: C

+ A

B

C reguliert die Reaktion von A nach B über eine Aktivierung; D reguliert die Reaktion von B nach A über eine Hemmung.

– D Induktion Repression Tafeln

Die Formeln der wichtigsten Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide sind in einem Tafelteil am Ende von Kapitel 3 zusammengestellt.

Verweise

Zahlreiche Querverweise sollen den Lesenden das Verständnis einzelner Kapitelthemen auch ohne eine umfassende Kenntnis der im Buch vorausbeschriebenen Sachverhalte ermöglichen.

Übrigens

Wie bereits in der 8. Auflage werden Text und Abbildungen aufgelockert durch sogenannte Übrigens-Boxen, in denen unseren Leserinnen und Lesern in kurzer Form Meilensteine von Entdeckungen – in der Regel mit Nobelpreisen ausgezeichnet – vorgestellt werden. Aber auch Anekdotisches und Wissenwertes ist in den Übrigens-Boxen zu finden.

Englische Begriffe

Da für viele Begriffe in der Biochemie/Molekularbiologie keine adäquaten deutschen Übersetzungen geläufig sind, werden sehr oft die englischen Begriffe verwendet, die klein und kursiv gedruckt sind.

Farbklima

4 In Abbildungen vorkommende Enzyme sind weitestgehend in hellblauen Kästen mit »runden Ecken« und schwarzer Schrift dargestellt, 4 die Plasmamembranen als zwei blaue Linien mit dazwischenliegendem Gelb, 4 die Zellkerne violett, 4 das endoplasmatische Retikulum (ER) grün,

4 4 4 4 4

der Golgi-Apparat orange, die Mitochondrien braun, das Cytosol hellblau, DNA-Stränge blau und grau, RNA-Stränge rot.

Normwertbereiche

Da in diesem Buch bei einigen biologisch-chemischen Größen, wie z. B. bei der Konzentration der Glucose, den Aminosäuren oder Lipiden im Blut, quantitative Angaben gemacht werden, soll kurz einiges zum Begriff des Normbereiches gesagt werden. Bestimmt man in einem größeren, klinisch nichtkranken Kollektiv z. B. die Blutzuckerkonzentration, so erhält man eine wichtige Größe, den Mittelwert, als das arithmetische Mittel der Werte aller untersuchten Personen: dabei wird die Summe aller Einzelwerte durch die Anzahl der durchgeführten Untersuchungen dividiert: xi

– x=

n wobei – x (gelesen »x quer«) den Mittelwert, xi die Einzelmessung und n die Anzahl der untersuchten Personen (bzw. Untersuchungen) darstellt. Die Kenntnis des Mittelwertes reicht jedoch nicht aus, da er nichts über die Streubreite, d. h. die Differenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Wert aussagt. Die Angabe der Streu- oder Variationsbreite ist wiederum unbefriedigend, da 1. nur die beiden Extremwerte berücksichtigt werden und 2. die Variationsbreite durch die Anzahl der Messungen bestimmt wird. Je mehr Messwerte vorliegen, desto höher wird die Differenz zwischen den beiden Extremwerten. Aus diesen Gründen berechnet man die Standardabweichung (s) oder Variabilität nach der Formel: s=

!

(xi – – x )2 n–1

Sie stellt ein Maß für die Streuung der Einzelwerte um den Mittelwert dar. Ermittelt man die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Messgrößen in einem Kollektiv, so kann diese eine beliebige Kurvenform haben. Im Idealfall gruppieren sich die Messwerte in Form einer Normalverteilung (Gauß-Verteilung) um den Mittelwert (x–). Die Gauß-Verteilung entspricht einer Glockenkurve, wobei die beiden Wendepunkte von entscheidender Bedeutung sind: der Abstand zwischen – x und dem Wendepunkt ist der Wert s, die Standardabweichung. Um z. B. bei klinischen Studien die Normalwerte von den pathologischen Resultaten deutlich trennen zu können, muss man auf beiden Seiten der Kurve Grenzen zwischen den bei Gesunden häufigen bzw. den seltenen Werten ziehen. Als Grenze des sog. Normwertbereiches definiert man im Allgemeinen – beim Vorliegen einer Normalverteilung – die Spanne innerhalb der – ± 2s) zu beiden Seiten des doppelten Standardabweichung (x Mittelwertes. Dieser Bereich schließt die mittleren 95% der Verteilung ein (Vertrauensbereich oder Normbereich).

1

Grundlagen der Biochemie und der Molekularen Zellbiologie Kapitel 1

Ohne Wasser kein Leben P. C. Heinrich

–3

Kapitel 2

Vom Molekül zum Organismus H. Follmann †

Kapitel 3

Kohlenhydrate, Lipide, Aminosäuren und Nucleotide – Bausteine des Lebens – 26 Tafelteil – 47 G. Löffler, M. Müller

Kapitel 4

Bioenergetik – 54 T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 5

Proteine – Struktur und Funktion H. R. Kalbitzer

Kapitel 6

Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung – 86 H. R. Kalbitzer

Kapitel 7

Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 8

Regulation der Enzymaktivität T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 9

Enzyme in Forschung, Diagnostik und Therapie T. Kriegel, W. Schellenberger

Kapitel 10

Nucleinsäuren – Struktur und Funktion H.-G. Koch, J. Brix, P. C. Heinrich

Kapitel 11

Biomembranen – 149 L. Graeve, M. Müller

Kapitel 12

Zellorganellen und Vesikeltransport L. Graeve, M. Müller

Kapitel 13

Cytoskelett – 174 L. Graeve, M. Müller

– 14

– 61

– 101

– 115

– 130

– 157

– 125

I

3

1

Ohne Wasser kein Leben Peter C. Heinrich

Einleitung Das Leben auf der Erde hängt von Wasser ab. Es ist die Hauptkomponente lebender Organismen. Da reines Wasser transparent, geruchlos, geschmacklos und weit verbreitet ist, wird es oft nicht wirklich wahrgenommen. Es ist falsch, Wasser nur als inertes Lösungsmittel zu betrachten. Wasser transportiert, reagiert, stabilisiert, signalisiert, strukturiert, verteilt. Für all diese Funktionen ist die Dipolstruktur und die Fähigkeit von Wassermolekülen, Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden und zu lösen, verantwortlich. Das Leben sollte als eine gleichwertige Partnerschaft von Biomolekülen und Wasser betrachtet werden. Schwerpunkte 4 Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Wassermolekülen (Dipol-Dipol-Wechselwirkungen) und ihr Einfluss auf die Struktur von Wasser und Eis aber auch auf kolligative Eigenschaften wie Schmelz- und Siedepunkt, Verdampfungswärme und Oberflächenspannung 4 Ausbildung hydrophober Wechselwirkungen 4 Bedeutung der Osmose für Aufnahme und Abgabe von Wasser und damit auch für die Formgebung lebender Zellen 4 Wassertransport durch Aquaporine (Wasserkanäle) in Niere, Speichel- und Tränendrüsen 4 pH-Wert, pK-Wert und Puffersysteme in Körperflüssigkeiten

1.1

Eigenschaften des Wassers

Ohne Wasser ist Leben nicht vorstellbar Während Menschen recht lange Hungerperioden überstehen können, führt ein völliger Wasserentzug bereits nach wenigen Tagen zum Tod durch Verdursten. Der menschliche Körper besteht zu annähernd 60 Gewichtsprozenten aus Wasser, welches auf Intra- und Extrazellulärräume verteilt ist. Zwei Drittel der Wassermenge entfallen auf intrazelluläre Flüssigkeit und etwa ein Drittel auf extrazelluläre Flüssigkeit. Diese befindet sich im interstitiellen Raum zwischen den Körperzellen sowie im Blutplasma, Gelenkflüssigkeit und Liquor cerebrospinalis. Wasser ist im biologischen Umfeld das universelle Lösungsmittel, in dem sich alle Stoffwechselreaktionen abspielen. Die Bedeutung des Wassers für das Leben basiert auf einer Reihe ungewöhnlicher Eigenschaften dieses Moleküls.

Wasser ist ein polares Molekül Wasser weist im Vergleich zu anderen kleinen, ähnlich aufgebauten Molekülen mit Elementen der sechsten Hauptgruppe des

Periodensystems wie Schwefelwasserstoff (H2S) oder Selenwasserstoff (H2Se) höhere Schmelz- und Siedetemperaturen sowie eine höhere Wärmekapazität und Oberflächenspannung auf. Während Schwefelwasserstoff (H2S) bereits bei –61 °C in den gasförmigen Zustand übergeht, siedet Wasser erst bei +100 °C. Dieses unterschiedliche Verhalten beruht auf dem hohen Dipolmoment des Wassermoleküls und der Fähigkeit, sog. Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden (s. u.). Das Wassermolekül besteht aus nur zwei Elementen, einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen. Es ist nicht linear, sondern gewinkelt aufgebaut, mit einem H‒O‒H-Bindungswinkel von 104,5° (. Abb. 1.1A, B). Das Wassermolekül hat die Geometrie eines Tetraeders. Im Inneren des Tetraeders befindet sich das Sauerstoffatom und an zwei Ecken des Tetraeders je ein H-Atom. An den zwei anderen Ecken befinden sich die freien Elektronenpaare des Sauerstoffs (. Abb. 1.1C). Da der Sauerstoff aufgrund seiner hohen Elektronegativität die Elektronen von beiden Wasserstoffkernen wegzieht, sind diese partiell positiv und der Sauerstoff partiell negativ geladen. Das elektrisch neutrale Wassermolekül mit seiner ungleichen Ladungsverteilung bezeichnet man daher als Dipol (. Abb. 1.1A–C).

Das Wassermolekül bildet Wasserstoffbrückenbindungen aus Aufgrund der Dipolstruktur der Wassermoleküle kommt es zur Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den einzelnen Wassermolekülen (. Abb. 1.2A). Das partiell positiv geladene Wasserstoffatom (Donor) des rechten Wassermoleküls wird von einem der zwei freien Elektronenpaare des Sauerstoffs (Akzeptor) des linken Wassermoleküls angezogen. Wasserstoffbrückenbindungen sind relativ schwach. Zur Spaltung einer HO-Brücke im flüssigen Wasser müssen nur 23 kJ/mol aufgewendet werden. Im Vergleich hierzu ist die Bindungsenergie einer kovalenten H-O-Einfachbindung mit 470 kJ/mol 20-mal höher. A

B

C

. Abb. 1.1 Struktur des Wassermoleküls. A Dipolstruktur; δ+, δ–, positive bzw. negative Partialladungen. B Elektrostatische Potentialflächen des Wassermoleküls; rot: hohe, blau: geringe Elektronendichte. C Das Wassermolekül weist eine tetraedrische Geometrie auf: Im Zentrum des Tetraeders befindet sich das Sauerstoffatom, an den Ecken die beiden H-Atome und die zwei freien Elektronenpaare des Sauerstoffatoms. (B, C Adaptiert nach Müller Esterl 2004)

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1

4

1

A

Kapitel 1 · Ohne Wasser kein Leben

B

A B

. Abb. 1.2 Wasserstoffbrückenbindung zwischen benachbarten Wassermolekülen. A Das partiell positiv geladene H-Atom des rechten Wassermoleküls wird von einem der beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffatoms des linken Wassermoleküls angezogen. Die Wasserstoffbrückenbindung ist grün gestrichelt. B Das im Zentrum des Tetraeders befindliche Wassermolekül bildet zu vier Wassermolekülen (vier Ecken des Tetraeders) Wasserstoffbrückenbindungen aus, zwei als Donor und zwei als Akzeptor. (Adaptiert nach Alberts 2008; mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)

. Abb. 1.3 Wasserstoffbrückenbindungen in Eis und Wasser. A Eis hat ein verhältnismäßig voluminöses, hochgeordnetes Kristallgitter aus tetraedrisch angeordneten Wassermolekülen. Für ein Wassermolekül ist exemplarisch gezeigt, dass dieses mit vier Wassermolekülen über Wasserstoffbrückenbindungen interagiert (mit 1, 2, 3 und 4 markiert). B Wenn das Eisgitter beim Schmelzpunkt zusammenbricht, bleiben die geordneten Strukturen im flüssigen Wasser zum Teil erhalten, zum Teil entstehen aber auch kompaktere Anordnungen (flickering cluster, blau unterlegt), sodass das flüssige Wasser eine größere Dichte hat als das Eis. Bei Temperatursteigerung lösen sich die Strukturen allmählich auf. Das Dichtemaximum des Wassers liegt bei 4 °C. (Adaptiert nach Müller Esterl 2004)

Daher beträgt der Abstand zwischen H-Atom und O-Atom (H-O) bei Wasserstoffbrückenbindungen 0,18 nm und bei kovalenten H-O-Bindungen nur 0,10 nm. Aufgrund der H-Brückenbindungen entstehen in flüssigem Wasser kurzlebige geordnete Assoziate. Dies erklärt warum Wasser bei Raumtemperatur flüssig und der dem Wasser verwandte giftige Schwefelwasserstoff (H2S), der keine Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden kann, gasförmig ist, obwohl H2S eine fast doppelte molekulare Masse (34 Da gegenüber 18 Da*) aufweist.

bildenden und wieder zerfallenden Clustern (flickering clusters) vorstellen (. Abb. 1.3B). Die flickering cluster-Struktur des flüssigen Wassers hat bei 0 °C eine Dichte von 1,00 g/ml und ist höher als die Dichte der Wassermoleküle im Eis, welches aufgrund seiner ungewöhnlich offenen Struktur nur eine Dichte von 0,92 g/ml aufweist. Der Unterschied der Dichte von flüssigem Wasser und Eis hat wichtige Konsequenzen für das Leben auf der Erde. Wäre Eis dichter als Wasser würde es in Seen und Ozeanen auf dem Grund liegen statt zu schwimmen. Von der Sonne abgeschirmt wären die Gewässer auf dem Grund dauerhaft gefroren und Leben hätte sich nicht entwickeln können.

Lebensdauer und Zahl der Wasserstoffbrücken im Wasser sind temperaturabhängig

Wasserstoffbrückenbindungen kommen nicht nur im Wasser vor

Mit zunehmender Temperatur nimmt der Ordnungszustand des Wassers ab, mit abnehmender Temperatur dagegen zu. Eis besitzt eine regelmäßige hochgeordnete Kristallstruktur (. Abb. 1.3A), in der jedes Wassermolekül tetraedrisch vier Wasserstoffbrücken ausbildet, zwei als Donor und zwei als Akzeptor (. Abb. 1.2B). Auch im flüssigen Wasser befindet sich noch ein großer Teil der Wassermoleküle in geordneten Strukturen. Bei 37 °C liegen 15 % der Wassermoleküle mit je vier assoziierten Wassermolekülen vor. Die Halbwertszeit jeder einzelnen Wasserstoffbrückenbindung ist allerdings kürzer als 10 Picosekunden. Dies bedeutet, dass das durchschnittliche Wassermolekül wandert, sich reorientiert und mit neuen Nachbarn Wasserstoffbrücken ausbildet. Man muss sich reines flüssiges Wasser als ein Netzwerk aus sich schnell

Grundsätzlich kann man eine Wasserstoffbrücke als die gemeinsame Nutzung eines Wasserstoffatoms zwischen zwei Molekülen definieren. Somit ist die Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen nicht nur auf Wasser beschränkt. . Abb. 1.4 zeigt, dass ein Wasserstoffatom in einer Wasserstoffbrückenbindung von zwei elektronegativen Atomen wie Stickstoff oder Sauerstoff gemeinsam benutzt werden kann. Deshalb können Alkohole, Aldehyde, Ketone und Moleküle mit N-HBindungen ebenfalls Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden. In Nucleinsäuren und Proteinen stabilisieren Wasserstoffbrückenbindungen die räumliche Anordnung dieser Makromoleküle. Diese leichte Lösbarkeit von Wasserstoffbrückenbindungen ist eine wichtige Voraussetzung sowohl für die Replikation und Transkription der DNA als auch für Konformationsänderungen in Proteinen.

* Die relative molekulare Masse eines Moleküls ist die Summe der Atommassen. Die Bezeichnung molekulare Masse ersetzt den Begriff Molekulargewicht, weil Letzteres von der Erdanziehung (Gravitation) abhängt. Da die relative molekulare Masse als Quotient aus der Molekülmasse und 1/12 der Masse eines Atoms des Kohlenstoff-Isotops 12C definiert ist, ist die Masseneinheit dimensionslos. Dennoch hat sich eingebürgert, das Dalton als Einheit der molekularen Masse zu benutzen.

Die Polarität der Wassermoleküle ist für die Ausbildung von Hydrathüllen gelöster Ionen verantwortlich Die polare Natur der Wassermoleküle (Dipole) und ihre Fähigkeit Wasserstoffbrücken auszubilden ist der Grund dafür, dass

5 1.1 · Eigenschaften des Wassers

. Abb. 1.4 Wasserstoffbrückenbindungen. Die häufigsten Wasserstoffbrückenbindungen in biologischen Systemen. Wasserstoffbrückenbindungen sind durch senkrechte grüne Striche dargestellt. Die Donoratome Stickstoff und Sauerstoff sind elektronegative Elemente, die dem Wasserstoff eine positive Partialladung verleihen. Die partiell positiv geladenen H-Atome wechselwirken mit einem freien Elektronenpaar der Akzeptoratome

sich polare anorganische und organische Moleküle in Wasser lösen. Polare Moleküle wie Salze lösen sich meist sehr leicht in Wasser auf, obgleich das Kristallgitter z. B. von Kochsalz (NaCl) durch die starken ionischen Wechselwirkungskräfte zwischen den positiv und negativ geladenen Na+- und Cl–-Ionen zusammengehalten wird. Das Kristallgitter von NaCl kann sich nur auflösen, weil die positiv geladenen Na+-Ionen von Wassermolekülen so umgeben werden, dass das partiell negativ geladene Dipolende des Sauerstoffatoms des Wassers an die Na+-Ionen und das partiell positiv geladene Dipolende der beiden Wasserstoffatome an die Cl–-Ionen binden (Ionen-Dipol-Wechselwirkung). Man spricht von Hydratisierung, das heißt es bilden sich Hydrathüllen um die Na+- und Cl–-Ionen aus. Wenn die daraus resultierende Hydratationsenergie die Gitterenergie von NaCl übersteigt, löst sich das Salz in Wasser auf (. Abb. 1.5). Die Anzahl der von einem Ion gebundenen Wassermoleküle hängt von dessen Radius ab. Die kleineren Ionen, z. B. Na+, binden Wasser stärker als die größeren. Dies bedeutet z. B. dass das hydratiserte Na+-Ion einen größeren Radius als das hydratisierte K+-Ion aufweist, obwohl sich die Atomradien der nicht hydratisierten Ionen umgekehrt verhalten. Dieses Phänomen erklärt, warum K+-Ionen biologische Membranen leichter überwinden können als Na+-Ionen.

Hydrophobe Interaktionen entstehen aufgrund der Unverträglichkeit hydrophiler und hydrophober Gruppen Nicht-ionische Moleküle mit polaren funktionellen Gruppen wie z. B. Alkohole, Amine und Carbonylverbindungen bilden Wasserstoffbrücken aus und lösen sich daher leicht in Wasser (hydrophile Substanzen; griech: hydor, Wasser; philos, Freund). Nicht-polare Substanzen wie z. B. Öl, Fette oder Kohlenwasserstoffe sind in Wasser nicht löslich, d. h. sie meiden den Kontakt mit Wasser (hydrophobe Substanzen, griech: phobos, Angst). Hydrophobe Substanzen lösen sich dagegen sehr gut in apolaren Lösungsmitteln wie Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff oder Hexan (»Gleiches löst sich in Gleichem«). Das Verhalten von Wassermolekülen gegenüber hydrophoben Substanzen und nicht-polaren funktionellen Gruppen in biologischen Makromolekülen unterscheidet sich von der besprochenen leichten Wasserlöslichkeit polarer Stoffe wie NaCl. Da die unpolaren

. Abb. 1.5 Auflösung von Kochsalz (NaCl) in Wasser. Na+ (magenta) und Cl– (grün) Ionen werden durch elektrostatische Anziehungskräfte zusammengehalten und bilden ein Kristallgitter. Wasserdipole schwächen die elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den positiv und negativ geladenen Ionen, und das Kristallgitter wird zerstört. Na+ und Cl– umgeben sich mit Hydrathüllen, deren Wechselwirkungen zwischen den Ionen und den Wassermolekülen durch unterbrochene Linien dargestellt sind. (Adaptiert nach Horton 2008, © Pearson Studium)

Stoffe keine Wasserstoffbrücken mit den Wasserdipolen ausbilden und deshalb nicht durch Wasserstoffbrückenbindungen in das Wassernetzwerk eingebunden werden können, muss das Wasser seine Struktur reorganisieren. Dazu bilden die Wassermoleküle um die hydrophoben Moleküle herum »käfigartige Clathratstrukturen« (lat.: clatratus vergittert) aus, d. h. die hydrophoben Moleküle werden von einer Pentagon-/Hexagon-Hydrathülle umgeben. Dies bedeutet, dass die Clathratbildung von einer vermehrten Ordnung der Wassermoleküle begleitet ist, was einer Verringerung der Entropie entspricht (7 Kap. 4.1). Wenn sich zwei nicht-polare Moleküle in ihren Käfigen annähern, führt dies zu einer Aggregation der unpolaren Moleküle und zu einer Freisetzung von Wassermolekülen, die ursprünglich mit der nicht-polaren Oberfläche interagiert hatten (. Abb. 1.6). Diese größere Beweglichkeit der Wassermoleküle bedeutet eine größere Unordnung und damit eine Zunahme der Entropie. Somit entsteht die hydrophobe Wechselwirkung infolge eines Entropieeffektes. Nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung (7 Kap. 4.1): ΔG = ΔH – TΔS ΔH = Enthalpiedifferenz und ΔS = Entropiedifferenz kommt es bei einer Zunahme der Entropie (ΔS) zu einer Abnahme der Freien Enthalpie ΔG1. Prozesse, bei denen ΔG 50 mg/kg „Häm-Eisen“ und „Nicht-Häm-Eisen“; Eisen wird aber funktionell oft als Spurenelement betrachtet. Kein menschliches Zielprotein bekannt aber wahrscheinlich essentiell für bestimmte Darmbakterien.

17 2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle

spielsweise für die Sauerstoffbindung am Eisen der Hämoglobine oder für Zink in Verdauungsenzymen und in Insulin. Derartige Funktionen hängen kritisch von der Verfügbarkeit und der Aufnahme des jeweiligen Metalls aus der Nahrung zusammen, wie in einem späteren Kapitel im Detail besprochen wird (7 Kap. 60). 2.2

Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle

Biomoleküle befolgen allgemeingültige Reaktionsweisen der organischen Chemie. Sie tragen polare Substituenten, die Wasserlöslichkeit und ionische Wechselwirkungen erlauben, oder sie enthalten in Lipiden unpolare Kohlenwasserstoffreste für die Bildung von Membranen, oder beides Alle Lebensvorgänge in einzelnen Zellen und im gesamten Körper – Synthese neuer Zellmasse, Energieproduktion, Informationsfluss u.a.m. – beruhen auf chemischen Umsetzungen zwischen den jeweils vorhandenen Inhaltsstoffen. »Organisch« nannte man ursprünglich die in Organen und einem Organismus gebildeten und umgesetzten Substanzen. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen physiologisch vorkommenden und chemisch-synthetisch hergestellten organischen Stoffen besteht allerdings nicht: Diese lange gehegte »vitalistische« Auffassung wurde am Beispiel des Harnstoffs (NH2–CO–NH2) schon 1828 von dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler widerlegt. Angesichts der Vielfalt von Stoffwechselprozessen ist es nötig, die Grundstrukturen der häufigsten organischen sowie bioanorganischen Stoffe vor Augen zu haben und die Art der zwischen ihnen ablaufenden Reaktionen zu kennen und zu differenzieren. Die folgende Nennung wichtiger Stoffklassen und Reaktionsweisen soll als Grundlage für deren detaillierte Beschreibung in folgenden Kapiteln (7 Kap. 3, 5, 7, 10, 11) dienen. Insbesondere sollte man folgende spezifische Reaktionsmöglichkeiten zur Kenntnis nehmen: 4 Bildung oligomerer und polymerer Kohlenhydate, Proteine, Nucleinsäuren durch Kondensation von monomeren Zuckern, Aminosäuren, Nucleotiden, 4 die Oxidation bzw. Reduktion organischer Verbindungen (durch Sauerstoff bzw. wasserstoffliefernde Coenzyme), ggf. in »Elektronentransportketten«, 4 die Fähigkeit bestimmter Moleküle als Energielieferant für Reaktionen zu dienen, vor allem die Phosphorsäurereste im Adenosintriphosphat ATP, 4 die Bildung spezifischer, reaktiver Metallkomplexe zwischen organischen Verbindungen und Spurenelementen 4 und »hydrophobe Wechselwirkungen« zwischen Lipiden oder aromatischen Molekülteilen in wässrigem Milieu als Ursache der Bildung von Membranen. Zum besseren Verständnis für die komplexe Materie der Biochemie und Molekularbiologie werden hier einige Eigenschaften und Reaktionsweisen, die auch Gegenstand der folgenden Kapitel des Buches sind, exemplarisch erläutert. Die nächsten Seiten ersetzen aber kein Lehrbuch der Chemie!

. Abb. 2.2 Strukturen und Bezeichnung in Biomolekülen vorhandener funktioneller Gruppen. An den Bindungen links und ggf. rechts der funktionellen Gruppen stehen i.a. Alkyl- (–C–C–) oder Aryl- (C6H5 –) Reste (s. auch . Abb. 2.3)

Organische Chemie ist die Chemie des Kohlenstoffs in den Verbindungen mit sich selbst und mit anderen Elementen. Sie umfasst alle Bausteine für Lebewesen und die von ihnen gebildeten »Naturstoffe« ebenso wie die riesige Zahl synthetischer Produkte, die unser tägliches Leben, Technik, Umwelt und die Medizin bestimmen. Biologische Prozesse beruhen auf organischchemischen Reaktionen. Woher rührt die Sonderstellung des Elements Kohlenstoff? Entsprechend seiner Stellung in der Mitte des Periodensystems (. Abb. 2.1: Hauptgruppe IV, Ordnungszahl 6) besitzt er eine nicht-abgeschlossene Elektronenkonfiguration mit vier Außenoder Valenzelektronen, die zu vier sog. sp3-Orbitalen »hybridisieren«. Sie erlauben die Ausbildung von vier covalenten Bindungen hoher Stabilität zu anderen C-Atomen, zu Wasserstoff ( Kohlenwasserstoffe, »Alkane«) oder »Heteroatomen« wie Sauerstoff ( Alkohole und Ether), Stickstoff ( Amine) oder Schwefel ( Thiole). Für derartige Kohlenstoffe und Elementkombinationen ist – im ungestörten Idealfall – eine Tetraeder-Geometrie mit Bindungswinkeln von jeweils 109° typisch (. Abb. 2.3). Mehrere Atome können zu langen Ketten verknüpft sein (mit »freier Drehbarkeit« um die Einfachbindungen), spannungsfreie Fünf- oder Sechsringe bilden, oder auch in Vier- oder Dreiringen mit Bindungswinkeln von 90° bzw. 60° angeordnet sein. Im letzteren Fall besitzen die Moleküle eine Ringspannung und erhöhte Reaktivität; in Biomolekülen kann dies funktionell bedeutsam sein wie z.B. im Antibiotikum Penicillin (. Abb. 2.6a). Organische Moleküle können Doppelbindungen oder Dreifachbindungen enthalten (>C=CC=O

>CH–NH2

19 2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle

2

. Abb. 2.3 Aromatische, heterocyclische und andere chemische Strukturen in biochemisch wichtigen Stoffklassen. Substituenten der Molekülgerüste sind nicht vollzählig gezeigt. Herkunft und Funktion der Substanzen werden in anderen Kapiteln des Buches beschrieben

Vor allem dienen die 20 proteinogenen L-Aminosäuren (7 Kap. 3.3) als Substrate für die ribosomale Proteinbiosynthese (7 Kap. 48). Peptidbindungen zwischen der Carboxylgruppe einer und der Aminogruppe einer zweiten Aminosäure (formal unter Wasserabspaltung entstanden) sind resonanzstabilisiert und daher recht hydrolysestabil:

ren mit der Nahrung aufgenommen werden. Eine Reihe anderer heterocyclischer Verbindungen, teils von spezieller Struktur, kommen in Vitaminen und Coenzymen vor (. Abb. 2.3). Mit OH-Gruppen substituierte Aromaten – wie in der Aminosäure Tyrosin – heißen Phenole. Im Gegensatz zu einfachen Alkoholen sind phenolische OH-Gruppen schwache Säuren weil bei ihrer Deprotonierung das zusätzliche Elektronenpaar des Phenolat-Anions (C6H5-O–) in energetisch günstiger Konjugation mit dem mesomeren π-Elektronensystem des Aromaten steht.

Zu ihrer enzymatischen Spaltung – etwa zur Inaktivierung oder Verdauung – existieren eine große Zahl spezifischer Peptidasen und Proteasen (7 Kap. 50 und 61.3.2).

Nucleotide, energiereiche Verbindungen

Aromatische und heteroaromatische Verbindungen, Phenole Mit »aromatischem Charakter« bezeichnet man Benzol (C6H6) und andere Ring-Verbindungen, in denen sechs π-Elektronen völlig delokalisiert sind (und nicht in drei unterscheidbaren Doppelbindungen). Die aromatischen Substituenten der Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan sowie Nucleotide mit den »heteroaromatischen« (Stickstoffatome enthaltenden) Pyrimidin- und Purinbasen sind aufgrund derartiger Mesomerie sehr stabile Substanzen. Sie sind ebenso wie Lipide hydrophob, und zusätzlich zu einer energetisch günstigen Übereinanderstapelung (»stacking«) der planaren aromatischen Ringe befähigt, die auch die DNA-Doppelhelix stabilisiert. Manche aromatische Moleküle wie Phenylalanin und Tryptophan können vom Menschen nicht synthetisiert werden und müssen als essentielle Aminosäu-

Fünf verschiedene Nucleotide mit den Zuckern Ribose bzw. 2-Desoxyribose sind Bausteine der Nucleinsäuren RNA bzw. DNA; sie tragen die heterocyclischen Purinbasen Adenin und Guanin sowie die Pyrimidine Cytosin und Uracil bzw. Thymin (7 Kap. 3.4). Mit einer Triphosphatstruktur am Molekül-5’-Ende fungieren die Nucleotide – unter Abspaltung von Diphosphat – als Substrate von RNA- bzw. DNA-Polymerasen. Eines der Nucleotide, Adenosin-5’-Triphosphat ATP (. Abb. 2.3) dient außerdem im gesamten Stoffwechsel als universelle »energiereiche Verbindung«. Energiereich nennt man ATP mit seinen endständigen Phosphorsäureanhydridbindungen, sowie Substrate mit anderen Strukturen (7 Kap. 2.2.3), bei deren Übertragung auf Wasser (Hydrolyse) oder andere Akzeptoren Energie frei wird bzw. für andere Reaktionen verfügbar ist.

Kohlenstoff# Alkan-Kette# gesättigte# Alkene# trans-Doppelbindung# cis-Doppelbindung# Cyclohexan# Inosit# Pyranose-Zucker# β-D-Glucose# Benzol# Phenol# Pyridin# Nicotinsäure# Pyrimidin# Pteridin# Purin# Pyrrol# Imidazol# Thiazol# Chinon# Naphthochinon#

2

20

Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

2.2.3

Reaktionsweisen

Zwischen organischen Molekülen einer Zelle erfolgen Kondensationsreaktionen zum Aufbau Kohlenstoff- und Stickstoff-haltiger Ketten- und Ringmoleküle sowie Redoxreaktionen (Elektronenübertragungen), in denen Energie für den Zellstoffwechsel gewonnen wird. Moleküle mit Stickstoff-, Sauerstoff- und Schwefel-Substituenten sind Komplexliganden in reaktiven Metallzentren der Bioanorganischen Chemie Die meisten biochemischen Umsetzungen befolgen aus der organischen Chemie bekannte einfache Reaktionsweisen, insbesondere beim Aufbau größerer Moleküle aus kleineren Substraten (Biosynthesen, Bildung von Oligomeren und Polymeren) und in »Redox«reaktionen, die reduzierende und oxidierende Moleküle miteinander kombinieren und den Energiestoffwechsel dominieren. Sie werden in der Zelle durch eine Vielzahl mehr oder weniger spezifischer Enzyme katalytisch beschleunigt. Viele Stoffwechselreaktionen sind grundsätzlich reversibel. Die in vivo vorherrschende Richtung einer reversiblen Reaktion wird nach dem Massenwirkungsgesetz durch die aktuellen Stoffkonzentrationen bestimmt. Unabhängig davon kann eine hormonelle Steuerung anaboler und kataboler Prozesse den Umsatz von Stoffen bestimmen. Einige typische Reaktionsmechanismen sind am Beispiel bekannter Substrate und Produkte des Zellstoffwechsels dargestellt.

Substitution und Addition An einzelnen C-Atomen einer Kette oder an zwei Atomen einer Doppelbindung werden Substituenten ausgetauscht bzw. addiert; dabei sind häufig sterische Verhältnisse zu beachten (hier nicht berücksichtigt). Beispiele: Unter Substitution einer Austrittsgruppe –X an einem Carbonylkohlenstoffatom durch Wasser verlaufen Ester- oder Peptidhydrolysen:

Aldolspaltung bzw. -addition nennt man Reaktionen, in denen Zucker wie z. B. Fructose-1,6-bisphosphat reversibel gespalten bzw. gebildet werden; der Begriff »Aldol« stammt von den Aldehyd-alkohol-Strukturen in Substraten bzw. Produkten. Besonders bekannt ist die Reaktion unter Katalyse durch Fructosebisphosphat-Aldolase bei der Umwandlung zwischen C6- und C3Zuckern (P = Phosphat):

Kondensationsreaktionen Zahlreiche biologische Substanzen sind aus kleinen Bausteinen entstandene oligo- und polymere Makromoleküle: Fette und Isopren-Lipide, Polysaccharide, Polypeptide (Proteine) und Polynucleotide (Nucleinsäuren). Da in Zellen die technische Art der Abspaltung von Wasserstoff, Wasser oder anderen kleinen Molekülen durch Hitze, starke Säuren oder Metallkatalysatoren nicht möglich ist, werden monomere Substrate auf Kosten des Energie-Stoffwechsels zunächst chemisch aktiviert und dann – unter Enzymkatalyse und Wiederfreisetzung der aktivierenden Gruppen – miteinander verknüpft. Als Substrate oder Coenzyme nutzen Polymerasen, Ligasen und Synthetasen energiereiche Dioder Triphosphate und Thiol-(–SH)Funktionen: 4 ATP und andere Nucleosid-Triphosphate Nucleinsäuren 4 ATP Aminoacyl-tRNA ribosomale Proteinsynthese 4 Uridindiphosphat-(UDP-)Glucose Polysaccharide 4 Isopentenylpyrophosphat Isoprenlipide 4 Acetyl-Coenzym A Acyl-CoA Fettsäuren

Redoxreaktionen

Unter Addition (im Falle von Wasser: Hydratisierung) werden aus ungesättigten C=C-Doppelbindungen gesättigte Strukturen:

Reaktionen an und in Kohlenstoffgerüsten Die Decarboxylierung von Carbonsäuren ist durch die Abspaltung des stabilen Moleküls Kohlendioxid (CO2) begünstigt. Sie wird im Stoffwechsel durch Decarboxylasen wie z. B. Pyruvatdecarboxylase katalysiert:

Viele biologisch-chemische Stoffumwandlungen, sowohl Synthesen wie Abbaureaktionen und insbesondere der Energiestoffwechsel beruhen auf Elektronenübertragungen, deren Komponenten oft in »Elektronentransportketten« physikalisch und räumlich aufeinanderfolgend platziert sind. Chemisch einfachere Umsetzungen wie Oxidation unter »Verbrennung« (mit starker Temperaturerhöhung) oder Reduktion (»Hydrierung«) mit starken Reduktionsmitteln (die evtl. Wasser zersetzen) sind verständlicherweise in lebenden Zellen nicht möglich. Allgemein gilt: 4 Reduktion : Aufnahme von Elektronen (Wasserstoff) 4 Reduktionsmittel : Elektronendonor 4 Oxidation : Entzug von Elektronen (Wasserstoff) oder Aufnahme von Sauerstoff 4 Oxidationsmittel : Elektronenakzeptor An komplexen Redoxvorgängen sind oft verschiedene Vorgänge beteiligt und zu differenzieren. Z. B. bei der Atmung sind Eisen in Cytochromen und die Sauerstoff-Aufnahme durch Cytochro-

Fumarsäure# Apfelsäure# Brenztraubensäure# Acetaldehyd# Dihydroxyaceton-phosphat# Glyerinaldehyd-3-phosphat# Fructose-1,6-bisphosphat#

21 2.2 · Charakteristische Eigenschaften organischer Biomoleküle

moxidase im Enzym zu unterscheiden. Ein augenfälliges Beispiel von Redoxchemie an einer unveränderten C6-Kohlenstoffkette bei unverändertem Sauerstoffgehalt ist dagegen die Biosynthese von Vitamin C: Die formale Oxidation der Ausgangssubstanz (Zunahme des Sauerstoffanteils im Produkt) beruht hier nicht auf der Zufuhr von Sauerstoff, sondern resultiert aus einer mehrfachen Dehydrierung (Entzug von Wasserstoff): C6H12O6 D-Glucose

C6H10O6

Gulonolacton

*C6H8O6

L-Ascorbinsäure (Vitamin C)

C6H6O6

Dehydroascorbat

*Anmerkung: Dieser Schritt der Redoxkette kann von Mensch und Meerschweinchen nicht katalysiert werden; daher muss von ihnen die im Stoffwechsel als Antioxidationsmittel benötigte Ascorbinsäure als Vitamin aufgenommen werden. Im Folgenden sind einige biologisch, biochemisch und chemisch bedeutsame Redoxreaktionen genannt. Bei Betrachtung der Substrate und Produkte und mit den oben gegebenen Definitionen ist leicht zu erkennen, welche Prozesse eine Reduktion des Ausgangsmaterials darstellen und welche Schritte Oxidationen sind: CO2 + 4 H2 CH4 + 2 H2O (Methanogenese in anaeroben Bakterien) 2 CO2 + [8 H] (Coenzyme) (Essigsäurebildung)

CH3COOH + 2 H2O

6 CO2 + 6 H2O + Licht C6 H12 O6 + 6 O2 (oxygene Photosynthese, Pflanzen) CH4 (Methan, Biogas) + 2 O2 (Verbrennung)

CO2 + 2 H2O + Wärme

C6H12O6 + 6 O2 Glycolyse, Citratcyclus, Atmungskette 6 CO2 + 6 H2O (Atmung, Energie) Auch an anderen Elementen als Kohlenstoff kann Redoxchemie von Bedeutung sein. So gibt es reversible Wechsel zwischen Thiolgruppen und »Disulfidbrücken« der Aminosäure Cystein im Tripeptid Glutathion (GSH bzw. GSSG = Glutaminyl-cysteinylglycin in reduzierter bzw. oxidierter Form, 7 Kap. 27.2.4), die ein Puffersystem zur Regulation des Redoxzustandes der Zelle darstellen: 2 Cystein–SH + Akzeptor Cystein-S–S-Cystein + Akzeptor-H2 (Regulation) Die »Stärke« (Oxidationskraft bzw. Reduktionskraft) von organischen Redoxsystemen und von redoxaktiven Metallen (z. B. zweiwertiges/dreiwertiges Eisen) definiert man im biochemischen Bereich durch ihre Standard-Redoxpotentiale Eo’ bei pH 7 (7 Kap. 4). Die Kopplung zwischen elektrochemischem Potential der Atmungskette und dem Gewinn chemischer Energie im energiereichen Adeninnucleotid ATP in den Mitochondrien (oxidative Phosphorylierung, »OXPHOS«,

7 Kap. 19.1) ist Grundlage der Existenz aerober Lebewesen

schlechthin.

Radikalreaktionen In bestimmten Fällen können organische Moleküle existieren, in denen nicht alle vier Valenzelektronen eines C-Atoms Bindungen zu Reaktionspartnern eingegangen sind sondern nur drei, und das vierte Elektron ungepaart bleibt; es wird in einer Strukturformel i. Allg. mit » « gekennzeichnet. Derartige, meist sehr reaktionsfähige und kurzlebige Species nennt man »(freie) organische Radikale«. Auch an Sauerstoff- oder Schwefelatomen  kann ein freies Elektron lokalisiert sein (–O bzw. –S ). Die Bildung der 2’-Desoxyribonucleotide als Substrate der DNA-Replikation in der S-Phase des Zellzyclus (7 Kap. 30.2, 7 Kap. 43) verläuft beispielsweise nach einem derartigen Mechanismus; therapeutisch kann sie daher durch chemische »Radikalfänger« (z. B. Derivate von Hydroxylamin oder Hydroxamsäuren, R–NH-O-H) unterdrückt werden.

Bildung von Metallkomplexen: Bioanorganische Chemie Die meisten vom menschlichen Körper benötigten Spurenelemente sind Metalle aus dem Bereich der »Übergangselemente« des Periodensystems (. Abb. 2.1). In dieser Reihe sind die außenliegenden fünf d-Atomorbitale nicht voll mit Elektronen besetzt; sie treten daher leicht mit Liganden zusammen, die freie Elektronenpaare besitzen und bilden mit ihnen stabile Komplexe. Biomoleküle (insbesondere Aminosäuren und Coenzyme) besitzen zahlreiche funktionelle Gruppen die als Komplexliganden fungieren können: Carbonyl- (>C=O) und Carboxylatgruppen (–COO–), Amino- (–NH2), Imino- (=NH) und heterocyclische Stickstofffunktionen (=N– in Pyrrol oder Histidin) sowie Schwefelatome (–SH bzw. –S– im Cystein). In Proteinen werden auf diese Weise Metalle räumlich und chemisch definiert gebunden und für physiologische Wechselwirkungen (Bindung von Substraten, Redoxwechsel, Katalyse u. a.) verfügbar. Etwa die Hälfte aller bekannten Enzyme und vergleichbarer Proteine enthält Metallionen als unentbehrliche Komponenten. Darunter befinden sich zentrale biologische Systeme wie der Sauerstofftransport an Eisenzentren, die kupferhaltige Cytochrom-c-Oxidase der mitochondrialen Atmungskette (7 Kap. 19.1) und die Kontrolle der Genexpression durch »Zinkfinger« in Transkriptionsfaktoren (7 Kap. 46–47), sowie außerhalb des Tierreiches die Wasserspaltung im Mangan-Zentrum der pflanzlichen Photosysteme oder die mikrobielle Stickstoff-Fixierung an Eisen-Molybdän-Cofaktoren. Besonders zahlreich, strukturell und funktionell vielseitig sind Eisenkomplexe. Sie begegnen uns mit dem Porphyrinstickstoff-Ringsystem im Hämoglobin (. Abb. 2.5) und in Cytochromen, mit Schwefelliganden in redoxaktiven Ferredoxinen (7 Kap. 20), und Sauerstoff-koordiniert im Eisenspeicherprotein Ferritin (7 Kap. 60.2.3).

2

2

22

Kapitel 2 · Vom Molekül zum Organismus

2.2.4

Stereoisomerie in organischen Molekülen

In »optischen Antipoden« bestimmt die räumliche Asymmetrie der D- bzw. L-Stereoisomeren von Aminosäuren, Zuckern und anderen Biomolekülen deren spezifische Stoffwechselaktivitäten Die tetraedrische Anordnung von vier verschiedenen Substituenten mit Bindungswinkeln von je 109° um ein sp3-hybrisiertes, »asymmetrisches« Kohlenstoffatom herum (. Abb. 2.3) hat eine unter Biomolekülen weit verbreitete Konsequenz: Die Existenz von zwei Isomeren gleicher chemischer Zusammensetzung aber von unterschiedlicher Raumstruktur (»Chiralität« oder »Händigkeit«), die sich wie Bild und Spiegelbild unterscheiden. In . Abb. 2.4 ist diese Situation für zwei bekannte Stoffe, Alanin (eine Aminosäure) und Milchsäure (ein Stoffwechselprodukt) dargestellt. Derartige Substanzpaare heißen »Enantiomere« oder »optische Antipoden«. Sie sind »optisch aktiv«, weil ihre Lösungen – wie von Louis Pasteur und J.H. van’t Hoff im 19. Jahrhundert erkannt – bei Durchstrahlung mit polarisiertem Licht dessen Ebene nach rechts (Drehwinkel >0 °) bzw. nach links (Drehwinkel 0) die Zufuhr von Wärme erfordert.

Spontan ablaufende Prozesse sind mit einer Zunahme der Entropie verbunden Entropie Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik liefert mit der

Energiebilanz eine Rahmenbedingung für physikalische Prozesse und chemische Reaktionen. Er trifft jedoch keine Aussage darüber, ob ein Vorgang stattfindet und welcher von vielen möglichen Zuständen gleicher Energie der wahrscheinlichste ist. Der von Rudolf Clausius bereits 1865 eingeführte Begriff der Entropie (S) als Maß für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zustandes hat sich als ein wertvolles Instrument zur Beantwortung dieser Frage erwiesen. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass in einem abgeschlossenen System nur solche Prozesse freiwillig stattfinden, bei denen die Entropie zunimmt. Die Entropie erreicht ihren Maximalwert, wenn das thermodynamische Gleichgewicht erreicht ist. Ein einprägsames Beispiel für Prozesse, die mit einer Zunahme der Entropie verbunden sind, ist der durch Diffusion eintretende Konzentrationsausgleich in zwei durch eine permeable Membran voneinander getrennten Lösungen mit initial unterschiedlicher Konzentration einer diffusiblen Substanz.

Biologische Systeme sind notwendigerweise thermodynamisch offene Systeme Ein strukturiertes System wie eine Zelle enthält im Vergleich zu einem homogenen System gleichartiger Zusammensetzung ein geringeres Maß an Entropie. Diese Situation ist das Ergebnis eines Entropie-Exportes in Form von Wärme und/oder Stoffen (. Abb. 4.1). Dabei kann man die Entropieänderung, die durch einen Prozess im System verursacht wird, in einen Anteil, der die Veränderung der Entropie des Systems und in einen weiteren Anteil, der die Veränderung der Entropie der Umgebung beschreibt, zerlegen: ΔSGesamt = ΔSSystem + ΔSUmgebung

(2)

In einem offenen System läuft ein Prozess dann freiwillig (d. h. ohne Investition von Energie bzw. Arbeit) ab, wenn ΔSGesamt > 0

ist. Die Entropie eines offenen Systems nimmt dann ab (ΔSSystem < 0), wenn der Export von Entropie den Betrag der Entropieproduktion im System übersteigt. Nach Erwin Schrödinger (1944) besteht das Wesen des Stoffwechsels in einem Entropieexport, dessen Betrag die Entropieerzeugung im System übertreffen muss. Für diesen Entropieexport benötigen Organismen Energie, die sie ihrer Umgebung entnehmen. Erst der Austausch von Energie und Materie mit der Umgebung ermöglicht die Entstehung und Erhaltung komplexer biologischer Systeme.

Die Freie Enthalpie zeigt an, ob ein biochemischer Prozess freiwillig (spontan) ablaufen kann oder nicht Freie Enthalpie Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik gibt Antwort auf die Frage nach der Freiwilligkeit des Ablaufes eines biochemischen Prozesses. Bei der Anwendung des 2. Hauptsatzes auf offene Systeme muss die Entropieänderung des Systems und die der Umgebung betrachtet werden. In der Gibbs-HelmholtzGleichung (Gleichung 3) wird mit der Freien Enthalpie (G) eine thermodynamische Zustandsgröße eingeführt, die unter isotherm-isobaren Bedingungen stattfindende Veränderungen ausschließlich durch Veränderungen von Zustandsgrößen des Systems beschreibt:

ΔG = ΔH – T · ΔS

(3)

ΔH bezeichnet die Reaktionsenthalpie, T die absolute Temperatur und ΔS die Änderung der Entropie des Systems (Reaktionsentropie). Die thermodynamischen Zustandsgrößen ΔG, ΔH und ΔS einer Reaktion werden auf die umgesetzte Stoffmenge bezogen und in der Maßeinheit kJ/mol angegeben.

Bei freiwillig ablaufenden Reaktionen ist die Änderung der Freien Enthalpie negativ Eine Reaktion läuft unter isotherm-isobaren Bedingungen nur dann freiwillig ab, wenn die freie Reaktionsenthalpie ΔG einen negativen Wert annimmt. Man bezeichnet eine solche Reaktion als exergon. Nimmt ΔG einen positiven Wert an, liegt eine endergone Reaktion vor, die nicht freiwillig stattfindet. Im thermodynamischen Gleichgewicht ist ΔG = 0. Der Betrag von ΔG lässt erkennen, ob eine exergone Reaktion den Ablauf eines endergonen biologischen Prozesses – z. B. die Kontraktion eines Actomyosinkomplexes im Muskel – energetisch ermöglicht oder nicht. Die Begriffe »exergon« und »freiwillig« bzw. »spontan« bedeuten, dass eine Reaktion thermodynamisch möglich ist. Sie erlauben keine Aussage über die Geschwindigkeit des Reaktionsablaufes.

Die Änderungen der Freien Enthalpie sind additiv Da es sich bei der Freien Enthalpie um eine thermodynamische Zustandsgröße handelt, kann die Änderung der Freien Enthalpie eines biochemischen Reaktionssystems als Summe der Änderungsbeträge der Freien Enthalpie der einzelnen Reaktionsschritte berechnet werden. So ist der ΔG-Wert für die Oxidation der Glucose zu CO2 und H2O unabhängig davon, ob diese Umwandlung im Zellstoffwechsel durch eine Vielzahl von Ein-

56

Kapitel 4 · Bioenergetik

zelreaktionen erreicht wird oder ob sie durch direkte Verbrennung im Reagenzglas erfolgt.

4

. Tab. 4.1 Standardpotenziale (E’0) biochemischer Redoxpaare (Auswahl)

Die Änderung der Freien Enthalpie hängt von der Gleichgewichtskonstanten der Reaktion und von der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches ab

Korrespondierendes Redoxpaar

n (Anzahl übertragener Elektronen)

E’0 (V)

Standardbedingungen Der Standardzustand ist ein hypotheti-

½ O2/O2–

2

+0,82

scher Referenzzustand, in dem alle Reaktionspartner bei einer Temperatur von 25 °C und einem Druck von 1 bar in einer Konzentration von 1 mol/l vorliegen. Eine unter diesen Bedingungen erfolgende Veränderung der Freien Enthalpie trägt das Symbol ∆G0 und wird als Freie Standardreaktionsenthalpie bezeichnet. Da in biologischen Systemen viele Reaktionen bei neutralem pH-Wert stattfinden, wird in der Biochemie ein Standardzustand als Bezugssystem verwendet, für den eine Protonenkonzentration von 10–7 mol/l (pH 7) und – einer Empfehlung der IUBMB (International Union of Biochemistry and Molecular Biology) folgend – auch die Ionenstärke und die Konzentrationen verschiedener Ionen festgelegt sind. Die Freie Standardreaktionsenthalpie unter »biochemischen Standardbedingungen« wird mit dem Symbol ΔG’0 bezeichnet. ΔG0 und ΔG’0 unterscheiden sich u. a. dann, wenn Protonen als Substrat oder Produkt der Reaktion auftreten. Konzentrationsabhängigkeit der Freien Enthalpie Ausgangs-

punkt der Betrachtung ist eine Reaktion mit zwei Ausgangsstoffen (A, B) und zwei Reaktionsprodukten (C, D): aA + bB

cC + dD

(4)

Die Änderung der Freien Enthalpie (ΔG) dieser Reaktion wird durch Gleichung 5 beschrieben:

⎛ [C]c ⋅ [D]d ⎞ ∆G = ∆G ¢0 + R ⋅ T ⋅ ln(Q R) mit Q R = ⎜ a ⎟ ⎝ [A] ⋅ [B]b ⎠

(5)

R ist die Gaskonstante (8,314 J mol–1 K–1), T die absolute Temperatur. [A], [B], [C] und [D] bezeichnen die Konzentrationen der Reaktionspartner. Die Freie Standardreaktionsenthalpie (ΔG’0) ist eine reaktionsspezifische Konstante. Der Reaktionsquotient QR berücksichtigt die Abhängigkeit der Freien Enthalpie von der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches. Wenn Wasser in biologischen Systemen als Reaktant auftritt, wird dessen Konzentration (55,5 mol/l) durch die Reaktion nicht signifikant beeinflusst. Deshalb wird in der Biochemie die H2O-Konzentration im Ausdruck für die Freie Standardreaktionsenthalpie berücksichtigt und nicht in den Reaktionsquotienten QR aufgenommen. Thermodynamisches Gleichgewicht Befindet sich eine Reaktion

im thermodynamischen Gleichgewicht (ΔG = 0), folgt aus Gleichung 5 die Beziehung:

(6) Der Reaktionsquotient QR entspricht dann der Gleichgewichtskonstanten K’ der Reaktion. Gleichung 6 demonstriert, dass die

3+/Fe2+)

1

+0,29

Cytochrom c (Fe3+/Fe2+)

1

+0,22

Ubichinon/Ubihydrochinon (Ubichinol)

2

+0,10

Cytochrom b (Fe3+/Fe2+)

1

+0,08

Dehydroascorbat/Ascorbat

2

+0,06

Cytochrom a (Fe

Fumarat/Succinat

2

+0,03

FMN/FMNH2

2

–0,12

NAD+/NADH + H+

2

–0,32

2H+/H2

2

–0,42

Freie Standardreaktionsenthalpie bei einer bestimmten Temperatur ein logarithmischer Ausdruck der Gleichgewichtskonstanten ist. Je stärker negativ ΔG’0 ist, desto größer ist die Gleichgewichtskonstante K’ und umso mehr liegt das Reaktionsgleichgewicht auf der Seite der Reaktionsprodukte. Reduktions-Oxidations-Reaktionen Eine Vielzahl biochemi-

scher Reaktionen geht mit einer Elektronenübertragung einher. Reduktion und Oxidation finden dabei immer gleichzeitig statt und lassen sich als die Summe von zwei Halbreaktionen beschreiben. Man spricht deshalb von Redoxreaktionen. Das Reduktionsmittel und dessen oxidierte Form sowie das Oxidationsmittel und dessen reduzierte Form bilden jeweils ein korrespondierendes Redoxpaar. Liegen zwei korrespondierende Redoxpaare in einer Lösung nebeneinander vor, kann es zu einer Elektronenübertragung vom Elektronendonor des einen Paares auf den Elektronenakzeptor des anderen Paares kommen. Die Richtung des Elektronenflusses wird dabei durch die Elektronenaffinitäten der beteiligten Redoxpaare bestimmt, die durch Redoxpotenziale (E) quantitativ charakterisiert werden. Elektronen fließen stets vom Redoxpaar mit dem negativeren zum Redoxpaar mit dem positiveren Redoxpotenzial. Das Bezugssystem zum Vergleich von Elektronenaffinitäten verschiedener Redoxpaare ist die Standardwasserstoffelektrode. Redoxpotenziale von Redoxpaaren, die an dieses Bezugssystem Elektronen abgeben (von diesem aufnehmen), erhalten ein negatives (positives) Vorzeichen. Misst man Redoxpotenziale unter biochemischen Standardbedingungen, erhalten diese das Symbol E’0. In . Tab. 4.1 sind die Standardpotenziale E’0 ausgewählter biochemischer Redoxpaare zusammengestellt. Nernst-Gleichung Das für Redoxprozesse entscheidende aktuel-

le Redoxpotenzial (E) wird vom Standardpotential (E’0), aber auch von den Konzentrationen der oxidierten und reduzierten Form des korrespondierenden Redoxpaares (cox, cred) sowie von

4

57 4.2 · Energietransformation und energetische Kopplung

der Zahl der übertragenen Elektronen (n) und von der absoluten Temperatur (T) bestimmt. Dieser Zusammenhang wird durch die Nernst-Gleichung beschrieben:

E = E ¢0 +

⎛c ⎞ R ⋅T ⋅ ln ⎜ ox ⎟ ⎝ cred ⎠ n⋅F

(7)

R ist die Gaskonstante (8,314 J mol–1 K–1), F die Faraday-Konstante (96,5 kJ mol–1 V–1). Die Potenzialdifferenz (ΔE) einer Redoxreaktion ergibt sich als Differenz der Redoxpotenziale der beteiligten Redoxpaare. ΔE ist mit der Freien Enthalpie (ΔG) gemäß Gleichung 8 verknüpft: ΔG = – n · F · ΔE

(8)

Die durch die Gleichungen 7 und 8 beschriebenen Zusammenhänge sind für das Verständnis der energetischen Aspekte der biologischen Oxidation, bei der Elektronen über eine Vielzahl von Redoxsystemen auf Sauerstoff als terminalen Elektronenakzeptor übertragen werden, von zentraler Bedeutung. Die Freie Enthalpie dieses exergonen Prozesses wird bei der Atmungskettenphosphorylierung zur Regenerierung von Adenosintriphosphat (ATP) aus Adenosindiphosphat (ADP) und anorganischem Phosphat (Pi) genutzt (7 Kap. 19.1). 4.2

Energietransformation und energetische Kopplung

Der physiologische Zustand einer Zelle wird durch die Kopplung endergoner und exergoner Reaktionen aufrechterhalten Aus den Gesetzen der Thermodynamik folgt, dass die in einem Organismus stattfindenden Prozesse insgesamt exergon ablaufen müssen. Viele Teilprozesse, die zur Erzeugung, Erhaltung und Funktion biologischer Strukturen beitragen, sind jedoch endergoner Natur. Beispiele hierfür sind Biosynthesereaktionen, der aktive Transport durch biologische Membranen und die Muskelkontraktion. Diese lebensnotwendigen Vorgänge beziehen ihre Energie aus einer Kopplung an exergone Reaktionen. Die Zelle wirkt dabei als Energietransformator. Die Energietransformation in biologischen Systemen basiert auf zwei prinzipiell unterschiedlichen Mechanismen: 4 einer chemischen Kopplung exergoner und endergoner Reaktionen unter Beteiligung »energiereicher Verbindungen« und 4 einer chemiosmotischen Kopplung durch die Erzeugung eines Membranpotenzials mit Hilfe einer exergonen Reaktion, dessen Abbau eine endergone Reaktion ermöglicht. Eine chemische Kopplung kann durch Enzyme (7 Kap. 7) oder durch die Verbindung von Reaktionen in Reaktionsketten erfolgen. Die erstgenannte Möglichkeit soll am Beispiel der Phosphorylierung der Glucose (Glc) zu Glucose-6-Phosphat (Glc-6-P) erläutert werden:

Glc + Pi + H+ ΔG1’0 = +13,8 kJ/mol

Glc-6-P + H2O

(9)

Das Vorzeichen der Freien Standardreaktionsenthalpie ΔG1’0 zeigt an, dass diese Reaktion unter Standardbedingungen nicht spontan abläuft. Im Gegensatz dazu erfolgt die Hydrolyse von Adenosintriphosphat (ATP) zu Adenosindiphosphat (ADP) und anorganischem Phosphat (Pi) unter Standardbedingungen exergon: ATP + H20 ADP + Pi + 2 H+ 0 ΔG2’ = –30,6 kJ/mol

(10)

In einem System, in dem beide Reaktionen gleichzeitig stattfinden, berechnet sich die Freie Standardreaktionsenthalpie der gekoppelten Reaktion als Summe der ΔG-Werte der Einzelreaktionen. Dementsprechend könnte die Gesamtreaktion durchaus freiwillig ablaufen. Voraussetzungen hierfür sind jedoch: 4 eine direkte Übertragung der γ-Phosphatgruppe des ATP auf Glucose, sodass die Hydrolyseenergie des ATP nicht in Form von Wärme freigesetzt, sondern für chemische Arbeit verfügbar gemacht wird und 4 ein Konzentrationsverhältnis der Reaktionspartner, das die Einhaltung der Bedingung ΔG < 0 gemäß Gleichung 5 sicherstellt. In der Zelle wird der Phosphoryltransfer von ATP auf Glucose durch Hexokinasen (7 Kap. 14.1) katalysiert: Glc + ATP Glc-6-P + ADP+ H+ 0 ΔG’ = –16,8 kJ/mol

(11)

Beispielgebend für die Verbindung von Reaktionen in Reaktionsketten soll die Biosynthese des Glucosespeichermoleküls Glycogen betrachtet werden, bei der die exergone Hydrolyse von Pyrophosphat (PPi) genutzt wird, um die Bildung von UDP-Glucose aus Glucose-1-Phosphat (Glc-1-P) und Uridintriphosphat (UTP) zu ermöglichen (7 Kap. 14.2): Glc-1-P + UTP G1’0 = 0 kJ/mol

UDP-Glc + PPi

(12)

Das in der Reaktion gebildete Pyrophosphat wird in Säugerzellen durch Pyrophosphatasen enzymatisch hydrolysiert: PPi + H2O Pi + Pi + 2H+ 0 ΔG2’ = –33,5 kJ/mol

(13)

Die stark exergone Hydrolyse des Pyrophosphates bewirkt, dass die Gesamtreaktion in vivo nur in der beschriebenen Richtung ablaufen kann. Im Zellstoffwechsel werden eine Reihe wichtiger Biosynthesereaktionen durch die enzymatische Hydrolyse von Pyrophosphat durch Pyrophosphatasen thermodynamisch ermöglicht.

58

Kapitel 4 · Bioenergetik

4.3

Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial

Für die Übertragung Freier Enthalpie werden energiereiche Phosphate genutzt

4

Energiereiche Phosphate Phosphoryltransferreaktionen sind in biologischen Systemen weit verbreitet und erfüllen zentrale Funktionen im intermediären Stoffwechsel. Ist Wasser der Phosphorylakzeptor, wird die Reaktion als Hydrolyse bezeichnet. Die für diesen Reaktionstyp geschaffene thermodynamische Skala der Phosphorylgruppenübertragungspotenziale charakterisiert die Änderung der Freien Standardenthalpie, die bei der Hydrolyse von 1 Mol einer Phosphorylverbindung erfolgt. Anhand ihrer Phosphorylgruppenübertragungspotenziale werden die biochemisch bedeutsamen Phosphorylverbindungen (. Tab. 4.2) formal in zwei Gruppen eingeteilt: Bei energiereichen Verbindungen ist die Änderung der Freien Standardenthalpie ΔG’0 der Hydrolyse stärker negativ, bei energiearmen Verbindungen weniger negativ als –25 kJ mol–1. Der Begriff »energiereich« sagt aus, dass die Substanz eine stark exergone Reaktion mit Wasser (Hydrolyse) eingehen kann. Bei biochemischen Phosphorylgruppenübertragungsreaktionen fungieren jedoch in der Regel andere Moleküle als Phosphorylakzeptoren. Der Ausdruck »Verbindung mit hohem Gruppenübertragungspotenzial« beschreibt deshalb die biochemischen Funktionen und die energetischen Eigenschaften der als »energiereich« bezeichneten Phosphorylverbindungen besser als der im biochemischen Sprachgebrauch verwurzelte Begriff der »energiereichen Verbindung«. Neben den Phosphorylverbindungen kommen im Zellstoffwechsel weitere Metabolite mit hohem Gruppenübertragungspotenzial vor, die andere funktionelle Gruppen auf eine Vielzahl von Akzeptoren übertragen. Beispiele hierfür sind die Acyl-CoA-Verbindungen, in denen Fettsäuren durch eine energiereiche Thioesterbindung an Coenzym A gebunden sind (7 Kap. 21.2.1). In . Abb. 4.2 ist die Struktur des Adenosintriphosphates dargestellt. Das ATP-Molekül enthält zwei energiereiche Phosphorsäureanhydridbindungen. Da bei physiologischem pH-Wert die Phosphatgruppen des ATP vollständig dissoziiert sind, handelt es sich um ein vierfach negativ geladenes Molekül, das mit zwei-

. Tab. 4.2 Phosphorylgruppenübertragungspotenziale biochemischer Phosphorylverbindungen (Auswahl) Phosphorylverbindung

ΔG’0 (kJ/mol)

Phosphoenolpyruvat

–61,9

1,3-Bisphosphoglycerat

–49,4

ATP (

–45,5

AMP + PPi)

Kreatinphosphat

–43,1

Pyrophosphat (PPi)

–33,5

ATP (

ADP + Pi)

. Abb. 4.2 Struktur des Magnesium-ATP-Komplexes MgATP2–. Die Phosphatgruppen werden – vom C5-Atom der Ribose ausgehend – mit α, β und γ bezeichnet. Die Bindung zwischen α-Phosphatgruppe und Adenosin ist eine Phosphorsäureesterbindung, während die Phosphatgruppen durch energiereiche Phosphorsäureanhydridbindungen verbunden sind

wertigen Kationen lösliche Komplexe bilden kann. In der Zelle kommt das Nucleotid überwiegend in Form von Komplexen mit Mg2+-Ionen vor. Obwohl die Hydrolyse des ATP stark exergon verläuft (ΔG’0 = –30,6 kJ/mol), erfolgt sie wegen der hohen Aktivierungsenergie (7 Kap. 7.1) der Reaktion spontan nur sehr langsam. Diese kinetische Stabilität des ATP ist für seine biochemische Funktion als Energieüberträger von größter Bedeutung. Im Zellstoffwechsel wird ATP nur enzymatisch zu ADP oder AMP hydrolysiert. Übrigens Energetik der zellulären ATP-Hydrolyse Die Freie Standardreaktionsenthalpie (ΔG’0) der durch Gleichung 10 beschriebenen ATP-Hydrolyse beträgt –30,6 kJ/ mol. Die für die Energetik der Reaktion entscheidende Freie Reaktionsenthalpie (ΔG) hängt von den Konzentrationen von ATP, ADP, Pi und dem pH-Wert ab. Gemäß Gleichung 5 ergibt sich für die Änderung der Freien Reaktionsenthalpie bei pH 7: ⎛ [ ADP ] ⋅ [ Pi ] ⎞ ∆G = ∆G ¢0 + R ⋅ T ⋅ ln ⎜ 0 ⎟ ⎝ [ ATP ] ⋅ cH2O ⎠

Konventionsgemäß ist dabei die Konzentration des Wassers (55,5 mol/l) im Wert für die Freie Standardreaktionsenthalpie bereits berücksichtigt. Der Reaktionsquotient wird jedoch durch formales Einsetzen einer Wasserkonzentration von c0H2O = 1 mmol/l dimensionslos gehalten. In menschlichen Erythrocyten betragen die Konzentrationen von ATP, ADP und Pi etwa 2,25 mmol/l, 0,25 mmol/l und 1,65 mmol/l. Durch Einsetzen dieser Zahlenwerte erhält man bei 37 °C (310 K) eine Änderung der Freien Enthalpie von ∆G = −30 ,6 kJ / mol + 8 ,315 J / (mol ⋅ K ) ⋅ 310 K ⎛ 0 ,25 mmol / l ⋅165 , mmol / l ⎞ ⋅ ln ⎜ ⎝ 2,25 mmol / l ⋅1mmol / l ⎟⎠ = −52,8 kJ / mol

–30,6

Glucose-6-Phosphat

–13,8

Fructose-1,6-Bisphosphat

–8,6

6

59 4.3 · Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial

Dieses Beispiel zeigt, dass unter zellulären Bedingungen der Betrag der Änderung der Freien Enthalpie für die Umwandlung von ATP in ADP deutlich größer ist als unter Standardbedingungen. Umgekehrt ergibt sich daraus, dass für die Neubildung von ATP aus ADP und Pi ein entsprechend höherer Betrag an Freier Enthalpie erforderlich ist.

ATP ist ein universeller Überträger Freier Enthalpie im Zellstoffwechsel Die Freie Enthalpie der ATP-Hydrolyse wird durch eine energetische Kopplung an endergone Prozesse für die Zelle nutzbar gemacht. Im Zellstoffwechsel können Phosphatgruppen des ATP auf Akzeptoren übertragen werden, wenn die Gesamtreaktion exergon verläuft (ΔG < 0). Eine Vielzahl ATP-abhängiger Phosphorylierungsreaktionen ist mit der Bildung von Reaktionsprodukten verbunden, deren Hydrolyseenergien beträchtlich weniger negativ sind als die des ATP. In biologischen Systemen sind diese Reaktionen oftmals irreversibel. Der Begriff »irreversibel« drückt hierbei nicht die grundsätzliche Irreversibilität einer Reaktion aus, sondern besagt, dass die Reaktion aufgrund der großen Veränderung der Freien Standardenthalpie (ΔG’0 ! 0) und bei physiologischen Konzentrationen von Substraten und Produkten nur in einer Richtung ablaufen kann. Die durch Hexokinase, Phosphofructokinase und Pyruvatkinase katalysierten Reaktionen der Glycolyse (7 Kap. 14.1) sind Beispiele für irreversible enzymatische Transphosphorylierungen, während die schnelle Regenerierung von ATP aus ADP im Muskel durch Kreatinkinasen auf reversible Weise erfolgt (7 Kap. 63.3.1). Übrigens ATP ist der wichtigste Überträger Freier Enthalpie Die zellbiochemische Funktion des ATP soll anhand einer vereinfachenden energetischen Betrachtung verdeutlicht werden: Der Grundenergieumsatz eines 75 kg schweren Menschen beträgt ca. 6.000 kJ pro Tag. Nimmt man an, dass die Energietransformation im Organismus stets mit einer Hydrolyse von ATP verbunden ist, entspricht dies bei Zugrundelegung der Freien Standardreaktionsenthalpie der ATP-Hydrolyse von –30,6 kJ/mol einem Umsatz von etwa 200 mol bzw. 100 kg ATP pro Tag. Geht man außerdem davon aus, dass der Gesamtbestand des Organismus an Adeninnucleotiden (ATP + ADP + AMP) etwa 0,2 mol (ca. 100 g) beträgt, so folgt daraus, dass jedes ATP-Molekül täglich mehr als 1.000-mal zu ADP hydrolysiert wird und nachfolgend regeneriert werden muss.

ATP entsteht im Zellstoffwechsel durch die Kopplung der ADP-Phosphorylierung an exergone Reaktionen Regenerierung des ATP aus ADP ATP kann eine zentrale Funktion im Energiestoffwechsel vor allem deshalb erfüllen, weil sein Phosphorylgruppenübertragungspotenzial sowohl den Transfer der γ-Phosphatgruppe auf Akzeptorverbindungen als auch die

Phosphorylierung von ADP durch Reaktionen mit anderen energiereichen Phosphorylverbindungen erlaubt (. Tab. 4.2). Die Regenerierung des ATP aus ADP und anorganischem Phosphat erfolgt generell durch eine Kopplung der ADP-Phosphorylierung an exergone Reaktionen. Man spricht von einer Substrat(ketten)phosphorylierung, wenn die Phosphorylgruppe eines energiereichen Intermediates (Substrates) auf ADP übertragen wird. Beispiele hierfür sind die durch Phosphoglyceratkinase und Pyruvatkinase katalysierten Reaktionen der Glycolyse (7 Kap. 14.1). Auch die durch Kreatinkinasen katalysierte Übertragung der Phosphorylgruppe des Kreatinphosphates auf ADP (7 Kap. 63.3) trägt zur ATP-Regenerierung bei. Der größte Teil des täglich synthetisierten ATP entsteht jedoch während der Oxidation von Substratwasserstoff mit Sauerstoff im Rahmen der Atmungskettenphosphorylierung in den Mitochondrien (7 Kap. 19.1). Anders als bei der Substrat(ketten) phosphorylierung erfolgt die Energiekonservierung hierbei durch die Erzeugung eines chemiosmotischen Potenzials an der inneren Mitochondrienmembran, das die Energie für die Regenerierung von ATP aus ADP und anorganischem Phosphat bereitstellt.

ATP wirkt auch als Überträger von Pyrophosphatund Adenylatgruppen sowie als Neurotransmitter In einigen Reaktionen des Zellstoffwechsels fungiert ATP als Donor von Pyrophosphat- und Adenylatgruppen. Zu den Reaktionen, bei denen eine Pyrophosphatgruppe übertragen wird, gehört die durch Phosphoribosylpyrophosphatsynthetase katalysierte Initiation der Biosynthese der Purinnucleotide (7 Kap. 29.1). Bei Adenylierungsreaktionen erfolgt eine Übertragung der Adenylatgruppe (5’-AMP) des ATP auf ein Akzeptormolekül. Beispiele einer physiologisch bedeutsamen Adenylierung sind die Biosynthese der Nucleinsäuren (7 Kap. 44.4 und 46.2) und die Aminosäureaktivierung bei der Translation (7 Kap. 48.1.3). Darüber hinaus wirkt ATP durch Bindung an Membranrezeptoren der P2-Familie als Neurotransmitter (7 Kap 74.1.12). Zu diesen Rezeptoren gehören sowohl ligandengesteuerte Ionenkanäle (P2X-Rezeptoren) als auch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (P2Y-Rezeptoren). Zusammenfassung Die strukturelle und funktionelle Komplexität biologischer Systeme kann nur durch eine kontinuierliche Zufuhr Freier Enthalpie (ΔG) erzeugt und aufrechterhalten werden. Wichtigste Quelle der erforderlichen Freien Enthalpie ist die sauerstoffabhängige Oxidation komplexer organischer Verbindungen. Nur exergone Reaktionen (ΔG < 0) laufen freiwillig (spontan) ab und können Arbeit leisten. In der Zelle werden endergone Reaktionen durch eine Kopplung an exergone Prozesse ermöglicht. Die energetische Kopplung wird wirkungsvoll durch Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial (energiereiche Verbindungen) vermittelt. Adenosintriphosphat (ATP) ist die wichtigste Verbindung mit hohem Gruppenübertragungs6

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60

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Kapitel 4 · Bioenergetik

potenzial und erfüllt im Zellstoffwechsel die Funktion eines Überträgers Freier Enthalpie. Die Regenerierung des ATP erfolgt überwiegend im Mitochondrium durch die Nutzung von exergonen Redoxreaktionen zur Ausbildung eines chemiosmotischen Membranpotenzials, das die endergone Phosphorylierung des ADP antreibt (Atmungskettenphosphorylierung). Demgegenüber ermöglicht die ATP-Regenerierung durch Substrat(ketten)phosphorylierung eine Energiebereitstellung auch unter anaeroben Stoffwechselverhältnissen.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

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5

Proteine – Struktur und Funktion Hans R. Kalbitzer

Einleitung

Schwerpunkte

Proteine (Eiweiße) stellen diejenige Klasse von biologischen Makromolekülen dar, die in der Zelle mengenmäßig bei Weitem dominiert. Wenn man einmal von spezialisierten Zellen wie Fettzellen absieht, stellt die Gruppe der Proteine mit mehr als 20 % des Feuchtgewichts die größte Fraktion organischer Moleküle in menschlichen Zellen und Geweben dar. Der Prototyp des Eiweißstoffes ist das Hühnereiweiß (engl. egg albumin). Historisch hat es lange gedauert, bis man zur Erkenntnis kam, dass es sich hier um eine ganze Stoffklasse handelt. Allerdings wurde die

4 4 4 4 4 4

Proteinurie (Eiweiß im Urin) schon früh als Symptom einer Nierenschädigung beobachtet, ohne zu wissen, dass es sich hier um Protein handelte (der Begriff war noch gar nicht erfunden). So beschrieb Paracelsus (1493–1541) einen Stoff im Urin von Nierenkranken, der beim Erhitzen und Säurebehandlung ausfällt, bezeichnete ihn aber als Milch der Niere. Erst 1765 berichtete Domenico Cotugno, dass er im Urin eines Soldaten nach Erhitzen einen Stoff gefunden habe, der dem Hühnereiweiß gleiche. Die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung Protein wurde erst 1838 von Jöns Jakob Berzelius vorgeschlagen, die er vom dem griechischen Wort πρωτεıˆος (proteios, »grundlegend«) ableitete. Sie bezog sich auf alle Stoffe, die dem Hühnereiweiß ähnlich sind. Gerardus Johannes Mulder benutzte dann den Begriff Protein erstmals 1839 in einer Veröffentlichung zur Elementaranalyse von Albumin. Erst 40 Jahre später (1902) wurde schließlich das noch heute gültige Bild von Franz Hofmeister und Emil Fischer entwickelt, dass Proteine aus einer Kette von Aminosäuren aufgebaut sind. Im Erbgut von allen Lebewesen wird als zentrale Information der Aufbau seiner Proteine gespeichert. Das menschliche Genom enthält etwa 30.000 für Proteine codierende Nucleotidsequenzen (Gene). Die Anzahl der im Menschen vorkommenden verschiedenartigen Proteine ist aber wesentlich höher, da alternatives Spleißen der Gene zu einer Vielzahl zusätzlicher Proteinvarianten führt. Im Genom ist nur die Sequenz der Aminosäuren gespeichert, die die Proteine aufbauen. Obwohl nur 22 verschiedene Aminosäuren direkt in der DNA codiert werden, kann durch deren Kombination und Verknüpfung über Peptidbindungen eine Vielfalt von verschiedenen Proteinen für alle nur denkbaren Funktionen aufgebaut werden. Posttranslationale Modifikationen der Proteine und die Assoziation mit Nicht-Proteinkomponenten wie Metallionen erhöhen weiter die funktionelle Diversität. Für die ungestörte biologische Funktion ist in vielen Fällen die dreidimensionale Struktur (Konformation) der Proteine von entscheidender Bedeutung, die im Allgemeinen nicht statisch ist, sondern sich den wechselnden Anforderungen dynamisch anpasst.

5.1

Aufbau der Proteine Peptidbindung Sekundär- und Tertiärstruktur Proteinfaltung Hämoglobin und Myoglobin als Sauerstofftransporter Fehlfaltung von Proteinen als Ursache menschlicher Erkrankungen

Aufbau von Proteinen

Proteine werden in der Regel in der Zelle am Ribosom gemäß der in der mRNA codierten Aminosäuresequenz durch Verknüpfung der natürlichen proteinogenen Aminosäuren synthetisiert. Am Ribosom entstehen lineare Ketten von Aminosäuren, die durch Peptidbindungen (Säureamidbindungen) miteinander verknüpft sind. Bei der Biosynthese am Ribosom werden unter normalen Umständen nur die 20 kanonischen proteinogenen L-Aminosäuren und die beiden relativ seltenen nicht-kanonischen proteinogenen Aminosäuren Selenocystein und Pyrrolysin miteinander verknüpft. Prolin ist im Gegensatz zu den anderen primären Aminosäuren, d. h. Aminosäuren mit einer primären Aminogruppe, eine sekundäre Aminosäure und wird oft in biochemischen Textbüchern chemisch nicht korrekt als Iminosäure bezeichnet. Nach der Biosynthese am Ribosom können diese Ketten modifiziert und zusätzlich miteinander oder mit anderen organischen Molekülen verknüpft werden. Unter geeigneten experimentellen Bedingungen kann man das Ribosom dazu bringen, auch nicht-natürliche Aminosäuren gezielt in die Polypeptidkette einzubauen.

Proteine werden je nach Größe als Oligopeptide oder Polypeptide bezeichnet Peptide können sich in ihrer Kettenlänge beträchtlich unterscheiden. Bis zu einer Länge von 10 Aminosäuren spricht man von Oligopeptiden, längere Peptide werden als Polypeptide bezeichnet. Ein Protein ist nichts anderes als ein großes Polypeptid, wobei die Grenze zwischen Protein und Peptid üblicherweise bei 100 Aminosäureresten liegt. Polypetide mit weniger als 100 Aminosäuren werden jedoch dann Proteine genannt, wenn sie proteintypische Funktionen wie die von Enzymen erfüllen. Oligopeptide werden häufig nach der Anzahl ihrer Aminosäuren benannt, wie z. B. Dipeptid, Tripeptid oder Dekapeptid, wenn sie aus 2, 3 oder 10 Aminosäuren aufgebaut sind.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

Viele Proteine besitzen Nicht-Proteinanteile

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Da Proteine aus Aminosäuren aufgebaut sind, führt deren hydrolytische Spaltung wieder ausschließlich zur Entstehung von L-α-Aminosäuren oder deren Derivaten. Da die Polypeptidkette auch covalente oder nicht-covalente Bindungen mit anderen Molekülen der Zelle eingehen kann, findet man neben den einfachen Proteinen zusätzlich eine heterogene Gruppe von Proteinen, die man zusammengesetzte Proteine nennt. Entsprechend ihrem Nicht-Proteinanteil bezeichnet man sie dann als Nucleoproteine, wenn sie zusätzlich Nucleinsäuren enthalten, oder als Glykoproteine, wenn sie zusätzlich Zuckerketten enthalten. Lipoproteine enthalten Lipide, Metalloproteine Metalle und Chromoproteine chromophore Gruppen wie Porphyrine. Der Nicht-Proteinanteil variiert bei den zusammengesetzten Proteinen sehr stark. Sind kleinere Liganden, die für die Funktion des Proteins wichtig sind, an das Protein gebunden, nennt man sie Cofaktoren. Diese findet man insbesondere bei den katalytisch aktiven Proteinen, den Enzymen. Sind sie fest (in der Regel covalent) an Proteine gebunden, bezeichnet man sie auch als prosthetische Gruppen, handelt es sich um locker gebundene, organische Moleküle und sind sie an der Katalyse beteiligt, heißen sie Coenzyme. Typische Cofaktoren sind neben kleinen organischen Molekülen wie Pyridoxalphosphat (7 Kap. 59.5) Metallionen wie Magnesium, Mangan, Eisen und Kupfer (7 Kap. 7.5; Kap. 60.2). Das Protein, das seine Cofaktoren enthält, bezeichnet man als Holoprotein oder Holoenzym, den reinen Proteinanteil als Apoprotein oder Apoenzym.

Es gibt eine große Vielfalt von Proteinen Jedes Protein ist durch die individuelle Reihenfolge (Sequenz) seiner Aminosäuren definiert. Sie ist in der Abfolge der Basen in den Nucleinsäuren festgelegt, die im Erbgut für das jeweilige Protein codieren. Die Bildung von Peptidbindungen bei der Biosynthese von Proteinen wird in 7 Kap. 48.2.2 beschrieben, die chemische Synthese in 7 Kap. 6. Aus den 22 proteinogenen Aminosäuren lässt sich theoretisch eine gewaltige Anzahl von Proteinen bilden, die sich in ihrer Aminosäuresequenz und damit in ihren Eigenschaften unterscheiden. Selbst wenn man sich auf die 20 kanonischen proteinogenen Aminosäuren beschränkt, sind schon für ein relativ kleines Protein aus 100 Aminosäuren 20100 (etwa 1,3∙10130) verschiedene Kombinationsmöglichkeiten denkbar. Schon mit 100 Aminosäuren lassen sich also theoretisch mehr verschiedene Proteinmoleküle erzeugen als vermutlich Atome im Universum vorkommen (ungefähre Abschätzung 3∙1078). Allerdings findet sich in der Natur eine viel kleinere Anzahl verschiedener Proteine. Daher entstehen neue Proteine in der Evolution fast nur durch Variation und Kombination schon existierender, bewährter Sequenzen, und nur die für das Überleben der Organismen essentiellen Proteine bleiben langfristig erhalten. Die Abfolge der Aminosäuren in Aminosäuresequenzen wird im Dreibuchstabencode oder im Einbuchstabencode (7 Kap. 3, Tafel III) dargestellt. Dabei beginnt man konventionsgemäß mit der N-terminalen (aminoterminalen) Aminosäure und hört mit der C-terminalen (carboxyterminalen) Aminosäu-

re auf. Das folgende Peptid kann man daher entweder in der Form von +

H3N-Ala-Gly‒Ser-Met‒Asp‒Phe-COO– oder +

H3N-A-G‒S–M‒D‒F-COO– schreiben. Zusammenfassung Entsprechend ihrer vielfältigen Funktionen stellen die Proteine in den meisten Zellen und Geweben mengenmäßig mit ca. 20 % des Feuchtgewichts die Hauptgruppe biologischer Makromoleküle dar. Die zur Erfüllung dieser Funktionen notwendige strukturelle Vielfalt wird durch unterschiedliche Kombinationen der 22 proteinogenen Aminosäuren ermöglicht, wobei die Reihenfolge der Aminosäuren in der Aminosäuresequenz die spezifischen Eigenschaften eines Proteins bestimmt. Peptidbindungen verknüpfen die einzelnen Aminosäuren eines Proteins miteinander.

5.2

Konformation von Proteinen

Nicht die Kenntnis der Sequenz der Aminosäuren in einer Polypeptidkette, sondern erst die Kenntnis der räumlichen Struktur oder Konformation eines Proteins ermöglicht ein vollkommenes Verständnis seiner biologischen Funktion. Traditionell nimmt man eine Einteilung der Proteinstrukturen in vier verschiedenen Organisationsebenen mit steigender Komplexität vor: 4 Die Primärstruktur entspricht der Aminosäuresequenz. 4 Die Sekundärstruktur beschreibt die lokale räumliche Anordnung des Rückgrats von Polypeptidketten. 4 Als Tertiärstruktur bezeichnet man die räumliche (3D-) Struktur einer gefalteten Polypeptidkette. 4 Die Quartärstruktur gibt die Anordnung mehrerer Polypeptidketten in einem Proteinkomplex wieder. 5.2.1

Aminosäuresequenz (Primärstruktur) und Peptidbindung

Die Abfolge der Aminosäuren (Aminosäuresequenz) in einem Protein wird als Primärstruktur bezeichnet. Wenn die Polypeptidkette nicht posttranslational modifziert wird (7 Kap. 49.3), bestimmt die Primärstruktur vollständig alle Eigenschaften eines Proteins, insbesondere auch die räumliche Struktur, die unter gegebenen äußeren Bedingungen vom Protein eingenommen wird.

63 5.2 · Konformation von Proteinen

. Abb. 5.1 Bildung der Peptidbindung. Aus zwei Aminosäuren (hier Glycin und Alanin) ensteht durch Wasserabspaltung eine Peptidbindung. Die Bindung kann durch Wassereinbau (Hydrolyse) wieder gespalten werden. Die neu entstandene Peptidbindung und die Atome, aus denen sie gebildet wird, sind hellgrün unterlegt

. Abb. 5.3 Mesomerie der Peptidbindung. Oben: die beiden Grenzstrukturen; unten: der mesomere Zwischenzustand mit der trans-Stellung der Peptidbindung (braun). δ+, δ–:Partialladungen

Die Peptidbindung ist die für Proteine spezifische Verknüpfung der Aminosäurebausteine

barkeit um alle drei Bindungen einer Aminosäureeinheit. Tatsächlich ist die freie Drehbarkeit um die Peptidbindung selbst erheblich eingeschränkt, da die Peptidbindung den Charakter einer partiellen Doppelbindung hat, bei der die vier Atome der Peptidbindung in einer Ebene liegen (. Abb. 5.3). Die partielle Doppelbindung wird am besten durch zwei mesomere Grenzstrukturen beschrieben, bei denen die freien Elektronenpaare zwischen dem Stickstoff- und dem Sauerstoffatom oszillieren. Neben der Grenzstruktur, die der klassischen Einfachbindung entspricht, existiert eine zweite Grenzstruktur, bei der aufgrund der Elektronegativität des Sauerstoffes ein Elektronenpaar der C=O-Doppelbindung zum Sauerstoff wandert. Der Sauerstoff erhält dadurch eine negative Ladung, und das freie Elektronenpaar des Stickstoffs wird zwischen die C-N-Bindung verschoben, wobei das Stickstoffatom eine positive Ladung erhält. In dieser Grenzstruktur ist die Länge der C-N-Bindung gegenüber einer Einfachbindung von 0,147 auf 0,127 nm verkürzt. Wie immer bei Resonanzstrukturen liegt der tatsächlich beobachtete Zustand zwischen diesen beiden Extremen, die reale Länge der C-N-Bindung, die die Röntgenstrukturanalyse von Proteinen experimentell ergibt, liegt bei etwa 0,133 nm. Eine praktisch genutzte Folge der Resonanzstruktur der Peptidbindung ist ihre Absorption von ultraviolettem Licht mit einem Maximum von etwa 210 nm. Die Messung der Ultraviolettabsorption bei dieser Wellenlänge erlaubt die quantitative Konzentrationsbestimmung von Proteinen in Lösungen.

Die einzelnen Aminosäuren sind durch eine für Proteine spezifische Bindung, die Peptidbindung, verknüpft. Dabei handelt es sich um eine Säureamidbindung, die die α-Carboxylgruppe der vorangehenden Aminosäure mit der α-Aminogruppe der nachfolgenden Aminosäure (bei der Aminosäure Prolin der sekundären Aminogruppe) verknüpft. Die Ausbildung einer Peptidbindung geht mit der Abspaltung von H2O einher (Kondensationsreaktion, . Abb. 5.1). Durch Wiederholung dieses Vorgangs entsteht eine Peptidkette, die nur noch eine freie α-Aminogruppe am Anfang und eine freie α-Carboxylgruppe am Ende besitzt. Peptidketten sind aus einer wechselnden Folge (. Abb. 5.2) von N-Atomen (aus den Aminogruppen), Cα-Atomen, von denen die Seitenketten abgehen, und C-Atomen (aus den Carbonylgruppen) nach dem sich wiederholenden Muster –N–Cα–C–N–Cα–C–N–Cα–C– aufgebaut, bei der sich immer wieder das Muster der drei Atome –N– Cα–C– wiederholt (Polypeptidkette). Dieses Rückgrat der Peptidkette ist allen Proteinen gemeinsam. Die dreidimensionale Struktur und die spezifischen Eigenschaften eines Proteins werden durch die variable Abfolge seiner Aminosäureseitenketten bestimmt.

Die Peptidbindung ist planar und hat den Charakter einer partiellen Doppelbindung Das Rückgrat der Polypeptidketten wird auf den ersten Blick aus Einfachbindungen gebildet, daher erwartet man eine freie Dreh-

. Abb. 5.2 Beispiel für eine Aminosäuresequenz. Die Hauptkette ist orange dargestellt und Seitenketten sind gelb hinterlegt. Die einzelnen Peptidbindungen sind rot umrandet

5

64

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

5

. Abb. 5.4 Cis- und trans-Konfiguration der Peptidbindung. Linke Reihe: Peptidbindung zwischen zwei primären Aminosäuren (hier Ala-Ala), rechte Reihe: Peptidbindung mit der sekundären Aminosäure Prolin (hier Ala-Pro). Bindungslängen und -winkel. (Adaptiert nach Engh u. Huber (1991) und Ramachandran u. Sasisekharan 1968). (Mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons und Elsevier)

Eine cis-Konfiguration der Peptidbindung findet man gewöhnlich nur vor Prolylresten Grundsätzlich gibt es wie immer bei Doppelbindungen zwei Anordnungen der Atome um die C-N-Bindung, die sich durch eine Rotation um 180° unterscheiden, die cis- und die trans-Stellung. In der trans-Stellung liegen die beiden Cα-Atome auf verschiedenen Seiten in der Bindungsebene, bei der cis-Stellung auf der gleichen Seite (. Abb. 5.4). Aus sterischen Gründen ist die transStellung energetisch begünstigt und wird normalerweise in Proteinen vorgefunden. Eine Ausnahme bildet die Peptidbindung mit der sekundären Aminogruppe von Prolylresten, bei welcher der Amidwasserstoff durch das Cδ der Seitengruppe ersetzt ist (. Abb. 5.4). In ungefalteten Proteinen kommt hier die transKonfiguration etwa 5-mal häufiger vor als die cis-Konfiguration, in gefalteten Proteinen ist die cis-Konfiguration noch etwas seltener. In Lösung stehen beide Konfigurationen in einem dynamischen Gleichgewicht und gehen ununterbrochen ineinander über. Trotz der eingeschränkten Rotation um die Peptidbindung führt die freie Drehbarkeit um die beiden anderen Einfachbindungen (Cα–C und N–Cα) dazu, dass die meisten kleinen Peptide in der Lösung eine Vielzahl verschiedener Konformationen einnehmen, die miteinander in einem schnellen Gleichgewicht stehen. Ihre »Struktur« wird als statistisches Knäuel (»randomcoil«) beschrieben, bei dem alle thermodynamisch möglichen Konformationen vorkommen. Erst spezifische Interaktionen zwischen Aminosäureresten der Kette stabilisieren das Peptid in

einer einheitlichen Konformation wie sie typisch für wohlgefaltete Proteine ist.

Peptidbindungen werden unter Energieaufwand geknüpft Die Spaltung der Peptidbindung erfolgt durch den Einbau eines Wassermoleküls, der Hydrolyse. Im wässrigen Milieu biologischer Systeme ist in der Reaktion von . Abb. 5.1 die Hydrolyse bevorzugt; die Ausbildung einer Peptidbindung ist deswegen eine energieverbrauchende Reaktion, ihre Spaltung durch spezifische Enzyme, die Proteasen, hingegen nicht. 5.2.2

Lokale Struktur der Polypeptidhauptkette (Sekundärstruktur)

Die lokale räumliche Struktur der Polypeptidhauptkette wird durch die Größe der Torsionswinkel (dihedralen Winkel, Diederwinkel) φ, ψ und ω bestimmt (. Abb. 5.5) und wird auch als Sekundärstruktur bezeichnet. Der Winkel ω ist 180°, wenn sich die Peptidbindung in einer perfekten trans-Konfiguration befindet. Er ist 0° in der cis-Konfiguration der Peptidbindung. Für den φ- und den ψ-Winkel entsprechen 180° einer maximalen Streckung der Hauptkette.

65 5.2 · Konformation von Proteinen

. Tab. 5.1 Kanonische Sekundärstrukturen

. Abb. 5.5 Definition der dihedralen Winkel in Polypeptiden. Die dihedralen (Torsions-)Winkel der Hauptkette sind φ (phi), ψ (psi) und ω (omega), die der Seitenketten werden mit dem griechischen Buchstaben χ (chi) bezeichnet. Beginnend mit ci, dem durch die Cα-Cβ-Bindung (im Bild Cα-Ri) definierten Winkel, werden die Seitenkettenwinkel fortlaufend (ci+1 etc.) durchnummeriert. Die Kette ist in ihrer maximalen Streckung (φ, ψ, ω = 180°) dargestellt. Die jeweils vier mit einem Grünraster hinterlegten Atome liegen wegen der Mesomerie der Peptidbindung (rote Umrandung) in einer Ebene. Der Abstand der nicht in dieser Ebene liegenden Cα-Atome beträgt 0,36 nm

Sekundärstruktureinheit

φa

ψa

Wasserstoffbrückenmusterb

α-Helix (rechtsgängig)

–57

–47

COi–NHi+4

310-Helix

–76 (–49)

–5 (–26)

COi–NHi+3

α-Helix (linksgängig)

+57

+47

COi–NHi+4

π-Helix

–57

–70

COi–NHi+5

Kollagentripelhelix

–51 –76 –45

+153 +127 +148

COi–NHj–1 und NHi–1–COk

β-Faltblatt (parallel)

–119

+113

COi–1–NHj und NHi+1–COj oder COj–1–NHi und NHj+1-COi

β-Faltblatt (antiparallel)

–139

+135

COi–NHj und NHi–COj oder COi–1–NHj+1 und NHi+1– COj–1

a

Wasserstoffbrückenbindungen spielen eine zentrale Rolle für die Ausbildung von Sekundärstrukturen Bei der Strukturanalyse von Proteinen trifft man häufig auf Bereiche, die durch periodische Muster von Torsionswinkeln charakterisiert sind. Sie entstehen durch die Bildung von Wasserstoffbrücken zwischen dem Wasserstoff einer Amidgruppe (Donatoren) und dem Sauerstoffatom einer Carbonylgruppe (Akzeptoren) verschiedener Aminosäurereste der Hauptkette, wodurch die Proteine eine höhere Stabilität erhalten (. Tab. 5.1). Diese Strukturbereiche werden als die Sekundärstrukturelemente eines Proteins bezeichnet. Die wichtigsten Sekundärstrukturelemente, die in Proteinen vorkommen, sind die α-Helix und das β-Faltblatt. Eine Zusammenstellung der kanonischen Sekundärstrukturen von Proteinen, die durch typische Wasserstoffbrückenmuster charakterisiert sind, zeigt . Tab. 5.1.

α-Helix Röntgenstreuungsexperimente an Haaren in den 30er Jahren hatten gezeigt, dass die darin enthaltenen fibrillären Proteine, die α-Keratine, aus Einheiten aufgebaut sind, die sich im Abstand von 0,5–0,55 nm entlang ihrer Längsachse wiederholen. Mit dem ursprünglichen einfachen Modell, bei dem das Haar aus parallelen, ausgestreckten Polypeptidketten aufgebaut war, war ein wiederkehrender Atomabstand von 0,5–0,55 nm nicht zu erklären. Linus Pauling und Robert Corey schlugen 1951 ein Modell vor, das im Einklang mit den experimentellen Daten war: In diesem Strukturmodell ist die Polypeptidkette von α-Keratin in Form einer rechtsgängigen Schraube (Helix) angeordnet, bei der die Atome des Peptidrückgrats im Inneren der Helix lagern und die Seitenketten nach außen zeigen. In dieser helicalen Anordnung der Atome der Peptidhauptkette, die als Strukturelement des α-Keratins als α-Helix bezeichnet wurde, kommen 3,6 Aminosäuren auf eine 360°-Windung der Helix. Die Ganghöhe der Helix, d. h. der Abstand zwischen

b

Die angegebenen Winkel sind die energetisch günstigsten Werte, in realen Strukturen finden sich deutliche Abweichungen von diesen Idealwerten durch intramolekulare Wechselwirkungen mit dem Rest des Proteins. Insbesondere bei der 310-Helix weichen die idealen Werte weit von den gewöhnlich experimentell gefundenen Werten (in Klammern) ab. COi–NHi+4 bezeichnet eine Wasserstoffbrücke zwischen der Carbonylgruppe der Aminosäure in der Position i und der Amidgruppe der Aminosäure in Position i+4. Die Suffixe i, j, k bezeichnen die Position der Aminosäure in verschiedenen Strängen der Peptidkette.

zwei Windungen beträgt 0,54 nm, entspricht also genau der Entfernung, die mit Röntgenbeugungsuntersuchungen bestimmt wurde. Aus diesen beiden Werten kann man dann den Abstand der Cα-Atome von zwei benachbarten Aminosäuren in Richtung der Helixachse bestimmen, er beträgt 0,54 nm/3,6, also 0,15 nm. Die auffälligste Eigenschaft der α-Helix ist eine Ausrichtung der Carbonyl- und der Amidgruppen parallel zur Helixachse, die erlaubt, stabile Wasserstoffbrücken zwischen jeder vierten Aminosäure zu bilden (. Abb. 5.6). Die Stabilität von Sekundärstrukturen wird auch von den Seitenketten der Aminosäuren beeinflusst. So wird die Bildung einer α-Helix besonders durch die Aminosäure Prolin gestört, dessen Stickstoffatom in die Seitenkette eingebunden ist. Daher steht kein Wasserstoffatom zur Ausbildung einer Wasserstoffbrücke zur Verfügung (. Abb. 5.4). Zusätzlich schränkt die Ringbildung die freie Drehbarkeit um die N-Cα-Bindung ein, der φ-Winkel kann nicht den für die α-Helix idealen Wert von –57° (. Tab. 5.1) annehmen. Da jedoch erst ab der 4. Aminosäure eine Amidgruppe für eine Wasserstoffbrücke in der α-Helix zur Verfügung stehen muss, findet man Prolin noch relativ häufig am Beginn von α-Helices. Auch die kleine Aminosäure Glycin destabilisiert α-Helices. Demgegenüber findet man Alanin und Aminosäuren wie Methionin und Glutaminsäure gehäuft in α-Helices.

5

66

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

lich. Die rechtsgängige 310-Helix (3 Aminosäuren pro Windung, die einen 10-gliedrigen Ring bilden) findet man häufiger an den Enden von α-Helices und macht etwa 10 % aller Helices aus, die man in globulären Proteinen findet. Sie ist durch Wasserstoffbrücken zwischen jeder dritten Aminosäure charakterisiert und ist damit dünner und steiler als die α-Helix. Sehr selten ist die rechtsgängige π-Helix mit Wasserstoffbrücken zwischen jeder fünften Aminosäure und 4.4 Aminosäuren pro Windung. Sie ist dicker und flacher als die α-Helix. Die linksgängige α-Helix ist für L-Aminosäuren energetisch ungünstig, da sich die Seitenketten sterisch behindern. Die rechtsgängige α-Helix wurde zwar im α-Keratin entdeckt, ist aber nicht auf dieses Protein beschränkt, sondern in den meisten Proteinen zu finden. Ihr α-helicaler Anteil ist sehr variabel. Es gibt Proteine, die keine α-Helices haben, oder Proteine wie das Myoglobin mit einem α-Helixgehalt von etwa 70 % (7 Kap. 5.3). Die α-Keratine selbst sind faserförmige (fibrilläre) Proteine und Hauptbestandteile der Haut (Keratinocyten), Haare und Nägel. Zwei Keratinhelices sind umeinander gewunden und bilden eine sog. coiled-coil-Struktur. Aus diesen Basiseinheiten wird dann letztlich ein Intermediärfilament mit 10 nm Durchmesser aufgebaut. Diese hierarchische Architektur ist in 7 Kap. 13.3 detaillierter beschrieben.

5

β-Faltblatt

. Abb. 5.6 Räumlicher Aufbau einer rechtsgängigen α-Helix. Benachbarte Aminosäuren sind durch schwarze und gelbe Atombindungen gekennzeichnet, die Peptidbindungen sind rot dargestellt. Der N-Terminus der Polypeptidkette befindet sich in der Zeichnung oben, der C-Terminus unten. (Adaptiert nach Pauling 1968)

Das wichtigste helicale Sekundärstrukturelement in Proteinen ist die rechtsgängige α-Helix Für die klassische α-Helix (. Tab. 5.1) werden die Wasserstoffbrücken zwischen der Amidgruppe einer Peptidbindung und der Carbonylgruppe der vierten darauf folgenden Aminosäure gebildet. Obwohl die rechtsgängige α-Helix bei weitem die häufigste helicale Struktur in Proteinen ist, sind auch andere Wasserstoffbrückenmuster und damit auch andere Helixformen mög-

Wie die α-Helix wurde auch das β-Faltblatt (β-pleated sheet) als die zweite fundamentale Sekundärstruktureinheit durch die Röntgenstrukturanalyse eines faserförmigen Proteins, der Seide, entdeckt. Die Seide gehört zur Familie der β-Keratine, daher leitet sich dann auch der Name dieser Struktur ab. Im Gegensatz zu den α-Keratinen lassen sich β-Keratine kaum in der Längsachse dehnen. Dies beruht darauf, dass die einzelnen Stränge einer Faltblattanordnung schon fast maximal gestreckt sind, die φ- und ψ-Winkel nehmen sehr große Werte an und ähneln damit der maximal ausgestreckten Polypeptidkette (extended strand) (. Tab. 5.1). Die N-H- und C=O-Gruppen einer Aminosäureeinheit zeigen in die entgegengesetzte Richtung und liegen fast auf einer Ebene (. Abb. 5.7, graue Flächen). Diese Anordnung erlaubt die Bildung von stabilen Wasserstoffbrücken zwischen zwei benachbarten β-Strängen, führt aber auch zu einer regelmäßigen Knickung der Peptidkette. Die Atome der Hauptkette der verschiedenen Stränge bilden eine Struktur, die mit einem gefalteten Blatt Papier (Faltblatt!) Ähnlichkeiten hat (. Abb. 5.7). Aminosäuren, die häufig in β-Faltblättern gefunden werden, sind Isoleucin, Valin und Tyrosin. Im idealen β-Faltblatt würde der φ- und ψ-Winkel jeweils 135° und –135° annehmen, da dann die Amid- und Carbonylgruppen genau auf einer Ebene liegen würden. Bei realen Faltblättern wie sie in Proteinen gefunden werden, weichen die Winkel leicht von den idealen Werten ab. Hierdurch kann die sterische Behinderung der Seitenketten an den Cα-Atomen verringert werden. Dies führt dazu, dass die Faltblätter nicht komplett eben sind, sondern die β-Stränge ein rechtsgängige Verdrillung aufweisen (s. z. B. . Abb. 5.13).

67 5.2 · Konformation von Proteinen

A

B

. Abb. 5.7 Paralleles (A) und antiparalleles β-Faltblatt (B). Beim parallelen Faltblatt bildet eine Aminosäure (j) Wasserstoffbrücken mit zwei Aminosäuren (i–1; i+1) des Nachbarstranges, beim antiparallelen Faltblatt nur mit einer benachbarten Aminosäure (i)

Es gibt parallele oder antiparallele β-Faltblätter Die Lage der Wasserstoffbrückendonatoren (Amidgruppen) und Wasserstoffbrückenakzeptoren (Carbonylgruppen) in einer Ebene erlaubt zwei grundsätzlich unterschiedliche Anordnungen der einzelnen Stränge im β-Faltblatt. Die benachbarten Peptidketten können in dieselbe oder in die entgegengesetzte Richtung bezüglich ihres N- und C-Terminus verlaufen. Sie sind dann parallel oder antiparallel angeordnet. Wenn alle β-Stränge parallel angeordnet sind, spricht man von einem parallelen β-Faltblatt, im anderen Fall von einem antiparallelen β-Faltblatt (. Abb. 5.7). Die meisten β-Faltblätter bestehen aus mehr als zwei Strängen, die sowohl parallel als auch antiparallel angeordnet sein können. In diesem Fall spricht man von einem gemischten β-Faltblatt.

Die kanonischen Sekundärstrukturelemente werden durch Schleifen verbunden Um eine kompakte räumliche Faltung zu erreichen, müssen die relativ starren kanonischen Sekundärstruktureinheiten mit nicht-periodischen Schleifenregionen (coils, loops) verbunden werden. Der Anteil von Sekundärstrukturelementen variiert von Protein zu Protein. Typische globuläre Proteine sind gewöhnlich aus einem hohen Anteil kanonischer Sekundärstrukturen aufgebaut, die durch enge Schleifen miteinander verbunden werden. Diese Schleifenregionen haben in der Regel ebenfalls eine wohldefinierte räumliche Struktur. Die Stränge in einem antiparallelen β-Faltblatt sind oft mit kurzen Schleifen verbunden, die sinngemäß β-Kehren (β-turns) genannt werden. Sie bestehen meist aus nur 4 Aminosäuren. Wie die kanonischen Sekundärstrukturelemente besitzen auch sie charakteristische Torsionswinkel und Wasserstoffbrückenmuster (. Abb. 5.8). Parallele β-Stränge können natürlich nicht durch diese kurzen Schleifen verbunden werden, da ihre Enden räumlich weit auseinander liegen. Sie werden

5

68

A

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

B

5

. Abb. 5.8 β-Kehren Typ I (A) und Typ II (B). Die Abbildung stellt die aus je 4 Aminosäuren gebildeten β-Kehren dar. Typ I und Typ II unterscheiden sich lediglich in den φ- und ψ-Winkeln zwischen den Aminosäuren 2 und 3. An den Aminosäuren 1 und 4 enden bzw. beginnen Faltblattstrukturen. Die CαAtome der 4 Aminosäuren sind durchnummeriert

daher oft mit längeren Schleifenregionen verbunden, die zusätzlich α-helicale Bereiche enthalten. Schleifenregionen haben oft eine höhere Beweglichkeit als der Rest der Struktur und sind oft Teil von Regionen, die funktionell ihre Struktur bei der Bindung von Liganden anpassen müssen. Da wohlgeordnete, kompakt gefaltete Proteine besonders gut kristallisieren, glaubte man lange Zeit, dass alle Proteine in ihrem nativen Zustand solche kompakten Strukturen annehmen. Inzwischen weiß man, dass ein erheblicher Anteil von Proteinen ungeordnete Bereiche mit hoher Flexibilität enthält oder sogar gänzlich ungefaltet ist (intrinsically unfolded proteins). Eine Analyse des menschlichen Genoms sagt voraus, dass etwa 30 % der dort codierten Proteine zur Gruppe der intrinsisch ungefalteten Proteine gehören. Wenn die Werte, die die Torsionswinkel von aufeinanderfolgenden Aminosäuren annehmen, gänzlich unkorreliert sind und von Molekül zu Molekül variieren, spricht man von einem Zufallsknäuel (random coil). In Lösung gehen die verschiedenen Konformationen der Polypeptidkette rasch ineinander über. Das Zufallsknäuel ist der typische Zustand völlig denaturierter Proteine in Lösung.

Die Kollagenhelix wird nur durch intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert Kollagenhelix Das wichtigste extrazelluläre Protein des Bindegewebes ist das Kollagen (7 Kap. 71.1). Es ist durch eine besondere

Aminosäurezusammensetzung und einer daraus folgenden spezifischen Struktur, die Kollagenhelix, gekennzeichnet. Es besteht zur Hälfte aus Glycyl- und Prolylresten. Wie die schon besprochenen α- und β-Keratine bildet es stabile Fasern. Aufgrund ihrer besonderen Aminosäuresequenz hat die Kollagenhelix ganz spezifische Struktureigenschaften: sie bildet eine langgestreckte Helix, die anders als die α-Helix nicht durch interne Wasserstoffbrücken stabilisiert ist. Der Abstand zwischen zwei Aminosäuren auf

der Längsachse ist nicht mehr 0,15 nm wie bei der α-Helix, sondern 0,286 nm. Im Gegensatz zur klassischen α-Helix ist sie linksgängig, die Carbonyl- und Amidgruppen stehen nicht parallel zur Helixachse, sondern stehen beinahe senkrecht zu ihr, sodass keine Wasserstoffbrücken innerhalb der Kollagenhelix gebildet werden können. Allerdings können Wasserstoffbrücken gebildet werden, wenn sich drei Kollagenhelices zusammenlagern und zusammen eine rechtsgängige Helix bilden (. Abb. 5.9). Jede dritte Aminosäure im Kollagen liegt im Zentrum der Tripelhelix. Aus sterischen Gründen muss es ein Glycin sein, da sonst die Seitengruppen die Zusammenlagerung der Einzelstränge behindern würden. Die generalisierte Sequenz des Kollagens ist daher (Gly-X-Y)n. Die drei Einzelstränge, die sich zusammenlagern, müssen aber nicht genau dieselbe Sequenz haben. Sie sind so aneinander gelagert, dass das Glycin eines Strangs eine Wasserstoffbrücke mit der Aminosäure X des benachbarten Strangs ausbilden kann. Stabilisiert wird die Tripelhelix außerdem durch hydrophobe Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der anderen Aminosäuren. Kollagen hat eine besonders große Zugfestigkeit, da eine Kraft in Richtung der Längsachse nur zu einer leicht kompensierbaren Querkraft führt, die die Einzelstränge der Tripelhelix zusammenpresst.

Im Ramachandran-Diagramm wird die lokale Struktur der Polypeptidkette dargestellt Da zwischen den Atomen aufeinanderfolgender Aminosäuren sterische Behinderungen auftreten können, sind nicht alle Kombinationen von φ- und ψ-Winkeln in Proteinen möglich. Stellt man alle Kombinationen der dihedralen Winkel der Hauptkette in einem zweidimensionalen Diagramm dar, so gibt es Regionen, die energetisch günstig (erlaubt) sind, und Regionen, die energetisch ungünstig (verboten) sind (. Abb. 5.10). Die kanonischen Sekundärstrukturen sind in den erlaubten Bereichen des Ramachandran-Diagramms zu finden. Wenn in einem Protein Torsionswinkel in den verbotenen Bereichen des RamachandranDiagramms zu finden sind, deutet dies entweder auf eine wichtige strukturelle Besonderheit hin oder ist oft nur ein Zeichen für eine fehlerhafte 3D-Strukturbestimmung. 5.2.3

Dreidimensionaler Aufbau (Tertiärstruktur)

Die Tertiärstruktur beschreibt die dreidimensionale Struktur eines Proteins Die Tertiärstruktur eines Proteins entspricht der räumlichen Anordnung seiner Sekundärstrukturelemente. Für die anschauliche Darstellung der Raumstruktur eines Proteins werden α-Helices durch Zylinder oder Spiralen und β-Faltblätter durch Pfeile wiedergegeben, wobei der Pfeil die Richtung des Stranges vom N- zum C-Terminus angibt. Die übrigen Teile des Proteins zwischen den Sekundärstrukturelementen werden gewöhnlich durch Kurven (schmale Bänder oder dünne Zylinder) beschrieben, die durch die Positionen der Cα-Atome definiert werden (. Abb. 5.11). Supersekundärstrukturen Sind Sekundärstrukturelemente in

charakteristischen Abfolgen angeordnet, spricht man von Supersekundärstrukturen oder Motiven. Hierzu gehören z. B. Helix-

69 5.2 · Konformation von Proteinen

A

B

C

. Abb. 5.9 Modell der Kollagentripelhelix. A Drei linksgängige Helices winden sich rechtsgängig umeinander. N: N-Terminus, C: C-Terminus. B Ansicht der Helix von der C-terminalen Seite aus. C Ausschnitt aus der Kollagenhelix im grau markierten Bereich von A in der Höhe von Gly25. PDB ID: 2WUH

Schleife-Helix-Motive (helix-turn-helix motif), bei denen zwei α-Helices über eine Schleife miteinander verbunden sind. Dieses Motiv ist typisch für calciumbindende Proteine wie Tropomyosin oder Calmodulin (. Abb. 5.12), während es bei DNA-bindenden Proteinen der direkten Interaktion mit der DNA dient.

Die Bildung von Tertiärstrukturen geht auf physikalische Wechselwirkungen zurück Die räumliche Faltung eines Proteins ist das Ergebnis aller physikalischen Wechselwirkungen im Protein selbst und zwischen dem Protein und dem Lösungsmittel. Im Einzelnen sind es die elektrostatischen Wechselwirkungen, die van-der-Waals Wechselwirkungen, die intramolekularen Wasserstoffbrückenbindungen und die hydrophoben Wechselwirkungen, die zwischen allen Atomen des Systems Lösungsmittel – Protein bestehen. Unterstützt wird die Stabilisierung der Struktur oft durch zusätzliche covalente Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aminosäuren in der Sequenz.

Elektrostatische (ionische) Wechselwirkung Ionenbindungen

zwischen den geladenen Gruppen der Aminosäuren sind die stärksten nicht-covalenten Wechselwirkungen in Proteinen. Da die elektrostatische Energie zwischen zwei geladenen Gruppen umgekehrt proportional zum Abstand r der Ladungen ist (und nicht zu r3 wie z. B. beim Dipol von H-Brücken), fällt sie nur langsam mit dem Abstand ab und hat prinzipiell eine relativ große Reichweite. In der Lösung sind allerdings die geladenen Gruppen stark solvatisiert und durch Gegenionen im Lösungsmittel partiell abgeschirmt. Daher ist der wirkliche Anteil der Ionenbindungen an der gesamten Stabilisierungsenergie in der Lösung relativ klein. Ausnahmen sind die seltenen Ionenpaare im Inneren von Proteinen oder definierte Ionencluster an der Oberfläche von Proteinen. Diese findet man relativ häufig bei Proteinen thermophiler Mikroorganismen, deren Struktur auch bei hohen Temperaturen stabil gehalten werden muss.

5

70

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

5 . Abb. 5.12 Das Helix-Schleife-Helix-Motiv, eine einfache Supersekundärstruktur

. Abb. 5.10 Ramachandran-Diagramm der dihedralen Winkel φ- und ψ der Peptidhauptkette. Die typischen Winkelkombinationen für verschiedene Sekundärstrukturelemente sind eingezeichnet, die idealen Werte sind in . Tab. 5.1 gegeben: α: rechtsgängige α-Helix, αL: linksgängige α-Helix, 310: rechtsgängige 310-Helix, : paralleles β-Faltblatt, : antiparalleles β-Faltblatt, π: π-Helix, C: Kollagenhelix, II: Polyglycinhelix II. (Rosa) verbotene Bereiche, (dunkelgrün) uneingeschränkt erlaubte Bereiche, (hellgrün) erlaubte Bereiche, (gelb) beschränkt erlaubte Bereiche

Van-der-Waals-Wechselwirkung Die van-der-Waals-Wechselwirkung hat einen abstoßenden und einen anziehenden Anteil. Der abstoßende Anteil verhindert, dass sich zwei Atome im Protein zu nahe kommen und sich durchdringen. Für die Stabilität von Proteinen ist die anziehende Komponente der van-derWaals-Wechselwirkung besonders wichtig. Sie beruht auf einer räumlichen Ungleichverteilung der Elektronen in den Molekülorbitalen. Die daraus resultierende partielle Ladungstrennung erzeugt elektrische Dipole und führt zu einer wechselseitigen Anziehung zwischen den Dipolen und damit auch den zugehörigen Atomen. Die Carbonyl- und die Amidgruppen der Peptidbindung spielen dabei eine besondere Rolle, da sie ein relativ großes permanentes statisches Dipolmoment haben. Diesem permanenten Dipolmoment entsprechen die mesomeren Grenz-

. Abb. 5.11 Verteilung von α-Helices und β-Faltblättern im menschlichen Ras-Protein. Links Sekundärstrukturdarstellung, rechts Atomares Modell. Das Ras-Protein ist C-terminal gekürzt (ab Aminosäure 167), um die Kristallisation zu ermöglichen. Im aktiven Zentrum ist ein Mg2+-Ion und das GTP-Analog GppNHp gebunden, das nicht hydrolysiert werden kann. Bei der Bindung von vielen Ras-Bindedomänen bildet sich am markierten Wechselwirkungsort ein intermolekulares β-Faltblatt. Im atomaren Modell des Proteins sind Wasserstoffatome weiß, Kohlenstoffatome schwarz, Sauerstoffatome rot, Stickstoffatome blau und Schwefelatome gelb dargestellt. Das Nucleotid ist grün, das Metallion orange dargestellt. PDB ID: 5P21, 1RFA

Proteine Calciumbindungsmotiv

71 5.2 · Konformation von Proteinen

strukturen, die wir schon als die Ursache für die Planarität der Peptidbindung kennengelernt haben. Zu den statischen Dipolmomenten kommen noch die schwachen London-Dispersionskräfte, die durch eine rasch fluktuierende Verschiebung der Elektronenverteilung in nicht-polaren Gruppen hervorgerufen wird. Es entstehen dabei sich schnell ändernde Dipolmomente, die im Zeitmittel zu einer wechselseitigen Anziehung zwischen den beteiligten Atomen führen. Intramolekulare Wasserstoffbrückenbindung Die generellen Ei-

genschaften einer Wasserstoffbrücke können durch eine einfache elektrostatische Anziehungskraft zwischen dem Dipol der negativ polarisierten Akzeptorgruppe und der positiv polarisierten Donatorgruppe erklären. Typischerweise sind die Donatoren Gruppen des Moleküls, in denen ein Wasserstoffatom durch seine covalente Bindung an ein elektronegatives Atom wie Stickstoff oder Sauerstoff positiv polarisiert wird. Der Bindungspartner, der Akzeptor der Wasserstoffbrücke ist dann ein weiteres elektronegatives Atom. Eine quantenchemische Analyse zeigt aber, dass es zusätzlich eine direkte Überlappung der Molekülorbitale zwischen Donator und Akzeptor in der Wasserstoffbrückenbindung gibt. Dies erklärt auch, warum der Abstand zwischen dem Wasserstoffatom und dem Akzeptor mehr als 0,05 nm kleiner ist als von der Summe der van-der-Waals-Radien zu erwarten wäre. In Wasser selbst beträgt der intermolekulare H-O-Abstand in der Wasserstoffbrücke nur etwa 0,18 nm anstatt der 0,26 nm, die sich aus der Summe der van-der-Waals-Radien ergeben würden. Die Theorie erfordert auch eine bevorzugte Ausrichtung der Wasserstoffbrücken relativ zu dem freien Elektronenpaar des Akzeptors. Dies ist auch experimentell in hoch aufgelösten Röntgenstrukturen bestätigt, bei denen der N-H-Verbindungsvektor der Peptidgruppen bevorzugt zum freien Elektronenpaar des Carbonylsauerstoffs zeigt. Die intramolekularen Wasserstoffbrücken haben typischerweise Bindungsenergien von –12 bis –30 kJ/mol. Der energetische Beitrag einer solchen Wasserstoffbrücke zur Erhaltung der Tertiärstruktur erscheint relativ gering, da er sich nur wenig von demjenigen einer Wasserstoffbrücke zum Wasser der Umgebung unterscheidet. Umgekehrt beträgt die gesamte Stabilisierungsenergie eines Proteins nur etwa –30 bis –60 kJ/mol.

Hydrophobe Wechselwirkung Die hydrophobe Wechselwirkung

liefert den Hauptbeitrag zur Bildung der kompakten Tertiärstruktur von Proteinen. Sie bewirkt eine Orientierung hydrophober Seitenketten weg vom polaren Lösungsmittel ins Innere eines Proteins. Während dieses Prozesses wird das Wasser aus dem Kern des Proteins eliminiert. Die Ursachen der hydrophoben Wechselwirkung sind immer noch umstritten. Im strengen Sinn existiert sie sogar gar nicht, da es nach neueren experimentellen Daten keine hydrophoben, sondern nur weniger hydrophile Seitenketten gibt. Gewöhnlich wird die hydrophobe Wechselwirkung als entropischer Effekt interpretiert, da die hydratisierten hydrophoben Seitenketten eine höhere Ordnung (geringere Entropie) des Wassers in ihrer Umgebung erzwingen. Wenn sie ins Proteininnere verlagert werden, steigt die Entropie in der Wasserhülle. Damit verringert sich die freie Enthalpie (Gibb’s free energy) des gesamten Systems von Protein und umgebendem

Lösungsmittel. Da thermodynamisch ein System immer Zustände mit niedrigerer freier Enthalpie bevorzugt, wird der gefaltete Zustand des Proteins stabilisiert. Disulfidbindungen Eine weitere Stabilisierung der Tertiärstruk-

tur eines Proteins kann durch eine covalente Verknüpfung räumlich benachbarter Aminosäureseitenketten erfolgen. Allerdings wird normalerweise zunächst die dreidimensionale Struktur unter dem Einfluss der schon diskutierten physikalischen Wechselwirkungen eingenommen, die dann erst später durch die covalenten Bindungen stabilisiert wird. Die häufigste covalente Verknüpfung in Proteinen ist die Disulfidbindung, die durch die Verknüpfung der Thiolgruppen zweier Cysteinreste gebildet wird. Da innerhalb der Zelle ein reduzierendes Milieu besteht, können intrazelluläre cytosolische Proteine nur in Ausnahmen stabile Disulfidbindungen ausbilden. Im Gegensatz dazu bilden sich in der nicht-reduzierenden Umgebung des endoplasmatischen Retikulums bzw. des mitochondrialen Intermembranraumes oder im Extrazellulärraum stabile Disulfidbindungen. Hier können sie beträchtlich zur Gesamtstabilität des Proteins beitragen. Da die Lösungsmittelmoleküle eine Vielzahl von Interaktionen mit den an der Oberfläche gelegenen Aminosäureresten eingehen können, bestimmt deren Interaktion die Stabilität und Struktur wesentlich mit. Die genaue Zusammensetzung des Lösungsmittels (in biologischen Systemen normalerweise Wasser) bestimmt daher auch die energetisch günstigste Struktur des Proteins, die man unter den gegebenen äußeren Bedingungen vorfindet. Wenn der Druck (isobar) und die Temperatur (isotherm) konstant sind, bestimmt die freie Enthalpie G des aus Lösungsmittel und Protein bestehenden Gesamtsystems die Struktur des Proteins. Daher führt beispielsweise der Zusatz von Ethanol zu einer wässrigen Proteinlösung meist zu einer grundlegenden Konformationsänderung des Proteins. Die hydrophoben Alkoholmoleküle sind jetzt potentielle Partner der normalerweise im Proteininneren liegenden hydrophoben Seitenketten. Die hydrophoben Seitenketten des Polypeptids werden dadurch nach außen orientiert, das Protein verliert seine native Struktur. Diesen Verlust der geordneten Struktur eines Proteins nennt man allgemein Denaturierung (7 Kap. 5.4.1).

Gemeinsamkeiten von strukturell verwandten Proteinen können durch ihre Faltungstopologie erkannt werden Unter der Faltungstopologie eines Proteins (protein-fold) versteht man die Reihenfolge der kanonischen Sekundärstrukturelemente in der Primärstruktur und deren räumliche Beziehung. Begrifflich steht die Faltungstopologie zwischen den Ebenen der Sekundär- und Tertiärstruktur. Sie wird zur Klassifikation von Proteinen nach gemeinsamen Strukturmerkmalen genutzt. Bei der Faltungstopologie werden gewöhnlich nur Helices und Faltblattstränge als Sekundärstrukturelemente unterschiedlicher Länge berücksichtigt, die durch variable Schleifen verbunden sind. Für die Definition der Topologie ist weder die spezifische Aminosäuresequenz noch die Länge der einzelnen Sekundärstrukturelemente und deren genaue Lage im Raum von Belang. Ein Beispiel ist die ββαββαβ-Faltungstopologie des Ubiquitins (7 Kap. 49.3.2) (ubiquitin-fold), das aus einem gemischten

5

72

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

5

. Abb. 5.13. Faltungstopologie des Ubiquitins. Vom N-Terminus her zeigt Ubiquitin die Faltungstopolgie ββαββαβ. (Einzelheiten siehe Text). PDB ID: 1UBQ

5-strängigen β-Faltblatt und zwei α-Helices besteht, die auf dem Faltblatt liegen (. Abb. 5.13). Die beiden ersten und die drei letzten Stränge bilden jeweils ein antiparalleles Faltblatt, die über Strang 1 und Strang 5 parallel aneinander gelagert sind. Dieselbe Faltungstopologie findet sich aber auch in den Ras-Bindungsdomänen verschiedener Ras-Effektoren, die bei der Bindung an das aktivierte Ras-Protein ein intermolekulares β-Faltblatt zwischen jeweils einem β-Strang des Effektors und einem des Ras-Proteins bilden (. Abb. 5.13). Einteilung der Proteine nach ihrer Faltungstopologie Eine erste

Klassifizierung der Proteine nach ihrer Faltungstopologie lässt sich durch eine Einteilung nach den Sekundärstrukturelementen erreichen, aus denen sie aufgebaut sind. Hier kann man drei Hauptklassen definieren (. Abb. 5.14): 4 α-Proteine bestehen überwiegend aus α-Helices. 4 β-Proteine sind im Wesentlichen aus antiparallelen β-Faltblättern aufgebaut. 4 α-β-Proteine bestehen aus parallelen oder gemischt parallel-antiparallelen Faltblättern, die durch α-Helices verbunden sind.

. Abb. 5.14 Hierarchie der Proteinstrukturen. In den 3 Hauptklassen der Proteine können jeweils verschiedene Architekturen unterschieden werden, die sich aus unterschiedlichen Faltungsgruppen zusammensetzen. Diese werden dann wieder in Superfamilien und Familien untergliedert. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach CA Orengo und JM Thornton 2005)

In jeder dieser Klassen lassen sich wieder bestimmte Architekturmotive identifizieren (. Abb. 5.14). Insgesamt wurden bisher mehr als 30 verschiedene Architekturen gefunden. Proteine mit ähnlichen Architekturen können dann weiter nach ihrer spezifischen Faltung in Faltungsgruppen (folds) eingeteilt werden, die dann zu Superfamilien und Familien zusammengefasst werden. Die Klassifizierung von Proteinen nach ihrer Faltungstopologie ermöglicht das Auffinden neuer struktureller Beziehungen zwischen verschiedenen Proteinen. Im letzten Jahrzehnt war die Entdeckung neuer Faltungstopologien ein Hauptziel vieler großer Forschungsprogramme in der strukturellen Proteomik, die sich auf die systematische Aufklärung der dreidimensionalen Strukturen von Proteinen und deren Interpretation konzentriert. Eine der Erwartungen an die strukturelle Proteomik ist, mit der Erstellung einer weitgehend kompletten Datenbasis auch unbekannte räumliche Strukturen durch Homologiemodellierung

Proteine Architektur Superfamilien homologe Laktatdehydrogenase Flavodoxin

73 5.2 · Konformation von Proteinen

sicher vorherzusagen, wenn die Primärstruktur bekannt ist. Theoretisch werden etwa 4.000 verschiedene Faltungstopologien vorhergesagt. Domänen Proteine mit mehr als 150 Aminosäuren lassen sich oft in strukturell unterschiedliche Regionen aufteilen, in die sog. strukturellen Domänen. Die Domänen stellen zusammenhängende Teile des Proteins dar, die sich im Allgemeinen auch unabhängig falten können. Sie stellen oft auch funktionelle Domänen dar, die bestimmte biologische Funktionen wie die Bindung anderer Proteine (Bindedomäne) oder eine bestimmte katalytische Aktivität übernehmen. Allerdings wird für die enzymatische Katalyse oft mehr als eine strukturelle Domäne benötigt und die Katalyse findet an der Grenzfläche zwischen den strukturellen Domänen statt.

Nach ihrer Form unterscheidet man grob zwischen fibrillären und globulären Proteinen Globuläre Proteine Globuläre Proteine haben eine kugelähnliche Gestalt und sind kompakt gefaltet. Sie zeigen gewöhnlich eine gute Wasserlöslichkeit und übernehmen oft katalytische und regulatorische Funktionen im Stoffwechsel (Funktionsproteine). Die meisten Enzyme gehören zur Klasse der globulären Proteine. Auch das Hämoglobin, das den Sauerstoff im Blut transportiert, ist ein Vertreter der globulären Proteine. Fibrilläre Proteine Fibrilläre Proteine haben im Gegensatz zu globulären Proteinen eine langgestreckte, faserförmige Gestalt und stellen meist Strukturproteine dar. Sie sind oft in Wasser oder verdünnten Salzlösungen schlecht löslich, da sie große Aggregate bilden. Typische Vertreter der fibrillären Proteine sind die extrazellulären Proteine α-Keratin (Hauptbestandteil von Haaren und Wolle, 7 Kap. 73.2), β-Keratin (Hauptbestandteil von Seide) und Kollagen (Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix, von Bändern und Sehnen; 7 Kap. 71.1).

5.2.4

Räumliche Anordnung mehrerer Polypeptidketten in einem multimeren Protein (Quartärstruktur)

Die Quartärstruktur beschreibt die räumliche Anordnung mehrerer identischer oder verschiedener Polypeptidketten in Proteinkomplexen Wenn sich mehrere Polypeptidketten zu Proteinkomplexen zusammenlagern, spricht man von multimeren Proteinen. Die einzelnen Polypeptidketten solcher Komplexe können als Protomere oder Untereinheiten bezeichnet werden. Häufig wird die Anzahl an Untereinheiten aus der Benennung deutlich: dimere, trimere, tetramere, oligomere, polymere (= multimere) Proteine. Sind die Protomere identisch, werden die Komplexe als Homopolymere, andernfalls als Heteropolymere bezeichnet. Oft verwendet man aber auch die Ausdrücke Protomer und Untereinheit für kleine identische Grundeinheiten, aus denen ein Polymer aufgebaut ist, obwohl sie aus mehr als einer Polypeptidkette bestehen. So ist Hämoglobin ein Tetramer, das aus zwei Heterodimeren aufgebaut ist (einem Protomer, das aus einer α- und einer

β-Untereinheit besteht) (7 Kap. 5.3); das Hüllprotein des Tabakmosaikvirus ist eine Homomultimer aus 2.130 Protomeren. Die wechselseitige räumliche Anordnung der Protomere in einem multimeren Protein wird als Quartärstruktur bezeichnet. Sie ist oft für spezifische Eigenschaften des Proteins verantwortlich, dementsprechend können kleine Änderungen der Quartärstruktur oft die Eigenschaften des Proteins signifikant beeinflussen. Wichtige Beispiele sind hier die Regulation des Sauerstofftransports durch das Hämoglobin im Blut und die Steuerung der katalytischen Aktivität von Enzymen. Änderungen der Quartärstruktur von Proteinen nach der Bindung von Substraten ist die Basis der klassischen kooperativen Bindung und der allosterischen Regulation (7 Kap. 8.4). Die Quartärstruktur von Enzymen und die davon abhängige Aktivität werden häufig durch covalente Modifikationen beeinflusst. Hier spielt die Phosphorylierung von Hydroxylgruppen von spezifischen Seryl-, Threonyl- und Tyrosylresten in den Untereinheiten eines multimeren Proteins biologisch eine dominierende Rolle. Sie erfolgt durch die Aktivität phosphatübertragender Enzyme (Proteinkinasen). Biologisch ist dieser Effekt reversibel, da die Phosphatgruppen unter der Einwirkung von phosphatabspaltenden Enzymen (Proteinphosphatasen) bei Bedarf wieder entfernt werden können. Ein klassisches Beispiel ist hier die Regulation des Glycogenstoffwechsels, bei dem die Glycogenphosphorylase durch Phosphorylierung aktiviert und die Glycogensynthase durch Phosphorylierung deaktiviert wird (7 Kap. 15.2). Damit sich die Protomere gezielt zusammenlagern können, werden bestimmte, komplementäre Bereiche auf der Oberfläche der Proteine benötigt. Diese mussten durch die Evolution für die Protein-Protein-Wechselwirkung optimiert werden und ermöglichen es den Proteinen sich gegenseitig zu »erkennen« und anschließend zusammenzulagern. Um eine starke Interaktion zu gewährleisten, müssen die Oberflächen geometrisch so gut aufeinander abgestimmt sein, dass kein Wasser eindringen kann. Die Packungsdichte der Atome entspricht dann derjenigen innerhalb eines Proteins. Die verschiedenen Untereinheiten werden hauptsächlich durch hydrophobe Wechselwirkungen, Wasserstoffbrücken und elektrostatische Wechselwirkungen zusammengehalten. Zusätzlich können diese nicht-covalenten Bindungen durch covalente Bindungen zwischen den Untereinheiten verstärkt werden. Die Ausbildung von Disulfidbrücken zwischen zwei Cysteinresten ist sicherlich die am weitesten verbreitete intraund intermolekulare covalente Verknüpfung. Proteine der extrazellulären Matrix, wie Kollagen und Elastin, lagern sich zu dauerhaft stabilen, hochmolekularen Fibrillen zusammen, indem die Untereinheiten durch Schiff-Basen-Bildung zwischen Lysinseitenketten und Allysinseitenketten miteinander quervernetzt werden (7 Kap. 71.1.2). 5.2.5

Geladene Gruppen in Proteinen

Die Mehrzahl aller Proteine enthalten Aminosäuren mit positiv oder negativ geladenen Seitenketten. In der Hauptkette verlieren die α-Aminogruppen und die α-Carboxylgruppen der einzelnen Aminosäuren ihre Ladungen, wenn sie in die Peptidbindungen

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74

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Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

überführt werden. Nur die bei neutralem pH positiv geladene N-terminale Aminogruppe und die negativ geladene C-terminale Carboxylatgruppe sind nicht in die Peptidbindung eingebunden. Bei der Biosynthese von Proteinen wird allerdings die Aminogruppe des N-terminalen Methionins bei Bakterien formyliert und verliert dabei seine Ladung. Die geladenen Seitenketten können je nach pH-Wert der Umgebung reversibel protoniert und deprotoniert werden und damit ihren Ladungszustand ändern. Die Carboxylgruppe von Aspartyl- und Glutamylresten wird bei niedrigen pH-Werten protoniert und verliert ihre negative Ladung. Die Aminogruppe von Lysylresten und die Guanidinogruppe von Arginylresten verliert ihre positive Ladung bei sehr hohen pH-Werten. Eine Sonderstellung nimmt die Imidazolgruppe von Histidinen ein: in Proteinen hat sie einen pK-Wert im Bereich von 7, d. h. bei physiologischen pH-Werten kann sie protoniert und positiv geladen sein oder auch deprotoniert und ungeladen vorliegen (7 Kap. 3.3.4). Bei höheren pH-Werten können auch die Seitenketten der polaren Aminosäuren geladen sein: die Hydroxylgruppen des Threonins, des Serins und des Tyrosins sowie die Sulfhydrylgruppen des Cysteins werden dann deprotoniert (7 Kap. 3.3.4) und erhalten eine negative Ladung. Wenn eine Seitenkette geladen ist, geht sie mit ihrer Umgebung eine elektrostatische Wechselwirkung ein und kann die Faltung eines Proteins stabilisieren oder destabilisieren. Wenn die Oberflächenladungen durch extreme pH-Werte geändert werden, führt dies im Allgemeinen zur Denaturierung des Proteins (Säure- oder Basendenaturierung). Ein zweiter, spezifischer Effekt des Protonierungs-Deprotonierungs-Gleichgewichts ist die Beeinflussung der biologischen Aktivität von Enzymen, bei denen die Seitenketten von geladenen Aminosäuren oft direkt an der Katalyse beteiligt sind. Sie können hier die funktionellen Gruppen für eine charakteristische Art der Katalyse, die Säure-Base-Katalyse liefern. Bei dieser werden Protonen reversibel vom Substrat übernommen oder auf das Substrat übertragen (7 Kap. 7.5). Auch hier spielt das Histidin wieder eine besondere Rolle, da es bei physiologischen pH-Werten teilweise als Säure und teilweise als Base vorliegt. Isoelektrischer Punkt Wie bei einzelnen Aminosäuren gibt es auch bei Proteinen einen pH-Wert, bei dem sie im elektrischen Feld nicht zum positiven oder negativen Pol wandern. Bei diesem pH besitzen sie im dynamischen Gleichgewicht im Zeitmittel keine Nettoladung, die eine Bewegung im elektrischen Feld bewirkt. Dieser pH-Wert ist der isoelektrische Punkt pI des Proteins. Prinzipiell kann man ihn aus den pK-Werten aller geladenen Gruppen berechnen. Allerdings ist dies für Proteine nicht so einfach, da die pK-Werte der einzelnen Aminosäurereste im Protein in der Regel von den Werten abweichen, die man bei freien Aminosäuren oder Modellpeptiden bestimmt (7 Tab. 3.10). Der pK-Wert einer bestimmten Seitenkette im Protein hängt nämlich von der gesamten räumlichen Struktur des Proteins ab. Auf der einen Seite hat man lokale Effekte: Die Bildung von Wasserstoffbrücken oder Salzbrücken mit räumlich benachbarten Aminosäuren beeinflusst das Dissoziationsgleichgewicht einer Seitenkette im Protein. Darüber hinaus erzeugen alle gela-

. Abb. 5.15 Titrationskurve von Hämoglobin. Die Äquivalente an Säure oder Base, die für eine pH-Änderung notwendig sind, sind gegen den pH aufgetragen. In den Bereichen, in denen sich bei Zusatz von Säure oder Base der pH-Wert nur wenig ändert (steiler Kurvenbereich), puffert Hämoglobin am besten. Der physiologische pH-Bereich ist rosa markiert

denen Gruppen des Proteins ein komplexes elektrisches Feld im Protein und seiner Umgebung, dessen Größe an einer bestimmten Stelle im Protein den pK-Wert der dort vorgefundenen Seitengruppe modifiziert. Die Abweichungen der pK-Werte von Modellwerten können mehrere pK-Einheiten betragen. Starke Abweichungen des pKWertes findet man oft bei Resten, die direkt an der enzymatischen Katalyse beteiligt sind (7 Tab. 3.10). Die Titrationskurve des Hämoglobins ist in . Abb. 5.15 zu sehen. In drei pH-Bereichen sind größere Säure-Base-Äquivalente notwendig, um den pH-Wert zu ändern, d. h. hier puffert das Hämoglobin durch Abgabe bzw. Aufnahme von Protonen besonders gut. Zwei dieser Bereiche bei pH 3 und pH 11 haben für die physiologische Funktion des Hämoglobins keine größere Relevanz. Der Puffereffekt bei pH 3 wird durch die Aspartyl- und Glutamylreste des Hämoglobins verursacht, der Puffereffekt bei pH 11 wird durch Arginyl- und Lysyslreste bedingt. Wichtig ist der Effekt im physiologischen pH-Bereich von pH 7.4 (rosa markiert), der durch die Histidylreste des Hämoglobins bewirkt wird. Deren Protonierungs-Deprotonierungs-Gleichgewicht hat einen direkten Einfluss auf den O2- und den CO2-Transport durch das Hämoglobin (7 s. u.) und auf die Regulation des SäureBase-Haushalts im Blut (7 Kap. 66.1.3).

