Supply Chain Management: Hartmut Werner [PDF]

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Zitiervorschau

Hartmut Werner

Supply Chain Management Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling 7. Auflage

Supply Chain Management

Hartmut Werner

Supply Chain Management Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Hartmut Werner Wiesbaden Business School Hochschule RheinMain Wiesbaden, Deutschland

ISBN 978-3-658-32428-5 ISBN 978-3-658-32429-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail­ lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2000, 2002, 2008, 2010, 2013, 2017, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Frau Gabriele Gebauer 

zum 80. Geburtstag 

V

Vorwort

Vorwort

Vorwort zur siebten Auflage „Am Ende wird alles gut werden – und wenn es noch nicht gut ist,  dann ist es noch nicht zu Ende.“  (Oskar Wilde, irischer Schriftsteller, 1854 – 1900)  Die siebte Auflage wurde in einer recht turbulenten Zeit geschrieben: inmit‐ ten der Corona‐Krise. Ein kleines Virus hält die Welt in Atem. Unsere Sicht  auf die Dinge ist eine andere geworden. Covid‐19 wirft weite Schatten, auch  auf  die  Supply  Chain.  Wo  gestern  Effizienz  regierte,  zeigt  sich  heute  der  Wunsch  nach  Resilienz.  Etablierte  und  bewährte  Supply‐Chain‐Strategien  werden  plötzlich  hinterfragt.  Global  Sourcing,  Just‐in‐Time  oder  Outsour‐ cing erscheinen in Krisenzeiten in einem neuen Licht. Das vorliegende Buch  greift  diese  Gedanken  auf.  Darin  finden  sich  einige  Überlegungen  zu  den  Auswirkungen von Covid‐19, speziell aus dem Blickwinkel der Logistik.  Aber  nicht  nur  wegen  Corona  war  es  an  der  Zeit,  diese  siebte  Auflage  zu  verfassen.  Die  Digitalisierung  macht  auch  vor  der  Supply  Chain  nicht  halt.  Ohne  Konzepte  wie  Internet  of  Things,  Big  Data,  Blockchain‐Technologie  oder  Machine Learning  wäre  eine  funktionierende  Kognitive  Supply  Chain  undenkbar. Die Supply Chain 4.0 ebnet den Weg in die Smart Factory und in  die  Smart  City.  In  der  vorliegenden  Auflage  werden  diese  Überlegungen  zusätzlich  aufgegriffen.  Ebenso  wurden  die  bisherigen  Inhalte  um  logisti‐ sche  Überlegungen  zur  Letzten  Meile  und  die  Bedeutung  von  Hub‐and‐ Spoke‐Systemen erweitert. Der Rest der Schrift wurde komplett überarbeitet,  die Beispiele grundlegend aktualisiert.  Zum  guten  Gelingen  dieses  Buchs  haben  einige  Menschen  unschätzbare  Beiträge  geleistet.  Herzlich  bedanken  möchte  ich  mich  bei  meinem  Tutor,  Herrn Marc Luyckx. Er half mir bei der Erstellung einiger Abbildungen und  Literaturrecherchen. Bedanken möchte ich mich auch bei den Studierenden 

VII

Vorwort

der Wiesbaden Business School (Studiengänge „Bachelor of Arts in Business  Administration“  und  „Master  of Arts  in  Controlling  and  Finance“).  Ich  er‐ hielt  wertvolle  inhaltliche  Anregungen  aus  Gesprächen  mit  den  Studieren‐ den  in  Vorlesungen,  Seminaren  und  Präsentationen.  Seitens  des  Gabler‐ Verlags  bedanke  ich  mich  für  die  unkomplizierte  und  jederzeit  angenehme  Zusammenarbeit bei Frau Susanne Kramer und Frau Renate Schilling.  Mein größter Dank gilt jedoch meiner Familie, die mir in den letzten Wochen  viel  Zeit  schenkte.  Die  war  auch  notwendig,  um  die  Neuauflage  des  mitt‐ lerweile  doch  recht  umfangreichen  Buchs  anzugehen.  Meine  Frau  Brigitte  hielt  mir  in  der  heißen  Phase  den  Rücken  frei.  Unsere  Söhne  Constantin,  Frederik  und  Adrian  verschonten  mich  glücklicherweise  weitgehend  mit  „Unannehmlichkeiten“ – welcher Art auch immer.  Es  ist schon  fast  zur  guten  Tradition  geworden,  bei  jeder Neuauflage  einen  kleinen  Bezug  zum  Fußball  herzustellen.  Eine  Leidenschaft,  die  ich  schon  seit Kindertagen pflege. Gerade für die Studierenden ist meine bekennende  Zuneigung  zu  Borussia  Mönchengladbach  offenbar  von  besonderem  Inte‐ resse.  Jedenfalls  werde  ich  sehr  häufig  von  ihnen  dazu  angesprochen,  und  bei  schwarz‐weiß‐grünen  Niederlagen  bekomme  ich  entsprechende  Kom‐ mentare. Es sei den Studierenden gesagt, dass ich ihnen diese kleinen Stiche‐ leien nicht übel nehme.  Diese siebte Auflage widme ich in besonderer Weise Frau Gabriele Gebauer  zu  ihrem  80.  Wiegenfest.  Sie  hat  mit  ihrem  Mann,  Rolf  Beisse,  das  Unter‐ nehmen  MEWA  Textil‐Management  zu  einem  der  führenden  Dienstleister  der  Textilservice‐Branche  in  Europa  aufgebaut.  Frau  Gebauer  und  Herr  Beisse  leben  die  Intension  eines  familiengeführten  Unternehmens  und  su‐ chen stets die Nähe zu ihren Mitarbeitern. Was manchmal gar nicht so leicht  ist, schenken sie doch fast 5.700 Menschen einen Arbeitsplatz. Ich durfte in  den letzten 10 Jahren durch die Wahrnehmung meines Aufsichtsratsmandats  recht  eng  mit  Frau  Gebauer  zusammenarbeiten.  Dabei  lernte  ich  ihre  menschliche  und  jederzeit  angenehme Art  sehr  zu  schätzen.  Frau  Gebauer,  ich wünsche Ihnen zu ihrem 80. Geburtstag von Herzen alles Gute. Bleiben  Sie gesund: Happy birthday!    Für eine Diskussion um das Supply Chain Management stehe ich den Lesern  gern zur Verfügung. Sie erreichen mich vorzugsweise unter: 

hartmut.werner@hs‐rm.de    Hartmut Werner   

VIII

 

 

      Wiesbaden, im Oktober 2020 

Vorwort

Vorwort zur ersten Auflage Kaum ein Begriff hat in den letzten Jahren in der Betriebswirtschaftslehre für  solch  eine  Furore  gesorgt  wie  der  des  Supply  Chain  Managements.  Immer  mehr  Unternehmungen  versuchen  im  Rahmen  ihrer  Schnittstellenoptimie‐ rung  Potentiale  zur  Rationalisierung  auszuschöpfen.  Die  Wettbewerber  geben  traditionelle  Denkmuster  auf,  und  sie  übernehmen  die  Philosophie  der Integration von Unternehmungsabläufen.  Das  Thema  Supply  Chain  Management  ist  zur  Zeit  in  der  Praxis  allgegen‐ wärtig. Bei einem Gang durch die Hallen produzierender Unternehmungen,  im  Handel  und  bei  Dienstleistern  taucht  der  Begriff  vor  allem  dann  auf,  wenn es um die Einleitung von Programmen zur Kostensenkung geht. Auch  die Literatur beschäftigt sich verstärkt mit dem Supply Chain Management.  Vor allem im angloamerikanischen Sprachraum hat sich das Thema mittler‐ weile  etabliert.  In  Deutschland  hingegen  erhält  das  Supply  Chain  Manage‐ ment  bislang  nur  recht  zögerlich  Eingang  in  wissenschaftliche  Publikatio‐ nen.  Die  Unterschiede  zwischen  einem  Supply  Chain  Management  und  verwandten  Konzepten  wie  Logistik,  Einkauf,  Beschaffung  oder  Material‐ wirtschaft werden allerdings zumeist kaum deutlich.   In  diese  Lücke  stößt  das  vorliegende  Buch. Als  Lehrbuch  konzipiert,  ist  es  auf der einen Seite insbesondere für Studierende der Wirtschafts‐ und Inge‐ nieurwissenschaften von Interesse. Auf der anderen Seite findet der Prakti‐ ker zahlreiche und konkret beschriebene Anregungen zur Implementierung  eines  Supply  Chain  Managements  in  seiner  Unternehmung.  Der  Schwer‐ punkt der Ausführungen bezieht sich auf den Industriesektor. Aber auch für  weitere  Branchen  werden  eine  Reihe  von  Beispielen  zur  Nutzbarmachung  des Supply Chain Managements angegeben.  Das Buch untergliedert sich in fünf Kapitel. In Kapitel A werden die grund‐ legenden Begriffe geklärt. Der Abschnitt B beschäftigt sich mit dem generel‐ len Einfluß von Führungskonzepten auf die Gestaltung eines Supply Chain  Managements. Zur Umsetzung dieser Metaführungsansätze sind im Supply  Chain  Management  Strategien  von  Versorgung,  Entsorgung  und  Recycling  einzuleiten. Diese Strategien werden in Kapitel C diskutiert. Der Abschnitt D  beschreibt diverse Instrumente des Supply Chain Managements. Sie dienen  einer  Realisierung  der  unter  Gliederungspunkt  C  gekennzeichneten  Strate‐ gien. Dazu zählen Instrumente zur Bestands‐ und zur Frachtkostenreduzie‐ rung,  zur  Informationsgewinnung,  zur  Qualitätssicherung  sowie  zur  DV  Unterstützung.  Schließlich  werden  in  Kapitel  E  die  Einsatzmöglichkeiten  neuer  Tools  des  Controllings  im  Supply  Chain  Management  beispielhaft  charakterisiert.   

IX

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen ganz herzlich bedanken,  die mich beim Verfassen dieses Buchs unterstützt haben. Die meisten Abbil‐ dungen wurden durch meine Tutoren, die Herren Ingo Becker und Jörg Dall‐ mann,  erstellt.  Eine  Engelsgeduld  bewies  Herr  Becker,  indem  er  meine  (durchaus  zahlreichen)  Änderungswünsche  gewissenhaft  in  die  Druckfor‐ matvorlage  integrierte.  Für  die  Mühen  des  Korrekturlesens  danke  ich  mei‐ nem guten Freund Herrn Dr. Wolfgang Buchholz. Die Eltern von Herrn Dall‐ mann,  Frau  Erika  Dallmann  und  Herr  Dr.  Hermann  Dallmann,  waren  so  freundlich,  das  Buch  ebenfalls  Korrektur  zu  lesen.  Den  Studierenden  der  Fächer  Beschaffung  /  Produktion  sowie  Unternehmungsplanung  an  der  Fachhochschule  Wiesbaden möchte  ich  für Anregungen  zum  Supply  Chain  Management  meinen  Dank  aussprechen.  Schließlich  bedanke  ich  mich  bei  Frau Ulrike Lörcher vom Gabler Verlag für die gute Zusammenarbeit.  Das  Buch  widme  ich  meiner  Mutter,  Emmi  Werner,  und  meinem  leider  schon  viel  zu  früh  verstorbenen  Vater,  Ernst  Werner.  Sie  schenkten  meiner  Schwester,  Carmen  Kopka,  und  mir  eine  sehr  liebevolle  sowie  geborgene  Kindheit und Jugend.  Ich würde mich sehr darüber freuen, das Thema Supply Chain Management  gemeinsam  mit  den  Lesern  dieses  Buchs  fortzuführen.  Gern  stehe  ich  für  eine rege Diskussion zum Supply Chain Management zur Verfügung.          Hartmut Werner   

X

 

                     Wiesbaden, im August 2000 

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... VII  Abbildungsverzeichnis ................................................................................ XXI  Verzeichnis der Beispielblöcke .................................................................. XXV  Verzeichnis der Begriffsblöcke ............................................................... XXVII  Abkürzungs‐ und Akronymverzeichnis ................................................. XXIX  A   Grundlagen .................................................................................................. 1   

A.1   Lernziele und Vorgehensweise .......................................................... 1 

 

A.2   Supply Chain Management: Historie und Begriff .......................... 3 

 

 

A.2.1   Allgemeine Charakterisierung .................................................. 3 

   

   

A.2.2   Typisierungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen        des Supply Chain Managements ............................................... 8 

   

   

   

A.2.2.1   Typisierungsmöglichkeiten des           Supply Chain Managements .............................................. 9 

 

 

 

 

A.2.2.1.1   Typologie nach Bechtel/Jayaram .................................. 9 

 

 

 

 

A.2.2.1.2   Typologie nach Otto .................................................. 10  A.2.2.1.3   Typologie nach Göpfert .............................................. 12 

 

 

 

 

   

   

   

A.2.2.2   Entwicklungsstufen des        Supply Chain Managements ............................................ 13 

 

A.3   Abgrenzung zu verwandten Konzepten ........................................ 15 

 

 

A.3.1   Abgrenzung von traditionellen Begriffen .............................. 16 

 

 

A.3.2   Abgrenzung von benachbarten Managementansätzen ........ 17 

 

 

 

A.3.2.1   Wertschöpfungskette ........................................................ 17 

 

 

 

A.3.2.2   Logistikkette ....................................................................... 18 

 

 

 

A.3.2.3   Demand Chain Management ........................................... 19 

 

 

 

A.3.2.4   Customer Relationship Management ............................. 19 

 

 

 

A.3.2.5   Supplier Relationship Management ............................... 21 

 

 

 

A.3.2.6   Beziehungsmanagement .................................................. 21 

 

 

 

A.3.2.7   Supply Chain Relationship Management ...................... 22 

 

 

 

A.3.2.8   Zusammenfassung der Ergebnisse ................................. 23 

 

A.4   Strukturierung der Supply Chain ................................................... 25 

 

 

A.4.1   Hierarchisch pyramidale Supply Chains ............................... 26 

 

 

A.4.2   Polyzentrische Supply Chains ................................................. 27 

XI

Inhaltsverzeichnis

 

A.5   Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements ................ 29 

 

 

A.5.1   Allgemeine Charakterisierung ................................................ 29 

 

 

A.5.2   Zielkonflikte einer Supply Chain ............................................ 33 

 

A.6   Motive für die Entstehung von Supply Chains ............................ 36 

 

 

A.6.1   Total Cost of Ownership .......................................................... 36 

 

 

 

A.6.1.1   Allgemeine Charakterisierung ........................................ 36 

 

 

 

A.6.1.2   Verzahnung mit Maverick‐Buying ................................. 41 

 

 

 

 

A.6.1.2.1   Maverick‐Buying: Grundlegende Überlegungen . 41 

   

   

   

   

A.6.1.2.2   Eindämmung von Maverick‐Buying              über Purchasing Cards ............................................. 43 

 

 

A.6.2   Transaktionskosten ................................................................... 46 

 

 

A.6.3   Bullwhip‐Effekt ......................................................................... 47 

 

 

A.6.4   Globalisierung und gesteigerte Kundenanforderungen ...... 50 

 

A.7   Primäre Strategietypen von Supply Chains .................................. 51 

 

 

A.7.1   Kostenführerschaft in der Supply Chain ............................... 51 

 

 

A.7.2   Innovationsführerschaft in der Supply Chain ....................... 52 

 

 

A.7.3   Serviceführerschaft in der Supply Chain ............................... 53  A.7.4   Qualitätsführerschaft in der Supply Chain ........................... 54 

 

 

 

A.8   Netzwerkkoordination in Supply Chains ...................................... 57 

 

 

A.8.1   Modellierung und Systematisierung von Netzwerken ........ 57 

 

 

A.8.2   Netzebenen ................................................................................ 60 

 

 

A.8.3   Netzkompetenz ......................................................................... 61 

 

A.9   Materialflussanalysen in Supply Chains ....................................... 62 

 

 

A.9.1   Motive für Materialflussanalysen ........................................... 63 

 

 

 

A.9.1.1   Systemdefinition ............................................................... 63 

 

 

 

A.9.1.2   Materialflusserfassung ..................................................... 64 

 

 

 

 

A.9.1.2.1   Direkte Materialflusserfassung ............................... 65 

 

 

 

 

A.9.1.2.2   Indirekte Materialflusserfassung ............................ 65 

A.9.1.3   Materialflussanalyse und ‐visualisierung ...................... 66 

 

 

 

 

 

A.9.2   Kritische Würdigung ................................................................ 68 

 

A.10   Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements .............. 70 

 

 

A.10.1   SCOR‐Modell ........................................................................... 70 

 

 

 

A.10.1.1   Grundlagen ...................................................................... 70 

 

 

 

A.10.1.2   Prozessstufen ................................................................... 71 

 

 

 

 

A.10.1.2.1   Top‐Level (Ebene 1) ................................................ 71 

 

 

 

 

A.10.1.2.2   Configuration‐Level (Ebene 2) .............................. 72 

 

 

 

 

A.10.1.2.3   Process‐Element‐Level (Ebene 3) .......................... 75 

XII

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

A.10.1.2.4   Implementation‐Level (Ebene 4) ........................... 77 

 

 

 

A.10.1.3   Messung über SCOR ....................................................... 78 

 

 

 

A.10.1.4   Kritische Würdigung ...................................................... 85 

 

 

A.10.2   Aufgabenmodell für Supply Chain Software ...................... 86 

 

 

 

A.10.2.1   Grundlagen ...................................................................... 86 

 

 

 

A.10.2.2   Supply Chain Design ...................................................... 88 

 

 

 

A.10.2.3   Supply Chain Planning ................................................... 88 

 

 

 

 

A.10.2.3.1   Bedarfsplanung........................................................ 89 

 

 

 

 

A.10.2.3.2   Netzwerkplanung ................................................... 89 

   

   

   

   

A.10.2.3.3   Beschaffungs‐, Produktions‐                und Distributionsplanung ...................................... 90 

 

 

 

 

A.10.2.3.4   Order Promising ...................................................... 91 

   

   

   

   

A.10.2.3.5   Beschaffungs‐, Produktions‐                und Distributionsfeinplanung ............................... 91 

 

 

 

 

A.10.2.3.6   Kollaborative Planung ............................................ 92 

 

 

 

A.10.2.4   Supply Chain Execution ................................................. 92 

 

 

 

A.10.2.5   Kritische Würdigung ...................................................... 94 

 

A.11   Verständnisfragen ........................................................................... 95 

B   Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung        der Supply Chain ...................................................................................... 97   

B.1   Lernziele und Vorgehensweise ........................................................ 97 

 

B.2   Markt‐ und Ressourcenfokussierung .............................................. 98 

 

 

B.2.1   Charakterisierung ...................................................................... 98 

 

 

 

B.2.1.1   Isolierte Marktfokussierung ............................................. 98 

 

 

 

B.2.1.2   Isolierte Ressourcenfokussierung .................................. 101 

 

 

 

B.2.1.3   Integrierte Markt‐ und Ressourcenfokussierung ......... 103 

 

 

B.2.2   Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 106 

 

B.3   Total Quality Management ............................................................. 107 

 

 

B.3.1   Charakterisierung .................................................................... 107 

 

 

B.3.2   Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 112 

 

B.4   Business Reengineering .................................................................. 113 

 

 

B.4.1   Charakterisierung .................................................................... 113 

 

 

B.4.2   Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 115 

 

B.5   Time Based Competition ................................................................. 117 

 

 

B.5.1   Charakterisierung .................................................................... 117 

 

 

B.5.2   Beschleunigungsmanagement................................................ 119 

XIII

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

B.5.2.1   Simultaneous Engineering ............................................. 119 

 

 

 

B.5.2.2   Rapid Prototyping ........................................................... 122 

 

 

B.5.3   Entschleunigungsmanagement ............................................. 124 

 

 

B.5.4   Supply Chain Engineering ..................................................... 125 

 

 

 

B.5.4.1   Vielfalt der Varianten ...................................................... 125 

 

 

 

B.5.4.2   Konfiguration der Teile ................................................... 126 

 

 

 

B.5.4.3   Auswirkungen auf die Beschaffungsplanung ............. 126 

 

 

 

B.5.4.4   Bedingungen für Lagerung und Transport .................. 127 

 

 

 

B.5.4.5   Komponenten der Verpackung ...................................... 127 

 

 

 

B.5.4.6   Zusammensetzung der Erzeugnisse ............................. 128 

 

 

B.5.5   Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 129 

 

B.6   Verständnisfragen............................................................................ 131 

C   Strategien des Supply Chain Managements ........................................ 133   

C.1   Lernziele und Vorgehensweise...................................................... 133 

 

C.2   Grundlagen ...................................................................................... 133 

 

 

C.2.1   Vertikale Kooperationsstrategien .......................................... 134 

 

 

 

C.2.1.1   Lieferantenkooperation .................................................. 134  C.2.1.2   Kundenkooperation ........................................................ 138 

 

 

 

 

 

C.2.2   Horizontale Kooperationsstrategien ..................................... 139 

 

C.3   Strategien der Versorgung ............................................................. 140 

 

 

C.3.1   Efficient Consumer Response ................................................ 141 

 

 

 

C.3.1.1   Komponenten der Logistik ............................................ 143 

 

 

 

 

C.3.1.1.1   Vendor Managed Inventory ................................... 143 

 

 

 

 

C.3.1.1.2   Cross Docking .......................................................... 152 

 

 

 

 

C.3.1.1.3   Synchronized Production ....................................... 156 

 

 

 

C.3.1.2   Komponenten des Marketings ...................................... 157  C.3.1.3   Komponenten der Informationstechnologie................ 158 

 

 

 

   

   

C.3.2   Customer Relationship Management        und Mass Customization ....................................................... 159 

 

 

 

C.3.2.1   Customer Relationship Management ........................... 159 

 

 

 

 

C.3.2.1.1   Komponenten .......................................................... 161 

   

   

   

   

C.3.2.1.2   Weiterentwicklung zu              Enterprise Relationship Management .................. 162 

 

 

 

C.3.2.2   Mass Customization ....................................................... 164 

 

 

 

 

C.3.2.2.1   Soft Customization .................................................. 166 

 

 

 

 

C.3.2.2.2   Hard Customization ............................................... 167 

XIV

Inhaltsverzeichnis

 

 

C.3.3   Postponement .......................................................................... 169 

 

 

 

C.3.3.1   Grundlagen ...................................................................... 169 

 

 

 

C.3.3.2   Arten .................................................................................. 172 

 

 

 

 

C.3.3.2.1   Form Postponement ................................................ 172 

 

 

 

 

C.3.3.2.2   Time Postponement ................................................. 173 

 

 

C.3.4   Sourcing‐Strategien ................................................................. 175 

   

   

   

C.3.4.1   Sourcing‐Konzepte unterschieden        nach der Lieferantenanzahl............................................ 177 

   

   

   

C.3.4.2   Sourcing‐Konzepte unterschieden        nach der Güterkomplexität ............................................ 179 

   

   

   

C.3.4.3   Sourcing‐Konzepte unterschieden        nach der Organisationsform .......................................... 182 

   

   

   

C.3.4.4   Sourcing‐Konzepte unterschieden        nach dem Ort der Wertschöpfung ................................. 183 

   

   

   

C.3.4.5   Sourcing‐Konzepte unterschieden        nach dem Beschaffungsareal ......................................... 184 

 

 

C.3.5   Lieferantenmanagement ......................................................... 187 

 

 

 

C.3.5.1   Vorauswahl der Lieferanten ........................................... 188 

 

 

 

 

C.3.5.1.1   Lieferantenidentifikation ........................................ 188 

 

 

 

 

C.3.5.1.2   Lieferanteneingrenzung .......................................... 189 

 

 

 

C.3.5.2   Steuerung der Lieferantenbeziehung ............................ 189 

 

 

 

 

C.3.5.2.1   Lieferantenbewertung ............................................. 189  C.3.5.2.2   Lieferantenauswahl ................................................. 190 

 

 

 

 

 

 

 

C.3.5.3   Intensivierung der Lieferantenbeziehung .................... 192 

 

 

 

 

C.3.5.3.1   Lieferantenintegration ............................................ 192 

 

 

 

 

C.3.5.3.2   Lieferantenentwicklung .......................................... 193 

 

 

C.3.6   Beschaffungsstrategien ........................................................... 195 

 

 

 

C.3.6.1   Kanban .............................................................................. 195 

 

 

 

C.3.6.2   Fortschrittszahlen ............................................................ 202 

 

 

 

C.3.6.3   Belastungsorientierte Auftragsfreigabe ........................ 205  C.3.6.4   Retrograde Terminierung ............................................... 207 

 

 

 

 

 

C.3.7   Ersatzteilmanagement ............................................................ 209 

 

 

 

C.3.7.1   Bestandsmanagement ..................................................... 211 

 

 

 

C.3.7.2   Prozessmanagement........................................................ 212 

 

 

 

C.3.7.3   Lager und Infrastruktur .................................................. 214  C.3.7.4   Kooperationen .................................................................. 215 

 

 

 

 

 

C.3.8   Risikomanagement in der Supply Chain ............................. 216 

 

 

 

C.3.8.1   Supply‐Chain‐Risiken in ausgewählten Bereichen ..... 217 

XV

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

C.3.8.2   Risikomanagementprozess in der Supply Chain ........ 219 

 

 

 

 

C.3.8.2.1   Risikoidentifikation ................................................. 219 

 

 

 

 

C.3.8.2.2   Risikoanalyse ........................................................... 220 

 

 

 

 

C.3.8.2.3   Risikobewertung ..................................................... 221 

 

 

 

 

C.3.8.2.4   Risikomilderung ...................................................... 222 

 

 

 

 

C.3.8.2.5   Risikokontrolle ......................................................... 223 

 

 

 

C.3.8.3   Supply Chains in Krisenzeiten: Beispiel Corona ......... 224 

 

 

 

 

C.3.8.3.1   Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette ...... 225 

 

 

 

 

C.3.8.3.2   Resilienz statt Effizienz in der Supply Chain ...... 227 

 

 

C.3.9   E‐Supply Chains ...................................................................... 229 

 

 

 

C.3.9.1   Grundlagen ...................................................................... 229 

 

 

 

C.3.9.2   Electronic Commerce ...................................................... 235 

 

 

 

 

C.3.9.2.1   Elektronische Marktplätze ..................................... 236 

 

 

 

 

C.3.9.2.2   Kollaborative Prozesse ........................................... 238 

 

 

 

 

C.3.9.2.3   Virtuelle Frachtbörsen ............................................ 240 

   

   

   

   

C.3.9.2.4   Elektronische Ausschreibungen              und Auktionen ........................................................ 242 

 

 

 

 

C.3.9.2.5   Tracking and Tracing .............................................. 244 

 

 

 

C.3.9.3   Zukünftige Einsatzfelder und Gefahren ...................... 245 

 

 

C.3.10   Supply Chain 4.0: Kognitiver Wertschöpfungsverbund .. 249 

 

 

 

C.3.10.1   Allgemeine Überlegungen zu Supply Chain 4.0 ....... 249 

 

 

 

C.3.10.2   Bedeutung von Smart Factory und Smart City ......... 250 

 

 

 

C.3.10.3   Technologien in der Kognitiven Supply Chain ......... 256 

 

 

 

 

C.3.10.3.1   Internet of Things und Digital Twins ................. 257 

 

 

 

 

C.3.10.3.2   Big Data .................................................................. 258 

 

 

 

 

C.3.10.3.3   Blockchain .............................................................. 261  C.3.10.3.4   Machine Learning ................................................. 264 

 

 

 

 

 

 

 

C.3.10.4   Kognitive Supply Chain ............................................... 266 

C.4   Strategien der Entsorgung und des Recyclings ................................ 271   

 

C.4.1   Strategien der Entsorgung ..................................................... 274 

 

 

C.4.2   Strategien des Recyclings ....................................................... 277 

 

 

C.4.3   Green Supply Chains: Sustainability .................................... 281 

 

 

 

C.4.3.1   Allgemeine Charakterisierung ...................................... 281 

 

 

 

C.4.3.2   Product Carbon Footprint .............................................. 282 

 

 

 

C.4.3.3   Ökobilanz in der Green Supply Chain ......................... 284 

 

 

 

C.4.3.4   Nachhaltigkeit und Lifecycle Costing .......................... 285 

 

C.5   Verständnisfragen ........................................................................... 288 

XVI

Inhaltsverzeichnis

D   Instrumente des Supply Chain Managements .................................... 293   

D.1   Lernziele und Vorgehensweise ...................................................... 293 

 

D.2   Instrumente zur Bestandsreduzierung ......................................... 294 

 

 

D.2.1   Dekomposition der Bestände ................................................. 296 

 

 

D.2.2   Gängigkeitsanalyse ................................................................. 301 

 

 

D.2.3   Reichweitenmonitoring .......................................................... 306 

 

 

D.2.4   Konsignationsanalyse ............................................................. 310 

 

 

D.2.5   Bestandsfinanzierung ............................................................. 316 

 

 

D.2.6   Durchlaufzeitenanalyse .......................................................... 321 

 

 

D.2.7   Rüstzeitenanalyse .................................................................... 322 

 

D.3   Instrumente zur Frachtkostenreduzierung .................................. 323 

 

 

D.3.1   Maschinelle Frachtkostenermittlung .................................... 326 

 

 

D.3.2   Standardisierung von Verpackungen ................................... 328 

 

 

D.3.3   Milk Run ................................................................................... 328 

 

 

D.3.4   Letzte Meile .............................................................................. 329 

 

 

 

D.3.4.1   Rahmenbedingungen auf der Letzten Meile ............... 331 

 

 

 

D.3.4.2   Technische Innovationen auf der Letzten Meile .......... 331 

 

 

 

D.3.4.3   Clevere Zustellmethoden auf der Letzten Meile ......... 333 

 

 

D.3.5   Hub‐and‐Spoke‐System.......................................................... 335 

 

 

 

D.3.5.1   Allgemeine Charakterisierung ...................................... 335 

 

 

 

D.3.5.2   Hub‐and‐Spoke im Luftverkehr .................................... 338 

 

D.3.5.3   Hub‐and‐Spoke versus Point‐to‐Point .......................... 339 

 

 

 

D.4   Instrumente zur Informationsgewinnung ................................... 341 

 

 

D.4.1   Benchmarking .......................................................................... 342 

 

 

D.4.2   Reverse Engineering ............................................................... 347 

 

D.5   Instrumente zur Qualitätssicherung ............................................. 348 

 

 

D.5.1   Quality Function Deployment ............................................... 351 

 

 

D.5.2   Failure Mode and Effects Analysis ....................................... 356 

 

 

D.5.3   Bottleneck Engineering ........................................................... 359 

 

D.6   Instrumente zur IT‐Unterstützung ................................................ 360 

 

 

D.6.1   Electronic Data Interchange (EDI) und Web‐EDI ............... 361 

 

 

D.6.2   Barcode ..................................................................................... 363 

 

 

D.6.3   Radio Frequency Identification (RFID) ................................ 364 

 

 

D.6.4   Data Warehouse....................................................................... 374 

 

 

D.6.5   Computer Integrated Manufacturing ................................... 377 

 

 

 

D.6.5.1   Produktionsplanung und ‐steuerung (PPS) ................. 378 

 

 

 

D.6.5.2   Computer Aided Design (CAD) .................................... 380 

XVII

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

D.6.5.3   Computer Aided Planning (CAP) ................................. 381 

 

 

 

D.6.5.4   Computer Aided Manufacturing (CAM) ..................... 382 

 

 

 

D.6.5.5   Computer Aided Quality Assurance (CAQ) ............... 384 

   

   

D.6.6   Enterprise Resource Planning und        Advanced Planning and Scheduling .................................... 384 

 

D.7   Verständnisfragen ........................................................................... 391 

E   Controlling der Supply Chain ............................................................... 393   

E.1   Lernziele und Vorgehensweise ...................................................... 393 

 

E.2   Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking ............ 394 

 

 

E.2.1   Betriebswirtschaftliche Grundlagen ...................................... 394 

 

 

E.2.2   Cost Tracking ........................................................................... 396 

 

 

 

E.2.2.1   Cost Tracking von Materialpreisen ............................... 396 

 

 

 

E.2.2.2   Cost Tracking von Frachtkosten .................................... 399 

 

 

 

E.2.2.3   Cost Tracking von Beständen ......................................... 401 

 

E.3   Kennzahlenmanagement in der Supply Chain ........................... 403 

 

 

E.3.1   Allgemeine Grundlagen ......................................................... 403 

 

 

E.3.2   Arten von Kennzahlen ............................................................ 404 

 

 

 

E.3.2.1   Absolute und relative Kennzahlen ................................ 404 

   

   

   

E.3.2.2   Erfolgs‐, Liquiditäts‐ und        Wertsteigerungskennzahlen .......................................... 405 

   

   

   

E.3.2.3   Strategische und operative Kennzahlen ....................... 411  E.3.2.4   Leistungs‐ und Kostenkennzahlen ................................ 411 

 

 

E.3.3   Kennzahlentypologie der Supply Chain .............................. 412 

 

 

 

E.3.3.1   Input: Kennzahlen der Beschaffung .............................. 414 

 

 

 

 

E.3.3.1.1   Generische Kennzahlen .......................................... 415 

   

   

   

   

E.3.3.1.2   Produktivitäts‐ und             Wirtschaftlichkeitskennzahlen ............................... 416 

 

 

 

 

E.3.3.1.3   Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 417 

   

   

   

E.3.3.2   Throughput: Kennzahlen der Lagerung,        der Kommissionierung und der Produktion ............... 418 

 

 

 

 

E.3.3.2.1   Generische Kennzahlen .......................................... 419 

   

   

   

   

E.3.3.2.2   Produktivitäts‐ und              Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 425 

 

 

 

 

E.3.3.2.3   Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 428 

 

 

 

E.3.3.3   Output: Kennzahlen der Distribution ........................... 431 

 

 

 

 

XVIII

E.3.3.3.1   Generische Kennzahlen .......................................... 432 

Inhaltsverzeichnis

   

   

   

   

E.3.3.3.2   Produktivitäts‐ und              Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 434  E.3.3.3.3   Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 435 

 

 

 

 

 

 

 

E.3.3.4   Payment: Kennzahlen der Finanzprozesse ................... 436 

 

 

 

 

E.3.3.4.1   Generische Kennzahlen ........................................... 437 

   

   

   

   

E.3.3.4.2   Produktivitäts‐ und              Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 441 

 

 

 

 

E.3.3.4.3   Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 442 

E.3.3.5   Kennzahlentypologie im Überblick ............................... 444 

 

 

 

   

   

E.3.4   Ausgewählte Visualisierungsformen des        Kennzahlenmanagements ...................................................... 446 

 

 

 

E.3.4.1   Werttreiberbaum (Value Driver Tree) ............................ 446 

 

 

 

 

E.3.4.1.1   Werttreiberbaum über den Knoten EVA ............... 448  E.3.4.1.2   Werttreiberbaum über den Knoten ROCE ............ 452 

 

 

 

 

 

 

 

E.3.4.2   Kennzahlenradar .............................................................. 458 

   

   

E.3.5   Grenzen des Kennzahlenmanagements        einer Supply Chain ................................................................. 462 

 

E.4   Hilfsmittel des Controllings im Supply Chain Management ..... 463 

 

 

E.4.1   Hard‐(Soft)‐Analyse ................................................................ 463 

 

 

 

E.4.1.1   Charakterisierung ............................................................ 463 

 

 

 

E.4.1.2   Beispiel für das Supply Chain Management ................ 464  E.4.1.3   Kritische Würdigung ....................................................... 466 

 

 

 

 

 

E.4.2   Target Costing .......................................................................... 468 

 

 

 

E.4.2.1   Charakterisierung ............................................................ 468 

   

   

   

E.4.2.2   Festlegung der Zielkosten über         Market‐into‐Company .................................................... 469 

 

 

 

E.4.2.3   Dekomposition produktbezogener Zielkosten ............ 471 

 

 

 

E.4.2.4   Weitere Target‐Costing‐Verfahren im Überblick ......... 472 

 

 

 

E.4.2.5   Beispiel für das Supply Chain Management ................ 473 

 

 

 

E.4.2.6   Kritische Würdigung ....................................................... 476 

 

 

E.4.3   Prozesskostenrechnung .......................................................... 477 

 

 

 

E.4.3.1   Charakterisierung ............................................................ 478 

 

 

 

E.4.3.2   Beispiel für das Supply Chain Management ................ 480 

 

 

 

E.4.3.3   Kritische Würdigung ....................................................... 484 

 

 

E.4.4   Economic Value Added ........................................................... 485 

 

 

 

E.4.4.1   Charakterisierung ............................................................ 485 

 

 

 

E.4.4.2   Beispiel für das Supply Chain Management ................ 487 

 

 

 

E.4.4.3   Kritische Würdigung ....................................................... 489 

XIX

Inhaltsverzeichnis

 

 

E.4.5   Working Capital Management ............................................... 490 

 

 

 

E.4.5.1   Charakterisierung ............................................................ 490 

 

 

 

E.4.5.2   Besondere Bedeutung des Cash‐to‐Cash‐Cycle ........... 491 

 

 

 

E.4.5.3   Beispiel für das Supply Chain Management ................ 492 

 

 

 

E.4.5.4   Kritische Würdigung ....................................................... 493 

 

 

E.4.6   Supply Chain Performance und Scorecard .......................... 494 

 

 

 

E.4.6.1   Charakterisierung ............................................................ 494 

   

   

   

E.4.6.2   Alternative Supply Chain Scorecards        in der Diskussion ............................................................ 500 

 

 

 

 

E.4.6.2.1   Ansatz nach Brewer/Speh ......................................... 500 

 

 

 

 

E.4.6.2.2   Ansatz nach Stölzle/Heusler/Karrer ......................... 503 

 

 

 

 

E.4.6.2.3   Ansatz nach Weber/Bacher/Groll .............................. 504 

 

 

 

 

E.4.6.2.4   Ansatz nach Richert .................................................. 506  E.4.6.2.5   Ansatz nach Werner ................................................. 507 

 

 

 

 

 

 

 

E.4.6.3   Perspektiven der Supply Chain Scorecard ................... 508 

 

 

 

 

E.4.6.3.1   Finanzperspektive ................................................... 508 

 

 

 

 

E.4.6.3.2   Kundenperspektive ................................................. 510 

 

 

 

 

E.4.6.3.3   Prozessperspektive .................................................. 513 

 

 

 

 

E.4.6.3.4   Lieferantenperspektive ........................................... 516 

 

 

 

 

E.4.6.3.5   Integrationsperspektive .......................................... 519  E.4.6.3.6   Supply Chain Scorecard im Überblick .................. 521 

 

 

 

 

 

 

 

E.4.6.4   Von der Scorecard zur Strategy Map ............................ 525 

 

 

 

 

E.4.6.4.1   Allgemeine Implikationen der Strategy Map ....... 526 

 

 

 

 

E.4.6.4.2   Strategy Map der Supply Chain ............................ 528  E.4.6.4.3   Kombination von Scorecard und Strategy Map .. 532 

 

 

 

 

 

 

 

E.4.6.5   Kritische Würdigung ....................................................... 536 

 

E.5   Verständnisfragen............................................................................ 537 

Glossar ............................................................................................................ 539  Literaturverzeichnis ...................................................................................... 557  Stichwortverzeichnis .................................................................................... 593 

XX

Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung A.1 

Aufbau der Schrift ......................................................... 4 

Abbildung A.2 

Order‐to‐Payment‐S in der Supply Chain .................. 9 

Abbildung A.3   

Entwicklungsstufen des Supply Chain   Managements ............................................................... 15 

Abbildung A.4   

Supply Chain Management und verwandte   Konzepte im Überblick ................................................ 24 

Abbildung A.5 

Hierarchisch pyramidale Supply Chain .................... 26 

Abbildung A.6 

Polyzentrische Supply Chain ..................................... 28 

Abbildung A.7 

Total Cost of Ownership ............................................. 40 

Abbildung A.8 

Purchasing Cards ......................................................... 44 

Abbildung A.9 

Bullwhip‐Effekt ............................................................ 49 

Abbildung A.10  Supply‐Chain‐Risiken der Qualitätsführerschaft .... 55  Abbildung A.11  Materialflussmatrix und Sankey‐Diagramm ............ 68  Abbildung A.12  SCOR‐Toolbox (Ebene 2) ............................................. 74  Abbildung A.13  Kausalkette (Ebene 3) .................................................. 76  Abbildung A.14  Regelkarte (Ebene 3) .................................................... 77  Abbildung A.15  Hauptkennzahlen von SCOR ..................................... 79  Abbildung A.16  Aufgabenmodell für SCM‐Software‐Systeme .......... 87  Abbildung B.1   

Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐  Portfolio (GEKKO) ..................................................... 106 

Abbildung B.2 

Paradigmenwechsel durch TQM ............................. 109 

Abbildung B.3 

Drei‐Ebenen‐Modell der Qualität ............................ 111 

Abbildung B.4 

Komponenten des Business Reengineerings .......... 115 

Abbildung C.1 

Vertikale und horizontale Integration ..................... 134 

Abbildung C.2 

Komponenten von Efficient Consumer Response . 142 

Abbildung C.3 

VMI bei Twentieth Century Fox ............................... 152 

XXI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung C.4 

Zweistufiges Cross Docking ...................................... 154 

Abbildung C.5 

Hybride Wettbewerbsstrategien ............................... 164 

Abbildung C.6 

Arten von Mass Customization ................................ 169 

Abbildung C.7 

Kostenaufwuchskurve ............................................... 170 

Abbildung C.8 

Strategien des Time Postponements......................... 175 

Abbildung C.9 

Sourcing‐Toolbox ........................................................ 177 

Abbildung C.10  Modular Sourcing ....................................................... 181  Abbildung C.11  Prozess zur Realisierung von Global Sourcing ....... 186  Abbildung C.12  Matrix zur Lieferantenbewertung ............................ 191  Abbildung C.13  Ziele der Lieferantenentwicklung ............................ 193  Abbildung C.14  Kanban ......................................................................... 197  Abbildung C.15  Beispiel eines Produktionskanbans .......................... 198  Abbildung C.16  Beispiel zur Bestimmung von Fortschrittszahlen ... 204  Abbildung C.17  Belastungsorientierte Auftragsfreigabe ................... 207  Abbildung C.18  Heat‐Map einer Supply Chain .................................. 222  Abbildung C.19  Supply‐Chain‐Mitigation ........................................... 223  Abbildung C.20  E‐Commerce im Überblick ........................................ 232  Abbildung C.21  B2B im Einkauf ............................................................ 233  Abbildung C.22  Komponenten der Kognitiven Supply Chain ......... 256  Abbildung C.23  Formen von Offshoring im Überblick ...................... 279  Abbildung D.1 

Gesamtkosten der Bevorratung ................................ 296 

Abbildung D.2   

ABC‐ und XYZ‐Analyse integriert mit Arten der   Materialbeschaffung ................................................... 301 

Abbildung D.3 

Einteilung der Gängigkeit ......................................... 302 

Abbildung D.4 

Gängigkeit von Beständen ......................................... 304 

Abbildung D.5 

Maßnahmen zur Reduzierung   ungängiger Bestände .................................................. 305 

Abbildung D.6 

Reichweitenmonitoring .............................................. 309 

Abbildung D.7 

Konsignationsprozess ................................................ 316 

Abbildung D.8 

Ablauf der Bestandsfinanzierung ............................. 318 

XXII

Abbildungsverzeichnis

  Abbildung D.9   

U‐Problematik zwischen Frachtkosten   und Beständekosten ................................................... 324 

Abbildung D.10  Frachtkosten‐Beständekosten‐Portfolio (FREDI) ... 326  Abbildung D.11  Moderne Zustellmethoden auf der Letzten Meile . 333  Abbildung D.12  Sanduhren‐Hub und Hinterland‐Hub .................... 337  Abbildung D.13  Point‐to‐Point versus Hub‐and‐Spoke..................... 341  Abbildung D.14  Arten des Benchmarkings ......................................... 344  Abbildung D.15  Quality Function Deployment .................................. 355  Abbildung D.16  Formblatt einer FMEA     (Wareneingangskontrolle)......................................... 358  Abbildung D.17  Bestandteile eines RFID‐Systems ............................. 365  Abbildung D.18  CIM‐Architektur ........................................................ 378  Abbildung E.1 

Cost Tracking von Materialpreisen .......................... 398 

Abbildung E.2 

Cost Tracking von Frachtkosten ............................... 400 

Abbildung E.3 

Cost Tracking von Beständen ................................... 402 

Abbildung E.4 

Typologie relativer Kennzahlen ............................... 405 

Abbildung E.5 

Beispiel zur Berechnung des Return   on Investment ............................................................. 408 

Abbildung E.6 

Verbesserung des ROI durch Bestandssenkung .... 409 

Abbildung E.7 

Strategische und operative Kennzahlen .................. 411 

Abbildung E.8 

Leistungs‐ und Kostenkennzahlen .......................... 412 

Abbildung E.9   

Struktur der Kennzahlentypologie einer   Supply Chain .............................................................. 414 

Abbildung E.10  Indikatoren der Kennzahlentypologie     einer Supply Chain .................................................... 445  Abbildung E.11  Werttreiberbaum über den   Economic Value Added ............................................. 452  Abbildung E.12  Werttreiberbaum über den     Return on Capital Employed .................................... 458  Abbildung E.13  Kennzahlenradar einer Supply Chain ..................... 461  Abbildung E.14  Hard‐(Soft)‐Analyse .................................................. 467 

XXIII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung E.15  Festlegung der Gesamtzielkosten ............................. 470  Abbildung E.16  Zielkostenkontrolldiagramm .................................... 476  Abbildung E.17  Prozesskostenrechnung ............................................. 483  Abbildung E.18  Dimensionen der Unternehmungsleistung ............. 495  Abbildung E.19  Performance Management in Supply Chains ......... 498  Abbildung E.20  Supply Chain Scorecard nach Brewer/Speh .............. 502  Abbildung E.21  Supply Chain Scorecard   nach Stölzle/Heusler/Karrer ......................................... 503  Abbildung E.22  Supply Chain Scorecard   nach Weber/Bacher/Groll .............................................. 505  Abbildung E.23  Supply Chain Scorecard nach Richert ....................... 507  Abbildung E.24  Strategische Ziele und KPI   der Finanzperspektive ................................................ 510  Abbildung E.25  Strategische Ziele und KPI   der Kundenperspektive ............................................. 513  Abbildung E.26  Strategische Ziele und KPI   der Prozessperspektive .............................................. 516  Abbildung E.27  Strategische Ziele und KPI    der Lieferantenperspektive ....................................... 518  Abbildung E.28  Strategische Ziele und KPI   der Integrationsperspektive ...................................... 521  Abbildung E.29  Supply Chain Scorecard nach Werner ...................... 522  Abbildung E.30  Strategische Ziele und Kennzahlen der     Supply Chain Scorecard ............................................. 523  Abbildung E.31  Kausalkette einer Supply Chain Scorecard ............. 525  Abbildung E.32  Strategy Map einer Supply Chain ............................ 533  Abbildung E.33  Verzahnung von Scorecard und     Strategy Map in der Supply Chain ........................... 535 

XXIV

Beispielblöcke

Verzeichnis der Beispielblöcke

Beispielblock a.1 

Supply Chain Management in der Praxis ............... 31 

Beispielblock a.2 

Total Cost of Ownership und Maverick‐Buying .... 43 

Beispielblock a.3 

Bullwhip‐Effekt .......................................................... 49 

Beispielblock b.1 

Verkürzung der Time‐to‐Market ........................... 119 

Beispielblock b.2 

Simultaneous Engineering ...................................... 120 

Beispielblock c.1 

Lieferantenintegration in Hambach ...................... 135 

Beispielblock c.2 

Resident Engineering .............................................. 137 

Beispielblock c.3 

Kundenintegration .................................................. 139 

Beispielblock c.4 

Mass Customization über das Internet ................. 166 

Beispielblock c.5 

Beispiel zu Postponement ....................................... 171 

Beispielblock c.6   

Problembehaftete  Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen ........................ 231 

Beispielblock c.7 

Möglichkeiten im B2C‐Geschäft ............................ 235 

Beispielblock c.8 

Fachportal ................................................................. 237 

Beispielblock c.9   

Collaborative Planning, Forecasting   and Replenishment .................................................. 240 

Beispielblock c.10 

Virtuelle Frachtbörse ............................................... 241 

Beispielblock c.11 

Tracking and Tracing via GPS ................................ 245 

Beispielblock c.12 

Fourth‐Party‐Logistics‐Provider ............................ 246 

Beispielblock c.13 

Kurier, Express‐ und Paketdienste ........................ 247 

Beispielblock c.14 

E‐Fulfillment ............................................................. 248 

Beispielblock c.15 

Bohrinsel „Deepwater Horizon” ............................ 274 

Beispielblock c.16 

Recycling im Netzwerk ........................................... 278 

Beispielblock c.17 

Recycling über Computer Aided Dispatching ..... 279 

Beispielblock c.18 

Recycling in der Automobilindustrie .................... 280 

Beispielblock c.19 

Optimierung der Transportmittelauslastung ....... 282 

XXV

Verzeichnis der Beispielblöcke

Beispielblock c.20 

Beispiel des Lifecycle Costings .............................. 287 

Beispielblock d.1 

Dekomposition der Bestände ................................. 297 

Beispielblock d.2 

ABC‐Analyse (Prozentangaben beispielhaft) ...... 298 

Beispielblock d.3 

Lieferanten‐Logistik‐Zentrum ............................... 315 

Beispielblock d.4 

Reduzierung von Rüstzeiten .................................. 323 

Beispielblock d.5 

Benchmarking .......................................................... 345 

Beispielblock d.6 

Beispiele zu Quality Function Deployment ......... 351 

Beispielblock d.7 

Quo Vadis RFID? ..................................................... 374 

Beispielblock d.8 

Advanced Planning and Scheduling ..................... 388 

Beispielblock e.1 

Berechnung des Net Operating Profit After Tax . 488 

Beispielblock e.2 

Berechnung des Capital .......................................... 488 

Beispielblock e.3 

Berechnung des Economic Value Added ............. 489 

XXVI

Begriffsblöcke

Verzeichnis der Begriffsblöcke

Begriffsblock A.I 

Definition des Supply Chain Managements  ........... 6 

Begriffsblock A.II 

Bereiche im Order‐to‐Payment‐S ............................... 8 

Begriffsblock A.III   

Effektivität und Effizienz sowie   Zielharmonie von Erfolgsfaktoren .......................... 30 

Begriffsblock B.I 

Vier „Re’s“ des Business Reengineerings .............. 114 

Begriffsblock B.II 

Pionier‐ und Follower‐Management ..................... 118 

Begriffsblock B.III   

Ausgewählte Techniken des  Rapid Prototypings .................................................. 123 

Begriffsblock C.I 

Möglichkeiten der Lieferantenanbindung ............ 136 

Begriffsblock C.II 

VMI und benachbarte Begriffe ............................... 144 

Begriffsblock C.III 

Customer Relationship Management   und verwandte Konzepte........................................ 159 

Begriffsblock C.IV 

Arten von Abrufen ................................................... 202 

Begriffsblock C.V 

Arten elektronischer Marktplätze .......................... 236 

Begriffsblock C.VI 

Strategien des Recyclings ........................................ 277 

Begriffsblock D.I 

XYZ‐Analyse ............................................................ 299 

Begriffsblock D.II 

Arten der Materialbeschaffung .............................. 300 

Begriffsblock D.III 

Definition der Lagerreichweite .............................. 306 

Begriffsblock D.IV 

Gründe zur Durchführung von Konsignation ..... 311 

Begriffsblock D.V 

Arbeitsplan ............................................................... 322 

Begriffsblock D.VI 

Qualitätsbegriffe ...................................................... 349 

Begriffsblock D.VII  EDIFACT und ODETTE .......................................... 361  Begriffsblock D.VIII  EAN‐Code und Global Commerce Initiative ....... 364  Begriffsblock D.IX 

MRP‐Systeme ........................................................... 385 

   

XXVII

Verzeichnis der Begriffsblöcke

Begriffsblock E.I 

Design‐to‐Cost ......................................................... 469 

Begriffsblock E.II 

Value Engineering und Value Analysis ................ 471 

Begriffsblock E.III 

Basisformel des Economic Value Added .............. 486 

XXVIII

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

2PL ....................... Second‐Party‐Logistics‐Provider  3PL ....................... Third‐Party‐Logistics‐Provider  4PL ....................... Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  A2A ...................... Administration‐to‐Administration 

 

A2B ....................... Administration‐to‐Business  A2C ...................... Adminstration‐to‐Customer  ABS ....................... Antiblockiersystem  Act ........................ Actual  AEI ....................... Automatic Equipment Identification  AFZ ...................... Ausgangs‐Fortschrittszahl  AM ....................... After Market  AMR ..................... Advanced Manufacturing Research  APO ...................... Advanced Planner and Optimizer  APS ....................... Advanced Planning and Scheduling  AR ........................ Augmented Reality  Athene ................. Applied Theories Enabling Network Excellence  ATP ....................... Available‐to‐Promise  B2A ....................... Business‐to‐Administration  B2B ....................... Business‐to‐Business  B2C ....................... Business‐to‐Customer  BDE ...................... Betriebsdatenerfassung  BGB ...................... Bürgerliches Gesetzbuch  Bit ......................... Binary Digit  BMI ....................... Buyer Managed Inventory  BOA ...................... Belastungsorientierte Auftragsfreigabe 

XXIX

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

BSE ....................... Bovine Spongiforme Enzephalopathie  BTO ...................... Built‐to‐Order  Bud ....................... Budget  C2A ...................... Customer‐to‐Administration  C2B ....................... Customer‐to‐Business  C2C ...................... Customer‐to‐Customer  c* ........................... Gesamtkapitalkostensatz  cw ......................... Luftwiderstand  CAD ..................... Computer Aided Design  CADIS.................. Computer Aided Dispatching  CAE ...................... Computer Aided Engineering  CAM .................... Computer Aided Manufacturing  CAP ...................... Computer Aided Planning  CAO ..................... Computer Assisted Ordering  CAQ ..................... Computer Aided Quality Assurance 

CH4 ..................... Methan  CIM ...................... Computer Integrated Manufacturing  CMI ...................... Co‐Managed Inventory  CNC ..................... Computerized Numeric Control 

CO2 ..................... Kohlendioxid  CPFR .................... Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment  CPL ...................... Collaborative Planning  CPPS .................... Cyber‐Physisches‐Produktions‐System   CPS ....................... Cyber‐Physisches‐System  CR ........................ Continuous Replenishment  CRM ..................... Customer Relationship Management  CRP ...................... Capacity Requirement Planning  CSCW .................. Computer Supported Cooperative Work  CTP ...................... Capable‐to‐Promise   DCM .................... Demand Chain Management  Demantra ............ Demand Management 

XXX

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

DESADV .............. Despatch Advice  DFMA .................. Design‐for‐Manufacturing‐and‐Assembling  DFÜ ...................... Datenfernübertragung  DIN ...................... Deutsche Industrie Norm  DNC ..................... Direct Numeric Control  DRP ...................... Distribution Requirement Planning  DVD ..................... Digital Versatile  EAN ..................... Europäische Artikelnummer  EAS ....................... Electronic Article Surveillance  EBIS ...................... European Business Information Systems  EBIT ...................... Earnings before Interest and Taxes  ECR ...................... Efficient Consumer Response  EDI ....................... Electronic Data Interchange  EDIFACT ............. Electronic Data Interchange for Administration,   Commerce and Transport  EDITT................... Dynamic Interoperale Track and Trace  EDL ...................... Externer Dienstleister  EEPROM ............. Electrical Erasable Programmable Read Only Memory  EFQM ................... European Foundation for Quality Management  EFZ ....................... Eingangs‐Fortschrittszahl  EKG ...................... Elektrokardiogramm  ERM ..................... Enterprise Relationship Management  ERP ....................... Enterprise Resource Planning  ESP ....................... Elektronisches Stabilitätsprogramm  EST ....................... Electronic Sell Thru  EUL ...................... Efficient Unit Loads  EVA ...................... Economic Value Added  FAB ....................... Feinabruf  FCKW .................. Flurchlorkohlenwasserstoff  FOX ...................... vgl. TCFHE  FMAE ................... Failure Mode and Effects Analysis 

XXXI

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

F & E .................... Forschung und Entwicklung  FREDI .................. Frachtkosten‐Beständekosten‐Portfolio  FTF ....................... Fahrerlose Transportfahrzeuge  G & V ................... Gewinn‐ und Verlustrechnung  GEKKO ................ Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio  GHz ...................... Gigahertz  GoB ...................... Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung  GPS ...................... Global Positioning System  HGB ..................... Handelsgesetzbuch  HRL ..................... Hochregallager  IFRS ...................... International Financial Reporting Standards  Incoterms ............ International Commercial Terms  INVRPT ............... Inventory Report  IoT ........................ Internet of Things   ISO ....................... International Standardization Organization  IT .......................... Informationstechnologie  ITS ........................ Internet Transaction Server  JiT ......................... Just‐in‐Time  JiS ......................... Just‐in‐Sequence  KB ......................... Kilobyte  KEP ...................... Kurier, Express‐ und Paketdienst  KHz ...................... Kilohertz  KI .......................... Künstliche Intelligenz  KLT ...................... Kleinladungsträger  KMU .................... Kleine und mittelgroße Unternehmungen  KPI ....................... Key Performance Indicator  KrW/AbfG ........... Kreislaufwirtschafts‐ und Abfallgesetz  KVP ...................... Kontinuierlicher Verbesserungsprozess  LAB ...................... Lieferabruf  LCD ...................... Liquid Crystal Display  LLZ ...................... Lieferanten‐Logistik‐Zentrum 

XXXII

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

lmi ........................ Leistungsmeneninduziert  lmn ....................... Leistungsmengenneutral  LOM ..................... Laminated Object Manufacturing  M€ ........................ Millionen Euro  MA ....................... Mitarbeiter  MHz ..................... Megahertz  MIDAS ................. Maintenance of Item, Display and Store Relationship  MIRS .................... Modular Integrated Robotized System  MIS ....................... Management‐Informationssystem  MIT ....................... Massachusetts Institute of Technology  MITI ..................... Japanese Ministry of International Trade and Industry  MPA ..................... Materialpreisabweichung  MPS ...................... Master Production Scheduling  MRO ..................... Maintenance, Repair and Overhaul (Operations)  MRP I ................... Material Requirements Planning  MRP II .................. Manufacturing Resource Planning  MTE ...................... Make‐to‐Engineer  MTO ..................... Make‐to‐Order  MTS ...................... Make‐to‐Stock 

N2O ..................... Flurchlorkohlenwasserstoff  NASA ................... National Aeronautics and Space Administration  NC ........................ Numeric Control   NIAT .................... Net Income after Tax  NOPAT ................ Net Operating Profit after Tax  NOPBT ................. Net Operating Profit before Tax  NVE ...................... Nummer der Verladeeinheit  ODETTE .............. Organization for Data Exchange by Teletransmission   in Europe  OEM ..................... Original Equipment Manufactured Part  OES ....................... Original Equipment Spare Part  OLAP ................... Online Analytical Processing 

XXXIII

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

Olk ....................... Outlook  OP ........................ Operating Profit  ORDRSP .............. Pegged Orders  OSP ...................... On Screen Programming  P‐3‐Analyse ......... Position‐3‐Analysis  PCF ...................... Product Carbon Footprint  PDF ...................... Portable Data File  PMG ..................... Performance Measurement Group  POP ...................... Payment‐on‐Production  POS ...................... Point‐of‐Sale  PPE ....................... Property, Plant & Equipment  PPM ..................... Parts per Million  PPS ....................... Produktionsplanung und ‐steuerung   PRTM ................... Pittiglio Rabin Todd & McGrath  PZK ...................... Prozesskosten  QFD ..................... Quality Function Deployment   qm ........................ Quadratmeter   QM ....................... Qualitätsmanagement  QR ........................ Quick Response  R & D ................... Research and Development  RAM .................... Random Access Memory  RAP ...................... Rechnungsabgrenzungsposten  RCO ..................... Real Cost of Ownership  RCS ...................... Roll Cage Sequencing  RECADV ............. Receiving Advice  RFID ..................... Radio Frequency Identification   RKW .................... Rationalisierungs‐Kuratorium der Deutschen Wirtschaft  ROA ..................... Return on Assets  ROCE ................... Return on Capital Employed  ROE ...................... Return on Equity  ROI ....................... Return on Investment 

XXXIV

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

ROM ..................... Read Only Memory  ROTC ................... Return on Total Capital  ROS ...................... Return on Sales  RPZ ...................... Risikoprioritätszahl  SC ......................... Supply Chain  SCC ...................... Supply Chain Council  SCEM ................... Supply Chain Event Management  SCM ...................... Supply Chain Management  SCOR‐Model ....... Supply Chain Operations Reference Model  SCRM ................... Supply Chain Relationship Management 

SF6 ....................... Schwefelhexalfluorid  SILS ...................... Supply‐in‐Line‐Sequence  SLSRPT ................ Sales Report  SMI ....................... Supplier Managed Inventory  SNP ...................... Supply Network Planning  SPC ....................... Statistical Process Control  SRM ...................... Supplier Relationship Management  T€ .......................... Tausend Euro  TBO ...................... Total Benefit of Ownership  TCO ...................... Total Cost of Ownership  TCFHE ................. Twentieth Century Fox Home Entertainment  TQM ..................... Total Quality Management  TV ......................... Television  UHF ...................... Ultra‐High‐Frequency  USA ...................... United States of America  US‐GAAP ............ United Stated General Accepted Accounting Principles  VDI ....................... Verband Deutscher Ingenieure  VDA ..................... Verband der Automobilindustrie  VfW ...................... Vereinigung für Wertstoffrecycling   VIA ....................... Verbund Initiative Automobil  VMI ...................... Vendor Managed Inventory 

XXXV

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

VOD ..................... Video on Demand  VTW ..................... Vertriebswege  WACC .................. Weighted Average Cost of Capital  WIP ...................... Work‐in‐Process  WM ...................... Warehouse Management  WWF .................... World Wildlife Fond  XML ..................... Extensible Markup Language  YE ......................... Year End  YTD ...................... Year to Date 

XXXVI

Lernziele und Vorgehensweise

A.1

A Grundlagen

A.1

Lernziele und Vorgehensweise

Das Supply Chain Management (SCM) ist seit geraumer Zeit in Theorie  und Praxis allgegenwärtig. Vor allem auf Grund der hohen Rationalisie‐ rungspotenziale,  die  dem  Konzept  beigemessen  werden,  versuchen  immer  mehr  Organisationen  ein  Supply  Chain  Management  einzufüh‐ ren.  Zum  Beispiel  konnte  IBM  offenkundig  innerhalb  eines  Geschäfts‐ jahrs  Kosteneinsparungen  durch  eine  nachhaltige  Straffung  der  Wert‐ schöpfungsaktivitäten  von  circa  sieben  Milliarden  US‐Dollar  erzielen  (vgl.  Wannenwetsch  2005,  S.  1).  Wal  Mart,  der  weltweit  größte  Waren‐ hauskonzern, sieht in einer Optimierung der Supply Chain Möglichkei‐ ten zur Kostenreduzierung von circa 25%. Weiterhin unterstellt die Con‐ sulting‐Gesellschaft  PRTM  dem  Supply  Chain  Management  folgende  Verbesserungsmöglichkeiten (vgl. Becker 2004, S. 86; ähnlich Poluha 2016,  S. 87): 

Kriterium 

„It’s a hot thing  and it’s getting  hotter…“ 

Verbesserungspotenzial 

Bestände 

50% bis 80% 

Liefertreue 

10% bis 25% 

Rückgang überfälliger Bestellungen 

70% bis 90% 

Verkürzung der Auftragsabwicklungszeit 

40% bis 75% 

Gemeinkostensenkung 

10% bis 30% 

Verkürzung der Herstellzyklen 

30% bis 90% 

Auch  wenn  solche  Zahlenangaben  immer  mit  großer  Vorsicht  zu  ge‐ nießen  sind, weil  diese  Werte  nur  ceteris  paribus  gelten  (wie  kann mit  Sicherheit festgestellt werden, dass diese Verbesserungen ausschließlich  einem  Supply  Chain  Management  zuzuschreiben  sind?),  scheint  sicher:  © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_1

1

Das Geld liegt im  Prozess! 

A

Grundlagen

Dem  Ansatz  sind  immense  Optimierungspotenziale  geschuldet.  Das  Geld liegt offenkundig nicht länger im Einkauf (gemäß einer alt gedien‐ ten These der Betriebswirtschaftslehre), sondern in einer Prozessverbes‐ serung,  und  in  dem  forcierten  Management  interner  sowie  über  Netz‐ werke gerichteter Schnittstellen von Unternehmen.  Mit der Stange im  Nebel stochern 

Das Supply Chain Management zieht in seinem Sog eine Reihe weiterer  Ansätze  mit  sich.  Selten  wird  allerdings  deutlich,  was  sich  hinter  den  Schlagworten  verbirgt.  Auch  bleiben  die  Hinweise  auf  eine  konkrete  Anwendung der Konzepte zumeist nebulös. Diesem Problem stellt sich  die vorliegende Schrift. In diesem Buch wird der Versuch unternommen,  eine  Antwort  auf  die  Frage  zu  geben,  wie  Unternehmen  die  Verbesse‐ rungspotenziale  heben  können,  die  einem  Supply  Chain  Management  inhärent  sind.  Dabei  wird  auf  eine  Vielzahl  von  Beispielen  zurückge‐ griffen,  welche  dabei  helfen,  die  folgenden  Ausführungen  besser  zu  verstehen. 

Aufbau der Schrift  in fünf Abschnitte 

Zunächst  sind  in  diesem  Kapitel  A  die  Grundlagen  des  Supply  Chain  Managements darzustellen. In Abschnitt B wird der Einfluss moderner  Managementkonzepte auf die Ausgestaltung der Supply Chain gekenn‐ zeichnet.  Diesbezüglich  werden  Markt‐  und  Ressourcenfokussierung,  Total  Quality  Management,  Business  Reengineering  sowie  Time  Based  Competition beschrieben. Für die Nutzung dieser Konzepte sind Strate‐ gien  zu  formulieren.  In  Kapitel  C  wird  eine  dezidierte  Kennzeichnung  von  Strategien  vorgenommen,  welche  für  ein  Supply  Chain  Manage‐ ment von Bedeutung sind. Diese lassen sich in zwei Gruppen einteilen:  Einerseits  in  Versorgungsstrategien,  wie  Efficient  Consumer  Response,  Sourcing‐Ansätze  oder  neuere  Beschaffungskonzepte.  Andererseits  in  Strategien  von  Entsorgung  und  Recycling.  Zur  Umsetzung  dieser  Stra‐ tegien  sind  unterschiedliche  Instrumente  notwendig,  die  unter  dem  Hauptgliederungspunkt  D  beschrieben  werden.  Mögliche  Hilfsmittel  des  Supply  Chain  Managements  stellen  Maßnahmen  zur  Reduzierung  von Bestands‐ und Frachtkosten, Instrumente zur verbesserten Informa‐ tionsgewinnung sowie zur forcierten Qualitätssicherung dar. Außerdem  wird unter Gliederungspunkt D deutlich, welche IT‐Systeme und digita‐ len  Lösungen  das  Supply  Chain  Management  unterstützen.  Schließlich  finden sich in Abschnitt E wesentliche Aspekte des Controllings moder‐ ner  Lieferketten.  Dieses  Kapitel  bezieht  sich  auf  neuere  Controlling‐ Ansätze. Abbildung 1 spiegelt den Aufbau dieser Schrift. 

Zum Umgang mit  dem Buch 

Jedem  Kapitel  werden  im  Folgenden  seine  Lernziele  und  die  Vorge‐ hensweise  der  Bearbeitung  vorangestellt.  In  Marginalien  sind  die  we‐

2

Supply Chain Management: Historie und Begriff

A.2

sentlichen  Inhalte  hervorgehoben.  Übersichtlich  werden  die  verwende‐ ten zentralen Begriffe in einem Glossar zusammengefasst. Viele Beispie‐ le  aus  der  Praxis  unterstreichen  die  theoretischen Ausarbeitungen. Am  Ende  der  Gliederungsabschnitte  finden  sich  zudem  jeweilige  Verständ‐ nisfragen.  Das  Lernziel  und  die  Vorgehensweise  von  Kapitel  A  bestehen  darin,  das  Supply  Chain  Management  von  unterschiedlichen  Bereitstellungs‐ ansätzen  (Einkauf,  Materialwirtschaft  und  Logistik)  sowie  modernen  Management‐Konzepten  abzugrenzen.  Zunächst  wird  die  historische  Entwicklung  des  Supply  Chain  Managements  beschrieben.  Anschlie‐ ßend sind zentrale Begriffe des Ansatzes zu klären. Weiterhin sind Typi‐ sierungsmöglichkeiten  und  Entwicklungsstufen  von  Supply  Chains  ebenso zu diskutieren, wie deren Entstehungsmotive. Schließlich finden  sich in diesem Kapitel primäre Strategietypen, Netzwerkarten, Material‐ flussanalysen und Gestaltungsmodelle innerhalb der Supply Chain. 

A.2

Supply Chain Management: Historie und Begriff

A.2.1

Allgemeine Charakterisierung

Die  Wurzeln  des  Supply  Chain  Managements  liegen  in  den  USA.  An‐ fang der 80er Jahre prägten angloamerikanische Consultants den Begriff  (vgl.  Houlihan  1985;  Jones/Riley  1985).  Vor  allem  Oliver  und  Webber  (vgl.  Oliver/Webber  1992)  sind  als  praxisorientierte  Protagonisten  des  Supply  Chain Managements zu nennen. Die Theorie nahm sich dem Konzept in  den  späten  80er  Jahren,  wiederum  zunächst  in  den  USA,  an.  Zu  den  Wegbereitern  einer  theoretischen  Festigung  des  Begriffs  zählen  Bothe  1989,  Copra/Meidl  2008,  Christopher  2004,  Davis  1993,  Ellram/Cooper  1990  und  1993,  Fawcett  et  al.  2006,  Fisher  1997,  Hewitt  1994,  Macbeth/Ferguson  1993, Simchi‐Levi et al. 2007, Stevens 1989 und Towill 1996. In Deutschland  etablierte  sich  das  Supply  Chain  Management  in  Theorie  und  Praxis  Mitte der 90er Jahre. Hierzulande nahmen die wissenschaftlichen Arbei‐ ten auf diesem Gebiet in den letzten Jahren zu.   

3

Lernziele und  Vorgehensweise 

SCM: Ein Begriff  aus der Praxis 

Aufbau der Schrift 

Kennzahlen/  SC Performance 

Kapitel A    Grundlagen 

4

Einfluss von Führungskonzepten auf das Supply  Chain Management  Markt/  Ressourcen 

Business  Reengineering 

TQM 

Time Based  Competition 

EVA 

Working  Capital 

Kapitel B 

Prozesskosten 

Kapitel C  Strategien des Supply Chain Managements 

Kapitel D  Instrumente des Supply Chain Managements  Instrumente zur Be‐ standsreduzierung 

 

Hard‐(Soft)‐ Analyse   

Strategien der Ent‐ sorgung und des  Recyclings 

Strategien der Ver‐ sorgung 

Target Costing 

Controlling der Supply Chain 

Kapitel E 

Abbildung A.1 

Grundlagen

 

A

Instrumente zur Fracht‐ kostenreduzierung 

Instrumente zur Informa‐ tionsgewinnung 

Instrumente zur Quali‐ tätssicherung 

Instrumente zur IT‐  Unterstützung 

 

Supply Chain Management: Historie und Begriff

A.2

Im  Rahmen  einer  begrifflichen  Klärung  zum  Supply  Chain  Manage‐ ment gehen die oben genannten Autoren zum Teil deutlich auseinander  (vgl.  zur  Begriffsfindung  Otto/Kotzrab  2001,  S.  157ff.  und  Gliederungs‐ punkt A.2.2 der vorliegenden Schrift). Beispielsweise bedeutet für Towill  (vgl. Towill 1996, S. 15ff.) ein Supply Chain Management die Verkettung  von Systemen zur Auftragsabwicklung. Fisher (vgl. Fisher 1997, S. 105ff.)  hingegen  sieht  in  einer  Supply  Chain  vor  allem  einen Absatzkanal,  der  die Fertigungsstätten mit ihren Kunden verbindet. Ganz anders Harring‐ ton  (vgl.  Harrington  1995,  S.  30ff.):  Er  beschreibt  ein  Supply  Chain  Ma‐ nagement  als  Gebilde  zur  Abwicklung  kombinierter  Material‐  und  In‐ formationsflüsse. Für Stevens (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.) reicht die Supply  Chain  von  der  „Source  of  Supply“  bis  zum  „Point  of  Consumption“.  Schließlich  bedeutet  für  Ellram  und  Cooper  (vgl.  Ellram/Cooper  1990,  S.  1ff.)  ein  Supply  Chain  Management  die  Verknüpfung  von  Wertschöp‐ fungsprozessen. 

Von der Source of  Supply bis zum  Point of Consump‐ tion 

Unabhängig  von  den  differierenden  begrifflichen  Klärungen  scheint  allgemein akzeptiert, dass im Supply Chain Management, basierend auf  der Wertschöpfungskette (Value Chain) von Michael E. Porter (vgl. Porter  2006; Porter 2013; Porter 2014), der Gedanke einer Integration von Unter‐ nehmensaktivitäten  aufgegriffen  wird.  Grundsätzlich  misst  die  Wert‐ schöpfung  die  selbst  erstellten  Leistungen  eines  Unternehmens,  abzüg‐ lich  erbrachter  Vor‐  und  Fremdleistungen.  Während  bislang  die  einzel‐ nen  Bereiche  weitgehend  losgelöst  voneinander  standen,  werden  im  Supply Chain Management die Verbesserungspotenziale an den Schnitt‐ stellen  –  sowohl  unternehmensintern  als  auch  über  Netzwerke  ausge‐ richtet – aufgedeckt. 

Wertschöpfungs‐ kette als Ur‐ sprungsquelle 

Ein  Supply  Chain  Management  erstreckt  sich  über  komplette  Unter‐ nehmensnetzwerke.  Das  kooperative  Partnergeflecht  spannt  sich  über  mehrere  vertikale  Ebenen,  verstanden  als  „Lieferanten‐Hersteller‐ Kunden‐Verbund“.  In  dieser  Wertschöpfungskette  laufen  eine  Vielzahl  von Aktivitäten  ab.  Ein  wichtiges  Ziel  besteht darin,  durch  eine  umfas‐ sende Kostenanalyse die Transaktionskosten innerhalb der kompletten  Supply  Chain  zu  reduzieren.  Transaktionskosten  fallen  für  aufeinander  folgende  Tätigkeiten  an  (vgl.  zu  Transaktionskosten  ausführlich  S.  46).  Zur  Koordination  der  Prozesse  werden  zwischen  den  beteiligten  Part‐ nern  institutionelle  Regelungen  für  den  Austausch  von  Waren  sowie  Diensten vorgegeben. Bei der Minimierung der Transaktionskosten sind  die  Wahl  der  Organisationsform,  die  Spezifizierung  der  Prozesse  und  der  Grad  an  Unsicherheit  relevante  Stellhebel.  Insbesondere  durch  die  rasanten  Entwicklungen  auf  dem  Gebiet  der  Informationstechnologie 

Senkung von  Transaktionskosten  in Netzwerken 

5

A

Grundlagen

(IT),  wird  die  Ausschöpfung  von  Kostensenkungspotenzialen  über  op‐ timierte Transaktionen gefördert.  Interaktionen  zwischen den  Akteuren 

Ein  einheitliches  Verständnis  gegenüber  einem  Supply  Chain  Manage‐ ment  hat  sich  bislang  noch  nicht  durchgesetzt.  Dies  mag  insbesondere  der Tatsache geschuldet sein, dass der Ansatz seine Wurzeln in der Un‐ ternehmenspraxis hat. Es scheint jedoch allgemein akzeptiert, sämtliche  Ziele und abgeleitete Handlungen der Supply Chain zur Sicherung und  Verbesserung  von  Güter‐  und  Werteflüssen  im  Wettbewerb  zu  nutzen.  Die  Komponenten  innerhalb  einer  Supply  Chain  stellen  kein  unver‐ bundenes Nebeneinander dar. Sie beziehen sich vielmehr auf die kom‐ plette  Wertschöpfungskette:  Von  der  Anlieferung,  über  die  Fertigung  und  den  Verkauf,  bis  zur  Entsorgung  oder  zum  Recycling.  Zusätzlich  spielt das zwischenmenschliche Verhältnis der beteiligten Partner unter‐ einander  eine  besondere  Rolle  für  die  Abwicklung  kooperativer  Ge‐ schäftsprozesse.  Bindung,  Vertrauen,  Transparenz  und  Loyalität  sind  wichtige Faktoren, um die Beziehungen der Akteure zu verbessern (So‐ zialebene der Supply Chain). 

SCM berücksich‐ tigt explizit Fi‐ nanzströme 

Auch  die  begleitenden  Geldflüsse  finden Berücksichtigung.  Es  handelt  sich dabei um Finanzströme, wie die Fakturierung im Rahmen der Auf‐ tragsabwicklung oder Debitoren‐ und Kreditorenzahlungen. Grundsätz‐ lich  gilt,  dass  mit  steigender  Zahlungsfrist  der  Finanzierungsbedarf  wächst.  Es  muss  bei  einer  Zahlung  auf  Ziel  quasi  eine  Vorfinanzierung  vorgenommen  werden,  die  zu  Opportunitätskosten  führt,  weil  das  ge‐ bundene Geld nicht gewinnbringend eingesetzt werden kann. 

Begriffsklärung der  vorliegenden  Schrift 

Aus  den  oben  beschriebenen  elementaren  Inhalten  eines  Supply  Chain  Managements leitet sich die in dieser Schrift herangezogene Begriffsklä‐ rung ab. Diese bezieht sich im Kern auf die Definitionen von Ellram und  Cooper  (vgl.  Ellram/Cooper  1990,  S.  1ff.)  sowie  von  Harrington  (vgl.  Har‐ rington  1995,  S.  30ff.),  erweitert  sie  jedoch  erheblich.  Die  Definition  ist  bewusst grob granuliert und wird in Block A.I wiedergegeben. 

Begriffsblock A.I 

Definition des Supply Chain Managements  Ein  Supply  Chain  Management  (Lieferkettenmanagement)  reicht  von  der  Source  of  Supply  bis  zum  Point  of  Consumption.  Es  umfasst  Material‐,  In‐ formations‐  und  Geldflüsse  entlang  der  kompletten  Wertschöpfungskette  (Versorgung,  Entsorgung,  Recycling)  und  berücksichtigt  zusätzlich  die  Be‐ ziehungen der Akteure zueinander (Sozialebene der Supply Chain). 

6

Supply Chain Management: Historie und Begriff

Umgangssprachlich können Supply‐Chain‐Aktivitäten als Management  moderner Lieferketten verstanden werden. Wie deutlich wurde, reichen  sie nach Stevens (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.) von der „Source of Supply“ bis  zum  „Point  of  Consumption“.  Ein  Supply  Chain  Management  bezieht  sich  einerseits  auf  die  Prozesse  innerhalb  eines  Unternehmens  (unter‐ nehmensinterne  Supply  Chain).  Auf  der  anderen  Seite  erstreckt  sich  das  Supply  Chain  Management  auf  eine  Verzahnung  dieser  Organisation  mit  ihrer  Umwelt  (Supply‐Chain‐Netzwerk). Abbildung A.2  unterstreicht  diesen Zusammenhang. 

 Unternehmensinterne Supply  Chain:  Der Bezugspunkt  der  internen  Supply  Chain  hängt  von  der  Fertigungstiefe  eines  Unternehmens  ab.  In Abbildung A.2  bezieht  sich  die  Supply  Chain  auf  ein  Montageun‐ ternehmen.  Für  eine  fertigende  Organisation  oder  einen Dienstleister  wären  die  Elemente  der  Kette  hinsichtlich  ihrer  Spezifika  zu  modifi‐ zieren. Die interne Supply Chain umfasst in diesem Beispiel folgende  Stufen:  Wareneingang,  Hochregallager,  Kommissionierung,  Vormon‐ tage, Zwischenlager, Endmontage und Versand. Ein vorgelagerter Be‐ reich versorgt seinen jeweils nachgelagerten. Der physische Warenfluss  verläuft  in  dieser  Richtung.  Die  Wertschöpfung  nimmt  stufenweise  von links nach rechts  zu. 

 Unternehmensintegrierte  Supply  Chain:  Eine  integrierte  (Netzwerk  gerichtete) Supply Chain positioniert sich auf die externen Schnittstel‐ len eines Unternehmens. Im Eingangsbereich („Inbound“) findet eine  Verzahnung  dieser  Organisation  mit  ihren  Lieferanten  statt.  Im  Wa‐ renausgang  (Outbound“)  ist  das  Unternehmen  mit  seinen  Kunden  verbunden. In dieses Netzwerk sind auch die „Lieferanten der Liefe‐ ranten“  und  die  „Kunden  der  Kunden“  einbezogen.  Anders  ausge‐ drückt, umspannt eine integrierte Supply Chain sämtliche Aktivitäten  im  Netzwerk  der  Akteure.  Sie  reicht  vom  Last‐Tier‐Lieferanten  bis  zum ultimativen Endverbraucher. 

Der Verlauf innerhalb des Supply Chain Managements folgt einem “Or‐ der‐to‐Payment‐S” (vgl. Klaus 2012, S. 457ff.; Werner 2013a, S. 10). Abbil‐ dung  A.2  zeigt  das  Grundprinzip  des  Konzepts.  Innerhalb  der  Verket‐ tung  sind  drei  Bereiche  zu  unterscheiden.  Sowohl  die  interne  als  auch  die integrierte Supply Chain gehen in das Order‐to‐Payment‐S ein (vgl.  Begriffsblock A.II). 

7

A.2 Modernes Liefer‐ kettenmanagement 

Beispiel einer  internen Supply  Chain 

Supply Chain im  Netzwerk 

Darstellung über das  Order‐to‐Payment‐S 

A Begriffsblock A.II 

Grundlagen

Bereiche im Order‐to‐Payment‐S 

 Bereich  1:  Der  erste  Bereich  verläuft  flussaufwärts,  von  rechts  nach  links. Ein  Kunde  gibt einen Auftrag  (Order)  an  das Unternehmen  ab  (Pull‐Orientierung). Die Schnittstellen zwischen den Partnern gewähr‐ leisten die Disponenten, wobei die Liefer‐ (LAB) und Feinabrufe (FAB)  den  Prozess  regeln.  Über  die  Abrufe  werden  die  zu  fertigenden  Bau‐ zahlen  bestimmt.  Der  Disponent  stellt  seine  Informationen  dem  Ein‐ kauf zur Verfügung, welcher den Warennachschub gewährleistet. 

 Bereich  2:  Der  physische  Materialfluss  richtet  sich  von  links  nach  rechts aus (flussabwärts). Eine Erfüllung des Kundenauftrags steht im  Mittelpunkt.  Die  gelieferten  Teile  werden  im  Wareneingang  ange‐ nommen.  Nach  ihrer  Lagerung  und  Kommissionierung  erfolgt  die  Montage. Eine vorgelagerte Stelle versorgt ihre jeweils nachgelagerte.  Die  Wertschöpfung  steigt  schrittweise,  bis  die  Fertigwaren  den  Kun‐ den zugestellt werden. 

 Bereich 3: Die Waren sind schließlich durch den Kunden zu bezahlen  (das flussaufwärts gerichtete Payment). Dieser Bereich beschreibt den  Geldfluss.  Außerdem  verlaufen  eine  Entsorgung  und  ein  Recycling  von  rechts  nach  links.  Die  beiden  letzten  Komponenten  gewinnen,  insbesondere  auf  Grund  ökologischer  und  rechtlicher Aspekte,  stetig  an Bedeutung (vgl. Green Supply Chains auf S. 271).   

A.2.2

Systematisierung  von Supply Chains 

Typisierungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements

Nachstehend  werden  einige  Möglichkeiten  zur  Typisierung  unter‐ schiedlicher  Ansätze  um  das  Supply  Chain  Management  diskutiert.  Diesbezüglich  ist  zunächst  das  Konzept  nach  Bechtel  und  Jayaram  (vgl.  Bechtel/Jayaram  1997,  S.  15ff.)  vorzustellen,  das  vier  verschiedene  Denk‐ schulen  des  Supply  Chain  Managements  kennt.  Anschließend  werden  die Typologien nach Otto (vgl. Otto 2002, S. 89ff.) und Göpfert (vgl. Göp‐ fert  2004,  S.  25ff.)  charakterisiert.  Weiterhin  sind  die  prägenden  vier  Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements näher zu beschrei‐ ben.   

8

A.2

Supply Chain Management: Historie und Begriff

Abbildung A.2 

Order‐to‐Payment‐S in der Supply Chain 

Externe  Supply   Chain  (Input) 

Externe  Supply   Chain  (Output) 

Interne Supply Chain  (Throughput) 

Order  WE 

HRL 

VM 

KOZ 

ZL 

EM 

VS 

Payment  Lieferanten 

Beschaffungslogistik  Produktionslogistik 

Kunden 

Distributionslogistik  Entsorgungs‐/Recyclinglogistik  Informationslogistik  Logistikcontrolling 

             Legende: 

WE 

=     Wareneingang            ZL     =    Zwischenlager 

 

 

HRL 

=     Hochregallager           EM     =    Endmontage 

 

 

KOZ 

=     Kommissionierzone   VS      =    Versand 

 

 

VM 

=     Vormontage 

A.2.2.1

Typisierungsmöglichkeiten des Supply Chain Managements

A.2.2.2

Typologie nach Bechtel/Jayaram

Nach  Bechtel/Jayaram  (vgl.  Bechtel/Jayaram  1997,  S.  15ff.)  sind  die  Erklä‐ rungsversuche um das Supply Chain Management in vier verschiedene  Denkschulen einzuordnen. Sie nennen diesbezüglich Chain Awareness,  Linkage School, Information School und Integration School. 

9

Denkschulen von  Supply Chains 

A

Grundlagen

Ansätze des Be‐ wusstseins 

 Chain  Awareness:  Der  Ansatz  Chain  Awareness  ist  weit  ausgelegt. 

„Ein Schritt vor‐ her, danach mehr:  Stelle die Verbin‐ dung her…“      (Die Sterne) 

 Linkage  School:  Nach  der  Linkage  School  stellen  Supply  Chains  lo‐

Bidirektionaler  Informationsfluss 

 Information School: Diese dritte Einordnungsmöglichkeit von Denk‐

Business Integra‐ tion 

 Integration  School:  Schließlich  bezieht  die  Integration  School  ein 

Nach  diesem  Konzept  umfasst  das  Netzwerk  sämtliche  Tätigkeiten  von  der  Rohstoffgewinnung  bis  zum  ultimativen  Endverbraucher.  Stevens gehört beispielsweise der Denkschule einer Chain Awareness  an (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.). Wie oben dargestellt, reicht für ihn eine  Supply  Chain  von  der  „Source  of  Supply“  bis  zum  „Point  of  Con‐ sumption“.  gistische  Beziehungen  und  Verbindungen  zwischen  den  beteiligten  Organisationen  dar.  Der  Schwerpunkt  dieser  Überlegungen  bezieht  sich  auf  Transportentscheidungen.  Zu  den  bekanntesten  Vertretern  dieser Schule gehört Simchi‐Levi: “The supply chain, which is also re‐ ferred to as the logistics network, consists of suppliers, manufacturing  centers, warehouses, distribution centers and retail outlets, as well as  raw  materials,  work‐in‐process  inventory,  and  finished  products  that  flow between the facilities.” (Simchi‐Levi et al. 2007, S. 1).  ansätzen  des  Supply  Chain  Managements  betont  einen  bidirektiona‐ len Informationsfluss zwischen den Akteuren. Der Information School  gehört  beispielsweise  Bowersox  an:  „Supply  Chain  Management  is  a  collaborative‐based  strategy  to  link  cross‐enterprise  business  infor‐ mation  to  achieve  a  shared  vision  of  market  opportunity.“  (Bowersox  1998, S. 181).  Supply Chain Management auf eine Prozess‐ und Systemsicht. Cooper  et al. stellen wichtige Vertreter dieser Denkrichtung dar: „The integra‐ tion of business processes across the supply chain is what we are call‐ ing supply chain management.” (Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 2). 

A.2.2.3

Typologie nach Otto

Typisierung nach  Otto 

Eine  zweite  Typisierungsalternative  des  Supply  Chain  Managements  geht  auf  Otto  zurück  (vgl.  Otto  2002,  S.  89ff.).  Der  Verfasser  trifft  eine  Differenzierung  nach  Wertschöpfungsprozess,  Unternehmensgruppe,  Netzwerk  vertikal  alliierter  Partner  und  Superorganisation.  Nachste‐ hend wird die Supply‐Chain‐Typologie nach Otto näher charakterisiert. 

Wertschöpfungs‐ netzwerke 

Zunächst kann ein Supply Chain Management als Wertschöpfungspro‐ zess  identifiziert  sein.  Darunter  ist  jedwede  Form  arbeitsteiliger  Erstel‐ lung materieller Produkte zu verstehen. „The term supply chain is used  to the chain linking each element of the production and the supply pro‐

10

Supply Chain Management: Historie und Begriff

A.2

cess from materials through to the end customer. Typically such a chain  will  cross  several  organizational  boundaries.”  (Scott/Westbrook  1991,  S.  23).  Die  einzelnen  Partner  dieser  Kette  agieren  weitgehend  losgelöst  voneinander.  Dabei  kann  sich  die  Wertschöpfungskette  intern  oder  ge‐ nerisch ausrichten (vgl. Otto 2002, S. 92ff.). 

 Einerseits wird sich das Supply Chain Management auf den internen  Wertschöpfungsprozess  erstrecken.  Dann  erfasst  die  Supply  Chain  sämtliche  wertschöpfenden  Aktivitäten  innerhalb  einer  Organisation  („Intra‐Company“): „The supply chain management is a business pro‐ cess.“ (Hewitt 1994, S. 2). 

 Auf der anderen Seite zielt ein Supply Chain Management auf generi‐ sche  Wertschöpfungsprozesse.  Darunter  sind  allgemein  gültige,  mo‐ dulare, rekonfigurierbare Versorgungsaktivitäten von Organisationen  zu verstehen. Das Order‐to‐Payment‐S, welches zur begrifflichen Klä‐ rung der vorliegenden Schrift dient, ist diesem Segment ebenso zuzu‐ ordnen, wie das SCOR‐Modell (vgl. S. 70). 

Intra‐Company‐ Betrachtung 

Netzwerkorientier‐ te Wertschöp‐ fungskette 

Einen weiteren Bezugsrahmen der Typologie um ein Supply Chain Ma‐ nagement  bildet  die  Unternehmensgruppe  ab.  „A  Supply  Chain  …  comprises  all  companies  that  participate  in  transforming,  selling  and  distributing the product from raw material to final customer.” (Chow et  al.  1994,  S.  22).  Die  Akteure  innerhalb  dieser  Kette  übernehmen  in  der  Regel eindeutig definierte Wertschöpfungsinhalte (so genannte Business  Functions), welche sich durch ihre funktionale Verschiedenheit auszeich‐ nen:  „Supply  chain  management  extends  this  concept  of  functional  in‐ tegration  beyond  the  firm  to  all  the  firms  in  the  supply  chain.“  (Ell‐ ram/Cooper 1990, S. 1). 

Aktionen im Un‐ ternehmensver‐ bund abwickeln 

Nach  Otto  (vgl.  Otto  2002,  S.  96)  ist  ein  Supply  Chain  Management  als  Netzwerk vertikal alliierter Unternehmen zu verstehen, wenn die ein‐ zelnen Akteure  im  Rahmen  ihrer  Zusammenarbeit  bestimmte Attribute  aufweisen.  Zu  diesen  Merkmalen  zählen  „gemeinsame  Strategien“,  „kooperative Zusammenarbeit“ oder „gemeinsame Verantwortung“: „A  network  of  connected  and  interdependent  organizations  mutually  and  cooperatively  working  together  to  control,  manage  and  improve  the  flow  of  materials  and  information  from  suppliers  to  end‐users.“  (Chris‐ topher  1999,  S.  19). Ein  weiterer  Vertreter  dieser  Sichtweise  ist  Swamina‐ than:  “Supply  Chain  Management  ...  as  a  network  of  autonomous  or  semiautonomous  business  entities  collectively  responsible  for  procure‐ ment,  manufacturing  and  distribution  activities  associated  with  one  or  more families or related products.” (Swaminathan et al. 1998, S. 607). 

Vertikal alliierte  Partner 

11

A “Das ist das neue  Spiel. Es heißt:  ‚Alle gegen Al‐ le‘…”             (Deutsch Amerika‐ nische Freund‐ schaft) 

Grundlagen

Schließlich sind Supply Chains als Superorganisationen zu bezeichnen,  wenn  sie  nicht  länger  rechtlich  selbständige  Gebilde,  sondern  unitäre  Organisationen darstellen („Extended Enterprise“ oder „Extra Corporate  Organization“): „We are now entering the era of supply chain competiti‐ on. …real competition is not company against company but rather supp‐ ly chain against supply chain“ (Christopher 1999, S. 28). 

A.2.2.4

Typologie nach Göpfert

Zwei Gruppen von  Supply Chains 

Die  Typisierung  von  Erklärungsansätzen  um  das  Supply  Chain  Ma‐ nagement nach Göpfert (vgl. Göpfert 2004, S. 25ff.) ordnet diese zwei ge‐ nerischen  Gruppen  zu.  Das  Unterscheidungskriterium  nach  Göpfert  ist  der  direkte  Logistikbezug  (erste  Gruppe)  und  der  indirekte  Logistikbe‐ zug (zweite Gruppe). 

SCM als erweiterte  Logistikfunktion 

Die  erste  Gruppe  der  Typologie  nach  Göpfert  (vgl.  Göpfert  2004,  S.  28)  leitet  den  Begriff  „Supply  Chain  Management“  unter  expliziter  Bezug‐ nahme auf die betriebliche Logistik ab. In diesem Segment finden sich  die  für  ein  Supply  Chain  Management  synonym  verwendeten  Begriff‐ lichkeiten  „Lieferkette“,  „Versorgungskette“  und  „Logistikkette“.  Man‐ che  Autoren  setzen  gar  die  Begriffe  Supply  Chain  Management  und  Logistik gleich, so Simchi‐Levi: „… we do not distinguish between logis‐ tics  and  supply  chain  management.“  (Simchi‐Levi  et  al.  2007,  S.  3).  In  diese  Kategorie  von  Erklärungsversuchen  um  das  Supply  Chain  Man‐ agement fallen auch Handfield/Nichols: „Supply chain management … all  activities associated with the flow and transformation of goods from raw  materials  stage  ... through  the  end  user,  as  well  as  the associated  infor‐ mation flows.“ (Handfield/Nichols 1999, S. 2). 

SCM in der Vari‐ ante Zero Based 

In  der  zweiten  Gruppe  begrifflicher  Klärungsansätze  um  das  Supply  Chain  Management  findet  keine  direkte  Bezugnahme  zur  Logistik  statt. Eine Lieferkette wird dem „Management von Geschäftsprozessen“,  einem  „Kooperationsmanagement“  oder  dem  „Beziehungsmanage‐ ment“ gleichgesetzt: „The integration of all key business processes across  the  supply  chain  is  what  we  are  calling  supply  chain  management.“  (Cooper et al. 1997, S. 2). Nach Göpfert entfernen sich diese Ansätze zum  Teil recht weit vom eigentlichen Kerninhalt des Supply Chain  Manage‐ ments. Zudem ist in dieser zweiten Gruppe das Supply Chain Manage‐ ment  eng  mit  dem  Entstehungsprozess  einer  Logistik  verbunden  (vgl.  Göpfert 2004, S. 30). 

12

Supply Chain Management: Historie und Begriff

A.2.2.5

A.2

Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements

Das  Supply  Chain  Management  hat  nach  Baumgarten  vier  elementare  Entwicklungsstufen durchschritten (vgl. Baumgarten 2012, S. 54ff.). Die‐ se  reichen  von  der  Integration  der  Funktionen  interner  Supply  Chains  (Stufe  1),  einem  Informationsaustausch  zwischen  Kunden,  Lieferanten  und  Logistikdienstleistern  (Stufe  2),  dem  kollaborativen  Management  kompletter  Netzwerke  (Stufe  3),  bis  zur  Synchronisation  und  Reduzie‐ rung interner oder externer Supply Chains (Stufe 4). Nachstehend findet  sich eine Beschreibung der Inhalte dieses Phasenmodells (vgl. Baumgar‐ ten 2012, S. 55ff.). Abbildung A.3 zeigt diese Entwicklungsstufen in über‐ sichtlicher Weise auf. 

Historische Ent‐ wicklung 

 Stufe 1: Integration der Funktionen interner Supply Chains. Zu Be‐

Integrationen im  Partnergeflecht 

ginn der 90er Jahre startete der Versuch, die unterschiedlichen unter‐ nehmensinternen  Funktionsbereiche  (Einkauf,  Vertrieb,  Technik,  Fi‐ nanzen  oder  Produktion)  miteinander  zu  verzahnen.  Zum  Beispiel  war  es  die  Aufgabe  des  Vertriebs,  Änderungswünsche  der  Kunden  unverzüglich  an  die  anderen  Funktionseinheiten  weiterzureichen.  Dazu  wurden  Prozessketten  aufgebaut,  welche  sich  aus  den  unter‐ nehmensinternen Tätigkeiten ergaben. 

 Stufe  2:  Informationsaustausch  zwischen  Kunden,  Lieferanten  und  Dienstleistern. Mitte der 90er Jahre intensivierten Organisationen ih‐ ren  Informationsaustausch  mit  Kunden,  Lieferanten  und  Dienstleis‐ tern.  Dazu  nutzten  sie  die  Möglichkeiten  moderner  IT  (zum  Beispiel  Web‐Lösungen).  Die  Akteure  schmiedeten  zur  Ausschöpfung  syner‐ getischer  Potenziale  Wertschöpfungsallianzen.  Aus  diesem  Bezie‐ hungsgeflecht  ragten  Systemlieferanten  heraus  (vgl.  Modular  Sour‐ cing, S. 180). Auch für die Logistikdienstleister begann ein neues Zeit‐ alter.  Ihnen  wurde  deutlich  mehr  Verantwortung  übertragen.  Sie  bewirtschafteten  Lieferanten‐Logistik‐Zentren  (LLZ)  oder  Konsigna‐ tions‐Lagerstätten.  Weiterhin  wurden  sie  in  elektronische  Gutschrift‐ verfahren  oder  Einkaufskartensysteme  eingebunden.  Viele  heute  be‐ obachtbare Supply‐Chain‐Prozesse in der Unternehmenspraxis befin‐ den sich in diesem Stadium. 

 Stufe  3:  Kollaboratives  Management  kompletter  Netzwerke.  Basie‐ rend auf den Ergebnissen der zweiten Phase, wurde seit Beginn dieses  Jahrtausends  der  Versuch  unternommen,  Informationen  in  Echtzeit  durch  das  Netzwerk  beteiligter Akteure  zu  schleusen.  Beispielsweise  ergaben sich kurzfristige und nicht vorhersehbare Änderungen in den  Kundenabrufen.  Diese  wirkten  sich  schlagartig  auf  die  Kapazitäts‐  und  Ressourcenplanung  der  Produktion  aus  (das  Verschieben  der 

13

Wertschöpfungs‐ netzwerke 

Simultanplanung  ersetzt Sukzessiv‐ planung 

A

Grundlagen

Auftragsreihenfolgen).  Zur  Lösung  dieser  Problemstellung  wurden  Systeme im Sinne von Advanced Planning and Scheduling (vgl. aus‐ führlich  S.  386)  eingesetzt.  Darunter  sind  Simultanplanungskonzepte  zu  verstehen,  welche  die  Durchgängigkeit  des  Informationsflusses  gewährleisten.  Etliche  Organisationen  versuchen  sich  derzeit  an  der  Implementierung dieser Systeme. 

 Stufe  4:  Synchronisation  und  Reduzierung  interner  wie  externer 

Fit for Supply  Chain Future! 

Supply  Chains.  Best  Practices  haben  die  vierte  Stufe  des  Supply  Chain  Managements  bereits  erreicht.  Eine  zentrale  Rolle  nimmt  in  diesem  Kontext  das  E‐Business  ein.  Teilweise  finden  sich  riesige  Netzwerke,  in  welche  tausende  Akteure  eingebunden  sind.  Diese  Supply  Chains  zeichnen  sich  durch  hohe  Komplexität,  Kompliziert‐ heit und Intransparenz aus. Im Sinne von Virtual Community werden  Kundenwünsche frühzeitig an geeignete Entwicklungspartner durch‐ gereicht  (vgl.  „Resident  Engineering“  auf  S.  137).  Elektronische  Be‐ schaffung  (E‐Procurement)  und  elektronische  Bestandsführung  (E‐ Fulfillment)  sind  wichtige  Stellhebel  dieser  Netzwerke.  Das  IT‐ gestützte  Engpassmanagement  hat  ebenso  an  Bedeutung  gewonnen,  wie der elektronische After‐Sales‐Service. Von besonderer Bedeutung  sind  die  Koppelungssysteme  für  Beschaffung,  Produktion  und  Ver‐ trieb.  Das  Forecasting  des  Produktionsprogramms  wird  über  unter‐ schiedliche  digitale  Plattformen  angestoßen,  die  mit  riesigen  Daten‐ mengen arbeiten (Big Data). Die Aufträge der Kunden spielen sich on‐ line  bei  vernetzten  Händlern  ein,  um  dadurch  eine  automatische  Aktualisierung der Absatzprognose zu erhalten. Hierbei leistet Predic‐ tive Analytics wichtige Dienste, indem historische Zahlen und Trends  mit aktuellen Bestellungen abgeglichen werden. Aus diesen Informa‐ tionen  leitet  sich  das  Fertigungsprogramm  unmittelbar  ab.  Die  zur  Verfügung stehenden Kapazitäten werden in der intelligenten Fabrik  („Smart Factory“, vgl. S. 250 dieser Schrift) ohne menschliche Eingriffe  abgeglichen.  Online  spielen  sich  die  Kundenbestellungen  in  die Auf‐ tragskalender  der  Akteure  ein.  Die  Folge  sind  direkte  Produktions‐ planungen in den angeschlossenen Werken. Zeitnah werden die Kun‐ denbedarfe  an  vorgelagerte  Stufen  der  Supply  Chain  weitergegeben.  So haben Lieferanten die Möglichkeit, ihre Wertschöpfungsaktivitäten  frühestmöglich  anzupassen.  Im  Sinne  von  „Capable‐to‐Promise“  er‐ folgt schließlich eine Verfügbarkeitsplanung. Dies ist eine elementare  Voraussetzung,  um  dem  Kunden  einen  verbindlichen  Liefertermin  mitteilen zu können („Available‐to‐Promise“).         

14

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements 

A.3 Abbildung A.3 

Synchronisation interner  wie externer Lieferketten  Kollaboratives Manage‐ ment komplexer Prozesse  Informationsaustausch (Kun‐ den, Hersteller, Lieferanten)  Funktionsintegration  interner Supply Chains 

1990 

A.3

1994 

1998 

2002 

2006 

2010 

2014 

2018 

… 

 

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

Synonym  für  ein  Supply  Chain  Management  wurden  in  den  letzten  Jahren die Begrifflichkeiten Network Sourcing, Value Stream Manage‐ ment oder Supply Pipeline Management geprägt (vgl. zu diesen Begrif‐ fen  Croom  et  al.  2000,  S.  67).  Allerdings  schaffen  diese  zusätzlichen  Be‐ zeichnungen  für  ein  Supply  Chain  Management  keinen  wirklichen  Mehrwert. Im Gegenteil, sie tragen eher zur Verwirrung bei und werden  daher nachstehend nicht näher gewürdigt. 

Begriffliche Festi‐ gung 

Eine  Abgrenzung  des  Supply  Chain  Managements  von  benachbarten  Konzepten kann dennoch erfolgen. Diese Differenzierung erstreckt sich  zunächst auf die traditionellen Begriffe Einkauf, Materialwirtschaft und  Logistik.  Anschließend  wird  das  Supply  Chain  Management  von  mo‐ dernen Ansätzen unterschieden. 

Tradierte und  moderne Ansätze 

15

A

Grundlagen

A.3.1 Konventionelle  Bereitstellungsan‐ sätze 

Abgrenzung von traditionellen Begriffen

Die Abgrenzung  des  Supply  Chain  Managements  von  Einkauf,  Materi‐ alwirtschaft und Logistik erfolgt fließend. Sämtliche Begriffe korrelieren  mit  dem  Management  moderner  Lieferketten  und  beinhalten  eine  Wa‐ renbereitstellung (vgl. Hess 2017, S. 51). Die Aktivitäten und die Objekte  zwischen  Einkauf,  Materialwirtschaft  und  Logistik  überschneiden  sich  zum Teil (vgl. Arnolds et al. 2016; Hess/Laschinger 2019; Large 2013). 

Strategischer und  operativer Einkauf 

 Einkauf: Der Einkauf kann in einen strategischen und in einen opera‐

Materialwirtschaft  als Subsystem der  Supply Chain 

 Materialwirtschaft: Eine Materialwirtschaft beinhaltet den wirtschaft‐

Physische Raum‐  und Zeitüberbrü‐ ckungsfunktion der  Logistik 

 Logistik:  Eine  Logistik  beschäftigt  sich  primär  mit  dem  physischen 

tiven  Bereich  unterteilt  werden,  wobei  die  Übergänge  nicht  trenn‐ scharf  verlaufen.  Die  Tätigkeiten  des  operativen  Einkaufs  sind  abwi‐ ckelnder Art  und  auf  eine  Steigerung  der  Einkaufseffizienz  ausgerich‐ tet.  Ein  idealtypischer  operativer  Einkaufsprozess  umfasst  die  Arbeitsschritte Dispositionsmeldung, Bedarfsfeststellung, Bestellbear‐ beitung,  Terminverfolgung,  Rechnungsabgleich  sowie  Termin‐,  Men‐ gen‐  und  Qualitätsüberwachung.  Der  strategische  Einkauf  hingegen  verfolgt eine Optimierung der Einkaufseffektivität. Somit sind die Akti‐ vitäten des strategischen Einkaufs primär langfristig geprägt. Ein sol‐ cher  Prozess  beinhaltet  die  Phasen  Versorgungserkennung,  Beschaf‐ fungsmarktforschung, Anfrage und Ausschreibung, Preisverhandlung  und  Angebotsauswertung,  Vertragsabschluss  sowie  Leistungsmes‐ sung (Einkaufs‐Performance). Der Einkauf im Allgemeinen wird auch  mit  den  Terminus  „Supply  Management“  gleichgesetzt,  der  strategi‐ sche Einkauf im Speziellen mit „Beschaffungsmanagement“.  lichen  Umgang  mit  Waren  und  ist  weiter  gefasst  als  der  Einkauf.  Sie  umfasst  die  Lagerbewirtschaftung,  den  innerbetrieblichen  Transport  und  die  Materialversorgung,  die  bis  zur  Bereitstellung  in  der  Ferti‐ gung  reicht.  Das  Supply  Chain  Management  nimmt  die  gleichen  Tä‐ tigkeiten  wie  eine  Materialwirtschaft  wahr.  Es  ist  aber  deutlich  um‐ fangreicher,  weil  die  unternehmensinterne  Kette  alle  Bereiche  –  vom  Wareneingang  bis  zum  Versand  –  abdeckt. Außerdem  berücksichtigt  ein  Supply  Chain  Management  die  externen  Schnittstellen  (Lieferan‐ ten und Kunden) sowie Geld‐ und Informationsflüsse.  Materialfluss  (der  Warenverfügbarkeit)  innerhalb  des  Unternehmens  sowie zwischen einer Organisation und ihrer Umwelt. Die Funktionen  der  Raum‐  und  der  Zeitüberbrückung  stehen  im  Mittelpunkt.  Ein  Supply  Chain  Management  nutzt  die  tradierte  Logistik  zur  physi‐ schen  Transaktionsabwicklung,  geht  darüber  aber  deutlich  hinaus  (vgl. Gliederungspunkt A.3.2.2). 

16

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

A.3.2

Abgrenzung von benachbarten Managementansätzen

In  den  letzten  Jahren  haben  sich  um  ein  Supply  Chain  Management  einige benachbarte Konzepte entwickelt. Folgende verwandten Ansätze  sind  von  dem  Supply  Chain  Management  abzugrenzen:  Wertschöp‐ fungskette,  Logistikkette,  Demand  Chain Management, Customer  Rela‐ tionship  Management,  Supplier  Relationship  Management,  Bezie‐ hungsmanagement  sowie  Supply  Chain  Relationship  Management.  Im  Folgenden findet sich eine kurze Beschreibung dieser Ansätze. 

A.3.2.1

A.3 Moderne Ma‐ nagementkonzepte 

Wertschöpfungskette

Das  Supply  Chain  Management  lehnt  sich,  auf  Grund  seines  Integrati‐ onsgedankens,  an  die  Wertschöpfungskette  (synonym  Wertekette  ge‐ nannt) von Michael E. Porter an (vgl. Porter 2006; Porter 2013; Porter 2014).  Nach  Porter  sind  die  Organisationsabläufe  als  Folge  wertschöpfender  Aktivitäten  zu  verstehen.  Die  Primärtätigkeiten  der  internen  Wert‐ schöpfungskette  umfassen  Eingangslogistik,  Operations,  Marketing  und Vertrieb, Ausgangslogistik sowie Kundendienst. Diese sind von den  Funktionen  Infrastruktur,  Personalwirtschaft,  Technologieentwicklung  sowie  Beschaffung  umgeben.  Weitere  unterstützende  Bereiche  (wie  Treasury,  Finanzen  oder  Rechtsabteilung)  vernachlässigt  Michael  E. Por‐ ter hingegen. Nach Porter basieren Differenzierungs‐ oder Kostenvorteile  gegenüber  der  Konkurrenz  aus  einer  Optimierung  der  internen  Wert‐ schöpfungskette.  Beim  Aufbau  dieser  Verflechtungsbeziehung  ist  zu  hinterfragen,  welchen  Wert  die  Organisationstätigkeiten  schaffen  und  wie deren Kosten determiniert sind (vgl. Porter 2014, S. 25). 

Porter als treibende  Kraft des Market‐ Based‐View 

Außerdem  bezieht  sich  Porter  auf  die  unternehmensübergreifende  Wertschöpfungskette  (vgl.  Porter  2014,  S.  60).  Die  interne  Wertekette  von  Unternehmen  ist  mit  vorgelagerten  und  nachgelagerten  Netzwer‐ ken  externer  Partner  verwoben.  Im  Eingangsbereich  liegen  Interdepen‐ denzen mit Lieferanten vor. Mit Vertriebskanälen und Kunden bestehen  ausgehende Verknüpfungen. 

Einbezug der  Determinanten des  Marktes 

Die  Abgrenzung  zwischen  einem  Supply  Chain  Management  und  der  Wertschöpfungskette ist darin zu sehen, dass sich erster Ansatz auf die  Aspekte von Versorgung, Entsorgung und Recycling richtet. Ein Supply  Chain  Management  umfasst  die  physische  Verfügbarkeit,  Beseitigung,  Verwendung oder Verwertung von Waren, wobei diese Aktivitäten von  Informations‐  und  Geldströmen  umgeben  sind.  In  einer  Wertschöp‐

Abgrenzung zum  Supply Chain  Management 

17

A

Grundlagen

fungskette  finden  hingegen  sämtliche  wertsteigernden  sowie  wertvernich‐ tenden  Einflussfaktoren  auf  Unternehmensleistungen  ihren  Niederschlag.  Dazu  zählen  beispielsweise Aspekte  wie  Design  oder  Image.  Diese  Grö‐ ßen sind jedoch für ein Supply Chain Management nur von untergeord‐ neter Bedeutung. 

A.3.2.2 Attribute von  Logistikketten 

Logistikkette

Eine  Logistikkette  richtet  sich  simultan  nach  Prozess‐  und  Kundenori‐ entierung  aus.  Üblicherweise  manifestiert  sich  eine  Logistikkette  mehr‐ stufig: Von der Urproduktion, über die Transformations‐ und die Trans‐ feraktivitäten,  bis  zum  Endverbraucher.  Dabei  kennzeichnen  folgende  Merkmale eine Logistikkette (vgl. Klaus/Krieger 2012, S. 359): 

Untergeordnete  Bedeutung von  Geldflüssen 

 Die Logistik verfolgt eine horizontale Sichtweise von Tätigkeiten, wel‐

Aufbauorganisato‐ rische Integration 

 Eine Logistikkette ist stets als Ganzes zu betrachten, weil die beteilig‐

Interne und exter‐ ne Kundenbetrach‐ tung 

 Innerhalb  der  Logistikkette  sind  Abfolgen  von  Lieferanten‐Kunden‐

„Was nützen die  besten Konzepte  und clevere Logis‐ tik, wenn die Last‐ kraftwagen in  Staus stecken  bleiben?“             (D. Aden) 

Verglichen mit der Logistikkette, ist ein Supply Chain Management das  deutlich  umfassendere  Konzept.  Während  eine  Logistikkette  auf  die  interne  und  die  externe  horizontale  Verzahnung  von  Unternehmensbe‐ reichen nur mit den direkt verbundenen  Lieferanten und Kunden zielt,  umfasst ein Supply Chain Management komplette vertikale Netzwerke;  also  auch  die  Interaktion  mit  den  Lieferanten  der  Lieferanten  und  mit  den  Kunden  der  Kunden.  Dabei  bedient  sich  das  Supply  Chain  Ma‐ nagement,  zur  Wahrnehmung  der Aktivitäten  von  Versorgung,  Entsor‐ gung  und  Recycling,  durchaus  tradierten  Logistikfunktionen  (Beschaf‐ fungs‐,  Produktions‐,  Distributions‐,  Informations‐  und  Entsorgungslo‐ gistik). 

che primär der physischen Raum‐ und Zeitüberbrückung dienen. Im  Unterschied zum Supply Chain Management, sind Informationsflüsse  zwar gleichwohl bedeutsam, doch spielen Geldflüsse in der Logistik‐ kette nur eine unterstützende Rolle.  ten Akteure in ein Geflecht ständiger Wechselwirkungen eingebunden  sind.  Die  einzelnen  Elemente  werden  derart  aneinandergereiht,  dass  sie  ablauforganisatorisch  in  einem  stringenten,  sachlogischen  Zu‐ sammenhang stehen (vgl. Schulte 2017, S. 281).  Beziehungen  zu  identifizieren.  Neben  der  Befriedigung  von  Wün‐ schen  ultimativer  Endverbraucher,  sind  diesbezüglich  auch  die  An‐ forderungen  interner  Kunden  (Intercompany‐Beziehungen)  zu  be‐ friedigen. 

18

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

A.3.2.3

A.3

Demand Chain Management

Ein  Demand  Chain  Management  wird  auch  als  „Chain  of  Customer“  oder „Demand Collaboration“ bezeichnet (vgl. Eagle 2017; Jansen/Reising  2001;  Marbacher  2001).  Demand  Chains  richten  sich  schwerpunktmäßig  auf  den  Kunden  aus  (konsequente  Pull‐Orientierung).  Zumeist  sind als  Kunden ultimative Endverbraucher zu verstehen (B2C‐Abwicklung). Es  können  aber  auch  institutionelle  Verflechtungen  zwischen  Hersteller  und  nachgelagertem  Distributor  mit  dem  Begriff  „Demand  Chain  Ma‐ nagement“ umschrieben werden (B2B‐ oder B2A‐Abwicklung). 

Chain of Customer 

Marbacher  (vgl.  Marbacher  2001)  vollzieht  die  explizite  Verschmelzung  von  Angebots‐  und  Nachfragesicht  in  einem  „Demand  and  Supply  Chain  Management“.  Dieser  Ansatz  subsumiert  bekannte  Inhalte,  wie  Category  Management  oder  Customer  Relationship  Management.  Im  Kern  basieren  die  Gedanken  Marbachers  auf  dem  Prinzip  kollaborativ  gestaltbarer  Nachfrage.  Zentes  et  al.  messen  dem  integrierten  „Demand  and  Supply  Chain  Management“  ein  gegenseitiges  Bedingen  und  För‐ dern bei (vgl. Zentes et al. 2004, S. 53). 

Demand and  Supply im Gleich‐ schritt 

Im  Unterschied  zum  Supply  Chain  Management  fokussiert  sich  ein  Demand Chain Management schwerpunktmäßig auf den Kunden. Liefe‐ rantenattribute deckt es, wenn überhaupt, nur sekundär ab. In der vor‐ liegenden  Schrift  wird  eine  Trennung  zwischen  Supply  Chains  auf  der  einen Seite und Demand Chains auf der anderen Seite nicht weiter ver‐ folgt. Hat sich doch der Begriff „Supply Chain Management“ in Theorie  und  Praxis  etabliert,  er  ist  als  feststehend  zu  betrachten.  Die  bloße  “Worthülse“  Demand  Chain  Management  schafft  daher  keinen  wirkli‐ chen Mehrwert. 

Abgrenzung zum  SCM 

A.3.2.4

Customer Relationship Management

Ein  Customer  Relationship  Management  stellt  die  Planung,  die  Steue‐ rung  und  die  Kontrolle  sämtlicher  auf  aktuelle  wie  potenzielle  Markt‐ partner  gerichteten  Maßnahmen  eines  Unternehmens  dar,  verbunden  mit  dem  Ziel,  die  Kundenbeziehungen  zu  intensivieren  (vgl.  ausführ‐ lich S. 159). Mit Hilfe moderner Informations‐ und Kommunikationssys‐ teme  wird  der  Aufbau  dauerhafter  Interaktionen  mit  ausgewählten  Kunden  anvisiert  (vgl.  Bruhn  2016;  Hippner  et  al.  2011;  Kumar/Reinartz  2018; Raab/Werner 2010). 

19

Profitable Kunden  langfristig binden 

A Funktionalitäten  des Customer  Relationship Ma‐ nagements 

Grundlagen

Die  Funktionalitäten  eines  Customer  Relationship  Managements  sind  kommunikativ, operativ sowie analytisch geprägt. Im kommunikativen  Customer  Relationship  Management  manifestiert  sich  die  Synchronisa‐ tion sämtlicher Kommunikationskanäle in Richtung Kunde (Internet, E‐ Mail,  Telefon  oder  Verkaufsgespräch).  Ein  operatives  Customer  Relati‐ onship Management zeichnet sich durch die Verschmelzung von Front‐ Office (Kontaktpunkt zum Kunden) und Back‐Office (IT‐gestützte Reali‐ sationssysteme,  wie  ERP‐  oder  APS‐Lösungen)  aus.  Schließlich  ist  das  analytische Customer Relationship Management der Aufzeichnung und  späteren  Auswertung  von  Kundenkontakten  und  Kundenreaktionen  geschuldet.  Beispielsweise  dürfen  Beschwerden  nicht  versickern.  Sie  sind  von  ihrem Aufkommen  bis  zur  Lösung  systematisch  zu  verfolgen  („Closing‐the‐Loop“). 

Share of Wallet  über intensive  Kundenbeziehun‐ gen 

Prägend für ein Customer Relationship Management ist der Wandel des  Transaktionsmarketings  zum  echten  Beziehungsmarketing.  Um  den  „Share  of  Wallet“  zu  ernten,  sind  nicht  nur  einzelne  Transaktionen  zu  realisieren,  sondern  vielmehr  stabile  Kundenbeziehungen  zu  initiieren  und zu intensivieren. Entscheidend für die Auswahl von Marktpartnern  ist folglich deren jeweiliger Customer Value. Um den Kundenwert mög‐ lichst  langfristig  abzuschöpfen,  sind  dem  direkten  Nutzen  weitere  An‐ reize  hinzuzufügen,  welche  den  Käufer  zur  Fortsetzung  der  Geschäfts‐ beziehung verleiten („Relationship Equity“). 

Collaborative CRM  und Bezug zur  Supply Chain 

Ein traditionelles Customer Relationship Management kann zum kolla‐ borativen  Customer  Relationship  Management  erweitert  werden.  Da‐ runter  verstehen  Kracklauer  et  al.  (vgl.  Kracklauer  et  al.  2002,  S.  24)  die  gemeinsame Gewinnung, Bildung und Weiterentwicklung von Kunden‐ beziehungen.  Sämtliche  Stufen  zur  Absatzgewinnung  sind  in  derartige  kollaborativen Prozesse einzubeziehen (Industrie, Handel und Kunden).  Im  Gegensatz  zum  Supply  Chain  Management,  werden  vorgelagerte  Aktivitäten  der  Lieferanten  diesbezüglich  jedoch  nicht  berücksichtigt.  Für  ein  kollaboratives  Customer  Relationship  Management  dominieren  die  Bündelung  des Know‐hows  der Akteure  und  der  abgestimmte Ein‐ satz  von  Marketing‐Maßnahmen  (vgl.  Hertel  et  al.  2011,  S.  189).  Die  Schnittstelle zum Supply Chain Management besteht für ein Collabora‐ tive  Customer  Relationship  Management  vornehmlich  zu  den  Logistik‐  und  den  Marketing‐Tools  (Category  Management)  des  Efficient  Consu‐ mer  Response:  Zum  Beispiel  gebündelte  Verkaufsförderungsaktivitäten  direkt am Point‐of‐Sale (vgl. S. 157). 

20

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

A.3.2.5

A.3

Supplier Relationship Management

Das  Supplier  Relationship  Management  (vgl.  O‘Brien  2018)  umfasst  sämtliche  Aktivitäten  der  Lieferantenauswahl,  Lieferantenentwicklung  und Lieferantenintegration. Das Lieferantenmanagement speist sich aus  der  operativen  und  der  strategischen Ausgestaltung  von  Beschaffungs‐ prozessen.  Die  übergeordneten  Ziele  des  Supplier  Relationship  Mana‐ gements  liegen  in  der  Optimierung  der  Beziehungen  zu  Lieferanten,  einer  Reduzierung  von  Prozesskosten,  der  Senkung  von  Einstandsprei‐ sen, einer Verbesserung der Produktqualität sowie der kontinuierlichen  Kontrolle von Einkaufstätigkeiten (vgl. Appelfeller/Buchholz 2010, S. 3).  

Lieferanten als  echte Wertschöp‐ fungspartner 

Folglich  stellt  das  Supplier  Relationship  Management  ein  Ausschnitt  aus dem Supply Chain  Management dar. Der Ansatz verfolgt eine Ver‐ besserung  der  eingehenden  Lieferantenströme.  Nachgelagerte  Kunden‐ beziehungen  blendet  das  Supplier  Relationship  Management  hingegen  völlig  aus.  Das  Pendant  des  Supplier  Relationship  Managements  stellt  das Customer Relationship Management dar (vgl. Hildebrand 2002, S. 3). 

Abgrenzung zum  SCM 

Die allgemeinen Merkmale für ein Supplier Relationship Management  bestehen  nach  Appelfeller/Buchholz  (vgl.  Appelfeller/Buchholz  2010,  S.  9ff.)  in der Lieferantenbasis (geografische Struktur, Lieferantenanzahl), verti‐ kaler  Kooperationsintensität  (Wertschöpfungsumfang),  Materialgruppe  (Standardisierung,  Mengenbündelung)  und  horizontaler  Kooperations‐ intensität  (Partnerschaft).  Prozessbezogene  Merkmale  beziehen  sich  hingegen  auf  die  Vertragsentstehung  (Ausschreibungen,  Preisverhand‐ lungen)  sowie  das  operative  Beschaffungsmodell  (für  Materialien  und  Dienste). 

Merkmale 

Im Rahmen des Supplier Relationship Managements entsteht derzeit ein  interessantes  Betätigungsfeld  für  den  Wettbewerb.  Beispielsweise  offe‐ riert  SAP  mit  „mySAP  Supplier  Relationship  Management“  eine  entspre‐ chende  Software  den  Marktpartnern.  Es  versteht  sich,  dass  SAP  das  Consulting für diese Software gleich mitliefern kann. 

IT‐Support 

A.3.2.6

Beziehungsmanagement

Ein  Beziehungsmanagement  beschreibt  die  Abstimmung  von  Leitbil‐ dern  und  Maßnahmen  vertikal  operierender  Unternehmen,  verbunden  mit  dem Anspruch,  die  Beziehung  aufrechtzuerhalten  und  zum  gegen‐ seitigen Nutzen auszubauen (vgl. Rentzsch 2012). Den Schwerpunkt des  Beziehungsmanagements  stellen  Sozialfaktoren  und  psychologische  Phänomene dar (vgl. Wiedmann/Dunz 2000, S. 46f.). 

21

Sozialfaktoren und  psychologische  Implikationen 

A

Grundlagen

Abgrenzung zur  Supply Chain 

Das  Beziehungsmanagement  ist  ein  Subsystem  der  Supply  Chain,  mit  einem  Fokus  auf  zwischenmenschliche  und  interorganisatorische  Ver‐ flechtungen  („weiche  Faktoren“).  Dieses  Beziehungsnetzwerk  der  Ak‐ teure zeichnet sich durch Sicherheit und Vertrauen, informelle Kommu‐ nikation,  kooperative  wie  auch  konkurrierende  Verhaltensmuster  aus  (vgl. Krupp/Klaus 2012, S. 64ff.). 

Zunehmende  Bedeutung weicher  Faktoren für eine  Supply Chain 

Für ein Supply Chain Management stellt die explizite Berücksichtigung  von  Beziehungen  eine  recht  neue  Herausforderung  dar.  Emotionale  Bindungen  zu  Lieferanten,  Händlern,  Distributoren  oder  Kunden  sind  allerdings  schwer  messbar  und  unterliegen  einer  hohen  Subjektivität.  Dennoch  sind  Mensch‐zu‐Mensch‐Beziehungen  innerhalb  der  Supply  Chain allemal von großer Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist die Einkäu‐ fer‐Verkäufer‐Bindung  zwischen  Kunde  und  Lieferant.  Wurde  die  Un‐ tersuchung dieser Einflussfaktoren innerhalb der Betriebswirtschaftsleh‐ re  bisher  insbesondere  dem  Marketing  und  der  Unternehmensführung  überlassen,  richtet  sich  zukünftig  auch  ein  Supply  Chain  Management  auf die Optimierung von Sozialfaktoren aus. 

A.3.2.7

Supply Chain Relationship Management

SCRM als Sonder‐ form des Supply  Chain Manage‐ ments 

Das  Supply  Chain  Relationship  Management  (SCRM)  basiert  einerseits  auf dem Supply Chain Management. Andererseits hat es seine Wurzeln  im  (generischen)  Beziehungsmanagement.  Folglich  stellt  das  Supply  Chain  Relationship  Management  eine  Sonderform  des  Beziehungsma‐ nagements  dar,  welches  die  Inhalte  speziell  auf  moderne  Lieferketten‐ ströme  transferiert.  Als  Stellhebel  des  Supply  Chain  Relationship  Ma‐ nagements  fungieren  nicht  Material‐,  Informations‐  und  Geldflüsse.  Analog zum generischen Beziehungsmanagement, stellen für ein Supply  Chain Relationship Management eher logistikspezifische Sozialfaktoren  und  psychologische  Phänomene  entscheidende  Erfolgskomponenten  dar. 

Sozialnetz und  Sozialkompetenzen 

Nach Trumpfheller/Hofmann (vgl. Trumpfheller/Hofmann 2004, S. 72) greift  das Supply Chain Relationship Management auf die Konzepte Customer  Relationship  Management  sowie  Supplier  Relationship  Management  zurück.  Traditionell  bestehen  zwischen  Lieferanten  (Supplier),  Herstel‐ lern  und  Kunden  (Customer)  Material‐,  Informations‐  und  Wertnetze.  Durch ein Supply Chain Relationship Management werden diese Bezie‐ hungen um eine Sozialebene erweitert. 

22

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

A.3

Die Ziele des Supply Chain Relationship Managements bestehen in der  Schaffung von Vertrauen, einer Zunahme der Verbundenheit, der Förde‐ rung von Kommunikation, einer Steigerung von Transparenz sowie der  Erhöhung  von  Koordination  (vgl.  Trumpfheller/Gomm  2004,  S.  301ff.).  Interne  wie  über  Netzwerke  gerichtete  zwischenmenschliche  Beziehun‐ gen  werden  beispielsweise  bei  Lieferantentagen,  Verkaufsgesprächen,  Auditierungen,  Kunden‐Events,  gemeinsamen  Qualifikationen,  Kon‐ gressen oder Tagungen geschaffen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit  diese Abläufe  von  zunehmenden  Homeoffice‐Tätigkeiten  beeinträchtigt  werden (Stichwort: Corona‐Krise 2020). 

„People are people  so why should it be  – you and I should  get along so awful‐ ly…“                (Depeche Mode) 

In  die  Koordination  und  Steuerung  der  Supply‐Chain‐Partnerschaft  können  „Beziehungspromotoren“  einbezogen  sein  (vgl.  Walter  2002,  S.  124ff.).  Ein  Beziehungspromotor  initiiert  den  Informationsaustausch,  sucht  nach  geeigneten  Kontaktpersonen  sowie  weiteren  Partnern,  führt  die Menschen zusammen und fördert ihren Dialog. Außerdem greift der  Promotor  bei  Konflikten  schlichtend  ein.  Dieser  Beziehungspromotor  kann  ein  führender  Mitarbeiter  einer  beteiligten  Organisation  sein,  der  über persönliche und fachliche Kompetenzen zur Bewältigung genann‐ ter Aufgaben verfügt. Auch die Mitarbeiter neutraler „Clearing‐Stellen“  (beispielsweise  Consultants)  können  in  die  Rolle  eines  Beziehungspro‐ motors schlüpfen (vgl. Werner/Feliciano 2019, S. 62ff.). 

Beziehungspromo‐ toren als Initiatoren 

A.3.2.8

Zusammenfassung der Ergebnisse

Ein  Supply  Chain  Management  hat  einige  Gemeinsamkeiten  mit  be‐ nachbarten  Konzepten.  Wie  oben  aufgezeigt,  gilt  dies  insbesondere  für  die  Ansätze  Wertschöpfungskette,  Logistikkette,  Demand  Chain  Ma‐ nagement,  Customer  Relationship  Management,  Supplier  Relationship  Management, Beziehungsmanagement sowie Supply Chain Relationship  Management.  Bei  allen  inhaltlichen  Verflechtungen  mit  diesen  Begriff‐ lichkeiten,  grenzt  sich  ein  Supply  Chain  Management  von  diesen  be‐ nachbarten  Konzepten  jedoch  ab.  In  den  zuvor  dargestellten  Ausfüh‐ rungen  wurden  die  Gemeinsamkeiten  und  die  Unterschiede  ausführ‐ lich  herausgearbeitet.  Abbildung  A.4  zeigt  die  Kernaussagen  dieser  Zusammenhänge in übersichtlicher Weise auf.       

23

„To cut a long  story short, I lost  my mind…“  (Spandau Ballet) 

A Abbildung A.4 

Grundlagen

Supply Chain Management und verwandte Konzepte im Überblick    Managementkonzept 

Beschreibung 

Supply Chain Manage‐ ment (SCM) 

SCM umfasst interne wie externe Material‐, Informations‐  sowie Geldflüsse und berücksichtigt zusätzlich soziale  Beziehungen der Akteure zueinander. 

Wertschöpfungskette 

Wertschöpfungsketten umfassen Faktoren, die zur Wert‐ steigerung und ‐vernichtung beitragen. Dazu zählen mit  Image und Design Größen, welche für eine Supply Chain  nur sekundäre Bedeutung besitzen. 

Logistikkette 

Eine Logistikkette erstreckt sich auf physische Tätigkeiten  zur Raum‐ und Zeitüberbrückung. Im Gegensatz zum  SCM, werden Geldflüsse kaum berücksichtigt. Während  eine Logistikkette primär auf die Verzahnung tradierter  Unternehmensbereiche zielt, umfasst ein SCM komplette  organisatorische Netzwerke. In die Logistikkette werden  nur direkte Lieferanten und direkte Kunden einbezogen.  

Demand Chain Manage‐ ment (DCM) 

DCM bildet eine Integration von Aktivitäten in Richtung  Kunde ab (Pull‐Orientierung). Im Gegensatz zum SCM  berücksichtigt DCM Lieferantenattribute kaum. 

Customer Relationship  Management (CRM) 

CRM stellt die Planung, die Steuerung und die Kontrolle  sämtlicher auf Marktpartner gerichteten Maßnahmen  eines Unternehmens zur Intensivierung der Kundenbe‐ ziehungen dar. Anders als ein SCM, umfasst das CRM  keine Lieferantenaktivitäten. 

Supplier Relationship  Management (SRM) 

SRM beinhaltet sämtliche Aktivitäten zur Lieferanten‐ auswahl, ‐entwicklung und ‐integration. Im Gegensatz  zum SCM, berücksichtigt SRM externe Kunden kaum. 

Beziehungsmanagement 

Beziehungsmanagement kennzeichnet die Abstimmung  von Leitbildern und Maßnahmen vertikal kooperierender  Akteure, verbunden mit dem Anspruch, Beziehungen  aufrechtzuerhalten und auszubauen. Schwerpunkt: Sozi‐ alebene (psychologische und emotionale Faktoren). 

Supply Chain Relation‐ ship Management  (SCRM) 

SCRM basiert auf dem SCM und auf dem Beziehungsma‐ nagement. Primäre Untersuchungsfelder des SCRM sind  soziale Beziehungen (nicht Material‐, Informations‐ und  Geldflüsse). Der Ansatz ist ein beziehungsaffiner Teil des  SCM. 

 

24

Strukturierung der Supply Chain

A.4

A.4

Strukturierung der Supply Chain

In  einer  Supply  Chain  kooperieren  Wertschöpfungspartner  zumeist  multilateral, wobei die Akteure in der Regel ihre rechtliche Selbständig‐ keit  wahren.  Die  einzelnen  Organisationen  übernehmen  spezielle  Auf‐ gaben, häufig konzentrieren sie sich dabei auf ihre Stärken. Auch Supply  Chains  folgen  einem  Lebenszyklus:  Sie  werden  gegründet,  betrieben  und aufgelöst (vgl. Wildemann 2006, S. 204). 

 Gründungsphase:  Die  Gründung  einer  Lieferkette  orientiert  sich  an  den  Strategien  der  involvierten  Partner.  Aus  ihren  Einzelzielen  leitet  sich die Gesamtstruktur der Supply Chain ab. Von besonderer Bedeu‐ tung für den Aufbau eines Wertschöpfungsverbunds sind der Zweck  und  die  Dauer  einer  beabsichtigten  Kooperation.  Dabei  können  sich  die Netzwerke durchaus auch auf Schwerpunktbereiche einer Supply  Chain  konzentrieren:  beispielsweise  Produktionszusammenschlüsse  oder Einkaufs‐ und Entwicklungsallianzen. 

 Betriebsphase:  Nach  der  Gründung  einer  Supply  Chain  beginnt  die  Zuteilung  der  Ressourcen.  Dabei  versuchen  die  eingebundenen  Part‐ ner,  synergetische  Potenziale  auszuschöpfen.  Im  Idealfall  erreichen  die  Akteure  eine  „Win‐Win‐Situation“,  wozu  sie  vorzugsweise  ihre  jeweiligen Kernkompetenzen in das Netzwerk einbringen. 

 Auflösungsphase:  Ständig  werden  die  betroffenen  Organisationen  überprüfen,  ob  sie  die  anvisierten  Ziele  erreichen  können  (Supply  Chain Performance). Je weniger dies der Fall ist, desto eher droht die  Auflösung  der  Supply  Chain.  Zum  Teil  ist  auch  ein  temporäres  Ver‐ lassen einzelner Glieder aus der Wertschöpfungskette denkbar. 

Multilaterale Zu‐ sammenschlüsse  eigenständiger  Akteure 

Zur Initiierung von  Wertschöpfungsket‐ ten 

Das Ganze ist mehr  als die Summe  seiner Teile 

„Wonder when will  it all be over…“   (the Wipers) 

Zwischen  den Akteuren  einer  Supply  Chain  verwischen  klassische  Ko‐ ordinationsmechanismen:  Es  fehlt  innerhalb  der  Lieferkette  zumeist  eine übergeordnete, leitende Instanz. Daher sind in Supply Chains Wei‐ sungen, Programme oder Pläne von ihrem Wirkungsgrad her schwächer  ausgeprägt,  als  dies  in  einem  einzelwirtschaftlichen  Unternehmen  der  Fall  ist. Außerdem  ist  stets  ein  Konsens  notwendig,  um  eine  möglichst  langfristige Kooperation aufzubauen (vgl. Wildemann 2006, S. 204). 

Zur Abstimmung  im Partnergeflecht 

Bezüglich der Strukturierung von Supply Chains existieren zwei grund‐ sätzliche Typen: Es sind einerseits hierarchisch pyramidale und anderer‐ seits polyzentrische Lieferketten zu unterscheiden (vgl. Wildemann 2006,  S. 204). Diese beiden Ausgestaltungsformen (so genannte „Phänotypen“)  von Wertschöpfungspartnerschaften werden im Folgenden näher vorge‐ stellt. 

Ausgestaltungsfor‐ men moderner  Netzwerke 

25

A

Grundlagen

A.4.1

Hierarchisch pyramidale Supply Chains

Monozentrische  Netzwerkstruktur 

Innerhalb der hierarchisch pyramidalen Supply Chain steht ein strate‐ gisch  relevantes  Unternehmen  im  Mittelpunkt.  Sämtliche  Wertschöp‐ fungspartner  richten  nach  dieser  dominierenden  Organisation  („Hub  Firm“)  ihre  Aktivitäten  aus.  Die  Beherrschung  des  Netzwerks  erfolgt  beispielsweise  durch  die  Größe,  die  Finanzausstattung  oder  das  Wis‐ senspotenzial des führenden Unternehmens. Aber auch der direkte Zu‐ gang dieses fokalen Unternehmens auf Beschaffungs‐ und Absatzmärkte  kann  die  Strukturierung  des  Verbunds  nachhaltig  beeinflussen.  Hierar‐ chisch  pyramidale  Supply  Chains  orientieren  sich  folglich  an  der  Marktmacht  ihres  „Leuchtturms“.  Die  Zentralorganisation  bindet  seine  Partner vielfach über langfristige Kontrakte an sich. 

Eindeutig struktu‐ rierte Netzverbin‐ dungen 

Der  Aufbau  einer  hierarchisch  pyramidalen  Supply  Chain  entspricht  häufig  der  produktbezogenen  Zwangsfolge  technologischer  Arbeits‐ schritte (vgl. Bretzke 2007, S. 15). Sämtliche Veredelungsschritte der Part‐ ner  orientieren  sich  streng  an  dem  jeweiligen  Produktionsprozess.  Das  Fokalunternehmen  ist  zumeist  der  Endprodukthersteller.  In Abbildung  A.5 ist ein Beispiel einer hierarchisch pyramidalen Supply Chain für die  „Herstellung  von  Brot“  angegeben.  Die  eingebundenen  Glieder  sind  Saatgutproduzenten,  Bauern,  Mühlen  und  schließlich  der  Netzknoten:  die Brotfabrik als Hub. 

Abbildung A.5 

Hierarchisch pyramidale Supply Chain 

Saatgutproduzent

26

Bauer

Mühle

Brotfabrik

 

Strukturierung der Supply Chain

A.4.2

A.4

Polyzentrische Supply Chains

Im Gegensatz zur eindeutigen Strukturierung hierarchisch pyramidaler  Wertschöpfungsbeziehungen,  liegen  bei  den  polyzentrischen  Supply  Chains  homogene,  wechselseitige Abhängigkeiten  vor.  In diesem  Netz‐ werk  sind  sowohl  die  Entscheidungskompetenzen  als  auch  die  Koordi‐ nationsaufgaben  relativ  gleichmäßig  auf  die  eingebundenen  Partner  verteilt (vgl. Wildemann 2006, S. 204). Vertrauen und Offenheit der Betei‐ ligten sind besonders wünschenswerte Eigenschaften in dieser Kette. 

Homogene Supply  Chains mit facetten‐ reichen Ausprä‐ gungsmöglichkeiten 

Innerhalb  dieses  heterarchischen  Netzwerks  werden  die  Führung  und  die Dominanz regelmäßig durch Verhandlungen neu geregelt. Teilweise  koordinieren einzelne Akteure eigenverantwortlich bestimmte Bereiche,  da sie beispielsweise über besondere Kenntnisse auf diesem Gebiet ver‐ fügen.  Innerhalb  eines  Netzwerkverbunds  wird  dies  als  „Spezialisie‐ rungsfunktion“  bezeichnet.  Die  Überlappung  einzelner  Tätigkeiten  ist  symptomatisch für polyzentrische Supply Chains, da die Aufgaben viel‐ fach  parallelisiert  erbracht  werden  (Simultanplanung  anstelle  von  Suk‐ zessivplanung). 

Ständige Abstim‐ mungsprozesse 

Die Koppelungen in einem polyzentrischen Verbund entstehen zumeist  zur  Lösung  eines  konkreten  Kundenproblems.  Dabei  richtet  sich  die  Koordination  der  Akteure  strikt  nach  der  Angebots‐  und  der  Nachfra‐ gesituation aus. Eine bestimmte Organisation ist häufig nicht exklusiver  Bestandteil einer einzigen Supply Chain, sondern auch integrativer Ak‐ teur  innerhalb  weiterer  Lieferketten.  Dann  handelt  es  sich  um  so  ge‐ nannte multifunktionale Supply Chain Partnerschaften. Beispielsweise  produziert  Infineon  Prozessoren  nicht  ausschließlich  für  Motorola,  son‐ dern ebenso für Sony und Nokia. Sony wiederum bezieht seine Prozesso‐ ren  aber  nicht  nur  exklusiv  von  Infineon,  sondern  gleichzeitig  von  Intel  und AMD (vgl. Bretzke 2007, S. 19). 

Überlappende  Interaktionen im  Verbund 

Während in hierarchisch pyramidalen Supply Chains die fokale Organi‐ sation eindeutig „den Ton angibt“, müssen die Akteure polyzentrischer  Netzwerke häufig Kompromisslösungen eingehen. So herrscht in einer  solchen  Lieferkette  nicht  immer  Einigkeit,  wenn  es  beispielsweise  um  die Aufnahme neuer Partner, die Kostenverteilung, die Vergabe knapper  Ressourcen oder das „Outphasen“ beteiligter Unternehmen geht. Häufig  reicht die Macht eines Akteurs nicht über seine eigene Wertschöpfungs‐ stufe  hinaus.  Dies  gilt  umso  mehr,  je  näher  dieses  Unternehmen  am  Ursprung der Supply Chain angesiedelt ist. 

Kompetenzgerangel  zwischen den Mit‐ gliedern 

27

A

Grundlagen

Steuerung über  Lenkungsausschuss 

Auf  Grund  der  nahezu  gleichberechtigten  Beziehungen  zwischen  den  Einzelgliedern bietet sich in polyzentrischen Lieferketten die Implemen‐ tierung eines Steering Committees an. Dieser Lenkungsausschuss setzt  sich  aus  Vertretern  der  eingebundenen  Partner  einer  Supply  Chain  zu‐ sammen.  Gerade  bei  aufkeimenden  Problemen  innerhalb  der  Wert‐ schöpfungskette  werden  mit  Hilfe  von  Steering  Committees  –  durch  Mehrheitsentscheidungen  –  weiterführende  Maßnahmen  initiiert  (vgl.  Corsten/Gössinger 2007, S. 200f.). 

Netzwerkknoten  nicht eindeutig  identifizierbar 

In Abbildung A.6 ist ein Beispiel für eine polyzentrische Supply Chain  aufgeführt.  Darin  wird  deutlich,  dass  die Akteure  dieses  Netzwerks  in  überlappenden Abhängigkeiten zueinander stehen. Eine Fokalorganisa‐ tion ist nicht länger auszumachen. In letzter Instanz ziehen die ultimati‐ ven  Endverbraucher  die  Waren  aus  dieser  Supply  Chain.  Im  Ursprung  der Wertschöpfungskette stehen Rohstofflieferanten und Teilelieferanten  in  wechselseitigen  Abhängigkeitsverhältnissen  miteinander.  Vielfach  handelt  es  sich  hierbei  um  mittelständische  Unternehmen. Am  engsten  ist  wohl  die  Bindung  zwischen  Modullieferant  und  Hersteller.  Diese  OEM wiederum befinden sich in diversen Austauschprozessen mit dem  Handel.  Und  der  Handel  hat  schließlich  sehr  unterschiedliche  Bindun‐ gen zu den ultimativen Endverbrauchern. 

Abbildung A.6 

Polyzentrische Supply Chain 

Rohstoffe

Teile

Module

Hersteller

Handel

Endkunde  

 

28

Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements

A.5

Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements

A.5.1

Allgemeine Charakterisierung

A.5

Die  Aufgaben  und  die  Ziele  eines  Supply  Chain  Managements  leiten  sich  aus  übergeordneten  gesellschaftlichen  und  volkswirtschaftlichen  Anforderungen  ab  (Human‐,  Ökologie‐  oder  Sozialanforderungen).  Außerdem  basieren  die  Ziele  und  die  Anforderungen  einer  Supply  Chain  auf  den  allgemeinen  Unternehmensleitlinien.  Diesbezüglich  ver‐ folgen  die  Teilnehmer  moderner  Lieferketten  insbesondere  Kosten‐,  Leistungs‐ oder Qualitätsverbesserungen. 

Warum werden  Supply Chains  gegründet? 

Vorrangige  Aufgaben  des  Supply  Chain  Managements  stellen  die  Ver‐ sorgung (Verfügbarkeitsaspekt), die Entsorgung und das Recycling inte‐ grierter  Unternehmensaktivitäten  dar.  Im  Rahmen  der  Wahrung  dieser  generischen  Aufgaben  muss  das  Supply  Chain  Management  unter‐ schiedliche Komponenten beachten. Darunter fallen Quantitäten, Quali‐ täten, Preise, Liefer‐ und Lagerorte sowie (Zustellungs‐) Termine. 

Aufgaben moder‐ ner Lieferketten im  Überblick 

Die  Akteure  einer  Supply  Chain  bilden  ein  heterogenes  Interessenten‐ bündel  ab.  Lieferanten,  Hersteller,  Händler,  Distributoren,  Dienstleister  und Kunden  sind in dieses Netzwerk eingebunden. Eine Supply Chain  befindet  sich  in  einem  latenten  Spannungsverhältnis  der  beteiligten  Mitspieler. Auf der einen Seite erhoffen sich die Partner aus der über die  Organisation  greifenden  Koordination  eine  gesteigerte  Wettbewerbsfä‐ higkeit. Andererseits streben die rechtlich selbständigen Organisationen  nach Autonomie. Der Bezugsrahmen eines Supply Chain Managements  muss diesen ständigen Balanceakt konkurrierender Ziele ausloten. 

Akteure einer  Supply Chain 

Natürlich  gibt  es  „Win‐Win‐Situationen“  in  diesem  Partnergeflecht:  Eine  Begrifflichkeit,  die  im  Supply  Chain  Management  in  den  letzten  Jahren  wohl  ein  wenig  zu  euphorisch  gefeiert  und  kaum  differenziert  betrachtet wurde. Doch herrschen auch in Lieferketten weiterhin natür‐ lich  schärfste  Konkurrenzverhältnisse.  Beispielsweise  erfolgt  in  einer  Engpasssituation  die  Zuteilung  knapper  Ressourcen  wenig  altruistisch.  Ebenso  wird  ein  Lieferant  seine  Materialien  kaum  in  eine  jeweilige  Supply Chain schleusen, wenn er in einem anderen Absatzkanal höhere  Deckungsbeiträge wittert. 

„You gotta fight for  your right to par‐ ty…”              (Beastie Boys) 

29

A

Grundlagen

Simultanverbesse‐ rung 

Ein  primäres  Anliegen  des  Supply  Chain  Managements  besteht  in  der  Erfüllung oben beschriebener Aufgaben. Der Ansatz erstreckt sich dabei  auf  eine  Simultanoptimierung  der  Unternehmenseffektivität  und  der  Unternehmenseffizienz  sowie  eine  Harmonisierung  der  Wettbewerbs‐ faktoren Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität (vgl. Begriffsblock A.III). 

Begriffsblock A.III 

Effektivität und Effizienz sowie Zielharmonie von Erfolgsfaktoren 

 Effektivität  und  Effizienz:  Effektivität  bedeutet,  die  richtigen  Dinge 

Doing the right  things right 

zu tun („Doing the right things“). Effizienz meint hingegen, die Dinge  richtig  zu  tun  („Doing  the  things  right“).  Die  Effektivität  ist  strate‐ gisch geprägt, und sie orientiert sich an der primär externen und lang‐ fristigen  Erfolgswirksamkeit  von  Handlungen.  Eine  Effizienz  bezieht  sich  auf  die  Erzielung  günstiger  Kosten‐Nutzen‐Relationen.  Sie  ist  operativ,  primär  intern  und  kurzfristig  ausgelegt.  Das  betriebswirt‐ schaftliche Ziel besteht darin, „die richtigen Dinge richtig zu tun“. 

 Harmonisierung von Wettbewerbsfaktoren: Die entscheidenden Fak‐

Wissen, Innovatio‐ nen, Service und  Informationen  erweitern das  Viereck 

toren  des  Wettbewerbs  sind  Kosten,  Zeit,  Qualität  und  Flexibilität  („strategisches  Viereck“).  Grundsätzlich  hat  sich  ein  Supply  Chain  Management auf sämtliche Erfolgsfaktoren ähnlich stark auszurichten  (Zielharmonie). Temporär kann natürlich ein Faktor majorisieren.   

Schlüssel der  Supply Chain 

Die  Erfolgswirksamkeit  von  Supply‐Chain‐Aktivitäten  speist  sich  aus  einer  Verbesserung  oben  aufgeführter  Wettbewerbsfaktoren  (Kosten,  Zeit, Qualität und Flexibilität). Weitere Schlüsselgrößen können Service,  Innovation,  Nachhaltigkeit  und  Information  sein.  Folgende  Optimie‐ rungspotenziale sind den vier Kardinalindikatoren zuzuordnen: 

Cash‐throw‐off‐ Potential 

 Kosten:  In  der  Supply  Chain  zielt  die  Schlüsselgröße  Kosten  auf  Pa‐ rameter  wie  Bestände,  Frachten,  Investitionen  oder  Abschreibungen  auf  logistische  Assets  (beispielsweise  auf  Flurförderzeuge  oder  Ge‐ bäude).  Aus  hohen  Vorräten  ergibt  sich  eine  Versorgungssicherheit  innerhalb der Lieferkette. Jedoch zehren überhöhte Bestände am Kapi‐ tal einer Organisation (Cash‐Flow‐Verluste). 

 

 Zeit:  Zumeist  wird  in  der  Wertschöpfungskette  eine  Beschleunigung 

Beschleunigung  versus Entschleu‐ nigung 

der  Aktivitäten  angestrebt.  Die  Messung  erfolgt  beispielsweise  über  die Order Fulfillment Time. Ein modernes Supply Chain Management  kann  auch  zur  Reduzierung  der  Time‐to‐Market  beitragen.  Teilweise  ist  in  der  Supply  Chain  jedoch  auch  eine  bewusste  Entschleunigung  von Prozessen anzuraten (Postponement).  30

Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements

 Qualität: Der Erfolgsfaktor Qualität innerhalb der Supply Chain kann  anhand von Kriterien wie Ausschuss oder Nacharbeit gemessen wer‐ den.  Im  Kern  wird  eine  Befriedigung  der  Kundenwünsche  eingefor‐ dert,  die  vor  allem  im  Ansatz  Total  Quality  Management    (vgl.  aus‐ führlich S. 107) zum Tragen kommt. 

 Flexibilität:  Schließlich  meint  der  Faktor  Flexibilität  (Agilität)  in  der  Lieferkette,  die  Optimierung  der Anpassungs‐  und  Wandlungsfähig‐ keit  von  Organisationen.  Dazu  finden  moderne  IT‐Systeme  Einsatz.  Beispielhaft  dafür  steht  der  unternehmensübergreifende  Ansatz  von  Advanced Planning and Scheduling (vgl. S. 388). 

A.5 „Quality is free!“  (P. B. Crosby) 

Anpassungen und  Wandlungen 

Beckmann  (vgl.  Beckmann  2004,  S.  14f.)  segmentiert  den  Nutzen  der  Supply  Chain  in  marktseitige,  innerbetriebliche  sowie  lieferantenseitige  Attribute.  Der  marktseitige  Nutzen  besteht  für  die  Akteure  beispiels‐ weise in der Konzentration auf das Kerngeschäft (kein Outsourcing der  Aktivitäten),  einer  Reduzierung  von  Marktrisiken  (hervorgerufen  auf  Grund  eines  durchgängigen  Informationsflusses)  oder  der  Steigerung  der  Kundenzufriedenheit  (konsequente  Ausrichtung  der  Geschäftspro‐ zesse  in  Richtung  ultimativer  Endkunden). Außerdem  beschleunigt  die  Zusammenarbeit  im  Netzwerk  die  Erschließung  neuer,  lukrativer  Ab‐ satzmärkte. 

„Grau ist alle  Theorie, was zählt  is auf‘m Platz.“   (A. Preißler) 

Supply Chain Management in der Praxis 

Beispielblock a.1 

Ein Beispiel für die Nutzung eines Supply Chain Managements in der Un‐ ternehmenspraxis  liefert  Berentzen.  Für  den  Spirituosenhersteller  wird  die  Supply Chain durch „Picks“ in fünf Blöcke eigeteilt. Das Projekt wurde bei  Berentzen  angestoßen  und  beinhaltet  Prozesse,  Informationstechnologie,  Controlling  (Monitoring),  Kooperation  und  Service.  Diese  Säulen  stützen  das Supply Chain Management von Berentzen. Die wichtigsten Neuerungen  durch die Einführung eines Supply Chain Managements erstreckten sich für  das  Unternehmen  auf  die  Bereiche  Produktion  (Konzentration  der  Abfüll‐ standorte  und  revidierte  Fertigungsplanung),  Distribution  (intensivierte  Einbeziehung  externer  Dienstleister  sowie  Aufbau  eines  Zentrallagers),  IT  (revolvierendes Updaten von SAP‐Modulen) sowie Organisation (Gründung  einer  eigenen  Logistikgesellschaft  und  verstärkte  Zulieferintegration).  Mit  Hilfe  von  „Picks“  gelang  es  Berentzen,  die  Produktionskosten  um  20%  und  die Distributionskosten um 15% zu senken (vgl. Werner 2013b, S. 25). 

Ein  innerbetrieblicher  Nutzen  erwächst  aus  dem  Supply  Chain  Ma‐ nagement  durch  optimierte  Bedarfsprognosen  und  permanenten  Kapa‐

31

Internal Benefits 

A

Grundlagen

zitätsabgleich.  Moderne  SCM‐Systeme  zeigen  potenzielle  Engpasssitua‐ tionen (Bottlenecks) rasch auf. Daraus resultiert beispielsweise die Mög‐ lichkeit einer Bestandsreduzierung. Ferner führt die forcierte Planungs‐ genauigkeit zur Losgrößenoptimierung.  Lieferanten werden  zu echten Partnern 

Schließlich  verfügt  ein  modernes  Netzwerkmanagement  über  einen  lieferantenseitigen  Nutzen.  Dieses  Phänomen  resultiert  aus  der  Über‐ tragung  von  Verantwortlichkeiten  an  vorgelagerte  Wertschöpfungsstu‐ fen  (Lieferanten  oder  Hersteller).  Beispielhaft  dafür  steht  das  Konzept  Vendor Managed Inventory (vgl. ausführlich S. 143). Aus diesen intensi‐ vierten  Bindungen  im  Kunden‐Hersteller‐Lieferanten‐Verhältnis  resul‐ tiert vielfach eine Straffung der Einkaufsprozesse. 

Keys of success in  der Supply Chain 

Weiterhin  zielt  die  Ausgestaltung  von  Supply  Chains  auf  die  Realisie‐ rung von Schlüsselprinzipien. Dazu zählen Kompression, Kooperation,  Virtualisierung, Standardisierung, Integration, Kundenorientierung und  Optimierung  (zum  Teil  in  Anlehnung  an  Otto/Kotzrab  2001,  S.  166).  Nachstehend  werden  diese  prägenden  Prinzipien  des  Netzwerkmana‐ gements näher beschrieben.

Weniger ist  manchmal mehr 

 Kompression:  Eine  Kompression  bedeutet  einerseits  die  reduzierte 

Gemeinsam stärker  sein 

 Kooperation: Die Partner streben im Supply Chain Management nach 

Virtuelle Bezie‐ hungsgeflechte 

 Virtualisierung: Ein prägender Punkt in modernen Supply Chains ist 

Mass Customizati‐ on als Hybridstra‐ tegie 

 Standardisierung:  In  zeitgemäßen  Lieferketten  finden  in  zunehmen‐

Bildung von Alli‐ anzen 

 Integration:  Eine  Integration  von  Teilnehmern  in  modernen  Wert‐

Anzahl  von  Knoten  und Akteuren  innerhalb  eines  logistischen  Netz‐ werks.  Andererseits  sind  die  Entfernungen  zwischen  diesen  Knoten  zu minimieren (z. B. Retourenoptimierung).  der Wahrung  von Verbundeffekten (Economies of Scope) in den Ver‐ sorgungs‐,  Entsorgungs‐  und  Recyclingketten.  Dabei  richten  sich  die  Kooperationsbestrebungen  zunehmend  globaler  aus  (Internationali‐ sierung der Supply Chain, Global Sourcing).  der Aufbau virtueller Netzwerke. Ein virtuelles Unternehmen bedeutet  die  temporäre  Verschmelzung  von  Kernkompetenzen.  Das  Gebilde  tritt  den  Kunden  gegenüber  als  Einheit  auf.  Nach  innen  besitzt  eine  virtuelle  Organisation  jedoch  keine  juristischen  und  aufbauorganisa‐ torischen Verzahnungen.  dem  Maße  standardisierte  Module  Einsatz.  Dadurch  steigt  die  Mög‐ lichkeit  eines  vereinfachten  Datenaustauschs  innerhalb  der  Supply  Chain (EDI, Web‐EDI, Kognitive Supply Chain).  schöpfungsketten kann sich vertikal oder horizontal ausrichten. Diese 

32

Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements

A.5

Verbindung  findet  intern  oder  extern  statt  und  läuft  sequentiell  oder  simultan ab. 

 Kundenorientierung: Idealtypisch sind in einer Supply Chain die Ak‐ tivitäten  erst  einzuleiten,  wenn  ein  konkreter  Kundenbedarf  vorliegt  (Pull‐Steuerung). Dadurch soll die Anzahl an Slow Movern in den Re‐ galen vermieden werden (z. B. Books‐on‐Demand). 

 Optimierung: Die Optimierungen innerhalb der Wertschöpfungskette  basieren  auf  mathematisch‐analytischen  Modellen.  Sie  entstammen  insbesondere  dem  Operations  Research.  Dazu  zählen  Simulationen,  Warteschlangenmodelle,  lineare  Optimierung,  spieltheoretische  An‐ sätze  oder  Transport‐  und  Zuordnungsmodelle.  Im  Rahmen  derarti‐ ger  Verbesserungen  sind  Informationsbarrieren  zwischen  den  Part‐ nern abzubauen. 

