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Hartmut Werner
Supply Chain Management Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling 7. Auflage
Supply Chain Management
Hartmut Werner
Supply Chain Management Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Hartmut Werner Wiesbaden Business School Hochschule RheinMain Wiesbaden, Deutschland
ISBN 978-3-658-32428-5 ISBN 978-3-658-32429-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2000, 2002, 2008, 2010, 2013, 2017, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Frau Gabriele Gebauer
zum 80. Geburtstag
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Vorwort
Vorwort
Vorwort zur siebten Auflage „Am Ende wird alles gut werden – und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht zu Ende.“ (Oskar Wilde, irischer Schriftsteller, 1854 – 1900) Die siebte Auflage wurde in einer recht turbulenten Zeit geschrieben: inmit‐ ten der Corona‐Krise. Ein kleines Virus hält die Welt in Atem. Unsere Sicht auf die Dinge ist eine andere geworden. Covid‐19 wirft weite Schatten, auch auf die Supply Chain. Wo gestern Effizienz regierte, zeigt sich heute der Wunsch nach Resilienz. Etablierte und bewährte Supply‐Chain‐Strategien werden plötzlich hinterfragt. Global Sourcing, Just‐in‐Time oder Outsour‐ cing erscheinen in Krisenzeiten in einem neuen Licht. Das vorliegende Buch greift diese Gedanken auf. Darin finden sich einige Überlegungen zu den Auswirkungen von Covid‐19, speziell aus dem Blickwinkel der Logistik. Aber nicht nur wegen Corona war es an der Zeit, diese siebte Auflage zu verfassen. Die Digitalisierung macht auch vor der Supply Chain nicht halt. Ohne Konzepte wie Internet of Things, Big Data, Blockchain‐Technologie oder Machine Learning wäre eine funktionierende Kognitive Supply Chain undenkbar. Die Supply Chain 4.0 ebnet den Weg in die Smart Factory und in die Smart City. In der vorliegenden Auflage werden diese Überlegungen zusätzlich aufgegriffen. Ebenso wurden die bisherigen Inhalte um logisti‐ sche Überlegungen zur Letzten Meile und die Bedeutung von Hub‐and‐ Spoke‐Systemen erweitert. Der Rest der Schrift wurde komplett überarbeitet, die Beispiele grundlegend aktualisiert. Zum guten Gelingen dieses Buchs haben einige Menschen unschätzbare Beiträge geleistet. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Tutor, Herrn Marc Luyckx. Er half mir bei der Erstellung einiger Abbildungen und Literaturrecherchen. Bedanken möchte ich mich auch bei den Studierenden
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Vorwort
der Wiesbaden Business School (Studiengänge „Bachelor of Arts in Business Administration“ und „Master of Arts in Controlling and Finance“). Ich er‐ hielt wertvolle inhaltliche Anregungen aus Gesprächen mit den Studieren‐ den in Vorlesungen, Seminaren und Präsentationen. Seitens des Gabler‐ Verlags bedanke ich mich für die unkomplizierte und jederzeit angenehme Zusammenarbeit bei Frau Susanne Kramer und Frau Renate Schilling. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Familie, die mir in den letzten Wochen viel Zeit schenkte. Die war auch notwendig, um die Neuauflage des mitt‐ lerweile doch recht umfangreichen Buchs anzugehen. Meine Frau Brigitte hielt mir in der heißen Phase den Rücken frei. Unsere Söhne Constantin, Frederik und Adrian verschonten mich glücklicherweise weitgehend mit „Unannehmlichkeiten“ – welcher Art auch immer. Es ist schon fast zur guten Tradition geworden, bei jeder Neuauflage einen kleinen Bezug zum Fußball herzustellen. Eine Leidenschaft, die ich schon seit Kindertagen pflege. Gerade für die Studierenden ist meine bekennende Zuneigung zu Borussia Mönchengladbach offenbar von besonderem Inte‐ resse. Jedenfalls werde ich sehr häufig von ihnen dazu angesprochen, und bei schwarz‐weiß‐grünen Niederlagen bekomme ich entsprechende Kom‐ mentare. Es sei den Studierenden gesagt, dass ich ihnen diese kleinen Stiche‐ leien nicht übel nehme. Diese siebte Auflage widme ich in besonderer Weise Frau Gabriele Gebauer zu ihrem 80. Wiegenfest. Sie hat mit ihrem Mann, Rolf Beisse, das Unter‐ nehmen MEWA Textil‐Management zu einem der führenden Dienstleister der Textilservice‐Branche in Europa aufgebaut. Frau Gebauer und Herr Beisse leben die Intension eines familiengeführten Unternehmens und su‐ chen stets die Nähe zu ihren Mitarbeitern. Was manchmal gar nicht so leicht ist, schenken sie doch fast 5.700 Menschen einen Arbeitsplatz. Ich durfte in den letzten 10 Jahren durch die Wahrnehmung meines Aufsichtsratsmandats recht eng mit Frau Gebauer zusammenarbeiten. Dabei lernte ich ihre menschliche und jederzeit angenehme Art sehr zu schätzen. Frau Gebauer, ich wünsche Ihnen zu ihrem 80. Geburtstag von Herzen alles Gute. Bleiben Sie gesund: Happy birthday! Für eine Diskussion um das Supply Chain Management stehe ich den Lesern gern zur Verfügung. Sie erreichen mich vorzugsweise unter:
hartmut.werner@hs‐rm.de Hartmut Werner
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Wiesbaden, im Oktober 2020
Vorwort
Vorwort zur ersten Auflage Kaum ein Begriff hat in den letzten Jahren in der Betriebswirtschaftslehre für solch eine Furore gesorgt wie der des Supply Chain Managements. Immer mehr Unternehmungen versuchen im Rahmen ihrer Schnittstellenoptimie‐ rung Potentiale zur Rationalisierung auszuschöpfen. Die Wettbewerber geben traditionelle Denkmuster auf, und sie übernehmen die Philosophie der Integration von Unternehmungsabläufen. Das Thema Supply Chain Management ist zur Zeit in der Praxis allgegen‐ wärtig. Bei einem Gang durch die Hallen produzierender Unternehmungen, im Handel und bei Dienstleistern taucht der Begriff vor allem dann auf, wenn es um die Einleitung von Programmen zur Kostensenkung geht. Auch die Literatur beschäftigt sich verstärkt mit dem Supply Chain Management. Vor allem im angloamerikanischen Sprachraum hat sich das Thema mittler‐ weile etabliert. In Deutschland hingegen erhält das Supply Chain Manage‐ ment bislang nur recht zögerlich Eingang in wissenschaftliche Publikatio‐ nen. Die Unterschiede zwischen einem Supply Chain Management und verwandten Konzepten wie Logistik, Einkauf, Beschaffung oder Material‐ wirtschaft werden allerdings zumeist kaum deutlich. In diese Lücke stößt das vorliegende Buch. Als Lehrbuch konzipiert, ist es auf der einen Seite insbesondere für Studierende der Wirtschafts‐ und Inge‐ nieurwissenschaften von Interesse. Auf der anderen Seite findet der Prakti‐ ker zahlreiche und konkret beschriebene Anregungen zur Implementierung eines Supply Chain Managements in seiner Unternehmung. Der Schwer‐ punkt der Ausführungen bezieht sich auf den Industriesektor. Aber auch für weitere Branchen werden eine Reihe von Beispielen zur Nutzbarmachung des Supply Chain Managements angegeben. Das Buch untergliedert sich in fünf Kapitel. In Kapitel A werden die grund‐ legenden Begriffe geklärt. Der Abschnitt B beschäftigt sich mit dem generel‐ len Einfluß von Führungskonzepten auf die Gestaltung eines Supply Chain Managements. Zur Umsetzung dieser Metaführungsansätze sind im Supply Chain Management Strategien von Versorgung, Entsorgung und Recycling einzuleiten. Diese Strategien werden in Kapitel C diskutiert. Der Abschnitt D beschreibt diverse Instrumente des Supply Chain Managements. Sie dienen einer Realisierung der unter Gliederungspunkt C gekennzeichneten Strate‐ gien. Dazu zählen Instrumente zur Bestands‐ und zur Frachtkostenreduzie‐ rung, zur Informationsgewinnung, zur Qualitätssicherung sowie zur DV Unterstützung. Schließlich werden in Kapitel E die Einsatzmöglichkeiten neuer Tools des Controllings im Supply Chain Management beispielhaft charakterisiert.
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Vorwort
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen ganz herzlich bedanken, die mich beim Verfassen dieses Buchs unterstützt haben. Die meisten Abbil‐ dungen wurden durch meine Tutoren, die Herren Ingo Becker und Jörg Dall‐ mann, erstellt. Eine Engelsgeduld bewies Herr Becker, indem er meine (durchaus zahlreichen) Änderungswünsche gewissenhaft in die Druckfor‐ matvorlage integrierte. Für die Mühen des Korrekturlesens danke ich mei‐ nem guten Freund Herrn Dr. Wolfgang Buchholz. Die Eltern von Herrn Dall‐ mann, Frau Erika Dallmann und Herr Dr. Hermann Dallmann, waren so freundlich, das Buch ebenfalls Korrektur zu lesen. Den Studierenden der Fächer Beschaffung / Produktion sowie Unternehmungsplanung an der Fachhochschule Wiesbaden möchte ich für Anregungen zum Supply Chain Management meinen Dank aussprechen. Schließlich bedanke ich mich bei Frau Ulrike Lörcher vom Gabler Verlag für die gute Zusammenarbeit. Das Buch widme ich meiner Mutter, Emmi Werner, und meinem leider schon viel zu früh verstorbenen Vater, Ernst Werner. Sie schenkten meiner Schwester, Carmen Kopka, und mir eine sehr liebevolle sowie geborgene Kindheit und Jugend. Ich würde mich sehr darüber freuen, das Thema Supply Chain Management gemeinsam mit den Lesern dieses Buchs fortzuführen. Gern stehe ich für eine rege Diskussion zum Supply Chain Management zur Verfügung. Hartmut Werner
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Wiesbaden, im August 2000
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... VII Abbildungsverzeichnis ................................................................................ XXI Verzeichnis der Beispielblöcke .................................................................. XXV Verzeichnis der Begriffsblöcke ............................................................... XXVII Abkürzungs‐ und Akronymverzeichnis ................................................. XXIX A Grundlagen .................................................................................................. 1
A.1 Lernziele und Vorgehensweise .......................................................... 1
A.2 Supply Chain Management: Historie und Begriff .......................... 3
A.2.1 Allgemeine Charakterisierung .................................................. 3
A.2.2 Typisierungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements ............................................... 8
A.2.2.1 Typisierungsmöglichkeiten des Supply Chain Managements .............................................. 9
A.2.2.1.1 Typologie nach Bechtel/Jayaram .................................. 9
A.2.2.1.2 Typologie nach Otto .................................................. 10 A.2.2.1.3 Typologie nach Göpfert .............................................. 12
A.2.2.2 Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements ............................................ 13
A.3 Abgrenzung zu verwandten Konzepten ........................................ 15
A.3.1 Abgrenzung von traditionellen Begriffen .............................. 16
A.3.2 Abgrenzung von benachbarten Managementansätzen ........ 17
A.3.2.1 Wertschöpfungskette ........................................................ 17
A.3.2.2 Logistikkette ....................................................................... 18
A.3.2.3 Demand Chain Management ........................................... 19
A.3.2.4 Customer Relationship Management ............................. 19
A.3.2.5 Supplier Relationship Management ............................... 21
A.3.2.6 Beziehungsmanagement .................................................. 21
A.3.2.7 Supply Chain Relationship Management ...................... 22
A.3.2.8 Zusammenfassung der Ergebnisse ................................. 23
A.4 Strukturierung der Supply Chain ................................................... 25
A.4.1 Hierarchisch pyramidale Supply Chains ............................... 26
A.4.2 Polyzentrische Supply Chains ................................................. 27
XI
Inhaltsverzeichnis
A.5 Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements ................ 29
A.5.1 Allgemeine Charakterisierung ................................................ 29
A.5.2 Zielkonflikte einer Supply Chain ............................................ 33
A.6 Motive für die Entstehung von Supply Chains ............................ 36
A.6.1 Total Cost of Ownership .......................................................... 36
A.6.1.1 Allgemeine Charakterisierung ........................................ 36
A.6.1.2 Verzahnung mit Maverick‐Buying ................................. 41
A.6.1.2.1 Maverick‐Buying: Grundlegende Überlegungen . 41
A.6.1.2.2 Eindämmung von Maverick‐Buying über Purchasing Cards ............................................. 43
A.6.2 Transaktionskosten ................................................................... 46
A.6.3 Bullwhip‐Effekt ......................................................................... 47
A.6.4 Globalisierung und gesteigerte Kundenanforderungen ...... 50
A.7 Primäre Strategietypen von Supply Chains .................................. 51
A.7.1 Kostenführerschaft in der Supply Chain ............................... 51
A.7.2 Innovationsführerschaft in der Supply Chain ....................... 52
A.7.3 Serviceführerschaft in der Supply Chain ............................... 53 A.7.4 Qualitätsführerschaft in der Supply Chain ........................... 54
A.8 Netzwerkkoordination in Supply Chains ...................................... 57
A.8.1 Modellierung und Systematisierung von Netzwerken ........ 57
A.8.2 Netzebenen ................................................................................ 60
A.8.3 Netzkompetenz ......................................................................... 61
A.9 Materialflussanalysen in Supply Chains ....................................... 62
A.9.1 Motive für Materialflussanalysen ........................................... 63
A.9.1.1 Systemdefinition ............................................................... 63
A.9.1.2 Materialflusserfassung ..................................................... 64
A.9.1.2.1 Direkte Materialflusserfassung ............................... 65
A.9.1.2.2 Indirekte Materialflusserfassung ............................ 65
A.9.1.3 Materialflussanalyse und ‐visualisierung ...................... 66
A.9.2 Kritische Würdigung ................................................................ 68
A.10 Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements .............. 70
A.10.1 SCOR‐Modell ........................................................................... 70
A.10.1.1 Grundlagen ...................................................................... 70
A.10.1.2 Prozessstufen ................................................................... 71
A.10.1.2.1 Top‐Level (Ebene 1) ................................................ 71
A.10.1.2.2 Configuration‐Level (Ebene 2) .............................. 72
A.10.1.2.3 Process‐Element‐Level (Ebene 3) .......................... 75
XII
Inhaltsverzeichnis
A.10.1.2.4 Implementation‐Level (Ebene 4) ........................... 77
A.10.1.3 Messung über SCOR ....................................................... 78
A.10.1.4 Kritische Würdigung ...................................................... 85
A.10.2 Aufgabenmodell für Supply Chain Software ...................... 86
A.10.2.1 Grundlagen ...................................................................... 86
A.10.2.2 Supply Chain Design ...................................................... 88
A.10.2.3 Supply Chain Planning ................................................... 88
A.10.2.3.1 Bedarfsplanung........................................................ 89
A.10.2.3.2 Netzwerkplanung ................................................... 89
A.10.2.3.3 Beschaffungs‐, Produktions‐ und Distributionsplanung ...................................... 90
A.10.2.3.4 Order Promising ...................................................... 91
A.10.2.3.5 Beschaffungs‐, Produktions‐ und Distributionsfeinplanung ............................... 91
A.10.2.3.6 Kollaborative Planung ............................................ 92
A.10.2.4 Supply Chain Execution ................................................. 92
A.10.2.5 Kritische Würdigung ...................................................... 94
A.11 Verständnisfragen ........................................................................... 95
B Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain ...................................................................................... 97
B.1 Lernziele und Vorgehensweise ........................................................ 97
B.2 Markt‐ und Ressourcenfokussierung .............................................. 98
B.2.1 Charakterisierung ...................................................................... 98
B.2.1.1 Isolierte Marktfokussierung ............................................. 98
B.2.1.2 Isolierte Ressourcenfokussierung .................................. 101
B.2.1.3 Integrierte Markt‐ und Ressourcenfokussierung ......... 103
B.2.2 Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 106
B.3 Total Quality Management ............................................................. 107
B.3.1 Charakterisierung .................................................................... 107
B.3.2 Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 112
B.4 Business Reengineering .................................................................. 113
B.4.1 Charakterisierung .................................................................... 113
B.4.2 Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 115
B.5 Time Based Competition ................................................................. 117
B.5.1 Charakterisierung .................................................................... 117
B.5.2 Beschleunigungsmanagement................................................ 119
XIII
Inhaltsverzeichnis
B.5.2.1 Simultaneous Engineering ............................................. 119
B.5.2.2 Rapid Prototyping ........................................................... 122
B.5.3 Entschleunigungsmanagement ............................................. 124
B.5.4 Supply Chain Engineering ..................................................... 125