75 5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften

Zusammenfassung Die Hierarchie der Proteinstrukturen hat vier Ebenen: 4 Die Primärstruktur entspricht der Sequenz der Aminosäuren eines Proteins, die durch Peptidbindungen verknüpft wurden. Die Peptidbindung verknüpft die Carboxylgruppe einer Aminosäure mit der Aminogruppe der darauffolgenden Aminosäure; sie hat einen partiellen Doppelbindungscharakter und ist planar. 4 Die Sekundärstruktur beschreibt die lokale räumliche Struktur der Hauptkette. Die meisten Proteine enthalten die kanonischen Sekundärstrukturelemente, die durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Amid- und Carbonylgruppen der Peptidbindungen stabilisiert werden. Die wichtigsten Sekundärstrukturelemente sind die α-Helix und das β-Faltblatt. 4 Die Tertiärstruktur entspricht der vollständigen dreidimensionalen Konformation monomerer Proteine. An der Ausbildung der Tertiärstruktur sind elektrostatische (ionische) und van-der-Waals-Wechselwirkungen, intramolekulare Wasserstoffbrücken, hydrophobe Wechselwirkungen und Disulfidbrücken zwischen den Aminosäureseitenketten der Polypeptidketten beteiligt. Die meisten Proteine enthalten geladene Seitenketten, die abhängig vom pH-Wert der Lösung protoniert oder deprotoniert sein können. Eine besondere Bedeutung hat der Imidazolring der Histidine, der Protonen bei der Säure-Base-Katalyse aufnehmen oder abgeben kann. 4 Die Quartärstruktur von Proteinen gibt die räumliche Anordnung mehrerer Untereinheiten in einem multimeren Protein wieder. Sehr viele Proteine sind nur als Multimere biologisch aktiv. Häufig wird die Aktivität multimerer Proteine durch die Wechselwirkungen zwischen ihren Untereinheiten kontrolliert.

5.3

Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften

Hämoglobin transportiert den Sauerstoff im Blut von Wirbeltieren und Menschen, Myoglobin dient der kontinuierlichen Sauerstoffversorgung des Muskels Hämoglobin Sauerstoff ist ein unpolares Molekül und daher in

dem polaren wässrigen Medium des Intra- und Extrazellulärraums schlecht löslich. Wegen der geringen physikalischen Löslichkeit von Sauerstoff im Blut des Menschen ist für eine ausreichende Versorgung der peripheren Gewebe die Anwesenheit eines spezifischen Sauerstofftransporters erforderlich. Es ist das Hämoglobin, das in den roten Blutkörperchen (Erythrocyten) in hoher Konzentration vorkommt. Es wird in den Lungenkapillaren mit Sauerstoff beladen und gibt diesen in den Kapillaren ab, wenn dort der Sauerstoffpartialdruck durch den Sauerstoffverbrauch des umgebenden Gewebes absinkt. Dafür nimmt es dann das im katabolen Stoffwechsel entstehende CO2 auf und transportiert es zurück zur Lunge.

Das Hämoglobin kommt, wie schon das Präfix »haemo« (nach dem griechischen Wort αἷμα (haima) für Blut) sagt, nur im Blut vor. Daneben gibt es mit dem Myoglobin ein zweites Protein, das Sauerstoff bindet und in den Herz- und Skelettmuskelzellen in hohen Konzentrationen vorkommt (daher auch das Präfix »myo« nach dem griechischen Wort μῦς (müs) für Muskel). Im Herzmuskel überbrückt sauerstoffbeladenes Myoglobin den Sauerstoffmangel, der durch die Kompression der Herzkranzgefäße während jeder Systole entsteht. Im Skelettmuskel dient es als Puffer bei einem durch die Muskelkontraktion kurzzeitig gesteigerten Sauerstoffbedarf. Zusätzlich führt die Diffusion des sauerstoffbeladenen Myoglobins (Oxymyoglobin) auch zu einer deutlich schnelleren Verteilung des Sauerstoffs in den Muskelzellen so wie Hämoglobin die Transportkapazität des Blutes für Sauerstoff um das 70fache gegenüber der Menge steigert, die physikalisch löslich ist.

α-Helices machen einen hohen Prozentsatz der Sekundärstruktur des Myoglobins aus Myoglobin Myoglobin ist ein monomeres Protein von 153 Ami-

nosäuren. Es besitzt eine molekulare Masse von ca. 17,8 kDa. Hugo Theorell entdeckte Myoglobin 1932 in Schweden. Es war auch das erste Protein, dessen räumliche Struktur vollständig in atomarer Auflösung aufgeklärt werden konnte. Nachdem Anfang der fünfziger Jahre schon die α-Helix- und das β-Faltblatt als vorherrschende Sekundärstrukturelemente der α- und β-Keratine durch Röntgenfaserstreuungsexperimente entdeckt wurden, gelang es Ende der fünfziger Jahre John Kendrew in Oxford durch Röntgenstreuung an Myoglobineinkristallen die räumlichen Koordinaten der ungefähr 2.500 Atome eines Myoglobinmonomers zu ermitteln. Myoglobin ist aus 8 α-Helices (A-H) aufgebaut, die zusammen 70 % der Struktur von Myoglobin ausmachen (. Abb. 5.16). Somit stellt Myoglobin einen typischen Vertreter der Klasse der α-Proteine (. Abb. 5.14) dar. Die sich zwischen den Helices befindenden Bereiche können keiner bekannten kanonischen Sekundärstruktur wie dem β-Faltblatt zugeordnet werden. Die Helices und Schleifenregionen formen eine kompakt gefaltete, globuläre Struktur mit einer Größe von 4,4 . 4,4 . 2,5 nm.

Das Eisenzentrum des Häm bindet im Myoglobin und Hämoglobin den molekularen Sauerstoff Im Zentrum des Myoglobinmoleküls befindet sich eine hydrophobe Tasche, die das Häm als prosthetische Gruppe enthält. Das Häm ist aus vier Pyrrolringen aufgebaut, die über Methinbrücken (–CH=) verknüpft sind (7 Kap. 32.1.1). Dieses Porphyringerüst wird an den Pyrrolringen durch verschiedene zusätzliche Gruppen modifiziert, nämlich vier Methyl-, zwei Vinyl- und zwei Propionylgruppen. Im Zentrum der Pyrrolringe befindet sich ein zweiwertiges Eisenatom, das mit den vier Stickstoffatomen der Pyrrolringe koordiniert ist (. Abb. 5.17). Der Sauerstoff ist nicht-covalent an das Eisenatom gebunden. Da das Porphyringerüst eine Anzahl von konjugierten Doppelbindungen besitzt, absorbiert es Licht im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Daher sind Myoglobin und der myoglobinhaltige Muskel rötlich gefärbt. Da Hämoglobin dieselbe prosthetische Gruppe enthält, erscheint auch Blut rot gefärbt.

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Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

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. Abb. 5.16 Räumliche Struktur des Myoglobins. Die Hauptkette des Myoglobins mit den 8 α-Helices ist blau dargestellt. Das Porphyringerüst (C-Atome: grün; O-Atome: rot; N-Atome: blau) mit dem Zentralatom Fe2+ (orange) und dem gebunden O2-Molekül (rot) ist in atomarer Auflösung wiedergegeben. Das proximale (links) und das distale (rechts) Histidin sind braun hervorgehoben. PDB ID: 1MBO

Die rötliche Färbung der Haut rührt auch von der Farbe des Blutes her. Wenn bei Eisenmangel nicht genügend Hämoglobin gebildet werden kann, nimmt die rötliche Färbung der Haut ab. Daher ist Blässe ein charakteristisches Symptom der Blutarmut (Anämie). Die Lage des Porphyrinrings im Myoglobin wird durch die Gesetzmäßigkeiten festgelegt, die wir schon bei der Ausbildung der Tertiärstruktur von Proteinen kennengelernt haben: der hydrophobe Porphyrinring und die Vinylseitenketten gehen Interaktionen mit hydrophoben Seitenketten des Proteins ein, die hydrophilen Propionylseitenketten zeigen zur Oberfläche des Myoglobins (. Abb. 5.16). Neben diesen nicht-covalenten Wechselwirkungen wird die prosthetische Gruppe durch eine covalente Bindung zwischen einem Histidinrest und dem Eisenatom am Protein verankert (. Abb. 5.17). Dieser Histidinrest wird auch als proximales Histidin bezeichnet und koppelt Konformationsänderungen des Proteins an Zustandsänderungen am Porphyrinring, die mit der Sauerstoffbindung oder der Sauerstoffabgabe einhergehen. Auf der anderen Seite des Porphyrinrings liegt ein zweiter Histidinrest in der Nähe des Eisenatoms, ist aber nicht-covalent an das Metallion gebunden. Zwischen diesem Histidin und dem Metallion lagert sich das Sauerstoffmolekül bei seiner Bindung an. Das zweiwertige Fe2+ wird im freien Porphyrin in einer wässrigen Lösung durch den Luftsauerstoff schnell zum dreiwertigen Fe3+ oxidiert. Das dabei entstehende Hämatin kann keinen Sauerstoff mehr binden. Im Myoglobin ist dieser Oxidationsprozess durch die Interaktion des Eisens mit dem proximalen Histidin erheblich verlangsamt. Trotzdem findet dieser Vorgang statt, es entsteht Metmyoglobin. Im biologischen Gleichgewicht liegen

. Abb. 5.17 Häm, die prosthetische Gruppe des Myoglobins und Hämoglobins. Das Häm ist über das zentrale Eisenatom covalent an den Imidazolring eines Histidinrestes von Helix F (proximales Histidin) der Globinkette gebunden. Bei der Bindung an das zentrale Eisenatom kommt der Sauerstoff zwischen dem Eisenatom und einem weiteren Histidinrest von Helix E der Globinkette, dem distalen Histidin, zu liegen

in den Zellen immer einige Prozent des Myoglobins in diesem Zustand vor, das Metmyoglobin wird aber in der lebenden Zelle immer wieder reduziert. Bei totem Muskelgewebe wird mit der Zeit immer mehr Myoglobin oxidiert. Dadurch entsteht die typische dunkle Färbung von lang gelagertem Fleisch. Denselben Effekt findet man auch beim Hämoglobin, durch Oxidation des Häm-Eisens entsteht hier Methämoglobin. Unter dem Einfluss der NADH-abhängigen Methämoglobinreduktase (7 Kap. 68.2.4) kann das Eisenatom im Organismus wieder reduziert werden. Erst die Proteinumgebung gibt dem Häm seine besonderen funktionellen Eigenschaften. Das Häm-Molekül findet man auch in anderem biologischen Kontext an andere Proteine gebunden. Eine wichtige Gruppe von Enzymen sind hier die Cytochrome (7 Kap. 32.1.2).

Hämoglobin ist ein Tetramer aus zwei α- und zwei β-Ketten Hämoglobin ist aus vier Polypeptidketten aufgebaut (. Abb. 5.18). Das Hämoglobin des Erwachsenen besteht aus jeweils zwei α- und zwei β-Ketten. Diese Ketten haben nur eine geringe Sequenzähnlichkeit mit der Polypeptidkette des Myoglobins (27 gemeinsame Aminosäuren). Die α-Ketten bestehen aus 141 Aminosäuren, die β-Ketten sind mit 146 Aminosäuren etwas größer. Das aus diesen Ketten gebildete Tetramer hat eine molekulare Masse von etwa 64,5 kDa und besteht aus 574 Aminosäuren. Die vier Polypeptidketten des Hämoglobins binden mit dem Häm dieselbe prosthetische Gruppe wie das Myoglobin. Trotz der großen Sequenzunterschiede nehmen die Hämoglobinpoly-

77 5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften

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. Abb. 5.18 Darstellung der tetrameren Struktur des menschlichen Hämoglobins. Die beiden α-Untereinheiten sind in Rottönen wiedergegeben, die beiden β-Untereinheiten in grün. Die gezeigte Konformation des Oxyhämoglobins (links) wird als R-Zustand bezeichnet, die des Desoxyhämoglobins (rechts) als T-Zustand. Der zentrale Kanal des Oxyhämoglobins (links) ist durch die hier nicht abgebildeten Aminosäure-Seitenketten fast vollständig verschlossen. C1 und C2 bezeichnen die C-Termini, N1 und N2 die N-Termini der entsprechenden α1- und α2-Untereinheiten. Die jeweiligen Termini befinden sich in engem räumlichen Kontakt. Die Helices der α/β-Untereinheiten werden gewöhnlich mit Großbuchstaben (A–H) markiert. PDB ID: 2DN1, 2DN2

peptide beinahe dieselbe Tertiärstruktur wie das Myoglobin an. Dies legt nahe, dass im Wesentlichen nur die 27 Aminosäuren, die bei Myoglobin- und Hämoglobinketten identisch sind, für die Ausbildung des hydrophoben Kerns und die Kontakte zum Häm verantwortlich sind. Man kann annehmen, dass Hämoglobin und Myoglobin durch Genverdopplung aus einem Gen der Urglobinkette entstanden sind. Im Laufe der Evolution haben sie sich dann unabhängig voneinander weiter entwickelt und sich ihren neuen Aufgaben angepasst. Der Prozess der Genduplikation wiederholte sich mehrmals, so dass heute das Myoglobin, die α- und β-Ketten des Hämoglobins sowie weitere Varianten wie die γ-, δ- und ε-Ketten des Hämoglobins existieren, die man aber im Allgemeinen nur in fetalen Entwicklungsstadien oder beim Erwachsenen unter besonderen Bedingungen findet (7 Kap. 68.2.3). Analog zum Myoglobin enthalten auch die Hämoglobinpolypeptide als kanonische Sekundärstrukturelemente nur α-Helices mit einem Gesamtanteil von über 70 %. Auch die β-Ketten bilden wie das Myoglobin 8 Helices (A–H) aus, bei den α-Ketten fehlt eine α-Helix, die D-Helix (. Abb. 5.18). Im funktionellen Hämoglobin-Tetramer werden die vier Einzelketten durch Wechselwirkungen zwischen ihren Kontaktstellen zusammengehalten. Jeweils eine α- und eine β-Untereinheit bilden ein Dimer (α1/β1- und α2/β2-Dimer), das durch mehr als 30 intermolekulare, hauptsächlich hydrophobe Kontakte stabilisiert wird. Diese beiden Dimere sind so zueinander angeordnet, dass sie durch eine Rotation um 180° ineinander überführt werden können. Auch zwischen den α1- und β2- sowie den α2- und β1-Untereinheiten gibt es jeweils eine große Anzahl intermolekularer Kontakte. Die stabilisierenden Wechselwirkungen zwi-

schen den beiden α- und den beiden β-Untereinheiten sind im Vergleich dazu nur schwach ausgebildet, es bildet sich ein flüssigkeitsgefüllter Kanal (. Abb. 5.18). Er verläuft entlang der zweizähligen Symmetrieachse der Homodimere. Wenn Hämoglobin keinen Sauerstoff gebunden hat (Desoxyhämoglobin) ist der Kanal etwa 2 nm breit und 5 nm lang. Mit Bindung von Sauerstoff tritt eine Änderung der Tertiär- und Quartärstruktur ein, sodass bei Sauerstoffsättigung im Oxyhämoglobin der Kanal beinahe vollkommen verschwunden ist. Hämoglobin ist nicht nur bei den Wirbeltieren (Vertebraten) zu finden, sondern dient auch bei vielen wirbellosen Tieren (Invertebraten) als Sauerstofftransportsystem. Bei Mollusken (Weichtieren), Arthropoden (Gliederfüßlern) und Brachiopoden (Armfüßlern) übernehmen das kupferhaltige Hämocyanin und das eisenhaltige Protein Hämerythrin die Rolle des Sauerstofftransporters. Im Unterschied zum Hämoglobin enthalten die beiden Proteine kein aus Porphyrinringen aufgebautes Häm als Cofaktor, der Sauerstoff ist trotzdem an die Metallionen gebunden.

Quartärstrukturänderungen sind die Basis kooperativer Effekte im Hämoglobin Die Bindung von Sauerstoff an das monomere Myoglobin zeigt eine einfache hyperbolische Abhängigkeit der Sauerstoffsättigung des Proteins von der Konzentration des gelösten Sauerstoffs, wobei die Sauerstoffkonzentration gemäß dem HenryDalton-Gesetz proportional zum Sauerstoffpartialdruck ist (. Abb. 5.19). Dieselbe Bindungskurve wie für Myoglobin erhält man auch für die isolierte β-Kette des Hämoglobins, die in Lösung als Monomer vorliegt. Eine ganz andere Bindungskurve

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Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

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. Abb. 5.19 Sauerstoffbindungskurven des Myoglobins, der isolierten β-Kette des Hämoglobins und des tetrameren Hämoglobins

erhält man für das tetramere Hämoglobin. Hier findet man einen sigmoidalen Verlauf der Bindungskurve, der offensichtlich aus der Zusammenlagerung der einzelnen Untereinheiten resultiert. Was bedeutet das für die Sauerstoffaufnahme und -abgabe? Im Myoglobin steigt die Sättigung des Proteins mit steigendem Sauerstoffpartialdruck schnell an, sodass bei 1 mmHg (0,13 kPa) 50 % des Myoglobins mit Sauerstoff gesättigt sind. Für das Hämoglobin ist es anders. Die Bindungskurve steigt zunächst nur langsam an, und erst bei höheren Sauerstoffpartialdrücken zeigt sie einen steilen Anstieg. Daher benötigt man zur Halbsättigung einen deutlich höheren Partialdruck von 26,6 mmHg (3,5 kPa). Bei dem in den Lungenalveolen vorherrschenden Sauerstoffpartialdruck von etwa 100 mmHg (13,3 kPa) sind beide Proteine mit Sauerstoff gesättigt. Ganz anders ist es im Kapillarbett, in dem der Sauerstoff möglichst vollständig abgegeben werden muss. Hier führt die S-förmige Bindungskurve schon bei dem hier typischen Sauerstoffpartialdruck von 22,5 mmHg (3 kPa) zu einer signifikanten Abgabe des Sauerstoffs. Die sigmoidale Bindungskurve ist ein Zeichen für eine kooperative Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin: Die Bindung von einem Sauerstoffmolekül an eine Untereinheit führt zu einer Änderung ihrer Tertiärstruktur. Die daraus resultierende Änderung der Quartärstrukturinteraktionen führt dazu, dass die anderen Untereinheiten die Konformation einnehmen, die eine höhere Affinität für Sauerstoff hat. Die strukturelle Basis zur Erklärung dieser Vorgänge lieferten die Röntgenstrukturanalysen von Max F. Perutz. Schon Ende der 40er Jahre hatte man die Beobachtung gemacht, dass man bei der Kristallisation von Oxyhämoglobin andere Kristalle erhält als bei Desoxyhämoglobin. Die erhaltenen Röntgenstrukturen zeigten, dass Hämoglobin in zwei unterschiedlichen Formen vorliegen kann, je nachdem, ob es keinen Sauerstoff gebunden hat oder mit Sauerstoff gesättigt ist. In Analogie zur mit dem Ein- und

Ausatmen einhergehenden Formänderung der Lunge bezeichnete Perutz das Hämoglobin als molekulare Lunge. Wie wir schon gesehen haben (. Abb. 5.18) unterscheiden sich Oxy- und Desoxyhämoglobin im Wesentlichen durch ihre Quartärstruktur, das heißt durch die wechselseitige Anordnung der einzelnen Untereinheiten. Bei der durch die Sauerstoffbindung verursachten Änderung der Quartärstruktur bleiben die Struktur des α1/β1- und α2/β2-Dimers und die internen Kontakte zwischen den Peptidketten weitgehend erhalten. Im Gegensatz dazu ändert sich die relative Orientierung der Dimere dramatisch: Das α1/β1-Dimer wird relativ zum α2/β2-Dimers um etwa 15° durch die Sauerstoffanlagerung verdreht und der zentrale, wassergefüllte Kanal schließt sich (. Abb. 5.18). Durch diese Rotationsbewegung ändern sich auch die Kontakte zwischen den α1-und β2-Ketten und den α2- und β1-Ketten und damit auch die physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Aminosäureresten der beiden Dimere deutlich. Als Nettoeffekt dieser Umlagerungen ergibt sich ein zweites Energieminimum, das die Quartärstruktur des Oxyhämoglobins stabilisiert. Diese beiden Zustände werden als der T- und der R-Zustand des Hämoglobins bezeichnet (T = tense, R = relaxed). Die zugehörigen Konformationen der einzelnen Polypeptidketten heißen folgerichtig t- und r-Konformationen. Wie genau nun dieser Übergang vom T- in den R-Zustand bei der kooperativen Sauerstoffbindung vonstattengeht, ist immer noch Gegenstand aktueller Forschung, da die experimentellen Daten mit mehr als einem kinetischen Modell erklärt werden können. Allerdings sind die Grundzüge der notwendigen konformationellen Übergänge wie sie von Perutz aus den Röntgenstrukturdaten abgeleitet wurden als konsistentes Basismodell allgemein akzeptiert.

Die Sauerstoffbindung verursacht primär eine Bewegung des Eisenatoms und des daran gebundenen proximalen Histidinrestes als Auslöser für eine Konformationsänderung des gesamten Hämoglobins Der wichtigste Schritt ist die Bindung des Sauerstoffmoleküls an das Eisen des Häms und die dadurch induzierte Bewegung des proximalen Histidinrestes. In Abwesenheit von Sauerstoff befindet sich das Eisen im paramagnetischen high-spin-Zustand, bei dem nicht alle Elektronen gepaart sind. In diesem Zustand liegt das Eisenion außerhalb der Porphyrinringebene und der Porphyrinring selbst ist leicht durchgebogen (. Abb. 5.20). Wenn nun ein Sauerstoffatom an das Eisenatom bindet, ändert sich dessen Elektronenkonfiguration, das zweiwertige Eisenatom geht in den diamagnetischen low-spin-Zustand über. Eine direkte Folge davon ist eine Verkürzung der Bindungen zu den Stickstoffatomen der Pyrrolringe. Das Eisenatom befindet sich jetzt in der Ebene des Porphyrinsystems und bewegt sich dabei um etwa 0,075 nm auf das nun planare Ringsystem zu. Dieser Bewegung folgt das proximale Histidin (. Abb. 5.20) und induziert nun den Übergang der Untereinheit in den R-Zustand. Da das proximale Histidin Teil der Helix F ist, überträgt sich die Bewegung des Eisenatoms primär auf diese Helix und dann auf das gesamte Protein. Die Verschiebung der Helix F führt dann zu einer Verschiebung von Helix G und letztlich zu einer

79 5.3 · Hämoglobin und Myoglobin: Ein wichtiges Beispiel für die Konformationsabhängigkeit funktioneller Eigenschaften

. Abb. 5.20 Schematische Darstellung von strukturellen Veränderungen bei der Oxygenierung der α-Kette des Hämoglobins. Die Aminosäuren Tyrosin 140 und das C-terminale Arginin 141 der Helix H der α-Kette und das proximale Histidin der Helix F, das an das Häm-Eisen gebunden ist, sind besonders hervorgehoben. (Einzelheiten s. Text)

deutlichen Lageveränderung der C-terminalen Aminosäuren Tyrosin und Arginin der β-Untereinheiten. Dadurch werden v. a.

elektrostatische Interaktionen zwischen den α1- und α2-Ketten bzw. den β1- und α2-Ketten aufgebrochen, was zum Übergang des Hämoglobins in den R-Zustand führt. Die Bedeutung dieser elektrostatischen Interaktionen für den Quartärstrukturübergang kann man experimentell einfach beweisen: Entfernt man die C-terminalen, positiv geladenen Argininreste, so verschwindet die Kooperativität der Sauerstoffbindung, obwohl das Hämoglobin immer noch ein Tetramer bildet. Der Sauerstoff wird in der r-Konformation besser gebunden als in der t-Konformation, da in der r-Konformation der Sauerstoff näher an das distale Histidin herangeführt wird und auf diese Weise stabilisierende Interaktionen mit diesem eingehen kann. Wenn man dann noch annimmt, dass in der t-Konformation der Sauerstoff schwächer an die β-Ketten als an die α-Ketten bindet, kann man ein plausibles Modell aufstellen, mit dem sich die kooperative Sauerstoffbindung gut qualitativ und quantitativ beschreiben lässt: Bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck bindet Sauerstoff zunächst an die α-Kette, die aber im Gleichwicht überwiegend in der t-Konformation bleibt, da diese durch die Quartärstrukturinteraktionen stabilisiert wird. Bei Zunahme des Sauerstoffpartialdrucks nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine zweite α-Kette (oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine β-Kette) oxygeniert wird. Damit erhöht sich die Tendenz, dass die Untereinheiten in die r-Konformation übergehen, die Sauerstoffaffinität nimmt zu. Dies triggert den weiteren Übergang anderer Einheiten in die r-Konformation, sodass bei weiterer Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks das gesamte Molekül schnell in den R-Zustand mit hoher Sauerstoffaffinität übergeht.

Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins wird durch allosterische Effektoren reguliert Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins muss den häufig wechselnden äußeren Bedingungen angepasst werden. Eine wichtige Möglichkeit besteht darin, das intrinsische Gleichwicht zwischen dem niederaffinen T-Zustand und dem hochaffinen R-Zustand zu verschieben. Da dieses Gleichgewicht von elektrostatischen Desoxyhämoglobin# Oxyhämoglobin#

Wechselwirkungen abhängt (s. o.) und die Ladung der beteiligten Gruppen prinzipiell durch den pH-Wert beeinflusst wird, kann man auch eine Abhängigkeit der Sauerstoffbindung vom pH-Wert erwarten. Im physiologischen pH-Bereich um 7,4 kommen für eine Protonierung/Deprotonierung die N-terminalen Aminogruppen der α- und β-Ketten und die C-terminalen Histidinreste der β-Ketten in Frage, die beide pK-Werte im neutralen Bereich haben. Sie werden daher bei einem niedrigem pHWert protoniert und sind dann positiv geladen. Die positiven Ladungen stabilisieren den für Sauerstoff niederaffinen T-Zustand des Proteins. Das bedeutet, dass bei niederem pH (Acidose) wie er in den Kapillaren bei ungenügender Sauerstoffversorgung des Gewebes vorliegt, verstärkt Sauerstoff abgegeben wird. Diesen Effekt nennt man Bohr-Effekt. Im Kapillarbett steigt durch den katabolen Stoffwechsel der CO2-Spiegel erheblich an. Kohlendioxid kann bei hohen Konzentrationen mit den N-terminalen Aminogruppen der Hämoglobinketten reagieren und labile covalente Carbamine bilden (Carbaminohämoglobin). Diese Modifikation stabilisiert wieder den T-Zustand (erhöhte Sauerstoffabgabe, Haldane-Effekt). Hämoglobin versorgt also nicht nur die peripheren Zellen mit Sauerstoff, sondern ist gleichzeitig am Transport der beim Stoffwechsel entstehenden Protonen und des CO2 zur Lunge beteiligt (7 Kap. 68.2.3). Durch eine Veränderung des Gleichgewichts zwischen Rund T-Zustand wird also die Sauerstoffanlagerungskurve des Hämoglobins in Abhängigkeit von den Protonen- und CO2-Konzentrationen im Medium nach links oder rechts verschoben. Eine andere wichtige Regulation der Sauerstoffaffinität des Hämoglobins findet bei der Höhenanpassung statt. 2,3-Bisphosphoglycerat (2,3-BPG) ist ein Stoffwechselprodukt des Glucosestoffwechsels (7 Kap. 68.2.4) und kann als hochgeladenes Molekül im zentralen Kanal des Hämoglobins binden. Da dieser nur im T-Zustand offen ist, stabilisiert es dessen offenen Zustand und führt zu einer erleichterten Sauerstoffabgabe. Bei der Höhenadaptation wird in den Erythrozyten vermehrt 2,3-BPG gebildet, um so die verringerte Sauerstoffsättigung des Blutes zumindest teilweise zu kompensieren.

5

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

80

5 . Abb. 5.21 Denaturierung und Renaturierung von Ribonuclease aus Pankreas. Das native Enzym mit den vier rot dargestellten Disulfidbrücken wird durch Behandlung mit einem Überschuss an Thiolen (z. B. Mercaptoethanol) in Gegenwart hoher Harnstoffkonzentrationen entfaltet und somit denaturiert. Nach Entfernung von Harnstoff und Mercaptoethanol durch Dialyse erreicht das Enzym wieder seine ursprüngliche Aktivität und Raumstruktur. Es ist renaturiert

Da die Bindungsstellen für Protonen, Kohlendioxid und 2,3-Bisphosphoglycerat nicht mit denen für den Sauerstoff am Häm identisch sind, handelt es sich bei diesen Komponenten um klassische allosterische Effektoren (nach der griechischen Bezeichnung für »anderer Bereich« benannt). Zusammenfassung Hämoglobin ist das Sauerstofftransportprotein der Wirbeltiere: 4 Das Hämoglobin des Erwachsenen ist ein Tetramer aus zwei α- und zwei β-Untereinheiten. 4 Die kooperative Sauerstoffbindung ist eine Folge der Wechselwirkung zwischen den Untereinheiten. 4 Bei niedrigem pH (Acidose) der Umgebung wird Sauerstoff abgegeben (Bohr-Effekt). 4 2,3-Bisphosphoglycerat-Bindung erhöht die Sauerstoffabgabe bei der Höhenadaptation.

5.4

Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen

5.4.1

Denaturierung und Faltung von Proteinen

Wie wir schon gesehen haben, ist die ungestörte biologische Funktion eines Proteins von seiner intakten räumlichen Struktur abhängig. Eine Zerstörung der nativen Konformation (Denaturierung) führt zum Verlust der biologischen Aktivität. 1961 zeigte Christian Anfinsen experimentell an der Ribonuclease, dass zumindest ein kleines Protein reversibel denaturiert und renaturiert werden kann (. Abb. 5.21). Titriert man eine Lösung von nativ gefalteter, enzymatisch aktiver Ribonuclease mit Harnstoff, geht die enzymatische Aktivität mit steigender Harnstoffkonzentration immer mehr zurück. Parallel dazu wird auch der Anteil an kanonischen Sekundärstrukturelementen immer kleiner, den man mit biophysikali-

schen Methoden wie der CD-(Circulardichroismus-)Spektroskopie bestimmen kann. Harnstoff geht dabei keine chemische Reaktion mit dem Polypeptid ein, alle covalenten Bindungen bleiben intakt. Die Disulfidbrücken der nativen Ribonuclease können dann zusätzlich noch durch Beigabe eines Reduktionsmittels wie β-Mercaptoethanol gespalten werden, um eine lineare Polypeptidkette zu erhalten. Am Schluss erhält man dann ein vollkommen inaktives, ungefaltetes Protein. Entfernt man nun den Harnstoff und das Reduktionsmittel durch Dialyse, nimmt das Protein wieder selbstständig seine native Konformation an. Sogar die Disulfidbrücken werden unter dem Einfluss des Luftsauerstoffs wieder korrekt gebildet. Es kommt zur spontanen Renaturierung. Damit ist bewiesen, dass alle Informationen über die native Konformation in der Primärstruktur codiert sind, die ja auch die einzige Information ist, die über das Protein in der DNA gespeichert ist. Allerdings garantiert diese Eigenschaft nicht, dass nicht auch Fehlfaltungen entstehen können (im Falle der Ribonuclease z. B. falsche Disulfid-Brücken). Um die Faltungseffizienz zu erhöhen, hat die Zelle für bestimmte Proteine zusätzliche Hilfsmechanismen entwickelt (7 Kap. 49.1).

Der Faltungscode von Proteinen ist noch nicht entschlüsselt Heutzutage ist die Aufklärung der Nucleotidsequenz einer DNA Routine und kann mit hoher Zuverlässigkeit durchgeführt werden. Da der genetische Code bekannt ist, kann daraus die Aminosäuresequenz direkt abgeleitet werden. Anders ist es mit der räumlichen Struktur eines Proteins. Auch wenn die Aminosäuresequenz eines Proteins bekannt ist, kann man seine Raumstruktur im Allgemeinen noch nicht mit hoher Genauigkeit vorhersagen. Es gibt offensichtlich hierzu keine einfache Codierung, die es nur zu entschlüsseln gilt. Dies hat verschiedene physikalische Gründe. Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass der zugängliche Konformationsraum für Proteine riesig groß ist und sich mögliche Konformationen energetisch oft nur wenig unterscheiden. Die Vielzahl der frei drehbaren Einfachbindungen der Haupt- und Seitenketten lässt eine fast unbegrenzte Zahl von

81 5.4 · Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen

möglichen Konformationen zu. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die native Struktur die Struktur mit der niedrigsten Energie (genauer: niedrigsten freien Enthalpie G) ist, ist das globale Minimum der freien Enthalpie relativ flach, d. h. die freie Enthalpie der nativen Konformation eines Proteins unterscheidet sich quantitativ kaum von derjenigen anderer, ähnlicher Konformationen. Selbst die Energieunterschiede zwischen einem korrekt gefalteten und einem denaturiertem Protein sind sehr klein. Die freie Stabilisierungsenthalpie ∆G0stab eines typischen mittelgroßen Proteins liegt in der Größenordnung von 45 ± 15 kJ mol–1. Dieser Wert entspricht nur der Energie von einigen wenigen zusätzlichen Wasserstoffbrücken im Protein. Dazu kommt, dass die funktionelle, »native« 3D-Struktur nicht notwendigerweise dem absoluten Minimum der freien Enthalpie entspricht, sondern manchmal nur transient eingenommen (kinetische Stabilisierung) wird. Ein Beispiel hierfür ist die Protease Chymotrypsin, die durch limitierte Proteolyse (s. 7 Kap. 8.5 und 61.1.3)aus einem stabil gefalteten, inaktiven Vorläuferprotein hervorgeht.

Kleine Proteine falten und entfalten sich schnell und ohne einfach nachweisbare Zwischenzustände Nach ihrer Biosynthese am Ribosom liegen die Proteine noch weitgehend im ungefalteten Zustand vor, obwohl die naszierenden Ketten bereits im Austrittskanal der Ribosomen Sekundärstrukturen ausbilden können. Der ungefaltete Zustand U wird meist hinreichend gut als Zufallsknäuel beschrieben (ist aber eigentlich ein Ensemble von vielen, schnell ineinander übergehenden Konformationen ohne stabile Sekundärstruktureinheiten). Die native Struktur N eines Proteins wird traditionell als eine wohldefinierte, einheitliche Struktur angesehen wie man sie in Kristallstrukturen beobachtet. Computersimulationen von Proteinstrukturen und genauere experimentelle Untersuchungen mit modernen Methoden wie der NMR-Spektroskopie zeigen, dass die Annahme einer einzigen nativen Struktur N in Lösung eine erhebliche Vereinfachung darstellt. In Wirklichkeit findet man wieder ein ganzes Ensemble ähnlicher Strukturen in Lösung. Unter günstigen Bedingungen wie sie in der Zelle vorherrschen werden die native(n) Struktur(en) N bei kleinen Proteinen, die nur aus einer einzigen Domäne bestehen, oft schon in einigen Millisekunden erreicht. In einer ersten Näherung kann man die Faltung und die Entfaltung eines Proteins durch eine einfache Reaktionsgleichung beschreiben: U

!

I

! N

↓↑ X ↓ Xn I ist hier ein Zwischenzustand, der bei der ordnungsgemäßen Faltung auftritt. Faltungsintermediate X, die nicht direkt auf dem Weg zur nativen Struktur liegen, können die Faltung eines Proteins erheblich verzögern und bilden oft stabile Aggregate Xn. Wenn sie aus der Lösung ausfallen, sind sie faktisch aus dem

schnellen, reversiblen Gleichgewicht U N ausgeschieden. Ihr Auftreten stellt den Prototyp der (scheinbar) irreversiblen Denaturierung dar. Wie schon oben für den denaturierten und den gefalteten Zustand U und N besprochen, stellen in Lösung auch die Zustände I und X eigentlich wieder Ensembles von ähnlichen Konformationen dar. Experimentell lassen sich allerdings bei kleinen Proteinen mit einfachen spektroskopischen Methoden (Fluoreszenzspektroskopie, CD-Spektroskopie) oft nur ein gefalteter und ein denaturierter Zustand (Zweizustandsmodell) nachweisen und es gelingt nicht, ein Faltungsintermediat zu detektieren. Faltungsintermediate müssen allerdings aus fundamentalen, thermodynamischen Gründen immer dann vorhanden sein, wenn ein Protein in mehreren, funktionell wichtigen Konformationen vorkommt (essentielle Faltungsintermediate). Diese können auch nicht durch die Evolution eliminiert werden. Die wichtigsten strukturellen Eigenschaften eines Ensembles von Zwischenzuständen lassen sich häufig mit dem Bild eines geschmolzenen Kügelchens (molten globule) darstellen. Im Zwischenzustand des molten globule sind schon einige instabile Sekundärstrukturelemente im zeitlichen Mittel vorhanden, die sich aber noch schnell umlagern können, da der hydrophobe Kern des Proteins noch partiell hydratisiert ist. Der Faltungsvorgang eines Proteins lässt sich anschaulich und theoretisch zutreffend mit dem des Faltungstrichters (folding funnel) beschreiben. Der Faltungstrichter ist ein Sonderfall der freien Energielandschaft (free energy landscape), in der die freie Enthalpie (abzüglich des Entropieanteils der Peptidkette) als Funktion aller möglichen Konformationen der Polypeptidkette dargestellt wird (. Abb. 5.22). Das primär ungefaltete Protein befindet sich zunächst in einem Zustand hoher freier Enthalpie am Eingang des Faltungstrichters. Wie ein Skifahrer im Schwerefeld der Erde folgt es der Piste bergabwärts (in Richtung kleinerer freien Enthalpien), um schließlich im Tal anzukommen. Es gibt natürlich viele verschiedene Startpositionen (Konformere des Zufallsknäuels) und viele verschiedene Wege (teilgefaltete Konformere) auf dem Weg zum Tal. Wenn sich der Trichter immer mehr verengt, gibt es immer weniger Möglichkeiten. Gleichzeitig wird die Steigung immer größer und damit die Faltung immer schneller. Im Bild des Faltungstrichters löst sich auch das bekannte Levinthal-Paradoxon auf natürliche Weise. Es besteht darin, dass sich bei plausiblen Annahmen selbst ein kleines Protein nicht in endlicher Zeit falten könnte, wenn es alle möglichen Kombinationen von φ- und ψ-Winkeln austesten müsste. Die dazu benötigte Zeit würde das Alter das Universum überschreiten. Der Faltungstrichter zeigt den Denkfehler: Für ein Protein ist es nicht nötig, alle möglichen Konformationen anzunehmen, da der Gradient der freien Energie das Peptid zur korrekten Struktur hin führt. Wenn der Faltungstrichter glatt und unstrukturiert ist, wird sich das Protein schnell ohne nachweisbare Zwischenzustände falten. Wenn kleine lokale Energieminima auf der Oberfläche zu finden sind, wird die Faltung verzögert und Intermediate sind nachweisbar. Hat die freie Energielandschaft tiefe Täler oder gar Täler mit niedrigerer Energie als die native Struktur, ergeben sich Fehlfaltungen X. Diese Nebenminima können dann nur mit zusätzlicher (thermischer) Energie wieder verlassen werden.

5

82

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

5

. Abb. 5.22 Schematische Darstellung des Konformationsraums von Proteinen. Der im Prinzip multidimensionale Konformationsraum ist vereinfacht auf zwei Dimensionen xˆ und ŷ reduziert, die zugehörige freie Enthalpie G ist durch die senkrechte Koordinate gegeben. N: native Struktur. (Einzelheiten s. Text)

Proteine sind nur bei bestimmten äußeren Bedingungen nativ gefaltet Wie die Denaturierung von Eiweiß beim Eierkochen zeigt, können schon kleine Änderungen der äußeren Bedingungen zur Denaturierung (dem Verlust der dreidimensionalen Struktur) von Proteinen führen. Aus der Sicht der Thermodynamik ist dies leicht zu verstehen: Wie wir schon gesehen haben, ist selbst unter günstigen, physiologischen Bedingungen die freie Enthalpie der Stabilisierung ∆G0stab relativ klein. Sie bestimmt das Gleichgewicht zwischen gefaltetem und ungefaltetem Zustand. Die zugehörige Gleichgewichtskonstante K kann nach der Gleichung als ∆Gstab = –RT∙lnK berechnet werden (7 Kap. 4.1). Bei ∆Gstab = 45 kJ/mol liegen bei 37 °C in der Lösung nur 2.6∙10–6 % aller Proteinmoleküle im denaturierten Zustand vor. Die Temperatur ist hier ein wichtiger Parameter, da ∆Gstab selbst stark temperaturabhängig ist. Bei Proteinen von Menschen liegt das Maximum der freien Stabilisierungstemperatur gewöhnlich in der Nähe der physiologischen Körpertemperatur von 37 °C. Manche menschliche Proteine denaturieren schon bei 42 °C, eine typische Tem-

peratur der Hitzedenaturierung für viele Proteine ist 55 °C. Auch bei Temperaturerniedrigung geht die Stabilität von Proteinen stark zurück. Allerdings wird die Kältedenaturierung nur selten experimentell beobachtet, da die hierzu nötigen Temperaturen gewöhnlich etwas unterhalb des Gefrierpunkts von Wasser liegen. Ob ein Protein in Lösung im gefalteten oder ungefalteten Zustand vorliegt, hängt davon ab, welcher Zustand energetisch günstiger ist, wenn man die Summe aller physikalischen Wechselwirkungen des Protein-Lösungsmittel-Systems berücksichtigt. Daher spielen das Lösungsmittel, dessen pH und die Ionenstärke eine wichtige Rolle. Außerhalb relativ enger Grenzen dieser Parameter denaturiert das Protein. Will man Proteine absichtlich denaturieren, benutzt man in der Biochemie meist Harnstoff und Guanidiniumchlorid (Chloridsalz des Iminoharnstoffs) als Denaturierungsmittel. Deren Zusatz führt nur zur reversiblen Entfaltung des Proteins, ohne eine Modifikation covalenter Bindungen zu bewirken. Da diese Denaturierungsmittel die geordnete Wasserstruktur zerstören, werden sie als chaotrop bezeichnet. Als Mechanismus wird allgemein angenommen, dass in Anwesenheit von Harnstoff oder Guanidiniumchlorid die Entropie des Wassers größer wird und damit der Einfluss der hydrophoben Wechselwirkungen verringert wird. Dies führt dann zur Solvatisierung des hydrophoben Kerns und der Denaturierung des Proteins. Allerdings sprechen neuere Ergebnisse (insbesondere Moleküldynamiksimulationen) für eine direkte Wechselwirkung von Harnstoff und Guanidiniumchlorid mit dem denaturierten Zustand des Proteins, der dadurch energetisch begünstigt wird. Will man Proteine aus einer Lösung ausfällen und gleichzeitig inaktivieren, verwendet man oft pH-Veränderungen durch Zusatz von Trichloressigsäure oder Perchlorsäure. Auch Schwermetallsalze werden zum Denaturieren von Proteinen genutzt. Gleichzeitig mit der Denaturierung werden die Proteine ausgefällt, da die Schwermetallkomplexe der Proteine oft unlöslich sind. Die Proteindenaturierung wird irreversibel, wenn das denaturierte Protein stabile, unlösliche Aggregate (ungeordnete Proteinkomplexe) oder Polymere (geordnete makromolekulare Komplexe) bildet. Wie wir schon besprochen haben, bilden sich diese gewöhnlich aus fehlgefalteten Faltungsintermediaten X oder dem ungefalteten Protein U. Einen alternativen Mechanismus, der zur irreversiblen Denaturierung führt, stellen chemische Prozesse dar, die die covalente Struktur der Polypeptidkette verändern. Ein relativ häufiger Prozess ist die spontane Desaminierung von Asparigin- und Glutaminresten, die dabei in die negativ geladenen Aspartyl- oder Glutamylreste verwandelt werden. Dazu kommen die Oxidation von Cystein- und Methioninresten durch den Luftsauerstoff, die autokatalytische Spaltung von Asp-Pro-Peptidbindungen und die Racemisierung von Aspartaten. In Zellextrakten oder Körperflüssigkeiten kann eine nicht-enzymatische Glykierung der ε-Aminogruppe von Lysinseitenketten spontan stattfinden (7 Kap. 17.1.2).

83 5.4 · Physiologische und pathologische Faltungsprozesse bei Proteinen

5.4.2

Pathobiochemie der Proteinfaltung

Fehlgefaltetes Protein muss von der Zelle entweder renaturiert oder eliminiert werden Ungefaltetes oder fehlgefaltetes Protein neigt zur Bildung von stabilen Aggregaten oder Polymeren. Oft sind diese schädlich für die Zellen und führen am Ende zum Zelluntergang. Daher hat die Zelle Schutzmechanismen entwickelt, um eine Bildung dieser Aggregate zu unterdrücken. Prinzipiell gibt es hier zwei Mechanismen, die schnelle Herstellung der nativen Faltung durch Faltungshelfer oder der schnelle Abbau der fehlgefalteten Proteine durch spezialisierte proteolytische Systeme. Eine noch ungeklärte Frage ist, wie die Zelle zunächst die (nicht triviale) Erkennung der Fehlfaltung eines Proteins bewerkstelligt. Insbesondere gibt es eine große Anzahl von Proteinen (schätzungsweise 30 % aller im Genom codierten Proteine), die intrinsisch ungefaltet sind und dieser Erkennung entgehen müssen. Für die Elimination von fehlgefalteten Proteinen sind die wichtigsten Systeme das Proteasom und das Lysosom (7 Kap. 50). Die Aminosäuresequenzen der meisten Proteine sind durch die Evolution so optimiert worden, dass sie ohne Hilfe schnell in der Zelle ihre korrekte Faltung annehmen. Daher häufen sich auch diese Proteine im Normalfall nicht unkontrolliert als fehlgefaltete oder ungefaltete Proteine in der Zelle an. Dies kann unter Stressbedingungen (z. B. oxidativer Stress) anders sein, da hier die Bildung von irreversibel oxidierten Produkten begünstigt ist. Auch unter günstigen Bedingungen verzögert sich die Faltung von Proteinen durch eine notwendige cis-trans-Isomerisierung der Peptidbindung vor Prolinresten oder durch die notwendige Bildung von Disulfidbindungen. Hier hat die Zelle spezifische Enzyme, die diese Prozesse beschleunigen. Die Isomerisierung der Peptidbindung wird unter dem Einfluss von Peptidylprolylisomerasen (7 Kap. 49.1.5) beschleunigt, die schnelle Ausbildung von korrekten Disulfidbindungen wird durch Proteindisulfidisomerasen unterstützt (7 Kap. 49.2.1). Zu diesen katalytisch aktiven, spezialisierten Isomerasen kommen die Chaperone (7 Kap. 49.1.1), eine ganze Gruppe von Faltungshelfern, die keine spezifische katalytische Funktion haben. Sie binden Faltungsuntermediate I oder fehlgefaltetes Protein X (7 Kap. 5.4.1) und verhindern damit deren unkontrollierte Aggregation. Gleichzeitig beschleunigen Chaperone die korrekte Faltung, indem sie die unproduktiven Faltungsintermediate destabilisieren und wieder in den Faltungszyklus einschleusen. Proteine, die viele funktionelle Konformationen einnehmen müssen, sind oft nicht für schnelle Faltung optimierbar (s. o.). Dazu gehört das Actin, ein Schlüsselprotein des Cytoskeletts, das mit einer Vielzahl anderer Proteine interagieren muss. In der Zelle ist es weitgehend auf die Hilfe von Chaperonen angewiesen, um sich korrekt zu falten. In vitro lässt sich daher auch rekombinantes Actin nur mit sehr schlechter Ausbeute rückfalten.

Fehlgefaltete Proteine sind für zahlreiche Erkrankungen verantwortlich Schon seit langem ist bekannt, dass degenerative neurologische Erkrankungen wie die Alzheimer Erkrankung mit extrazellulä-

ren Ablagerungen von Amyloid im Gehirn einhergehen. Diese Ablagerungen sind mit Farbstoffen wie Kongorot spezifisch einfärbbar. Sie gehören damit zu der großen Gruppe der Amyloidosen, die auch andere Organe als das Gehirn befallen können. Biochemisch gemeinsam ist diesen Erkrankungen das Vorkommen unlöslicher, β-Faltblatt-reicher Fibrillen, die aus fehlerhaft gefaltetem, körpereigenem Protein bestehen. Beim Morbus Alzheimer ist es das Aβ-Peptid, ein proteolytisches Fragment eines Membranproteins (7 Kap. 74.5). Einen besonderen Fall stellt hier die Gruppe der übertragbaren spongiformen Enzephalopathien (TSE, transmissible spongiform encephalopathy) dar, zu denen der Morbus Creutzfeldt-Jakob und BSE (bovine spongiform encephalopathy) gehören, bei denen die Krankheiten durch ein fehlgefaltetes Protein, das Prionprotein (PrP), übertragen werden. Eine unerwartete (aber logische) Eigenschaft des fehlgefalteten Zustands des Proteins PrPSc im Zustand X (7 Kap. 5.4.1) ist, dass seine Gegenwart die Fehlfaltung von anderen endogenen Prionenproteinen PrPC zu induzieren scheint. Damit erzeugt PrPSc prinzipiell neue infektiöse Partikel aus dem überall vorkommenden, körpereigenen membranständigen Prionprotein (7 Kap. 74.5.5). Den generellen Mechanismus der Fibrillenbildung haben wir schon kennengelernt, ein fehlgefaltetes Protein im Zustand X lagert sich zu Aggregaten oder Polymeren zusammen. Kinetisch hat die Bildung von großen Polymeren noch einen zweiten Aspekt, es gibt eine kritische Konzentration von X, bei der die Polymerbildung effektiv wird. Die Polymerisation geht erst dann schnell vonstatten, wenn genügend »Kristallisationskeime« vorhanden sind. Die Forschung der letzten Jahre hat auch experimentell gezeigt, dass die Bildung amyloidartiger Fibrillen kein einzigartiges, seltenes Ereignis ist. Diese Fibrillen entstehen vielmehr häufig im Reagenzglas aus partiell denaturierten Proteinen. Ein Beispiel ist hier das Apomyoglobin, also das Häm-freie Myoglobin. Es bildet bei niedrigem pH-Wert spontan Fibrillen, die alle Eigenschaften von β-Amyloid haben (. Abb. 5.23). Wie die CD-Spektroskopie zeigt, entstehen aus dem primär α-helicalen Protein bei der Fibrillenbildung intermolekulare β-Faltblattstrukturen. Die Details dieses Übergangs sind bis heute allerdings noch nicht verstanden. Zusammenfassung Ein Protein bezeichnet man als denaturiert, wenn seine native räumliche Struktur verloren gegangen ist. Die Denaturierung eines Proteins ist gewöhnlich mit dem Verlust seiner biologischen Funktion verbunden. Denaturierung tritt immer dann auf, wenn der entfaltete oder partiell entfaltete Zustand durch äußere Einwirkungen (Temperaturänderungen, Zusatz von denaturierenden Substanzen, pH, …) energetisch günstiger ist als der native Zustand. Die dreidimensionale Struktur von Proteinen ist prinzipiell in seiner Primärstruktur codiert. Kleine Proteine falten sich in der Regel spontan aus dem ungefalteten Vorläufer. In der Zelle sind komplexere Proteine häufig auf Faltungshelfer wie 6

5

84

Kapitel 5 · Proteine – Struktur und Funktion

A

5.5

Proteinevolution

Nach der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung (Evolutionstheorie) sind alle derzeit auf der Erde existierenden Lebewesen aus einem Vorgänger hervorgegangen und haben einen gemeinsamen Stammbaum. Dabei sind die meisten Basisfunktionen mit leichten Modifikationen erhalten geblieben, obwohl die diesen Funktionen zugrundeliegenden Gene durch Mutagenese modifiziert und durch die Evolution selektiert wurden. Daher sollten die im Genom verankerten fundamentalen Stoffwechselwege in allen Organismen weitgehend erhalten geblieben sein. Dies betrifft beispielsweise fundamentale Funktionen wie die Energieversorgung der Zellen oder die Synthese und den Abbau wichtiger zellulärer Komponenten. Da im Genom die Sequenzen aller Proteine abgespeichert sind, die diese Basisfunktionen als Hauptakteure ausführen, sollten diese Gene in verschiedenen Spezies miteinander verwandt sein. Da die Wahrscheinlichkeit einer Mutation sich im Laufe der Evolution erhöht, lässt sich auch auf Grund der Mutationsrate in einem Gen oder dem Genprodukt ein Stammbaum aufstellen, der die klassischen morphologischen Klassifikationen durch seine Informationsfülle in seiner Aussagekraft deutlich übertrifft. Zusätzlich lassen sich durch den Vergleich von Aminosäuresequenzen konservierte Aminosäuren identifizieren und damit strukturell oder funktionell bedeutende Reste im Protein identifizieren. Durch die Sequenzierung der Genome vieler Organismen steht uns dazu heutzutage eine riesige Datenbasis zur Verfügung.

5

B

Das Cytochrom c des Menschen unterscheidet sich nur wenig von dem anderer Arten

. Abb. 5.23 Bildung amyloidähnlicher Fibrillen aus Apomyoglobin. A Natives Myoglobin besitzt typischerweise einen hohen Anteil an α-helicalen Abschnitten. Nach Ansäuern entstehen aus Myoglobin unlösliche Fibrillen, die alle Eigenschaften von Amyloid haben. B CD-Spektren von nativem Myoglobin (rot) bzw. säurebehandeltem amyloidartigem Myoglobin (blau). Das Minimum des amyloidartigen Myoglobins bei 215 nm zeigt einen hohen Anteil an β-Faltblattstruktur an. (Aus Fändrich et al., mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers, Ltd)

Disulfidisomerasen, Peptidylprolylisomerasen und Chaperone angewiesen. Fehlgefaltete Proteine sind die Ursache vieler degenerativer Krankheiten, die mit der Bildung von β-Amyloid verbunden sind.

Im Folgenden wollen wir diese Zusammenhänge an einem wichtigen Protein der Atmungskette, dem Cytochrom c, ausführen(7 Kap. 19.1.2). Cytochrom c ist ein Protein, das in den Mitochondrien aller Eukaryonten und bei allen aeroben Bakterien zu finden ist. Ein Vergleich der Aminosäuresequenzen von Wirbeltieren, Insekten, Pilzen und Pflanzen zeigt, dass an 35 Positionen des aus 104 Aminosäuren bestehenden Wirbeltiercytochroms die Aminosäuren identisch (vollständig konserviert) sind. Dies bestätigt die Hypothese, dass alle Cytochrome von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Die Unterschiede in den Aminosäuresequenzen korrelieren sehr gut mit dem bekannten Verwandtschaftsgrad der untersuchten Spezies. 8 der komplett konservierten Aminosäuren sind Glycine und zusätzlich ist ein zusammenhängender 11 Aminosäuren langer Bereich erhalten. Diese Aminosäuren spielen sicherlich eine besondere Rolle für die Funktion des Cytochrom c als Elektronenüberträger im Mitochondrium. Aber auch über die konservierten Bereiche hinaus ist die Häufigkeit der Aminosäuresubstitutionen signifikant von der Position abhängig. Die hydrophoben Reste, die das für den Elektronentransport verantwortliche Häm in Position halten und den hydrophoben Kern des Proteins bilden, werden, wenn überhaupt, durch strukturell ähnliche Reste ersetzt. Typische Austausche sind Valin gegen Isoleucin oder Leucin, Leucin gegen Methionin und Phenylalanin gegen Tyro-

85 5.5 · Proteinevolution

. Abb. 5.24 Proteindomänen. Viele Proteine haben einen modularen Aufbau, bei dem verschiedene Domänen hintereinander aufgereiht sind. Fibronectin, Kollagen XII und das Muskelprotein Titin enthalten nur wenige verschiedene Domänen in vielfacher Wiederholung. Fn: Fibronectin Typ I, II, III; VWA: von Willebrand Faktor Typ A; Ig: Immunglobulindomäne; TSPN: thrombospondin N-terminal-like domain. (Adaptiert nach Doolittle und Bork 1993)

sin. Zwei konservierte Cysteinreste in Position 14 und 17, ein Histidinrest in Position 18 und ein Methioninrest in Position 80 halten das Häm in Position. An der Oberfläche des Proteins sind 16 Lysinreste konserviert, die wichtig für die Interaktion mit Cytochrom b und der Cytochromoxidase sind. Hier sind auch andere polare Aminosäuren durch ähnliche Aminosäuren ersetzt, typischerweise Lysin gegen Arginin, Serin gegen Threonin und Aspartat gegen Glutamat. Die Sequenzen des Cytochrom c von Säugetieren unterscheiden sich im Schnitt an 11 Stellen von denen der Vögel. Wenn man annimmt, dass sich der Stammbaum von Vögeln und Säugetieren vor etwa 280 Millionen Jahren trennte, würde etwa eine Aminosäuresubstitution in 25 Millionen Jahren stattfinden. Diese innere Uhr ist natürlich abhängig von dem untersuchten Protein, für jedes Protein findet man im Prinzip eine eigene Zeitskala. Wenn man daher eine große Anzahl von Proteinen miteinander vergleicht, kann man ein sehr genaues Bild über den phylogenetischen Stammbaum bekommen. Selbstverständlich kann man auch spezifische Nucleotidsequenzen zur Konstruktion des Stammbaums nutzen. Hier ist besonders die ribosomale RNA wegen ihrer zentralen Stellung und ihres ubiquitären Vorkommens ein guter Verwandtschaftsindikator. Multidomänenproteine Wir haben schon gelernt, dass sich viele

Proteine gemäß ihrer Topologien in Proteinfamilien einteilen lassen. Viele der Proteine einer solchen Familie (aber nicht notwendigerweise alle) sind auch evolutionär miteinander verwandt, obwohl sie durchaus unterschiedliche Funktionen ausüben können. Aus der Sicht der Evolution bedeutet das, dass durch die Variation eines bewährten 3D-Strukturschemas Proteine mit neuen Funktionen geschaffen werden können. Eine alternative Methode ist die wiederholte Duplikation kleinere Sequenzmotive durch Genduplikation oder, sehr weit verbreitet, die Kombination verschiedener existierender Domänen zu neuen Proteinen mit neuen Funktionen. Auf DNA-Ebene entspricht dieses einer Neukombination von Exons (exon shuffling). Ein

Beispiel für die Neukombination von Domänen zur Erzeugung neuer Proteine ist in . Abb. 5.24 gezeigt. Fibronectin des Blutplasmas, Kollagen XII und Titin enthalten eine Kombination verwandter Domänen, obwohl sie durchaus unterschiedliche Funktionen haben. Zusammenfassung Die vergleichende Analyse von Proteinsequenzen erlaubt die Konstruktion von phylogenetischen Stammbäumen und gibt gleichzeitig die Information darüber, welche Reste in einem Protein strukturell oder funktionell besonders wichtig sind. Die Variation bewährter Strukturmuster von Domänen und die Kombination verschiedener Domänen sind zwei wichtige Strategien, um in der Evolution Proteine mit neuen Funktionen zu erschaffen.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

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Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung Hans R. Kalbitzer

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Einleitung

Proteine können über chromatographische Verfahren voneinander getrennt werden

Reindarstellung und Analytik von Substanzen sind wichtige Standbeine der klassischen Chemie und Biochemie. Dies gilt auch heute noch für die Proteinbiochemie, obwohl das Genom vieler Lebewesen einschließlich des Menschen und damit auch die Aminosäuresequenzen aller in der zugehörigen DNA codierten Proteine bekannt sind. Die dort codierten Proteine können im Prinzip alle heterolog exprimiert werden, daher erscheint es auf den ersten Blick sinnlos, sich noch mit der Isolierung von

Homogenisierung von biologischem Material Je nach Zelltyp

Proteinen aus biologischem Material oder deren chemischen Synthese zu beschäftigen. Tatsächlich ist dies nicht so, da die Proteine, die in der Zelle zu finden sind, oft noch posttranslational modifiziert werden. Natürlich muss auch bei heterologer Expression das Protein aus dem Gastorganismus gereinigt werden. Eine sorgfältige Analytik stellt die Basis reproduzierbarer Experimente dar. Zum Verständnis der Funktionsweise von Zellen und Geweben in der Systembiologie muss man natürlich auch die Konzentrationen ihrer einzelnen Bestandteile, also auch der Proteinkomponenten, kennen (Proteomik). Die Analytik selbst kann einfache chromatographische Methoden betreffen oder auch in der aufwendigen Bestimmung der räumlichen Struktur von Proteinen bestehen. Schwerpunkte 4 4 4 4 4

Isolierung von Proteinen aus Zellen und Geweben Chromatographische Analyse und Reinigung von Proteinen Ultrazentrifugation Massenspektrometrie Bestimmung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen: Röntgenstrukturanalyse und NMR-Spektroskopie 4 Proteomik 4 Chemische Polypeptidsynthese 4 Zellfreie Biosynthese von Proteinen

6.1

Isolation und Reinigung von Proteinen

6.1.1

Verfahren zur Isolation von Proteinen aus biologischem Material

Die Isolation von Proteinen aus Zellen, Geweben oder Körperflüssigkeiten gehört zu den grundlegenden biochemischen Arbeitsmethoden. Hierfür sind immer zwei Grundschritte nötig, der Aufschluss der Probe und die Isolation des Proteins aus dem Aufschluss. Für die Reinigung eines Proteins spielt die chromatographische Auftrennung eine zentrale Rolle.

oder Gewebeart müssen die Zellen mit unterschiedlichen Methoden aufgeschlossen werden, um die Proteine freizusetzen. Dabei wird Gewebe zunächst mit einem Mixer mechanisch homogenisiert. Die Zellen selbst werden dann mit verschiedenen Methoden aufgeschlossen; Standardverfahren sind hierbei die Zerstörung der Zellwände in der Glasperlenmühle, die Behandlung mit hohem Druck (French press), Ultraschall, Detergentien und Lysozym (zur Zerstörung der Zellwände von Bakterien). Unlösliche Komponenten wie Zellwände werden dann gewöhnlich mit Hilfe der Zentrifugation entfernt.

Prinzip der Verteilungschromatographie Wenn sich die Proteine

im Überstand befinden, wird man sie gewöhnlich in einem ersten Schritt chromatographisch fraktionieren. Befinden sie sich im unlöslichen Pellet, müssen die Proteine zunächst durch Zusatz von Detergentien oder Denaturierungsmitteln solubilisiert werden, bevor sie chromatographiert werden. Typisch für die meisten Formen der Chromatographie sind zwei unterschiedliche Phasen, eine stationäre und eine mobile Phase. Die stationäre Phase bindet die aufzutrennenden Proteine reversibel. Die mobile Phase ist gewöhnlich eine Flüssigkeit, kann aber auch ein Gas sein (Gaschromatographie). Die mobile Phase strömt an der stationären Phase vorbei und die zu isolierende Substanz verteilt sich dann gemäß der relativen Affinität auf die beiden Phasen. Zur präparativen Anwendung der Chromatographie muss das Zielprotein zurückgewonnen werden. Gewöhnlich ist die stationäre Phase in einem Rohr (Säule) eingeschlossen, durch das die Flüssigkeit strömt (Säulenchromatographie). Bei einem moderaten Unterschied der Affinitäten eines Proteins für beide Phasen stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht ein, indem das Protein immer wieder an die stationäre Phase bindet und dann wieder in die nachströmende Lösung übergeht. Dies führt zu einer allmählichen Elution von der Säule. Bei hohen Affinitätsunterschieden wird das Protein zunächst fest an die Säule gebunden. In einem zweiten Schritt wäscht man dann das Protein mit einer Lösung, die die Interaktion mit dem Säulenmaterial stark verringert, von der Säule. Für die Durchführung der präparativen Säulenchromatographie werden grundsätzlich vier verschiedene Komponenten benötigt, eine Pumpe, eine Säule, ein Detektor und ein Fraktionssammler. Die Pumpe sorgt dafür, dass die Flüssigkeit durch das System gepumpt wird. Im einfachsten Fall kann man hier auch den hydrostatischen Druck (Schwerkraft) nehmen. Die Säule

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

87 6.1 · Isolation und Reinigung von Proteinen

Stärke der Bindung des Zielproteins über die Auswahl des Säulenmaterials und den Puffer kontrollieren. Salzionen im Puffer konkurrieren um die Bindungsplätze auf dem Säulenmaterial. Nach Bindung werden die Zielmoleküle durch einen stufenweise oder linear ansteigenden Salzgradienten in Abhängigkeit ihrer Bindungsstärke (Ladung) eluiert und somit voneinander getrennt. Affinitätschromatographie Bei der Affinitätschromatographie

. Abb. 6.1 Ionenaustauscher auf Agarosebasis mit Diethylaminoethyloder Carboxymethyl-Resten

sorgt für die Auftrennung des Materials. Der Detektor (bei Proteinen meist ein UV-Detektor, der die UV-Absorption durch die Peptidgruppen misst) zeigt an, wann die Proteine die Säule verlassen. Der Probensammler schließlich sammelt nacheinander die verschiedenen Fraktionen in getrennten Behältern. Für die Proteinreinigung nimmt man heutzutage meist Systeme zur schnellen Proteinflüssigkeitschromatographie (FPLC, fast protein liquid chromatography), die die Flüssigkeit mit erhöhtem Druck von bis zu 0,2 MPa (2 bar) durch das System pumpen. Sie sind computergesteuert und erlauben, die Flüssigkeitszusammensetzung während der Elution automatisch zu variieren. Ändert man dabei kontinuierlich die Konzentration einer Komponente (z. B. von NaCl), spricht man von der Elution mit einem Gradienten. Ionenaustauscherchromatographie Eine wichtige, relativ unspezifische Auftrennmethode ist die Ionenaustauschchromatographie. Als stationäre Phase nimmt man heutzutage meist modifizierte Agarose (Sepharose). Ein häufig genutzter Anionenaustauscher enthält beispielweise positiv geladene Diethylaminoethylreste (DEAE-Sepharose), ein entsprechender Kationenaustauscher enthält negativ geladene Carboxymethylreste (CMSepharose) (. Abb. 6.1). Sie binden dann Moleküle, die die entgegengesetzte Ladung haben. Da die Gesamtladung eines Proteins von seinem pI und dem pH des Puffers abhängt, kann man die

werden ganz spezifische Eigenschaften eines Proteins zur selektiven Bindung an die stationäre Phase ausgenutzt. Daher kann man oft in einem einzigen Reinigungsschritt das Zielprotein vollständig von anderen Proteinen trennen. Grundsätzlich bindet man kovalent einen für das gesuchte Protein spezifischen Liganden an eine poröse, inerte Säulenmatrix. Wenn dann die Proteinlösung durch die Säule gepumpt wird, bindet das gesuchte Protein an seinen Liganden. Der Ligand kann das Substrat eines Enzyms, ein Interaktionspartner des gesuchten Proteins oder ein Antikörper gegen das Protein sein. Insbesondere die letzte Methode ist universell einsetzbar, aber für Präparationen im großen Maßstab zu aufwendig. Nach der selektiven Bindung des Proteins auf der Säule und der Abtrennung aller anderen Proteine wird es im nächsten Schritt wieder von dem Säulenmaterial gelöst. Hierzu gibt man den freien Liganden im Überschuss dazu oder schwächt unspezifisch die Interaktion mit dem Protein durch eine pH-Änderung oder durch die Denaturierung der Proteine (. Abb. 6.2). Bei rekombinant erzeugten Proteinen (7 Kap. 54.5) kann man die obige Reinigungsstrategie durch Manipulation des Proteins gezielt variieren. Dazu baut man gentechnisch künstliche Bindungsstellen in das Protein ein. Gewöhnlich fügt man dazu an den N- oder C-Terminus zusätzliche Protein- oder Peptidsequenzen (tags) an, für die es spezifische Liganden gibt. Man wählt in der Regel Liganden aus, die in Form von kommerziell hergestellten Säulenmaterialien verfügbar sind. Standardproteine für eine Fusion mit dem Zielprotein sind z. B. die GlutathionS-Transferase (GST) oder das Maltosebindungsprotein (MBP) von Escherichia coli. Die rekombinanten Fusionsproteine können dann auf Affinitätssäulen gebunden werden, die mit Glutathion oder Amylose (= Maltosepolymer) modifiziert sind. Anschließend können sie dann mit Lösungen der entsprechenden Ligan-

. Abb. 6.2 Prinzip der Affinitätschromatographie. An den an eine inerte Matrix immobilisierten Liganden bindet das zu reinigende Protein mit hoher Spezifität, während andere Moleküle nicht gebunden werden. Durch denaturierende Verbindungen, pH-Änderungen oder kompetitive lösliche Liganden wird das zu reinigende Protein von der Matrix abgelöst

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

. Abb. 6.3 Prinzip der Gelchromatographie. Bei der Gelchromatographie können kleine Moleküle (gelb) in die porösen Gelpartikel eindringen und legen einen längeren Weg zurück als Moleküle, die hierfür zu groß sind (violett). Daher kommen die kleinen Moleküle später am Säulenausgang an. Es findet eine Auftrennung nach der Molekülgröße (Molekülmasse) statt

den (Glutathion oder Maltose) eluiert werden. Gewöhnlich möchte man am Ende ein reines Protein ohne Fusionsanteil erhalten. Daher baut man zwischen dem Fusionsanteil und dem Zielprotein ein Peptid ein, das eine Spaltstelle für eine sequenzspezifische Protease enthält. Gängig ist hier das Einfügen einer Schnittstelle für die Protease Thrombin, die Enterokinase und die TEV-Protease (tobacco etch virus protease). Ein weiterer Vorteil solcher Fusionen ist, dass durch sie sehr oft auch die Expression und Löslichkeit der Konstrukte erhöht wird. Manchmal ist allerdings ein großer Fusionsanteil unerwünscht. Dann kann man auf Oligopeptide mit spezifischen Bindungseigenschaften zurückgreifen. Hier hat sich besonders das Histidinoligopeptid (His-tag) bewährt. Die Histidine binden mit mikromolarer Affinität an das Metallion von Ni2+-NTASäulen, auf denen das Metallion an NTA (nitrilotriacetic acid) fest gebunden ist. Das Fusionsprotein kann leicht wieder mit Imidazol oder durch eine Absenkung des pH-Wertes eluiert werden. Gelchromatographie Die Gelchromatographie (Gelfiltration,

Molekularsiebchromatographie, size exclusion chromatography) trennt Proteine nach ihrer Molekülgröße auf. Molekularsie-

be enthalten hochvernetzte poröse Partikel (z. B. aus Dextran) als stationäre Phase. Gibt man eine Lösung mit Molekülen verschiedener Größe auf eine derartige Säule, wandern kleinere Moleküle auch durch die Poren in den Gelpartikeln, während große Moleküle nur den direkten Weg zwischen den Partikeln nehmen können (. Abb. 6.3). Daher wandern die größeren Moleküle schneller als die kleinen durch die Säule, was zu einer Trennung nach Molekülgröße führt.

Ultrazentrifugation kann ebenfalls zur Trennung von Proteinen eingesetzt werden Präparative Ultrazentrifugation Das Prinzip der Ultrazentrifugation (7 Kap. 6.2) wird zu präparativen Zwecken in Form der Gleichgewichtsdichtegradientenzentrifugation (. Abb. 6.4) angewendet. Hierbei wird ausgenutzt, dass sich Proteine in einem Dichtegradienten im Gleichgewicht an der Stelle anreichern, bei der ihre eigene Dichte der des umgebenden Mediums

. Abb. 6.4 Prinzip der Dichtegradientenzentrifugation. 1 Auftragung des Proteingemischs auf den Dichtegradienten; 2 Zentrifugation; 3 Fraktionierung

entspricht. Der Dichtegradient wird üblicherweise aus einer Saccharoselösung hergestellt. Der Gradient wird entweder vor der Zentrifugation durch eine Mischung von Saccharoselösungen mit unterschiedlichen Konzentrationen aufgebaut, oder aber man lässt sich den Gradienten während des Zentrifugenlaufes selbst formen. Die präparative (Ultra-)Zentrifugation eignet sich nicht nur für die Auftrennung von Proteinen, sondern auch von Nucleinsäuren (z. B. in CsCl-Gradienten) und von subzellulären Partikeln. 6.1.2

Analytische Trennverfahren von Proteinen

Hochdruckflüssigkeitschromatographie Die Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC; high pressure oder auch high per-

formance liquid chromatography) stellt eine moderne analytische Variante der Verteilungschromatographie mit besonders großer Trennschärfe und reduziertem Zeitbedarf dar. Sie ist (nur) geeignet, kleinste Mengen von Proteinen in hochreiner Form zu erhalten. Im Gegensatz zur normalen Säulenchromatographie wird die Flüssigkeit unter hohem Druck von 2–20 MPa (20- bis 200-facher Atmosphärendruck) durch ein dicht gepacktes Säulenmaterial gedrückt. Typischerweise werden Hochdruckröhren mit 25 cm Länge und einem Durchmesser von 2–4,6 mm genutzt. Als stationäre Phase bei der Normalphasen-HPCL (NPHPLC) dienen normalerweise kleine Silicapartikel mit einem Durchmesser von 5 mm und einer Porengröße von typischerwei-

89 6.1 · Isolation und Reinigung von Proteinen

. Abb. 6.5 Prinzip der Umkehrphasen-HPLC. Weniger hydrophobe Proteine werden schon bei einer geringeren Konzentration an n-Propanol (violette Kugeln) eluiert als stärker hydrophobe. Dabei konkurriert das Propanol um Bindungsstellen am Protein mit den hydrophoben Seitenketten (Octylgruppen) der stationären Phase

se 30 nm. Die Oberfläche der Partikel ist stark polar, daher werden die Moleküle hauptsächlich nach ihrer Polarität aufgetrennt. Wenn die native Faltung keine Rolle spielt, nimmt man für die analytische Auftrennung von Peptiden und Proteinen gewöhnlich die Umkehrphasen-Hochdruckflüssigkeitschromatographie (RP-HPLC, reversed phase HPLC). Hier ist die stationäre Phase hydrophob, da die Silicapartikel mit Alkanresten mit variierenden Kettenlängen von 4 bis 18 Kohlenstoffatomen modifiziert sind. Die Elution wird mit einer Mischung von Wasser oder Puffer mit einem organischen Lösungsmittel wie n-Propanol oder Acetonitril (. Abb. 6.5) durchgeführt. Die Auftrennung der Moleküle erfolgt hier nach ihrer Hydrophobizität. Trägerelektrophorese Proteine in Körperflüssigkeiten wie Blut-

plasma, Urin oder Liquor kann man mit Hilfe der Trägerelektrophorese einfach und schnell auftrennen. Als stationäre Phase

dient hier eine Celluloseacetatfolie oder ein Agarosegel. Sie stellt eine billige Alternative zur analytischen Säulenchromatographie dar. Bei dieser Methode erfolgt die Trennung ausschließlich aufgrund der Ladung der Proteine. Die Auftrennung ist umso größer, je weiter der pH-Wert des Elektrophoresepuffers vom isoelektrischen Punkt eines Proteins entfernt ist (7 Abb. 3.13).

SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese trennt Proteine ausschließlich nach ihrer Molekülmasse SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese Bei der SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese (SDS-PAGE) werden Proteine nach ihrer Molekülmasse aufgetrennt. Trägermaterial ist ein Polyacrylamidgel, das meistens zwischen zwei Glasplatten gegossen wird.

Die Porengröße des Gels bestimmt die Trennschärfe des Gels und muss der Größe der untersuchten Proteine angepasst werden. Die Porengröße wird durch die Konzentration des zugesetzten Acrylamids und seiner Quervernetzung bestimmt. Die Proteine werden in einem Puffer aufgetragen, der das negativ geladene Detergens SDS (sodium dodecyl sulfate) (7 Abb. 3.8) und das Reduktionsmittel β-Mercaptoethanol enthält. SDS denaturiert das Protein, da die Wechselwirkung seiner hydrophoben Alkankette mit den hydrophoben Resten des Proteins zur Auflösung des hydrophoben Kerns führt. Gleichzeitig werden dabei bestehende Protein-Protein-Interaktionen oder Bindungen an Membranlipide so abgeschwächt, dass Polymere monomerisieren und Lipide freigesetzt werden. Das β-Mercaptoethanol reduziert mögliche Disulfidbindungen. Damit kann sich das Protein ganz entfalten und Polymere, die durch Disul-

. Abb. 6.6 SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese von Proteinen. Eine typische Anwendung der SDS-PAGE ist die Kontrolle von Proteinreinigungen. Die Trennung erfolgte in einem 16,5 %igen Polyacrylamidgel. Spur 1: Molekülmassenstandards, Spur 2: Extrakt von E. coli-Bakterien, in denen das menschliche Ras-Protein überexprimiert wurde, Spur 3: Extrakt nach Zentrifugation, Spur 4: Ergebnis nach Auftrennung mit dem Anionenaustauscher Q-Sepharose , Spur 5: nachfolgende Gelchromatographie

fidbindungen verknüpft sind, können dissoziieren. Am Ende sind 1,5 bis 2 SDS-Moleküle pro Peptidbindung an das Protein gebunden. Die negativen Ladungen des SDS bestimmen wegen ihrer hohen Anzahl im Wesentlichen die Gesamtladung des entstehenden SDS-Protein-Komplexes. Im elektrischen Feld wandern dann diese negativ geladenen SDS-Protein-Komplexe zur positiv geladenen Anode. Somit hängt die Wanderungsgeschwindigkeit der Proteine nur noch von ihrer Größe ab und ist in guter Näherung proportional zu ihrer molekularen Masse. Auf ein Elektrophoresegel trägt man gewöhnlich mehrere Proben in gleichem Abstand voneinander auf, sodass nach der Elektrophorese parallele Spuren von Proteinen entstehen (. Abb. 6.6). Zur Bestimmung der Molekülmassen trägt man auf einer Spur noch eine Referenzprobe auf, die Proteine mit bekannten Molekülmassen enthält. Nach Abschluss der Elektrophorese müssen die Proteine fixiert und sichtbar gemacht werden. Normalerweise nimmt man hierzu Coomassie Blau, das die Proteine gleichmäßig einfärbt. Es erlaubt deshalb eine semiquantitative Bestimmung der relativen Proteinkonzentrationen im Gel nach der Farbintensität. Will man Proteine in sehr geringen Mengen nachweisen, wählt man die sehr empfindliche Silberfärbung, die allerdings für eine Quantifizierung wenig geeignet ist.

Mit der zweidimensionalen Gelelektrophorese werden Proteine nach der Molekülmasse und dem isoelektrischen Punkt aufgetrennt Kombiniert man die klassische SDS-Gelelektrophorese mit einer anderen Trennmethode, spricht man von der zweidimensionalen Gelelektrophorese (2D-Gelelektrophorese), da die Proteine nach zwei verschiedenen Eigenschaften aufgetrennt werden. Normalerweise nimmt man für die zusätzliche Dimension als Trennmethode die isoelektrische Fokussierung (IEF). In der Praxis wird zunächst die isoelektrische Fokussierung durchgeführt. Die Probe wird mit Harnstoff, β-Mercaptoethanol und einem nicht-ionischen Detergens versetzt. Dabei werden

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

wie bei der SDS-Elektrophorese die Proteine denaturiert und mögliche Disulfidbindungen gespalten. Das nicht-ionische Detergens solubilisiert das Protein, ohne seine Gesamtladung zu verändern. Auf einem Polyacrylamidstreifen, der einen durch kovalent gebundene Ladungsträger erzeugten, immobilisierten pH-Gradienten enthält, wird die Probe aufgetragen. Nach Anlegen des elektrischen Feldes wandern die Proteine bis zu dem jeweiligen pH-Wert, bei dem sie nicht geladen sind. Dieser pHWert ist definitionsgemäß gerade ihr isoelektrischer Punkt (pI), und die Proteine sind daher nach ihrem pI-Wert aufgetrennt. Anschließend wird der Streifen auf ein klassisches SDS-Gel gelegt (. Abb. 6.7), und ein elektrisches Feld wird nun noch einmal senkrecht zur Längsachse des Streifens angelegt. Hierdurch werden die Proteine in eine zweite Dimension nach ihrer Molekülmasse aufgetrennt. Es entsteht ein zweidimensionales Muster auf dem Gel, bei dem jedem Protein eine Position auf dem Gel zugeordnet werden kann. Es ist möglich, mehr als 1.000 Proteine auf einem solchen Gel aufzutrennen. Arbeitet man unter gut standardisierten Bedingungen, kann man mit der entsprechenden Software die Proteine semiautomatisch identifizieren. 6.2

Charakterisierung von Proteinen

Charakterisierung des gereinigten Proteins Die Isolation und Reinigung eines Proteins bis zur Homogenität ist meist der erste Schritt, bevor es mit anderen Methoden weiter charakterisiert werden kann. Abhängig von der Vorgeschichte gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Szenarien: Es handelt sich um 4 ein mit rekombinanter Technologie hergestelltes Protein bekannter Aminosäuresequenz oder 4 ein aus natürlichen Quellen gereinigtes Protein unbekannter Sequenz.

Im ersten Fall muss man nur die Identität des Produkts bestätigen. Hierzu wird das Protein normalerweise ansequenziert, um mögliche Modifikationen wie N-Methylierung der ersten Aminosäure oder die Abspaltung N-terminaler Aminosäuren zu erkennen. Solche Modifikationen können durch Expression eines rekombinanten Proteins in einem fremden Wirtssystem entstehen. Die genaue Molekülmasse wird mit der Massenspektrometrie bestimmt. Ist das Massenspektrum durch die bekannte Sequenz erklärbar und stimmt die Sequenz der ersten Aminosäuren mit der Zielsequenz überein, gilt die Identität als bestätigt. Im zweiten Fall ist man manchmal mit einer qualitativen Bestätigung der Identität zufrieden. Wenn man das gereinigte Protein allerdings genau charakterisieren will, muss man auch hier die Aminosäuresequenz bestimmen.

Die Molekülmasse von Proteinen kann mit Hilfe der SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese abgeschätzt werden Eine Methode zur ungefähren Bestimmung der Molekülmasse von Proteinen haben wir mit der SDS-PAGE (. Abb. 6.6) schon kennengelernt. Sie wird immer routinemäßig vor weiteren Analysen durchgeführt.

. Abb. 6.7 Prinzip der zweidimensionalen Gelelektrophorese. Oben: Trennung der Proteine nach dem isoelektrischen Punkt in der ersten Dimension und nach der Molekülmasse in der zweiten Dimension. Unten: 2D-Gel der zellulären Proteine menschlicher Leukämiezellen

91 6.2 · Charakterisierung von Proteinen

. Abb. 6.8 Prinzip der Massenspektrometrie. Beim MALDI-TOF-Verfahren werden die in der Probe enthaltenen Proteine zunächst mit Hilfe eines gepulsten Lasers ionisiert. Die dabei entstehenden (positiv geladenen) Protein-Ionen werden in einem elektrischen Feld beschleunigt. Sie durchlaufen anschließend eine sog. Driftstrecke. Ihre Flugzeit durch die Driftstrecke wird durch einen Detektor gemessen und ist dem Verhältnis aus Masse und Ladung (m/z) proportional. (Einzelheiten s. Text)

Die relative Molekülmasse Mr, die fälschlicherweise häufig als Molekulargewicht bezeichnet wird, ist die Summe aller Atommassen eines Moleküls. Die relative Molekülmasse entspricht dabei einem Zwölftel der Masse des Kohlenstoffisotops 12C, also etwa 1,66∙10–24 g. In der Biochemie wird diese Einheit als Dalton (Da) bezeichnet. Im Gegensatz zur relativen Molekülmasse bezieht sich die molare Masse (oder Molmasse) auf eine Stoffmenge von 6,02214∙1026 Molekülen und wird in kg/mol angegeben. Eine relative Molekülmasse von 1 kDa entspricht also einer molaren Masse von 1 kg/mol.

Die Molekülmasse kann mit hoher Empfindlichkeit und Genauigkeit mit der Massenspektrometrie bestimmt werden Massenspektrometrie Heutzutage ist die Massenspektrometrie (MS, mass spectrometry) die Methode der Wahl für eine genaue Bestimmung der molaren Masse eines Proteins und ist hierin allen anderen, alternativen Methoden weit überlegen. Die Empfindlichkeit der Massenspektrometrie ist so groß, dass die Proteinmenge einer einzelnen, auf der SDS-PAGE sichtbaren Proteinbande ausreicht, um problemlos die Masse des Proteins zu bestimmen. Die dabei erreichbare Genauigkeit ist besser als 0,1 Da. Grundsätzlich ist ein Massenspektrometer aus drei Komponenten aufgebaut, der Ionenquelle, einem Analysator und einem Detektor (. Abb. 6.8). In der Ionenquelle müssen aus der Proteinprobe Ionen erzeugt und in das Hochvakuum abgegeben werden, das im Massenspektrometer herrscht. Eine Methode, um aus Proteinlösungen Ionen zu erzeugen, ist die Matrix-unterstützte Laser-Desorption/Ionisation (MALDI, matrix-assisted laser desorption/ionization), bei dem eine kleine Menge der Probe zunächst mit einer kristallinen Matrix (z. B. 2,5-Dihydroxybenzoesäure, DBT) gemischt und auf einem metallischen Träger cokristallisiert und getrocknet wird. Mit einem gepulsten Laser wird die Matrix schlagartig verdampft. Dabei werden die Proteine mitgerissen und gleichzeitig unter dem Einfluss der Matrix

ionisiert. Ein elektrisches Feld saugt dann die entstandenen Ionen ab. Eine Alternative ist die Elektrospray-Ionisation (ESI, electrospray ionization), die besonders schonend ist. Sie führt kaum zur Fragmentierung des Analyten und ist daher zur Massenbestimmung von Proteinen gut geeignet. Der gelöste Analyt wird in einer dünnen Kapillare durch ein elektrisches Feld beschleunigt. Dabei entsteht an der Spitze der Kapillare ein Überschuss an Ionen gleichartiger Ladungen, die dann ein feines Aerosol bilden. Gleichzeitig wird Probenflüssigkeit durch heißes Stickstoffgas verdampft. Die entstanden Ionen werden dann wieder durch ein elektrisches Feld separiert. In einem starken elektrischen Feld werden dann die geladenen Moleküle beschleunigt. Da die Beschleunigung der Moleküle von ihrer Ladung z und ihrer Masse m abhängt, hängt auch ihre Geschwindigkeit am Ende der Beschleunigungsstrecke von den beiden Parametern ab. Sie ist proportional zum Verhältnis m/z. Daher treffen die Ionen auch zu verschiedenen Zeiten auf dem Detektor auf und man kann sie aufgrund ihrer Flugzeit in einem TOF-(time of flight) Massenspektrometer trennen. Elektrische Quadrupole (4 stabförmige Elektroden, an die eine Gleichspannung angelegt wird, die mit einer Wechselspannung der Frequenz ω überlagert ist) können dazu benutzt werden, um nur Moleküle mit einem bestimmten m/z-Wert durchzulassen. Die Größe der Spannungen legt fest, welche Moleküle den Quadrupol unabgelenkt passieren können, die anderen Moleküle kollidieren mir der Wand und werden damit eliminiert.

Die Ultrazentrifugation erlaubt die Massenbestimmung von großen Proteinen und Proteinkomplexen Analytische Ultrazentrifugation Mit der Massenspekrometrie kann man sehr genau die molare Masse eines isolierten Proteins bestimmen. Proteine bilden in Lösung oft nicht-kovalente, wenig stabile Komplexe mit sich selbst oder anderen Proteinen. Diese Komplexbildung kann für ihre biologische Funktion von großer Bedeutung sein. Oft liegt in Lösung ein Gleichgewicht von Monomeren und Polymeren verschiedener Größe vor. Diese insta-

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

bilen Komplexe sind für die Massenspektrometrie nicht geeignet. Hier gibt die analytische Ultrazentrifugation, die von Theodor Svedberg und seinen Mitarbeitern eingeführt wurde, eine Antwort. Zentrifugiert man eine Proteinlösung mit einer sehr hohen Umdrehungszahl U, sind alle Moleküle in der Lösung einer hohen Zentrifugalkraft ausgesetzt, die wie ein künstliches Schwerefeld wirkt. Bei Zentrifugalkräften, die das 400.000fache der Erdanziehungskraft erreichen können, sedimentieren die Proteine in der wässrigen Lösung. Da aber gleichzeitig der hydrostatische Druck zu einer entgegengesetzten Auftriebskraft führt, wird die Zentrifugalkraft partiell kompensiert. Generell ist der Auftrieb proportional zur Dichtedifferenz von Lösungsmittel und gelöster Substanz und damit für alle Moleküle unterschiedlich. Nur diejenigen Moleküle sedimentieren in einer wässrigen Lösung, die wie die Proteine eine höhere Dichte als Wasser haben. Man kann nun die Sedimentationsgeschwindigkeit v = dr/dt in Richtung der Zentrifugalkraft mpw2r mit einem optischen System messen. Dabei ist r der Abstand von der Rotationsachse zum betrachteten Molekül im Zentrifugenröhrchen, mp die Masse des Proteins und ω die Rotationsgeschwindigkeit ω = 2π∙U (U: Umdrehungen/s). Da die Beschleunigung der Proteinmoleküle im künstlichen Schwerefeld durch die Reibung mit dem Lösungsmittel aufgehoben wird, die proportional zur Geschwindigkeit v ist, stellt sich eine konstante Sedimentationsgeschwindigkeit v ein (Stokes-Gesetz). Als Maß für die Größe der Molekülmasse erhält man den Sedimentations- oder Svedberg-Koeffizienten s, der unter sonst gleichen experimentellen Bedingungen (s. u.) für ein Molekül unabhängig von der Zentrifugalbeschleunigung ist: s = v/ω2r Da sich hier in den Basiseinheiten Meter, Kilogramm und Sekunde (MKS-System) sehr kleine Werte ergeben, drückt man s in der Svedberg-Einheit S aus, wobei 1 Svedberg 1∙10–13 s entspricht. Typischerweise haben Proteine Svedberg-Werte im Bereich von 1-200 S (. Tab. 6.1). Die Sedimentationsgeschwindigkeit v ist primär von der Molekülgröße und Dichte abhängig, wird aber von einer Reihe anderer Faktoren mit beeinflusst. Von der Proteinseite her ist es im Wesentlichen die Form des Proteins, bei gleichem Gesamtvolumen sedimentieren die fibrillären Proteine wegen ihrer elongierten Form langsamer als die typischen globulären Proteine mit ihrer nahezu sphärischen Form. Natürlich hängt die Sedimentationsgeschwindigkeit auch vom benutzten Lösungsmittel ab. Insbesondere wird die absolute Sedimentationsgeschwindigkeit von der Dichte und Viskosität des Lösungsmittels beeinflusst. Daher misst man gewöhnlich Sedimentationskonstanten immer im gleichen Puffer bei der gleichen Temperatur und bestimmt nur die relativen Sedimentationskonstanten der einzelnen Komponenten. Eine einfache lineare Beziehung zwischen der Molekülmasse und dem Sedimentationskoeffizienten ist wegen all dieser Faktoren nicht zu erwarten, sondern nur eine gute Korrelation. Dies kann man auch an den in . Tab. 6.1 angegebenen Werten sehen.

. Tab. 6.1 S-Werte und daraus errechnete Molekülmassen einiger Proteine (Ribosomen enthalten neben Proteinen einen großen Anteil von RNA) S20 (Svedberg-Einheiten bei 20 °C)

Molekülmassen (Da)

Insulin

1,2

6.300

Myoglobin

2,0

16.900

Hämoglobin

4,5

63.000

Fibrinogen

7,6

340.000

Ribosom (Bakterien)

70

2.500.000

Tabakmosaikvirus

174

59.000.000

Die vollständige saure Hydrolyse der Peptidbindungen erlaubt die Bestimmung der Aminosäurezusammensetzung Die Peptidbindungen in Proteinen können durch Behandlung mit starken Säuren oder Basen hydrolytisch gespalten werden. Die entstandenen Aminosäuren lassen sich dann mit einer HPLC quantifizieren und bei bekannter Molekülmasse kann daraus die Aminosäurezusammensetzung berechnet werden. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass bei der Hydrolyse gewöhnlich Nebenreaktionen ablaufen. Bei der meist angewandten sauren Hydrolyse mit 6 N HCl werden die Seitengruppen von Asparaginen und Glutaminen angegriffen, und es entsteht durch Abspaltung der Aminogruppe Aspartat und Glutamat. Zusätzlich geht ein Teil der Serine, Threonine und Tryptophane bei der Hydrolyse verloren. 6.3

Nachweisverfahren und Identifizierung von Proteinen

Immunologische Nachweisverfahren ermöglichen die Identifizierung und Quantifizierung einzelner Proteine (und anderer Antigene) durch spezifische Antikörper Immunpräzipitation Bei ausreichenden Mengen an Antigen und Antikörper führt deren Interaktion zur Bildung von Proteinpräzipitaten, die in Agarosegelen sichtbar gemacht werden können. Verwendet man z. B. für die Trägerelektrophorese von Proteinen (7 Kap. 6.1.2) ein Agarosegel, lassen sich anschließend Antiseren in einer Vertiefung entlang der Laufstrecke einbringen, die an denjenigen Stellen Präzipitationsbanden bilden, an denen in der Elektrophorese die entsprechenden Antigene aufgetrennt wurden (Immunelektrophorese). Enzymimmunoassays Enzymimmunologische Tests finden häufig zum Nachweis und zur Konzentrationsbestimmung solcher Antigene (Proteine) Anwendung, die in einer sehr niedrigen Konzentration vorliegen. Die erforderliche Signalverstärkung wird durch die Verwendung von Enzym-Antikörper-Konjugaten

93 6.3 · Nachweisverfahren und Identifizierung von Proteinen

A

B

. Abb. 6.9 Verstärkung immunologischer Signale durch Enzyme. A Test mit einem Enzym-Antikörper-Konjugat (grün/blau), dessen Antikörper (grün) das Antigen (rot) direkt erkennt. B Detektion eines Primärantikörpers gegen das Antigen mit einem enzymgekoppelten Sekundärantikörper. Die große Zahl der Produktmoleküle führt zu einer enormen Verstärkung des Eingangssignals (Antigen)

ermöglicht. Das zugrunde liegende Funktionsprinzip ist in . Abb. 6.9 gezeigt. Das Antigen (rot) ist fest an eine Oberfläche gebunden (Nitrocellulose, (s. u.) oder in Reaktionsgefäßen). Anschließend wird ein Enzym-Antikörper-Konjugat zugegeben (. Abb. 6.9A). Dieses besteht aus einem gegen das Antigen gerichtetes Immunglobulinmolekül (dem Antikörper, dunkelgrün), an das ein Enzymmolekül (blau) covalent gebunden ist. Die hohe Spezifität der Antigen-Antikörper-Wechselwirkung ermöglicht die selektive Erkennung und Bindung des Antigens. Nach der Entfernung von überschüssigem Enzym-Antikörper-Konjugat wird ein für das gekoppelte Enzym geeignetes Substrat zugesetzt und das gebildete Reaktionsprodukt anhand der Lichtabsorption oder Fluoreszenz erkannt bzw. quantifiziert. Steht nur ein normaler (unkonjugierter) Antikörper zur Verfügung (. Abb. 6.9B, dunkelgrün), kann dieser als Primärantikörper eingesetzt und mit einem enzymgekoppelten Sekundärantikörper einer anderen Tierart (hellgrün), der den Fc-Teil (7 Kap. 70.9.1) des Primärantikörpers erkennt, nachgewiesen werden. Dieses Prinzip wird bei verschiedenen Nachweisverfahren für Proteine (und anderer Antigene) eingesetzt, wie bei: 4 Western Blot (s. u.), 4 RIA und ELISA (7 Kap. 70.9.5) und 4 Immunhistochemie (s. u.). Western Blot Der erste Schritt der Western-Blot-Analyse ent-

spricht der schon besprochenen Auftrennung der Proteine mit einer SDS-Gelelektrophorese. Im zweiten Schritt müssen die Proteine zur weiteren Analyse auf Nitrocellulosepapier oder Nylonfolien übertragen werden. Diesen Vorgang nennt man Blotten (blot = Abklatsch). Gewöhnlich werden die Proteine vom Gel auf die Folie durch ein senkrecht zur Geloberfläche angelegtes elektrisches Feld übertragen. Die Blots können anschließend mit Antikörpern getränkt werden, die an ihre spezifischen Antigene (Proteine) binden. Diese Reaktion wird über einen zweiten Antikörper enzymimmunologisch (s. o.) sichtbar gemacht, wodurch die Stelle der Antigen-Antikörper-Antikörper-Reaktion angefärbt oder fluoreszenzmarkiert wird. Western-Blots sind wegen der Verwendung von Antikörpern hochspezifisch, sehr empfindlich und relativ einfach herzustellen, daher ist WesternBlotting im Routinebetrieb eine häufig genutzte Methode zur Identifizierung von bekannten Proteinen.

Immunhistochemie Die Visualisierbarkeit eines bestimmten

Proteins in einem Gewebeschnitt demonstriert die große Spezifität und Sensitivität enzymimmunologischer Nachweisverfahren. Ähnlich wie beim Enzymimmunoassay kommen oftmals zwei Antikörper zum Einsatz, von denen der Sekundärantikörper mit einem Enzym markiert ist. Die Bildung gefärbter Reaktionsprodukte erfolgt dabei nur am Ort der Lokalisation des Antigens (7 Abb. 62.3).

Proteine können durch die Ermittlung ihrer N-terminalen Aminosäuresequenz über den Edman-Abbau identifiziert werden Beim Edman-Abbau werden die Proteine durch eine chemische Reaktion vom N-terminalen Ende des Peptids her Aminosäure für Aminosäure abgebaut. Nach der Abspaltung werden die entstandenen Aminosäurederivate mit organischen Lösungsmitteln extrahiert und nacheinander chromatographisch mit der Umkehrphasen-HPLC identifiziert. Die Abspaltung erfolgt nach einer Reaktion der Aminogruppe mit Phenylisothiocyanat (PITC). Das entstandene Phenylthiocarbamid cyclisiert bei Behandlung mit wasserfreier Trifluoressigsäure und das daraus hervorgehende Phenylthiohydantoinderivat (PTH-Derivat) wird vom Restpeptid abgespalten. Nach der Extraktion des Produkts kann die Reaktion wieder durch eine Erhöhung des pH-Wertes und Zusatz von Phenylisothiocyanat gestartet werden. Der nächste Zyklus beginnt. Wegen sich anhäufender Nebenprodukte kann man nur Sequenzen von 30–40 Aminosäuren sicher aufklären. Die Edman-Analyse ist sehr empfindlich, nur etwa 10–100 pmol Protein sind für eine Sequenzierung notwendig, eine Proteinmenge, die in einer Bande eines SDS-Polyacrylamidgels nach der Elektrophorese typischerweise enthalten ist. Die Edman-Sequenzierung wird heutzutage im Allgemeinen durch Automaten durchgeführt. Will man größere Peptide sequenzieren, muss man sie erst in kleinere Fragmente zerlegen. Diese Fragmente werden dann wieder mit der HPLC aufgetrennt und anschließend wie beschrieben mit dem Edman-Abbau analysiert. Hierzu gibt es verschiedene chemische und enzymatische Methoden. Eine effektive chemische Methode zur Fragmentierung ist die Bromcyanspaltung. Durch die Behandlung der Probe mit Bromcyan (CNBr) werden die Polypeptidketten hinter Methionylresten gespalten. Die Alternative hierzu ist die Spaltung der Polypeptidkette mit Proteasen, die eine bekannte Sequenzspezifität haben. Üblicherweise nimmt man für die Sequenzierung die allgemein verfügbaren Proteasen Trypsin und Chymotrypsin. Trypsin spaltet Polypeptidketten bevorzugt hinter den basischen Aminosäuren Arginin und Lysin, Chymotrypsin erkennt aromatische Seitenketten, hinter denen die Spaltung stattfindet. Für eine vollständige Aminosäuresequenzierung benötigt man überlappende Fragmente, um deren Anordnung eindeutig zu bestimmen. Solche überlappende Teilstücke kann man dadurch erhalten, dass man die beschriebenen Methoden zur Fragmentierung parallel anwendet. Eine große Gefahr bei dieser klassischen Aminosäuresequenzierung besteht darin, dass man Fragmente bei der Reinigung verliert und so fehlerhafte Gesamtsequenzen erhält.

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

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. Abb. 6.10 Standardproteomanalyse mit der zweidimensionalen Elektrophorese und der Tandemmassenspektrometrie. A Zunächst werden die Proteine mit Hilfe einer zweidimensionalen Gelelektrophorese aufgetrennt und auf dem Gel mit Trypsin verdaut. Die erhaltenen Peptide werden dann mittels HPLC aufgetrennt. B Das ausgewählte Peptid wird mit der Tandemmassenspektrometrie analysiert. Zunächst erfolgt dabei die Isolierung des zugehörigen Massenpeaks, der Moleküle mit gleichem m/z enthält. Diese Moleküle werden anschließend in einer Kollisionszelle fragmentiert. Die dabei entstehenden Peptidionen werden massenspektrometrisch analysiert. Die Quadrupole Q1, Q2 und Q3 dienen der Abtrennung von Ionen mit instabiler Flugbahn. C Die erhaltenen experimentellen Massenspektren werden analysiert und mit theoretischen Massenspektren verglichen, die aus einer Sequenzdatenbank vorhergesagt werden können. (Adaptiert nach Gygi u. Aebersold 2000, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

Zuverlässigere Daten erhält man, wenn man in die Analyse eine DNA-Sequenzierung miteinbezieht, da DNA-Sequenzierungen automatisiert durchgeführt werden und für praktische Zwecke als fehlerfrei angesehen werden können. Eine gute Strategie ist, aus den Partialsequenzen der durch proteolytische Behandlung gewonnenen Bruchstücke DNA-Sonden zu erzeugen. Diese DNA-Sonden können dazu benutzt werden, das unbekannte Gen aus einer experimentellen cDNA-Bibliothek heraus mit Hilfe der PCR (7 Kap. 54.1.2) zu amplifizieren und dann die zugehörige cDNA zu sequenzieren. Die Identifizierung des Proteins (d. h. die Ermittlung seiner Aminosäuresequenz) kann viel effektiver erfolgen, wenn für den betrachteten Organismus (wie für den Menschen und eine Vielzahl von Mikroorganismen) das Genom schon aufgeklärt ist. Hier sucht man einfach die experimentell ermittelte(n) Partialsequenz(en) in der Genomdatenbank und kann daraus direkt die zugehörige Proteinsequenz ableiten. Allerdings gibt es immer noch Situationen, in denen die Standardaminosäuresequenzierung benötigt wird, nämlich immer dann, wenn man auf die DNA nicht zugreifen kann, oder

posttranskriptionale oder posttranslationale Modifikationen zu erwarten sind. Letztere sind natürlich nicht aus einer einfachen DNA-Sequenzierung zu erhalten.

Massenspektrometrie ist heutzutage die eleganteste Methode zur Identifikation von Proteinen Vor der Massenspektrometrie müssen die gereinigten Proteine erst fragmentiert und die erhaltenen Bruchstücke aufgetrennt werden. Die Erzeugung der Fragmente kann wie oben beschrieben erfolgen oder aber direkt im Massenspektrometer. Gewöhnlich benutzt man eine Kombination beider Methoden (. Abb. 6.10). Geht man von Proteingemischen aus, führt man zunächst eine zweidimensionale Gelelektrophorese durch. Die Proteine werden nach Abschluss der Elektrophorese direkt auf dem Gel proteolytisch gespalten. Die dabei erhaltenen Peptidgemische der einzelnen Proteinflecken (spots) werden dann über eine HPLC weiter aufgetrennt und in das Massenspektrometer eingespritzt. Mit einem Quadrupolfilter werden wohldefinierte Peptide ausgewählt und dann in einer mit Heliumgas gefüllten Kollisionszelle in kleinere Bruchstücke zerlegt. Diese entstehen beim

95 6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen

Zusammenstoß der vorher beschleunigten Peptide mit den Heliumatomen (CID, collision induced dissociation). Die dabei erhaltenen Fragmente werden dann in einem zweiten, mit der Kollisionszelle verbundenen Massenspektrometer endgültig analysiert (MS-MS, Tandem-MS). Die erhaltenen Massenspektren der Fragmente werden anschließend mit bioinformatischen Methoden analysiert und ergeben am Ende die Proteinsequenz(en). Zusammenfassung Eine wesentliche Voraussetzung für die Charakterisierung von Proteinen ist ihre Reindarstellung aus Zellextrakten oder Körperflüssigkeiten. Diese Reinigung wird gewöhnlich mit einer Kombination verschiedener säulenchromatographischer Verfahren bewirkt. Gängige Techniken sind hier: 4 Ionenaustauschchromatographie 4 Gelchromatographie 4 Affinitätschromatographie 4 Umkehrphasen-HPLC (bei kleinen Mengen) Zur schnellen Bestimmung der Molekülmasse im Biochemielabor eignet sich die SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese (SDS-PAGE). Als genauere Methoden stehen die Massenspektrometrie und die, für den Routinebetrieb wenig geeignete, analytische Ultrazentrifugation zur Verfügung. Zur schnellen Identifizierung von bekannten Proteinen greift man oft auf den Western-Blot zurück. Zur analytischen Auftrennung von komplexen Proteingemischen wird häufig die zweidimensionale Elektrophorese gewählt. Proteine können in einfachen Fällen aus der Position ihres Flecks auf dem Gel identifiziert oder durch nachfolgende Analyse durch Massenspektrometrie erkannt werden. Die Aminosäuresequenz kleiner Polypeptide kann mit Hilfe des Edman-Abbaus bestimmt werden. Bei Proteinen muss vorher eine chemische oder enzymatische Fragmentierung durchgeführt werden. Eine moderne Methode ist die CIDMS-MS. Die höchste Zuverlässigkeit liefert die Sequenzierung der zugehörigen cDNA oder die rechnergestützte Suche von Peptidfragmenten in Genom-Datenbanken.

6.4

Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen

Die genaue räumliche Struktur von Proteinen in atomarer Auflösung kann bis heute mit ausreichender Sicherheit nur mit ex-

perimentellen Methoden ermittelt werden. Allerdings kann die allgemeine Faltung eines Proteins oft gut aus der Aminosäuresequenz vorhergesagt werden, wenn die 3D-Struktur eines eng verwandten Proteins bekannt ist. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Verfahren werden zur Strukturaufklärung von Proteinen eingesetzt. Wenn das Protein in festem Zustand vorliegt, nutzt man die Streuung von Röntgenstrahlen, Neutronen und Elektronen durch Proteineinkristalle zur Strukturaufklärung (Röntgenkristallographie). Liegt das Protein in Lösung vor,

kann man seine Struktur mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie (NMR, nuclear magnetic resonance) erhalten. Die Kernresonanzspektroskopie kann allerdings auch für Proteine im festen Zustand durchgeführt werden. 6.4.1

Röntgenstrukturanalyse

Eine bahnbrechende Eigenschaft der Röntgenstrahlen, die von Wilhelm Conrad Röntgen 1895 entdeckt wurden, war die Möglichkeit, das Innere von Gegenständen sichtbar zu machen. Es dauerte nicht lange, bis man herausfand, dass man mit Röntgenstrahlen auch die räumliche Anordnung der Atome in einfachen Kristallen und damit letztendlich auch die atomare Struktur von kleinen anorganischen (NaCl, 1913) und organischen Molekülen (Benzol, 1928) durch die Interpretation der Röntgenbeugungsmuster aufklären konnte. Die ersten Strukturuntersuchungen von Makromolekülen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts scheiterten an der Komplexität der sich ergebenden Beugungsbilder. Es mussten noch 20 Jahre vergehen bis es John Kendrew gelang, 1958 mit der Struktur des Myoglobins die erste Röntgenstruktur zu lösen. Heute ist die Röntgenbeugung (X-ray diffraction) die wichtigste Methode zur Strukturbestimmung biologischer Makromoleküle. Mehr als 90 % aller Proteinstrukturen der internationalen Proteindatenbank (pdb, protein data bank) wurden mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse gelöst.

Für eine Röntgenstrukturanalyse benötigt man Einkristalle von Proteinen Um die Röntgenbeugungsdaten interpretieren zu können, benötigt die Röntgenstrukturanalyse Einkristalle der zu untersuchenden Proteine. Deshalb wählt man auch oft den alternativen Ausdruck Röntgenkristallographie (X-ray cristallography) zur Beschreibung der Methode. Die Kristallisation von Proteinen stellt auch nach der Einführung von automatisierten Kristallisationsverfahren (»Kristallisationsrobotern«) immer noch die größte Herausforderung auf dem Weg zur 3D-Struktur eines Proteins dar. Proteine können spontan aus konzentrierten Proteinlösungen innerhalb von Stunden kristallisieren, die Suche nach geeigneten Kristallisationsbedingungen für ein ganz bestimmtes Protein kann aber auch viele Jahre in Anspruch nehmen. Bei der Kristallisation wird eine konzentrierte, nahezu gesättigte Proteinlösung durch geeignete Manipulation der äußeren Bedingungen langsam in den übersättigten Zustand überführt. In der Regel wird ein Tropfen der Proteinlösung auf einen Objektträger gegeben, der dann umgedreht auf ein kleines Gefäß gelegt wird (hängender Tropfen, hanging drop). Durch Dampfdiffusion im Gefäß verliert der Tropfen langsam Wasser, und die Proteinkonzentration steigt. Wenn alle Bedingungen korrekt gewählt wurden, bilden sich schließlich in der übersättigten Lösung kleine Kristallisationskeime, die durch Anlagerung weiterer Proteinmoleküle langsam größer werden (. Abb. 6.11). Allerdings tritt meistens ein konkurrierender unerwünschter Prozess ein: Das Protein aggregiert ungeordnet und fällt aus der Lösung aus, bevor sich Kristalle gebildet haben. Daher muss man in der Regel viele verschiedene Lösungsbedingungen ausprobieren, bis man einen ausreichend großen Kristall erhält. Oft

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

6 . Abb. 6.11 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Kristalls der Pyruvatkinase. Der Kristall besteht aus regelmäßig im Kristallgitter geordneten Enzymmolekülen. Auf einer Kante liegen etwa 2.000 Moleküle nebeneinander. (Aus Hess und Sossinka 1974)

führt auch eine extensive Variation der Pufferbedingungen nicht zum Ziel. In diesen Fällen versucht man, die Kristallisationstendenz durch kleine Änderungen der Proteinoberfläche zu erhöhen, die man durch gezielte Mutagenese einführt. Daher entsprechen viele der in der Proteinstrukturdatenbank gespeicherten Röntgenstrukturen nicht genau dem gesuchten, natürlichen Zielprotein. Im nächsten Schritt wird ein Einkristall auf einem Goniometer befestigt, einer Vorrichtung, mit der der Einkristall in der monochromatischen Röntgenstrahlung schrittweise gedreht werden kann. Die gebeugten Röntgenstrahlen werden dann heutzutage mit einem Flächendetektor wie der CCD-Kamera (CCD, charge coupled device) registriert und digitalisiert. Für eine scharfe Abbildung muss die Wellenlänge der benutzten Strahlung der gewünschten Auflösung (kleinster Abstand, bei der zwei Atome getrennt beobachtbar sind) entsprechen. Dies ist schon für die im Labor genutzte charakteristische Strahlung der Kupferanode einer konventionellen Röntgenröhre der Fall, deren Kα-Linie eine Wellenlänge von 0,154 nm hat. Gewöhnlich nutzt man heutzutage für die Strukturbestimmung die Synchrotronstrahlung, die von großen Teilchenbeschleunigern erzeugt wird. Wegen ihrer wesentlich größeren Luminosität (Strahlungsintensität) kann man einen ganzen Datensatz in weniger als einer Stunde aufnehmen und mit viel kleineren Kristallen arbeiten. Im Gegensatz zur charakteristischen Strahlung einer Röntgenröhre kann man sich die Wellenlänge bei der Synchrotronstrahlung aussuchen und arbeitet gewöhnlich bei kleineren Wellenlängen um 1 nm. Bessere Ergebnisse scheint man bei noch kleineren Wellenlängen zu erhalten. Die Streuung (Diffraktion) der Röntgenstrahlen an der Elektronenhülle der Proteinatome ergibt dann typische Muster von Reflexen. . Abb. 6.12 zeigt ein solches Diffraktionsmuster, das von einem Einkristall des Rasproteins aufgenommen wurde. Abhängig von der Qualität der verwendeten Kristalle enthält ein vollständiger Satz von unter verschiedenen Winkeln aufgenommen Beugungsbildern zwischen 10.000 und 100.000 Reflexe.

. Abb. 6.12 Röntgenbeugungsmuster eines Ras-Kristalls. Die Daten wurden an einem Synchrotron mit einem 0,2×0,1×0,1 mm großen Kristall bei einer Temperatur von 100 K und einer Wellenlänge von 0,128 nm aufgenommen. (Mit freundlicher Genehmigung von I. Vetter)

Diese Reflexe enthalten genug Information, um die räumlichen Koordinaten aller Atome des Proteins genau zu bestimmen. Wie jede elektromagnetische Strahlung hat auch die Röntgenstrahlung eine Intensität und eine Phase. Wenn nun neben den Intensitäten auch die Phasen aller Reflexe bekannt wären, könnte man aus den Diffraktionsbildern direkt die Elektronenverteilung des ganzen Proteins und damit auch alle Atompositionen durch eine einfache mathematische Operation, die Fourier-Transformation, berechnen. Leider erhält man experimentell nur die Intensität der gestreuten Röntgenstrahlung, aber nicht deren Phase. Um die zur Berechnung der 3D-Struktur notwendige Phaseninformation zu erhalten, gibt es verschiedene Ansätze. Die Standardmethode, die bei den ersten Proteinstrukturen angewandt wurde, und auch heute noch von Bedeutung ist, ist der multiple isomorphe Ersatz (MIR, multiple isomorphous replacement). Hier erzeugt man von den Kristallen verschiedene Schwermetallderivate, indem man sie sich mit Schwermetallsalzen wie Uranylacetat oder Quecksilberacetat vollsaugen lässt (soaking). Dabei wird idealerweise eines oder mehrere Schwermetallatome an wohldefinierten Stellen gebunden, ohne dass die räumliche Struktur des Proteins verändert wird. Die Position der Schwermetalle im Kristall ist dann der Ausgangspunkt zur Lösung des Phasenproblems. Alternativ wird biosynthetisch Selenomethionin statt Methionin in das Protein eingebaut und die anomale Streuung des Selens bei einer oder (in schwierigen Fällen) mehreren Wellenlängen gemessen (SAD, single-wavelength anomalous dispersion, MAD, multiple-wavelength anomalous dispersion). Liegt schon eine 3D-Struktur eines stark verwandten Proteins vor, kann man diese Struktur zur Bestimmung von Ausgangswerten für die Phasen verwenden (molekularer Ersatz, molecular replacement).

97 6.4 · Methoden zur Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen

. Abb. 6.13 Mehrdimensionale NMR-Spektroskopie zur Proteinstrukturbestimmung in Lösung. Links: 3D-HNCO-NMR-Spektrum des Kälteschockproteins Csp (cold shock protein) des hyperthermophilen Mikroorganismus Thermotoga maritima. Das Protein wurde in E. coli exprimiert und dabei mit den stabilen Isotopen 15N und 13C angereichert. In den HNCO-Spektren werden Amidprotonen (H), der Amidstickstoff (N) und der Carbonylsauerstoff (CO) der Peptidbindung selektiv detektiert. Eine Achse zeigt die 1H-, eine die 15N- und die dritte die 13C-Resonanzfrequenzen an, d. h. ein Signal im 3D-Spektrum entspricht dann dem C, N und Amidproton (H) genau einer Peptidbindung im Protein. Rechts: Die NMR-Struktur von Csp ergibt eine β-Fass-Topologie, die aus 5 β-Strängen gebildet werden. Das Kälteschockprotein wird bei Abkühlung von der optimalen Wachstumstemperatur von T. maritima von mehr als 80 °C in hoher Konzentration gebildet. (PDB ID: 1G6P)

Wenn die Kristalle eine ausreichende Qualität haben, ist die Röntgenstrukturanalyse auch großer Proteine eine Routineangelegenheit und erste Strukturen können prinzipiell schon innerhalb eines Tages erhalten werden. Daher ist die Kristallisation der Proteine der eigentliche Engpass. Sie ist besonders schwierig für Membranproteine, die zur Erhaltung ihrer Struktur Membranlipide benötigen. Trotzdem hat man auch hier schon erhebliche Fortschritte gemacht, sodass heute die Röntgenstruktur von mehr als 400 Membranproteinen bekannt ist. 6.4.2

NMR-Strukturbestimmung

Im Jahr 1984 gelang es der Gruppe von Kurt Wüthrich, die erste dreidimensionale Struktur eines kleinen globulären Proteins, des Stiersperma-Proteaseinhibitors (BUSI, bull seminal proteinase inhibitor) mit Hilfe der zweidimensionalen NMR-Spektroskopie zu bestimmen. Damit wurde die NMR-Strukturbestimmung als eine neue Alternative zur Röntgenstrukturanalyse in die Biochemie eingeführt.

NMR-Spektroskopie erlaubt die Bestimmung der Struktur von Proteinen in Lösung Schon vor der ersten 3D-Proteinstrukturbestimmung war die Kernresonanzspektroskopie (Synonyme: Kernmagnetische Resonanz, NMR-(nuclear magnetic resonance)-Spektroskopie) als eine wichtige analytische Methode in der Chemie weitverbreitet und wurde zur Aufklärung der covalenten Struktur von Syntheseprodukten routinemäßig eingesetzt. Im Gegensatz zur Röntgenkristallographie arbeitet sie mit Proteinen im gelösten Zustand. Die Proteinstruktur wird also unter quasiphysiologi-

schen Bedingungen ermittelt. Es ist evident, dass natürlich keine Kristallisation der Proteine erforderlich ist. Ein Nachteil ist die Komplexität der Strukturbestimmung selbst, die Monate oder Jahre dauern kann. Bei der NMR-Strukturbestimmung werden die strukturabhängigen Wechselwirkungen der magnetischen Momente der im Protein enthaltenen Atomkerne dazu genutzt, um eine Struktur zu berechnen. Die wichtigste Größe ist hier der Kern-Overhauser-Effekt (NOE, nuclear Overhauser effect), mit dem sich paarweise Abstände zwischen den Atomen bis zu maximal 0,6 nm messen lassen. Um ein NMR-Experiment durchführen zu können, müssen die magnetischen Momente in einem starken äußeren Magnetfeld ausgerichtet werden. Hierzu nutzt man gewöhnlich (teure) supraleitende Magnete mit hohen Magnetfeldstärken, da die Empfindlichkeit der NMR-Spektroskopie stark mit dem Magnetfeld zunimmt. Im Vergleich zur Röntgenkristallographie ist die NMR-Spektroskopie eine junge Methode, daher sind viele Bereiche noch in Entwicklung begriffen und nicht für den Routinebetrieb optimiert. Für die NMR-Strukturbestimmung müssen eine Reihe verschiedener mehrdimensionaler NMR-Spektren aufgenommen werden (. Abb. 6.13). Für Proteine mit Molekülmassen über 10 kDa müssen die Proteine biosynthetisch mit den stabilen Isotopen 13C und 15N (bei sehr großen Proteinen noch zusätzlich 2H) angereichert werden, die in der Natur nur in geringer Häufigkeit vorkommen. Mit einer Steigerung der Molekülmasse wird die NMR-Strukturbestimmung immer schwieriger, eine praktische Obergrenze für die Bestimmung einer vollständigen dreidimensionalen Struktur eines Proteins liegt derzeit bei etwa 100 kDa.

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

Die meisten von DNA codierten Proteine haben eine molekulare Masse in diesem Bereich. Trotzdem bleibt die Größenbeschränkung der Hauptnachteil der NMR-Spektroskopie, die Bestimmung einer Ribosomenstruktur, wie sie mit der Röntgenstrukturanalyse gelungen ist, ist weit außerhalb dessen, was die NMR derzeit leisten kann. Ein Vorteil der NMR-Strukturbestimmung bleibt aber, dass sie im gelösten Zustand funktioniert und gleichzeitig empfindlich für Bewegungsvorgänge im Protein ist. Die Kristallisation kann Artefakte erzeugen und muss nicht notwendigerweise das konformationelle Ensemble in der Lösung repräsentieren. Eine neue Entwicklung ist die NMR-Strukturbestimmung im festen, nicht-kristallinen Zustand mit Hilfe der Festkörperresonanzspektroskopie (solid state NMR). Mit ihr ist es bereits gelungen, die ersten Strukturen von membrangebundenen Proteinen zu bestimmen. Zusammenfassung Die räumliche Struktur von Proteinen wird im Wesentlichen mit zwei verschiedenen Methoden bestimmt: 4 Die am weitesten verbreitete Methode zur Proteinstrukturbestimmung ist die Röntgenstrukturanalyse. Sie führt schnell zum Ziel, wenn Proteineinkristalle hoher Qualität zur Verfügung stehen. Allerdings ist es oft nicht einfach, ausreichend gut streuende Kristalle des Zielproteins in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erzeugen. 4 Mit der NMR-Strukturbestimmung wird die eigentlich relevante Lösungsstruktur von Proteinen ermittelt. Sie ist sehr zeitaufwendig und für große Proteine schwierig.

6.5

Proteombestimmung (Proteomik)

Die Initiative zur Aufklärung des menschlichen Genoms hat zur Erfindung effektiver, schneller und zuverlässiger DNA-Sequenzierungsmethoden geführt. In der Zwischenzeit stehen uns die kompletten DNA-Sequenzen zahlreicher Organismen zur Verfügung. Auf der Seite des National Center for Biotechnology Information (http://www.ncbi.nim.nih.gov/genome) sind derzeit mehrere Tausend Genome von Mikroorganismen wie Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Streptococcus pyogenes, 8 Genome von Pflanzen wie Arabidopsis thaliana (Gänserauke), Vitis vinifera (Weinrebe), Zea mays (Mais), Oryza satina (Reis), 2.895 von Viren und von zahlreichen Pilzen und Tieren abgespeichert. 19 komplette Säugergenome sind hier zugänglich, die von der Maus (Mus musculus) über das Rind (Bos primigenius taurus) und den Gorilla (Gorilla gorilla) bis zum Menschen (Homo sapiens) reichen. Die Anzahl der gelösten Genome steigt weiterhin schnell an.

Die Untersuchung des Proteoms ergänzt die Aufklärung des Genoms Da im Genom auch alle Proteine codiert werden, stehen uns auch die Aminosäuresequenzen aller Proteine, das Proteom, zur Verfügung. Daher ist die Untersuchung des Proteoms in der Proteo-

mik (proteomics) eine Aufgabe, die sich zwanglos aus der Genomik (genomics) ergibt.

Wie unterscheidet sich nun die Proteomik von der klassischen Proteinbiochemie? Der Hauptunterschied folgt aus der Vollständigkeit der Daten, die im Prinzip erlaubt, ein geschlossenes Bild aller Interaktionen der Proteine in einer Zelle zu erhalten. Da nicht alle Proteine zur selben Zeit und in allen Zellen exprimiert werden, ist eine fundamentale Aufgabe der Proteomik das Expressionsmuster der Proteine in bestimmten Zellen und bei bestimmten funktionellen Zuständen zu ermitteln. Für das Verständnis des Zusammenwirkens der Proteine ist auch eine Kenntnis ihrer posttranslationalen Modifikationen erforderlich. Diese Informationen erlauben dann mit bioinformatischen Methoden die Unterschiede verschiedener Proteome zu analysieren, um deren Rolle bei der Krankheitsentstehung oder der Entwicklung individueller Besonderheiten zu verstehen. Die funktionelle Proteomik konzentriert sich besonders auf die Analyse des Netzwerks der Protein-Protein-Interaktionen und deren Rolle bei der Erhaltung und Regulation der Funktionen, die für das Überleben und die Vermehrung von isolierten Zellen und deren Organisation in Geweben und ganzen Organismen verantwortlich sind. Wie wir wissen, ist für die ungestörte Funktion von Proteinen deren intakte dreidimensionale Struktur entscheidend. Deshalb wäre auch die Kenntnis aller Proteinstrukturen von Nutzen (strukturelle Proteomik). Wegen des hohen experimentellen Aufwands lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Deshalb versucht man in den Programmen der strukturellen Proteomik wenigstens alle wichtigen Faltungstopologien (7 Kap. 5.2.3) aufzuklären, um dann mit Homologiemodellierung aus den Aminosäuresequenzen die 3D-Strukturen der Proteine vorhersagen zu können. Die Proteomik ist ein Teilgebiet der zur Zeit sehr aktuellen Systembiologie, die alle molekularen Komponenten der Zelle in ein funktionelles Netzwerk einordnet. Sie will damit die lebende Zelle oder den Organismus als ganzes, miteinander gekoppeltes System verstehen. Ein wichtiges Werkzeug der funktionellen Proteomik ist die uns schon bekannte zweidimensionale Gelelektrophorese in Kombination mit der Massenspektrometrie (7 Kap. 6.3). Mit ihr lässt sich das Proteom in Zellen in interessanten funktionellen Zuständen charakterisieren und in den Zellextrakten etwa 1.000 Proteine gleichzeitig semiquantitativ erfassen. In jüngerer Zeit werden für die notwendige Automatisierung der Analysen vorgefertigte Testfelder (arrays) immer häufiger eingesetzt, die mit der entsprechenden Computersteuerung eine automatische Auslesung und Auswertung der Daten erlauben (. Abb. 6.14). Miteinander wechselwirkende Proteine können in Testfeldern identifiziert werden, auf denen rekombinant erzeugte Proteine immobilisiert sind. Gibt man auf diese Testfelder ein Zelllysat und wäscht dieses anschließend mit einer Pufferlösung, so bleiben nur die Proteine haften, die eine spezifische Interaktion zeigen. Sie können dann anschließend beispielsweise massenspektrometrisch identifiziert werden. Weitere Möglichkeiten zur Identifikation von interagierenden Proteinen stellen Phagen-Display oder Hefe-Zwei-Hybrid-Analysen dar. In vielen Fällen ist es technisch einfacher, nicht das Protein selbst, sondern die mRNA in einem Zelllysat nachzuweisen. Statt

99 6.6 · Synthese von Peptiden und Proteinen

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. Abb. 6.14 Standardverfahren der Proteomanalyse. Grundlage dieser Verfahren ist die Verwendung von Platten mit Vertiefungen, in die Proben eingebracht werden können und die als Reaktionsgefäße dienen. Die Zahl dieser Vertiefungen kann von 24 bis zu vielen Tausenden variieren. Die Detektion oder Auslese der gewünschten Proben erfolgt im Allgemeinen mit automatisierten Verfahren. Die Verwendung von Protein-Chips mit immobilisierten Proteinen dient vor allem der Identifikation von Protein-Protein-Wechselwirkungen. A Bei funktionellen Tests im Großmaßstab werden zelluläre Proteine in Gruppen separiert und in die Reaktionsgefäße eingebracht. Entsprechende Bestimmungen der Proteinaktivität, z. B. der Enzymaktivität, erfolgen dann automatisiert. B Bei Protein-Chips werden spezifische Proteine oder Proteindomänen gentechnisch hergestellt und in den Reaktionsgefäßen immobilisiert. Fügt man dann Zell-Lysate aus Geweben oder Kulturen zu, binden die für die immobilisierten Proteine spezifischen Proteinliganden aus den Lysaten an die immobilisierten Proteine. Nicht-gebundene Proteine aus den Lysaten werden entfernt, die gebundenen können anschließend isoliert und beispielsweise durch Massenspektrometrie analysiert werden. C Auch beim Phagen-Display geht man von gentechnisch hergestellten Proteinen oder Proteindomänen aus, die in den Reaktionsgefäßen immobilisiert werden. Diese reagieren mit Bakteriophagen, in deren Genom die cDNAs (7 Kap. 54.3) von Geweben oder Zellen so integriert sind, dass jeweils einzelne cDNA-Moleküle als Proteinbestandteile der Phagenhülle exprimiert werden (einer sog. Phagen-cDNA-Bibliothek) und deswegen ggf. mit den immobilisierten Proteinen reagieren können. Nicht-gebundene Phagen werden durch Waschen entfernt, die gebundenen in E. coli vermehrt und anschließend die DNA-Sequenz der inserierten cDNA ermittelt

der Proteinkonzentrationen erhält man dann das Expressionsmuster der Proteine, das meistens mit dem Konzentrationsmuster gut korreliert. Das Expressionsmuster kann mit DNA-Chips,

auf denen kurze DNA-Stücke immobilisiert sind, leicht sichtbar gemacht werden. Da ihre Nucleotidsequenzen zu der gesuchten mRNA komplementär sind, binden sie die gesuchte mRNA (7 Kap. 54.1.1). Die Bindung wird gewöhnlich über eine Fluoreszenzmarkierung ausgelesen. Ein ganz anderer Weg zur Erkennung von Protein-ProteinWechselwirkungen basiert auf Vorhersagen der Bioinformatik. Hat man ein Protein mit bekannter Sequenz aber unbekannter Funktion, kann man durch eine Suche in der Proteindatenbank oft Proteine anderer Spezies identifizieren, deren Funktion bekannt ist. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass auch das unbekannte Protein dieselbe Funktion hat und ähnliche Wechselwirkungen mit anderen Proteinen eingeht. 6.6

Synthese von Peptiden und Proteinen

Für die Charakterisierung von Proteinen oder Peptiden benötigt man die Moleküle gewöhnlich in großen Mengen und als Rein-

substanzen. Daneben gewinnen Peptide und Proteine als Biopharmaka oder in diagnostischen Testansätzen in der Medizin eine zunehmende Bedeutung. Ihre Produktion kann nach verschiedenen Methoden erfolgen. Bewährt hat sich für kleine Peptide die chemische Peptidsynthese, für größere Peptide die Festphasenpeptidsynthese und für Polypeptide aus mehr als 20 Aminosäuren die Biosynthese in vitro oder in vivo.

6.6.1

Chemische Peptidsynthese

Für die Ausbildung einer Peptidbindung zwischen zwei Aminosäuren muss gewöhnlich die Carboxylgruppe der einen Aminosäure aktiviert werden. Eine Möglichkeit zur Aktivierung ist die Herstellung eines Säurechlorids, das mit der Aminogruppe der anderen Aminosäure reagieren kann (. Abb. 6.15). Da Aminosäuren auch in ihren Seitenketten reaktive Gruppen enthalten können, kann es leicht zu unerwünschten Fehlverknüpfungen kommen. Asparagin- und Glutaminsäuren besitzen in ihren Seitenketten Carboxylgruppen, Lysin eine zweite Aminogruppe. Deshalb muss man alle reaktiven Seitenketten des Peptids vor der Verknüpfungsreaktion vorübergehend mit Schutzgruppen

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Kapitel 6 · Proteine – Analytische Untersuchungsmethoden, Synthese und Isolierung

. Abb. 6.15 Peptidsynthese durch Kopplung aktivierter Aminosäuren. Nach Aktivierung seiner Carboxylgruppe mit Thionylchlorid (SOCl2) bildet das so entstandene Säurechlorid des Aspartats ein Dipeptid mit Phenylalanin. Die anschließende Veresterung der Carboxylgruppe mit Methanol führt zum synthetischen Süßstoff Aspartam

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blockieren, die nach erfolgreicher Peptidsynthese abgespalten werden können. Die Aktivierung der Aminosäuren kann leicht zur Racemisierung am Cα-Atom führen. Die dabei entstehenden Stereoisomere sind gewöhnlich biologisch inaktiv. Daher muss man Aktivierungsreaktionen auswählen, die die Racemisierung weitgehend vermeiden. Größere Peptide werden gewöhnlich mit der automatischen Festphasensynthese nach Merrifield gewonnen, bei der das wachsende Peptid an eine CH2Cl-Gruppe eines Trägers aus Polystyrol (beads) gekoppelt ist. Da die Carboxylgruppe der ersten Aminosäure an das Harz gebunden ist, erfolgt die Synthese vom C-terminalen Ende des Peptids aus. 6.6.2

Gentechnische Proteinsynthese

Da bei der chemischen Synthese immer Fehlverknüpfungen entstehen oder Reaktionen unvollständig verlaufen, häufen sich mit der Zeit auch bei einer hohen Effektivität der einzelnen Reaktionen immer mehr Nebenprodukte an. Diese können zwar über eine HPLC-Trennung prinzipiell entfernt werden, verringern aber die Ausbeute erheblich. Für die Synthese von größeren Peptiden (mehr als 30 Aminosäuren) und Proteinen bietet sich die gentechnologische Produktion in Bakterien (z. B. E. coli), Hefen (z. B. Pichia pastoris), Insektenzellen oder Säugerzellen (z. B. Ovarzellen des chinesischen Hamsters) an. In kleineren Mengen kann man Proteine auch schnell mit der zellfreien Proteinbiosynthese erzeugen. Hier setzt man einem aus Zellen (E. coli, Weizenkeimlingen oder Reticulocyten) gewonnenen Zelllysat die cDNA (s. u.) in einem geeigneten Vektor zu. Das Zelllysat muss alle zur Translation notwendigen Komponenten (Ribosomen, tRNA) enthalten. Die zusätzlich notwendigen niedermolekularen Komponenten wie Aminosäuren und energiereiche Phosphate werden dann dem Ansatz beigegeben. Die zugehörige mRNA erzeugt man durch Zusatz einer für die Transkription der cDNA nötigen RNA-Polymerase. Die Proteinsynthese (In-vitro-Transkription/Translation) findet dann im Reagenzglas statt. Ganz allgemein benötigt man für all diese Methoden die cDNA (7 Kap. 54.3) des gewünschten Proteins in einem geeigneten Expressionsvektor (7 Kap. 54.2). Die cDNA gewinnt man aus cDNA-Bibliotheken über Amplifikation mithilfe der PCR (7 Kap. 54.1.2). Dafür muss die Sequenz der DNA, die für das gesuchte Aspartat# Phenylalanin# Aspartam#

Protein codiert, teilweise bekannt sein. Stammt das Protein aus einem Organismus, dessen Genom noch nicht vollständig sequenziert ist, kann die DNA-Sequenz durch Ansequenzieren des gereinigten Proteins und Übersetzung der Aminosäuresequenz in eine Nucleotidsequenz ermittelt werden. Zusammenfassung Die Synthese von kleinen Peptiden wird mit chemischen Methoden wie der Merrifield-Peptidsynthese durchgeführt. Die Synthese von größeren Polypeptiden und Proteinen erfolgt gewöhnlich gentechnologisch durch heterologe Expression der ausgewählten cDNA.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

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Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

Einleitung Wie in 7 Kap. 4 beschrieben, kann mit Hilfe der Thermodynamik eine Voraussage über die Freiwilligkeit des Ablaufes einer biochemischen Reaktion getroffen, nicht aber deren unerwartet hohe Geschwindigkeit erklärt werden. Erst die Entdeckung und Charakterisierung der in biologischen Systemen als hochspezifische Katalysatoren wirksamen Enzyme lieferte eine Erklärung dieses Phänomens. Molekulare Grundlage der unübertroffenen Wirksamkeit der Biokatalysatoren ist die beeindruckende Vielfalt und Flexibilität ihrer Proteinstrukturen. Enzyme bilden spezifische Bindungsstellen aus, die nicht nur eine selektive Anlagerung und Umsetzung ihrer Substrate ermöglichen, sondern darüber hinaus auch eine Anpassung der Enzymaktivität an die aktuelle Stoffwechselsituation in einer Zelle gestatten. Schwerpunkte 4 Beschleunigung biochemischer Reaktionen durch Erniedrigung der Aktivierungsenergie ohne Veränderung des Reaktionsgleichgewichtes 4 Strukturelle und funktionelle Eigenschaften der Enzyme 4 Cofaktoren von Enzymen: Metallionen, Cosubstrate, prosthetische Gruppen 4 Substratspezifität, Reaktionsspezifität und Stereospezifität der Enzyme 4 Mechanismen der Enzymkatalyse: Säure-Base-Katalyse, kovalente Katalyse, Metallionenkatalyse 4 Systematische Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme 4 Kinetik enzymkatalysierter Reaktionen: Das MichaelisMenten-Modell

7.1

unverändert hervor und steht für einen neuen Katalysezyklus zur Verfügung. Biokatalysatoren sind darüber hinaus auf allen Ebenen des Informationsflusses im Organismus wirksam und tragen in vielfältiger Weise zur Steuerung und Koordination des Stoffwechsels der Zellen, Gewebe und Organe komplexer Organismen bei. In biologischen Systemen katalysieren Enzyme die weitaus überwiegende Zahl der biochemischen Reaktionen. Enzyme sind Proteine, deren katalytische Wirkung zu einer Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit um einen Faktor von bis zu 1017 im Vergleich zur nicht-katalysierten Reaktion führen kann (. Tab. 7.1).