A.5.2

Kick‐off des Kun‐ den 

Mathematisch‐ analytische Verbes‐ serungen 

Zielkonflikte einer Supply Chain

In  einer  Supply  Chain  treffen  unterschiedliche  Interessenbündel  aufei‐ nander. Differenziert nach Typisierungskriterien, lassen sich die Einzel‐ ziele  einer  Supply  Chain  in  bestimmte  Segmente  unterteilen  (vgl.  in  ähnlicher Weise Gudehus 2010, S. 74ff.): 

Systematisierung  einzelner Ziele 

 Humanziele:  Hierzu  zählen  beispielsweise  eine  Versorgung  mit  le‐

Grundbedürfnisse  sichern 

benswichtigen  Gütern,  die  maximale  Sicherheit  von  Menschen,  die  Entlastung körperlicher Arbeit, das Eliminieren von Routineaufgaben  und eine schnellstmögliche Versorgung in Krisenfällen. 

 Ökologieziele: In Zeiten nachhaltiger Lieferketten sind beispielsweise  eine  Senkung  von  Schadstoffemissionen,  die  Vermeidung  (oder  Ver‐ minderung) von Abfällen, eine Schonung von Ressourcen und die Re‐ duzierung von Lärm einzufordern. 

 Leistungsziele: Innerhalb von Supply Chains erstrecken sich die Leis‐ tungsziele  auf  Produkt‐  oder  Prozessverbesserungen.  So  steht  der  Leistungsgrad (Lieferfähigkeit)  ebenso  latent  auf  dem Prüfstand,  wie  die  Sendungsqualität  (Vollständigkeit).  Weiterhin  ist  die  Terminein‐ haltung  traditionell  eines  der  prägenden  Supply‐Chain‐Ziele  (Same  Day Delivery, Next Day Delivery). 

 Effizienzziele: Schließlich sind innerhalb moderner Lieferketten stän‐ dig  Kostensenkungen  einzufordern.  Diese  erstrecken  sich  beispiels‐ weise auf den Auslastungsgrad von Ladungsträgern, den wirtschaftli‐ chen  Personaleinsatz,  die  Verminderung  von  Beständen  oder  einer  Leistungssteigerung von Betriebsanlagen (Losgrößeneffekte). 

33

Umwelt entlasten,  möglichst nachhal‐ tig  Performance in der  Supply Chain  erhöhen 

Wirtschaftlichkeit  steigern 

A Ständiger Wechsel  der Restriktionen 

Grundlagen

Die  Planungsabläufe  innerhalb  moderner  Lieferketten  sind  verschiede‐ nen Restriktionen unterworfen. Diese Rahmenbedingungen beeinträch‐ tigen  den  Handlungsspielraum  der  Akteure  nachhaltig.  Da  Supply  Chains in der Regel eine hohe Dynamik und eine ausgeprägte Komple‐ xität aufweisen, werden sich diese Randbedingungen rasch ändern kön‐ nen  (vgl.  Gudehus  2010,  S.  78f.).  Folgende  Restriktionen  nehmen  in  be‐ sonderer Weise Einfluss auf die Ausgestaltung von Lieferketten: 

Quellen und Sen‐ ken abstimmen 

 Räumliche  Restriktionen:  Dazu  zählen  die  Standorte  von  Kunden, 

Gesetzliche Nor‐ men beachten 

 Zeitliche  Restriktionen:  Hier  sind  Prozesszeiten  (Abläufe),  eigentli‐

Schnittstellen der  Einflussgrößen  ausloten 

 Technische  Restriktionen:  Unter  diesen  Punkt  fallen  beispielsweise 

Knotenpunkte  schaffen 

 Strukturelle  und  organisatorische  Restriktionen:  Die Ausgestaltung 

Rechtliches Umfeld 

 Gesetzliche und ökologische Restriktionen: Vielfach sind besondere 

Lieferanten und Dienstleistern wie auch verfügbare Produktions‐ und  Transportflächen.  che  Arbeits‐  und  Bearbeitungszeiten  (Schichtpläne)  oder  Distributi‐ onszeiten (Fahrpläne) zu beachten.  die Belastbarkeit der Transportmittel, die vorhandenen Lagerkapazitä‐ ten oder die Geschwindigkeit von Förderzeugen. Diese Faktoren kön‐ nen die Haltbarkeit oder die Beschaffenheit von Waren signifikant be‐ einflussen.  von  Supply  Chains  wird  weiterhin  von  der  Infrastruktur  (Verkehrs‐ wege,  Transportnetze)  oder  den  verfügbaren  Informationssystemen  und Datenbeständen beeinflusst.  Sicherheitsauflagen  zu  beachten.  Diese  gelten  insbesondere  für  wert‐ volle, knappe oder gefährliche Güter. Gesetze, Vorschriften und Nor‐ men regeln diese Abläufe. 

Generisches Porter‐ Problem 

Auf Grund dieser differenzierenden Zielanforderungen und der begren‐ zenden  Handlungsspielräume,  ergeben  sich  vielfach  Zielkonflikte  in‐ nerhalb  der  Ausgestaltung  von  Lieferketten  (vgl.  auch  Schulte  2017,  S.  11).  Eine  klassische  Zielkonkurrenz  leitet  sich  aus  dem  latenten  Span‐ nungsverhältnis zwischen Kostensenkung und Qualitätsverbesserung ab  (Kosten‐Qualitäts‐Konflikt).  Zur  Linderung  dieses  Dilemmas  können  gegebenenfalls Outsourcing oder Offshoring beitragen. 

Kundenzufrieden‐ heit um jeden  Preis? 

Ein  weiteres  Konfliktpotenzial  ergibt  sich  aus  der  Divergenz  von  Vor‐ ratssenkung  und  Warenverfügbarkeit  (Bestands‐Servicegrad‐Konflikt).  Gemeint ist hier der ausgehende Servicegrad: Eine Steigerung der Kun‐ denflexibilität (für unvorhergesehene Bestellungen) wird zum Teil über  höhere  Fertigwarenbestände  teuer  erkauft.  Die  Akteure  sollten  hinter‐

34

Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements

A.5

fragen,  welchen  zusätzlichen  Grenzertrag  (in  Richtung  Verfügbarkeit)  ein Bestandsaufbau dabei stiftet.  Außerdem ist innerhalb von Supply Chains ein ständiges Kräftemessen  zwischen  Beständen  und  Frachtkosten  auszuloten  (vgl.  S.  324).  Beide  Zielgrößen  simultan  verbessern  zu  wollen,  fällt  schwer  (Bestands‐ Frachtkosten‐Konflikt).  Denn  mit  einer  Reduzierung  der  Anlieferfens‐ ter  (zum  Herunterfahren  der  Transportkosten)  ist  in  der  Regel  ein  Be‐ standsaufbau  verbunden.  Dieser  hängt  zwar  letztlich  von  den  berück‐ sichtigten  Incoterms  ab.  Doch  wird  der  Lieferant  bei  einer  „Frei‐Haus‐ Lieferung“  seine  Zusatzkosten  zum  Teil  über  den  erhöhten  Verkaufs‐ preis auf den Kunden überwälzen. 

Intralogistisches  Grundsatzproblem 

Die Vorratshöhe konkurriert auch mit den ausgehandelten Materialprei‐ sen (Bestands‐Materialpreis‐Konflikt). Um die Materialpreise zu redu‐ zieren,  wird  der  Einkäufer  versuchen,  die  Bestellmengen  möglichst  zu  erhöhen  (Purchase  Volume  Impact).  Es  versteht  sich,  dass  dieser  Effekt  zu  einem  Bestandsaufbau  führt,  aus  dem  Cash‐Flow‐Verluste  resultie‐ ren. 

Einkäufer gegen  Bestandsmanager 

Ein  weiteres  Problem  leitet  sich  aus  den  unterschiedlichen  Zielvorstel‐ lungen  zweier  Welten  ab: Auf  der  einen  Seite  streben  die  Funktionsbe‐ reiche Logistik, Einkauf und Produktion nach Standardisierung, um die  Variantenanzahl möglichst gering zu halten. Dies mögen Mitarbeiter aus  den Disziplinen Technik und Vertrieb jedoch nicht allzu sehr. Sie möch‐ ten  Produkte  vielmehr  auf  den  Kunden  zuschneiden  (Standardisie‐ rungs‐Individualisierungs‐Konflikt).  Dadurch  besteht  die  latente  Ge‐ fahr  eines  Bestandsaufbaus.  Zur  Befriedung  dieser  unterschiedlichen  Anforderungen kann Mass Customization beitragen (vgl. S. 164). 

Verschiedene Wel‐ ten prallen aufei‐ nander 

Eben  noch  vereint,  kurz  darauf  entzweit:  Zwar  streben  Logistik  und  Fertigung beide nach Standardisierung. Doch möchte die Logistik dabei  mit möglichst niedrigen Beständen auskommen. Die Produktion hinge‐ gen versucht Stock‐Outs an der Linie unbedingt zu vermeiden. Sie wird  daher  einen  hohen  Bodensatz  an  Warenvorräten  einfordern  (Bestands‐ Verfügbarkeits‐Konflikt). 

Wie hoch soll der  Bestand denn nun  sein? 

Ebenso befinden sich eine rasche Auslieferung und die optimale Auslas‐ tung der Transportmittel in einem grundsätzlichen Widerspruch (Liefe‐ rungs‐Auslastungs‐Konflikt).  Denn  bei  einer  möglichst  schnellen Aus‐ lieferung  (z.  B.  Same  Day  Delivery)  kann  in  aller  Regel  nicht  darauf  gewartet  werden,  bis  das  Transportmittel  voll  ausgelastet  ist.  Dadurch  werden  die  Transportkosten  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Die  Folge  ist,  dass viele Lastkraftwagen gänzlich leer fahren. 

Schnelligkeit gegen  Kosten 

35

A Wie viel ist uns die  Umwelt wert? 

Grundlagen

Mit  der  Verfolgung  besonders  schneller  Auslieferungsprozesse  werden  aber  nicht  nur  die  Kosten  aufgebläht. Auch  ökologisch  ist  diese  Vorge‐ hensweise  desaströs  (Lieferungs‐CO2‐Konflikt).  Eine  Beschleunigung  der  Distributionsvorgänge  belastet  die  Umwelt,  da  verstärkt  Kohlendi‐ oxid emittiert wird. Somit ergeben sich negative Auswirkungen auf die  CO2‐Bilanzen eingebundener Supply‐Chain‐Partner. 

A.6 Schon Heraklit  wusste es: „Panta  rhei“ – alles ist im  Fluss… 

Explizite Berück‐ sichtigung der  Folgekosten 

Motive für die Entstehung von Supply Chains

Das Wettbewerbsumfeld von Unternehmen ist einem ständigen Wandel  unterworfen.  Ein  Management  moderner  Lieferketten  nimmt  sich  die‐ sen  Herausforderungen  an.  Insbesondere  folgende  Phänomene  prägen  seine  Entstehung:  Total‐Cost‐of‐Ownership‐Betrachtung,  Transaktions‐ kosten, Bullwhip‐Effekt, Globalisierung sowie gesteigerte Kundenanfor‐ derungen.  Diese  Motive,  die  für  den  Aufbau  weltweit  umspannender  logistischer Netzwerke prägend sind, werden nachstehend diskutiert. 

A.6.1

Total Cost of Ownership

A.6.1.1

Allgemeine Charakterisierung

Ein  erstes  Motiv  für  die  Entstehung  moderner  Lieferketten  besteht  in  einer  Total‐Cost‐of‐Ownership‐Betrachtung  (TCO).  Das  Konzept  wur‐ de Mitte der 80er Jahre von der Beratungsgesellschaft Gartner entwickelt  (vgl. Krämer 2012; Kuhn 2007). In der Ursprungsversion zielte der Ansatz  auf  die  Informationstechnologie  (IT).  Später  wurden  die  Überlegungen  auf  weitere  Organisationsbereiche  übertragen.  Eine  Total‐Cost‐of‐ Ownership‐Analyse  ähnelt  dem  Lifecycle  Costing  (Vollkostenbetrach‐ tung, vgl. ausführlich S. 285). Während Lifecycle Costing jedoch im Kern  auf Investitionen abzielt (explizite Zeitorientierung), widmet sich TCO vor  allem Transaktionskosten (Prozessfokus). Der Übergang zwischen beiden  Verfahren  verläuft  fließend.  Neben  den  eigentlichen  Anschaffungskos‐ ten  eines  Gutes  werden  bei  TCO  auch  dessen  Folgekosten  berücksich‐ tigt.  Diese  fallen  für  Betrieb,  Schulung,  Wartung  oder  Reparatur  eines  Sachmittels über seine komplette Nutzungsdauer an. 

36

Motive für die Entstehung von Supply Chains

Die Ermittlung von Total Cost of Ownership steigert die Transparenz in  Supply  Chains.  Für  die  Unternehmensführung  bietet  der  Ansatz  eine  Entscheidungsgrundlage bezüglich der Auswahl homogener Güter. Aus  einer TCO‐Berechnung leiten sich Kostentreiber ab. Diesbezüglich ist für  eine Total‐Cost‐of‐Ownership‐Überlegung der Gartner Group die Diffe‐ renzierung zwischen direkten und indirekten Kosten maßgeblich: 

 Direkte  Kosten:  Die  direkten  Kosten  sind  nach  der  Gartner  Group 

A.6 Gartner Group als  Wegbereiter 

Harte Kosten 

sichtbar („hart messbar“, „budgetierbar“). Der IT‐gestützte Ansatz dif‐ ferenziert  direkte  Kosten  in  die  drei  Bereiche  Hard‐  und  Software  (Be‐ schaffung  und Anwendung  von  Informationstechnologie),  Operations  (Vergütung der Mitarbeiter für den Betrieb der Systeme) sowie Admi‐ nistration (Aufwendungen für Organisation und Verwaltung). Für ein  Supply  Chain  Management  resultieren  direkte  Kosten  beispielsweise  aus Abschreibungen  auf  Investitionen,  Löhnen  und  Gehältern,  Versi‐ cherungen, Zöllen, Verpackungen, Reisekosten oder Beständen (Kapi‐ talbindung). 

 Indirekte  Kosten:  Die  Ermittlung  dieser  „weichen“  (unsichtbaren)  Einflussgrößen  bereitet  in  der  Regel  Schwierigkeiten.  Die  Gartner  Group  unterscheidet  indirekte  Kosten  in  die  beiden  Segmente  End‐ User‐Operations  sowie  Downtime.  Unter  die  End‐User‐Operations  fal‐ len Wertverluste durch Schulung, Self‐ sowie Peer‐to‐Peer‐Support (so  genannte  „Kommunikation  unter  Gleichen“;  in  einem  Computer‐ netzwerk  sind  sämtliche  Rechner  gleich  bedeutsam,  das  Gegenteil  stellt  eine  Client‐Server‐Lösung  dar),  Erstellung  von  Backups  oder  Futzing  (IT‐Benutzung  für  private  Zwecke).  Mit  dem  Begriff  „Down‐ time“ werden Systemausfälle umschrieben. Indirekte Kosten hemmen  den Verbraucher in der Nutzung eines Wirtschaftsguts. Die Messung  dieser  Einflussfaktoren  auf  Investitionen  ist  allerdings  einer  ausge‐ prägten Subjektivität des Betrachters unterworfen. Unbestritten ist je‐ doch,  dass  indirekte  Kosten  erfolgswirksam  sind.  Laut  Krcmar  (vgl.  Krcmar  2015,  S.  191)  belaufen  sich  diese  weichen  Einflussgrößen  auf  23%  bis  46%  der  gesamten  Projektkosten.  Albrecht  beziffert  eben  jene  indirekten  Kosten  sogar  auf  bis  zu  53%  der  Gesamtkosten  für  IT‐ Projekte (vgl. Albrecht 2006, S. 85). 

Neben  der  Gartner  Group  haben  vor  allem  Forrester  Research  sowie  die  Meta  Group  den  Ansatz  von  Total  Cost  of  Ownership  protegiert.  Das  Konzept  von  Forrester  Research  ist  ebenfalls  der  Informationstechnolo‐ gie  entlehnt.  Die  beeinflussenden  Kostenfaktoren  einer  Entscheidung  setzen  sich  aus  Infrastruktur  (Kosten  für  Hard‐  und  Software),  War‐ tungsverträge,  Management,  Support,  Schulung,  Downtime  sowie  Vor‐

37

Bedeutung weicher  Einflussgrößen 

Weitere TCO‐ Modelle im Über‐ blick 

A

Grundlagen

sorge  (Katastrophenschutz)  zusammen.  Die  Meta  Group  hingegen  mo‐ difiziert  eine  Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse  geringfügig  und  be‐ zeichnet  sie  als  „Real  Cost  of  Ownership“  (RCO).  Der  Ansatz  besagt,  dass  Kosten  „belegbar“  sind.  Sie  entsprechen  weitgehend  den  direkten  Kosten  von  Gartner.  Der  Ansatz  der  Meta  Group  ergänzt  diese  Größen  jedoch  um  Einflussfaktoren,  welche  zu  einem  Produktivitätsverlust  führen. Darunter fallen Kosten für die Aufrechterhaltung von Netzwer‐ ken oder die Migration von Anwendern in dieses Netzwerk.  Total Profit of  Ownership 

Seit geraumer Zeit weitet sich das Konzept von Total Cost of Ownership  zum  Total  Benefit  of  Ownership  (TBO).  Diese  Methode  ermittelt  den  Gesamtprojektnutzen  über  seinen  kompletten  Lebensweg.  Neben  den  Kosten sind auch die Leistungen (Erlöse) von Investitionen zu erfassen.  Sämtliche  Aktivitäten  einer  Supply  Chain  können  diesbezüglich  in  Nutz‐, Stütz‐, Blind‐ und Fehlprozesse unterschieden sein (vgl. Albrecht  2006,  S.  85  und  S.  349  dieser  Schrift).  Nutzprozesse  sind  durchaus  von  einem  Benefit  in  Richtung  Kunde  geprägt.  Stütz‐,  Blind‐  und  Fehlpro‐ zessen  ist  hingegen  kaum  ein  Nutzen  inhärent  (einseitiger  Ressourcen‐ verbrauch). Für ein IT‐System erwächst ein möglicher Benefit beispiels‐ weise  aus  einer  künftigen  Integrationsmöglichkeit  weiterer  Applikatio‐ nen oder Updates (z. B. einer Firewall) in dieses System. 

Beispiel für TCO:  Einkauf eines  Mantels 

Im Folgenden wird eine Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse für das Supp‐ ly  Chain  Management  exemplifiziert  (vgl.  in Auszügen  Krokowski  1993,  S. 14; Schulte 2017, S. 295). Das Beispiel bezieht sich auf die Lieferanten‐ auswahl eines Handelsunternehmens. Der Einkäufer eines Kaufhausbe‐ treibers  möchte  eine  Kaufentscheidung  für  modische  Herbstmäntel  (Trenchcoats)  treffen  (vgl.  Abbildung  A.7).  Sämtliche  Kaufhäuser,  in  welche  die  Mäntel  geliefert  werden,  befinden  sich  in  Deutschland.  Ein  erster möglicher Lieferant fertigt seine Trenchcoats in China. Pro Mantel  beträgt der Einkaufspreis 40,00 Euro. Alternativ liegt dem Einkäufer ein  zweites Angebot eines deutschen Herstellers von 50,00 Euro pro Mantel  vor.  Im  Lichte  einer  Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse  wird  dieser  Ein‐ kaufspreis um Folgekosten pro Mantel verrechnet (der „Einkaufspreis“  des Mantels wird zu dessen „Einstandspreis“ übergeleitet). 

 Zunächst  berechnet  der  Einkäufer  die  Frachtkosten  pro  Trenchcoat. 

Frachtkosten 

Diese  addieren  sich  auf  4,50  Euro  für  die  chinesische  Variante  (Luft‐ fracht 1,50 Euro und See‐/Landfracht 3,00 Euro). Wird der Mantel von  dem deutschen Hersteller bezogen, fallen Frachtkosten von insgesamt  1,30 Euro an (diese resultieren ausschließlich aus See‐/Landfracht). 

38

Motive für die Entstehung von Supply Chains

 Ferner  entstehen  für  jeden  aus  China  bezogenen  Mantel  Kosten  für  die  Verzollung  und  die  Versicherung  in  Höhe  von  3,80  Euro,  wobei  der Raubanteil in Zollkosten besteht (3,50 Euro). Wird der Trenchcoat  von  dem  deutschen  Hersteller  bezogen,  fallen  keine  Zollkosten  an.  Die Versicherung kostet pro Mantel 0,25 Euro. 

 Für die Berechnung der Kapital‐ und Lagerkosten sind die Lieferzeit 

A.6 Zoll und Versiche‐ rung 

Kapitalbindung 

sowie  die  Transportzeit  pro  Mantel  ausschlaggebend.  Es  ist  ange‐ dacht, diese modischen Trenchcoats kurzfristig in witterungsabhängi‐ ge  Special‐Sales‐Aktivitäten  einzubinden.  Auf  Grund  seiner  langen  Lieferzeit,  muss  der  Mantel  des  chinesischen  Herstellers  voraussicht‐ lich im Durchschnitt 25,0 Tage auf Lager genommen werden. Daraus  berechnet der Einkäufer Kapital‐ und Lagerkosten von 3,30 Euro pro  Mantel (Opportunitätskosten, Lagerkosten, Handlingskosten). Für ei‐ nen  aus  Deutschland  bezogenen  Trenchcoat  fallen  hingegen  nur  1,55  Euro Kapital‐ und Lagerkosten pro Mantel an. 

 Weiterhin  bezieht  der  Einkäufer  Sonstige  Logistikkosten  in  seine  TCO‐Berechnung  ein.  Diese  setzen  sich  zusammen  aus  Kosten  für:  Auswahl  der  Dienstleister,  Bestellüberwachung,  Kommunikation  (in‐ klusive  Lieferantenbesuchen  vor  Ort),  Qualitätskontrolle  und  Bü‐ roprovision  (Betreuung  durch  einen  Agenten  im  Auslandsbüro).  In  Summe  belaufen  sich  diese  Einflussfaktoren  für  die  chinesische  Vari‐ ante  pro  Trenchcoat  auf  4,16  Euro.  Wird  der  Mantel  in  Deutschland  gefertigt,  entstehen  lediglich  0,08  Euro  an  Sonstigen  Kosten  pro  Trenchcoat. 

 In Addition ergeben der Einkaufspreis (40,00 Euro) und die Folgekos‐ ten (15,76 Euro) für einen in China hergestellten Trenchcoat 55,76 Eu‐ ro.  Für  die  Mäntel  gewährt  der  Produzent  einen  Bonus  von  2%  auf  den  Einkaufspreis  (0,80  Euro).  Folglich  belaufen  sich  die  Gesamtkos‐ ten  der  aus  China  bezogenen  Trenchcoats  auf  54,96  Euro.  Der  in  Deutschland  gefertigte  Trenchcoat  kostet  53,18  Euro  (Einkaufspreis  50,00 Euro und Folgekosten 3,18 Euro). Da der deutsche Hersteller ei‐ nen Bonus von 5% auf den Einkaufspreis pro Mantel abschlägt, kostet  der Trenchcoat insgesamt 50,68 Euro. In diesem Beispiel „schlägt“ ein  in  Deutschland  hergestellter  Mantel  –  trotz  des  erheblich  höheren  Einkaufspreises  –  die  „chinesische  Alternative“  um  4,28  Euro  pro  Mantel (vgl. Abbildung A.7). Rein aus Kostensicht, wird der Einkäufer  diesen  Trenchcoat  aus  Deutschland  beziehen.  Es  sei  allerdings  der  Hinweis erlaubt, dass in diesem Beispiel ausschließlich direkte Kosten  verrechnet wurden. Die Kalkulation könnte sowohl um indirekte Kos‐ ten, wie auch um mögliche Total Benefit of Ownership erweitert sein.     

39

Weitere Einfluss‐ größen 

Ergebnis der Ana‐ lyse 

A Abbildung A.7 

Grundlagen

Total Cost of Ownership 

Entscheidungskriterium  Einkaufspreis 

Lieferant A 

Lieferant B 

40,00 

50,00 

   ‐ Luftfracht 

1,50 

0,00 

   ‐ Seefracht/Landfracht 

3,00 

1,30 

(A) Frachtkosten Total 

4,50 

1,30 

   ‐ Zollkosten 

3,50 

0,00 

   ‐ Versicherungen 

0,30 

0,25 

(B) Zollkosten/Versicherungen Total 

3,80 

0,25 

   ‐ Lieferzeit in Tagen 

90,00 

40,00 

   ‐ Transportzeit in Tagen 

25,00 

1,00 

   ‐ Lagerzeit in Tagen 

25,00 

1,55 

(C) Kapitalkosten/Lagerkosten Total 

3,30 

1,55 

   ‐ Kosten Dienstleisterauswahl 

0,30 

0,05 

   ‐ Kosten Bestellüberwachung 

0,23 

0,00 

   ‐ Kommunikationskosten 

1,13 

0,03 

   ‐ Qualitätskontrollkosten 

0,98 

0,00 

   ‐ Kosten für Büroprovision 

1,52 

0,00 

(D) Sonstige Logistikkosten Total 

4,16 

0,08 

   ‐ Summe Folgekosten (A + B + C + D) 

15,76 

3,18 

Zwischensumme 

55,76 

53,18 

   ‐ Abzug Bonus (2%/5%) 

‐0,80 

‐2,50 

54,96 

50,68 

Endsumme 

Legende: Lieferant A ist in China beheimatet, Lieferant B kommt aus Deutschland.  Sämtliche Zahlenangaben in €.   

40

Motive für die Entstehung von Supply Chains

A.6.1.2

Verzahnung mit Maverick-Buying

A.6.1.3

Maverick-Buying: Grundlegende Überlegungen

A.6

Der  Begriff  „Maverick‐Buying“  steht  für  eine  wilde,  unkontrollierte  Beschaffung,  die  an  einem  existierenden  Rahmenvertrag  vorbei  durch‐ geführt  wird.  Die  Erscheinungsformen  erstrecken  sich  über  unbewuss‐ tes,  notgedrungenes,  beabsichtigtes  oder  kriminelles  Maverick‐Buying  (vgl.  Karjalainen  et  al.  2008, S.  9ff.).  Die  Kennzahl  „Rahmenvertragsquo‐ te“ steht für die Messung dieses Phänomens (vgl. Kennzahlentypologie  dieser  Schrift  auf  S.  416).  Eine  unkontrollierte  Beschaffung  verschlingt  zum Teil viel Geld. Nach Wannenwetsch (vgl. Wannenwetsch 2008, S. 17f.)  steigen  die  Bezugskosten  durch  ein  Maverick‐Buying  durchschnittlich  um 15% (verglichen mit einer „kontrollierten“ Beschaffung). Gerade der  Einkauf von C‐Artikeln gestaltet sich offenkundig recht chaotisch. Bis zu  30%  dieser  Sachnummern  werden  an  bestehenden  Verträgen  vorbei  bestellt (vgl. Angeles/Nath 2007, S. 110; Wannenwetsch 2013, S. 18). 

Fluch wilder Be‐ schaffung 

Die Motive für Maverick‐Buying lassen sich in zwei Kategorien untertei‐ len. Einerseits sind sie konkret vor dem Hintergrund der Einkaufstätig‐ keit,  also  dem  Beschaffungsmanagement,  zu  betrachten.  Andererseits  können  sie  in  einem  generischen  Zusammenhang  gesehen  werden:  In  einem  von  allgemeinen  Normen  abweichenden  Arbeitsverhalten  (vgl.  Karjalainen  et  al.  2008,  S.  4ff.).  Die  Ursachen  für  Maverick‐Buying  sind  vielschichtig  (vgl.  Karjalainen  et  al.  2008,  S.  4;  Large  2013,  S.  210;  Lonsda‐ le/Watson 2005, S. 159ff.): 

Vielschichtige  Ursachen für  Maverick‐Buying 

 Operativ tätige Mitarbeiter wissen teilweise schlichtweg nicht um die  Existenz von Lieferantenverträgen. 

 Entscheidungen des Bedarfsträgers leiten sich allein über den Materi‐ alpreis ab. Mögliche Folgekosten bleiben unberücksichtigt. 

 Konditionen  aus  Rahmenkontrakten  (Einkaufspreise)  werden  als  un‐ vorteilhaft eingeschätzt. 

 Die  Leistungsfähigkeit  des  Herstellers  wird  angezweifelt.  Bedarfsträ‐ ger  sind  der  Meinung,  dass  Produkte  nicht  die  geforderten  Eigen‐ schaften besitzen und von Dritten hochwertiger oder bedarfsgerechter  bezogen werden können. 

 Es existiert noch gar keine grundsätzliche Entscheidung über den Be‐ schaffungsweg. Einkäufer agieren notgedrungen an möglichen strate‐

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A

Grundlagen

gischen  Entscheidungen  vorbei,  da  Standarddefinitionen  bislang  feh‐ len. 

 Interessenkonflikte  zwischen  den  Fachabteilungen  und  dem  strategi‐ schen  Einkauf.  Der  Bedarfsträger  stellt  lokale  oder  persönliche  Inte‐ ressen über unternehmensweite Ziele (intrinsische Motivation). 

 Machtspiele  und  Kompetenzstreitigkeiten  zwischen  den  beteiligten  Akteuren. 

 Fehlende Anreize zur Einhaltung von Rahmenvereinbarungen.   Ausgeprägter  Budgetdruck,  der  den  Einkäufer  zur  Suche  neuer  Be‐ schaffungswege verleitet. 

 Existenz von Handkassen (Korruption).   Kapazitätsengpässe  bisheriger  Lieferanten  zwingen  den  Kunden  da‐ zu,  sich  kurzfristig  nach  anderweitigen  Beschaffungswegen  umzuse‐ hen.  Gründe der weichen  Ebene 

Neben  eher  rationalen  Gründen  für  Maverick‐Buying  lassen  sich  auch  emotionale  Ursachen  ausmachen.  Dann  weicht  das  Arbeitsverhalten  von  der  Norm  ab.  Es  äußert  sich  in  Machtlosigkeit,  Langeweile,  Unge‐ rechtigkeit,  Frustration,  fehlender  Organisationsverbundenheit,  persön‐ lichem  Schicksal  oder  allgemeinem  Widerstand  gegen  Veränderungen  (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 5ff.). 

Indirektes Material ist  besonders betroffen 

Besonders ausgeprägt ist die wilde Beschaffung von Gemeinkostenma‐ terial  (Büromaterial,  Arbeitshandschuhe,  Reinigungsmittel,  Kraftstoffe,  Schmieröle).  Diese  Sachnummern  sind  zwar  nur  von  vergleichsweise  geringem  Wert.  Doch  sie  erfordern  überproportional  hohe  Transakti‐ onskosten (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 7; Wannenwetsch 2013, S. 17f.).  

Auch Dienste bleiben  nicht verschont 

Weiterhin  lastet  auch  auf  dem  Einkauf  von  Dienstleistungen  vielfach  der Fluch von Maverick‐Buying. Dieses Dilemma kann darin begründet  liegen,  dass  beispielsweise  bei  kurzfristig  durchzuführenden  Reparatu‐ ren  die  Kapazitäten  der  offiziellen  Dienstleister  nicht  ausreichen  oder  benötigtes  Fachpersonal  nicht  zur  Verfügung  steht.  Der  folgende  Bei‐ spielblock  a.2  zeigt  das  untrennbare  Nebeneinander  von  Total  Cost  of  Ownership und Maverick‐Buying.     

42

Motive für die Entstehung von Supply Chains

A.6 Beispielblock a.2  

Total Cost of Ownership und Maverick‐Buying  Ein  Kostenstellenverantwortlicher  stöbert  über  das  Wochenende  ein  „un‐ schlagbares“ Angebot für ein Notebook auf. Der Hersteller Vobis bietet dieses  zu einem Preisvorteil von 100 Euro an (verglichen mit ähnlichen Geräten der  Konkurrenz). Im Laufe der kommenden Woche bestellt der Kostenstellenlei‐ ter fünf Notebooks bei Vobis. Dadurch ergibt sich für seine Organisation ein  Preisvorteil von 500 Euro. Allerdings hat das Unternehmen einen Wartungs‐ vertrag  mit  Hewlett‐Packard  abgeschlossen  (welchen  der  Kostenstellenver‐ antwortliche  ignoriert).  Nach  kurzer  Zeit  ergeben  sich  Probleme  durch  In‐ kompatibilitäten  der  Systemlandschaft. Außerdem  stellen  sich  spätere  War‐ tungsschwierigkeiten  ein.  Der  originäre  Preisvorteil  von  500  Euro  wird  durch Folgekosten von 1.300 Euro überkompensiert (Trade‐off‐Situation). 

A.6.1.4

Eindämmung von Maverick-Buying über Purchasing Cards

Nicht  zuletzt  zur  Vermeidung  von  Maverick‐Buying,  nutzen  immer  mehr  Organisationen  elektronische  Einkaufskartensysteme  (Purchasing  Cards).  Diese sind  vor  allem  für  den  Bezug  von  Gemeinkostenmateria‐ lien gedacht. Die Einkaufskarten können  physisch an ausgewählte Mit‐ arbeiter eines Unternehmens ausgegeben werden. Allerdings reicht auch  die  bloße  Hinterlegung  einer  Kartennummer  bei  einem  Kreditinstitut.  Autorisierte  Mitarbeiter  (beispielsweise  Kostenstellenleiter)  werden  bevollmächtigt,  über  die  Purchasing  Card  direkt  bei  zuvor  definierten  Lieferanten  geringwertige  Artikel  oder  Dienste  zu  bestellen  (wie  Büro‐ material). Die Zahlung dieser Waren erfolgt über die Einkaufskarte. 

Purchasing Cards  zur Lösung von  Maverick‐Buying 

Im  Grunde  protegieren  Einkaufskartensysteme  eine  Dezentralisierung  ausgewählter  Bestellvorgänge,  indem  ein  Teil  der  Beschaffungsverant‐ wortung  in  die  Funktionsbereiche  ausgelagert  wird.  Daraus  resultiert  eine  Entlastung  zentraler  Einkaufsabteilungen,  verbunden  mit  der  Ab‐ senkung  von  Verwaltungskosten.  Mit  dem  Einsatz  von  Purchasing  Cards  wird  das  Streben  nach  kontrollierten  Beschaffungsaktivitäten  lanciert. Die Gefahr für das Aufkeimen des Maverick‐Buying‐Syndroms  ist deutlich gemindert. Folgende Arbeitsschritte kennzeichnen beispiel‐ haft  ein  Purchasing‐Card‐System,  beschrieben  an  dem  Arbeitsbeispiel  „Bestellung von Büromaterial“ (vgl. Abbildung A.8): 

Arbeitsschritte zur  Implementierung  von Purchasing  Cards 

 

43

A

Grundlagen

1. Online‐Bestellung  des  Büromaterials  durch  den  Bedarfsträger  (Kos‐ tenstellenleiter) bei einem zuvor definierten Lieferanten.  2. Die  Bestellung  geht  beim  Lieferanten  ein.  Anschließend  werden  die  Daten  zwischen  Lieferant  und  Kreditkartenbetreiber,  der  so  genann‐ ten  „Clearing‐Organisation“,  abgeglichen  (Überprüfung  der  Autori‐ sierung).  3. Wenn  eine  Autorisierung  erfolgreich  war,  wird  das  Büromaterial  durch den Lieferanten physisch zugestellt.  4. Im  nächsten Arbeitsschritt  findet  der  elektronische  Zahlungsabgleich  zwischen  Kreditkartenbetreiber  und  Lieferant  statt.  Der  Lieferant  wird in der Regel recht schnell entlohnt.  5. Jetzt  übermittelt  die  Kreditkartengesellschaft  eine  monatliche  Sam‐ melrechnung an den Auftraggeber.  6. Schließlich  wird  der  Zahlungsabgleich  zwischen  dem  Auftraggeber  und der Kreditkartengesellschaft eingeleitet.  Abbildung A.8 

Purchasing Cards 

 

 



Bedarfsträger 

Zahlungsabgleich 

Kosten‐ stelle  Auftrag‐ geber 

Kreditkarten‐  gesellschaft  (Clearing‐  Organisation) 



Sammelrechnung 



Bestellung 



Lieferung 



Autorisierung 

 

Lieferant  4 

Zahlungsabgleich 

 

44

Motive für die Entstehung von Supply Chains

Einkaufskartensysteme  werden  von  UBS  Visa,  Airplus,  MasterCard  oder  American  Express  betrieben.  Diese  „Clearing‐Organisationen“  verfügen  in der Regel über eigene Lieferantenlisten. Darin sind zumeist Anbieter  aufgeführt, mit denen die Kreditkartenbetreiber bereits seit einiger Zeit  Geschäftsbeziehungen  pflegen.  Zu  den  Vorteilen  der  Purchasing  Card  zählen: 

A.6 Nutzen von Ein‐ kaufskarten 

 Rasche  und  unkomplizierte  Beschaffung  nach  standardisierten  Spiel‐ regeln (richtlinienkonforme Beschaffung zur Eindämmung von Mave‐ rick‐Buying). 

 Personalkostenreduzierung  beim  Auftraggeber  (Entlastung  der  Mit‐ arbeiter des Zentraleinkaufs). 

 Opportunitätsgewinne  für  den  Lieferanten:  Rasche  Bezahlung  des  Lieferanten durch die Kreditkartengesellschaft. 

 Erzielung  von  Skalen‐Effekten  im  Einkauf  (Purchase‐Volume‐Impact  durch Bündelung von Einkaufsvolumina). 

 Abschaffung von „Handkassen“ zwischen Lieferanten und Kunden.   Buchung  von  Sammelrechnungen:  Prozesskostenreduzierung  in  der  Buchhaltung des Auftraggebers. 

 Variabilisierung der Kostenstruktur (der Auftraggeber reduziert seine  Fixkosten,  indem  er  die  Kreditkartengesellschaft  nur  bei  Inanspruch‐ nahme vergütet). 

 Steigerung der Transparenz im Beschaffungswesen.  Technische Lösungen allein können jedoch nicht alle Ursachen des Ma‐ verick‐Buyings  ausschließen.  Daher  sind  neben  den  informationstech‐ nisch (IT)‐orientierten Lösungsansätzen, wie der Purchasing Card, auch  verhaltensbasierte  Lösungsansätze  in  Betracht  zu  ziehen.  Darunter  fallen  insbesondere  Mitarbeiterführung,  Dienstanweisung,  Personal  Empowerment, Anreizsysteme und Unternehmenskultur. 

 Mitarbeiterführung:  Führungspersönlichkeiten  müssen  in  der  Lage  sein,  ihr  Wissen  über  Existenz  und  Zweck  von  Rahmenvereinbarun‐ gen zu teilen (Vorbildfunktion). 

 Dienstanweisung:  Eine  derartige  Dienstanweisung  könnte  beispiels‐ weise eine Buchung von Dienstreisen ausschließlich über Vorzugslie‐ feranten gestatten. 

45

Hohe Margen als  primäre Stolper‐ steine 

A

Grundlagen

 Personal  Empowerment:  Übertragung  von  Verantwortung  an  das  Personal,  um  deren  Motivation  zu  stärken.  Mitarbeiter  werden  früh‐ zeitig  in  den  Entscheidungsprozess  eingebunden  und  müssen  für  Fehlentscheidungen Rechenschaft ablegen. 

 Anreizsysteme: Durch die Unterbreitung positiver oder negativer An‐ reize sollen Verhaltensweisen der Mitarbeiter beeinflusst werden. 

 Unternehmenskultur: Starke Kulturen verbessern die Mitarbeitermo‐ tivation. Diese kann die Konformität zu Rahmenverträgen fördern.  Kritische Würdi‐ gung verhaltens‐ basierter Lösungs‐ ansätze 

Generell  können  verhaltensbasierte  Lösungsansätze  die  Arbeitsmoral  der Mitarbeiter steigern und ihren Beitrag zur Eindämmung von Mave‐ rick‐Buying  leisten.  Jedoch  fällt  die  Messung  ihrer  Erfolgswirksamkeit  schwer. Schließlich kann ein Personal Empowerment zu einer Trade‐off‐ Situation  führen:  Die  gesteigerte  Autonomie  von  Mitarbeitern  fördert  den wilden Einkauf, wenn die Bedarfsträger weiterhin persönliche über  unternehmensweite Interessen stellen. 

A.6.2 Ronald Coase als  Wegbereiter 

Transaktionskosten

Allgemein charakterisiert eine Transaktion den Wechsel eines materiel‐ len oder immateriellen Objekts aus dem Wirkungskreis eines Akteurs in  den  eines  anderen  (vgl.  Corsten/Gössinger  2007,  S.  3).  Bei  diesem  Über‐ gang fallen (Transaktions‐) Kosten an. Die Theorie um Transaktionskos‐ ten geht vor allem auf Ronald Coase zurück, dem 1991 dafür der Nobel‐ preis  verliehen  wurde.  Bezogen  auf  das  Beispiel  „Vertragsabschluss“,  lassen sich Transaktionskosten folgenden Tätigkeiten beimessen: 

Ex‐ante‐ Betrachtung 

 Transaktionskosten  entstehen  vor  einem  Vertragsabschluss  (ex  ante) 

Ex‐post‐ Betrachtung 

 Nach einem Vertragsabschluss (ex post) fallen Transaktionskosten für 

Entstehungsgrün‐ de von Transakti‐ onskosten 

beispielsweise  für  Informationsbeschaffung  (Informationssuche  über  potenzielle  Marktpartner), Anbahnung  (Kontaktaufnahme)  oder  Ver‐ einbarung (Verhandlung, Vertragsformulierung, Einigung).  Abwicklung (Courtage oder Transport), Änderung (Termin, Preis oder  Menge) und Kontrolle (Lieferabnahme) an. 

Diese Einflussfaktoren auf Transaktionskosten können noch von weite‐ ren  Tätigkeiten  umgeben  sein.  Beispielhaft  dafür  stehen  Kommunikati‐ onsbedarf,  Missverständnisse,  Verständigungsprobleme  oder  Konflikte  zwischen  beteiligten  Personen.  Die  Höhe  der  Transaktionskosten  kann 

46

Motive für die Entstehung von Supply Chains

A.6

Geschäftsbeziehungen  gänzlich  zum  Erliegen  bringen.  Sie  werden  in  Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analysen gemessen.  In  einem  Supply  Chain  Management  entstehen  Transaktionskosten  vor  allem  an  den  Schnittstellen.  Daher  sind  innerhalb  der  Wertschöpfungs‐ kette möglichst verbindliche Regelungen hinsichtlich des Material‐ und  Informationsaustauschs  aufzustellen,  um  die  Transaktionskosten  einzu‐ dämmen. Moderne IT‐Systeme unterstützen diese Zielsetzung innerhalb  der Supply Chain (beispielsweise Nutzung von E‐Commerce), wobei die  jeweilige  Organisationsstruktur  durchaus  die  Höhe  von  Transaktions‐ kosten  beeinträchtigt.  Rigide  Beziehungen  werden  aufgelöst  und  koor‐ dinationsintensive  Formen  gebildet.  Das  Virtuelle  Unternehmen  steht,  auf  Grund  seiner  modularen  organisatorischen  Form,  beispielhaft  Spa‐ lier für diesen Anspruch. 

A.6.3

Transaktionskosten  in Supply Chains 

Bullwhip-Effekt

Der Bullwhip‐Effekt (vgl. Abbildung A.9) geht auf die Untersuchungen  Forresters zu den „Industrial Dynamics“ aus dem Jahr 1958 zurück (vgl.  Forrester  1958,  S.  37ff.).  Forrester  zeigte  seinerzeit  folgendes  Phänomen  empirisch  auf:  Wenn  innerhalb  einer  Wertschöpfungskette  (bestehend  aus den Stufen Produzent, Distributor, Händler und Kunde) eine unge‐ plante  Nachfragesteigerung  von  10%  festgestellt  wird,  reagieren  die  Hersteller  über.  Sie  möchten  den  potenziellen  Umsatz  nicht  verloren  geben.  Bis  zu  40%  erhöhen  sie  ihre  Produktion.  Erst  nach  circa  einem  Jahr  pendelt  sich  das  Angebot  bei  der  vorgegebenen  Nachfragesteige‐ rung von 10% ein. Das Dilemma der Akteure einer Supply Chain besteht  nach  Forrester  darin,  dass  ein  Marktpartner  lediglich  um  die  Bedarfe  seiner jeweils vorgelagerten Stufe konkret weiß. Folgende Gründe nennt  Forrester für das Aufkeimen logistischer Peitschenschläge (vgl. insbeson‐ dere Forrester 1958, S. 43ff.; vgl. weiterhin Beckmann 2004, S. 7f.): 

Peitschenschlag‐ Effekt 

 Fehlende  Bedarfstransparenz  in  einer  Wertschöpfungskette:  Die Än‐

Der Kunde, das  unberechenbare  Wesen… 

derungen der Bedarfsniveaus ultimativer Endkunden führen nicht di‐ rekt  zur  Produktionsanpassung  der  vorgeschalteten  Lieferstufen.  In‐ nerhalb  der  Zeitspanne  zwischen  Bedarfsänderung  und  Reaktion  werden latent Überbestände in der Supply Chain aufgebaut. 

 Informationsverzerrung in einer Supply Chain: Dispositionsentschei‐ dungen  und  Bestellsysteme  richten  sich  auf  die  eigene  Organisation  aus.  Potenzielle  Bedarfsänderungen  von  Verbrauchern  werden  nur 

47

Sickerverluste in  der IT 

A

Grundlagen

mit  Zeitverzug  in  dieses  System  geschleust  (Sukzessivplanung  statt  Simultanplanung). 

 Häufige  Anpassung  des  Bestandsniveaus:  Änderungen  in  der  Be‐

Beschaffungsrou‐ tine fehlt 

Gründe für das  Aufkeimen des  Bullwhip‐Effekts 

standspolitik  bewirken  schwankende  Bestellmuster  vorgeschalteter  Wertschöpfungsstufen des Herstellers (vgl. Keller 2013, S. 113). 

Insbesondere Lee et al. trugen die Ergebnisse Forresters fort und weiteten  diese zum Bullwhip‐Effekt (vgl. Lee et al. 1997, S. 543ff.). Im Kern führen  sie  den  Peitschenschlag‐Effekt  auf  Informationsdefizite  innerhalb  der  Lieferketten zurück. Besondere Probleme liegen in den Einflussfaktoren  Bedarfsprognose, Beschaffungspolitik, Bedarfsbündelung sowie Preisva‐ riation (vgl. Lee et al. 1997, S. 545ff.; vgl. weiterhin Beckmann 2004, S. 8f.): 

Informationsdefizi‐ te über zukünftige  Bedarfe 

 Bedarfsprognose: Die Weitergabe der Bedarfsinformation an die Lie‐

Problembehaftete  Beschaffungspro‐ zesse 

 Beschaffungspolitik:  Bei  befürchteter  Versorgungsknappheit  ändert 

Reduzierung  bestellfixer Kosten  über Purchase  Volume 

 Bedarfsbündelung:  Eine  Bedarfsbündelung  erfolgt  durch  die Aggre‐

Preisschwankun‐ gen 

 Preisvariation:  Schließlich  führen  Verkaufsförderungsaktivitäten  in 

feranten erfolgt mit zeitlichem Verzug. So werden Änderungen in den  Abrufen den Lieferanten nicht direkt mitgeteilt. Dadurch verlieren die  Zulieferorganisationen  die  Sicht  auf  die  tatsächliche  Marktlage.  Ein  Beispiel dafür ist die Branche für Mobiltelefone zu Beginn dieses Jahr‐ tausends.  Zu  dieser  Zeit  brach  der  erste  Hype  um  Mobiltelefone  ab.  Die  Hersteller  korrigierten  ihre  Bedarfsprognosen  deutlich  nach  un‐ ten. Bis die letzte Stufe der Supply Chain diese Information verarbei‐ tet hatte, vergingen fast zehn Monate. Während dieser Zeit wurden in  der Supply Chain latent Überbestände aufgebaut.  sich das strategische Bestellverhalten von institutionellen Kunden und  Endverbrauchern schlagartig. Beispielhaft dafür stehen witterungsab‐ hängige Saisonwaren (Sonnenmilch, Streusalz), Trendartikel (Fashion)  oder selten verfügbare Ressourcen (Impfstoffe). Kunden tendieren da‐ zu, beim Lieferanten diese Kapazitäten zu horten. Die Folge ist ein Be‐ standsaufbau innerhalb der Supply Chain.  gation von Kundenabrufen über mehrere Perioden. Der Kunde möch‐ te  die  Ausnutzung  von  Skaleneffekten  erreichen  (Mengenrabatte  im  Einkauf erzielen) und seine bestellfixen Kosten reduzieren. Diese ku‐ mulierten Werte verleiten den Lieferanten zu dem Trugschluss erhöh‐ ter zukünftiger Bedarfe.  der  Regel  zu  einem  kurzfristigen  Nachfrageschub.  Die  Bestandspla‐ nung vor, während und nach der Promotion ist besonders schwierig, da  sich die Nachfrage sehr volatil verhalten kann. Beispielhaft dafür steht  die teilweise rare Verfügbarkeit aktuell beworbener Kosmetika. 

48

A.6

Motive für die Entstehung von Supply Chains

Bullwhip‐Effekt 

Abbildung A.9 

5

Bedarf

4 3 Hersteller Handel

2

Kunde 1 0 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Zeit

 

Nach dem Bullwhip‐Effekt (vgl. Beispielblock a.3) führen bereits leichte  Nachfrageschwankungen  vorgelagerter  Wertschöpfungsstufen  zu  grö‐ ßeren  Aufschaukelungen  der  Bedarfe.  Dieses  Phänomen  ist  im  „Beer  Distribution  Game“  zu  erfahren.  Anders  ausgedrückt,  verstärken  sich  selbst kleinere Veränderungen in den Endbedarfen in rückläufiger Rich‐ tung. Keine Wertschöpfungsstufe möchte Gefahr laufen, eine unvorher‐ sehbare Nachfrage aufgeben zu müssen (Peitschenschlag‐Effekt). 

Spielerische Erfah‐ rung des Peit‐ schenschlags 

Beispielblock a.3 

Bullwhip‐Effekt  Der  Begriff  Bullwhip‐Effekt  geht  auf  Procter  &  Gamble  zurück.  Bei  der  Pro‐ duktion  von  „Pampers“‐Höschenwindeln  war  die  Anzahl  an  Endverbrau‐ chern (Babys) in den Vereinigten Staaten mittelfristig konstant. Daher unter‐ stellte Procter & Gamble eine geringe Variabilität der Nachfrage. Doch dieser  Wunsch ging nicht in Erfüllung. Procter & Gamble beobachtete, dass die Ab‐ rufe des Handels für die „Pampers“‐Windeln stark schwankten. Die Volatili‐ täten  der  Nachfrage  steigerten  sich  umso  mehr,  je  weiter  sich  eine  Wert‐ schöpfungsstufe vom Endverbraucher (Baby) entfernte. 

Als Werkzeuge zur Bekämpfung des Bullwhip‐Effekts (vgl. Simchi‐Levi  et al. 2007, S. 39ff.) dienen ein verbesserter Informationsaustausch in der 

49

Kampf dem Bullwhip! 

A

Grundlagen

Supply  Chain  über  die  tatsächliche  Nachfrage  (Reduzierung  von  Unsi‐ cherheit), Simultaneität der Aktionen (Vermeidung von Zeitverzögerun‐ gen und „Totzeiten“), Zentralisierung der Disposition,  Bildung strategi‐ scher  Partnerschaften  sowie  Verminderung  der  Variabilität  (Synchroni‐ sation der Bestellzyklen). 

A.6.4

Globalisierung und gesteigerte Kundenanforderungen

“London calling to  the underworld –  come out of the  cupboard, you boys  and girls…“       (the Clash) 

Ein  weiteres  Motiv  für  das  Aufkommen  moderner  Supply  Chains  be‐ steht  in  der  zunehmenden  Globalisierung,  die  sich  beispielsweise  aus  der Liberalisierung des Handels ableitet (vgl. Arndt 2017, S. 8). Auch der  europäische Integrationsprozess ist eine treibende Kraft für die Interna‐ tionalisierung  des  Wirtschaftsgeschehens.  Neben  der  wirtschaftlichen  Liberalisierung,  stellen  günstigere  und  schnellere  Transport‐  und  Kom‐ munikationsmöglichkeiten  weitere  Hebel  der  Globalisierung  dar.  Nach  Arndt (vgl. Arndt 2017, S. 9) sind die international getätigten Exporte von  1960  (127  Milliarden  US‐Dollar)  allein  bis  zum  Jahr  2000  (6.436  Milliar‐ den US‐Dollar) um mehr als das Fünfzigfache gestiegen. 

„Nationale Cham‐ pions sind ein  Auslaufmodell.“  (N. Kroes) 

Die global agierenden Organisationen nutzen möglichst kostengünstige  und  leistungsfähige  Standorte.  Daher  überrascht  der  anhaltende  Trend  zur internationalen Beschaffung nicht (Global Sourcing). Beispielsweise  sichern  sich  die  Unternehmen  durch  globale  Beschaffung  die  Versor‐ gung knapper Ressourcen. Vorprodukte werden in der Regel nach Kos‐ tengesichtspunkten  selektiert.  Für  arbeitsintensive  Leistungen  findet  eine Verlagerung in Niedriglohnländer statt (Offshoring). Anspruchsvol‐ le Aufgaben sind dort zu verrichten, wo qualifiziertes Personal beheima‐ tet  ist.  Viele  Produkte  werden  weltweit  angeboten,  wobei  lokale  und  kundenspezifische Modifikationen (Customization) existieren. 

Front‐office und  Back‐office klug  vernetzen 

Der Trend zur Globalisierung führt dazu, dass sich die Kunden weitge‐ hend aussuchen können, wo sie ihre Produkte kaufen möchten. Die For‐ derung  nach  einer  weltweiten  Verfügbarkeit  von  Waren  wird  beispiels‐ weise durch das Internet gestillt. Unabhängig von Ladenöffnungszeiten,  sind  Güter  schnell  und  preiswert  zu  beziehen.  Doch  der  Mausklick  al‐ lein (Front‐Office) sichert noch nicht das Geschäft. Es bedarf eines adä‐ quaten logistischen Realisationswesens dahinter (Back‐Office). 

After Sales Services 

Viele  Produkte  bieten  mittlerweile  hinsichtlich  ihrer  technischen  Eigen‐ schaften  kaum  noch  Unterscheidungsmerkmale.  Daher  locken  immer 

50

Primäre Strategietypen von Supply Chains

A.7

mehr Organisationen Kunden mit Added Services. Zum Beispiel bietet  Honda  zeitweilig  aktuellen  und  potenziellen  Marktpartnern  in  London  nicht  nur  ein  Fahrzeug  selbst  zum  Kauf  an.  Der  Value  Added  Service  besteht in dem integrierten Verkauf eines Parkplatzes für das Auto. Ein  Supply  Chain  Management  berücksichtigt  dieses  Wissen  und  setzt  zur  Befriedigung  von  Kundenwünschen  auf  hohe  Liefertreue,  kurze  Liefer‐ zeit und ausgeprägte Lieferflexibilität (vgl. Arndt 2017, S. 20). 

A.7

Primäre Strategietypen von Supply Chains

Auch  wenn  die  Ausgestaltung  einer  Supply  Chain  letztendlich  indivi‐ duell  und  branchenbezogen  erfolgt,  lassen  sich  moderne  Lieferketten  dennoch  in  vier  verschiedene  Grundtypen  einteilen:  Low  Cost  Supply  Chains, Innovative Supply  Chains, Service Supply Chains und Qualita‐ tive Supply Chains (vgl. Cohen/Roussel 2006, S. 26ff.). 

A.7.1

Phänotypen von  Supply Chain  Strategien 

Kostenführerschaft in der Supply Chain

In  Low  Cost  Supply  Chains  setzen  die  Akteure  alles  daran,  ihre  Pro‐ dukte  besonders  günstig  an  kostenbewusste  Abnehmer  verkaufen  zu  können.  Das  vornehmliche  Ziel  besteht  darin,  den  Kunden  nachhaltige  Preisvorteile  gegenüber  der  Konkurrenz  aufzuzeigen.  Dazu  initiieren  Kostenführer  gezielt  Maßnahmen  zur  Rationalisierung  und  zur  dauer‐ haften Steigerung der Effizienz. 

Low Cost Supply  Chains 

Wichtige Stellhebel einer Supply Chain zur Erreichung der Kostenfüh‐ rerschaft  beziehen  sich  beispielsweise  auf  die Auslastung  der Anlagen,  die  Forcierung  der  Lagerumschläge,  eine  Reduzierung  von  Transakti‐ onskosten,  die  Standardisierung  der  Supply  Chain  Prozesse,  eine  ver‐ besserte  Lieferantenintegration,  die  Automatisierung  der  I&K‐Systeme  sowie die Absenkung von Distributionskosten. 

Maßnahmen von  Kostenführern in  der Supply Chain 

 Optimierung der Anlagenauslastung: Erzielung von Skaleneffekten in  den Bereichen Warehouse, Produktionsprozess, Förderzeug. 

 Forcierung der Lagerumschläge: Einführung von Reichweitenmonito‐ ring, Identifikation und Eliminierung von Ladenhütern (Slow Mover),  Bündelung  der  Lagerstandorte,  Einführung  von  Just‐in‐Time  oder 

51

A

Grundlagen

Just‐in‐Sequence,  Automatisierung  von  Lager‐  und  Umschlagprozes‐ sen, Steigerung der Anzahl zentraler Lagerstätten. 

 Reduzierung  von  Transaktionskosten  und  Prozesskosten:  Elektroni‐ sche Geschäftsabwicklungen, weniger Schnittstellen. 

 Standardisierung  der  Supply  Chain  Tätigkeiten:  Komplexitätssen‐ kung, Modularisierung von Abläufen, technologische Spezialisierung,  Automatisierung des Materialflusses. 

 Verbesserte Einbindung von Lieferanten durch gezieltes Outsourcing:  Berücksichtigung der Spezialkenntnisse von Lieferanten, Konzentrati‐ on  auf  das  Kerngeschäft,  Reduzierung  der  Lieferantenanzahl,  Aus‐ nutzung synergetischer Potenziale. 

 Automatisierung  der  Informations‐  und  Kommunikationssysteme:  Einführung  von  Electronic  Data  Interchange,  Verbessertes  Customi‐ zing bestehender Systeme. 

 Senkung  der  Distributionsportkosten:  Konsolidierung  von  Waren‐ strömen, Einsatz kostengünstiger Transportmittel.  Supply Chain  gerechte Produkt‐ entwicklung 

Die Erreichung von Kostenführerschaft in der Supply Chain sollte mög‐ lichst frühzeitig beginnen: Schon im Supply Chain Engineering (vgl. S.  125)  werden  die  Hebel  für  die  Wahrung  von  Low  Cost  Supply  Chains  gestellt.  Dazu  bietet  sich  eine  Modulbauweise  an,  wodurch  die  Varian‐ tenanzahl  in  Grenzen  gehalten  wird  (überschaubares Artikelspektrum).  Im  Ergebnis  sinken  die  Kosten  für  Warenhandling,  Transaktionen  und  Verwaltung zum Teil deutlich. 

Die Kehrseite von  Cost Cutting:  Trade‐offs 

Doch  drohen  in  Low  Cost  Supply  Chains  negative  Wechselwirkungen  auf andere Schlüsselgrößen: Treten die Akteure zu sehr auf die Kosten‐ bremse,  ergeben  sich  fast  zwangsläufig  Trade‐off‐Effekte  für  die  Inno‐ vationsfähigkeit, das Serviceverhalten, die Prozess‐ und die Produktqua‐ lität sowie die Agilität von Unternehmen. Auf den Punkt gebracht, sollte  das „Cost Cutting“ in der Supply Chain nicht um jeden Preis erfolgen. 

A.7.2 „Must‐Haves“  generieren 

Innovationsführerschaft in der Supply Chain

Innovationsführerschaft in Supply Chains bedeutet „Killerprodukte“ zu  produzieren, die ein Kunde unbedingt haben möchte. Dieser ausgepräg‐ te  Kundenwunsch  erzeugt  einen  Nachfragesog  bei  bestimmten  Konsu‐ menten. Vor den Apple‐Stores bildeten sich zeitweise lange Warteschlan‐ gen,  wenn  das  Unternehmen  ankündigte,  ein  neues  „iPhone“  in  seinen 

52

Primäre Strategietypen von Supply Chains

A.7

Retail Stores zu verkaufen. Teilweise campierten die Menschen vor den  Geschäften,  um  frühzeitig  ein  Gerät  der  neuesten  Generation  zu  ergat‐ tern.  Echte  Innovationsführer  erzielen  mit  ihren  Produkten  vergleichs‐ weise  hohe  Deckungsbeiträge  und  streichen  eine  üppige  Produzenten‐ rente ein. Frühe Käufer sind bereit, viel Geld für innovative Waren aus‐ zugeben, um den Trend von Morgen nicht zu verschlafen.  Das  spanische  Modeunternehmen  Zara  (zugehörig  zur  Inditex‐Gruppe,  dem  derzeit  größten  europäischen  Bekleidungshersteller)  fährt  eine  binäre Supply Chain Strategie: Die meisten Sortimentsbereiche sind der  Kostenführerschaft  zugehörig  (asiatische  Supply  Chain).  Doch  Zara  strebt  mit  einem  Viertel  seines  Fashion‐Sortiments  nach  Innovations‐ führerschaft:  Zara  gelingt  es,  nachdem  ihre  Scouts  weltweit  modische  Hypes  ausgemacht  haben,  bestimmte  Textilien  in  weniger  als  20  Tagen  etikettiert  in  den  Stores  anzubieten.  Dafür  wurden  Bestandteile  der  eu‐ ropäischen  Supply  Chain  zurückgeholt  (Backsourcing),  um  direkten  Zu‐ griff auf die einzelnen Glieder dieser Lieferkette zu haben. Zara hat be‐ wusst  in  die  Optimierung  ausgewählter  Warenströme  investiert,  um  maximale Geschwindigkeit in seinen Geschäftsprozessen zu erreichen. 

„Menschen mit  einer neuen Idee  gelten so lange als  Spinner, bis sich die  Sache durchgesetzt  hat.“                    (M. Twain) 

Innovationsführer versuchen zeitgemäße Design Supply Chains aufzu‐ bauen, um sich einen frühen Marktzugang zu sichern. Zur Reduzierung  ihrer  Time‐to‐Market  sind  sie  bereit,  größere  Investitionen  einzugehen.  High  Speed  Supply  Chains  entstehen  durch  die  Einbindung  vor‐  und  nachgelagerter  Wertschöpfungspartner,  also  durch  die  Einleitung  verti‐ kaler Integrationsstrategien. Die Hersteller binden gern geeignete Mitar‐ beiter  selektierter  Lieferanten  (Resident  Engineers,  vgl.  S.  137  dieser  Schrift)  in  ihre  Produktentwicklung  ein,  um  langwierige  Reibungsver‐ luste  an  den  Schnittstellen  („Iterationsschleifen“)  zu  vermeiden.  Beson‐ ders im B2B‐ und im B2A‐Bereich integrieren manche Hersteller darüber  hinaus ausgewählte Kunden in ihre Entwicklungsteams, damit sie früh‐ zeitig ihre Aktivitäten auf deren Wünsche zuschneiden können. 

Design Supply  Chains durch High  Speed 

A.7.3

Serviceführerschaft in der Supply Chain

Eine weitere Möglichkeit zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in der  Supply Chain ist das Streben nach Serviceführerschaft. Dazu bieten die  Hersteller  ihren  Kunden  besondere  Dienstleistungen  in  der  Lieferkette  an.  Beispiele  dafür  stellen  Konzepte  aus  dem  Vorratsmanagement  dar  (vgl.  S.  294).  Zum  Beispiel  wickeln  Akteure  für  ihre  Kunden  den  Be‐ standsnachschub  selbständig  ab,  wenn  ihnen  Zugang  zu  relevanten 

53

Den Kunden  zusätzlichen Nut‐ zen stiften 

A

Grundlagen

Informationen gewährt wird (Vendor Managed Inventory). Einen weite‐ ren  Anreiz  bietet  der  Hersteller  seinem  Kunden,  wenn  er  ausgewählte  VMI‐Sachnummern zusätzlich als Konsignationsware führt. Der Kunde  bindet  somit  nicht  nur  weniger  Kapital,  er  spart  auch  Transaktionskos‐ ten (weniger Schnittstellen) und Prozesskosten (weniger Personal) ein.  „Service bedeutet,  das Geschäft mit  den Augen der  Kunden zu sehen.“  (Redewendung) 

Die Übernahme von Zusatzdiensten in der Supply Chain wird als Value  Added Services  bezeichnet.  Diese  Mehrwertdienste  erkennt  der  Kunde  oftmals  nicht  auf  den  ersten  Blick.  In  manchen  Fällen  werden  Basis‐ dienste  durch  Zusatzleistungen  erst  besonders  reizvoll,  wenn  dadurch  die  gesamte  Dienstleistung  aufgewertet  wird.  Der  Dienstleister  wird  zum  echten  Full‐Service‐Provider.  Wenn  diese  Mehrwertdienste  den  Kunden  einen  besonderen Nutzen  stiften,  intensiviert  sich  die  Bindung  zu  diesem  Akteur.  Supply  Chain  Dienstleister  müssen  zumeist  schnell  reagieren  und  ihren  Kunden  verbrauchsorientierte  Lösungen  anbieten.  Added  Services  in  der  Supply  Chain  können  durch  Montage,  Retour,  Sendungsverfolgung, Handling oder Reparatur erbracht werden. 

Win‐Win‐ Situation durch  Zusatzleistungen 

Der Reiz für den Kunden besteht darin, sich auf sein eigentliches Kern‐ geschäft  konzentrieren  zu  können.  Unliebsame  Zusatzaktivitäten  wird  er auf einen verlässlichen Partner auslagern, wenn sich dieser besonders  gut  auf  einem  bestimmten  Geschäftsfeld  auskennt.  Der  Kunde  macht  sich  bewusst  „schlanker“,  er  spart  Personal  und  Kapazitäten  ein.  Ein  Lieferant bietet diesen Service dann gern an, wenn er ein Zusatzgeschäft  wittert: Erweist sich der Dienstleister beispielsweise im Warehouse Ma‐ nagement  als  verlässlicher  Partner,  bekommt  er  neben  der  eigentlichen  Lagerhaltung  eventuell  noch  das  Warenhandling  (Etikettierung,  Verpa‐ ckung) oder die Warenverteilung (Distribution) übertragen. 

A.7.4

Qualitätsführerschaft in der Supply Chain

Resilienz in der  Supply Chain 

Eine  vierte  primäre  strategische  Positionierung  in  der  Supply  Chain  besteht in der Qualitätsführerschaft. Qualitative Supply Chains zeichnen  sich  durch  ihre  Robustheit  aus.  Die  Qualitätsführer  verstehen  sich  da‐ rauf,  Prozesse  fehlerfrei  abzuwickeln.  Sollten  dennoch  Abweichungen  zu  den  Planvorgaben  entstehen,  sind  sie  in  der  Lage,  kleinere  Fehler  selbst abzustellen. 

Antizipatives  Risikomanagement  in der Lieferkette 

Zur  Wahrung  stabiler  Supply‐Chain‐Aktionen,  sind  Risiken  frühzeitig  zu  erkennen  und  absichernde  Maßnahmen  einzuleiten.  Mögliche  Risi‐ kobereiche  in  der  Supply  Chain  ergeben  sich  aus  Diskrepanzen  zwi‐

54

Primäre Strategietypen von Supply Chains

A.7

schen  der  Kapazitäts‐  und  der  Nachfrageplanung.  Sollten  hier  Schwie‐ rigkeiten auftreten, sind spätere Korrekturen im Produktions‐ und Auf‐ tragsmanagement  unerlässlich.  Deshalb  stellen  qualitative  Supply  Chains hohe Ansprüche an Lieferzeit oder Zuverlässigkeit. Differenziert  nach  Einsatzbereichen  finden  sich  in  Abbildung  A.10  eine  Reihe  von  Supply‐Chain‐Risiken,  die  nachhaltigen  Einfluss  auf  eine  mögliche  Qualitätsführerschaft innerhalb einer Lieferkette haben können.  Abbildung A.10 

Supply‐Chain‐Risiken der Qualitätsführerschaft 

Supply‐Chain‐Bereich 

Supply‐Chain‐Risiken (Auswahl) 

Design 

‐ Komplexitätszunahme und Variantenspektrum  ‐ Technologische Abhängigkeit  ‐ Unsichere Märkte, ungenaue Prognosen  ‐ Mangelnde Abstimmung zwischen SC‐Bereichen  ‐ Nicht planbare SC‐Kosten 

Beschaffung 

‐ Beschaffungsmarktrisiken (z. B. Naturgewalten)  ‐ Politische Unsicherheit  ‐ Zollbeschränkungen  ‐ Lange Wiederbeschaffungszeit  ‐ Fehlende Zertifizierungen der Lieferanten  ‐ Qualitätsmängel der Lieferanten  ‐ Lieferantenabhängigkeit und Preissteigerung 

Produktion 

‐ Material‐, Personal‐ und Kapazitätsengpässe  ‐ Interne und externe Prozessstörungen  ‐ Verzögerter Informationsfluss  ‐ Hohe Ausschuss‐ und Nacharbeitsraten  ‐ Fehlendes Qualitätsmanagement 

Distribution 

‐ Mangelnde Absatzprognose  ‐ Schlechter Servicegrad (Qualität, Quantität, Zeit)  ‐ Transportschäden und Havarie  ‐ Warenbeschädigung  ‐ Kundenausfall 

Return 

‐ Hohe Retourkosten  ‐ Kundeninsolvenz  ‐ Technologischer Wandel 

  In  einigen  Branchen  ist  Qualitätsführerschaft  besonders  wichtig.  Bei‐ spielsweise  können  Fehler  in  der  Pharma  Supply  Chain  (beispielsweise 

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Ship‐to‐Label‐ Prozesse 

A

Grundlagen

in der Life Sciences and Healthcare Supply Chain) sehr schwer wiegen‐ de  Konsequenzen  mit  sich  bringen,  wenn  beispielsweise  die  Kühlkette  von  Impfstoffen  oder  zeitkritischer  Radiopharmaka  unterbrochen  wird.  In diesem Cold Chain Management ist eine lückenlose Rückverfolgbar‐ keit  von  Chargen  zwingend  erforderlich.  Nach  dem  Prinzip  „Ship‐to‐ Label“  verlangen  Behörden  einen  Nachweis  darüber,  dass  betroffene  Produkte nicht nur mit der auf ihrer Verpackung genannten Temperatur  gelagert  werden,  sondern  auch  ihr  Transport  zwingend  innerhalb  einer  festgelegten  Temperaturspanne  erfolgt.  Bei  Abweichungen  reagieren  Medikamente  äußerst  sensitiv:  Es  könnten  sich  ihre  Molekularstruktu‐ ren  verschieben,  biochemische  Reaktionen  wären  die  Folge.  Die  Ver‐ braucher  dieser  Medikamente  könnten  ernste  Gesundheitsschäden  er‐ leiden.  „Man soll dem Leib  etwas Gutes bieten,  damit die Seele  Lust hat, darin zu  wohnen.“            (W. Churchill) 

In einer temperaturgeführten Lieferkette gelten somit aus gutem Grund  für Gefriergut besonders restriktive Regeln, man spricht hier von einem  „Temperatur‐Mapping“: 

 In der Cold Supply Chain müssen spezielle Fahrzeuge (Kühltranspor‐ ter,  die  auch  eine  Einteilung  in  unterschiedliche  Kühlzonen  ermögli‐ chen) und Behälter eingesetzt werden, welche in der Lage sind, nied‐ rige  und  stabile  Temperaturen  über  einen  längeren  Zeitraum  zu  ge‐ währleisten. 

 Der komplette Distributions‐ und Lagerungsprozess wird strengstens  überwacht  (häufig  unterstützt  durch  temperaturfühlende  Sensorik,  wie Radiofrequenzsysteme). 

 An die Hygienemaßnahmen von Gefriergut werden höchste Ansprü‐ che gestellt. 

 Während  der kompletten  Distribution  muss  in  den Kühltransportern  eine Luftzirkulation möglich sein. 

 Warenkontrollen erfolgen keinesfalls auf der Rampe, sondern stets im  Kühlraum.  Zunehmende  Bedeutung von  Food Chains 

Auch in der Lebensmittel‐Supply‐Chain (Food Chain) spielt die Char‐ genrückverfolgung  eine  besonders  wichtige  Rolle,  um  eine  dauerhafte  Nahrungsmittelsicherheit  gewährleisten  zu  können.  Die  Kunden  ver‐ langen verstärkt den Entstehungsweg eines Produkts zurück zu seinem  Anfangspunkt  verfolgen  zu  können.  Das  Motto  lautet: „From  the  Farm  to the Forc“. Es entstehen ökologische Lieferketten, der Markt für „ethi‐ sche“ Produkte wächst beständig. Die betroffenen Supply Chain Akteu‐

56

Netzwerkkoordination in Supply Chains

A.8

re  müssen  in  ihren  Beschaffungs‐,  Fertigungs‐  und  Distributionsabläu‐ fen  die  Einwirkung  etwaiger  Umwelteinflüsse  (Hitze, Licht,  Sauerstoff)  unbedingt  berücksichtigen.  Diese  externen  Faktoren  beeinflussen  die  Qualität der Lebensmittel nachhaltig. Die Produkte müssen den Kunden  schnell erreichen. Frische spielt in der Food Chain eine große Rolle, denn  Lebensmittel  verfügen  nur  über  eine  begrenzte  Haltbarkeit  (vgl.  Co‐ hen/Roussel 2006, S. 30). 

A.8

Netzwerkkoordination in Supply Chains

Netzwerkmodelle  dienen  der  Strukturierung  logistischer  Aktivitäten.  Dazu  sind  komplette  Wertschöpfungsprozesse  in  ihre  einzelnen  Kom‐ ponenten  zu  zerlegen:  In  ein  logistisches  Netzwerk  werden,  von  der  Quelle  bis  zur  Senke,  sämtliche  Verbindungen  („Kanten“)  zwischen  zuvor definierten Elementen („Knoten“) aufgenommen. In den nächsten  Gliederungsabschnitten  finden  sich  Gedanken  zur  Modellierung  und  Systematisierung  von  Netzwerken  in  der  Wertschöpfungskette.  Später  erfolgt  die  nähere  Kennzeichnung  der  Ebenen  von  Netzmodellen.  Schließlich wird in diesem Zusammenhang die aktuelle Diskussion um  Netzkompetenzen innerhalb von Supply Chains beleuchtet. 

A.8.1

SCM bedeutet  Netzwerkkoordina‐ tion 

Modellierung und Systematisierung von Netzwerken

Zur  Modellierung  von  Netzwerken  sind  unterschiedliche  Merkmale  zu  erfüllen.  Nach  Otto  (vgl.  Otto  2002,  S.  225)  kennzeichnen  insbesondere  die nachstehenden Kriterien Supply‐Chain‐Netzwerke: 

 Zwischen  den Akteuren  (Individuen  oder  Organisationen)  findet  ein  Austausch statt. 

 Die  Partner  sind  dyadenübergreifend  interdependent  (eine  Dyade  wird als „Beziehung innerhalb einer Gruppe“ verstanden). 

 Entscheidungsprozesse  unterliegen  einer  doppelten  Reflexivität:  Sie  leiten sich sowohl aus der individuellen Zielfunktion einer Organisa‐ tion als auch aus dem Netzwerk selbst ab. 

 Innerhalb  des  Netzwerks  sind  die  Akteure  zu  einer  mehrstufigen  Kompensation bereit.  57

Merkmale der  Netzwerkbildung 

A

Grundlagen

Differenzierung  verschiedener  Netzwerktypen 

Bei Erfüllung dieser Merkmale lassen sich diverse Netzwerktypen iden‐ tifizieren. Dazu zählen Reproduktionsnetzwerke, Innovationsnetzwerke,  Vermittlungsnetzwerke,  Multiplikationsnetzwerke  sowie  Transport‐ netzwerke (vgl. Otto 2002, S. 229). Ein Reproduktionsnetzwerk beinhal‐ tet  in  der  Regel  die  Abläufe  von  Supply‐Chain‐Aktivitäten.  Allerdings  können sekundär auch die unten angeführten Netzwerktypen vorliegen.  Das  Reproduktionsnetzwerk  steht  für  die  massenhafte  und  routinemä‐ ßige  Fertigung  materieller  (Personal‐Computer  oder  Textilien)  und  im‐ materieller  (Akten  oder  Rechnungen)  Objekte.  Die  Akteure  sind  inner‐ halb  der  Reproduktionsnetzwerke  fest  und  langfristig  miteinander  ver‐ knüpft. 

F&E‐Affinität in  Supply Chains 

Im Gegensatz dazu finden die Partner von Innovationsnetzwerken nur  punktuell  zueinander.  Sie  sind  in  Form  von  Forschungs‐  und  Entwick‐ lungsallianzen (High‐Tech‐Industrie) oder Beratungsprojekten anzutref‐ fen. Mit Hilfe von Innovationsnetzwerken werden insbesondere Arbeits‐ teilung, Know‐how‐Transfer und Kostensplitting anvisiert. 

 

Kontaktierung 

Das  wesentliche  Anliegen  der  Vermittlungsnetzwerke  besteht  in  der  Kontaktherstellung. Ein Beispiel dafür ist die Vermittlung des Personal‐ beraters  zwischen  Personalsuchenden  und  Arbeitssuchenden.  Ähnlich  gestaltet sich die Kreditvermittlung. Das Arrangement der Akteure rich‐ tig sich auf spezifische Vermittlungszwecke aus. 

2 + 2 = 5 

Multiplikationsnetzwerke  finden  sich  bei  McDonalds,  indem  das  Fran‐ chise‐System  massenhaft  über  die  Partner  ausgerollt  wird.  Ähnlich  ge‐ staltet sich das Prinzip beim Finanzdienstleister MLP: Die zentrale Idee  wird  in  möglichst  identischer  Form  durch  eine  Vielzahl  koordinierter  Agenten an aktuelle und potenzielle Marktpartner transferiert. 

Distributionsnetz‐ werke 

Schließlich beschäftigen sich zum Beispiel Speditionen mit der Distribu‐ tion  von  Sammelgütern  innerhalb  der  Transportnetzwerke.  Diese  Netzwerkgattung dient primär zur physischen Überbrückung von Räu‐ men und Zeiten (verstanden als grundlegende Logistikfunktionen). 

Arten von Supply  Chain Netzwerken 

Für  eine  Supply  Chain  bieten  sich  unterschiedliche  Systematisierungs‐ ansätze von Netzwerken an. Diesbezüglich benennen Gomm/Trumpfheller  strukturbezogene,  ebenenbezogene  und  phasenbezogene  Ansätze  (vgl.  Gomm/Trumpfheller 2004, S. 50ff.). Diese Konzepte werden im Folgenden  näher beschrieben. 

Strukturierungsei‐ genschaften 

 Strukturbezogene Ansätze: Ein erstes Kriterium zur Typisierung von  Netzwerken  stellt  deren  Größe  dar.  Diese  hängt  von  der  Anzahl  an  Partnern,  der  Netzwerkdichte  oder  der  räumlichen  Ausdehnung  ab. 

58

Netzwerkkoordination in Supply Chains

A.8

Weiterhin  entscheiden  spezifische  Eigenschaften  von  Akteuren  über  den  Aufbau  der  Netzwerke  (Spezialisierungsgrad,  Netzwerkerfah‐ rung oder Kooperationsbereitschaft). Hinsichtlich der Sozialkriterien  eines  Netzwerks  sind  Vertrauensbasis,  Machtverhältnis,  Konfliktpo‐ tenzial  und  Netzkultur  zu  unterscheiden.  Ebenso  determiniert  die  Form  der  Geschäftsbeziehung  die  Struktur  des  Netzwerks.  Diesbe‐ züglich  sind  beispielsweise  die  Art  und  die  Häufigkeit  getätigter  Transaktionen,  wie  auch  die  Stabilität  der  Geschäftsbeziehung  zu  nennen.  Eine  schließende  Form  zur  Einordnung  strukturbezogener  Netzwerke  kristallisiert  sich  in  den  IT‐Beziehungen  heraus  (Digitali‐ sierung, Internet, EDI, Web‐EDI). 

 Ebenenbezogene  Ansätze:  Im  Grundsatz  sind  die  Ebenen  der  ge‐ samtwirtschaftlichen  Makro‐Logistik,  der  einzelwirtschaftlichen  Mik‐ ro‐Logistik und der dazwischen liegenden Meta‐Logistik für eine Ty‐ pisierung  von  Netzwerken  zu  unterscheiden.  Das  Supply  Chain  Ma‐ nagement  ordnet  sich  bei  dieser  Differenzierung  innerhalb  der  Netzwerk gerichteten Meta‐Logistik ein (vgl. Gomm/Trumpfheller 2004,  S.  51).  Eine  weitere  Möglichkeit  zur  Strukturierung  von  Netzwerken  in Supply Chains stellt der SCOR‐Ansatz dar. Nach diesem Konzept  sind  verschiedene  Ebenen  zu  unterscheiden:  Top‐Level,  Configurati‐ on‐Level,  Process‐Element‐Level  sowie  Implementation‐Level  (vgl.  S.  70). 

 Phasenbezogene Ansätze: Innerhalb der phasenbezogenen Konzepte  kooperierender  Unternehmen  werden  Entwicklungsschritte  von  Supply Chains differenziert. So können die Stufen Initializing, Proces‐ sing  und  Reconfiguration  durchschritten  werden  (vgl.  Zajac/Olsen  1993,  S.  139ff.).  In  der  Initialisierungsstufe  entwickelt  jeder  Partner  seine  eigene  Kooperationsstrategie.  Außerdem  sind  erste  Kommuni‐ kations‐ und Austauschprozesse zwischen Akteuren zu identifizieren  (zum  Beispiel  werden  Basisnormen  vorgegeben).  Anschließend  wer‐ den  unter  Processing  sämtliche  Tätigkeiten  des  formalen  und  infor‐ malen  Austauschs  gefasst.  Diese  dienen  der  Konfliktregulierung  so‐ wie  des  Vertrauensaufbaus.  Schließlich  meint  eine  Rekonfigurierung  die  Bewertung  der  erzielten  Ergebnisse  einer  Zusammenarbeit,  die  zur  Beendigung,  Anpassung  oder  unveränderten  Fortführung  der  Austauschprozesse führen kann.   

59

SCM als Element  der Meta‐Logistik 

Zyklusbezogene  SCM‐Konzepte 

A

Grundlagen

A.8.2

Netzebenen

Partialnetzwerke 

Für ein Supply Chain Management sind Güternetze, Informationsnetze,  Sozialnetze,  Institutionelle  Netze  und  Finanznetze  zu  unterscheiden  (vgl. Gomm/Trumpfheller 2004, S. 54ff.; Otto 2002, S. 248ff.). Diese einzel‐ nen  Ebenen  werden  synonym  als  Partialnetze  bezeichnet.  Sie  stehen in  einem ständigen Interaktionsprozess zueinander. 

Physische logisti‐ sche Kernattribute 

Ein  Güternetz  berücksichtigt  logistische  Kernaktivitäten  wie  Transport,  Handling,  Kommissionieren,  Sortieren,  Lagern,  Verpacken  und  Signie‐ ren.  Dadurch  decken  Güternetzwerke  Zeit‐,  Raum‐,  Mengen  und  Sor‐ tenänderungen  ab.  Der  Übergang  zu  den  Informationsnetzwerken  ge‐ staltet  sich,  durch  die  Zuhilfenahme  von  Informations‐  und  Kommuni‐ kationssystemen, fließend. 

IT‐ und Kommuni‐ kationsnetzwerke 

Die  Informationsnetze  (auch  „Datennetze“  genannt)  umfassen  sämtli‐ che  IT‐Systeme  im  engen  Sinn.  Neben  Computernetzen  zählen  dazu  weitere  Kommunikations‐  (Post,  Fax,  Telefon)  und  Informationsnetze.  Ceteris  paribus  steigen  mit  der  Kompliziertheit  von  Supply‐Chain‐ Prozessen  die Anforderungen  an  die  Informations‐  und  Kommunikati‐ onssysteme. Als Basismedien stehen Telefon, Fax und Internet für einfa‐ che  Abläufe  zur  Verfügung.  Besonders  komplexe  Netzwerke  werden  über kollaborative Lösungen gesteuert (z. B. EDI, Web‐EDI). 

„Ich habe nichts  gegen Menschen  als solche, meine  besten Freunde  sind welche…“  (Blumfeld) 

Menschen  gewährleisten  den  Aufbau  und  den  Zusammenhalt  einer  Supply Chain (Sozialnetz). Innerhalb des Sozialnetzes spielen sich fach‐ liche  und  persönliche  Beziehungen  der  beteiligten  Akteure  ab.  Doch  nicht  nur  fachliches  Wissen  wird  zwischenmenschlich  ausgetauscht.  Soziale  Netze  beinhalten  ebenso  emotionale  Bindungen  und  Gefühle.  Beispielsweise kann es zwischen den Menschen zu derart angespannten  Situationen  kommen,  dass  Supply  Chains  im  Extremfall  aufgelöst  wer‐ den  (Belastungsverhältnis).  Eine  wesentliche  Komponente  sozialer  Netzwerke stellt das Vertrauen der Partner dar. 

Unternehmenszu‐ sammenschluss  entscheidet über  Bindungsintensität 

Institutionelle  Netzwerke  zeichnen  sich  durch  Kooperationsverträge,  Kapitalbeteiligungen  und  Director  Interlock  aus.  In  den  Kooperations‐ verträgen  sind  die  Rechte  und  die  Pflichten  der  Akteure  einer  Supply  Chain  niedergeschrieben.  Außerdem  finden  zwischen  den  Partnern  teilweise  Kapitalverflechtungen  statt  (zum  Beispiel  gegenseitiger  Ak‐ tienbesitz).  Schließlich  betrifft  ein  Director  Interlock  institutionelle  Netzwerke. Darunter wird der Austausch von Aufsichtsräten und weite‐ rer  hochrangiger  Persönlichkeiten  innerhalb  der  Supply  Chain  verstan‐ den.  Die  institutionellen  Verbindungen  sind  im  Konzern  sehr  ausge‐

60

Netzwerkkoordination in Supply Chains

A.8

prägt.  Geringer  ist  die  Bindungsintensität  institutioneller  Partnerschaf‐ ten beim Vorliegen kooperativer Unternehmenszusammenschlüsse (stra‐ tegische  Allianz,  Joint  Venture,  Kartell,  BGB‐Gesellschaft,  virtuelle  Or‐ ganisation, Genossenschaft).  Schließlich  gehen  in  das  Finanznetz  einer  Supply  Chain  sämtliche  fi‐ nanziellen Transaktionen („Payment“) der Akteure ein. Diesbezüglich ist  eine Unterscheidung in funktionale, institutionale und finanzwirtschaft‐ liche Netzwerke vorzunehmen (vgl. Pfohl et al. 2003, S. 4). In der funkti‐ onsorientierten Sichtweise werden Logistikschnittstellen (Beschaffungs‐,  Produktions‐,  Distributions‐,  Informations‐  und  Entsorgungslogistik)  um  Rechnungswesen,  Controlling  oder  Treasury  erweitert.  Institutional  sind die Partner der Supply Chain (inklusive ihrer Dienstleister) im Zu‐ sammenspiel mit Finanz‐ und Rechnungswesen/Controlling zu betrach‐ ten.  Finanzwirtschaftliche  Netzwerke  berücksichtigen  schließlich  Aus‐ wirkungen  von  Logistikaktivitäten  auf  Prozesskosten, Anlagevermögen  (Asset  Management,  Fleet  Management)  und  Umlaufvermögen  (Cash‐ Flow‐Berechnungen). 

Finanzielle Netz‐ werke 

Diese  fünf  Partialebenen  der  Supply  Chain  befinden  sich  in  ständiger  Interaktion. Auf  Basis  des  Güternetzes  wird  in  letzter  Konsequenz  die  Optimierung der finanziellen Ergebnisse (Finanznetz) anvisiert. Die drei  dazwischen  liegenden  Netze  sind  zwar  unabdingbar,  aber  dennoch  lediglich Mittel zum Zweck: Sie ermöglichen die Planung und die Steue‐ rung des Erstellungsprozesses von Produkten und Diensten. 

Austauschbezie‐ hungen in Netz‐ werken 

A.8.3

Netzkompetenz

Insbesondere Pfohl (vgl. Pfohl 2004; ähnlich Dominik/Hermann 2007) pro‐ tegiert  in  dem  „Athene‐Projekt“  (Applied  Theories  Enabling  Network  Excellence)  die  Untersuchung  von  Netzkompetenzen  innerhalb  der  Supply Chain. Darunter ist die räumliche wie zeitliche Abstimmung und  Verbindung weltweit verstreuter Akteure einer Supply Chain zu verste‐ hen.  Im  Rahmen  des  „Athene‐Projekts“  filtrieren  sich  logistische  Kom‐ petenzen von Organisationen hinsichtlich ihrer Material‐, Informations‐,  Finanz‐ und Beziehungsströme heraus (vgl. Pfohl 2004, S. 3). 

Pallas Athene,  Göttin der Weisheit  und der Strate‐ gie… 

Der Ansatz um Netzkompetenzen beschreibt die Optimierung koopera‐ tiver  Beziehungen  im  Partnergeflecht.  Im  Gegensatz  zum  „Resource‐ Based‐View“ (vgl. S. 101) fußen die Überlegungen zu Netzkompetenzen  auf  Austauschbeziehungen  und  dem  Grundsatz  des  Teilens.  Ressour‐

Weiterentwicklun‐ gen des Resource‐ Based‐View 

61

A

Grundlagen

cenorientierte  Ansätze  akzentuieren  hingegen  die  Einzigartigkeit  und  die Abgrenzung unternehmensindividueller Faktoren (vgl. Frunzke 2004,  S. 31). Und dennoch vereinen sich die beiden scheinbar hybriden Inhalte  in dem „Relational View“ (vgl. S. 102). Danach beruht die Netzkompe‐ tenz  in  Supply  Chains  auf  individuellen  und  kollektiven  Fähigkeiten  (vgl. Frunzke 2004, S. 32ff.).  „Dein Netzwerk  gibt Dir eine besse‐ re Sichtweise –  nicht Deine Brille.“  (R. Burt) 

Bei  Vorhandensein  einer  individuellen  Netzkompetenz  basiert  ein  Wettbewerbsvorteil  der  Akteure  auf  der  Ausweitung  der  eigenen  Res‐ sourcenbasis.  Dieser  wird  durch  Zeitvorsprung,  Economies  of  Scale,  Ressourceninterdependenzen  sowie  (organisatorischer  und  technologi‐ scher)  Innovation  geschaffen.  Zeitvorteile  und  Skaleneffekte  entstehen  durch  die  Absorption  bereits  vorhandenen  Wissens  von  Kooperations‐ partnern. Ressourceninterdependenzen verschafft sich eine Organisation  aus  der  Kombination  eigener  Mittel  mit  den  Ressourcen  externer  Part‐ ner.  Schließlich  entwickelt  sich  eine  Innovationskompetenz,  indem  Un‐ ternehmen an den technologischen und organisatorischen Möglichkeiten  Dritter partizipieren. 

„Forever together, 4  years 2 come…“  (ABC) 

Eine kollektive Netzkompetenz hingegen entwickelt sich einerseits aus  einer  horizontalen  oder  vertikalen  Co‐Spezialisierung.  Darunter  wird  verstanden,  wenn  einzelne  Organisationen  nur  noch  in  denjenigen  Be‐ reichen agieren, in welchen sie ihre Stärken sehen. Die Ausführung an‐ derer Aufgaben  überlassen  sie  sonstigen Akteuren  des  Netzwerks. An‐ dererseits entstehen auch völlig neue Kooperationsformen kollektiven  Denkens. Diese äußern sich in interorganisatorischen Ressourcen (zum  Beispiel  siedeln  sich  die  Partner  eines  Netzwerks  in  engster  räumlicher  Nähe zueinander an), dem Austausch und der Kombination von Wissen  sowie  der  komplementären  Ressourcenausstattung.  Letzten  Anspruch  sichern  gemeinsam  genutzte  Informations‐  und  Kommunikationssyste‐ me (wie EDI und Web‐EDI). 

A.9 Networking 

Materialflussanalysen in Supply Chains

Viele  Supply  Chains  sind  einer  zunehmenden  Eigendynamik  globaler  Märkte  und  sich  wandelnden,  multioptionalen  Kundenanforderungen  unterworfen.  Mit  Hilfe  Netzwerk  gerichteter  Materialflussanalysen  versuchen modern operierende Supply‐Chain‐Akteure  diesen Marktan‐ forderungen  zu  begegnen.  Der  Einsatz  adäquater  IT‐Systeme  ist  dafür  conditio sine qua non (vgl. Baumgarten 2009, S. 1ff.; Göpfert 2004, S. 33ff.).  62

Materialflussanalysen in Supply Chains

A.9.1

A.9

Motive für Materialflussanalysen

Das  Management  kompletter  Materialflüsse  ist  für  sämtliche  Wert‐ schöpfungsakteure  ein  zentrales  Anliegen.  Kundenaufträge  werden  in  einem  logistischen  Netzwerk  aufgegeben,  die  Folge  sind  Interaktions‐ prozesse zwischen den Akteuren. Dabei kann die Zahl an Geschäftspro‐ zessen und Schnittstellen rasant anwachsen. Mit zunehmender Komple‐ xität  im  Partnergeflecht  steigt  die  Gefahr  kostenintensiver  Stock‐outs.  Hier  setzen  moderne  Materialflussanalysen  an.  Sie  dienen  dazu,  die  Risiken  für  Unterbrechungen  in  Logistikketten  einzudämmen  (vgl.  Beckmann 2004, S. 1ff.; Gienke/Kämpf 2007, S. 803; Haasis 2008, S. 62ff.).  

Frühzeitiges  Aufdecken von  Engpässen 

Zu  den  Kernaufgaben  des  Supply  Chain  Managements  gehören  die  Kernaufgaben  Erfassung, die Visualisierung und die Analyse sich ständig wandelnder  der Material‐ Materialflüsse.  Mit  Hilfe  der  Materialflussanalyse  wird  der  Versuch  flussanalyse  unternommen, die Transparenz in diesem Netzwerk zu erhöhen, um die  Materialflussstruktur zu erhalten, Schwachstellen und ihre Ursachen zu  identifizieren sowie Materialflusskosten zu ermitteln.   Mit Hilfe der Materialflussanalyse soll die Wirtschaftlichkeit von Aktivi‐ täten in der Supply Chain gesteigert werden. Dazu sind komplexe Mate‐ rialflüsse  des  betrieblichen  Umfelds  in  Simulationen  modellhaft  abzu‐ bilden. Eine begriffliche Klärung zur Materialflussanalyse liefern Brun‐ ner und Rechberger: „Material flow analysis is a systematic assessment of  the flows and stocks of materials within a system defined in space and  time.  It  connects  the  sources,  the  pathways,  and  the  intermediate  and  final sinks of a material.“ (Brunner/Rechberger 2003, S. 3).  

A.9.1.1

Zum Begriff  der Material‐ flussanalyse 

Systemdefinition

In  einer  Materialflussanalyse  ist  das  zu  erfassende  System  zunächst  räumlich  und  zeitlich  abzugrenzen,  um  die  Interpretationsspielräume  im Logistiknetzwerk einzudämmen: 

 Räumliche  Systemgrenzen:  Das  Prinzip  der  räumlichen  Systemab‐ grenzung  kennzeichnet  die  geografische  Lokalisierung  des  Gesamt‐ systems.  Darin  sind  lokale  und  intern  ausgerichtete  Logistikaktivitä‐ ten  ebenso  verortet,  wie  globale  Netzwerke  über  die  Organisations‐ grenzen hinweg. 

 Temporäre Systemgrenzen: Eine Materialflussanalyse strebt nach Re‐ präsentativität.  Perioden,  die  größere  saisonale  Schwankungen  auf‐ weisen  (zum  Beispiel das  Weihnachtsgeschäft)  sind  als Betrachtungs‐

63

Materialfluss  im Raum  begrenzen 

Schwankun‐ gen vermeiden 

A

Grundlagen

zeitraum  weitgehend  ungeeignet.  Zur  Fortschreibung  von  Vergan‐ genheitswerten  können  gleitende  Durchschnitte  berechnet  werden.  Ebenso bietet sich die exponentielle Glättung zur Ermittlung von Zu‐ kunftswerten an, um Ausreißer über Gewichtungsfaktoren „einzufan‐ gen“ (Trend, Konjunktur, Saison).  Systemelemente  definieren 

Die  Systemdefinition  bezieht  sich  indessen  auch  auf  die  Elemente  des  Systems,  die  mit  diesem  interagieren.  Darunter  fallen  Infrastrukturen  (Wege,  Flächen,  Gebäude)  ebenso,  wie  Material‐  und  Informations‐ flussmittel  (Lagerhaltungsequipment,  Informationstechnologie).  Ferti‐ gungsspezifische  und  logistische  Prozesse  finden  diesbezüglich  gleich‐ ermaßen Berücksichtigung. 

Materialien bilden  den Kern der  Analyse 

Die systemrelevanten Elemente stellen natürlich die Materialien selbst –  und  die  sie  umgebenden  Informationen  –  dar.  Dennoch  unterscheiden  sich  die  Materialien  von  ihrer  Gewichtung.  Mit  Hilfe  der ABC‐Analyse  werden  speziell  diejenigen  Materialien  filtriert,  welche  repräsentativ  sind  und  nachhaltigen  Einfluss  auf  Umsatz  oder  Kosten  ausüben.  Ge‐ mäß der XYZ‐Analyse, können die Materialien auch nach ihrer Forecast  Accuracy  untergliedert  sein.  Unter  Abschnitt  D.2  (vgl.  S.  268)  werden  diese Inhalte näher beleuchtet. 

A.9.1.2 Materialflüsse  erfassen und  verstehen 

Materialflusserfassung

Erst  nach  der  vollständigen  Definition  des  zu  analysierenden  Systems  erfolgt  die  Erfassung  jedweder  Materialflussbewegungen.  Sie  stellen  sich  als  Transport‐  oder  Lagerbewegungen  dar.  Indem  sich  bewegende  und  ruhende  Materialien  ermittelt  werden,  lässt  sich  die  tatsächliche  Richtung  und  Größe  der  Materialflüsse  räumlich,  zeitlich,  kosten‐  und  mengenmäßig erfassen. Dabei können die Daten zur Materialflussanaly‐ se  sowohl  primär  als  auch  sekundär  (oder  in  Kombination)  erhoben  werden. Unabhängig von der gewählten Vorgehensweise sind zum Bei‐ spiel folgende Fragen zu klären: 

 „Warum wird gelagert und transportiert?“    „Was und wie viel wird eingelagert und transportiert?“   „Woher und wohin wird transportiert?“   „Womit und wie wird gelagert und transportiert?“   „Wann und wie lange wird gelagert und transportiert?“ 

64

Materialflussanalysen in Supply Chains

A.9.1.3

A.9

Direkte Materialflusserfassung

Eine  direkte  Materialflusserfassung  wird  durch  eine  primäre  Datener‐ hebung  im  laufenden  Betrieb  vollzogen.  Sie  findet  Anwendung,  wenn  die  erforderlichen  Daten  über  Materialflussbewegungen  nicht  vorhan‐ den  sind  oder  lediglich  in  unzureichender  Qualität  vorliegen.  Zu  den  gängigsten  Verfahren  zählen  Ablauf‐  und  Belastungsstudien  (vgl.  die  unten stehenden Inhalte).  

Primäre Datener‐ hebung 

Das Ziel der Ablaufstudie ist die modellhafte Beschreibung und Abbil‐ dung  von  Prozessen  und  ihren Abhängigkeiten  im  Materialfluss  durch  direktes Beobachten, Messen oder Befragen. Mit Hilfe der Dekompositi‐ on des kompletten Materialflusses in seine Einzelprozesse, werden zeit‐  oder kostenverursachende Aktivitäten in Fertigung und Logistik (Trans‐ port, Lagerung) identifiziert.  

Ablaufstudie 

Ausgehend von den Ablaufstudien, geben die Belastungsstudien einen  Aufschluss  über  die  Richtung  und  die  Länge  der  Materialflüsse  selbst  sowie über ihre Interaktionen innerhalb des Materialflussnetzes. Mit der  gemessenen Menge  (beispielsweise  „Tonnen“),  die  innerhalb  eines  defi‐ nierten  Zeitintervalls  durch  eine  Supply  Chain  fließt,  lassen  sich  die  Materialflussintensitäten (zum Beispiel „Tonnen pro Monat“) mathema‐ tisch ableiten. Außerdem sind die Auslastungsgrade von Transport‐ und  Lagerungsmitteln festzustellen (vgl. Arnold/Furmans 2009, S. 234ff.; Gien‐ ke/Kämpf 2007, S. 375ff.; Martin 2016, S. 31ff.). 

Belastungsstudie 

A.9.1.4

Indirekte Materialflusserfassung

Mit  Hilfe  einer  sekundären  Datenerhebung  wird  eine  unmittelbare  Auswertung  bereits  existierender  Materiaflussdaten  ermöglicht.  Als  Grundlage  für  die  sekundäre  Datenermittlung  dienen  moderne  Infor‐ mationssysteme,  wie  Enterprise  Resource  Planning  und  Advanced  Planning and Scheduling (vgl. zu ERP und APS S. 384). Aber auch digi‐ tale  Supply  Chain  Lösungen  leisten  gute  Dienste  in  der  Indirekten  Da‐ tenerfassung  (vgl.  S.  249).  Sie  ermöglichen  die  Planung,  die  Steuerung  und die Kontrolle logistischer Materialflussprozesse entlang der gesam‐ ten  Supply  Chain. Als  sekundäre  Informationsquellen  sind  sie  für  eine  Materialflussanalyse  von  entscheidender  Bedeutung  (vgl.  Baumgarten  2009, S. 45ff.). 

65

Sekundäre Daten‐ erhebung 

A

Grundlagen

A.9.1.5

Materialflussanalyse und -visualisierung

Darstellungsfor‐ men von Material‐ flüssen 

Bei der Erfassung von Materialflüssen werden üblicherweise große  Da‐ tenmengen generiert (vgl. Big Data auf S. 258). Um nicht im Datenmeer  zu  versinken,  müssen  relevante  Informationen  filtriert  und  komplette  Materialflüsse visualisiert werden. Über die räumliche Anordnung und  zeitliche  Abfolge  der  relevanten  Materialströme  leitet  sich  die  Struktur  des gesamten Netzwerks ab. Für die Erfassung und die Darstellung von  Materialbewegungen eignen sich qualitative und quantitative Methoden  gleichermaßen. Nachstehend werden diese Inhalte näher erläutert. 

Qualitative Mate‐ rialflussanalyse 

Die qualitative Visualisierung von Materialflüssen dient der strukturel‐ len  Systemanalyse  der  Supply  Chain.  Dabei  wird  das  System  in  Kno‐ tenpunkte  (Quellen  und  Senken)  und  Kanten  (Materialflüsse)  zerlegt.  Quellen und Senken kennzeichnen logistische oder fertigungsspezifische  Leistungssektoren (Wareneingang, Rohstofflager, Produktion, Fertigwa‐ renlager,  Warenausgang).  In  ihnen  finden  Aktivitäten  zur  zeitlichen,  räumlichen, quantitativen und qualitativen Materialtransformation (wie  Lagern  oder  Produzieren)  statt.  Kanten  repräsentieren  dagegen  Trans‐ portbewegungen  zwischen  den  Knotenpunkten.  Diese  Transporte  sind  ebenfalls als logistische Prozesse aufzufassen, da sie eine räumliche und  zeitliche Überbrückung der Materialien ermöglichen und die Leistungs‐ stellen  versorgen.  Als  sendende  Leistungsstelle  initiiert  die  Quelle  den  Transportprozess.  Die  Senke  hingegen  beendet  diesen  als  Empfangsbe‐ reich  (vgl.  Gienke/Kämpf  2007,  S.  377ff.;  Grundig  2012,  S.  119ff.;  Gudehus  2010, S. 7ff.). 

Strukturelle    Parameter der  Supply Chain  

Auf diese Weise stellt die Supply Chain ein netzwerkartiges System dar,  das sich durch Transportbewegungen und Leistungsstellen definiert. Die  strukturelle Ausgestaltung  der  Wertschöpfungskette  leitet  sich  aus  den  jeweiligen  Materialflüssen  ab.  Doch  auch  die  Quellen  und  Senken  um‐ fassen  mit  ihrem  Standort,  ihrer  Funktion  und  ihrer Anzahl  die  Struk‐ turparameter der Supply Chain (vgl. Haasis 2008, S. 62ff.). 

Kombiniert quali‐ tativ‐quantitative  Materialflussana‐ lyse 

Qualitative  Strukturdarstellungen  können  um  quantitative  Attribute  erweitert sein. Dann werden der zeitliche und der mengenmäßige Fluss  von  Materialien  durch  das  logistische  Gesamtsystem  aufgezeigt.  Somit  wandelt  sich  die  reine  Struktur‐  zur  Prozessanalyse.  Dadurch  werden  Materialflussmengen  pro  Zeitintervall  und  Materialflussintensitäten  zwischen  Quellen  und  Senken  sichtbar.  Sie  stellen  sich  als  kumulierte  Hochrechnungen  statistischer  Ausgangsmassen  dar,  die  in  eine  selbe  Richtung verlaufen. Zuvor ermittelte Durchsätze (wie „Tonnen pro Zeit‐ einheit“) werden jetzt als Leistungsgrößen für komplette Materialflüsse 

66

Materialflussanalysen in Supply Chains

A.9

herangezogen  (vgl.  Arnold/Furmans  2007,  S.  251ff.;  Gienke/Kämpf  2007,  S.  377ff.; Grundig 2014, S. 121ff.).  In  der  Folge  werden  mit  der  Materialflussmatrix  und  dem  Sankey‐ Materialfluss‐ Diagramm  zwei  qualitativ‐quantitative  Visualisierungsformen  der  Ma‐ matrix: Von der  terialflussanalyse  diskutiert.  Speziell  die  Materialflussmatrix  ist  von  Quelle zur Senke  praktischer  Relevanz.  In  dieser  „Von‐nach‐Matrix“  werden  die  Material‐ flussbewegungen  zwischen  den  Quellen  („Von“)  und  Senken  („Nach“)  erfasst.  Somit  lässt  sich  ein  qualitativer  Rückschluss  auf  die  Flussrich‐ tung  in  den  Materialbewegungen  ableiten,  die  vor‐  und  rückwärts  ge‐ richtet  sind.  Dabei  werden  die  Quellen  auf  der  Vertikalen  abgetragen,  die Senken finden sich auf der Horizontalen.  Um  alle  möglichen  Materialflüsse  lückenlos  erfassen  und  abbilden  zu  können, werden die Leistungsstellen explizit in der Materialflussmatrix  berücksichtigt.  Das  Konzept  richtet  sich  nach  dem  Prozessgedanken  aus. Demnach stellt der Output eines vorgelagerten Prozesses den Input  des  nachgelagerten  dar.  Die  Matrix  ist  so  zu  lesen,  dass  beispielsweise  die  Quelle  A  („Beschaffungslager“)  die  Senke  B  („Produktion“)  mit  37  Einheiten versorgt (vgl. Abbildung A.11). 

Kausalketten  abbilden 

Auch  innerhalb  einer  Leistungsstelle  (zum  Beispiel  des  Distributions‐ lagers)  können  Materialflussbewegungen  stattfinden.  Diese  Wechselbe‐ ziehungen  spiegelt  die  Diagonale  in  der  Matrix.  Beispielsweise  werden  innerhalb des Distributionslagers von der Quelle zur Senke 3 Einheiten  verschoben. So können Fertigwarenbestände vor ihrer Entsendung, von  einem  Kunden  auf  einen  anderen,  mit  höherer  Priorität,  umgeschichtet  werden. Diese Erkenntnis kann zum Ausgangspunkt für eine detaillierte  Materialflussanalyse werden, die sich ausschließlich mit diesem Phäno‐ men befasst. 

Interne Wechsel‐ beziehungen 

Während  oberhalb  der  Diagonalen  alle  Vorwärts  gerichteten  Material‐ flüsse zu finden sind, werden auf den darunter liegenden Matrixfeldern  alle  rückwärtigen  Bewegungen  abgetragen.  Solche  Rückwärtsbewegun‐ gen im Materialfluss können erste Anzeichen von Ineffizienzen oder von  Kostensenkungspotenzialen sein. 

Vorwärts‐ und  Rückwärtsaktivitä‐ ten 

Ergänzend  zur  Materialflussmatrix  finden  weitere  Methoden  für  die  Analyse  von  Materialflüssen  Anwendung.  Eines  dieser  Instrumente  ist  das  Sankey‐Diagramm  (vgl. Abbildung A.11).  Damit  können  Material‐ flüsse  innerhalb  des  betrachteten  Systems  maßstabsgetreu  oder  men‐ genbezogen  dargestellt  werden.  Letzte  Variante  kommt  insbesondere  auf  höher  aggregierten  Ebenen  zum  Einsatz:  Zum  Beispiel  zur  abstrak‐ ten Abbildung globaler Materialflüsse externer Supply Chains. 

Sankey‐Diagramm  einsetzen 

67

A

Grundlagen

Wesentliches auf  einen Blick erfas‐ sen 

Aber  auch  zur  Darstellung  interner  Materialflüsse  eignet  sich  das  Sankey‐Diagramm.  Gerade  die  layoutgerechte  Variante  erzeugt  eine  hohe Transparenz, indem die Bedeutung der einzelnen Materialflüsse in  der  Supply  Chain  durch  Pfeile  wiedergegeben  ist.  Die  Stärke  dieser  Pfeile  kann  proportional  zur  Durchsatzmenge  ins  Verhältnis  gesetzt  werden.  Abbildung  A.11  verdeutlicht  diesen  Kontext.  Zum  Beispiel  versorgt  die  Produktion  das  Fertigwarenlager  mit  40  Einheiten  und  empfängt von diesem gleichsam 3 Einheiten (vgl. Arnold/Furmans 2007, S.  243ff.; Gienke/Kämpf 2007, S. 377ff.; Grundig 2014, S. 120ff.). 

Abbildung A.11 

Materialflussmatrix und Sankey‐Diagramm  Sankey‐Diagramm (Layoutgerecht) 

Materialflussmatrix  Tonnage/Monat 

Nach (Senke) 

Von (Quelle)  (A) Beschaffungslager  (B)  Produktion  (C)  Distributionslager  (S) Summe 

A.9.2 Zum Nutzen der  Materialflussana‐ lyse 

Rohstofflager 

(A)  (B)  (C)  (S) 

5  Produktion

37  8  45  5 

40  45  5 



37 





5  42  51  98 





40  Fertigwarenlager

Kritische Würdigung

Ein  wesentlicher  Vorteil  der  Materialflussanalyse  ist  sicherlich  in  der  gesteigerten  Transparenz  zu  sehen.  Die  Erfassung  und die Auswertung  von  Materialflüssen  gestalten  sich  schlichtweg  einfacher,  was  durch  nachstehende Erläuterungen unterstrichen wird: 

Strategische   Informationen 

 Operatives  Instrument  mit  strategischem  Charakter:  Die  Material‐

Planung und  Modellierung der  Materialflüsse 

 Strategische Netzwerkgestaltung: Durch die Heranziehung einer Ma‐

flussanalyse liefert Informationen, die auch für strategische Problem‐ stellungen herangezogen werden können. Aus ihr lassen sich Auswir‐ kungen auf Sourcing‐Entscheidungen ableiten, indem sie Rückschlüs‐ se  auf  Transportkosten  und  Lagerkosten  gewährt  oder  frühzeitig  mögliche Stock‐outs aufdeckt.  terialflussanalyse werden beteiligte Akteure zur kritischen Analyse ih‐ rer  Lieferkette  gezwungen.  Vernetzte  Materialflüsse  sind  zu  simulie‐ ren,  um  ein  verbessertes  Gesamtergebnis  im  Netzwerk  zu  erreichen. 

68

 

Materialflussanalysen in Supply Chains

A.9

In Kombination mit modernen Informationssystemen, kann die Mate‐ rialflussanalyse  zu  einem  wichtigen  Werkzeug  für  das  Supply  Chain  Design und Planning (vgl. S. 87 dieser Schrift) avancieren.  

 Prozessverständnis  und  Kostentransparenz:  Mit  der  Analyse  von  Materialflussbewegungen erhalten auch logistische Kernprozesse eine  exakte  Spezifizierung,  so  dass  logistische  Leistungsstellen  zu  bilden  sind. Mit Blick auf die Prozesskostenrechnung (vgl. S. 477), wird die  Bedeutung  der  Materialflussanalyse  für  die  Steigerung  der  Kosten‐ transparenz in den indirekten Leistungsbereichen deutlich. Sie liefert  wichtige  Basisdaten,  um  die  Gemeinkosten  der  Logistik  verursa‐ chungsgerecht auf die Kostenträger umzulegen. 

 Flexibilität:  Die  Materialflussanalyse  steigert  die  Transparenz  von  Materialbewegungen,  so  dass  Planungs‐,  Simulations‐  und  Modellie‐ rungszeiten erheblich verkürzt werden können. 

Doch kennt natürlich auch eine Materialflussanalyse Grenzen. Nachste‐ hend  finden  sich  einige  dieser  Schwierigkeiten  von  Materialflussanaly‐ sen in Stichpunkten: 

 Kein  Modellcharakter:  Die  Materialflussanalyse  ist  kein  idealtypi‐ sches  Modell,  das  universell  einsetzbar  ist.  Weder  in  der  Praxis  noch  in der Theorie hat sich ein allgemeingültiges Konzept durchgesetzt. In  letzter  Konsequenz  führt  dies  zu  einem  hohen Abstraktionsgrad  mit  einem eher anwendungsspezifischen Charakter. 

 Hoher  Informationsgehalt: Mit  Hilfe  der Materialflussanalyse  lassen  sich  erhebliche  Datenmengen  erfassen,  die  mit  der  Komplexität  des  Betrachtungsumfelds  ansteigen.  Daher  ist  eine  Abgrenzung  des  Sys‐ tems ebenso wichtig, wie die Selektion der Datenbasis, um fehlerhafte  Analysen zu vermeiden. Speziell bei der erstmaligen Anwendung der  Materialflussanalyse sind Fehlinterpretationen der Materialflussdaten  kaum zu vermeiden. 

Prozess‐ und  Kostentransparenz 

Struktur und  Schnelligkeit 

Grenzen 

Kein generisches  Referenzmodell 

Konzentration auf  das Wesentliche 

 Fehlende Nachhaltigkeit und Vergangenheitsbezug: Es mangelt der  Vergangenheits‐ Materialflussanalyse an Nachhaltigkeit, wenn sie dem Diktat der ein‐ maligen Anwendung  unterworfen  ist. Auch  der  daraus  resultierende  Aufwand würde kaum die Ergebnisse rechtfertigen, die man sich mit  ihrer  Anwendung  verspricht.  Speziell  vor  dem  Hintergrund  der  dy‐ namischen  Entwicklung  von  Materialflüssen  wären  einmalige  stati‐ sche Momentaufnahmen wenig zielführend.   

69

werte in die Zu‐ kunft projizieren 

A

Grundlagen

 Ex‐Post‐Betrachtung: Schließlich leiten sich Simulationen von Materi‐

Geschwätz von  gestern…? 

alflüssen  aus  Werten  der  Vergangenheit  ab.  Interessanter  wären  aber  zukunftsgerichtete Analysen von Materialflüssen. 

A.10 Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

Prägende SCM‐ Modelle 

Nachstehend werden zwei ausgewählte Gestaltungsmodelle des Supp‐ ly  Chain  Managements  diskutiert.  Zunächst  findet  sich  in  diesem  Kon‐ text  eine  nähere  Beschreibung  des  SCOR‐Ansatzes.  Im  Anschluss  sind  diese  Überlegungen  auf  ein  spezielles  Aufgabenmodell  für  Software‐ Systeme zu übertragen, dessen Erarbeitung auf SCOR basiert. 

A.10.1 SCOR-Modell A.10.1.1 Grundlagen Historie und all‐ gemeiner Hinter‐ grund 

Das  SCOR‐Modell  (Supply‐Chain‐Operations‐Reference‐Model)  wurde  mit  der  Zielsetzung  aufgestellt,  die  Abläufe  innerhalb  einer  Supply  Chain zu standardisieren (vgl. www.supply‐chain‐org.; Bolstorff et al. 2008;  Cohen/Roussel  2006;  Poluha  2016).  Den  Grundstein  dazu  legte  1996  der  Supply Chain Council (SCC): Die beiden Beratungsgesellschaften Pittiglio  Rabin  Todd  &  McGrath  (PRTM)  sowie  Advanced  Manufacturing  Research  (AMR)  schufen  –  gemeinsam  mit  69  Unternehmen  unterschiedlicher  Branchen  –  in  Pittsburgh  (USA)  den  Council.  Bereits  1997  wurde  der  SCC in Pennsylvania in das Handelsregister aufgenommen. Dieser Ver‐ bund  ist  ein  unabhängiger,  nicht‐gewinnorientierter  Verein,  der  das  SCOR‐Modell fördern und ständig weiterentwickeln möchte. Die Tätig‐ keiten  im  Council  werden  durch  Mitgliedsbeiträge  finanziert.  Mittler‐ weile gehören dem Council über 1.500 Mitglieder an. Die Teilnahme an  diesem  Verbund  ist,  gegen  Zahlung  einer  geringen  Gebühr,  grundsätz‐ lich möglich. In diesem Council finden sich beispielsweise BASF, Black &  Decker,  Dow  Chemical,  Federal  Express,  General  Electric,  IBM,  Merck,  Mo‐ torola, Procter & Gamble, SAP oder Xerox. 

70

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

Im  Kern  ist  das  SCOR‐Modell  ein  idealtypischer  und  über  die  Branche  greifender Ansatz, in dem die Abläufe innerhalb der Supply Chain von  den Partnern einheitlich beschrieben werden. Mit Hilfe von Kennzahlen  sind die Abläufe in den standardisierten Lieferketten zu messen. Außer‐ dem  finden  sich  in  dem  Konzept  Anforderungen  an  die  eingesetzte  Software,  inklusive  einer  Beschreibung  ihrer  Funktionalitäten  (Soft‐ waredatenbank). Aktuell ist die SCOR‐Version 12.0 im Einsatz. Das Mo‐ dell befindet sich jedoch in kontinuierlicher Weiterentwicklung, wobei in  recht  rascher  Abfolge  Updates  der  eingesetzten  Software  erfolgen.  Die  Mitglieder im Supply Chain Council haben bereits circa sechs Monate vor  der offiziellen Veröffentlichung einer neuen Softwaregeneration Zugang  zur neuen Version. 

Grundsätzliche  Charakterisierung 

Als Prozessreferenzmodell erstreckt sich der Ansatz über die komplette  Supply Chain: Von der Source of Supply bis zum Point of Consumption.  Die  Abläufe  sind  konfigurierbar:  es  werden  unterschiedliche  Alternati‐ ven eines gleichen Prozesses abgebildet. Dadurch entsteht eine normier‐ te  Sprache  für  interne  und  externe  Kommunikationsprozesse  innerhalb  der  Wertschöpfungskette.  Dies  ist  eine  wichtige  Voraussetzung  für  den  Leistungsvergleich zwischen den Partnern. 

SCOR strebt nach  Standardisierung 

A.10.1.2 Prozessstufen Das  idealtypische  Referenzmodell  ist  von  hierarchischer  Struktur  und  beinhaltet  vier  verschiedene  Ebenen  („Level“).  Im  Fortgang  zwischen  den  einzelnen  Stufen  nimmt  der  Grad  an  Konkretisierung  ständig  zu.  Diese  Entwicklungsstufen  stellen  Top‐Level,  Configuration‐Level,  Pro‐ cess‐Element‐Level und Implementation‐Level dar. Diese verschiedenen  Stufen  werden  nachstehend  gekennzeichnet. Abbildung A.12  zeigt  die‐ sen Zusammenhang auf. 

Vier prägende  Modellstufen 

A.10.1.3 Top-Level (Ebene 1) Die Ebene Top‐Level definiert den Umfang sowie den Inhalt einer Supp‐ ly  Chain.  Dabei  werden  die  fünf  unterschiedlichen  Prozesskategorien  (Aktivitätenbündel)  Planen  (Plan),  Beschaffen  (Source),  Herstellen  (Make), Liefern (Deliver) und Zurückführen (Return) spezifiziert. 

 Planen (Plan): In der Supply Chain sind zunächst die Angebots‐ und  die  voraussichtlichen  Nachfragestrukturen  zu  planen.  Dazu  werden  Lieferquellen  bewertet,  Nachfrageanforderungen  ermittelt,  Bestände 

71

Prozesskategorien  in Ebene 1 spezifi‐ zieren 

Generische Pla‐ nung 

A

Grundlagen

geplant, Anforderungen an die Produktion und den Vertrieb gestellt,  Materialien definiert oder Kapazitäten im Mengengerüst abgeglichen.  Außerdem  ist  die  „Infrastruktur“  der  Planung  festzuschreiben.  Dies‐ bezüglich  sind  Entscheidungen  hinsichtlich  Make‐or‐Buy,  Einlauf‐  und Auslaufsteuerung oder Commodity‐Struktur zu treffen. 

 Beschaffen  (Source):  Anschließend  sind  im  SCOR‐Modell  alternative 

Input 

Beschaffungsquellen  zu  vergleichen,  welche  die  Versorgungssicher‐ heit gewährleisten. Der Prozess beinhaltet interne und externe Aktivi‐ täten.  Zu  ersten  zählen  Warenannahme,  Qualitätsprüfung,  Lagerung  oder Bezahlung. Letzte umfassen zum Beispiel die Zertifizierung von  Lieferanten oder den Abschluss von Rahmenverträgen. 

 Herstellen (Make): Das dritte Aktivitätenbündel der Ebene Top Level 

Throughput 

beinhaltet die Herstellung nachgefragter Güter. Dazu muss der Ferti‐ gungsprozess  mit  seinen  Schnittstellen  (beispielsweise  Engineering  oder  Qualitätssicherung)  abgestimmt  werden.  Zur  Erreichung  einer  hohen Kundenzufriedenheit, sind die Produkte qualitativ hochwertig  herzustellen. 

 Liefern  (Deliver):  In  der  Prozesskategorie  „Deliver“  finden  sich  Maß‐

Output 

nahmen,  die  zur  Befriedigung  der  Kundennachfrage  dienen.  Hier  werden  die  Kundenaufträge  verwaltet  (Bestellerfassung,  Fakturie‐ rung,  Inkassowesen),  Lager  bewirtschaftet  (Kommissionierung,  Ver‐ packung,  Versand)  und  Waren  distribuiert  (Fleet‐Management,  In‐ coterms, Frachtwesen). 

 Zurückführen (Return): Schließlich umfasst dieser Kernprozess sämt‐

Re‐Logistics 

liche administrativen Tätigkeiten, welche mit der Rückgabe von Roh‐ stoffen (an Lieferanten) oder dem Empfang rückgeführter Fertigwaren  (von Kunden) verbunden sind. So deckt Return den Rückfluss defek‐ ter  Produkte  oder  überschüssiger Artikel  ab  (Re‐Logistics). Auch  un‐ gängige Sachnummern fallen unter die Rubrik „Return“. 

A.10.1.4 Configuration-Level (Ebene 2) Bildung der Pro‐ zesskonfiguration 

Auf  Basis  der  Ebene  Top‐Level  werden  auf  dieser  zweiten  Stufe  ver‐ schiedene  Standardmodule  definiert,  mit  denen  sich  mögliche  Supply  Chains  konfigurieren  lassen.  Dazu  ist  die  komplette  Supply  Chain  in  unterschiedliche Teilprozesse zu zerlegen. Als Prozesskategorien dienen  die  „Aktivitätenbündel“  der  ersten  Ebene:  Plan,  Source,  Make,  Deliver  und Return (vgl. Abbildung A.12). In diesem Kontext sind beispielswei‐ se folgende Fragen zu klären: 

72

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

 Plan:  „Findet  ein  Outsourcing  von  Tätigkeiten  statt?“.  „Wie  kann  die  potenzielle Nachfrage festgestellt werden?“. 

 Source:  „Liegt  eine  Pull‐Steuerung  vor?“.  „Handelt  es  sich  bei  der  zu  beschaffenden Ware um ein Katalogteil?ʺ. 

 Make: „Fertigen wir in Masse?“. „Können die Fertigungsanlagen rasch  umgerüstet werden?“. 

 Deliver:  „Sollen  die  Produkte  kundenspezifisch  verpackt  werden?“.  „Eröffnen wir ein Zentrallager?“. 

 Return:  „Welche  Produkte bedürfen  einer  Rückführung?“. „Wer  führt  den Rücktransport durch?“. 

Die  Standardmodule  der  Toolbox  können  in  einer  Matrix  dargestellt  werden. Horizontal sind die fünf Prozesskategorien Plan, Source, Make,  Deliver  und  Return  abgetragen.  Vertikal  finden  sich  in  der  Matrix  drei  unterschiedliche Prozesstypen: Planning, Execution und Infrastructure. 

Primäre Prozessty‐ pen von SCOR 

 Planning  (Planung):  Der  Prozesstyp  Planning  zielt  darauf,  diejenigen  Aktivitäten zu definieren, welche Angebot und Nachfrage optimal in  Einklang  bringen.  Dazu  zählt  die  Festlegung  des  Planungshorizonts  ebenso, wie die Ausgestaltung der Planungsprozesse. 

 Execution  (Ausführung):  Im  nächsten  Schritt  werden Aktivitäten  ein‐ geleitet,  die  zur  Transformation  der  Planung  dienen.  Beispielsweise  gehören dazu Termine und Maschinenbelegungen. 

 Infrastructure  (Infrastruktur):  Schließlich  beinhaltet  die  Infrastruktur  sämtliche  Aktivitäten,  welche  die  Voraussetzungen  für  die  Realisie‐ rung  von  Planning  und  Execution  schaffen.  Hierunter  fallen  insbe‐ sondere Informationsaufbereitung und Datenpflege. 

Durch  die  Interaktion  der  Prozesskategorien  Plan  (P),  Source  (S),  Make  (M), Deliver (D) und Return (R) mit den Prozesstypen Planning, Execut‐ ion sowie Infrastructure entsteht eine zweidimensionale Matrix. Sie wird  von  dem  Supply  Chain  Council  als  Configuration  Toolbox  bezeichnet  (vgl. Abbildung A.12). Bei näherer Betrachtung der Matrix fällt auf, dass  der Prozesstyp Execution weiter untergliedert ist. Im Rahmen der Aus‐ führungsprozesse wird folgende Differenzierung vorgenommen in:     

73

Configuration  Toolbox 

A

Grundlagen

 Source:  “Stocked‐Product”,  “Make‐to‐Order‐Product”,  “Engineer‐to‐ Order‐Product”. 

 Make: “Make‐to‐Stock”, “Make‐to‐Order”, “Engineer‐to‐Order”.   Deliver:  “Stocked‐Product”,  “Make‐to‐Order‐Product”,  “Engineer‐to‐ Order‐Product”. 

 Return: “Source‐Return”, “Deliver‐Return”.  Alles kommt auf  den Prüfstand 

Aus diesen Hauptfeldern der Toolbox wählen Organisationen die für sie  zutreffenden  Prozessketten  aus.  Im  Kern  findet  eine  Spezifizierung  der  Problemstellung statt. Jedes Unternehmen erhält so seine geeignete Kon‐ figuration. Dadurch werden defizitäre Bereiche offen gelegt: Die Tool‐ box trägt zur Identifikation von Redundanzen in der Supply Chain bei. 

Abbildung A.12  

SCOR‐Toolbox (Ebene 2) 

Planning  P2 Plan Source 

P1 Plan Supply Chain 

P3 Plan Make 

Make 

Source 

P5 Plan Return 

Deliver 

 S1  Stocked‐Product 

M1      MTS 

 D1  Stocked‐Product 

S2  MTO‐Product 

M2      MTO 

 D2  MTO‐Product   D3  ETO‐Product 

 S3  ETO‐Product 

M3      ETO 

 

Customers 

Suppliers 

P4 Plan Deliver 

Execution 

Source Return 

Deliver Return 

R1   Return Defective Product  R2   Return MRO‐Product  R3   Return Excess Product 

R1   Return Defective Product  R2   Return MRO‐Product  R3   Return Excess Product 

Infrastructure  Legende:  MTS  = Make‐to‐Stock 

MTO = Make‐to‐Order 

 

MRO = Maintenance, Repair and Overhaul 

74

ETO  = Engineer‐to‐Order 

 

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

A.10.1.5 Process-Element-Level (Ebene 3) Auf der dritten Prozessstufe, der Gestaltungsebene, schreitet die Konkre‐ tisierung des SCOR‐Modells weiter voran. Jetzt werden die Prozesskate‐ gorien in einzelne Prozesselemente zerlegt. Im Fokus stehen die Defini‐ tion  dieser  Prozesselemente  und  die  Ermittlung  von  Input‐Output‐ Relationen  je Prozesselement.  Wenn  möglich,  sind  für  jedes  Prozessele‐ ment Benchmarks festzulegen. Dadurch können Rückstände zu den Best  Practices identifiziert werden. Schließlich ist die in der Supply Chain zu  berücksichtigende Software zu spezifizieren. 

Prozesselemente  werden geformt 

Jedes Feld in der Toolbox ist auf dieser dritten Ebene mit Input‐Output‐ Relationen  je  Prozesselement  versehen.  Beispielhaft  wird  eine  Input‐ Output‐Beziehung  für  die  einzelnen  Prozesse  von  „M3“,  Engineer‐to‐ Order („Kundenauftragsbezogen Fertigen“), diskutiert: 

Prozesselement  „M3“ als Beispiel 

 Herstellaktivitäten terminieren („M3.1“),   Material ausgeben („M3.2“),   Herstellung und Überprüfung („M3.3“),   Packen („M3.4“) und   Produkt bereitstellen („M3.5“).  Originär  werden  die  Aktivitäten  dieser  Kausalkette  zur  Terminierung  der  Herstellaktivitäten  („M3.1“)  abgeleitet.  Dazu  bedarf  es  Informatio‐ nen aus dem Produktionsplan (P = Plan), Auffüllsignalen zur Lieferung  (D  =  Deliver)  und  zur  Herstellung  (M  =  Manufacturing).  Als  Ergebnis  dieser  Tätigkeiten  kristallisiert  sich  ein  geplanter  Output  für  die  Liefe‐ rung (D) und die Fertigung (P) heraus. 

„M3“ wird aufge‐ brochen 

Die  Auslösung  des  Bestandsignals  ist  die  nächste  Ursache  dieser  Kau‐ salbeziehung,  indem  eine  Materialausgabe  erfolgt  („M3.2“).  Diese  wird  für  die  anschließende  Herstellung  und  Überprüfung  („M3.3“)  benötigt.  Das  System  stellt  automatisch  eine  Bestandslücke  fest  (Auffüllsignal  Herstellung).  Im Anschluss  an  die  Produktion  erfolgt  der  Packvorgang  („M3.4“).  Schließlich  stehen  die  Fertigwarenbestände  zur  Versendung  bereit  („M3.5“).  Zum  besseren  Verständnis  dieses  Sachverhalts  dient  Abbildung A.13.   

Ursache‐ Wirkungs‐ Zusammenhänge 

75

A Abbildung A.13 

Grundlagen

Kausalkette (Ebene 3) 

(P) Produktionsplan  (D) Auffüllsignal Liefern 

(M) Auffüllsignal Herstellen  (S)  Auftragsüberhang 

(M)(S) Bestand  M3.1 

M3.2 

M3.3 

M3.4 

M3.5 

Terminieren 

Material 

Herstellen 

Packen 

Produkt 

Geplanter Output  (D)(P) 

Auffüllsignal 

Bestand 

Herstellen (S)(M) 

(P)(D)(M) 

 

Für jedes Prozes‐ selement eine  Regelkarte 

Innerhalb  einer  Prozesskategorie  (M3)  sind  die  einzelnen  Prozessele‐ mente minutiös zu definieren. Beispielhaft wird eine solche Regelkarte  für das Prozesselement „Herstellung und Überprüfen“ (M3.3) in Abbil‐ dung A.14 visualisiert. 

KPI zur Messung  der Zielerreichung 

Jedem  Prozesselement  werden  die  vier  Leistungsmerkmale  Flexibili‐ tät/Reaktionszeit,  Kosten,  Liefertreue/Qualität  sowie  Kapital  beigemes‐ sen.  Die  Bewertung  dieser  Leistungsattribute  erfolgt  über  spezifische  Key  Performance  Indicator  (KPIs).  Zum  Beispiel  wird  das  Leistungs‐ merkmal  „Kosten“  für  das  Prozesselement  M3.3  („Herstellung  und  Überprüfung“)  über  die  Kennzahlen  „Garantiekosten“,  „Gesamtzahl  Beschäftigter in der Produktion“, „Kapitalumschlag“ sowie „Wertschöp‐ fung“ bewertet.                 

76

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10 Abbildung A.14 

Regelkarte (Ebene 3) 

Prozesskategorie:  Engineer‐to‐Order 

Prozessnummer: M3 

Prozesselement:   Prozesselementnummer: M3.3  Herstellung/Überprüfung  Prozesselementdefinition:  Die Aktivitäten, die vorgenommen werden, um Rohma‐ terial in den Endzustand zu überführen. Es stehen Pro‐ zesse in Verbindung mit der Validierung der Produkt‐ leistung, um deren Übereinstimmung mit den Spezifika‐ tionen und Anforderungen sicherzustellen.  Leistungsmerkmale 

Kennzahlen 

Flexibilität/Reaktionszeit  ‐ Gesamte Reaktionszeit  ‐ Neuplanungszyklus  Kosten 

Liefertreue/Qualität 

Kapital 

‐ Garantiekosten  ‐ Beschäftigte in der Produktion  ‐ Kapitalumschlag  ‐ Wertschöpfung  ‐ Kosten für Ausschuss und Nacharbeit  ‐ Qualitätsniveau  ‐ Fehlerrate im Prozess  ‐ Training und Ausbildung  ‐ Kapazitätsauslastung  ‐ Cycle Time 

 

A.10.1.6 Implementation-Level (Ebene 4) Auf der vierten Ebene findet die Implementierung statt. Im Mittelpunkt  steht  die  Detaillierung  der  Prozesselemente.  Dazu  sind  die  einzelnen  Prozesselemente  in  unterschiedliche  Aktivitäten  zu  zerlegen.  Für  das  Prozesselement „M3.3“ („Herstellung und Überprüfung“) müssen Prei‐ se  kalkuliert,  Lagerraum  geschaffen,  Liefertermine  festgelegt,  Trans‐ portmittel definiert und Fahrtrouten eingeplant werden. 

Umsetzung von  SCOR 

Entscheidend  ist  in  diesem  Kontext  die  Flexibilität  des  SCOR‐Modells.  Dieses stellt sich nicht als rigides Gebilde dar. Es wird vielmehr hinsicht‐ lich  der  jeweiligen  Spezifika  einer  Organisation  angepasst.  Laut  dem  Supply Chain Council ist diese vierte Ebene zwar nicht dem SCOR‐Ansatz  direkt  zugehörig:  Weil  zu  viele  Besonderheiten  in  der  Unternehmens‐ praxis (insbesondere zwischen verschiedenen Branchen) vorliegen, kann 

SCOR zielt auf  Wandlungsfähig‐ keit 

77

A

Grundlagen

kein  allgemeingültiges  Konzept  definiert  werden.  Die  Stufe  der  Imple‐ mentierung  ist  in  ihrer  Durchführung  jedoch  zwingend  notwendig,  da  ein SCOR‐Modell ansonsten unvollständig bliebe. 

A.10.1.7 Messung über SCOR Kennzahlenver‐ gleich via SCOR 

Wie oben kurz dargestellt, basieren zwei unterschiedliche Gruppen von  Leistungsmerkmalen auf dem SCOR‐Ansatz: Die ersten Indikatoren sind  extern  geprägt  („Liefertreue/Qualität“  und  „Flexibilität/Reaktionszeit“).  Der  zweiten  Leistungskategorie  sind  interne  Performance‐Indicators  zugehörig  („Kosten“  und  „Kapital“).  Differenziert  nach  externen  und  internen  Leistungsmerkmalen,  ragen  aus  dem  SCOR‐Ansatz  nachste‐ hende acht Hauptkennzahlen heraus (vgl. Becker 2004, S. 83; Bolstorff et  al. 2011, S. 77ff.; Cohen/Roussel 2006, S. 208ff.; Poluha 2016): Kundenwun‐ schliefertreue,  Liefertreue  zum  bestätigten  Termin,  Auftragsabwick‐ lungszeit,  Produktionssteigerungsflexibilität,  gesamte  Supply‐Chain‐ Kosten,  Cash‐to‐Cash‐Cycle,  Bestandsreichweite  und  Kapitalumschlag.  Abbildung  A.15  stellt  diesen  Zusammenhang  in  übersichtlicher  Form  dar.  Im  Folgenden  sind  diese  besonders  wichtigen  SCOR‐Kennzahlen  (Key Performance Indicator) begrifflich zu klären. 

 Kundenwunschliefertreue (On Time Delivery to Request): Nach SCOR  misst dieser KPI den Prozentsatz pünktlich an Kunden ausgelieferter  Bestellungen  (bezogen  auf  den  ursprünglich  gewünschten  Lieferter‐ min). 

 Liefertreue  zum  bestätigten  Termin  (On  Time  Delivery  to  Commit):  Prozentsatz  der  bearbeiteten Aufträge,  die  zeitgerecht,  oder  vor  dem  eigentlich festgelegten Liefertermin, erledigt werden. 

 Auftragsabwicklungszeit  (Order  Fulfillment  Leadtime):  Zeit  in  Tagen,  welche für die Abfolge von Tätigkeiten zur vollständigen Bearbeitung  eines Kundenauftrags benötigt wird. 

 Produktionssteigerungsflexibilität (Upside Production Flexibility): Zeit  in Tagen, die Organisationen benötigen, um eine ungeplante Nachfra‐ gesteigerung von 20% zu erfüllen. 

 Gesamte  Supply‐Chain‐Kosten  (Total  Supply  Chain  Costs):  Diese  Kennzahl  wird  vorzugsweise  in  Relation  des  Umsatzes  gemessen.  Nach  SCOR  setzen  sich  Supply‐Chain‐Kosten  aus  Auftragsabwick‐ lungskosten,  Materialbeschaffungskosten,  Bestandskosten,  Finanzie‐ rungskosten,  Planungskosten  und  IT‐Kosten  zusammen.  Sie  beinhal‐ ten darüber hinaus auch Garantiekosten. 

78

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

 Cash‐to‐Cash‐Cycle:  Zeitspanne  in  Tagen  zwischen  Rechnungsstel‐ lung  des  Lieferanten  und  Eingang  der  Kundenzahlung.  Drei  Reich‐ weiten  bemessen  den  Cash‐to‐Cash‐Cycle: Debitorentage  (Days  Sales  Outstanding),  Lagerreichweite  (Days  on  Hand)  und  Kreditorentage  (Days Payables Outstanding); vgl. ausführlich S. 491 dieser Schrift. 

 Bestandsreichweite  (Inventory  Days  of  Supply):  Zeitspanne  in  Tagen,  die ein Material ausreicht, um Abrufe zu decken (unter Berücksichti‐ gung der aktuellen Lagerbestände). 

 Kapitalumschlag (Asset Turns): Anzahl jährlicher Lagerumschläge.  Die Performance Measurement Group (PMG) führte bezüglich dieser aufge‐ listeten  Kennzahlen  ein  funktionales  Benchmarking  durch  (vgl.  Co‐ hen/Roussel 2006, S. 286ff.; Poluha 2016; www.pmgbenchmarking.com). PMG  ist  eine  Tochtergesellschaft  von  PRTM. An  dem  Benchmarking  nahmen  170 Unternehmen verschiedener Branchen teil. Zur Anonymisierung der  Organisationen fand eine Verdichtung der erhobenen  Daten in die fünf  Segmente  Computer/IT,  Industrie,  Telekommunikation,  Chemie  und  Versandhandel  statt.  Das  Benchmarking  erstreckte  sich  ursprünglich  über die Jahre 1999 bis 2000, und es wurde im Jahr 2017 aktualisiert (hier  die neuen Zahlen). 

Kundenwunschliefertreue  Liefertreue zum bestätigten Termin  Auftragsabwicklungszeit  Produktionssteigerungsflexibilität  Supply‐Chain‐Kosten  Cash‐to‐Cash‐Cycle  Bestandsreichweite  Kapitalumschlag 

 

Abbildung A.15 

Hauptkennzahlen von SCOR 

Leistungskennzahlen innerhalb  der Supply Chain 

Supply Chain  Benchmarks 

Service/  Qualität 

                 

Flexibili‐ tät/Zeit 

                 

Kosten 

                

Kapital 

                  

 

79

A

Grundlagen

Kundenwunschlie‐ fertreue   

Obwohl  es  aus  der  Studie  nicht  explizit  hervorgeht,  ist  anzunehmen,  dass  sich  der  Kundenwunschliefertermin  dieses  Benchmarkings  auf  externe Kunden bezieht (und nicht auf Intercompany‐Lieferungen). Ein  Wert  des  Best‐in‐Class  nahe  100%  überrascht  nicht.  Eher  verwundert,  dass im Durchschnitt beispielsweise in der Industrie die Kennzahl „On  Time Delivery to Request“ nur 68,90% beträgt. 

On Time Delivery to Request 

Liefertreue zum  bestätigten Termin 

Bewusste Verlang‐ samung der Pro‐ zesse 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

72,60% 

94,30% 

Industrie 

68,90% 

97,00% 

Telekommunikation 

77,00% 

99,00% 

Chemie 

79,00% 

99,00% 

Versandhandel 

81,20% 

97,60% 

Ähnliches gilt für den KPI „On Time Delivery to Commit“ (Liefertreue  zum  bestätigten  Termin).  Wiederum  an  der  Industrie  gemessen,  errei‐ chen durchschnittliche Organisationen eine Liefertreue von 72,00%. Die  Definition  dieser  Kennzahl  ist  jedoch  mit  Problemen  behaftet.  Nach  SCOR  misst  sie  den  Prozentsatz  der  bearbeiteten  Aufträge,  die  zeitge‐ recht, oder vor dem eigentlich festgelegten Liefertermin erledigt wurden.  Penaltys  (Strafpunkte)  werden  folglich  nur  für  diejenigen  Auslieferun‐ gen vergeben, welche verspätet eintreffen. Doch auch deutlich verfrühte  Warenankünfte stellen den Kunden zum Teil vor größere Schwierigkei‐ ten.  Wenn  beispielsweise  eine  Schiffsladung  mit  Düngemittel  den  Ab‐ nehmer  drei  Tage  zu  früh  erreicht,  muss  dieser  kurzfristig  einen  geeig‐ neten Lagerplatz für die Waren finden.  Zur  Lösung  dieses  Problems  bietet  sich  ein  logistisches  Postponement  an,  indem  ein  Sendungsverfolgungssystem  (Tracking‐and‐Tracing)  ein‐ gesetzt wird: Zum Beispiel unterstützt durch den „Event‐Manager“ von  SAP  auf  Basis  moderner  Sensorik. Außerdem  wäre  es  aussagekräftiger,  nicht gesamte Aufträge, sondern vielmehr einzelne Positionen pro Auf‐ trag zu messen (Verbesserung der Granulierung).   

 

80

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

On Time Delivery to Commit 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

74,30% 

95,00% 

Industrie 

72,00% 

97,50% 

Telekommunikation 

78,00% 

94,80% 

Chemie 

82,10% 

99,00% 

Versandhandel 

81,90% 

98,80% 

Die  Auftragsabwicklungszeit  („Order  Fulfillment  Leadtime“)  hängt  nicht nur von der Branche an sich, sondern auch von dem spezifischen  Geschäft innerhalb dieser Branche ab. Daher ist zwar die Tatsache, dass  beispielsweise im Versandhandel der Beste nur 2,00 Tage zur kompletten  Bearbeitung  eines  Kundenauftrags  benötigt,  durchaus  interessant.  Hin‐ gegen  schafft  diese  Feststellung  für  den  Betrachter  kaum  einen  wirkli‐ chen Mehrwert. 

Order Fulfillment Leadtime 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

6,90 

2,30 

Industrie 

5,70 

2,50 

Telekommunikation 

8,50 

3,30 

Chemie 

6,10 

2,90 

Versandhandel 

5,50 

2,00 

A.10

Auftragsabwick‐ lungszeit 

Die  Flexibilität  zur  Steigerung  der  Produktivität  ist  wichtig,  um  rasch  auf  unerwartete  Kundenbedarfe  reagieren  zu  können.  Best‐in‐Class‐ Unternehmen  geben  an,  einen  plötzlichen  Nachfrageschub  von  20%  in  nur  wenigen  Tagen  erfüllen  zu  können.  Beispielsweise  behauptet  der  Primus  im  Segment  Computer/IT,  lediglich  4,30  Tage  zur  Deckung  der  Nachfrage zu benötigen. 

Produktionssteige‐ rungsflexibilität 

Dadurch  wird  der  „Forrester‐Effekt“  deutlich  gelindert  (vgl.  S.  47).  In  diesem Kontext ist allerdings zu beachten, dass Forrester seinerzeit empi‐ risch  feststellte,  dass  Organisationen  Ende  der  50er  Jahre  des  letzten  Jahrtausends  circa  ein  Jahr  zur  Befriedigung  eines  plötzlichen  Nachfra‐ geschubs von 10% benötigten. Die Upside Production Flexibility hinge‐ gen  wurde  nicht  empirisch  bestimmt.  Die  angegebenen  Zahlen  der  be‐

Von Forrester zum  Bullwhip 

81

A

Grundlagen

teiligten  Benchmarking‐Partner  sind  lediglich  Schätzwerte  „auf  dem  Papier“.  Die  erzielten  Verbesserungen  sind  nicht  zuletzt  auf die  zuneh‐ mende  Digitalisierung  in  der  Supply  Chain  zurückzuführen,  wie  auch  der engen Kooperation unter den Wertschöpfungspartnern. 

Upside Production Flexibility 

Gesamte Supply  Chain Kosten 

Hinkende Kenn‐ zahlenvergleiche 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

30,00 

  4,30 

Industrie 

30,00 

10,00 

Telekommunikation 

25,30 

  2,60 

Chemie 

30,00 

  6,00 

Versandhandel 

42,00 

  8,30 

Aus dem Benchmarking geht hervor, dass durchschnittliche Organisati‐ onen, je nach Branchenzugehörigkeit, zwischen 8,30% und 11,20% ihrer  Umsätze  zur  Abwicklung  ihrer  Supply  Chain  Aktivitäten  verwenden.  Zum  Beispiel  betragen  die  Supply  Chain  Kosten  im  Bereich  der  Tele‐ kommunikation  im  Durchschnitt  8,30%  des  Umsatzes.  Der  Branchen‐ primus  behauptet,  dass  nur  3,30%  seines  Umsatzes  an  Supply  Chain  Kosten anfielen.  Wenn sich externe Organisationen an diesen Werten messen wollen, sei  Vorsicht  angebracht: Aus  der  Definition  der  Supply  Chain  Kosten  geht  hervor, dass sich diese aus Auftragsmanagement (Verwaltung von Kun‐ denaufträgen,  Distributionskosten,  Rechnungsstellung),  Materialbe‐ schaffungskosten  (Qualitätsentwicklung  Lieferant,  Wareneingangskon‐ trolle), Lagerhaltungskosten (Opportunitätskosten, Wertberichtigungen),  Finanzierungskosten,  Planungskosten  und  IT‐Kosten  zusammensetzen.  Während  die  ersten  drei  Einflussgrößen  vermutlich  zu  100%  in  die  Be‐ rechnung  eingehen,  bleibt  zu  hinterfragen,  mit  welchem  Prozentsatz  Finanzierungs‐,  Planungs‐  und  IT‐Kosten  in  die  Kalkulation  fließen.  In  letzter  Konsequenz  klärt  wohl  nur  die  innerbetriebliche  Leistungsver‐ rechnung  über  diese  Werte  auf.  Doch  sind  diese  Verrechnungssätze   individuell  pro  Organisation  festgelegt  und  somit  für  Dritte  nicht  ein‐ sehbar  (Proportionalisierungsfaktoren).  Also  würden  wohl  Äpfel  mit  Birnen verglichen, sollte eine Messung mit diesen erzielten Prozentwer‐ ten „blind“ erfolgen.    

82

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

Totale Supply Chain Kosten 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

  8,30% 

4,00% 

Industrie 

10,30% 

4,30% 

Telekommunikation 

  8,30% 

3,30% 

Chemie 

11,20% 

3,90% 

Versandhandel 

  9,20% 

4,90% 

A.10

Ein Cash‐to‐Cash‐Cycle (vgl. Heesen 2012; Pfohl 2010, S. 221; Weber et al.  2007)  ist  ein  Kapitalelement  der  Supply  Chain.  In  seine  Bestimmung  fließen Änderungen von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten  ein.  Die  Vorratshöhe  leitet  sich  insbesondere  aus  beschaffungs‐  und  produktionslogistischen  Maßnahmen  ab.  Über  den  Umschlag  von  For‐ derungen  und  Verbindlichkeiten  entscheiden  vertragliche  Rahmenver‐ einbarungen, die zwischen Lieferanten und Kunden abgeschlossen wer‐ den.  Die  Zahlen  des  Benchmarkings  belegen,  dass  der  Liquiditätskreis‐ lauf durchschnittlich zwei bis drei Monate beträgt. Er berechnet sich aus  der  Addition  von  Debitorentagen  (Days  Sales  Outstandig)  und  Lager‐ reichweite  (Days  on  Hand),  abzüglich  der  Kreditorentage  (Days  Payables Outstanding). Der Wert soll natürlich möglichst gering sein, im  Idealfall sogar negativ. 

Liquiditätskreislauf  berechnen 

Der Cash‐to‐Cash‐Cycle spiegelt die Machtverhältnisse innerhalb einer  Supply  Chain.  Organisationen  streben  nach  raschem  Zahlungseingang  und  niedrigen  Beständen.  Die  Lieferanten  werden  möglichst  spät  be‐ zahlt,  um  durch  sie  ein  zinsloses  Darlehen  zu  erhalten  (quasi  als  Vorfi‐ nanzierung). Beispielsweise beträgt der Cash‐to‐Cash‐Cycle in der Che‐ mie  im  Durchschnitt  91,20  Tage,  also  ungefähr  drei  Kalendermonate.  Daraus resultieren für die betroffenen Organisationen erhebliche Oppor‐ tunitätskosten. 

„Money, get away,  you get a good job  with more pay and  you’re okay…”  (Pink Floyd) 

 

 

 

83

A

Grundlagen

Cash‐to‐Cash‐Cycle 

Bestandsreichwei‐ ten klein halten 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

  75,10 

 9,70 

Industrie 

  67,60 

‐ 4,50 

Telekommunikation 

100,20 

14,40 

Chemie 

  91,20 

‐ 3,40 

Versandhandel 

  66,60 

11,70 

Aus dem Benchmarking geht hervor, dass die Akteure aus der Industrie  im  Durchschnitt  eine  Lagerreichweite  (Inventory  Days  of  Supply)  von  79,50  Tagen  aufweisen.  Organisationen  der  Telekommunikation  verfü‐ gen über Bestände, welche sich mehr als vier Monate nicht umschlagen  (Slow  Mover).  Die  Best‐in‐Class‐Organisation  aus  dem  Feld  Versand‐ handel  kommt  mit  einer  Bestandsreichweite  von  lediglich  10,90  Tagen  aus. Interessant wäre der Aufbruch der Lagerreichweite nach Geschäfts‐ bereichen,  eine  Information,  die  aus  diesem  Benchmarking  leider  nicht  hervorgeht. 

Inventory Days of Supply 

Hohe Kapitalum‐ schläge anpeilen 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

  51,80 

18,30 

Industrie 

  79,50 

24,50 

Telekommunikation 

123,50 

15,00 

Chemie 

  83,50 

26,30 

Versandhandel 

45,30 

10,90 

Schließlich  findet  sich  die  Umschlagshäufigkeit  von  Vorräten  („Asset  Turns“)  in  dem  Benchmarking.  Da  diese  Zahlen  reziprok  zur  Lager‐ reichweite  ermittelt  werden,  hätte  die  Angabe  bezüglich  der  Inventory  Days of Supply ausgereicht. Dennoch können die Angaben hinsichtlich  des  Lagerumschlags  als  „Probe“  zur  Reichweite  aufgefasst  werden.  In  der Tat sind diese Ergebnisse (verglichen mit der Lagerreichweite) nach‐ vollziehbar:  Wenn  sich  im  Segment  Industrie  eine  durchschnittliche  Bestandsreichweite  von  79,50  Tagen  findet,  korreliert  dieser  Wert  mit  einem  Lagerumschlag  von  4,70  Turns  pro  Jahr:  4,70  Turns  multipliziert 

84

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

mit  79,50  Tagen  Reichweite  ergeben  373,65  Tage.  Die  Abweichung  zu  den tatsächlichen Kalendertagen ist zu vernachlässigen. 

Net Assets Turns 

Average 

Best‐in‐Class 

Computer/IT 

7,30 

19,10 

Industrie 

4,70 

16,30 

Telekommunikation 

3,10 

26,30 

Chemie 

4,50 

15,30 

Versandhandel 

8,30 

36,50 

Der  Reiz  dieses  Benchmarkings  liegt  darin,  dass  externe  Betrachter  ein  „erstes  Gefühl“  zur  Bewertung  ihrer  eigenen  Supply‐Chain‐Prozesse  erhalten.  Dennoch  bleiben  viele  Fragen  unbeantwortet:  Es  ist  zwar  durchaus  interessant  zu  wissen,  dass  der  Best‐in‐Class  in  der  Chemie  15,30 Net Asset Turns jährlich bewältigt. Doch welche Fähigkeiten kata‐ pultieren  ihn  in  die  Position  des  Klassenbesten?  Der  Weg  in  eine  Best‐ Practice‐Situation  wird  nicht  aufgezeigt.  Ferner  bleibt  offen,  welche  Organisation  sich  hinter  dem  Besten  verbirgt.  Schließlich  ist  auch  die  Spannweite zwischen Best‐in‐Class und Worst‐in‐Class verdeckt. 

„Wenn du deinen  Feind kennst und  dich selbst, musst  du auch 100  Schlachten nicht  fürchten.“      (Sunzi) 

A.10.1.8 Kritische Würdigung Die  Gedanken  um  das  SCOR‐Modell  sind  von  etlichen  Stärken  und  Schwächen geprägt. Zunächst werden die Vorteile von SCOR diskutiert.  Im Anschluss ist auf die Nachteile von SCOR einzugehen. 

 Der  SCOR‐Ansatz  dient  zur  branchenübergreifenden  Standardisie‐ rung von Abläufen innerhalb der Supply Chain. Die beteiligten Orga‐ nisationen  „sprechen  eine  Sprache“,  indem  sie  beispielsweise  ihre  Kennzahlen identisch definieren. Außerdem werden Kompatibilitäten  innerhalb  einer  Supply  Chain  forciert,  weil  die  jeweilige  Hard‐  und  Software aufeinander abgestimmt sind. 

 Wenn  die  Unternehmen  den  SCOR‐Ansatz  berücksichtigen,  müssen  sie dieses allgemeingültige Konzept auf ihre spezifische Wettbewerbs‐ situation  übertragen.  Dadurch  besteht  der  Zwang,  sich  kritisch  mit  den  Ist‐Abläufen  innerhalb  der  Organisation  auseinanderzusetzen  („Klärendes Gewitter“). 

85

SCOR befriedigt  viele Wünsche... 

A

Grundlagen

 Ferner können die Partner von den Best‐Practices lernen und dadurch  vielleicht auch selbst die Stages‐of‐Excellence durchschreiten.  ...dennoch bleiben  etliche Fragen offen 

Jedoch sind auch einige Probleme des SCOR‐Modells  zu beachten, die  auf dem Weg zu einem modernen Supply Chain Management zu Stol‐ persteinen geraten können. 

 Das  Modell  hat  auf  Grund  seiner  branchenübergreifenden  Betrach‐ tungsweise einen hohen Abstraktionsgrad. 

 Es  ist  bei  einer  instabilen  Kooperationsbasis  im  Netzwerk  kaum  an‐ wendbar, weil es eine gewisse Kontinuität verlangt. 

 Wird  der  Ansatz  nachhaltig  angewendet,  steigt  die  Abhängigkeit  zwischen den eingebundenen  Partnern,  wodurch  die Akteure  Souve‐ ränität einbüßen. 

 Die  enge  Lieferanten‐Kunden‐Anbindung  an  den  Schnittstellen  führt  zur  Preisgabe sensitiver  Informationen.  Dadurch  besteht die  latente  Gefahr des Know‐how‐Abflusses. 

A.10.2 Aufgabenmodell für Supply Chain Software A.10.2.1 Grundlagen Software‐Modell  auf Basis von  SCOR 

Basierend auf den Überlegungen des Supply Chain Councils, entwickel‐ ten die beiden Fraunhofer‐Institute IML („Fraunhofer‐Institut für Mate‐ rialfluss und Logistik“) aus Dortmund und IPA („Fraunhofer‐Institut für  Produktionstechnik  und  Automatisierung“),  ansässig  in  Stuttgart,  ge‐ meinsam  mit  dem  „Zentrum  für  Unternehmenswissenschaften“  der  Eidgenössischen  Technischen  Hochschule  Zürich  ein  SCM‐Referenz‐  und  Aufgabenmodell (vgl.  insbesondere  Hellingrath  et  al.  2008,  S.  99ff.;  ähnlich  Kuhn/Hellingrath  2013).  Das  von  Hellingrath  et  al.  erarbeitete  Konzept zerlegt den SCOR‐Ansatz, und es misst jedem Level spezifische  Anforderungen  von  SCM‐Software‐Modellen  bei.  Somit  kann  dieses  Aufgabenmodell  als  Grundlage  für  die Auswahl  von  Softwarealternati‐ ven für das Supply Chain Management verstanden werden. 

Software‐Anbieter  im SCM 

Mögliche  Anbieter  von  Supply  Chain  Software  sind  Agilisys,  Axxom,  Demand Solutions, Descartes, DynaSys, Icon‐SCM, J. D. Edwards, Manhattan  Associates, Manugistics, Mapics, Oracle und SAP. Die meisten dieser Soft‐ ware‐Hersteller  werden  in  einem  „Marktspiegel“  von  Busch  et  al.  (vgl.  86

A.10

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

Busch  et  al.  2003)  einer  näheren  Untersuchung  unterzogen.  Die  Bewer‐ tung  der  unterschiedlichen  Software‐Lösungen  bezieht  sich  nach  Busch  auf  Funktionstiefe,  unterstützendes  Betreibermodell,  Datenbanksystem,  Datenübertragung, Lizenzkosten und Support nach Implementierung.  Das Aufgabenmodell nach Hellingrath et al. umfasst drei Hauptebenen:  Gestaltung  (Supply  Chain  Design),  Planung  (Supply  Chain  Planning)  und Ausführung (Supply Chain Execution). Abbildung A.16 visualisiert  diesen Zusammenhang. Der Schwerpunkt der Überlegungen richtet sich  auf  die  Planungsstufe  aus.  Sie  ist  in  verschiedene  Planungsinhalte  zer‐ legt.  Im  Folgenden  werden  die  drei  Referenzebenen  des  Aufgabenmo‐ dells näher charakterisiert (vgl. Hellingrath et al. 2008, S. 104ff.). 