B.5.4.1 Vielfalt der Varianten ...................................................... 125
B.5.4.2 Konfiguration der Teile ................................................... 126
B.5.4.3 Auswirkungen auf die Beschaffungsplanung ............. 126
B.5.4.4 Bedingungen für Lagerung und Transport .................. 127
B.5.4.5 Komponenten der Verpackung ...................................... 127
B.5.4.6 Zusammensetzung der Erzeugnisse ............................. 128
B.5.5 Auswirkungen auf das Supply Chain Management ........... 129
B.6 Verständnisfragen............................................................................ 131
C Strategien des Supply Chain Managements ........................................ 133
C.1 Lernziele und Vorgehensweise...................................................... 133
C.2 Grundlagen ...................................................................................... 133
C.2.1 Vertikale Kooperationsstrategien .......................................... 134
C.2.1.1 Lieferantenkooperation .................................................. 134 C.2.1.2 Kundenkooperation ........................................................ 138
C.2.2 Horizontale Kooperationsstrategien ..................................... 139
C.3 Strategien der Versorgung ............................................................. 140
C.3.1 Efficient Consumer Response ................................................ 141
C.3.1.1 Komponenten der Logistik ............................................ 143
C.3.1.1.1 Vendor Managed Inventory ................................... 143
C.3.1.1.2 Cross Docking .......................................................... 152
C.3.1.1.3 Synchronized Production ....................................... 156
C.3.1.2 Komponenten des Marketings ...................................... 157 C.3.1.3 Komponenten der Informationstechnologie................ 158
C.3.2 Customer Relationship Management und Mass Customization ....................................................... 159
C.3.2.1 Customer Relationship Management ........................... 159
C.3.2.1.1 Komponenten .......................................................... 161
C.3.2.1.2 Weiterentwicklung zu Enterprise Relationship Management .................. 162
C.3.2.2 Mass Customization ....................................................... 164
C.3.2.2.1 Soft Customization .................................................. 166
C.3.2.2.2 Hard Customization ............................................... 167
XIV
Inhaltsverzeichnis
C.3.3 Postponement .......................................................................... 169
C.3.3.1 Grundlagen ...................................................................... 169
C.3.3.2 Arten .................................................................................. 172
C.3.3.2.1 Form Postponement ................................................ 172
C.3.3.2.2 Time Postponement ................................................. 173
C.3.4 Sourcing‐Strategien ................................................................. 175
C.3.4.1 Sourcing‐Konzepte unterschieden nach der Lieferantenanzahl............................................ 177
C.3.4.2 Sourcing‐Konzepte unterschieden nach der Güterkomplexität ............................................ 179
C.3.4.3 Sourcing‐Konzepte unterschieden nach der Organisationsform .......................................... 182
C.3.4.4 Sourcing‐Konzepte unterschieden nach dem Ort der Wertschöpfung ................................. 183
C.3.4.5 Sourcing‐Konzepte unterschieden nach dem Beschaffungsareal ......................................... 184
C.3.5 Lieferantenmanagement ......................................................... 187
C.3.5.1 Vorauswahl der Lieferanten ........................................... 188
C.3.5.1.1 Lieferantenidentifikation ........................................ 188
C.3.5.1.2 Lieferanteneingrenzung .......................................... 189
C.3.5.2 Steuerung der Lieferantenbeziehung ............................ 189
C.3.5.2.1 Lieferantenbewertung ............................................. 189 C.3.5.2.2 Lieferantenauswahl ................................................. 190
C.3.5.3 Intensivierung der Lieferantenbeziehung .................... 192
C.3.5.3.1 Lieferantenintegration ............................................ 192
C.3.5.3.2 Lieferantenentwicklung .......................................... 193
C.3.6 Beschaffungsstrategien ........................................................... 195
C.3.6.1 Kanban .............................................................................. 195
C.3.6.2 Fortschrittszahlen ............................................................ 202
C.3.6.3 Belastungsorientierte Auftragsfreigabe ........................ 205 C.3.6.4 Retrograde Terminierung ............................................... 207
C.3.7 Ersatzteilmanagement ............................................................ 209
C.3.7.1 Bestandsmanagement ..................................................... 211
C.3.7.2 Prozessmanagement........................................................ 212
C.3.7.3 Lager und Infrastruktur .................................................. 214 C.3.7.4 Kooperationen .................................................................. 215
C.3.8 Risikomanagement in der Supply Chain ............................. 216
C.3.8.1 Supply‐Chain‐Risiken in ausgewählten Bereichen ..... 217
XV
Inhaltsverzeichnis
C.3.8.2 Risikomanagementprozess in der Supply Chain ........ 219
C.3.8.2.1 Risikoidentifikation ................................................. 219
C.3.8.2.2 Risikoanalyse ........................................................... 220
C.3.8.2.3 Risikobewertung ..................................................... 221
C.3.8.2.4 Risikomilderung ...................................................... 222
C.3.8.2.5 Risikokontrolle ......................................................... 223
C.3.8.3 Supply Chains in Krisenzeiten: Beispiel Corona ......... 224
C.3.8.3.1 Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette ...... 225
C.3.8.3.2 Resilienz statt Effizienz in der Supply Chain ...... 227
C.3.9 E‐Supply Chains ...................................................................... 229
C.3.9.1 Grundlagen ...................................................................... 229
C.3.9.2 Electronic Commerce ...................................................... 235
C.3.9.2.1 Elektronische Marktplätze ..................................... 236
C.3.9.2.2 Kollaborative Prozesse ........................................... 238
C.3.9.2.3 Virtuelle Frachtbörsen ............................................ 240
C.3.9.2.4 Elektronische Ausschreibungen und Auktionen ........................................................ 242
C.3.9.2.5 Tracking and Tracing .............................................. 244
C.3.9.3 Zukünftige Einsatzfelder und Gefahren ...................... 245
C.3.10 Supply Chain 4.0: Kognitiver Wertschöpfungsverbund .. 249
C.3.10.1 Allgemeine Überlegungen zu Supply Chain 4.0 ....... 249
C.3.10.2 Bedeutung von Smart Factory und Smart City ......... 250
C.3.10.3 Technologien in der Kognitiven Supply Chain ......... 256
C.3.10.3.1 Internet of Things und Digital Twins ................. 257
C.3.10.3.2 Big Data .................................................................. 258
C.3.10.3.3 Blockchain .............................................................. 261 C.3.10.3.4 Machine Learning ................................................. 264
C.3.10.4 Kognitive Supply Chain ............................................... 266
C.4 Strategien der Entsorgung und des Recyclings ................................ 271
C.4.1 Strategien der Entsorgung ..................................................... 274
C.4.2 Strategien des Recyclings ....................................................... 277
C.4.3 Green Supply Chains: Sustainability .................................... 281
C.4.3.1 Allgemeine Charakterisierung ...................................... 281
C.4.3.2 Product Carbon Footprint .............................................. 282
C.4.3.3 Ökobilanz in der Green Supply Chain ......................... 284
C.4.3.4 Nachhaltigkeit und Lifecycle Costing .......................... 285
C.5 Verständnisfragen ........................................................................... 288
XVI
Inhaltsverzeichnis
D Instrumente des Supply Chain Managements .................................... 293
D.1 Lernziele und Vorgehensweise ...................................................... 293
D.2 Instrumente zur Bestandsreduzierung ......................................... 294
D.2.1 Dekomposition der Bestände ................................................. 296
D.2.2 Gängigkeitsanalyse ................................................................. 301
D.2.3 Reichweitenmonitoring .......................................................... 306
D.2.4 Konsignationsanalyse ............................................................. 310
D.2.5 Bestandsfinanzierung ............................................................. 316
D.2.6 Durchlaufzeitenanalyse .......................................................... 321
D.2.7 Rüstzeitenanalyse .................................................................... 322
D.3 Instrumente zur Frachtkostenreduzierung .................................. 323
D.3.1 Maschinelle Frachtkostenermittlung .................................... 326
D.3.2 Standardisierung von Verpackungen ................................... 328
D.3.3 Milk Run ................................................................................... 328
D.3.4 Letzte Meile .............................................................................. 329
D.3.4.1 Rahmenbedingungen auf der Letzten Meile ............... 331
D.3.4.2 Technische Innovationen auf der Letzten Meile .......... 331
D.3.4.3 Clevere Zustellmethoden auf der Letzten Meile ......... 333
D.3.5 Hub‐and‐Spoke‐System.......................................................... 335
D.3.5.1 Allgemeine Charakterisierung ...................................... 335
D.3.5.2 Hub‐and‐Spoke im Luftverkehr .................................... 338
D.3.5.3 Hub‐and‐Spoke versus Point‐to‐Point .......................... 339
D.4 Instrumente zur Informationsgewinnung ................................... 341
D.4.1 Benchmarking .......................................................................... 342
D.4.2 Reverse Engineering ............................................................... 347
D.5 Instrumente zur Qualitätssicherung ............................................. 348
D.5.1 Quality Function Deployment ............................................... 351
D.5.2 Failure Mode and Effects Analysis ....................................... 356
D.5.3 Bottleneck Engineering ........................................................... 359
D.6 Instrumente zur IT‐Unterstützung ................................................ 360
D.6.1 Electronic Data Interchange (EDI) und Web‐EDI ............... 361
D.6.2 Barcode ..................................................................................... 363
D.6.3 Radio Frequency Identification (RFID) ................................ 364
D.6.4 Data Warehouse....................................................................... 374
D.6.5 Computer Integrated Manufacturing ................................... 377
D.6.5.1 Produktionsplanung und ‐steuerung (PPS) ................. 378
D.6.5.2 Computer Aided Design (CAD) .................................... 380
XVII
Inhaltsverzeichnis
D.6.5.3 Computer Aided Planning (CAP) ................................. 381
D.6.5.4 Computer Aided Manufacturing (CAM) ..................... 382
D.6.5.5 Computer Aided Quality Assurance (CAQ) ............... 384
D.6.6 Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling .................................... 384
D.7 Verständnisfragen ........................................................................... 391
E Controlling der Supply Chain ............................................................... 393
E.1 Lernziele und Vorgehensweise ...................................................... 393
E.2 Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking ............ 394
E.2.1 Betriebswirtschaftliche Grundlagen ...................................... 394
E.2.2 Cost Tracking ........................................................................... 396
E.2.2.1 Cost Tracking von Materialpreisen ............................... 396
E.2.2.2 Cost Tracking von Frachtkosten .................................... 399
E.2.2.3 Cost Tracking von Beständen ......................................... 401
E.3 Kennzahlenmanagement in der Supply Chain ........................... 403
E.3.1 Allgemeine Grundlagen ......................................................... 403
E.3.2 Arten von Kennzahlen ............................................................ 404
E.3.2.1 Absolute und relative Kennzahlen ................................ 404
E.3.2.2 Erfolgs‐, Liquiditäts‐ und Wertsteigerungskennzahlen .......................................... 405
E.3.2.3 Strategische und operative Kennzahlen ....................... 411 E.3.2.4 Leistungs‐ und Kostenkennzahlen ................................ 411
E.3.3 Kennzahlentypologie der Supply Chain .............................. 412
E.3.3.1 Input: Kennzahlen der Beschaffung .............................. 414
E.3.3.1.1 Generische Kennzahlen .......................................... 415
E.3.3.1.2 Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen ............................... 416
E.3.3.1.3 Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 417
E.3.3.2 Throughput: Kennzahlen der Lagerung, der Kommissionierung und der Produktion ............... 418
E.3.3.2.1 Generische Kennzahlen .......................................... 419
E.3.3.2.2 Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 425
E.3.3.2.3 Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 428
E.3.3.3 Output: Kennzahlen der Distribution ........................... 431
XVIII
E.3.3.3.1 Generische Kennzahlen .......................................... 432
Inhaltsverzeichnis
E.3.3.3.2 Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 434 E.3.3.3.3 Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 435
E.3.3.4 Payment: Kennzahlen der Finanzprozesse ................... 436
E.3.3.4.1 Generische Kennzahlen ........................................... 437
E.3.3.4.2 Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen .............................. 441
E.3.3.4.3 Qualitäts‐ und Servicekennzahlen ......................... 442
E.3.3.5 Kennzahlentypologie im Überblick ............................... 444
E.3.4 Ausgewählte Visualisierungsformen des Kennzahlenmanagements ...................................................... 446
E.3.4.1 Werttreiberbaum (Value Driver Tree) ............................ 446
E.3.4.1.1 Werttreiberbaum über den Knoten EVA ............... 448 E.3.4.1.2 Werttreiberbaum über den Knoten ROCE ............ 452
E.3.4.2 Kennzahlenradar .............................................................. 458
E.3.5 Grenzen des Kennzahlenmanagements einer Supply Chain ................................................................. 462
E.4 Hilfsmittel des Controllings im Supply Chain Management ..... 463
E.4.1 Hard‐(Soft)‐Analyse ................................................................ 463
E.4.1.1 Charakterisierung ............................................................ 463
E.4.1.2 Beispiel für das Supply Chain Management ................ 464 E.4.1.3 Kritische Würdigung ....................................................... 466
E.4.2 Target Costing .......................................................................... 468
E.4.2.1 Charakterisierung ............................................................ 468
E.4.2.2 Festlegung der Zielkosten über Market‐into‐Company .................................................... 469
E.4.2.3 Dekomposition produktbezogener Zielkosten ............ 471
E.4.2.4 Weitere Target‐Costing‐Verfahren im Überblick ......... 472
E.4.2.5 Beispiel für das Supply Chain Management ................ 473
E.4.2.6 Kritische Würdigung ....................................................... 476
E.4.3 Prozesskostenrechnung .......................................................... 477
E.4.3.1 Charakterisierung ............................................................ 478
E.4.3.2 Beispiel für das Supply Chain Management ................ 480
E.4.3.3 Kritische Würdigung ....................................................... 484
E.4.4 Economic Value Added ........................................................... 485
E.4.4.1 Charakterisierung ............................................................ 485
E.4.4.2 Beispiel für das Supply Chain Management ................ 487
E.4.4.3 Kritische Würdigung ....................................................... 489
XIX
Inhaltsverzeichnis
E.4.5 Working Capital Management ............................................... 490
E.4.5.1 Charakterisierung ............................................................ 490
E.4.5.2 Besondere Bedeutung des Cash‐to‐Cash‐Cycle ........... 491
E.4.5.3 Beispiel für das Supply Chain Management ................ 492
E.4.5.4 Kritische Würdigung ....................................................... 493
E.4.6 Supply Chain Performance und Scorecard .......................... 494
E.4.6.1 Charakterisierung ............................................................ 494
E.4.6.2 Alternative Supply Chain Scorecards in der Diskussion ............................................................ 500
E.4.6.2.1 Ansatz nach Brewer/Speh ......................................... 500
E.4.6.2.2 Ansatz nach Stölzle/Heusler/Karrer ......................... 503
E.4.6.2.3 Ansatz nach Weber/Bacher/Groll .............................. 504