Enzyme beschleunigen biochemische Reaktionen, indem sie die Aktivierungsenergie erniedrigen Für das Verständnis der katalytischen Wirkung von Enzymen ist die Kenntnis derjenigen Faktoren von Bedeutung, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion bestimmen. Moleküle können nur dann erfolgreich miteinander reagieren, wenn sie in einer bestimmten räumlichen Orientierung zusammentreffen. Damit ein Ausgangsstoff – in der Enzymologie als Substrat (S) bezeichnet – zum Reaktionsprodukt (P) umgewandelt werden kann, muss er darüber hinaus in einen aktivierten, d. h. in einen reaktionsfähigen Übergangszustand (S‡) überführt werden. Die energetische Barriere, die dazu überwunden werden muss, wird als Freie Aktivierungsenthalpie (ΔG‡) oder – vereinfacht – als Aktivierungsenergie bezeichnet. Der Betrag von ΔG‡ bestimmt die Geschwindigkeit der Reaktion, während von der Freien Reaktionsenthalpie (ΔG) abhängt, ob die Reaktion spontan stattfindet oder nicht. Die Reaktionsprofile in . Abb. 7.1 illustrieren die für eine enzymkatalysierte Reaktion charakteristische Erniedrigung der Aktivierungsenergie. Durch die Verbindung des Enzyms mit seinem Substrat entsteht ein neuer Reaktionsweg, dessen Über-

Struktur und Funktion der Biokatalysatoren

Katalysatoren beschleunigen die Einstellung chemischer Gleichgewichte, ohne die Gleichgewichtslage zu beeinflussen Die Aufklärung der Mechanismen des Stoffwechsels hat gezeigt, dass chemische Reaktionen unter den hinsichtlich Stoffkonzentration, Temperatur, pH-Wert und Druck für biologische Systeme typischen Reaktionsbedingungen nur in Gegenwart von Katalysatoren hinreichend schnell ablaufen können. Die Wechselwirkung des Katalysators mit dem umzusetzenden Stoff steigert dessen Reaktionsfähigkeit und führt zu einer enormen Reaktionsbeschleunigung, ohne die Lage des Reaktionsgleichgewichtes zu verändern. Der Katalysator geht aus der Reaktion

. Tab. 7.1 Vergleich der Geschwindigkeitskonstanten enzymkatalysierter Reaktionen (kcat) mit denen der nicht-katalysierten Reaktionen (k0) Enzym

kcat /k0

Siehe Kapitel

Orotidin-5’-Phosphat-Decarboxylase

1017

30.1

10

12

29.4, 31.2

10

11

61.1

10

9

14.1

Carboanhydrase

10

7

61.1, 66.1, 68.2

Peptidyl-Prolyl-cis/trans-Isomerase

105

Adenosindesaminase Carboxypeptidase A Triosephosphatisomerase

49.1

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

7

102

7

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

. Abb. 7.1 Energiediagramm einer Reaktion in Gegenwart und Abwesenheit eines Enzyms. Die Freie Aktivierungsenthalpie (ΔG‡) bezieht sich auf die Übergangszustände S‡ bzw. ES‡ des Substrates bei dessen Umwandlung in das Reaktionsprodukt. Das Enzym beschleunigt die Einstellung des Reaktionsgleichgewichtes durch eine Erniedrigung von ΔG‡ (grüne Kurve). Die Freie Reaktionsenthalpie (ΔG) wird durch das Enzym nicht verändert

gangszustand (ES‡) eine niedrigere Aktivierungsenergie aufweist als derjenige der nicht-katalysierten Reaktion (S‡). Da der Übergangszustand von Hin- und Rückreaktion derselbe ist, unterscheiden sich die Aktivierungsenergien der Hin- und Rückreaktion um den Betrag der Freien Reaktionsenthalpie (ΔG), die selbst unverändert bleibt. Daraus folgt, dass Enzyme – genauso wie andere Katalysatoren – die Einstellung chemischer Gleichgewichte beschleunigen, ohne die Gleichgewichtslage der katalysierten Reaktion zu beeinflussen (7 Kap. 4). Im Reaktionsprofil einer enzymkatalysierten Reaktion treten in der Regel mehrere lokale Minima und Maxima der Freien Enthalpie auf (. Abb. 7.1). Die Minima kennzeichnen kurzlebige Reaktionsintermediate, die prinzipiell isoliert werden können. Die Maxima repräsentieren Übergangszustände von Teilschritten der Reaktion. Der Übergangszustand mit der höchsten Aktivierungsenergie (ΔG‡) bestimmt in der Regel die Reaktionskinetik.

Die Substrate werden im aktiven Zentrum der Enzyme durch nicht-covalente Wechselwirkungen reversibel gebunden Das aktive (katalytische) Zentrum besteht aus gefalteten Teilen der Polypeptidkette des Enzyms und enthält oftmals reaktive Nichtproteinanteile (Cofaktoren). Die Aminosäuren des aktiven Zentrums sind in der Primärstruktur (7 Kap. 5.2) des Enzymproteins oftmals weit voneinander entfernt positioniert und gelangen erst durch die Proteinfaltung (7 Kap. 49.1) in eine für die Katalyse erforderliche räumliche Nähe. Aktive Zentren befinden sich vielfach in spaltenförmigen Vertiefungen oder höhlenartigen Einstülpungen der Oberfläche der zumeist globulären Enzymproteine. Die Bindung der Substrate im aktiven Zentrum erfolgt durch die Ausbildung nicht-covalenter Wechselwirkungen (Wasserstoffbrücken, ionische Wechselwirkungen, hydrophobe Wechselwirkungen, van-der-Waals-Wechselwirkungen). Dabei wird die Spezifität der Substratbindung von der genauen Anordnung der funktionellen Gruppen des Enzyms im aktiven Zentrum bestimmt. Die Mehrzahl der Enzyme bindet zwei Substrate und wandelt diese in Reaktionsprodukte um.

Nach einer von Emil Fischer bereits 1894 entwickelten Modellvorstellung besitzen Enzyme eine zu ihrem Substrat komplementäre Struktur (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Für viele Enzyme konnte jedoch gezeigt werden, dass erst durch eine substratinduzierte Konformationsänderung des Enzymproteins die Reaktionspartner optimal zueinander positioniert werden. Molekulare Grundlage dieser als induced fit bezeichneten wechselseitigen dynamischen Anpassung von Enzym und Substraten (Daniel E. Koshland, Jr. 1959) ist die konformative Flexibilität des Enzymproteins. So verursacht im Falle der Glucokinase (7 Kap. 14.1) die Bindung der Glucose ein Umschließen des Zuckersubstrates durch beide Domänen des Enzyms (. Abb. 7.2). Erst durch diese Konformationsänderung gelangt die γ-Phosphatgruppe des Nucleotidsubstrates (ATP) in die für den Phosphoryltransfer erforderliche Nähe zur OH-Gruppe am C6-Atom der Glucose. Die »offene« Konformation der Glucokinase geht dabei in eine »geschlossene« Konformation über. Gleichzeitig kommt es zu einem Ausschluss von Wasser aus dem aktiven Zentrum und damit zu einer Verhinderung der ATP-Hydrolyse.

Die Wechselwirkungen zwischen Enzym und Substrat(en) werden im Übergangszustand der Reaktion optimiert Die Struktur des aktiven Zentrums eines Enzyms muss nach einer von Linus Pauling (1946) entwickelten Auffassung komplementär zur Struktur des Substrates im Übergangszustand der Reaktion sein, um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen. Obwohl diese grundlegende Erkenntnis die Dynamik der Enzymstruktur nicht berücksichtigt, konnte an einer Vielzahl von Beispielen gezeigt werden, dass Enzyme tatsächlich bevorzugt den Übergangszustand des Substrates der katalysierten Reaktion binden. Übergangszustandsanaloga Die Übergangszustände der Substrate von Enzymreaktionen sind extrem kurzlebig. Sie können daher weder direkt beobachtet noch isoliert werden. Dennoch gelang es in einigen Fällen, stabile Moleküle zu konstruieren, die Übergangszuständen von Substraten enzymkatalysierter Reaktionen ähnlich sind, jedoch nicht in ein Reaktionsprodukt umgewandelt werden. Man bezeichnet diese Moleküle als Übergangszustandsanaloga. Sie binden in der Regel sehr viel fester an das Enzym als dessen natürliche Substrate und bewirken so eine starke und spezifische Hemmung der Enzymaktivität. Übergangszustandsanaloga werden als Enzyminhibitoren bei der Therapie verschiedener Erkrankungen eingesetzt (7 Kap. 9). Katalytische Antikörper Eine andere Anwendung des Konzeptes der Übergangszustände von Substraten bei Enzymreaktionen besteht in der Erzeugung katalytischer Antikörper (Abzyme, abgeleitet von antibody und enzyme). Der Begriff »Antikörper« bezeichnet vom Immunsystem erzeugte Proteine (Immunglobuline), die Domänen zur Bindung von körperfremden Stoffen (Antigenen) besitzen. Ähnlich wie bei Enzymen und deren Substraten werden die Wechselwirkungen von Antikörpern und Antigenen durch nicht-covalente Bindungen bestimmt (7 Kap. 70). Ein wesentlicher Unterschied zwischen Enzymen und Antikörpern besteht darin, dass Enzyme ihre Substrate bevorzugt im

103 7.1 · Struktur und Funktion der Biokatalysatoren

A

B

. Abb. 7.2 Substratinduzierte Konformationsänderung der Glucokinase (Hexokinase IV). Die Bindung der Glucose (rot) induziert eine Schließbewegung beider Domänen des Enzymproteins, die zu der für die Katalyse erforderlichen Positionierung der Substrate im aktiven Zentrum führt. Dabei geht das Enzym von einer offenen (A) in eine geschlossene Konformation (B) über. Das Nucleotidsubstrat (ATP) ist in der Abbildung nicht dargestellt. (PDB ID 1v4t und 1v4s)

Übergangszustand binden, während Antikörper in der Regel mit den im Grundzustand befindlichen Antigenen interagieren. Setzt man jedoch Übergangszustandsanaloga als Antigene zur Immunisierung ein, so können Antikörper mit katalytischer Aktivität erzeugt werden. Katalytische Antikörper werden im Zusammenhang mit pathologischen Prozessen wie Autoimmunität, Entzündung und Sepsis diskutiert.

Eine Vielzahl von Enzymen benötigt Cofaktoren zur Katalyse der Reaktion Cofaktoren Zahlreiche biochemische Reaktionen werden von

Enzymen unter Beteiligung niedermolekularer Substanzen – sog. Cofaktoren – katalysiert. Zu den Cofaktoren gehören anorganische Ionen, aber auch nicht-proteinartige organische Moleküle, die man als Coenzyme bezeichnet. Cosubstrate sind Coenzyme, die während der Katalyse an das Enzym gebunden, strukturell verändert und in modifizierter Form vom Enzym freigesetzt werden. Die veränderten Cosubstrate werden in einer Folgereaktion in ihren Ausgangszustand zurückgeführt und können so erneut an der Katalyse teilnehmen. Ein herausragendes Beispiel für ein Cosubstrat ist das an mehr als 250 Redoxreaktionen beteiligte NAD+ (Nicotinsäureamidadenindinucleotid) bzw. dessen reduzierte Form NADH. In Abgrenzung von den Cosubstraten bezeichnet man Coenzyme, die dauerhaft – z. T. auch covalent – an das jeweilige Enzym gebunden sind und am Enzym regeneriert werden, als prosthetische Gruppen. Man bezeichnet das Enzymprotein allein als Apoenzym, den Komplex aus Enzym und Cofaktor als Holoenzym. Die Integration eines Cofaktors in das aktive Zentrum eines Apoenzyms ermöglicht oftmals erst die Katalyse bzw. erweitert das Reaktionsspektrum des Enzyms. So sind die Seitenketten von Aminosäuren nur bedingt geeignet, Elektronen zu übertragen. Oxidoreduktasen (7 Kap. 7.2) nutzen deshalb Cofaktoren wie NAD+, FMN (Flavinmononucleotid), FAD (Flavinadenindinucleotid), Pterine, Eisen-Schwefel-Zentren oder Häm-Gruppen zur Katalyse des Elektronentransfers.

Die Mehrzahl der Cosubstrate und prosthetischen Gruppen wird aus Vitaminen gebildet . Tab. 7.2 gibt einen Überblick über die vielfältigen biochemi-

schen Funktionen der Cosubstrate und prosthetischen Gruppen. Die Mehrzahl der dort aufgeführten Substanzen leitet sich von wasserlöslichen Vitaminen ab. Da Vitamine vom Organismus nicht synthetisiert werden können, jedoch an zentralen Stoffwechselprozessen unverzichtbar beteiligt sind, müssen sie mit der Nahrung lebenslang aufgenommen werden (7 Kap. 58, 59). Das breite Funktionsspektrum der Coenzyme macht deutlich, dass bei einer häufig mehrere Vitamine betreffenden Mangelernährung ein eher unspezifisches, jedoch schweres Krankheitsbild auftreten kann.

Metallionen wirken als Cofaktoren von Enzymen Nahezu zwei Drittel aller Enzyme benötigen Metallionen als Cofaktoren. Metalloenzyme enthalten Metallionen, die in einem stöchiometrischen Verhältnis fest an das Apoenzym gebunden sind. Ein typischer Vertreter der Metalloenzyme ist die Carboanhydrase. Bei diesem Enzym ist ein an Histidinreste gebundenes Zink-Ion (Zn2+) unmittelbar in den Katalysemechanismus einbezogen (7 Kap. 7.5). Im Unterschied zu den Metalloenzymen binden metallionenaktivierte Enzyme die Metallionen locker und reversibel. Die hier wirksamen Metallionen stammen vor allem aus der Gruppe der Alkali- und Erdalkalimetalle (Na+, K+, Mg2+, Ca2+). Beispiele metallionenaktivierter Enzyme sind die durch Mg2+-Ionen aktivierten Restriktionsendonucleasen (7 Kap. 54.1.1). Metallionen können darüber hinaus Enzymreaktionen beeinflussen, indem sie durch die Bildung eines Metallion-Substrat-Komplexes eine optimale Substratkonformation stabilisieren. So stellt der in Gegenwart von Magnesiumionen (Mg2+) entstehende Magnesium-ATP-Komplex (7 Abb. 4.2) das eigentliche Substrat der ATP-abhängigen Phosphotransferasen dar (7 Kap. 14.1.1). Auch als Komponenten prosthetischer Gruppen wie Häm und 5’-Desoxyadenosylcobalamin (. Tab. 7.2) sind Metallionen an enzymatischen Reaktionen beteiligt.

7

104

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

. Tab. 7.2 Herkunft und biochemische Funktionen von Coenzymen Coenzym

Funktion(en)

Korrespondierendes Vitamin

Enzym bzw. Reaktionsweg (Beispiel)

Ascorbat

Redoxsystem, Hydroxylierung

Ascorbat (Vitamin C)

Prolylhydroxylase (7 Kap. 71.1.2)

Adenosintriphosphat (ATP)

Phosphat- und Aden(os)yltransfer



Phosphofructokinase (7 Kap. 14.1.1)

Coenzym A (CoA)

Acyltransfer

Pantothenat

Citratsynthase (7 Kap. 18.2)

Cytidindiphosphat (CDP)

Transfer von Lipidbausteinen



Biosynthese von Phosphatidylcholin (7 Kap. 22.1.1)

Difarnesylnaphthochinon

γ-Carboxylierung von Glutamylresten

Phyllochinon, Menachinon (Vitamin K)

Biosynthese von Gerinnungsfaktoren (7 Kap. 62.2.3)

Nicotinsäureamid-Adenindinucleotid(phosphat) (NAD+, NADP+)

Wasserstofftransfer

Nicotinat (Niacin), Nicotinsäureamid

Glutamatdehydrogenase (7 Kap. 26.3.2)

Phosphoadenosylphosphosulfat (PAPS)

Sulfattransfer



Biosynthese der Proteoglykane (7 Kap. 71.1.5)

S-Adenosylmethionin (SAM)

Methylgruppentransfer



Biosynthese des Adrenalins (7 Kap. 37.2.2)

Tetrahydrobiopterin (THB)

Wasserstofftransfer



Biosynthese des Tyrosins (7 Kap. 27.2.5)

Tetrahydrofolat (THF)

C1-Gruppentransfer

Folat

Purinnucleotidbiosynthese (7 Kap. 29.1)

Ubichinon (CoQ)

Wasserstofftransfer



Atmungskette (7 Kap. 19.1.1)

Uridindiphosphat (UDP)

Saccharidtransfer



Glycogensynthase (7 Kap. 14.2.1)

5’-Desoxyadenosylcobalamin

1,2-Verschiebung von Alkylgruppen

Cobalamin (Vitamin B12)

Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 21.2.1)

Biotin

CO2-Transfer (Carboxylierungen)

Biotin

Acetyl-CoA-Carboxylase (7 Kap. 21.2.3)

Flavinmononucleotid (FMN), Flavinadenindinucleotid (FAD)

Wasserstofftransfer

Riboflavin (Vitamin B2)

Atmungskette (7 Kap. 19.1.1)

Hämgruppen

Elektronentransfer



Katalase (7 Kap. 20.1.1)

Lipoat

Wasserstoff- und Acyltransfer

Lipoat

Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2)

Pyridoxalphosphat (PALP)

Transaminierung, Decarboxylierung

Pyridoxin (Vitamin B6)

Aspartat-Aminotransferase (7 Kap. 26.3.1)

Thiaminpyrophosphat (TPP)

Oxidative Decarboxylierung

Thiamin (Vitamin B1)

Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2)

Cosubstrat

7

Prosthetische Gruppe

Enzyme können aus mehreren identischen oder nicht-identischen Polypeptidketten bestehen Oligomere Enzyme Die Aufklärung der Struktur einer großen Zahl von Enzymen hat gezeigt, dass diese in vielen Fällen aus mehreren Polypeptidketten bestehen und eine Oligomerstruktur (Quartärstruktur) ausbilden. Die als Untereinheiten (subunits) bezeichneten Polypeptidketten eines oligomeren Enzyms können identisch oder nicht-identisch sein (7 Kap. 5.2.4). Für das Verständnis der Stoffwechselregulation war die Erkenntnis bedeutsam, dass oftmals nur ein Typ der Untereinheiten oligomerer Enzyme Träger der katalytischen Aktivität ist, während andere Untereinheiten der Steuerung der Enzymfunktion dienen. Eine solche »Arbeitsteilung« wird auf einprägsame Weise am Aktivierungsmechanismus der an der hormonellen Signaltransduktion beteiligten Proteinkinase A deutlich (7 Kap. 35.3).

Multienzymkomplexe und multifunktionelle Enzyme vereinigen und koordinieren unterschiedliche Enzymaktivitäten Aus der Analyse einiger Stoffwechselwege geht hervor, dass diese durch Multienzymkomplexe katalysiert werden. Hierbei handelt es sich um aus verschiedenen Polypeptidketten bestehende Proteinkomplexe, die mit allen für eine Reaktionsfolge erforderlichen Enzymaktivitäten ausgestattet sind. Im Falle des Pyruvatdehydrogenase-Multienzymkomplexes (7 Kap. 18.2) kooperieren drei Einzelenzyme bei der oxidativen Decarboxylierung des Pyruvates. Demgegenüber sind bei multifunktionellen Enzymen mehrere aktive Zentren auf einer Polypeptidkette lokalisiert. So besitzt jede der Untereinheiten der homodimeren multifunktionellen Fettsäuresynthase des Menschen alle sieben für die Synthese von Fettsäuren aus Malonyl-Coenzym A erforderlichen Einzelenzymaktivitäten (7 Kap. 21.2.3). Eine auf diese

105 7.2 · Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme

Weise erreichte räumliche Koordination der Einzelreaktionen ist mit wichtigen funktionellen Vorteilen verbunden: Durch die als substrate channeling bezeichnete direkte Weiterleitung der Reaktionsprodukte auf im Reaktionsweg nachfolgende aktive Zentren eines Multienzymkomplexes oder multifunktionellen Enzyms können instabile Zwischenprodukte geschützt und Nebenreaktionen verhindert werden. Darüber hinaus wird die Effizienz des katalysierten Prozesses durch die Vermeidung von Diffusionswegen erhöht.

Enzyme sind regulierbare substrat- und reaktionsspezifische Biokatalysatoren Enzym-Substrat-Interaktion Im Unterschied zu den aus der Che-

mie bekannten »klassischen« Katalysatoren besitzen Enzyme über ihre große katalytische Effizienz hinaus weitere funktionelle Eigenschaften, die sie als Katalysatoren für die in biologischen Systemen herrschenden Reaktionsbedingungen prädestinieren. Zu diesen spezifischen Fähigkeiten der Enzyme gehören: 4 die selektive Erkennung eines Substrates und die präzise Unterscheidung zwischen strukturell oftmals sehr ähnlichen Substraten (Substratspezifität), 4 die Auswahl nur eines von mehreren thermodynamisch möglichen Reaktionstypen für ein bestimmtes Substrat (Reaktionsspezifität) und 4 die Regulierbarkeit der Enzymaktivität als Voraussetzung der Erhaltung stabiler Stoffwechselzustände (Homöostase) und der Stoffwechselkontrolle durch Signalstoffe. Die Substratspezifität betrifft entweder das Substrat als Gesamtmolekül oder aber bestimmte Strukturelemente des Substrates. Niedermolekulare Substrate können vom Enzym als Gesamtmolekül erkannt, gebunden und umgesetzt werden. Demgegenüber kommt es bei makromolekularen Substraten (Proteine, Polysaccharide, Nucleinsäuren) häufig zu einer auf spezifische Substratstrukturen begrenzten Interaktion mit dem Enzym. Der Begriff »Stereospezifität« beschreibt die Fähigkeit eines Enzyms, selektiv zwischen den optischen Antipoden eines Substrates zu unterscheiden. So akzeptieren die Enzyme des Hexosestoffwechsels D-Hexosen, aber keine L-Hexosen, während die Lactatdehydrogenase tierischer Organismen die Oxidation von L-Lactat zu Pyruvat katalysiert, D-Lactat aber nicht als Substrat erkennt.

Enzyme können unter Erhalt ihrer katalytischen Aktivität in reiner Form dargestellt werden Isolierung von Enzymen Das Verständnis der Funktion(en) eines

Enzyms ist an die Kenntnis seiner molekularen Struktur gebunden. Die Aufklärung einer Enzymstruktur wiederum erfordert die Verfügbarkeit des reinen Enzymproteins. Bemerkenswerterweise kann die Mehrzahl der Enzyme ohne den Verlust ihrer katalytischen Aktivität aus verschiedensten biologischen Materialien extrahiert und in reiner Form dargestellt werden. Selbst solche Enzyme, die normalerweise in einer Zelle in sehr geringen Konzentrationen vorkommen, können durch gentechnische Verfahren als rekombinante Proteine erzeugt und in reiner Form für biotechnologische Prozesse und therapeutische Anwendungen eingesetzt werden (7 Kap. 54, 55).

7.2

Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme

Die Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme wird durch die beteiligten Substrate und den Typ der katalysierten Reaktion bestimmt Enzymnomenklatur Die unüberschaubar große Zahl bekannter

Enzyme und ihre häufige Bezeichnung mit Trivialnamen macht die Notwendigkeit einer systematischen Nomenklatur und Einteilung deutlich. In der Biochemie findet ein von der IUBMB (International Union of Biochemistry and Molecular Biology) vorgeschlagenes hierarchisches Nomenklatur- und Klassifizierungssystem Anwendung, das auf einer Beschreibung der enzymkatalysierten Reaktion beruht. Den Nomenklaturregeln entsprechend besteht der systematische Name eines Enzyms aus zwei Teilen: Der erste Namensteil gibt das Substrat (die Substrate) an, der zweite Teil des Namens spezifiziert den Typ der katalysierten Reaktion und endet auf »-ase«. Die Enzymnomenklatur soll am Beispiel der mit Trivialnamen als Hexokinasen bezeichneten Enzyme erläutert werden: Hexokinasen katalysieren die unter zellulären Bedingungen irreversible ATP-abhängige Phosphorylierung von D-Glucose, DFructose oder D-Mannose zum jeweiligen Hexose-6-Phosphat: ATP + D-Hexose

ADP + D–Hexose-6-Phosphat + H+ (1)

Dementsprechend tragen Hexokinasen den systematischen Namen ATP:D-Hexose-6-Phosphotransferase. Enzymklassifikation Zusätzlich zu ihrem systematischen Namen erhalten die Enzyme eine sog. EC-Nummer (EC, Enzyme Commission), die aus vier Ziffern bzw. Zahlen besteht und in Klammern angegeben wird. Die erste Ziffer ordnet das jeweilige Enzym einer der insgesamt sechs in . Tab. 7.3 aufgeführten Hauptklassen zu, die nachfolgenden Zahlen beziehen sich auf chemische Einzelheiten der katalysierten Reaktion und dienen der laufenden Nummerierung. Die prinzipiellen Funktionen der Enzyme der Hauptklassen 1–6 sollen nachfolgend näher erläutert werden: Oxidoreduktasen katalysieren Redoxreaktionen, die bei der Energiegewinnung durch oxidativen Substratabbau, aber auch bei Biosynthesen eine große Rolle spielen. Viele dieser Enzyme benutzen wasserstoffübertragende Coenzyme wie NAD(P)+/ NAD(P)H, FMN/FMNH2 oder FAD/FADH2. Trivialnamen für Oxidoreduktasen sind Dehydrogenasen, Reduktasen, Oxidasen und Hydroxylasen. Transferasen sind Enzyme, die den Transfer einer funktionellen Gruppe zwischen zwei Substraten katalysieren. Herausragende Vertreter dieser Hauptklasse sind die als Kinasen bezeichneten Phosphotransferasen, die die Übertragung der γ-Phosphatgruppe des ATP auf Akzeptorsubstrate katalysieren. Hydrolasen sind insbesondere für den Abbau biologischer Makromoleküle bedeutsam. Sie katalysieren die hydrolytische Spaltung covalenter Bindungen. Zu den Hauptklasse-3-Enzymen gehören die Hydrolasen des Verdauungstraktes, der Blutgerinnung und des Komplementsystems.

7

106

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

. Tab. 7.3 Einteilung der Enzyme in Hauptklassen (S = Substrat)

7

Enzymhauptklasse

Reaktionstyp (vereinfacht)

Beispiele

1. Oxidoreduktasen

S1(red) + S2(ox)

Lactatdehydrogenase (7 Kap. 14.1) Phenylalaninhydroxylase (7 Kap. 27.2)

2. Transferasen

S1 + S2 – R S1–R + S2 (R = übertragbare Gruppe)

Hexokinase (7 Kap. 14.1) Glycogensynthase (7 Kap. 14.2)

3. Hydrolasen

S 1 – S 2 + H 2O

Glucose-6-Phosphatase (7 Kap. 14.3) Enteropeptidase (7 Kap. 61.1)

4. Lyasen

S1 – S2

5. Isomerasen

S S’ (S’ = isomere Form von S)

UDP-Galactose-4-Epimerase (7 Kap. 16.1) Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 27.2)

6. Ligasen

S1 + S2 + X* S1–S2 + X (X*: energiereiche Verbindung)

Pyruvatcarboxylase (7 Kap. 14.3) Glutaminsynthetase (7 Kap. 27.1)

S1(ox) + S2(red)

S1 – H + S2 – OH S1 + S2

Lyasen katalysieren die nicht-hydrolytische (und nicht-oxidative) Spaltung bzw. Ausbildung covalenter Bindungen ohne Beteiligung von ATP oder anderen Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial. Charakteristisch für Lyasen ist die Teilnahme von zwei Substraten an der Hinreaktion und nur einem Substrat an der Rückreaktion bzw. umgekehrt. Isomerasen katalysieren die Umwandlung isomerer Formen von Substraten ineinander. Vertreter der Hauptklasse-5-Enzyme sind die Racemasen, Epimerasen und cis/trans-Isomerasen, aber auch die intramolekularen Transferasen (Mutasen). Ligasen katalysieren die Ausbildung covalenter Bindungen und sind vor allem an Biosynthesen beteiligt. Die Ligation geht immer mit der Hydrolyse von ATP oder einer anderen Verbindung mit hohem Gruppenübertragungspotenzial einher. Ligasen werden gelegentlich auch als Synthetasen bezeichnet.

7.3

Multiple Formen von Enzymen

Die Verfeinerung der biochemischen Analytik führte zu der Erkenntnis, dass eine große Zahl von Enzymen in multiplen Formen vorkommt. Mit diesem Begriff wird die Existenz molekular unterschiedlicher Formen des gleichen Enzyms in einer Spezies beschrieben, die sich funktionell wesentlich voneinander unterscheiden können. Das Vorkommen multipler Enzymformen kann das Resultat einer unterschiedlichen genetischen Codierung, co- bzw. posttranskriptioneller Veränderungen der PrämRNA (7 Kap. 47.2.3, 47.2.4) oder aber die Folge covalenter Modifikationen des Enzymproteins sein (7 Kap. 49.3).

Isoenzyme katalysieren trotz struktureller Unterschiede die gleiche Reaktion Eine wichtige Gruppe von Enzymen, die in multiplen Formen vorkommen, sind die Isoenzyme. Der Isoenzymbegriff bezeichnet diejenigen multiplen Formen eines Enzyms in einer Spezies, deren Existenz auf eine Codierung durch unterschiedliche Gene (die in vielen Fällen durch Genduplikation und divergente Evolution entstanden sind) und/oder auf co- bzw. posttranskriptio-

Aldolase (7 Kap. 14.1) Adenylatcyclase (7 Kap. 35.3)

nelle Veränderungen der Prä-mRNA (7 Kap. 46.3.3 und 47.2) zurückgeführt werden kann. Multiple Enzymformen, die aufgrund von Allelvariationen desselben Genlocus (DNA-Polymorphismen) oder infolge covalenter Modifikationen von Enzymproteinen entstehen, werden nicht als Isoenzyme bezeichnet. Isoenzyme katalysieren die gleiche Reaktion, weisen in der Regel jedoch unterschiedliche funktionelle Eigenschaften auf. Die Ausbildung charakteristischer Expressionsmuster von Isoenzymen im Verlaufe der Individualentwicklung sowie das Vorkommen unterschiedlicher Isoenzyme in verschiedenen Zellen und Zellkompartimenten tragen zur Differenzierung und Entwicklung des Organismus und dessen Anpassung an unterschiedliche Stoffwechselerfordernisse bei. Isoenzyme entstehen häufig durch die Assemblierung unterschiedlicher Typen von Polypeptidketten. Ein medizinisch bedeutsames Beispiel hierfür ist die im Serum des Menschen in fünf verschiedenen Formen vorkommende Lactatdehydrogenase (LDH). Die LDH-Isoenzyme bestehen aus jeweils vier Untereinheiten, von denen jede eine Molekularmasse von etwa 32 kDa besitzt. Die Aufklärung der Tetramerstruktur der LDH ergab, dass die Entstehung der Isoenzyme die Folge einer Kombination der durch das LDH-A-Gen codierten Polypeptidketten vom M-Typ (abgeleitet von Muskel) und der durch das LDH-BGen codierten Polypeptidketten vom H-Typ (abgeleitet von Herz) ist (. Tab. 7.4). Während die Expression des LDH-B-Gens konstitutiv erfolgt, wird die Transkription des LDH-A-Gens durch Hypoxie induziert. Wegen ihrer unterschiedlichen Nettoladung lassen sich die LDH-Isoenzyme mittels Elektrophorese voneinander trennen und nachfolgend quantifizieren. Veränderungen der Gesamtaktivität und des relativen Verhältnisses der LDH-Isoenzyme im Blut sind bei verschiedenen Erkrankungen von klinischer Bedeutung. Eine LDH-Analytik wird im Rahmen der Diagnostik der hämolytischen und megaloblastären Anämie (7 Kap. 68.3) sowie bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur und der Leber durchgeführt.

7

107 7.5 · Mechanismen der Enzymkatalyse

7.4 . Tab. 7.4 Isoenzyme der Lactatdehydrogenase Isoenzym

Oligomerstruktur

Vorkommen

Referenzbereich (%)1

LDH-1

HHHH

Herzmuskel, Erythrocyten, Niere

15–23

LDH-2

HHHM

Herzmuskel, Erythrocyten, Niere

30–39

LDH-3

HHMM

Milz, Lunge, Lymphknoten, Thrombocyten, Endokrine Drüsen

20–25

LDH-4

HMMM

Leber, Skelettmuskel

8–15

LDH-5

MMMM

Leber, Skelettmuskel

9–14

1

Prozentualer Anteil an der LDH-Gesamtaktivität in Serum und Plasma.

Covalente Modifikation von Enzymen Multiple Formen von En-

zymen können auch durch eine co- und/oder posttranslationale covalente Modifikation des Enzymproteins entstehen. Die jeweilige Modifikation kann zellphysiologisch reversibel oder irreversibel sein (7 interkonvertierbare Enzyme und limitierte Proteolyse 7 Kap. 8.5). Da keine unterschiedliche genetische Codierung und keine co- bzw. posttranskriptionelle Veränderung der Prä-mRNA zugrunde liegt, handelt es sich bei den auf diese Weise entstehenden multiplen Enzymformen nicht um Isoenzyme.

Moonlighting-Enzyme sind Stoffwechselenzyme mit zusätzlichen Funktionen Die Benennung von Enzymen nach dem Typ der katalysierten Reaktion ist Ausdruck einer »Ein-Gen-ein-Protein-eineFunktion«-Vorstellung, die sich in einer zunehmenden Zahl von Fällen als zu einfach erwiesen hat. Moonlighting (to moonlight – »eine Nebenbeschäftigung ausüben«) ist ein Begriff, der in der Enzymologie dafür steht, dass ein Enzym verschiedene katalytische Funktionen erfüllt oder neben seiner Funktion als Biokatalysator andere Funktionen im Organismus ausübt. Multifunktionelle Enzyme wie die Fettsäuresynthase (7 Kap. 21.2.3) werden nicht als Moonlighting-Enzyme bezeichnet. Das Moonlighting von Enzymen geht oftmals mit einer Veränderung der Lokalisation des Enzyms in der Zelle oder im Organismus einher oder ist an eine bestimmte Oligomerstruktur gebunden. Ein typischer Vertreter der Moonlighting-Enzyme ist die Glucose-6-Phosphatisomerase, die intrazellulär die reversible Umwandlung von Glucose-6-Phosphat in Fructose-6-Phosphat katalysiert (7 Kap. 14.1.1), während das von verschiedenen Zelltypen sezernierte Protein extrazellulär als Cytokin wirkt (7 Kap. 34.2). Demgegenüber katalysieren unterschiedliche oligomere Formen der Glycerinaldehyd-3-Phosphatdehydrogenase (GAPDH) unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Kompartimenten derselben Zelle: Das tetramere Enzym katalysiert im Cytosol eine Reaktion der Glycolyse (7 Kap. 14.1.1), die monomere GAPDH hingegen ist im Zellkern als Uracil-DNA-Glycosylase an der DNA-Basenexcisionsreparatur beteiligt (7 Kap. 45.2).

Ribozyme

Ribozyme sind RNA-Moleküle mit katalytischer Aktivität Die Mehrzahl der Biokatalysatoren sind Enzyme. Der Begriff »Ribozym« bezeichnet RNA-Moleküle, die im Stoffwechsel der Nucleinsäuren und Proteine als Biokatalysatoren wirksam sind. Obgleich sich ihre katalytische Wirkung auf wenige Reaktionstypen beschränkt, sind Ribozyme für eine normale Funktion des Zellstoffwechsels unverzichtbar. Ribozym-RNA kann mit Proteinen zu Ribonucleoproteinpartikeln assoziieren, die u. a. als Bestandteil des Spliceosoms bei der Reifung der Prä-mRNA die Bildung und Spaltung von Phosphorsäurediesterbindungen (7 Kap. 46.3.3) oder als Teil der großen ribosomalen Untereinheit die Ausbildung von Peptidbindungen bei der Proteinbiosynthese katalysieren (7 Kap. 48.2). In Analogie zur Entstehung der funktionalen Raumstruktur eines Enzyms durch Proteinfaltung (7 Kap. 49.1) hängt auch die katalytische Aktivität eines Ribozyms von einer korrekten Faltung seiner Polyribonucleotidkette in eine wirksame dreidimensionale Struktur ab. 7.5

Mechanismen der Enzymkatalyse

Die katalytische Aktivität der Enzyme beruht auf spezifischen Katalysemechanismen Nach Linus Pauling (1946) ist die bevorzugte Bindung des Substrates im Übergangszustand eine entscheidende Voraussetzung für die große katalytische Effizienz eines Enzyms. Die Wechselwirkungen der reaktiven Seitenketten der Aminosäuren und der Cofaktoren im aktiven Zentrum mit dem jeweiligen Substrat können dabei sehr verschiedenartig sein. Während des katalytischen Prozesses kommt es zur Ausbildung von Wasserstoffbrücken, ionischen Wechselwirkungen, hydrophoben Wechselwirkungen, vander-Waals-Wechselwirkungen und temporär-covalenten Bindungen zwischen dem Enzym und dem Substrat. Der Vielzahl dieser Interaktionsmöglichkeiten entspricht die Vielfalt der Katalysemechanismen. Bei formaler Betrachtung können drei grundlegende Mechanismen unterschieden werden: 4 Metallionenkatalyse 4 Säure-Base-Katalyse 4 covalente Katalyse Metallionenkatalyse Zu den vielfältigen Wirkmechanismen der Metallionen gehören die Stabilisierung bzw. Abschirmung negativer Ladungen und die Aktivierung von Wassermolekülen, aber auch die reversible Aufnahme von Elektronen bei Redoxreaktionen und die Induktion einer optimalen Substratkonformation wie bei der Bildung des Magnesium-ATP-Komplexes (7 Kap. 4.3). Ein gut untersuchtes Beispiel für die Beteiligung von Metallionen an der Biokatalyse ist die reversible Hydratisierung von CO2 zu Hydrogencarbonat (Bicarbonat) durch das zinkabhängige Enzym Carboanhydrase (7 Kap. 61.1.2, 66, 68, 72):

CO2 + H2O

HCO3– + H+

(2)

108

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Serinproteasen kombinieren Säure-Base-Katalyse und covalente Katalyse Kombinierte Katalysemechanismen Die Serinproteasen gehören

7

. Abb. 7.3 Katalysemechanismus der Carboanhydrase (Metallionenkatalyse). Im aktiven Zentrum entsteht an dem durch drei Histidinreste und ein Wassermolekül komplexierten Zink-Ion ein reaktionsfähiges Hydroxylanion. Die Bildung des Bicarbonats erfolgt ohne intermediäre Entstehung und Dissoziation von Kohlensäure (H2CO3)

Der in . Abb. 7.3 dargestellte Katalysemechanismus der Carboanhydrase illustriert die Wirkung des proteingebundenen ZinkIons als Lewis-Säure. Das Substrat CO2 wird so positioniert, dass ein Angriff des Hydroxylanions auf dessen C-Atom erfolgen kann. Der Enzym-Zink-Substrat-Komplex wird durch Wasser unter Freisetzung von HCO3– gespalten. Das im ersten Reaktionsschritt entstandene und temporär an einen Histidinrest (nicht gezeigt) gebundene Proton wird infolge einer Konformationsänderung freigesetzt und damit das aktive Zentrum regeneriert. Säure-Base-Katalyse Bei diesem Katalysemechanismus fungie-

ren Seitenketten von Aminosäuren im aktiven Zentrum als Brønsted-Säure oder Brønsted-Base, indem sie Protonen reversibel abgeben oder aufnehmen. Zu den beteiligten Aminosäuren gehören neben dem häufig anzutreffenden Histidin auch Cystein, Tyrosin und Lysin. Auch Cofaktoren können hierbei als Protonenakzeptoren oder -donatoren wirken. Das Prinzip der Säure-Base-Katalyse ist im Abschnitt »Kombinierte Katalysemechanismen« am Beispiel der Serinproteasen beschrieben und illustriert (. Abb. 7.4).

Covalente Katalyse Charakteristisch für die covalente Katalyse ist die vorübergehende Ausbildung einer covalenten Bindung zwischen einer funktionellen Gruppe des Enzyms und dem Substrat: Es entsteht ein covalentes Reaktionsintermediat. Strukturelle Grundlage der covalenten Katalyse sind nucleophile Gruppen – z. B. Serinreste – im aktiven Zentrum des Enzyms. Exemplarisch kann erneut der Katalysemechanismus der Serinproteasen genannt werden, der ein covalentes Reaktionsintermediat einschließt (. Abb. 7.4). An der Ausbildung covalenter Bindungen zwischen Enzym und Substrat können auch Cofaktoren beteiligt sein. Ein Beispiel hierfür ist die Funktion von Pyridoxalphosphat bei Transaminierungsreaktionen (7 Kap. 26.3.1).

zu einer weit verbreiteten Familie von Enzymen, die die Hydrolyse von Peptidbindungen in Proteinen und Peptiden katalysieren. Serinproteasen besitzen in ihrem aktiven Zentrum einen Serinrest, der eine entscheidende Rolle bei der Katalyse der proteolytischen Reaktion spielt. Vertreter der Serinproteasen sind verschiedene Enzyme der Proteinverdauung (7 Kap. 61), der Blutgerinnung und der Fibrinolyse (7 Kap. 69.1.5), aber auch das prostataspezifische Antigen (PSA). Der Katalysemechanismus der exemplarisch ausgewählten Serinprotease Chymotrypsin ist eine Kombination von Säure-Base-Katalyse und covalenter Katalyse. . Abb. 7.4A gibt einen Einblick in die Architektur und Funktion des aktiven Zentrums dieses Enzyms. Funktionell bedeutsam sind neben dem namensgebenden Serinrest 195 die Seitenketten von Histidin 57 und Aspartat 102. Diese Aminosäuren bilden die sog. katalytische Triade, die trotz einer immensen strukturellen Variabilität ein streng konserviertes Strukturmotiv aller Serinproteasen darstellt. Durch den nucleophilen Angriff des (partiell) deprotonierten Serinrestes 195 auf den Carbonylkohlenstoff der zu spaltenden Peptidbindung (. Abb. 7.4B) entsteht ein »tetraedrischer Übergangszustand« (»I« in . Abb. 7.4C), aus dem das C-terminale Substratfragment R2-NH2 freigesetzt wird. Gleichzeitig entsteht durch die covalente Bindung des N-terminalen Substratfragmentes an Serin 195 ein covalentes Reaktionszwischenprodukt, das als Acylenzym-Intermediat bezeichnet wird (covalente Katalyse). Nach Bindung eines Wassermoleküls und erneuter Ausbildung eines tetraedrischen Übergangszustandes (»II« in . Abb. 7.4C) wird das N-terminale Substratfragment R1-COOH als zweites Produkt freigesetzt. Histidin 57 wirkt während der Katalyse alternierend als Protonenakzeptor und -donor, indem sein Imidazolrest zunächst das Proton der Hydroxylgruppe von Serin 195 auf das C-terminale Substratfragment unter Entstehung von R2-NH2 und nachfolgend ein Proton des Wassermoleküls auf den deprotonierten Serinrest 195 überträgt (Säure-Base-Katalyse). Damit wird das aktive Zentrum des Chymotrypsins regeneriert. Die Funktion der β-Carboxylatgruppe von Aspartat 102 besteht in einer Stabilisierung des Imidazoliumions des Histidins 57 durch die Ausbildung einer Wasserstoffbrücke (. Abb. 7.4B). Die Bedeutung dieser Interaktion wird eindrucksvoll durch das Ergebnis einer »ortsgerichteten« Mutagenese verdeutlicht, bei der Aspartat 102 durch Asparagin ersetzt wurde: Infolge der Mutation kam es zu einer Abnahme der katalytischen Aktivität des Chymotrypsins auf 0,01 % der Ausgangsaktivität. 7.6

Definition, Maßeinheiten und Bestimmung der Enzymaktivität

Die katalytische Aktivität eines Enzyms (Enzymaktivität) ist der quantitative Ausdruck der Geschwindigkeit der durch das Enzym beschleunigten Umwandlung von Substrat in Produkt. Alle Maßeinheiten der Enzymaktivität leiten sich daher von den Basiseinheiten der Reaktionsgeschwindigkeit ab.

109 7.6 · Definition, Maßeinheiten und Bestimmung der Enzymaktivität

A

B

C

. Abb. 7.4 Struktur und Katalysemechanismus der Serinprotease Chymotrypsin. A Raumstruktur des Chymotrypsins (Bändermodell). Das Enzym besteht aus drei Polypeptidketten, die durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Die Aminosäuren Histidin 57, Aspartat 102 und Serin 195 (rot) bilden die katalytische Triade im aktiven Zentrum der Protease. (PDB ID 4CHA). B Reversible Verschiebung von Elektronen und Protonen innerhalb der katalytischen Triade (Säure-Base-Katalyse). C Hydrolyse der Peptidbindung in zwei Schritten unter Ausbildung eines Acylenzym-Intermediates (covalente Katalyse). E-OH: Hydroxylgruppe des Serinrestes 195

Die Enzymaktivität wird in Enzymeinheiten oder in Katal angegeben Maßeinheiten der Enzymaktivität Die traditionelle Maßeinheit

der Enzymaktivität ist die Enzymeinheit (unit, U), die gelegentlich auch als »Internationale Einheit« (international unit, IU) bezeichnet wird. Eine Enzymeinheit ist definiert als diejenige Enzymmenge (genauer: Enzymaktivitätsmenge), die den Umsatz von 1 Mikromol Substrat in Produkt in einer Minute (μmol/min) katalysiert. In Übereinstimmung mit dem internationalen metrischen Einheitensystem (frz. Système International d’Unites, SI) wird empfohlen, das Katal (kat) als Maßeinheit der Enzymaktivität zu verwenden. Ein Katal entspricht derjenigen Enzymaktivitätsmenge, die den Umsatz von 1 Mol Substrat in Produkt in einer Sekunde (mol/s) katalysiert. Für viele Anwendungen ist es zweckmäßig, die Messung der Enzymaktivität unter definierten Reaktionsbedingungen hinsichtlich Substratkonzentration, Temperatur, pH-Wert u. a. durchzuführen. Während in der experimentellen Enzymologie die Messung von Enzymaktivitäten nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen oftmals bei Temperaturen von 25 °C oder 30 °C erfolgt, ist in der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik eine Messtemperatur von 37 °C vorgeschrieben.

Die Enzymaktivität kann auf das Volumen, die Proteinkonzentration oder die Enzymkonzentration bezogen werden Katalytische Aktivitätskonzentration Die auf die Volumeneinheit einer Enzymlösung bezogene Enzymaktivität wird als katalytische Aktivitätskonzentration oder Volumenaktivität bezeich-

net. Eine übliche Maßeinheit ist Unit pro Milliliter (U/ml) bzw. Katal pro Liter (kat/l). In der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik kommt der Bestimmung der katalytischen Aktivitätskonzentration verschiedenster Enzyme in Körperflüssigkeiten eine herausragende Bedeutung zu (7 Kap. 9.2). Spezifische katalytische Aktivität Die Bestimmung der katalytischen Aktivitätskonzentration ist zur molekular-funktionellen Charakterisierung eines Enzyms notwendig, aber nicht ausreichend, da sie sich auf die Lösung des Enzyms, nicht aber auf das Enzym selbst bezieht. Der Quotient aus katalytischer Aktivitätskonzentration und Proteinkonzentration wird als spezifische katalytische Aktivität (kurz: spezifische Aktivität) bezeichnet. Die Maßeinheit der spezifischen katalytischen Aktivität ist Unit pro Milligramm (U/mg) bzw. Katal pro Kilogramm (kat/kg). Die Interpretation einer spezifischen katalytischen Aktivität erfordert eine differenzierende Betrachtung, da zwischen Proteinkonzentration und Enzymkonzentration ein erheblicher Unterschied bestehen kann. Wird die Lösung eines reinen Enzyms analysiert, kann der Quotient aus katalytischer Aktivitätskonzentration und Proteinkonzentration als ein für das jeweilige Enzym spezifischer Funktionsparameter betrachtet werden. Demgegenüber erlaubt die Kenntnis einer spezifischen katalytischen Aktivität keinen unmittelbaren Rückschluss auf die katalytische Wirksamkeit des Enzyms, wenn die zur Aktivitätsbestimmung eingesetzte Enzymlösung neben dem jeweiligen Enzym weitere Proteine enthält. Ein solcher Fall liegt typischerweise bei der Analyse eines Zellextraktes oder bei der Untersuchung einer Blutprobe vor.

7

110

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

Die spezifische katalytische Aktivität wird routinemäßig zur Kontrolle des Verlaufes der Reinigung von Enzymen bestimmt. Da das Wesen einer Enzymreinigung in der Abtrennung unerwünschter Begleitproteine besteht, vergrößert sich der Anteil des Zielenzyms am Gesamtprotein mit dem Fortschreiten der Reinigungsprozedur. Dieser angestrebte Effekt kann anhand einer Zunahme der spezifischen katalytischen Aktivität erkannt werden.

A

Molare katalytische Aktivität Der Quotient aus katalytischer Ak-

7

tivitätskonzentration und molarer Enzymkonzentration wird als molare katalytische Aktivität bezeichnet. Mögliche Maßeinheiten sind Katal pro Mol (kat/mol) oder 1/s. Die molare katalytische Aktivität gibt die Anzahl der Substratmoleküle an, die in einer Sekunde von einem Enzymmolekül in Produkt umgewandelt werden. Dementsprechend kann die molare katalytische Aktivität auch als molekulare katalytische Aktivität bezeichnet werden. Dividiert man die molare katalytische Aktivität durch die Anzahl der aktiven Zentren eines Enzymmoleküls, so erhält man die Wechselzahl (turnover number), die den Substratumsatz auf ein aktives Zentrum bezieht.

B

Enzyme können durch die Bestimmung ihrer katalytischen Aktivität identifiziert, quantifiziert und charakterisiert werden Enzymkonzentration und Enzymaktivität Die Bestimmung der Konzentration eines Enzyms in einer biologischen Flüssigkeit ist mit klassischen physikochemischen Methoden wegen des oftmals sehr geringen Enzymgehaltes und wegen der begrenzten Spezifität der analytischen Verfahren problematisch. Unspezifische Methoden zur Messung der Proteinkonzentration (7 Kap. 6) kommen für die Bestimmung von Enzymkonzentrationen nicht in Betracht, da sie zwischen verschiedenen Proteinen nicht zu unterscheiden vermögen. Andererseits lässt die spezifische Bestimmung der Konzentration eines Enzyms mit Hilfe hochsensitiver immunologischer Methoden keinen Rückschluss auf die katalytische Wirksamkeit des Enzyms zu, da auf diese Weise das Enzymprotein, nicht aber dessen katalytische Aktivität erfasst wird. Daher bestimmt man anstelle der Enzymkonzentration die katalytische Aktivität eines Enzyms, indem man die Geschwindigkeit der durch das Enzym katalysierten Reaktion ermittelt. Diese Geschwindigkeit ist in der Regel der Anzahl der katalytisch aktiven Enzymmoleküle und damit deren Konzentration proportional. Bestimmung der Enzymaktivität Hierzu ist die Messung des Substratverbrauches oder die Ermittlung der Produktbildung pro Zeiteinheit erforderlich. In der Praxis hat sich die spektralphotometrische Bestimmung der Substrat- oder Produktkonzentration auf der Grundlage des Lambert-Beer’schen Gesetzes durchgesetzt. Voraussetzung für die Anwendung dieser Methodik ist eine spezifische Absorption von monochromatischem Licht durch ein Substrat oder ein Produkt der Reaktion. Die Enzymaktivität kann dann aus der gemessenen Extinktionsänderung pro Zeiteinheit berechnet werden. Optischer Test Der von Otto H. Warburg 1936 in die biochemi-

sche Analytik eingeführte »optische Test« stellt die Anwendung

. Abb. 7.5 Funktionsprinzip des optischen Tests. A UV-Absorptionsspektren und Cosubstratfunktionen von NAD+/NADH und NADP+/NADPH. B Aktivitätsbestimmung einer NADH-abhängigen Dehydrogenase. Die Extinktion bei 340 nm nimmt infolge der Bildung von NAD+ ab. Die Extinktionsänderung pro Zeiteinheit (ΔE/min) ist der im Reaktionsansatz vorhandenen Enzymmenge (angegeben in µl der eingesetzten Enzymlösung) proportional

des geschilderten Messprinzips auf die Bestimmung der Enzymaktivität NAD+/NADH- oder NADP+/NADPH-abhängiger Oxidoreduktasen dar. Da sich die optischen Eigenschaften von NADH und NADPH durch eine spezifische Lichtabsorption bei einer Wellenlänge von 340 nm (Absorptionsmaximum) von denen des NAD+ und NADP+ unterscheiden, lassen sich Änderungen der Konzentrationen der oxidierten bzw. reduzierten Formen dieser Cosubstrate photometrisch leicht ermitteln. Beispielgebend ist in . Abb. 7.5 die Anwendung des optischen Tests zur Bestimmung der katalytischen Aktivität einer NADH-abhängigen Dehydrogenase dargestellt. Die Abnahme der Extinktion ist dem Verbrauch von NADH proportional und spiegelt damit den zeitlichen Verlauf oder die Kinetik der enzymkatalysierten Reaktion wider. Das Messprinzip wird daher auch als kinetisch-optischer Test bezeichnet. Gekoppelter optischer Test Die Anwendbarkeit des optischen Tests ist nicht auf NAD+/NADH- und NADP+/NADPH-abhängige Enzyme begrenzt. Durch eine funktionelle Kopplung der Reaktion, die durch das zu charakterisierende Enzym katalysiert wird, mit einer nachgeschalteten enzymatischen Indikatorreak-

7

111 7.7 · Michaelis-Menten-Gleichung

tion, an der NAD(P)+ oder NAD(P)H als Cosubstrat beteiligt

ist, kann die Aktivität einer Vielzahl von Enzymen bestimmt werden, die selbst keine Oxidoreduktasen sind. Ein solcher »gekoppelter optischer Test« liegt der in der Leberfunktionsdiagnostik häufig durchgeführten Bestimmung der Aktivität der Alanin-Aminotransferase (ALAT; Gleichung 3) im Blut mit Lactatdehydrogenase (LDH; Gleichung 4) als Indikatorenzym zugrunde: L-Alanin + α-Ketoglutarat Pyruvat + NADH + H+

Pyruvat + L-Glutamat (3) L-Lactat + NAD+

(4)

Sind die Substrate der Alanin-Aminotransferase (Gleichung 3) sowie das Indikatorenzym (LDH) und sein reduziertes Cosubstrat (NADH) im Überschuss vorhanden, so ist die Geschwindigkeit der NADH-Oxidation nur von der Geschwindigkeit der Bereitstellung des Substrates der Lactatdehydrogenase (Pyruvat) und damit von der katalytischen Aktivität der Alanin-Aminotransferase abhängig. Der (gekoppelte) optische Test besitzt wegen seiner breiten Anwendbarkeit und großen Spezifität eine herausragende Bedeutung für Enzymaktivitätsbestimmungen sowie für die enzymatische Bestimmung von Metabolitkonzentrationen in biologischen Flüssigkeiten (7 Kap. 9). 7.7

Michaelis-Menten-Gleichung

Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion wird durch die Konzentrationen des Enzyms und des Substrates bestimmt Enzymkinetik Die Reaktionsgeschwindigkeit (V) ist allgemein definiert als die Veränderung der Substrat- oder Produktkonzentration pro Zeiteinheit:

d[S] d[P] V= =− dt dt

(5)

Häufig wird bei Enzymreaktionen eine hyperbole Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration beobachtet. Zur Erklärung dieser Beobachtung wurde von Leonor Michaelis und Maud Leonora Menten ein einfaches mathematisches Modell entwickelt, das die hyperbole Kinetik von Enzymen näherungsweise beschreibt. Im Michaelis-Menten-Modell werden zwei Phasen der Enzymreaktion unterschieden: In einer reversiblen ersten Teilreaktion bildet das Enzym (E) mit dem Substrat (S) in einem stöchiometrischen Verhältnis den Enzym-Substrat-Komplex (ES), aus dem in einer zweiten Teilreaktion das Produkt (P) freigesetzt wird. Die Freisetzung des Produktes geht mit einer Regenerierung des freien Enzyms (E) einher, das erneut am katalytischen Kreisprozess teilnehmen kann: E+S

k+1 k–1

ES

k+2 k–2

E+P

(6)

. Abb. 7.6 Entstehung eines Fließgleichgewichtes während einer enzymkatalysierten Reaktion. In der als pre-steady state bezeichneten Reaktionsphase erfolgt der Aufbau des Enzym-Substrat-Komplexes (ES), dessen Konzentration im Fließgleichgewicht (steady state) nahezu konstant bleibt. Im Fließgleichgewicht nimmt die Produktkonzentration [P] linear zu (infolge der halblogarithmischen Darstellung ergibt sich ein exponentieller Kurvenverlauf ). Die Konzentrationen des freien Enzyms [E] und des EnzymSubstrat-Komplexes [ES] sind überproportional dargestellt

Die Untersuchung der Kinetik enzymkatalysierter Reaktionen erfolgt oft unter sog. Initialbedingungen. Hierbei wird die Reaktion in einem Zeitfenster analysiert, in dem der Substratverbrauch und die Produktbildung noch so gering sind, dass die Entstehung des Enzym-Substrat-Komplexes aus Produkt und Enzym vernachlässigt werden kann. Unter diesen Bedingungen ist die Reaktionsgeschwindigkeit der Konzentration des EnzymSubstrat-Komplexes proportional: V = k+2 · [ES]

(7)

Die in Gleichung 7 enthaltene Konzentration des EnzymSubstrat-Komplexes ist nicht direkt messbar. Unter der Annahme eines Fließgleichgewichtes (steady state) in Bezug auf ES (. Abb. 7.6) kann man jedoch eine Gleichung ableiten, die die Konzentration des Komplexes als Funktion der Konzentrationen des Substrates und des Enzyms ausdrückt. Für den Enzym-SubstratKomplex im Fließgleichgewicht gilt: d[ES] = (k +1 ⋅[E] ⋅[S] − (k −1 + k +2 ) ⋅[ES]) = 0 dt

(8)

[S] bezeichnet die Konzentration des freien Substrates, [E] die des freien Enzyms. [E] und [ES] stehen mit der Gesamtenzymkonzentration [ET] in folgender Beziehung: [ET] = [E] + [ES]

(9)

Unter der Annahme, dass die Substratkonzentration sehr viel größer als die Enzymkonzentration ist, ergibt die Kombination

112

Kapitel 7 · Enzyme – Grundkonzepte der Biokatalyse

der Gleichungen 8 und 9 eine Gleichung für die Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes im Fließgleichgewicht: [ES] = [ET ]⋅

[S] ⎛ k −1 + k +2 ⎞ + [S]⎟ ⎜⎝ k ⎠ +1

(10)

Durch die Zusammenfassung der Gleichungen 7 und 10 erhält man die Michaelis-Menten-Gleichung, die die Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion von der Substratkonzentration unter Initialbedingungen beschreibt: V = k +2 ⋅[ET ]⋅

7

[S] [S] = VMAX ⋅ ⎛ k −1 + k +2 ⎞ (K M + [S]) + [S]⎟ ⎜⎝ k ⎠ +1

(11)

Der Parameter KM wird als Michaelis-Konstante, VMAX als Maximalgeschwindigkeit bezeichnet.

Mit steigender Substratkonzentration nähert sich die Reaktionsgeschwindigkeit asymptotisch der Maximalgeschwindigkeit (VMAX)

Die durch die Michaelis-Menten-Gleichung beschriebene V/[S]Charakteristik zeigt einen hyperbolen Verlauf (. Abb. 7.7A). Wird die Substratkonzentration ([S]) erhöht, während alle anderen Parameter konstant bleiben, nähert sich die Reaktionsgeschwindigkeit (V) asymptotisch der Maximalgeschwindigkeit (VMAX) und die Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes ([ES]) der Gesamtkonzentration des Enzyms ([ET]). Die Maximalgeschwindigkeit VMAX ist – wie auch die aktuelle Reaktionsgeschwindigkeit V – der eingesetzten Enzymkonzentration [ET] proportional.

Die Michaelis-Konstante (KM) gibt diejenige Substratkonzentration an, bei der halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird Die in Gleichung 11 eingeführte Michaelis-Konstante trägt die Maßeinheit einer Konzentration und entspricht derjenigen Substratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit ½ VMAX beträgt (. Abb. 7.7A). Im Unterschied zu VMAX hängt der numerische Wert der Michaelis-Konstanten nicht von der Enzymkonzentration ab. Der KM-Wert kann auch unter Verwendung der Dissoziationskonstanten des Enzym-SubstratKomplexes (KD) angegeben werden: KM

(k −1 + k +2) = K = k +1

k +2 D+ k +1

(12)

Gleichung 12 zeigt, dass die Michaelis-Konstante stets größer ist als die Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-Komplexes (KD). Wenn die Dissoziation von ES in Enzym und Substrat schnell im Vergleich zur Freisetzung des Produktes erfolgt (k+2 ! k–1), entspricht die Michaelis-Konstante näherungsweise der Dissoziationskonstanten (KD). Der KM-Wert kann dann als ein Maß für die Affinität des Enzyms zu seinem Substrat betrachtet werden. Ein Enzym mit hoher Substrataffinität ist

durch eine niedrige Michaelis-Konstante charakterisiert und umgekehrt. Experimentelle Bestimmung von KM und VMAX Die für ein Enzym charakteristischen kinetischen Parameter KM und VMAX lassen sich aus Messungen initialer Reaktionsgeschwindigkeiten bei verschiedenen Substratkonzentrationen ableiten. Praktisch ist die Schätzung beider Parameter aus der graphischen Darstellung der experimentell bestimmten V/[S]-Wertepaare jedoch schwierig, da die Reaktionsgeschwindigkeit ihrem Maximalwert erst bei sehr hohen Substratkonzentrationen nahe kommt (. Abb. 7.7A). Dieses Problem kann durch verschiedene Transformationen der Michaelis-Menten-Gleichung in lineare Beziehungen gelöst werden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Linearisierung nach

Lineweaver und Burk:

1 1 K 1 = + M ⋅ V VMAX VMAX [S]

(13)

Die Auftragung der reziproken Werte von Substratkonzentration und Reaktionsgeschwindigkeit ergibt eine Gerade, die die Abszisse bei –1/KM und die Ordinate bei 1/VMAX schneidet (. Abb. 7.7B). Die bei niedrigen Substratkonzentrationen relativ ungenau bestimmten V-Werte erhalten dabei ein besonders großes Gewicht. Daher finden heute computergestützte Verfahren der nicht-linearen Regression zur statistisch korrekten Schätzung von KM und VMAX aus Messdaten Anwendung. Die Michaelis-Menten-Gleichung wurde für ein minimales Reaktionsschema (Gleichung 6) hergeleitet, bei dem der Zerfall  des Enzym-Substrat-Komplexes unmittelbar zur Bildung des Reaktionsproduktes führt. Man kann jedoch zeigen, dass auch komplexere Reaktionsmodelle, die mehrere Zwischenschritte der Umwandlung des Substrates zum Produkt einschließen, unter steady-state-Bedingungen mit dieser Gleichung beschrieben werden können. In Gleichung 11 tritt dann anstelle von k+2 eine Konstante auf, die eine Kombination mehrerer elementarer kinetischer Konstanten darstellt und als katalytische Konstante (kcat) bezeichnet wird. Die katalytische Konstante entspricht der in 7 Kap. 7.6 eingeführten Wechselzahl und wird in den nachfolgenden Gleichungen anstelle von k+2 verwendet.

Der Quotient kcat/KM ist ein Maß für die katalytische Wirksamkeit eines Enzyms Die Messung von Enzymaktivitäten erfolgt in vitro oft bei Substratkonzentrationen, die den KM-Wert um ein Vielfaches überschreiten. Unter diesen Bedingungen wird die katalytische Wirksamkeit eines Enzyms durch die Konstante kcat charakterisiert: V = k cat ⋅ [ET ] ⋅

[S] [S] K M ⎯⎯⎯⎯ → k cat ⋅ [ET ] K + [S] ( M )

(14)

Demgegenüber findet man unter physiologischen Bedingungen häufig Substratkonzentrationen vor, die weit unterhalb der KMWerte der Enzym-Substrat-Paare liegen. Die Michaelis-Menten-

113 7.7 · Michaelis-Menten-Gleichung

B

A

. Abb. 7.7 Kinetik einer Enzymreaktion vom Michaelis-Menten-Typ. A Hyperbole Abhängigkeit der Geschwindigkeit (einer Enzymreaktion von der Substratkonzentration. B Linearisierung der Michaelis-Menten-Gleichung nach Lineweaver und Burk zur Bestimmung der Parameter KM und VMAX eines Enzyms

. Tab. 7.5 Kinetische Konstanten von Enzymen Enzym

Substrat

KM (M)

kcat (s–1)

kcat/KM (s–1 ∙ M–1)

Siehe Kapitel

Superoxiddismutase

Superoxidanion

3,5 ∙ 10–4

2,4 ∙ 106

6,8 ∙ 109

20

104

108

14

8

74

Triosephosphatisomerase Acetylcholinesterase Carboanhydrase Katalase

D-Glycerinaldehyd-3-Phosphat Acetylcholin CO2 H 2O 2

4,0 ∙10

9,0 ∙ 10

–5

1,2 ∙

10–2

8,0 ∙

10–2

Gleichung geht dann näherungsweise in eine bilineare Beziehung über: k [S] [S] K M V = k cat ⋅ [ET ] ⋅ ⎯⎯⎯⎯ → cat ⋅ [ET ] ⋅ [S] KM ( K M + [S])

–4

(15)

Der Quotient kcat/KM ist eine apparente Geschwindigkeitskonstante zweiter Ordnung und charakterisiert die katalytische Effizienz eines Enzyms bei [S] 30 %) für die Prozesse der Replikation, Transkription und Translation benötigt wird. Allerdings sind von den 480 Genen nur etwa 260 Gene essentiell für das Überleben von M. genitalium. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in dem Gram-positiven Bakterium Bacillus subtilis gewonnen: von den etwa 4.000 Genen, die dieser Organismus besitzt, werden nur etwa 250 Gene benötigt, um den Organismus zumindest unter Laborbedingungen am Leben zu erhalten. Daher kann man annehmen, dass für eine autonome Lebensweise mindestens 250 proteincodierende Gene notwendig sind. Aus der Definition eines minimalen Genoms ergibt sich prinzipiell die Möglichkeit, künstliches Leben zu erschaffen. Tatsächlich gelang es Eckhard Wimmer 2002 erstmalig, ein synthetisches Poliovirus zu erzeugen. Mittlerweile sind auch Bakteriophagen, Coronaviren und Bakterien künstlich hergestellt worden.

Nahezu alle Gene eukaryontischer Organismen sind auf der chromosomalen DNA lokalisiert Mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten konnte die genetische und strukturelle DNA-Analyse auch auf die wesentlich komplexer aufgebauten Genome zunächst niederer, später auch höherer eukaryontischer Organismen einschließlich des Menschen ausgeweitet werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 4 Auf der DNA sind die unterschiedlichen Gene in einer linearen Sequenz angeordnet. Überlappende Gene kommen bei höheren Organismen nur sehr selten vor. 4 Im Unterschied zu Prokaryonten ist die Nucleotidsequenz eukaryontischer Gene nicht colinear mit der Aminosäuresequenz des entstandenen Proteins, da eukaryontische Gene aus codierenden Abschnitten (Exons) und nicht-codierenden Abschnitten (Introns) bestehen (7 Kap. 46.3.3). 4 Der Anteil der Introns in einem Gen kann sehr unterschiedlich sein: während in dem gesamten Hefegenom nur etwa 240 Introns existieren, kann ein einziges menschliches Gen mehr als 100 Introns enthalten. Eine Ausnahme bilden die Histon-Gene beim Menschen, hier scheinen keine Introns vorzukommen. 4 Die auf der DNA lokalisierten Gene codieren für die verschiedenen RNAs und für Proteine. 4 Außer im Zellkern kommt in tierischen Zellen DNA noch in Mitochondrien vor. Die mitochondriale DNA codiert für wenige mitochondriale Proteine (7 Kap. 12.1.7) und macht nur einen sehr kleinen Bruchteil der gesamten DNA aus.

Die Zahl der Gene in eukaryontischen Organismen ist nicht proportional zur DNA-Menge und spiegelt nicht unbedingt die Komplexität eines Organismus wider Bislang sind die Genome von 120 eukaryontischen Organismen sequenziert worden (29 Vertebraten; 16 Invertebraten; 19 Protozoen; 47 Pflanzen; 17 Pilze), von 1.844 prokaryontischen Organismen und von 2.748 Viren/Bakteriophagen (Stand Dezember 2011; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/).

. Tab. 10.2 Genomgröße und Genzahl verschiedener Organismen Organismus

Genomgröße (Mega-Basenpaare)

Zahl der Gene

HI-Virus (Virus)

0,009

9 (aus denen 15 verschiedene Proteine synthetisiert werden)

Hämophilus influenzae (Bakterium)

1,8

1.740

Escherichia coli (Bakterium)

4,64

4.397

Saccharomyces cerevisiae (Bierhefe)

12,1

6.034

Caenorhabditis elegans (Fadenwurm)

97

19.099

Amoeba dubia (Amoebe)

670.000

Nicht bekannt

Arabidopsis thaliana (Blattpflanze)

100

25.000

Frittilaria assyriaca (Blattpflanze)

120.000

Nicht bekannt

Drosophila melanogaster (Taufliege)

180

13.061

Homo sapiens (Mensch)

3.200

ca. 25.000

Die bis heute durchgeführten Totalsequenzierungen der Genome verschiedener Organismen haben eine Reihe überraschender Befunde erbracht, die in . Tab. 10.2 zusammengefasst sind. Das Genom eines komplexen Organismus wie das des Menschen ist etwa 1.500-mal größer als das eines einfachen Bakteriums. Auch die anderen untersuchten Vielzeller haben im Vergleich zur Bakterienzelle um das 50- bis 100fach größere Genome. Diese markanten Größenunterschiede spiegeln sich jedoch nicht in der Zahl der bei den einzelnen Organismen nachgewiesenen Gene wider. Im Vergleich zu Bakterien wie E. coli oder Bacillus subtilis, verfügt der Mensch lediglich über etwa 7-mal mehr Gene. Besonders augenfällig ist der geringe Unterschied in der Zahl der Gene beim Vergleich des Menschen mit dem Fadenwurm oder der Taufliege. Aus diesen Beobachtungen muss man also schließen, dass die Komplexität eines u. a. mit einem komplizierten zentralen Nervensystem ausgestatteten vielzelligen Säugetiers sich nicht ohne Weiteres aus der Zahl seiner Gene ablesen lässt. Diese fehlende Korrelation zwischen dem Gesamt-DNAGehalt eines Organismus (Chromatin- oder C-Wert) und der Zahl seiner Gene wird als C-Wert-Paradoxon bezeichnet. Es gibt allerdings auch keine strikte Korrelation zwischen der Genomgröße und dem Entwicklungszustand eines Organismus. So besitzt die zur Familie der Liliengewächse zählende Fritillaria ein Genom von etwa 120.000 Mbp und das Genom einer einzelligen Amöbe ist etwa 200-mal größer als das Genom des Menschen.

10

144

Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

. Abb. 10.12 Gen-Karte eines Teils des humanen Chromosoms 21. Die jeweiligen Abkürzungen stehen für in der angegebenen Region lokalisierte Krankheitsgene (z. B. AML1, akute myeloische Leukämie; HCHWAD, hereditäre Amyloidose VIb). Die Zahlenangaben links vom Chromosom beschreiben genetische Distanzen zwischen Genloci. Weitere Angaben sind unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ zu finden

10.3.3

10

Das menschliche Genom

Die Sequenzierung des menschlichen Genoms hat zu neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge von Anzahl der Gene und deren Expression geführt Das humane Genom umfasst ca. 3.200 Mega-Basenpaare (Mbp). Diese sind inzwischen vollständig sequenziert, sodass die Zuordnung der etwa 25.000 menschlichen Gene zu den verschiedenen Chromosomen möglich ist. Als Beispiel hierfür ist in . Abb. 10.12 ein Teil der Gen-Karte eines besonders kleinen humanen Chromosoms, nämlich des Chromosoms 21 dargestellt. Eine Liste aller dort lokalisierten Sequenzen kann im Internet unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ (National Center for Biotechnology Information) gefunden werden.

Erkenntnisse aus der Sequenzierung des humanen Genoms sind:

4 Die Gene sind nicht gleichmäßig auf die 46 menschlichen Chromosomen verteilt. Genreiche Abschnitte wechseln sich mit Gen-armen Abschnitten ab; dies ist vermutlich der Grund für das Bandenmuster der Chromosomen nach Giemsa-Färbung. Die durchschnittliche Gendichte beträgt etwa 10 Gene/1 Mbp, bei einem durchschnittlichen Abstand von etwa 40.000 bp zwischen den Genen. Besonders wenige Gene finden sich auf Chromosom 13 (649 Gene) und dem Y-Chromosom (397 Gene), während Chromosom 1 sehr viele Gene (3.380) enthält. 4 Überraschenderweise codieren nur etwa 2 % des Genoms für Proteine, ribosomale RNA oder transfer-RNA. Allerdings sind die Introns häufig deutlich größer als die Exons und machen daher in der Regel den größten Teil eines Gens aus. Berücksichtigt man diese zu den Genen dazugehörenden Introns, dann beträgt der Genanteil im menschlichen Genom etwa 30 %. 4 Ein durchschnittliches für Proteine codierendes Gen erstreckt sich über 27 kbp und enthält etwa 9 Introns. Die meisten Introns (234) sind im Gen für das Muskelprotein Titin vorhanden, während Histon-Gene keine Introns enthalten. Die codierende Sequenz besteht im Durchschnitt

aus etwa 1.350 Basenpaaren, d. h. sie codiert für ein Protein mit 450 Aminosäuren, was einer molekularen Masse von etwa 50 kDa entspricht. 4 Die Analyse der für Proteine codierenden Gene ergibt eine klare Einteilung in eine Reihe unterschiedlicher Proteinfamilien (. Abb. 10.13). Etwa 50 % der vorhergesagten Proteine lassen sich allerdings bisher noch nicht zuordnen. Dies gilt im Übrigen für alle bisher sequenzierten Organismen: für etwa 50 % der vorhergesagten Proteine lässt sich bislang keine Funktion postulieren. 4 Das menschliche Genom ähnelt dem bakteriellen Genom dahingehend, dass von den etwa 25.000 menschlichen Genen 7,5 % für Proteine codieren, die am Nucleinsäurestoffwechsel beteiligt sind (z. B. Replikation, Rekombination, Reparatur). Ebenso ist der Anteil der Gene, die für Stoffwechselenzyme codieren mit etwa 7‒8 % bei Bakterien und beim Menschen sehr ähnlich, auch wenn natürlich die absolute Zahl der Enzyme beim Menschen deutlich höher ist als bei Bakterien. 4 Im Unterschied zu Bakterien codiert das menschliche Genom allerdings für eine große Zahl von Transkriptionsfaktoren sowie für Signal- und Regulatorproteine, die insgesamt fast 20 % der codierenden Sequenz ausmachen. Zusätzlich codiert das menschliche Genom natürlich für eine Vielzahl von Proteinen, die an der Immunabwehr beteiligt sind. Es wird vermutet, dass humane Zellen trotz der nur etwa 25.000 protein-codierenden Gene etwa 150.000‒200.000 verschiedene Proteine bilden können. Vermutlich gelingt dies im Wesentlichen über zwei Mechanismen. Durch alternatives Spleißen (7 Kap. 47.2.3) können aus einem Gen mehrere verschiedene Genprodukte synthetisiert werden und durch posttranslationale Modifikation (7 Kap. 49.3) können synthetisierte Proteine weiter verändert werden, z. B. durch limitierte Proteolyse oder Glycosylierung.

145 10.3 · DNA als Trägerin der Erbinformation

. Abb. 10.13 Verteilung der Funktionen proteincodierender Gene in unterschiedlichen Genomen. Die Flächen der Tortendiagramme sind proportional zur Zahl der Gene. Weitere Informationen unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ (National Center for Biotechnology Information, Stand Dezember 2011)

Das menschliche Genom enthält verschiedene Arten von repetitiven Sequenzen Neben dem codierenden Anteil der Gene (Exons, ca. 2 % des Genoms) und dem nicht-codierenden Anteil der Gene (Introns, etwa 28 % des Genoms) enthält das menschliche Genom etwa 20 % bislang nicht charakterisierte Sequenzabschnitte. Die verbleibenden etwa 50 % bestehen aus Sequenzen mit einem hohen Grad an Wiederholungen, sog. repetitiven Sequenzen. Man unterscheidet im Einzelnen: 4 Einfache Sequenzwiederholungen (simple sequence repeats, SSR). Diese auch Satelliten-DNA genannten Abschnitte machen etwa 3‒6 % des menschlichen Genoms aus und bestehen aus repetitiven Sequenzen von etwa 2‒500 bp Länge. Zu den SSRs zählen die Telomere (7 Kap. 44.5), die an den Chromosomenenden lokalisiert sind und bei denen die Sequenzabfolge (TTAGGG) mehr als 1.500-mal wiederholt ist. Zu den SSRs zählen auch die Centromere, an denen der Spindelapparat während der Zellteilung bindet (7 Kap. 13.2 und 43.2). Allerdings kann bislang nur wenigen SSRs eine Funktion zugeordnet werden. Ganz kurze Sequenzwiederholungen werden auch als STRs (short tandem repeats) bezeichnet; sie bestehen aus nur 2–5 sich wiederholenden Basenpaaren. Individuelle Unterschiede in der Zahl der STR-Wiederholungen werden für genetische Profile genutzt, z. B. beim Vaterschaftstest oder in der Gerichtsmedizin (Forensik) (7 Kap. 54).

4 Transponierbare Sequenzen. In fast allen Pro-und Eukaryonten finden sich DNA-Sequenzabschnitte, die die Fähigkeit besitzen, ihre Position im Genom zu ändern. Sie werden deshalb als springende Gene oder Transposons bezeichnet. Je nach Länge wird zwischen SINE (short interspersed nuclear elements) bzw. LINE (long interspersed nuclear elements) unterschieden. Beim Menschen machen diese Sequenzen etwa 45 % des Genoms aus. Die Transposons scheinen keine Funktion zu besitzen, außer sich selbst zu erhalten, weshalb sie von Francis Crick als »egoistische DNA« bezeichnet worden sind. Die Transposition erfolgt teilweise über ein RNA-Intermediat, das dann über eine reverse Transkriptase wieder in DNA umgeschrieben wird. Diese als Retrotransposons bezeichneten Elemente sind vermutlich retroviralen Ursprungs. Der nicht-codierende Anteil des Genoms ist ursprünglich als »Ramsch-DNA« (junk-DNA) bezeichnet worden, allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass diese Bereiche eine ganz wichtige Rolle bei der Regulation der Genexpression spielen. Ein Vergleich der Genomsequenzen von Nagetieren (Rodentia) und Beuteltieren (Marsupialia) zeigt, dass sich beide im Wesentlichen im nicht-codierenden Anteil des Genoms unterscheiden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der nicht-codierende Anteil des Genoms eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Arten spielt.

10

146

Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

Einzelnucleotid-Polymorphismen stellen die häufigste DNA-Sequenzvariation des Humangenoms dar Unter einem Einzelnucleotidpolymorphismus (single nucleotide polymorphism, SNP) versteht man eine Sequenzvarianz in nur einer Nucleotidbase innerhalb eines definierten DNA-Abschnitts zwischen verschiedenen Individuen einer Spezies. Wenn man diesen DNA-Abschnitt beim Menschen sequenziert, findet man also bei einem bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung z. B. die Base T, beim Rest die Base C. SNPs machen etwa 90 % der genetischen Unterschiede zwischen Individuen aus und können als genetische Marker dienen, deren Vererbung von Generation zu Generation verfolgt werden kann. Man kennt inzwischen mehrere Millionen SNPs, von denen einige 10.000 in codierenden Regionen liegen. Sie können, müssen aber nicht, Aminosäuresubstitutionen verursachen. Liegen SNPs innerhalb von regulatorischen Regionen, so können sie zu Unterschieden in der Proteinexpression führen. Gegenwärtig wird intensiv untersucht, inwieweit bestimmte SNPs mit der individuellen Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen korrelieren.

10

Zusammenfassung Auf dem DNA-Doppelstrang sind die Gene in linearer Sequenz lokalisiert. Während Bakterien über ein einziges ringförmiges DNA-Molekül verfügen, sind die DNA-Moleküle eukaryontischer Organismen auf die für jeden Organismus in charakteristischer Zahl vorliegenden Chromosomen verteilt, die allerdings erst während der Mitose sichtbar werden. Somatische Zellen von Wirbeltieren enthalten einen diploiden, Gameten dagegen nur einen haploiden Chromosomensatz. Durch die Fortschritte der molekularbiologischen Verfahren ist es inzwischen gelungen, die Genome von über 1.000 Organismen einschließlich des Menschen vollständig zu sequenzieren und zu analysieren. Als wichtiger Befund hat sich dabei ergeben, dass keine direkte Beziehung zwischen der Komplexität eines Organismus und der Zahl seiner Gene besteht. Nur weniger als 2 % des menschlichen Genoms codieren für Proteine, der Rest sind nicht-codierende Sequenzen, zu mehr als 50 % repetitive Sequenzen. Die gesamte DNA einer Zelle macht deren Genom aus, die Gesamtzahl der in RNA transkribierten Gene, das Transkriptom und die Menge der in Proteine translatierten Gene das Proteom.

Übrigens Geschichte eines gewaltigen Projektes 1985 Charles De Lisi, Department of Energy, USA, diskutiert die Möglichkeiten der Sequenzierung des menschlichen Genoms. 1988 James Watson gründet das Office of Human Genome Research, später National Center for Human Genome Research und beginnt mit der Einwerbung öffentlicher Mittel. 6

1990 Man ist sich einig, dass das menschliche Genom vor der Sequenzierung kartiert werden muss. 1992 Francis Collins löst James Watson als Leiter des Projektes ab. Verschiedene internationale Gruppen schließen sich an. 1997 Die internationalen Partner des Genomprojektes einigen sich während einer Tagung auf den Bermudas über die Bedingungen des öffentlichen Zugangs zu den Sequenzdaten und verpflichten sich, Daten innerhalb von 24 Stunden zugänglich zu machen (Bermuda-Prinzipien). 1998 Craig Venter gründet die Firma Celera und kündigt die kommerzielle Sequenzierung des menschlichen Genoms nach einem einfacheren Verfahren an. Celera wird sich nicht an die Bermuda-Prinzipien halten. 1999–2000 Durch internationale Kollaboration von Gruppen in den USA, Japan und Europa gelingt die vollständige Sequenzierung der menschlichen Chromosomen 21 und 22. 2001 Zeitgleich wird die erste Rohsequenz des menschlichen Genoms, die etwa 90 % des Genoms umfasst, von der öffentlich geförderten Gruppe in der Zeitschrift Nature und von Craig Venter, Celera, in der Zeitschrift Science veröffentlicht. 2003 Vorläufiger Abschluss der Sequenzierung des humanen Genoms; Aktualisierungen laufen noch immer (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/mapview/ – National Center for Biotechnology Information).

10.4

Funktion und Struktur der RNA

Zellen enthalten wesentlich mehr RNA als DNA, auch sind die Funktionen der RNA vielfältiger als die der DNA (. Tab. 10.3): 4 Aufgrund ihrer Fähigkeit zur spezifischen Basenpaarung nimmt RNA an der Codierung und Decodierung genetischer Information teil und ist damit ein essentieller Bestandteil der Transkriptions- und Translationsmaschinerie. 4 Im Gegensatz zur DNA können RNA-Moleküle über wichtige strukturgebende oder katalytische Eigenschaften verfügen. Sie sind Bestandteile z. B. der Ribosomen (7 Kap. 48), der Telomerase (7 Kap. 44) und des signal recognition particle (SRP) (7 Kap. 49). 4 RNA-Moleküle dienen als Katalysatoren. Sie knüpfen die Peptidbindung bei der ribosomalen Proteinbiosynthese und sind am Vorgang des Spleißens der Prä-mRNA und der PrätRNA beteiligt. Häufig wird anstelle von Prä-mRNA auch der Begriff hnRNA (heterogeneous nuclear-RNA) verwendet. Dies ist nicht ganz korrekt, da hnRNA nicht nur die zahlreichen Prä-mRNAs im Zellkern sondern auch alle Zwischenstufen von Spleißprodukten der Prä-mRNA beschreibt. 4 RNA-Moleküle nehmen eine große Zahl regulatorischer Aufgaben wahr, die sich auf alle Aspekte der Genexpression erstrecken, z. B. die Hemmung der Translation von mRNA oder die Regulation der mRNA Stabilität (7 Kap. 47).

147 10.4 · Funktion und Struktur der RNA

. Tab. 10.3 Klassifizierung der RNA Typ

Bezeichnung

Funktion

Besprochen in Kapitel

Codierende RNA

messenger-RNA (mRNA)

Matrize bei der Proteinbiosynthese

46–48

Nicht-codierende RNA mit struktureller und z. T. katalytischer Funktion

transfer-RNA (tRNA)

Proteinbiosynthese

46–48

Ribosomale RNA (rRNA)

Strukturelement der Ribosomen

46–48

Katalysator bei der Knüpfung der Peptidbindung

48

Strukturelement der Spleißosomen

46

Spleißen der Prä-mRNA

46

small nuclear RNA (snRNA)

Nicht-codierende RNA mit regulatorischer Funktion

small nucleolar RNA (snoRNA)

Modifikation von RNA; Spleißen der Prä-rRNA

46

7SL-RNA im signal recognition particle (SRP)

Intrazellulärer Proteintransport

49

Ribonuclease P-RNA

Reifung der Prä-tRNA

46

Telomerase-RNA

DNA-Synthese an den Telomeren

44

micro-RNA (miRNA)

Abbau von mRNA

46

small interfering RNA (siRNA)

Hemmung der Translation Regulation der Genexpression

46

antisense-RNA

Regulation der Genexpression

46

Xist-RNA (X-inactive-specific transcript)

Inaktivierung des X-Chromosoms

10

. Tab. 10.3 zeigt eine Einteilung der RNA-Moleküle nach funktionellen Gesichtspunkten. Codierende RNA Messenger-RNAs (mRNA) dienen als Matrize

bei der Proteinbiosynthese. Sie entstehen aus Prä-mRNAs, den primären Transkripten der für Proteine codierenden Gene (beim Menschen ca. 25.000). Die einzelnen Schritte dieser Reaktionsfolge sind komplex, da sie nicht nur die Anheftung einer capGruppe und eines Poly(A)-Endes beinhalten, sondern auch die Entfernung der Introns, die nicht für Proteine codieren (7 Kap. 46.3.3).

Nicht-codierende RNA mit strukturellen und z. T. katalytischen Funktionen Diese umfangreiche, nicht für Proteine codierende

Gruppe von RNA-Molekülen (non-coding RNA) nimmt entweder als struktureller Bestandteil und/oder als Katalysator an verschiedenen Aspekten der Genexpression teil: 4 Transfer-RNAs (tRNAs) dienen nach Beladung mit der jeweiligen Aminosäure als Adaptermoleküle für die Proteinbiosynthese (7 Kap. 48.2). Da in Proteinen insgesamt 20 unterschiedliche Aminosäuren vorkommen können (mit Selenocystein sind es sogar 21, 7 Kap. 3.3.2 und 60), muss die Minimalausstattung einer Zelle aus wenigstens 20 tRNAMolekülen bestehen. In Wirklichkeit liegt diese Zahl aber höher, da für die einzelnen Aminosäuren eine unterschiedliche Zahl von Codons (Degeneration des genetischen Codes) vorkommt. Allen tRNA-Molekülen liegt ein gemeinsamer Bauplan zugrunde. Sie bestehen aus je 65– 110 Nucleotiden. Unter der Annahme, dass die maximal möglichen Basenpaarungen innerhalb eines einkettigen

4

4

4

4

tRNA-Moleküls stattfinden, ergibt sich eine kleeblattförmige Sekundärstruktur (. Abb. 10.14B). Aus Röntgenstrukturanalysen weiß man allerdings, dass die verschiedenen Schleifen sehr eng beieinander liegen, sodass sich insgesamt das Bild eines L-förmigen Stäbchens ergibt (. Abb. 10.14C). Ribosomale RNA (rRNA) kommt in verschiedenen Fraktionen mit Sedimentationskoeffizienten zwischen 5S und 28S und entsprechend unterschiedlichen molekularen Massen vor. Sie sind Bestandteile der Ribosomen. Die 28S-rRNA spielt als Ribozym (katalytisch aktive RNA) bei der ribosomalen Proteinbiosynthese als Peptidyltransferase eine entscheidende Rolle für die Knüpfung der Peptidbindung (7 Kap. 48.5). Small nuclear RNAs (snRNA) sind eine Klasse kleiner RNA-Moleküle (von einigen hundert Nucleotiden Länge), die sich im Zellkern befinden. Sie sind v. a. am Spleißen der Prä-mRNA (7 Kap. 46.3.3) beteiligt und immer mit Proteinen zu small nuclear ribonucleoproteins (snRNPs) assoziiert. Small nucleolar RNAs (snoRNA) sind eine Klasse kleiner RNA-Moleküle (etwa 100–170 Nucleotide), die im Nucleolus lokalisiert sind. Zusammen mit Proteinen sind sie an der Modifikation von RNA-Molekülen beteiligt. Hierzu gehört die 2’-O-Methylierung von Riboseresten oder der Einbau von Pseudouridinen. Ribonuclease P-RNA. Ribonuclease P ist an der Prozessierung der Prä-tRNA beteiligt und unterscheidet sich von anderen Ribonucleasen durch das Vorhandensein einer RNA, die zusammen mit dem Proteinanteil für die enzymatische Aktivität essentiell ist.

10

148

Kapitel 10 · Nucleinsäuren – Struktur und Funktion

A

B

10

C

. Abb. 10.14 Struktur einer tRNA. A Primär-, B Sekundärstruktur (Kleeblattstruktur), C 3D-Struktur der Phenylalanin-tRNA. Rot: Aminosäureakzeptorstelle (CCA); gelb: Anticodon; grün: D (Dihydrouridin)-Schleife; blau: Ψ (Pseudouridin)-Schleife. (A, B Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis, C PDB 1EVV)

4 Telomerase-RNA ist Bestandteil des Enzyms Telomerase und wird für die Verlängerung der Telomeren-DNA während der DNA-Replikation benötigt (7 Kap. 44.5). Nicht-codierende RNA mit regulatorischen Funktionen Nichtcodierende RNA-Moleküle haben eine Vielzahl von regulatorischen Funktionen im gesamten Bereich der Genexpression. Aus der ständig wachsenden Zahl derartiger regulatorischer RNAs sollen stellvertretend vier Gruppen erwähnt werden: 4 micro-RNA (miRNA) und small interfering RNA (siRNA) sind kleine, aus 20–30 Nucleotiden bestehende RNA-Moleküle, die aus größeren Vorläufern herausgeschnitten werden. Sie dienen der Regulation der mRNA-Stabilität bzw. der Hemmung der Translation (7 Kap. 47). 4 antisense-Transkripte sind in antisense-Richtung synthetisierte Transkripte von proteincodierenden Genen. Bisher sind im menschlichen Genom einige tausend derartiger Transkripte nachgewiesen worden, die die Genexpression inhibieren können. 4 Xist-RNA (X-inactive specific transcript, 16.481 Nucleotide Länge) wird benötigt, um bei weiblichen Individuen eines der beiden X-Chromosomen zu inaktivieren.

Neben diesen im Zellkern codierten RNA-Spezies existiert in geringen Mengen noch mitochondriale mRNA, rRNA und tRNA.

Zusammenfassung Zur Expression der auf der DNA codierten Information ist deren Transkription notwendig. Die dabei entstehende RNA wird in verschiedene Klassen eingeteilt: 4 mRNA entsteht aus den als Prä-mRNA bezeichneten Transkripten der proteincodierenden Gene und dient als Matrize bei der Proteinbiosynthese. 4 Nicht-codierende RNAs mit strukturellen/katalytischen Funktionen. Zu ihnen gehören v. a. die als Adapter der Proteinbiosynthese dienenden tRNAs und die ribosomalen RNAs. snRNAs und snoRNAs haben katalytische Funktionen beim Spleißvorgang und bei RNA-Modifikationen. Ebenfalls katalytisch aktiv ist die RNA der Ribonuclease P. Die Telomerase-RNA wird für die Verlängerung der Telomeren-DNA benötigt. Die SRP-RNA ist am intrazellulären Proteintransport beteiligt. 4 Nicht-codierende RNAs mit regulatorischen Funktionen. Eine große Zahl nicht-codierender RNAs hat regulatorische Funktionen. miRNAs und siRNAs sind kleine RNAs, die den Abbau von mRNA regulieren bzw. die Translation hemmen können. Antisense-Transkripte von proteincodierenden Genen sind große RNA-Transkripte, die für die Regulation der Genexpression benötigt werden. Darüber hinaus gibt es weitere regulatorische RNAs, z. B. für die Inaktivierung von X-Chromosomen (Xist-RNA).

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

149

11 Biomembranen Lutz Graeve, Matthias Müller

Einleitung Alle lebenden Zellen sind von mindestens einer in sich geschlossenen Biomembran umgeben, die das Zellinnere von der Umgebung abtrennt und somit den Stoffaustausch zwischen Zelle und Umwelt begrenzt. Damit stellt die Biomembran eine der essentiellen Grundstrukturen des Lebens dar. Die irreversible Zerstörung der Zellmembran führt unmittelbar zum Zelltod. Alle höheren Zellen haben dazu intrazelluläre Reaktionsräume (Zellorganellen) gebildet, die durch mindestens eine Biomembran begrenzt werden. In diesem Kapitel werden grundlegende Eigenschaften von Biomembranen vorgestellt. Schwerpunkte 4 Aufbau von Biomembranen und ihre physikochemischen Eigenschaften 4 Membranmikrodomänen 4 Membranproteine und Transport durch Membranen 4 Biosynthese von Membranen

11.1

Aufbau und Eigenschaften von Biomembranen

Biologische Membranen stellen eine unverzichtbare Grundstruktur jeder Zelle dar. Sie sind für die Abgrenzung der Zelle nach außen (Plasmamembran) und für die Gliederung des Zellinneren in verschiedene Kompartimente verantwortlich Die strukturelle Grundlage aller zellulären Membranen ist die Lipiddoppelschicht, die durch Zusammenlagerung amphiphiler Lipide zustande kommt. Dies sind im Wesentlichen: 4 Die Phosphoglycerolipide: Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylserin und Phosphatidylinositol, 4 die Sphingolipide: Sphingomyelin und die Glykosphingolipide sowie 4 Cholesterin (7 Kap. 3.2). Die amphiphilen Lipide lagern sich dabei derart zusammen, dass eine Doppelschicht entsteht, bei der die hydrophoben Anteile zueinander nach innen und die hydrophilen Kopfgruppen nach außen zum wässrigen Milieu weisen (. Abb. 11.1 und . Abb. 11.6). Biologische Membranen sind üblicherweise in sich selbst geschlossen. Die Verteilung der Lipide zwischen den beiden Membranhalbschichten (membrane leaflets) ist dabei asymmetrisch. So zeichnet sich die äußere Halbschicht einer tierischen Plasma-

membran durch einen hohen Anteil an Phosphatidylcholin und Sphingolipiden aus, dagegen sind Phosphatidylserin, Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylinositol vorwiegend auf der Innenseite der Lipiddoppelschicht zu finden (. Abb. 11.2). Diese Lipidasymmetrie muss unter Energieaufwand generiert und aufrechterhalten werden. Bei sterbenden Zellen, z. B. während einer Apoptose (7 Kap. 51), geht diese Asymmetrie verloren. Das Auftauchen von Phosphatidylserin auf der Membranaußenseite kann durch Bindung des Proteins Annexin 5 nachgewiesen werden und dient als Hinweis auf eine ablaufende Apoptose. Membranen unterschiedlicher Herkunft zeigen außerdem eine unterschiedliche Lipidzusammensetzung. Beispielsweise ist der Anteil an Cholesterin in der Plasmamembran meist höher als in intrazellulären Membranen, der von Phosphatidylcholin dagegen kleiner (. Abb. 11.3). Mitochondriale Membranen enthalten beträchtliche Mengen an Cardiolipin, das in anderen Membranen nur in Spuren zu finden ist. (7 Abb. 3.6; . Abb. 11.3). Diese Ungleichverteilung von Lipiden in verschiedenen zellulären Membranen ist insofern überraschend, da viele dieser Membranen (z. B. ER, Golgi-Apparat und Plasmamembran) durch einen vesikulären Transport miteinander kommunizieren und ständig Lipide austauschen. Der Einbau von Lipiden in die Transportvesikel findet also nicht statistisch, sondern kontrolliert statt. 11.2

Membranfluidität

Biologische Membranen besitzen nach unserer heutigen Vorstellung eine flüssig-kristalline Struktur Bei biologischen Membranen können zwei Zustände unterschieden werden, der flüssig-geordnete und der flüssig-ungeordnete Zustand (. Abb. 11.4). In welchem Zustand eine Membran vorliegt, hängt von der Lipidzusammensetzung und der Umgebungstemperatur ab: 4 Bei einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, Sphingolipiden und Cholesterin, wird die Membran v. a. bei niedrigen Temperaturen eher im flüssig-geordneten Zustand vorliegen. Hierbei sind die Alkanketten der Fettsäurereste von Membranlipiden dicht gepackt und maximal gestreckt. 4 Ein hoher Anteil an ungesättigten Fettsäuren und höhere Temperaturen führen dagegen zu einem flüssig-ungeordneten Zustand der Membran, bei dem die Beweglichkeit der Lipide in der Membran deutlich zunimmt. Der Übergang von der geordneten in die ungeordnete Phase wird auch als Schmelzen der Membran bezeichnet, die zum Schmelzen benötigte Temperatur als Schmelzpunkt.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

11

150

Kapitel 11 · Biomembranen

11

. Abb. 11.1 Lipidstruktur einer Zellmembran. Die schematische Darstellung zeigt einen Ausschnitt aus der Zellmembran mit der asymmetrischen Verteilung von Phospholipiden (Phosphatidylcholin außen, Phosphatidylserin und -ethanolamin innen) und Sphingo- und Glykolipiden (außen) auf den beiden Seiten der Lipiddoppelschicht. Im mittleren Teil bilden die Lipide ein lipid raft (orange), das besonders cholesterinreich ist und in dem die Phospho- und Sphingolipide überwiegend gesättigte Fettsäurereste enthalten. Im lipid raft sind außerdem zwei lipidverankerte Proteine dargestellt, das extrazelluläre ist mit einem Glycosyl-Phosphatidylinositol-Anker mit der Membran verhaftet. (Adaptiert nach Simons, K. und Ikonen, E., 2000)

Biologische Membranen haben in Abhängigkeit von der Kettenlänge und der Zahl der Doppelbindungen der vorkommenden Fettsäuren einen Schmelzpunkt zwischen 10 °C und 40 °C. Je länger die Kohlenwasserstoffketten und je geringer die Zahl der Doppelbindungen umso höher liegt der Schmelzpunkt. Kaltwasserfische besitzen einen besonders hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, damit ihre Membranen auch bei niedrigen Temperaturen noch fluide sind. Auch Natrium-, Kalium- und Calciumionen und Anteil und Art der Membranproteine beeinflussen die Membranfluidität. Ein weiterer wichtiger Parameter ist der Cholesterinanteil. Cholesterin lagert sich zwischen die Fettsäurereste, seine polare OHGruppe weist dabei in Richtung der hydrophilen Kopfgruppen der Phospho- und Sphingolipide (. Abb. 11.1). Die Einlagerung

von Cholesterin führt zu einer Verbreiterung des Temperaturbereichs, in dem die Membran schmilzt und erhöht auch die Membranstabilität. 11.3

Lipid rafts oder membrane rafts

Das von Singer-Nicholson in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte Fluid-Mosaic-Modell der Biomembran postulierte, dass Lipide wie auch Proteine innerhalb des Lipidbilayers lateral frei diffundieren können und somit innerhalb einer Membranhalbschicht eine homogene Verteilung der Lipidmoleküle vorliegt. Im Gegensatz hierzu haben sich in den letzten Jahren Hinweise ergeben, dass die Lipide innerhalb der Mem-

151 11.3 · Lipid rafts oder membrane rafts

. Abb. 11.4 Lipidmembranen können in unterschiedlichen Aggregatzuständen vorliegen. In Abhängigkeit von der Zusammensetzung und der Umgebungstemperatur liegen Membranen im flüssig-geordneten oder flüssig-ungeordneten Zustand vor. Hoher Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und hohe Temperaturen erhöhen die Fluidität der Membran

A

. Abb. 11.2 Asymmetrische Verteilung von Phospholipiden in der Plasmamembran. Die verschiedenen Phospho- und Sphingolipide verteilen sich nicht statistisch über beide Membranhalbschichten. (Erläuterungen s. Text) B

. Abb. 11.3 Unterschiedliche zelluläre Membranen haben eine unterschiedliche Zusammensetzung. Prozentuale Verteilung verschiedener Lipide in unterschiedlichen Membranen eines Hepatocyten aus der Ratte. (Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)

bran inhomogen verteilt sein können und dadurch Areale höherer (flüssig-ungeordnet) und niedrigerer (flüssig-geordnet) Membranfluidität nebeneinander existieren (sog. Mikrodomänen). Hierbei kommt es durch Zusammenlagerung v. a. von Sphingolipiden und Cholesterin zur Ausbildung sog. lipid oder

. Abb. 11.5 Organisation von lipid/membrane rafts und Caveolae in Membranen. A Lipid/membrane rafts sind reich an Cholesterin und Sphingolipiden und bilden eine flüssig-geordnete Phase in der flüssig-ungeordneten Lipiddoppelschicht. B Caveoline verfügen über Bindungsdomänen für Cholesterin und lagern sich haarnadelförmig in die flüssig-geordneten Domänen von Membranen ein, ohne diese vollständig zu durchqueren. Über eine Dimerisierungsdomäne (blau) bilden sich Dimere, die über C-terminale Bereiche (grün) oligomerisieren. Dies führt zur Ausbildung von Caveolae und ggf. zur Abschnürung von Vesikeln. (Adaptiert nach Razani et al. 2002)

Sphingomyelin Phosphatidylcholin Phosphatidylethanolamin Phosphatidylserin Phosphatidylinositol

11

152

Kapitel 11 · Biomembranen

membrane rafts, die als Flöße (engl. raft: Floß) mit einer flüssiggeordneten Struktur in der ansonsten flüssig-ungeordneten Membran umherschwimmen (. Abb. 11.5A). Derartige Strukturen sind bei 4 °C in nicht-ionischen Detergentien wie 1 % TritonX-100 unlöslich und lassen sich durch Dichtegradientenzentrifugation isolieren und charakterisieren. Diese Untersuchungen haben ergeben, dass zahlreiche Rezeptoren und an der zellulären Signaltransduktion beteiligte Proteine (z. B. kleine und heterotrimere G-Proteine, Proteinkinasen der src-Familie, EGF-, PDGF-, Endothelinrezeptoren, Adapterproteine (Grb2), Proteinkinase C und die p85-Untereinheit der PI-3-Kinase, 7 Kap. 33 und 7 Kap. 35) in membrane rafts lokalisiert sind. Der künstliche Entzug von Cholesterin aus der Membran (z. B. mittels Methylβ-Cyclodextrin) führt meist zu einer Auflösung der membraneraft-Strukturen und zu einer veränderten Signaltransduktion. Aufgrund der geringen Größe der membrane rafts und ihrer möglicherweise hohen Instabilität und Dynamik ist ihr direkter Nachweis bis heute aber schwierig und ihre Existenz und Bedeutung wird auch kontrovers diskutiert.

Eine spezielle Form der membrane rafts stellen die Caveolae dar

11

Caveolae wurden bereits vor über 50 Jahren elektronenmikroskopisch auf zahlreichen Zellen nachgewiesen. Diese stabilen 50–100 nm großen Plasmamembraninvaginationen enthalten ein als Caveolin bezeichnetes Protein, welches Cholesterin bindet und in der cytoplasmatischen Membranschicht Haarnadelstrukturen ausbildet (. Abb. 11.5B). Es existieren drei Isoformen, Caveolin-1, -2 und -3, die durch verschiedene Gene codiert werden. Caveolin-1 und -2 werden in vielen Zellen meist gemeinsam exprimiert, Caveolin-3 findet sich nur in Muskelzellen. Durch Oligomerisierung erzwingt Caveolin die Membrankrümmung, was zur Ausbildung der Membraninvaginationen führt. Caveolae können unter Vesikelbildung abgeschnürt werden und sind an wichtigen zellbiologischen Phänomenen wie z. B. Fettsäuretransport, Cholesterintransport, vesikulärer Transport von Proteinen (Endocytose 7 Kap. 12, Transcytose 7 Kap. 70 und 7 Abb. 61.20) und Signaltransduktion beteiligt. Durch seine Interaktion mit Wachstumsfaktorrezeptoren und anderen Signalproteinen beeinflusst Caveolin-1 die Proliferation wie auch die Transformation von Zellen. Auf diese beiden Prozesse wirkt Caveolin-1 eher hemmend und verhält sich dementsprechend wie ein Tumorsuppressor-Gen (7 Kap. 52.5.2, 53.2.3). Tumorzellen zeichnen sich oft durch niedrige bzw. fehlende Caveolin-1-Expression aus. Einige Viren nutzen Caveolae als Eintrittspforte in die Zelle. 11.4

Membranproteine

Biologische Membranen enthalten neben den verschiedenen Lipiden immer Proteine Der Proteinanteil unterschiedlicher zellulärer Membranen liegt zwischen 20 % (Myelinmembran) und 80 % (mitochondriale Innenmembran). Es lassen sich grundsätzlich drei Typen von Membranproteinen unterscheiden (. Abb. 11.6): Transmembranproteine durchqueren mindestens einmal vollständig die Membran. Sie besitzen hierzu Transmembrando-

. Abb. 11.6 Assoziation von Proteinen mit Membranen. A Integrale Transmembranproteine durchqueren die Lipiddoppelschicht komplett. B Integrale, monotope Membranproteine tauchen nur in eine Lipidhalbschicht ein. C Integrale, lipidverankerte Membranproteine sind über covalent verknüpfte Lipide (dicke grüne Linien) mit der Membran verhaftet. D Periphere Membranproteine sind über Kontakte zu integralen Membranproteinen mit Membranen assoziiert (blau: Kohlenhydratseitenketten)

mänen, welche 20–25 fast ausschließlich hydrophobe Aminosäuren enthalten, die die nötigen Wechselwirkungen mit der Lipidphase der Membranen ermöglichen. Strukturell bestehen Transmembrandomänen üblicherweise aus α-Helices, selten aus zirkulären β-Faltblättern (sog. β-Tonnen). Viele Membranproteine durchqueren die Membran mehrfach (z. B. heptahelicale Rezeptoren, 7 Kap. 33.3 und 35.3) und werden dann auch als polytope Membranproteine bezeichnet. 4 Monotope Membranproteine sind nur mit einer Hälfte der Lipiddoppelschicht assoziiert (Caveoline s. o., Prostaglandin-H-Synthase(7 Kap. 22.3.2). 4 Lipidverankerte Membranproteine sind durch covalente Verknüpfung mit Lipiden in Membranen verankert. Als derartige Lipide kommen Isoprenoidreste, Fettsäurereste und Glycosyl-Phosphatidylinositol-Anker infrage (7 Kap. 49.3.4).

Alle genannten Proteine lassen sich nur nach Auflösung der Membranstruktur mit Hilfe von Detergentien(7 Abb. 3.8) isolieren. Sie werden deshalb als integrale Membranproteine bezeichnet. Demgegenüber sind periphere Membranproteine über Protein-Protein-Wechselwirkungen mit Membranen assoziiert. Periphere Membranproteine können deshalb durch Zugabe von Salzen oder Harnstoff ohne Zerstörung der Lipiddoppelschicht von Membranen entfernt werden. Periphere Membranproteine können auch direkt an Membranlipide binden, z. B. Proteine mit Pleckstrin-Homologie-Domäne, die reversibel im Rahmen von Signaltransduktionsprozessen mit anionischen Phospholipiden (Phosphoinositolderivate) interagieren (7 Kap. 33.4.3). Membranproteine sind meist Glykoproteine(7 Kap. 49.3.3). Die Kohlenhydratketten sind dabei immer mit der im extrazellulären oder extracytosolischen Raum befindlichen Proteindomäne kovalent verknüpft. Membranproteine sind wesentlich für

153 11.5 · Transport durch Membranen

. Abb. 11.7 Transportmechanismen. A Uniport, Symport und Antiport 7 A geben an, ob ein oder mehrere Substrate in jeweils welcher Richtung transportiert werden. B Passiver Transport: einfache Diffusion eines membrangängigen Substrates in Richtung des Konzentrationsgefälles; erleichterte Diffusion eines nicht-membrangängigen Substrates mit Hilfe eines Transportproteins in Richtung des Konzentrationsgefälles. C Aktiver Transport: primär aktiver Transport eines Substrates mit Hilfe eines Transportproteins entgegen des Konzentrationsgefälles unter direkter ATP-Spaltung; sekundär aktiver Transport eines Substrates (rot) im Symport mit einem zweiten Molekül (grün), das durch einen primär aktiven Transport entgegen dem Konzentrationsgefälle transportiert wurde

die Kommunikation der Zelle mit der Außenwelt und ermöglichen u. a.: 4 als Kanäle oder Carrier den Transport von Molekülen durch die Membran 4 als nutritive Rezeptoren die Bindung und Endocytose von Nährstoffmolekülen (z. B. LDL) 4 als Signalrezeptoren die Bindung von löslichen oder membranständigen Liganden und nachfolgend die Signaltransduktion durch Signalmoleküle 4 als Cadherine oder Integrine die Zell-Zell- bzw. ZellMatrix-Kontakte 4 als Histokompatibiltätsantigene, T- und B-Zellrezeptoren die Präsentation und Erkennung von Fremdstrukturen (7 Kap. 70.4, 70.7, 70.8). 11.5

B

Transport durch Membranen

Reine Lipidmembranen sind für die meisten chemischen Moleküle impermeabel. Lediglich gelöste Gase wie O2 und CO2, Wasser und kleine unpolare Substanzen (z. B. Ethanol) und ungeladene Verbindungen (z. B. Harnstoff) können die Membran ungehindert durchqueren. Für hydrophile Substanzen, d. h. Kohlenhydrate, Aminosäuren und alle Makromoleküle, stellt die Membran eine Barriere dar, die nur mit Hilfe spezifischer Transportproteine überwunden werden kann. Eine große Zahl an Transmembranproteinen ist an diesen Transportprozessen beteiligt. Die Transportmechanismen können zum einen aufgrund der Transportrichtung und zum anderen aufgrund ihrer Energieabhängigkeit unterschieden werden (. Abb. 11.7). So differenziert man zwischen: 4 Uniport, bei dem ein Substrat von der einen Seite der Membran auf die andere Seite transportiert wird, 4 Symport, bei dem zwei Substrate von der einen Seite der Membran auf die andere Seite transportiert werden, und 4 Antiport, bei dem ein Substrat in die eine Richtung, ein zweites in die Gegenrichtung transportiert wird (. Abb. 11.7A). Diese Betrachtungsweise lässt energetische Fragen allerdings unberücksichtigt. Wenn man die Energetik von Transportprozessen mit einbezieht, so unterscheidet man zwischen: 4 passivem Transport, bei dem ein Substrat entlang eines bestehenden Konzentrationsgefälles transportiert und keine Energie benötigt wird (. Abb. 11.7B), und 4 aktivem Transport, bei dem ein Substrat entgegen einem Konzentrationsgefälle transportiert wird, und Energie, in

C

11

154

Kapitel 11 · Biomembranen

der Regel in Form von ATP, direkt oder indirekt den Transport antreibt (. Abb. 11.7C). Passiver Transport Die einfachste Form des passiven Transports

11

ist die einfache Diffusion durch eine Membran, wie sie z. B. gelöste Gase, Wasser oder kleine lipophile Substanzen zeigen. Interessanterweise gibt es für viele dieser Prozesse, die eigentlich ohne Proteine ablaufen können und auch ablaufen, trotzdem zusätzlich spezifische Transportproteine, wie z. B. die Aquaporine (7 Kap 1.2 und 65.5.2) oder die Fettsäuretransporter (7 Kap. 21.1.3). Müssen Substrate, die nicht direkt die Membran permeieren können, entlang eines Konzentrationsgradienten transportiert werden, benötigt man substratspezifische Transporter. Diese integralen Membranproteine binden das Substrat auf der einen Seite der Membran, durchlaufen eine Konformationsänderung und entlassen das Substrat auf der anderen Seite wieder. Solche Transporter werden auch als Permeasen oder Carrier bezeichnet. Kanäle sind eine weitere Gruppe von Transportproteinen, die im Gegensatz zu den Permeasen verschließbare Poren in der Membran bilden. Transportprozesse durch Permeasen und Kanäle, die entlang eines Konzentrationsgefälles ablaufen, bezeichnet man als erleichterte Diffusion. Im Gegensatz zur einfachen Diffusion zeigt die erleichtere Diffusion eine Sättigungskinetik ganz analog einer Enzymkinetik (7 Kap. 7.7) und kann mathematisch vergeichbar beschrieben werden (. Abb. 11.8). Die erleichterte Diffusion ist prinzipiell umkehrbar, d. h. kehrt sich das Konzentrationsgefälle um, so findet der Transport in die Gegenrichtung statt. Klassisches Beispiel für die erleichterte Diffusion ist die Aufnahme von Glucose in die Zelle bzw. Abgabe aus der Zelle durch die aus 12 Transmembranhelices aufgebauten Glucosetransporter der GLUT-Familie (7 Kap. 15.1.1). Einfache und erleichterte Diffusion findet nur bis zum Konzentrationsausgleich statt; dieser wird aber häufig durch sofortige Metabolisierung des transportierten Substrats verhindert. Aktiver Transport Soll ein Substrat entgegen eines bereits beste-

henden Gradienten transportiert werden, handelt es sich grundsätzlich um einen endergonen Prozess, der nur durch Kopplung mit einem exergonen Prozess, in der Regel der Spaltung von ATP, vollzogen werden kann. Diese aktiven Transportprozesse werden noch in primär aktiven Transport und sekundär aktiven Transport untergliedert. Bei ersterem ist die ATP-Spaltung direkt an den Transportprozess gekoppelt. So pumpen z. B. Protonenpumpen direkt unter ATP-Verbrauch Protonen aus dem Cytosol ins Endosom, um dieses anzusäuern (Uniport). Ein weiteres Beispiel wäre die Na+/K+-ATPase, die unter ATP-Verbrauch im Antiport aus dem Cytosol drei Natriumionen nach außen und zwei Kaliumionen nach innen transportiert. Beide gehören zu den Transport-ATPasen, die sich auf vier Gruppen aufteilen lassen: 4 die F-ATPasen (bestehen aus F1/FO-Domänen) 4 die P-ATPasen (werden während des Transports phosphoryliert) 4 die V-ATPasen (vacuoläreATPasen) und 4 die ABC-Transporter (ABC = ATP binding cassette)

. Abb. 11.8 Kinetik der erleichterten Diffusion am Beispiel des Glucosetransporters GLUT4 in isolierten Fett- oder Muskelzellen. Die Kinetik ist wie bei einer klassischen Enzymkinetik hyperbolisch. Die Sättigung ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Diffusion mit einer limitierten Zahl von Transportern erfolgt. Durch eine Stimulierung der Zellen mit Insulin wird die Zahl der an der Plasmamembran lokalisierten Transporter um ein Mehrfaches erhöht, wodurch sich die Maximalgeschwindigkeit erhöht, ohne dass sich die Halbsättigung verändert

. Tab. 11.1 nennt Beispiele der verschiedenen transportierenden ATPasen. Ein primär aktiver Transport liefert auch die Triebkraft für einen sekundär aktiven Transportprozess. So wird z. B. die Einschleusung von Glucose aus dem Darmlumen in Enterocyten durch einen aktiv aufgebauten Natriumgradienten an der Plasmamembran (außen hoch/innen niedrig) angetrieben. Dieser Transport findet als Symport mit jeweils zwei Natriumionen und einem Glucosemolekül mit Hilfe des natriumabhängigen Glucosetransporters SGLT1/SLC5A1 (sodium dependent glucose transporter-1/solute carrier 5A1) statt (. Abb. 11.9). Dieser Transporter besitzt 14 Transmembranhelices, von denen die Helices 10–13 für die Bindung und Durchschleusung von Glucose und Na+-Ionen verantwortlich sind (. Abb. 11.9B). Dieser Transporter gehört zur großen Gruppe der solute-Carrier, die über 300 Mitglieder hat und in 47 Familien unterteilt wird (Nomenklatur: SLCnXm, mit n = Nummer der Familie; X = A, B, C, Bezeichnung der Subfamilie; m = Nummer des Mitglieds). Der Vorteil des sekundär aktiven Transports liegt darin, dass der durch einen primär-aktiven Transport aufgebaute Ionengradient genutzt wird, um Substrate, z. B. Glucose, quantitativ durch Symport (in anderen Fällen durch Antiport) in Zellen aufzunehmen. In einigen Fällen beobachtet man sogar einen tertiär aktiven Transport, beispielsweise bei der Aufnahme von Dipeptiden aus dem Darm. Hier wird der Natriumgradient genutzt, um einen Protonengradienten zu erzeugen, der dann die Aufnahme von Dipeptiden antreibt (s. 7 Abb. 61.13).

155 11.6 · Biosynthese von Membranen

A . Tab. 11.1 Übersicht über Transport-ATPasen ATPase-Typ

Beispiel

Funktion

F-TypATPase

F1/F0-ATPase

ATP-Synthese in der inneren Mitochondrienmembran (7 Kap. 19.1.3), auch in Chloroplasten und Bakterien; nutzt zwar überwiegend Protonengradient zur ATP-Synthese, kann aber auch durch ATP-Hydrolyse Protonen pumpen

P-TypATPase

Na+/K+-ATPase

Erzeugung eines Membranpotentials (7 Kap. 74)

Ca2+-ATPase

Senkung des cytosolischen Ca2+-Spiegels (7 Kap. 35.3.3)

H+/K+-ATPase

Säuresekretion der Belegzellen des Magens (7 Kap. 61.1.2)

V-TypATPase

H+-ATPase

Ansäuern des Lumens von Endosom und Lysosom (7 Kap. 12.1.5)

ABCTransporter

multi drug Resistance (MDR)

Entfernung von Chemotherapeutika u. a. (7 Kap. 62.4.1) aus der Zelle

TAP-Transporter

Import von Peptidfragmenten ins ER zur Beladung von MHC-I (7 Kap. 70.5.1)

Cystic fibrosis transmembrane regulator (CFTR)

Epithelialer Chloridkanal, Defekt ist Ursache der Mukoviszidose (7 Kap. 61.3.4)

11.6

Biosynthese von Membranen

Fast alle Enzyme der Lipidsynthese sind in den Membranen des glatten endoplasmatischen Retikulums verankert, allerdings bewirkt ihre Lokalisation eine asymmetrische Verteilung der neu synthetisierten Lipide. So beginnt beispielsweise die Biosynthese des Sphingomyelins mit der Bildung von Ceramid aus Sphingosin und einer Fettsäure auf der luminalen Seite des ER. Ceramid wird zum Golgi-Apparat exportiert, wo entweder durch Verknüpfung mit Oligosaccharidseitenketten Glykolipide oder durch Anheftung von Phosphorylcholin Sphingomyelin entsteht (7 Kap. 22.2). Auch die hierfür verantwortlichen Enzyme befinden sich ausschließlich auf der luminalen Membranseite, sodass nach Transport zur Plasmamembran Sphingo- und Glykolipide weitestgehend nur in der extrazellulären Halbschicht zu finden sind. Die Enzyme der Phosphoglyceridbiosynthese sind dagegen auf der cytosolischen Seite des ER lokalisiert.

Lipidtransferproteine und Membranvesikel sind die wichtigsten Transportmöglichkeiten für Membranlipide Durch die asymmetrisch verteilten Biosyntheseenzyme der Membranlipide ergibt sich zwangsläufig eine Lipidasymmetrie zwischen den beiden Halbschichten von Membranen, die jedoch dadurch beeinflusst wird, dass einzelne Membranlipide von ei-

B

. Abb. 11.9 Sekundär aktiver Glucosetransport in Epithelzellen. A Der auf der luminalen (apikalen) Seite lokalisierte Glucosetransporter SGLT1 arbeitet als Symporter und transportiert gemeinsam Glucose und Na+-Ionen. Das Gefälle zwischen den luminalen und intrazellulären Na+-Ionenkonzentrationen liefert die freie Energie für die Konzentrierung der Zucker im Cytoplasma. Dieses Gefälle ist Ergebnis der ATP-angetriebenen Na+/K+-ATPase auf der basolateralen Seite. Glucose verlässt die Zelle auf der basolateralen Seite durch erleichterte Diffusion mittels GLUT-Transportern. B Partielles Modell des SGLT1. Die Transmembransegmente 10–13 bilden zunächst eine nach außen gerichtete halbe Pore. Nach Bindung von Glucose und zwei Na+-Ionen kommt es zu einer Konformationsänderung, bei der die Halbpore sich nach innen öffnet und die Liganden entlässt

nem Blatt der Doppelschicht in das andere hinüberwechseln. Weil dabei die polaren Kopfgruppen der Membranlipide durch die hydrophobe Phase der Lipiddoppelschicht hindurchtauchen müssen, tritt dieser Vorgang (der sog. Flip-Flop) spontan nur selten auf. Für einen benötigten raschen Austausch sorgt im endoplasmatischen Retikulum eine als Scramblase (engl. scramble = verquirlen, vermischen) bezeichnete Phospholipidtranslokase (. Abb. 11.10). Während die Aktivität der Scramblase zu einem Ausgleich der Lipidzusammensetzung beider Halbschichten führt, werden Lipidasymmetrien durch einen energieabhängigen Transport aufrechterhalten bzw. erzeugt. Hierfür sind Flippasen und Floppasen verantwortlich, die Phospholipide vom äußeren Blatt zum inneren bzw. in umgekehrter Richtung transportieren (. Abb. 11.10). So werden Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin von einer ATP-abhängigen Flippase quantitativ auf die cytoplasmatische Halbschicht der Plasmamembran transferiert (. Abb. 11.2). Wie die Aktivität von Scramblasen, Flippasen und Floppasen in verschiedenen Membranen gesteuert wird, ist weitgehend unbekannt. Der Zusammenbruch der Lipidasymmetrie hat unterschiedliche Folgen. Er ist z. B.:

11

156

Kapitel 11 · Biomembranen

. Abb. 11.10 Wirkungsweise von Flippasen, Floppasen und Scramblasen. (Einzelheiten s. Text)

4 4 4 4

11

eine Voraussetzung der Thrombocytenaktivierung, ein frühes Zeichen der Erythrocytenalterung, am Substraterkennungsvorgang von Makrophagen oder an der Auslösung der Apoptose beteiligt.

Mitochondrien sind am vesikulären Austausch nicht beteiligt, sie synthetisieren keine Lipide selbst, ggf. werden bestimmte Lipide hier jedoch modifiziert. Vermutlich stammen die mitochondrialen Lipide vom ER ab; jedenfalls legen dies elektronenmikroskopische Aufnahmen nahe, die ER und mitochondriale Membranen in unmittelbarer Nachbarschaft zeigen. Kürzlich wurde ein Proteinkomplex (ERMES, ER – Mitochondria Encounter Structure) identifiziert, der am Phospholipidaustausch zwischen Mitochondrien und dem ER beteiligt zu sein scheint. Zusammenfassung Biomembranen werden aus amphiphilen Lipiden, v. a. Phospho-, Sphingo- und Glykolipiden sowie Cholesterin aufgebaut. Diese Lipide verteilen sich asymmetrisch über die beiden Lipidhalbschichten und in unterschiedlicher Zusammensetzung auf die verschiedenen zellulären Membranen. Die Lipidzusammensetzung beeinflusst die Membranfluidität und es existieren höchstwahrscheinlich Membranareale mit unterschiedlicher Fluidität nebeneinander. Integrale und mit ihnen assoziierte periphere Membranproteine sind in Biomembranen eingebettet. Diese Proteine haben eine wesentliche Funktion beim passiven und aktiven Transport von Biomolekülen durch die Membran. Die Biosynthese der Membranlipide erfolgt in den Membranen des glatten endoplasmatischen Retikulums. Durch z. T. ATP-abhängige Translokasen wird die für jede Membran typische Verteilung von Lipiden im inneren bzw. äußeren Blatt der Doppelschicht eingestellt.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

157

12 Zellorganellen und Vesikeltransport Lutz Graeve, Matthias Müller

Einleitung 1882 Koch entdeckt die Bakterien 1898 Golgi entdeckt den nach ihm benannten Apparat 1932 Das Phasenkontrastmikroskop wird entwickelt 1939 Elektronenmikroskopische Darstellung des Tabakmosaikvirus 1945 Erste elektronenmikroskopische Aufnahmen von eukaryontischen Zellen 1953 Watson und Crick entdecken die DNA-Doppel-Helix 1971 Blobel und Sabatini formulieren eine erste Version der Signalhypothese 1972 Singer und Nicolson entwerfen das Fluid-MosaicModell der Zellmembran 1975 Milstein und Köhler entwickeln ein Verfahren zur Herstellung monoklonaler Antikörper 1988 Konfokale Laser-Scanning-Mikroskope halten Einzug in die Zellbiologie 1994 Chalfie und Tsien entwickeln das green fluorescent protein als Marker

Lebende Organismen sind aus Zellen zusammengesetzt. Im einfachsten Falle (Einzeller) besteht der gesamte Organismus aus nur einer Zelle, die überwiegende Zahl von Organismen wird jedoch aus zahlreichen unterschiedlichen Zellen (Mehrzeller) gebildet, die in verschiedenen Geweben und Organen organisiert sind und sehr unterschiedliche Formen und Funktionen haben. Zellen stellen die kleinste mögliche Einheit des Lebens dar, unterhalb dieser Ebene existiert kein Leben. Während der Evolution haben sich zwei grundlegende Zelltypen herausgebildet, die prokaryontische Zelle und die eukaryontische Zelle. Prokaryonten sind einfacher aufgebaut und häufig Einzeller; zu ihnen gehören die Bakterien und die Blaualgen. Eukaryonten zeigen einen wesentlich komplexeren Aufbau mit Zellkern (Karyon) und Zellkompartimenten. Alle Pflanzen und Tiere sowie die Pilze gehören zu den Eukaryonten. Eukaryonten sind während der Evolution vermutlich aus Prokaryonten hervorgegangen und haben ursprünglich symbiotisch lebende Prokaryonten dauerhaft in ihre Struktur integriert und zwar in Form von Mitochondrien und Chloroplasten (Endosymbiontentheorie). Da die meisten biochemischen Vorgänge im Inneren von Zellen ablaufen, ist eine genaue Kenntnis zellulärer Strukturen und Funktionen unabdingbar für das Verständnis dieser Prozesse. Zahlreiche Erkrankungen lassen sich als eine Funktionsstörung zellulärer Strukturen erklären. Schwerpunkte 4 Aufbau und Funktion der Zellorganellen 4 Transport zwischen Cytoplasma und Zellkern über Importine und Exportine 4 Vesikulärer Transport zwischen den Membranen des Endomembransystems 4 Signale der Proteinsortierung

Übrigens Meilensteine der Zellbiologie 1655 Hooke prägt den Begriff »Zelle« 1674 Leeuwenhoek entdeckt Protozoen 1833 Brown beschreibt den Zellkern in pflanzlichen Zellen 1838 Schleiden und Schwann formulieren die Zelltheorie, nach der alle Pflanzen und Tiere aus Zellbausteinen aufgebaut sind 1857 Kolliker beschreibt die Mitochondrien in Muskelzellen 1879 Flemming beschreibt das Verhalten der Chromosomen während der Mitose 6

12.1

Die Zellkompartimente

Die typische eukaryontische Zelle zeigt eine kompartimentierte Strukturierung, die verschiedene zelluläre Reaktionsräume in sinnvoller Weise voneinander separiert Eine Kompartimentierung der Zelle ist notwendig, damit beispielsweise Auf- und Abbauprozesse räumlich voneinander getrennt stattfinden oder Proteine wie am Fließband einem mehrstufigen Umbau- und Reifungsprozess unterzogen werden können. Grundlage aller Kompartimente ist die Biomembran. Die wesentlichen Zellkompartimente (. Abb. 12.1), die in fast jeder eukaryontischen Zelle identifiziert werden können, sind: 4 4 4 4 4 4 4 4 4

Plasmamembran Zellkern endoplasmatisches Retikulum Golgi-Apparat Endosomen Lysosomen Mitochondrien Peroxisomen Lipidtröpfchen

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

12

158

Kapitel 12 · Zellorganellen und Vesikeltransport

12

. Abb. 12.1 Aufbau einer tierischen Zelle. Schematische Darstellung einer idealisierten tierischen Zelle. (Einzelheiten s. Text)

Die meisten Kompartimente sind durch vesikulären oder vesikotubulären Transport funktionell miteinander verknüpft und bilden das Endomembransystem Nur Mitochondrien und Peroxisomen zählen nicht zum Endomembransystem (. Abb. 12.2). Das Endomembransystem stellt

also praktisch ein Kontinuum dar, in dem sich Lipide und Proteine nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten bewegen können. So wird ein Transmembranprotein, z. B. der LDL-Rezeptor (lowdensity lipoprotein Rezeptor), an der Membran des rauen endoplasmatischen Retikulums synthetisiert, wandert dann über Vesikel zum Golgi-Apparat, wird dort prozessiert, und wieder über Vesikel an die Plasmamembran transportiert. Diesen Prozess bezeichnet man als Exocytose. Bindet er hier seinen Liganden, das low-density lipoprotein, wird er durch Endocytose wiederum in Vesikel verpackt, die mit dem Endosom fusionieren. Das LDL wird sogar noch weiter bis ins Lysosom transportiert und dort abgebaut, wohingegen der Rezeptor meist zur Plasmamembran zurückkehrt. Ähnliche »Reisewege« innerhalb des Endomembransystems lassen sich auch für die verschiedenen Membranlipide beschreiben.

Das Endomembransystem ist während der Evolution vermutlich durch die Einstülpung der Plasmamembran einer einfacher gebauten Urkaryontenzelle entstanden. Diese Membraneinstülpungen haben sich dann weiter zu den heutigen Kompartimenten differenziert. Mitochondrien hingegen sind laut Endosymbiontentheorie von eingewanderten, symbiotisch lebenden Prokaryonten abgeleitet. Ursprünglich nahm man eine ähnliche Entstehung auch für die Peroxisomen an. Es gibt aber neuere Hinweise darauf, dass Peroxisomen aus der Membran des endoplasmatischen Retikulums neu gebildet werden können. Dies würde sie zu einem Teil des Endomembransystems machen. 12.1.1

Die Plasmamembran

Die Plasmamembran ist die Biomembran, die jede lebende Zelle umgibt und sie von der Außenwelt abtrennt. Sie gibt jeder Zelle ihre Identität und verhindert den freien Stoffaustausch mit der Umgebung. In komplexen Organismen müssen Zellen aber in koordinierter Weise untereinander Stoffe austauschen und miteinander kommunizieren. Die Plasmamembran ist deshalb auch

Intermediärfilamente Caveola coated pit Endosom Mitochondrium Kernmembran Kernpore Chromatin Nucleolus Lamine Zellkern endoplasmatisches Retikulum raues endoplasmatisches Retikulum glattes Actinfilamente Plasmamembran Lipidtröpfchen Golgi-Apparat Lysosom Mikrotubuli multivesicular body Ribosomen Centriolen Peroxisomen

159 12.1 · Die Zellkompartimente

. Abb. 12.2 Endomembransystem. Schematische Darstellung der zellulären Kompartimente, die durch vesikulären Transport miteinander verknüpft sind. LDL-Rezeptoren sind an ihren verschiedenen »Reisestationen« gezeigt. (Einzelheiten s. Text). (Aus Schmidt et al. 2010)

der Ort, an dem diese Prozesse ablaufen. Hierfür ist eine große Zahl von in die Plasmamembran integrierten Proteinen verantwortlich. Diese bewirken u. a.: 4 geregelten Stoffaustausch 4 Bindung von Signalmolekülen und Weiterleitung des Signals ins Zellinnere 4 Generierung verschiedener elektrochemischer Gradienten (Membranpotential) 4 Kontakt zu benachbarten Zellen 4 Kontakt zur umgebenden extrazellulären Matrix und 4 Erkennung körperfremder Strukturen Die Plasmamembran ist demnach kein statisches System, sondern von einer hohen Dynamik gekennzeichnet. Ständig werden durch Fusion intrazellulärer Vesikel mit der Plasmamembran neue Lipide und Proteine an die Plasmamembran transportiert und in vergleichbarem Maße werden Lipide und Proteine durch Endocytose wieder ins Zellinnere gebracht. Die Mechanismen, die diese beiden Prozesse steuern sind äußerst komplex und müssen gewährleisten, dass die Plasmamembran ihre Größe nicht verändert, es sei denn, die Zelle wächst.

12

Epitheliale Zellen grenzen den Körper häufig zur Außenwelt hin ab und bilden eine normalerweise dichte Barriere, die z. B. das Eindringen von Mikroorganismen in den Körper verhindert. In epithelialen Zellen ist die Plasmamembran in mindestens zwei Domänen untergliedert, einer apikalen Membran, die die Zelle nach außen hin abgrenzt (z. B. dem Darmlumen) und einer basolateralen Membran, die zur Körperinnenwelt hinweist. Diese Eigenschaft bezeichnet man auch als Zellpolarität. Apikale und basolaterale Membranen sind durch eine unterschiedliche Protein- und Lipidzusammensetzung gekennzeichnet. Diese kann nur dadurch aufrecht erhalten werden, dass zwischen apikaler und basolateraler Membran eine Barriere den Austausch von Proteinen und Lipiden durch laterale Diffusion verhindert. Hierbei handelt es sich um tight junctions oder Zonulae occludentes, die die Zelle am apikalen Pol ringförmig umgeben und sie mit den rundum sitzenden Nachbarzellen eng verbinden. Tight junctions werden von viermal die Membran durchquerenden Adhäsionsproteinen (Tetraspan-Proteinen), den Claudinen und Occludinen gebildet, die über ihre extrazellulären Anteile homodimerisieren und intrazellulär mit verschiedenen Gerüstproteinen, wie den ZO-Proteinen, interagieren (. Abb. 12.3). Unterhalb der Zonula occludens findet sich eine zweite ringförmige Verbindung, adherens junction oder Zonula adhaerens. Diese Strukturen werden u. a. von E-Cadherinen benachbarter Zellen gebildet, die Ca2+-abhängig miteinander homodimerisieren (Cadherine = Ca-abhängige Adherine). Über Catenine sind die E-Cadherine mit dem Actincytoskelett verbunden, das an diesen Stellen benachbarte Zellen gürtelförmig umschließt. Durch koordinierte Kontraktion können sich plattenförmige Epithelien auf diese Weise biegen, einstülpen und schließlich Epithelrohre bilden. β-Catenin, dessen zelluläre Konzentration stark kontrolliert wird, kann nach Disintegration von Zellverbänden auch im Zellkern transkriptionell wirken. Generell spielen diese Adaptorproteine auch eine wichtige Rolle in der Proliferationskontrolle, sodass auf diesem Weg z. B. Epitheldefekte durch Teilung randständiger Zellen wieder aufgefüllt werden. Eine dritte Membranstruktur epithelialer Zellen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zonula occludens und adhaerens sind Desmosomen, kreisförmige Haftpunkte zwischen Zellen, die durch die Cadherinhomologen Desmocollin und Desmoglein gebildet und über Adaptorproteine (Plakophilin, Plakoglobin) mit den Intermediärfilamenten verbunden werden. An der Basalseite sind Epithelzellen über Integrine mit der Basallamina verknüpft (7 Kap. 71.1.7). Eine spezielle Form von Zell-Zell-Verbindungen stellen die gap junctions (Nexus) dar (. Abb. 12.3). Hierbei handelt es sich um Ansammlungen von wenigen bis zu tausenden von porenartigen Membranproteinkomplexen, die das Cytoplasma zweier benachbarter Zellen direkt miteinander verbinden, sodass Ionen, second messenger und andere kleinere Biomoleküle (# Häm b>kk># Häm a>kk># Apoprotein# Ubichinon# Ubisemichinon# Ubihydrochinon#

19

242

Kapitel 19 · Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung

. Abb. 19.7 Vergleich der 3D-Rekonstruktion eines mitochondrialen Superkomplexes mit den Strukturmodellen der Einzelkomplexe. Rechts ist das 3DModell gezeigt, das durch elektronenmikroskopische Einzelpartikelanalyse von Respirasomen mit der Komplexstöchiometrie I1III2IV1 gewonnen wurde und in welches das Modell des Superkomplexes eingepasst wurde. Links ist die Anordnung der Strukturmodelle der Einzelkomplexe aus allen vier Blickrichtungen gezeigt. Blau: Röntgenkristallographische Elektronendichtekarte des Komplex I; rot: Röntgenstrukturmodell des Komplex III; grün: Röntgenstrukturmodell des Komplex IV; Der schwarze Balken hat eine Länge von 10 nm. MA: Matrixseite; M: Membran; IM: Intermembranraumseite. (Aus Althoff et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers, Ltd)

Schwefel-Zentren zu übertragen. Zudem enthält der Komplex II ein Häm-b560-Zentrum. Dieses Häm-Zentrum befindet sich im Transmembranbereich, ist aber wahrscheinlich nicht am Elektronentransport beteiligt. ETF:Ubichinon-Oxidoreduktase Außer über die genannten großen Komplexe können noch über andere Wege Reduktionsäquivalente in die Atmungskette eingeschleust werden: Da FADH 2 als prosthetische Gruppe nicht frei diffundieren kann, reduziert die Acyl-CoA-Dehydrogenase der β-Oxidation (7 Kap. 21.2.1) zunächst das ETF (electron transferring flavoprotein). Dieses FADhaltige, kleine Überträgerprotein wird von der ETF:UbichinonOxidoreduktase oxidiert, die dann, wieder unter Beteiligung eines Eisen-Schwefel-Zentrums, Ubichinon reduziert.