Hauptebenen des  Modells 

Aufgabenmodell für SCM‐Software‐Systeme 

Abbildung A.16 

Design  Netzwerk  Bedarfsplanung 

Planning 

Netzwerkplanung  Beschaffung, Produktion, Distrib.  Order Promising  Feinplanung Beschaffung, Produktion, Distrib.  Auftragsabwicklung  Transport 

Produktion 

Execution  Lager 

Event‐Management  Alert‐ Management 

Tracking/  Tracing 

Workflow Ma‐ nagement 

… 

 

87

A

Grundlagen

A.10.2.2 Supply Chain Design Supply Chain  Design: Generische  Netzwerkgestal‐ tung 

Zunächst  richtet  sich  das  Modell  nach  der  strategischen  Netzwerkge‐ staltung aus (Supply Chain Design, vgl. Gattorna 2015; Straube et al. 2007,  S. 12ff.; Watson et al. 2012). Ein ehernes Ziel besteht in der Auswahl des  kostengünstigsten SCM‐Software‐Systems. Dazu sind generische Fragen  an  die  Struktur  und  die Ausgestaltung  des  strategischen  Netzwerks  zu  stellen  (vgl.  Hellingrath  et  al.  2008,  S.  104f.;  Straube  et  al.  2007,  S.  12ff.).  Beispielsweise  findet  eine  Klärung  folgender  Fragen  statt:  „Welches  Produkt  wird  hergestellt?“.  „In  welchem  Werk  findet  die  Produktion  statt?“. „Welche Lieferanten sind in die Supply Chain integriert?“. „Wer‐ den zwischengeschaltete Distributionsstufen benötigt?“. 

Simulationen zur  Prozessoptimie‐ rung 

Im  Rahmen  der  Definition  des  Supply  Chain  Designs  fallen  grundle‐ gende  Investitionsentscheidungen  an.  Auf  ihrer  Basis  können  sich  gra‐ vierende  kostenmäßige  Veränderungen  innerhalb  der  kompletten  Lie‐ ferkette  ergeben.  Die  Auswahl  einer  Software‐Lösung  für  das  Supply  Chain  Management  hängt  beispielsweise  von  der Anzahl  einbezogener  Werke,  Lieferanten,  Handelspartner,  Distributionszentren  oder  Spedi‐ teure ab. Mit der Simulation von „What‐if‐Szenarien“ sind unterschied‐ liche  logistische  Netzwerke  hinsichtlich  ihrer  Größe,  Komplexität  und  Kompliziertheit  durchzuspielen.  So  kann  die  Erweiterung  der  Supply  Chain  um  zusätzliche  Werke,  der  Wechsel  von  Lieferanten,  der Ausfall  von Kunden, die Nutzung anderer Distributionskanäle oder der Einsatz  neuer Spediteure durchgespielt werden. 

A.10.2.3 Supply Chain Planning Taktische und  operative Pla‐ nungsentscheidun‐ gen 

Die  zweite  Hauptebene  des  Modells  orientiert  sich  an  kollaborativen  Planungsentscheidungen  innerhalb  der  Supply  Chain.  Nachdem  die  strategischen  Überlegungen  im  Supply  Chain  Design  fixiert  wurden,  beginnt der taktische wie operative Umsetzungsprozess auf Planungs‐ ebene.  Diesbezüglich  sind  Bedarfe,  Bestände,  Kapazitäten  oder  Kapazi‐ tätszuordnungen  der Akteure  abzugleichen.  Folgende  Planungsinhalte  (vgl. Hellingrath et al. 2008, S. 105ff.) werden unterschieden: Bedarfspla‐ nung,  Netzwerkplanung,  Beschaffungs‐,  Produktions‐  und  Distributi‐ onsplanung,  Order  Promising,  Beschaffungsfein‐,  Produktionsfein‐  und  Distributionsfeinplanung sowie Kollaborative Planung. 

88

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

A.10.2.4 Bedarfsplanung Die  primäre  Aufgabe  der  Bedarfsplanung  besteht  in  lang‐,  mittel‐  und  kurzfristigen  Prognosen  sämtlicher  Bedarfe  kollaborativer  Akteure.  Im  B2B‐Geschäft basiert die Bedarfsplanung auf den Kundenabrufen. Wenn  die Abnehmer  ihre  Bestellungen  nicht  laufend  revidieren,  gestaltet sich  eine  derartige  Bedarfsplanung  gut  strukturierbar.  Für  eine  B2C‐ Abwicklung hingegen gelten andere Spielregeln. Die Kaufentscheidung  ultimativer  Endverbraucher  hängt  von  vielen  Einflussfaktoren  ab.  Be‐ sondere Schwierigkeiten sind saisonalen oder modischen Geschäftspro‐ zessen  immanent.  Diese  Bedarfsschwankungen  betreffen  zum  Beispiel  die  Konsumgüter‐  und  die  Bekleidungsindustrie  (Fashion  Supply  Chain). Eine Bedarfsplanung befindet sich diesbezüglich in einem laten‐ ten  Spannungsverhältnis  zwischen  optimaler  Kapazitätsplanung,  ho‐ hem  Lieferservicegrad  und  niedriger  Kapitalbindung.  Als  Konsequenz  dieser  Probleme  entsteht  innerhalb  einer  Supply  Chain  der  Peitschen‐ schlag‐Effekt (Bullwhip‐Effekt, vgl. S. 47). 

Schwankungen in  den Abrufen er‐ schweren die Be‐ darfsplanung 

Insbesondere  die  mittelfristige  und  die  langfristige  Bedarfsplanung  be‐ reiten  Schwierigkeiten.  Die zur  Verfügung  stehenden Daten  sind  Werte  der  Vergangenheit.  Mit  Hilfe  statistischer  Prognosen  werden  diese  In‐ formationen  in  die  Zukunft  projiziert  (beispielsweise  über  gleitende  Durchschnitte  oder  exponentielle  Glättungen).  Diese  parametrisierten  Zukunftsbilder  basieren  auf  diversen  Restriktionen,  welche  durchaus  an Gültigkeit verlieren können. Folglich stehen die mittelfristige und die  langfristige Bedarfsplanung ein wenig „auf wackeligen Füßen“. 

Zukunftsbilder auf  Basis von Vergan‐ genheitswerten  aufbauen 

A.10.2.5 Netzwerkplanung Mit  Hilfe  der  Netzwerkplanung  findet  die  Koordination  einzelner  Ak‐ teure  einer  Supply  Chain  statt.  Im  Rahmen  der  internen  Planung  sind  beispielsweise  weltweit  die  Produktions‐  und  die  Logistikzentren  von  Geschäftsbereichen  zu  definieren.  Für  unternehmensübergreifende  Netzwerke  werden  die  Beschaffungs‐,  die  Produktions‐  und  die  Distri‐ butionsplanung entlang der gesamten logistischen Kette in dem kollabo‐ rativen Partnergeflecht abgeklärt. Eine besondere Position nehmen dies‐ bezüglich  dominierende  Akteure  („Hub  Firms“)  ein:  Diese  verfügen  über  die  umfassendsten  Informationen  zur  Planung,  Steuerung  und  Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette. 

89

Netzwerkplanung  spannt sich um  Leuchttürme 

A Aufbau und Auflö‐ sung des Mengen‐ gerüsts 

Grundlagen

Ein  wichtiges  Anliegen  der  Netzwerkplanung  besteht  in  der  Optimie‐ rung  von  Bedarfen,  Ressourcen  (Repetierfaktoren)  und  Kapazitäten  (Potenzialfaktoren).  Das  Ergebnis  dieses  Abgleichs  ist  die  Generierung  eines Mengengerüsts. Auf Basis von Verkaufsprognosen, leitet sich aus  diesem  Mengengerüst  die  Zuordnung  von  Produktionsvolumina  auf  verschiedene  Werke  ab.  Üblich  ist  eine  derartige  Netzwerkplanung  auf  Jahresbasis  (Budgetierung).  In  seltenen  Fällen  können  für  „stabile“  Netzwerke  aber  auch  Mengengerüste  über  einen  längeren  Planungsho‐ rizont aufgespannt sein. 

A.10.2.6 Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsplanung Spannungsver‐ hältnisse ausloten 

Die  Beschaffungsplanung  basiert  auf  der  Bedarfs‐  und  der  Netzwerk‐ planung. Auf der einen Seite sichert die Beschaffungsplanung die Teile‐ versorgung. Andererseits erfolgt sie mit möglichst niedrigen Beständen.  Die Planungsfrist beträgt in der Regel Tage oder Wochen. Ein wichtiges  Planungstool  ist  in  diesem  Kontext  die  Stückliste.  Sie  dient  zur  Ermitt‐ lung von Primär,‐ Sekundär‐ und Tertiärbedarfen. Als Entscheidungskri‐ terien  der  Beschaffungsplanung  werden  Anlieferrhythmus,  Wiederbe‐ schaffungszeit und Bestandshöhe definiert. 

Auffinden des  optimalen Kapazi‐ tätsauslastungs‐ grads 

Außerdem ist für jeden Standort der Supply Chain ein Produktionsplan  zu  erstellen  („Master  Production  Schedule“).  Im  Rahmen  der  Generie‐ rung  von  Produktionsplänen  sind  hohe  Kapazitätsauslastungen  anzu‐ streben.  Gleichsam  ist  zu  berücksichtigen,  dass  unerwartete  Zusatzauf‐ träge möglichst nicht abgewiesen werden (Produktionsflexibilität). Wei‐ tere  mögliche  Stellhebel  der  Produktionsplanung  sind  Durchlaufzeiten,  Rüstkosten, Ausschussraten, Bestände, Servicegrade und (Arbeits‐) Pro‐ duktivitäten. Der Horizont dieser Vorausschau liegt bei Tagen oder Wo‐ chen.  Als  Hilfsmittel  zur  Erstellung  eines  Master  Production  Schedule  dienen Schichtpläne oder Maschinenbelegungspläne. 

Einbindung von  Logistikdienstleis‐ tern 

Die Hauptaufgabe der Distributionsplanung liegt in der Sicherung der  Warenströme  in  Richtung  Kunde.  Diese  Planung  wird  auf  Tages‐  oder  Wochenbasis erstellt. Eine gewichtige Hilfestellung leistet die Kennzahl  „Reichweite von Fertigwarenbeständen“ (Finished Goods). Sie dient der  Feinjustierung  im  Rahmen  der  Warenverteilung.  Zur  Optimierung  der  Distributionsplanung  können  unterschiedliche  Versorgungs‐Szenarien  durchgespielt werden. Mögliche Einflussfaktoren für derartige Simulati‐ onen sind die Einbindung von Logistikdienstleistern in die Warenvertei‐ lung,  die  Nutzung  weiterer  Distributionskanäle  oder  der  Aufbau  von  Lagerumschlagsplätzen (Cross Docking). 

90

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

A.10.2.7 Order Promising Unter  Order  Promising  wird  eine  Verfügbarkeits‐  oder  Machbarkeits‐ prüfung  verstanden.  Prägende  Begrifflichkeiten  sind  Available‐to‐ Promise  und  Capable‐to‐Promise  (vgl.  S.  162).  Unter  Available‐to‐ Promise  (ATP)  wird  das  an  den  Kunden  gerichtete  Versprechen  ver‐ standen,  eine  Leistung  zu  definierten  Konditionen  zu  erbringen.  Ein  Beispiel  dafür  ist  die  Zustellung  von  Büchern  und  weiterer  Produkte  durch Amazon innerhalb von 24 Stunden. Ein ähnliches Versprechen gibt  der  Otto‐Versand  ab.  Neben  dem  Wunschliefertermin,  sind  teilweise  weitere Versprechen einzuhalten. Diese können Liefermengen, Konfigu‐ rationen, Preise oder Kompatibilitäten von Artikeln betreffen. 

Ein Versprechen  wird abgegeben… 

Capable‐to‐Promise (CTP) umschreibt die Fähigkeit einer Organisation,  das  in  Richtung  Kunde  signalisierte  Lieferversprechen  einzuhalten.  Dieses  Prinzip  ist  dem  logistischen  Realisierungsprozess  geschuldet.  Während Available‐to‐Promise nach außen (in Richtung Kunde) gerich‐ tet  ist,  wirkt  Capable‐to‐Promise  nach  innen.  Die  Koexistenz  beider  Sichtweisen  wirkt  als  Front‐End‐Back‐End‐Beziehung.  Folglich  bezieht  der  Ansatz  die  Optimierung  logistischer  Assets  mit  ein.  Beispielhaft  dafür steht das Fleet Management. 

…kann es auch  gehalten werden? 

A.10.2.8 Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsfeinplanung Ein weiteres Modul der Planungsstufe besteht in der Feinjustierung von  Beschaffungs‐,  Produktions‐  und  Distributionsprozessen.  Die  Beschaf‐ fungsfeinplanung  erfolgt  in  manchen  Branchen  auf  Stundenbasis  (bei‐ spielsweise  für  zeitkritische  Radiopharmaka).  Allgemein  beschrieben,  werden  die  in  einer  Beschaffungsplanung  eingehenden  Lieferabrufe  (LAB) jetzt in Feinabrufe (FAB) umgemünzt. Verfahren wie Just‐in‐Time  und Just‐in‐Sequence fußen auf dieser minutiösen Feinjustierung. 

Feinjustrierung der  Abrufe 

Ähnlich detailliert ist der Produktionsfeinplan zu erstellen. Er wird aus  dem generischen Produktionsplan abgeleitet. Im Unterschied zu diesem,  findet die Feinjustierung nicht länger auf Werks‐, sondern vielmehr auf  Produktionsbereichsebene statt. Der Planungshorizont liegt bei Stunden  oder  wenigen  Tagen.  Ein  Hilfsmittel  der  Produktionsfeineinstellung  ist  die Reihenfolgebelegungsplanung. 

Dekomposition auf  Ebene der Produk‐ tionsbereiche 

Prägend  für  die  Distributionsfeinjustierung  sind  Touren‐  und  Trans‐ portmittelplanung. Beispielsweise wird darin ein Milk Run (vgl. S. 328)  festgelegt.  Allgemein  erfolgt  in  der  Distributionsfeinplanung  der  Ver‐

Distributionskos‐ ten vs. Servicegrad 

91

A

Grundlagen

gleich  unterschiedlicher  Transportszenarien.  Dabei  werden  die  Ent‐ scheidungen  einerseits  nach  Kostengesichtspunkten  (wie  Outsourcing  des  Fuhrparks)  gefällt.  Andererseits  spielt  der  ausgehende  Lieferser‐ vicegrad  eine  gewichtige  Rolle  für  die  Distributionsfeinplanung  (zur  Verbesserung der Kundenzufriedenheit). 

A.10.2.9 Kollaborative Planung Zielharmonie  schaffen 

Die  kollaborative  Planung  verfolgt  die  harmonisierte  Zusammenarbeit  sämtlicher Akteure einer Supply Chain. Dazu findet eine Synchronisati‐ on von Versorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingaktivitäten statt. Mög‐ liche kollaborative Software‐Lösungen beziehen sich auf die Kapazitäts‐ planung, die Bedarfsplanung und die Bestandsplanung. 

Notwendige Kapa‐ zitäten ermitteln 

 Kapazitätsplanung:  Über  Primär‐,  Sekundär‐  und  Tertiärbedarfe 

APS‐Systeme  ermöglichen Simu‐ lationen 

 Bedarfsplanung:  Zur  kollaborativen  Bedarfsplanung  werden  Kun‐

Intensivierte  Schnittstellenbear‐ beitung 

 Bestandsplanung:  Schlussendlich  richtet  sich  eine  kollaborative  Be‐

werden  die  notwendigen  Kapazitäten  interagierender  Akteure  abge‐ leitet.  Neben  den  eigenen  Werkdaten  sind  auch  Informationen  von  Lieferanten  und  externen  Dienstleistern  in  Web‐basierte  Lösungen  einzuspielen.  dendaten  zeitgleich  mit  eigenen  Informationen  verarbeitet  (Real‐ Time‐Process).  Außerdem  können  Lieferantendaten  in  die  Bedarfs‐ planung eingebunden werden. Auf der Basis von „What‐if‐Szenarien“  finden  über  Advanced‐Planning‐and‐Scheduling‐Systeme  Simulatio‐ nen statt (vgl. S. 384).  standsplanung zumeist nach der Überwälzung der Bestandshoheit ei‐ nes Kunden in Richtung Hersteller aus (Vendor Managed Inventory).  Das  Monitoring  der  Vorräte  basiert  auf  IT‐Lösungen  im  Sinne  von  Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR). 

A.10.2.10 Supply Chain  Management  ausführen 

Supply Chain Execution

Nachdem  die  Planungstätigkeiten  abgeschlossen  sind,  werden  ausfüh‐ rende  logistische  Aktivitäten  initiiert  (Supply  Chain  Execution).  Ein  wichtiger Pfeiler dieser Umsetzung besteht in der Auftragsabwicklung.  Diese erstreckt sich im Kern auf die Transportabwicklung, die Produkti‐ onsabwicklung  sowie  das  Lagermanagement.  Allgemein  steht  der  Be‐ griff „Auftragsabwicklung“ für die Abfolge logistischer Tätigkeiten, die  zur  kompletten  Bearbeitung  eines  Kundenauftrages  notwendig  sind 

92

Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements

A.10

(vgl.  Otto  2004,  S.  14ff.).  Im  Grunde  beschreibt  die Auftragsabwicklung  den Fluss von Ordering bis Payment (vgl. zum „Order‐to‐Payment‐S“ S.  7 der vorliegenden Schrift).  Der Anspruch nach Supply Chain Execution wird insbesondere über ein  Event  Management  erreicht  (vgl.  Ijioui  et  al.  2007;  Fürstenberg/Vogeler  2012). Bei einem Supply Chain Event Management (SCEM) erfolgt eine  permanente  Überwachung  von  Supply‐Chain‐Aktivitäten,  indem  Früh‐ warnmechanismen  greifen.  Möglichst  in  Echtzeit  sind  beispielsweise  Transportengpässe  oder  Produktionsausfälle  aufzudecken  (vgl.  Kil‐ ger/Stahuber  2002,  S.  479ff.).  Ebenso  dient  ein  Supply  Chain  Event  Ma‐ nagement  zur  Vermeidung  oder  zur  Identifizierung  von  Out‐of‐Stock‐ Situationen. 

Event Manage‐ ment zur Aufde‐ ckung von Engpäs‐ sen 

Für  die Aufdeckung  von  Defiziten  innerhalb  der  Supply  Chain  existie‐ ren  seit  geraumer  Zeit  eigene  Softwarelösungen.  Beispielhaft  dafür  steht  „CapriChain“:  Eine  Web‐basierte  Lösung  zur  Überwachung  der  kompletten  Supply  Chain.  Der  Anbieter  suggeriert,  potenzielle  Zielab‐ weichungen innerhalb der Wertschöpfungskette in Echtzeit anzuzeigen.  „CapriChain“ ist eine Automotive‐Lösung von appliLog. 

Beispiel für eine  Softwarelösung 

Wichtige  Hilfsmittel  des  Supply  Chain  Event  Managements  stellen bei‐ spielsweise  Alert  Management,  Workflow  Management  oder  Tracking‐ and‐Tracing‐Systeme  dar.  Diese  Tools  sind  inhaltlich  eng  miteinander  verflochten.  Nachstehend  werden  diese  Begrifflichkeiten  näher  be‐ schrieben. 

Hilfsmittel des  Event Manage‐ ments 

 Alert Management: Ein Alert („Alarm!“) Management dient der mög‐ lichst  frühzeitigen  Erkennung  von  Abweichungen  zwischen  Ist‐  und  Soll‐Abläufen.  Diesbezüglich  sind  Toleranzprofile  einzustellen.  Beim  Verlassen dieser Interventionspunkte „ertönt“ automatisch ein Warn‐ signal.  Beispiele  für Alerts  stellen  Budgetüberschreitungen  oder  Ver‐ tragskündigungen  von  Kunden  dar.  Insbesondere  Monitoring‐ Systeme  bieten  sich  für  ein Alert  Management  an.  Darunter  ist  eine  visuelle  Überwachung  von  Aktivitäten  innerhalb  von  Wertschöp‐ fungsketten zu verstehen. Dem Nutzer stehen, je nach IT‐System, un‐ terschiedliche grafische Oberflächen zur Verfügung. 

 Workflow Management: Unter dem Begriff „Workflow Management“  ist die elektronische Überwachung von Arbeitsabläufen zu verstehen.  Diesbezüglich  nimmt  ein  „Computer  Supported  Cooperative  Work  (CSCW)“ eine bedeutsame Position ein. Darunter ist die strukturierte  und  arbeitsteilige  Zusammenarbeit  einzelner  User  zu  verstehen  (auf  Basis von „Groupware“). Die jeweiligen Aktivitäten stehen im Work‐

93

Alarmsignale über  Dashboards dar‐ stellen  

Optimierung von  Arbeitsabläufen 

A

Grundlagen

flow  Management  in  Abhängigkeit  zueinander.  Eine  Folgeaktivität  wird  direkt  durch  den  Ausgang  der  vorherigen  Tätigkeit  gesteuert.  Treten  Abweichungen  auf,  ist  der  Informationsfluss  automatisch  un‐ terbrochen. 

 Tracking  and  Tracing:  Mit  diesem  Begriff  werden  Systeme  zur  Sen‐

Systeme zur Sen‐ dungsverfolgung 

dungsverfolgung  umschrieben.  Insbesondere  die  Identifikationstech‐ nik RFID nimmt im Event Management eine exponierte Rolle ein (vgl.  die Ausführungen ab S. 364). 

A.10.2.11

Kritische Würdigung

Die goldene Seite  der Medaille 

Der  Charme  dieses  Modells  liegt  in  seiner  stringenten  Fortführung  der  Lieferkettensystematisierung nach SCOR. Aus den spezifischen Attribu‐ ten an eine SCM‐Software leiten Hellingrath et al. konkrete Vorschläge ab,  die  in  letzter  Konsequenz  zur  Durchlaufzeitenbeschleunigung,  Lie‐ fertreueerhöhung  oder  Bestandsreduzierung  führen  können.  Konkrete  Software‐Lösungen  für  das  Supply  Chain  Management  lassen  sich  aus  dem „Marktspiegel SCM“ ableiten (vgl. Busch et al. 2003;  Laakmann et al.  2003).  Darin  finden  sich  neutrale  (herstellerunabhängige)  Bewertungen  von  Software‐Lösungen  des  Supply  Chain  Managements.  Die  Untersu‐ chung  von  Laakmann  et  al.  berücksichtigt  23  alternative  Software‐ Anbieter (vgl. Laakmann et al. 2003). Busch et al. testeten die Eignung 14  verschiedener  Software‐Lösungen  für  das  Supply  Chain  Management  (vgl. Busch et al. 2003, S. 72ff.). 

„I still haven’t  found what I’m  looking for…”      (U 2) 

So  interessant  die  Ergebnisse  dieser  beiden  Marktstudien  zur  SCM‐ Software  auch  sind.  Letztendlich  vermitteln  sie  nur  einen  ersten  (gro‐ ben) Überblick von Anforderungen, die an eine Supply‐Chain‐Software  gestellt  wird.  Interessierte  Betrachter  kommen  nicht  umhin,  ein  „Customizing“ dieser generischen Ausführungen hinsichtlich ihrer spe‐ zifischen  Organisation  vorzunehmen.  Ferner  werden  die  Branchen‐ schwergewichte Oracle und SAP (welche umfassende Software‐Tools im  Supply Chain Management anbieten) direkt mit kleineren Nischenanbie‐ tern (DynaSys, Axxom oder Icon‐SCM) verglichen. Es sei die Frage gestat‐ tet, inwieweit eine solch heterogene Bewertung von Software‐Lösungen  haltbar ist.       

94

Verständnisfragen

A.11 Verständnisfragen  Was verstehen Sie unter einem Supply Chain Management?   Kennzeichnen Sie die historische Entwicklung des Supply Chain Ma‐ nagements. Nennen Sie die Protagonisten des Konzepts. 



Grenzen  Sie  das  Supply  Chain  Management  von  benachbarten  tradi‐ tionellen Ansätzen ab. 

 Klären  Sie  die  Begriffe  Demand  Chain  Management  und  Customer  Relationship  Management.  Worin  bestehen  die  Unterschiede  zum  Supply Chain Management? 

 Definieren Sie die Ansätze Supplier Relationship Management, Bezie‐ hungsmanagement sowie Supply Chain Relationship Management. 

 Kennzeichen Sie Typologien zur Klärung des Begriffs „Supply Chain  Management“. 

 Nennen  Sie  mögliche  Ursachen  für  den  Bullwhip‐Effekt.  Welche  Lö‐ sungen bieten sich zu dessen Minderung an? 

 Beschreiben Sie die Inhalte der internen und der netzwerkgetriebenen  Supply Chain. 



Kennzeichnen  Sie  drei  Zielkonflikte  innerhalb  moderner  Supply  Chains.  Führen  Sie  Möglichkeiten  zur  Linderung  dieser  potenziellen  Dyssynergien auf. 

 Charakterisieren Sie das Order‐to‐Payment‐S.   Geben  Sie  für  das  Order‐to‐Payment‐S  ein  Beispiel  aus  der  Konsum‐ güterindustrie an. 

 Nennen Sie die entscheidenden Faktoren des Wettbewerbs. Inwiefern  stehen  diese  Schlüsselgrößen  in  einem  Konkurrenzverhältnis  zuei‐ nander? 

 Was ist ein Trade‐off‐Effekt? Leiten Sie ein Beispiel für eine Trade‐off‐ Situation in Supply Chains ab. 

 Klären  Sie  den  Begriff  „Netzwerkkompetenz“.  Systematisieren  Sie  Ausprägungsformen logistischer Netzwerke. 

 Kennzeichnen  Sie  die  Netzebenen  von  Erklärungsansätzen  um  die  Netzwerkkompetenz. 

 Total Cost of Ownership: Klären Sie den Begriff. Nennen Sie mögliche  logistische Einflussfaktoren für ein Global Sourcing. Was versteht man  unter Total Benefit of Ownership? 

 Definieren Sie den Begriff „Maverick‐Buying“. Welche Gefahren mes‐ sen Sie einem Maverick‐Buying bei? 

95

A.11

A

Grundlagen

 Charakterisieren  Sie  die  Arbeitsschritte  zur  Implementierung  von  Purchase‐Card‐Systemen. Welche Vorteile und welche Gefahren sehen  Sie in der Nutzung von Einkaufskarten? 

 Typisieren Sie mögliche Supply Chain Strategien. Beschreiben Sie die‐ se Ansätze  kurz  und  benennen  Sie  stichpunktartig  mögliche  Vorteile  und Nachteile dieser Strategien. 

 Beschreiben Sie verschiedene Netzwerktypen. Geben Sie pro Ausprä‐ gungsform zwei Beispiele an. 

 Klären Sie den Begriff „Relational View“. Entwerfen Sie eine Tabelle,  in der Sie Vorteile und Nachteile des Konzepts in übersichtlicher Form  auflisten. 

 Leiten  Sie  einen  beispielhaften  Materialfluss  unter  Berücksichtigung  von Flussmatrix und Sankey‐Diagramm ab.  

 Beschreiben Sie die Grundgedanken und den Nutzen von SCOR.   Nennen  Sie  die  Leistungsmerkmale  und  die  Hauptkennzahlen  von  SCOR. 

 Entwerfen  Sie  eine  Tabelle,  in  der  Sie  die  Vorteile  und  die  Nachteile  von SCOR in übersichtlicher Art gegenüberstellen. 

 Diskutieren  Sie  den  Cash‐to‐Cash‐Cycle  aus  Lieferanten‐  und  aus  Kundensicht. 

 Interpretieren Sie die Höhe des Cash‐to‐Cash‐Cycle: Was bedeutet ein  negativer Cash‐to‐Cycle? 

 Kennzeichen Sie die Stufen des Aufgabenmodells für SCM‐Software.   Klären  Sie  die  Begriffe  “Supply  Chain  Design”,  “Supply  Chain  Plan‐ ning” und “Supply Chain Execution”. 

96

Lernziele und Vorgehensweise

B.1

B Einfluss von

Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

B.1

Lernziele und Vorgehensweise

Im Rahmen von Kapitel B wird untersucht, inwieweit ausgewählte Füh‐ rungskonzepte  die  Ausgestaltung  eines  Supply  Chain  Managements  beeinflussen. Als  Kriterien zur  Selektion  dienen  die Aktualität, die  Pra‐ xisbezogenheit  und  die  theoretische  Relevanz  der  Ansätze.  Die  ausge‐ wählten Konzepte sind: 

Lernziele von  Kapitel B 

 Markt‐ und Ressourcenfokussierung,   Total Quality Management,   Business Reengineering und   Time Based Competition.  Die  Lernziele  dieses  Abschnitts  bestehen  darin,  eine  Beschreibung  der  vier  Führungskonzepte  in  ihren  Grundzügen  vorzunehmen,  die  Not‐ wendigkeit  zur  Integration  des  Supply  Chain  Managements  innerhalb  der Ansätze aufzuzeigen sowie zu kennzeichnen, inwiefern die Konzep‐ te eine Ausgestaltung der Wertschöpfungskette beeinflussen. 

Nutzen der Inhalte 

Die  Vorgehensweise  in  diesem  Zusammenhang  ist,  dass  zunächst  die  Markt‐  und  die  Ressourcenfokussierung  (erst  isoliert  und  später  inte‐ griert)  gekennzeichnet  werden. Anschließend  findet  eine  Charakterisie‐ rung des Total Quality Managements statt. Das Pendant eines Total Qua‐ lity  Managements  stellt der  Radikalansatz  des  Business  Reengineerings  dar.  Schließlich  wird  der  Wettbewerbsfaktor  Zeit  bei  der  Beschreibung  von  Time  Based  Competition  besonders  berücksichtigt.  Viele  Beispiele  aus  der  Unternehmenspraxis  unterstreichen  die  Ausführungen.  Zum  Abschluss von Kapitel B werden einige Verständnisfragen gestellt. 

Weiteres Vorgehen  dieses Kapitels 

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_2

97

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

B.2 Marktbezug und  Ressourcenorien‐ tierung 

Markt- und Ressourcenfokussierung

Zwei  grundlegende  Möglichkeiten  zur Ausgestaltung  des  strategischen  Managements stellen die Markt‐ und die Ressourcenfokussierung dar.  Zunächst sind im Folgenden beide Konzepte isoliert zu charakterisieren.  Außerdem  wird  ihre  Verzahnung  mit  Hilfe  eines  speziellen  Portfolios  vorgenommen. Es wird zu zeigen sein, dass beide Ansätze sehr wohl in  Kombination  betrachtet  werden  können.  Schließlich  ist  die  spezielle  Bedeutung der Markt‐ und der Ressourcenfokussierung für das Supply  Chain Management aufzuzeigen. 

B.2.1

Charakterisierung

B.2.1.1

Isolierte Marktfokussierung

Outside‐in‐ Perspektive 

Das  marktfokussierte  Konzept  der  strategischen  Führung  hat  seine  Wurzeln Mitte der 80er Jahre. Die Arbeiten gehen auf die Harvard School  zurück und beschäftigen sich mit der Erzielung strategischer Vorteile im  Wettbewerb  (Structure‐Conduct‐Performance‐Paradigma).  Michael  E.  Porter  (vgl.  Porter  2006;  Porter  2013;  Porter  2014)  ist  der  prägende  Wegbereiter  zur Ausformulierung  des  Market‐Based‐View.  Darunter  ist  eine  Outsi‐ de‐in‐Perspektive  zu  verstehen,  welche  auf  dem  Gedanken  der  Wert‐ schöpfungskette beruht. 

Wettbewerbsan‐ triebe 

Zu  den  wesentlichen  Determinanten  des  Marktes  zählen  nach  Porter  Kunden,  Konkurrenten  und  Lieferanten.  Die  Erfolgsposition  einer  Or‐ ganisation  wird  durch  unterschiedliche  Triebkräfte  des  Wettbewerbs  („Forces of Competition“) beeinflusst. In diesem Zusammenhang identi‐ fiziert Porter fünf maßgebliche Antriebe, die nachstehend wiedergegeben  sind: 

 Eine Bedrohung durch neue Konkurrenten.   Das Verhandlungspotenzial von Lieferanten.   Die Verhandlungsmacht der Kunden.   Eine Bedrohung durch Ersatzprodukte.   Die Rivalität unter den bestehenden Organisationen. 

98

Markt- und Ressourcenfokussierung

Die erste Triebkraft des Market‐Based‐View stellt die Bedrohung durch  neue  Konkurrenten  dar  („Threat  of  new  Entrants“).  Wenn  neue  Wett‐ bewerber einen Markt betreten, leidet darunter häufig dessen Attraktivi‐ tät. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt neuer Konkurrenten in einen  Markt hängt primär von seiner Profitabilität und seinen Wachstumsaus‐ sichten ab. Etablierte Unternehmen schützen sich daher durch den Auf‐ bau von Marktzutrittsbarrieren: 

B.2 Neue Konkurren‐ ten betreten den  Markt 

 Economies  of  Scale:  Kostenvorteile  auf  Grund  kumulierter  Produkti‐ onsmengen. 

 Benefits of Scale auf der Nachfrageseite: Wenn beispielsweise etablier‐ te  Akteure  ihren  Kunden  einen  langjährigen,  individuellen  Service  anbieten. 

 Wechselkosten  auf  der  Kundenseite:  Diese  fallen  für  Transaktionen,  Training oder Umbau an. 

 Kapitalerfordernisse: Reduktion durch Leasing von Vermögensgegen‐ ständen. 

 Etablierte Vertriebskanäle und Vertriebssysteme: Zum Beispiel Filiali‐ sierung im Lebensmitteleinzelhandel. 

 Sonstige  Faktoren:  Patentschutz,  Zugang  zu  knappen  Ressourcen,  Spezialkenntnisse. 

Wenn  die  Verhandlungsmacht  von  Lieferanten  zunimmt  („Bargaining  Power of Suppliers“) sinkt in der Regel die Branchenattraktivität. Starke  Lieferanten  tendieren  zu  Preiserhöhungen,  Qualitäts‐  und  Servicebe‐ grenzungen oder einer Kostenverlagerung auf den Verursacher. Sie ent‐ stehen  durch  eine  begrenzte  Anbieteranzahl,  schlecht  austauschbare  Produkte  und  hohe  Wechselkosten  („Switching  Costs“).  Besonders  pre‐ kär  ist  eine  „Sandwich‐Position“  für  die  Hersteller:  Wenn  sie  zwischen  einem  starken  Kunden  und  einem  starken  Lieferanten  quasi  einge‐ klemmt  sind.  Zur  Bemessung  dieses  Abhängigkeitsverhältnisses  bietet  sich  beispielsweise  die  Kennzahl  „Umsatzanteil  der  größten  drei  Liefe‐ ranten“ an. 

„Willst Du den  Charakter eines  Menschen erken‐ nen, so gib ihm  Macht.“                (A. Lincoln) 

Eine weitere Triebkraft des Wettbewerbs ist die Verhandlungsmacht der  Kunden  („Bargaining  Power  of  Buyers“).  Nimmt  deren  Verhandlungs‐ spielraum zu, lindert diese Entwicklung die Anziehungskraft des Mark‐ tes:  Dominate  Kunden  spielen  ihre  Lieferanten  gegenseitig  aus  und  zwingen  sie  zu  Preiszugeständnissen.  Vielfach  treffen  wenige  Kunden  auf  vergleichsweise  viele  Lieferanten,  wodurch  die  Substituierbarkeit 

„And they blame  you with the power  of persuasion…“  (ABC) 

99

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

von  Produkten  leichter  fällt.  Für  die  Lieferanten  bestehen  hingegen  ge‐ ringe Ausweichmöglichkeiten („Barriers‐to‐Excit“).  Erfolgsverspre‐ chende Substitute 

Tritt  eine  Bedrohung  durch  Ersatzprodukte  ein  („Threat  of  Substitute  Products  and  Services“),  mindert  diese  Erscheinung  die  Strahlkraft  des  Marktes.  Je  besser  das  Preis‐Leistungs‐Verhältnis  des  Substitutes  aus‐ fällt,  desto  schwerer  wiegt  eine  derartige  Bedrohung.  Beispiele  dafür  liefern  Mobiltelefon  versus  Festanschluss,  Online‐Bestellung  versus  stationärer  Handel,  Digitalfotographie  versus  chemiebasierter  Fotogra‐ fie, Flat TV versus Röhrenfernseher oder Generika versus medizinischer  Markenartikel. 

„Wo zwei zusam‐ men stoßen, siegt  immer der Beson‐ nene.“             (Laotse) 

Schließlich  wird  die  Attraktivität  eines  Marktes  darunter  leiden,  wenn  zwischen den bestehenden Akteuren ausgeprägte Rivalitäten vorliegen  („Rivalry Among  Existing  Suppliers“).  Es  finden  erbitterte  Kämpfe  um  Marktanteile und die Abschöpfung von Renten statt. Das Ergebnis sind  extreme  Preiskämpfe  (niedrige  Gewinnmargen)  und  die  Forcierung  teurer  Innovationsprozesse.  Besonders  ausgeprägt  ist  die  Rivalität  in  einem reifen Wettbewerbsumfeld:, wenn der Kampf vorrangig über den  Preis ausgetragen wird (Stahlproduktion, Stationärer Handel).   Aus  diesen  Triebkräften  leitet  Porter  drei  generische  Wettbewerbsstra‐ tegien  ab.  Generisch  bedeutet,  dass  die  Strategien  für  die  meisten  Un‐ ternehmen gelten („Normstrategien“). 

Kostenvorsprung  gegenüber der  Konkurrenz 

 Kostenführerschaft: Ein Akteur erlangt die Kostenführerschaft, wenn 

Singularität durch  besondere Attribute 

 Differenzierung:  Für  die  Differenzierungsstrategie  wählt  ein  Unter‐

Konzentration auf  Marktnischen 

 Konzentration:  Während  sich  die  Strategien  der  Kostenführerschaft 

er  sich  einen  Kostenvorsprung  gegenüber  seiner  Konkurrenz  sichert.  Dieser  kann  aus  Standortvorteilen  (zum  Beispiel  einem  günstigen  Ressourcenzugang),  Economies  of  Scale  oder  Erfahrungseffekten  re‐ sultieren.  Für  die  Strategie  der  Kostenführerschaft  eignen  sich  Mas‐ senfertigung (Prozesstyp) oder Fließfertigung (Organisationstyp).  nehmen  ein  Leistungsangebot,  das  sich  durch  eine  Singularität  aus‐ zeichnet. Das Produkt weist einzigartige Attribute auf. Beispiele dafür  sind die Sportlichkeit von Porsche, die Exklusivität von Rolex und die  seltene Verfügbarkeit von Afri‐Cola. Der Kunde honoriert das Produkt  mit einer Zusatzprämie. Als Fertigungsverfahren dienen die Einzelfer‐ tigung,  die  Serienfertigung  (Prozesstyp)  oder  die  Werkstattfertigung  (Organisationstyp).  und  der  Differenzierung  auf  die  gesamte  Branche  beziehen,  ist  das  Zielsegment  der  Konzentration  eine  geografische  Region,  eine  Käu‐ fergruppe  oder  ein Ausschnitt  aus  dem  Sortiment.  Oftmals  wird  der 

100

Markt- und Ressourcenfokussierung

B.2

Konzentrierer  ein  Nischenbearbeiter  sein.  Auch  innerhalb  dieses  Teilsegments ist eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich der zu wäh‐ lenden  Wettbewerbsstrategie  zu  treffen.  Dadurch  kann  eine  nachhal‐ tig  verteidigungsfähige  Position  eingenommen  werden.  Somit  legt  sich  eine  Organisation  in  dem  Teilsegment  wiederum  auf  eine  der  beiden  Strategien  von  Kostenführerschaft  oder  Differenzierung  fest.  Ein  Beispiel  für  die  Konzentrationsstrategie  innerhalb  der  Kraftfahr‐ zeugbranche sind die Kleinstwagen der ATW Autotechnik. Diese „Mo‐ ped‐Autos“  dürfen  mit  dem  Führerschein  der  Klasse  fünf  gefahren  werden. Sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit zwischen 25 km/h  und 50 km/h. 

Nach  Porter  muss  sich  eine  Organisation  für  eine  der  beschriebenen  strategischen  Ausrichtungen  entscheiden.  Er  empfiehlt,  eine  Position  „zwischen  den  Stühlen“  –  bezogen  auf  die  beiden  Extremfälle  Kosten‐ führerschaft  und  Differenzierung  –  zu  vermeiden.  Die  Simultaneitäts‐ hypothese  (vgl.  die  hybriden  Wettbewerbsstrategien  auf  S.  164)  hinge‐ gen  geht  davon  aus,  dass  zumindest  temporär  ein  kombinierter  Strate‐ gieeinsatz  möglich  ist.  Danach  kann  sich  ein  Unternehmen  sukzessive  vom Differenzierer zum Kostenführer wandeln. Ein umgekehrter Wech‐ sel ist ebenso möglich. Ein Beispiel für ersten Fall sind Funkuhren. Diese  wurden bei ihrer Markteinführung zu einem hohen Preis angeboten und  zielten auf das Attribut der Exklusivität. Mittlerweile sind einige Model‐ le  schon  für  fünf  Euro  auf  dem  „Wühltisch“  zu  erwerben.  Die  Herstel‐ lung von Funkuhren erfolgt heutzutage in Masse. 

B.2.1.2

„Here I am, stuck  in the middle with  you…”           (Louise) 

Isolierte Ressourcenfokussierung

Anfang der 90er Jahre entwickelte die Chicago School eine krasse Gegen‐ position  zur  Marktfokussierung,  den  Resource‐Based‐View  (Resource‐ Conduct‐Performance‐Paradigma). Sein prägendes Merkmal ist die Inside‐ out‐Perspektive.  Institutionen  können  über  besondere  Fähigkeiten  (Er‐ folgspotenziale)  auf  bestimmten  Gebieten  verfügen.  Diese  werden  als  Kernkompetenzen bezeichnet. Sie lassen sich einteilen in: 

 Tangible Kompetenzen (Anlagen, Maschinen, Gebäude).   Intangible Kompetenzen (Know‐how, Reputation).   Finanzielle Kompetenzen (Finanzierungsformen).   Organisatorische Kompetenzen (Informations‐ und Kommunikations‐ systeme, Personalführungssysteme). 

101

Inside‐out‐ Perspektive 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Von der Fähigkeit  zur Kernkompetenz 

Der  Weg  zur  Kernkompetenz  ist  weit:  Grundvoraussetzung  ihres  Ent‐ stehens  sind  Individuelle  Fähigkeiten  (sämtliche  auf  eine  Person  bezo‐ genen Leistungspotenziale). Aus diesen Individuellen Fähigkeiten leiten  sich Kollektive Fähigkeiten ab, die sich in Faktoren wie Verständnis und  Geschicklichkeit  innerhalb  einer  Gruppe  (Organisation)  zeigen.  Eine  Individuelle Kompetenz ergibt sich in der nachgewiesenen Möglichkeit  eines  Einzelnen,  eine  bestimmte  Aufgabe  bewältigen  zu  können.  Die  Kollektive  Kompetenz  beschreibt,  wenn  diese  Anforderungen  in  einer  Gruppe erbracht werden. Ressourcen hingegen sind lediglich materielle  und immaterielle Hilfsmittel zur Aufgabenlösung. Eine Kernkompetenz  besteht langfristig, sie ist zu verteidigen, zu erkennen und zu transferie‐ ren. Aus ihr ergeben sich spezielle Wettbewerbsvorteile für eine Organi‐ sation,  die  auf  Ressourcen  und  besonderen  (Individuellen  und  Kol‐ lektiven) Fähigkeiten beruhen. 

“Kompetenz zeigt  sich in Einfach‐ heit.”                    (G. W. Exler) 

Zu  den  Protagonisten  der  Ressourcenfokussierung  zählen  Prahalad  und  Hamel  (vgl.  Prahalad/Hamel  1990;  Prahalad/Ramaswamy  2004).  Beispiels‐ weise verfügt Sony über die Kernkompetenz der Miniaturisierung, wel‐ che  in  Produkte  wie  Walkman,  CD‐Spieler,  Notebook  und  Mini‐Disc  eingeht.  Honda  setzt  seine  speziellen  Fähigkeiten  bei  der  Entwicklung  und  Fertigung  von  Kleinmotoren  ein  (Rasenmäher,  Motorräder  und  Autos). Tupperware besitzt besondere Fähigkeiten im Vertrieb von Haus‐ haltsartikeln.  Wichtige  Voraussetzungen  des  Konzepts  sind  (vgl.  obige  Definition): 

 Begrenzte  Imitierbarkeit  und  Substituierbarkeit  von  Kernkompeten‐ zen. 

 Verteidigungsfähigkeit  und  Stabilität  dieser  besonderen  Fähigkeiten  auf bestimmten Gebieten. 

 Gezielte  Transformation  von  Kernkompetenzen  in  künftig  anvisierte  Geschäftsfelder. 

 Wahrnehmung der besonderen Fähigkeiten durch den Kunden.  Netzkompetenz im  Relational‐View 

Der  Resource‐Based‐View  wurde  mittlerweile  zum  „Relational‐View“  weiter  entwickelt  (vgl.  Dyer/Singh  1998).  Während  der  Resource‐Based‐ View die Einzigartigkeit und die Abgrenzungsmöglichkeit individueller  Stärken  akzentuiert,  legt  der  Relational‐View  seinen  Schwerpunkt  auf  eine Individuelle oder eine Kollektive Netzkompetenz. Die Individuelle  Netzkompetenz ergibt sich durch Zeit‐ und Kostenvorteile, welche sich  durch  Absorption  vorhandenen  Wissens  von  Partnern  innerhalb  einer 

102

B.2

Markt- und Ressourcenfokussierung

Supply Chain einstellen: Ressourcen‐Interdependenzen durch die Kom‐ bination von Eigen‐ und Fremdmitteln in einer Lieferkette.  Eine  Kollektive  Netzkompetenz  hingegen  ergibt  sich  entweder  durch  eine  Co‐Spezialisierung  oder  durch  eine  Kooperationskompetenz.  Co‐ Spezialisierung  bedeutet  die  Konzentration  einer  Organisation  auf  die  eigenen  Stärken,  verbunden  mit  der Auslagerung  restlicher Aktivitäten  an  sonstige  Akteure  eines  Netzwerks  (Virtuelles  Unternehmen).  Eine  Kooperationskompetenz  zeigt  sich  durch  den  zielgerichteten  Austausch  und die aktive Kombination von Wissen innerhalb einer Kompetenzge‐ meinschaft (Strategische Supply Chain Allianz). 

B.2.1.3

Kollektive Supply  Chain Kompetenz 

Integrierte Markt- und Ressourcenfokussierung

Aus  den  Nachteilen  einer  isolierten  Anwendung  von  Market‐Based‐ View  und  Resource‐Based‐View  erwächst  die  Notwendigkeit  zur  In‐ tegration  beider  Sichtweisen.  Einer  alleinigen  Berücksichtigung  des  marktfokussierten  Konzepts  ist  die  Gefahr  immanent,  dass  ein  Unter‐ nehmen  den Wünschen  der  Kunden  permanent  „hinterher  hechelt“.  Es  verstreicht einige Zeit, bis die Organisation ihre mühsam identifizierten  Kundenanforderungen  umsetzt  („Time  Gap“).  Innerhalb  dieser  Zeit‐ spanne  können  sich  die  Wünsche  der  Konsumenten,  insbesondere  in  dynamischen Märkten (z. B. Fashion), jedoch schon wieder ändern. Au‐ ßerdem  büßt  der  Hersteller  Innovationspotenziale  ein.  Dem  Resource‐ Based‐View haftet bei ausschließlicher Betrachtung das Problem an, dass  unter  Umständen  Leistungen  hervorgebracht  werden,  die  zwar  tech‐ nisch  ausgereift  sind.  Dennoch  lehnt  sie  der  Kunde,  auf  Grund  ihres  hohen Preises oder der geringen Bedienfreundlichkeit, ab. 

Kombination von  Innensicht und  Außensicht 

Die  Möglichkeit  zur  Kombination  von  Markt‐  und  Ressourcenorientie‐ rung  wird  durch  GEKKO  beschrieben.  Hinter  diesem  Kürzel  verbirgt  sich  das  Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio  (vgl.  Werner  1996,  S.  25).  Abbildung  B.1  visualisiert  diesen  Zusammenhang.  Eine  externe  Umweltdimension  (Erfolgsposition)  wird  mit  der  internen  Unternehmensdimension  (Erfolgspotenzial)  verzahnt.  Die  Geschäfts‐ feldattraktivität beruht auf den fünf Triebkräften des Wettbewerbs nach  Porter. Im Portfolio wird die Frage gestellt, ob sie „hoch“ oder „niedrig“  ausgeprägt  ist.  Bei  der  Dimension  der  Kernkompetenzen  ist  der  Frage  nachzugehen, ob diese grundsätzlich vorhanden sind („ja“ oder „nein“).  Dadurch  ergeben  sich  in  der  Matrix  vier  unterschiedliche  Felder.  Diese  sind plakativ mit strategischen Empfehlungen besetzt. 

Erfolgsposition und  Erfolgspotenzial 

103

 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

„Should I stay or  should I go, if I go  there will be trou‐ ble, and if I stay  there will be dou‐ ble…“                 (the Clash) 

 Move  or  Quit:  Ist  die  Geschäftsfeldattraktivität  niedrig  ausgeprägt 

Erfolgspositionen  einnehmen 

 Search for new Markets: Eine Organisation verfügt über Kernkompe‐

Erfolgspotenziale  fördern 

 Build up Competencies: Dieses Feld in der Matrix beschreibt eine Si‐

und besitzt ein Unternehmen keine Kernkompetenzen, bedeutet dies:  „Move  or  Quit“.  Die  Organisation  muss  entweder  ihre  Position  im  Wettbewerb  verbessern  (zum  Beispiel  durch  eine  intensivierte  Zu‐ sammenarbeit  mit  Zulieferern)  oder  Kernkompetenzen  erwerben  (Move). Gelingt dies nicht, verlässt sie den Markt (Quit). Etliche tradi‐ tionelle  Versandhändler,  die  es  versäumten,  sich  rechtzeitig  zu  „be‐ wegen“  (das  Geschäftsmodell  zum  Beispiel  um  den  Online‐Versand  zu  erweitern),  sind  mittlerweile  von  der  Bildfläche  komplett  ver‐ schwunden.  tenzen, setzt diese aber auf einem Markt mit geringer Attraktivität ein.  Ein Beispiel für die Suche nach neuen Märkten ist Sony. Basierend auf  ihrer  Kompetenz  der  Miniaturisierung,  vereinte  das  Unternehmen  seinerzeit  zwei  reife  Geschäftsfelder  mit  geringer  Attraktivität:  Der  Kassettenrecorder  und  der  Kopfhörer  wurden  zum  Walkman  inte‐ griert,  der  den  Markt  quasi  im  Fluge  eroberte.  Ein  weiteres  Beispiel  stellt  McDonald‘s  dar.  Das  Unternehmen  wurde  auf  der  Suche  nach  neuen Märkten fündig und spricht seit einiger Zeit mit dem „McCafé“  eine  völlig  neue  Zielgruppe  an. Außerdem  haben  die  Hersteller  kos‐ metischer  Produkte  auf  der  Suche  nach  neuen  Absatzmärkten  seit  wenigen Jahren offenkundig das Zielsegment „Männer“ entdeckt. Un‐ ter  dem  Signet  „Men’s  Health“  finden  sich  mittlerweile  eine  Vielzahl  von Produkten unterschiedlicher Hersteller (wie „Nivea for Men“). Ein  weiteres Beispiel für die Suche nach neuen Märkten liefert adidas: Un‐ ter  dem  Label  „Neo“  bietet  das  Unternehmen  Kleidung  und  Schuhe  an,  die  speziell  auf  junge  Käufer  zugeschnitten  sind.  Auch  die  Bier‐ brauer  unterzogen  sich  einem  gewissen  Wandel.  Sie  haben  Bier‐Mix‐ Getränke  in  ihr  Sortiment  aufgenommen.  Dies  mit  ordentlichem  Er‐ folg,  jedenfalls  finden  sich  mittlerweile  etliche  Bier‐Misch‐Getränke  am  Markt  (Schöfferhofer  mit  „Grapefruit“,  Flensburger  mit  „Lemon‐ grass“, Becks mit „Twisted Orange“).   tuation,  in  der  sich  ein  Unternehmen  bereits  auf  einem  lukrativen  Markt befindet, aber keine Kernkompetenzen besitzt. Beispielhaft da‐ für steht das Unternehmen Continental Automotive Systems. In den spä‐ ten  1970er  Jahren  kündigte  Bosch  das  ABS  (Antiblockiersystem)  an.  Continental‐Teves  erkannte  dessen  Zukunftschancen  und  setzte  alle  Hebel  in  Bewegung,  um  sich  ebenfalls die neue  Technik  anzueignen.  Nach circa zwei Jahren wurde das Unternehmen für seine Bemühun‐ gen  belohnt.  Eine  Reihe  von  Konkurrenten,  welche  die  Zeichen  der  Zeit nicht erkannten und weiter auf hydraulische Bremssysteme setz‐

 

104

Markt- und Ressourcenfokussierung

B.2

ten,  mussten  Konkurs  anmelden.  Ebenso  fällt  das  Prinzip  „Books  on  Demand“  in  dieses  Feld  der  Matrix.  Beispielsweise  erwarb  die  Books  on  Demand  GmbH  aus  Norderstedt  die  relevante  Kompetenz,  um  auf  diese  Weise  nicht  länger  Bücher  auf  Verdacht  zu  drucken  (die  viel‐ leicht im Regal verstauben). Der Buchdruck wird vielmehr erst bei ei‐ ner konkreten Nachfrage angestoßen. Auch für junge Autoren ist die‐ ses  Prinzip  interessant,  um  den  Druckkostenzuschuss  zu  begrenzen.  Ebenso  ist  im  Automobilbereich  die  Brennstoffzelle  ein  hart  um‐ kämpftes Terrain. Die Konkurrenten wetteifern derzeit mit aller Macht  darum,  in  diesem  Bereich  aktuelle  und  künftige  Produzentenrenten  einzustreichen. Ähnlich verhält es sich mit Elektroautos. Die „Green‐ Cars“  haben  sich  am  Markt  in  den  letzten  Jahren  etabliert  und  dem  Verbrennungsmotor deutliche Marktanteile abgejagt. Schließlich hatte  Nokia  offenkundig  den  Übergang  vom  reinen  Mobiltelefon  zum  Smartphone  ein  wenig  verschlafen.  Jedenfalls  versuchte  das  Unter‐ nehmen nachdrücklich mit dem Modell „Lumia“ verlorene Marktan‐ teile  zurückzugewinnen.  Dazu  mussten  sie  sich  zuvor  umfangreiche  Kenntnisse  auf  den  Gebieten  der  Computerfunktionalität  und  der  Konnektivität  aneignen.  Ein  Managementfehler,  den  das  Unterneh‐ men  teuer  bezahlte:  denn  im April  2014  kaufte  Microsoft  die  Handy‐ sparte von Nokia auf. 

 Stay on Top: Wenn ein Hersteller über Kernkompetenzen verfügt und  sich  auf  einem  attraktiven  Markt  befindet,  sollte  er  versuchen,  seine  Stellung im Wettbewerb nachhaltig zu verteidigen. In Palmela, Portu‐ gal,  bauten  bis  zum  Ende  des  Jahres  1998  VW  („Sharan“),  Seat  („Al‐ hambra“) sowie Ford („Galaxy“) gemeinsam unter dem Emblem „Au‐ toeuropa“ den „World Car“. 1995 kamen die Vans auf den Markt. VW  beendete  allerdings  nach  kurzer  Zeit  diese  Liaison  Dangereuses  mit  Ford.  Seit  1999  gehört  das  Werk  vollständig  VW.  Die  Nachfolger  der  weitgehend  identischen  Fahrzeuge  wurden  getrennt  entwickelt.  VW  kaufte sich für mehr als vier Milliarden Euro aus dieser strategischen  Allianz  frei,  um  sich  von  dem  Wettbewerber  nicht  länger  in  seine  Entwicklungstechnik der Dieselmotoren schauen zu lassen: VW wollte  „on  Top“  bleiben.  Auch  andere  Unternehmen  beherrschen  es  schon  seit Jahren, eine Spitzenposition einzunehmen. Dazu zählen Microsoft,  Google, Amazon, Coca Cola, Ikea und Aldi. Sie verstehen es in ihrem je‐ weiligen  Segment,  ihre  Vorreiterrolle  zu  verteidigen.  Auch  wenn  es  natürlich  nicht  immer  leicht  ist,  die  Konkurrenz  auf Abstand  zu  hal‐ ten.     

105

„We are the cham‐ pions, my friends,  and we’ll keep on  fighting ‘til the  end…”        (Queen) 

B Abbildung B.1 

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio (GEKKO)     

Resource‐Based‐View

GEKKO

Erfolgspote nzial

  Kernkompe te nzen vorhande n?

 

     

„Die Idee ist gut,  doch die Welt noch  nicht bereit...“  (Tocotronic) 

Niedrig

Move or Quit

Ja Search for new  Markets

Build up 

Stay on

Competencies

Top

Es  bleibt  festzuhalten,  dass  Market‐Based‐View  und  Resource‐Based‐ View stets gemeinsam zu betrachten sind. Eine Erfolgsposition (Markt‐ fokussierung)  ist  nur  über  Erfolgspotenziale  (Ressourcenfokussierung)  einzunehmen.  Umgekehrt  sind  Erfolgspotenziale  immer  zielgerichtet  einzusetzen. Technische Neuerungen zeichnen sich durch ihre Verwert‐ barkeit am Markt aus. Der Market‐Based‐View und der Resource‐Based‐ View  sind  folglich  nicht  zwei  unterschiedliche  Medaillen.  Es  sind  viel‐ mehr zwei Seiten einer Medaille. Ein Ansatz wird den anderen kurzfris‐ tig vielleicht majorisieren. Mittel‐ bis langfristig sind jedoch beide Kon‐ zepte stets ausgewogen zu berücksichtigen. 

B.2.2 Wertschöpfungs‐ kette als Basis 

Hoch

 

Erfolgsposition

 

Market‐Based‐View

 

Geschäftsfeldattraktivität?

Ne in

 

Auswirkungen auf das Supply Chain Management

Der  Grundgedanke  einer  Integration  von  Komponenten  des  Supply  Chain Managements leitet sich vor allem aus der Wertschöpfungskette  Porters ab. Ein kompletter Prozess wird im Rahmen seiner Optimierung  zerlegt.  Insellösungen  sind  zu  vermeiden,  weil  sie  nur  suboptimale  Er‐ gebnisse erbringen. Dadurch wird der Versuch unternommen, synerge‐

106

B.3

Total Quality Management

tische  Potenziale  auszuschöpfen  und  Trade‐off‐Situationen  zu  verhin‐ dern.  Der  marktbasierte  Ansatz  fördert  die  Zuliefer‐Kunden‐Integration.  So‐ mit findet eine Verbesserung an den Schnittstellen (Interfaces) statt. Vor  allem  die  Disponenten  werden  im  Supply  Chain  Management  die  Zu‐ sammenarbeit  zwischen  den  Partnern  realisieren.  Sie  steuern  ihren  Da‐ tenaustausch  über  die Abrufe.  Es  wird  das  Ziel  verfolgt,  die  Reibungs‐ verluste  innerhalb  der  Wertschöpfungsketten  zu  senken.  Beispielsweise  stimmt sich die Supply Chain „Lieferant‐Hersteller‐Kunde“ hinsichtlich  der einzusetzenden IT‐Systeme ab. In diesem Zusammenhang etablieren  sich IT‐gestützte Standardlösungen auf Basis von SCOR. 

Zusammenarbeit  mit Lieferanten  und Kunden 

Ein  Unternehmen  kann  im  Supply  Chain  Management  seine  eigenen  Fähigkeiten,  kombiniert  mit  den  Kompetenzen  seiner  Partner,  nutzen.  Der markt‐ und der ressourcenfokussierte Ansatz verschmelzen. Diesen  Sachverhalt  unterstreicht  ein  kurzes  Beispiel:  Ein  externer  Logistik‐ dienstleister  (3PL)  verfügt  über  Know‐how  auf  dem  Gebiet  der  Waren‐ eingangsabwicklungen.  In  der  Wareneingangskontrolle  und  bei  der  Verteilung  von  Materialien  an  ihre  Lagerorte  nutzt  er  RFID.  Dadurch  reduzieren sich die Fehler im Wareneingang. Verglichen mit manuellen  Abläufen,  wird  Personal  eingespart.  Ein  Versandhändler  erkennt  die  Kompetenz des Dienstleisters. Er überträgt jenem die Verantwortung für  die  Wareneingangskontrolle.  Versandhändler  verfügen  häufig  selbst  über besondere Fähigkeiten hinsichtlich der Kommissionierung, weil sie  sich mit der Bereitstellung von Artikeln schon seit vielen Jahren beschäf‐ tigen. Indem der Versandhändler seine Wareneingangskontrolle an den  3PL auslagert, wird der komplette Materialfluss, vom Wareneingang bis  zur Kommissionierung, optimiert. 

Beispiel im Waren‐ eingang 

B.3

Total Quality Management

B.3.1

Charakterisierung

In  ein  Total  Quality  Management  (TQM,  vgl.  Hummel/Malorny  2011;  Oakland 2020; Oess 2013;  Rothlauf 2014; Zink 2004) sind sämtliche Funk‐ tionsbereiche  und  Mitarbeiter  einer  Organisation  einbezogen  („Com‐ pany‐Wide‐Quality‐Control“).  Die  ersten  Überlegungen  zu  TQM  gehen 

107

 

TQM: „Das also  war des Pudels  Kern.“                   (J. W. v. Goethe) 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

auf William Edwards Deming zurück, einen amerikanischen Physiker und  Statistiker. Bekannt wurde das Konzept jedoch erst durch seine Weiter‐ entwicklung  in  Asien.  Insbesondere  in  der  japanischen  Automobilin‐ dustrie  wurden  gute  Ergebnisse  in  den  frühen  80er  Jahren  mit  TQM  erzielt. Als in den späten 80er Jahren Unternehmen wie Bosch oder Phi‐ lips  die  European  Foundation  for  Quality  Management  (EFQM)  gründeten,  etablierte sich TQM auch in Europa.  Verbesserung der  Prozesseffektivität  als Hauptziel 

Total  Quality  Management  stellt  den  Kunden  in  den  Mittelpunkt,  um  die  Prozesseffektivität  zu  steigern.  Qualität  ist  erreicht,  wenn  die  Un‐ ternehmensprozesse dazu geeignet sind, spezifische Anforderungen von  Kunden exzellent zu erfüllen (anwendungsorientierter Qualitätsbegriff).  Damit  sind  nicht  nur  die  externen  Kunden  gemeint. Auch  die  internen  Kunden,  die  Mitarbeiter  anderer  Funktionsbereiche,  müssen  mit  der  erbrachten  Leistung  zufrieden  sein.  Qualität  manifestiert  sich  demnach  zur  dauerhaften  Unternehmensphilosophie.  Dadurch  wird  das  „Over‐ the‐Wall‐Syndrom“ (vgl. S. 119 der vorliegenden Schrift) vermieden. Im  Fokus des Total Quality Managements steht die Steigerung der Kunden‐ zufriedenheit, wobei das Konzept folgende Inhalte kennt: 

 Manifestierung klarer Prinzipien und Bewertungskriterien (Operatio‐ nalisierung)  zur  Steigerung  der  Qualität  von  Produkten,  Prozessen  und Dienstleistungen.  

 Festlegung eindeutiger Ziele zur Einleitung eines ständigen Verbesse‐ rungsprozesses  (fortwährende  Zielerreichungskontrolle).  Qualität  ist  kein Endziel, sondern ein Prozess, der niemals aufhört. 

 Implementierung  eines  Qualitätsmanagement‐Systems,  das  aktives  Handeln voraussetzt: Qualitätsverbesserungen sind keine Selbstläufer. 

 Bestimmung  der  organisatorischen  Zuständigkeiten  mit  grundsätzli‐ chem Einbezug sämtlicher Unternehmensbereiche und möglichst vie‐ ler Mitarbeiter.  Paradigmenwechsel  durch TQM 

Durch  das  Aufkommen  von  Total  Quality  Management  hat  ein  Para‐ digmenwechsel  –  von  einer  traditionellen  Qualitätskontrolle  zum  ech‐ ten  Qualitätsmanagement  –  stattgefunden.  Abbildung  B.2  spiegelt  die‐ ses  Phänomen.  Die  Darstellung  zeigt  gravierende  Unterschiede  in  den  Bereichen Orientierung, Arbeitsfokus, Mitarbeiter, Kontrolle und Kosten  auf.   

108

Total Quality Management

B.3 Abbildung B.2 

Paradigmenwechsel durch TQM  Von traditioneller Qualitätskontrolle…  Orientierung 

Arbeitsfokus 

Mitarbeiter 

Qualität am 

Strategie der 

Separate QM‐

Qualität 

Kosten für 

Produkt 

Fehler‐

Abteilung 

durch End‐

Ausschuss 

ausgerichtet 

vermeidung 

kontrolle 

eingeplant 

Orientierung 

Arbeitsfokus 

Kontrolle 

Kosten 

Qualität am 

Strategie der 

Integriertes 

Qualität 

Poka‐Yoke‐

Prozess 

Fehler‐

QM‐System 

ständig be‐

Prinzip (Feh‐

ausgerichtet 

verhütung 

gleitend  

lerfreiheit) 

Mitarbeiter 

Kontrolle 

Kosten 

…zum echten Qualitätsmanagement   

Ein  Lean  Management  (vgl.  Bertagnolli  2018;  Gorecki/Pautsch  2018;  Thomsen  2006;  Tündermann  2020;  Womack/Jones  2013;  Womack/Jones/Roos  2007) beschreibt die Ausschöpfung von Optimierungspotenzialen durch  die  Vereinfachung  von  Unternehmensabläufen  und  die  Verschlankung  von  Hierarchien  (Prozesseffizienz).  Mit  der  Erkennung  und  späteren  Eliminierung nicht wertschöpfender Aktivitäten werden Produktivitäts‐ steigerungen  anvisiert.  Beispiele  dafür  sind  die  konsequente  Einleitung  von  Make‐to‐Order‐Prozessen,  eine  ganzheitliche  Wertschöpfungsbe‐ trachtung  oder  die  Zusammenfassung  vergleichbarer  Aufgaben  in  ho‐ mogenen Bündeln. 

„Die meisten  Schlankheitskuren  dünnen nur das  Konto aus.“           (T. Häntsch) 

Das  Konzept  stellt  eine  Erweiterung  der  vom  Massachusetts  Institute  of  Technology (MIT) entwickelten Lean Production dar. Das Lean Manage‐ ment  bezieht  sich  nicht  ausschließlich  auf  die  Fertigung,  sondern  auf  sämtliche Funktionsbereiche. Die hierarchische Struktur einer Organisa‐ tion wird nicht als geerbt empfunden. Sie ist vielmehr ständig hinsicht‐ lich  ihrer  Sinnhaftigkeit  zu  überprüfen.  Für  überflüssig  identifizierte  Ebenen werden gestrichen, was die Agilität im Wettbewerb fördert. Zum  Beispiel  reduzierte  Texas  Instruments  seinerzeit  die  Anzahl  seiner  Füh‐ rungskräfte radikal von 4.000 auf 200. 

Abbau hierarchi‐ scher Ebenen 

109

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Wenn aus  Schlankheit Ma‐ gersucht wird 

Ein  radikales  Lean  Management  birgt  jedoch  auch  Nachteile  in  sich.  Viele Unternehmen sind nicht nur schlank, sondern sogar „magersüch‐ tig“ geworden. Sie bauten in rezessiven Phasen Mitarbeiter ab und wa‐ ren  bei  anziehender  Konjunktur  unterbesetzt.  Nicht  alle  eingehenden  Aufträge konnten angenommen werden. Es fehlten Mitarbeiter zur Auf‐ tragsbearbeitung,  weshalb  diese  Gesellschaften  potenzielle  Umsätze  verloren. Mit der Anwendung von Lean Management haben sich einige  Organisationen regelrecht aus dem Markt katapultiert. Im Handel wur‐ de  das  Fachpersonal  durch  weniger  qualifizierte  Mitarbeiter  ersetzt,  worunter  die  Kundenberatung  litt.  In der Fertigung  fand  teilweise  eine  Eliminierung der Facharbeiterebene statt (Know‐how‐Verlust). 

Politik der kleinen  Schritte: Dem  Sisyphos‐Prinzip  folgen 

Kaizen  Management  (vgl.  Brunner  2014;  Hermold  2020;  Takeda  2006)  bedeutet  die  Einleitung  eines  kontinuierlichen  Verbesserungsprozesses  („Continuous  Improvement  Process“).  Unternehmensaktivitäten  sind  dauerhaft auf die Steigerung des Konsumentennutzens ausgerichtet. Die  Politik  „der  kleinen  Schritte“  besagt,  dass  sich  Veränderungen  nicht  sprunghaft, sondern allmählich einstellen. Die Grundvoraussetzung für  diesen  ständigen  Wandel  sind Anstrengungen  aller  Beteiligten,  um  das  Prozess‐Know‐how zu verbessern. Der Ansatz ist somit integrativer und  wesentlicher  Bestandteil  eines  in  der  Unternehmensphilosophie  dauer‐ haft verankerten Qualitätselements. 

„Qualität lindert  den Schmerz, den  der Preis verur‐ sacht.“               (Redewendung) 

Im  Fokus  von  Kaizen  Management  steht  die  Verminderung  oder  Ver‐ meidung  menschlicher  Fehler,  die  vor  allem  in  Verschwendung  („Mu‐ da“),  Überlastung  („Muri“)  sowie  Unregelmäßigkeiten  („Mura“)  be‐ gründet sind. Sämtliche Organisationsabläufe werden fortwährend hin‐ sichtlich ihrer Verbesserungspotenziale analysiert. Anschließend sind sie  möglichst  zu  standardisieren  und  langfristig  in  dem  Unternehmen  zu  integrieren.  Erst  mit  der  Generalisierung  dieser  Aktivität  wird  der  nächste  Optimierungsprozess  –  auf  höherem  (verbessertem)  Arbeitsni‐ veau – angestoßen. Dieses Prinzip fußt auf dem so genannten „Deming  Cycle“.  Unter  den  14  Punkten  von  Deming  (vgl.  Deming  2000)  finden  sich  Praktiken  zur  Qualitätsverbesserung.  Beispielhaft  dafür  stehen  Vorschlagswesen, Kleingruppenarbeit, Mechanisierung oder Arbeitsdis‐ ziplin. 

Drei Ebenen der  Qualität 

Zur  Typisierung  dieser  unterschiedlichen  Begriffe  des  Qualitätsmana‐ gements  dient  nachstehend  ein  Drei‐Ebenen‐Modell  (vgl.  Abbildung  B.3). In der vorliegenden Schrift wird das Total Quality Management als  das  alles  umspannende  Konzept  angesehen,  es  ist  somit  auf  der  Meta‐ führungsebene  angesiedelt.  TQM  erfährt  auf  zweiter  Stufe  (Strategie‐

110

Total Quality Management

B.3

ebene)  direkte  Unterstützung  durch  Lean  Management  und  Kaizen  Management.  Auf  der  dritten  Stufe  finden sich  schließlich  diverse  In‐ strumente  des  Qualitätswesens  („Qualitätsbaukasten“),  welche  der  zweiten Ebene direkt und der Metaführungsebene indirekt helfen. Eini‐ ge dieser Qualitäts‐Hilfsmittel werden – unter besonderer Berücksichti‐ gung  ihrer  Auswirkungen  auf  ein  Supply  Chain  Management  –  auf  S.  348 näher charakterisiert.  Drei‐Ebenen‐Modell der Qualität 

Abbildung B.3 

Total Quality Management  (Prozesseffektivität)   ‐ Übergreifende Qualitätsphilosophie im Unternehmen   ‐ Intern und extern ausgerichtete Kundenbindung   ‐ Vermeidung des Over‐the‐Wall‐Syndroms   ‐ Von der Qualitätskontrolle zum Qualitätsmanagement 

Ebene 1: Metaführungsebene   

 

 

Lean Management  (Prozesseffizienz) 

 

Kaizen Management  (Prozess‐Know‐how) 

 

 ‐ Einfache Abläufe 

 ‐ Continuous Improvement 

 ‐ Schlanke Hierarchie 

 ‐ Betriebliches Vorschlagswesen 

 ‐ Produktivitätssteigerung 

 ‐ Deming Cycle 

 ‐ Wertschöpfungsausrichtung 

 ‐ Fehlervermeidungsstrategie 

Ebene 2: Strategieebene 

FMEA 

Quality Circle 

Six Sigma  Statistical Pro‐ cess Control 

 

 

QFD  Quality Bench‐ marking 

Bottleneck Engi‐ neering  … 

Ebene 3: Instrumentenebene   

111

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

B.3.2 TQM in der Supp‐ ly Chain 

Auswirkungen auf das Supply Chain Management

Eine  bedeutsame  Zielsetzung  innerhalb  der  Supply  Chain  liegt  in  der  Reduzierung  der  Raten  für  Ausschuss  und  Nacharbeit  („Scrap  and  Rework“)  begründet.  Die  Einleitung  von  Präventivmaßnahmen  zur  Verbesserung  der  Schlüsselgröße  Qualität  unterstützt  diese  Anforde‐ rung.  Ein  Supply  Chain  Management  korreliert  mit  dem  Fertigungsbe‐ reich.  Für  beide  Organisationseinheiten  wird  die  angestrebte  Quote  an  PPM  („Parts  per  Million“)  vielfach  auf  null  festgelegt.  Sie  zielt  auf  die  Vermeidung  von  Ausschuss  und  Nacharbeit.  Zwei  Beispiele  zeigen  ausgewählte  Möglichkeiten  zur  Fehlerreduzierung  in  der  Wertschöp‐ fungskette. 

Ident‐Techniken im  Wareneingang 

 Wareneingang:  Zur  Fehlervermeidung  im  Wareneingang  kann  eine 

Mixed Load im  Versand 

 Versand: Beim Anbringen der Warenanhänger schleichen sich vor al‐

manuelle  Identifizierung  von  Materialien  durch  IT‐gestützte  Techni‐ ken substituiert werden. Barcode und RFID fördern die Datenverwal‐ tung.  Es  findet  eine  IT‐orientierte  Zuordnung  von  Sachnummern  zu  ihren Lagerorten statt.  lem bei Mischpaletten (Mixed Load) Fehler ein. Die Mitarbeiter müs‐ sen unterschiedliche Label an die Kisten heften, was zu einem gewis‐ sen  Durcheinander  führen  kann.  Kunden  beschweren  sich  darüber,  wenn  sie  unkorrekt  beliefert  werden,  wodurch  Nachbesserungen  notwendig  sind.  Diese  potenzielle  Fehlerquelle  ist  dadurch  zu  redu‐ zieren, indem pro Palette nur noch eine Sachnummer zugelassen wird  (artikelreine  Palette).  Im  ersten  Schritt  steigen  zwar  tendenziell  die  Versandkosten.  Diese  werden  aber  vielfach  durch  niedrigere  Kosten  für eine Qualitätssicherung (über‐) kompensiert. 

Organisatorischer  Rahmen 

Für eine Berücksichtigung des Total Quality Managements innerhalb der  Supply  Chain  ist  eine  Implementierung  im  Sinne  des  Gegenstromver‐ fahrens zu wählen. Top Down muss die Führungsebene das neue Quali‐ tätsbewusstsein vorleben. Bottom Up soll sich die Belegschaft mit TQM  identifizieren. 

Robuste Supply  Chains 

Wenn  der  Wettbewerbsfaktor  Qualität  als  echte  Philosophie  verstanden  wird  und  Einzug  in  die  Ausformulierung  der  Unternehmensstrategien  erhält,  wird  das  Fundament  für  den  Aufbau  robuster  Supply  Chains  geschaffen. Produkte und Dienste zeichnen sich im Qualitätswettbewerb  durch  Zuverlässigkeit  und  Leistungsfähigkeit  aus.  Da  fast  90%  aller  möglichen  Fehler  bereits  in  den  frühen  Stadien  der  Produktentstehung 

112

Business Reengineering

B.4

auftreten,  setzen  Fehlervermeidungsstrategien  bereits  in  diesen  so  ge‐ nannten Design Phases an (vgl. Cohen/Roussel 2006, S. 29).  Eine wesentliche Zielsetzung im Qualitätswettbewerb moderner Supply  Chains ist die Chargenrückverfolgbarkeit. Dadurch wird die Sicherheit  in Lieferketten erhöht. Dieser Anspruch ist in manchen Branchen beson‐ ders wichtig (beispielsweise in der Pharmazie und beim Handel mit Bio‐ Lebensmitteln).  Mit  Hilfe  von  Radiofrequenzsystemen  können  diese  Ansprüche  vielfach  gut  erfüllt  werden  (vgl.  S.  346).  Im  Einzelfall  stellt  sich  allerdings  die  Frage,  welche  Investitionen  mit  der  Nutzung  von  RFID verbunden sind: Selbst einfache Transponder‐Lösungen kosten das  drei‐ bis vierfache, verglichen mit einem zweidimensionalem Barcode. 

B.4

Business Reengineering

B.4.1

Charakterisierung

Pay‐Back‐Zeiten  für RFID ermitteln 

Das  Pendant  von  Total  Quality  Management  ist  das  Business  Reengi‐ neering  (vgl.  Hammer/Champy  2004;  Jeston  2006;  Slamanig  2014).  Wäh‐ rend  beim  Total  Quality  Management  die  inkrementelle  Verbesserung  existenter Strukturen vorgenommen wird, stellt das Business Reenginee‐ ring  eine  prozessorganisatorische  Neuorientierung  dar.  Bekannte  Vorge‐ hensweisen  werden  hinsichtlich  ihrer  Effektivität  und  Effizienz  über‐ prüft.  Konsequent  ausgeführt,  ist  der  Ansatz  eine  Radikalkur  für  die  Organisation.  Alte  Systeme  werden  über  Bord  geworfen  und  Prozesse  sowie Aktivitäten, die keinen Mehrwert schaffen, konsequent und dau‐ erhaft eliminiert. 

Alles kommt auf  den Prüfstand 

Ein  Business  Reengineering  ist  eine  Bombenwurfstrategie,  was  auch  bildlich  ausgedrückt  werden  kann:  Wenn  ein  Baum  kränkelt,  werden  nicht nur ein paar Äste abgeschnitten und der Baum gedüngt sowie mit  besonderer Sorgfalt gepflegt (dies wäre die Philosophie des Total Quali‐ ty  Managements).  Der  kranke  Baum  ist  vielmehr  komplett  aus  dem  Boden  zu  reißen.  Es  wird  ein  neuer  Baum  gepflanzt.  Begriffsblock  B.I  verdeutlicht mit den vier „Re’s“ das Wesen von Business Reengineering  (vgl. auch Abbildung B.4).     

„Hütet euch vor  Technikern: Mit  Nähmaschinen  fangen sie an, mit  Atombomben hören  sie auf.“               (M. Pagnol) 

113

B Begriffsblock B.I 

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Vier „Re’s“ des Business Reengineerings 

 Renewing:  „Erneuerung“  bedeutet  die  verbesserte  Schulung  und  or‐ ganisatorische Einbindung von Mitarbeitern in das Unternehmen. 

 Revitalizing:  „Revitalisierung“  meint  eine  Prozessneugestaltung  in‐ nerhalb der Organisation. 

 Reframing:  „Einstellungsänderungen“  bewirken,  dass  herkömmliche  Denkmuster abzulegen und neue Wege einzuschlagen sind. 

 Restructuring: „Restrukturierung“ erfordert schließlich die revidierte  Definition  des  Aktivitätenportfolios.  Anders  ausgedrückt,  sucht  ein  Unternehmen nach neuen Standbeinen.   

Reengineering von   Leasinganträgen 

Zum  Beispiel  (vgl.  Hammer/Champy  2004,  S.  113)  benötigte  IBM  für  die  Bearbeitung  eines  Antrags  auf  Leasing  sechs  Arbeitstage,  obwohl  die  Prozedur des eigentlichen Ausfüllens lediglich 90 Minuten dauerte. Die  Dokumente  gingen  von  einer  Abteilung  zur  nächsten.  Dieser  Prozess  wurde im Business Reengineering als Schwachstelle identifiziert und die  Verantwortung in eine Hand gelegt. Ein Spezialist bearbeitet jetzt einen  Antrag komplett in durchschnittlich vier Stunden. 

Vereinfachung der  Prozessabläufe 

Das  Unternehmen  Hallmark  betrieb  ebenso  ein  Reengineering  (vgl.  Hammer/Champy 2004, S. 135). Hallmark produziert Glückwunschkarten.  Von  der  Idee  bis  zur  Vermarktung  einer  neuen  Karte  vergingen  über  drei  Jahre.  Die  Organisation  stellte  durch  Business  Reengineering  fest,  dass  die  Arbeit  zu  90%  ruhte.  Zur  Reduzierung  der  Time‐to‐Market  bildete Hallmark ein Team aus Künstlern, Schriftstellern, Marketing‐ und  Fertigungsspezialisten. Es gelang der Gruppe, eine neue Karte innerhalb  von  knapp  sechs  Monaten  den  Kunden  anzubieten.  Die  Arbeit  wurde  vom Ergebnis aus reorganisiert und bezog sich nicht länger auf speziali‐ sierte Funktionsbereiche (wie Vertrieb oder Fertigung). 

Kodak als Positiv‐ beispiel 

Auch  Kodak  setzte  Reengineering  erfolgreich  ein.  Das  Unternehmen  durchbrach  seine  originär  funktionale  Organisationsstruktur.  Vielmehr  entwickelte  Kodak  eine  Prozessorganisation.  Mit  dem  Ergebnis  einer  drastischen  Kostenreduzierung:  Die  zuvor  20%ige  Budgetüberschrei‐ tung wandelte sich zu einer 15%igen Kostenunterschreitung in der Jah‐ resplanung.  Ebenso  halbierte  sich  bei  Kodak  die  durchschnittliche  Bear‐ beitungszeit  pro  Auftrag.  Dennoch  war  Kodak  dazu  gezwungen,  einen  tiefgreifenden Wandel zum Spezialisten für Digitaldruck zu vollziehen. 

114

Business Reengineering

B.4 Abbildung B.4 

Komponenten des Business Reengineerings 

Renewing (Erneuerung) 

Revitalizing (Revitalisierung) 

„Zeige den Menschen, dass sie wich‐

„Krempel die Organisation um und 

tig sind und mache sie fit“ 

schneide alte Zöpfe ab“ 

Reframing (Einstellungen) 

Restructuring (Restrukturierung) 

„Schlage andere Wege ein und wirf 

„Räume das Programmportfolio auf 

altes Denken über Bord“ 

und setze auf neue Karten“ 

 

Doch  die  Resonanz  der  Unternehmenspraxis  auf  Business  Reenginee‐ ring fällt unterschiedlich aus. Während Rolls‐Royce und Mastercard gute  Erfahrungen  mit  dem  Business  Reengineering  sammelten,  zeigt  eine  Studie  von  Arthur  D.  Little, dass  circa  50%  der Anwender  mit dem An‐ satz unzufrieden sind und sich vom Business Reengineering abwenden  (vgl. Werner 2013a, S. 19). Das Misslingen wird vor allem damit begrün‐ det, dass die eigenen Mitarbeiter nicht bereit oder in der Lage sind, sich  einer  signifikanten  Veränderung  anzupassen. Außerdem  würden  Reen‐ gineering‐Projekte teilweise schlichtweg zu spät eingeleitet. Die Consul‐ ting‐Gesellschaft Kurt Salmon Associates bescheinigt dem Business Reen‐ gineering sogar eine Floprate von nahezu 75% (vgl. Werner 2013b, S. 39). 

B.4.2

Alles auf eine Karte  setzen… 

Auswirkungen auf das Supply Chain Management

Das  Supply  Chain  Management  profitiert  davon,  dass  beim  Business  Reengineering sämtliche Haupt‐ und Teilprozesse in Frage gestellt wer‐ den. Überhöhte Lagerbestände überdecken vielfach fehlerhafte Prozesse.  Möchte ein Unternehmen seine Tätigkeiten gemäß der Philosophien von  Just‐in‐Time oder Just‐in‐Sequence abwickeln, werden diese Missstän‐ de  zwingend  aufgedeckt.  Für  die  Realisierung  von  Just‐in‐Time  und  Just‐in‐Sequence  muss  die  Zusammenarbeit  zwischen  den  Partnern  innerhalb  der  internen  und  der  übergreifenden  Wertschöpfungskette  funktionieren. Beim Vorhandensein von Problemen an den Schnittstellen 

115

Steigerung der  Transparenz 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

werden Zwischenlager eingerichtet und die Sicherheitsbestände (Notre‐ serven) erhöht. Es sind Maßnahmen einzuleiten, welche der Philosophie  von  JiT  und  JiS  widersprechen.  Mit  Hilfe  von  Business  Reengineering  können  diese  Schwachstellen  automatisch  aufgedeckt  und  bearbeitet  werden.  Revision der  Grundsatzphiloso‐ phie 

Ein  weiterer  Punkt  betrifft  den  Überwachungsaspekt  in  der  Supply  Chain. Traditionell findet in der Wareneingangskontrolle eine Überprü‐ fung von Sachnummern statt. Die Teile werden hinsichtlich ihrer Quan‐ tität  und  Qualität  durch  Sichtkontrolle,  Zählen  oder  Wiegen  überprüft.  Nach  ihrer  Identifizierung  landen  mangelhafte  Vorräte  im  Sperrlager.  Das System ist nach dem Motto aufgebaut: „Traue keinem Lieferanten!“.  Business  Reengineering  könnte  ein  neues  Denken  unterstützen.  Durch  die  intensivierte  Zusammenarbeit  mit  ausgewählten  Partnern  wird  das  Ziel verfolgt, eine Wareneingangskontrolle abzuschaffen (Lieferantenin‐ tegration). Eigene Mitarbeiter sind zu den Lieferanten zu entsenden, um  die  Anforderungen  der  Hersteller  frühzeitig  weiterzugeben  (Resident  Engineering).  Mit  den  Lieferanten  wird  ein  auf  Dauer  ausgelegtes  Ver‐ trauensverhältnis  gesucht,  wofür  die  einzelnen  Arbeitsschritte  und  die  IT‐Systeme  aufeinander  abzustimmen  sind.  Mit  einer  fertigungssyn‐ chronen Belieferung, die direkt an der Montage ansetzt, ist eine potenzi‐ elle Bestandsreduzierung verbunden. 

Business Re‐ engineering einer  Strickmaschine 

Zum  Beispiel  (vgl.  Werner 2013a,  S.  33)  führte  Stoll,  ein  deutscher  Her‐ steller für Textilmaschinen, ein Business Reengineering in seiner Supply  Chain  durch.  Für  die  Strickmaschine  „CMS  Selectanit“  wurden  die  Be‐ schaffungs‐  und  die  Fertigungsprozesse  heruntergebrochen  und  die  Teilevielfalt  reduziert.  Ein  integrales  Gussteil  ersetzt  jetzt  in  der  Strick‐ maschine den bisher verwendeten Schlitten, welcher fünf unterschiedli‐ che Sachnummern in sich vereinte. Außerdem senkte Stoll bei der Ferti‐ gung seiner Nadelbetten die Anzahl der Arbeitsgänge von 260 auf 68. In  der  Montage  wurden  die  Arbeitsplätze  neu  angeordnet  (reorganisiert).  Seit dieser Zeit sind die Teile nicht länger in Kisten und unsortiert, son‐ dern unverpackt sowie in definierter Reihenfolge zu liefern. Stoll sparte  pro  Montagevorgang  30%  an  Zeit  ein.  Insgesamt  reduzierte  sich  die  Durchlaufzeit um 20 Arbeitstage (von 50 Tagen auf 30 Tage). Die Länge  des Materialflusses betrug 1.000 km/Jahr. Sie verkürzte sich durch Busi‐ ness Reengineering um 50%. Schließlich verringerte sich die Kapitalbin‐ dung um fast 60%. 

116

Time Based Competition

B.5

Time Based Competition

Time Based Competition ist ein Managementansatz, bei dem der Wett‐ bewerbsfaktor  Zeit  dominiert.  Zu  Beginn  der  90er  Jahre  wurde  die  Be‐ deutung  der  Erfolgsgröße  Zeit  insbesondere  von  Stalk  und  Hout  (vgl.  Stalk/Hout  2003)  aufgegriffen.  Sie  erkannten, dass  sich die  Entstehungs‐ zyklen  von  Produkten  verlängerten,  parallel  jedoch  die  eigentlichen  Marktzyklen der Produkte in vielen Branchen kürzer wurden. Ein Prob‐ lem, das im Folgenden näher untersucht wird. 

B.5.1

B.5 Den Zeitdieben auf  der Spur 

Charakterisierung

Mit  dem  Ansatz  Time  Based  Competition  korreliert  das  Pionier‐ Follower‐Management.  Begriffsblock  B.II  fasst  die  Charakteristika  von  Pionieren,  Frühen  Folgern  und  Späten  Folgern  zusammen.  Der  Pionier  (First  Mover)  agiert  proaktiv‐offensiv  und  geht  Risiken  ein.  Außerdem  schöpft  der  Pionier  frühzeitig  Produzentenrente  ab  und  fixiert,  zumin‐ dest temporär, den Trend. In Anlehnung an Porter, agieren Pioniere häu‐ fig als Differenzierer. Ein First Mover erlangt ein frühzeitiges Know‐how  über  den  Markt  und  nutzt  Imagevorteile  aus.  Außerdem  setzt  er  Stan‐ dards in der Branche, gewinnt Markentreue und generiert Eintrittsbarri‐ eren  (z.  B.  über  seine  Preisstrategie).  Etwaige  Probleme  für  einen  First‐ to‐Market resultieren insbesondere aus technischen und wirtschaftlichen  Unsicherheiten,  hohen  Markterschließungskosten,  Qualitätsmängeln  (technisch  unausgereifte  Produkte)  und  dem  Risiko  der  richtigen  Be‐ darfsabschätzung.  Ein  Beispiel  für  einen  First  Mover  im  Segment  der  Smartphone‐Technologie  stellt  Apple  dar.  Wenn  es  bei  Handys  um  die  Nutzung Künstlicher Intelligenz geht, setzt Huawei derzeit Standards. 

Den optimalen  Zeitpunkt für den  Marktzugang  finden: Innovative  First Mover 

Frühe Folger (Early Mover) werden auch als Second‐to‐Market bezeich‐ net.  Sie  fahren  keine  reine  Imitationsstrategie,  sondern  versuchen,  die  Leistungen  des  Pioniers  weiter  zu  entwickeln,  um  eigene  Standards  zu  generieren. Frühe Folger setzen alles daran, den First Movern auf lukra‐ tiven  Märkten  frühzeitig  die  Renten  abzujagen.  Sie  nutzen  konsequent  die  Markterschließungsaktivitäten  des  First‐to‐Market.  Gleichzeitig  vermeiden  sie  dessen  Fehler  (Reduzierung  von  Sunk  Costs  und  Swit‐ ching Costs). Probleme ergeben sich für den Early Mover indem für ihn  keine Monopolvorteile mehr bestehen und der Pionier schon Industrie‐ standards  implementiert  hat.  Beispielhaft  für  einen  bewussten  Second‐ to‐Market im Segment der Mobiltelefone steht Samsung. 

Sandwich‐Position  von Second Mo‐ vern 

117

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Reaktiv‐defensive  Third‐Mover 

Die Späten Folger (Late Mover) hingegen agieren reaktiv‐defensiv. Third‐ to‐Market  scheuen  grundsätzlich  Marktrisiken.  Häufig  bearbeitet  ein  Late Mover Nischen und lernt aus den Fehlern der First und der Second  Mover,  deren  Leistungen  er  adaptiert  oder  kopiert.  Späte  Folger  setzen  konsequent  auf  die  Kostenführerschaft‐Strategie  Porters.  Sie  nutzen  die  Transparenz  des  Marktes.  Eine  Flop‐Gefahr  für  ihre  Produkte  besteht  kaum mehr. Von Late Movern werden keine Innovationen erwartet. Ihre  Verkaufspreise sind relativ gering (minimaler Forschungs‐ und Entwick‐ lungs‐Aufwand,  ausgeprägte  Fixkostendegression  in  der  Fertigung).  Schwierigkeiten ergeben sich für Späte Folger, indem nur ein begrenztes  Marktpotenzial vorliegt (sie operieren vornehmlich in reifen Branchen),  Marketing‐Maßnahmen  kaum  mehr  sinnvoll  einsetzbar  sind  (Überflu‐ tung  der  Märkte)  und  Käufer  schon  ihre  Präferenzen  in  Richtung  First  Mover und Second Mover abgegeben haben. Wiederum auf das Feld der  Smartphone‐Hersteller  bezogen,  sind  Wiko,  Oppo,  Meizu  oder  OnePlus  Beispiele für Späte Folger. 

Begriffsblock B.II 

Pionier‐ und Follower‐Management 

First Mover  (Pionier)  Proaktiv‐offensiv 

Second Mover  (Früher Folger)  Weiterentwicklung von  Pionierleistungen 

Third Mover  (Später Folger)  Reaktiv‐defensiv 

Geht sehr hohe Risiken ein  Geht hohe Risiken ein 

Risikoscheu 

Setzt Marktzutrittsbarrie‐ ren 

Bearbeitet konsequent  Nischen 

Setzt eigene Standards 

Schöpft Produzentenrente  Niedrige Sunk Costs und  ab  Switching Costs 

Lernt aus den Fehlern von  Pionieren und Frühen  Folgern 

Fixiert den Trend („Trend‐ setter“) 

Modifiziert den Trend  („Imitatorischer Innova‐ tor“) 

Adaptiert den Trend („Me‐ too‐Produkte“) 

Beispiel Smartphone:   Apple, Huawei 

Beispiel Smartphone:  Samsung 

Beispiel Smartphone:   Wiko, Oppo, Meizu 

 

118

Time Based Competition

B.5.2

B.5

Beschleunigungsmanagement

Im  Umgang  mit  der  Schlüsselgröße  Zeit  wird  zumeist  die  Möglichkeit  einer Beschleunigung von Abläufen untersucht. Begriffe wie Capabilities  of  Time,  Speed  Management  und  High  Speed  Management  haben  sich  in den letzten Jahren in Theorie und Praxis etabliert. Vor allem mit Hilfe  von  Simultaneous  Engineering  und  Rapid  Prototyping  wird  die  Pro‐ duktentwicklung  forciert.  Bei  der  Verkürzung  der  Marktzugangszeiten  (Time‐to‐Market)  werden  große  Erfolge  verzeichnet,  was  die  nachste‐ henden zwei Beispiele untermauern (vgl. Block b.1). 

Verkürzung der Time‐to‐Market 

“Said ‘race against  time’, thought it  was clever, time is  immortal and we’re  forever…“      (GBH) 

Beispielblock b.1  

 Die  Boeing  Aerospace  Corporation  benötigte  für  ihre  Konstruktions‐ zeichnungen  über  zwei  Wochen.  Mittels  computergestützter  Design‐ techniken schafft es Boeing heute, Konstruktionspläne in nur 38 Minu‐ ten zu erstellen. 

 Ein  weiteres  Beispiel  ist  der  japanische  Multikonzern  Panasonic.  Die  Fertigungszeiten  ihrer  Waschmaschinen  verkürzte  das  Unternehmen  von 360 Stunden auf zwei Stunden.   

B.5.2.1

Simultaneous Engineering

Simultaneous  Engineering  (vgl.  Anderson  2020;  Bullinger  2013;  Dixius  2013; Eversheim/Schuh 2004; Hartley 2017) bedeutet eine Abkehr von der  sequentiellen Produktentwicklung. Bei dieser resultiert die Gefahr von  Verzögerungen daraus, dass erst mit dem vollständigen Abschluss einer  Phase  der  Übergang  zur  nächsten  Stufe  möglich  ist. Außerdem  koope‐ rieren  die  Abteilungen  kaum  miteinander.  Die  Arbeit  eines  Bereichs  wird nach ihrer Fertigstellung einer nächsten Abteilung, und zwar weit‐ gehend  unabgestimmt,  quasi  „über  die  Wand“  geworfen  („Over‐the‐ Wall‐Syndrom“). Die Folge sind zeitintensive Nachbesserungen. 

Traditionelle Pro‐ duktentwicklung 

Mit Hilfe von Simultaneous Engineering (synonym „Concurrent Engi‐ neering“) können diese Probleme umgangen werden. Der Ansatz wurde  in  der  japanischen  Automobilindustrie  entwickelt.  Es  ist  ein  Experten‐ team aus unterschiedlichen Funktionsbereichen zu bilden, das aus circa  zehn  Personen  besteht  („Joint‐Working‐Group“).  Die  Größe  des  Teams  hängt aber letztendlich von der Komplexität der zu bewältigenden Auf‐ gabe  ab.  Der  Vorsitzende  berichtet  in  der  Regel  direkt  an  das  Manage‐

Kernaussagen von  Simultaneous  Engineering 

119

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

ment. In die Gruppe können Lieferanten und Kunden eingebunden sein  (Resident  Engineering).  Die  Entwicklungsabschnitte  sind  nicht  länger  isoliert,  sondern  integriert  zu  betrachten.  Simultaneous  Engineering  bedeutet die zeitlich parallelisierte Bearbeitung von Aufgaben in einem  interdisziplinären  Team  unter  Berücksichtigung  der  Wettbewerbsfakto‐ ren  Zeit,  Kosten,  Qualität,  Agilität,  Innovation  und  Service.  Zur  Kom‐ munikation der Mitglieder untereinander bieten sich vorzugsweise mo‐ derne Groupware‐Lösungen an.  Experten unter‐ schiedlicher Berei‐ che arbeiten zu‐ sammen 

Beispielblock b.2 

Experten aus unterschiedlichen betrieblichen Funktionseinheiten (Logis‐ tik, Einkauf, Marketing, Entwicklung, Konstruktion, Qualität oder Con‐ trolling) bringen ihre Fachkompetenz zielgerichtet in dieser Gruppe ein.  Zeitliche  Parallelisierung  bedeutet,  dass  beispielsweise  die  Marketing‐ aktionen  weit  vor  dem  eigentlichen  Serienanlauf  angestoßen  werden,  wozu bereits vorhandene Prototypen genutzt werden können. Es findet  ein Wissensaustausch „auf hohem Niveau“ statt, der eigene Gedanken‐ horizont  wird  durch  die  Transdisziplinarität  der  Gruppe  erweitert.  Mit  Simultaneous  Engineering  kann  die  Time‐to‐Market  deutlich  verkürzt  werden, was einige Beispiele aus Block b.2 verdeutlichen. 

Simultaneous Engineering 

 Kodak  reduzierte  durch  die  Nutzung  von  Simultaneous  Engineering  die Produktentwicklungszeit der Kamera „Funsaver“ um 50%. 

 Die  Zeiteinsparung  von  Fuji  betrug  bei  der  Entwicklung  des  Kopier‐ geräts „FX 3500“ über 30%. 

 AT  &  T  benötigte  ursprünglich  zwei  Jahre  für  die  Entwicklung  eines  neuen  Telefons.  Durch  Simultaneous  Engineering  wurde  diese  Zeit‐ spanne auf unter sechs Monate gedrückt. 

 Hewlett‐Packard gelang es schließlich, die Entwicklungszeit eines neu‐ en Druckers von 54 Monaten auf 15 Monate zu senken.   

Beispiel „Industrie‐ roboter“ 

Für ein Supply Chain Management ist die Reduzierung von verwende‐ ten  Bauteilen  durch  Simultaneous  Engineering  von  Bedeutung.  Das  deutsche  Unternehmen  Reis  Robotics  hat  Simultaneous  Engineering  in  über  20  Projekten  eingesetzt.  Eines  dieser  Vorhaben  war  die  Entwick‐ lung des neuen Industrieroboters mit Knickarm. Reis Robotics senkte die  Anzahl  der  Bauteile  an  den  sechs  Gelenken  des  Roboters  um  50%.  Das  Unternehmen führt diesen Effekt primär auf Simultaneous Engineering  120

Time Based Competition

B.5

zurück (vgl. Werner 2013a, S. 15). Reis Robotics aus Obernburg am Main  ist  nach  erfolgter  Übernahme  heute  ein  Teil  von  Kuka,  einem  der  welt‐ weit  führenden  Anbieter  für  Robitik,  sowie  Anlagen‐  und  Systemtech‐ nik. Kuka ist einer der Pioniere von Industrie 4.0  Bei den Zahlenangaben in obigen Beispielen ist jedoch zu beachten (und  dies  gilt  letztlich  für  sämtliche  aufgeführten  Beispiele  in  diesem  Buch),  dass diese Werte immer nur ceteris paribus gelten: Wenn Nutzeneffekte  zwischen  einem  frühen  Zeitpunkt  ohne  und  einem  späteren  Zeitpunkt  mit  Instrumenteneinsatz  (hier:  Simultaneous  Engineering)  festgestellt  werden,  ist  streng  genommen  ein  Vergleich  nur  haltbar,  wenn  in  dem  betrachteten  Zeitraum  keine  weiteren  Veränderungen  eingetreten  sind.  Diese  Forderung  stellt  für  die  Praxis  sicherlich  eine  heroische  Prämisse  dar,  die  nur  selten  erfüllt  sein  dürfte.  Folgende  Probleme  können  sich  bei Simultaneous Engineering einstellen:  

 Durch das interdisziplinäre Vorgehen reduziert sich der Kontrollme‐ chanismus  zwischen  den  Abteilungen.  Wenn  sich  die  originär  im  Team  erarbeiteten  Hypothesen  später  als  nicht  korrekt  herausstellen,  hat die gesamte Gruppe in die falsche Richtung gearbeitet. Daraus re‐ sultieren  hohe  Änderungskosten  (Switching  Costs)  sowie  Zeitverzö‐ gerungen. 

 Eine  weitere  Schwierigkeit  von  Simultaneous  Engineering  ist  seine  Schwerfälligkeit.  Beim Aufkommen  unterschiedlicher  Meinungen  in  der Gruppe,  kann  der  Teamvorsitzende  zwar  ein  forciertes  Vorgehen  einfordern.  Er  wird  aber  bei  konträren  Vorstellungen  der  beteiligten  Personen auf offene sowie verborgene Widerstände stoßen. 

 Für die in das Team entsandten Mitarbeiter ist deren dortige Mitarbeit  eine  echte  Belastungsprobe:  Auf  Grund  physischer  und  psychischer  Überforderung kann es zum Burn‐Out kommen. Einige Menschen ge‐ raten regelrecht zwischen die Fronten, wenn sie zeitgleich sowohl im  Simultaneous‐Engineering‐Team als auch in ihrer Herkunftsabteilung  arbeiten. 

 Schließlich  befürchten  einige  Kunden  durch  die  Bildung  eines  unter‐ nehmensübergreifenden  Teams  für  Simultaneous  Engineering  den  Abfluss von Wissen an ihre Lieferanten. Dies gilt insbesondere, wenn  ein  Mitarbeiter  eines  Lieferanten  (Resident  Engineering)  temporär  in  das Simultaneous‐Engineering‐Team eingebunden war. 

121

„Die meisten  Probleme entstehen  bei ihrer Lösung.“           (L. da Vinci) 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

B.5.2.2

Rapid Prototyping

Abkehr von der  konventionellen  Produktentwick‐ lung 

Rapid Prototyping ist ein CAD‐gestütztes, iteratives Verfahren, welches  die traditionelle Erstellung von Prototypen revolutioniert hat (vgl. Becker  2020;  Berger/Hartmann  2019).  Synonym  wird  Rapid  Prototyping  als  „ge‐ neratives Fertigungsverfahren“ bezeichnet. Rapid Tooling ist die Nutzung  des Verfahrens speziell im Werkzeugbau, Rapid Manufacturing bezieht  sich  auf  die  Konstruktion  einzelner  Fertigteile.  Rapid  Prototyping  ist  eine additive Fertigungstechnik, mit der Modelle mit dem Ziel konstru‐ iert  werden,  Ideen  zu  visualisieren,  Aspekte  zur  Lösungsfindung  zu  erkunden und ein vorläufiges Arbeitsergebnis systematisch auszutesten.  Es können mit dem Verfahren verschiedene Arten von Prototypen her‐ gestellt  werden:  Design‐Prototypen  (Optik),  Ergonomie‐Prototypen  (Anwendungen),  Funktions‐Prototypen  (Eigenschaften),  Proportions‐ Prototypen  (Größenverhältnisse)  und  Technische‐Prototypen  (Funktio‐ nen).  

Weite Verbreitung  des Verfahrens 

Eine  zunehmende  Bedeutung  von  Rapid  Prototyping  wird  durch  die  Zahlen der Euromold deutlich. Die Euromold ist die weltweit bedeutsams‐ te  Fachmesse  für  Werkzeug‐  und  Formbau,  Design  sowie  Produktent‐ wicklung.  Seit  1993  wird  sie  jährlich  veranstaltet.  Über  Frankfurt  und  Düsseldorf ist die Euromold mittlerweile nach München umgezogen. Von  den circa 1.300 Ausstellern im Jahr 2019 haben sich allein über 600 Un‐ ternehmen  mit  dem  Spezialgebiet  Rapid  Prototyping  beschäftigt.  In  Begriffsblock  B.III  finden  sich  ausgewählte  Techniken  des  Rapid  Proto‐ typings. 

Gleichzeitige Ver‐ besserung mehrerer  Schlüsselgrößen 

Die  Anschaffungskosten  für  Anlagen  zur  Durchführung  von  Rapid  Prototyping differieren sehr. Sie reichen von einigen Hundert Euro (ein‐ fache Drucker für 3‐D‐Printing) bis weit über 200.000 Euro (stereolitho‐ graphische  Apparaturen).  Die  Zeiteinsparungspotenziale  durch  die  Anwendung  des  Verfahrens  werden  zwischen  30%  und  70%  beziffert.  Der  Automobilindustrie  ist  es  beispielsweise  gelungen,  die  Erstellung  von  Prototypen,  verglichen  mit  konventionellen  Techniken,  um  das  22fache  zu  beschleunigen.  Mittlerweile  sind  auch  komplizierte  Formen  durch  Rapid  Prototyping  herzustellen.  Das  Verfahren  zeichnet  sich  durch seine Reagibilität aus, indem Änderungen direkt am PC erfolgen.  Zum Beispiel hat Porsche für seinen „GT1“ die Strömungsuntersuchun‐ gen für den neuen Kühlmantel des Fahrzeuges durch Rapid Prototyping  optimiert.  Wenige  Monate  später  gewann  der  „GT1“  das  24‐Stunden‐ Rennen von Le Mans.   

122

Time Based Competition

B.5 Begriffsblock B.III 

Ausgewählte Techniken des Rapid Prototypings 

 Stereolithographie:  Sie  ist  eine  weit  verbreitete  Industrietechnik.  Flüssige  Photopolymere  (lichtempfindliche  Kunststoffharze)  werden  selektiv gehärtet. Die CAD‐gestützten Geometriedaten sind auf einen  Steuerrechner  zu  übertragen. Anschließend beginnt  der  Slice  Process.  Darunter  ist  die  Zerlegung  des  kompletten  Modells  in  dünne,  hori‐ zontale Schichten (mit Übertragung auf den Laser) zu verstehen. Der  Laserstrahl wird senkrecht auf eine mit flüssigem Harz gefüllte Wan‐ ne  gerichtet.  Schichtenweise  findet  die  Härtung  der  Masse  statt.  Das  Resultat ist ein fertiger, dreidimensionaler Prototyp. 

 Laminated  Object  Manufacturing:  Dünne  Papierschichten  werden  durch  einen  Heißkleber  aufeinander  laminiert.  Eine  spezielle  Ma‐ schine  schneidet  anschließend  mit  einem  Laserstrahl  die  zuvor  im  Computer  definierte  Kontur  aus.  Die  Geometriedaten  werden  mit  Hilfe von CAD erstellt. 

Hauptvariante in  der Industrie 

CAD‐gestützte  Klebetechnik 

 3D‐Printing:  Bei  diesem  Verfahren  leitet  sich  der  schichtweise  Auf‐

Verfahren  mit  bau  ebenfalls  aus  CAD  ab.  Ausgangsbasis  ist  ein  Garanulat‐  oder  großen Zu‐ Kalkpulverbett. In dem 3D‐Drucker werden die Pulverteilchen durch  kunftspotenzialen  einen extern eingespritzten Binder miteinander verklebt. Im nachge‐ schalteten  Prozessschritt  wird  der  Binder  wieder  ausgetrieben  und  das  überschüssige  Granulat  (oder  Kalkpulver)  abgesaugt.  Die  Aus‐ gangsmasse  steht  dann  für  einen  erneuten  Druckvorgang  bereit.  Das  3D‐Printing erfährt derzeit einen großen Hype, der sich bis in privat‐ wirtschaftliche Bereiche erstreckt (B2C‐Segment). Es ist das günstigste  und  das  schnellste  Verfahren.  Unterschiedlichste  Materialen  können  mittlerweile gedruckt werden (Metalle, Kunststoffe, Keramik etc.). 

 Laser‐Sintern: Wiederum  wird  die  Zeichnung  durch  CAD  generiert.  Der  Laserstrahl  richtet  sich  beim  Sintern  auf  einen  Behälter,  der  mit  Sand  und  Metallpulver  gefüllt  ist.  Ein  gebündelter  Lichtstrahl  (ein  rund  100  Watt  starker  Kohlendioxid‐Laser)  zeichnet  die Konturen  in  den  Sand  und  das  Metallpulver,  er  härtet  schichtenweise  die  Masse.  Die  Geschwindigkeit  des  Lichtstrahls  beträgt  zwischen  100  und  500  Millimeter pro Sekunde. 

Robuste Prototy‐ pen 

 

Schwierigkeiten  von  Rapid  Prototyping  können  daraus  resultieren,  dass die Prototypen zwar für eine Fallstudie im Windkanal prädestiniert  sind, jedoch im Crash‐Test versagen. Außerdem sind die Teile zu leicht,  um  durch  sie  die  Einhaltung  des  zulässigen  Gesamtgewichts  zu  be‐

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Probleme von  Rapid Prototyping 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

stimmen.  Schließlich  sind  die  hergestellten  Teile  sehr  zerbrechlich  (vgl.  z. B. aus Granulat gedruckte Prototypen durch 3‐D‐Printing).  Dies sind die At‐ trappen der Zu‐ kunft 

Neuerdings  werden  Prototypen  nicht  länger  physisch  hergestellt.  Mo‐ derne  Varianten  der  CAD‐gestützten  Prototypengenerierung  sind  Digi‐ tal  Mock‐up  und  Virtual  Reality  (Virtual  Prototyping).  Digital  Mock‐ ups  (künstliche  „Attrappen“)  werden  im  Rechner  wirklichkeitsgetreu  nachgebildet.  Klassische  Einsatzbereiche  sind  die  Bauteilberechnung  und  die  Computersimulation.  Für  die  Supply  Chain  sind  künstliche  Mock‐ups durchaus von Interesse. Beispielsweise können Bauraumana‐ lysen  (zur  optimalen  Raumnutzung)  oder  Montageabläufe  am  Rechner  simuliert  werden.  Bereits  in  der  Konstruktionsphase  lassen  sich  ver‐ schiedene Montagetechniken virtuell miteinander vergleichen. Wenn ein  gesamter  Materialfluss  über  einzelne  Mock‐ups  simuliert  wird,  be‐ schreibt dies ein Virtual Reality (Virtual Prototyping). Mit Hilfe dieses  Verfahrens  können  alternative  Szenarien  nach  Entscheidungskriterien  –  wie Instandhaltungszeiten, Stillstandzeiten, Lagerzeiten oder Wartungs‐ intervallen – durchgespielt werden. Auf Grund dieser digitalen Modelle  hat  sich  beispielsweise  in  der  Automobilindustrie  die  kostenintensive  Generierung  physischer  Prototypen  in  den  letzten  Jahren  halbiert.  Die  Nutzer tragen Datenbrillen, mit denen sie ihre reale Umwelt nicht mehr  wahrnehmen. Die virtuelle Welt kann gesehen, gehört und gespürt wer‐ den (Industrieanwendungen, 3D Gaming, Schulungen).   

B.5.3 Mut zur Langsam‐ keit: Den Fuß vom  Beschleunigungs‐ pedal… 

Entschleunigungsmanagement

Der  Erfolgsfaktor  Zeit  wird  in  der  Regel wenig  differenziert  betrachtet.  Die Unternehmen einiger Branchen steigerten sich in den letzten Jahren  in eine wahre „Beschleunigungseuphorie“. Nur selten werden die Mög‐ lichkeiten  einer  bewussten  Entschleunigung  analysiert.  Das  japanische  Ministry of International Trade and Industry (MITI) erkannte die Gefahren  des  ungebremsten  Entwicklungsfiebers  und  warnte  die  japanische  Au‐ tomobilbranche  und  die  audiovisuelle  Industrie  unlängst  davor,  die  Zeitspanne  Concept‐to‐Cash  weiter  zu  verkürzen.  Die  Prozesse  der  Substitution  nehmen mittlerweile Dimensionen an, die vor einigen Jah‐ ren undenkbar schienen: Der Produktlebenszyklus eines Flat‐TV beträgt  derzeit kaum noch sechs Monate. Eine Laptopgeneration veraltet bereits  nach ähnlich kurzer Zeit. Für den Konsumenten lassen sich kaum noch  produktspezifische Charakteristika ausmachen, die Produkte kannibali‐ sieren sich mittlerweile gegenseitig. 

124

Time Based Competition

B.5.4

Supply Chain Engineering

  Unter einem Supply Chain Engineering wird nachstehend eine Supply‐ Chain‐gerechte Produktentwicklung verstanden (synonym auch „Supp‐ ly  Chain  Driven  Product  Development“  oder  „Design  for  Supply  Chain“). Ein Supply Chain Engineering umfasst sechs Bausteine: Vielfalt  der  Varianten,  Konfiguration  der  Teile, Auswirkungen  auf  die  Beschaf‐ fungsplanung, Bedingungen für Lagerung und Transport, Komponenten  der Verpackung sowie Zusammensetzung der Erzeugnisse (vgl. Pawellek  et al. 2005; Schulte 2017, S. 400ff.). 

B.5.4.1

B.5 Logistikgerechte  Produktentwick‐ lung 

Vielfalt der Varianten

Im Rahmen der Festlegung der Variantenanzahl ergeben sich eine Reihe  von  Zielkonflikten  (Trade‐offs)  innerhalb  einer  Organisation: Aus  Sicht  des  Supply  Chain  Managements  sollte  das  Spektrum  der  zu  entwi‐ ckelnden  Varianten  überschaubar  bleiben:  Jede  neu  konzipierte  Sach‐ nummer  muss  schließlich  auch  logistisch  verwaltet  werden.  Vielfältige  administrative Tätigkeiten (wie das Anlegen der Sachnummer im Teile‐ stamm) treiben bekanntlich die Prozesskosten in die Höhe. 

Viele Varianten als  logistisches Desas‐ ter 

Der Vertriebsmitarbeiter wird hingegen eine Variantenvielfalt schätzen.  Dadurch  kann  er  seinen  Kunden  unterschiedliche  Produktvarianten  vorlegen, neue Märkte erschließen und sich gegenüber dem Wettbewerb  positionieren.  Vielleicht  trifft  eine  der  angebotenen  Alternativen  exakt  die Wünsche des Kunden und führt zum Vertragsabschluss. 

Dem Kunden  alternative Varian‐ ten offerieren 

Die  Entwicklung  der  Produktalternativen  entspricht  möglichst  dem  Grundsatz  eines  modernen  Variantenmanagements:  Maximierung  der  nach  außen  durch  den  Kunden  wahrgenommenen  Variantenvielfalt  bei  gleichzeitiger  Minimierung  der  intern  eingesetzten  Anzahl  an  Teilen,  Baugruppen  oder  Komponenten.  Die  Auslotung  dieses  Balanceakts  kann  zur  Herkulesaufgabe  geraten.  Denn  es  ist  nicht  leicht,  den  richti‐ gen Grad an Produktindividualisierung zu treffen. Wird diese Schraube  überdreht,  ergeben  sich  negative  logistische  Effekte  (der  Aufwand  für  das  Handling  der  Sachnummern  steigt).  Zur  Lösung  dieses  Spagats  zwischen Standardisierung und Individualisierung kann der Hybridan‐ satz  Mass  Customization  (vgl.  S.  164)  eingesetzt  werden.  Die  Modul‐ bauweise erfolgt quasi aus dem Baukasten heraus (begrenzte Varianten‐ anzahl)  und  wird  durch  den  kundenindividuellen  Zuschnitt  der  Pro‐

Mass Customizati‐ on als Lösungsan‐ satz 

125

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

duktalternativen dennoch den speziellen Wünschen der Kunden gerecht  (große Variantenanzahl). 

B.5.4.2

Konfiguration der Teile

„Man ist niemals  zu schwer für seine  Größe, aber man ist  oft zu klein für sein  Gewicht.“             (G. Fröbe) 

Schon in der Produktentwicklung werden mit der Teilekonfiguration die  Weichen für logistische Folgeentscheidungen gestellt. Das Gewicht, das  Volumen  und  die  Form  von  Sachnummern  beeinflussen  spätere  Distri‐ butions‐,  Kommissionierungs‐  und  Lagerungsvorgänge.  Beispielsweise  hängen  die  Auswahl  der  Ladungsträger  und  das  manuelle  Handling  von Produkten von ihrer Beschaffenheit ab. Leichte Produkte sind ein‐ facher in der Handhabung und benötigen weniger Hilfe beim Umladen,  Bewegen  oder  Umschlagen.  Die  Faustregel  lautet:  Durch  die  Verwen‐ dung  von  Standardgrößen  (beispielsweise  der  Ladungsträger)  und  die  Vermeidung von Sperrigkeit werden die Logistikkosten gesenkt. 

Standardisierte  Bauteile entwickeln 

Aber auch die Bauweise der Teile beeinflusst die nachfolgende Logistik:  Bei  einer  Integralbauweise  erfolgt  die  Konstruktion  aus  wenigen  Sach‐ nummern (z. B. Gussteile), die eine hohe Komplexität auszeichnet. Folg‐ lich  benötigen  integrale  Teile  besondere  Verpackungen  und  viel  Platz  zur Lagerung. Bei Differenzialteilen hingegen werden einfach zu produ‐ zierende  Komponenten  zu  einem  fertigen  Bauteil  montiert. Auf  Grund  der  Vielzahl  von  Einzelsachnummern  benötigen  differentiale  Bauteile  einen  großen  logistischen  Steuerungsaufwand.  Außerdem  lassen  sich  symmetrische  Bauformen  besser  in  Bearbeitungsmaschinen  einspannen  als Differenzialteile (Minimierung der Bearbeitungsvorgänge).  

Unempfindliche  Oberflächen er‐ leichtern das logis‐ tische Handling 

Auch  die  Oberflächenbeschaffenheit  konstruierter  Teile  wirkt  sich  auf  logistische Folgeentscheidungen aus: Für stoßempfindliche Oberflächen  müssen besondere Schutzmaßnahmen eingeleitet werden (weiche Unter‐ lagen,  zusätzliches  Verpackungsmaterial,  erhöhter  Transportaufwand).  Auch  wirkt  sich  die  Oberflächenbeschaffenheit  von  Materialen  auf  den  Verpackungsprozess  aus:  Unempfindliche  Oberflächen  können  häufig  automatisiert verpackt werden. Besondere Spielregeln gelten für Gefahr‐ stoffe  und  Gefahrgut.  Sie  verursachen  hohe  Kosten  für  Verpackung,  Lagerung und Transport (vgl. Schulte 2017, S. 402). 

B.5.4.3 Einfache Beschaf‐ fungsplanung  garantieren 

Auswirkungen auf die Beschaffungsplanung

Das  Supply  Chain  Engineering  beeinflusst  die  Beschaffungsplanung  nachhaltig.  Dies  betrifft  insbesondere  die  Lieferantenauswahl,  die  Wie‐ derbeschaffungszeit der Materialien sowie die Integration von Lieferan‐

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Time Based Competition

B.5

ten. Für die Lieferantenauswahl (Sourcing‐Entscheidung) gilt, dass die  Raten  entwicklungstechnischer  Restriktionen  und  spezieller  Konfigura‐ tionen  das  Spektrum  möglicher  Zulieferer  begrenzt.  Auch  ein  patent‐ rechtlicher Schutz engt die Auswahl möglicher Beschaffungsquellen ein.  Die Wiederbeschaffungszeit von Einzelteilen ist eng verwoben mit der  Integration  von  Lieferanten.  Technische  Kompatibilitäten  zwischen  Herstellern und Lieferanten sind nicht zwingend mit logistischen Zielen  deckungsgleich: Während die Technik besonders das Innovationspoten‐ zial  von  Lieferanten  wertschätzt,  achtet  die  Logistik  verstärkt  auf  den  Lieferservicegrad des Anbieters. 

B.5.4.4

Enge Beziehungen  zu Tier 1 Anbietern  schaffen 

Bedingungen für Lagerung und Transport

Ein  zeitgemäßes  Supply  Chain  Engineering  berücksichtigt  Lager‐  und  Transportbedingungen einzelner Teile. Die Ingenieure sollten frühzeitig  Komponenten  wie  Temperatur,  Luftfeuchtigkeit  und  Lagerdauer  in  ihren  entwicklungsspezifischen  Überlegungen  berücksichtigen.  Beson‐ dere  Anforderungen  ergeben  sich  für  temperaturfühlige  Güter.  In  der  Kältelogistik darf  die  Kühlkette  nicht  unterbrochen  werden  (vgl.  S.  56).  Temperaturstabile  Güter  kommen  hingegen  ohne  Isolierung  oder  Klimaanpassung aus. 

Wenn die Kühlket‐ te reißt, können die  Folgen dramatisch  sein 

Im Rahmen der Distribution der Güter sind spezielle Transportlagen zu  vermeiden:  Werden  Produkte  in  unterschiedlicher  Lage  transportiert,  vermindert  sich  deren  Packungsdichte  auf  dem  Transportmittel,  wodurch die Distributionskosten steigen. Auch ist eine Verschachtelung  der  Bauteile  ineinander  kaum  möglich.  Die  Verpackungs‐  und  die  Transportprozesse  werden  komplizierter,  spezielle  Sonderhilfsmittel  (wie Hängevorrichtungen oder Tragehilfen) sind notwendig. 

Ladefläche optimal  nutzen 

Die  Begrenzung  der  Lagerdauer  führt  zum Anstieg  der  Logistikkosten.  Wird  korrosionsfestes  Material  eingesetzt,  nehmen  die  Beschaffungs‐  und Produktionskosten zu. Doch lohnen sich diese Zusatzkosten häufig,  wenn  sich  später  in  den  Lagerprozessen  Kostenreduktionen  ergeben  (positive Trade‐off‐Situation). 

Total‐Cost‐of‐ Ownership‐ Analyse 

B.5.4.5

Komponenten der Verpackung

Eine  logistikgerechte  Produktentwicklung  berücksichtigt  frühzeitig  verpackungslogistische  Folgeentscheidungen.  Das  Primärziel  besteht  darin,  die  Packdichte  (Behälterfüllgrad,  Stauraumausnutzung)  auf  den 

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Packdichte gewähr‐ leisten 

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

Transportmitteln  zu  optimieren.  Grundsätzlich  gilt:  Je  höher  die  Pack‐ dichte,  desto  geringer  die  Transportkosten.  Große  Mengen  an  Verpa‐ ckungsmaterial  vermindern  die  Stauraumausnutzung.  Schon  geringfü‐ gige  Änderungen  an  der  Verpackung  selbst  können  zur  Vergrößerung  der  Packdichte  führen  (Stapelbarkeit,  Bauteilabstände,  Gewichtsrestrik‐ tionen).  Standardisierung  schlägt Spezialisie‐ rung 

Der  Einsatz  standardisierter  Ladungsträger  (Kisten,  Kartons,  Paletten,  Behälter, Container) mit normierten Abmessungen dient der Reduktion  von Prozess‐ und Transaktionskosten. Spezialladungsträger sind sowohl  in  ihrer  Anschaffung  als  auch  in  ihrem  Betrieb  teuer.  Beispielsweise  führen  sie  zu  hohen  Reinigungskosten,  da  Logistikdienstleister  ihre  Prozesse  auf  die  Nutzung  von  Standardladungsträgern  ausgerichtet  haben. 

B.5.4.6

Zusammensetzung der Erzeugnisse

Komponentenbau‐ weise nutzen 

Schließlich  beinhaltet  ein  Supply  Chain  Engineering  die  Entwicklung  einer logistikgerechten Zusammensetzung der Erzeugnisse. Die Produk‐ te  können  in  ihrer  Struktur  auf  unterschiedliche  Weise  verbessert  wer‐ den.  Beispielsweise  beeinflusst  die  Anzahl  der  im  Produkt  verbauten  Einzelteile  nachhaltig  logistische  Folgeentscheidungen.  Eine  hohe  An‐ zahl  verschiedener  Bauteile  vergrößert  die  Lieferantenanzahl.  Dadurch  gehen  Volumeneffekte  im  Einkauf  verloren.  Außerdem  entstehen  hohe  Transaktions‐ und Kapitalbindungskosten (vgl. Schulte 2017, S. 403). 

Chancen und  Risiken von Gleich‐ teilen ausloten 

Gleichteile (Mehrfachverwendungsteile) werden in diversen Varianten  eines  Produkts  verbaut  (Plattformstrategie).  Mit  ihrer  Verwendung  steigt die Einkaufsmacht des Herstellers: es lassen sich in der Verhand‐ lung  mit  einem  Lieferanten  Preisvorteile  herausschlagen.  Der  Einsatz  von Standardteilen erleichtert die komplette Beschaffungs‐ und Absatz‐ planung. Die Folge sind reduzierte Sicherheitsbestände, die zu positiven  Cash‐Flow‐Effekten  führen.  Es  soll  allerdings  nicht  verschwiegen  wer‐ den, dass ein Stock‐out von Gleichteilen verheerende Auswirkungen auf  die Fertigungsprozesse hat. Dann droht gleich ein mehrfacher Bandstill‐ stand. 

Kritische Bauteile  möglichst vermei‐ den 

Werden hingegen spezielle, kritische Bauteile konstruiert, sieht sich die  Ersatzteillogistik  (Spare  Parts)  mit  dem  Problem  konfrontiert,  die  lang‐ fristige  Verfügbarkeit  dieser  Teile  zu  sichern.  Besonders  schwierig  ist  dieses Ersatzeilmanagement bei kurzen Produktlebenszyklen. Hier geht  die  Schere  zwischen  Lebensdauer  des  Produkts  und  anschließender 

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Time Based Competition

B.5

Verfügbarkeit von Ersatzteilen besonders auseinander. So befinden sich  etliche Notebooks kaum länger als ein halbes Jahr auf dem Markt. Ihre  Versorgung  mit  Ersatzteilen  muss  hingegen  häufig  über  zehn  Jahre  ge‐ währleistet sein. 

B.5.5

Auswirkungen auf das Supply Chain Management

Der Wettbewerbsfaktor Zeit hat signifikanten Einfluss auf das Order‐to‐ Payment‐S. Für die Optimierung der Supply Chain sind die beiden Mög‐ lichkeiten  von  Prozessbeschleunigung  und  Prozessentschleunigung  zu  untersuchen. Zumeist wird erster Variante der Vorrang eingeräumt, um  die Durchlaufzeiten zu verkürzen, was zum Beispiel durch  schnelleres  Einrichten  der  Maschinen  gelingt.  Verbesserungsmaßnahmen  sind  aber  nicht erst im Fertigungsprozess selbst, sondern bereits im vorgelagerten  Entstehungszyklus  von  Produkten  und  Prozessen  zu  suchen.  In  der  Produktentwicklung werden die Weichen zur Optimierung von Durch‐ laufzeiten  und  Rüstzeiten  gestellt.  Die  Maschinen  sind  fertigungs‐  und  montagegerecht  zu  konstruieren,  um  die  Ansprüche  nach  Reaktionsfä‐ higkeit  und  Anpassungsfähigkeit  gleichsam  zu  erfüllen.  Eine  derart  ausgerichtete Produktentwicklung wird als Design‐for‐Manufacturing‐ and‐Assembling  (DFMA)  bezeichnet.  In  der Automobilindustrie  strebt  DFMA  –  durch  die  Aufteilung  des  Fahrzeugs  in  Baugruppen  –  nach  einer  verbesserten Austauschbarkeit  von  Komponenten.  Mercedes  bezif‐ fert allein für sein Werk Sindelfingen das jährliche Einsparungspotenzial  von DFMA auf 25 Millionen Euro (vgl. Batchelor/Schmidt 2004, S. 25). 

Fertigungs‐ und  montagegerechte  Konstruktion 

In  schnellen  Supply  Chains  lassen  sich  Wettbewerbsvorteile  erzielen.  Dies  gilt  insbesondere  für  Innovationsführer  („Design  Leader“,  vgl.  S.  52).  Unternehmen  wie  Apple,  Nike  oder  Sony  setzen  viele  Trends.  Diese  Innovationsführer  versuchen  Marktzugangsbarrieren  aufzubauen,  was  ihnen auf sehr unterschiedliche Art gelingt: 

Design Chain  Management 

 Innovationsführer leiten Economies of Scale (Betriebsgrößenersparnisse)  ein,  indem  sie  die  Fixkosten  auf  zunehmende  Produktionsmengen  verteilen. 

 Design Leader agieren gemeinsam mit Partnern in der Supply Chain.  Dadurch schöpfen sie Economies of Scope aus (Verbundeffekte). Sie for‐ cieren  frühzeitig  Lieferantenintegrationsprozesse.  Beispielhaft  stehen  dafür System Sourcing oder Modular Sourcing (vgl. S. 180). 

129

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

 Weiterhin generieren innovative Supply‐Chain‐Akteure Dichtevorteile  (Economies of Density). Beispielsweise erzielen sie Bündelungseffekte in  Industrieparks (wie in Hambach, bei der Fertigung des „Smart“). Aus  dieser Agglomeration erwachsen Kostenvorteile („Cost Sharing“). 

 Außerdem  können  Innovationsführer  Marktzugangsbarrieren  über  eine  aggressive  Preispolitik  schaffen  („Penetration  Pricing“),  indem  sie  beispielsweise  Betriebsgrößenersparnisse  oder  Differenzierungsvor‐ teile ausnutzen. 

 Raising Rivals Costs: Schließlich kann eine Zugangsschranke für einen  Markt  über  abschreckende  Maßnahmen  errichtet  werden.  Hiernach  verlangt  der  First‐to‐Market  von  einem  Folger  überhöhte  Preise  für  den Gebrauch seiner Kapazitäten: Zum Beispiel in der Telekommuni‐ kation für die Nutzung von Netzen.  IT‐ Unterstützung  in der Supply  Chain gewährleis‐ ten 

Für  die  Zusammenarbeit  im  Team  ist  eine  adäquate  IT‐Architektur  zu  schaffen.  Der  interne  und  der  kooperative  Know‐how‐Transfer  werden  durch  vernetztes  Arbeiten  gewährleistet.  Kommunikations‐,  Dokumen‐ tations‐  sowie  Rechercheprozesse  in  der  Supply  Chain  sollten  auf  dem  Gedanken  von  Groupware  basieren.  Dadurch  sind  Informationsinseln  zu vermeiden. Die Mitglieder können auf das identische und stets aktu‐ elle  Datenmaterial  zurückgreifen.  In  der  Logistikkette  realisieren  diese  Voraussetzungen  EDI  (Electronic  Data  Interchange)  und  Web‐EDI.  Im  Simultaneous‐Engineering‐Team  unterstützen  vor  allem  die  Mitglieder  der  Funktionsbereiche  Logistik,  Einkauf  und  Operations  die  Optimie‐ rung  innerhalb  der  Supply  Chain.  Sie  müssen  ihre  Anforderungen  ge‐ genüber dem IT‐Bereich durchsetzen, welcher die Grundlage für eine IT‐ Anbindung aller Wertschöpfungspartner sichert. 

„It’s better to burn  out than to fade  away…“              (N. Young) 

Ein  Supply  Chain  Management  kann  sich  auch  auf  eine  beabsichtigte  Entschleunigung  von  Prozessen  beziehen  (vgl.  in  diesem  Kontext  die  Strategien  des  Postponements  auf  S.  169).  Dies  ist  beispielsweise  mög‐ lich,  wenn  das  Unternehmen  über  eine  Quasi‐Monopolstellung  verfügt  oder  patentrechtlichen  Schutz  für  bestimmte  Leistungen  genießt.  Wer‐ den die mit den Lieferanten und Kunden im Rahmenvertrag vereinbar‐ ten Richtwerte eingehalten, können Hersteller typische logistische Fehler  vermeiden: Überlieferungen oder Unterlieferungen von Kunden (abwei‐ chende  Liefermengen),  unkorrekte  Liefertermine,  falsche  Warenanhä‐ nger (Label), qualitative Defizite der Waren, unkorrekte Lieferorte oder  falsche Verpackungen. 

130

Verständnisfragen

B.6

Verständnisfragen

 Charakterisieren  Sie  die  Triebkräfte  des  Wettbewerbs  und  die  Strate‐ gien  zur  Marktbearbeitung  nach  M.  E.  Porter.  Inwieweit  beeinflussen  diese Triebkräfte mögliche Entwicklungen innerhalb moderner Supp‐ ly Chains? 

 Was ist eine Kernkompetenz? Welche Voraussetzungen müssen gege‐ ben sein, dass Kernkompetenzen entstehen können? Nennen Sie drei  Praxisbeispiele  für  die  Existenz  von  Kernkompetenzen  aus  dem  be‐ trieblichen Umfeld. 

 Kennzeichnen  Sie  den  Market‐Based‐View  und  den  Resource‐Based‐ View in ihren Grundzügen. Wie lassen sich beide Ansätze im GEKKO  kombinieren? Stellen Sie in einer Tabelle die Vorteile und die Nachtei‐ le von GEKKO gegenüber. 

 Charakterisieren Sie die Weiterentwicklung des Resource‐Based‐View  zum  Relational‐View.  Gehen Sie  dabei  auf  spezifische Erweiterungen  im Lichte der Supply Chain ein. 

 Was  ist  ein  Total  Quality  Management?  Gehen  Sie  näher auf  den  Be‐ griff  ein.  Beschreiben  Sie  die  Bedeutung  von  TQM  für  zeitgemäße  Wertschöpfungsketten. 

 Wie unterstützen Lean Management und Kaizen Management ein To‐ tal  Quality  Management?  Charakterisieren  Sie  in  Stichpunkten  Lean  Management  und  Kaizen  Management.  Inwiefern  beeinflusst  ein  To‐ tal Quality Management die Ausgestaltung einer Supply Chain? 

 Zeigen  Sie  Möglichkeiten  und  Grenzen  des  Business  Reengineerings  auf. Beschreiben Sie die vier „Re’s“ des Business Reengineerings. Wel‐ che Gefahren messen Sie einem Reengineering bei? 

 Eignet sich eine Bombenwurfstrategie für das Supply Chain Manage‐ ment?  Begründen  Sie  Ihre  Aussage.  Nennen  Sie  Gründe,  warum  im  betrieblichen  Umfeld  durchschnittlich  drei  von  vier  Reengineering‐ Projekten scheitern. 

 Mit  Hilfe  welcher  Strategien  und  welcher  Instrumente  können  Orga‐ nisationen  ihre  Time‐to‐Market  verkürzen?  Charakterisieren  sie  kurz  diese Strategien und Hilfsmittel. 

 Warum  kann  in  Supply  Chains  der  Einsatz  bewusster  zeitlicher  Ver‐ zögerungsstrategien  (Entschleunigung)  zur  Erzielung  von  Wettbe‐ werbsvorteilen führen?     

131

B.6

B

Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain

 Simultaneous Engineering: Beschreiben Sie das Verfahren und zeigen  Sie  die  Unterschiede  zu  einer  Sukzessiven  Produktentwicklung  auf.  Nennen Sie Vorteile und Nachteile von Simultaneous Engineering für  die Ausgestaltung einer Wertschöpfungskette. 

 Rapid Prototyping: Klären Sie den Begriff. Welches sind die wichtigs‐ ten  Techniken  des  Rapid  Prototypings?  Suchen  Sie  sich  ein  solches  Verfahren aus und benennen Sie dessen Vorteile und Nachteile stich‐ punktartig in einer Tabelle. 

 Erklären Sie die derzeitige Euphorie um das 3D‐Printing. Welche Wei‐ terentwicklungen  in  den  nächsten  Jahren  erwarten  Sie  von  diesem  Verfahren? 

 Resident Engineering: Geben Sie dazu ein Beispiel aus der Automobil‐ industrie an. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die  Nachteile des Verfahrens gegenüberstellen. 

 Charakterisieren  Sie  das  Instrument  Design‐for‐Manufacturing‐and‐ Assembling  in  seinen  Grundlagen.  Führen  Sie  ein  Beispiel  aus  dem  betrieblichen Umfeld an. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie Vorteile  und Nachteile von DFMA gegenüberstellen. 

 Nennen  Sie  Gründe  für  eine  bewusste  Entschleunigung  in  Supply  Chains  (Postponement‐Strategie).  Ziehen  Sie im  Rahmen  Ihrer  Erläu‐ terung die Kostenaufwuchskurve heran. 

 Welches  sind  die  Einflüsse  von  Time  Based  Competition  auf  das  Supply  Chain  Management  von  Unternehmen?  Nennen  Sie  Vorteile  und  Nachteile  von  Beschleunigungs‐Strategien  für  eine  zeitgemäße  Supply Chain.  

 Beschreiben  Sie  die  einzelnen  Komponenten  eines  Supply  Chain  En‐ gineerings. Wählen Sie einen dieser Stellhebel für eine logistikgerech‐ te  Produktentwicklung  aus  und  stellen  Sie  in  einer  Tabelle  mögliche  Vorteile und Nachteile dieses Instruments gegenüber. 

132

Lernziele und Vorgehensweise

C.1

C Strategien des Supply Chain Managements

Die  unter  Kapitel  B  beschriebenen  Führungskonzepte  sind  eine  Platt‐ form für das Supply Chain Management. Basierend auf diesen Ansätzen  können  in  den  Lieferketten  unterschiedliche  Strategien  Einsatz  finden.  Ihre  Auswahl  hängt  von  den  Besonderheiten  der  Organisationen  ab,  wobei sich diese Konzepte in der Supply Chain auf die Versorgung, die  Entsorgung und das Recycling von Unternehmensaktivitäten beziehen. 

C.1

Lernziele und Vorgehensweise

Das  Lernziel  von  Kapitel  C  besteht  darin,  Versorgungs‐,  Entsorgungs‐  und  Recyclingstrategien  von  Wertschöpfungsketten  zu  beschreiben.  Sie  gewährleisten  den  Warenfluss  im  Order‐to‐Payment‐S.  Im  weiteren  Vorgehen werden die Grundlagen, im Schwerpunkt die Möglichkeit zur  Kooperation zwischen Lieferant, Hersteller und Kunde, aufgezeigt. An‐ schließend  findet  die  Kennzeichnung  von  Versorgungsstrategien  statt.  Efficient  Consumer  Response,  Customer  Relationship  Management,  Mass  Customization,  Postponement,  Sourcing‐  und  Beschaffungsstrate‐ gien,  Ersatzteil‐  und  Risikomanagement  sowie  elektronische  Lieferket‐ ten  und  Kognitive  Supply  Chains  stehen  im  Mittelpunkt.  Außerdem  sind  für  ein  Supply  Chain  Management  Ansätze  von  Entsorgung  und  Recycling zu skizzieren, bevor Verständnisfragen gestellt werden. 

C.2

Strategien zur  Umsetzung von  Führungskonzep‐ ten 

Lernziele und  Vorgehensweise 

Grundlagen

Kooperationsstrategien  unterstützen  die  Funktionen  von  Versorgung,  Entsorgung und Recycling innerhalb zeitgemäßer Lieferketten. Koopera‐ tive Strategien richten sich vertikal oder horizontal aus. Ihre Unterschei‐ dung orientiert sich an den integrierten Wertschöpfungsstufen (vgl. Abbil‐ dung C.1). 

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_3

133

Formen der Koope‐ ration 

C

Strategien des Supply Chain Managements

 Vertikale  Kooperationsstrategien  erfolgen  mit  vor‐  oder  nachgelagerten  Wertschöpfungspartnern.  Erste  beziehen  sich  auf  die  Lieferantenin‐ tegration, letzte auf die Kundeneinbindung. 

 Horizontale Kooperationsstrategien richten sich auf die gleiche Stufe der  Wertschöpfung  aus.  Sie  finden  zwischen  konkurrierenden  Partnern  statt, häufig in Form strategischer Allianzen.  Abbildung C.1 

Vertikale und horizontale Kooperation  Kooperationsstrategien  Vertikale Kooperationen 

Horizontale Kooperationen 

Kundenkooperation 

Strategische Allianz 

Lieferantenkooperation 

Coopetition 

 

„Nur wo das Geld  regiert, in der  Kunde König. Wo  Materialien knapp  sind, ist der Liefe‐ rant ein Fürst.“  (Redewendung)  

C.2.1

Vertikale Kooperationsstrategien

C.2.1.1

Lieferantenkooperation

Das Verhältnis zwischen Lieferant und Kunde intensiviert sich seit eini‐ gen  Jahren.  Der Anbieter  wird  als  „echter“  Wertschöpfungspartner  ak‐ zeptiert. Jeder Lieferant bedeutet für den Kunden eine Schnittstelle. Sie  bindet Kapazitäten, zum Beispiel für die Steuerung der Disposition. Der  Trend  geht  dahin,  dass  viele  Hersteller  ihre  Anzahl  an  Lieferanten  (Number‐of‐Active‐Suppliers) insgesamt verringern. So trennte sich der  Bekleidungshersteller  Steilmann  innerhalb  eines  Jahres  von  40%  seiner  Zulieferer,  um  dadurch  seine  Stellung  im  Wettbewerb  zu  verbessern.  Der  britische  Lebensmittelhersteller  Quaker  Oats  drückte  die  Zahl  der  Zulieferer für Faltkartons von 22 auf gerade einmal zwei. Ebenso redu‐ zierte  der  Luft‐  und  Raumfahrtkonzern  EADS  seine  Lieferantenanzahl,  über  den  Zeitraum  von  vier  Jahren,  drastisch  (von  3.000  auf  500).  Den  verbliebenen Lieferanten wurde dabei mehr Verantwortung übertragen. 

134

Grundlagen

C.2

Der  Anlass  zur  Einleitung  dieser  drastischen  Maßnahme  waren  Lie‐ ferverzögerungen des Flaggschiffs „A 380“. Schließlich suchte auch Sony  in  einem  Lieferantenreduzierungsprogramm  sein  Heil.  Das  Unterneh‐ men  halbierte  die  Anzahl  seiner  Lieferanten  in  zwei  Jahren  auf  1.200  aktive Anbieter.  Die  Beschaffungskosten  wurden  dadurch  um  20%  her‐ untergefahren.   In  vielen  Branchen  überträgt  die  Industrie  den  Lieferanten  mehr  Ver‐ antwortung.  Die  Lieferanten  rücken  näher  an  den  Hersteller  heran.  Sie  werden  in  Industrieparks  –  vielfach  in  direkter  Nähe  des  Herstellers,  oder  auf  dem  Gelände  des  Kunden  selbst  –  angesiedelt.  Ein  Beispiel  dafür zeigt Block c.1. 

Lieferantenintegration in Hambach 

Beispiele zur Liefe‐ rantenreduktion 

Beispielblock c.1 

 In Hambach (Frankreich) fertigt MCC den „Smart“. Dazu hat die Organi‐ sation sieben ausgewählte Lieferanten in Werksnähe in einem Industrie‐ park  integriert  („Smartville“).  Darunter  befinden  sich  Continental  und  Magna.  Die  Tagesproduktion  beträgt  circa  560  Fahrzeuge.  MCC  wird  Just‐in‐Sequence  beliefert,  wodurch  die  Sicherheitsbestände  vergleichs‐ weise  gering  sind.  Das  Werk  ist  in  Kreuzform  konzipiert  („Montage‐ plus‐Konzept“).  Jeder  der  vier  Äste  übernimmt  verschiedene  Logistik‐  und Montageanforderungen: Cockpitintegration in die Stahlkarosse (Ast  1),  Hochzeit  des  Fahrzeugs,  indem  technische  Arbeiten  unter  dem  „Smart“  stattfinden  (Ast  2),  Verkleidung  des  Autos  mit  Panels,  Türen  und  Scheiben  (Ast  3)  sowie  Einbau  der  Sitze,  Zubehörteile  und  Räder  (Ast 4). Dabei ist die Bauweise streng modular. Die jeweiligen Baugrup‐ pen  laufen  über  Fließbänder  direkt  bis  an  die  Montagestraßen.  Diese  Struktur  benötigt  nur  wenig  Platz.  Die  maximale  Entfernung  zwischen  Andockstelle  pro  Lieferant  und  Montageband  beträgt  gerade  einmal  zehn Meter. Der „Smart EQ“ ist die Elektrovariante. Derzeit überlegt sich  Daimler, die Produktion des „Smart EQ“ nach China zu verlagern.    

Auf  Grund  der Absicht  der  Hersteller,  die Anzahl  ihrer  Lieferanten  zu  reduzieren,  reagieren  einige  Zulieferer  mit  Verbundstrategien.  Zum  Beispiel  schlossen  sich  160  zumeist  kleinere  Anbieter  in  Österreich  zu  dem  steirischen  Automobilnetzwerk  AC  Styria  zusammen.  Der  Cluster  stellt eine auf die Automobilindustrie gerichtete Symbiose aus Zuliefer‐ unternehmen  dar.  Heute  finden  hier  über  40.000  Menschen  ihren  Ar‐ beitsplatz.  Mittlerweile  ist  der  Verbund  auf  180  Partner  angewachsen. 

135

Lieferanten koope‐ rieren auch unter‐ einander 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Der Gesamtumsatz liegt bei über 2 Milliarden Euro per annum. In dem  Cluster kooperieren beispielsweise 25 Partner aus Österreich, die Opel in  Deutschland mit Teilen beliefern. Sie schöpfen Synergiepotenziale in der  Logistik  aus  und  senken  die  Frachtkosten  durch  die  gemeinsame  Nut‐ zung  von  Flurförderzeugen.  Das  Projekt  der  Steirer  entlehnt  sich  der  Verbund Initiative Automobil (VIA) in Nordrhein‐Westfalen.  Möglichkeiten der  Lieferantenintegra‐ tion 

Die Hersteller nutzen die Spezialkenntnisse und die Flexibilität der Lie‐ feranten, um ihre eigenen Kapazitäten zu entlasten. Eine Zusammenar‐ beit zwischen Hersteller und Zulieferer kann hinsichtlich der Bindungs‐ intensität  sowie  des  Leistungspotenziales  unterschieden  werden  (vgl.  Begriffsblock C.I und S. 187). 

Begriffsblock C.I 

Möglichkeiten der Lieferantenanbindung 

 Unterscheidung nach der Bindungsintensität  - Systemlieferanten:  Sie  beliefern  den  Hersteller  direkt  (First‐Tier‐ Supplier).  Zum  Teil  wird  ihnen  die  Entwicklungsverantwortung  übertragen.  Eine  Verzahnung  mit  dem  Hersteller  ist  auf  Dauer  ausgerichtet, die Bindungsintensität hoch. 

- Sublieferanten: Es sind Anbieter der zweiten oder nächsten Ord‐ nung (Tier 2 bis Tier n). Sie sind direkte oder indirekte Lieferan‐ ten eines Systemanbieters und indirekte Zulieferer des Herstellers  (OEM).  Der  Einfluss  des  Produzenten  auf  die  Sublieferanten  ist  gering, die Bindungsintensität zwischen den Akteuren niedrig. 

 Unterscheidung nach dem Leistungspotenzial  - Black‐Box‐Lieferanten:  Black‐Box‐Lieferanten  werden  frühzeitig  in  die  Produktentwicklung  des Herstellers einbezogen.  Das Soll‐ profil  definiert  dieser  im  Lasten‐  und  Pflichtenheft.  Im  Rahmen  der  Realisierung  von  Anforderungen  werden  dem  Lieferanten  Freiheiten eingeräumt, sein Leistungspotenzial ist sehr hoch.  

- Detailvorgabelieferanten:  Ein  Hersteller  überlässt  dem  Detail‐ vorgabelieferanten Zeichnungen und Skizzen. Dieser fertigt nach  strikten  Anweisungen.  Der  Detailvorgabelieferant  richtet  sein  Leistungsangebot  nach  den  Rahmen‐  und  den  Fertigungsbedin‐ gungen des Produzenten aus. 

- Kataloglieferanten: Standardteile werden von den Kunden quasi  aus einem Katalog abgerufen. Spezifische Wünsche bleiben unbe‐ rücksichtigt. Das Leistungspotenzial des Anbieters ist niedrig.   

136

Grundlagen

C.2

Auf  S.  119  wurde  bei  der  Beschreibung  von  Simultaneous  Engineering  kurz  auf  die  Möglichkeit  des  Resident  Engineerings  eingegangen.  Lie‐ feranten  entsenden  eigene  Mitarbeiter  zum  Hersteller.  Für  die  Dauer  von  zwei  bis  drei  Jahren  werden  diese  in  die  Produktentwicklung  des  Herstellers integriert, weil in den frühen Phasen die größten Möglichkei‐ ten  zur  Beeinflussung  der  Wettbewerbsfaktoren  Kosten,  Zeit,  Qualität,  Flexibilität,  Innovation,  Nachhaltigkeit  und  Information  bestehen  (vgl.  Beispielblock c.2). 

Was ist ein Resi‐ dent Engineer? 

Resident Engineering 

Beispielblock c.2 

Continental Automotive Systems und Thyssen Krupp entsenden Resident Engi‐ neers  nach  Wolfsburg  zu  VW.  Diese  sind  in  die  Entwicklung  eines  Triebstrangs für den neuen Golf involviert. Frühzeitig richten die Ingenieure   der  beiden  Zulieferer  ihre Aktivitäten  auf  die  Wünsche  des  Herstellers  VW  aus. 

Zur  Verbesserung  ihres  Supply  Chain  Managements  werden  die  Ab‐ nehmer aktiv und schulen ihre Lieferanten. Die Kunden versuchen eine  Kompatibilität zwischen den Akteuren herzustellen. In die Entwicklung  der  „Concorde“  bezog  Chrysler  ausgewählte  Lieferanten  ein,  stattete  diese  mit  einer  identischen  (CAD‐gestützten)  Software  aus  und  schulte  die  Mitarbeiter  der  Zulieferer.  Fragen  der  Lieferanten  konnten  direkt  beantwortet werden. Für Chrysler gab es keine Konvertierungsprobleme  mit den eingehenden Dateien. 

Fitness‐for‐use 

Die  Zusammenarbeit  zwischen  Lieferant  und  Kunde  kann  jedoch  auch  Probleme beinhalten. Gefahren für ein Supply Chain Management sind  vor  allem  darin  zu  sehen,  dass  einer  der  Beteiligten  versucht,  einseitig  die  Preise  zu  drücken,  oder  lediglich  die  Bestandsverantwortung  auf  einen  Dritten  zu  überwälzen.  Auch  wird  die  eherne  Zielsetzung  einer  Win‐Win‐Situation zwischen Lieferanten und Kunden manchmal auf eine  ernste Probe gestellt, was nachstehendes Beispiel unterstreicht: 

Nicht immer funk‐ tionieren Lieferan‐ tenanbindungen 

 Unter  dem  Signet  „Lopéz‐Effekt“  ist  das  Preisdiktat  des  ehemaligen  Opel‐ und späteren VW‐Einkaufschef José Ignacio Lopéz de Arriorùa we‐ nig  rühmlich  in  die  Geschichte  eingegangen.  Gemäß  der  „Rasenmä‐ her‐Methode“  verlangte  Lopéz  den  Lieferanten  seinerzeit  in  einem  „Brandbrief“  Preisreduzierungen  von  bis  zu  10%  ab.  Er  begründete  dies,  indem  die  Lieferanten  Verbesserungsvorschläge  erarbeiten  soll‐ ten, die zu einer Kostenreduktion führen. 

137

C

Strategien des Supply Chain Managements

C.2.1.2 „Der Kunde steht  bei uns im Mittel‐ punkt, und deshalb  immer im Weg.“  (Redewendung) 

Basic Needs 

Kundenkooperation

Neben  der  Zusammenarbeit  mit  den  Lieferanten  suchen  die  Hersteller  auch eine intensivierte Kooperation mit ihren Kunden. Die Erwartungen  und  die  Anforderungen  von  Kunden  werden  vielfach  in  Gruppen  ge‐ bündelt. Es sind in diesem Zusammenhang drei Arten zu unterscheiden:  Ausgesprochene  Erwartungen,  unausgesprochene  Anforderungen  so‐ wie unausgesprochene Erwartungen. 

 Ausgesprochene  Erwartungen:  Sie  beinhalten  Wünsche,  welche  die  aktuellen  und  potenziellen  Konsumenten  gegenüber  ihrer  Umwelt  deutlich zum Ausdruck bringen: „Ich mag grüne Rasenmäher beson‐ ders  gern!“.  Der  Hersteller  kann  sich  auf  diese  Wünsche seiner  Kun‐ den gut einstellen. 

Gewichtige Fehler‐ quellen 

 Unausgesprochene  Anforderungen:  Unausgesprochene Anforderun‐

Innovationsspiel‐ wiese 

 Unausgesprochene  Erwartungen:  Darunter  sind  innovative  Ideen 

Kundenwünsche  frühzeitig erkennen 

gen werden von den Kunden für selbstverständlich gehalten, aber bei  ihrem  Nichtvorhandensein  besonders  negativ  bewertet.  Beispiele  da‐ für  sind  Fahrer‐  und  Beifahrerairbag  sowie  elektronisches  Stabilitäts‐ programm (ESP) bei einem Auto der gehobenen Mittelklasse oder der  Fahrspurassistent eines Navigationsgeräts.  und  Vorschläge  seitens  des  Herstellers  zu  verstehen,  die  der  Kunde  nicht  für  selbstverständlich  erachtet  und  deren  Vorhandensein  er  be‐ sonders  positiv  honoriert.  Beispiele  dafür  sind  die  Internet‐Nutzung  am Fernsehgerät durch die „Plug & Play Internet E@sy Box“ von Sa‐ telco, der erste biologisch abbaubare Kaugummi „Chicza“ des Herstel‐ lers  Phytotreasures,  ein  Motorradhelm  des  italienischen  Produzenten  Brembo  mit  automatischem  Riemenverschluss  oder  „Bicibomba“:  Das  erste Fahrrad, das Wasserpumpen antreiben kann. 

Im  Mittelpunkt  steht  das  Erkennen  der  Wünsche  von  Konsumenten.  Dazu findet das Laboratory‐Store‐Concept Einsatz. Der Grundgedanke  bei diesem aus Japan stammenden Ansatz ist, dass der Kunde nicht nur  ein  Feedback  zu  ihm  vorgelegten  Produktalternativen  gibt,  sondern  unmittelbar  in  den  Entwicklungsprozess  einbezogen  ist.  Er  wirkt  im  „Labor“ aktiv mit und wird dort befragt oder beobachtet. Beispielblock  c.3 verdeutlicht diesen Zusammenhang.       

138

Grundlagen

C.2 Beispielblock c.3 

Kundenintegration  Little  Tikes  ist  ein  Spielwarenhersteller  aus  den  USA.  In  das  „Child  Care  Center“ der Organisation werden Kinder zum Spielen mit neu entwickelten  Spielsachen,  Prototypen  oder  verbesserten  Spielzeugvarianten  eingeladen.  Mitarbeiter  von  Little  Tikes  beobachten  und  befragen  die  Kinder.  Dadurch  bekommen die Ingenieure sehr früh Hinweise für ihre Entwicklungskonzep‐ te: Little Tikes konnte die Rate an Ladenhütern dadurch deutlich reduzieren. 

Zur Beschreibung und Erforschung von Kundeneinstellungen bietet sich  Conjoint Measurement an (vgl. Gustafsson et al. 2013). Seit Ende der 70er  Jahre  setzen  Marktforschungsinstitute  das  Verfahren  ein.  Ausgewählte  Befragte  bringen  vollständige  Produktversionen  in  eine  Rangordnung.  Die  Nachfrager  geben  Präferenz‐  oder  Paarvergleiche  ab.  Dann  sind  Teilnutzenwerte  für  die  einzelnen  Ausstattungsmerkmale  eines  Pro‐ dukts  dekompositionell  (durch  das  Herunterbrechen  von  Gesamtpro‐ dukten auf die Ebene ihrer Teile) abzuleiten. Deren jeweiliger Beitrag am  Gesamtnutzen  eines  Produkts  wird  festgestellt.  Das  Produkt  ist  nicht  länger  homogenes  Ganzes,  sondern  heterogenes  Bündel  verschiedener  Teileigenschaften.  Auf  Grund  der  Variation  einer  Teileigenschaft,  kann  die dadurch entstandene subjektive Nutzenänderung in Einheiten abge‐ lesen werden. 

C.2.2

Conjoint Analyse 

Horizontale Kooperationsstrategien

Horizontale  Kooperationsstrategien  beziehen  sich  auf  die  Integration  von Akteuren der gleichen Wertschöpfungsebene. Vor allem die Bildung  strategischer  Allianzen  nimmt  in  diesem  Kontext  eine  exponierte  Stel‐ lung  ein.  Konkurrenten  möchten  sich  durch  ihre  Zusammenarbeit  Vor‐ teile im Wettbewerb verschaffen. Für die Bildung strategischer Allianzen  im Supply Chain Management finden sich viele Beispiele: 

 In der „Star‐Alliance“ bündeln bereits seit einigen Jahren internationa‐ le  Fluggesellschaften  ihre  Kompetenzen.  In  diese  Partnerschaft  sind  beispielsweise Air Canada, Asiana Airlines, Lufthansa, Scandinavian Air‐ lines, Singapore Airlines, Swiss oder United eingebunden. 

 Seit  dem  April  2014  vertreibt  die  Bitburger  Brauerei  das  Benedektiner  Weißbräu  der  Klosterbrüder  aus  dem  Ettal.  Das  Brauen  selbst,  natür‐

139

Gemeinsame Stär‐ ken nutzen 

C

Strategien des Supply Chain Managements

lich  nach  „Originalrezept“,  übernimmt  Licher  (die  Licher‐Brauerei  ge‐ hört schon seit Jahren zur Bitburger‐Gruppe). 

 Die beiden in der Medizintechnik tätigen Unternehmen B. Braun und  Paul  Hartmann  gründeten  „MedSL“,  um  insbesondere  die  Kosten  für  die Warenverteilung gemeinsam zu schultern. 

 In  der  Pharmabranche  schlossen  sich  im  Jahre  2015  Pfizer  und  Merck  zur Entwicklung eines gemeinsamen Mittels gegen Krebs in einer Ko‐ operation zusammen (Projekt „Anti PD‐L1“). 

 Die  zwei  größten  deutschen  Facheinzelhandelsverbände  im  Spielwa‐ ren‐ und Freizeitartikelmarkt (Vedes und Idee & Spiel) bündeln seit ei‐ nigen Jahren in der „Toy Alliance“ ihren Einkauf. 