E.4.6.2.4 Ansatz nach Richert .................................................. 506 E.4.6.2.5 Ansatz nach Werner ................................................. 507
E.4.6.3 Perspektiven der Supply Chain Scorecard ................... 508
E.4.6.3.1 Finanzperspektive ................................................... 508
E.4.6.3.2 Kundenperspektive ................................................. 510
E.4.6.3.3 Prozessperspektive .................................................. 513
E.4.6.3.4 Lieferantenperspektive ........................................... 516
E.4.6.3.5 Integrationsperspektive .......................................... 519 E.4.6.3.6 Supply Chain Scorecard im Überblick .................. 521
E.4.6.4 Von der Scorecard zur Strategy Map ............................ 525
E.4.6.4.1 Allgemeine Implikationen der Strategy Map ....... 526
E.4.6.4.2 Strategy Map der Supply Chain ............................ 528 E.4.6.4.3 Kombination von Scorecard und Strategy Map .. 532
E.4.6.5 Kritische Würdigung ....................................................... 536
E.5 Verständnisfragen............................................................................ 537
Glossar ............................................................................................................ 539 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 557 Stichwortverzeichnis .................................................................................... 593
XX
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung A.1
Aufbau der Schrift ......................................................... 4
Abbildung A.2
Order‐to‐Payment‐S in der Supply Chain .................. 9
Abbildung A.3
Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements ............................................................... 15
Abbildung A.4
Supply Chain Management und verwandte Konzepte im Überblick ................................................ 24
Abbildung A.5
Hierarchisch pyramidale Supply Chain .................... 26
Abbildung A.6
Polyzentrische Supply Chain ..................................... 28
Abbildung A.7
Total Cost of Ownership ............................................. 40
Abbildung A.8
Purchasing Cards ......................................................... 44
Abbildung A.9
Bullwhip‐Effekt ............................................................ 49
Abbildung A.10 Supply‐Chain‐Risiken der Qualitätsführerschaft .... 55 Abbildung A.11 Materialflussmatrix und Sankey‐Diagramm ............ 68 Abbildung A.12 SCOR‐Toolbox (Ebene 2) ............................................. 74 Abbildung A.13 Kausalkette (Ebene 3) .................................................. 76 Abbildung A.14 Regelkarte (Ebene 3) .................................................... 77 Abbildung A.15 Hauptkennzahlen von SCOR ..................................... 79 Abbildung A.16 Aufgabenmodell für SCM‐Software‐Systeme .......... 87 Abbildung B.1
Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐ Portfolio (GEKKO) ..................................................... 106
Abbildung B.2
Paradigmenwechsel durch TQM ............................. 109
Abbildung B.3
Drei‐Ebenen‐Modell der Qualität ............................ 111
Abbildung B.4
Komponenten des Business Reengineerings .......... 115
Abbildung C.1
Vertikale und horizontale Integration ..................... 134
Abbildung C.2
Komponenten von Efficient Consumer Response . 142
Abbildung C.3
VMI bei Twentieth Century Fox ............................... 152
XXI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung C.4
Zweistufiges Cross Docking ...................................... 154
Abbildung C.5
Hybride Wettbewerbsstrategien ............................... 164
Abbildung C.6
Arten von Mass Customization ................................ 169
Abbildung C.7
Kostenaufwuchskurve ............................................... 170
Abbildung C.8
Strategien des Time Postponements......................... 175
Abbildung C.9
Sourcing‐Toolbox ........................................................ 177
Abbildung C.10 Modular Sourcing ....................................................... 181 Abbildung C.11 Prozess zur Realisierung von Global Sourcing ....... 186 Abbildung C.12 Matrix zur Lieferantenbewertung ............................ 191 Abbildung C.13 Ziele der Lieferantenentwicklung ............................ 193 Abbildung C.14 Kanban ......................................................................... 197 Abbildung C.15 Beispiel eines Produktionskanbans .......................... 198 Abbildung C.16 Beispiel zur Bestimmung von Fortschrittszahlen ... 204 Abbildung C.17 Belastungsorientierte Auftragsfreigabe ................... 207 Abbildung C.18 Heat‐Map einer Supply Chain .................................. 222 Abbildung C.19 Supply‐Chain‐Mitigation ........................................... 223 Abbildung C.20 E‐Commerce im Überblick ........................................ 232 Abbildung C.21 B2B im Einkauf ............................................................ 233 Abbildung C.22 Komponenten der Kognitiven Supply Chain ......... 256 Abbildung C.23 Formen von Offshoring im Überblick ...................... 279 Abbildung D.1
Gesamtkosten der Bevorratung ................................ 296
Abbildung D.2
ABC‐ und XYZ‐Analyse integriert mit Arten der Materialbeschaffung ................................................... 301
Abbildung D.3
Einteilung der Gängigkeit ......................................... 302
Abbildung D.4
Gängigkeit von Beständen ......................................... 304
Abbildung D.5
Maßnahmen zur Reduzierung ungängiger Bestände .................................................. 305
Abbildung D.6
Reichweitenmonitoring .............................................. 309
Abbildung D.7
Konsignationsprozess ................................................ 316
Abbildung D.8
Ablauf der Bestandsfinanzierung ............................. 318
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung D.9
U‐Problematik zwischen Frachtkosten und Beständekosten ................................................... 324
Abbildung D.10 Frachtkosten‐Beständekosten‐Portfolio (FREDI) ... 326 Abbildung D.11 Moderne Zustellmethoden auf der Letzten Meile . 333 Abbildung D.12 Sanduhren‐Hub und Hinterland‐Hub .................... 337 Abbildung D.13 Point‐to‐Point versus Hub‐and‐Spoke..................... 341 Abbildung D.14 Arten des Benchmarkings ......................................... 344 Abbildung D.15 Quality Function Deployment .................................. 355 Abbildung D.16 Formblatt einer FMEA (Wareneingangskontrolle)......................................... 358 Abbildung D.17 Bestandteile eines RFID‐Systems ............................. 365 Abbildung D.18 CIM‐Architektur ........................................................ 378 Abbildung E.1
Cost Tracking von Materialpreisen .......................... 398
Abbildung E.2
Cost Tracking von Frachtkosten ............................... 400
Abbildung E.3
Cost Tracking von Beständen ................................... 402
Abbildung E.4
Typologie relativer Kennzahlen ............................... 405
Abbildung E.5
Beispiel zur Berechnung des Return on Investment ............................................................. 408
Abbildung E.6
Verbesserung des ROI durch Bestandssenkung .... 409
Abbildung E.7
Strategische und operative Kennzahlen .................. 411
Abbildung E.8
Leistungs‐ und Kostenkennzahlen .......................... 412
Abbildung E.9
Struktur der Kennzahlentypologie einer Supply Chain .............................................................. 414
Abbildung E.10 Indikatoren der Kennzahlentypologie einer Supply Chain .................................................... 445 Abbildung E.11 Werttreiberbaum über den Economic Value Added ............................................. 452 Abbildung E.12 Werttreiberbaum über den Return on Capital Employed .................................... 458 Abbildung E.13 Kennzahlenradar einer Supply Chain ..................... 461 Abbildung E.14 Hard‐(Soft)‐Analyse .................................................. 467
XXIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung E.15 Festlegung der Gesamtzielkosten ............................. 470 Abbildung E.16 Zielkostenkontrolldiagramm .................................... 476 Abbildung E.17 Prozesskostenrechnung ............................................. 483 Abbildung E.18 Dimensionen der Unternehmungsleistung ............. 495 Abbildung E.19 Performance Management in Supply Chains ......... 498 Abbildung E.20 Supply Chain Scorecard nach Brewer/Speh .............. 502 Abbildung E.21 Supply Chain Scorecard nach Stölzle/Heusler/Karrer ......................................... 503 Abbildung E.22 Supply Chain Scorecard nach Weber/Bacher/Groll .............................................. 505 Abbildung E.23 Supply Chain Scorecard nach Richert ....................... 507 Abbildung E.24 Strategische Ziele und KPI der Finanzperspektive ................................................ 510 Abbildung E.25 Strategische Ziele und KPI der Kundenperspektive ............................................. 513 Abbildung E.26 Strategische Ziele und KPI der Prozessperspektive .............................................. 516 Abbildung E.27 Strategische Ziele und KPI der Lieferantenperspektive ....................................... 518 Abbildung E.28 Strategische Ziele und KPI der Integrationsperspektive ...................................... 521 Abbildung E.29 Supply Chain Scorecard nach Werner ...................... 522 Abbildung E.30 Strategische Ziele und Kennzahlen der Supply Chain Scorecard ............................................. 523 Abbildung E.31 Kausalkette einer Supply Chain Scorecard ............. 525 Abbildung E.32 Strategy Map einer Supply Chain ............................ 533 Abbildung E.33 Verzahnung von Scorecard und Strategy Map in der Supply Chain ........................... 535
XXIV
Beispielblöcke
Verzeichnis der Beispielblöcke
Beispielblock a.1
Supply Chain Management in der Praxis ............... 31
Beispielblock a.2
Total Cost of Ownership und Maverick‐Buying .... 43
Beispielblock a.3
Bullwhip‐Effekt .......................................................... 49
Beispielblock b.1
Verkürzung der Time‐to‐Market ........................... 119
Beispielblock b.2
Simultaneous Engineering ...................................... 120
Beispielblock c.1
Lieferantenintegration in Hambach ...................... 135
Beispielblock c.2
Resident Engineering .............................................. 137
Beispielblock c.3
Kundenintegration .................................................. 139
Beispielblock c.4
Mass Customization über das Internet ................. 166
Beispielblock c.5
Beispiel zu Postponement ....................................... 171
Beispielblock c.6
Problembehaftete Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen ........................ 231
Beispielblock c.7
Möglichkeiten im B2C‐Geschäft ............................ 235
Beispielblock c.8
Fachportal ................................................................. 237
Beispielblock c.9
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment .................................................. 240
Beispielblock c.10
Virtuelle Frachtbörse ............................................... 241
Beispielblock c.11
Tracking and Tracing via GPS ................................ 245
Beispielblock c.12
Fourth‐Party‐Logistics‐Provider ............................ 246
Beispielblock c.13
Kurier, Express‐ und Paketdienste ........................ 247
Beispielblock c.14
E‐Fulfillment ............................................................. 248
Beispielblock c.15
Bohrinsel „Deepwater Horizon” ............................ 274
Beispielblock c.16
Recycling im Netzwerk ........................................... 278
Beispielblock c.17
Recycling über Computer Aided Dispatching ..... 279
Beispielblock c.18
Recycling in der Automobilindustrie .................... 280
Beispielblock c.19
Optimierung der Transportmittelauslastung ....... 282
XXV
Verzeichnis der Beispielblöcke
Beispielblock c.20
Beispiel des Lifecycle Costings .............................. 287
Beispielblock d.1
Dekomposition der Bestände ................................. 297
Beispielblock d.2
ABC‐Analyse (Prozentangaben beispielhaft) ...... 298
Beispielblock d.3
Lieferanten‐Logistik‐Zentrum ............................... 315
Beispielblock d.4
Reduzierung von Rüstzeiten .................................. 323
Beispielblock d.5
Benchmarking .......................................................... 345
Beispielblock d.6
Beispiele zu Quality Function Deployment ......... 351
Beispielblock d.7
Quo Vadis RFID? ..................................................... 374
Beispielblock d.8
Advanced Planning and Scheduling ..................... 388
Beispielblock e.1
Berechnung des Net Operating Profit After Tax . 488
Beispielblock e.2
Berechnung des Capital .......................................... 488
Beispielblock e.3
Berechnung des Economic Value Added ............. 489
XXVI
Begriffsblöcke
Verzeichnis der Begriffsblöcke
Begriffsblock A.I
Definition des Supply Chain Managements ........... 6
Begriffsblock A.II
Bereiche im Order‐to‐Payment‐S ............................... 8
Begriffsblock A.III
Effektivität und Effizienz sowie Zielharmonie von Erfolgsfaktoren .......................... 30
Begriffsblock B.I
Vier „Re’s“ des Business Reengineerings .............. 114
Begriffsblock B.II
Pionier‐ und Follower‐Management ..................... 118
Begriffsblock B.III
Ausgewählte Techniken des Rapid Prototypings .................................................. 123
Begriffsblock C.I
Möglichkeiten der Lieferantenanbindung ............ 136
Begriffsblock C.II
VMI und benachbarte Begriffe ............................... 144
Begriffsblock C.III
Customer Relationship Management und verwandte Konzepte........................................ 159
Begriffsblock C.IV
Arten von Abrufen ................................................... 202
Begriffsblock C.V
Arten elektronischer Marktplätze .......................... 236
Begriffsblock C.VI
Strategien des Recyclings ........................................ 277
Begriffsblock D.I
XYZ‐Analyse ............................................................ 299
Begriffsblock D.II
Arten der Materialbeschaffung .............................. 300
Begriffsblock D.III
Definition der Lagerreichweite .............................. 306
Begriffsblock D.IV
Gründe zur Durchführung von Konsignation ..... 311
Begriffsblock D.V
Arbeitsplan ............................................................... 322
Begriffsblock D.VI
Qualitätsbegriffe ...................................................... 349
Begriffsblock D.VII EDIFACT und ODETTE .......................................... 361 Begriffsblock D.VIII EAN‐Code und Global Commerce Initiative ....... 364 Begriffsblock D.IX
MRP‐Systeme ........................................................... 385
XXVII
Verzeichnis der Begriffsblöcke
Begriffsblock E.I
Design‐to‐Cost ......................................................... 469
Begriffsblock E.II
Value Engineering und Value Analysis ................ 471
Begriffsblock E.III
Basisformel des Economic Value Added .............. 486
XXVIII
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
2PL ....................... Second‐Party‐Logistics‐Provider 3PL ....................... Third‐Party‐Logistics‐Provider 4PL ....................... Fourth‐Party‐Logistics‐Provider A2A ...................... Administration‐to‐Administration
A2B ....................... Administration‐to‐Business A2C ...................... Adminstration‐to‐Customer ABS ....................... Antiblockiersystem Act ........................ Actual AEI ....................... Automatic Equipment Identification AFZ ...................... Ausgangs‐Fortschrittszahl AM ....................... After Market AMR ..................... Advanced Manufacturing Research APO ...................... Advanced Planner and Optimizer APS ....................... Advanced Planning and Scheduling AR ........................ Augmented Reality Athene ................. Applied Theories Enabling Network Excellence ATP ....................... Available‐to‐Promise B2A ....................... Business‐to‐Administration B2B ....................... Business‐to‐Business B2C ....................... Business‐to‐Customer BDE ...................... Betriebsdatenerfassung BGB ...................... Bürgerliches Gesetzbuch Bit ......................... Binary Digit BMI ....................... Buyer Managed Inventory BOA ...................... Belastungsorientierte Auftragsfreigabe
XXIX
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
BSE ....................... Bovine Spongiforme Enzephalopathie BTO ...................... Built‐to‐Order Bud ....................... Budget C2A ...................... Customer‐to‐Administration C2B ....................... Customer‐to‐Business C2C ...................... Customer‐to‐Customer c* ........................... Gesamtkapitalkostensatz cw ......................... Luftwiderstand CAD ..................... Computer Aided Design CADIS.................. Computer Aided Dispatching CAE ...................... Computer Aided Engineering CAM .................... Computer Aided Manufacturing CAP ...................... Computer Aided Planning CAO ..................... Computer Assisted Ordering CAQ ..................... Computer Aided Quality Assurance
CH4 ..................... Methan CIM ...................... Computer Integrated Manufacturing CMI ...................... Co‐Managed Inventory CNC ..................... Computerized Numeric Control
CO2 ..................... Kohlendioxid CPFR .................... Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment CPL ...................... Collaborative Planning CPPS .................... Cyber‐Physisches‐Produktions‐System CPS ....................... Cyber‐Physisches‐System CR ........................ Continuous Replenishment CRM ..................... Customer Relationship Management CRP ...................... Capacity Requirement Planning CSCW .................. Computer Supported Cooperative Work CTP ...................... Capable‐to‐Promise DCM .................... Demand Chain Management Demantra ............ Demand Management