Übrigens Mitochondriale Superkomplexe (. Abb. 19.7)

19

. Abb. 19.8 Raumstruktur von zwei- und vierkernigen Eisen-SchwefelZentren

Tatsächlich liegen die Komplexe I, III und IV in der inneren Mitochondrienmembran nicht wie üblicherweise dargestellt voneinander getrennt vor, sondern bilden stöchiometrische Superkomplexe in der inneren Mitochondrienmembran. Die funktionelle Bedeutung dieser »Respirasomen« ist noch weitgehend ungeklärt. Bemerkenswert ist aber, dass der menschliche Komplex I nur im Superkomplex stabil ist. Auch der Komplex V (ATP-Synthase; s. 7 Kap. 19.1.3) liegt als Dimer vor. Es konnte gezeigt werden, dass die Komplex-VDimere sogar lange Ketten bilden, die wahrscheinlich an der starken Krümmung der Cristaemembranen wesentlich beteiligt sind. Der Winkel zwischen den beiden Komplexen im Dimer gibt dabei vermutlich den Krümmungsradius vor.

243 19.1 · Die mitochondriale Energietransformation

. Abb. 19.9 Verknüpfung des Glycerin-3-Phosphat-Zyklus mit der Atmungskette. Die cytoplasmatische Glycerin-3-Phosphatdehydrogenase (GPDHc) reduziert Dihydroxyacetonphosphat mit NADH/H+ zu Glycerin3-Phosphat. Durch die mitochondriale Glycerin-3-Phosphatdehydrogenase (GPDHm) erfolgt eine flavinabhängige Reoxidation des Glycerin-3-Phosphats. FADH2 wird mit Hilfe von Ubichinon reoxidiert. ÄMM: Äußere Mitochondrienmembran; IMM: Innere Mitochondrienmembran

Glycerin-3-Phosphat:Ubichinon-Oxidoreduktase (Glycerin-3Phosphatdehydrogenase) Im Glycerin-3-Phosphat-Zyklus (. Abb. 19.9) besteht eine weitere Möglichkeit, cytoplasmatische

Reduktionsäquivalente in die Atmungskette zu übertragen. Zunächst wird Dihydroxyacetonphosphat durch die cytoplasmatische Glycerin-3-Phosphatdehydrogenase (GPDHC) NADH/H+abhängig zu Glycerin-3-Phosphat reduziert. Dieses wird an der inneren Mitochondrienmembran durch die Glycerin-3-Phosphatdehydrogenase (GPDHM) FAD-abhängig reoxidiert, wobei Ubichinon zu Ubihydrochinon (QH2) reduziert wird. Der Cytochrom-bc1-Komplex (Komplex III) reduziert Cytochrom c

In Säugetiermitochondrien wird Ubihydrochinon ausschließlich durch die Ubihydrochinon:Cytochrom-c-Oxidoreduktase (Komplex III) reoxidiert, die wegen ihrer charakteristischen HämZentren häufig als Cytochrom-bc1-Komplex bezeichnet wird: Ubihydrochinon (QH2) + 2 Cyt c3+ + 2 H+ (M) Ubichinon (Q) + 2 Cyt c2+ + 4 H+ (IMR) Obwohl vier H+ im Intermembranraum freigesetzt werden, gelangen effektiv nur zwei H+ pro oxidierten Ubihydrochinon über die Membran. Die Ladungsbilanz wird dadurch ausgeglichen, dass die beiden zusätzlichen H+ im Intermembranraum durch die Aufnahme von zwei Elektronen durch das auf derselben Seite befindliche Cytochrom c kompensiert werden. In Säugetiermitochondrien besteht der Komplex III aus 11 Untereinheiten, von denen drei den katalytischen Kern bilden: Das sehr hydrophobe Cytochrom b wird vom mitochondrialen Genom codiert und besitzt zwei Häm-b-Zentren (Häm bL und Häm bH), die einen Elektronentransportweg über die Membran ausbilden. Das Cytochrom c1 trägt sein Häm-c-Zentrum, ebenso wie das »Rieske«-Eisen-Schwefel-Protein sein zweikerniges Eisen-Schwefel-Zentrum, in einer peripheren Domäne auf der cytoplasmatischen Seite der inneren Mitochondrienmembran. Mechanismus des Protonentransports im Komplex III Am Mechanismus des Protonentransports im Komplex III, der über den

Cytochrom-bc_1__-Komplex (Komplex III)

. Abb. 19.10 Reaktionsschema des Protonentransports durch den Ubichinonzyklus im Komplex III. 1 Verzweigte Oxidation von Ubihydrochinon auf der cytosolischen Seite (Intermembranraum) und Übertragung des ersten Elektrons auf das Eisen-Schwefel-Protein (FeS) und des zweiten Elektrons auf Häm bL. 2 Elektronenübertragung auf Häm c1. 3 Elektronenübertragung von Häm bL auf Häm bH. Reduktion von Ubichinon zu Ubisemichinon 4a , bzw. Ubisemichinon zu Ubihydrochinon 4b auf der Matrixseite. IMM: Innere Mitochondrienmembran. (Einzelheiten s. Text)

sog. Ubichinonzyklus (auch »Q-Zyklus«) verläuft, lässt sich das bereits angesprochene Grundprinzip der Ladungskompensation verdeutlichen (. Abb. 19.10): Der Komplex III hat zwei aktive Zentren, ein Ubihydrochinonoxidationszentrum auf der cytoplasmatischen Seite der inneren Mitochondrienmembran und ein Ubichinonreduktionszentrum auf der Matrixseite. Da die beiden Zentren »elektrisch« über die beiden Häm-b-Gruppen verbunden sind, können Elektronen, die auf der einen Seite durch Oxidation freigesetzt werden, auf der anderen Seite zur Reduktion verwendet werden, wobei gleichzeitig ein Ladungstransport über die Membran stattfindet. Da der Redoxwechsel des Ubichinons mit einer Protonenabgabe bzw. -aufnahme gekoppelt ist (s. o., . Abb. 19.6), ergibt sich so ein Nettotransport von H+ über die Membran, ohne dass die Protonen im eigentlichen Sinne »gepumpt« werden. Um diesen Ladungstransport anzutreiben, müssen die Elektronen, die auf das Cytochrom b übertragen werden sollen, zunächst auf ein höheres Energieniveau gelangen. Dies geschieht in einer Art »Redoxwippe« dadurch, dass jeweils das erste Elektron des Ubihydrochinons in einer exergonen Reaktion auf das »Rieske«-Eisen-Schwefel-Zentrum übertragen wird, wobei ein stark reduzierendes Ubisemichinon entsteht, das dann Cytochrom b reduzieren kann. Aus dieser Verzweigung im Elektronentransport und der Rückübertragung jedes zweiten Elektrons auf ein Ubichinon im Reduktionszentrum ergibt sich, dass in einem vollständigen Zyklus zwei Moleküle Ubihydrochinon auf der cytoplasmatischen Seite oxidiert und ein Molekül Ubichinon auf der Matrixseite reduziert werden müssen, um netto die Oxidation von einem Ubihydrochinon zu ergeben. Eine bemerkenswerte Erkenntnis aus der molekularen Struktur des Cytochrom-bc1-Komplexes ist, dass

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244

Kapitel 19 · Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung

die für die Energiekonservierung entscheidende Verzweigung des Elektronentransports durch einen regelrechten »molekularen Schalter« sichergestellt wird: Um das vom Ubihydrochinon aufgenommene Elektron auf Cytochrom c1 übertragen zu können, muss sich die hydrophile Domäne des »Rieske«-Proteins jedes Mal um 60° drehen, sodass nie gleichzeitig »elektrischer Kontakt« mit Elektronendonor und -akzeptor besteht. Zur Aufklärung des Q-Zyklus haben in hohem Maß spezifische, chinonanaloge Hemmstoffe des Komplex III beigetragen. So blockieren Myxothiazol und Stigmatellin das Ubihydrochinonoxidationszentrum und Antimycin das Ubichinonreduktionszentrum.

Die Cytochrom-c-Oxidase reduziert Sauerstoff zu Wasser

A

B

Der letzte Komplex der Atmungskette, die Cytochrom-c-Oxidase (Komplex IV) überträgt die Elektronen von Cytochrom c auf Sauerstoff. Gleichzeitig werden je Sauerstoffatom (»½O2«) zwei Protonen über die Membran gepumpt: 2 Cyt c2+ + ½ O2 + 4 H+ (M)

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2 Cyt c3+ + H2O + 2 H+ (IMR)

In diesem Fall werden zwei zusätzliche H+, die für die Wasserbildung benötigt werden, von der Matrixseite her aufgenommen. Da dieser Protonenaufnahme die Abgabe von zwei Elektronen durch Cytochrom c auf der anderen Seite der Membran gegenübersteht, ergibt sich ein vektorieller Transport von zwei weiteren Ladungen über die innere Mitochondrienmembran. Die Protonenbilanz wird formal durch die beiden »chemischen« Protonen des Komplex III ausgeglichen. Insgesamt pumpt die Cytochrom-c-Oxidase also vier Ladungen für jedes reduzierte Sauerstoffatom. In Säugetiermitochondrien besteht die Cytochrom-c-Oxidase aus 13 Untereinheiten, von denen drei den katalytischen Kern bilden und im mitochondrialen Genom codiert werden. Zwei dieser Untereinheiten tragen die Redoxzentren: Die Bindungsstelle für Cytochrom c und ein zweikerniges, mit CuA bezeichnetes Kupferzentrum (. Abb. 19.11A) befinden sich in der Untereinheit 2. Vom CuA-Zentrum, das wie die Eisen-Schwefel-Zentren nur ein Elektron auf- und wieder abgeben kann, fließen die Elektronen über das Häm-a-Zentrum (. Abb. 19.5) der Untereinheit 1 auf das sog. binucleare Zentrum (. Abb. 19.11B). Das binucleare Zentrum aus Häm a3 und einem als CuB bezeichneten Kupferatom ist die Reduktionsstelle für den Sauerstoff und befindet sich ebenfalls in der Untereinheit 1. Bemerkenswerterweise kann der Sauerstoff erst binden, wenn das binucleare Zentrum mit zwei Elektronen »vorgeladen« ist. So kann das Sauerstoffmolekül unmittelbar zur Peroxidstufe reduziert und in seine beiden Einzelatome gespalten werden. Auf diese Weise wird effektiv die Bildung schädlicher Superoxidradikale verhindert (7 Kap. 20.2). Der Mechanismus der Protonentranslokation im Komplex IV ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Jedoch ist klar, dass das in der Membran weiter auf der cytoplasmatischen Seite gelegene binucleare Zentrum für die Pumpfunktion verantwortlich ist und über zwei Protonenkanäle mit der Matrixseite in Verbindung steht. Auch hier scheint das Prinzip der Ladungskompensation eine entscheidende Rolle zu spielen. Darüber hinaus konnte die Beteiligung eines Tyrosylradikals gezeigt werden.

. Abb. 19.11 Raumstruktur der Kupferzentren der Cytochrom-c-Oxidase. A CuA enthält zwei Kupferatome und wird durch Seitenketten der Untereinheit 2 ligiert. B CuB bildet zusammen mit Häm a3 das »binucleare Zentrum«, welches zwischen Kupfer- und Eisenatom den Sauerstoff bindet und reduziert

Die Cytochrom-c-Oxidase wird durch eine Reihe sauerstoffähnlicher Moleküle kompetitiv gehemmt, die ebenfalls mit Eisen komplexieren können. Beispiele sind Cyanid, Kohlenmonoxid und Azid. Stickstoffmonoxid (NO), das inzwischen als wichtiges Gewebshormon bekannt ist, hemmt ebenfalls und wird langsam zu Lachgas (N2O) reduziert. Inwieweit dies Bedeutung für die Wirkung und den Abbau des NO hat, ist noch nicht abschließend geklärt.

Pro NADH/H+ werden 10 und pro Succinat 6 Protonen aus der Matrix gepumpt Angetrieben durch schrittweise Übertragung der Elektronen auf den Sauerstoff, pumpen die Komplexe I, III und IV der Atmungskette insgesamt 10 H+ pro oxidiertem NADH/H+ über die innere Mitochondrienmembran (. Abb. 19.4). Bei der Einschleusung von Elektronen über den Komplex II und die übrigen Dehydrogenasen wird der Komplex I umgangen, und es tragen dann nur die Komplexe III und IV mit 6 H+/2e– zur Bildung des Protonengradienten bei. 19.1.3

F1/FO-ATP-Synthase

Die F1/FO-ATP-Synthase (Komplex V) katalysiert die ATP-Bildung Die Nutzung des Protonengradienten zur ATP-Synthese erfolgt durch die manchmal auch als Komplex V bezeichnete F1/FO-ATPSynthase:

245 19.1 · Die mitochondriale Energietransformation

ADP + Pi + 2,7 H+ (IMR)

ATP + H2O + 2,7 H+ (M)

Pro gebildetem ATP müssen rechnerisch 22/3 oder 2,7 Protonen zurückfließen. Diese Zahl hat unmittelbare Konsequenzen für die Energiebilanz der oxidativen Phosphorylierung (s. u.) und damit z. B. auch der aeroben Glycolyse. Die Ursache für die Abweichung von einer ganzzahligen Stöchiometrie ergibt sich aus Struktur, und Mechanismus der ATP-Synthase.

Die F1/FO-ATP-Synthase besteht aus 16 Untereinheiten Die pilzförmige F1/FO-ATP-Synthase aus Säugetiermitochondrien setzt sich aus 16 verschiedenen Untereinheiten zusammen, wobei zwei mitochondrial codiert werden (. Abb. 19.12). Diese Untereinheiten, von denen einige in mehreren Kopien vorkommen, bilden den membranständigen FO-Teil, durch den die Protonen fließen, und den in die Matrix hineinragenden F1-Teil, welcher die Nucleotidbindungsstellen enthält. Der FO-Teil besteht aus der Untereinheit a und in Säugetiermitochondrien aus 8 Kopien der Untereinheit c. Neben weiteren nicht gezeigten kleinen Untereinheiten enthält er noch ein Protein, welches den Hemmstoff der ATP-Synthese Oligomycin bindet, dem dieser Teil die Bezeichnung FO verdankt. Der F1-Teil ist ein Hexamer aus drei α- und drei β-Untereinheiten (α3β3). Eine β-Untereinheit trägt die d-Untereinheit, die wiederum zwei b-Untereinheiten verankert, welche Teil des sog. peripheren Stiels sind. Der periphere Stiel verbindet F1- und FO-Teil. Ein weiterer, zentraler Stiel, der bis in die Spitze des F1-Teils ragt, wird durch die γ-Untereinheit gebildet, deren Kontakt mit den ringförmig angeordneten c-Untereinheiten des FO-Teils durch die δ- und ε-Untereinheit verstärkt wird. Während der isolierte F1-Teil nur zur ATP-Hydrolyse in der Lage ist, ist nur der vollständige F1/ FO-Komplex zur ATP-Synthese bzw. der Umkehrung dieser Reaktion, dem ATP-getriebenen Protonenpumpen, fähig.

Die ATP-Synthese beruht auf einer Rotation von Teilen der ATP-Synthase Die ringförmige Anordnung der α- und β-Untereinheiten im F1Teil und der c-Untereinheiten im FO-Teil suggeriert die Beteiligung einer Drehbewegung am Mechanismus der ATP-Synthase. Tatsächlich wurden schon vor der Strukturaufklärung des F1Teils durch John Walker und seine Kollegen, u. a. von Paul Boyer ein Rotationsmechanismus für die ATP-Synthese vorgeschlagen. Inzwischen wurde die Drehung von Teilen der ATP-Synthase mit verschiedenen Methoden auch experimentell gezeigt: Der Protonengradient treibt eine Drehung des c-Rings an, die »mechanisch« über eine Konformationsänderung die ATP-Bildung im F1-Teil bewirkt.

Der Protonengradient treibt eine Drehbewegung im FO-Teil

Der sich drehende Teil der ATP-Synthase (»Rotor«) besteht aus ringförmig angeordneten c-Untereinheiten im FO-Teil und dem zentralen Stiel aus den Untereinheiten γ, δ und ε. Jede c-Untereinheit trägt einen essentiellen Asparaginsäurerest im hydrophoben Bereich. Man nimmt an, dass immer eine dieser sauren Gruppen durch die a-Untereinheit »maskiert« wird. Die Unter-

. Abb. 19.12 Aufbau der F1/FO-ATP-Synthase. Eine α- und eine β-Untereinheit ist nicht gezeigt, um die Sicht auf den zentralen Stiel freizugeben. Außerdem fehlen in dieser Darstellung sieben weitere Untereinheiten, die für die Funktion der ATP-Synthase nicht unmittelbar von Bedeutung sind. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Junge et al. 1977)

einheit a besitzt außerdem zwei Protonenkanäle, die Protonen an die saure Gruppe heran und wieder weg führen können. Induziert nun ein Proton, das sich durch diese Kanäle von einer Seite der Membran zur anderen bewegt, das Weiterrücken des Rings um eine c-Untereinheit, so entsteht eine Drehbewegung, die über den zentralen Stiel in den F1-Teil übertragen wird. Wie bei jedem Motor muss verhindert werden, dass sich der F1-Teil (»Stator«) als Ganzes mitdreht. Diese Aufgabe übernimmt der periphere Stiel, der auch die a-Untereinheit festhält. Die Funktionsweise des FO-Teils entspricht prinzipiell der eines Flagellenmotors, der ebenfalls durch einen Protonengradienten angetrieben wird.

Der F1-Teil nutzt die Rotation zur ATP-Synthese

Wie die Rotation des zentralen Stils zur Ausbildung einer »energiereichen« Phosphorsäureanhydridbindung genutzt wird, geht aus der Struktur des F1-Teils hervor: Jeweils gemeinsam aus einer α- und einer β-Untereinheit gebildet, besitzt jeder F1-Teil drei katalytische Zentren, die in drei verschiedenen Konformationen vorliegen (. Abb. 19.13). In der L-Form (loose) bindet das Zentrum ADP und Phosphat, während in der O-Form (open) die Affinität sowohl für ADP+Pi als auch für ATP gering ist. Die dritte Konformation ist entscheidend für die Ausbildung der Phosphorsäureanhydridbindung des ATP. Diese T-Form (tight), die während der ATP-Synthese aus der mit ADP+Pi beladenen LForm entsteht, bindet ATP mit sehr hoher Affinität, was seine Bildung aus ADP+Pi begünstigt. Außerdem wird in dieser Konformation Wasser aus der Bindungstasche ausgeschlossen, was

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246

Kapitel 19 · Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung

. Abb. 19.13 Mechanismus der ATP-Bildung durch die F1/FO-ATP-Synthase. Der zentrale Stiel ist gekoppelt an den Ring aus c-Untereinheiten und rotiert, angetrieben durch den Rückstrom der Protonen, relativ zu den drei αβ-Paaren. Durch die Asymmetrie der γ-Untereinheit durchlaufen die αβ-Paare verschiedene Konformationszustände. In der T-Form wird ATP gebildet, das unter Energieaufwand beim Übergang in die O-Form freigesetzt wird. (Einzelheiten s. Text)

die Reaktion ebenfalls in Richtung der Kondensation verschiebt. Tatsächlich konnte für die T-Form eine Gleichgewichtskonstante abgeleitet werden, nach der sich ATP praktisch spontan bildet. Der Preis hierfür ist jedoch eine sehr feste Bindung des ATP an die T-Form, sodass Energie benötigt wird, um das Produkt der Reaktion freizusetzen. Diese Energie liefert die asymmetrisch rotierende γ-Untereinheit, indem sie einen Übergang der TForm in die O-Form erzwingt, die eine sehr niedrige Affinität für ATP hat. Da sich jeweils ein katalytisches Zentrum in der O-, L- und T-Form befindet, werden bei einer vollständigen Rotation der γ-Untereinheit 3 ATP synthetisiert.

Die Zahl der c-Untereinheiten bestimmt die Protonenstöchiometrie

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Da die Drehung des Rings aus c-Untereinheiten die ATP-Synthese antreibt, ergibt sich die Zahl der Protonen, die für die Synthese eines ATP benötigt werden, aus der Protonenzahl, die für eine Umdrehung des c-Rings in die Matrix zurückfließen. Wenn der Ring mit jedem Proton jeweils eine c-Untereinheit weiterrückt, muss diese Zahl direkt der Zahl der c-Untereinheiten entsprechen. Die Zahl der c-Untereinheiten kann bei verschiedenen Organismen unterschiedlich sein. Damit kann die »Übersetzung« der ATP-Synthase angepasst werden. Die ATP-Synthase der Säugetiermitochondrien besitzt 8 c-Untereinheiten, was dem Verbrauch von 2,7 Protonen pro ATP entspricht. Es wird angenommen, dass der Bruch der Rotationssymmetrie zwischen FOund F1-Teil nicht zufällig ist, sondern hilft, die Rotationsbewegung in Gang zu halten, indem in der ATP-Synthase immer eine Restspannung verbleibt. 19.1.4

P/O-Quotient und Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung

Der P/O-Quotient gibt an, wie viel ATP pro verbrauchtem Sauerstoff gebildet wird Aus der Protonentranslokationsstöchiometrie für die einzelnen Schritte der oxidativen Phosphorylierung ergibt sich, wie viele ATP (»P«) pro verbrauchtem Sauerstoffatom (»O«) gebildet werden können. Bei der Berechnung dieses sog. P/O-Quotienten muss berücksichtigt werden, dass ADP und Pi in die Mitochondrien hinein und ATP wieder heraus transportiert werden muss.

Der Gegentausch von ATP und ADP durch den Adeninnucleotid-Carrier ist mit einem Ladungstransport gekoppelt. Der Phosphattransport erfolgt elektroneutral im Symport mit einem H+ (7 Kap. 19.1.1, . Tab. 19.1). Insgesamt entspricht dies dem Rückstrom eines H+, was zu den durch die ATP-Synthase verbrauchten Protonen dazugerechnet werden muss. Pro gebildetem und exportiertem ATP gelangen also 3,7 H+ in die Matrix zurück. Für NADH/H+, bei dessen Oxidation 10 H+ gepumpt werden, ergibt sich ein P/O-Quotient von 2,7. Für Succinat und andere Substrate, die die Elektronen direkt an Ubichinon abgeben, sodass nur 6 Protonen gepumpt werden, ergibt sich ein P/O-Quotient von 1,6. Wegen eines gewissen unproduktiven Protonenrückstroms durch die Membran (leak) und anderer Transportprozesse, die den Protonengradienten nutzen, sind dies Maximalwerte, die in vivo sicher nicht erreicht werden.

Der Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung liegt bei rund 65 % Aus der Differenz der Redoxpotentiale für NADH/NAD+ von –320 mV und H2O/O2 von +820 mV lässt sich über die Beziehung ΔG0’ = –n ∙ F ∙ ΔE0’ eine maximale Energieausbeute von –220 kJ/mol pro oxidierten NADH berechnen. Setzt man aufgrund der physiologischen Konzentrationsverhältnisse ein ΔG von etwa +50 kJ/mol für die ATP-Synthese an, so ergibt sich, dass mit einem NADH maximal 4 ATP gebildet werden könnten. Da aber nur maximal 2,7 ATP entstehen, liegt der Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung bei rund 65 %. Mit Hilfe der Redoxpotentiale für Ubichinon (+80 mV) und Cytochrom c (+250 mV) lässt sich auch die den einzelnen protonenpumpenden Komplexen zur Verfügung stehende Energie berechnen. Komplex I stehen 77 kJ/mol zur Verfügung, Komplex III 33 kJ/mol und Komplex IV 110 kJ/mol. In diesen Zahlen spiegelt sich gut der Beitrag dieser Komplexe zum Protonengradienten wider (. Abb. 19.4). 19.1.5

Atmungskontrolle und Regulation der oxidativen Phosphorylierung

Substratoxidation und ATP-Bildung sind strikt gekoppelt Lange bevor Einzelheiten über die Komponenten der oxidativen Phosphorylierung bekannt waren, wurde beobachtet, dass isolierte, intakte Mitochondrien nur dann schnell Substrat oxidieren, wenn ihnen ADP und Pi zur Verfügung stehen. Diese strikte Kopplung von Substratoxidation und ATP-Bildung wird als Atmungskontrolle bezeichnet. . Abb. 19.14 stellt dieses Phänomen an Lebermitochondrien dar. In Anwesenheit von Sauerstoff und Succinat als Substrat erhöht sich die Geschwindigkeit des Sauerstoffverbrauchs erst nach Zugabe von ADP um das 5- bis 6fache und geht wieder zurück, wenn das zugesetzte ADP komplett zu ATP phosphoryliert worden ist. Ist ausreichend Substrat vorhanden, kann die Atmungsrate durch erneute Zugabe von ADP nochmals erhöht werden. Britton Chance hat bereits 1956 fünf

247 19.1 · Die mitochondriale Energietransformation

. Tab. 19.3 Fließgleichgewichtszustände der Atmungskette Im Überschuss vorhanden

Atmungsrate begrenzt durch

Zustand 1

O2

ADP und Substrat

Zustand 2

O2, ADP

Substrat

Zustand 3 »aktiv«

O2, ADP, Substrat

Δμ H

Zustand 4 »kontrolliert«

O2, Substrat

ADP

Zustand 5

ADP, Substrat

Entkoppelt

O2, Substrat

a

O2 Maximalgeschwindigkeit des Elektronentransports

a In diesem Zustand hat ADP keinen Einfluss auf die Atmungsrate.

. Abb. 19.14 Experiment zur Atmungskontrolle an isolierten Lebermitochondrien. Isolierte Rattenlebermitochondrien wurden mit Succinat als Substrat versetzt. Mit Hilfe einer Sauerstoffelektrode wurde der Sauerstoffverbrauch gemessen. An den markierten Stellen wurden jeweils 0,1 µmol/ ml ADP zugesetzt. Der aktive Zustand wird durch die Erhöhung der Atmungsrate angezeigt. Ist das zugesetzte ADP verbraucht, gehen die Mitochondrien wieder in den kontrollierten Zustand über (s. auch . Tab. 19.3)

Fließgleichgewichtszustände definiert, bei denen die Atmungsgeschwindigkeit durch jeweils verschiedene Faktoren kontrolliert wird (. Tab. 19.3). Besonders wichtig sind die Zustände 3 und 4: 4 Im Zustand 3 oder aktiven Zustand sind ausreichend Sauerstoff, Substrat, ADP und Phosphat vorhanden, sodass die oxidative Phosphorylierung mit maximaler Geschwindigkeit abläuft. 4 Im Zustand 4 oder kontrollierten Zustand bezeichnet limitiert das Fehlen von ADP den Sauerstoffverbrauch. Unter diesen Bedingungen ist die protonenmotorische Kraft maximal und bremst den Elektronentransport in der Atmungskette.

Entkoppler heben die Atmungskontrolle auf Die Abhängigkeit der Atmungskontrolle von der Dichtheit der inneren Mitochondrienmembran zeigt sich daran, dass die Atmungsrate auch in Abwesenheit von ADP maximal ist, wenn man durch Zugabe eines Entkopplers wie z. . Dinitrophenol (. Abb. 19.15) den passiven Rückstrom von Protonen ermöglicht und so das elektrochemische Potential aufhebt (. Tab. 19.3). Lipophile, schwache organische Säuren haben meist entkoppelnde Eigenschaften, da sie sowohl in der protonierten als auch in der deprotonierten Form frei über die Membran diffundieren können.

Das Entkopplungsprotein dient der Thermogenese Im entkoppelten Zustand wird die Energie des Protonengradienten nicht im ATP gespeichert, sondern als Wärme frei. Säugetierzellen nutzen dies zur Thermogenese aus. Martin Klingenberg konnte zeigen, dass v. a. Mitochondrien des braunen Fettgewebes ein auch Thermogenin genanntes Entkopplungsprotein enthalten, das zur Familie der mitochondrialen Carrier gehört (. Tab.

19.1). Es katalysiert einen passiven, elektrogenen Uniport von H+

und wirkt so als Entkoppler, was zu einer Erwärmung des Gewebes führt. Das Entkopplungsprotein wird durch Purinnucleotide, v. a. GDP und wahrscheinlich auch Ubichinon reguliert, sodass zwischen Thermogenese und ATP-Bildung umgeschaltet werden kann. Inzwischen wurden im Menschen mehrere Isoformen des Entkopplungsproteins nachgewiesen und gezeigt, dass es in fast allen Gewebetypen exprimiert wird. Außerhalb des braunen Fettgewebes ist über seine Regulation und Bedeutung bisher wenig bekannt. Im braunen Fettgewebe, das bei allen bisher untersuchten Säugetieren in unterschiedlichem Ausmaß subscapular und entlang der großen Gefäße vorkommt, dient es der Thermogenese. Beim Menschen wird es durch den mit der Geburt einhergehenden Kälteschock aktiviert und ermöglicht dem Neugeborenen die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur. In . Abb. 19.16 ist der Mechanismus der Thermogeneseauslösung dargestellt. Hypothalamische Signale führen zu einer Stimulierung des sympathischen Nervensystems, was zu einer gesteigerten Freisetzung von Katecholaminen an den Nervenendigungen führt. Über besonders im braunen Fettgewebe nachweisbare β3Rezeptoren kommt es zum Anstieg der cAMP-Konzentration im braunen Fettgewebe und zur gesteigerten Lipolyse. Die dabei freigesetzten Fettsäuren werden in der mitochondrialen Matrix abgebaut und die gebildeten Reduktionsäquivalente über die Atmungskette oxidiert. Gleichzeitig induziert die hohe cAMP-Konzentration die Transkription einiger für die Thermogenese wichtiger Proteine. Eines von ihnen ist die Lipoproteinlipase, die die Aufnahme von Fettsäuren aus extrazellulären Triacylglycerinen durch die braunen Adipocyten ermöglicht (7 Kap. 21.1.3). Das andere ist das Thermogenin, das in die innere Mitochondrienmembran integriert wird und dort die Steigerung der Wärmebildung bewirkt. Da das braune Fettgewebe ungewöhnlich gut durchblutet ist, kann die produzierte Wärme leicht abgeführt werden und dient der Aufrechterhaltung der Körpertemperatur. Das braune Fettgewebe ist auch Wärmeproduzent für Winterschläfer, bei denen es eine rasche und effektive Erhöhung der Körpertemperatur bei den im Winterschlaf auftretenden intermittierenden Aufwachphasen erlaubt.

19

248

Kapitel 19 · Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung

. Abb. 19.15 Wirkungsmechanismus von 2,4-Dinitrophenol als Entkoppler der oxidativen Phosphorylierung. IMR: Intermembranraum; IMM: Innere Mitochondrienmembran (Einzelheiten s. Text)

Die Transhydrogenase nutzt den Protonengradienten um Reduktionsäquivalente von NADH/H+ auf NADP+ zu übertragen Auch in der mitochondrialen Matrix wird NADPH/H+ z. B. zur Regeneration von Glutathion benötigt. Da dieses nicht über die innere Mitochondrienmembran transportiert werden kann, muss es in der Matrix gebildet werden. Diese Aufgabe übernimmt vor allem die Transhydrogenase, die ein Hydridion von NADH/H+ auf NADP+ übertragen kann (. Abb. 19.17). Allerdings ist die Reaktion dieses integralen Membranproteins der inneren Mitochondrienmembran zwingend an den Rückstrom eines Protons in den Matrixraum gekoppelt.

. Abb. 19.16 Induktion der Thermogenese durch einen Kältereiz. Die durch Noradrenalin erhöhten cAMP-Spiegel führen zu einer Erhöhung der Lipolyse und einer gesteigerten Expression der Gene für Lipoproteinlipase (LPL) und Thermogenin

NADH + NADP+ + H+ (IMR) → NAD+ + NADPH + H+ (M) So wird in energetisierten Mitochondrien eine optimale Verfügbarkeit von NADPH sichergestellt.

Die zelluläre ATP-Synthese wird an den jeweiligen Energieverbrauch angepasst

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In der intakten Zelle wird die Geschwindigkeit der Substratoxidation nicht nur durch die Verfügbarkeit von ADP kontrolliert. Eine große Zahl energieverbrauchender Stoffwechselprozesse liefert zwar ADP, jedoch unterliegt auch die Bereitstellung von oxidierbarem Substrat einer komplexen Regulation und kann damit geschwindigkeitsbestimmend werden. In einigen Geweben kann dies auch für die Versorgung mit Sauerstoff gelten. . Abb. 19.18 fasst die wichtigsten Regulationsmöglichkeiten zusammen. Es erscheint zunächst einleuchtend, dass eine gesteigerte Arbeitsleistung über vermehrte ADP-Bildung zu erhöhter Substratoxidation in den Mitochondrien führt. Allerdings steigt in den seltensten Fällen tatsächlich der cytoplasmatische ADPSpiegel infolge gesteigerter Arbeit. Dies liegt v. a. daran, dass einige Gewebe über ein Phosphokreatin-Kreatin-System (7 Kap. 63.3.1) zur kurzfristigen Auffüllung der ATP-Speicher verfügen. In einigen Fällen wurde beobachtet, dass ein gesteigertes Angebot von Reduktionsäquivalenten zu einer Erhöhung der Atmungsrate führt, ohne dass sich das ATP zu ADP-Verhältnis

. Abb. 19.17 Aufbau und Funktion der Transhydrogenase. Die mit der Untereinheit dII in der inneren Mitochondrienmembran verankerte Transhydrogenase überträgt unter Ausnutzung des Protonengradienten ein Hydridanion von NADH/H+ auf NADP+. (Adaptiert nach Rodrigues u. Jackson 2002)

Thermogenese Thermogenin Lipoproteinlipase Lipolyse Fettsäuren

249 19.2 · Pathobiochemie der Mitochondrien

. Abb. 19.18 Zelluläre Regulation der oxidativen Phosphorylierung. Eine Beschleunigung von Elektronentransport und ATP-Synthese in den Mitochondrien kann prinzipiell durch zwei im Cytosol stattfindende Prozesse ausgelöst werden. Zum einen kann ein erhöhter Energiebedarf zu einer beschleunigten ATP-Hydrolyse führen, sodass sich der ATP/ADP-Quotient verkleinert. Dies kann kurzzeitig über die Kreatinphosphatreserve ausgeglichen werden. Aus dem Abbau von Adeninnucleotiden gebildetes Adenosin kann abgegeben werden und vasodilatorisch wirken. Der so erhöhte Blutfluss verbessert die Nährstoffversorgung der Gewebe. Auch durch externe Stimuli kann es zu einer Erhöhung der cytosolischen und damit sekundär der mitochondrialen Calciumkonzentration kommen. Dies führt zu einem gesteigerten Substratabbau, indem die Dehydrogenasen des Citratzyklus in der Matrix aktiviert werden. Die vermehrt anfallenden Reduktionsäquivalente müssen über die Atmungskette reoxidiert werden

ändert. Hierfür könnten die in allen Geweben vorhandenen Isoformen des Thermogenins von Bedeutung sein, deren Aktivierung zu einer von der ATP-Synthese unabhängigen Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs führen könnte. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass eine Erhöhung des cytoplasmatischen Calciums zu dessen verstärkter Aufnahme in die Mitochondrien führt, wo es den Citratzyklus aktiviert. Eine direkte Regulation über die Sauerstoffversorgung kann ausgeschlossen werden, da die Michaelis-Konstante der den Sauerstoff verbrauchenden Cytochrom-c-Oxidase mit weniger als 100 nmol/l extrem klein ist. Allerdings wird spekuliert, dass unter mikroaeroben Bedingungen eine Kompetition mit NO physiologische Bedeutung haben könnte. Schließlich wurde gezeigt, dass die Aktivität des Komplex IV in gewissem Maße über allosterische Nucleotidbindungsstellen, Phosphorylierung und Isoformen der akzessorischen Untereinheiten reguliert werden kann. Zusammenfassung Die oxidative Phosphorylierung (OXPHOS) ist Hauptlieferant für ATP in aeroben Organismen. Als Energiequelle dient gebundener Wasserstoff, der den Nährstoffen im katabolen Stoffwechsel entzogen und auf NAD+ oder FAD übertragen 6

wurde. In Eukaryonten findet die OXPHOS in den Mitochondrien statt. 4 Die Redoxenergie wird von der Atmungskette durch schrittweise Übertragung der Elektronen auf Sauerstoff in einen Protonengradienten über die innere Mitochondrienmembran umgewandelt, der dann zur ATP-Synthese genutzt wird. 4 Metabolite, ADP, Pi und ATP werden mit Hilfe mitochondrialer Carrier über die innere Mitochondrienmembran transportiert. Reduktionsäquivalente werden über shuttle-Mechanismen transportiert. 4 Am Elektronentransport sind vier Multiproteinkomplexe beteiligt, die über Ubichinon und Cytochrom c als mobile Substrate verbunden sind. An der Elektronenübertragung in den Komplexen sind Flavine, Eisen-SchwefelZentren, Cytochrome und Kupferzentren beteiligt. Bei der Oxidation von NADH werden 10 H+, bei der Oxidation von Succinat und anderer FAD-abhängiger Substrate 6 H+ über die Membran gepumpt. Die ATP-Synthase (Komplex V) nutzt den Protonengradienten zur ATP-Synthese. Im FO-Teil wird durch den Rückstrom der Protonen eine Drehbewegung erzeugt, die im F1-Teil durch eine Konformationsänderung die ATP-Freisetzung bewirkt. Der P/O-Quotient für NADH/H+ beträgt maximal 2,7 und für Succinat maximal 1,6 gebildete ATP-Moleküle pro reduziertem Sauerstoffatom. Der maximale Wirkungsgrad der oxidativen Phosphorylierung liegt bei rund 65 %. 4 Entkoppler machen die innere Mitochondrienmembran durchlässig für Protonen und verhindern so die ATP-Synthese. Der Protonen-Carrier Thermogenin entkoppelt die Mitochondrien im braunen Fettgewebe und dient so der Wärmefreisetzung (Thermogenese).

19.2

Pathobiochemie der Mitochondrien

Angesichts der fundamentalen Bedeutung für die Energieversorgung der Zelle erscheint es zunächst schwer vorstellbar, dass Defekte im System der oxidativen Phosphorylierung (»OXPHOS«) mit dem Leben vereinbar sind. Tatsächlich sind Substanzen wie Cyanid und Kohlenmonoxid hochgiftig, da sie Zellatmung bzw. den Sauerstofftransport im Blut blockieren. Auch die schwerwiegenden Folgen des Sauerstoffmangels im Herzen beim Infarkt oder im Gehirn bei Schlaganfall bzw. Herzstillstand unterstreichen die extreme Abhängigkeit des menschlichen Organismus vom aeroben Energiestoffwechsel. Trotzdem ist inzwischen eine große Zahl von Erkrankungen bekannt, die mit Defekten im mitochondrialen Energiestoffwechsel zusammenhängen. Dabei reicht das Spektrum von schwersten, angeborenen neuromuskulären Erkrankungen, die schon kurz nach der Geburt zum Tod führen, bis hin zu degenerativen Prozessen, die mit dem normalen Alterungsprozess einhergehen. Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Kapitels die ganze Vielfalt dieser Erkrankungen abzudecken (. Tab. 19.4). Allerdings sollen einige grundlegende Prinzipien der OXPHOS-Erkrankungen besprochen werden.

19

Kapitel 19 · Mitochondrien – Organellen der ATP-Gewinnung

250

. Tab. 19.4 Klinische Symptome bei ausgewählten mitochondrialen angeborenen Enzephalomyopathien. (Nach Di Mauro et al. 1985) Symptome

MERRF Defekt der mt-tRNALys

MELAS Defekt der mt-tRNALeu

CPEO/KSS (mtDNA Deletion)

Ophthalmoplegie





+

Degeneration der Retina





+

Herzblock





+

Myoklonien

+





Ataxie

+



±

Muskelschwäche

+

+

±

Cerebrale Anfälle

+

+



Episodisches Erbrechen



+



Corticale Blindheit



+



Hemiparesen



+



Lactatacidose

+

+

+

ragged red fibers

+

+

+

MERRF: Myoklonale Epilepsie mit ragged red fibers; MELAS: Mitochondriale Enzephalomyopathie mit Lactatacidose und schlaganfallähnlichen Episoden; CPEO: Chronisch Progressive Externe Ophthalmoplegie; KSS: Kearns-Sayre-Syndrom.

19.2.1

19

Pathogenese von Defekten der oxidativen Phosphorylierung

Die Besonderheiten und die vielfältigen Erscheinungsformen von Störungen im OXPHOS-System haben ihre Ursache v. a. darin, dass eine Reihe der katalytisch besonders wichtigen Untereinheiten der beteiligten Komplexe (7 Kap. 19.1.2) vom mitochondrialen Genom codiert werden. Jede Zelle enthält viele Mitochondrien (Hepatozyten z. B. 1.000–2.000), jedes mit etwa zehn Kopien des mitochondrialen Genoms. Demzufolge kann ein einzelnes Mitochondrium eine variable Zahl defekter Gene enthalten und in einer Zelle können »gesunde« und mehr oder weniger »kranke« Mitochondrien gemeinsam vorkommen. Folge dieser ausgeprägten Heteroplasmie ist, dass der Grad und die Art der Erkrankung nicht nur vom genetischen Defekt, sondern v. a. auch vom Anteil defekter, mitochondrialer Gene und Mitochondrien in den Zellen abhängen. Die mitochondriale DNA (mtDNA) ist außerdem erheblich anfälliger für Mutationen als die chromosomale DNA im Kern, weil ihr die Histone und ein effektiver Reparaturapparat fehlen. Deshalb kommt es im Laufe des Lebens zu einer Akkumulation defekter mitochondrialer Genome, was den progressiven Verlauf der meisten OXPHOSErkrankungen erklärt. Offenbar wird die zunehmende Ansammlung von Defekten der mtDNA auch dadurch begünstigt und beschleunigt, dass durch bereits defekte Atmungskettenkomplexe die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies ansteigt, was eine höhere Mutationsrate der mitochondrialen DNA zur Folge hat. Im Einzelfall ist es schwierig, einen kausalen Zusammenhang

zwischen einem bestimmten genetischen Defekt und den spezifischen Symptomen und dem Verlauf einer Erkrankung herzustellen. Allgemein lässt sich jedoch feststellen, dass kleinere Defekte in der Regel eingrenzbare zentralnervöse Erkrankungen wie eine Schädigung des Sehnervs oder epileptische Anfälle zur Folge haben, und dass mit zunehmender Schwere generalisierte Ausfälle des ZNS (Enzephalopathie) und ausgeprägte Myopathien hinzukommen. 19.2.2

Angeborene Defekte der mitochondrialen DNA

Defekte der mitochondrialen DNA werden maternal vererbt. Betroffen sind entweder Strukturgene der Atmungskettenkomplexe oder tRNA- und rRNA-Gene, die für die mitochondriale Proteinbiosynthese benötigt werden. In einigen Fällen können auch ganze Bereiche des mitochondrialen Genoms deletiert sein (. Tab. 19.4). Da ein völliger Ausfall der OXPHOS mit dem Leben unvereinbar wäre, findet man bei Patienten mit angeborenen Defekten der mtDNA immer auch intakte mitochondriale Sequenzen, wobei der Grad der Heteroplasmie und damit die Ausprägung der Störung in hohem Maße gewebsspezifisch sein kann. Je nachdem, wie groß der Anteil defekter Genome ist, sind schon bei der Geburt klinische Symptome feststellbar oder es kommt später, z. T. erst im zweiten Lebensjahrzehnt, zur Erkrankung. Selbstverständlich kommen auch angeborene Defekte in den im Kern befindlichen Genen der übrigen Komponenten des OXPHOS-Systems als Ursache für Erkrankungen in Betracht. Auch hierfür sind zahlreiche Beispiele gefunden worden. Die Symptome sind ähnlich und meist stark ausgeprägt. Erster Hinweis auf eine schwere Störung der OXPHOS beim Neugeborenen ist eine Lactatacidose, die unmittelbar durch die gestörte Endoxidation entsteht. Allerdings kommen für dieses klinische Bild auch andere Ursachen in Betracht. Übrigens Permeability transition pore Mitochondrien sind auch am Signalweg der Apoptose (7 Kap. 51) beteiligt. Wann dieser ausgelöst wird, ist noch nicht vollständig geklärt. Allerdings ist bekannt, dass sowohl oxidativer Stress als auch die teilweise Hemmung von Atmungskettenkomplexen die mitochondriale Apoptose hervorrufen können. Hierbei kommt es zur Öffnung einer in ihrer Zusammensetzung noch unbekannten permeability transition pore (PTP) über beide mitochondriale Membranen, durch welche Cytochrom c und andere mitochondriale Proteine freigesetzt werden. Diese können dann im Cytoplasma durch Aktivierung von Caspasen die Apoptose einleiten. Ob sich die PTPs auch unter normalen Bedingungen zeitweise und auf Teilbereiche der Mitochondrien begrenzt öffnet, ist unklar. Es scheint aber sicher zu sein, dass die mitochondrial induzierte Apoptose eine zentrale Rolle bei der Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen spielt.

251 19.2 · Pathobiochemie der Mitochondrien

19.2.3

Mitochondriale Defekte beim Altern

Es lässt sich nachweisen, dass auch beim gesunden Menschen die Zahl der defekten mtDNA-Kopien im Laufe des Lebens kontinuierlich zunimmt. Es kommt besonders zu einer Anhäufung von großen Deletionen, durch die das mitochondriale Genom um mehrere Kilobasen verkürzt wird. Parallel dazu lassen sich mit steigendem Alter ein progressiver Abfall im ATP zu ADP-Verhältnis und eine Zunahme der Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) feststellen. Weiterführende Untersuchungen scheinen zu bestätigen, dass der »Teufelskreis« aus Akkumulation mitochondrialer Defekte und Bildung von ROS für das komplexe Phänomen des Alterns von erheblicher Bedeutung ist. Es stellt sich die Frage, wie verhindert wird, dass die im Laufe des Lebens akkumulierten Defekte an die Nachkommen weitergegeben werden. Zum einen scheinen die Eizellen keine oder weniger Schäden in ihrer mtDNA zu akkumulieren, weil sie schon in der Embryonalzeit angelegt werden und bis zu ihrer Reifung in einem Ruhezustand vorliegen. Zum anderen scheint es einen als bottle neck-Phänomen bezeichneten Prozess zu geben, bei dem nach der meiotischen Teilung die Zahl der Mitochondrien pro Keimzelle auf wenige Exemplare reduziert wird. In diesem Zustand einer stark reduzierten Heteroplasmie können normalerweise nur die Keimzellen überleben und sich zu Oogonien entwickeln, welche eine intakte mtDNA besitzen. Defekte, die zu ererbten Störungen der OXPHOS führen, überstehen diesen Selektionsmechanismus offenbar. Auch an der Entstehung einer Reihe klinisch manifester, v. a. neurodegenerativer Erkrankungen des Alters scheinen OXPHOS-Defekte beteiligt zu sein. So wurden Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Morbus Alzheimer gefunden. Hemmstoffe des Komplex I können spezifisch zu einer Zerstörung der Substantia nigra im Gehirn führen und damit Morbus Parkinson auslösen. Zusammenfassung Störungen im OXPHOS-System haben ihre Ursache v. a. in Defekten der mitochondrialen DNA. Angeborene Störungen dieses Typs werden maternal vererbt. Typische Symptome sind Lactacidose, Fehlfunktionen des ZNS und Muskelschwäche. Die progressive Akkumulation von mitochondrialen Defekten ist wahrscheinlich am Alterungsprozess und an degenerativen Erkrankungen im Alter beteiligt.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

19

20 Oxidoreduktasen und oxidativer Stress Ulrich Brandt

Einleitung Die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Reaktionen der Atmungskette gehören zu der umfangreichen Gruppe der Redoxreaktionen. Enzyme, die Redoxreaktionen katalysieren, werden als Oxidoreduktasen bezeichnet und haben eine große Zahl unterschiedlicher Funktionen. Häufig, aber nicht immer, ist Sauerstoff der Elektronenakzeptor. Umsetzungen des Sauerstoffs mit organischen Verbindungen können zur Bildung hochreaktiver radikalischer Zwischenstufen führen. Diese lösen dann eine unkontrollierte Oxidation zellulärer Strukturen mit weitreichenden Folgen aus. Aerobe Zellen haben deshalb ein ganzes Arsenal von Schutzmechanismen gegen diesen »oxidativen Stress« entwickelt. Schwerpunkte 4 Einteilung und Aufgaben von Oxidoreduktasen 4 Mechanismus und Funktion von Monooxygenasen 4 Entstehung und Eliminierung von reaktiven Sauerstoffspezies

20.1

20.1.1

20

Katalyse von Redoxreaktionen durch Oxidoreduktasen Einteilung von Oxidoreduktasen

Oxidoreduktasen sind Enzyme, die Redoxreaktionen katalysieren. Häm-haltige Oxidoreduktasen werden wegen ihrer rotbraunen Farbe auch als Cytochrome bezeichnet. Nach ihrem Mechanismus können Oxidoreduktasen in 5 Gruppen eingeteilt werden (. Tab. 20.1): 4 Dehydrogenasen katalysieren die Oxidation einer Vielzahl von Substraten. Als Elektronendonor oder -akzeptor dient oft NAD(P)H bzw. NAD(P)+. Als prosthetische Gruppen kommen Flavinnucleotide, Eisen-Schwefel-Zentren und Häm-Zentren vor. 4 Oxidasen übertragen die Elektronen des Substrats auf Sauerstoff. Dabei sind in den allermeisten Fällen wiederum Flavinnucleotide, aber auch proteingebundenes Eisen, Kupfer und Molybdän beteiligt. In der Regel werden nur zwei Elektronen auf O2 übertragen, sodass cytotoxisches Wasserstoffperoxid (H2O2) und nicht Wasser entsteht. Wichtige Ausnahme ist die Cytochrom-c-Oxidase, die kein Flavoprotein ist und O2 mit vier Elektronen vollständig zu Wasser reduziert.

4 Hydroperoxidasen dienen der Entgiftung von H2O2. Durch Oxidation ihres Substrats übertragen sie zwei Elektronen auf H2O2, sodass zwei Moleküle H2O entstehen. Ein Spezialfall der Peroxidasen ist die Katalase, die H2O2 auch als Elektronendonor verwendet, sodass zwei Moleküle H2O2 zu zwei Molekülen H2O und einem Molekül O2 disproportionieren. Katalase ist wie die anderen Peroxidasen ein HämProtein. 4 Dioxygenasen bauen beide Atome eines Sauerstoffmoleküls in das Substrat ein. Dioxygenasen sind besonders beim Aminosäurestoffwechsel und bei der Prostaglandinsynthese wichtig. Sie sind meist Häm-Proteine oder enthalten Eisen bzw. Kupfer. 4 Monooxygenasen werden auch als mischfunktionelle Hydroxylasen bezeichnet und bauen ein Atom des molekularen Sauerstoffs als Hydroxylgruppe in das Substrat ein. Gleichzeitig wird das andere Sauerstoffatom in der Regel durch NADPH zu H2O reduziert. Wegen ihrer großen Bedeutung bei der Synthese der Steroidhormone und der Biotransformation werden die Monooxygenasen im folgenden Abschnitt genauer besprochen. 20.1.2

Die Enzymfamilie der Monooxygenasen

Cytochrom P450 bildet das katalytische Zentrum der Monooxygenasen . Abb. 20.1 fasst den molekularen Mechanismus der durch die

Monooxygenasen katalysierten Hydroxylierungsreaktion zusammen. Die zentrale Gruppe, das Cytochrom P450, das besonders im glatten endoplasmatischen Retikulum von Leber und Niere gefunden wird, bindet den Sauerstoff und das zu hydroxylierende Substrat. Nach Reduktion des Häm-Zentrums des Cytochrom P450 von Fe3+ zu Fe2+ wird Sauerstoff am Häm-Eisen gebunden und gleich zum Superoxidradikal reduziert. Das übertragene Elektron stammt fast immer vom NADPH/H+, das von einem Flavoprotein oxidiert wird. Durch das zweite Elektron wird das gebundene Superoxid zur Peroxyform reduziert. Anschließend spaltet sich die O-O-Bindung und es wird H2O freigesetzt. Das am Häm-Zentrum verbleibende Sauerstoffatom liegt nun als sog. Oxoferrylgruppe vor. Um die Bindung des Sauerstoffatoms in diesem Zustand korrekt darzustellen, muss die Oxidationstufe des Häm-Eisens formal auf 5+ erhöht werden. Schließlich wird das Sauerstoffatom, vermutlich über einen radikalischen Mechanismus, in die C-H-Bindung des zu hydroxylierenden Substrats »eingeschoben«. Das Cytochrom P450 bleibt in der Fe3+-Form zurück.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

253 20.1 · Katalyse von Redoxreaktionen durch Oxidoreduktasen

. Tab. 20.1 Klassifizierung der Oxidoreduktasen. (S: Substrat) Gruppe

Katalysierte Reaktion

Funktionelle Gruppen

Dehydrogenasen a) NAD+-abhängig bzw. NADP+-abhängig

SH2 + NAD(P)+

b) FMN- bzw. FADabhängig

SH2 + FAD(FMN) S + FADH2(FMNH2) FADH2(FMNH2) + A FAD(FMN) + AH2

FMN, FAD

NADH-Dehydrogenase, Succinatdehydrogenase, Acyl-CoA-Dehydrogenase, u.v.m.

c) Cytochrome

SH2 + 2 Häm (Fe3+)

Häm b, c

Atmungskettenkomplex III

Oxidasen

SH2 + O2 S + H2O2 4 Häm (Fe2+) + O2 + 4 H+

FAD, FMN, Fe, Mo Häm a, Cu

Aminoxidasen, Xanthinoxidase Cytochrom-c-Oxidase

Häm

Peroxidasen

Häm

Katalasen

Häm, Fe

Tryptophandioxygenase, Homogentisatdioxygenase

Häm, Fe

Cytochrom-P450-Hydroxylasen, Prolinhydroxylase, Phenylalaninhydroxylase, Tyrosinase

S + NAD(P)H + H+

S + 2 H+ + 2 Häm (Fe2+)

Hydroperoxidasen a) Peroxidase

SH2 + H2O2

b) Katalase

H2O 2 + H 2O 2

Dioxygenasen

S + O2

Monooxygenasen

SH + O2 + NADPH + H+

4 Häm (Fe3+) + 2 H2O

S + 2 H 2O O 2 + 2 H 2O

SO2 SOH + H2O + NADP+

Wichtige Vertreter

Malatdehydrogenase, Lactatdehydrogenase, u.v.m.

. Abb. 20.1 Reaktionsmechanismus der Hydroxylierung durch die Cytochrom-P450-Monooxygenasen. Nach Anlagerung des Substrats R-H an Cytochrom P450 erfolgt die Reduktion des Häm-Zentrums (nicht dargestellt). Anschließend wird O2 gebunden und zum Superoxidradikal reduziert. Nach Übertragung eines weiteren Elektrons entsteht ein Peroxyintermediat, das in H2O und ein Oxoferrylintermediat zerfällt. Schließlich wird der verbleibende Sauerstoff radikalisch auf das Substrat übertragen. Cytochrom P450 wird über ein Flavoprotein durch NADPH/H+ reduziert. (Einzelheiten s. Text)

Monooxygenasen bilden eine der größten Enzymfamilien und haben vielfältige Aufgaben Die Monooxygenasen bilden eine der größten bekannten Enzymfamilien und sind an den unterschiedlichsten Stellen des prokaryontischen und eukaryontischen Stoffwechsels von Bedeutung. Sie kommen außer im glatten endoplasmatischen Reti-

kulum auch in den Mitochondrien vor. Diese Enzyme ähneln prokaryontischen Monooxygenasen und besitzen zusätzlich ein Eisen-Schwefel-Protein. Bis heute sind weit mehr als 200 Enzyme dieses Typs beschrieben worden. Sie lassen sich funktionell in Unterfamilien einteilen (. Tab. 20.2). Eng verwandt mit den Monooxygenasen sind die NO-Synthasen (7 Kap. 35.6).

20

Kapitel 20 · Oxidoreduktasen und oxidativer Stress

254

. Tab. 20.2 Familien von Cytochrom-P450-Enzymen (Auswahl) ER = endoplasmatisches Reticulum Familie Nr.

Lokalisation

Elektronendonor

Funktion

Induktor

I

ER

NADPH/H+

Hydroxylierung von Methylcholanthren, polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, Dioxin u. a.

Substrate

IIA–IIH

ER

NADPH/H+

Hydroxylierung vieler Pflanzentoxine, Pestizide, Pharmaka u. a.

z. B. Phenobarbital

62.3.1

III

ER

NADPH/H+

Hydroxylierung vieler Steroidhormone, Xenobiotika u. a.

z. B. Rifampicin

62.3.1

IV

ER

NADPH/H+

ω-Oxidation von Fettsäuren, Eicosanoidsynthese

?

21.2.4

XI

Mitochondrien

Adrenodoxin

Steroidhormonbiosynthese: 11β-Hydroxylierung, Bildung von Pregnenolon aus Cholesterin

ACTH

40.1

XVII

ER

NADPH/H+

17α-Hydroxylierung von Steroidhormonen

ACTH

40.2.2

XIX

ER

NADPH/H

+

Aromatisierung von Androgenen zu Östrogenen

FSH

40.5.2

XXI

ER

NADPH/H+

21-Hydroxylierung von C21-Steroiden (Progesteron,17αHydroxyprogesteron, 11β, 17α-Dihydroxyprogesteron)

?

40.2.2

XXVI

Mitochondrien

Ferredoxin

26-Hydroxylierung von Cholesterin, Biosynthese von Gallensäuren

?

61.1.4

Unspezifische Monooxygenasen hydroxylieren Fremdstoffe Die vielen Mitglieder der Familien I und II (. Tab. 20.2) katalysieren die Hydroxylierung der verschiedensten Fremdstoffe, der sog. Xenobiotica. Es handelt sich dabei v. a. um hydrophobe Pflanzentoxine, Pestizide, verschiedene Kohlenwasserstoffe, aber auch Pharmaka und andere toxische Verbindungen, die vom Organismus aufgenommen und durch sog. Biotransformation (7 Kap. 62.3) entgiftet und dann nach Konjugation mit hydrophilen Resten ausgeschieden werden. Charakteristisch für Monooxygenasen dieses Typs ist eine sehr geringe Substratspezifität, die erst eine Entgiftung fast beliebiger Xenobiotica ermöglicht. Häufig wird die Expression bestimmter Isoformen durch ein Substrat, z. B. ein Arzneimittel, induziert; dies hat dann große Bedeutung für dessen Stoffwechsel und Halbwertszeit. Meist sind damit eine abnehmende Wirksamkeit und ggf. unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten verbunden. Spezifische Monooxygenasen hydroxylieren Hormone und andere Metabolite Zahlreiche andere Monooxygenasen hydroxylie-

ren hochspezifisch ein bestimmtes Substrat. Sie sind wichtige Enzyme bei der Biosynthese der Steroidhormone, der Hydroxylierung von Fettsäurederivaten, der Gallensäuresynthese, dem Bilirubinstoffwechsel und dem Aminosäurestoffwechsel.

20

Zusammenfassung Unter dem Begriff Oxidoreduktasen fasst man Enzyme zusammen, die Redoxreaktionen katalysieren. Sie werden in 5 Gruppen eingeteilt: 4 Dehydrogenasen 4 Oxidasen 4 Hydroperoxidasen 4 Dioxygenasen 4 Monooxygenasen 6

Siehe Kapitel

Die Monooxygenasen hydroxylieren im Rahmen der Biotransformation Xenobiotica und sind an zahlreichen Schritten der Synthese der Steroidhormone und anderer Substanzen beteiligt.

20.2

Oxidativer Stress

Die Verwendung des durch Photosynthese entstandenen Sauerstoffs zur vollständigen Oxidation von Nahrungsstoffen hat die Effizienz der biologischen Energieversorgung wesentlich verbessert und ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entstehung höherer Lebensformen. Allerdings birgt der Umgang mit Sauerstoff auch beträchtliche Gefahren. Sauerstoff selbst und v. a. seine besonders reaktionsfähigen Radikale können nahezu alle Biomoleküle angreifen und funktionell schwer beeinträchtigen. Deshalb verfügen alle aerob lebenden Zellen über ein vielfältiges Arsenal enzymatischer und nicht-enzymatischer Schutzmechanismen.

Die wichtigste Quelle reaktiver Sauerstoffspezies ist die Ein-Elektronen-Reduktion von molekularem Sauerstoff Überwiegend entstehen reaktive Sauerstoffspezies durch die EinElektronen-Reduktion von molekularem Sauerstoff zum Super– oxidradikal O2. Sie kann physikalisch durch UV-Licht, Röntgenund Gammastrahlen induziert werden oder durch Autoxidation reduzierter Intermediate erfolgen. Grundsätzlich autoxidabel sind Semichinone, Flavine, Glutathion und andere Thiole sowie Hämoglobin und andere Komplexe von Übergangsmetallen. Obwohl autoxidable Zwischenprodukte gewöhnlich gegen die direkte Reaktion mit Sauerstoff abgeschirmt sind oder nur in sehr geringer Konzentration vorliegen, entstehen in Nebenreaktionen vieler enzymatischer Umsetzungen signifikante Mengen

255 20.2 · Oxidativer Stress

an Superoxidradikalen. Bedeutend sind in diesem Zusammenhang Nebenreaktionen des Cytochrom P450 und der Komplexe I und III der mitochondrialen Atmungskette, bei denen freies Superoxid entstehen kann. Granulocyten nutzen die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies zur Abwehr von Bakterien. In einem als oxidative burst bezeichneten Prozess erzeugen diese Zellen mit einer membranständigen NADPH-Oxidase extrazelluläres Superoxid, das bakterizid wirkt (7 Kap. 69.2.1). Die Superoxiddismutase wandelt zwei Superoxidmoleküle durch Disproportionierung in Sauerstoff und Wasserstoffperoxid um. In Säugetieren gibt es drei verschiedene Typen von Superoxiddismutasen, die sich sowohl durch ihre Lokalisation als auch in ihrem aktiven Zentrum unterscheiden. Die dimere CuZn-Superoxiddismutase (SOD1) wird fast ausschließlich im Cytoplasma gefunden, die mitochondriale Mn-Superoxiddismutase (SOD2) und die extrazelluläre CuZn-Superoxiddismutase (SOD3) sind tetramer. H2O2, das auch direkt durch die Aktivität verschiedener Oxidasen (s. o.) entstehen kann, ist weniger aggressiv. Es kann jedoch in Gegenwart von Fe2+ und anderen Übergangsmetallionen durch ein drittes Elektron in ein Hydroxylanion und das äußerst reaktive )ZESPYZMSBEJLBM 0)t gespalten werden (sog. FentonReaktion). Hydroxylradikale können auch direkt durch Radiolyse von Wasser entstehen.

Reaktive Sauerstoffspezies schädigen Biomoleküle aller Art Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) führen zu Schäden an vielen Biomolekülen: 4 In der DNA werden infolge einer Modifikation der Desoxyribose Strangbrüche induziert. Außerdem kommt es zur Zerstörung bzw. Veränderung der verschiedenen Basen und damit zu Fehlpaarungen und Mutationen. Besonders häufig ist die Bildung von Thymindimeren (7 Kap. 45.1) und die Entstehung von 8-Hydroxydesoxyguanosin. 4 In Proteinen sind besonders Methionin-, Histidin- und Tryptophanreste, aber auch die Thiolgruppen der Cysteine empfindlich. ROS können direkt Reste im aktiven Zentrum modifizieren oder Veränderungen von Raumstruktur und Funktion der betroffenen Proteine auslösen. So führt beispielsweise die Oxidation von Methionin 358 im aktiven Zentrum des α1-Antitrypsins zu einer drastischen Abnahme der Hemmwirkung auf Elastase. Dies wird mit der Entstehung von Lungenemphysemen, speziell bei Rauchern, in Verbindung gebracht. Ein gentechnologisch hergestelltes artifizielles α1-Antitrypsin, bei dem das Methionin 358 durch ein Valin ersetzt wurde, ist unempfindlicher gegenüber ROS. Im Mausmodell konnte so die Entstehung eines Lungenemphysems verhindert werden. 4 Über die Schädigung von Kohlenhydraten durch oxidativen Stress ist bisher wenig bekannt. Immerhin weiß man, dass Hyaluronsäure und Proteoglycane oxidativ depolymerisieren können. In der Synovialflüssigkeit vorkommende Superoxiddismutase kann dies verhindern. 4 Die Auswirkung von ROS auf Membranlipide ist besonders gut untersucht. Speziell die mehrfach ungesättigten Fettsäuren werden in einer Reihe charakteristischer, als LipidAlkylradikal# Peroxylradikal#

. Abb. 20.2 Entstehung von Lipidperoxiden. Fettsäureradikale entstehen z. B. unter der Einwirkung reaktiver Sauerstoffspezies auf mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Die anschließende Anlagerung von O2 führt zur Bildung von Peroxylradikalen. Diese werden durch Abstraktion eines H-Radikals aus einer weiteren ungesättigten Fettsäure in die entsprechenden Peroxide umgewandelt, sodass ein zyklischer Prozess entsteht, der große Mengen von Fettsäureperoxiden liefern kann

peroxidation bezeichneten Reaktionen modifiziert. Ausgangspunkt ist z. B. die Abstraktion eines Wasserstoffatoms von einer zwischen zwei Doppelbindungen gelegenen CH2Gruppe durch ein Hydroxylradikal und die Bildung eines Alkylradikals:

–CH2 + OHt

t

– CH– + H2O

4 Auch das protonierte Superoxid, das Perhydroxylradikal, ist in der Lage, auf diese Weise Wasserstoff zu abstrahieren. Treffen zwei Alkylradikale aufeinander, können diese eine C-C-Bindung ausbilden. Weit wahrscheinlicher ist aber die Reaktion mit molekularem Sauerstoff zum PeroxylradiLBM300t. Peroxylradikale sind so reaktiv, dass sie unter Bildung eines Lipidhydroperoxids ihrerseits ein Wasserstoffatom von einem weiteren Lipidmolekül abstrahieren können (. Abb. 20.2). So werden in einer Kettenreaktion eine ganze Reihe von Lipidmolekülen durch ein einziges Hydroxyl- oder Perhydroxylradikal modifiziert. In Folgereaktionen können verschiedene weitere Sauerstoffderivate der Lipide entstehen, von denen z. B. das Alkoxylradikal (R-Ot) ebenfalls zur Wasserstoffabstraktion in der Lage ist. Durch derartige Modifikationen können die Eigenschaften der Lipide so tiefgreifend verändert werden, dass sich schwerwiegende funktionelle Konsequenzen für die Zelle ergeben. Dies wird am Beispiel der oxidierten LDL besonders deutlich, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Arteriosklerose spielen. Ähnliche, jedoch spezifisch durch Enzyme katalysierte Lipidoxidationen finden bei der Bildung von Eicosanoiden statt (7 Kap. 22.3.2). Dabei entstehen natürlich keine schädlichen Intermediate, sondern wichtige Signalmoleküle.

20

256

Kapitel 20 · Oxidoreduktasen und oxidativer Stress

A

Sind trotz dieser Schutzmechanismen oxidative Schäden aufgetreten, versucht die Zelle, diese zu reparieren. Während diese Reparatur bei DNA tatsächlich auf eine Instandsetzung hinausläuft, werden beschädigte Proteine und Lipide gezielt abgebaut und durch neue ersetzt. Zusammenfassung

B

Reaktive Sauerstoffspezies entstehen meist durch Ein-Elektronen-Reduktion von molekularem Sauerstoff. Häufig tritt dies als Nebenreaktion von Oxidoreduktasen oder durch energiereiche Strahlung auf. Reaktive Sauerstoffspezies können zahlreiche zelluläre Strukturen schädigen und Mutationen verursachen. Antioxidantien und Enzyme wie Superoxiddismutase, Katalase und Glutathionperoxidase wirken diesem »oxidativen Stress« entgegen.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com . Abb. 20.3 Entstehung und Abbau reaktiver Sauerstoffspezies. A Das Superoxidradikal entsteht durch Ein-Elektronen-Reduktion von Sauerstoff im Gefolge biologischer Oxidationen. Durch zwei Dismutationsreaktionen entstehen letztlich H2O und O2. B Durch GSH-Peroxidase und GSSG-Reduktase wird H2O2 abgebaut. Die Glucose-6-Phosphatdehydrogenase ist das wichtigste Enzym zur Bereitstellung von NADPH/H+. Glc-6-P: Glucose6-Phosphat; GSH: Glutathion; GSSG: oxidiertes Glutathion

Die Entgiftung reaktiver Sauerstoffspezies erfolgt über enzymatische und nicht-enzymatische Mechanismen

20

Zur Ausschaltung der zerstörerischen Wirkung reaktiver Sauerstoffspezies haben aerobe Organismen verschiedene Strategien entwickelt. Zum einen werden zur Prävention Nebenreaktionen sauerstoffabhängiger Metalloenzyme möglichst zurückgedrängt. Eindrucksvollstes Beispiel ist der Komplex IV der Atmungskette, bei dem die Superoxidstufe übersprungen und die O-O-Bindung des Sauerstoffs sofort gespalten wird. Eine weitere Ebene der Prävention ist das Abfangen reaktiver Verbindungen, bevor diese ein Elektron auf Sauerstoff übertragen können. Ein Beispiel hierfür sind die Glutathion-S-Transferasen, die reaktive Verbindungen wie Semichinone durch Bildung von Thioethern neutralisieren, die dann über entsprechende Transportsysteme in den extrazellulären Raum gebracht werden. Sind reaktive Sauerstoffspezies erst einmal entstanden, sorgen effektive enzymatische und nichtenzymatische Mechanismen für ihre Entgiftung. 4 Die enzymatische Entfernung der Sauerstoffradikale übernehmen Enzyme wie die Superoxiddismutase, Katalase und Glutathionperoxidase (. Abb. 20.3). 4 Nicht-enzymatisch abgefangen werden Sauerstoffradikale durch verschiedene Antioxidantien, von denen v. a. das wasserlösliche Ascorbat (Vitamin C) und das lipidlösliche α-Tocopherol (Vitamin E) von Bedeutung sind (7 Kap. 58.4, 59.1). α-Tocopherol »entschärft« Lipid-Peroxyl-Radikale und unterbricht so die Lipidperoxidationskette. Das dabei entstehende Tocopherolradikal kann durch Ascorbat neutralisiert und Tocopherol regeneriert werden (7 Abb. 58.7). reaktive Sauerstoffspezies Abbau GSH-Peroxidase GSSH-Reduktase Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase

257

21 Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher Georg Löffler

Einleitung

21.1

Aufbau und Abbau von Triacylglycerinen

Triacylglycerine stellen den größten und effizientesten Energiespeicher des menschlichen Organismus dar. Sie kommen in nahezu allen Zellen vor, werden jedoch in großen Mengen in einem spezifischen Gewebe, dem Fettgewebe, gespeichert. Spezifische Lipasen sorgen für den Abbau (Mobilisation) von Nahrungsund Speicher-Triacylglycerinen (Lipolyse). Fettsäuren werden unter

21.1.1

Nahrungs- und Speicher- Triacylglycerine

hohem ATP-Gewinn in Mitochondrien und teilweise in Peroxisomen zu Acetyl-CoA und CO2 abgebaut. Bei Hunger und Diabetes mellitus findet der Fettsäureabbau verstärkt statt. Aus dem dabei anfallenden AcetylCoA synthetisiert die Leber die Ketonkörper und stellt sie peripheren Organen zur Energiegewinnung zur Verfügung. Für die Biosynthese von Triacylglycerinen (Lipogenese) müssen ihre Bausteine, Fettsäuren und Glycerin, zunächst in aktivierte Formen überführt werden. Leber und Fettgewebe können aus Acetyl-CoA, das beim Abbau von Nahrungskohlenhydraten entsteht, gesättigte Fettsäuren synthetisieren. Doppelbindungen können nur im begrenzten Umfang in Fettsäuren eingeführt werden, weswegen ein Teil der im menschlichen Körper vorkommenden ungesättigten Fettsäuren über die Nahrung zugeführt werden muss. Biosynthese und Abbau von Fettsäuren und Triacylglycerinen stehen in ganz engem Zusammenhang mit dem Energiestoffwechsel des Organismus und werden an die jeweiligen energetischen Bedürfnisse der Zellen angepasst. Schwerpunkte 4 Adipocyten-Triacylglycerinlipase, hormonsensitive Lipase und Lipoproteinlipase 4 Glycerin- und Monoacylglycerinweg der Triacylglycerinbiosynthese 4 Intrazelluläre Lipidtröpfchen 4 β-Oxidation und der Abbau von geradzahligen und ungeradzahligen, gesättigten und ungesättigten Fettsäuren 4 Ketogenese und Verwertung von Ketonkörpern 4 Acetyl-CoA-Carboxylase, Fettsäuresynthase mit Pantetheinarm, Desaturasen und Elongasen 4 Regulation des Abbaus und der Synthese von Fettsäuren und Triacylglycerinen

Triacylglycerine sind ein wesentlicher Bestandteil der Nahrungslipide Unter den in Europa und Nordamerika vorherrschenden Ernährungsbedingungen bestehen mehr als 40 % der mit der Nahrung zugeführten Energie aus Lipiden. Zu diesen gehören: 4 Triacylglycerine 4 Phospholipide 4 Sphingolipide 4 Cholesterin und Cholesterinester Triacylglycerine machen mengenmäßig den größten Anteil der

Nahrungslipide aus. Vor ihrer Resorption werden sie durch die

Pankreaslipase in ein Gemisch von Fettsäuren, Monoacylglyce-

rinen und Glycerin gespalten (7 Kap. 61.1.3) und nach Mizellenbildung mit Gallensäuren durch die Enterocyten resorbiert (7 Kap. 61.3.3). In den Epithelzellen des Intestinaltrakts erfolgt aus den resorbierten Produkten der Pankreaslipase eine Resynthese von Triacylglycerinen. Diese werden mit den entsprechenden Apolipoproteinen verpackt und als Chylomikronen (7 Kap. 24.1) in die Lymphgänge abgegeben. Von dort werden sie auf die verschiedenen Gewebe verteilt.

Triacylglycerine sind der mengenmäßig bedeutendste Energiespeicher des Organismus Die meisten Zellen des Organismus sind imstande, Triacylglycerine zu speichern, allerdings überwiegend in relativ geringen Mengen. Sie dienen hier, neben dem Glycogen, als rasch verfügbare Energiespeicher. Einen besonders umfangreichen Energiespeicher stellen die Triacylglycerine des Fettgewebes dar. Fettzellen sind auf die Triacylglycerinsynthese und -speicherung spezialisierte Zellen; bei ihnen machen Triacylglycerine etwa 95 % der Zellmasse aus. Triacylglycerine können v. a. bei Nahrungskarenz rasch mobilisiert werden, womit die gespeicherte Energie der überwiegenden Zahl der Gewebe des Organismus zur Verfügung steht (7 Kap. 38.1.3). Bei Normalgewichtigen macht das Fettgewebe zwischen 10 und 15 % des Körpergewichtes aus. Die hier gespeicherte Energie übertrifft diejenige des Glycogens bei weitem.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

21

258

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.1 Mechanismus der Lipolyse von Triacylglycerinen. Zur vollständigen Spaltung von Triacylglycerinen in Fettsäuren und Glycerin sind die Aktivitäten der Adipocyten-Triacylglycerinlipase, der hormonsensitiven Lipase und der Monoacylglycerinlipase notwendig. Die verschiedenen Lipasen sind durch Kreisflächen symbolisiert. Überlappungen zeigen die unterschiedlichen Spezifitäten gegenüber Tri- bzw. Diacylglycerinen an

21.1.2

Intrazelluläre Hydrolyse von Triacylglycerinen

Durch Lipolyse entstehen aus Triacylglycerinen Fettsäuren und Glycerin Die gespeicherten Triacylglycerine werden durch die in . Abb. 21.1 dargestellten drei Reaktionsschritte intrazellulär zu Fettsäuren und Glycerin hydrolysiert und diese Spaltprodukte zur Deckung des Energiebedarfs oxidiert oder im Fall des Fettgewebes in die Zirkulation abgegeben. Dieser Vorgang wird als Lipolyse bezeichnet und die daran beteiligten Enzyme als Lipasen. Diese Esterasen spalten die in Acylglycerinen vorkommenden Esterbindungen zwischen den Hydroxylgruppen des Glycerins und der Carboxylgruppe von Fettsäuren.

In den Fettzellen sind an der Lipolyse drei unterschiedliche Lipasen beteiligt

21

Die Spaltung der drei in Triacylglycerinen vorhandenen Esterbindungen wird durch drei unterschiedliche Lipasen katalysiert: 4 die Adipocyten-Triacylglycerinlipase (adipose triglyceride lipase, ATGL) 4 die hormonsensitive Lipase (hormone sensitive lipase, HSL) 4 die Monoacylglycerinlipase Adipocyten-Triacylglycerinlipase Dieses Enzym zeichnet sich

durch folgende Eigenschaften aus: 4 Die ATGL spaltet Triacylglycerine mit hoher Aktivität zu Diacylglycerinen, zeigt jedoch nur eine sehr geringe Aktivität gegenüber Diacyl- und Monoacylglycerinen. Das Enzym kommt in hoher Aktivität im weißen und braunen Fettge-

webe vor, mit wesentlich geringerer Aktivität im Skelettund Herzmuskel, der Leber und einigen anderen Geweben. 4 Überexpression des Enzyms führt zu einer deutlichen Steigerung der basalen und durch Katecholamine stimulierten Lipolyse. 4 Bei Nahrungskarenz nimmt die Aktivität der ATGL stark zu. Ein Knockout von ATGL vermindert die basale und stimulierte Lipolyse um etwa 75 %. Die Tiere zeigen massive Einlagerungen von Triacylglycerinen nicht nur im Fettgewebe, sondern in nahezu allen Organen mit entsprechenden Funktionsausfällen. Die nicht vollständige Reduktion zeigt aber auch, dass außer der ATGL andere Lipasen, v. a. die HSL (s. u.) zur Spaltung von Triacylglycerinen imstande sind. Hormonsensitive Lipase Die hormonsensitive Lipase (HSL) ist das bis jetzt am besten charakterisierte lipolytische Enzym. Sie zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: 4 Die HSL zeigt eine breite Substratspezifität. Sie katalysiert die Hydrolyse von Diacylglycerinen, aber auch von Tri- und Monoacylglycerinen, Cholesterin- und Retinsäureestern. Die HSL spaltet Diacylglycerine etwa 10-mal schneller als Triacylglycerine. 4 Sie kommt im Fettgewebe, Skelett- und Herzmuskel, Gehirn, in pankreatischen β-Zellen, der Nebenniere, den Ovarien, den Testes und Makrophagen vor. 4 Die HSL gehört in die Gruppe der interkonvertierbaren Enzyme. Sie wird durch cAMP-abhängige Phosphorylierung aktiviert und durch Dephosphorylierung inaktiviert (7 Kap. 8.5 und 7 Kap. 21.3.1).

259 21.1 · Aufbau und Abbau von Triacylglycerinen

. Abb. 21.2 Einschleusung von Glycerin in den Glucosestoffwechsel

4 Ein Knockout von HSL führt nur zu einer etwa 40%igen Reduktion der basalen und stimulierten Lipolyse. Ein gleichzeitiger Knockout von ATGL und HSL führt zu einer etwa 95 %igen Verminderung der Lipolyserate. Daraus kann geschlossen werden, dass die Lipolyse ausschließlich durch ATGL und HSL bewerkstelligt wird. Einzelheiten zur hormonellen Regulation der Lipolyse (7 Kap. 21.3.1). Die Monoacylglycerinlipase Eine Aktivität der Monoacylglycerinlipase wurde bereits vor 30 Jahren im Fettgewebe identifiziert. Sie katalysiert den letzten Schritt der Lipolyse, nämlich die Spaltung von Monoacylglycerinen zu Glycerin und Fettsäuren. Über eine Beteiligung dieses Enzyms an der Regulation der Lipolyse ist nichts bekannt.

Übrigens Nicht alles was in Lehrbüchern steht ist richtig oder: Die gezielte Gen-Ausschaltung kann zu überraschenden Erkenntnissen führen Die hormonsensitive Lipase HSL des Fettgewebes wurde zwischen 1970 und 1980 genauer charakterisiert und ihre Regulation durch Phosphorylierung/Dephosphorylierung beschrieben. Der damals verwendete Test beruhte auf der Spaltung von radioaktiv markierten Triacylglycerinen und ergab eine hohe Aktivität des Enzyms gegenüber Triacylglycerin, sodass man in der Folge davon ausging, dass das Enzym eine durch cAMP-abhängige Phosphorylierung aktivierbare Triacylglycerinlipase ist. Diese Erkenntnisse wurden so in alle Lehrbücher der Biochemie aufgenommen und sind Gegenstand unzähliger Prüfungsfragen gewesen. Mit der Entwicklung gentechnischer Methoden wurde natürlich auch das Gen für die HSL isoliert und charakterisiert. Seine Überexpression in Mäusen führte erwartungsgemäß zu Tieren mit verminderter Fettmasse und gesteigerter Lipolyse. Gänzlich unerwartet waren jedoch Ergebnisse, die mit Hilfe von HSL-Gen-Knockout-Tieren (HSL–/–) zustande kamen: Zwar waren die Adipocyten im weißen Fettgewebe der Tiere vergrößert, die Fettmasse war jedoch gegenüber dem Wildtyp nicht verändert. Die Fettsäurefreisetzung nach Behandlung von Fettgewebe mit Katecholaminen war in den HSL–/–-Mäusen nur geringfügig vermindert. 6

Im Fettgewebe der HSL–/–-Mäuse war die Diacylglycerinkonzentration gegenüber dem Wildtyp um ein Mehrfaches erhöht. Die männlichen Tiere waren wegen einer Oligospermie steril. Aus diesen Ergebnissen musste zwingend geschlossen werden, dass außer der HSL noch weitere Lipasen vorkommen müssen. Diese wurden schließlich auch entdeckt, womit eine grundsätzliche Änderung der Vorstellungen über die Lipolyse einherging.

Bei der Lipolyse freigesetztes Glycerin wird in der Leber weiter verwertet Die durch Lipolyse freigesetzten Fettsäuren sind für die meisten Gewebe ein gutes Substrat zur Deckung ihres Energiebedarfes. Eine Ausnahme machen die Zellen des Zentralnervensystems, die ausschließlich auf Glycolyse eingestellten Zellen des Nierenmarks und die Erythrocyten. Bei der lipolytischen Spaltung von Triacylglycerinen entsteht außer Fettsäuren als weiteres Produkt Glycerin. Dieses wird überwiegend von der Leber, in geringerem Umfang auch von den Mukosazellen des Intestinaltraktes, der Niere und den laktierenden Milchdrüsen verwertet (. Abb. 21.2): 4 Durch die nur in diesen Geweben vorkommende Glycerinkinase wird Glycerin ATP-abhängig zu Glycerin-3-Phosphat phosphoryliert. 4 Glycerin-3-Phosphat wird in der Leber durch die Glycerin3-Phosphatdehydrogenase zu Dihydroxyacetonphosphat oxidiert und dieses dann in die Glycolyse oder Gluconeogenese eingeschleust. In den Mukosazellen des Intestinaltraktes wird Glycerin-3-Phosphat überwiegend zur Resynthese von Triacylglycerinen aus resorbierten Nahrungsfetten verwendet (7 Kap. 61.3.3). 21.1.3

Extrazelluläre Hydrolyse von Triacylglycerinen

Für die Spaltung der im Plasma in Form von Chylomikronen und VLDL transportierten Triacylglycerinen ist die Lipoproteinlipase verantwortlich Beim Gesunden lassen sich im Serum Triacylglycerine in einer Konzentration zwischen 50–150 mg/100 ml nachweisen. Diese stammen überwiegend aus der Triacylglycerinresorption der Nahrungslipide (7 Kap. 61.3.3) bzw. aus der Triacylglycerinsyn-

Glycerin# Glycerin-3-Phosphat# Dihydroxyacetonphosphat# Glycerinaldehyd-3-Phosphat# Triosephosphat-Isomerase#

21

260

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.3 Lipoproteinlipase und die Aufnahme von Fettsäuren durch die Plasmamembran. Durch die Lipoproteinlipase (LPL) werden die in Chylomikronen und VLDL transportierten Triacylglycerine (TG) gespalten. Die Aufnahme der freigesetzten Fettsäuren erfolgt durch FATP-Transporter (FATP: fatty acid transport protein), die CD36-Fettsäuretranslokase und durch freie Diffusion. (Einzelheiten s. Text)

these der Leber. Im Serum werden sie in Form von triacylglycerinreichen Lipoproteinen, v. a. Chylomikronen und VLDL

Zellen, besonders der Endothelzellen der Blutkapillaren. Injiziertes Heparin löst die Lipoproteinlipase aus der Bindung an Heparansulfatproteoglycane, sodass das Enzym im Blutplasma nachgewiesen werden kann. 4 Das Apolipoprotein C II ist ein essentieller Cofaktor der Lipoproteinlipase.

Triacylglycerine können nur in einem zweistufigen Vorgang von Zellen aufgenommen werden: 4 extrazelluläre Spaltung der Triacylglycerine zu Fettsäuren und Glycerin, 4 Aufnahme der auf diese Weise freigesetzten Fettsäuren und ggf. (s. o.) des Glycerins.

. Abb. 21.3 stellt die Funktionsweise und die Lokalisation der Lipoproteinlipase dar. In der Leber kommt anstatt der Lipoproteinlipase ein weiteres Enzym ähnlicher Funktion vor, die sog. hepatische Lipase.

Für die Spaltung der Triacylglycerine in Lipoproteinen ist die Lipoproteinlipase notwendig. Dieses Enzym zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: 4 Die Lipoproteinlipase ist eine Lipase breiter Spezifität, die die Triacylglycerine in Lipoproteinen zu Fettsäuren und Glycerin spalten kann. 4 Die Lipoproteinlipase wird überwiegend von Fettgewebe und Muskulatur einschließlich des Herzmuskels synthetisiert und von diesen Geweben sezerniert. 4 Die Lipoproteinlipase erlangt ihre Aktivität nach Dimerisierung und Bindung an Heparansulfatproteoglycane (7 Kap. 3.1.4) auf der Außenseite der Plasmamembran vieler

Fettsäuren werden in der extrazellulären Flüssigkeit als Komplex mit Albumin transportiert. Analysiert man die Kinetik der Fettsäureaufnahme in Zellen, so lässt sich neben der Diffusion durch die Lipiddoppelschicht eine weitere, Carrier-vermittelte Komponente nachweisen. In . Abb. 21.3 sind die heutigen Vorstellungen über die beteiligten Mechanismen skizziert. Eine Diffusion von Fettsäuren durch die Plasmamembran der Zelle ist besonders bei hohen Fettsäurekonzentrationen wichtig. Für die Carrier-vermittelte Fettsäureaufnahme stehen verschiedene Transportproteine zur Verfügung: 4 Das Fettsäuretransportprotein (fatty acid transport protein, FATP) wurde ursprünglich aus Adipocyten isoliert und

(7 Kap. 24), transportiert und müssen von vielen Geweben, v. a. dem Fettgewebe, dem Skelettmuskel und dem Herzmuskel, als Substrate zur Deckung des Energiebedarfs verwertet oder als Energiespeicher angelegt werden.

21

Fettsäuren gelangen durch Diffusion und mit Hilfe spezifischer Transportproteine durch die Membran

261 21.1 · Aufbau und Abbau von Triacylglycerinen

gehört zu einer Familie von bis jetzt sechs Mitgliedern (FATP 1–6), die außer bei Säugern auch bei Invertebraten wie Caenorhabditis elegans, Drosophila oder Hefe nachgewiesen werden konnten. FATPs sind in Säugetiergeweben weit verbreitet, ihre gentechnische Ausschaltung (Knockout) führt zu einer Verminderung der Fettsäureaufnahme, ihre Überexpression zu einer entsprechenden Steigerung. Interessanterweise sind alle bisher untersuchten FATP’s mit Acyl-CoA-Synthetaseaktivität assoziiert. Man nimmt deshalb an, dass diese Proteine nicht nur den Fettsäuretransport durch die Plasmamembran vermitteln, sondern bevorzugt deren Aktivierung zum entsprechenden Acyl-CoADerivat katalysieren. 4 Die Fettsäuretranslokase (fatty acid translocase, FAT) wurde ursprünglich als ein Oberflächenprotein von Thrombocyten isoliert und CD 36 benannt. Es handelt sich um ein integrales Membranprotein, das vor allem im Herz- und Skelettmuskel, im Fettgewebe und den Enterocyten des Intestinaltraktes vorkommt. Eine gentechnische Ausschaltung des FAT-Gens führte zu einer drastischen Abnahme der Fettsäureaufnahme in Skelett- und Herzmuskel, Fettgewebe und Intestinaltrakt, nicht jedoch in der Leber. 21.1.4

Bildung von Triacylglycerinen

Triacylglycerine werden aus Glycerin oder Monoacylglycerin und Fettsäuren synthetisiert Die Biosynthese von Triacylglycerinen erfolgt entweder durch den Glycerin- oder durch den Monoacylglycerinweg. Glycerinweg Der Glycerinweg dient der de novo-Biosynthese von Triacylglycerinen. Hierzu müssen zunächst die Fettsäuren wie auch das Glycerin in ATP-abhängigen Reaktionen aktiviert werden: 4 Die für die Triacylglycerinbiosynthese verwendeten Fettsäuren werden mit Hilfe der ATP-abhängigen Acyl-CoASynthetase (7 Kap. 21.2.1) in Acyl-CoA umgewandelt. 4 Glycerin-3-Phosphat kann durch Reduktion von Dihydroxyacetonphosphat (DHAP) mit der Glycerin-3-Phosphatdehydrogenase gewonnen werden. Seine Verfügbarkeit steht damit in direkter Verbindung zum Glucoseabbau in der Glycolyse (7 Kap. 14.1.1). In den meisten Geweben wird Glycerin-3-Phosphat auf diese Weise gewonnen. 4 Die Leber, die Niere, die Darmmukosa und die laktierende Milchdrüse verfügen als Alternativweg zur Glycerin3-Phosphatsynthese aus Dihydroxyacetonphosphat über die Möglichkeit, Glycerin durch direkte ATP-abhängige Phosphorylierung in Glycerin-3-Phosphat umzuwandeln. Sie sind hierzu mit einer entsprechend hohen Aktivität des Enzyms Glycerinkinase ausgestattet.

Die einzelnen Syntheseschritte (. Abb. 21.4) sind: 4 Das Enzym Glycerin-3-Phosphat-Acyltransferase (GPAT) katalysiert die Verknüpfung von Acyl-CoA mit Glycerin3-Phosphat zu Lysophosphatidat (Monoacylglycerinphosphat).

4 Durch die Lysophosphatidat-Acyltransferase (LPAAT) wird unter Bildung von Phosphatidat ein weiterer Acylrest angefügt. 4 Aus dem Phosphatidat wird durch eine Phosphatidatphosphohydrolase (PAP) ein 1,2-Diacylglycerin gebildet. 4 Die Anheftung eines dritten Acyl-CoA durch die Diacylglycerin-Acyltransferase (DGAT) schließt die Triacylglycerinbiosynthese ab. Von allen Acyltransferasen und der Phosphatidatphosphohydrolase kommt eine Reihe von Isoenzymen vor, die sich in ihrer Spezifität für Fettsäuren unterschiedlichen Sättigungsgrades und Kettenlänge sowie in ihrer subzellulären Lokalisation unterscheiden. Häufig ist die Bindung an Membranen des endoplasmatischen Retikulums, daneben gibt es aber auch mitochondriale Acyltransferasen. Monoacylglycerinweg Diese Reaktionssequenz ist für die intestinale Lipidresorption besondes wichtig, kommt aber auch in anderen Geweben vor. Seine Bedeutung liegt u. a. darin, dass durch ihn das Verhältnis der Signalmoleküle Monoacylglycerin und Diacylglycerin eingestellt werden kann (7 Kap. 22.3.1). Der Monoacylglycerinweg umfasst folgende Reaktionen: 4 Durch die Monoacylglycerin-Acyltransferase (MGAT) wird Monoacylglycerin zu Diacylglycerin acyliert. 4 Diacylglycerin wird schließlich durch die DGAT (s. o.) in Triacylglycerin umgewandelt.

Die ersten Schritte der Triacylglycerinbiosynthese sind mit denen der Phospholipidbiosynthese (7 Kap. 22.1.1) identisch. Der Verzweigungspunkt der beiden Stoffwechselwege ist das Diacylglycerin (. Abb. 21.4). Infolgedessen ist die Diacylglycerin-Acyltransferase das für die Triacylglycerinbiosynthese spezifische Enzym.

Die synthetisierten Triacylglycerine werden intrazellulär in spezifischen Lipidtröpfchen gespeichert Mit Ausnahme der Erythrocyten sind alle Zellen zur Speicherung von Triacylglycerinen fähig, wobei diese Eigenschaft bei den Zellen des Fettgewebes am ausgeprägtesten ist, bei denen 95 % der Zellmasse aus Triacylglycerinen besteht. Die fehlende Wasserlöslichkeit von Triacylglycerinen führt jedoch zu Problemen mit der Speicherung, die folgendermaßen gelöst werden: 4 Die für die Triacylglycerinbiosynthese spezifische Diacylglycerin-Acyltransferase ist ein integrales Membranprotein des endoplasmatischen Retikulums. 4 Die von der Diacylglycerin-Acyltransferase synthetisierten Triacylglycerine sammeln sich zwischen den beiden Blättern der Membran des endoplasmatischen Retikulums an. 4 Unter Mitnahme einer Einzelschicht von Phospholipiden schnürt sich ein Lipidtröpfchen ab. 4 Während dieses Vorgangs oder unmittelbar danach erfolgt eine Beschichtung des Lipidtröpfchens mit spezifischen Proteinen. Zu diesen gehören Mitglieder der Perilipinfamilie oder das für die Lipolyse wichtige Protein CGI-58 (7 Kap. 21.3.1).

21

262

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

21

. Abb. 21.4 Biosynthese von Triacylglycerinen durch den Glycerin- bzw. Monoacylglycerinweg. (Einzelheiten s. Text)

Triacylglycerinbiosynthese# Glucose# Glycerin# Glycerin-3-Phosphat# Acyl-CoA# Lysophosphatidat# Phosphatidat# Diacylglycerin# Triacylglycerine# Monoacylglycerine# Triacylglycerinbiosynthese Glycerinweg Glycerin-3-Phosphat-Acyltransferase Lysophosphatidat-Acyltransferase Phosphatidat-Phosphohydrolase Monoacylglycerinweg Monoacylglycerin-Acyltransferase Diacylglycerin-Acyltransferase

263 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

Lipidtröpfchen stellen ein dynamisches Kompartiment dar. Sie können mit Caveolae, Endosomen, Mitochondrien oder Peroxisomen interagieren. Besonders wichtig ist ihre Fähigkeit zur reversiblen Fusionierung zu größeren Lipidtropfen, wie sie z. B. im Fettgewebe vorkommen. Zusammenfassung Mengenmäßig macht die Fraktion der Triacylglycerine, die auch den größten Energiespeicher des Organismus darstellt, den größten Anteil der Lipide aus. Durch intrazelluläre Lipolyse werden Triacylglycerine zu Fettsäuren und Glycerin gespalten. Die hierfür verantwortlichen Enzyme sind die Adipocyten-Triacylglycerinlipase, die hormonsensitive Lipase und die Monoacylglycerinlipase. Die Spaltung der im Blutplasma vorhandenen Triacylglycerine erfolgt extrazellulär durch die Lipoproteinlipase. Die dabei freigesetzten Fettsäuren werden durch entsprechende Transportsysteme aufgenommen. Die Triacylglycerinbiosynthese beginnt mit der Biosynthese von Lysophosphatidat aus Glycerin-3-Phosphat und AcylCoA, gefolgt von der nochmaligen Acylierung und Phosphatabspaltung, so dass Diacylglycerin entsteht. Dieses wird zu Triacylglycerin acyliert. In Enterocyten beginnt die Triacylglycerinsynthese überwiegend mit der Acylierung von resorbiertem Monoacylglycerin.

21.2

Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

21.2.1

Die β-Oxidation von Fettsäuren

Fettsäuren werden durch β-Oxidation abgebaut Schon Anfang des letzten Jahrhunderts konnte Franz Knoop den experimentellen Nachweis erbringen, dass geradzahlige Fettsäuren zu Essigsäure abgebaut werden. Dieser auch als β-Oxidation bezeichnete Mechanismus des Fettsäureabbaus ist u. a. durch die Untersuchungen von Feodor Lynen aufgeklärt worden. Die für die β-Oxidation benötigten Enzyme sind in der mitochondrialen Matrix lokalisiert. Sie befinden sich so in der Nähe der in der mitochondrialen Innenmembran gelegenen Enzyme der Atmungskette.

Fettsäuren können nur als Thioester mit Coenzym A verstoffwechselt werden Da Fettsäuren chemisch relativ reaktionsträge Moleküle sind, müssen sie vor ihrem Abbau zunächst in einer ATP-abhängigen Reaktion zu einem aktiven Zwischenprodukt, dem Acyl-CoA, aktiviert werden. Für diese Umwandlung zu »aktivierten« Fettsäuren ist eine Acyl-CoA-Synthetase (Syn. Thiokinase) notwendig. Wie . Abb. 21.5 zeigt, katalysiert diese eine zweistufige Reaktion, in deren ersten Teil die Carboxylgruppe der Fettsäure mit ATP unter Bildung eines Acyladenylates (Acyl-AMP) und Freisetzung von Pyrophosphat aus den β- und γ-Phosphaten des ATP reagiert. Da

. Abb. 21.5 Aktivierung von Fettsäuren zu Acyl-CoA durch die AcylCoA-Synthetase

die Hydrolyseenergie der Acyladenylatbindung ungefähr derjenigen einer energiereichen Phosphatbindung entspricht, liegt das ΔG0‹ der Reaktion bei etwa 0. Nur aufgrund der Tatsache, dass Pyrophosphat durch die in allen Zellen vorkommende Pyrophosphatase in zwei anorganische Phosphate gespalten wird, verlagert sich das Gleichgewicht der Reaktion auf die Seite der Acyladenylatbildung. Im zweiten Teil der Reaktion wird das Acyladenylat mit Coenzym A gespalten, sodass Acyl-CoA und AMP entstehen. Auf diese Weise wird die energiereiche Anhydridbindung des Acyladenylates in eine energiereiche Thioesterbindung umgewandelt. Acyl-CoA-Synthetasen finden sich intra- und extramitochondrial und unterscheiden sich in ihrer Substratspezifität hinsichtlich der Kettenlänge der zu aktivierenden Fettsäuren. Die »langkettenspezifische« Acyl-CoA-Synthetase (long chain acylCoA-synthetase) aktiviert besonders Fettsäuren mit einer Kettenlänge von 10–18 C-Atomen und ist in der äußeren Mitochondrienmembran lokalisiert. Da der Hauptteil der durch Lipolyse

Fettsäuren# β-Oxidation# ATP# Pyrophosphat# Acyladenylat# AMP# Acyl-CoA#

21

264

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.7 Carnitin als Carrier für den Transport langkettiger Fettsäuren durch die mitochondriale Innenmembran. CPT: Carnitin-Palmityltransferase; CACT: Carnitin-Acylcarnitin-Translokase. Der Substrattransport durch die äußere Mitochondrienmembran erfolgt durch Porine. (Einzelheiten s. Text) . Abb. 21.6 Reversible Bildung von Acylcarnitin aus Acyl-CoA und Carnitin

freigesetzten Fettsäuren in diese Kategorie gehört, ist dieses Enzym für den Stoffwechsel von besonderer Bedeutung.

Fettsäuren werden als Carnitinester durch die innere Mitochondrienmembran transportiert

21

Die Enzyme der β-Oxidation der Fettsäuren sind ausschließlich im mitochondrialen Matrixraum lokalisiert. Der weitaus größte Teil des für die β-Oxidation verwendeten Acyl-CoA entsteht jedoch im Cytosol als Folge der Aufnahme von Fettsäuren aus dem extrazellulären Raum oder durch intrazelluläre Lipolyse. Da Acyl-CoA-Moleküle mit Kettenlängen über 12 C-Atomen die mitochondriale Innenmembran nicht passieren können, muss ein Transportsystem eingeschaltet werden: Mit der Carnitin-Palmityltransferase 1 (CPT1, CarnitinAcyltransferase 1) wird der Thioester durch Kopplung an L-Carnitin (4-Trimethylamino-3-Hydroxybutyrat) zum Acylcarnitin umgeestert und CoA freigesetzt (. Abb. 21.6). Die CPT1 ist ein integrales Protein der äußeren Mitochondrienmembran, dessen aktives Zentrum zum Cytosol hin orientiert ist. Acylcarnitin passiert die äußere Mitochondrienmembran durch Porine und wird dann mit Hilfe der Carnitin-AcylcarnitinTranslokase durch die innere Mitochondrienmembran transportiert (. Abb. 21.7). Auf der Innenseite der mitochondrialen Innenmembran findet der umgekehrte Vorgang statt. Der Fettsäurerest des Acylcarnitins wird durch die an der Innenseite der inneren Mitochondrienmembran gelegene Carnitin-Palmityltransferase 2 (CPT2, Carnitin-Acyltransferase 2) auf Coenzym A übertragen, wobei Acyl-CoA entsteht und freies Carnitin regeneriert wird. Carnitin kommt in den meisten Organen vor. Muskelzellen, deren Kapazität zur β-Oxidation beträchtlich ist, verfügen auch über einen besonders hohen Carnitingehalt.

Acyl-CoA# Carnitin# CoA-SH# Acylcarnitin#

Die β-Oxidation der Fettsäuren besteht aus vier Einzelreaktionen Die β-Oxidation der Fettsäuren beginnt mit Acyl-CoA und läuft in folgenden Schritten ab (. Abb. 21.8): 4 Durch eine Acyl-CoA-Dehydrogenase wird Acyl-CoA an den C-Atomen 2 und 3 (α und β) dehydriert, wobei ein ∆2-trans-Enoyl-CoA entsteht. Der Wasserstoffakzeptor dieser ersten Oxidationsreaktion ist FAD. Das entstehende FADH2 gibt seine Reduktionsäquivalente an ein anderes Flavoprotein weiter, das auch als ETF (electron transfering flavoprotein) bezeichnet wird. Dieses reagiert direkt mit dem Ubichinon der Atmungskette (7 Kap. 19.1.2). Es gibt Isoformen der Acyl-CoA-Dehydrogenase, die für verschiedene Kettenlängen der Acylreste spezifisch sind. 4 Unter Katalyse durch eine Enoyl-CoA-Hydratase wird an das ∆2-Enoyl-CoA Wasser angelagert, wobei L-3-Hydroxyacyl-CoA entsteht. 4 Eine L-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase katalysiert die zweite Oxidationsreaktion der β-Oxidation der Fettsäuren. Das Oxidationsmittel ist diesmal NAD+, Reaktionsprodukte sind 3-Ketoacyl-CoA und NADH/H+. 4 Im letzten Schritt der β-Oxidation wird unter Katalyse der 3-Ketothiolase (β-Ketothiolase, 3-Oxo-Acyl-CoA-Thiolase) ein Molekül Acetyl-CoA vom 3-Ketoacyl-CoA abgespalten. Die Reaktionsprodukte sind Acetyl-CoA und ein um zwei C-Atome verkürztes Acyl-CoA. Dieses kann erneut in die β-Oxidation eintreten, sodass auf diese Weise die vollständige Zerlegung geradzahliger Fettsäuren zu Acetyl-CoA möglich ist.

Alle Enzyme der β-Oxidation kommen in Kettenlängen-spezifischen Isoformen vor Ein wichtiges Problem der β-Oxidation ist die Tatsache, dass die für den Abbau vorgesehenen Fettsäuren sich während der Oxidationszyklen sowohl in ihrer Kettenlänge als auch ihrer Wasser-

265 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

21

. Abb. 21.8 Abbau geradzahliger Fettsäuren durch β-Oxidation. Der Name β-Oxidation rührt daher, dass die Oxidationen am C-Atom β (C-Atom 3) der Fettsäuren erfolgen. (Einzelheiten s. Text)

löslichkeit dramatisch verändern. Deshalb gibt es für jede der vier an der β-Oxidation beteiligten Enzymaktivitäten Isoenzyme, die sich nur durch ihre Lokalisation und Kettenlängenspezifität unterscheiden: Acyl-CoA-Moleküle mit Kettenlängen zwischen C12 und C24 und mehr werden zunächst durch die VLC-Acyl-CoA-Dehydrogenase (VLCAD, very long chain acyl-CoA-dehydrogenase) oxidiert. Dieses homodimere Enzym ist in der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert. Im Matrixraum sind dagegen drei weitere Acyl-CoA-Dehydrogenasen nachweisbar, die jeweils für kürzerkettige Acyl-CoAs spezifisch sind. Langkettige Enoyl-CoAs als Produkte der VLCAD werden durch ein sog. trifunktionelles Enzym umgesetzt, das ebenfalls mit der inneren Mitochondrienmembran assoziiert ist. Es enthält eine Enoyl-CoA-Hydratase, Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase und 3-Ketothiolase, jeweils spezifisch für Kettenlängen oberhalb von 12 C-Atomen. Nach Abbau einer langkettigen Fettsäure durch die membrangebundenen Enzyme VLCAD und trifunktionelles Enzym bis zu einer Kettenlänge von etwa 12 C-Atomen erfolgt die weitere Oxidation durch lösliche Enzyme mit verschiedenen Kettenlängenspezifitäten im Matrixraum.

Beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren entsteht Propionyl-CoA In der Milch von Wiederkäuern kommen in geringen Mengen (ca. 3 % der Gesamtfettsäuren) Fettsäuren mit einer ungeraden Zahl von C-Atomen vor, die nach dem Verzehr von Milch resorbiert und metabolisiert werden müssen. Ihr Abbau erfolgt durch β-Oxidation nach demselben Mechanismus wie bei geradzahligen Fettsäuren. Dabei bleibt allerdings beim letzten Durchgang der β-Oxidation anstelle eines Acetyl-CoA ein aus drei C-Atomen bestehendes Acyl-CoA, das PropionylCoA, übrig. Für die Einschleusung dieses Produktes in den Citratzyklus sind insgesamt drei weitere Enzyme notwendig, die die in . Abb. 21.9 dargestellte Reaktionsfolge katalysieren: 4 Zunächst wird Propionyl-CoA durch die biotinabhängige Propionyl-CoA-Carboxylase (7 Kap. 59.7) zum D-Methylmalonyl-CoA carboxyliert. 4 Durch eine Epimerase (Racemase) erfolgt die Umlagerung zum L-Methylmalonyl-CoA. Aus diesem entsteht durch eine Vitamin-B12-katalysierte Umgruppierung der Substituenten am C-Atom 2 (7 Kap. 59.9) das Succinyl-CoA, welches als Zwischenprodukt des Citratzyklus leicht oxidiert werden kann.

Propionyl-CoA Carboxylierung Fettsäuren# β-Oxidation# Acyl-CoA# Acetyl-CoA# Δ^2^^-trans-Enoyl-CoA# L-3-Hydroxyacyl-CoA# 3-Ketoacyl-CoA# β-Oxidation Acyl-CoA-Dehydrogenase Enoyl-CoA-Hydratase L-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase 3-Ketothiolase

Fettsäuren

266

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.10 Für die Oxidation ungesättigter Fettsäuren benötigte Hilfsmechanismen. Die benötigten Enzyme sind rot hervorgehoben. (Einzelheiten s. Text)

. Abb. 21.9 Carboxylierung von Propionyl-CoA zu Methylmalonyl-CoA und anschließende Umlagerung zu Succinyl-CoA. (Einzelheiten s. Text)

Außer beim Abbau von ungeradzahligen Fettsäuren entsteht Propionyl-CoA auch beim Abbau der Aminosäuren Methionin, Threonin, Isoleucin und Valin (. Abb. 27.22).

Für den Abbau ungesättigter Fettsäuren werden Hilfsenzyme benötigt

21

Da in den natürlichen Fettsäuren die Doppelbindung in der cis(7 Kap. 3, 7 Tafel II.1), bei den Zwischenprodukten der β-Oxidation der Fettsäuren jedoch in der trans-Konfiguration auftreten (. Abb. 21.8), ergeben sich für den Abbau ungesättigter Fettsäuren gewisse Schwierigkeiten. Sie können durch die Enzyme der β-Oxidation abgebaut werden, bis ein ∆3-cis- oder ein ∆4-cis-Enoyl-CoA in Abhängigkeit von der jeweiligen ursprünglichen Position der Doppelbindung in der abzubauenden Fettsäure entsteht. Beim Abbau der Linolensäure wird z. B. nach 3 Zyklen der β-Oxidation das Δ3-cis-Enoyl-CoA gebildet (. Abb. 21.10, linker Teil).

∆3-cis-Enoyl-CoA wird durch eine ∆3-cis-∆2-trans-EnoylCoA-Isomerase zu ∆2-trans-Enoyl-CoA umgelagert. Da jetzt eine trans-Konfiguration an den C-Atomen 2 und 3 erzielt ist, verläuft der nächste Zyklus der β-Oxidation ohne Schwierigkeiten. Das dabei gebildete ∆4-cis-Enoyl-CoA wird zunächst von der Acyl-CoA-Dehydrogenase zum ∆2-trans-∆4-cis-Dienoyl-CoA oxidiert (. Abb. 21.10, rechter Teil). Dieses wird in einer NADPHabhängigen Reaktion zum Δ3-cis-Enoyl-CoA reduziert. Durch die oben erwähnte Isomerase entsteht dann aus Δ3-cis-EnoylCoA wieder das ∆2-trans-Enoyl-CoA.

Bei der β-Oxidation der Fettsäuren entstehen große Mengen von NADH+H+ und FADH2

Die β-Oxidation liefert erhebliche Mengen an reduzierten wasserstoffübertragenden Coenzymen. Für den Abbau von Stearinsäure (18 C-Atome) ergibt sich: Stearyl-CoA + 8 FAD + 8 NAD+ + 8 H2O + 8 CoA-SH 9 Acetyl-CoA + 8 FADH2 + 8 NADH + 8H+ Insgesamt fallen also 8 ∙ 2 [H] als FADH2 und 8 ∙ 2 [H] als NADH+H+ an. Beide wasserstoffübertragenden Coenzyme werden in der Atmungskette reoxidiert. Da hierbei pro NADH/H+ 2,3 ATP und pro FADH2 1,4 ATP gebildet werden (7 Kap. 19.1.4), ist die Energieausbeute der Fettsäureoxidation beträchtlich.

Propionyl-CoA# Propionyl-CoA-Carboxylase Biotin Methylmalonyl-CoA-Epimerase Racemase L-Methylmalonyl-CoA-Mutase Cobalamin Propionyl-CoA Carboxylierung D-Methylmalonyl-CoA L-Methylmalonyl-CoA Succinyl-CoA Fettsäuren# ungesättigte# Oxidation# α-Linonenyl-CoA# ∆^4^^-cis-Enoyl-CoA# ∆^2^^-trans∆^4^^-cis-Enoyl-CoA# ∆^3^^-cis-Enoyl-CoA# ∆^2^^-trans-Enoyl-CoA# Fettsäuren ungesättigte Oxidation Acyl-CoA-Dehydrogenase 2,4-DienoylCoA-Reduktase Isomerase

267 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

. Tab. 21.1 Energieausbeute bei der β-Oxidation von 1 mol Stearyl-CoA (18 C-Atome) durch β-Oxidation und Citratzyklus (alle Angaben in mol). Zum Vergleich sind die entsprechenden Angaben für die Oxidation von 3 Glucosen (ebenfalls 18 C-Atome) angegeben Schritt

Stearyl-CoA 9 Acetyl-CoA

9 Acetyl-CoA 18 CO2 + 18 H2O

Gebildete Reduktionäquivalente

ATP-Gewinn bei der Reoxidation vona

NADH/H+

NADH/H+

FADH2

8

8

21,6

27

9

72,9

3 Glucose 6 Acetyl-CoA

6 Acetyl-CoA 12 CO2 + 12 H2O

12



18

6

b c



14,4

9

32,4



6

48,6

9,6

6

c

102,6

ATP-Gewinn (Summe) a

FADH2 12,8

130,7

ATP-Gewinn (Summe)

ATP-Gewinn durch Substratkettenphosphorylierungb

Über die ATP-Ausbeute bei der Reoxidation von NADH/H+ und FADH2 in der oxidativen Phosphorylierung (7 Kap. 19.1.4). In Citratzyklus bzw. Glycolyse. Bezogen auf Stearinsäure müssen von diesem Wert noch 2 energiereiche Phosphate abgezogen werden, die bei der Aktivierung von Stearinsäure zu Stearyl-CoA verbraucht werden.

. Tab. 21.1 gibt eine Übersicht über die maximal mögliche Energieausbeute bei der β-Oxidation der Fettsäuren im Vergleich zur Oxidation von Glucose wieder. Die β-Oxidation kann nur unter aeroben Bedingungen erfolgen, da es in den Mitochondrien keinerlei Hilfsreaktionen gibt, die FADH2 bzw. NADH/H+ in Abwesenheit von Sauerstoff reoxidieren könnten.

In Peroxisomen findet in beträchtlichem Umfang Fettsäureoxidation statt Außer in Mitochondrien können Fettsäuren auch in den Peroxisomen oxidiert werden. Im Prinzip laufen dabei die gleichen Reaktionen wie bei der mitochondrialen β-Oxidation ab, allerdings ergeben sich einige Einschränkungen und für einzelne Enzyme beträchtliche Unterschiede. Substrate der peroxisomalen Fettsäureoxidation sind hauptsächlich: 4 Fettsäuren mit Kettenlängen über 22 C-Atomen, 4 verzweigtkettige Fettsäuren, 4 Fettsäuren mit einer Isoprenseitenkette wie die aus dem Abbau von Chlorophyll entstehende Pristansäure (2,6,10,14-Tetramethylpentadecansäure), 4 die Seitenkette des Cholesterins bei der Synthese von Gallensäuren. Im Gegensatz zur mitochondrialen β-Oxidation verläuft die peroxisomale nur über zwei bis maximal fünf Zyklen. Sie dient damit eher der Verkürzung langkettiger Fettsäuren als der vollständigen Oxidation zu Acetyl-CoA. Die Einschleusung von Acyl-CoA in die Peroxisomen ist nicht carnitinabhängig. Die peroxisomale Acyl-CoA-Dehydrogenase katalysiert folgende Reaktion: Acyl-CoA + O2

trans-∆2-Enoyl-CoA + H2O2

Das Enzym benötigt FAD als Cofaktor. Das entstehende H2O2 wird durch eine entsprechende peroxisomale Katalase (7 Kap. 20.1.1) eliminiert.

Der weitere Verlauf der peroxisomalen β-Oxidation entspricht der der Mitochondrien. Allerdings gibt es in Peroxisomen keinerlei Mechanismen zur NADH/H+-Reoxidation, sodass dieses über die Abgabe von Reduktionsäquivalenten in den cytosolischen Raum reoxidiert werden muss. Die Enzyme des Citratzyklus fehlen in Peroxisomen. Deshalb ist der Abbau des gebildeten Acetyl-CoA zu CO2 nicht möglich. Er benötigt den Transfer von Acetylresten in den mitochondrialen Matrixraum. 21.2.2

Ketogenese und Ketonkörperverwertung

Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Blut und Urin von Diabetikern (7 Kap. 36.7) Aceton, β-Hydroxybuttersäure und Acetessigsäure nachgewiesen. Wegen ihrer strukturellen Verwandtschaft zum Aceton wurden die beiden letzten Verbindungen auch als Ketonkörper bezeichnet. Heute weiß man, dass Ketonkörper auch unter physiologischen Bedingungen in der Leber synthetisiert werden. Dieser Vorgang nimmt mit dem Ausmaß der β-Oxidation der Fettsäuren zu. Die besonders bei Insulinmangel und im Hungerzustand gebildeten Ketonkörper werden von der Leber an das Blutplasma abgegeben und in extrahepatischen Geweben, besonders in der Muskulatur, in beträchtlichem Umfang oxidiert.

Ketonkörper werden ausschließlich in der Leber synthetisiert Die Leber hat als einziges Organ die Fähigkeit zur Ketonkörperbiosynthese, kann Ketonkörper allerdings nicht verwerten. Daher findet ein ständiger Fluss von Ketonkörpern von der Leber zu den extrahepatischen Geweben statt. . Abb. 21.11 gibt den Ablauf der mitochondrial lokalisierten Ketonkörperbiosynthese wieder. Sie erfolgt in einer dreistufigen Reaktion:

21

268

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.12 Succinyl-CoA-abhängige Aktivierung von Ketonkörpern zu Acetacetyl-CoA

Vor ihrer Verwertung müssen Ketonkörper mit Coenzym A aktiviert werden . Abb. 21.12 stellt die zur Verwertung von Ketonkörpern in ex-

. Abb. 21.11 Biosynthese der Ketonkörper Acetacetat, β-Hydroxybutyrat und Aceton aus Acetacetyl-CoA und Acetyl-CoA

21

4 Durch Umkehr der Reaktion der 3-Ketothiolase, des letzten Enzyms der β-Oxidation der Fettsäuren, entsteht aus zwei Molekülen Acetyl-CoA Acetacetyl-CoA. 4 Unter Katalyse durch die β-Hydroxy-β-MethylglutarylCoA-Synthase wird ein weiteres Molekül Acetyl-CoA an den Carbonylkohlenstoff des Acetacetyl-CoA geheftet. Hierbei entsteht β-Hydroxy-β-Methylglutaryl-CoA (HMG-CoA) (über die Bedeutung des cytosolischen HMG-CoA für die Cholesterinbiosynthese, 7 Kap. 23.3). 4 In einer dritten Reaktion spaltet die HMG-CoA-Lyase unter Freisetzung von Acetacetat ein Acetyl-CoA ab. Die Herkunft der C-Atome des Acetacetates wird aus . Abb. 21.11 ersichtlich. Acetacetat wird durch eine NADH-abhängige D-β-Hydroxybutyratdehydrogenase, die außer in der Leber auch in vielen anderen Geweben vorkommt, zu D-β-Hydroxybutyrat reduziert. Durch spontane nicht-enzymatische Decarboxylierung kann aus Acetacetat auch Aceton entstehen, das über die Atemluft und im Urin ausgeschieden wird. D-β-Hydroxybutyrat macht den Hauptanteil der Ketonkörper in Blut und Urin aus.

trahepatischen Geweben benötigten Reaktionen zusammen. D-β-Hydroxybutyrat wird zunächst zu Acetacetat oxidiert. Anschließend erfolgt eine Transacylierung, bei der der Succinylrest eines Succinyl-CoA gegen Acetacetat ausgetauscht wird. Das hierfür verantwortliche Enzym ist die Succinyl-CoA-AcetacetylCoA-Transferase (3-Ketoacyl-CoA-Transferase). Das dabei gebildete Acetacetyl-CoA kann in die β-Oxidation eingeschleust werden. Zur Verwertung von Ketonkörpern durch das ZNS s. 7 Kap. 74.4.1. Durch Decarboxylierung von Acetacetat entstandenes Aceton kann nicht in nennenswertem Umfang verwertet werden. 21.2.3

Bildung gesättigter Fettsäuren aus Acetyl-CoA

Die Biosynthese gesättigter Fettsäuren findet im Cytosol statt und benötigt Malonyl-CoA Der größte Teil der im tierischen Organismus vorkommenden Fettsäuren besitzt eine gerade Zahl von C-Atomen, da die Biosynthese von Fettsäuren durch Kondensation von Bruchstücken aus zwei C-Atomen (= Acetyleinheiten) erfolgt. In den meisten Zellen können zum Teil in beträchtlichem Umfang langkettige Fettsäuren mit einer geraden Anzahl von C-Atomen aus Acetylresten synthetisiert werden. Dieser Vorgang ist keine Umkehr der β-Oxidation der Fettsäuren. Er: 4 findet bei allen Eukaryonten im Cytosol statt, 4 wird durch ein multifunktionelles Enzym, die Fettsäuresynthase, katalysiert,

Ketonkörpersynthese 3-Keto-Thiolase HMG-CoA-Synthase HMG-CoA-Lyase β-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase Ketonkörpersynthese# Acetyl-CoA# Acetacetyl-CoA# β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA)# Acetacetat# Aceton# D-β-Hydroxybutyrat# Ketonkörper# Aktivierung# β-Hydroxybutyrat# Acetacetat# AcetacetylCoA# Succinyl-CoA# Succinat# Ketonkörper Aktivierung β-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase

269 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

. Abb. 21.13 Biotinabhängige Carboxylierung von Acetyl-CoA zu Malonyl-CoA

4 benötigt NADPH/H+ als Reduktionsmittel und 4 benötigt Malonyl-CoA anstelle von Acetyl-CoA. Den Arbeitsgruppen von Feodor Lynen und Roy Vagelos ist die Aufklärung der einzelnen bei der Fettsäurebiosynthese beteiligten Reaktionen gelungen. Sie konnten zeigen, dass die Fettsäurebiosynthese zwar vom Acetyl-CoA ausgeht und durch Verlängerung der Fettsäurekette um jeweils zwei C-Atome fortgesetzt wird. Es war jedoch nicht möglich, mit gereinigter Fettsäuresynthase eine Fettsäurebiosynthese aus Acetyl-CoA in Gang zu setzen. Eine Erklärung für diesen Befund bietet die Tatsache, dass der Fettsäuresynthase eine der 3-Ketothiolase (7 Kap. 21.2.1) entsprechende Aktivität fehlt. Sie benutzt für die Kondensation der Acetylreste an die wachsende Fettsäurekette nicht AcetylCoA, sondern Malonyl-CoA, das einem carboxylierten AcetylCoA entspricht (. Abb. 21.13). Die bei der für die Kettenverlängerung notwendigen Decarboxylierungen freiwerdende Energie verschiebt dann das Gleichgewicht der Reaktion auf die Seite der Kondensation. Das für die Kondensationsreaktion benötigte Malonyl-CoA wird durch eine Carboxylierungsreaktion aus Acetyl-CoA und CO2 unter Katalyse der biotinabhängigen Acetyl-CoA-Carboxylase bereitgestellt (. Abb. 21.13). Der Mechanismus der Acetyl-CoA-Carboxylase entspricht damit dem anderer biotinabhängiger Carboxylierungen (7 Kap. 59.7).

Die Fettsäuresynthase katalysiert sämtliche Teilreaktionen der Fettsäurebiosynthese Bei der Fettsäurebiosynthese werden an ein als Startermolekül dienendes Acetyl-CoA sukzessive Bruchstücke aus zwei C-Atomen (= Acetatreste) gehängt, die vom Malonyl-CoA abstammen. Das bedeutet, dass zur Synthese von Palmitat 7 mol, zur Synthese von Stearat 8 mol, Malonyl-CoA pro mol synthetisierter Fettsäure verbraucht werden.

21

Die Teilreaktionen der Fettsäuresynthase Die verschiedenen für die Fettsäurebiosynthese aus Acetyl-CoA und Malonyl-CoA notwendigen Reaktionsschritte werden durch das dimere, multifunktionelle Enzym der Fettsäuresynthase (s. u.) katalysiert. Im Fettsäuresynthasekomplex kommen in jedem Monomer zwei für seine Funktion essentielle SH-Gruppen vor, eine sog. zentrale und eine periphere. Die zentrale Sulfhydrylgruppe gehört zu einem Molekül, das sich auch als Bestandteil des Coenzym A findet. Es handelt sich um das 4’-Phosphopantethein (. Abb. 21.14). Dieses ist covalent mit einem Serylrest der Acyl-CarrierDomäne der Fettsäuresynthase verknüpft. Die periphere Sulfhydrylgruppe gehört zu einem Cysteinylrest im aktiven Zentrum der kondensierenden Domäne. Die Fettsäurebiosynthese mit Hilfe der Fettsäuresynthase läuft in folgenden Schritten ab (. Abb. 21.15): 4 Der Acetylrest des Startermoleküls Acetyl-CoA wird an die zentrale Sulfhydrylgruppe gebunden. 4 Der Acetylrest wird auf die periphere Sulfhydrylgruppe übertragen. 4 Die jetzt wieder freie zentrale Sulfhydrylgruppe übernimmt einen Malonylrest vom Malonyl-CoA. Für diese Reaktionen ist die Malonyl/Acetyltransferase-Domäne (MAT) der Fettsäuresynthase (. Abb. 21.16) verantwortlich. 4 Die Ketoacylsynthase-Domäne (KS, kondensierende Domäne) der Fettsäuresynthase katalysiert die Kondensation des Acetyl- mit dem Malonylrest, wobei unter Decarboxylierung ein Acetacetylrest entsteht, der an die zentrale SH-Gruppe gebunden ist. Bei den folgenden drei Reaktionen verbleibt dieser Acylrest als Thioester an der zentralen SH-Gruppe. 4 Die folgende sog. »erste« Reduktion besteht in einer NADPH-abhängigen Reaktion zum D-3-Hydroxybutyrylrest. Die zugehörige Domäne wird als β-KetoacylenzymReduktase-Domäne (Ketoreduktase, KR) bezeichnet. 4 Durch eine Dehydratasedomäne (DH) wird ein ∆2-Enoylrest erzeugt. 4 Die sog. »zweite« Reduktion, die wiederum NADPH-abhängig verläuft, wandelt den ungesättigten in einen gesättigten Acylrest um (Enoylreduktase, ER). 4 Dieser wird im folgenden Zyklus von der zentralen auf die periphere SH-Gruppe übertragen, die nun freie zentrale Sulfhydrylgruppe übernimmt den nächsten Malonylrest und der Zyklus beginnt erneut.

. Abb. 21.14 4’-Phosphopantethein als prosthetische Gruppe der Acyl-Carrier-Domäne der Fettsäuresynthase

Acylcarrier-Domäne# Polypeptidkette# Serinrest# 2,4-Dihydroxy-3-dimethyl-Buttersäure# β-Alanin# Cysteamin# 4’-Phosphopantethein#

270

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.15 Einzelreaktionen der Biosynthese langkettiger, geradzahliger Fettsäuren aus Acetyl-CoA. SHp: periphere SH-Gruppe; SHz: zentrale SH-Gruppe. (Einzelheiten s. Text)

Die oben beschriebenen Zyklen wiederholen sich, bis der Acylrest auf eine Länge von 16–18 C-Atomen (beim Menschen 16 CAtome) angewachsen ist, anschließend wird er durch die Thioesterasedomäne (TE) abgespalten.

21

Abspaltung und Aktivierung der synthetisierten Fettsäure In der Hefe und in einigen Mikroorganismen wird die Palmitin- bzw. Stearinsäure von der zentralen Sulfhydrylgruppe direkt auf freies Coenzym A übertragen und somit als Acyl-CoA aus dem Synthasekomplex entlassen. Bei der Fettsäurebiosynthese in tierischen Organen wird die Fettsäure durch Hydrolyse aus dem Enzymkomplex freigesetzt. Danach muss sie zu ihrer weiteren Verwendung im Stoffwechsel in einer ATP-abhängigen Reaktion durch eine Acyl-CoA-Synthetase (7 Kap. 21.2.1) zum Acyl-CoA aktiviert werden. . Abb. 21.15 macht auch verständlich, dass sich der Kohlenstoff des Acetyl-CoA, das als Starter für die Fettsäurebiosynthese diente, beispielsweise im Palmitat als die C-Atome 15 und 16 wiederfindet.

Die tierische Fettsäuresynthase besteht aus einem dimeren Komplex zweier multifunktioneller Proteine Bei vielen Bakterien, Pflanzen und einigen Einzellern werden die Teilaktivitäten der Fettsäuresynthase als individuelle Enzymproteine synthetisiert und assoziieren mit dem Acyl-Carrier-Protein zu einem Multienzymkomplex, der durch geeignete experimentelle Behandlung in seine Einzelkomponenten zerlegt werden kann. Dagegen liegt die Fettsäuresynthase tierischer Organismen als dimeres multifunktionelles Protein vor, das sämtliche zu einem vollständigen Reaktionszyklus benötigten Enzymaktivitäten als Domänen auf einer Peptidkette enthält (. Abb. 21.16A). N-terminal befindet sich die Domäne der Ketoacylsynthase, gefolgt von der Malonyl-Acetyltransferase, der Dehydratase, der Enoylreduktase, der Ketoreduktase, des Acyl-Carrier-Proteins und schließlich der für die Abspaltung der fertigen Fettsäure benötigten Thioesterase. Die beiden das funktionelle Enzym bildenden identischen Untereinheiten sind so assoziiert, dass zwei katalytische Zentren entstehen (. Abb. 21.16B). Der Phosphopantheteinrest der Acyl-

Fettsäuren langkettige geradzahlige Biosynthese Acyltransfer Malonyltransfer

21

271 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

A

B

. Abb. 21.16 Aufbau der tierischen Fettsäuresynthase. Die tierische Fettsäuresynthase hat eine Größe von etwa 200 Å × 150 Å und liegt als dimeres Protein vor. A Jede Untereinheit trägt die für die vollständige Synthese von Fettsäuren aus Acetyl-CoA und Malonyl-CoA benötigten Enzymaktivitäten als funktionelle Domänen. Der Pantetheinrest der zentralen SH-Gruppe ist durch die gezackte Linie angedeutet, die periphere SH-Gruppe befindet sich in der KS-Domäne. B Schematische Darstellung der röntgenkristallographisch ermittelten Raumstruktur der tierischen Fettsäuresynthase. Die rechte Untereinheit (Kasten) ist mit der linken verflochten. Beide bilden zwei unabhängige Reaktionszentren. Der Pantetheinrest des ACP dient als Schwingarm, der die wachsende Fettsäurekette zu den einzelnen, enzymatisch aktiven Domänen trägt (Einzelheiten s. Text). KS: Ketoacylsynthase; MAT: Malonyl-Acetyltransferase; DH: Dehydratase; ER: Enoylreduktase; KR: Ketoreduktase; ACP: Acyl-Carrier-Domäne; TE: Thioesterase; ΨKR und ΨME: funktionslose Pseudoketoreduktase und Pseudomethyltransferase ; LD: Linker-Domäne. (Adaptiert nach Maier et al. 2008, © AAAS)

Carrier-Domäne jeder Untereinheit dient als Schwingarm, der die wachsende Fettsäurekette zu jeder der für die Kettenverlängerung benötigten Teilaktivitäten trägt. Interessanterweise ist eine einzelne isolierte Untereinheit nicht aktiv, wahrscheinlich weil im monomeren Zustand die korrekte Konformation nicht aufrechterhalten werden kann.

Die für die Fettsäurebiosynthese benötigten Substrate entstammen der Glycolyse oder dem Citratzyklus . Abb. 21.17 stellt die Beziehungen zwischen Fettsäurebiosynthe-

se und Kohlenhydratstoffwechsel dar. Dieser kann sowohl den für die Fettsäurebiosynthese benötigten Wasserstoff als auch den Kohlenstoff liefern.

Herkunft des Wasserstoffs Für die beiden während der Fettsäurebiosynthese ablaufenden Reduktionsschritte wird Wasserstoff in Form von NADPH/H+ benötigt. Dieser stammt zu einem großen Teil aus dem oxidativen Abbau der Glucose über den Pentosephosphatweg (7 Kap. 14.1.2). Bezeichnenderweise sind diejenigen Gewebe, die über eine beträchtliche Aktivität dieses Stoffwechselwegs verfügen, auch im Besitz einer besonders aktiven Lipogenese. Zu ihnen gehören die Leber, das Fettgewebe und die laktierende Milchdrüse. Da sowohl der Pentosephosphatweg als auch die Fettsäurebiosynthese im Cytoplasma ablaufen, können beide Prozesse den cytoplasmatischen NADPH/H+-Pool ohne Behinderung durch Permeabilitätsschranken benutzen.

Läuft die Fettsäurebiosynthese mit maximaler Geschwindigkeit ab, genügt der aus dem Pentosephosphatweg zur Verfügung gestellte Wasserstoff nicht mehr. In diesem Fall kann NADPH/ H+ über die extramitochondriale Isocitratdehydrogenase erzeugt werden (7 Kap. 18.4). Wichtiger ist aber die dehydrierende Decarboxylierung von Malat zu Pyruvat, die durch das ebenfalls im Cytosol lokalisierte Malatenzym (7 Kap. 18.4) katalysiert wird. Da das für diese Reaktion benötigte extramitochondriale Malat aus Oxalacetat stammt, ergibt das Zusammenspiel von Malatdehydrogenase (Gleichung 1) und Malatenzym (Gleichung 2) in der Bilanz eine Wasserstoffübertragung von NADH/ H+ auf NADP+ (Gleichung 3): Oxalacetat + NADH + H+ Malat + NADP+

Malat + NAD+ (1)

Pyruvat + CO2 + NADPH + H+

(2)

zusammen: Oxalacetat + NADH + H+ + NADP+ Pyruvat + CO2 + NAD+ + NADPH + H+ (3) Herkunft des Kohlenstoffs Acetyl-CoA ist die Kohlenstoffquelle

für die Biosynthese der Fettsäuren, da es das Startermolekül wie auch die Ausgangssubstanz für die Biosynthese von Malonyl-CoA

272

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.17 Wechselbeziehungen zwischen Glucoseabbau und Fettsäurebiosynthese. Die für die Fettsäurebiosynthese aus Glucose wichtigen Zwischenprodukte sind rot gerastert. Geschwindigkeitsbestimmende Enzyme dieses Prozesses unterliegen einer hormonalen bzw. metabolischen Regulation, die durch die grünen und roten Pfeile dargestellt ist. PP-Weg: Pentosephosphatweg. 1 Pyruvat-Carrier; 2 Ketoglutarat/Malat (= Dicarboxylat)Carrier; 3 Tricarboxylat-Carrier. (Einzelheiten s. Text)

21

darstellt. Ein Teil des Acetyl-CoA entsteht durch dehydrierende Decarboxylierung von aus der Glycolyse stammendem Pyruvat durch die Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 18.2). Da diese ein mitochondriales Enzym ist, muss Pyruvat durch einen entsprechenden Transporter von Mitochondrien aufgenommen werden 1 . Das in der mitochondrialen Matrix durch die Pyruvatdehydrogenase erzeugte Acetyl-CoA muss für die cytosolische Fettsäurebiosynthese wieder aus dem mitochondrialen Matrixraum ausgeschleust werden. Da jedoch Acetyl-CoA die mitochondriale Innenmembran nicht permeieren kann, wird es durch Reaktion mit Oxalacetat zu Citrat umgewandelt, wofür die Citratsynthase zur Verfügung steht. Citrat kann nun durch den Tricarboxylat-Carrier aus dem mitochondrialen in den cytosolischen Raum transpor-

tiert werden 3 . Durch die dort lokalisierte ATP:Citratlyase wird Citrat in Oxalacetat und Acetyl-CoA umgewandelt: Citrat + ATP + CoA-SH Oxalacetat + Acetyl-CoA + ADP + Pi Das dabei entstehende Oxalacetat wird durch die NADH-abhängige Malatdehydrogenase zu Malat reduziert, welches ohne Schwierigkeit durch den Dicarboxylat-Carrier in den mitochondrialen Raum zurücktransportiert werden kann 2 . Eine weitere Möglichkeit für das aus cytosolischem Oxalacetat gebildete Malat besteht in der oben erwähnten Umwandlung zu Pyruvat und CO2 durch Einschalten des Malatenzyms.

Fettsäurebiosynthese Glucoseabbau Pyruvatkinase Malatenzym Acetyl-CoA-Carboxylase Malatdehydrogenase ATP:Citrat-Lyase Pyruvatcarboxylase Pyruvatdehydrogenase Citratsynthase

273 21.2 · Abbau und Aufbau von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren

. Abb. 21.18 Mechanismus der durch Desaturasen katalysierten Biosynthese ungesättigter Fettsäuren aus gesättigten Fettsäuren. Die dargestellte Reaktionsfolge findet unter Katalyse eines membrangebundenen Enzymkomplexes aus NADPH-Cytochrom-b5-Reduktase, Cytochrom b5 und Desaturase statt. (Einzelheiten s. Text)

Auf diese Weise kann Glucosekohlenstoff über den Umweg der mitochondrialen Citratbildung in Form von Acetyl-CoA der cytosolischen Fettsäurebiosynthese zur Verfügung gestellt werden. 21.2.4

Einführung von Doppelbindungen in Fettsäuren

Sowohl der Schmelzpunkt von Triacylglycerinen als auch die Membranfluidität (7 Kap. 11.2) hängen vom Anteil ein- oder mehrfach ungesättigter Fettsäuren in den entsprechenden Lipiden ab. Ungesättigte Fettsäuren sind darüber hinaus Vorläufer essentieller Signalmoleküle wie beispielsweise der Eicosanoide (7 Kap. 22.3.2). Deshalb ist die Einführung von Doppelbindungen in die durch die Fettsäuresynthase gebildeten gesättigten Fettsäuren eine für alle Lebensformen außerordentlich wichtige Funktion. Die für den Stoffwechsel des Säugerorganismus wichtigen ungesättigten Fettsäuren sind in 7 Tab. 3.6 (7 Kap. 3) zusammengestellt. Wegen der spezifischen Eigenschaften der tierischen Fettsäuredesaturasen (s. u.) können lediglich Palmitolein- und Ölsäure in tierischen Zellen synthetisiert werden. Linolund Linolensäure müssen dagegen mit der Nahrung zugeführt werden, sind also essentielle Fettsäuren. Von diesen geht auch die Biosynthese der weiteren in 7 Tab. 3.6 angeführten mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus.