 In  dem  „California  Fuel  Cell  Partnership“  haben  sich  mehrere Auto‐ bauer (z. B. Chrysler, Ford, General Motors) zur Weiterentwicklung der  Brennstoffzellentechnik zusammengeschlossen.  Zusammenarbeit  und Wettbewerb  im Gleichschritt 

Coopetition ist eine besondere Form der horizontalen Kooperation. Der  Begriff  speist  sich  aus  Corporation  (Zusammenarbeit)  und  Competition  (Wettbewerb). Zum Beispiel beschlossen Daimler und Renault‐Nissan eine  weitreichende Zusammenarbeit, die sich insbesondere auf drei Segmen‐ te  bezieht:  Gemeinsame  Kleinwagenentwicklung  (betrifft  den  „Smart“  bei  Daimler  und  den  „Twingo“  von  Renault),  kooperative  Motorenent‐ wicklung (Daimler übernimmt kleinere Aggregate von  Renault – im Ge‐ genzug  erhält  die  noble  Nissan‐Tochter  Infinity  Vier‐  und  Sechszylinder  von  Daimler)  sowie  die  Zusammenarbeit  bei  leichten  Nutzfahrzeugen  (Daimler ist an der Entwicklung eines Kastenkombis interessiert, der sich  an  den  Renault  „Kangoo“  anlehnt).  In  allen  anderen  Bereichen  stehen  Daimler  und  Renault‐Nissan  jedoch  weiterhin  im  scharfen  Wettbewerb  zueinander. 

C.3 Warenverfügbar‐ keit sichern 

Strategien der Versorgung

Abbildung A.2 (vgl. S. 9) zeigte, dass im Supply Chain Management die  Strategien zur Versorgung flussabwärts – von links nach rechts – verlau‐ fen.  Eine  vorgelagerte  Stufe  versorgt  ihre  jeweils  nachgelagerte.  Damit  wird  die  Verfügbarkeit  von  Waren  gewährleistet.  Die  erste  hier  disku‐ tierte  Versorgungsstrategie  moderner  Supply  Chains  ist  Efficient  Con‐ sumer Response. 

140

Strategien der Versorgung

C.3.1

C.3

Efficient Consumer Response

Die  Ursprünge  von  Efficient  Consumer  Response  (ECR)  liegen  in  den  USA  (vgl.  Corsten  2004;  Dreeser  2007;  Goldhahn  2007;  v.  d.  Heydt  1999;  Kühnel  2009;  Lammers  2012;  Seifert  2006;  Wildemann  2012).  1992  präsen‐ tierte das Food Marketing Institute, ansässig in Washington DC, erstmalig  das  Konzept.  Insbesondere  die  Konsumgüterindustrie  und  der  Handel  griffen  den  Gedanken  von  Efficient  Consumer  Response  zunächst  auf.  Mittlerweile haben sich viele weitere Organisationen der Initiative ange‐ schlossen. 1994 wurde schließlich die Idee in Europa aufgenommen und  das Executive Board of ECR Europe gegründet. 

Historie von ECR 

Ein  legendäres  Beispiel  für  das  Konzept  ist  die  Zusammenarbeit  von  Wal Mart und Procter & Gamble. Der Warenhauskonzern Wal Mart erziel‐ te durch die Anwendung von Efficient Consumer Response insbesonde‐ re  Verbesserungen  der  Kennzahlen  Warenumschlag,  Umsatz  pro  Ver‐ kaufsfläche  und  EBIT.  Die  Lebensmittelindustrie  rechnet  durch  die  in‐ tensivierten Beschaffungs‐ und Absatzkooperationen im Sinne von ECR  mit  einer  Reduzierung  der  Verbraucherpreise  um  bis  zu  7,1%  (vgl.  Corsten  2004,  S.  36).  Laut  dem  European  Executive  Board  beinhaltet  der  Ansatz,  allein  in  der  europäischen  Lebensmittelindustrie,  ein  Kosten‐ senkungspotenzial  von  27  Milliarden  US  Dollar.  Das  Volumen  zur  Be‐ standsreduzierung wird auf bis zu 40% beziffert (vgl. Hughes et al. 2000,  S.  124).  Wenn  diese  Zahlen  auch  recht  hoch  gegriffen  erscheinen,  so  ist  ECR sicherlich eine deutliche Verbesserungsmöglichkeit immanent. 

ECR auf dem  Siegeszug: „Veni,  vidi, vici…“                  (G. J. Caesar) 

Efficient  Consumer  Response  bedeutet  eine  „effiziente  Kundenreakti‐ on“. Das Neue an dem Ansatz ist die gelungene Verbindung von Logis‐ tik  und  Marketing.  Die  Schnittstelle  dazu  gewährleistet  die  Informati‐ onstechnologie.  Im  Kern  folgt  ECR  insbesondere  den  Gedanken  zweier  Ansätze: dem Marketing Channel Management und dem Quick Respon‐ se.  Das  Marketing  Channel  Management  (vgl.  Emrich  2008)  hat  seine  Wurzeln  bereits  in  den  60er  Jahren.  Im  Vordergrund  steht  die  physische  Distribution  von  Waren,  weshalb  die  Lagerung  und  der  Transport  ver‐ kaufsfähiger  Güter  latent  nach  Verbesserungspotenzialen  untersucht  werden.  In  diesem  Kontext  dominieren  Fragen  über  die  Absatzwege  oder die Absatzmittler. Mit der Durchführung eines Marketing Channel  Managements ist die Entwicklung neuer Kooperationsformen zwischen  Herstellern und einbezogenen Handelsstufen verbunden. 

„Marketing muss  so anziehend sein,  dass uns die Leute  in ihrem Leben  haben wollen.“       (J. Stengel) 

Der Ansatz  Quick  Response  wurde  Mitte  der  80er  Jahre  von  Kurt  Sal‐ mon Associates – speziell für die Fashion Logistics – entwickelt: Die Bera‐ tungsgesellschaft erkannte, dass diverse Teilprozesse innerhalb der Tex‐

Blitzreaktion 

141

C

Strategien des Supply Chain Managements

til‐  und  Bekleidungsindustrie  effizient  arbeiteten,  der  Gesamtprozess  sich  jedoch  wenig  wirtschaftlich  gestaltete.  Die  Mitarbeiter  von  Kurt  Salmon  Associates  brachen  die  Wertschöpfungskette  in  ihre  Einzelteile  herunter.  In  ausgewählten  Bekleidungsgeschäften  wurden  Projektgrup‐ pen eingerichtet, welche eine enge Zusammenarbeit mit Handelsgesell‐ schaften (wie J. C. Penny und Dillards) eingingen. Die ins Leben berufe‐ nen Teams versuchten Ineffizienzen entlang der Logistikketten aufzude‐ cken. Offenbar mit gutem Erfolg, wie bald deutlich wurde. Durch Quick  Response stellte sich bei Unternehmen der Textilbranche ein Umsatzzu‐ wachs von bis zu 25% ein (vgl. Werner 2013a, S. 17). Außerdem gelang es  der  Textilindustrie,  auf  kostspielige  Preisabschläge  zum  Ende  einer  je‐ weiligen  Saison  zu  verzichten.  Die  Anwender  von  Quick  Response  er‐ halten  heute  die  Verkaufszahlen  artikelgenau  übermittelt.  Ein  weiterer  Fortschritt  ist  darin  zu  sehen,  dass  –  im  Sinne  eines  modernen  Postpo‐ nements  – die Pullover in den Fabriken von Benetton zunächst ungefärbt  bereitliegen  und  erst  beim  Eingang  einer  Kundenbestellung  nachfrage‐ gerecht eingefärbt werden.  Säulen von ECR 

Abbildung C.2 

Im Folgenden sind die Komponenten von Efficient Consumer Response  zu  untersuchen.  Zunächst  werden  die  Logistikbestandteile  Vendor  Ma‐ naged  Inventory,  Cross  Docking  und  Synchronized  Production  be‐ schrieben.  Anschließend  findet  eine  Kennzeichnung  der  Marketingan‐ sätze  statt:  Efficient  Product  Introduction,  Efficient  Store  Assortment  sowie Efficient Promotion. Die Verbindung zwischen Logistik und Mar‐ keting gewährleistet eine dritte Komponente, die Informationstechnolo‐ gie (vgl. Abbildung C.2). 

Komponenten von Efficient Consumer Response    Logistikkomponenten 

Marketingkomponenten 

Vendor Managed Inventory 

Efficient Product Introduction 

Cross Docking 

Efficient Store Assortment 

Synchronized Production 

Efficient Promotion 

IT‐Architektur 

 

142

Strategien der Versorgung

C.3.1.1

C.3

Komponenten der Logistik

Die  Inhalte  einer  Logistik  folgen  bei  Efficient  Consumer  Response  den  Zielen und den Grundsatzprinzipien der Supply Chain im Allgemeinen.  Eine  Verkettung  von  Wertschöpfungspartnern  steht  in  diesem  Kontext  im  Mittelpunkt.  Die  Warenverfügbarkeit  richtet  sich  nach  der  simulta‐ nen  Optimierung  unterschiedlicher  Wettbewerbsfaktoren  aus.  Dabei  sind  im  Idealfall  Ziele  in  Richtung  Kosten,  Zeit,  Qualität,  Agilität,  Ser‐ vice, Innovation, Nachhaltigkeit und Wissen gleichsam zu erfüllen. Frei‐ lich kann eine dieser Schlüsselgrößen temporär hervorragen. Langfristig  führt  jedoch  eine  Nichtbeachtung  dieser  angestrebten  Zielharmonie  zu  Trade‐offs.  Zum  Beispiel  münden  übertriebene  Kostensenkungsmaß‐ nahmen häufig in qualitative Defizite. 

Logistische Wur‐ zeln 

C.3.1.1.1 Vendor Managed Inventory Nomen  est  omen:  der  Begriff  „Vendor  Managed  Inventory“  (vgl.  Beck‐ mann 2007; v. d. Heydt 1996; v. d. Heydt 1997; Mau 2003; Reitner 2013; Sei‐ fert 2004; Werner/Brill 2011) spiegelt bereits die zentrale Idee: Ein Kunde  überträgt  seinem  Hersteller  („Vendor“)  die  Planungs‐  und  die  Steue‐ rungshoheit  für  das  Bestandsmanagement  („Inventory“).  Ihm  obliegen  beispielsweise Termin‐ und Mengenentscheidungen über die zu liefern‐ den Artikel (vgl. Arndt 2017, S. 161). 

Bestandshoheit  überwälzen 

Der Kunde transferiert folglich die Verantwortung des Vorratsmanage‐ ments  in  den  Autonomiebereich  seines  Industriepartners  (vgl.  Seifert  2006, S. 124). Zugleich versorgt der Kunde diesen Hersteller mit Progno‐ sedaten aus Bedarfs‐ und Marktanalysen, sowie tatsächlichen Verkaufs‐ daten  vom  Point‐of‐Sale.  Auf  dieser  Basis  generiert  der  Hersteller  eine  eigenständige  und  autonome  Produktions‐  und  Transportplanung  (vgl.  Arndt 2017, S. 162). 

Informationszu‐ gänge gewährleis‐ ten 

Der Begriff Vendor Managed Inventory hat sich in Literatur und Praxis  unbedingt durchgesetzt, wenn es um die Übertragung von Bestandsver‐ antwortung  für  ausgewählte  Partner  innerhalb  einer  Lieferkette  geht.  Seit geraumer Zeit tauchen jedoch benachbarte Termini auf, die zunächst  von  VMI  abzugrenzen  sind.  Begriffsblock  C.II  nimmt  sich  diesen  Kon‐ zepten  an.  Continuous  Replenishment,  Buyer  Managed  Inventory,  Co‐ Managed  Inventory  und  Supplier  Managed  Inventory  werden  darin  näher beschrieben.     

Sammelsurium  benachbarter Ter‐ mini 

143

C

Strategien des Supply Chain Managements

Begriffsblock C.II 

VMI und benachbarte Begriffe 

Continuous  Replenishment als  strategischer Über‐ bau 

 Continuous  Replenishment  (CR):  Der  Ansatz  wird  synonym  als 

Klassische Be‐ standsführung  durch BMI 

 Buyer  Managed  Inventory  (BMI):  BMI  beschreibt  eine  traditionelle 

VMI in Testphase  ausprobieren 

 Co‐Managed Inventory (CMI): Diese Hybridform aggregiert sich aus 

Bestandsmanage‐ ment durch Liefe‐ rantenintegration 

 Supplier  Managed  Inventory  (SMI):  Die  Grundidee  von  SMI  und 

„Efficient Replenishment“ bezeichnet und ist der historische Vorläufer  von  VMI.  Der  Warennachschub  soll  kontinuierlich  erfolgen,  Stock‐ out‐Situationen  sind  demzufolge  verboten.  In  ihrer  Zielsetzung  äh‐ neln sich beide Konzepte. Doch Continuous Replenishment geht wei‐ ter als VMI. Neben der Überwälzung der Bestandsverantwortung auf  den Hersteller, umfasst CR auch dessen nachfragesynchrone Produk‐ tionsplanung  und  ‐steuerung.  CR  ist  als  Philosophie  zu  verstehen  (Strategieebene).  VMI  stellt  als  operativer  Stellhebel  zur  Realisierung  der Philosophie einen kontinuierlichen Warennachschub sicher.  Bestandsführung.  Die  Verantwortung  des  Vorratsmanagements  liegt  komplett  in  dem  Autonomiebereich  des  Kunden.  Dieser  steuert  und  überwacht seine Bestände selbständig.  VMI  und  BMI.  Bei  Co‐Managed  Inventory  wird  VMI  nicht  direkt  „scharf“ gestellt, sondern für die Dauer von circa einem Jahr auspro‐ biert. Während dieser Zeit sind keine Konventionalstrafen zu zahlen.  Der  Hersteller  steuert  sich  bei  CMI  nicht  völlig  eigenständig.  Er  un‐ terbreitet dem Kunden vielmehr einen Vorschlag für die Bestandsfüh‐ rung, die dieser annehmen oder ablehnen kann.  VMI  ist  identisch:  jeweils  überträgt  der  Kunde  einem  in  der  Supply  Chain  vorgelagerten  Partner  die  Bestandsführung.  Jedoch  handelt  es  sich  bei  VMI  um  ein  Hersteller‐Kunden‐Verhältnis,  das  Konzept  ist  am Ende der Wertschöpfungskette angesiedelt. Bei SMI liegt hingegen  ein Lieferanten‐Hersteller‐Verhältnis vor, was beutet, dass SMI sich in  der Supply Chain eher in Richtung Urproduktion verschiebt.   

Funktionsweise  von VMI 

Bei  der  Bestandsführung  über  Vendor  Managed  Inventory  sind  pro  Sachnummer,  in Abhängigkeit  des  Lagerhaltungsmodells,  ein  Mindest‐ bestand  und  ein  Höchstbestand  zu  definieren.  Zusätzlich  kann  ein  Si‐ cherheitsbestand  festgeschrieben  werden  (Reichweitenkorridor).  Beim  Erreichen  des  Meldebestands  sorgt  der  Lieferant  automatisch  für  den  Warennachschub.  Er  zeichnet  für  diesen  Prozess  verantwortlich.  Wenn  der Hersteller die Regale des Handels selbst auffüllt, beliefert er im Sin‐ ne von Rack Jobbing. Dieses Prinzip findet auch in der Industrie weite  Verbreitung.  Eine  Reihe  spezieller  Techniken  unterstützen  Vendor  Ma‐

144

Strategien der Versorgung

C.3

naged  Inventory.  Diese  Hilfsmittel  werden  nachstehend  kurz  gekenn‐ zeichnet: 

 Roll Cage Sequencing (RCS): Synonym wird der Ansatz mit dem Be‐ griff  „Efficient  Operating  Standards“  umschrieben.  Die  Beladung  von Fahrzeugen im (Zentral‐) Lager erfolgt filialgerecht (vgl. die Aus‐ führungen zu Cross Docking auf S. 152). In diesem Kontext bedeutet  RCS,  die  Reihenfolge  der  Transporteinheiten  mit  dem  Layout  der  zu  beliefernden Filialen so abzustimmen, dass bei der Entladung vor Ort  die  Paletten  und  die  Rollcontainer  direkt  auszuräumen  sind.  Bei‐ spielsweise entspricht die Höhe des Artikels im Idealfall seiner späte‐ ren Positionierung im Regal. 

 Efficient  Unit  Loads  (EUL):  Dieses  Hilfsmittel  konzentriert  sich  auf  die  beim  Warenumschlag  zum  Einsatz  kommenden  Ladungsträger  (Paletten, Rollcontainer, Kartonagen, Fässer). EUL bemüht sich um die  Schaffung  einheitlicher  Standards  zur  Optimierung  von  Transport‐  und  Lageraktivitäten.  Die  Beratungsgesellschaft  A.T.  Kearney  sieht  in  der  Berücksichtigung  einheitlicher  Ladungsträger  ein  Kostenreduzie‐ rungspotenzial von 1,2 % (vgl. Werner 2013b, S. 15). 

 Computer  Assisted  Ordering  (CAO):  Das  Computer  Assisted  Or‐ dering  nutzt  für  die  Erfassung  und  die  Steuerung  der  zwischen  In‐ dustrie  und  Handel  anfallenden  Warenströme  die  Fähigkeiten  mo‐ derner  IT.  Die  Software  kommt  dabei  an  signifikanten  Schnittstellen  zum Einsatz, wie dem Wareneingang oder dem Point‐of‐Sale im Han‐ del.  Das  System  stellt  eine  Abkehr  traditioneller  Bestandspflege  dar,  bei der Mitarbeiter im Handel manuell die Bestände überprüfen und  Bestellvorgänge  auslösen. Allerdings  sind  zum  Teil  umfangreiche  In‐ vestitionen in CAO erforderlich. 

Container an  Layout anpassen 

Ladungsträger  optimieren 

IT kollaborativ  einsetzen 

Bei  Berücksichtigung  einer  Bestandsführung  im  Sinne  von  Vendor  Ma‐ naged  Inventory  orientieren  sich  die  Hersteller  an  der  tatsächlichen  Nachfrage ihrer Kunden (Pull‐Steuerung). Mit Hilfe von VMI wird viel‐ fach  eine  Verbesserung  wichtiger  Schlüsselgrößen  des  Wettbewerbs  erreicht: 

Betroffene Wettbe‐ werbsfaktoren 

 Senkung  von  Kosten,  insbesondere  durch  eine  reduzierte  Lagerhal‐

Cash Flow verbes‐ sern 

tung, aber auch auf Grund einer optimierten Ausnutzung von Trans‐ portkapazitäten:  Die  Beratungsgesellschaft  Kurt  Salmon  Associates  er‐ rechnete,  dass  die  durchschnittliche  Bestandsreichweite  im  Handel  ohne  VMI  104  Tage  betrug.  Nach  der  VMI‐Einführung  wurde  diese  Zeitspanne auf 61 Tage verkürzt (vgl. Mau 2003, S. 58). Die Kooperati‐ on  zwischen  L’Oreal  und  der  Drogeriekette  dm  ist  diesem  Vorteil  ge‐

145

C

Strategien des Supply Chain Managements

schuldet.  Beide  Organisationen  reduzierten  mit  VMI  die  Bestands‐ reichweite um über 50% (vgl. Senger/Österle 2003, S. 9).  Beschleunigungs‐ erfolge 

 Forcierung der (Durchlauf‐) Zeit: Die Durchlaufzeiten verkürzen sich 

Servicegrade hoch‐ fahren 

 Steigerung der Qualität (Erhöhung von Service‐ und Dienstleistungs‐

Peaks abfedern 

 Ausnutzung  der  Flexibilität  von  Herstellern:  Das  Unternehmen  No‐

bei einer VMI‐Abwicklung um bis zu 20% (vgl. Seifert 2004, S. 28).  grad):  Laut  Mau  verbessert  sich  der  Servicegrad  des  Handels  durch  die Einführung von Vendor Managed Inventory auf bis zu 99,9% (vgl.  Mau 2003, S. 89).  vozymes ist ein weltweit führender Hersteller von Enzymen. Mit Hilfe  von  Vendor  Managed  Inventory  wählt  die  Organisation  eigenverant‐ wortlich  die  optimale  Liefermenge  für  Kunden.  Je  nach Transportvo‐ lumen finden dabei Auf‐ oder Abrundungen der Liefervolumina statt,  um  die  Transportmittel  besser  auszulasten.  Zusätzliche  Flexibilität  wird  durch  die  Priorisierung  der  Nachlieferungen  an  verschiedene  Handelspartner erreicht. Daraus resultiert eine Glättung der sonst üb‐ lichen Produktions‐ und Distributionsspitzen (vgl. o. V. 2006a, S. 28). 

Spielregeln 

Die  operativen  Rahmenbedingungen  für  eine  Lagerbewirtschaftung  über  VMI  sind  vielschichtig.  Unten  findet  sich  eine  diesbezügliche  Zu‐ sammenstellung wesentlicher Einflussgrößen: 

Geld nicht liegen  lassen 

 Konditionen  und  Rahmenverträge:  Zwischen  Herstellern  und  Kun‐

Reichweitenfenster 

 Lagerkapazität: Um ein Überfüllen der Lagerstätten am Point‐of‐Sale 

den sind in den Kontrakten die Beschaffungsmengen und die Bezugs‐ preise festzulegen. Auf Grund des Aufbrechens von Warensendungen  in kleine Einheiten, sollte der Handel dennoch auf die Ausschöpfung  von  Mengenrabatten  achten  (die  Möglichkeit  zur Abgabe  von  „Sam‐ melbestellungen“ berücksichtigen).  zu  vermeiden,  werden  dem  Lieferanten,  für  die  betroffenen  Sach‐ nummern, maximale Lagerkapazitäten zugeteilt. 

Rhythmus definie‐ ren 

 Anlieferrhythmen: Bei relativ kontinuierlichen Bedarfen können „fes‐

Kritische Liefer‐ menge finden 

 Mindestliefermengen:  Um  eine  wirkliche  Win‐Win‐Situation  zwi‐

te“ Anlieferrhythmen  definiert  werden.  Dadurch  sinken  die  Transak‐ tionskosten, weil administrative Tätigkeiten teilweise entfallen.  schen den beteiligten Partnern zu erzielen, sollten „Mini‐Lieferungen“  unterbleiben. Sie könnten das ohnehin zum Teil recht enge Kostenkor‐ sett von Vendor Managed Inventory sprengen. 

146

Strategien der Versorgung

C.3

Mit  der  Übertragung  der  Sortimentsverantwortung  am  Point‐of‐Sale  ist  der  Hersteller  verpflichtet,  für  einen  rechtzeitigen,  bedarfsgerechten  Warennachschub  zu  sorgen.  Daraus  speist  sich  der  Vorteil,  dass  die  Bestandslücken  im  Sortiment  des  Handels  abnehmen,  wodurch  sich  mögliche Umsatzverluste verringern. Der Hersteller nutzt die Verkaufs‐ daten des Handels, um seine Produktion (entsprechend der Verbrauchs‐ nachfrage) bedarfssynchron zu steuern. 

Nutzen von VMI  im Überblick 

Eine weitere Stärke von Vendor Managed Inventory ist die Verringerung  des Bullwhip‐Effekts (vgl. S. 47). Hierbei entsprechen Höhe und Verlauf  der Güterströme entlang der Supply Chain nicht der tatsächlichen Nach‐ frage  des  Konsumenten,  da  geringe  Störungen  und  Nachfrageschwan‐ kungen in der Wertschöpfungskette in ihrer Gesamtheit die ursprüngli‐ che  Verbrauchernachfrage  verzerren.  Daraus  ergeben  sich  Bestellmen‐ genschwankungen,  die  wie  Peitschenhiebe  hochgetrieben  sind  und  entlang  der  kompletten  Supply  Chain  schwingen.  Ein  entscheidender  Grund  für  das  Entstehen  des  Bullwhip‐Effekts  ist  ein  divergierendes  Informationsgefälle  über  die  Stufen  der  Lieferkette.  VMI  hebelt  diesen  unterschiedlichen Wissensstand der einzelnen Netzwerkakteure weitge‐ hend aus, da der Kunde den Hersteller kontinuierlich mit Informationen  versorgt. 

Peitschenschläge  abfedern 

Auch wenn Vendor Managed Inventory die beschriebenen Vorteile inhä‐ rent sind, ist der Ansatz dennoch von einigen Problemen umgeben. Bei  VMI  schiebt  der  Kunde  den  „Schwarzen  Peter“  in  Richtung  Hersteller.  Treten  Stock‐out‐Situationen  auf,  wird  dieser  dafür  mit  Konventional‐ strafen belegt. Eine weitere Schwierigkeit ist im Austausch vertraulicher  Informationen  zu  sehen.  Darunter  fallen  Bestandsdaten,  vorgesehene  Verkaufsmengen  oder  Preisabsprachen  (Know‐how‐Abfluss).  Auch  besteht  durch  die  Übertragung  der  Bestandshoheit  auf  den  Hersteller,  aus  Sicht  des  Handels,  die  latente  Gefahr  vom  Verlust  möglicher  Kom‐ petenzen.  So  schwindet  dessen  Einflussnahme  auf  die  eigene  Regalflä‐ che. Ein weiteres Problem ist, dass die Verkaufszahlen des Handels nur  bedingt Aufschluss über das zukünftige Käuferverhalten erlauben, da es  sich um Daten der Vergangenheit handelt. 

„Hindernisse und  Schwierigkeiten  sind Stufen, auf  denen wir in die  Höhe steigen.“       (F. Nietzsche) 

Kritisch ist auch der hohe Automatisierungsgrad von Vendor Managed  Inventory  zu  hinterfragen.  Die  auf  der  Basis  von  Bestands‐  und  Ver‐ kaufsdaten  systemseitig  erstellten  Bestellvorschläge  sorgen  zwar  für  Zeitersparnisse  (da  Dispositionsstufen  im  Handel  wegfallen).  Doch  be‐ dürfen  die  zu  Grunde  liegenden  Kennzahlen  auch  einer  qualitativen  Ergänzung,  Ursachenforschung  und  Interpretation.  Ein  prägendes  Ele‐

Supply Chain  Relationship Ma‐ nagement 

147

C

Strategien des Supply Chain Managements

ment  von  VMI  ist  sein  Automatismus.  Hingegen  werden  menschliche  Attribute  (Sozialfaktoren)  bislang  kaum  berücksichtigt.  Beispielsweise  profitiert  die  gelungene  Einführung  von  Vendor  Managed  Inventory  nicht  nur  vom  technischen  Interieur,  sondern  auch  von  den  Erfah‐ rungswerten seiner Mitarbeiter.  VMI nicht über‐ treiben 

Ferner scheint der Anreiz für ein Vendor Managed Inventory stark von  der Branchenzugehörigkeit der beteiligten Akteure abzuhängen. Ebenso  existiert  offenkundig  eine  kritische  Maximalmasse,  um  eine  Abwick‐ lung  über  VMI  adäquat  zu  gewährleisten.  Laut  Thonemann  et  al.  haben  Organisationen  Schwierigkeiten,  mehr  als  30%  ihres  Umsatzes  über  Vendor Managed Inventory zu steuern (vgl. Thonemann et al. 2012, S. 37). 

Erstes Praxisbei‐ spiel zum Droge‐ riefachmarkt 

Im Folgenden werden zwei Praxisbeispiele für den Einsatz von Vendor  Managed  Inventory  diskutiert.  Der  erste  Fall  bezieht  sich  auf  dm,  das  zweite  Beispiel  auf  Twentieth  Century  Fox  Home  Entertainment  Germany.  Die Drogeriekette dm (vgl. zu dem Beispiel Holland et al. 2001, S. 69) hat  schon  im  Jahre  1986,  durch  den  Bau  eines  zentralisierten  Warenverteil‐ zentrums,  den  Grundstein  für  die  Nutzung  von  Efficient  Consumer  Response  gelegt.  1991  folgte  die  Ausstattung  sämtlicher  Filialen  mit  Scanner‐Kassen.  Drei  Jahre  später  wurde  das  auf  ein  Netzwerk  ausge‐ richtete  IT‐System  „Laboss“  eingeführt.  „Laboss“  diente  in  erster  Linie  zur  Bestell‐  und  Lageroptimierung.  Das  Unternehmen  entschied  sich  dafür, der Vision einer so genannten „Consumer Driven Supply Chain“  zu folgen. Im Kern strebt dm nach einer Effektivitäts‐ und Effizienzstei‐ gerung seiner Logistikprozesse. 

VMI im Einsatz   bei dm 

Auf  dieser  Basis  wurde  1995  eine  Lagerbewirtschaftung  via  Vendor  Managed  Inventory  zwischen  dm  und  Colgate  eingeleitet.  Dieses  Pilot‐ projekt verfolgte das Ziel, die betroffenen Bestände durch den Hersteller  komplett bis an den Point‐of‐Sale in den Handelsgeschäften zu steuern.  Nachdem  zunächst  eine  Abwicklung  der  Aktivitäten  mittels  Co‐ Managed  Inventory  gewählt  wurde,  erfolgte  1997  der  Übergang  zu  „echtem“  VMI.  Zeitgleich  wurde  bei  dm  das  neue  Dauerniedrigpreis‐ konzept  „EDLP  (Every  Day  Low  Price)“  eingeführt,  um  dem  Waren‐ strom mehr Kontinuität zu verleihen. 

Pionierprojekt mit  Colgate 

Die  Zusammenarbeit  zwischen  dm  und  Colgate  gestaltete  sich  derart  erfolgreich,  dass  dm  eine  Reihe  weiterer  Hersteller  in  seine  VMI‐ Aktivitäten einbezog. Mittlerweile werden in den Filialen der Drogerie‐ kette fast 40% der Artikel über VMI gesteuert. 

148

Strategien der Versorgung

C.3

Ein  zweites  Beispiel  für  eine  Abwicklung  über  VMI  stellt  Twentieth  Century  Fox  Home  Entertainment  Germany  (nachstehend  kurz  „FOX“  genannt) dar. FOX ist ein Tochterunternehmen des Filmstudios Twentieth  Century  Fox  und  gehört  seit  2019  zur  Walt  Disney  Company,  einem  der  größten  Medienkonzerne  der  Welt.  Das  Unternehmen  ist  in  allen  rele‐ vanten  Märkten  mit  eigenen  Niederlassungen  vertreten  und  vertreibt  Filmproduktionen  und  TV‐Serien  der  konzerneigenen  Filmstudios  auf  digitalen  Datenträgern  mit  den  Standardformaten  DVD  und  Bluray.  Neuerdings  ermöglicht  FOX  seinen  Kunden  auch  einen  elektronischen  Datendownload  über  VOD  („Video  on  Demand“)  und  EST  („Electronic  Sell  Thru“).  Mit  Standort  Frankfurt  am  Main  ist  FOX  für  die  Vermark‐ tung  der  physischen  Medien  in  den  Bereichen  Rental  (Verleihgeschäft)  und Retail (Kaufgeschäft) in Deutschland und Österreich verantwortlich. 

„Der Fuchs, der an  die Trauben nicht  rankam, behauptet,  sie sind eh sauer.“            (Redewendung) 

Seit 20 Jahren (Stand: 2020) praktiziert FOX Vendor Managed Invento‐ ry. Mittlerweile wickelt das Unternehmen mehr als 50% seiner Disposi‐ tionsvorgänge mittels VMI ab. Zunächst nutzte FOX das IT‐System eines  Dienstleisters.  Doch  seit  über  zehn  Jahren  setzt  die  Organisation  auf  eigene  Systeme,  die  weltweit  Einsatz  finden.  Zunächst  musste  bei  den  Retailern  einige  Überzeugungsarbeit  geleistet  werden,  um  die  benötig‐ ten  Bestands‐  und  Verkaufsdaten  zur  Verfügung  zu  stellen.  Doch  all‐ mählich  hat  ein  Umdenken  bei  den  Handelspartnern  stattgefunden:  Es  ist  ein  gutes Argument,  wenn  aus  Pilotprojekten  etlicher  Filialen  (Out‐ lets)  von  Umsatzverdopplungen  berichtet  wird,  die  eine  VMI‐ Abwicklung  gegenüber  tradierter  Nachschuborganisation  erzielt.  Au‐ ßerdem schätzt der Fachhandel die Entlastung seiner lokalen Einkäufer,  indem  diese  von  der  Disposition  des  Basissortiments  befreit  sind  und  mehr Zeit für anderweitige Tätigkeiten finden. Die Kunden können bei  FOX  zwischen  einer  Vollversorgung  und  einer  Teilversorgung  wählen:  Im  ersten  Fall  wird  das  gesamte  aktive  Produktportfolio  mittels  VMI  disponiert, im zweiten Fall nur der klassische Katalogbereich (vgl. Wer‐ ner/Brill 2011). 

„Johnny the Fox  meets Jimmy the  Weed...“              (Thin Lizzy) 

Sämtliche  Datenströme  wickelt  FOX  über  EDI  ab.  Die  notwendigen  Informationen  werden  in  separaten  Warenwirtschaftssystemen  verar‐ beitet  und  gegebenenfalls  ausgewählten  Dienstleistern  zur  Verfügung  gestellt (vgl. Werner/Brill 2011). 

Systemabwicklung  bei FOX 

 Basiswarenwirtschaftssystem: Zunächst werden die Abverkaufs‐ und  Bestandsdaten  über  Nacht  in  das  Basiswarenwirtschaftssystem  J.D.  Edwards  eingelesen  und  an  das  separate  VMI‐System  „Demantra“  (vgl.  unten)  weitergeleitet.  Ebenso  sendet  das  Warenwirtschaftssys‐

149

Grundsystem 

C

Strategien des Supply Chain Managements

tem eines Logistikdienstleisters offene Bestellungen und Lieferungen  an  das  Basissystem.  Unbekannte  oder  falsche  EAN‐Codes  werden  nicht berücksichtigt und in einem täglichen Fehlerreport zur weiteren  Bearbeitung gesammelt. Für sie ist eine Stammdatenkorrektur in den  Basissystemen vorzunehmen.  IT‐Customizing 

 Titelplanung  (MIDAS):  Pro  Titel  und  Filiale  sind  minimale  und  ma‐ ximale  Lagerreichweiten  vorgegeben.  Das  System  MIDAS  („Mainte‐ nance  of  Item,  Display  and  Store  Relationship“)  wurde  speziell  von  FOX  entwickelt.  Dieses  Tool  weist  beispielsweise  auf  Titel  hin,  die  keinesfalls im Sortiment des Kunden fehlen sollten. Temporäre Akti‐ onen  werden  mit  Start‐  und  Endterminen  versehen.  Für  sie  sind  am  Point‐of‐Sale  zumeist  Sonderflächen  auszuweisen.  In  MIDAS  erfolgt  die  Festschreibung  grundlegender  Eckwerte.  Die  Gretchenfrage  lau‐ tet: „Welche Filiale hat welche Titel in welcher Menge wann im Sorti‐ ment vorzuhalten?“ 

Planning and  Replenishment 

Detailplanung 

Performance Mes‐ sung 

 Bedarfsermittlung  und  Auftragsgenerierung  (DEMANTRA):  Das  VMI‐System  Demantra  („Demand  Management“)  unterteilt  sich  in  einen  „Demand  Planner“  und  einen  „Demand  Replenisher“.  Über  den  Demand  Planner  leiten  sich  die  zukünftigen  Bedarfe  (Forecasts)  aus  vergleichbaren  historischen  Verkaufsdaten  ab.  Die  Reichweiten  von Neuheiten werden hingegen über die Absätze bereits lieferbarer  und vergleichbarer Titel geschätzt. Die Planung wird erschwert, wenn  der Handel maximale Bestandswerte vorgibt, welche FOX nicht über‐ schreiten darf. Tägliche Nachliefermengen pro Datenträger und Out‐ let  berechnen  sich  über  den  Demand  Replenisher.  In  die  Kalkulatio‐ nen gehen verfügbare Bestände, offene Aufträge, Prognosen aus dem  Demand  Planner  sowie  minimale  und  maximale  Lagerreichweiten  aus  MIDAS  ein.  FOX  berücksichtigt  im  Demand  Replenisher  auch  spezielle  Kundenwünsche.  Es  ist  beispielsweise  möglich,  einzelne  Displays  täglich  auszuschalten  oder  die  Paketgrößen  kundengerecht  zu variieren. 

 VMI‐Account Manager: In dem Account Manager werden die täglich  ermittelten  Lieferungen  aus  dem  Demand  Replenisher  freigegeben  und an das Dispositionssystem des Logistikdienstleisters übermittelt.  Der  Account  Manager  gestattet  es  dem  FOX‐Mitarbeiter,  komplexe  Displays  auf  Titel‐  und  Storeebene  in  ein  EXCEL‐Arbeitsblatt  einzu‐ spielen.  Manuell  können Aufträge  eingelesen  und  freigegeben  sowie  Erstbestückungen  für  Aktionen  oder  Retourenabrufe  vorgenommen  werden. 

 VMI‐Reporting Manager: Schließlich findet die Leistungskontrolle im  Reporting Manager statt. Sämtliche relevanten Informationen werden 

150

Strategien der Versorgung

C.3

in  einer  Datenbank  gesammelt.  Mögliche  Standardberichte  beziehen  sich auf Servicegrad, Liefermenge oder Bestand. Sonderberichte (zum  Beispiel über Stock‐outs) ergänzen diese Ergebnisse. Auch die Zuord‐ nung einzelner Displays auf die Filialen lässt sich mit dem Reporting  Manager einsehen. 

Der  VMI‐Prozess  (vgl.  Werner/Brill  2011)  wird  in  der  Regel  über  Scan‐ Vorgänge  an  den  Kassen  der  Handelsfilialen  angestoßen.  Diese  Ver‐ kaufszahlen werden FOX zunächst im „Sales Report“ (SLSRPT) via EDI  übermittelt.  Der  Disponent  ergänzt  diese  Daten  um  bedarfsrelevante  Informationen. Somit erfährt FOX – täglich aktualisiert – den verfügba‐ ren Bestand pro Titel am Point‐of‐Sale. Außerdem transferiert eine jewei‐ lige  Filiale  den  Lagerbestandsbericht  an  FOX,  wobei  diesbezüglich  das  Nachrichtenformat  INVRPT  („Inventory  Report“)  Einsatz  findet.  Das  Einlesen  dieser  Daten,  ihre  weitere  Verarbeitung  sowie  die  Ableitung  von Bedarfen erfolgt automatisch auf Basis der eingestellten Parameter.  Die  Bestandshöhe  eines  Bild‐  oder  Tonträgers  errechnet  sich  aus  der  vereinbarten  Lagerreichweite  und  den  tatsächlichen  Kundenbedarfen  eines  Titels  (dem  Bruttobedarf  abzüglich  der  verfügbaren  Vorräte  vor  Ort). Im nächsten Schritt ermittelt der Disponent die Liefertermine und  die Liefermengen der jeweiligen Aufträge (ORDERS). Entgegen tradier‐ ter  Bestandsführung  wartet  FOX  nicht  auf  den  Kundenabruf,  sondern  übersendet  dem  Handel  vielmehr  eine  selbst  initiierte  Bestellung  mit  Auftragsnummer. Etliche Kunden überprüfen diese Informationen, und  sie nehmen gegebenenfalls Änderungen vor oder lehnen den Auftrag ab  (Co‐Managed  Inventory).  Wenn  sie  den  Auftrag  bestätigen,  nutzen  sie  dazu  den  Übertragungstyp  ORDRSP  („Pegged  Orders“).  Andere  Kun‐ den  überlassen  hingegen  die  Auftragsplanung  vollständig  dem  Dispo‐ nenten von FOX (Vendor Managed Inventory in Reinform). 

Im Anfang war der  Sales Report… 

Vor  der  physischen  Auslieferung  der  digitalen  Datenträger  stellt  FOX  den  Kunden  ein  Lieferavis  zu.  Dieser  elektronische  Lieferschein  wird  mit  Hilfe  des  Nachrichtenformats  DESADV  („Despatch Advice“)  über‐ mittelt. Auf  ihm  finden  sich  die  final  gelisteten  Lieferpositionen.  Nach‐ dem  der  Kunde  die  Waren  vereinnahmt  hat,  gleicht  er  die  Lieferdoku‐ mente  mit  den  gebuchten  Wareneingängen  ab.  FOX  erhält  über  das  Format  RECADV  („Receiving Advice“)  eine  Bestätigung  des  Warenein‐ gangs.  Schließlich  stellt  FOX  die  (Sammel‐)  Rechnung  und  übersendet  diese  dem  Kunden.  Die  Warenzustellung  erfolgt  im  Übrigen  zumeist  über eine vorherige Zentrallagerung und spätere filialgerechte Kommis‐ sionierung  (Cross  Docking).  Wenn  allerdings  Stock‐outs  am  Point‐of‐ Sale  drohen,  wird  durch  FOX  eine  Direktbelieferung  an  die  Filialen 

Direktversorgung  nur im Notfall 

151

C

Strategien des Supply Chain Managements

vorgenommen. Innerhalb von 48 Stunden ist dann ein unmittelbar zuge‐ stellter Ton‐ oder Bildträger im Handel verfügbar. Abbildung C.3 visua‐ lisiert die oben beschriebenen VMI‐Arbeitsschritte bei FOX.  Abbildung C.3 

VMI bei Twentieth Century Fox 

Handel  Bestands‐  daten

SLSRPT 

INVRPT 

FOX 

Bestellung  bestätigen

Warenein‐

ORDRSP 

RECADV 

gänge

ORDERS 

DESADV 

Bestand 

Bestellung 

Lieferung 

prüfen 

anlegen

tätigen

Rechnung

 

C.3.1.1.2 Cross Docking Historie und Ziele 

Cross  Docking  wird  synonym  als  „verbrauchsorientierte  Warenvertei‐ lung“  bezeichnet.  Der  Ansatz  ist  zu  Beginn  der  90er  Jahre  als  eine  be‐ sondere  Variante  der  Zentrallagerung  entstanden.  Wie  auch  Vendor  Managed  Inventory,  entstammt  Cross  Docking  der  Philosophie  von  Efficient  Consumer  Response.  Das  Konzept  unternimmt  den  Versuch,  die  Lagerhaltung  zu  minimieren  und  die  Durchlaufzeiten  herunterzu‐ fahren.  Vielfach  wird  VMI  durch  Cross  Docking  erst  ermöglicht:  Um  den  kontinuierlichen  Warennachschub  auf  Dauer  aufrechterhalten  zu  können,  sind  (vornehmlich  in  Ballungsräumen)  zentrale  Warenum‐ schlagspunkte  einzurichten.  Ansonsten  wären  „Miniladungen“  über  größere Distanzen abzuwickeln, was sich nicht rentieren würde. 

Docking Station  etablieren 

Das  Aufkommen  von  Cross  Docking  (vgl.  Becker  2020;  Harnisch  2011;  Harps 1996; Holland et al. 2001, S. 55ff.; Mau 2003, S. 87ff.) ist dem „Eng‐ pass  Rampe“  geschuldet.  Gerade  in  der  City  ist  es  für  den  Hersteller  zum  Teil  ausgesprochen  schwierig,  die  Läden  in  den  oftmals  engen  Straßen  anzuliefern.  Große  Lastkraftwagen  stauen  sich  häufig  an  den  Rampen.  Deshalb  werden  die  Komplettladungen  der  Hersteller  aufge‐ brochen. Die Industrie liefert nicht länger direkt an den Handel, sondern  an  einen  Umschlagspunkt.  Diese  zentralisierte  Docking  Station  wird  synonym  Transshipment  Point  genannt.  Darin  sind  die  Ladungen  fili‐ 152

Strategien der Versorgung

C.3

algerecht  zu  kommissionieren  und  anschließend  zum  Kunden  zu  dis‐ tribuieren  (vgl.  unten  das  „Zwei‐Stufen‐Prinzip“).  Bei  Cross  Docking  findet  im  Idealfall  keine  Zwischenlagerung  der  Waren  statt.  Diese  wer‐ den dann direkt durch den Transshipment Point zum Kunden „durchge‐ reicht“.  Es sind drei grundsätzliche Arten des Cross Dockings zu unterscheiden:  Das  artikelreine  Cross  Docking,  das  einstufige  sowie  das  zweistufige  Cross Docking (vgl. Harnisch 2011, S. 33ff.; Stickel 2006, S. 7): 

 Beim  artikelreinen  Cross  Docking  wird  nur  eine  Sachnummer  pro  Palette distribuiert. Der Lieferant verschickt Vollpaletten in den zent‐ ral  gelegenen  Transshipment  Point,  der  nur  als  Zwischenlagerstätte  dient.  Ohne  Aufbruch  der  Paletten  findet  deren  Entsendung  an  den  Handel statt. Diese Methode eignet sich vor allem für großvolumige,  schnell drehende Artikel und Display‐Paletten. 

 Das  einstufige  Cross  Docking  beschreibt  eine  Variante,  bei  der  die  Waren  durch  den  Hersteller  pro  Palette  bereits  vorkommissioniert  werden.  Im  Zentrallager  findet  für  diese  Mischpaletten  in  der  Regel  nur  eine  Zwischenlagerung  statt.  Bei  Bedarf  werden  diese Artikel  an  die  Kunden  distribuiert  (teilweise  gemeinsam  mit  sonstigen  Sendun‐ gen).  Dementsprechend  ist der  logistische Mehraufwand  für  das  ein‐ stufige Cross Docking gering. 

 Die am häufigsten angewendete Variante eines Cross Dockings ist das  Zwei‐Stufen‐Prinzip.  Artikelreine  Paletten  werden  in  die  Docking  Station  gebracht,  dort  aufgebrochen  und  später  filialgerecht  verteilt  („Cross Docking im engen Sinn“). Im Handel beträgt die Verweildau‐ er der Waren im Transshipment Point zum Teil unter 24 Stunden. Ab‐ bildung C.4 visualisiert die Abwicklung von Cross Docking nach dem  Zwei‐Stufen‐Prinzip. 

Als  Strategie  für  das  Supply  Chain  Management  eignet  sich  Cross  Do‐ cking zur Verbesserung der Lager‐ und der Handlingskosten. Außerdem  dient das Verfahren zur Einsparung von Lagerplatz. Aus Sicht des Kun‐ den  (insbesondere  des  Handels)  wird  der  Warenumschlag  pro  Sach‐ nummer  gepusht.  Hier  kommt  das  Wesen  des  Supply  Chain  Manage‐ ments  zum  Ausdruck:  Eine  Abkehr  von  Versorgungs‐,  Entsorgungs‐  und  Recyclingketten  mit  hohen  Lagerbeständen  sowie  unregelmäßigen  Lieferungen  großer  Mengen.  Und  die  Hinwendung  zu  Prozessen  mit  geringer  Lagerhaltung,  welche  auf  der  tatsächlichen  Nachfrage  ohne  Vorlauf basieren (vgl. Stickel 2006). 

153

Arten 

Mixed Load ver‐ meiden 

Vorkommissionie‐ rung 

Cross Docking im  engen Sinn 

Eigenschaften des  Cross Dockings 

C Abbildung C.4 

Strategien des Supply Chain Managements

Zweistufiges Cross Docking 

                                             

Kosten auf mehre‐ re Schultern  verteilen: Cost  Sharing 

Transshipment‐ point

Hersteller

Kunde

A aaaaa

abc

1

aacc

2

bb

3

aaaaa

Bier

B bbbbb bbbbb

Kartoffelchips aac C

4

ccccc ccccc

bbc Pizza

5

Die  Kosten  für  die  Einrichtung  eines  Transshipment  Points  trägt  im  ersten  Schritt  der  Kunde  (beispielsweise  der  Handel).  Über  den  Preis  überwälzt  er  aber  einen  Teil  der  Kosten  an  den  Hersteller.  Auch  der  Endverbraucher trägt, über erhöhte Verkaufspreise der Waren, teilweise  zur Deckung der Kosten bei. Im Kern entstehen Kosten für das Waren‐ handling im Zentrallager. Diese Dienste lassen sich Logistikdienstleister  (3PL)  entsprechend  vergüten.  Allerdings  rechnet  sich  offenkundig  –  vornehmlich im Handel – eine Abwicklung im Sinne von Cross Docking  mittlerweile  durchaus.  Die  originär  entstandenen  Kosten  werden  von  den eingehenden Erträgen zum Teil deutlich überkompensiert. Entspre‐ chend sieht McKinsey in der Nutzung von Cross Docking im Handel ein  Kostensenkungspotenzial zwischen 10% und 15% (vgl. Werner 2013b, S.  23). Aber auch in mehreren anderen Branchen (wie Bauwirtschaft, Che‐

154

Strategien der Versorgung

C.3

mie oder Automotive) wird Cross Docking mittlerweile recht erfolgreich  betrieben.  Kleine  und  mittelgroße  Organisationen  nutzen  zur  Durchführung  von  Cross  Docking  ein  Multiple  User  Warehouse.  Darunter  ist  der Aufbau  eines  Umschlagsplatzes  zu  verstehen,  den  unterschiedliche,  rechtlich  selbständige Partner, gemeinsam nutzen. Die beteiligten Akteure vertei‐ len dabei die Lagerinvestitionen auf mehrere Schultern („Cost Sharing“).  Den  Betreiber  des  Transshipment  Points  (3PL)  entlohnen  die  Supply‐ Chain‐Akteure im Idealfall anteilig über Prozesskostensätze. Allerdings  gestaltet  sich  die  Bezahlung  des  Dienstleisters  über  Prozesskostensätze  sehr  arbeitsintensiv,  wenn  sich  mehrere  unabhängige  Partner  den  Platz  innerhalb der Docking Station teilen. In diesem Fall bietet sich eine Kal‐ kulation über genutzte Flächenmeter der Lagerzonen an. 

„Chips on my  shoulder, more as I  grow older…”  (Soft Cell) 

Grundsätzlich  entstehen  durch  die  Anwendung  von  Cross  Docking  reduzierte  Lagerbestände  auf  sämtlichen  Stufen  der  Supply  Chain.  Ein  weiterer  Vorteil  ist  eine  bessere  Nutzung  der  im  Lager  gewonnenen  Fläche.  Ferner  wird  der  Wettbewerbsfaktor  Zeit  optimiert,  indem  Ein‐  und  Auslagerungsprozesse  schneller  stattfinden.  Die  zeitliche  Abstim‐ mung mit dem Handel verbessert die Frische und reduziert die Anzahl  der  Waren  mit  abgelaufenem  Mindesthaltbarkeitsdatum.  Außerdem  führt die Bündelung der Warensendungen zu einer besseren Auslastung  der Transportmittel. 

Nutzen des Verfah‐ rens 

Doch wo Licht ist, findet sich bekanntlich auch Schatten. Cross Docking  kennt  Schwierigkeiten  in  der  organisatorischen  Umsetzung.  Etliche  potenzielle  Partner  verfügen  schlichtweg  nicht  über  die  benötigten  La‐ gerkapazitäten oder einen geeigneten Fuhrpark, um das Verfahren um‐ zusetzen. Deshalb sind entweder Investitionen zu tätigen, oder Koopera‐ tionen  mit  Logistikdienstleistern  einzugehen.  Außerdem  hapert  es  in  manchem  Fall  nicht  zwingend  an  den  zur  Verfügung  stehenden  Infor‐ mations‐  und  Kommunikationssystemen,  sondern  an  der  mangelnden  Genauigkeit der ausgetauschten Daten. Auch wird um die Wahrung der  Geheimhaltungssphäre  gefürchtet.  Ein  weiteres  Risiko  besteht  darin,  dass  sich  die Kosten  nicht unbedingt  über  sämtliche  Stufen  der  Supply  Chain  gleichermaßen  reduzieren,  sondern  lediglich  in  der  logistischen  Kette  vom  Kunden  zum  Hersteller  verschieben.  Die  durchschnittliche  Dauer  zur  Implementierung  von  Cross  Docking  beträgt  im  Übrigen  sieben Monate (vgl. Lillig et al. 2005, S. 30). 

Grenzen der filial‐ gerechten Kommis‐ sionierung 

Als Praxisbeispiel für die Durchführung von Cross Docking sei auf das  Unternehmen  Danzas  verwiesen.  Die  Danzas  Holding  AG  wurde  1815 

Praxisbeispiel 

155

C

Strategien des Supply Chain Managements

gegründet  und  gehört  aktuell  zu  den  führenden  Organisationen  des  Transports  von  Handelsgütern.  Auch  Lagerungen  oder  Kommissionie‐ rungen werden beispielsweise von Danzas als Dienstleistungen angebo‐ ten (vgl. zu dem Beispiel o. V. 2005, S. 40ff.).  Cross Docking bei  Danzas 

In  einem  Pilotprojekt  zwischen  Industrie,  Handel  und  Danzas  wurden  Kleinsendungen verschiedener Markenartikelhersteller in einem speziel‐ len  Transshipment  Point  zusammengefasst.  Danzas  wickelt  in  der  Do‐ cking Station sämtliche logistischen Dienstleistungen (wie die Kommis‐ sionierung)  komplett  in  Eigenregie  ab.  Daraus  ergeben  sich  für  Danzas  die  Vorteile  besser  ausgelasteter  Transportkapazitäten  und  verkürzter  Wartezeiten.  Die  aus  der  Fabrik  gehenden  Warensendungen  an  den  Handel  werden  zudem  gebündelt.  Auf  Grund  der  Mengendegression  reduzieren  sich  für  die  Handelspartner  die  Frachtkosten. Auch  für  den  Endverbraucher ergibt sich schließlich ein Vorteil: Die Waren können am  Point‐of‐Sale frischer angeboten werden. 

Chargen können  eindeutig identifi‐ ziert werden 

Die  Kommunikation  im  Partnergeflecht  sichert  die  „Nummer  der  Ver‐ sandeinheit“  (NVE)  in  Verbindung  mit  dem  EAN‐Code  128.  Dadurch  werden  Fehler  bei  der  Identifizierung  und  späteren  Steuerung  der  Wa‐ ren  vermieden.  Beispielsweise  ermöglichen  die  Scan‐Prozesse  im  Wa‐ reneingang  eine  automatische  Platzreservierung,  welche  den  produkt‐ spezifischen  Anforderungen  des  Lagerortes  entspricht.  Diesbezüglich  sind  Differenzierungen  an  Temperatur,  Hygiene  oder  Sicherheit  vorzu‐ nehmen. 

Viel Licht.... 

Die  internationale  Akzeptanz  des  EAN‐Standards  ermöglicht  Danzas  eine  Ausweitung  der  Philosophie  auf  weitere  Niederlassungen.  Durch  das  Pilotprojekt  werden  Kosteneinsparungen  von  bis  zu  30%  erzielt  (vgl. o. V. 2005, S. 31). Für den Handel stellt die Rampe nicht länger den  Engpass  dar.  Außerdem  erfolgen  die  Anlieferungen  zuverlässiger  und  termingerechter.  Neben  einer  Bestandsreduzierung  ist  eine  Verminde‐ rung  der  Prozesskosten  festzustellen.  Der  Hersteller  profitiert  zudem  von  optimierten  Tourenplanungen  mit  weniger  Lastkraftwagen,  besse‐ ren Kapazitätsauslastungen der Transportmittel, verminderten Umwelt‐ belastungen und günstigeren Transporttarifen. 

C.3.1.1.3 Synchronized Production JiT oder JiS nutzen 

Neben  Vendor  Managed  Inventory  und  Cross  Docking  dient  Synchro‐ nized  Production  zur  Komplettierung  der  logistischen  Attribute  von  Efficient Consumer Response. Die automatisch aus dem Handel gemel‐

156

Strategien der Versorgung

C.3

deten  Scanner‐Daten  nutzt  der  Hersteller  zur  Optimierung  seiner  Pro‐ duktionsplanung  und  ‐steuerung.  Er  verlässt  sich  nicht  auf  vage  Plan‐ zahlen („was der Kunde vielleicht gern haben könnte“), sondern auf die  tatsächliche  Nachfrage  („was  der  Kunde  tatsächlich  haben  möchte“).  Synchronized  Production  lehnt  sich  an  das  Pull‐Prinzip.  Zum  Beispiel  stellt  Edeka  ausgewählten  Partnern  die  Scanner‐Daten  mittels  der  Soft‐ ware „E 3 Trim“ zur Verfügung. Ebenso sucht der Handel verstärkt die  Zusammenarbeit  mit  Herstellern.  Sommerfield  Stores  Ltd.  führte  in  Eng‐ land  ein  Pilotprojekt  ein,  in  das  elf  Systemlieferanten  zur  Realisierung  von  ECR  integriert  waren.  Die  Schnittstelle  zwischen  Industrie  und  Handel sicherte in diesem Fall EDI (Electronic Data Interchange). 

C.3.1.2

Komponenten des Marketings

Die Inhalte des Marketings stellen das Pendant zu den Logistikkompo‐ nenten  dar  und  sind  dem  Category  Management  zuzuordnen  (vgl.  Grajczyk  2015;  Kleinfeld  2020;  Steiner  2012).  Ein  Category  Management  umfasst  die  Bildung  von  Warengruppen  („Categories“).  Diese  werden  als strategische Geschäftsfelder (zum Beispiel die audiovisuelle Branche)  oder  strategische  Geschäftseinheiten  (wie  CD‐Spieler  innerhalb  der  au‐ diovisuellen Branche) definiert. Der Category Manager zeichnet für eine  bestimmte  Warengruppe  verantwortlich.  Beispielhaft  dafür  steht  das  Segment  „Baby,  Kids  &  Co“  des  SB‐Warenhauses  real.  Hersteller  und  Handel richten ihre Aktivitäten an den Wünschen der Kunden aus und  bilden  interdisziplinäre  Teams.  Das  Category  Management  umfasst  die  drei  Marketing‐Komponenten  Efficient  Product  Introduction,  Efficient  Store Assortment und Efficient Promotion. 

 Efficient  Product  Introduction:  Die  effiziente  Einführung  neuer  Pro‐ dukte  bezieht  sich  auf  die  Reduzierung  der  Flopraten.  Diese  geben  die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Fehl‐ schlags in der Produktentwicklung in Prozent an. Industrie und Han‐ del  erarbeiten  gemeinsam  Konzepte,  um  Ladenhüter  in  den  Regalen  zu vermeiden. Sie bündeln ihre Kompetenzen. Beispielsweise wollte  der belgische Handelsriese Delhaize in sein Sortiment eine Eigenmarke  für  gekühlte  Fertiggerichte  aufnehmen.  Mit  Hot  Cuisine  fand  man  ei‐ nen  geeigneten  Partner.  Hot  Cuisine  bietet  Fertiggerichte  an  und  be‐ herrscht  das  „Vacuum  Cooking“.  Die  Partner  entwickelten  eine  ge‐ meinsame Strategie zum Absatz der Vakuumierungs‐Technologie. 

 Efficient  Store  Assortment:  Mit  einer  effizienten  Sortimentsgestal‐ tung wird eine Harmonisierung der Artikel im Geschäft verfolgt. Zum 

157

Warengruppen  definieren 

Phase  „Concept‐to‐ Cash“ verkürzen 

Locken und Ab‐ schöpfen 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Beispiel ist eine Ausgewogenheit zwischen Strategieartikeln und Pro‐ fitartikeln  herzustellen  (Sortimentsmix):  Strategieartikel  sind  Fre‐ quenzbringer, die zwar nur über einen geringen Deckungsbeitrag ver‐ fügen,  aber  die  Kunden  in  das  Geschäft  locken.  Profitartikel  weisen  hingegen einen hohen Deckungsbeitrag auf.  Persönlich initiierte  Maßnahmen am  POS 

 Efficient Promotion: Innerhalb von Efficient Consumer Response sind  schließlich  Aktivitäten  zur  effizienten  Verkaufsförderung  zwischen  den  Herstellern  und  den  Handelsgeschäften  abzustimmen.  Die  per‐ sönlich initiierten Maßnahmen richten sich direkt auf den Point of Sa‐ le aus (der sich immer mehr zum Point of Difference entwickelt). 

C.3.1.3

Komponenten der Informationstechnologie

IT als Plattform 

Bei  Efficient  Consumer  Response  wird  die  Verbindung  zwischen  den  Komponenten der Logistik und des Marketings durch die Informations‐ technologie gewährleistet. Sie schafft die digitalisierte Basis zum Daten‐ austausch  via  EDI  (Electronic  Data  Interchange)  oder  Web‐EDI  (vgl.  S.  361).  Zum  Beispiel  nutzt  die  Industrie  die  Scanner‐Daten  des  Handels.  Außerdem  werden  die  Informationen  zusätzlich  zweck‐  und  entschei‐ dungsrelevant  filtriert.  Dazu  sind  Kundendaten,  Verkaufsdaten  und  Konkurrenzdaten  in  einem  Data  Warehouse  zu  verwalten  (vgl.  S.  374  dieser  Schrift).  Ein  Beispiel  für  eine  Data‐Warehouse‐Lösung  im  Rah‐ men  von  Efficient  Consumer  Response  liefert  Wal  Mart.  Das  Unterneh‐ men speichert und verwaltet weltweit den Umsatz von über 80.000 Arti‐ keln aus circa 2.000 Filialen für einen Zeitraum von 65 Wochen. Bei Be‐ darf  kann  jede  Sachnummer  individuell  abgerufen  und  bearbeitet  werden.  Sämtliche  Personen,  welche  für  die  Sortimentsgestaltung  ver‐ antwortlich  zeichnen,  haben  Zugriff  auf  diese  Datenbank.  Autorisierte  Lieferanten können sich ebenfalls in das System einloggen. 

Grenzen von ECR  beachten 

Im  Zuge  der  einsetzenden  Euphorie  bezüglich  Efficient  Consumer  Response  kommen  jedoch  auch  kritische  Stimmen  auf.  Insbesondere  wird  Efficient  Consumer  Response  vorgeworfen,  dass  der  Handel  mit  der  Einführung  des  Ansatzes  versuchen  würde,  einseitig  die  Preise  zu  drücken und seine Bestandsverantwortung auf den Hersteller abzuwäl‐ zen  (der  Handel  würde  sich  „schlanker“  machen).  Außerdem  nehmen  die  Abhängigkeitsverhältnisse  zwischen  den  eingebundenen  Partnern  zu.  Trotzdem  etabliert  sich  Efficient  Consumer  Response  neben  dem  Handel  derzeit  in  der  Baubranche,  in  der  Holzwirtschaft,  in  der  Auto‐ mobilindustrie sowie in der Chemie‐ und Pharmabranche. 

158

Strategien der Versorgung

C.3.2

Customer Relationship Management und Mass Customization

Ein  Supply  Chain  Management  ist  konsequent  auf  den  Kunden  ausge‐ richtet.  Schwerpunktmäßig  verfolgt  der Ansatz  eine  Pull‐Orientierung.  Im Supply Chain Management wird eine Antwort auf die Frage gesucht,  was  der  Kunde  tatsächlich  haben  möchte  („Built‐to‐Order“).  Vage  Ver‐ mutungen bezüglich einer möglichen Nachfrage sind dabei in den Hin‐ tergrund zu schieben (vgl. in diesem Zusammenhang die Diskussion um  die Metaführungsansätze von Market‐Based‐View und Resource‐Based‐ View  auf  S.  98).  Deshalb  nutzt  das  Supply  Chain  Management  Instru‐ mente,  die  zur  Verbesserung  des  Kundenmanagements  beitragen.  Mit  Customer  Relationship  Management  und  Mass  Customization  werden  zwei dieser Hilfsmittel in der Folge näher gekennzeichnet. 

C.3.2.1

C.3 Pull‐Strategie: Die  unmittelbare An‐ sprache der End‐ kunden 

Customer Relationship Management

Mitte  der  80er  Jahre  kam  der  Begriff  „Customer  Relationship“  in  den  Vereinigten  Staaten  auf.  Er  wurde  in  der  Zwischenzeit  in  vielfältiger  Weise zu Relationship Marketing, One‐to‐One‐Marketing und Customer  Relationship Management weiterentwickelt (vgl. Bruhn 2016; Hippner et  al. 2011; Müller 2015; Raab/Werner 2010 und Begriffsblock C.III). 

CRM: Historie und  Begriff 

Begriffsblock C.III 

Customer Relationship Management und verwandte Konzepte 

 Relationship Marketing: Darunter ist die Entwicklung und Verbesse‐ rung  bestehender  Kundenbeziehungen  zu  verstehen.  Der  Schwer‐ punkt von Aktivitäten liegt beim Relationship Marketing nicht auf ei‐ ner Akquisition neuer Kunden (vgl. Bruhn 2016). 

 One‐to‐One‐Marketing: Ein One‐to‐One‐Marketing rückt den einzel‐ nen  Kunden  stärker  in  den  Mittelpunkt.  Es  geht  nicht  darum,  mög‐ lichst  viele  Käufer  zu  finden,  sondern  an  besonders  umsatzstarke  Kunden Produkte abzusetzen (zum Beispiel mittels Cross Selling). Es  wird  beim  One‐to‐One‐Marketing  der  Versuch  unternommen,  diese  Stammkunden langfristig an die Organisation zu binden. 

 Customer  Relationship  Management:  Customer  Relationship  Ma‐ nagement  bedeutet  die  Planung,  die  Steuerung  und  die  Kontrolle  sämtlicher  auf  aktuelle  und  potenzielle  Marktpartner  gerichteter  Maßnahmen,  mit  dem  Ziel  einer  Intensivierung  der  Kundenbezie‐ hung (Kumar/Reinartz 2018, S. 15).  

159

Kunden dauerhaft  gewinnen 

Kundennutzen  entscheidet 

Beziehungsma‐ nagement 

C KPI zur Messung  des Kundennut‐ zens 

Strategien des Supply Chain Managements

Im  Sinne  eines  Customer  Relationship  Managements  (CRM)  sind  die  Faktoren  Kundenzufriedenheit,  Kundenloyalität  und  Kundenakquisiti‐ on  ständig  zu  verbessern.  Ein  reines  Transaktionsmarketing  hat  sich  durch  das  Aufkommen  von  CRM  zum  echten  Beziehungsmarketing  gewandelt.  Diese  Erweiterung  bezieht  sich  insbesondere  auf  die  Kom‐ ponenten Information, Interaktion, Integration und Individualisierung. 

„Was“: Aufbau der  Kundenbeziehung 

 Information:  Über  Informationen  werden  Kundenbeziehungen  auf‐

„Wie?“: Kunden in  den Mittelpunkt  rücken 

 Interaktion: Zum Austauschprozess zwischen einer Organisation mit 

„Womit?“: Kun‐ denbeziehung  messen 

 Integration: Der Anspruch nach Integration bedeutet, den Kunden di‐

„Wodurch?“:  Spezialisierung  und Vergleich  umsetzen 

 Individualisierung: Die Individualisierung im Customer Relationship 

Schlüsselgrößen  definieren 

Ein Customer Relationship Management zielt auf die Intensivierung der  Austauschprozesse von Herstellern und Kunden. Es dient einer Verbes‐ serung der strategischen Zielgrößen Profitabilität, Differenzierung und  Dauerhaftigkeit. 

Profit sichern 

gebaut  und  gepflegt.  Dazu  dient  beispielsweise  das  Internet.  Die  In‐ formationen  sollen  von  hoher  Substanz  sein  und  zur  Lösung  einer  Problemstellung des Kunden direkt beitragen. Die Digitalisierung bie‐ tet umfangreiche Möglichkeiten zur Informationssammlung.  ihren  Kunden  können  virtuelle  Gemeinschaften  (Communities)  auf‐ gebaut  werden.  Dadurch  soll  ein  Zugehörigkeitsgefühl  für  den  Kun‐ den entstehen. Eine Möglichkeit dazu bieten Diskussionsforen im In‐ ternet oder die Nutzung von Social Media Kanälen.  rekt in den Prozess zur Leistungserstellung einzubinden. Beispielhaft  dafür  steht  im  Supply  Chain  Management  ein  Tracking  and  Tracing.  Eine weitere Möglichkeit bietet das „Affiliate“‐Programm. Darunter ist  ein  System  zu  verstehen,  welches  eine  erfolgsabhängige  Vergütung  von Usern sichert: Wie der Erfolgsbonus, den Amazon und Sky für das  aktive und erfolgreiche Werben neuer Kunden gewähren.  Management  beschreibt  den  Übergang  von  Mass  Consumption  zu  Mass Customization (vgl. S. 164 dieser Schrift). Mit Hilfe von „Collabo‐ rative  Filtring“  besteht  die  Möglichkeit,  individuelle  Empfehlungen  –  auf  Basis  eines  Präferenzvergleichs  –  an  weitere  Nutzer  zu  geben.  Über das Internet  werden  dabei  den  Usern ausgewählte  Produktvor‐ schläge übermittelt. 

 Profitabilität: Klassische Strategien des Marketings richteten sich vor  allem darauf aus, möglichst viele Kunden an sich zu binden, um den  Share‐of‐Market  (Marktanteil)  zu  steigern.  Das  Customer  Relationship 

160

Strategien der Versorgung

C.3

Management bezieht sich hingegen im Schwerpunkt auf die Verbesse‐ rung der Kaufintensität zu selektierten Kunden (Share‐of‐Wallet). 

 Differenzierung: Die Kunden werden nicht länger als eine wenig dif‐ ferenzierte  Einheit  verstanden.  Vielmehr  entwickeln  sich  Massenpro‐ dukte sukzessive zu echten Maßanfertigungen (Mass Customization). 

 Dauerhaftigkeit:  Im  Rahmen  von  CRM  ändert  sich  die  Zielvorgabe.  Sie  ist  nicht  länger  der  möglichst  umfangreichen  Neukundengewin‐ nung geschuldet, sondern wendet sich der langfristigen Pflege bereits  bestehender Kundenbeziehungen zu. 

Kundenindividuell  in Masse  Long‐Range‐ Planning 

Wesentlich für ein Customer Relationship Management ist die intensive  Nutzung  moderner  Informations‐  und  Kommunikationstechniken.  Bis‐ herige  Insellösungen  des  Marketings  (wie  Help‐Desk‐Lösungen  oder  Vertriebsinformationssysteme) werden nicht länger geduldet. Sie gestat‐ ten  keine  einheitliche  Sichtweise  zum  Kunden  und  beinhalten  lediglich  unvollständige  oder  veraltete  Daten.  Jetzt  werden  diese  Informationen  in  ein  unternehmensweit  standardisiertes  CRM‐System  eingebunden.  Dieses  System  ist  ein  „Customer  Touch  Point“  (Kontaktpunkt),  der  den  Dialog mit den Kunden gewährleistet. 

Touch Points  schaffen 

Ein  Customer  Relationship  Management  stellt  eine  systematische  Zu‐ sammenführung  von  Kundeninformationen  dar,  verbunden  mit  der  Synchronisation  sämtlicher  Kommunikationskanäle,  um  den  Kunden  ganzheitlich  abzubilden  („One‐Face‐of‐the‐Customer“).  Dadurch  ist  eine  differenzierte  und  einheitliche  Ansprache  in  Kundenrichtung  gewähr‐ leistet:  „One‐Face‐to‐the‐Customer“  (vgl.  Bruhn  2016;  Buttle  2019,  S.  53;  Hippner et al. 2011; Raab/Werner 2010). 

„It’s not hard to go  the distance when  you finally get  involved face to  face…“             (Daft Punk) 

C.3.2.1.1 Komponenten Die Komponenten des Customer Relationship Managements setzen sich  aus dem kommunikativen CRM, dem operativen CRM sowie dem ana‐ lytischen CRM zusammen (vgl. Hippner et al. 2011, S. 91ff.). Diese Inhalte  werden im Folgenden kurz beschrieben. 

 Im  kommunikativen  CRM  werden  die  Kommunikationskanäle  zum  Kunden synchronisiert. Dazu zählen die Instrumente Telefon, Internet  oder E‐Mail ebenso, wie das klassische Verkaufsgespräch des Außen‐ dienstmitarbeiters.  In  dem  „Customer  Interaction  Center“  können  die  Informationen  aus  diesen  unterschiedlichen  Kommunikationsebenen  zusammenfließen. 

161

Struktur von CRM 

„Die Welt ist nicht  schlechter gewor‐ den, wir haben nur  ein besseres Kom‐ munikationsnetz.“        (K. Hubbard) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Front‐End‐Back‐ End‐Lösung 

 Das operative CRM beinhaltet sämtliche Lösungen, die in unmittelba‐

Closed‐Loops 

 Schließlich sind im analytischen CRM Kundenkontakte und Kunden‐

rer  Verbindung  zum  Front‐Office,  dem  Kontaktpunkt  zum  Kunden,  stehen. Ein operatives CRM untergliedert sich in Marketing Automa‐ tion, Sales Automation sowie Service Automation. Zur zielführenden  Verarbeitung  innerhalb  der  Supply  Chain  wird  das  Know‐how  aus  dem  Front‐Office  im  Back‐Office  verarbeitet.  Mögliche  Lösungen  in  diesem Back‐Office stellen ERP‐ und APS‐Systeme dar.  reaktionen  systematisch  aufzuzeichnen.  Dadurch  wird  sichergestellt,  dass  keine  Informationen  versickern.  Wenn  sich  beispielsweise  ein  Kunde  im  Call  Center  der  Organisation  beschwert,  muss  dieses  Wis‐ sen  bis  auf  die  oberste  Managementebene  durchdringen  können.  CRM ist ein Ansatz im Sinne von Closing‐the‐Loop: Die Beschwerde des  Kunden  wird  in  das  CRM‐System  eingegeben,  dort  gepflegt  und  so  lange  verfolgt,  bis  das  Problem  gelöst  ist.  Wesentliche  Systembestand‐ teile eines analytischen Customer Relationship Managements sind Da‐ ta Warehouse, OLAP und Data Mining (vgl. S. 375). 

C.3.2.1.2 Weiterentwicklung zu Enterprise Relationship Management Champions League  der Supply Chain 

In  modernen  Supply  Chains  wandelt  sich  das  Customer  Relationship  Management  zum  Enterprise  Relationship  Management  (ERM,  vgl.  Baumgarten  2001a,  S.  25;  Werner  2013b,  S.  18).  Symptomatisch  für  ein  Enterprise Relationship Management ist die vollständige Integration des  Kunden  in  die  Lieferkette  des  Herstellers.  Ein  Kundenauftrag  wird  durchgängig  verfolgt:  Von  der  Bestellung,  über  die  Produktion,  bis  zur  Auslieferung.  Sämtliche  Parameter  des  Produzenten  richten  sich  nach  den Prinzipien Available‐to‐Promise und Capable‐to‐Promise aus. 

ATP: Ein Verspre‐ chen abzugeben, ist  die eine Sache… 

 Available‐to‐Promise:  Der  Abnehmer  darf  erwarten,  dass  seine  Be‐

 …es halten zu  können, die andere  (CTP) 

 Capable‐to‐Promise:  Capable‐to‐Promise  bedeutet,  dass  ein  Unter‐

stellung  fristgerecht  bearbeitet  wird.  Deshalb  bestätigt  der  Hersteller  die  rechtzeitige  Auslieferung  des  Kundenauftrags  verbindlich.  Ein  Beispiel  dafür  ist  das  Versprechen  von  Amazon,  bestimmte  Waren  in‐ nerhalb  einer  vorgegebenen  Zeit  auszuliefern  (z.  B.  „Next  Day  De‐ livery“). Available‐to‐Promise ist also eine Front‐End‐Betrachtung.  nehmen  auch  über  die  internen  Fähigkeiten  verfügt,  das  nachgefragte  Produkt  entsprechend  herzustellen  (Back‐End‐Sichtweise).  Falls  die  Bestellung  des  Kunden  bisher  noch  nicht  in  einer  Produktion  einge‐ plant  war,  findet  diese  Berücksichtigung  jetzt  statt,  wobei  dem  Kun‐

162

Strategien der Versorgung

C.3

den  ein  Liefertermin  vorgeschlagen  werden  kann.  Diese  Vorgehens‐ weise findet sich beispielsweise in der Automobilindustrie. 

Zur  Realisierung  von Available‐to‐Promise  setzen  die  Produzenten  oft‐ mals flexible KEP (Kurier‐, Express‐ und Paketdienste) ein. Diese exter‐ nen  Warenverteiler  sind  auf  die  Distribution  geringer  Sendungsgrößen  spezialisiert.  Mit  Hilfe  der  Kurier‐,  Express‐  und  Paketdienste  werden  die  Hersteller  dem  Kundenanspruch  nach  Spezialisierung  und  Indivi‐ dualisierung gerecht. Zum Teil übernehmen die KEP auch kostenpflich‐ tige Zusatzdienste (z. B. Amazon Prime durch „Same Day Delivery“). 

KEP zielgerichtet  einsetzen 

Die Kundeninformationen sind bei Enterprise Relationship Management  elektronisch zu sammeln, zu verwalten und aufzubereiten. Beispielswei‐ se  kann  eine  Verdichtung  von  Daten  zum  Zweck  der  Managementin‐ formation stattfinden. Hierbei wird das elektronische Front‐End‐System  des Kunden (das Internet) nicht länger losgelöst vom Back‐End‐System  des  Produzenten  (dem  logistischen  Realisierungsprozess)  gesehen.  Front‐End  und  Back‐End  verschmelzen  in  Enterprise  Relationship  Ma‐ nagement  zur  integrierten  Supply  Chain  mit  maximaler  Kundenbefrie‐ digung und Wertsteigerung. 

ERM als MIS  nutzen 

In  Zeiten  von  ERM  sind  alle  Partner  einer  Supply  Chain  zielorientiert  miteinander  verbunden:  Vom  Lieferanten  (der  Source  of  Supply),  über  den Hersteller, bis zum Kunden (dem Point of Consumption). Dabei rich‐ tet sich der Ansatz streng nach dem Pull‐Konzept aus. Die Planung, die  Steuerung  und  die  Kontrolle  in  der  Lieferkette  erfolgen  über  die  Gren‐ zen  von  Akteuren  hinweg.  Dadurch  werden  Reibungsverluste  an  den  Schnittstellen  vermieden  und  Value  Added  Services  erzielt.  Enterprise  Relationship  Management  benötigt  dazu  moderne  Informations‐  und  Kommunikations‐Techniken. Sie erlauben eine Bearbeitung von Prozes‐ sen in Echtzeit (Realtime Process). Eine mögliche Abwicklung im Sinne  von ERM besteht, wenn: 

Prozess spezifizie‐ ren 

 Ein Kunde über das Internet bei einem Hersteller seiner Wahl Waren  bestellt  und  dieser  Kundenauftrag  bei  dem  Hersteller  in  einem  IT‐ System segmentiert wird, 

 wozu  die  Aufbau‐  und  die  Ablauforganisation  des  Herstellers  hin‐ sichtlich der notwendigen Prozessumstellungen  schnellstmöglich an‐ zupassen  sind,  außerdem  eine  enge Abstimmung  an  den  Schnittstel‐ len zu ausgewählten Lieferanten (Tier‐One‐Supplier) stattfindet und 

 dadurch eine durchgängige Auftragsverfolgung und verbindliche Lie‐ ferzusage ermöglicht wird. 

163

C

Strategien des Supply Chain Managements

C.3.2.2

Mass Customization

Zeiten von Stuck‐ in‐the‐Middle sind  passé 

In  Mass  Customization  (vgl.  insbesondere  Piller  2012;  Pine  1993;  vgl.  weiterhin  Beaufils  2016;  Hanisch  2006;  Seidenschwarz  2008)  vereinen  sich  die  Vorteile  der  Massenfertigung  mit  denen  der  kundenspezifischen  Einzelfertigung.  Der Ansatz  stellt  die  „Stuck‐in‐the‐Middle‐These“  Por‐ ters in Frage: Nach Michael E. Porter muss sich eine Organisation für eine  der  generischen  Wettbewerbsstrategien  von  Kostenführerschaft  oder  Differenzierung  entscheiden,  weil  sie  ansonsten  eine  Position  zwischen  den Stühlen einnimmt (vgl. S. 98). Diesem Postulat der Unvereinbarkeit  von  Kostenführerschaft  und  Differenzierung  stehen  hybride  Wettbe‐ werbsstrategien  gegenüber.  Sie  erlauben  die  simultane  Realisation  von  Kostenführerschaft und Differenzierung. Eines dieser hybriden Konzep‐ te ist Mass Customization (vgl. Abbildung C.5 und Piller 2012, S. 16). 

Abbildung C.5 

Hybride Wettbewerbsstrategien 

Strategie 

Beschreibung 

Protagonist 

Outpacing 

Rechtzeitiger Wechsel zwischen Kosten‐ Gilbert/Streckel  führerschaft und Differenzierung möglich,  (1985)  wobei die bereits erzielten Wettbewerbs‐ vorteile erhalten bleiben. 

Mass Customization 

Kundenindividuelle Massenfertigung. 

Pine  (1993) 

Simultaneitätshypothese 

Gleichzeitige Kostenführerschaft und  Differenzierung durch moderne Ferti‐ gungsansätze. 

Duale Internationalisie‐ rung 

Weltweite Anwendung unterschiedlicher  Wettbewerbsstrategien an verschiedenen  Orten (zum Beispiel Kostenführerschaft im  Inland und Differenzierung im Ausland). 

Dynamische Produktdif‐ ferenzierung 

Möglichkeit des Erzeugniswechsels durch  adäquate Fertigungsverfahren. 

Corsten/Will  (1995)  Fleck  (1995) 

Kaluza  (1996) 

 

Charakteristika des  Konzepts 

Mass  Customization  bedeutet  eine  kundenindividuelle  Massenferti‐ gung von Gütern für einen  großen Absatzmarkt. Die Erzeugnisse müs‐ sen  die  unterschiedlichen  Bedürfnisse  von  Nachfragern  erfüllen.  Dabei  sollen die Kosten in etwa denen einer massenhaften Fertigung standar‐ 164

Strategien der Versorgung

C.3

disierter  Produkte  entsprechen.  Deshalb  bedeutet  Mass  Customization  nicht „Einzelfertigung um jeden Preis“. Vielmehr richtet sich der Ansatz  nach  einer  ausgewogenen  Verknüpfung  kontinuierlich  verlaufender  Massenfertigung  und  diskontinuierlicher  Einzelfertigung  aus.  Zu  den  Voraussetzungen für die Nutzung von Mass Customization zählen: 

 Hohe  Stückzahlen:  Die  Fertigung  von  Mass  Customization  bezieht  sich  auf  eine  hohe  Menge.  Dabei  werden  Economies  of  Scale  erzielt.  Die  Basen  für  die  Massenfertigung  („Mass“)  stellen  standardisierte  Leistungsmodule  dar.  Sie  werden  „aus  dem  Baukasten“  heraus  zu‐ sammengesetzt.  Erst  im  eigentlichen  Verkaufsprozess  beginnt  ihre  kundenspezifische  Konfigurierung.  Beispiele  hierfür  liefert  die  Le‐ bensmittelindustrie bei der Fertigung von Müsli (MyMuesli.com) oder  Schokolade  (chocri.de).  Aber  auch  viele  Küchen  werden  nach  diesem  Prinzip hergestellt. 

 Individualisierung: Der Begriff „Customization“ steht für eine indivi‐ duelle  Befriedigung  von  Kundenwünschen.  Diese  kundengerechte  Spezifizierung des Leistungsprogramms kann sich auf die Kommuni‐ kation,  die  Konfiguration,  das  Design,  die  Preisgestaltung  oder  den  After‐Sales‐Bereich  erstrecken  (Varietät).  Das  Ziel  besteht  nicht  darin,  die  klassische  Einzelfertigung  zu  ersetzen.  Sondern  ein  Spektrum  an  in Masse gefertigten und standardisierten Modulen zu schaffen, die in  ihrer  Konfiguration  dem  Käufer  einen  besonders  hohen  Nutzen  stif‐ ten.  Beispielhaft  dafür  steht  die  individuelle  Fertigung  von  Chinos:  Das amerikanische Versandhaus Lands’ End produziert diesen Hosen‐ typus nach dem Prinzip Mass Customization. 

 Preis  und  Zielmarkt:  Für  ein  über  Mass  Customization  hergestelltes  Produkt  sollte  der  Verkaufspreis  mit  dem  eines  vergleichbaren  Stan‐ dardprodukts übereinstimmen, um in Konkurrenz mit Leistungen der  Wettbewerber  treten  zu  können.  Auch  darf  der  Zielmarkt  nicht  zu  klein sein, damit die gefertigten Waren absetzbar sind. 

 Variantenanzahl:  Die  Variantenanzahl  sollte  nicht  zu  groß  gewählt  sein.  Es  geht  nicht  darum,  besonders  viele  und  ähnliche  Produkte  hervorzubringen, von denen eines den Wünschen des Kunden „zufäl‐ lig“ entsprechen könnte. Die Abnehmer müssen bei Mass Customiza‐ tion keine Auswahl aus einem Sammelsurium an Alternativen treffen.  Sie erhalten vielmehr eine spezifisch auf sie zugeschnittene Leistung. 

Mass  Customization  ist  ein  kombiniertes  Push‐Pull‐Verfahren:  Zu‐ nächst  werden  halb  veredelte  Produkte  in  recht  hohen  Mengen  herge‐ stellt und ein Stück weit in den Markt gedrückt (Push). Dadurch erzielen 

165

Skaleneffekte gene‐ rieren 

Wünsche der  Kunden identifizie‐ ren 

Preise und Ziel‐ märkte fixieren 

Variantenzahl nicht  ausufern lassen 

Primäre Pull‐ Orientierung 

C

Strategien des Supply Chain Managements

die Anwender von Mass Customization Economies of Scale (Mengende‐ gressionseffekte) und Economies of Scope (Verbundeffekte), indem sich  einzelne  Produktkomponenten  zu  Modulen  aggregieren  lassen.  Das  Halbfertigfabrikat  (Work‐in‐Process)  verbleibt  jedoch  in  einem  generi‐ schen  Zustand  und  wird  erst  beim  Eintreffen  eines  expliziten  Kunden‐ wunschs  fertig  gestellt,  indem  beispielsweise  die  Modulbauweise  Ein‐ satz  findet.  Dadurch  sind  Änderungskosten  weitgehend  zu  vermeiden.  Ein Beispiel für Mass Customization findet sich in Block c.4.  Beispielblock c.4 

Mass Customization über das Internet  Der deutsche Textilhersteller Odermark befand sich Ende der neunziger Jahre  in  der  Krise  und  begann  im  Oktober  2000  mit  der  Einführung  von  Mass  Customization.  Zunächst  waren  die  Voraussetzungen  für  die  Nutzung  von  Mass Customization zu schaffen. Dazu mussten moderne Schneideautoma‐ ten  für  die  Stoffe  angeschafft  und  eine  neue  Software  zur  Steuerung  der  Fertigungsprozesse  implementiert  werden.  Zudem  erforderte  diese  Umor‐ ganisation eine Schulung der Mitarbeiter. Schließlich waren gar zwei zusätz‐ liche  Textiltechniker  einzustellen.  Odermark  investierte  insgesamt  über  drei  Millionen  Euro  in  die  Umstellung  auf  Mass  Customization.  Das  Geld  ist  offenkundig  gut  angelegt.  Es  ist  dem  Unternehmen  gelungen,  dass  bereits  über  60  Bekleidungshäuser  maßgeschneiderte  Anzüge  von  dem  Textilher‐ steller  Odermark  via  Internet  bestellen  (insgesamt  13.000  Anzüge  im  ersten  Jahr). Der Datenaustausch zwischen Auftraggeber und ‐nehmer erfolgt onli‐ ne und erlaubt die Herstellung maßgeschneiderter Anzüge. Der Anzug von  der Stange ist für Odermark passé. 

Ausprägungsfor‐ men 

Die  Arten  von  Mass  Customization  lassen  sich  in  die  beiden  Hauptbe‐ reiche  Soft  Customization  und  Hard  Customization  einteilen  (vgl.  Hug  2013,  S.  33).  Deren  nähere  Beschreibung  erfolgt  in  den  nachstehenden  Gliederungsabschnitten (vgl. auch Abbildung C. 6). 

C.3.2.2.1 Soft Customization Produktion ist  nicht direkt betrof‐ fen 

Soft  Customization  ist  eine  offene  Individualisierung.  Der  Eingriff  findet  außerhalb  der  eigentlichen  Fertigung  statt,  die  Kunden  werden  also  nicht direkt in den Produktionsprozess eingebunden. Wenige Varianten  in  großer  Stückzahl  bieten  die  Möglichkeit  zur  Differenzierung.  Die  Ausprägungsformen  für  Soft  Customization  sind  Selbstindividualisie‐ rung, Serviceindividualisierung sowie Endfertigung am Point‐of‐Sale. 

166

Strategien der Versorgung

 Selbstindividualisierung:  Das  Angebot  umfasst  bei  dieser  Art  stan‐ dardisierte Leistungen, welche der Kunde selbst konstruiert. Es findet  quasi eine Endfertigung durch den Kunden statt. Beispiele dafür sind  Neff  (ein  Produzent  von  Kühlschränken)  oder  Hallmark  (im  Rahmen  der  Fertigung  von  Glückwunschkarten).  Analog  sind  die  Pager  von  Motorola  kundenindividuell  konfiguriert.  Auch  Procter  &  Gamble  er‐ möglicht  seinen  Kunden  eine  Selbstindividualisierung:  Unter  der  Marke „Reflect.com“ bietet der Konzern bereits seit über 20 Jahren er‐ folgreich  Kosmetik‐  und  Pflegeprodukte  an,  welche  der  Endverbrau‐ cher selbst konfiguriert. 

 Serviceindividualisierung: Das Standardprodukt ist um individuelle  Sekundärleistungen zu ergänzen, wobei kein direkter Dialog mit dem  Kunden vor der Endmontage notwendig ist. Planters Company stellen  auf  diese Art unterschiedliche  Verpackungseinheiten  von  Nüssen  für  aktuelle und potenzielle Konsumenten her. 

 Individuelle Endfertigung am Point‐of‐Sale: Bei dieser dritten Form  liegt  ein  standardisiertes  Grundprodukt  vor.  Es  ist  eine  technische  Plattform, die erst am Point‐of‐Sale auf die spezifischen Wünsche der  Kunden zugeschnitten wird. Beispielhaft dafür steht das individuelle  Brillendesign  des  japanischen  Herstellers  Paris  Miki  oder  die  Verede‐ lung von Skiern durch MySki. 

C.3 Kunde gibt das  Produkt vor 

Standardprodukte  schaffen 

Anpassungen am  POS 

C.3.2.2.2 Hard Customization Hard  Customization  orientiert  sich  an  der  geschlossenen  Individualisie‐ rung. Die Varietät findet innerhalb der Fertigung statt: Die Wünsche des  Kunden haben einen direkten Einfluss auf die Fertigung des Produkts,  indem der Kunde seine Bedürfnisse vor Fertigungsbeginn mitteilt. Mög‐ liche  Ausprägungen  für  Hard  Customization  stellen  die  kundenindivi‐ duelle Einzelfertigung, die kundenindividuelle Vorfertigung, das modu‐ lare Baukastenprinzip und die massenhafte Fertigung von Unikaten dar. 

 Kundenindividuelle  Endfertigung:  Die  Individualisierung  tritt  bei  dieser Variante in der letzten Fertigungsstufe des Herstellers ein. Der  Kunde  gibt  seine  Erzeugnisanforderungen  an  den  Produzenten  wei‐ ter.  Diese  Möglichkeit  kann  sich  bei  einem  Postponement  einstellen  (vgl.  S.  169).  Nach  dem  Prinzip  der  kundenindividuellen  Endferti‐ gung richtet sich die Herstellung der Vitaminpillen von Sovital aus. 

 Kundenindividuelle Vorfertigung: Hier bezieht sich die Individuali‐ sierung  auf  die  frühen  Fertigungsstufen.  Die  weiteren  Produktions‐ schritte  sind  streng  standardisiert.  Insbesondere  die  Bekleidungsin‐ 167

Fertigungsverfah‐ ren ändern 

Postponement  durchführen 

Sorten individuell  schaffen 

C

Strategien des Supply Chain Managements

dustrie wählt eine kundenindividuelle Vorfertigung. Ein Beispiel stellt  das Vermessen von Kunden in Levis‐Stores dar. Die Jeans „501“ gibt es  in 51 verschiedenen Varianten, die kundenindividuell über Bodyscan‐ ner auf den jeweiligen Träger zugeschnitten sind.  Hauptvariante von  Mass Customizati‐ on 

 Modulares  Baukastenprinzip:  Das  modulare  Baukastenprinzip 

Einzelstücke nach  generischem  Grundtyp 

 Massenhafte  Fertigung  von  Unikaten:  Bei  der  massenhaften  Ferti‐

kommt bei Mass Customization recht häufig zum Einsatz, es ist wohl  sein  bekanntester  Vertreter.  Die  standardisierten  Komponenten  wer‐ den zu kundengerechten Modulen zusammengestellt. Beispiele finden  sich  bei  der  PC‐Fertigung  von  Dell  und  Vobis.  Aus  dem  modularen  Baukasten  stammen  auch  die  Uhren  und  Taschen  des  Netzhändlers  Xaaaz. Viele Autos werden modular aus dem Baukasten hergestellt.   gung  von  Unikaten  richtet  sich  schließlich  die  Herstellung  über  die  gesamte Supply Chain streng nach Kundenwünschen aus. Im Gegen‐ satz zur konventionellen Einzelfertigung, werden hier standardisierte  Prozesse  abgewickelt,  die  moderne  Produktionsabläufe  nutzen.  Auf  diese Art stellen My Twinn ihre Puppen her, und Arcumi liefert unter  Anwendung dieses Verfahrens Nährstoffpräparate nach Maß. 

Mass Customizati‐ on eignet sich nicht  überall 

Jedoch  bedarf  Mass  Customization  einer  intensiven  Forschung  und  Entwicklung, weil der „Baukasten“ immer auf dem neuesten Stand der  Technik  gehalten  werden  muss.  Außerdem  steigen  die  ohnehin  schon  hohen  Anforderungen  an  die  Mitarbeiter  hinsichtlich  einer  adäquaten  Qualifikation.  Weiterhin  ist  das  Konzept  in  einigen  Fällen  schlichtweg  gescheitert:  Ausstatter  wie  Cut  for  You  und  C  &  A  ersetzten  das  Maß‐ band durch den Laser. Sie stellten medienwirksam 3D‐Bodyscanner auf.  Sogar  Maßschneider,  wie  Dietrich  Brügelmann,  boten  maßgefertigte  Hemden  über  das  Internet  an.  Doch  die  hohen  Erwartungen  erfüllten  sich  in  der  Fashion  Logistics  nur  zum  Teil.  Entsprechend  rückten  oben  genannte Organisationen wieder von der kundenindividuellen Massen‐ fertigung  ab.  Ähnliche  Erfahrungen  sammelte  die  Schuhindustrie. Auf  der „Popkomm“ stellte Creo Schuhe vor, welche die User individuell am  Bildschirm selbst konfigurieren konnten. Doch der Erfolg war allenfalls  mäßig. Die Kunden schreckten offenkundig vor individuell am Compu‐ ter  zusammengestellten  Schuhen  zurück.  Außerdem  war  der  Markt  wohl  noch  nicht  für  diese  revolutionäre  Schuhproduktion  vorbereitet,  das  Zielsegment  schlichtweg  zu  klein  und  der  Verkaufspreis  zu  hoch  (vgl. Schmitz‐Normann 2004, S. 110ff.). 

Sperrriegel für den  Handel 

Außerdem  kollidiert  Mass  Customization  teilweise  mit  den  intensiven  Ansprüchen  des  Handels:  Wenn  Markenartikelhersteller  nach  der  kun‐

168

Strategien der Versorgung

C.3

denindividuellen  Massenfertigung  streben,  entsteht  aus  der  Sicht  des  Handels  der  Eindruck,  dass  dieser  nur  zweitklassige  Ware  verkaufen  würde. Auch müsste das Personal für spezielle Vermessungen am Point‐ of‐Sale  geschult  sein.  Und  schließlich:  Wem  gehören  die  Daten,  welche  der Händler erhebt und an den Hersteller weiterleitet? Folglich vertrieb  Adidas seine Marke „Mi‐adidas“, welche im Sinne von Mass Customiza‐ tion gefertigt wird, auch aus Rücksicht auf den Handel, zeitweise nur in  Flagship‐Stores. Adidas überlegt allerdings derweil, das Prinzip über die  Nutzung von 3D Druck wieder einzuführen.  Abbildung C.6 

Arten von Mass Customization  Hard Customization 

Soft Customization 

Kundenindividuelle Endfertigung 

Selbstindividualisierung 

Kundenindividuelle Vorfertigung 

Serviceindividualisierung 

Modulares Baukastenprinzip 

Individuelle Endfertigung 

Unikatfertigung 

 

 

C.3.3

Postponement

C.3.3.1

Grundlagen

Eine  weitere  Versorgungsstrategie  in  der  Supply  Chain  ist  Postpone‐ ment. Die grundlegende Idee besteht bei einem Postponement darin, die  Aktivitäten  in  der  Lieferkette  nachhaltig  zu  verzögern  (bewusste  Ent‐ schleunigung). So kann die endgültige Produktgestalt erst in der letzten  Fertigungsstufe  definiert  werden  (vgl.  die  Verbindung  zur  „kundenin‐ dividuellen Endfertigung“ bei Mass Customization). Dadurch korreliert  Postponement  eng  mit  dem  Ansatz  Time  Based  Competition,  indem  sich  logistische  Maßnahmen  latent  im  Spannungsfeld  zwischen  Beschleuni‐ gung und bewusster Entschleunigung einpendeln (vgl. S. 119). 

169

„And this is why  you will never care.  These things take  time…“              (the Smiths) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

„Die Natur eilt  nicht und dennoch  wird alles erreicht.“  (Laozi) 

Durch die Einleitung von Verzögerungsstrategien versuchen die Unter‐ nehmen ihre Lagerbestände (insbesondere Halbfertig‐ und Fertigwaren)  abzubauen.  In  jeder  Stufe  erlangt  ein  Wirtschaftsgut  einen  Zuwachs  an  Wert  (Produktionsleistungen,  Serviceleistungen).  Daraus  resultiert  eine  ständige  Kostenzunahme  mit  steigendem  Lagerhaltungsrisiko:  Die  Be‐ stände  werden  in  ihrer  Bewirtschaftung  immer  teurer  („Kostenauf‐ wuchskurve“).  In  der  Supply  Chain  ist  eine  Produktion  von  Slow  Mo‐ vern möglichst zu vermeiden, diese haben lange Verweilzeiten im Lager.  Mit  Hilfe  einer  kundengerechten  Fertigung  sollen  diese  Opportunitäts‐ kosten  sinken:  Postponement‐Strategien  richten  sich  in  letzter  Konse‐ quenz nach den Wünschen der Kunden aus (vgl. Cheng 2012, S. 53). 

Standardisierungs‐ phase strecken 

Bei einem Postponement werden die ein Produkt spezifizierenden Akti‐ vitäten  in  der  Supply  Chain  so  lange  hinausgeschoben,  bis  sichere  (Kunden‐)  Informationen  vorliegen.  Die  Lagerbestände  verbleiben  in  einem  generischen  Stadium.  Sie  sind  erst  beim  Eintreffen  konkreter  Konsumentenwünsche  individuell  zu  konfigurieren.  Damit  wird  der  Zeitpunkt einer  Produktentkoppelung bewusst hinausgezögert. Abbil‐ dung C.7 zeigt, dass Bestände im Zeitablauf einem Veredelungsprozess  unterworfen sind. Mit steigender Wertschöpfung nehmen die kumulier‐ ten  Stückkosten  im  Zeitablauf  zu.  Kaufteile  und  Rohstoffe  werden  zu  Halbfertigfabrikaten (Work‐in‐Process) weiter verarbeitet, und der Zeit‐ punkt zur Auftragsentkoppelung verschiebt sich nach hinten. In Kombi‐ nation mit Mass Customization bedeutet diese Verlangsamungsstrategie  die Ausnutzung von Skaleneffekten (Push‐Ansatz). 

Abbildung C.7 

Kostenaufwuchskurve 

 

Postponement 

k kum 

 

Fertigwaren 

    WIP  Rohstoffe 

 

Produkt‐  entkoppelungspunkt 



       

170

Kundenwunsch 

 

Kundenwunsch 

  (Push) 

(Pull) 

Mass 

Customization 

Kundenwunsch 

 

Strategien der Versorgung

C.3

Die  finale  Produktkonfiguration  (Pull‐Orientierung)  erfolgt  nicht  auf  Verdacht, sondern explizit nach Kundenwunsch. Dazu sind die Bestän‐ de möglichst in einem einheitlichen Zustand zu halten. Durch die Ferti‐ gung standardisierter Produkte in großen Mengen werden Economies of  Scale  erzielt.  Die  Notwendigkeit  zur  Durchführung  von  Postponement  innerhalb der Supply Chain verdeutlicht Beispielblock c.5. 

Phase der  Customization 

Beispiel zu Postponement 

Beispielblock c.5 

Bei  Auslandsaufenthalten  ergibt  sich  immer  wieder  das  gleiche  Problem:  Der  Netzstecker  eines  Rasierers  oder  Föns  passt  nicht  in  die  vorgesehene  Dose.  Um  den  Kunden  diese  Unannehmlichkeit  zu  ersparen,  stattete  Hew‐ lett‐Packard seine Deskjet‐Printer mit einem auf das jeweilige Empfängerland  zugeschnittenen  Netzteil  aus.  Daher  musste  für  die  in  Asien  gefertigten  Drucker ein sehr großer Vorrat an unterschiedlichen Netzsteckern vorgehal‐ ten  werden.  Die  Bestandskosten,  insbesondere  für  Halbfertigfabrikate,  wa‐ ren enorm. Heute entschleunigt Hewlett‐Packard die Zuordnung von Deskjet‐ Printer  und  Netzteil.  Die  Organisation  stellt  generische  Drucker  mit  einer  modularen Produktarchitektur her. Erst im regionalen Verteilzentrum fügen  die  Mitarbeiter  die  landesspezifischen  Netzteile  bei.  Durch  dieses  Postpo‐ nement senkt Hewlett‐Packard seine Bestandskosten um circa fünf Prozent. In  ähnlicher Weise wird an Waschmaschinen erst im letzten Produktionsstadi‐ um  ein  landesspezifisches  Bedienfeld  angebracht.  Ersatzteile  von  Autos  verweilen  in  einem  zentralen  Hub.  Erst  nach  der  Kundenbestellung  erfolgt  deren Verschickung in die weltweiten Destinationen im Eiltempo.  

Auf  die  Möglichkeiten  und  die  Grenzen  für  ein  Postponement  in  der  Supply Chain wirken sich vor allem nachstehende Einflussfaktoren aus: 

 Risikostruktur  in  der  Branche:  Ein  häufiges  Problem  von  Logistik‐ prozessen sind Schwankungen im Nachfrageverhalten der Kunden. 

 Produktkomplexität:  Je  höher  die  Produktkomplexität,  desto  eher  sollte der Informationsfluss angestoßen werden. 

 Kapitalbindung der Sachnummern: Sie bestimmt den Kostenzuwachs  auf einer bestimmten Wertschöpfungsstufe. 

 Möglichkeiten  zur  Erzielung  von  Skaleneffekten:  Um  die  Erfah‐ rungskurve konsequent „herunterzufahren“. 

 Informations‐  und  Kommunikationssysteme:  Sie  sind  die  Plattform  für ein erfolgreiches Postponement. 

171

Abhängigkeiten  von Postponement 

C

Strategien des Supply Chain Managements

 Konkurrenzattribute: Die Kundentreue und die Kundenstruktur sind  bedeutsame  Parameter,  um  sich  Wettbewerbsvorteile  gegenüber  der  Konkurrenz zu verschaffen. 

 Variantenvielfalt  und  Produktkomplexität:  Beide  Schlüsselgrößen  sollten bei Postponement nicht ausufern. 

C.3.3.2 Ausprägungsfor‐ men 

Arten

Im Allgemeinen werden zwei verschiedene Möglichkeiten des Postpo‐ nements  innerhalb  der  Supply  Chains  unterschieden:  Form  Postpone‐ ment  und  Time  Postponement.  Eine  nähere  Kennzeichnung  dieser  bei‐ den Ausprägungen findet sich im Folgenden (vgl. Cheng et al. 2012).  

C.3.3.2.1 Form Postponement Verbindung zu  Mass Customizati‐ on 

Ein  Form  Postponement  (vgl.  Marbacher  2001,  S.  327ff.)  wird  auch  als  Assembly  Postponement  oder  Value  Added  Postponement  bezeichnet.  Form  Postponement  bedeutet,  wenn  die  Produkte  möglichst  lange  in  einem  Standardzustand  verweilen.  Der  Punkt  zur  Leistungsdifferenzierung  wird bewusst nach hinten verlagert. Beispielhaft dafür steht das modu‐ lare  Baukastenprinzip  von  Mass  Customization:  Die  Standardkompo‐ nenten  werden  erst  nach  Auftragseingang  kundengerecht  zu  Modulen  zusammengefügt. Dadurch begegnet ein Hersteller der Gefahr, Produk‐ te  zu  fertigen,  welche  der  Kunde,  beispielsweise  auf  Grund  einer  um‐ ständlichen  Bedienweise  oder  eines  zu  hohen  Preises,  ablehnt.  In  Form  Postponement  verschmelzen  die  Vorteile  von  Individualisierung  und  Mengendegression (vgl. Bellovoda 2011; Cheng et al. 2012). 

Standardisierung  und Parallelisie‐ rung 

Doch  Form  Postponement  bezieht  sich  nicht  nur  auf  das  Endprodukt  selbst, sondern auch auf die zu seiner Herstellung notwendigen Aktivi‐ täten.  Mit  Hilfe  einer  Modularität  in  den  Prozessen  wird  die  Basis  für  den  Übergang  von  Sequentialität  zur  Simultaneität  geschaffen:  Die Ab‐ kehr von Aktivitäten, die streng nacheinander geschaltet sind (eine neue  Tätigkeit kann erst dann starten, wenn die vorherige abgeschlossen ist),  und die Hinwendung zur Parallelisierung standardisierter Abläufe. 

Möglichkeiten für  Form Postpone‐ ment 

Eine Ausgestaltung des Form Postponements bezieht sich auf die Mög‐ lichkeiten zur Individualisierung von Waren. Hohe Spezifizierungsbe‐ darfe ergeben sich beispielsweise im Autobau. Hier können die Farbge‐ bung, die Motorenauswahl oder die Definition der Innenausstattung der  Fahrzeuge  als  Pakete  einer  Individualisierung  dienen.  Nur  wenige  Al‐

172

Strategien der Versorgung

C.3

ternativen  für  eine  Spezialisierung  ergeben  sich  hingegen  in  der  Kon‐ sumgüterelektrik.  Es  sind  dort  vor  allem  länderspezifische  Merkmale,  die  eine  Produktdifferenzierung  ermöglichen  (unterschiedliche  Bedie‐ nungsanleitungen,  Verpackungen  oder  Anschlussstecker).  Eine  Spezifi‐ zierung  dieser  Produkte  direkt  durch  den  Kunden  ist  jedoch  kaum  zu  realisieren.  Die  Modifizierung  logistischer  Abläufe  durch  Form  Postponement  er‐ streckt  sich  einerseits  auf  die  eigentliche  Produktion.  Andererseits  be‐ zieht sie sich auf die Schnittstelle zwischen Produktion und Distribution. 

 Form  Postponement  innerhalb  der  Produktion:  Beispielhaft  dafür  steht Benetton. Früher ließ das Unternehmen zunächst das Garn färben  und erst später die Kleidungsstücke weben. Auf Grund sich rasch än‐ dernder Modetrends bei der Farbgebung entstanden dadurch Laden‐ hüter.  Heute  hat  Benetton  den  Fertigungsprozess  umgestellt.  Benetton  webt  jetzt  zunächst  die  Kleidung  und  färbt  die  Garne  erst  im  An‐ schluss individuell. 

 Form  Postponement  zwischen  Produktion  und  Distribution:  Das  Form  Postponement  kann  sich  auch  auf  eine  Verbindung  zwischen  Fertigung  sowie  anschließender  Distribution  beziehen.  Dabei  über‐ nehmen externe Logistikdienstleister Value Added Services (Kommis‐ sionierung, Labeling, Verpackung). 

Unterscheidung  nach Wertschöp‐ fungsbezug  Fertigungsprozesse  entschleunigen 

Added Services  verlangsamen 

C.3.3.2.2 Time Postponement Das  Time  Postponement  (vgl.  Bellovoda  2011;  Marbacher  2001,  S.  329ff.)  zielt  darauf,  sämtliche  Aktivitäten  in  der  Supply  Chain  möglichst  nah  am Kundenauftrag auszuführen. Es werden also vor dem Eintreffen der  Bestellung  nur  wenige  (logistische)  Aktivitäten  innerhalb  eines  Unter‐ nehmens durchgeführt. Abbildung C.6 zeigt die vier Ausprägungen für  ein Time Postponement auf: Full Speculation, Manufacturing Postpone‐ ment, Logistics Postponement und Full Time Postponement (vgl. Cheng  et al. 2012; Pagh/Cooper 1998, S. 13ff.). 

Produktion am  Kunden ausrichten 

 Full  Speculation:  Eine  reine  Spekulation  ist  die  einfachste  Form. 

Prognoseorientierte  Abwicklung 

Streng  genommen  findet  hier  allenfalls  ein  schwach  ausgeprägtes  Postponement statt. Die Produktion und die Lieferung werden tradi‐ tionell  vom  Lager  ausgehend  vorgenommen  (Make‐to‐Stock  kombi‐ niert  mit  Deliver‐to‐Stock).  Basierend  auf  Absatzprognosen,  werden  die Aktivitäten in Fertigung und Distribution bereits vor Eingang des  Kundenauftrags  angestoßen.  Full  Speculation  ist  häufig  in  der  Kon‐

173

C

Strategien des Supply Chain Managements

sumgüterindustrie vorzufinden. Dadurch können Economies of Scale  (Losgrößendegression)  ausgeschöpft  und  kurze  Lieferzeiten  erzielt  werden.  Die  Vorteile  gehen  jedoch  tendenziell  zu  Lasten höherer  La‐ gerkosten.  Fertigungsprozesse  verlangsamen 

 Manufacturing Postponement: Ein Manufacturing Postponement be‐

Entschleunigung  der Distribution 

 Logistics  Postponement:  Logistics  Postponement  ist  eine  Kombinati‐

Kundenorientierte  Fertigung und  Auslieferung 

Full  Time  Postponement:  Schließlich  ist  unter  einem  Full  Time  Postpo‐ nement  eine  Produktion  und  eine  Belieferung  durch  Kundenauftrag  zu  verstehen  (Make‐to‐Order  kombiniert  mit  Deliver‐to‐Order).  Hier  wird  eine besonders frühe Individualisierung von Produkten angestrebt. Ferti‐ gung  und  Logistik  korrelieren  mit  dem  Engineering.  Dadurch  entfallen  Langsamdreher an Fertigwaren. Der Ansatz richtet sich streng nach dem  Pull‐Konzept aus (Customization). Allerdings sind, auf Grund der ausge‐ prägten Kundenfokussierung und Spezialisierung, die Möglichkeiten zur  Erzielung von Skaleneffekten deutlich begrenzt. 

deutet  eine  Produktion  nach  Eingang  des  Kundenauftrags  (Make‐to‐ Order).  Hierunter  fallen  Tätigkeiten  wie  Beschriften  oder  Verpacken.  Die Lieferung erfolgt jedoch standardisiert (Deliver‐to‐Stock). Ein Bei‐ spiel  dafür  ist  das  individuelle  Mischen  von  Farben  direkt  im  Bau‐ markt: Auf Lager werden nur wenige Grundfarben gehalten, die sich  zu  jedem  gewünschten  Farbton  mischen  lassen.  Diese  Grundtöne  werden auf konventionellem Weg in den Baumarkt distribuiert. Dort  stellen  sich  die  Kunden  ihre  Farbvarianten  und  Mengen  individuell  zusammen. Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung eines digitalen Fo‐ tokalenders:  Der  Kunde  konzipiert  seinen  Kalender  zum  Beispiel  in  einem Drogeriemarkt individuell. So wählt er die Grüße und die Far‐ be  des  Fotokalenders  aus  und  setzt  die  Fotos  exklusiv  ein  (Make‐to‐ Order). Die Zustellung in den Drogeriemarkt erfolgt nach dem Druck  auf klassische Weise (Deliver‐to‐Stock).  on der Produktion vom Lager (Make‐to‐Stock) mit einer kundenindi‐ viduellen Anlieferung (Deliver‐to‐Order). Ein typisches Beispiel dafür  ist  die  Errichtung  eines  Transshipment  Points  für  ein  zweistufiges  Cross  Docking.  Durch  die  Einführung  zentraler  Umschlagsplätze  kann  der  Kunde  individuell  mit  standardisierten  Gütern  versorgt  werden. In der Fertigung sind Skaleneffekte zu erzielen, die auf hohen  Stückzahlen  beruhen:  Die  Fixkosten  verteilen  sich  auf  eine  höhere  Ausbringungsmenge.  Dieser  Ansatz  wird  vor  allem  im  Versandhan‐ del, der Konsumgüter‐ und der Möbelindustrie praktiziert. 

 

174

Strategien der Versorgung

Abbildung C.8 

Strategien des Time Postponements 

                      Lieferung 

Lieferung direkt vom  Lager 

Lieferung durch Kunden‐ auftrag 

(Deliver‐to‐Stock) 

(Deliver‐to‐Order) 

Produktion direkt auf  Lager 

Prognoseorientierte Ferti‐ gung und Distribution 

Verzögerung von Distribu‐ tionsaktivitäten 

(Make‐to‐Stock) 

(Full Speculation) 

(Logistics Postponement) 

Bewusste Verzögerung  von Produktionsabläufen 

Kundenorientierte Ferti‐ gung und Distribution 

    Produktion 

Produktion durch Kun‐ denauftrag 

(Make‐to‐Order) 

(Manufacturing         Postponement) 

C.3

(Full Time               Postponement) 

  Die  Gefahren  eines  Postponements  liegen  insbesondere  darin  begrün‐ det,  wenn  die  originär  antizipierten  Kundenwünsche  sich  im  Nach‐ hinein  als  falsch  erweisen.  Dann  hat  ein  Unternehmen  nämlich  bereits  den Work‐in‐Process (Werkstattbestand) hochgefahren, der Kapital ver‐ zehrt. Ebenso ist die Verlangsamungsstrategie in besonders innovativen  Branchen  gefährlich,  weil  der  verspätete  Marktzugang  mit  Umsatzein‐ bußen verbunden ist. Schließlich stößt ein Postponement dann an Gren‐ zen,  wenn  sich  die  Kundenwünsche  schlagartig  ändern.  Dieses  Phäno‐ men  taucht  zum  Beispiel  in  der  Modebranche  auf,  in  welcher  Schwan‐ kungen um den Trend sowie saisonale Volatilitäten vorherrschen. 

C.3.4

Auch Verzöge‐ rungsstrategien  sind nicht ohne  Probleme 

Sourcing-Strategien

Weitere Strategien der Versorgung im Supply Chain Management resul‐ tieren aus unterschiedlichen Beschaffungsquellen. Eine Diskussion um  Sourcing‐Ansätze  ist  in  Deutschland  bereits Anfang  der  90er  Jahre  auf‐ gekommen  (vgl.  Ament  2007;  Arnold  et  al.  2009;  Heinecke  2017;  Kerkhoff  2006;  Kleemann  2006;  Schulte  2017).  Die  einzelnen  Sourcing‐Konzepte  können  nach  Differenzierungsmerkmalen  in  einer  „Toolbox“  unter‐ schieden  werden.  In  Abbildung  C.9  finden  sich  die  wichtigsten  Sour‐ cing‐Ansätze (vgl. Arnold et al. 2009, S. 80; Schulte 2017, S. 433). 

175

Verschiedenartig‐ keit von Beschaf‐ fungsquellen 

C Outsourcing des  Einkaufs 

Strategien des Supply Chain Managements

Eine  betriebswirtschaftliche  Grundsatzentscheidung  leitet  sich  daraus  ab,  ob  eine  Organisation  ihr  Lieferantenmanagement  selbst  erbringt,  oder  eben  jene  Tätigkeit  auslagert  (3rd  Party  Procurement).  Bei  einem  solchen  3rd  Party  Procurement  werden  spezielle  Beschaffungsaktivitä‐ ten einem Dienstleister übertragen. Zum Beispiel haben sich HPI Unter‐ nehmensgruppe  (Hoechst  procurement  international),  Mercateo  und  Portum  auf  dieses  Geschäftsfeld  spezialisiert  und  beschaffen  für  ihre  Kunden  vorwiegend  standardisierte  MRO‐Artikel  (Maintenance,  Repair  and  Operations). Die Kunden versprechen sich von einem Outsourcing ihrer  Einkaufstätigkeiten primär folgende positiven Effekte: 

 Reduzierung von Fixkosten innerhalb der Beschaffung: Abbau admi‐ nistrativer Tätigkeiten, Einsparung von Personal, Absenkung der Pro‐ zesskosten. 

 Verminderung von Transaktionskosten: Standardisierte Kommunika‐ tionsprozesse mit dem Beschaffungsdienstleister. 

 Bündelung von Einkaufsmengen: Purchase Volume Impact (Preisvor‐ teile),  insbesondere,  wenn  der  Dienstleister  identische  Sachnummern  für mehrere Kunden gleichzeitig bestellt. 

 Konzentration  auf  das  Kerngeschäft:  Der  Kunde  kann  „unliebsame“  Beschaffungstätigkeiten auf den Dienstleister auslagern. 

 Internationalisierung  der  Beschaffung:  Insbesondere  für  kleine  oder  mittelgroße Kunden bietet 3rd Party Procurement die Möglichkeit zur  globalen Beschaffung. 

 Erzielung von Kostentransparenz: Der Einkaufsdienstleister stellt für  erbrachte  Leistungen  Rechnungen  aus,  die  durch  den  Kunden  über‐ prüft werden können.  Handelsmarge  beachten 

Natürlich stellt der Beschaffungsdienstleister eine entsprechende Han‐ delsmarge in Rechnung, die sich prozentual von dem Beschaffungswert  ableitet. Die Auslagerung der Beschaffung auf einen Dienstleister bietet  sich  vornehmlich  für  standardisierte  Artikel  an.  Für  Teile  des  strategi‐ schen  Einkaufs  hingegen  eignet  sich  die  Heranziehung  eines  3rd  Party  Procurement kaum, da die Sachnummern häufig zeitkritisch und erläu‐ terungsbedürftig sind.     

176

Strategien der Versorgung

Abbildung C.9 

Sourcing‐Toolbox 

Unterscheidungskriterium 

Lieferantenanzahl 

Güterkomplexität 

Sourcing‐Konzept 

Single  Sourcing 

Sole       Sourcing 

Modular       Sourcing 

Double    Sourcing 

System          Sourcing 

Multiple  Sourcing  Unit              Sourcing 

Organisationsform 

Individual                  Sourcing 

Collective                  Sourcing 

Ort der Wertschöpfung 

External                    Sourcing 

Internal                    Sourcing 

Beschaffungsareal 

C.3

Global           Sourcing 

Domestic      Sourcing 

Local             Sourcing 

 

C.3.4.1

Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Lieferantenanzahl

Werden Sourcing‐Konzepte nach ihrer Lieferantenanzahl unterschieden,  finden sich in der Toolbox Single Sourcing, Sole Sourcing, Double Sourc‐ ing  sowie  Multiple  Sourcing.  Single  Sourcing  bedeutet,  dass  sich  ein  Unternehmen  pro  Materialart  freiwillig  auf  eine  Beschaffungsquelle  kon‐ zentriert  (fakultativer  Einquellenbezug).  Zum  Beispiel  arbeitet  Hewlett‐ Packard  pro  Technologie  mit  nur  einem  Lieferanten  zusammen.  Wenn  ein Autobauer seine Reifen bislang von Continental, Bridgestone, Goodyear  und Pirelli bezog, bedeutet Single Sourcing, dass drei dieser vier Quellen  für  die  Materialart  Reifen  ausscheiden  und  eine  exklusive  Belieferung,  beispielsweise durch Continental, erfolgt. 

 Die wichtigsten Charakteristika des Single Sourcings sind:  - Aufbau einer auf Dauer angelegten Partnerschaft zwischen Liefe‐ rant  und  Kunde  sowie  intensive  Abstimmung  der  Organisatio‐ nen. 

177

„I feel so lonely,  lonely, lonely,  lone…“               (the Police) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

- Übertragung  von  technischem  Know‐how  an  den  Lieferanten  und Tätigung gemeinsamer Investitionen. 

- Hoher  Grad  an  Vorhersagegenauigkeit  sowie Abhängigkeit  zwi‐ schen den Akteuren.  Single Sourcing  führt zur Abhän‐ gigkeit 

Dieses  Risiko  der Abhängigkeit  bei  Single  Sourcing  bekamen Automo‐ bilhersteller Anfang des Jahres 2020 mit Ausbruch der Corona‐Krise zu  spüren.  So  musste  die  Produktion  von  Honda  in  Wuhan  (China)  über  Wochen ruhen, weil die Lieferkette zu einigen Single‐Source Lieferanten  unterbrochen war. Ähnlich erging es Nissan in seinem Werk in Kyushu.  Auch hier wurde die Produktion durch Covid‐19 lahmgelegt.  

Kritische Gedanken 

Im  Rahmen  einer  kritischen  Würdigung  des  Single  Sourcings  werden  nachstehend die wesentlichen Vorteile und Nachteile des Konzepts auf‐ gezeigt. 

Vorteile 

Nachteile 

Purchase Volume Impact im Einkauf und  Hohe Abhängigkeiten der Wertschöp‐ Losgrößeneffekt in der Fertigung (Her‐ fungspartner.  unterfahren der Erfahrungskurve). 

Sole Sourcing als  unfreiwilliger  Einquellenbezug 

Senkung der Transportkosten (Optimie‐ rung der Transportfenster). 

Wegfall des Wettbewerbs (keine Ver‐ gleichbarkeit zu weiteren Lieferanten). 

Verminderung der Transaktionskosten  und der Verwaltungskosten. 

Stock‐out‐Gefahr (Produktionsunterbre‐ chungen schlagen sich direkt nieder). 

Förderung gleich bleibender Qualität. 

Schwierigkeit des Lieferantenwechsels. 

Reduzierung der Kapitalbindung (Be‐ rücksichtigung der Philosophien Just‐in‐ Time oder Just‐in‐Sequence). 

Vernachlässigung der Integration techni‐ scher Innovationen (wenn der Lieferant  dazu nicht in der Lage ist). 

  Von  Single  Sourcing  ist  das  Sole  Sourcing  abzugrenzen.  Dabei  handelt  es  sich,  häufig  hervorgerufen  durch  eine  monopolistische  Anbietersituation,  um  die  unfreiwillige  Beschränkung  auf  einen  Lieferanten  pro  Materialart.  Sole  Sourcing  stellt  quasi  ein  „erzwungenes  Single  Sourcing“  dar.  Dieses  Phänomen  kann  sich  aus  der  Verknappung  von  Ressourcen,  einem  regen  Verdrängungswettbewerb,  der  Vergabe  exklusiver  Nutzungsrechte  oder  staatlichen  Regulierungsmaßnahmen  ableiten.  Beispielsweise  beträgt  die  Wartezeit für Hochtemperatur‐Parabolspiegel durchschnittlich mehr als fünf  Jahre. Mit diesen Geräten versucht man Sonnenstürme exakter vorhersagen  zu  können.  Ein  Kunde  dieser  Spiegel  ist  beispielsweise  die  NASA.  Es  gibt 

178

Strategien der Versorgung

C.3

weltweit  nur  einen  Hersteller  dieser  Parabolspiegel,  welche  einer  extremen  Hitze trotzen müssen.  Ein  freiwilliger  Zweiquellenbezug  pro  Materialart  wird  als  Double  Sourcing  bezeichnet.  Die  bewusste  Aufstockung  um  einen  weiteren  Lieferanten  für  eine  bestimmte  Sachnummer  würde  folglich  zu  einem  „Triple  Sourcing“  führen. Ein Double Sourcing (synonym: „Dual Sourcing“) wird insbesonde‐ re zur Streuung von Risiken durchgeführt, indem sich die Kunden ein zwei‐ tes  „Lieferantenstandbein“  pro  Materialart  suchen.  Kunden  schützen  sich  mittels  Dual  Sourcing  vor  einem  Versorgungsengpass,  sollte  ein  Lieferant  wegzubrechen  drohen.  Auch  wird  die  Gefahr  gemindert,  die  Kapazitäts‐ grenzen von Lieferanten zu überschreiten. 

Double Sourcing 

Beim Mehrquellenbezug (Multiple Sourcing) richtet sich die Zusammenarbeit  zwischen  Lieferant  und  Kunde  nach  dem  Prinzip  der  Seltenheit  aus.  Ein  Kunde versucht sich Preisvorteile zu verschaffen, indem er eine Spotmarktbe‐ ziehung mit Lieferanten eingeht. Die Bindung zwischen den Partnern ist lose.  Multiple  Sourcing  eignet sich  für  Produkte, die  einen  geringen  Erklärungs‐ bedarf  besitzen.  Das  Einkaufsvolumen  ist  vergleichsweise  gering.  Gleiches  gilt  für  das  Versorgungsrisiko  (Risikostreuung).  Zur  Senkung  der  Beschaf‐ fungskosten  bietet  sich  für  die  Multiple  Beschaffung  häufig  eine  elektroni‐ sche  Abwicklung  an  (Electronic  Procurement).  Insbesondere  B‐  und  C‐ Artikel werden vorzugsweise elektronisch bezogen. Voraussetzung für der‐ artige  Beschaffungsvorgänge  ist,  dass  die  Artikel  möglichst  standardisiert  sind.  Beispielsweise  unterliegen  sie  DIN‐Normen  und  sind  dadurch  quasi  wie aus dem Katalog abrufbar. 

Multiple Sourcing  verringert Beschaf‐ fungsrisiken 

Multiple  Sourcing  sichert  eine  ausgeprägte  Beschaffungsflexibilität.  Diese  kann  bedeutsam  sein,  wenn  größere  Schwankungen  der  Bedarfe  vorliegen.  Daher  ist  die  Abhängigkeit  von  den  Lieferanten  extrem  begrenzt.  Ferner  generieren Kunden bei einer Mehrquellenbeschaffung bewusst Konkurrenz‐ situationen  unter  den  Lieferanten.  Nachteilig  wirkt  sich  bei  Multiple  Sour‐ cing der extreme Informationsbedarf aus, wodurch hohe Transaktions‐ und  Prozesskosten anfallen können (intensivierter Kommunikations‐ und Logis‐ tikbedarf).  Außerdem  verringert  sich  die  Möglichkeit,  Purchase  Volume  Effekte zu erzielen. 

Charakteristika  Multipler Beschaf‐ fung 

C.3.4.2

Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Güterkomplexität

Nach  der  Komplexität  von  Gütern  werden  die  Ausprägungsformen  Modular  Sourcing,  System  Sourcing  und  Unit  Sourcing  unterschieden.  Selbst bei der Durchführung von Single Sourcing oder Double Sourcing  können für einen Hersteller noch zu viele Lieferanten agieren. Zur wei‐ teren Reduzierung der Schnittstellen eignet sich Modular Sourcing. Der  179

Modular Sourcing 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Ansatz  beinhaltet  den  Einkauf  fertig  produzierter  Baugruppen  (Modu‐ le),  die  in  der  Regel  mit  einem  ausgeprägten  Funktionsumfang  ausge‐ stattet  sind.  Die  zumeist  technisch  recht  komplexen  Produkte  stellen  in  sich geschlossene Einheiten dar und sind abgrenzbar von anderen Bau‐ gruppen.  Beispielsweise  bezieht  die  Automobilindustrie  komplette  Ar‐ maturenbretter,  Lenkstocksäulen  oder  Sitz‐  und  Chassis‐Systeme  von  ihren  Modullieferanten.  So  hat  VW  in  seinem  Werk  Mosel  16  verschie‐ dene Beschaffungsmodule definiert, durch deren Einsatz der Autobauer  seine  Fertigungstiefe  auf  unter  20%  absenkte.  Aber  auch  in  der  Bauin‐ dustrie  oder  in  der  elektronikverarbeitenden  Industrie  wird  Modular  Sourcing umfangreich praktiziert.  Tier‐1‐Lieferanten 

Eigenverantwortli‐ ches Agieren von  Systemlieferanten 

Die  Modullieferanten  befinden  sich  vielfach  in  räumlicher  Nähe  ihrer  Kunden.  Häufig  sind  sie  in  einem  Industriepark,  oder  gar  direkt  auf  dem Gelände des Kunden selbst, angesiedelt. Der Modullieferant ist ein  klassischer  First‐Tier‐Anbieter  und  wird  quasi  zum  Generalunterneh‐ mer,  weil  er  die  Warenströme  eigenverantwortlich  koordiniert.  Zum  Teil  agieren die Modulhersteller als echte Black‐Box‐Lieferanten (vgl. zu dem  Begriff S. 136).    Ein  Beispiel  für  Modular  Sourcing  zeigt Abbildung  C.10.  Ein Automo‐ bilkonzern  wird  danach  im  Sinne  von  Single  Sourcing  folgendermaßen  beliefert: Lieferant 1 (L1) mit Reifen, Lieferant 2 (L2) mit Chassis, Liefe‐ rant 3 (L3) mit Bremsen und Lieferant 4 (L4) mit Getrieben. Der Automo‐ bilhersteller hat folglich vier Schnittstellen zu bearbeiten. Modular Sourcing  bedeutet,  dass  er  einen  Modullieferanten  auswählt  (hier:  L2).  Dieser  ver‐ bleibt  als  Komplettlieferant  (Fokalunternehmen).  Reifen,  Bremsen  und  Ge‐ triebe sind jetzt direkt an den Modulhersteller zu liefern. Er integriert diese  Komponenten  in  sein  Chassis. Aus  den  originären  Direktlieferanten  L1,  L3  und L4 werden für den Autobauer Sublieferanten: Vier Schnittstellen redu‐ zieren sich somit zu einer direkten Bezugslinie.             

180

Strategien der Versorgung

Modular Sourcing 

C.3 Abbildung C.10 

  Sublieferanten

Modullieferant

Hersteller (OEM)

L1 Reifen

L3 Bremsen

L2 Chassis

L2 + L1 + L3 + L4

L4 Getriebe

 

 

Nachstehend  sind die wesentlichen Vorteile und Nachteile von  Modu‐ lar  Sourcing  aufgelistet.  Fest  steht,  dass  sich  die  beteiligten  Akteure  in  ein sehr ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis begeben. 

Vorteile 

Nachteile 

Konsequente Reduzierung von Schnitt‐ stellen (aus Kundensicht). 

Abhängigkeit für den Kunden (es ist  problematisch, wenn der Modullieferant  die Preise deutlich erhöht). 

Konzentration des Kunden auf sein  Kerngeschäft. 

Abhängigkeit für den Lieferanten (zu‐ meist Großkundenbeziehung). 

Direktanbindung zwischen Kunde und  Modullieferant (wichtig bei Aufkom‐ menden Problemen). 

Neuabstimmung der Informations‐ und  Kommunikationssysteme zwischen Mo‐ dul‐ und Sublieferant. 

Senkung der Beschaffungskosten. 

Aufgabe an Wettbewerb für den Kunden. 

Wegfall einer Wareneingangskontrolle. 

Verlust an Innovationspotenzial. 

Festlegung von Qualitätsstandards. 

Schwierigkeit des Lieferantenwechsels. 

Verminderung von Frachtkosten (her‐ vorgerufen durch die räumliche Nähe). 

Reputationsprobleme des Lieferanten  wirken direkt auf den Kunden. 

 

181

„We’ve got a bigger  problem now…“  (Dead Kennedys) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Übertragung der  Entwicklungsver‐ antwortung bei  System Sourcing 

Die konsequente Weiterentwicklung von einem Modular Sourcing führt  zu  System  Sourcing,  das  sich  durch  eine  sehr  ausgeprägte  Güterkom‐ plexität  auszeichnet.  Systemlieferanten  werden  eigenverantwortlich  und  möglichst frühzeitig in die Abläufe ihrer Kunden integriert. Nach einer  Fixierung der Kundenanforderungen im Lasten‐ und Pflichtenheft, wird  dem Systemlieferanten die (Gesamt‐ oder Teil‐) Verantwortung für For‐ schung und Entwicklung übertragen. Deswegen wird der Ansatz syno‐ nym  auch  als  „Forward  Sourcing“  („Entwicklungseinbindung“)  be‐ zeichnet.  Die  betroffenen  Systeme  stellen  voll  funktionsfähige  entwick‐ lungstechnische Einheiten dar. Neben F&E kann das Aufgabenspektrum  des  Lieferanten  noch  um  Tätigkeiten  wie  Einkauf,  Logistik,  Industrial  Engineering oder Qualitätssicherung ausgeweitet werden. Der Anbieter  erbringt  folglich  bei  System  Sourcing  in  der  Regel  ein  ganzes  Bündel  unterschiedlicher  Aktivitäten,  er  agiert  dabei  zumeist  als  Black‐Box‐ Anbieter (vgl. S. 136 der vorliegenden Schrift). Die Bindungsintensität ist  bei  einem  Systemlieferanten  wesentlich  intensiver  als  bei  einem  reinen  Modullieferanten, wobei einige Modulanbieter im Zeitablauf zu System‐ lieferanten mutieren. 

Beschaffung von  Einzelkomponen‐ ten über Unit  Sourcing 

Ganz  anders  läuft  die  Beschaffung  bei  einem  Unit  Sourcing  ab.  Die  Güterkomplexität  ist  in  diesem  Fall  ausgesprochen  gering  ausgeprägt.  Kunden  beschaffen  sich  bei  Unit  Sourcing  von  mehreren  Lieferanten  Einzelkomponenten,  welche  sie  selbst  zu  einem  funktionsfähigen  End‐ produkt  zusammensetzen.  In  der  Automobilindustrie  können  dies  Schalter,  Schläuche  oder  Verkleidungen  sein.  Der  Koordinierungsauf‐ wand  ist  für  den  Kunden  entsprechend  hoch,  weshalb  vergleichsweise  hohe  Transaktions‐  und  Prozesskosten  anfallen.  Allerdings  laufen  die  Kunden  kaum  Gefahr,  dass  Know‐how  unbeabsichtigt  an  ihre  Wert‐ schöpfungspartner abfließt. 

C.3.4.3 Individual Sour‐ cing als klassische  Beschaffungsform 

Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Organisationsform

Werden  Beschaffungsquellen  nach  ihrer  organisatorischen  Ausprägung  unterschieden,  finden  sich  die  Konzepte  Individual  Sourcing  und  Coll‐ ective  Sourcing.  Die  zu  beschaffenden  Subjekte  werden  bei  Individual  Sourcing  von  einem  Unternehmen  selbst  organisiert.  In  der  Unterneh‐ menspraxis  stellt  Individual  Sourcing  den  Regelfall  dar.  Ein  Supply‐ Chain‐Akteur nimmt seine Beschaffungsaufgaben mit eigenen Ressour‐ cen in Selbstverantwortung wahr, wenn er nach Beschaffungsautonomie  strebt und enge Kontakte mit seinen Lieferanten eingehen möchte. 

182

Strategien der Versorgung

C.3

Das  Gegenstück  zu  Individual  Sourcing  ist  das  Collective  Sourcing.  Eine  synonyme  Bezeichnung  dieses  Konzepts  ist  „Cooperative  Sour‐ cing“.  Der  Beschaffungsmarkt  wird  durch  mehrere  (vielfach  rechtlich  selbständige) Unternehmen gemeinsam bearbeitet, die einem Zulieferer  gegenüber als Kollektiv auftreten. Eine klassische Erscheinungsform von  Collective  Sourcing  ist  die  Einkaufsallianz.  Die  Zusammenarbeit  kann  sich von einer losen, situativen Verbindung bis hin zur Gründung einer  eigenen, gemeinsamen Einkaufsgesellschaft erstrecken. 

„Was dem Einzel‐ nen nicht möglich  ist, das schaffen  viele.“                     (F. W. Raiffeisen) 

Die  Leitbilder  von  Collective  Sourcing  lassen  sich  in  Objekt‐,  Markt‐,  Prozess‐ sowie Beziehungsziele differenzieren (vgl. Schulte 2017, S. 470).  Zu  den  Objektzielen  einer  kooperativen  Beschaffung  zählen  Material‐ preisreduzierungen (Ausnutzung von Mengenrabatten durch Volumen‐ bündelung), Steigerung der Produktqualität und die Erzielung günstiger  Zahlungsbedingungen  (Verlängerung  der  Zahlungstage  bei  der  Beglei‐ chung von Lieferantenrechnungen). Das primäre Marktziel von Collec‐ tive  Sourcing  besteht  in  dem  verbesserten  Zugang  zu  den  Beschaf‐ fungsmärkten  insgesamt.  Die  prägenden  Prozessziele  eines  kollektiven  Einkaufs  bestehen  in  der  Reduzierung  des  Beschaffungsaufwands  (ge‐ ringere  Transaktions‐  und  Prozesskosten),  dem  verbesserten  Informati‐ onsstand  über  die  Märkte  überhaupt  und  einer  Beschleunigung  der  Beschaffungsvorgänge.  Schließlich  zählt  zu  den  Beziehungszielen  die  enge  Anbindung  zwischen  Zulieferer  und  Abnehmer  ebenso,  wie  die  Möglichkeit, diese Zusammenarbeit auf weitere Gebiete auszudehnen. 

Elementare Ziele  der kollektiven  Beschaffung 

C.3.4.4

Sourcing-Konzepte unterschieden nach dem Ort der Wertschöpfung

Werden  Sourcing‐Konzepte  nach  dem  Ort  ihrer  erbrachten  Wertschöp‐ fung  differenziert,  finden  sich  in  der  Toolbox  External  Sourcing  und  Internal  Sourcing.  Bei  External  Sourcing  vollzieht  der  Lieferant  den  Wertschöpfungsprozess  auf  seinem  eigenen  Werksgelände.  Erst  nach  Fertigstellung des Einsatzgutes wird dieses an den Kunden ausgeliefert  und  von  ihm  anschließend  weiterverarbeitet.  Somit  liegt  bei  External  Sourcing eine Trennung zwischen Fertigungsort und Verbauungsort vor.  Für  den  Kunden  bedeutet  External  Sourcing  die  Wahrung  seiner  Ein‐ kaufsautonomie.  Diese  Freiheit  bezahlt  der  Kunde  jedoch  mit  langen  Transportwegen,  die  teuer  sind  und  den Wertschöpfungsprozess  insge‐ samt verlangsamen. 

183

External Sourcing  als Normalform 

C Räumliche Nähe  durch Internal  Sourcing  

Strategien des Supply Chain Managements

Bei  Internal  Sourcing  erbringt  der  Lieferant  die  Wertschöpfung  direkt  auf dem Werksgelände seines Kunden (oder zumindest in unmittelbarer  räumlicher  Nähe  zu  diesem  Kunden).  Zu  den  besonderen  Ausprägun‐ gen  von  Internal  Sourcing  zählen  Lieferantenparks  und  das  Factory‐ within‐a‐Factory‐Konzept. 

Kurze Wege  beruhigen die  Prozesse 

 Lieferantenparks: Insbesondere in der Automobilindustrie wurden in 

Direkte Produkti‐ onseinbindung  des Lieferanten 

 Factory‐within‐a‐Factory‐Konzept: Bei dem Factory‐within‐a‐Factory‐

den  letzten  Jahren  viele  Lieferantenparks  (synonym  als  „Industrie‐ parks“  bezeichnet)  gegründet.  Beispiele  dafür  finden  sich  in  Palmela  (Portugal, Volkswagen), Hambach (Frankreich, Smart), Valencia (Spani‐ en,  Ford),  Rastatt  (Deutschland,  Daimler)  oder  Genk  (Belgien,  Ford).  Mit  Hilfe  kurzer  Wege  wird  die  Sicherheit  in  den  Prozessen  erhöht  (weniger  Trouble‐Shooting)  und  das  Marktrisiko  auf  den  Lieferanten  überwälzt.  Außerdem  vermindert  der  Hersteller  mit  der  Errichtung  von  Industrieparks  seine  Transportkosten  und  Sicherheitsbestände.  Auf Grund der räumlichen Nähe senkt der Kunde seine Fertigungstie‐ fe und setzt Ladungsträger wirtschaftlicher ein (es wird weniger Ver‐ packungsmaterial  verbraucht  und  die  Anzahl  von  Transportschäden  nimmt ab). Wichtige Kriterien für die Einbeziehung eines Lieferanten  in  einen  Industriepark  sind  Beschaffungsvolumen,  Entwicklungspo‐ tenzial des Anbieters oder dessen Technologisches Wissen.  Prinzip werden ausgewählte Lieferanten direkt auf dem Werksgelän‐ de des Kunden physisch angesiedelt und in seine Produktionsprozes‐ se integriert. Beispiele finden sich in der chemischen Industrie und im  Autobau.  Aus  Kundensicht  liegen  die  Vorteile  des  Ansatzes  auf  der  Hand:  Rascher  Kommunikations‐  und Abwicklungsprozess,  kontinu‐ ierlicher  Produktionsfluss,  Erzielung  von  Skaleneffekten  und  Risiko‐ überwälzung auf den Lieferanten. 

C.3.4.5 „Globalisierung:  Der Osten wird  westlicher, der  Süden wird südli‐ cher.“                   (M. Hinrich) 

Sourcing-Konzepte unterschieden nach dem Beschaffungsareal

Schließlich  werden  in  der  Toolbox  Sourcing‐Konzepte  nach  dem  Be‐ schaffungsareal unterschieden. Unter Global Sourcing ist eine Marktbe‐ arbeitung  in  Form  einer  systematischen Ausdehnung  der  Einkaufspoli‐ tik  auf  internationale  Quellen  zu  verstehen.  Das  Primärziel  von  Global  Sourcing  besteht  in  einer  Verminderung  der  Beschaffungskosten.  Die  Consulting‐Gesellschaft  Droege  misst  dem  Global  Sourcing,  verglichen  mit  traditionellen  Beschaffungsstrategien,  ein  Kostensenkungspotenzial  von  bis  zu  30%  dauerhaft  bei  (vgl.  Kleemann  2006,  S.  34).  Doch  der An‐ satz  geht  weiter.  Er  kann  auch  zur  Erschließung  von  Zeit‐,  Qualitäts‐,  184

Strategien der Versorgung

Agilitäts‐  und  Innovationsvorteilen  dienen.  Für  eine  Realisierung  von  Global Sourcing sind unterschiedliche Voraussetzungen zu klären: 

C.3 Rahmenbedingun‐ gen überprüfen 

 Politische Stabilität im Land des Zulieferers.   Handels‐ und Rechtssicherheit im Land des Lieferanten.   Intensive Marktforschung.   Überwindung sprachlicher Barrieren.   Schaffung einer datentechnischen Infrastruktur („IT‐Plattform“).  Etliche Hersteller werden aus der Notwendigkeit zur Erweiterung ihrer  Lieferkapazitäten,  der  Verknappung  von  Ressourcen  oder  der  Aus‐ schöpfung Lohnkosten bedingter Preisvorteile regelrecht dazu gezwun‐ gen, ein Global Player in der Beschaffung zu werden. Zusammengefasst  lassen  sich  die  Vorteile  und  die  Nachteile  von  Global  Sourcing  folgen‐ dermaßen darstellen: 

Vorteile 

Nachteile 

Versorgung mit Gütern, die im Inland  Wechselkursrisiken (zum Teil über ein  knapp oder nicht vorhanden sind (z. B.  Hedging abzufedern) und Warenverzol‐ Seltene Erden). Dadurch reduziert sich die  lung.  Abhängigkeit von inländischen Lieferan‐ ten.  Steigerung der Transparenz über globale  Leistungen. 

Transport‐ und Qualitätsrisiken. 

Ausnutzung von Konjunktur‐, Wachs‐ tums‐ und Inflationsunterschieden. 

Kommunikationsschwierigkeiten  (sprachliche und kulturelle Barrieren). 

Senkung der Einkaufspreise. 

Steigerung der Transportkosten (in  Abhängigkeit von den Incoterms). 

Ausübung von Druck auf inländische  Lieferanten (insbesondere für Preisver‐ handlungen). 

Erhöhung der Sicherheitsbestände, da  die Gefahr für Stock‐out‐Situationen  tendenziell steigt. 

Schaffung neuer Absatzmärkte (auf  Grund neuer Kontakte): Beschaffungs‐ märkte sind potenzielle Absatzmärkte. 

Begrenzung von Beschaffungsstrategien  (Just‐in‐Time‐Abwicklung nur bedingt  möglich).  

Sortimentsdiversifikation und Ausnut‐ Erhöhter Koordinations‐ und Logistik‐ zung von Spezialisierungen ausländischer  aufwand.  Lieferanten 

185

Gründe globaler  Beschaffung 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Global‐Sourcing‐ Strategie fixieren 

Der  Prozess  zur  Realisierung  von  Global  Sourcing  lässt  sich  in  drei  Arbeitsschritte  untergliedern.  Zunächst  werden  die  Ziele  der  globalen  Beschaffungsstrategie  priorisiert.  Diesbezüglich  sind  Kosten‐,  Technik‐  sowie  Marktziele  zu  unterscheiden.  Im  zweiten  Schritt  geht  es  darum,  verschiedene Optionen auszuwählen, die sich für Global Sourcing anbie‐ ten. Diese Möglichkeiten erstrecken sich auf Produkte, Länder und Lie‐ feranten.  Schließlich  wird  die  Global‐Sourcing‐Strategie  festgelegt,  um  sich  bietende  internationale  synergetischen  Potenziale  auszuschöpfen.  Abbildung C.11 zeigt diesen Zusammenhang auf. 

Abbildung C.11 

Prozess zur Realisierung von Global Sourcing 

Arbeitsschritt 

Inhalte der Global‐Sourcing‐Strategie  ‐ Niedrige Einkaufspreise 

Schritt 1:  Ziele priorisieren 

Kosten 

‐ Optimale Lebenszyklusphase ausschöpfen 

Technik 

‐ Sicherung multinationaler Innovationen 

Markt 

‐ Regionale Anpassung an Leistungsportfolio 

‐ Nutzung internationales Lieferanten‐Know‐how 

‐ Kennenlernen potenzieller Absatzmärkte 

‐ Standardisierte Produkte  Produkte 

Schritt 2:  Optionen wählen 

‐ Preisvorteile konsequent sichern  ‐ Kostenvorteile analysieren 

Länder 

‐ Know‐how und Ressourcenunterschiede 

‐ Referenzen und Image abwägen  Lieferanten  ‐ Spezielle Fähigkeiten einsetzen  ‐ Optimaler Produkt‐Markt‐Lieferanten‐Mix  Schritt 3:  Strategie fixieren 

‐ Neuausrichtung Produktportfolio  Synergie 

‐ Abgestimmte Anzahl von Lieferanten je Produkt  ‐ Verbesserte geografische Streuung 

 

186

Strategien der Versorgung

C.3

Unter Domestic Sourcing wird die Warenbeschaffung auf Heimatmärk‐ ten  verstanden.  Finden  sich  Standorte  in  kulturell  ähnlichen  Ländern,  kann sich ein Domestic Sourcing auch über die Landesgrenzen im engen  Sinn  hinaus  erstrecken.  Dies  gilt,  wenn  zwischen  den  sich  ähnelnden  Ländern nur geringe Unterschiede in Sprache, politischer Stabilität oder  Währung bestehen. Beispielsweise können landesübergreifende Beschaf‐ fungsaktivitäten im Raum Deutschland‐Österreich‐Schweiz (so genannte  DACH‐Staaten) oder in skandinavischen Ländern durchaus als Domes‐ tic  Sourcing  bezeichnet  werden.  Der  Übergang  zu  Global  Sourcing  (in  der  Variante  „Near  Source“)  verläuft  dann  fließend.  Dies  gilt  auch  für  die  mögliche Ausdehnung  von  Domestic  Sourcing  zu  „Euro‐Sourcing“.  Darunter  ist  die  Suche  nach  einer  optimalen  Beschaffungsquelle  in  Eu‐ ropa (oder der Währungszone des Euro) zu verstehen. 

Inländischer Ein‐ kauf über Domestic  Sourcing 

Das  Pendant  zu  Global  Sourcing  ist  das  Local  Sourcing:  Die  bewusste  Lieferantenauswahl  in  geografischer  Nähe.  Viele  mittelständische  Un‐ ternehmen  tendieren  eher  zum  Einkauf  „um  die  Ecke“,  als  zu  einem  echten  globalen  Beschaffungsmanagement.  Local  Sourcing  verspricht  eine Risikoreduktion von Transportausfällen (z. B. in Zeiten von Corona)  oder  Warenbeschädigungen.  Außerdem  fällt  die  Kommunikation  ver‐ gleichsweise leicht. Auch kann die Bevorzugung lokaler Anbieter für ein  positives Image sorgen, weil es dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient und  kurze Wege in aller Regel ökologische Vorteile versprechen. Dafür sind  die  lokalen  Beschaffungspreise  häufig  höher  als  auf  internationalen  Märkten und die Ressourcen limitiert. 

Local Sourcing:  Einkauf um die  Ecke 

C.3.5

Lieferantenmanagement

Eng  verbunden  mit  den  Sourcing‐Strategien  ist  das  Lieferantenma‐ nagement.  Ein  modernes  Lieferantenmanagement  ist  unerlässlich  für  die Ausgestaltung  einer  Supply  Chain  und  zielt  im  Kern  auf  die  syste‐ matische  Steuerung  einer  Lieferantenbeziehung  (vgl.  Hartmann  2019;  Helmold/Terry 2016). In vielen Branchen, wie beispielsweise der Automo‐ bilindustrie,  verlagern  die  Hersteller  immer  mehr  Tätigkeiten  auf  aus‐ gewählte Wertschöpfungspartner. Dadurch reduzieren die OEM (Origi‐ nal Equipment Manufacturer) ihre eigene Fertigungstiefe. 

Optimierung der  Lieferantenbezie‐ hung 

Das  strategische  Lieferantenmanagement  besteht  in  einer  langfristigen  Optimierung  der  Lieferantenbeziehung,  um  die  Versorgungssicherheit  des  Unternehmens  dauerhaft  zu  gewährleisten.  Dabei  ist  ständig  der  Balanceakt  zwischen  intensiver  Lieferantenkooperation  und  gleichzeiti‐

Strategisches  Lieferantenma‐ nagement: Ein‐ kaufseffektivität 

187

C

Strategien des Supply Chain Managements

ger Wahrung der Unabhängigkeit zu vollziehen. Diese Eigenständigkeit  erlangt ein Hersteller vornehmlich durch den frühzeitigen Aufbau alter‐ nativer  Beschaffungsquellen  (Double  Sourcing,  Triple  Sourcing).  Die  Einleitung  eines  strategischen  Lieferantenmanagements  bedeutet  die  Gewährleistung  einer  hohen  Beschaffungsqualität  zu  möglichst  niedri‐ gen  Kosten.  Schlussendlich  dient  das  strategische  Lieferantenmanage‐ ment  dazu,  die  eigene  Wettbewerbsfähigkeit  (Einkaufseffektivität)  zu  steigern.  Operatives Liefe‐ rantenmanage‐ ment: Einkaufseffi‐ zienz 

Das operative Lieferantenmanagement richtet sich hingegen vornehm‐ lich  auf  die  Verbesserung  der  Beschaffungseffizienz  aus.  Die  Reduzie‐ rung der Beschaffungskosten gelingt insbesondere durch die Steigerung  der  Transparenz  von  Einkaufsprozessen.  Dadurch  werden  die  Beschaf‐ fungsaktivitäten zwischen den Alternativen vergleichbar: Die Hersteller  können  sich  auf  ihre  geeignetsten  Lieferquellen  konzentrieren  (Best  Practices). Bestehende Anlieferbeziehungen werden mit neuen Möglich‐ keiten  hinsichtlich  ihrer  Vorteilhaftigkeit  systematisch  abgewogen  (Messfunktion). Operatives Lieferantenmanagement bedeutet aber auch,  Optimierungspotenziale  über  geeignete  Kennzahlen  aufzudecken  und  die  eigene  Verhandlungsposition  im  Beschaffungsvorgang  stetig  zu  verbessern. 

Bausteine moder‐ nen Lieferanten‐ managements 

Der  Lieferantenmanagementprozess  lässt  sich  in  drei  Hauptabschnitte  untergliedern: Die Vorauswahl von Lieferanten (Identifikation, Eingren‐ zung),  die  Steuerung  der  Lieferantenbeziehung  (Bewertung,  Auswahl)  sowie  die  Intensivierung  der  Lieferantenbeziehung  (Integration,  Ent‐ wicklung). Dieser Prozess wird im Folgenden näher charakterisiert. 

C.3.5.1 Vorauswahl an  Lieferanten treffen 

Vorauswahl der Lieferanten

Der  erste  Hauptarbeitsschritt  zur  Implementierung  eines  zeitgemäßen  Lieferantenmanagements besteht in der Vorauswahl geeigneter Anbie‐ ter. Dazu müssen Lieferanten zunächst identifiziert und das Feld mögli‐ cher Partner anschließend eingegrenzt werden.  

C.3.5.1.1 Lieferantenidentifikation Selbstauskunft als  gute Möglichkeit 

Zur  Lieferantenidentifikation  werden  traditionell  unterschiedliche  Pri‐ mär‐  und  Sekundärquellen  eingesetzt.  Mögliche  Primärquellen  zum  Aufbau  einer  Lieferantenbeziehung  sind  Befragungen  des  Lieferanten  oder  die  Einholung  von  Selbstauskünften.  Weiterhin  sind  auf  Messen,  Tagungen  oder Ausstellungen  erste  Kontakte  mit  Lieferanten  zu  knüp‐

188

Strategien der Versorgung

C.3

fen.  Auch  können  Probelieferungen  vereinbart  oder  spezielle  Bera‐ tungsunternehmen  in  den  Aufbau  einer  Lieferantenbeziehung  einge‐ bunden werden.  Als  Sekundärquellen  zur  Identifikation  geeigneter  Lieferanten  bieten  sich  Fachpublikationen  und  Statistiken  ebenso  an,  wie  eingeholte  Refe‐ renzen von geeigneter Stelle. Weitere Studien können über das Internet  angestoßen und über Börsen oder Marktberichte eingeholt werden. 

Zusätzlich Sekun‐ därquellen nutzen 

C.3.5.1.2 Lieferanteneingrenzung Nachdem  die  Identifizierung  der  Lieferanten  erfolgte,  wird  das  Feld  potenzieller Akteure eingegrenzt. Bei diesem „Pooling“ von Lieferanten  geht es in erster Linie darum, die Arbeitsbelastung der eigenen Einkäu‐ fer in Grenzen zu halten. Damit bleiben die Transaktionskosten und die  Prozesskosten  überschaubar.  Zur  zielgerichteten  Lieferanteneingren‐ zung  empfiehlt  sich  der  Einsatz  eines  standardisierten  Fragebogens.  Mögliche  Fragen  daraus  beziehen  sich  auf  verfügbare  Kapazitäten  des  Lieferanten,  seine  Bonitäten  und  Preisvorstellungen,  die  angepeilten  Servicegrade, das technologische Know‐how des Lieferanten, gewünsch‐ te Nachhaltigkeitsziele oder die verfügbaren Assets des Lieferanten. 

C.3.5.2

Anzahl der Liefe‐ ranten begrenzen 

Steuerung der Lieferantenbeziehung

C.3.5.2.1 Lieferantenbewertung Eine  Lieferantenbewertung  (Supplier  Rating  System)  erfolgt  vorzugs‐ weise  unter  der  Zuhilfenahme  einer  Nutzwertanalyse.  In  dieser  Ent‐ scheidungsmatrix  wird  die  Leistungsfähigkeit  des  Lieferanten  auf  den  Prüfstand  gestellt.  In  seine  Beurteilung  fließen  Kriterien  wie  Image,  finanzielle  und  technische  Leistungsfähigkeit,  Kostenstrukturen  und  Kooperationsbereitschaft ein. Jedes Bewertungskriterium wird zunächst  relativ  gewichtet.  Anschließend  erfolgt  die  Ermittlung  der  erreichten  Punktzahl  je  Beurteilungskriterium  und  Lieferant.  In  Abbildung  C.12  wird  dazu  eine  Skalierung  von  einem  Punkt  (sehr  schlecht)  bis  fünf  Punkten  (sehr  gut)  vorgenommen.  Der  hier  beurteilte  Lieferant  erzielt  insgesamt  einen  Indexwert von  3,17  Punkte  (von  möglichen  5,00  Punk‐ ten).  Je  höher  dieser  Punktwert  ausfällt,  desto  besser  wurde  der  Liefe‐ rant bewertet. 

189

Nutzwertanalyse  durchführen 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Lieferantenklassifi‐ zierung am Beispiel  des Bayer‐ Konzerns 

Eine Lieferantenbewertung mündet in der Regel in eine Klassifizierung  von  Anbietern.  Besonders  gut  bewertete  Lieferanten  erreichen  mindes‐ tens  90%  der  erzielbaren  Punkte  („Supreme  Suppliers“).  Mit  ihnen  sind  strategische  Kooperationen  besonders  interessant.  Hersteller  gehen  mit  diesen  Lieferanten  gern  langfristige  Verbindungen  ein.  Gut  bis  mittel‐ mäßig  bewertete  Lieferanten  („Standard  Suppliers“),  die  zwischen  70%  und 90% der erzielbaren Punkte erreichen, erfüllen die Beurteilungskri‐ terien  zumindest  ordentlich,  weshalb  in  aller  Regel  nichts  gegen  eine  Fortführung  der  Beziehung  spricht.  Schlecht  bewertete  Lieferanten  („Poor  Suppliers“)  erreichen  hingegen  lediglich  zwischen  50%  bis  70%  der  möglichen  Punkte.  Sie  müssen  aufzeigen,  wie  sie  zukünftig  ihre  Arbeitsabläufe  verbessern  werden.  Sehr  schlecht  bewertete  Anbieter  („Desourced  Suppliers“)  kommen  sogar  nur  auf  weniger  als  50%  der  er‐ zielbaren  Punkte.  Sprechen  nicht  strategische  Gründe  dagegen,  sollte  sich  ein  Hersteller  von  ihnen  trennen.  Dieser  Vorgang  wird  als  ein  „Outphasen“ von Lieferanten bezeichnet. 

Probleme der  Lieferantenbewer‐ tung 

Die Lieferantenbewertung ist ein pragmatisches Verfahren, welches sich  in  der  Praxis  einer  weiten  Verbreitung  erfreut.  Zu  den  Nachteilen  des  Supplier Ratings zählt jedoch, dass seine Durchführung auf Vergangen‐ heitsdaten  beruht.  Häufig  bleiben  dabei  die  Potenziale  von  Lieferanten  unterbelichtet (zum Beispiel, wenn es sich um neue Lieferanten handelt).  Auch  erfolgt  das  Rating  zum  Teil  subjektiv,  dies  gilt  insbesondere  für  nur  bedingt  quantifizierbare  Kriterien  („Kompetenz  der  Ansprechpart‐ ner“).  Weiterhin  ergeben  sich  bei  der  Bewertung,  auf  Grund  von  Run‐ dungen und Zahlenverdichtungen, Skalierungsbrüche. 

C.3.5.2.2 Lieferantenauswahl Festlegung auf  bestimmte Liefe‐ ranten 

Jetzt  werden  im  nächsten  Arbeitsschritt  des  Lieferantenmanagement‐ prozesses die einzelnen Beschaffungsobjekte möglichen Anbietern zuge‐ teilt. Bei dieser Entscheidung können die Lieferanten nach drei Selekti‐ onskategorien eingeteilt werden: 

 Deutliche  Überlegenheit  möglicher  Lieferanten:  Die  Lieferanten‐ auswahl fällt vergleichsweise leicht. Fehlentscheidungen sind nahezu  ausgeschlossen.  Sollten  jedoch  spätere  Probleme  auftreten,  sind  die  Konsequenzen  zumeist  schwerwiegend,  weil  ein  Lieferantenersatz  kurzfristig kaum zur Verfügung steht. 

 Minimale  Unterschiede  zwischen  möglichen  Lieferanten:  Es  fällt  schwer, eine eindeutige Lieferantenentscheidung zu treffen. Auch be‐ steht  latent  die  Gefahr,  den  falschen  Lieferanten  auszuwählen.  Sollte 

190

Strategien der Versorgung

C.3

dies  jedoch  der  Fall  gewesen  sein,  bestehen  gute  Substitutionschan‐ cen. 