XXX
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
DESADV .............. Despatch Advice DFMA .................. Design‐for‐Manufacturing‐and‐Assembling DFÜ ...................... Datenfernübertragung DIN ...................... Deutsche Industrie Norm DNC ..................... Direct Numeric Control DRP ...................... Distribution Requirement Planning DVD ..................... Digital Versatile EAN ..................... Europäische Artikelnummer EAS ....................... Electronic Article Surveillance EBIS ...................... European Business Information Systems EBIT ...................... Earnings before Interest and Taxes ECR ...................... Efficient Consumer Response EDI ....................... Electronic Data Interchange EDIFACT ............. Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport EDITT................... Dynamic Interoperale Track and Trace EDL ...................... Externer Dienstleister EEPROM ............. Electrical Erasable Programmable Read Only Memory EFQM ................... European Foundation for Quality Management EFZ ....................... Eingangs‐Fortschrittszahl EKG ...................... Elektrokardiogramm ERM ..................... Enterprise Relationship Management ERP ....................... Enterprise Resource Planning ESP ....................... Elektronisches Stabilitätsprogramm EST ....................... Electronic Sell Thru EUL ...................... Efficient Unit Loads EVA ...................... Economic Value Added FAB ....................... Feinabruf FCKW .................. Flurchlorkohlenwasserstoff FOX ...................... vgl. TCFHE FMAE ................... Failure Mode and Effects Analysis
XXXI
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
F & E .................... Forschung und Entwicklung FREDI .................. Frachtkosten‐Beständekosten‐Portfolio FTF ....................... Fahrerlose Transportfahrzeuge G & V ................... Gewinn‐ und Verlustrechnung GEKKO ................ Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio GHz ...................... Gigahertz GoB ...................... Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung GPS ...................... Global Positioning System HGB ..................... Handelsgesetzbuch HRL ..................... Hochregallager IFRS ...................... International Financial Reporting Standards Incoterms ............ International Commercial Terms INVRPT ............... Inventory Report IoT ........................ Internet of Things ISO ....................... International Standardization Organization IT .......................... Informationstechnologie ITS ........................ Internet Transaction Server JiT ......................... Just‐in‐Time JiS ......................... Just‐in‐Sequence KB ......................... Kilobyte KEP ...................... Kurier, Express‐ und Paketdienst KHz ...................... Kilohertz KI .......................... Künstliche Intelligenz KLT ...................... Kleinladungsträger KMU .................... Kleine und mittelgroße Unternehmungen KPI ....................... Key Performance Indicator KrW/AbfG ........... Kreislaufwirtschafts‐ und Abfallgesetz KVP ...................... Kontinuierlicher Verbesserungsprozess LAB ...................... Lieferabruf LCD ...................... Liquid Crystal Display LLZ ...................... Lieferanten‐Logistik‐Zentrum
XXXII
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
lmi ........................ Leistungsmeneninduziert lmn ....................... Leistungsmengenneutral LOM ..................... Laminated Object Manufacturing M€ ........................ Millionen Euro MA ....................... Mitarbeiter MHz ..................... Megahertz MIDAS ................. Maintenance of Item, Display and Store Relationship MIRS .................... Modular Integrated Robotized System MIS ....................... Management‐Informationssystem MIT ....................... Massachusetts Institute of Technology MITI ..................... Japanese Ministry of International Trade and Industry MPA ..................... Materialpreisabweichung MPS ...................... Master Production Scheduling MRO ..................... Maintenance, Repair and Overhaul (Operations) MRP I ................... Material Requirements Planning MRP II .................. Manufacturing Resource Planning MTE ...................... Make‐to‐Engineer MTO ..................... Make‐to‐Order MTS ...................... Make‐to‐Stock
N2O ..................... Flurchlorkohlenwasserstoff NASA ................... National Aeronautics and Space Administration NC ........................ Numeric Control NIAT .................... Net Income after Tax NOPAT ................ Net Operating Profit after Tax NOPBT ................. Net Operating Profit before Tax NVE ...................... Nummer der Verladeeinheit ODETTE .............. Organization for Data Exchange by Teletransmission in Europe OEM ..................... Original Equipment Manufactured Part OES ....................... Original Equipment Spare Part OLAP ................... Online Analytical Processing
XXXIII
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
Olk ....................... Outlook OP ........................ Operating Profit ORDRSP .............. Pegged Orders OSP ...................... On Screen Programming P‐3‐Analyse ......... Position‐3‐Analysis PCF ...................... Product Carbon Footprint PDF ...................... Portable Data File PMG ..................... Performance Measurement Group POP ...................... Payment‐on‐Production POS ...................... Point‐of‐Sale PPE ....................... Property, Plant & Equipment PPM ..................... Parts per Million PPS ....................... Produktionsplanung und ‐steuerung PRTM ................... Pittiglio Rabin Todd & McGrath PZK ...................... Prozesskosten QFD ..................... Quality Function Deployment qm ........................ Quadratmeter QM ....................... Qualitätsmanagement QR ........................ Quick Response R & D ................... Research and Development RAM .................... Random Access Memory RAP ...................... Rechnungsabgrenzungsposten RCO ..................... Real Cost of Ownership RCS ...................... Roll Cage Sequencing RECADV ............. Receiving Advice RFID ..................... Radio Frequency Identification RKW .................... Rationalisierungs‐Kuratorium der Deutschen Wirtschaft ROA ..................... Return on Assets ROCE ................... Return on Capital Employed ROE ...................... Return on Equity ROI ....................... Return on Investment
XXXIV
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
ROM ..................... Read Only Memory ROTC ................... Return on Total Capital ROS ...................... Return on Sales RPZ ...................... Risikoprioritätszahl SC ......................... Supply Chain SCC ...................... Supply Chain Council SCEM ................... Supply Chain Event Management SCM ...................... Supply Chain Management SCOR‐Model ....... Supply Chain Operations Reference Model SCRM ................... Supply Chain Relationship Management
SF6 ....................... Schwefelhexalfluorid SILS ...................... Supply‐in‐Line‐Sequence SLSRPT ................ Sales Report SMI ....................... Supplier Managed Inventory SNP ...................... Supply Network Planning SPC ....................... Statistical Process Control SRM ...................... Supplier Relationship Management T€ .......................... Tausend Euro TBO ...................... Total Benefit of Ownership TCO ...................... Total Cost of Ownership TCFHE ................. Twentieth Century Fox Home Entertainment TQM ..................... Total Quality Management TV ......................... Television UHF ...................... Ultra‐High‐Frequency USA ...................... United States of America US‐GAAP ............ United Stated General Accepted Accounting Principles VDI ....................... Verband Deutscher Ingenieure VDA ..................... Verband der Automobilindustrie VfW ...................... Vereinigung für Wertstoffrecycling VIA ....................... Verbund Initiative Automobil VMI ...................... Vendor Managed Inventory
XXXV
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
VOD ..................... Video on Demand VTW ..................... Vertriebswege WACC .................. Weighted Average Cost of Capital WIP ...................... Work‐in‐Process WM ...................... Warehouse Management WWF .................... World Wildlife Fond XML ..................... Extensible Markup Language YE ......................... Year End YTD ...................... Year to Date
XXXVI
Lernziele und Vorgehensweise
A.1
A Grundlagen
A.1
Lernziele und Vorgehensweise
Das Supply Chain Management (SCM) ist seit geraumer Zeit in Theorie und Praxis allgegenwärtig. Vor allem auf Grund der hohen Rationalisie‐ rungspotenziale, die dem Konzept beigemessen werden, versuchen immer mehr Organisationen ein Supply Chain Management einzufüh‐ ren. Zum Beispiel konnte IBM offenkundig innerhalb eines Geschäfts‐ jahrs Kosteneinsparungen durch eine nachhaltige Straffung der Wert‐ schöpfungsaktivitäten von circa sieben Milliarden US‐Dollar erzielen (vgl. Wannenwetsch 2005, S. 1). Wal Mart, der weltweit größte Waren‐ hauskonzern, sieht in einer Optimierung der Supply Chain Möglichkei‐ ten zur Kostenreduzierung von circa 25%. Weiterhin unterstellt die Con‐ sulting‐Gesellschaft PRTM dem Supply Chain Management folgende Verbesserungsmöglichkeiten (vgl. Becker 2004, S. 86; ähnlich Poluha 2016, S. 87):
Kriterium
„It’s a hot thing and it’s getting hotter…“
Verbesserungspotenzial
Bestände
50% bis 80%
Liefertreue
10% bis 25%
Rückgang überfälliger Bestellungen
70% bis 90%
Verkürzung der Auftragsabwicklungszeit
40% bis 75%
Gemeinkostensenkung
10% bis 30%
Verkürzung der Herstellzyklen
30% bis 90%
Auch wenn solche Zahlenangaben immer mit großer Vorsicht zu ge‐ nießen sind, weil diese Werte nur ceteris paribus gelten (wie kann mit Sicherheit festgestellt werden, dass diese Verbesserungen ausschließlich einem Supply Chain Management zuzuschreiben sind?), scheint sicher: © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_1
1
Das Geld liegt im Prozess!
A
Grundlagen
Dem Ansatz sind immense Optimierungspotenziale geschuldet. Das Geld liegt offenkundig nicht länger im Einkauf (gemäß einer alt gedien‐ ten These der Betriebswirtschaftslehre), sondern in einer Prozessverbes‐ serung, und in dem forcierten Management interner sowie über Netz‐ werke gerichteter Schnittstellen von Unternehmen. Mit der Stange im Nebel stochern
Das Supply Chain Management zieht in seinem Sog eine Reihe weiterer Ansätze mit sich. Selten wird allerdings deutlich, was sich hinter den Schlagworten verbirgt. Auch bleiben die Hinweise auf eine konkrete Anwendung der Konzepte zumeist nebulös. Diesem Problem stellt sich die vorliegende Schrift. In diesem Buch wird der Versuch unternommen, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie Unternehmen die Verbesse‐ rungspotenziale heben können, die einem Supply Chain Management inhärent sind. Dabei wird auf eine Vielzahl von Beispielen zurückge‐ griffen, welche dabei helfen, die folgenden Ausführungen besser zu verstehen.
Aufbau der Schrift in fünf Abschnitte
Zunächst sind in diesem Kapitel A die Grundlagen des Supply Chain Managements darzustellen. In Abschnitt B wird der Einfluss moderner Managementkonzepte auf die Ausgestaltung der Supply Chain gekenn‐ zeichnet. Diesbezüglich werden Markt‐ und Ressourcenfokussierung, Total Quality Management, Business Reengineering sowie Time Based Competition beschrieben. Für die Nutzung dieser Konzepte sind Strate‐ gien zu formulieren. In Kapitel C wird eine dezidierte Kennzeichnung von Strategien vorgenommen, welche für ein Supply Chain Manage‐ ment von Bedeutung sind. Diese lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Einerseits in Versorgungsstrategien, wie Efficient Consumer Response, Sourcing‐Ansätze oder neuere Beschaffungskonzepte. Andererseits in Strategien von Entsorgung und Recycling. Zur Umsetzung dieser Stra‐ tegien sind unterschiedliche Instrumente notwendig, die unter dem Hauptgliederungspunkt D beschrieben werden. Mögliche Hilfsmittel des Supply Chain Managements stellen Maßnahmen zur Reduzierung von Bestands‐ und Frachtkosten, Instrumente zur verbesserten Informa‐ tionsgewinnung sowie zur forcierten Qualitätssicherung dar. Außerdem wird unter Gliederungspunkt D deutlich, welche IT‐Systeme und digita‐ len Lösungen das Supply Chain Management unterstützen. Schließlich finden sich in Abschnitt E wesentliche Aspekte des Controllings moder‐ ner Lieferketten. Dieses Kapitel bezieht sich auf neuere Controlling‐ Ansätze. Abbildung 1 spiegelt den Aufbau dieser Schrift.
Zum Umgang mit dem Buch
Jedem Kapitel werden im Folgenden seine Lernziele und die Vorge‐ hensweise der Bearbeitung vorangestellt. In Marginalien sind die we‐
2
Supply Chain Management: Historie und Begriff
A.2
sentlichen Inhalte hervorgehoben. Übersichtlich werden die verwende‐ ten zentralen Begriffe in einem Glossar zusammengefasst. Viele Beispie‐ le aus der Praxis unterstreichen die theoretischen Ausarbeitungen. Am Ende der Gliederungsabschnitte finden sich zudem jeweilige Verständ‐ nisfragen. Das Lernziel und die Vorgehensweise von Kapitel A bestehen darin, das Supply Chain Management von unterschiedlichen Bereitstellungs‐ ansätzen (Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik) sowie modernen Management‐Konzepten abzugrenzen. Zunächst wird die historische Entwicklung des Supply Chain Managements beschrieben. Anschlie‐ ßend sind zentrale Begriffe des Ansatzes zu klären. Weiterhin sind Typi‐ sierungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen von Supply Chains ebenso zu diskutieren, wie deren Entstehungsmotive. Schließlich finden sich in diesem Kapitel primäre Strategietypen, Netzwerkarten, Material‐ flussanalysen und Gestaltungsmodelle innerhalb der Supply Chain.
A.2
Supply Chain Management: Historie und Begriff
A.2.1
Allgemeine Charakterisierung
Die Wurzeln des Supply Chain Managements liegen in den USA. An‐ fang der 80er Jahre prägten angloamerikanische Consultants den Begriff (vgl. Houlihan 1985; Jones/Riley 1985). Vor allem Oliver und Webber (vgl. Oliver/Webber 1992) sind als praxisorientierte Protagonisten des Supply Chain Managements zu nennen. Die Theorie nahm sich dem Konzept in den späten 80er Jahren, wiederum zunächst in den USA, an. Zu den Wegbereitern einer theoretischen Festigung des Begriffs zählen Bothe 1989, Copra/Meidl 2008, Christopher 2004, Davis 1993, Ellram/Cooper 1990 und 1993, Fawcett et al. 2006, Fisher 1997, Hewitt 1994, Macbeth/Ferguson 1993, Simchi‐Levi et al. 2007, Stevens 1989 und Towill 1996. In Deutschland etablierte sich das Supply Chain Management in Theorie und Praxis Mitte der 90er Jahre. Hierzulande nahmen die wissenschaftlichen Arbei‐ ten auf diesem Gebiet in den letzten Jahren zu.
3
Lernziele und Vorgehensweise
SCM: Ein Begriff aus der Praxis
Aufbau der Schrift
Kennzahlen/ SC Performance
Kapitel A Grundlagen
4
Einfluss von Führungskonzepten auf das Supply Chain Management Markt/ Ressourcen
Business Reengineering
TQM
Time Based Competition
EVA
Working Capital
Kapitel B
Prozesskosten
Kapitel C Strategien des Supply Chain Managements
Kapitel D Instrumente des Supply Chain Managements Instrumente zur Be‐ standsreduzierung
Hard‐(Soft)‐ Analyse
Strategien der Ent‐ sorgung und des Recyclings
Strategien der Ver‐ sorgung
Target Costing
Controlling der Supply Chain
Kapitel E
Abbildung A.1
Grundlagen
A
Instrumente zur Fracht‐ kostenreduzierung
Instrumente zur Informa‐ tionsgewinnung
Instrumente zur Quali‐ tätssicherung
Instrumente zur IT‐ Unterstützung
Supply Chain Management: Historie und Begriff
A.2
Im Rahmen einer begrifflichen Klärung zum Supply Chain Manage‐ ment gehen die oben genannten Autoren zum Teil deutlich auseinander (vgl. zur Begriffsfindung Otto/Kotzrab 2001, S. 157ff. und Gliederungs‐ punkt A.2.2 der vorliegenden Schrift). Beispielsweise bedeutet für Towill (vgl. Towill 1996, S. 15ff.) ein Supply Chain Management die Verkettung von Systemen zur Auftragsabwicklung. Fisher (vgl. Fisher 1997, S. 105ff.) hingegen sieht in einer Supply Chain vor allem einen Absatzkanal, der die Fertigungsstätten mit ihren Kunden verbindet. Ganz anders Harring‐ ton (vgl. Harrington 1995, S. 30ff.): Er beschreibt ein Supply Chain Ma‐ nagement als Gebilde zur Abwicklung kombinierter Material‐ und In‐ formationsflüsse. Für Stevens (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.) reicht die Supply Chain von der „Source of Supply“ bis zum „Point of Consumption“. Schließlich bedeutet für Ellram und Cooper (vgl. Ellram/Cooper 1990, S. 1ff.) ein Supply Chain Management die Verknüpfung von Wertschöp‐ fungsprozessen.
Von der Source of Supply bis zum Point of Consump‐ tion
Unabhängig von den differierenden begrifflichen Klärungen scheint allgemein akzeptiert, dass im Supply Chain Management, basierend auf der Wertschöpfungskette (Value Chain) von Michael E. Porter (vgl. Porter 2006; Porter 2013; Porter 2014), der Gedanke einer Integration von Unter‐ nehmensaktivitäten aufgegriffen wird. Grundsätzlich misst die Wert‐ schöpfung die selbst erstellten Leistungen eines Unternehmens, abzüg‐ lich erbrachter Vor‐ und Fremdleistungen. Während bislang die einzel‐ nen Bereiche weitgehend losgelöst voneinander standen, werden im Supply Chain Management die Verbesserungspotenziale an den Schnitt‐ stellen – sowohl unternehmensintern als auch über Netzwerke ausge‐ richtet – aufgedeckt.