Für die Biosynthese ungesättigter Fettsäuren aus gesättigten Fettsäuren werden Desaturasen und Elongasen benötigt Desaturasen sind an das endoplasmatische Retikulum gebundene Enzymkomplexe aus einer NADPH-Cytochrom-b5-Reduktase, Cytochrom b5 und der eigentlichen Desaturaseaktivität (. Abb. 21.18). Ihr Reaktionsmechanismus entspricht demjenigen mischfunktioneller Oxygenasen. Zunächst werden Elektronen von NADPH/H+ auf FAD übertragen, das als Coenzym der NADPH-Cytochrom-b5-Reduktase dient. Das Häm-Eisen des Cytochrom b5 wird dadurch zur zweiwertigen Form reduziert. Von ihm werden Elektronen auf ein binucleäres Eisenzentrum der Desaturase übertragen. Ein Elektronenpaar reagiert danach mit dem Sauerstoff, ein weiteres wird vom gesättigten Acyl-CoA

abgezogen. Dabei entsteht eine Doppelbindung und zwei Moleküle Wasser werden freigesetzt. Zwei der Elektronen entstammen somit dem NADPH/H+, zwei weitere der Einfachbindung des Acyl-CoA.

In tierischen Zellen kommen nur Δ9-, Δ6- und Δ5-Desaturasen vor Die Desaturasen tierischer Zellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur Doppelbindungen erzeugen können, die nicht weiter als 9 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt sind. Man unterscheidet im Einzelnen: Δ9-Desaturasen Sie bilden eine Gruppe von Enzymen, die

als Substrate Palmityl- und v. a. Stearyl-CoA verwerten, weswegen sie auch als Stearyl-CoA-Desaturasen bezeichnet werden. Wie ihr Name sagt, führen sie eine Doppelbindung am C-Atom 9 dieser Fettsäuren ein, sodass als Reaktionsprodukte Palmitoleyl-CoA bzw. Oleyl-CoA entstehen. Beide Fettsäuren werden in Triacylglycerine und die verschiedenen Membranlipide eingebaut. Man kennt inzwischen vier Isoformen der Δ9-Desaturasen, die sich durch unterschiedliche Organverteilungen auszeichnen. Δ6- und Δ5-Desaturasen Diese Gruppe von Enzymen führt Dop-

pelbindungen an den C-Atomen 5 bzw. 6 von ungesättigten Fettsäuren ein. Bevorzugte Substrate sind Linolenyl-CoA (Δ9,12,15-Octadecatrienoyl-CoA) bzw. Linoleyl-CoA (Δ9,12-Octadecadienoyl-CoA) (. Abb. 21.19). In diese Fettsäuren, die von tierischen Organismen nicht synthetisiert werden können und deshalb als essentielle Fettsäuren bezeichnet werden, fügen die Δ6- und Δ5-Desaturasen zusätzliche Doppelbindungen ein, sodass weitere mehrfach ungesättigte Fettsäuren (polyunsaturated fatty acids, PUFA) entstehen. Auch diese werden u. a. in Phospholipide eingebaut.

Für die Biosynthese längerkettiger Fettsäuren werden Elongationssysteme benötigt Die von tierischen Zellen synthetisierten Fettsäuren haben 16‒18 C-Atome, die essentiellen Fettsäuren Linol- und Linolensäure 18 C-Atome. In vielen Membranen kommen jedoch mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit 20, 22 und mehr C-Atomen vor

21

274

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

. Abb. 21.19 Biosynthese von mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus der ω-3-Fettsäure Linolsäure bzw. der ω-6-Fettsäure Linolensäure. Dargestellt sind die Biosyntheseschritte nach Aktivierung der Fettsäuren zum entsprechenden Acyl-CoA. Über die Einteilung der Fettsäuren in ω-3- und ω-6Fettsäuren und deren ernährungsphysiologische Bedeutung s. 7 Kap. 57.1.3. (Einzelheiten s. Text)

(7 Kap. 3, 7 Tab. 3.6). Neben den Desaturasen ist für deren Biosynthese ein im endoplasmatischen Retikulum lokalisiertes Elongationssystem notwendig. Neben dem zu verlängernden AcylCoA benötigt es Malonyl-CoA und NADPH/H+. Die vom Elongationssystem katalysierten Reaktionen entsprechen den Teilreaktionen der Fettsäurebiosynthese, jedoch wird für jede Teilreaktion ein eigenes Enzym benötigt.

21

Die für den Stoffwechsel besonders wichtigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit 20 C-Atomen entstehen durch Kombination von Desaturasen und Elongationssystemen Durch Kombination von Desaturasen und Verlängerungsenzymen entstehen die besonders wichtigen, in 7 Tab. 3.6 genannten mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die für die Biosynthese der sog. Eicosanoide (7 Kap. 22.3.2) benötigten Substrate sind die beiden ω-6-Fettsäuren Arachidonsäure und Dihomo-γ-Linolensäure sowie die ω-3-Fettsäure Eicosapentaensäure (EPA). Sie werden aus den essentiellen Fettsäuren Linol- bzw. Linolensäure nach deren Aktivierung zum

entsprechenden Acyl-CoA mit folgenden Reaktionen synthetisiert (s. . Abb. 21.19): 4 In einem ersten Schritt wird dabei durch die Δ6-Desaturase eine neue Doppelbindung eingeführt, so dass Δ6,9,12,15Octadecatetraenoyl-CoA bzw. Δ6,9,12-OctadecatrienoylCoA gebildet wird. 4 Durch Kettenverlängerung um zwei C-Atome entstehen aus der 4fach ungesättigten C18-Fettsäure das Δ8,11,14,17Eicosatetraenoyl-CoA und aus der 3fach ungesättigten C18Fettsäure das Δ8,11,14-Eicosatrienoyl-CoA (Dihomo-γLinolensäure), jeweils mit 20 C-Atomen. 4 In diese Verbindungen wird durch die Δ5-Desaturase je eine weitere Doppelbindung eingeführt. Dabei entstehen das Δ5,8,11,14,17 Eicosapentaenoyl-CoA (EPA-CoA) bzw. das Δ5,8,11,14-Eicosatetraenoyl-CoA, das Arachidonyl-CoA. 4 Die auf diese Weise synthetisierten Acyl-CoAs werden in Membranphospholipide eingebaut und so »gespeichert«. Mit Hilfe ähnlicher Reaktionen gelingt auch die Biosynthese anderer, mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Allerdings kann im

ω-3-Fettsäuren α-Linolenyl-CoA Δ8,11,14,17-Eicosatetraenoyl-CoA Δ5,8,11,14,17-Eicosapentaenoyl-CoA ω-6-Fettsäuren Linoleyl-CoA Δ6,9,12-OctadecatrienoylCoA γ-Linolenyl-CoA Δ8,11,14-Eicosatrienoyl-CoA Dihomo-γ-Linolenyl-CoA Δ5,8,11,14-Arachidonyl-CoA Eicosatetraenoyl-CoA Δ6-Desaturase Elongase

275 21.3 · Regulation von Lipogenese und Lipolyse

tierischen Organismus jede neue Doppelbindung nur zwischen bereits vorhandenen Doppelbindungen und der Carboxylgruppe der Fettsäure eingeführt werden (s. o.). Zusammenfassung 4 Fettsäuren können nur als Thioester mit Coenzym A verstoffwechselt werden. Für diese Reaktion sind Acyl-CoASynthetasen verantwortlich. 4 Da der Fettsäureabbau intramitochondrial lokalisiert ist, ist ein Fettsäuretransport durch die mitochondriale Innenmembran notwendig. Dieser erfolgt ab einer Kettenlänge von 14 C-Atomen als Acylcarnitin nach vorheriger Übertragung des Acylrestes von Acyl-CoA auf Carnitin. Im mitochondrialen Matrixraum findet dann unter Bildung von Acyl-CoA die Rückreaktion statt. 4 Intramitochondrial werden die Fettsäuren in einem sich wiederholenden zyklischen Prozess schrittweise zu Acetyl-CoA abgebaut. Jeder Zyklus dieser β-Oxidation beinhaltet zwei Oxidationsreaktionen, eine Hydratisierung sowie die thiolytische Abspaltung von Acetyl-CoA. 4 Für den Abbau ungesättigter Fettsäuren sind zusätzliche Hilfsreaktionen notwendig, die die Doppelbindungen entfernen. 4 Beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren entsteht Propionyl-CoA, das durch biotin- und cobalaminabhängige Reaktionen in Succinyl-CoA umgewandelt wird. 4 Das bei der β-Oxidation gebildete Acetyl-CoA kann für Biosynthesen verwendet werden, dient aber vorrangig der Energieerzeugung. Beim vollständigen Abbau zu CO2 und H2O ist die Energieausbeute wesentlich höher als beim Abbau von Glucose 4 In den Peroxisomen findet ebenfalls eine β-Oxidation statt, die v. a. der Verkürzung von Fettsäuren mit Kettenlängen über 22 C-Atomen dient. 4 Bei stark gesteigerter β-Oxidation wie bei Nahrungskarenz und Diabetes mellitus entstehen nur in der Leber aus Acetyl-CoA die Ketonkörper als wasserlösliche Derivate von Fettsäuren, die Substrate für eine Reihe extrahepatischer Gewebe sind. 4 Die Fettsäurebiosynthese geht vom Acetyl-CoA aus. Sie ist im Cytosol lokalisiert und findet an einem multifunktionellen Enzym, der Fettsäuresynthase, statt. 4 Mechanistisch handelt es sich dabei um die Umkehr der Reaktionen der β-Oxidation, allerdings bleiben die Substrate und Zwischenprodukte an zwei essentiellen SH-Gruppen der Fettsäuresynthase gebunden und als Reduktionsmittel wird NADPH/H+ verwendet. Das Substrat der Fettsäurebiosynthese ist das durch Carboxylierung von Acetyl-CoA entstehende Malonyl-CoA. 4 In tierischen Zellen können Doppelbindungen in gesättigte Fettsäuren eingefügt werden, allerdings nicht weiter als 9 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt. Aus den essentiellen Fettsäuren Linolsäure und Linolensäure werden durch Einführung neuer Doppelbindungen und 6

Kettenverlängerung mehrfach ungesättigte Fettsäuren synthetisiert. 4 Von besonderer Bedeutung sind dabei mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit 20 C-Atomen, v. a. die Arachidonsäure.

21.3

Regulation von Lipogenese und Lipolyse

21.3.1

Regulation der Bildung und Mobilisation von Triacylglycerinen

Triacylglycerine sind der größte Energiespeicher des Organismus. Deswegen wird der Triacylglycerinstoffwechsel sehr genau reguliert (. Abb. 21.20 und 21.21).

Katecholamine sind die wichtigsten Stimulatoren der Lipolyse Die Behandlung von Fettgewebe mit Katecholaminen löst eine Steigerung der Freisetzung von Fettsäuren und Glycerin um bis das Einhundertfache aus. Dieser durch β-Rezeptoren (7 Kap. 37.2.4) vermittelte Effekt beruht auf einem sehr komplexen Zusammenspiel der an der Lipolyse beteiligten Lipasen (7 Kap. 21.1.2) und der Hüllproteine des Lipidtropfens (7 Kap. 21.1.4): 4 Im unstimulierten Zustand ist der Lipidtropfen von einer Proteinhülle aus Perilipin umgeben, an welches das zweite Hüllprotein CGI-58 gebunden ist. Die in diesem Zustand wenig aktive Adipocytentriacylglycerinlipase (ATGL) ist ebenfalls mit dem Lipidtröpfchen assoziiert, dagegen befindet sich die hormonsensitive Lipase (HSL) im Cytosol. Behandlung mit Katecholaminen setzt über β-Rezeptoren eine Aktivierung der Adenylatcyclase mit Zunahme der cAMPKonzentration in Gang. Die dadurch aktivierte Proteinkinase A phosphoryliert Perilipin und die hormonsensitive Lipase.

. Abb. 21.20 cAMP-abhängige Phosphorylierung von Perilipin und hormonsensitiver Lipase bei der Lipolyse. HSL: hormonsensitive Lipase; CGI-58, Perilipin: Hüllproteine von Lipidtröpfchen; ATGL: Adipocyten-Triacylglycerinlipase; PKA: Proteinkinase A. (Einzelheiten s. Text)

21

276

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

Kost steigt die Aktivität der für die Triacylglycerinbiosynthese verantwortlichen Enzyme dagegen dramatisch an. Da diese erst seit kurzer Zeit charakterisiert sind, ist über ihre Regulation im Gegensatz zum lipolytischen System noch relativ wenig bekannt (. Abb. 21.21): 4 Die Glycerin-3-Phosphat-Acyltransferase (GPAT) wird durch Insulin induziert, wobei die Beteiligung des Transkriptionsfaktors SREBP-1c (7 Kap. 15.3.1) gesichert ist. Außerdem wird das Enzym durch Interkonvertierung reguliert, es kann durch Proteinkinase A phosphoryliert und damit inaktiviert werden. Auch die AMP-abhängige Proteinkinase (AMPK, 7 Kap. 38.1.1) ist zur Inaktivierung der GPAT imstande. 4 Die Phosphatidatphosphohydrolase (PH) wird durch Acyl-CoA aktiviert. 4 Da Diacylglycerin an einer Verzweigungsstelle der Lipidbiosynthese steht, muss angenommen werden, dass auch die Diacylglycerin-Acyltransferase (DGAT) reguliert wird. Behandlung von Zellen mit Insulin und Glucose führt zu einer Zunahme der DGAT-Aktivität, über die zugrunde liegenden Mechanismen ist jedoch noch nichts bekannt. 21.3.2

Regulation der β-Oxidation und Fettsäurebiosynthese

Die Geschwindigkeit der β-Oxidation der Fettsäuren wird hauptsächlich durch die Aktivität der CarnitinPalmityltransferase 1 reguliert

. Abb. 21.21 Regulation der Lipogenese. AMPK: AMP-abhängige Proteinkinase; DGAT: Diacylglycerin-Acyltransferase; DHAP: Dihydroxyacetonphosphat; GPAT: Glycerin-3-Phosphat-Acyltransferase; LPAT: LysophosphatidatAcyltransferase; PH: Phosphatidatphosphohydrolase; PKA: Proteinkinase A; SREBP: sterol response element binding protein. Dicke grüne Pfeile bedeuten Induktion, dünne grüne Pfeile Aktivierung. (Einzelheiten s. Text)

4 CGI-58 wird nicht mehr vom phosphorylierten Perilipin gebunden und wirkt jetzt als Aktivator der ATGL. Die Spaltung von Triacylglycerinen zu Diacylglycerinen beginnt. 4 Die HSL wird durch die Phosphorylierung aktiviert und bindet über das phosphorylierte Perilipin an den Lipidtropfen. Die Spaltung von Diacylglycerinen wird in Gang gesetzt.

21

Sinkt der cAMP-Spiegel, z. B. bei erhöhten Insulinkonzentrationen, werden Perilipin und HSL durch die Proteinphosphatase PP1 dephosphoryliert und damit die Lipolyse abgeschaltet.

Die Enzyme der Lipogenese werden durch den Ernährungszustand und Hormone reguliert Viele experimentelle Daten haben eindeutig gezeigt, dass die Aktivität der Triacylglycerinbiosynthese in vielen Geweben vom Ernährungszustand abhängig ist. Bei Nahrungskarenz werden keine Triacylglycerine synthetisiert. Bei kohlenhydratreicher

Intrazelluläre Fettsäuren liegen, unabhängig davon ob sie durch die Plasmamembran aufgenommen bzw. durch Lipolyse oder Biosynthese erzeugt wurden, zunächst im Cytoplasma vor. Sie werden dort durch die Acyl-CoA-Synthetase in Acyl-CoA umgewandelt und verschiedenen Stoffwechselwegen zugeführt. Für ihre Oxidation in der mitochondrialen Matrix ist eine Umesterung auf Carnitin unter Bildung von Acylcarnitin mit der Carnitin-Palmityltransferase 1 (7 Kap. 21.2.1) notwendig. Dies ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der β-Oxidation der Fettsäuren. Das Enzym wird durch folgende Mechanismen reguliert (. Abb. 21.22): 4 Malonyl-CoA ist ein Inhibitor der Carnitin-Palmityltransferase 1. Hohe Spiegel von Malonyl-CoA treten immer bei gesteigerter Fettsäurebiosynthese auf (7 Kap. 21.2.3). Unter diesen Umständen wäre es sinnlos, die synthetisierten Fettsäuren der Oxidation zuzuführen. 4 Langkettige Fettsäuren steigern die Expression der Carnitin-Palmityltransferase 1. Hierfür ist der ligandenaktivierte Transkriptionsfaktor PPARα (peroxisome proliferator activated receptor) verantwortlich, der möglicherweise durch die Bindung von Metaboliten langkettiger Fettsäuren aktiviert wird. PPARα wird außerdem durch eine als Fibrate bezeichnete Gruppe von Arzneimitteln aktiviert, die zur Bekämpfung von Hyperlipidämien eingesetzt werden, weil sie u. a. zu einer Peroxisomenproliferation führen (Name von PPAR!). 4 Schilddrüsenhormone induzieren die Expression der Carnitin-Palmityltransferase 1. Dies dient dazu, den unter dem

277 21.3 · Regulation von Lipogenese und Lipolyse

. Abb. 21.22 Regulation der β-Oxidation der Fettsäuren sowie der Fettsäurebiosynthese. AMPK: AMP-abhängige Proteinkinase; PPAR: Peroxisomen Proliferator Aktivator Rezeptor; PUFA (engl. polyunsaturated fatty acids): mehrfach ungesättigte langkettige Fettsäuren; PDH: Pyruvatdehydrogenase; PKA: Proteinkinase A. Dicke Pfeile bedeuten Induktion (grün) bzw. Repression (rot), dünne Pfeile Aktivierung (grün) bzw. Hemmung (rot). (Einzelheiten s. Text)

Einfluss von Schilddrüsenhormonen erhöhten Energiebedarf durch Steigerung der β-Oxidation der Fettsäuren zu decken. Die in die mitochondriale Matrix translozierten Fettsäuren werden überwiegend von den dort lokalisierten Enzymen der β-Oxidation zu Acetyl-CoA abgebaut und in den Citratzyklus eingeschleust. Es gibt experimentelle Hinweise dafür, dass auch einige der Enzyme der β-Oxidation durch PPARα induziert werden.

Die Fettsäurebiosynthese wird auf der Stufe der Pyruvatdehydrogenase, der Acetyl-CoA-Carboxylase und der Fettsäuresynthase reguliert Pyruvatdehydrogenase Bei fettarmer Ernährung müssen Fettsäuren aus Glucose synthetisiert werden. Dabei wird das durch Glycolyse erzeugte Pyruvat intramitochondrial durch die Pyruvatdehydrogenase in Acetyl-CoA umgewandelt. Anschließend kann der Acetylkohlenstoff in Form von Citrat aus den Mitochondrien ausgeschleust werden und dient dann der Fettsäurebiosynthese (7 Kap. 21.2.3). Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in dieser Reaktionsfolge ist die Pyruvatdehydrogenase,

die in einer phosphorylierten inaktiven und einer dephosphorylierten aktiven Form vorkommt (7 Abb. 18.5). In Geweben, die eine aktive Lipogenese betreiben, besteht eine direkte Proportionalität zwischen dem aktiven Anteil der Pyruvatdehydrogenase und der Geschwindigkeit der Fettsäurebiosynthese. Dies zeigt sich besonders deutlich am Fettgewebe, wo eine lebhafte Lipogenese aus Kohlenhydraten stattfinden kann. Hier spielt Insulin (7 Kap. 36.5) eine entscheidende Rolle: 4 Insulin beschleunigt den Glucosetransport in die Fettzelle und erhöht dadurch das Pyruvatangebot als Substrat für die mitochondriale Pyruvatdehydrogenase. 4 Unter dem Einfluss von Insulin wird die Pyruvatdehydrogenase aus der inaktiven in die aktive Form überführt. Ohne Insulin, also im Hunger oder bei Diabetes mellitus, liegen weniger als 10 % der Pyruvatdehydrogenase des Fettgewebes in der aktiven Form vor. Neben der hormonellen findet auch eine metabolische Regulation der Pyruvatdehydrogenase statt. Die im Hunger und bei

Insulinmangel auftretende Lipolyse (7 Kap. 38.1.4) führt zu einer Beschleunigung der β-Oxidation mit Erhöhung der intramitochondrialen Quotienten Acetyl-CoA/CoA-SH und NADH/

21

278

Kapitel 21 · Lipogenese und Lipolyse – Bildung und Verwertung der Fettspeicher

NAD+. Änderungen dieser Quotienten führen zu einer Hemmung der Aktivität des Pyruvatdehydrogenasekomplexes (7 Kap. 18.2). Acetyl-CoA-Carboxylase Die Acetyl-CoA-Carboxylase ist das

geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Fettsäurebiosynthese aus Acetyl-CoA. Es unterliegt einer komplexen Regulation durch allosterische Effektoren, covalente Modifikation und Beeinflussung seiner Genexpression (. Abb. 21.22): 4 Die Acetyl-CoA-Carboxylase kommt in einer inaktiven monomeren Form und einer aktiven polymeren Form vor. Das aktive polymere Enzym setzt sich aus 10–20 Protomeren zusammen und erscheint im Elektronenmikroskop als filamentöse Struktur. Der Übergang in die aktive, polymere Form wird in vitro durch Tricarboxylatanionen, besonders Citrat, stimuliert. 4 Acyl-CoA ist ein Inhibitor der Acetyl-CoA-Carboxylase. Das Auftreten dieses Metaboliten bedeutet, dass der AcylCoA-Pool aufgefüllt ist und eine weitere Fettsäuresynthese nicht notwendig ist. 4 Die Acetyl-CoA-Carboxylase kann durch die AMP-abhängige Proteinkinase (7 Kap. 38.1.1) phosphoryliert und inaktiviert werden. Damit wird verhindert, dass bei einem zellulären Energiemangel mit Erhöhung der AMP-Spiegel Fettsäuren synthetisiert werden. 4 Besonders am Herz- und Skelettmuskel ist eine Phosphorylierung der Acetyl-CoA-Carboxylase mit der cAMP-abhängigen Proteinkinase A beschrieben worden. Dies erklärt die Hemmung der Fettsäuresynthese durch Katecholamine. 4 Schließlich wird die Acetyl-CoA-Carboxylase durch Glucose und Insulin induziert und durch Acyl-CoA reprimiert. Diese Regulation gewährleistet, dass bei überschüssiger Zufuhr von Nahrungsstoffen, insbesondere von Kohlenhydraten, eine Speicherung dieser Nahrungsstoffe in Form von Fettsäuren und Triacylglycerinen erfolgen kann.

21

Fettsäuresynthase Anders als bei der Pyruvatdehydrogenase und der Acetyl-CoA-Carboxylase ist für die Fettsäuresynthase keine Regulation durch allosterische Effektoren oder Interkonvertierung bekannt. Das Enzym wird aber durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren induziert oder reprimiert ( . Abb. 21.22): 4 Insulin ist zusammen mit Glucose ein starker Induktor der Fettsäuresynthase, wobei wiederum der Transkriptionsfaktor SREBP-1c beteiligt ist. Dies erklärt die starke Zunahme der Fettsäurebiosynthese bei kohlenhydratreicher und fettarmer Ernährung. 4 Hormone, die zu einer Steigerung der cAMP-Konzentration führen, z. B. Katecholamine oder Glucagon, reprimieren die Fettsäuresynthase. 4 Langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind starke Repressoren der Fettsäuresynthase.

Diese Regulationsmechanismen erlauben eine wirkungsvolle Anpassung der Fettsäurebiosynthese und damit der Lipogenese an das Nahrungsmittelangebot und gewährleisten eine Hemmung der Fettsäuresynthese bei Nahrungskarenz.

Zusammenfassung Substratzufuhr bzw. Substratmangel bestimmen das Verhältnis von Lipogenese bzw. Lipolyse. Nahrungskarenz führt zu einer Inaktivierung der lipogenetischen und zu einem Überwiegen der lipolytischen Enzyme. Die cAMP-abhängige Proteinkinase A phosphoryliert das Hüllprotein Perilipin, was zu einer Freisetzung des Proteins CG-58 führt, das jetzt als Aktivator der Adipocyten-Triacylglycerinlipase wirkt. Die cAMP-abhängige Proteinkinase A phosphoryliert und aktiviert die hormonsensitive Lipase und stimuliert die Lipolyse. Für die Lipogenese ist das Insulin als Aktivator der Glycerin3-Phosphat-Acyltransferase wichtig. Dieses Enzym wird außerdem durch Phosphorylierung inaktiviert, wofür die Proteinkinase A und die AMP-aktivierte Proteinkinase verantwortlich sind. Die Phosphatidatphosphohydrolase wird durch Acyl-CoA aktiviert. Die Translokation von Acylresten durch das Carnitin-Acylcarnitin-System der Mitochondrienmembranen ist für die β-Oxidation der Fettsäuren limitierend. Die geschwindigkeitsbestimmende Carnitin-Palmityltransferase 1 wird durch Malonyl-CoA gehemmt und durch Schilddrüsenhormone und Liganden des Transkriptionsfaktors PPARα induziert. Die Acetyl-CoA-Carboxylase ist das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Fettsäuresynthese. Sie wird durch AcylCoA gehemmt und durch Citrat aktiviert. Reversible Phosphorylierung durch die AMP-abhängige Proteinkinase und Proteinkinase A führt zur Inaktivierung. Insulin und Glucose sind starke Induktoren, Acyl-CoA ist ein Repressor des Enzyms. Insulin und Glucose induzieren die Fettsäuresynthase, cAMP und mehrfach ungesättigte Fettsäuren reprimieren sie.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

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22 Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden Georg Löffler

Einleitung Amphiphile Lipide wie Phosphoglyceride und Sphingolipide sind Bausteine aller zellulären Membranen. Sie verfügen neben den für Lipide typischen hydrophoben Alkanketten auch über hydrophile, polare und geladene Gruppen und können somit die für Membranen typischen Doppelschichten ausbilden. Auch Cholesterin, das in 7 Kap. 3 und 23 beschrieben wird, ist ein essentieller Bestandteil aller tierischen Membranen mit Ausnahme der mitochondrialen Innenmembran. Lipide sind aber auch Ausgangspunkt für die Biosynthese einer großen Zahl biologisch aktiver Moleküle. So werden aus Phosphoglyceriden und Sphingolipiden wichtige Signalmoleküle gebildet und Derivate ungesättigter Fettsäuren bilden die Gruppe der als Eicosanoide bezeichneten Gewebshormone. Schwerpunkte 4 Biosynthese der Phosphoglyceride 4 Phospholipasen und Lysophospholipide 4 Synthese und Abbau von Sphingomyelin, Cerebrosiden, Sulfatiden und Gangliosiden 4 Von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden abgeleitete Signalmoleküle 4 Prostaglandine, Thromboxane und Leukotriene

22.1

Synthese und Abbau von Phosphoglyceriden

Phosphoglyceride (7 Kap. 3.2.3) gehören ebenso wie Sphingolipide (7 Kap. 3.2.4) in die Kategorie der amphiphilen Lipide, da ihre Kopfgruppen hydrophil, die Alkanketten ihrer Fettsäurereste jedoch hydrophob sind. Dies erklärt ihre besondere Bedeutung für die Synthese von zellulären Membranen, deren strukturelle Basis eine Lipiddoppelschicht ist (7 Kap. 3.2.6 und 11.1). Unter dem gelegentlich verwendeten Begriff der Phospholipide fasst man die phosphathaltigen amphiphilen Lipide zusammen. Es handelt sich dabei um die Phosphoglyceride und die Sphingomyeline.

22.1.1

Unterschiedliche Synthesewege von Phosphoglyceriden

Für die Biosynthese von Phosphoglyceriden werden CDP-aktivierte Zwischenprodukte benötigt In den ersten Reaktionen gleichen sich die Biosynthesewege von Phosphoglyceriden und Triacylglycerinen. Mit Hilfe von Enzymen, die im glatten endoplasmatischen Retikulum lokalisiert

sind, muss zunächst durch Veresterung von zwei Hydroxylgruppen des Glycerin-3-Phosphats mit zwei Molekülen Acyl-CoA ein Phosphatidat hergestellt werden (7 Kap. 21.1.4). An dieses müssen nun die für Phosphoglyceride typischen hydrophilen Gruppen geknüpft werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um 4 Cholin, 4 Ethanolamin, 4 Serin oder 4 den zyklischen Alkohol Inositol. Die hierzu benutzten Biosynthesewege unterscheiden sich beträchtlich (. Abb. 22.1): Biosynthese von Phosphatidylcholin bzw. -ethanolamin Hierbei muss zunächst durch Abspaltung des Phosphats aus dem Phosphatidat ein 1,2-Diacylglycerin gebildet werden. Anschließend werden Cholin bzw. Ethanolamin in einer ATP-abhängigen Reaktion phosphoryliert, sodass Phosphorylcholin bzw. Phosphorylethanolamin entstehen. Ähnlich der Aktivierung bei der Biosynthese von Zuckern (7 Kap. 16.1.1) wird im nächsten Schritt ein Nucleotidderivat von Cholin bzw. Ethanolamin hergestellt. Phosphorylcholin bzw. Phosphorylethanolamin reagieren hierbei unter Pyrophosphatabspaltung mit Cytidintriphosphat (CTP), sodass Cytidindiphosphatcholin bzw. Cytidindiphosphatethanolamin (CDP-Cholin, CDP-Ethanolamin) entstehen. Das dabei beteiligte Enzym ist die CTP-Phosphorylcholin- (bzw. Phosphorylethanolamin-)Cytidyltransferase. Im letzten Schritt der Biosynthese reagieren diese »aktivierten« Verbindungen mit dem 1,2-Diacylglycerin, sodass unter CMP-Abspaltung Phosphatidylcholin bzw. Phosphatidylethanolamin entstehen. Phosphatidylserin wird durch eine Austauschreaktion aus Phosphatidylethanolamin gebildet. Biosynthese von Phosphatidylinositol Hierbei reagiert zunächst

Phosphatidat mit Cytidintriphosphat, wobei wiederum unter Abspaltung von Pyrophosphat CDP-Diacylglycerin gebildet wird. Dieses reagiert unter Abspaltung von CMP mit Inositol, sodass Phosphatidylinositol (7 Kap. 3, Tafel II.3) entsteht. Damit spielt das CTP bei der Biosynthese der Phosphoglyceride eine ähnlich entscheidende Rolle wie das UTP bei der Biosynthese von Polysacchariden (7 Kap. 16.1.1). Entsprechende Nucleotidderivate müssen als aktivierte Zwischenprodukte vorliegen, damit die Biosynthese erfolgen kann. Ein Phosphoglycerid, das in besonders großer Menge in der mitochondrialen Innenmembran, daneben aber auch in der Wand von Bakterien vorkommt, ist das Diphosphatidylglycerin oder Cardiolipin (7 Kap. 3.2.3). Es entsteht durch Reaktion von

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

22

280

22

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

. Abb. 22.1 Biosynthese der Phosphoglyceride. Das benötigte Glycerin-3-Phosphat entsteht durch Reduktion von Dihydroxyacetonphosphat oder in den Geweben, die über eine Glycerinkinase verfügen, durch Phosphorylierung von Glycerin (7 Kap. 21.1.4). (Einzelheiten s. Text)

Glycerin# Glycerinkinase Glycerin-3-Phosphat# Glycerin-3-Phosphat-Dehydrogenase Dihydroxyacetonphosphat# Glycerin-3-Phosphat-Acyltransferase LysophosphatidatAcyltransferase Cholin-Kinase 1,2-Diacylphosphoglycerid# Phosphatidsäure# Phosphatidat-Cytidyltransferase Phosphorylcholin-Cytidyltransferase 1,2-Diacylglycerin# CDP-Diacylglycerin# CDP-Diacylglycerin-Inositoltransferase CDP-Cholin CDP-Ethanolamin# CDP-Cholin-Diacylglycerintransferase CDP-Ethanolamin-Diacylglycerintransferase Phosphatidylinositol# Cholin# Phosphatidylcholin# Ethanolamin# Phosphatidylethanolamin#

281 22.1 · Synthese und Abbau von Phosphoglyceriden

In manchen Organen, z. B. im Nervengewebe oder in der Leber, haben Phosphoglyceride einen besonders hohen Umsatz. Dieser wird dann nicht nur durch de novo-Synthese aus den einzelnen Bauteilen oder durch Überführung einzelner Phosphoglyceride ineinander gedeckt, sondern zum Teil auch durch Resynthese aus nur teilweise abgebauten Phosphoglyceriden betrieben. Diesem Zweck dient der in . Abb. 22.4 am Beispiel des Phosphatidylcholins dargestellte Acylierungszyklus. Unter Einwirkung einer Phospholipase A2 (7 Kap. 22.1.2) entsteht das entsprechende Lysophosphoglycerid, in diesem Fall das Lysophosphatidylcholin. Dieses kann durch direkte Acylierung mit AcylCoA wieder zu Phosphatidylcholin umgewandelt werden. Auf diese Weise ist ein rascher Austausch von Acylresten in Phosphoglyceriden möglich. Ein weiteres, den Acylaustausch katalysierendes Enzym ist die im Blut vorkommende Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT 7 Kap. 24.2).

Etherlipide sind Phosphoglyceride mit langkettigen Alkylresten Etherlipide sind Phosphoglyceride, bei denen eine der Acylket-

. Abb. 22.2 Biosynthese von Cardiolipin

CDP-Diacylglycerin mit Glycerin-3-Phosphat unter Bildung von Phosphatidylglycerinphosphat und Abspaltung von CMP. Das Phosphatidylglycerinphosphat entspricht einer Phosphatidsäure, bei der der Phosphatrest als Diester mit einem Molekül Glycerin3-Phosphat verbunden ist. Durch hydrolytische Abspaltung des Phosphats entsteht Phosphatidylglycerin, welches mit einem weiteren Molekül CDP-Diacylglycerin unter Bildung des Diphosphatidylglycerins reagiert (. Abb. 22.2).

Die verschiedenen Phosphoglyceride können ineinander überführt werden Phosphoglyceride stellen integrale Bauteile aller biologischen Membranen dar. Dabei ist das Verhältnis der verschiedenen Phosphoglyceride untereinander von großer Bedeutung für den Funktionszustand der jeweiligen Membranen. Um jederzeit ausreichende Mengen von Phosphoglyceriden zur Verfügung zu haben, besteht außer der oben geschilderten de novo-Synthese aus den einzelnen Bauteilen die Möglichkeit der Umwandlung einzelner Phosphoglyceride ineinander (. Abb. 22.3). Hier nimmt das Phosphatidylethanolamin eine zentrale Position ein. Es kann durch dreifache Methylierung am Stickstoff in Phosphatidylcholin umgewandelt werden. Der Reaktionspartner ist das S-Adenosylmethionin (7 Kap. 27), das dabei in Adenosylhomocystein umgewandelt wird. Durch Austausch von Ethanolamin gegen Serin kann aus Phosphatidylethanolamin Phosphatidylserin entstehen. In einer weiteren Reaktion kann schließlich Phosphatidylserin decarboxyliert werden (7 Kap. 27.2.4), wobei Phosphatidylethanolamin entsteht. Cardiolipin (Diphosphatidylglycerin)#

ten durch einen langkettigen Alkohol ersetzt und über eine Etherbindung anstelle einer Esterbindung mit dem Glycerinrest verbunden ist. Ihre Biosynthese ist in . Abb. 22.5 dargestellt: 4 Dihydroxyacetonphosphat wird zunächst in Position 1 mit Acyl-CoA acyliert. 4 Danach wird die Esterbindung mit einem langkettigen Alkohol (meist C16 oder C18) unter Einführung einer Etherbindung gespalten, sodass 1-Alkyl-Dihydroxyacetonphosphat entsteht. 4 Nach Reduktion der Ketogruppe zum 1-Alkyl-Glycerin3-Phosphat folgen die Acylierung, meist mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren, und die Anheftung einer Ethanolamin- bzw. (seltener) Cholingruppe.

Die so gebildeten 1-Alkylphosphoglyceride können durch Einführung einer der Etherbindung benachbarten Doppelbindung in Alkenylphosphoglyceride oder Plasmalogene umgewandelt werden. Die ersten drei Schritte dieser Biosynthese erfolgen in Peroxisomen, die weiteren im endoplasmatischen Retikulum. 20–30 % der Phospholipide im Zentralnervensystem, dem Herzmuskel oder der Skelettmuskulatur sind Etherlipide, v. a. Plasmalogene. Über ihre physiologische Funktion ist wenig bekannt. So sollen Plasmalogene zur Stabilisierung zellulärer Membranen beitragen und vor oxidativem Stress schützen. Da plasmalogenspezifische Phospholipasen A2 (7 Kap. 22.1.2) nachgewiesen werden konnten, dienen Plasmalogene als Lieferanten mehrfach ungesättigter Fettsäuren, besonders des Eicosanoidpräkursors Arachidonat. Der in 7 Abb. 69.2 dargestellte blutplättchenaktivierende Faktor platelet activating factor (PAF) ist ein derartiges Etherlipid. Es löst bereits in einer Konzentration von 10–11 mol/l (!) die Aggregation von Thrombocyten aus. Neben dieser Wirkung ist er als Mediator an Entzündungsreaktionen und an der Regulation des Blutdrucks beteiligt. Als sehr seltene Erkrankungen kommen Defekte des peroxisomalen Teils der Plasmalogenbiosynthese vor. Sie sind durch

22

282

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

. Abb. 22.3 Umwandlungen der N-haltigen Phosphoglyceride. SAM: S-Adenosylmethionin, SAH: S-Adenosylhomocystein

22.1.2

. Abb. 22.4 Acylierungszyklus des Phosphatidylcholins. Durch eine Phospholipase A2 wird Phosphatidylcholin in Lysophosphatidylcholin umgewandelt, welches wiederum mit Acyl-CoA acyliert werden kann. R1, R2, Rʹ2: Acylreste

22

stark erniedrigte Plasmalogenkonzentrationen in den Geweben gekennzeichnet und lösen das Krankheitsbild der rhizomelischen Form der Chondrodystrophia punctata aus. Das Krankheitsbild geht mit Wachstumsstörungen der Gliedmaßen, geistiger Retardierung und schweren Myelinisierungsstörungen des Nervensystems einher.

Hydrolytische Spaltung von Phosphoglyceriden durch Phospholipasen

Für den Abbau von Phosphoglyceriden sind Phospholipasen verantwortlich. Diese sind imstande, je eine der vier in Phosphoglyceriden vorkommenden Esterbindungen zu spalten (. Abb. 22.6): 4 Die Phospholipasen A1 bzw. A2 spalten die Fettsäurereste an den Positionen 1 bzw. 2 des Glycerinanteils der Phosphoglyceride ab. Dabei entstehen die entsprechenden Lysophosphoglyceride, die hauptsächlich durch Lysophospholipasen weiter abgebaut werden können (. Abb. 22.7). 4 Durch die Phospholipase B werden beide Acylreste von Phosphoglyceriden abgespalten. Gelegentlich wird auch ein Gemisch der Phospholipasen A1 und A2 als Phospholipase B bezeichnet. 4 Phospholipasen des Typs C spalten die Phosphorsäurediesterbindung zum Glycerinrest, wobei die entsprechenden phosphorylierten Alkohole gebildet werden. 4 Phospholipasen des Typs D spalten die Phosphorsäurediesterbindung zur hydrophilen Kopfgruppe. Reaktionsprodukte sind Phosphatidate und die jeweiligen freien Kopfgruppen. Grundsätzlich kann man dabei zwischen sezernierten, extrazellulär wirkenden und intrazellulären Phospholipasen unterscheiden. Extrazelluläre Phospholipasen Extrazelluläre Phospholipasen

kommen vor: 4 im Intestinaltrakt, wo sie für die Hydrolyse der mit der Nahrung aufgenommenen Phospholipide verantwortlich sind, 4 in den Giften von Schlangen, Bienen, Spinnen und Skorpionen, 4 als Sekrete von vielen pathogenen Mikroorganismen.

Phosphatidylserin# Phosphatidylethanolamin# Phosphatidylcholin# Acyl-CoA# Lysophosphatidylcholin# Phospholipase A_2 Acyltransferase

283 22.1 · Synthese und Abbau von Phosphoglyceriden

. Abb. 22.5 Biosynthese von 1-Alkyl-Phosphatidylethanolamin und des zugehörigen Plasmalogens. (Einzelheiten s. Text)

. Abb. 22.6 Spaltstellen der Phospholipasen A1, A2, C und D im Phosphatidylcholin

Als Gifte von verschiedenen Organismen (Hymenopteren, Spinnen u. a.) gebildete extrazelluläre Phospholipasen des Typs A erzeugen Lysophosphoglyceride, besonders Lysophosphatidylcholin, welche die Membranen der roten Blutkörperchen hämolysieren. Ein Teil der biologischen Wirkung der genannten Gifte lässt sich mit der in großem Umfang stattfindenden Lysophosphoglyceridbildung in den biologischen Membranen erklären. Intrazelluläre Phospholipasen Intrazelluläre Phospholipasen sind für den Ab- bzw. Umbau von den als Membranbestandteile dienenden Phosphoglyceriden verantwortlich. Von besonderer Bedeutung ist ihre Funktion bei der Gewinnung vielfältiger Signalmoleküle (Lipidmediatoren, 7 Kap. 22.3.1). Intrazelluläre Phospholipasen bilden große Enzymfamilien: 4 Phospholipasen A1 (PLA1) sind für den Abbau von Phosphoglyceriden der Membranen verantwortlich. Über weitere Funktionen ist wenig bekannt. 4 Phospholipasen A2 (PLA2) haben vielfältige Funktionen. Man unterscheidet:

. Abb. 22.7 Abbau von Lysophosphatidylcholin. Lysophosphatidylcholin wird durch eine Lysophospholipase zu Glycerinphosphorylcholin gespalten und dieses durch eine Esterase in Glycerin-3-Phosphat und Cholin zerlegt

5 Cytosolische, Ca2+-abhängige PLA2 (cPLA2). Die ver-

schiedenen Mitglieder dieser Gruppe spalten bevorzugt Phosphoglyceride mit Arachidonat in der Position 2 und liefern damit das Substrat für die Biosynthese von Eicosanoiden (7 Kap. 21.2.4). Eine Erhöhung der cytosoli-

Dihydroxyacetonphosphat# 1-Alkenyl-Phosphatidylethanolamin# Plasmalogen# Acyl-CoA# CDP-Ethanolamin# 1-Alkyl-Phosphatidylethanolamin# Lysophosphatidylcholin# Lysophospholipase Glycerinphosphorylcholin# Glycerinphosphorylcholinesterase Glycerin-3-Phosphat#

22

284

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

schen Calciumkonzentration löst eine Translokation der PLA2 an zelluläre Membranen und damit die Aktivierung der Enzyme aus. Die Bindung an Membranphospholipide wird außerdem durch Phosphorylierung des Enzyms verstärkt. Als hierfür verantwortliche Proteinkinasen konnten die MAP-Kinase und die CaM-Kinase II identifiziert werden (7 Kap. 35.4.1). 5 Cytosolische, calciumunabhängige PLA2 (iPLA2). Die verschiedenen Mitglieder dieser Gruppe von Phospholipasen sind nicht spezifisch für Arachidonat an der Position 2 und benötigen kein Calcium für ihre Aktivität. Ihre Funktion ist wahrscheinlich der Ab- bzw. Umbau von Membranlipiden. 5 Lysosomale Phospholipase A2. Die lysosomale PLA2 ist ein ubiquitär vorkommendes Enzym, wobei sich die höchsten Aktivitäten in alveolären Makrophagen befinden. Die genetische Ausschaltung der lysosomalen PLA2 führt bei Mäusen zu einer schweren Lipidspeicherkrankheit. 5 PAF-Acetylhydrolase. Diese aus zwei Isoenzymen bestehende Gruppe von Phospholipasen spaltet spezifisch den Acetylrest des platelet activating factors (PAF 7 Kap. 69.1.2) ab und inaktiviert diesen. 4 Phospholipasen C (PLC). Von dieser Gruppe von Phospholipasen sind bis jetzt 6 Isoformen entdeckt worden (PLCβ, γ, δ, ε, ζ und η). Die besondere Bedeutung dieser Enzyme ist ihre Substratspezifität. Sie hydrolysieren Phosphatidylinositolbisphosphat und setzen dabei die Lipidmediatoren Diacylglycerin und Inositoltrisphosphat frei (7 Kap. 33.4.2 und 35.3.3). Die verschiedenen PLC-Isoenzyme werden durch unterschiedliche G-Proteine reguliert. 4 Phospholipasen D. Diese Phospholipasen kommen bei Säugetieren in zwei Isoformen (PLD1 und PLD2) vor, die durch verschiedenste Faktoren (G-Proteine, Calcium, Inositoltrisphosphat u. a.) reguliert werden. Sie spielen bei der Synthese der als Signalmoleküle dienenden Lysophosphatidate eine Rolle (7 Kap. 22.3.1). Zusammenfassung Phosphoglyceride sind für den Aufbau aller zellulären Membranen unerlässlich. Für ihre Biosynthese 4 reagieren Diacylglycerine mit CDP-aktiviertem Cholin bzw. Ethanolamin unter Bildung von Phosphatidylcholin bzw. -ethanolamin und 4 reagiert Inositol mit CDP-aktiviertem Diacylglycerin zu Phosphatidylinositol, 4 wird Phosphatidylserin durch Austausch der alkoholischen Gruppe aus Phosphatidylethanolamin gebildet.

22

Plasmalogene, z. B. PAF (platelet activating factor), sind Phosphoglyceride, die einen langkettigen Alkohol in Etherbindung gebunden haben. Lysophospholipide entstehen aus Phosphoglyceriden durch enzymatische Entfernung eines Acylrestes. 6

Die amphiphilen Lipide in Membranen befinden sich in einem dynamischen Zustand. Sie unterliegen einem permanenten Umbau, der auch ihren Abbau durch Phospholipasen beinhaltet. Für jede der 4 Esterbindungen von Phosphoglyceriden kommen jeweils spezifische Phospholipasen vor. Phospholipasen bilden große Enzymfamilien, deren Aktivität durch viele, auch hormonelle Faktoren reguliert wird. Sie sind damit auch für die Erzeugung von Lipidmediatoren verantwortlich.

22.2

Synthese und Abbau von Sphingolipiden

22.2.1

Bildung von Sphingolipiden

Sphingolipide enthalten als Alkohol Sphingosin 1874 entdeckte der deutsche Arzt Johann Ludwig Thudichum im Nervengewebe eine neue Lipidart, die er wegen ihrer für ihn rätselhaften Funktion nach der griechischen Sagenfigur Sphinx als Sphingolipide bezeichnete. Heute weiß man, dass Sphingolipide 10–20 % der Membranlipide ausmachen und essentielle Funktionen haben, da die genetische Ausschaltung der Sphingolipidsynthese zum Zelltod führt. In den Sphingolipiden ist das Glycerin der Phosphoglyceride durch den Aminodialkohol Sphingosin ersetzt (über die Zusammensetzung der verschiedenen Sphingolipide 7 Kap. 3, 7 Tafel II.4). Die Sphingolipidbiosynthese erfolgt im endoplasmatischen Retikulum und im Golgi-Apparat, wobei allerdings Sphingosin nicht als Zwischenprodukt auftritt. Zunächst wird nämlich an der cytosolischen Seite des endoplasmatischen Retikulums als gemeinsames Zwischenprodukt Ceramid synthetisiert (. Abb. 22.8): 4 Palmityl-CoA reagiert in einer pyridoxalphosphatabhängigen Reaktion unter CO2-Abspaltung mit Serin, wobei 3-Ketosphinganin entsteht. 4 Dieses wird an der Ketogruppe reduziert und reagiert dann mit Acyl-CoA, wobei das Dihydroceramid entsteht. Je nach Sphingolipid variiert die Länge der Acylreste von 14–24 CAtomen mit maximal einer Doppelbindung. 4 In einer FAD-abhängigen Reaktion wird Dihydroceramid zu Ceramid oxidiert. Ceramid ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese aller Sphingolipide, die im Golgi-Apparat stattfindet: 4 Sphingomyelin wird nach dem Transfer von Ceramid vom endoplasmatischen Retikulum auf die luminale Seite der Golgi-Membran synthetisiert. Dazu reagiert es mit Phosphatidylcholin, wobei Sphingomyelin und Diacylglycerin entstehen (. Abb. 22.9). Das verantwortliche Enzym ist die Sphingomyelinsynthase. 4 Ebenfalls an der luminalen Seite des Golgi-Apparats werden Glycosphingolipide wie Glucosylceramide, Galactosylceramide und Sulfatide synthetisiert (. Abb. 22.9). Ceramid reagiert zunächst mit UDP-Galactose (7 Kap. 16.1.3) unter Abspaltung von UDP. Dabei entsteht das mit Galactose substituierte Sphingolipid, das Galactosylceramid

285 22.2 · Synthese und Abbau von Sphingolipiden

22

Seite des Golgi-Apparats ein aus UDP-Glucose stammender Glucosylrest an das Ceramid geheftet. Das entstandene Glucosylceramid wird anschließend auf die luminale Seite des Golgi-Apparats transloziert, wo die weitere Anheftung von Monosaccharidresten zur Biosynthese von Gangliosiden erfolgt (7 Kap. 3, 7 Tafel II.4). Wie bei den Heteropolysacchariden dienen UDP-aktivierte Zucker, im Fall der N-Acetylneuraminsäure die CMP-N-Acetylneuraminsäure, als aktivierte Bausteine. 22.2.2

Hydrolyse der Sphingolipide

Der Abbau der Sphingolipide erfolgt hauptsächlich in den Lysosomen Ähnlich wie die Phosphoglyceride haben auch Sphingolipide einen raschen Umsatz, der die Dynamik der Zellmembranstrukturen widerspiegelt. Für ihren Abbau sind eine Reihe lysosomaler Hydrolasen verantwortlich. Das Problem, wie diese wasserlöslichen Enzyme mit den Sphingolipiden in den Membranen und Membranvesikeln interagieren, wird von der Zelle offensichtlich so gelöst, dass hierfür zusätzliche Sphingolipidaktivatorproteine (SAPs) benötigt werden. Es handelt sich um Glykoproteine, die die abzubauenden Sphingolipide binden und damit erst den Angriff der oben genannten lysosomalen Hydrolasen ermöglichen. Glycosphingolipide Bei Cerebrosiden und Gangliosiden erfolgt

der Abbau von der Kohlenhydratseitenkette aus, wobei z. B. durch 4 β-Galactosidasen die Galactosylreste, 4 Neuraminidasen die Neuraminsäurereste, 4 Hexosaminidasen die acetylierten Galactosaminreste und 4 β-Glucosidasen die Glucosylreste abgespalten werden. 4 Es entsteht dabei neben den abgespaltenen Zuckerresten das Ceramid.

Sulfatide Bei ihnen sind spezifische Sulfatidasen für die Sulfat-

abspaltung verantwortlich.

Sphingomyeline Der Abbau dieser Sphingolipide wird durch

. Abb. 22.8 Biosynthese von Ceramid aus Palmityl-CoA und Serin. (Einzelheiten s. Text)

(. Abb. 22.9). Für die Sulfatidbiosynthese ist schließlich noch die Einführung eines Sulfatrests, im Allgemeinen an das C-Atom 3 der Galactose, notwendig. Für diese Sulfatierung wird das aktive Sulfat 3’-Phosphoadenosin-5’Phosphosulfat (7 Abb. 3.18) verwendet. 4 Die Biosynthese der Ganglioside, die in besonders hohen Konzentrationen im Nervensystem vorkommen, findet im Golgi-Apparat statt. Zunächst wird an der cytosolischen

spezifische Sphingomyelinasen katalysiert, die unter Abspaltung des Phosphorylcholinrests Ceramid bilden (. Abb. 22.10). Man unterscheidet: 4 saure Sphingomyelinasen für den lysosomalen Sphingomyelinabbau, 4 alkalische Sphingomyelinasen, die zu den Verdauungsenzymen des Intestinaltrakts gehören, 4 neutrale, membrangebundene Sphingomyelinasen, die in verschiedenen Isoformen vorkommen. Das beim Abbau der Sphingolipide gebildete Ceramid kann durch 4 die Ceramidkinase zu Ceramid-1-Phosphat phosphoryliert und 4 die Ceramidase deacyliert werden, wobei Sphingosin entsteht (. Abb. 22.10).

Palmityl-CoA# 3-Keto-Sphinganinsynthase 3-Ketosphinganin# 3-Keto-Sphinganinreductase Sphinganin# Acyl-CoA-Transferase Dihydroceramid# Dihydroceramiddehydrogenase Ceramid#

286

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

PAP S

. Abb. 22.9 Biosynthese von Sphingomyelin, Galactosylceramid (Cerebrosid) und Sulfatiden. Glucosylceramide entstehen in einer analogen Reaktion unter Verwendung von UDP-Glucose anstelle von UDP-Galactose (Einzelheiten s. Text). Gal: Galactose, PAPS: 3ʹ-Phosphoadenosin-5ʹ-Phosphosulfat, PAMP: 3ʹ-Phosphoadenosin-5ʹ-Monophosphat; UDP: Uridindiphosphat

Nach Phosphorylierung zu Sphingosin-1-Phosphat wird dieses durch die Sphingosin-1-Phosphatlyase zu Palmitinsäurealdehyd und Phosphorylethanolamin gespalten. Zusammenfassung Ceramid, das aus Palmityl-CoA, Serin und einem Acyl-CoA synthetisiert wird, ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese folgender Sphingolipide: 4 Sphingomyelin 4 Cerebroside 4 Sulfatide 4 Ganglioside

22

Hierzu reagiert Ceramid jeweils mit den entsprechenden aktivierten Bestandteilen. Sämtliche Biosynthesen erfolgen in den Membranen des endoplasmatischen Retikulums und des Golgi-Apparates. Der Abbau von Sphingolipiden erfolgt überwiegend lysosomal durch entsprechende Hydrolasen, die jeweils spezifisch 6

für die in Sphingolipiden vorkommenden Ester- bzw. Glycosidbindungen sind. Das dabei entstehende Ceramid wird weiter zu Sphingosin und dieses nach Phosphorylierung zu Sphingosin-1-Phosphat zu Palmitinsäurealdehyd und Phosphorylethanolamin gespalten.

22.3

Funktionelle Metabolite von Membranlipiden

22.3.1

Derivate von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden als Signalmoleküle

Phospholipide, Sphingolipide und Cholesterin sind nicht nur die für den Membranaufbau benötigten Lipidbausteine, sondern erfüllen wichtige Funktionen im Bereich der Signaltransduktion, d. h. der Umsetzung extrazellulärer Signale in intrazelluläre Änderungen des Stoffwechsels und anderer zellulärer Aktivitäten.

Diacylglycerin Phosphatidylcholin Sphingomyelin# Ceramid# Galactosylceramid# Cerebroside# Sulfatide#

287 22.3 · Funktionelle Metabolite von Membranlipiden

. Abb. 22.10 Entstehung von Ceramid, Ceramid-1-Phosphat sowie Sphingosin und Sphingosin-1-Phosphat beim Abbau von Sphingolipiden. (Einzelheiten s. Text)

22

Phosphoglyceride Spaltprodukte von Phosphoglyceriden durch die Phospholipasen A2, C bzw. D liefern: 4 Arachidonsäure. Sie stellt den Ausgangspunkt für die Biosynthese der Eicosanoide der Serie 2 dar (7 Kap. 21.2.4), Für ihre Freisetzung ist die Phospholipase A2 verantwortlich. 4 Lysophosphatidate. Diese entstehen u. a. wenn von den Spaltprodukten der Phospholipase A2, den Lysophospholipiden (. Abb. 22.4), durch die Einwirkung der Phospholipase D auch die alkoholische Gruppe entfernt wird. Bis heute sind 5 G-Protein-gekoppelte Rezeptoren für Lysophosphatidate mit unterschiedlicher Organverteilung gefunden worden. In die jeweilige Signaltransduktion sind Adenylatcyclase, Phospholipase Cβ oder kleine G-Proteine eingeschaltet. Lysophosphatidate sind u. a. an der Angiogenese und Vaskularisation, der Differenzierung des Nervensystems und der T-Zellfunktion beteiligt (7 Kap. 70.7). 4 Monoacylglycerin. Von besonderer Bedeutung ist das 2-Arachidonylglycerin. Es ist das wichtigste Endocannabinoid und wirkt als endogener Ligand der Cannabisrezeptoren im Nerven- und Immunsystem. Für seine Biosynthese ist v. a. die Kombination von Phospholipase C und Diacylglycerinlipase verantwortlich. Das Endocannabinoidsystem wurde bei Untersuchungen über den Wirkungsmechanismus des Wirkstoffs der Cannabispflanze, Tetrahydrocannabinol (THC), entdeckt. Bindung von THC bzw. endogenen Cannabinoiden an die entsprechenden Rezeptoren führen u. a. zu verstärktem Hungergefühl, vermindertem Schmerzempfinden, aber auch einer Schwächung des Kurzzeitgedächtnisses. Darüber hinaus modulieren Endocannabinoide das Immunsystem. 4 Diacylglycerin und Inositoltrisphosphat. Sie entstehen unter der Einwirkung der Phospholipase C aus Phosphatidylinositolbisphosphat. Diacylglycerin ist ein Aktivator der Proteinkinase C (7 Kap. 35.4.1), Inositoltrisphosphat erhöht die cytosolische Calciumkonzentration (7 Kap. 35.3.3). 4 Phosphatidylinositol-(3,4,5)-Trisphosphat entsteht durch Phosphorylierung von Phosphatidylinositolbisphosphat durch die PI3-Kinase. Es bleibt in der Membran verankert und ist Andockplatz für spezifische Proteine, v. a. die 3-Phosphoinositid-abhängige Kinase-1 (PDK1) und die Proteinkinase B (PKB). Diese Kinasen spielen eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren (7 Kap. 36) und Insulin (7 Kap. 34, 35). 4 Platelet activating factor (PAF 7 Abb. 69.2). Er wird aus 1-Alkylphosphatidylcholin (. Abb. 22.5) gebildet. Zunächst entsteht durch eine spezifische Phospholipase A2 das LysoPAF, welches anschließend an der Position 2 durch eine Lyso-PAF-Acetyltransferase mit Acetyl-CoA acetyliert wird. PAF löst die Aggregation von Thrombocyten aus, wirkt proinflammatorisch und aktiviert die Phospholipasen A2 und C. Sphingolipide Die in . Abb. 22.10 dargestellten Möglichkeiten des Sphingolipidabbaus liefern Zwischenprodukte, die verschiedene zellbiologische Phänomene beeinflussen: 4 Ceramid, das durch de novo-Biosynthese (. Abb. 22.8) oder aus Sphingomyelin durch die Sphingomyelinase entsteht, ist

Sphingomyelin# Sphingomyelinase Ceramidkinase Ceramid# Ceramid-1-Phosphat# Ceramidase Sphingosin# Sphingosin-1-Phosphatphosphatase Sphingosinkinase Sphingosin-1-Phosphat#

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

288

in vielen Zellen an der Auslösung der Apoptose (7 Kap. 51.1) beteiligt. 4 Ceramid-1-Phosphat entsteht unter Katalyse der Ceramidkinase. Es hemmt die Apoptose und ist ein wichtiger Aktivator der Phospholipase A2. 4 Sphingosin entsteht durch die Ceramidase aus Ceramid und ist ein Inhibitor der Proteinkinase C (7 Abb. 35.15). 4 Sphingosin-1-Phosphat wird durch die Sphingosinkinase gebildet und durch die Sphingosin-1-Phosphatphosphatase zu Sphingosin abgebaut. Es lässt sich extrazellulär nachweisen und wirkt über spezifische Sphingosin-1-PhosphatRezeptoren. Es stimuliert in vielen Zellen die Proliferation und wirkt antiapoptotisch. 22.3.2

Eicosanoide – ungesättigte Fettsäuren mit 20 C-Atomen

Unter dem Begriff der Eicosanoide fasst man eine umfangreiche Gruppe von Gewebshormonen zusammen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit 20 C-Atomen synthetisiert werden. Im Einzelnen unterscheidet man Prostaglandine, Thromboxane, Leukotriene und die erst seit Kurzem identifizierten Lipoxine und Resolvine. Thromboxane und Prostaglandine werden auch als Prostanoide bezeichnet. Aus Eicosatriensäure (Dihomo-γ-Linolensäure) entstehen die Prostanoide und Leukotriene der Serie 1, aus Eicosatetraensäure (Arachidonsäure) diejenigen der Serie 2 und schließlich aus Eicosapentaensäure diejenigen der Serie 3 (7 Abb. 21.19). Diese Gewebshormone entstehen in den meisten tierischen Geweben, wo sie eine große Zahl hormoneller und anderer Stimuli modulieren.

Prostaglandin H-Synthasen sind die geschwindigkeitsbestimmenden Enzyme für die Prostanoidsynthese . Abb. 22.11 zeigt, ausgehend von der ω-6-Fettsäure Arachido-

22

nat, die einzelnen Schritte der Biosynthese von Prostanoiden: 4 Das wichtigste Substrat für die Prostanoidsynthese ist Arachidonat. Dieses ist häufig mit der OH-Gruppe 2 des Glycerinteils von Membranphosphoglyceriden (z. B. Phosphatidylcholin, Phosphatidylserin) verestert. Für seine Freisetzung wird deshalb eine cytosolische Phospholipase A2 benötigt. Die Phospholipasen des Typs A2 bilden eine besonders umfangreiche Superfamilie. Sie können in sezernierte, cytosolische und lysosomale Phospholipasen eingeteilt werden (7 Kap. 22.1.2). 4 In einer sauerstoffabhängigen Reaktion entsteht unter Katalyse der Prostaglandin-H-Synthase (PGHS) das Prostaglandin H2 (PGH2) als Muttersubstanz der Prostaglandine (PG) D2, E2, F2α, I2 und des Thromboxans A2. 4 Es gibt zwei Isoformen der Prostaglandin-H-Synthase, die als PGHS1 und PGHS2 bezeichnet werden. 4 Beide PGHS-Isoformen enthalten eine Cyclooxygenase (COX)- und eine Peroxidaseaktivität. Erstere ist für die Umwandlung von Arachidonsäure zu Prostaglandin G2 verantwortlich, letztere für die anschließende Reduktion

. Abb. 22.11 Biosynthese der Prostaglandine und Thromboxane aus Arachidonat (Prostanoide der Serie 2). Durch eine Phospholipase A2 wird Arachidonat aus Phospholipiden abgespalten. Die Prostaglandin-H-Synthase (PGH-Synthase) führt zum Prostaglandin H2 als Muttersubstanz der weiteren Prostaglandine und des Thromboxans A2. PG: Prostaglandin; Tx: Thromboxan

der 15-Hydroperoxylgruppe des Prostaglandins G2 zur 15-Hydroxylgruppe des Prostaglandins H2. 4 PGHS1 wird konstitutiv in vielen Zellen exprimiert, PGHS2 unterliegt dagegen einer vielfältigen Regulation. Als allgemeine Regel gilt, dass die Aktivität der PGHS2 durch Wachstumsfaktoren und Entzündungsmediatoren wie Interleukin-1 oder TNF-α induziert wird. Dagegen reprimieren Glucocorticoide und antiinflammatorische Cytokine die PGHS2-Expression.

Phospholipase A_2 Arachidonat Cyclooxygenase PGH-Synthase Peroxidase

289 22.3 · Funktionelle Metabolite von Membranlipiden

4 Jeweils spezifische Prostaglandinsynthasen führen zu den weiteren Prostaglandinen (PGD2, PGE2, PGF2α, PGI2) und zum Thromboxan A2.

Prostaglandine und Thromboxane der Serie 2 haben vielfältige Wirkungen als Signalmoleküle Die Gewebsverteilung der PGHS und der Prostaglandinsynthasen, die an der Biosynthese der Prostaglandine beteiligt sind, zeigt, dass nahezu alle Gewebe zur Prostaglandinbiosynthese befähigt sind. Allerdings haben die sezernierten Prostaglandine Halbwertszeiten zwischen einigen Sekunden und wenigen Minuten. Man geht deswegen davon aus, dass sie im Wesentlichen para- bzw. autokrin wirken und damit eine Funktion als Gewebshormone haben. Ihr Wirkungsprofil hängt dabei entscheidend davon ab, welche Prostaglandinrezeptoren (s. u.) in der unmittelbaren Nachbarschaft der prostaglandinsynthetisierenden Zellen exprimiert werden. Prostaglandineffekte sind außerordentlich vielfältig und schwer unter dem Aspekt eines einheitlichen Wirkungsmechanismus zu verstehen (. Tab. 22.1). 4 In vielen, allerdings nicht allen bis jetzt untersuchten Geweben führt Prostaglandin E2 zu einer Zunahme des cAMPGehalts, was z. B. eine Relaxierung der glatten Muskulatur hervorruft (7 Kap. 64.5). Dies zeigt sich besonders deutlich an einer allgemeinen Vasodilatation und einer Erweiterung des Bronchialsystems. Im Magen hat Prostaglandin E2 einen cytoprotektiven Effekt, da es die Mucinsekretion stimuliert. Am Fettgewebe ist Prostaglandin E2 nach Insulin die am stärksten wirksame antilipolytische Verbindung, da es hier eine Senkung des cAMP-Spiegels auslöst. Außerdem ist Prostaglandin E2 an der Erzeugung von Fieber und dem Entzündungsschmerz beteiligt. 4 Prostaglandin D2 führt zu einer Bronchokonstriktion und ist, wie andere Prostaglandine auch, mit der Entstehung von Asthma bronchiale in Verbindung gebracht worden. 4 Prostaglandin F2α hat in vielen Aspekten einen zum Prostaglandin E2 antagonistischen Effekt. So führt es zu einer Bronchokonstriktion und Vasokonstriktion sowie zu einer auch klinisch ausgenützten Kontraktion der Uterusmuskulatur (Auslösung von Geburtswehen). 4 Von besonderem Interesse sind die Beziehungen zwischen dem Prostaglandin I2 (Syn. Prostacyclin) und Thromboxan A2. Letzteres entsteht bevorzugt in Blutplättchen aus Prostaglandin H2. Es induziert die Plättchenaggregation sowie die damit verbundene Freisetzungsreaktion (7 Kap. 69.1.2) und spielt somit eine wichtige Rolle bei der Blutstillung. Seine Wirkung wird über einen Abfall der cAMP-Konzentration in Thrombocyten vermittelt. 4 Ein Thromboxanantagonist ist das Prostaglandin I2, das in Gefäßendothelzellen aus Prostaglandin F2α entsteht. Es ist ein Aktivator der Adenylatcyclase in vielen Geweben. Deswegen hemmt es die Aggregeation der Blutplättchen. 4 Der Antagonismus zwischen der gerinnungsfördernden Wirkung von Thromboxan A2 und Hemmung der Plättchenaggregation durch Prostaglandin I2 ist für die Entstehung der Arteriosklerose von Bedeutung.

. Tab. 22.1 Überblick über die biologischen Effekte von Prostaglandinen und Thromboxanen Verbindung

Wichtigste biologische Aktivität

Prostaglandin E2

Bronchodilatation, Vasodilatation, Antilipolyse im Fettgewebe, Erzeugung von Fieber, Entzündungsreaktion, Entzündungsschmerz, Aktivierung von Osteoklasten, Kontraktion der Uterusmuskulatur, im Magen Hemmung der Säuresekretion und Stimulation der Mucinsekretion

Prostaglandin D2

Bronchokonstriktion, Schlaferzeugung

Prostaglandin F2α

Bronchokonstriktion, Vasokonstriktion, Konstriktion der glatten Muskulatur

Thromboxan A2

Bronchokonstriktion, Vasokonstriktion, Plättchenaggregation

Prostaglandin I2 (Prostacyclin)

Vasodilatation, Zunahme der Gefäßpermeabilität, Hemmung der Plättchenaggregation, Entzündungsreaktion

. Tab. 22.2 Rezeptoren für Prostaglandine Rezeptor für

Effekt

Nachgewiesen in

Subtyp DP1

Zunahme von cAMP

Gastrointestinaltrakt, Nervensystem

Subtyp DP2

Abfall von cAMP

Viele Gewebe

Subtyp EP1

Zunahme von IP3

Nieren

Subtyp EP2

Zunahme von cAMP

Thymus, Lunge, Myokard, Milz, Ileum, Uterus

Subtyp EP3

Abfall von cAMP

Fettgewebe, Magen, Nieren, Uterus

Subtyp EP4

Zunahme von cAMP

Viele Gewebe

PG F2α

Zunahme von IP3

Nieren, Uterus

Thromboxan A2

Abfall von cAMP

Thrombocyten, Thymus, Lunge, Nieren, Myokard

Prostaglandin I2

Zunahme von cAMP

Thrombocyten, Thymus, Myokard, Milz

PG D2

PG E2

In . Tab. 22.2 sind die bis heute bekannten Prostaglandinrezeptoren zusammengefasst. Es handelt sich immer um Rezeptoren mit sieben Transmembrandomänen, die an große, heterotrimere G-Proteine gekoppelt sind (7 Kap. 35.3.1). Sie führen je nach Typ zu einer Stimulierung bzw. Hemmung der Adenylatcyclase mit entsprechenden Veränderungen der cAMP-Konzentration oder beeinflussen die zelluläre Calciumkonzentration über den Phosphatidylinositolzyklus (7 Kap. 35.3.3). Prostaglandine sind eine vielfältige Gruppe von Gewebshormonen, die von sehr vielen Zellen synthetisiert werden können. Allerdings zeigen die verschiedenen Zellen ausgeprägte Unterschiede bezüglich ihrer Fähigkeit zur Synthese spezifischer

22

290

Kapitel 22 · Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

. Abb. 22.12 Biosynthese der Leukotriene aus Arachidonat. Aus Arachidonat entsteht durch die Lipoxygenase das 5-Hydroperoxyeicosatetraenoat (5-HPTE), das durch Umlagerung das Leukotrien A4 liefert. Durch eine Epoxydhydrolase entsteht das Leukotrien B4, durch Anlagerung von Glutathion das Leukotrien C4. Die Leukotriene D4 und E4 werden durch schrittweise Abspaltung von Glutamat und Glycin gebildet. 1 Phospholipase A2; 2 5-Lipoxygenase; 3 Leukotrien-A4-Epoxydhydrolase; 4 Leukotrien-C4-Synthase; 5 γ-Glutamyltranspeptidase; 6 Cysteinyl-Glycin-Dipeptidase; GSH: Glutathion

22

Prostaglandine und, was noch wichtiger ist, zur Spezifität ihrer Prostaglandinrezeptoren. Hier zeichnet sich ein besonders fein differenziertes Bild ab. So konnte z. B. durch in situ-Hybridisierung gezeigt werden, dass in der Niere der Subtyp EP3 der Prostaglandin-E-Rezeptoren vornehmlich in den medullären Tubulusepithelien lokalisiert ist, der Subtyp EP1 in den Sammelrohren der Papille und der Subtyp EP2 in den Glomeruli. Man nimmt an, dass diese Verteilung die durch Prostaglandin E2 vermittelten Re-

gulationen von Ionentransport, Wasserreabsorption und glomerulärer Filtrationsrate ermöglicht. Bei der Analyse der Prostaglandin-E2-Rezeptoren des Nervensystems hat sich gezeigt, dass der Subtyp EP3 des Prostaglandin-E-Rezeptors in kleinen Neuronen der Ganglien der dorsalen Wurzel besonders hoch exprimiert ist. Man spekuliert, dass sich hierin die durch Prostaglandin E2 vermittelte Hyperalgesie (Schmerzempfindlichkeit) widerspiegelt.

Leukotrien B_4# Leukotrien A_4# Leukotrien C_4# Leukotrien D_4# Leukotrien E_4#

291 22.3 · Funktionelle Metabolite von Membranlipiden

Für die Erzeugung von Leukotrienen aus Arachidonsäure sind Lipoxygenasen verantwortlich Eine alternative Modifikation der ω-6-Fettsäure Arachidonsäure wird durch Lipoxygenasen erzeugt. Die 5-Lipoxygenase führt zur Bildung einer Hydroperoxydstruktur am C-Atom 5 der Arachidonsäure, aus der durch Umlagerung der Doppelbindungen eine Verbindung mit drei konjugierten Doppelbindungen, das Leukotrien A4 (LtA4) entsteht (. Abb. 22.12 2 ). Dieses ist der Ausgangspunkt für die Biosynthese der anderen Leukotriene. Durch die Leukotrien-A4-Epoxydhydrolase entsteht Leukotrien B4 (LtB4) (. Abb. 22.12 3 ). Alternativ heftet die LeukotrienC4-Synthase über eine Thioetherbrücke Glutathion an das Leukotrien A4, wodurch Leukotrien C4 entsteht (. Abb. 22.12 4 ). Durch schrittweise Abtrennung von Glutamat und Glycin entstehen aus dem Leukotrien C4 die Leukotriene D4 und E4 (LtD4, LtE4) (. Abb. 22.12 5 , 6 ). Außer der 5-Lipoxygenase ist in verschiedenen Geweben eine 14- bzw. 15-Lipoxygenase nachgewiesen worden. Sie ist für die Bildung von 14- bzw. 15-Hydroperoxyeicosatetraensäuren (14-, 15-HPETE) verantwortlich. Über die biologische Bedeutung dieser Arachidonsäurederivate ist noch relativ wenig bekannt.

Leukotriene sind Mediatoren der Entzündungsreaktion Schon Mitte des letzten Jahrhunderts wurde beobachtet, dass aus mit Kobragift behandelter Lunge eine Substanz freigesetzt wird, die die glatte Muskulatur zur Kontraktion bringt. Später ergab sich, dass diese als slow reacting substance (SRS) bezeichnete Verbindung zusammen mit anderen Mediatoren bei durch Immunglobulin E vermittelten Überempfindlichkeitsreaktionen entsteht und dass es sich bei ihr um ein Gemisch aus den Leukotrienen C4, D4 und E4 handelt. Sie gehören zu den stärksten Konstriktoren der Bronchialmuskulatur. Das Leukotrien C4 ist beispielsweise 100bis 1.000-mal wirksamer als Histamin und spielt bei der Entstehung von Asthmaanfällen eine entscheidende Rolle. Auch in eine Reihe von entzündlichen Phänomenen sind Leukotriene eingeschaltet. Sie erhöhen die Kapillarpermeabilität und führen zu Ödemen. Das Leukotrien B4 hat dagegen einen chemotaktischen Effekt auf Leukocyten. Man vermutet deshalb, dass es an der Wanderung weißer Blutzellen in Entzündungsgebiete beteiligt ist. Die eigentliche physiologische Funktion der Leukotriene ist allerdings nach wie vor ungeklärt. Knockout-Mäuse (7 Kap. 55.2), bei denen das 5-Lipoxygenase-Gen ausgeschaltet wurde, waren erwartungsgemäß nicht mehr zur Leukotrienbiosynthese imstande, entwickelten sich jedoch normal und überstanden eine Reihe experimentell ausgelöster Entzündungs- und Schockreaktionen besser als die Wildtypmäuse.

Aus ω-3-Fettsäuren synthetisierte Prostanoide und Leukotriene hemmen die Effekte der aus Arachidonsäure synthetisierten Prostanoide und Leukotriene Auch aus Eicosatriensäure (Dihomo-γ-Linolensäure) und der Eicosapentaensäure (EPA) können Prostanoide und Leukotriene synthetisiert werden, wobei die Einzelreaktionen den oben geschilderten entsprechen. Die dabei entstehenden Produkte wer-

den entsprechend der Zahl der in ihnen vorkommenden Doppelbindungen benannt: 4 aus Dihomo-γ-Linolensäure entstehen die Prostanoide Prostaglandin D1, E1, F1, I1 und Thromboxan A1 sowie die Leukotriene des Typs Lt3, 4 aus EPA entstehen die Prostanoide des Typs PG3, das Thromboxan A3 und die Leukotriene des Typs Lt5. Besonders die aus EPA synthetisierten Prostanoide und Leukotriene hemmen im Allg. die Effekte der aus Arachidonat synthetisierten analogen Verbindungen. Dies beruht z. T. 4 auf einer Verdrängung des als Substrat der Biosynthese benötigten Arachidonats durch EPA, 4 einer kompetitiven Hemmung der Cyclooxygenase und Lipoxygenase und 4 einer direkten Hemmwirkung an den entsprechenden Zielgeweben. Ebenfalls antiinflammatorisch wirken die sog. nicht-klassischen Eicosanoide, die Lipoxine und Resolvine. Sie unterscheiden sich von den klassischen Eicosanoiden durch die Positionierung von OH-Gruppen und Doppelbindungen. Für ihre Biosynthese werden v. a. Isoformen der Lipoxygenase benötigt. Zusammenfassung Im Lipidstoffwechsel entstehen wichtige Signalmoleküle. Aus dem Stoffwechsel der Phosphoglyceride sind dies: 4 verschiedene Phosphatidylinositolphosphate 4 Inositoltrisphosphat 4 Diacylglycerin 4 Lysophosphatidat 4 2-Arachidonylglycerin 4 platelet-activating factor 4 Eicosanoide Eicosanoide sind Derivate der Arachidonsäure. Sie bilden eine Gruppe sehr wirkungsvoller Gewebshormone, die Prostanoide und Leukotriene. Prostanoide wirken über heptahelicale Rezeptoren und beeinflussen u. a. die Entzündungs- und Schmerzreaktion sowie die Kontraktion der glatten Muskulatur. Aus dem Stoffwechsel der Sphingolipide entstehen: 4 Ceramid 4 Ceramid-1-Phosphat 4 Sphingosin 4 Sphingosin-1-Phosphat

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

22

23 Stoffwechsel von Cholesterin Georg Löffler

Einleitung Das zu den Isoprenlipiden zählende Cholesterin ist neben den Phosphoglyceriden und Sphingolipiden (7 Kap. 22) ein typisches Membranlipid tierischer Zellen. Darüber hinaus ist Cholesterin die Vorstufe der Steroidhormone (7 Kap. 40) und der Gallensäuren (7 Kap. 61 und 62). VitaminD-Hormone (Calciferole) werden aus 7-Dehydro-Cholesterin gebildet. Als Fettsäureester kann Cholesterin auch intrazellulär gespeichert werden. Wie andere Polyisoprene wird Cholesterin ausgehend von AcetylCoA aus einer aktivierten Isopren-Zwischenstufe synthetisiert. Die Biosynthese von Cholesterin wird über vielfältige Regulationsmechanismen gesteuert. Die Hauptausscheidungsform von Cholesterin sind die Gallensäuren. Schwerpunkte 4 Cytosolische Synthese von HMG-CoA 4 HMG-CoA-Reduktase und die Synthese von Mevalonsäure 4 Aktives Isopren und die Synthese von Cholesterin und anderen Polyisoprenderivaten 4 Regulation und pharmakologische Hemmung der Cholesterinbiosynthese

23.1

Cholesterin – Membranlipid und Ausgangssubstanz von Steroidhormonen und Gallensäuren

Cholesterin ist Membranbestandteil und Ausgangssubstanz von Steroidhormonen und Gallensäuren Übrigens Cholesterin

23

Kaum eine Verbindung ist auf so großes chemisches wie auch medizinisches Interesse gestoßen wie Cholesterin. Es wurde wahrscheinlich bereits im 18. Jahrhundert aus Gallensteinen angereichert, seine korrekte Isolierung gelang jedoch erst dem französischen Chemiker Michel Eugene Chevreul (1786–1889), der auch für die Bezeichnung Cholesterin (von griech. chole = Galle und stereos = fest) verantwortlich ist. Anfang des 20. Jahrhunderts war über die Cholesterinstruktur nicht viel mehr bekannt, als die Summenformel und die Tatsache, dass das Molekül eine Doppelbindung und eine OH-Gruppe enthält. Dies änderte sich 6

jedoch rasch. Zwischen 1928 und 1975 wurden für Arbeiten zur Struktur und chemischen Synthese von Cholesterin und verwandten Verbindungen insgesamt neun Nobelpreise für Chemie vergeben. Viele frühe Untersuchungen zeigten die weite Verbreitung von Cholesterin in tierischen Geweben. Die Frage, wie dieses kompliziert aufgebaute Molekül in Zellen synthetisiert wird, konnten Konrad Bloch und Feodor Lynen lösen, die dafür 1964 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurden. Einen ersten Hinweis auf die Verbindung von Cholesterin mit pathologischen Vorgängen ergab schon 1903 die Beobachtung von Adolf Windaus, dass Cholesterin in arteriosklerotischen Plaques in großer Menge vorhanden ist. Der russische Wissenschafter Alexander Ignatowski zeigte 1908, dass die Verfütterung einer cholesterinreichen Diät bei Kaninchen eine schwere Arteriosklerose auslöst. Wenn auch die Übertragbarkeit dieser Studien auf den Menschen schnell angezweifelt wurden, so gaben doch eine Reihe von Untersuchungen seit den 50iger Jahren des vorigen Jahrhunderts Grund zu der Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Cholesteringehalt der Nahrung und arteriellen Gefäßerkrankungen gibt. Die bahnbrechenden Untersuchungen von Michael Brown und Josef Goldstein (Nobelpreis für Medizin 1985) zeigten schließlich, dass normalerweise die endogene Cholesterinsynthese durch ein komplexes Regulationssystem an die Nahrungszufuhr angepasst wird und dass tatsächlich Störungen dieses Systems eine Arteriosklerose auslösen können. Dies führte zur Entwicklung der cholesterinsenkenden Statine, die heute zu den am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln gehören.

Cholesterin erfüllt lebenswichtige Funktionen (. Abb. 23.1) als: 4 Bestandteil zellulärer Membranen (7 Kap. 11.1), 4 Vorläufer aller Steroidhormone, 4 Ausgangssubstanz für die Biosynthese von Gallensäuren, die für eine geordnete Lipidverdauung essentiell sind (7 Kap. 61.1.4). In Anbetracht dieser zentralen Funktionen muss man davon ausgehen, dass alle Zellen des Organismus zur Cholesterinbiosynthese befähigt sind. Während bei Hund und Ratte die Leber für den Großteil der Biosynthese verantwortlich ist, überwiegt beim Menschen die extrahepatische Biosynthese (über den Einfluss von LDL auf die extrahepatische Cholesterinbiosynthese 7 Kap. 24.2). Die Biosynthese, die mit dem Acetyl-CoA beginnt und über die Zwischenstufe aktiver Isoprene läuft, deckt etwa

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

293 23.2 · Synthese von Isoprenlipiden

. Abb. 23.2 Herkunft der C-Atome des Cholesterins

. Abb. 23.1 Übersicht über den Stoffwechsel von Cholesterin. Zellen gewinnen ihr Cholesterin entweder durch Biosynthese oder durch Aufnahme aus Lipoproteinen. Intrazellulär wird Cholesterin entweder durch die ACAT (Acyl-CoA-Cholesterin-Acyltransferase) als Ester gespeichert oder, je nach Gewebe, für weitere Reaktionen verwendet

zwei Drittel des täglichen Cholesterinverlustes, während ca. ein Drittel bei ausgeglichener Ernährung mit der Nahrung aufgenommen wird. Cholesterin ist ein typisches Produkt des tierischen Stoffwechsels und kommt daher in größeren Mengen nur in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs wie Muskelfleisch, Leber, Hirn, Butter und Eigelb vor. Zu pflanzlichen Sterolen 7 Kap. 3.2.5 und 7 Kap. 61.3.3. In Form von Cholesterinestern wird Cholesterin in vielen Zellen gespeichert.

Die Hauptausscheidungsform von Cholesterin sind Gallensäuren Während Cholesterin aus Acetyl-CoA synthetisiert wird (7 Kap. 23.2), kann sein Steranskelett im Organismus nicht abgebaut werden. Die einzig mögliche Modifikation des Steranskeletts ist die Umwandlung von Cholesterin zu Gallensäuren (7 Kap. 61.1.2). Neben ihrer Verdauungsfunktion stellen Gallensäuren somit die Hauptausscheidungsform von Cholesterin dar. Beim Menschen wird etwa 1 g Cholesterin/24 h in Form von Gallensäuren ausgeschieden. Ein kleiner Teil von nicht-modifiziertem Cholesterin gelangt mit der Galle in den Darm und wird mit Hilfe von Darmbakterien zu Koprosterin reduziert und ausgeschieden. Die aus Cholesterin entstehenden Steroidhormone werden oxidativ modifiziert und anschließend sulfatiert oder glucuronidiert und in den Urin abgegeben. Zusammenfassung Die Isoprenlipide bilden eine eigene Gruppe von Lipiden mit großer biologischer und medizinischer Bedeutung. Ein besonders wichtiges Isoprenderivat ist das Cholesterin, das ein essentieller Bestandteil zellulärer Membranen ist, daneben 6

aber auch den Ausgangspunkt für die Biosynthese der Steroidhormone und der Gallensäuren darstellt. Das Ringsystem des Cholesterins und der anderen Steroide kann vom tierischen Organismus nicht gespalten werden. Deswegen wird Cholesterin als solches oder nach Umwandlung in Gallensäuren ausgeschieden.

23.2

Synthese von Isoprenlipiden

Sämtliche C-Atome des Cholesterins stammen vom Acetyl-CoA ab (. Abb. 23.2). Inkubiert man cholesterinsynthetisierende Zellen mit methyl- bzw. carboxylmarkiertem Acetat, so findet man, dass sich in dem aus Acetat synthetisierten Cholesterin in sehr regelmäßiger Folge Methyl- und Carboxyl-C-Atome des Acetats abwechseln. Daraus folgt, dass ein lineares, aus Acetylresten aufgebautes Molekül ein Präkursor des Cholesterins ist. Die einzelnen Schritte der Cholesterinbiosynthese wurden in den Arbeitsgruppen von Konrad Bloch und Feodor Lynen aufgeklärt. Entscheidend war bei ihren Arbeiten die Erkenntnis, 4 dass das aus fünf C-Atomen bestehende Isopren (2-Methyl-1,3-Butadien, 7 Kap. 3, 7 Tafel II.5) der Grundkörper nicht nur für die Biosynthese der Isoprenlipide, sondern auch des Cholesterins ist, wobei als Zwischenprodukt das lineare, aus 30 C-Atomen bestehende Squalen auftritt und 4 dass Isopren aus Acetyl-CoA synthetisiert werden kann, wobei das aus 6 C-Atomen bestehende Mevalonat (Mevalonsäure) ein Zwischenprodukt ist. Dementsprechend wird die Cholesterinbiosynthese in vier Phasen eingeteilt: 4 aus Acetyl-CoA entsteht Mevalonat (Mevalonsäure), 4 aus Mevalonsäure wird das »aktive Isopren« Isopentenylpyrophosphat gebildet, 4 Isopentenylpyrophosphat kondensiert zum Squalen, 4 Squalen zyklisiert zum Cholesterin.

23

294

Kapitel 23 · Stoffwechsel von Cholesterin

. Abb. 23.3 Biosynthese von Mevalonat aus Acetyl-CoA. Die dargestellten Reaktionen finden im Cytosol statt. (Einzelheiten s. Text)

Für die Biosynthese von Mevalonsäure werden drei Acetyl-CoA benötigt Bildung von Mevalonat . Abb. 23.3 stellt die erste Phase der Cholesterinbiosynthese, nämlich die Bildung von Mevalonat, dar. Zunächst kondensieren zwei Acetyl-CoA unter Abspaltung von CoA-SH zu Acetacetyl-CoA. An dieses lagert sich ein weiteres  Acetyl-CoA an, sodass β-Hydroxy-β-Methylglutaryl-CoA (HMG-CoA) entsteht. Diese Reaktionssequenz findet sich auch bei der mitochondrial lokalisierten Biosynthese der Ketonkörper (7 Kap. 21.2.2). Im Gegensatz zur Ketonkörperbiosynthese wird allerdings das für die Mevalonatsynthese benötigte HMG-CoA im Cytosol erzeugt. Durch die HMG-CoA-Reduktase wird HMGCoA unter Verbrauch von 2 NADPH reduziert. Die Reduktion erfolgt an der den Thioester tragenden Carboxylgruppe des HMGCoA unter Abspaltung von CoA-SH, das Produkt ist Mevalonat.

Aktives Isopren wird aus Mevalonat synthetisiert

23

Bildung von aktivem Isopren Die zweite Phase der Cholesterinbiosynthese besteht in der Herstellung des aktiven Isoprens Isopentenylpyrophosphat (. Abb. 23.4), welches sich formal vom 2-Methyl-1,3-Butadien herleitet. Isopentenylpyrophosphat ist Ausgangsprodukt nicht nur für die Biosynthese des Cholesterins, sondern auch für die der Polyisoprene und Terpene, die die verschiedensten Funktionen in der Natur übernehmen (s. u.; 7 Kap. 3.2.5). Die vom Mevalonat zum aktiven Isopren führenden Reaktionen sind in . Abb. 23.4 zusammengestellt. Die verantwortlichen Enzyme sind sowohl im Cytosol als auch in den Peroxisomen nachweisbar:

. Abb. 23.4 Biosynthese von »aktivem Isopren« aus Mevalonat. (Einzelheiten s. Text)

4 Mevalonat wird durch zweimalige ATP-abhängige Phosphorylierung an der CH2OH-Gruppe über das Zwischenprodukt 5-Phosphomevalonat in 5-Pyrophosphomevalonat umgewandelt. 4 Eine dritte ATP-abhängige Phosphorylierung führt zur Veresterung auch der Hydroxylgruppe am C-Atom 3 des Mevalonats, sodass das Zwischenprodukt 3-Phospho-5Pyrophosphomevalonat entsteht. 4 Dieses wird decarboxyliert und unter Mitnahme des aus der Hydroxylgruppe stammenden Sauerstoffs dephosphoryliert, sodass als Zwischenprodukt Isopentenylpyrophosphat, das sog. aktive Isopren, entsteht.

Vom Isopentenylpyrophosphat gehen Kondensationsreaktionen aus, die zu den Polyisoprenen und zum Squalen führen Bildung von Squalen Die Kondensationen von aktiven Isoprenresten erfolgen in folgenden Schritten unter Katalyse der Isopentenylpyrophosphatisomerase und der Prenyltransferase (. Abb. 23.5). Zunächst wird Isopentenylpyrophosphat durch die

Acetyl-CoA# 3-Ketothiolase Acetacetyl-CoA# HMG-CoA-Synthase HMG-CoA# HMG-CoA-Reduktase Mevalonat# Mevalonatkinase 5-Phosphomevalonat# Phosphomevalonatkinase 5-Pyrophosphomevalonat# 3-Phospho-5-Pyrophosphomevalonat# Pyrophosphomelavonatdecarboxylase Isopentenylpyrophosphat#

295 23.2 · Synthese von Isoprenlipiden

23

Isopentenylpyrophosphatisomerase zu Dimethylallylpyrophosphat isomerisiert und damit ein weiteres aktives Isopren erzeugt.

Grundlage der folgenden Kondensationsreaktionen ist eine Kopf-Schwanz-Kondensation: 4 Vom enzymgebundenen Dimethylallylpyrophosphat wird Pyrophosphat eliminiert. 4 An das dadurch als Intermediat entstehende Carbokation (Carbeniumion) kondensiert Isopentenylpyrophosphat, wobei ein neues Carbokation gebildet wird, aus dem durch Abspaltung eines Protons Geranylpyrophosphat entsteht. 4 Die Prenyltransferase katalysiert nach einem gleichartigen Mechanismus die Kondensation von Geranylpyrophosphat mit Isopentenylpyrophosphat. Das Reaktionsprodukt ist das aus 15 C-Atomen bestehende Farnesylpyrophosphat.

Durch Kondensation von zwei Molekülen Farnesylpyrophosphat entsteht unter Katalyse der Squalensynthase das aus insgesamt 30 C-Atomen bestehende Squalen. Bei dieser Reaktion handelt es sich um eine Kopf-Kopf-Kondensation, bei der ebenfalls nach Pyrophosphateliminierung ein Carbokation als Intermediat auftritt. Außerdem ist eine NADPH-abhängige Reduktion des Zwischenprodukts Präsqualenpyrophosphat erforderlich.

Die durch Kondensation von aktiven Isoprenresten gebildeten Zwischenprodukte sind Ausgangspunkt für die Biosynthese einer großen Zahl von Naturstoffen Aus den bei der Kondensation der aktiven Isoprene entstehenden Verbindungen werden außer Squalen viele Naturstoffe gebildet (. Abb. 23.6). Zu ihnen gehören u. a.: 4 Cholesterin und seine Abkömmlinge, 4 Dolichol (7 Kap. 3.2.5), 4 Ubichinon (7 Kap. 19.1.2), 4 Häm A (7 Kap. 19.1.2), 4 D-Hormone (Vitamin D, 7 Kap. 58.3), 4 Carotinoide (Vitamin A, 7 Kap. 58.2), 4 Tocopherol (Vitamin E, 7 Kap. 58.4), 4 Phyllochinone (Vitamin K, 7 Kap. 58.5), aber auch 4 eine große Zahl pflanzlicher Metabolite, u. a. Kautschuk. Darüber hinaus werden einige vor allem an Regulationsvorgängen beteiligte Proteine durch Geranylierung oder Farnesylierung (Prenylierung, 7 Kap. 49.3.4) mit den entsprechenden Gruppen covalent verknüpft und erhalten damit einen Membrananker.

Cholesterin entsteht in 22 Teilreaktionen aus Squalen Synthese von Cholesterin aus Squalen Squalen ist ein Vorläufer des Cholesterins (. Abb. 23.7). Zunächst entsteht in einer

mehrstufigen Reaktion unter Ringschluss Lanosterin. Dabei wandert eine Methylgruppe auf das C-Atom 13 und eine weitere auf das C-Atom 14. In einer sauerstoffabhängigen Reaktion wird schließlich am C-Atom 3 eine Hydroxylgruppe eingeführt. Durch dreimalige Demethylierung an den C-Atomen 4 und 14 entsteht aus Lanosterin das Zymosterin. Es unterscheidet sich von Cholesterin nur noch durch die Lage der Doppelbindung und durch eine weitere Doppelbindung in der Seitenkette.

. Abb. 23.5 Reaktionsmechanismus der Prenyltransferase. (Einzelheiten s. Text)

Isopentenylpyrophosphat# Isopentenylpyrophosphatisomerase Dimethylallylpyrophosphat# Prenyltransferase Geranylpyrophosphat# Farnesylpyrophosphat# Squalen-Synthase Squalen#

Kapitel 23 · Stoffwechsel von Cholesterin

296

. Abb. 23.6 Biosynthese wichtiger Verbindungen aus »aktivem Isopren« in Säugerzellen. (Einzelheiten s. Text)

Zusammenfassung Cholesterin und andere Isoprenlipide werden aus AcetylCoA synthetisiert, wobei zunächst als Zwischenstufe die aktiven Isopreneinheiten Dimethylallylpyrophosphat und Isopentenylpyrophosphat entstehen. Durch Kondensationsreaktionen beider Verbindungen werden eine große Zahl von Naturstoffen gebildet, zu denen Cholesterin, viele Vitamine, aber auch das intrazellulär synthetisierte Ubichinon gehören.

23.3

Cholesterinhomöostase

Es ist schon lange bekannt, dass die Geschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese und damit der Cholesteringehalt des Plasmas von der Menge des mit der Nahrung aufgenommenen Cholesterins abhängen. Durch Reduktion der Cholesterinaufnahme lässt sich der Cholesterinspiegel im Plasma senken. Umgekehrt führt eine Mehraufnahme von 100 mg Cholesterin/Tag zu einer Erhöhung des Cholesterinspiegels um etwa 5 mg/100 ml (0,13 mmol/l) . Abb. 23.7 Biosynthese von Cholesterin aus Squalen. Die NummeriePlasma. rung der C-Atome in den Zwischenprodukten entspricht der NummerieCholesterin ist unlöslich in wässrigen Medien und zeigt u. a. rung im Cholesterin. (Einzelheiten s. Text) bei erhöhter Plasmakonzentration die Tendenz zur Ablagerung, 23 z. B. in der Wand von Blutgefäßen, mit entsprechenden Konsequenzen (7 Kap. 25.4.2). Deshalb müssen endogene Cholesterinsynthese und Cholesterinzufuhr mit der Nahrung möglichst gut aufeinander abgestimmt werden. Isopentenylpyrophosphat Dimethylallylpyrophosphat Geranylpyrophosphat Farnesylpyrophosphat Squalen Carotinoide Tocopherole Kautschuk Proteine geranylgeranylierte Proteine farnesylierte Häm A Dolicholpyrophosphat Ubichinone D-Hormone Squalen# Lanosterin# Zymosterin# Cholesterin#

297 23.3 · Cholesterinhomöostase

Cholesterin hemmt die Transkription der Enzyme der Cholesterinbiosynthese Die Transkription von Enzymen der Cholesterinbiosynthese hängt von der Verfügbarkeit von Cholesterin ab: 4 Zufuhr von Cholesterin zu kultivierten Zellen führt zu einer raschen Abnahme der mRNAs aller an der Cholesterinsynthese beteiligter Gene, besonders derjenigen, welche für die HMG-CoA-Reduktase, die HMG-CoA-Synthase, die Prenyltransferase, aber auch den LDL-Rezeptor codieren (7 Kap. 24.2). 4 Bei Cholesterinmangel nimmt dagegen die Transkription dieser Gene und damit deren mRNA-Spiegel zu. Die Gene der genannten Proteine haben in ihrer Promotorregion in mehreren Kopien ein aus acht Nucleotiden bestehendes sog. Sterolregulationselement 1 (SRE 1, sterol regulatory element). Die Entfernung dieser Elemente bringt die Transkriptionsabhängigkeit von Cholesterin und anderen Sterolen zum Verschwinden. SRE 1 ist ein enhancer (7 Kap. 47.2.2), der die Transkription der o. g. Gene dann aktiviert, wenn Transkriptionsfaktoren an ihn binden, die als SREBPs (sterol regulatory element binding protein) bezeichnet werden. SREBPs kommen in drei Isoformen vor, SREBP-1a, -1c und -2. Für die Regulation der Gen-Transkription durch Cholesterin ist v. a. SREBP-2 zuständig. Seine Aktivierung erfolgt in folgenden Schritten (. Abb. 23.8): 4 SREBP-2 ist ein aus drei Domänen bestehendes Protein, das mit seiner luminalen Domäne haarnadelartig in die Membran des endoplasmatischen Retikulums integriert ist. Die N-terminale und die C-terminale Domäne ragen ins Cytosol. Die N-terminale Domäne ist ein Transkriptionsfaktor der Helix-turn-Helix-Familie (7 Kap. 47.2.2), die C-terminale Domäne hat eine regulatorische Funktion. 4 Die C-terminale Domäne bindet an ein als SCAP (SREBP cleavage-activating protein) bezeichnetes, mit 8 Transmembrandomänen im endoplasmatischen Retikulum verankertes Protein. 4 5 der 8 Transmembransegmente von SCAP wirken als Sensor für in die Membran eingebautes Cholesterin. 4 Ist die Cholesterinkonzentration hoch, so bindet der Komplex aus SREBP-2 und SCAP an ein als Insig-Protein (insulin induced gene) bezeichnetes Membranprotein des endoplasmatischen Retikulums und fixiert auf diese Weise SREBP-2. 4 Bei niedrigen Cholesterinkonzentrationen bindet das SCAP kein Cholesterin, löst sich von der Bindung an Insig und der SREBP/SCAP-Komplex wird vesikulär zum Golgi-Apparat transportiert. 4 Durch eine als S1P bezeichnete Protease wird dort SREBP-2 in der luminalen Domäne gespalten. Beide cytosolische Domänen sind danach noch in die Golgi-Membran integriert. 4 Erst durch die S2P-Protease wird die N-terminale Domäne freigesetzt, in den Zellkern transloziert und wirkt dann als Transkriptionsfaktor. S2P ist nur aktiv, wenn S1P die luminale Domäne geschnitten hat. 4 Die Transkription aller an der Cholesterinbiosynthese beteiligter Gene wird durch SREBP-2 gesteigert.

. Abb. 23.8 Regulation der Cholesterinbiosynthese durch proteolytische Aktivierung von SREBP 2. SREBPs und damit auch SREBP-2 sind integrale Membranproteine des endoplasmatischen Retikulums, die dort einen Komplex mit SCAP (SREBP cleavage-activating protein) bilden. SCAP hat eine cholesterinbindende Domäne. Bei hohen Cholesterinkonzentrationen wird der SREBP-2/SCAP-Komplex an das Insig-Protein (insulin induced gene) gebunden. Die Freisetzung der als Transkriptionsfaktor dienenden N-terminalen Domäne des SREBP-2 erfolgt bei niedrigen Cholesterinkonzentrationen nach Translokation in den Golgi-Apparat. Sie wird durch eine Spaltung durch die Protease S1P eingeleitet. Nach der ersten Spaltung wird die Protease S2P aktiv und spaltet den DNA-bindenden Teil des SREBPs ab. Dieser gelangt in den Zellkern und wirkt als Transkriptionsfaktor. HLH: HelixLoop-Helix. (Einzelheiten s. Text)

23

298

Kapitel 23 · Stoffwechsel von Cholesterin

Dieser Mechanismus gewährleistet, dass die für die Cholesterinbiosynthese benötigten Gene nur dann aktiviert werden, wenn die Zelle arm an Cholesterin ist. SREBPs sind nicht nur an der Regulation des Cholesterinstoffwechsels beteiligt, sondern greifen auch in die Fettsäureund Triacylglycerinsynthese, die Aufnahme von Cholesterin und Fettsäuren in Zellen und sogar in den Glucosestoffwechsel ein (. Tab. 23.1). Die Aktivierung ist in diesem Fall allerdings nicht cholesterin-, sondern insulinabhängig (7 Kap. 15.3.1).

Eine Erhöhung des zellulären Cholesteringehalts senkt die Halbwertszeit der HMG-CoA-Reduktase Das die Reaktionsgeschwindigkeit der Cholesterinbiosynthese bestimmende Enzym ist die HMG-CoA-Reduktase. Die HMGCoA-Reduktase ist ein Protein des endoplasmatischen Retikulums. Eine cytosolische Domäne trägt die Enzymaktivität. In die Membran ist das Enzym mit acht Transmembrandomänen integriert. Diese sind eng mit den acht Transmembrandomänen von SCAP verwandt und dienen auch als Sensor für Sterole, neben Cholesterin v. a. Oxysterole (enzymatisch oder nicht-enzymatisch entstandene Oxidationsprodukte des Cholesterins, mit Hydroxylgruppen an den C-Atomen 7 oder in der Seitenkette). Die Bindung solcher Sterole an diese Domänen löst die Ubiquitinierung und damit einen gesteigerten Abbau von HMG-CoAReduktase aus, was zu einer Verminderung der Cholesterinbiosynthese führt.

Die HMG-CoA-Reduktase wird durch reversible Phosphorylierung inaktiviert Durch die AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK), die auch die Acetyl-CoA-Carboxylase phosphoryliert und inaktiviert (7 Kap. 38.1.1), wird die HMG-CoA-Reduktase inaktiviert. Eine Proteinphosphatase macht diesen Effekt rückgängig. AMP als der Aktivator der AMPK fällt immer dann an, wenn in Zellen Energiemangel herrscht. In diesem Zustand erscheint es sinnvoll, energieverbrauchende Biosynthesen wie die Fettsäure- oder Cholesterinbiosynthese abzuschalten.

Zur Behandlung von Hypercholesterinämien werden Inhibitoren der HMG-CoA-Reduktase verwendet Von besonderer Bedeutung für die Behandlung von Hypercholesterinämien (7 Kap. 25.4.2) sind eine Reihe spezifischer Pilzmetabolite. Es handelt sich um Verbindungen wie Mevinolin oder Compactin, deren Derivate als Statine bezeichnet werden

. Abb. 23.9 Strukturen von Compactin und Mevinolin. Der zum Mevalonat strukturhomologe Teil ist rot hervorgehoben

(. Abb. 23.9). Sie verfügen über eine dem Mevalonat strukturell entsprechende Gruppe, werden deswegen von der HMG-CoAReduktase gebunden und wirken als kompetitive Inhibitoren. Da sie eine besonders hohe Affinität zu diesem Enzym besitzen, kann mit ihnen die Biosynthese von Isoprenderivaten und Cholesterin vollständig gehemmt werden.

Einfluss von Fasten, Diabetes mellitus, Schilddrüsenhormonen und Gallensäuren auf den Cholesterinspiegel Bei Nahrungskarenz ist die Aktivität der HMG-CoA-Reduktase deutlich reduziert, was das Absinken des Cholesterinspiegels beim Fasten erklärt. Ähnlich niedrige Aktivitäten der HMGCoA-Reduktase finden sich auch beim Diabetes mellitus. Hier können allerdings die Cholesterinspiegel im Blut hoch sein, wahrscheinlich wegen einer Verlangsamung des Cholesterinumsatzes und der Cholesterinausscheidung. Eine dem Diabetes mellitus ähnliche Konstellation findet man bei der Schilddrüsenunterfunktion, der Hypothyreose (7 Kap. 41.4.3). Die Hyperthyreose geht dagegen trotz Erhöhung der Aktivität der HMG-CoAReduktase mit erniedrigten Cholesterinspiegeln im Blut einher, wahrscheinlich weil gleichzeitig Cholesterinumsatz und -ausscheidung gesteigert sind. Auch Gallensäuren hemmen die Cholesterinbiosynthese (7 Kap. 61.4). Wird die Rückresorption der Gallensäuren im Darm durch die Bindung an einen nicht-resorbierbaren Ionenaustauscher (Colestyramin; 7 Kap. 25.4.2) unterbunden, kommt es zu einer Steigerung der Cholesterinbiosynthese in der Leber. Da jedoch gleichzeitig die Gallensäureneubildung aus Cholesterin beträchtlich beschleunigt ist, sinkt der Serumcholesterinspiegel trotzdem ab.

. Tab. 23.1 Proteine, deren Expression durch SREBPs aktiviert wird (Auswahl)

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SREBP-2 Aktiviert durch Cholesterinmangel

SREBP-1a Aktiviert durch Mangel an ungesättigten Fettsäuren

SREBP-1c Aktiviert durch Insulin

HMG-CoA-Synthase HMG-CoA-Reduktase Alle Enzyme bis zum Isopentenylpyrophosphat Prenyltransferase Squalensynthase Enzyme vom Squalen bis zum Cholesterin LDL-Rezeptor

Acetyl-CoA-Carboxylase Fettsäuresynthase Fettsäureelongasen Fettsäuredesaturasen

GLUT2 Glucokinase Malatenzym Acetyl-CoA-Carboxylase Fettsäuresynthase Glycerophosphat-Acyltransferase

299 23.3 · Cholesterinhomöostase

Zusammenfassung Da Cholesterin sowohl mit der Nahrung zugeführt als auch endogen synthetisiert wird, muss seine Synthese genau reguliert werden. Dabei sind folgende Prinzipien wirksam: 4 Cholesterin hemmt die Aktivierung von SREBP-2, das als Transkriptionsfaktor das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Cholesterinbiosynthese (HMG-CoA-Reduktase) und andere Enzyme der Cholesterinsynthese induziert. 4 Cholesterin verkürzt die Halbwertszeit der HMG-CoAReduktase. 4 Die HMG-CoA-Reduktase wird durch reversible Phosphorylierung inaktiviert.

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24 Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut Georg Löffler

Einleitung Den vielfältigen Funktionen der in den 7 Kap. 21–23 besprochenen Lipide, steht ein Problem gegenüber, das gelegentlich pathobiochemische Konsequenzen hat. Die überwiegend hydrophoben Lipide müssen im Blut und der extrazellulären Flüssigkeit transportiert werden, was wegen der wässrigen Natur dieser Transportmedien naturgemäß schwierig ist. Der Transport erfolgt in Form von Lipoproteinen, Komplexen aus spezifischen Proteinen mit definierten Mischungen der einzelnen Lipide. Schwerpunkte 4 4 4 4 4 4

24.1

Zusammensetzung von Chylomikronen, VLDL, HDL, LDL Apolipoproteine Funktionen und Stoffwechsel der Lipoproteine Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT) Lipoproteinlipase und hepatische Triacylglycerinlipase LDL-Rezeptor

Zusammensetzung der Lipoproteine

Extrahiert man die Lipide des Blutplasmas mit geeigneten organischen Lösungsmitteln oder trennt sie mit chemischen Methoden auf, so finden sich hauptsächlich: 4 Cholesterin und Cholesterinester 4 Phosphoglyceride 4 Triacylglycerine 4 in geringeren Mengen unveresterte langkettige Fettsäuren (. Tab. 24.1) Bei Lipiden überwiegen die hydrophoben Eigenschaften. Es ist deswegen verständlich, dass ihr Transport im wässrigen Medium

. Tab. 24.1 Konzentrationsbereiche der im Serum von Gesunden vorkommenden Lipide. Lipid

24

Konzentrationsbereich (mg/100 ml)

(mmol/l)

Triacylglycerine

50–200

0,6–2,4

Phosphoglyceride

160–250

2,2–3,4

Cholesterin (frei + verestert)

150–220

3,9–6,2

Nichtveresterte Fettsäuren

14–22

0,5–0,8

Blutplasma schwierig ist. Für die mengenmäßig unbedeutende Fraktion der nicht veresterten Fettsäuren steht als Transportvehikel das Serumalbumin zur Verfügung. Alle anderen Lipide des Plasmas müssen durch Bindung an spezifische Transportproteine in Form der Lipoproteine transportiert werden.

Aufgrund ihrer Dichte können Lipoproteine in vier Hauptklassen eingeteilt werden Die verschiedenen Lipoproteine können entsprechend ihrer Dichte in der präparativen Ultrazentrifuge (7 Kap. 6.2) voneinander getrennt werden. Dabei ergeben sich, nach ansteigender Dichte geordnet, folgende Klassen: 4 Chylomikronen 4 very low density lipoproteins (VLDL) 4 low density lipoproteins (LDL) und 4 high density lipoproteins (HDL) Diese Lipoproteine unterscheiden sich sowohl im Lipidgehalt als auch im Verhältnis von Lipiden zu Proteinen. In den Chylomikronen beträgt dieses Verhältnis 98:2, 86 % der Lipide sind Triacylglycerine, 5 % Cholesterin und nur 7 % Phospholipide. Über VLDL, LDL und HDL nimmt das LipidProtein-Verhältnis bis auf etwa 50:50 bei den HDL ab. In der gleichen Reihenfolge sinkt auch der Anteil von transportierten Triacylglycerinen. Den höchsten Cholesteringehalt zeigt die LDL-Fraktion, den höchsten Phosphoglyceridgehalt die HDLFraktion (. Tab. 24.2). Dass sich die einzelnen Lipoproteinklassen auch bezüglich ihrer Proteinzusammensetzung unterscheiden, wird aus ihrem elektrophoretischen Verhalten klar, welches eine weitere Einteilungsmöglichkeit liefert. Während Chylomikronen keine elektrophoretische Beweglichkeit haben, wandern LDL mit der β-Globulinfraktion und HDL mit der α-Globulinfraktion. Sie werden dementsprechend als β- bzw. α-Lipoproteine bezeichnet. VLDL wandern dagegen in der Elektrophorese den β-Globulinen voraus und werden als Prä-β-Lipoproteine bezeichnet.

Für die verschiedenen Lipoproteinklassen sind spezifische Apolipoproteine charakteristisch . Tab. 24.3 fasst die wichtigsten Eigenschaften und Funktionen der einzelnen Apolipoproteine zusammen. Strukturell können die Apolipoproteine in zwei Gruppen eingeteilt werden: 4 ApoB100 und ApoB48 werden als nicht-austauschbare Apolipoproteine bezeichnet, die nicht zwischen den verschiedenen Lipoproteinen wechseln können. Sie sind in Wasser unlöslich.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

301 24.1 · Zusammensetzung der Lipoproteine

. Tab. 24.2 Physikalische Eigenschaften, chemische Zusammensetzung und Hauptapolipoproteine der verschiedenen Lipoproteinklassen Chylomikronen

VLDL

LDL

HDL

Dichte [g/ml]

0,93

0,93–1,006

1,019–1,063

1,063–1,21

Durchmesser [nm]

75–1.200

30–80

18–25

5–12

Triacylglycerine [%]

86

55

6

4

Cholesterin und Cholesterinester [%]

5

19

50

19

Phospholipide [%]

7

18

22

34

Apolipoproteine [%] davon Apo A I Apo A II Apo A IV Apo A V *Apo B48 *Apo B100 Apo C I Apo C II Apo C III Apo D Apo E Apo M

2

8

22

42

+ – + – + (48 %) – (+) + + – + –

– – – + – + (25 %) + + + – + +

– – – – – + (95 %) – – – – + –

+ + + + – – + + + + + +

* Nicht zwischen den Lipoproteinklassen austauschbare Apolipoproteine. Nur für sie ist in Klammern der prozentuale Anteil an der Gesamtmenge der Apolipoproteine angegeben.

4 Die Apolipoproteine der Gruppen A, C, D und E sind in freier Form wasserlöslich und werden zwischen Lipoproteinen ausgetauscht (s. u.). Wie aus physikalisch-chemischen Untersuchungen hervorgeht, nehmen Apolipoproteine erst in Gegenwart von Phosphoglyceriden ihre endgültige räumliche Konformation an. Diese zeichnet sich durch einen relativ großen Gehalt an α-helicalen Bereichen aus, die häufig als sog. amphiphile Helices organisiert sind. Dies bedeutet, dass sich auf der einen Hälfte der Helixoberfläche überwiegend hydrophile und auf der anderen Hälfte dagegen überwiegend hydrophobe Aminosäureseitenketten befinden. Grundlage aller Strukturmodelle für Lipoproteine bildet die Annahme, dass der Kern jedes Lipoproteins aus Lipiden besteht. Die Apolipoproteine »schwimmen« mit ihren hydrophoben Strukturen auf der Lipidphase und treten mit ihren hydrophilen Domänen mit der wässrigen Umgebung in Wechselwirkung. Für den Aufbau der LDL-Klasse bestehen experimentell einigermaßen gesicherte Vorstellungen (. Abb. 24.1), die auf der Strukturaufklärung des Apolipoproteins B100 (ApoB100) beruhen. Dieses außerordentlich große Protein besteht aus 4.527 Aminosäureresten und lässt sich in fünf Domänen einteilen (. Abb. 24.1A). Beginnend vom N-Terminus findet sich zunächst eine lipovitellinähnliche Domäne. Lipovitellin ist das Lipoprotein des Eidotters. Man nimmt an, dass diese Domäne für die Lipidbeladung des LDL verantwortlich ist. In den folgenden vier Domänen bis zum C-Terminus wechseln sich amphipathische β-Faltblattstrukturen mit ebenfalls amphipathischen α-Helices ab. In . Abb. 24.1B, C ist der Aufbau des LDL schematisch dargestellt: 4 In einem Kernbereich des LDL befinden sich apolare Lipide wie Triacylglycerine und Cholesterinester. Um diesen herum legt sich eine Schale aus Cholesterin und amphiphilen Lipiden, v. a. Phosphoglyceriden.

. Tab. 24.3 Klassifizierung und Funktion der Apolipoproteine des menschlichen Serums Apolipoprotein

Lipoprotein

Molekülmasse (kDa)

Syntheseort

Funktion

AI

Chylomikronen, HDL

28,5

Leber, Darm

Strukturelement, Aktivator der LCAT

A II

HDL

17

Leber

Strukturelement, Aktivator der hepatischen Lipase

A IV

Chylomikronen, HDL

46

Darm

Strukturelement, Aktivator der LCAT

AV

VLDL, HDL

38

Leber

Aktivator der hepatischen Lipase

B100*

VLDL, LDL

513

Leber

Ligand des ApoB100-Rezeptors

B48*

Chylomikronen

241

Darm

Strukturelement

CI

Chylomikronen, VLDL, HDL

7,6

Leber

Aktivator der LCAT

CII

Chylomikronen, VLDL, HDL

8,9

Leber

Aktivator der LPL

CIII

Chylomikronen, VLDL, HDL

8,7

Leber

Inhibitor der LPL

D

HDL

33

Leber

Aktivator der LCAT, Strukturelement

E

Chylomikronen, VLDL, HDL, (LDL)

34

Leber

Ligand des ApoE-Rezeptors

M

HDL, VLDL

13

Leber, Nieren

Unbekannt

* Nicht austauschbare Apolipoproteine. LCAT: Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase; LPL: Lipoproteinlipase.

24

302

Kapitel 24 · Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut

A

B

C

. Abb. 24.1 Aufbau eines LDL-Lipoproteins. A Domänen des Apolipoprotein B100 (Apo B100). N-terminal befindet sich eine dem Lipovitellin ähnliche Domäne, die wegen ihrer Zusammensetzung auch als βα1-Domäne bezeichnet wird. Die als β1 und β2 bezeichneten Domänen zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an β-Faltblattstruktur aus, während die Domänen α2 und α3 (C-Terminus) überwiegend α-helicale Elemente aufweisen. B Querschnitt durch ein LDL-Partikel. Man erkennt den inneren, aus Triacylglycerinen und Cholesterinestern zusammengesetzten Kern (gelb); die ihn umgebenden amphiphilen Lipide sind blau dargestellt, das ApoB100-Molekül rot. C LDL in der Aufsicht. Man erkennt, wie sich ApoB100 mit α-helicalen und β-Faltblattanteilen um den Lipidkern windet. Die hell dargestellten Anteile sind hinter dem Lipidkern gelegen. Prd1–prd3: Prolinreiche Domänen, die für die Bindung an den LDL-Rezeptor wichtig sind. (Adaptiert nach Segrest JP et al. 2001)

4 Ein Molekül ApoB100 ist um das kugelförmige Lipidpartikel gewunden. Dabei tauchen die β-Faltblattstrukturen β1 und β2 in die Phosphoglyceridstruktur ein. Außer ihrer strukturgebenden Funktion haben Apolipoproteine wichtige Aufgaben im Rahmen des Metabolismus der Lipoproteine zu erfüllen (. Tab. 24.3). So sind die Apolipoproteine B100 und E Liganden für spezifische Rezeptoren, die die Internalisierung der Lipoproteine und damit ihren weiteren Stoffwechsel vermitteln. Das Apolipoprotein CII ist ein unerlässlicher Aktivator der Lipoproteinlipase (LPL), die Apolipoproteine AI, CI und D aktivieren die Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT). Zusammenfassung

24

Im Blutplasma erreichen die Lipide Konzentrationen, die ihre Löslichkeit weit übersteigen. Sie werden infolgedessen als Proteinkomplexe in Form von Lipoproteinen transportiert. Diese werden aufgrund ihrer Dichte in vier Hauptklassen eingeteilt: Chylomikronen, VLDL, LDL und HDL. Die unter6

schiedlichen Dichten ergeben sich durch die für die jeweilige Lipoproteinklasse spezifischen Verhältnisse an Triacylglycerinen, Cholesterin, Phospholipiden und Apolipoproteinen. Apolipoproteine sind neben den Phospholipiden die Lösungsvermittler von Cholesterin und Triacylglycerinen. Darüber hinaus erfüllen sie spezifische Funktionen im Stoffwechsel der einzelnen Lipoproteine. Einige von ihnen werden zwischen den Lipoproteinen ausgetauscht.

24.2

Funktion und Umsatz einzelner Lipoproteine

Triacylglycerinreiche Lipoproteine entstehen in Darm und Leber Chylomikronen und VLDL sind die besonders triacylglycerinrei-

chen Lipoproteine. Die ersteren sind für den Transport mit der Nahrung aufgenommener Triacylglycerine, die letzteren für den Transport der in der Leber aus endogenen Quellen synthetisierten Triacylglycerine verantwortlich.

303 24.2 · Funktion und Umsatz einzelner Lipoproteine

Chylomikronen Chylomikronen entstehen in den Mukosazellen

der duodenalen Schleimhaut: 4 Im rauen endoplasmatischen Retikulum der Mukosazellen assoziieren Phospholipide cotranslational mit dem Apolipoprotein B48, wobei kleine, unreife Chylomikronen entstehen. 4 Die bei der Resorption durch die Pankreaslipase gespaltenen Triacylglycerine werden im glatten endoplasmatischen Retikulum zu Triacylglycerinen resynthetisiert (7 Kap. 61.3.3). 4 Mit Hilfe eines Triacylglycerintransferproteins assoziieren unreife Chylomikronen und Triacylglycerine. Die Reifung von Chylomikronen wird durch Aufnahme weiterer Lipide wie Cholesterin und Phosphoglyceride sowie der Apolipoproteine AI und AIV abgeschlossen. 4 Vom rauen endoplasmatischen Retikulum gelangen die Chylomikronen in den Golgi-Apparat, wo sie in Sekretgranula gespeichert und durch Exocytose in den extrazellulären Raum abgegeben werden. 4 Hier sammeln sie sich in den intestinalen Lymphgängen und gelangen über den Ductus thoracicus in den Blutkreislauf. VLDL Prinzipiell gleichartig wie die der Chylomikronen erfolgt die in den Einzelheiten noch nicht völlig aufgeklärte Bildung der VLDL: 4 Im rauen endoplasmatischen Retikulum wird das Apolipoprotein B100 synthetisiert und bereits cotranslational mit Triacylglycerinen beladen. 4 Hierfür und für den Transfer ins glatte endoplasmatische Retikulum ist das mikrosomale Lipidtransferprotein MTP notwendig. 4 Im glatten endoplasmatischen Retikulum erfolgt eine Fusion mit Lipidvesikeln, die außer Triacylglycerinen auch Phophoglyceride, Cholesterin und Cholesterinester enthalten. 4 Die so entstandenen fertigen VLDL gelangen in den GolgiApparat und werden von dort sezerniert. 4 Bei niedrigen Cholesterin- und Phosphoglyceridspiegeln in der Leber wird die VLDL-Synthese eingeschränkt. Hohe Cholesterinspiegel in der Leber führen dagegen zu cholesterinreichen VLDL, die eine Arteriosklerose auslösen können.

Triacylglycerinreiche Lipoproteine werden durch die Lipoproteinlipase abgebaut Am Abbau der triacylglycerinreichen Lipoproteine sind in besonderem Umfang die extrahepatischen Gewebe beteiligt. Allerdings bestehen beträchtliche Unterschiede in den Abbauwegen für Chylomikronen und VLDL (. Abb. 24.2 und 24.3). Chylomikronen Unmittelbar nach ihrem Erscheinen im Blut ändert sich die Oberfläche der Chylomikronen (. Abb. 24.2). In

Abhängigkeit von der Konzentration von HDL, besonders der Untergruppe HDL2 (s. u.), erfolgt ein Austausch der Apolipoproteine des Typs C und E zwischen HDL und Chylomikronen. Besonders wichtig ist das Apolipoprotein CII als ein Cofaktor der

. Abb. 24.2 Abbau von Chylomikronen. Chy: Chylomikronen; CR: Chylomikronen-remnants; ApoE-R: Apolipoprotein-E-Rezeptor. (Einzelheiten s. Text)

Lipoproteinlipase. Dieses lipolytisch wirksame Enzym (7 Kap. 21.1.3) ist an der Plasmamembran von Kapillarendothelien und extrahepatischen Geweben lokalisiert und katalysiert die Spaltung von Triacylglycerinen zu Glycerin und Fettsäuren. Die Fettsäuren werden von den extrahepatischen Geweben aufgenommen und verstoffwechselt (7 Kap. 21.1.3). Das Glycerin wird in der Leber phosphoryliert und anschließend in den Stoffwechsel eingeschleust (7 Kap. 21.1.2). Beim Abbau der Chylomikronen durch die Lipoproteinlipase gehen 70–90 % des Triacylglyceringehalts verloren. Gleichzeitig wird ein beträchtlicher Teil der Apolipoprotein A- und CMoleküle und Cholesterin auf HDL-Vorstufen, sog. discoidale HDL, übertragen, wobei die Fraktion HDL3 entsteht. Das Überbleibsel des Chylomikronenabbaus, welches auch als remnant (engl. Überbleibsel) bezeichnet wird, enthält noch die Apolipoproteine B48 und E, außerdem weitere resorbierte Lipide, v. a. das Nahrungscholesterin. In der Leber erfolgt über spezifische Rezeptoren für das Apolipoprotein E eine Internalisierung und damit schließlich ein Abbau dieses Restpartikels. VLDL Im Gegensatz zu Chylomikronen werden VLDL in der

Leber synthetisiert. Nach der Sekretion erfolgt durch Wechselwirkung mit HDL-Partikeln eine Anreicherung mit Cholesterinestern sowie den Apolipoproteinen E und C, besonders CII (. Abb. 24.3). Durch CII-vermittelte Stimulation der am Kapillarendothel vorhandenen Lipoproteinlipase werden VLDLPartikel zu Glycerin und Fettsäuren abgebaut, wobei, ähnlich wie bei Chylomikronen, zunächst ein VLDL-Remnant entsteht. Wegen seines Gehalts an Apolipoprotein E kann es von der Leber über entsprechende Rezeptoren internalisiert werden. Alternativ reagieren die VLDL-Remnants mit der hepatischen

24

304

Kapitel 24 · Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut

. Abb. 24.3 Abbau von VLDL very low density-Lipoproteinen. TG: Triacylglycerin; VR: VLDL-Remnant; CE: Cholesterinester; –R: Rezeptor. (Einzelheiten s. Text)

Triacylglycerinlipase und verlieren auf diese Weise weiter an Triacylglycerinen, wobei ein Lipoprotein intermediärer Dichte, das IDL (IDL, intermediate density lipoprotein), entsteht. Dieses verliert unter Bildung von LDL-Partikeln sein Apolipoprotein E an den HDL-Pool. LDL enthalten nur noch das Apolipoprotein B100.

Die LDL transportieren Cholesterin zur Leber und den extrahepatischen Geweben und regulieren deren Cholesterinbiosynthese

24

Von den Plasmalipoproteinen enthalten die LDL am meisten Cholesterin und Cholesterinester, die zu den Geweben transportiert werden, wo sie als Membranbauteil oder zur Synthese von Steroidhormonen oder Gallensäuren verwendet werden. Besondere Mechanismen sind allerdings notwendig, um die Cholesterinzufuhr mit LDL und die endogene Cholesterinsynthese der jeweiligen Zellen aufeinander abzustimmen. Schon vor vielen Jahren haben Joseph Goldstein und Michael Brown (Nobelpreis für Medizin 1985) gefunden, dass Zusatz von LDL zu kultivierten Zellen deren endogene Cholesterinsynthese blockiert. Dies führte in der Folge zur Entdeckung der in . Abb. 24.5 dargestellten Beziehung zwischen dem in den LDL transportierten Cholesterin und der Cholesterinbiosynthese extrahepatischer Gewebe. Entscheidend hierfür ist, dass zunächst die LDL-Partikel an einen spezifischen, in der Plasmamembran der Zielzelle gelegenen Rezeptor, den LDL-Rezeptor, binden. Sein Ligand ist das Apolipoprotein B100. Der LDL-Rezeptor (. Abb. 24.4) besteht aus 839 Aminosäuren und ist ein Membranprotein mit einer Transmembrandomäne, einem extrazellulären N-Terminus und einem intrazellulären C-Terminus. N-terminal befinden sich zunächst 7 sog. LA-Module (LA: LDL-receptor type A), die für die Bindung des Liganden Apo B100 verantwortlich sind. Sie bilden einen beweglichen Arm, der die unterschiedlich großen LDL (und VLDL-remnant) Moleküle binden kann. An die LA-Module schließen sich zwei EGF-homologe Domänen (EGF-A, EGF-B) an. Ihnen folgt eine

Domäne mit einer sog. β-Propellerstruktur (P), danach eine weitere EGF-homologe Domäne (EGF-C). Der extrazelluläre Teil des Rezeptors wird durch eine Sequenz mit O-glycosidisch gebundenen Kohlenhydratseitenketten abgeschlossen (K). In der intrazellulären Domäne befinden sich noch zwei Sequenzen (I), die für die Internalisierung des Rezeptors einschließlich des gebundenen LDL verantwortlich sind. Der LDL-Rezeptor wird im rauen endoplasmatischen Retikulum in Form eines Präkursor-Proteins synthetisiert und wie alle Glykoproteine dort sowie im Golgi-Apparat prozessiert (. Abb. 24.5). Etwa 45 min nach seiner Synthese erscheint er in

. Abb. 24.4 Aufbau des LDL-Rezeptors aus verschiedenen Domänen. LA: LDL-receptor type A-Domäne; EA–EC: EGF(epidermal growth factor)-homologe Domänen; P: β-Propellerdomäne; K: kohlenhydratreiche Domäne; TMD: Transmembrandomäne; I: Internalisierungsdomänen. (Einzelheiten s. Text)

305 24.2 · Funktion und Umsatz einzelner Lipoproteine

. Abb. 24.5 Der intrazelluläre Kreislauf des LDL-Rezeptors. ACAT: Acyl-CoA-Cholesterin-Acyltransferase. (Einzelheiten s. Text)

korrekter Orientierung auf der Zelloberfläche. Der cytoplasmatische Teil des Rezeptorproteins kann über das Adaptorprotein AP2 mit Clathrin in Wechselwirkung (7 Kap. 6.4) treten, sodass sich der Rezeptor in coated pits sammelt. Die Bindung von LDL an den LDL-Rezeptor erfolgt im Verhältnis 1:1. Innerhalb von 3–5 min nach der Bindung kommt es unter Bildung von coated vesicles zur Endocytose der LDL/LDL-RezeptorKomplexe. Nach Verlust der Clathrinschicht fusionieren diese mit frühen Endosomen. In ihnen sinkt der pH-Wert wegen des Vorhandenseins einer ATP-getriebenen Protonenpumpe (7 Kap. 19.1.3) auf Werte unter 6,5, was die Dissoziation von LDL und Rezeptor auslöst. Der Rezeptor kehrt in Form kleiner Vesikel wieder zur Zelloberfläche zurück (receptor recycling) und steht für die Bindung weiterer Lipoproteine zur Verfügung. Die für einen derartigen Transportzyklus benötigte Zeit beträgt etwa 10 min. Das LDL-Apolipoprotein wird in Lysosomen abgebaut und die in den LDL-Partikeln enthaltenen Cholesterinester durch eine lysosomale saure Lipase hydrolysiert. Danach verlässt das freie Cholesterin das Lysosom. An den Membranen des endoplasmatischen Retikulums beeinflusst Cholesterin nun zwei Vorgänge: 4 Es reduziert die Aktivität sämtlicher an der Cholesterinbiosynthese beteiligter Enzyme durch eine Reduktion der Transkription der zugehörigen Gene (7 Kap. 23.3). 4 Es aktiviert hauptsächlich über einen allosterischen Effekt die Acyl-CoA-Cholesterin-Acyltransferase (ACAT), was zu

einer Veresterung des Cholesterins mit Speicherung der entstehenden Cholesterinester in den Lipidtropfen der Zelle führt. Auf diese Weise spielt der LDL-Rezeptor extrahepatischer Gewebe eine bedeutende Rolle im Cholesterinstoffwechsel. Er ist für die Bindung und Aufnahme der cholesterinreichen LDL-Partikel verantwortlich und sorgt damit für eine Senkung des Cholesterinspiegels im Plasma. Zusätzlich vermittelt er eine Hemmung der Cholesterinbiosynthese extrahepatischer Gewebe und verhindert so eine Überschwemmung der Zellen mit Cholesterin. (Über die Bedeutung der LDLRezeptoren bei der familiären Hypercholesterinämie s. 7 Kap. 25.4.2).

Die HDL sind für den reversen Cholesterintransport verantwortlich Unter dem Begriff des reversen Cholesterintransportes fasst man die Mechanismen zusammen, die den Transport von Cholesterin aus den extrahepatischen Geweben zur Leber und damit zur Cholesterinausscheidung vermitteln. Ein derartiger Transport ist notwendig, da extrahepatische Gewebe zwar Cholesterin synthetisieren können, aber über keine Reaktionen zum Cholesterinabbau verfügen. Beim reversen Cholesterintransport spielt die sehr uneinheitliche Fraktion der HDL eine entscheidende Rolle. Aufgrund eines unterschiedlichen Gehalts an

24

306

Kapitel 24 · Lipoproteine – Transportformen der Lipide im Blut

. Abb. 24.6 Die Funktion der HDL beim reversen Cholesterintransport. ABCA1, ABCG1: Lipidtransporter; C: Cholesterin; CE: Cholesterinester; d-HDL: diskoidale HDL; CETP: Cholesterinester-Transferprotein; HL: hepatische Triacylglycerinlipase; LCAT: Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase; LDL-R: LDL-Rezeptor; PL: Phospholipide; PLTP: Phospholipidtransferprotein; SR-B1: hepatischer scavenger receptor-B1; Lyso-PL: Lysophospholipid, (Einzelheiten s. Text)

24

Apolipoproteinen und unterschiedlichem Lipidgehalt können mindestens drei HDL-Gruppen unterschieden werden, die als diskoidale HDL, HDL2 und HDL3 bezeichnet werden (als HDL1 bezeichnet man eine HDL2-Fraktion, die lediglich das Apolipoprotein E enthält). . Abb. 24.6 fasst die Vorstellungen über die Entstehung, die Reifung und den Abbau der verschiedenen HDL-Fraktionen zusammen: 4 Der Stoffwechsel der HDL beginnt mit der Synthese und Sekretion der für diese Lipoproteinfraktion charakteristischen Apolipoproteine AI und AII in der Leber und in den Mucosazellen des Dünndarms. Eine weitere Quelle von A-Apolipoproteinen sind triacylglycerinreiche Lipoproteine (Chylomikronen, VLDL). 4 Unter Bildung diskoidaler HDL binden Apo AI und AII Cholesterin und Phospholipide, bevorzugt aus der Leber. Für diesen Vorgang ist der ATP-abhängige Lipidtransporter ABCA1 (ABC = ATP-binding cassette) verantwortlich. Durch das Phospholipidtransferprotein (PLTP) werden weitere Phospholipide aus triacylglycerinreichen Lipoproteinen auf die diskoidalen HDL übertragen. 4 Das Apolipoprotein A1 bindet das von der Leber synthetisierte und sezernierte Enzym Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT). Das Enzym katalysiert die Reaktion: Cholesterin + Phosphatidylcholin Cholesterinester + Lysophosphatidylcholin

4 Durch die Einwirkung der LCAT nimmt der Gehalt der HDL an Cholesterinestern zu, gleichzeitig verringert sich ihr Gehalt an Phosphoglyceriden, da das gebildete Lysophosphatidylcholin wegen seiner besseren Wasserlöslichkeit von den HDL-Partikeln abdiffundiert. Hierdurch nehmen die HDL ihre runde Form als mizelläre Partikel an. 4 Die durch LCAT gebildeten Cholesterinester wandern in den apolaren Kern der HDL-Partikel. Dadurch entsteht auf der HDL-Oberfläche Platz, in den aus den Membranen extrahepatischer Gewebe stammendes Cholesterin eingelagert werden kann. Für den Cholesterintransport durch die Plasmamembran werden die Lipidtransporter ABCA1 und ABCG1 benötigt. 4 Auf diese Weise entsteht zunächst die Fraktion der HDL3, durch weiteren Angriff der LCAT und Übernahme von Material, welches beim Abbau der VLDL entsteht (Phospholipide mit Hilfe des PLTP, Apolipoproteine C, E) auch die HDL2. 4 Für die Aufnahme der in den HDL gespeicherten Lipide in die Leber gibt es drei Möglichkeiten: 5 Für den Menschen am wichtigsten ist die selektive Aufnahme von Cholesterinestern durch den scavenger receptor-B1 (SR-B1-Rezeptor). Dabei entstehen aus den HDL2 diskoidale HDL oder (in . Abb. 24.6 nicht dargestellt) HDL3. 5 Das Cholesterinester-Transferprotein (CETP) vermittelt den Austausch von Cholesterinestern der HDL2 gegen Triacylglycerine der VLDL. Dadurch entstehen mit Triacylglycerinen beladene HDL2 und VLDL, die reich an Cholesterinestern sind und deswegen den LDL ähneln. 5 Durch die hepatische Triacylglycerinlipase werden die mit Triacylglycerinen beladenen HDL2 abgebaut, wodurch wieder diskoidale HDL oder HDL3 entstehen. 5 Die an Cholesterinestern reichen (V)LDL werden durch den LDL-Rezeptor der Leber aufgenommen. 4 Außer durch die genannten Mechanismen besteht die Möglichkeit der direkten Aufnahme von HDL2 in die Leber durch Apo-E- oder Apo-A1-Rezeptoren.

Zusammenfassung 4 Chylomikronen sind für den Transport von mit der Nahrung aufgenommenen Triacylglycerinen und anderen Lipiden verantwortlich. 4 VLDL transportieren im Wesentlichen in der Leber synthetisierte Triacylglycerine sowie Phospholipide und Cholesterin. 4 Beim VLDL-Abbau durch die Lipoproteinlipase entstehen LDL als cholesterinreiche Lipoproteine, die rezeptorvermittelt v. a. von extrahepatischen Geweben aufgenommen werden. 4 Für den reversen Cholesterintransport zur Leber und damit zum Ort der Ausscheidung sind die HDL verantwortlich.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

307

25 Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels Georg Löffler

Defekte im Fettsäureabbau

Einleitung

25.1.1

Diabetes mellitus, Fettleber und Adipositas sind häufige Störungen des Stoffwechsels von Triacylglycerinen und Fettsäuren. Die Symptomatik von angeborenen Erkrankungen wie der Adrenoleukodystrophie und von Störungen der mitochondrialen β-Oxidation verdeutlicht die Bedeutung der Energieversorgung von Geweben durch Fettsäuren. Enzymdefekte im Abbau von Sphingolipiden (7 Kap. 22) führen zu den Lipidspeicherkrankheiten, die heute über Enzymersatztherapie behandelt werden. Überschreiten Serumlipoproteine (7 Kap. 24) die

Prinzipiell kann jedes der am Triacylglycerin- und Fettsäurestoffwechsel beteiligten Enzyme durch Mutationen defekt werden. Es handelt sich immer um relativ seltene Erkrankungen. Gut untersucht sind u. a. die Adrenoleukodystrophie und die Defekte der Acyl-CoA-Dehydrogenase bzw. der Carnitin-PalmitoylTransferase.

normalen Konzentrationen, kann es zu Ablagerungen von Lipiden in Blutgefäßen, zur Verengung des Lumens der Blutgefäße und damit zu einer Reihe bedrohlicher Krankheitsbilder kommen. Die Biosynthese der Eicosanoide (7 Kap. 22) ist Angriffspunkt der in der Alltagsmedizin weit verbreiteten steroidalen und nichtsteroidalen Schmerz- und Entzündungshemmer. Schwerpunkte 4 Angeborene Defekte des peroxisomalen und mitochondrialen Fettsäureabbaus 4 Pharmakologische Hemmung der Eicosanoidbiosynthese 4 Lipidosen 4 Hypo- und Hyperlipoproteinämien

25.1

Störungen des Fettsäurestoffwechsels

Störungen des Stoffwechsels von Triacylglycerinen und Fettsäuren sind häufige Begleiterscheinungen oder Folgen unterschiedlichster Erkrankungen und werden in anderen Kapiteln besprochen (. Tab. 25.1).