 Kaum  geeignete  Lieferanten  vorhanden:  Eine  schwierige  Entschei‐ dungssituation für die Lieferantenauswahl. Die Versorgungssicherheit  ist prinzipiell wichtiger als die Preisverhandlung.    Abbildung C.12 

Matrix zur Lieferantenbewertung 

Bewertungskriterien   

Relatives  Gewicht 

Skalierung  (erreichte Punkte) 

Index 











5   

‐ Einkaufspreis 

15% 

 

 



 

 

0,45 

‐ Kompetenz Ansprechpartner 

8% 

 



 

 

 

0,16 

‐ Reaktionsverhalten bei Anfragen 

7% 

 

 

 



 

0,28 

‐ Lieferservicegrad 

15% 

 

 

 



 

0,60 

‐ Reklamationsverhalten 

10% 

 

 



 

 

0,30 

‐ Lieferverzugsquote 

5% 



 

 

 

 

0,05 

‐ Lieferrückstände 

7% 

 



 

 

 

0,14 

‐ Verpackungsqualität 

5% 

 

 

 

 



0,25 

‐ Innovationsgrad Lieferant 

7% 

 

 

 



 

0,28 

‐ Nachhaltigkeit und Arbeitsschutz 

6% 

 

 



 

 

0,18 

‐ Finanzielle Stabilität Lieferant 

15% 

 

 

 



 

0,60 

100% 

 

 

 

 

Gesamtergebnis 

 

3,17 

Legende:    5 Punkte (sehr gut)      4 Punkte (gut)        3 Punkte (mittelmäßig)      2 Punkte (schlecht)      1 Punkt (sehr schlecht) 

 

191

C Lieferantenauswahl  treffen 

Strategien des Supply Chain Managements

Bei  der  Auswahl  der  Lieferanten  stehen  unterschiedliche  Beschaf‐ fungsquellen zur Verfügung (vgl. Sourcing‐Konzepte auf S. 182). Der  Einkäufer wird diese Entscheidungsfindung vorzugsweise mit Exper‐ ten  aus  anderen  Funktionsbereichen  abstimmen  (Technik,  Logistik,  Controlling,  Qualitätssicherung).  Folgende  Entscheidungsmerkmale  für die Lieferantenauswahl sind von besonderer Relevanz: 

 Langfristige  Volumenbündelung:  Durch  die  Vergabe  größerer  Volu‐ menanteile  auf  eine  begrenzte  Anzahl  an  Lieferanten  ergeben  sich  Bündelungseffekte (Purchase Volume Impact). 

 Zusammenfassung  ähnlicher  Teile:  Es  erfolgt  eine Aggregation  ver‐ wandter  Teile  auf  ausgewählte  Lieferanten.  Diese  Strategie  ist  sinn‐ voll,  wenn  die  einzukaufenden  Produkte  sich  in  ihren  Materialantei‐ len ähneln oder die Produktionsabläufe vergleichbar sind. 

 Aufbau  kurzfristiger  Spotmarktbeziehungen:  Teilweise  können  Lie‐ feranten  unterschiedliche  Anforderungen  der  Hersteller  nicht  kom‐ plett abdecken. Diese suchen sich dann weitere Standbeine. Auch nut‐ zen die Kunden gern die individuellen Fähigkeiten ihrer Lieferanten.  Schließlich setzen  die  Hersteller  auf  internationale Preisunterschiede,  weshalb sie vorzugsweise Electronic Procurement betreiben. 

C.3.5.3 Zusammenarbeit  forcieren 

Intensivierung der Lieferantenbeziehung

Im dritten Hauptschritt des Lieferantenmanagements findet eine Inten‐ sivierung  der  Beziehung  des  Herstellers  zu  ausgewählten  Anbietern  statt.  Zunächst  werden  geeignete  Lieferanten  integriert,  später  erfolgt  ihre systematische Weiterentwicklung. 

C.3.5.3.1 Lieferantenintegration Inhalte der Liefe‐ rantenintegration 

Unter der Integration von Lieferanten ist ihre dauerhafte Einbindung in  die Produktions‐ oder die Montageprozesse der Hersteller zu verstehen.  Mögliche  Erfolgsfaktoren  einer  Lieferantenintegration  erstrecken  sich  auf eine Abstimmung der Informations‐ und Kommunikations‐Systeme,  die  Intensivierung  etwaiger  Zielüberschneidungen,  eine  Implementie‐ rung  gemeinsamer Anreizmechanismen  sowie  das  Pooling  von  Wissen  und  Ressourcen.  Zu  den  Aufgabenfeldern  einbezogener  Lieferanten  zählen (vgl. Hartmann 2019; Helmold/Terry 2016): 

 Entwicklungsintegration:  Einbindung  von  Resident  Engineers  in die  Entwicklungsaktivitäten  der  Hersteller,  Realisierung  von  System 

192

Strategien der Versorgung

C.3

Sourcing  und  Modular  Sourcing,  Intensivierung  von  Supply  Chain  Engineering. 

 Beschaffungsintegration:  Einleitung  von  Just‐in‐Time‐  oder  Just‐in‐ Sequence‐Abwicklungen,  Übertragung  der  Bestandshoheit  auf  geeig‐ nete  Lieferanten  (Vendor  Managed  Inventory),  Einleitung  von  Kon‐ signationsprozessen.  

 Produktionsintegration:  Einbindung  von  Lieferanten  in  die  Kanban‐ Abwicklung,  Steuerung  über  Fortschrittszahlen  mit  Hilfe  von  Liefe‐ ranteninformationen,  Errichtung  von  Lieferantenparks,  Implementie‐ rung des Factory‐within‐a‐Factory‐Prinzips. 

C.3.5.3.2 Lieferantenentwicklung Schließlich  endet  der  Lieferantenmanagementprozess  mit  der  Entwick‐ lung  geeigneter  Akteure.  Das  Ziel  besteht  darin,  langfristig  ein  echtes  Supplier  Relationship  Management  (ein  dauerhaftes  Beziehungsver‐ hältnis) zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten zu betreiben, um  dadurch gegenseitig Wettbewerbsvorteile zu erzielen. In Abbildung C.13  wird deutlich, dass die Ziele der Lieferantenentwicklung sowohl quali‐ tativ als auch quantitativ geprägt sind.  Ziele der Lieferantenentwicklung 

Ziele qualitativer  Lieferantenentwicklung  Steigerung von Prozess‐ und               Produktqualität 

Abbildung C.13 

Ziele quantitativer  Lieferantenentwicklung  Verringerung der                        Materialeinstandspreise 

Verbesserung der Beziehung zur gesam‐ ten Lieferantenbasis 

Senkung von Transaktionskosten und   Prozesskosten 

Erschließung neuer Absatzmärkte durch  Lieferantenkontakte 

Effizienzsteigerung in den Prozessen  mittels adäquater IT‐Systeme 

Forcierung der Transparenz in den     Beschaffungsprozessen 

Lieferanten auf  hohem Niveau  entwickeln 

Verkürzung der Durchlaufzeiten durch  optimierte Beschaffungsprozesse 

   

193

C Arbeitsschritte der  Lieferantenent‐ wicklung 

Strategien des Supply Chain Managements

Bei der Lieferantenentwicklung geht der Hersteller quasi in Vorleistung,  weil  er  sich  von  der  gezielten  Förderung  eines  Lieferanten  zukünftig  Wettbewerbsvorteile verspricht. Doch der Lieferant muss auch wirklich  seine  Bereitschaft  für  die  langfristige  Unterstützung  bekunden  und  ge‐ währen. Nur dann wird zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten  eine partnerschaftliche Geschäftsbeziehung entstehen. Die Entwicklung  der Lieferanten selbst kann im Abstellen personeller Ressourcen oder in  einer finanziellen Unterstützung bestehen. Aber auch ein aktiver Know‐ how‐Transfer  oder  die  Einberufung  gemeinsamer  Workshops  ist  denk‐ bar. Der Prozess zur Entwicklung von Lieferanten kann in fünf Arbeits‐ schritte unterteilt werden, die nachstehend wiedergegeben werden. 

 Arbeitsschritt 1: Identifikation entwicklungsfähiger Lieferanten  Für die Entwicklung ausgewählter Lieferanten bietet sich zunächst die  Durchführung einer Spend‐Analyse an. Dabei werden die Lieferanten  nach  bestimmten  Auswahlkriterien  differenziert.  Zum  Beispiel  kön‐ nen  die  Einstandspreise  nach  ihrem  Volumenanteil  unterschieden  werden.  Insbesondere A‐Lieferanten  (hohes Volumen)  werden  für  ei‐ ne  Entwicklung  ausgewählt.  Es  können  aber  auch  Strategische  Liefe‐ ranten  sein,  die  sich  für  eine  Entwicklung  eignen,  weil  sie  beispiels‐ weise  über  ein  großes  Innovationspotenzial  verfügen  oder  selten  er‐ hältliche Ressourcen besitzen. 

Differenzierung  von Lieferanten 

 Arbeitsschritt 2: Auditierung von Lieferanten  Eine  Auditierung  von  Lieferanten  bedeutet  eine  Vor‐Ort‐Begehung  bei  bestimmten  Anbietern.  Im  Grundsatz  soll  dabei  die  Leistungsfä‐ higkeit der Lieferanten überprüft werden. Mögliche funktionale Inhal‐ te  einer  Auditierung  von  Lieferanten  umfassen  die  Organisation  (Standort, Personalstruktur, IT‐Infrastruktur), die Ökonomie (Kapital‐ struktur, Preise, Vermögenszusammensetzung, Abnahmemengen), die  Qualität (Zertifizierung, Produkte, Prozesse, Mitarbeiterqualifikation),  die  Fertigung  (Anlagen,  Produktionsabläufe,  Kapazitäten,  Know‐ how),  die  Logistik  (Lager,  Fuhrpark, Anliefermöglichkeiten,  Prozess‐ strukturen) und Sonstige Kriterien (Innovationsfähigkeit, Nachhaltig‐ keit, Ökobilanz, Ressourcenzugang). 

Leistungsfähigkeit  im Audit überprü‐ fen 

 Arbeitsschritt 3: Bildung von Entwicklungsteams  Anschließend  bildet  der  Hersteller  mit  bestimmten  Lieferanten  ge‐ meinsame  Entwicklungsteams.  Dazu  werden  geeignete  Führungs‐ kräfte  festgelegt.  Diese  sollen  vorzugsweise  in  Cross‐funktionalen  Gruppen  ihre  Fähigkeiten  bündeln.  Wesentlich  ist  dabei,  die  jeweili‐

Cross‐funktionale  Teams 

194

Strategien der Versorgung

C.3

gen  Kompetenzen  der  betroffenen  Mitarbeiter  festzulegen,  wobei  auch ein „Bypassing“ grundsätzlich möglich ist. Damit ist das Über‐ springen hierarchischer Ebenen gemeint. 

 Arbeitsschritt 4: Maßnahmenplanung  Zielgerichtet bringen Hersteller und Lieferanten anschließend ihre je‐ weiligen Stärken in die Kooperation ein. Dabei müssen die beabsich‐ tigten Aktivitäten hinsichtlich  ihrer Wirtschaftlichkeit, ihres Ressour‐ cenbedarfs  und  ihrer  Realisierbarkeit  überprüft  werden.  Mögliche  Maßnahmen  einer  Lieferantenentwicklung  können  sein:  Räumliche  Ansiedlung  des  Lieferanten  in  Kundennähe  (Lieferantenpark),  Ein‐ führung  fertigungssynchroner  Beschaffungsaktivitäten,  Investitionen  in die Infrastruktur des Lieferanten, Abstimmung der IT‐Systeme oder  gegenseitige Aussendung von Mitarbeitern. 

Zusammenarbeit  mit Lieferanten  intensivieren 

 Arbeitsschritt 5: Implementierung und Kontrolle  Schließlich  wird  die  Lieferantenentwicklung  umgesetzt  und  ständig  auf  ihre  Erfolgswirksamkeit  überprüft.  Dazu  müssen  geeignete  Kennzahlen  festgelegt  werden  (wie  EBIT‐Marge,  Return  on  Sales,  Cash‐Flow‐Effekt,  Pay‐Back‐Zeit).  Zusätzlich  bietet  sich  der  Aufbau  eines  umfassenden  Berichtswesens  an.  In  diesem  Reporting‐System  erfolgt in bestimmten Zeitintervallen (z. B. monatlich) eine Aktualisie‐ rung der Ergebnisse. Über Data‐Warehouse‐Lösungen findet die ziel‐ gerichtete Informationsverarbeitung statt. 

C.3.6

Beschaffungsstrategien

Die  Beschaffungsstrategien  sind  ein  weiterer  Untersuchungsbereich  von  Versorgungskonzepten  im  Supply  Chain  Management.  In  diesem  Zusammenhang werden eine Steuerung über Kanban, die Methode der  Fortschrittszahlen,  eine  Belastungsorientierte  Auftragsfreigabe  und  die  retrograde Terminierung nachstehend näher charakterisiert. 

C.3.6.1

Rechnet sich die  Kooperation lang‐ fristig? 

Warenfluss syste‐ matisch abwickeln 

Kanban

Der Ansatz stammt aus Japan. Kanban bedeutet im Deutschen „Karte“.  Synonym wird Kanban als „Pull‐Konzept“ (Hol‐Konzept) bezeichnet (vgl.  Anderson  2011;  Dickmann  2015;  Eisenberg  2018;  Geiger  et  al.  2011;  Leopold  2016; Weber 2014; Wildemann 1984; Wildemann 2011). Diese Beschaffungs‐ strategie  beinhaltet  eine  Abwendung  von  der  zentralisierten  Produkti‐

195

Abkehr von der  zentralen Produk‐ tionsplanung 

C

Strategien des Supply Chain Managements

onsplanung und die Hinwendung zu vermaschten, selbst steuernden Regel‐ kreisen.  Kanban  geht  nicht  länger  einer  Beantwortung  der  Frage  nach,  was  der  Kunde  gern  haben  könnte,  sondern  was  der  Kunde  tatsächlich  haben möchte. Während beim Push‐Prinzip die Hersteller ihre Güter in  den  Markt  „drücken“,  stoßen  beim  Pull‐Konzept  die  Kunden  eine  Pro‐ duktion an. Sie „ziehen“ die gefertigten Artikel aus den Unternehmen.  Kanban steuert  retrograd 

Einkarten‐ und  Zweikartensystem 

Ein  Kanban  enthält  sämtliche  notwendigen  Steuerungsinformationen,  wie  Teile‐  und Abnehmerdaten,  Bestellmenge,  Transportart  oder  Behäl‐ ter. Die Karten werden auf einer Übersichtstafel verwaltet und zur Len‐ kung zwischen erzeugender Stelle (Quelle) und verbrauchendem Bereich  (Senke)  eingesetzt.  Erst  wenn  der  Meldebestand  erreicht  ist,  wird  die  Produktion aktiviert. Auslöser für eine Fertigung ist die jeweils nachge‐ lagerte Stelle. Beim Auftreten von Bedarfen entnimmt die verbrauchen‐ de Abteilung einen, durch die vorgelagerte Stufe gefüllten, Behälter aus  dem Pufferlager. Dadurch wird der Hol‐Gedanke von Kanban deutlich.  Zum Ablauf  von  Kanban  vgl. Abbildung  C.14.  Grundsätzlich  sind  Ein‐ karten‐ und Zweikarten‐Systeme zu unterscheiden (vgl. Burrows 2015): 

 Einkarten‐Kanban:  Zwischen  produzierender  und  verbrauchender  Stelle wird nur ein Transportkanban eingesetzt. Dieses Verfahren bil‐ det  eher  die  Ausnahme,  bei  dem  die  Produktion  traditionell  über  zentral vorgegebene Planzahlen erfolgt. 

 Zweikarten‐Kanban:  Es  wird  zwischen  einem  Produktions‐  und  ei‐ nem  Transportkanban  unterschieden.  Verbraucht  eine  Senke  (End‐ montage) den Inhalt des Behälters, ist der dort angebrachte Transport‐ kanban  abzutrennen  und  durch  einen  vollen  Behälter,  der  aus  dem  Pufferlager geholt wird, zu ersetzen. Ein Transportkanban regelt den  Abruf zwischen verbrauchender Stelle und vorgeschaltetem Pufferla‐ ger.  An  dem  vollen  Behälter  befindet  sich  ein  Produktionskanban,  der  nach Abruf  an  die  Quelle  (Vormontage)  geleitet  wird.  Der  Produkti‐ onskanban steuert  (losgelöst von der zentralen Produktionsplanung)  eigenständig  den  Materialfluss  innerhalb  der  Fertigung  und  im  Puf‐ ferlager.  Montage von  Kurbelwellen als  Beispiel 

Der  Prozessfluss  des  Zweikarten‐Systems  wird  nachstehend  anhand  eines Beispiels beschrieben (vgl. Holzmüller 2003, S. 21). Abbildung C.15  dient  diesbezüglich  dem  besseren  Verständnis.  In  der  Senke  (Endmon‐ tage) wurde ein zuvor definierter Mindestbestand erreicht. Somit meldet  die  Endmontage  ihren  Bedarf  an,  indem  sie  an  einen  leeren  Behälter  (vom  Typ  „C“)  einen Transportkanban  heftet  und  diesen  in  das  Puffer‐ lager („F‐26‐18“) bringt. Die Vormontage holt den Transportkanban aus 

196

Strategien der Versorgung

C.3

dem Pufferlager. Entsprechend der konkreten Nachfrage der Senke, füllt  die  Vormontage  den  Behälter  mit  20  Kurbelwellen  (Typ  „56790‐321“)  auf, der somit zum Produktionskanban („P“) wird. Es ist der vierte von  acht identischen Produktionskanbans, die sich im Umlauf befinden. Die  Kurbelwellen  werden für den Fahrzeugtyp „SX50BC‐150“ benötigt und  auf Band „SB‐8“ verbaut. Jetzt wird der gefüllte Behälter in das Pufferla‐ ger  gebracht.  Zur  gegebenen  Zeit  entnimmt  die  Endmontage  diese  20  Kurbelwellen  dem  Pufferlager.  Ein  neuer  Regelkreis  wird  angestoßen,  wenn der nächste Mindestbestand erreicht ist.  Kanban 

Abbildung C.14 

  Hersteller

Material

Legende: PL PL =  WE  =  HRL = 

Kunde V

PL

1

EM

PL

2

VM

PL

3

KOM

PL

PL

WE

Lieferant

4

HRL

5

Information Pufferlager Wareneingang Hochregallager 

KOM =  VM  =  EM  =  V =

Komissionierzone Vormontage Endmontage Versand

 

Eine  Kanban‐Steuerung  passt  sich  somit  flexibel  kleineren  Schwankun‐ gen innerhalb der Supply Chain an. Ganz anders die zentrale Produkti‐ onssteuerung,  diese  reagiert  auf  Änderungen  der  Kundenabrufe  zu‐ meist nur träge. Um diese mangelnde Anpassungsfähigkeit kompensie‐ ren  zu  können,  benötigen  zentralisiert  gesteuerte  Abläufe  hohe  Sicherheitsbestände  (Kapitalbindung). Außerdem  bedeuten  bereits  klei‐ nere  Modifizierungen  des  Fertigungsprozesses  (zum  Beispiel  bei  Stö‐ rungen  im  Betriebsablauf)  für  die  zentrale  Produktionssteuerung  einen  riesigen  Koordinationsaufwand.  Es  werden  personalintensive  Abläufe  initiiert, die mit einer hohen Fixkostenbelastung verbunden sind.       

197

Zentral‐ vs. De‐ zentral‐Prinzip 

C Abbildung C.15 

Strategien des Supply Chain Managements

Beispiel eines Produktionskanbans  Lagernummer: F26‐18  Teilenummer: 56790‐321  Teilebezeichnung: Kurbelwelle  P 

Band: SB‐8 

Fahrzeugtyp: SX50BC‐150    Behälter: C   

Menge: 20 

Karte: 4/8 

 

 

Prägende Ziele von  Kanban 

Kanban‐Systeme  werden  aber  nicht  nur  zur  Verbesserung  der  Prozess‐ flexibilität eingeführt. Sie diesen ebenso zur Erhöhung der Transparenz  in den Wertschöpfungsketten. Weitere Ziele von Kanban bestehen in der  Begrenzung  von  Verschwendung  (verringerte  Bestände,  beschleunigte  Durchläufe) und der Reduzierung des Planungsaufwands (vereinfachte  Dispositionsvorgänge). 

Kanban folgt strik‐ ten Regeln, die  genau einzuhalten  sind 

Das  Kanban‐Prinzip  folgt  strikten  Grundregeln:  Der  Auslöser  eines  Prozesses  ist  immer  der  Verbraucher  (Hol‐Gedanke).  Weiterhin  gilt:  „Keine  Produktion  und  keine  Lieferung  ohne  Karte“.  Die  Entnahme‐ menge muss immer mit der Produktionsmenge übereinstimmen. Ebenso  ist  die  Weitergabe  fehlerhafter  Teile  verboten.  Schließlich  darf  die  An‐ zahl  der  insgesamt  eingesetzten  Karten  nicht  eigenmächtig  verändert  werden. 

Das Team ist der  Star… 

Kanban  ist  die  logische  Weiterführung  des  Kaizen‐Gedankens:  eines  kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (vgl. S. 110). Die Steuerung der  Regelkreise  obliegt  zu  weiten  Teilen  den  eingebundenen  Mitarbeitern  selbst. Eine Zentrale greift nur  bei gravierenden Schwierigkeiten unter‐ stützend  ein.  Dadurch  fördert  Kanban  die  Eigenständigkeit  und  die  Kreativität der Menschen. Kanban steigert die Motivation der Mitarbei‐ ter,  diese  agieren  als  wirkliches  Team.  Die  Mitarbeiter  sind  integrativer  und eigenverantwortlicher Bestandteil des gesamten Materialflusses. 

Losgrößen und  Anzahl eingesetzter  Behälter festlegen 

Jeder  Kanban‐Regelkreis  hat  zwei  prägende  Parameter:  Einerseits  sind  es  die  Losgrößen  (die Teilezahl  je  Kanban‐Behälter). Andererseits  ist  es  die  Menge  der  in  einem  Regelkreis  umlaufenden  Karten.  Die  Anzahl  dieser  eingesetzten  Karten  ist  abhängig  von  den  Bedarfen  pro  Zeitein‐ heit, der Wiederbeschaffungszeit der Waren sowie der Anzahl an Teilen  pro  Behälter.  Sämtliche  Parameter  werden  für  jeden  Regelkreis  indivi‐ duell festgelegt. Dabei sind situationsbedingte kurzfristige Anpassungen  198

Strategien der Versorgung

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nicht  nur  möglich,  sondern  vielfach  auch  nötig  (beispielsweise  bei  Be‐ triebsstörungen auf Grund von Maschinenausfällen).  Die  Philosophie  von  Kanban  orientiert  sich  am  Supermarktprinzip:  Ein  Verbraucher  entnimmt,  wie  in  einem  Supermarkt,  aus  dem  Regal  eine  Ware  bestimmter  Spezifikation  und  Menge.  Die  Lücke  wird  festgestellt  und das Lager anschließend bis zum definierten Level aufgefüllt. Wich‐ tige Voraussetzungen für eine Steuerung über Kanban sind: 

Spielregeln von  Kanban‐ Regelkreisen 

 Jeder  Verbraucher  (zum  Beispiel  die  Endmontage)  darf  nur  die  tat‐ sächlich  benötigte  Menge  (Pull‐Gedanke)  aus  dem  Pufferlager  ent‐ nehmen. Ansonsten würde entweder ein Versorgungsengpass drohen  (Unterbestand), oder der Work‐in‐Process (Werkstattbestand) zu hoch  sein (Überbestand). 

 Jeder Produzent (zum Beispiel die Vormontage) stellt nur die tatsäch‐ lich in Auftrag gegebene Menge her (Arbeitsdisziplin). 

 Im Prozess befinden sich nur Teile mit einer vorgegebenen und einge‐ haltenen  Qualität.  Hohe Ausschuss‐  oder  Nacharbeitsraten  zerstören  die  Kanban‐Idee,  da  Produktionsunterbrechungen  den  Steuerungs‐ prozess erschweren. 

 Der Grad an Auftragswiederholung ist hoch. Folglich eignen sich für  Kanban  insbesondere  die  Serienfertigung  und  die  Massenfertigung.  Bei  diesen  Fertigungsprinzipien  fallen  vergleichsweise  geringe  Be‐ darfsschwankungen an. 

 Das  Kundenabrufverhalten  ist  prinzipiell  gut  prognostizierbar  (hohe  Forecast Accuracy). Dadurch fallen nur geringen Folgekosten an.  

 Die Arbeitsplätze richten sich streng nach dem Materialfluss aus. Die   Kapazitäten  sind  so  miteinander  abgestimmt,  dass  im  Prozessablauf  keine Engpässe entstehen. 

 Die Losgrößen  sind  relativ  konstant.  Dadurch  ergibt  sich eine  ausge‐ prägte  Planungssicherheit  in  den  mittels  Kanban  abgewickelten  Pro‐ duktionsprozessen. 

Doch  auch  eine  Kanban‐Steuerung  unterliegt  einigen  Problemen.  Geht  der  Überblick  hinsichtlich  der Anzahl  eingesetzter  Karten  verloren,  be‐ ginnt  ein  inflationäres  Nachrücken  von  Kanbans.  Außerdem  werden  Mitarbeiter  zum  Teil  an  der  Linie  Sachnummern  „hamstern“,  wenn  sie  einen Bandabriss befürchten. Dadurch wollen sie potenzielle Stock‐out‐ Situationen  vermeiden. Auch  wird  sich  die Anzahl  eingesetzter  Karten  irgendwann  einpendeln.  Eine  wirkliche  Überprüfung  der  Kartenanzahl 

199

Grenzen von Kan‐ ban 

C

Strategien des Supply Chain Managements

findet dann nicht länger statt. Schließlich sind einige Mitarbeiter mit der  Selbststeuerung über Kanban schlichtweg überfordert.  Von JiT zu JiS 

Das  Prinzip  der  Produktions‐Synchronisation  spiegelt  sich  bei  Kanban  in  den  Philosophien  von  Just‐in‐Time  (JiT)  und  Just‐in‐Sequence  (JiS,  vgl. Krüger 2004; Furukawa‐Caspary 2018; Takeda 2009). In der Automobil‐  und deren Zulieferindustrie, aber auch in vielen anderen Branchen, sind  JiT und JiS weit verbreitet. Bei der Produktion des „Smart“ in Hambach  werden  über  90%  aller  Zulieferteile  Just‐in‐Time  abgewickelt.  Den  Rest  machen  Schrauben  und  kleinere  Plastikteile  aus,  die  höchstens  zwei  Wochen im Werk lagern. 

Neuerungen von  JiS 

Ein  erster  Unterschied  zwischen  Just‐in‐Time  und  Just‐in‐Sequence  ist  darin  zu  sehen,  dass  bei  Just‐in‐Time  der  Versuch  unternommen  wird,  mit einem „Nullbestand“ auszukommen, indem die Vorräte des Herstel‐ lers auf vorgelagerte Wertschöpfungsstufen zu überwälzen sind. Just‐in‐ Sequence hingegen bedeutet, die Bandgeschwindigkeit – ständig wech‐ selnd  an  die  Kundennachfrage  –  dynamisch  anzupassen.  Wenn  die  Bedarfe  plötzlich  umschwenken,  sind  Bestände  zwar  nicht  erwünscht,  aber temporär durchaus erlaubt. 

Ein Lieferant  erbringt zusätzli‐ che Vorleistungen  und sorgt für die  richtige Reihenfolge 

Eine weitere Neuerung von Just‐in‐Sequence bildet die Prozessoptimie‐ rung,  indem  die  Reihenfolge  von  Arbeitsschritten  abgestimmt  ist.  Ein  Beispiel für diese Vorgehensweise findet sich bei Audi. Bei der Fertigung  des  „TT“  im  ungarischen  Györ  wendet  der Autobauer  Just‐in‐Sequence  mit  gutem  Erfolg  an.  Die  Fertigung  fußt  auf  „SILS“  (Supply‐in‐Line‐ Sequence), wobei die Bandversorgung über ein Modulcenter in der Nä‐ he  der  Montagelinien  abläuft.  Der  Tier‐One‐Lieferant  Lear  befindet  sich  in  unmittelbarer  Nähe  des  Produktionspunkts.  Lear  stellt  die  Sitze  für  den „TT“ her. Erst 180 Minuten vor dem eigentlichen Einbau erhält der  Lieferant  den Feinabruf.  Bereits  in  der  gewünschten  Reihenfolge  distri‐ buiert Lear mit kleinen Vans die Sitze in das Werk von Audi. 

Halbherzige Um‐ setzung von JiT 

Eine Studie von KPMG („Europe on the Move“) setzt sich dezidiert mit  der Eignung von Just‐in‐Time in der Automobilindustrie auseinander.  Die Untersuchung zeigt, dass die durchschnittliche Reichweite der Fahr‐ zeuge,  über  unterschiedliche  europäische  Produzenten  hinweg,  bei  50  Tagen  liege.  Zwar  könnten  einige  Hersteller  im  Fertigungsprozess  ihre  Durchlaufzeiten  herunterfahren.  Doch  stünden  die  Fahrzeuge  anschlie‐ ßend  viele  Tage  auf  der  Halde.  Vor  allem  durch  Probleme  im  Vertrieb  würde in der kompletten Wertschöpfungskette Just‐in‐Time kaum reali‐ siert. Viele Autobauer würden in Europa, insbesondere im Niedrig‐ und  Mittelpreissegment,  noch  immer  am  Push‐System  festhalten  und  ihre 

200

Strategien der Versorgung

C.3

Fahrzeuge  nach  einem  festen  Verteilplan  herstellten.  Nachstehend  sind  die wesentlichen Voraussetzungen von Just‐in‐Time aufgelistet: 

 Bereitschaft  zur  vertrauensvollen  Zusammenarbeit  zwischen  den  eingebundenen  Partnern:  Zum  Beispiel  durch  eine  gemeinsame  Be‐ standsführung. 

Voraussetzungen  von JiT 

 Einsatz  von A‐Sachnummern  mit  möglichst  hohen  Lagerumschlägen  (Fast Mover), damit sich die Investitionen in Just‐in‐Time auch rentie‐ ren. 

 Erzielung eines hohen Servicegrads durch betroffene Lieferanten, um  Retouren  (bei  der  Warendistribution)  und  Stock‐outs  (während  der  Produktion) zu vermeiden. 

 Enge Abstimmung der Strategien zwischen Lieferant und Abnehmer,  um einen reibungslosen Prozessfluss möglichst langfristig gewährleis‐ ten zu können. Der Lieferant übernimmt eine hohe Verantwortung für  den Produktionsfluss seines Kunden. 

 Adäquate Informations‐ und Kommunikationssysteme, die einen ra‐ schen Wissenstransfer gewährleisten. Somit kann auf kurzfristige Än‐ derungen zeitnah reagiert werden. 

 Schaffung  einer  geeigneten  Infrastruktur.  Die  Bestandsführung  wird  quasi  auf  die  Straße  verlagert.  Zur  Wahrung  kurzer  Lieferzeiten  und  zur Realisierung alternativer Routen (Ausweichmöglichkeiten), ist ei‐ ne geeignete infrastrukturelle Anbindung zwingend notwendig.  

 Flexibilität  des  Lieferanten,  damit  dieser  möglichst  rasch  auf  Ände‐ rungen reagieren kann (Kapazitätsreserven, Personal, Finanzkraft). 

 Hohe Forecast Accuracy, um ungeplante Nachfrageschübe weitestge‐ hend vermeiden zu können. 

Die  Sicherheitsbestände  des  Kunden  werden  bei  Just‐in‐Time  gesenkt  und  sämtliche  den  Wert  mindernden  Tätigkeiten  eliminiert.  Das  Mate‐ rial  ist  produktionssynchron  zu  beschaffen,  um  Überbestände  zu  ver‐ meiden.  Dadurch  werden  Probleme  innerhalb  der  Versorgungskette  zwingend  aufgedeckt,  weil  nicht  abgestimmte  Kapazitäten,  mangelnde  Flexibilität,  geringe  Termintreue  und  qualitative  Defizite  direkt  zum  Versagen der Methode führen. Just‐in‐Time bedeutet somit eine Steige‐ rung der Prozesstransparenz. 

JiT schafft Klarheit 

Die  Vorteile  von  Just‐in‐Time  erstrecken  sich,  neben  der  angesproche‐ nen  Transparenzsteigerung,  auf  Verbesserungen  von  Lagerumschlag,  Handlingskosten, Lagerkosten, Durchlaufzeiten, Rüstzeiten sowie Ferti‐

Kritische Würdi‐ gung 

201

C

Strategien des Supply Chain Managements

gungsschwankungen.  Doch  es  sind  auch  einige  Nachteile  von  Just‐in‐ Time zu beachten: 

 Einleitung  von  Trouble  Shooting  bei  Störungen:  Zum  Beispiel,  wenn  LKW‐Fahrer streiken. Corona hat gezeigt, wie anfällig Just‐in‐Time ist. 

 Erhöhung der Transportkosten (häufige Anlieferung kleiner Mengen,  verbunden mit ökologischen Belastungen). 

 Verlagerung  der  Bestände  auf  vorgeschaltete  Wertschöpfungsebenen.  Es  findet  keine  tatsächliche  Reduzierung  der  Bestände  in  der  Liefer‐ kette statt. 

C.3.6.2 Fortschrittszahlen:  Historie und Be‐ griff 

Begriffsblock C.IV 

Fortschrittszahlen

Neben Kanban ist das Konzept der Fortschrittszahlen (vgl. Krings 2004;  Ostertag  2008)  eine  weitere  Versorgungsstrategie  in  modernen  Supply  Chains. Bereits seit den frühen 60er Jahren operieren Hersteller mit Fort‐ schrittszahlen.  Mitte  der  70er  Jahre  verlor  das  Konzept,  insbesondere  durch  das Aufkommen  von  Kanban,  an  Bedeutung;  um  zu  Beginn  der  90er Jahre – in der Automobil‐ und ihrer Zulieferindustrie – seine regel‐ rechte  Renaissance  zu  erleben.  Ein  wesentlicher  Grundgedanke  von  Fortschrittszahlen besteht in der engen Verknüpfung zwischen Lieferant  und Kunde. Die Steuerung der Zusammenarbeit wird über Abrufe (vgl.  Begriffsblock C.IV) geregelt. 

Arten von Abrufen 

 Lieferabruf  (LAB):  Im Lieferabruf  werden  die  allgemeinen  Konditio‐ nen festgeschrieben. Sie steuern die Freigabe für die Beschaffung von  Materialien des Lieferanten. Die Basis zur Bearbeitung stellt ein Rah‐ menvertrag  dar.  Der  Kunde  verpflichtet  sich  darin,  bestimmte  Men‐ gen  innerhalb  eines  definierten  Zeitraums  abzunehmen.  Die Aktuali‐ sierung der Abrufe erfolgt häufig monatlich. Wobei sich die Vorschau  über einen Zeitraum von einigen Monaten im Produktionsplan mani‐ festieren kann. 

 Feinabruf (FAB): Der FAB konkretisiert die Mengen, Termine und Or‐ te aus dem LAB. Synonym wird er als Direktabruf oder Versandabruf  bezeichnet.  Seine  Vorschau  umfasst  beispielsweise  im  Segment  „Au‐ tomotive“ in der Regel zwei bis vier Wochen.   

202

Strategien der Versorgung

Im Rahmen der Bildung von Fortschrittszahlen wird der komplette Be‐ schaffungs‐  und  Fertigungsprozess  in  Kontrollblöcke  dekomponiert.  Ein  Kontrollblock  ist  ein  selbst  steuerndes  Subsystem.  Die  Bedarfe  der  Teilabschnitte  und  die  Mengen  sind  kumuliert darzustellen.  Der  Begriff  resultiert daraus, dass der in Tagen oder Wochen angegebene Fortschritt  im Herstellungsprozess aufgezeigt wird. Jeder einbezogene Bereich gibt  den Input und den Output von Rohstoffen, Teilen sowie Endprodukten  über ein Zeitraster an. Die verschiedenen Arten von Fortschrittszahlen  sind (vgl. Ostertag 2008, S. 35): 

Fortschrittszahlen 

C.3 „Das größte Prob‐ lem an dem Fort‐ schritt ist: Auch die  Nachteile entwi‐ ckeln sich weiter.“  (E. Ferstl) 

Charakterisierung 

Eingangs‐ Fortschrittszahl 

Der auf die Zeit bezogene Mengeninput, welcher die Belas‐ tung eines Kontrollblocks anzeigt. 

Ausgangs‐ Fortschrittszahl 

Die Ausgangs‐Fortschrittszahl gibt den auf die Zeit bezogenen  Mengenoutput eines Kontrollblocks an. 

Ist‐Fortschrittszahl 

Sie misst den effektiven Fertigungsfortschritt pro Kontroll‐ block, innerhalb eines definierten Betrachtungszeitraums. 

Soll‐Fortschrittszahl  Die Soll‐Fortschrittszahl bestimmt die mengenmäßige Soll‐ vorgabe pro Kontrollblock innerhalb eines definierten Be‐ trachtungszeitraums (die „gewünschte“ Vorgabe).  Plan‐ Fortschrittszahl 

Schließlich zeigt die Plan‐Fortschrittszahl die mengenmäßige  Planvorgabe pro Kontrollblock innerhalb eines definierten  Betrachtungszeitraums auf („realistische Vorgabe“). 

Der  Bestand  je  Kontrollblock  errechnet  sich  pro  Periode  zu  einem  be‐ stimmten  Zeitpunkt  aus  der  Differenz  von  Eingangs‐Fortschrittszahl  und Ausgangs‐Fortschrittszahl (vgl. Ostertag 2008, S. 51): 

Berechnungs‐ grundlage 

Berechnung von Fortschrittszahlen  Bestand pro Kontrollblock (t)   =   EFZ (t)  – AFZ (t)        Legende:   EFZ  = Eingangs‐Fortschrittszahl     

        AFZ  = Ausgangs‐Fortschrittszahl           t   = Untersuchungszeitraum 

In  der  grafischen  Darstellung  sind  die  Ist‐,  die  Soll‐  und  die  Plan‐ Fortschrittszahlen  abgetragen.  Die  zeitlichen  und  die  mengenmäßigen 

203

Vorläufe und Rück‐ stände 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Vorläufe  („V“)  sowie  Rückstände  („R“)  geben  an,  ob  die  Zielwerte  über‐  oder  unterschritten  sind.  Abbildung  C.16  zeigt  diesen  Sachverhalt  an‐ hand eines Beispiels. Der Beginn dieser Betrachtung ist der Zeitpunkt t0  (t wird in Fertigungstagen gemessen und horizontal abgetragen). Verti‐ kal  sind  die  produzierten  Mengeneinheiten  (ME)  angegeben:  der  Fort‐ schritt pro Zeiteinheit im Untersuchungszeitraum. Am Anfang des vier‐ ten  Tags  (t4)  beläuft  sich der  Rückstand  auf  100  ME. An  diesem  vierten  Tag  werden  200  ME  hergestellt,  somit  ergibt  sich  an  dessen  Ende  ein  Vorlauf von 100 ME – Vorläufe verursachen Kapitalbindungseffekte. Der  nächste  Betrachtungszeitpunkt  ist  t11  (heute).  Wiederum  beträgt  der  Rückstand 100 ME. Es sollten kumuliert 500 ME hergestellt sein. Jedoch  wurden  nur  400  ME  produziert.  Zum  Aufzeigen  der  Synchronisation  zwischen  Ist  und  Soll,  werden  die  Planzahlen  in  das  Diagramm  einge‐ tragen. Der Plan gibt an, dass in der Periode t13 eine Anpassung von Soll  und Ist stattfindet und der Rückstand zu diesem Zeitpunkt (also in zwei  Tagen) voraussichtlich aufgeholt ist. 

Beispiel zur Bestimmung von Fortschrittszahlen  700 600 500

R

400

R

300

V

V

200

Heute

Abbildung C.16 

R 100 0 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10 11 12 13 14 15 16

t

Legende: R  =  Rückstand V  =  Vorlauf t  =  Zeit

 

204

=  =  =  =

Ist‐Fortschrittszahl   Soll‐Fortschrittszahl Plan‐Fortschrittszahl Soll‐Fortschrittszahl gleich  Plan‐Fortschrittszahl

 

Strategien der Versorgung

C.3.6.3

C.3

Belastungsorientierte Auftragsfreigabe

Das Konzept der Belastungsorientierten Auftragsfreigabe (BOA) wur‐ de  Mitte  der  80er  Jahre  am  Institut  für  Fabrikanlagen  (IFA)  in  Hannover  entwickelt  (vgl.  Weigelt  2011;  Wiendahl  1987).  Es  orientiert  sich  an  den  Kapazitäten der Arbeitsstationen und nach dem Ziel, eine verfrühte oder  eine  verspätete  Auftragsfreigabe  in  die  Supply  Chain  zu  verhindern.  Aufträge werden in das System geschleust, wenn sie als dringlich einzu‐ stufen sind. Die zwei Steuerungsparameter „Terminschranke“ und „Be‐ lastungsschranke“ bestimmen die Dringlichkeit der Aufträge. 

Historie und  Schranken 

 Terminschranke:  Der  letztmögliche  Starttermin  für  die  Einlastung  von Aufträgen in die Supply Chain. 

 Belastungsschranke: Die Belastungsschranke gibt den Grenzwert an,  bis zu dem Aufträge je Station bearbeitet werden können. 

Die  Fertigungskapazitäten  sind  fix,  wodurch  die  Belastungsorientierte  Auftragsfreigabe recht rigide wirkt. Ein Trichtermodell steuert die Ein‐ schleusung  von  Aufträgen  in  die  Versorgungskette  (vgl.  Abbildung  C.17). Wichtige Stell‐ und Regelgrößen des Konzepts sind: 

Stell‐ und Regelgrößen 

Starrheit als Rest‐ riktion 

Charakterisierung 

Mittlerer Bestand 

Der mittlere Bestand charakterisiert die vor einem  Arbeitsplatz bereits wartenden Aufträge. Diese  Vorräte haben eine Pufferfunktion. 

Mittlere Belastung 

Sie symbolisiert die vor einer Maschine neu ankom‐ menden Aufträge. 

Kapazität 

Eine Kapazität misst die mögliche Leistung der  Arbeitsstation. Sie entspricht der unteren Öffnung  des Trichters. 

Mittlere gewichtete Durch‐ laufzeit 

Schließlich bestimmt die mittlere gewichtete Durch‐ laufzeit das Verhältnis aus mittlerem Bestand und  mittlerer Kapazität. 

Das  Konzept  ist  in  der  Unternehmenspraxis  allerdings  nicht  sehr  ver‐ breitet.  Eine  Steuerung  der  Versorgung  innerhalb  der  Supply  Chain  wird  durch  drei  generische  Arbeitsschritte  gewährleistet  (vgl.  Weigelt  2011, S. 5ff.). 

205

BOA‐Prozess 

C Dringlichkeit  festlegen 

Strategien des Supply Chain Managements

Arbeitsschritt  1:  Bei  der  Anwendung  von  BOA  wird  zunächst  mit  der  Bestimmung einer Terminschranke die Basis für die Durchlaufterminie‐ rung  geschaffen.  Je  näher  ein  Auftrag  vor  der  Terminschranke  liegt,  desto  dringlicher  ist  seine  Bearbeitung.  Die  Terminierung  erfolgt  mit  Hilfe statistisch gewonnener mittlerer gewichteter Durchlaufzeiten. 

Berechnung der gewichteten Durchlaufzeit  Mittlere gewichtete Durchlaufzeit (MD)  MD  =           Legende:         

Kapazitäten an den  Arbeitsstationen  fixieren 

MB   A / T MB   =   Mittlerer Auftragsbestand  A      =   Auftragsabgang (Stunden)  T      =   Untersuchungszeitraum (Tage) 

Arbeitsschritt  2:  Die  Aufträge  werden  nur  dann  in  das  System  ge‐ schleust, wenn sie eine gegebene Belastungsschranke pro Arbeitsstation  nicht  überschreiten.  Dadurch  ist  die  Vermeidung  einer  Überlastung  an  den  Maschinen  gewährleistet.  Die  Belastungsschranke  kann  mit  Hilfe  von Simulationsverfahren ermittelt werden, wodurch die Belastungsori‐ entierte  Auftragsfreigabe  an  Flexibilität  gewinnt.  Dann  reduziert  sich  das bereits angesprochene Problem der Starrheit. 

Berechnung der Belastungsschranke  Belastungsschranke (BS) 

BS = MB + AB            Legende:     

Jedem Auftrag  seine Chance 

MB   =   Mittlerer Auftragsbestand  AB    =   Auftragsabgang pro Periode 

Arbeitsschritt 3: Alle Aufträge, die in Arbeitsschritt 2 noch nicht freige‐ geben  wurden  (weil  ihre  Dringlichkeit  nicht  hoch  genug  ausgeprägt  war),  haben  jetzt  die  Chance  –  mit  erhöhter  Dringlichkeit  –  durch  die  Belastungsschranke  in  die  Supply  Chain  geleitet  zu  werden.  Nach  er‐ folgter Freigabe und Bearbeitung ist der Bestand schließlich auf Lager zu  nehmen. 

206

Strategien der Versorgung

Belastungsorientierte Auftragsfreigabe 

C.3 Abbildung C.17 

 

Mittlere Belastung  (neue Aufträge)

Bestandsniveau

Mittlerer Bestand  (bereits wartende  Aufträge) Kapazität (Stellrad)

Abgefertigte  Aufträge

Lager

 

 

 Zu  den  wesentlichen  Voraussetzungen  einer  Belastungsorientierten  Auftragsfreigabe zählen: 

C.3.6.4

Harmonisierende Kapazitäten. 

BOA eignet sich  nicht für jeden  Fertigungsprozess 

Kleine Fertigungslose mit ähnlichen Arbeitsinhalten.  Kontinuierliche (linear verlaufende) Produktionsprozesse.  Weitgehend unveränderte Maschinenfolge (Identical Routing).  Keine größeren Störungen (wie Fertigungsausfälle).  Nur geringe Änderungen von Auftragsmengen und ‐terminen. 

Retrograde Terminierung 

Eine weitere Versorgungsstrategie im Supply Chain Management ist die  Retrograde  Terminierung.  Ende  der  80er  Jahre  wurde  der  Ansatz  von  Adam (vgl. Adam et al. 1999; Zirkel 2004) entwickelt. Die zentrale Aussage  des  Konzepts  lautet,  dass  im  Fertigungsprozess  auch  Diskontinuitäten  auftreten  können  (insbesondere  bei  der  Einzelfertigung  und  der  Werk‐ stattfertigung).  Diskontinuierlich  bedeutet,  dass  die  Prozesse  nicht‐ linear verlaufen. Die Starttermine einer Fertigung werden entgegen des 

207

Historie und Dis‐ kontinuität 

C

Strategien des Supply Chain Managements

eigentlichen  Materialflusses  (retrograd)  festgelegt.  Den  finalen  Soll‐ Liefertermin  zum  Kunden  bestimmt  die  zentrale  Produktionsplanung.  Eine Retrograde Terminierung kennt drei Arbeitsschritte:  Phasen der Ret‐ rograden Terminie‐ rung 

 Arbeitsschritt  1:  Ausgehend  vom  Soll‐Liefertermin  zum  Abnehmer  geben  die  einzelnen  Fertigungsbereiche,  rückwärts  terminiert,  ihre  gewünschten  Startzeiten  an  die  zentrale  Produktionsplanung  weiter.  Es  ist  zu  unterstellen,  dass  keine  Restriktionen  hinsichtlich  der  nutz‐ baren  Kapazitäten  vorliegen.  Der  Rahmenplan  einer  Fertigung  wird  zunächst grob (und damit wenig praktikabel) erstellt. 

 Arbeitsschritt  2:  Dieser  Rahmenplan  wird  unter  der  Heranziehung  einer  Maschinenbelegungsübersicht  revidiert.  Es  erfolgt  eine  Zuord‐ nung von Aufträgen zu Maschinen. Treten Terminkollisionen auf, sind  diese  durch  den  Einsatz  einer  Prioritätsregel  zu  entschärfen.  Dabei  wird  vom  Prinzip  der  Rückwärtsterminierung  innerhalb  der  Wert‐ schöpfungskette  ausgegangen.  Die  einzelnen  Wunschvorstellungen  der  Funktionsbereiche  sind  anschließend  in  eine  Gesamtübersicht  zu  bringen. 

 Arbeitsschritt  3:  Die  provisorische  Ausgangsplanung  wird  modifi‐ ziert. Es findet eine Abstimmung zwischen den Wünschen der Abtei‐ lungen und den tatsächlichen Fertigungsverhältnissen durch die zent‐ rale  Produktionssteuerung  statt.  Beispielsweise  kann  der  Auftrags‐ start  in  Richtung  Gegenwart  verschoben  werden,  um  auftretende  Verzugszeiten zu reduzieren.  Aufträge den  Arbeitsstationen  zuweisen 

Der  dominierende  Steuerungsparameter  einer  Retrograden  Terminie‐ rung  ist  der  Maschinenbelegungsplan.  Er  ist  als  Rahmenplan  –  und  nicht als minutiöse Steuereinheit – zu verstehen. In ihm werden die Ar‐ beitsstationen und die Anzahl der in einer Lieferkette tätigen Mitarbeiter  berücksichtigt.  Der  Maschinenbelegungsplan  enthält  zunächst  nur  die  Eckdaten  für  den  Planungszeitraum.  Zum  Beispiel  eine  Vorgabe  der  Produktionszahlen auf Wochenbasis. 

Abhängigkeit von  der Zentrale ver‐ mindern 

Innerhalb  definierter  Interventionsdaten  (Grenzwerte)  kann  ein  Mitar‐ beiter  frei  über  die  Verschiebung  der  Reihenfolge  entscheiden,  wenn  dies  der  Gesamtoptimierung  zuträglich  ist.  Er  darf  jedoch  die  Soll‐ Bearbeitungszeit je Arbeitsgang insgesamt nicht überschreiten. Die zent‐ rale und die provisorische Produktionsplanung werden folglich dezent‐ ral (in den Funktionsbereichen selbst) verbessert. 

Flexibilität als  scharfe Waffe 

Der  Ansatz  zielt  darauf,  beim  Auftreten  unvorhersehbarer  Störungen  geringen Ausmaßes  rasch Anpassungen  vorzunehmen.  Dadurch  ist  die 

208

Strategien der Versorgung

C.3

retrograde  Terminierung  sehr  flexibel.  Das  Mitspracherecht  und  die  Eigenverantwortlichkeit  der  Mitarbeiter  bewirken  auch  eine  Motivati‐ onssteigerung. Jedoch kann es bei häufigen Modifizierungen der Daten  zu  Problemen  in  der  zentralen  Produktionssteuerung  kommen,  indem  die Anpassungen nicht adäquat vorgenommen werden. 

C.3.7

Ersatzteilmanagement

Angelehnt  an  die  deutsche  Industrienorm  24420  (Teil  I/4‐1),  stellen  Er‐ satzteile  (Spare  Parts)  den  Austausch  beschädigter,  verschlissener  oder  fehlerhafter  Einzelkomponenten,  Baugruppen  oder  vollständiger  Er‐ zeugnisse  dar.  Eine  Feinuntergliederung  von  Ersatzteilen  nach  ihrem  Verwendungszweck findet sich beim „Deutschen Institut für Normung“  (DIN 31051). Danach werden Ersatzteile in Reserveteile, Verbrauchsteile  und Kleinteile unterschieden (vgl. Biedermann 2018, S. 3ff.). 

„Es gibt keinen  Ersatz für das  Leben: Lieber jung  sterben, als nur um  das Leben herum‐ schnüffeln.“          (A. Rubinstein) 

 Reserveteile:  Sie  sind  den  Fertigungsanlagen  direkt  zugeordnet.  Grundsätzlich  zeichnen  sich  Reserveteile  durch  geringe  Bestands‐ mengen  und  eine  hohe  Kapitalbindung  aus.  Sie  werden  typischer‐ weise  zur  Instandhaltung  benötigt.  Es  sind  vielfach  Antriebskompo‐ nenten, wie Motoren oder Getriebe. 

 Verbrauchsteile:  Darunter  sind  genormte  Sachnummern  zu  verste‐ hen, die einer ausgeprägten Abnutzung unterliegen. Ihre wirtschaftli‐ che  Instandsetzung  ist  zumeist  nicht  möglich.  Vielmehr  sind  Ver‐ brauchsteile  einer  begrenzten  Lebensdauer  unterworfen,  die  sich  je‐ doch  vielfach  recht  gut  prognostizieren  lässt.  Zu  ihnen  zählen  Leuchtmittel, Bremsscheiben oder Kleinmotoren. 

 Kleinteile:  Schließlich  werden  Kleinteile  in  großen  Mengen  bevorra‐ tet. Ihr durchschnittlicher WACC‐Effekt schlägt kaum zu Buche (Puf‐ ferlagerbildung).  Kleinteile  sind  typischerweise  normiert  (Schrauben,  Unterlegscheiben, Dichtungsgummis). 

Die  Ersatzteilnachfrage  kann  entweder  auf  ein  plötzliches  Ereignis,  oder auf einen Verschleiß zurückgehen (vgl. Biedermann 2018, S. 55). Ein  plötzliches Ereignis eines Ersatzteilbedarfs ist beispielsweise ein Unfall.  Um  dem  Verschleiß  vorzubeugen,  sind  Wartungsmaßnahmen  einzulei‐ ten  (Austausch  defekter  oder  abgenutzter  Teile).  Ein  Teileaustausch  ist  vorzugsweise mit den Folgekosten abzuwägen (Total‐Cost‐of‐Ownership‐ Analyse).  

209

Unfall und Ver‐ schleiß als Ursa‐ chen der Ersatz‐ teilnachfrage 

C Ersatzteile nach  ihrer Herkunft  unterscheiden 

Strategien des Supply Chain Managements

Wenn Ersatzteile nach ihrer Herkunft betrachtet werden, bietet sich eine  Unterscheidung  in  Originalteile,  Fremdteile,  Gebrauchsteile  sowie  Nachbauteile an. Ihre nähere Kennzeichnung findet sich im Folgenden.  Ein grundsätzliches Differenzierungskriterium ist dabei die Fertigungs‐ tiefe der Ersatzteilhersteller (vgl. Biedermann 2018, S. 13ff.). 

 Originalersatzteile  (Genuine  Spare  Parts):  Originalersatzteile  produ‐ ziert  der  Hersteller  (OEM)  als  Erstausrüster  entweder  selbst,  oder  er  bezieht  sie  „original“  von  Dritten  (Outsourcing).  Die  Qualität  der  Sachnummern  ist  identisch  mit  der  Erstausrüstung.  Beispielsweise  setzt  sich  ein  VW  „Golf“  aus  über  1.200  Einzelkomponenten  zusam‐ men, für die Originalersatzteile auf Lager vorzuhalten sind. 

 Fremdersatzteile  (Third  Party  Replacement):  Darunter  sind  vom  Erstausrüster selbst hergestellte Ident‐Bauteile zu verstehen, die auch  Nachbauteile  der  Drittanbieter  sein  können.  Sie  werden  unter  der  Marke  eines  Zulieferunternehmens  vertrieben,  und  sie  entsprechen  den Qualitätsstandards der Originalteile. 

 Gebrauchtteile:  Gebrauchtteile  sind  entweder  instandgesetzte  Sach‐ nummern, oder aus Altanlagen entnommene Komponenten. 

 Nachbauteile: Sind Patent‐ oder Designschutz abgelaufen, werden ei‐ nige Artikel  mittlerweile  als  Nachbauteile  angeboten.  Diese  sind  den  Originalteilen  nachempfunden.  Sie  werden  häufig  als  Eigenmarken  vertrieben (zum Beispiel Automobilwischblätter bei Discountern).  Ersatzteilmanage‐ ment und seine  Einflussfaktoren 

Grundsätzlich hat sich die Notwendigkeit für ein Ersatzteilmanagement  in den letzten Jahren intensiviert. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren  auf die Ausgestaltung eines modernen Ersatzteilwesens zählen globa‐ lisierte  Wirtschaftsabläufe  (geografische  Ausweitung  von  Kunden‐ standorten),  zunehmender  Wettbewerb  (Anstieg  der  Variantenvielfalt),  technologische  Veränderungen  (Ausdehnung  der  Wartungsintervalle),  gesetzliche  Änderungen  (Verlängerung  von  Gewährleistungsfristen)  und modifizierte Kundenanforderungen (zunehmende Service‐Levels). 

Kundenzufrieden‐ heit vs. Kosten 

Dabei  befindet  sich  das  Ersatzteilmanagement  in  einem  latenten  Span‐ nungsverhältnis zwischen hohem Lieferservicegrad (Technik‐ und Ver‐ triebssicht)  bei  gleichzeitig  niedriger  Kapitalbindung  (Controlling‐ Sicht).  Ein  ausgeprägter  Lieferservicegrad  schafft  Kundenzufriedenheit  und  mindert  das  Risiko  von  Produktionsunterbrechungen.  Damit  sind  in  der  Regel  niedrige  Ausfallfolgekosten  verbunden.  Auch  tragen  re‐ gelmäßige  Wartungen  und  Inspektionen  von  Anlagen  dazu  bei,  diese 

210

Strategien der Versorgung

C.3

langfristig  zu  erhalten. Allerdings  wird  durch  die  Bevorratung  kapital‐ intensiver Reserveteile die Anlagenverfügbarkeit teuer erkauft.  Zur Linderung dieses generischen Zielkonflikts zwischen Warenverfüg‐ barkeit  und  Lagerhaltungskosten,  sollte  sich  ein  zeitgemäßes  Ersatz‐ teilmanagement auf eine Optimierung seiner vier prägenden Schlüssel‐ komponenten  konzentrieren.  Dazu  zählen:  Bestandsmanagement,  Pro‐ zessmanagement,  Lager‐  und  Infrastruktur  sowie  Kooperationen  (vgl.  Pawellek 2012, S. 59ff.). 

C.3.7.1

Säulen des moder‐ nen Ersatzteilma‐ nagements 

Bestandsmanagement

Das Bestandsmanagement von Ersatzkomponenten unterliegt besonde‐ ren Spielregeln. Die gewünschten Ersatzteile sollen in geforderter Qua‐ lität und Menge stets pünktlich am richtigen Ort zur Verfügung stehen.  Fehlende Ersatzteile können komplette Produktionsprozesse zum Erlie‐ gen  bringen  (Stock‐Outs).  Gleichzeitig  dürfen  die  Lagerhaltungskosten  nicht ausufern. 

Stock‐outs schmer‐ zen im Ersatzteil‐ geschäft besonders 

Wesentliche  Charakteristika  für  die  Bevorratung  von  Ersatzteilen  sind  die  Nutzungsintensität  und  die  Nutzungsbedingungen  von  Produkti‐ onsanlagen.  Aber  auch  die  jeweiligen  Instandhaltungsstrategien  ent‐ scheiden  über  die  Lagerung  von  Ersatzteilen:  Werden  Wartungen  von  Fertigungs‐ und Montageanlagen korrektiv (nach deren Ausfall) vorge‐ nommen, oder erfolgt die Wartung präventiv in regelmäßigen Zeitinter‐ vallen? Aber auch die Nachfrage von Ersatzteilen über die letzten Peri‐ oden,  sowie  das  Ausfallverhalten  von  Bauteilen,  sind  wichtige  Schlüs‐ selfaktoren  für  die  Lagerung  von  Ersatzteilen.  Besondere  Beachtung  verdienen  diesbezüglich  Anlagen,  deren  Nutzung  über  das  geplante  Anlagenalter hinausgeht (Auslaufbedarfe). Gute Dienste leisten in einer  zeitgemäßen digitalen Instandhaltung Datenbrillen: Digital Maintenan‐ ce wird häufig über Augmented Reality realisiert. 

Fokus auf die  Instandhaltung 

Grundsätzlich  ist  die  Lagerhaltung  kostenintensiver  Reserveteile  nur  anzuraten, wenn der entscheidungsrelevante Nutzen (beispielweise die  Vermeidung  von  Fehlmengenkosten  oder  Konventionalstrafen)  die  Lagerhaltungskosten  übertrifft.  Stehen  mehrere  Bevorratungsalternati‐ ven  zur  Verfügung,  ist  die  Variante  mit  dem  größten  Kostenvorteil  zu  wählen.  Problematisch  gestaltet  es  sich  dabei  allerdings,  dass  einige  Bestimmungsgrößen  sich  kaum  monetär  ausdrücken  lassen  und  ihre  Eintrittswahrscheinlichkeiten a priori nur schwerlich abzuschätzen sind  (wie Imageschäden bei nicht rechtzeitiger Lieferung). 

Kosten‐Nutzen‐ Verhältnisse auslo‐ ten 

211

C Wertbetrachtung  und Forecast Ac‐ curacy 

Strategien des Supply Chain Managements

Zum  zielgerechten  Management  von  Ersatzteilen  bietet  sich  die  klassi‐ sche Differenzierung nach ABC‐ und XYZ‐Teilen an (vgl. S. 298). A‐, B‐  und C‐Sachnummern werden nach Wert und Menge unterschieden. Die  Aufteilung  in  X‐,  Y‐  und  Z‐Teile  orientiert  sich  nach  ihrer  Vorhersage‐ genauigkeit (Forecast Accuracy). Speziell für das Ersatzteilmanagement  gelten  dabei  folgende  entscheidungsrelevanten  Implikationen  (vgl.  Pa‐ wellek 2012, S. 81ff.). 

 A‐Ersatzteile sind typischerweise kapitalintensive Einort‐Reserveteile.  Der Ausfall solcher Komponenten ist häufig mit hohen Stillstandkos‐ ten  verbunden.  A‐Ersatzsachnummern  lassen  sich  nicht  instand  set‐ zen. Auf Grund der ausgeprägten Lagerhaltungskosten ist die Menge  an A‐Ersatzteilen möglichst klein zu halten. 

 Zu den B‐Ersatzteilen zählen Mehrort‐Normteile. Es sind Komponen‐ ten  klassischer  Standardmaschinenbaugruppen  (Motoren  oder  Ge‐ triebe). 

 Schließlich  werden  den  C‐Ersatznummern Klein‐  und  Verschleißteile  (wie  beispielsweise  Dichtungen)  zugerechnet.  Ihr  Wert  ist  relativ  ge‐ ring, die bevorratete Menge groß. 

 Für die X‐Ersatznummern gilt, dass sie einer guten Vorhersagegenau‐ igkeit  unterliegen.  Es  sind  zumeist  Kleinteile,  die  sich  teilweise  ferti‐ gungssynchron steuern lassen. 

 Y‐Ersatzteile  sind  mit  einer  durchschnittlichen  Forecast  Accuracy  ausgestattet. Für sie bietet sich die Vorratsbeschaffung an. 

 Sehr schwer planbar sind insbesondere Z‐Ersatzgüter. Weder die fer‐ tigungssynchrone Beschaffung (schlecht planbare Bestände), noch die  Pufferlagerung (zu teuer), bieten sich als Dispositionsvariante an. Da‐ her  sollte  ein  gewisser  Sicherheitsbestand  dieser  Sachnummern  auf  Lager geführt werden, der allerdings regelmäßig zu überwachen ist. 

C.3.7.2

Prozessmanagement

Weitere  Verbesserungspotenziale  des  Ersatzteilmanagements  liegen  in  „Wenn man den  einer  Prozessoptimierung  begründet.  Das  prägende  Element  des  Pro‐ Streit mit einem Wein  zessmanagements  ist  die  Serviceorganisation:  Supply  Chain  Prozesse  begießt, so richtet  streben nach Standardisierung. Auf Grund permanenter Prozesskontrol‐ man mehr aus, als  durch einen Prozess.“         len,  sind  die  Prozessfehlerraten  zu  reduzieren.  Außerdem  werden  die  Aufgaben  eindeutig  definiert,  um  den  Grundstein  für  die  Schaffung  (Redewendung)  klarer Prozessstrukturen zu legen. 

212

Strategien der Versorgung

C.3

Ein  modernes  Ersatzteilmanagement  basiert  auf  einem  ganzheitlichen  Life  Cycle  Management.  Dadurch  sollen  einerseits  die  Fertigungskos‐ ten  von  Ersatzteilen  heruntergefahren  werden.  Andererseits  sind  im  Rahmen  der  Ersatzteilproduktion  die  Wiederbeschaffungszeiten  zu  reduzieren. Der Schlüssel des Erfolgs liegt in einer lückenlosen Stamm‐ datenpflege  und  einer  transparenten  Dokumentation  der  Ersatzteilhis‐ torie begründet (aktives Nachfolge‐ und Änderungswesen). 

Integrierter Le‐ benszyklus im  Fokus 

Eine  weitere  erfolgsrelevante  Komponente  der  Ersatzteilbewirtschaf‐ tung  stellt  ein  zeitgemäßes  Lieferantenmanagement  dar.  Ausgewählte  Lieferanten sind aktiv in die Ersatzteilprozesse einzubinden. Als Selek‐ tionskriterien können die Termintreue, die Lieferqualität oder die Upsi‐ de  Production  Flexibility  von  Lieferanten  herangezogen  werden.  Zur  Bewertung  dieser  Entscheidungskriterien  ist  möglichst  ein  Lieferanten‐ bewertungssystem zu implementieren (Supplier Rating System). 

Aktive Lieferanten‐ einbindung 

Zudem  sind  die  Dispositionsregeln  im  Ersatzteilmanagement  mög‐ lichst klar zu strukturieren. Ein prägendes Kriterium ist dabei die Klas‐ sifizierung  von  Ersatzteilen.  Diesbezüglich  bietet  sich  der  kombinierte  Einsatz  der  oben  charakterisierten ABC‐  und  XYZ‐Analysen  an  (vgl.  S.  298). Die Sortimentspflege erfolgt kontinuierlich. Zur Reduzierung kos‐ tenintensiver  Wertberichtigungen  sind  langsam  drehende  Ersatzteile  möglichst  frühzeitig  zu  identifizieren;  und  gegebenenfalls  auch  zu  eli‐ minieren.  An  dieser  Stelle  sind  Excess‐and‐Obsolete‐Analysen  anzura‐ ten (vgl. S. 301). 

Bestände struktu‐ rieren und analy‐ sieren 

Die Angebots‐ und die Auftragsabwicklung technischer Ersatzteile soll‐ te  auf  einer  lückenlosen  Dokumentation  fußen. Außerdem  müssen  die  Stücklisten ständig aktualisiert werden. Wettbewerbsvorteile resultieren  aus  einer  Erzielung  kurzer  Reaktions‐  und  Lieferzeiten,  um  die  Kun‐ den schnellstmöglich mit den benötigten Ersatzteilen versorgen zu kön‐ nen.  Um  diesen  Prozess  nicht  unnötig  zu  verlangsamen,  sind  länder‐ spezifische  Vorschriften  zu  beachten  (beispielsweise  im  Rahmen  der  Zollabwicklung). 

Agilität als Er‐ folgsgröße in der  Supply Chain 

Im  Supply  Chain  Management  im  Allgemeinen  und  im  Ersatzteilma‐ nagement im Besonderen spielt die Kundenzufriedenheit eine zentrale  Rolle.  Somit  sind  vor  allem  Verbesserungen  der  Servicegrade  gemeint.  Um dies erreichen zu können, ist die Schaffung eindeutig strukturierter  Kundensegmente  vorzunehmen.  In  möglichst  kurzen  Intervallen,  wer‐ den  Kundenanforderungsanalysen  durchgeführt.  Call  Center  oder  On‐ line (Bestell‐) Services gewährleisten zudem eine möglichst durchgängi‐

Abschluss von  Full‐Service‐ Verträgen 

213

C

Strategien des Supply Chain Managements

ge Erreichbarkeit. Ein effizientes Category Management dient der diffe‐ renzierten Bearbeitung von Schlüsselkunden.  Chargen nicht  verlieren: Resilienz  im Ersatzteilma‐ nagement 

Als Bindeglied zwischen Produktion und nachgelagerten Supply‐Chain‐ Prozessen, gewährleistet die Distribution eine lückenlose Überwachung  aller  Lager‐  und  Transportebenen.  Die  Ersatzteilchargen  müssen  jeder‐ zeit  zurückzuverfolgen  sein.  Dazu  werden  moderne  Systeme  zur  Sen‐ dungsverfolgung eingesetzt. Gute Dienste erbringen in diesem Kontext  Radiofrequenzlösungen (vgl. S. 364). Da die Investitionen in RFID zum  Teil  erheblich  sind,  sollten  zunächst  jedoch  die  jeweiligen  Kosten‐ Nutzen‐Relationen ausgelotet werden. 

Transparenz in den  Return‐Prozessen 

Schließlich  sind  Prozessverbesserungen  des  Ersatzteilwesens  auch  in  der  Abwicklung  von  Retouren  möglich.  Bei  diesen  Rückführungsvor‐ gängen ist insbesondere die Wiedereinsteuerung betroffener Sendungen  in  die  Supply  Chain  schwierig.  Eine  automatisierte  Bestandsaktualisie‐ rung  ist  ebenso  bedeutsam,  wie  die  durchgängige  Chargenrückverfol‐ gung.  Retournierte  Waren  sind  vorzugsweise  direkt  im  Wareneingang  auf Beschädigung oder Funktionsfähigkeit zu überprüfen. 

C.3.7.3

Lager- und Infrastruktur

Gretchenfrage der  Lagerhaltung 

Zunächst  sind  im  Ersatzteilwesen  die  Vorteile  und  Nachteile  zwischen  zentraler  und  dezentraler  Lagerbewirtschaftung  gegenüberzustellen.  Für  die  Errichtung  eines  Zentrallagers  sprechen  niedrigere  Investitio‐ nen. Aber auch die laufenden Kosten sind bei zentraler Bewirtschaftung  häufig geringer, da sich Bündelungseffekte ergeben (Cost Sharing). Der  Steuerungsaufwand  fällt  vergleichsweise  einfach  aus.  Auch  ist  die  Er‐ satzteilverfügbarkeit  im  Zentrallager  hoch.  Schließlich  gestalten  sich  Zentrallagerprozesse transparent, was sich positiv auf die Bestandsrege‐ lung auswirkt. 

Economies of  Density durch  Zentrallagerung 

Schließlich wird die Zentrallagerung in Ballungsräumen die vorteilhaf‐ tere Variante sein: Dann können Economies of Density (Dichteeffekte, vgl.  S.  130)  ausgeschöpft  werden,  da  die  Kunden  zumeist  in  räumlicher  Nähe  zueinander  angesiedelt  sind  (Agglomerationsvorteil).  Die  Trans‐ portfahrzeuge werden gut ausgelastet sein, wodurch sich die Transport‐ kosten auf viele Waren verteilen (geringere „Kosten pro Sendung“). 

Regionale Kunden‐ verteilung 

Ein  großer  Nachteil  einer  Zentrallagerung  von  Ersatzteilen  ergibt  sich  allerdings aus der geringen Lieferflexibilität: Liegen die Kunden räum‐ lich  weit  auseinander  (Deglomeration),  ist  eine  Zentrallagerung  von  Ersatzteilen  kaum  anzuraten,  weil  die  laufenden  Kosten  (vor  allem 

214

Strategien der Versorgung

C.3

Transportkosten),  auf  Grund  der  ausufernden  Entfernungen,  zu  hoch  ausfallen. Außerdem sind die Reaktionsintervalle zu lang, worunter der  Servicegrad leidet.  Umgekehrt  verhält  es  sich  bei  dezentraler  Lagerbewirtschaftung  von  Ersatzteilen. Der Koordinierungsaufwand sollte nicht unterschätzt wer‐ den,  denn  Regionallagerung  sorgt  für  Intransparenz  (erhöhter  Pla‐ nungs‐  und  Kontrollaufwand).  In  den  verschiedenen  Lagern  befinden  sich häufig keine Vollsortimente, sondern auf die Region zugeschnittene  Teilsortimente.  Dadurch  kann  sich  ein  Unternehmen  zwar  flexibel  auf  die Besonderheiten eines Absatzgebiets einstellen. Doch entstehen somit  auch  Zusatzkosten,  da  identische  Ersatzteile  in  unterschiedlichen  La‐ gern zu bevorraten sind (Opportunitätskosten). Folglich wird die Reak‐ tionsfähigkeit  bei  dezentraler  Lagerung  durch  eine  erhöhte  Kapitalbin‐ dung teuer erkauft. 

Kurze Wege bei  dezentraler Lager‐ bewirtschaftung 

Unabhängig  von  der  Grundsatzentscheidung  zwischen  zentraler  und  dezentraler  Lagerhaltung,  verlangt  das  Ersatzteilmanagement  einen  ausgesprochen anpassungsfähigen Einsatz von Technik und Personal.  Dazu sind vorzugsweise automatisierte Lagerhaltungs‐ und Kommissi‐ onierungssysteme  (Pick‐by‐Light,  Pick‐by‐Voice,  Pick‐by‐Vision)  sowie  parallelisierte Auftragsbearbeitungstechniken einzusetzen. 

Flexibler Einsatz  von Technik und  Personal 

C.3.7.4

Kooperationen

Seit dem Aufkommen von Lean Management (vgl. S. 109 dieser Schrift),  werden  bevorzugt  Unternehmensleistungen  mit  geringer  Wertschöp‐ fung ausgelagert. Diese Besonderheit trifft auch für das Ersatzteilwesen  zu,  da  kein  großer  Warenumschlag  vorliegt.  Der  Auftraggeber  erhofft  sich  von  einem  Outsourcing  seines  Ersatzteilbereichs  –  oder  von  Aus‐ zügen  daraus  –  Veränderungen  in  den  Kostenstrukturen:  Originäre  Fixkosten werden variabilisiert (Gemeinkostensenkung durch schlanke‐ re  Verwaltung).  Weiterhin  sind  die  mit  Prozessänderungen  verbunde‐ nen Auswirkungen auf die Transaktionskosten ebenso zu beachten, wie  die gesteigerte Abwicklungstransparenz. 

Outsourcing im  Ersatzteilwesen  möglich 

Instandhaltungsketten (Maintenance‐Supply‐Chains) sind häufig recht  komplexe  Gebilde.  Daher  stellt  das  Ersatzteilmanagement  hohe Anfor‐ derungen an einen 3PL. Die Bedarfe treten zumeist diskontinuierlich auf  (geringe  Forecast  Accuracy).  Außerdem  gestatten  diese  sporadischen  Abrufe zumeist nur die Fertigung und den Vertrieb kleiner Lose. Folg‐ lich  sind  bei  einer  Fremdvergabe  von  Tätigkeiten  im  Ersatzteilbereich 

Kooperationspoten‐ ziale des Ersatzteil‐ bereichs 

215

C

Strategien des Supply Chain Managements

zwischen  Auftraggeber  und  Auftragnehmer  klare  Regeln  und  Verant‐ wortlichkeiten  niederzuschreiben.  Diese  Maßnahmen  fördern  die  früh‐ zeitige  Entdeckung  potenzieller  Engpässe  (Medienbrüche,  Schnittstel‐ lenprobleme, Verzögerungen).  Der Preis der  Kooperation 

Doch jedes Ding hat bekanntlich seine zwei Seiten. Wenn sich ein Auf‐ traggeber  für  das  Outsourcing  seines  Ersatzteilwesens  entscheidet,  be‐ gibt  er  sich  in  ein  Abhängigkeitsverhältnis  einem  Dritten  gegenüber.  Neben der Aufgabe seiner Autonomie büßt der Auftraggeber seine Nä‐ he  zum  Kunden  ein:  Kundenreklamationen  könnten  beispielsweise  bei  dem 3PL versickern. 

C.3.8

Risikomanagement in der Supply Chain

„Das Restrisiko ist  das Risiko, das  einem den Rest  gibt.“                     (P. Chevalier) 

Allgemein stellt ein Supply‐Chain‐Risiko eine Verlust‐ oder Schadens‐ gefahr  dar.  Sie  entsteht,  wenn  eine  zukünftige  Entwicklung  negativer  verläuft,  als  ursprünglich  geplant.  Im  Extremfall  können  diese  Risiken  existenzbedrohend sein (vgl. Steiff 2009, S. 109). Viele aktuelle Entwick‐ lungen  belasten  die  Robustheit  von  Supply  Chains:  Zunehmende  Glo‐ balisierung,  verstärkter  Wettbewerb  unter  den  Supply  Chains,  Verlage‐ rungen  in  Billiglohnländer,  zunehmendes  Outsourcing,  Reduzierung  der  Lieferantenanzahl, Absenkung  der  Sicherheitsbestände, Abbau  von  Kapazitäten  und  Personal,  Zentralisierung  von  Produktions‐  und  Dis‐ tributionsstandorten  oder  gravierende  Verzerrungen  der  Nachfrage.  Diese  Faktoren  belasten  die  Stabilität  von  Lieferketten  nachhaltig.  Die  Supply Chain gerät zu einem regelrechten Vabanquespiel. Zur frühzei‐ tigen Identifikation dieser Bedrohungen bietet sich die Implementierung  eines  Risikomanagement‐Systems  innerhalb  der  Wertschöpfungskette  an (vgl. Huth/Romeike 2015; Siepermann et al. 2015; Wappler 2017). 

Endogene und  exogene Faktoren  bedrohen Supply  Chains 

Ebenso  belasten  externe  Störungen  und  Katastrophen  jedweder  Art  (Pandemien,  Erdbeben,  Tsunami,  Feuer,  Krieg,  Terrorismus)  den  rei‐ bungslosen Ablauf in Supply Chains. Die Akteure innerhalb der Liefer‐ ketten  sind  verwundbarer  („vulnerable“)  geworden.  Aktienkurse  wer‐ den  durchgerüttelt  und  Unternehmenswerte  vernichtet.  Es  überrascht  nicht,  dass  sich  gegenwärtig  viele  Supply‐Chain‐Partner  besser  gegen  Risiken absichern, um an Robustheit in ihren Prozessen zu gewinnen. 

Erdbeben und  Tsunami erschüt‐ tern 2011 Japan 

Wie  angreifbar  Supply  Chains  geworden  sind,  zeigten  die Auswirkun‐ gen  des  schlimmen  Erdbebens  2011  in  Japan,  verbunden  mit  einem  katastrophalen  Tsunami:  Diese  schwerste  jemals  in  Japan  registrierte 

216

Strategien der Versorgung

C.3

Erderschütterung legte nicht nur die Produktion der Autobauer Toyota,  Nissan  und  Honda  schlagartig  lahm  (der  finanzielle  Schaden  dieser  Eruption  wurde  allein  für  die  japanische  Automobilindustrie  auf  etwa  25  Milliarden  Euro  beziffert).  Auch  bei  Sony  oder  Canon  standen  die  Bänder unmittelbar nach Ausbruch der Katastrophe still.  Die  Auswirkungen  externer  Schocks  sind  branchenübergreifend  zu  spüren:  Als  2001  in  Großbritannien  die  Maul‐  und  Klauenseuche  aus‐ brach, führte diese Nutztierkrankheit, also ein Ereignis aus dem Bereich  der  Landwirtschaft,  zu  Stock‐outs  in  der Automobilindustrie:  Bei  Volvo  und  Ford  kam  es  zu  Produktionsunterbrechungen,  da  das  benötigte  Leder für die Innenausstattung der Fahrzeuge nicht mehr verfügbar war  (vgl. Kersten et al. 2008, S. 13). 

C.3.8.1

Branchenübergrei‐ fende Auswirkun‐ gen 

Supply-Chain-Risiken in ausgewählten Bereichen

Wenn  Beschaffungsrisiken  auftreten,  kann  die  Versorgungssicherheit  von Supply‐Chain‐Akteuren nachhaltig gestört sein. Dazu zählen politi‐ sche Unruhen, Transportunfälle, Ressourcenverknappung und Naturka‐ tastrophen.  In  Taiwan  zerstörte  beispielsweise  in  Jahre  2016  ein  Erdbe‐ ben  die  Energieversorgung  von  Semiconducter‐Fabriken,  die  aktuell  über  50%  der  weltweiten  Versorgung  mit  Memory‐Chips  und  anderen  Computerkomponenten abwickeln. Es entstanden gravierende Engpäs‐ se in den Materialströmen, wodurch Hardwareproduzenten (wie Apple,  Dell, IBM) schätzungsweise 5% ihres Jahresergebnisses einbüßten. 

Beschaffungsrisi‐ ken in der Supply  Chain 

Viele Beschaffungsrisiken sind hausgemacht, sie erwachsen quasi selbst  aus  aktuellen  Trends  rund  um  das  Supply  Chain  Management  (vgl.  Mujkanovic 2017, S. 21): In modernen Lieferketten wurden in den letzten  Jahren beachtliche Effizienz‐ und Reagibilitätssteigerungen verzeichnet.  Mit  Konzepten  wie  Just‐in‐Sequence,  Vendor  Managed  Inventory  oder  Global Sourcing wurde ein erfolgreiches Cost Cutting betrieben, was zu  niedrigen  Beständen  und  Produktionsverlagerungen  in  Niedriglohn‐ länder  führte.  Der  Preis  der  Prozessschlankheit  sind  drohende  Stock‐ outs,  wenn  es  zu  unerwarteten  Problemen  in  der  Beschaffungskette  kommt. Kostspielige Bandstillstände sind die Folge (vgl. C.3.8.3). 

Wenn Schlankheit  zur Magersucht  führt 

Zu  besonderen  Schwierigkeiten  in  den  Beschaffungsprozessen  führen  Qualitätsschwankungen  in  der  Anlieferung.  Gerade  in  Zeiten  der  In‐ ternationalisierung des Einkaufs (Global Sourcing), verbunden mit lan‐ gen  Transportwegen,  sind  qualitative  Defizite  zum  Teil  desaströs.  Um  eine volatile Anlieferqualität abzufedern, müssen die Hersteller tenden‐

Qualitätsdefizite  lassen Supply  Chains kollabieren 

217

C

Strategien des Supply Chain Managements

ziell  ihre  Sicherheitsbestände  erhöhen.  Eine  Maßnahme,  die  in  Zeiten  von Just‐in‐Time‐Abwicklungen verpönt scheint. Eine mögliche Lösung  könnte hier die Errichtung eines Konsignationslagers sein: Der Bestand  ist zwar physisch durch den Kunden bereits verfügbar (der Vorrat ist in  Kundenbesitz),  aber  die  Waren  befinden  sich  wirtschaftlich  noch  im  Eigentum des Lieferanten (sie werden in dessen Bilanz geführt).  Produktionsrisiken  durch Absatz‐ schwankungen 

Eine häufige Ursache von Produktionsrisiken stellen schlechte Absatz‐ prognosen (Forecast Accuracy) dar. Unerwartete Schwankungen in den  Verkaufszahlen  können  im  Extremfall  zu  Produktionsstillständen  füh‐ ren. Bricht die Nachfrage unerwartet weg, sind überhöhte Lagerbestän‐ de  die  Folge  (Cash‐Flow‐Verluste).  Steigt  die  Nachfrage  unvorhergese‐ hen,  werden  kostspielige  Trouble‐Shooting‐Aktivitäten  (Sonderfahrten,  Zusatzschichten)  notwendig.  Der  Hersteller  möchte  schließlich  den  ungeplanten  Absatz  befriedigen  und  ein  Abwandern  von  Kunden  in  Richtung Konkurrenz verhindern.   

Temporäre Koope‐ rationen erschwe‐ ren die Planung 

Besonders  schwierig  ist  die  Planung  der  Produktionskapazitäten  in  unternehmensübergreifenden  Supply  Chains,  wenn  rechtlich  selbstän‐ dige  Akteure  teilweise  nur  temporär  miteinander  kooperieren.  Beson‐ ders  lose  sind  derartige  Verbindungen  in  Virtuellen  Unternehmen.  Kommt  es  bei  einer  solchen  Zusammenarbeit  zur  Verknappung  von  Ressourcen oder zu Lieferengpässen, kehrt sich eine beabsichtigte Win‐ Win‐Situation  schnell  ins  Gegenteil  um:  Dann  ist  sich  jeder  selbst  der  nächste. 

Warehouse‐Risiken  minimieren 

Zu  den  Produktionsrisiken  können  unterschiedliche  Lagerrisiken  ge‐ rechnet werden (Warehouse‐Risk). Diese Lagerrisiken entstehen möglich‐ erweise  durch  Diebstahl,  Brand  oder  Sachbeschädigung.  Außerdem  führen  Unterbestände  zur  Nichteinhaltung  von  Lieferverpflichtungen.  Verzögerungen im Liefervorgang sind die Folge, häufig verbunden mit  Schadenersatzansprüchen. 

Nachfragerisiken in  der Wertschöp‐ fungskette 

Drohende  Rezessionen,  politische  Unsicherheiten  oder  unsichere  wirt‐ schaftliche  Erwartungen  stellen  bedeutsame  Auslöser  für  Nachfrageri‐ siken  in  einer  Supply  Chain  dar.  Aber  auch  Imageschäden  führen  zu  Nachfrageschwankungen:  Produktmängel  und  Rückrufaktionen  belas‐ ten die Reputation eines Unternehmens substantiell. 

Stock‐outs durch  Transportunterbre‐ chungen 

Eine weitere Ausprägungsform des Nahfragerisikos ist das Transportri‐ siko.  So  führen  Unterbrechungen  im  Distributionsvorgang  (zum  Bei‐ spiel  unverhältnismäßig  lange  Wartezeiten),  im  schlimmsten  Fall,  zur  Unterbrechung der kompletten Lieferkette. Auch erschwert die Zunah‐ me  an  gesetzlichen  Regulierungen  (Kontrollen,  Standzeiten)  die  physi‐ 218

Strategien der Versorgung

C.3

sche  Warenverteilung.  Speditionen  werden  versuchen,  als  sicher  einge‐ stufte Transportrouten auszuwählen. Doch besitzen diese Wege teilwei‐ se nur ein begrenztes Mengenvolumen: Die Aufnahmekapazitäten etwa‐ iger Transportrouten sind nicht beliebig steigerungsfähig. 

C.3.8.2

Risikomanagementprozess in der Supply Chain

C.3.8.2.1 Risikoidentifikation Im Rahmen der Risikoidentifikation sollen alle Gefahrenquellen, Stör‐ potenziale  und  Schadensursachen  erfasst  werden,  die  sich  negativ  auf  Supply‐Chain‐Ziele  auswirken.  Zur  Identifizierung  etwaiger  Supply‐ Chain‐Risiken  werden  kreativ‐intuitive  Verfahren  und  analytisch‐ strukturierte  Hilfsmittel  eingesetzt.  Die  Kreativ‐intuitiven  Verfahren  sind nicht streng an eine bestimmte Ordnung gebunden. Zu ihnen zäh‐ len Brainstorming, Interviews und die Delphi‐Methode. 

Risiken schnellst‐ möglich erfassen 

 Supply‐Chain‐Brainstorming: Es wird ein gruppenorientierter Ideen‐

„I got so much  funky shit inside  my brain. I  couldn’t ex‐ plain…“         (Jungle Brothers) 

findungsprozess eingeleitet. Die Gruppe besteht aus fünf bis acht Per‐ sonen und wird von einem Mentor geleitet. Im ersten Schritt werden  mögliche  Störungen  auf  die  Supply  Chain  wertungsfrei  gesammelt  (Kritikverbot) und visualisiert. Dabei kommt es nicht auf die Qualität  der  Beiträge  an.  Im  zweiten  Schritt  erfolgen  die  Strukturierung  und  die  Bewertung  der  Supply‐Chain‐Risiken.  Für  die  Erfassung  mögli‐ cher neuer Risiken eignet sich Brainstorming gut. Allerdings stößt der  Ansatz bei komplexen Abläufen rasch an seine Grenzen. 

 Supply‐Chain‐Interviews:  Beteiligte  werden  über  ihre  Einschätzung  zu Supply‐Chain‐Risiken im offenen Rahmen befragt. Die Ergebnisse  hängen stark von der Erfahrung und der Fachkompetenz der befrag‐ ten  Personen  ab.  Innerhalb  der  Interviews können  Untersuchungsge‐ genstände  facettenreich  (aus  unterschiedlichen  Blickwinkeln  heraus)  durchleuchtet werden. 

 Supply‐Chain‐Delphi‐Methode:  Es  wird  eine  anonyme,  schriftliche  Expertenbefragung  (auf  Basis  eines  Fragebogens)  initiiert.  Ein  Mode‐ rator  versendet  die  Fragebögen  zu  bestimmten  Supply‐Chain‐ Problemstellungen  und  trägt  die  schriftlich  geäußerten  Kommentare  und  Einschätzungen  zusammen.  Anschließend  wird  eine  zweite  Be‐ fragungsrunde  eingeleitet,  die  der  Konsensfindung  dient.  Unter  Be‐ rücksichtigung der gesammelten Ergebnisse wird der Fragebogen er‐

219

Befragungen in der  Supply Chain  initiieren 

„Der Herr, der das  Orakel von Delphi  besitzt, sagt nichts  und birgt nichts,  sondern er deutet  nur an.“            (Heraklit) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

neut den Experten zugestellt, die bei Bedarf ihre zunächst geäußerten  Meinungen anpassen können.  Strukturierte  Risiko‐Erfassung 

Die  Analytisch‐strukturierten  Verfahren hingegen  legen  rationale  und  in sich geschlossene Denkprozesse zur systematischen und zielgerichte‐ ten Risikoidentifikation zu Grunde. Zu diesen Verfahren zählt die Risi‐ ko‐Checkliste. 

„Noch 148 Mails  checken. Wer weiß,  was mir dann noch  passiert…“           (T. Bendzko) 

 Supply‐Chain‐Risiko‐Checkliste:  Ein  Analytiker  nutzt  vorhandene 

Risiko‐Bewusstsein  schärfen 

Für eine effektive Risikoidentifikation sind innerhalb der Supply Chain  organisatorische Voraussetzungen zu schaffen. Im Kern geht es darum,  bei  den  Mitarbeitern  ein  echtes  Risikobewusstsein  zu  wecken.  Auch  wenn  das  Risikomanagement  im  betrieblichen  Umfeld  wohl  schwer‐ punktmäßig speziellen Abteilungen anvertraut wird, sollten letztendlich  alle  Unternehmensbereiche  in  das  System  eingebunden  sein.  Dadurch  wird bei den Mitarbeitern die Akzeptanz für das Risikomanagementsys‐ tem geweckt und gefördert. 

Dokumentationen  mit  Eintragungen  zu  möglichen  Supply‐Chain‐ Risiken. Diese Informationen trägt er zusammen und entwickelt dar‐ aus  eine  eigene  Checkliste.  Es  hängt  sehr  von  der  Auswahl  der  Do‐ kumente  ab,  ob  drohende  Gefahren  möglichst  umfassend  auf  der  Checkliste berücksichtigt sind. 

C.3.8.2.2 Risikoanalyse „High risk insur‐ ance, the time is  right…“              (the Ramones) 

Nachdem die Risiken erfasst wurden, beginnt ihre „Inventur“: Erkenn‐ bare  Risiken  müssen  zunächst  erfasst  werden.  Ein  Unternehmen  wird  einerseits  interne  Bereiche  einer  möglichen  Verletzbarkeit  definieren.  Andererseits  werden  potenzielle  externe  Risikobereiche  aufgelistet,  die  aus der Interaktion mit weiteren Supply‐Chain‐Akteuren entstehen, was  vergleichsweise schwer fällt (Umfeldanalyse). 

Kausalzusammen‐ hänge dokumentie‐ ren 

Die  Supply‐Chain‐Risiken  werden  anschließend  kategorisiert,  um  eine  zielgerichtete  Steuerung  der  Gesamtsituation  zu  ermöglichen.  Ein  Ar‐ beitsschritt,  der  auch  als  Risiko‐Mapping  bezeichnet  wird.  Außerdem  sind  zur  Operationalisierung  dieser  Risikobereiche  geeignete  Kennzah‐ len  zu  benennen  und  zu  definieren.  Für  besonders  schwer  wiegende  Risiken  kann  sich  deren  Zerlegung  in  mehrere  Sub‐Risiken  anbieten.  Dadurch  fällt  es  leichter,  die  jeweiligen  Risikotreiber  zu  identifizieren  und diese in Kausalzusammenhänge (Ursache‐Wirkungs‐Verkettungen)  zu überführen. 

220

Strategien der Versorgung

Eine  umfassende  Risikoanalyse  endet  schließlich  mit  einem  systemati‐ schen  Durchleuchten  der  internen  Geschäftsprozesse,  um  drohende  Gefahren  schnellstmöglich  zu  erfassen.  Dadurch  wird  eine  frühzeitige  Identifikation  und  Beurteilung  strategischer  und  operativer  Risiken  möglich. 

C.3 Interne Pro‐ zessanalyse ge‐ währleisten 

C.3.8.2.3 Risikobewertung Im  Rahmen  der  Risikobewertung  (Risk  Assessment)  werden  die  ein‐ zelnen  Risikobereiche  selektiert  und  mit  einer  Eintrittswahrscheinlich‐ keit versehen. Zur Risikoselektion empfiehlt sich eine Differenzierung in  „normale“  und  „abnormale“  Risiken.  Zu  den  „Normalrisiken“  einer  Organisation  zählen  Lieferverzögerungen,  Materialpreissteigerungen,  Wechselkursprobleme,  Überkapazitäten  oder  Absatzprognoseschwie‐ rigkeiten. Ein „Abnormales‐Risiko“ ist beispielsweise eine Rückrufakti‐ on  oder  eine  unerwartete  Gesetzesänderung.  Die  normalen  Supply‐ Chain‐Risiken  werden  vorzugsweise  über  dezentralisiert  agierende  Ex‐ perten  (Logistik,  Einkauf,  Vertrieb,  Technik)  aufgelistet.  Schwerer  fällt  das Aufspüren  abnormaler  Risiken.  Diese  sollten  zentral  (in  einer  Risi‐ komanagement‐Abteilung)  zusammengetragen  werden,  weil  hier  die  Expertise aus den Funktionsbereichen nur bedingt weiter hilft. 

Inventur der Risi‐ ken vornehmen 

Anschließend wird die Eintrittswahrscheinlichkeit (Likelihood) von Supp‐ ly‐Chain‐Risiken  bestimmt  und  mit  ihrer  Intensität  auf  die  erwartete  Schadenswirkung  (Impact)  quantifiziert.  Die  Fehler‐Möglichkeits‐  und  Einfluss‐Analyse  (FMEA)  stellt  ein  Hilfsmittel  dar,  das  für  diesen  Be‐ wertungsvorgang  gut  geeignet  ist.  Dabei  wird  eine  Risikoprioritätszahl  ermittelt,  die  sich  aus  der  Wahrscheinlichkeit  für  das  Auftreten  eines  Risikos,  der  Wahrscheinlichkeit,  dieses  Risiko  entdecken  zu  können  sowie  der  Wahrscheinlichkeit,  wie  bedeutsam  der  Fehler  für  den  Kun‐ den ist, berechnet (vgl. zur FMEA S. 356 dieser Schrift). 

Bedeutung der  FMEA 

Zur  Visualisierung  der  Schadensauswirkungen  bietet  sich  ein  Risiko‐ Mapping  an.  In  einer  so  genannten  „Heat  Map“  können  die  Risiken  übersichtlich  in  einem  Portfolio  abgebildet  werden  (vgl.  Abbildung  C.18).  Durch  die  Verwendung  von  Farben  oder  Markierungen  sind  die  Informationen  durch  den  Betrachter  besonders  rasch  zu  erfassen.  Kriti‐ sche Supply‐Chain‐Aktivitäten zeichnen sich einerseits durch eine hohe  Eintrittswahrscheinlichkeit  für  eine  Disruption  von  Supply‐Chain‐ Prozessen  aus.  Andererseits  wird  die  befürchtete  Schadensauswirkung  als schwerwiegend (signifikant) eingestuft. 

“It was the heat of  the night I think, or  it could’ve been the  effect of a drink…”  (Soft Cell) 

  221

C

Strategien des Supply Chain Managements

In der beispielhaft dargestellten Heat Map finden sich fünf eingetragene  Supply‐Chain‐Risiken.  Die  Bewertung  auf  beiden  Achsen  reicht  von  eins  („sehr  gering“)  bis  fünf  („sehr  hoch“).  Für  die  Ereignisse  eins  und  fünf  sind  die  Eintrittswahrscheinlichkeit  und  die  potenzielle  Schadens‐ auswirkung  im  Portfolio  jeweils  ungefähr  mittelmäßig  ausgeprägt.  Das  Risikoereignis zwei tritt sehr wahrscheinlich ein, doch es nimmt voraus‐ sichtlich nur geringfügig Einfluss auf das operative Ergebnis (in diesem  Falle  den  EBIT).  Die  Risikoereignisse  drei  und  vier  sind  hingegen  sehr  bedeutsam von ihrer zu befürchtenden Schadensauswirkung. Insbeson‐ dere  das  Ereignis  drei  ist  sehr  kritisch,  denn  seine  Eintrittswahrschein‐ lichkeit  ist  hoch.  Die  verantwortlichen  Personen  eines  Unternehmens  sollten zunächst die Supply‐Chain‐Risk‐Aktivitäten auf das Ereignis drei  bündeln,  ohne  dabei  freilich  die  restlichen  Risiken  innerhalb  der  Wert‐ schöpfungskette aus den Augen zu verlieren. 

Abbildung C.18 

Heat‐Map einer Supply Chain 

Eintrittswahrschein‐ lichkeit 

Zum Umgang mit  der Heat‐Map 

 

 

5  4  3  2  1 

 

         

         





        1    2 



         



          4 







Schadensauswirkung (EBIT) 

 

C.3.8.2.4 Risikomilderung Milderung von  Supply‐Chain‐ Risiken 

Nachdem die Risiken bewertet wurden, sind Maßnahmen zu ihrer Mil‐ derung festzulegen (Risk Mitigation). Betroffene Organisationen sollten  ausloten,  inwieweit  es  zur  Eliminierung,  Reduzierung,  Limitierung,  Transferierung oder Akzeptierung von Supply‐Chain‐Risiken kommt. Es  sind unterschiedliche Milderungs‐Strategien für Supply Chains denkbar.  Beispiele  dafür  finden  sich  in Abbildung  C.19  (vgl.  Sodhi/Tang  2012,  S.  98).   

222

Strategien der Versorgung

C.3 Abbildung C.19 

Supply‐Chain‐Mitigation 

Mitigations‐ Strategie 

Beschreibung 

Aktivität 

Vermeidung 

Eliminierung von Gründen  zur Risiko‐Entstehung 

Follower anstatt Pionier, Local  und Domestic Sourcing 

Verzögerung 

Reduzierung der primären  Entstehungsursache 

Postponement von Logistik‐ prozessen 

Absicherung 

Begrenzung der Risiko‐ Hauptursachen 

Hedging von Wechselkursge‐ schäften 

Diversifikation 

Reduzierung der Abhängig‐ keit 

Double Sourcing, Triple  Sourcing 

Überwälzung 

Verteilung der Risiken auf  mehrere Schultern 

Multiple User Warehouse,  Strategische Allianzen 

Akzeptanz 

Risiken hinsichtlich ihrer  Entstehung billigen 

Nachfrageschwankungen auf  den Absatzmärkten 

 

Die  Mitigation  von  Supply‐Chain‐Risiken  wird  reaktiv,  präventiv  oder  proaktiv vorgenommen. Eine reaktive Abmilderung von Supply‐Chain‐ Gefahren erfolgt erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefal‐ len ist. Es geht lediglich um eine Schadensbegrenzung. Schon Hippokra‐ tes  wusste:  „Vorbeugen  ist  besser  als  heilen“.  Entsprechend  werden  bei  einer präventiven Mitigation vorbeugende Maßnahmen getroffen, wel‐ che  die  Auswirkungen  möglicher  Gefahren  begrenzen.  Eine  proaktive  Mitigation bedeutet die Abmilderung von Supply‐Chain‐Risiken durch  die  Implementierung  eines  umfassenden  und  kontinuierlichen  Risiko‐ Managementprozesses.  Eine  Grundvoraussetzung,  um  die  Produktver‐ antwortung über eine gesamte Wertschöpfungskette zu übernehmen. 

Arten der Mitiga‐ tion 

C.3.8.2.5 Risikokontrolle Im  letzten  Schritt  erfolgt  eine  kontinuierliche  Kontrolle  (Risk  Control)  des  kompletten  Supply‐Chain‐Prozesses.  Das  Ziel  besteht  darin,  die  Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen überprüfen zu können und bei  unliebsamen Überraschungen einzuschreiten. Es geht um das Analysie‐ ren und das Lernen aus Ereignissen, um daraus Handlungsbedarfe und  zukünftige  Trends  abzuleiten.  Veränderungen  werden  in  einer  Supply 

223

Fortwährende  Kontrollprozesse  einleiten 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Chain kontinuierlich erfasst, was zur Antizipation interner oder externer  Risikopotenziale führt.  Supply‐Chain‐ Tachometer entwer‐ fen 

Für  die  Dokumentation  der  Risiken  und  das  Aufzeigen  von  Soll‐Ist‐ Abweichungen  sind  geeignete  Formate  festzulegen.  Dafür  sind  Dash‐ Board‐Systeme  besonders  geeignet  (moderne  „Armaturenbretter“).  Sie  gewährleisten die Aufbereitung unterschiedlicher Supply‐Chain‐Risiken  in Grafiken, um etwaige Gefahrenbereiche zu visualisieren.  

Kontinuierlicher  Regelkreis (Closed  Loops) 

Die  einzelnen  Phasen  des  gesamten  Supply‐Chain‐Risikoprozesses  fol‐ gen einem Regelkreis. Darin werden Chancen und Gefahren erfasst und  eingeleitete  Maßnahmen  ständig  hinsichtlich  ihrer  Erfolgswirksamkeit  überprüft.  Je  nach  der  Dynamik  und  der  Komplexität  des  Umfelds,  erfolgt die Neufeststellung dieser Chancen und Risiken in zuvor festge‐ legten zeitlichen Intervallen. 

Predictive Analy‐ tics im Risikocon‐ trolling 

Die organisatorische Abwicklung dieser Aktivitäten wird vorzugswei‐ se  einem  zentralen  Risikocontrolling  übertragen.  Dennoch  müssen  alle  Ebenen  des  Unternehmens  schlussendlich  in  diesen  Prozess  eingebun‐ den sein. Allein schon, um die Akzeptanz der Maßnahmen zu gewähr‐ leisten  und  das  notwendige  „Risikobewusstsein“  bei  den  Mitarbeitern  zu  wecken.  Die  Verantwortlichen  des  Risikocontrollings  übernehmen  die Sammlung, die Konsolidierung und die zielgerichtete Aufbereitung  (Reporting)  der  Ergebnisse.  Außerdem  legen  sie  geeignete  Key  Perfor‐ mance  Indicator  (hier  verstanden  als  „Frühwarnindikatoren“)  für  die  Berichterstattung fest. 

Strategische und  operative Risiken 

Im  Sinne  einer  gewissen  Hierarchisierung  und  Priorisierung  gilt  der  erste  Blick  auf  der  „Risikolandkarte“  dem  großen  Ganzen  (vgl.  Hot‐ wagner 2008, S. 38). Darin sind die primären Einflussbereiche von Chan‐ cen und Risiken einer Supply Chain erfasst. Dennoch dürfen die Details  dieses Risikomanagement‐Systems nicht unterschätzt werden. Denn die  Ursachen  vieler  Risiken  liegen  in  untergeordneten  Prozessen.  Deren  Auswirkungen  können  jedoch  eine  gewisse  Eigendynamik  entwickeln,  die sich langfristig dominant auf das Gesamtsystem niederschlägt: Über  Ursache‐Wirkungs‐Ketten  (Kausalbetrachtung)  ergeben  sich  Interde‐ pendenzen zwischen einzelnen Risikobereichen. 

C.3.8.3 Corona führt zum  globalen Stillstand 

Supply Chains in Krisenzeiten: Beispiel Corona

Der  Ursprung  des  Corona‐Virus  liegt  in  China.  Ende  2019  trat  es  in  der  Großstadt  Wuhan  auf.  Die  ersten  Corona‐Viren  wurden  schon  in  den  60er  Jahren  des  letzten  Jahrhunderts  entdeckt.  Aber  bei  reinen  Mensch‐zu‐

224

Strategien der Versorgung

C.3

Mensch‐Übertragungen  oder  Tier‐zu‐Tier‐Übertragungen  war  das  Virus  nicht  besorgniserregend.  Der  neuartige  und  gefährliche  Virus  „Covid‐19“  hat seinen Ursprung jedoch in einer Tier‐zu‐Mensch‐Übertragung.  In China wurden im Januar 2020 die ersten Todesfälle gemeldet, die im Zu‐ sammenhang  mit  Corona  standen.  Dann  breitete  sich  das  Virus  rasch  über  den kompletten Globus aus. Die Folge war eine weltweite Pandemie. In den  USA,  Brasilien,  Indien,  Russland  oder  Südafrika,  überall  schlug  Corona  erbarmungslos zu, auch in Deutschland. Somit wurden weitreichende Maß‐ nahmen  eingeleitet,  um  die  Infektionsketten  zu  unterbrechen  und  die  Ver‐ breitung  von  Corona  einzudämmen:  Das  Tragen  von  Mund‐Nasen‐Schutz,  die  Schließung  öffentlicher  Einrichtungen,  das  Verbot  von  Zusammenkünf‐ ten  größerer  Gruppen,  die  Verhängung  von  Einreisebeschränkungen  oder  das  Aussprechen  von  Ausgangs‐  und  Kontaktsperren.  Weltweit  wurden  Millionen  Menschen  in  Quarantäne  geschickt.  Um  die  dramatischen  wirt‐ schaftlichen  Einbrüche  von  Corona  bestmöglich  abfedern  zu  können,  be‐ schlossen  nationale  wie  internationale  Regierungen  milliardenschwere  Hilfsmaßnahmen und Konjunkturpakete. 

„Am Ende wird  alles gut werden –  und wenn es noch  nicht gut ist, dann  ist es noch nicht zu  Ende.“                  (O. Wilde) 

C.3.8.3.1 Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette Supply Chains sind Gebilde, in denen die Abläufe exakt geplant und minu‐ tiös  aufeinander  abgestimmt  sind.  Seit  vielen  Jahren  sind  Programme  etab‐ liert,  welche  Wertschöpfungsprozesse  umkrempeln  und  optimieren.  Die  Aktivitäten  im  Netzwerk  sind  hocheffizient,  die  Supply  Chain  agiert  mit  minimalen  Beständen.  Waren  werden  zudem  global  beschafft,  um  günstige  Einkaufspreise  auszuschöpfen.  Trotz  aller  Schlankheit  und  Globalisierung,  steht  dennoch  die  absolute  Kundenzufriedenheit  im  Mittelpunkt.  Leider  verhalten sich diese genannten Ziele nicht harmonisch zueinander. 

Supply Chain  Akteure als radikale  Nutzenoptimierer 

Mit  Corona  wurde  alles  anders. An  den  Grenzen  stauten  sich  die  LKW  ki‐ lometerlang,  Fahrer  schickte  man  in  Zwangsquarantäne.  Die  Produktion  kam zum Stillstand. Paletten blieben auf den Fahrzeugen liegen, Frachtflüge  und Schiffstransporte wurden komplett abgesagt. Die Liefertermine konnten  nicht  mehr  valide  geplant  werden.  Kurzum,  das  logistische  Kartenhaus  brach  in  sich  zusammen.  Chaos  allerorten  im  Wertschöpfungsverbund.  Die  Katastrophe hatte einen Namen: Covod‐19 (vgl. Kirschey 2020, S. 13). 

„Walls come tumb‐ ling down…“         (the Style Council) 

Corona  legte  die  Schwachstellen  einer  auf  absolute  Effizienz  getrimmten  Logistikkette  schonungslos  offen.  Kaum  eine  Branche  blieb  verschont.  Der  Einzelhandel  musste  beispielsweise  feststellen,  dass  Kunden  Hamsterkäufe  tätigten.  In  den  Regalen  entstanden  Warenlücken,  die  nicht  unmittelbar  aufgefüllt  werden  konnten.  Für  den  deutschen  Handel  und  seine  Kunden  eine völlig ungewohnte Situation. Die Politik reagierte auf Corona. Ein Lie‐ ferkettengesetz  soll  Unternehmen  dazu  verpflichten,  ihre  Supply  Chain 

Ein winzig kleines  Virus mit einer  gewaltigen Spreng‐ kraft 

225

C

Strategien des Supply Chain Managements

robuster  aufzustellen  und  das  Risikomanagement  gegenüber  externen  Schocks verbindlich auszuweiten.   Wenn Schlankheit  zur Magersucht  wird 

Durch  das  Aufkommen  von  Corona  erscheinen  die  Beschaffungskonzepte  Just‐in‐Time und Just‐in‐Sequence in einem völlig neuen Licht. Das drasti‐ sche Herunterfahren der Lagebestände und die minutengenaue Taktung der  Arbeitsabläufe  zwischen  Hersteller  und  Lieferant  mutieren  in  Krisenzeiten  zu einem fragilen Konstrukt. Die Hersteller mussten unmittelbar auf Corona  reagieren.  Sie  fuhren  ihre  Pufferbestände  hoch  und  sahen  absolute  Kosten‐ reduktion  auf  einmal  kritisch.  Auch  erkannten  sie  die  Gefahr  unsicherer  Planungen.  In  der  kompletten  Lieferkette  setzte  ein  fundamental  anderes  Denken ein: „Robustheit schlägt Schlankheit“. 

„Es ist der Globali‐ sierung egal, ob die  Leute sie mögen,  oder nicht.“          (H. Simon) 

Durch das Aufkommen von Covid‐19 sind die Sourcing Strategien zusam‐ mengebrochen.  Es  war  der  Albtraum  eines  jeden  Logistikers:  Lieferanten  stellten  von  heute  auf  morgen  ihre  Fertigung  ein,  zusätzlich  fehlten  Trans‐ portmittel.  Die  Grenzen  wurden  geschlossen  und  Einfahrverbote  verhängt.  Ansätze  wie  Single  Sourcing und  Global  Sourcing  verkamen  durch  Corona  zur Farce. Notgedrungen begaben sich die OEM auf die Suche nach neuen,  lokalen Lieferanten. Double Sourcing ersetzte Single Sourcing, Unternehmen  verschafften sich ein sicheres zweites Standbein für Kaufteile und Rohstoffe.  Aus Global Sourcing wurde Local Sourcing: Beschaffungen im Inland kosten  zwar  oftmals  mehr  Geld.  Dafür  sind  die  Abläufe  schnell  und  die  kurzen  Beschaffungswege  sicher.  Die  OEM  bildeten  Task‐Force‐Gruppen.  Diese  setzten  sich  an  die  Erarbeitung  alternativer  Lieferantenprogramme.  Sie  for‐ mulierten Szenarien. Die sollten ihnen dabei helfen, zukünftig die Risiken in  der Supply Chain besser abschätzen zu können. 

Selbstbestimmtes  Lieferkettenma‐ nagement als  ehernes Ziel 

Viele  Unternehmen  überdenken  seit  Corona  ihre  Make‐or‐Buy‐Strategien.  Wo gestern noch Outsourcing oder Offshoring in Niedriglohnländer an der  Tagesordnung  waren,  gehen  die  ersten  OEM  zum  Backsourcing  über.  Die  Eigenfertigung vor Ort erscheint sicherer als der Transport fremdgefertigter  Güter. Warentransporte über tausende von Kilometern, verbunden mit einer  manchmal  abenteuerlichen  Kommunikation,  werden  jetzt  kritisch  gesehen.  McKinsey  erwartet,  dass  vor  allem  Automobilhersteller  ihre  Lieferketten  neu bewerten (vgl. Gelowicz 2020, o. S.). Als Reaktion auf Corona, bauen sich  OEM vermehrt lokale Strukturen auf. Sie verzichten auf komplexe Lieferket‐ ten,  die  über  sieben  Stufen  reichen  und  Seefrachten,  die  von  China  nach  Europa einen Monat unterwegs sind. 

Lieferantenbewer‐ tung mit neuer  Gewichtung 

Das  Screening  der  Lieferanten  muss  sich  neu  ausrichten.  Als  Folge  von  Corona,  justieren  OEM  ihr  Supplier  Rating  System  schärfer.  Die  Möglich‐ keit  zur  sicheren  Interaktion  und  stabilen  Kommunikation  mit  Lieferanten  wird  als  unabdingbar  eingeschätzt.  Bei  einem  inländischen  Transport  kann  beispielsweise  keine  Grenze  zwischen  Lieferant  und  Hersteller  geschlossen 

226

Strategien der Versorgung

C.3

werden.  Der  robuste  Lieferweg  und  das  schnelle  Reaktionsverhalten  im  Krisenfall  sind  wichtig,  damit  die  Produktion  nicht  zusammenbricht.  Diese  Ziele erscheinen seit Corona wichtiger, als das Feilschen um den letzten Cent  in der Preisverhandlung. 

C.3.8.3.2 Resilienz statt Effizienz in der Supply Chain Die Supply Chain richtet sich durch das Covid‐19‐Virus neu aus. Enge Tak‐ tungen in den Lieferketten funktionieren nur so lange, wie alle Rädchen an  den  Schnittstellen  verlässlich  ineinander  greifen.  Corona  hat  die  Supply  Chain aber vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Zeit wird zeigen, ob der Wan‐ del von Effizienz zu Resilienz (verstanden als Widerstandskraft; die Fähig‐ keit,  eine  schwierige  Situation  gut  meistern  zu  können)  nur  ein  vorüberge‐ hendes  Phänomen  im  Wertschöpfungsverbund  ist.  Die  Akteure  werden  überprüfen, ob sie ein Zurück in den Zustand vor der Krise überhaupt wol‐ len.  Unbedingte  Wirtschaftlichkeit  und  Robustheit  sind  zwei  logistische  Ziele, die nur schwerlich harmonieren. Es scheint aber so, dass die absolute  Schlankheit  in  der  Logistik  seit  Corona  zumindest  vorübergehend  ausge‐ dient hat. 

Widerstandsfähig‐ keit statt Cost  Cutting im Netz‐ werk 

Ein  gut  funktionierendes  Risikomanagement  ist  wichtiger  denn  je.  Die  Unternehmen haben aus der Corona‐Krise gelernt, dass ein Puffer an strate‐ gisch  bedeutsamen  sowie  sich  rasch  verknappenden  Ressourcen  unabding‐ bar  ist.  Sie  wissen,  dass  diese  Sicherheitsbestände  Cash  Flow  rauben  und  Kapital  binden.  Dennoch  gehen  einige  OEM  offenkundig  lieber  auf  die  si‐ chere  Seite.  Um  die  Einbußen  an  Working  Capital  überschaubar  zu  halten,  erfolgt  allerdings  ein  dauerhaftes  Screening  derjenigen  Sachnummern,  de‐ ren Pufferbestände (Buffer Stocks) bewusst erhöht wurden. 

Zur Neuausrich‐ tung des Supply  Chain Risk Mana‐ gements 

Die  Erstellung  oder  Überarbeitung  bestehender  Business Continuity  Plans  ist  eine  Reaktion  des  betrieblichen  Umfelds  auf  das  Corona‐Virus  (vgl.  Kirschey 2020, S. 17). Selbst wenn die Akteure Pläne für die Fortsetzung ihres  Geschäfts in Krisenzeiten hatten, gingen sie niemals von der Langfristigkeit  einer  solchen  Pandemie  aus.  In  den  Notfallplänen  zur  Aufrechterhaltung  ihrer Betriebsabläufe müssen die OEM Strategien festhalten, wie sie im Aus‐ nahmefall  flexibel  reagieren  können.  Ursachen  von  Störungen  müssen  schnellstmöglich  erkannt  und  Abstellmaßnahmen  automatisch  eingeleitet  werden. In einem Business Continuity Plan steht zum Beispiel, welche 

Notfallpläne zur  Aufrechterhaltung  der Betriebsbereit‐ schaft 

 Kunden im Notfall priorisiert beliefert werden,   Back‐up‐Lieferanten kurzfristig verfügbar sind,   Transportrouten alternativ zur Verfügung stehen und    Kommunikationsmaßnahmen im Störfall direkt einzuleiten sind.  227

C

Strategien des Supply Chain Managements

Intermodale Ver‐ kehrssteuerung 

Die  Supply  Chain  wird  durch  Covid‐19  intermodaler.  Dies  bedeutet  die  Kombination  verschiedener  Verkehrsträger  zur  Beförderung  großer  Waren‐ mengen.  Dabei  werden  zum  Teil  weite  Strecken  zurückgelegt,  um  durch  raschen Warenumschlag die Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern.  Die Automatisierung  der Abläufe  im  intermodalen  Verkehr  begünstigt  die  Vermeidung  von  Personenkontakten.  Voraussetzung  ist  das  eingespielte  Ineinandergreifen  verschiedener  Verkehrsträger  in  modernen  Hubs.  Zum  Beispiel  als  trimodaler  Huckepack‐Transport,  aus  der  Kombination  der  Transportmittel LKW, Bahn und Schiff. 

Aus Fehlern wird  man schlau: Mut  zum Backsourcing 

Lagererweiterungen  sind  eine  zusätzliche  Antwort  auf  die  Corona‐Krise.  Supply  Chain Abläufe  gewinnen  durch  Bestandserhöhungen  an  Sicherheit.  Kritisches Material wird über einen Zweitlieferanten abgesichert. Reshoring  ersetzt Offshoring: Ursprünglich ins Ausland verlagerte Aktivitäten werden  ins Inland  zurückgeholt.  Dadurch  reduziert  sich  die  Wahrscheinlichkeit für  Lieferunterbrechungen.  Es  wird  vermutet,  dass  die  Hälfte  der  von  Störun‐ gen  während  der  Corona‐Krise  heimgesuchten  Akteure  in  den  nächsten  Jahren  bewusste  Rückverlagerungen  ihrer  Produktion  ins  Inland  einleiten  (vgl. Kirschey 2020, S. 19). 

Die Pandemie  schweißt zusam‐ men: Supply Chain  Partnerschaft 

Etliche  Unternehmen  sehen  die  Corona‐Krise  auch  als  Chance,  um  Liefer‐ stillstände  in  der  Wertschöpfungskette  zu  beheben.  Die  von  der  Pandemie  betroffenen  OEM  streben  eine  engere  Kooperation  mit  ihren  Logistikpart‐ nern an. Tracking Systeme spielen dabei eine besondere Rolle. Sie erlauben  eine  Sendungsverfolgung  in  Echtzeit  mit  Hilfe  intelligenter  Identifikations‐ techniken. RFID und mehrdimensionale Barcode Techniken leisten hier gute  Dienste.  Der  Materialfluss  gestaltet  sich  mit  ihnen  transparenter.  Unterbre‐ chungen  in  den  Transportvorgängen  werden  über  Alert‐Systeme  festge‐ stellt, die bei Störungen sofort „Alarm“ schlagen. Hersteller und betroffene  Logistikdienstleister sind gleichermaßen gewarnt. 

„Zu niemandem ist  man ehrlicher, als  zum Suchfeld von  Google.“                (C. Kurz) 

Die  Supply  Chain  ist  in  den  letzten  Jahren  digitaler  geworden.  Mit  dem  Aufkommen von Covid‐19 erhielt die Digitalisierung der Wertschöpfungs‐ kette noch einmal einen Schub. Moderne Technogien, wie Internet of Things,  Digital  Twins,  Big  Data,  Blockchain  und  Machine  Learning,  haben  in  der  Lieferkette  Einzug  erhalten  (vgl.  S.  256  dieser  Schrift).  Sie  erlauben  eine  rasche  und  zielgerichtete  Kommunikation  unter  den  Wertschöpfungspart‐ nern.  Zudem  sind  umfangreiche  Datenanalysen  und  eine  aussagefähige  Prognostik über digitale Hilfsmittel möglich. Dadurch erhöht sich der logis‐ tische Automatisierungsgrad.  Intelligente  Tools  unterstützen  und  beschleu‐ nigen die Arbeitsabläufe schon heute. Smartphone, Tablet und Datenbrillen  sind in einer robusten Supply Chain nicht mehr wegzudenken. 

228

Strategien der Versorgung

C.3.9

E-Supply-Chains

C.3.9.1

Grundlagen

C.3

Elektronische  Supply  Chains  (synonym:  „E‐Supply  Chains“,  vgl.  Flappner et al. 2005; Hausen 2005; Kurzmann/Langmann 2015; Mrozek/Seitz  2020; Piontek 2009; Werner 2013a, S. 12ff.) gewährleisten die Versorgung,  die Entsorgung und das Recycling von Geschäftsabläufen über die tech‐ nischen Hilfsmittel Internet, Extranet oder Intranet. Sie stoßen die physi‐ sche Auftragsabwicklung  an.  Weiterhin  gewährleisten  E‐Supply  Chains  den Geld‐ und den Informationsfluss.

„Eine Tastatur ist  der Mund der  Einsamen.“         (D. Wieser) 

Elektronische  Supply  Chains  sind  beispielsweise  auf  eine  Simultaneität  von  Planungsschritten,  die  Bewältigung  von  Engpässen,  eine  Ausnut‐ zung  von  Geschwindigkeitsvorteilen  und  die  Bildung  globaler  Netz‐ werke  ausgelegt.  Nach  einer  Studie  des  Bundesverbandes  Materialwirt‐ schaft, Einkauf und Logistik (BME) können durch die Nutzung von Inter‐ net,  Extranet  und  Intranet  die  Kosten  des  Einkaufs  um  bis  zu  80%  gesenkt  werden.  Dabei  wird  von  einem  durchschnittlichen  Kostensatz  von 80 Euro bis 130 Euro pro Bestelltransaktion ausgegangen. Überpro‐ portional hohe Folgekosten entstehen dabei für B‐ und C‐Artikel, wenn  für  die  Bestellungen  geringwertiger  Güter  hohe  Verwaltungsaufwen‐ dungen (Prozesskosten) anfallen (vgl. Werner 2013a, S. 50). 

Einsparung von  Transaktionskosten 

Wichtige  Anforderungen  an  die  Ausgestaltung  moderner  Elektroni‐ scher  Lieferketten  manifestieren  sich  in  transparenten  Geschäftsabläu‐ fen,  gut  planbaren  Prozessschritten,  hoher Agilität  zwischen  den  Wert‐ schöpfungspartnern im Rahmen der Auftragsbewältigung, stabilen und  qualitativ hochwertigen Interaktionen innerhalb der Supply Chain sowie  günstigen Transaktionen. 

Rahmenbedingun‐ gen schaffen 

Zur Ausgestaltung der Informations‐ und Kommunikationswege zwi‐ schen den Akteuren sind in zeitgemäßen Elektronischen Supply Chains  grundsätzlich  drei  verschiedene  Ausprägungsarten  denkbar,  die  sich  bezüglich  ihrer  Bindungsintensität  zwischen  den  beteiligten  Partnern  unterscheiden (hier bezogen auf das Medium Internet, vgl. Stoll 2007, S.  131; Werner 2013b, S. 15): 

„Please seize these  chains that hold us  back: Let’s make it  work!…“            (the Redskins) 

 

 

229

C

Strategien des Supply Chain Managements

Art des Informationstransfers 

Charakterisierung 

Bereitstellung von Unternehmens‐ und  Produktinformationen 

Bei dieser ersten Variante rufen Kunden  und Lieferanten beim Hersteller lediglich  Informationen ab. Diese können Lieferzei‐ ten, Produktkataloge oder Produktpreise  betreffen. Die Bindungsintensität zwischen  den Teilnehmern ist gering. 

Passive Interaktion zwischen den Koopera‐ tionspartnern 

Eine passive Interaktion besitzt eine mittle‐ re Bindung zwischen den Partnern. Sie  bedeutet, dass die  Systeme der Teilnehmer  für Abfragen miteinander vernetzt sind.  Zum Beispiel können Händler Informatio‐ nen von Herstellern erhalten, indem sie für  spezielle Links auf deren Homepages ein  Passwort bekommen. 

Aktive Interaktion zwischen den Kooperati‐ Bei dieser dritten Variante sind die Daten  onspartnern  zwischen den Akteuren aktiv zu bestätigen  oder zu ändern. Dies ist insbesondere in  den frühen Phasen der Produktentwick‐ lung entscheidend, indem die Lieferanten  an der Erstellung von Zeichnungen oder  Kalkulationen direkt beteiligt werden  (beispielsweise für Resident Engineering).  Hier liegt eine hohe Bindungsintensität  vor. 

Geschäft via Maus‐ klick abwickeln 

Elektronische  Lieferketten  stellen  Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen  dar. Als Front‐End‐Systeme dienen Internet, Extranet oder Intranet. Das  Back‐End‐Modul  ist  das  Supply  Chain  Management,  welches  die  rei‐ bungslosen  Abläufe  von  physischen  Prozessen  gewährleisten  soll:  die  Zustellung  der  elektronisch  bestellten  Waren.  Dazu  bedient  sich  das  Supply  Chain  Management  traditioneller  Logistikfunktionen,  um  Räu‐ me  sowie  Zeiten  überbrücken  zu  können.  Doch  auch  Geld‐,  Informa‐ tions‐  und  Sozialströme  sind  berücksichtigt,  um  in  den  Wertschöp‐ fungsketten  an  Schnelligkeit  zu  gewinnen.  Wie  Beispielblock  c.6  auf‐ zeigt,  stellen  sich  in  der  gelungenen  Verbindung  von  Front‐End  und  Back‐End aber noch einige Probleme ein.     

230

Strategien der Versorgung

C.3 Beispielblock c.6  

Problembehaftete Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen  Bei Buchbestellungen via Internet erwarten die User, dass ihre Waren spätes‐ tens zwei Tage nach dem Ordering bei ihnen eintreffen. Ein Zeitfenster, das  über Print‐on‐Demand gerade so eingehalten werden kann. Stationäre Apo‐ theken sichern häufig „Same Day Delivery“ zu. Dieses Versprechen können  sie nur auf Grund funktionierender Großhandelsanbindung zusichern. Doch  nicht immer werden angegebene Liefertermine auch wirklich erfüllt. In den  USA tätigten 2017 im Weihnachtsgeschäft über 55% der potenziellen Online‐ Kunden  ihre  Bestellungen  tatsächlich  über  das  Internet.  Leider  erhielten  knapp ein Fünftel der User ihre Waren erst im Anschluss an das Weihnachts‐ fest.  Besonders  problembehaftet  verlief  die Artikelzustellung  durch  die  In‐ ternet  Retailer  (darunter  sind  Unternehmen  zu  verstehen,  die  ihr  Geschäft  speziell  über  das  Internet  abwickeln).  Während  die  Termintreue  bei  ihnen  nur  80%  betrug,  erzielten  traditionelle  Versandhäuser  hier  immerhin  eine  Erfolgsquote  von  knapp  90%.  Trifft  eine  Lieferung  deutlich  verspätet  ein,  können Kunden für die betroffene Organisation dauerhaft verloren sein. 

In der Front‐End‐Back‐End‐Abwicklung von E‐Supply Chains sind neun  grundsätzliche  Ausgestaltungsvarianten  denkbar.  Sie  beziehen  sich  auf  die Anbieter  und  die  Empfänger  elektronischer  Leistungen  und  erstre‐ cken sich auf die Segmente „Business“, „Customer“ und „Administrati‐ on“.  Abbildung  C.20  zeigt  denkbare  Kombinationsmöglichkeiten  von  E‐Commerce  (vgl.  auch  Hermanns/Bagusat  2008,  S.  317).  Vor  allem  fol‐ gende  drei  Business‐to‐Alternativen  (B2)  sind  von  besonderer  Bedeu‐ tung:  Business‐to‐Business,  Business‐to‐Customer  sowie  Business‐to‐ Administration: 

 Business‐to‐Business (B2B): Zwischen 70% und 80% des Gesamtum‐ satzes  elektronischer  Geschäftsabwicklungen  entfallen  auf  institutio‐ nelle Transaktionen. 

 Business‐to‐Customer  (B2C):  Ein  Geschäft  mit  ultimativen  Endver‐ brauchern ist eigenen Gesetzen unterworfen. Das Abrufverhalten von  Endkunden  ist  nämlich  schlecht  planbar.  Teilweise  fällt  es  schwer,  Kundenbindungen zu intensivieren. 

 Business‐to‐Administration  (B2A):  Schließlich  bedeutet  B2A,  eine  Abwicklung zwischen einem institutionellen Akteur und einer öffent‐ liche  Verwaltung.  Beispielsweise,  wenn  SAP  ihre  Software  in  Behör‐ den ausrollt. 

231

B2B und B2C als  Hauptvertreter von  E‐Commerce 

C Abbildung C.20 

Strategien des Supply Chain Managements

E‐Commerce im Überblick 

             Nachfrage  Angebot 

Customer 

Business 

Customer 

Business 

Administration 

C2C 

C2B 

C2A 

(Private Kleinanzei‐ ge online) 

(Jobanzeige Arbeits‐ suchender) 

(Steuererklärung  Privatperson) 

B2C 

B2B 

B2A 

(Kundenbestellung  über Internet) 

(OEM bestellt bei  Zulieferer) 

(Steuererklärung  Unternehmen) 

A2C 

A2B 

A2A 

(Subvention an  Unternehmen) 

(Transaktionen von  Verwaltungen) 

Administration  (Sozialhilfeantrag im  Internet)   

Abwicklung von  Geschäftsprozessen  über E‐Procure‐ ment 

Im Einkauf können für den B2B‐Bereich vier unterschiedliche Möglich‐ keiten  zur Abwicklung  von  Geschäftsprozessen  unterschieden  werden.  Abbildung  C.21  (vgl.  Kaplan/Sawhney  2000,  S.  59)  visualisiert  diesen  Zusammenhang  in  einer  Matrix  mit  vier  Feldern.  In  der  Horizontalen  steht  die  Frage,  was  die  Unternehmen  einkaufen  im  Mittelpunkt.  Dies‐ bezüglich ist in die beiden Alternativen von Betriebsinput und Produk‐ tionsinput  zu  differenzieren.  Den  Betriebsinput  stellen  MRO‐Produkte  dar  (Maintenance,  Repair  and  Overhaul): Also  Güter,  die  zur  Wartung,  Reparatur  oder  Überholung  benötigt  werden.  Der  Begriff  „Overhaul“  wird zum Teil auch durch „Operations“ ersetzt. Vielfach findet sich für  den Betriebsinput die Bezeichnung „indirektes Material“.  

Direktes Material 

Der Produktionsinput aggregiert sich in der Matrix aus Rohmaterialien  oder Bauteilen, welche unmittelbar in das Endprodukt eingehen („direk‐ tes  Material“).  In  der  Vertikalen  wird  das  Wie  abgetragen:  Einerseits  können Systemkäufe vorliegen, die auf längerfristig ausgehandelten Ver‐ trägen  basieren.  Andererseits  sind  kurzfristig  initiierte  Spoteinkäufe  denkbar, welche einen plötzlich auftretenden Bedarf zu möglichst nied‐ rigen  Preisen  befriedigen.  Nachstehend  erfolgt  eine  kurze  Kennzeich‐ nung der vier Felder des Portfolios (vgl. Kaplan/Sawhney 2000, S. 57ff.).   

232

Strategien der Versorgung

 Feld I: Im ersten Feld finden sich MRO‐Hubs. Sie stellen Betriebsinput  dar  und  werden  systematisch  bezogen.  Die auf  einem  MRO‐Hub  ge‐ handelten Güter sind geringwertig, haben aber hohe Transaktionskos‐ ten.  Zu  ihnen  zählen  Büromaterialien,  Flugtickets  oder  Reinigungs‐ dienste. Anbieter sind W. W. Grainger oder MRO.com. 

 Feld II: Das Feld II symbolisiert einen Katalogknotenpunkt. Hier tref‐ fen  Produktionsinput  und  systematischer  Einkauf  zusammen.  Auf  diesen  Einkaufsplattformen  werden  branchenspezifische  und  stan‐ dardisierte  Waren  –  zu  möglichst  geringen  Transaktionskosten  –  ge‐ handelt.  Chemdex,  SciQuest.com  oder  PlasticNet.com  sind  diesem  Ge‐ schäftsfeld zuzuordnen. 

 Feld III: Die spezialisierten Spothändler Employease, Adauction.com und  CapacityWeb.com  schaffen  elektronische  Märkte  für  notwendige  be‐ triebliche  Ressourcen  (wie  Arbeitskraft  oder  Werbung).  Sie  erlauben  die  kurzfristige  Ausdehnung  oder  Begrenzung  einer  Geschäftstätig‐ keit. Den höchsten Marktwert erreichen diese Plattformen bei Waren,  die in ihrem Wert erheblich schwanken (wie Strom, Öl oder Wasser). 

 Feld  IV:  Schließlich  symbolisiert  das  vierte  Feld  eine  Konstellation,  wenn Produktionsinput und Spoteinkauf aufeinander treffen. Auf den  Börsen  e‐Steel  oder  PaperExchange.com  können  die  Einkäufer  ihre  Ge‐ schäfte  kurzfristig  zu  günstigen  Preisen  abwickeln.  Sie  funktionieren  nach  dem  Prinzip  der  traditionellen  Warenbörsen.  Beispielhaft  dafür  stehen auch Excess‐and‐Obsolete‐Verkaufsbörsen (vgl. S. 301). 

Betriebsinput 

Produktionsinput 

(Materialien gehen indi‐ rekt in das Endprodukt) 

(Materialien gehen direkt  in das Endprodukt) 

MRO‐Hub 

Katalogknotenpunkt 

Spothändler 

Börse 

Wie wird gekauft? 

Systemkauf  (Kontinuierlicher Waren‐ bezug) 

Spotkauf  (Sporadischer Warenbe‐ zug) 

Beschaffung von  MRO‐Gütern 

Transaktionskosten  senken 

Spotmarktbezie‐ hungen generieren 

Börsen im engen  Sinn 

Abbildung C.21 

B2B im Einkauf 

              Was wird gekauft? 

C.3

 

233

C

Strategien des Supply Chain Managements

Kleine Sendungs‐ größen wirtschaft‐ lich distribuieren 

Im  B2C‐Bereich  bieten  die  neuen  Medien  völlig  neue  Wege,  um  die  Anforderungen  der  Konsumenten  nach  individueller  Produktgestal‐ tung,  schneller,  akkurater  und  zuverlässiger  Warenauslieferung  sowie  umfangreicher Produktinformation befriedigen zu können. Immer mehr  Produzenten  reduzieren  ihre  Auftragsgrößen  und  setzen  zur  Sorti‐ mentsverteilung  flexibel  agierende  Kurier‐,  Express‐  und  Paketdienste  (KEP) ein. Die Best Practices verfügen über unkomplizierte Websites, gut  genutzte Datenbestände und bequeme Zahlungsweisen. Im Internetzeit‐ alter  wird  Anfassbarkeit  durch  Information  ersetzt.  So  erleichtert  Wal  Mart  mit  Hinweisen  im  Internet  den  Prozess  zur  Selbstbedienung.  Die  Informationen  im  Internet  gehen  durch  den  Gebrauch  aber  nicht  unter.  Vielmehr sind sie, über eine beliebig große Anzahl von Websites, jeder‐ zeit reproduzierbar. 

Cash‐Throw‐offs  heben 

In vielen Bereichen ist eine Verkürzung der Distributionsstufen festzu‐ stellen.  Durch  die  Nutzung  des  Internets  besteht  die  Möglichkeit,  dass  der  Kunde  seine  Wünsche  direkt  an  den  Hersteller  weitergibt.  Daraus  resultieren  zum  Teil  erhebliche  Preisvorteile  für  den  Nachfrager:  Die  Gewinnmargen für zwischengeschaltete Handelsstufen entfallen. Insbe‐ sondere  die  Funktion  des  Großhandels  wird  in  einigen  Branchen  schlichtweg eliminiert. 

Make‐to‐Order‐ Fertigung 

Stellvertretend  für  die  oben  charakterisierte  Vorgehensweise  steht  der  Computerhersteller Dell. Es gelingt Dell schon seit einiger Zeit, durch die  Verwendung  von  standardisierten  Komponenten  und  Modulen,  Com‐ puter  erst  nach  dem  Eingang  einer  Bestellung  durch  den  Kunden  indi‐ viduell  zu  konfigurieren.  Dieses  Prinzip  wird  als  Built‐to‐Order  be‐ zeichnet  und  lehnt  sich  an  das  Konzept  Mass  Customization  an.  Dell  verfügt über ein zentrales Netzwerk, in das Informationen von Kunden,  Händlern,  externen  Dienstleistern  (Speditionen,  Kurier‐,  Express‐  und  Paketdienstleister),  Lieferanten  und  den  eigenen  Produktionsstätten  in  Echtzeit  fließen  (Real  Time  Process).  Freilich  gelingt  Dell  diese  Produkti‐ onsweise  nur,  weil  das  Sortiment  eine  vergleichsweise  geringe  Ferti‐ gungstiefe aufweist und von der Komplexität her überschaubar ist. Bei‐ spielblock  c.7  sind  einige  weitere  Möglichkeiten  für  eine  B2C‐ Anbindung zu entnehmen.           

234

Strategien der Versorgung

C.3 Beispielblock c.7 

Möglichkeiten im B2C‐Geschäft 

 Auf Urlaub‐anbieter.com stellen Reisende ihre Touren selbst zusammen.  Beispielsweise  kann  ein  Kunde  aus  über  40  Bausteinen  seine  maßge‐ schneiderte Thailand‐Rundreise planen. Der Trekking‐Freund kommt  ebenso  auf  seine  Kosten,  wie  die  anspruchsvolle  Familie.  Für  letzte  Zielgruppe  finden  sich  Kinderrundreisen,  Elefantenritte  oder  span‐ nende Dschungelerkundungen. 

 Angelehnt  an  das  Fertigungsprinzip  Mass  Customization,  gestalten  ultimative Endverbraucher ihre Kleidungsstücke online bei shirtalarm.   Dazu  wählen  sie  einen  „Rohling“  (T‐Shirt,  Mütze,  Pullover  oder  Schürze) im „Shirt‐Designer“ aus. Darauf applizieren sie eine Darstel‐ lung  aus  der  „Motivgalerie“  oder  ein  eigenes  Foto  (oder  beides  in  Kombination).  Druckart,  Schriftart  und  Schriftgröße  sind  frei  gestalt‐ bar. Bis zu fünf Zeilen Text können pro Textebene ausgefüllt werden. 

 Im  Buchhandel  lautet die  Zauberformel  „Books  on  Demand“.  Es  ste‐ hen  elektronische  Druckvorlagen  im  Computer  zur  Verfügung.  Erst  wenn  durch  den  Kunden  eine  Bestellung  aufgegeben  wird,  beginnt  der  Druck.  Bei  Anwendung  von  „Books  on  Demand“  gelingt  es  der  deutschen  Verlagsgruppe  Beltz  bereits  zwei  Tage  nach  der  elektroni‐ schen Bestellung die Bücher auszuliefern. Durch diese Pull‐Steuerung  vermeidet der Buchhandel Slow Mover in den Regalen.   

Der Einsatz des Internets ist weitgehend von der Komplexität einer Leis‐ tung abhängig. Bei sehr beratungsintensiven Produkten stößt das Inter‐ net  allerdings  an  seine  Grenzen.  Es  sind  zu  viele  Fragen  im  Detail  zu  klären.  In  Tendenz  gilt,  dass  mit  sinkendem  Erklärungsaufwand  eines  Produkts  die  Möglichkeit  zu  seinem  Online‐Vertrieb  steigt.  Außerdem  besteht  vor  allem  im  offenen  Netz  (Internet)  immer  die  Gefahr,  seine  Geheimhaltungssphäre  zu  verlieren.  Jedoch  können  Firewalls,  Client‐ Server‐Authentifizierungs‐Systeme  und  Verschlüsselungsmodule  einen  gewissen Schutz gegen ein unberechtigtes Einloggen bieten. 

C.3.9.2

Tücken des Inter‐ nets 

Electronic Commerce

Unter  Electronic  Commerce  ist  allgemein  ein  elektronischer  Geschäfts‐ verkehr  zu  verstehen.  Dieser  stellt  sich  in  Supply  Chains  in  Form  von  elektronischen  Marktplätzen,  kollaborativen  Prozessen,  virtuellen  Frachtbörsen,  elektronischen  Ausschreibungen  und  Auktionen  sowie  Tracking‐ and‐Tracing‐Systemen dar. 

235

Formen von  Electronic Com‐ merce 

C

Strategien des Supply Chain Managements

C.3.9.2.1 Elektronische Marktplätze Arten virtueller  Märkte 

Unter  elektronischen  Marktplätzen  sind  Plattformen  des  gewerblichen  Austauschs von Gütern und Diensten zu verstehen. Es sind so genannte  Marktknotenpunkte  („E‐Hubs“).  Virtuelle  Märkte  bieten  die  Möglich‐ keit,  Produkte  zeit‐  und  ortsungebunden  abzusetzen.  Herkömmliche  Restriktionen  des  stationären  Handels,  wie  Ladenöffnungszeiten  oder  Standorte,  entfallen  im  E‐Zeitalter.  Der  elektronische  Handel  erlaubt  einen  raschen  Datenaustausch.  Dabei  sind  verschiedene  Arten  von  elektronischen Märkten zu unterscheiden (vgl. Begriffsblock C.V).   

Begriffsblock C.V 

Arten elektronischer Marktplätze 

 Horizontale Marktplätze: Horizontale Marktplätze verfügen über ein  branchenübergreifendes  und  heterogenes  Angebot.  Beispiele  dafür  sind tradeout.com oder Youtilities.com. 

 Vertikale  Marktplätze:  Die Betreiber  vertikaler  Märkte  spezialisieren  sich  auf  die  Bedürfnisse  und  Erfordernisse  innerhalb  bestimmter  Branchen.  Ihr  Angebot  ist  homogen.  Zu  ihnen  zählen  Brand‐X,  Sci‐ Qest.com  oder  newtron.net.  Auf  Brand‐X  tummeln  sich  beispielsweise  Musikfreunde des Genres „Jazz und Rock“. 

 Private  Marktplätze:  Sie  werden  gegründet,  um  Lieferanten  und  Kunden enger  an das Unternehmen zu binden. Ein Beispiel dafür ist  AutoXchange von Ford. 

 Konsortialmarktplätze:  Einen  Konsortialmarkt  gründen  mehrere  rechtlich  selbständige  Organisationen  gemeinsam  (wie  Covisint  oder  SupplyOn, vgl. S. 237 der vorliegenden Schrift). 

 Geschlossene Marktplätze: Nur berechtigte Akteure haben Zutritt zu  diesem  Marktplatz.  Die  Partner  sind  vornehmlich  an  einer  langfristi‐ gen  Kunden‐Lieferanten‐Beziehung,  über  spezielle  Kommunikations‐ netzwerke,  interessiert.  Auf  elektronische  und  institutionelle  Aus‐ tauschprozesse  kleiner  und  mittelgroßer  Unternehmen  hat  sich  bei‐ spielsweise Prozeus spezialisiert. 

 Offene  Marktplätze:  Möglichst  viele  Teilnehmer  stehen  in  loser  Ver‐ bindung  zueinander.  Vielfach  kennen  sich  die  Akteure  nicht  näher.  Auf offenen Marktplätzen herrscht häufig ein reger Preiswettbewerb.  Eine  solche  Plattform  findet  sich  mit  Serveline,  auf  der  offene  Aus‐ schreibungen für IT‐Equipment stattfinden.    

236

Strategien der Versorgung

C.3

Die  kritischen  Erfolgsfaktoren  elektronischer  Märkte  sind  Commerce,  Content und Connection (vgl. Bächle/Lehmann 2010, S. 25). Mit Commerce  wird  der  Grundmechanismus  des  virtuellen  Marktplatzes  bezeichnet  (wie Auktionen oder Kataloge). Content steht für den Inhalt dieser Platt‐ form. Dazu zählen beispielsweise Produktbeschreibungen, Lagerbestän‐ de,  Preise  oder  Firmenprofile.  Schließlich  beschreibt  Connection  einer‐ seits  die  Fähigkeit,  Transaktionen  zwischen  Käufern  und  Verkäufern  wirtschaftlich  durchzuführen  (Intraconnection).  Andererseits  erweitert  Interconnection  diese  enge  Sichtweise  und  umfasst  den  Informations‐ austausch mit weiteren Marktplätzen. 

Die drei Säulen der  Weisheit… 

Über Fachportale können die User Zugang zu den elektronischen Märk‐ ten erhalten. Sie sind die Eingangstore in die Unternehmen. Bei Fachpor‐ talen treffen wenige Anbieter auf eine recht breite Nachfrage. Sie zielen  auf die Erhöhung der Kundenbindung, wobei hier weniger der Endver‐ braucher,  sondern  mehr  Fachhändler,  Spediteure,  Handwerker  oder  Gastronomen  gemeint  sind.  Beispielblock  c.8  beschreibt  eine  Möglich‐ keit  zum  Aufbau  eines  Fachportals  (vgl.  Gollek  2013,  S.  13ff.;  Schneider  2012, S. 113). 

Fachportale als  besonderes Oligo‐ pol 

Fachportal 

Beispielblock c.8 

Ein  Fachportal  für  die  grafische  Industrie  hat  Printnation  aufgebaut.  Die  Kunden sind in der Regel kleine und mittelgroße Druckereien. Dieses Fach‐ portal  beherbergt  mehr  als  130.000  Produkte  von  1.500  Herstellern.  Im An‐ gebot  sind  Druckplatten,  Filme,  Papiere  oder  chemische  Artikel.  Auf  der  Homepage von Printnation findet sich auch ein Link zur Auktionsplattform  für gebrauchte Geräte der grafischen Industrie. Ferner bietet Printnation dort  Sonderangebote,  Serviceverträge  und  Finanzierungsalternativen  für  die  Druckereien an. Printnation weist im Internet schließlich noch auf die Mög‐ lichkeit einer gebührenfreien Telefonberatung hin. 

Ein virtueller Marktplatz wurde mit „SupplyOn“ geschaffen, den unter  anderem ZF, Continental, Hella und Bosch gründeten. Die IT‐Architektur  basiert  auf  SAP.  Dieser  elektronische  Marktplatz  aggregiert  sich  vor‐ nehmlich aus den vier miteinander vernetzten Bausteinen Einkauf, Qua‐ lität, Supply Chain Management und Finanzen (vgl. zu den nachstehen‐ den Ausführungen Hess 2010, S. 59f.; Werner 2013a, S. 51ff.). 

237

Nähere Kennzeich‐ nung von Supp‐ lyOn 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Elektronische  Beschaffung 

 Einkauf:  SupplyOn  bietet  Sourcing‐Lösungen  und  berät  Dritte  bei‐

Qualitative Attri‐ bute 

 Qualität:  „SupplyOn“  beschäftigt  sich  weiterhin  mit  Qualitätsma‐

Netzwerkmanage‐ ment von Sup‐ plyOn 

 Supply  Chain  Management:  In  dem  Segment  Supply  Chain  Ma‐

Financial Supply  Chain 

 Finanzen: Schließlich erstreckt sich SupplyOn auch auf die Geldströme 

spielsweise  bei  der  Lieferantenauswahl,  dem  Stammdatenmanage‐ ment oder der Lieferantensuche. Die Purchasing‐Module Business Di‐ rectory,  Requests  for  Quotations  und  Biddings  sind  prägend  für  den  gesamten  E‐Hub.  Als  Business  Directory  wird  die  Bestimmung  der  Grunddaten des Einkaufs bezeichnet. Das Herz von Business Directo‐ ry  ist  die  Definition  der  Materialgruppen.  Requests  for  Quotations  meint die Festlegung von Normen und Spezifikationen für den virtu‐ ellen Einkauf (Standardkonfigurationen). Schließlich erlaubt Biddings  die  Durchführung  von  Auktionen.  Sie  sind  in  Form  von  1:n‐ Bedingungen  aufgebaut.  Zu  den  bekanntesten  Auktionsverfahren  zählen „Reverse Auction“, „Dutch Auction“ und „Sealed Bit Auction“.  Nach Goldman Sachs sind 34% des Einkaufsvolumens in der Automo‐ bilindustrie für Auktionen geeignet (vgl. Goldman Sachs 2004, S. 18).  nagement.  Dazu  zählen  Qualitätsvorausplanung,  Erstbemusterung,  Lieferantenbewertung,  Reklamations‐  sowie  Zertifizierungsmanage‐ ment. Diesbezüglich werden beispielsweise die Module Online Colla‐ boration,  Dokumentenmanagement  und  Engineering  Services  einge‐ setzt.  nagement bezieht sich SupplyOn vor allem auf klassische Bedarfspro‐ zesse,  Vendor  Managed  Inventory,  Kanban,  Transportmittelplanung,  Alert‐Management  und  Lagermanagement.  Die  Optimierungspoten‐ ziale elektronischer Schnittstellen werden über EDI und Web‐EDI rea‐ lisiert.  moderner  Wertschöpfungsketten.  Mögliche  Arbeitsgebiete  stellen  Rechnungsstellung mit digitaler Signatur, Gutschriftanzeige, Verrech‐ nungsanzeige und Zahlungsavis dar. 

C.3.9.2.2 Kollaborative Prozesse Real‐Time‐Prozesse  schalten 

Kollaborative  Abwicklungen  innerhalb  einer  Supply  Chain  (vgl.  Colla‐ borative  Planning,  Collaborative  Commerce  und  Collaborative  Design)  bedeuten  eine  interorganisatorische  Koppelung  rechtlich  selbständiger  Partner im Netzwerk einer Lieferkette über das Internet. In diesem Ver‐ bund  findet  der  Austausch  von  Informationen  in  Echtzeit  statt.  Eine  Möglichkeit zur Realisierung kollaborativer Supply Chains ist der „Ad‐ vanced Planner and Optimizer“ (APO) von SAP (vgl. in diesem Zusam‐ menhang die Ausführungen zu Advanced Planning and Scheduling auf 

238

Strategien der Versorgung

C.3

S. 386ff.). Mit dem Modul Collaborative Planning (CPL) wird die Trans‐ formation  von  Planungsdaten  innerhalb  verschiedener  Standorte  im  Konzernverbund – wie auch zu selbständigen Geschäftspartnern – über  das Internet ermöglicht.  In  den  kollaborativen  Wertschöpfungsketten  gleichen  die  Akteure  mit  Hilfe des Internets ihre Forecasts miteinander ab. Dadurch können Lie‐ feranten  und  Hersteller  rasch  auf  geänderte  Kundenabrufe  reagieren  und  die  Planzahlen  online  bestätigen.  Indem  sich  die  Planungszyklen  verkürzen, steigt einerseits die Reaktionsfähigkeit innerhalb einer Supp‐ ly  Chain.  Andererseits  erhöht  sich  die  Agilität  der  Teilnehmer  in  einer  Lieferkette.  Diese  passen  sich  den  geänderten  Situationen  flexibel  an.  Eine  Kollaboration  unterstützt  Prozesse  zur  Bestandsreduzierung  und  fördert  die  Lieferfähigkeit  von  Unternehmen.  Supplier  Collaboration  meint  den  gezielten  Informationsaustausch  mit  ausgewählten  Lieferan‐ ten (Upstream), Customer Collaboration beschreibt die Kommunikation  mit Kunden in Echtzeit (Downstream). 

„Uptown girl, she’s  been living in her  uptown world…“  (B. Joel) 

Mit Hilfe von Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment  (CPFR)  werden  über  das  Internet  die  Bedarfszahlen  aus  verschiedenen  Absatzkanälen aggregiert und auf einer elektronischen Plattform sämtli‐ chen Teilnehmern einer Lieferkette zur Verfügung gestellt. Beispielblock  c.9  verdeutlicht  diesen  Zusammenhang.  Anhand  eines  Mengengerüsts  sind die Materialien den jeweiligen Fertigungskapazitäten der Hersteller  zuzuweisen. 

CPFR 

Jeder berechtigte Nutzer in der Supply Chain kann mit CPFR mögliche  Änderungen in den Abrufen als Real‐Time‐Process ermitteln und in den  revidierten  Produktionsplänen  berücksichtigen.  Lieferanten,  Hersteller  und  Kunden  generieren  mit  Hilfe  von  CPFR  quasi  einen  gemeinsamen  Geschäftsplan,  der  zur  Synchronisation  von  Supply‐Chain‐Aktivitäten  beiträgt.  Auf  Basis  von  Marktprognosen  arbeiten  die  Akteure  zusam‐ men. Sie erzeugen eine gemeinsame Bedarfsplanung, passen Produktion  und Lagerwesen der aktuellen Nachfrage an und stimmen den Material‐ fluss ab. Beispielsweise initiieren sie Verkaufsförderungsmaßnahmen im  Verbund.  Collaborative  Planning,  Forecasting  and  Replenishment  kann  folglich  als  Weiterentwicklung  von  Efficient  Consumer  Response  an‐ gesehen werden (dort erfolgte eine einseitige Prozessoptimierung). Die‐ se  Logik  berücksichtigt  VW  in  seinem  „Kapazitätsmanagement‐Projekt“.  Hierbei  schließt  sich  VW  online  mit  ausgewählten  Lieferanten  zusam‐ men,  um  die  aktuellen  Bedarfe  mit  den  Anbietern  gemeinsam  abzu‐ stimmen. 

Kollaborative  Aktivitäten in der  Praxis 

239

C Beispielblock c.9 

Strategien des Supply Chain Managements

Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment  Ein Beispiel für eine CPFR‐Lösung liefert Manugistics, die vor einigen Jahren  von  JDA  übernommen  wurden.  Aus  den  Erfahrungen  einer  Zusammenar‐ beit mit über 30 Partnern ist „NetWORKS“ von Manugistics entstanden. Mit  Hilfe  von  „NetWORKS“  kooperieren  die  beiden  US‐Konzerne  Nabisco  (Snacks‐ und Knabberartikel) und Wegmans (Supermarktkette). Sie stimmen  gemeinsame Promotions online ab oder analysieren das Verbraucherverhal‐ ten.  Diese  Informationen  werden  in  „NetWORKS“  gesammelt  und  zielge‐ richtet  aufbereitet.  Dadurch  kann  Nabisco  seine  Bedarfsprognosen  von  Snacks und Knabberartikeln für die Filialen der Supermarktkette stets aktua‐ lisieren.  Dieser  kollaborative  Planungsansatz  führt  zu  einem  deutlichen  Umsatzplus.  Auch  Amazon  nutzt  diese  Manugistics‐Lösung  bereits  seit  Mai  2010.  

C.3.9.2.3 Virtuelle Frachtbörsen Added Values  sichern und die  Umwelt entlasten 

Auf  virtuellen  Frachtbörsen  werden  weltweit  Frachtkapazitäten  ange‐ boten  und  Frachtgesuche  der  Verlader  gesichtet.  Mit  Hilfe  von  Fracht‐ börsen  können  die  beteiligten  Partner  Value  Added  Services  erzielen,  indem  sie  ihre  Verkehrsmittel  besser  auslasten:  Sie  bündeln  die  Fracht‐ aufträge  und  optimieren  die  Transportzeitfenster.  Diese  Möglichkeit  ist  von großer Bedeutung, fahren doch allein in Deutschland circa 20% aller  Lastkraftwagen völlig leer. Und auch beladene Fahrzeuge sind zum Teil  nur zu circa 70% ausgelastet. 

Transaktionskosten  reduzieren 

Außerdem  können  über  virtuelle  Frachtbörsen  die  Transaktionskosten  der Auftragsakquisition heruntergefahren werden. Mit Hilfe von Daten‐ banken  werden  die  notwendigen  Informationen  verwaltet  und  später  zielgerecht  aufbereitet.  Die  wohl  bekannteste  Frachtbörse  in  Europa  dürfte  „Teleroute“  sein.  Jeden  Tag  finden  dort  zumeist  über  200.000  Fracht‐  und  Fahrzeugangebote  zusammen  (vgl.  Beispielblock  c.10).  So  macht es sich „Brummifreund.de“ zur Aufgabe, jederzeit über den aktu‐ ellen Stand deutscher Frachtportale zu informieren. Etliche Frachtbörsen  mussten  jedoch  recht  bald  ihre  Pforten  wieder  schließen  (ein  Beispiel  dafür ist TradeNetOne.com).         

240

Strategien der Versorgung

C.3 Beispielblock c.10 

Virtuelle Frachtbörse  Seit  nunmehr  35  Jahren  existiert  „Teleroute“.  Das  Unternehmen  gehört  seit  2017 zur Alpega‐Gruppe. Auf dieser Plattform gibt der Nachfrager zunächst  relevante  Daten  in  die  dafür  vorgesehene  Maske  ein.  Dabei  kann  der  Su‐ chende  beispielsweise  Präferenzen  für  einen  Hausspediteur  oder  eine  be‐ sonders  preisgünstige  Variante  definieren.  Auf  Basis  dieser  Informationen  schlägt  das  System  einen  Dienstleister  für  den  Transport  vor.  „Teleroute“  berücksichtigt  Parameter  wie  Produktspezifika,  geografische  Restriktionen,  Lager  und  Infrastruktur,  Container  und  Verpackungsmaterial,  Transport‐  und Ladeeinrichtungen sowie Personal. Die Systemantwortzeiten sind recht  gering,  und  die  Aktualisierung  erfolgt  quasi  in  Echtzeit.  Schließlich  kann  „Teleroute“ bei Bedarf auch das Forderungsmanagement übernehmen. 

Eine  Abwicklung  der  Distributionsprozesse  mit  Hilfe  von  virtuellen  Frachtbörsen ist jedoch auch von einigen Problemen geprägt. 

 In  Deutschland  werden  nur  drei  Prozent  des  gesamten  Gütervolu‐ mens  über  elektronische  Frachtbörsen  abgewickelt.  Diese  niedrige  Zahl  liegt  wohl  vor  allem  darin  begründet, dass  es  den  Frachtbörsen  an der notwendigen Bekanntheit mangelt. Dadurch werden die Mög‐ lichkeiten  für das Angebot  und  die  Nachfrage  von  Frachtkapazitäten  deutlich eingeschränkt. 

 Auch  wenn  die  Frachtbörsen  durch  Firewalls  geschützt  werden  kön‐ nen,  fürchten  vor  allem  die  Nachfrager  um  die  Wahrung  ihrer  Ge‐ heimhaltungssphäre.  Bei  der  Bildung  von  Transportgemeinschaften  können in der Tat sensitive Informationen an unberechtigte Dritte ab‐ fließen. 

 Die  einzelnen  Frachtbörsen  stellen  für  sich  immer  nur  Insellösungen  dar, weil die Märkte nicht miteinander verbunden sind. Es sind folg‐ lich nur suboptimale Lösungen. Eine gesamtoptimale Lösung könnte  durch die Vernetzung dieser isolierten Plattformen entstehen. 

 Ceteris paribus gilt, dass mit zunehmender Komplexität die Eignung  virtueller  Frachtbörsen  schwindet.  Für  besonders  zeitkritische  Sen‐ dungen  (wie  Radiopharmaka)  oder  sehr  erklärungsbedürftige  Güter,  bieten  sich  Transportabwicklungen  über  elektronische  Frachtbörsen  kaum an. 

