151 106 15MB
German Pages 284 Year 2006
Marliese Fladnitzer Vertrauen als Erfolgsfaktor virtueller Unternehmen
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Marliese Fladnitzer
Vertrauen als Erfolgsfaktor virtueller Unternehmen Grundlagen, Rahmenbedingungen und MaBnahmen zur Vertrauensbildung
Miteinem Geleitwort von a.o. Univ. Prof. Mag. Dr. Sonja Grabner-Krauter
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ijber abrufbar.
Dissertation Universitat Klagenfurt, 2005 Veroffentlicht mit Unterstiitzung des Forschungsrates der Alpen-Adria Universitat Klagenfurt, der Dr. Manfred-Gehring Privatstiftung und des Vereins zur Forderung des Instituts fiir Wirtschaftswissenschaften.
1. Auflage November 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel / Anita Wilke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlieGlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung aufSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-0513-8 ISBN-13 978-3-8350-0513-6
Geleitwort
Das Phanomen Vertrauen erfreut sich in den letzten Jahren in der Betriebswirtschaftslehre zunehmender Beliebtheit. iVlit dem Konzept des ..Managements auf Vertrauensbasis" werden beispielsweise Hoffnungen im Hinblick auf eine gesteigerte organisatorische Anpassungsfahigkeit sowie eine Verringerung der Transaktionskosten verbunden, wobei diesen Erwartungen jedoch haufig eine recht undifferenzierte Sichtweise von Vertrauen zugrunde liegt. In Marketingforschung und -praxis wird immer haufiger betont, dass Vertrauen nicht nur eine zentrale Voraussetzung langfristiger Geschaftsbezieliungen darstellt, sondern auch in Endkundenbeziehungen als Schlusselvariable fur eine erfolgreiche Kundenbindung anzusehen ist. Auch im Kontext neuartiger Organisationsformen als mogliche Antwort auf aktuelle strategische Herausforderungen durch geanderte Rahmenbedingungen wird der Stellenwert von Vertrauen fur den erfolgreichen Einsatz beispielsweise von elektronischen Netzwerken und virtuellen Unternehmen hervorgehoben.
Vor diesem Hintergrund setzt sich Frau Fladnitzer in ihrer Dissertation mit der zentralen Forschungsfrage auseinander, mit welchen Mafinahmen Vertrauen In virtuellen Unternehmen gebildet, gefordert und in Stand gehalten werden kann. In der vorliegenden Arbeit werden demnach zwei sehr komplexe Themenbereiche miteinander verknupft, die beide durch konzeptionelle Vielfalt und unterschiedliche Zugange aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen gekennzeichnet sind. Die Autorin zeigt zunachst anschaulich das ..verbale und konzeptionelle Durcheinander" im Umgang mit dem Begriff Vertrauen und eriautert sodann gestutzt auf eine umfangreiche interdisziplinare Literaturrecherche die Komponenten eines allgemeinen Vertrauensmodells. Auch die Analyse von virtuellen Unternehmen als Kontext fur die Vertrauensbildung mundet in einer klaren und ubersichtlichen Darstellung des Zusammenhanges zwischen Netzwerk, virtuellen Unternehmen und virtuellen Teams, was angesichts des haufig recht schwammigen begrifflichen Umgangs mit diesen Schlagworten besonders positiv zu vermerken ist. Kompetent und eigenstandig werden die Besonderheiten virtueller Unternehmen und deren Auswirkungen auf Vertrauen analysiert und die verschiedenen Grundlagen von Vertrauen in virtuellen Unternehmen herausgearbeitet. Die systematische Analyse fliefit ein In die Entwicklung eines schlussigen
VI
Geleitwort
Modells zur Erklarung von Vertrauen in virtuellen Unternehmen, BUS dem interessante Implikationen fur Forschungshypothesen gewonnen werden konnen. Die Autorin schlagt daruber hinaus eine Reihe von Mafinahmen zur Vertrauensbildung in virtuellen Unternehmen vor und berucksichtigt auf diese Weise auch den Aspekt der Praktikabilitat und Umsetzbarkeit fur die Praxis. Es bleibt daher zu wunschen, dass diese Arbeit auf ein breites Interesse in Wissenschaft und Praxis stofit. Sonja Grabner-Krauter
VII
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Laufe meiner Assistentinnen-Tatigkeit an der AlpenAdria Universitat Klagenfurt, Abteilung fur Marketing und Internationales Management, erstellt. Anfanglich hat das Thema „Vertrauen" mein Interesse geweckt, well es als essentielles, aber doch eher als am Rande der Betriebswirtschaft angesiedeltes Thema betrachtet werden kann und dadurch weltere Wissenschaftsdiszlplinen in die Erforschung miteinbezieht. Im Laufe der Zeit konkretisierte ich mein Vorhaben und die Frage nach der Bedeutung und Bildung von Vertrauen im speziellen Umfeld des Virtuellen Unternehmens, das durch Absenz der fur Vertrauen wichtlgen Rahmenbedingungen wie z.B. Face-to-face Kontakt gepragt ist, stellte fur mich den Ausgangspunkt meiner wissenschaftlichen Uberlegungen dar. An dieser Stelle mochte ich vielen, die mich in der Zeit der Erstellung der Dissertation unterstutzt haben, danken. Allen voran meiner Betreuerin und akademischen Lehrerin, a. o. Univ. Prof. Mag. Dr. Sonja Grabner-Krauter. Sie war mafigeblich an der Themenfindung betelligt und hat im Laufe der Arbeit Diskussionspunkte aufgeworfen, die fur die Dissertation sehr bereichernd waren. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft noch Gelegenheit haben werden zusammenzuarbeiten. Meinen Dank mochte ich auch meinem nunmehr ehemaligen Chef und Zweltbegutachter, Univ. Prof. Mag. Dr. Kurt Matzler, aussprechen. Durch seine wissenschaftliche Arbeitsweise und Fahigkeit konnte ich sehr viel von ihm lernen, insbesondere, dass Wissenschaft nicht nur harte Knochenarbeit ist, sondern mit der richtigen Einstellung auch viel Spafi machen kann. Aufierdem mochte ich meinem ehemaligen KoHegen, Mag. FH Dr. Ewald Kaluscha, fur die vielen inhaltlich wertvollen, aber trotzdem amusanten Diskussionen danke sagen. Grofier Dank gebuhrt ferner unserer Abteilungsmanagerin, Manuela Pirker, die durch ihre optimistische und zuvorkommende Art den Arbeitsalltag oft sehr erieichtert. Fur weiterfuhrende methodische und inhaltllche Unterstutzung bin ich ganz besonders meiner lieben Freundin, a. o. Univ. Prof. Mag. Dr. Gudrun FritzSchmied, verbunden. Obwohl sie dem Thema anfanglich so fern war, hat sie keine Muhen gescheut, mich zu unterstutzen und mir wichtige Ratschlage fur das wissenschaftliche Arbeiten zu geben.
VIII
Vorwort
Die groflte Anerkennung gebijhrt jedoch meinem Hans. Er ist mir mental zur Seite gestanden und war fur mich durch seine pragmatische Sicht auch inhaltlich eine sehr grofie Hilfe. Seine Unterstutzung war fur die Arbeit und fur mich sehr bedeutend. Vielen Dank fur alles! Daruber hinaus mochte ich meinen lieben Eltern, meiner Schwester Karin und ihrer Lara, die nie einen Zweifel in mich gesetzt haben, fur ihr Vertrauen und fur die Unterstutzung in jeglicher Hinsicht danken. Marliese Fladnitzer
Inhaltsverzeichnis
IX
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
XV
Tabellenverzeichnis
XVII
Abkurzungsverzeichnis
XIX
1
2
Einfuhrung
1
1.1
Problemstellung
1
1.2
Ziel der Arbeit
4
1.3
Aufbau der Arbeit
6
Vertrauen 2.1
Grundlagen zu Vertrauen
2.1.1 Definition von Vertrauen
9 9 9
2.1.2 Zugange der relevanten WIssenschaftsdisziplinen
15
2.1.3 Abgrenzung des Begriffs Vertrauen
19
2.1.3.1 Synonym verwendete Begriffe 2.1.3.2 Einflussnehmende und beeinflusste Konstrukte
19 21
2.1.4 Vertrauen und Misstrauen
23
2.1.5 Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion von Komplexltat
25
2.2
Die Konstituierung von Vertrauen
27
2.2.1 Konzeptionelle Herausforderung
27
2.2.2 Kognitive und emotionale Komponenten von Vertrauen
29
2.2.3 Voraussetzungen fur Vertrauen
33
2.2.3.1 Unsicherheit
33
2.2.3.2 Risiko
35
2.2.4 Der Vertrauensprozess
36
2.2.4.1 Vertrauensdisposition
39
2.2.4.2 Spezifische Vertrauenssituation
42
2.2.4.2.1 Charakteristika spezifischer Vertrauenssituationen
42
2.2.4.2.2 Vertrauenswurdigkeit
44
Inhaltsverzeichnis
2.2.4.2.3
Interpersonales Vertrauen
2.2.4.2.3.1
Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit von Personen
47
2.2.4.2.3.2
Reziprozitat der Vertrauensbeziehung
48
2.2.4.2.4
Unpersonliches Vertrauen
50
2.2.4.3
Vertrauensintention
53
2.2.4.4
Vertrauenshandlung
54
Untemehmenskooperationen 3.1
45
Begriffliche Grundlagen
3.1.1 Kooperation als modernes Phanomen
57 57 57
3.1.2 Grijnde fur Kooperationen
58
3.1.3 Begriffsvielfalt zwischenbetrieblicher Kooperationen
60
3.1.4 Definitionsbestandteile
63
3.1.5 Abgrenzung der Kooperation zu anderen Organisationsformen
68
3.2
Beitrag der Transaktionskostentheorie zur Erklarung von Kooperationen ..70
3.2.1 Einfuhnjng
70
3.2.2 Transaktionsmerkmale
72
3.2.3 Einfluss der Informations- und Kommunikationstechnologien auf Transaktionskosten 3.2.4 Hybride Organisationsformen 3.3
Erscheinungsformen der Kooperation
78 80 85
3.3.1 Systematisierung von Kooperationen
85
3.3.2 Erlauterung ausgewahlter Kooperationsformen
87
3.4
3.3.2.1 Joint Ventures
89
3.3.2.2 Strategische Allianzen
90
3.3.2.3 Interorganisationale Netzwerke
91
Perspektiven, Dimensionen und Typen von Netzwerken
96
3.4.1 Netzwerke aus Sicht des Strategischen Managements
96
3.4.2 Die okonomische Begrundung von Netzwerken
101
3.4.3 Die Systemsicht des Netzwerkes
103
3.4.4 Merkmale kooperativer Netzwerke
104
3.4.5 Kritische Wurdigung von Netzwerken
105
3.4.6 Netzwerktypen
109
3.4.6.1 Netzwerktypologien
109
Inhaltsverzeichnis
3.5
XI
3.4.6.2 Statische Netzwerke
111
3.4.6.3 Dynamische Netzwerke
112
Virtuelle Untemehmen
114
3.5.1 Abgrenzung des Virtuellen Untemehmens
114
3.5.2 Merkmale Virtueller Unternehmen
118
3.5.2.1 Virtualitat
118
3.5.2.2 Die Offenheit des Virtuellen Untemehmens
120
3.5.2.3 Formlosigkeit
121
3.5.2.4 Die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien in Virtuellen Unternehmen
4
122
3.5.3 Sinnhaftigkeit Virtueller Unternehmen
126
3.5.3.1 Unternehmensperspektive
126
3.5.3.2 Kundenperspektive
128
3.5.4 Nachteile Virtueller Unternehmen
130
3.5.5 Organisation der Leistungserstellung in Virtuellen Unternehmen
131
3.5.6 Fuhren und Managen von Virtuellen Unternehmen
133
3.5.7 Die soziale Dimension des Virtuellen Untemehmens
138
3.5.7.1 Virtuelle Teams
140
3.5.7.2 Rahmenbedingungen fur Virtuelle Teams
143
3.5.7.3 Die Einbettung von Virtuellen Teams in Netzwerken
144
Rahmenbedingungen und Grundlagen von Vertrauen in Virtuellen Unternehmen
147
4.1
Kontextbetrachtung.....
147
4.1.1 Vertrauen in Netzwerken
148
4.1.2 Funktionen von Vertrauen in Organisationen und insbesondere in Virtuellen Unternehmen 4.1.3 Vertrauen im Lichte der Transaktionskostentheorie
149 154
4.1.4 Besonderheiten Virtueller Unternehmen und deren Auswirkungen auf Vertrauen
157
4.1.4.1
Die Dynamikdes Netzwerks im Virtuellen Unternehmen
157
4.1.4.2
Derfehlende Face-to-face Kontakt
158
4.1.4.3
Die unterschiedlichen kulturellen Hintergrunde der Mitglieder ...159
4.1.4.4
Der Faktor Zeit
160
XII
Inhaltsverzeichnis
4.1.4.5
Die erhohte Wahrscheinlichkeit opportunistischen Verhaltens...161
4.1.4.6
Die Enthierarchisierung des Virtuellen Untemehmens
162
4.1.4.7
Die Rolle derTechnik
164
4.1.5 Wirtschaftlichkeit von Vertrauen
165
4.1.6 Vertrauensobjekte und -subjekte im Virtuellen Unternehmen
166
4.1.7 Entstehung von personlichem Vertrauen
170
4.2
Grundlagen von Vertrauen in Virtuellen Unternehmen
4.2.1 Bestehende Ansatze zur Erklarung von Vertrauen
5
171 171
4.2.1.1
Vertrauensarten nach Zucker
172
4.2.1.2
Basen von Vertrauen nach Lewicki und Bunker
174
4.2.1.3
Zugrundeliegende Prozesse nach Doney und Cannon
177
4.2.1.4
Quellen von Vertrauen nach Kramer
178
4.2.2 Zusammenfassung der unterschiedlichen Vertrauensarten
180
4.2.3 Dominanz der Rationalitat
185
4.2.4 „Swift trust" als besondere Vertrauensform
186
4.2.5 Ein Modell zur Erklarung von Vertrauen in Virtuellen Unternehmen
187
4.2.5.1
Vertrauensdisposition
189
4.2.5.2
Rationales Kalkul
190
4.2.5.3
Vertrauen durch Identifikation
191
4.2.5.4
Positive Einschatzung der Fahigkeiten
192
4.2.5.5
Positive Erfahrungen
193
4.2.5.6
Transfer von Institutionsvertrauen
194
4.2.5.7
Vertrauenstransfer durch Dritte
196
4.2.6 Vertrauen als dynamischer Prozess
196
Vertrauensbildende Maflnahmen
199
5.1
ZurWirkung und Gestaltung vertrauensbildender Mafinahmen
199
5.2
Konstituierung des Virtuellen Untemehmens
202
5.2.1 Auswirkungen der erfolgreichen Konstituierung des Virtuellen Untemehmens
202
5.2.2 Vertrauensbildende Maflnahmen innerhalb der Konstituierung des Virtuellen Untemehmens 5.3
Unternehmensidentjtat
5.3.1 Auswirkungen einer positiven Unternehmensidentjtat
203 205 205
Inhaltsverzeichnis
XIII
5.3.2 Vertrauenbildende Mafinahmen innerhalb der Unternehmensidentitat .205 5.4
Transparenz der involvierten Personlichkeiten
5.4.1 Auswirkungen einer vertrauten Umgebung
208
5.4.2 Vertrauensbildende Mafinahmen zur Schaffung von Vertrautheit
209
5.5
Kontrolle im Virtuellen Unternehmen
210
5.5.1 Auswirkungen eines ..kontrollierten" Untemehmens
210
5.5.2 Vertrauensbildende Mafinahmen innerhalb der Kontrolle
212
5.6
Vertrauensbildung durch Reputation der Mitarbeiter/innen
213
5.6.1 Entstehung von Reputation im Unternehmen
213
5.6.2 Aufbau der Reputation und vertrauensbildende Wirkung
214
5.7
Vertrauensbildung durch Kommunikation
215
5.7.1 Bedeutung und Inhalt der Kommunikation
215
5.7.2 Auswirkungen der Vertrauensbildung durch Kommunikation
216
5.7.3 Kommunikative Maflnahmen zur Vertrauensbildung
218
5.8
Regein und Normen im Virtuellen Unternehmen
222
5.8.1 Auswirkungen von Regein und Normen im Virtuellen Unternehmen
222
5.8.2 Vertrauensbildung durch Regein und Normen
222
5.9
Ausgewogenheit in erforderlichem Support und Eigenverantwortung der Beteillgten
224
5.9.1 Auswirkungen einer angemessenen Eigenverantwortung
224
5.9.2 Vertrauensbildung durch Hilfestellung und Eigenverantwortung
224
5.10 6
208
Uberblick uber die vertrauensbiidenden Maflnahmen
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
226 229 235
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Rahmenbedingungen, Relevanz und Aufgaben der Arbeit
3
Abbildung 2: Aufbau der Arbeit
8
Abbildung 3: Vertrauensmodell
37
Abbildung 4: Integrationsformen und Spezifitat
74
Abbildung 5: Einflussgroden auf Transaktionskosten
77
Abbildung 6: Veranderung der Effizienzkurven durch den Einsatz neuer luK
79
Abbildung 7: Kooperationsformen im Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie ....81 Abbildung 8: Funktionen im Netzwerk und Virtuellen Unternehnnen
135
Abbildung 9: Zusanrimenhang Netzwerk, Virtuelle Unternehmen und Virtuelle Teams
145
Abbildung 10: Komplexitatswahrnehmung im Virtuellen Unternehmen
151
Abbildung 11: Vertrauensbezlehungen im Virtuellen Unternehmen
168
Abbildung 12: Grundlagen der Vertrauensentscheidung
184
Abbildung 13: Vertrauensprozess im Virtuellen Unternehmen
188
Abbildung 14: Wirkungspfad der vertrauensbildenden Mafinahmen
200
Tabellenverzeichnis
XVII
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Interpersonale Vertrauensdefinitionen
12
Tabelle 2: Allgemeine Vertrauensdefinitionen
12
Tabelle 3: Abgrenzung der synonym ven/vendeten Begriffe
21
Tabelle 4: Kooperations-Definitionen
62
Tabelle 5: Idealtypische Auspragungen zentraler Merkmale
84
Tabelle 6: Auspragungen der Kriterien be! unterschiedlichen Kooperationsfornnen..88 Tabelle 7: Wirkung von Vertrauen auf Nachteile im Virtuellen Unternehmen
165
Tabelle 8: GrundlagenderVertrauensentscheidung
181
Tabelle 9: Vertrauensbildende Madnahmen
228
Abkurzungsverzeichnis
XIX
AbkiJrzungsverzeichnis B2B
business to business
B2C
business to consumer
bspw.
beispielsweise
bzw.
beziehungsweise
CI
corporate identity
dgl.
dergleichen
d.h.
das helflt
E-Business
electronic business
E-Commerce
electronic commerce
etal.
et alteri
f
folgende
ff
fortfolgend
FN
Fuflnote
F&E
Forschung und Entwicklung
ggf. i.d.R.
gegebenenfalls
i.e.S.
im eigentlichen/engeren Sinn
i.S.v.
im Sinne von
in der Regel
luK
Informations- und Kommunikationstechnologien
m.E.
meiner Einschatzung
MA
Mitarbeiter/in
PC
personal computer
SCM
Supply Chain Management
u.a.
unter anderem/n
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
VG
Vertrauensgeber/in
VN
Vertrauensnehmer/in
VT
Virtuelles Team
VU
Virtuelles Unternehmen
z.B.
zum Beispiel
Problemstellung
1 1.1
1
EinfiJhrung Problemstellung
Untemehmen stehen einer sich standig verandernden, komplexen Umwelt gegenijber. Die Globalisierung des Wettbewerbs und die verstarkte Nachfragedifferenzierung sind nur zwei indikatoren dieses Wandels.^ Weitere veranderte Rahmenbedingungen sind die Internationalisierung eben nicht nur auf Marktseite, sondern aucii auf der Angebotsseite. Die Auslagerung der Produktion in Lander, die eine billigere Erzeugung gewahrleisten, ist heutzutage in vielen Branchen ubiich und auch die Ressourcenbeschaffung kennt nahezu keine Grenzen nneiir.^ Dies fuhrt zu einer veranderten Kostenstruktur in den Untemehmen. Haufig sind es nicht mehr primare Wertschopfungsaktivitaten des Unternehmens selbst die hohe Kosten verursachen, sondern die Kosten, die z.B. durch Infornnationsbeschaffung und Verhandlungen mit Kooperationspartnern entstehen. Auch spielt der Faktor Zeit eine immer grofiere Rolle. Es sind die Umschlagshaufigkeiten der nachgefragten Produkte und somit auch die Produktiebenszyklen, die sich madgeblich verkurzen. Diese Veranderungen kommen einerseits zu Stande durch den Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (luK) und die damit einhergehende weltweite Vernetzung,^ andererseits konnen sie dadurch unterstutzt und gefordert werden. Um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein, konzentrieren sich die Unternehmen immer ofter ausschiielilich auf ihre Kernkompetenzen und erfullen mit Hilfe externer Ressourcen ihre Marktaufgabe."* Der Erfolg der Untemehmen wird demnach nicht nur durch ihre innere Starke bestimmt, sondern zunehmend durch die Fahigkeit mit anderen Untemehmen, welche im Besitz der benotigten Ressourcen sind, zu kooperieren.^ Die Moglichkeiten, wie diese Kooperationen aussehen konnten, wie sie organisiert sind, welches Ziel sie verfolgen, sind zahlreich. Eine einheitliche Systematisierung der Auspragungsformen sowie eine allgemein gultige Definition des Be-
Vgl. Blecker [Unternehmung ohne Grenzen 1999], S. 1. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 3. Vgl. Hein [Netzwerkinfrastruktur 2001], S. 154. Vgl. Wildemann [Kernkompetenzen 1997a], S. 5. Vgl. Balling [Kooperation 1997], S. 7.
2
Einfuhrung
griffes Kooperation im wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch konnten sich bis jetzt nicht durchsetzen.® Im Zusammenhang mit der Auflosung von Untemehmensgrenzen, im Innen- und Aufienverhaltnis von Untemehmen, wird oft von virtuellen Organisationsstrukturen bzw. Virtuellen Untemehmen gesprochen/ Dabei ist die Virtualitat im wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch auf unterschiedliche Welse zu verstehen.® Erstens, spielt der Einsatz von Informationssystemen (technische Hilfsmittel zur Bearbeitung, zur Lagerung und zum Transport von Daten^), die eine Entkoppelung von Raum und/oder Zeit ermoglichen, eine zentrale Rolle. Zweitens, kann unter Virtualitat das nicht Reale verstanden werden, also in Bezug auf Untemehmen das nicht tatsachliche Vorhandensein eines Untemehmens im eigentlichen Sinn, sondern eine Form des Netzwerkes, worin der Zusammenschluss zu Kooperationen sehr flexibel ist. Aufgrund des notwendigen Einsatzes von luK und der, unter anderem dadurch entstehenden, neuen Organisationsformen kommt Vertrauen eine besondere Rolle zu. Wie aus unterschiedlichen Perspektiven argumentiert wird, kann das Vorhandensein von Vertrauen erheblich zum Erfolg von Geschaftsbeziehungen beitragen. Insbesondere bei komplexeren Verflechtungen ist Vertrauen eine unabdingbare Notwendigkeit, da mit z.B. Absicherungs- und Kontrollmechanismen ubermaliige, nicht uberschaubare Kostenfaktoren entstehen wurden.
Das Virtuelle Untemehmen kann eine mogliche Antwort auf strategische Herausforderungen seln. Idealtypisch gelingt es den einzelnen Untemehmen, durch diese Kooperationsform die veranderten Rahmenbedingungen zu nutzen, um in einem dynamischen und komplexen Wettbewerbsumfeld bestehen zu konnen. Durch Vertrauen in dieser Organisationsform werden nicht nur die Kooperation und die einzelnen Untemehmen erfolgreich sein, sondern auch die beteiligten Mitarbeiter werden in einem veranderten und sich standig andernden Umfeld weitgehend zufrieden und ehrgeizig ihre Aufgaben bewaltigen.
^ ^ ^ ^
Vgl. Rotering [Zwischenbetriebliche Kooperation 1993], S. 6. Vgl. Picot, Reichwald. Wigand [Grenzenlose Untemehmung 1996], S. 2. Vgl. hierzu und im Folgenden Blecker [Untemehmung ohne Grenzen 1999], S. 24. Vgl. Sieber [Virtuelle Untemehmen 1998], S. 10, FN 32.