Wertschöpfungs‐ kette als Ur‐ sprungsquelle
Ein Supply Chain Management erstreckt sich über komplette Unter‐ nehmensnetzwerke. Das kooperative Partnergeflecht spannt sich über mehrere vertikale Ebenen, verstanden als „Lieferanten‐Hersteller‐ Kunden‐Verbund“. In dieser Wertschöpfungskette laufen eine Vielzahl von Aktivitäten ab. Ein wichtiges Ziel besteht darin, durch eine umfas‐ sende Kostenanalyse die Transaktionskosten innerhalb der kompletten Supply Chain zu reduzieren. Transaktionskosten fallen für aufeinander folgende Tätigkeiten an (vgl. zu Transaktionskosten ausführlich S. 46). Zur Koordination der Prozesse werden zwischen den beteiligten Part‐ nern institutionelle Regelungen für den Austausch von Waren sowie Diensten vorgegeben. Bei der Minimierung der Transaktionskosten sind die Wahl der Organisationsform, die Spezifizierung der Prozesse und der Grad an Unsicherheit relevante Stellhebel. Insbesondere durch die rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie
Senkung von Transaktionskosten in Netzwerken
5
A
Grundlagen
(IT), wird die Ausschöpfung von Kostensenkungspotenzialen über op‐ timierte Transaktionen gefördert. Interaktionen zwischen den Akteuren
Ein einheitliches Verständnis gegenüber einem Supply Chain Manage‐ ment hat sich bislang noch nicht durchgesetzt. Dies mag insbesondere der Tatsache geschuldet sein, dass der Ansatz seine Wurzeln in der Un‐ ternehmenspraxis hat. Es scheint jedoch allgemein akzeptiert, sämtliche Ziele und abgeleitete Handlungen der Supply Chain zur Sicherung und Verbesserung von Güter‐ und Werteflüssen im Wettbewerb zu nutzen. Die Komponenten innerhalb einer Supply Chain stellen kein unver‐ bundenes Nebeneinander dar. Sie beziehen sich vielmehr auf die kom‐ plette Wertschöpfungskette: Von der Anlieferung, über die Fertigung und den Verkauf, bis zur Entsorgung oder zum Recycling. Zusätzlich spielt das zwischenmenschliche Verhältnis der beteiligten Partner unter‐ einander eine besondere Rolle für die Abwicklung kooperativer Ge‐ schäftsprozesse. Bindung, Vertrauen, Transparenz und Loyalität sind wichtige Faktoren, um die Beziehungen der Akteure zu verbessern (So‐ zialebene der Supply Chain).
SCM berücksich‐ tigt explizit Fi‐ nanzströme
Auch die begleitenden Geldflüsse finden Berücksichtigung. Es handelt sich dabei um Finanzströme, wie die Fakturierung im Rahmen der Auf‐ tragsabwicklung oder Debitoren‐ und Kreditorenzahlungen. Grundsätz‐ lich gilt, dass mit steigender Zahlungsfrist der Finanzierungsbedarf wächst. Es muss bei einer Zahlung auf Ziel quasi eine Vorfinanzierung vorgenommen werden, die zu Opportunitätskosten führt, weil das ge‐ bundene Geld nicht gewinnbringend eingesetzt werden kann.
Begriffsklärung der vorliegenden Schrift
Aus den oben beschriebenen elementaren Inhalten eines Supply Chain Managements leitet sich die in dieser Schrift herangezogene Begriffsklä‐ rung ab. Diese bezieht sich im Kern auf die Definitionen von Ellram und Cooper (vgl. Ellram/Cooper 1990, S. 1ff.) sowie von Harrington (vgl. Har‐ rington 1995, S. 30ff.), erweitert sie jedoch erheblich. Die Definition ist bewusst grob granuliert und wird in Block A.I wiedergegeben.
Begriffsblock A.I
Definition des Supply Chain Managements Ein Supply Chain Management (Lieferkettenmanagement) reicht von der Source of Supply bis zum Point of Consumption. Es umfasst Material‐, In‐ formations‐ und Geldflüsse entlang der kompletten Wertschöpfungskette (Versorgung, Entsorgung, Recycling) und berücksichtigt zusätzlich die Be‐ ziehungen der Akteure zueinander (Sozialebene der Supply Chain).
6
Supply Chain Management: Historie und Begriff
Umgangssprachlich können Supply‐Chain‐Aktivitäten als Management moderner Lieferketten verstanden werden. Wie deutlich wurde, reichen sie nach Stevens (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.) von der „Source of Supply“ bis zum „Point of Consumption“. Ein Supply Chain Management bezieht sich einerseits auf die Prozesse innerhalb eines Unternehmens (unter‐ nehmensinterne Supply Chain). Auf der anderen Seite erstreckt sich das Supply Chain Management auf eine Verzahnung dieser Organisation mit ihrer Umwelt (Supply‐Chain‐Netzwerk). Abbildung A.2 unterstreicht diesen Zusammenhang.
Unternehmensinterne Supply Chain: Der Bezugspunkt der internen Supply Chain hängt von der Fertigungstiefe eines Unternehmens ab. In Abbildung A.2 bezieht sich die Supply Chain auf ein Montageun‐ ternehmen. Für eine fertigende Organisation oder einen Dienstleister wären die Elemente der Kette hinsichtlich ihrer Spezifika zu modifi‐ zieren. Die interne Supply Chain umfasst in diesem Beispiel folgende Stufen: Wareneingang, Hochregallager, Kommissionierung, Vormon‐ tage, Zwischenlager, Endmontage und Versand. Ein vorgelagerter Be‐ reich versorgt seinen jeweils nachgelagerten. Der physische Warenfluss verläuft in dieser Richtung. Die Wertschöpfung nimmt stufenweise von links nach rechts zu.
Unternehmensintegrierte Supply Chain: Eine integrierte (Netzwerk gerichtete) Supply Chain positioniert sich auf die externen Schnittstel‐ len eines Unternehmens. Im Eingangsbereich („Inbound“) findet eine Verzahnung dieser Organisation mit ihren Lieferanten statt. Im Wa‐ renausgang (Outbound“) ist das Unternehmen mit seinen Kunden verbunden. In dieses Netzwerk sind auch die „Lieferanten der Liefe‐ ranten“ und die „Kunden der Kunden“ einbezogen. Anders ausge‐ drückt, umspannt eine integrierte Supply Chain sämtliche Aktivitäten im Netzwerk der Akteure. Sie reicht vom Last‐Tier‐Lieferanten bis zum ultimativen Endverbraucher.
Der Verlauf innerhalb des Supply Chain Managements folgt einem “Or‐ der‐to‐Payment‐S” (vgl. Klaus 2012, S. 457ff.; Werner 2013a, S. 10). Abbil‐ dung A.2 zeigt das Grundprinzip des Konzepts. Innerhalb der Verket‐ tung sind drei Bereiche zu unterscheiden. Sowohl die interne als auch die integrierte Supply Chain gehen in das Order‐to‐Payment‐S ein (vgl. Begriffsblock A.II).
7
A.2 Modernes Liefer‐ kettenmanagement
Beispiel einer internen Supply Chain
Supply Chain im Netzwerk
Darstellung über das Order‐to‐Payment‐S
A Begriffsblock A.II
Grundlagen
Bereiche im Order‐to‐Payment‐S
Bereich 1: Der erste Bereich verläuft flussaufwärts, von rechts nach links. Ein Kunde gibt einen Auftrag (Order) an das Unternehmen ab (Pull‐Orientierung). Die Schnittstellen zwischen den Partnern gewähr‐ leisten die Disponenten, wobei die Liefer‐ (LAB) und Feinabrufe (FAB) den Prozess regeln. Über die Abrufe werden die zu fertigenden Bau‐ zahlen bestimmt. Der Disponent stellt seine Informationen dem Ein‐ kauf zur Verfügung, welcher den Warennachschub gewährleistet.
Bereich 2: Der physische Materialfluss richtet sich von links nach rechts aus (flussabwärts). Eine Erfüllung des Kundenauftrags steht im Mittelpunkt. Die gelieferten Teile werden im Wareneingang ange‐ nommen. Nach ihrer Lagerung und Kommissionierung erfolgt die Montage. Eine vorgelagerte Stelle versorgt ihre jeweils nachgelagerte. Die Wertschöpfung steigt schrittweise, bis die Fertigwaren den Kun‐ den zugestellt werden.
Bereich 3: Die Waren sind schließlich durch den Kunden zu bezahlen (das flussaufwärts gerichtete Payment). Dieser Bereich beschreibt den Geldfluss. Außerdem verlaufen eine Entsorgung und ein Recycling von rechts nach links. Die beiden letzten Komponenten gewinnen, insbesondere auf Grund ökologischer und rechtlicher Aspekte, stetig an Bedeutung (vgl. Green Supply Chains auf S. 271).
A.2.2
Systematisierung von Supply Chains
Typisierungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements
Nachstehend werden einige Möglichkeiten zur Typisierung unter‐ schiedlicher Ansätze um das Supply Chain Management diskutiert. Diesbezüglich ist zunächst das Konzept nach Bechtel und Jayaram (vgl. Bechtel/Jayaram 1997, S. 15ff.) vorzustellen, das vier verschiedene Denk‐ schulen des Supply Chain Managements kennt. Anschließend werden die Typologien nach Otto (vgl. Otto 2002, S. 89ff.) und Göpfert (vgl. Göp‐ fert 2004, S. 25ff.) charakterisiert. Weiterhin sind die prägenden vier Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements näher zu beschrei‐ ben.
8
A.2
Supply Chain Management: Historie und Begriff
Abbildung A.2
Order‐to‐Payment‐S in der Supply Chain
Externe Supply Chain (Input)
Externe Supply Chain (Output)
Interne Supply Chain (Throughput)
Order WE
HRL
VM
KOZ
ZL
EM
VS
Payment Lieferanten
Beschaffungslogistik Produktionslogistik
Kunden
Distributionslogistik Entsorgungs‐/Recyclinglogistik Informationslogistik Logistikcontrolling
Legende:
WE
= Wareneingang ZL = Zwischenlager
HRL
= Hochregallager EM = Endmontage
KOZ
= Kommissionierzone VS = Versand
VM
= Vormontage
A.2.2.1
Typisierungsmöglichkeiten des Supply Chain Managements
A.2.2.2
Typologie nach Bechtel/Jayaram
Nach Bechtel/Jayaram (vgl. Bechtel/Jayaram 1997, S. 15ff.) sind die Erklä‐ rungsversuche um das Supply Chain Management in vier verschiedene Denkschulen einzuordnen. Sie nennen diesbezüglich Chain Awareness, Linkage School, Information School und Integration School.
9
Denkschulen von Supply Chains
A
Grundlagen
Ansätze des Be‐ wusstseins
Chain Awareness: Der Ansatz Chain Awareness ist weit ausgelegt.
„Ein Schritt vor‐ her, danach mehr: Stelle die Verbin‐ dung her…“ (Die Sterne)
Linkage School: Nach der Linkage School stellen Supply Chains lo‐
Bidirektionaler Informationsfluss
Information School: Diese dritte Einordnungsmöglichkeit von Denk‐
Business Integra‐ tion
Integration School: Schließlich bezieht die Integration School ein
Nach diesem Konzept umfasst das Netzwerk sämtliche Tätigkeiten von der Rohstoffgewinnung bis zum ultimativen Endverbraucher. Stevens gehört beispielsweise der Denkschule einer Chain Awareness an (vgl. Stevens 1989, S. 3ff.). Wie oben dargestellt, reicht für ihn eine Supply Chain von der „Source of Supply“ bis zum „Point of Con‐ sumption“. gistische Beziehungen und Verbindungen zwischen den beteiligten Organisationen dar. Der Schwerpunkt dieser Überlegungen bezieht sich auf Transportentscheidungen. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Schule gehört Simchi‐Levi: “The supply chain, which is also re‐ ferred to as the logistics network, consists of suppliers, manufacturing centers, warehouses, distribution centers and retail outlets, as well as raw materials, work‐in‐process inventory, and finished products that flow between the facilities.” (Simchi‐Levi et al. 2007, S. 1). ansätzen des Supply Chain Managements betont einen bidirektiona‐ len Informationsfluss zwischen den Akteuren. Der Information School gehört beispielsweise Bowersox an: „Supply Chain Management is a collaborative‐based strategy to link cross‐enterprise business infor‐ mation to achieve a shared vision of market opportunity.“ (Bowersox 1998, S. 181). Supply Chain Management auf eine Prozess‐ und Systemsicht. Cooper et al. stellen wichtige Vertreter dieser Denkrichtung dar: „The integra‐ tion of business processes across the supply chain is what we are call‐ ing supply chain management.” (Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 2).
A.2.2.3
Typologie nach Otto
Typisierung nach Otto
Eine zweite Typisierungsalternative des Supply Chain Managements geht auf Otto zurück (vgl. Otto 2002, S. 89ff.). Der Verfasser trifft eine Differenzierung nach Wertschöpfungsprozess, Unternehmensgruppe, Netzwerk vertikal alliierter Partner und Superorganisation. Nachste‐ hend wird die Supply‐Chain‐Typologie nach Otto näher charakterisiert.
Wertschöpfungs‐ netzwerke
Zunächst kann ein Supply Chain Management als Wertschöpfungspro‐ zess identifiziert sein. Darunter ist jedwede Form arbeitsteiliger Erstel‐ lung materieller Produkte zu verstehen. „The term supply chain is used to the chain linking each element of the production and the supply pro‐
10
Supply Chain Management: Historie und Begriff
A.2
cess from materials through to the end customer. Typically such a chain will cross several organizational boundaries.” (Scott/Westbrook 1991, S. 23). Die einzelnen Partner dieser Kette agieren weitgehend losgelöst voneinander. Dabei kann sich die Wertschöpfungskette intern oder ge‐ nerisch ausrichten (vgl. Otto 2002, S. 92ff.).
Einerseits wird sich das Supply Chain Management auf den internen Wertschöpfungsprozess erstrecken. Dann erfasst die Supply Chain sämtliche wertschöpfenden Aktivitäten innerhalb einer Organisation („Intra‐Company“): „The supply chain management is a business pro‐ cess.“ (Hewitt 1994, S. 2).
Auf der anderen Seite zielt ein Supply Chain Management auf generi‐ sche Wertschöpfungsprozesse. Darunter sind allgemein gültige, mo‐ dulare, rekonfigurierbare Versorgungsaktivitäten von Organisationen zu verstehen. Das Order‐to‐Payment‐S, welches zur begrifflichen Klä‐ rung der vorliegenden Schrift dient, ist diesem Segment ebenso zuzu‐ ordnen, wie das SCOR‐Modell (vgl. S. 70).
Intra‐Company‐ Betrachtung
Netzwerkorientier‐ te Wertschöp‐ fungskette
Einen weiteren Bezugsrahmen der Typologie um ein Supply Chain Ma‐ nagement bildet die Unternehmensgruppe ab. „A Supply Chain … comprises all companies that participate in transforming, selling and distributing the product from raw material to final customer.” (Chow et al. 1994, S. 22). Die Akteure innerhalb dieser Kette übernehmen in der Regel eindeutig definierte Wertschöpfungsinhalte (so genannte Business Functions), welche sich durch ihre funktionale Verschiedenheit auszeich‐ nen: „Supply chain management extends this concept of functional in‐ tegration beyond the firm to all the firms in the supply chain.“ (Ell‐ ram/Cooper 1990, S. 1).
Aktionen im Un‐ ternehmensver‐ bund abwickeln
Nach Otto (vgl. Otto 2002, S. 96) ist ein Supply Chain Management als Netzwerk vertikal alliierter Unternehmen zu verstehen, wenn die ein‐ zelnen Akteure im Rahmen ihrer Zusammenarbeit bestimmte Attribute aufweisen. Zu diesen Merkmalen zählen „gemeinsame Strategien“, „kooperative Zusammenarbeit“ oder „gemeinsame Verantwortung“: „A network of connected and interdependent organizations mutually and cooperatively working together to control, manage and improve the flow of materials and information from suppliers to end‐users.“ (Chris‐ topher 1999, S. 19). Ein weiterer Vertreter dieser Sichtweise ist Swamina‐ than: “Supply Chain Management ... as a network of autonomous or semiautonomous business entities collectively responsible for procure‐ ment, manufacturing and distribution activities associated with one or more families or related products.” (Swaminathan et al. 1998, S. 607).