241

„Jede Lösung eines  Problems ist ein  neues Problem.“   (J. W. v. Goethe) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

C.3.9.2.4 Elektronische Ausschreibungen und Auktionen Preis‐ und Kosten‐ vorteile ausnutzen 

Ein hoher Anteil der Einkaufskosten entfällt traditionell auf administra‐ tive  Tätigkeiten.  Daher  werden  im  betrieblichen  Umfeld  verstärkt  neue  Beschaffungsformen auf den Prüfstand gehoben. Zu ihnen zählen elekt‐ ronische  Ausschreibungen,  welche  über  geschlossene,  halboffene  oder  offene Systeme abgewickelt werden: 

Langfristige  Anbindungen  sichern 

 Geschlossene  Systeme:  Da  geschlossene  Systeme  in  ihrer  Einrichtung 

Hybridform 

 Halboffene  Systeme:  Halboffene  Systeme  werden  verstärkt  im  Handel 

und ihrem Betrieb sehr teuer sind, rentieren sie sich nur bei langfristiger  Anbindung  und  großen  Bestellmengen  (Automobilwirtschaft).  Mittels  Extranet‐Lösungen  sind  die  Lieferanten  und  Kunden  miteinander  ver‐ bunden.  eingesetzt.  Kundenseitig  existiert  eine  geschlossene  Standardschnittstel‐ le.  Auf  der  Lieferantenseite  liegen  offene  Verbindungen  vor.  Kunden  können aktiv in die Vorgänge des Lieferanten eingreifen, dort Bestellun‐ gen  platzieren,  den  aktuellen  Lagerbestand  abrufen  oder  sich  über  den  Stand eines Liefervorgangs informieren. 

Multiple Ein‐ kaufsmöglichkeit  über Spotmärkte 

 Offene  Systeme:  Bei  einer  Vielzahl  möglicher  Akteure  werden  schließ‐

Ausschreibungs‐ formen im Über‐ blick 

Im  Rahmen  privatwirtschaftlicher  elektronischer  Ausschreibungen  („Electronic  Request“)  wird  eine  Untergliederung  in  vier  Einkaufsvari‐ anten  vorgenommen.  Charakteristisch  für  diese  Alternativen  ist  ihre  zunehmende Bindungsintensität (vgl. Buchholz/Appelfeller 2010, S. 19): 

Generischer  Kapazitätsab‐ gleich 

Unverbindliche  Preisabfrage 

lich offene Systeme gewählt. Die Bedarfe sind gering. Diese treten in un‐ regelmäßigen  Intervallen  auf.  Zumeist  nutzen  die  Beteiligten  das  Inter‐ net, wobei Informationen beispielsweise über jährliche Kataloge zur Ver‐ fügung gestellt werden. 

 Electronic Request for Information (ERI): Bei dieser Leistungsnachfra‐ ge  werden  Lieferanten  dazu  befragt,  ob  sie  grundsätzlich  in  der  Lage  sind,  einen  Bedarf  zu  befriedigen  (elektronische  Selbstauskunft  des  Lie‐ feranten).  ERI  ist  also  eine  bloße  Marktsondierung.  Die  Antworten  der  Lieferanten enthalten beispielsweise Hinweise zu Listenpreisen. 

 Electronic  Request  for  Quotation  (ERQ):  Auf  Basis  eines  detaillierten  Bedarfs aus dem Lastenheft, wird bei ERQ eine normierte und konkrete  Preisabfrage in Richtung Lieferant eingefordert, die sämtliche möglichen  Kostenparameter  beinhaltet.  Natürlich  versendet  der  Kunde  diese  An‐ fragen nur an Lieferanten, von deren Leistungsfähigkeit er überzeugt ist. 

242

Strategien der Versorgung

 Electronic Request for Proposal (ERP): Ein nächster Schritt ist die Auf‐ forderung zur Abgabe eines juristisch verpflichtenden Angebots. Die‐ ser  Vorgang  ist  mit  einer Ausschreibung  im  klassischen  Sinn  vergleich‐ bar.  Das Angebot  enthält  ein  Pflichtenheft,  aus  dem  der  Kunde  die  De‐ tails  ersehen  kann.  Selbstverständlich  besteht  für  den  Abnehmer  keine  Verpflichtung zur Angebotsannahme. 

 Electronic Request for Feature (ERF): Schließlich kann der Kunde einen  Lieferanten  auch  zur  Angebotserweiterung  auffordern.  Diese  Form  der  Ausschreibung wird insbesondere bei Folgeaufträgen genutzt. 

C.3 Komplette Prob‐ lemlösung 

Folgeaufträge  sichern 

Während  elektronische  Ausschreibungen  Einkaufsprozesse  revolutio‐ nieren,  bieten  sich  für  Warenverkäufe  mit  aktiven  Preisverhandlungen   elektronische Auktionen an. Klassische Einkaufsprozesse stellen bilate‐ rale  Preisverhandlungen  zwischen  Kunden  und  Lieferanten  dar.  Elekt‐ ronische  Auktionen  hingegen  zeichnen  sich  durch  multilaterale  Preis‐ verhandlungen  mit  Lieferanten  aus.  Dies  führt  zu  beschleunigten  Ver‐ kaufsaktivitäten mit Preis‐ und Kostenvorteilen (vgl. Sulaj 2008, S. 51). 

Moderner Verkauf  über Auktionen 

 Forward Auction: Bei dieser Englischen Auktion versteigert ein Anbie‐

Angebotsauktion  gemäß der „Auf‐ wärtsversteige‐ rung.“ 

ter  seine  Leistung  an  den  Meistbietenden.  Sukzessive  werden  höhere  Gebote  für  ein  Gut  in  offener  Form  so  lange  genannt,  bis  nur  noch  ein  Bieter übrig ist, oder die Angebotszeit abläuft („Ebay‐Prinzip“). Der Bieter  mit dem höchsten Angebot erhält den Zuschlag. 

 Reverse Auction: Eine Holländische Auktion verhält sich umgekehrt zu  obigem  Fall.  Bei  dieser  nachfrageseitigen  Auktion  schreibt  ein  Unter‐ nehmen  –  unter  Vorgabe  eines  Zeitfensters  –  ein  Kaufangebot  für  eine  Leistung aus. Diesbezüglich werden relevante Spezifikationen, wie Preis,  Menge  oder  Qualität,  mit  angegeben.  Interessierte  Lieferanten  beobach‐ ten den im Zeitablauf fallenden Preis. Den Zuschlag erhält der Bieter mit  dem niedrigsten Angebot (z. B. eine Spedition für einen Umzug). 

 Bundle  Auction:  Typisch  für eine Bundle Auction  ist  die Erzielung  von  Purchase Volume Effekten. Sämtliche elektronisch ausgeschriebenen Po‐ sitionen werden von einem Lieferanten gebündelt bezogen. Häufig sind  es  Fachportale  in  Nischen.  Hier  findet  eine  elektronische  Beschaffung  quasi „aus einer Hand“ statt. 

 Cherry Picking Auction: Besonders in heterogenen Märkten sind Anbie‐ ter nicht immer in der Lage, sämtliche Teilbedarfe von Kunden abzude‐ cken. Außerdem können mache Lieferanten nur in Teilsegmenten beson‐ ders günstige Preise anbieten. In diesen Fällen pickt sich der Kunde be‐ sonders verlockende Angebote verschiedener Anbieter heraus. 

243

 Auktion bei fallen‐ den Preisen durch‐ führen 

Warenbündelung  auf einen Lieferan‐ ten 

„Cherry blossom  girl, I’ll always be  there for you…“  (Air) 

C

Strategien des Supply Chain Managements

C.3.9.2.5 Tracking and Tracing Begriff und allge‐ meine Charakteri‐ sierung 

Tracking‐and‐Tracing‐Systeme  dienen  zur  Sendungsverfolgung.  Ein  Tracking‐System eröffnet die Möglichkeit, sich zu jeder Zeit hinsichtlich  des aktuellen Aufenthaltsorts einer Frachtsendung in Echtzeit zu erkun‐ digen (vgl. Appelhans 2016; Essig et al. 2012, S. 27; Hunewald 2005, S. 133;  Martus 2014). Das Tracing‐System gewährleistet die Archivierung dieser  Informationen,  um  kontinuierlich  den  Sendungsverlauf  der  Güter  fest‐ stellen zu können. Die Software zur Routenplanung basiert bei Tracking  and Tracing auf der Idee neuronaler Netze. 

Beispiele für Tra‐ cking and Tracing 

In den elektronischen Supply Chains können sich die Hersteller und die  Kunden  über  Tracking  and  Tracing  jederzeit  Informationen  über  den  Fortschritt ihres Transportvorgangs einholen: 

 In seiner Wertschöpfungskette „Tierernährung“ sichert BASF die not‐ wendige  Rückverfolgung  über  das  Tool  „Trace  Tracker“.  Gemäß  der  Maxime „From Farm to Fork“ sichert BASF somit die Dokumentation  über Warenherkunft, Inhaltsstoffe oder Produktionsmethoden. 

 EADS  nutzt  das  System  „EDITT“  („Dynamic  Interoperale  Track  and  Trace“)  zur  Warenbestandsüberwachung  und  Sendungsrückverfol‐ gung, welches ursprünglich für militärische Zwecke eingesetzt wurde. 

 UPS  erhöht  mit  Tracking  and  Tracing  durch  Echtzeitverfolgung,  so‐ wohl für die eigene Organisation als auch seine Kunden, die Transpa‐ renz bei der Güterzustellung.  GPS als Primärva‐ riante 

Bei der Sendungsverfolgung finden vor allem die über Satelliten gesteu‐ erten Hilfsmittel GPS (Global Positioning System) und AEI (Automatic  Equipment  Identification)  Einsatz.  Das  europäische  Satellitennavigati‐ onssystem Galileo soll Ende 2020 mit seinem Alltagsbetrieb starten. Mit  Hilfe  dieser  telematischen  Techniken  werden  die  Frachtstücke  beim  Bela‐ den der Fahrzeuge – häufig unter Zuhilfenahme des Barcodes – mit dem  Status  „on  Board“  eingescannt.  In  zunehmendem  Maße  ergänzen  Her‐ steller  an  dieser  Stelle  den  Barcode  durch  RFID.  Diese  Informationen  sind  direkt  an  eine  zentrale  Datenbank  weiterzugeben.  Während  des  kompletten  Transportvorgangs  können  über  Telematik  genaue  Positi‐ onsabfragen eingeholt werden. Daraus ergeben sich gleich mehrere Vor‐ teile:  Zunächst  sinkt  der  administrative Aufwand  bei  der  Datenverwal‐ tung.  Außerdem  verbessert  sich,  neben  der  Lagerhaltung,  das  Fuhr‐ parkmanagement  der  Wettbewerber.  Schließlich  gestattet  Telematik  ein  jederzeitiges Lokalisieren von Fahrzeugen, wodurch eine sofortige Reak‐ tion  auf  Störungen  möglich  ist.  Beispielsweise  können  LKW  kurzfristig 

244

Strategien der Versorgung

C.3

um  einen  Stau  geleitet  werden  (vgl.  Beispielblock  c.11).  Die  Beratungs‐ gesellschaft  Roland  Berger  hat  errechnet,  dass  mit  dem  Einsatz  eines  te‐ lematischen Fuhrpark‐ und Flottenmanagements die Kosten in der Dis‐ tributionslogistik um bis zu fünf Prozent sinken.  Beispielblock c.11 

Tracking and Tracing via GPS  Schenker  Eurocargo  hat  mittlerweile  sämtliche  in  Deutschland  verkehrenden  Lastkraftwagen mit der Telematik bestückt. Es wurde das Flottensteuerungs‐  und  Kommunikationssystem „Passo  Fleet“ in  die  Fahrzeuge  integriert.  Das  Modul „Real Time Arrival“ überprüft alle 15 Sekunden die wahrscheinliche  Ankunftszeit der LKW. Dadurch verfügt Schenker Eurocargo über ein zeitge‐ mäßes Tool zur automatisierten Sendungsverfolgung. 

C.3.9.3

Zukünftige Einsatzfelder und Gefahren

Immer  mehr  Organisationen  konzentrieren  sich  auf  ihr  Kerngeschäft  („Downsizing“). Somit ergibt sich in den elektronischen Supply Chains  ein  weites  Aufgabengebiet  für  Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  (4PL).  Die  4PL  sind  Systemintegratoren,  die  auch  als  „Lead  Logistics  Provider“  (LLP) bezeichnet werden. Sie haben ihre Wurzeln in den Systemdienst‐ leistern  3PL  (Third‐Party‐Logistics‐Provider).  Neben  den  klassischen  Logistikdiensten,  wie  Lagerung  oder  Transport,  erbringen  3PL  für  ihre  Kunden  auch  das  Order  Processing,  die  Kundenbetreuung  oder  die  Planung und die Implementierung von IT‐Systemen. 4PL erweitern die‐ ses Aufgabenspektrum  dahingehend,  indem  sie  als  Netzwerkintegrato‐ ren Gesamtlösungen zur Planung, Steuerung und Kontrolle von Abläu‐ fen in der kompletten Supply Chain anbieten. 

Formen moderner  Kontraktlogistik 

Fourth‐Party‐Logistics‐Provider verknüpfen die Teilnehmer einer Logis‐ tikkette,  so  dass  ein  möglichst  reibungsloser  Prozessablauf  zur  Steige‐ rung der Wertschöpfung entsteht. Einerseits übernehmen sie dabei weite  Teile  der  Strategiefindung  innerhalb  einer  Lieferkette.  Andererseits  kümmern  sie  sich  um  die  operative  Umsetzung  der  einzuleitenden  Maßnahmen.  Beispielsweise  schlagen  sie  eine  Fremdvergabe  nicht  nur  vor,  Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  setzen  sie  auch  um.  Ebenfalls  ana‐ lysieren sie die Logistik hinsichtlich der Möglichkeit einer organisatori‐ schen Umgestaltung. Schließlich lösen 4PL auch technische Problemstel‐ lungen, wie die Implementierung einer neuen Software. Dabei verfügen 

Einsatzfelder der  4PL 

245

C

Strategien des Supply Chain Managements

4PL,  die  zum  Teil  eigene  elektronische  Marktplätze  geschaffen  haben,  nur über geringe logistische Assets, wie LKW oder Flurförderzeuge. Sie  investieren vielmehr in die ausgewählten Kompetenzfelder von IT oder  Beratungs‐Know‐how (vgl. Beispielblock c.12).  Beispielblock c.12 

Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  Im  Jahr  2004  schufen  Schenker  (Logistikexpertise)  und  Siemens  (IT‐ Kompetenz)  als  Joint  Venture  den  Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  „Schen‐ ker Industrial Logistics“. Der Unternehmensverbund ist auf Ersatzteil‐, Wer‐ bemittel‐ und Produktionslogistik spezialisiert. Zwar besteht das Unterneh‐ men noch heute. Doch erwarb im Jahr 2008 die Schenker AG von der Siemens  AG  den  Restanteil  von  49%.  Weitere  Lead  Logistics  Provider  zwischen  Lo‐ gistikexperten  und  IT‐Beratungsgesellschaften  wurden  zwischenzeitlich  gänzlich aufgelöst. So existieren die – zunächst euphorisch gefeierten – Ko‐ operationen zwischen Dachser und CSC („E‐Chain‐Logistics“) sowie Fixemer  und IDS Scheer („Escate“) mittlerweile nicht mehr. 

Automatismus  innerhalb der  Prozessoptimie‐ rung 

Die elektronischen Lieferketten richten sich nach dem Prinzip Connecti‐ vity  aus.  Darunter  ist  eine  automatisierte  Überprüfung  aller  möglichen  Verbindungen im Netzwerk der Supply‐Chain‐Teilnehmer zu verstehen.  Die  internen  und  die  externen  Prozessketten  werden  bezüglich  ihres  jeweiligen  Beitrags  zur  Steigerung  der  Wertschöpfung  im  Partnerge‐ flecht  untersucht.  Es  gewinnt  bei  Connectivity  diejenige  Alternative,  welche  den  potenziell  größten  Nutzen  verspricht.  Somit  findet  in  den  Supply Chains der Zukunft die Durchführung langwieriger und kosten‐ intensiver manueller Abstimmungstätigkeiten kaum noch statt. 

Potenziale der KEP  nutzen 

Außerdem  wird  in  den  Lieferketten  der  Trend  zur  Verkleinerung  von  Sendungsgrößen  andauern  (die  Verschlankung  von  Warenströmen).  Indem die Hersteller die Variantenvielfalt erhöhen, reagieren sie auf die  individuellen Wünsche der Konsumenten. Zur Distribution der kleinen  Sendungsmengen  setzen  sie  Kurier‐,  Express‐  und  Paketdienste  (KEP)  ein. Diese gewähren eine schnelle und flexible Auslieferung von Waren.  Neben der reinen Güterverteilung werden die KEP in Zukunft verstärkt  Value Added Services anbieten. Dazu zählen der Einsatz von Tracking‐ and‐Tracing‐Systemen,  die  Nutzung  elektronischer  Frachtbörsen  oder  die Erbringung von After‐Sales‐Aktivitäten (vgl. Beispielblock c.13).     

246

Strategien der Versorgung

C.3 Beispielblock c.13 

Kurier‐, Express‐ und Paketdienste  WIDIA ist ein Hersteller von Werkzeugen und Werkzeugkomponenten. Um  einen Belieferungsservice der Kunden innerhalb von 24 Stunden zu gewähr‐ leisten, beschloss das Management von WIDIA, den KEP‐Dienstleister DHL  für die Warenverteilung zu engagieren. Dazu wurden zunächst die Systeme  von  WIDIA  und  DHL  miteinander  verknüpft.  Der  Kurier‐,  Express‐  und  Paketdienst  fährt  täglich  circa  450  Sendungen  des  Werkzeugbauers  an  65  verschiedene Zielorte in ganz Europa aus. Sämtliche zuvor in sieben europä‐ ischen  Ländern  befindlichen  Außenlager  konnten  schon  nach  drei  bis  vier  Monaten  (durch  den  Einsatz  von  DHL)  aufgelöst  werden.  Obwohl  sich  die  Transportkosten erhöhten, stellte sich für WIDIA bezüglich der totalen Supp‐ ly‐Chain‐Kosten ein positiver Effekt ein, weil die Kapitalbindung des Unter‐ nehmens um über 30% abnahm. 

Weitere  Potenziale  zur  Verbesserung  der  Abläufe  in  den  Lieferketten  stellen sich durch E‐Fulfillment ein (vgl. Köcher 2006). Darunter werden  sämtliche  operativen  Maßnahmen  verstanden,  die  zur  elektronisch  ge‐ stützten Abwicklung  eines  Kundenauftrags  notwendig  sind.  Sie  erstre‐ cken  sich  vom  Auftragseingang,  über  Beschaffung,  Produktion  und  Distribution,  bis  zum  Payment.  Ein  E‐Fulfillment  wird  zumeist  über  APS‐Systeme realisiert. Das E‐Fulfillment fördert ein Supply Chain Ma‐ nagement in mehrfacher Hinsicht (vgl. auch Beispielblock c.14): 

E‐Supply‐Chains  in Excellence 

 Die  Waren‐  und  die  Kapazitätsverfügbarkeit  in  der  Supply  Chain  ist 

Zum Nutzen von  E‐Fulfillment 

durch  ein  visuell  gestütztes  Bestandsmanagement  rasch  ersichtlich.  Auf  Grund  des  ständigen Abgleichs  von  Repetierfaktoren  mit  Poten‐ zialfaktoren  wird  eine  Entscheidungsfindung  im  Sinne  von  Available‐ to‐Promise und Capable‐to‐Promise nachhaltig gefördert. 

 Ein  E‐Fulfillment  stützt  kollaborative  Planungsprozesse.  Dadurch  steigt die Transparenz im Supply Chain Management. Die Partner in‐ nerhalb einer Wertschöpfungskette werden nur mit denjenigen Infor‐ mationen  „konfrontiert“,  die  sie  zur  Fortführung  ihrer  Aktivitäten  auch  wirklich  benötigen.  In  diesem  Zusammenhang  kann  beispiels‐ weise ein Splitting von Kundenaufträgen erfolgen. 

 Das  Payment  umfasst  die  Zahlungsabwicklung  in  der  Supply  Chain.  Hier  fallen  Tätigkeiten  wie  Rechnungsstellung  oder  Rechnungsprü‐ fung  an.  Bei  einer  Bearbeitung  dieser  Aktivitäten  über  E‐Fulfillment  können  zum  Beispiel  die  an  unterschiedlichen  Standorten  ausgestell‐

247

C

Strategien des Supply Chain Managements

ten  Lieferscheine  eines  Kunden  automatisch  zu  einer  Gesamtrech‐ nung addiert werden (Verbesserung des Liquiditätskreislaufs). 

 Schließlich  kann  ein  modernes  E‐Fulfillment  auch  eine  Optimierung  der  Distributionsströme  beinhalten.  Wenn  in  der  Lieferkette,  bei‐ spielsweise  auf  Grund  einer  Verzögerung,  der  originär  anvisierte  Flugtermin  nicht  einzuhalten  ist,  kann  das System  sofort mit  der  Su‐ che nach alternativen Flugrouten beginnen und eine Präferenzlösung  vorschlagen.  Beispielblock c.14 

E‐Fulfillment  Laut Schömer und Hebsaker (vgl. Schömer/Hebsaker 2007, S. 47) sind durch die  Berücksichtigung einer Lösung über E‐Fulfillment folgende Verbesserungen  in  der  Supply  Chain  zu  erzielen:  Senkung  der  Auftragsabwicklungskosten  um bis zu 30%, Verringerung der Lagerbestände um circa 35%, Reduzierung  der Transportkosten um 5% bis 15%, Beschleunigung der Cycle Times bis zu  30% und Verbesserung der Liefertreue bis zu 35%. 

Gefahrenherde 

Abhängigkeiten 

Doch auch in den E‐Supply Chains ist nicht alles Gold, was glänzt. Die  Nutzung der modernen Medien birgt auch einige Gefahren in sich, auf  die in der Folge kurz hingewiesen wird (vgl. Werner 2013b, S. 25). 

 Das über die Unternehmensgrenzen gestrickte engmaschige Koopera‐ tionsnetzwerk hat seinen Preis: Die forcierte Lieferanteneinbindung in  den  E‐Supply  Chains  führt  zur  Abhängigkeit  der  Hersteller.  Treten  beim Anbieter  Probleme  auf,  schlagen  sich  diese  direkt  auf  den  Pro‐ duzenten nieder. 

Gläserne Kunden 

 Elektronische  Supply  Chains  richten  sich  streng  nach  dem  Pull‐ Prinzip aus. Sämtliche über die Kunden einholbaren Daten werden –  im Sinne von Customer Relationship – gesammelt und gezielt aufbe‐ reitet. Daraus leitet sich das Problem des „gläsernen“ Kunden ab. 

Anonymitätsver‐ luste 

 Eine weitere Schwierigkeit kann im Abfluss sensitiver Daten bestehen. 

IT‐Boliden 

 Schließlich  finden  in  den  E‐Supply  Chains  IT‐Systeme  Einsatz,  die 

Dadurch geht die Geheimhaltungssphäre von Akteuren ein Stück weit  verloren.  Gegen  ein  unberechtigtes  Einloggen  können  Firewalls,  Cli‐ ent‐Server‐Authentifizierungs‐  oder  Verschlüsselungssysteme  aufge‐ baut werden. Aber selbst diese dürften von einem „IT‐Profi“ zu kna‐ cken sein.  hinsichtlich ihrer Schnelligkeit und Speicherkapazität wohl noch nicht 

248

Strategien der Versorgung

C.3

an  die  Grenzen  gestoßen  sind.  Indem  immer  mehr  Informationen  produziert  werden,  kann  der  User  quasi  im  „Datenmeer“  versinken.  Hier  zeichnet  sich  eine  Vorgehensweise  ab,  die  häufig  Quantität  vor  Qualität stellt (vgl. Big Data auf S. 258). 

C.3.10 Supply Chain 4.0: Kognitiver Wertschöpfungsverbund C.3.10.1 Allgemeine Überlegungen zu Supply Chain 4.0 Unter  dem  Begriff  „Supply  Chain  4.0“  wird  die  Standardisierung  und  die  Automatisierung  vernetzter  Wertschöpfungsaktivitäten,  auf  der  Basis  lernfähiger Algorithmen,  verstanden.  Supply  Chain  4.0  ist  ein be‐ deutsamer Enabler zur Realisierung und Implementierung von Industrie  4.0 im betrieblichen Umfeld. 

Supply Chain 4.0  auf dem Siegeszug 

Der  Terminus  Industrie  4.0  steht  für  die  vierte  industrielle  Revolution  (vgl.  Hanschke  2018;  Schulz  2017;  Wagner  2018).  Er  wurde  erstmals  2011  auf  der  Hannover‐Messe  vorgestellt  und  ging  aus  einer  Arbeitsgruppe  der Bundesregierung hervor. Diese entwarf eine Vision zur zukünftigen  Ausgestaltung der Industriegesellschaft in Deutschland. Eine besondere  Rolle  spielt  dabei  die  Nutzung  des  Internets. Aktuell  befinden  sich  vor  allem kleine und mittelgroße Unternehmen an der Türschwelle zur vier‐ ten  industriellen  Revolution.  Große  Konzerne  haben  diese  bereits  viel‐ fach  durchschritten.  Nachstehend  wird  die  Entwicklung  der  verschie‐ denen industriellen Schübe kurz skizziert  (vgl. Reinhart 2017, S. 13). 

Verbindung zu  Industrie 4.0 

 Industrie  1.0:  Die  erste  Stufe  der  Industrialisierung  beginnt  um  das  Jahr 1750. Es ist der Startschuss zur Mechanisierung. Zu den Meilen‐ steinen  jener  Zeit  zählen  Erfindungen  wie  der  Webstuhl.  Außerdem  wurden  neue  Antriebsformen  eingesetzt:  Beispielsweise  Dampfkraft  (Dampfschiff, Dampflok) und Wasserkraft (Schifffahrt). 

 Industrie 2.0: Unter der breiten Nutzung von Elektrizität beginnt um  das  Jahr  1870  die  Massenfertigung  mit  Hilfe  von  Fließbändern  (As‐ sembly  Lines).  Das  Prinzip  der  Arbeitsteilung  wird  erstmals  in  den  Schlachthöfen  von  Cincinnati  angewendet.  Henry  Ford  erkennt  dies  und überträgt jene Idee auf die Produktion von Automobilien. 

 Industrie 3.0: Konrad Zuse entwickelte im Jahr 1941 den ersten funk‐ tionsfähigen  Computer.  Damit  läutet  er  das  Zeitalter  der  Digitalisie‐ rung  ein,  welches  um  das  Jahr  1970  voll  ausgeprägt  ist.  Im  Mittel‐

249

Erste Erfolge früher  Industrialisierung 

Massenfertigung  und Beginn der  Globalisierung 

Computer regieren 

C

Strategien des Supply Chain Managements

punkt  stehen  Aktivitäten  zur  Automatisierung  und  Rationalisierung  von Fertigungsabläufen.  „Every Business is  Software Business  now.“                    (D. Leffingwell) 

 Industrie  4.0: Die  Grundidee  von  Industrie 4.0  ist die Smart  Factory: 

„Fortschritt ist das  Werk der Unzu‐ friedenheit.“           (J.‐P. Sartre) 

Supply Chain 4.0 ist nichts Geringeres als der Wegbereiter zur Realisie‐ rung von Industrie 4.0. Sie ist das Rückgrat der intelligenten Fertigung.  Beide  Welten  sind  auf  das  engste  miteinander  verwoben:  Fahrerlose  Transporteinheiten befördern Waren selbständig an das Fließband, dann  übernehmen  selbststeuernde  Fertigungsanlagen  den  Verbau.  Autonom  agierende Drohnen gleichen Lagerbestände automatisch ab, damit es in  der  anschließenden  automatisierten  Produktion  zu  keinen  Stock‐outs  kommt. 

Modernes Netz‐ werkmanagement  durch Supply  Chain 4.0 

In  der  Supply  Chain  4.0  werden  rigide  Lieferketten  durch  flexible  Netzwerke  abgelöst.  Der  Informationsaustausch  erfolgt  über  die  Gren‐ zen des eigenen Unternehmens hinweg mit standardisierten Schnittstel‐ len. Große Datenmengen werden systematisch gesammelt und zwischen  den Akteuren zielgerichtet in Echtzeit im Netzwerk ausgetauscht. Eins‐ tige Insellösungen verschmelzen in der Supply Chain 4.0 zu einem gro‐ ßen Ganzen. Voraussetzung dafür ist die Nutzung eines möglichst stan‐ dardisierten Informationssystems. Mit Hilfe horizontaler und vertikaler  Verbundaktivitäten  stimmen  die  Partner  der  Wertschöpfungskette  ihre  Bedarfe  untereinander  ab.  Mit  dem  Ergebnis,  dass  sich  die  Lieferzeiten  reduzieren und die Kapitalbindung sinkt. 

Eine  digitale  Fabrik,  die  sich  nach  dem  Prinzip  der  Virtualisierung  ausrichtet. Der Leitgedanke ist das Verschmelzen physischer Kompo‐ nenten  (Produkte)  mit  ihren  digitalen  Modellen. Auf  Basis  einer  ver‐ netzten Infrastruktur, kann in der intelligenten Fabrik auf die darin in‐ tegrierten  Module  jederzeit  zugriffen  werden.  Cyber‐Physische‐ Systeme  (CPS)  ermöglichen  in  der  cleveren  Fabrik  ein  digitales  und  agiles  Zusammenschließen  einzelner  Komponenten  zu  einer  optima‐ len Gesamtlösung (vgl. die Ausführungen unten). 

C.3.10.2 Bedeutung von Smart Factory und Smart City „Smart“ lautet  heute die Zauber‐ formel…! 

Die  Realisierung  von  Industrie  4.0  wäre  ohne  die  Smart  Factory  nicht  denkbar (Kozai 2018; Steven/Dörseln 2020). Innerhalb einer cleveren Fab‐ rik  herrscht  das  Prinzip  der  autonomen  Eigenorganisation:  Die  Fabrik  trifft  selbst  die  Entscheidungen  und  organisiert  sich  ohne  fremde  Ein‐ griffe.  Cyber‐Physische‐Systeme  (CPS)  tauschen  über  das  Internet  In‐ formationen aus und starten selbständig Aktivitäten. Die Kommunikati‐ on übernimmt das Internet of Things. Cyber‐Physische‐Systeme (Cyber‐

250

Strategien der Versorgung

C.3

Physical‐Systems)  können  Objekte,  Geräte,  Gebäude,  Verkehrsmittel,  Produktionsanlagen  oder  logistische  Assets  sein  (vgl.  Werner/Taphorn  2019,  S.  37).  In  der  Fabrik  erfolgt  eine  intelligente  Vernetzung  der  Ma‐ schinen. Das Produkt selbst teilt automatisch für die Fertigung benötigte  Informationen  den  Cyber‐Physischen‐Systemen  mit.  Diese  sind  mit  ei‐ nem eigebetteten Software‐System (Embedded System) ausgestattet und  gewährleisten  Konnektivität,  also  die  Möglichkeit,  Verbindungen  zu  schaffen.  Über  Sensoren  und  Aktoren  reagieren  Cyber‐Physische‐ Systeme höchst flexibel auf externe Einflüsse. 

 Sensoren:  Die  Sensoren  registrieren  und  verarbeiten  Messdaten  aus  der physischen Welt. Über Netzwerke melden sie diese einer speziel‐ len  Software.  Zuvor  ungefilterte  Informationen  werden  anschießend  durch die Software zu Steuerdaten aufbereitet. Diese Steuerdaten gibt  die Software zielsicher an vernetzte Aktoren weiter. 

 Aktoren: Die Aktoren sind Antriebselemente. Sie empfangen die von  den  Sensoren  abgegebenen  Informationen  und  wirken  unmittelbar  auf  die  physikalische  Welt.  Über  die  Aktoren  werden  beispielsweise  Türen oder Schleusen geöffnet, Weichen gestellt, Schranken verschlos‐ sen oder Produktionsvorgänge angestoßen. 

Clevere Sensoren  messen Dinge… 

…intelligente  Aktoren setzen  anschließend Befeh‐ le um 

In einem Cyber‐Physischen‐Produktions‐System (CPPS) werden origi‐ när  getrennte Cyber‐Physische‐Systeme  intelligent miteinander  verbun‐ den.  Es  entsteht  ein  integriertes  Produktionssystem,  in  dem  einzelne  Werkstücke  ihre  Umgebung  wahrnehmen  und  sich  automatisch  de‐ zentralisierten  Fertigungsprozessen  anpassen.  In  der  Smart  Factory  fin‐ det also die vollständige Vernetzung und Kommunikation unterschied‐ licher Cyber‐Physischer‐Systeme statt. Mit dem Ergebnis, dass sich Wa‐ rendurchläufe  beschleunigen  und  die  Kapazitäten  optimal  ausgelastet  sind. Bevorzugt werden in der smarten Fabrik intelligente Materialien  verwendet:  Diese  führen  ihre  Eigenschaften  auf  einem  RFID‐Chip  mit  sich.  Mit  Hilfe  des  Datenträgers  finden  die  schlauen  Materialien  ihren  Weg eigenständig durch die Produktion. 

Gekoppelte Cyber‐ Physische‐Systeme 

Neben der revolutionierten Fertigung ermöglicht Industrie 4.0 auch eine  intelligente  Instandhaltung  (Smart  Maintenance). An  die  Objekte  (z. B.  Montage‐  oder  Fertigungsanlagen)  werden  zum  Beispiel  Vibrations‐  oder  Temperatursensoren  appliziert.  Die  Sensoren  liefern  Messdaten  und  sonstige  Informationen.  Der  Zustand  des  Objekts  wird  über  die  Sensorik  kontinuierlich  überwacht.  Werden  Unregelmäßigkeiten  er‐ kannt,  gibt  das  Cyber‐Physische‐System  unmittelbar  eine  Fehlermel‐ dung  an  ein  zentrales  Netzwerk  weiter.  Der  Servicetechniker  erhält  di‐

„Die Instandhal‐ tung von Luft‐ schlössern ist ein  kostspieliges Ver‐ gnügen.“               (E. G. Bulwer‐ Lytton) 

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Strategien des Supply Chain Managements

rekt eine entsprechende Information. Außerdem wird ein Bestellvorgang  für ein Ersatzteil direkt ausgelöst, wenn ein solches benötigt wird.  Wie die Datenbrille  dem Servicetechni‐ ker hilft 

Die Steuerung des Cyber‐Physischen‐Systems erfolgt bei Smart Mainte‐ nance über aktuelle und vergangene Daten. So kann ein erwartetes Sys‐ temverhalten  von  Anlagen  simuliert  werden.  Beispielsweise  wird  der  richtige  Zeitpunkt  für  den  Austausch  von  Ersatzteilen  prognostiziert.  Bei der smarten Instandhaltung tragen die Servicetechniker Datenbrillen  (Virtual Reality). Mit ihnen können sie Reparaturvorgänge visuell steu‐ ern.  Außerdem  erhalten  sie  Empfehlungen  für  notwendige  Instandhal‐ tungsmaßnahmen der Cyber‐Physischen‐Systeme. 

„Individualverkehr  bedeutet, kollektiv  im Stau zu ste‐ hen.“                     (A. Buntenbroich) 

Die Abläufe  innerhalb  der  Smart  Factory  sind  ohne  einen  entsprechen‐ den  logistischen  Input  kaum  realisierbar.  So  werden  für  den  innerbe‐ trieblichen  Transport  in  der  cleveren  Fabrik  Fahrerlose  Transportfahr‐ zeuge  (FTF)  eingesetzt.  Diese  Fahrzeuge  können  untereinander  kom‐ munizieren. Anders als Montagebänder, bringen sie Bauteile flexibel von  Station zu Station. Eine feste Reihenfolge müssen sie nicht einhalten. Die  digitalisierten logistischen Assets erhöhen den Automatisierungsgrad in  der Halle. Sie sind in der Lage, auch komplexe Probleme zu lösen. 

Fahrerlose Trans‐ port Systeme  regeln die Distribu‐ tion in der smarten  Fabrik 

In  der  smarten  Fabrik  erlauben  kamerabasierte  Sensoren‐Systeme  eine  fehlerfreie Navigation zu Lagerplätzen und Arbeitsstationen. Integrier‐ te  Sicherheitsscanner  erkennen  Hindernisse  selbständig.  Die  Fahrge‐ schwindigkeit  der  Förderzeuge  passt  sich  einer  jeweiligen  Situation  selbständig an. Fahrerlose Transportfahrzeuge beschleunigen den Mate‐ rialfluss. Ihr Einsatz führt dazu, dass die Arbeitsstationen besser ausge‐ lastet sind und die Warenverfügbarkeit steigt. 

Ausgeprägte Flexi‐ bilität im Material‐ fluss 

In  der  Smart  Factory  werden  bevorzugt  wandelbare  Materialflusssys‐ teme eingesetzt. Förderzeuge sind in der Lage, unterschiedliche Produk‐ te  –  unabhängig  von  ihren  Abmessungen  oder  ihrem  Gewicht  –  trans‐ portieren  zu  können.  Jeder  Ort  in  der  Fabrik  kann  problemlos  bedient  werden,  die Wegstrecken  sind  nicht  festgelegt.  Die  Folge  sind  hochgra‐ dig flexible Arbeitsabläufe. Bei einem wandelbaren Materialfluss erfolgt  die Lokalisierung von Gütern in Echtzeit. Routenplanungen passen sich  automatisch  den  Fertigungsprozessen  an.  Treten  Störungen  in  den  Ar‐ beitsabläufen auf, erfolgen die notwendigen Anpassungen ohne manuel‐ le Eingriffe. 

Moderne Logistik  durch AR 

Ein weiterer Baustein der lernenden Supply Chain ist die Nutzung von  Augmented  Reality  (AR):  Die  computergestützte  Erweiterung  der  menschlichen  Realitätswahrnehmung  (vgl.  Lang/Müller 2020).  Die  wirk‐ liche und die virtuelle Welt verschmelzen bei Augmented Reality mitei‐ 252

Strategien der Versorgung

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nander.  Durch  den  Einsatz  von  Kameras,  Sensoren  und  hochauflösen‐ den  Displays,  können  dem  Nutzer  virtuelle  Aspekte  in  die  Datenbrille  eingeblendet  werden  (Textbausteine,  Zusatzinformationen  als  Bild,  Vi‐ deos).  Dadurch  werden  die  Logistikmitarbeiter  reale  Situationen  besser  beherrschen.  In  der  Intralogistik  hilft  diese  Datenbrille  beispielsweise  beim  Kommissionierungsvorgang:  Pick‐by‐Vision  bedeutet,  dass  der  Kommissionierer  während  des  Pick‐Vorgangs  über  die  Datenbrille  In‐ formationen  bezüglich  der  zu  entnehmenden  Ware  erhält  (Head‐ Mounted  Display).  Sie  verrät  ihm  den  Lagerplatz,  die  Artikelbezeich‐ nung,  die  Artikelnummer  und  die  pro  Auftrag  zu  kommissionierende  Menge. Neben Textinformationen werden dem Lagermitarbeiter virtuel‐ le  Objekte  angezeigt,  die  von  seiner  Blickrichtung  abhängen.  Dies  kön‐ nen  Navigationspfeile  oder farbige  Umrandungen  von  Lagerorten  sein.  Der  Kommissionierer  interagiert  mit  dem  Lagersystem,  indem  er  ein  Touchpad  einsetzt.  Zusätzlich  kann  er  Sprachbefehle  erteilen  (Pick‐by‐ Voice) und die Waren mit Barcode‐Scannern erfassen (Pick‐by‐Light).  Die  Supply  Chain  4.0  ist  aber  nicht  nur  ein  wichtiger  Treiber  für  die  clevere  Fabrik.  Eine  urbane  Logistik  ist  unabdingbar,  wenn  es  um  das  Leben in der Smart City geht (vgl. Gassmann/Böhm 2018; Meier/Portmann  2017). Unsere  Städte sollen technologisch fortschrittlicher, sozialer, grü‐ ner und mobiler werden. Technische, wirtschaftliche und soziale Innova‐ tionen sind die Bausteine der intelligenten Stadt. 

Leben in der  schlauen Stadt 

Es zieht die Menschen verstärkt in die Stadt, um darin zu wohnen und  zu  arbeiten.  Immer  mehr  Personen  teilen  sich  in  den  Städten  den  be‐ grenzt  zur  Verfügung  stehenden  Raum.  Dies  gilt  nicht  nur  für  Mega‐ Cities. Das Zusammenleben der Menschen in den Städten soll nachhaltig  und  effizient sein.  Intelligente Infrastrukturen  bieten den  Leuten  einen  Mehrwert,  sie  erhöhen  die  Lebensqualität.  Bürger,  Verwaltung  und  Wirtschaft sollen sich in der smarten Stadt neu ausrichten. 

„Die Menschen,  nicht die Häuser,  machen die Stadt.“  (Sinnspruch) 

Um  diese  Ziele  umsetzen  zu  können,  werden  drahtlose  und  super‐ schnelle  Funknetze  benötigt.  Ansonsten  funktionieren  innovative  Lö‐ sungen auf smarten Endgeräten nicht. Die Infrastrukturen innerhalb der  cleveren  Stadt  sind  mit  Sensoren  ausgestattet.  Diese  sammeln  Daten  und  übertragen  sie  in  Echtzeit  an  eine  Cloud.  Dort  werden  die  Daten  gespeichert  und  archiviert.  Weil  die  Endgeräte  verstärkt  miteinander  vernetzt  sind,  können  die  Daten  für  clevere  Anwendungen  abgerufen  und verarbeitet werden. So finden Bürger und Touristen unkompliziert  über Apps die schnellsten Routen innerhalb der Stadt. Sie können auch  gleich  das  passende  Ticket  für  ihre  Route  buchen  und  online  bezahlen. 

„In the city there’s   a thousand things I  want to say to  you…“                (the Jam) 

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Strategien des Supply Chain Managements

Komplette  Stadtführungen  werden  heute  bereits  mit  Hilfe  von  Smart‐ phones selbständig durchgeführt („Selfservice‐City‐Tour“).  Intelligente Park‐ systeme 

Sensoren  auf  Parkplätzen  erfassen  den  Raum  und  erkennen,  ob  ein  Parkplatz gerade durch ein Fahrzeug belegt oder frei ist. Fahrer können  diese  Informationen  über  eine  App  abrufen.  Ein  digitaler  Wegweiser  hilft  dem  Fahrer,  den  gesuchten  Parkplatz  zielsicher  anzusteuern.  Erste  Navigationssysteme  sind  gerade  dabei,  den  zur  Verfügung  stehenden  Parkraum mit der Größe des Fahrzeugs zielsicher abzustimmen. 

Auch die Logistik  lernt in der moder‐ nen Stadt ständig  hinzu 

Moderne Logistikanwendungen bereichern die Smart City auf verschie‐ dene Weise. So befinden sich an zentralen Standorten Lagerboxen in der  Innenstadt. Diese nutzen Lieferdienste als Umschlagsplätze und Abhol‐ stationen. Empfänger können an diesen Boxen ihre Warensendungen zu  jeder  Tag‐  und  Nachtzeit  abholen.  Oder  sie  beauftragen  Kurierdienste  (wie Fahrradkuriere) damit, die letzte Etappe der Auslieferung zu über‐ nehmen. Liefertaxen, Lastenfahrräder, Drohnen und Roboter sind in den  Ballungsräumen  die  logistischen  Schlüsselkomponenten  der  Zukunft.   Die  Durchführung  dreidimensionaler  Planungen,  die  Nutzung  moder‐ ner Robotik (z. B. zur Kommissionierung), der schnelle Datenaustausch  sowie intelligente Prognostik und Analytik sind unverzichtbare Supply  Chain Stellhebel in der Smart City. 

Smart City Loop  als wegweisendes  Zukunftsprojekt 

Unsere  Innenstädte  sind  geprägt  von  Staus,  Feinstaub,  Verkehrslärm,  Fahrverboten,  Unfällen  und  Parkplatznot.  Deshalb  muss  das  Verkehrs‐ aufkommen besser organisiert werden. Ein Vorschlag zur Entlastung der  Innenstädte  liefert  Smart  City  Loop:  Waren  werden  über  ein  unterirdi‐ sches  Röhrensystem  in  die  Städte  hinein  und  aus  ihnen  wieder  heraus  geführt. Die Idee lautet, Güterverteilzentren und City Hubs mit Röhren  zu verbinden. Diese sind mit entsprechender Fördertechnik ausgestattet.  Der  Durchmesser  der  Röhren  lässt  die  Distribution  von  Industriepalet‐ ten  zu.  Die  Güter  werden  vollautomatisch  unterirdisch  aus  den  Güter‐ verteilzentren  in  die  Innenstädte  geschickt.  Bis  die  Waren  in  die  City  Hubs  kommen,  legen  sie  eine  Strecke  von  vier  bis  sieben  Kilometern  zurück.  Im  Distributionsvorgang  übernehmen  Elektro‐Fahrzeuge  die  Letzte  Meile  zum  Kunden.  In  entgegengesetzter  Richtung  werden  Re‐ touren,  Transportverpackungen  und  Leergut  unterirdisch  wieder  aus  der Stadt hinaus befördert und am Stadtrand zum Abtransport verladen. 

Hamburg als  Pionier von Smart  City Loop 

Die  Stadt  Hamburg  erstellt  derzeit  eine  Machbarkeitsstudie  zu  Smart  City Loop. Die Gesamtkosten für das Projekt werden auf über 100 Milli‐ onen  Euro  geschätzt,  wobei  die  Höhe  letztendlich  von  der  Länge  der  verbauten Röhren abhängt. Kunden werden an der Kostenumlage betei‐

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Strategien der Versorgung

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ligt,  sie  zahlen  eine  Gebühr  für  den  Paletten‐Transport.  Die  Projektver‐ antwortlichen  rechnen  damit,  dass  in  Hamburg  täglich  ungefähr  5.000  Paletten  verschickt  und  1.000  LKW  Fahrten  eingespart  werden  können.  Der  Preis  pro  Palette  ist  in  etwa  mit  den  heutigen  Kosten  für  einen  Transportunternehmer vergleichbar (vgl. Lammers 2019, o. S.).  Schließlich  ist  die  smarte  Mobilität  in  der  Stadt  von  Energieeffizienz  geprägt.  Die  Sharing  Economy  ist  ein  zentrales  Element  moderner  Ur‐ banisierung.  Car‐Sharing,  Bike‐Sharing  oder  die  Nutzung  flexibel  fahr‐ barer E‐Scooter auf Leihbasis sind feste Bestandteile für das Leben in der  Smart City (Intermodale Verkehrssysteme). Ursprünglich private Autos  werden zu öffentlichen Taxen umfunktioniert. Die Fahrer und die Gäste  kommunizieren  über  spezielle  Apps  (Uber‐Prinzip).  Sind  Elektrofahr‐ zeuge  beim  Car‐Sharing  im  Einsatz,  informieren  Charging‐Apps  den  Nutzer über internetfähige, öffentliche Ladestationen in der Umgebung. 

„Die Hölle, das ist  der Himmel, den  man mit nieman‐ den teilen kann.“  (E. Ferstl) 

 „Teilen  statt  besitzen“  lautet  das  Motto  der  Sharing  Economy.  Clevere  Geschäftsmodelle  in  der  Logistik  richten  sich  danach  aus,  Fahrzeuge  gemeinschaftlich  zu  nutzten  (Car‐Sharing).  Voraussetzung  dafür  sind  integrierte  Informations‐  und  Buchungssysteme  über  spezielle  Apps.  Collaborative Consumption löst Eigentum ab: Die Autos befinden sich  nicht länger im Eigentum der Nutzer. Sie wechseln vielmehr ständig den  Besitzer.  Für  die Anwender  ist  es  interessant,  dass  sie  nicht  für  die  In‐ standsetzung  und  die  Versicherung  der  Fahrzeuge  verantwortlich  sind.  Ergebnis: Die Sharing Economy entlastet unsere Umwelt. Der Gebrauch  der  geteilten  Autos  gestaltet  sich  bewusster  und  Ressourcen  werden  geschont. Die Sharing Economy ist Bestandteil einer modernen Erlebnis‐  und Spaßgesellschaft. 

Sharing Economy  als Megatrend  unserer Zeit 

Immer mehr Leute teilen Dinge. Manche Menschen überlassen Fremden  ihre Wohnung, wenn sie nicht selbst vor Ort sind. Über Plattformen wie  Airbnb  ist  es  mittlerweile  recht  einfach,  seine  Urlaubstage  in  einer  Pri‐ vatwohnung  zu verbringen. Knapp 20%  deutscher Urlauber haben  Air‐ bnb bereits genutzt, mit steigender Tendenz. Über spezielle Apps werden  Kleidertauschpartys organisiert, Werkzeuge, Garten‐ und  Haushaltsge‐ räte geteilt sowie die Lebensmittelverschwendung bekämpft. Die Vortei‐ le der Sharing Idee liegen auf der Hand: Leihen macht unabhängig und  ist flexibel. Zudem ist es vergleichsweise günstig, da Dinge oder Räume  nur für den tatsächlichen Nutzungszeitraum gezahlt werden.   

„Ich brauche keine  Bohrmaschine, ich  brauche ein Loch in  der Wand.“       (Sinnspruch) 

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C Sankt Martin hat  seinen Mantel  wirklich geteilt, er  hat ihn nicht stun‐ denweise vermietet 

Strategien des Supply Chain Managements

Aber die Sharing Economy hat auch ihre Schattenseiten. Proteste gegen  den  Fahrdienst  Uber  nehmen  zu.  Mancherorts  sehen  sich  Taxifahrer  in  ihrer Existenz bedroht. Kritiker glauben, dass die Mieten in den Städten  auch deshalb so rasant steigen, weil Zweitwohnungsbesitzer ihre Bleibe  lieber teuer und tageweise mit Touristen teilen, als sie an Dauerbewoh‐ ner  zu  vermieten. Als  Gegenreaktion  trat  in  Berlin  2018  das  Zweckent‐ fremdungsverbot  in  Kraft.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  Hotelbetreiber  über die Existenz von Airbnb nicht unbedingt begeistert sind.   

C.3.10.3 Technologien der Kognitiven Supply Chain „Brave new  world.“                 (A. Huxley) 

Die  Kognitive  Supply  Chain  setzt  Dinge  und  Technologien  in  Bewe‐ gung.  Digitale  Gadgets  haben  die  Logistik  erobert:  Tablets,  Smartpho‐ nes, Scanner, Kameras, Headsets und Drohnen sind nicht mehr wegzu‐ denken. Die Kognitive Supply Chain ist eine intelligente Mixtur zeitge‐ mäßer  Sensoren  und Aktoren,  Radiofrequenzsysteme  (RFID),  Barcodes,  GPS,  Electronic  Data  Interchange  (EDI),  Web‐EDI,  Embedded  Systems,  Robotik sowie Cloud‐Computing. In der Folge werden diese und weite‐ re Begriffe bei der Beschreibung wichtiger Unterstützungstechnologien  einer Kognitiven Supply Chain von besonderer Bedeutung sein. 

Kleine Helferlein  der Kognitiven  Supply Chain 

Ohne  helfende  Technologien  wäre  eine  Kognitive  Supply  Chain  kaum  realisierbar (vgl. Spee/Kretschmer 2018). Diese Tools werden nachstehend  näher  erläutert.  Abbildung  C.22  zeigt  die  Komponenten  in  übersichtli‐ cher  Weise.  Dazu  zählen:  Internet  of  Things,  Digital  Twins,  Big  Data,  Blockchain und Machine Learning. 

Abbildung C.22 

Komponenten der Kognitiven Supply Chain 

   

IoT/Digital  Twins 

Big Data 

   

Kognitive  Supply Chain 

             

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Blockchain 

Machine   Learning 

Strategien der Versorgung

C.3

C.3.10.3.1 Internet of Things und Digital Twins Das  klassische  Internet  beschränkt  sich  auf  die  rein  virtuelle  Welt.  Mit  dem Internet of Things (IoT) erweitert sich diese Sicht: Die Vernetzung  des  Internets  mit  Alltagsgegenständen  (vgl.  Borgmeier/Grohmann  2017).  Bestimmte Dinge werden mit Sensoren und Rechenkernen ausgestattet.  Sie  können  ihren  physischen  Zustand  als  Information  in  das  Internet  einspeisen.  Zum  Beispiel  meldet  eine  Fracht  während  eines  Transport‐ vorgangs  Abweichungen  zu  Soll‐Richtwerten  automatisch.  Oder  im  Lager  werden  Lücken  eigenständig  festgestellt  und  Bestellvorgänge  unmittelbar  initiiert:  Intelligente  Regalsysteme  sind  mit  Sensorik  be‐ stückt, sie erkennen eine Warenentnahme sofort. 

Das Internet of  Things ist allge‐ genwärtig 

Ein Beispiel für die Nutzung des Internet of Things in der Supply Chain  liefert  die  Schweizer  Güterbahn  SBB  Cargo  (vgl.  o.  V.  2020,  o.  S.).  Ge‐ meinsam  mit Bosch  Engineering  wurde  ein  „Asset  Intelligence  System“  entwickelt,  um  den  Schienengüterverkehr  zu  optimieren.  Die  Bahnwa‐ gons  sind  mit  Sensoren  ausgestattet.  Diese  sammeln  metergenau  Infor‐ mationen über die Position und den Zustand von Ladung und Wagons  (zum  Beispiel  Temperatur  und  Luftfeuchtigkeit).  Mittels  einer  Vernet‐ zungs‐Hardware  werden  gespeicherte  Daten  über  Mobilfunk  an  einen  Server geschickt. Diese Informationen wertet SBB Cargo aus. Da es beim  Rangieren  und  Verladen  der  Wagons  mitunter  zu  heftigen  Erschütte‐ rungen  kommt  –  wodurch  die  Waren  und  die  Güterwagen  beschädigt  werden  können  –  misst  ein  dreiachsiger  Beschleunigungssensor  die  Stärke,  die  Häufigkeit  und  die  genaue  Position  der  Stöße.  Diese  und  weitere  Daten  werden  über  eine  spezielle  Software  sofort  ausgewertet.  Dadurch ist SBB Cargo bestens gewappnet: Das Unternehmen kann seine  Kunden  beispielsweise  frühzeitig  auf  Verzögerungen  in  den  Transport‐ vorgängen hinweisen. 

„Rezepte aus dem  Internet machen  den User selten  fett.“                       (Kalenderspruch) 

Das Internet of Things kann als Vorstufe für das Entstehen von Digital  Twins verstanden werden. Der digitale Zwilling ist die Software Reprä‐ sentation eines einzelnen Objekts oder eines gesamten Systems. Die Idee  stammt  von  der  NASA.  Diese  setzte  die  Technologie  zur  vollständigen  Nachbildung  früherer  Raumkapseln  ein.  Die  NASA  simulierte  und  di‐ agnostizierte mit dem Zwilling mögliche Probleme im All. 

Die besondere Rolle  digitaler Doppel‐ gänger 

Ein  digitaler Doppelgänger  ist  eine  eindeutige,  virtuelle Abbildung  des  physischen  Objekts.  Dessen  Zustand  und  Verhalten  werden  durch  den  Zwilling überwacht. Die virtuelle Doublette ist dauerhaft mit dem phy‐ sischen Objekt verbunden. Sie aktualisiert ständig verfügbare Informati‐ onen.  Ohne  fremde  Hilfe  erfasst  der  digitale  Zwilling  somit  Verände‐

Was ist ein „Digi‐ tal Twin“? 

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Strategien des Supply Chain Managements

rungen  in  der  wirklichen  Welt.  Die  realen  Objekte  sind  Produkte  oder  Maschinen.  Es  können  aber  auch  komplette  betriebliche  Systeme  mit  digitalen Doubletten abgebildet werden.  Digitale Zwillinge  ermöglichen es,  Zukunftsbilder zu  schreiben 

Bei der Digitalisierung  von  Prozessen erlauben die virtuellen Zwillinge  eine unterschiedliche Sichtweise auf real existierende Dinge. Das physi‐ sche  Objekt  und  sein  digitaler  Doppelgänger  interagieren  fortlaufend  miteinander. Daten aus dem physischen System werden in Echtzeit auf  das  Modell  übertragen.  Die  digitalen  Kopien  sind  in  beliebiger Anzahl  reproduzierbar, mit dem Ziel, Szenarien durchzuspielen. Unternehmen  erhalten schon dann Hinweise von externen Einflüssen auf ihre Objekte  (Produkte,  Systeme),  bevor  diese Aktivitäten  vollständig  abgeschlossen  sind. Dadurch reduzieren sich die Total Cost of Ownership: Maßnahmen  werden antizipativ eingeleitet, im Idealfall bleiben Folgekosten aus. 

Digital Twins in  der Smart Factory 

In  der  Smart  Factory  ist  es  mit  Hilfe  von  Digital  Twins  möglich,  den  kompletten Lebenszyklus von Objekten zu durchleuchten. Beispielswei‐ se können über Simulationen frühzeitig Hinweise darauf erfolgen, wann  bei  Produkten,  Werkzeugen  oder  Maschinen  Verschleißerscheinungen  eintreten.  Dadurch  lassen  sich  kostspielige  Reparaturen  vermeiden.  Letztendlich kann der komplette Materialfluss einer Wertschöpfungsket‐ te  über  Digital  Twins  simuliert  werden.  Mit  dem  Ergebnis,  dass  die  lo‐ gistischen Assets besser ausgelastet sind. 

Maritime Digi‐ talzwillinge 

Ein  weiterer  Einsatzbereich  digitaler  Doubletten  ist  die  Überwachung  von  Containerflotten.  Der  komplette  Transportvorgang  wird  elektro‐ nisch  begleitet  (vgl.  o.  V.  2019,  o.  S.).  Schlaue  Sensoren,  welche  an  die  Schiffscontainer  appliziert  sind,  zeigen  jederzeit  den  aktuellen  Standort  des Schiffes an. Die Sensoren messen nicht nur die Zeit, die Temperatur  oder  die  Luftfeuchtigkeit  auf  dem  Seeweg.  Sie  weisen  möglicherweise  zusätzlich  auf  eine  Verschmutzung  oder  eine  Beschädigung  der  Ware  hin.  Diese  Informationen  fließen  in  den  digitalen  Doppelgänger  des  Containernetzes. Die Reederei überprüft auf diese Weise die Wirtschaft‐ lichkeit ihrer gesamten Containerflotte (vgl. o. V. 2019, o. S.). 

C.3.10.3.2 Big Data Von Big Data zu  Smart Data 

In  vielen  Unternehmen  und  Branchen  nimmt  die  Datenflut  unaufhalt‐ sam  zu.  Daher  verwundert  es  nicht,  dass  seit  geraumer  Zeit  verstärkt  Big  Data  Lösungen  im  betrieblichen  Umfeld  eingesetzt  werden  (vgl.  Freiknecht/Papp 2018; Mayer‐Schönberger 2013). Wenn es nicht nur um die  Menge,  sondern  eher  um  die  Güte  von  Daten  geht,  wandelt  sich  Big 

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Strategien der Versorgung

C.3

Data  zu  „Smart  Data“.  Dann  lautet  das  Motto:  „Qualität  statt  Quanti‐ tät“. Big Data leitet sich aus den „4Vs“ ab: 

 Volume: Datenvolumen, Umfang der Daten.   Velocity: Geschwindigkeit von Datengenerierung und Datentransfer.   Variety: Bandbreite an Datenquellen.   Veracity: Datenechtheit.  Zum  Teil  werden  die  „4Vs“  noch  um  die  zwei  Komponenten  Value  (Mehrwert  von  Daten)  sowie  Validity  (Datenqualität)  erweitert.  Die  Akteure einer Supply Chain erzeugen unzählige Daten. Dies gilt einmal  für  das  Unternehmen  selbst  (interne  Datenbasis).  Aber  auch  für  seine  Verbindung  mit  den  Wertschöpfungsakteuren: Aus  der  Interaktion  mit  Lieferanten,  Kunden,  Dienstleistern  und  weiteren  Partnern  werden  zu‐ sätzliche Daten generiert (externe Datenbasis). Hinzu kommen Sonstige  Informationen.  Diese  bestehen  in  der  Logistik  beispielsweise  aus  Ver‐ kehrs‐  und  Wetterdaten,  sowie  Informationen  zur  Fahrzeugdiagnose  (Wartungstermine von LKW, Kraftstoffverbrauch der Flotte). 

„Verwirrung lässt  sich wunderbar  stiften, wenn man  die Informations‐ menge erhöht.“     (T. Renzie) 

Big  Data  fallen  in  der  Supply  Chain  in  unterschiedlichen  Bereichen  an.  Zum  Beispiel  in  der  Bestands‐  und  Lagerverwaltung.  Mit  Hilfe  von  Sensoren  kann  das  Vorratsmanagement  automatisiert  werden,  um  un‐ liebsame  Stock‐outs  zu  vermeiden.  Die  Einführung  moderner  Lager‐ techniken  führt  häufig  zu  Kostenvorteilen  (beispielsweise  „Pick‐by‐ Vision“), wobei sich die Investitionen in der Regel recht bald amortisie‐ ren.  Moderne  Lagerverwaltungstechniken  sind  zudem  schnell  und  si‐ cher.  Big  Data  hilft  dabei,  das  Lagerlayout  zu  optimieren  und  die  Be‐ standshöhe  zu  überwachen.  Werden  Überstände  festgestellt,  können  gezielt  Aktivitäten  zum  Warenabverkauf  eingeleitet  werden:  Zum  Bei‐ spiel,  wenn  im  Lebensmittelsektor  der  Ablauf  von  Haltbarkeitsdaten  befürchtet wird. 

Big Data in der  Supply Chain 

Ein  weiterer  Einsatzbereich  von  Big  Data  in  der  Logistik  ist  die  Trans‐ port‐  und  Routenplanung.  Wichtige  Informationen  liefern  GPS‐Daten,  Wetter‐  und  Temperaturparameter  sowie  Auskünfte  zur  Entwicklung  von  Kraftstoffpreisen.  Diese  und  viele  weitere  Daten  können  in  eine  moderne  Software  eingegeben  werden,  um  entweder  virtuelle  Fracht‐ börsen zu nutzen oder die eigene Tourenplanung zu optimieren. Derzeit  wird  die  Letzte  Meile  innig  diskutiert.  Mit  mobilen  Internetinformatio‐ nen  und  GPS‐Daten,  lassen  sich  die  Fahrtwege  der  KEP  optimieren.  Somit werden die Distributionskosten abgesenkt. Spezielle Wärme‐ und  Schocksensoren sichern zudem die Ware während des Zustellvorgangs. 

Intelligente Trans‐ port‐ und Routen‐ planung 

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C

Strategien des Supply Chain Managements

Bei  der  Distribution  stoßempfindlicher  Waren  können  Routen  ausge‐ wählt  werden,  auf  denen  die  Fahrzeuge  gezielt  Straßenunebenheiten  vermeiden  (zum  Beispiel  kein  Transport  über  Pflastersteine).  Selbstver‐ ständlich  entlastet  diese  clevere  Transport‐  und  Routenplanung  auch  unsere Umwelt.  Ressourcenpla‐ nung mit Big Data 

Big Data Analytics ist zudem ein wichtiger Baustein für eine verbesserte  Kapazitätsplanung. Aufgrund von Datenverfügbarkeit, können Engpäs‐ se (beispielsweise Stoßzeiten) umgangen und die verfügbaren Kapazitä‐ ten  gleichmäßig  ausgelastet  werden.  Es  erfolgt  zudem  eine  optimale  Zuweisung personeller Ressourcen zu geeigneten Arbeitsmaschinen, mit  dem Ergebnis des beschleunigten Warendurchflusses. 

Der König will  bedient werden 

Auch  im  Kundenmanagement  leistet  Big  Data  in  der  Wertschöpfungs‐ kette  gute  Dienste.  Im  Zuge  der  Digitalisierung  hat  sich  das  Verhalten  von  Konsumenten  gewandelt:  Insbesondere  im  E‐Commerce  wachsen  die Erwartungen. Same Day oder Next Day Delivery, hundertprozentige  Warenverfügbarkeit und fortwährende Updates zum Lieferstatus setzen  Kunden heute voraus. Sie vergleichen die Preise und verlangen pünktli‐ che  Lieferungen,  natürlich  in  guter  Qualität.  Idealerweise  entfallen Lie‐ ferkosten, Retouren müssen unkompliziert sein. Kundendaten gewinnen  somit  an  Bedeutung.  Gezielte  Websiteanalysen  verraten  Einiges  über  einen  Kunden  und  sein  Kaufverhalten  (Alter,  Geschlecht,  Interessen,  Preisvorstellung, Bindungsdauer, Warenretouren). Die gezielte Auswer‐ tung dieser Daten ist die Basis zur Einleitung punktgenauer Marketing‐ kampagnen. 

Umfangreiche  Nutzung von Big  Data durch Ama‐ zon Deutschland 

Ein Beispiel für die Nutzung von Big Data in der Supply Chain liefert  Amazon in Deutschland (vgl. o. V. 2018, o. S.). Das Unternehmen betreibt  in  seinem  Zentrallager  in  Bad  Hersfeld  eine  automatisierte  und  chaoti‐ sche  Lagerhaltung.  Wird  ein  Produkt  dem  Hochregal  entnommen  und  ist somit sein Lagerplatz leer, kommt es zur baldigen Auffüllung dieser  freien Regalfläche durch ein anderes Produkt, das in seinen Maßen ähn‐ lich ist. Die Kosten im Lager sind auf Grund der guten Auslastung  der  Regalplätze  niedrig.  Eine  unabdingbare  Voraussetzung  für  ein  funktio‐ nierendes  Lagermanagement  von  Amazon  ist  ein  gutes  Datenhandling.  Dadurch  geht  beim  Picken  der  chaotisch  gelagerten  Waren  keine  Zeit  verloren.  Das  automatisierte  Lagersystem  des  Unternehmens  zeigt  bei  einem  Bestelleingang  unverzüglich  an,  ob  die  gewünschte  Ware  im La‐ ger aktuell verfügbar ist, oder ob sie sich gerade auf dem Weg nach Bad  Hersfeld befindet. Mit Hilfe von Big Data erhält Amazon ein ausgespro‐

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Strategien der Versorgung

C.3

chen  flexibles  Lagerhaltungssystem.  Es  bietet  die  Möglichkeit,  auf  Schwankungen von Nachfrage oder Bestand zeitnah zu reagieren. 

C.3.10.3.3 Blockchain Eine Blockchain besteht aus einer beständig erweiterbaren Liste dezent‐ raler Datensätze („Blocks“). Diese sind durch kryptografische Verfahren  miteinander  verbunden  (vgl.  Drescher  2017;  Hosp  2018;  Sandner/Welpe  2020).  Die  Kryptografie  ist  die  Lehre  der  Geheimschriften.  Sie  gewähr‐ leistet  eine  vertrauliche  und  authentische  Nachrichtenübermittlung.  Dies  sind  prägende Aspekte  der  Blockchain‐Technologie.  Ein  Block  be‐ sitzt einen kryptografisch sicheren Hash des vorherigen Blocks. Weiter‐ hin verfügt er über Transaktionsdaten und einen Zeitstempel. Im Ergeb‐ nis ist die Blockchain ein dezentrales Teilnehmerprotokoll für Transakti‐ onen  mit  hoher  Datenqualität,  das  Veränderungen  transparent  erfasst  (vgl. Klotz 2016). 

„Bitcoin ist eine  technologische Tour  de Force.“     (FoxBusiness) 

 Dezentralität:  Das  Protokoll  ist  in  Wirklichkeit  eine  riesige  Daten‐ bank. Diese liegt nicht auf einem Server oder bei einem Unternehmen,  sondern  ist  über  Journale  auf  sehr  vielen  Computern  verteilt.  Ein  Journal  gehört  niemandem,  jeder  Teilnehmer  hat  die  identischen  Zu‐ griffsrechte. 

 Transaktionen:  Transaktionen  können  alle  Arten  von  Informationen  sein.  Sie  sind  zu  jeder  Zeit  nachvollziehbar.  Auch  von  Teilnehmern,  die später in die Blockchain eingetreten sind. Die Transaktionen sind  zum Teil finanzieller Art (Bitcoins). Es existieren aber auch unzählige  nicht‐finanzielle Transaktionen. 

 Teilnehmer: Die Teilnehmer sind Parteien. Sie befolgen die Regeln der  Blockchain.  Diese  Regeln  ermöglichen  es,  Transaktionen  direkt  zwi‐ schen  den  Parteien  abzuwickeln.  Kostenpflichtige  Intermediäre  (Ver‐ mittler) müssen in die Abwicklungen nicht einbezogen werden. 

 Transparenz:  Das  Journal  der  Blockchain  wird  ständig  durch  ein  Netzwerk  an  „Minern“  kontrolliert.  Die  Miner  verifizieren  Block  für  Block,  hinterlegen  Informationen  und  teilen  sie  im  Netzwerk.  Jede  Partei hat Zugriff auf die identische Blockchain. 

Eine Information wird in Blöcken abgelegt. Die Art der Information ist  zweitrangig.  Es  kann  sich  um  Finanztransaktionen  handeln. Aber  auch  Verträge, Testamente, Aktien oder Kaufverträge werden hinterlegt. Jeder  Block  ist  mit  einem  vorhergehenden  Block  verbunden  und  enthält  eine 

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Verkettung einzel‐ ner Blöcke 

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Strategien des Supply Chain Managements

Historie:  Die  Prüfsumme  des  vorhergehenden  Blocks  sowie  die  Prüf‐ summe der kompletten Kette.  „Nichts als die  Wahrheit…“ 

Durch das Mining erfolgt die Authentifizierung des Blocks. Ist der Block  erst einmal verifiziert, kann die darin abgelegte Information nicht mehr  verändert werden. Die Nachricht ist für alle Teilnehmer sichtbar gespei‐ chert  und  für  jeden  Zugreifer  im  Original  verfügbar.  Korruption  und  Manipulation  sind  kaum  möglich.  Das  Blockchain‐Protokoll  ist  eine  „Single Source of Truth“ („einzige Quelle der Wahrheit“). Wie erwähnt,  werden  die  Blöcke  über  Miner  verifiziert.  Diese  Minenarbeiter  stellen  zudem Rechenleistung zur Verfügung. Sie sind quasi die Buchhalter der  Blockchain.  Miner  erhalten  zur  Belohnung  eine  Kryptowährung:  Bit‐ coins. Diese virtuelle Währung kommt ohne Banken aus. Die Entschädi‐ gung der Miner wird als „Proof of Work“ bezeichnet. 

Sicherheit über  Verschlüsselung 

Jeder Akteur einer Blockchain benötigt eine Zugangssoftware („Wallet“).  Diese  enthält  ein  Schlüsselpaar:  Bestehend  aus  einem  privaten  und  einem öffentlichen Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel ist für jeden Teil‐ nehmer  einsehbar.  Der  private  Schlüssel  ist  hingegen  geheim  und  ver‐ gleichbar  mit  einem  Passwort.  Jede  Transaktion  in  der  Blockchain  wird  mit  Hilfe  des  privaten  Schlüssels  signalisiert.  Ohne  diese  Kennzeich‐ nung  ist  eine  Transaktion  ungültig.  Das  Schlüsselpaar  besitzt  eine  asymmetrische Verschlüsselung. Somit ist es für ein Dritten unmöglich,  nur  anhand  des  öffentlichen  Schlüssels  den  privaten  Code  erraten  zu  können. 

Smart Contracts in  der Blockchain 

Ein Beispiel für die Nutzung der Blockchain sind Smart Contracts (vgl.  Klotz 2016): Wird ein Autokauf mittels einer Blockchain über Kaufraten  abgewickelt,  erfolgt  die  Freischaltung  des  digitalen  Autoschlüssels  für  den neuen Eigentümer erst, nachdem der festgelegte Kaufpreis auf dem  Konto des Verkäufers eingegangen ist. Beim Ausbleiben einer Rate, wird  der Wagen automatisch gesperrt. Die Vertragsführung erfolgt wertneut‐ ral, und zwar exakt so, wie der Vertrag in der Blockchain hinterlegt ist.  Es  liegt  also  eine  Wenn‐Dann‐Beziehung  vor:  Sobald  ein  Ereignis  mit  direktem  Bezug  zum  Vertragsinhalt  eintritt,  wird  die  entsprechende  Aktion ausgelöst. Der digital hinterlegte Vertrag kommuniziert über die  Blockchain  direkt  mit  dem  Objekt  (hier:  dem  Auto).  Ein  Beispiel  für  einen Smart Contract stellt das System „Ethereum“ dar.  

Revolution in der  Musikbranche 

Der  Blockchain‐Gedanke  wird  auch  von  der  Musikindustrie  genutzt.  Wenn  ein  Musikdienst  die  Blockchain  einsetzt,  ist  er  quasi  ein  öffentli‐ cher,  dezentraler  Musikladen.  Er  benötigt  keine  Plattenverträge  mehr.  Die  Künstler  verwalten  in  der  Blockchain  die  Rechte  an  der  Nutzung 

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Strategien der Versorgung

C.3

ihrer eigenen Musik selbst. Zudem ändert sich das Verhältnis zwischen  Fan und Künstler schlagartig: Fans können jetzt aktiv an der Unterstüt‐ zung eines Künstlers teilhaben. Sie sorgen für eine Verbreitung der Mu‐ sik  und  werden  Teil  des  Erfolgs.  Ein  Musikdienst,  der  die  Blockchain‐ Technologie nutzt, ist „Bit Block Music“.  Für  eine  Supply  Chain  ist  der  Blockchain‐Gedanke  allein  deshalb  reiz‐ voll,  weil  die  Anzahl  beteiligter  Akteure  nicht  begrenzt  ist.  So  können  Lieferanten,  Hersteller,  Dienstleister,  Händler  und  Kunden  gleicherma‐ ßen  darin  eingebunden  sein.  Unternehmen  wie  Walmart  und  Carrefour  beginnen gerade damit, die Blockchain zur Neuausrichtung ihrer Aktivi‐ täten in der Wertschöpfungskette zu nutzen. 

Reiz der Blockchain  für den Wertschöp‐ fungsverbund 

Die  Supply  Chain  Blockchain  wird  auch  als  „Enterprise  Blockchain“  oder  „Industrial  Blockchain“  bezeichnet.  Ein  möglicher  Einsatzbereich  ist das Dokumentenmanagement. Dieses ist unentbehrlich für die Einlei‐ tung  von  Distributionsaktivitäten.  Papierlose  Abwicklungen  sind  zum  Beispiel für die Schifffahrt interessant. Das Konnossement (der Fracht‐ brief)  kann  in  eine  Blockchain  eingestellt  und  dort  verwaltet  werden.  Alle Beteiligten (Sender, Empfänger, Spediteure, Carrier, Banken, Versi‐ cherungen) haben Zugriff auf die identischen und digitalisierten Doku‐ mente.  Änderungen  oder  Löschungen  können  alle  Teilnehmer  jederzeit  nachvollziehen.  Durch  die  asymmetrische  Verschlüsselung  bleiben  hochsensible  Informationen  geschützt,  absolute  Sicherheit  ist  gewähr‐ leistet.  Die  Transaktionen  sind  zertifiziert,  sie  können  dezentral  und  global gespeichert werden. Alle Akteure signieren in der Blockchain ihre  Frachtbriefe digital („Digital Stampery“).  

„Das Schiff hängt  mehr am Ruder, als  das Ruder am  Schiff.“        (Sprichwort) 

Die  weltweit  größte  Reederei  für  Containerschiffe,  das  Unternehmen  Maersk, ist gerade dabei, die Blockchain zur Hinterlegung ihrer Konnos‐ semente  im  Netz  zu  nutzen  (vgl.  Hofmann  2019,  o.  S.).  Das  Vorhaben  wird durch IBM begleitet und umgesetzt, es nennt sich „Trade‐Lens“. 94  weltweit  tätige  Organisationen  haben  sich  „Trade‐Lens“  angeschlossen.  Darunter  finden  sich  PSA  Singapore,  Patrick  Terminals,  Hafenbehörden,  Schifffahrtslinien und Transportunternehmen. Von diesem Projekt erhof‐ fen  sich  Maersk,  mit  Stammsitz  in  Dänemark,  und  die  weiteren  Partner  einen  Rückgang  an Betrug (weniger  Schmuggel),  eine  Reduzierung  der  Fehlerrate  in  der  Abwicklung,  schnellere  Transporte  (durch  die  rasche  Überprüfbarkeit der Verschiffungs‐ und Verladedokumente) sowie weit‐ reichende  Kosteneinsparungen.  Ebenso  wird  die  Supply  Chain  Block‐ chain  bereits  in  der  Lebensmittelindustrie  und  im  Pharmabereich  ge‐ nutzt. 

Globale Bedeutung  von „Trade‐Lens“ 

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Strategien des Supply Chain Managements

C.3.10.3.4 Machine Learning Lernende Maschi‐ nen und Künstli‐ che Intelligenz 

Machine Learning ist ein wichtiger Teilbereich der Künstlichen Intelli‐ genz  (KI).  Über  maschinelles  Lernen  werden  IT‐Systeme  in  die  Lage  versetzt,  auf  Basis  vorhandener  Datenbestände  und  dynamischer Algo‐ rithmen, bestimmte Verhaltensmuster und Gesetzmäßigkeiten zu erken‐ nen  (vgl.  Burkov  2019;  Geron  2019;  Nguyen/Zeigermann  2018).  Die  IT‐ Systeme  finden  eigenständig  Lösungen  für  sich  ergebende  Probleme.  Künstliches  Wissen  leitet  sich  aus  Erfahrungen  ab.  Ein  großer  Vorteil  von Machine Learning ist, dass dynamische Modelle erstellt werden, die  nicht  nur  Muster  aus  ihrer  eigenen  Geschichte  ableiten.  Sie  lassen  sich  weiterentwickeln,  indem  sie  unbekannte  Parameter  anderer  Datenquel‐ len aktiv einbeziehen. 

„Wer seine Ge‐ schäfte maschi‐ nenmäßig betreibt,  der bekommt ein  Maschinenherz.“  (Konfuzius) 

Eine Software kann nur selbständig lernen und Lösungen finden, wenn  sie  zuvor  mit  relevanten  Daten  und  Algorithmen  gefüttert  wurde.  Zu‐ dem sind Regeln für die Analyse des Datenbestands und das Erkennen  der Verhaltensmuster aufzustellen. Dabei ist Maschine Learning vielsei‐ tig  einsetzbar:  Richtig  eingestellt,  können  die  IT‐Systeme  Vorhersagen  auf  Basis  analysierter  Daten  treffen.  Sie errechnen  Eintrittswahrschein‐ lichkeiten  für  Ereignisse  und  erkennen  gezielt  Verhaltensmuster.  Mit  Machine  Learning  werden  Daten  gefunden,  extrahiert  und  zusammen‐ fasst. Die bedeutsamsten Verfahren von Machine Learning sind: 

Überwachtes Ler‐ nen mit bekannten  Eingangsdaten 

 Überwachtes  Lernen  (Supervised  Learning):  Der  dynamische  Algo‐

Unüberwachtes  Lernen ohne kon‐ kretes Ziel 

 Unüberwachtes  Lernen  (Unsupervised  Learning):  Der  Algorithmus 

rithmus lernt eine Funktion aus gegebenen Paaren von Eingaben und  Ausgaben  eines  Verhaltensmodells.  Die  Eingangsparameter  sind  be‐ kannt. Während des Lernens stellt ein „Lehrer“ den korrekten Funk‐ tionswert  zu  einer  Eingabe  bereit.  Ziel  des  Überwachten  Lernens  ist  es,  dem  Netz  die  Fähigkeit  anzutrainieren,  bestimmte  Assoziationen  herzustellen.  So  können  beispielsweise  Handschriften  erkannt  wer‐ den.  Sind  Bilder  von  Fröschen  und  Molchen  zu  unterscheiden,  gibt  der Entwickler an, auf welchen Fotos ein Frosch und auf welchen Bil‐ dern ein Molch zu sehen ist. Nach der Analyse tausender Fotos, lernt  der Algorithmus  selbständig  Schritt  für  Schritt,  die  Froschbilder  und  die Molchbilder zu unterscheiden.  erzeugt für eine gegebene Menge von Eingaben ein Modell, das Vor‐ hersagen  trifft.  Der  Entwickler  gibt  jedoch  kein  konkretes  Ziel  vor.  Das  System  weiß  also  nicht,  was  es  erkennen  soll.  Über  ein  Clus‐ tering Verfahren werden Daten in unterschiedliche Kategorien einge‐ teilt. Das Ziel ist es, Eingaben in charakteristische Muster zu differen‐ zieren.  Wenn  dem  System  Froschbilder  und  Molchbilder  vorgelegt 

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Strategien der Versorgung

C.3

werden, teilt es alles, was aussieht wie ein Frosch und alles, was aus‐ sieht  wie  ein  Molch,  in  entsprechende  Gruppen  ein.  Ohne  diese  je‐ doch so zu benennen, denn der Algorithmus weiß noch gar nicht, wie  ein Frosch und wie ein Molch aussehen und wie sie heißen. 

 Bestärkendes Lernen (Reinforcement Learning): Synonym wird auch  der  Begriff  „Verstärkendes  Lernen“  verwendet.  Ein  Ausgangsdaten‐ material wird nicht benötigt. Der Algorithmus lernt durch Belohnung  oder Bestrafung eine bestimmte Taktik. Das Ziel ist es herauszufinden,  wie in möglichen Situationen zu handeln ist, um den Nutzen des An‐ wenders  zu  maximieren  (Trial‐and‐Error‐Verfahren).  Ein  bekanntes  Beispiel für Bestärkendes Lernen ist „AlphaGo“ von Google. „AlphaGo  Zero“ kann sich mit den weltweit besten Spielern des Brettspiels „Go“  messen  und  sich  das  Spiel  ohne  menschliches  Zutun  selber  beibrin‐ gen. Für Menschen ist das Bestärkende Lernen übrigens die häufigste  Lernform. 

Bestärkendes Ler‐ nen mit Hilfe von  Nutzenmaximie‐ rung 

Im  Internetumfeld  werden  über  Machine  Learning  beispielsweise  Spam‐Mails  selbständig  erkannt  und  geeignete  Spam‐Filter  vorgeschla‐ gen. Auch die Sprach‐ und die Textbearbeitung digitaler Assistenten ist  möglich.  Über  Machine  Learning  lässt  sich  zudem  die  Relevanz  von  Webseiten  für  Suchbegriffe  oder  das  Erkennen  von  Internetaktivitäten  bestimmter  User  erfassen.  Weitere  Anwendungsbereiche  sind  die  Bild‐  und  die  Gesichtserkennung,  Aktienmarktanalysen  oder  das  automati‐ sche Erkennen von Kreditkartenbetrug. 

„Ich habe schon  einiges gelernt und  weiß: Gigabyte  sind nicht der  Nachfolger von  Mega Perls.“        (H. Schmidt) 

In der Supply Chain kann Machine Learning dazu dienen, die Forecast  Accuracy  (Absatzprognosegenauigkeit)  besser  einschätzen  zu  können.  Die maschinellen Algorithmen speisen sich beispielsweise aus den Kun‐ denbestellungen  und  tatsächlichen  Warenabverkäufen  der  Vergangen‐ heit:  Haben  Kunden  ihre  Bestellungen  nach  Warenzugang  behalten?  Oder  haben  sie  ihre  Warenbestellungen  storniert?  Vielleicht  haben  die  Kunden  die  bestellte  und  ausgelieferte  Ware  nach  Erhalt  direkt  wieder  zurückgeschickt,  weil  das  T‐Shirt  nicht  passte. Auf  diese  Weise  können  Signale identifiziert werden, die einen Anstieg oder einen Rückgang der  Nachfrage  voraussehen.  Ein  Wissen,  das  unabdingbar  ist,  wenn  Unter‐ nehmen frühzeitig ihre Lagerbestände anpassen wollen. 

Planungssicherheit  von Kunden als  Königsdisziplin 

Im  Tourenmanagement  hilft  Machine  Learning  bei  der  Planung  von  Transportwegen.  So  können  über  die  Algorithmen,  die  ihre  Funktions‐ weise ständig anpassen, Berechnungen zur voraussichtlichen Ankunfts‐ zeit  von  Warensendungen  vorgenommen  werden.  Auch  sind  Rück‐ schlüsse auf die Sendungsverfolgung von Frachtsendungen möglich. Ein  wichtiger  Punkt  für  Kurier,  Express‐  und  Paketdienstleister,  wenn  es 

KEP können Ma‐ chine Learning  umfangreich nut‐ zen 

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Strategien des Supply Chain Managements

darum geht, die schnellste Route in Echtzeit zu finden und Verzögerun‐ gen  sowie  Unterbrechungen  im  Distributionsvorgang  vorherzusagen.  Die  Fahrzeugflotte  kann  über  Predictive  Maintenance  optimiert  wer‐ den:  Im  einfachsten  Fall  werden  Ausfallzeiten  von  Fahrzeugen  über  Betriebsstunden und Lastenprofile prognostiziert. Zudem kann die Sen‐ sorik dazu genutzt werden, um Daten über die eingesetzten Fahrzeuge  gezielt  auszuwerten.  Dies  hilft  dabei,  die  wahrscheinlichen  Wartungs‐  und  Instandhaltungstermine  für  die  Flotte  vorherzusagen,  wodurch  teure Reparaturen zum Teil vermeidbar sind. 

C.3.10.4 Kognitive Supply Chain Die schlaue Supply  Chain ist selbstler‐ nend 

Ohne die oben charakterisierten Technologien wäre das Entstehen einer  Kognitiven  Supply  Chain  kaum  denkbar:  Internet  of  Things,  Digital  Twins, Big Data, Blockchain und Machine Learning sind die Grundpfei‐ ler,  auf  denen  sich  eine  Kognitive  Supply  Chain  errichtet.  Das  Ziel  der  Kognitiven  (im  Sinne  einer  lernenden,  wahrnehmenden,  erkennenden,  denkenden)  Supply  Chain  liegt  in  der  Selbstoptimierung  der  Smart  Factory.  Die  Assets  in  einer  intelligenten  Fabrik  sind  eng  miteinander  vernetzt:  Kommunikation  und  Steuerung  des  Materialflusses  erfolgen  autonom, also ohne das Eingreifen von Menschen. 

„Heute ist die  Utopie vom Vor‐ mittag die Wirk‐ lichkeit vom  Nachmittag.“        (T. Capote) 

In der Kognitiven Supply Chain sind die eingesetzten Komponenten in  der Lage, eigenständig zu lernen, wiederkehrende Muster zu erkennen  und daraus hilfreiche Handlungsempfehlungen abzuleiten. Es sind alle‐ samt  selbsterkennende  Tools,  welche  die  Mitarbeiter  in  ihrer  Entschei‐ dungsfindung  direkt  unterstützen,  indem  sie  frühzeitig  auf  zukünftig  eintretende Ereignisse hinweisen. Somit sind die eingesetzten Produkti‐ onssysteme  in  der  Lage,  die  beständig  wachsenden  Individualisie‐ rungswünsche von Kunden zu erfüllen. 

Antizipation und  unbedingte Vernet‐ zung in der Wert‐ schöpfungskette 

Eine  derartige  Vernetzung  und  gezielte  Steuerung  leistungsfähiger  Ele‐ mente entlang einer Wertschöpfungskette wird als Supply Chain Execu‐ tion  System  bezeichnet.  Es  ist  eine  kluge  Steuerungszentrale,  welche  den  beteiligten Akteuren einer Wertschöpfungskette relevante Informa‐ tionen transparent zur Verfügung stellt. Sie verbindet die Partner unter‐ einander und liefert Informationen in Echtzeit. Das Supply Chain Execu‐ tion  System  ist  in  der  Welt  einer  Kognitiven  Supply  Chain  von  un‐ schätzbarem Wert. Die Gretchenfrage darin lautet: „Was wird passieren  und wie können wir uns optimal darauf vorbereiten?“. Eine unmittelba‐ re  Antwort  auf  diese  Frage  liefert  der  Adaptive  Wertschöpfungsver‐ bund. 

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Strategien der Versorgung

C.3

In einer adaptiven (anpassungsfähigen) Welt richten sich Informations‐ fluss und Materialfluss flexibel nach dem Fortschritt der Fertigung aus.  Zwischen  den  Mitarbeitern  in  der  Produktion  und  der  Supply  Chain  werden die Aktivitäten synchronisiert. Adaptive Supply Chain Systeme  reagieren bei Störungen oder unerwarteten Ereignissen schnell, agil und  eigenständig.  Dies  sind  wichtige  Voraussetzungen  für  die  Realisierung  der Smart Factory. Das Internet of Things wird zum Internet of Supply  Chain. So sind in adaptiven Lieferketten intelligente Behälter mit Senso‐ rik ausgestattet. Sie zeigen automatisch an, wenn sie leer sind und auf‐ gefüllt  werden  müssen.  Ausgelastete  Maschinen  weisen  Aufträge  selb‐ ständig an Fertigungszellen weiter, die über freie Kapazitäten verfügen.  Die  Digitalisierung  wirft  ihren  Schatten  auf  die  Kognitive  Supply.  Sie  richtet sich nach den Attributen Schnelligkeit, Flexibilität, Granularität,  Genauigkeit und Effizienz aus (vgl. Alicke/Rachor/Seyfert 2016, o. S.): 

Die clevere Idee des  Anpassens 

 Schnelligkeit: Neue Ansätze der Warenzustellung verkürzen die Lie‐

„Es gibt Wichtige‐ res im Leben als  beständig dessen  Geschwindigkeit zu  erhöhen.“             (M. Gandhi) 

ferzeiten  zum  Teil  erheblich.  Zudem  erhöht  sich  die  Prognosegenau‐ igkeit durch den Einsatz geeigneter Verfahren. Die Vorhersagen selbst  werden  nicht  mehr  nur  monatlich  aufgestellt,  sie  erfolgen  eher  wö‐ chentlich  oder  sogar  täglich.  „Predictive  Shipping“  bedeutet,  dass  Produkte  bereits  versendet  werden,  bevor  der  Kunde  per  Mausklick  seine Bestellung aufgibt. Dieses Prinzip ist für Waren  mit hohem La‐ gerumschlag  einsetzbar  (Fast  Moving  Goods,  also  schnell  drehende  Artikel mit hohem Lagerumschlag). 

 Flexibilität: Echtzeitplanungen ermöglichen eine flexible Reaktion auf  Nachfrage‐ und Angebotsänderungen. Auf Grund guter Verfolgungs‐ systeme  (Tracking  and  Tracing)  können  Kunden  bei  Bedarf  die  Sen‐ dung  an  ein  bequemes  Ziel  umleiten.  Außerdem  werden  Supply  Chain Dienste bei Bedarf verstärkt zugekauft; die Ressourcen müssen  nicht  länger  im  eigenen  Haus  verfügbar  sein  (Buy‐Abwicklung  statt  Make‐Variante).  Ebenso  gewinnen  viele  Transportnetze  an  Agilität,  indem  der  Verkehrsfluss  clever  geregelt  wird  (z.  B.  lernende Ampel‐ systeme in der Smart City, die über Sensorik gesteuert werden). 

 Granularität:  Kunden  wünschen  immer  häufiger  individuell  bedient  zu  werden.  Deshalb  bietet  sich  eine  Mikrosegmentierung  von  Kun‐ dendaten an: Die Kundenwünsche werden in geeignete Cluster sepa‐ riert.  Konsumenten  wählen  aus  einen  „Supply  Chain  Menü“  diejeni‐ gen Leistungen aus, welche ihre Wünsche am besten befriedigen (Rea‐ lisierung von „Customization“). 

267

Agilität in der  Wertschöpfungs‐ kette 

Supply Chain  Menü für Kunden  zusammenstellen 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Performance Mea‐ surement im  Netzwerk 

 Genauigkeit:  In  der  Supply  Chain  werden  verstärkt  End‐to‐End‐

Kognitive Kosten‐ Nutzen‐ Optimierung 

 Effizienz:  Zunehmende  Digitalisierung  führt  in  der  Regel  zu  einem 

Lösungen eingefordert, die in Echtzeit ablaufen. Ein Beispiel dafür ist  die Möglichkeit der exakten räumlichen Ortung einzelner Akteure im  kompletten  Netzwerk.  Da  in  der  Regel  sehr  viele  Daten  zur  Verfü‐ gung  stehen,  können  diese  zur  automatischen  Ableitung  geeigneter  Kennzahlen genutzt werden. Mit ihnen lässt sich die Erfolgswirksam‐ keit eingeleiteter Maßnahmen exakt messen.  Anstieg  der  Wirtschaftlichkeit.  Bereits  heute  wird  die  Lagerhaltung  über  moderne  Roboter  abgewickelt,  der  Automatisierungsgrad  im  Warehouse  ist  hoch.  Mit  der  Nutzung  zeitgemäßer  Planungstools  werden zudem Ineffizienzen innerhalb der Lieferkette aufgedeckt und  aktiv bekämpft. 

Sensoren und  Aktoren steuern  den Warenfluss  selbständig 

Die  Systemkomponenten  kommunizieren  und  interagieren  in  der  Kog‐ nitiven  Supply  Chain  ohne  menschliche  Eingriffe:  Industrie  4.0  und  Supply  Chain  4.0  verschmelzen  miteinander.  Die  Arbeitsweise  richtet  sich lateral (seitlich) aus: Während bislang noch zentrale Organisations‐ einheiten bei Störungen eingreifen mussten (z. B. über einen logistischen  Leitstand),  erkennt  die  Anlage  nun  selbst  ein  Problem  und  initiiert  ei‐ genständig Verbesserungsaktivitäten. Der Prozessablauf passt sich, ohne  Zutun des Menschen, an eine bestimmte Situation an: Informationsfluss  und  Materialfluss  verlaufen  synchron.  Beispielsweise  verlangsamen  sich Produktions‐ und Distributionsabläufe im Störungsfall automatisch.  Ebenso  werden  Warenströme  von  selbst  auf  andere  Arbeitsstationen  umgeleitet, wenn die Kapazitäten einer Maschine ausgelastet sind. 

Predictive Analyt‐ ics in der Supply  Chain 

In der Kognitiven Supply Chain verfügen smarte Komponenten über die  Fähigkeit,  selbständig  zu  lernen.  Wiederkehrende  Verhaltensmuster  werden  von  den  Objekten  erkannt  und  Handlungsempfehlungen  au‐ tomatisch abgegeben. Die Voraussetzung zur Realisierung dieser hyper‐ intelligenten  Abläufe  sind  Datenbestände  von  extrem  hoher  Qualität.  Aus  validen  Daten  lassen  sich  gut  strukturierte,  semantische  Analysen  ableiten. Mit Hilfe von Predictive Analytics werden sich wiederholende  Muster  aufgedeckt  und  Vorhersagen  über  die  Wahrscheinlichkeit  zu‐ künftiger  Ereignisse  getroffen  („what  will  happen?“).  Ein  möglicher  Ein‐ satzbereich in der Wertschöpfungskette ist die Steuerung von Transport‐ vorgängen.  Predictive Analytics  hilft  dabei,  günstige  Spediteure  zu  fin‐ den,  Analysen  zur  optimalen  Gewichtsverteilung  auf  Lieferfahrzeugen  durchzuführen  und  unerwartete  Zustände  zu  erkennen,  die  Warenzu‐ stellungen beeinträchtigen (Nachrichten, Wetter, Engpässe).   

268

Strategien der Versorgung

C.3

Teilweise  schlägt  das  System  mögliche  Lösungen  vor  und  rät  dazu,  be‐ stimmte  Handlungen  vorzunehmen,  damit  ein  Ereignis  (nicht)  eintritt:  Bei Prescriptive Analytics dominiert die Frage „how can we make it hap‐ pen?“.  Es  werden  konkrete  Ratschläge  darüber  erteilt,  wie  man  einen  Trend in eine gewünschte Richtung lenken kann, wie man ein vorherge‐ sagtes  Ereignis  verhindert,  oder  wie  man  auf  ein  zukünftiges  Ereignis  reagiert.  Dazu  führen  die  Unternehmen  beispielsweise  Monte  Carlo  Simulationen durch. 

„Wenn man nicht  mehr weiter kann,  fängt man zu  simulieren an.“  (Redewendung) 

Die Kognitive Supply Chain versetzt die Akteure in die Lage, sich früh‐ zeitig  auf  mögliche  Szenarien  einzustellen.  Erkennt  das  System  zum  Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Trendartikel, ist es nahe‐ liegend,  frühzeitig  im  Lager  Platz  zu  schaffen  und  die Bevorratung  ge‐ zielt  nach  diesem  Trendartikel  auszurichten.  Schließlich  ist  mit  einer  baldigen Nachfrage dieses Artikels zu rechnen. Dadurch steigt der Rei‐ fegrad beachtlich: Das Unternehmen ist auf seinem Weg zur lernenden  Organisation. 

„Lernen ist wie  Rudern gegen den  Strom: Hört man  damit auf, treibt  man zurück.“    (Laozi) 

Mitarbeiter  werden  in  der  Kognitiven  Supply  Chain  in  ihrer  Entschei‐ dungsfindung  unterstützt  und  entlastet.  Clevere  Systeme  weisen  die  Menschen selbständig und frühzeitig auf kaum vorhersehbare wie auch  wahrscheinlich  eintretende  Ereignisse  gleichermaßen  hin.  Dadurch  be‐ steht für die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre Arbeitsabläufe kurzfristig  an neue Situationen flexibel anzupassen: Zum Beispiel können die Wert‐ schöpfungspartner  beim  Einsatz  von  Event  Management  Programmen  auf Störungen in der Lieferkette, volatile Preisgestaltung, Qualitätsprob‐ leme  von  Lieferanten  oder  personelle  Engpässe  frühzeitig  hingewiesen  werden.  Dies  ist  wichtig,  um  in  der  Produktion  und  der  Supply  Chain  adäquat  auf  die  sich  immer  rascher  ändernden  Kundenpräferenzen  reagieren zu können. 

Kurze Reaktions‐ zeiten im Supply  Chain Event Ma‐ nagement 

In der digitalisierten Wertschöpfungskette finden sich viele eingebettete  Systeme  (Embedded  Systems).  Diese  elektronischen  Geräte  sind  eine  Kombination  aus  Hardware  und  Software.  Sie  werden  für  ganz  be‐ stimmte  Funktionen  konzipiert  und  sorgen  in  der  Industrie  für  die  Funktionalität von Anlagen und Maschinen. Aber auch autonome Fahr‐ zeuge, Haushaltsgeräte, Smartphones, Spielzeuge oder Verkaufsautoma‐ ten nutzen Embedded Systems. Wichtige Schlüsseltechnologien für den  Einsatz  von  Embedded  Systems  sind  Autobau,  Luft‐  und  Raumfahrt,  Maschinenbau,  Telekommunikations‐  und  Elektroindustrie,  Medizin‐ technik sowie Energietechnik. 

Eingebettete Sys‐ teme sind der  Schlüssel zum  Erfolg 

269

C

Strategien des Supply Chain Managements

Mikroprozessoren  und Mikrocontrol‐ ler   

Die Verbindung eingebetteter Systeme zum Internet der Dinge liegt auf  der Hand. Die Hardware von Embedded Systems basiert auf Mikropro‐ zessoren, in denen eine einzige Zentraleinheit implementiert ist. Es kön‐ nen  aber  auch  Mikrocontroller  verbaut  sein:  Komponenten,  die  neben  der Zentraleinheit noch über Speicher oder Peripheriegeräte verfügen. 

Sense‐Think‐Act‐ Modell 

In  der  modernen  Fabrik  stellen  Embedded  Systems  eine  gelungene  Symbiose dreier Dimensionen dar, die in ein „Sense‐Think‐Act“‐Modell  integriert sind (vgl. Nebel 2018, o. S.). 

Erfassung und  Kommunikation  durch Sensorik 

 Sense:  Das  eigebettete  System  verfügt  über  Sensorik.  Diese  Sensorik 

„Denken ist allen  Menschen erlaubt,  bleibt aber vielen  erspart.“                (C. Goetz) 

 Think:  Ein  weiterer  Baustein  von  Embedded  Systems  ist  die  Daten‐

Aktoren setzen  Befehle um 

 Act: Die dritte Komponente eingebetteter Systeme ist die Aktorik. Ak‐

„Hamburg, meine  Perle.“              (Lotto King Karl) 

ist  zum  Beispiel  die  Basis  für  eine  Bildverarbeitung.  Mit  ihrer  Hilfe  können Fahrerlose Transport Systeme Hindernisse erkennen und um‐ steuern.  Dazu  werden  spurgeführte  Transportmittel  mit  sensorischer  Umgebungserfassung  eingesetzt.  Neben  der  Kollisionsvermeidung  taugen  die  Sensoren  zur  Navigation  und  zur  Lokalisation.  Auch  Augmented  Reality  richtet  sich  nach  dem  Prinzip  „Sense“  aus  (Pick‐ by‐Vision).  Die  Sensorik  ist  aber  nicht  nur  für  die  Umgebungserfas‐ sung von immenser Bedeutung. Sie ist auch die Basis zur Kommuni‐ kation innerhalb der Smart Factory. Dadurch wird der selbständige In‐ formationsaustausch  zwischen  den  Cyber‐Physischen‐Systemen  er‐ möglicht.  verarbeitung. Sie sichert beispielsweise die Navigation selbststeuern‐ der  Cyber‐Physischer‐Systeme. Aber  auch  die  Tourenplanung  richtet  sich  nach  dem  „Think“‐Prinzip  aus.  Sie  ist  nicht  nur  für  Kurier‐,  Ex‐ press‐ und Paketdienste von großem Nutzen.  toren führen die von Sensoren angestoßenen Befehle an Objekten aus.  So  werden  in  der  smarten  Logistik  Fahrtenregler  über  Aktoren  ge‐ steuert,  Ladungsträger  automatisch  geöffnet  oder  geschlossen  und  Waren von Robotern selbststeuernd aus dem Regal gegriffen. 

Ein  Beispiel  für  die  Realisierung  einer  Kognitiven  Supply  Chain  ist der  Hamburger Hafen. Wegen seiner Lokalität kann der Hafen nicht weiter  ausgebaut  werden,  dennoch  steigen  dort  die  Frachtvolumina  stetig.  Deshalb  wurden  moderne  Cloud‐Anwendungen  im  Hamburger  Hafen  installiert. Sie gewährleisten eine Realtime‐Datensammlung über Radio‐ frequenzsysteme  und  weitere  spezielle  Sensorik.  Eine  Vielzahl  von  Da‐ ten  über  Hafenverkehr,  Speditionen,  Lagerdienstleister,  Paketzusteller  und  sonstige  Partner  wird  täglich  aufgenommen,  verarbeitet  und  wei‐ tergeleitet.  So  ist  es  möglich,  die  Warenflüsse  im  Hafen  intelligent  und  autonom zu steuern. Die Effizienz der Güterverteilung hat sich spürbar  270

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

verbessert. Zudem reduzieren sich im Kognitiven Hamburger Hafen die  Wartezeiten  der  LKW  und  sonstiger  Transportmittel.  Gleichzeitig  ge‐ winnt der Hafen neue Kunden und lastet seine verfügbaren Kapazitäten  besser aus. 

C.4

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

Die Strategien von Entsorgung und Recycling in der Supply Chain be‐ inhalten die Beseitigung sowie die Rückführung von Stoffen in den Pro‐ duktionsprozess  durch  Verwendung  oder  Verwertung  (vgl.  Baranan  2016; Bönneken 2005; Bretzke/Barkawi 2012; Emmett/Sood 2010; Fiedler 2010;  Ohlig  2007;  Palevich  2012;  Sadowski  2010).  Im  Zuge  der  steigenden  Um‐ weltverschmutzung  sowie  der  Verknappung  von  Ressourcen  haben  in  den letzten Jahren Entsorgung und Recycling an Bedeutung gewonnen. 

Notwendigkeit für  Entsorgung und  Recycling 

Beispielhaft  dafür  steht  das  medizintechnische  Recycling‐Webportal  „Medtechplus“. Diese in Österreich beheimatete Initiative macht es sich  zur  Aufgabe,  medizinische  Produkte  zu  reparieren  und  zu  recyceln.  Beispielsweise werden EKG‐Monitore, Ultraschallgeräte oder Defibrilla‐ toren, die in der „westlichen“ Welt als veraltet angesehen werden, repa‐ riert,  verwendet  oder  verwertet.  Sie  sind  anschließend  einer  weiteren  Nutzung zuzuführen. Ihren Einsatz finden diese Produkte dann häufig  in der „dritten“ Welt, in der eine latente Unterversorgung mit medizini‐ schen Geräten vorherrscht. Einige offenkundig ausgediente Defibrillato‐ ren  („Schockgeber“,  die  bei  Herzrhythmusstörungen  Einsatz  finden)  können wieder instand gesetzt werden und Menschenleben retten. 

Recycling in der  Medizintechnik 

Das  Order‐to‐Payment‐S  endet  nicht  mit  der  Konsumption  von  Waren  durch  einen  Kunden.  Die  Lieferkette  umfasst  die  Beseitigung,  Verwen‐ dung oder Verwertung von Stoffen im Anschluss an ihren Gebrauch. Im  Order‐to‐Payment‐S  (vgl.  S.  9ff.)  finden  sich  die  Strategien  von  Entsor‐ gung  und  Recycling  im  dritten  Bereich  (flussaufwärts  verlaufend). Auf  Grund  des  Verursacherprinzips  wird  dem  Hersteller  die  Pflicht  zur  Rücknahme  von  Verpackungen,  Batterien  oder Arzneimitteln  auferlegt.  Die  Basis  dieser  Regelung  ist  das  „Kreislaufwirtschafts‐  und  Abfallge‐ setz“ (KrW/AbfG), das am 07.10.1996 in Deutschland eingeführt wurde.  Das vorrangige Ziel dieses Gesetzes liegt darin, das traditionelle Abfall‐ recht  zur  modernen  und  ganzheitlichen  Kreislaufwirtschaft  zu  erwei‐

Einordnung der  Prozessinhalte  in  das Order‐to‐ Payment‐S 

271

C

Strategien des Supply Chain Managements

tern.  Der  Hersteller  besitzt jetzt  die  ökologische  Produktverantwortung  für seine Erzeugnisse.  Grundprinzip der  Restevermeidung 

Im Supply Chain Management lautet das Grundprinzip: „Vermeidung vor  Recycling  (Verwendung  oder  Verwertung)  vor  Entsorgung“.  Dieses  Prinzip  symbolisiert  die  Prioritätenreihenfolge  einer  proaktiven  Restevermei‐ dung. Abfälle dürfen nur noch beseitigt werden, wenn ihre Verwertung  oder  Verwendung  ausgeschlossen  sind.  Zu  den  Reststoffen  einer  Pro‐ duktion  zählen  fester  Output  (Metallspäne,  Verpackungen),  flüssiger  Rest  (Spülbäder),  gasförmiger  Output  (Abluft),  Licht,  Wärme  oder  Schall. Diese Komponenten können sich in einer Ökobilanz finden. 

Kostenorientierung  schon in den frü‐ hen Phasen 

Im Sinne des Lifecycle Costings (vgl. S. 285) setzen die Aktivitäten zur  Reststoffvermeidung  schon  in  den  frühen  Phasen  von  Forschung  und  Entwicklung ein. Hier stellen die Techniker die Weichen zum Kneten der  Kosten  im  integrierten  Produktlebenszyklus.  Weil  die  Maßnahmen  für  Entsorgung  oder  Recycling  die  totalen  Kosten  einer  Leistung  zum  Teil  beträchtlich steigern können, suchen die Ingenieure nach mehrfach ver‐ wendbaren  oder  verwertbaren,  langlebigen,  reparaturfreundlichen  und  schadstoffarmen Lösungen. 

Kuppelproduktion  nach Riebel 

Der Fokus zur Eindämmung der Kosten für Entsorgung und Recycling  gehen  auf  die  Theorie  der  Kuppelproduktion  nach  Riebel  zurück  (vgl.  Riebel 1994). Danach sind Reststoffe unerwünschter Output der Produk‐ tions‐  und  Konsumtionsprozesse.  Diesbezüglich  werden  Beseitigungs‐ stoffe und Kreislaufstoffe unterschieden. Es ist jedoch zu beachten, dass  der unerwünschte „Kuppeloutput“ einer Organisation wertvoller „Kup‐ pelinput“ für ein zweites Unternehmen sein kann. So fallen bei der Her‐ stellung  von  Kunststoffen  Abfälle  an,  welche  den  Stahlwerken  als  Brennstoffe dienen.  

Umweltschutz als  Wettbewerbsfaktor 

Im  Order‐to‐Payment‐S  tragen  die  Standardisierung  von  Ladungsträ‐ gern,  die  Verminderung  von  Packstoffen  oder  die  Verwendung  von  Mehrweglösungen zur Reduzierung von Abfallstoffen bei. Ökonomisch  steigt  die  Bedeutung  für  Entsorgung  und  Recycling  in  der  Supply  Chain.  Dafür  sind  unter  anderem  folgende  Punkte  verantwortlich  (vgl.  Schulte 2017, S. 315): 

 Gesellschaftliche und staatliche Bedeutung:  - Der  Wertewandel  in  unsrer  Gesellschaft  und  dem  Management 

Allgemeines Um‐ feld 

zugunsten  von  Umweltaspekten  (ökologische  Verantwortung,  Grenzen des Wachstums, Proteste von Bürgerinitiativen, umwelt‐ bewusste Mitarbeiter).  

272

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

- Die Neueinführung von Gesetzen sowie Vorschriften (wie Abfallbe‐ seitigungsgesetz,  Verpackungsverordnung,  Verordnungen  für  Gefahrgut, Elektronikschrott und Altautos). 

 Marktbedeutung  - Der  intensivierte  Wunsch  des  Kunden  nach  umweltverträglichen  Produkten, Produktionsprozessen und Transporten. 

Betriebliche Um‐ feldfaktoren 

- Das  Versiegen  von  Ressourcen  sowie  die  Verminderung  der  Res‐ sourceneffizienz. 

- Eine  Nutzung  der  Schlüsselgröße  Umweltschutz  durch  die  Kon‐ kurrenz  (Ersatzprodukte,  Markteintritt  neuer  Konkurrenten,  Kommunikationsstrategien der Wettbewerber). 

 Unternehmensbezogene Bedeutung  - Die  Merkmale  im  Produktionsprozess  (wie  Art  und  Umfang  der  Reststoffe, Ort des Anfalls oder Wertigkeit der Stoffe). 

Interne Betrach‐ tungsebene 

- Die steigenden Kosten für Entsorgung und Recycling (auf Grund  der Verknappung von Deponieressourcen). 

Zur Einlösung gesetzlicher Regelungen (beispielsweise Verpflichtungen  zur  Produktrücknahme)  existieren  unterschiedliche  Verwendungs‐  und  Verwertungs‐Ansätze  innerhalb  der  Supply  Chain.  Einen  besonderen  Stellenwert  besitzt  das  Duale  System.  Die  1990  speziell  für  diesen  Zweck gegründete Gesellschaft „Duale System Deutschland GmbH“ koor‐ diniert die Beseitigung, die Verwendung und die Verwertung von Rest‐ stoffen.  Mit  dem  Signet  „Grüner  Punkt“  wird  den  Herstellern,  gegen  eine  Lizenzgebühr,  die  Teilnahme  am  Kreislaufsystem  gestattet.  Über  die gestiegenen Verkaufspreise ist der Konsument natürlich an den Kos‐ ten  für  Entsorgung  und  Recycling  beteiligt.  Diese  Gebühr  wird  durch  höhere  Absatzpreise  an  den  Verbraucher  überwälzt  (begründet  durch  das  Verursacherprinzip).  Kritiker  halten  dem  Dualen  System  entgegen,  dass  es  nicht  zur  Lösung  der Abfallproblematik  beitrüge.  Es  würde  le‐ diglich  eine  Umlenkung  der  Resteströme erfolgen.  Verbunden  mit  dem  Resultat, dass sich „vor den Kippen“ lange Warteschleifen bildeten. 

„Müll ist die Pest  eines überverpack‐ ten Zeitalters.“      (P. Rinnhofer) 

Entsorgung  und  Recycling  haben  sich  mittlerweile  als  eigenständige  Logistikfunktionen  etabliert.  Entsorgungs‐  und  Recyclinglogistik  sind  Subsysteme  im  Gesamtsystem  eines  Supply  Chain  Managements.  Sie  stellen  das  Pendant  zu  den  Versorgungsströmen  dar.  Die  Wurzeln  der  Entsorgungslogistik sind Mitte der 80er Jahre zu suchen, wobei zunächst  die Aktivitäten zur Raum‐ und zur Zeitüberbrückung von Resten domi‐ nierten. In den frühen 90er Jahren weitete sich dieses Aufgabenspektrum 

Zunehmende  Bedeutung der Re‐ Logistics 

273

C

Strategien des Supply Chain Managements

zur  Recyclinglogistik:  Einer  Kreislaufwirtschaft,  um  die  Verwendung  und Verwertung dieser Abfallstoffe zu sichern. Beide Funktionsbereiche  einer Logistik werden im Folgenden skizziert. 

C.4.1

Strategien der Entsorgung

Zum Begriff der  Entsorgung 

Die  Entsorgung  kennzeichnet  eine  Beseitigung  von  Stoffen.  Betriebs‐ wirtschaftlich  bedeutet  eine  Entsorgung  die  endgültige  Abfallentledi‐ gung.  Sie  beinhaltet  zum  Beispiel  die  Deponierung,  die  Verbrennung  und  die  Kompostierung  von  Resten.  Im  Unterschied  zum  Recycling,  werden die Stoffe nicht in den Produktionsprozess zurückgeführt. In der  Supply Chain meint die Entsorgung eine Retrodistribution und umfasst  den  Durchsatz  der  Entsorgungsgüter:  vom  Ursprungsort  der  Stoffe  (Quelle) bis zur Beseitigung ihrer Reste (Senke). Welche Probleme bei der  Entsorgung anfallen können, zeigt Beispielblock c.15. 

Beispielblock c.15 

Bohrinsel „Deepwater Horizon“  Im  April  2010  ereignete  sich  im  Golf  von  Mexiko  eine  Umweltkatastrophe  dramatischen Ausmaßes. Zwei Tage nach einer Explosion sank die Bohrinsel  „Deepwater  Horizon“.  Millionen  Liter  Öl  traten  aus  dem  in  1.600  Meter  Tiefe befindlichen Bohrloch aus, das über etliche Wochen nicht geschlossen  werden  konnte.  Beispielsweise  schlug  der  Versuch  fehl,  die  Unglücksstelle  mit  einer  gigantischen  Glocke  abzudichten.  BP  kostete  die  Rettungsaktion  insgesamt circa 62 Milliarden US‐Dollar. Die Organisation erlitt zudem einen  nachhaltigen  Imageschaden  und  taumelte  in  ihre  größte  Krise.  Mit  aller  Vehemenz wurde die Küste Louisianas von einer schlimmen Ölpest getrof‐ fen und für viele Jahre verpestet. 

Vorgeschaltete  Aktivitäten 

Vor einer Entsorgung sind häufig Aufbereitungsprozesse an Reststoffen  durchzuführen.  In  diesem  Zusammenhang  lassen  sich  Trennungs‐  und  Umwandlungstätigkeiten unterscheiden. 

 Trennung:  Vor  ihrer  Beseitigung  müssen  Stoffe  demontiert,  filtriert  oder magnetisch getrennt werden. 

 Umwandlung:  Die  Umwandlung  vor  der  Entsorgung  beinhaltet  eine  Entwässerung, Zerkleinerung oder Verfestigung von Resten. 

274

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

Zu  den  Aufgaben  der  Entsorgung  im  Order‐to‐Payment‐S  zählen  die  Lagerung,  der  Transport,  der  Umschlag,  die  Sammlung  und  die  Sortie‐ rung  der  Abfallstoffe  sowie  eine  Verpackungsreduzierung  (vgl.  Schulte  2017, S. 339ff.). 

Attribute der  Entsorgung 

Lagerung: Anders als bei den Versorgungsstrategien, zielt die Lagerung  der  Reste  nicht  auf  eine  Aufrechterhaltung  der  Produktionsprozesse  innerhalb  der  Wertschöpfungskette.  Sie  dient  vielmehr  der  Schaffung  wirtschaftlicher  Transportlose  beim  Sammeln  oder  Umladen  der  Stoffe.  Dabei sind einige Kriterien zu beachten: 

Gefahren der La‐ gerhaltung 

 Das  Verbot  zur  Zusammenlagerung  von  gefährlichen  Stoffen,  indem  getrennte  Lagerzonen  eingerichtet  werden.  Für  jede  Rückstandsart  wird ein separater Bereich gebildet. 

 Eine Volumenbegrenzung, um die „kritische Schwelle“ nicht zu über‐ schreiten. Die kritische Schwelle kennzeichnet den Punkt, ab welchem  die Stoffe bei ihrer Lagerung zur Gefahr werden. 

 Eine  Beobachtung  von  strukturellen  Veränderungen  der  Reste.  Zum  Beispiel auf Basis chemischer Reaktionen. 

 Das Schaffen von Sicherheitszonen. Beispiele dafür sind Brandschutz,  undurchlässiger Boden oder Auffangwannen. 

Transport: Der Faktor Zeit spielt während des Transports der Reststoffe  in  der  Regel  eine  untergeordnete  Rolle.  Weil  von  den  Gütern  umwelt‐ schädliche  Wirkungen  ausgehen  können,  sind  vielmehr  besondere  Si‐ cherheitsvorkehrungen während des internen und des externen Transports  zu  treffen.  Zum  Beispiel  werden  spezielle  Behälter  verwendet  und  als  solche  gekennzeichnet.  Auch  können  moderne  und  über  Satelliten  ge‐ steuerte  Systeme  zur  Sendungsverfolgung  eingesetzt  werden.  Wenn  möglich,  ist  ein  Pendelverkehr  einzurichten.  Gemäß  eines  Milk  Runs  (vgl.  S.  328),  werden  auszuliefernde  und  einzusammelnde  Güter  mög‐ lichst  im  selben  Umlauf  transportiert.  Dabei  ist  auf  die  Verträglichkeit  der Waren, wie auch die potenzielle Notwendigkeit für längere Aufent‐ halte, zu achten. 

Robuste Distribu‐ tionsaktivitäten 

Umschlag:  Die  Prozesse  von  Warenumschlägen  finden  beim  Wechsel  der  Transportmittel  oder  einer  Zwischenlagerung  bei  der  Auftragsab‐ wicklung von Gütern statt. Aus ökonomischen und ökologischen Grün‐ den  ist  die Anzahl  dieser  Tätigkeiten  gering  zu  halten.  Mit  jedem  Um‐ schlagprozess erhöht sich die Gefahr, dass sich Rückstände freisetzen. 

Warenhandling  begrenzen 

275

C Hunter and Collec‐ tor 

Strategien des Supply Chain Managements

Sammlung und Sortierung: Eine Sammlung von Reststoffen beginnt mit  der  Füllung  von  Behältern.  Sie  endet  mit  der  Beladung  der  Fahrzeuge.  Weil die Reststoffe vielfach in gemischter Form anfallen, werden sie bei  ihrer  Sammlung  sortiert.  Letzte  Tätigkeit  dient  zur  Erhöhung  der  Sor‐ tenreinheit. In diesem Kontext sind drei Arten zu unterscheiden: 

 Gemischte  Sammlung  ohne  nachträgliche  Sortierung  (insbesondere  bei ungefährlichen Stoffen). 

 Gemischte Sammlung mit nachträglicher Sortierung.   Getrennte Sammlung ohne nachträgliche Sortierung.  Artikelschutz hat  oberste Priorität 

Verpackung:  Einerseits  sind  die  Verpackungen  selbst  Rückstände.  An‐ dererseits nehmen Verpackungen Stoffe zur Entsorgung auf. Die Anfor‐ derungen  an  die  Beseitigung  einer  Verpackung  ergeben  sich  aus  ihrer  Größe,  Art  und  Form  sowie  ihrem  Gewicht.  Werden  gefährliche  Stoffe  entsorgt, muss eine Schutzfunktion der Verpackung gegeben sein (zum  Beispiel eine stabile Seitenwand). Damit entweichen diese Stoffe nicht in  die Umwelt. Die rechtliche Grundlage für Verpackungen bei der Güter‐ entsorgung stellt die mehrfach novellierte Verpackungsverordnung dar. In  diesem  Kontext  wird  in  Transportverpackungen  (für  sichere  Distributi‐ on),  Umverpackungen  (zusätzliche  Umhüllungen  ohne  direkte  Schutz‐ funktion)  und  Verkaufsverpackungen  (sie  erfüllen  Aufgaben  wie  Halt‐ barkeit,  Hygiene,  Information  oder Attraktivität)  unterschieden.  Verpa‐ ckungen können als Ein‐ oder als Mehrwegsysteme vorliegen. 

Einweglösungen  belasten die Um‐ welt 

 Einwegsysteme:  Die  Einwegsysteme  haben  vergleichsweise  geringe 

Mehrweglösungen  erfordern hohe  Investitionen 

 Mehrwegsysteme:  Sie  finden  als  Europaletten  (Holz),  Chep‐Paletten 

Produktionskosten, ein niedriges Gewicht, sie müssen nicht gereinigt  werden und ermöglichen eine individuelle Beschriftung. Jedoch belas‐ ten  Einwegsysteme  die  Umwelt  und  fördern  das  Wegwerfverhalten  der Verbraucher.  (Kunststoff) oder Collicobehälter (Aluminium) Einsatz und werden in  der  Warenverteilung  berücksichtigt.  Zumeist  sind  Mehrwegsysteme  stapelbar  und  im  Pool  zwischen  mehreren  Produzenten  einzusetzen.  Dadurch  reduzieren  sich  die  hohen  Investitionen  für  Mehrwegsyste‐ me.  Sie steigern  jedoch  den  administrativen Aufwand,  will  doch  bei‐ spielsweise  ihre  Reinigung  organisiert  sein.  Zum  Teil  setzen  Waren‐ hauskonzerne unternehmensinterne Mehrwegsysteme ein. Außerdem  verfügen die meisten Brauereien über eigene und standardisierte Ge‐ tränkekästen, die in der Regel in mehreren Umläufen Einsatz finden. 

276

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4.2

C.4

Strategien des Recyclings

Recycling  bedeutet  eine  Rückführung  von  Stoffen  und  Energie  in  den  Produktionsprozess  durch  Verwendung  oder  Verwertung.  In  letzter  Zeit hat sich dafür der Begriff „Re‐Logistics“ etabliert (vgl. Bretzke 2014).  Das  Recycling  ist  eine  Rücklaufnutzung  und  entlastet  die  Natur.  Basie‐ rend  auf  der  Verknappung  sowie  einer  Verteuerung  von  Rohstoffen,  wird mit dem Recycling die Ressourceneffizienz erhöht. Mit der Durch‐ führung von Recycling reduziert sich in der Supply Chain das Beschaf‐ fungsvolumen  für  Primärstoffe  zugunsten  von  Verwendungs‐  oder  Verwertungsgütern.  Vier  im  Grundsatz  unterschiedliche  strategische  Ausrichtungen finden sich in der Supply Chain. Sie sind in Begriffsblock  C.VI  wiedergegeben.  Verwendung  bedeutet  eine  Aufarbeitung  von  Stof‐ fen, Verwertung ist die Aufbereitung der Reste. 

„Recycling lebt  vom Mitmachen,  nicht vom Miesma‐ chen.“                    (J. Leinen) 

Strategien des Recyclings 

Begriffsblock C.VI  

                    Substanz 

     Einsatzbereich 

Verwendung 

Verwertung 

(Aufarbeitung: Die Gestalt  (Aufbereitung: Die Gestalt  des Wertstoffs bleibt erhal‐ des Wertstoffs wird aufge‐ ten)  löst) 

Wieder 

Wiederverwendung 

Wiederverwertung 

(gleicher Einsatzbereich) 

(Mehrwegverpackungen,  Austauschmotoren, Pfand‐ flaschen) 

Altglasrecycling, Altpa‐ pierrecycling) 

Weiter 

Weiterverwendung 

Weiterverwertung 

(neuer Einsatzbereich) 

(Senfgläser als Trinkgläser  nutzen, Zigarrenkiste zur  Aufbewahrung von Fotos) 

(Tartanbolzplätze aus  Altreifen, Parkbänke aus  Kunststoffverpackungen) 

 

Für  das  Recycling  ist  eine  Vorgehensweise  im  Sinne  der  Kreislaufwirt‐ schaft  typisch.  Diese  widerspricht  vehement  einer  tradierten  „End‐of‐ Pipe“‐Philosophie, bei der die Aktivitäten innerhalb einer Supply Chain  mit der Auslieferung von Waren enden. Vielmehr fallen in einem Kreis‐ lauf zwischen den beteiligten Akteuren – auch nach der Verteilung von  Erzeugnissen – Tätigkeiten wie Sammeln, Trennen oder Lagern an. Viele  Produkte  oder  Produktkomponenten  sind  nach  ihrem  Gebrauch  zur 

277

Regelkreissysteme  implementieren 

C

Strategien des Supply Chain Managements

Aufbereitung  oder  Aufarbeitung  in  den  Kreislauf  zurückzuführen.  Sie  können aber auch zu ihrer Beseitigung innerhalb der Lieferkette weiter‐ geleitet werden.  Wertschöpfungs‐ netzwerke 

In  modernen  Supply  Chains  sind  in  zunehmendem  Maße  Recycling‐ netzwerke  (vgl.  Beispielblock  c.16)  über  die  Unternehmensgrenzen  hinweg  aufzubauen.  Sie  werden  zur  Senkung  von  Transaktionskosten  innerhalb  einer  Lieferkette  genutzt.  Insbesondere  in  der  Automobilin‐ dustrie  und  der  Elektronikbranche  können  die  Hersteller  mittlerweile  ge‐  und  verbrauchte  Produkte  zurücknehmen,  demontieren  und  sogar  einige Teile an ihre Zulieferer zurückführen.  

Clevere Idee 

Die  Partner  nehmen  aus  unterschiedlichen  Gründen  an  einem  Recyc‐ lingnetzwerk  teil.  Sie  wollen  beispielsweise  knappe  Rohstoffe  sichern,  Auflagen des Gesetzgebers einhalten und ihre Transaktionskosten in der  Supply Chain senken. Dazu richtete das Rationalisierungs‐Kuratorium der  Deutschen Wirtschaft (RKW) bereits 1974 eine spezielle „Recyclingbörse“  ein, auf der Reste angeboten und nachgefragt werden können. 

Beispielblock c.16 

Recycling im Netzwerk  Ein Recycling‐Netzwerk existiert im Ruhrgebiet. In diese Kooperationsform  sind  Unternehmen  der  Stahlindustrie,  Kraftwerke  sowie  Stadtwerke  einge‐ bunden.  Einige  der  Beteiligten  agieren  hierbei  gleichzeitig  als  Resteprodu‐ zent  und  Restenutzer.  Andere  Akteure  sind  ausschließliche  Nutzer.  Zum  Beispiel  werden  Stahlreste  auf  Schrottplätzen  gesammelt  und  an  die  Stahl‐ werke  zum  Einschmelzen  weitergegeben.  Dadurch  entsteht  einerseits  ver‐ werteter  (aufbereiteter)  Stahl.  Andererseits  fallen  in  dem  Recyclingprozess  Reste  an,  die  weitere  Akteure  nutzen:  Die  Flugasche  kann  die  Baustoffin‐ dustrie  gut  gebrauchen,  die  Stahlwerkasche  wird  in  der  Baustoffindustrie,  dem Straßenbau und der Landwirtschaft benötigt, den Hüttensand verarbei‐ tet die Zementindustrie und das Eisensulfat leistet im Klärwerk gute Dienste  (vgl. Werner 2013b, S. 55). 

Outsourcing und  Offshoring 

Zur Durchführung eines Recyclings stellt sich die betriebswirtschaftliche  Grundsatzentscheidung  von  Make‐or‐Buy.  Bei  der  Eigenerbringung  oder  der  Fremdvergabe  von  Recyclingtätigkeiten  wird  zwischen  einem  Outsourcing  und  einem  Offshoring  differenziert.  Die  Literatur  ist  sich  bei der Umschreibung dieser Begrifflichkeiten nicht einig. In der vorlie‐ genden  Schrift  wird  der  Unterschied  beider  Konzepte  im  Folgenden  gesehen: 

278

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

 Outsourcing  betrifft  die  organisatorische  Verlagerung  von  Aktivitäten  zur  Veränderung  der  Kostenstruktur  (Variabilisierung  originärer  Fixkostenanteile). 

 Offshoring bedeutet hingegen die geografische Verlagerung von Akti‐ vitäten primär ins Ausland. Abbildung C.23 hilft dabei, die Arten von  Offshoring besser zu verstehen.  Abbildung C.23 

Formen von Offshoring im Überblick 

Interner Offshore 

Offshore Outsourcing 

(Verlagerung an ausländische  Tochtergesellschaften) 

(Verlagerung an ausländische,  rechtlich selbständige Partner 

Nearshore 

Farshore 

(Verlagerung ins „nahe“ Aus‐ land) 

(Verlagerung ins „ferne“ Aus‐ land) 

____________________________________________________________________ 

Das Outsourcing oder Offshoring von Recycling‐Aktivitäten kann auf  Basis  unterschiedlicher  Restriktionen,  insbesondere  Kapazitäts‐  und  Kapitalbarrieren  sowie  fehlendem  Know‐how,  notwendig  sein.  Einige  externe  Dienstleister  haben  sich  auf  das  Recycling  spezialisiert.  Bei‐ spielsweise übernimmt in Deutschland die Vereinigung für Wertstoffrecyc‐ ling  (VfW)  die  Rücknahme  von  Batterien  und  Akkumulatoren  der  In‐ dustrie. Die Bahntrans (ein in Duisburg ansässiger Logistikdienstleister)  nutzt im Recycling die Software CADIS (vgl. Beispielblock c.17). 

Gründe für eine  Fremdvergabe 

Recycling über Computer Aided Dispatching 

Beispielblock c.17 

In  der  Kreislaufwirtschaft  setzt  Bahntrans  die  Software  CADIS  (Computer  Aided Dispatching) ein. Das Unternehmen steuert mit CADIS die Abholung  der bereitgestellten Versandkartons des Kunden im Austausch mit Leerkar‐ tons. Außerdem  stützt  sich  bei  Bahntrans  der  Transport  von Altbatterien  in  die drei Sortierzentralen in Schleswig‐Holstein auf CADIS. 

1980  verfügten  in  Deutschland  nur  63%  der  Hersteller  über  ein  Recyc‐ ling‐Konzept,  heute  sind  es  nahezu  100%.  In  der  aktuellen  Diskussion 

279

Automotive‐ Recycling 

C

Strategien des Supply Chain Managements

befinden sich die Rücknahmeverpflichtungen für Altautos. Bereits 2002  wurde  laut  einer  EU‐Verordnung  die  kostenfreie  Rücknahme  von  Alt‐ fahrzeugen  beschlossen.  Sie  gilt  für  sämtliche  Fahrzeuge  mit  Erstzulas‐ sung nach dem 01.07.2002. Der „Verband deutscher Autoverwerter“ setzt  diese  Verordnung  seit  dem  01.07.2007  konsequent  um.  Weiterhin  sind  die  Autobauer  seit  2008  gemäß  einer  EU‐Richtlinie  dazu  verpflichtet,  den  Nachweis  über  eine  spätere  Recyclingfähigkeit  ihrer  Fahrzeuge  zu  erbringen. Dem VW „Tiguan“ wird beispielsweise durch das Kraftfahrt‐ Bundesamt  bescheinigt,  er  sei  zu  85%  recycelbar.  Das  Recycling  von  Autos  folgt  grundsätzlich  nachstehendem  Prozess  (vgl.  auch  Beispiel‐ block c.18).  1. Zunächst  sind  den  Autos  die  voll  recyclingfähigen  Batterien  zu  ent‐ nehmen.  2. Anschließend  werden  die  Fahrzeuge  trockengelegt  und  von  sämtli‐ chen  Betriebsflüssigkeiten  befreit.  Dann  beginnt  die  Demontage  von  Teilen mit Schadstoffcharakter.  3. Jetzt  werden  diejenigen  Baugruppen  separiert,  welche  für  eine  Ver‐ wendung  oder  Verwertung  geeignet  erscheinen.  Dazu  zählen  Kunst‐ stoffteile, Räder, Scheiben, Konsolen oder Sitze.  4. Der  Rest  des  verbliebenen  Fahrzeugs  landet  im  Shredder.  Heute  be‐ steht dabei noch das Problem, dass bei der Zerkleinerung Filterstäube  als Sondermüll anfallen. 

5. Schließlich erfolgt die Verwendung oder Verwertung der metallischen  Materialanteile durch Wirbelstrom‐ oder Schmelzverfahren.  Beispielblock c.18 

Recycling in der Automobilindustrie  Für  ein  umweltgerechtes  Recycling  finden  sich  in  der  Automobilindustrie  einige Beispiele. Opel kooperiert auf diesem Gebiet mit dem Hersteller Pape  Entsorgung.  Der  Dienstleister  übernimmt  das  Recycling  der  Fahrzeuge  von  den  Opel‐Autohäusern  in  ganz  Deutschland.  VW,  Audi  und  Skoda  arbeiten  diesbezüglich  mit  CCR  München  zusammen.  Dieser  Partner  gewährleistet  beispielsweise  eine  kostenfreie  Rücknahme  von  Stoßfängern,  Brems‐  und  Kühlflüssigkeit. 

Kausalzusammen‐ hang 

Nach den Gesetzen der Thermodynamik sind dem Recycling allerdings  natürliche  Grenzen  auferlegt.  Die  Qualität  der  Stoffe  nimmt  mit  jedem  Recyclingdurchlauf  ab.  Dieses  Phänomen  wird  als  Downcycling  be‐ zeichnet. Ein Upcycling bedeutet hingegen, dass die einer Verwendung  280

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

oder Verwertung unterzogenen Stoffe mit Produktinnovationen konkur‐ rieren.  Upcycling  ist  eine  spezifische  Form  des  Recyclings,  bei  der  ein  technischer Fortschritt in die gleichzeitige Modernisierung des Produkts  einfließt. Ein Beispiel dafür ist die Herstellung von Kopiergeräten durch  Xerox.  Die  Produktlinie  „Greenline“  (Kopiergeräte  von  hoher  Qualität  der  neueren  Generation)  umfasst  zu  80%  verwendete  oder  verwertete  Alt‐Teile. Entsprechend sind nur 20% von „Greenline“ Neu‐Teile. 

C.4.3

Green Supply Chains: Sustainability

C.4.3.1

Allgemeine Charakterisierung

Green  Supply  Chains  (vgl.  Achillas  et  al.  2018;  Bretzke  2014;  Bretz‐ ke/Barkawi 2012; Emmett/Sood 2010; Khan 2019) gewinnen an Bedeutung.  Spätestens  mit  der  regen  Diskussion  um  Nachhaltigkeit  („Sustainabili‐ ty“) sind sie in aller Munde. Die Gretchenfrage lautet: „Welchen Beitrag  können  Green  Supply  Chains  zur  Sicherung  und  Verbesserung  von  Nachhaltigkeit  leisten?“.  Sustainability  ist  zum  Modebegriff  avanciert.  Der Ansatz  wird  in  die  drei  Säulen  Ökonomie,  Ökologie  und  Soziales  un‐ tergliedert (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012; Pufé 2017). Eine grüne Supply  Chain fordert den Wandel vom Ertrag zur Substanz. Mögliche Ziele und  Ansprüche, die sich aus den Eckpfeilern von Sustainability ableiten, sind  im Folgenden aufgelistet (vgl. Sadowski 2010, S. 33ff.). 

 Ökonomie:  Sicherung  von  Wissen,  Balance herstellen  zwischen  Indi‐ vidual‐  und  Gemeinschaftsinteressen,  Optimierung  von  Geschäfts‐ prozessen, Gewährleistung von Wettbewerbsfähigkeit. 

 Ökologie: Einhaltung von Umweltschutzauflagen, Sicherstellung und  Erhalt  der  natürlichen  Ressourcen,  minimaler  Einsatz  von  Material  und Energie, Klimaschutz. 

 Soziales: Einhaltung von Mindeststandards, Berücksichtigung der In‐

„Green! Is a way of  life, and millions  would kill to see  their name up in  the lights…”        (T. Hall) 

„Natürlich interes‐ siert mich meine  Zukunft, ich will  schließlich den Rest  meines Lebens  darin verbringen.”       (M. Twain) 

teressen aller Stakeholder, Verbesserung der gesellschaftlichen Akzep‐ tanz. 

Unternehmerische  Entscheidungen  wirken  sich  unterschiedlich  auf  die  drei  Dimensionen  der  Nachhaltigkeit  aus.  Selbstverständlich  sind  diese  Einflussgrößen  nicht  immer  gleichermaßen  betroffen.  Beispielsweise  werden  in  Supply  Chains  Rohstoffe  und  Flächen  verbraucht,  zudem  entstehen Lärm‐ und andere Belästigungen. Diese Umweltfaktoren wir‐

281

Wege zur grünen  Logistik 

C

Strategien des Supply Chain Managements

ken  sich  ökologisch  und  sozial  aus.  Eine  wirtschaftliche  Einflussnahme  entsteht durch proaktive Kostenvermeidung im Produktlebenszyklus.  Beispiel der Distri‐ butionslogistik 

Ein wesentlicher Stellhebel von Green Supply Chains ist die Distributi‐ onslogistik.  Grundsätzlich  stehen  drei  diesbezügliche  Primärstrategien  zur Verfügung, wenn es um die Verbesserung der Nachhaltigkeit geht.  

 Reduzierung der Transportentfernung.   Optimierung der Transportmittelauslastung.   Einsatz umweltfreundlicher Transportmittel.  Denn wir haben  nur die eine  Erde… 

Beispielblock c.19 

Ein  Beispiel  für  die  optimierte  Auslastung  von  Verkehrsmitteln  findet  sich in Beispielblock C.19. Zur Umweltentlastung tragen bei: Sendungs‐ konsolidierung  (beispielsweise  über  elektronische  Frachtbösen,  vgl.  S.  236),  Transportvermeidung,  trimodale  Logistik‐Hubs  (optimierte  Ver‐ knüpfung  verschiedener  Verkehrsträger  –  beispielsweise  über  Hucke‐ Pack‐Transporte, um die Schiene besser zu nutzen) oder optimierte Rou‐ tenplanungen (vgl. zu Milk Run S. 328).   Optimierung der Transportmittelauslastung 

Energizer ist einer der führenden Batterie‐, Taschenlampen‐ und Rasier‐ klingenhersteller. Das Unternehmen beförderte ursprünglich Rasierklin‐ gen  und  Batterien  getrennt.  Zudem  betrug  die  maximale  Ladung  eines  LKW  33  Europaletten.  Auf  Grund  einer  variierenden  Höhe  zwischen  1,20m bis 1,80m pro Palette, wurde die Transportkapazität der Fahrzeu‐ ge jedoch nur suboptimal genutzt. Zur verbesserten Nutzung der Lade‐ fläche  bündelte  Energizer  den  Transport  von  Rasierklingen  und  Batte‐ rien.  Im  Ergebnis  sparten  diese  Maßnahmen  etwa  647.000  km,  355.000  Tonnen CO2 und 300.000 € pro Jahr ein (vgl. Stabauer 2009, S. 69).    

C.4.3.2 „Darum lieb’ ich  alles was so grün  ist, weil mein  Schatz ein Jäger  ist...“                  (Kinderlied) 

Product Carbon Footprint

Eng  verwoben  mit  Green  Supply  Chains  sind  Überlegungen  zum  Pro‐ duct  Carbon  Footprint  (PCF).  Dieser  bewertet  den  „CO2‐Fußabdruck“  von  Produkten  und  Prozessen.  Die  wesentlichen  Gründe  für  das  Erhe‐ ben  des  Footprints  sind  umweltpolitische  Maßnahmen  (wie  das  Kyoto‐ Protokoll oder die Einführung von CO2‐Steuern), gesteigerte Nachfrage  in Richtung umweltfreundlicher Produkte und interne Optimierungspo‐

282

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

tenziale  (beispielsweise  im  Ressourcenmanagement).  Hier  setzt  Green  Supply Chain Management, um die CO2‐Belastung in Beschaffung, Pro‐ duktion, Distribution und Verwaltung zu begrenzen.  Der  Product  Carbon  Footprint  misst  Treibhausgasemissionen  entlang  der  gesamten  Lebensdauer  von  Produkten  und  Prozessen.  In  jeder  Le‐ benszyklusphase werden die entstehenden Treibhausgase ermittelt. Zur  weiteren  Kalkulation  müssen  sämtliche  Treibhausgaspotenziale  in  CO2‐ Äquivalente  umgerechnet  werden.  Der  Weltklimarat  legte  fest,  dass  beispielsweise  1  Kg  Methan  (CH4)  dieselbe  schädliche  Wirkung  wie  25  Kg  CO2  aufweist.  Analog  sind  Umweltbelastungen  durch  Lachgas  (N2O),  Flurchlorkohlenwasserstoff  (FCKW)  sowie  Schwefelhexalfluorid  (SF6)  auf  das  CO2‐Äquivalent  zu  beziehen.  Aber  auch  weitere  Stoffe  –  wie Kilowattstunden (Strom) oder Liter (Benzin) – können auf CO2‐Basis  umgerechnet werden (vgl. McKinnon et al. 2010). 

Chemiekurs für die  Hosentasche 

In Deutschland startete im Mai 2008 das  mittlerweile recht bekannt  ge‐ wordene „PCF‐Projekt“. Die Träger des Vorhabens sind der World Wild‐ life  Fond  Deutschland  (WWF),  das  Ökoinstitut  (Freiburg)  und  das  Institut  für Klimafolgeforschung (Potsdam). Partner aus Industrie und Handel sind  Deutsche  Telekom,  dm,  Frosta,  Henkel,  Krombacher,  Rewe,  Tchibo,  Tetra  Pak  sowie Tengelmann. Privater Konsum verursacht in Deutschland circa 40%  der jährlichen Pro‐Kopf‐Emission an Treibhausgasen. Das „PCF‐Projekt“  versucht  deshalb,  den  jeweiligen  Anteil  einzelner  Produkte  an  der  ge‐ samten CO2‐Belastung zu berechnen. 

PCF‐Projekt als  Leuchtturm 

Am  Beispiel  einer  „Frischmilchverpackung“  von  Tetra  Pak  bestehen  grundsätzliche  Umweltwirkungen  durch  Treibhauseffekt,  Eutrophie‐ rung,  Energieverbrauch,  Versauerung,  Siedlungsabfall,  Sonderabfall,  Mineralien  und  Wasserentnahme.  Diese Einflussgrößen  leiten  sich  über  die  DIN/ISO‐Normen  14040‐14043  ab.  Jetzt  wird  gemessen,  inwieweit  sich  durch  die  Maßnahmen  Gewichtsreduzierung,  verbesserte  Recyc‐ lingquote  oder  intensivierte  Aluminium‐Rückgewinnung  der  Verpa‐ ckung  eine  Verbesserung  der  Umweltwirkungen  ableitet:  Wenn  das  Verpackungsgewicht  um  10%  gesenkt  wird,  reduziert  dies  den  Treib‐ hauseffekt um „x%“. 

PCF einer Verpa‐ ckung 

Der Footprint kann ein Verkaufsargument für den Absatz klimaneutra‐ ler Produkte werden. Wenn Produkte einen „CO2‐Fußabdruck“ bekom‐ men, wird der Konsument letztendlich darüber entscheiden, wie wichtig  ihm Umweltverträglichkeit ist. Für Markenartikelhersteller ist dies viel‐ leicht von Interesse, wenn sie ihre Produkte gegenüber Handelsmarken  abgrenzen wollen. In England führte Tesco in einer Testphase den Foot‐

Nutzen und Gefah‐ ren 

283

C

Strategien des Supply Chain Managements

print  bereits  2008  für  einige  Produkte  ein.  Lobbyisten  stehen  dieser  Ökoplakette allerdings kritisch gegenüber, da die Berechnung sehr teuer  sei. In der Tat ist ein derzeitiges Problem des PCF sein fehlender interna‐ tionaler  Berechnungsstandard  auf  Produktebene.  Ein  Product  Carbon  Footprint  kann  integrativer  Bestandteil  der  Ökobilanz  sein,  was  nach‐ stehend deutlich wird. 

C.4.3.3 „Alles was gegen  die Natur ist, hat  auf Dauer keinen  Bestand.“             (C. Darwin) 

Ökobilanz in der Green Supply Chain

Um  den  Nutzen  von  Ökobilanzen  („Life  Cycle  Assessment“)  ist  seit  geraumer Zeit eine hitzige Diskussion entfacht. Zum Beispiel wurde die  Einführung  des  Dosenpfands  im  Mai  2006  weitgehend  über  Ökobilan‐ zen  gerechtfertigt.  Sie  leiten  sich  aus  dem  Gesetz  der  Thermodynamik  (Wärmelehre) ab. Danach können Energie sowie Materie weder erzeugt  oder  vernichtet,  sondern  nur  umgewandelt  werden.  Stoffe  (Input)  wer‐ den  in  ein  System  geleitet.  Dort  führen  sie  zur  Bestandsmehrung  oder  verlassen das System in veränderter Form (Output). Das Gesamtsystem  ist folglich einem latenten Austauschprozess von Input‐Output‐Strömen  unterworfen  (vgl.  Klöpffer/Grahl  2012;  Mönnich  2020;  Sroufe/Sarkins  2007;  Weichert 2015): 

 Input: Eingehende Stoffe (Anlagen, Material, Wasser, Luft oder Ener‐ giezugabe). 

 Output:  Ausgehende  Stoffe  (Produkt,  Abfall,  Abwasser,  Abluft  oder  Energieabgabe).  Arten von Ökobi‐ lanzen 

Für  das  Kriterium  „Abluft“  kann  der  oben  diskutierte  Product  Carbon  Footprint  integrativer  Bestandteil  der  Ökobilanz  werden,  indem  er  für  die  Messung  des  CO2‐Ausstoßes  steht.  Gemäß  des Anspruchs  der Aus‐ gewogenheit,  muss  die  Summe  aus  Anfangsbestand  plus  Input  men‐ genmäßig  dem  Ergebnis  aus  Endbestand  plus  Output  entsprechen.  Diesbezüglich sind drei grundsätzliche Arten von Ökobilanzen zu diffe‐ renzieren:  Produkt‐,  Betriebs‐  und  Prozessbilanzen.  Für  das  Produkt  „Autotür“  gehen  beispielsweise  folgende  Parameter  in  die  Ökobilanz  ein: 

 Input:  Rohstoffe  (Blech),  Hilfsstoffe  (Lack),  Betriebsstoffe  (Schmier‐ mittel), Lieferantenverpackung (Pappe), Energie (Strom), Wasser. 

 Output:  Produkt  (Tür),  Abgänge  (Produktionsabfall),  Energieabgabe  (Lärm, Wasser, Luft). 

284

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

Beim Aufstellen der Ökobilanz sind grundsätzliche Regeln einzuhalten.  Zum  Teil  erinnern  diese  Attribute  an  allgemeine  „Grundsätze  ord‐ nungsgemäßer  Buchführung“  (GoB).  Nachstehend  werden  wesentliche  Spielregeln aufgelistet, die für Ökobilanzen gelten: 

C.4 Spielregeln der  Ökobilanzierung 

 Einhaltung  der  Grundsätze  ordnungsgemäßer  Bilanzierung  (Bilanz‐ vollständigkeit, Bilanzklarheit). 

 Datenerhebung in physikalischen Mengeneinheiten: Kilogramm (Stof‐ fe)  sowie  Kilowatt  (Energie).  Ergänzende  Angaben  sind  Stück  oder  Kubikmeter. 

 Standardisierung und Dokumentation der Mess‐ und der Erhebungs‐ daten (örtliche und zeitliche Vergleichbarkeit). 

 Frühzeitige Einspeisung von Stoff‐ und Energiedaten in ein IT‐System  (z.B. Gefahrstoffdatenbank). 



Eindeutige Definition der Systemgrenzen (was ist mit „Beteiligungen“  oder „beigestelltem Material“?). 

 Erhebungszeitraum  und  ‐zeitpunkt  fixieren  (Anlehnung  an  das  Ge‐ schäftsjahr, Bestandserhebungen werden an die Inventur gekoppelt). 

Das  Aufstellen  von  Ökobilanzen  erfolgt  grundsätzlich  auf  freiwilliger  Basis. Wird eine Ökobilanz erstellt, setzen sie die meisten Unternehmen  als Vertriebs‐ und Marketinginstrument ein. Damit verleihen sich man‐ che  Organisationen  quasi  selbst  ein  Ökosiegel.  Probleme,  die  im  Rah‐ men  der  Ökobilanzierung  auftreten  können,  sind  beispielsweise  der  Versuch eines Vergleichs ökologischer Verträglichkeit von unterschiedli‐ chen Entwicklungs‐ und Produktionsprozessen bei diversen Belastungs‐ arten.  So  stellt  ein  Verbrennungsprozess  eine  Luftbelastung  dar,  ein  Drehprozess  hingegen  eine  Abwasserbelastung.  Zudem  existieren  nur  für bestimmte problematische Stoffe staatlich fixierte Grenzwerte (wie in  der  Chemieproduktion),  die  zumindest  Anhaltspunkte  für  eine  Bewer‐ tung  liefern  (Unschädlichkeitsgrenzen).  Folglich  ergibt  sich  eine  „Spiel‐ wiese“ der Subjektivität, da sich ein jedes Unternehmen selbst bestimm‐ te Normen auferlegt. 

C.4.3.4

Dem Vertrieb ein  Argument an die  Hand geben 

Nachhaltigkeit und Lifecycle Costing

Die  Grundidee  des  Lifecycle  Costings  beruht  darauf,  dass  neben  den  eigentlichen  Marktlebenszykluskosten  auch  Vorlauf‐  und  Nachlaufkos‐ ten im Kostenmanagement zu berücksichtigen sind. Als Basis dient der  integrierte Produktlebenszyklus. Er teilt sich in die Phasen Entstehungs‐

285

Von der Wiege bis  zur Bahre 

C

Strategien des Supply Chain Managements

zyklus, Marktzyklus sowie Entsorgungs‐/Recyclingzyklus auf. Bei einem  Lifecycle Costing setzen die Aktivitäten zur Reststoffvermeidung bereits  in den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung ein. Hier stellen  Techniker  die  Weichen  für  ein  späteres  Kostenkneten  im  integrierten  Produktlebenszyklus  („80‐20‐Regel“).  Die  Kosten  über  den  kompletten  Lebensweg eines Produkts sind relevant. Bei einer tradierten Kostenver‐ rechnung  würde  lediglich  der  Marktzyklus  untersucht.  Vorlauf‐  und  Nachlaufkosten  wären  nicht  dem  Produkt  direkt  zuzuweisen,  sondern  als  Gemeinkostensätze  lediglich  „umzulegen“.  Insbesondere  mit  der  zunehmenden  Bedeutung  von  Vorlauf‐  und  Nachlaufkosten  ist  dieser  traditionelle Weg zu ungenau und wenig befriedigend.  Vorläufe und Nach‐ läufe beachten 

Bei  der  Lebenszykluskostenrechnung  werden  die  Kosten  in  spezielle  Phasen  kategorisiert,  um  Trade‐off‐Beziehungen  aufzuzeigen.  Bei‐ spielsweise  erzeugt  die  Entwicklung  eines  umweltverträglichen  Pro‐ dukts  in  der  Marktphase  zum  Teil  höhere  Materialkosten.  Jedoch  wird  dadurch  später  vielfach  ein  vereinfachtes  Recycling  möglich,  weshalb  sich  im  Lebenszyklus  die  Nachlaufkosten  senken.  Beispielsweise  sind  die  Anschaffungskosten  einer  Energiesparlampe  höher  als  die  einer  konventionellen  Glühlampe.  Über  den  geringeren  Stromverbrauch  kompensiert  sich  jedoch  im  Zeitablauf  der  höhere  Anschaffungspreis  des Energieleuchtmittels (vgl. Horváth et al. 2019, S. 473ff.) 

Life Cycle Costing  versus Total Cost of  Ownership 

In  einer  Lebenszykluskostenrechnung  werden  unterschiedliche  Investi‐ tionen  nach  ihrer  Wirtschaftlichkeit  abgewogen.  Dazu  sind  potenzielle  Erträge  und  Aufwendungen  miteinander  zu  verrechnen.  Rasch  ist  er‐ sichtlich, ob und wann eine Investition ihren Break‐Even erreicht. Dabei  besteht zwischen Lifecycle Costing und Total Cost of Ownership (vgl. S.  36ff.)  eine  enge  Beziehung.  Der  Übergang  der  Hilfsmittel  ist  fließend:  Beide Ansätze berücksichtigen die Kosten über den kompletten Lebens‐ weg eines Produkts. Doch während für Total Cost of Ownership primär  Transaktionskosten  von  großer  Relevanz  sind  (Prozessorientierung),  be‐ zieht  sich  Lifecycle  Costing  verstärkt  auf  Investitionen  (Zeitbezug).  Die  Aufwendungen  und  die Erträge  der  Lebenszykluskostenrechnung  kön‐ nen in eine Vorlauf‐ und in eine Nachlaufphase eingeteilt werden. 

 Vorlaufphase (Entstehungszyklus)  - Aufwendungen:  Marktforschung,  Verfahrensentwicklung,  Stück‐ listen‐  und  Arbeitsplanerstellung,  Prototyping  und  Markter‐ schließung. 

- Erträge: Subventionen (Forschungsförderung), Kundenanzahlun‐ gen und Lizenzverkäufe. 

286

Strategien der Entsorgung und des Recyclings

C.4

 Nachlaufphase (Entsorgungszyklus/Recyclingzyklus)  - Aufwendungen:  After‐Sales‐Services,  Garantiekosten,  Schadens‐ ersatzzahlungen,  Produktrückrufe,  Reklamationen,  Ersatzteilhal‐ tung, Reparatur, Rücknahme, direktes Recycling, Stilllegung. 

- Erträge: Kundenvergütungen für Ersatzteile oder Restwerte nicht  mehr  genutzter  Wirtschaftsgüter  (zum  Beispiel  der  Verkauf  von  Excess‐Vorräten). 

Abschließend wird ein Beispiel (vgl. Beispielblock c.20) zur Lebenszyk‐ luskostenrechnung  wiedergegeben.  Das  Einflusspotenzial  von  Green  Supply Chain Management erstreckt sich über den kompletten Lebens‐ weg  dieses  Produkts  (8  Jahre).  Das  Erzeugnis  spielt  in  seinem  Lebens‐ zyklus  Erträge  ab  der  dritten  Phase  ein.  Besonders  Cash‐trächtig  sind  das fünfte und das sechste Lebensjahr. In den ersten zwei Jahren erwirt‐ schaftet das Produkt einen jeweils negativen Deckungsbeitrag (Vorlauf‐ phase).  Kumuliert  (YTD,  Year  to  Date)  überschreitet  das  Produkt  die  Gewinnschwelle (Break‐Even‐Point) im vierten Jahr. Nicht zu vergessen  sind  die  Nachlaufkosten  in  der  siebten  und  der  achten  Phase  für  eine  spätere Entsorgung. Insgesamt erzielt der Hersteller mit diesem Produkt  einen Gewinn von 100.000 Euro, bei einer Umsatzrendite von 10% (vgl.  in ähnlicher Weise Horváth et al. 2019, S. 475). 

Anwendung der  Lebenszyklusrech‐ nung 

Beispiel des Lifecycle Costings 

Beispielblock c.20 

Periode 









Ertrag (E)  Verkauf 

 

 

 

 

 

 

150 

Aufwand (A)  Herstellung  Entwicklung  Verwaltung  Vertrieb  Entsorgung 

 

 

 

 

 

‐ 11 









Summe 

 

 

 

 

 

 200 

 300 

 250 

100 

 

1.000 

 

 

 

 

 

 

‐75 

‐100 

‐150 

‐125 

‐50 

 

 ‐ 500 

‐ 14 

‐18 

 ‐14 

  ‐27 

 ‐ 21 

  ‐6 

 

  ‐111 

 ‐15 

 ‐15 

‐21 

 ‐29 

  ‐29 

  ‐29 

 ‐29 

 ‐29 

  ‐196 

 

 

 

 ‐20 

  ‐14 

  ‐18 

 ‐14 

   ‐8 

   ‐74 

 

 

 

 

 

 

  ‐6 

  ‐13 

   ‐19 

Summe (E‐A) 

‐26 

‐29 

 36 

  37 

  80 

  57 

  ‐5 

  ‐50 

  100 

Summe YTD 

‐26 

‐55 

‐19 

  18 

  98 

155 

150 

 100 

  100 

Legende: Alle Zahlen in Tausend Euro (T€], YTD = Year to Date   

287

C Wie lautet der  „richtige“ Verrech‐ nungsschlüssel? 

Strategien des Supply Chain Managements

Es  bleibt  festzuhalten,  dass  die  Lebenszykluskostenrechnung  für  eine  „grüne“  Supply  Chain  sehr  bedeutsame  Effekte  aufzeigt,  indem  bei‐ spielsweise  die  Nachlaufkosten  explizit  ermittelt  werden.  Natürlich  hat  Lifecycle  Costing  dabei  ein  Prognoseproblem:  Zukünftige  Produktvo‐ lumina und Preise sind bei der Kostenverteilung nur grob abzuschätzen  und schlecht in Phasen zu unterteilen. Außerdem werden etwaige Inter‐ dependenzen  unter  den  Funktionsbereichen  nicht  deutlich.  Schließlich  erfolgt  die  Verrechnung  der  Gemeinkosten  proportional  zu  den  Einzel‐ kosten  über  einen  Verteilungsschlüssel.  Dieses  Problem  betrifft  admi‐ nistrative Tätigkeiten (Verwaltung) ebenso, wie Forschung und Entwick‐ lung sowie Marketing. 

C.5

Verständnisfragen

 Welche Arten  von  Kooperationsstrategien  kennen  Sie?  Kennzeichnen  Sie diese und beschreiben Sie deren Probleme. 

 Zeigen  Sie  Möglichkeiten  der  Zusammenarbeit  zwischen  Lieferanten  und  Kunden  auf  (unterschieden  nach  dem  Leistungspotenzial  sowie  der Bindungsintensität). 

 Klären Sie den Begriff „First‐Tier‐Lieferant“. Geben Sie drei Beispiele  aus der Praxis an. 

 Charakterisieren  Sie  die  Vorteile  und  die  Nachteile  von  Resident  En‐ gineering. 

 Beschreiben Sie beispielhaft das Laboratory‐Store‐Concept.   Definieren  Sie  den  Begriff  „Horizontale  Kooperationsstrategie“.  Ge‐ ben Sie dafür drei Beispiele neueren Datums an. 

 Klären  Sie  den  Begriff  Efficient  Consumer  Response  (ECR)  und  be‐ nennen  Sie  die  Komponenten  des  Konzepts.  Nehmen  Sie  eine  kriti‐ sche Würdigung von ECR vor. 

 Beschreiben  Sie  die  Logistikmodule  von  ECR.  Gehen  Sie  auf  die  po‐ tenziellen Vorteile und Nachteile ein. 

 Vendor  Managed  Inventory  (VMI):  Klären  Sie  den  Begriff.  Grenzen  Sie  ihn  von  benachbarten  Termini  ab.  Welches  sind  operative  Rah‐ menbedingungen des Konzepts? In welchen Phasen läuft idealtypisch  ein VMI‐Prozess ab? Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile  und die Nachteile von VMI auflisten. 

288

Verständnisfragen

 Benennen  Sie  Ausprägungsformen  für  ein  Cross  Docking.  Welche  Möglichkeiten  der  Kostenverteilung  schlagen  Sie  in  einem  Multiple  User Warehouse vor? 

 Was bedeutet der Begriff „Category Management“? Definieren Sie die  Module des Category Managements in ECR. 

 Grenzen  Sie  die  Begriffe  „Relationship  Marketing“,  „One‐to‐One‐ Marketing“  und  „Customer  Relationship  Management“  voneinander  ab. 

 Nennen  und  erklären  Sie  die  strategischen  Zielgrößen  und  die  Kom‐ ponenten von Customer Relationship Management. 

 Charakterisieren  Sie  die  Weiterentwicklung  von  Customer  Relations‐ hip Management zu Enterprise Relationship Management. 