. Tab. 25.1 Hinweise zur Pathobiochemie Erkrankung

Siehe Kapitel

Adipositas

56.3.2

Fettleber

62.6.1

Diabetes mellitus

36.7

Dyslipidämie

25.4.2

Ein Defekt des peroxisomalen Abbaus von langkettigen Fettsäuren führt zu schweren Stoffwechselstörungen Adrenoleukodystrophie Bei dieser Erkrankung handelt es sich um einen Defekt des Adrenoleukodystrophieproteins (ALDP), das überlange Fettsäuren in die Peroxisomen einschleust (7 Kap. 21.2.1), sodass bei Ausfall die Oxidation langkettiger Fettsäuren in den Peroxisomen nicht mehr erfolgen kann. Sie sammeln sich daher intrazellulär an und führen zu schweren Stoffwechselstörungen. Typisch für die Adrenoleukodystrophie sind Schäden der Myelinscheiden der Nerven, v. a. in der weißen Hirnsubstanz. Außerdem ist die Funktion der Nebenniere stark beeinträchtigt. Im Vordergrund der Symptomatik der Erkrankten stehen neurologische Symptome wie Gleichgewichtsstörungen, Taubheit und Krämpfe sowie die Symptome einer allgemeinen Unterfunktion der Nebennierenrinde. Die Adrenoleukodystrophie ist die am längsten bekannte peroxisomale Erkrankung. Sie tritt mit einer Häufigkeit von 1:20.000 bis 1:100.000 Geburten auf. Eine ursächliche Therapie ist nicht bekannt.

Myopathien sind charakteristisch für Störungen des mitochondrialen Fettsäureabbaus Defekt der Acyl-CoA-Dehydrogenase Bei der Mehrzahl der betroffenen Patienten ist das trifunktionelles Protein der β-Oxidation der Fettsäuren (7 Kap. 21.2.1) infolge einer autosomalrezessiv vererbten Mutation defekt. Die Patienten erkranken anfallsweise an einem hypoketotisch-hypoglykämischen Koma mit Kardiomyopathie, Muskelschwäche und Störungen des Leberstoffwechsels. 70 % der Erkrankten erblinden im Laufe der Zeit. Bei der Behandlung steht die Therapie der Komaanfälle im Vordergrund, außerdem sollte die Ernährung arm an langkettigen Fettsäuren sein. Defekt der Carnitin-Palmitoyltransferase 1 oder 2 Bei der häu-

figsten myopathischen Form dieser Erkrankung steht die Unfähigkeit v. a. der Muskulatur zu Oxidation von Fettsäuren im Vordergrund. Ursächlich liegt der Erkrankung ein autosomalrezessiv vererbter Defekt der Carnitin-Palmitoyltransferase 2 zugrunde, die die Erzeugung von mitochondrialem Acyl-CoA

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Kapitel 25 · Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels

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verhindert (7 Kap. 21.2.1). Die Erkrankung tritt häufig erst im Erwachsenenalter auf und ist durch anfallsweise Muskelschwäche, Rhabdomyolyse (Zerstörung von Muskelfasern), Myoglobinurie und Myalgie gekennzeichnet. 25.1.2

Mangel an essentiellen Fettsäuren

Mangel an essentiellen Fettsäuren löst ein unspezifisches Krankheitsbild aus Versucht man im Tierexperiment durch Weglassen essentieller Fettsäuren in der Nahrung Mangelerscheinungen zu erzeugen, so beobachtet man: 4 eine Wachstumsverlangsamung, 4 Schäden des Hautepithels und der Nieren sowie 4 Fertilitätsstörungen. Alle diese Änderungen bilden sich nach Zusatz von essentiellen Fettsäuren wieder zurück. Beim Menschen lassen sich Ausfallerscheinungen, die auf einen Mangel an essentiellen Fettsäuren zurückzuführen sind, nicht so deutlich nachweisen. Man hat jedoch beobachtet, dass Hautveränderungen bei Kleinkindern, die mit einer speziell fettarmen Diät ernährt wurden, nach Zugabe von Linolsäure verschwinden. Zusammenfassung Viele erworbene Störungen des Fettstoffwechsels sind Begleiterscheinungen häufiger Erkrankungen und werden an anderer Stelle besprochen. Angeborene Störungen des Stoffwechsels von Triacylglycerinen und Fettsäuren können prinzipiell jedes der beteiligten Enzyme und Proteine betreffen. Besonders gut untersuchte hereditäre Erkrankungen sind: 4 die Adrenoleukodystrophie, bei der ein Defekt des Fettsäuretransportsystems in die Peroxisomen vorliegt, 4 Defekte der Acyl-CoA-Dehydrogenase, die mit einem hypoketotisch-hypoglykämischem Koma einhergehen und 4 Defekte der Carnitin-Palmitoyltransferase mit einer Unfähigkeit v. a. der Muskulatur zur Fettsäureoxidation.

25.2

Störungen und pharmakologische Beeinflussung des Eicosanoidstoffwechsels

25.2.1

Verhältnis von Thromboxan A2 zu Prostaglandin I2

Störungen der Produktion einzelner Eicosanoide spielen eine Rolle bei unterschiedlichen pathologischen Zuständen und können mit spezifischen Hemmstoffen behandelt werden Ein wichtiges Beispiel für die pathobiochemische Bedeutung verschiedener Eicosanoide ist das Verhältnis von Thromboxan A2 und Prostaglandin I2. Bei der Arteriosklerose, aber auch bei

. Abb. 25.1 Pharmakologische Hemmung der Eicosanoidbiosynthese. Glucocorticoide führen zu einer Hemmung der cytosolischen Phospholipase A2, die auch durch Hemmung der intrazellulären Calciumakkumulation negativ beeinflusst werden kann. Nicht-steroidale Entzündungshemmer (Aspirin, Indomethazin) sind dagegen Hemmstoffe der Cyclooxygenasen

Diabetes mellitus mit Gefäßkomplikationen, findet man eine Verminderung der Prostaglandin-I2-Biosynthese und eine Steigerung der Thromboxanbiosynthese. Dies löst ein Überwiegen der gerinnungsfördernden gegenüber den fibrinolytischen Vorgängen aus. Wahrscheinlich hat das arteriosklerotisch geschädigte Gefäßendothel eine verringerte Kapazität zur Prostaglandin-I2-Synthese. Das alleine führt schon dazu, dass die plättchenaggregierende Wirkung der Thromboxane überwiegt. In zahlreichen Studien wurde das Prinzip der Therapie arteriosklerotischer Gefäßkrankheiten, besonders der Koronarsklerose, mit Hemmstoffen der Cyclooxygenase bekräftigt (s. u.). 25.2.2

Hemmung der Eicosanoidbiosynthese

Eine Vielzahl entzündungs- und schmerzhemmender Pharmaka greift in den Stoffwechsel der Eicosanoide ein . Abb. 25.1 fasst die verschiedenen Angriffspunkte derartiger Medikamente zusammen. Nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAIDs, non steroidal antiinflammatory drugs) Unter dieser Bezeichnung fasst man

Wirkstoffe zusammen, die die Prostaglandinbiosynthese durch Hemmung der Cyclooxygenaseaktivität (COX) der Prostaglandin-H-Synthase (PGHS) (7 Kap. 22.3.2) vermindern. Dieser Gruppe von Arzneimitteln ist gemeinsam, dass die beiden Isoformen des Enzyms in gleicher Weise in ihrer Aktivität reduziert werden. Das bekannteste derartige Arzneimittel ist das Aspirin (Acetylsalicylsäure), das die beiden PGHS-Isoformen an einem Serylrest acetyliert und damit die Bindung des Substrates Arachidonsäure hemmt. Ein anderer Wirkstoff aus dieser Gruppe ist das Indomethacin, das als kompetitiver Hemmstoff an der Arachidonsäurebindungsstelle wirkt. Nicht-steroidale Entzündungshemmer haben vielfältige Effekte. Sie wirken vermutlich durch eine Hemmung der Biosynthese von Prostaglandin E2 schmerzstillend und dämpfen Entzündungsreaktionen. In wesentlich geringerer Dosierung hemmen sie hauptsächlich die

309 25.3 · Störungen des Stoffwechsels von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

Thromboxanbiosynthese und vermindern damit die Plättchenaggregation, während eine Hemmung der Prostaglandin-I2-Synthese demgegenüber nicht ins Gewicht fällt. Dies ist die Grundlage der Aspirindauerbehandlung bei der Bekämpfung der mit einer Koronarsklerose einhergehenden koronaren Herzerkrankung, bei der eine Störung des Gleichgewichts zwischen Thromboxanen und Prostaglandin I2 vorliegt. Eine allen nicht-steroidalen Entzündungshemmern gemeinsame Nebenwirkung betrifft die Mucinproduktion des Magens, die durch Prostaglandin E2 gesteigert wird (7 Kap. 61.2). Jede Hemmung der Prostaglandinsynthese führt also zu einer verminderten Mucinsynthese und damit zum Wegfall eines wichtigen Faktors, der die Magenmukosa vor der Selbstverdauung v. a. durch die Salzsäure schützt. Etwa 1 % der Patienten, die diese Arzneimittel in Dauermedikation nehmen, erkranken an Magengeschwüren und anderen schweren gastrointestinalen Komplikationen. COX2-Inhibitoren Eine neue Gruppe von Inhibitoren der

Prostaglandinbiosynthese sind die sog. COX2-Inhibitoren. Diese Verbindungen hemmen spezifisch die Cyclooxygenaseaktivität der PGHS2. Da dieses Enzym in der Magenschleimhaut nicht vorkommt, fällt bei Verwendung von COX2-Inhibitoren die oben beschriebene Nebenwirkung weg, während die erwünschten Wirkungen weitgehend erhalten bleiben. Allerdings hemmen COX2-Inhibitoren auch die ProstaglandinI2-Produktion der Endothelzellen und fördern so thrombotische Ereignisse. Phospholipase-A2-Inhibitoren Die sog. nicht-steroidalen Ent-

zündungshemmer beeinflussen aufgrund ihres Wirkungsspektrums nicht die Leukotrienbiosynthese. Für die Hemmung der Biosynthese aller Eicosanoide muss die durch die cytosolische Phospholipase A2 (cPLA2) ausgelöste Arachidonsäurefreisetzung gehemmt werden. Hier spielen Glucocorticoide eine wichtige Rolle: Sie reprimieren die cPLA2 und induzieren Lipocortin 1. Dieses zur Annexin-Familie gehörende Protein hemmt die durch Phospholipase A2 katalysierte Arachidonsäurefreisetzung. Außer durch Hemmstoffe wird die Aktivität der Phospholipase A2 durch Veränderung der intrazellulären Lokalisation beeinflusst. Dies beruht auf der Tatsache, dass sie in einer inaktiven Form im Cytosol lokalisiert ist. Sämtliche Signale, die zu einer Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration führen, katalysieren die Translokation der cPLA2 an die Plasmamembran, wo es zu ihrer Aktivierung kommt. Außerdem wird das Enzym durch Phosphorylierung aktiviert. Wirkstoffe, die in diese Vorgänge eingreifen, beeinflussen die Eicosanoidproduktion. Allerdings sind die bisher entwickelten Verbindungen zu unspezifisch und eignen sich deshalb nicht für den klinischen Einsatz.

Für therapeutische Zwecke werden Prostanoidanaloga verwendet Wegen ihrer oftmals außerordentlich kurzen Halbwertszeit eignen sich natürliche Prostanoide und Leukotriene nicht für den therapeutischen Einsatz. Einige Prostaglandinanaloga sind jedoch synthetisiert worden, die sich zur Therapie einiger Erkrankungen eignen. Es handelt sich besonders um die Behandlung

von Glaukomen, Gefäßverschlüssen und Durchblutungsstörungen, aber auch um die Geburtseinleitung und die Verstärkung der Wehentätigkeit. Zusammenfassung Erkrankungen mit Arteriosklerose gehen häufig mit Störungen der Biosynthese einzelner Prostaglandine einher, wobei das Verhältnis von Thromboxan A2 zu Prostaglandin I2 von besonderer Bedeutung ist. Derartige Störungen werden mit Inhibitoren der Prostaglandin-H-Synthase (Cyclooxygenase) behandelt. Neben dem beide PGH-Synthase-Isoenzyme hemmenden Aspirin stehen hierfür auch Wirkstoffe mit einer hohen Spezifität für die PGH-Synthase 2 zur Verfügung. Zur Hemmung der Prostaglandin- und Leukotriensynthese eignen sich Glucocorticoide, welche die Phospholipase A2 hemmen.

25.3

Störungen des Stoffwechsels von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

25.3.1

Antiphospholipidsyndrom

Autoantikörper gegen Phospholipide führen zum Antiphospholipidsyndrom Von Graham Hughes wurde 1983 ein Krankheitsbild beschrieben, das durch Thrombosen gekennzeichnet ist. ca. 80 % der Betroffenen sind Frauen, bei denen es infolge der Erkrankung zu Fehlgeburten und intrauterinem Fruchttod kommt. Für die als Antiphospholipidsyndrom bezeichnete Erkrankung ist typisch, dass hohe Titer von Autoantikörpern gegen verschiedene, meist negativ geladene Phospholipide auftreten. Am häufigsten handelt es sich um Antikörper gegen das mitochondriale Phospholipid Cardiolipin. Man weiß heute allerdings, dass die Antikörper bevorzugt mit an bestimmte Proteine gebundenen Phospholipiden reagieren. Hierzu gehören u. a. Gerinnungsproteine wie Prothrombin, Protein C oder Protein S (7 Kap. 69.1). Es handelt sich um eine relativ häufige Autoimmunerkrankung, da Phospholipid Antikörper bei etwa 1–5 % der Bevölkerung nachweisbar sind. Über die pathogenetischen Mechanismen, die die beschriebene Symptomatik mit den Autoantikörpern verknüpfen, herrscht noch keine Klarheit. 25.3.2

Lipidspeicherkrankheiten

Enzymdefekte des Sphingolipidabbaus verursachen Lipidspeicherkrankheiten Eine Reihe erblicher Stoffwechseldefekte ist durch pathologische Lipidansammlungen in verschiedenen Geweben charakterisiert, weswegen für diese Erkrankungen auch der Sammelbegriff Lipidspeicherkrankheiten oder Lipidosen verwendet wird. Häufig ist das Zentralnervensystem, nicht selten aber auch Leber und Niere betroffen.

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Kapitel 25 · Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels

Verwendung modifizierter Glucocerebrosidasen, die vermehrt mannosehaltige Kohlenhydratseitenketten aufweisen und deswegen viel besser von Makrophagen internalisiert werden können. Hiermit sind bei einer Reihe von Patienten gute Erfolge erzielt worden.

25

Zusammenfassung Störungen im Stoffwechsel von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden sind: 4 Das Antiphospholipidsyndrom, das durch Autoantikörper gegen Phopholipide gekennzeichnet ist und zu Thrombosen und Fehlgeburten führt, sowie 4 Lipidspeicherkrankheiten, die auf hereditären Defekten der für den Sphingolipidabbau verantwortlichen Enzyme beruhen.

. Abb. 25.2 Enzymdefekte, die Sphingolipidosen verursachen (Auswahl). Cer: Ceramid; Gal: Galactose; GalNAc: N-Acetyl-Galactosamin; Glc: Glucose; NANA: N-Acetyl-Neuraminat. Der schwarze Balken gibt die Lokalisation des Enzymdefekts beim Sphingolipidabbau an, aus dem sich die pathologisch gespeicherte Verbindung ableitet

Die spezielle Bezeichnung Sphingolipidose wird auf bestimmte, in der Regel autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechseldefekte angewendet, die meist schon im Kindesalter auftreten. Bei diesen Erkrankungen finden sich abnorme Ablagerungen von gelegentlich falsch aufgebauten Sphingolipiden in den betroffenen Geweben. Die Ursache dieser Sphingolipidspeicherung lässt sich auf genetisch bedingte Defekte der spezifischen, für den Abbau der betreffenden Lipide verantwortlichen Hydrolasen zurückführen, seltener auch auf Defekte der Sphingolipidaktivatorproteine. . Abb. 25.2 stellt die wichtigsten heute bekannten Sphingolipidosen zusammen. Die Diagnose kann durch die Bestimmung des gespeicherten Lipids und v.a. durch den Nachweis des entsprechenden Enzymdefekts, häufig mit molekularbiologischen Methoden, in Gewebeproben von Haut, Leber, Dünndarm und auch in den Leukocyten gesichert werden. Selbst beim noch ungeborenen Kind können durch Amniocentese aus dem Fruchtwasser Zellen gewonnen und angezüchtet werden, in denen der Lipidosenachweis durch Enzymbestimmung oder Genanalyse durchgeführt wird. Für die Behandlung einer der Sphingolipidosen, des Morbus Gaucher, gibt es inzwischen ein gut eingeführtes Verfahren. Die Erkrankung, die mit einer Häufigkeit von 1:40.000 vorkommt, beruht auf dem Mangel einer spezifischen Glucoceramidase. Sie geht mit der Ablagerung großer Mengen an Glucoceramid in den Makrophagen einher und befällt verschiedene Organe und Gewebe. Im Knochenmark kommt es zu einer schweren Störung der Hämatopoese, am Knochen treten Nekrosen und Frakturen auf, Leber und Milz können extrem vergrößert sein. Für die Therapie injiziert man den Patienten die ihnen fehlende Glucocerebrosidase. In nativer Form wird dieses Enzym allerdings eher von Hepatocyten als von Makrophagen aufgenommen und ist deswegen ziemlich wirkungslos. Besser ist die

25.4

Störungen des Lipoproteinstoffwechsels

Sehr häufig sind Erkrankungen, die durch Veränderungen im Lipoproteinmuster des Plasmas gekennzeichnet sind. Generell kann man Hypo- und Hyperlipoproteinämien unterscheiden. Neben primären Lipoproteinstoffwechselstörungen, die auf genetischen Defekten beruhen, kommen wesentlich häufiger sekundäre Lipoproteinstoffwechselstörungen vor, die durch Diätfehler oder andere Primärerkrankungen verursacht werden. 25.4.1

Hypolipoproteinämien

Hypolipoproteinämien beruhen meist auf genetischen Defekten A-β-Lipoproteinämie Die A-β-Lipoproteinämie ist charakteri-

siert durch eine Verminderung oder das Fehlen der LDL und anderer, das Apolipoprotein B tragender Lipoproteine im Plasma. Ursache dieser Erkrankung ist entweder eine Störung der Apolipoprotein-B-Biosynthese oder Mutationen des Triacylglycerintransferproteins (7 Kap. 24.2). Da beide Proteine für die Freisetzung von Apolipoprotein B enthaltenden Lipoproteinen notwendig sind, findet sich bei den Patienten eine Verminderung der Chylomikronen, VLDL und LDL. Nach oraler Fettbelastung kommt es nicht zu einer Freisetzung von Chylomikronen. Als Ausdruck der Transportstörung findet sich eine ausgeprägte Erhöhung des Triacylglyceringehalts der Darmmukosa und der Leber. Die Patienten haben zwar ein erniedrigtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, jedoch ein erhöhtes Risiko für Karzinome und Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes sowie der Lungen, das derzeit nicht erklärt werden kann.

Hypo-α-Lipoproteinämie (Tangier-Erkrankung) Diese Erkran-

kung wurde erstmalig bei Geschwistern, die auf der Tangier-Insel in Virginia lebten, entdeckt. Im Plasma dieser Patienten sind die Menge an HDL und damit auch der Cholesteringehalt extrem erniedrigt; es kommt zu einer Cholesterinspeicherung in den Zellen des retikuloendothelialen Systems. Die Ursache dieser Er-

Niemann-Pick-Syndrom Gaucher-Krankheit Leukodystrophie metachromatische Angiokeratoma corporis diffusum Fabry-Krankheit Tay-Sachs-Syndrom Gangliosidose generalisierte Defekt Shingomyelinase β-Glucoceramidase Sulfatidase α-Galactosidase Hexosaminidase β-Galactosidase

311 25.4 · Störungen des Stoffwechsels von Phosphoglyceriden und Sphingolipiden

. Tab. 25.2 Risikofaktoren für koronare Herzerkrankung und arterielle periphere Verschlusskrankheit Koronare Herzerkrankung

Arterielle periphere Verschlusskrankheit

Hyper- und Dyslipoproteinämie Zigarettenrauchen Hypertonie Diabetes mellitus Übergewicht

Zigarettenrauchen Hyper- und Dyslipoproteinämie Diabetes mellitus

Primäre Hyperlipoproteinämien beruhen auf genetischen Defekten des Lipoproteinstoffwechsels . Abb. 25.3 An der Entstehung der koronaren Herzkrankheit beteiligte Risikofaktoren

krankung beruht auf einer Mutation des ABCA1-Transporters. Dies führt zu einer Unfähigkeit, HDL-Vorstufen entsprechend mit Cholesterin zu beladen. Dementsprechend finden sich Cholesterinablagerungen bei den betroffenen Patienten im retikuloendothelialen System. Eine Erhöhung des Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen ist nicht bei allen Patienten nachweisbar. 25.4.2

Hyperlipoproteinämien

Hyperlipoproteinämien stellen ein schweres Gesundheitsrisiko dar Im Jahr 2010 starben in Deutschland 352.689 Personen an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, was ungefähr 45 % aller Todesfälle ausmacht. Die Häufigkeit dieser Erkrankungen steigt von Jahr zu Jahr. An einer koronaren Herzerkrankung leiden mehr als 15 % der Bevölkerung. Diese beruht auf einer arteriosklerotischen Erkrankung der Koronararterien und kann u. a. zum Herzinfarkt führen. Auch die arterielle periphere Verschlusskrankheit ist häufig (ca. 5 % der Bevölkerung). Sie betrifft meist die Beinarterien und kann im Endstadium sogar eine Gangrän auslösen. Untersucht man die Betroffenen, so finden sich außerordentlich häufig die in . Tab. 25.2 zusammengestellten Risikofaktoren. Neben Adipositas, Diabetes mellitus, Hypertonie oder Homocysteinämie und Zigarettenrauchen nehmen Hyper- und Dyslipoproteinämien einen ganz besonders hohen Rang ein. In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass eine Korrelation zwischen der Höhe des Cholesterinspiegels und der Mortalität an koronarer Herzerkrankung besteht. Darüber hinaus haben mehrere prospektive Langzeitstudien zu der Erkenntnis geführt, dass eine Senkung des Cholesterinspiegels in der Tat das Koronarrisiko vermindert. Natürlich sind über den Faktor Hyperlipidämie hinaus noch eine Reihe weiterer pathophysiologischer Mechanismen entscheidend an der Entstehung der koronaren Herzerkrankung beteiligt (. Abb. 25.3). Zu diesen gehören Störungen der Plättchenaggregation und die Hypertonie mit ihren Folgeerkrankungen.

Hyperlipoproteinämie Typ I Bei der Hyperlipoproteinämie Typ I sind auch nach 12-stündiger Nahrungskarenz Chylomikronen im Plasma nachweisbar. Aus dem trüben, lipämischen Serum setzt sich nach einiger Zeit eine dicke Fettschicht ab. Der Triacylglyceringehalt des Serums ist entsprechend erhöht, jedoch kann auch der Cholesteringehalt gesteigert sein. Der Grund für diesen Anstieg der Plasmatriacylglycerine ist ein Mangel an Lipoproteinlipase, der autosomal-rezessiv vererbt wird. In manchen Fällen fehlt auch das Apolipoprotein CII, sodass es nicht zur Aktivierung der Lipoproteinlipase kommt. Dieser Mangel an Lipoproteinlipaseaktivität führt dazu, dass Nahrungsfette zwar resorbiert und als Chylomikronen in das Blut eingespeist, aber nicht rasch genug verwertet werden können. Die Therapie der Erkrankung besteht in einer Reduktion der Fettzufuhr auf weniger als 3 g/ Tag. Dabei sollten Triacylglycerine mit Fettsäuren kurzer und mittlerer Kettenlänge bevorzugt werden, da diese direkt an das Pfortaderblut abgegeben und nicht in Chylomikronen eingebaut werden (7 Kap. 57.1.3). Hyperlipoproteinämie Typ II (familiäre Hypercholesterinämie)

Diese autosomal-dominant vererbte Erkrankung ist durch eine sehr starke Erhöhung der Cholesterinkonzentration des Serums gekennzeichnet, die mit einer Erhöhung der LDL-Fraktion einhergeht. Die Triacylglycerinkonzentration kann normal (Typ IIa) bzw. leicht erhöht (Typ IIb) sein. Heterozygote kommen mit einer Häufigkeit von 1:500 vor und machen etwa 5 % der Patienten aus, die jünger als 60 Jahre sind und bereits einen Myokardinfarkt hinter sich haben. Homozygote Träger der Erkrankung kommen mit einer Frequenz von 1:1.000.000 vor und leiden schon in der Kindheit an einer schweren Arteriosklerose mit koronarer Herzerkrankung und Cerebralsklerose. Die Ursache des Defektes liegt in einem Funktionsdefekt des LDL-Rezeptors. Aufgrund molekularbiologischer Untersuchungen des LDL-Rezeptors bzw. seines Gens an einer großen Zahl homozygoter Patienten konnten vier Klassen von Mutationen definiert werden, die das Krankheitsbild auslösen können. Am häufigsten (ca. 50 % der Fälle) findet sich ein Rezeptormangel. In anderen Fällen wird der Rezeptor zwar synthetisiert jedoch nicht posttranslational prozessiert und glycosyliert, sodass er nicht in die Membran eingebaut werden kann. Gelegentlich fanden sich Defekte der LDL-Bindungsstellen des Rezeptors oder infolge von Mutationen am C-terminalen Teil des Rezeptors, eine

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Kapitel 25 · Pathobiochemie des Lipidstoffwechsels

Störung der Assoziation mit Clathrin und damit der Bildung der für die Rezeptorinternalisierung wichtigen coated pits. Die genannten Defekte führen ohne Ausnahme zu einer Hemmung der LDL-Aufnahme und damit zum Anstieg des Serumcholesterins. Auf der anderen Seite fällt die Hemmung der endogenen Cholesterinbiosynthese der extrahepatischen Gewebe durch die LDL-Aufnahme (7 Kap. 24.2) weg, sodass es zur überschüssigen Cholesterinbiosynthese kommt. Dies erhöht die Serumcholesterinkonzentration und damit das Arterioskleroserisiko weiter. Die Behandlung besteht bei Homozygoten darin, das Plasma in regelmäßigen Abständen durch Affinitätschromatographie an einer mit einem Apolipoprotein-B-Antikörper gekoppelten Matrix zu behandeln. Daneben muss die Cholesterinzufuhr gesenkt und der Cholesterinspiegel durch Gaben von Colestyramin (7 Kap. 23.3 und 7 Kap. 61.1.4) gesenkt werden. Zusätzlich kann eine Behandlung mit Nicotinsäure durchgeführt werden (s. Lehrbücher der Pharmakologie). Ein weiteres Therapieprinzip, das bei heterozygoten Patienten eingesetzt werden kann, besteht in der Behandlung mit Hemmstoffen der HMG-CoA-Reduktase (Mevinolin, s. 7 Abb. 23.9), die außerdem zu einer vermehrten Synthese von LDLRezeptoren führen. Bei Homozygoten ist wegen des Befalls beider Allele des LDL-Rezeptor-Gens eine derartige Therapie nicht sinnvoll. Hyperlipoproteinämie Typ III Kennzeichnend für diese Erkran-

kung ist das Auftreten einer besonders breiten Lipoproteinbande im β-Globulinbereich der Lipidelektrophorese. Die in dieser Bande wandernden Lipoproteine gehören ihrer Dichte nach zu den VLDL. Aus der gegenüber normalen VLDL geänderten elektrophoretischen Wanderungsgeschwindigkeit kann geschlossen werden, dass es sich um ein atypisches VLDL mit geänderter Zusammensetzung der Apolipoproteine handelt. Die Patienten sind homozygot für eine als Apo E2 bezeichnete Variante des Apolipoprotein E. Lipoproteine mit diesem Protein werden nicht vom LDL-Rezeptor erkannt, weswegen sich im Blut relativ cholesterinreiche Apolipoproteine ansammeln, die von einem spezifischen, als scavenger-Rezeptor bezeichneten Makrophagenrezeptor (scavenger receptor A, SR A oder CD 36) gebunden werden. Dies führt zur Internalisierung und zur Umwandlung von Makrophagen in lipidreiche Schaumzellen. Im Serum finden sich erhöhte Triacylglycerin- und Cholesterinspiegel, außerdem lagert sich Cholesterin in der Haut der Erkrankten ab. Das Arterioskleroserisiko ist extrem hoch. Die Behandlung besteht in einer Reduktion der Cholesterinzufuhr. Hyperlipoproteinämie Typ IV Diese Form der Hyperlipoproteinämie zeichnet sich durch eine deutliche Zunahme der Triacylglycerine mit einem geringgradigen Anstieg des Cholesteringehalts im Serum aus. Das Serum ist in Abhängigkeit vom Ausmaß der Triacylglycerinvermehrung klar bis milchig trüb. Vermehrt sind die VLDL. Die Konzentration der Lipoproteine wird durch eine kohlenhydratreiche Mahlzeit deutlich erhöht, weswegen die Erkrankung auch als kohlenhydratinduzierte Hyperlipämie bezeichnet wird. Der metabolische Defekt der Erkrankung ist nicht bekannt, häufig handelt es sich um Patienten mit auffallendem Überge-

wicht, Diabetes mellitus und Hyperurikämie. Die Therapie besteht in einer Reduktion der Energie- und Kohlenhydratzufuhr. Hyperlipoproteinämie Typ V In ihrem Erscheinungsbild entspricht diese Form der Hyperlipoproteinämie einer Mischform der Typen I und IV. Charakteristisch sind eine exzessive Vermehrung der Triacylglycerine und eine mäßige Vermehrung des Cholesterins im Serum. In der Elektrophorese findet sich eine Zunahme der Chylomikronen und der VLDL. Der primäre Defekt der Erkrankung ist nicht bekannt, das Krankheitsbild ist außer der Änderung der Blutfettkonzentrationen durch Ablagerung von Cholesterin in der Haut gekennzeichnet. Ein besonderes Arterioskleroserisiko besteht nicht.

20–25 % der erwachsenen Bevölkerung leiden an sekundärer Hypercholesterinämie Sekundäre Hypercholesterinämie 20–25 % der erwachsenen Be-

völkerung Deutschlands leiden an einer Erhöhung der Serumcholesterinkonzentration über den Normalbereich. Man nimmt an, dass bei diesen Patienten eine genetische Disposition zu erhöhten LDL-Konzentrationen besteht, die jedoch durch zusätzliche exogene Faktoren wie Übergewicht oder Bewegungsmangel verstärkt werden muss. Sekundäre Hyperlipoproteinämien können die verschiedensten Ursachen haben. Bei einer Reihe von Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Übergewicht, Verschlussikterus, nephrotisches Syndrom, Gicht, Pankreatitis, Alkoholismus und Hypothyreose entstehen Hyperlipoproteinämien, bei denen häufig spezifische Lipoproteine vermehrt vorkommen. Am häufigsten handelt es sich um Hyperlipoproteinämien des Typs IV, gelegentlich auch des Typs II. Eine sekundäre Hyperlipoproteinämie des Typs I findet sich nur bei unbehandeltem Diabetes-Typ-1 und ist dementsprechend heute sehr selten. Beim Verschlussikterus und der Hyperthyreose finden sich darüber hinaus atypische Lipoproteine. Zusammenfassung Häufig kommen Störungen der Lipoproteinzusammensetzung oder des Lipoproteinstoffwechsels vor. Man unterscheidet Hypo- und Hyperlipidämien, Letztere werden auch als Dyslipidämien bezeichnet. Genetische Formen dieser Erkrankungen betreffen Mutationen in den Genen für: 4 Apolipoproteine 4 die Assemblierung von Lipoproteinen 4 lipolytische Enzyme und 4 Rezeptoren, die für die Lipoproteinaufnahme benötigt werden Erworbene Hyperlipoproteinämien betreffen häufig das Verhältnis von LDL zu HDL und sind von einer Hypercholesterinämie begleitet. Sie gelten als Risikofaktoren für Arteriosklerose und koronare Herzerkrankung.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

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26 Prinzipien von Aminosäurestoffwechsel und Stickstoffumsatz Klaus-Heinrich Röhm

Einleitung Der allgemeine Aufbau und die physikochemischen Eigenschaften von Aminosäuren werden in 7 Kap. 3.3 vorgestellt und 7 Kap. 5 beschreibt die Aminosäuren als strukturgebende Bausteine von Proteinen. Darüber hinaus erfüllen Aminosäuren aber auch zahlreiche Stoffwechselfunktionen. Mit ihren Aminogruppen nehmen sie eine zentrale Rolle im Stickstoff-Stoffwechsel des Organismus ein. Die Entfernung der Aminogruppen erfolgt meistens durch Übertragung auf eine -Ketosäure (Transaminierung) oder direkt durch Desaminierung. Durch Decarboxylierung von Aminosäuren entstehen zahlreiche biogene Amine, von denen viele als Neurotransmitter fungieren. Zur Energiegewinnung kann das Kohlenstoffgerüst der Aminosäuren direkt abgebaut werden oder es dient der Synthese von Glucose und Ketonkörpern. Da der menschliche Organismus 8 bis 9 Aminosäuren nicht de novo synthetisieren kann, stellen Proteine eine essentielle Nahrungsquelle dar. Schwerpunkte 4 Bedeutung von Aminosäuren für den Stickstoffkreislauf in der Natur 4 Rolle von Aminosäuren beim Stoffwechsel des neurotoxischen Ammoniak 4 Nicht-proteinogene Funktionen von Aminosäuren 4 Essentielle Aminosäuren und minimale Eiweißzufuhr 4 Pyridoxalphosphat (Vitamin B6) und die Transaminierung, Desaminierung und Decarboxylierung von Aminosäuren 4 Die sechs Endprodukte des Aminosäureabbaus 4 Synthese von Glucose und Ketonkörpern aus Aminosäuren

26.1

Beziehung zwischen Stickstoff, Ammoniak und Aminosäurestoffwechsel

Stickstoff ist ein Hauptbestandteil von Proteinen, Nucleotiden und anderen Biomolekülen und damit ein unentbehrliches Makroelement. Als N2-Molekül steht Stickstoff in der Erdatmosphäre in fast unbegrenzten Mengen zur Verfügung, kann in dieser Form aber nur von wenigen Lebewesen genutzt werden. Der Stickstoffkreislauf ist in . Abb. 26.1 in vereinfachter Form dargestellt.

. Abb. 26.1 Stickstoffkreislauf. (Einzelheiten s. Text)

26.1.1

Bildung von Ammoniak in der Biosphäre

Die Fähigkeit zur Stickstoff-Fixierung – d. h. zur Reduktion von N2 zu NH4+ – ist auf einige Bakterien beschränkt, die häufig in Symbiose mit Pflanzen leben. N2-fixierende Organismen stellen einen großen Teil der für die Landwirtschaft wichtigen Ammoniumsalze bereit und sind deshalb ökologisch sehr wichtig. Für Pflanzen und bestimmte Bakterien stellen Nitrat (NO3–) und Nitrit (NO2–) alternative Stickstoffquellen dar, die ebenfalls zu Ammoniak (NH3) reduziert werden müssen, bevor sie in organische Moleküle eingebaut werden können (Nitratreduktion, Ammonifizierung). Andere Bakterien oxidieren NH3 zu Nitrat und wandeln dieses weiter in N2 um. Diese Prozesse (Nitrifizierung und Denitrifizierung) entziehen der Biosphäre leicht nutzbaren Stickstoff und vermindern den für eine effiziente landwirtschaftliche Nutzung wichtigen Stickstoffgehalt des Bodens. Im tierischen Stoffwechsel kommt Stickstoff fast ausschließlich auf der Oxidationsstufe von Ammoniak (NH3) vor (eine der wenigen Ausnahmen ist NO, 7 Kap. 27.2.2). Tiere können Stickstoff nur in Form von Ammoniumionen verwerten. Für sie stellen Aminosäuren die einzige verwertbare Stickstoffquelle dar.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

26

26

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Kapitel 26 · Prinzipien von Aminosäurestoffwechsel und Stickstoffumsatz

26.1.2

Eigenschaften von Ammoniak

Unter physiologischen Bedingungen liegt Ammoniak zu 99 % protoniert vor Ammoniak ist eine mittelstarke Base mit einem pKa-Wert von 9,2. Beim pH-Wert des Blutes (7,4) liegen demnach etwa 98,5 % des Ammoniaks als Ammoniumonen (NH4+) vor. Im Zellinneren, wo der pH-Wert zwischen 6,0 und 7,1 liegt, ist dieser Prozentsatz sogar noch höher. Das Protonierungsgleichgewicht zwischen NH3 und der konjugierten Säure NH4+ ist mit dem CO2/ Hydrogencarbonat-System (7 Kap. 66.1.3) gekoppelt, und damit vom Säure-Basen-Status des Organismus abhängig, d.h. NH3 + CO2 + H2O

NH4+ + HCO3–

In der Literatur wird häufig vereinfachend von »Ammoniak« gesprochen, auch wenn das physiologische Gleichgewichtsgemisch von 99 % NH4+ und 1 % NH3 gemeint ist. In diesem Kapitel wird die Bezeichnung »Ammoniak« nur dann verwendet, wenn es tatsächlich um die freie Base NH3 geht.

Die toxischen Wirkungen von NH4+ schädigen v. a. das ZNS Im Blut ist sind die Konzentrationen von NH3 und NH4+ normalerweise sehr gering (15–60 μmol/l). Eine deutliche Erhöhung dieses Wertes kann bei Mensch und Tier schwere neurologische Defekte hervorrufen. Mögliche Ursachen der Neurotoxizität von Ammoniak werden in 7 Kap. 28.1 diskutiert. Vorausgeschickt sei hier, dass die Toxizität von NH3 nicht auf pH-Verschiebungen aufgrund seiner basischen Eigenschaften beruht. Allerdings spielt der NH3-Anteil im NH4+/NH3-Gleichgewicht für den Übergang von NH3 aus dem Blut in die Gewebe eine wesentliche Rolle: Während NH3 in Lipiden (und damit auch in biologischen Membranen) gut löslich ist, kann das geladene Ammoniumion Biomembranen nicht passieren. Änderungen des pH-Werts im Blut (7 Kap. 66.1) verschieben das NH4+/NH3-Gleichgewicht. Eine Alkalisierung des Körpers führt zum vermehrten Auftreten von lipidlöslichem NH3 in Blut und Liquor. So verdoppelt sich z. B. bei einer pH-Erhöhung von 7,4 auf 7,7 der NH3-Anteil im Gleichgewicht von 1,5 % auf 3 %. 26.1.3

Fixierung von Ammoniak und Stickstoffeliminierung

Pflanzen und Bakterien fixieren Ammoniumionen in Glutamat und Glutamin Prozesse, bei denen Ammoniumionen in organischer Bindung fixiert werden, bezeichnet man als »Ammoniumassimilation«. In Bakterien und Pflanzen ist der wichtigste Assimilationsweg die Bildung der Aminosäuren Glutamat und Glutamin aus α-Ketoglutarat und NH4+ bzw. Glutamat und NH4+. Im menschlichen Stoffwechsel scheint die Glutamatbildung aus α-Ketoglutarat quantitativ keine große Rolle zu spielen, während die Fixierung von NH4+ im Glutamin und Alanin v. a. zu Transportzwecken dient (7 Kap. 27.2.1).

Landlebende Tiere wandeln NH4+ in weniger giftige Ausscheidungsprodukte um Ausscheidungsformen Die Art und Weise, wie Tiere Stickstoff

ausscheiden, ist sehr unterschiedlich und wird v. a. von ihrer Lebensweise bestimmt. Fische und andere wasserlebende Tiere geben NH4+ über die Kiemen oder die Haut direkt ins Wasser ab. Diese ammonotelische Form der Exkretion steht landlebenden Tieren nicht zur Verfügung. Sie integrieren NH4+ in weniger toxische Verbindungen, wie Harnstoff, Harnsäure, Guanin oder Kreatinin und geben diese Substanzen über Nieren oder Kloaken nach außen ab. Die Bildung von Harnsäure (die sog. uricotelische Form der Ausscheidung) wird u. a. von Vögeln und Reptilien genutzt. Sie ist besonders wassersparend, weil die schwer lösliche Harnsäure in fester Form abgegeben werden kann. Deshalb können uricotelische Tiere auch in extrem trockenen Umgebungen überleben. Die ureotelische Form (d. h. die Ausscheidung von Harnstoff mit dem Urin wie sie auch im Menschen vorkommt) ist zwangsläufig mit beträchtlichen Wasserverlusten verbunden. Deshalb kann es vorkommen, dass sich während der Individualentwicklung die Art der Stickstoffausscheidung ändert. So verwandeln sich ammonotelische Kaulquappen in ureotelische Frösche. Auch beim Menschen entwickelt sich die Fähigkeit zur Harnstoffbildung erst kurz vor der Geburt. 26.1.4

Zelluläre Aufgaben von Aminosäuren

Aminosäuren haben im Organismus zahlreiche Funktionen. Aminosäuren oder von ihnen abgeleitete Verbindungen dienen u. a. als 4 bevorzugte Substrate des Energiestoffwechsels (z. B. Glutamin für Leukocyten und Enterocyten), 4 Bausteine von Peptiden und Proteinen (die proteinogenen Aminosäuren), 4 Bausteine anderer Biomoleküle, (z. B. Glycin, Taurin und Serin in Lipiden), 4 Vorläufer von Glucose (die glucogenen Aminosäuren), 4 Vorläufer von Lipiden und Ketonkörpern (die ketogenen Aminosäuren), 4 Vorstufen für die Synthese von Nucleotiden, Aminozuckern und Häm (Glycin, Glutamin, Aspartat), 4 Transportmoleküle für Aminogruppen (v. a. Glutamin und Alanin), 4 Signalstoffe und Neurotransmitter bzw. als Vorläufer solcher Substanzen (Glutamat, Aspartat, Tyrosin, Tryptophan), 4 Antioxidantien (Cystein, Glycin, Glutamat als Bestandteile von Glutathion), 4 Regulatoren des Säure-Basen-Haushalts (v. a. Glutamin).

315 26.2 · Stickstoffumsatz im menschlichen Organismus

Zusammenfassung Im tierischen Stoffwechsel kommt Stickstoff fast ausschließlich auf der Oxidationsstufe des Ammoniaks vor. Ammoniak (NH3) steht im Gleichgewicht mit der konjugierten Säure Ammoniumion (NH4+), die bei physiologischen pH-Werten dominiert. Prozesse zur Fixierung von Ammoniumionen in organische Verbindungen werden Ammoniumassimilation genannt. Im menschlichen Organismus ist die Ammoniumfixierung im Glutamin zu Transportzwecken bedeutsam. Im Stoffwechsel entstehen NH3 und NH4+ v. a. beim Aminosäureabbau. Sie sind neurotoxisch und werden deshalb zum Transport und zur Ausscheidung in weniger giftige organische Verbindungen (Glutamin, Alanin, Harnstoff, u. a.) eingebaut. Aminosäuren erfüllen im Stoffwechsel zahlreiche Aufgaben, u. a. als Molekülbausteine, Vorstufen für andere Metabolite und als Signalmoleküle.

26.2

Stickstoffumsatz im menschlichen Organismus

26.2.1

Anpassung von Stickstoffaufnahme und -abgabe

Der Körper eines Erwachsenen enthält etwa 10 kg Protein, von denen allein 2,5 kg auf Kollagen entfallen (. Abb. 26.2). Da die meisten anderen Proteine relativ kurzlebig sind, werden täglich 250–300 g Protein ab- und etwa die gleiche Menge wieder aufgebaut. Besonders intensiv ist die Proteinsynthese in der Muskulatur (bis zu 100 g/Tag), in der Leber (etwa 50 g/Tag, davon entfallen allein 12 g auf Albumin) und in Immunzellen, die u. a. Antikörper bilden. Auch die Neusynthese von Hämoglobin im Knochenmark macht mit etwa 8 g/Tag einen erheblichen Teil der Gesamtsynthese aus. Bewohner entwickelter Industriestaaten nehmen mit der Nahrung täglich mindestens 100 g Protein zu sich. Zu diesen Nahrungsproteinen kommen 70 g Protein hinzu, die mit den Verdauungssekreten ins Darmlumen gelangen oder aus abgeschilferten Mukosazellen stammen. Auch diese Proteine werden zum großen Teil verdaut und in Form von Aminosäuren wieder aufgenommen. Die Vorräte an freien Aminosäuren in Geweben und Blut (der »Aminosäurepool«) machen zusammen 70–100 g aus. Die Ausscheidung von Stickstoff erfolgt beim Menschen v. a. in Form von Harnstoff über den Urin (etwa 85 %) und in den Faeces (10–15 %). Kleinere Mengen von Stickstoff (12 h stabil ist. Alle Komponenten dieser Komplexe werden GH-abhängig synthetisiert und sind entsprechend bei GH-Mangel reduziert. Zusammenfassung Die pulsatile Freisetzung von Wachstumshormon (GH) wird durch das neuroendokrine Peptid GH-releasing-Hormon (GH-RH) aus Hypothalamus und Ghrelin aus der Magenmukosa stimuliert; Somatostatin (SSt) und insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) hemmen die GH-Freisetzung. Die Synthese und Freisetzung von IGF-1 und IGF-2 werden in der Leber und anderen Geweben durch GH stimuliert und vermitteln die wachstumsfördernde Wirkung. Die IGF assoziieren mit IGF-bindenden Proteinen (IGF-BP) und der säurelabilen Untereinheit (ALS) zu ternären Komplexen, die im Blut zirkulieren und die Stabilität und lokalen Konzentrationen der IGF kontrollieren. GH und IGF wirken anabol und stimulieren den Glucoseund Fettstoffwechsel zugunsten erhöhter Proteinbiosynthese, besonders in der Muskulatur. Störungen der Biosynthese oder Funktion von GH oder GHR bzw. IGF, IGF-BP oder ALS bewirken Metabolismus- und Wachstumsstörungen.

Die Strukturen von Prolactin (PRL) und GH sind ähnlich, ebenso gehört der Prolactin-Rezeptor (PRLR) wie der GHR zur Klasse 1 der Cytokin-Rezeptor-Superfamilie. PRL besteht aus 199 Aminosäuren und wird durch drei Disulfidbrücken stabilisiert. Es zirkuliert überwiegend ohne Bindungspartner im Blut und hat entsprechend nur eine Halbwertszeit von ca. 15 min. Der PRLR koppelt ebenso wie der GHR an die JAK2-STAT5- und MAPK-Signalwege. Die Namensgebung unterstreicht die besondere Bedeutung von PRL während Schwangerschaft und Stillzeit. Hier hat PRL eine direkte Wirkung auf Wachstum und Ausbildung des Brustdrüsenepithels, es stimuliert die Milchproduktion und trägt zur Unterdrückung des Eisprungs während der Stillzeit bei. Anzahl und Größe laktotropher Zellen erhöhen sich während der Schwangerschaft, was zu vorübergehenden Einschränkungen der Sehfähigkeit führen kann, wenn die erhöhte Raumforderung der Hypophyse auf das optische Chiasma drückt. Allerdings sind auch beim Mann deutliche PRL-Konzentrationen im Blut nachweisbar und zahlreiche laktotrophe Zellen in der Hypophyse zu finden. Mausmodelle haben eine Vielzahl weiterer physiologischer Funktionen mit PRL in Verbindung gebracht, wie z. B. Immunantwort, Verhalten, Energie- oder Mineralstoffwechsel. Überdies wird PRL nicht nur in der Hypophyse exprimiert, sondern es wirkt auch als parakrines Hormon in einer Vielzahl weiterer Gewebe wie z. B. Prostata, Haut, Gehirn, Brustgewebe, Immunzellen und Adipocyten.

Dopamin ist der wichtigste Inhibitor der PRL-Freisetzung In der Hypophyse werden Biosynthese und Sekretion von PRL hauptsächlich durch Dopamin (DA) gehemmt. PRL ist das einzige adenohypophysäre Hormon, welches überwiegend unter tonischer Inhibition steht, sodass die PRL-Freisetzung ansteigt, wenn die Verbindung des Hypothalamus zur Hypophyse unterbrochen ist. Neben dem Saugreiz beim Stillen wurden Östrogene, thyrotropin-releasing hormone (TRH) und Oxytocin als positive Stimulatoren der PRL-Freisetzung beschrieben, dennoch überwiegt unter Normalbedingungen die Hemmung durch DA. Zusammenfassung Prolactin (PRL) ist neben GH das häufigste Hormon der Hypophyse; GH und PRL, wie auch der GHR und PRL-Rezeptor, sind strukturverwandt und wirken über ähnliche Signalkaskaden. Die physiologische Bedeutung von PRL geht weit über Laktation und Fertilität hinaus, und beinhaltet Aspekte des Verhaltens, Immunsystems und Vitamin- und Mineralstoffwechsels.

42

532

Kapitel 42 · Wachstumshormon und Prolactin

42.3

Pathobiochemie

Gigantismus und Akromegalie Wenn ein Hypophysentumor GH

42

produziert und sich der feedback-Regulation entzieht, so kann sich ein charakteristisches Krankheitsbild mit erhöhter GH-Aktivität entwickeln: Erfolgt die Erkrankung bereits in der Jugend, kommt es u. a. zu einem außergewöhnlichen Größenwachstum, dem Gigantismus. Dermaßen erkrankte Individuen dienten als Inspiration für entsprechende Berichte, Sagen und Märchen in der Weltliteratur, z. B. Goliath oder Samson im Alten Testament, Rübezahl im Riesengebirge, Fasolt und Fafner in Wagners Ring des Nibelungen oder die Titanen in der griechischen Mythologie. In der Vergangenheit sammelten sich unter den »Langen Kerls« des preußischen Paraderegiments von Friedrich-Wilhelm I sicher auch Männer mit GH-Hypersekretion, während sie heutzutage in bestimmten Sportarten (Basketball, Volleyball, Boxen) überrepräsentiert sein dürften. Erfolgt die GH-Hypersekretion erst im Erwachsenenalter nach dem Schließen der Epiphysenfugen (Wachstumszonen) der langen Röhrenknochen, wird ein verstärktes Wachstum der Akren (äußere Enden der Extremitäten, besonders Finger und Füße, aber auch Augenwülste, Nase, Ohr, Kinn, etc.) ausgelöst, eine Akromegalie. Meist tritt auch ein Wachstum der inneren Organe auf, welches zur Visceromegalie führt. In ca. 90 % der Fälle liegt ein GH-sezernierendes Hypophysenadenom zugrunde. Die Erkrankung entwickelt sich zumeist langsam, entsprechend schleichend folgen die Symptome und schwierig ist die Diagnose. Vergröberte Gesichtszüge und vergrößerte Hände, Kiefer oder Füße können als Zufallsbefunde (der Ehering drückt, die Schuhe passen nicht mehr, Zahnzwischenräume entstehen) die korrekte Diagnose einleiten. Drückt der Hypophysentumor ins Gehirn und auf das optische Chiasma, können entsprechende Gesichtsfeldausfälle folgen. Die Raumforderung eines solchen Tumors kann zudem die Freisetzung der anderen hypophysären Hormone hemmen und allgemeine Symptome eines Hypopituitarismus (Hypophysenunterfunktion) hervorrufen (Hypogonadismus, Amenorrhoe, Infertilität). Eine Therapie kann dann über modifizierte Somatostatin-Analoga erfolgen, da diese die GHBiosynthese und Freisetzung hemmen. Alternativ können GHRezeptor-Antagonisten die GH-Wirkung unterbinden. Häufig muss aber schließlich eine entsprechende Operation erfolgen, um den aktiven Tumor vollständig zu entfernen. Minderwuchssyndrome Ein Mangel an GH-Wirkung kann zu ausgeprägten Wachstumsstörungen (Minder- bzw. Zwergwuchs) führen, wobei auch die Entwicklung der Muskulatur verzögert ist. Dieses Defizit äußert sich auch im verspäteten Erreichen von Meilensteinen der Kindesentwicklung (Krabbeln, Stehen, Gehen). Häufig liegt eine inaktivierende Mutation im Gen des hypophysär exprimierten GHRH-Rezeptors zugrunde. Diese Konstellation kann heutzutage effektiv mit rekombinant erzeugtem GH therapiert werden. Ein erfolgreiches Beispiel dieser Intervention ist durch die Entwicklung des Weltfußballers Lionel Messi allgemein bekannt geworden. Ebenso kann eine Mutation im GHR zu einem Wachstumsdefekt, dem sog. Laron-Syndrom führen. Hier ist rekombinantes

GH nicht effektiv, hingegen ist die Therapie mit IGF-1 erfolgreich. Dieser Defekt ist aber auch von überraschenden positiven Nebenwirkungen begleitet (s. 7 Übrigens: »Das Geheimnis gesunden Alterns«). Auch Störungen der zellulären GH-Signalübertragung und deren Regulation können zu Minderwuchs und Beeinträchtigung der anabolen GH-Wirkung bei Patienten führen (z. B. Mutationen in den Genen von STAT5b oder ALS). Übrigens Das Geheimnis gesunden Alterns Schon lange sucht die Medizin nach Wegen, uns vor Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus oder Krebs zu schützen. Überraschende Hinweise lieferte eine Langzeitstudie (über 22 Jahre) von 99 Laron-Patienten in Ecuador, in denen aufgrund einer Mutation im GHR-Gen nur geringe IGF1-Konzentrationen vorliegen. Diese kleinwüchsigen Individuen entwickelten (fast) keinen Diabetes mellitus und keine Krebserkrankungen. Aus Studien mit Modellorganismen (Hefe, C. elegans, Maus) war schon länger bekannt, dass eine reduzierte Aktivität der GH-IGF-1-Achse lebensverlängernd wirkt. Die Lebenserwartung dieser ecuadorianischen LaronPatienten war aus anderen Gründen nicht signifikant erhöht, doch ihr Krebs- und Diabetesrisiko war verschwindend gering.

Hyperprolactinämie und Galaktorrhoe Hyperprolactinämie ist

die einzige gut charakterisierte Erkrankung im PRL-System. Ursächlich sind hierbei meist Tumore der laktotrophen Zellen der Adenohypophyse. Die Therapie mit DA-Agonisten ist häufig erfolgreich, um sowohl die Tumorgröße als auch die erhöhten PRLKonzentrationen zu verringern. Bei Frauen bewirkt die Hyperprolactinämie eine gestörte gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH)-Freisetzung durch Neurone des Hypothalamus, gestörte LH- und FSH-Freisetzungen und damit Störungen der Ovarialfunktion mit Anovulation, Zyklusstörungen und Galaktorrhoe (krankhafter Brustmilchausfluss). Beim Mann können Prolactinome mit Einschränkung der Libido und Potenz durch sekundäre Hemmung der Gonadotropinsekretion sowie mit einer Gynäkomastie (Vergrößerung der Brustdrüsen) verbunden sein. Zusammenfassung Die GH-IGF-Wachstumsachse reguliert anabole Prozesse und den Energiestoffwechsel und beeinflusst somit das Diabetesrisiko und maligne Prozesse. Die physiologische Bedeutung von Prolaktin ist noch unzureichend geklärt, könnte aber ähnlich bedeutsam und vielschichtig sein.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

533

Molekularbiologie Kapitel 43

Zellzyklus – Koordination der Zellteilung P. C. Heinrich, H.-G. Koch, J. Brix

– 535

Kapitel 44

Replikation – Die Verdopplung der DNA H.-G. Koch, J. Brix, P. C. Heinrich

Kapitel 45

DNA-Mutationen und ihre Reparatur H.-G. Koch, J. Brix, P. C. Heinrich

Kapitel 46

Transkription und Prozessierung der RNA J. Brix, H.-G. Koch, P. C. Heinrich

Kapitel 47

Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression – 588 J. Brix, H.-G. Koch, P. C. Heinrich

Kapitel 48

Translation – Synthese von Proteinen M. Müller, L. Graeve

Kapitel 49

Proteine – Transport, Modifikation und Faltung M. Müller, L. Graeve

Kapitel 50

Proteine – Mechanismen ihres Abbaus M. Müller, L. Graeve

Kapitel 51

Apoptose – Der programmierte Zelltod P. C. Heinrich, H.-G. Koch, J. Brix

Kapitel 52

Grundlagen der Tumorentstehung B. Brandt, P. E. Petrides

Kapitel 53

Spezifische Tumore – Entstehung, Progression und Therapie – 649 B. Brandt, P. E. Petrides

Kapitel 54

Gentechnik – 660 J. Brix, P. C. Heinrich, H.-G. Koch, G. Löffler

Kapitel 55

Gentechnik in höheren Organismen – Transgene Tiere und Gentherapie – 679 J. Brix, P. C. Heinrich, H.-G. Koch, G. Löffler

– 545

– 559

– 567

– 600

– 629

– 633

– 638

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IV

535

43 Zellzyklus – Koordination der Zellteilung Peter C. Heinrich, Hans-Georg Koch, Jan Brix

Einleitung Der Zellzyklus beschreibt die Entstehung zweier Tochterzellen aus einer Ursprungszelle. Die dabei ablaufenden Vorgänge werden durch ein komplexes, molekulares Netzwerk reguliert. Nach einer entsprechenden Vergrößerung der Zellmasse muss sichergestellt werden, dass eine Zelle ihr komplettes Genom fehlerfrei dupliziert und während der Zellteilung zu gleichen Teilen an die Tochterzellen weitergibt. Schwerpunkte 4 Die 4 Phasen des Zellzyklus 4 Steuerung des Zellzyklus durch Cycline und cyclinabhängige Kinasen (Cdks) 4 Regulation der cyclinabhängigen Kinasen 4 Die Bedeutung der Transkriptionsfaktoren p53 und E2F im Zellzyklus

Das Leben von Einzellern beginnt mit ihrer Entstehung durch Teilung ihrer Mutterzellen und ist dann durch eine Phase des Wachstums gekennzeichnet, die in etwa zur Verdopplung ihrer Zellmasse führt. Daran schließt sich die Bildung zweier Tochterzellen durch Zellteilung an. Der Zeitraum vom Entstehen einer Zelle durch eine Mitose bis zu ihrem Ende durch erneute Zellteilung wird als Zellzyklus bezeichnet und ist besonders gut an einzelligen Eukaryonten, z. B. Hefezellen, untersucht worden. Bei ihnen führt das Durchlaufen des Zellzyklus zur exponentiellen Zunahme der Population. Auch die Zellen höherer, vielzelliger Organismen durchlaufen den Zellzyklus. Allerdings ist bei ihnen im Gegensatz zu Einzellern ein dauerndes exponentielles Wachstum nicht erwünscht und auch gar nicht möglich. Für die Aufrechterhaltung der Zellmasse eines adulten, nicht mehr wachsenden Organismus muss es also Mechanismen geben, die eine weitere Zellvermehrung verhindern. Zu diesen Mechanismen gehören das Anhalten des Zellzyklus mit der Folge, dass weitere Zellteilungen verhindert und nicht mehr benötigte Zellen durch Apoptose eliminiert werden. Im erwachsenen Menschen finden sich neben Geweben mit hoher Zellteilungsrate auch solche, in denen Zellteilungen nie oder höchst selten stattfinden (. Abb. 43.1). Menschliche Nerven- und Muskelzellen teilen sich nach Differenzierung nicht mehr, Leberzellen z. B. nur etwa einmal pro Jahr. Im Gegensatz dazu teilen sich andere Zellen, z. B. die Vorläufer der Blutzellen, etwa einmal pro Tag. Störungen im Zellzyklus bilden häufig die Grundlage für das Entstehen bösartiger Erkrankungen wie Krebs. Daher ist das Wissen um die moleku-

. Abb. 43.1 Teilungsraten unterschiedlicher humaner Zelltypen

laren Mechanismen der Zellzyklusregulation ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis solcher Erkrankungen. 43.1

Chronologie des Zellzyklus

Bei der Erzeugung zweier identischer Tochterzellen muss die gesamte genetische Information sorgfältig repliziert und genau auf die Tochterzellen verteilt werden, sodass jede Zelle eine Kopie des gesamten Genoms erhält. Darüber hinaus muss die übrige Zellmasse verdoppelt werden, ansonsten würden aus jeder Zellteilungsrunde kleinere Zellen resultieren. Bei Eukaryonten mit komplexem Zellaufbau mit verschiedenen Kompartimenten sind sämtliche Vorgänge zeitlich und räumlich miteinander koordiniert. Zudem müssen Zellen auf äußere Signale reagieren, die der einzelnen Zelle mitteilen, dass weitere Zellen gebraucht werden.

Der Zellzyklus umfasst vier verschiedene Phasen Bei kontinuierlicher Proliferation treten Zellen nach der Zellteilung, der Mitose (M-Phase), in die Interphase ein, die aus der G1-Phase (gap-1), der S-Phase (Synthese) und der G2-Phase (gap-2) besteht (. Abb. 43.2): 4 Die erste Phase der Interphase, die G1-Phase, ist durch Zellwachstum und die Synthese von Proteinen und Nucleotiden charakterisiert, die für die DNA-Replikation benötigt werden. 4 In der S-Phase wird die DNA der Zelle repliziert, RNA und Proteine werden synthetisiert. 4 In der anschließenden G2-Phase werden weiterhin RNA und Proteine synthetisiert, und die Zelle bereitet sich auf die Zellteilung vor.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_43, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

43

536

Kapitel 43 · Zellzyklus – Koordination der Zellteilung

. Abb. 43.2 Die einzelnen Phasen des Zellzyklus mit drei ausgewählten Kontrollpunkten. Die Mitose kann in sechs verschiedene Phasen unterteilt werden; in der Abbildung sind Prometaphase und Metaphase sowie Telophase und Cytokinese zusammengefasst (Einzelheiten s. Text und 7 Übrigens: »Die Mitose«)

4 Während der Mitose wird die DNA auf die mitotischen Spindeln und Tochterchromatiden aufgeteilt, das Cytoplasma teilt sich, und es entstehen zwei gleiche Tochterzellen.

43

Bei einer schnell wachsenden Säugerzelle dauert ein Zellzyklus etwa 24 h, wobei auf die G1-Phase etwa 6–12 h, die S-Phase etwa 6–8 h, die G2-Phase etwa 3–4 h und auf die Mitose etwa 0,5–1 h entfallen. Zellen haben die Möglichkeit, den Zellzyklus vorübergehend oder dauerhaft zu verlassen: 4 Differenzierte Zellen verlassen den Zellzyklus und treten in die sog. G0-Phase ein; dies gilt z. B. für sich nicht teilende Nerven- und Muskelzellen. 4 Der Entzug von Wachstumsfaktoren und Nährstoffen führt ebenfalls dazu, dass Zellen in die G0-Phase eintreten. 4 Ruhende, nicht terminal differenzierte Zellen können durch Zugabe von Wachstumsfaktoren und Nährstoffen dazu veranlasst werden, die G0-Phase zu verlassen und wieder in den Zellzyklus einzutreten.

43.2

Kontrolle des Zellzyklus

Durch die genaue Kontrolle des Zellzyklus wird verhindert, dass die nächste Zellzyklusphase begonnen wird, bevor die vorhergehende Phase beendet ist. Es wäre gefährlich, die DNA-Synthese einzuleiten, wenn nicht genügend Nucleotide und Enzyme für diesen Prozess vorhanden sind. Es hätte ebenfalls katastrophale Folgen für die Zelle, wenn die Mitose eingeleitet würde, obwohl die DNA-Synthese noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Die Zelle verfügt daher über Kontrollpunkte (checkpoints/restriction points), an denen sie den Fortschritt des Zellzyklus überprüft. Ein solcher Kontrollpunkt, der über den Eintritt in die S-Phase entscheidet, befindet sich in der späten G1-Phase des Zellzyklus (. Abb. 43.2). Hier wird überprüft, ob eine ausreichende Zellgröße erreicht ist, ob keine DNA-Schäden vorliegen und ob ausreichend Substrate für die Nucleinsäuresynthese vorhanden sind. Ein weiterer Kontrollpunkt befindet sich am Ende der G2-Phase. Dort überprüft die Zelle, ob die DNA erfolgreich repliziert wurde oder ob DNA-Schäden vorliegen. Bei Fehlermeldungen wird

Mitose Prophase Prometaphase Metaphase Anaphase Telophase Cytokunese G_2-Phase S-Phase G_1-Phase G_0-Phase G_1-Kontrollpunkt

Zellzyklus G_2-Kontrollpunkt Kontrollpunkt

537 43.3 · Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen

. Abb. 43.3 Zeitlich regulierte Expression von Cyclinen während des Zellzyklus. Die Längen der einzelnen Phasen des Zellzyklus sind nicht maßstabsgerecht dargestellt

der Zellzyklus angehalten und die Zelle hat Zeit, den DNA-Schaden zu beheben (7 Kap. 45.2) oder den Zellzyklus abzubrechen und in die Apoptose einzutreten. An einem dritten Kontrollpunkt am Ende der Metaphase der Mitose wird die korrekte Anheftung der Kinetochore an den mitotischen Spindelapparat überprüft. Das Kinetochor ist ein DNA-Protein-Komplex, der an den Centromeren (griech. »Mittelpunkt«; Kontaktstelle der beiden Tochterchromatiden) lokalisiert ist. Die Entscheidung, einen Kontrollpunkt zu passieren, wird durch externe Faktoren wie Wachstumsfaktoren und von einem inneren Uhrwerk der Zelle bestimmt. Dieses Uhrwerk besteht aus Cyclinen und den sog. cyclinabhängigen Kinasen. Externe Signale wirken regulierend auf diese cyclinabhängigen Kinasen ein. Der Verlust der Abhängigkeit der Zellzyklusprogression durch externe Wachstumsfaktoren und der Verlust der Zellzykluskontrolle an den Kontrollpunkten ist ein Charakteristikum von Tumorzellen.

. Tab. 43.1 Die wichtigsten Cycline und cyclinabhängigen Kinasen während des Zellzyklus in Säugetieren Phase des Zellzyklus

Cycline

Cyclinabhängige Kinasen

G1-Phase

Cyclin D

Cdk4, Cdk6

Cyclin E

Cdk2

Cyclin D

Cdk4, Cdk6

Cyclin E

Cdk2

Cyclin A

Cdk2

Cyclin Ba

Cdk1

Cyclin A

Cdk1

Cyclin A

Cdk1

S-Phase

G2-Phase

M-Phase

Cyclin B a

43.3

a

Cdk1

auch Cyclin M genannt.

Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen

Cycline sind die Aktivatoren cyclinabhängiger Kinasen Cycline sind eine Gruppe strukturell verwandter Proteine, deren

Konzentrationen während der Phasen des Zellzyklus oszillieren (. Abb. 43.3). Ihre Konzentration während des Zellzyklus wird durch regulierten proteolytischen Abbau im Proteasom bestimmt. Cycline sind die Aktivatoren der cyclinabhängigen Kinasen (cyclin-dependent kinases, Cdks) (. Tab. 43.1). Sobald sie an die Cdks binden, öffnet sich deren aktives Zentrum und die CdkAktivität steigt an. Im Unterschied zu Cyclinen, deren Synthese und Abbau während des Zellzyklus oszilliert, sind die Cdks während des gesamten Zellzyklus vorhanden. Damit sind die Cycline die regulatorischen Komponenten eines Cyclin/Cdk-Komplexes. Ein Cyclinmolekül kann an unterschiedliche Cdks binden und dadurch deren Enzymaktivität steuern. Cyclin/Cdk-Komplexe entfalten ihre Wirkung fast ausschließlich im Zellkern. Daher ist die kontrollierte Translokation von Cyclin/Cdk-Komplexen in den Zellkern eine wichtige Stufe für die Regulation des Zellzyklus. In der G2-Phase und in der M-Phase des Zellzyklus sind nucleäre Lamine und Mikrotubuli-assoziierte Proteine wichtige Substrate für Cdks. Neben den kernlokalisierten Cdks findet man Cdks auch am Golgi-Apparat und an den Centrosomen. Die

am Golgi-Apparat lokalisierten Cdks sind an der Auflösung der Golgi-Membranen während der Mitose beteiligt. Das Centrosom steuert die Organisation der Mikrotubuli während der Mitose und wird daher auch als microtubule-organizing center bezeichnet. Die Verdopplung der Centrosomen während der Mitose wird über Cdks gesteuert. Damit unterstützen die außerhalb des Zellkerns lokalisierten Cdks die im Zellkern den Zellzyklus regulierenden Cdks. Für den geordneten Ablauf des Zellzyklus ist eine exakte Regulation der Cyclin/Cdk-Komplexe notwendig (. Abb. 43.4, 43.5 und 43.7). Sie erfolgt durch: 4 reversible Phosphorylierung/Dephosphorylierung 4 Ubiquitinierung und anschließenden Abbau durch das Proteasom 4 spezifische Inhibitorproteine 4 Regulation der subzellulären Lokalisation und 4 transkriptionelle Regulation

43

538

Kapitel 43 · Zellzyklus – Koordination der Zellteilung

. Abb. 43.4 Regulation von cyclinabhängigen Kinasen (Cdk) durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung sowie durch spezifische Inhibitorproteine (CKI, Cdk-Inhibitoren). (Einzelheiten s. Text)

Die Aktivität der Cdks wird durch Phosphorylierung/Dephosphorylierung und Ubiquitinierung mit anschließendem Abbau durch das Proteasom reguliert

43

Cdks bilden eine Familie von Proteinen, die sich durch eine hohe Konservierung der Aminosäuresequenz in den funktionellen Domänen auszeichnet. Die durch die Interaktion mit Cyclinen entstehenden Cyclin/Cdk-Komplexe besitzen lediglich eine geringe Kinaseaktivität, die durch spezifische Inhibitorproteine (CKI) oder durch Phosphorylierung inhibiert werden kann (. Abb. 43.4). Für die Aktivierung der Cyclin/Cdk-Komplexe muss das inhibitorische Phosphat abgespalten werden und gleichzeitig eine aktivierende Phosphorylierung an einem anderen Aminosäurerest erfolgen. Durch Ubiquitinierung und Proteolyse des Cyclins werden aktive Cyclin/Cdk-Komplexe inaktiviert. Diese Proteolyse der verschiedenen Cycline erklärt auch deren Oszillation während des Zellzyklus (. Abb. 43.3). Am Beispiel der Cdk1 soll die Bedeutung der inhibitorischen und aktivierenden Phosphorylierungen der Cdks dargestellt werden (. Abb. 43.5): Durch Bindung von Cyclin B kommt es zu einer schwachen Aktivierung von Cdk1 1 . Inaktivierende Kinasen wie Wee1(little-1; schottisch: wee = klein), Myt1 (myelin transcription factor 1) oder Mik1 (mitotic inhibitor kinase 1) phosphorylieren Cdk1 an Threonin 14 und Tyrosin 15 2 . Die Phosphorylierung an beiden Aminosäuren führt zur Inaktivierung von Cdk1, da diese Aminosäuren im aktiven Zentrum liegen. Die weitere Phosphorylierung des Threoninrestes 160 von Cdk1 durch eine

Cdk-aktivierende Kinase (Cak, ein Komplex aus Cyclin H, Cdk7

und Mat1) ist dagegen eine wesentliche Voraussetzung für die Aktivierung des Cyclin B/Cdk1-Komplexes 3 . Wenn die Zelle zur Zellteilung bereit ist, wird Cdk1 an den beiden inhibitorischen Aminosäuren Thr 14 und Tyr 15 durch die Phosphatase Cdc25c (cell division cycle protein 25c) dephosphoryliert 4 . Damit wird der Cyclin B/Cdk1-Komplex aktiviert und die Zelle zum Eintritt in die Mitosephase stimuliert 5 , weshalb dieser Komplex auch als mitosis-promoting factor (MPF) bezeichnet wird (s. »Übrigens: Die Mitose« und . Abb. 43.5). Da der aktive Cyclin B/Cdk1-Komplex wiederum die Phosphatase Cdc25c durch Phosphorylierung stimuliert, erfolgt so eine feedforwardAktivierung 6 . Der aktive Cyclin B/Cdk1-Komplex ist dann ein wesentlicher Auslöser der Mitose. Auch die Regulation anderer am Zellzyklus beteiligter Cyclin/Cdk-Komplexe erfolgt in ähnlicher Weise durch Phosphorylierung/Dephosphorylierung. Um die Mitosephase zu verlassen, wird im aktiven Cyclin B/ Cdk1-Komplex zunächst Threonin 160 von Cdk1 durch die Phosphatase Kap (kinase associated phosphatase) dephosphoryliert 7 . Cyclin B wird durch die Ubiquitinligase SCF ubiquitiniert 8 und durch das Proteasom abgebaut 9 , während inaktives Cdk1 erneut Cycline binden und damit aktiviert werden kann. Der aktive Cyclin B/Cdk1-Komplex stimuliert durch Phosphorylierung die Ubiquitinligase SCF und leitet damit die Proteolyse von Cyclin B ein.

539 43.3 · Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen

. Abb. 43.5 Regulation von Cdk1/Cyclin B durch Phosphorylierung, Dephosphorylierung und proteasomalen Abbau (Einzelheiten s.Text). Der SCFUbiquitinligase-Komplex besteht aus den Untereinheiten Skp1 (S-phase kinase associated protein 1), Cullin und F-Box-Protein (F-Box beschreibt ein Aminosäuremotiv, das an Protein-Protein-Interaktionen beteiligt ist). Ubi: Ubiquitin

Cyclinabhängige Kinasen werden über Inhibitoren reguliert

Die Aktivität der cyclinabhängigen Kinasen wird über ihre subzelluläre Lokalisation reguliert

Eine zusätzliche Regulation der cyclinabhängigen Kinasen erfolgt durch die Interaktion mit Inhibitoren, die als Cdk-Inhibitoren (CKI) bezeichnet werden. In Metazoen (mehrzelligen Eukaryonten) sind zwei CKI-Familien bekannt, die sich hinsichtlich ihrer Struktur und Spezifität unterscheiden. Zur INK4 (inhibitor of kinase 4)-Familie gehören die Inhibitoren p16INK4A, p15INK4B, p18INK4C und p19INK4D. INK4-Inhibitoren verhindern durch Bindung an Cdk4 und Cdk6 deren Interaktion mit Cyclin D, wirken also spezifisch während der G1-und S-Phase des Zellzyklus (. Abb. 43.6). Die Cip/Kip (cyclin inhibitor protein/kinase inhibitor protein)-Familie umfasst die Proteine p21Cip1, p27Kip1 und p57Kip2. Im Unterschied zu INK4-Inhibitoren binden diese sowohl an Cycline (p21Cip1) als auch an Cdks (p27Kip1 und p57Kip2). Die Konzentration und Aktivität der CKIs während des Zellzyklus wird ebenfalls durch Phosphorylierung und Proteolyse reguliert. Zusätzlich erfolgt eine transkriptionelle Regulation der CKIs durch den Transkriptionsfaktor p53 (s. u.). Eine Inaktivierung der CKI-gesteuerten Zellzykluskontrolle findet man z. B. häufig in Tumorzellen.

Da Cyclin/Cdk-Komplexe überwiegend im Zellkern aktiv sind, kommt ihrer Translokation vom Cytosol in den Zellkern eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt auch für die Cdk1-aktivierende Phosphatase Cdc25c (. Abb. 43.7). Cyclin B trägt sowohl ein KernImport-Signal (NLS, nuclear localization signal) als auch ein KernExport-Signal (NES, nuclear export signal), d. h. es findet ein kontinuierliches shuttling des Cyclin B/Cdk1-Komplexes zwischen Cytosol und Kern statt. Dabei werden der Import in den Zellkern durch Importin β und der Export durch Crm-1, ein Importin-βähnliches Protein, ermöglicht (7 Kap. 12.2 und 49.2). Allerdings findet man den Cyclin B/Cdk1-Komplex während der gesamten Interphase überwiegend im Cytosol vor und erst in der späten Prophase der Mitose im Zellkern. Dieser zellzyklusabhängigen Lokalisation liegt eine komplexe Regulation zugrunde (. Abb. 43.7): 4 Die während der Interphase im Cytosol vorliegenden Cyclin B/Cdk1-Komplexe sind durch Phosphorylierung inaktiviert. Die Inaktivierung erfolgt durch die Kinase Myt1. Die während der Interphase geringe Menge an kernlokalisierten Cyclin B/Cdk1-Komplexen wird durch die Kinase Wee-1 inaktiviert (. Abb. 43.5).

Wee1 Myt1 Mik1 Cdk1 Cyclin B Cdc25c

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Kapitel 43 · Zellzyklus – Koordination der Zellteilung

insbesondere an phosphorylierte Proteine binden. Die ungewöhnliche Bezeichnung dieser Proteine leitet sich von dem ursprünglichen Aufreinigungsprotokoll ab: Die Proteine eluierten in der 14. Fraktion einer Säulenchromatographie und wurden in der anschließenden Elektrophorese an Position 3.3 gefunden. 4 Nach Dephosphorylierung von Serin 216 dissoziiert das 14-3-3 Protein ab und Cdc25c kann in den Zellkern transportiert werden. Dort erfolgt die Aktivierung durch eine mehrfache Phosphorylierung durch Plk1 7 . 4 Im Zellkern bindet das phosphorylierte Cdc25c dann an den Cyclin B/Cdk1-Komplex und aktiviert diesen durch Dephosphorylierung 3 . 4 Um den Übergang von der Mitosephase in die G1-Phase zu ermöglichen, erfolgt der proteolytische Abbau von Cyclin B und Cdc25c nach Ubiquitinierung 8 .

Der Zellzyklus wird durch die Transkriptionsfaktoren p53 und E2F reguliert

. Abb. 43.6 Assoziation von Cyclin/Cdk-Komplexen während des Zellzyklus und deren Inhibitoren. Einzelne Cycline können mit verschiedenen Cdks und einzelne Cdks mit verschiedenen Cyclinen interagieren. Inhibitoren können entweder nur Cdks (INK4-Inhibitorfamilie) oder sowohl Cycline als auch Cdks (Cip/Kip-Inhibitorfamilie) inhibieren. (Einzelheiten s. Text)

43

4 Am Anfang der Prophase der Mitose wird das Kernexportsignal von Cyclin B durch Phosphorylierung maskiert, sodass es zur Anreicherung von inaktiven Cyclin B/Cdk1Komplexen im Zellkern kommt. An dieser Phosphorylierung ist vermutlich die zellkernlokalisierte Kinase Plk1 (polo-like kinase 1) beteiligt 1 . 4 Um den Cyclin B/Cdk1-Komplex im Kern zu aktivieren, erfolgt die Phosphorylierung durch die bereits in . Abb. 43.5 erwähnte kernlokalisierte Kinase Cak 2 . 4 Eine volle Aktivierung wird allerdings erst nach Entfernung der Phosphatreste an den Positionen 14 und 15 erreicht. Diese Dephosphorylierung wird durch die bereits vorgestellte Phosphatase Cdc25c bewirkt 3 . 4 Die Dephosphorylierung von Cdk1 führt zu deren Aktivierung, sodass die Zelle in die Mitose eintreten kann 4 . 4 Cdc25c trägt wie Cyclin B sowohl ein Kern-Import-Signal als auch ein Kern-Export-Signal und ist ebenso wie Cyclin B während der Interphase überwiegend im Cytosol lokalisiert. Nach Phosphorylierung an Serin 216 durch die Kinase Chk1 (checkpoint-homologue kinase 1) 5 , bindet Cdc25c an das Adapterprotein 14-3-3 6 . Diese Phosphorylierung kann durch die Proteinphosphatase PP2a (protein phosphatase 2a) 5 rückgängig gemacht werden. Durch die Bindung des 14-3-3 Proteins wird das Kern-Import-Signal maskiert und Cdc25c deshalb im Cytosol festgehalten. 14-3-3 Proteine gehören zu einer in allen Eukaryonten vorkommenden Familie von regulatorischen Proteinen, die

Neben der Regulation des Zellzyklus durch z. B. Phosphorylierung oder Proteolyse erfolgt eine Regulation auch auf der Transkriptionsebene. Einer der wichtigsten Transkriptionsfaktoren ist hier p53, ein Protein mit einer molekularen Masse von 53 kDa. Das Protein wird häufig auch als »Wächter des Genoms« bezeichnet, da es bei einer Schädigung der DNA den Zellzyklus arretieren kann und so DNA-Reparatursystemen (7 Kap. 45.2) die Gelegenheit gibt, diese Schäden zu beheben. Die Bedeutung dieser »Wächterfunktion« wird auch dadurch deutlich, dass bei etwa 50 % aller Tumorpatienten Mutationen im p53-Gen vorliegen. Keimbahnmutationen im p53-Gen führen zu dem sog. LiFraumeni-Syndrom (7 Kap. 52, 53). Diese Patienten zeigen ein stark erhöhtes Krebsrisiko und entwickeln häufig schon vor Eintritt in die Pubertät maligne Tumore, wie z. B. Brustkrebs, Leukämie und Hirntumore. 4 Wie in . Abb. 43.8 gezeigt, liegt p53 als Tetramer mit der Ubiquitinligase Mdm2 (mouse double minute 2 protein) assoziiert vor. Durch Ubiquitinierung 1 und proteasomalen Abbau 2 wird die zelluläre Konzentration von p53 unter physiologischen Bedingungen gering gehalten. 4 Nach einer DNA-Schädigung, z. B. einem Doppelstrangbruch 3 , wird dieser durch den Proteinkomplex MRN erkannt 4 . MRN besteht aus der Exonuclease Mre11, der ATPase Rad50 und dem Gerüstprotein Nbs1. 4 MRN aktiviert nachfolgend die Serin/Threoninkinasen ATM und ATR 5 . Die Phosphorylierung von p53 durch ATM oder ATR 6 führt zur Dissoziation der Ubiquitinligase Mdm2. Dadurch unterbleibt die Proteolyse, und es kommt zu einer erhöhten p53 Konzentration in der Zelle. Gleichzeitig führt diese Phosphorylierung durch ATM oder ATR zu einer erhöhten Aktivität des Transkriptionsfaktors p53. 4 Aktiviertes p53 stimuliert die Transkription des p21Cip-Gens (. Abb. 43.6, 7 ), sodass die Konzentration dieses Cyclininhibitors ansteigt und der Zellzyklus solange angehalten werden kann, bis die DNA-Schäden behoben sind 8 . 4 Bei irreparablen DNA-Schäden führt die dauerhafte Aktivierung von ATM und ATR zu extrem hohen p53-Konzentrationen, die die Apoptose auslösen.

541 43.3 · Kontrolle der cyclinabhängigen Kinasen

. Abb. 43.7 Regulation des Cyclin B/Cdk1-Komplexes und der Proteinphosphatase Cdc25c durch unterschiedliche subzelluläre Lokalisation. Poloähnliche Kinasen (polo-like kinases) sind hochkonservierte Serin/Threoninkinasen, die C-terminal mehrere sog. Polo-Boxen besitzen. Diese aus etwa 70–80 Aminosäuren bestehenden konservierten Bereiche bestimmen die subzelluläre Lokalisation der Kinasen und üben eine autoinhibitorische Wirkung aus. (Einzelheiten s. Text)

Ein weiteres wichtiges Regulatorprotein des Zellzyklus ist das Tumorsuppressorprotein pRB (Retinoblastomprotein). pRB ist ein Inhibitor des Transkriptionsfaktors E2F-1 (E2F-1 gehört zu einer Familie von eukaryontischen Transkriptionsfaktoren), der die Transkription von Proteinen steuert, die für den Übergang von der G1-Phase in die S-Phase benötigt werden. Hierzu zählen z. B. die DNA-Polymerase, die Dihydrofolatreduktase und Cyclin E. Mutationen im pRB-Gen führen zum Retinoblastom, einem Tumor der sich entwickelnden Retina, der bei Neugeborenen und Kleinkindern mit einer Häufigkeit von etwa 1:20 000 auftritt. Da pRB nicht nur in der Retina, sondern vermutlich in allen Zelltypen exprimiert wird, findet man Mutationen im pRB-Gen auch z. B. bei Bronchial- und Mammakarzinomen (7 Kap. 53). Der Mechanismus der E2F Inaktivierung ist in . Abb. 43.8 (rechts unten) schematisch dargestellt: 4 E2F-1 ist durch Bindung von pRB inaktiviert, sodass die Transkription der E2F-1-kontrollierten Gene unterbleibt 9 . 4 Durch Wachstumsfaktoren (s. u.) kommt es zu einem Anstieg der Cyclin-D-Konzentration (. Abb. 43.3) und zur Bildung der Cyclin D/Cdk4- bzw. Cyclin D/Cdk6-Komplexe. Cdc25c Cdk1 Cyclin B

4 Die Kinaseaktivtät beider Komplexe führt zur Hyperphosphorylierung von pRB, das insgesamt 16 potentielle Serin-/ Threoninphosphorylierungsstellen besitzt. Diese Phosphorylierung bewirkt die Freisetzung des Transkriptionsfaktors E2F-1 10 . Die Bezeichnung G1-Kontrollpunkt (. Abb. 43.2) beschreibt im Wesentlichen diese kontrollierte Freisetzung von E2F-1. 4 Freigesetztes E2F-1 stimuliert dann die Transkription verschiedener Gene, wie z. B. die der DNA-Polymerasen und Cyclin E, und ermöglicht so den Übergang in die S-Phase. Die in der S-Phase gebildeten Cyclin E/Cdk2-Komplexe können pRB ebenfalls phosphorylieren, sodass es zu einem Verstärkungseffekt kommt. 4 Ist einer der Inhibitoren der cyclinabhängigen Proteinkinasen wie p21Cip aktiviert, z. B. nach DNA-Schädigung (s. o.), unterbleibt die Phosphorylierung von pRb und damit die Freisetzung von E2F-1. Durch die fehlende Transkriptionsstimulation kommt es zu einem Zellzyklusarrest.

43

542

Kapitel 43 · Zellzyklus – Koordination der Zellteilung

. Abb. 43.8 Wirkung der Tumorsuppressorproteine p53 und pRb. p53 inhibiert Cyclin/Cdk-Komplexe durch verstärkte Expression des cyclinspezifischen Inhibitors p21Cip. pRB wird durch Cyclin/Cdk-Komplexe phosphoryliert, wodurch der Transkriptionsfaktor E2F-1 freigesetzt wird. ATM: ataxia teleangiectasia mutated; und ATR: ataxia teleangiectasia related. Ataxia teleangiectasia ist eine seltene Erkrankung, die durch Wachstumsstörungen und erhöhtes Tumorrisiko charakterisiert ist (s. 7 Kap. 45, 7 Tab. 45.3). (Einzelheiten s. Text)

Übrigens Die Mitose

43

Der Begriff Mitose wurde von dem deutschen Anatom Walther Flemming (1843–1905) geprägt, der erstmals das Verhalten von Chromosomen während der Zellteilung beobachtete. Die gleichmäßige Verteilung der replizierten Chromosomen auf zwei Tochterzellen ist nur aufgrund tiefgreifender Veränderungen der Zellmorphologie möglich. So muss z. B. in Metazoen (mehrzellige Eukaryonten) die Kernmembran aufgelöst und am Ende der Mitose aus Kernmembranfragmenten und Membrananteilen des Endoplasmatischen Retikulums neu gebildet werden. Die Mitose wird in sechs Stadien eingeteilt (. Abb. 43.2, oberer Teil): 1. Prophase Die replizierten Chromosomen, bestehend aus je zwei Tochterchromatiden, kondensieren und werden lichtmikroskopisch sichtbar. Der Spindelapparat bildet sich außerhalb des Zellkerns: Ausgehend von einem Proteinkomplex (dem Centrosom) entstehen fächerförmig Mikrotubuli. Mindestens fünf verschiedene Motorproteine sind an der Ausbildung des Spindelapparates beteiligt: Kine6

DNA-Schädigung Mdm2 P21_cip__ Cdk4,6 E2F1

sin-4, Kinesin-5, Kinesin-10, Kinesin-14 und Dynein (7 Kap. 13). 2. Pro-Metaphase Nach der Translokation des Cyclin B1/ Cdk1-Komplexes (MPF: mitosis-promoting factor) in den Zellkern (. Abb. 43.7) zerfällt die Kernmembran und die weiter kondensierten Chromosomen können über die Kinetochore an die Mikrotubuli binden. Entscheidend für den regulierten Zerfall der Kernmembran ist die Phosphorylierung der Kernlamina, einem dichten Flechtwerk aus Proteinuntereinheiten (Laminen), die der inneren Kernmembran aufliegt. Die durch den Cyclin B1/Cdk1-Komplex katalysierte Phosphorylierung führt zur Depolymerisierung der Lamine und zum Zerfall der Kernlamina. Der Cyclin B1/Cdk1-Komplex destabilisiert durch Phosphorylierung ebenfalls die Kernporenkomplexe und scheint auch die Kondensation der Chromosomen durch Phosphorylierung der SMC-Proteine und des Histons H1 (7 Kap. 10.3) zu steuern. Das Protein Mad2 erkennt Kinetochore, die nicht an Mikrotubuli gebunden sind und verhindert in diesem Fall den Übergang in die Anaphase. Damit ist Mad2 ein wesentlicher Faktor des Mitosekontrollpunktes (. Abb. 43.2). 6

543 43.4 · Wachstumsfaktoren und Zellzyklus

3. Metaphase Die Metaphase ist die längste Phase (ca. 20 min) der Mitose. Die Centrosomen wandern zu den gegenüberliegenden Polen der Zelle und die Chromosomen orientieren sich zwischen den Centrosomen in der Äquatorialebene. Es kommt zu einer Phosphorylierung der Motorproteine und von MAPs (microtubule-associated proteins). Diese Cdk-abhängige Phosphorylierung führt zu einer erhöhten Mikrotubulidynamik, d. h. einem verstärkten Aufund Abbau. Die korrekte Trennung der beiden Tochterchromatiden setzt voraus, dass sie von gegenüberliegenden Mikrotubulifasern gebunden werden. An der Kontrolle der korrekten Anheftung ist die Proteinkinase Aurora B beteiligt. 4. Anaphase Die Anaphase setzt ein, wenn die Kohäsine, die die Tochterchromatiden zusammenhalten, proteolytisch gespalten werden. Die verantwortliche Protease wird als Separase bezeichnet und ist vor Beginn der Anaphase durch die regulatorische Untereinheit Securin inaktiviert. Während der Anaphase wird Securin durch die Ubiquitinligase APC/C (anaphase promoting complex) ubiquitiniert und durch das Proteasom abgebaut. APC/C ubiquitiniert ebenfalls den Cyclin B1/Cdk1-Komplex sowie B-Typ-Cycline und leitet damit deren Proteolyse ein. APC/C wird während der Interphase durch Cyclin/Cdk-Komplexe inaktiviert und durch die Cdc14Phosphatase in der Anaphase aktiviert. Die Trennung der Tochterchromatiden erfolgt sowohl durch die Verkürzung der Mikrotubuli als auch durch die Wanderung der Spindelpole; dabei trennen sich die Tochterchromatiden mit einer Geschwindigkeit von etwa 1 µm/min. 5. Telophase Nach der vollständigen Trennung der Tochterchromatiden muss die Kernmembran wieder aufgebaut werden. Hierzu werden zunächst die durch Cyclin B1/Cdk1Komplexe katalysierten Phosphorylierungen durch die Phosphatase Cdc14 rückgängig gemacht. Die Dephosphorylierung der Kondensine und des Histons H1 führt zu einer Dekondensation der Chromosomen. Die Dephosphorylierung der Motorproteine und MAPs (s. o.) führt zu einer Dissoziation der Mikrotubuli. Es wird vermutet, dass Fragmente der Kernmembran nach Dephosphorylierung mit den 6

Chromosomen interagieren und durch Fusion miteinander eine neue Kernmembran bilden. Diese Fusion und die Assemblierung von Kernporenkomplexen werden durch Ran-GTP (7 Kap. 12.1.2) stimuliert. 6. Cytokinese Während der Cytokinese wird das Cytoplasma durch einen kontraktilen Ring, bestehend aus Actin- und Myosinfilamenten, geteilt und es entstehen zwei Tochterzellen.

43.4

Wachstumsfaktoren und Zellzyklus

Im Zellzyklus spielen eine ganze Reihe von Wachstumsfaktoren eine wichtige Rolle. So können Säugetierzellen in Zellkultur nur dann proliferieren, wenn dem Kulturmedium Serum zugesetzt wird. Das Serum enthält Faktoren, die das Wachstum einer Zelle, eines Organs oder eines Organismus fördern (. Tab. 43.2). Wachstumsfaktoren können: 4 mitogen, also mitosestimulierend, 4 proapoptotisch, d. h. den programmierten Zelltod (7 Kap. 51) stimulierend oder 4 antiapoptotisch wirken. Wachstumsfaktoren stimulieren das Zellwachstum und die Zellteilung, indem sie die Synthese von Proteinen und anderen Molekülen, z. B. Nucleotiden, in der Zelle fördern und das Durchlaufen des Zellzyklus stimulieren. Die Vielzahl dieser Faktoren reguliert nicht nur Zellwachstum, sondern auch Zellmigration, Differenzierung und Überleben von Zellen, d. h. sie wirken pleiotrop. In Abwesenheit dieser Faktoren treten Zellen in die G0-Phase des Zellzyklus ein oder sterben durch Apoptose. Zellen in der G0-Phase können durch Wachstumsfaktoren wieder zum Eintritt in die G1-Phase stimuliert werden. Man unterscheidet verschiedene Familien von Wachstumsfaktoren, die häufig an membranständige Rezeptor-Tyrosinkinasen binden, dadurch Signalkaskaden in Gang setzen und zur Aktivierung verschiedener Transkriptionsfaktoren führen (7 Kap. 35). Letztere regulieren die Expression von Cyclinen und Cyclininhibitoren.

. Tab. 43.2 Wachstumsfaktoren im Serum (Auswahl) Faktor

Bedeutung u. a.

Pathobiochemie

Verweis in Kapitel

Plättchen(Thrombozyten)-Wachstumsfaktor (PDGF, platelet-derived growth factor)

Embryogenese, Entwicklung von Blutgefäßen (Angiogenese)

Wichtig bei Wundheilung

34, 35

Fibroblastenwachstumsfaktor (FGF, fibroblast growth factor)

Embryogenese, Entwicklung von Knorpelgewebe, Blutgefäßen

Wichtig bei Wundheilung In vielen Tumorzellen erhöht

34, 35

Epidermaler Wachstumsfaktor (EGF, epidermal growth factor)

Zellproliferation und -differenzierung

Zusammenhang mit Brustkrebs, Darmkrebs

34, 52, 53

Nervenwachstumsfaktor (NGF, nerve growth factor)

Differenzierung und Überleben von Neuronen

Wird bei Verletzungen des peripheren Nervengewebes freigesetzt

74

Insulinähnliche Wachstumsfaktoren (IGF-1 und IGF-2, insulin- like growth factor)

Stimulierung der Zellproliferation Hemmung der Apoptose

34

43

544

Kapitel 43 · Zellzyklus – Koordination der Zellteilung

Übrigens

Zusammenfassung

Neuartige Wirkstoffe in der Krebstherapie: Tyrosinkinase-Inhibitoren

Bei mehrzelligen Organismen wie dem Menschen finden während des ganzen Lebens Zellteilungen statt. Dabei verdoppelt die Zelle ihren Inhalt, bevor sie sich in zwei identische Tochterzellen teilt. Zellteilungen werden in den streng regulierten Phasen des Zellzyklus vorbereitet. Zur Regulation der einzelnen Phasen existiert ein endogenes Kontrollsystem. Diese »innere Uhr« wird durch cyclinabhängige Kinasen repräsentiert. Cyclinabhängige Kinasen werden reguliert über: 4 Synthese und Abbau von Cyclinen 4 Aktivierung der katalytischen Cdk-Untereinheiten durch Anlagerung der Cycline 4 Phosphorylierung und Dephosphorylierung 4 Transkriptionsfaktoren (p53 und E2F) 4 Inhibitormoleküle (CKIs) und 4 subzelluläre Lokalisation

Gene, deren Produkte durch Mutation den Zellzyklus dauerhaft und damit unkontrolliert stimulieren können, werden als Onkogene bezeichnet. Im Gegensatz hierzu werden Gene, deren Produkte normalerweise die Zellteilung hemmen, diese Fähigkeit aber durch Mutation verloren haben, als Tumorsuppressorgene bezeichnet (7 Kap. 52 und 53). Onkogene oder Tumorsuppressorgene codieren häufig für Tyrosinkinasen, die entscheidend an der Regulation und Kontrolle des Zellzyklus beteiligt sind. Viele unkontrolliert wachsende Tumorzellen tragen Mutationen in Tyrosinkinase-codierenden Genen. So findet man z. B. bei Mammakarzinomen häufig eine Mutation im EGF-Rezeptor (. Tab. 43.2), die zu einer EGF-unabhängigen, permanenten Aktivierung führt. In den vergangenen Jahren sind Medikamente entwickelt worden, die zu einer spezifischen Hemmung der Tyrosinkinasen führen und eine neue Generation von Wirkstoffen in der Tumorbehandlung repräsentieren: 4 ATP-Analoga können Tyrosinkinasen hemmen; allerdings wirken sie relativ unspezifisch. Sie zeigen häufig starke Nebenwirkungen, da sie alle ATP-bindenden Proteine inhibieren können. 4 Substanzen, die neben der ATP-Bindungsstelle auch Teile der Tyrosinkinasedomäne zur Bindung benötigen und deshalb spezifischer als ATP-Analoga wirken. 4 Monoklonale Antikörper (7 Kap. 70), die z. B. nach Bindung eine Dimerisierung und damit Aktivierung der Rezeptor-Tyrosinkinase verhindern (7 Kap. 35 und 52).

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Das prominenteste Beispiel für einen Inhibitor, der sowohl an die ATP-Bindestelle als auch an die Kinasedomäne bindet, ist Imatinib (Glivec), das seit 2001 erfolgreich in der Behandlung chronisch myeloischer Leukämie (CML) eingesetzt wird. Der synthetische, polyaromatische Wirkstoff Imatinib hemmt die durch Mutation permanent aktive Tyrosinkinase Bcr-Abl1 (breakpoint cluster region-Abelson-murine leukemia homologue). Ursache der permanenten Aktivierung ist eine Chromosomentranslokation, bei der es zum DNA-Austausch zwischen den Chromosomen 9 und 22 kommt. Am Beispiel des dadurch entstandenen sog. Philadelphia-Chromosoms konnte erstmalig der Zusammenhang zwischen Chromosomenmutationen und Tumorentstehung nachgewiesen werden. Wegen seiner geringen Nebenwirkungen wurde Imatinib nach seiner Einführung als Wunderwaffe gegen Krebs hochgelobt. Trastuzumab (Herceptin), Cetuximab (Erbitux) und Bevacizumab (Avastin) sind monoklonale Antikörper, die gegen Tyrosinkinasen gerichtet sind und z. B. zur Behandlung von Mamma- und Bronchialkarzinomen eingesetzt werden (7 Kap. 54.5).

Substrate der cyclinabhängigen Kinasen sind Strukturproteine der Zelle, Proteine, die mit Transkriptionsfaktoren wechselwirken oder Transkriptionsfaktoren selbst. Zellproliferation wird exogen über Wachstumsfaktoren reguliert, die ihre Information über eine Signaltransduktionskaskade ins Zellinnere bis in den Zellkern weitergeben.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

545

44 Replikation – Die Verdopplung der DNA Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

Einleitung Die Informationen über den Aufbau eines Organismus, seiner Gewebe und Organe sind im Genom jeder Zelle niedergelegt und dienen der Aufrechterhaltung lebensnotwendiger Vorgänge. Damit diese Information an Tochterzellen weitergegeben werden kann, wird das gesamte Genom in einem als Replikation bezeichneten Prozess kopiert. Die Replikation des humanen Genoms beginnt an etwa 30.000 Stellen gleichzeitig und wird durch einen Multienzymkomplex, das Replisom, katalysiert. Entsprechende Kontrollmechanismen sorgen dafür, dass die Fehlerrate bei der DNA-Replikation niedrig gehalten wird. Schwerpunkte 4 Die Mechanismen der semikonservativen Replikation in Pround Eukaryonten mit Initiation, Elongation und Termination 4 Der Mechanismus der DNA-Polymerasen und ihre Korrekturaktivität 4 Das Posaunenmodell der bidirektionalen DNA-Synthese 4 Die Rolle von Topoisomerasen und Telomerase bei der Replikation

Der gesamte Bauplan eines Lebewesens ist in seiner DNA-Sequenz festgelegt und steht prinzipiell in jeder Körperzelle zur Verfügung. Die DNA-Sequenzen enthalten die Informationen für ihre eigene Synthese und für die Synthese aller RNAs und Proteine. Vor jeder Zellteilung muss die Zelle ihre DNA exakt replizieren und dann einen eigenen vollständigen DNA-Satz an ihre Tochterzellen weitergeben. Dieser Vorgang erfordert eine komplexe Maschinerie aus Nucleotiden, Enzymen, Regulator- und Helferproteinen, die unter Energieverbrauch die DNA-Stränge mit hoher Geschwindigkeit und Genauigkeit kopiert. Die korrekte Replikation der DNA ist das zentrale Ereignis im Zellzyklus (7 Kap. 43). Die mit der DNAReplikation verknüpften Vorgänge wurden ursprünglich in Bakterienzellen wie E. coli untersucht. Viele der dabei gewonnenen Erkenntnisse können auf eukaryontische Organismen und damit auf Säugetiere einschließlich des Menschen übertragen werden. Obwohl die Grundprinzipien der DNA-Replikation bei pro- und eukaryontischen Organismen identisch sind, unterliegt die Replikation bei Eukaryonten infolge der größeren Komplexizität ihres Genoms einer komplizierteren Regulation. 44.1

der beiden Einzelstränge ist die gesamte genetische Information für einen Organismus enthalten. Matthew Meselson und Franklin Stahl zeigten schon 1958 in einem originellen Experiment, dass die DNA-Replikation semikonservativ erfolgt (. Abb. 44.1). Sie verwendeten hierzu das Bakterium E. coli, das sie über viele Generationen in einem Medium gezüchtet hatten, welches das schwere Stickstoffisotop 15N anstelle des normalen Isotops 14N enthielt. Danach stellten sie das Medium auf das normale Isotop 14N um. Die Ausgangs-DNA und die DNA der ersten und zweiten Generation wurden in einem Dichtegradienten zentrifugiert. Während sie zu Beginn des Experiments nur eine DNA-Bande mit der dem Stickstoffisotop 15N entsprechenden Dichte nachweisen konnten, fand sich nach einer Generation in der isolierten DNA eine Dichte, die genau zwischen der 15N- und 14N-markierten DNA lag. Nach zwei Generationen wurden zwei DNA-Spezies nachgewiesen, von denen die eine die Dichte der normalen 14N-markierten DNA aufwies, die zweite die intermediäre Dichte. Dieses Ergebnis konnte nur durch die Annahme erklärt werden, dass es bei der DNA-Replikation zu einer Aufspaltung der beiden Doppelstränge kommt, von denen dann jeder als Matrize für die Synthese eines neuen Strangs dient. Damit besteht jeder aus einer Replikation hervorgegangene DNA-Doppelstrang aus einem parentalen und einem neu synthetisierten Einzelstrang. Spätere Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Mechanismus der

Die DNA-Replikation ist semikonservativ

Die DNA liegt in allen Organismen in Form eines Doppelstrangs mit zwei antiparallel verlaufenden Einzelsträngen vor. In jedem

. Abb. 44.1 Nachweis des semikonservativen Mechanismus der DNAReplikation. (Einzelheiten s. Text)

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_44, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

44

546

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

semikonservativen Replikation nicht auf Bakterienzellen beschränkt ist, sondern universell für alle Organismen gilt, deren Genom aus doppelsträngiger DNA besteht.

Replikationsursprung (ori)

44.2

In Anbetracht der Komplexität der Chromatinstruktur (7 Kap. 10) ist es einleuchtend, dass Zellen einen außerordentlich komplizierten Apparat zur Replikation ihrer DNA benötigen. Diesen Vorgang unterteilt man in drei Stadien: 4 Initiation 4 Elongation 4 Termination

Ende

ori

Replikationsgabeln

Ende

ori

Ende

ori

Das Replikonmodell

ori

44 . Abb. 44.2 Replikation des aus einem Replikon bestehenden ringförmigen bakteriellen Chromosoms. (Einzelheiten s. Text)

Die gleiche Unterteilung wird auch für Transkription und Translation (7 Kap. 46 und 48) verwendet. In dem bereits 1963 aufgestellten Replikonmodell postulierten Francois Jacob, Sidney Brenner und Jacquis Cruzin, dass die Initiation der Replikation an definierten Stellen des DNA-Doppelstranges, den sog. origins of replication (ori; Replikationsursprünge) (. Abb. 44.2) beginnt. Durch die an dieser Stelle einsetzende Neusynthese der DNA bildet sich eine Replikationsgabel, die elektronenmikroskopisch sichtbar ist. Der ausgehend von einem origin of replication neu synthetisierte DNA-Abschnitt wird dabei als Replikon bezeichnet. Eine wichtige Frage für die DNA-Replikation war diejenige nach der Richtung, in der sich die am Replikationsursprung entstehende Replikationsgabel bewegt. Prinzipiell ist hier eine unidirektionale oder eine bidirektionale Replikation möglich, dementsprechend müssen jeweils eine bzw. zwei funktionelle Replikationsgabeln entstehen. Durch elektronenmikroskopische Aufnahmen von replizierender DNA ist diese Frage nicht zu entscheiden. Gibt man jedoch während der DNA-Replikation radioaktive Desoxyribonucleotide zu, werden die aktiven Replikationsgabeln markiert: Im Falle der unidirektionalen Replikation nur eine, bei bidirektionaler Replikation jedoch beide. Dabei hat sich gezeigt, dass pro- und eukaryontische Chromosomen durch bidirektionale Replikation verdoppelt werden (. Abb. 44.2).

Die Replikation der eukaryontischen Chromosomen beginnt an mehreren Stellen gleichzeitig Die ringförmigen Chromosomen der Bakterien besitzen nur einen Replikationsursprung. Das Chromosom von E. coli besteht aus etwa 4,6 ∙ 106 Basenpaaren, deren vollständige bidirektionale Replikation etwa 50 min benötigt (bei einer Replikationsgeschwindigkeit von etwa 5 ∙ 104 Basenpaaren/min). Allerdings kann es bei schnell wachsenden Zellen bereits vor Abschluss der Replikation und Zellteilung zu einer erneuten Re-Initiation der Replikation kommen, sodass in Bakterien eine kontinuierliche DNA-Replikation stattfinden kann. Dies ermöglicht schnell wachsenden E. coli-Zellen, sich etwa alle 30 min zu teilen. Im Unterschied zu Bakterien ist die Replikation in Eukaryonten nicht kontinuierlich, sondern auf die etwa 6–12 h dauernde Synthesephase (S-Phase) des Zellzyklus (7 Kap. 43) beschränkt. Darüber hinaus wird die Replikation in Eukaryonten während des gesamten Zellzyklus nur exakt einmal initiiert. Die

547 44.3 · Initiation – Start der Replikation

44.3

Initiation – Start der Replikation

Die Initiation der Replikation in Pro- und Eukaryonten folgt den gleichen Prinzipien

. Abb. 44.3 Replikation eukaryontischer DNA mit Hilfe multipler Replikationsblasen. (Einzelheiten s. Text)

menschliche DNA-Polymerase (Replikationsgeschwindigkeit etwa 3 ∙ 103 Basenpaare/min) würde aber bei nur einem Replikationsursprung allein für das humane Chromosom 1 (2,5 ∙ 108 Basenpaare) etwa 29 Tage für dessen vollständige Replikation benötigen. Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, dass jedes menschliche Chromosom nur ein Replikon darstellt; stattdessen beginnt die Replikation eukaryontischer Chromosomen an vielen Replikationsursprüngen gleichzeitig (. Tab. 44.1). Man schätzt, dass im menschlichen Genom etwa 30.000 Replikationsursprünge vorhanden sind. Der Ablauf der DNA-Replikation in Anwesenheit zweier Replikationsblasen ist schematisch in . Abb. 44.3 dargestellt. Die Replikation erfolgt in den Replikationsblasen bidirektional und wird dadurch beendet, dass zwei aufeinander zulaufende Replikationsblasen miteinander verschmelzen. Die im Vergleich zu Bakterien deutlich geringere Replikationsgeschwindigkeit bei Eukaryonten hat ihre Ursache vermutlich in dem wesentlich komplexeren Aufbau der Chromosomen. Experimente mit radioaktiv-markierten Histonen deuten darauf hin, dass die Nucleosomen (7 Kap. 10) direkt vor der Replikationsgabel aufgelöst werden und die freigesetzten Histone unmittelbar an die neusynthetisierten DNA-Stränge binden. Dieses Histon-remodeling ist vermutlich für die geringere Replikationsgeschwindingkeit bei Eukaryonten verantwortlich.

Der Befund, dass die DNA-Replikation semikonservativ erfolgt, weist schon auf eine wesentliche Voraussetzung für den Replikationsvorgang hin: die DNA-Doppelstränge müssen zunächst an den Replikationsursprüngen in Einzelstränge getrennt werden, damit die Replikation beginnen kann. Da A–T-Basenpaare lediglich durch zwei Wasserstoffbrücken zusammengehalten werden und damit leichter voneinander zu trennen sind als G-C Basenpaare, findet man bei bakteriellen Replikationsursprüngen repetitive A–T-reiche Sequenzen. Über die Sequenzeigenschaften eukaryontischer Replikationsursprünge ist bislang nur wenig bekannt. In Hefe werden sie auch als ARS (autonomously replicating sequence) bezeichnet. In E. coli wird der Replikationsursprung zunächst durch das DNA-Doppelstrang-bindende Protein DnaA erkannt, das die beiden DNA-Stränge in einer ATP-abhängigen Reaktion lokal entwindet (. Abb. 44.4). DnaA gehört zur Familie der AAA+ATPasen (ATPases associated with various cellular activities), einer sehr heterogenen Proteinfamilie, die als Oligomere an einer Vielzahl biologischer Prozesse beteiligt sind. Im nächsten Schritt bildet die Helicase DnaB mit Hilfe des DnaC Proteins einen hexameren Ring um die entstandene Einzelstrang-DNA und entspiralisiert die DNA in einem ATP-abhängigen Prozess weiter. Damit sich die getrennten DNA-Stränge hinter der vorrückenden Helicase nicht wieder paaren, stabilisiert das einzelstrangbindende Protein SSB (single strand binding protein) den DNAEinzelstrang. SSBs bilden Tetramere, um die sich der DNA-Einzelstrang herumwindet. Elektronenmikroskopisch ähneln diese Strukturen den aus Histonen und Doppelstrang-DNA aufgebauten Nucleosomen (7 Kap. 10). Die lokale Entwindung des ringförmigen DNA-Doppelstranges durch die Helicase erhöht zwangsläufig die Torsionsspannung im verbleibenden Teil der Helix. Durch die Bildung sog. Superhelices kann dies zwar z. T. kompensiert werden, allerdings dürfen sich auch die Superhelices nicht unbegrenzt ausbilden, da ansonsten die Gefahr von Strangbrüchen besteht. Die Zelle muss daher über die Möglichkeit verfügen, die Superspiralisierungen aufzulösen. Die hierfür verantwortlichen Enzyme werden Topoisomerasen genannt, von denen es zwei unterschiedliche Formen gibt (. Abb. 44.5): 4 Topoisomerase I: Diese Enzyme spalten einen DNA-Einzelstrang, indem die OH-Gruppe eines Tyrosylrests des Enzyms

. Tab. 44.1 Pro- und eukaryontische Replikons (bp: Basenpaare) Organismus

Replikons

Durchschnittliche Länge (Mbp)

Replikationsgeschwindigkeit (bp/min)

Beispiel

Bakterium

1

4,6

50.000

E. coli

Hefe

500

25

3.600

S. cerevisiae

Fruchtfliege

3.500

50

2.600

D. melanogaster

Säugetier

30.000

120

3.000

H. sapiens

Pflanze

35.000

3.400

Unbekannt

F. assyriaca

44

548

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

. Abb. 44.4 Die Initiation der Replikation in Bakterien. Rot-markierte Bereiche des DNA-Doppelstranges, DNA-unwinding element (DUE); SSB: singlestranded binding protein (Einzelstrangbindungsprotein). (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Mott u. Berger 2007, mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd)

die Phosphodiesterbindung nucleophil angreift und damit einen Einzelstrangbruch erzeugt. Die benachbarten Enden der Doppelhelix können sich nun bis zur Entspannung gegeneinander drehen, anschließend werden die Strangenden wieder miteinander verknüpft (. Abb. 44.5). Nach dieser Entspiralisierung kreuzen sich die beiden DNA-Stränge weniger als zuvor. Die Reaktion der Topoisomerase I erfolgt ATP-unabhängig. 4 Topoisomerase II: Topoisomerasen des Typs II können Superspiralisierungen dadurch beheben, dass sie in einer ATP-abhängigen Reaktion beide Stränge durchtrennen, die DNA entspannen und anschließend wieder miteinander verknüpfen. Ein Sonderfall sind die bakteriellen Topoisomerasen II, die auch als Gyrasen bezeichnet werden. Diese Klasse von Enzymen ist imstande, unter ATP-Verbrauch Superhelices in ringförmige DNA-Moleküle einzuführen.

Ein gewisser Grad an Superspiralisierung ist bei Prokaryonten eine Voraussetzung dafür, dass Replikation und Transkription korrekt ablaufen können. Der Grund hierfür ist möglicherweise, dass die Superspiralisierung die notwendige Strangtrennung erleichtert. Hemmstoffe der Gyrase werden als Antibiotika verwendet (s. u.).

Die Initiation der Replikation bei Eukaryonten wird durch cyclinabhängige Kinasen reguliert Die grundlegenden Mechanismen der Initiation der Replikation unterscheiden sich nicht bei Pro- und Eukaryonten (. Tab. 44.2), allerdings muss in Eukaryonten sichergestellt werden, dass die Replikation erst während der S-Phase des Zellzyklus beginnt und die Initiation an jedem der etwa 30.000 Replikationsursprünge nur genau einmal erfolgt (. Tab. 44.2). Dies wird dadurch erreicht, dass sich bereits während der G1-Phase des Zellzyklus ein zunächst

44

. Abb. 44.5 Reaktionsmechanismus der Topoisomerase I. Zur Vereinfachung ist der DNA-Doppelstrang nicht in superspiralisierter Form dargestellt. (Einzelheiten s. Text)

Helicasen DNA-Replikation

549 44.4 · Elongation – Neusynthese der DNA

inaktiver Prä-Initiationskomplex bildet. Für die Bildung dieses Prä-Initiationskomplexes erkennt der hexamere ORC-Komplex (origin recognition complex) zunächst den Replikationsursprung und rekrutiert die Proteine Cdc6 und Cdt1 (. Abb. 44.6). Beide Proteine sind notwendig, um den Helicasekomplex Mcm auf der DNA zu verankern; sie inhibieren aber gleichzeitig die Helicaseaktivität von Mcm und verhindern so die Entspiralisierung der DNA während der G1-Phase. Nach Eintritt der Zelle in die S-Phase kommt es zur Aktivierung cyclinabhängiger Kinasen (Cdks, 7 Kap. 43), die Cdc6 phosphorylieren und damit die Dissoziation von dem Mcm-Komplex bewirken. Der Mcm-Komplex beginnt dann die ATP-abhängige Entspiralisierung der DNA. Gleichzeitig verhindern die cyclinabhängigen Kinasen durch Phosphorylierung des ORC-Komplexes die Bildung neuer Initiationskomplexe während der S-Phase. Da die Bildung des Initiationskomplexes nur während der G1-Phase, seine Aktivierung aber nur während der S-Phase erfolgen kann, wird sichergestellt, dass die Replikation erst während der S-Phase beginnt und die Initiation jedes Replikationsursprungs nur genau einmal erfolgt. Es werden vermutlich nicht alle Replikationsursprünge in Eukaryonten gleichzeitig erkannt, allerdings stellt deren große Zahl sicher, dass das gesamte Genom innerhalb der S-Phase repliziert werden kann. 44.4

Elongation – Neusynthese der DNA

Für die Elongation während der Replikation sind DNA-Polymerasen verantwortlich Nach Trennung des DNA-Doppelstranges in die beiden Einzelstränge und deren Stabilisierung durch SSBs (single strand binding proteins) erfolgt die Neusynthese der DNA. Diese auch als Elongation bezeichnete Reaktion wird durch DNA-Polymerasen katalysiert. Sowohl Pro- als auch Eukaryonten enthalten mehrere DNAPolymerasen (. Tab. 44.3). In E. coli sind fünf verschiedene Enzyme identifiziert worden, eine eukaryontische Zelle kann dagegen mehr als 15 verschiedene Polymerasen enthalten, von denen viele spezifisch an DNA-Reparaturmechanismen beteiligt sind (7 Kap. 45.2). Während der Replikation bilden die DNA-Polymerasen zusammen mit anderen Proteinen am Replikationsursprung einen Proteinkomplex, der auch als Replisom bezeichnet wird und der an der Replikationsgabel entlang wandert. Das Replisom enthält in E. coli u. a. die Helicase DnaB, die Primase DnaG und die DNA-Polymerase III (. Tab. 44.2). Die Interaktionen der verschiedenen Proteine in dem Replisomkomplex sind entscheidend für die Geschwindigkeit der DNA-Neusynthese. Durch den Kontakt mit der DNA-Polymerase III wird die Geschwindigkeit der Helicase etwa 10fach erhöht, d. h. falls der Kontakt mit der Polymerase verlorengeht, reduziert sich gleichzeitig die Geschwindigkeit der DNA-Entspiralisierung. Damit wird verhindert, dass die Helicase der DNA-Polymerase davonläuft. Der Kontakt zur Helicase stimuliert auch die Primase, eine spezialisierte RNA-Polymerase, die kurze RNA-Stücke (5–10 Nucleotide) als Startermoleküle (primer) synthetisiert. Diese primer sind notwendig, da die DNA-Polymerasen keine de-novo-Synthese durchführen können, sondern lediglich ausgehend von einer freien 3 -OH-Gruppe eine DNA-Strangverlängerung katalysieren können (s. u.).

. Abb. 44.6 Mechanismus der Initiation der DNA-Replikation bei Eukaryonten. Der Replikationsursprung wird durch den ORC-Komplex (origin recognition complex) erkannt. Anschließend binden Cdc6 (cell division cycle 6), Cdt1 (cdc10-dependent transcript 1) und die Helicase Mcm (mini chromosome maintenance protein) und bilden einen inaktiven Prä-Initiationskomplex, der erst während der Synthesephase durch cyclinabhängige Kinasen (Cdks) durch Phosphorylierung aktiviert werden kann. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)

Die Hydrolyse von Pyrophosphat liefert die Energie für die DNA-Synthese Allen DNA-Polymerasen ist eine Reihe von Eigenschaften gemeinsam. DNA-Polymerasen benötigen einen als Matrize bezeichneten Einzelstrang, dessen Basensequenz die Reihenfolge der für die

44

550

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

. Tab. 44.2 An der DNA-Replikation in Pro- und Eukaryonten beteiligte Proteine Phase

Prokaryonten

Eukaryonten

Funktion

Initiation

DnaA

ORC (origin recognition complex)

Erkennen des Replikationsursprungs und ATP-abhängige lokale Entspiralisierung

DnaB

Mcm-Komplex (mini chromosome maintenance proteins)

DNA-Helicase zur ATP-abhängigen Entspiralisierung der DNA

DnaC

Cdc6 und Cdt1

Verankerung von DnaB bzw. Mcm-Komplex an der DNA

Topoisomerasen I und II (Gyrasen)

Topoisomerasen I und II

Verhinderung von Strangbrüchen durch Auflösung von Superspiralisierung

SSBs (single strand binding proteins)

RPA (replication protein A)

Einzelstrang-bindende Proteine zur Verhinderung der Reassoziation getrennter Doppelstränge

Primase (DnaG)

Primase

Synthese der RNA-primer; in Eukaryonten Bestandteil der DNAPolymerase α

Polymerase α

Verlängert den RNA-primer um einige Desoxyribonucleotide, bevor die Polymerasen δ/ε die weitere Verlängerung übernehmen

γ-Komplex

RFC (replication factor C)

Clamp loader; verantwortlich für die ATP-abhängige Verankerung der β- bzw. PCNA-Untereinheit der DNA-Polymerase

β-Untereinheit

PCNA (proliferating cell nuclear antigen)

Ringförmige Untereinheit der DNA Polymerase, die das Enzym auf der DNA verankert; auch sliding clamp (Gleitring) genannt; entscheidend für die Prozessivität der DNA-Polymerasen

Elongation

Polymerase III

Termination

Synthese des Führungsstranges und des Verzögerungsstranges Polymerase δ

Synthese des Verzögerungsstranges zusammen mit Polymerase α

Polymerase ε

Vermutlich Synthese des Führungsstrangs

Polymerase I (Exonucleaseaktivität) RNase H

FEN-1 (flap endonuclease 1) RNase H

Entfernen der RNA-primer

Polymerase I (Polymeraseaktivität)

Polymerase δ

Auffüllen der Lücke, die durch Entfernung der RNA-primer entstanden ist

DNA-Ligase

DNA-Ligase

ATP- oder NAD+-abhängige Bildung der Phosphodiesterbindung

Tus (terminator utiliziation substance)

Rtf1 (replication termination factor 1)

Die Replikation stoppt beim Zusammentreffen zweier Replikationsgabeln; zusätzlich existieren spezielle Terminationssequenzen, die durch Terminationsproteine erkannt werden

Topoisomerase II (Gyrase)

Trennung der beiden ringförmigen Tochterchromosomen Telomerase

Ermöglicht die vollständige Replikation von Chromosomenenden bei linearen Chromosomen

. Tab. 44.3 Die wichtigsten DNA-Polymerasen in menschlichen Zellen (human protein reference database)

44

DNA-Polymerase

α

δ

ε

β

γ

Lokalisation

Zellkern

Zellkern

Zellkern

Zellkern

Mitochondrien

Funktion

Synthese des RNA-primers und dessen Verlängerung um etwa 50–100 Nucleotide

Synthese des Verzögerungsstrangs

Vermutlich Synthese des Führungsstrangs

Reparatur

Replikation der mitochondrialen DNA

Primaseaktivität

Ja

Nein

Nein

Nein

Nein

3’,5’-Exonuclease(proofreading) Aktivität

Nein

Ja

Ja

Nein

Ja

Essenziell für die Replikation im Zellkern

Ja

Ja

Ja

Nein

Nein

Molekülmasse (Da)

165.870

123.642

364.860

38.180

139.570

551 44.4 · Elongation – Neusynthese der DNA

Neusynthese gewählten Desoxyribonucleosidtriphosphate bestimmt. Hierdurch wird gewährleistet, dass der neue DNA-Strang tatsächlich komplementär zum parentalen Strang ist. DNA-Polymerasen katalysieren eine Polymerisationsreaktion nach folgendem Schema: dNTP + (dNMP)n → (dNMP)n+1 + P~P

(dNMP)n+1 + 2 Pi

Dabei steht d(desoxy)NTP für dATP, dGTP, dCTP oder dTTP und (dNMP)n für den zu verlängernden DNA-Strang aus n Nucleotiden. Da die freie Enthalpie der ersten Teilreaktion mit –3,5 kcal/mol relativ gering ist, muss die Anhydridbindung im Pyrophosphat ebenfalls gespalten werden. Durch die dann stark negative freie Enthalpie der Gesamtreaktion (ΔG= –7 kcal/mol) ist die DNA-Polymerisation ein praktisch irreversibler Prozess. Die DNA-Polymerase katalysiert den nucleophilen Angriff der freien 3’-OH-Gruppe des zu verlängernden DNA-Strangs auf die Anhydridbindung zwischen dem α- und β-Phosphat des anzuknüpfenden Desoxyribonucleotids (. Abb. 44.7). Durch diesen Reaktionsmechanismus ist die Richtung der Kettenverlängerung festgelegt: Sie erfolgt immer vom 5’- zum 3’-Ende. Ähnlich wie bei ATPasen ist Magnesium (Mg2+) ein unentbehrlicher Cofaktor für die DNA-Polymerasen. Um die Genauigkeit der DNASynthese sicherzustellen, überprüft die DNA-Polymerase die Fähigkeit eines neu hinzukommenden Nucleotids, entweder eine A:T- oder G:C-Basenpaarung auszubilden. Einige, aber nicht alle DNA-Polymerasen haben die Fähigkeit ein eventuell falsch eingebautes Nucleotid wieder zu entfernen. Diese als Korrektur oder proofreading bezeichnete Aktivität beruht auf der 3’,5’-Exonucleaseaktivität (. Tab. 44.3) einiger DNA-Polymerasen; diese Enzyme können also falsch eingebaute Nucleotide am 3’-Ende eines DNA-Moleküls unmittelbar nach ihrem Einbau wieder abspalten. Bei der DNA-Polymerase III aus E. coli erhöht die Exonucleaseaktivität die Genauigkeit der Replikation etwa um den Faktor 1.000, was die biologische Bedeutung dieser Korrekturaktivität unterstreicht. Zusätzlich wird sterisch der Zugang von Ribonucleotiden zum aktiven Zentrum der DNA-Polymerasen verhindert. Dies ist notwendig, da die zelluläre Konzentration von Ribonucleotiden etwa 10fach höher ist als die Konzentration von Desoxyribonucleotiden. Die verschiedenen DNA-Polymerasen können zwischen 50 und etwa 1.000 Nucleotide pro Sekunde an die wachsende DNAKette anfügen. Diese Angabe der Aktivität allein ist jedoch nicht ausreichend zur Charakterisierung von DNA-Polymerasen. Eine ihrer wesentlichen Eigenschaften wird auch als Prozessivität bezeichnet. Diese wird als die Zahl von Nucleotiden bestimmt, die im Durchschnitt von einem DNA-Polymerasemolekül an eine wachsende DNA-Kette angefügt wird, bevor das Enzym von seinem Substrat, der DNA-Kette, abdissoziiert. Für die verschiedenen DNA-Polymerasen schwankt der Wert für die Prozessivität von weniger als 10 bis mehr als 1.000 Nucleotide. Die hohe Prozessivität der DNA-Polymerasen hat ihre Ursache in einer besonderen Verankerung des Enzyms auf der DNA (. Abb. 44.8). Eine spezielle Untereinheit der DNA-Polymerase, der sog. Gleitring oder auch clamp genannt (β-Untereinheit in Bakterien bzw. PCNA, proliferating cell nuclear antigen, in Eukaryonten, . Tab. 44.2) lagert sich klammerartig um den DNA-Doppelstrang und

. Abb. 44.7 Reaktionsmechanismus der DNA-Polymerase. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)

verankert so die DNA-Polymerase auf der DNA. Für die Verankerung dieser Klammer sind spezielle ATPasen nötig, die auch als clamp loader bezeichnet werden (. Tab. 44.2) und das ringförmige Gleitring-Dimer aus zwei β-Untereinheiten kurzfristig öffnen, um das Einfädeln der DNA zu ermöglichen (s. . Abb. 44.8). Nach Ablösen des clamp loaders kann die DNA-Polymerase an die dimere β-Untereinheit binden und die DNA-Polymerisation beginnen.

Jede DNA-Replikation startet mit der Synthese eines RNA-primers DNA-Polymerasen können keine de novo-Synthese starten, sondern lediglich ausgehend von einem freien 3’-OH-Ende eine Strangverlängerung katalysieren. Daraus ergeben sich Probleme für die Replikation der DNA, die auf unterschiedliche Weise gelöst worden sind (. Abb. 44.9). 4 Bei Prokaryonten wird durch eine als Primase bezeichnete RNA-Polymerase ein kurzes RNA-Stück synthetisiert, das komplementär zur Matrize ist. Die freie 3’-OH-Gruppe dieses primers nutzt die DNA-Polymerase für die Anlagerung

44

552

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

A

. Abb. 44.9 Start der DNA-Replikation durch Synthese eines RNAprimers. (Einzelheiten s. Text) B

weiterer Nucleotide. RNA-Polymerasen können im Unterschied zu DNA-Polymerasen eine de novo Synthese von Nucleinsäuren katalysieren. 4 Bei Eukaryonten ist die Primase eine Teilaktivität der DNAPolymerase 4 Der RNA-primer muss nach erfolgter Verlängerung entfernt und die entstandenen Lücken aufgefüllt werden. 4 Eine von manchen Viren benutzte Möglichkeit besteht darin, dass ein nucleotidbindendes Protein an den DNAEinzelstrang bindet, sodass die DNA-Polymerasen an diesem Nucleotid angreifen und weitere Nucleotide anlagern können.

Bei der DNA-Synthese wird der Verzögerungsstrang diskontinuierlich synthetisiert

44

. Abb. 44.8 Die DNA-Polymerase wird über einen Gleitring (clamp) stabil auf dem DNA-Doppelstrang verankert. A Kristallstruktur eines Dimers der E. coli DNA-Polymerase β-Untereinheit (Abbildung erstellt mit Jmol nach RCSB protein data bank). B Modell zur Verankerung der β-Untereinheit und DNA-Polymerase auf dem Doppelstrang über den clamp loader. Die DNA-Polymerase beginnt die DNA-Neusynthese erst nach ihrer Anheftung. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis)

Ein besonderes Problem für die DNA-Replikation ergibt sich daraus, dass DNA-Polymerasen den neuen Strang nur in der 5’,3’-Richtung synthetisieren können, die DNA-Doppelstränge aller bekannten Organismen jedoch antiparallel verlaufen. In . Abb. 44.10A sind die Verhältnisse schematisch dargestellt. Die Richtung der DNA-Polymerisation durch die DNA-Polymerase entspricht nur an einem der beiden neu synthetisierten Stränge der Wanderungsrichtung der Replikationsgabel. Dieser Strang wird, nachdem einmal ein RNA-primer-Molekül synthetisiert wurde (. Abb. 44.10A), kontinuierlich in einem Stück synthetisiert und als sog. Führungsstrang (Leitstrang, leading strand, blau) bezeichnet. Beim anderen Strang verläuft die Polymerisationsrichtung dagegen von der Replikationsgabel weg. Der Japaner Reiji Okazaki fand heraus, dass die DNA-Synthese an diesem Strang diskontinuierlich in Stücken aus 1.000–2.000 Nucleotiden erfolgt, sog. Okazaki-Fragmenten. Für ihre Synthese wird jeweils an der Replikationsgabel ein neuer primer synthetisiert und durch die DNA-Polymerase solange verlängert, bis er an das vorher synthetisierte Fragment stößt. Der diskontinuierlich synthetisierte Strang wird auch als Verzögerungsstrang (Folgestrang, lagging strand, grün) bezeichnet. Die Synthese von Führungsund Verzögerungsstrang erfolgt gleichzeitig, was den Vorteil hat, dass das genetische Material nur kurzzeitig in der deutlich empfindlicheren Einzelstrangform existiert. Die simultane Synthese beider Stränge bedeutet aber auch, dass in dem Replisom mehr als eine DNA-Polymerase enthalten sein muss. In Bakterien werden sowohl der Führungs- als auch

553 44.4 · Elongation – Neusynthese der DNA

44

A

B

. Abb. 44.10 Die Replikation der DNA-Doppelhelix. A Da die Strangverlängerung in 5’,3’-Richtung erfolgen muss, kann die Replikation nur von einem der beiden Einzelstränge, dem sog. Führungsstrang (blau) kontinuierlich ablaufen. Im antiparallelen sog. Verzögerungsstrang (grün) erfolgt die Replikation wegen der Syntheserichtung der DNA-Polymerase diskontinuierlich; rot = primer. B Modell zur simultanen Synthese beider Stränge durch ein Replisom (Posaunen-/ trombone-Modell)

Replikationsgabel DNA-Synthese Okazaki-Fragmente Verzögerungsstrang (Folgestrang, lagging strand) Führungsstrang (Leitstrang, leading strand) Gleitring/clamp

554

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

. Abb. 44.11 Prozessierung der neusynthetisierten DNA-Stränge in Prokaryonten. (Einzelheiten s. Text)

der Verzögerungsstrang durch DNA-Polymerase III synthetisiert, weshalb das bakterielle Replisom zwei Kopien dieser DNAPolymerase enthält (. Abb. 44.10B). Die Verbindung zwischen Führungsstrang- und Verzögerungsstrang-DNA-Polymerase und der Helicase wird durch das Tau (τ)-Protein gewährleistet. Da die DNA antiparallel ist, die beiden DNA-Polymerasen wegen ihrer stabilen Interaktion aber nur gemeinsam der DNA-Helicase folgen können, wurde vorgeschlagen, dass der Verzögerungsstrang eine Schleife bildet, sodass es zur gleichen Syntheserichtung beider Stränge kommt. Wegen der wechselnden Größe der Schleife wurde dieses Modell auch als Posaunenmodell (trombone model) bezeichnet.

RNase H, 5’,3’-Exonuclease und DNA-Ligase werden für den Abschluss der DNA-Replikation benötigt

44

Um bei der Replikation zwei funktionell äquivalente DNA-Doppelstränge zu erhalten, müssen sämtliche RNA-primer entfernt und die entstandenen Lücken durch DNA aufgefüllt und verbunden werden (. Abb. 44.11). Für die Entfernung der RNA-primer verfügen Prokaryonten über zwei weitere Enzyme, die Ribonuclease H (RNase H) und die DNA-Polymerase I. RNase H verdaut spezifisch RNA in RNA-DNA-Hybridmolekülen und entfernt den größten Teil des RNA-primers. RNase H kann allerdings nur Phosphodiesterbindungen zwischen Ribonucleotiden spalten und deshalb das letzte, unmittelbar an die DNA gebundene Ribonucleotid nicht entfernen. Hierfür wird die 5’,3’-Exonucleaseaktivität der DNA-Polymerase I genutzt. Gleichzeitig fügt diese Polymerase, beginnend mit dem freien 3’-OH-Ende des vorangegangenen DNA-Stücks Nucleotide komplementär zur Basensequenz des Matrizenstrangs in die entstandene Lücke ein. Dadurch entstehen aneinander stoßende DNA-Fragmente im neu synthetisierten Strang, die mit Hilfe der DNA-Ligase miteinander verknüpft werden. . Abb. 44.12 stellt den allgemeinen Mechanismus der DNA-Ligasen dar. ATP (oder NAD+) dient dabei als Donor eines AMP-Restes, der covalent mit der ε-Aminogruppe eines Lysylrestes des Ligaseproteins verknüpft

. Abb. 44.12 Mechanismus der DNA-Ligasen. (Einzelheiten s. Text)

wird. Die Spaltung dieser energiereichen Bindung dient dazu, den AMP-Rest auf das 5’-Phosphatende der einen DNA-Kette zu übertragen. Dabei entsteht eine Phosphorsäureanhydridbindung zwischen AMP und dem 5’-Phosphatende der DNA. Unter Abspaltung von AMP kann nun die Verknüpfung zwischen dem 5’-Phosphatende des einen DNA- mit dem 3’-OH-Ende des nächsten DNA-Fragments erfolgen, womit die Verknüpfung beendet ist.

Das eukaryontische Replisom enthält unterschiedliche DNA-Polymerasen In E. coli synthetisiert die DNA-Polymerase III sowohl den Führungsstrang als auch den Verzögerungsstrang und deshalb enthält das bakterielle Replisom zwei Kopien dieses Enzyms. In Eukaryonten findet man dagegen eine stärkere Spezialisierung der DNA-Polymerasen (. Tab. 44.2 und 44.3) und daher enthält

555 44.5 · Termination – Beendigung der Replikation

das eukaryontische Replisom drei unterschiedliche Polymerasen. Der DNA-Polymerase α/Primase-Komplex besteht aus vier Untereinheiten und ist für die Synthese der RNA-primer verantwortlich. Die beiden Primaseuntereinheiten werden für die Herstellung der primer am Führungsstrang als auch am Verzögerungsstrang benötigt und synthetisieren einen RNA-primer von etwa 5–15 Nucleotiden. Dieser primer wird durch die beiden Polymeraseuntereinheiten mit Desoxyribonucleotiden auf 50– 100 Nucleotide verlängert. Aufgrund seiner Primaseaktivität ist der DNA-Polymerase α/Primase-Komplex die einzige DNA-Polymerase, die eine DNA-Synthese de novo initiieren kann. Wegen seiner geringen Prozessivität (s. o.) wird der DNA-Polymerase / Primase-Komplex allerdings schnell durch die hochprozessiven DNA-Polymerasen δ und ε ersetzt (polymerase switching). Der Führungsstrang wird vermutlich durch DNA-Polymerase ε kontinierlich verlängert. Der Verzögerungsstrang wird diskontinuierlich durch die DNA-Polymerase δ synthetisiert, welche über den Gleitring PCNA stabil mit der DNA verbunden ist. Während diese Interaktion für die Prozessivität von Polymerase δ entscheidend ist, ist unklar, ob auch die Prozessivität von DNA-Polymerase ε durch die Interaktion mit PCNA gewährleistet wird. Die Entfernung der RNA-primer erfolgt ebenso wie bei Prokaryonten durch zwei Enzyme: zunächst wird durch RNase H der größte Teil des primers entfernt und das letzte Ribonucleotid dann durch das Enzym FEN-1 (flap endonuclease-1) abgespalten. Die entstandenen Lücken werden durch die DNA-Polymerase δ aufgefüllt bevor die DNA-Ligase die Fragmente verbindet. FEN-1 übernimmt noch eine weitere Funktion bei der eukaryontischen Replikation: Da Polymerase α keine proofreading Aktivität besitzt, werden die ersten etwa 100 Nucleotide mit einer erhöhten Fehlerrate eingebaut. FEN-1 ist jedoch in der Lage, mögliche Fehlpaarungen (mismatches) zu erkennen und durch seine Endonucleaseaktivität herauszuschneiden. Diese Lücken werden dann wiederum von DNA-Polymerase δ geschlossen. 44.5

Termination – Beendigung der Replikation

Für die ringförmigen Chromosomen der Prokaryonten und die linearen Chromosomen der Eukaryonten folgen Initiation und Elongation denselben Prinzipien. Für die Termination der Replikation existieren zwar in Pro- als auch in Eukaryonten spezifische Terminationssequenzen, an die Terminationsproteine binden und so einen Stopp der Replikation auslösen können. Allerdings werden für den Abschluss der Replikation bei ringförmigen und linearen Chromosomen unterschiedliche Mechanismen benötigt.