Problemstellung
3
Die folgende Abbildung 1 soil veranschaulichen, welche Relevanz das Thema aufgrund der geanderten Rahmenbedingungen hat und welche Aufgaben im Zusammenhang mit dem Thema stehen.
Abbildung 1: Rahmenbedingungen, Relevanz und Aufgaben der Arbeit
Die zentrale Forschungsfrage, die dieser Arbeit zugrunde liegt, konzentriert sich auf die Mafinahmen, wie Vertrauen in solchen Umgebungen gebildet, gefordert und in Stand gehalten werden kann. Urn hier zu einem Ergebnis zu gelangen, sind zunachst folgende Fragen im Vorhinein zu beantworten: •
Welche Rolle spielt Vertrauen in Virtuellen Unternehmen?
•
Welche Besonderheiten gibt es bei Vertrauen in Virtuellen Unternehmen?
•
Was sind die theoretischen Grunde fur die Vertrauensintention in Unternehmen generell und speziell in Virtuellen Unternehmen?
•
Konnen generell empfehlenswerte Mafinahmen zur Bildung, Forderung und Instandhaltung von Vertrauen formuliert werden und welche waren dies?
•
Wie konnen diese Aspekte (vorhandene Formen von Vertrauen, Besonderheiten, Maflnahmen zur Vertrauensbildung) in bereits bestehende Theorien eingeordnet werden?
4
1.2
Einfuhrung
Ziel der Arbeit
Der eigentliche Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist das Vertrauen, welches ein sehr komplexes Konstrukt ist und bereits in nahezu unzahligen Forschungsbeitragen untersucht wurde.^° Der Kontext, in dem Vertrauen hier analysiert wird - das Virtuelle Unternehmen - ist jedoch relativ^^ neu. Auch sollte an dieser Stelle betont werden, dass es sich bei den Beitragen zu Vertrauen sehr haufig urn empirische Studien handelt, denen es teilweise an einem fundierten konzeptionellen Rahmen mangelt.^^ Diese Arbeit soil dazu beitragen, einen konzeptionellen Rahnnen zu schaffen. Unabhangig davon, in welchem Bezugsrahmen man sich bewegt, ist es fur die Analyse von Vertrauen unvermeidbar, Beitrage unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen (Psychologie, Soziologie, Sozialpsychologie, Anthropologie, Okonomie und Managementforschung) zu berucksichtigen. Obwohl sich Vertrauen in der Wissenschaft besonders in letzter Zeit immer grofierer Popularitat erfreut, sind es sehr unterschiedliche Zugange und Vorgehensweisen, was nicht alleine durch die Wissenschaftsdisziplin bedingt ist, mit denen an die Erforschung von Vertrauen herangegangen wird. Vertrauen wird auch haufig in sehr speziellen Kontexten (z.B. eingeschrankte Aspekte im Vertrauensprozess oder als Problem in besonderen Beziehungen) betrachtet, was unter anderem dazu fuhrt, dass immer nur bestimmte Telle zum Thema Vertrauen herausgenommen und bearbeitet werden. Selten wird versucht, mehrere Aspekte von Vertrauen zu betrachten und diese im Zusammenhang darzustellen. Somit besteht ein dringender Forschungsbedarf zum Zwecke der Weiterentwicklung, Systematisierung und Verknupfung einzelner theoretischer Vertrauensaspekte. Diese Arbeit soil jedoch auch fur die Praxis Nutzen stiftend sein, indem aufgezeigt wird, wo die Quellen von Vertrauen in Geschaftsbeziehungen liegen konnen und insbesondere bei Virtuellen Unternehmen liegen und welche vertrauensbildenden Mafinahmen es in kooperativen Geschaftsbeziehungen gibt, wodurch der Erfolg des Virtuellen Unternehmens erhoht werden kann. Dass Vertrauen in langerfristigen kooperativen Geschaftsbeziehungen unabdingbar ist, wurde bereits in zahlreichen Beitragen Vgl. stellvertretend Mollering, Bachmann, Lee [Organizational trust 2004], S. 556. Es soli durch die vorliegende Arbeit u.a. auch dargestellt werden, wie neu dieses Konstrukt tatsachlich ist, oder ob es sich nur urn ein neues, modernes Schlagwort handelt. Dies wurde bereits diskutiert von Scholz [Virtuelle Organisation 1996]. Vgl. Mollering, Bachmann, Lee [Organizational trust 2004], S. 560.
Ziel der Arbeit
5
belegt.^^ Die Maflnahmen, urn Vertrauen in Organisationen bzw. Kooperationen zu bilden, stellen jedoch ein derzeit noch niclit investitionswurdiges Instrument dar.^"* Das Virtueiie Unternehmen ist ein in letzter Zeit selir haufig erwalintes Schlagwort. Es wird argumentiert, dass es sich dabei urn eine neue Form der Organisation handelt, um flexibel auf die Marktbedurfnisse reagieren zu konnenJ^ Was jedocii tatsaclilich hinter diesem Konstrukt steckt, welche l\/lerkmale und Besonderiieiten es beinhaltet, wie es ausgestaltet sein kann und wie es sich in verscliiedenen Dimensionen von anderen Organisationsformen unterscheidet, steht noch nicht einhellig fest. Weitgehend ist man sich lediglich einig, dass es sich bei Virtuellen Unternehmen um besondere Kooperationsformen handelt, die aufgrund der geanderten Rahmenbedingungen entstanden sind.^® Innerhalb und im engeren Umfeld des Virtuellen Unternehmens ergibt sich ein verandertes soziales Gefuge, was darauf schlieflen lasst, dass auch Vertrauen andere Quellen hat, die Vertrauensobjekte andere oder mehrere sind und der Vertrauensprozess anders ablauft als vergleichsweise in herkommlichen Kooperationen oder realen Unternehmen.
Formales Ziel der Arbeit Ist es, aufgezeigte Lucken in der Vertrauensthematik zu schlielien und vor allem in den zugrunde liegenden Bereichen, Vertrauen und Virtueiie Unternehmen, eine Systematisierung vorzunehmen. Eine Systematisierung in dem Sinn, dass reievante Aspekte durch umfassende Literaturrecherche erfasst werden und in einer zusammenhangenden Form wiedergegeben werden. Damit soil ein Beitrag zum theoretischen Verstandnis geleistet werden, welches in weiterer Folge fur den eigentlichen Forschungsbeitrag erforderlich ist. Das anwendungsorientierte Ziel der Arbeit ist es, Mafinahmen zu formulieren, die einer Bildung, Forderung und Instandhaltung von Vertrauen im besonderen Umfeld des Virtuellen Unternehmens zu Gute kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, erscheint es sinnvoll, folgende Unterziele zu definieren.
Vgl. stellvertretend Bartelt [Vertrauen in Zuliefernetzwerken 2002], S. 56 ff. Williamson [Calculativeness 1993a], S. 463 ff. Vgl. Zucker [Trust 1986], S. 56. Vgl. stellvertretend Byrne [Corporation 1993], S. 37. Vgl. stellvertretend Picot, Reichwald [Unternehmung 1994], S. 548 ff, Mertens, Faisst [Virtueiie Unternehmen 1995b], S. 61 ff, Mowshowitz [Virtual organization 1997], S. 35, Bleecker [Virtual organization 1994], S. 9, Mulier [Virtual Corporation 1993], S. 126, Oibich [Virtueiie Unternehmen 1994], S. 28 f.
6
Einfuhrung
•
Erfassung relevanter Aspekte von Vertrauen;
•
Einordnung des Virtuellen Untemehmens in den organisationstheoretischen Kontext und Analyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln;
•
Darstellung relevanter Vertrauensdimensionen und Besonderheiten von Vertrauen in Virtuellen Untemehmen;
•
Analyse der Grundlagen von Vertrauen in Organisationen und im betrachteten Kontext;
•
Formuiierung von Mafinahmen, die zur Bildung und Instandhaltung von Vertrauen in Virtuellen Untemehmen dienen.
1.3
Aufbau der Arbeit
Nach dem einfuhrenden Kapitel, in dem die Aktualitat und die zugrunde liegende Problemsteliung vorgestellt wurde, werden der Forschungsgegenstand und der Kontext voneinander getrennt und grundlegend analysiert. Innerhalb des Kapitels zu Vertrauen wird dargestellt, dass es sehr unterschiedliche Zugange zu dieser Thematik gibt und dass Vertrauen als Forschungsthema in letzter Zeit an Aktualitat gewonnen hat. Fur eine Begriffsabgrenzung ist es notwendig, verschiedene, haufig zitierte Definitionen heranzuziehen, um zu einer Definition zu gelangen, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Anschlieflend wird die Bedeutung von Vertrauen in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen eriautert. Die Abgrenzung von Vertrauen zu anderen Begriffen, die entweder synonym zu Vertrauen verwendet werden oder in Verbindung stehende Konstrukte darstellen, ist fur eine generelle Analyse erforderlich. Kurz soil auch auf die Beziehung zwischen Vertrauen und Misstrauen hingewiesen werden und als Abschluss der Grundlagen von Vertrauen wird dessen Funktion geklart. Die Konstituierung von Vertrauen stellt eine Herausforderung dar, mit der sich bereits zahlreiche Wissenschafter/innen auseinander gesetzt haben. Hier werden vordergrundig die einzelnen Komponenten, die fur Vertrauen relevant sind, analysiert. Anschlieflend erfolgt eine Beschreibung des generell gultigen Vertrauensprozesses. Dabei wird auf den Entwicklungsgang von Vertrauen mit den einzelnen Teilprozessen naher eingegangen. Die unterschiedlichen Vertrauensobjekte, die sich in erster Linie in Personen und unpersonliche Objekte untergliedern, werden diskutiert. Die
Aufbau der Arbeit
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Vertrauensintention und schliedlich die Vertrauenshandlung sind das Resultat des Vertrauensprozesses. Im Kapitel Untemehmenskooperationen wird an das Phanomen der Virtuellen Unternehmen von einer allgemeinen Ebene herangegangen. Es werden die Grunde, Definitionen und Merkmale von Untemehmenskooperationen betrachtet, um im Anschluss zu einer relevanten Begriffsabgrenzung zu gelangen. Anhand der Transaktionskostentheorie soli geklart werden, welchen Sinn Untemehmenskooperationen haben und welche Diskussionspunkte es zur Kontinuumsbetrachtung und zu den Hybridformen gibt. Darauf folgend werden die Erscheinungsformen von Kooperationen diskutiert und schiiefilich die Netzwerke intensiver analysiert. An dieser Stelle werden unterschiedliche Theorien herangezogen, um diese Auspragungsform zu erklaren. Anschliefiend erfolgt eine Typologislerung von Netzwerken, um darauf aufbauend das Virtuelle Unternehmen als dynamische Form von Netzwerken darzustellen. Das Virtuelle Unternehmen ist durch unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet und kann eine strategische Antwort auf die internen und externen Rahmenbedingungen darstellen. Trotz einer eher optimistischen Sichtweise dieses Phanomens sollen die Nachteile nicht unbeachtet gelassen werden. Fur die Diskussion von Vertrauen ist wichtig, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern das Virtuelle Unternehmen auch aus soziologischer Sicht zu analysieren. Dem folgenden vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit, Rahmenbedingungen und Grundlagen von Vertrauen in Virtuellen Unternehmen liegen die vorhergehenden Telle zugrunde. Zu Beginn wird analysiert, welche Bedeutung Vertrauen fur Geschaftsbeziehungen und insbesondere fur Virtuelle Unternehmen hat. Virtuelle Unternehmen weisen Besonderheiten auf, die signifikante Auswirkungen auf die Blldung von Vertrauen haben konnen. Ebenso ist es wichtig zu konkretisieren welche moglichen Vertrauensobjekte und -subjekte es in Virtuellen Unternehmen gibt, um dann den Fokus auf die Vertrauensbildung zwischen den Mitarbeitern untereinander zu legen. Im nachsten Kapitel erfolgt ein Abriss der Literatur zu den unterschiedlichen Grundlagen der Vertrauensentscheidung. Folgend wird die Vertrauensentscheidung auf sieben unterschiedliche Grundlagen zuruckgefuhrt. Diese werden integrativ in einem Modell dargestellt. Der letzte Tell beschaftigt sich konkret mit dem Aufbau von Vertrauen in Virtuellen Unternehmen. Nach einer Abhandlung der diesbezuglichen Grundlagen werden die
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Einfuhrung
identifizierten Mafinahmen vorgestellt. Jedes einzelne Instrument wird im Hinblick auf seine Bedeutung, Wirkungsweise und konkrete Ausgestaltung beschrieben. In einem abschliefienden Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung der Arbeit und der Hinweis auf weitere Forschungspotentiale in diesem Gebiet. Die folgende Abbildung 2 soil den Aufbau der Arbeit verdeutiichen.
Abbildung 2: Aufbau der Arbeit
Dieser Aufbau soil dazu beitragen, die Forschungsfrage zu beantworten. Dabei soil gewahrleistet sein, dass insbesondere bei den Grundlagen des Themas, eine Abhandlung in adaquater Weise erfolgt. Durch diesen Aufbau soil erreicht werden, dass der/die Leser/in den Gedankengangen der Autorin uber die gesannte Arbeit hinweg jedoch auch in den einzelnen Teilen folgen kann.
Grundlagen zu Vertrauen
2 2.1
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Vertrauen Grundlagen zu Vertrauen
Die Vertrauensliteratur kann nicht einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin zugeordnet warden, denn einerseits kann Vertrauen sehrviele Bereiche beeinflussen, anderseits sind fur dessen Erklarung Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen erforderlich. Die haufigsten Beitrage zu Vertrauen stammen aus der Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie, Okonomie und Betriebswirtschaft. Ebenso findet Vertrauen auch inn nicht-wissenschaftlichen Bereich haufig Anwendung, beziehungsweise wird der Begriff haufig eingesetzt. Versucht man Vertrauen in einenn ausgewahlten Kontext zu betrachten, ist es erforderlich, dass der Begriff ungeachtet seiner facettenreichen und vielfaltigen, durchaus kompiexen Erscheinungsformen, mit einenn adaquaten Inhalt versehen wird. In diesem Abschnitt wird ausgeiiend von einer umfassenden Perspektive eine Annaherung an das Konstrukt Vertrauen vorgenommen. Eine Begriffsabgrenzung ist notwendig urn in weiterer Folge zu analysieren, wie Vertrauen entsteht und welche Komponenten es beinhaltet. Obwohl es unmoglich ist, das Konstrukt Vertrauen mit all seinen Rahmenbedingungen, Dimensionen, Arten und Basen vollstandig zu erfassen, soil eine geeignete und umfassende Grundlage gebildet werden. Dies soil dazu dienen, den, in weiterer Folge sehr speziell behandelten, Vertrauensprozess im Virtuellen Unternehmen, vorerst auf einer allgemeinen Basis zu thematisieren.
2.1.1 Definition von Vertrauen Vertrauen in die Wettervorhersage und in den Freund, in die Geldwertstabilitat und in den/die Geschaftspartner/in, in die Fahigkeiten eines Menschen, in seine Absichten, seine Hilfsbereitschaft und Gutmiitigkeit - so unterschiedllch wird der Vertrauensbegriffverwendet.^^ Allein die haufige Verwendung in der alltaglichen, nichtwissenschaftlichen Sprache hier wird mit Vertrauen meist die Qualitat einer personlichen Beziehung naher bezeichnet^^ - weist auf die (anscheinende) Aktualitaf ® und die vielfaltige Bedeutung
^^ ^*
Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], 8. 6. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 11.
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Vertrauen
des Begriffs hin. Heute greifen Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Disziplinen Vertrauen als Forschungsobjekt vermehrt auf.^° Soziolog/inn/en^\ Okonom/inn/en^^ Psycholog/inn/en^^ Management Theoretiker/innen^"* und Praktiker/innen gehen an das multidisziplinare Konstrukt Vertrauen aus ihrer Perspektive heran. Obwohl Oder gerade weil sich zahlreiche Wissenschafter/innen aus verschiedenen Bereichen mit diesem Phanomen beschaftigen, ist es nicht gelungen, ein einheitliches Begriffsverstandnis fur Vertrauen zu schaffen.^^ Es wurde schon von zahlreichen Autor/inn/en darauf hingewiesen, dass Vertrauen mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen versehen ist;^® mitunter wird Vertrauen als „konfuses Potpourri" oder ..konzeptioneller Sumpf bezeichnet.^^ Es gibt auch Autor/inn/en, die sich der Vielfaltigkeit des Begriffs bewusst sind und Vertrauen dennoch nicht definieren.^® Barber stellte fest, dass
both in serious social thought and everyday discourse it is as-
sumed that the meaning of trust... is so well known that It can be left undefined or to contextual implications."^^
Die Anzahl der Definitionen ist nicht zuletzt aufgrund der Multidisziplinaritat von Vertrauen sehr hoch. Mittlerweile haben schon einige Autor/inn/en^° versucht, die Definitionen in Bestandteile zu zerlegen und das Wesentliche bzw. Gemeinsame zu extrahieren. Die folgende Auswahl soil einen kurzen Einblick in die Vielfalt der unterschiedlichen Definitionen geben. Zum Zwecke der Ubersichtlichkeit wurde eine Unterteilung in interpersonale Vertrauensbeziehungen und in allgemeine Vertrauensbe-
Vgl. Barber [Trust 1983], S. 1. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 9. Vgl. stellvertretend Luhmann [Vertrauen 1989], Fukuyama [Trust 1995]. Vgl. stellvertretend Williannson [Calculativeness 1993a]. Vgl. stellvertretend Rotter [Interpersonal trust 1967], Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], Schweer [Interpersonales Vertrauen 1997]. Vgl. stellvertretend Mayer, Davis, Schoorman [Model of trust 1995], Hosmer [Trust 1995], Sitkin, Roth [Trust/distrust 1993]. Ubereinstimmend u.a. mit Hosmer [Trust 1995], S. 379, Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 975, Plotner [Kundenvertrauen 1995], S. 35, Blois [Trust in B2B relationships 1999], S. 197. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 11, McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001a], S.35. Vgl. McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], S. 6 f, siehe auch die dort zitierte Literatur, Barber [Trust 1983], S. 2 f. Vgl. stellvertretend Allwood, Traum, Jokinen [Cooperation 2000], S. 876, Williamson [Calculativeness 1993a], S. 453, Whitener [Employee trust 1997], S. 390, Barber [Trust 1983], S. 3, der diese Vorgehen bei z.B. Rawls [Theory of justice 1971] und Bok [Lying 1978] bemangelt. Barber[Trust1983], S. 7. Vgl. stellvertretend McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], Blomqvist [Trust 1997].
Grundlagen zu Vertrauen
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ziehungen vorgenommen.^^ Die einzelnen Wissenschafler/innen sind sich nicht immer dieser notwendigen Trennung bewusst und definieren Vertrauen passend fur ihren Kontext.^^ Warum diese Trennung eine Rolle spielt, wird in der vorliegenden Arbeit naher thematisiert.
Interpersonales Vertrauen: Wissenschafterin, Jahr
Definition
Meilinger 1956
Vertrauen ist das gezeigte Oder angegebene Zutrauen in die Absiciiten und Motive anderer Menschen.^^ Rotter 1967 ..Interpersonal trust is defined as an expectancy held by an idividual or a group that the word, promise, verbal or written statement of another individual or group can be relied upon."^ Schlenker, Helm, Tede"Interpersonal trust may be defined as a reliance upon information reschi 1973 ceived from another person about uncertain environmental states and their accompanying outcomes in a risky situation."^^ Gambetta 2000 "Trust is a particular level of the subjective probability with which an agent assesses that another agent or group of agents will perform a particular action, both before he can monitor such action and in a context in which it affect his own action."^® Bromily, Cummings 1992 "Trust will be defined as an individual's belief or a common belief among a group of individuals that another individual or group (a) makes good-faith efforts to behave in accordance with any commitments, both explicit or implicit; (b) is honest in whatever negotiations preceded such commitments; and (c) not take excessive advantage of others even when the opportunity is available."^^ Mayer, Davis, Schoorman "Trust is the willingness of a party to be vulnerable to the actions of an1995 other party based on the expectation that the other will perform a particular action important to the trustor, irrespective of the ability to monitor or control that other party."^® Rousseau, Sitkin 1998 "Trust is a psychological state comprising the intention to accept vulnerability based upon positive expectations of the intentions or behavior of another."^^ Ripperger 1998 Vertrauen ist die freiwillige Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und KontrollmaHnahmen gegen opportunistisches Verhalten (Vertrauenshandlung) in der Erwartung, dass sich der andere, trotz Fehlen solcher Schutzmalinahmen, nicht opportunistisch verhalten wird (Vertrauenserwartung)/° Barney, Hansen 1994 "Trust is the mutual confidence that no party to an exchange will exploit another's vulnerabilities.""*^
Fur eine ausfuhrliche Analyse der wichtigsten Vertrauensdefinitionen siehe McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001a], McKnight, Choudhury, Kacmar [Trust in e-commerce 2002a]. In dieser Arbeit erfolgt eine genaue Analyse beider Arten von Vertrauen in Punkt 2.2.4.2. Vgl. Meilinger [Interpersonal trust 1956], zitiert nach Petermann [Psychologie des Vertrauens
1996], S. 54. Rotter [Interpersonal trust 1967], S. 652. Schlenker, Helm, Tedeschi [Behavioral trust 1973], S. 419. Gambetta [Trust trust 2000], S. 217. Vgl. Cummings, Bromiley [Trust inventory 1995], S. 303. Mayer, Davis, Schoorman [Model of trust 1995], S. 712. Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 395. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 45. Barney, Hansen [Trustworthiness 1994], S. 177.
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Vertrauen
Sitkin, Roth 1993
Zand 1972
Doney, Cannon, Mullen 1998 Morgan, Hunt, 1994
"Trust is a belief, attitude, or expectation concerning the likelihood that the actions or outcomes of another individual, group or organization will be acceptable or will serve the actor's interests." ^ Trust is the conscious regulation of one's dependence on another that will vary with the task, the situation, and the other person." Trusting behaviour increases one's vulnerability, to another whose behaviour is not under one's control, in a situation where the penalty is greater than the benefit if the other does not abuse that vulnerability."* Trust is "...a willingness to rely on another party and to take action in circumstances where such action makes one vulnerable to the other party."'*'* "We conceptualize trust as existing when one party has conficence in an exchange partner's reliability and integrity."'*^
Tabelle 1: Interpersonale Vertrauensdefjnitionen
Allgemeine Vertrauensbeziehungen Wissenschafterin, Jahr
Definition
Deutsch 1958
"An individual may be said to have trust in the occurrence of an event if he expects its occurrence and his expectation leads to behaviour which he perceives to have greater negative motivational consequences if the expectation is not confirmed than positive motivational consequences if it is confirmed."'*® "Trust is defined as a set of expectations shared by all those involved in an exchange.""*^ "Konkret kann Vertrauen definiert werden als Bereitschaft zur Erbringung einer riskanten Vorleistung, die auf der Erwartung basiert, dass Vertrauensobjekte (Personen, Systeme) sich vertrauenswurdig verhalten bzw. sich als funktionsfahig erweisen werden. Vertrauen bezieht sich auf bestimmte Handlungsalternativen in spezifischen Risikosituationen und setzt das Bewusstsein der Moglichkeit eines potentiellen Schadens voraus.""*^ "Trust is defined as the expectation that an actor can be relied on to fulfill obligations, will behave in a predictable manner, and will act and negotiate fairly when the possibility for opportunism is present.""*^ "Vertrauen ist eine soziale Grunddisposition gegenuber anderen Menschen oder Institutionen mit individuell und situativ unterschiedlicher und beeinflussbarer Auspragung, freiwillig riskante Vorleistungen zu erbringen in der Erwartung, dass sich der Vertrauensnehmer im Sinne der Grunddisposition verhalt. Vertrauen befahigt, die Komplexitat, Kontingenz, Ungewissheit menschlichen (und organisationalen) Handelns zu mindern und starkt so die Handlungsfahigkeit."^° "Trust is the expectation that arises within a community of regular, honest, and cooperative behaviour, based on commonly shared norms, on the part of other members of that community."^^ Trust is a .... ..generalized expectation related to the subjective probability an individual assigns to the occurrence of some set of future events."^^
Zucker1986 Grabner-Krauter 2002
Zaheer, McEvily, Perrone 1998 Licharz 2002
Fukuamya 1995
Rempel, Holmes, Zanna 1985
Tabelle 2: Allgemeine Vertrauensdefinitionen
Sitkin, Roth [Trust/distrust 1993], S. 368 und die dort zitierte Literatur. Vgl.Zand[Trust1972], S. 230. Doney, Cannon, Mullen [Development of trust 1998], S. 604. Morgan, Hunt [Commitment-trust theory 1994], S. 23. Deutsch [Trust 1958], S. 266. Zucker [Trust 1986], S. 54. Grabner-Krauter [Vertrauen im Handel 2002], S. 123. Zaheer, McEvily, Perrone [Interorganizational trust 1998], S. 143. Licharz [Vertrauen in B2C 2002], S. 24. Fukuyama [Trust 1995], S. 26. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 96.