Vertikal alliierte Partner
11
A “Das ist das neue Spiel. Es heißt: ‚Alle gegen Al‐ le‘…” (Deutsch Amerika‐ nische Freund‐ schaft)
Grundlagen
Schließlich sind Supply Chains als Superorganisationen zu bezeichnen, wenn sie nicht länger rechtlich selbständige Gebilde, sondern unitäre Organisationen darstellen („Extended Enterprise“ oder „Extra Corporate Organization“): „We are now entering the era of supply chain competiti‐ on. …real competition is not company against company but rather supp‐ ly chain against supply chain“ (Christopher 1999, S. 28).
A.2.2.4
Typologie nach Göpfert
Zwei Gruppen von Supply Chains
Die Typisierung von Erklärungsansätzen um das Supply Chain Ma‐ nagement nach Göpfert (vgl. Göpfert 2004, S. 25ff.) ordnet diese zwei ge‐ nerischen Gruppen zu. Das Unterscheidungskriterium nach Göpfert ist der direkte Logistikbezug (erste Gruppe) und der indirekte Logistikbe‐ zug (zweite Gruppe).
SCM als erweiterte Logistikfunktion
Die erste Gruppe der Typologie nach Göpfert (vgl. Göpfert 2004, S. 28) leitet den Begriff „Supply Chain Management“ unter expliziter Bezug‐ nahme auf die betriebliche Logistik ab. In diesem Segment finden sich die für ein Supply Chain Management synonym verwendeten Begriff‐ lichkeiten „Lieferkette“, „Versorgungskette“ und „Logistikkette“. Man‐ che Autoren setzen gar die Begriffe Supply Chain Management und Logistik gleich, so Simchi‐Levi: „… we do not distinguish between logis‐ tics and supply chain management.“ (Simchi‐Levi et al. 2007, S. 3). In diese Kategorie von Erklärungsversuchen um das Supply Chain Man‐ agement fallen auch Handfield/Nichols: „Supply chain management … all activities associated with the flow and transformation of goods from raw materials stage ... through the end user, as well as the associated infor‐ mation flows.“ (Handfield/Nichols 1999, S. 2).
SCM in der Vari‐ ante Zero Based
In der zweiten Gruppe begrifflicher Klärungsansätze um das Supply Chain Management findet keine direkte Bezugnahme zur Logistik statt. Eine Lieferkette wird dem „Management von Geschäftsprozessen“, einem „Kooperationsmanagement“ oder dem „Beziehungsmanage‐ ment“ gleichgesetzt: „The integration of all key business processes across the supply chain is what we are calling supply chain management.“ (Cooper et al. 1997, S. 2). Nach Göpfert entfernen sich diese Ansätze zum Teil recht weit vom eigentlichen Kerninhalt des Supply Chain Manage‐ ments. Zudem ist in dieser zweiten Gruppe das Supply Chain Manage‐ ment eng mit dem Entstehungsprozess einer Logistik verbunden (vgl. Göpfert 2004, S. 30).
12
Supply Chain Management: Historie und Begriff
A.2.2.5
A.2
Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements
Das Supply Chain Management hat nach Baumgarten vier elementare Entwicklungsstufen durchschritten (vgl. Baumgarten 2012, S. 54ff.). Die‐ se reichen von der Integration der Funktionen interner Supply Chains (Stufe 1), einem Informationsaustausch zwischen Kunden, Lieferanten und Logistikdienstleistern (Stufe 2), dem kollaborativen Management kompletter Netzwerke (Stufe 3), bis zur Synchronisation und Reduzie‐ rung interner oder externer Supply Chains (Stufe 4). Nachstehend findet sich eine Beschreibung der Inhalte dieses Phasenmodells (vgl. Baumgar‐ ten 2012, S. 55ff.). Abbildung A.3 zeigt diese Entwicklungsstufen in über‐ sichtlicher Weise auf.
Historische Ent‐ wicklung
Stufe 1: Integration der Funktionen interner Supply Chains. Zu Be‐
Integrationen im Partnergeflecht
ginn der 90er Jahre startete der Versuch, die unterschiedlichen unter‐ nehmensinternen Funktionsbereiche (Einkauf, Vertrieb, Technik, Fi‐ nanzen oder Produktion) miteinander zu verzahnen. Zum Beispiel war es die Aufgabe des Vertriebs, Änderungswünsche der Kunden unverzüglich an die anderen Funktionseinheiten weiterzureichen. Dazu wurden Prozessketten aufgebaut, welche sich aus den unter‐ nehmensinternen Tätigkeiten ergaben.
Stufe 2: Informationsaustausch zwischen Kunden, Lieferanten und Dienstleistern. Mitte der 90er Jahre intensivierten Organisationen ih‐ ren Informationsaustausch mit Kunden, Lieferanten und Dienstleis‐ tern. Dazu nutzten sie die Möglichkeiten moderner IT (zum Beispiel Web‐Lösungen). Die Akteure schmiedeten zur Ausschöpfung syner‐ getischer Potenziale Wertschöpfungsallianzen. Aus diesem Bezie‐ hungsgeflecht ragten Systemlieferanten heraus (vgl. Modular Sour‐ cing, S. 180). Auch für die Logistikdienstleister begann ein neues Zeit‐ alter. Ihnen wurde deutlich mehr Verantwortung übertragen. Sie bewirtschafteten Lieferanten‐Logistik‐Zentren (LLZ) oder Konsigna‐ tions‐Lagerstätten. Weiterhin wurden sie in elektronische Gutschrift‐ verfahren oder Einkaufskartensysteme eingebunden. Viele heute be‐ obachtbare Supply‐Chain‐Prozesse in der Unternehmenspraxis befin‐ den sich in diesem Stadium.
Stufe 3: Kollaboratives Management kompletter Netzwerke. Basie‐ rend auf den Ergebnissen der zweiten Phase, wurde seit Beginn dieses Jahrtausends der Versuch unternommen, Informationen in Echtzeit durch das Netzwerk beteiligter Akteure zu schleusen. Beispielsweise ergaben sich kurzfristige und nicht vorhersehbare Änderungen in den Kundenabrufen. Diese wirkten sich schlagartig auf die Kapazitäts‐ und Ressourcenplanung der Produktion aus (das Verschieben der
13
Wertschöpfungs‐ netzwerke
Simultanplanung ersetzt Sukzessiv‐ planung
A
Grundlagen
Auftragsreihenfolgen). Zur Lösung dieser Problemstellung wurden Systeme im Sinne von Advanced Planning and Scheduling (vgl. aus‐ führlich S. 386) eingesetzt. Darunter sind Simultanplanungskonzepte zu verstehen, welche die Durchgängigkeit des Informationsflusses gewährleisten. Etliche Organisationen versuchen sich derzeit an der Implementierung dieser Systeme.
Stufe 4: Synchronisation und Reduzierung interner wie externer
Fit for Supply Chain Future!
Supply Chains. Best Practices haben die vierte Stufe des Supply Chain Managements bereits erreicht. Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Kontext das E‐Business ein. Teilweise finden sich riesige Netzwerke, in welche tausende Akteure eingebunden sind. Diese Supply Chains zeichnen sich durch hohe Komplexität, Kompliziert‐ heit und Intransparenz aus. Im Sinne von Virtual Community werden Kundenwünsche frühzeitig an geeignete Entwicklungspartner durch‐ gereicht (vgl. „Resident Engineering“ auf S. 137). Elektronische Be‐ schaffung (E‐Procurement) und elektronische Bestandsführung (E‐ Fulfillment) sind wichtige Stellhebel dieser Netzwerke. Das IT‐ gestützte Engpassmanagement hat ebenso an Bedeutung gewonnen, wie der elektronische After‐Sales‐Service. Von besonderer Bedeutung sind die Koppelungssysteme für Beschaffung, Produktion und Ver‐ trieb. Das Forecasting des Produktionsprogramms wird über unter‐ schiedliche digitale Plattformen angestoßen, die mit riesigen Daten‐ mengen arbeiten (Big Data). Die Aufträge der Kunden spielen sich on‐ line bei vernetzten Händlern ein, um dadurch eine automatische Aktualisierung der Absatzprognose zu erhalten. Hierbei leistet Predic‐ tive Analytics wichtige Dienste, indem historische Zahlen und Trends mit aktuellen Bestellungen abgeglichen werden. Aus diesen Informa‐ tionen leitet sich das Fertigungsprogramm unmittelbar ab. Die zur Verfügung stehenden Kapazitäten werden in der intelligenten Fabrik („Smart Factory“, vgl. S. 250 dieser Schrift) ohne menschliche Eingriffe abgeglichen. Online spielen sich die Kundenbestellungen in die Auf‐ tragskalender der Akteure ein. Die Folge sind direkte Produktions‐ planungen in den angeschlossenen Werken. Zeitnah werden die Kun‐ denbedarfe an vorgelagerte Stufen der Supply Chain weitergegeben. So haben Lieferanten die Möglichkeit, ihre Wertschöpfungsaktivitäten frühestmöglich anzupassen. Im Sinne von „Capable‐to‐Promise“ er‐ folgt schließlich eine Verfügbarkeitsplanung. Dies ist eine elementare Voraussetzung, um dem Kunden einen verbindlichen Liefertermin mitteilen zu können („Available‐to‐Promise“).
14
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
Entwicklungsstufen des Supply Chain Managements
A.3 Abbildung A.3
Synchronisation interner wie externer Lieferketten Kollaboratives Manage‐ ment komplexer Prozesse Informationsaustausch (Kun‐ den, Hersteller, Lieferanten) Funktionsintegration interner Supply Chains
1990
A.3
1994
1998
2002
2006
2010
2014
2018
…
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
Synonym für ein Supply Chain Management wurden in den letzten Jahren die Begrifflichkeiten Network Sourcing, Value Stream Manage‐ ment oder Supply Pipeline Management geprägt (vgl. zu diesen Begrif‐ fen Croom et al. 2000, S. 67). Allerdings schaffen diese zusätzlichen Be‐ zeichnungen für ein Supply Chain Management keinen wirklichen Mehrwert. Im Gegenteil, sie tragen eher zur Verwirrung bei und werden daher nachstehend nicht näher gewürdigt.
Begriffliche Festi‐ gung
Eine Abgrenzung des Supply Chain Managements von benachbarten Konzepten kann dennoch erfolgen. Diese Differenzierung erstreckt sich zunächst auf die traditionellen Begriffe Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik. Anschließend wird das Supply Chain Management von mo‐ dernen Ansätzen unterschieden.
Tradierte und moderne Ansätze
15
A
Grundlagen
A.3.1 Konventionelle Bereitstellungsan‐ sätze
Abgrenzung von traditionellen Begriffen
Die Abgrenzung des Supply Chain Managements von Einkauf, Materi‐ alwirtschaft und Logistik erfolgt fließend. Sämtliche Begriffe korrelieren mit dem Management moderner Lieferketten und beinhalten eine Wa‐ renbereitstellung (vgl. Hess 2017, S. 51). Die Aktivitäten und die Objekte zwischen Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik überschneiden sich zum Teil (vgl. Arnolds et al. 2016; Hess/Laschinger 2019; Large 2013).
Strategischer und operativer Einkauf
Einkauf: Der Einkauf kann in einen strategischen und in einen opera‐
Materialwirtschaft als Subsystem der Supply Chain
Materialwirtschaft: Eine Materialwirtschaft beinhaltet den wirtschaft‐
Physische Raum‐ und Zeitüberbrü‐ ckungsfunktion der Logistik
Logistik: Eine Logistik beschäftigt sich primär mit dem physischen
tiven Bereich unterteilt werden, wobei die Übergänge nicht trenn‐ scharf verlaufen. Die Tätigkeiten des operativen Einkaufs sind abwi‐ ckelnder Art und auf eine Steigerung der Einkaufseffizienz ausgerich‐ tet. Ein idealtypischer operativer Einkaufsprozess umfasst die Arbeitsschritte Dispositionsmeldung, Bedarfsfeststellung, Bestellbear‐ beitung, Terminverfolgung, Rechnungsabgleich sowie Termin‐, Men‐ gen‐ und Qualitätsüberwachung. Der strategische Einkauf hingegen verfolgt eine Optimierung der Einkaufseffektivität. Somit sind die Akti‐ vitäten des strategischen Einkaufs primär langfristig geprägt. Ein sol‐ cher Prozess beinhaltet die Phasen Versorgungserkennung, Beschaf‐ fungsmarktforschung, Anfrage und Ausschreibung, Preisverhandlung und Angebotsauswertung, Vertragsabschluss sowie Leistungsmes‐ sung (Einkaufs‐Performance). Der Einkauf im Allgemeinen wird auch mit den Terminus „Supply Management“ gleichgesetzt, der strategi‐ sche Einkauf im Speziellen mit „Beschaffungsmanagement“. lichen Umgang mit Waren und ist weiter gefasst als der Einkauf. Sie umfasst die Lagerbewirtschaftung, den innerbetrieblichen Transport und die Materialversorgung, die bis zur Bereitstellung in der Ferti‐ gung reicht. Das Supply Chain Management nimmt die gleichen Tä‐ tigkeiten wie eine Materialwirtschaft wahr. Es ist aber deutlich um‐ fangreicher, weil die unternehmensinterne Kette alle Bereiche – vom Wareneingang bis zum Versand – abdeckt. Außerdem berücksichtigt ein Supply Chain Management die externen Schnittstellen (Lieferan‐ ten und Kunden) sowie Geld‐ und Informationsflüsse. Materialfluss (der Warenverfügbarkeit) innerhalb des Unternehmens sowie zwischen einer Organisation und ihrer Umwelt. Die Funktionen der Raum‐ und der Zeitüberbrückung stehen im Mittelpunkt. Ein Supply Chain Management nutzt die tradierte Logistik zur physi‐ schen Transaktionsabwicklung, geht darüber aber deutlich hinaus (vgl. Gliederungspunkt A.3.2.2).
16
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
A.3.2
Abgrenzung von benachbarten Managementansätzen
In den letzten Jahren haben sich um ein Supply Chain Management einige benachbarte Konzepte entwickelt. Folgende verwandten Ansätze sind von dem Supply Chain Management abzugrenzen: Wertschöp‐ fungskette, Logistikkette, Demand Chain Management, Customer Rela‐ tionship Management, Supplier Relationship Management, Bezie‐ hungsmanagement sowie Supply Chain Relationship Management. Im Folgenden findet sich eine kurze Beschreibung dieser Ansätze.
A.3.2.1
A.3 Moderne Ma‐ nagementkonzepte
Wertschöpfungskette
Das Supply Chain Management lehnt sich, auf Grund seines Integrati‐ onsgedankens, an die Wertschöpfungskette (synonym Wertekette ge‐ nannt) von Michael E. Porter an (vgl. Porter 2006; Porter 2013; Porter 2014). Nach Porter sind die Organisationsabläufe als Folge wertschöpfender Aktivitäten zu verstehen. Die Primärtätigkeiten der internen Wert‐ schöpfungskette umfassen Eingangslogistik, Operations, Marketing und Vertrieb, Ausgangslogistik sowie Kundendienst. Diese sind von den Funktionen Infrastruktur, Personalwirtschaft, Technologieentwicklung sowie Beschaffung umgeben. Weitere unterstützende Bereiche (wie Treasury, Finanzen oder Rechtsabteilung) vernachlässigt Michael E. Por‐ ter hingegen. Nach Porter basieren Differenzierungs‐ oder Kostenvorteile gegenüber der Konkurrenz aus einer Optimierung der internen Wert‐ schöpfungskette. Beim Aufbau dieser Verflechtungsbeziehung ist zu hinterfragen, welchen Wert die Organisationstätigkeiten schaffen und wie deren Kosten determiniert sind (vgl. Porter 2014, S. 25).
Porter als treibende Kraft des Market‐ Based‐View
Außerdem bezieht sich Porter auf die unternehmensübergreifende Wertschöpfungskette (vgl. Porter 2014, S. 60). Die interne Wertekette von Unternehmen ist mit vorgelagerten und nachgelagerten Netzwer‐ ken externer Partner verwoben. Im Eingangsbereich liegen Interdepen‐ denzen mit Lieferanten vor. Mit Vertriebskanälen und Kunden bestehen ausgehende Verknüpfungen.