Typ II Topoisomerasen werden für die Termination ringförmiger Chromosomen benötigt Nach der vollständigen Replikation ringförmiger Chromosomen, z. B. in Bakterien, sind die beiden Tochterdoppelstränge wie zwei Kettenglieder miteinander verknüpft und müssen für die Verteilung auf die Tochterzellen zunächst getrennt werden. Hierfür ist die Topoisomerase II (s. o.) verantwortlich, die einen der beiden DNA-Doppelstränge schneidet und den zweiten Doppelstrang durch die entstandene Lücke hindurchführt. Hemm-

stoffe der bakteriellen Typ-II-Topoisomerasen (Gyrasehemmer) inhibieren daher nicht nur die Initiation der Replikation, sondern auch die vollständige Verteilung der Tochterchromosomen.

Die Replikation linearer Chromosomen führt zu einer Verkürzung Die beschriebenen Mechanismen der DNA-Replikation sind in perfekter Weise dazu geeignet, die zirkulären Genome vieler Viren und Bakterien zu replizieren. Ein zusätzliches Problem ergibt sich jedoch bei der Replikation linearer DNA-Doppelstränge. Wie aus . Abb. 44.13 hervorgeht, kann der Führungsstrang ausgehend von einem internen RNA-primer kontinuierlich bis zum Ende des Elternstranges synthetisiert werden. Anders ist es aber beim Verzögerungsstrang, da wegen der diskontinuierlichen Synthese am Ende des Elternstranges ein RNA-primer gebunden ist, der nach Abschluss der Replikation entfernt wird. Die dadurch entstandene Lücke kann aber durch die DNA-Polymerase nicht aufgefüllt werden, da ihr eine freie 3’-OH-Gruppe zur Anheftung fehlt. Dies führt dazu, dass die Chromosomen mit jeder Replikation um ein Stück kürzer werden, was letztendlich eine Instabilität der Chromosomen und damit eine verminderte Lebensfähigkeit der betreffenden Zelle auslöst. Um dies zu verhindern, findet man an den Enden der Chromosomen G-reiche repetitive Sequenzen, die als Telomere bezeichnet werden. Telomersequenzen codieren für keine Information, sondern dienen als Puffer, um einen Informationsverlust in Folge der Verkürzung der Chromosomen zu verhindern. Telomerische DNA besteht aus einigen hundert (einfache Eukaryonten wie Hefe) bis einigen tausend (Vertebraten) Basenpaaren. Bei Säugern und damit auch beim Menschen lautet diese Sequenz (5’-TTAGGG-3’)n. Diese G-reiche Sequenz befindet sich am 3‹-Ende jedes parentalen Einzelstrangs und ragt zwölf bis sechzehn Nucleotide über den komplementären C-reichen Strang hinaus (. Abb. 44.14). Da diese freien Enden allerdings mit den freien Enden anderer Chromosomen fusionieren könnten, sind die Telomere durch telomerbindende Proteine maskiert, ein Prozess der auch als telomer capping bezeichnet wird. Bei jeder Replikation gehen 50–200 Nucleotide dieser telomerischen Sequenz verloren, sodass man Telomere auch als eine Art molekulare Uhr ansehen kann, mit deren Hilfe Zellen die Zahl ihrer Zellteilungen registrieren können. Auf jeden Fall bieten die Telomerverkürzungen eine Erklärung dafür, dass die Zahl der möglichen Teilungen somatischer Zellen höherer Eukaryonten wie auch des Menschen auf 30–50 beschränkt ist.

Telomere können durch die Telomerase verlängert werden Eukaryontische Zellen, die sich häufiger oder unbegrenzt teilen können (z. B. Stammzellen oder Tumorzellen), besitzen eine spezielle Polymerase, die Telomerase, die in der Lage ist, die Telomere nach Abschluss der Replikation wieder zu verlängern. Für die Entdeckung dieses Enzyms und die Aufklärung des Reaktionsmechanismus wurden Eliszabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostac 2009 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Ebenso wie die DNA-Polymerasen benötigt die Telomerase eine freie 3’-OH-Gruppe, um Desoxyribonucleotide anzufügen. Die Besonderheit der Telomerase ist jedoch, dass sie ein

44

556

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

. Abb. 44.13 Replikation an den Telomeren der Chromosomen. (Einzelheiten s. Text)

44

Ribonucleoprotein ist, d. h. sie enthält ein gebundenes RNAMolekül (. Abb. 44.14). Die Sequenz dieses RNA-Moleküls ist komplementär zur telomeren Sequenz und essentiell für die Telomerenreplikation. Beim Menschen trägt die RNA die Sequenz 5’-UAACCCUA-3’. Über die terminalen beiden UA- Nucleotide bindet die Telomerase an das überhängende Ende (also die letzten beiden Nucleotide der Telomersequenz 5’-TA-3’) und verlängert das 3’-Ende um die zur RNA-komplementäre Sequenz 5’-GGGTTA-3’. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals, sodass eine repetitive G-reiche Sequenz entsteht. Die Telomerase ist damit eigentlich eine reverse Transkriptase, deren RNA-Matrize ein intrinsischer Bestandteil des Enzyms ist. An die verlängerten Telomere bindet dann vermutlich die Primase und synthetisiert einen RNA-primer, der von der DNA-Polymerase verlängert wird und die so das ursprünglich verkürzte Ende wieder auffüllt. Die durch die Telomerase verlängerten 3’-Enden werden bei der nächsten Replikation zwar verkürzt repliziert (s. o.), jedoch kann dieser Defekt in der darauf folgenden Replikationsrunde durch Verlängerung mit der Telomerase wieder behoben werden. Bei niederen Eukaryonten führt ein Verlust der Telomerasefunktion in Folge von Mutationen zur allmählichen Verkürzung der Chromosomen und schließlich zum Zelltod.

44.6

Leukämie). Verkürzte Telomere findet man auch bei Patienten, die unter Progerie leiden, einer Erkrankung die durch stark beschleunigte Alterung charakterisiert ist. Zwar scheint ursächlich eine Mutation im Lamin-A-Gen – ein Strukturprotein der Zellkernmembran – für die Erkrankung verantwortlich zu sein, die stark verkürzten Telomere erklären jedoch eindrücklich die Bedeutung der Telomere für die replikative Zellalterung. Humane somatische Zellen enthalten keine Telomerase, jedoch ist eine solche in den Keimbahnzellen der Testes und der Ovarien sowie in Stammzellen des Knochenmarks vorhanden. Darüber hinaus hat sich eine aktive Telomerase bei allen bisher untersuch-

Pathobiochemie

Eine Mutation im Telomerase-Gen findet man bei Patienten, die unter Dyskeratosis congenita leiden, einer seltenen Erkrankung, die insbesondere durch Haut- und Schleimhautdefekte und durch Knochenmarkstörungen ausgezeichnet ist. Darüber hinaus werden Telomer- bzw. Telomerasedefekte mit einer Vielzahl weiterer Erkrankungen in Verbindung gebracht, z. B. AML (Akute Myeloische Leukämie) und CML (Chronische Myeloische

. Abb. 44.14 Mechanismus der für die Replikation der Telomere verantwortlichen Telomerase. (Einzelheiten s. Text)

557 44.6 · Pathobiochemie

ten Tumoren nachweisen lassen. Offenbar ist dieses Enzym normalerweise reprimiert und wird erst bei der malignen Transformation aktiviert. Daher sind Inhibitoren der Telomerase attraktive Substanzen für die Behandlung von Tumorerkrankungen.

A

Übrigens Hemmstoffe der DNA-Replikation werden in der Tumortherapie eingesetzt

B

Einige Antibiotika hemmen die DNA-Replikation bzw. die Transkription und haben sich deswegen als wertvolle Hilfsmittel bei der Aufklärung der molekularen Mechanismen der Replikation erwiesen und darüber hinaus teilweise Eingang in die Tumortherapie gefunden:

Mitomycin Mitomycin (. Abb. 44.15A) verursacht die Bildung covalenter Quervernetzungen zwischen den zwei DNA-Strängen und verhindert dadurch die Trennung der Stränge, die für die DNA-Replikation notwendig ist. Da es sowohl bei Mikroorganismen als auch bei Eukaryonten als Mitosehemmstoff wirkt, hat es nur in der Tumortherapie Bedeutung. Ganz ähnlich wirkt Cisplatin, das ebenfalls die beiden DNA-Stränge covalent verbindet.

C

Actinomycin D In niedrigen Konzentrationen hemmt Actinomycin D (7 Kap. 46) die Transkription, in höheren Konzentrationen auch die DNA-Replikation. Dabei kommt es zur Interkalation von Actinomycin D zwischen zwei benachbarten GC-Paaren der DNA. Dies führt dazu, dass die Stränge der DNA-Doppelhelix bei der Replikation bzw. Transkription nicht getrennt werden können. Actinomycin D findet Anwendung in der Tumortherapie und bei experimentellen Fragestellungen, bei denen geklärt werden soll, ob ein beobachteter Effekt auf die Neubildung von RNA zurückgeführt werden kann.

D

. Abb. 44.15 Strukturen wichtiger Hemmstoffe der DNA-Replikation. (Einzelheiten s. Text)

Topoisomerasehemmstoffe Eine Reihe einfacher Verbindungen sind wirksame Hemmstoffe der prokaryontischen DNA-Topoisomerase (Gyrase). Neben Cumarinderivaten (. Abb. 44.15C), z. B. Coumermycin A1 oder Novobiocin, die die ATPase Untereinheit (GyrB) der Gyrase inhibieren, existieren auch Hemmstoffe, die die für den Doppelstrangbruch verantwortliche Untereinheit (GyrA) blockieren. Einer dieser Inhibitoren ist das Chinolonderivat Ciprofloxacin (. Abb. 44.15D), eines der heutzutage effizientesten Antibiotika. Gyrase-Inhibitoren beeinträchtigen die bakterielle Replikation auf den Stufen der Initiation und Termination, aber auch die Transkription und können deshalb zur Therapie eines breiten Spektrums bakterieller Infektionen eingesetzt werden. Humane Typ-I- und Typ-IITopoisomerasen werden als Angriffspunkte/targets in der Tumortherapie verwendet. Verbindungen wie z. B. Doxorubicin oder Elipticin stabilisieren den Kontakt zwi6

Mitomycin# Actinomycin D# Aminocoumerin# Ciprofloxacin#

schen DNA und Topoisomerase und führen zu vermehrten Strangbrüchen.

Basenanaloga Eine weitere Möglichkeit, die Replikation zu stoppen, ist die Verwendung von Basenanaloga, die zwar in den wachsenden DNA-Strang eingebaut werden können, an denen aber keine Verlängerung stattfinden kann. Beispiele sind Cytarabin, das anstelle der Ribose eine Arabinose trägt und das bei der Behandlung von Virusinfektionen, z. B. AIDS eingesetzte Azidothymidin, das anstelle der OH-Gruppe am C-Atom 3’ der Ribose eine Azidgruppe (N3) trägt.

44

558

Kapitel 44 · Replikation – Die Verdopplung der DNA

Zusammenfassung Die DNA-Replikation ist semikonservativ: Das doppelsträngige Tochter-DNA-Molekül besteht aus einem parentalen Strang und einem neu synthetisierten Strang. Die DNA-Replikation beginnt an einem (Prokaryonten) oder mehreren (Eukaryonten) Replikationsursprüngen. Für die DNA-Replikation werden benötigt: 4 partiell aufgewundene einzelsträngige DNA als Matrize 4 Helicasen 4 Topoisomerasen 4 Einzelstrangbindeproteine 4 Ribonucleosidtriphosphate für die Synthese des primers 4 Desoxyribonucleosidtriphosphate 4 DNA-Polymerasen 4 DNA-Ligasen Im wachsenden DNA-Molekül verknüpfen DNA-Polymerasen Desoxyribonucleotide über 5’,3’-Phosphodiesterbindungen. Sie benötigen zum Start der DNA-Synthese einen primer, ein kurzes RNA-Molekül, an das das erste Desoxyribonucleotid angeknüpft werden kann. Da die Synthese der DNA immer in 5’,3’-Richtung erfolgt, gibt es einen kontinuierlich synthetisierten Führungsstrang und einen diskontinuierlich synthetisierten Verzögerungsstrang, der aus sog. Okazaki-Fragmenten besteht. Nach Abbau der primer und Auffüllen der dadurch entstandenen Lücken werden die DNA-Fragmente durch eine DNA-Ligase miteinander verknüpft. Fehler, die während der Replikation nicht korrigiert wurden oder die durch äußere Einflüsse entstanden sind, werden durch spezielle DNA-Reparatursysteme behoben, die in 7 Kap. 45.2 besprochen werden. Telomerasen verlängern bei linearer DNA die Chromosomenenden, die Telomere. Sie verhindern damit die mit jeder Replikation einhergehende Verkürzung der Chromosomen. Eine hohe Aktivität der Telomerasen wird bei Tumoren gefunden. Die als Hemmstoffe der DNA-Replikation eingesetzten Substanzen verhindern, z. B. die Entwindung oder die Neusynthese der DNA.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

44

559

45 DNA-Mutationen und ihre Reparatur Hans-Georg Koch, Jan Brix, Peter C. Heinrich

Einleitung Durch Replikationsfehler und spontane oder chemische und physikalische Noxen wird die DNA ständig verändert. Diese Veränderungen ermöglichen eine phänotypische Variation und sind somit die Grundlage der Evolution. Gleichzeitig ist für die Erhaltung der Funktion des genetischen Materials eine möglichst geringe Mutationsrate erforderlich. Die Balance zwischen Stabilität und Variabilität der DNA wird durch effiziente DNA-Reparatursysteme gewährleistet, die die meisten, aber nicht alle Mutationen korrigieren. Schwerpunkte 4 Auslöser von Mutationen 4 Drei Klassen von Mutationen: Genom-, Chromosomenund Genmutationen 4 Die verschiedenen DNA-Reparatursysteme: Basen-, Nucleotidexcisions- und mismatch-Reparatur sowie Systeme zur Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen 4 Erkrankungen mit Defekten in DNA-Reparatursystemen

45.1

Mutationen – Veränderungen der DNA

Das Überleben eines Individuums hängt davon ab, ob seine DNA während der oft außerordentlich langen Lebenszeiten seiner Zellen stabil bleibt und bei der DNA-Replikation mit großer Genauigkeit verdoppelt wird. Dennoch kommt es in Folge von Replikationsfehlern und Umwelteinflüssen zu einer ständigen Veränderung des genetischen Materials. Diese spontane Mutationsrate beträgt sowohl bei Eukaryonten als auch bei Prokaryonten etwa 1 ∙ 109, d. h. während eines Zellzyklus wird durchschnittlich eins von 109 Nucleotiden verändert. Erfolgt diese Mutation in somatischen Zellen, ist sie auf das Individuum beschränkt, erfolgt sie in den Keimbahnzellen, wird sie stabil auf die Nachkommen weitergegeben. Wie in 7 Kap. 48 ausführlich erörtert wird, haben derartige Mutationen in den für Aminosäuren/Proteine codierenden Bereichen wegen der Degeneriertheit des genetischen Codes vielfach keinerlei Folgen für das betreffende Protein. Gelegentlich kommt es zum Austausch ähnlicher Aminosäuren, sodass funktionelle Konsequenzen nicht sichtbar sind. Nur in den relativ seltenen Fällen, in denen die Mutationen schwerwiegende strukturelle Änderungen des betroffenen Proteins auslösen, ergeben sich Defekte mit häufig tödlichen Konsequenzen für den betroffenen Organismus. Solche Mutationen in den Keimzellen können zwar vererbt werden, setzen sich aber meist innerhalb einer Art nicht durch, da das betroffene Individuum entwe-

der nicht in das fortpflanzungsfähige Alter kommt oder in seiner Fortpflanzungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist. Ein Grund für die niedrige Mutationsrate ist, dass die Genauigkeit der DNA-Replikation durch die Korrekturaktivität (proofreading activity) der DNA-Polymerasen gewährleistet wird (7 Tab. 44.3). Darüber hinaus werden spontane Veränderungen der DNA und Veränderungen, die durch den Kontakt mit mutagenen Substanzen oder durch Strahlenexposition entstehen (induzierte Mutationen), mit Hilfe von DNA-Reparatursystemen beseitigt. Für diese DNA-Reparatur steht eine Reihe von Reparaturenzymen zur Verfügung. Die Bedeutung der DNA-Reparatur erkennt man auch daran, dass einige Krankheiten auf Mutationen in den DNA-Reparatursystemen zurückzuführen sind (. Tab. 45.3). Dem potentiell pathologischen Effekt von Mutationen steht ihre Bedeutung für die Evolution und die Variabilität von Organismen gegenüber. Die Entstehung der Arten einschließlich des Menschen wäre bei einer völlig statischen DNA unmöglich gewesen.

Drei Klassen von Mutationen können unterschieden werden Genommutationen Wegen Teilungsfehlern während der Mitose oder Meiose ändert sich die Gesamtzahl der Chromosomen (. Tab. 45.1). Bei Aneuploidie gewinnt oder verliert ein Organismus ein Chromosom, was bei diploiden Organismen zur Trisomie oder Monosomie führt. Sind alle Chromosomen nur einfach vorhanden, spricht man von Euploidie, während Polyploidie einen Zustand beschreibt, bei dem alle Chromosomen mehr als zweimal vorkommen. Man schätzt, dass beim Menschen etwa 10–20 % aller befruchteten Eizellen einen Fehler in der Chromosomenzahl besitzen und dies eine Ursache für Fehlgeburten ist. Chromosomenmutationen Hierdurch werden strukturelle Veränderungen einzelner Chromosomen beschrieben, die in den meisten Fällen auf eine oder mehrere Bruchstellen im Chromosom zurückgehen. Chromosomenfragmente können verloren gehen (Deletion), an falscher Stelle eingebaut (Insertion) oder in falscher Orientierung eingefügt werden (Inversion), auf andere Chromosomen übertragen (Translokation) oder verdoppelt werden (Duplikation). Gen- und Punktmutationen In Genmutationen sind die Verän-

derungen auf ein einzelnes Gen beschränkt und betreffen bei Punktmutationen nur ein einzelnes Nucleotid. Im Unterschied zu den mikroskopisch sichtbaren Genom- und Chromosomenmutationen sind diese Mutationen nur durch molekularbiologische Methoden zu identifizieren.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_45, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

45

560

Kapitel 45 · DNA-Mutationen und ihre Reparatur

. Tab. 45.1 Beispiele von Mutationen beim Menschen Name der Krankheit und Häufigkeit

Art der Mutation

Ursache

Phänotyp

Down-Syndrom (1:800)

Genom

Trisomie 21

Gestörte mentale Entwicklung, Epikanthus medialis (Mongolenfalte)

Edwards-Syndrom (1:10.000–1:3.000)

Genom

Trisomie 18

Herzfehler, Organfehlbildungen, Entwicklungsstörungen

Pätau-Syndrom (1:19.000)

Genom

Trisomie 13

Mentale Retardierung, Taubheit, Polydactylie

Familiäres Down-Syndrom (1:15.000)

Chromosom

Translokation von Chromosom 14 auf Chromosom 21 bei einem Elternteil

Gestörte mentale Entwicklung, Epikanthus medialis

Cri-du-Chat Syndrom (Katzenschrei-Syndrom; 1:50.000)

Chromosom

Deletion an Chromosom 5 (Teil-Monosomie 5)

Anormale Glottis- und Kehlkopfentwicklung; mentale Retardierung

Chorea Huntington (1:50.000)

Gen

Für Glutaminsäure codierendes Triplett (CAG) ist bis zu 120-mal im HuntingtinGen wiederholt (Triplettexpansion)

Verstärkte Aggregation von Huntingtin, Hyperkinesien, Demenz

Sichelzellanämie (in Malariagebieten bis zu 1:250)

Gen

An Position 6 der β-Untereinheit von Hämoglobin Valin statt Glutamat

Aggregation von Hämoglobin; sichelartige Verformung der Erythrocyten

Replikationsfehler und die chemische Instabilität der DNA sind eine Ursache für Mutationen

45

Die Replikation der DNA ist trotz der proofreading-Aktivität der DNA-Polymerasen kein fehlerfreier Prozess. Verantwortlich hierfür ist u. a. die Keto-Enol-Tautomerie der Basen (7 Kap. 3.4). So erlaubt die DNA-Polymerase eine Paarung der Enolform des Thymins mit Guanin statt Adenin, was zu einer Mutation im neu synthetisierten Strang führt. Repetitive Sequenzen erhöhen ebenfalls die Fehlerrate der DNA-Polymerase. Die Gene, die für das fragile X-Syndrom, die Myotone Dystrophie oder Chorea Huntington verantwortlich sind, enthalten eine Trinucleotidsequenz, die mehrfach wiederholt wird. An diesen repetitiven Sequenzen kann die DNA-Polymerase bei der Neusynthese ins »Stolpern« kommen (polymerase slipping) und den repetitiven Bereich mehrfach hintereinander ablesen, was zu einer massiven Verlängerung des repetitiven Bereichs führt (Triplettexpansion). Bei normalen Individuen enthält das Gen für Huntingtin einen repetitiven Abschnitt aus etwa 10–35 CAG-Tripletts. Bei Patienten, die unter Chorea Huntington leiden, ist dieser Abschnitt auf etwa 120 Tripletts verlängert (. Tab. 45.1) und das gebildete Protein enthält statt 10–35 an dieser Stelle etwa 120 Glutaminreste, was zur Aggregation des Proteins führt. Da durch die Triplettexpansion die Gefahr neuerlicher Lesefehler erhöht wird, verstärken sich in der Regel mit jeder Generation die Krankheitssymptome (genetische Antizipation). Der biologischen Stabilität der DNA steht keine gleichwertige chemische Stabilität gegenüber. Einige Bindungen in der DNA sind relativ instabil (. Abb. 45.1). Als Beispiele seien genannt: 4 Spontane Depurinierung. Sie tritt bei normaler Körpertemperatur auf und führt zur thermischen Spaltung der N-glycosidischen Bindung zwischen Purinbasen und Desoxyribosen. Das Phosphodiestergerüst der DNA wird dabei nicht zerstört, es entstehen sog. AP-sites (apurinisch).

4 Spontane Desaminierung von Cytosin. Es entsteht Uracil, das mutagen wirkt, da es sich anstatt mit Guanin mit Adenin paart. 4 Sauerstoffradikale. Sie führen z. B. zur Hydroxylierung von Guanin zu 8-Hydroxyguanin und damit bei der Replikation zu einer Fehlpaarung mit Adenin statt Cytosin. Bis heute wurden ca. 100 unterschiedliche radikalische Schädigungen der DNA-Basen identifiziert.

Die DNA kann durch exogene Noxen geschädigt werden Zusätzlich zu den spontanen Änderungen ist die DNA gegenüber einer großen Zahl weiterer Noxen anfällig, z. B. ultravioletter Strahlung. Sie führt zur Ausbildung von Thymindimeren (. Abb. 45.2), die einen Replikationsstopp auslösen. Wegen ihres hohen Energiegehalts sind auch radioaktive und Röntgenstrahlung besonders schädlich für die DNA, da sie Einzel- und Doppelstrangbrüche auslösen und/oder zur verstärkten Bildung von Radikalen führen können. Das nach wie vor als chemischer Kampfstoff eingesetzte Senfgas (Cl-CH2-CH2-S-CH2-CH2-Cl) ist eine von vielen Verbindungen, die die DNA durch Alkylierung schädigen. Durch Anheftung einer Methyl- oder Ethylgruppe ändert sich die Basenpaarung; so paart O6-Ethylguanin mit Thymin anstelle von Cytosin. Weitere alkylierende Verbindungen sind z. B. Ethylmethylsulfonat (EMS), das in der Molekularbiologie zur Auslösung zufälliger Mutationen verwendet wird. Formaldehyd und die bei der Erhitzung geräucherter Lebensmittel entstehenden Nitrosamine schädigen die DNA ebenfalls. Der Kontakt mit salpetriger Säure (HNO2) führt zur Desaminierung der DNA, während Hydroxylamin eine Hydroxylierung bewirkt. Interkalierende Substanzen, z. B. Ethidiumbromid (s. 7 Abb. 54.2C) oder Acridinorange, lagern sich zwischen zwei übereinanderliegende Basen im Inneren der DNA an und führen so zu einem erhöhten Risiko von Strangbrüchen. Gleichzeitig

561 45.1 · Mutationen – Veränderungen der DNA

. Abb. 45.1 Instabilität der DNA durch Depurinierung und Desaminierung. (Einzelheiten s. Text)

durch z. B. Hydroxylierung oder Oxygenierung binden diese Moleküle an die DNA und führen zu einer Verdrängung des parallelen Stranges. Beispiele sind polyzyklische Aromaten wie das im Zigarettenrauch vorkommende 3,4-Benzpyren oder das Schimmelgift Aflatoxin B1. Die Möglichkeit DNA zu schädigen und damit Replikation und Zellteilung zu blockieren wird therapeutisch bei der Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzt (7 Kap. 44.5). Zusammenfassung

. Abb. 45.2 Dimerisierung von benachbarten Thyminresten durch UV-Licht

bewirken sie einen Replikationsstopp. Ethidiumbromid findet als Farbstoff zur Anfärbung von DNA und RNA in der Molekularbiologie breite Anwendung. Eine besondere Gruppe mutagener Substanzen sind die sog. indirekt wirkenden Mutagene. Diese in der Regel großen, chemisch sehr stabilen und hydrophoben Verbindungen interagieren mit der DNA erst nach Aktivierung durch das körpereigene Biotransformationssystem (7 Kap. 62.3). Nach Aktivierung Guanin# Cytosin#

Das genetische Material eines Organismus ist dynamisch, d. h. es unterliegt einer permanenten Veränderung. Bei diesen als Mutationen bezeichneten Veränderungen können unterschieden werden: 4 Genommutationen: Änderung der Gesamtzahl der Chromosomen eines Organismus 4 Chromosomenmutationen: Änderungen innerhalb eines Chromosoms 4 Genmutationen: Änderungen innerhalb eines Gens Ursachen für Mutationen sind exogene Noxen, z. B. UVStrahlung, radioaktive Strahlung oder der Kontakt mit DNAinteragierenden Chemikalien. Diese exogenen Noxen können punktuelle Veränderungen an der DNA auslösen, aber auch zu Strangbrüchen führen. Zusätzlich ist die chemische Instabilität der DNA Ursache für Mutationen, z. B. der spontante Verlust von Purinresten oder die spontane Desaminierung von Cytosin. In beiden Fällen kommt es zu Basenfehlpaarungen.

45

Kapitel 45 · DNA-Mutationen und ihre Reparatur

562

. Tab. 45.2 Übersicht über DNA-Reparatursysteme Reparatursystem

Beseitigte Schäden

Direkte Reparatur

Thymindimere Basenalkylierung

Basenexcisionsreparatur

Basendesaminierung Depurinierung

Nucleotidexcisionsreparatur

DNA-Schäden, die die Topologie der DNA verändern, z. B. Thymindimere, modifizierte Basen

Mismatch-Reparatur

Replikationsfehler, Basenfehlpaarung

Non-homologous end joining

DNA-Doppelstrangbrüche

Rekombinationsreparatur

DNA-Doppelstrangbrüche

45.2

DNA-Reparatur

Das Auftreten spontaner und induzierter Mutationen hätte katastrophale Folgen für einen Organismus, wenn nicht jede Zelle über hochaktive DNA-Reparatursysteme verfügen würde, die die auftretenden DNA-Schäden erkennen und reparieren (. Tab. 45.2). Diese Systeme zeigen eine ausgeprägte Redundanz, d. h. einzelne Mutationen können prinzipiell durch verschiedene Reparatursysteme beseitigt werden. Defekte in diesen Reparatursystemen sind mit schweren Erkrankungen assoziiert (s. . Tab. 45.3).

DNA-Schäden können direkt repariert werden

45

Direkte Reparatur Die meisten DNA-Reparatursysteme beheben den Fehler durch Austausch (s. u.), es existieren aber auch zwei DNA-Reparatursysteme, bei denen die veränderten Basen tatsächlich repariert und nicht ausgetauscht werden. Diese Reparatur wird als direkte Reparatur bezeichnet. Ein in vielen Organismen vorkommendes Enzym ist die Photolyase, die an Thymindimere bindet und diese Licht- und FADH-abhängig spaltet. Die Lichtabhängigkeit der Reaktion ist durch einen Flavincofaktor bedingt, der ähnlich wie bei photosynthetischen Reaktionszentren, durch Elektronentransfer die Spaltung der Thymindimere ermöglicht. Obwohl die Photolyase in vielen Pro- und Eukaryonten nachgewiesen wurde, scheint das Enzym humanen Zellen zu fehlen. Auch vielen Amphibien fehlt die Photolyase, was diese besonders empfindlich gegenüber der durch das Ozonloch verstärkten UV-Exposition macht. Eine direkte Reparatur existiert auch für alkylierte DNA, besonders für O6-Ethylguanin. Das Protein O6-Alkylguanin-Alkyltransferase ist in der Lage, eine Alkylgruppe vom Guanin auf einen Cysteinrest im aktiven Zentrum des Proteins zu transferieren. Diese Alkylierung ist allerdings irreversibel, sodass diese Reaktion von jedem Protein nur einmal katalysiert werden kann. Da das Protein nicht unverändert aus dieser Reaktion hervorgeht, sondern sozusagen »Selbstmord« begeht, ist es streng genommen kein Enzym.

. Abb. 45.3 Allgemeine Strategie zur Behebung von DNA-Schäden. (Einzelheiten s. Text)

DNA-Schäden können durch Austausch repariert werden Reparatur durch Basenaustausch Die Behebung eines DNASchadens ist relativ unproblematisch, wenn er sich auf einen der beiden DNA-Stränge beschränkt. In den meisten Fällen, mit Ausnahme der o. g. direkten Reparatur, wird der Schaden behoben, indem das geschädigte Nucleotid oder die geschädigte Base zusammen mit benachbarten Nucleotiden herausgeschnitten wird. Die notwendigen Schritte (. Abb. 45.3) bestehen in: 4 Erkennung des beschädigten Nucleotids oder der Base 4 Excision des beschädigten Nucleotids oder der Base 4 Schließen der Lücke durch DNA-Polymerase 4 Ligation durch DNA-Ligase

Während für die Erkennung und Excision der beschädigten Region spezifische enzymatische Aktivitäten notwendig sind, werden für die sich anschließenden Schritte dieselben Enzyme benutzt, die auch für die Verknüpfung der Okazaki-Fragmente während der DNA-Replikation verwendet werden. Für das Auffüllen der Lücke wird eine DNA-Polymerase benötigt, für das Schließen der Lücke eine DNA-Ligase. Basenexcisionsreparatur Einer der Reparaturmechanismen ist

die universell konservierte Basenexcisionsreparatur, die in

. Abb. 45.4 dargestellt ist. Besonderes Merkmal dieses Repa-

ratursystems ist, dass zunächst durch eine DNA-Glycosylase die N-glycosidische Bindung zwischen der defekten Base und der Desoxyribose gespalten wird. DNA-Glycosylasen bilden eine Familie von Enzymen unterschiedlicher Spezifität, die die einzelnen Typen geschädigter Basen, aber auch das durch Desaminierung von Cytosin entstehende Uracil erkennen und entfernen. Um die richtige Base einsetzen zu können, muss nun das Desoxyribosephosphat entfernt werden, zu dem die durch die DNA-Glycosylase herausgeschnittene Base gehörte. Hierfür ist zunächst eine AP-Endonuclease notwendig (AP, apurinic bzw. apyrimidinic). Die Entfernung von Desoxyribose und Phosphat erfolgt dann durch eine Phosphodiesterase. Mit Hilfe von DNA-Polymerase I in E. coli bzw. DNA-Polymerase β in Eukaryonten und DNA-Ligasen kann nun die Lücke aufgefüllt und geschlossen werden. Allerdings verfügt DNA-Polymerase β über keine proof reading-Aktivität (s. 7 Tab. 44.3), sodass während der Reparatur erneut ein falsches Nucleotid ein-

563 45.2 · DNA-Reparatur

. Abb. 45.5 Mechanismus der Nucleotidexcisionsreparatur. (Einzelheiten s. Text)

. Abb. 45.4 Mechanismus der short patch-Basenexcisionsreparatur. Nach dem Lokalisieren der beschädigten Stelle (rot), erfolgt durch DNA-Glycosylasen die Excision der Base und anschließend die Entfernung des zugehörigen Desoxyribosephosphats durch AP-Endonucleasen. (Einzelheiten s. Text)

gebaut werden kann. Neuere Daten deuten auf eine Korrekturaktivität der AP-Endonuclease hin, die falsch eingebaute Nucleotide wieder entfernen kann. Neben dieser sog. short patchBasenexcisionsreparatur, bei der nur das defekte Nucleotid entfernt wird, existiert auch eine long patch-Basenexcisionsreparatur, bei der nicht nur das defekte Nucleotid entfernt wird, sondern über die 3’,5’-Exonucleaseaktivität der DNA-Polymerasen werden 4–6 Nucleotide zusätzlich herausgeschnitten. Da DNA-Polymerase β über keine Exonuclease (proofreading) Aktivität verfügt, werden für die long patch-Basenexcisionsreparatur beim Menschen die DNA-Polymerasen δ und ε benötigt. Für die Behebung der durch spontane Depurinierung (s. o.) entstandenen DNA-Schädigungen werden im Prinzip dieselben Schritte benötigt, es fällt lediglich die durch die DNA-Glycosylase katalysierte Entfernung der beschädigten Basen weg. Dass Glycosylasen Uracil spezifisch in der DNA erkennen, erklärt vermutlich auch, warum Uracil natürlicherweise nur in der RNA, nicht aber in der DNA vorkommt. Würde Uracil natürlicherweise in der DNA vorkommen, hätte die Glycosylase keine Möglich-

keit, das durch spontane Desaminierung von Cytosin entstandene Uracil zu erkennen. Nucleotidexcisionsreparatur Eine zweite DNA-Reparaturmög-

lichkeit ist die Nucleotidexcisionsreparatur. Im Unterschied zur Basenexcisionsreparatur erkennt dieses System nicht veränderte Nucleotide, sondern registriert Konformationsänderungen in dem DNA-Doppelstrang (. Abb. 45.5), z. B. durch Bildung von Thymindimeren. In E. coli wandert ein aus drei Proteinen (UvrABC-Komplex) bestehender Komplex an dem DNA-Doppelstrang entlang und »ertastet« geringe Abweichungen von der normalen Topologie. Der DNA-Doppelstrang wird zunächst im Bereich der Mutation durch UvrB in einer ATP-abhängigen Reaktion in die Einzelstränge getrennt und der veränderte Einzelstrang 8 Nucleotide oberhalb und 4–5 Nucleotide unterhalb der Mutation durch die Nuclease UvrC geschnitten. Das entstandene Fragment wird durch die Helicase UvrD aus dem DNA-Doppelstrang entfernt, bevor es durch Nucleasen (ExoVII, RecJ oder ExoI) abgebaut wird. Der verbliebene Einzelstrangbereich wird vorübergehend durch SSBs (7 Tab. 44.2) geschützt, bevor die Lücke von etwa 12–13 Nucleotiden durch DNA-Polymerase I aufgefüllt und von DNA-Ligase geschlossen wird. In Eukaryonten sind Untereinheiten von TFIIH, einem generellen Transkriptionsfaktor an der Nucleotidexcisionsreparatur beteiligt. Dies erklärt vermutlich, warum in Eukaryonten aktiv transkribierte Gene bevorzugt über diesen Mechanismus repa-

45

564

Kapitel 45 · DNA-Mutationen und ihre Reparatur

riert werden (transkriptionsgekoppelte Reparatur). Die Nucleotidexcisionsreparatur ist auch an der Beseitigung von covalent verknüpften Nucleotiden beteiligt, die z. B. durch Mitomycinoder Cisplatin-Behandlung entstehen (7 Kap. 44.5). Hier erfolgt die Korrektur sequentiell, um jeweils einen intakten Matrizenstrang für die Korrektur zur Verfügung zu haben. Die allgemeine Bedeutung der Nucleotidexcisionsreparatur wird in einer relativ seltenen hereditären Erkrankung des Menschen deutlich, die als Xeroderma pigmentosum bezeichnet wird (s. . Tab. 45.3). Die von einer gestörten Nucleotidexcisionsreparatur betroffenen Patienten (»Mondscheinkinder«) sind sehr empfindlich gegenüber Sonnenbestrahlung, zeigen Störungen ihrer Hautpigmentierung und haben ein im Vergleich zu Gesunden etwa 2.000fach höheres Risiko zur Bildung von Hauttumoren. Mismatch-Reparatursystem Replikationsfehler, die nicht durch die 3’,5’-Exonucleaseaktivität der DNA-Polymerase beseitigt worden sind, können durch das mismatch-Reparatursystem beseitigt werden (. Abb. 45.6). Diese Replikationsfehler unterscheiden sich von den übrigen Mutationen, da hier keine defekte oder modifizierte Base vorliegt, sondern ein intaktes Nucleotid an der falschen Stelle eingebaut wurde. Das mismatch-Reparatursystem muss daher erkennen können, welche der beiden Basen die falsche Base ist. Die Erkennung wird über einen unterschiedlichen Methylierungsgrad von Elternstrang und neusynthetisiertem Strang ermöglicht. In E. coli wird DNA nach ihrer Synthese durch Methyltransferasen bevorzugt an Adeninresten in der Sequenz 5’-GTAC-3’ methyliert. Während einer kurzen Phase nach der Synthese liegt der DNA-Doppelstrang jedoch halb methyliert vor, d. h. der Elternstrang ist methyliert, aber der Tochterstrang noch nicht. In dieser Phase kann das mismatch-Reparatursystem die Unterscheidung zwischen Elternstrang mit korrekter Base und neusynthetisiertem Strang mit defekter Base durchführen. In E. coli erfolgt die Erkennung der Basenfehlpaarung durch den tetrameren MutS2-MutL2-Komplex. Anschlie-

. Abb. 45.6 Mechanismus der mismatch-Reparatur (Einzelheiten s. Text) MutS und MutL liegen jeweils als Dimere vor

ßend wird die Endonuclease MutH rekrutiert, die den nichtmethylierten Strang schneidet. Das fehlerhafte Stück wird durch die Helicase UvrD (s. o.) aus dem Doppelstrang entfernt und durch Nucleasen abgebaut. Im Unterschied zur Nucleotidexcisionsreparatur wird die Lücke vermutlich durch DNA-Polymerase III aufgefüllt. Die mismatch-Reparatur exisitiert ebenfalls in Eukaryonten und wird durch die MSH-(MutS-homologues) und MLH–Proteine (MutL-homologues) katalysiert. Eine spezifische Markierung des Elternstranges durch Methylierung erfolgt in Eukaryonten allerdings nicht und deshalb fehlt ihnen ein MutH-homo-

. Tab. 45.3 Erbkrankheiten mit Defekten in der DNA-Reparatur

45

Name der Krankheit

Phänotyp

Defektes Enzym oder Prozess

Xeroderma pigmentosum (XP) (»Mondscheinkinder«)

Hautkrebs, zelluläre UV-Empfindlichkeit, neurologische Anormalitäten

Nucleotidexcisionsreparatur

Erblicher Dickdarmkrebs (hereditary nonpolyposis colorectal cancer, HNPCC)

100- bis 1.000-mal erhöhte Mutationsrate, betrifft bevorzugt Darmepithel

MSH (humanes MutS-Homolog), MLH1 (humanes MutL-Homolog) Mismatch-Reparatur

Severe combined immune deficiency syndrome (SCID)

Immundefizienz

non-homologous end joining

Bloom-Syndrom (kongenitales teleangiektatisches Syndrom)

Genominstabilität durch verstärkten Schwesterchromatidenaustausch

BLM (Helicase); Rekombination und Rekombinationsreparatur

Erblicher Brustkrebs

Brust- und Eierstockkrebs

BRCA1 und BRCA2; Rekombinationsreparatur

Fanconi-Anämie

Angeborene Fehlbildungen, Leukämie, Genominstabilität

BRIP1 (Helicase); Rekombinationsreparatur

Ataxia teleangiectatica (AT)

Leukämie, Lymphome, zelluläre Empfindlichkeit gegenüber Röntgenstrahlung, Genominstabilität

ATM-Protein, eine Proteinkinase, die durch Doppelstrangbrüche aktiviert wird

565 45.2 · DNA-Reparatur

. Abb. 45.7 Schematische Darstellung der Vorgänge bei der Reparatur von Doppelstrangbrüchen. Die Bindung des MRN-Komplexes an freie Chromosomenenden löst einen Zellzyklusarrest und eine Hemmung der Telomerase aus. Zur Reparatur des Doppelstrangbruchs existieren zwei Mechanismen. Die freien Enden können über non-homologous end joining miteinander verknüpft werden (links). Alternativ erfolgt die Reparatur durch Rekombination mit dem homologen Tochterchromatid und Neusynthese des fehlenden DNA-Stücks (rechts. (Einzelheiten s. Text)

Doppelstrangbrüche Reparatur MRE11 RAD50 NBS1 KU70-KU80 DNA-Proteinkinase XRCC4 DNA-Ligase 4 RAD52 RAD54 RAD51

45

566

Kapitel 45 · DNA-Mutationen und ihre Reparatur

loges Protein. Wie eukaryontische Zellen zwischen dem Elternstrang und dem neu synthetisierten Strang unterscheiden, ist derzeit unklar. Eine besondere Art von Darmkrebs, der erbliche nicht-polypöse colorektale Tumor (hereditary nonpolyposis colorectal cancer, HNPCC) lässt sich auf einen Defekt im mismatchReparatursystem zurückführen (. Tab. 45.3). Da sich das Darmepithel während der gesamten Lebenszeit des Menschen regeneriert, ist die Wahrscheinlichkeit einer somatischen Mutation durch einen Replikationsfehler sehr hoch und Reparatursysteme sind daher hier von besonderer Bedeutung.

DNA-Doppelstrangbrüche können durch zwei Reparatursysteme repariert werden

45

Non-homologous end joining Bislang wurden DNA-Schäden besprochen, die nur auf einem der beiden DNA-Doppelstränge auftreten. Dabei ist zumindest auf dem intakten DNA-Strang noch die gesamte genetische Information erhalten. Problematischer sind Schäden, bei denen beide Stränge der DNA-Doppelhelix brechen und kein intakter Strang als Matrize für die Reparatur vorhanden ist. Schäden dieser Art entstehen z. B. durch ionisierende Strahlung, Sauerstoffradikale oder nach Behandlung mit Topoisomerasehemmern (7 Kap. 44.5). Diese DNASchädigung ist besonders gefährlich, da die freien Enden mit anderen DNA-Molekülen reagieren und so Chromosomenmutationen durch Translokation oder Deletion hervorrufen können. Bei fehlender Reparatur dieser Brüche würde bald eine Fragmentierung von Chromosomen entstehen. Letztlich wäre die betroffene Zelle nicht lebensfähig. Ein Doppelstrangbruch wird durch den Proteinkomplex MRN erkannt ( 1 in . Abb. 45.7). Der trimere Proteinkomplex MRN besteht aus der Exonuclease Mre11, der ATPase Rad50 und dem Gerüstprotein Nbs1. Dieser Komplex aktiviert über die Proteinkinase ATM (Ataxia teleangiectasia mutated) den Transkriptionsfaktor p53 2 , sodass vermehrt Cyclininhibitoren gebildet werden und der Zellzyklus stoppt 3 (s. 7 Abb. 43.8). Dies gibt der Zelle die Möglichkeit zur DNA-Reparatur. Zusätzlich muss verhindert werden, dass die Telomerase (7 Kap. 44.5) an die durch den Doppelstrangbruch entstandenen freien DNA-Enden bindet und diese verlängert. In Hefe phosphoryliert ATM nicht nur p53, sondern auch den Telomeraseinhibitor Pif1 (petite integration frequency 1) 4 . Über einen bislang unbekannten Mechanismus hemmt phosphoryliertes Pif1 die Telomerase an Doppelstrangbrüchen 5 , nicht aber an den Chromosomenenden. Der bevorzugte Mechanismus zur Reparatur eines Doppelstrangbruchs ist das non-homologous end joining. Dieser Prozess ist allerdings sehr fehlerbehaftet, da nur zwei DNA-Fragmente miteinander verknüpft werden und kein Kontrollmechanismus vorhanden ist, um zu überprüfen, ob die beiden DNA-Fragmente ursprünglich nebeneinander lokalisiert waren. Zusätzlich werden vor der Verknüpfung häufig weitere Nucleotide durch die Exonuclease Mre11 abgespalten. Obwohl dadurch zwangsläufig an der Bruchstelle eine Mutation auftritt, scheint dieser Mechanismus eine akzeptable Lösung zum Erhalt der Chromosomen darzustellen. Für die Verknüpfung bindet in Eukaryonten der heterodimere Komplex KU80/KU70 an die freien DNA-Enden 6 und rekrutiert die DNA-abhängige Proteinkinase DNA-PK 7 . An diesen Komplex bindet ein heterodi-

merer Komplex aus der DNA-Ligase 4 und dem XRCC4-Protein (X-ray repair complementing defective repair in Chinese hamster cells 4), der die beiden DNA-Fragmente verbindet 8 . KU80/ KU70 und XRCC4 sind auch an der V(D)J-Rekombination beteiligt (7 Kap. 70), weshalb Mutationen in diesen Proteinen zu dem severe combined immune deficiency syndrom (SCID, s. auch 7 Kap. 31.2), einer massiven Immundefizienz, führen (s. . Tab. 45.3). Rekombinationsreparatur Im Unterschied zum non-homologous

end joining, kann bei der Rekombinationsreparatur ein DNADoppelstrangbruch fehlerfrei behoben werden. Dies ist möglich, da das homologe Chromosom einer diploiden Zelle als Matrize für die Reparatur verwendet wird. Dieser Reparaturmechanismus ist daher bei Strangbrüchen in den haploiden Keimbahnzellen und in den männlichen X- bzw. Y-Chromosomen nicht möglich. Nach Erkennung des Doppelstrangbruchs durch den Proteinkomplex MRN, verdaut Mre11 jeweils einen der freien DNA-Doppelstränge und erzeugt so kurze Einzelstrangbereiche, die durch das Einzelstrangbindeprotein RPA 9 stabilisiert werden (7 Tab. 44.2). RPA wird dann im Einzelstrangbereich durch das Protein RAD51 ersetzt 10 . Die Rekombinase RAD51 ist zusammen mit RAD52 und der Helicase RAD54 für die Stranginversion 11 , d. h. den Austausch von DNA-Einzelsträngen zwischen zwei homologen Chromosomen, verantwortlich. Nach der Stranginversion wird der fehlende DNA-Abschnitt durch die DNA-Polymerase neu synthetisiert, die dabei das homologe Chromosom als Matrize nutzt 12 . Während des Strangaustauschs interagiert Rad51 mit zwei weiteren Proteinen, BRCA1 und BRCA2 (breast cancer 1 und 2). Patienten mit Mutationen in den entsprechenden Genen tragen ein deutlich erhöhtes Risiko für Brust-, Ovarial-, oder Prostatatumore (7 Kap. 53). Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Rekombinationsreparatur (s. . Tab. 45.3). Zusammenfassung Die bei der DNA-Replikation auftretenden Fehler werden überwiegend mit Hilfe der 3’-5’-Exonucleaseaktivitäten der DNA-Polymerasen beseitigt. Darüber hinaus führen chemische oder physikalische Noxen zur Schädigung der DNA. Solche Schäden werden beseitigt durch: 4 direkte Reparatur 4 Basenexcisionsreparatur 4 Nucleotidexcisionsreparatur oder 4 mismatch-Reparatur DNA-Doppelstrangbrüche können durch non-homologous end joining oder durch Rekombinationsreparatur beseitigt werden.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

567

46 Transkription und Prozessierung der RNA Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich

Einleitung Für die Expression genetischer Information muss DNA in RNA transkribiert werden. Die verschiedenen Arten der synthetisierten RNA ermöglichen dann die Proteinbiosynthese. Neben der Aufgabe, die Information für die Aminosäuresequenz der zu synthetisierenden Proteine weiterzugeben, hat RNA auch katalytische und regulatorische Eigenschaften. Im Unterschied zu doppelsträngiger DNA ist RNA als Einzelstrang funktionell aktiv und kann durch Ausbildung lokaler Basenpaarungen vielseitigere Strukturen als DNA annehmen. Während bei der Replikation ganze Chromosomen kopiert werden, beobachtet man bei der Transkription nur die Vervielfältigung bestimmter Chromosomenbereiche. Eine Zelle benötigt zu einem definierten Zeitpunkt in Abhängigkeit von ihrem Differenzierungszustand und ihrer biologischen Aktivität nur einen kleinen Teil der auf den Chromosomen liegenden Gene, die die Information für die Proteinbiosynthese enthalten (7 Kap. 48). Die für die Transkription verantwortlichen RNA-Polymerasen benötigen im Unterschied zu den für die Replikation verantwortlichen DNA-Polymerasen keinen primer. Bei Eukaryonten findet die Transkription im Zellkern statt. Hier müssen die Primärtranskripte noch prozessiert werden, damit die daraus entstehenden RNAs aus dem Zellkern durch die Kernporen ins Cytosol transportiert werden können und dort für die Proteinbiosynthese zur Verfügung stehen. Dieser gesamte Prozess ist sehr komplex und muss genau reguliert werden (7 Kap. 47). Im Unterschied zur DNA ist RNA kurzlebiger und wird wieder abgebaut, sobald das von ihr codierte Translationsprodukt nicht mehr benötigt wird. Störungen dieser Vorgänge können zu schwerwiegenden Krankheitsbildern führen. Schwerpunkte 4 Der Mechanismus der Transkription bei Pro- und Eukaryonten mit Initiation, Elongation und Termination 4 Die Bedeutung der drei eukaryontischen RNA-Polymerasen für die Synthese von mRNA, rRNA und tRNA 4 Die cotranskriptionelle Prozessierung der Prä-mRNA durch 5’-capping, Spleißen und 3’-Polyadenylierung 4 Export der prozessierten RNA aus dem Zellkern und RNAAbbau 4 Hemmstoffe der Transkription

46.1

Grundlegender Mechanismus der Transkription

Aus RNA-Transkripten werden co- und posttranskriptional die verschiedenen RNA-Spezies gebildet Alle kernhaltigen Zellen des menschlichen Organismus tragen dieselbe genetische Information in ihrer DNA. Trotzdem unterscheidet sich eine Nervenzelle deutlich von einer Haut- oder einer Leberzelle. Die Ursache dafür liegt darin, dass nicht in jeder Zelle die gesamte genetische Information abgerufen wird. Je nach Zelltyp oder Gewebe wird nur ein bestimmtes Repertoire an Genen exprimiert. Die Genexpression beinhaltet das Umschreiben von Teilen der genetischen Information in RNA. Dieses Umschreiben nennt man Transkription. Die Transkription hat große Ähnlichkeit mit der DNA-Biosynthese (Replikation, 7 Kap. 44). So sind die grundlegenden chemischen Mechanismen, die Polarität (Syntheserichtung) sowie die Verwendung einer Matrize gleich; ebenso findet man bei der Transkription die Phasen der Initiation, Elongation und Termination. Unterschiede zur Replikation bestehen darin, dass bei der Transkription kein primer benötigt und generell nur ein Teil der DNA und auch nur ein DNA-Strang transkribiert wird. Im Gegensatz zur DNA wird RNA ständig neu synthetisiert und nach Erledigung ihrer Aufgaben wieder abgebaut. DNA hingegen soll sich während der gesamten Lebenszeit des Menschen nicht verändern; aus diesem Grund gibt es effiziente Mechanismen zur Reparatur von Mutationen (7 Kap. 45.2). RNA hat in der Zelle viele unterschiedliche Funktionen (s. auch 7 Tab. 10.3): 4 in Form der messenger-RNA (mRNA) dient sie als Bauplan für die Proteinbiosynthese, 4 als transfer-RNA (tRNA) bildet sie den Adapter, der für die Übersetzung des Nucleinsäurecodes in die Aminosäuresequenz benötigt wird (Translation, s. 7 Kap. 48), 4 als ribosomale RNA (rRNA) ist sie struktureller Bestandteil der Ribosomen und dort katalytisch wichtig für die Knüpfung von Peptidbindungen, 4 in Form der Ribozyme kann RNA als Katalysator dienen, 4 eine große Zahl kleiner RNA-Moleküle hat darüber hinaus regulatorische Funktionen. Bis auf die mRNA werden alle RNA-Formen auch als ncRNA (non-coding RNA) bezeichnet, da sie keine Information für die Aminosäureabfolge bei der Proteinbiosynthese tragen, sondern in die Regulation von Transkription und Translation sowie in die Prozessierung der RNA-Transkripte eingreifen. In jüngerer Zeit sind im Rahmen des sog. ENCODE (ENCyclopedia Of DNA Elements) Transkriptom-Projekts, das alle

P. C. Heinrich FUBM(Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_46, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

46

568

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.1 Prinzip der Transkription durch RNA-Polymerasen. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)

RNA-Moleküle einer Zelle identifizieren und sequenzieren möchte, eine Vielzahl neuer RNA-Moleküle entdeckt worden, die insbesondere die Genexpression auf der Ebene der Transkription regulieren.

Die Transkription wird in drei Phasen eingeteilt: Initiation, Elongation und Termination

46

Die gesamte RNA einer Zelle wird durch den Prozess der Transkription aus DNA hergestellt. Am Anfang wird ein kleiner Bereich der DNA-Doppelhelix geöffnet, sodass zwei DNA-Einzelstränge entstehen, die bei der Transkription unterschiedliche Funktionen übernehmen (. Abb. 46.1): 4 Der Strang, der als Matrize für die RNA-Synthese dient, wird auch Matrizenstrang (Minusstrang oder antisense strand) genannt. 4 Die Basensequenz des RNA-Transkripts entspricht der Basensequenz des zum Matrizenstrang komplementären DNAStrangs. Dieser Strang wird als Nicht-Matrizenstrang oder codierender Strang (Plusstrang oder sense strand) bezeichnet. Die für die Transkription verantwortlichen Enzyme sind die DNA-abhängigen RNA-Polymerasen, die analog zu den DNAPolymerasen in der Lage sind, einen RNA-Strang durch Ribonucleosidtriphosphate in 5’,3’-Richtung zu verlängern (vgl. 7 Kap. 44). Die Assoziation dieser RNA-Polymerasen mit der DNA und die für die Transkription notwendige EntspiralisieTranskriptionsblase RNA-Polymerase DNA-Eintrittskanal

rung des DNA-Doppelstrangs sind in . Abb. 46.1 dargestellt. Damit die RNA-Polymerase das einzelsträngige Transkript herstellen kann, muss der DNA-Doppelstrang über ein kurzes Stück, die sog. Transkriptionsblase, durch Helicasen entwunden und dahinter wieder neu verdrillt werden. Auftretende supercoils vor und hinter der Transkriptionsblase werden durch Topoisomerasen beseitigt (7 Kap. 44). Initiation Zunächst muss die Startstelle für die Transkription

gefunden werden, sodass nur der für die Funktion des betreffenden Gens benötigte DNA-Abschnitt transkribiert wird. Hierzu verfügen pro- und eukaryontische Gene über sog. Promotoren. Dies sind DNA-Strukturelemente vor der Startstelle der Transkription, die die Bindung der RNA-Polymerasen an den Transkriptionsstartpunkt ermöglichen und Informationen darüber enthalten, wann und mit welcher Effizienz ein Gen transkribiert wird. Derartige Strukturen der Promotorregionen werden auch als cis-Elemente, spezifisch an sie bindende Proteine als transElemente bezeichnet. Elongation In der Elongation verlängert die RNA-Polymerase

die RNA-Kette mithilfe von Ribonucleosidtriphosphaten, die zum Matrizenstrang komplementär sind.

Termination Für die Termination sind spezifische Signale auf der DNA vorhanden, die verhindern, dass große nicht-codierende

aktives Zentrum

569 46.2 · Transkription bei Prokaryonten

Bereiche downstream von den codierenden Bereichen transkribiert werden. Transkriptionsregulation Die Regulation der Transkription ist von besonderer Bedeutung. Die zur Aufrechterhaltung der basalen Funktionen von Zellen benötigten Gene werden in der Regel ständig exprimiert. Man bezeichnet dies auch als konstitutive Transkription, die betreffenden Gene auch als house-keeping genes. Die Transkriptionshäufigkeit der regulierten Gene kann im Vergleich zu den house keeping genes um Größenordnungen größer oder kleiner sein und wird durch eine Vielzahl intra- und extrazellulärer Faktoren beeinflusst (7 Kap. 10).

Die durch RNA-Polymerasen katalysierte chemische Reaktion ist bei pro- und eukaryontischen Organismen identisch Chemisch entspricht der Reaktionsmechanismus aller RNAPolymerasen demjenigen der DNA-Polymerasen (. Abb. 46.2 und 44.7). Das 3’-OH-Ende eines Nucleotids greift nucleophil die Phosphorsäureanhydridbindung zwischen dem α- und β-Phosphat des eintretenden Ribonucleosidtriphosphats an, sodass dieses unter Pyrophosphatabspaltung in die wachsende RNA-Kette eingebaut wird. Die Sequenz der durch diese Verlängerung eingebauten Ribonucleotide ist komplementär zur Basensequenz des Matrizenstrangs (in . Abb. 46.2 nicht dargestellt) und entspricht damit derjenigen des codierenden Strangs. Anstelle von Thymin enthält die RNA Uracil, das aber in gleicher Weise mit Adenin zwei Wasserstoffbrückenbindungen ausbildet. Die Größe von RNA-Molekülen variiert zwischen weniger als 100 Basen bei tRNAs und mehr als 100 kbp bei Prä-mRNAs großer Proteine. Zusammenfassung Durch den Vorgang der Transkription wird die Kopie eines Gens in Form eines einzelsträngigen RNA-Moleküls erzeugt. Die verschiedenen Formen der RNA wie mRNA, tRNA und rRNA sind für die Proteinbiosynthese Grundvoraussetzung. Für die RNA-Synthese wird ein partiell einzelsträngiges DNAMolekül als Matrize benötigt, außerdem RNA-Polymerasen und die Nucleosidtriphosphate ATP, GTP, UTP und CTP. Die Transkription wird in die Phasen Initiation, Elongation und Termination eingeteilt, die durch eine Vielzahl von Faktoren reguliert werden können.

46.2

Transkription bei Prokaryonten

Prokaryonten besitzen eine aus fünf Untereinheiten zusammengesetzte RNA-Polymerase Die RNA-Polymerase von Prokaryonten ist ein großer Enzymkomplex. Das Holoenzym kann in das sog. core-Enzym (Molekülmasse 380 kDa) und den Sigmafaktor (σ-Faktor) getrennt werden. Die Molekülmassen der heute bekannten sieben verschiedenen σ-Faktoren liegen zwischen 18 und 70 kDa. So ist der Faktor σ70 für die Synthese der housekeeping-Gene bei E. coli verantwortlich. Das core-Enzym ist ein Pentamer und besteht aus RNA-Transkription# Ribonucleosidtriphosphate#

. Abb. 46.2 Mechanismus der RNA-Biosynthese durch RNA-Polymerasen. Analog zum Mechanismus der DNA-Polymerasen handelt es sich um den nucleophilen Angriff des 3’-OH-Endes eines Nucleotids auf die Phosphorsäureanhydridbindung zwischen dem α- und β-Phosphat des eintretenden Ribonucleosidtriphosphats. B, Nucleinsäure-Base

den Untereinheiten α2, β, β’, ω. Das core-Enzym allein kann zwar RNA in Anwesenheit einer DNA-Matrize synthetisieren, ist jedoch nicht imstande, die richtigen Startstellen für die Transkription zu finden. Hierfür ist die Assoziation mit dem Sigmafaktor notwendig, der für die Elongation und Termination der RNASynthese nach Beginn der RNA-Polymerisation abgespalten werden muss. Die RNA-Polymerase hat eine Fehlerrate von 104 bis 105. Sie ist damit 103fach höher als die der DNA-Polymerase (7 Kap. 44). Diese hohe Fehlerrate ist jedoch aufgrund der kurzen Halbwertszeit der RNA weniger folgenreich als der Einbau eines falschen Nucleotids in die DNA, wo Informationen dauerhaft gespeichert sind. Dennoch verfügt die RNA-Polymerase über eine intrinsische Exonucleaseaktivität, die ggf. ein falsch eingebautes Nucleotid wieder abspalten kann. . Abb. 46.3 zeigt die bei der Transkription prokaryontischer Gene stattfindenden Vorgänge in schematischer Form. Sie beginnen mit der Bindung der RNA-Polymerase an die DNA. Für die Initiation ist das korrekte Auffinden des Transkriptionsstartpunktes notwendig. Dies wird durch AT (Adenin-Thymin)-reiche Regionen im Promotor aller prokaryontischen Gene ermög-

46

570

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.3 Transkription prokaryontischer Gene. (Einzelheiten s. Text)

46

licht, die sich in E. coli bei etwa –10 bp und –35 bp oberhalb (upstream) des Transkriptionsstartpunktes befinden und jeweils 6 bp lang sind 1 . Upstream-Bereiche werden durch negative Zahlen definiert, downstream-Bereiche durch positive. Für die Anlagerung der RNA-Polymerase an die Promotorregion im Bereich –35 bis –70 2 und die Initiation der Transkription an der korrekten Stelle sorgt der Sigmafaktor, der eine hohe Affinität zu Sequenzelementen im Bereich –10 und im Be-

reich –35 hat. Zwei Domänen des Sigmafaktors sind für die gleichzeitige Bindung an den Promotorbereich –10 und –35 verantwortlich. Die RNA-Polymerase selbst bindet mit ihrer C-terminalen Domäne (CTD) im Bereich –70. Ist diese Initiationsstelle aufgefunden, 3 lagert die RNA-Polymerase das erste Nucleosidtriphosphat an, und bildet auf diese Weise den Initiationskomplex, in dem der DNA-Doppelstrang aufgeschmolzen wird 4 . Die RNA-Polymerase ist in der Lage, zwei Einzelnucleo-

RNA-Transkription Termination rho-abhängige rho-unabhängige p-Faktor

571 46.2 · Transkription bei Prokaryonten

tide so exakt zu positionieren, dass die Polymerisation starten kann. Dabei bindet die RNA-Polymerase bevorzugt Adenosintriphosphat als erstes Nucleotid, weshalb die meisten Transkripte mit einem Adeninnucleotid beginnen. Am Anfang der Transkription bildet die RNA-Polymerase kurze RNA-Transkripte von weniger als 10 Basen Länge (abortive RNA), bevor sie den Promotorbereich der DNA verlässt und in die Elongationsphase eintritt. Es werden verschiedene Mechanismen diskutiert, wie sich die RNA-Polymerase in Richtung Transkriptionsstartpunkt bewegen kann. Das wahrscheinlichste »scrunching-Modell« geht davon aus, dass die RNA-Polymerase stationär auf dem Promotorbereich bleibt und die DNA einzelsträngig in sich hineinzieht, bis der Transkriptionsstartpunkt erreicht wird (in . Abb. 46.3 nicht gezeigt). Erreichen die Transkripte eine Länge von 10 Basen und mehr, reicht der Platz innerhalb des katalytischen Zentrums, in dem die RNA mit dem Matrizenstrang der DNA hybridisiert, nicht mehr aus. Der Sigmafaktor liegt direkt über diesem Bereich und wird von dem >10 Basen langen Transkript verdrängt 4 . Die Transkription kann in die Elongationsphase eintreten. Unterschiedliche Sigmafaktoren können die Expression verschiedener Gene bewirken und werden ihrerseits z. B. durch Modifikationen aktiviert oder inaktiviert. Der Faktor σ32 z. B., der unter Stressbedingungen exprimiert wird, bindet ausschließlich an die Promotoren von Hitzeschockproteinen. Die Elongation beginnt nach Knüpfung von etwa 10 Phosphodiesterbindungen durch Ablösung des Sigmafaktors vom Initiationskomplex. Die Elongation ist durch das core-Enzym alleine möglich. Vom Promotor aus liest die RNA-Polymerase den Matrizenstrang in 3’ 5’-Richtung ab und synthetisiert dabei die RNA in 5’,3’-Richtung mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 Nucleotiden pro Sekunde 5 . Dabei sind jeweils etwa 8–10 Nucleotide durch Basenpaarung mit dem Matrizenstrang verbunden. Falls es zu einer Basenfehlpaarung kommt, kann die RNAPolymerase die Elongation anhalten und fehlerhaft eingebaute Nucleotide am 3’-Ende durch die richtigen ersetzen. Dabei hat die Polymerase zwei Möglicheiten: 4 Beim pyrophosphorolytischen editing wird die Polymerisation einen Schritt rückgängig gemacht und das falsche Nucleotid nach Anlagerung eines Pyrophosphats abgespalten. 4 Beim hydrolytischen editing hingegen kann sich die RNAPolymerase eine oder mehrere Basen rückwärts bewegen und die fehlerhafte Sequenz hydrolytisch abspalten. Für diesen Vorgang existiert ein Kanal in der RNA-Polymerase, der diesen Rückwärtsgang möglich macht. Für die Termination muss das Ende der bei Prokaryonten häufig polycistronisch angeordneten Gene gefunden werden. Polycistronisch bedeutet, dass mehrere Gene unter der Kontrolle eines Promotors stehen. Im Prinzip sind für die Termination zwei Mechanismen realisiert, ein Rho-abhängiger und ein Rho-unabhängiger. 4 Im ersten Fall wird der Rho-Faktor (ρ) benötigt. Dieser bindet an eine ca. 70 Nucleotide lange RNA-Sequenz (RUT, Rho utilization sequence, cytosinreich und guaninarm), die

A

B

. Abb. 46.4 Inverted repeat als Terminationssignal bakterieller Gene. A In den RNA-Transkripten entsteht durch inverted repeats eine Haarnadelstruktur. B Die Haarnadelstuktur dient als Terminationssignal

sich in der Nähe der Terminationsstelle befindet. Rho bildet eine hexamere offene Ringstruktur, die sich um die RNA legen kann (. Abb. 46.3, 6a ) und sich dabei schließt. Durch Kontakt mit der RNA wird der Rho-Faktor aktiviert und bewegt sich unter ATP-Verbrauch mithilfe konzertierter Konformationsänderungen in Richtung der RNA-Polymerase. Nach seinem Kontakt mit dem RNA-Polymerase/ DNA/RNA-Hybrid kommt es durch eine Helicaseaktivität des ρ-Faktors zum Zerfall dieses Komplexes und damit zur Beendigung der Transkription 7a . 4 Der zweite Terminationsmechanismus beruht auf der Ausbildung von Haarnadelstrukturen in der RNA. Hierzu sind in den Genen Terminationssignale notwendig, die etwa 40 Basenpaare lang sind und die die in . Abb. 46.4 dargestellten Strukturmerkmale aufweisen. Sie enthalten alle auf der DNA eine GC-reiche palindromische repetitive Sequenz (inverted repeat, 7 Kap. 10.2.2), an die sich eine Serie von AT-Basenpaaren anschließt. Die RNA-Polymerase legt bei der Synthese der RNA an diesen Terminationssequenzen eine Pause ein. Durch intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen innerhalb der neusynthetisierten RNA bildet sich zwischen komplementären Basen eine Haarnadelstruktur aus (. Abb. 46.3, 6b). Der Kontakt dieser Struktur mit der RNA-Polymerase führt zu einer Konformationsänderung des Komplexes und zum Zerfall des DNA-RNA-Hybrids und somit zur Termination der Transkription 7b .

46

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

572

Zusammenfassung Bei Prokaryonten kommt i.d.R. nur eine RNA-Polymerase vor, die für die 5’,3’-Verknüpfung von Ribonucleotiden im wachsenden RNA-Molekül verantwortlich ist. Mit Hilfe eines Sigmafaktors bildet sie am Promotor den Initiationskomplex. Für die Elongation wird der Sigmafaktor nicht mehr benötigt und vom Initiationskomplex freigesetzt. Für die Termination sind der Terminationsfaktor Rho oder Haarnadelstrukturen innerhalb der neu synthetisierten RNA verantwortlich.

46.3

Transkription bei Eukaryonten

46.3.1

RNA-Polymerasen I–III

Eukaryonten besitzen drei verschiedene RNA-Polymerasen mit jeweils unterschiedlicher Funktion Im Gegensatz zu Prokaryonten kommen bei allen Eukaryonten drei verschiedene RNA-Polymerasen vor, die sich durch die Zahl der Untereinheiten, ihre Lokalisation im Zellkern und durch ihre Funktion unterscheiden (. Tab. 46.1). Die RNA-Polymerase I ist innerhalb des Zellkerns auf den Nucleolus begrenzt. Sie transkribiert dort das Gen für den 45S-Vorläufer der ribosomalen RNA. Die RNA-Polymerase II befindet sich im Zellkern und transkribiert die für Proteine codierenden Gene und verschiedene kleine RNAs. Die Transkriptionsprodukte werden gewöhnlich als PrämRNA oder hnRNA (heterogeneous nuclear RNA) bezeichnet. Die Gleichsetzung von Prä-mRNA und hnRNA ist nicht ganz korrekt, da hnRNA nicht nur die zahlreichen Prä-mRNAs im Zellkern, sondern auch alle Zwischenstufen von Spleißprodukten einer Prä-mRNA beschreibt. Die RNA-Polymerase III transkribiert schließlich alle tRNA-Gene sowie das Gen für die 5S-rRNA und einige weitere kleine RNAs. Die drei RNA-Polymerasen unterscheiden sich in ihrer Hemmbarkeit durch α-Amanitin, dem Gift des grünen Knollenblätterpilzes (Amanita phalloides, . Abb. 46.21). Während die RNA-Polymerase II bereits durch geringe Konzentrationen dieses zyklischen Oktapeptids gehemmt wird (10‒9 bis 10‒8 mol/l), ist die RNA-Polymerase I unempfindlich gegenüber α-Amanitin.

. Tab. 46.1 Eukaryontische RNA-Polymerasen Typ

46

Vorkommen

Produkt

Hemmbarkeit durch α-Amanitin

RNAPolymerase I

Nucleolus

45S-Prä-rRNA (18S, 5,8S, 28S)



RNAPolymerase II

Nucleus

Prä-mRNA (mRNA) snRNA (U1, U2, U4, U5) snoRNA

+

RNAPolymerase III

Nucleus

Prä-tRNA (tRNA) rRNA (5S) snRNA (U6) snoRNA (U3)

(+)

Zur Hemmung der RNA-Polymerase III werden relativ große Mengen des Gifts benötigt (10‒5 bis 10‒4 mol/l) (. Abb. 46.21). Alle drei eukaryontischen RNA-Polymerasen bestehen aus mindestens 10–12 Untereinheiten mit einer Molekülmasse von insgesamt etwa 500 kDa. Ohne die Anwesenheit sog. allgemeiner/basaler Transkriptionsfaktoren sind sie nicht zur Initiation der Transkription imstande. Die jeweilige Zugehörigkeit eines allgemeinen Transkriptionsfaktors zu einer RNA-Polymerase wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass an die Abkürzung für den Transkriptionsfaktor (TF) römische Ziffern angehängt werden, die mit der Nummerierung der RNA-Polymerasen übereinstimmen. Daran schließt sich ein weiterer Großbuchstabe an, der den jeweiligen Transkriptionsfaktor identifiziert. Beispiel: TFIIB = allgemeiner/basaler Transkriptionsfaktor B für die RNA-Polymerase II. Da die drei verschiedenen RNA-Polymerasen eukaryontischer Zellen für die Transkription jeweils ganz unterschiedlicher Gruppen von Genen mit unterschiedlichen Promotoren verantwortlich sind, ist es nicht erstaunlich, dass sich die Bildung der Initiationskomplexe je nach RNA-Polymerase unterscheidet. 46.3.2

Der Initiationskomplex der RNA-Polymerase II

Von der RNA-Polymerase II erkannte Promotoren besitzen hoch konservierte Sequenzmotive Die RNA-Polymerase II transkribiert alle für Proteine codierenden Gene und kann daher an zahlreiche verschiedene Promotoren binden, die bestimmte Konsensus-Sequenzen aufweisen. Die RNA-Polymerase II transkribiert daneben auch einige andere RNAs, z. B. die Pri-miRNAs (7 Abb. 47.13). In . Abb. 46.5 sind die typischen Strukturelemente von Promotoren proteincodierender Gene zusammengestellt: 4 BRE (TFIIB recognition element) 4 TATA-Box (Sequenzmotiv TATAAA) 4 Inr (Initiatorelement) 4 MTE (motif ten element) und 4 DPE (downstream promoter element) Für seine optimale Funktionsfähigkeit muss ein Promotor mindestens zwei oder drei dieser fünf Elemente enthalten.

Für die Bildung des eukaryontischen Initiationskomplexes sind allgemeine (basale) Transkriptionsfaktoren notwendig Im Gegensatz zu den prokaryontischen RNA-Polymerasen sind eukaryontische RNA-Polymerasen nicht imstande, alleine an DNA zu binden. Sie benötigen für die Bindung an die Promotoren allgemeine/basale Transkriptionsfaktoren, mit denen sie den Initiationskomplex bilden, der für die korrekte Bindung der RNAPolymerase an der Startstelle der Transkription verantwortlich ist. Darüber hinaus befinden sich proximal zum Transkriptionsstartpunkt weitere Sequenzelemente (in . Abb. 46.5 nicht dargestellt), eine CAAT-Box und mehrere GC-Boxen, an die zusätzliche Transkriptionsfaktoren binden und die die Transkriptionsinitiation stimulieren können.

573 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

. Abb. 46.5 Strukturmerkmale der Promotorregionen der von der RNA-Polymerase II transkribierten Gene. Bei den von der RNA-Polymerase II transkribierten Genen liegen upstream oder downstream des Transkriptionsstartpunkts an den angegebenen Positionen die verschiedenen KonsensusSequenzelemente. (Einzelheiten s. Text)

Der Initiationskomplex wird aus zahlreichen Transkriptionsfaktoren schrittweise aufgebaut Die Bildung des Initiationskomplexes (. Abb. 46.6) beginnt mit der Bindung des TATA-Box-Bindeproteins (TBP) an die TATABox (mit der Konsensussequenz TATAAAA) 1 . Das TBP ist eine Untereinheit des allgemeinen Transkriptionsfaktors TFIID und bindet über eine β-Faltblattstruktur in der kleinen Furche der DNA-Doppelhelix. Dies ist für Transkriptionsfaktoren untypisch – normalerweise binden diese mit einer α-Helix in der großen Furche der DNA-Doppelhelix. Durch die Bindung von TBP wird die DNA mit einem Winkel von etwa 80° geknickt (in der Abbildung nicht zu sehen) und damit die Wechselwirkungen zwischen den AT-Paaren gelockert. Im Anschluss an die Bindung von TFIID lagern sich die allgemeinen Transkriptionsfaktoren TFIIA und TFIIB an die BRESequenz an und bilden gemeinsam den DAB-Komplex (TFIID/ TFIIA/TFIIB)-Komplex 2 . TFIIB bindet dabei neben dem TBP des TFIID auch DNA-Bereiche upstream vom BRE und downstream von der TATA-Box und stellt damit den Kontakt zur RNA-Polymerase II her, die sich im nächsten Schritt an den Promotorbereich anlagert 3 . TFIIB sorgt durch eine asymmetrische Bindung an TBP für die Unidirektionalität der Transkription. TFIIF bindet dann zusammen mit der RNA-Polymerase II an den Initiationskomplex und anschließend noch die Faktoren TFIIE und TFIIH 4 . TFIIH besteht aus 10 Untereiheiten und hat eine große Molekülmasse, die in etwa der der RNA-Polymerase entspricht (in . Abb. 46.6 nicht maßstabsgerecht dargestellt). Eine TFIIH-Untereinheit hat Helicaseaktivität (7 Kap. 44) und trennt unter ATP-Verbrauch die Wasserstoffbrücken zwischen den DNA-Strängen in der Promotorregion. Der so gebildete Initiationskomplex hat inklusive der RNAPolymerase II (ca. 600 kDa) eine Molekülmasse von ca. 2.200 kDa und kann in vitro gereinigte DNA transkribieren. Für die Transkription in vivo ist darüber hinaus noch eine große Zahl weiterer Proteine notwendig, die einen Mediatorproteinkomplex 5 bilden. Sie werden u. a. dafür benötigt, um die in Nucleosomen

kondensierte DNA (7 Abb. 10.8) für die Transkription zugänglich zu machen und ihre Interaktion mit oft weit entfernten aktivierenden oder hemmenden Transkriptionsfaktoren zu ermöglichen, die an enhancer oder silencer-Elemente gebunden sind. Als enhancer bzw. silencer werden distale Sequenzelemente zwischen –1.000 bis –3.000 bp upstream vom Transskriptionsstart bezeichnet. Sie binden induzierbare und/oder aktivierbare Transkriptionsfaktoren, die meist in phosphorylierter Form verstärkend (enhancer) oder hemmend (silencer) auf die basale Transkriptionsinitiation wirken (. Abb. 46.6) 5 . Aktivierte Transkriptionsfaktoren können ihre Wirkung auf zweierlei Arten entfalten: 4 Sie binden über Mediatorproteine an den RNA-Polymerasekomplex und erhöhen dessen Bindungsaffinität zu dem aktivierten Promotor. Prominente Mediatorproteine, die auch als Coaktivatoren bezeichnet werden, sind die nahe verwandten Proteine CBP (cAMP response element binding protein) und p300, deren molekulare Massen ca. 300 kDa betragen (7 Abb. 47.4). 4 Zusätzlich können einige Transkriptionsfaktoren, aber auch einige Mediatorproteine, aufgrund ihrer intrinsischen Histon-Acetyltransferase (HAT)-Funktion das Chromatin durch Acetylierung der Histone auflockern und damit den Zugang der RNA-Polymerase zur DNA erleichtern (7 Abb. 47.4B).

Die C-terminale Domäne der RNA-Polymerase II ist für die Bildung des Initiationskomplexes wichtig Bei der Assemblierung des Initiationskomplexes spielt die C-terminale Domäne (CTD) der größten Untereinheit der RNAPolymerase II eine wichtige Rolle. Sie ist mit ca. 80 nm 7-mal länger als der Rest des Enzyms und damit in der Lage, diverse Faktoren der Elongations- und der Prozessierungmaschinerie für die RNA zu binden. Diese Faktoren sind an der CTD ideal positioniert, da sich die CTD in der Nähe des RNA-Polymeraseausgangskanals für RNA befindet (s. . Abb. 46.1).

46

574

46

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.6 Aufbau des Initiationskomplexes der RNA-Polymerase II. BRE, TF II B recognition element, CSC, cap synthesizing complex; CTD, C-terminale Domäne; Inr, Initiatorelement; in der Abbildung sind die DNA-Sequenzmotive MTE, DPE nicht und BRE vereinfacht dargestellt. (Einzelheiten s. Text)

Spleiß-Faktoren snRNPS

575 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

Die CTD besteht aus einer repetitiven Sequenz des Heptapeptids –Tyr–Ser–Pro–Thr–Ser–Pro–Ser–. Dieses Heptapeptid ist bei so unterschiedlichen Organismen wie der Hefe und dem Menschen in gleicher Weise vorhanden. Die humane RNA-Polymerase II enthält 52 (!) Kopien dieses Heptapeptids, niedere Eukaryonten verfügen über eine etwas geringere Anzahl. Seine Deletion ist letal. Die CTD wird später beim Eintritt in die Elongationsphase durch cyclinabhängige Kinasen phosphoryliert (. Abb. 46.6, 6 ), was der Rekrutierung von verschiedenen Proteinkomplexen für die Elongation der Transkription und der Modifikation von PrämRNA dient. 46.3.3

Elongation und Termination der Transkription und Prozessierung der Prä-mRNA

Für die Elongation der Transkription der für Proteine codierenden Gene sind viele Komponenten des Initiationskomplexes nicht mehr notwendig. Dafür muss die Polymerase jetzt mit Proteinen interagieren, die folgende Aufgaben haben: 4 Stimulation des Elongationsvorgangs 4 Anheftung der 5’-cap-Gruppe 4 Rekrutierung der Komponenten des Spleißapparats (s. u.) 4 Termination der Transkription und die Anheftung der für mRNA typischen Poly(A)-Sequenz Auch hier spielt die C-terminale Domäne (CTD) der RNA-Polymerase II eine entscheidende Rolle. In jedem der 52 Heptapeptide (Tyr–Ser–Pro–Thr–Ser–Pro–Ser) befinden sich drei Serinreste, von denen zwei (an den Positionen 2 und 5) durch spezifische Proteinkinasen phosphoryliert bzw. durch entsprechende Phosphatasen dephosphoryliert werden können. Eine Phosphorylierung der CTD an Ser 5 des Heptapeptids führt dazu, dass sich die Initiationsfaktoren und Mediatoren von der RNA-Polymerase II ablösen und Elongationsfaktoren aufgrund ihrer höheren Affinität für phosphorylierte Heptapeptidsequenzen anlagern können (. Abb. 46.6, 6 ). Die für die Phosphorylierung der CTD verantwortlichen Proteinkinasen gehören in die Gruppe der cyclinabhängigen Proteinkinasen (Cdks, 7 Kap. 43). Im Einzelnen handelt es sich um die Komplexe aus Cdk7/Cyclin H, Cdk8/Cyclin C und Cdk9/Cyclin T. Cdk7 ist dabei eine Untereinheit des Transkriptionsfaktors TFIIH. Im Gegensatz zu den in 7 Kap. 43 besprochenen Cyclinen A, B, D und E machen die Cycline H, C und T keine Konzentrationsänderungen während des Zellzyklus durch. Für die Dephosphorylierung der CTD ist die Proteinphosphatase Fcp1 (TFIIF-assoziierte CTD-Phosphatase 1) erforderlich. Darüber hinaus existieren weitere Elongationsfaktoren. Die Phosphorylierung der CTD an Ser 5 ist auch das Signal zur Bindung von Komponenten des cap-synthesizing complexes (CSC, 7 ). Eine Phosphorylierung der CTD an Serinen des Heptapeptids in Position 2 führt im weiteren Verlauf zur Bindung von Faktoren, die eine Prozessierung der RNA ermöglichen (Spleißfaktoren, 8 ). Beim Spleißen werden bestimmte nicht-codierende RNA-Bereiche (Introns) herausgeschnitten.

. Abb. 46.7 Transkriptionsphasen und die verschiedenen rekrutierten RNAProzessierungsfaktoren der RNA-Polymerase II in Abhängigkeit des Phosphorylierungszustandes des Heptapeptids der CTD. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Watson 2010, © Pearson Studium)

Schließlich werden an der CTD Faktoren gebunden, die an der Polyadenylierung am 3’-Ende der mRNA beteiligt sind 9 . Anschließend zerfällt der Komplex und die fertig prozessierte mRNA, die Spleißfaktoren und die Komponenten der Polyadenylierungsmaschinerie werden freigesetzt 10 . . Abb. 46.7 zeigt zusammenfassend die verschiedenen rekrutierten RNA-Prozessierungsfaktoren in Abhängigkeit vom Phosphorylierungszustand der CTD.

Die Elongation findet in Anwesenheit von Histonen statt Da DNA im Zellkern gebunden an Histone als Chromatin vorliegt, muss sie von den Histonen abgelöst werden, damit die Elongation der Transkription stattfinden kann. Für diese Ablösung der DNA sind verschiedene Mechanismen bekannt. Einer dieser Mechanismen ist in . Abb. 46.8 gezeigt. Der Faktor FACT (facilitates chromatin transcription) ist ein Heterodimer und besteht aus Spt16 (suppressor of Ty factors) und SSRP1 (structure specific recognition protein 1). Chromosomale DNA enthält in ihren oktameren Nucleosomenkernen H2A/H2B-Histon-Dimere und H3/H4-Histontetramere (7 Kap. 10.2). Spt16 bindet an H2A/H2B-Dimere und SSRP1 an H3/H4-Tetramere. Das Heterodimer FACT ist in der Lage, während der Elongationsphase in einem ersten Schritt ein H2A/H2B-Dimer zu entfernen und nach erfolgtem Durchlauf der RNA-Polymerase II wieder einzubauen.

5’-capping, Spleißen und 3’-Polyadenylierung erfolgen cotranskriptional Anheftung der 5’-cap-Gruppe mRNA-Moleküle tragen ein methyliertes Guaninnucleotid am 5’-Ende, welches auch als 5’-cap (Kappe oder Kopfgruppe) bezeichnet wird (. Abb. 46.9B). Die einzelnen Schritte, die zu dieser Modifikation führen, sind in . Abb. 46.9A dargestellt: 4 Durch eine RNA-Triphosphatase wird am 5’-Nucleosidtriphosphatende der Prä-mRNA der γ-Phosphatrest abgespalten, sodass ein Diphosphat-Ende entsteht. 4 Eine Guanylyltransferase heftet aus einem GTP unter Pyrophosphatabspaltung ein GMP an, wobei eine ungewöhnliche 5’ 5’-Triphosphatverknüpfung entsteht. 4 Methyltransferasen methylieren schließlich mit S-Adenosylmethionin (SAM, 7 Kap. 27.2.4) das angeheftete Guanin-

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576

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.8 Elongation der RNA-Polymerase II vermittelten Transkription in Anwesenheit von Histonen. Rolle des Elongationsfaktors FACT (SSRP1/ Spt16) bei der Elongation der Transkription von Chromatin. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Watson 2010, © Pearson Studium)

A

B

stehenden Prä-mRNA in Kontakt mit der CTD der RNA-Polymerase II. Das capping findet bereits kurz nach dem Beginn der Elongationsphase statt, also etwa nach Synthese der ersten 20 Nucleotide der Prä-mRNA. Danach fallen die für die Anheftung der cap-Gruppe benötigten Enzymaktivitäten von der CTD ab, da deren Phosphorylierungsmuster sich ändert (. Abb. 46.6). Die cap-Gruppe der mRNA hat eine Reihe wichtiger Funktionen: 4 Sie schützt die entstehende mRNA vor dem Abbau durch Nucleasen. 4 Sie ist ein Signal für den Transport der mRNA durch die Kernporen ins Cytosol. 4 Sie wird von der kleinen ribosomalen 40 S-Untereinheit gebunden und ist damit ein wesentliches Element bei der Initiation der Translation (7 Kap. 48). Die meisten Gene höherer Eukaryonten sind diskontinuierlich und müssen gespleißt werden 1977 wurde in den Laboratorien

. Abb. 46.9 Biosynthese (A) und Struktur (B) der 5’-cap-Gruppe der Prä-mRNA. (Einzelheiten zur Biosynthese s. Text). (Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)

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nucleotid in Position 7 und gelegentlich auch Ribosereste am 2’-OH der beiden folgenden Nucleotide. Diese drei beteiligten Enzyme bilden den cap synthesizing complex (CSC) und liegen assoziiert mit der phosphorylierten CTD der RNA-Polymerase II vor. Über einen weiteren Proteinkomplex, den cap-binding complex (CBC), bleibt das 5’-Ende der ent-

von Richard Roberts und Phil Sharp unabhängig voneinander entdeckt, dass Gene eukaryontischer Zellen diskontinuierlich auf der DNA angeordnet sind. Dies ergab sich aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen von Hybriden zwischen der Ovalbumin-mRNA und dem Ovalbumin-Gen. Wie schematisch in . Abb. 46.10A dargestellt, fanden sich nach Hybridisierung DNA-Schleifen (A-G), die nicht mit der mRNA in Wechselwirkung traten. Aus diesem Ergebnis musste geschlossen werden, dass das Gen für Hühnerovalbumin nicht-codierende »intervenierende« Sequenzen enthält. Diese nicht-codierenden Sequenzen werden als Introns (grau in . Abb. 46.10A) bezeichnet, die in der mRNA erscheinenden und damit exprimierten Sequenzen als Exons (rot in . Abb. 46.10B). Die RNA-Polymerase II kann

577 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

A

B

. Abb. 46.10 Hybridisierung der Ovalbumin-DNA mit seiner mRNA. A Schematische Darstellung des DNA-mRNA-Hybrids; B Transkription des Ovalbumin-Gens und Spleißen der Prä-mRNA; bp, Basenpaare; Nt, Nucleotide. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)

nicht zwischen Exons und Introns unterscheiden. Deswegen müssen die Introns (hellrot) aus der mit einer 5’-cap-Gruppe (grün) versehenen Prä-mRNA entfernt werden. Dieser Vorgang wird auch als Spleißen der Prä-mRNA (pre-mRNA splicing) bezeichnet und beinhaltet die Entfernung der Introns und die basengenaue Verknüpfung der Exons (rot). Häufig können Prä-mRNAs auf verschiedene Weise gespleißt werden, sodass unterschiedliche mRNAs entstehen, die wiederum in der Translation (7 Kap. 48) mehrere alternative Genprodukte hervorbringen können. Diesen Vorgang nennt man alternatives Spleißen; er wird später noch genauer beschrieben (7 Kap. 47.2.3). Mechanismus des Spleißens Das korrekte Entfernen der nicht-

codierenden Sequenzen aus der Prä-mRNA und das Zusammenfügen der Exons zur funktionsfähigen mRNA ist ein komplizierter Prozess, der mit höchster Genauigkeit ablaufen muss. Auslöser für den Spleißprozess und die Rekrutierung der benötigten Spleißfaktoren (snRNPs) ist die Phosphorylierung der Ser2-Reste in den Heptapeptidsequenzen der CTD der RNA-Polymerase II (. Abb. 46.6, 8 ). Von großer Bedeutung für das Spleißen sind dabei die in . Abb. 46.11 dargestellten Sequenzen an den Exon/Intron-Übergängen sowie im Intron. Vom Intron aus gesehen unterscheidet man eine 5’- und eine 3’-Spleißstelle sowie eine spezifische Sequenz im Inneren des Introns, innerhalb derer ein Adenin (A)-

Rest als spätere Verzweigungsstelle von großer Bedeutung ist. Die 5’-Spleißstelle ist durch die Basenfolge AGGUA/GAGU, die 3’-Spleißstelle durch eine pyrimidinreiche Sequenz, gefolgt von AGG, gekennzeichnet. . Abb. 46.12 stellt das bei allen Spleißvorgängen in menschlichen Zellen zugrunde liegende Prinzip dar. Dieses beruht auf zwei Umesterungen. Die freie 2’-OH-Gruppe des innerhalb des Introns lokalisierten Adeninnucleotids greift die Phosphodiesterbindung am 5’-Exon-Intron-Übergang an. Dadurch kommt es an dieser Stelle zum Bruch des RNA-Strangs; im Intron bildet sich durch diesen Vorgang eine Lasso-Struktur (lariat), die durch eine 2’,5’-Phosphodiesterbindung charakterisiert ist. Das entstandene freie 3’-OH-Ende des ersten Exons greift nun in einer zweiten Umesterungsreaktion am 3’-Übergang zum Exon 2 an, wodurch das Intron entfernt wird und die beiden Exons verknüpft werden. Das Spleißen erfordert keine Zuführung von Energie, da die Freie Energie jeder gespaltenen Phosphodiesterbindung erhalten bleibt. Aufbau des Spleißosoms Trotz eines einheitlichen Prinzips wird das Spleißen der Prä-mRNA in verschiedenen Organismen mechanistisch auf unterschiedliche Weise gelöst. Im Prinzip ist für die Katalyse des Spleißvorgangs kein spezifisches Protein notwendig. Vielmehr hat die RNA selbst die nötige katalytische Aktivität. Die Raumstruktur der RNA, die durch die Basensequenz und durch die innerhalb eines Strangs vorkommenden Basen-

. Abb. 46.11 Konservierte Sequenzen an den Exon/Intron-Übergängen und in den Introns. (Einzelheiten s. Text)

5’-Spleißstelle 3’-Spleißstelle

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Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.12 Mechanismus des Spleißens. Y, beliebige Pyrimidinbase. (Einzelheiten s. Text)

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paarungen definiert ist, bildet eine wesentliche Voraussetzung für das richtige Auffinden der Spleißstellen. Ein derartiges proteinfreies Spleißen von RNA-Molekülen ist allerdings bisher nur bei einfachen Eukaryonten nachgewiesen worden. Es hat sich damit gezeigt, dass auch RNA-Moleküle katalytische Eigenschaften besitzen, diese also nicht auf die Proteine beschränkt sind. In Analogie zu den als Proteine vorliegenden Enzymen nennt man katalytisch aktive RNA-Moleküle auch Ribozyme (7 Kap. 7.4). Bei höheren Eukaryonten ist für das korrekte Spleißen der Prä-mRNA allerdings ein sehr komplexer Apparat notwendig, bei dem Ribonucleoproteine, d. h. Komplexe aus Proteinen und RNA, benötigt werden. Diese Komplexe lagern sich zu dem sog. Spleißosom zusammen. . Abb. 46.13 zeigt schematisch die am Spleißosom stattfindenden Vorgänge. Für das Spleißen werden kleine RNA-Moleküle, die snRNAs (small nuclear RNAs), benötigt. Diese liegen im Komplex mit Proteinen vor und werden als snRNPs (small nuclear ribonucleoproteins, sprich »snörps«) bezeichnet. Die Entfernung eines Introns zwischen zwei Exons (Exon 1 und 2 in . Abb. 46.13) erfolgt in folgenden Schritten: 4 An das 5’-Ende des Introns lagert sich das U1-snRNP an 1 . Die notwendige Genauigkeit dieser Anlagerung wird durch Basenwechselwirkungen zwischen der Konsensus-Sequenz auf der Prä-mRNA und dem RNA-Anteil von U1 gewährleistet. 4 Nachdem BBP (branch point binding protein, kein snRNP) an die Verzweigungsstelle und das Protein U2AF (U2 auxiliary factor, kein snRNP) an das 3’-Ende des Introns gebunden haben, kann das U2-snRNP das BBP verdrängen und an der Verzweigungsstelle assemblieren. Sowohl BBP als

4

4 4

4

4

auch U2AF sind als non-snRNPs RNA-frei 2 . Auch bei U2 sind für das korrekte Auffinden der Verzweigungsstelle Basenpaarungen zwischen der Prä-mRNA und dem RNA-Anteil von U2 notwendig. Allerdings bleibt dabei das für die spätere Umesterung benötigte »A« (rot) ungepaart. Jetzt lagern sich die U4-, U5- und U6-snRNPs an den Komplex an 3 . U4 und U6 werden dabei durch komplementäre Basenpaarung ihrer RNA-Komponenten zusammengehalten, U5 ist nur durch eine schwächere Protein-ProteinWechselwirkung assoziiert. U1 wird abgespalten und an der 5’-Spleißstelle durch U6 ersetzt. U4 wird vom Komplex freigesetzt und eine Interaktion von U6 mit U2 durch RNA-RNA-Basenpaarung ermöglicht. Diese Konstellation ist notwendig, damit die beiden Spleißstellen, d. h. die 2’-OH-Gruppe des Adenin-Nucleotids an der Verzweigungsstelle und das 5’-Ende des Introns miteinander reagieren können (1. Umesterung 4 ). Die 2. Umesterung wird durch das U5-snRNP katalysiert, welches die beiden Exons in unmittelbare Nachbarschaft bringt. Dadurch wird der nucleophile Angriff der freien 3’-OH-Gruppe von Exon 1 auf die Phosphodiesterbindung am Übergang vom Intron zum Exon 2 ermöglicht 5 . Der Spleißvorgang wird dadurch abgeschlossen, dass das zum Lasso verknüpfte Intron zusammen mit den Spleißfaktoren abdissoziiert 6 . Die Intron-RNA wird abgebaut oder prozessiert, wobei die Spleißfaktoren freigesetzt und für den nächsten Spleißzyklus bereitgestellt werden. Bestimmte Intronbereiche können für snRNAs, miRNAs oder andere regulative RNAs codieren (7 Kap. 47.2.5).

579 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

. Abb. 46.13 Mechanismus des Spleißens in höheren Eukaryonten durch das Spleißosom. BBP, branch point binding protein; U2AF, U2-auxiliary factor; Y, beliebige Pyrimidinbase; , Pseudouridin. (Einzelheiten s. Text)

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Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

Poly(A)-Signalsequenz

mRNA-Spaltung Poly(A)-Signalsequenz

mRNA

Xrn2

Poly(A)-Polymerase (PAP)

uncapped 5’-Ende

n PPi

Poly(A)-Bindeprotein (PABP II) Xrn2

. Abb. 46.14 Mechanismus der Polyadenylierung der mRNA und »Torpedomodell« der eukaryontischen Transkriptionstermination. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Watson 2010, © Pearson Studium)

Übrigens RNAs können als Ribozyme enzymatische Eigenschaften aufweisen

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1982 entdeckten Thomas Cech und Mitarbeiter, dass bestimmte RNA-Moleküle in dem Protozoon Tetrahymena thermophila in der Lage sind, sich selbst zu spleißen, ohne Zuhilfenahme von Proteinen. Man spricht hier von autokatalytischem Spleißen oder self-splicing. Für diese Entdeckung wurde Thomas Cech gemeinsam mit Sidney Altman 1989 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Heute weiß man, dass jede Zelle zahlreiche katalytisch aktive RNA-Moleküle besitzt, die die unterschiedlichsten Reaktio6

nen katalysieren können und allgemein als Ribozyme bezeichnet werden. So sind beispielsweise die 23S-rRNA der pro- und die 28S-rRNA der eukaryontischen Ribosomen in der Lage, im Rahmen der Proteinbiosynthese als Peptidyltransferase Peptidbindungen zu knüpfen (7 Kap. 48.1.4). Auch bei der Frage nach der Entstehung des Lebens liefern die katalytischen Eigenschaften der RNA einen wichtigen Beitrag: Man geht davon aus, dass erste Lebensformen einmal in einer RNA-Welt entstanden sein könnten, in der Ribozyme wichtige Reaktionen katalysiert haben (RNA-Welt-Hypothese). Erst im Laufe der Evolution wurden nach dieser Theorie die enzymatischen Aktivitäten von Proteinen übernommen.

581 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

Das Spleißen erfolgt cotranskriptional. Die Anheftung der für den Spleißvorgang benötigten snRNPs sowie einer großen Zahl weiterer Proteine (insgesamt etwa 150!) zum Spleißosom wird vom Phosphorylierungs-/Dephosphorylierungsmuster der Cterminalen Domäne (CTD) der RNA-Polymerase II gesteuert. Durch die erreichte räumliche Nähe von primär transkribierter RNA und den snRNPs wird eine schnelle Reaktion aller beteiligten Komponenten sichergestellt; abgespaltene snRNPs können dann leicht in den nächsten Spleißzyklus eintreten. Zur spezifischen Erkennung von RNA besitzen viele RNAbindende Proteine ein RRM (RNA-recognition motif), das aus 80‒90 Aminosäuren besteht und ein viersträngiges antiparalleles Faltblatt ausbildet. Im Gegensatz zu DNA-bindenden Proteinen, die oft in der großen Furche der DNA-Doppelhelix binden, interagieren RNA-bindende Proteine mit flexiblerer einzelsträngiger RNA. Ein typisches Beispiel für ein derartiges Protein ist der U1-snRNP-Komplex. An das 3’-Ende der Prä-mRNA wird eine Poly(A)-Sequenz angehängt Der letzte cotranskriptionale Vorgang führt zu einer Spal-

tung der synthetisierten Prä-mRNA an ihrem 3’-Ende, das anschließend einer weiteren Modifikation unterzogen wird (. Abb. 46.14, links). Diese besteht in der Anheftung von 50 bis mehr als 200 Adenylresten, dem sog. Poly(A)-Ende bzw. Poly(A)-Schwanz. Das Signal für die Polyadenylierung ist eine spezifische Sequenz in der naszierenden Prä-mRNA, die aus den sechs Basen AAUAAA besteht und als Polyadenylierungssequenz bezeichnet wird. Zu diesem Zeitpunkt hat sich das Phosphorylierungsmuster der C-terminalen Domäne der RNA-Polymerase II erneut geändert. Dies löst folgende Vorgänge aus: 4 Spaltung der Prä-mRNA 10–30 Nucleotide downstream von der Polyadenylierungssequenz durch den Endonucleasekomplex aus CstF (cleavage stimulation factor) und CPSF (cleavage and polyadenylation specificity factor) 4 Ablösung von CstF 4 Bindung der Polyadenylatpolymerase (PAP) am 3’-Ende und Polyadenylierung 4 Anlagerung des Poly(A)-Bindeproteins PABP II (Poly(A) tail binding protein II) und Freisetzung von PAP und CPSF Die Poly(A)-Sequenz der mRNA schützt die entstehende RNA vor dem Abbau durch Nucleasen und bestimmt somit die Halbwertszeit der mRNA. Die Termination der Transkription in Eukaryonten ist erst ansatzweise aufgeklärt Im Unterschied zur Transkriptionstermination

bei Prokaryonten sind die Vorgänge, die zur Termination der Transkription bei Eukaryonten führen, noch nicht vollständig verstanden. Nach dem sog. »Torpedomodell« wird trotz der Wirkung der Endonuclease CstF und resultierender Abspaltung der mRNA (. Abb. 46.14, links) die RNA-Transkription fortgesetzt. Die Exonuclease Xrn2 (5’,3’-Exoribonuclease 2) sorgt dafür, dass die nach dem Polyadenylierungssignal abgeschnittene, aber weitertranskribierte RNA (. Abb. 46.14, rechts) in 5’,3’-Richtung wieder abgebaut wird – und zwar schneller, als die RNA-Polymerase II auf der DNA entlangläuft. Dieser exonucleolytische Abbau ist möglich, da das 5’-Ende der RNA hier keine cap-Grup-

. Abb. 46.15 Transkription durch die RNA-Polymerase I. (Einzelheiten s. Text)

pe trägt. Die Transkription findet über die gesamte zu transkribierende Sequenz mit unterschiedlicher Geschwindigkeit statt; in den Terminationsregionen scheint sie sich zu verlangsamen und damit der Xrn2 die Gelegenheit zu geben, die RNA-Polymerase einzuholen. Erreicht die Exonuclease Xrn2 die Transkriptionsblase auf der DNA, kommt es zum Abbruch der Transkription und zum Zerfall des DNA-RNA-Polymerasekomplexes. 46.3.4

Transkription durch die RNA-Polymerasen I und III

Die RNA-Polymerase I transkribiert die Gene der ribosomalen RNA. Der zugehörige Promotor besteht aus zwei Teilen, einem sog. core-Promotor im Bereich der Startstelle der Transkription und einem Kontrollelement UCE (upstream control element), das 100–150 Basenpaare upstream der Startstelle gelegen ist (. Abb. 46.15). Beide Promotorregionen sind, anders als der Promotor der RNA-Polymerase II, reich an GC-Basenpaaren. Der Transkriptionsfaktor UBF1 (upstream binding factor 1) bindet zunächst an das UCE-Kontrollelement und wandert von dort zum core-Promotor. In der Folge werden der Transkriptionsfaktor SL1 und die RNA-Polymerase I rekrutiert; sie bilden gemeinsam den Initiationskomplex. Die Prozessierung der Primärtranskripte ribosomaler RNA Die Bildung ribosomaler RNA-Moleküle bei Eukaryonten entspricht im Prinzip derjenigen bei Prokaryonten. Gene für rRNA finden sich in vielen hundert Kopien im Genom und sind in Form großer Vorläufermoleküle vorhanden. E. coli besitzt drei verschiedene rRNAs: 5S-, 16S- und 23SrRNA, die aus langen Vorläufermolekülen mit Hilfe von verschiedenen RNasen entstehen. Weitere Verkürzungen und Methylierungen erfolgen erst, wenn die rRNAs bereits mit ribosomalen Proteinen assembliert sind: Die 5S- und die 23S-rRNA bilden gemeinsam mit ca. 34 verschiedenen Proteinen die große 50S-Untereineit des prokaryontischen Ribosoms, die 16S-rRNA gemeinsam mit 21 verschiedenen Proteinen die kleine 30S-Untereinheit. Gemeinsam bilden kleine 30S- und große 50S-Untereinheit das prokaryontische 70S-Ribosom mit einer molekularen Masse von 2,5 MDa (. Abb. 46.16, oben). Bei Eukaryonten findet man im Vergleich dazu in der großen ribosomalen Untereinheit 28S-, 5S-, 5,8S-rRNA, die zusammen mit 50 Proteinkomponenten die große Untereinheit bilden. 18SrRNA und ca. 33 Proteinkomponenten assemblieren zur kleinen Untereinheit. Beide Untereinheiten assoziieren im Laufe der

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Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.16 Bausteine der pro- und eukaryontischen Ribosomen. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Lodish 2001)

Translation (7 Kap. 48) zum eukaryontischen 80S-Ribosom mit einer molekularen Masse von 4,2 MDa (. Abb. 46.16, unten). Die 28S-, 5,8S- und 18S-rRNA Bausteine der eukaryontischen Ribosomen werden aus einer 45S-Vorläufer rRNA prozessiert. Es finden in einer konzertierten Reaktion verschiedene Prozesse statt (. Abb. 46.17): 4 die für die eukaryontische rRNA charakteristischen 18S-, 28S- und 5,8S-rRNA-Moleküle werden sequentiell zurechtgeschnitten (rote Pfeile), 4 an den 2’-OH-Gruppen der Ribosereste finden umfangreiche Modifikationen wie Methylierungen, die in den späteren rRNA-Molekülen erhalten bleiben, sowie Umwandlungen von Uridinen zu Pseudouridinen statt.

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Die beschriebenen Spalt- und Modifikationsprozesse der rRNA finden in sog. 90S Prä-Ribosomen statt. Diese bestehen aus ribosomalen Proteinen und snoRNAs (small nucleolar RNAs), die die Modifikationen und z. T. die Spaltprozesse katalysieren. Die Komplexe aus snoRNAs und diesen Proteinen nennt man snoRNPs (small nucleolar ribonucleoproteins, sprich »snorps«). Die snoRNAs enthalten 10‒21 Nucleotide lange RNA-Sequenzen, die 100 % komplementär zu bestimmten Sequenzen der zu prozessierenden rRNA sind. Die eukaryontische 5S-rRNA wird durch die RNA-Polymerase III synthetisiert und auf ähnliche Weise wie die tRNAs prozessiert (s. u.).

Die RNA-Polymerase III ist hauptsächlich für die Transkription der tRNA zuständig Die RNA-Polymerase III ist neben der tRNA-Synthese auch für die Transkription der 5S-rRNA sowie der snRNAs und der snoRNAs zuständig. Sie ist deutlich einfacher reguliert als die

. Abb. 46.17 Entstehung von 18S-, 28S- und 5,8S-rRNA durch Prozessierung eukaryontischer nucleolärer 45S Prä-rRNA. Die roten Pfeile markieren die verschiedenen Spaltstellen im Verlauf der Prozessierung. Die 5S-rRNA wird von der RNA-Polymerase III synthetisiert und ist deshalb nicht abgebildet. (Einzelheiten s. Text)

RNA-Polymerase II. Einige der Promotoren für die tRNA- und 5S-rRNA-Gene liegen innerhalb der codierenden Sequenz downstream des Transkriptionsstartpunkts (. Abb. 46.18). Dagegen sind die Promotoren für die snRNA wie die Promotoren anderer Gene upstream des Startpunktes der Transkription lokalisiert. Die Promotoren der RNA-Polymerase III, die die Transkription von tRNA regulieren, enthalten zwei downstream gelegene Regionen (BoxA und BoxB). Die für die 5S-rRNA codierenden Gene enthalten die BoxA und BoxC (in der Abbildung nicht gezeigt). Wie die RNA-Polymerasen II und I benötigt auch die RNAPolymerase III Transkriptionsfaktoren. So sind TFIIIB und TFIIIC am Initiationskomplex für die Transkription von tRNAGenen beteiligt. TFIIIB enthält ein TBP (TATA-Bindeprotein) als Untereinheit, bindet in der Nähe des Trankriptionsstartpunkts

583 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

RNA-Polymerase II ähnliche Signale verantwortlich wie bei prokaryontischen Genen.

Weitere Arten von RNA haben spezielle Funktionen . Abb. 46.18 Transkription durch die RNA-Polymerase III. Dargestellt ist die Situation bei der Transkription von tRNA. Nicht gezeigt ist TFIIIA, das an BoxA und BoxC bindet, und bei der Transkription von 5S-rRNA involviert ist (Einzelheiten s. Text).

häufig an eine TATA-Box und rekrutiert die RNA-Polymerase III. TFIIIC hingegen bindet die downstream gelegenen BoxA und BoxB, der bei der Transkription von 5S-rRNA beteiligte TFIIIA an BoxA und die ebenfalls downstream gelegene BoxC. Prozessierung der tRNA-Primärtranskripte In den meisten Zellen finden sich 41 unterschiedliche tRNA-Moleküle, die in multiplen Kopien im Genom codiert sind. Die tRNAs entstehen aus längeren RNA-Transkripten, die von Nucleasen prozessiert werden müssen (. Abb. 46.19). Die Endonuclease RNase P entfernt Polyribonucleotide am 5’-Ende der tRNA-Vorläufermoleküle und ist ein ubiquitär vorkommendes Enzym. Es benötigt zu seiner Funktion ein spezifisches RNA-Molekül, welches durch die Bindung an das RNA-Substrat und damit dessen korrekte Ausrichtung für die katalytische Aktivität essentiell ist und sogar in Abwesenheit des Proteinanteils wirkt. Damit gehört die RNase P zu den Ribozymen. Nach der Entfernung von zwei Nucleosidmonophosphaten am 3’-OH-Ende durch die RNase D erfolgt schließlich die Anheftung der für alle tRNA-Moleküle typischen CCA-Sequenz durch die tRNA-Nucleotidyltransferase. Dann erfolgen die für die tRNA spezifischen Methylierungen und die Modifikationen von Uridinen zu Pseudouridinen, schließlich werden Teile der tRNA in einem Spleißprozess herausgeschnitten. Für die Termination der Transkription eukaryontischer Gene sind bei der RNA-Polymerase I und III im Unterschied zur

Die Anzahl neu entdeckter RNAs mit speziellen Funktionen nimmt ständig zu. Die oben beschriebenen snRNAs (Spleißen von Prä-mRNA) und snoRNAs (rRNA-Prozessierung) (vgl. . Tab. 46.1) müssen auch aus einem Vorläufermolekül prozessiert werden. SnoRNAs befinden sich oft in den Introns anderer Gene und können nach deren Spleißen ihrerseits direkt in ihre funktionellen Teile gespalten werden. snRNA Moleküle werden als Prä-snRNAs durch die RNA-Polymerase III synthetisiert und anschließend prozessiert. MicroRNAs (miRNAs) sind eine eigene Klasse von RNA-Molekülen, die in die Genregulation eingreifen können: Sie sind nicht-codierend, aber komplementär zu bestimmten mRNA-Regionen. Dadurch können sie deren Translation direkt oder durch Initiieren des Abbaus der mRNA mit Hilfe von Enzymkomplexen regulieren (7 Kap. 47.2.5). Bis zu 1 % des menschlichen Genoms codiert für miRNA. Es gibt Schätzungen, dass ca. 30 % der Gene beim Menschen durch miRNAs reguliert werden können. MicroRNAs entstehen ebenfalls aus Vorläufermolekülen. 46.3.5

Inhibitoren der Transkription

Eine Reihe von Hemmstoffen der Transkription, darunter auch einige Antibiotika, haben sich als wertvolle Hilfsmittel bei der Aufklärung der molekularen Mechanismen dieses Vorgangs erwiesen. Darüber hinaus haben sie auch Eingang in die Therapie gefunden. Actinomycin D Das Antibiotikum Actinomycin D (. Abb. 46.20) hemmt in niedrigen Konzentrationen die Transkription, in höheren auch die Replikation. Der planare Teil des Moleküls (gelb)

. Abb. 46.19 Prozessierung von eukaryontischer tRNA (Beispiel Tyrosin-tRNA). Durch Prozessierung der primären Transkripte von tRNA-Genen durch RNase P, RNase D, tRNA-Nucleotidyltransferase und Spleißen entstehen die tRNAs. D, Dihydrouridin; Ψ, Pseudouridin; mC, mG, methylierte Basen. (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Nelson, Cox 2011)

46

584

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

A

B

α-Amanitin, ein zyklisches Oktapeptid (. Abb. 46.21), ist ein spezifischer Inhibitor der eukaryontischen RNA-Polymerase II (in höheren Dosen auch der RNA-Polymerase III) (. Tab. 46.1). Es bindet im aktiven Zentrum der RNA-Polymerase II, blockiert den NTP-Eintrittskanal (. Abb. 46.1) und ist für die Giftwirkung des grünen Knollenblätterpilzes verantwortlich. Bei der Knollenblätterpilzvergiftung steht im Vordergrund, dass es zunächst in der Leber die Transkription hemmt. Es kommt aus diesem Grund zu einer akuten Zerstörung des Leberparenchyms. Auf die RNAPolymerase I, bakterielle Polymerasen und natürlich auf die RNA-Polymerase des Knollenblätterpilzes hat α-Amanitin keine Wirkung. Eine Reihe einfacher von 4-Oxochinolin-3-Carbonsäure abstammender Verbindungen sind wirksame Hemmstoffe der prokaryontischen DNA-Gyrase (7 Kap. 10). Wegen der Wirkung derartiger Gyrasehemmstoffe auf die bakterielle Replikation und Transkription werden diese zur Therapie eines breiten Spektrums bakterieller Infekte (z. B. Tuberkulose, Meningokokkeninfektionen) eingesetzt. 46.3.6

mRNA Export aus dem Zellkern

Die reifen mRNA-Moleküle müssen zur Proteinbiosynthese ins Cytosol transportiert werden

. Abb. 46.20 Actinomycin D interkaliert zwischen zwei benachbarten GC-Paaren. A Strukturformel (Sar: Sarkosin (Methylglycin)), L-Pro: L-Prolin, L-Thr: L-Threonin, D-Val: D-Valin, L-meVal: methyliertes L-Valin. B Raumstruktur des Komplexes von Actinomycin D mit DNA. Der planare Teil (gelb unterlegt) interkaliert mit GC-Paaren doppelsträngiger DNA, die cyclischen Peptide sind rot dargestellt. PDB ID: 2D55

46

schiebt sich zwischen GC-Paare doppelsträngiger DNA. Die sich dadurch ergebende Verformung der DNA führt zur Hemmung der Transkription. Aus dem Wirkungsmechanismus wird verständlich, dass Actinomycin D Replikation und Transkription sowohl bei Pro- als auch bei Eukaryonten hemmt. Rifampicin Die prokaryontische RNA-Polymerase wird selektiv

von Rifampicin gehemmt, da es an die katalytische β-Untereinheit dieses Enzyms bindet. Da das entsprechende Enzym der Eukaryonten unbeeinflusst bleibt, wird Rifampicin zur Therapie bakterieller Infektionen angewandt.

Der Export von mRNA, aber auch aller anderen extranucleären RNAs aus dem Zellkern muss sehr selektiv sein. Es dürfen nur diejenigen RNA-Moleküle exportiert werden, die korrekt prozessiert worden sind; ein Export nicht korrekt prozessierter RNAMoleküle könnte die Proteinbiosynthese (7 Kap. 48) stören. Die Menge der korrekt prozessierten RNA ist wesentlich geringer als die der nicht-funktionsfähigen RNA. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der proteincodierenden mRNA. Bei einem durchschnittlichen Vertebraten-Gen ist die Menge an nicht für Proteine codierenden Sequenzen, also an Introns, viel größer als diejenige an codierenden Sequenzen (7 Kap. 10). Dies bedeutet, dass während des Spleißvorgangs wesentlich mehr Intron-RNA als gespleißte und mit cap-Gruppen und Poly(A)-Sequenz ausgestattete mRNA entsteht. Für den mRNA-Export aus dem Zellkern sind folgende Vorgänge von Bedeutung: 4 Die reife mRNA muss Transport-kompetent mit spezifischen Proteinen markiert werden. Hierfür stehen eine Reihe von Proteinen zur Verfügung, die im Wesentlichen nach capping, Spleißen und Polyadenylierung an die entstehende mRNA gebunden werden (. Abb. 46.22) und nucleäre Exportsignale (NES) tragen können (7 Kap. 12.2) 4 Gleichzeitig binden an nicht funktionsfähige RNA Retentionsfaktoren, die einen Export verhindern. Diese erkennen z. B. zu kurze oder fehlende Poly(A)-Sequenzen (. Abb. 46.22, links) An die als Export-kompetent markierte mRNA lagern sich die für die Wechselwirkung mit dem Kernporenkomplex notwendigen Proteine an. Für den Export der mRNA sind neben den capund Poly(A)-Bindungsproteinen (CBP und PABP II) u. a. die nucleären RNA-Exportfaktoren Nxf1 (nuclear RNA export fac-

585 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

A

B

. Abb. 46.21 α-Amanitin. A Grüner Knollenblätterpilz (© Ak_ccm.com/CC-licence 3.0 by-sa); B α-Amanitinstruktur, vereinfachte Darstellung des zyklischen Oktapeptids, die roten Striche kennzeichnen die acht Peptidbindungen

tor), TAP (Tip associated protein) und REF (RNA export factor) notwendig. Erst nach Bildung eines derartigen messenger-Ribonucleoprotein-(mRNP)-Komplexes kann der Export durch die Kernpore erfolgen (. Abb. 46.22, rechts). Die nucleären RNAExportfaktoren werden nach mRNA-Export aus dem Kern wieder reimportiert (shuttle). Der RNA-Transport durch die Kernporen ist unidirektional, was aus der Beobachtung hervorgeht, dass markierte, in den Zellkern injizierte RNA diesen rasch verlassen kann, während markierte cytoplasmatische RNA nicht in den Zellkern aufgenommen wird. Während oder unmittelbar nach dem Export durch die Kernporen erfolgt die Bindung der mRNA an cytosolische RNA-Bindeproteine. Diese sind wichtige Cofaktoren bei der Translation (7 Kap. 48) und dienen der cytoplasmatischen Lokalisation der mRNA oder führen sie dem Abbau zu. 46.3.7

Abbau von mRNA

Die Genexpression eukaryontischer Zellen wird nicht nur von der Geschwindigkeit der RNA-Biosynthese, sondern auch von deren Abbau bestimmt Der Abbau der mRNA findet im Cytosol statt und wird durch eine Reihe unterschiedlicher Ribonucleasen (RNasen) katalysiert. Da viele Untersuchungen gezeigt haben, dass mRNA-Moleküle mit jeweils unterschiedlicher Geschwindigkeit abgebaut werden, muss man davon ausgehen, dass gewisse Strukturmerkmale für die Geschwindigkeit ihres Abbaus be-

stimmend sind. Man unterscheidet drei verschiedene mRNAAbbauwege. Deadenylierungsabhängiger mRNA-Abbau Dieser häufigste mRNA-Abbauweg beginnt mit einer Deadenylierung, d. h. der schrittweisen Verkürzung der 3 -Poly(A)-Sequenz (. Abb. 46.23, links). Dieser Vorgang verläuft initial sehr langsam und nimmt mit steigender Verkürzung der Poly(A)-Sequenz an Geschwindigkeit zu. Das hierfür verantwortliche Enzym ist eine Poly(A)Ribonuclease (PARN). Eine Verkürzung der Poly(A)-Sequenz auf wenige Nucleotide liefert das Signal zur Entfernung der 5’cap, was anschließend den raschen mRNA-Abbau durch die 5’ 3’-Exonuclease Xrn1 (exoribonuclease 1) auslöst. Bei der Regulation des mRNA-Abbaus spielt auch das PABP (Poly(A) binding protein) eine wichtige Rolle (in der Abbildung nicht gezeigt). Deadenylierungsunabhängiger mRNA-Abbau/decapping pathway Dieser Abbauweg ist eine zweite Möglichkeit, die zum

mRNA-Abbau führt. Hier sind offenbar bestimmte Sequenzen am 5’-Ende der mRNA für eine Abspaltung der cap-Gruppe durch ein decapping-Enzym verantwortlich (. Abb. 46.23, Mitte). Nach Abspaltung der cap-Gruppe erfolgt ein schneller Abbau durch die 5’,3’-Exonuclease. Endonucleolytischer mRNA-Abbau Ein dritter Abbauweg findet

sich bei mRNAs, die ein durch Mutation entstandenes nonsenseCodon enthalten und damit zu einem vorzeitigen Abbruch der Translation (7 Kap. 48) führen können, wenn eines der drei

46

586

Kapitel 46 · Transkription und Prozessierung der RNA

. Abb. 46.22 Export von mRNA aus dem Zellkern. Exportfaktoren (grüne Symbole) ermöglichen den Transport von korrekt prozessierter mRNA (rechts), Retentionsfaktoren (rote Symbole) verhindern den Transport von nicht korrekt prozessierter mRNA (links). (Einzelheiten s. Text). (Adaptiert nach Watson 2010, © Pearson Studium)

46

Stopp-Codons entstanden ist (premature termination codons, PTCs). Dieser Abbauweg wird auch nonsense-mediated mRNA decay, NMD-pathway, genannt: Nach einer endonucleolytischen Spaltung der fehlerhaften mRNA können die beiden mRNAFragmente durch Xrn1 bzw. das Exosom vom freien 5’- bzw. freien 3’-Ende her abgebaut werden. Alle Nucleasen, die in den Prozess des mRNA-Abbaus eingreifen, sind in diskreten sog. cytosolischen P-bodies lokalisiert.

Zusammenfassung Eukaryonten verfügen über drei RNA-Polymerasen, die für die 5’,3’-Verknüpfung von Ribonucleotiden zu RNA-Polymeren verantwortlich sind: 4 die RNA-Polymerase I für die Synthese des Vorläufers von ribosomaler RNA 4 die RNA-Polymerase II hauptsächlich für die Synthese von Prä-messenger-RNA 6

587 46.3 · Transkription bei Eukaryonten

46

. Abb. 46.23 Abbauwege von mRNA. (Einzelheiten s. Text)

4 die RNA-Polymerase III hauptsächlich für die Synthese von Vorläufern von Transfer-RNA Für die Bildung der Initiationskomplexe sind Promotoren verantwortlich. Sie stellen regulatorische DNA-Abschnitte dar, an die die RNA-Polymerasen zusammen mit Transkriptionsfaktoren binden. Damit wird der Startpunkt der Transkription festgelegt. Der Initiationskomplex der RNA-Polymerase II besteht aus allgemeinen/basalen Transkriptionsfaktoren, Mediatorproteinen, Coaktivatoren, induzierbaren und/oder aktivierbaren Transkriptionsfaktoren. Die C-terminale Domäne (CTD) der RNA-Polymerase II spielt dabei eine bedeutende Rolle. Durch die Änderung der Phosphorylierung der C-terminalen Domäne der RNA-Polymerase II wird die Elongation eingeleitet, die mit den meisten allgemeinen Transkriptionsfaktoren einhergeht. Cotranskriptional erfolgt dann die 4 Anheftung der cap-Gruppe, 4 das Entfernen von Introns durch Spleißen und 4 die Synthese des Poly(A)-Schwanzes. 6

tRNA-Vorläufermoleküle werden mit Hilfe der RNaseP – einem Ribozym – verkürzt, am 3’-Ende mit der Sequenz-CCA versehen und methyliert. rRNA-Vorläufermoleküle werden methyliert und mit Hilfe von Nucleasen in einem Präribosomkomplex zu den reifen rRNA-Molekülen prozessiert. Prinzipiell liegen mit Ausnahme der tRNA alle RNA-Formen immer als RNA-Proteinkomplexe (Ribonucleoproteine, RNPs) vor. Hemmstoffe der Transkription verhindern entweder die Entwindung der DNA (z. B. Gyrasehemmer) oder sie inaktivieren die RNA-Polymerasen (Rifampicin). Für die Proteinbiosynthese werden die tRNAs, rRNAs und mRNAs mit Hilfe von Transportproteinen über die Kernporen ins Cytosol exportiert. Nach Abschluss der Proteinbiosynthese werden mRNAs im Cytosol durch spezielle RNA-Abbaumechanismen degradiert.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

mRNA-Abbau de-adenylierungs-abhängiger de-adenylierungs-unabhängiger decapping pathway endonucleolytischer Weg 3’,5’-Exonuclease (PARN) decapping enzyme

5’,3’-Exonuclease

47 Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression Jan Brix, Hans-Georg Koch, Peter C. Heinrich

Einleitung Obwohl fast alle Zellen des menschlichen Körpers die gleiche genetische Informationen enthalten, werden in verschiedenen Zelltypen wie z. B. Leber-, Muskel- oder Nervenzellen ganz unterschiedliche Proteine exprimiert. Bestimmte Gene werden nur während der Entwicklung des Organismus, andere wiederum nur auf geeigneten Hormon- oder Cytokinstimulus hin transkribiert. Daneben gibt es Gene, die ständig in nahezu allen Zelltypen aktiviert sind, sog. housekeeping-Gene. Die Regulation der Genexpression erfolgt in erster Linie auf Ebene der Initiation der Transkription. Die hierfür verantwortlichen Prozesse werden in diesem Kapitel beschrieben. Die grundlegenden Prinzipien der Genregulation werden eingangs anhand von Prokaryonten erklärt. In Eukaryonten ist die Genexpression durch zusätzliche Mechanismen wie z. B. alternatives Spleißen und RNA-Interferenz reguliert. Da in Eukaryonten die Gene – mit Ausnahme der wenigen mitochondrialen Gene – auf der DNA im Zellkern lokalisiert sind, die Proteinbiosynthese aber im Cytoplasma abläuft, ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Genregulation. Schwerpunkte 4 Das Operon-Modell zur Regulation der Genexpression in Prokaryonten 4 Regulation der Genexpression in Eukaryonten: Transkriptionsfaktoren und das enhanceosome 4 Epigenetik: Histonmodifikationen und DNA-Methylierung steuern die eukaryontische Genexpression 4 RNA-Interferenz : Regulation der mRNA -Stabilität durch inhibitorische RNA 4 Alternatives Spleißen und mRNA-editing

4 In Anwesenheit eines Repressorproteins bindet dieses an den Operator und blockiert die Bindungsstelle der RNAPolymerase. Es kann keine Transkription stattfinden. 4 Nach Ablösung des Repressors findet in Abwesendheit eines Aktivatorproteins nur eine basale Transkription statt, da die Affinität der RNA-Polymerase an den Promotor nur schwach ist. Der Repressor kann z. B. durch Bindung eines Induktors inaktiviert werden und sich von der Operatorregion ablösen. 4 Nach Bindung eines Aktivatorproteins besitzt die RNAPolymerase maximale Affinität für den Promotor. In Abwesenheit des Repressors und Anwesenheit eines Aktivatorproteins rekrutiert der Aktivator die RNA-Polymerase, indem er gleichzeitig an die Aktivatorbindungsstelle auf der DNA und an die RNA-Polymerase bindet. Es findet eine maximale Transkription statt. Ein bekanntes Beispiel ist das lac-Operon in E. coli. Dieses Operon kontrolliert die Transkription von drei für den Abbau von Lactose wichtigen Genen, der β-Galactosidase (lacZ), der Lactosepermease (lacY) und der Lactosetransacetylase (lacA). Als Repressor dient der lac-Repressor, der in einer aktiven, d. h. DNA-bindenden Form und nach Bindung des Induktors Lactose in einer strukturell veränderten inaktiven Form vorkommt. Aktivator des lac-Operons ist das catabolite activating protein (CAP), das an die DNA bindet und die RNA-Polymerase rekrutiert. CAP wird erst in Abwesenheit von Glucose (Hungersignal) durch die Bindung des second messengers cAMP aktiviert und kann sich dann an die CAP-Aktivatorbindungsstelle anlagern. 47.2

47.1

47

Kontrolle der Transkription bei Prokaryonten

Bei Prokaryonten wird die Genexpression überwiegend über die Transkription reguliert. Das von Francois Jacob und Jaques Monod erstmalig formulierte Operonmodell beschreibt einen bis heute gültigen Mechanismus der Genregulation in Prokaryonten. Im Prinzip beruhen alle Varianten dieses Modells darauf, dass mehrere Gene unter der Kontrolle eines Promotors stehen. In unmittelbarer Nähe zu diesem Promotor befindet sich eine Operatorregion, an die Repressor- und Aktivatorproteine binden und die Transkriptionsrate beeinflussen können (. Abb. 47.1).

Regulation der Transkription bei Eukaryonten

Der in 7 Kap. 47.1 geschilderte Mechanismus der prokaryontischen Regulation der Genexpression, d. h. die Regulation durch Bindung von Proteinen an spezifische DNA-Sequenzen, findet sich auch bei Eukaryonten. Wegen der Komplexität der DNA z. B. durch ihre Verpackung als Chromatin und wegen der Kompartimentierung der eukaryontischen Zellen sind hier allerdings zur Regulation der Genexpression zusätzliche Mechanismen erforderlich. Da Prokaryonten keinen Zellkern besitzen, können Transkription und Translation gleichzeitig ablaufen. Zudem liegt die Halbwertszeit der mRNA bei Prokaryonten im Bereich von Minuten, weswegen jede Regulation der Transkription unmittelbar die Biosynthese der entsprechenden Proteine, d. h. die Genexpression, beeinflusst.

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_47, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

589 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

Alle genannten Vorgänge sind in unterschiedlichem Ausmaß an der Regulation der Genexpression beteiligt. 47.2.1

Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

Durch DNA-Methylierung kann die Transkription von Genen inhibiert werden

. Abb. 47.1 Operonmodell. Regulation der prokaryontischen Transkription. (Einzelheiten s. Text)

Anders liegen die Verhältnisse bei Eukaryonten. Sie besitzen einen Zellkern, in dem mit Ausnahme der mitochondrialen DNA die gesamte DNA der Zelle kondensiert vorliegt. Hier erfolgen die Transkription und die Prozessierung der primären Transkripte. Die Translation der mRNA in ein Polypeptid (Proteinbiosynthese) findet im Cytosol statt, weswegen ein Export der mRNA durch die Kernporen notwendig ist. Für die Expression eines zell- oder gewebespezifischen Phänotyps und für die Anpassung sämtlicher Leistungen von Zellen an geänderte Umweltbedingungen ist die Möglichkeit, die Expression spezifischer Gene entsprechend zu regulieren, eine entscheidende Voraussetzung. Änderungen der Genexpression spielen darüber hinaus bei der Reaktion von Zellen auf Stress, toxische Verbindungen, Infektionen oder bei der malignen Transformation in Tumorzellen eine entscheidende Rolle. Im Prinzip können Änderungen der Genexpression erfolgen (. Tab. 47.1) 4 durch Aktivierung/Inaktivierung von Genen 4 durch Beeinflussung der Transkriptionsinitiation, -elongation und -termination 4 bei der Prozessierung der Prä-mRNA 4 beim Transport der mRNA ins Cytoplasma 4 durch Abbau der mRNA oder 4 bei der Translation der mRNA

Bei Prokaryonten und einzelligen Eukaryonten gleichen sich alle Nachkommen einer Zelle bezüglich Genexpression und Ausstattung mit Proteinen. Anders liegen dagegen die Verhältnisse bei höheren mehrzelligen Organismen. Diese entstammen alle einer befruchteten diploiden Eizelle. Durch Replikation wird jeweils das gesamte genetische Material auf alle Tochterzellen dieser Eizelle, d. h. auf jede Zelle des differenzierten mehrzelligen Organismus weitergegeben. Dass tatsächlich im Zellkern einer somatischen Zelle noch die gesamte Information für den jeweiligen Organismus enthalten ist, sieht man beispielsweise daran, dass es möglich ist, einer befruchteten Eizelle eines Frosches den Zellkern zu entnehmen und durch den Zellkern einer beliebigen somatischen Zelle zu ersetzen. Auch dann entsteht aus der befruchteten Eizelle ein lebensfähiger Frosch. Ungeachtet dieser Tatsache ist klar, dass sich die Vielfalt der verschiedenen Zellen eines höheren Organismus nur dadurch erklären lässt, dass während des Differenzierungsvorgangs spezifische Gene an- und andere abgeschaltet werden. So findet sich z. B. Hämoglobin ausschließlich in den Erythrocyten und einigen ihrer Vorläuferzellen, nicht dagegen in den anderen Zellen des Organismus. Man weiß heute, dass dies nicht auf einem Verlust des Hämoglobin-Gens in den Nicht-Hämoglobin-produzierenden Zellen beruht. Vielmehr werden in ihnen die für die Hämoglobinbiosynthese zuständigen Gene abgeschaltet. Offensichtlich entwickelt jede differenzierte Zelle ein spezifisches Muster von an- bzw. abgeschalteten Genen, das bei der Zellteilung unverändert an die Nachkommen weitergegeben wird. Eine Möglichkeit hierfür besteht in der Erzeugung spezifischer Methylierungsmuster im Genom von sich differenzierenden Zellen. Der hierbei zugrunde liegende Mechanismus ist in . Abb. 47.2A schematisch dargestellt. Die Inaktivierung eines Gens beginnt danach mit der Methylierung am C-Atom 5 eines Cytosinrestes in einer regulatorischen Sequenz eines Gens (1. Methylierung). Wesentlich dabei ist, dass auf den Cytosinrest immer ein Guanin folgt. Für die Weitergabe dieses Methylierungsmusters während der Replikation bedarf es einer spezifischen Methyltransferase (2. Methylierung), die die palindromartige CG-Sequenz im komplementären Strang erkennt und den C-Rest nur dann methyliert, wenn der parentale Strang eine entsprechende Methylgruppe trägt. Tatsächlich können Änderungen des Methylierungsmusters während Differenzierungsprozessen festgestellt werden. Es wurde nachgewiesen, dass sehr viele inaktive Gene stärker methyliert sind als aktive Gene. Ein wichtiges Werkzeug zum Studium der Methylierungsmuster der DNA ist die Base 5-Azacytosin (. Abb. 47.2B). Wird sie anstelle des normalen Cytosins in DNA eingebaut, wird die Methylierung an dieser Stelle wegen des in Position 5 anstatt eines C-Atoms befindlichen N-Atoms verhindert. Nach Behand-

47

590

Kapitel 47 · Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

. Tab. 47.1 Regulationsmechanismen der Transkription eukaryontischer Gene

47

Regulierter Schritt

Mechanismus

Vorkommen (Beispiele)

Aktivierung/Inaktivierung von Genen

Inaktivierung durch Methylierung an CG-Inseln im Promotor

genomic imprinting Viele differenzierungsabhängige Gene

Initiation der Transkription

Aktivierung des Transkriptionskomplexes durch ligandenaktivierte Transkriptionsfaktoren

Aktivierung der Transkription durch Steroidhormon/ Steroidhormonrezeptorkomplexe u. a. Chromatin-remodelling (Ablösung der Histone von der DNA durch Histonmodifikationen)

Hemmung der Transkription

Hemmung des Importes von Transkriptionsfaktoren in den Zellkern Hemmung der Bindung von Transkriptionsfaktoren an DNA

Hemmung von NF-κB durch IκB

mRNA-editing

Posttranskriptionale Basenmodifikation in der mRNA

Erzeugung der Isoformen des Apolipoproteins B

Alternatives Spleißen

Verwendung alternativer Spleißstellen

Calcitonin/CGRP-Gen, Immunglobulin-Gene, ras-Gen

Transport und Lokalisierung der RNA

RNA-Bindungsproteine für den Transport spezifischer RNAs

cap-Bindungsprotein

Abbau der RNA

Verhinderung des endonucleolytischen Abbaus durch RNA-Bindungsproteine

Stabilität der Transferrinrezeptor-mRNA

lung von embryonalen Zellen mit 5-Azacytosin kommt es in vielen Fällen zu einer verstärkten Genexpression. Dieser Befund bestätigt die Annahme, dass Gene durch Methylierung abgeschaltet werden. Unterschiede im Methylierungsmuster sind auch für das genomic imprinting verantwortlich. Man versteht hierunter das Phänomen, dass gleiche Allele paternaler und maternaler Gene unterschiedlich exprimiert werden. So wird beispielsweise nur das väterliche Allel für IGF-2 (insulin-like growth factor 2) transkribiert, nicht jedoch das der Mutter. In den Oocyten ist das IGF-2-Gen methyliert, nicht jedoch in den Spermatocyten. Da dieses Methylierungsmuster auf alle von der befruchteten Eizelle abstammenden Zellen weitergegeben wird, ist im ausdifferenzierten Organismus nur das paternale Allel für IGF-2 aktiv. Die DNA-Methylierung ist allerdings nicht der einzige Mechanismus zur Ausprägung von Differenzierungsmustern. So ist z. B. das gesamte Genom der Fruchtfliege Drosophila melanogaster frei von Methylcytosin. Bei ihr müssen also gänzlich andere Differenzierungsmechanismen realisiert sein. Drosophila zeigt Mutationen einzelner Gene, die dazu führen, dass ein Teil (ein Segment) des Organismus in einen anderen umgewandelt wird. Bei der als Antennapedia bezeichneten Mutation bilden Zellen, die normalerweise für die Antennenbildung verantwortlich sind, ein zusätzliches Beinpaar aus. Derartige Mutationen werden auch als homöotische Mutationen (griech. homeosis: Wechsel, Umwandlung) bezeichnet. Sie betreffen Gene, die für regulatorische Proteine codieren, welche ihrerseits eine große Zahl nachgeordneter Gene steuern und auf diese Weise für die Ausbildung von Differenzierungsmustern verantwortlich sind. Alle homöotischen Proteine verfügen über eine meist im Cterminalen Bereich gelegene hoch konservierte Region, die auch als Homöobox bezeichnet wird und eine DNA-bindende Domäne darstellt. Die von homöotischen Genen gesteuerten Struktur-

Hemmung des Transkriptionsfaktors p53 durch Bindung des SV40 (Simian Virus)-T-Antigens

gene sind für die bei Drosophila auftretenden Entwicklungsmuster verantwortlich. Interessanterweise sind homöotische Gene bei allen segmentierten eukaryontischen Mehrzellern vom Regenwurm bis zum Menschen nachgewiesen worden. Diese HoxGene haben aber nicht nur wichtige Funktionen bei der Embryogenese, wo sie die Aktivität funktionell zusammenhängender Gene steuern können, sondern auch bei der Kontrolle der Zellproliferation. Die Expression von Hox-Genen ist in verschiedenen Tumoren stark verändert, sodass man annimmt, dass diese Gene an der Tumorentstehung und auch an der Tumorprogression beteiligt sind.