Grundlagen zu Vertrauen
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Die Auswahl gewahrt einen Einblick in die heterogene Verwendung des Begriffs Vertrauen. Es ist dabei zu erkennen, dass die meisten Auslegungen entweder -
auf einen bestimmten Kontext (z.B. personliche Beziehung, Geschaftsbezie-
-
die eingeschrankte Sichtweise eines Wissenschaftsbereichs reflektieren oder
-
sich nur auf einen Aspekt des Vertrauensprozesses (z.B. Akt der Vertrauens-
hung) zugeschnitten sind,
handlung) beziehen. Hier sol! versucht werden, eine Abgrenzung des Begriffs zu finden, sodass dieser universell fur unterschiedliche Kontexte, Prozessstadien und Wissenschaftsbereiche anwendbar ist. Im folgenden Kapital wird ausfuhrlich auf das Konstrukt Vertrauen eingegangen und es werden die unterschiedlichen Interpretationen und Bestandteile differenziert erlautert. Dennoch erscheint es an dieser Stelle sinnvoll, den Begriff, wie er in dieser Arbeit verstanden werden kann, zu definieren.
Grundsatzlich geht aus den Deflnitionen hervor, dass es sich bei Vertrauen urn zwei unterschiedliche Konzeptuallsierungen handelt. Erstens, Vertrauen als Konglomerat von Einschatzungen und EnA/artungen und zweitens, Vertrauen als Absicht, aufgrund dieser Einschatzungen zu handeln.^^ In weiterer Folge wird versucht, beiden Konzepten Beachtung zu schenken. Denn die Absicht zu vertrauen innpliziert die positive Bewertung der Vertrauenswurdigkeit, welche auf Einschatzungen und Erwartungen beruht und stellt somit das Resultat des Vertrauensprozesses dar.^
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Vgl, Doney, Cannon, Mullen [Development of trust 1998], S. 603. Inwieweit hier eine Unterscheidung zwischen, auf der Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit basierenden, Vertrauensintention und Vertrauenshandlung notwendig ist, soil in den folgenden Kapiteln geklart werden.
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Vertrauen
Definitionsbestandteile: Die wesentlichen (noch unstrukturiert wiedergegebenen) Merkmale einer Vielzahl von Vertrauensdefinitionen konnen wie folgt zusammengefasst werden:^^ •
Zeitperspektive •- Zusammenhang zwischen Vergangenem und Zukunft,
•
freiwillige Aufgabe der Beeinflussung eines Teils der Zukunft,
•
subjektive Einschatzung unsicherer Ereignisse,
•
bewusste Absicht,
•
Zusammenhang zwischen der Wahl dieser Alternative und einem potenziellen Schaden,
•
Objekte definiert als Personen, Systeme oder Institutionen,
•
kognitive und emotionale Bestandteile.
Durch die Zusammenfassung der einzelnen Bestandteile ergibt sich folgende Definition: Vertrauen ist die Intention so zu handein, als ob sich Personen oder unpersonliche Systeme auf die eingeschatzte, zutragliche Art vertialten warden. Diese Einschatzung basiert auf Erfahrungen und der/die Akteur/in ist sich des folgenden Risikos bewusst.
Durch die Erfahrung kann aufgrund von emotionalen und kognitiven Prozessen eingeschatzt werden, ob das Objekt vertrauenswurdig ist. Die Erfahrung ist hier sehr weit gefasst und bezieht sich nicht nur auf unmittelbar vorhergehende Situationen, sondern auf Erfahrungen, die bis in die Kindheit zuruckgehen.^® Deshalb ist auch eine Entscheidung, die auf dispositivem Vertrauen basiert, letztlich auf Erfahrungen wenn auch auf sehr generalisierte und weit zuruckliegende - zuruckzufuhren. Die Einschatzung, dass sich Personen auf eine zutragliche Art verhalten, basiert auf (1) der Vertrauensdisposition des/der Vertrauensgeber/in/s, wonach man allem und jedem mit einer positiven Haltung gegenuber steht und/oder (2) der direkten (eigenen) Oder indirekten (durch Dritte) Evaluierung der Vertrauenswurdigkeit.
Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 14, Schlenker, Helm, Tedeschi [Behavioral trust 1973], S. 419. Vgl. Rotter der Vertrauen als relativ konstante, ab der Kindheit gewachsene Personlichkeitsvariable ansieht. Vgl. Rotter [Interpersonal trust 1971], S. 443 ff.
Grundlagen zu Vertrauen
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Durch die Absicht, sich bis zu einem gewissen Mali in den Wirkungsbereich dieses Objekts zu begeben, gibt der/die Vertrauende - im Moment der vertrauenden Handlung - den Einfluss auf einen Teil der zukunftigen Entwicklungen auf. Er begibt sich in eine passive Rolle und ist dadurch wissentlich einer potenziellen Schadigung, die jedoch als unwahrscheinlich eingeschatzt wird, ausgesetzt.
2.1.2 Zugange der relevanten Wissenschaftsdisziplinen Die unterschiedlichen Definitionen kommen unter anderem dadurch zu Stande, dass die einzelnen Autor/inn/en aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und Forschungsrichtungen stammen. Die Beitrage dieser Disziplinen gewahren jeweils einen speziellen Einblick in „the nature of trust".^^ Im Folgenden werden die Grundideen der m. E. relevanten Wissenschaftsdisziplinen kurz dargestellt. Eine vollkommene Auflerachtlassung von Aspekten aus Soziologie und Psychologle ware nicht zweckmaflig. Deshalb fliefien auch diese in weiteren Kapitein ein. Soziologischer Aspekt Die primare Funktion von Vertrauen ist soziologischer Natur, denn ohne soziale Beziehungen wurde es keinen Aniass zu, keine Notwendigkeit fur Vertrauen geben.^^ Aber nicht nur die Funktion, sondern auch die Basis von Vertrauen ist sozialer Natur. ^^ Im Gegensatz zur Sozialpsychologle wird in der Soziologie Vertrauen als Phanomen der sozialen Strukturen und kulturellen Variablen angesehen.®° Ist Vertrauen In Gruppen als soziale Realitat vorhanden, Ist automatlsch das interpersonale Vertrauen prasent und dieses kann nicht auf die individuelle Psyche eines Menschen reduziert werden.^^ Vertrauen basiert auf gemeinsamen Normen und Werten einer Gesellschaft, welche das Verhalten ihrer Mitglieder stark beeinflussen.^^ Dies konnen tief verwurzelte Werte, die zum Beispiel mit der Religion im Zusammenhang stehen, sein, aber auch
Vgl. Doney, Cannon, Mullen [Development of trust 1998], S. 603. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 969. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b]. S. 969. Vgl. Barber [Trust 1983], S. 5. Vgl. Lewis. Weigert [Trust 1985b]. S. 976. Vgl. stellvertretend Fukuyama [Trust 1995], S. 26. Doney, Cannon, Mullen [Development of trust 1998]. S. 601.
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Vertrauen
Normen im Berufsleben Oder des guten Benehmens.^^ Vertrauen wird hier haufig als Resultat einer sozialen Ordnung gesehen.^"* In der nichtmodemen Gesellschaft war die soziale Einbettung eine wesentliche Ressource fijr Vertrauen, denn Vertrauenssubjekte und -objekte gehorten der gleichen sozialen Gruppe an. Es wurde also nur Vertrautem vertraut.^^ Aufgrund der Entpersonalisierung der Gesellschaft wird nicht zwangslaufig das entgegengebrachte Vertrauen geringer, jedoch andert sich das Vertrauensobjekt. Es findet eine Transformation vom personlichen Vertrauen hin zum Systemvertrauen^® statt.®^ Von Soziolog/inn/en wird kritisiert, dass Wirtschaftswissenschaftler/innen haufig die soziologische Einbettung der wirtschaftlichen Aktivitaten in ihren Analysen vernachlassigen.^ Denn heutige moderne Sozialsysteme, wie es auch Unternehmen sind, bauen im Grunde auf personlichen Beziehungsgeflechten auf, obgleich sie von einer Schwachung familiar eingebetteter Beziehungen gepragt sind.®^
Psychologischer Aspekt Grundsatzlich gibt es in der Psychologie zwei Forschungsstrome. Anhanger/innen der Personlichkeitstheorie konzeptionallsieren Vertrauen als psychologisches Konstrukt, welches Menschen bis zu einem bestimmten Grad entwickeln/° Bekanntester Vertreter dieser Richtung war Rotter, der unter anderem eine Skala, mit welcher das interpersonale Vertrauen als Personlichkeitsmerkmal messbar ist, entwickelt hat/^ Die ..social learning theory", auf welcher die Forschungsbeltrage von Rotter basieren, legt dem Wahlverhalten (choice behavior) in speziellen Situationen die Erwartungen, welche mit einer Entscheidung verknupft sind, zugrunde/^ Verhaltenspsycholog/inn/en (bzw. Sozialpsycholog/inn/en) erforschen Vertrauen in Laborsltuationen, vorzugsweise das vertrauensbasierte Verhalten im Gefangenendilemma/^ Dabei wird Vertrauen mit kooperierendem Verhalten gleichgesetzt und es
Vgl. Fukuyama [Tmst 1995], S. 26. Vgl. Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 397, siehe auch die dort zitierte Literatur Vgl. Strasser, Voswinkel [Vertrauen 1997], S. 220. Diese Vertrauensart wird spater noch als Institutionsvertrauen und Systemvertrauen genauer beschrieben. Vgl. dazu Kap. 2.2.4.2.4. Vgl. Strasser, Voswinkel [Vertrauen 1997], S. 222. Vgl. Granovetter [Social constructions 1992], S. 4. Vgl. Granovetter [Weak ties 1973], zitiert nach Licharz [Vertrauen in B2C 2002], S. 51. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 975. Vgl. Rotter [Interpersonal trust 1967], Rotter [Interpersonal trust 1971], Rotter [Interpersonal trust
1980]. Vgl. Rotter [Interpersonal trust 1967], S. 3. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 975, Deutsch [Trust 1958], S. 269 f.
Grundlagen zu Vertrauen
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wird analysiert, welche situatjven Variablen sich auf Kooperation oder Wettbewerb auswirken. Abweichend von Rotters Definition von Vertrauen als relativ stabiles Personllchkeitsmerkmal konnte auch aus psychologischer SIcht der EInfluss von sltuatlven Variablen auf das Interpersonale Vertrauen belegt werden/"* Psychologlsche Theorlen, welche nicht aus den genannten Forschungsstromen komnnen, versuchen Vertrauen als „Einzelaspekt" zu erklaren/^ Der gemelnsanne psychologlsche Nenner dieser Theorlen 1st die Tatsache, dass Vertrauen ein Konstrukt 1st, welches aufgrund kognitiver und emotlonaler Prozesse des Individuums entsteht/' Vertrauen hat auch Relevanz In verschiedenen psychologischen Gebleten, welche sich In Organisations-, Entwicklungs-, padagoglsche, klinische und medlzlnlsche Psychologie unterteilen lassen/^ Wirtschaftlicher Aspekt In den Wirtschaftswissenschaften werden hauptsachlich die wirtschaftllchen Vorteile durch das Vorhandensein von Vertrauen analysiert. Untersucht werden dabei z. B. die Auswirkungen von Kundenvertrauen und Vertrauen innerhalb und zwischen kooperierenden Organlsatlonen, zwischen Mitarbeiter/inne/n unterelnander oder Mitarbelter/lnne/n und Ihren Vorgesetzten. Wirtschafter/innen sehen als Grund von Vertrauen hauptsachlich die rationale Kalkulation oder Instltutionen/® Auch hier gibt es unterschiedllche Forschungsstrome, welche die Vortellhaftigkelt von Vertrauen begrunden. Die am haufigsten in der Literatur anzutreffenden Erklarungsansatze sind die Transaktlonskostentheorie^^ und die Spieltheorle®°.®^ In der Transaktlonskostentheorie wird argumentiert, dass innerhalb und zwischen Wirtschaftsgefugen langfristig solche Akteur/inn/e/n Erfolg haben, die sich kooperativ verhalten (kooperativ verVgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 50 ff. Vgl. Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 14 ff. Die hier genannten Theorien sind: Erwartungs-x-Wert-Modell (Deutsch), Soziales Lemen (Rotter), Attributionstiieoretische Ansatze, Stufenmodelie von Partnerbezieliungen, Funktionaiistisciier Ansatz von Luhmann und die Dissonanztheorie. Vgl. stellvertretend Barber [Trust 1983], zitiert nach Jones, George [Evolution of trust 1998], S. 2. Vgl. Licharz [Vertrauen In B2C 2002], S. 19. Vgl. stellvertretend Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 393. Vgl. Williamson [Calculativeness 1993a], S. 463 ff. Vgl. Licharz [Vertrauen in B2C 2002], Bartelt [Vertrauen in Zuliefernetzwerken 2002]. Vgl. Schon hier ist erkennbar. dass sich das Feld der Verhaltenspsychologen und jener der Okonomen uberschneiden.
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Vertrauen
halten heifit in diesem Zusammenhang auch, vertrauensvoll und vertrauenswurdig zu sein).^^ Zudem beschreibt die Transaktionskostentheorie die Wahl der ..governance structure", auf welche Risiko und Vertrauen mit entsprechender Intensitat einwirken.®^ Besonders in neueren Unternehmensformen konnen durch Vertrauen Wettbewerbsvorteile und erhohte Kooperationsgewinne erzielt werden.®'* In der Spieltheorie wird Vertrauen verstanden als riskante Vorleistung, bedingt durch unvollkommene Information und gefolgt von einer geschwachten, angreifbaren Position.®^ Haufig stellt sich in diesen Situationen das Problem, dass es fur den einen vorteilhaft ware, zu vertrauen und fur den anderen, das Vertrauen zu missbrauchen und somit den anderen zu enttauschen. Bei wiederholten Interaktionen hat der die Vertrauensgeber/in die Moglichkeit, aufgrund von Erfahrungen die Vertrauenswurdigkeit besser einzuschatzen. Nach einem Vertrauensmissbrauch kann das Vertrauen zuruckgehalten Oder ebenso missbraucht werden. Der/die Vertrauensnehmer/in hat die Moglichkeit, durch kontinuierlichen VertrauensenA^eis Reputation aufzubauen und somit seine Vertrauenswurdigkeit zu erhohen.®^ Diese Situation reflektiert ein Muster von Verhalten, das alltaglich im wirtschaftlichen Austausch vorkommt.®^ Wie in anderen Wissenschaften, wird auch im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich das Phanomen Vertrauen erst in den letzten funfzig Jahren genauer untersucht, wenngleich dessen Bedeutung schon viel fruher erkannt wurde. Als Information noch sehr viel mehr Zeit in Anspruch nahm, um vom Sender zum Empfanger zu gelangen, musste teilweise sehr viel Vertrauen entgegengebracht werden, um nicht eine Verzogerung - die ein wirtschaftliches Aus mit sich gebracht hatte - , zu bewirken.®® Schlussfolgerung der moisten wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsbeitrage ist, dass Vertrauen fur alle Geschaftsbeziehungen vorteilhaft Ist,®^ zumal es soziales Kapital darstellt. Indem Vertrauen von den einzelnen Akteuren haufig in seinem Wert unterschatzt wird, unternehmen diese wenig, um es zu fordern und zu pflegen.^° Ver-
Vgl. Hill [Cooperation and opportunism 1990], zitiert nach Chiles, McMackin [Trust in TCE 1996],
S. 76. Vgl. Chiles, McMackin [Trust in TCE 1996], S. 77. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 124. Vgl. stellvertretend James [Nature of trust 2002], S. 291. Vgl. Buskens [Structure of trust 1998], S. 266. Vgl. James [Nature of trust 2002], S. 293. Vgl. Aubert, Kelsey [Trust in virtual teams 2003], S. 577. Vgl. stellvertretend Wicks, Berman. Jones [Optimal trust 1999], S. 99, Doney. Cannon, Mullen [Development of trust 1998], S. 601. Vgl. Zucker [Trust 1986], S. 56.
Grundlagen zu Vertrauen
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trauen ermoglicht kooperatives Verhalten^\ fordert lernfahige Organisationsformen wie Netzwerke®^ minimiert schadliche Konflikte, tragt zur Reduktion von Transaktionskosten bei und ist hilfreich fur die Bewaltigung von Krisen.^^
2.1.3 Abgrenzung des Begriffs Vertrauen Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs Vertrauen ist, urn sie fur eine wissenschaftliciie Analyse zu venA/enden, zu weit gefasst und zu unprazise. Im Folgenden wird deshalb eine Abgrenzung zu synonym verwendeten Begriffen und zu ahnlichen Konstrukten vorgenommen.^"^
2.1.3.1 Synonym verwendete Begriffe Haufig werden Synonyme fur Vertauen verwendet, welche jedoch bei genauerer Analyse etwas anderes bedeuten. Fur den Inhalt der vorliegenden Arbeit ist ausschliefllich die hier vorgenommene Begriffsprazisierung relevant, wobei man sich des moglichen Widerspruchs zu Abgrenzungsversuchen anderer Autor/inn/en bewusst sein muss. Die Begriffe Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen sind im Alllgemeinen EnA/artungshaltungen, deren Erfullung ungewiss ist.^^ Folgt man den Ausfuhrungen Luhmanns, besteht ein Zusammenhang zwischen Vertrauen, Zuversiclit und Hoffnung dahingehend, dass diese drei Konstrukte ihren Beitrag zur Komplexitatsreduktion®® leisten.^^
Vgl. Heisig [Vertrauen 1997], S. 128. Vgl. Miles, Snow [Organizational failure 1992], S. 55. Vgl. Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 394 siehe auch die dort zitierte Literatur. Eine Abgrenzung an dieser Stelle erscheint sinnvoll, da fur ein progressives Vertrauenskonstrukt und eine theoretisch ausgereifte Basis eine Klarstellung der Begriffe unabdingbar ist. Dies ist besonders fur aufbauende empirische Untersuchungen wichtig, da Vertrauen haufig mit den synonymen Begriffen verwechselt wird und so eigentlich etwas anderes untersucht wird. Ebenso sind Riskieren und Gambling (diese beiden Begriffe werden hier im Gegensatz zur Sichtweise von March und Shapira gleichgesetzt, vgl. March, Shapira [Managerial risk 1987], 8. 1410) synonym verwendete Begriffe von Vertrauen. Hier nur eine kurze Eriauterung dazu: Riskieren unterscheidet sich von Vertrauen, indem bei ersterem das Individuum viel zu gewinnen und wenig zu verlieren hat. Bei Vertrauen ist es umgekehrt, der potenzielle Schaden ist unverhaltnismaUig hoher als der potenzielle Nutzen. Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 124. Diese Funktion von Vertrauen wird in Kap. 2.1.5, Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion von Komplexitat, naher beschrieben. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 24 ff.
20
Vertrauen
Auch sind alle der folgenden Konstrukte nicht nur personenbezogen, sondern konnen auch in unpersonlichen Beziehungen vorkommen.^® Hoffnung Im Vergleich zu Vertrauen ist Hoffen ein eher passives Konzept. Grundsatzlich wird bei der Hoffnung kein Pisiko ubernommen und keine Investition getatigt.^® ..Vertrauen reflektiert Kontingenz, Hoffnung eliminiert Kontingenz."^°° Das heifit, dass durch Hoffen der Handelnde schon im Vorfeld jegliche Alternative ausscheidet und bei Vertrauen sich der Handelnde bewusst fur eine Alternative entscheidet. Im Falle von Hoffnung kommt es auch beim schlechtestmoglichen Ausgang zu keinem Schaden und deshalb wird kein alternatives Verhalten in EnA/agung gezogen. Zuversicht Sowie Vertrauen und Hoffnung ist auch Zuversicht eine Erwartung, die in einer Enttauschung enden kann.^°^ In vielen Situationen des taglichen Lebens muss jedoch die Tatsache aufier Acht gelassen werden, dass jede Handlungsalternative in einer Enttauschung enden kann. Zum einen, weil in vielen Situationen die negative Entwicklung unwahrscheinlich ist, zum anderen, weil standig in Unsicherheit und Angst zu leben keine brauchbare Alternative ist. ..Zuversicht ist eine generelle Reaktion auf die standig prasenten Unsicherheiten des Lebens."^°^ Demnach bedarf es bei Zuversicht keiner Entscheidung und standigen Auseinandersetzung mit Alternativen. Bei Vertrauen hingegen entscheidet der/die Akteur/in bewusst.^°^
Im Gegensatz dazu unterscheidet Ripperger Risiken, die durch Personen und unpersonliche Systeme hervorgerufen werden konnen und die dazu gehorenden Schutzmechanismen. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 36 f. Vgl. Blomqvist [Trust 1997], S. 279. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 25. Vgl. Luhmann [Trust 2000], S. 96. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 36. Vertrauen erfordert personliches Engagement und ist der mogliche Ausweg aus einer Risikosituation. Vgl. Luhmann [Trust 2000], S. 96. Der Handelnde muss bei Vertrauen tatsachlich eine Alternative in Erwagung Ziehen, damit es sich um Vertrauen anstatt urn Zuversicht handelt.
21
Grundlagen zu Vertrauen
In der folgenden Tabelle 3 soil dargestellt werden, wie sich die Konstrukte in den relevanten Dimensionen unterscheiden. K Unterschei^v dungs\ . kriterien
Konstrukte Vertrauen Hoffnung 1 Zuversicht 1 Gambling
Einschatzung derWahrscheinlichkeit, dass die negative Folge eintritt
Tatigung von Investitionen im Zuge der Entscheidung
niedrig
]a
Mogliche Folge
Erwagung von Grbfienverhaltnis zwischen dem Alternativen kleinsten potenziellen Schaden und dem kleinsten potenziellen Vorteil
positiv Oder negativ positiv Oder neutral positiv Oder negativ positiv Oder negativ
Schaden grdfier
gegeben
Vorteil grower Beides mogiich
nicht gegeben sehr niedrig bis sehr hoch nicht gegeben niedrig
Vorteil grdlier
gegeben
\
hoch
nein nein ja
Tabelle 3: Abgrenzung der synonym verwendeten Begriffe
2.1.3.2 Einflussnehmende und beeinflusste Konstrukte Vertrauen als multidimensionales Konstrukt steht in engem Zusammenhang mit weiteren psychischen Prozessen, die in Menschen bewusst oder unbewusst ablaufen. Zum einen kann Vertrauen diese beeinflussen oder wird durch diese beeinflusst. Vertrautheit Vertrautheit ist eine unvermeidbare Tatsache im Leben jedes Menschen, wohingegen Vertrauen in jedem Fall vermeidbar ware und eine mogliche Losung fur spezifische Risikosituationen ist.^^"* Um die Funktionsweise von Vertrauen zu verstehen, mussen jedoch Bedingungen von Vertrautheit miteinbezogen werden. Seit dem Zeitpunkt unserer Geburt Ziehen wir Grenzen zwischen Vertrautem und Nichtvertrautem; im Laufe des Lebens verschieben sich die Grenzen, denn es ist nicht mogiich, Erieben still zu halten.^°^ Das Eriebte muss, um spater als Erfahrung zu dienen, kognitiv verarbeitet und gespeichert werden. Es liegt im Vermogen jedes einzelnen, in einer vertrauten Welt zu leben, indem das Nichtvertraute durch Abstrak-
Vgl. Luhmann [Trust 2000], S. 94. Die Anwendung in einer bestimmten Situation ist dahingehend zu verstehen, dass auch das Ma(i an generellem Vertrauen welches situations- und personenunabhangig ist, auch nur bei spezifischen Problemen als Einfluss auf die Vertrauensintention zum Ausdruck kommt. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 17.