Einbezug der Determinanten des Marktes
Die Abgrenzung zwischen einem Supply Chain Management und der Wertschöpfungskette ist darin zu sehen, dass sich erster Ansatz auf die Aspekte von Versorgung, Entsorgung und Recycling richtet. Ein Supply Chain Management umfasst die physische Verfügbarkeit, Beseitigung, Verwendung oder Verwertung von Waren, wobei diese Aktivitäten von Informations‐ und Geldströmen umgeben sind. In einer Wertschöp‐
Abgrenzung zum Supply Chain Management
17
A
Grundlagen
fungskette finden hingegen sämtliche wertsteigernden sowie wertvernich‐ tenden Einflussfaktoren auf Unternehmensleistungen ihren Niederschlag. Dazu zählen beispielsweise Aspekte wie Design oder Image. Diese Grö‐ ßen sind jedoch für ein Supply Chain Management nur von untergeord‐ neter Bedeutung.
A.3.2.2 Attribute von Logistikketten
Logistikkette
Eine Logistikkette richtet sich simultan nach Prozess‐ und Kundenori‐ entierung aus. Üblicherweise manifestiert sich eine Logistikkette mehr‐ stufig: Von der Urproduktion, über die Transformations‐ und die Trans‐ feraktivitäten, bis zum Endverbraucher. Dabei kennzeichnen folgende Merkmale eine Logistikkette (vgl. Klaus/Krieger 2012, S. 359):
Untergeordnete Bedeutung von Geldflüssen
Die Logistik verfolgt eine horizontale Sichtweise von Tätigkeiten, wel‐
Aufbauorganisato‐ rische Integration
Eine Logistikkette ist stets als Ganzes zu betrachten, weil die beteilig‐
Interne und exter‐ ne Kundenbetrach‐ tung
Innerhalb der Logistikkette sind Abfolgen von Lieferanten‐Kunden‐
„Was nützen die besten Konzepte und clevere Logis‐ tik, wenn die Last‐ kraftwagen in Staus stecken bleiben?“ (D. Aden)
Verglichen mit der Logistikkette, ist ein Supply Chain Management das deutlich umfassendere Konzept. Während eine Logistikkette auf die interne und die externe horizontale Verzahnung von Unternehmensbe‐ reichen nur mit den direkt verbundenen Lieferanten und Kunden zielt, umfasst ein Supply Chain Management komplette vertikale Netzwerke; also auch die Interaktion mit den Lieferanten der Lieferanten und mit den Kunden der Kunden. Dabei bedient sich das Supply Chain Ma‐ nagement, zur Wahrnehmung der Aktivitäten von Versorgung, Entsor‐ gung und Recycling, durchaus tradierten Logistikfunktionen (Beschaf‐ fungs‐, Produktions‐, Distributions‐, Informations‐ und Entsorgungslo‐ gistik).
che primär der physischen Raum‐ und Zeitüberbrückung dienen. Im Unterschied zum Supply Chain Management, sind Informationsflüsse zwar gleichwohl bedeutsam, doch spielen Geldflüsse in der Logistik‐ kette nur eine unterstützende Rolle. ten Akteure in ein Geflecht ständiger Wechselwirkungen eingebunden sind. Die einzelnen Elemente werden derart aneinandergereiht, dass sie ablauforganisatorisch in einem stringenten, sachlogischen Zu‐ sammenhang stehen (vgl. Schulte 2017, S. 281). Beziehungen zu identifizieren. Neben der Befriedigung von Wün‐ schen ultimativer Endverbraucher, sind diesbezüglich auch die An‐ forderungen interner Kunden (Intercompany‐Beziehungen) zu be‐ friedigen.
18
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
A.3.2.3
A.3
Demand Chain Management
Ein Demand Chain Management wird auch als „Chain of Customer“ oder „Demand Collaboration“ bezeichnet (vgl. Eagle 2017; Jansen/Reising 2001; Marbacher 2001). Demand Chains richten sich schwerpunktmäßig auf den Kunden aus (konsequente Pull‐Orientierung). Zumeist sind als Kunden ultimative Endverbraucher zu verstehen (B2C‐Abwicklung). Es können aber auch institutionelle Verflechtungen zwischen Hersteller und nachgelagertem Distributor mit dem Begriff „Demand Chain Ma‐ nagement“ umschrieben werden (B2B‐ oder B2A‐Abwicklung).
Chain of Customer
Marbacher (vgl. Marbacher 2001) vollzieht die explizite Verschmelzung von Angebots‐ und Nachfragesicht in einem „Demand and Supply Chain Management“. Dieser Ansatz subsumiert bekannte Inhalte, wie Category Management oder Customer Relationship Management. Im Kern basieren die Gedanken Marbachers auf dem Prinzip kollaborativ gestaltbarer Nachfrage. Zentes et al. messen dem integrierten „Demand and Supply Chain Management“ ein gegenseitiges Bedingen und För‐ dern bei (vgl. Zentes et al. 2004, S. 53).
Demand and Supply im Gleich‐ schritt
Im Unterschied zum Supply Chain Management fokussiert sich ein Demand Chain Management schwerpunktmäßig auf den Kunden. Liefe‐ rantenattribute deckt es, wenn überhaupt, nur sekundär ab. In der vor‐ liegenden Schrift wird eine Trennung zwischen Supply Chains auf der einen Seite und Demand Chains auf der anderen Seite nicht weiter ver‐ folgt. Hat sich doch der Begriff „Supply Chain Management“ in Theorie und Praxis etabliert, er ist als feststehend zu betrachten. Die bloße “Worthülse“ Demand Chain Management schafft daher keinen wirkli‐ chen Mehrwert.
Abgrenzung zum SCM
A.3.2.4
Customer Relationship Management
Ein Customer Relationship Management stellt die Planung, die Steue‐ rung und die Kontrolle sämtlicher auf aktuelle wie potenzielle Markt‐ partner gerichteten Maßnahmen eines Unternehmens dar, verbunden mit dem Ziel, die Kundenbeziehungen zu intensivieren (vgl. ausführ‐ lich S. 159). Mit Hilfe moderner Informations‐ und Kommunikationssys‐ teme wird der Aufbau dauerhafter Interaktionen mit ausgewählten Kunden anvisiert (vgl. Bruhn 2016; Hippner et al. 2011; Kumar/Reinartz 2018; Raab/Werner 2010).
19
Profitable Kunden langfristig binden
A Funktionalitäten des Customer Relationship Ma‐ nagements
Grundlagen
Die Funktionalitäten eines Customer Relationship Managements sind kommunikativ, operativ sowie analytisch geprägt. Im kommunikativen Customer Relationship Management manifestiert sich die Synchronisa‐ tion sämtlicher Kommunikationskanäle in Richtung Kunde (Internet, E‐ Mail, Telefon oder Verkaufsgespräch). Ein operatives Customer Relati‐ onship Management zeichnet sich durch die Verschmelzung von Front‐ Office (Kontaktpunkt zum Kunden) und Back‐Office (IT‐gestützte Reali‐ sationssysteme, wie ERP‐ oder APS‐Lösungen) aus. Schließlich ist das analytische Customer Relationship Management der Aufzeichnung und späteren Auswertung von Kundenkontakten und Kundenreaktionen geschuldet. Beispielsweise dürfen Beschwerden nicht versickern. Sie sind von ihrem Aufkommen bis zur Lösung systematisch zu verfolgen („Closing‐the‐Loop“).
Share of Wallet über intensive Kundenbeziehun‐ gen
Prägend für ein Customer Relationship Management ist der Wandel des Transaktionsmarketings zum echten Beziehungsmarketing. Um den „Share of Wallet“ zu ernten, sind nicht nur einzelne Transaktionen zu realisieren, sondern vielmehr stabile Kundenbeziehungen zu initiieren und zu intensivieren. Entscheidend für die Auswahl von Marktpartnern ist folglich deren jeweiliger Customer Value. Um den Kundenwert mög‐ lichst langfristig abzuschöpfen, sind dem direkten Nutzen weitere An‐ reize hinzuzufügen, welche den Käufer zur Fortsetzung der Geschäfts‐ beziehung verleiten („Relationship Equity“).
Collaborative CRM und Bezug zur Supply Chain
Ein traditionelles Customer Relationship Management kann zum kolla‐ borativen Customer Relationship Management erweitert werden. Da‐ runter verstehen Kracklauer et al. (vgl. Kracklauer et al. 2002, S. 24) die gemeinsame Gewinnung, Bildung und Weiterentwicklung von Kunden‐ beziehungen. Sämtliche Stufen zur Absatzgewinnung sind in derartige kollaborativen Prozesse einzubeziehen (Industrie, Handel und Kunden). Im Gegensatz zum Supply Chain Management, werden vorgelagerte Aktivitäten der Lieferanten diesbezüglich jedoch nicht berücksichtigt. Für ein kollaboratives Customer Relationship Management dominieren die Bündelung des Know‐hows der Akteure und der abgestimmte Ein‐ satz von Marketing‐Maßnahmen (vgl. Hertel et al. 2011, S. 189). Die Schnittstelle zum Supply Chain Management besteht für ein Collabora‐ tive Customer Relationship Management vornehmlich zu den Logistik‐ und den Marketing‐Tools (Category Management) des Efficient Consu‐ mer Response: Zum Beispiel gebündelte Verkaufsförderungsaktivitäten direkt am Point‐of‐Sale (vgl. S. 157).
20
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
A.3.2.5
A.3
Supplier Relationship Management
Das Supplier Relationship Management (vgl. O‘Brien 2018) umfasst sämtliche Aktivitäten der Lieferantenauswahl, Lieferantenentwicklung und Lieferantenintegration. Das Lieferantenmanagement speist sich aus der operativen und der strategischen Ausgestaltung von Beschaffungs‐ prozessen. Die übergeordneten Ziele des Supplier Relationship Mana‐ gements liegen in der Optimierung der Beziehungen zu Lieferanten, einer Reduzierung von Prozesskosten, der Senkung von Einstandsprei‐ sen, einer Verbesserung der Produktqualität sowie der kontinuierlichen Kontrolle von Einkaufstätigkeiten (vgl. Appelfeller/Buchholz 2010, S. 3).
Lieferanten als echte Wertschöp‐ fungspartner
Folglich stellt das Supplier Relationship Management ein Ausschnitt aus dem Supply Chain Management dar. Der Ansatz verfolgt eine Ver‐ besserung der eingehenden Lieferantenströme. Nachgelagerte Kunden‐ beziehungen blendet das Supplier Relationship Management hingegen völlig aus. Das Pendant des Supplier Relationship Managements stellt das Customer Relationship Management dar (vgl. Hildebrand 2002, S. 3).
Abgrenzung zum SCM
Die allgemeinen Merkmale für ein Supplier Relationship Management bestehen nach Appelfeller/Buchholz (vgl. Appelfeller/Buchholz 2010, S. 9ff.) in der Lieferantenbasis (geografische Struktur, Lieferantenanzahl), verti‐ kaler Kooperationsintensität (Wertschöpfungsumfang), Materialgruppe (Standardisierung, Mengenbündelung) und horizontaler Kooperations‐ intensität (Partnerschaft). Prozessbezogene Merkmale beziehen sich hingegen auf die Vertragsentstehung (Ausschreibungen, Preisverhand‐ lungen) sowie das operative Beschaffungsmodell (für Materialien und Dienste).
Merkmale
Im Rahmen des Supplier Relationship Managements entsteht derzeit ein interessantes Betätigungsfeld für den Wettbewerb. Beispielsweise offe‐ riert SAP mit „mySAP Supplier Relationship Management“ eine entspre‐ chende Software den Marktpartnern. Es versteht sich, dass SAP das Consulting für diese Software gleich mitliefern kann.
IT‐Support
A.3.2.6
Beziehungsmanagement
Ein Beziehungsmanagement beschreibt die Abstimmung von Leitbil‐ dern und Maßnahmen vertikal operierender Unternehmen, verbunden mit dem Anspruch, die Beziehung aufrechtzuerhalten und zum gegen‐ seitigen Nutzen auszubauen (vgl. Rentzsch 2012). Den Schwerpunkt des Beziehungsmanagements stellen Sozialfaktoren und psychologische Phänomene dar (vgl. Wiedmann/Dunz 2000, S. 46f.).
21
Sozialfaktoren und psychologische Implikationen
A
Grundlagen
Abgrenzung zur Supply Chain
Das Beziehungsmanagement ist ein Subsystem der Supply Chain, mit einem Fokus auf zwischenmenschliche und interorganisatorische Ver‐ flechtungen („weiche Faktoren“). Dieses Beziehungsnetzwerk der Ak‐ teure zeichnet sich durch Sicherheit und Vertrauen, informelle Kommu‐ nikation, kooperative wie auch konkurrierende Verhaltensmuster aus (vgl. Krupp/Klaus 2012, S. 64ff.).
Zunehmende Bedeutung weicher Faktoren für eine Supply Chain
Für ein Supply Chain Management stellt die explizite Berücksichtigung von Beziehungen eine recht neue Herausforderung dar. Emotionale Bindungen zu Lieferanten, Händlern, Distributoren oder Kunden sind allerdings schwer messbar und unterliegen einer hohen Subjektivität. Dennoch sind Mensch‐zu‐Mensch‐Beziehungen innerhalb der Supply Chain allemal von großer Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist die Einkäu‐ fer‐Verkäufer‐Bindung zwischen Kunde und Lieferant. Wurde die Un‐ tersuchung dieser Einflussfaktoren innerhalb der Betriebswirtschaftsleh‐ re bisher insbesondere dem Marketing und der Unternehmensführung überlassen, richtet sich zukünftig auch ein Supply Chain Management auf die Optimierung von Sozialfaktoren aus.
A.3.2.7
Supply Chain Relationship Management
SCRM als Sonder‐ form des Supply Chain Manage‐ ments
Das Supply Chain Relationship Management (SCRM) basiert einerseits auf dem Supply Chain Management. Andererseits hat es seine Wurzeln im (generischen) Beziehungsmanagement. Folglich stellt das Supply Chain Relationship Management eine Sonderform des Beziehungsma‐ nagements dar, welches die Inhalte speziell auf moderne Lieferketten‐ ströme transferiert. Als Stellhebel des Supply Chain Relationship Ma‐ nagements fungieren nicht Material‐, Informations‐ und Geldflüsse. Analog zum generischen Beziehungsmanagement, stellen für ein Supply Chain Relationship Management eher logistikspezifische Sozialfaktoren und psychologische Phänomene entscheidende Erfolgskomponenten dar.
Sozialnetz und Sozialkompetenzen
Nach Trumpfheller/Hofmann (vgl. Trumpfheller/Hofmann 2004, S. 72) greift das Supply Chain Relationship Management auf die Konzepte Customer Relationship Management sowie Supplier Relationship Management zurück. Traditionell bestehen zwischen Lieferanten (Supplier), Herstel‐ lern und Kunden (Customer) Material‐, Informations‐ und Wertnetze. Durch ein Supply Chain Relationship Management werden diese Bezie‐ hungen um eine Sozialebene erweitert.
22
Abgrenzung zu verwandten Konzepten
A.3
Die Ziele des Supply Chain Relationship Managements bestehen in der Schaffung von Vertrauen, einer Zunahme der Verbundenheit, der Förde‐ rung von Kommunikation, einer Steigerung von Transparenz sowie der Erhöhung von Koordination (vgl. Trumpfheller/Gomm 2004, S. 301ff.). Interne wie über Netzwerke gerichtete zwischenmenschliche Beziehun‐ gen werden beispielsweise bei Lieferantentagen, Verkaufsgesprächen, Auditierungen, Kunden‐Events, gemeinsamen Qualifikationen, Kon‐ gressen oder Tagungen geschaffen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit diese Abläufe von zunehmenden Homeoffice‐Tätigkeiten beeinträchtigt werden (Stichwort: Corona‐Krise 2020).