Durch reversible Acetylierung von Histonen können Gene für die RNA-Polymerase II zugänglich gemacht werden Die Nucleosomenstruktur der eukaryontischen DNA, die in 7 Kap. 10 ausführlich beschrieben ist, verhindert die Initiation der Transkription durch die RNA-Polymerase II. Berücksichtigt man, dass das Chromatin in vivo noch stärker kondensiert ist, wird leicht vorstellbar, dass vor der Initiation der Transkription Umstrukturierungen im Chromatin vorkommen müssen. Diese Umstrukturierungen (Chromatin-remodelling) betreffen vor allem reversible Modifikationen von Aminosäureresten der verschiedenen Histonproteine (. Abb. 47.3). Meist erfolgen diese in deren N-terminalen Schwanzregionen (7 Kap. 10). Als Modifikationen kommen vor: 4 Acetylierung/Deacetylierung von Lysinresten 4 Phosphorylierung/Dephosphorylierung von Serin- und Threoninresten 4 ein-, zwei-, oder dreifache Methylierung/Demethylierung von Lysin- oder Argininresten 4 Ubiquitinierung an Lysinresten

591 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

A

B

. Abb. 47.2 A Methylierung an CG-Paaren als Signal zur Inaktivierung von Genen, B Strukturen von Cytosin, 5-Methylcytosin und Azacytosin. (Einzelheiten s. Text)

In der Schwanzdomäne von Histon H3 z. B. bewirkt eine Phosphorylierung an Ser 10 oder eine Acetylierung an Lys 9 eine Aktivierung der Transkription, eine zwei- oder dreifache Methylierung an Lys 27 dagegen eine Hemmung. Eine einfache Methylierung an Lys 27 scheint wiederum transkriptionsaktivierend zu wirken (. Abb. 47.3). Die Gesamtheit der Histonmodifikationen nennt man auch Histon-Code. Diese Modifikationen können die Chromatinstruktur verändern und damit die Transkription beeinflussen. Zusammen mit dem DNA-Methylierungsmuster werden diese als epigenetischer Code bezeichnet. Während der genetische Code in jeder Zelle eines Menschen gleich ist, ist der epigenetische Code zell- und gewebespezifisch und kann die Transkription einzelner Gene oder ganzer Gruppen von Genen steuern. Histonacetylierung/-deacetylierung Für die Initiation der Transkription ist die Acetylierung von Lysinresten der Schwanz-

regionen von Histonproteinen besonders wichtig. Durch die Acetylierungen werden die positiven Ladungen in den Histonproteinen maskiert, die für die Wechselwirkungen mit der DNA verantwortlich sind. Das Ergebnis ist eine weniger dichte Packung des Chromatins, die in einem bestimmten Genabschnitt zu einer besseren Zugänglichkeit der DNA für Komponenten der Transkriptionsmaschinerie wie RNA-Polymerasen und Transkriptionsfaktoren führt. Eine äußerst wichtige Rolle bei dem Chromatin-remodelling eines bestimmten zu transkribierenden Genabschnitts spielen die Histon-Acetyltransferasen (HATs). Sie benutzen Acetyl-CoA als Substrat und sind meist sehr komplex aufgebaut. Besonders gut untersucht sind die Histon-Acetyltransferasen der p300/CBP (cAMP-response element binding protein)-Familie. . Abb. 47.4A zeigt den schematischen Aufbau des multifunktionalen p300Proteins. In seinem mittleren Teil befinden sich die katalytische Acetyltransferasedomäne und eine sog. Bromodomäne. Letz-

47

592

Kapitel 47 · Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

. Abb. 47.3 Acetylierung, Phosphorylierung und Methylierung von Histonproteinen am Beispiel des Histons H3. (Einzelheiten s. Text)

tere weist eine hohe Affinität für acetylierte Histonschwanzdomänen auf. . Abb. 47.4B zeigt die Funktion der HATs: p300-HAT-Protein bindet mit seiner Transaktivierungsdomäne an DNA-gebundene Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren und kann durch seine Acetyltransferaseaktivität Histon-H3-Schwanzregionen benachbarter Nucleosomen acetylieren. Das p300 wandert entlang der Nucleosomenkette weiter (in . Abb. 47.4B nicht gezeigt) und bindet mit seiner Bromodomäne jeweils die acetylierten Schwanzregionen des Histons H3. Dadurch wird das Acetylierungsmuster in Transkriptionsrichtung schrittweise auf alle am Chromatin-remodelling beteiligten Histone in den Nucleosomen übertragen. Es begleitet und ermöglicht damit den Transkriptionsprozess durch Auflockerung der Chromatinstruktur: Anfangs kann die RNA-Polymerase II mit Hilfe des basalen Transkriptionsapparats die Transkription initiieren, im weiteren Verlauf der Transkription ermöglicht die Auflockerung des Chromatins die Elongation (RNA-Polymerisation) sowie begleitende RNA-Modifikationsschritte wie das Spleißen. Durch die Aktivität von Histondeacetylasen (HDACs) werden die durch die Histonacetylierung verursachten Änderungen der Chromatinstruktur wieder rückgängig gemacht und das Chromatin damit in einen höher kondensierten inaktiven Zustand versetzt.

47

Histonphosphorylierung/-dephosphorylierung Die reversible Phosphorylierung von Histonen an Serinresten hat unterschiedliche Konsequenzen je nachdem, ob sie während der Interphase oder während der Mitose erfolgt. Von besonderem Interesse für die Regulation der Transkription ist dabei das Histon H3. Die Phosphorylierung von Serin 10 führt zu einer verstärkten Acety-

lierbarkeit des Lysin 9 (. Abb. 47.3) und zu einer Umstrukturierung des Chromatins. Dies führt zu einer verstärkten Transkription der dort lokalisierten Gene. Eine Reihe von Proteinkinasen ist zur Phosphorylierung dieses Serinrests imstande, darunter die Proteinkinase A (7 Kap. 35), die Mitogen-aktivierte Kinase 1 und die IκB-Kinase. Somit existiert über diesen Mechanismus eine Verbindung zwischen extrazellulären Signalmolekülen und der Phosphorylierung von Histonen. Für die Dephosphorylierung der Histonproteine ist die Proteinphosphatase PP1 verantwortlich. A

. Abb. 47.4A Domänenstruktur des p300/CBP-Proteins mit Bindungsstellen für ausgewählte Transkriptionsfaktoren mit regulatorischen Funktionen. NHR, nuclear hormone receptor; c-Myb, myeloblastosis viral oncogene homolog; CREBP, cAMP response element binding protein; c-Jun, ju-nana (japanisch für 17, wurde erstmalig in Hühner Sarcoma Virus 17 gefunden), STAT, signal transducer and activator of transcription; PCAF, P300/CBP-associated factor; p53, Tumor Suppressor p53; MyoD, myogenic factor D; c-Fos, Finkel-Biskis-Jinkins murine osteogenic sarcoma virus; TFIIB, Transkriptionsfaktor IIB; SCR-1, steroid receptor coactivator-1; ARP, actin related protein. (Einzelheiten s. Text)

Lysin 9# Serin 10# Lysin 27# Histon-Acetyl-Transferase Proteinkinasen Histon-Methylase

593 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

B

. Abb. 47.4B Beziehungen des p300-Proteins zum Initiationskomplex der RNA-Polymerase II. (Adaptiert nach Watson 2010, © Pearson Studium)

Histon-Acetyltransferase

47

Kapitel 47 · Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

594

. Tab. 47.2 Enhancer und induzierbare/aktivierbare Transkriptionsfaktoren (Auswahl) Auslöser

DNA-Bindungsprotein

Enhancer-Bezeichnung

Consensussequenz

Glucocorticoide

GR (Glucocorticoidrezeptor)

GRE

AGAACANNNTGTTCT

Cyclo-AMP (cAMP)

CREBP-1 (cAMP response element-binding protein)

CRE

TGACGTCA

Serum

SRF (serum-response factor)

SRE

GGTATATACC

Hitzeschock

HSF-1 (heat shock transcription factor)

HSRE

GAANNTTCNNGAA

GRE: glucocorticoid responsive element; CRE: cAMP responsive element; SRE: serum response element; HSRE: heat shock responsive element.

Histonmethylierung Die Methylierung von Histonproteinen

führt zur Anlagerung von Proteinen, welche die Chromatinkondensation und damit die Inaktivierung von Genen begünstigen. Diese Proteine verfügen hierzu über eine Bindungsdomäne für methylierte Histonproteine, die als Chromodomäne bezeichnet wird. Die Methylierung erfolgt an Arginin- oder Lysinresten. Die für die Methylierung verantwortlichen Methyltransferasen benutzen S-Adenosylmethionin als Substrat. Lange Zeit dachte man, die Modifizierung von Histonen durch Methylgruppen und damit die Inaktivierung von Genen sei irreversibel. Erst in jüngster Zeit sind Demethylasen entdeckt worden, die methylierte Histone demethylieren können. Ihr genauer Wirkmechanismus ist aber noch Gegenstand aktueller Forschung. Histonubiquitinierung Die Ubiquitinierung an Lysin beeinflusst ebenfalls die Chromatinstruktur und nimmt damit Einfluss auf die Transkriptionsrate. In 7 Kap. 50 wird beschrieben, dass mehrere angehängte Ubiquitinmoleküle ein Protein für einen Abbau durch das Proteasom markieren können. Eine einfache Ubiquitinierung am Histon wirkt hier nicht als Signal für den Abbau des Histons.

47.2.2

47

Struktur und Wirkung von Transkriptionsaktivatoren

Bei Untersuchungen zum Transkriptionsmechanismus viraler Gene wurden erstmalig Kontrollelemente identifiziert, die zu einer vielfachen Steigerung der Transkriptionsrate dieser Gene führte. Schließlich ergaben weitere Untersuchungen, dass in allen regulierbaren eukaryontischen Genen sog. enhancer (Verstärker)-Sequenzen vorkommen, die auch als cis-aktivierende Elemente bezeichnet werden. Enhancer liegen meist einige hundert bis tausend Basenpaare upstream der Promotorregion, können jedoch in Einzelfällen auch downstream oder innerhalb eines Gens, sowohl in Exons als auch in Introns, lokalisiert sein. Ihre Wirkung ist unabhängig von der Orientierung der enhancerSequenzen. Enhancer sind kurze DNA-Sequenzen von höchstens 20 bp, die häufig palindromische oder Tandemsequenzen aufweisen. Dies erklärt, dass Transkriptionsfaktoren als Homo- oder Heterodimere wirken (. Tab. 47.2). Die Steigerung der Transkriptionsrate durch enhancer findet nur dann statt, wenn induzierbare oder regulierbare Transkriptionsfaktoren (sog. trans-aktivierende Elemente) an die en-

hancer-Sequenzen binden. All diesen Transkriptionsfaktoren ist gemeinsam, dass sie eine DNA-Bindungsdomäne und eine Transaktivierungsdomäne aufweisen. Viele Faktoren, die die Transkription aktivieren, enthalten darüber hinaus eine weitere Domäne zur Bindung eines niedermolekularen Liganden (Ligandenbindungsdomäne), der den Transkriptionsfaktor aktiviert. Hierzu gehören z. B. Steroidhormonrezeptoren (7 Kap. 35).

Das enhanceosome stellt den Gesamtkomplex in der Initiationsphase der Transkription dar Der Komplex aus enhancer-Elementen und daran bindenden Transkriptionsfaktoren stimuliert die Initiation der Transkription. Der Gesamtkomplex wird als enhanceosome bezeichnet (. Abb. 47.5). . Tab. 47.2 stellt einige wichtige enhancer-Elemente und die zugehörigen Transkriptionsfaktoren zusammen. Das enhanceosome enthält nicht nur transkriptionsstimulierende Elemente (enhancer), an die Transkriptionsaktivatoren binden, sondern auch transkriptionshemmende Elemente (silencer), an die sich Repressorproteine anlagern. . Abb. 47.5A zeigt ein Modell des enhanceosome des Interferon β-Gens. Mediatorproteine wie p300 binden mit ihren Transaktivierungsdomänen an diverse trans-aktivierende Transkriptionsfaktoren wie c-jun und ATF-2, IRFs, p50 und p65, die ihrerseits an cis-aktivierende Elemente (enhancer) auf der DNA gebunden sind. p300 interagiert dann vermittelt über einen weiteren Mediatorproteinkomplex mit der C-terminalen Domäne (CTD) der RNA-Polymerase II. Weitere Bestandteile dieses enhanceosomes sind die in . Abb. 47.5 vereinfacht und schematisch dargestellten basalen Transkripionsfaktoren (vgl. 7 Abb. 46.6). In diesem Zustand ist eine maximale Transkription des Interferonβ-Gens möglich. In . Abb. 47.5B ist die Röntgenstruktur des Interferon-βenhanceosomes dargestellt, die aus verschiedenen Einzelstrukturen zusammengesetzt wurde. Im unteren Teil sind die DNA-Sequenzen (enhancer) gezeigt, die von den jeweiligen Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren erkannt werden. DNA-bindende Proteine können verschiedene Domänenstrukturen aufweisen: 4 Zinkfinger-Domänen 4 Leucin-zipper-Domänen 4 Helix-turn-Helix-Domänen

595 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

In vielen regulatorischen DNA-Bindeproteinen kommen Zinkfinger-Domänen vor Ein in vielen DNA- (und RNA)-bindenden Proteinen anzutreffendes Motiv ist das sog. Zinkfinger-Motiv, dessen Struktur in . Abb. 47.6 dargestellt ist und die einen Teil der Zinkfinger-Domäne darstellt. Die Fingerstruktur entsteht dadurch, dass Cysteinyl- oder Histidylreste in der Peptidkette so positioniert sind, dass sie durch ein Zink-Ion komplexiert werden können. Dabei entsteht eine schleifenförmige Struktur, der Zinkfinger. Diese

Schleifen sind aus α-Helices und β-Faltblattstrukturen aufgebaut und in der Lage, in der großen Furche der DNA-Doppelhelix basenspezifische Kontakte auszubilden. Man unterscheidet Cys2/His2- und Cys2/Cys2-Zinkfinger. Letztere kommen bevorzugt bei den Steroidhormonrezeptoren vor. Diese Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren werden durch induzierbare Liganden aktiviert und besitzen typischerweise zwei Zinkfinger des Typs Cys2/Cys2 (. Abb. 47.6).

Der Leucin-zipper gewährleistet eine spezifische DNA-Bindung und Dimerisierung des Bindeproteins In vielen DNA-Bindeproteinen kommt als wichtiges Motiv der sog. Leucin-zipper (zipper = Reißverschluss) vor (. Abb. 47.7). Als Monomere enthalten Leucin-zipper-Proteine zwei Domänen. Die eine bildet eine besonders leucinreiche α-Helix, die andere eine Region aus meist basischen Aminosäuren, die die sequenzspezifische Bindung an DNA ermöglicht. Das Besondere an Leucin-zipper-Proteinen ist ihre Fähigkeit zur Dimerisierung, welche durch die leucinreichen α-Helices aufgrund hydrophober Wechselwirkungen zwischen den Leucinresten ermöglicht wird. Leucin-zipper-Proteine können sowohl als Homo- wie auch als Heterodimere vorkommen, was eine große Zahl von Kombinationen erlaubt.

A

B

. Abb. 47.5 Das enhanceosome für Interferon-β. A Modell des β-Interferon-enhanceosomes und B Röntgenstrukturanalyse von Komponenten des β-Interferonenhanceosomes. Unter der Röntgenstruktur dargestellt sind die DNA-Sequenzen (enhancer), die durch die jeweiligen Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren erkannt werden. Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren: c-Jun, japanisch für 17 (wurde erstmalig in Hühner Sarcoma Virus 17 gefunden); ATF-2, activating transcription factor 2; HMG1, high mobility group 1; IRF3A, IRF7B, IRF3C, IRF7D, interferon regulatory transcription factor 3A, 7B, 3C, 7D; NFκB (p50, p65), nuclear factor kappa-light-chainenhancer of activated B cells; IFN-β, Interferon-β PDB, 1T2K, 2O6I und 26OG, kombiniert dargestellt mit ProteinWorkshop 2.0

47

596

Kapitel 47 · Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

. Abb. 47.6 Zinkfinger-Protein: DNA-Bindungsdomäne des Glucocorticoidrezeptors. Wechselwirkung zwischen DNA und dem hormonaktivierten Rezeptordimer. Die DNA-Doppelhelix ist blau und grau dargestellt, das Rezeptordimer ist grün und orange. Oben rechts ist ein Zinkfinger-Motiv, bestehend aus einem durch vier Cysteinseitenketten komplexierten zentralen Zn2+-Ion, dargestellt (PDB: 1R4O, erstellt mit ProteinWorkshop 2.0)

. Abb. 47.8 Aufbau von DNA-Bindeproteinen mit Helix-turn-Helix-Motiven. Dargestellt ist das an der Muskeldifferenzierung beteiligte MyoD-Dimer. Die DNA-bindenden basischen Regionen der beiden Monomere sind gelb bzw. orange, die Helix-turn-Helix-Regionen rot bzw. braun dargestellt. Die DNA-Doppelhelix ist blau-grau (PDB: 1MDY, dargestellt mit ProteinWorkshop 2.0)

In vielen DNA-Bindeproteinen finden sich Helix-turn-Helix-Motive Die monomere Struktur der DNA-Bindeproteine mit dem Helixturn-Helix-Motiv ist in gewisser Weise mit dem Leucin-zipperMotiv verwandt und besteht aus zwei α-Helices, die über eine flexible Schleife miteinander verbunden sind (. Abb. 47.8). Die DNA-Bindungsregion ist eine aus basischen Aminosäuren bestehende α-Helix. Die nicht an der DNA-Bindung beteiligte α-Helix ermöglicht eine Dimerisierung, ähnlich der leucinreichen Helix im Leucin-zipper (. Abb. 47.8). DNA-Bindeproteine mit Helixturn-Helix-Motiven spielen u. a. bei der Muskeldifferenzierung eine bedeutende Rolle. 47.2.3

Alternatives Spleißen

Durch alternatives Spleißen können aus einer Prä-mRNA verschiedene mRNAs gebildet werden, die für unterschiedliche Proteine codieren

47

. Abb. 47.7 Der Leucin-zipper als DNA-Bindeprotein. Aufbau eines Leucin-zipper-Dimers am Beispiel des CCAAT/enhancer-binding proteins alpha. Hervorgehoben in rot sind die basischen Aminosäureseitenketten der DNABindungssequenz, in grün die reißverschlussartig interagierenden Leucinseitenketten (PDB: 1NWQ, dargestellt mit ProteinWorkshop 2.0)

Ein völlig anderer Mechanismus zur Regulation der Genexpression eukaryontischer Organismen wurde durch die Beobachtung entdeckt, dass das Spleißen der Primärtranskripte eukaryontischer Gene in sehr vielen Fällen zu unterschiedlichen mRNASpezies und damit auch unterschiedlichen Proteinen führt. Die Anwesenheit mehrerer Introns in der Prä-mRNA ermöglicht es, Exons verschiedener Gene nach dem Baukastenprinzip durch alternatives Spleißen in unterschiedlicher Weise zusammenzusetzen (exon shuffling). Dieser Vorgang beruht auf der Verwendung unterschiedlicher Spleißstellen. Untersuchungen mit microarrays (7 Kap. 54) haben ergeben, dass ca. 75 % der menschlichen Gene alternativ gespleißt werden können. Über die biologische Bedeutung der diskontinuierlichen Anordnung der Gene höherer Eukaryonten gibt es viele Spekulationen. Der allergrößte Teil der primären RNA-Transkripte wird durch Spleißen wieder entfernt, sodass nur ein kleiner Teil der

597 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

. Abb. 47.9 Alternatives Spleißen: Entstehung von Calcitonin und CGRP (calcitonin gene-related peptide)-mRNA. E, Exon. (Einzelheiten s. Text)

transkribierten Prä-mRNA den Zellkern verlässt. Eine mögliche Erklärung ist, dass bei dieser Prä-mRNA-Prozessierung spezifische Signale entstehen, die den Transport der mRNA aus dem Zellkern in das Cytosol regulieren. Dies konnte gezeigt werden, da viele, allerdings nicht alle Gene zumindest ein Intron im Primärtranskript enthalten müssen, damit ihre mRNA aus dem Zellkern transportiert werden kann. Ein Beispiel für das alternative Spleißen ist das Calcitonin/ CGRP (calcitonin gene-related peptide)-Gen. Wie in . Abb. 47.9 dargestellt, entsteht aus der in der Schilddrüse gebildeten PrämRNA durch Spleißen der Exons 1, 2, 3 und 4 die mRNA für Calcitonin. In den Neuronen des zentralen und peripheren Nervensystems entsteht dagegen aus der gleichen Prä-mRNA durch Spleißen der Exons 1, 2, 3, 5 und 6 das CGRP, das als Neurotransmitter dient. Ein weiteres Beispiel für alternatives Spleißen – von besonderer Bedeutung für die Immunantwort – ist die Produktion von Immunglobulinen, die entweder membranverankert oder sezerniert vorliegen können. Sie entstehen aus einer Prä-mRNA durch die alternative Wahl von Spleißstellen (. Abb. 47.10). Das Gen für die schwere Kette des IgM (7 Kap. 70) codiert für eine Signalsequenz (S) und enthält das Exon für die variable Region der schweren Kette (VDJ, VDJ-segments). Darauf folgen vier Exons für den konstanten Teil der schweren Kette (Cμ1 bis Cμ4). Cμ4 trägt am 3’-Ende eine sog. SC-Sequenz, die für das carboxyterminale Ende der sezernierten IgM-Form codiert. Zwei weitere 3’-gelegene Exons codieren für eine Transmembrandomäne (TMD) und eine cytoplasmatische Domäne (CD).

Die Prä-mRNA dieses Gens muss für die sezernierte Form des IgM so gespleißt werden, dass das Exon, das für die TMD codiert, entfernt wird. Eine alternative Möglichkeit ist die Verwendung einer verborgenen Spleißstelle im Cμ4-Exon, was unter Verlust der SC-Domäne zu einer mRNA führt, die an ihrem 3’-Ende für die Transmembrandomäne und die cytoplasmatische Domäne codiert. Damit entsteht ein Translationsprodukt, welches in der Plasmamembran verankert ist. Da zwei verschiedene mRNAs entstehen, müssen auch zwei Polyadenylierungssignale vorhanden sein (pA1, pA2). Eine sehr eindrucksvolle Transkriptionsregulation findet sich bei der Prozessierung der Prä-mRNA für das p21-Ras (rat sarcoma)-Proto-Onkogenprodukt (. Abb. 47.11). Unter normalen Bedingungen wird nur ein kleiner Teil der primären Transkripte des Ras-Proto-Onkogens so gespleißt, dass eine mRNA für ein stabiles Ras-Protein entsteht. Der größte Teil der primären Transkripte wird hingegen derart gespleißt, dass sie ein Extra-Exon zwischen den Exons 3 und 4 erhalten. Dieses enthält ein weiteres Stoppcodon für die Translation, was zu verkürzten und damit funktionell inaktiven Formen des Ras-Proteins (p19-Ras) führt. Man nimmt an, dass die Regulation des in diesem Fall vorliegenden Exon-skipping (Überspringen eines Exons) die Menge des aktiven p21-Ras-Proteins bestimmt.

Um eine hohe Spezifität und eine Regulation der Spleißvorgänge zu gewährleisten, gibt es verschiedene Mechanismen Spleißfaktoren binden nach Erkennung der korrekten Sequenz bereits während der Prä-mRNA-Synthese zuerst an die 5’-Spleißstelle und dann an die 3’-Spleißstelle der Exons. Sie sind wie der CSC (cap synthesizing complex)-Komplex und Enzyme zur Polyadenylierung über die carboxyterminale Domäne der RNA-Polymerase II gebunden (7 Kap. 46.3). Essentielle Spleißfaktoren wie SR (serine-arginine rich)-Proteine binden an sog. exonic splicing enhancer (ESE)-Regionen in den Exons und sorgen auf diese Weise dafür, dass Komponenten des Spleißosoms rekrutiert werden können, beispielsweise das U2AF-Protein an die 3’-Spleißstelle und U1 an die 5’-Spleißstelle (7 Abb. 46.13). Diese Spleißfaktoren werden nur in bestimmten Zelltypen exprimiert und sorgen damit für ein zelltypspezifisches Spleißmuster.

. Abb. 47.10 Alternatives Spleißen: Entstehung von membrangebundenen bzw. sezernierten IgM-Molekülen. S: Signalsequenz; VDJ: VDJ-Gen für den variablen Teil des Immunglobulins; Cµ1–Cµ4: Exons der konstanten Kette; SC: Sequenz für die sekretorische Domäne; TMD: Sequenz der Transmembrandomäne; pA1, pA2: Polyadenylierungssignale. (Einzelheiten s. Text)

47

598

Kapitel 47 · Regulation der Transkription – Aktivierung und Inaktivierung der Genexpression

. Abb. 47.11 Alternatives Spleißen: Entstehung des p21-Ras-Proteins und des p19-Ras-Proteins durch Exon-skipping IDX, alternatives Exon. Das zweite Translations-Stopp-Signal des p19-Ras-Proteins in Exon E4A ist für die Proteinbiosynthese bedeutungslos. (Einzelheiten s. Text)

Neben den erwähnten ESE-Regionen gibt es exonic splicing silencer (ESS)-Regionen, die die Bindung von Spleißosomkomponenten hemmen. Weiterhin findet man auch entsprechende Regionen in den Introns: ISE (intronic splicing enhancer) und ISS (intronic splicing silencer). 47.2.4

mRNA-editing

mRNA-editing ermöglicht die Bildung unterschiedlicher Proteine aus einer mRNA Unter dem Begriff des mRNA-editing versteht man eine weitere Modifikation der fertigen, d. h. gespleißten mRNA durch Vorgänge, die zu einer Veränderung der Basensequenz führen. So kommt es bei niederen Eukaryonten durch Einfügen von Basen nach der Transkription mitochondrialer Gene zu Rasterverschiebungen und damit zu einer Änderung der Basensequenz der mRNA im Vergleich zur genomischen Sequenz. Auch beim Menschen ist mRNA-editing nachgewiesen worden (. Abb. 47.12). Das Apolipoprotein B (7 Kap. 24) kommt in zwei Formen vor: 4 dem in der Leber synthetisierten Apolipoprotein B100 mit einer Molekülmasse von 513 kDa und

4 dem im Darm synthetisierten Apolipoprotein B48 mit einer Molekülmasse von 241 kDa Beide Apolipoproteine werden durch dasselbe Gen codiert, dementsprechend ist auch die mRNA für beide Isoformen zunächst identisch. Durch eine nur in Enterocyten vorkommende spezifische Cytosindesaminase wird im Codon CAA in Position 6 666 der Apolipoprotein-B-mRNA ein Cytosin zu einem Uracil desaminiert. Hierdurch entsteht das Translations-Stoppcodon UAA und damit im Darm eine entsprechend verkürzte Form des Apolipoproteins B. 47.2.5

Kontrolle der mRNA-Stabilität

Eine Regulation der Genexpression kann nicht nur über Genaktivierung/-inaktivierung, Regulation der Transkriptionsinitiation, alternatives Spleißen oder mRNA-editing erfolgen, sondern auch durch Veränderung der Stabilität der mRNA. Hier soll auf zwei Mechanismen eingegangen werden, nämlich auf die Bedeutung AU-reicher Elemente (adenine-uracil-rich elements, AREs) für den Abbau kurzlebiger mRNAs und auf die RNA-Interferenz (RNAi).

ARE-Bindeproteine sind für die Stabilität kurzlebiger mRNA-Moleküle verantwortlich

47 . Abb. 47.12 Entstehung von Apo B100 und Apo B48 durch mRNAediting. (Einzelheiten s. Text)

Die mRNAs für eine Reihe von Wachstumsfaktoren und Cytokinen zeichnen sich durch sehr kurze Halbwertszeiten aus. Als gemeinsames Merkmal zeigen sie an ihrem 3’-Ende AU-reiche Sequenzen (AUUUA). mRNAs, die über diese Elemente verfügen, werden außerordentlich rasch deadenyliert und durch eine 3’,5’-Exonuclease abgebaut. Dieser Abbau erfolgt in einem großen, als Exosom bezeichneten hexameren Proteinkomplex (s. auch 7 Abb. 46.23). Während die Hauptaufgabe cytosolischer Exosomen im mRNA-Abbau besteht, sind die im Zellkern vorkommenden Exosomen primär an der Reifung der rRNA und der Herstellung der snRNA beteiligt. Für den Abbau von mRNAs mit AREs in cytosolischen Exosomen sind ARE-Bindeproteine verantwortlich. Diese ermöglichen die Wechselwirkung zwischen mRNA und den Proteinen

599 47.2 · Regulation der Transkription bei Eukaryonten

des Exosoms. Man kennt bis heute wenigstens 12 ARE-Bindeproteine, die durch Interaktion mit den AREs mRNA-Stabilität erhöhen oder erniedrigen können.

Durch RNA-Interferenz können mRNA-Moleküle gezielt abgebaut werden Die Genexpression kann ausgeschaltet werden, wenn doppelsträngige RNA-Moleküle in Zellen eingebracht werden, von denen ein Strang komplementär zur codierenden Sequenz und damit zur mRNA des auszuschaltenden Gens ist. Dieses Verfahren wird in der Gentechnik zur experimentellen Inaktivierung von Genen benutzt (7 Kap. 55). Tier- und Pflanzenzellen nutzen dieses Phänomen zur Regulation ihrer Genexpression. Die zugrunde liegenden Mechanismen beruhen auf der Existenz sog. micro-RNAs (miRNAs), die an der Regulation der Genexpression beteiligt sind (. Abb. 47.13): 4 Im Genom tierischer und pflanzlicher Zellen kommen Gene vor, die für die sog. Pri-miRNA (primary micro RNA) codieren. Beim Menschen hat sich bisher eine größere Zahl derartiger Gene nachweisen lassen. Sie werden von der RNA-Polymerase II transkribiert, codieren jedoch nur zum Teil für Proteine. In den für Proteine codierenden Genen befinden sich die Sequenzen für die Pri-miRNAs in den Introns. 4 Die durch die RNA-Polymerase II erzeugten Pri-miRNATranskripte bilden doppelsträngige Schleifen von etwa 70 Nucleotiden Länge 1 . 4 Durch einen Proteinkomplex, der aus dem RNA-Bindeprotein Pasha 2 und der RNase-III Drosha 2 besteht, wird der doppelsträngige RNA-Bereich herausgeschnitten. Nach anschließender Bindung dieser Prä-miRNA durch Exportin 5 3 wird diese über die Kernporen ins Cytosol transportiert. 4 Ein als Dicer bezeichneter cytoplasmatischer Enzymkomplex mit RNase-Aktivität 4 entfernt nun weitere Nucleotide, sodass ein Stück doppelsträngiger RNA aus ungefähr 21 bp entsteht, bei dem die 3 -Enden etwas überhängen. Dieses Produkt wird als miRNA-Duplex bezeichnet 5 . 4 Die Duplex-miRNA wird durch eine Helicase in die zwei Einzelstränge getrennt, von denen einer mit dem RISCKomplex (RNA-induced silencing complex) 6 assoziiert. Dieser bindet dann die zur miRNA komplementäre mRNA 7 . Da der RISC-Komplex über eine RNase-Aktivität verfügt, kommt es zum Abbau der mRNA, womit deren Translation verhindert wird. Man nimmt inzwischen an, dass etwa 20 % der menschlichen Gene in ihren Introns die Information für miRNAs enthalten. Es scheint sicher zu sein, dass viele von ihnen entwicklungsgeschichtlich von Bedeutung sind. So induzieren beispielsweise bei der Entwicklung des Herzens die Transkriptionsfaktoren MyoD (myogenic factor D) und Mef2 (myocyte enhancer factor-2) die Transkription der miRNA-1-1 im Herzmuskel. Diese bindet und inaktiviert über den RISC-Komplex die mRNA des Transkriptionsfaktors Hand 2 (heart and neural crest derivatives expressed 2), der die Proliferation der Kardiomyocyten im rechten Ventrikel stimuliert. Überexpression von miRNA-1-1 führt zu

. Abb. 47.13 mRNA-Abbau durch RNA-Interferenz. (Einzelheiten s. Text)

atrophischen rechten Ventrikeln, seine fehlende Expression zu einer entsprechenden Hypertrophie. Zusammenfassung Die Regulation der Transkription erfolgt durch unterschiedliche Mechanismen: 4 Aktivierung/Inaktivierung von Genen. Wichtige Mechanismen hierbei sind die Methylierung der DNA oder reversible Modifikationen von Histonproteinen. 4 Beeinflussung der Transkriptionsinitiation. Hierfür sind v. a. Transkriptionsfaktoren/-aktivatoren verantwortlich, zu denen beispielsweise nucleäre Rezeptoren gehören. 4 Prozessierung der Prä-mRNA, z. B. durch alternatives Spleißen oder durch mRNA-editing. 4 RNA-Transport aus dem Zellkern ins Cytoplasma. 4 Stabilisierung oder Abbau der RNA. 4 RNA-Interferenz.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

47

48 Translation – Synthese von Proteinen Matthias Müller, Lutz Graeve

Einleitung Die Information für die Identität eines Proteins, d. h. seine spezifische Aminoäuresequenz, ist in der Nucleotidsequenz der codierenden mRNA festgelegt. Bei der Biosynthese eines Proteins wird die Sprache der mRNA in die des Proteins übersetzt. Deswegen wird die Biosynthese von Proteinen als Translation bezeichnet. Da es sich bei Protein und Nucleinsäure um zwei chemisch nicht verwandte Polymere handelt, stellt die Umsetzung der Information einer mRNA in die Aminosäuresequenz eines Proteins molekular gesehen einen komplexen Vorgang dar. Die Translation verläuft deswegen grundlegend anders als die Transkription, bei der aufgrund gleichartiger Bausteine von DNA und RNA die Nucleotidsequenz der DNA 1:1 in die komplementäre RNA-Sequenz umgeschrieben werden kann (7 Kap. 46). Durch mehrere Qualitätssicherungsmechanismen wird eine hohe Genauigkeit der Translation sichergestellt (durchschnittlich ein Fehler pro 5–50×103 eingebauter Aminosäuren. Schwerpunkte 4 4 4 4 4

Der genetische Code Wobble-Phänomen bei tRNAs Funktionen von Aminoacyl-tRNA-Synthetasen Struktur und Funktion von Ribosomen Initiations-, Elongations- und Terminationsphase des Translationsvorgangs 4 Einbau von Selenocystein 4 Translationsgerichtete Antibiotika 4 Regulation der Translation

48.1

Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer

48.1.1

Der genetische Code

Der genetische Code ist das Wörterbuch für die Übersetzung der Nucleinsäure in die Proteinsprache

48

Bei der Translation eines Proteins wird die codierende Information einer mRNA in Einheiten von jeweils drei aufeinanderfolgenden Nucleotiden, den Tripletts oder Codons, gelesen. Da RNA aus vier unterschiedlichen Nucleotiden (»Buchstaben«) aufgebaut ist, kann sie 43 = 64 Codons (»Worte«) bilden. Das Wörterbuch, in dem die Zuordnung der 64 Codons zu den 20 klassischen proteinogenen Aminosäuren festgeschrieben ist, ist der genetische Code. Der genetische Code wurde in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts experimentell entschlüsselt und ist in . Abb. 48.1

. Abb. 48.1 Der genetische Code. Je nach Anzahl synonymer Codons sind die Aminosäuren mit unterschiedlichen Farben markiert. GUG kann in manchen Organismen für das Startmethionin codieren. (Einzelheiten s. Text)

dargestellt. Die drei Spalten führen die jeweils vier alternativen Basen in der ersten, zweiten und dritten Position eines Codons auf, wobei die Positionen 1 bis 3 immer in 5’,3’-Richtung einer mRNA angegeben werden. Die Kombination aller vier Basen in allen drei Positionen ergibt die insgesamt 64 möglichen Basentripletts.

Start- und Stoppcodons legen das Leseraster einer mRNA fest Die drei Codons UAA, UGA und UAG codieren nicht für Aminosäuren, sondern fungieren als Stoppsignale für die Translation (Stoppcodons oder Terminationscodons). Die restlichen 61 Tripletts codieren für 20 Aminosäuren, die 21. proteinogene Aminosäure Selenocystein wird von dem Stoppcodon UGA codiert, das in diesem speziellen Fall über einen ungewöhnlichen Mechanismus dechiffriert wird (7 Kap. 48.3.1). AUG spezifiziert die Aminosäure Methionin und fungiert gleichzeitig als Start-

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_48, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

601 48.1 · Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer

48.1.2

Struktur und Funktion von Transfer-RNA

Transfer-RNAs fungieren als Adaptoren, die direkte molekulare Kontakte mit den Bausteinen der mRNA und des Proteins eingehen können . Abb. 48.2 Überlappende Leseraster einer mRNA. Dargestellt ist ein Sequenzabschnitt einer mRNA mit der zugehörigen Aminosäuresequenz in blau. Eine Verschiebung des Leserasters um eine Base nach rechts (+1) hätte eine neue Aminosäuresequenz (rot) mit einem vorzeitigen Stoppcodon zur Folge

codon einer mRNA, sodass die Proteinsynthese immer mit Methionin beginnt (7 Kap. 48.2.1). Die Reihenfolge der Codons einer mRNA, ausgehend von einem bestimmten Startpunkt bis zu einem Stoppcodon, wird als Leseraster bezeichnet, der die komplette Aminosäuresequenz des zugehörigen Proteins codiert. Prinzipiell könnte bei Verschiebung des Startpunktes um ein oder zwei Nucleotide die Information einer spezifischen mRNA auch in zwei oder drei überlappenden Leserastern in Proteine mit entsprechend unterschiedlicher Aminosäuresequenz translatiert werden. Wie . Abb. 48.2 verdeutlicht, bricht in diesen Fällen aber in der Regel der sog. offene Leserahmen (open reading frame, ORF) durch Auftauchen eines Stoppcodons vorzeitig ab. Retrovirale mRNA wird dagegen tatsächlich durch eine gezielte Verschiebung des Leserasters am Ribosom in zwei unterschiedliche Proteine translatiert. Eine Verschiebung des Leserasters mit vorzeitigem Kettenabbruch erfolgt meistens auch dann, wenn im Rahmen von Mutationen zusätzliche Nucleotide in die DNA eingefügt (Insertionen) oder entfernt (Deletionen) werden.

Der genetische Code ist redundant (»degeneriert«) und universell Wie . Abb. 48.1 zeigt, werden außer Tryptophan und Methionin alle anderen Aminosäuren von zwei, drei, vier oder sogar sechs unterschiedlichen Tripletts codiert. Damit ist die Zuordnung von Codons zu den meisten Aminosäuren mehrdeutig, eine Tatsache, die dazu geführt hat, den genetischen Code als degeneriert zu bezeichnen, was im Sinn von redundant zu verstehen ist. Unterschiedliche Codons, die für eine einzige Aminosäre codieren, werden alternative oder synonyme Codons genannt. Wie . Abb. 48.1 z. B. anhand von Glycin verdeutlicht, unterscheiden sich synonyme Codons häufig nur in der Base der 3. Position (s. u.). Synonyme Codons werden von den einzelnen Organismen mit unterschiedlicher Häufigkeit genutzt (codon usage). Bis auf wenige Ausnahmen ist der genetische Code universell, d. h. er wird von allen lebenden Organismen benutzt. In Mitochondrien, die einen eigenen Translationsapparat besitzen, codiert UGA häufig für Tryptophan. Solche Abänderungen des genetischen Codes traten sehr wahrscheinlich spät in der Evolution auf. Voraussetzung für den Erhalt essentieller, zellulärer Funktionen war nämlich eine absolute Qualitätssicherung bei der Neusynthese von Proteinen. Diese verlangte aber eine eindeutige Erkennung und Umsetzung der in der DNA einer lebenden Zelle gespeicherten Erbinformation. So gesehen ist es verständlich, dass der genetische Code konserviert geblieben ist.

Zur molekularen Erkennung der in einer mRNA gespeicherten Information hybridisieren die mRNA-Codons über H-Brücken mit einer weiteren RNA-Spezies, der Transfer-RNA (tRNA). Die tRNA-Moleküle tragen an exponierter Stelle eine zu einem Codon der mRNA komplementäre Basensequenz, die als Anticodon bezeichnet wird. Am anderen Ende sind tRNAs mit der zum jeweiligen Codon der mRNA korrespondierenden Aminosäure covalent verknüpft. Transfer-RNAs bestehen aus durchschnittlich 70–80 Nucleotiden. Wie in . Abb. 48.3A dargestellt, besitzen tRNA-Moleküle vier komplementäre Basenabschnitte, zwischen denen sich intramolekulare H-Brücken ausbilden. In zweidimensionalen Darstellungen ähneln diese gepaarten Bereiche den Stielen und die dazwischenliegenden, nicht-gepaarten Schlaufen eines tRNAMoleküls den Blättern eines Kleeblattes. Der Hauptstiel oder Akzeptorarm enthält das 5’-Ende der tRNA und am nicht-gepaarten 3’-Ende die bei allen tRNAs identische Sequenz CCA, deren Adenin an seiner freien 3’-OH-Gruppe mit einer Aminosäure verestert ist (s. u.). Die dem 3’-Ende gegenüberliegende Schlaufe des Anticodonarms enthält die drei Nucleotide des Anticodons. Die dreidimensionale Strukturwiedergabe einer tRNA (. Abb. 48.3B) verdeutlicht, dass die gepaarten Molekülanteile doppelhelicale Bereiche bilden und dass die Raumstruktur die sog. L-Form einnimmt. Sie gleicht einem auf den Kopf gestellten großen Buchstaben L. Wie weiter unten näher erläutert, spielen häufig vorkommende, ungewöhnliche Basen für die Funktion von tRNAs eine wichtige Rolle. Hierzu gehört das durch Desaminierung aus Adenin entstehende Inosin (s. u.), das mit dem großen griechischen Buchstaben Psi (Ψ) abgekürzte Pseudouridin, das über eine ungewöhnliche N-glycosidische Bindung mit der Ribose verknüpft ist (7 Abb. 3.16) und Dihydrouridin, ein im Pyrimidinring reduziertes Uridin. Diese und weitere chemische Modifikationen (s. 7 Übrigens »Taurin und die Leistungsfähigkeit von Mitochondrien« ) finden erst nach Synthese des tRNA-Moleküls, also posttranskriptional statt (7 Kap. 46.3.4).

Das Wobble-Phänomen erklärt, warum Organismen mit weniger als 61 Anticodons (= tRNAs) auskommen Die Redundanz des genetischen Codes bedeutet, dass mehrere Codons für ein und dieselbe Aminosäure codieren können. Umgekehrt bedeutet dies, dass dieselbe Aminosäure auf mehrere tRNAs mit unterschiedlichen Anticodons (isoakzeptierende tRNAs) geladen werden kann. Zellen besitzen allerdings weniger tRNAs als Codons vorhanden sind, Bakterien z. B. 31, der Mensch 48. Dies liegt daran, dass ein bestimmtes Anticodon mit mehreren Codons interagieren kann, weil zwischen Codon und Anticodon auch Basenpaarungen vorkommen, die von den standardgemäßen G-C- und A-U-Wechselwirkungen abweichen. Man spricht davon, dass in diesen Fällen der Standard »wackelt« (engl. to wobble).

48

602

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

A

B

. Abb. 48.3 Struktur einer tRNA. A Sequenz und zweidimensionale Kleeblattstruktur. (Adaptiert nach Alberts 2008, mit freundlicher Genehmigung von Taylor u. Francis). B Dreidimensionale L-Form einer tRNA. Pfeil: H-Brücken zwischen ausgeklappten Basen von Schlaufenregionen, welche die L-Form stabilisieren. PDB: 1EVV. Ψ: Pseudouridin; D: Dihydrouridin

Solche abweichenden Basenpaarungen kommen vor allem zwischen der 3. Position des Codons und der 1. Position des Anticodons (beide in 5’,3’-Richtung angegeben) vor, die deswegen auch als die Wobble-Positionen bezeichnet werden. . Tab. 48.1 fasst die möglichen Basenpaarungen in den Wobble-Positionen von Codon und Anticodon zusammen. Es wird deutlich, wie wichtig in diesem Zusammenhang Inosin ist, das in der WobblePosition des Anticodons mit C, U und A im Codon paaren kann. Wenn Uridin in der Wobble-Position des Anticodons vorkommt, ist es häufig chemisch modifiziert (s. 7 »Übrigens: Taurin und die Leistungsfähigkeit von Mitochondrien«).

. Tab. 48.1 Standardgemäße und davon abweichende Basenpaarungen in der Wobble-Position (Wobble-Hypothese) Erste Base des Anticodons

Mögliche Basen in Position drei des Codons

A

U

C

G

U (modifiziert)

A oder G

G

C oder U

I (Inosin)

A, C oder U

Übrigens Taurin und die Leistungsfähigkeit von Mitochondrien

48

Modifikationen von Uridin, wie sie an Position 1 des Anticodons von tRNAs häufig anzutreffen sind, können bei mitochondrialen tRNAs auch mit Taurin (7 Kap. 27.2.4) erfolgen (. Abb. 48.4). Bestimmte Mutationen mitochondrialer tRNAs sind beschrieben worden, die zu einer Beeinträchtigung dieser Taurinomethylierung und damit der mitochondrialen Translation führen. Aus der Tatsache, dass diese Mutationen zu mitochondrialer Dysfunktion mit neuromuskulärer Symptomatik (mitochondriale Encephalomyopathien) führen, kann geschlossen werden, dass Taurin für die Aufrechterhaltung normaler mitochondrialer Funktionen benötigt wird. Dies könnte eine Erklärung für die leistungssteigernde Wirkung sein, die für Taurin propagiert, bisher aber nicht eindeutig belegt werden konnte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät wegen fehlender Unbedenklichkeitsnachweise derzeit von einer zusätzlichen Taurinaufnahme ab.

48.1.3

Aminoacyl-tRNA-Synthetasen

Aminoacyl-tRNA-Synthetasen aktivieren Aminosäuren für die Proteinsynthese durch covalente Kopplung an tRNAs Für jede der 20 proteinogenen Aminosäuren gibt es eine spezifische Aminoacyl-tRNA-Synthetase. Diese Enzyme koppeln tRNA und Aminosäure in einer zweistufigen Reaktion (. Abb. 48.5): 4 Zunächst aktivieren sie die Aminosäure, indem sie deren Carboxylgruppe unter Hydrolyse von ATP an AMP koppeln. Das dabei entstehende Pyrophosphat wird hydrolysiert und verschiebt das Gleichgewicht der Reaktion in Richtung Bildung des Aminoacyladenylats, welches als Carbonsäure-Phosphorsäure-Anhydrid zu den energiereichen Verbindungen gehört. Nach demselben Mechanismus werden Fettsäuren durch die Acyl-CoA-Synthetase aktiviert (7 Kap. 21.2.1).

603 48.1 · Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer

. Abb. 48.4 Mit Taurin modifiziertes Uridin und Thiouridin

4 Anschließend binden sie die zugehörige tRNA und verestern deren endständiges Adenosin mit der Carboxylgruppe der aktivierten Aminosäure. Dabei gibt es zwei Klassen von Aminoacyl-tRNA-Synthetasen: Klasse I überträgt Aminosäuren auf die 3’-Hydroxylgruppe, Klasse II zuerst auf die 2’-Hydroxylgruppe und anschließend durch Transesterifizierung auf die 3’-Hydroxylgruppe.

Den Aminoacyl-tRNA-Synthetasen obliegt die Auswahl der korrekten Paare von tRNA und Aminosäuren Neben der rein chemischen Acylierung von tRNAs haben Aminoacyl-tRNA-Synthetasen die wichtige Funktion, die richtigen Paare von tRNAs und Aminosäuren auszuwählen. So gesehen sind sie neben den tRNAs die primären »Dolmetscher« bei der Übersetzung der Nucleinsäuresprache in die der Proteine. Die molekularen Details sind in . Abb. 48.6 schematisch dargestellt. 4 Aminoacyl-tRNA-Synthetasen haben für ihre zugehörigen (engl. cognate) Aminosäuren spezifische Bindungsstellen im aktiven Zentrum (Aminoacylierungsstelle). Strukturverwandte Aminosäuren können dort mit geringer Affinität ebenfalls gebunden werden. Tritt dies ein, werden sie durch Hydrolyse des Acyladenylats vor Übertragung auf die tRNA wieder entfernt (Prätransfer-Korrektur, pretransfer editing). 4 Zugehörige tRNAs werden von den Aminoacyl-tRNA-Synthetasen v. a. über ihr Anticodon und bestimmte Nucleotide im Akzeptorarm erkannt und gebunden. 4 Auch nach Acylierung der tRNA kann noch eine Korrektur erfolgen. Dazu schwenkt das flexible, weil nicht gepaarte, 3’-Ende des Akzeptorarms der tRNA die gebundene Aminosäure in eine zweite Bindestelle des aktiven Zentrums, die Korrekturstelle (editing pocket). Diese ist so ausgelegt, dass sie die korrekte Aminosäure nicht aufnehmen kann, während kleinere, strukturähnliche Aminosäuren gebunden und dann hydrolysiert werden (Posttransfer-Korrektur). Diese Korrekturmechanismen tragen gemeinsam mit Kontrollmechanismen während der Elongation (7 Kap. 48.2.2) dazu bei, dass die Translation von Proteinen in der Zelle mit einer hohen Genauigkeit (durchschnittlich ein Fehler auf 5.000–50.000 eingebauter Aminosäuren) abläuft.

. Abb. 48.5 Reaktionsmechanismus von Aminoacyl-tRNA-Synthetasen

. Abb. 48.6 Reaktionsfolge und Qualitätskontrolle von AminoacyltRNA-Synthetasen. Links: Bindung einer Aminosäure (AA) in der Aminoacylierungsstelle (rot) und Bildung des Acyladenylats (AA-AMP); Mitte: Transfer der Aminosäure auf die gebundene tRNA (Aminoacylierung der tRNA); rechts: Translokation der gebundenen Aminosäure in die Korrekturstelle (grün)

48.1.4

Aufbau und Funktion von Ribosomen

Ribosomen sind die enzymatische Maschinerie einer Zelle, an der Aminosäuren zu Polypeptiden (Proteinen) polymerisieren, mit anderen Worten Ribosomen sind die Orte der Translation. Ribosomen bestehen aus zwei ribosomalen Untereinheiten. In der kleinen Untereinheit erfolgt die Decodierung der mRNA durch die Aminoacyl-tRNAs, während in der großen die Peptidbindungen zwischen den Aminosäuren geknüpft werden. Proteine werden an den Ribosomen vom N- zum C-Terminus synthetisiert. Die Synthesegeschwindigkeit beträgt in eukaryontischen Zellen 3–5 Aminosäuren pro Sekunde, in Prokaryonten ca. 20.

5-Taurinomethyl-Uridin# 5-Taurinomethyl-2-Thiouridin# Adenin# Aminoacyladenylat# Aminoacyl-tRNA#

48

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

604

der kleinen, und aus der 23S (28S) r-RNA im Fall der großen Untereinheit.

. Tab. 48.2 Zusammensetzung von Ribosomen

Untereinheiten rRNAs Proteinec a

b c

70Sa-Ribosomen (Prokaroynten)

80S-Ribosomen (Eukaryonten)

Groß (50S) 1.600 kDa

Klein (30S) 900 kDa

Groß (60S) 2.800 kDa

Klein (40S) 1.400 kDa

23S 5S

16S

28S/5.8Sb

18S

34

21

5S 50

33

Svedberg Einheit; gibt das Sedimentationsverhalten in Abhängigkeit von Masse und Form an (7 Kap. 6.2). Nur bei Vertebraten. Zahl schwankt geringfügig zwischen Species bzw. Organismen.

Ribosomen sind Ribonucleoproteinpartikel, die zu ca. 60 % ihrer Masse aus RNA bestehen

48

Die ribosomalen RNAs (rRNAs) sind nicht nur quantitativ, sondern auch funktionell der wichtigere Teil der Ribosomen. Der Aufbau von Ribosomen geht aus . Tab. 48.2 hervor. Eukaryontische Ribosomen sind aufgrund von mehr Proteinen und zusätzlichen rRNA-Segmenten größer (80S-Ribosomen) als die von Bakterien (70S-Ribosomen). Ihr ähnlicher struktureller Aufbau weist jedoch auf einen gemeinsamen evolutionären Ursprung hin. Die Ribosomen einer eukaryontischen Zelle sind sowohl frei im Cytosol lokalisiert als auch am endoplasmatischen Retikulum gebunden. Die Synthese dieser Ribosomen erfolgt im Nucleolus. Mitochondrien hingegen synthetisieren einen eigenen Satz von Ribosomen, die aufgrund der endosymbiontischen Entstehung von Mitochondrien den bakteriellen 70S-Ribosomen sehr ähnlich sind. Trotz unterschiedlicher Nucleotidsequenzen bilden die beiden großen rRNAs von Pro- und Eukaryonten ähnliche dreidimensionale Strukturen aus, die das Kerngerüst der beiden ribosomalen Untereinheiten ausmachen und im Wesentlichen deren globuläre Form bestimmen. Die Raumstruktur der rRNAs kommt wie bei der tRNA v. a. durch die Ausbildung zahlreicher Stiel-Schlaufen-Strukturen, d. h. von intramolekularen Doppelhelices zwischen komplementären Basenabschnitten eines rRNA-Stranges, zustande. In . Abb. 48.7A–D sind diese doppelhelicalen Abschnitte durch die großen spiralförmig angeordneten Bänder wiedergegeben, in denen teilweise die verbrückten Basenpaare zu sehen sind. Zusätzlich sind an der Ausbildung der Raumstruktur direkte RNA-RNA-Wechselwirkungen beteiligt. Die bedeutendste ist das sog. A-minor-motif bei dem nichtgepaarte Adeninnucleotide H-Brücken mit der kleinen Furche (minor groove) von Basenpaaren benachbarter RNA-Doppelhelices (. Abb. 48.7E) ausbilden. Die ribosomalen Proteine sind größtenteils auf der Oberfläche der beiden Untereinheiten lokalisiert (. Abb. 48.7B, C). Einige besitzen lange Fortsätze aus basischen Aminosäuren, mit denen sie in die globuläre Struktur der ribosomalen RNAs vordringen. Die beiden Kontaktflächen der ribosomalen Untereinheiten sind jedoch weitgehend proteinfrei und bestehen im Wesentlichen aus der 16S-rRNA (18S-rRNA bei Eukaryonten) im Falle

Die kleinen und großen Untereinheiten der Ribosomen bilden drei charakteristische Bindestellen für tRNAs aus Auch die drei Bindestellen der Ribosomen für tRNAs werden weitgehend von den rRNAs gebildet: die sog. A-Stelle bindet die neu eintretende Aminoacyl-tRNA, die P-Stelle hält die mit der neu synthetisierten Peptidkette verknüpfte Peptidyl-tRNA und die E-Stelle ist der Ort, an den die Exit-tRNA nach Entfernung der Aminosäuren gelangt. Alle drei tRNA-Bindestellen werden auf Seiten der kleinen Untereinheit von der 16S (18S)-rRNA und auf Seiten der großen Untereinheit von der 23S (28S)-rRNA gebildet, sodass man von den jeweiligen »Halbstellen« auf den beiden Untereinheiten spricht. Die Halbstellen interagieren mit unterschiedlichen Teilen der tRNAs: die der kleinen Untereinheit nehmen die Anticodonschlaufen der tRNAs auf und vermitteln deren Interaktion mit der mRNA. Die Halbstellen der großen ribosomalen Untereinheit umschließen dagegen die Akzeptorarme der tRNAs. Sie sind räumlich so angeordnet, dass die CCAEnden der beiden tRNAs in den A- und P-Stellen unmittelbar nebeneinander zu liegen kommen (. Abb. 48.7B, D).

Die große ribosomale Untereinheit besitzt das Peptidyltransferasezentrum und den Proteinaustrittskanal Der Bereich der 23S (28S)-rRNA um die A- und P-Stellen der großen Untereinheit wird als Peptidyltransferasezentrum bezeichnet, in dem die Peptidbindung zwischen zwei benachbarten Aminosäuren geknüpft wird (. Abb. 48.7D). Wie bei einem typischen Enzym ermöglicht die sterische Anordnung der A- und P-Stellen tRNAs im Peptidyltransferasezentrum eine optimale Ausrichtung der miteinander reagierenden Aminosäuren, sodass das Ribosom die Bildung der Peptidbindung ungefähr um den Fakor 105 beschleunigt. Obgleich im Peptidyltransferasezentrum auch zwei ribosomale Proteine mit den tRNAs von A- und PStelle interagieren, ist es vor allem die 23S bzw. 28S-rRNA, die für die Katalyse verantwortlich ist. Diese rRNAs werden deswegen als Ribozyme bezeichnet. Am Peptidyltransferasezentrum der großen ribosomalen Untereinheit beginnt auch der etwa 10 nm lange und 1 nm breite Austrittskanal, durch den die naszierende (neusynthetisierte) Polypeptidkette das Ribosom verlässt (. Abb. 48.7D). Die Kanalwand wird überwiegend von rRNA, aber auch den Schlaufen von 4 ribosomalen Proteinen gebildet, die von der Ribosomenoberfläche nach innen vordringen und an einer Stelle den Kanal abknicken lassen. Die Austrittstelle an der großen ribosomalen Untereinheit wird von mehreren ribosomalen Proteinen flankiert.

Die kleine ribosomale Untereineinheit beherbergt die Bindestelle für die mRNA und das Decodierzentrum Die 16S (18S)-rRNA und die Proteine der kleinen ribosomalen Untereinheit bilden eine charakteristische Raumstruktur, die in älteren elektronenmikroskopischen Darstellungen an den Umriss eines Kükens erinnerte und seit dieser Zeit mit Kopf, Nacken,

605 48.1 · Der genetische Code und seine molekularen Übersetzer

B

A

C

D

. Abb. 48.7 Röntgenkristallstruktur von 70S-Ribosomen des thermophilen Bakteriums Thermus thermophilus. In der kleinen ribosomalen Untereinheit sind die 16S-rRNA türkis und die Proteine dunkelblau, in der großen Untereinheit ist die 23S-rRNA grau und die Proteine violett wiedergegeben. A Blick auf den Rücken der kleinen Untereinheit, mit der darunterliegenden großen Untereinheit. Ko: Kopf, N: Nacken, P: Plattform, Sch: Schulter, Kö: Körper, Sp: Sporn. B Die kleine Untereinheit wurde aus ihrer Position in A um 180° nach rechts aufgeklappt, sodass ihre Kontaktfläche zur großen Untereinheit sichtbar wurde. Die drei tRNAs der A- (gold), P- (orange) und E-Stellen (rot) blicken mit ihren Akzeptorarmen, die im Fall der tRNAs von A- und PStelle an ihren unmittelbar nebeneinander liegenden 3’-CAA-Enden zu erkennen sind (Pfeile), auf den Betrachter. (Die A-, P- und E-Stellen werden weiter unten im Text ausführlich besprochen.) C Untereinheitenkontaktfläche der großen ribosomalen Untereinheit. Position wie in A nach Entfernung der kleinen Untereinheit. Die drei tRNAs sind mit ihren Anticodonarmen auf den Betrachter gerichtet. Die meisten ribosomalen Proteine sind auf den Oberflächen und weniger auf den Kontaktflächen der beiden Untereinheiten lokalisiert. D Bei dieser Darstellung wurde die kleine Untereinheit aus der Position in B um ca. 60° kopfüber auf den Betrachter zugedreht. Teile beider Untereinheiten wurden entfernt, um den Blick ins Innere mit dem Peptidyltransferasezentrum (PTZ) und dem Proteinaustrittskanal (PK) frei zu legen. Der Knick des Proteinkanals ist in dieser Projektion nicht sichtbar. Der Verlauf der mRNA zwischen den beiden Untereinheiten ist angezeigt. E A-minor-motif, über das viele intramolekulare Kontakte der großen rRNAs gebildet werden. H-Brücken zwischen einem Adeninnucleotid (oben) und einem A-U-Basenpaar (unten). Die gestrichelte Linie markiert die Flanke des A-U-Basenpaares, die in der kleinen Furche einer Doppelhelix liegt (7 Abb. 10.3) Typisch sind die Beteiligung von Ring-N-Atomen und der 2’-OH-Gruppe von Ribose (grün) an den H-Brücken. Adenin, rot; Uracil, blau; Ribose, schwarz. Derartige Wechselwirkungen spielen auch bei der Erkennung eines korrekten Codon-AnticodonPaares durch die 16S (18S)-rRNA eine entscheidende Rolle. (A–C Adaptiert nach Yusupov et al. 2001; D Adaptiert nach Noller et al. 2002)

E

48

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

606

Schulter, Plattform, Körper und Sporn bezeichnet werden (. Abb. 48.7A, B). Die Nackenstruktur besteht aus einer einzigen RNA-Helix, um die Kopf und Körper gegeneinander verdrehbar sind. Außerdem bindet die mRNA in einer kanalförmigen Struktur um den Nacken. Die A-, P- und E-Halbstellen der kleinen ribosomalen Untereinheit, in denen die drei tRNAs mit der mRNA interagieren (das sog. Decodierzentrum des Ribosoms), werden von rRNA-Anteilen von Kopf und Körper oberhalb und unterhalb des mRNA-Kanals gebildet. Zusammenfassung Bei der Translation wird die Basensequenz einer mRNA in die Aminosäuresequenz eines Proteins übersetzt. Der genetische Code ordnet den 64 möglichen Codons (Basentripletts) 20 proteinogene Aminosäuren zu. Die tRNAs sind molekulare Adaptoren, die mit ihren spezifischen Anticodons an die Codons der mRNA binden und gleichzeitig die zugehörige Aminosäure in aktivierter Bindung tragen. In den Wobble-Positionen von Codon und Anticodon kommen auch nicht-standardgemäße Basenpaarungen vor, die häufig von Inosin oder modifizierten Basen der tRNAs ausgehen. Zusammen mit dem Startcodon für Methionin legen drei Stoppcodons den Leseraster (= offenen Leserahmen) einer mRNA fest. Überlappende Leseraster, die um ein bis zwei Basen vesetzt sind, führen in der Regel zum vorzeitigen Auftreten eines Stoppcodons. Die Translation läuft an Ribosomen ab. Ribosomen von Eukaryonten bestehen aus 40S- und 60S-Untereinheiten, die aus Proteinen und zum größeren Teil aus den rRNAs aufgebaut sind. Sie besitzen drei simultane Bindestellen für tRNAs (A-, P-, E-Stelle) und das Peptidyltransferasezentrum, wo rRNA-abhängig die Peptidbindungen zwischen benachbarten Aminosäuren ausgebildet werden. Zur Qualitätskontrolle der Translation tragen entscheidend die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen bei, die die korrekten tRNA-Aminosäure Paare aussuchen.

48.2

Translationsmechanismus

Bei der Translation, d. h. der Biosynthese eines Proteins am Ribosom, werden die drei Phasen Initiation, Elongation und Termination unterschieden

48

Während der Initiation wird sichergestellt, dass die Proteinsynthese mit demjenigen AUG-Codon beginnt, das den Start eines Proteins markiert und damit das richtige Leseraster festlegt. Die Elongation ist die eigentliche Synthesephase, in der die Peptidbindung zwischen zwei benachbarten Aminosäuren geknüpft wird, wobei die naszierende Polypeptidkette immer C-terminal über eine tRNA am Ribosom gebunden bleibt. Ausgelöst durch ein Stoppcodon wird in der Phase der Termination die Esterbindung zwischen Protein und tRNA hydrolytisch gespalten und damit das neu entstandene Protein vom Ribosom abgelöst.

48.2.1

Initiation

Zu Beginn der Initiation bilden 40S-ribosomale Untereinheit, Methionyl-tRNAiMet und Initiationsfaktoren einen 43S-Präinitiationskomplex Während der Initiationsphase interagieren Ribosom, mRNA und tRNA mit einer Reihe von Proteinen, die als Initiationsfaktoren (eIFs für eukaryontische Initiationsfaktoren) bezeichnet werden. Der Ablauf der Initiation in eukaryontischen Zellen ist in . Abb. 48.8 schematisch dargestellt. Zur erfolgreichen Initiation der Translation muss das 80S-Ribosom in seine 40S- und 60S-Untereinheiten dissoziieren, ein Prozess, an dem mehrere Initiationsfaktoren wie eIF3 und eIF6 beteiligt zu sein scheinen. Die 40SUntereinheit bindet dann eIF1 in der Nähe der P-Stelle, eIF1A, der wahrscheinlich die A-Stelle besetzt, eIF3 und den sog. ternären Komplex (. Abb. 48.8A). Dieser besteht aus der mit Methionin beladenen spezifischen Initiator tRNAiMet, dem Initiationsfaktor eIF2 und dem an eIF2 gebundenen GTP (MethionyltRNAiMet/eIF2/GTP). Die Bindung von Methionyl-tRNAiMet an die 40S-Untereinheit wird nur dann durch eIF2 vermittelt, wenn es GTP gebunden hat. 40S-Untereinheit, ternärer Komplex und die Initiationsfaktoren eIF1, eIF1A und eIF3 bilden den 43SPräinitiationskomplex.

Mithilfe von eIF3 und dem eIF4-Komplex bindet der 43S-Präinitiationskomplex an die mRNA Der Multienzymkomplex eIF4 bindet auf der Rückseite der 40SUntereinheit an eIF3, an die 5’-cap-Struktur (7 Kap. 46.3.3) der mRNA und an das PolyA-Bindeprotein I (PABP), das mit dem 3’-PolyA-Ende der mRNA assoziiert und damit zusätzlich die Bindung der mRNA an die 40S-Untereinheit vermittelt (. Abb. 48.8B). Auf diese Weise kommt es zu einem Ringschluss der mRNA. Der so erweiterte Komplex wird als 48S-Präinitiationskomplex bezeichnet.

Der 48S-Präinitiationskomplex durchsucht die mRNA vom 5’-Ende her nach dem Start-AUG-Codon Viele mRNAs enthalten an ihrem 5’-Ende lange, nicht-translatierte Abschnitte (5’-UTRs = untranslated regions), die häufig helicale Sekundärstrukturen ausbilden. Diese werden während der Suche (scanning) nach dem Startcodon durch eine ATP-abhängige Helicase-Aktivität des eIF4-Komplexes entwunden (. Abb. 48.8B). Die Durchforstung der mRNA Sequenz nach dem Startcodon wird kooperativ von eIF1 und eIF1A unterstützt, die den mRNA-Kanal der 40S-Untereinheit bis zum Erscheinen des Startcodons in der P-Halbstelle offenhalten und eine unerwünschte Basenpaarung der tRNAiMet mit anderen Codons der mRNA verhindern. Das Startcodon findet sich häufig im Sequenzkontext GCC(A/G)CCAUGG (Kozak-Sequenz). Sobald das Start-AUG-Codon in der P-Halbstelle eine perfekte Basenpaarung mit Methionyl-tRNAiMet erlaubt, kommt es zur GTPHydrolyse im ternären Methionyl-tRNAiMet/eIF2/GTP-Komplex (. Abb. 48.8C). In seiner GDP-gebundenen Form verlässt eIF2 den Präinitiationskomplex und steht nach Austausch von GDP gegen GTP, den der Faktor eIF2B (GEF = guanine nucleotide exchange factor 7 Kap. 33.4.4) katalysiert, für die erneute Bildung eines ternären Komplexes zur Verfügung.

607 48.2 · Translationsmechanismus

A

B

D

C

E

. Abb. 48.8 Initiationsphase der eukaryontischen Translation. Die Initiation umfasst die Erkennung des Startcodons auf der mRNA und den Zusammenbau eines Ribosoms mit der Start-Methionyl-tRNA in der P-Stelle (Einzelheiten s. Text). Die Projektion von kleiner und großer ribosomaler Untereinheit entspricht ungefähr der von . Abb. 48.7D, sodass die Kontaktfläche der 40S-Untereinheit mit den A-, P- und E-Halbstellen nach unten und ihre Rückseite nach oben gerichtet sind. Der schwarze Pfeil in B gibt die Laufrichtung der mRNA an. Die Codons sind in 5’,3’-Richtung eingezeichnet, sind also von rechts nach links zu lesen. Ein weiterer, nicht dargestellter Initiationsfaktor (eIF5) ist an der Bindung des ternären Komplexes aus Methionyl-tRNAiMet, eIF2 und GTP an die 40S-Untereinheit sowie an dessen Entfernung nach GTP-Hydrolyse beteiligt. PABP: PolyA-Bindeprotein I (7 Abb. 46.22). Weitere Details zu eIF4 s. 7 Kap. 48.3.3

43S-Präinitiationskomplex# 48S-Präinitiationskomplex#

48

608

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

Nach der festen Bindung der Methionyl-tRNAiMet an das Start AUG-Codon wird die große 60S-Untereinheit angefügt Im nächsten Schritt assoziiert eIF5B ebenfalls in GTP-gebundener Form über Methionyl-tRNAiMet und eIF1A mit der 40S-Untereinheit (. Abb. 48.8D). Durch eIF5B wird die Bindung der großen 60S-ribosomalen Untereinheit an den 48S-Komplex stimuliert, wobei eIF1 und eIF3 entfernt werden. Die Freigabe der A-Stelle durch Entfernung von eIF1A wird ebenfalls durch eIF5B vermittelt. Umgekehrt bewirkt die 60S-Untereinheit die GTPHydrolyse von eIF5B, was zur Dissoziation von eIF5B/GDP führt. Am Ende dieses vielstufigen Prozesses steht die Bildung des Initiationskomplexes, d. h. eines neu zusammengefügten 80S-Ribosoms mit dem Startcodon der mRNA und der daran gebundenen Methionyl-tRNAiMet in seiner P-Stelle (. Abb. 48.8E).

Charakteristisch für die Initiation an prokaryontischen Ribosomen sind eine vereinfachte Erkennung des Startcodons und die Verwendung von Formylmethionin als Startaminosäure Prokaryontische mRNAs besitzen eine Konsensussequenz im nicht-translatierten Bereich vor dem Startcodon, die als ShineDalgarno-Sequenz bezeichnet wird. Diese bindet an einen komplementären Abschnitt der 16S-rRNA an der Plattform der 30SUntereinheit (. Abb. 48.7B), sodass kein eIF4-Komplex, eIF3 oder PABP für die Bindung der mRNA benötigt werden. Außerdem bindet die prokaryontische Start-tRNA, die mit formyliertem Methionin (Formylmethionyl-tRNAfMet) beladen wird, direkt und nicht in einem ternären Komplex an die kleine ribosomale Untereinheit. Mit dem Fehlen eines eIF2-Homologen kann die prokaryontische Translation auch nicht über Phosphorylierung reguliert werden (7 Kap. 48.3.3). Dies ist auch nicht nötig, da durch die direkte Kopplung von Transkription und Translation in Prokaryonten (naszierende mRNAs werden sofort translatiert) eine Regulation über die Transkriptionshäufigkeit selbst erfolgt. Einen Vergleich der eu- und prokaryontischen Initiationsfaktoren gibt . Tab. 48.3.

Proteine werden häufig an Polysomen synthetisiert

48

Werden Ribosomen intakter Zellen über Dichtegradientenzentrifugation (7 Kap. 6.2) isoliert, so hat ein Teil von ihnen eine wesentlich höhere Sedimentationskonstante als 70S oder 80S. Dabei handelt es sich um Verbände unterschiedlich vieler Ribosomen, die jeweils auf einem mRNA-Strang sitzen und als Polyribosomen oder Polysomen bezeichnet werden. Polysomen entstehen, wenn Ribosomen nacheinander mit demselben mRNAMolekül Initiationskomplexe bilden, bevor das erste Ribosom die Translation beendet hat. Die Ribosomen eines Polysoms tragen also unterschiedlich lange naszierende Ketten desselben Proteins. Die Fixierung der cap-Struktur einer mRNA in der Nähe ihres PolyA-Endes über den eIF4-Komplex und PABP (. Abb. 48.8E) erleichtert es den bei der Termination getrennten ribosomalen Untereinheiten, unmittelbar einen neuen Initiationskomplex zu bilden.

. Tab. 48.3 Strukturell bzw. funktionell homologe Translationsfaktoren von Pro- und Eukaryonten. (Nach Rodnina u. Wintermeyer 2009)

Initiation

Eukaryonten

Prokaryonten

eIF1A

IF1

eIF1

IF3

eIF2 (α,β.γ) eIF2B (α,β,γ,δ,ε) eIF3 (13 Untereinheiten) eIF4 (A,B,E,G,H) eIF5 eIF5B

IF2

eIF6 Elongation

Termination

eEF1A

EF-Tu

eEF1B (2–3 Untereinheiten)

EF-Ts

eEF2

EF-G

eRF1

RF1a RF2a

eRF3 a

RF3

RF1 erkennt UAA und UAG, RF2 UAA und UGA, während in Eukaryonten eRF1 mit allen drei Stoppcodons interagiert. Prokaryonten besitzen außerdem einen Ribosome Recycling Factor (RRF), der gemeinsam mit EF-G die Dissoziation der Ribosomen in Untereinheiten vermittelt.

48.2.2

Elongation

Die Elongationsphase der Translation umfasst die Erkennung des A-Stellen-Codons durch die zugehörige Aminoacyl-tRNA, die Herstellung einer Peptidbindung und die Translokation der Peptidyl-tRNA von der A-Stelle in die P-Stelle des Ribosoms Die ersten und letzten Schritte der Elongation werden durch Enzyme beschleunigt, die als Elongationsfaktoren (EFs) bezeichnet werden (. Tab. 48.3). Anhand der gleichen Anzahl an Elongationsfaktoren in Pro- und Eukaryonten wird deutlich, dass anders als bei der Initiation die Elongationsschritte der Translation im Laufe der Evolution nicht wesentlich verändert wurden.

Elongationsfaktor eEF1A koppelt den Fortgang der Elongation an die korrekte Erkennung der mRNA-Codons Sobald sich ein Initiationskomplex neu gebildet hat, steht seine A-Stelle für die Bindung einer Aminoacyl-tRNA zur Verfügung (. Abb. 48.8E). Ähnlich wie bei der Initiation MethionyltRNAiMet im Komplex mit eIF2 und GTP angeliefert wird, bilden für die Elongationsschritte alle Aminoacyl-tRNAs ternäre Komplexe mit dem Elongationsfaktor eEF1A und GTP. Die Bindung der ternären Komplexe an die Ribosomen erfolgt zum einen über die Aminoacyl-tRNA an der A-Stelle, zum andern über den

609 48.2 · Translationsmechanismus

Elongationsfaktor eEF1A (. Abb. 48.9A) an der kleinen ribosomalen Untereinheit (in der Nähe der Schulter; . Abb. 48.7B). Wenn die Interaktion einer Aminoacyl-tRNA mit der AStelle in der kleinen Untereinheit zu einer korrekten Basenpaarung zwischen mRNA und tRNA führt, kommt es im Sinne eines induced fit (7 Kap. 7.1) zu weiteren Wechselwirkungen zwischen der rRNA der kleinen ribosomalen Untereinheit und dem Codon-Anticodon-Paar (über A-minor-motif-Interaktionen, . Abb. 48.7E). Daraus resultiert eine Konformationsänderung der ribosomalen Bindestelle für eEF1A, wodurch die GTP-Hydrolyse durch eEF1A ausgelöst wird. In der GDP-gebundenen Form verlässt der Elongationsfaktor dann das Ribosom, sodass jetzt der Akzeptorarm des Aminoacyl-tRNA-Moleküls mit der gebundenen Aminosäure in unmittelbare Nähe zum Start-Methionin im Peptidyltransferasezentrum der großen ribosomalen Untereinheit zu liegen kommt (. Abb. 48.9B). Über diese Kaskade von Vorgängen trägt der Elongationsfaktor eEF1A zur hohen Genauigkeit der Translation bei, indem er sicherstellt, dass Peptidbindungen nur dann geknüpft werden können, wenn die korrekte Aminosäure in der A-Stelle gebunden hat.

Das aus rRNA aufgebaute Peptidyltransferasezentrum der großen ribosomalen Untereinheit katalysiert die Ausbildung der Peptidbindung Die A- und P-Stellen der 23S (28S)-rRNA der großen ribosomalen Untereinheit bilden das Peptidyltransferasezentrum (PTZ) (7 Kap. 48.1.4). Nach Einlagerung des Akzeptorarms der Aminoacyl-tRNA der A-Stelle kommt es zu einer Konformationsänderung im PTZ. Diese bringt die beiden terminalen Adeninnucleotide von Aminoacyl- und Peptidyl-tRNA in die optimale Position, aus der heraus ein nucleophiler Angriff der α-Aminogruppe der Aminoacyl-tRNA auf das veresterte Carboxyl-C-Atom der Peptidyl-tRNA erfolgen kann (. Abb. 48.10). Das Ergebnis dieser Reaktion ist die Ausbildung einer neuen Peptidbindung, mit der beim ersten Elongationsschritt das Startmethionin und später dann das wachsende Peptid der Peptidyl-tRNA auf die Aminosäure der Aminoacyl-tRNA übertragen wird (. Abb. 48.9C). Die katalytische Wirkung des Ribosoms bei der Herstellung dieser Peptidbindung besteht im Wesentlichen in der exakten Positionierung der Reaktanten durch Wechselwirkungen mit der 23S (28S)-rRNA. Die 2’-OH-Gruppe der terminalen Ribose der Peptidyl-tRNA ist sehr wahrscheinlich am Protonentransfer während der Reaktion beteiligt (. Abb. 48.10).

Mithilfe von Elongationsfaktor eEF2 translozieren die mRNA-tRNA-Komplexe von den A- und P-Stellen in die P- und E-Stellen Bei der Peptidyltransferase-Reaktion wird das um eine Aminosäure verlängerte Peptid, oder allgemein die naszierende Polypeptidkette, auf die Aminoacyl-tRNA in der A-Stelle übertragen und in der P-Stelle bleibt eine deacylierte tRNA zurück (. Abb. 48.9C). In diesem Zustand ist die kleine Untereinheit gegenüber der großen geringfügig verdrehbar, sodass es zu einer Verlagerung der neuen Peptidyl-tRNA in die P-Halbstelle und der deacylierten tRNA in die E-Halbstelle der großen Untereinheit kommen kann, ohne dass dabei die beiden tRNAs die ursprünglichen Halbstellen in der kleinen Untereinheit verlassen (. Abb. 48.9D). Diese sog. A/P- und P/E-

Hybridzustände werden aber nur stabilisiert, wenn der Elongationsfaktor eEF2 im Komplex mit GTP an das Ribosom bindet. GTP-Hydrolyse durch eEF2 hat dann eine Konformationsänderung in der kleinen ribosomalen Untereinheit zur Folge, die mit der Translokation der mRNA und ihrer gebundenen tRNA Komplexe um ein Codon weiter einhergeht. Gleichzeitig wird die Verdrehung der beiden Untereinheiten gegeneinander zurückgestellt. Als Ergebnis befinden sich die Peptidyl-tRNA in der P/P-Stelle und die deacylierte tRNA in der E/E-Stelle (. Abb. 48.9E). Nach Verlassen von eEF2/GDP kann an die freie A-Stelle ein neuer ternärer Komplex aus der nächsten Aminoacyl-tRNA und eEF1A/GTP binden, wobei gleichzeitig die deacylierte tRNA die E-Stelle verlässt. Eine Besonderheit von Elongationsfaktor eEF2 ist das Vorkommen eines modifizierten Histidinrests, dem sog. Diphthamid. Dieses kann durch das Toxin des Diphtherie-Erregers, Corynebacterium diphtheriae, ADP-ribosyliert werden (7 Kap. 49.3.6), wodurch eEF2 inaktiviert und die Translation der befallenen Zellen blockiert wird.

48.2.3

Termination

Stoppcodons führen zur Bindung von Terminationsfaktoren, welche die fertige Polypeptidkette hydrolytisch vom Ribosom freisetzen Erscheint eines der drei Stoppcodons (. Abb. 48.1) in der AStelle der kleinen ribosomalen Untereinheit, bindet in eukaryontischen Zellen der Terminationsfaktor eRF1 (eukaryontischer release factor 1) und unterbricht damit den Elongationsprozess (. Abb. 48.11). Die Bindung von eRF1 ist möglich, weil seine Raumstruktur der eines tRNA-Moleküls ähnelt (sog. molecular mimicry). Entsprechend interagiert der Terminationsfaktor eRF1 auch mit dem Peptidyltransferasezentrum der großen Untereinheit (über das spezifische Aminosäuremotiv Gly-Gly-Gln) und katalysiert dort die Hydrolyse der Peptidyl-tRNA. Reguliert wird dieser Prozess durch einen zweiten Terminationsfaktor eRF3, der im Komplex mit GTP und eRF1 an das Ribosom bindet. Erst nachdem eRF3 sein gebundenes GTP zu GDP und Pi gespalten hat, katalysiert eRF1 die hydrolytische Trennung zwischen tRNA und der naszierenden Polypeptidkette, die dadurch vom Ribosom abgelöst wird. Zurück bleibt ein Ribosom mit einer deacylierten tRNA in der P-Stelle, das durch die Vermittlung von Initiationsfaktoren (. Abb. 48.8A) in seine Untereinheiten getrennt und von mRNA und tRNA abgelöst wird. In prokaryontischen Zellen läuft der Terminationsvorgang nach einem teilweise anderen Mechanismus ab (. Tab. 48.3). Zusammenfassung Die Initiationsphase der Translation führt die zwei Untereinheiten eines Ribosoms mit einer mRNA zusammen und positioniert das Startcodon mit der Start-Methionyl-tRNA in der P-Stelle. Polysomen entstehen durch multiple Initiationsvorgänge auf einem mRNA-Molekül. 6

48

610

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

A

B

D

C

E

. Abb. 48.9 Elongationszyklus der Translation. Die A-, P- und E-Stellen von kleiner (oben) und großer ribosomaler Untereinheit sind markiert. A Bindung von Valyl-tRNAVal an die A-Stelle eines Initiationskomplexes mit Hilfe von eEF1A/GTP. B Verlagerung des Akzeptorarms der Valyl-tRNAVal in das Peptidyltransferasezentrum, das von den A- und P-Stellen der großen ribosomalen Untereinheit gebildet wird. C Bildung eines Met-Val-Dipeptids an der A-Stellen-tRNA. D Drehung der kleinen gegenüber der großen ribosomalen Untereinheit in Pfeilrichtung mit Ausbildung von A/P- und P/E-Zwischenpositionen nach Bindung von eEF2/GTP. E Nach GTP-Hydrolyse durch eEF2 erfolgt Rückstellung der kleinen ribosomalen Untereinheit mit Translokation von mRNA und den A- und P-Stellen-tRNAs um ein Codon weiter. Nach Bindung von Lysyl-tRNALys beginnt der Elongationszyklus erneut wie in A gezeigt, allerdings jetzt mit dem AAA-Codon der mRNA in der A-Stelle. Die Codons sind in 5’,3’-Richtung eingezeichnet, sind also von rechts nach links zu lesen. (Einzelheiten s. Text)

48

Bei der Elongation werden die von der mRNA codierten Aminoacyl-tRNAs ausgesucht, eine neue Peptidbindung geknüpft und das Ribosom um ein Codon auf der mRNA transloziert. Die GTP-abhängige Kontrolle von Codon-AnticodonPaarungen am Ribosom durch bestimmte Initiations- und 6

GTP-Hydrolyse tRNA_i__^Met deacylierte

Elongationsfaktoren trägt zur hohen Genauigkeit der Translation bei. Bei der Termination erkennen Terminationsfaktoren die Stoppcodons und bewirken die hydrolytische Freisetzung der neusynthetisierten Polypetidkette.

611 48.3 · Modifikation der Translationsaktivität

. Abb. 48.10 Ausbildung einer Peptidbindung im Peptidyltransferasezentrum. Dargestellt sind die beiden terminalen Adeninnucleotide von Aminoacyl- und Peptidyl-tRNAs. Die terminale 2’-OH-Gruppe der Peptidyl-tRNA, die vermutlich am Katalysemechanismus beteiligt ist, ist farblich hervorgehoben

Übrigens Aus der Presse-Mitteilung der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften vom 7. Oktober 2009 This year’s Nobel Prize in Chemistry awards Venkatraman Ramakrishnan MRC Laboratory of Molecular Biology, Cambridge, United Kingdom Thomas A. Steitz Yale University, New Haven, CT, USA Ada E. Yonath Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel … for having shown what the ribosome looks like and how it functions at the atomic level. All three have used a method called X-ray crystallography to map the position for each and every one of the hundreds of thousands of atoms that make up the ribosome … An understanding of the ribosome’s innermost workings is important for a scientific understanding of life. This knowledge can be put to a practical and immediate use; many of today’s antibiotics cure various diseases by blocking the function of bacterial ribosomes. Without functional ribosomes, bacteria cannot survive. This is why ribosomes are such an important target for new antibiotics. This year’s three Laureates have all generated 3D models that show how different antibiotics bind to the ribosome. These models are now used by scientists in order to develop new antibiotics, directly assisting the saving of lives and decreasing humanity’s suffering.

. Abb. 48.11 Termination des Translationsvorganges in eukaryontischen Zellen (Einzelheiten s. Text). Die naszierende Polypeptidkette verlässt das Ribosom durch eine Austrittsstelle an der Unterseite der großen ribosomalen Untereinheit (. Abb. 48.7D)

48.3

Modifikation der Translationsaktivität

48.3.1

Suppression von Stoppcodons

Suppressor-tRNAs bauen Aminosäuren an der Stelle eines Stoppcodons in Proteine ein Treten Stoppcodons als Resultat von Mutationen im Leseraster einer mRNA auf (nonsense mutations, 7 Kap. 48.1.1), führt dies zur vorzeitigen Termination und damit zur Freisetzung von nicht-funktionellen Proteinfragmenten. Von Bakterien ist bekannt, dass sie solche Mutationen supprimieren können, falls sie durch eine zweite Mutation spezifische tRNAs erworben haben, deren Anticodon komplementär zu dem entsprechenden Stoppcodon geworden ist. Werden solche tRNAs trotz verändertem Anticodon mit Aminosäuren beladen, bezeichnet man sie als Suppressor-tRNAs. Erstaunlicherweise haben alle Zellen diesen Mechanismus etabliert, um die Aminosäure Selenocystein in bestimmte Proteine (7 Kap. 60.2.9) einzubauen.

Selenocystein wird durch spezifische Suppression eines Stoppcodons in Selenoproteine eingebaut Selenocystein (Sec) wird als die 21. proteinogene Aminosäure bezeichnet (7 Kap. 3, Tafel III). Sie wird aus Serinphosphat synthetisiert (7 Kap. 60.2), allerdings erst nachdem Serin mithilfe der Seryl-tRNA-Synthetase auf eine spezifische tRNASec geladen wurde. Diese tRNASec trägt das zum UGA-Stoppcodon komplementäre Anticodon. Eine Suppression aller UGA-Stoppcodons durch Einbau von Selenocystein findet deswegen nicht statt, weil die mRNAs von Selenoproteinen stromabwärts vom UGA-Codon einen charakteristischen Nucleotidbereich (SECIS = selenocystein insertion sequence) besitzen, der von spezifischen Bindeproteinen erkannt werden muss. Diese interagieren dann mit dem spezifischen Elongationsfaktor eEFsec, ohne den die Selenocysteinyl-tRNASec nicht an das UGA-Codon in der A-Stelle des Ribosoms gelangen kann. Die Bedeutung dieser Komponenten für die gezielte Umprogrammierung eines UGA-Stoppcodons in den mRNAs von Selenoproteinen wird daran ersichtlich, dass Mutationen in einem SECIS-Bindeprotein über einen Defekt der selenpflichtigen Thy-

48

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

612

. Tab. 48.4 Auswahl klinisch einsetzbarer Antibiotika Substanz

Wirkmechanismus

Aminoglycoside (Neomycin, Paromomycin, Kanamycin, Gentamycin, Streptomycin)

Durch Bindung an die 16S-rRNA lösen diese Substanzen auch bei inkorrekter Codon-AnticodonPaarung das Signal für die GTP-Hydrolyse durch EF-Tu (. Tab. 48.3) aus. Es resultieren Lesefehler (Mutationen)

Chloramphenicol

Hemmt die Peptidyltransferase

Fusidinsäure

Stabilisiert EF-G/GDP (. Tab. 48.3) am Ribosom und blockiert damit den Translokationsschritt

Macrolide

Verstopfen das obere Ende des Proteinaustrittskanals in der großen Untereinheit

Oxazolidinone

Binden an die große Untereinheit und hemmen wahrscheinlich die Initiation (Mechanismus nicht vollständig geklärt)

Spectinomycin

Interferiert mit der von EF-G (. Tab. 48.3) katalysierten Translokation

Tetracycline

Blockieren v.a. die Bindung der ternären Komplexe an die A-Stelle

Nicht als Antibiotika einsetzbare Hemmstoffe der eukaryontischen Translation sind Cycloheximid (inhibiert Translokation) und Puromycin, das von pro- und eukaryontischen PTZs als Aminoacyl-tRNA-Analoges gebunden und auf dessen freie Aminogruppe der tRNA-gebundene Peptidylrest übertragen und somit vorzeitig vom Ribosom abgelöst wird. Antibiotika, die nicht über eine Hemmung der Translation wirken, sind z. B. Penicilline (7 Kap. 16.2.4), Gyrasehemmer (7 Kap. 44.5) und Sulfonamide (7 Kap. 59.8).

roxindejodinasen (7 Kap. 60.2) zu Störungen des Schilddrüsenhormonstoffwechsels führen. 48.3.2

Hemmung der Translation durch Antibiotika

Viele Antibiotika hemmen relativ spezifisch die bakterielle Translation Pilze synthetisieren eine Reihe antibakterieller Substanzen, mithilfe derer sie sich der bakteriellen Konkurrenten um die gemeinsamen Nahrungsquellen erwehren. Einige dieser Verbindungen hemmen die Translation von Bakterien durch direkte Interaktion mit den Ribosomen. Da diese Interaktionen relativ spezifisch mit prokaryontischen Ribosomen erfolgen, werden synthetisch hergestellte Derivate dieser Pilzgifte in großem Umfang medizinisch als Antibiotika eingesetzt. Eine Zusammenstellung einiger Antibiotika gibt . Tab. 48.4. Eukaryontische Zellen besitzen allerdings auch mitochondriale Ribosomen, die in ihrem Aufbau trotz eines vergleichsweise geringeren rRNA : Protein-Massenverhältnisses sehr viel mehr ihren bakteriellen Vorläufern gleichen als eukaryontischen Ribosomen. So sind Nebenwirkungen klinisch verwendeter Antibiotika, die sich auf eine Hemmung der mitochondrialen Proteinbiosynthese zurückführen lassen, für Substanzen wie Chloramphenicol, bestimmte Oxazolidinone und Aminoglycoside beschrieben worden. 48.3.3

48

Kontrolle der Translation in Eukaryonten

Über die Initiationsfaktoren eIF2 und Untereinheiten von eIF4, die in Prokaryonten nicht vorkommen (. Tab. 48.3), kann die eukaryontische Translation auf der Stufe der Initiation durch vielfältige Signale reguliert werden (. Abb. 48.12).

Mangel an Aminosäuren und Häm sowie die Akkumulation falsch gefalteter Proteine und doppelsträngiger RNA hemmen über die Phosphorylierung von eIF2 die Translationsinitiation Vor der Bildung des ternären Komplexes mit MethionyltRNAiMet muss das am Initiationsfaktor eIF2 gebundene GDP durch GTP ausgetauscht werden (. Abb. 48.12A). Der hierfür verantwortliche Guaninnucleotidaustauschfaktor eIF2B bindet dazu vorübergehend an eIF2. Initiationsfaktor eIF2 ist ein trimeres Protein (. Tab. 48.3), das an seiner α-Untereinheit durch eine der nachfolgenden Kinasen phosphoryliert werden kann. Wurde aber eIF2 phosphoryliert, bleibt der Guaninnucleotidaustauschfaktor eIF2B gebunden, wodurch aktives eIF2/GTP nicht mehr gebildet und so die Translation blockiert wird. 4 HRI (Häm-regulierter Inhibitor) ist eine in Vorläuferzellen von Erythrocyten exprimierte Kinase, die bei Häm-Mangel aktiviert wird und dann die Translation der Globin-mRNA inhibiert, bis wieder genügend Häm für die Biosynthese von Hämoglobin zur Verfügung steht. 4 GCN 2 (general aminoacid control) ist eine Kinase, welche die Hemmung der Proteinsynthese bei Aminosäuremangel vermittelt. Aktiviert wird GCN 2 durch Bindung freier tRNA, die sich bei Fehlen von Aminosäuren anhäuft. 4 PERK (pankreatische Kinase des endoplasmatischen Retikulums) wird durch den sog. ER-Stress aktiviert (7 Kap. 49.2.1), bei dem ungefaltete Proteine im ER akkumulieren und über PERK eine Drosselung des Proteinnachschubs bewirken. 4 PKR (RNA-abhängige Proteinkinase) wird durch doppelsträngige RNA aktiviert, wie sie durch bestimmte Viren in Zellen gelangen kann. Zum Schutz vor der Vermehrung der Viren kann die Wirtszelle auf diese Weise die Proteinsynthese einstellen. Entsprechend wird die PKR durch Interferon stimuliert (. Abb. 35.21).

613 48.3 · Modifikation der Translationsaktivität

A

B

. Abb. 48.12 Regulation der eukaryontischen Translationsinitiation. A Bildung eines 43S-Präinitiationskomplexes. B Bildung eines 48S-Präinitiationskomplexes. mTOR: mammalian target of rapamycin; AMP-Kinase: AMP-aktivierte Proteinkinase. (Einzelheiten und Abkürzungen s. Text)

Alle vier Kinasen werden durch zelluläre Stress-Situationen aktiviert, bei denen ein Anhalten der Synthese vieler zellulärer Proteine erwünscht ist. Dabei bleiben die Präinitiationskomplexe mit den mRNAs weitgehend erhalten und werden als mikroskopisch sichtbare Ribonucleoproteinpartikel, den sog. Stress-Granula, in der Zelle abgelagert. Dadurch kann die Translation schnell fortgesetzt werden, wenn nach Wegfall der Stressfaktoren die Menge an phosphoryliertem eIF2 wieder abnimmt.

Über die mTOR-Kinase stimulieren Wachstumsfaktoren, Insulin und intrazellulär akkumulierende Aminosäuren die Translationsinitiation, während Hypoxie und AMP hemmen Wie . Abb. 48.12B verdeutlicht, besteht der Initiationsfaktor eIF4 in Wirklichkeit aus mehreren Untereinheiten, die bei der Bildung des 48S-Präinitiationskomplexes (7 Kap. 48.2.1) aneinander sowie an die mRNA und die 40S-Untereinheit binden. Die capbindende Untereinheit eIF4E wird durch das eIF4E-Bindeprotein (eIF4E-BP) so lange an der Assoziation mit der cap-Struktur

der mRNA und mit eIF4G gehindert, bis eIF4E-BP durch Phosphorylierung seine Bindung mit eIF4E verliert. Die Phosphorylierung von eIF4E-BP und damit die Ingangsetzung der Initiation erfolgt durch die regulatorische Schlüsselkinase mTOR (mammalian target of rapamycin) (7 Kap. 38.2.1). Dieselbe Kinase mTOR aktiviert die Translation noch über einen zweiten Mechanismus. mTOR phosphoryliert S6K (ribosomal protein S6 kinase), die über Phosphorylierung von eIF4B die Helicaseaktivität von eIF4A stimuliert und somit den Initiationsprozess beschleunigt. Erleichtert wird die mTOR-abhängige Phosphorylierung von eIF4E-BP und eIF4B dadurch, dass mTOR über eine Bindung an eIF3 direkt mit dem Präinitiationskomplex assoziiert.

Eine bevorzugte Translation viraler und bestimmter zellulärer mRNAs wird durch eine cap-unabhängige Initiation erreicht An manchen mRNAs kann die Translation nach einem vereinfachten Mechanismus starten, d. h. unabhängig von einer 5’-cap-Struk-

48

614

Kapitel 48 · Translation – Synthese von Proteinen

tur und ohne dass ihr 5’-nicht-translatierter Bereich (5’-UTR) von Initiationsfaktoren nach dem ersten AUG-Codon abgesucht werden muss. In diesen Fällen spricht man von einer internen Initiation. Den Sequenzabschnitt der mRNA, an dem dieser interne Start erfolgt, bezeichnet man als IRES (Interne Ribosomen-EintrittsStelle). IRES stellen keine einheitlichen RNA-Sequenzen dar. Viele bilden ausgedehnte und stabile Sekundärstrukturen aus. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie keinen vollständigen Satz an eIF4-Untereinheiten benötigen, um den Translationsapparat zu rekrutieren. Interne Ribosomeneintrittsstellen finden sich bei viralen mRNAs, die auf diese Weise gegenüber den wirtsständigen mRNAs bevorzugt translatiert werden. Unter bestimmten physiologischen und pathologischen Zuständen wie Stressbedingungen, Differenzierungsvorgängen oder Apoptose wird es erforderlich, dass einzelne zelluläre mRNAs vorrangig translatiert werden. HIF (hypoxia-inducible factor) ist ein Transkriptionsfaktor, der bei Sauerstoffmangel die Expression von Erythropoetin und angiogenen Wachstumsfaktoren stimuliert (7 Kap. 65.3). Wie in . Abb. 48.12B dargestellt, übt Hypoxie einen negativen Einfluss auf mTOR aus und hemmt damit die Translationsinitiation vieler mRNAs. Da die mRNA von HIF aber eine IRES besitzt, wird deren Translation unabhängig von eIF4 initiiert und ist bei Hypoxie somit relativ verstärkt. Zusammenfassung Die 21. proteinogene Aminosäure Selenocystein wird durch eine spezifische Suppression eines Stoppcodons eingebaut. Viele Antibiotika hemmen Einzelschritte der ribosomalen Translation von Prokaryonten. In Eukaryonten wird die Translation über die Aktivität von den zwei Initiationsfaktoren eIF2 und eIF4 reguliert. Ein wichtiger Aktivator der Translation ist dabei die mTORKinase. Eine bevorzugte Translation findet an messengerRNAs statt, die eine interne Ribosomeneintrittsstelle (IRES) besitzen.

7 Die Literaturliste finden Sie unter springer.com

48

615

49 Proteine – Transport, Modifikation und Faltung Matthias Müller, Lutz Graeve

Einleitung Nachdem im Rahmen des Translationsvorgangs (7 Kap. 48) Proteine aus den einzelnen Aminosäuren aufgebaut wurden, falten sich die neu synthetisierten Polypeptidketten in die in 7 Kap. 5 beschriebenen Raumstrukturen. Zur Unterstützung dieser Faltungsprozesse besitzen Zellen spezifische Proteine, sog. molekulare Faltungshelfer oder Chaperone. Chaperone unterstützen nicht nur Faltungsprozesse von Proteinen, sondern können auch deren Entfaltung und Rückfaltung katalysieren. Viele Proteine verbleiben nach ihrer Synthese nicht im Cytoplasma, sondern müssen einen von einer zellulären Membran umgebenen Wirkort erreichen. Dazu gehören die meisten sekretorischen Proteine und die Membranproteine des Endomembransystems, die cotranslational durch spezifische Rezeptoren erkannt und zunächst in das endoplasmatische Retikulum (ER) transportiert werden. Für mitochondriale und peroxisomale Proteine existieren individuelle, posttranslationale Erkennungs- und Transportmechanismen. Weiterhin erfahren viele neu synthetisierte Proteine unterschiedliche covalente Modifikationen ihres Polypeptidgerüsts. Diese Vorgänge werden auch unter den Begriffen Reifung oder Prozessierung zusammengefasst. Prominente Beispiele sind die Entfernung von Prä- und Prosequenzen und die Anheftung bestimmter Kohlenhydrat- und Lipidseitenketten. Schwerpunkte 4 Molekulare Faltungshelfer von Proteinen (Chaperone, Hitzeschockproteine) 4 Signal recognition particle (SRP), SRP-Rezeptor und Sec-Translokon des endoplasmatischen Retikulums 4 Membranintegration von Proteinen über Signalankerund Stopptransfersequenzen 4 Faltungsprozesse im endoplasmatischen Retikulum 4 Unfolded protein response (UPR) 4 Proteinimport in Mitochondrien und Peroxisomen 4 N- und O-Glycosylierung von Proteinen 4 Limitierte Proteolyse von Proteinen 4 Quervernetzung von Proteinen 4 Lipidmodifikationen von Proteinen 4 ADP-Ribosylierung von Proteinen

49.1

Proteinfaltung

Der Translationsvorgang führt zur covalenten Verknüpfung aller Aminosäuren eines Proteins in der Reihenfolge, wie sie das codierende Gen festlegt, d. h. die Translation liefert die Primärstruktur eines Proteins (7 Kap. 5). Die Ausbildung von Sekundär-

strukturen und der nativen Proteinraumstruktur (Tertiär-, bzw. Quartärstruktur) muss im Anschluss an die Translation erfolgen. Wie in 7 Kap. 5.2 beschrieben, ist die Information zur Ausbildung einer funktionellen 3D-Struktur in der Aminosäuresequenz eines Proteins festgelegt, sodass dessen Faltung theoretisch spontan erfolgen kann. Unabhängig davon, dass in vielen Fällen die Spontanfaltung von Proteinen zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, bietet eine lebende Zelle mit ihrer extrem hohen Proteinkonzentration wenig Raum für einen ungestörten Faltungsprozess. Dieser wird maßgeblich durch die Sequestrierung hydrophober Seitenketten im Inneren eines sich faltenden Proteins (hydrophober Kollaps) getrieben. Wird dieser Prozess gestört, sodass hydrophobe Bereiche einer Polypeptidkette exponiert bleiben, führen entropische Effekte (7 Kap. 5.2.3 und 1.1) zur Zusammenlagerung mit anderen hydrophoben Oberflächen und damit zur Aggregation der Proteine. Besonders kritisch wäre dies für hydrophobe Sequenzen naszierender Polypeptidketten, wenn diese vor der Fertigstellung einer Proteindomäne außerhalb des Ribosoms exponiert würden. Sammeln sich fehlgefaltete Proteine intra- oder extrazellulär an, kann es zur Bildung unlöslicher Aggregate und Fibrillen kommen. Von besonderer klinischer Bedeutung sind die mit Proteinablagerungen in neuronalen Geweben einhergehenden neurodegenerativen Erkrankungen . Diese werden in 7 Kap. 74.5 ausführlich besprochen. 7 Kap. 5.4.2 informiert über die zugrunde liegenden Veränderungen der Proteinkonformation. 49.1.1

Molekulare Chaperone

Molekulare Chaperone beeinflussen die Faltung von Proteinen, aber auch deren intrazelluläre Lokalisation und Abbau Zur Vermeidung von Fehlfaltungen bei Proteinen besitzen alle lebenden Zellen sog. Faltungshelfer. Charakteristisch für diese Proteine ist, dass sie vorübergehend an nicht-native Proteinstrukturen binden und exponierte hydrophobe Oberflächenbereiche damit abschirmen. Da sie wie Gouvernanten oder Anstandsdamen (franz. chaperon) auf das korrekte Erscheinungsbild ihrer zugehörigen Proteine achten, werden sie als molekulare Chaperone bezeichnet. Ihre große Bedeutung für lebende Zellen lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass sie in der Evolution hoch konserviert geblieben sind. In eukaryontischen Zellen besitzen neben dem Cytoplasma alle Organellen einen eigenen Satz an Chaperonen. Zelluläre Stressbedingungen, z. B. eine Erhöhung der Temperatur von 37 °C auf 42 °C, gehen mit der Gefahr der Proteindena-

P. C. Heinrich eUBM (Hrsg.), Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie, DOI 10.1007/978-3-642-17972-3_49, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Kapitel 49 · Proteine – Transport, Modifikation und Faltung

turierung einher. Da in dieser Situation viele Chaperone vermehrt gebildet werden, werden diese auch als Hitzeschockproteine (Hsp) bezeichnet und entsprechend ihrer ungefähren Molekülmasse in kDa benannt (Hsp70 etc.). Chaperone sind nicht nur Faltungshelfer neusynthetisierter oder stressbedingt denaturierter Proteine, sondern sie assistieren auch bei der korrekten Ausbildung von Proteinkomplexen, bei intrazellulären Proteintransportvorgängen, aber auch beim Abbau von Proteinen. Man unterscheidet mehrere Chaperon-Familien, die untereinander nicht strukturverwandt sind. Da Mutationen die Faltungsfähigkeit von Proteinen beeinflussen können, stellen die Chaperone als Faltungshelfer auch eine Art Puffersystem dar, mit dem potentiell schädliche Mutationen unterdrückt werden können. 49.1.2

Hsp60- und Hsp70-Chaperone und kleine Hitzeschockproteine

Chaperone stabilisieren nicht-native Proteinstrukturen (holdases) Klassische Vertreter dieser größten Familie von Chaperonen sind die Hsp70-Proteine (Hsc70 in Säugern, Ssa, Ssb etc. in Hefe, DnaK in E. coli). Diese ATPasen sind in der Regel aus einer Nucleotid (ATP)-Bindedomäne und einer Substratbindedomäne aufgebaut (. Abb. 49.1). Hat Hsp70 ATP gebunden, liegt seine Substratbindedomäne in offener Konformation vor, in der sie exponierte hydrophobe Bereiche von ca. 7 Aminosäuren von Substratproteinen in einer Bindetasche binden kann. Cochaperone der Hsp40-Familie (DnaJ in E. coli) beschleunigen die ATP-Hydrolyse an der ATP-Bindedomäne, wonach ein molekularer Deckel die Substratbindetasche schließt. Austausch von ADP gegen ATP, der häufig durch ein weiteres Cochaperon (NEF, nucleotide-exchange factor) katalysiert wird (Bag in Säugern, GrpE in E. coli), führt zur Freisetzung des Substrates. Die wesentliche Aufgabe dieser Hsp70-Chaperone besteht also in der transienten Abschirmung hydrophober Aminosäureabschnitte. Weitere Chaperone, die nicht-nativ gefaltete Proteine binden, sind die kleinen Hitzeschockproteine (sHsp, small Hsp). Sie sind zwischen 12 und 43 kDa groß und bilden oligomere Strukturen, in deren Innerem multiple Substratbindestellen liegen. Substrat-sHsp-Komplexe sind sehr stabil und benötigen ATPabhängige Chaperone, wie Hsp70/Hsp40 oder Hsp100 für ihre Auflösung. Somit scheinen sHsp eine Art Warteschleife für nicht-native Proteine darzustellen, bevor diese rückgefaltet werden. Alle sHsp sind Homologe von α-Crystallin, einem Hauptprotein der Augenlinse. Dessen Chaperonfunktion besteht vermutlich in der Sequestrierung nicht-nativer Linsenproteine zur Vermeidung lichtstreuender Aggregatbildungen, da ein Knockout von α-Crystallin in Mäusen zur frühzeitigen Entwicklung eines grauen Stars (Linsentrübung) führt.

Chaperone assistieren bei der Faltung von Proteinen (foldases) Klassische Vertreter dieser Familie sind Hsp60-Proteine (TRiC in Eukaryonten; GroEL in Bakterien), die auch als Chaperonine

. Abb. 49.1 Wirkungsweise von Hsp70-Chaperonen. Hsp70-Chaperone bestehen aus einer Nucleotidbindedomäne (NBD) und einer Substratbindedomäne (SBD). Im ATP-gebundenen Zustand ist die SBD offen und Substrat kann binden. Bindung von Substrat und Hsp40 lösen die Hydrolyse von ATP aus, was zum Verschluss der SBD und damit zum Festhalten des Substrats führt. Austausch von ADP gegen ATP durch einen Nucleotidaustauschfaktor (NEF) öffnet die SBD und ermöglicht die Freisetzung des Substrates

bezeichnet werden. Auch Hsp60 hat ATPase-Aktivität. Zwei Ringe von 7–8 Hsp60-Untereinheiten lagern sich zu zylinderförmigen Komplexen zusammen (. Abb. 49.2). Jeder Ring bildet eine zentrale Zylinderkammer, die im ADP-gebundenen Zustand hydrophobe Oberflächen exponiert, mit denen nicht-nativ gefaltete Substrate interagieren können. Häufig werden Substrate von Hsp70 auf Hsp60 übergeben. Nach Bindung von ATP schließt die Zylinderkammer, was in Bakterien durch einen heptameren Ring eines Cochaperons (GroES; Hsp10) bewerkstelligt wird. Bindung von ATP und Hsp10 bewirken eine Konformationsänderung der Hsp60-Untereinheiten, infolge derer die hydrophoben Wechselwirkungen mit dem Substrat unterbrochen werden und so das Substrat in abgeschirmter Umgebung einen neuen Faltungsversuch unternehmen kann. ATP-Hydrolyse führt dann zur Dissoziation von Hsp10 und der Freigabe des Substrates, das bei nicht erfolgter Faltung erneut eingefangen werden kann. 49.1.3

Ribosomenassoziierte Chaperone

Chaperone schützen naszierende Proteine Wie oben erwähnt, wäre die ungeschützte Freisetzung der hydrophoben Sequenzabschnitte eines neusynthetisierten Proteins aus dem Ribosom in das proteinreiche Cytoplasma mit der Gefahr einer vorzeitigen Aggregation verknüpft. Deswegen werden naszierende Polypeptidketten unmittelbar nach dem Verlassen des Ribosoms von Chaperonen in Empfang genommen, deren Hauptaufgabe vermutlich darin besteht, hydrophobe Sequenzabschnitte zumindest solange abzuschirmen, bis eine vollständige Domäne (Faltungseinheit; 7 Kap. 5.2.3) des naszierenden Proteins in das Cytoplasma gelangt ist. Diese Chaperone binden direkt an die große ribosomale Untereinheit in unmittelbarer Nähe der Öffnung des Ribosomenaustrittskanals. Vertreter dieser Chaperonfamilie sind ein Trio von zwei Hsp70 und einem

617 49.1 · Proteinfaltung

Zusammenspiel mit Hsp70-auflösen und eine Rückfaltung bewirken.

A

Chaperone aktivieren spezifische Substrate Hsp90-Chaperone sind ebenfalls ATPasen. Sie beeinflussen nicht

B

. Abb. 49.2 Wirkunsweise von Hsp60-Chaperonen (Chaperoninen). A Dargestellt ist der Doppelring von zwei mal sieben Untereinheiten Hsp60 mit Blick in die Kammer des oberen Rings. B Längsschnitt durch den Hsp60Zylinder mit je zwei gegenüberliegenden Untereinheiten. Der Stern markiert die hydrophoben Oberflächen, die mit hydrophoben Bereichen nichtnativ gefalteter Substratproteine interagieren. Die Kammern können bis zu 60 kDa große Proteine beherbergen

Hsp40-Protein (in Hefe Ssb, Ssz und Zuotin, wobei Ssz und Zuotin den ribosomenassoziierten Komplex RAC bilden) und der bakterienspezifische trigger factor. Ähnlich ungeschützt sind Proteine, wenn sie beim Transport im entfalteten Zustand durch zelluläre Membranen auf der anderen Membranseite ankommen (7 Kap. 49.2). Im endoplasmatischen Retikulum sowie in der mitochondrialen Matrix werden neu importierte Proteine ebenfalls von Hsp70/Hsp40-Chaperonpaaren in Empfang genommen, wobei diese teilweise auch Motorfunktionen beim Import ausüben. Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass erste Faltungsvorgänge bereits im Ribosomenaustrittskanal beginnen, wo sich z. B. die hydrophoben α-Helices von Membranproteinen ausbilden können. 49.1.4

Hsp90- und Hsp100-Chaperone

Chaperone falten Proteine und Proteinaggregate auf (unfoldases) Hsp100-Chaperone gehören zur Gruppe der AAA+-ATPasen (triple-A ATPasen; ATPases associated with diverse activities). Sie bilden Ringe aus sechs identischen ATPase-Untereinheiten mit einem engen zentralen Kanal, in den Substratproteine ATP-abhängig hineingezogen und dabei gleichzeitig entfaltet werden. Hsp100-Chaperone können so Proteine für einen Abbau im Proteasom (7 Kap. 50.3) vorbereiten, aber auch Proteinaggregate im

generell die Faltung von Proteinen, sondern interagieren eher mit spezifischen Substraten wie Steroidhormonrezeptoren (ligandenaktivierte Transkriptionsfaktoren), Proteinkinasen und individuellen Enzymen, z. B. Telomerase (7 Kap. 44.5) oder NO-Synthase (7 Kap. 27.2.2 und 35.6.1). Die Bindung dieser Substrate an Hsp90-Dimere erfolgt in der Regel durch die Vermittlung von spezifischen Cochaperonen (Hop, Cdc37, p23). Steroidhormonrezeptoren müssen für die Bindung an Hsp90 erst mit Hsp70/Hsp40 assoziieren. Die Cochaperone fungieren dabei nicht nur als Adaptoren zwischen Hsp90 und ihren Proteinsubstraten, sondern regulieren auch die ATPase-Aktivität der Hsp90. Wie Hsp90-Chaperone ihre Substrate aktivieren, ist nicht völlig geklärt; wahrscheinlich bewirken sie lokale Konformationsänderungen, die z. B. die Ligandenbindungsstellen von Steroidhormonrezeptoren öffnen oder eine Aktivierung von Proteinkinasen durch Phosphorylierung ermöglichen. Mit der Aktivierung regulatorisch aktiver Proteine erfüllen die Hsp90-Chaperone lebenswichtige Funktionen für eukaryontische Zellen. Die maligne Transformation von Zellen ist häufig durch Mutationen der regulatorisch aktiven Hsp90-Substrate gekennzeichnet. Nach Mutation sind diese Rezeptoren und Kinasen zur Aufrechterhaltung ihrer Funktion in den Tumorzellen wahrscheinlich besonders stark auf die Anwesenheit von Hsp90 angewiesen. Die mögliche Blockade dieser Pufferkapazität von Hsp90 durch Inhibitoren seiner ATPase-Aktivität (Geldanamycin, Radicicol) ist die Grundlage für laufende Versuche einer neuartigen Krebstherapie. 49.1.5

Peptidyl-Prolyl-Isomerasen

Chaperone mit Peptidyl-Prolyl-Isomerase (PPIase)-Aktivität Peptidbindungen zwischen einer Aminosäure X und Prolin kommen als cis- oder trans-Isomere vor (7 Kap. 5.2.1). Diese intrinsisch langsame Isomerisierung wird durch eine Reihe von PPIasen beschleunigt. Von diesen Enzymen kommen in allen Zellen drei Gruppen vor: 4 Cyclophiline, so benannt weil einige Isoformen die immunsuppresive Substanz Cyclosporin A binden. Cyclosporin hemmt aber nicht die PPIase-Aktivität der Cyclophiline. Der immunsuppressive Effekt ist eher darauf zurückzuführen, dass diese Cyclophiline nach Bindung von Cyclosporin einen Komplex mit einer Phosphatase (Calcineurin) bilden. Calcineurin, das für die Aktivierung der Interleukin-Expression in T-Lymphocyten erforderlich ist, wird durch die Komplexbildung mit Cyclophilin A und Cyclosporin gehemmt. 4 FKBPs (FK506-Bindeproteine), von denen bestimmte Isoformen die ebenfalls immunsuppressiven Pharmaka FK506 und Rapamycin (7 Abb. 38.10) binden und danach

49

Kapitel 49 · Proteine – Transport, Modifikation und Faltung

618

49

inaktivierende Komplexe mit Calcineurin bzw. mTOR (7 Kap. 38.2.1) eingehen. 4 Parvuline (z. B. Pin1 beim Menschen) isomerisieren spezifische prolinhaltige Peptidbindungen, bei denen die dem Prolin vorausgehende Aminosäure ein phosphoryliertes Serin oder Threonin ist. Die nur nach Phosphorylierung stattfindende Isomerisierung und damit verbundene Konformationsänderung der Zielproteine wird als molekularer Schalter zur Regulation einer Reihe von Wachstums- und Entwicklungsprozessen benutzt. Zusammenfassung Triebkraft für die Faltung eines Proteins ist der hydrophobe Kollaps, bei dem hydrophobe Sequenzbereiche im Innern seiner 3D-Struktur verborgen werden. Fehlgefaltete Proteine laufen Gefahr, Aggregate zu bilden. Zellen verfügen über zahlreiche Faltungshelfer, die molekularen Chaperone. Sie 4 stabilisieren Faltungsintermediate durch vorübergehende Bindung an hydrophobe Bereiche, 4 assistieren bei Faltungsprozessen, 4 helfen Proteinaggregate zu entfalten, 4 aktivieren spezifische Substrate.

49.2

Transmembraner Proteintransport

Zahlreiche Proteine verbleiben nicht am Ort ihrer Synthese, dem Cytoplasma, sondern werden bereits während ihrer Synthese am Ribosom (cotranslational) oder im Anschluss daran (posttranslational) durch zelluläre Membranen in die Organellen einer eukaryontischen Zelle transportiert. Dieser auch als Proteinsortierung (protein sorting) bezeichnete Proteinverkehr einer Zelle wird durch spezielle Signalsequenzen in den transportierten Proteinen gesteuert, die häufig beim Transport abgespalten werden (7 Kap. 12.3). Der Proteintransport in das endoplasmatische Retikulum (s. u.) erfolgt überwiegend cotranslational. Proteine werden von dort vesikulär über den Golgi-Apparat in Lysosomen und sekretorische Vesikel transportiert (7 Kap. 12.2). Durch Exocytose gelangt ein Teil dieser Proteine in die Plasmamembran, andere werden sezerniert. Posttranslational erfolgt der Proteintransport in Mitochondrien und Peroxisomen (s. u.) sowie in den Zellkern (7 Kap. 12.1.2). 49.2.1

Endoplasmatisches Retikulum

SRP und SRP-Rezeptor steuern Präproteine cotranslational zum Sec61-Proteinkanal des endoplasmatischen Retikulums Sekretorische Proteine, z. B. Insulin oder Immunglobuline, werden als Vorläuferproteine (Präkursoren) mit einer N-terminalen Signalsequenz (Präsequenz) synthetisiert. Sobald diese während der Translation den Proteinaustrittskanal der großen ribosomalen Untereinheit verlassen hat, wird sie von einem Ribonucleopro-

teinpartikel, dem SRP (signal recognition particle) erkannt und gebunden. Das SRP besteht bei höheren Eukaryonten aus: 4 6 Proteinen, die entsprechend ihrer Molekülmasse als SRP9, SRP14, SRP19, SRP54, SRP68 und SRP72 bezeichnet werden, und 4 einer 7S-RNA. Die Untereinheiten des SRP sind zu einem langgestreckten Molekül angeordnet, das an das Ribosom sowohl an der Öffnung des Austrittkanals als auch nahe der Andockstelle von Elongationsfaktor eEF2 (7 Kap. 48.2.2) binden kann (. Abb. 49.3A). Dadurch vermag das SRP neben der Erkennung der Signalsequenz einer naszierenden Polypeptidkette (durch SRP54) auch deren Elongation (durch SRP9/14) zu blockieren bzw. zu verlangsamen. Dieser sog. Translationsarrest wird erst durch Bindung von SRP an die ER-Membran aufgehoben, wodurch garantiert wird, dass der Fortgang der Translation eines sekretorischen Proteins mit seinem Transport in das ER gekoppelt (cotranslational) erfolgt. Da sekretorische Proteine für die Durchquerung der ER-Membran entfaltet sein müssen (s. u.), könnte eine ungebremste, nicht mit dem Transport in das ER synchronisierte Translation zur Exposition hydrophober Sequenzabschnitte und damit zur Aggregation der naszierenden Polypeptidkette im Cytosol führen (7 Kap. 49.1). Diese v. a. für die hydrophoben Membranproteine bestehende Gefahr wird somit durch den cotranslationalen Transportmodus vermieden. Nach Interaktion mit dem Komplex aus Ribosom und naszierender Polypetidkette (ribosome nascent chain complex, RNC) bindet SRP an die α-Untereinheit des SRP-Rezeptors (SR), der mit seiner β-Untereinheit in der ER-Membran verankert ist (. Abb. 49.3A). Die α-Untereinheit des SRP-Rezeptors (SRα) besitzt GTPase-Aktivität, ebenso wie die SRP54-Untereinheit. Beide GTPase-Untereinheiten bilden nach Beladung mit GTP einen Komplex. Dadurch werden Konformationsänderungen in SRP54 und SRα ausgelöst, die zur Übertragung des RNC auf den Sec61-Proteintransportkanal in der ER-Membran führen. Durch direkte molekulare Interaktion wird dieser in unmittelbarer Nähe des SRP-Rezeptors gehalten. Im Anschluss kommt es zu einer gegenseitigen Stimulierung der GTPase-Aktivitäten von SRP54 und SRα und damit in der Folge zur Dissoziation der GDP-gebundenen Formen von SRP54 und SRα.

Der Proteintransportkanal in der ER-Membran wird von dem engporigen Sec61αβγ-Komplex gebildet Der auch als Sec-Translokon bezeichnete Proteintransportkanal des endoplasmatischen Retikulums wird von den drei Untereinheiten Sec61α, β, γ gebildet. Sec61α besitzt 10 transmembrane Helices, die β- und γ-Untereinheiten jeweils nur eine. Die Kristallstruktur dieses Komplexes verdeutlicht, dass die 10 Membrandurchgänge von Sec61α so angeordnet sind, dass sie im Zentrum der Membran eine enge Pore bilden und einen lateralen Ausgang in die Membranlipide ermöglichen (. Abb. 49.3B). Über cytosolisch exponierte Schlaufen zwischen den Transmembrandomänen von Sec61α werden die translatierenden Ribosomen gebunden (. Abb. 49.3C). Die naszierende Polypeptidkette fädelt danach haarnadelförmig so in den Sec61-Kanal ein, dass der NTerminus auf der cytosolischen Seite der ER-Membran verbleibt

619 49.2 · Transmembraner Proteintransport

A

B

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. Abb. 49.3 Cotranslationaler Proteintransport in das endoplasmatische Retikulum. A SRP (blau) bindet an die Signalsequenz (gezackte Linie) eines naszierenden sekretorischen Proteins und arretiert die Translation 1 . Der SRP-Rezeptor besteht aus einer α-Untereinheit (SRα, rot) und einer β-Untereinheit (SRβ, gelb) 2 . Die Membranbindung von Ribosom und naszierender Kette erfolgt durch Komplexbildung zwischen den GTP-gebundenen Formen von SRP und SRα 3 . In der Folge werden Ribosom und naszierende Kette auf den Sec61-Kanal 4 übertragen, die wachsende Polypeptidkette wird haarnadelförmig in den Sec61-Kanal eingefädelt, die Signalsequenz verlässt ihn seitwärts in die Lipiddoppelschicht 5 und SRP und SRα dissoziieren nach gegenseitig stimulierter Hydrolyse des gebundenen GTP 6 . SPase: Signalpeptidase. B Kristallstruktur des Sec61αβγ-Kanals aus Methanococcus janaschii. PDB: 1RH5. Aufsicht vom Cytoplasma aus. Die zentrale Öffnung ist durch eine kurze Helix wie mit einem Stopfen verschlossen, der beim Transportvorgang durch seitliche Verlagerung den Kanal freigibt. Die zehn transmembranen Helices (TM) von Sec61α umgeben die zentrale Öffnung wie zwei Muschelschalen (rot und violett), die sich öffnen können (gebogener Doppelpfeil) und so den Austritt von Signalsequenzen, Signalankersequenzen und Stopptransfersequenzen in die Membranlipide ermöglichen (gestreckter Pfeil). C Seitliche Ansicht; die Bindungsstellen an das Ribosom sind markiert (*)

(. Abb. 49.3A) und die überwiegend hydrophobe Signalsequenz (7 Tab. 12.1) den Kanal nach lateral in Richtung Membranlipide verlässt. Durch die Schubkraft der Peptidyltransferase im Ribosom (7 Kap. 48.2.2) wird die kontinuierlich wachsende Polypeptidkette in ungefaltetem Zustand durch den zentralen Sec61Kanal in das ER-Lumen transportiert. Dabei kommt das Ende der Signalsequenz auf die luminale Seite der ER-Membran zu liegen, wo sie von der Signalpeptidase abgetrennt wird (. Abb. 49.3A). Während der Transport in das ER weiterläuft, können weitere Modifikationen wie Disulfidbrückenbildung (s. u.) und N-Glycosylierung (7 Kap. 49.3.3) cotranslational erfolgen.

Signalankersequenzen und Stopptransfersequenzen steuern die Integration vieler Proteine in die Membran des endoplasmatischen Retikulums Die meisten Membranproteine des Endomembransystems (7 Kap. 12.1) werden cotranslational über den Sec61-Kanal in die ER-Membran integriert. Die Verankerung erfolgt über hydrophobe, α-helicale Transmembrandomänen (7 Kap. 11.4), die wie die Signalsequenzen sekretorischer Proteine lateral aus dem Sec61-Kanal in die Lipiddoppelschicht inserieren (. Abb. 49.4B). Es gibt grundsätzlich zwei Sorten von Transmembrandomänen mit unterschiedlicher »topogener« Information:

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Kapitel 49 · Proteine – Transport, Modifikation und Faltung

B A

C

D

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. Abb. 49.4 Unterschiedliche Topologien von Membranproteinen nach Integration durch den Sec61-Kanal in die Membran des endoplasmatischen Retikulums. A Translokation eines sekretorischen Proteins in das ER-Lumen mit Abspaltung der Signalsequenz. B Integration eines Membranproteins mit N-terminaler Signalankersequenz (grün). C Integration eines Membranproteins mit zentraler Signalankersequenz. D Verankerung eines Membranproteins durch eine Stopptransfersequenz (rot) nach signalsequenzvermittelter Einleitung der Translokation; SPase, Signalpeptidase. E Integration von Membranproteinen durch eine Abfolge von Signalankersequenz und Stopptransfersequenz. Beachte die Anhäufung positiver geladener Aminosäuren auf der cytoplasmatischen Seite der ER-Membran. Membranproteine vom Typ I haben ihren N-Terminus auf der luminalen Seite der ER-Membran (D), Typ-II-Membranproteine dagegen auf der cytosolischen Seite (B, C)

4 Signalankersequenzen leiten wie die klassischen Signalsequenzen die Translokation nachfolgender Sequenzabschnitte in das ER-Lumen ein, werden aber von der Signalpeptidase nicht abgetrennt. Signalankersequenzen können am Anfang (N-Terminus) oder im Innern eines Membranproteins lokalisiert sein (. Abb. 49.4B, C). 4 Stopptransfersequenzen hingegen führen zur Unterbrechung der Translokation einer Polypeptikette in das ER-Lumen, wobei die Translokation entweder durch eine abspaltbare Signalsequenz (. Abb. 49.4D) oder eine Signalankersequenz (. Abb. 49.4E) initiiert worden sein kann. Ob eine α-helicale Transmembrandomäne eines Membranproteins Signalanker- oder Stopptransferfunktion besitzt, hängt im Wesentlichen von der Lokalisation positiv geladener Aminosäuren in ihren flankierenden Sequenzabschnitten ab. Positiv gela-

dene Aminosäuren finden sich typischerweise am Anfang (Nterminal) von Signalankersequenzen und am Ende (C-terminal) von Stopptransfersequenzen und sind somit immer überwiegend auf der cytoplasmatischen Seite von Membranproteinen lokalisiert (. Abb. 49.4). Dieses Phänomen ist als Innen-Positiv-Regel (positive-inside-rule) formuliert worden. Abfolgen von Signalanker- und Stopptransfersequenzen (. Abb. 49.4E) führen zur Entstehung polytoper Membranproteine (7 Kap. 11.4), d. h. von Membranproteinen mit multiplen Membrandurchgängen.

Membranproteine mit einer C-terminalen Transmembrandomäne werden SRP-unabhängig in die ER-Membran integriert Membranproteine, deren einzige Transmembranhelix so nahe am C-Terminus gelegen ist, dass sie erst nach Termination der Translation außerhalb des Ribosoms frei zugänglich wird, kön-

621 49.2 · Transmembraner Proteintransport

nen nicht cotranslational über SRP und SRP-Rezeptor zum Sec61-Kanal gesteuert werden. Proteine mit einem derartigen C-terminalen Anker (tail-anchored proteins) werden von einem Komplex aus mehreren löslichen und membranständigen Untereinheiten (GET-Komplex, guided entry of tail-anchored proteins) erkannt und ATP-abhängig in der ER-Membran verankert. Typische Vertreter von Proteinen mit cytosolischen Domänen und C-terminalem Anker sind SNARE-Proteine wie z. B. das Synaptobrevin (VAMP; 7 Kap. 12.2 und 35.3).

Im Lumen des endoplasmatischen Retikulums sind zahlreiche Chaperone direkt am Transport sowie an der Faltung, Modifikation und Qualitätskontrolle neu importierter Proteine beteiligt Hsp70/40 ER-ständige Isoformen von Hsp70-Chaperonen, ih-

ren Hsp40-Cochaperonen und den zugehörigen Nucleotidaustauschfaktoren (7 Kap. 49.1.2) können durch ATP-getriebene Zyklen von Bindung und Freigabe der translozierenden Polypeptidkette deren gerichteten Transport in das ER aktiv unterstützen. Dieser Mechanismus liefert die Energie besonders für den Import einiger Proteine, die nicht wie oben beschrieben cotranslational, sondern posttranslational ohne die Schubkraft der Ribosomen in das ER transportiert werden. Durch die Verankerung der Hsp40-Isoformen in der ER-Membran werden Hsp70Chaperone wie BiP (binding protein) in unmittelbare Nähe des Sec61-Translokons gebracht. BiP ist möglicherweise auch an der luminalen Öffnung des Sec61-Kanals beteiligt. Wie die cytosolischen Hsp70-Isoformen (7 Kap. 49.1.2) beeinflusst es aber auch direkt die Faltung von Proteinen und den Zusammenbau von Proteinkomplexen im ER-Lumen. Weiterhin spielt BiP die Rolle des Sensors für den globalen Faltungszustand von ER-Proteinen im Rahmen des Unfolded Protein Response (s. u.). Calnexin und Calreticulin Diese – wie ihr Name verrät – Ca2+-

abhängigen Chaperone, gehören zu den Lectinen, also Proteinen, die an Kohlenhydratseitenketten von Glykoproteinen binden. Beide Chaperone binden an N-glycosidisch verknüpfte Oligosaccharide von Glykoproteinen, wenn von diesen Oligosacchariden nur zwei der drei terminalen Glucosereste durch Glucosidasen entfernt wurden (7 Kap. 49.3.3). Ein verbleibender Glucoserest signalisiert einen inkompletten Faltungszustand des Glykoproteins, der durch Bindung an Calnexin oder Calreticulin vorübergehend stabilisiert wird. Die Entfernung des dritten Glucoserestes führt zur Freigabe des Proteins von den Chaperonen, womit das Protein das ER verlassen kann. Proteine, die zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht vollständig gefaltet sind, werden durch eine Glucosyltransferase erneut mit einem Glucoserest beladen, um so mit Hilfe von Calreticulin/Calnexin einen weiteren Faltungsversuch unternehmen zu können. Oxidoreduktasen Disulfidbrücken finden sich außer bei Proteinen des mitochondrialen Intermembranraums (7 Kap. 49.2.2)

überwiegend nur in sekretorischen Proteinen und extracytoplasmatischen Domänen von Membranproteinen. Ausgebildet werden diese Disulfidbrücken durch Oxidoreduktasen im ER-Lumen. Hauptvertreter ist die Proteindisulfidisomerase (PDI). An

. Abb. 49.5 Oxidation von Cysteinseitenketten zu Disulfiden und Isomerisierung der Disulfidbrücken durch die ER-ständige Proteindisulfidisomerase (PDI). Deprotonierte SH-Gruppen (Thiolate) greifen andere Disulfidbrücken nucleophil an 1 . Dadurch kommt es zur Ausbildung gemischter Disulfide zwischen Substratprotein und PDI 2 . Nach Oxidation des Substratproteins 3 bleibt die PDI in reduzierter Form zurück (roter Stern) und kann durch die nicht dargestellte Oxidoreduktase Ero1 reoxidiert werden. In ihrer reduzierten Form katalysiert die PDI die Isomerisierung (Umbildung) von Disulfidbrücken 4 – 6

ihren Substratproteinen katalysiert die PDI sowohl die Oxidation freier SH-Gruppen unter Ausbildung von Disulfidbrücken (. Abb. 49.5, 3 ) als auch die Isomerisierung existierender Disulfidbrücken. In dieser Funktion reduziert die PDI spontan entstandene, aber unerwünschte Disulfide zwischen zwei Cysteinresten (. Abb. 49.5, 4 ) und stellt anschließend die korrekten Disulfidbrücken mit anderen SH-Gruppen her (. Abb. 49.5, 6 ). Dazu bildet die PDI intermediär gemischte Disulfide mit den Substratproteinen (. Abb. 49.5, 2 , 5 ). Reoxidiert wird die PDI durch Oxidoreduktasen wie Ero1 (ER-Oxidoreductin-1), das Elektronen über den Cofaktor FAD auf molekularen O2 überträgt.

Die Akkumulation fehlgefalteter Proteine im ER (ER-Stress) löst den Unfolded Protein Response aus Neu in das ER translozierte oder integrierte Proteine können das ER nur nach korrekter Faltung verlassen. Die Anhäufung inkomplett oder falsch gefalteter Proteine im ER löst ein koordiniertes Reparaturprogramm aus, das als Unfolded Protein Response (UPR) bezeichnet wird. Das UPR-Programm besteht in einer vermehrten Synthese von Chaperonen und Proteolysekomponenten für Rückfaltung oder Eliminierung fehlgefalteter Proteine, aber auch in einer verminderten Translationsleistung der Zelle, um die Substratbelastung für das ER zu reduzieren. Die drei ER-Membranproteine IRE 1, PERK und ATF6 können das UPR-Programm auslösen. Vermutlich werden diese transmembranen Sensorproteine durch Bindung von BiP (s. o.) an ihre luminalen Domänen solange in einem inaktiven Zustand gehalten, bis BiP durch Bindung an fehlgefaltete Proteine abgezogen wird, oder aber die Sensorproteine sind selbst in der Lage,

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Kapitel 49 · Proteine – Transport, Modifikation und Faltung

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. Abb. 49.6 Protein-Import in Mitochondrien. AM, IM: äußere und innere Membran; IMR: Intermembranraum (weitere Abkürzungen und Erklärungen s. Text). (Mit freundlicher Genehmigung von Lena-Sophie Wenz u. Nikolaus Pfanner)

missgefaltete Proteine im ER zu binden. Im Fall von IRE 1 bewirkt eine Aktivierung eine Dimerisierung mit anschließender Autophosphorylierung, die eine Endonucleaseaktivität in der cytosolischen Domäne von IRE 1 aktiviert. Die Endonuclease entfernt im Cytoplasma ein Intron aus der mRNA eines Transkriptionsfaktors, der daraufhin translatiert wird. PERK ist eine Proteinkinase, die den Initiationsfaktor eIF2 phosphoryliert und inaktiviert (7 Kap. 48.3.3). ATF 6 ist ein membranverankerter Transkriptionsfaktor, der bei Anhäufung fehlgefalteter Proteine im ER in den Golgi-Apparat gelangt und dort durch limitierte Proteolyse für den Transport in den Zellkern freigesetzt wird. 49.2.2

Mitochondrien

Die meisten mitochondrialen Proteine werden posttranslational über den TOM-Komplex in eines der vier mitochondrialen Kompartimente importiert Mitochondrien besitzen 1.000–1.500 verschiedene Proteine, von denen nur ca. 1 % von der mitochondrialen DNA codiert und an

den mitochondrialen Ribosomen translatiert wird. Alle anderen Proteine werden an cytosolischen Ribosomen synthetisiert und posttranslational durch den TOM-Komplex (translocase of the outer mitochondrial membrane) in die Mitochondrien importiert (. Abb. 49.6). Der TOM-Komplex fungiert dabei als Rezeptor für unterschiedliche Signalsequenzen und als die eigentlich transmembrane Pore. Je nach ihrem Standort in den Mitochondrien werden Proteine nach unterschiedlichen Mechanismen importiert: 4 Proteine der mitochondrialen Matrix oder Innenmembran werden als Vorläuferproteine mit einer N-terminalen Präsequenz (einer positiv geladenen amphipathischen Helix) synthetisiert. Die Pore durch die innere Mitochondrienmembran wird von TIM23 (presequence translocase of the inner mitochondrial membrane) gebildet. Neben dem elektrochemischen Potential (Δψ) an der Innenmembran wird ATP für die Energetisierung des Transports benötigt. Für den ATP-getriebenen Import ist ein Zusammenspiel von mitochondrialem Hsp70 (mtHsp70) mit den Untereinheiten von PAM (presequence translocase-associated motor)

Vorläuferprotein mit Präsenz Carrier-Vorläuferprotein Intermembranraum-Vorläuferprotein Vorläuferprotein Mitochondrien Translokase Präsequenz-Translokase Prozessierungspeptidase Carrier-Translokase

623 49.3 · Covalente Modifikation von Proteinen

erforderlich. Die Präsequenz dieser Proteine wird beim Eintritt in die Matrix von MPP (mitochondrial processing peptidase) abgetrennt. Besitzen importierte Proteine im Anschluss an ihre Präsequenz noch eine hydrophobe Ankersequenz, werden sie von TIM23 aussortiert und nach lateral in die innere Membran integriert. 4 Carrier-Proteine der Innenmembran, z. B. der ADP/ATPCarrier (7 Kap. 19.1.1), besitzen interne Signalsequenzen. Nach ihrem Transport durch den TOM-Komplex der äußeren Membran werden sie von den TIM-Chaperonen durch den Intermembranraum zur Carrier-Translokase TIM22 geleitet, über die sie Δψ-abhängig in die Innenmembran integrieren und anschließend dimerisieren. 4 Proteine des Intermembranraumes, z. B. die TIM-Chaperone, weisen typischerweise Disulfidbrücken auf, die erst nach ihrem Import durch den TOM-Komplex gebildet werden. Ähnlich wie das ER verfügt der mitochondriale Intermembranraum über Oxidoreduktasen, deren zentraler Ver