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Vertrauen
tion Oder Metaphern^°^ in das Vertraute umgewandelt wird/°^ Urn in einer spezifischen Situation zu vertrauen, ist ein gewisses Mafi an Vertrautheit (nahezu) unabdingbar.^°® Die Erfahrung aus vorhergehenden Beziehungen, Situationen Oder mit Personen wird bewusst oder unbewusst auf Neues ubertragen und beeinflusst somit den Vertrauensprozess mafigeblich. Die vorhergehenden Erfahrungen wirken sich nicht nur als generalisierte Vertrauenserwartung im Allgemeinen aus, sondern konnen eben auch auf ahnliche Situationen oder Personen ubertragen werden.^°^ So ist die Vertrautheit maftgeblich daran beteiligt, wie schnell eine Person oder ein System als vertrauenswurdig eingestuft werden kann. Sich-Verlassen Erwartet man sich mit einem hohen Mafi an Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines bestimmten Ereignisses, dann verlasst man sich darauf.^^° Der Unterschied zwischen Sich-Verlassen und Vertrauen liegt zum Teil auch in der sprachlichen Verwendung. Man verlasst sich auf das Funktionieren eines unpersonlichen Systems und man kann sich auf eine Person verlassen. In der Umgangssprache wird im Gegensatz dazu Vertrauen selten in Zusammenhang mit unpersonlichen Systemen verwendet.^^^ Man verlasst sich auf die Funktionsfahigkeit eines Autos, aber man wurde nicht sagen, dass man dem Auto vertraut.^^^ Auch Sich-Verlassen basiert auf subjektiven Einschatzungen und Erfahrungen^^^ und ist somit einem Aufienstehenden nicht rational erklarbar, sondern nur fur die entscheidende Person nachvollziehbar.
Kooperation Grundsatzlich kann unter Kooperation eine Zusammenarbeit von Individuen oder Gruppen verstanden werden. Spricht man in der Soziologie von kooperativem Verhalten, ist die Art von Zusammenarbeit gemeint, bei der sich die beteiligten Parteien wohlwollend oder zumindest nicht schadigend verhalten.^^"* Es wird ein Aspekt von
Vgl. Egger [Consumer trust 2002], S. 23. Vgl. Luhmann [Trust 2000], S. 95. Vgl. Egger [Consumer trust 2002], S. 23. Vgl. Kee, Knox [Trust and suspicion 1970], S. 361. Vgl. Lahno [Begriff des Vertrauens 2002], S. 134. In diesem wissenschaftlichen Kontext wird dies jedoch nicht beriicksichtigt und Vertrauen ist auch in unpersonlichen Systemen moglich. Vgl. Lahno [Begriff des Vertrauens 2002], S. 134. Vgl. Golembiewski, McConkie [Interpersonal trust 1975], Hosmer [Trust 1995], S. 382. Vgl. James [Nature of trust 2002], S. 291.
Grundlagen zu Vertrauen
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Vertrauen, namlich die wohlwollende Absicht der Parteien fur die Definition von Vertrauen im soziologischen Kontext extrahiert. Selten werden sich vertrauende Partner/innen unkooperativ einander gegenuber verhalten, wobei jedoch zu beachten ist, dass Vertrauen alleine fur ein kooperatives Verhaiten nicht ausreicht.^^^ Vertrauen muss nlcht zwangslaufig die Voraussetzung fur kooperative (Geschafts-) Beziehungen sein. Kooperiert kann auch auf Basis von formalen Regein werden; dies jedoch nicht nnit der selben Effizienz.^^® Kooperieren ist eine nnogliche vertrauensbasierte Handlung. Im Gegenteil dazu, ist eine Handlung, die in einem sehr geringen Mali auf Vertrauen oder sogar Misstrauen basiert, der Wettbewerb (competition).^^^ Sind beide Parteien ernsthaft am Erfolg der Kooperation interessiert, kann von vertrauenswurdigem und vertrauensvollem Verhalten der beiden Parteien ausgegangen werden.^^® Es ist notwendig, nicht nur zu vertrauen bevor man sich kooperativ verhait, sondern auch zu wissen, dass eInem vertrautwird.^^®
2.1.4 Vertrauen und Misstrauen Es ist davon auszugehen, dass Vertrauen und Misstrauen in Verbindung miteinander stehen, aber nicht als Endpunkte eines Kontinuums angesehen werden k6nnen.^^° Geringes Misstrauen ist nicht das gleiche wie hohes Vertrauen oder uberhaupt ein konkretes Mad an Vertrauen. Umgekehrt bedeutet hohes Misstrauen nicht geringes Vertrauen.^^^ Lediglich als generalisierte Personlichkeitsvariable kann festgestellt werden, dass ein hohes Vertrauensniveau ein geringes generelles Mlsstrauensniveau bedeutet und vice versa. Hier kann also Vertrauen und Misstrauen in einer Eindimensionalitat betrachtet werden.^^^ Vertrauen betrifft Erwartungen bezugllch Sachverhalten, deren Eintritt man erhofft, und Misstrauen beschrelbt die Erwartung bezug-
115 116
117 118 119 120
121 122
Vgl. Vgl. 12. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. 12. Vgl. Vgl.
Krystek [Vertrauen in Netzwerken 1999b], S. 441. Fukuyama [Trust 1995], S. 27 und Sydow, Windeler [Steuerung von Netzwerken 1999], S. Sitkin. Roth [Trust/distrust 1993], S. 369. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 127. Gambetta [Trust trust 2000], S. 215. Lewicki, McAllister [Trust and distrust 1998], S. 440, Lindenberg [Lack of mistrust 2000], S. Lewicki, McAllister [Trust and distrust 1998], S. 446. Rotter [Interpersonal trust 1980], S. 2 ff.
24
Vertrauen
lich Sachverhalten, deren Eintreten man befurchtet.^^^ Durch Misstrauen will sich der/die Akteur/in bewusst gegen befurchtete Folgen schutzen. Der/die Misstrauende setzt sich im Gegensatz zum/zur Vertrauenden keiner Verletzbarkeit aus.^^'* Er/sie ist wachsamer in Bezug auf destruktive Motive und Aktionen anderer.^^^ Ein misstrauendes Verhalten ist in vielen Fallen verstandlich und eine akzeptierte Haltung.^^^ Dennoch kann Misstrauen in vielen Situationen Begleiterscheinungen wie Manipulierbarkeit, Verunsicherung, Perspektivenlosigkeit, Verschlossenheit und Angst hervorrufen, die fur den Akteur langfristig eher schadigend sind.^^^ Misstrauisch kann ein Mensch nur dann sein, wenn er mit der Moglichkeit konfrontiert wird, dass als Konsequenz seiner Handlung ein schadliches Ereignis eintritt, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von dem Vertrauensobjekt abhangig ist und eine alternative Entscheidung die Abwendung der Konsequenz ermoglichen wurde.^^® Entscheidet sich der/die Akteur/in zu misstrauen, beurteilt er die Vertrauenswurdigkeit des Vertrauensobjekts als so gering, dass er eher mit einer schadigenden (bei interpersonalem Vertrauen mit einer opportunistischen) Folge rechnet. Misstrauen ist eine Strategie, um die Komplexitat zu reduzieren und somit ein Aquivalent zum Vertrau-
Sowohl blindes Vertrauen als auch unbegrundetes Misstrauen konnen negative Konsequenzen hervorrufen bzw. dysfunktional sein.^^° Es kann nicht pauschal konstatiert werden, dass mehr Vertrauen wunschenswert ist. Es gibt Situationen - nicht nur des blinden Vertrauens - in denen sich Vertrauen nachteilig auswirken kann.^^^ Generell bedeutet (interpersonales) Vertrauen - in Bezug auf die Folgen - sich wissentlich
Vgl. Lewicki, McAllister [Trust and distrust 1998], S. 440. Vgl. De Laat [Ensuring trust 1997], S. 162. Vgl. Shaw [Trust in the balance 1997], S. 15. Vgl. Lindenberg [Lack of mistrust 2000], S. 12. Hier wird als Beispiel eine geschaftliche Situation angefuhrt, in der es verstandlicher ist, wenn die eine Partei misstrauisch reagiert, weil nicht angenommen werden kann, dass der Partner sein Versprechen halt. Vgl. Schneider [Vertrauensbildende Maanahmen 1992], S. 27, zitiert nach Krystek [Vertrauen und Unternehmensfuhrung 1999a], S. 271. Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 125, Deutsch bezieht sich in seinen Ausfuhrungen ausschliefllich auf Personen als Vertrauensobjekt. Nach Ansicht der Verfasserin konnen diese Eigenschaften auch auf Vertrauensbeziehungen zwischen Menschen und Institutionen ubertragen werden. Vgl. Licharz [Vertrauen in B2C 2002], S. 42. Vgl. Kee, Knox [Trust and suspicion 1970], S. 358. Vgl. Gambetta [Trust trust 2000], S. 213. Gambetta fuhrt hier eine Gesellschaft von Mdrdern und Dieben an. Bei dieser Vorstellung ist nachvollziehbar, dass ohne Vertrauen und Kooperation dieser unerwunschten Gesellschafter, die Umwelt eher von einem nichtkooperierenden und midtrauenden Verhalten unter ihnen profitieren wurde.
Grundlagen zu Vertrauen
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und willentlich in eine vom/von der Vertrauensnehmer/in angreifbare Situation zu begeben. Misstrauen hingegen bedeutet, sich aufgrund der kognitiven Verarbeitung der Informationen uber den/die Vertrauensnehmer/in, absichtlich nicht in eine schwachere Position zu begeben.^^^ Die Fahigkeit zu Misstrauen ist zudem eine Bedingung fur Vertrauen.^^^ Im unternehmerischen Kontext ist Misstrauen eher verbreitet als Vertrauen. Der Unternehmenserfolg ist haufig sogar von Misstrauen gepragt, denn einerseits wird Misstrauen bewusst als Strategie gewahit, andererseits als Ausdruck diffuser Grundhaltung.^^ Misstrauende Handlungen sind im Geschaftsleben so ubiich, dass sie nicht mehr als solche erscheinen, sondern als angemessene, normale Haltung.^^® Dies steht der Annahme von Luhmann entgegen, dass grundsatzlich eher vertraut als misstraut wird, da es fur den/die potenzlellen Vertrauensgeber/in einfacher ist anzunehmen, dass der/die Vertrauensnehmer/in ahnliche Werte hat und ihm/ihr somit vertraut werden kann.^^®
2.1.5 Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion von Komplexitat Komplexitat kann verstanden werden als „die Gesamtheit aller Merkmale und Moglichkeiten eines Zustandes, verbunden mit hoher Variabilitat, verstanden als die Veranderlichkeit dieses Zustandes".^^^ Das menschliche Umfeld ist gepragt von Komplexitat, wobei diese als temporarer Aspekt des sozialen Lebens gesehen wird.^^^ Komplexitat stellt die Unmenge an Moglichkeiten dar, die in Zukunft Wirklichkeit werden konnen und die der menschliche Geist nicht fahig Ist zu fassen und zu analysieren. Die Zukunft ist kontingent, das heilit, dass mehr Moglichkeiten existieren als Wirklichkeit werden konnen.^^^ ..Kontingenz ist die Moglichkeit der Dinge so und auch an-
Vgl. McKnight, Kacmar, Choudhury [Trust concepts 2002b], S. 1. Vgl. Strasser, Voswinkel [Vertrauen 1997], S. 218. Vgl. Krystek [Vertrauen und Unternehmensfuhrung 1999a], S. 266. Vgl. Krystek [Vertrauen und Unternehmensfuhrung 1999a], S. 272. Vgl. Luhmann [Trust and power 1980], zitiert nach Jones, George [Evolution of trust 1998], S. 535. Schuy [Risiko Management 1989], S. 64 siehe auch die dort zitierte Literatur. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 968. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 5. Die Betrachtung der kybernetischen Systemtheorie besagt, dass durch Systembildung der Aufbau einer „h6heren" Ordnung und somit geringeren Komplexitat gelingt.
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Vertrauen
ders sein zu konnen."^^° Kontingenz bedeutet aber auch, dass es vom Individuum abhangt, wie komplex die Zukunft ist, denn dieses hat die Moglichkeit, unvorhergesehen, uberraschend, variabel und offen zu agieren und zu reagieren.^"*^ IVIit anderen Worten bedingt vor allem die endogene Unsicherheif ^^ die Komplexitat menschlichen Handelns.^"^^ Der Mensch ist sich der Komplexitat bewusst und kann sich selbst erkennen als jemand, der entscheiden muss.^'^'* Die Komplexitat ergibt sich durch die Fulle an verschiedenartigen Elementen, potenziert durch den zeitlichen Wechsel und durch andere Menschen, die nicht nur „Ding", sondern anderes Jch" sind.^"^^ Um zu Uberleben muss der Mensch wirksame Formen der Reduktion dieser Komplexitat finden. Eine Reduktion der Komplexitat ist notig, denn ohne sie wurde uns die Zukunft uberfordern, sodass ein rationales Handein in der Gegenwart unmoglich ware.^"^^ Eine mogliche Mafinahme zur Reduktion ist Vertrauen.^'^^ Im Hinblick auf seine Funktion kann Vertrauen als ..mental shortcut" bezeichnet werden, der es ermoglicht, subjektiv als unwahrscheinlich eingeschatzte Entwicklungen zu verdrangen.^"*® Der/die Akteur/in richtet sein/ihr Handein auf jene Moglichkeiten aus, die ihm/ihr als wahrscheinlich erscheinen.^"*^ Durch Vertrauen werden bestimmte Handlungs- und Entwicklungsalternativen unberucksichtigt gelassen und somit verkleinert sich der Pool von zukunftig Moglichem.^^° Durch die Veranderung der subjektiven Komplexitat kann sich auch die Risikowahrnehmung vermindern.^^^ Aufgrund von Erfahrungen sieht das Individuum bestimmte Entwicklungen als sehr wahrscheinlich an. Durch Vertrauen werden diese Erfahrungen erganzt und somit
146 147 148
Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 18, FN 8. Vgl. Schuy [Risiko Management 1989], S. 64. Siehedazu Punkt 2.2.3.1. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 18 f. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 5. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 5. Andere Menschen sind sodann Akteur/inn/e/n, die nicht nur Tell der Komplexitat sind, sondern diese ihrerseits erhohen. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 968. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 7. Vgl. Grabner-Krauter, Kaluscha [Konsumentenvertrauen 2003a], S. 133. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 20. Vgl. Loose, Sydow [Vertrauen in Netzwerkbeziehungen 1994], S. 168. Vgl. Einwiller. Herrmann, Ingenhoff [Vertrauen durch Reputation 2005], S. 24.
Die Konstituierung von Vertrauen
27
engt sich das Entwicklungsspektrum noch einmal subjektiv ein.^^^ Dabei werden Informationen gesammelt und antizipiert, urn eine subjektive Einschatzung uber Zukunftiges zu gewinnen.^^^ Die Hohe dieser Wahrscheinlichkeit determiniert die Inbetrachtnahme von Zukunftsszenarien. Von einer Entscheidung aufgrund rationaler Uberlegungen kann - schon aufgrund der begrenzt zur Verfugung stehendenden Zeit - bei den wenigsten komplexen Handlungen ausgegangen werden. Zur kausalen Vorhersage ist somit Vertrauen eine funktionale Alternative, wobei die Subjektivitat und Nichtrationalitat ihren Niederschlag findet. Die vertrauensvolle Beziehung stellt eine Moglichkeit - eine soziale Praktik - dar, urn Alternativen erwartbar zu machen, denn jede Aktion zwischen Menschen ist von einer doppelten Kontingenz gepragt, der man nicht entweichen kann.^^
2.2
Die Konstituierung von Vertrauen
2.2.1 Konzeptionelle IHerausforderung Ein haufiges Problem der Wissenschaft ist die Tatsache, dass Forscher versuchen, ihre Theorie zu verbessern, indem sie deren interne Konsistenz erhohen. Dadurch wird meist die Sichtweise eingeschrankt und die Theorie wird quasi der Empirie angepasst, was nicht unbedingt den wissenschaftlichen Anspruch hebt.^^^ „From an overall Academy perspective, such imperccable micro logic is creating macro nonsense."^^ McKnight et al. schlagen fur die Erforschung und adaquate Verwendung eines bestimmten Aspekts von Vertrauen foigendes Vorgehen vor:^^^ Man gehe von dem landlaufig gebrauchlichen Term Vertrauen aus. Daraus sollte man versuchen eine Bedeutung zu extrahieren bzw. zu konkretisieren, die auf die spezielle wissenschaftliche Verwendung zutrifft. Anschliefiend ist zu vergleichen, inwieweit der umgangssprachllche und der wissenschaftliche Begriff auseinander klaffen. Dabei kann kein volig neues Begriffsverstandnis erwartet werden. Je grofler die Ubereinstimmung zwischen wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Bedeutungsinhalt des
'^^ ^^^ ^^ ^^^ ^^ ^^^
Vgl. Lewis, Weigert Trust 1985b]. S. 969. Vgl. hierzu und im Folgenden Licharz [Vertrauen in B2C 2002] S. 26 f. Vgl. Loose, Sydow [Vertrauen in Netzwerkbeziehungen 1994], S. 164. Vgl. McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001 b], S. 36 f. Van de Ven [Good theory 1989], S. 487. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 4.
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Vertrauen
Wortes ist, umso praktikabler ist die Theorie. Dieser Ansatz scheint sehr plausibel und soil deshalb in den folgenden Ausfuhrungen Berucksichtigung finden. In der Vertrauens-Literatur wird immer wieder auf die Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Disziplinen hingewiesen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen.^^^ Indem sich unterschiedliche Disziplinen mit Vertrauen beschaftigen, werden unterschiedliche Aspekte von diesem Konstrukt untersucht.^^® Es wird jedoch konstatiert, dass es nicht ausreicht, Vertrauen auf die Sichtweise einer Disziplin zu beschranken. Aber nur die wenigsten setzen sich mit einer integrativen Vorgehensweise, welche unterschiedliche Aspekte vereint, auseinander.^^ Von Autor/inn/en, welche diesem Anspruch Folge leisten, wird propagiert, dass man sich auf wenige ausgewahlte Konstrukte beschranken und eine sparsame Strukturierung vornehmen soil, damit man einen effektiveren Forschungsbeitrag zu leisten im Stande ist.^^^ Wissenschafter/innen sollen zu Beginn ihrer Untersuchungen, durch eine Typologisierung der Dimensionen und Arten, Ordnung in das „Vertrauenschaos" bringen. Durch diese Differenzierung kann auch verdeutlicht werden, wie die einzelnen Aspekte von Vertrauen zueinander in Verbindung stehen und welche Bedeutung sie im Bezugsrahmen haben.^^^
Vertrauen vereint Konstrukte wie Moral, Emotionen, Werte, Haltungen und Ethik.^^^ In den unterschiedlichen Definitionen kann man erkennen, dass die Erklarung des Begriffs von sehr unterschiedlichen Thesen ausgeht. McKnight, Cummming, Chervany fassen zusammen, dass es sich bei Vertrauen um •
ein Verhalten,
•
eine Haltung,
•
eine Erwartung,
•
eine Einschatzung,
•
eine dispositionale Variable,
•
eine strukturelle Variable,
Vgl. Zum Beispiel Lewicki, McAllister [Trust and distrust 1998], S. 1. Hosmer [Trust 1995], S. 379, Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 393, Sheppard, Sherman [Grammars of trust 1998], S. 1. Vgl. Rousseau, Sitkin [Trust 1998], S. 393, McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b], S. 37. Einer von wenigen Versuchen einen uberdisziplinaren Einblick zu geben: Rousseau, Sitkin [Trust
1998], S. 1. Vgl. McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], S. 39 siehe auch die dort zitierte Literatur. Vgl. McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b], S. 39. Vgl. Kasper-Fuehrer, Ashkanasy [Trustworthiness in virtual organizations 2001], S. 237.
Die Konstituierung von Vertrauen
•
eine Beziehungsvariable und
•
eine interpersonale Variable
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handeln kann.'^'* Diese unterschiedllchen Aspekte resultieren wiederum aus der Heterogenitat der Forschungsrichtungen. Zu untersuchen ist, ob sich die einzelnen Sichtweisen ausschlieflen und man einer bestimmten folgen muss, oder ob es moglich ist, im Zusammenhang mit einem Forschungskontext Vertrauen als heterogenes Konstrukt integrativ darzustellen.
2.2.2 Kognitive und emotionale Komponenten von Vertrauen Die Variablen, die auf eine Vertrauenssituation Einfluss nehmen konnen, sind zahlreich. Neben den objektiven Merkmalen einer Situation sind es noch andere, psychische Prozesse, die Einfluss nehmen; diese sind personen- und situationenspezifisch. Unumstritten ist, dass sowohl kognitive als auch emotionale Vorgange beim/bei der Vertrauenden im Vertrauensprozess vorhanden sind. Dm die Rollen der einzelnen Bestandteile im Vertrauensprozess nachvollziehen zu konnen, ist es notwendig, einen Einblick In die Psyche des Individuums vorzunehmen. Kognitive Vorgange Befmdet sich der/die Akteur/in in einer potenziellen Vertrauenssituation, wird das Vertrauensobjekt analysiert. Ein gewisses Mali an kognitiver Vertrautheit - angesiedelt zwischen vollkommener Unwissenheit und ganzlichem WIssen - muss vorhanden sein, damit ein Ausgangspunkt fur Vertrauen vorhanden \sV^^ Der/die Vertrauensgeber/in muss jedoch uber gerade wenig genug Information verfugen, um sich uber die zukunftige Entwicklung eines bestimmten Sachverhaltes nicht sicher zu sein. Information alleine ist nicht ausschlaggebend fur Vertrauen. Wenn ein bestlmmtes Mafi an Erfahrungen erreicht ist, wird keine weitere Information mehr benotigt, um zu vertrauen. Die Erfahrungen, die gedankllch verarbeitet wurden, bilden die Plattform,
^^ ^^
Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 3. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 970, siehe auch die dort zitierte Literatur.
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Vertrauen
von der aus der Sprung ins Ungewisse getatigt wird.^^® Ohne diese Basis an Information kann nicht von einer Vertrauenssituation gesprochen werdenj®^ obwohl auch ohne diese kognitive Basis eine Entscheidung, welche von aufien als Vertrauensentscheidung betrachtet wird, erfolgen kann. Die kognitiven Komponenten sind somitdie verarbeiteten Informationen - Erfahrungen der Vergangenheit.^^® Das Mali an Informationen oder benotigten vorhergehenden Erfahrungen ist individuell unterschiedlich. Es ist abhangig vom Vertrauenssubjekt und Vertrauensobjekt, von der Moglichkeit der Anwendung einer kognitiven Methode (z.B. Anwendung von Metaphern oder Abstraktionen), von der Wichtigkeit^^^ der Situation, vom potenziellen Schaden aus einem Vertrauensbruch und vom moglichen Vorteil aus einem Vertrauenserweis. Teilweise wird das kognitive Vertrauen gleich gesetzt mit Vorhersagbarkeit oder Verlasslichkeit.'^° Es ist jedoch mehr als das, zumal alle Eigenschaften zur Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit, die durch das rationale Uberlegen des/der Vertrauensgeber/in/s zu Stande kommen, darunter subsumlert werden. Dass Vertrauende aufgrund eines unvollkommenen Informationsstandes dennoch vertrauen und somit ein Risiko eingehen, liegt auch an der Tatsache, dass andere Individuen in der sozialen Welt ebenfalls dieses Risiko eingehen^^^ und sich der/die Akteur/in dessen bewusst ist. Dem kognitiven Aspekt von Vertrauen liegt z. T. die rationale Abwagung, das Kalkulieren, zugrunde.''^ Bestandteil der Uberlegungen des/der Vertrauensnehmer/in/s sowie des/der Vertrauensgeber/in/s ist die Tatsache, dass es fur den/die Vertrauensnehmer/in langfrlstig nachteilig ist, das entgegengebrachte Vertrauen zu missbrauchen. Die kognitive Basis von Vertrauen liegt auch im Vertrauen in das Vertrauen. Dies stent das Durchschauen von Situationen dar, welche nicht einer unmittelbaren Vergewisserung der Vertrauenswurdigkeit bedurfen.^" Emotionale Bestandteile Vertrauen ist nicht nur ein rationales Kalkul und geht uber die rationalen Grunde, die fur die Vertrauensentscheidung sprechen, hinaus.^^^ Die Absicht zu vertrauen, basiert
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 970. Schlenker, Helm, Tedeschi [Behavioral trust 1973], S. 419. Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 21. Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 21. Johnson, Grayson [Cognitive and affective trust 2005], S. 501. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 970. stellvertretend Kramer [Trust in organizations 1999], S. 572. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 73.