 „Available‐to‐Promise“ und „Capable‐to‐Promise“: Erläutern Sie diese  Begriffe. Beschreiben Sie das Zusammenspiel von Logistik, Produkti‐ on, Einkauf und Vertrieb zur Optimierung beider Größen. 

 Ordnen  Sie  Mass  Customization  in  die  hybriden  Wettbewerbsstrate‐ gien  ein  und  nennen  Sie  die  wichtigsten  Voraussetzungen  von  Mass  Customization. 

 Beschreiben Sie die beiden Konzepte „Soft Customization“ und „Hard  Customization“. 

 Warum  sind  Postponement‐Strategien  anzuwenden?  Klären  Sie  den  Begriff  „Postponement“  und  zeigen  Sie  die  Einflussfaktoren  für  ein  Postponement am Beispiel der chemischen Industrie auf. 

 Kennzeichnen  Sie  die  Möglichkeiten  und  die  Grenzen  für  ein  Form  Postponement und ein Time Postponement. 

 Welche  Sourcing‐Strategien  kennen  Sie?  Charakterisieren  Sie  zwei  Ansätze näher und würdigen Sie diese kritisch. 

 Diskutieren  Sie  die  Eignung  von  Single  Sourcing  und  Multiple  Sour‐ cing für das Supply Chain Management. 

 Zeigen  Sie  Gemeinsamkeiten  und  Unterschiede  zwischen  den  Aus‐ prägungsformen Single Sourcing und Sole Sourcing auf. Geben Sie für  das Sole Sourcing drei Beispiele aus dem betrieblichen Umfeld an. 

 Entwerfen  Sie  eine  Tabelle,  in  der  Sie  die  Konzepte  Single  Sourcing  und  Multiple  Sourcing,  anhand  von  ausgewählten  Unterscheidungs‐ kriterien, gegenüberstellen. 

 Charakterisieren Sie Modular Sourcing anhand eines Beispiels aus der  Automobilindustrie. Grenzen Sie Modular Sourcing von System Sour‐ cing ab.  

289

C.5

C

Strategien des Supply Chain Managements

 Welche Chancen und welche Risiken messen Sie einem Unit Sourcing  bei? 

 Beschreiben  Sie  Collective  Sourcing  und  geben  Sie  dazu  ein  Beispiel  aus  dem  betrieblichen  Umfeld  an.  Nehmen  Sie  eine  kritische  Würdi‐ gung von Collective Sourcing vor. 

 „Global Sourcing“: Klären Sie den Begriff, nennen Sie wesentliche Vo‐ raussetzungen und würdigen Sie ihn kritisch. 

 Grenzen  Sie  Global  Sourcing  von  Local  Sourcing  und  von  Domestic  Sourcing ab. 

 Welche Beschaffungsstrategien kennen Sie in der Supply Chain?   Worin  besteht  der  Unterschied  zwischen  Kanban  und  einer  zentrali‐ sierten Produktionssteuerung? Berücksichtigen Sie die Voraussetzun‐ gen für eine Implementierung von Kanban. 

 Grenzen  Sie  die  Begriffe  „Just‐in‐Time“  und  „Just‐in‐Sequence“  von‐ einander ab. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die  Nachteile von Just‐in‐Time (aus Kundensicht) gegenüberstellen. 

 Beschreiben  Sie  den Ansatz  der  Fortschrittszahlen  anhand  eines  Bei‐ spiels  (mit  grafischer  Darstellung).  Berücksichtigen  Sie  dabei  die  Vo‐ raussetzungen des Ansatzes. 

 Gehen  Sie  auf  Gemeinsamkeiten  und  Unterschiede  von  Kanban  und  Fortschrittszahlen ein. 

 Nehmen Sie eine Kennzeichnung der Belastungsorientierten Auftrags‐ freigabe  vor.  Berücksichtigen  Sie  die  Voraussetzungen  und  die  Ar‐ beitsschritte des Konzepts. 

 Beantworten Sie folgende Fragen zur Retrograden Terminierung: His‐ torische  Entwicklung,  Begriffsklärung  und  Charakterisierung,  Ar‐ beitsschritte sowie kritische Würdigung. 

 Beschreiben  Sie  den  Risikomanagementprozess  in  seinen  Grundzü‐ gen. Nennen Sie Vorteile und mögliche Gefahren dieses Ansatzes. 



Kennzeichen Sie Methoden zur Bewertung von Supply‐Chain‐Risiken.  Gehen Sie dabei in besondere Weise auf die Fehler‐Möglichkeits‐und‐ Einfluss‐Analyse ein. 

 Supply Chain Mitigation: Klären Sie den Begriff und entwerfen Sie ei‐ ne Übersicht, in der Sie Mitigations‐Strategien beispielhaft kennzeich‐ nen. 

 Inwieweit  hat  Corona  das  Risikomanagement  in  der  Supply  Chain  verändert? 

 Was verstehen Sie unter elektronischen Supply Chains? Orden Sie den  Begriff in das Order‐to‐Payment‐S ein. 

290

Verständnisfragen

 Was verstehen Sie unter „Electronic Commerce“? Benennen Sie mögli‐ che Stellhebel von Electronic Commerce in Supply Chains. 

 Was ist eine virtuelle Frachtbörse? Zeigen Sie die Chancen und die Ri‐ siken virtueller Frachtbörsen am Beispiel der Automobilindustrie auf.  Wie  stufen  Sie  die  Entwicklungspotenziale  von  virtuellen  Frachtbör‐ sen ein? 

 Benennen  und  kennzeichnen  Sie  mögliche  elektronische  Ausschrei‐ bungsvarianten. Wählen Sie sich eine dieser Formen aus und entwer‐ fen Sie eine Tabelle, in der Sie eine kritische Würdigung der Variante  durchführen. 

 Was  verstehen  Sie  unter  „Tracking  and  Tracing“?  Ordnen  Sie  GPS‐ Systeme  in  die  Idee  von  Tracking  and  Tracing  ein.  Welche  Gefahren  messen Sie Tracking‐and‐Tracing‐Systemen bei? 

 Kennzeichnen Sie den Übergang von 3PL zu 4PL. Worin sehen Sie die  Gemeinsamkeiten  und  die  Unterschiede  zwischen  beiden  Begriffen?  Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie Fourth‐Party‐Logistics‐Provider  kritisch würdigen. 

 Inwieweit  hängen  Industrie  4.0  und  Supply  Chain  4.0  zusammen?  Welches sind die wesentlichen Komponenten einer Kognitiven Supply  Chain?  

 Beschreiben Sie die prägenden Übergänge der industriellen Revoluti‐ on auf dem Weg zu Industrie 4.0. Nennen Sie Vorteile und Nachteile  der Industrialisierung für die Wirtschaft und für die darin agierenden  Menschen. 

 Was  verstehen  Sie  unter  Cyber‐Physischen‐Systemen  in  der  smarten  Fabrik?  Unterscheiden  Sie  Sensoren  von  Aktoren  und  benennen  Sie  jeweils drei mögliche Ausprägungsformen. 

 Benennen Sie drei Gefahren, welche die Smart Factory Ihrer Meinung  nach in sich birgt. Begründen Sie kurz Ihre Aussage. Warum haben Sie  gerade diese drei potenziellen Schwierigkeiten benannt? 

 Was ist eine Smart City und aus welchen Elementen besteht sie? Wel‐ chen  Beitrag  leistet  der  demographische  Wandel  für  das  Entstehen  von  Smart  Cities?  Warum  wollen  immer  Menschen  in  engen  Städten  leben? 

 Welche  logistischen  Implikationen  entnehmen  sie  intelligenten  Städ‐ ten? Wie werden sich die smarten Städte aus logistischer Sicht in den  nächsten  Jahren  entwickeln?  Welche  möglichen  Gefahren  sehen  Sie  dabei auf die Menschen zukommen? 

 Welchen  logischen  Beitrag  leistet  das  Internet  der  Dinge?  Benennen  Sie drei Beispiele zum Internet of Supply Chain. Welche Rolle nehmen 

291

C.5

C

Strategien des Supply Chain Managements

darin  Digital  Twins  ein?  Wo sehen  Sie Gefahren  in  der  Nutzung  von  Digital Twins? 

 Big Data in der Supply Chain: Gehen Sie auf den Begriff ein. Entwer‐ fen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von Big  Data im Wertschöpfungsverbund gegenüberstellen. 

 Welche  Rolle  spielt  die  Blockchain‐Technologie  für  die  Abwicklung  von  Arbeitsabläufen  innerhalb  einer  Supply  Chain?  Welche  Vorteile  bringt die Blockchain speziell auf dem Gebiet der Logistik? 

 Charakterisieren Sie den Begriff „Machine Learning“. Stellen Sie mög‐ liche  Ausprägungsformen  des  maschinellen  Lernens  speziell  in  der  Wertschöpfungskette vor. 

 Sharing  Economy:  Beschreiben  Sie den  Beitrag  der  Sharing  Economy  für  die  Supply  Chain.  Welche  Vorteile  und  welche  Nachteile  können  mit ihrer Nutzung verbunden sein? 

 Bennen  Sie  sind  spezielle  Logistikanforderungen  an  Entsorgung  und  Recycling.  Welche  Möglichkeiten  bietet  die  Supply  Chain  zur  Redu‐ zierung von Umweltbelastung? 

 Listen  Sie  Aufgaben  einer  Entsorgung  auf.  Nennen  Sie  beispielhaft  mögliche Aufbereitungsprozesse, die vor einer Entsorgung stattfinden  können. 

 Beschreiben  Sie  mögliche  Recycling‐Strategien  in  Supply  Chains  stichpunktartig. Geben Sie dazu jeweils ein Beispiel aus der Konsum‐ güterindustrie an.  

 Was  bedeutet  für  Sie  „Nachhaltigkeit  in  der  Supply  Chain“?  Welche  Größen zur Messung von Sustainability speziell in zeitgemäßen Wert‐ schöpfungsketten schlagen Sie vor? 

 Product Carbon Footprint: Klären Sie den Begriff. Inwieweit kann ein  Carbon  Footprint  in  Supply  Chains  eingesetzt  werden?  Welche  Stell‐ hebel  zur  Verbesserung  des  Footprints  sehen  Sie  in  Wertschöpfungs‐ ketten? 

 Beschreiben Sie den Nutzen und die Gefahren des Lifecycle Costings  für nachhaltige Supply Chains. Entwerfen Sie ein Formblatt, auf dem  Sie  beispielhaft  eine  Lebenszyklusrechnung  innerhalb  einer  Supply  Chain durchspielen. 

 Diskutieren  Sie  Gemeinsamkeiten  und  Unterschiede  zwischen  den  beiden  Vollkostenrechnungen  Lifecycle  Costing  und  Total  Cost  of  Ownership. 

292

Lernziele und Vorgehensweise

D.1

D Instrumente des Supply Chain Managements

Instrumente  sind  Techniken,  die  zur  Lösung  bestimmter  Problemstel‐ lungen dienen. Unter diesem Gliederungsabschnitt werden ausgewählte  Hilfsmittel  des  Supply  Chain  Managements  diskutiert.  Ihr  Einsatz  er‐ möglicht die Umsetzung der unter Abschnitt C charakterisierten Strate‐ gien  moderner  Logistikketten.  Strategien  und  Instrumente  sind  zeitlich  eng verflochten: Chandlers These „Structure follows Strategy“ verliert im  Supply Chain Management an Gültigkeit. Sie wird durch „Structure and  Strategy“  ersetzt,  weil  Strategien  und  Instrumente  im  Netzwerk  zeit‐ gleich einzubeziehen sind. 

D.1

Simultaneität von Strategien und Instrumenten

Lernziele und Vorgehensweise

Die Lernziele von Kapitel D bestehen in folgenden Punkten: 

 Eine Verknüpfung zwischen Strategien und Instrumenten des Supply  Chain Managements aufzuzeigen. 

 Die Inhalte der Instrumente zu kennzeichnen.   Grundlegende Begriffe zu klären.   Eine kritische Würdigung der Hilfsmittel zu skizzieren.  Bei  einer  Beschreibung  von  Instrumenten  des  Supply  Chain  Manage‐ ments  sind  zunächst  ausgewählte  Hilfsmittel  zur  Lösung  logistischer  Kernfragen  vorzustellen.  Dazu  zählen  als  Instrumente  zur  Bestandsre‐ duzierung  die  Dekomposition  der  Vorräte,  die Gängigkeitsanalyse,  das  Reichweitenmonitoring,  die  Konsignationsanalyse  sowie  eine  Durch‐ laufzeiten‐  und  Rüstzeitenanalyse.  Zur  Senkung  von  Frachtkosten  wer‐ den die maschinelle Frachtkostenermittlung, eine Standardisierung von  Verpackungen,  Milk  Run,  Letzte  Meile  sowie  Hub  and  Spoke  gekenn‐ zeichnet.  Anschließend  sind  mit  Benchmarking  und  Reverse  Enginee‐ ring zwei Instrumente zur Informationsgewinnung in der Supply Chain 

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_4

293

Diskutierte Hilfsmittel

D

Instrumente des Supply Chain Managements

zu  charakterisieren.  Die  wesentlichen  Hilfsgrößen  einer  Qualitätssiche‐ rung  in  der  Lieferkette  stellen  Quality  Function  Deployment,  Failure  Mode and Effects Analysis sowie Bottleneck Engineering dar. Schließlich  werden  als  IT‐gestützte  Hilfsmittel  Electronic  Data  Interchange  (EDI)  und  Web‐EDI,  Barcode,  RFID,  Data  Warehouse,  Computer  Integrated  Manufacturing  sowie  Enterprise  Resource  Planning  und  Advanced  Planning  and  Scheduling  diskutiert.  Analog  zu  den  bisher  beschriebe‐ nen Kapiteln sind den Ausführungen Verständnisfragen nachzustellen. 

D.2

Instrumente zur Bestandsreduzierung

Konkurrierende  Logistikziele 

Die  Notwendigkeit  zur  Reduzierung  von  Beständen  (vgl.  Brüll  et  al.  2007; Hartmann 2011; Ottwaska 2009; Schönsleben 2011; Stölzle et al. 2004;  Tempelmeier 2018; Weber/Bartz 2018; Werner 2007) resultiert aus dem Phä‐ nomen der Kapitalbindung. Zur betriebswirtschaftlichen Bedeutung von  Vorräten  vgl.  S.  394  dieser  Schrift.  Im  Supply  Chain  Management  herrscht  ein  latenter  Zielkonflikt.  Auf  der  einen  Seite wird  die  Versor‐ gungssicherung einer Organisation verfolgt, um den physischen Materi‐ alfluss  sicherzustellen.  Auf  der  anderen  Seite  richtet  sich  die  Reduzie‐ rung  von  Vorräten  nach  einer  Minderung  der  Kapitalbindung  aus.  Die  isolierte  Optimierung  dieser  beiden  strategischen  Grundhaltungen  be‐ inhaltet ein Konfliktpotenzial. Zum Beispiel geht eine Bestandsreduzie‐ rung  „um  jeden  Preis“  zu  Lasten  der  Versorgungssicherheit.  Sie  führt  im Extremfall zur Stock‐out‐Situation: Das Absenken der Vorräte mün‐ det in einen Nullbestand (vgl. S. 33). Die Lösung dieser Problemstellung  liegt  in  der  integrierten  Optimierung  von  Versorgungs‐,  Entsorgungs‐  und Recyclingzielen innerhalb der Supply Chain (Zielharmonie). 

„At the height of  the fighting, he – la  – hu...”         (Heaven 17) 

Doch herrscht nicht nur ein Dauerstreit zwischen Bestandsmanagement  und  Versorgungssicherheit.  Ebenso  besteht  eine  Trade‐off‐Situation  zwischen  Beständen  und  Produktvielfalt:  Der  Vertrieb  wünscht  einen  größtmöglichen  Kundenzuschnitt  (Customization).  Die  Logistik  favori‐ siert  hingegen  eher  Produkt‐  und  Prozessstandardisierung.  Und  auch  zwischen  Produktion  und  Logistik  besteht  ein  Zielkonflikt.  Die  Ferti‐ gung strebt nach Losgrößeneffekten und möchte „möglichst aus dem Vol‐ len schöpfen“. Aus logistischer Sicht sind mit einer derartigen Fertigung  jedoch hohe Lagerbestände verbunden. Schließlich ist auch das fortwäh‐ rende Spannungsverhältnis zwischen Lagerbestand versus Transportkos‐ ten auszuloten (vgl. S. 323 dieser Schrift). 

294

Instrumente zur Bestandsreduzierung

D.2

Die  Gesamtkosten  einer  Bevorratung  setzen  sich  aus  Lagerkosten  und  Fehlmengenkosten zusammen (vgl. Abbildung D.1): 

 Lagerkosten:  Lagerkosten  sind  abhängig  von  der  Lagerbestands‐

Cash‐Flow‐Diebe 

menge,  dem  Lagerbestandswert  und  der  Dauer  einer  Bevorratung.  Sie  werden  untergliedert  in  Lagerhaltungskosten,  Zinskosten  sowie  Sonstige Kosten. 

-

Lagerhaltungskosten: Sie fallen als Raumkosten (Abschreibungen,  Mieten,  Energie)  und  Lagerbewirtschaftungskosten  (Versicherun‐ gen, Personal, Reifung) an. 

Hohe Fixkosten 

-

Zinskosten:  Zinskosten  resultieren  aus  der Bindung  finanzieller  Ressourcen in Beständen. Das gebundene Geld kann nicht ange‐ legt  werden.  Es  entstehen  entgangene  Gewinne  (Opportunitäts‐ kosten).  Heutzutage  leitet  sich  die  Verzinsung  meist  über  den  Weighted Average Cost of Capital (WACC) ab. 

Opportunitätskos‐ ten vermeiden 

-

Sonstige Kosten: In dieses Segment sind Wertminderungen ein‐ zuordnen,  die  beispielsweise  auf  Grund  von  Schwund,  Verderb  oder Ungängigkeit resultieren. 

Schwund und  Verderb 

 Fehlmengenkosten:  Fehlmengenkosten  entstehen,  wenn  die  Güter‐ mengen zur Befriedigung eines Bedarfs nicht ausreichen. Die Einlei‐ tung von Ad‐hoc‐Maßnahmen (Trouble Shooting) oder ein Bandstill‐ stand  können  folgen.  Sie  untergliedern  sich  in  Mengenabhängige,  Zeitabhängige sowie Sonstige Fehlmengenkosten. 

Unterbestände führen zu Fehlmengenkosten

-

Mengenabhängige  Fehlmengenkosten:  Weil  Einsatzgüter  feh‐ len,  müssen  häufig  Substitutionswaren  beschafft  werden,  die  hochwertig  und  teuer  sind.  Daraus  ergeben  sich  in  der  Regel  Preisdifferenzen. 

Preisdifferenzen 

-

Zeitabhängige Fehlmengenkosten: Sie fallen vor allem für Kon‐ ventionalstrafen  an.  Die  Dauer  der  Störung  bestimmt  die  Höhe  der  Kosten.  Besonders  schwer  wiegen  Lieferunterbrechungen,  die  zum  Produktionsstillstand  des  Kunden  führen.  In  der  Auto‐ mobilindustrie kann dieses Problem den Lieferanten pro Stunde  150.000 Euro und mehr kosten. 

Hohe Kosten durch Bandstillstand

-

Sonstige  Fehlmengenkosten:  Die  Sonstigen  Fehlmengenkosten  untergliedern  sich  in  Opportunitätskosten  und  in  Goodwill‐ Verluste. Beim Vorliegen von Opportunitätskosten (entgangenen  Gewinnen) gehen Aufträge verloren, weil Kundenbestellungen – 

Goodwill-Defizite schmerzen besonders

295

D

Instrumente des Supply Chain Managements

auf  Grund  von  Fehlmengen  –  nicht  zu  bearbeiten  sind.  Liegen  hingegen  Image‐  oder  Reputationsminderungen  in  Fehlmengen  begründet, leiten sich daraus sogar Goodwill‐Verluste ab.  Abbildung D.1 

Gesamtkosten der Bevorratung 

Gesamtkosten der Bevorratung  Lagerkosten 

Fehlmengenkosten 

 ‐ Lagerhaltungskosten 

 ‐ Mengenabhängige Kosten 

 ‐ Zinskosten 

 ‐ Zeitabhängige Kosten 

 ‐ Sonstige Kosten 

 ‐ Sonstige Kosten 

 

Kunden ziehen die  Leistungen aus den  Herstellern 

Die  Reduzierung  von  Vorräten  leitet  sich  vielfach  aus  der  Umsetzung  einer  Pull‐Steuerung  ab.  Als  ein  Spezialist  für  eine  kundengerechte  Fertigung  erweist  sich  der  Maßkonfektionär  Dolzer.  Der  Hauptsitz  von  Dolzer befindet sich in Schneeberg im Odenwald. Das Unternehmen hat  sich auf die Fertigung von Maßanzügen (diese sind ab 149 Euro zu ha‐ ben) und maßgeschneiderten Hemden (die Verkaufspreise beginnen ab  50 Euro) spezialisiert. Süffisant wird Dolzer als der „Aldi unter den Maß‐ schneidern“  bezeichnet.  Mit  einer  Umsatzrendite  von  über  10%  ausge‐ stattet,  stellt  Dolzer  die  speziell  auf  den  Kunden  zugeschnittenen  Klei‐ dungsstücke  quasi  aus  dem  Baukasten  her  (nach  dem  Prinzip  Mass  Customization). Dolzer reduzierte mit diesem Konzept seine Bestände um  über 15% (vgl. Werner 2013, S. 113). 

D.2.1 Gesamtbestand als Black-Box

Dekomposition der Bestände

Eine  Dekomposition  von  Vorräten  kennzeichnet  die  Zerlegung  des  Ge‐ samtbestands in seine Einzelteile. Dadurch steigert sich die Transparenz  von  Vorräten.  Die  notwendigen  Informationen  liefert  das  Controlling.  Das Herunterbrechen fußt auf einer Kontierung von Beständen. Basis ist  § 266 Abs. 2 im HGB gemäß der Gliederung einer deutschen Bilanz. Die  internationalen  Rechnungslegungsvorschriften  nach  IFRS  und  US‐ GAAP  ähneln  an  dieser  Stelle  der  deutschen  Bestandsführung.  Vorräte 

296

Instrumente zur Bestandsreduzierung

D.2

werden in der Bilanz zumeist der Buchungsklasse „0“ zugerechnet. Die  einzelnen  Buchungen  verdichten  sich  zu  Kontengruppen.  Auf  einen  Blick ist zu erkennen, wo der Hebel zur Einleitung von Verbesserungs‐ maßnahmen anzusetzen ist (vgl. Beispielblock d.1). 

Dekomposition der Bestände 

Bestandsart 

Beispielblock d.1 

Kontengruppe 

Betrag (in T€) 

Bezogenes Rohmaterial  (Raw Material) 

051 

                   700 

Bezogene Kaufteile  (Purchased Parts) 

052 

                4.500 

Selbstgefertigte Teile  (Manufactured Parts) 

053 

                   300 

Werkstattbestand  (Work‐in‐Process) 

054 

                   400 

Fertigerzeugnisse  (Finished Goods) 

055 

                3.500 

Beigestelltes Material  (Goods‐at‐Suppliers) 

056 

                   150 

Gemeinkostenmaterial  (Small Tools) 

057 

                   250 

Sonstige  (Other) 

058 

                   200 

059 

              10.000 

Gesamtbestand 

Durch  das  Herunterbrechen  des  Gesamtbestands  von  10  Millionen  Euro auf die Ebene der Kontengruppen wird deutlich, dass sich Aktivi‐ täten zur Reduzierung von  Vorräten zuerst auf bezogene Kaufteile (4,5  Millionen  Euro)  und  Fertigerzeugnisse  (3,5  Millionen  Euro)  erstrecken.  In diesen beiden Bereichen liegen 80% des Kapitals gebunden. 

Problemzonen  identifizieren 

Von der Buchungsklasse 051 (bezogenes Rohmaterial) bis 055 (Fertiger‐ zeugnisse) steigt die Wertschöpfung. Zur Verdeutlichung der Klasse 056  (Beigestelltes Material) dient folgendes Beispiel: Ein Automobilkonzern  hat  die  Produktion  von  Stoßfängern  einem  Dritten  übergeben.  Er  stellt  dem  Lieferanten  Stahl  bei,  welchen  der  Zulieferer  zur  Herstellung  der 

Zur Besonderheit  des Beigestellten  Materials 

297

D

Instrumente des Supply Chain Managements

Stoßfänger  benötigt.  Der  Stahl  wird  von  riesigen  Coils  gerollt.  Obwohl  der Lieferant im Besitz der Stahl‐Coils ist, sind diese dem Eigentum des  Automobilkonzerns zuzurechnen.  ABC‐Analyse  schafft Transpa‐ renz 

Eine  Möglichkeit  zum  Aufbrechen  gesamter  Bestände  bietet  die  ABC‐ Analyse  (vgl.  Haberstock  2016;  Schneider  2012,  S.  13ff.).  Vorräte  werden  auf Grund ihres Wertes und ihrer Menge in A‐, B‐ sowie C‐Teile zerlegt.  Die  ABC‐Analyse  basiert  auf  der  Annahme,  dass  Materialien  für  ein  Unternehmen  von  unterschiedlicher  Bedeutung  sind.  Im  Supply  Chain  Management eignet sich die ABC‐Analyse auch für eine Einteilung nach  Materialbedarfen, Kundengruppen oder Spediteuren.  

Beispiel einer  ABC‐Analyse 

Ein  Beispiel  für  die  ABC‐Analyse  zeigt  Block  d.2.  Für  einen  Hersteller  von Bremsgeräten sind Sensoren und Tellergehäuse A‐Teile (mit einem  Wert  von  70%  und  einer  Menge  von  20%  der  gesamten  Sachnummern  der  Bremsgeräte).  Die  Maßnahmen  zur  Bestandsreduzierung  nehmen  sich  bevorzugt  diesen  Sachnummern  an.  B‐Teile  stellen  Rollmembrane  und  C‐Teile  Schrauben,  Dichtringe  oder  Muttern  dar.  Die  C‐Teile  bein‐ halten  einen  Wert  von  5%  und  eine  Menge  von  50%.  Allein  von  ihrem  Wert  her  betrachtet,  scheinen  C‐Teile  kaum  zur  Ausnutzung  von  Kos‐ tensenkungspotenzialen  zu  taugen.  Doch  der  Schein  trügt:  Das  Ma‐ nagement  der  C‐Artikel  erzeugt  überproportional  hohe  Transaktions‐ kosten. Grundsätzlich erfolgt die Festlegung der Prozentsätze für A‐, B‐  und C‐Teile unternehmensindividuell. 

Beispielblock d.2 

ABC‐Analyse (Prozentangaben beispielhaft)   

Wert 

Menge 

A‐Teil 

70% 

20% 

B‐Teil 

25% 

30% 

C‐Teil 

5% 

50% 

  Unerwartete Nach‐ frageschübe 

Neben  der  ABC‐Analyse  bietet  die  XYZ‐Analyse  (vgl.  Haberstock  2016;  Schneider 2012) eine Alternative zur Zerlegung von Beständen. Sie rich‐ tet  sich  nach  dem  Verbrauchsverlauf  der  Vorräte  aus.  Wie  bei  der  ABC‐ Analyse, lassen sich die Güter in Gruppen zusammenfassen. Das Unter‐ scheidungskriterium  zur  Einteilung  von  Vorräten  in  X‐,  Y‐  und  Z‐Teile  stellt  deren  Planungssicherheit  (Forecast  Accuracy)  dar.  Dazu  sind  die 

298

Instrumente zur Bestandsreduzierung

D.2

Artikelpositionen nach steigendem Variationskoeffizienten zu sortieren.  Dieser  errechnet  sich  aus  Standardabweichung  zu  arithmetischem  Mit‐ telwert (vgl. Begriffsblock D.I).  Begriffsblock D.I 

XYZ‐Analyse 

 X‐Güter:  Ein  sehr  gleichförmiger  (weitgehend  deterministischer)  Verbrauch beschreibt X‐Güter. Es liegen geringe Bedarfsschwankun‐ gen mit hoher Absatzprognosegenauigkeit vor. X‐Güter sind für Just‐ in‐Time‐Anlieferungen prädestiniert. 

 Y‐Güter:  Sie  zeichnen  sich  insbesondere  durch  trendorientierte  oder  konjunkturbedingte  Schwankungen  aus.  Die  Vorhersagegenauigkeit  der Y‐Güter ist mittelmäßig ausgeprägt. 

 Z‐Güter:  Für  Z‐Güter  ist  ein  ungleichförmiger  (stochastischer)  Ver‐ brauch  typisch.  Die  Bedarfsschwankungen  sind  hoch,  und  die  Vor‐ hersagegenauigkeit  ist  gering.  Beispielsweise  ist  das  Saisongeschäft  zum Teil erheblichen Schwankungen unterworfen. Gleiches kann für  die  logistische  Steuerung  nach  einer  Verkaufsförderungsaktion  gel‐ ten. Auch für den Bereich Fashion (Modebranche) sind zum Teil sehr  ungleichförmige  Verbräuche  typisch,  da  die  Wünsche  der  Kunden  sich rasch ändern können.   

Die ABC‐Analyse und die XYZ‐Analyse sind mit den Arten der Materi‐ albeschaffung  zu  kombinieren.  Dabei  werden  die  Möglichkeiten  der  Fallweisen  Beschaffung,  der  Vorratsbeschaffung  sowie  der  Bedarfsge‐ rechten Beschaffung unterschieden (vgl. Begriffsblock D.II). 

Beschaffungsalter‐ nativen 

Eine  weitere  Systematisierungsmöglichkeit  von  Materialien  nimmt  die  LMN‐Analyse  vor.  Diese  Differenzierung  ist  der  Aufteilung  in  groß‐,  mittel‐  und  kleinvolumigen  Sachnummern  geschuldet.  L‐Teile  sind  großvolumige  Artikel.  Analog  werden  unter  N‐Sachnummern  kleine  Artikel  gefasst.  Im  Mittelfeld  finden  sich  M‐Teile.  Selbstverständlich  bedeutet es nicht, dass ein N‐Teil unbedeutsam ist. Es kann teuer (kapi‐ talintensiv)  oder  selten  verfügbar  (strategisch  relevant)  sein.  Folglich  zielt  die  LMN‐Analyse  auf  die  Sperrigkeit  von  Gütern,  wobei  diese  Be‐ standsdifferenzierung  beispielsweise  bei  nur  begrenzt  verfügbarem  Ladevolumen  von  Interesse  ist  (zur  Erzielung  einer  hohen  Packdichte).  Um die Komplexität der weiteren Ausführungen nicht überzustrapazie‐ ren, wird die LMN‐Analyse in der Folge jedoch nicht näher untersucht.  

Materialdifferen‐ zierung nach  Volumenanteilen 

  299

D Begriffsblock  D.II 

Instrumente des Supply Chain Managements

Arten der Materialbeschaffung 

 Fallweise  Beschaffung:  Sie  wird  synonym  als  Einzelbeschaffung  be‐

Singularität der  Entscheidungen 

zeichnet.  Eine  Beschaffung  erfolgt  beim  Auftreten  eines  konkreten  Bedarfs. Normteile (Schrauben etc.) bleiben von einer Fallweisen Be‐ schaffung ausgeklammert. Es werden hohe Anforderungen bezüglich  der  Lieferbereitschaft  von  Anbietern  gestellt.  Daraus  resultiert  ein  großes  Fehlmengenrisiko  –  verbunden  mit  der  Gefahr,  verspäteter  Zugänge. Die Lagerkosten dieser Alternative sind jedoch niedrig. 

 Vorratsbeschaffung:  Die  Vorratsbeschaffung  verläuft  losgelöst  vom 

Routineprozesse

eigentlichen  Fertigungsverlauf.  Eine  Ware  wird  auf  Lager  genom‐ men,  um  günstige  Lieferkonditionen  auszunutzen  und  Puffer  zu  bil‐ den. Die Materialbedarfe lassen sich kaum vorhersagen. Das Beschaf‐ fungsrisiko wird zu Lasten höherer Bestände abgewälzt. 

 Bedarfsgerechte  Beschaffung:  Es  erfolgt  eine  synchron  mit  der  Ferti‐

JiT und JiS als  Zauberformeln 

gung  abgestimmte  Beschaffung  an  die  Nachfragestruktur.  Die  Bedarfs‐ gerechte Beschaffung ist anspruchsvoll und beinhaltet ein recht hohes  Kostensenkungspotenzial  durch  die  Möglichkeit  einer  Just‐in‐Time‐  oder Just‐in‐Sequence‐Anlieferung.   

Kombinations‐ möglichkeiten 

Reduzierung der  Kapitalbindung 

Lager als Puffer

Die Abbildung D.2 visualisiert die Kombination von ABC‐Analyse und  XYZ‐Analyse  mit  den  Arten  der  Materialbeschaffung.  Innerhalb  dieser  Darstellung  kristallisieren  sich  die  drei  Felder  Bedarfsgerechte  Beschaf‐ fung, Vorratsbeschaffung sowie Fallweise Beschaffung heraus. 

 Feld I: Eine Anlieferung gemäß der Just‐in‐Time‐Philosophie eignet  sich für A‐Teile. Sie zeichnen sich durch einen hohen Wert und eine  geringe  Menge  aus.  Als  Beschaffungsart  wird  die  Fertigungssyn‐ chrone  Beschaffung  gewählt  (zum  Teil  auch  die  Fallweise  Beschaf‐ fung).  Zur  Durchführung  von  Just‐in‐Time  muss  der  Verbrauch  der  Waren  möglichst  gleichförmig  verlaufen.  Ein  Charakteristikum,  das  vor allem für X‐Güter gilt. 

 Feld II: Für C‐Teile bietet sich eine Vorratsbeschaffung an. Die Ein‐ standspreise  der  Waren  sind  niedrig.  Auf  Basis  unterschiedlicher  Verbrauchsverläufe eignen sich X‐, Y‐ und Z‐Güter für diese Beschaf‐ fungsart,  wobei  der  Schwerpunkt  auf  den  Y‐Gütern  liegt.  Obwohl  diese  Artikel  von  ihrem  Wert  her  unbedeutend  sind,  verfügen  sie  über verhältnismäßig hohe Transaktionskosten. Daher bietet sich für  diese  Konstellation  die  Berücksichtigung  eines  externen  Beschaf‐ fungsdienstleisters (3rd Party Procurement) möglicherweise an. 

300

Instrumente zur Bestandsreduzierung

 Feld  III:  Neben  einer  Fertigungssynchronen  Beschaffung werden  A‐ Teile einzeln angefordert. Auch B‐Teile unterliegen einer Fallweisen  Beschaffung.  Der  Verbrauch  ist  zumeist  recht  ungleichförmig,  wes‐ halb es sich um Z‐Güter handelt. Das Problem dieser Beschaffungsart  liegt in ihrer Seltenheit begründet: Es besteht kaum die Möglichkeit,  aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, da die Tätigkeiten nur  eine geringe Arbeitsroutine aufweisen. 

ABC‐ und XYZ‐Analyse integriert mit Arten der Materialbeschaffung  A‐Teile  X‐Güter 

B‐Teile 

D.2 Projektbezogene  Beschaffung 

Abbildung D.2 

C‐Teile 

Bedarfsgerechte  Beschaffung 

I Vorratsbeschaffung 

Y‐Güter 

II Fallweise 

Z‐Güter 

D.2.2

Beschaffung 

III

Gängigkeitsanalyse

Ein weiteres Instrument des Bestandsmanagements ist die Gängigkeits‐ analyse  (vgl.  Werner  2000f).  Vorräte  werden  in  die  beiden  Kategorien  „gängig“  und  „ungängig“  eingeteilt.  Letzte  sind  „zum  Teil  ungängig“  oder „völlig ungängig“. Als Unterscheidungsmerkmal dient die vergan‐ genheitsbezogene  Lagerreichweite  (vgl.  S.  306),  wobei  in  der  Automo‐ bilindustrie folgende Differenzierung üblich ist (vgl. Abbildung D.3): 

 Gängig:  Vorräte  sind  im  Segment  Automotive  gängig,  wenn  sie  eine  Reichweite von kleiner/gleich drei Monaten haben. 

 Zum  Teil  ungängig:  Diese  Bestände  weisen  eine  Reichweite  zwischen  größer als drei Monaten sowie kleiner als zwölf Monaten auf. 

301

Vermeidung un‐ gängiger Bestände

D

Instrumente des Supply Chain Managements

 Völlig ungängig: Als völlig ungängig werden im Autobau Vorräte mit  einer Reichweite von größer/gleich 12 Monaten deklariert. 

Abbildung D.3 

Einteilung der Gängigkeit 

Gängigkeit der Bestände 

Gängig 

Ungängig 

RW ≤ 3 Monate 

Zum Teil ungängig 

Völlig ungängig 

„Excess“ 

„Obsolete“ 

RW > 3 Monate  18 R

 15 R und

/= 10 R 

< 10 R und  >/= 6 R

 10 km

Zielwert

Leichtgängige Rastung



2

Objektiver 

10 11 12 13

5 mm

Billig

9

ja / nein

4

8

5

Bruchfe st, stabil

7

10 Pers.

5

6

x RZ

Mine  soll nicht auslaufe n

5

ja / nein

4

4

(x)

Mine  austauschbar

3

> x N

4

Optische

 

 x bar

Soll Klick habe n

1



x N

5

x N

Technische Optische

Kugelschreiber

Be de utung Soll schre ibe n

Schreiblänge (km)

Technische

Anforderungen  des  Kunden

Konkurrenz‐

↑ ↑ ↑ ↑

Projekt Kugelschreiber

Anforderungen  an das  Design

Besser

↓ ↓

5

18

9

9

9

12

6

   

355

D

Instrumente des Supply Chain Managements

D.5.2 Historie und Begriffsklärung

FMEA als ausgesprochen pragmatisches Instrument des Risikomanagements

Berechnung der Risikoprioritätszahl

Failure Mode and Effects Analysis

Ein weiteres Instrument zur Qualitätssicherung in der Supply Chain ist  die  Failure  Mode  and  Effects  Analysis  (FMEA,  vgl.  Arndt  2016;  Eber‐ hardt  2015;  Göbbert/Zürl  2006;  Tietjen/Müller  2011;  Werdich  2012).  Die  FMEA  wurde  in  den  60er  Jahren  in  den  USA  –  im  Rahmen  des  Raum‐ fahrtprogramms  Apollo  –  entwickelt.  In  Europa  wird  sie  seit  den  70er  Jahren eingesetzt. Eine FMEA fußt auf dem Prinzip der vorausschauen‐ den Fehlervermeidung: Aktivitäten zur Qualitätssicherung werden prä‐ ventiv eingeleitet. Die Failure Mode and Effects Analysis bietet mit Ent‐ wicklungs‐FMEA,  Konstruktions‐FMEA  und  Prozess‐FMEA  ein  breites  Anwendungsspektrum.  Im Supply Chain Management ist insbesondere die Prozess‐FMEA von  Bedeutung.  Komplette  Abläufe  werden  in  Haupt‐  und  Nebenprozesse  dekomponiert.  Mögliche  logistische  Aufgaben  und  Ziele  der  FMEA  sind: Erhöhung der Prozessqualität, Senkung von Prozesskosten, Redu‐ zierung der Prozesszeit, Steigerung einer Prozessflexibilität, Identifizie‐ rung  potenzieller  Schwachstellen  und  Forcierung  des  Know‐how‐ Transfers.  Zur  Durchführung  einer  Failure  Mode  and  Effects  Analysis  wird  ein  Team  gebildet,  das  sich  vor  allem  aus  Ingenieuren  rekrutiert.  Idealtypisch durchläuft eine FMEA folgende Arbeitsschritte:  1.

Einleitung einer Risikoanalyse betroffener Bereiche. 

2.

Bewertung der Risiken vornehmen (Risikoprioritätszahl). 

3.

Identifikation von Verbesserungsmaßnahmen. 

4.

Initiierung von Umsetzungsmaßnahmen. 

5.

Erläuterung signifikanter Abweichungen. 

Zur Eintragung der Orientierungsdaten dient ein Formblatt (vgl. Abbil‐ dung  D.16).  Mögliche  Fehlerquellen  werden  mittels  Kreativitätstechni‐ ken  (wie  Brainstorming,  Brainwriting,  Morphologischer  Kasten)  ermit‐ telt.  Die  potenziellen  Fehlerursachen  sind  in das  Formblatt  einzutragen  und zu gewichten. Es werden drei Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt,  deren multiplikative Verknüpfung in die Berechnung einer Risikoprio‐ ritätszahl mündet (vgl. Kamiske/Pfeufer 2014, S. 55): 

 Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Fehlers.   Wahrscheinlichkeit der Bedeutung des Fehlers.   Wahrscheinlichkeit des Entdeckens eines Fehlers vor Produktausliefe‐ rung an den Kunden.  356

Instrumente zur Qualitätssicherung

D.5

Die  Multiplikation  der  drei  Wahrscheinlichkeiten  ergibt  den  Ist‐ Zustand.  Üblich  ist  die  Quantifizierung  der  Komponenten  auf  einer  Skala von eins („kein“ oder „sehr geringes Risiko“) bis zehn („sehr ho‐ hes  Risiko“).  Im  Extremfall  erreicht  die  Risikoprioritätszahl  folglich  einen Wert von 1.000 Punkten. Sie spiegelt Kriterien wie Gebrauchstüch‐ tigkeit,  Zuverlässigkeit  und  Sicherheit.  Die  am  höchsten  bewerteten  Risiken  sind  zuerst  zu  beseitigen,  um  die  Verbesserungsreihenfolge  zu  wahren.  Es  werden  Maßnahmen  definiert,  die  zur  Reduzierung  der  Risikoprioritätszahl beitragen und in den Soll‐Zustand münden. 

Vom Ist- zum Soll-Zustand überleiten

Im  Folgenden  wird  ein  Beispiel  zur  Durchführung  einer  FMEA  in  der  Supply Chain skizziert. Nachdem die Namen der Teammitglieder in das  Formblatt eingetragen wurden, ist zunächst der Anwendungsbereich zu  kennzeichnen. Die FMEA kann sich auf sämtliche Funktionen der Wert‐ schöpfungskette erstrecken. Aus Gründen der Übersichtlichkeit bezieht  sich die FMEA im Folgenden exklusiv auf die Wareneingangskontrolle.  Zunächst  sind  potenzielle  Fehler  der  Wareneingangskontrolle  und  ihre  Ursachen aufzulisten. Ein möglicher Fehler stellt die falsche Zuweisung  von  Materialien  zu  ihren  Lagerorten  dar.  Die  Ursache  des  Fehlers  liegt  darin  begründet,  dass  die  Waren  ihren  Lagerplätzen  manuell  zugeteilt  werden.  Die  Lagerarbeiter  müssen  die  Sachnummern  suchen,  weil  sie  die Materialien nicht sofort finden. Daraus ergeben sich Probleme beim  Picken  der  Waren  für  die  Kommissionierung.  Anschließend  wird  für  den Ist‐Zustand eine Risikoprioritätszahl ermittelt (hier: 480 Punkte). Sie  errechnet  sich  aus  der  Multiplikation  der  oben  genannten  drei  Wahr‐ scheinlichkeiten: 

„Besser ein Diamant mit einem Fehler als ein Kieselstein ohne.“ (Konfuzius)

a)

Wahrscheinlichkeit des Fehlerauftritts. 

b)

Wahrscheinlichkeit der Fehlerbehebung. 

c)

Wahrscheinlichkeit der Fehlerentdeckung (vor Auslieferung).   

a × b × c = 8 Punkte × 10 Punkte × 6 Punkte = 480 Punkte. 

Anschließend findet eine Überleitung zum Soll‐Zustand statt. Als emp‐ fohlene Abstellmaßnahme des Fehlers wird eine Zuordnung von Waren  zu  ihren  Lagerplätzen  mittels  RFID  identifiziert.  Außerdem  sind  die  Verantwortlichkeiten  und  die  jeweiligen  Zeitfenster  festzulegen.  Durch  diese Maßnahmen reduziert sich die Risikoprioritätszahl schließlich auf  30 Punkte:   

357

Verbesserungen vornehmen und RPZ senken

D

Instrumente des Supply Chain Managements

a)

Wahrscheinlichkeit des Fehlerauftritts. 

b)

Wahrscheinlichkeit der Fehlerbehebung. 

c)

Wahrscheinlichkeit der Fehlerentdeckung (vor Auslieferung).   

Von der Ist-RPZ zur Soll-RPZ

Abbildung D.16 

a × b × c = 1 Punkt × 10 Punkte × 3 Punkte = 30 Punkte. 

Das  oben  charakterisierte  Beispiel  für  die  Anwendung  der  FMEA  im  Supply Chain Management findet sich in Abbildung D.16. Es wird deut‐ lich,  dass  die  Risikoprioritätszahl  gesenkt  wurde.  Die  Wahrscheinlich‐ keit der Bedeutung des Fehlers ist allerdings nicht zu reduzieren.

Formblatt einer FMEA (Wareneingangskontrolle) 

Anwendungsbereich 

Wareneingangskontrolle 

Potenzieller Fehler 

Falsche Warenzuordnung zum Lagerplatz 

Potenzielle Fehlerursache 

Manuelle Warenzuteilung zum Lagerplatz 

Folge des Fehlers 

Probleme der Kommissionierung 

Ist‐RPZ 

8 x 10 x 6 = 480 

Abstellmaßnahme 

RFID‐Zuordnung der Waren zum Lagerplatz 

Verantwortlich 

Brigitte Werner 

Termin 

16‐01‐2021 

Soll‐RPZ 

1 x 10 x 3 = 30 

Verantwortlich 

Hans Hubert („Berti“) Vogts 

Legende: „RPZ“ steht für Risikoprioritätszahl   

Problembereiche der FMEA

Die FMEA ist ein sehr pragmatischer Lösungsansatz. Er dient nachhaltig  zur Steigerung der Transparenz von Supply Chain Prozessen. Sämtliche  Aktivitäten  sind  hinsichtlich  ihrer  Sinnhaftigkeit  auf  den  Prüfstand  zu  stellen,  was  „einem  klärenden  Gewitter“  gleichkommt.  Doch  wo  Licht  ist, findet sich bekanntlich auch Schatten: 

 Das  Team setzt  sich  vor  allem  aus Ingenieuren  zusammen.  Dadurch  bleibt  das  Wissen  von  Experten  aus  Marketing  oder  Controlling  weitgehend unberücksichtigt. 

358

Instrumente zur Qualitätssicherung

D.5

 Die Failure Mode and Effects Analysis dient als Alibifunktion. Für ei‐ ne  Produkthaftungsklage  wirkt  die  FMEA  entlastend  im  Sinne  von  „Wir  haben  alle  Anstrengungen  unternommen,  um  Risiken  zu  ver‐ meiden“. Im umgekehrten Fall kann die nicht durchgeführte Fehler‐  Möglichkeits‐  und  Einfluss‐Analyse  eine  Belastung  sein,  wenn  der  Kunde seinem Lieferanten die Aufstellung einer FMEA abverlangt. 

 Bei  der  FMEA  treten  durch  Auf‐  oder  Abrundungen  Skalenbrüche  auf.  Strukturelle  Unterschiede  verschwimmen  bei  zwei  Risiken,  die  zum Beispiel bei „6,6“ und „7,4“ Punkten liegen. Die verdichtete Ri‐ sikoprioritätszahl  „7,0“  suggeriert  ein  gleich  hohes  Risiko  für  beide  potenziellen  Fehler,  obwohl  eine  Spannweite  von  0,8  Punkten  vor‐ liegt. 

 Für  komplexe  Prozesse  ist  die  Durchführung  einer  FMEA  zudem  recht zeitaufwendig. 

 Die  drei  Wahrscheinlichkeiten,  welche  einer  Ermittlung  der  Risi‐ koprioritätszahl  dienen,  werden  gleich  stark  gewichtet.  Ihre  Bedeu‐ tung für das Supply Chain Management kann allerdings von Fall zu  Fall variieren. 

 Schließlich ist die Berechnung der drei Wahrscheinlichkeiten subjek‐ tiv.  Es  handelt  sich  um  personenbezogene  Einschätzungen  von  Risi‐ kopotenzialen. Zwei unabhängige Teams können bei der Berechnung  ihrer Risikoprioritätszahlen – selbst für identische Prozesse – zu sehr  unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. 

D.5.3

Bottleneck Engineering

Bottleneck Engineering bietet eine dritte Möglichkeit zur Qualitätssiche‐ rung in modernen Supply Chains (vgl. Akao 1992, S. 143ff.; Gamweger et  al. 2009, S. 64ff.). Es ist ein Subinstrument des Quality Function Deploy‐ ments. Die vier Qualitätspläne von QFD basieren auf Qualitätstabellen  (vgl.  S.  352).  Innerhalb  dieser  Tabellen  werden  unterschiedliche  Quali‐ tätszielwerte festgelegt. Wenn ein Qualitätszielwert – ein objektiver Ziel‐ wert im Quality Function Deployment – nicht einzuhalten ist, liegt eine  Engpasssituation (ein Bottleneck) vor. 

Engpässe vermeiden

Die  Verifizierung  des  Qualitätsniveaus  für  ein  Bottleneck  Engineering  fußt auf einer Matrix. Im Kern wird eine Antwort auf die Frage gesucht,  ob das anvisierte Qualitätsniveau der Supply Chain mit den zur Verfü‐ gung  stehenden  Techniken  zu  realisieren  ist.  Wenn  nicht,  existiert  ein  technischer Engpass. Während sich die Prozessinhalte in der Matrix auf 

Einsatzbereiche des Hilfsmittels

359

D

Instrumente des Supply Chain Managements

der  Ordinate  finden,  kennzeichnen  die  zur  Verfügung  stehenden  Tech‐ niken die Abszisse. Eine Bewertung innerhalb der Matrix erfolgt in An‐ lehnung an die Nutzwertanalyse.  Arbeitsschritte

„Der Flaschenhals, durch den die Menschheit muss, ist nach oben hin so eng, dass er zum Nadelöhr wird, durch das wir Kamele wohl nicht passen wollen.“ (T. S. Lutter)

Der  Prozess  des  Bottleneck  Engineerings  durchläuft  idealtypisch  nach‐ stehende fünf Arbeitsschritte:  1.

Systematische Feststellung einer Problemstellung. 

2.

Bestimmung  von  Qualitätszielwerten  für  ausgewählte  Designan‐ forderungen (Produktkomponenten). 

3.

Vergleich von Qualitätszielwerten mit festgelegten Benchmarks pro  Designanforderung. 

4.

Definition und Einleitung von Maßnahmen zur Gegensteuerung. 

5.

Kontinuierliche Erläuterung von Abweichungen. 

Die unterstützende Wirkung des Bottleneck Engineerings für das Quali‐ ty  Function  Deployment  wird  durch  das  Beispiel  „Entwicklung  eines  Badmintonschlägers“  deutlich.  Eine  Kundenanforderung  lautet,  dass  der  Schläger  nicht  aus  der  Hand  rutschen  darf.  Diese  Kundenanforde‐ rung korreliert mit der Umwicklung des Schlägergriffs (Designanforde‐ rung).  Frottee  bietet  eine  Möglichkeit  zur  Umwicklung  des  Griffs.  Die  Designanforderung Frottee (der Repetierfaktor) wird mit den zur Verfü‐ gung stehenden Techniken (den Potenzialfaktoren) abgeglichen. Es stellt  sich  heraus,  dass  die  Maschine  für  die  Bespannung  der  Schlägergriffe  auf  Kunststoffbänder  geeicht  ist.  Wird  Frottee  auf  die  Maschine  ge‐ spannt,  reißt  das  Material.  Es  liegt  eine  Engpasssituation  vor.  Weil  die  Kundenanforderung  umzusetzen  ist,  muss  entweder  das  Material  zur  Umwicklung des Schlägergriffs geändert oder die Arbeitsstation substi‐ tuiert (modifiziert) werden. 

D.6 Wirkung neuer Medien

Instrumente zur IT-Unterstützung

In einer Wertschöpfungskette wird das Informationsmanagement insbe‐ sondere  durch  die  Hilfsmittel  Electronic  Data  Interchange  (EDI),  Web‐ EDI, Barcode, RFID, Data Warehouse, Computer Aided Manufacturing,  Enterprise  Resource  Planning  und  Advanced  Planning  and  Scheduling  realisiert.  Ihre  nähere  Charakterisierung  erfolgt  in  den  nachstehenden  Kapiteln. 

360

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6.1

D.6

Electronic Data Interchange (EDI) und WebEDI

Electronic Data Interchange (EDI) ist ein elektronischer Datenaustausch  zwischen mindestens zwei Partnern (vgl. Cancilla 2017; Kischporski 2017;  Nollau/Ziegler  2002).  Im  Supply  Chain  Management  wird  dazu  eine  Point‐to‐Point‐Anbindung  zwischen  Lieferanten  (Quellen)  und  Kunden  (Senken) geschaffen. Die Partner steuern ihren elektronischen Datenaus‐ tausch  über  Abrufe,  Gutschriften,  Rechnungen,  Transportdaten  oder  Bestände. Ein Beispiel für die Verknüpfung der Systeme zwischen den  Akteuren  via  EDI  ist  eine  automatisierte  Lagerhaltung:  Wenn  der  Mel‐ debestand im Lager des Kunden erreicht ist, löst der Lieferant von selbst  eine Warenzustellung aus, ohne dass der Kunde einen Lieferabruf tätigt. 

„Das Internet bietet unvorstellbar viel Mist, der Rest ist gar nicht so übel.“ (E. Probst)

EDI  aggregiert  sich  aus  zwei  Bausteinen  (vgl.  Kischporski  2017,  S.  13;  Neuburger  2013,  S,  77):  Dem  Kommunikations‐  und  dem  Konvertie‐ rungssystem.  Symptomatisch  für  das  Kommunikationssystem  ist  die  Ver‐ wendung  von  Protokollen.  Eine  Mailbox  stellt  die  technische  Plattform  einer  Point‐to‐Point‐Anbindung  zwischen  den  Partnern  dar.  Internen  und externen Usern kann eine Zugangsberechtigung zu dieser Mailbox  erteilt  werden.  Das  zweite  Modul,  das  Konvertierungssystem  von  EDI,  gewährleistet  die  Standardisierung  der  Nachrichtenformate.  Ansonsten  müssten  die  Dateien  während  des  Transfers  laufend  neu  konvertiert  werden.  Bei  der  Standardisierung  von  Formaten  hat  sich  weltweit  EDIFACT (vgl. Begriffsblock D.VII) durchgesetzt. Die Bestrebungen zur  Erarbeitung  einer  europäischen  Norm  mündeten  beispielsweise  in  der  Automobilindustrie in den Standard ODETTE (vgl. Begriffsblock D.VII). 

Papierlose Kommunikation und Standardisierung

Begriffsblock D.VII 

EDIFACT und ODETTE 

 EDIFACT (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and  Transport)  ist  ein  weltweiter,  branchenunabhängiger  Standard  für  EDI.  Im  Jahr  1988  vorgestellt,  ist  EDIFACT  nach  Verfahrensanwei‐ sungen  zu  pflegen.  Die  Initiative  zur  Vereinheitlichung  der  Abläufe  wurde  von  der  International  Standardization  Organization  (ISO)  ins  Leben gerufen. 

 ODETTE (Organization for Data Exchange by Teletransmission in Europe)  ist  ein  branchenabhängiger  Standard.  Auf  Basis  der  EDIFACT‐ Syntax, wurde er von der europäischen Automobil‐ und ihrer Zulie‐ ferindustrie erarbeitet (unter Beteiligung des VDA).   

361

D Was bringt EDI?

Instrumente des Supply Chain Managements

 Die  Vorteile  von  Electronic  Data  Interchange  sind  vor  allem  in  fol‐ genden Punkten zu sehen: 

Jedes Ding hat seine zwei Seiten

Vermeidung einer Mehrfacherfassung von Daten.  Senkung der Anzahl manueller Tätigkeiten.  Reduzierung administrativer Maßnahmen (Konvertieren).  Beschleunigung der Kommunikationsprozesse (Standards). 

 Eine  Anbindung  über  EDI  beinhaltet  jedoch  auch  einige  kritische  Punkte, die anschließend kurz aufgelistet werden: 

- Geringe Transparenz über Gebühren der Netzbetreiber.  - Verletzung der Zugriffsrechte (Geheimhaltung).  - Zum Teil hohe Anschaffungskosten (je nach Ausprägung).  In Web-EDI verschmelzen Offenheit und Standard

An  diesem  letzten  Kritikpunkt  setzt  Web‐EDI  (vgl.  Schumacher  2006;  Werner 2001, S. 24) an. Web‐EDI bedeutet die Realisierung eines elektro‐ nischen  Datenaustauschs  über  Internet  oder  Extranet.  Hier  wird  die  Point‐to‐Point‐Anbindung  (1:1)  einer  konventionellen  EDI‐Schnittstelle  zugunsten  einer  n:m‐Beziehung  aufgelöst.  In  diesem  Kontext  finden  Lösungen  wie  „XML“  (Extensible  Markup  Language)  Einsatz.  Der  Da‐ tenaustausch  zwischen  den  Partnern  (beispielsweise  die  Wertschöp‐ fungskette  Lieferant‐Hersteller‐Kunde)  gestaltet  sich  bei  Web‐EDI  aus‐ gesprochen  flexibel,  weil  zur  Nutzung  von  Web‐EDI  keine  spezielle  Software zu installieren ist. 

Web-EDI ist für KMU sehr interessant

Jetzt  haben  auch  kleine  und  mittelgroße  Unternehmen  (KMU)  die  Möglichkeit  zur  durchgängigen  Planung  von  Prozessketten  mit  ihren  Partnern.  Während  eine  traditionelle  EDI‐Verbindung  nur  wenigen  Systemlieferanten  und  größeren  Kunden  den  Datenaustausch  mit  dem  Hersteller  gestattet,  sind  durch  Web‐EDI  insbesondere  kleine  und  mit‐ telgroße  Organisationen  nicht  länger  auf  Hilfsmittel  wie  Fax,  Telefon  oder  Postweg  angewiesen.  In  Web‐EDI  verschmelzen  die  Vorteile  von  Offenheit  (Internet)  und  Standardisierung  (EDI).  Dadurch  werden  die  jeweiligen  Nachteile  einer  isolierten  Betrachtung  des  Internets  (es  gibt  kaum Richtlinien für die automatisierte und die digitale Weiterverarbei‐ tung  der  Daten  beim  Empfänger)  und  EDI  (die  besonders  ausgeprägte  Inflexibilität) aufgelöst. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Kunden bei  Existenz  von  Web‐EDI‐Schnittstellen  von  angebundenen  Lieferanten  erwarten,  dass  diese  (u.  U.  mehrmals  täglich)  im  System  nachschauen,  ob eine Bestellung vorliegt oder sich die Kundenabrufe geändert haben. 

362

Instrumente zur IT-Unterstützung

Für die Realisierung von Web‐EDI benötigen die Partner lediglich einen  geeigneten PC, einen Zugang zum Internet und einen Browser. Bei der  Verarbeitung  kleiner  Datenmengen  reduzieren  sich  durch  die  Berück‐ sichtigung von Web‐EDI die Kosten in der Supply Chain zum Teil deut‐ lich: Nach einer veröffentlichten Studie von Roland Berger sinken durch  die  Nutzung  von  Web‐EDI  im  Autobau  die  Kommunikationskosten  pro  Transaktion  von  acht  Euro  (traditioneller  elektronischer  Datenaus‐ tausch)  auf  einen  Euro  (Web‐EDI,  vgl.  Schumacher  2006,  S.  13).  Indem  punktuelle  Anbindungen  bei  Web‐EDI  entfallen,  können  derartige  kol‐ laborativen Planungsprozesse im gesamten Netzwerk der Lieferkette zu  vergleichsweise günstigen Konditionen stattfinden.  Web‐EDI  stößt  jedoch  insbesondere  dann  an  seine  Grenzen,  wenn  im  Rahmen  der  Kommunikation  zwischen  den  Partnern  große  Datenmen‐ gen anfallen (Big Data). In diesem Fall ist die klassische EDI‐Anbindung  die  bessere  Alternative,  weil  hier  dauerhafte  Schnittstellen  vorliegen.  Diese  permanenten  Verbindungen  sind  auf  die  Bearbeitung  großer  In‐ formationsmengen  ausgelegt.  Wie  auf  S.  362  deutlich  wurde,  verlagert  der Kunde mit Web‐EDI auch Aktivitäten auf angeschlossene Lieferan‐ ten.  Diese  müssen  nun  selbständig  und  unaufgefordert  mehrmals  täg‐ lich im System nachschauen, ob revidierte Kundenaufträge vorliegen.  

D.6.2

D.6 Cash-Throw-offs ausschöpfen

Große Datenmengen reiben WebEDI auf

Barcode

Der  Barcode  wird  synonym  Strich‐  oder  Balkencode  genannt  (vgl.  Dankmeier  2013;  ten  Hompel/Büchter  2007;  Klimant  et  al.  2012;  Klimonczyk  2016;  Schwaiger  2009).  Ein  Barcode  ist  ein  optoelektronischer  Datenträ‐ ger,  welcher  den  Identifikationstechniken  zuzurechnen  ist.  Der  Bar‐ code bildet eine Sequenz von Strichen ab, die mit dem Scanner gelesen  werden. Beim Auftreffen reflektierten Lichts auf einen Fotosensor, wird  eine  elektrische  Impulsfolge  erzeugt,  automatisch  ausgewertet  (deco‐ diert)  und  in  rechnerverständliche  Signale  übersetzt.  Die  Technik  ist  bereits 70 Jahre alt. Mittlerweile existieren viele 2D Codes (Code 49, PDF  417, QR‐Code, Data Matrix, Maxi Code). Sie wurden weiterentwickelt zu  3D Codes (High Capacity Color Codes). Diese lesen Informationen von  bunten  Labels.  Noch  intelligenter  sind  4D  Codes:  Sie  berücksichtigen  neben der Farbe zusätzlich die Zeit. 4D Codes werden in einer Abfolge  nacheinander erfasst. Bestrebungen zur Vereinheitlichung verschiedener  Barcodes  mündeten  in  die  Europäische  Artikelnummer  (EAN,  vgl.  Be‐ griffsblock D.VIII, in dem dieser Sachverhalt wiedergegeben wird). 

363

Über 250 verschiedene BarcodeTechniken weltweit

D Begriffsblock D.VIII 

Instrumente des Supply Chain Managements

EAN‐Code und Global Commerce Initiative  Ein EAN‐Code (Europäische Artikel Nummer) fördert die Standardisierung  von Sachnummern, um potenzielle Fehlerquellen beim Scannen zu reduzie‐ ren. Der EAN‐Code ist ein an Waren angebrachter Aufklebezettel, der durch  den  Barcode  oder  RFID  identifiziert  wird.  Die  Bestrebungen  der  Global  Commerce  Initiative  münden  in  eine  weltweite  Standardisierung  der  Arti‐ kelnummern (Erweiterung von EAN). Die Initiative wurde von 30 Akteuren  verschiedener  Branchen  in  Paris  gegründet,  und  die  Aktivitäten  unterstüt‐ zen  über  800.000  Unternehmen  weltweit.  Direkt  beteiligt  sind  zum  Beispiel  Coca Cola, Procter & Gamble, Wal Mart, Mars und Unilever.

Neue Anwendungsgebiete

Barcodes werden nicht nur für einfache Scann‐Vorgänge eingesetzt. Ihr  Anwendungsbereich  ist  mittlerweile  recht  umfangreich.  UPS  kontrol‐ liert  beispielsweise  weltweit  über  das  Internet  den  aktuellen  Aufent‐ haltsort von Paketsendungen online. Daimler verschafft sich einen Über‐ blick  hinsichtlich  seiner  auf  den  Weltmeeren  befindlichen  Warenwerte.  Schließlich  sorgt  Airbus  Industries  mit  Barcode‐gestützter  Lagerhaltung  dafür, dass die Flugzeuge möglichst lange in der Luft, und nicht unnötig  im Hangar, verweilen. 

Chargenrückverfolgbarkeit als Primärziel

Die  Strichcodes  sind  für  eine  Produkthaftung  ausgesprochen  interes‐ sant.  Mit  ihnen  wird  die  Chargenrückverfolgung  erleichtert.  Wenn  Fehler  auftreten,  können  diese  rasch  bis  auf  ihren  Ursprung  zurückge‐ führt  werden.  Ein  Punkt,  der  insbesondere  bei  Rückrufaktionen  von  Relevanz ist. Diesbezüglich führte Intel die Seriennummer für ihre Mik‐ roprozessoren  ein,  weil  Computer‐Chips  ähnlich  austauschbar  wie  Glühlampen  sind.  Ohne  Seriennummer  fehlt  den  Prozessoren  die  indi‐ viduelle Kennzeichnung, die eine Rückverfolgung ermöglicht. 

D.6.3 „Veni, vidi, vici“ – Wie Caesar einst bei Zela (Schlacht gegen Pharnakes II)…

Radio Frequency Identification (RFID)

Die RFID‐Technologie stellt eine Weiterentwicklung des Barcodes dar.  Sie  kam  erstmals  im  zweiten  Weltkrieg  zum  Einsatz  (vgl.  Finkenzeller  2015;  Kern  2006;  Lenk  2015;  Polat  2013;  Tamm/Tribowski  2010).  Der  be‐ triebswirtschaftliche  Nutzen  von  RFID  wurde  aber  erst  viel  später  (zu  Beginn der 90er Jahre) erkannt. Bei Radio Frequency Identification han‐ delt es sich um eine Technologie zur kontaktlosen, umfassenden Identi‐ fizierung von Objekten und der Erfassung von Daten jedweder Art. 

364

Instrumente zur IT-Unterstützung

Ein RFID‐System besteht aus drei Komponenten: Dem Rechner (Com‐ puterapplikation),  einem  Lesegerät  mit  integrierter  Kopplungseinheit  sowie  dem  RFID‐Transponder.  Der  Transponder  wird  auch  häufig  als  „Tag“ bezeichnet. In die deutsche Sprache übertragen meint ein „Tag“  so  viel  wie  „Etikett“  oder  „Schildchen“.  Er  ist  an  einem  Objekt  (zum  Beispiel der Ware oder einem Container) befestigt und stellt den eigent‐ lichen  Datenträger  eines  RFID‐Systems  dar.  Ein  Transponder  besteht  aus  einem  Koppelelement  sowie  einem  elektronischen  Mikrochip  (vgl.  Abbildung D.17). 

Bestandteile eines RFID‐Systems 

 

D.6 „Die beste Methode, um Informationen zu bekommen, ist die, selbst welche zu geben.“ (N. Machiavelli)

Abbildung D.17 

Daten

RFID‐Lesegerät Takt und Energie

Kontaktloser Daten‐ träger  (RFID‐Transponder)

     

Computer‐ Applikation

   

Koppelelement und  Chip (Spule, Mikro‐ wellenantenne)

   

Die  Datenübertragung  sowie  die  Energieversorgung  zwischen  dem  Transponder  und  dem  Lesegerät  erfolgt  unter  Verwendung  magneti‐ scher  oder  elektromagnetischer  Felder.  Das  Lesegerät  sendet  Daten  an  den Transponder und empfängt Informationen von diesem, sobald sich  der  Transponder  in  dem  Ansprechbereich  des  Lesegeräts  befindet.  Die  vom  Lesegerät  empfangenen  Daten  werden  durch  die  nachgeschaltete  Computerapplikation ausgewertet (vgl. Finkenzeller 2015, S. 113). 

Bedeutung elektromagnetischer Felder

Bei den RFID‐Geräten gibt es eine Vielzahl von Bauformen, welche sich  auf  die  Schaltung  (Chip),  die  Antenne  und  die  Verkapselung  beziehen  und somit die Befestigungsmöglichkeiten an einem Objekt beeinflussen.  Die  Verkapselung  stellt  lediglich  einen  Schutz  gegen  Umwelteinflüsse  dar. Eine stark verbreitete Transponderform ist der Smart Label, bei dem  die  Spule  –  inklusive  RFID‐Chip  –  auf  einer  Klebefolie  angebracht  ist.  Diese Transponder können als Selbstklebeetiketten benutzt werden, um  sie  auf  Gepäckstücke,  Pakete  und  Waren  zu  heften.  Da  diese  Klebeeti‐

Aktive und passive Transponder

365

D

Instrumente des Supply Chain Managements

ketten  nachträglich  leicht  zu  bedrucken  sind,  ist  es  möglich,  sie  mit  ei‐ nem  zusätzlichen  Strichcode  auszustatten.  Transponder  benötigen  zur  Erfüllung  ihrer  Funktionen  Energie,  um  ihren  Mikrochip  zu  betreiben  und Daten zum Lesegerät zu senden. Sie lassen sich nach ihrer Art der  Energieversorgung in passive und aktive Tags untergliedern.  Günstige Variante 

 Passive  Transponder  haben  keine  eigene  Energieversorgung.  Viel‐ mehr wird die Energie für den Betrieb von RFID durch das Lesegerät  bereitgestellt.  Wenn  die  Waren  in  das  elektrische  Feld  eines  Lese‐ geräts  gelangen,  wird  ein  elektromagnetisches  Feld  erzeugt,  das  die  Antennenspule des Empfängers durchdringt. Jetzt können die Daten  ausgelesen werden. 

Starke Leistung zu hohem Preis

Level von RFID

Tags auf Ladungsträgern anbringen

Case-Level auf Kartonagen und Behältern

 Aktive  Transponder  verfügen  über  eine  eigene  Energiequelle.  Sie  haben  eine  Batterie,  die  den  Mikrochip  mit  ausreichender  Leistung  versorgt und den Erhalt der gespeicherten Daten sichert. Die Energie  für die Datenübertragung bekommt der Transponder über das elekt‐ romagnetische  Feld,  welches  vom  Lesegerät  erzeugt  wird.  Aktive  Transponder  können  Daten  über  größere  Distanzen  mit  dem  Lese‐ gerät austauschen und bieten höhere Datenübertragungsraten. 

Das  RFID‐Verfahren  stellt  eine  Querschnittstechnologie  dar,  die  bran‐ chenübergreifend zu Identifikationszwecken eingesetzt wird. Die Kenn‐ zeichnung  und  Identifikation  kann  grundsätzlich  auf  drei  verschiede‐ nen Ebenen stattfinden: Unit‐Level, Case‐Level und Item‐Level. 

 Bei  der  Identifikation  auf  Ladungsträgerebene  (Unit‐Level)  wird  je‐ der  Ladungsträger  (z.B.  eine  Palette)  mit  einem  RFID‐Tag  versehen.  Enthält  die  Palette  sortenreine  Ware,  erfolgt  die  Speicherung  von  Produktdaten  (Artikelnummer,  Mindesthaltbarkeitsdatum)  auf  dem  Transponder.  Bei  nicht  sortenreiner  Ware  ist  auf  dem  Tag  nur  eine  Unit‐ID  abgelegt.  Der  Zugriff  auf  Produktinformationen,  welche  in  einer Datenbank gespeichert sind, wird durch eine Verknüpfung der  Unit‐ID mit produktspezifischen Daten gewährleistet. Auf Unit‐Level  eignet  sich  besonders  der  Einsatz  von  beschreibbaren  Einheiten,  um  zusätzliche  Daten  (wie  das  Wareneingangsdatum)  erfassen  zu  kön‐ nen. 

 Die  Identifikation  von  Produkten  auf  Karton‐  bzw.  Behälterebene  (Case‐Level)  verhält  sich  ähnlich  wie  die  der  Ladungsträgerebene  (Unit‐Level).  Bei  sortenreinen  Waren  werden  Produktinformationen  wieder  direkt  auf  einem  RFID‐Tag  gespeichert,  der  jetzt  allerdings  auf  einer  Kartonage  oder  einem  Mehrwegbehälter  appliziert  ist.  Für 

366

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

nicht sortenreine Waren verweist die Case‐ID auf die in einer Daten‐ bank hinterlegten Produktinformationen. 

 Bei  der  Identifikation  auf  Artikelebene  (Item‐Level)  besitzt  jedes  Pro‐ dukt  eine  weltweit  eindeutige  Identifikationsnummer.  Auf  Item‐ Level  kommen  Read‐Only‐  oder  einmal  beschreibbare  Write‐Once‐ Read‐Many  (WORM)‐Transponder  zum  Einsatz.  Sämtliche  Produkt‐ daten werden hierbei in einer zentralen Datenbank erfasst, die mittels  Artikel‐ID abrufbar sind. 

Grundsätzlich  sind  Radiofrequenzsysteme  über  die  gesamte  Supply  Chain  einzusetzen.  Allerdings  ist  dabei  zu  beachten,  dass  bis  dato  ein  Sammelsurium  unterschiedlicher  Transponderarten  vorliegt.  Weil  es  noch  keinen  Standard  für  die  Radiofrequenztechnik  gibt,  entstehen  an  den  Schnittstellen  einer  Wertschöpfungskette  Reibungsverluste.  Zwi‐ schen den Partnern sind nämlich die Daten häufig noch zu konvertieren.  Bei  näherer  Betrachtung  der  mannigfaltigen  Eigenschaften  von  RFID‐ Lösungen wird deren weites Anwendungsspektrum rasch deutlich (vgl.  Finkenzeller 2015; Justin 2005; Tamm/Tribowski 2010). 

 Datenänderung und ‐ergänzung: Bei den „Read‐and‐Write“‐Tags be‐ steht die Möglichkeit, die Daten über 100.000‐fach zu überschreiben.  Außerdem können die originären Informationen jederzeit aktualisiert  oder  erweitert  werden.  Diese  Alternativen  bietet  der  rigide  Barcode  nicht. 

 Schnelligkeit und Reichweite: Die Lesegeschwindigkeit von RFID ist  deutlich höher als die des Barcodes, wodurch die Rückverfolgbarkeit  der  Informationen  gefördert  wird.  Zusätzlich  steigt  die  Lesedistanz.  „Long‐Range‐Systeme“  besitzen  bereits  eine  Reichweite  von  über  zwanzig  Metern  Entfernung.  Daraus  ergibt  sich  jedoch  das  Risiko,  dass die Leseeinheiten auch Objekte außerhalb des anvisierten Erfas‐ sungsfelds identifizieren. 

 Datenkapazität: Im Vergleich zum konventionellen Strichcode, kann  ein  Transponder  weit  größere  Datenmengen  abbilden.  Der  kleinste  Typ  ist  der  „Festcodespeicher“.  Er  fasst  zwischen  16  Bit  und  64  Bit  und  verwaltet  reine  Binärdaten.  Die  meisten  Transponder  sind  mit  Prozessoren,  RAM‐  oder  ROM‐Speichern  ausgestattet.  Beispielhaft  dafür  steht  der  EEPROM  („Electrical  Erasable  Programmable  Read  Only  Memory“).  Dieser  Speicher  besitzt  eine  Kapazität  bis  zu  8  KB.  Bei großen Speicherformaten hängt die Decodierung der Informatio‐ nen allerdings direkt von der Menge der zu verarbeitenden Informa‐

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Transponder am Produkt selbst applizieren 

Ausgeprägte Supply Chain Affinität

Transponder sind überschreibbar

Longe-RangeLösungen

Kleine und große Applikationen

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Instrumente des Supply Chain Managements

tionen  ab.  Eine  verlängerte  „Auslesezeit“  erhöht  jedoch  die  ohnehin  nicht geringen Preise für die Radiofrequenzlösungen.  Unterscheidung nach der Datenübertragung

 Betriebsdaten: Die Betriebsarten werden nach Vollduplex‐Systemen, 

Lesegeräte untergliedert nach ihrer Frequenz

 Betriebsfrequenz: Bezüglich der Betriebsfrequenz der Lesegeräte er‐

Barcode im Preis unschlagbar

 Kosten: Der Transponder hätte den Barcode wohl schon viel stärker 

Erfassung im Pulk möglich

 Einzel‐  und  Pulk‐Erfassung:  Mit  Hilfe  des  Lesegeräts  können  be‐

Umweltresistenz

 Umweltfaktoren: Insbesondere Metalle beeinflussen die elektromag‐

Teilduplex‐Systemen und sequentiellen Transpondern unterschieden.  Bei  Vollduplex‐Systemen  ist  eine  gleichzeitige  beiderseitige  Daten‐ übertragung  möglich.  Teilduplex‐Systeme  gewährleisten  ebenfalls  einen Datentransfer in zwei Richtungen, aber abwechselnd und nicht  simultan.  Sequentielle  Transponder  hingegen  erlauben  nur  eine  Da‐ tenübertragung in eine Richtung.  folgt  eine Untergliederung  in die  drei Bereiche  Low  Frequency  (von  30 kHz bis 300 kHz), High Frequency (3MHz bis 30 MHz) sowie Ra‐ dio Frequency (300 MHz bis 3 GHz).    ergänzt,  wäre  er  im  Vergleich  zum  Strichcode  nicht  deutlich  teurer.  In  Abhängigkeit  von  den  Anforderungen  und  den  Stückzahlen,  be‐ wegen sich die Preise für Tags zwischen wenigen Eurocent und eini‐ gen  Tausend  Euro  (RFID‐Lösungen  im  „Long‐Range‐Bereich“).  Für  den  Einsatz  von  Radiofrequenzsystemen  muss  in  aller  Regel  die  be‐ stehende  Infrastruktur  erweitert  werden  (wie  die  Hardware  im  Be‐ reich der Informationstechnologie).  stimmte Tags gezielt angesteuert werden. Es besteht die Möglichkeit,  hunderte  von  Transpondern  in  einem  Antennenfeld  gemeinsam  an‐ zuvisieren  (Pulk‐Erfassung).  Problematisch  gestaltet  sich  dabei  je‐ doch das direkte „Übereinander positionieren“ der einzelnen Anten‐ nen (im Sinne einer „Anti‐Kollisions‐Positionierung“).  netischen Felder. Sie erzeugen Wirbelströme, die zum „Datenchaos“  führen.  Auch  wenn  eine  Ferritabschirmung  diesen  Effekt  dämpfen  kann,  bleibt  die  Leistungsfähigkeit  von  RFID  eingeschränkt.  Gegen‐ über  rauen  Umwelteinflüssen  (wie  Schmutz,  Feuchtigkeit,  Tempera‐ turschwankung  oder  Vibration)  reagieren  die  meisten  Transponder  jedoch weitgehend resistent. So arbeiten spezielle Radiofrequenzsys‐ teme  in  Gießereien  noch  bei  einer  Temperatur  von  über  250  Grad  Celsius problemlos. Ausgenommen ist davon der recht empfindliche  Röhrentransponder  aus  Glas.  Dieser  wird  häufig  in  der  Kennzeich‐ nung  von  Haustieren,  Nutzvieh  und  Versuchstieren  eingesetzt  (Hunde, Katzen, Rinder, Schafe, Ziegen, Vögel).  

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Instrumente zur IT-Unterstützung

 Optische  Abdeckung:  Schließlich  kann  die  Radiofrequenztechnik  ohne Sichtkontakt zur Leseeinheit eingesetzt werden. Der Chip ist am  Produkt selbst oder an einer Verpackung anzubringen. Zum Beispiel  nutzt  der  Versandhandel  die  Möglichkeit,  den  Transponder  in  eine  Folie  zu  laminieren,  um  dadurch  die  Sendungsverfolgung  während  des Transports kontinuierlich zu gewährleisten. 

D.6 Laminierungstechnik

In  der  Supply  Chain  bewirkt  die  Nutzung  von  RFID  unterschiedliche  betriebswirtschaftliche  Effekte  (vgl.  unten).  Zunächst  reduzieren  sich  die  Bearbeitungszeit  und  der  Ressourcenverbrauch.  Weiterhin  fällt  we‐ niger Schwund in der Produktion an, die Rate an Prozessfehlern nimmt  ebenso  ab.  Der  Informationsfluss  beschleunigt  sich  tendenziell  und  die  Kundenzufriedenheit steigt. 

RFID in der Supply Chain

Die Bearbeitungszeit in der Supply Chain verkürzt sich durch die Nut‐ zung von RFID, indem Mitarbeiter von zeitraubenden manuellen Routi‐ netätigkeiten entlastet werden. Der Grad an Automatisierung steigt, was  Auswirkungen  auf  die  Kostenstruktur  der  produzierten  Güter  hat. Au‐ ßerdem  können  die  Menschen  jetzt  in  anderen  Wertschöpfungsprozes‐ sen eingesetzt werden. 

Schnelle Supply Chain Prozesse mittels RFID

Eine  weitere  Wirkung  des  Einsatzes  der  Radiofrequenztechnik  in  der  Supply  Chain  bezieht  sich  auf  den  Ressourcenverbrauch  (Geldmittel,  Sachmittel).  Beispielsweise  kann  RFID  im  Rahmen  der  Kommissionie‐ rung  zum  Einsatz  kommen.  Die  Rate  manueller  Tätigkeiten  (mittels  Handlesegeräten)  sinkt,  und  es  werden  weniger  Kommissionierer  im  Prozess  benötigt.  Wenn  weniger  Menschen  in  der  Halle  arbeiten,  wer‐ den auch nicht mehr so viele Flurförderzeuge benötigt. 

Reduzierung des Vermögensverzehrs

Mit Hilfe von RFID können außerdem die Schwundraten gesenkt wer‐ den.  Beispielsweise  dienen  die  Tags  der  Diebstahlsicherung  gegenüber  Kunden  und  Mitarbeitern,  der  Reduzierung  von  Warenverlust,  durch  das  digitale  Erkennen  einer  begrenzten  Mindesthaltbarkeit,  sowie  der  automatisierten Informationsweitergabe bei einer Warenbeschädigung. 

Weniger Schwund in der Lieferkette

Ein  zusätzlicher  Effekt,  der  auf  die  Nutzung  von  RFID  in  der  Supply  Chain zurückgeht, ist mit der Reduzierung von Prozessfehlern verbun‐ den. Im Sinne von Total Cost of Ownership bedeuten weniger Prozess‐ fehler  eine  Absenkung  unliebsamer  Folgekosten.  So  ist  die  Rate  an  Nacharbeiten  (Rework)  gezielt  abzusenken.  Weiterhin  dürfte  die  Kun‐ denzufriedenheit zunehmen (Zuwachs an Vertrauen, weniger Schaden‐ ersatzansprüche). 

Senkung der Folgekosten

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D

Instrumente des Supply Chain Managements

Der Detaillierungsgrad von Informationen verbessert sich

Ein  weiterer  betriebswirtschaftlicher  Effekt,  welcher  sich  aus  der  Nut‐ zung  von  Radiofrequenzlösungen  in  der  Supply  Chain  ergibt,  bezieht  sich  auf  den  verbesserten  Informationsfluss  (Erhöhung  der  Datengra‐ nularität  und  Aktualisierung  der  Prozessdaten).  Die  Durchlaufzeit  im  Gesamtprozess  wird  auf  Grund  der  forcierten  Automatisierung  ver‐ kürzt. Dadurch reduzieren sich die Personalkosten, da weniger Prozess‐ schritte notwendig sind und die Informationsqualität an Güte hinzuge‐ winnt.  Zusätzlich  verbessern  sich  die  Analyse‐  und  die  Auswertungs‐ möglichkeiten  innerhalb  einer  Organisation,  was  eine  kontinuierliche  Prozessoptimierung  begünstigt und letztendlich auch  zu Umsatzsteige‐ rungen führen kann (z. B. den Verkauf zusätzlicher Informationsleistun‐ gen). 

Den Kunden glücklich machen

Eng verwoben mit der Steigerung des Informationsflusses ist schließlich  die  Verbesserung  der  Kundenzufriedenheit.  Die  oben  aufgezeigten  Möglichkeiten der Kostenersparnis können über gesenkte Verkaufsprei‐ se  an  den  Kunden  weitergegeben  werden.  Schließlich  nimmt  auch  die  Termintreue mit RFID zu, indem zugesicherte Liefertermine besser ein‐ gehalten werden (z. B. Same Day Delivery, Next Day Delivery).   

Praxisbeispiele für die Nutzung von RFID

Nachstehend  werden  diverse  Einsatzfelder  der  RFID‐Technologie  in  unterschiedlichen  Branchen  aufgezeigt.  In  einigen  Bereichen,  wie  der  Automobilindustrie,  kommt  das  Verfahren  schon  seit  etlichen  Jahren  zum  Einsatz.  Aber  auch  der  Handel  und  die  Konsumgüterindustrie  nutzen  die  Radiofrequenztechnik  mittlerweile  umfangreich.  RFID  hat  sich  in  etlichen  Branchen  schon  zu  einer  flächendeckenden  Technik  gemausert. Nachfolgend werden einige Praxisbeispiele aus der Industrie  und dem Handel kurz vorgestellt. 

„Autos: Draußen die Reifen, drinnen die Unreifen.“ (M. Hinrich)

Die Automobilindustrie gehört zu den ursprünglichen Einsatzgebieten  der  Radiofrequenztechnologie.  Seit  Mitte  der  90er  Jahre  werden  Zünd‐ schlüssel  mit  integriertem  Transponder  für  elektronische  Wegfahrsper‐ ren  in  Kraftfahrzeugen  verwendet.  Ebenso  setzt  BMW  bereits  seit  eini‐ gen Jahren im Werk Dingolfing die RFID‐Technologie zur Identifikation  von  Karosserien  in  der  Lagerbewirtschaftung  und  der  Kommissionie‐ rung ein. Dazu wird ein aktiver Tag, der mit typspezifischen Daten (wie  der Fahrgestellnummer) beschrieben ist, auf der Motorhaube appliziert.  In sämtlichen Montageabschnitten können die benötigen Daten ausgele‐ sen und aktualisiert werden. Insgesamt sind im Werk über 3.500 Trans‐ ponder im Umlauf und rund 80 Lesegeräte installiert. Volkswagen stattete  mittlerweile mehr als 800.000 Mehrwegbehälter mit passiven UHF‐Tags  aus.  Dieser  Umstand  ist  der  weltweiten  Versorgung  von  Produktions‐

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Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

werken mit Montagefertigteilen und der Verringerung der Schwundrate  geschuldet (vgl. Finkenzeller 2015, S. 384 und S. 403).  Auch die chemische Industrie stellt ein Marktsegment dar, in dem sich  die  RFID‐Technologie  bereits  seit  Jahren  etabliert  hat.  Sie  wird  bei‐ spielsweise  zur  eindeutigen  Kennzeichnung  und  Identifikation  von  erneut  befüllbaren  Gasflaschen  und  Behältern  mit  Chemikalien  einge‐ setzt.  Zumeist  befinden  sich  dazu  beschreibbare  Tags  im  Einsatz,  auf  denen  spezielle  Angaben  (wie  Behälternummer,  Inhalt,  Volumen,  ma‐ ximaler Fülldruck oder TÜV‐Termine) hinterlegt sind. Nach einer Befül‐ lung des Behälters erfolgt die Aktualisierung der auf dem Transponder  gespeicherten Daten.  Die  Pharmaindustrie  nutzt  die  Radiofrequenztechnik,  um  mit  den  auf  Medikamentenverpackungen  applizierten  Tags  einen  eindeutigen  Nachweis  über  die  Herkunft  des  Arzneimittels  zu  liefern.  Außerdem  schützen  RFID‐Lösungen  vor  Arzneimittelfälschungen,  indem  sich  der  Plagiatschutz  von  Medikamenten  verbessert.  RFID  bürgt  hier  quasi  als  dynamisches  Echtheitszertifikat,  wodurch  Produktfälschungen  ausgele‐ sen  werden  können.  Im  Pharmabereich  stößt  die  Radiofrequenztechnik  diesbezüglich  auf  ein  breites  Einsatzgebiet.  Liegt  doch  der  Anteil  an  Plagiaten von Medikamenten allein in den USA bei circa 20 Prozent.  Auch  der  Handel  greift  mittlerweile  recht  häufig  auf  RFID  zurück.  In  dem  dortigen  Segment  Fashion  herrschen  eigene  Gesetze.  Die  zeitrau‐ bende  Applizierung  und  Ablösung  von  Hartetiketten  bereitet  Herstel‐ lern von Modeartikeln zum Teil große Schwierigkeiten. Zudem müssen  die Etiketten durch die Naht gestochen werden, um nicht den Oberstoff  zu  beschädigen.  Daher  finden  sich  in  der  „fashiongroup  RFID“  derzeit  Bekleidungshersteller  und  Modehändler  zusammen.  Unterstützt  wer‐ den  sie  von  der  Beratungsgesellschaft  „GCS“.  Die  „fashiongroup  RFID“  möchte  den  Tag  zukünftig  stärker  zur  Diebstahlsicherung  einsetzen  („Electronic  Article  Surveillance,  EAS“).  Auf  Grund  unzureichender  Warensicherungssysteme  finden  sich  in  der  Modebranche  recht  hohe  Bestandsdifferenzen. So kündigte C&A im März 2017 das konzernweite  Projekt „Source Tagging“ an. Unter Source Tagging wird eine elektroni‐ sche  Artikelsicherung  bereits  im  Produktionsland  verstanden.  Folglich  lässt  C&A  die  EAS‐Elemente  direkt  von  den  Herstellern  an  die  Beklei‐ dung  heften.  Auch  für  den  Fashion‐Bereich  ist  der  Markenschutz  von  großer  Bedeutung.  Markenartikelhersteller  wollen  dem  Vertrieb  von  Produktfälschungen nicht länger tatenlos zusehen. Von dem intensivier‐

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Identifizierung von Gasflaschen

RFID zum Aufspüren von Plagiaten

Diebstahlsicherung in der Modebranche

D

Instrumente des Supply Chain Managements

ten Einsatz der Radiofrequenztechnik versprechen sich Luxuslabels eine  bessere Chargenrückverfolgung.  RFID für Dienstleister

WarehouseManagement via RFID

Ebenso hat die RFID‐Technologie in der Dienstleistungsbranche bereits  Einzug erhalten. Beispielsweise überwacht der Logistikdienstleister TK‐ LOG  mit  Hilfe  der  RFID‐Technologie  für  Tiefkühlwaren  die  Tempera‐ turverläufe  während  des  Transports.  Dazu  werden  aktive  Transponder  mit  integrierter  Sensorik  auf  Paletten‐  und  Behälterebene  appliziert.  Weiterhin  wird  am  Frankfurter  Flughafen  die  RFID‐Technologie  –  bei  der  Wartung  von  sicherheitsrelevanten  Einrichtungen  –  eingesetzt.  Die  Fraport AG optimierte die einmal im Jahr durchzuführende Wartung von  Brandschutzklappen und Brandschutztüren durch die Verwendung von  RFID‐Tags.  Zur  Überprüfung  benötigte  Informationen  (wie  Angaben  zum letzten Wartungstermin) wurden auf den Transpondern, die direkt  auf  den  Klappen  und  Türen  befestigt  sind,  gespeichert.  Mit  mobilen  RFID‐Lesegeräten  können  die  hinterlegten  Daten  jederzeit  ermittelt  sowie  aktualisiert  werden.  Eine  weitere  Einsatzmöglichkeit  der  RFID‐ Technologie im Flughafenumfeld stellt die Abfertigung von Gepäckstü‐ cken dar.  Nachstehend  werden  die  speziellen  Einsatzmöglichkeiten  der  RFID‐ Technologie  in  der  Lagerwirtschaft  untersucht.  Etliche  Vorgänge  im  Lagerbereich,  bei  denen  Mitarbeiter  bislang  einzelne  Barcodes  von  La‐ gergütern manuell und zeitintensiv einscannen mussten, sind mit Hilfe  der RFID‐Technologie effizienter abzuwickeln. Mit modernen Radiofre‐ quenz‐Lösungen versehene Lagergüter können mit mobilen Lesegeräten  automatisch  identifiziert  und  die  auf  dem  Chip  gespeicherten  Informa‐ tionen schneller und kontaktlos übertragen werden. Weiterhin gestatten  im  Wareneingang  und  Warenausgang  positionierte  RFID‐Lesegeräte  (auf  Grund  der  Fähigkeit  zur  Pulk‐Erfassung  von  Transpondern)  die  automatische  Ortung  von  kompletten  ein‐  und  ausgehenden  Warenlie‐ ferungen  binnen  weniger  Sekunden.  Allerdings  unter  der  Vorausset‐ zung,  dass  die  Waren  auf  Artikelebene  mit  Tags  ausgestattet  sind.  Der  Mitarbeiter muss dazu den Lesebereich des RFID‐Systems mit der Liefe‐ rung  passieren.  Die  Sendung  kann  dabei  sogar  verpackt  bleiben  oder  bereits versandfertig sein, da die Daten auf dem Chip ohne Sichtkontakt  ausgelesen und übertragen werden. Ferner weisen RFID‐Lösungen eine  weitaus höhere Speicherkapazität als Barcodes auf. Neben einer eindeu‐ tigen Identifikationsnummer können daher zum Beispiel bei Lebensmit‐ teln Verfallsdaten oder auch Temperaturverläufe aufgezeichnet werden.  In Lagern mit einer Veredelungsfunktion erteilen Radiofrequenzsysteme  schließlich Auskunft über die Reifedauer von Produkten. 

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Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

Der  Barcode  ist  als  Identifikationstechnik  vom  Preis  her  unschlagbar  günstig.  Pro  Barcodevergabe  fallen  Kosten  von  wenigen  Eurocent  an.  Einfache,  passive  Tags  kosten  das  drei‐  bis  vierfache.  RFID  wird  (trotz  des  Vorhandenseins  von  Skaleneffekten)  den  Barcode  voraussichtlich  preislich nicht erreichen, geschweige denn unterbieten. Daher dürfte die  Zukunft in der Integration von RFID und Barcode liegen (vgl. Beispiel‐ block d.7). 

RFID und Barcode: Gemeinsam sind wir stark!

Um RFID ist mittlerweile jedoch eine recht hitzige Diskussion entfacht.  Neben  den  oben  gekennzeichneten  Möglichkeiten  der  Technik  ist  auch  auf  Gefahren  hinzuweisen.  Hier  ist  zunächst  die  Angst  des  gläsernen  Konsumenten  zu  nennen  („No  RFID!“).  Tieren  werden  umfangreich  Glastransponder unter die Haut injiziert, um zum Beispiel in Zeiten des  BSE‐Skandals  Chargen  zurückverfolgen  zu  können.  Auch  erste  Men‐ schen  haben  sich  Chips  unter  die  Haut  implantieren  lassen.  Der  Chip  öffnet Türen, verrät persönliche Daten und hält circa 30 Jahre. Eine Hül‐ le  aus  hochpoliertem  Glas  sorgt  dafür,  dass  der  Transponder  nicht  mit  der  Haut  verwächst.  Benetton  bekam  allerdings  mit  Transpondern  ver‐ bundene Ängste von Menschen deutlich zu spüren, indem Personen im  Internet  eine  Kampagne  gegen  das  Unternehmen  ins  Leben  riefen.  In  dieser  forderten  sie  zum  Boykott  gegen  Benetton  auf:  „Send  Benetton  a  Message. Don’t buy Clothing with Tracking devices“. 

Hitzige Diskussion um RFID

Neben  diesem  Datenschutzproblem  ist  auch  die  Datensicherheit  ein  viel  diskutierter  Aspekt,  wenn  RFID  ins  Spiel  kommt.  Wie  soll  verhin‐ dert  werden,  dass  Informationen  nicht  doch  an  unberechtigte  Dritte  durchsickern?  Ohne  Zweifel  bietet  RFID  große  Möglichkeiten.  Doch  wenn  dieses  Wissen  abfließt,  gereicht  der  originäre  Vorteil  unmittelbar  zur Katastrophe. 

Latente Gefahr des Wissensabflusses

Weitere  Schwierigkeiten  leiten  sich  aus  den  noch  immer  recht  hohen  Kosten,  fehlenden  Standards  und  störenden  Umwelteinflüssen  ab.  So  schränken  Funkstörungen  die  Trefferquote  der  Lesegenauigkeit  ein.  Forscher der Universität Amsterdam haben herausgefunden, dass Funk‐ Etiketten  die  Tauglichkeit  medizinischer  Geräte  beeinflussen  können.  Von  123  Testabläufen  stellten  sie  in  34  Fällen  Störungen  fest.  Betroffen  waren  beispielsweise  Dialysegeräte,  Herzschrittmacher  und  Beat‐ mungsgeräte. In 22 Fällen wurden die Störungen als gefährlich beurteilt.  Beispielsweise  zeigte  ein  EKG‐Monitor  eine  nicht  vorhandene  Herz‐ rhythmusstörung an. 

Chaos bei Sonnenstürmen

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D Beispielblock d.7  Zur Integration von RFID und Barcode

Instrumente des Supply Chain Managements

Quo Vadis RFID?  Die Frage lautet wohl nicht, Barcode oder RFID? Vielmehr liegt die Zukunft  wohl eher im Zusammenspiel beider Identifikationstechniken. Eine Kombi‐ nation von Barcode und Transponder findet sich beispielsweise im Handel.  Ein Labeling via RFID auf Artikelebene erweist sich vielfach als schlichtweg  zu teuer. Die Tags werden daher vor allem an Paletten oder Ladungsträgern  angebracht.  Probleme  ergaben  sich  bei  der  RFID‐Technik  in  Vergangenheit  allerdings insbesondere dann, wenn es sich um Mischpaletten (Mixed Load)  handelte  und  Medienbrüche  auftraten.  Um  diesem  Dilemma  zu  begegnen,  wird  eine  Kombination  aus  Barcode  und  RFID‐Tag  gewählt.  Eine  gängige  Variante  ist  der  so  genannte  Smart  Label.  Darunter  ist  eine  papierdünne  Transponderform zu verstehen. Die Transponderspule wird auf eine 0,1 mm  dicke  Plastikfolie  angebracht  und  auf  der  Rückseite  mit  einem  Kleber  be‐ schichtet,  so  dass  der  Transponder  als  Selbstklebeetikett  zu  verwenden  ist.  Diese  laminierten  Etiketten  können  leicht  nachträglich  bedruckt  werden,  daher ist die Kombination mit einem Barcode möglich (vgl. Finkenzeller 2015,  S.  20f.).  Moderne  Drucktechnologien  beschriften  Etiketten  dreifach:  Erstens  elektronisch mit RFID, zweitens mit einem Barcode und drittens mit einem  Klarzeichen.  Sämtliche  drei  Teilprozesse  werden  im  selben  Druckvorgang  vollzogen. 

D.6.4 Historie und Begriffsklärung

Data Warehouse

Ein  Data  Warehouse  (vgl.  Bauer/Günzel  2013;  Gerken  2018;  Gomez  et  al.  2006;  Karamagi  2020;  Mehrwald  2013;  Schneider/Jordan  2016)  ist  ein  von  operationalen  IT‐Systemen  getrenntes  Datenbanksystem,  in  dem  unter‐ nehmensweit  Informationen  aus  unterschiedlichen  (Sub‐)  Systemen  –  zum  Teil  um  weitere  Daten  ergänzt  –  gespeichert  und  User‐orientiert  verarbeitet werden. Der Begriff kam Anfang der 90er Jahre auf und hat  seine Wurzeln in dem 1988 von IBM durchgeführten Projekt „European  Business  Information  Systems“  (EBIS).  1991  wurde  die  Studie  in  „Wa‐ rehouse  Strategy“  umbenannt.  IBM  entwickelte  ein  Konzept,  das  Me‐ chanismen  zur  Bewältigung  der  allgemeinen  Informationsexplosion  schaffen sollte. Das Projekt richtete sich danach aus, autorisierte Einzel‐ personen mit Geschäftsinformationen sämtlicher Bereiche einer Organi‐ sation  zu  versorgen.  Der  Zugang  zu  unterschiedlichen  Systemen  sollte  über eine standardisierte Schnittstelle möglich sein (vgl. die Verbindung  zu Customer Relationship Management auf S. 159). 

374

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

Die Elemente im Data Warehouse sind die eigentliche Datenbasis sowie  ManagementinforTransformationsprogramme  zur  Übernahme  interner  und  externer  mation Informationen. Weiterhin dienen Archivierungsprogramme zur Daten‐ speicherung  und  Informationssicherung.  Den  Input  für  das  Data  Wa‐ rehouse  stellen  interne  Datenquellen  (operative  Vorsysteme  aus  den  Funktionsbereichen) und externe Datenquellen (beispielsweise Informa‐ tionen von Lieferanten) dar. Auch Informationen aus dem Internet kön‐ nen im Data Warehouse genutzt werden. Der Output richtet sich benut‐ zerorientiert  nach  Absatzkanälen,  Kunden‐  oder  Produktinhalten.  Fol‐ gende Kriterien stehen hier im Mittelpunkt (vgl. Gerken 2018, S. 15): 

 Zumeist haben die User einen Direktzugriff auf die Informationen im  Data Warehouse. 

 Wenn  die  Datenflut  zu  groß  ist,  kann  dem  Benutzer  ein  Ausschnitt  aus  dem  gesamten  Repertoire  gewährt  werden.  Diese  Lösung  wird  als Data Mart bezeichnet. 

 Schließlich besteht im Data Warehouse für den User die Möglichkeit  zur Datenveredelung: In der Information Factory werden für Konsoli‐ dierungen des Controllings die Daten betriebswirtschaftlich aufberei‐ tet und in speziellen Applikationen verdichtet. 

OLAP wie auch Data Mining dienen in einem Data Warehouse zur Ma‐ nagementunterstützung.  Traditionelle  Managementinformationssyste‐ me beinhalten vorstrukturierte oder vorausgewählte Informationen. Bei  OLAP  (Online  Analytical  Processing)  werden  hohe  Anforderungen  an  ein  Führungssystem  gestellt,  was  unten  deutlich  wird  (vgl.  Gomez  et al.  2006, S. 57): 

 Multidimensionalität: OLAP ist die Basis für die Aggregation unter‐ schiedlicher Dimensionen (eine Bildung von Datenwürfeln). Ein Bei‐ spiel  dafür  ist  die  Verdichtung  von  Umsätzen  nach  Produkten  und  Regionen. Wie bei einem Würfel können die Informationen betrachtet  (Slice),  gedreht  (Dice)  oder  einer  höheren  Verdichtungsstufe  zuge‐ führt werden (Drill Down). 

 Flexibilität:  OLAP  dient  der  Durchführung  von  Analysen  oder  Prä‐ sentationen. Der User kann diverse Vergleichsrechnungen oder Zeit‐ reihenanalysen durchführen. 

 Ergonomische Benutzeroberfläche: Die Oberfläche ist in die bisheri‐ ge  Arbeitswelt  des  Anwenders  integriert.  Neues  Wissen  muss  zur  Nutzung von OLAP nicht erst erlernt werden. 

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Was kann OLAP leisten?

D

Instrumente des Supply Chain Managements

 Schnelligkeit:  Das  System  gewährleistet  kurze  Antwortzeiten,  die  sich aus schnellen Rückkopplungen und geringen Iterationsschleifen  ableiten.  Arbeitsgebiete von Data Mining

Das Grundprinzip von Data Mining ist das automatische Erkennen von  Datenstrukturen,  wie  Trends  in  Marktsegmenten.  Dazu  werden  die  Rohdaten  filtriert  und  nach  Mustern  aufbereitet.  Für  die  Steuerung  gibt  der User Befehle zur Parametrisierung der Komponenten an. Die Daten‐ bankschnittstelle  versorgt  das  System  mit  aufbereiteten  Extrakten  aus  dem  Warehouse.  Einer  Wissensbasis  wird  das  erforderliche  Know‐how  entnommen, wobei im Rahmen dieser Fokussierung darüber entschieden  wird,  welches  Wissen  überhaupt  relevant  ist.  Analysealgorithmen  unter‐ suchen  die  Daten  hinsichtlich  einer  potenziellen  Auffälligkeit.  Die  In‐ formationen  sind  einer  grundsätzlichen  Bewertung  zu  unterziehen  (bei‐ spielsweise: „Sind die Daten für uns von Nutzen“?). Schließlich können  sie dem Anwender präsentiert werden (vgl. Gabriel et al. 2009, S. 113).  

NCR als Beispiel

Das  Unternehmen  NCR  bietet  unterschiedliche  Data‐Warehouse‐ Applikationen  an.  Eine  Schwierigkeit  von  Banken  ist  zum  Beispiel  die  zunehmende Anonymität ihrer Kunden. NCR hat für die National Aust‐ ralia  Bank  eine  Data‐Warehouse‐Lösung  erarbeitet.  Zunächst  wurden  über  800  Ereignisse  definiert  –  wie  der  „Umzug  eines  Kunden“  –  und  Verknüpfungen  zwischen  den  Ereignissen  hergestellt.  Zieht  ein  Kunde  der Bank tatsächlich um, wird er automatisch daran erinnert, seine neue  Adresse  zu  melden.  Außerdem  bekommt  er  eine  Information  über  die  nächstgelegene  Filiale  an  seinem  neuen  Wohnort.  Ihm  wird  für  den  Umzug  eine  Spedition  empfohlen,  die  mit  der  Bank  zusammenarbeitet  und  eventuell  spezielle  Rabatte  gewährt.  Die  Bank  bereitet  außerdem  automatisch Formulare vor, welche der Kunde nur noch unterschreiben  muss. 

„Kunden sind wie kleine Hunde: erst will sie jeder haben, doch wenn sie da sind, geht keiner mit ihnen Gassi.“ (Kalenderspruch)

Doch eine Lösung über ein Data Warehouse beinhaltet auch einige Prob‐ leme.  Durch  die  Fülle  an  Alternativen  zur  Informationsgewinnung  be‐ steht  die  Gefahr  des  gläsernen  Kunden.  Schwierigkeiten  ergeben  sich  durch den Informationszugang nicht autorisierter Personen, verbunden  mit  Datenmissbrauch.  Ein  weiteres  Problem  ist  die  Informationsflut  im  Data  Warehouse  (Big  Data,  vgl.  S.  258).  Zwar  besteht  die  Möglichkeit  zur Datenerfassung und Datenaufbereitung. Offen ist aber die zweckori‐ entierte  Nutzung  der  Informationen,  um  nicht  im  „Datenmeer“  zu  ver‐ sinken. 

376

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6.5

D.6

Computer Integrated Manufacturing

Computer Integrated Manufacturing (CIM, vgl. Dangelmaier 2003; Groo‐ ver  2014;  Heinen  1991,  S.  578ff.;  Scheer  1992;  Webber  2020;  Zelewski  et  al.  2008) stellt eine Möglichkeit zur IT‐Unterstützung in Supply Chains dar.  CIM beschreibt den integrierten IT‐Einsatz sämtlicher mit der Produkti‐ on  vernetzten  Funktionsbereiche  eines  Unternehmens.  Das  Instrument  umfasst  das  IT‐orientierte  Zusammenwirken  aller  Leitparameter  der  Produktionsplanung,  welche  zum  integrierten  Rechnereinsatz  eine  ge‐ meinsame Datenbasis nutzen. 

Grundlagen von CIM

Der Begriff „Computer Integrated Manufacturing“ kam 1973 im anglo‐ amerikanischen  Sprachraum  auf.  Harrington  veröffentlichte  in  diesem  Jahr  seine  gleichnamige  Schrift  (vgl.  Harrington  1973).  Er  beschreibt  darin  die  Möglichkeiten  für  eine  rechnergestützte  Konstruktion,  Ma‐ schinen‐ und Fertigungsanlagenführung, Materialwirtschaft sowie Qua‐ litätssicherung. Die Arbeit von Harrington ist die Basis für diverse Modi‐ fizierungen. In Japan etablierte sich Computer Integrated Manufacturing  zu Beginn der 80er Jahre. In Deutschland fand der Begriff Mitte der 80er  Jahre Eingang in Literatur und Praxis. 

Historie und Begriffsklärung

Im  Kern  werden  bei  CIM  bisherige  Insellösungen  aufeinander  abge‐ stimmt  und  zusammengeführt.  Die  CIM‐Architektur  umspannt  dabei  zwei Hauptkomponenten: 

„Ein Computer würde erst dann menschlich, wenn er anfinge, zu lügen.“ (H.-J. QuadbeckSeeger)

 Das  betriebswirtschaftliche  PPS‐Modul  (Produktionsplanung  und  Pro‐ duktionssteuerung). 

 Die  technischen  Komponenten  CAE  (Computer  Aided  Engineering),  CAD  (Computer  Aided  Design),  CAP  (Computer  Aided  Planning),  CAM (Computer Aided Manufacturing) sowie CAQ (Computer Aid‐ ed  Quality  Assurance).  Vgl.  zum  Aufbau  der  CIM‐Architektur  Ab‐ bildung D.18. 

Die  Informationssysteme  von  Betriebswirtschaft  und  Technik  wurden  separat entwickelt. Harrington beherrschte die Kunst, die Komponenten  zu  vereinen.  Er  konzipierte  einen  durchgängigen  Informationsfluss  auf  gleicher Datenbasis. Wenn die Teilsysteme unverbunden nebeneinander  stehen,  können  sich  durch  manuelle  Informationseingaben  Redundan‐ zen  oder  Pleonasmen  ergeben.  Doppeleingaben  benötigen  Zeit,  und  sie  sind  anfällig  für  Fehler.  Bei  Insellösungen  besteht  das  Problem,  dass  nicht alle Funktionsbereiche über die identische und aktuelle Datenbasis  verfügen. 

377

Insellösungen vermeiden: „La isla bonita…“ (Madonna)

D Prozessketten ermitteln

Instrumente des Supply Chain Managements

Innerhalb der Supply Chain werden mit Hilfe von Computer Integrated  Manufacturing  die  Produktionsvorgänge  (Teilvorgänge)  verbunden.  Es  entstehen  somit  durchgängige  Prozessketten.  In  den  Unternehmen  werden mit CIM zumeist aufbauorganisatorische und ablauforganisato‐ rische Umstrukturierungen notwendig. 

Weiteres Vorgehen

Im Folgenden sind die Komponenten von Computer Integrated Manu‐ facturing  näher  zu  charakterisieren.  Zunächst  findet  sich  eine  Beschrei‐ bung der betriebswirtschaftlichen PPS‐Komponente. Anschließend wird  die technische Säule von CIM diskutiert. 

Abbildung D.18 

CIM‐Architektur  Computer Integrated Manufacturing (CIM)  Betriebswirtschaftliche Komponente 

Technische Komponenten 

Produktionsplanung und ‐steuerung  (PPS) 

Computer Aided Engineering (CAE)  Computer Aided Design (CAD)  Computer Aided Planning         (CAP) 

 

Computer Aided Manufacturing  (CAM)  Computer Aided Quality Assurance  (CAQ)   

D.6.5.1 Betriebswirtschaftliches Standbein

Produktionsplanung und -steuerung (PPS)

Die  Produktionsplanung  und  ‐steuerung  ist  das  betriebswirtschaftliche  Modul von CIM (vgl. Zelewski et al. 2008). Es umfasst die rechnergestütz‐ te  Planung,  Steuerung  und  Kontrolle  der  Produktionsabläufe  (von  der  Angebotseinholung  bis  zum  Warenversand).  Für  diese  Aufgaben  wer‐ den  Mengen‐,  Termin‐  und  Kapazitätsrestriktionen  berücksichtigt.  Zu  den  Kerntätigkeiten  von  PPS  zählen  Grunddatenverwaltung  (Informa‐ tionsbasis),  Produktionsplanung  (Produktprogramm‐,  Mengen‐,  Ter‐ min‐  und  Kapazitätsplanung)  sowie  Produktionssteuerung  (Auf‐ tragsveranlassung und Auftragsüberwachung). 

378

Instrumente zur IT-Unterstützung

PPS  basiert  auf  der  Nutzung  einer  Standardsoftware,  wobei  hier  Mo‐ dulbausteine zusammengefügt werden. Die Programme setzen sich aus  den Grunddaten einer Produktionsplanung und ‐steuerung zusammen,  wobei folgende Arten zu unterscheiden sind: 

D.6 Grunddaten von PPS

 Auftragsdaten (Kundenbestellungen).   Teilestammdaten (Sachnummer des Produkts, technische Angaben und  wertmäßige Informationen). 

 Erzeugnisstrukturdaten  (Mengenbeziehungen  und  technologische  Zu‐ sammenhänge der Produktkomponenten und ‐teile). 

 Materialbeschaffungsdaten  (Lagerbestandsführung  und  Lieferanten‐ steuerung). 

 Arbeitsgangdaten  (Zuordnung  der  Repetierfaktoren  zu  den  Maschi‐ nen). 

 Betriebsmitteldaten (Leistungsbreite an Potenzialfaktoren).  Das PPS‐System richtet sich nach dem Sukzessivplanungskonzept aus:  Eine komplexe Aufgabe wird in Teilprobleme zerlegt und in abgestimm‐ ten  Planungsstufen  gelöst.  In  diesen  Phasen  steigt  die  Wertschöpfung.  Zunächst  findet eine  Aufgabenverteilung  statt  (ʺWer macht  was?ʺ). Die  Produktionsplanung greift auf die Auftragsdaten zurück, um die Primär‐ bedarfe zu ermitteln. Diese bilden die Grundlage für die Materialdispo‐ sition  und  die  Planung  der  Produktionsprozesse.  Die  Teilestammdaten  dienen zur Auflösung der Erzeugnisstruktur durch die Materialdispositi‐ on.  Dazu  zieht  die  Disposition  die  Primärbedarfe  heran,  leitet  Stücklis‐ ten ab und ermittelt die Bestandsdaten. Eine Materialbeschaffungsplanung  klärt  ab,  welche  Teile  selbst  gefertigt  (Make)  und  welche  von  Dritten  bezogen werden (Buy). Die Produktionssteuerung errechnet schließlich,  mit Hilfe von Arbeitsgang‐ und Betriebsmitteldaten, die Zusammenstellung  der Fertigungsaufträge zu Losen: Repetierfaktoren werden optimal den  Potenzialfaktoren  zugewiesen  (Reihenfolge‐  und  Maschinenbelegungs‐ plan). 

Interdependenzen der Dateninhalte

Durch einen Abgleich der Fertigungsbelege mit den Betriebsdaten wird  ermittelt,  inwieweit  die  Realisierung  der  Fertigungsaufträge  mit  den  geplanten  Bearbeitungsschritten  übereinstimmt  („Überwachung  des  Auftragsfortschritts“). Dieser Vorgang stellt eine BDE (Betriebsdatener‐ fassung) dar. Wenn festgestellt wird, dass Kapazitätsauslastung, Durch‐ laufzeit  oder  Werkstattbestand  nicht  mit  den  Plandaten  übereinstim‐

Kontrollmechanismus von PPS

379

D

Instrumente des Supply Chain Managements

men,  findet  im  Rahmen  von  BDE  eine  Revision  der  Prozesse  statt,  und  es sind Anpassungsmaßnahmen einzuleiten.  Wechselwirkungen zu Beschaffungsstrategien

Der Aufbau von PPS kann sich auf die unter Punkt C.3.5 beschriebenen  Beschaffungsstrategien  richten.  Wenn  Unternehmen  ihre  Aktivitäten  auf den Kunden fokussieren, orientiert sich PPS an Kanban. Die Produk‐ tionsplanung  und  ‐steuerung  umfasst  die  gesamte  Supply  Chain.  Der  Schwerpunkt liegt auf den internen Abläufen. Sie eignen sich für gleich‐ artige  Fertigungsprozesse  (Fließfertigung).  PPS‐Systeme  stoßen  jedoch  an  ihre  Grenzen,  wenn  sie  auf  diskontinuierliche  Fertigungsverläufe  treffen. 

D.6.5.2 Übergang von CAE zu CAD

Computer Aided Design (CAD)

Computer  Aided  Design  (CAD)  ist  eine  technische  Komponente  von  CIM  und  bedeutet  eine  rechnergestützte  Konstruktion.  Liegen  die  Anfor‐ derungen  an  das  System  im  Schwerpunkt  in  den  frühen  Phasen  von  Forschung  und  Entwicklung,  kommt  das  Modul  Computer  Aided  En‐ gineering  (CAE)  zum  Einsatz.  Das  Grundprinzip  beider  Varianten  ist  identisch.  Die  Inhalte  von  CAE  werden  unter  die  Beschreibung  von  CAD  gefasst.  CAD  erfüllt  zwei  Tätigkeitsbereiche,  die  Gestaltung  und  die Detaillierung. 

 Gestaltung:  Den  Schwerpunkt  der  Gestaltung  bilden  Berechnungen  und  die  Erstellung  von  Fertigungsunterlagen.  Eine  Gestaltung  bein‐ haltet die Funktionsfindung: Dafür ist die Gesamtfunktion eines Pro‐ dukts  in  seine  Teilfunktionen  aufzubrechen.  Entwürfe  werden  maß‐ stabgerecht erstellt (geometrische Modelle). 

 Detaillierung:  Aus  der  Vielzahl  an  Alternativen  ist  die  optimale  Kombination  zu  wählen.  Die  Entwürfe  aus  der  Gestaltung  werden  um  technische  Informationen  ergänzt  (Werkstoffe,  Oberflächen  etc.)  und die Sachnummern je Produkt in Stücklisten hinterlegt. Eine Form  der  Detaillierung  ist  die  CAD‐gestützte  Erstellung  von  Prototypen  (Rapid Prototyping, vgl. S. 122 der vorliegenden Schrift).  Hilfsmittel der Konstruktion

Für die Gestaltung und die Detaillierung benötigt der Konstrukteur eine  Reihe  geometrischer  und  technischer  Daten  zum  Erstellen  seiner  Grafi‐ ken.  Er  wird  durch  Workstations  und  Software  (zum  Beispiel  „Catia“)  unterstützt.  CAD  bezieht  sich  vor  allem  auf  Berechnungen  und  Zeich‐ nungen. Außerdem fördert es die Generierung von Stücklisten und Ar‐ beitsplänen.  Durch  den  Einsatz  von  CAD  besteht  die  Möglichkeit  zur  Anpassungskonstruktion und zur Variantenkonstruktion. 

380

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

 Bei der Anpassungskonstruktion werden einzelne Baugruppen eines  bereits bestehenden Produktkonzepts verändert. 

 In  der  Variantenkonstruktion  ist  gemäß  des  Baukastenprinzips  auf  bereits  konstruierte  Teile  zurückzugreifen,  die  nur  noch  aneinander  zu reihen sind. Dadurch ergeben sich Zeitersparnisse. 

Das  originär  technisch  ausgelegte  Computer  Aided  Design  kann  auch  betriebswirtschaftlich  genutzt  werden.  Im  Rahmen  der  begleitenden  Kalkulation sind die späteren Fertigungs‐ und Materialkosten frühzeitig  abzuschätzen.  Unterschiedliche  Gestaltungsalternativen  werden  simu‐ liert, wodurch die Kostenauswirkungen rasch bekannt sind. 

Strategisches Kostenmanagement

Der  Einsatz  von  Computer  Aided  Design  intensiviert  die  Beziehungen  zwischen  Lieferanten  und  Herstellern.  Sehr  eng  ist  diese  Bindung  bei‐ spielsweise  in  der  Automobilindustrie.  In  einer  Studie  vom  Fraunhofer  Institut  für  Systemtechnik  und  Innovationsforschung  in  Karlsruhe  wird  ausgewiesen,  dass  über  90%  der  Automobilzulieferer  die  CAD‐Daten  ihrer Kunden verarbeiten können. 

Automobilbranche als Beispiel

D.6.5.3

Computer Aided Planning (CAP)

Basierend auf den Ergebnissen von Computer Aided Design werden bei  Computer  Aided  Planning  (CAP)  rechnergestützte  Planungsaufgaben  vor‐ genommen. Sie sind zur Herstellung von Produkten oder Produktkom‐ ponenten notwendig. Der Schwerpunkt von CAP liegt auf der Generie‐ rung  von  Arbeitsplänen.  Auch  die  Programmierung  von  NC‐ Maschinen und Industrierobotern sowie die Prüf‐ und die Montagepla‐ nung basieren auf Computer Aided Planning. 

CAD als Basis 

Computer  Aided  Planning  legt  IT‐gestützt  die  Bearbeitungsschritte  im  Fertigungsprozess  fest.  Die  Spezifikationen  enthalten  Daten  über  die  einzusetzenden  Betriebsmittel  (Maschinen  und  Werkzeuge)  sowie  die  Dauer  einer  Bearbeitung.  In  den  Arbeitsplänen  werden  die  Folgen  der  Arbeitsgänge  definiert,  die Repetierfaktoren  den  Potenzialfaktoren  (Ar‐ beitsstationen)  zugeteilt  und  die  Fertigungshilfsmittel  fixiert.  Folgende  Systeme zur Erstellung von Arbeitsplänen sind zu unterscheiden: 

Computer gestütztes Erstellen von Arbeitsplänen

 Arbeitsplanverwaltung: Auf dieser untersten Stufe werden aus einer  Vielzahl  an  bereits  vorhandenen  Fertigungsinformationen  spezielle  Aktivitäten ausgewählt und miteinander verknüpft. Durch die Anei‐ nanderreihung  bereits  existierender  Tätigkeiten  entstehen  neue  Ar‐ beitspläne.  Sie  können  komplette  Prozesse  der  Supply  Chain  abde‐

381

Verknüpfung von Basisinformationen

D

Instrumente des Supply Chain Managements

cken.  Insbesondere  für  Aktivitäten  mit  einer  ausgeprägten  Wieder‐ holhäufigkeit eignet sich die Arbeitsplanverwaltung (Fließfertigung).  Grundtyp zur Standardisierung schaffen

 Variantenprinzip: Das Variantenprinzip fußt auf ähnlichen Kompo‐

Vorhandene Pläne nutzen

 Anpassungsprinzip:  Für  ein  neues  Projekt  ist  ein  bereits  existieren‐

„Alles auf null, drück auf Reset…“ (Alpa Gun)

 Generierungsprinzip:  Dieses  Verfahren  ist  das  umfangreichste,  da 

nenten.  Für  sie  wird  ein  Grundtyp  festgelegt.  Außerdem  sind  Stan‐ dardisierungsmerkmale zu definieren. Neue Varianten entstehen auf  Grund  von  Modifikationen  dieses  Grundtyps.  Durch  die  Eingabe  vorgegebener  Parameter  werden  die  Arbeitspläne  automatisch  er‐ stellt.  der und möglichst ähnlicher Arbeitsplan auszuwählen. Die Spezifika  im  neuen  Prozess  werden  durch  den  Austausch  von  Elementen  be‐ rücksichtigt.  Der  ursprüngliche  Arbeitsplan  unterliegt  Modifikatio‐ nen.  Es  findet  eine  Anpassung  an  die  revidierte  Problemstellung  statt.  eine  umfassende  Neuplanung  vorzunehmen  ist.  Die  Rechenalgo‐ rithmen  werden  über  CAD  direkt  aus  dem  verfügbaren  geometri‐ schen  und  technischen  Datenbestand  abgeleitet.  Ein  Arbeitsplan  ist  komplett neu zu erstellen. 

D.6.5.4 Fortführung von CAP

Was ist eine NCMaschine?

Computer Aided Manufacturing (CAM)

Die  Resultate  von  CAP  stoßen  ein  Computer  Aided  Manufacturing  (CAM) an. Darunter ist eine automatisierte Fertigung zu verstehen. CAM  umfasst  die  eigentlichen  Be‐  oder  Verarbeitungsprozesse  von  Modulen  und Teilen. Diese technische Komponente verbindet die Fertigungspro‐ zesse mit den Transport‐ und den Lagersystemen in Supply Chains. Der  Schwerpunkt  von  Aktivitäten  liegt  auf  der  Produktionslogistik.  CAM  umfasst  folgende  Teilfunktionen:  Bearbeitungssysteme  im  Sinne  von  NC,  CNC  und  DNC,  Werkstück‐  und  Werkzeughandhabungssysteme,  automatisierte  Transport‐  und  Lagerhaltungssysteme,  IT‐orientierte  Montagesysteme und rechnergestützte Instandhaltungssysteme.  NC‐Systeme  sind  eine  Weiterentwicklung  mechanisch  automatisierter  Werkzeugmaschinen.  CAP‐gestützte  Arbeitspläne  stellen  das  Funda‐ ment  zur  Werkstückbearbeitung  dar.  Die  Maschinensteuerung  läuft  über  Informationen  zur  Koordination  der  Werkzeugbewegungen  und  Schaltvorgänge. Drei grundsätzliche Arten von NC‐Maschinen werden  unterschieden: 

382

Instrumente zur IT-Unterstützung

 Reine  NC  (Numeric  Control)  Maschinen:  Sie  stellen  die  einfachste  Form dar. Auf Basis einer Fixierung der Steuerungsparameter ist die  Rigidität  dieser  Alternative  hoch.  Die  Eingabe  erfolgt  nicht  online  (bei einigen alten Modellen sogar noch über Lochstreifen). 

 CNC  (Computerized  Numeric  Control)  Maschinen:  Die  CNC‐ Maschinen  sind  mit  Mikroprozessoren  ausgestattet.  Ihre  Program‐ mierung wird online und einzeln in der Werkstatt vorgenommen. 

 DNC  (Direct  Numeric  Control)  Maschinen:  Bei  DNC‐Maschinen  werden mehrere Arbeitsstationen gemeinsam online zentral über ei‐ nen  Steuerrechner  verwaltet.  Die  Maschinen  sind  über  einen  Server  miteinander vernetzt. 

D.6 Einfachste Abwicklungsart

Online Programmierung Maschinenintegration

Eine  besondere  Form  von  CAM  sind  Industrieroboter  (Handhabungs‐ geräte).  Zwei  Techniken  zur  Programmierung  von  Industrierobotern  werden  unterschieden:  Das  Play‐Back‐Verfahren  und  das  Teach‐In‐ Verfahren.  Ein  Play‐Back‐Verfahren  ist  die  manuelle  Führung  des  Ro‐ boters.  Die  Einzelbewegungen  werden  zunächst  gespeichert,  der  Robo‐ ter wiederholt anschließend die erlernten Bewegungsmuster beliebig oft.  Beim  Teach‐In‐Verfahren  erfolgt  die  direkte  Eingabe  des  Bewegungs‐ musters online, ohne eine vorherige manuelle Führung. Auch bei dieser  Form  ist  die  Wiederholhäufigkeit  nicht  begrenzt.  Industrieroboter  wer‐ den für Schweiß‐, Bohr‐, Fräs‐, Schleif‐ oder Lackiervorgänge eingesetzt.  Sie sind mit Sensoren ausgestattet und können unterschiedliche geomet‐ rische Formen erkennen. 

Roboter programmieren

Computer  Aided  Manufacturing  umfasst  nicht  nur  die  eigentlichen  Fertigungsprozesse. In der Wertschöpfungskette wird auch der innerbe‐ triebliche Transport durch CAM abgedeckt. Zum Beispiel laufen Akti‐ vitäten  zur  Ein‐  und  Auslagerung,  Kommissionierung  und  Steuerung  von Flurförderzeugen CAM‐gestützt ab. 

Nutzen innerhalb der Supply Chain

Der  höchste  Grad  der  Automatisierung  wird  bei  flexiblen  Fertigungs‐ systemen erreicht, indem eine komplette Automatisierung von Arbeits‐ schritten vorliegt. Der Unterschied zu NC‐Maschinen besteht darin, dass  diese  zwar  einzelne  Arbeitsschritte  lenken.  Einen  geschlossenen  Ferti‐ gungsprozess bewältigen NC‐Maschinen jedoch nicht. Deshalb sind NC‐ Maschinen  häufig  umzurüsten.  Bei  den  flexiblen  Fertigungssystemen  wird  zwischen  dem  Bearbeitungszentrum  und  der  Fertigungszelle  un‐ terschieden. 

Anpassungsorientierte Fertigungssysteme

 Bearbeitungszentrum: Das Bearbeitungszentrum stellt ein elektroni‐ sches Werkstückwechselsystem dar. Die Maschinen können mehrere 

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Automatisierter Werkzeugwechsel

D

Instrumente des Supply Chain Managements

Bearbeitungsschritte  CAM‐gestützt  an  einem  Werkstück  vornehmen.  Der Wechsel erfolgt selbständig aus dem Magazin heraus. Auf einer  Drehplattform  werden  ähnliche  Arbeitsschritte  am  Werkstück  se‐ quentiell durchgeführt.  Werkstückspeicherung zur Bearbeitung kompletter Prozesse

 Fertigungszelle: Neben dem mechanischen Werkstückwechsel findet  eine automatisierte Speicherung der Werkstücke statt. Dadurch wird  die  Bearbeitung  mehrerer  Werkstücke  in  beliebiger  Reihenfolge  er‐ möglicht. Die unterschiedlichen Arbeitsoperationen können auf ver‐ schiedenen  Anlagen  und  an  diversen  Produkten  nacheinander  durchgeführt  werden.  Manuelle Eingriffe sind  nicht  notwendig.  Der  Werkstückspeicher  wird  sukzessive  (Werkstück  für  Werkstück)  ab‐ gearbeitet. 

D.6.5.5 Präventives Qualitätsmanagement

Computer Aided Quality Assurance (CAQ) folgt nicht erst im Anschluss  von  CAD/CAE,  CAP  und  CAM.  Die  rechnergestützte  Qualitätssicherung  begleitet die kompletten technischen Komponenten von CIM. Zum Teil  ist  bereits  die Produktionsplanung  und  ‐steuerung  in  CAQ  eingebettet.  Qualitätsanforderungen an ein Produkt oder ein Verfahren sind schon in  den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung zu berücksichtigen,  um spätere Änderungen oder Umrüstungen zu vermeiden. CAQ fördert  die  Realisierung  eines  präventiven  Qualitätsmanagements.  Die  rech‐ nergestützte  Qualitätssicherung  beginnt  mit  der  qualitätsfokussierten  Verifizierung  der  Geometriedaten  von  CAD  (zum  Beispiel:  „Sind  die  Modelle  maßstabgetreu?“).  Der  Einsatz  von  CAQ  setzt  sich  mit  der  Überprüfung der Arbeitspläne in CAP fort. Im Rahmen von CAM wer‐ den Grenzwerte für Fehlertoleranzen und Passgenauigkeiten überprüft. 

D.6.6 Von CIM zu ERP

Computer Aided Quality Assurance (CAQ)

Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling

Die  Systeme  zur  Produktionsplanung  und  ‐steuerung  einer  CIM‐ Architektur richten sich im Schwerpunkt auf Programm‐, Potenzial‐ und  Prozessmodellierung  aus.  Sie  wurden  im  Zeitablauf  zu  Enterprise  Re‐ source  Planning  erweitert  (ERP,  vgl.  Gronau  2014;  Kurbel  2016;  Ritter  2008).  Die  Zwischenstufe  bei  diesem  Übergang  stellen  MRP‐Tools  dar  (vgl.  Begriffsblock  D.IX),  welche  bereits  eine  unternehmensweite  In‐ tegration von Produktions‐, Vertriebs‐ und Erfolgsplanung sichern. 

384

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6 Begriffsblock D.IX 

MRP‐Systeme 

 MRP  I:  Material  Requirement  Planning  ist  ein  System  zur  Materialbe‐ darfsplanung.  Die  Materialbedarfe  werden  aus  vorgegebenen  Pro‐ duktionsmengen  abgeleitet,  wobei  allerdings  die  verfügbaren  Kapa‐ zitäten  unberücksichtigt  bleiben.  MRP‐I‐Systeme  wurden  im  Laufe  der Zeit schrittweise durch CRP (Capacity Requirement Planning), MPS  (Master  Production  Scheduling)  und  DRP  (Distribution  Requirement  Planning) erweitert. Sämtliche Ansätze richten sich jedoch nach einer  Sukzessivplanung aus. 

 MRP II: Später wurden MRP‐I‐Systeme zu MRP II (Manufacturing Re‐ source  Planning)  ausgebaut.  Dieses  Tool  berücksichtigt  zwar  die  ver‐ fügbaren  Kapazitäten.  Jedoch  orientiert  sich  auch  dieser  Ansatz  an  einer  Sukzessivplanung,  indem  die  Kapazitäten  und  die  Materialbe‐ darfe  schrittweise  miteinander  abgestimmt  werden.  Dadurch  entste‐ hen  Inkonsistenzen:  Auf  Grund  mangelnder  Kapazitäten  sind  die  Materialpläne ständig neu zu definieren.

Planung der Materialbedarfe

Abstimmung mit den Kapazitäten

 

Die Strukturplanung von MRP II und ERP ist nahezu identisch: Überge‐ ordnete Gesamtstrategien werden sukzessive in unterschiedliche Spezi‐ alpläne  heruntergebrochen.  Im  Gegensatz  zu  MRP  II  gewährleisten  die  Module von Enterprise Resource Planning jedoch auch Funktionen wie  Instandhaltung,  Auftragsverwaltung  oder  Personalwirtschaft.  Der  Grundstein für Enterprise Resource Planning wurde in den 90er Jahren  gelegt. Unternehmensweit regelt ein ERP‐System die Geschäftsprozesse  transaktionsorientiert. Dazu werden die notwendigen Informationen aus  einer relationalen Datenbank entnommen, in speziellen Tabellen hinter‐ legt  und  bei  Zugriff  über  Suchabfragen  individuell  wieder  zusammen‐ gesetzt. 

Unternehmensweite Sukzessivplanung

Enterprise Resource Planning gewährleistet die operative und die auto‐ matisierte Steuerung von unternehmenseigenen Prozessen in der Supp‐ ly Chain. Als Basis für ERP dient die Software von SAP (SAP R/3) oder  Oracle. Der Produktionsplan wird sukzessiv abgearbeitet, und die Opti‐ mierung  richtet  sich  an  den  logistischen  Teilsystemen  innerhalb  der  Unternehmen aus.         

ERP in der Supply Chain

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D Selbst ERPSysteme kennen noch etliche Begrenzungen

Instrumente des Supply Chain Managements

Jedoch  weisen  die  ERP‐Systeme  eine  Reihe  von  Schwierigkeiten  auf  (vgl. Gronau 2014, S. 97): 

 ERP basiert auf dem Konzept der Sukzessivplanung, die Materialbe‐ darfe werden nacheinander (und nicht parallel) mit den Kapazitäten  abgeglichen. 

 Es werden keine Wechselbeziehungen zwischen den untergeordneten  Plänen berücksichtigt. 

 Weiterhin  deckt  ERP  den  Verwaltungsbereich  und  das  Engineering  kaum ab. Dieses Manko wiegt umso schwerer, indem gerade in die‐ sen Funktionen die Gemeinkosten überproportional hoch sind. 

 Der Ansatz ist wenig flexibel, indem er beispielsweise von festen Be‐ arbeitungs‐  und  Wartezeiten  ausgeht.  Simulationen  finden  kaum  statt. 

 Die  Bereitstellung  der  Informationen  ist  zeitkritisch,  weil  sehr  viele  Einzelzugriffe  auf  Teilestamm,  Erzeugnisstruktur,  Materialbeschaf‐ fung,  Arbeitsgang  und  Betriebsmittel  in  kurzen  Zeitabständen  erfol‐ gen. 

 Als Gesamtsystem bleibt die Supply Chain bei ERP unberücksichtigt,  weil ein direkter Zugang von Lieferanten‐ und Kundeninformationen  fehlt.  Diese  Einschränkung  wiegt  besonders  stark  bei  schwankender  Nachfrage (Bullwhip‐Effekt, vgl. S. 47).  Von der Sukzessivplanung zur Simultanplanung

An diesen Schwierigkeiten von ERP setzt APS (Advanced Planning and  Scheduling)  an.  APS  ist  über  die  komplette  Supply  Chain  einsetzbar  (vgl.  Betge  2006;  Gronau  2014;  König  2009;  Zeilhofer‐Ficker  2015).  Diese  Systeme stellen eine Ergänzung zu den ERP‐Modulen dar. Die Optimie‐ rung der Planungsparameter basiert bei APS auf mathematischen Algo‐ rithmen.  Anbieter  dieser  Systeme  sind  beispielsweise  SAP,  Oracle  und  Manugistics (JDA Software). Seine Daten bezieht APS aus den operativen  Transaktionseinheiten  der  ERP‐Module.  An  diese  dezentralen  Bereiche  gibt APS seine Informationen nach Bearbeitung zurück. APS zielt auf die  simultane  Abstimmung  sämtlicher  Aktivitäten  der  kompletten  Liefer‐ kette  und  ist  dabei  hoch  reagibel.  Sämtliche  Aktivitäten,  die  zu  einer  Wertsteigerung  beitragen  können,  sind  synchron  aufeinander  abzu‐ stimmen. Mit Hilfe von Simulationen werden unterschiedliche Alterna‐ tiven recht schnell durchgespielt. APS wählt diejenige Möglichkeit, wel‐ che den potenziell größten Nutzen verspricht (vgl. Beispielblock d.8).    386

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

Nachstehend  werden  die  wesentlichen  Merkmale  von  Advanced  Plan‐ ning and Scheduling aufgelistet (vgl. Betge 2006, S. 23ff.; El‐Berishy 2011;  Günther/van Beek 2010). 

So funktioniert APS…

 Kundenorientierung:  Im  Mittelpunkt  steht  die  Synchronisation  von 

Pull-Steuerung

Kapazitäten  und  Bedarfen,  um  zu  einer  kundengerechten  Auftrags‐ bearbeitung zu finden (Pull‐Ausrichtung).  

 Realitätsnähe: APS zeigt die Verfügbarkeit der Kapazitäten und Be‐ darfe  weitgehend  in  Echtzeit  auf.  In  besonderer  Weise  sind  dabei  Engpässe  (Constraints)  aufzudecken,  die  zur  Planungsunsicherheit  führen.  Dabei  werden  weiche  und  harte  Engpässe  unterschieden.  Probleme,  die  aus  weichen  Engpässen  (Soft  Constraints)  resultieren,  lassen sich relativ rasch lösen. Ein weicher Engpass liegt zum Beispiel  vor, wenn ein kurzfristiger Nachfrageschub ein Werk mit einem Ka‐ pazitätsauslastungsgrad  von  lediglich  65%  trifft.  Dieses  Werk  hat  keine  Probleme  damit,  den  Zusatzauftrag  anzunehmen.  Harte  Rest‐ riktionen (Hard Constraints) hingegen führen zu nachhaltigen Schwie‐ rigkeiten in der Supply Chain. Bezüglich des oben aufgeführten Bei‐ spiels  liegen  sie  vor,  wenn  Zusatzaufträge  auf  Werke  mit  nahezu  kompletter Kapazitätsauslastung treffen. 

 Simultaneität:  Die  Module  von  Advanced  Planning  and  Scheduling  erlauben  eine  parallelisierte  Bearbeitung  einzelner  Aktivitäten  im  Planungsprozess. Dadurch wird der Nachteil einer Sukzessivplanung  (wie z. B. ERP) aufgelöst. 

 Geschwindigkeit  und  Flexibilität:  Ein  weiteres  Charakteristikum  von  APS  ist  die  hohe  Verarbeitungsgeschwindigkeit.  Die  Systeme  sind  hauptspeicherresistent,  und  die  Planungsläufe  benötigen  nur  wenige  Augenblicke.  Treten  unerwartete  Änderungen  der  Restrikti‐ onen  oder  Planungsabweichungen  auf,  reagieren  die  Module  von  APS mit ausgeprägter Anpassungsfähigkeit darauf. Dadurch werden  die Anforderungen für ein Available‐to‐Promise und ein Capable‐to‐ Promise erfüllt. 

 Integration:  Neben  den  unternehmenseigenen  Daten  fließen  in  Ad‐ vanced  Planning  and  Scheduling  auch  die  Informationen  von  Liefe‐ ranten  und  Kunden  ein.  Dadurch  deckt  APS  die  komplette  Supply  Chain ab. 

 Simulation:  Mit  Hilfe  von  stochastischen  Prognosen  werden  reale  oder geplante Systeme auf dem Rechner in unterschiedlichen Model‐ len durchgespielt (What‐if‐Szenarien).   

387

Vermeidung von Engpässen

Simultan statt sequentiell

„Zeittotschläger auf ihren Wegen, heute Nacht gehöre ich zu ihnen…“ (Blumfeld)

Supply Chain Orientierung

What-ifSimulationen

D Beispielblock d.8 

Instrumente des Supply Chain Managements

Advanced Planning and Scheduling  Erfahrungen  mit  dem  Einsatz  von  Advanced  Planning  and  Scheduling  mit  Hilfe von SAP APO sammelte beispielsweise Röhm bei der Produktion von  Plexiglas.  APO  steht  für  „Advanced  Planner  and  Optimizer“.  Die  Aktivitä‐ ten beziehen sich insbesondere auf die Module „PP“ (Production Planning)  und „DS“ (Detailed Scheduling). Es folgte die Spezifizierung der Netzwerk‐ planung („SNP“, Supply Network Planning) für Röhm. Anschließend unter‐ suchten  die  Projektverantwortlichen  mittels  Simulationen  die  Beziehungen  für Beschaffung, Lagerung, Produktion, Handling und Transport von Plexi‐ glas  in  diesem  Verbund. Schließlich  definierte  Röhm die Parameter  für  eine  kollaborative Planung zwischen den beteiligten Partnern, wozu im Internet  Planungsmappen auf der Basis von ITS (Internet Transaction Server) erstellt  wurden.

Leistungsmodule

Fundament

Die  Struktur  von  APS  zeigt  sich  in  der  Advanced‐Planning‐and‐ Scheduling‐Matrix (vgl. Betge 2006, S. 75ff.; El‐Berishy 2011, S. 93f.; Gün‐ ther/van  Beek  2010,  S.  103ff.).  Sie  spiegelt  den  Aufbau  der  APS‐Systeme  der meisten Softwareanbieter und beinhaltet die folgenden Module: 

 Strategic  Network  Planning:  Eine  strategische  Netzwerkplanung  ist  langfristig ausgerichtet (drei bis zehn Jahre). Sie beinhaltet die Konfi‐ guration der kompletten Wertschöpfungskette und umfasst Simulati‐ onen  auf  Basis  stochastischer  Optimierungsmodelle  (What‐if‐ Simulationen). Dazu werden die Knotenpunkte in der Supply Chain  visualisiert. Hierunter fallen beispielsweise Fertigungsstätten, Lager‐ orte,  Lieferanten  oder  Distributionszentren  (bei  SAP  „Cockpit“  ge‐ nannt).  Aber  auch  wichtige  Informationen  aus  der  Verkaufsplanung  fließen in die strategische Netzwerkplanung ein. 

Kapazitäts- und Bedarfsabgleich

 Master  Planning:  Bei  den  meisten  Softwareanbietern  erstreckt  sich 

Operations Research

 Demand  Planning:  Die  Nachfrageplanung  beinhaltet  die  Erstellung 

die  Hauptplanung  über  einen  mittelfristigen  Zeitraum  von  circa  zwölf Monaten. Darin sind Aktivitäten von Beschaffung, Produktion  und  Distribution  innerhalb  der  Supply  Chain  geregelt.  In  diesem  Kontext  findet  eine  Abstimmung  der  verfügbaren  Kapazitäten  mit  den  Bedarfen  statt  –  ohne  dabei  große  Puffer  aufzubauen.  Wichtige  Voraussetzungen dafür sind Beschaffungs‐, Produktions‐, Transport‐  und Materialbedarfsplanungen aus ERP.  von  Prognosen  über  die  zukünftige  Nachfrage.  Diesbezüglich  wer‐ den  Zeitreihenanalysen  durchgeführt  und  kausale  Zusammenhänge 

388

Instrumente zur IT-Unterstützung

D.6

bestimmt.  Ein  Beispiel  dafür  ist  der  Absatz  von  Sonnencreme  und  Streusalz in Abhängigkeit von der Temperatur. 

 Material Requirement Planning: Eine mittel‐ bis kurzfristige Materi‐ albedarfsplanung  ist  für  das  Ordering  der  Vorräte  zuständig.  Dazu  werden unterschiedliche Transaktionen in APS durchgespielt. 

 Production Planning and Scheduling: Hier wird deutlich, dass APS  kein Ersatz, sondern vielmehr eine Ergänzung für ERP ist. Unterneh‐ mensintern  findet  eine  engpassorientierte  Kapazitätsplanung  über  ERP statt, welche sich auf die Faktoren Personal, Materialeinsatz und  Maschinenbelegung  erstreckt.  Ein  wichtiges  Ziel  ist  in  diesem  Zu‐ sammenhang die Verkürzung der Durchlaufzeiten. Dazu werden die  Produktionsfolgen simuliert. APS wählt diejenige Alternative, welche  die größte Erfolgswahrscheinlichkeit verspricht. 

 Distribution and Transport Planning: Die Distributions‐ und Trans‐ portplanung  beinhaltet  eine  Warenverteilung.  Hergestellte  Güter  können  direkt  an  den  Abnehmer  distribuiert  oder  in  einem  Verteil‐ zentrum zwischengelagert werden. Diesbezüglich muss die jeweilige  Software  für  APS  auf  die  Minimierung  der  Transport‐  und  der  La‐ gerkosten achten. Aber auch Prämissen – wie Warenverderblichkeit,  Materialhandling und Verpackungsvorschriften – sind zu berücksich‐ tigen.  Deshalb  leitet  sich  die  Distributions‐  und  Transportplanung  aus  Informationen  über  Transportvolumen,  Fahrzeugverfügbarkeit  und Incoterms ab. 

 Demand  Fulfillment:  Schließlich  bedeutet  ein  Demand  Fulfillment  eine  Überprüfung  der  Warenverfügbarkeit.  Hier  setzt  das  Prinzip  Available‐to‐Promise  (ATP)  an:  Die  Liefertermine  sind  verbindlich  zuzusagen. Deshalb findet ein Abgleich zwischen dem Lagerbestand  und  der  Kundenbestellung  statt.  Wenn  sich  genügend  Waren  in  ei‐ nem  Lager  befinden,  ist  die  Lieferzusage  unproblematisch.  Demand  Fulfillment  läuft  über  Simulationen  ab,  wobei  besonders  dringende  Aufträge mit Hilfe einer Prioritätsregel vorgezogen werden. 

Zur Abrundung der Überlegungen dieses Kapitels findet sich eine kriti‐ sche  Würdigung  von  APS‐Systemen.  Zu  den  wesentlichen  Vorteilen  von APS zählen: 

 Der  Ansatz  erstreckt  sich  über  die  komplette  Supply  Chain.  Im  Ge‐ gensatz  zu  ERP  werden  Lieferanten‐  und  Kundeninformationen  di‐ rekt in das System gespielt, was zur Minderung von Reibungsverlus‐ ten (auf Grund von Iterationsschleifen) an den Schnittstellen führt. 

389

Materialbedarfe simulieren

Fertigungsorientierung

Distributionslogistische Implikationen

ATP: Überprüfung der Warenverfügbarkeit

Vielfältige Möglichkeiten von APSSystemen

D

Instrumente des Supply Chain Managements

 Mit Hilfe von Advanced Planning and Scheduling wird eine Organi‐ sation  schnell  und  in  Echtzeit  auf  Marktveränderungen  reagieren  können. Zusätzlich verhält sich APS sehr reagibel, weil sich die Mo‐ dule an wandelnde Wettbewerbsbedingungen anpassen. 

 APS‐Systeme  bedeuten  den  Übergang  von  einer  Sukzessivplanung  (diese liegt bei PPS, MRP I, MRP II und ERP vor) zu einer Simultan‐ planung.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  dabei  die  Möglichkeit  zur  zeitlich parallelisierten Bearbeitung der Aktivitätenbündel. 

 In der kompletten Supply Chain sind durch APS‐Systeme die Bestän‐ de  zu  senken.  Außerdem  werden  die  Durchlaufzeiten  gepusht,  wo‐ raus sich kürzere Lieferzeiten ableiten. 

 Die  APS‐Module  können  die  Basis  für  ein  Frühaufklärungssystem  bilden.  Zum  Beispiel  zeigt  der  “Alert  Monitor“  von  SAP  dem  User  zunächst das auslösende Ereignis an und schlägt sofort eine Funktion  vor, die zur Klärung dieser Problemstellung dient. 

 Advanced  Planning  an  Scheduling  richtet  sich  nach  dem  Pull‐ Konzept aus, indem die Wünsche der Kunden nachhaltig Berücksich‐ tigung finden.  Nach  der  anfänglichen  Euphorie  gegenüber  Advanced  Planning  and  Scheduling,  werden  dem  Ansatz  mittlerweile  jedoch  auch  Vorbehalte  entgegengebracht: 

Aber auch APSSysteme stoßen an Grenzen

 Die  Systeme  für  Einkauf,  Lagerbestandsführung  oder  Fakturierung  werden  nicht  ersetzt,  sondern  lediglich  ergänzt.  Diese  operativen  Module sind weiterhin zu pflegen, was einen Mehraufwand an Ver‐ waltungstätigkeiten  und  die  Einleitung  zusätzlicher  Transaktionen  bedeutet. 

 Durch die Berücksichtigung einer Software im Sinne von APS steigen  die  Abhängigkeiten  in  der  Lieferkette.  Werden  beispielsweise  die  Systeme  zwischen  Hersteller  und  Modullieferant  dauerhaft  ver‐ knüpft,  sind  sich  beide  Partner  auf  „Gedeih  und  Verderb“  ausgelie‐ fert. Dazu kommt, dass die Transparenz innerhalb der Kostenkalku‐ lation  steigt:  Insbesondere  kleinere  Lieferanten  könnten  dadurch  ei‐ nen Druck auf ihre Gewinnmargen befürchten. 

 Allein durch die Implementierung von APS werden sich die Supply‐ Chain‐Prozesse nicht automatisch verbessern. Auch das beste System  scheitert  an  einer  minderwertigen  Datengüte.  Um  eine  hohe  Daten‐ qualität  zu  erreichen  und  um  einen  allgemein  reibungslosen  Ablauf  von APS zu gewährleisten, müssen die Mitarbeiter geschult werden. 

390

Verständnisfragen

D.7

Verständnisfragen

 Woraus  setzen  sich  Sie  die  Gesamtkosten  einer  Bevorratung  zusam‐ men? 

   

Nennen Sie Instrumente zur Bestandsreduzierung.  Was ist eine ABC‐Analyse? Was ist eine XYZ‐Analyse?  Charakterisieren Sie die Arten der Materialbeschaffung.  Kombinieren Sie die ABC‐Analyse und die XYZ‐Analyse mit den Ar‐ ten der Materialbeschaffung. 

 Beschreiben Sie das Wesen der Gängigkeitsanalyse. Entwerfen Sie ei‐ ne  Tabelle,  in der  Sie  die  Vorteile  und  die Nachteile von Excess  and  Obsolete gegenüberstellen. 

 Worin  besteht  der  Unterschied  zwischen  OES‐,  OEM‐  und  AM‐ Teilen? 

 Zeigen Sie Maßnahmen zur Reduzierung ungängiger Vorräte auf.   Kennzeichnen  Sie  das  Ampelverfahren  des  Reichweitenmonitorings.  Führen Sie dazu ein Beispiel aus der Medizintechnik an. 

 Diskutieren  Sie  die  Phänomene  „Einlaufsteuerung“  und  „Auslauf‐ steuerung“. 

 Klären Sie den Begriff “Cost‐Charge‐Back“.   Beschreiben  Sie  die  Konsignationsanalyse.  Nennen  Sie  Gründe  zur  Konsignation aus Kunden‐ und aus Lieferantensicht.  

  Welches  sind  die  Arbeitsschritte  zur  Einrichtung  eines  Konsignati‐ Beschreiben Sie das Verfahren „Payment‐on‐Production“.  onslagers? 

 Grenzen Sie die Konsignationsabwicklung vom Lieferanten‐Logistik‐ Zentrum ab. 

 Beschreiben  Sie  den  Ablauf  einer  Bestandsfinanzierung.  Leiten  Sie  Cash‐to‐Cash‐Effekte  aus  Sicht  der  jeweils  beteiligten  Partner  des  Verfahrens ab. 

 Charakterisieren  Sie  die  Inhalte  der  Durchlaufzeiten‐  und  der  Rüst‐ zeitenanalyse. 

 Nennen  und  diskutieren  Sie  Instrumente  zur  Frachtkostenreduzie‐ rung. 

 Was bedeutet ein „Milk Run“?   Was  verstehen  Sie  unter  der  Letzten  Meile?  Welche  Strategien  und  welche Technologien kennen Sie, um diese Letzte Meile bestmöglich  zu überwinden? 

391

D.7

D

Instrumente des Supply Chain Managements

 Diskutieren  Sie  die  Möglichkeiten  von  Kurier‐,  Express‐  und  Paket‐ diensten auf der Letzten Meile. 

 Welches sind die Vorteile und die Nachteile von Hub and Spoke ver‐ glichen mit Point to Point im Flugverkehr? 

 Beschreiben Sie die Arten von Benchmarking.   Welches  sind  die  Vor‐  und  die  Nachteile  des  wettbewerbsfokussier‐ ten Benchmarkings? 

 Diskutieren Sie den Begriff „Reverse Engineering“.   Beantworten  Sie  folgende  Fragen  zu  Quality  Function  Deployment:  Historie,  Begriffsklärung  und  Charakterisierung,  Qualitätspläne,  Ar‐ beitsschritte  zur  Erstellung  eines  House  of  Quality  (dargestellt  am  Beispiel „Rasenmäher“) und kritische Würdigung. 

 Kennzeichnen  Sie  das  Instrument  „Failure  Mode  and  Effects  Analy‐ sis“. Nehmen Sie eine kritische Würdigung der FMEA vor. 

 Geben Sie ein Beispiel für Bottleneck Engineering an.   Charakterisieren Sie EDI, EDIFACT und ODETTE. Was verbirgt sich  hinter diesen Abkürzungen? Welches sind die Vor‐ und die Nachteile  von EDI. 

 Kennzeichnen Sie den Übergang von EDI zu Web‐EDI. Worin sehen  Sie die Stärken und die Schwächen von Web‐EDI? 

 Beschreiben  Sie  die  Aufgaben  von  Barcodes.  Worin  besteht  der  Un‐ terschied zu RFID? 



Charakterisieren  Sie  mögliche  Einsatzgebiete  und  Eigenschaften  von  RFID in der Supply Chain.  

 Was  verstehen  Sie  unter  einem  „Data  Warehouse“?  Klären  Sie  die  Begriffe „Data Mining“ und „OLAP“. 

 Charakterisieren Sie die technischen Komponenten von CIM.   Beschreiben  Sie  CAP‐gestützte  Systeme  zur  Erstellung  von  Arbeits‐ plänen. 

 Welche  Arten von  NC‐Maschinen  kennen  Sie?  Benennen  Sie  flexible  Fertigungssysteme. 

 Kennzeichnen  Sie  Gemeinsamkeiten  und  Unterschiede  zwischen  ERP‐ und APS‐Systemen. 

 Listen Sie Vorteile und Nachteile von APS‐Systemen auf. 

392

Lernziele und Vorgehensweise

E.1

E Controlling der Supply Chain E.1

Lernziele und Vorgehensweise

Das  Lernziel  von  Kapitel  E  besteht  darin,  die  Bedeutung  des  Control‐ lings  für  ein  Supply  Chain  Management  aufzuzeigen.  Einerseits  wird  die  Führung  durch  sein  Controlling  in  festen  Intervallen,  zum  Beispiel  im Rahmen von Monatsabschlüssen, mit Informationen versorgt. Ande‐ rerseits  muss  das  Controlling‐System  auch  Ad‐hoc‐Abfragen  zulassen.  Zur  Gewährleistung  beider  Anforderungen  dient  die  Einbindung  von  Supply  Chain  Prozessen  in  ein  adäquates  Planungs‐,  Steuerungs‐  und  Kontrollsystem. 

Warum ein Con‐ trolling der Supply  Chain? 

In  Kapitel  E  werden  im  weiteren  Vorgehen  zunächst  die  betriebswirt‐ schaftlichen Grundlagen für ein Controlling der Supply Chain beschrie‐ ben.  Durch  ein  Cost  Tracking  sind  die  Auswirkungen  der  Logistik‐ Aktivitäten auf die Bilanz sowie die Gewinn‐ und Verlustrechnung fest‐ zustellen.  Anschließend  wird  eine  Kennzahlentypologie  des  Supply  Chain Managements abgeleitet, welche in die Darstellung von Werttrei‐ berbäumen mündet. 

Vorgehensweise im  Überblick 

Dem  Controller  stehen  Hilfsmittel  zur  Verfügung,  die  zur  Planung,  Steuerung und Kontrolle von Abläufen innerhalb moderner Lieferketten  beitragen sowie die Informationsversorgung der Unternehmensführung  sichern.  Zu  diesen  Hilfsmitteln  zählen  die  Hard‐(Soft)‐Analyse,  das  Target Costing, die Prozesskostenrechnung, der Economic Value Added,  das  Working  Capital  Management  und  das  Supply  Chain  Performance  Measurement. Dessen Hauptvertreter, die Supply Chain Scorecard, wird  zudem  mit einer  Strategy  Map  kombiniert.  Sämtliche  Instrumente  wer‐ den  ausführlich  charakterisiert  und  speziell  auf  das  Supply  Chain  Ma‐ nagement bezogen. Auch dieses Kapitel endet mit Verständnisfragen. 

Moderne Instru‐ mente des Control‐ lings im Einsatz 

     

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_5

393

E

Controlling der Supply Chain

E.2

Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking

E.2.1

Betriebswirtschaftliche Grundlagen

Financial Supply  Chains 

Das  Controlling  der  Supply  Chain  ist  ein  Subsystem  der  Führung.  Zu  seinen  Aufgaben  zählen  die  Planung,  die  Steuerung  und  die  Kontrolle  sämtlicher  Aktivitäten  innerhalb  der  Supply  Chain.  Erweitert  werden  diese Tätigkeiten durch die Sicherstellung einer Informationsversorgung  des  (Supply  Chain)  Managements.  Dazu  setzt  das  Controlling  unter‐ schiedliche  Hilfsmittel  ein.  Im  Folgenden  werden  neuere  Controlling‐ Instrumente der Supply Chain beschrieben. Zunächst sind jedoch einige  betriebswirtschaftliche Grundlagen zu klären. 

Supply Chain als  Regelkreis 

Das  Supply  Chain  Management  stellt  ein  Regelkreissystem  dar.  Der  Regler  ist  die  Führung  und  die  Regelstrecke  das  Order‐to‐Payment‐S.  Mögliche  Stell‐  und  Regelgrößen  innerhalb  von  Wertschöpfungsketten  sind Bestände, Frachtkosten, Durchlaufzeiten, Rüstzeiten oder Material‐ preise. Anhand  von  Beständen,  Frachtkosten  und  Materialpreisen  wird  die  Bedeutung  der  Stell‐  und  der  Regelgrößen  für  die  Erfolgswirksam‐ keit  ausgewählter  Maßnahmen  beschrieben.  Im  Schwerpunkt  beziehen  sich ihre Auswirkungen auf die Bilanz sowie die Gewinn‐ und Verlust‐ rechnung. 

Kapitalbindung 

Bestände  binden  Kapital,  weil  das  investierte  Geld  für  andere  Zwecke  nicht  zur  Verfügung  steht.  Freies  Kapital  könnte  durch  seine  Anlage  einen  Zins  erwirtschaften.  Dadurch  ergeben  sich  für  ein  Unternehmen  Opportunitätskosten („entgangene Gewinne“). In Kapitel D wurde deut‐ lich,  dass  sich  die  Gesamtkosten  einer  Bevorratung  aus  Lagerkosten  (Lagerhaltungskosten,  Zinskosten  und  Sonstige  Kosten)  sowie  aus  Fehlmengenkosten aggregieren (vgl. S. 295). 