Die Konstituierung von Vertrauen
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ebenso auf irrationalen Aspekten.^^^ Fur den Aufbau von Vertrauen spielt eine Mischung aus Wunschdenken und Erfahrungen eine Rolle. Das Kognitive wird erganzt durch ein notwendiges Mafi an Wunschdenken oder Glauben^^® in das positive Ausgehen. Dieser affektive Aspekt basiert auf einer emotionalen Basis, welche vordergrundig in zwisciienmenschiichen Beziehungen zustande kommt.^^^ Der Glaube stellt den Aspekt des Gefuhls der Sicherheit dar, mit welcliem es gelingt, seine vertrauende Handlung mit gutem Gewissen vor sich selbst zu verteidigen.^^^ Nicht die rationale, sondern die gefuhlsmaliige Einschatzung des/der Partner/in/s bzw. des Vertrauensobjekts nriacht ihn weniger oder mehr vertrauenswurdig.^^^ Der/die Vertrauende muss einen „leap of faith" wagen und somit Zutrauen anstelle von absoluter Sicherheit, dass In der Zukunft nicht eine unenA/unschte Uberraschung eintritt, haben.^®°
Inwiewelt Wunschdenken auf eine Vertrauensentscheldung Einfluss nimmt, 1st abhangig von der Wichtigkeit und der Amblgultat (Zweideutigkeit) einer Situation. Die Werte beider Variablen mussen grofier als Null sein, da das Wunschdenken ansonsten keinen Einfluss auf die Entscheidung hatte/®^ Hat das Wunschdenken als emotionaler Bestandteil keinen Einfluss, handelt es sich nicht um eine Vertrauenssituation.
Es 1st moglich eine Klassifizierung von Vertrauenstypen nach dem Anteil und Verhaltnis zwischen kognltiver (rationaler) und emotionaler Betelligung vorzunehmen.^®^ Eine getrennte Betrachtung (rational oder irrational) erscheint als nicht gerechtfertigt
174
Vgl. Strasser, Voswinkel [Vertrauen 1997], S. 218. Vgl. hierzu und im Folgenden Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 21 f. Vgl. Rempel, Holnnes, Zanna [Trust 1985], S. 97. Vgl. McAllister [Trust 1995], S. 26. Vgl. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 97, Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 22. Vgl. Johnson, Grayson [Cognitive and affective trust 2005], S. 501. Vgl, Zaheer, McEvily, Perrone [Interorganizational trust 1998], S. 143, Rempel, Holmes, Zanna [Trust1985], S. 97. Vgl. Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 21 f. Die Ambiguitat stellt in der Vertrauenssituation das Risiko dar und die Wichtigkeit die Attraktivitat des Erreichens des positiven Ausgangs des Vertrauenserweises. Vgl. Lewis, Welgert [Trust 1985b], S. 973. Beispielsweise ist ideologisches Vertrauen ein Typ, welcher sich aus einem hohen emotionalen und einem hohen kognitiven Bestandteil zusammensetzt. Routine-Vertrauen hingegen basiert auf geringen emotionalen und geringen kognitiven Bestandteilen. Andere Konstrukte die von Lewis und Weigert als Vertrauenstypen deklariert sind wie faith, rational prediction, uncertainty werden aufgrund des Fehlens der emotionalen und/oder kognitiven Komponente hier nicht zu Vertrauen gezahlt. Siehe dazu die Abgrenzung in Kapitel 2.1.3.
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Vertrauen
und wird (auch von anderen Autor/inn/en) als wenig sinnvoll abgelehnt.^®^ Denn nur wenn beide Aspekte vorhanden sind, kann von einer Vertrauenssituation gesprochen werden. Gewohnlich ist der Anteil der emotionalen Komponente in personlichen Beziehungen hoher, als in Beziehungen zu unpersonlichen Vertrauensobjekten.^^"^ Die Starke emotionale Beteiligung des/der Vertrauensgeber/in/s macht sich vor allem stark bei einem Vertrauensbruch bemerkbar. Diese emotionale Belastung des/der Vertrauensgeber/in/s bedeutet oftmals, nicht unbedingt aufgrund des Schadens, sondern aufgrund der emotionalen Enttauschung, das Ende der (meist personlichen) Vertrauensbeziehung/®^ Die emotionale Komponente im Vertrauensprozess beeinflusst die kognitive Basis, da der/die potenziell Vertrauende uber die Verletzungsgefahr durch den Vertrauensmissbrauch weifi. In der Vertrauenssituation mussen die Individuen ihre Zweifel beiseite und ihren Gefuhlen im Hinblick auf die Vertrauensentscheidung freien Lauf lassen, obwohl das emotionale Risiko nie ausgeschlossen werden kann.^^® Die emotionalen und kognitiven Aspekte stehen im reziproken Verhaltnis zueinander.^®^ Vertrauen kann nicht rein auf kognitiven oder rein auf emotionalen Grundlagen basieren. Gabe es ein ausschliefilich emotionales Vertrauen, ware es ein blindes Vertrauen, dass im Grunde eher Hoffnung, als dem Wesen des Vertrauens entspricht. Ebenso ware ein rein kognitives Vertrauen eine rationale Berechnung und wurde nicht den Aspekt der personlichen Einschatzung uber die Wahrscheinlichkeit von etwas Zukunftigem beinhalten.^®®
183 184
Vgl. Vgl. Vgl. VgL Vgl. Vgl.
Licharz [Vertrauen in B2C 2002], S. 63, Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 97. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 973. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 971. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 97. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 971. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 972.
Die Konstituierung von Vertrauen
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2.2.3 Voraussetzungen fur Vertrauen Obwohl Vertrauen sehr unterschiedlich definiert wird und in den zahlreichen Beitragen verschiedene Aspekte und Typen analysiert werden, ist man sich einig, dass Vertrauen nicht notwendig ware, wenn es kein Risiko oder keine Unsicherheit gabe.^®^ Die Funktion von Vertrauen zur Reduktion sozialer Komplexitat wurde bereits eriautert. Die Komplexitat ist dabei als Summe aller RIsiken und Unsicherheiten, mit denen iVIenschen konfrontiert sind, zu verstehen. In der aktuellen Literatur gibt es kein einheitliches Begriffsverstandnis, weder fur Unsicherheit noch fur Risiko.^^° Haufig wird Risiko gleichgesetzt mit Unsicherheit oder Ungewissheit.^®^ Diese Gleichsetzung erscheint als nicht sinnvoll, wenngleich ein starker Zusammenhang zwischen den Konstrukten Unsicherheit und Risiko vorhanden ist. Unsicherheit ist ebenso wie Risiko ein subjektives Konstrukt, welches sich auf das Eintreten eines Ereignisses In der Zukunft bezieht. Vorweg soil hier konstatiert werden, dass sowohl Risiko als auch Unsicherheit etwas Positives sein kann oder sich auf ein positives Ereignis beziehen kann.^®^
2.2.3.1 Unsicherheit Unsicherheit beschreibt die Wahrschelnlichkeit oder den Grad von Einschatzungen des Individuums uber zukunftlge^^^ Ereignisse.^®"* Dies sind elementare Merkmale aller Handlungsakteur/inn/e/n.^®^ Eine vielzitierte Unterscheidung zwischen Risiko und Unsicherheit hat Knight vorgenommen. Der Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit ist, dass bei Risiko sich
189 190
Vgl. stellvertretend Grabner-KrSuter, Kaluscha [Emprical research in on-line trust 2003b], S. 5. Diese Tatsache wurde u. a. schon von Ripperger und Bonfi bemangelt. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 14, vgl. auch die dort zitierte Literatur, Bond [Risiko 1995], S. 29. Eine Gleichsetzung der Begriffe resultiert aus der nicht eindeutigen Verwendung derselben. Eine Differenzierung der Begriffe nehmen beispielsweise Schrader, Riggs, Smith [Uncertainty and ambiguity 1993], o.S. zitiert in Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 14 f. FN 2, vor. Vgl. Bonfi [Risiko 1995], S. 38. Es gibt beispielsweise die These, dass Ungewissheit ein prinzipiell positives Element des gattungsgeschichtlichen Fortschritts ist oder aus Sicht der Okonomen, dass Unsicherheit Flexibilitat erzeugt. Vgl. Cube [Gefahrliche Sicherheit 1990] und Heiner [Predictable Behaviour 1983], zitiert nach Bonii [Risiko 1995], 8. 38. Der explizite Bezug auf zukCinftige Ereignisse soil hier betont werden, damit beispielsweise eine Abgrenzung zu Unwissenheit, welche auch Vergangenes betreffen kann, vorgenommen werden kann. Vgl. Kahnemann, Tversky [Variants of uncertainty 1982], S. 152. Vgl. Kahnemann, Tversky [Variants of uncertainty 1982], S. 143. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 13.
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Vertrauen
die Wahrscheinlichkeit eines moglichen Ergebnisses quantifizieren lasst. Bei Unsicherheit kann diese Wahrscheinlichkeit nicht eingeschatzt werden, da der/die Akteur/in nicht weifi, wie viele Moglichkeiten der Entwicklung es geben kann.^^® Der Gegenstand der Unsicherheit kann exogener oder endogener Art sein^^^ und auf objektiver oder subjektiver Unsicherheit beruhen.^^® Exogene Unsicherheit betrifft jene Ereignisse, die aufierhalb des direkten EInflussbereiches des/der Akteur/in/s liegen. Dagegen resultieren endogene Unsicherheiten aus den Entscheidungen des/der Akteur/in/s, sofern er/sie mit anderen Akteur/inn/e/n in Verbindung steht und deren Handlungen einen direkten oder indlrekten Einfluss auf den eigenen Nutzen haben. Die objektive Unsicherheit liegt nicht im Unwissen oder in der Uninformiertheit des/der Akteur/in/s, sondern in der Tatsache, dass die Umwelt von alternativen Entwicklungen gepragt ist und dass nur mit einer eingeschrankten Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, wie die Zukunft aussehen wird. Objektive Unsicherheit wird durch Zufall verursacht und obgleich der/die Akteur/in im Besitz aller zuganglichen Informationen ist, kann er/sie sich trotzdem uber das Eintreten eines bestimmten Sachverhaltes nicht sicher sein. Die subjektive Unsicherheit basiert auf Unzulanglichkeiten des/der Akteur/in/s und entsteht durch Mangel an Information. Akteur/inn/e/n sind sich nicht sicher, „ob ihre Einschatzungen der Eintrittswahrscheinlichkeiten und Folgen moglicher Ereignisse den objektiven Tatsachen entsprechen".^®^ Diese Form der Unsicherheit kommt haufig durch Oberforderung durch Komplexitat zu Stande. Der/die Akteur/ln konnte diese Form der Unsicherheit umgehen, indem er/sie sich informiert. Vertrauen stellt einen Mechanismus zur Stabilisierung der unsicheren Erwartungen und somit zur Verringerung der Komplexitat dar.^°° Unsicherheit stellt jedoch eine Voraussetzung fur Vertrauen dar, denn vor einer Vertrauensentscheidung hat sich der/die Akteur/in noch nicht mit der Komplexitatsreduktion auseinander gesetzt und
196
Vgl. Orbell [Rational choice 1993], zitiert nach Chiles, McMackin [Trust in TCE 1996], S. 80. Zur Veranschaulichung wurde hier als Beispiel ein Kartenspiel angegeben. Befindet sich der/die Akteur/in in einer Risikosituation, ist er mit einem 32-Blatt Spiel konfrontiert und kann sich somit die Wahrscheinlichkeit ausrechnen, mit der er eine bestimmte Karte zieht, das Risiko ist also 1 zu 32, dass er sie nicht zieht. In einer Unsicherheitssituation wusste der/die Akteur/in nicht, aus wie vieien Karten das Spiel besteht und kann die Chance, mit der er eine Karte zieht, uberhaupt nicht einschatzen. Acht zu nehmen ist hier auf die Unterscheidung zwischen exogenen und endogenen Quellen der Unsicherheit und exogener und endogener Unsicherheit. Vgl. Kahnemann, Tversky [Variants of uncertainty 1982], S. 150 und Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998],S. 16. Vgl. hierzu und im Folgenden Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 16 ff. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 16. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 13.
Die Konstituierung von Vertrauen
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kann noch nicht abschatzen, wie sich die Zukunft entwickein wird. Hat der/die Akteur/in sich entschieden zu vertrauen, lasst er/sie Entwicklungsalternativen auder Acht und geht von einer bestimmten, positiven Entwicklung der Zukunft aus. Die Anzahl der Entwicklungsalternativen ist eingeschrankt.
2.2.3.2 Risiko Ein einheitliches Verstandnis fur den Begriff Risiko ist weder in der wissenschaftlichen Literatur noch im allgemeinen Sprachgebrauch vorhanden.^°^ Haufig wird der Risikobegriff mit einem moglichen Schaden, welcher als unenA/unschter Nebeneffekt einer Handlung entsteht, in Verbindung gebracht,^°^ wohingegen der Begriff Unsicherheit als neutral in Bezug auf seine Folgen betrachtet wird.^°^ Risiko ist einerseits eine Folge aus einer vertrauenden Handlung, anderseits kann es jedoch auch als Voraussetzung betrachtet werden. Uber einen bestehenden Zusamnfienhang zwischen Vertrauen und Risiko sind sich Psychologen, Sozlologen und Okonomen einig^°^ uber Art und Ausmali des Zusammenhangs jedoch nicht. Oberwiegend wird Risiko jedoch als Voraussetzung fur Vertrauen dargestellt.^°^"^°®
So wird Risiko beispielsweise auch definiert als ..Varianz der Wahrscheinlichkeitsverteilung aller moglichen Konsequenzen einer Entscheidung", oder als ..gewichtet lineare Kombination der Varianz und des Erwartungswertes der Verteilung aller moglichen Konsequenzen". Jungermann, Slovic [Psychologie von Risiko 1993], S. 169. Vgl. Neumann [Risiko Organisation 1995], S. 20 f. Vgl. Kaluscha [Consumer trust in B2C 2003], S. 29. Der Zusammenhang zv^/ischen Vertrauen und Risiko kann auch darin bestehen, dass sich aus Unsicherheiten Risiken entwickein, wenn bei einer Situation von Unsicherheit ein Informationsverarbeitungsprozess erfolgt, der Risiken erkennbar macht. Vgl. Japp [Risikotheorie 1996], S. 12. Vgl. House, Rousseau, Thomas-Hunt [Meso paradigm 1995], S. 395. Vgl. Schlenker, Helm, Tedeschi [Behavioral trust 1973], S. 419. Eine Diskussion uber den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Risiko ware sehr interessant, eine genaue Analyse wurde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Nach dem Versuch einer Aufschlusselung dieses Problems kann lediglich gefolgert werden, dass Risiko sowohl eine Voraussetzung fur Vertrauen als auch eine Folge davon sein kann. In der vorliegenden Arbeit wird Risiko als Voraussetzung fur Vertrauen betrachtet, dennoch soil kurz die Perspektive des Risikos als Vertrauensfolge dargestellt werden. Nach dem Verstandnis von Managern kann Risiko als moglicher Verlust definiert werden. Vgl. March, Shapira [Managerial risk 1987], S. 1407. Die Moglichkeit des Verlustes ist erst vorhanden, nachdem sich der Handelnde entschieden hat zu vertrauen. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 19. Risiko als Folge steht direkt mit der Tatsache in Verbindung, dass sich der Vertrauende in einer geschwachten, angreifbaren Situation befindet und durch den Missbrauch von Vertrauen eine negative Konsequenz erfahrt. Vgl. Luo [Trust in collaboration 2002], S. 671. Er setzt sich (insbesondere bei interpersonalen Vertrauensbeziehungen) dem Risiko des opportunistischen Verhaltens aus (vgl. Bradach, Eccles [Price, authority, and trust 1989], S. 104) und
36
Vertrauen
Die Komplexitat impliziert, dass der/die Akteur/in haufig mit Unsicherheit und Risiko konfrontiert ist. Durch die subjektive Risikoeinschatzung und -bereitschaft, welche auf Erfahrungen und Einstellungen basiert,^°^ kann der/die Akteur/in selbst entscheiden, ob und inwieweit er/sie durch Vertrauen eine Komplexitats- und Risikoreduktion erreichen kann.^°® Bei Wahrnehmung des Risikos sind neben objektiv messbaren (errechenbare Wahrscheinlichkeit aufgrund vergangener Entwicklungen) auch subjektive Faktoren, wie wahrgenommene Kontrollierbarkeit, relevant.^°^ Durch die Beurteilung der Eigenschaften der Vertrauenswurdigkeit in einer spezifischen Vertrauenssituation versucht der/die Akteur/in das Risiko einschatzbar zu machen. Je grofler die bestehenden Unsicherheiten bei den Eigenschaften zur Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit sind, umso grofier ist das wahrgenommene Risiko. Findet eine positive Bewertung der Vertrauensobjekte statt, ist das wahrgenommene Risiko so gering, dass man es ubernimmt. Gleichzeitig reduziert der/die Akteur/in die soziale Komplexitat der Situation, welche durch Unsicherheiten zu Stande gekommen ist, indem er/sie Entwicklungsalternativen, die fur ihn/sie unwahrscheinlich sind, subjektiv wegschaltet.^^° Objektiv besteht nach wie vor die gleiche Anzahl von Kontingenzen; der/die Vertrauende trifft durch Vertrauen in der Gegenwart eine Entscheidung, um so mit der Zukunft fertig zu werden.
2.2.4 Der Vertrauensprozess Unklarheiten uber die Abgrenzung von Faktoren, die zu Vertrauen fuhren, Vertrauen selbst und Folgen von Vertrauen sind Aspekte, mit denen Vertrauensforscher/innen konfrontiert sind.^^^ Dennoch wird im Folgenden versucht darzustellen, dass es einen Entwicklungsgang fur Vertrauen gibt, der aus mehreren Teilprozessen besteht. Die einzelnen identifizierbaren Bestandteile, wie Vertrauensdisposition, Systemvertrauen und Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit von Personen, sind je nach
^°^ ^°® ^°^ ^^° ^^^
ist somit bereit, Risiko in Kauf zu nehmen. Vgl. Golembiewski, McConkie [Interpersonal trust 1975], S. 135. Risiko basiert auf einer Entscheidung, ohne der es nicht zum Schaden kommen konnte (vgl. Luhmann [Soziologie des Risikos 1991], S. 25, Deutsch [Trust 1958], S. 268) und somit ist es die mogliche Folge einer Handlung, welche der Person selbst zuzuschreiben ist. Vgl. Luhmann [Trust 2000], S. 95. Vgl. Schuy [Risiko Management 1989], S. 59, Yates, Stone [Risk construct 1992], zitiert nach Chiles, McMackin [Trust in TCE 1996], S. 80. Vgl. Luhmann [Soziologie des Risikos 1991], S. 16. Vgl. Jungermann, Slovic [Psychologie von Risiko 1993], S. 173. Vgl. hierzu und im Folgenden Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 46 f. Vgl. Mayer, Davis, Schoorman [Model of trust 1995], S. 711.
Die Konstituierung von Vertrauen
37
Sachverhalt, Person, Wichtigkeit der Entscheidung und Risiko mehr oder weniger determinierend. Es soil hier ausschliefilich ein grober theoretischer Rahmen geschaffen werden, der fur Vertrauenssituationen in jeglichen Kontexten gultig ist. In einem spateren Kapitel wird dieses Modell ubernommen und fur den konkreten Bezugsrahmen der Virtuellen Unternehmen spezifiziert.
In der folgenden Abbildung 3 ist schematisch dargestellt, dass am Anfang eine Vertrauensdispositlon beim/bei der potenziellen Vertrauensgeber/in vorhanden ist. Kommt diese/r in die Situation, in welcher er/sie Gelegenheit hatte zu vertrauen, wird er/sle durch unterschiedliche kognitive und emotionale Prozesse Personen und Systeme auf deren Vertrauenswurdigkeit hin bewerten.
Generelles Vertrauen
| !
• •
Vertrauensdisposltion
T
Indirekte oder direkte Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit der speziflschen Objekte: Spezifisches Vertrauen
! \ |Systeme|
Personen|
T V
Vertrauensintention
i 4
Vertrauensbasierte Handlung
Quelle: McKnight, Chervany [Trust 2001], S. 44 (si ark modifiziert) Abbildung 3: Vertrauensmodell
38
Vertrauen
Wie von unterschiedlichen Autor/inn/en^^^ argumentiert, hat jedes Individuum eine Vertrauensdisposition, ein gewisses Mafi an Neigung zu vertrauen in sich, welches sehr stark die Vertrauensintention beeinflussen kann. Diese Vertrauensdisposition ist ein generelles Vertrauen und ist vom Vertrauen in spezifischen Situationen abzugrenzen. Dabei muss jedoch betont werden, dass bei einer hohen Vertrauensdisposition diese ggf. ausreichen wurde, urn in bestimmten Situationen zu einer Vertrauensintention zu gelangen. Befindet sich ein/e potenzielle/r Vertrauensgeber/in in einer spezifischen Vertrauenssituation, ist er/sie ein Teil der Vertrauensbeziehung. Das Vertrauensobjekt kann ein unpersonliches System oder eine oder mehrere Person(en) sein. Aufgrund der unterschiedlichen Konstitution und Folgen ist diese Unterscheidung notwendig. Personliche Vertrauensbeziehungen sind durch bestimmte Charakteristika gekennzeichnet und implizieren die Beurteilung personeninharenter, die Vertrauenswurdigkeit determinierende Eigenschaften. Inwieweit sich personliche und unpersonliche Vertrauensbeziehungen diesbezuglich (denn auch bei unpersonlichen muss eine Beurteilung der VertrauenswiJrdigkeit vorgenommen werden) unterscheiden, ist ein wichtiger Aspekt des Vertrauensprozesses. Die Einschatzung der Eigenschaften, die Personen als vertrauenswurdig erscheinen lassen, ist grundsatzlich situations- und personenspezifisch, jene von Systemen situationsspezifisch.^^^ Ob eine Loslosung von einer bestimmten Situation bei der Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit der Vertrauensobjekte stattfinden kann, soil in weiterer Folge geklart werden. Es werden nicht in jeder Situation alle Eigenschaften analysiert, sondern es sind die dahinterliegenden kognitiven Prozesse oder Grunde fur Vertrauen, die den einzelnen Eigenschaften der Objekte mehr Gewicht beimessen.^^-* Personliches und unpersonliches Vertrauen kann interdependent sein und sich deshalb auch parallel entwickeln. Sei es, dass Personen vertraut wird, well man Vertrau-
^^^ Vgl. stellvertretend Rotter [Interpersonal trust 1971] ^^^ Vgl. McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001 a], S. 4. ^^"^ SiehedazuPunkt 4.2.5.
Die Konstituierung von Vertrauen
39
en in das dahinter liegende Systenri haf ^^ oder, dass man in bestimmten Vertrauenssituationen sowohl Vertrauen in das teclinische System als auch in die damit in Verbindung stehende Person haben muss^^®. 1st die Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit der Vertrauensobjel^te bewusst oder unbewusst abgeschlossen, wird der/die potenzielle Vertrauende wissen, ob er/sie sicii sicher genug fiJhlt, um sich in Abliangigkeit des/der Vertrauensgeber/in/s begeben zu wollen oder nicht. Bei hohem dispositiven Vertrauen oder einem Zusammenwirken aus dispositivem Vertrauen und positiver Einscliatzung der Vertrauenswurdigkeit der Objekte kommt es schliefllicli zur Vertrauensintention. Erst wenn diese innere Entscheidung getroffen ist und Gelegenheit zu einer vertrauenden Handlung bestelit, kann sich das Vertrauen in einer vertrauenden Handlung manifestieren.
2.2.4.1 Vertrauensdispositlon Generelles Vertrauen^^'' ist die positive Haltung eines IVienschen gegenuber dem Wohlwollen der restliciien Welt. Nahezu undifferenziert wird ein gewisses Mali an Vertrauen vertrauenswurdigen und weniger vertrauenswurdigen Individuen und Systemen entgegengebracht. Generelles Vertrauen wird als „cross-situational" und „cross-personal" Konstrukt gesehen.^^® Es ist die meist gewachsene, generalisierte Erwartung uber die Vertrauenswurdigkeit von Personen und Systemen. Die endgultige Vertrauensabsicht wird positiv und direkt von der Vertrauensdisposition beeinflusst. Insbesondere in neuen Situationen verlassen sich die Vertrauensgeber/innen auf die Vertrauensdisposition und es kann direkt zur Vertrauensintention kommen.^^^ Die Vertrauensdisposition hat aber auch indirekten Einfluss auf die Vertrauensabsicht, da die Wahrnehmung der Vertrauenssubjekte stark durch die Vertrauensdisposition beeinflusst wird. Das soil nicht bedeuten, dass Personen mit einer hohen Ver-
Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 973. Hier wird als Beispiel ein Immobilienver- oder -ankauf angegeben, bei dem das Geschaft zwischen weitgehend anonymen Personen ablauft, man aber davon ausgeiit, dass der Staat bei Bedarf einschreitet und die Verpfliciitungen der Vertragsparteien einfordert. Vgl. McKnight, Choudhury, Kacmar [Trust in e-commerce 2002a], S. 341. Im Folgenden wird das genereile Vertrauen, das jeder Menscli in einer gewissen Form in sich tragt auch Vertrauensdisposition, Neigung zu Vertrauen oder veranlagtes Vertrauen genannt. Vgl. McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], S. 37. Vgl. Rotter [Interpersonal trust 1971], Johnson-George, Swap [Scale to assess trust 1982], zitiert nach McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b], S. 45.
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Vertrauen
trauensdisposition die Vertrauenswurdigkeit der Objekte ohne weitere Prufung als positiv einschatzen.^^° Personen mit einer eher misstrauischen Disposition jedoch, nehmen Informationen, die zur Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit von personlichen und unpersonlichen Subjekten beitragen, anders als vertrauensvolle Personen wahr. Grundsatzlich kann die Vertrauensdisposition motivationsorientiert als Personlichkeitsmerkmal oder als Einstellung vorkommen.^^^ Die Vertrauensdisposition kann in zwei Subkonstrukte untergliedert werden. Zum einen gibt es den Glauben in die Menschheit allgemein und zum anderen eine vertrauende Haltung, welche als personliche Strategie gesehen werden kann.^^^ Auch kann eine Misstrauensdisposition bei den potenziellen Vertrauenssubjekten
vorhanden
sein. Es ist noch nicht ausreichend erforscht, welchenn Konstrukt mehr Bedeutung beigemessen werden kann. Was ruft eher eine Intention hervor, die Neigung zu vertrauen Oder die Neigung zu misstrauen?^^^ Der erste Grund fur das Vorkommen von generellem Vertrauen ist der Glaube in die IVIenschheit. Dabei geht der/die Vertrauende davon aus, dass der Mensch generell vertrauenswurdig ist. Vertrauen, in diesem generellen Sinn, impliziert die Erwartung, dass die naturliche, biologische und moralisch soziale Natur bestehen bleibt und realisiertwird.^^^ Vertrauensvolle Menschen sind nicht naiv und vertrauen blind, sondern haben lediglich ein anderes Menschenbild.^^^ Sie raumen ihren Mitmenschen einen hohen personlichen Kredit ein. Es gibt auch Wechselwirkungen zwischen Vertrauen und anderen positiven Eigenschaften wie z.B. Ehrlichkeit. Vertrauensvolle Menschen sind selten in Konflikte mit anderen venA/ickelt, was auch zur Folge hat, dass sie als Partner/innen oder Freund/inn/e/n eher angenommen werden, als misstrauische.^^^ Diese positiven Effekte -
einerseits fur die Gesellschaft und andererseits fur das Indivi-
duum - konnten durch eine Vielzahl von Studien empirisch nachgewiesen werden.^^^
222 223 224 225 226 227
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b]. S. 45. Kee, Knox [Trust and suspicion 1970], S. 360. McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b], S. 47. McKnight, Kacmar, Choudhury [Trust concepts 2002b], S. 1. Barber [Trust 1983], S. 9. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 54. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 54 f. Koller [Interpersonales Vertrauen 1997], S. 16, siehe auch die dort zitierte Literatur.
Die Konstituierung von Vertrauen
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Inwjeweit ein Mensch vertrauensvoll ist, hangt unter anderem von seinen personlichen Erfahrungen mit der Erfiillung seiner Erwartungen ab. Das Resultat ist eine relativ konstante Personiichkeitscharakteristik.^^® Vielmehr als die Erfahrungen im alltaglichen Leben spielen hier Erfahrungen aus friiheren Jahren, sogar aus der Kindheit, eine grofle Rolle.^^^ Der zweite Grund Oder das zweite Subkonstrukt des generellen Vertrauens ist die Vertrauenshaltung (trusting stance). Dabei weifi der/die Vertrauende uber die Vorteilhaftigkeit durch das Entgegenbringen von Vertrauen und macht somit vertrauendes Verhalten (Folge, welche madgeblich durch die Vertrauenshaltung beelnflusst wird) zu seiner personlichen Strategie.^^° Betrachtet man demnach diese vertrauensvolle Haltung als personliche Charaktereigenschaft, hat diese Auswirkungen sowohl auf die Vertrauensintention des/der Vertrauenden als auch auf die Wahrnehmung der Eigenschaften der VertrauenswiJrdigkeit (Wohlwollen, Integritat, Fahigkeit, Vorhersagbarkeit) durch andere.^^^ Wenn jemand in einer vertrauensvollen Art und Weise mit Menschen umgeht, kann dies als ..self-fulfilling prophecy" wirken und es kommt zum vertrauenswurdigen Verhalten, das schon im Vorhinein angenommen wurde.^^^ In ihrer Wirkung auf die MItmenschen konnen die beiden Subkonstrukte nicht unterschieden werden. Die Aufienwelt hat zuwenig Einblick in die Motive der Vertrauenden. Legt man der Vertrauenshaltung die kalkulative, okonomisch-basierte Vertrauensforschung zugrunde, kann diese Strategie sowohl bei Personen, als auch bei unpersonlichen Strukturen angewandt werden.^^^ Die Auswirkungen sind jedoch bei unpersonlichen Bezlehungen geringer als bei personlichen, da In einer menschlichen Beziehung durch die vertrauensvolle Haltung ebenfalls Vertrauen Oder ein anderer posltiver Effekt hervorgerufen werden kann.^^"^ In unpersonlichen Strukturen hingegen
233 234
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. f. Vgl. Vgl.
Rotter [Interpersonal trust 1980], S. 1. Usianer [Trust online 2004], S. 28. McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], 8. 38. Rotter [Interpersonal trust 1980], 8. 2, Deutsch [Trust 1958], 8. 278. Meyerson, Weick, Kramer [8wift trust 1995], 8. 172, Adobor [Trust in alliances 2005], 8. 331 McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], 8. 47. Rotter [Interpersonal trust 1980], 8. 2, Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], 8. 54
42
Vertrauen
wind diese Strategie keine Reaktion bewirken. Die Strategie der vertrauenden Haltung gegenuber unpersonlichen Strukturen beruht auf der kalkulierten Annahme, dass die Wahrscheiniichkeit des Vertrauenserweises des Systems grofi genug ist, urn sich ihr vertrauensvol! auszusetzen.
2.2.4.2 Spezifische Vertrauenssituation In spezifischen Vertrauenssituationen ist sich der/die Vertrauensgeber/in des konkreten Vertrauensobjektes bewusst. Das Vertrauensobjekt ist eine oder mehrere Person(en) oder ein unpersonliches System. Die Unterscheidung zwischen Vertrauen in Personen und Vertrauen in unpersonliche Systeme ist dann nicht scharf, wenn hinter den Systemen identifizierbare Personen stehen. Beziehungsweise im umgekehrten Fall, wenn in einer Gesellschaft der Face-to-face Kontakt verloren geht und man in der anonymisierten Gesellschaft hauptsachlich mit Personen zu tun hat, die unbekannt sind, und deren personliche Vertrauenswurdigkeit man nicht einschatzen kann.^^^ In der nicht modernen Gesellschaft waren unpersonliche Formen von Vertrauen kein Thema, da alles, dem man Vertrauen schenken konnte, person ifiziert wurde.^^® Im Folgenden werden die Charakteristika von spezifischen Vertrauenssituationen und die Evaluierung der Vertrauenswurdigkeit der Objekte als Weg zur Vertrauensentscheidung analysiert.
2.2.4.2.1 Charakteristika spezifischer Vertrauenssituationen Erhohte Verletzbarkeit - der Folgeaspekt des Risikos Die vertrauende Partei nimmt die Moglichkeit negativer Konsequenzen in Kauf. In der Vertrauens-Literatur wird diese Moglichkeit der negativen Folge haufig deklariert als Unsicherheit oder Risiko.^^^ Der/die Vertrauende setzt sich einem moglichen Vertrauensbruch aus, denn ohne einen konkreten Aniass, in dem der/die Vertrauende auf seine/n/ihre/n Partner/in angewiesen ist, gibt es kein Vertrauen.^^® Vertrauen in ein Vertrauensobjekt zu haben heifit, davon auszugehen, dass sich das personliche oder
^^^ ^^^ ^^^ ^^®
Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 973. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 51. Siehe dazu Punkt 2.2.3. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 45.
Die Konstituierung von Vertrauen
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unpersonliche System dem/der Vertrauensgeber/in gegenuber nicht schadigend verhalt.^^® Vorraussetzung dafur ist, dass die Moglichkeit eines schadigenden Verhaltens besteht, und insbesondere in interpersonalen Beziehungen, dass der/die Partner/in gewichtiges Interesse bzw. einen Vorteil aus einem Vertrauensmissbrauch hatte.^'*° Dieses unvermeidbare Risiko, welches durch die Vertrauenssituatlon hervorgerufen wird, nehmen Personen dennoch in Kauf, weil es nur ein eingeschranktes Ausmali an Altemativen zu Vertrauen gibt^"*^ und weil neben der geschwachten Position auch eine Opportunitat, eine Chance,^"^^ deren positive Entwicklung erhofft wird, wahrgenommen wird. Der/die Vertrauende setzt sich diesem Risiko freiwillig aus und verlasst sich auf das Versprechen der anderen Partei.^"*^ Er erwartet einen zukunftigen Erfolg und nimmt den Preis dafur gegenwartig in Kauf. Mit anderen Worten: Das vertrauensnehmende Objekt hat signlfikanten Einfluss auf etwas, das dem/der Vertrauensgeber/in wichtig ist.^'^'^ Gabe es dieses Risiko, diese Verletzbarkeit (vulnerability) nicht, wurden die negativen sowie die positiven Konsequenzen einer vertrauenden Handlung fur den/die Vertrauensgeber/in nicht signifikant seln.^'^^ Abhangigkeitsverhaltnis Unabdingbar fur die Vertrauenssituatlon ist die Bereitschaft, abhangig zu sein.^"*® Abhanglgkeit kann als Ausmad bezeichnet werden, in dem Entwicklungen von einer anderen Partei Oder von einem unpersonlichen Objekt abhangig sind oder von dieser kontrolliert werden konnen.^"^^ Als Vertrauende/r positioniert man das Vertrauensobjekt in eine Machtstellung.^"*®
247 248
Vgl. Gambetta [Trust trust 2000], S. 217. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 45. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 968. Vgl. Kramer, Brewer, Hanna [Collective trust 1995], S. 360. Vgl. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 96. Vgl. Shaw [Trust in the balance 1997], S. 22. Vgl. Mishra [Crisis and trust 1996], Moorman, Zaitman, Deshpande [Dynamics of trust 1992], zitiert nach Bigley, Pearce [Problems of trust 1998], S. 407. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 9. Vgl. Wicks, Berman, Jones [Optimal trust 1999], S. 104. Hier wird der Zusammenhang zwischen Vertrauen und Macht deutlich. Vertrauen erzeugt Macht, aber bedingt Macht in keinster Weise. Im Gegenteil, Vertrauen kann nicht durch Macht erzwungen werden, sondern kann am ehesten bei gleichmachtigen Partnern aufgebaut werden. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 61.
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Vertrauen
GefiJhl der Sicherheit Ein wesentlicher Bestandteil von Vertrauensbeziehungen ist das GefiJhl der Sicherheit beim/bei der Vertrauensgeber/in. Sein/ihr Befinden ist angenehm und es besteht keine Angst oder Besorgnis. Dieser Aspekt von Vertrauen ist rein emotional bedingt.^'*® Das Gefuhl kommt durch die Ubertragung der Verantwortung^^ auf das Vertrauensobjekt und die kognitive Einschatzung gegenuber diesem zu Stande. Die spezifische Vertrauenssituation insbesondere bei interpersonalen Beziehungen ist nicht von den Akteur/inn/en alleine abhangig, sondern resultiert auch aus dem sozialen Umfeld und weiteren sozialen Interaktionen. Es sind die Sozialordnung und die konkreten, personellen Einflusse und deren Wirkung auf andere die ein bestimnntes Verhalten vorhersehbar, einschatzbar und nicht ganz frei machen. Die soziale Ordnung (oder auch Institution) determiniert das Gefuhl der Sicherheit beim/bei der Vertrauensgeber/in.
2.2.4.2.2 Vertrauenswurdigkeit Vertrauen und Vertrauenswurdigkeit sind Begriffe die in erster Linie separat voneinander betrachtet werden sollten. Falschlicherweise erfolgt oft eine Gleichsetzung.^^^ Dabei ist die Vertrauenswurdigkeit eine Eigenschaft, die dem Vertrauensobjekt (Person oder.System) zugeordnet werden kann.^^^ Erst wenn diese Eigenschaft vom Vertrauensobjekt erfullt wird, kann Vertrauen in dieses gesetzt werden. Vertrauen ist hingegen keine Eigenschaft, sondern vielmehr eine Handlungsabsicht, die jeder Mensch unter bestimmten Umstanden entwickein kann. Wenn vertraut wird, findet der/die Vertrauensgeber/in Grunde, warum er/sie sich fur Vertrauen entscheidet, auch wenn diese Grunde dem Umfeld nicht nachvollziehbar erscheinen. Insbesondere das interpersonelle Vertrauen basiert haufig zu einem grofien Teil auf emotionalen Verbindungen der beteiligten Personen.^^^ Schlussendlich ist es zu einem gewichtigen Teil die Vertrauenswurdigkeit, auf Grund welcher der/die Vertrauensgeber/in handelt. Es wird jenen Objekten vertraut, die erkennen lassen, dass sie ver-
249 250
252 253
Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 10. Vgl. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 96. Vgl. Blois [Trust in B2B reiationslnips 1999], S. 202. Hier wird die Gieichsetzung kritisiert die von manchen Autoren in empirischen Studien vorgenommen wird. (z.B. ..Therefore, a company should teach its salespeople how to develop trust" Doney, Cannon [Nature of trust 1997], S. 47.) Vgl. Barney, Hansen [Trustworthiness 1994], S. 176. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 973.
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trauenswurdig sind.^^ Das bedeutet jedoch auch, dass es nicht auf die tatsachliche Vertrauenswurdigkeit des potenziellen Vertrauensobjekts ankommt, sondern darauf, wie der/die Vertrauensgeber/in die Vertrauenswurdigkeit wahrnimmt.^^^ In der Okonomie, welche auf dem Prinzip der Rationalitat und Nutzenmaximierung basiert, ist eine Person dann vertrauenswurdig, wenn sie keine Motivation hat, das Vertrauen des anderen auszunutzen oder konkret das Vertrauen des anderen in einer spezifischen Situation niclit ausnutzt.^^® Diese Argumentation ist mit dem rationalen Kalkul als Grundlage der Vertrauensentscheidung kompatibel und wird ausfuhrlich unter Punkt 4.2.5.2 beschrieben. Fur die Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit einer Person sind dispositionale Attribute des Obejekts verantwortlich, welche zum Teil erst nach gemachten Erfahrungen mit dem Objekt beurteilt werden konnen.^^^ Auch flieden sozio-demoghraphische Charakteristika, die - stellvertretend fur personliche Erfahrungen - auf die Vertrauenswurdigkeit schlieflen lassen, in die Beurteilung mit e\n}^
2.2.4.2.3 Interpersonales Vertrauen Eine grofle Zahl der Forschungsbeitrage, wie auch aus den aufgezahlten Definitionen hervorging (siehe 2.1.1), beschaftigt sich mit interpersonalem Vertrauen. Interpersonales Vertrauen wird im Folgenden im Sinne der Vertrauensdefinition verstanden. Der/die Akteur/in hat aufgrund von Erfahrungen und Einschatzungen die Absicht, sich mit einem relativ starken Gefuhl der Sicherheit in die Abhangigkeit einer anderen Person oder Personengruppe zu begeben, obwohl er/sie sich der moglichen negativen Konsequenzen bewusst ist.^^® Wenn in einer interpersonalen Beziehung
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Vgl. O.V. [Trust 2000], S. 4. Vgl. Corritore, Kracher, Wiedenbeck [On-line trust 2003], zitiert nach Riegelsberger, Sasse, McCarthy [Mechanics of trust 2005], S. 390. Vgl. Jannes [Nature of trust 2002], S. 292. Dies konnte jedoch auch bedeuten, dass man erst nach einer Vertrauenssituation beurteilen kann, ob jemand vertrauenswurdig ist. Der Schaden ist fur den/die Vertrauensgeber/in dann schon eingetreten und die Feststellung, dass der/die Vertrauensnehmer/in eigentlich nicht vertrauenswQrdig war, hilft ihm/ihr nicht mehr. Das Ausmafi der Eigenschaften zur Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit sollte im Vorhinein durch den potenziellen Vertrauensgeber erkennbar sein. Vgl. Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 96. Vgl. Sitkin, Roth [Trust/distrust 1993], S. 368. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 9.
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Vertrauen entgegengebracht wird, ist (meisP°) der Grund dafur, dass die Interaktionspartner/innen als vertrauenswurdig eingeschatzt werden. Vertrauen in interpersonalen Beziehungen ist typischerweise dann relevant, wenn eine Partei die Moglichkeit hat, der anderen zu schaden, die Freiheit besitzt, eine riskante Situation zu vermeiden und eingeschrankt genug ist, diese Beziehung als attraktive Option zu sehen.^®^ Durch das Vertrauen werden dem/der Vertrauensnehmer/in Handlungen ermoglicht, die ohne diese positive Aktion unerreichbar gewesen waren. Ein Nutzen entsteht - so jedenfalls a priori angenommen - auch fur den/die Vertrauensnehmer/in.^^^ Das Vertrauen in Personen setzt voraus, dass das Handein einer Person zugerechnet werden kann und frei ist.^®^ Denn uber alle Handlungen einer Person schwebt die Vertrauensfrage. Ungeachtet dessen, welche Absichten der/die Vertrauensnehmer/in verfolgt, ob er/sie sich bewusst vertrauenswurdig Oder bewusst vertrauensunwurdig verhalt.'^ Die Frage, die sich bei einer interpersonalen Vertrauensbeziehung stellt, ist: Kann einer bestimmten Person (Personengruppe) vertraut werden, dass sie sich in der angenommenen, zutraglichen Art und Weise verhalten wird?^^^ Bei interpersonalen Beziehungen wird Vertrauen vordergrundig nicht in die spezifische Handlung, sondern in die Person gesetzt. Dennoch ist die Vertrauenswurdigkeit nicht generell „crosssituational", sondern wird nur uber ahnliche Situationen hinweg konstant wahrgenommen.^®^
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Im Gegensatz hierzu gibt es andere Grunde, die Deutsch fur eine ..scheinbar" vertrauende Handlung angibt: Verzweiflung, Konformitat, Impulsivitat, Einfalt, Tugend, Treue und Masochismus. Vgl.Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 124. Vgl. Gambetta [Trust trust 2000], S. 217. Vgl. Coleman [Social theory 1990], S. 125 f. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 43. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 41. Es wird also der Frage nachgegangen, ob man einer Person vertrauen kann, dass sie die Handlung X ausfuhrt, wie es Bacharach und Gambetta formuliert haben. Vgl. Bacharach, Gambetta [Trust in signs 1997], S. 1. Interpersonales Vertrauen wird stark durch die individuelle Situation beeinflusst. Hat man Vertauen in eine Person gewonnen, wird es lediglich dann uber einen langeren Zeitraum konstant sein, wenn die Situationen, die Vertrauen erfordern, stark miteinander vergleichbar sind. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Man vertraut dem langjahrigen Steuerberater, dass er den Jahresabschluss ordnungsgemafl bewerkstelligt. Geht es jedoch darum, diesem Steuerberater das eigene Kind anzuvertrauen, wCirde man die Vertrauenswurdigkeit dieser Person im Hinblick auf diese Situation noch einmal bewerten (Zitat: Prof. Grabner-Krauter). Vgl. im Gegemsatz dazu Rempel, Holmes, Zanna [Trust 1985], S. 96.
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2.2.4.2.3.1 Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit von Personen Unter Vertrauenswurdigkeit werden zahlreiche Begriffe subsumiert oder als integrative Bestandteile der Vertrauenswurdigkeit zugerechnet. Haufig wird Vertrauen selbst durch diese Begriffe definiert.^®^ Die Vertrauenswurdigkeit manifestiert sich jedoch in unterschiedliciien Eigenschaften des/der Vertrauensnehnner/in/s und kann durch diese Eigenschaften eingeschatzt werden. Sie lassen eine Person vertrauenswurdig Oder vertrauensunwurdig erscheinen. IVIayer, Davis and Schoorman haben ein IVIodell des Vertrauens entwickelt, wobei sie Fahigkeit, Wohlwollen und Integritat als die drei Faktoren, die die Vertrauenswurdigkeit bestimmen, identifiziert haben.^®® Basierend auf 79 Artikein aus der Vertrauensliteratur haben IVIcKnight und Chervany herausgefunden, dass die moisten Einschatzungen folgende - in vier Kategorien zusammengefasste - Eigenschaften betreffen: Wohlwollen, Ehrlichkelt, Kompetenz und Vorhersagbarkeit.^®® Die Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit bzw. der Eigenschaften, die zur Vertrauenswurdigkeit beitragen, ist das kognitive Kernkonzept des Vertrauensprozesses. Eine positive Beurteilung manifestiert sich in der Vertrauensintention, die sich wiederum im vertrauenden Verhalten niederschlagen kann.^^° Erfullt eine Person ein bestimmtes Mad dieser Eigenschaften und kann die potenziell vertrauengebende Person dies auch so einschatzen, ist der/die Vertrauensgeber/in bereit ihr zu vertrauen.^^^ Das subjektiv eingeschatzte Risiko ist gering genug, um es einzugehen.^^^ Diese dispositionalen Attribute des/der potenziellen Vertrauensnehmer/in/s werden, zum Toil unabhangig von der Absicht des/der Vertrauensnehmer/in/s, vom/von der Vertrauensgeber/in wahrgenommen, gedanklich verarbeitet und fuhren schliefllich zu einer meist fundierten Einschatzung der Vertrauenswurdigkeit. Aufgrund dieser TatVgl. z.B. "Interpersonal trust ist defined as an expectancy held by an individual or a group tiiat tiie word, promise, verbal, or written statement of another individual or group can be relied on." Rotter [Interpersonal trust 1971], S. 444. Vgl. Mayer, Davis, Schoorman [Model of trust 1995], S. 715. Zur Einteilung der Eigenschaften zur Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit finden sich in der Literatur zahlreiche, teilweise empirisch belegte Versuche. Dabei wurde die Vertrauenswurdigkeit beispielsweise auch auf nur zwei Faktoren, Wohlwollen und Kompetenz, reduziert. Vgl. Garbarino, Lee [Consumer Trust 2003], S. 500. Vgl. McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], S. 33. Die vier Eigenschaften zur Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit werden ausfuhrlicher unter Punkt 4.2.5 behandelt. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 12. Vgl. Barney, Hansen [Trustworthiness 1994], S. 176. Vgl. McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001a], S. 46.
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sache ist auch anzunehmen, dass bei einer bekannten, i.S.v. vertrauten Person der Einschatzungsprozess nicht in jeder ahnlichen Situation von vorne beginnt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich eine zuvor genannte „cross-situational" Einstellung bildet, die nur in geanderten Situationen - bei denen man noch uber keine Erfahrung verfijgt - einer Uberholung bedarf. Wie wichtig die Erfullung all dieser Eigenschaften ist, hangt von der Situation und den Praferenzen des/der potenziellen Vertrauensgeber/in/s ab.
2.2.4.2.3.2 Reziprozitat der Vertrauensbeziehung Vertrauen erfordert beiderseitigen Einsatz. Der/die Vertrauende erbringt eine riskante Vorleistung, indem er/sie sich einem moglichen Vertrauensbruch aussetzt. Der/die Partner/in muss das Vertrauen honorieren und sein/ihr anderes Interesse zurijckstellen, urn sich des Vertrauens wurdig zu erweisen.^^^ Uberlegungen aus der klinischen Psychologie basieren auf der Annahme, dass Vertrauen der Glaube an Wiedergutmachung ist. Es wird Vertrauen aufgrund der Meinung, dass es erwidert wird, geschenkt.^^^ Das Prinzip des reziproken Verhaltens ist in alien Kulturen eine allgemein gultige Norm. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Regel ist folgende: Demjenigen, der einem geholfen hat, soil man nicht schadigen, im Gegenteil, man soil ihm ebenfalls helfen.^^^ Ob ein/e Partner/in als vertrauensvoll bewertet werden kann, hangt unter anderem von der eigenen Vertrauensbereitschaft ab. Denn vertrauensvolle Personen, also Personen, die eher gewillt sind Vertrauen zu schenken, nehmen vertrauensvolle Botschaften eher wahr als misstrauische Personen.^^® Wird Vertrauen missbraucht, wird der/die Vertrauende auf psychischer Ebene verletzt. Aber nicht nur der/die Vertrauende, sondern auch der MIssbrauchende tragt einen emotionalen Schaden davon, wenn ihm standiger Vertrauensbruch zur Last gelegtwird.'''