Verbesserung des  Cash Flow 

Das  Phänomen  der  Kapitalbindung  durch  Vorräte  ist  in  der  Betriebs‐ wirtschaftslehre  hinlänglich  bekannt.  Doch  erst  seit  den  späten  60er  Jahren  werden  Programme  zur  Bestandsreduzierung  mit  Nachdruck  betrieben.  Indem  Vorräte  eine  Komponente  des  Umlaufvermögens  der  Bilanz  darstellen,  erwirkt  ihre  Reduzierung  einen  positiven  Effekt  auf  den  Cash  Flow  („Finanzmittelüberschuss“).  Vorräte  werden  zumeist  unter  der  Klasse  0  kontiert.  Die  Maßnahmen  zur  Bestandsreduzierung  haben  seit  dem  Aufkommen  von  Just‐in‐Time  sehr  an  Bedeutung  ge‐ wonnen. Durch die Senkung von Vorräten besteht die Möglichkeit zum 

394

Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking

E.2

Aktivtausch  in  der  Bilanz,  indem  sich  das  Umlaufvermögen  reduziert  und  das  Anlagevermögen  erhöht.  Das  freigesetzte  Kapital  wird  bei‐ spielsweise in Sachanlagen (Maschinen, Gebäude) investiert.  Für finanzwirtschaftliche Analysen sind Bruttobestände (Gross Invento‐ ry)  und  Nettobestände  (Net  Inventory)  zu  unterscheiden.  Resultierend  aus der Ungängigkeit von Materialien, werden die Bruttobestände über  die  „Inventory  Reserve“  zu  Nettobeständen  abgewertet.  Verantwortlich  dafür  sind  beispielsweise  Planungsunsicherheiten  im  Abrufverhalten  der  Kunden,  Serienausläufe  von  Produkten  oder  die  Etablierung  neuer  Modetrends  (vgl.  zu  Excess‐and‐Obsolete‐Beständen  S.  301).  Der  Effekt  einer Wertberichtigung auf ungängige Vorräte fließt in die Gewinn‐ und  Verlustrechnung  ein  (vgl.  unten).  Gemessen  wird  dieses  Phänomen  durch die Kennzahlen Lagerumschlagshäufigkeit und Lagerreichweite.  Beide Indikatoren werden ab S. 419 näher beschrieben. 

„Mehr Netto vom  Brutto…“ 

Auf  die  Gewinn‐  und  Verlustrechnung  schlägt  sich  die  Vorratshöhe,  mit Ausnahme der Bestandsumwertung zum Jahresabschluss, nur indi‐ rekt nieder. Vor allem in den Herstellungskosten des Umsatzes (Cost of  Sales)  finden  sich  die  Auswirkungen  einer  Lagerbevorratung  zum  Bei‐ spiel  in  den  Materialgemeinkosten,  den  Werkzeugkosten  und  den  Per‐ sonalkosten.  Für  kalkulatorische  Berechnungen  wird  der  Bestandseffekt  auf  das  Betriebsergebnis  der  Gewinn‐  und  Verlustrechnung  über  den  WACC (Weighted Average Cost of Capital) verzinst. Dieser gewichtete  Eigen‐  und  Fremdkapitalkostensatz  liegt  zwischen  6%  und  10%  und  differiert  zwischen  Unternehmen  und  Branchen.  Beträgt  die  Höhe  der  Bestände  100  Millionen  Euro,  die  in  der  Bilanz  im  Umlaufvermögen  ausgewiesen  werden,  und  ist  der  WACC  mit  7%  angesetzt,  ergibt  dies  eine kalkulatorische Belastung für den EBIT von 7 Millionen Euro. 

Verzinsung und  G&V‐Effekt 

Die  Frachtkosten  und  die  Materialpreise  sind  Komponenten  einer  Ge‐ winn‐ und Verlustrechnung. In der Regel werden die Frachtkosten unter  der  Klasse  vier  und  die  Materialpreise  unter  der  Klasse  sieben  in  der  Erfolgsrechnung  gebucht.  Ihre  Erhöhung  oder  Reduzierung  wirkt  sich  zu  100%  auf  den  EBIT  aus.  Beide  Größen  finden  sich  entweder  in  den  Herstellungskosten  des  Umsatzes  der  Gewinn‐  und  Verlustrechnung,  oder sie werden in der Erfolgsrechnung separat ausgewiesen. 

Auswirkungen auf  die Erfolgsrech‐ nung 

Nachstehend wird aufgezeigt, wie der Controller ein Cost Tracking für  Materialpreise, Frachtkosten und Bestände implementieren kann. Sämt‐ liche  drei  Einflussgrößen  auf  das  Supply  Chain  Management  sind  Be‐ standteil einer Hard‐(Soft)‐Analyse. Ein Beispiel unterstreicht diese Zu‐ sammenhänge (vgl. S. 463). 

Hard Spots und  Soft Spots in der  Supply Chain 

395

E

Controlling der Supply Chain

E.2.2 Was ist ein Cost  Tracking? 

Cost Tracking

Das Cost Tracking ist ein spezielles Überwachungssystem, welches zur  Messung  der  Erfolgswirksamkeit  von  Unternehmensaktivitäten  herange‐ zogen wird. Es ist häufig in ein Reporting‐System (Berichtswesen) inte‐ griert. Im Folgenden bezieht sich das Cost Tracking auf drei ausgewähl‐ te Bereiche der Supply Chain: 

 Cost Tracking von Materialpreisen   Cost Tracking von Frachtkosten   Cost Tracking von Beständen  „Niemand plant zu  versagen, aber die  meisten versagen  beim Planen.“       (L. Iacocca) 

Sämtliche  drei  Arten  eines  Cost  Trackings  im  Supply  Chain  Manage‐ ment basieren auf der Verwendung von Formblättern. Zur Beschreibung  des  Cost  Trackings  von  Materialpreisen,  Frachtkosten  und  Beständen  dient ein Beispiel: Das Phantomunternehmen View AG stellt Fernsehge‐ räte  in  Deutschland  am  Standort  Frankfurt  her.  Zu  Beginn  des  Ge‐ schäftsjahrs 2020 nimmt die View AG einen Lieferantenwechsel für  LCD‐ Panel  vor.  Bislang  wurde  die  Organisation  mit  LCD‐Panel  aus  Italien  beliefert, und zukünftig bezieht sie diese aus Taiwan. Das Cost Tracking  der  Materialpreise,  Frachtkosten  und  Bestände  erstreckt  sich  auf  den  Berichtsmonat Juli des laufenden Geschäftsjahrs. 

E.2.2.1 Grundlagen der  Materialpreisab‐ weichung 

Cost Tracking von Materialpreisen

Die  Materialpreise  werden  –  wie  oben  bereits  kurz  erwähnt  –  in  der  Regel unter der Klasse sieben in der Gewinn‐ und Verlustrechnung ge‐ bucht.  Der  Controller  findet  sie  in  der  Erfolgsrechnung  entweder  sepa‐ riert  ausgewiesen,  oder  sie  werden  dort  unter  die  Herstellungskosten  des Umsatzes gefasst. Änderungen in den Materialpreisen (Erhöhungen  oder  Reduzierungen)  schlagen  sich  folglich  zu  100%  auf  die  Kennzahl  „EBIT“  nieder.  Für  das  Cost  Tracking  der  Materialpreise  entwirft  das  Controlling  der  View  AG  den  Chart  I  (vgl.  Abbildung  E.1  und  Werner  1999e,  S.  150ff.).  In  diesem  Chart  ist  die  Materialpreisabweichung  für  LCD‐Panel  abgetragen.  Alle  Zahlen  werden  in  Tausend  Euro  (T€)  und  negative  Zahlen  in  Klammern  angegeben.  Die  Materialpreisabwei‐ chung bemisst die Leistung des Einkäufers. Sie gibt den Unterschiedsbe‐ trag zwischen den im Vorjahr budgetierten und im laufenden Geschäfts‐ jahr wirklich gebuchten Materialpreisen (Actual), sowie den unterjährig  geplanten Materialpreisen (Forecast), an. 

396

Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking

 Bereich  A.1:  Bis  zum  Juli  2020  stehen  dem  Controlling  aus  den  Mo‐ natsabschlüssen  Ist‐Zahlen  (Actual)  zur  Verfügung.  Ab  dem  Monat  August 2020 trägt das Controlling Planzahlen (Forecast) in den Chart. 

 Bereich B.1: Der Bereich B.1 visualisiert die totale Materialpreisabwei‐ chung. Die Zahlen sind kumuliert dargestellt. Bis zum Actual Juli be‐ läuft  sich  die  Materialpreisabweichung  auf  194  T€.  Ein  Forecast  (sy‐ nonym  als  „Outlook“  bezeichnet)  gibt  die  unterjährige  Planung  der  Materialpreise wieder. Bis zum Dezember 2020 beträgt diese 322 T€. 

-

E.2 Perioden spezifizie‐ ren  Kumulierte Dar‐ stellung 

Volumeneffekt:  Auf  den  Volumeneffekt  entfällt  der  Raubanteil  dieser Materialpreisabweichung. Von den 194 T€ im Actual Ju‐ li 2020 gehen drauf allein 154 T€ zurück. Diese Komponente ist  durch  den  Einkäufer  beeinflussbar.  Mit  der  Umstellung  der  LCD‐Panel‐Belieferung  von  Italien  nach  Taiwan  ist  es  dem  Einkäufer gelungen, die Beschaffungspreise zu reduzieren. 

Senkung der Mate‐ rialpreise 

- Börsenmaterial:  In  die  Herstellung  der  LCD‐Panel  geht  Kupfer 

Kein Potenzial zur  Beeinflussung 

ein. Der Preis für Kupfer wird an der Börse notiert. Er ist durch  den  Einkauf  nicht  zu  verhandeln.  Kupfer  kostet  im  Jahr  2020  mehr als budgetiert wurde. Dieser Effekt ist separat auszuwei‐ sen. Er kumuliert sich bis zum Jahresende 2020 auf (51) T€. 

- Wechselkurseffekt: Auch auf die Wechselkurse kann der Einkauf  keinen  direkten  Einfluss  ausüben.  Von  der  totalen  Material‐ preisabweichung zum Dezember 2020 (322 T€) entfallen allein  125  T€  auf  die  Wechselkurse.  Wenn  diese  Auswirkung  auf  ei‐ nem Hedging basiert, hat der Bereich Treasury das Kurssiche‐ rungsgeschäft für diese Währung vorteilhaft abgeschlossen. 

- Werkzeugkosten:  Werkzeugkosten  nehmen  in  manchen  Bran‐ chen hohe Beträge ein. Die (7) T€ basieren auf einer Werkzeug‐ beistellung an den LCD‐Panel‐Lieferanten. 

- Skonto: Schließlich werden die gezogenen Skonti ausgewiesen.  Sie  leiten  sich  aus  den  Zahlungszielen  ab.  Zum  Beispiel  kann  eine  Zahlungsbedingung  lauten:  „Ziehung  von  3%  Skonto  bei  Zahlung bis zum 10. Tag des Folgemonats oder nach 30 Tagen  netto“. Im Rahmen des LCD‐Panel‐Bezugs erzielt die View AG  aus Skonti bis zum Jahresende voraussichtlich 5 T€. 

 Bereich  D.1:  Hier  trägt  das  Controlling  die  Zahlen  für  das  Budget  2020 ein. Auf Basis des Lieferantenwechsels nach Taiwan wird monat‐ lich mit einem positiven Effekt von 10 T€ gerechnet. 

 Bereich  E.1:  Die Abweichungen  zwischen Actual  und  Forecast sowie  Budget finden sich in Block E.1. Bis zum Juli 2020 wird im Actual eine 

397

Währungsschwan‐ kungen über  Hedging abfedern? 

Beigestelltes Mate‐ rial  Zahlungsbedin‐ gungen ausloten 

Budgetierte Mate‐ rialpreise  Abweichungen  messen 

E

Controlling der Supply Chain

positive  Abweichung  von  124  T€  erzielt.  Diese  erhöht  sich  bis  zum  Jahresende auf 202 T€. Obwohl das Controlling bereits eine Reduzie‐ rung der Einkaufspreise durch den Lieferantenwechsel von 120 T€ im  Budget  berücksichtigte,  wird  diese  Erwartung  im  laufenden  Ge‐ schäftsjahr um 202 T€ übertroffen. 

 Bereich F.1: Schließlich werden in diesen Bereich einzuleitende Aktio‐

Maßnahmen und  Verantwortlichkei‐ ten definieren  Abbildung E.1 

nen  zur  Verbesserung  der  Materialpreisabweichung,  sowie  Erklärun‐ gen für diese Abweichungen eingetragen und quantifiziert.  Cost Tracking von Materialpreisen 

 

Chart I: Materialpreisabweichung (MPA) 

  

Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan  View AG 2020  

       

  Monat   Periode 

 

 

Alle Zahlen kumuliert (YTD) 

 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

A.1 

01  Act 

02  Act 

03  Act 

04  Act 

05  Act 

06  Act 

07  Act 

08  Fc 

09  Fc 

10  Fc 

11  Fc 

12  Fc 

45 

66 

95 

112 

132 

164 

194 

217 

242 

269 

295 

322 

34 

51 

75 

91 

103 

131 

154 

170 

190 

210 

230 

250 

(3) 

(7)  (13)  (17)  (23)  (27)  (31)  (35)  (39)  (43)  (47)  (51) 

B.1 

Σ MPA 

C.1 

Komponenten der MPA 

 

‐ Volumeneffekt  ‐ Börsenmaterial  ‐ Wechselkurseffekt  ‐ Werkzeugkosten  ‐ Skonto 

 

  

       

MPA Bud      

D.1 

E.1    F.1 

MPA Act/Fc vs. Bud    

15 

23 

34 

41 

55 

62 

73 

85 

95 

105 

115 

125 

(1) 

(1) 

(2) 

(4) 

(5) 

(5) 

(5) 

(6) 

(7) 

(7) 

(7) 

(7) 

























 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

10 

20 

30 

40 

50 

60 

70 

80 

90 

100 

110 

120 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

35 

46 

65 

72 

82 

104 

124 

137 

152 

169 

185 

202 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

Aktionen zur Verbesserung der Materialpreisabweichung und Abweichungserklärungen  Monat   Periode    

 

   

01  Act   

02  Act   

03  Act   

04  Act   

05  Act   

06  Act   

07  Act   

       

Aktionen zur Verbesserung der Materialpreisabweichung 

         

Abweichungserklärungen (Act/Fc vs. Bud) 

 

 

398

Monat: Juli  

‐  ‐  ‐  ‐  ‐  ‐   

        

        

          

        

          

        

          

          

 

08  Fc   

09  Fc   

10  Fc   

11  Fc   

12  Fc    

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

        

 

 

 

 

 

Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget, YTD = Year to Date                   MPA = Materialpreisabweichung, alle Zahlen in Tausend Euro (T€)                   Negative Zahlen werden in Klammern angezeigt 

 

 

 

Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking

E.2.2.2

E.2

Cost Tracking von Frachtkosten

Weil die View AG ihre Frachtkosten unter der Klasse vier kontiert, beein‐ flussen sie den EBIT in der Gewinn‐ und Verlustrechnung zu 100%. Für  den  LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan wird eine Belieferung Ab‐Werk unter‐ stellt. Die View AG zahlt die Frachtkosten selbst. Das Cost Tracking der  Frachtkosten findet sich in Chart II (vgl. Abbildung E.2). 

Auswirkung auf  das operative Er‐ gebnis 

 Bereich A.2: In diesen Bereich wird die Periode eingetragen. 

Berichtsperioden 

 Bereich B.2: Die Frachtkosten sind kumuliert anzugeben. Bis zum Ac‐

Totale Frachtkosten  in den Chart ein‐ tragen 

tual  Juli  2020 belaufen  sie sich  für  den  LCD‐Panel‐Bezug  aus  Taiwan  auf  166  T€.  Der  Forecast  bis  zum  Dezember  2020  beträgt  kumuliert  283 T€. 

 Bereich  C.2:  Zunächst  findet  sich  hier  eine  Unterscheidung  in  Ein‐ gangs‐ und in Ausgangsfrachten. Sie werden in die Bereiche normale  Frachtkosten, Sonderfahrten und Zölle zerlegt (letzte sind von der Lo‐ gistik  nur  indirekt  beeinflussbar).  Den  Raubanteil  an  Frachtkosten  nehmen  die  Eingangsfrachten  mit  267  T€  ein  (Jahresendwert).  Durch  das  Herunterbrechen  der  Frachtkosten  in  einzelne  Bestandteile,  sind  potenzielle Problembereiche sofort zu erkennen. Beispielsweise betra‐ gen die selektiven Sonderfahrten für den Monat März im Eingangsbe‐ reich  27  T€.  Der  Controller  wird  dem  Frachtverantwortlichen  dafür  eine Begründung abverlangen. 

 Bereich D.2: Das Budget für eine Belieferung von LCD‐Panel aus Tai‐ wan beziffert sich für Frachtkosten auf 240 T€ (pro Monat 20 T€). 

 Bereich E.2: Es ergibt sich bis zum Jahresende 2020 eine negative Ab‐ weichung zwischen Actual (Forecast) und Budget von (43) T€. 

 Bereich F.2: In den Abschnitt F.2 sind die Aktionen zur Verbesserung  des Status quo und Erklärungen für Abweichungen in das Formblatt  einzutragen.  Diese  Informationen  liefert  der  Funktionsbereich  Logis‐ tik. 

 Bereich G.2: Im Bereich G.2 wird die Kennzahl „Frachtkosten in Rela‐ tion des Umsatzes“ berechnet. Die Frachtkosten weichen zum Jahres‐ ende  2020  absolut  voraussichtlich  um  (43)  T€  negativ  ab.  Allerdings  können absolute Zielvorgaben zu Fehlentscheidungen führen: In Zei‐ ten von Better Budgeting und Beyond Budgeting sind sie durch relati‐ ve  Zielvorgaben  zu  ergänzen,  oder  sogar  zu  ersetzen.  Die  höheren  Frachtkosten  ergeben  sich,  weil  im  Forecast  bis  zum  Dezember  2020  ein  gesteigerter  Umsatz  –  verglichen  mit  dem  Budget  –  um  5.000  T€  erzielt  wird.  Laut  Budget  2020  waren  bis  zum  Jahresende  Frachtkos‐

399

Aufbruch der  Black‐Box 

Budgetierung der  Basiswerte  Negative Abwei‐ chung  Wer macht was  wann? 

Relative Zielvorga‐ ben schlagen Abso‐ lut‐Werte 

E

Controlling der Supply Chain

ten,  in  Relation  des  Umsatzes,  von  1,00%  erlaubt.  Der  Forecast  weist  jedoch  lediglich  einen  Wert  von  0,98%,  aus:  Die  Freight‐Ratio  liegt  0,02% besser als im Budget eingeplant (positive Abweichung).  Abbildung E.2 

Cost Tracking von Frachtkosten 

 

Chart II: Frachtkosten 

  

Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan  Alle Zahlen kumuliert  (YTD) 

View AG 2020  

   

 

 

Monat   Periode 

 

A.2  01  Act 

A.2  02  Act 

23 

38 

B.2 

Σ Frachtkosten 

C.2 

Komponenten der Frachtkosten  Eingangsfrachten 

 

  ‐ Normalfracht    ‐ Sonderfahrten    ‐ Zölle 

A.2  04  Act 

A.2  05  Act 

A.2  06  Act 

 

 

A.2  08  Fc 

A.2  09  Fc 

A.2  07  Act 

Monat:  Juli  

80  105  123  136  166  181  207  232  256  283 

35 

75 

97  115  126  156  170  194  219  243  267 

29  4  2 

42  31  2 

61  33  3 

79  33  3 

88  113  125  145  165  185  205  35  38  39  43  47  51  55  3  5  6  6  7  7  7 











10 

10 

11 

13 

13 

13 

16 

  ‐ Normalfracht 

3  0  0 

3  0  0 

5  0  0 

5  3  0 

5  3  0 

7  3  0 

8  3  0 

8  3  0 

10  3  0 

10  3  0 

10  3  0 

13  3  0 

 

 

 

  

D.2    E.2    F.2 

  

 

 

 

 

Frachtkosten Bud 

20 

40 

60 

80  100  120  140  160  180  200  220  240 

  

 

 

 

 

(3) 

Act/Fc vs. Bud    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

(2)  (20)  (25)  (23)  (16)  (26)  (21)  (27)  (32)  (36)  (43) 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

12  Fc 

Aktionen zur Verbesserung der Frachtkosten/Abweichungserklärungen 

         

Monat   Periode  ‐ 

G.2   

01  Act 

02  Act 

03  Act 

04  Act 

05  Act 

06  Act 

07  Act 

08  Fc 

09  Fc 

10  Fc 

11  Fc 

‐ 

  

  

  

  

  

  

  

  

  

  

  

  

‐ 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

Frachtkosten/  Umsatz (%) 

01 

02 

03 

04 

05 

06 

07 

08 

09 

10 

11 

12 

Umsatz BUD 

2000 

4000 

6000 

8000 

10000 

12000 

14000 

16000 

18000 

20000 

22000 

24000 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

2013 

5113 

8356 

10890 

12993 

14236 

16730 

19000 

22000 

25000 

27000 

29000 

 

Frachtkos‐ ten/Umsatz (%) 

 

Umsatz Act/Fc 

Frachtkos‐ ten/Umsatz (%)   

1,14   

0,74   

0,96   

0,96   

0,95   

0,96   

0,99   

0,95   

0,94   

Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget, YTD = Year to Date                   Alle Zahlen in Tausend Euro (T€)                   Negative Zahlen werden in Klammern angezeigt 

400

A.2  12  Fc 

17  2  1 

  ‐ Zölle 

 

A.2  11  Fc 

  Ausgangsfracht. 

 

 

A.2  10  Fc 

20 

  ‐ Sonderfahrten 

   

A.2  03  Act 

0,93   

0,95   

0,98   

Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking

E.2.2.3

E.2

Cost Tracking von Beständen

Schließlich  erstellt  der  Controller  auch  für  das  Cost  Tracking  von  Be‐ ständen ein Formblatt (vgl. Chart III). Die Vorräte sind eine Komponen‐ te des Umlaufvermögens in der Bilanz der View AG. Sie binden Kapital  und bewirken Opportunitätskosten. Auf Grund des Lieferantenwechsels  von Italien nach Taiwan und der damit verbundenen deutlichen Verlän‐ gerung  der  Lieferzeiten,  werden  zusätzliche  Sicherheitsbestände  an  LCD‐Panel benötigt. Mit dieser Maßnahme möchte die View AG potenzi‐ elle Störungen und Lieferverzögerungen abfedern, um drohende Stock‐ outs zu vermeiden. Vgl. zum Cost Tracking der Bestände nachstehende  Abbildung E.3. 

 Bereich A.3: Wie in den ersten beiden Fällen, werden in diesen Block 

Kalkulatorische  Berechnung 

Zeitraum festlegen 

die Perioden des Cost Trackings eingetragen (Actual und Forecast). 

 Bereich  B.3:  In  dem  Bereich  B.3  des  Charts  finden  sich  die  Bruttobe‐

Gross Inventory 

stände (also vor Abwertung auf Grund von Ungängigkeit). Im Actual  Juli 2020 beziffert sich der Bruttobestand an LCD‐Panel insgesamt auf  229 T€. 

 Bereich C.3: Die Vorräte werden schließlich in ihre Komponenten zer‐ legt. Die Logistikleitung sieht unmittelbar, auf welche Kontengruppen  sich  die  Verbesserungsmaßnahmen  zur  Bestandsreduzierung  zuerst   erstrecken müssen: Hier sind es eindeutig die Kaufteile, die beispiels‐ weise in Konsignation genommen werden könnten. 

 Bereich D.3: Für das Budget 2020 wurde unterstellt, dass die Vorräte 

Zerlegung des  Gesamtbestands 

Planwerte 

schrittweise insgesamt um 75 T€ abzubauen sind: Von 250 T€ im Ja‐ nuar auf 175 T€ im Dezember. Dafür sind Maßnahmen zur Senkung  von Vorräten einzuleiten. 

 Bereich  E.3:  Im  Forecast  wird  ein  Ausgleich  der  negativen  Abwei‐

Forecast on Budget 

chung  (versus  Budget)  bis  zum  Jahresende  eingeplant.  Forecast  und  Budget sind im Dezember 2020 „in line“ bei 175 T€. Ausgehend vom  letzten  verfügbaren Actual,  müssen  folglich  die  Vorräte  bis  zum  Jah‐ resende um 29 T€ heruntergefahren werden. 

 Bereich  F.3:  Schließlich  werden  (wie  in  den  beiden  zuvor  charakteri‐ sierten  Charts  auch)  in  den  Bereich  F.3  Aktionen  zur  Verbesserung  und Erläuterungen für Abweichungen eingestellt.       

401

Aktionen definieren 

E Abbildung E.3 

Controlling der Supply Chain

Cost Tracking von Beständen 

Chart III: Bruttobestände  Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan  View AG 2020 

 

Alle Zahlen selektiv 

 

Monat: Juli  

 

 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

A.3 

   

Monat   Periode 

01  Act 

02  Act 

03  Act 

04  Act 

05  Act 

06  Act 

07  Act 

08  Fc 

09  Fc 

10  Fc 

11  Fc 

12  Fc 

286 

276 

B.3 

Σ Bestände 

Komponenten der Bestände: 

 

  Rohmaterial    Kaufteile    Selbstgef. Teile    Work‐in‐Process    Fertigwaren    Beigst. Material    Anzahlungen    Sonstige   

  

 

D.3  Bestand Bud       E.3    F.3 

0  177  39  33  33  0  1  3 

Act vs. Bud    

250   

0  199  31  29  12  0  3  2 

287   

267   

0  203  27  23  31  0  1  2 

0  187  30  19  27  0  2  2 

0  165  22  27  10  0  3  2 

210   

0  150  20  30  10  0  3  1 

0  150  18  28  10  0  3  1 

188   

0  140  16  28  8  0  3  0 

175    

0  135  16  26  8  0  3  0 

0  126  15  25  6  0  3  0 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

225 

225 

225 

200 

200 

200 

175 

175 

175 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

(36)  (26)  (37)  (42)  (43)  (35)  (29)  (14)  (10)  (20)  (13)   

Monat  Periode    

195   

250 

 

 

 

01  Act   

02  Act   

03  Act   

04  Act   

Aktionen zur Verbesserung der Bestände 

 

‐  ‐  ‐    

 

Abweichungserklärung (Act/Fc vs. Bud) 

   

‐  ‐  ‐ 

402

0  187  24  25  18  0  2  4 

214   

 

     

 

0  199  25  22  19  0  1  2 

229   

250 

 

 

260   

 

 

 

 

 

Aktionen zur Verbesserung der Bestände und Abweichungserklärungen  

     

 

268   

          

        

          

        

          

        

          

        

 

 

0    

  

  

  

05  Act   

06  Act   

07  Act   

08  Fc   

09  Fc   

10  Fc   

11  Fc   

12  Fc    

          

          

          

          

          

          

          

           

        

        

        

        

        

        

        

        

Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget                   Alle Zahlen in Tausend Euro (T€)                   Negative Zahlen werden in Klammern wiedergegeben 

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3.1

Allgemeine Grundlagen

Kennzahlen  (Ratios)  haben  die  Funktion,  schnell  und  aussagekräftig  über  betriebswirtschaftliche  Sachverhalte  zu  informieren  (vgl.  Binder  2019; Gladen 2014; Krause 2010; Krause 2016; Steger 2014). Sie stellen eine  Wiedergabe quantitativ erfassbarer Sachverhalte in konzentrierter Form  dar.  Zunehmend  werden  im  Kennzahlenmanagement  zur  Leistungsbe‐ wertung mit KPI, BPI und PPI neuartige Erfolgsparameter eingesetzt. 

E.3

Key Performance  Indicator und  weitere Messgrö‐ ßen 

 Key  Performance  Indicator  (KPI):  Key  Performance  Indicator  sind  echte  Spitzenkennzahlen.  Sie  besitzen  einen  hoch  strategischen  und  langfristigen  Charakter.  KPI  messen  in  der  Regel  nicht  exakt,  viel‐ mehr suchen sie eine Antwort darauf, wie es grundsätzlich um die Per‐ formance  steht.  Beispiele  für KPI in  der Supply  Chain  sind  Kunden‐ zufriedenheit und Order Fulfillment Time (Auftragsbearbeitungszeit). 

 Business  Performance  Indicator  (BPI):  BPI  sind  taktische  Kennzah‐ len  ausgewählter  Supply  Chain  Bereiche  (Funktionseinheit,  Business  Unit,  Profit  Center).  Die  oben  angesprochene  „Order  Fulfillment  Ti‐ me“  kann  in  die  Indikatoren  Beschaffungszeit,  Lagerzeit,  Verpa‐ ckungszeit und Auslieferzeit zerlegt werden. 

 Process  Performance  Indicator  (PPI):  Process  Performance  Indicator  sind  operative  Prozessgrößen  in  ausgewählten  Geschäftsbereichen.  Sie  messen  genau  („die  zweite  Stelle  hinter  dem  Komma“)  und  sind  mit  dem  Begriff  “Kennzahl”  im  engen  Sinn  gleichzusetzen.  Ausge‐ wählte PPI der „Beschaffungszeit“ stellen Bestellanforderungs‐, Mate‐ rialdispositions‐, Warenannahme‐ und Eingangskontrollzeit dar. 

Kennzahlen  ermöglichen  es,  einzelne  Vorgänge  miteinander  in  Verbin‐ dung zu setzen. Isoliert betrachtet sind Kennzahlen jedoch wenig aussa‐ gekräftig.  Erst  im  internen  oder  externen  Vergleich  gewinnen  sie  an  Bedeutung. Zum Beispiel bietet sich ein interner Zeitvergleich an, wenn  Kenngrößen mehrerer Perioden miteinander abgewogen werden. 

Erst der Vergleich  macht Kennzahlen  wirklich stark 

Die Begrifflichkeiten „Kennzahlenvergleich“ und „Benchmarking“ (vgl.  S. 342) werden zuweilen gleichgesetzt. In der vorliegenden Schrift wird  dieser  Vorgehensweise  jedoch  nicht  gefolgt:  Während  eine  Kennzahl  lediglich das „Wo“ aufzeigt (wo befindet sich ein Unternehmen im Wett‐ bewerb?), beschreibt ein Benchmarking das „Wie“ (wie ist es einer Orga‐

Kennzahlen als  unverzichtbarer  Bestandteil des  Benchmarkings 

403

E

Controlling der Supply Chain

nisation  gelungen,  eine  Best‐Practice‐Situation  einzunehmen?).  Bildlich  gesprochen  beschreibt  eine  Kennzahl  „lediglich“  den  Temperaturanzei‐ ger  eines  Heizkörpers.  Sie  ist  aber  nicht  das  Thermostat  (der  automati‐ sche  Temperaturregler).  Eine  Kennzahl  zeigt  an,  wo  ein  Unternehmen  steht. Doch den Weg in eine Best‐Practice‐Situation zeigt sie nicht auto‐ matisch auf.  Ich stimme mit der  Mathematik nicht  überein. Ich meine,  dass die Summe  von Nullen eine  gefährliche Zahl  ist.“                       (S. Jerzy Lec) 

Das  Kennzahlenmanagement  innerhalb  einer  Supply  Chain  befindet  sich  derzeit  im  Wandel.  Früher  wurden  ausschließlich  operative  KPI  eingesetzt.  Diese  bezogen  sich  auf  das  eigene  Unternehmen  und  seine  Segmente  (Standort,  Profit  Center,  Business  Unit).  In  Zeiten  modernen  Netzwerkmanagements  finden  hingegen  auch  strategische  Kennzahlen  Einsatz. Letzte zielen nicht nur auf die eigene Organisation, sondern auf  die  komplette  Wertschöpfungskette.  Eine  wichtige  Voraussetzung  für  die  Nutzung  strategischer  Kennzahlen  ist  die  möglichst  trennscharfe  Koordination  räumlich  oder  zeitlich  verteilter  Aktivitäten  innerhalb  einer Supply Chain. 

E.3.2 Systematisierung  von Kennzahlen 

Arten von Kennzahlen

In  der  vorliegenden  Schrift  werden  vier  Differenzierungsalternativen  von  Kennzahlen  unterscheiden.  Weitere  Abgrenzungsmöglichkeiten  –  wie  die  Unterteilung  in  normative  und  in  deskriptive  Kennzahlen  –  werden  nicht  aufgezeigt,  weil  sie  das  inhaltliche  Fortkommen  kaum  stärken. Die nähere Charakterisierung dieser Kennzahlenarten erfolgt in  den nachstehenden Abschnitten: 

 Statistische  Differenzierung:  Absolute  und  relative  Kennzahlen  (Glie‐ derungsabschnitt E.3.2.1). 

 Differenzierung nach der Zielrichtung: Erfolgs‐, Liquiditäts‐ und Wert‐ steigerungskennzahlen (Kapitel E.3.2.2). 

 Differenzierung nach der Erfolgswirksamkeit: Strategische und operati‐ ve Kennzahlen (Gliederungspunkt E.3.2.3). 

 Differenzierung  nach  dem  Objektbezug:  Leistungs‐  und  Kostenkenn‐ zahlen (Gliederungsabschnitt E.3.2.4). 

E.3.2.1 Statistische Unter‐ scheidung 

Absolute und relative Kennzahlen

Die  Geister  scheiden  sich,  wenn  es  darum  geht,  ob  bereits  ein Absolut‐ Wert als Kennzahl anzusehen ist (zum Beispiel der „Umsatz“ eines Un‐

404

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

ternehmens),  oder  ob  nicht  erst  durch  die  Relation  eine  Kennzahl  ent‐ steht (zum Beispiel der „Jahresüberschuss im Verhältnis zum Umsatz“).  Unter  die  relativen  Kennzahlen  werden  Gliederungszahlen,  Bezie‐ hungszahlen  und  Indexzahlen  gefasst  (vgl.  zur  Typologie  relativer  Kennzahlen Abbildung E.4). Während die Gliederungszahl ein „Teil des  Ganzen“  ist  (z.  B.  der  Marktanteil),  gibt  die  Beziehungszahl  eine  Nor‐ mierung von Basisdaten wieder (beispielsweise Umsatz pro Mitarbeiter  eines  Geschäftsjahrs).  Die  Indexzahl  hingegen  zeigt  die  Entwicklung  ausgewählter Größen über einen zeitlichen Horizont an. Ein Beispiel ist  die Preisentwicklung für Aluminium über die letzten zwölf Monate. 

Typologie relativer Kennzahlen 

Abbildung E.4 

Kennzahlentyp 

Aussage 

Beispiel 

Gliederungszahl 

Teil des  Ganzen 

Absoluter Marktanteil   in % 

Beziehungszahl 

Normierung von Basis‐ zahlen 

Umsatz pro Mitarbeiter  und Periode 

Indexzahl 

Beurteilung der zeitlichen  Entwicklung 

Preisindex  für Rohstoffe 

 

E.3.2.2

Erfolgs-, Liquiditäts- und Wertsteigerungskennzahlen

Unter die Erfolgskennzahlen fallen die Renditegrößen. Zunächst bietet  sich  zur  Berechnung  des  Unternehmenserfolgs  die  Umsatzrendite  an  (Return  on  Sales,  ROS).  Der  Return  on  Sales  berechnet  sich  aus  Größen  der  Gewinn‐  und  Verlustrechnung.  Bei  seiner  Ermittlung  wird  der  Ge‐ winn  in  das  Verhältnis  zum  erzielten  Umsatz  gesetzt.  Die  Größe  „Ge‐ winn“ ist in der Regel gleichzusetzen mit „Jahresüberschuss“.  ROS =

Gewinn × 100 Umsatz

„Erfolg haben  heißt, einmal mehr  aufstehen, als man  hingefallen ist.“  (W. Churchill) 

 

Eine  weitere  Erfolgskennzahl  ist  die  Eigenkapitalrendite  (Return  on  Equity, ROE), welche die Division von Gewinn zu Eigenkapital darstellt.  Während  der  Gewinn  aus  der  Erfolgsrechnung  eines  Unternehmens  hervorgeht, entstammt das Eigenkapital der Bilanz. 

405

Return on Equity 

E

Controlling der Supply Chain

ROE =

Gewinn × 100 Eigenkapital

Return on Total  Capital 

Wie die Umsatzrendite und die Eigenkapitalrendite, stellt auch die Ge‐ samtkapitalrendite (Return on Total Capital, ROTC) eine eher traditionel‐ le  Erfolgsgröße  dar.  Der  ROTC  ermittelt  sich  ebenfalls  aus  dem  „Ge‐ winn“. Folgende Definition der Gesamtkapitalrendite ist üblich: 

ROTC =

Moderne Indikato‐ ren zur Bestim‐ mung von Rendi‐ ten 

 

(Gewinn  FK ‐ Zinsen) × 100 Eigenkapit al + Fremdkapit al

Neben diesen drei tradierten Erfolgsgrößen gewinnen insbesondere der  Return  on  Capital  Employed  (ROCE)  sowie  der  Return  on  Assets  (ROA)  an  Bedeutung.  Sie  werden  auf  Bilanzpressekonferenzen  und  im  Rahmen von Kennzahlenvergleichen mittlerweile häufig berücksichtigt.  Beide  Key  Performance  Indicator  können  jeweils  als  die  erwirtschaftete  „Kapitalrendite“  eines  Unternehmens  verstanden  werden.  Die  Berech‐ nungsmöglichkeiten  von  ROCE  und  ROA  sind  den  folgenden  Definiti‐ onsblöcken zu entnehmen. 

ROCE =

EBIT × 100 Eingesetztes  Kapital

ROCE und ROA  auf dem Siegeszug 

 

 

Bei  der  Ermittlung  von  ROCE  ist  das  operative  Ergebnis  einer  Periode  (EBIT) in der Gewinn‐ und Verlustrechnung abzulesen. Das eingesetzte  Kapital  (Capital  Employed)  setzt  sich  aus  dem  Anlagevermögen  und  dem Net Working Capital – Vorräte, Forderungen sowie unverzinsliche  Verbindlichkeiten  –  zusammen  (vgl.  S.  452).  Im  Unterschied  zu  dem  Return  on  Capital  Employed,  leitet  sich  bei  der  Kennzahl  Return  on  Assets  der  Zähler  nicht  aus  dem  EBIT,  sondern  aus  dem  Rohertrag  ab  (Gross  Profit).  Bei  einem  näheren  Blick  auf  die  Gewinn‐  und  Verlust‐ rechnung findet bei der Überleitung des Rohertrags zum EBIT eine Ver‐ rechnung  von  Aufwendungen  und  Erträgen  über  folgende  drei  Blöcke  statt: 

 Marketing und Vertrieb (Marketing and Sales)   Allgemeine Verwaltung (Administration and General)   Forschung und Entwicklung (Research and Development)  406

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

ROA =

Gross Profit × 100 Eingesetzt es Kapital

E.3

 

Vermutlich  liegt  die  zunehmende  Verbreitung  von  ROCE  und  ROA  in  der Unternehmenspraxis darin begründet, dass eine Erfolgsberechnung  sich  nicht  länger  aus  dem  Jahresüberschuss  („Gewinn“)  ableitet.  Viel‐ mehr  werden  bei  der  Kapitalrendite  EBIT  oder  Rohertrag  als  echte  Er‐ folgsindikatoren angesehen, denn diese beiden Größen sind hochgradig  disponibel.  Sie  zeigen  unverblümt  den  operativen  Geschäftserfolg  auf.  Der Jahresüberschuss hingegen berechnet sich nach Zinsen und Steuern.  Bekanntlich sind die (Fremdkapital‐) Verzinsung sowie die Besteuerung  durch das Management kaum beeinflussbar, weil sie extern vorgegeben  werden. 

Disponibilität  besonders ausge‐ prägt 

Schließlich  stellt  der  Return  on  Investment  (ROI)  eine  weitere  Erfolgs‐ größe dar, die sich aus der Multiplikation von Umsatzrendite (Return on  Sales)  sowie  Kapitalumschlag  (Capital  Turnover)  errechnet.  Diesbezüg‐ lich  ist  die Aufschlüsselung  zu  einem  Kennzahlensystem  möglich  (Du‐ Pont‐Schema, vgl. Abbildung E.5). 

ROI als Kennzah‐ lensystem 

Ein  Supply  Chain  Manager  beeinflusst  die  Rentabilität  eines  Unter‐ nehmens  direkt  und  nachhaltig.  Folgendes  Beispiel  verdeutlicht  diesen  Gedanken (vgl. Abbildung E.6): Auf Grund eingeleiteter Aktivitäten zur  Bestandssenkung gelingt es einem Unternehmen, die Vorräte um 20% zu  senken.  Absolut  ausgedrückt,  vermindern  sich  die  Bestände  von  100  Millionen Euro auf nunmehr 80 Millionen Euro. Ceteris paribus bewirkt  dieser Effekt ein Absenken des Umlaufvermögens um 20 Millionen Eu‐ ro:  Es  vermindert  sich  von  110  Millionen  Euro  auf  90  Millionen  Euro.  Somit  reduziert  sich  das  Gesamtvermögen  ebenfalls  um  20  Millionen  Euro:  von  234  Millionen  Euro  auf  214  Millionen  Euro.  Basierend  auf  diesem Vermögensabbau erhöht sich der Kapitalumschlag deutlich von  2,31 auf 2,52. Turns Die Änderung der Spitzenkennzahl ROI ist ebenfalls  beachtlich.  Diese  steigt  von  12,82%  auf  14,03%.  Im  Ergebnis  lässt  das  herangezogene  Beispiel  folgende  Interpretation  zu:  Eine  Senkung  der  Vorräte um 20% verbessert den ROI um 1,21% Prozentpunkte (auf Basis  der verwendeten Zahlen). Dies entspricht einer relativen Renditesteige‐ rung von 9,5%. 

Bestände beeinflus‐ sen den ROI nach‐ haltig 

     

407

E Abbildung E.5 

Controlling der Supply Chain

Beispiel zur Berechnung des Return on Investment  Preis 2 + Umsatz 540.000 Gewinn 30.000

ROI 12,82%

Umsatz‐ rendite 5,56%

:

x

Umsatz 540.000

Kapital‐ umschlag 2,31

: Vermögen 134.000

Menge 270.000

‐ Kosten 510.000

Material 398.000 + Personal 102.000

Anlage‐ vermögen 124.000

+ Sonstiges 10.000

+ Umlauf‐ vermögen 110.000

Bestände 100.000 + Sonstiges 10.000

 

  Legende: Zahlen in Tausend Euro (T€); ausgenommen Prozentwerte.   

Auswirkungen der  Bestandsreduzie‐ rung richtig inter‐ pretieren 

Doch sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass oben beschriebenes  Beispiel der Vorratssenkung nur ceteris paribus gilt. Eine Verbesserung  der Rendite ausschließlich auf ein Absenken von Beständen zurückfüh‐ ren zu wollen, erscheint abenteuerlich: In dem charakterisierten Betrach‐ tungszeitraum wurden die Vorräte um 20% reduziert. Alle übrigen Grö‐ ßen blieben in ihrer Höhe jedoch unverändert. 

Komplementäres  versus konkurrie‐ rendes Verhalten 

Diese Annahme erscheint wenig realistisch. Eine Bestandssenkung „um  jeden Preis“ ruft Trade‐off‐Effekte regelrecht auf den Plan (Zielkonkur‐ renz).  Beispielsweise  wirken  sich  Bestandsreduzierungen  tendenziell  negativ  auf  Materialpreise,  Frachtkosten,  Produktionskosten  oder  Um‐ sätze aus. Diese negativen Auswirkungen könnten zu einer Verschlech‐ terung  der  Rentabilität  führten  (vgl. Abbildung  E.6).  Ein  Supply  Chain  Controller  müsste  die  positiven  Cash‐Flow‐Effekte  einer  Bestandsredu‐ zierung  mit  den  zu  erwartenden  Verschlechterungen  auf  den  EBIT  ge‐ genüberstellen,  um  eine  gesamtoptimale  Entscheidung  für  ein  Unter‐ nehmen treffen zu können. Die festgestellte Renditesteigerung von 9,5%  wäre so nicht mehr haltbar.    408

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Verbesserung des ROI durch Bestandssenkung 

E.3 Abbildung E.6  

Preis 2 Umsatz 540.000 Gewinn 30.000

ROI 14,03%

Umsatz‐ rendite 5,56%

:

x

Umsatz 540.000

Kapital‐ umschlag 2,52

:

‐ Kosten 510.000

Vermögen 214.000

+ Menge 270.000

Material 398.000 + Personal 102.000

Anlage‐ vermögen 124.000

+ Sonstiges 10.000

+ Umlauf‐ vermögen 90.000

Bestände 80.000 + Sonstiges 10.000

 

  Legende: Zahlen in Tausend Euro (T€); ausgenommen Prozentwerte. 

Der  Finanzmittelüberschuss  eines  Unternehmens  stellt  die  Dynamisie‐ rung  der  statischen  Liquidität  dar.  Er  ist  ein  Indikator  der  Ertragskraft.  Synonym wird der Finanzmittelüberschuss als Cash Flow bezeichnet. Im  einfachen Fall ermittelt sich der Cash Flow als Differenz zwischen Ein‐ zahlungen und Auszahlungen. Damit zeigt der Cash Flow die Fähigkeit  eines Unternehmens auf, Einzahlungsüberschüsse aus den betrieblichen  Leistungsprozessen zu generieren. Doch sind direkte Einzahlungen und  Auszahlungen  eines  Unternehmens  für  einen  Dritten  nicht  einsehbar.  Daher werden weitere Indikatoren aus dem Jahresabschluss als Grund‐ lage zur Berechnung eines Cash Flow herangezogen. 

Cash‐Flow‐ Betrachtung 

Der  Cash  Flow  dient  der  Abbildung  von  Finanzströmen  in  Supply  Chains.  Im  Order‐to‐Payment‐S  auf  S.  8  ist  er  in  den  unteren,  dritten  Bereich  einzuordnen.  Gerade  in  Krisenzeiten  (z.  B.  Corona)  achten  die  Unternehmen  verstärkt  auf  die  Sicherung  ihrer  Liquiditätskennzahlen.  Ein benachbarter Indikator des Cash Flow ist Working Capital. Die Grö‐ ße  hat  insbesondere  durch  das Aufkommen  des  Cash‐to‐Cash‐Cycle  in  den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance erfahren.  

“Money, get away,  get a good job with  more pay…“     (Pink Floyd) 

409

E Verschiedene Mög‐ lichkeiten der Cash‐ Flow‐Ermittlung 

Controlling der Supply Chain

Es  handelt  sich  bei  einem  Cash  Flow  um  keine  einheitlich  definierte  Kennzahl.  Vielmehr  existieren  etliche  Berechnungsmöglichkeiten,  um  einen  Finanzmittelüberschuss  zu  bestimmen.  Deshalb  ist  im  Rahmen  eines  Benchmarkings  über  den  Cash  Flow  dessen  Definition  genau  zu  beachten.  Eine  pragmatische  Ermittlungsmöglichkeit  zur  Berechnung  des  Cash  Flow  zeigt  der  nachstehende  Definitionsblock  auf  (vgl.  Alter  2016, S. 51; Lewe/Schneider 2004, S. 41; Probst 2012, S. 59).  Jahresüberschuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen ± Erhöhung/Verminderun g von  Rückstellu ngen

 

= ʺ Praktiker Cash Flowʺ

Erweiterter Cash  Flow 

Dieser „Praktiker Cash Flow“ gibt jedoch nicht wieder, dass ein Supply  Chain  Management  einen  mitunter  gewichtigen  Einfluss  auf  den  Fi‐ nanzmittelüberschuss ausübt. Daher ist unten der erweiterte Cash Flow  angegeben,  dessen  Definition  aufdeckt,  dass  Veränderungen  von  Be‐ ständen  und  Forderungen  den  Finanzmittelüberschuss  in  seiner  Höhe  direkt beeinflussen (vgl. Lewe/Schneider 2004, S. 42).  Jahresüberschuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen auf Vermögensw erte + Veränderun gen  Rückstellu ngen + Veränderun gen  Sonderpost en mit Rücklagena nteil

 

+ Veränderun gen Wertberich tigungen ‐ Veränderun gen Vorräte ‐ Veränderun gen Forderunge n ‐ Veränderun gen aktive RAP ‐ Aktivierte  Eigenleist ungen = Eweiterter Cash Flow

Cash Flows sind  sehr transparent 

Weitere  Ermittlungsmöglichkeiten  eines  Cash  Flow  werden  nicht  ver‐ folgt, um den Rahmen der Ausführungen nicht zu sprengen. Der Leser  sei auf die Fachliteratur verwiesen (vgl. Alter 2016, S. 19ff.; Krüger 2011,  S. 13; Lewe/Schneider 2004, S. 41ff.; Ossola‐Haring 2006, S. 108ff.; Reinecke  et  al.  2009,  S.  113ff.).  Dort  sind  Discounted  (Free)  Cash  Flow,  indirekter  Cash Flow, operativer Cash Flow und Netto Cash Flow definiert. 

410

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Schließlich werden nach ihrer Zielrichtung Wertsteigerungskennzahlen  unterschieden.  Der  wohl  bedeutsamste  Vertreter  dieser  Gattung  ist  der  Economic Value Added (EVA). Unter Gliederungspunkt E.4.4 findet sich  seine  ausführliche  Charakterisierung  (vgl.  S.  485).  Der  Economic  Value  Added  –  wie  auch  die  benachbarten  Konzepte  Market  Value  Added,  Economic  Profit,  Added  Value  oder  Cash  Value  Added  –  steigern  die  Transparenz  im  Wettbewerb.  Es  sind  Kennzahlen,  die  dem  Gedanken  des Shareholder Value folgen. 

E.3.2.3

E.3 Economic Value  Added 

Strategische und operative Kennzahlen

Strategische  Kennzahlen  zeichnen  sich  durch  eine  hohe  Erfolgswirk‐ samkeit  aus  (Effektivitätskennzahlen).  Zumeist  messen  sie  langfristige  Effekte.  Operative  Kennzahlen  hingegen  finden  zur  Bewertung  der  Effizienz  Berücksichtigung.  Beispielsweise  bewerten  sie  die  Wirtschaft‐ lichkeit logistischer Aktivitäten. Strategische wie auch operative Indika‐ toren können sich entweder auf ein komplettes Netzwerk (extern), oder  intern  ausrichten. Abbildung  E.7  zeigt  diesen  Zusammenhang  in  über‐ sichtlicher  Weise  auf  (vgl.  außerdem  Meyer  2011,  S.  125ff.;  We‐ ber/Wallenburg  2010,  S.  245ff.).  Selbstverständlich  sind  die  herangezoge‐ nen  KPI  nur  beispielhaft  zu  verstehen.  Sie  lassen  sich  außerdem  nicht  binär einem jeweiligen Feld zuordnen. 

„Strategie ist ein  System von Notbe‐ helfen.“                (H. Graf v. Moltke) 

Strategische und operative Kennzahlen 

Abbildung E.7 

                     Kennzahlart  Supply Ebene 

Strategische Kennzahlen 

Operative Kennzahlen 

‐  Gesamtdurchlauf SC  ‐  Gesamtkosten SC  Netzwerkkennzahlen  ‐  Time‐to‐Market SC  ‐  Gesamtlieferzeit SC 

‐  Cash‐to‐Cash‐Cycle  ‐  Schnittstellen SC  ‐  Kundenkontakte SC 

‐  Lagerumschlag  Interne Kennzahlen  ‐  Lieferservicegrad  ‐  Lieferflexibilität 

‐  Kosten pro Bestellung  ‐  Aufträge pro Jahr  ‐  Gängigkeit Bestände 

 

E.3.2.4

Leistungs- und Kostenkennzahlen

Schließlich können Leistungs‐ und Kostenkennzahlen kategorisiert wer‐ den.  Die  Performance  in  Supply  Chains  bezieht  sich  zumeist  auf  die 

411

Differenzierung nach  ihrem “Objektbezug” 

E

Controlling der Supply Chain

Einhaltung  zeitlicher  und  qualitativer  Vorgaben.  Ebenso  sind  jedoch  in  modernen  Wertschöpfungsnetzen  auch  Leistungskriterien,  wie  Anpas‐ sungsfähigkeit, Komplexität und Kooperationsbereitschaft zu bewerten.  Die  Kostenindikatoren  hingegen  beziehen  sich  beispielsweise  auf  Pro‐ zesskosten,  Qualitätskosten,  Bevorratungskosten,  Abstimmungskosten  und  Distributionskosten.  Abbildung  E.8  gibt  diesen  Sachverhalt  über‐ sichtlich wieder (vgl. auch Weber/Wallenburg 2010, S. 243ff.).  Abbildung E.8 

Leistungs‐ und Kostenkennzahlen 

                     Kategorie  Kennzahlentyp 

Kennzahlenkategorie 

‐  Geschwindigkeit  ‐  Qualität  Leistungskennzahlen  ‐  Anpassungsfähigkeit  ‐  Kooperation  ‐  Komplexität 

Kostenkennzahlen 

‐  Prozesskosten  ‐  Qualitätskosten  ‐  Bevorratungskosten  ‐  Abstimmungskosten  ‐  Distributionskosten 

Beispiel  ‐  Durchlaufzeit  ‐  Ausschussrate  ‐  Einrichtzeit  ‐  Gleiche Datensätze  ‐  Zahl Produktvarianten  ‐  Transaktionskosten  ‐  Rückrufkosten  ‐  Bestandskosten  ‐  Kommunikationskosten  ‐  Frachtkosten 

 

E.3.3 Grundsätzlicher  Aufbau der Typo‐ logie 

Kennzahlentypologie der Supply Chain

Im  Folgenden  wird  eine  zweidimensionale  Typologie  eines  Kennzah‐ lenmanagements der Supply Chain diskutiert. Prägend für die Elemente  der  ersten  Dimension  ist  die  Zunahme  an  Wertschöpfung.  Basierend  auf  der  Zerlegung  einer  unternehmensinternen  Supply  Chain,  stellen  Input,  Throughput  und  Output  die  drei  Kernbereiche  der  Logistikkette  dar.  Zur  Reduzierung  von  Opportunitätskosten  in  der  Supply  Chain,  werden  zusätzlich  Kennzahlen  des  Payments  berücksichtigt.  Unter  Be‐ zug  ihres  Wertschöpfungsbeitrags  kristallisieren  sich  folgende  Kenn‐ zahlengruppen heraus: 

 Input: Kennzahlen der Beschaffung   Throughput:  Kennzahlen  der  Lagerung,  der  Kommissionierung  und  der Produktion 

412

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

 Output: Kennzahlen der Distribution   Payment: Kennzahlen der Finanzströme  Die Zunahme an Wertschöpfung über die Stufen Input, Throughput und  Output resultiert insbesondere aus den Faktoren Personaleinsatz, Mate‐ rialverbrauch, logistische Abschreibungen sowie Betriebs‐ und Hilfsmit‐ telverbrauch. Diese Einflussgrößen reichen von der Materialbeschaffung  bis  zum  Versand  der  Fertigwarenbestände.  Das  vorgestellte  Kennzah‐ lensystem  ist  allerdings  nicht  ausschließlich  auf  den  direkten  Sektor  (Produktion,  Montage)  zu  beziehen.  Es  kann  sehr  wohl  auch  zur  Mes‐ sung von Aktivitäten im indirekten Bereich (Dienstleistungen, Service)  dienen. 

Wertschöpfungs‐ bezug 

In  der  zweiten  Dimension  der  Typologie  sind  verschiedene Arten  von  Kennzahlen aufgeführt. Die Kennzahlen des vorliegenden Systems wer‐ den in drei Bereiche unterteilt: 

Arten von Kenn‐ zahlen 

 Generische Kennzahlen (Strukturkennzahlen)   Kennzahlen zur Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitsbewertung   Qualitäts‐ und Service‐Kennzahlen  Bei der näheren Beschreibung der verschiedenen Kennzahlenarten die‐ ser Typologie ist zunächst der Begriff der generischen Größen zu klären.  Unter  die  generischen  Key  Performance  Indicator  fallen  strategische  und übergeordnete Größen, welche den jeweiligen Bereich einer Supply  Chain grundsätzlich prägen (strukturelle Kennzahlen). 

Struktur‐ kennzahlen 

Die zweite Kategorie unterschiedlicher Kennzahlenarten bezieht sich in  der  Typologie  auf  Produktivitäts‐  und  Wirtschaftlichkeitsindikatoren.  Produktivitätskennzahlen sind das Ergebnis bestimmter Output‐Input‐ Relationen. Häufig werden in diesem Zusammenhang Arbeitsprodukti‐ vitäten  gemessen:  Ein  Beispiel  dafür  sind  in  der  Kommissionierung  „Picks  pro  Stunde“.  Im  Rahmen  der  Ermittlung  von  Wirtschaftlich‐ keitskennzahlen bedarf es der Bewertung einer Produktivität über Auf‐ wendungen  (Erträge)  oder  Kosten  (Leistungen).  Wieder  auf  die  Kom‐ missionierung bezogen, sind dies beispielsweise „Kosten pro Pick“. 

Von der Produkti‐ vität zur Wirt‐ schaftlichkeit 

In  dem  dritten  Bereich  unterschiedlicher  Arten  von  Kennzahlen  des  Supply  Chain  Managements  finden  sich  Qualitäts‐ und  Serviceindika‐ toren (Zufriedenheitsindizes). Ein gewichtiger Vertreter dieser Kategorie  ist der Lieferservicegrad. 

Messgrößen von  Qualität und  Service 

413

E

Controlling der Supply Chain

Anspruch und  Aussagegehalt 

Diese  beiden  Dimensionen  der  Kennzahlentypologie  werden  in  den  folgenden  Kapiteln  mit  einer  Vielzahl  von  Key  Performance  Indicator  aufgefüllt.  Das  vorliegende  Konzept  erhebt  keinen  Anspruch  auf  Voll‐ ständigkeit. Auch können die Definitionen der Kennzahlen im Einzelfall  variieren.  In  der  Folge  wird  dennoch  der  Versuch  unternommen,  mit  den  hier  abgebildeten  Größen  die  wesentlichen  Werttreiber  eines  mo‐ dernen  Supply  Chain  Managements  erfasst  zu  haben.  Abbildung  E.9  zeigt eine zweidimensionale Matrix, in der sich die oben charakterisier‐ ten Inhalte wiederfinden. 

Abbildung E.9  

Struktur der Kennzahlentypologie einer Supply Chain                Wertschöp‐                           fung 

  Kennzahlenart 

Input 

Throughput 

‐ Beschaffung  ‐ Lagerung  ‐ Beistellung  ‐ Fertigung 

Output 

Payment 

‐ Distribution  ‐ Finanzen 

Generische Kenn‐ zahlen 

I.1 

II.1 

III.1 

IV.1 

Produktivitäts‐  und Wirtschaft‐ lichkeitskennzahlen 

I.2 

II.2 

III.2 

IV.2 

Qualitäts‐ und  Servicekennzahlen 

I.3 

II.3 

III.3 

IV.3 

 

E.3.3.1 Geringe Wert‐ schöpfung 

Input: Kennzahlen der Beschaffung

Der Input ist ein Sektor der Kennzahlentypologie mit niedrig ausgepräg‐ ter Wertschöpfung, da noch keine Materialveredelung stattgefunden hat.  Unter Bezug auf die Bestandsstruktur finden sich hier vor allem bezoge‐ ne  Rohmaterialien  und  Fertigungsteile  (Kaufteile).  Die  Kennzahlen  des  Inputs  einer  Supply  Chain  entstammen  insbesondere  der  Beschaffung. 

414

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Allgemein messen sie die Performance einer Lieferantenintegration (vgl.  zu Kennzahlen der Beschaffung einer Supply Chain Cohen/Roussel 2006,  S. 303ff.; Schulte 2017, S. 641ff.; Stollenwerk 2016, S. 91ff.; Strigl et al. 2004,  S. 143ff.). 

E.3.3.1.1 Generische Kennzahlen Zunächst  werden  die  absoluten  generischen  Kennzahlen  des  Inputs  einer Supply Chain aufgeführt (vgl. Feld I.1 in der Typologie‐Box sowie  den  nachstehenden  Kennzahlenblock).  Diesen  Größen  verfügen  über  eine ausgeprägte Affinität zum Einkauf und zur Disposition.  Anzahl Einkaufste ile. Einkaufsvo lumen. Anzahl Bestellpo sitionen. Anzahl Lieferante n.

 

Weiterhin finden sich in der Typologie etliche relative generische Kenn‐ zahlen  des  Inputs  einer  Supply  Chain.  Ein  Klassiker  unter  diesen  Grö‐ ßen ist der Preisindex. Seine begriffliche Klärung erfolgt im nachstehen‐ den Definitionsblock. Ferner fallen in dieses Segment der Typologie die  Kennzahlen  Volumenstruktur  sowie  Maverick‐Buying‐Quote  (auch  deren  Begriffsfindung  ist  unten  wiedergegeben).  Mit  Hilfe  von  Preisin‐ dizes wird die Leistung der Einkäufer gemessen (vgl. zur Materialpreis‐ abweichung  Gliederungspunkt  E.2.2.1  auf  S.  396).  Dazu  sind  möglichst  sämtliche Einflussfaktoren herauszurechnen, welche der Einkäufer nicht  direkt  verhandeln  kann.  Dazu  zählen  Währungseffekte,  Zoll  oder  Bör‐ senmaterialien.  Preisindex  (%) =

Allgemeine Be‐ schaffungskenn‐ zahlen 

Preis gezahlt × 100 Preis budgetier t

„Ein Zyniker ist  ein Mensch, der  von jedem Ding  den Preis und von  keinem den Wert  kennt.“                (O. Wilde) 

 

Der  Key  Performance  Indicator  Volumenstruktur  steigert  die  Transpa‐ renz  von  Beschaffungsaktivitäten,  indem  das  komplette  Einkaufsvolu‐ men  in  diverse  Warengruppen  („Commodity“)  heruntergebrochen  ist.  Mit  Hilfe  der  Differenzierung  von  Beschaffungswegen  (Hersteller,  Großhändler,  Einzelhändler,  Agenturen)  kann  die  Aussagekraft  dieser  Kennzahl gesteigert werden. 

415

Volumen pro  Commodity ermit‐ teln

E

Controlling der Supply Chain

Struktur  Volumen  (%) =

Wilder Einkauf 

Einkaufsvo lumen  pro Materialar t × 100

 

Totales Einkaufsvo lumen  pro Jahr

Der  Begriff  Maverick‐Buying  (Rahmenvertragsquote)  wurde  in  der  vorliegenden Schrift bereits geklärt (vgl. S. 41). Kurz gesagt, steht er für  eine  Warenbeschaffungsart,  die  nicht  auf  Basis  existenter  Rahmenver‐ träge vorgenommen wird. Dadurch können insbesondere die Total Cost  of  Ownership  (vgl.  S.  36)  negativ  beeinflusst  sein.  Mit  Hilfe  der  Mave‐ rick‐Buying‐Quote ist dieser Missstand aufzudecken. 

Maverick ‐ Buying ‐ Quote  (%) =

Einkaufsvo lumen  RV × 100

 

Totales  Einkaufsvo lumen

E.3.3.1.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Kennzahlen im  Überblick 

In Feld I.2 der Matrix treffen die beiden Dimensionen Input sowie Pro‐ duktivitäts‐  und  Wirtschaftlichkeitskennzahlen  aufeinander.  Die  hier  charakterisierten  Indikatoren  zur  Leistungsmessung  sind  Sendungen  pro  Tag,  Warenannahmezeit  je  Sendung,  Wareneingangskontrollen  pro  Tag,  Warenannahmekosten  je  Sendung  sowie  Wareneingangskontroll‐ kosten pro Tag. 

Produktivität im  Wareneingang 

Die Kennzahl Sendungen pro Tag misst die Produktivität der Mitarbei‐ ter  innerhalb  der  Warenannahme.  Im  Rahmen  eines  Kennzahlenver‐ gleichs  von  Sendungen  pro  Tag,  ist  die  Bedeutung  unterschiedlicher  Hilfsmittel zur Warenvereinnahmung herauszustellen (wie Barcode oder  RFID).  Diese  Instrumente  beeinflussen  die  Supply  Chain  Performance  nachhaltig und können die Ergebnisse eines Benchmarkings verfälschen. 

Sendungen  pro Tag =

Kostentreiber der  Beschaffung 

Anzahl eingehende Sendungen Anzahl Mitarbeite rstunden

 

Ein weiterer Vertreter zur Beurteilung einer Produktivität innerhalb der  Wertschöpfungskette  ist  die  Warenannahmezeit  pro  Sendung.  Ceteris  paribus  treiben  überproportional  lange  Warenvereinnahmungen  die  Prozesskosten  in  die  Höhe,  weil  die Aktivitäten  an  Effizienz  einbüßen.  Daher  sind  in  diesem  Fall  die  Gründe  für  niedrige  Produktivitäten  in  der  Warenannahme  herauszuarbeiten  –  und  diese  Defizite  möglichst  rasch abzustellen.   

416

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Annahmezei t pro Sendung =

Warenannahmezeit  insgesamt Anzahl eingehende Sendungen

 

In der Unternehmenspraxis zeigt sich der Trend, die Raten durchgeführ‐ ter Wareneingangskontrollen (WEK) zu senken. Dadurch sollen Hand‐ lingskosten  und  Personalkosten  eingespart  werden.  Mit  Hilfe  dieser  Produktivitätskennzahl ist zu überprüfen, ob dieses Ziel erreicht wurde.  WEK  pro Tag =

Anzahl  Kontrollen  im WE Anzahl  WE pro Tag

Kosten  Warenannah me insgesamt Anzahl  eigehende  Sendungen   je Tag

Kosten   je Kontrolle  Wareneinga ng Anzahl  eingehende  Waren   je Tag

Wirtschaftlichkeit  des Wareneingangs 

 

Schließlich sind die Wareneingangskontrollkosten pro Tag zu ermitteln.  Diese  Wirtschaftlichkeitskennzahl  ist  wichtig  für  die  Berechnung  von  Transaktionskosten  innerhalb  eines  Supply  Chain  Managements.  Mit  Hilfe  einer  intensivierten  Zulieferintegration  (verbunden  mit  der  Mög‐ lichkeit, Aktivitäten des Kunden auf den Lieferanten zu verlagern) wird  derzeit in der Unternehmenspraxis der Versuch unternommen, die Kos‐ ten für Wareneingangskontrollen drastisch zu senken.  Kosten  für Kontrollen  im WE =

Eingangskontrollen  verschlingen Geld 

 

Der  Wirtschaftlichkeitsindikator  Warenannahmekosten  je  Sendung  findet  im  Rahmen  der  Bestimmung  von  Prozesskostensätzen  innerhalb  der  Beschaffung  breiten  Einsatz.  Mögliche  Kostentreiber  können  das  Warenhandling und der Personaleinsatz sein.  Kosten  Annahme   je Sendung =

E.3

Vertrauensindex  innerhalb der  Wertschöpfungs‐ kette 

 

E.3.3.1.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Schließlich  erfolgt  unter  diesem  Gliederungsabschnitt  für  das  Segment  Input eine Beschreibung von Qualitäts‐ und Servicekennzahlen (vgl. in  der Kennzahlentypologie Feld I.3). Der „König“ unter diesen Größen ist  der Lieferservicegrad. Im Allgemeinen misst er den Prozentsatz an Auf‐ trägen,  die  ein  Lieferant  vereinbarungsgemäß  abarbeiten  konnte.  Dabei  sind  qualitative,  quantitative  und  zeitliche Abweichungen  von  Zielvor‐ gaben grundsätzlich denkbar. 

417

„The king is gone,  but he’s not forgot‐ ten, this is the story  of a Johnny Rot‐ ten…“              (Neil Young) 

E Auftragsgerechte  Bestellungen 

Controlling der Supply Chain

Der eingehende Servicegrad misst den Prozentsatz von termin‐, mengen‐  und  qualitätsgerechten  Anlieferungen.  Diese  Kennzahl  bewertet  die  Warenverfügbarkeit eines Kunden.  Servicegra d (%) =

„Forget all about  equality. We call it  master and serv‐ ant…“             (Depeche Mode) 

Anzahl auftragsge rechte Bestellpo sitionen   100

Als  „Unterkennzahlen“  des  eingehenden  Servicegrads  finden  die  Zu‐ rückweisungsquote  und  die  Verzögerungsquote  Einsatz.  Deren  nähere  Kennzeichnung  erfolgt  nachstehend.  Beide  Indikatoren  stehen  für  die  Güte  von  Lieferantensendungen.  Die  Zurückweisungsquote  gibt  den  Prozentsatz für Lieferungen an, welche unter qualitativen, quantitativen  oder  zeitlichen  Defiziten  leiden.  Diese  Schwierigkeiten  müssen  nicht  unbedingt  die  Ware  selbst  betreffen.  Sie  können  beispielsweise  auch  in  einer  beschädigten  oder  verdreckten  Mehrwegverpackung  begründet  liegen.   Sendungen  abgewiesen  (%) =

Wer zu spät  kommt... 

Anzahl Zugänge  abgewiesen  100 Anzahl Zugänge  insgesamt

 

Die Verzögerungsquote bemisst ausschließlich die zeitliche Güte einge‐ hender  Warenlieferungen.  Dieser  Performance  Indicator  ermittelt  somit  den Prozentsatz von Lieferrückständen („Logistics Backlogs“). 

Backlogs  (%) =

Anzahl Zugänge  verspätet   100 Anzahl  Zugänge  insgesamt

E.3.3.2 Throughput als  Supply Chain  Komponente 

 

Anzahl Bestellpo sitionen  insgesamt

 

Throughput: Kennzahlen der Lagerung, der Kommissionierung und der Produktion

Nachdem  die  Kennzahlen  des  Inputs  oben  näher  gewürdigt  wurden,  findet  im  Anschluss  eine  Charakterisierung  des  Bereichs  Throughput  statt.  Mit  zunehmender  Wertschöpfung  werden  darunter  die  drei  Seg‐ mente  Lagerung,  Kommissionierung  und  Produktion  subsumiert.  Zu  möglichen  Kennzahlen  des  Throughputs  vgl.  Cohen/Roussel  2006,  S.  305ff.;  Gunasekaran  et  al.  2001,  S.  80ff.;  Krüger  2014,  S.  87;  Ossola‐Haring  2006, S. 357ff.; Reinecke et al. 2009, S. 113; Schulte 2017, S. 650ff.; Siegwart  2002, S. 98ff.; Strigl et al. 2004, S. 165ff.; Weber 2010, S.55ff. 

418

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

E.3.3.2.1 Generische Kennzahlen Die Beschreibung der Performanz‐Indikatoren des Throughputs beginnt  wiederum mit den generischen Kennzahlen (vgl. Feld II.1 in der Kenn‐ zahlentypologie).  Analog  zur  Diskussion  um  die  Inhalte  des  Inputs,  finden sich im nachstehenden Kennzahlenblock zunächst einige absolu‐ te Werte. 

Übergeordnete  Absolut‐Werte 

Anzahl gelagerter  Artikel. Anzahl Verpackung seinheiten . Menge gelagerter  Teile. Anzahl Lagervorgä nge.

 

Auftragsvo lumen. Anzahl zu disponiere nder Artikel. Anzahl Auftragsei ngänge.

Bei  der  Charakterisierung  relativer  Größen  der  Lagerwirtschaft  ragen  zwei  Indikatoren  heraus:  Die  Umschlagshäufigkeit  und  die  Reichweite  des Lagers. Die Lagerumschlagshäufigkeit (Turn Rate) stellt eine strate‐ gische  Kennzahl  dar,  welche  für  das  (Top‐)  Management  und  die  Lo‐ gistikleitung von großer Bedeutung ist. Für das Tagesgeschäft hingegen  ist die Turn Rate nur von geringem Nutzen, da sie eine Verdichtung von  Sachnummern darstellt (zum Beispiel auf Produktlinienebene) und den  Disponenten im operativen Tätigkeitsfeld kaum Dienste erweist. 

Turn Rate als  strategischer Indi‐ kator 

Eine Turn Rate gibt an, wie oft die Bestände pro Periode, zumeist bezo‐ gen  auf  ein  Geschäftsjahr,  im  Lager  ausgetauscht  werden  (sich  „um‐ schlagen“).  Ihre  Berechnung  erfolgt  aus  Größen  der  Gewinn‐  und  Ver‐ lustrechnung (Umsatz oder Herstellungskosten des Umsatzes) sowie der  Bilanz (durchschnittlicher Lagerbestand). Die Vorräte sind möglichst im  Durchschnitt anzugeben, weil ein Absolut‐Wert zum Jahresabschluss zu  einer  Verfälschung  der  tatsächlichen  Verhältnisse  führen  könnte.  Da  Umsatz  und  Lagerbestand  aus  dem  Geschäftsbericht  leicht  abzulesen  sind  (zumindest  gilt  dies  für  publikationspflichtige  Gesellschaften),  findet  die  unten  dargestellte  Berechnung  einer  Turn  Rate  aus  externer  Sicht (Investor Relations) häufig Anwendung. 

Auch für Dritte  nachvollziehbar 

Turn Rate (Investor  Relations) =

Umsatz  (Herstellu ngskosten) Durchschni ttlicher  Lagerbesta nd

 

419

E Beispiel zur Turn‐ Rate‐Berechnung 

Controlling der Supply Chain

Ein  Beispiel  zur  Ermittlung  einer  Turn  Rate  unterstreicht  die  Ausfüh‐ rungen: Ein mittelständischer Automobilzulieferer erzielt einen Umsatz  von 500 Millionen Euro. In der Bilanz verbucht diese Organisation einen  Bestand  von  60  Millionen  Euro.  Daraus  errechnet  sich  eine  Lagerum‐ schlagshäufigkeit von 8,3 pro Jahr.  8,3 Turns =

Interne Lagerum‐ schläge über Mate‐ rialverbräuche 

500.000.000 Euro 60.000.000 Euro

Für interne Ermittlungen der Turn Rate kann in der Berechnungsformel  im Zähler der Wareneinsatz (synonym: Materialverbrauch) den Umsatz  ersetzen. Diese Berechnung der Lagerumschlagshäufigkeit ist sicherlich  „schärfer“.  Jedoch  verschließt  sie  die  Möglichkeit  eines  externen  Kenn‐ zahlenvergleichs, da der Wareneinsatz für einen Dritten nicht einsehbar  ist. 

Turn Rate (Interne Berechnung) =

Operatives  Schwergewicht des  Lagers 

 

Materialve rbrauch Durchschnittlicher Lagerbestand

 

Im Gegensatz zur Umschlagshäufigkeit stellt die Reichweite des Lagers  (Days  on  Hand,  Ranges)  eine  operative  Kennzahl  des  Warehouse  Mana‐ gements  dar.  Dieser  Indikator  wird  bis  auf  die  einzelne  Sachnummer  heruntergebrochen  und  hilft  dem  Disponenten  bei  der  täglichen  Steue‐ rung  seines  Vorratsvermögens.  Von  der  Semantik  her  leicht  ableitbar,  gibt  diese  Kennzahl  an,  wie  viele  Tage  (Wochen,  Monate)  der  Vorrat  einer Materialart auf Lager „ausreicht“. Zum Teil finden sich in der Lite‐ ratur  synonym  die  Bezeichnungen  „Lagerdauer“  und  „Eindeckzeit“  (vgl.  Krüger  2014,  S.  129;  Lewe/Schneider  2004,  S.  111).  Analog  zur  Um‐ schlagshäufigkeit,  ist  zunächst  wiederum  die  externe  Berechnungsme‐ thode (Investor‐Relations) aufgezeigt. Anschließend werden zwei inter‐ ne  Möglichkeiten  zur  Definition  von  Lagerreichweiten  diskutiert:  die  vergangenheitsorientierte  und  die  zukunftsorientierte  Eindeckzeit.  Die  retrospektive  Lagerreichweite  wird  reziprok  zur  Umschlagshäufigkeit  berechnet (vgl. unten): 

Ranges (Investor Relations) =

420

Durchschnittlicher Lagerbestand Umsatz (Umsatzkosten)

 

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Das herangezogene Beispiel zur Kalkulation einer Lagerumschlagshäu‐ figkeit (vgl. S. 420) wird hier aufgegriffen und fortgeführt. Dazu ist der  durchschnittliche  Bestand  mit  den  Kalendertagen  (oder  Wochen)  eines  Jahres  zu  multiplizieren  und  durch  den  Umsatz  zu  dividieren.  Die  Reichweite  der  Vorräte  beträgt  durchschnittlich  43,2  Tage.  Schließlich  kann  eine  Probe  vorgenommen  werden:  Die  Umschlagshäufigkeit  (8,3)  wird mit der Reichweite (43,2) multipliziert. Das Ergebnis von 360 ergibt  die Kalendertage eines gesamten Jahres.  43,2 Tage =

60.000.000 Euro x 360 Tage 500.000.00 0 Euro

Bestand Verbrauch

Bestand Bedarf

Verbrauch als  Berechnungsbasis 

 

Ein  Bedarf  ermittelt  sich  hingegen  bei  der  zukunftsorientierten  Reich‐ weite  aus  den  Liefer‐  und  den  Feinabrufen.  Für  „schwierige“  Kunden,  die  ihre  Bestellungen  häufig  ändern  und  somit  nur  über  eine  geringe  Absatzprognosegenauigkeit  verfügen,  ist  die  Bestandssteuerung  über  eine zukunftsgerichtete Reichweite nicht empfehlenswert.  Interne Reichweite des Lagers (prospektiv) =

Berechnung der  Lagerreichweite 

 

Die  Heranziehung  einer  vergangenheitsfokussierten  Reichweite  bietet  sich  für  Unternehmen  an,  deren  Geschäft  saisonalen,  trendgetriebenen  oder  konjunkturbedingten  Schwankungen  unterworfen  ist.  Der  vergan‐ gene  Verbrauch  bezieht  sich  auf  die  im  Rahmen  einer  Fertigung  oder  Montage bereits verbauten Vorräte. 

Interne  Reichweite  des Lagers  (retrospek tiv) =

E.3

Nicht für jedes  Geschäft geeignet 

 

Die Lagerumschlagshäufigkeit und die Lagerreichweite sind zwei wich‐ tige Indikatoren zur Leistungsmessung des Warehouse Managements. In  den  nachstehenden  Definitionsblöcken  werden  zusätzliche  generische  Kennzahlen  diskutiert,  welche  im  Lagerwesen  eingesetzt  werden  (vgl.  insbesondere Krüger 2014, S. 95; Schulte 2017, S. 652ff.). 

Weitere Kennzah‐ len des Lagerwe‐ sens 

Bedeutsamen  Einfluss  auf  die  Lagerbewirtschaftung  üben  die  Hand‐ lingskosten  aus.  Opportunitätskosten  (entgangene  Zinsgewinne)  und  Fehlmengenkosten  (auf  Grund  von  Unterbeständen)  werden  bei  der  Ermittlung des Lagerkostensatzes hingegen nicht berücksichtigt. Darun‐ ter leidet die Aussagekraft dieser Kennzahl. Folglich sollte die konventi‐

Erweiterte Lager‐ kostensätze definie‐ ren 

421

E

Controlling der Supply Chain

onelle  Berechnung  von  Lagerkostensätzen  (die  Division  von  Lagerkos‐ ten  zu  durchschnittlichen  Lagerbeständen)  um  Zinskosten  und  Fehl‐ mengenkosten erweitert werden.  Kostensatz Lagerung + Zinssatz (des gebundenen  Kapitals) + Kosten für Fehlmengen

 

= Kostensatz Lagerung  erweitert

Hohe Fixkosten‐ anteile 

Der  Flächennutzungsgrad  ist  ein  Indikator  für  die  Fixkostenbelastung  des  Lagers:  Ein  geringer  Flächenauslastungsgrad  (hervorgerufen  durch  hohe  Leerstandraten)  zeugt  von  einer  überproportionalen  Fixkostenbe‐ lastung,  beispielsweise  durch  Mieten  und Abschreibungen.  Die  Fixkos‐ ten werden nämlich auf relativ wenige Produktionseinheiten umgelegt.  Außerdem weist ein ausgeprägter Flächennutzungsgrad vielfach auf die  Notwendigkeit zur Lagererweiterung oder zum Outsourcing hin.  Flächennut zung (%) =

Lagerflächen besser  ausnutzen 

Auslastung  Lager (belegte Fläche Regal)  100 Kapazität  Lager (Gesamtflä che)

Mit Hilfe des Lagerflächenanteils wird die Bedeutung einer Lagerfläche  ermittelt.  Nach  Schulte  (vgl.  Schulte  2001,  S.  484)  liegt  die  Relation  der  Fertigungsfläche zur Lagerfläche in der Praxis zumeist zwischen 0,6 und  1,6.  Mit  einer  Verringerung  der  Lagerfläche,  wird  die  verbesserte  Flä‐ chennutzung  erreicht,  welche  zur  Effizienzsteigerung  der  Produktions‐ steuerung führt (Zunahme an „Lagerdichte“).  Fläche Lagerung  (%) =

Hermaphrodit  zwischen den  Fronten 

 

Fläche  Fertigung  100 Fläche  Lager

 

Die  Kennzahl  Vorratsquote  ist  eine  Hybridgröße  und  steht  zwischen  den  Welten  der  Logistik  („Anzahl  bevorrateter  Güter“  im  Zähler)  und  des  Einkaufs  („Anzahl  beschaffter  Artikel“  im  Nenner).  Der  Nachteil  dieser  Größe  ist,  dass  sie  zwar  über  die  Menge  bevorrateter  und  be‐ schaffter Artikel Aufschluss gibt, jedoch den Wert von Gütern vernach‐ lässigt.  Deshalb  ist  dieser  Leistungsindikator  möglichst  um  die  Reich‐ weite oder die Turn Rate zu ergänzen. 

422

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Vorratsquote (%) =

Anzahl bevorrateter Güter  100 Anzahl beschaffter Artikel

 

Im  Anschluss  an  die  Darstellung  generischer  Kennzahlen  des  Wa‐ rehouse  Managements  erfolgt  in  den  weiteren Ausführungen  eine  Dis‐ kussion ausgewählter generischer Indikatoren einer Kommissionierung  (vgl.  die  nachstehenden  Definitionsblöcke  „Kommissionier‐Positionen  pro  Auftrag“  und  „Automatisierungsgrad  der  Kommissionierung“).  Den Manager einer Wertschöpfungskette interessiert nicht nur die bloße  Anzahl  der  Kommissionierungen,  sondern  auch  deren  Zuordnung  zu  Aufträgen:  Um  beispielsweise  auf  Basis  dieser  Informationen  spätere  durchschnittliche Bearbeitungszeiten pro Mitarbeiter zu errechnen.  Picks pro Auftrag =

Picks insgesamt Anzahl Aufträge

Pickvorgänge  bewerten 

 

Die  Kennzahl  Automatisierungsgrad der  Kommissionierung  gibt Auf‐ schluss  über  den Anteil  händischen  Eingreifens  im  Rahmen  der  Bereit‐ stellung:  Ein  niedriger  Automatisierungsgrad  lässt  auf  hohe  Personal‐  und Handlingskosten für Pickvorgänge schließen. 

 Picks automatisi ert =

E.3

Maschinelle vs.  manuelle Kommis‐ sionierung 

Picks automatisi ert  100 Picks insgesamt

 

Schließlich sind für das Segment Throughput noch die generischen Key  Performance  Indicator  einer  Produktion  zu  untersuchen.  Die  erste  hier  vorgestellte  Kennzahl  „Flächenanteil  der  Verkehrswege“  stellt  den  di‐ rekten Übergang zur Kommissionierung dar (diese Größe könnte ebenso  unter die Bereitstellung gefasst sein). 

KPI der Fertigung 

Je  großzügiger  die  Flächenanteile  der  Verkehrswege  in  der  Halle  ge‐ wählt  werden,  desto  weniger  Raum  steht  für  Produktion  und  Logistik  zur  Verfügung.  Über  Simulationen  lassen  sich  die  Verkehrswege  des  Lagerbereichs optimieren.  

Verkehrswege  schlucken Fläche 

Anteil  Fläche  Verkehrswe ge (%) =

Fläche  der Verkehrswe ge  100 Fläche  Produktion

 

423

E Outsourcing vs.  Insourcing 

Controlling der Supply Chain

Die Fertigungstiefe beziffert den Anteil der Selbsterstellung (Eigenferti‐ gung)  am  Umsatz. Anders  ausgedrückt,  misst  diese  Kennzahl  die  Out‐ sourcing‐Quote  eines  Unternehmens.  Zur  Ermittlung  der  Wertschöp‐ fung  sind  die  Vor‐  und  die  Fremdleistungen  von  den  selbst  erstellten  Leistungen zu subtrahieren. 

Fertigungs tiefe (%) =

Wie wird „Anpas‐ sungsfähigkeit“  gemessen? 

Wertschöpfung  100 Umsatz

 

Eine  Upside  Production  Flexibility  (Lieferflexibilität)  ist  integrativer  Bestandteil  von  SCOR  (vgl. zu  SCOR  S.  70).  Sie  bemisst  die  Zeitspanne  in Tagen, welche ein Unternehmen zur Befriedigung eines ungeplanten  Nachfrageschubs  benötigt.  SCOR  geht  von  einer  nicht  vorhersehbaren  Steigerung der Kundenbestellungen um 20% aus. Kennzahlenvergleiche  (vgl. S. 82) zeigen auf, dass in Zeiten moderner IT – verbunden mit den  Möglichkeiten  zur  unternehmensübergreifenden  Kommunikation  –  die  Marktpartner  zur  Befriedigung  einer  plötzlichen  Nachfrage  nur  noch  wenige Wochen benötigen. Ende der fünfziger Jahre maß Forrester (For‐ rester‐Aufschaukelung), dass Organisationen circa ein Jahr daran arbei‐ teten,  um  auf  einen  ungeplanten  Nachfrageschub  von  10%  adäquat  zu  reagieren. Der Bullwhip‐Effekt ist mit Hilfe moderner IT (welche einem  verbesserten  Informationstransfer  zwischen  den  Partnern  dient)  dem‐ nach zwar nicht gänzlich besiegt, aber zumindest eingedämmt worden.  Ein  Bullwhip‐Effekt  beschreibt  den  logistischen  Peitschenschlag:  Über  die Stufen einer Logistikkette schaukeln sich Bestände stufenweise hoch.  Angebot  und  Nachfrage  befinden  sich  nicht  im  Abgleich.  Mögliche  Gründe  für  das  Entstehen  eines  logistischen  Peitschenschlags  liegen  in  fehlerhaften Absatzprognosen,  sprunghaftem  Bestellverhalten  der  Kun‐ den (zum Beispiel über Verkaufsförderungsmaßnahmen hervorgerufen),  angesammelten  Bestellvorgängen  sowie  forcierten  Rabattaktionen  des  Handels (vgl. ausführlich S. 47).  Upside  Production  Flex. (%) = Zeitspanne  in Tagen, zur Befriedig ung einer  nicht  geplanten  Steigerung  der Nachfrage  von 20%.

Entsorgung und  Recycling gewin‐ nen an Bedeutung 

 

Nicht  nur  die  Kennzahlen  der  Versorgung  dienen  zur  Bewertung  von  Produktionsprozessen. Auch  KPI  für  Entsorgung  und  Recycling  finden  hier  Einsatz.  Ein  Beispiel  dafür  ist  die  Recyclingquote.  Mit  ihr  ist  der  Anteil verwendeter oder verwerteter Materialien zu ermitteln, welche in  den  Produktionsprozess  zurückgeführt  werden.  In  manchen  Branchen 

424

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

steigt  dieser  Wert,  auf  Grund  der  Verknappung  oder  der  Verteuerung  von Ressourcen, fast automatisch (Green Supply Chains). 

Quote Recycling  (%) =

Anteil  recyceltes  Material   100 Verbrauch  Material  insgesamt

 

E.3.3.2.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Die  Inhalte  dieses  Gliederungsabschnitts  widmen  sich  Feld  II.2  der  Kennzahlentypologie.  Hier  treffen  die  beiden  Dimensionen  „Through‐ put“  sowie  „Produktivitäts‐  und  Wirtschaftlichkeitskennzahlen“  aufei‐ nander.  Im  ersten  Schritt  werden  diverse  Lagerkennzahlen  dieses  Seg‐ ments  beschrieben.  Im Anschluss  findet eine  nähere  Untersuchung  von  KPI der Kommissionierung und der Produktion statt. 

„See I’m leaving,  this warehouse  frightens me…“  (D. Matthews  Band) 

Mit der Kennzahl Lagerbewegungen je Mitarbeiter wird die Produkti‐ vität der Mitarbeiter des Lagers bewertet. Bei einem Benchmarking die‐ ser  Kennzahl  ist  zu  beachten,  dass den  Mitarbeitern  sehr  unterschiedli‐ che  Hilfsmittel  (Förderzeuge)  zur  Verfügung  stehen  können,  wodurch  die Gefahr besteht, „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. 

Eingeschränkte  Vergleichbarkeit 

Lagerwegun gen  je Mitarbeite r =

Anzahl Lagerbewegungen insgesamt Anzahl Mitarbeite r im Lager

 

Der  Raumnutzungsgrad  zeigt  an,  wie  effizient  die  zur  Verfügung  ste‐ hende  Lagerfläche  in Anspruch  genommen  wird.  Ein  wesentlicher  Ein‐ flussfaktor  ist  die  potenzielle  Stapelbarkeit  der  Waren  selbst  oder  ihrer  Verpackungsträger.  Als  Entscheidungsalternativen  bieten  sich  Großla‐ dungsträger oder Kleinladungsträger an. 

Raumnutzun gsgrad des Lagers (%) =

Lagergutvo lumen  100 Lagerraumv olumen

Den Platzdieben  auf der Spur 

 

Die  durchschnittlichen  Lagerplatzkosten  ermitteln  die  Wirtschaftlich‐ keit  des  Lagers.  Allerdings  sollte  diese  Kennzahl  mit  dem  Raumnut‐ zungsgrad  (vgl.  oben)  kombiniert  berechnet  werden,  da  ansonsten  das  Volumen  der  zur  Verfügung  stehenden  Lagerplätze  unberücksichtigt  bliebe. 

425

Kosten der Lage‐ rung erfassen 

E

Controlling der Supply Chain

Kosten  pro Lagerplatz =

Hoher Personal‐ kostenanteil 

Kosten  Interieur  Lager  insgesamt Plätze  Lager  insgesamt

 

Der  Zähler  der  Kennzahl  Kosten  pro  Lagerbewegung  leitet  sich  insbe‐ sondere aus  Personal‐ und Sachkosten der Lagerwirtschaft ab. Im Kern  gibt der Indikator an, welche Aufträge in ihrer Art oder auf Grund ihrer  Größe besonders hohe Kosten verursachen.  Kosten  pro Lagerbeweg ung =

Kosten  Lager Zugang  Lager  / Abgang  Lager

 

Produktivität und  Wirtschaftlichkeit  der Beistellung 

Im  Anschluss  an  die  Kennzeichnung  ausgewählter  Lagerkennzahlen  werden  nachstehend  Key  Performance  Indicator  für  eine  Kommissio‐ nierung  diskutiert,  welche  zur  Bestimmung  von  Produktivitäten  oder  Wirtschaftlichkeiten dienen. Die im Folgenden dargestellten Kennzahlen  sind  Kommissionierungen  je  Mitarbeiter,  Kommissionieraufträge  pro  Mitarbeiter sowie Kosten pro Kommissionierauftrag. 

Wie produktiv sind  die Lagermitarbei‐ ter? 

Ein Kommissionier‐Vorgang wird als „Picken“ bezeichnet. Daher ist die  Kennzahl  „Kommissionierungen  pro  Mitarbeiter“  auch  als  Picks  pro  Mitarbeiter  bekannt.  Sie  misst  die  Produktivität  der  Werktätigen  des  Lagers.  In  Kombination  mit  dem  Automatisierungsgrad,  der  auch  pro  Mitarbeiter gemessen werden kann, gewinnt diese Größe an Gewicht.  Picks   je MA (%) =

Picks in Aufträgen  verdichten 

Als  Ergänzung  zu  den  „Picks  pro  Mitarbeiter“  dient  der  Key  Perfor‐ mance Indicator Kommissionieraufträge pro Mitarbeiter. Die Kennzahl  misst die abgearbeiteten Aufträge je Mitarbeiter. Sie gibt Aufschluss über  den Umfang eingehender Kundenbestellungen.  Aufträge   je Pick  und MA 

Pickvorgänge in  ihrer Art differen‐ zieren 

Picks  100 MA Lager  

Picks  bearbeite t  je MA MA Lager

 

Wie  wirtschaftlich  gestaltet  sich  ein  Kommissioniervorgang?  Mit  Hilfe  der  Kosten  pro  Kommissionierauftrag  wird  eine  Antwort  auf  diese  Frage gegeben. Dabei ist zu beachten, dass die Komplexität eines Kom‐ missionierungsauftrags  signifikanten  Einfluss  auf  die  Kostenstruktur  dieser Aktivität ausübt.  426

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Kosten  pro Auftrag  Bereitste llung  

Kosten  Bereitste llung  insgesamt

 

Anzahl  Aufträge  Bereitste llung

Schließlich  sind  die  Produktivitäten  und  die  Wirtschaftlichkeiten  einer  im  Anschluss  an  die  Kommissionierung  stattfindenden  Produktion  zu  messen.  Die  erste  Kennzahl  zur  Leistungsbewertung  in  dem  betrachte‐ ten Segment ist die Anzahl der bearbeiteten Auftragseingänge je Mit‐ arbeiter. Diese Größe gibt Aufschluss hinsichtlich der Produktivität und  des  Auslastungsgrads  von  Mitarbeitern  innerhalb  der  Disposition.  Für  einen  Kennzahlenvergleich  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die Anzahl  der  bearbeiteten  Aufträge  gegebenenfalls  stark  vom  jeweiligen  Equipment  und  dem  Automatisierungsgrad  des  Arbeitsplatzes  abhängt:  beispiels‐ weise der Ausstattung der Arbeitsstätte mit Informations‐ und Kommu‐ nikationssystemen.  Auftragsei ngänge  bearbeite t pro MA 

Bearbeitet e Aufträge   je MA

Bestandsko nten insgesamt MA zur Bestandsf ührung

Menge  Produktion Maschinene insatz (Stunden)

Bestandskonten  vergleichen 

 

Eine  Maschinennutzungsintensität  bemisst  die  Arbeitsproduktivität  innerhalb  einer  Supply  Chain.  Sie  ist  als  Indikator  für  die  Auslastung  der  Potenzialfaktoren  eines  Unternehmens  zu  verstehen.  Die  Größe  gewinnt  an  Aussagekraft,  indem  sie  mit  dem  Werttreiber  „Ausfallzeit  pro Maschine“ (vgl. S. 431) in Kombination betrachtet wird. 

Intensität  genutzter  Maschinen  

Effizienz in der  Fertigung erhöhen 

 

MA Auftragsab wicklung

Ergänzend  zur  Größe  „Anzahl  bearbeiteter  Auftragseingänge  pro  Mit‐ arbeiter“  dient  die  Häufigkeit  gepflegter  Bestandskonten  je  Mitarbei‐ ter  zur  Aufdeckung  der  Produktivität  innerhalb  einer  Disposition.  Die  einzelnen Auftragseingänge  können  vom  Umfang  her  sehr  verschieden  sein.  Zur  Nivellierung  dieses  Ungleichgewichts,  wird  die  Anzahl  der  durch  einen  Mitarbeiter  gepflegten  Bestandskonten  zusätzlich  in  die  Analyse einbezogen.  Gepflegte  Bestandsk onten   je MA 

E.3

 

427

Messung der  Arbeitsproduktivi‐ tät 

E Produktivität  bewerten 

Controlling der Supply Chain

Mit  Hilfe der Bearbeitungskosten  pro  Auftragseingang  wird  die  Wirt‐ schaftlichkeit  einer  Produktionssteuerung  bewertet.  Sie  kann  zur  Kos‐ ten‐Nutzen‐Bestimmung der Auftragsabwicklung dienen. Dazu sind die  Bearbeitungskosten eines Auftragseingangs im Idealfall in eine Transak‐ tionskostenanalyse einzubeziehen.  Kosten   je Auftrag  Bereitste llung  

Dispositionskosten  senken 

Kosten  Abwicklung   je Auftrag Auftragsei ngänge  bearbeite t

Überproportional hohe Kosten je Dispositionsaktivität (diese Kennzahl  wird synonym „Kosten je Bestellung“ genannt) zeugen von einer wenig  wirtschaftlichen  Produktionsplanung.  Dieses  Manko  kann  durch  Ineffi‐ zienzen des Einsatzes technologischer Ressourcen (wie IT) oder in einer  mangelnden  Kommunikation  mit  benachbarten  Funktionsbereichen  begründet liegen.  Kosten  Bestellun gen

Kosten   je Bestellun g 

Anzahl  Bestellun gen

Prozesskosten  dominieren 

 

 

Schließlich  wird  die  Kennzahl  Bearbeitungskosten  je  Produktionsauf‐ trag  vorzugsweise  im  Rahmen  einer  Prozesskostenermittlung  herange‐ zogen. Für Kennzahlenvergleiche gilt jedoch, dass unterschiedliche He‐ terogenitäten  der  Fertigungsstrukturen  signifikanten  Einfluss  auf  die  Bearbeitungskosten von Fertigungsaufträgen ausüben.  Kosten  Bearbeitu ng  je Auftrag  Produktion  

Kosten  Bearbeitu ng insgesamt Anzahl  Aufträge  Produktion

 

E.3.3.2.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen „Mag ja sein, dass  der Kunde König  ist, aber ich wüsste  gern, in welchem  Land.“                 (D. Fleischhammel) 

Wie  unter  Gliederungsabschnitt  E.3.3  auf  S.  412  aufgezeigt  wurde,  ver‐ binden sich in dem Feld II.3 der Kennzahlenmatrix die beiden Dimensi‐ onen  „Throughput“  sowie  „Qualitäts‐  und  Servicekennzahlen“.  Unter  Beibehaltung der bisherigen Vorgehensweise, sind zunächst Kennzahlen  der Lagerung zu nennen. Nach deren Diskussion erfolgt die Einordnung  von Schlüsselkennzahlen der Kommissionierung in dieses Feld der Mat‐ rix.  Abschließend  werden  die  Fertigungskennzahlen  näher  charakteri‐ siert. 

428

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Auf  Basis  der  vergangenheitsorientierten  Reichweite,  werden  Bestände  in die drei Bereiche „gängig“, „zum Teil ungängig“ (Excess) sowie „völ‐ lig  ungängig“  (Obsolete)  aufgebrochen.  Unter  Gliederungsabschnitt  D.2.2 (vgl. S. 301) wurde die Gängigkeitsanalyse bereits intensiv disku‐ tiert. Die Kennzahl Excess‐and‐Obsolete‐Ratio gibt dabei, basierend auf  der vergangenheitsbezogenen Lagerreichweite, den Anteil sich nur lang‐ sam  umschlagender  oder  gar  nicht  mehr  drehender  Vorräte  an.  Im  schlimmsten Fall droht eine Verschrottung dieser Sachnummern, welche  sich  zu  Lasten  des  EBIT  niederschlägt.  Die  Excess‐and‐Obsolete‐Ratio  (quantitative  Betrachtung)  sollte  um  Gründe  für  die  Entstehung  dieser  Ungängigkeiten ergänzt werden (qualitative Ergänzung).  Ungängigke it (%) =

Ungängiger  Bestand   100 Gesamtbest and

Identifizierung von  Excess‐ and Obso‐ lete‐Vorräten 

 

Ein  Lagerverlust  entsteht  insbesondere  durch  Schwund  und  Verderb.  Diebstahl  und  mangelhaft  gekühlte  Waren  sind  mögliche  Ursachen  für  einen  Schwund  an  Vorräten.  Insbesondere  der  Handel  leidet  unter  ver‐ derblichen Waren mit Mindesthaltbarkeit (Obst und Gemüse).  Verlust  Lager  pro Periode  (%) =

E.3

Verlust  an Lagerbesta nd  100 Gesamtbest and

Schwund und  Verderb messen 

 

Nachdem einige Kennzahlen der Lagerung genannt wurden, sind in der  Folge Indikatoren der Kommissionierung herauszuarbeiten. Diese wer‐ den  einerseits  in  den  Bereich  Supply‐Chain‐Throughput  eingeordnet.  Andererseits handelt es sich um Qualitäts‐ und Servicekennzahlen. Da‐ zu  werden  nachstehend  drei  KPI  näher  betrachtet:  Der  interne  Service‐ grad,  die  interne  Zurückweisungsquote  und  die  interne  Verzögerungs‐ quote.  Diese  Größen  wurden  als  Qualitäts‐  und  Servicekennzahlen  des  Inputs  (der  Beschaffung)  in  Feld  I.3  der  Matrix  bereits  vorgestellt  und  dort,  unter  dem  Blickwinkel  des  externen  Lieferantenbezugs,  beschrie‐ ben.  Unter  diesem  Gliederungspunkt  erfolgt  nun  die  umgekehrte  Leis‐ tungsmessung von Supply Chain Indikatoren in Richtung Kunde. 

Qualität der Kom‐ missionierung 

Im  Rahmen  der  Berechnung  des  internen  Servicegrads,  sind  zeitliche,  mengenmäßige und qualitative Defizite der Kommissionierung in Rich‐ tung Kunde denkbar. Doch auch örtliche Fehler können im Rahmen der  Bereitstellung auftreten: Wie eine falsche Zuordnung von Materialien in  den Bereitstellungszonen. 

Internen Service  garantieren 

429

E

Controlling der Supply Chain

Interner Servicegra d (%) =

Auftragsge rechte Kommission ierungen  100 Kommissionierungen insgesamt

  Stock‐outs vermei‐ den 

Die interne Zurückweisungsquote ist eine Unter‐Kennzahl des internen  Servicegrads. Viele Fehler der Kommissionierung werden in der folgen‐ den Produktion per se aufgedeckt, indem sie diese verzögern oder viel‐ leicht  sogar  zu  einem  Bandstillstand  führen.  Besonders  problematisch  sind  schleichende  Kommissionierungsfehler,  die  erst  nach  der  Waren‐ auslieferung  zum  Kunden  aufgedeckt  werden:  Dann  ist  eine  Erhöhung  der Rate an Retouren zu befürchten. 

Interne Zurückweis ungen (%) =

Abgewiesene Kommissionierungen  100 Kommission ierungen insgesamt

  Zeitliche Mängel  aufdecken 

Weiterhin steht die interne Verzögerungsquote (Backlog) für verspätete  Produktionsprozesse, die – auf Grund einer fehlerhaften Kommissionie‐ rung – nicht rechtzeitig eingeleitet werden. Bereitstellungsfehler führen  zu eingeschränkten Belegungszeiten der Maschinen. 

Interne Backlogs (%) =

Verspätete Produktionsstunden  100 Produktionsstunden insgesamt

Verbrauchsabwei‐ chungen belasten  den EBIT 

Abschließend  werden  unter  diesem  Gliederungspunkt  die  Qualitäts‐  und die Servicekennzahlen einer Produktion aufgelistet. Die erste dies‐ bezüglich beschriebene Größe ist die Verbrauchsabweichung. Sie ist ein  wichtiger Vertreter zur Bewertung der Qualität von Produktionsvorgän‐ gen.  Signifikante  Verbrauchsabweichungen  sind  Indikatoren  für  Ineffi‐ zienzen entlang des Fertigungsprozesses und belasten den EBIT direkt:  sie sind voll ergebniswirksam. 

Verbrauchsabweichung (%) =

Scrap and Rework  bewerten 

 

Tatsächlic her Verbrauchswert  100 Geplanter Verbrauchswert

 

Überproportional hohe Raten für Ausschuss und Nacharbeit (Scrap and  Rework) sind Spiegelbilder für grundsätzliche Fertigungsdefizite. Aller‐

430

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

dings  besagen  diese  Kennzahlen  nicht,  an  welcher  Produktionsstufe  ein  Fehler aufgetreten ist. 

Quote Ausschuss oder Nacharbeit (%) =

Ausschuss/Nacharbeit  100 Materialve rbrauch insgesamt

 

Ausfallzeiten  (auch  „Brachzeiten“  genannt)  und  Reparaturzeiten  der  Maschinen  mindern  die  Produktivität  innerhalb  einer  Wertschöpfungs‐ kette. Jedoch erlaubt diese Größe keine Aussage über die Gründe eines  Bandstillstands.  Um  den Aussagegehalt  dieser  Kennzahlen  zu  steigern,  sind  zusätzlich  Ausfallkosten  oder  Reparaturkosten  (vgl.  unten)  von  Maschinen zu ermitteln. 

Ausfallzei t pro Maschine (%) =

Ausfallzei t pro Maschine  100 Gesamtlauf zeit pro Maschine

 

Der  Leistungstreiber  Ausfall‐/Reparaturkosten  pro  Maschine  ist  eine  direkte Ergänzung zur oben beschriebenen Kennzahl Ausfallzeit (Repa‐ raturzeit)  pro  Maschine.  Durch  eine  Kombination  beider  Indikatoren  wird eine simultane Zeit‐ und Kostenbetrachtung ermöglicht.  Ausfallkos ten pro Maschine =

E.3.3.3

Ausfallkos ten pro Maschine  100 Gesamtkost en pro Maschine

Brachzeiten rauben  Produktivität 

Ergänzende Kenn‐ zahl 

 

Output: Kennzahlen der Distribution

Der Bereich Output richtet sich zu den externen Kunden aus. Moderne  Lieferketten  orientieren  sich  vornehmlich  am  Pull‐Prinzip  („Make‐to‐ Order“,  „Engineer‐to‐Order“).  Die  Bestandsveredelung  ist  jetzt  abge‐ schlossen, dadurch ist der Wertschöpfungsbeitrag dieses Segments hoch.  Im  Bereich  Output  kommen  Fertigwarenbestände  zum  Einsatz.  Zu  den  Kennzahlen  der  Distribution  vgl.  Berrisch  2013;  Cohen/Roussel  2006,  S.  310ff.; Gunasekaran et al. 2001, S. 80ff.; Krüger 2014, S. 147; Schulte 2001, S.  484ff.; Schulte 2017, S. 659. 

Hohe Wertschöp‐ fung 

Eine vornehmliche Aufgabe des Supply Chain Managements besteht in  einer  adäquaten  Warenzustellung  in  Richtung  Kunde.  Diesbezüglich  führt  eine  geringe  Absatzprognosegenauigkeit  (beispielsweise  auf  Grund kurzfristiger Nachfrageschwankungen) zu Ineffizienzen in Supp‐ ly Chains. Die Folge sind Vorratserhöhungen. Für den Hersteller besteht 

Peitschenschläge  der Nachfrage 

431

E

Controlling der Supply Chain

die  Gretchenfrage  im  Ausloten  des  Balanceakts  zwischen  hohem  Ser‐ vicegrad und niedrigem Lagerbestand.  Bedeutung von  B2C und B2B 

Ein  Kunde  ist  nicht  zwingend  mit  dem  ultimativen  Endverbraucher  gleichzusetzen  (B2C‐Anbindung).  Auch  zwischengeschaltete  Handels‐ stufen  (B2B‐Abwicklung,  wie  der  Einzel‐  und  der  Großhandel)  stellen  ausgewählte  Formen  einer  Kundenanbindung  dar.  Die  Kennzahlen  des  Outputs werden, analog der bisherigen Ausführungen, in die drei Berei‐ che  generische  Kennzahlen,  Produktivitäts‐  und  Wirtschaftlichkeits‐ kennzahlen sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen untergliedert. 

E.3.3.3.1 Generische Kennzahlen Allgemein gültige  Größen 

Auf  Basis  der  Kennzahlentypologie  beziehen  sich  die  strukturellen  Kennzahlen  einer  Distribution  auf  das  Feld  III.1.  Analog  der  Bereiche  Input  und  Throughput,  sind  für  den  Output  zunächst  absolute  generi‐ sche  Key  Performance  Indicator  anzugeben.  Der  folgende  Kennzahlen‐ block zeigt diese Größen in übersichtlicher Form auf.  Kundenanza hl (aktuell/p otenziell) . Anzahl Auslieferu ngen. Anzahl (Zwischen‐ ) Lagerstätt en.

 

Auftragsvo lumen. Entfernung  zwischen  Lagerstufe n.

Relative KPI im  Überblick 

Zu den relativen generischen Kennzahlen der Distribution zählen: Um‐ satz  pro  Kunde,  Eigentransportquote,  Order  Fulfillment  Time,  Durch‐ laufzeit sowie Lagerumschlag Fertigwarenbestand. In dieser Reihenfolge  werden die Indikatoren unten beschrieben. 

Deckungsbeiträge  für strategische  Kunden berechnen 

Der  Umsatz  pro  Kunde  bemisst  die  Bedeutung  des  Abnehmers,  er  ist  für aktuelle und potenzielle Kunden zu berechnen. Dieser KPI stellt eine  wichtige  Eckzahl  des  Category  Managements  dar.  Allerdings  erfasst  diese  Größe  nicht  die  Kosten,  welche  in  eine  diesbezügliche  Analyse  einzubeziehen  wären.  Daher  ist  der  Umsatz  pro  Kunde  möglichst  zum  Deckungsbeitrag pro Kunde zu erweitern. Im B2B‐Bereich ist dieser Indika‐ tor recht einfach zu berechnen. Sehr viel schwieriger fällt dies für statio‐ näre B2C‐Abwicklungen.  Umsatz pro Kunde (%) =

432

Gesamtumsa tz Kundenanzahl

 

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Die  Eigentransportquote  ist  eine  wichtige  Kennzahl  des  Flottenmana‐ gements  (Fleet).  Sie  gibt  den  Prozentsatz  der  Selbsttransporte  in  Rich‐ tung  Kunde  an.  Jedoch  blendet  dieser  Key  Performance  Indicator  die  jeweils distribuierte Menge aus. 

Eigentransportquote (%) =

Anzahl Eigentransporte  100 Anzahl Fremdtransporte

Zeiten für Liefer‐ vorläufe einplanen 

 

Die totale Durchlaufzeit (Total Cycle Time) bemisst sich vom Auftrags‐ eingang  bis  zur  Warendistribution.  In  diese  Kennzahl  geht  die  reine  Produktionszeit ein, welche synonym als „Durchlaufzeit im engen Sinn“  bezeichnet  wird.  Die  Stellhebel  der  Durchlaufzeit  sind  eigentliche  Pro‐ duktionszeit,  Rüstzeit,  Ausfallzeit,  Liegezeit,  Lagerzeit,  Vorwärmzeit  und Bereitstellungszeit.  Durchlaufz eit = Zeitspanne  in Stunden  (Tagen/Woc hen)      vom  Eingang  des Auftrags,  bis zur Verteilung  der Waren.

Flottenmanage‐ ment 

 

Im  Rahmen  der  Ermittlung  einer  Liefervorlaufzeit  (Order  Fulfillment  Time)  ist  für  die  Warendisposition  eine  Wiederbeschaffungszeit  zu  be‐ achten.  In  diesen  Key  Performance  Indicator  können  –  quasi  als  Unter‐ kennzahlen  –  die  Größen  „Perfect  Order  Fulfillment“  sowie  „Fill  Rate“  einfließen.  Mit  Hilfe  der  Lieferbeschaffenheit  (Perfect  Order  Fulfillment)  wird eine Lieferung, neben ihrer zeitlichen Treue, über weitere Faktoren  gemessen,  die  einem  Kunden  Grund  zur  Beanstandung  geben  könnten  (zum  Beispiel  Menge,  Spezifikation,  Dokumentation,  Beschädigung).  Die Lieferbereitschaft (Fill Rate) gibt hingegen an, inwieweit ein Anbieter  in der Lage ist, direkt aus seinem Lager zu liefern. Folglich befindet sich  eine  Fill  Rate  in  einem  kontinuierlichen  Spannungsfeld  zwischen  dro‐ henden  Lieferengpässen  und  kapitalintensiver  Lagerbevorratung  (Op‐ portunitätskosten).  Liefervorl aufzeit = Zeitspanne  in Stunden  (Tagen/Woc hen)      zur  kompletten  Bearbeitu ng eines  Auftrags  des Kunden.

E.3

Einflussfaktoren  der Durchlaufzeit 

 

Eine  Zunahme  an  Fertigwarenbeständen  erhöht  tendenziell  die Agilität  von Unternehmen, um rasch auf unerwartete Kundennachfragen reagie‐ ren  zu  können.  Dieser  Zugewinn  an  Servicegrad  wird  jedoch  –  auf  Grund einer gesteigerten Kapitalbindung – zum Teil teuer erkauft. Die‐

433

Fertigwaren stei‐ gern die Flexibilität 

E

Controlling der Supply Chain

ser  Zusammenhang  kann  mit  dem  Lagerumschlag  an  Fertigwarenbe‐ stand gemessen werden. 

Lagerumsch lag Fertigware nbestand =

Umsatz (Umsatzkos ten) Fertigware nbestand

 

E.3.3.3.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Distribution straf‐ fen 

In  dem  Feld  III.2  der  Kennzahlentypologie  des  Supply  Chain  Manage‐ ments  treffen  die  beiden  Dimensionen  Output  sowie  Kennzahlen  zur  Messung  von  Produktivitäten  und  Wirtschaftlichkeiten  aufeinander.  Diesbezüglich  findet  zunächst  eine  nähere  Beschreibung  der  Auftrags‐ abwicklungsquote statt. 

Ergänzung um  ausgewählte Positi‐ onen 

Die  Auftragsabwicklungsquote  dient  einer  Ermittlung  der  Produktivi‐ tät  von  Mitarbeitern  der  Disposition.  Eine  Modifizierung  oder  Ergän‐ zung erfährt diese Größe, indem im Zähler die Anzahl bearbeiteter Auf‐ tragspositionen berücksichtigt wird. 

Auftragsab wicklungsq uote (%) =

Produktivität des  Versendens bewer‐ ten 

Bearbeitet e Aufträge  100 Mitarbeite r Auftragsdi sposition

Eine  Versandabwicklungsquote  erhöht  den  Aussagewert  der  zuvor  diskutierten  Auftragsabwicklungsquote.  Ein  abgewickelter  Auftrag  muss  nicht  zwingend  zu  seiner  späteren  Versendung  gelangen.  Das  bloße  Wissen  um  die  Quote  von  Versendungen  sagt  jedoch  nichts  über  die Schwierigkeiten von Distributionsvorgängen aus. 

Versandabwicklungsqu ote (%) =

Fixkostendegressi‐ on herstellen 

 

Anzahl Sendungen  100 Arbeitstag e

 

Die  nächste  herangezogene  Kennzahl  misst  den  Kapazitätsauslastungs‐ grad von Förderzeugen (intern) und Transportmitteln (extern). Mit stei‐ gendem Transportmittelnutzungsgrad verbessert sich die Fixkostenver‐ teilung  durchgeführter  Distributionsvorgänge,  weil  die  Packdichte  zu‐ nimmt. 

Transportmittelnutzu ngsgrad =

434

Tatsächlic hes Transportvolumen Mögliches  Transportvolumen

 

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Mit  Hilfe  der  Auftragsabwicklungskosten  wird  die  Wirtschaftlichkeit  innerhalb  der  Distribution  gemessen.  Mögliche  Kostenverursacher  der  Auftragsabwicklung  sind  Personalkosten,  Reisekosten,  IT‐Kosten  (in‐ klusive  Abschreibungen),  Mieten,  Fuhrpark,  Steuern,  Versicherungen  und Energiekosten. 

Auftragsab wicklungsk osten =

Gesamtkost en Auftragsab wicklung Umsatz (pro Monat/pro Jahr)

Versandkosten insgesamt Durchgefüh rte Sendungen

Prozesskostensätze  beachten 

 

Eine weitere Alternative zur Messung der Wirtschaftlichkeit des Outputs  liefert  die  Versandkostenquote.  Sie  dient –  insbesondere  in  Kombinati‐ on  mit  den  zuvor  charakterisierten  Auftragsabwicklungskosten  –  zur  Transparenzsteigerung  der  Distribution.  Jedoch  empfiehlt  es  sich,  diese  kostenfokussierte Betrachtung um Mengenangaben zu ergänzen. 

Versandkostenquote =

E.3

Mengenangaben  hinzufügen 

 

E.3.3.3.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Den Abschluss  der  Beschreibung  Output‐gerichteter  Wertgrößen  inner‐ halb  einer  Supply  Chain  bilden  die  Qualitäts‐  und  Servicekennzahlen  (vgl. Feld III.3 der Typisierungsmatrix). Im Kern liegt eine umgekehrte  Betrachtung  der  qualitäts‐  und  serviceorientierten  Kennzahlen  des  In‐ puts zu Grunde: Unter Feld I.3 wurde die Lieferantenleistung über Qua‐ litäts‐  und  Servicegrößen  gemessen.  Unter  diesem  Gliederungspunkt  findet  eine  Umkehrung  dieser  Analyse  statt.  Jetzt  wird  die  Liefergüte  des Herstellers selbst, durch seine Kunden, bewertet. 

Umgekehrte Be‐ trachtung des  Inputs 

Bezüglich  ihrer  Messung  unterscheiden  sich  allerdings  die  Qualitäts‐  und  Servicekennzahlen  zwischen  Beschaffung  und  Distribution.  Die  Bestimmung  der  Lieferantenleistung  bereitet  keine  größeren  Probleme,  da  ein  Hersteller  die  eingehende  Leistung  seiner  Lieferanten  jederzeit  direkt  bewerten  kann.  Umgekehrt  ist  der  Hersteller  bei  der  Messung  seiner  ausgehenden  Lieferleistung  auf  das  Feedback  des  Kunden  ange‐ wiesen.  Erfolgt  keine  Rückkoppelung,  geht  der  Hersteller  in  der  Regel  davon aus, dass seine Lieferung auftragsgemäß abgewickelt wurde. 

Erschwerte Mes‐ sung 

 

435

E Platzhirsch der  Qualität 

Controlling der Supply Chain

Der  ausgehende  Lieferservicegrad  beschreibt  den  Prozentsatz  von  Wa‐ rensendungen  in  Richtung  Kunde  hinsichtlich  ihrer  zeitlichen,  men‐ genmäßigen und qualitativen Güte. 

Lieferservicegrad (%) =

Zurückweisungen  der Distribution 

Auftragsge rechte Auslieferp ositionen  100 Auslieferp ositionen insgesamt

Eine  Zurückweisungsquote  ermittelt  den  Prozentsatz  an  Auslieferun‐ gen  bezüglich  qualitativer,  quantitativer  oder  zeitlicher  Defizite  der  Warensendung. 

Zurückweis ungsquote (%) =

Zeitliche Miss‐ stände 

 

Zurückgewi esene Auslieferu ngen  100 Ausgehende Lieferunge n insgesamt

 

Die  Verzögerungsquote  berücksichtigt  ausschließlich  die  zeitliche  Güte  ausgehender  Lieferungen.  Sie  bemisst  den  Prozentsatz  verspäteter  Dis‐ tributionsvorgänge. 

Verzögerungsquote (%) =

E.3.3.4

Verspätete Auslieferungen  100 Ausgehende Lieferungen insgesamt

 

Payment: Kennzahlen der Finanzprozesse

Net Working  Capital optimieren 

Im  Rahmen  der  Charakterisierung  des  Supply  Chain  Managements  im  Allgemeinen, wie auch bei der Beschreibung des Order‐to‐Payment‐S im  Besonderen,  wurde  deutlich,  dass  ein  zeitgemäßes  Lieferkettenma‐ nagement  die  Finanzströme  explizit  erfasst.  Moderne  Supply  Chains  zielen darauf, die Opportunitätskosten (entgangene Gewinne) zu redu‐ zieren.  Diesbezüglich  fordern  die  Hersteller  möglichst  zeitnahe  Zah‐ lungseingänge bezüglich ihrer Kundenrechnungen ein. Der Erfolg dieser  Zielsetzung  hängt  jedoch  sehr  stark  von  der  Machtkonstellation  einer  Lieferanten‐Kunden‐Beziehung  ab.  Bleiben  die  Kundenzahlungen  über  Wochen  oder  sogar  Monate  aus,  findet  durch  den  Hersteller  eine  Art  Vorfinanzierung  in  Richtung  Kunde  statt:  Es  wird  quasi  ein  zinsloser  Kredit gewährt. 

Finanzkennzahlen  werden unter‐ schätzt 

Bei näherer Betrachtung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen der  Supply  Chain  fällt  auf,  dass  sich  diese  den  Finanzströmen  kaum  oder  gar nicht widmen (vgl. Krüger 2014; Ossola‐Haring 2006; Reichmann 2017; 

436

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Schulte  2001;  Schulte  2017).  In  diese  Lücke  stößt  die  vorliegende  Kenn‐ zahlentypologie.  Unter  Berücksichtigung  dieses  Wissens  werden  im  Folgenden  einige  Kennzahlen  des  Supply  Chain  Managements  näher  gewürdigt,  die  ex‐ plizit zur Bewertung von Finanzströmen dienen. Analog zu den bishe‐ rigen Ausführungen zur Kennzahlentypologie, sind diese Größen in die  drei  Felder  generische  Kennzahlen,  Produktivitäts‐  und  Wirtschaftlich‐ keitskennzahlen sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen einzuteilen. 

Finanzströme von  Supply Chains 

E.3.3.4.1 Generische Kennzahlen Zu den generischen Größen der Finanzströme einer Supply Chain zäh‐ len  Supply  Chain  Kosten,  Skontoquote,  Rabattstruktur,  Bestellobligo,  Liquidität, erweiterter Cash Flow, Working Capital, Cash‐to‐Cash‐Cycle,  Economic  Value  Added  (EVA)  und  Return  on  Capital  Employed  (ROCE). In dem Feld IV.1 der Kennzahlenmatrix finden diese Indikato‐ ren ihren Eingang (vgl. deren nähere Kennzeichnung unten). 

Weiteres Vorgehen 

Die  gesamten  Supply  Chain  Kosten  sind  in  Relation  zum  Umsatz  zu  messen. Eine absolute Erhöhung der Umsätze bedingt zumeist auch eine  Zunahme  an  Supply  Chain  Kosten.  Bei  der  folgenden  Definition  ist  zu  beachten,  dass  die  Auftragsabwicklungskosten,  Materialbeschaffungs‐ kosten und Bestandskosten voll in die totalen Supply Chain Kosten ein‐ gehen. Die Finanzierungskosten, Planungskosten und IT‐Kosten werden  jedoch  nur  anteilig  verrechnet.  Die  wesentliche  Bezugsgröße  ihrer  Be‐ stimmung  ist  die  innerbetriebliche  Leistungsverrechnung.  Doch  stellt  sich  die  Frage,  welcher  prozentuale  Anteil  dieser  Kosten  pro  Unternehmen  auf die Supply Chain im Einzelfall umzulegen ist. 

Kosten der Supply  Chain Aktivitäten 

Insbesondere  externe  Kennzahlenvergleiche  über  gesamte  Supply  Chain Kosten sind daher mit Vorsicht zu genießen. Die jeweilige Defini‐ tion der Supply Chain Kosten pro Partner ist zu hinterfragen, um nicht  Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Dennoch wird der Versuch unternom‐ men, Empfehlungen für die Praxis zu geben. Gemäß obiger Begriffsklä‐ rung  erzielen  branchenübergreifend  Best‐in‐Class‐Unternehmen  Bench‐ marks  ihrer  Supply  Chain  Kosten  zu  den  Umsätzen  zwischen  4%  und  6%.  Durchschnittliche  Unternehmen  pendeln  sich  diesbezüglich  zwi‐ schen  8%  und  11%  ein  (vgl.  Werner  2013a,  S.  55  sowie  S.  83  der  vorlie‐ genden Schrift). 

Vorsicht bei Wett‐ bewerbsvergleichen 

437

E

Controlling der Supply Chain

Auftragsab wicklungsk osten + Materialbe schaffungs kosten + Bestandsko sten + Finanzieru ngskosten (anteilig) + Planungsko sten (anteilig) +   IT ‐ Kosten (anteilig)

 

= Supply Chain Kosten

Vereinheitlichung  von Zahlungsbe‐ dingungen anstre‐ ben 

Eine Skontoquote steht für den Anteil von Einkäufen mit Skontoabzug,  die  mit  der  gesamten  Anzahl  getätigter  Einkäufe  eines  Unternehmens  ins Verhältnis gesetzt werden. Mit diesem Key Performance Indicator ist  zu  überprüfen,  ob  bei  der  Bezahlung  von  Lieferantenrechnungen  ein   zustehender  Skontobetrag  wirklich  verrechnet  wurde. Zum  Monitoring  dieses  Vorgangs  bietet  es  sich  an,  die  Zahlungsbedingungen  innerhalb  der Unternehmen zu vereinheitlichen. Ansonsten müsste pro Rechnung  überprüft werden, ob die Mitarbeiter im Back‐Office (Rechnungswesen)  bei der Begleichung einer Lieferantenrechnung potenzielle Zahlungsab‐ züge auch de facto realisiert haben (Prozesskostenaufblähung). 

Skontoquote (%) =

Möglichkeiten  rabattierter Ein‐ käufe 

Einkäufe unter Abzug von Skonto  100 Einkäufe insgesamt

Rabattierte Einkäufe werden insbesondere als Mengenrabatte, Umsatz‐ rabatte,  Treuerabatte,  Saisonrabatte  oder  Sonderrabatte  gewährt.  Diese  Kennzahl bemisst den Anteil der rabattierten Einkäufe im Verhältnis zu  den insgesamt getätigten Einkäufen. Die Höhe der eingeräumten Rabat‐ te wird mit dieser Größe jedoch nicht verdeutlicht. Eine Ergänzung der  Kennzahl um diese Information wäre wünschenswert. 

Rabattstruktur (%) =

Zahlungsausstand  von Bestellungen 

 

Einkäufe mit Rabattgewährung  100 Einkäufe insgesamt

 

Ein  Bestellobligo  beschreibt  den  Zahlungsausstand  eines  Unterneh‐ mens. Basierend auf einem hohen Bestellüberhang, könnte auf Dauer die  Liquidität  gefährdet  sein:  Es  drohen  überproportional  hohe  zukünftige  Lieferantenverbindlichkeiten. 

438

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Bestellbestand + Bestellwertzugang ‐ Rechnungseingang (per Datum) =  Bestellobligo

 

               

Die  Liquidität  3.  Grades  ist  ein  geeigneter  Indikator,  um  die  Finanz‐ ströme in Wertschöpfungsnetzen zu bemessen. In die Ermittlung gehen  Bestände  und  Forderungen  explizit  ein. Eine  Erhöhung  des  Vorratsver‐ mögens  schmälert  tendenziell  die  Liquidität  eines  Wettbewerbers.  Die  erweiterte Betrachtung der Liquidität dritten Grades erfolgt in der nach‐ stehenden Cash‐Flow‐Betrachtung. 

Liquidität 3. Grades =

Liquide Mittel  Bestände  Forderungen Kurzfristige Verbindlichkeiten

Bestände und  Forderungen  erfassen 

 

Der Cash Flow verkörpert als Kennzahl  die Dynamisierung einer stati‐ schen Liquidität. Er ist ein Indikator für die Ertragskraft von Unterneh‐ men  und  wird  synonym  als  „Finanzmittelüberschuss“  bezeichnet.  Wie  oben hervorgehoben, wirken sich Veränderungen an Vorräten und For‐ derungen auf den erweiterten Cash Flow aus.  

Dynamisierung der  Liquidität 

Jahresüber schuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen auf Vermögensw erte + Veränderun gen  Rückstellu ngen + Veränderun gen  Sonderpost en mit Rücklagena nteil

 

+ Veränderun gen Wertberich tigungen ‐ Veränderun gen Vorräte ‐ Veränderun gen Forderunge n ‐ Veränderun gen aktive RAP ‐ Aktivierte  Eigenleist ungen = Erweiterte r Cash Flow

Eine nächste Kennzahl, die zur Messung der Liquidität eines Unterneh‐ mens herangezogen werden kann, ist das Working Capital (vgl. S. 490,  hier  die  Berechnungsmöglichkeit  Current  Ratio).  Tendenziell  gilt:  Je  hö‐ her  das  Working  Capital  ist,  desto  gesicherter  ist  die  Liquidität.  Aller‐ dings  verursacht  ein  hohes  Working  Capital  Opportunitätskosten.  Die  Supply  Chain  wirkt  auf  den  Zähler,  Bestände  und  Forderungen  sind  439

Generierung von  Geldzuflüssen 

E

Controlling der Supply Chain

Komponenten  des  Umlaufvermögens.  Ihre  Zunahme  oder  Abnahme  beeinflusst das Working Capital direkt. Jedoch werden Bestände (Excess  and  Obsolete)  und  Forderungen  (Disputes)  mit  einer  Laufzeit  größer  eines Jahres nicht unter das Working Capital gefasst.  Working Capital (%) =

Shareholder‐Value‐ Bezug 

Umlaufvermögen ( 1 Jahr)  100 Kurzfristige Verbindlichkeiten

 

Ein wichtiger Vertreter des Working Capital Managements ist der Cash‐ to‐Cash‐Cycle. Er bemisst den Liquiditätskreislauf in Tagen. Die Zahl soll  möglichst  klein  sein,  im  Idealfall  sogar  negativ.  In  Supply  Chains  wer‐ den  durchschnittliche  Cash‐to‐Cash‐Cycles  von  zwei  bis  drei  Monaten  gemessen  (vgl.  Heesen  2012;  Weber  et  al.  2007,  vgl.  auch  S.  84  dieser  Schrift).  Dieses  Ergebnis  gibt  sicher  nicht  die  im  Lieferkettenmanage‐ ment  gern  zitierte  „Win‐Win‐Situation“  wieder.  Eher  entsteht  der  Ein‐ druck, dass manche Akteure ihre Marktmacht ausspielen. Sie lassen sich  rasch durch ihre Kunden bezahlen, begleichen ihrerseits jedoch die Lie‐ ferantenrechnungen  erst  nach  etlichen  Wochen  oder  Monaten.  In  der  Zwischenzeit finanziert der Lieferant den Kunden (zinslos) vor. Für den  Lieferanten  ergeben  sich  Opportunitätskosten,  da  dieser  das  Geld  zwi‐ schenzeitlich  nicht  anlegen  kann.  Neben  dem  Debitorenmanagement  (Days  Sales  Outstanding)  und  dem  Kreditorenmanagement  (Days  Payables Outstanding) leitet sich der Liquiditätskreislauf aus der Lager‐ reichweite  (Days  on  Hand)  ab.  Unter  Gliederungspunkt  E.4.5  werden  Working Capital und Cash‐to‐Cash‐Cycle ausführlich beschrieben.   Cash ‐ to ‐ Cash ‐ Cycle = Zeitspanne  in Tagen, die sich  aus Zahlung  des Kunden, Reichweite  des Lagers  und Rechnung  des Lieferante n

 

ableitet  (synonym  ʺ Kreislauf  der Liquidität ʺ ).

Wertsteigerungs‐ konzept 

Der  Economic  Value  Added  (EVA)  ist  eine  absolute  Kennzahl  im  Ma‐ nagement von Wertsteigerungen und in die Philosophie um den Share‐ holder  Value  eingebettet  (vgl.  zur  ausführlichen  Diskussion  um  EVA  S.  485). EVA steht für den Wertbeitrag, den ein Unternehmen pro Jahr ge‐ neriert (die Kennzahl EVA weist einen positiven Betrag auf) oder vernich‐ tet  (das  Ergebnis  der  EVA‐Kalkulation  ergibt  eine  negative  Zahl).  Das  Management  innerhalb  einer  Supply  Chain  hat  unterschiedliche  Wert‐ hebel  zur  Beeinflussung  dieser  Größe.  Dies  gilt  einerseits  für  den  Net  Operating Profit After Tax (NOPAT). Zum Beispiel determinieren Mate‐ rialpreise,  Abwertungen  auf  Bestände,  Frachtkosten  und  Abschreibun‐

440

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

gen auf logistische Assets den operativen Geschäftserfolg direkt. Ande‐ rerseits  nimmt  ein  Supply  Chain  Management  Einfluss  auf  das  Capital.  Beispielhaft  dafür  stehen  Make‐or‐Buy‐Entscheidungen  im  Fleet‐ Management,  Verfahren  für  Sale‐and‐Buy‐Back  oder  Sale‐and‐Lease‐ Back  logistischer  Anlagen,  Bestandsoptimierung  und  Forderungsma‐ nagement.  Economic  Value Added = NOPAT ‐ (Capital  WACC)

 

Der Return on Capital Employed (Kapitalrendite) ist stellvertretend für  die Renditekennzahlen in die Kennzahlentypologie aufgenommen wor‐ den.  Zu  weiteren  Möglichkeiten  der  Rentabilitätsmessung  vgl.  S.  405,  vgl. S. 452 speziell zu ROCE. Aus Sicht des Supply Chain Managements  sind  die  Stellhebel  zur  Beeinflussung  von  ROCE  sowohl  im  Zähler  als  auch im Nenner der Kennzahl zu suchen. Ähnlich wie für EVA gilt, dass  ein Supply Chain Management das Ergebnis der gewöhnlichen betrieb‐ lichen  Geschäftstätigkeit  (EBIT)  durch  Vorratsabwertungen, Ausschuss‐  und Nacharbeitsraten, Materialpreise, Abschreibungen sowie Frachtkos‐ ten beeinflusst. Bezogen auf das eingesetzte Kapital sind über ein Supply  Chain Management Auswirkungen auf Cash‐to‐Cash‐Cycle, Vorratsma‐ nagement  oder  logistische  Sachanlagen  (wie  eigener  Fuhrpark  oder  Fremdvergabe des Fuhrparks) möglich.  ROCE =

EBIT × 100 Eingesetzt es Kapital

Regelrechter Hype  um ROCE 

 

E.3.3.4.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen In  dem  Feld  IV.2  der  Kennzahlentypologie  einer  Supply  Chain  finden  sich  Inhalte  des  Payments  und  Größen  für  Produktivitäten  und  Wirt‐ schaftlichkeiten. Zunächst wird die Fakturierungsquote näher charakte‐ risiert. 

Finanzprozesse  bewerten 

Die  Fakturierungsquote  ist  ein  Indikator  für  die  Produktivität  der  Fi‐ nanzströme.  Sie  bemisst  den  Prozentsatz  ausgestellter  und  versendeter  Kundenrechnungen.  Über  den  Eingang  von  Kundenzahlungen  gibt  die  Fakturierungsquote  jedoch  keinen  Aufschluss.  Sie  ist  daher  möglichst  um den Cash‐to‐Cash‐Cycle zu ergänzen. 

Produktivität der  Zahlungsströme 

441

E

Controlling der Supply Chain

Fakturieru ngsquote (%) =

Materialkosten und  Fertigungskosten  vergleichen 

Fakturiert e Kundenrechnungen  100

 

Kundenrechnungen insgesamt

Die Herstellungskosten von Unternehmen setzen sich insbesondere aus  Materialeinzel‐  und  Materialgemeinkosten  sowie  Fertigungseinzel‐  und  Fertigungsgemeinkosten  zusammen.  Sie  sind  in  der  Gewinn‐  und  Ver‐ lustrechnung direkt unter dem Umsatz abzulesen. Mit Hilfe der Materi‐ alintensität  wird  die  Wirtschaftlichkeit  des  Wareneinsatzes  gemessen.  Zum  Beispiel  kann  dieser  überproportional  hoch  im  Vergleich  zu  den  Fertigungskosten liegen. 

Materialintensität (%) =

Materialkosten  100 Herstellungskosten

 

E.3.3.4.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Das letzte Feld der  Matrix 

Schließlich  wird  mit  Feld  IV.3  auch  der  zwölfte  und  letzte  Bereich  der  Kennzahlenmatrix einer Supply Chain mit Leben gefüllt. Hier treffen die  beiden Dimensionen Payment sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen  aufeinander. Diesbezüglich sind im Folgenden drei KPI näher zu würdi‐ gen:  Supply  Chain  Disputes,  Cost‐Charge‐Back‐Ratio  sowie  Inventory  Reserve (vgl. die unten stehenden Definitionsblöcke). 

Disputes abbauen 

In die deutsche Sprache übertragen, ist der Begriff Disputes mit „zwei‐ felhaften  oder  dubiosen  Forderungen“  gleichzusetzen,  die  eine  lange  Restlaufzeit  aufweisen:  Treten  Fehler  in  der  Supply  Chain  in  Richtung  Kunde  auf,  können  Disputes  entstehen. Das Ausfallrisiko  von  Disputes  ist größer als 0% und kleiner als 100%. Ein Beispiel dafür ist ein Verpa‐ ckungsschaden.  Wenn  sich  eine  Kundenrechnung  auf  10.000  Euro  be‐ läuft, der Kunde jedoch auf Grund eines potenziellen Verpackungsscha‐ dens  nur  8.000  Euro  überweist,  schlagen  beim  Hersteller  Disputes  in  Höhe  von  2.000  Euro  zu  Buche.  In  der  Folge  ist  abzuklären,  ob  diese  Forderung in Richtung Kunde tatsächlich nicht einholbar ist. In diesem  Fall  muss  für  die  originäre  Forderung  eine  Wertberichtigung  gebildet  werden, worunter der EBIT direkt leidet. 

Supply Chain Disputes (%) =

442

Supply Chain Disputes  100 Disputes insgesamt

 

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Die  Kennzahl  Cost‐Charge‐Back‐Ratio  korrespondiert  direkt  mit  den  Supply Chain Disputes. Sie kann im Input für Lieferanten und im Out‐ put für Kunden bestimmt werden. Zum Teil ist auf Basis eines Supplier‐ Rating‐Systems  (vgl.  S.  189)  ein  Cost‐Charge‐Back‐Verfahren  in  der  Un‐ ternehmenspraxis  verankert.  Dabei  entscheidet  die  Machtkonstellation  im Partnergeflecht über die Einsatzmöglichkeiten des Verfahrens. Unter  Cost‐Charge‐Back  ist  zu  verstehen,  wenn  logistische  Fehler  mit  dem  Lieferanten  zunächst  definiert  und  Strafpunkte  („Penaltys“)  vergeben  werden.  Auf  Basis  von  Prozesskosten  sind  diesen  Fehlern  Geldbeträge  beizumessen.  Für  das  Supply  Chain  Management  kann  ein  derartiges  Problem in einem defizitären Labeling bestehen. Tritt dieser Fehler auf,  wird  der  vereinbarte  Geldbetrag  direkt  bei  der  nächsten  eingehenden  Lieferantenrechnung  einbehalten.  Dadurch  entstehen  Disputes  erst  gar  nicht  mehr  (vgl.  oben). Allerdings  ist  der  Kunde  zumeist  in  der  Bring‐ schuld, um einen logistischen Fehler zu beweisen.  Cost ‐ Charge ‐ Back ‐ Ratio (%) =

Einbehalte ne Rechnungsb eträge  100 Wert  Lieferante nrechnunge n total

E.3 Automatische  Verrechnung quali‐ tativer Mängel 

 

Eine  Inventory  Reserve  (Wertberichtigung  auf  Bestände)  wird  auf  Grund  der  Ungängigkeit  von  Vorräten  vorgenommen.  Diese  kann  in  einer mangelhaften Einlauf‐ oder Auslaufsteuerung begründet liegen. In  einem  auf  S.  303  charakterisierten  Beispiel  zur  Gängigkeit  beträgt  der  Bruttobestand eines Standorts zehn Millionen Euro. Allerdings schlagen  sich  dort  Vorräte  entweder  gar  nicht  mehr  (Obsolete)  oder  nur  noch  bedingt (Excess) pro Periode um. Für diese Bestände wird eine Wertbe‐ richtigung von zwei Millionen Euro gebildet. Folglich errechnet sich ein  Nettobestand von acht Millionen Euro. 

Gross Inventory vs.  Net Inventory 

Die  Abwertung  ungängiger  Vorräte  wirkt  sich  direkt  negativ  auf  das  operative Ergebnis (EBIT) eines Unternehmens aus. Daher sind Ungän‐ gigkeiten von Beständen möglichst gering zu halten. Ist der Verkauf von  Excess‐ und Obsolete‐Waren unmöglich, kann in letzter Konsequenz die  Verschrottung  dieser  Sachnummern  drohen.  Um  dabei  den  Effekt  in  Richtung EBIT abzufedern, schreibt das kaufmännische Vorsichtsprinzip  die Bildung von Wertberichtigungen vor. Die folgende Kennzahl „Inven‐ tory Reserve“ spiegelt die Höhe dieser Wertberichtigung auf Grund von  Ungängigkeiten. 

Interdependenzen  zur Gängigkeit 

443

E

Controlling der Supply Chain

Bruttobest and (Gross Inventory) ‐ Wertberich tigung  (Inventory Reserve)

 

= Nettobesta nd (Net Inventory)

E.3.3.5 KPI im Überblick 

Kennzahlentypologie im Überblick

Die zuvor  beschriebene Typologie zur Einordnung ausgewählter Kenn‐ zahlen eines Supply Chain Managements erfolgt zweidimensional: 

 Eine  erste  Perspektive  zeigt  den  Bezug  der  Kennzahlen  zur  Wert‐ schöpfung auf. Die drei logistischen Primärsegmente Input (Beschaf‐ fung),  Throughput  (Lagerung,  Kommissionierung  und  Produktion)  sowie Output (Distribution) sind direkt auf einen Wertzuwachs bezo‐ gen.  Sie  sind  von  Aktivitäten  des  Payments  umgeben,  da  in  einer  Supply Chain bekanntlich auch die Finanzströme explizit berücksich‐ tigt werden (Order‐to‐Payment‐S). 

 Unter  die  zweite  Dimension  sind  drei  unterschiedliche  Arten  von  Supply  Chain  Kennzahlen  gefasst.  Sie  setzen  sich  aus  generischen  Messwerten  (Strukturindikatoren),  Produktivitäts‐  und  Wirtschaft‐ lichkeitskennzahlen  sowie  qualitäts‐  und  serviceorientierten  Größen  zusammen.  Modifikationen  sind möglich 

Aus diesen beiden Betrachtungsebenen ergeben sich in einer Matrix zur  Supply  Chain  Typisierung  zwölf  verschiedene  Betrachtungsfelder.  Die  folgende  Abbildung  E.10  fasst  die  oben  ausführlich  charakterisierten  Einzelkennzahlen  in  übersichtlicher  Weise  zusammen.  In  Summe  sind  hier  85  Kennzahlen  moderner  Wertschöpfungsketten  aufgelistet.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  dieser  Ansatz  keinen  Anspruch  auf  Voll‐ ständigkeit  erheben  möchte.  Je  nach  Branchenbezug  oder  spezifischer  Problemstellung kann sich die Notwendigkeit zur Modifizierung dieser  Typisierung  ergeben.  Dies  gilt  sowohl  für  die Auswahl  der  herangezo‐ genen Kennzahlen, wie auch für ihre jeweiligen Definitionen.               

444

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

Abbildung E.10 

Indikatoren der Kennzahlentypologie einer Supply Chain  Input 

           

Throughput 

Output 

Payment 

‐ Beschaffung 

‐ Lagerung  ‐ Beistellung  ‐ Fertigung 

‐ Distribution 

Einkaufsteile 

Sachnummern 

Kundenanzahl 

SC‐Kosten 

Einkaufsvolumen 

Verpackungseinheit. 

Auslieferungen 

Skontoquote 

Bestellpositionen 

Gelagerte Teile 

Lagerstätten 

Rabattstruktur 

Lieferantenanzahl 

Lagervorgänge 

Auftragsvolumen 

Bestellobligo 

Preisindex 

Auftragsvolumen 

Lagerstufen 

Liquidität 

Volumenstruktur 

Disponierte Teile 

Umsatz pro Kunde 

Cash Flow 

Maverick‐Buying 

Auftragseingänge 

Eigentransportq. 

Working Capital 

 

Umschlagshäuftigk. 

Order Fulfillment 

Cash‐to‐Cash‐Cycle 

Reichweite 

Durchlaufzeit 

EVA 

Lagerkostensatz 

Umschlag Fertigw. 

ROCE 



‐ Finanzen 

Flächennutzungsgr.  Lagerflächenanteil  Vorratsquote  Kommissionierpos.  Automatisierungsgr.  Flächenanteil  Fertigungstiefe  Upside Prod. Flexib.  Recyclingquote  Sendungen täglich 

Lagerbewegungen 

Auftragsabwickl. 

Fakturierungsquote 

Annahmezeit 

Raumnutzungsgrad 

Versendungen 

Materialintensität 

WEK pro Tag 

Lagerplatzkosten 

Nutzungsgrad 

Annahmekosten 

Lagerbewegungsk. 

Versandkosten 

WEK‐Kosten 

Kommissionierungen 



Kosten Kommission.  Auftragseingänge  Bestandskonten  Maschinennutzung  Bearbeitungskosten  Dispositionskosten 



E.3

Servicegrad 

Excess/Obsolete 

Servicegrad 

SC‐Disputes 

Zurückweisungsq. 

Lagerverlust 

Zurückweisungsq. 

Cost‐Charge‐Back 

Verzugsquote 

Servicegrad (intern) 

Verzugsquote 

Inventory Reserve 

Zurückweisungsq.  Verzögrerungsquote  Verbrauchsabweich.  Ausschuss/Nacharb.  Ausfall/Reparatur 

Legende: A = Generische Kennzahlen (Strukturkennzahlen)    B = Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen    C = Qualitäts‐ und Servicekennzahlen 

445

E

Controlling der Supply Chain

E.3.4

Ausgewählte Visualisierungsformen des Kennzahlenmanagements

Synergetische  Potenziale heben 

Mit diesem Gliederungspunkt finden die Gedanken des Kennzahlenma‐ nagements  innerhalb  moderner  Supply  Chains  ihre  Abrundung.  Die  oben  diskutierte  Typisierungsmöglichkeit  für  ein  Lieferkettenmanage‐ ment dient der inhaltlichen Einordnung einzelner Größen in ein überge‐ ordnetes  Kennzahlensystem.  Dadurch  erschließen  sich  in  der  Supply  Chain  synergetische  Potenziale:  Die  Einzelkennzahlen  verdichten  sich  in  der  Kennzahlenmatrix  in  zwölf  Felder.  Sie  gewinnen  in  Summe  an  struktureller Aussagekraft, verglichen mit der isolierten Aussage einzel‐ ner Indikatoren. 

Grafische Darstel‐ lungsmöglichkeiten 

Einen  zusätzlichen  Schub  an  Transparenz  erfährt  das  diskutierte  Kenn‐ zahlensystem,  indem  ausgewählte  Größen  visualisiert  werden.  In  die‐ sem  Kontext  werden  in  den  nachstehenden  Gliederungspunkten  zu‐ nächst  der  Werttreiberbaum  und  anschließend  der  Kennzahlenradar  beschrieben.  Die  Auswahlkriterien  für  diese  beiden  grafischen  Darstel‐ lungsformen  des  Kennzahlenmanagements  sind  ihr  Pragmatismus  und  ihr  wissenschaftlicher  Anspruch.  Zur  Diskussion  weiterer  Visualisie‐ rungsformen  des  Kennzahlenmanagements  sei  auf  die  einschlägige  Literatur  verwiesen  (vgl.  Botthof/Hölzl  2008;  Deyhle  2003,  S.  94ff.).  Dort  werden  beispielsweise  die  Hilfsmittel  Ist‐Ziel‐Diagramm,  Kennzahlen‐ formular, Grid oder Fadenkreuz thematisiert. 

E.3.4.1

Werttreiberbaum (Value Driver Tree)

Grundidee und  Aufbau 

Die  Idee  zur  Generierung  von  Werttreiberbäumen  entstammt  dem  Du‐ Pont‐Schema,  das  seinerzeit  zur  Ermittlung  des  Return  on  Investment  (ROI) entwickelt wurde. Zur ausführlichen Diskussion um den ROI vgl.  S.  407.  Die  Erstellung  von  Werttreiberbäumen  ist  sowohl  generisch  als  auch  funktionsbereichsbezogen  denkbar.  Neben  dem  Supply  Chain  Management,  können  Treiberbäume  auch  für  die  Produktion  oder  den  Vertrieb aufgebaut werden. Ebenso eignet sich der Aufbau von Werttrei‐ berbäumen, wenn es um Darstellungen des Shareholder Value geht. Zu  den Darstellungsmöglichkeiten von Werttreiberbäumen vgl. Deyhle 2003,  S. 101ff. 

Wurzelknoten als  Spitzenkennzahl 

Im  Rahmen  der  Erarbeitung  moderner  Werttreiberbäume  wurde  aus  dem  ROI‐Schema  der  Grundgedanke  abgekupfert,  Kennzahlen  inner‐ halb  eines  Wirkungskreises  analytisch  oder  sachlogisch  miteinander  zu  verknüpfen.  Dabei  werden  einzelne  Kennzahlen  in  einem  Baum  auf  einen  Spitzenwert  („Wurzelknoten“)  hin  verdichtet.  Die  einzelnen  446

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Kennzahlen  in  diesem  Geflecht  beeinflussen  den  Wurzelknoten  direkt  oder  indirekt,  sie  „treiben“  dessen  Wert.  Dabei  leiten  sich  Werttreiber‐ bäume  zumeist  kombiniert  aus  einem  Erfolgs‐  und  einem  Bilanzstrang  ab.  IT‐gestützt  können  die  Auswirkungen  geänderter  Eingangsparameter  (Kennzahlen)  auf  den  Wurzelknoten  simuliert  werden.  Einige  Bera‐ tungsgesellschaften haben dazu spezielle Software‐Lösungen entwickelt.  Stellvertretend sei hier auf das Tool „Business Planning and Simulation“  von  SAP  verwiesen,  das  die  Simulation  von  Werttreiberbäumen  mit  dem Tool „Business Warehouse – Business Planning Simulation (BW‐BPS)“  ermöglicht. 

Werttreiberbäume  und IT 

Bei  näherer  Betrachtung  von  Werttreiberbäumen  tauchen  als  mögliche  Wurzelknoten insbesondere die Spitzengrößen EBIT, Shareholder Valu‐ e, Economic Value Added, Return on Capital Employed und Discounted  (Free) Cash Flow auf. In Abgrenzung zum tradierten ROI‐Baum, werden  in die Berechnung der Wurzelknoten nicht länger rein monistische Indi‐ katoren  einbezogen.  Vielmehr  können  auch  „Non‐Financials“  (qualita‐ tive  Indikatoren)  als  Einflussgrößen  in  Werttreiberbäumen  berücksich‐ tigt werden. Beispielhaft dafür stehen die „Non‐Financials“ Kundenbin‐ dung, Image, Technologie, Innovation, Mitarbeiter und Qualität. 

Alternative Wur‐ zelknoten im Über‐ blick 

Die  Erstellung  von  Werttreiberbäumen  wird  häufig  mit  Überlegungen  zum  Performance  Measurement  (Performance  Management)  und  der  Balanced  Scorecard  verknüpft  (vgl.  S.  494).  Dieser  Tatbestand  über‐ rascht  nicht  sonderlich.  Performance  Measurement  Konzepte  sind  da‐ rum  bemüht,  auch  nichtmonetäre  Größen  in  ihre  Darstellung  einzube‐ ziehen. Anders ausgedrückt, ist der Werttreiberbaum ein Hilfsmittel, in  dem  der  Beitrag  qualitativer  Indikatoren  zur  Schaffung  oder  Vernich‐ tung finanzieller Ergebnisse („Werte“) visualisiert wird. 

Performance Mea‐ surement Systeme 

In  der  Folge  werden  zwei  Beispiele  zur  Generierung  von  Werttreiber‐ bäumen  herangezogen.  Der  erste  Fall  ist  generisch  gehalten.  Er  bezieht  sich  auf  die  rein  mathematische  Ermittlung  eines  Economic  Value  Ad‐ ded  (EVA).  Das  zweite  Beispiel  ist  speziell  auf  das  Supply  Chain  Ma‐ nagement  zugeschnitten.  Darin  werden  mögliche  Wirkungshebel  der  Wertschöpfungskette  auf  ihren  Wurzelknoten  Return  on  Capital  Employed (ROCE) simuliert. 

Beispielhafte Er‐ stellung von Wert‐ treiberbäumen 

447

E

Controlling der Supply Chain

E.3.4.1.1 Werttreiberbaum über den Knoten EVA EVA als Spitzen‐ wert 

Der  Werttreiberbaum  zur  Berechnung  des  Wurzelknotens  Economic  Value  Added  ist  in  Abbildung  E.11  dargestellt  (vgl.  Deyhle  2004,  S.  101; Speckbacher 2005, S. 9). Ausgenommen von Prozentwerten, gelten  folgende Zahlenangaben in Millionen Euro. In Summe verdichtet sich  der Spitzenwert Economic Value Added (EVA) auf 1,2 Millionen Eu‐ ro. Mit Hilfe dieses monetären Werttreiberbaums wird das Zustande‐ kommen von EVA visualisiert. Die Überleitung auf den Wurzelknoten  ist in fünf verschiedene Arbeitsebenen zerlegt: 

„Dass ihr den  sichersten Pfad  wählt, wer möchte  das leugnen? Aber  ihr tappet nur blind  auf dem gebahntes‐ ten Pfad.“             (F. v. Schiller) 

 Arbeitsebene  1/Arbeitsebene  2:  Der  Wurzelknoten  Economic  Value  Added beträgt in Summe 1,2 Millionen Euro. Dieses Resultat berech‐ net  sich  aus  der  Subtraktion  der  Kapitalkosten  (Capital  Charge)  von  dem  Nettobetriebsergebnis  nach  Steuern  (NOPAT).  Dabei  sind  zwei  primäre Stränge zur Berechnung von EVA zu unterscheiden: Der obe‐ re Bereich (NOPAT) ergibt sich aus Werten der Gewinn‐ und Verlust‐ rechnung. Der untere Zweig (Capital Charge) bezieht sich auf die Bi‐ lanz. 

EVA = NOPAT ‐ Capital Charge EVA  4,0 ‐ 2,8 EVA  1,2

 

Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) NOPAT über  Erfolgsgrößen  berechnen 

 Arbeitsebene 3 (oberer Strang): Die Größe NOPAT berechnet sich aus  der Subtraktion der (Ertrag‐) Steuern von einem NOPBT (Net Opera‐ ting Profit before Tax), dem Nettobetriebsergebnis vor Steuern. In dem  beispielhaft  charakterisierten  Werttreiberbaum  beläuft  sich  der  NO‐ PAT im oberen Zweig auf 4,0 Millionen Euro. 

NOPAT = NOPBT ‐ Tax NOPAT  6,1 ‐ 2,1 NOPAT  4,0

 

Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) Bilanzzahlen füh‐ ren zu Capital  Charge 

 Arbeitsebene  3  (unterer  Strang):  Bei  der  Ermittlung  von  Kapitalkos‐ ten  (Capital  Charge)  im  unteren  Strang,  ist  ein  Bezug  zwischen  Net  Assets sowie Weighted Average Cost of Capital herzustellen. Die Net  Assets leiten sich aus dem insgesamt investierten Kapital ab. Im Rah‐ men  der  Gewinnerzielung  fallen  Kapitalkosten  an.  Diese  zeigen  sich  im  Weighted  Average  Cost  of  Capital,  dem  gewichteten  Eigen‐  und 

448

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Fremdkapitalkostensatz.  Die  Net  Assets  (25,8)  wurden  mit  dem  WACC von 11,0% multipliziert und durch 100 geteilt. Die Kapitalkos‐ ten belaufen sich in Summe auf 2,8 Millionen Euro. 

Capital Charge =

Net Assets   WACC (%) 100

Capital Charge =

25,8  11,0 (%) 100

 

Capital Charge = 2,8 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenomm en Prozentwerte)

 Arbeitsebene  4  (oberer  Strang):  Wie  beschrieben,  stammen  die  Zah‐ len  des  oberen  Zweigs  dieses  Werttreiberbaums  aus  der  Erfolgsrech‐ nung.  Diesbezüglich  ist  auf  vierter Arbeitsebene  die  Kalkulation  der  Größe  NOPBT  (Net  Operating  Profit  before  Tax)  hervorzuheben.  Sie  beläuft  sich  auf  6,1  Millionen  Euro.  Das  Nettobetriebsergebnis  vor  Steuern setzt sich aus dem Rohertrag (Gross Profit/33,8), allgemeinen  Vertriebs‐ und Verwaltungsaufwendungen (Selling and Administrati‐ on/‐29,2),  sonstigen  Aufwendungen  und  Erträgen  (Other/1,5)  sowie  Anpassungen (Adjustment/0,0) zusammen. 

Nettobetriebser‐ gebnis nach Steu‐ ern 

NOPBT = Gross Profit  Selling/Ad m.  Other  Adjustment NOPBT  33,8 ‐ 29,2  1,5  0,0 NOPBT  6,1

 

Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)

 Arbeitsebene 4 (unterer Strang): In dem unteren Strang des Werttrei‐ berbaums bedarf die Zusammensetzung der Net Assets einer näheren  Erläuterung. Die Net Assets addieren sich auf 25,8 Millionen Euro. Sie  setzen sich aus dem Anlagevermögen (Fixed Assets/3,9), inklusive den  Beteiligungen  an  verbundenen  Unternehmen  (Affiliated  Companies),  sowie dem Working Capital (21,9) zusammen.   

449

Aufbruch der Net  Assets 

E

Controlling der Supply Chain

Net Assets = Fixed Assets/Affiliated  Working Capital Net Assets  3,9  21,9 Net Assets  25,8

 

Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)

Finale Betrachtung  der Erfolgsgrößen 

 Arbeitsebene 5 (oberer Strang): Schließlich ist die fünfte Arbeitsebene  zu  kennzeichnen.  Analog  der  bisherigen  Darstellung,  wird  zunächst  der obere Zweig der Gewinn‐ und Verlustrechnung beschrieben. Der  Rohertrag  (Gross  Profit/33,8)  ergibt  sich  aus  der  Verrechnung  von  Umsatz  (Sales/260,0)  und  Herstellungskosten  des  Umsatzes  (Cost  of  Sales/‐226,2).  Gemäß  ihrer  Semantik,  speisen  sich  die  Vertriebs‐  und  allgemeinen  Verwaltungsaufwendungen  (Selling  and  Administrati‐ on/‐29,2)  aus  den  Vertriebsaufwendungen  (Selling/‐28,1)  sowie  den  Verwaltungsaufwendungen  (General/‐1,1).  Weiterhin  bedürfen  die  sonstigen  Aufwendungen  (Other/1,5)  einer  näheren  Betrachtung.  Sie  addieren  sich aus  Forschungs‐  und  Entwicklungsaufwendungen  (Re‐ search  and  Development/0,0)  und  sonstigen  betrieblichen  Erträgen  (Change in Provision/1,5). 

Gross Profit = Sales  Cost of Sales Gross Profit = 260,0 + (‐226,2) Gross Profit  33,8 Selling/Administration  Selling  Administration Selling/Administration  (‐28,1)  (‐1,1) Selling/Administration  (‐29,2)

 

Other  R & D  Change in Provision  Other Other  0,0  1,5 Other  1,5 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) Beachtliches Poten‐ zial zur Beeinflus‐ sung von Supply  Chain Prozessen 

 Arbeitsebene 5 (unterer Strang): Die Bilanzposition Fixed Assets and  Affiliated  (Anlagevermögen  und  Beteiligungen  an  verbundenen  Un‐ ternehmen/3,9) berechnet sich aus eben jenen zwei Größen, wobei sich  die  Fixed  Assets  auf  den  Wert  3,9  und  die  Investments  in  Affiliated  Companies  auf  0,0  belaufen.  Das  Working  Capital  (21,9)  hingegen  setzt  sich  aus  Beständen  (Inventories/12,8),  Forderungen  (Receiva‐ bles/31,2), Verbindlichkeiten (Liabilities/‐22,0) sowie Vorauszahlungen  (Prepayments/‐0,1) zusammen. 

450

Kennzahlenmanagement in der Supply Chain

E.3

Fixed Assets/Affiliated = Fixed Assets  Affiliated Fixed Assetes/Affiliated = 3,9  0,0 Fixed Assets/Affiliated  3,9 Working Capital  Invent.  Receiv.  Liabilities  Prepaym.  Other Working Capital  12,8  31,2  (‐22,0)  (‐0,1)

 

Working Capital  21,9 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)

Der Werttreiberbaum über den Economic Value Added (vgl. Abbildung  E.11)  ist  ein  operativ  geprägtes  Hilfsmittel  des  Managements  im Allge‐ meinen und des Controllings im Speziellen.