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Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 45. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 12. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 127, siehe auch die dort zitierte Literatur. Vgl. Petermann [Psychologie des Vertrauens 1996], S. 65. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 971.
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Idealtypisch sind beide beteiligten Parteien durch eine Austauschintention motiviert und erkennen, dass die Motivation des Gegenubers gleich gelagert ist. Sie werden aber dennoch den Tausch erst dann eingehen, wenn Voraussetzungen erfuHt sind, die beide annehmen lassen, dass die andere Person ebenso einen Beitrag leistet.^^® Dadurch kann jede Partei es wagen zu vertrauen und diese riskante Vorleistung eingehen.'^'
Urn vertrauenswurdig zu sein, muss eine Person Eigenschaften aufweisen, die Vertrauenswurdigkeit hervorrufen. Sie selbst muss dabei niclit die Intention haben vertrauensvoll zu erscheinen; sie muss lediglich so wirken, als wurde sie das Vertrauen erweisen. Eine Intention kann folgende Motive haben: • •
Die Absicht einer Person zu schaden bzw. ihr etwas Gutes zu tun. Das Verhalten als Mittel, um beim direkten Gegenuber oder einer dritten Partei ein bestimmtes Verhalten auszulosen.
•
Das eigene Gewissen.
•
Das Bestreben, Zufriedenheit durch das Verhalten zu erlangen.^®°
Fur die Konstanz der Intention ist das Motiv ausschlaggebend.^®^ Angenommen eine Person (Vertrauensnehmer/in) missbraucht Vertrauen nicht, well sie eine Gegenleistung erwartet. Im weiteren Verlauf findet der/die Vertrauensnehmer/in jedoch heraus, dass der/die Vertrauensgeber/ln nicht fahig ist, die Gegenleistung zu erbringen. Der Grund fur das vertrauenswurdige Verhalten geht sodann verloren und der/die Vertrauensnehmer/in wird das Vertrauen missbrauchen. Andere Grunde fur die Intention - belspielsweise jene, die von den eigenen Moral- und Ethikvorstellungen herruhren - sind gegenuber Umweltbedingungen stabiler.
Die Intention zu kooperieren kann durch die Einschatzung zu Stande kommen, dass das eigene Wohlbefinden und jenes der anderen Partei durch die Kooperation erhoht v\/ird. Aufgrund des ahnlichen Informationsstandes wird das Gegenuber dasselbe
^^^ ^^® ^®° ^^^
Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 127. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 23. Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 126. Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 126.
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denken. Infolge dieser Annahme werden beide Parteien idealtypisch vertrauenswurdig und vertrauensvoll sein.^®^ Die Intention sich vertrauenswurdig zu erweisen, ist sodann abhangig vom IVIotiv des /der Vertrauensnehmer/in/s.^®^ Meist kennt der/die potenzielle Vertrauensgeber/in diese Motive nicht und kann nur die Eigenschaften des/der Vertrauensnehmer/in/s beurteilen, welche erwahrnimmt.
2.2.4.2.4 Unpersonliches Vertrauen Den unpersoniichen Vertrauensbeziehungen konnen verschiedene nichtmenschliche Vertrauensobjekte zugrunde liegen, meist sind es Systeme oder Institutionen. In der Literatur werden zum Teil die Begriffe Systemvertrauen und Institutionsvertrauen undifferenziert behandelt.^*^ Dies liegt daran, dass eine klare Unterscheidung der grundlegenden Objekte, Institutionen und Systeme nicht moglich ist. Institutionelles Vertrauen und Systemvertrauen beziehen sich jedenfalls vordergrundig auf unpersonliche Objekte. Unpersonliches Vertrauen ist die EnA/artung, dass das Objekt eine positive zukunftige Entwicklung gewahrleistet.^®^ Der System- und Institutionsbegriff ist weit gefasst und kann sich auf Regelwerke wie die Rechtsordnung^®^ ebenso wie auf technische oder mediatisierte Systeme^®^ beziehen. Im Folgenden wird versucht, diese zwei Vertrauensarten getrennt voneinander darzustellen, um zu klaren, inwieweit eine Unterscheidung fur den Kontext dieser Arbeit sinnvoll ist.
Das Institutionsvertrauen"' basiert auf der Annahme, dass man sich auf die Funktionsfahigkeit eines Regelwerkes, eines etablierten Prozesses verlassen kann.^®^ Die Wahrnehmung des institutionellen Umfeldes ist die Basis und stellt somit eine soziologische Dimension von Vertrauen dar.^^° Das Institutionsvertrauen ist in seinen Auswirkungen der Vertrauensdisposition sehr ahnlich.^^^ Im Fokus dieser Sichtweise ist
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Vgl. Deutsch [Trust and suspicion 1960], S. 126 f. Vgl. Doney, Cannon [Nature of trust 1997], S. 37. Vgl. Grabner-Krauter [Vertrauen im Handel 2002], S. 125. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 12. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985], S. 973. Vgl. Grabner-Krauter [Vertrauen im Handel 2002], S. 125. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 54 ff, spricht in diesem Zusammenhang von Systemvertrauen. Vgl. McKnight, Cummings, Chervany [Trust formation 1995], S. 12 (html). Vgl. McKnight, Choudhury, Kacmar [Trust in e-commerce 2002a], S. 336. Je nachdem wie ein System definiert wird, ist die Unterscheidung zwischen Institutionsvertrauen und dem Glauben in die Menschheit nicht trennscharf. Garfinkel beispielsweise gibt als Grund fur bestimmte Entscheidungen nicht das rationale, kalkulierte Abwagen der Alternativen an, sondern
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nicht die Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit eines Objektes, sondern der Verlass auf die Funktionsfahigkeit von angenommenen Entwicklungen. Ripperger hat argumentiert, dass es sich in diesem Fall una eine En/vartungshaltung handelt, die eher der Zuversicht als dem Vertrauen zugehorig ist.^®^ Der/die Vertrauende begibt sich deshalb in die Abhangigkeit einer Institution, weil er/sie von dessen Funktionieren uberzeugt ist.^^^ Die Institution stellt in vielen Fallen den Aktionsrahmen dar, innerhalb dessen Entscheidungen getroffen werden. Beispiel des Systemvertrauens (hier Institutionsvertrauens) bei Luhmann 1st das Vertrauen in die Stabilitat des Geldwertes und somit in das dahlnter stehende wirtschaftliche System. Dieses Vertrauen ergibt sich durch laufende, bestatigende Erfahrungen.^®"^ Fur das Funktionieren einer Gesellschaft sind bestimmte Institutionen essentielP®^ und als wesentlicher Bestandteil des Zustandekommens von Institutionsvertrauen gilt Jalth in the correctness of principles".^®® Auch wenn die Institution eher als Aktionsrahmen gesehen wird, kann dadurch das Vertrauen in Objekte determiniert werden.^®^ Dabei findet jedoch ein Transfer des Institutionsvertrauens statt.^®®
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vielmehr, dass das Funktionieren der sozialen Ordnung als gegeben hingenommen wird und dass man in dieses Funktionieren Zuversicht hat.. Vgl. Garfinkel [Ethnomethodology 1967], zitiert nach Barber [Trust 1983], S. 11. In Abhangigkeit davon, ob die soziale Ordnung als abgeschlossenes System betrachtet werden kann Oder auf deren physische Bestandteile reduziert wird, kann das darin gelegte Vertrauen Glaube in die Menschheit oder Institutionsvertrauen sein. Ohne generelles Vertrauen in der Form des Glaubens in die Menschheit oder des Institutionsvertrauens ist es nicht mdglich, Vertrauen in spezifischen Situationen aufzubauen. Beim Glauben in die Menschheit wird nicht von der Menschheit als System ausgegangen, sondern der Haltung gegenuber jedem einzelnen Menschen. Die Vertrauensdisposition allgemein beeinflusst aber maflgeblich auch das Vertrauen in Institutionen. Nicht nur die Vertrauenshaltung als Strategie spielt hierbei eine Rolle, sondern insbesondere auch der Glaube in die Menschheit, da auch technische Systeme von Menschen gemacht sind und somit indirekt die Vertrauensdisposition zum Tragen kommt. Vgl. Ripperger [Okonomik des Vertrauens 1998], S. 125. Der Groliteil der Menschen stellt das Funktionieren bestimmter abstrakter Systeme nicht in Frage und zieht somit keine Alternative in Erwagung bzw. geht kein (subjektives oder bewusstes) Risiko bei dieser Alternative ein; die Merkmale einer Vertrauenssituation liegen nicht vor. Vgl. Schlenker, Helm, Tedeschi [Behavioral trust 1973], S. 419. Das Vertrauen in Institutionen beruht auf der Gewohnheit und der Tatsache, dass man sich keine anderen Alternativen vorstellen kann (vgl. Strasser, Voswinkel [Vertrauen 1997], S. 222) und deshalb ist es auch eng mit Zuversicht verknupft. Zuversicht kann jedoch breiter verstanden werden, zumal man Zuversicht in alles (z.B. in die eigenen Einschatzungen) und nicht nur in Institutionen haben kann. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 54. Vgl. Luhmann [Vertrauen 1989], S. 54. Vgl. Lewis, Weigert [Trust 1985b], S. 974, siehe dazu auch Luhmann [Vertrauen 1989], S. 54 f. Vgl. Giddens [Consequences of modernity 1990], S. 33. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Man erachtet einen Steuerberater als vertrauenswurdig, weil er den Titel durch eine aufwendige Ausbildung eriangt hat. Man verlSsst sich demnach auf das Ausbildungsverfahren (Vgl. Barber [Trust 1983], S. 18, der von Vertrauen in Ausbildungssysteme spricht) und den burgenden Titel (Institutionen), die Kompetenz des Steuerberaters selbst uberpruft man u. a. deshalb nicht mehr. Diese Grundlage fur die Vertrauensentscheidung wird unter Punkt 4.2.5.6 behandelt.
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Vertrauen
Beim Systemvertrauen stellt das System keinen Rahmen, sondern das direkte Vertrauensobjekt dar. Es wird die Vertrauenswurdigkeit des Systems beurteilt und es werden Handlungen gesetzt, deren Ausgang mit Unsicherheit behaftet sind. Das Vertrauensobjekt kann sich zwar nicht opportunistisch verhalten, aber dennoch kann eine fur den/die Vertrauensgeber/in schadigende Folge eintreten. Objekt des Systemvertrauens sind konkrete und nicht abstrakte Systeme,^^® wobei sich der Begriff konkrete Systeme hauptsachlich auf technische Systeme bezieht.^°° Diese Form von Vertrauen wird bei anderen Autor/inn/en teilweise als ..technology trust" bezeichnet.^°^ Ebenso wie bei interpersonalem Vertrauen spielt fur die Bildung der Vertrauensintention die Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit des Objektes eine wichtige Rolle. Parameter, die hier herangezogen werden, sind die wahrgenommene strukturelle Sicherheit und die situative Normalitat des technischen Systems. ^°^
Eine Unterscheidung in Systemvertrauen und Institutionsvertrauen wurde Sinn machen, wenn in der spezifischen Vertrauenssituation, die Vertrauenswurdigkeit der beiden separat voneinander beurteilt werden wurde. Dies ist jedoch haufig nicht der Fall und die obig beschriebenen Systeme und Institutionen werden nicht getrennt voneinander wahrgenommen. Konnen schon haufig Personen von unpersonlichen Systemen nicht klar unterschieden werden, ist es bei den unterschiedlichen unpersonlichen Systemen (die auch Institutionen sein konnen) noch schwieriger. Sztompka hat in seinen Ausfuhrungen das Beispiel ..Lufthansa" angefuhrt. Er argumentiert. dass er, wenn er bei dieser Fluglinie einen Plug bucht, letztlich den einzel-
Diese Unterscheidung widerspricht den Ausfuhrungen anderer Autoren. Beispielsweise McKnight, Chervany [Meanings of trust 1996], S. 36 f, die als Vertrauensobjekt des Systemvertrauens auch Regulierungen, Garantien und Vertrage heranziehen. In der vorliegenden Arbeit werden abstrakte Systeme als Institutionen verstanden und konkrete Systeme, wie technische, als Systeme. Vgl. Grabner-Krauter [Vertrauen im Handel 2002], S. 125. Kaluscha beispielsweise hat sich vom Begriff Systemvertrauen im Zusammenhang mit technischen Systemen distanziert und spricht von „technological trust" als mogliche Unterform von „institutional-based trust". Dabei ist nicht unterscheidbar, ob sich Personen einem unpersonlichen Objekt vertrauen, dass keine Moglichkeit zu opportunistischem Verhalten hat oder den hinter dem unpersonlichen Objekt vermuteten Personen. Kaluscha [Consumer trust in B2C 2003], S. 59. Eine weitere mogliche Form von Systemen ware das Zusammenwirken einzelner Komponenten in einem Prozess, z.B. Transportsysteme. Man wurde dabei vertrauen, dass der Prozess ordnungsgemafi ablauft, dass alle Beteiligten ordnungsgemafi ihre Aufgabe erfullen, dass technische Geratschaften funktionieren und dass vor allem die Koordination der einzelnen Bestandteile funktioniert. Die Trennung eines Systems von einer Institution erscheint jedoch problematisch. Vgl. Corritore, Kracher, Wiedenbeck [On-line trust 2003]. zitiert nach Kaluscha [Consumer trust in B2C 2003], S. 58. Vgl. McKnight. Chervany [Trust in e-commerce 2001b]. S. 44.
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nen Personen (Piloten, Mechanikern, Kontrolleuren usw.) vertraut, aber nicht die Vertrauenswurdigkeit der einzelnen uberpruft, sondern diese als System betrachtet und es stent sich in seinen Worten ..social trust" ein.^°^ Dieses Beispiel konnte im Hinblick auf Institutions- und Systemvertrauen welter gefuhrt werden. Der institutionelle Rahmen ist hier das Ausbildungsprozedere der Piloten, die Vorschriften fur Sicherheitsvorkehrungen in der Luftfahrt, die Arbeitszeitbestimmungen des Bodenpersonals usw. Das technische System ware z.B. die Funktionsfahigkeit der Maschine, samtliche Geratschaften in den Towers und deren Vernetzung. Abgesehen nun von den personlichen Vertrauensobjekten, die in diesem Beispiel eine Rolle spielen, ist anzunehmen, dass die unpersonlichen Vertrauensobjekte nicht differenziert beurteilt werden und dass Institutions- oder Systemvertrauen in diesem Fall sSmtliche Objekte umfasst. Ebenso haben Riegelsberger et al. festgestellt, dass in vielen Fallen das Vertrauen in die Technik mit dem Vertrauen in das ..socio-technical system" in Verbindung steht und ihre Vertrauenswurdlgkeit nicht getrennt voneinander bewertet werden kann.^^"^ Diesen Argumenten folgend kann resumiert werden, dass es theoretisch unterschledliche unpersonllche Vertrauensobjekte und es deshalb unterschledllche Arten von unpersonlichem Vertrauen (Institutionsvertrauen, Systemvertrauen, Vertrauen In die Technik) gibt, eine tatsachliche separate Uberprufung der Vertrauenswurdigkeit der einzelnen Objekte jedoch nicht stattfinden wird.
2.2.4.3 Vertrauensintention Die Vertrauensintention steht am Ende des Vertrauensprozesses; muss nicht zwangslaufig durch die Beurteilung der Vertrauenswurdigkeit des Objektes entstehen, sondern kann auch die Absicht, welche aus dem generellen Vertrauen resultiert, sein. Die ..Theory of Reasoned Action" besagt, dass die Handlungsabsicht unter anderem auf Einschatzungen der Folgen der Handlung beruht.^°^ Schatzt der/die Vertrauensgeber/in sodann die Vertrauensobjekte, unabhangig davon, ob diese Perso-
^°^ Vgl. Sztompka [Trust 1999], S. 41. ^"'^ Vgl. Riegelsberger, Basse, McCarthy [Mechanics of trust 2005], S. 388. ^^ Vgl. Fishbein, Ajzen [Intention and behavior 1975], S. 16 f.
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nen oder unpersonliche Systeme sind, als vertrauenswurdig ein, nimmt er an, dass die Vertrauenshandlung positive Folgen haben wird. Der/die Vertrauende hat genugend Uberlegungen getatigt, welche mit Emotionen erganzt werden, um sich der Abhangigkeit vom/von der Vertrauensnehmer/in auszusetzen. Die Vertrauensintention ist die Absicht, sich in die Abhangigkeit einer anderen Partei zu begeben, weil angenommen wird, dass sich die andere Partei zutraglich verhaiten wird. Der/die Vertrauensgeber/in hat dabei ein beruhigtes, angenehmes Gefuhl, da er/sie sich des Risikos zwar bewusst ist, dessen Eintritt aber nicht fur sehrwahrscheinlich halt.^°^ Die Vertrauensintention kommt in einer bestimmten Situation zu Stande, kann jedoch in weiterer Folge „cross-situational" sein.^°^ Der/die Vertrauensgeber/in ist bereit, sich in die Abhangigkeit eines Objektes zu begeben und behalt diese Absicht gegenuber diesem Objekt uber einen langeren Zeitraum bei.
2.2.4.4 Vertrauenshandlung Die Vertrauenshandlung ist der tatsachliche Akt der Risikoubernahme.^°® Hat der/die Vertrauende die Absicht zu vertrauen, muss nicht zwangslaufig eine vertrauende Handlung folgen. Es kann die Gelegenheit fur eine vertrauende Handlung fehlen oder interne Bedingungen konnten diese verhindern. Vertrauende Handlungen konnen je nach Kontext sehr unterschiedlich ausgepragt sein. Sind es in einer privaten Vertrauensbeziehung Einblicke in die personlichste Privatsphare, die gewahrt werden, so kann es sich in einer Verhandlung mit Geschaftspartner/inne/n um die Weitergabe von delikaten Firmendaten handeln. In beiden Fallen ist jedoch ersichtlich, dass sich der/die Vertrauensgeber/in dem/der -nehmer/in ausliefert und letztere/r die Moglichkeit eines schadigenden Verhaltens hatte. Der Separation von Intention und Handlung liegt „The Theory of Reasoned Action" zugrunde. Fishbein und Ajzen argumentieren, dass eine Trennung der zusammenhangenden Variablen Einschatzung, Einstellung, Intention und Verhaiten vorgenommen werden soll.^°^ Das Verhaiten einer Person wird bestimmt durch die Absicht,
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Vgl. McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001a], S. 50. Vgl. Grabner-Krauter, Kalusclna [Emprical research in on-line trust 2003b], S. 789. Vgl. Mayer, Davis, Schoorman [Model of trust 1995], S. 724. Vgl. Fishbein, Ajzen [Intention and behavior 1975], S. 12 f. Zur Interpretation der Theory of Reasoned Action in Zusammenhang mit Vertrauen siehe auch Kaluscha [Consumer trust in B2C 2003], S. 75.
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welche von der Einstellung und den subjektiven Normen bezuglich dieses Verhaltens beeinflusst werden.^^° In einem Entscheidungsprozess sind Intention und Handlung aufeinander folgende Konstrukte. Die Absicht ist personenintem und erst, wenn sie sich in einer Handlung manifestiert, zieht sie fur die Umwelt erkennbare Konsequenzen nach sich. Die Vertrauenshandlung kann auch als Folgekonstrukt des Vertrauensprozesses betrachtet werden.^^^ Denn durch das Erreichen der Vertrauensintention ist der kognitive und affektive Prozess der Objekteinschatzung abgeschlossen und man ware bereit, eine Vertrauenshandlung zu setzen. Die Handlung selbst ist nicht Vertrauen, sondern die dafur notwendlge Abslcht.^^^
Ware nun beispielsweise die vertrauende Handlung die Kooperation, wSre diese durch die zuvor konstituierte Absicht zu kooperieren beeinflusst. Die Absicht resultiert (1) aus den Einschatzungen der Konsequenzen einer Kooperation, was zu einer Einstellung gegenuber der Kooperation fuhrt, und (2) den normativen Einschatzungen uber Kooperationen im Allgemeinen und den daraus entstehenden, subjektiv empfundenen Normen gegenuber Kooperationen. Vgl. McKnight, Chervany [Trust in e-commerce 2001b], S. 42 f, McKnight, Chervany [Conceptualizing trust 2001 a] S. 4 Vgl. Hardin [Trust and trustworthiness 2002], S. 10.
Begriffllche Grundlagen
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Unternehmenskooperationen Begriffllche Grundlagen
3.1.1 Kooperation als modernes Phanomen Seit Mitte der achtziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts ist die Zahl der Unternehmenskooperatjonen stark im Steigen begriffen.^^^ Dieser Trend loste die bis dahin vorherrschenden Unternehmensakquisitionen ab.^^"^ Haufig waren es grofle Unternehmen, die dabei eine Vorreiterrolle eingenommen haben; vermehrt sind sich jedoch nun auch Klein- und Mitteiunternehmen der potenziell hoheren Chancen durch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen im Gegensatz zum Alleingang bewusst. Heutzutage werden Kooperationen nahezu ausschliefilich aufgrund strategischer Uberlegungen eingegangen.^^^ Sie sind zu einem strategischen Wettbewerbsinstrument geworden.^^^ Die Unternehmenskooperationen sind so weit verbreitet, dass es nicht mehr heiflt „make or buy", sondern „make or cooperate".^^^ Die steigende Zahl von kooperativen Geschaftsbeziehungen und die unterschiedlichen Auspragungen dieses gemeinsamen Handelns sind immer haufiger zentraler Bestandteil von wissenschaftlichen Untersuchungen. Unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen, wie die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften oder die Psychologie, sind weitgehend an der Erforschung der unterschiedllchen Facetten von Kooperationen interessiert.^^® Kooperationen konnen sehr heterogen ausgepragt sein, weshalb es sinnvoll ist, sich vor einer genauen Analyse von Vertrauen in diesem Kontext, auf eine Kooperationsform einzuschranken. Ansonsten ist es nahezu unmoglich richtige und fundierte wissenschaftliche Aussagen zu tatigen. In den folgenden Ausfuhrungen wird versucht, sich der - fur diese Arbeit - zentralen Organisationsform des Virtuellen Unternehmens anzunahern, indem zuerst die theoretische Basis erlautert wird. Das Virtuelle Unternehmen baut als eine besondere.
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Vg). Backhaus, Plinke [Strategische Allianzen 1990], S. 22. Vgl. Gahl [Strategische Allianz 1990], S. 36. Fruher entwickelten sie sich in der Mehrzahl organisch und es wurden nicht in diesem AusmaR gezielte Gberlegungen betreffend der strategischen Vorteilhaftigkeit angestellt. Vgl. Werani [Kooperative Geschaftsbeziehungen 1999], S. 327. Vgl. Werani [Kooperative Geschaftsbeziehungen 1999], S. 327. Vgl. Smith, Holmes [Trust in SME 1997], S. 2 (html), siehe auch die dort zitierte Literatur. Vgl. Schertler [Unternehmenskooperationen 1995], S. 21.
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Untemehmenskooperationen
moderne Form der Zusammenarbeit auf dem Gedanken der Kooperation auf. Urn die Sinnhaftigkeit dieser Form zu verdeutlichen, werden sowohl auf der allgemeinen Ebene der Kooperation als auch auf der speziellen eines Netzwerkes Theorien dargestellt, die beitragen sollen, diese Konstrukte zu erklaren und die Vorteile der Virtuellen Unternehmung als Form der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit darzulegen. Dabei wird in dieser Arbeit nicht nur das Virtuelle Unternehmen betrachtet, sondern das Virtuelle Team als jene Dimension des Virtuellen Unternehmens, die den zwischenmenschlichen Interaktionsraum darstellt, innerhalb dem es gelingen soil, die Quellen von Vertrauen zu ergrunden und Mafinahmen fur die Bildung und Instandhaltung von Vertrauen in diesen Beziehungen zu definieren.
3.1.2 Grijnde fur Kooperationen Die Grunde fur Kooperationen sind vielschichtig und konnen meist nicht losgelost von der Form der Kooperation betrachtet werden. So sind beispielsweise die Motive fur das Zustandekommen einer Strategischen Allianz anders gelagert als jene fur die Beteiligung an einem kooperativen Zuliefernetzwerk.^^^ Dennoch wird an dieser Stelle der Versuch unternommen, allgemeine Grunde, die Unternehmen heutzutage zu einem kooperierenden Verhalten bewegen, darzustellen. Die Veranderung der Wettbewerbssituation ist ein zentrales Argument fur den Wandel organisationaler Strukturen.^^° Unternehmen sind neuen Wettbewerbsanforderungen ausgesetzt, die durch Globalisierung, erhohte Kunden- und Prozessorientierung und hohere Produktivitat bedingt sind.^^^ Durch schnelllebigere, globale Markte entsteht ein international verharteter Konkurrenzkampf.^^^ Die Verkurzung^^^ der Produktlebenszyklen^^^ die Erhohung des Eintritts konkurrierender Unternehmen in eine
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Bei der einen Form wird die Aufteilung des Gesamtmarktes in exklusive Teilmarkte das Ziel der vormals konkurrierenden Anbieter sein (Vgl. Waldraff [Wachstum 2000], S. 372.), wahrend bei letzterer Form die Befriedigung der Bedurfnisse einer einzigen Zielgruppe durch Optimierung der Wertschopfungskette im Mittelpunkt des Interesses liegt. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 2. Vgl. Rolstadas [Enterprise performance measurement 1998], S. 989. Vgl. Schuh [Logistik 1996], S. 166. U.a. zuruckzufijhren auf den schnellen Technologiewandel, der die Amortisation der F&E Kosten verringert. Vgl. Bronder [Kooperationsmanagement 1993], S. 1. Die kurzeren Produktiebenszyklen sind ein Grund warum sich Unternehmen haufig im Unternehmensbereich der F&E auf Partner einlassen. Aufgrund der praktischen Relevanz wird dieses Thema auch haufig in der Wissenschaft aufgegriffen. Stellvertretend vgl. Lichtenthaler [F&E Kooperationen 2003], Burgel [Kooperationsstrategie in F&E 1995], Ladwig [F&E-Kooperationen 1995], Specht, Beckmann [F&E Management 1996].
Begriffliche Grundlagen
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Branche und die sich standig andernden Kundenbedurfnisse stellen fur die meisten Unternehmen eine Herausforderung dar.^^^ Zeit und Flexibilitat sind die Kriterien, die das Uberleben eines Unternehmens im globalen Umfeld bestimmen.^^® Urn eine erhohte Flexibilitat zu erreichen und somit im Wettbewerbsumfeld bestehen zu konnen, sind die Unternehmen meist auf exteme Ressourcen angewiesen.^^^ Denn um im Alleingang diesen Kundenwunschen gerecht zu werden, mussten Strukturen im Unternehmen aufgebaut werden, die durch die starken Auslastungsschwankungen und raschen Veralterungen zu ungunstigen Kostenstrukturen fuhren und somit ineffizient sind.^^^ Bei zahlreichen Formen der Zusammenarbeit spielt direkt oder indirekt (durch die Verteilung des Risikos) die Aufsplittung des Kostenfaktors eine wesentliche Rol,3329
Ubernahmen und Fusionen wSren eine M6glichkeit^^°, sich Kompetenzen anderer Unternehmen anzueignen und wettbewerbsfahig zu bleiben; diese sind jedoch teuer, risikoreich, zeitaufwendig oder ggf. aufgrund innovierender Markte unmoglich. Folglich wird von Unternehmen die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit gewahlt.^^^ Ein weiterer Grund fur die Entstehung von Kooperationen sind die Bedurfnisse innerhalb der Unternehmen. Hauptsachlich sind es die neuen Formen von Kooperationen (z.B. Virtuelle Unternehmen), die dem tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt gerecht werden. Personliche Werte wie Eigenverantwortung, Selbstandigkeit und die Ablehnung von Unterordnung fuhren dazu, dass neue Formen der Organisation bei den MItarbeiter/lnne/n Anklang flnden.^^^ In einigen Kooperationsformen andern sich die hierarchischen Gegebenheiten nach dem Beschluss einer interorganisationalen Zusammenarbeit, sodass eine erhohte Mitarbeiterzufriedenheit
325
Vgl. stellvertretend Rotering [Zwischenbetriebliche Kooperation 1993], S. 1, Schneider [Technoiogie-Marketing 2002], S. 3. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 4. Vgl. Chiesa, Barbeschi [Technolgy strategie 1994], S. 298 f., Wildemann [Wachstumsstrategien 1996], S. 23 und Wildemann [Kernkompetenzen 1997a], S. 5, zitiert nach Blecker [Unternehmung ohne Grenzen 1999], S. 1. Vgl. Schuh [Logistik 1996], S. 166. Vgl. Daniel, Hempel, Srinivasan [Collaborative R&D 2002], S. 653. Wenngleich sich der Trend - aufgrund des Dilemmas zwischen Kapitalbindung und Marktdynamik - Richtung Reduzierung der Unternehmensgrofie bewegt. Vgl. Schuh [Virtuelle Fabrik 1997], S. 295, Schuh [Logistik 1996], S. 166. Vgl. Mertens, Faisst [Virtuelle Unternehmen 1995], S. 153. Vgl. Picot, Reichwald, Wigand [Grenzenlose Unternehmung 2003], S. 4.
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Unternehmenskooperationen
erreicht werden kann. Insbesondere aber auch durch den Einsatz von neuen luK ist die ortliche und zeitliche Gebundenheit der Mitarbeiter/innen nicht nnehr so stark gegeben, dennoch konnen die Mitarbeiter/innen sehr effizient und auch zu ihrer Zufriedenheit eingesetzt werden.^^^ Die angefuhrten Grunde oder Motive fur Kooperationen befinden sich auf einer sehr allgemeinen Ebene, dennoch konnen diese zusammengefasst werden und in der Aussage munden, dass Kooperationen dann eingegangen werden, wenn sich alle Beteiligten einen hoheren Nutzen aus der Zusammenarbeit als aus denn Alleingang erwarten.^^'^
3.1.3 Begriffsvielfalt zwischenbetrieblicher Kooperationen Kooperation leitet sich aus dem lateinischen Wort ..cooperare" ab, was soviel wie zusamnrienarbeiten oder ..gemeinschaftliche Erfullung von Aufgaben" bedeutet.^^^ Im wirtschaft-(swissenschaft-)lichen Kontext bezeichnet der Terminus Kooperation regelmafiig die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, also die interorganisationale Zusammenarbeit. Die eigentliche Bedeutung - ..Zusammenarbeit von Personen und Institutionen"^^® - klart jedoch weder die Organisationsebene noch das Erfordernis der Zugehorigkeit zu einer Organisationseinheit ab. Neben dem Aspekt des gemeinsamen Agierens kann aus organisationstheoretischer und wertschopfungstheoretischer Sicht die Kooperation als ausgeweitete Form einer Organisation verstanden werden, wobei das Unternehmen nicht an den ursprunglichen wirtschaftlichen und rechtlichen Grenzen endet, sondern sich durch die Zusammenarbeit mit einem oder mehreren anderen Unternehmen die Grenzen verschieben bzw. sogar in speziellen Fallen nicht mehr genau definierbar sind.^^^ Der Begriff Kooperation wird nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur, sondern auch in der alltaglichen Sprache verwendet. Es scheint, dass dieser Umstand dazu beitragt, dass es noch nicht gelungen ist, ein allgemein gultiges Verstandnis fur diesen Begriff zu schaffen.^^ Sieht man jedoch von dieser Vermutung ab und konzent-
^^^ ^^"^ ^^^ ^^^ ^^^ ^^®
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
DeRosa, et al. [Trust in teamwork 2004], 8. 220. Bauer [Vertikale Integration 1997], S. 38 f. Friese [Kooperation 1998], S. 58. Blohm [Kooperation 1980], Sp. 1112. Blocker [Unternehmung ohne Grenzen 1999], S. 14. Rotering [Zwischenbetriebliche Kooperation 1993], S. 6.
Begriffliche Grundlagen
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riert sich nur auf die facheinschlagige Literatur, findet man nur wenige Beitrage, in denen eine klare Begriffsabgrenzung vorgenommen wurde.
Im wirtschaftlichen Sprachgebrauch werden Begriffe wie Joint Venture, Strategische Allianzen, Netzwerke usw. synonym mit dem Begriff „Kooperatlon" verwendet. Teils resultiert dies aus der Tatsache, dass der Begriff Kooperation als Uberbegriff eine Vielzahl von Auspragungen der interorganisationalen Zusammenarbeit umfasst,^^^ teils aus der nicht als notwendig erachteten Auselnandersetzung der Autor/inn/en mit dem Begriff der Kooperation. Dennoch versuchen viele Autor/inn/en, die sich mit der Thematik der kooperativen Geschaftsbeziehung beschaftigen, eine plausible und konsistente Begriffsabgrenzung fur kooperative Geschaftsbeziehungen vorzunehmen.^'^^ Anzumerken ist hier, dass es neben der Theorie auch in der Praxis nicht gelungen ist, einen einheitlichen Kooperationsbegriff zu finden.^^ Abgesehen von den Formen, die eindeutig als Zusammenarbeit im Sinne einer Kooperation verstanden werden konnen, gibt es Unklarheiten bei der Trennung der Kooperation von nichtkooperativen Geschaftsbeziehungen. Bei vielen Varianten der Anbieter-Nachfrager-lnteraktionen sind Merkmale vorhanden, die in dieser Auspragung auch in der Kooperation vorkommen.^^
Vgl. Specht, Beckmann [F&E Management 1996], 8. 387, Zentes, Swoboda, Morschett [Kooperationen 2003], S. 5. Vgl. die unterschiedlichen Abgrenzungen allein fur strategische Allianzen als Kooperationsform in Hammes [Strategische Allianzen 1994], S. 22 ff. Vgl. Schubert, Kuting [Unternehmenszusammenschlusse 1981], S. 118. Betrachtet man beispielsweise eine Geschaftsbeziehung im Investitionsgutergeschaft, konkreter im Systemgeschaft, findet eine sehr intensive, eine langere Zeit uberdauernde Geschaftsbeziehung statt, bei der ein gemeinsames Ziel identifiziert werden kann, eine vertragliche Vereinbarung vorliegt und welche auf Freiwilligkeit basiert.
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Unternehmenskooperationen
Es sollen nun im Folgenden einige Definitionen aufgezahit und wesentliche Elemente extrahiert werden, unn anschlieflend den Begriff der Kooperation zu konkretisieren. Definitionen: Wissenschaftlerin, Jahr Hdfer, 1994
Bidlingmaier, 1967
Scherer, 1995
Blohm, 1988 Zentes, Swoboda, 2001
Gafgen, 1970
Ruhle von Lilienstem, 1978 Schaude, 1991
Bauer, 1997
Wurche, 1994
Definition unter Kooperation kann die Gesamtheit aller mdglichen Formen von zwischenbetrieblichen Interaktionen subsumiert werden, die aus gemeinsamen Zwecken heraus entstehen, uber Verhandlungen zu Abmachungen fuhren und deren Partner rechtlich und mit Einschrankungen auch wirtschaftlich selbstandig sind."^^ „Zwischenbetriebliche Kooperation liegt immer dann vor, wenn zwei oder | mehrere Unternehmungen aufgrund freiwilliger vertraglicher Abmachungen gewisse Aufgaben genneinschaftlich erfullen in der Erwartung, hierdurch einen - gegenuber denn jeweils individuellen Vorgehen - hdheren Grad der Zielerfullung zur erreichen."^'* „Als Kooperation bezeichnet man die freiwillige, schriftlich oder mundlich vereinbarte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die dabei ihre wirtschaftliche Selbstandigkeit bewahren. Diese Zusammenarbeit, die sich nur auf einzelne Unternehmensfunktionen bezieht, endet nach Erreichung des geplanten Zieis."^^ Jede Art der Zusammenarbeit von Personen und Institutionen kann als Kooperation bezeichnet werden."^^ ..Kooperation wird als unternehmerische Zusammenarbeit verstanden, mit dem Kennzeichen der Harmonisierung oder gemeinsamen Erfullung von betrieblichen Aufgaben durch selbststandige Wirtschaftseinheiten." ^ ..Kooperation zwischen Unternehmen bedeutet gemeinsame Ausubung von betrieblichen Funktionen, welche zu diesem Zwecke zwischen den Beteiligten neu verteilt oder aus den bestehenden Betrieben in gemeinschaftliche Einrichtungen ausgegliedert werden."^^ ..Unternehmenskooperation bedeutet die gemeinsame Ausubung betrieblicher Funktionen mit dem Zielgrdfierer Wirtschaftlichkeit und Rentabilitat der einzelnen Unternehmen" ..Kooperation ist die freiwillig vereinbarte, eindeutig festgelegte, auf langere Dauer geplante Gemeinschaftsmafinahme von mehreren Unternehmen auflerhalb einer ubiichen Geschaftsbeziehung."^^° „Kooperation ist die mittel- oder langfristig orientierte Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen zur Erreichung eines gemeinsam abgestimmten Sachziels."^^' Von Kooperation wird gesprochen ..... wenn sich die Akteure in einer... Interdependenzsituation immer wieder freiwillig dazu bereit finden, die eigenen Mittel so zu wahlen, dass dadurch die Ziele und Interessen des jeweils anderen respektiert und berucksichtigt werden."^^^
Tabelle 4: Kooperations-Definitionen
343 344 345 346 347 348 349
Vgl. Woratschek, Roth [Kooperation 2003], S. 143 f. Bidlingmaier [Kooperation im Handel 1967], S. 353, zitiert nach Balling [Kooperation 1997], S. 16. Scherer [Kooperationsentscheidung 1995], S. 18. Blohm [Kooperation 1980], Sp. 1112. Zentes, Swoboda [Marketing 2001], S. 298. Gafgen [Zwischenbetriebliche Kooperation 1970], zitiert nach Balling [Kooperation 1997], S. 16. Ruhle von Lilienstern [Kooperation 1978], S. 928, zitiert nach Schertler [Unternehmenskooperationen 1995], S. 25. Schaude [Kooperation 1991], S. 5. Bauer [Vertikale Integration 1997], S. 38. Wurche [Interorganisationsbeziehungen 1994], S. 144.
Begriffliche Grundlagen
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3.1.4 Definitionsbestandteile Die Liste der Definitionsversuche ist, wie bereits erwahnt, lang. Um hier die wesentlichen Merkmale der Kooperation zu erfassen bzw. nur jene miteinzubeziehen, welche auch in der wissenschaftlichen Literatur Anwendung finden, bedarf es einer Systematisierung der Definitionsbestandteile und einer Analyse der damit verbundenen Probleme.
Zusammenarbeit der kooperierenden Parteien Der erkennbare Output, welcher ausschlieHlich durch die Zusammenarbeit erreicht werden kann, ist das Ziel der Kooperation. ^^^ Inwieweit eine direkte Zusammenarbeit Oder ein Zusammenwirken vorliegt, kann nicht allgemein definiert werden. Kann man erst dann von einer Zusammenarbeit sprechen, wenn die Mitarbeiter/innen der beteiligten Unternehmen ein bestimmtes Mali zweckorientierten Kontaktes miteinander pflegen oder reicht ein paralleles Arbeiten, wobei Transparenz uber die Arbeit des anderen herrscht und ledigllch von Zeit zu Zeit Ergebnisse ausgetauscht werden? Ausschlaggebend sind hier unterschiedllche Faktoren, wie Art der Kooperation, Anzahl und Unternehmensebene der interagierenden Personen, Ziel der Kooperation usw. Eine „gemeinsame Ausubung von betrieblichen Funktionen"^^^ wie es in einigen Definitionen heiHt, schrankt m. E. den Begriff des Zusammenarbeitens zwischen Unternehmen zu stark ein, denn es konnte mitunter ein Unternehmen eine Unternehmensfunktion komplett ausgliedern und dadurch eine Form der Kooperation eingehen. Zusammenarbeit bedeutet demnach, dass die beteiligten Unternehmen durch spezifische Funktionen oder Tatigkeiten in ihrer Geschaftstatigkeit Einfluss auf Funktionen Oder Tatigkeiten des anderen Unternehmens ausuben, wobei dies in einer Intensitat geschieht, die die eigene Wertschopfung stark beeinflusst. Zum Beispiel muss ein Unternehmen durch die Zusammenarbeit selbst eine bestimmte Funktion uberhaupt nicht mehr oder nur zum Teil ausuben.
^^^ Vgl. Dessauer [Kooperatives System 1929], S. 15, zitiert nach Schneider [Kooperation 1970], S. 86. ^^ Vgl. Gafgen [Zwischenbetriebiiche Kooperation 1970], zitiert nach Balling [Kooperation 1997], S.
16.
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Unternehmenskooperationen
Zieldimension Beim Eingehen einer kooperativen Geschaftsbeziehung haben die teilnehmenden Parteien die Erwartung, dass ihre Unternehmensziele mit einer hoheren Wahrscheinlichkeit, andere, neu definierte Unternehmensziele oder die relevanten Ziele auf eine effizientere Art und Weise erreicht werden. Wie dieses Ziel inhaltlich aussieht, ist abhangig von der gewahlten Kooperationsform und den vorher definierten strategischen Uberiegungen der beteiligten Unternehmen. Formal kann der erhohte Erfolg durch die Kooperation als Ziel definiert werden.^^^ Auf einer tiefer liegenden Ebene ist der Nutzenzuwachs das grundlegende Ziel aller beteiligten Partner.^^^ Mogliche inhaltliche Ziele von Kooperationen sind Einsparung von Produktionskosten, Risikoteilung, Transaktionskostenersparnis und Uberwindung von Know-howund Kapazitatsgrenzen. Wie bereits festgestellt, varileren die einzelnen (inhaltlichen) Ziele in Abhangigkeit der Kooperationsform; es sind jedoch vordergrijndig direkte okonomische Vorteile, die das Antriebsmoment fur die zwischenbetriebliche Kooperation darstellen.^^^ Es ist nicht notwendig, dass durch die beteiligten Kooperationspartner inhaltlich ein gemeinsames Ziel definiert wird. Haufiger wird es vorkommen, dass die beteiligten Unternehmen durch die Kooperation unterschiedliche Ziele verfolgen, nur auf formaler Ebene - bspw. Erreichung eines hoheren wirtschaftllchen Erfolges - kann das Ziel ident sein.
Vertragliche Rahmenbedingungen Das Bestehen einer mundlichen oder schriftlichen Verelnbarung ist eine notwendige Voraussetzung einer Kooperation. Eine mundliche Verelnbarung kann bzv\/. sollte jedoch nicht der einzige formale Bestandteil sein, sondern vielmehr als Vorstufe der eigentlichen, schriftlichen Verelnbarung dienen.^^® Konstitutives Merkmal der (klassischen) Kooperation ist somit die vertragliche Festlegung.^^^ Ein zufalliges oder bewusstes, nicht aber vertraglich vereinbartes konformes Verhalten kann nicht als Kooperation bezeichnet werden. Wurde das Kriterium der vertraglichen Verelnbarung fur eine Konkretisierung der kooperativen Geschaftsbeziehung nicht herangezogen werden, ware es unmoglich, eine Grenze zwischen Kooperation und anderen Formen von Geschaftsbeziehungen - intensiven, komplexen Anbieter-Nachfrager^^^ ^^® ^^^ ^^® ^^®
Vgl. Schneider [Kooperation 1970], S. 88 f. Vgl. hierzu und im Folgenden Picot, Diet!, Franck [Organisation 1997], S. 123 ff. Vgl. Balling [Kooperation 1997], S. 16. Vgl. Blohm [Kooperation 1980], Sp. 1112. Vgl. Picot, Dietl, Franck [Organisation 1997], S. 123 f.
Begriffliche Grundlagen
Beziehungen -
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zu Ziehen. Auch ist der Vertrag notwendige Grundlage fur den Be-
weis eines rechtmafiigen Handelns. Wobei festzustellen ist, dass in einem Vertrag, unabhangig von tatsachlichen Machenschaften, naturlich ausschliefilich gesetzlicii zugelassene Vereinbarungen getroffen werden. Bei neuen Formen der betrieblichen Zusammenarbeit wird haufig die Fornnlosigkeit der Zusammenarbeit betont und als wesentlicher Vorteil neuer Organisations- bzw. Kooperationsformen angesehen.^®° Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es bei keiner Form der betriebiiclnen Zusammenarbeit eine absolute Vertragslosigkeit geben wird. Selbst wenn kein kJassisclier Kooperationsvertrag, der in alien Punkten exakt ausformuliert ist, vorliegt, werden jedoch in der Regel die wichtigsten Aspekte mundlich konkretisiert und schriftlich festgehalten.
Dauer der Zusamnfienarbeit Die Definition von Kooperationen impliziert oftmals die zeitliche Beschrankung der Zusammenarbeit.^®^ Der Zeitpunkt bzw. der Zeitraum kann jedoch moistens nicht an ein bestimmtes Datum gebunden sein, sondern der Zeitpunkt der Auflosung ist an die Erreichung des vereinbarten Zieles gekoppelt. In Kooperationsvertragen kann demnach nicht explizit ein Monat oder Jahr vereinbart werden, in dem sich die Kooperation auflost. Doch auch die Festlegung der Dauer in Abhangigkeit der Zielerreichung erscheint problematisch, da •
in einigen Fallen das Ziel nicht genau definierbar und somit die Zielerreichung schwer uberprufbar ist,
•
eine Nichterreichung des Zieles zur Fortfuhrung der Kooperation fuhren wurde.
•
nach Ablauf der ersten vereinbarten Aufgabe eine weitere Zieldefinition folgen kann und somit keine Unterbrechung der Kooperation stattfindet,
•
die Zielerreichung, wie beispielsweise bei Grundung von neuen Unternehmen (Joint Ventures), zeitlich unbegrenzt ist.^®^
Demnach erscheint es nicht sinnvoll, die Dauer der Kooperation als Definitionsbestandteil aufzunehmen. ^®° Vgl. Buschken [VIrtuelle Unternehmen 1999], S. 779. ^^ Vgl. Scherer [Kooperationsentscheidung 1995], S. 17. ^^ Vgl. Scherer [Kooperationsentscheidung 1995], S. 17 f, siehe auch die dort zitierte Literatur.
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Unternehmenskooperationen
Freiwilligkeit der Teilnahme an der Kooperation Grundsatzlich konnen die beteiligten Unternehmen freiwillig der Kooperation beitreten und auch wieder ausscheiden.^®^ Dieses Kriterium ist essentiell, urn eine Abgrenzungen zur Zusammenarbeit innerhalb von Institutionen, die eine Zwangsmitgliedschaft erfordern (z.B. Kammern), vorzunehmen. Andererseits findet hier auch eine Abgrenzung zu feindlichen Obernahmen statt, bei denen eine Zusanrimenarbeit der vorher
bestehenden
Organisationseinheiten
mit den neu
hinzugekommenen
zwangsweise stattfindet.^^
Grad und Ausmad der Selbstandigkeit der beteiligten Unternehmen Haufig wird der Erhalt der Selbstandigkeit der einzelnen Unternehmen nach Eingehen in die Kooperation betont. Dieser Aspekt kann jedoch nicht unkritisch ubernommen werden, da fur viele Unternehmen die Kooperation oder die Geschafte, die durch die Kooperation entstehen, dazu beitragen, dass sie uberlebensfahig sind. Das bedeutet, dass diese Unternehmen wirtschaftlich von der Kooperation bzw. vom Partner abhangig und somit nicht mehr selbstandig sind. Es soil jedoch fur die Abgrenzung der Kooperation auf das Kriterium der Selbstandigkeit nicht ganzlich verzichtet werden. Vielmehr ist es notwendig, die Selbstandigkeit hinreichend zu definieren bzw. zu untergliedern. Eine Unterteilung in wirtschaftliche und rechtliche Selbstandigkeit kann dabei einer Konkretisierung zugrunde liegen. Die wirtschaftliche Selbstandigkeit^^^ ist jener Aspekt, der nicht formal geregelt werden kann und in einem Unternehmen auch unabsichtlich bzw. unbewusst abhanden kommen kann. Die Aufgabe der rechtlichen Selbstandigkeit bedarf eines formalen Aktes und kommt beim Eingehen einer Kooperation nicht vor. Auch wenn durch die Zusammenarbeit ein neues Unternehmen (z.B. bei Joint Ventures) entsteht, bleiben die Unternehmen, aus denen diese neuen Organisationseinheiten entstehen, in ihrer ursprunglichen Form rechtlich selbstandig. Intensitatsgrad, Starke der Bindung und Aufgabe der wirtschaftlichen Selbstandigkeit sind unterschiedliche Begriffe, die im Wesentlichen den Erhalt der wirtschaftlichen Selbstandigkeit beschreiben.^^® Gafgen
Vgl. Straube [Kooperation 1972], S. 62, zitiert nach Scherer [Kooperationsentscheidung 1995], S. 17. Fur die Zwangszusammenarbeit ist nicht alieine das Kriterium der Freiwilligl