„People are people so why should it be – you and I should get along so awful‐ ly…“ (Depeche Mode)
In die Koordination und Steuerung der Supply‐Chain‐Partnerschaft können „Beziehungspromotoren“ einbezogen sein (vgl. Walter 2002, S. 124ff.). Ein Beziehungspromotor initiiert den Informationsaustausch, sucht nach geeigneten Kontaktpersonen sowie weiteren Partnern, führt die Menschen zusammen und fördert ihren Dialog. Außerdem greift der Promotor bei Konflikten schlichtend ein. Dieser Beziehungspromotor kann ein führender Mitarbeiter einer beteiligten Organisation sein, der über persönliche und fachliche Kompetenzen zur Bewältigung genann‐ ter Aufgaben verfügt. Auch die Mitarbeiter neutraler „Clearing‐Stellen“ (beispielsweise Consultants) können in die Rolle eines Beziehungspro‐ motors schlüpfen (vgl. Werner/Feliciano 2019, S. 62ff.).
Beziehungspromo‐ toren als Initiatoren
A.3.2.8
Zusammenfassung der Ergebnisse
Ein Supply Chain Management hat einige Gemeinsamkeiten mit be‐ nachbarten Konzepten. Wie oben aufgezeigt, gilt dies insbesondere für die Ansätze Wertschöpfungskette, Logistikkette, Demand Chain Ma‐ nagement, Customer Relationship Management, Supplier Relationship Management, Beziehungsmanagement sowie Supply Chain Relationship Management. Bei allen inhaltlichen Verflechtungen mit diesen Begriff‐ lichkeiten, grenzt sich ein Supply Chain Management von diesen be‐ nachbarten Konzepten jedoch ab. In den zuvor dargestellten Ausfüh‐ rungen wurden die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede ausführ‐ lich herausgearbeitet. Abbildung A.4 zeigt die Kernaussagen dieser Zusammenhänge in übersichtlicher Weise auf.
23
„To cut a long story short, I lost my mind…“ (Spandau Ballet)
A Abbildung A.4
Grundlagen
Supply Chain Management und verwandte Konzepte im Überblick Managementkonzept
Beschreibung
Supply Chain Manage‐ ment (SCM)
SCM umfasst interne wie externe Material‐, Informations‐ sowie Geldflüsse und berücksichtigt zusätzlich soziale Beziehungen der Akteure zueinander.
Wertschöpfungskette
Wertschöpfungsketten umfassen Faktoren, die zur Wert‐ steigerung und ‐vernichtung beitragen. Dazu zählen mit Image und Design Größen, welche für eine Supply Chain nur sekundäre Bedeutung besitzen.
Logistikkette
Eine Logistikkette erstreckt sich auf physische Tätigkeiten zur Raum‐ und Zeitüberbrückung. Im Gegensatz zum SCM, werden Geldflüsse kaum berücksichtigt. Während eine Logistikkette primär auf die Verzahnung tradierter Unternehmensbereiche zielt, umfasst ein SCM komplette organisatorische Netzwerke. In die Logistikkette werden nur direkte Lieferanten und direkte Kunden einbezogen.
Demand Chain Manage‐ ment (DCM)
DCM bildet eine Integration von Aktivitäten in Richtung Kunde ab (Pull‐Orientierung). Im Gegensatz zum SCM berücksichtigt DCM Lieferantenattribute kaum.
Customer Relationship Management (CRM)
CRM stellt die Planung, die Steuerung und die Kontrolle sämtlicher auf Marktpartner gerichteten Maßnahmen eines Unternehmens zur Intensivierung der Kundenbe‐ ziehungen dar. Anders als ein SCM, umfasst das CRM keine Lieferantenaktivitäten.
Supplier Relationship Management (SRM)
SRM beinhaltet sämtliche Aktivitäten zur Lieferanten‐ auswahl, ‐entwicklung und ‐integration. Im Gegensatz zum SCM, berücksichtigt SRM externe Kunden kaum.
Beziehungsmanagement
Beziehungsmanagement kennzeichnet die Abstimmung von Leitbildern und Maßnahmen vertikal kooperierender Akteure, verbunden mit dem Anspruch, Beziehungen aufrechtzuerhalten und auszubauen. Schwerpunkt: Sozi‐ alebene (psychologische und emotionale Faktoren).
Supply Chain Relation‐ ship Management (SCRM)
SCRM basiert auf dem SCM und auf dem Beziehungsma‐ nagement. Primäre Untersuchungsfelder des SCRM sind soziale Beziehungen (nicht Material‐, Informations‐ und Geldflüsse). Der Ansatz ist ein beziehungsaffiner Teil des SCM.
24
Strukturierung der Supply Chain
A.4
A.4
Strukturierung der Supply Chain
In einer Supply Chain kooperieren Wertschöpfungspartner zumeist multilateral, wobei die Akteure in der Regel ihre rechtliche Selbständig‐ keit wahren. Die einzelnen Organisationen übernehmen spezielle Auf‐ gaben, häufig konzentrieren sie sich dabei auf ihre Stärken. Auch Supply Chains folgen einem Lebenszyklus: Sie werden gegründet, betrieben und aufgelöst (vgl. Wildemann 2006, S. 204).
Gründungsphase: Die Gründung einer Lieferkette orientiert sich an den Strategien der involvierten Partner. Aus ihren Einzelzielen leitet sich die Gesamtstruktur der Supply Chain ab. Von besonderer Bedeu‐ tung für den Aufbau eines Wertschöpfungsverbunds sind der Zweck und die Dauer einer beabsichtigten Kooperation. Dabei können sich die Netzwerke durchaus auch auf Schwerpunktbereiche einer Supply Chain konzentrieren: beispielsweise Produktionszusammenschlüsse oder Einkaufs‐ und Entwicklungsallianzen.
Betriebsphase: Nach der Gründung einer Supply Chain beginnt die Zuteilung der Ressourcen. Dabei versuchen die eingebundenen Part‐ ner, synergetische Potenziale auszuschöpfen. Im Idealfall erreichen die Akteure eine „Win‐Win‐Situation“, wozu sie vorzugsweise ihre jeweiligen Kernkompetenzen in das Netzwerk einbringen.
Auflösungsphase: Ständig werden die betroffenen Organisationen überprüfen, ob sie die anvisierten Ziele erreichen können (Supply Chain Performance). Je weniger dies der Fall ist, desto eher droht die Auflösung der Supply Chain. Zum Teil ist auch ein temporäres Ver‐ lassen einzelner Glieder aus der Wertschöpfungskette denkbar.
Multilaterale Zu‐ sammenschlüsse eigenständiger Akteure
Zur Initiierung von Wertschöpfungsket‐ ten
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
„Wonder when will it all be over…“ (the Wipers)
Zwischen den Akteuren einer Supply Chain verwischen klassische Ko‐ ordinationsmechanismen: Es fehlt innerhalb der Lieferkette zumeist eine übergeordnete, leitende Instanz. Daher sind in Supply Chains Wei‐ sungen, Programme oder Pläne von ihrem Wirkungsgrad her schwächer ausgeprägt, als dies in einem einzelwirtschaftlichen Unternehmen der Fall ist. Außerdem ist stets ein Konsens notwendig, um eine möglichst langfristige Kooperation aufzubauen (vgl. Wildemann 2006, S. 204).
Zur Abstimmung im Partnergeflecht
Bezüglich der Strukturierung von Supply Chains existieren zwei grund‐ sätzliche Typen: Es sind einerseits hierarchisch pyramidale und anderer‐ seits polyzentrische Lieferketten zu unterscheiden (vgl. Wildemann 2006, S. 204). Diese beiden Ausgestaltungsformen (so genannte „Phänotypen“) von Wertschöpfungspartnerschaften werden im Folgenden näher vorge‐ stellt.
Ausgestaltungsfor‐ men moderner Netzwerke
25
A
Grundlagen
A.4.1
Hierarchisch pyramidale Supply Chains
Monozentrische Netzwerkstruktur
Innerhalb der hierarchisch pyramidalen Supply Chain steht ein strate‐ gisch relevantes Unternehmen im Mittelpunkt. Sämtliche Wertschöp‐ fungspartner richten nach dieser dominierenden Organisation („Hub Firm“) ihre Aktivitäten aus. Die Beherrschung des Netzwerks erfolgt beispielsweise durch die Größe, die Finanzausstattung oder das Wis‐ senspotenzial des führenden Unternehmens. Aber auch der direkte Zu‐ gang dieses fokalen Unternehmens auf Beschaffungs‐ und Absatzmärkte kann die Strukturierung des Verbunds nachhaltig beeinflussen. Hierar‐ chisch pyramidale Supply Chains orientieren sich folglich an der Marktmacht ihres „Leuchtturms“. Die Zentralorganisation bindet seine Partner vielfach über langfristige Kontrakte an sich.
Eindeutig struktu‐ rierte Netzverbin‐ dungen
Der Aufbau einer hierarchisch pyramidalen Supply Chain entspricht häufig der produktbezogenen Zwangsfolge technologischer Arbeits‐ schritte (vgl. Bretzke 2007, S. 15). Sämtliche Veredelungsschritte der Part‐ ner orientieren sich streng an dem jeweiligen Produktionsprozess. Das Fokalunternehmen ist zumeist der Endprodukthersteller. In Abbildung A.5 ist ein Beispiel einer hierarchisch pyramidalen Supply Chain für die „Herstellung von Brot“ angegeben. Die eingebundenen Glieder sind Saatgutproduzenten, Bauern, Mühlen und schließlich der Netzknoten: die Brotfabrik als Hub.
Abbildung A.5
Hierarchisch pyramidale Supply Chain
Saatgutproduzent
26
Bauer
Mühle
Brotfabrik
Strukturierung der Supply Chain
A.4.2
A.4
Polyzentrische Supply Chains
Im Gegensatz zur eindeutigen Strukturierung hierarchisch pyramidaler Wertschöpfungsbeziehungen, liegen bei den polyzentrischen Supply Chains homogene, wechselseitige Abhängigkeiten vor. In diesem Netz‐ werk sind sowohl die Entscheidungskompetenzen als auch die Koordi‐ nationsaufgaben relativ gleichmäßig auf die eingebundenen Partner verteilt (vgl. Wildemann 2006, S. 204). Vertrauen und Offenheit der Betei‐ ligten sind besonders wünschenswerte Eigenschaften in dieser Kette.
Homogene Supply Chains mit facetten‐ reichen Ausprä‐ gungsmöglichkeiten
Innerhalb dieses heterarchischen Netzwerks werden die Führung und die Dominanz regelmäßig durch Verhandlungen neu geregelt. Teilweise koordinieren einzelne Akteure eigenverantwortlich bestimmte Bereiche, da sie beispielsweise über besondere Kenntnisse auf diesem Gebiet ver‐ fügen. Innerhalb eines Netzwerkverbunds wird dies als „Spezialisie‐ rungsfunktion“ bezeichnet. Die Überlappung einzelner Tätigkeiten ist symptomatisch für polyzentrische Supply Chains, da die Aufgaben viel‐ fach parallelisiert erbracht werden (Simultanplanung anstelle von Suk‐ zessivplanung).
Ständige Abstim‐ mungsprozesse
Die Koppelungen in einem polyzentrischen Verbund entstehen zumeist zur Lösung eines konkreten Kundenproblems. Dabei richtet sich die Koordination der Akteure strikt nach der Angebots‐ und der Nachfra‐ gesituation aus. Eine bestimmte Organisation ist häufig nicht exklusiver Bestandteil einer einzigen Supply Chain, sondern auch integrativer Ak‐ teur innerhalb weiterer Lieferketten. Dann handelt es sich um so ge‐ nannte multifunktionale Supply Chain Partnerschaften. Beispielsweise produziert Infineon Prozessoren nicht ausschließlich für Motorola, son‐ dern ebenso für Sony und Nokia. Sony wiederum bezieht seine Prozesso‐ ren aber nicht nur exklusiv von Infineon, sondern gleichzeitig von Intel und AMD (vgl. Bretzke 2007, S. 19).
Überlappende Interaktionen im Verbund
Während in hierarchisch pyramidalen Supply Chains die fokale Organi‐ sation eindeutig „den Ton angibt“, müssen die Akteure polyzentrischer Netzwerke häufig Kompromisslösungen eingehen. So herrscht in einer solchen Lieferkette nicht immer Einigkeit, wenn es beispielsweise um die Aufnahme neuer Partner, die Kostenverteilung, die Vergabe knapper Ressourcen oder das „Outphasen“ beteiligter Unternehmen geht. Häufig reicht die Macht eines Akteurs nicht über seine eigene Wertschöpfungs‐ stufe hinaus. Dies gilt umso mehr, je näher dieses Unternehmen am Ursprung der Supply Chain angesiedelt ist.
Kompetenzgerangel zwischen den Mit‐ gliedern
27
A
Grundlagen
Steuerung über Lenkungsausschuss
Auf Grund der nahezu gleichberechtigten Beziehungen zwischen den Einzelgliedern bietet sich in polyzentrischen Lieferketten die Implemen‐ tierung eines Steering Committees an. Dieser Lenkungsausschuss setzt sich aus Vertretern der eingebundenen Partner einer Supply Chain zu‐ sammen. Gerade bei aufkeimenden Problemen innerhalb der Wert‐ schöpfungskette werden mit Hilfe von Steering Committees – durch Mehrheitsentscheidungen – weiterführende Maßnahmen initiiert (vgl. Corsten/Gössinger 2007, S. 200f.).
Netzwerkknoten nicht eindeutig identifizierbar
In Abbildung A.6 ist ein Beispiel für eine polyzentrische Supply Chain aufgeführt. Darin wird deutlich, dass die Akteure dieses Netzwerks in überlappenden Abhängigkeiten zueinander stehen. Eine Fokalorganisa‐ tion ist nicht länger auszumachen. In letzter Instanz ziehen die ultimati‐ ven Endverbraucher die Waren aus dieser Supply Chain. Im Ursprung der Wertschöpfungskette stehen Rohstofflieferanten und Teilelieferanten in wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen miteinander. Vielfach handelt es sich hierbei um mittelständische Unternehmen. Am engsten ist wohl die Bindung zwischen Modullieferant und Hersteller. Diese OEM wiederum befinden sich in diversen Austauschprozessen mit dem Handel. Und der Handel hat schließlich sehr unterschiedliche Bindun‐ gen zu den ultimativen Endverbrauchern.
Abbildung A.6
Polyzentrische Supply Chain
Rohstoffe
Teile
Module
Hersteller
Handel
Endkunde
28
Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements
A.5
Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements
A.5.1
Allgemeine Charakterisierung
A.5
Die Aufgaben und die Ziele eines Supply Chain Managements leiten sich aus übergeordneten gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Anforderungen ab (Human‐, Ökologie‐ oder Sozialanforderungen). Außerdem basieren die Ziele und die Anforderungen einer Supply Chain auf den allgemeinen Unternehmensleitlinien. Diesbezüglich ver‐ folgen die Teilnehmer moderner Lieferketten insbesondere Kosten‐, Leistungs‐ oder Qualitätsverbesserungen.
Warum werden Supply Chains gegründet?
Vorrangige Aufgaben des Supply Chain Managements stellen die Ver‐ sorgung (Verfügbarkeitsaspekt), die Entsorgung und das Recycling inte‐ grierter Unternehmensaktivitäten dar. Im Rahmen der Wahrung dieser generischen Aufgaben muss das Supply Chain Management unter‐ schiedliche Komponenten beachten. Darunter fallen Quantitäten, Quali‐ täten, Preise, Liefer‐ und Lagerorte sowie (Zustellungs‐) Termine.
Aufgaben moder‐ ner Lieferketten im Überblick
Die Akteure einer Supply Chain bilden ein heterogenes Interessenten‐ bündel ab. Lieferanten, Hersteller, Händler, Distributoren, Dienstleister und Kunden sind in dieses Netzwerk eingebunden. Eine Supply Chain befindet sich in einem latenten Spannungsverhältnis der beteiligten Mitspieler. Auf der einen Seite erhoffen sich die Partner aus der über die Organisation greifenden Koordination eine gesteigerte Wettbewerbsfä‐ higkeit. Andererseits streben die rechtlich selbständigen Organisationen nach Autonomie. Der Bezugsrahmen eines Supply Chain Managements muss diesen ständigen Balanceakt konkurrierender Ziele ausloten.
Akteure einer Supply Chain
Natürlich gibt es „Win‐Win‐Situationen“ in diesem Partnergeflecht: Eine Begrifflichkeit, die im Supply Chain Management in den letzten Jahren wohl ein wenig zu euphorisch gefeiert und kaum differenziert betrachtet wurde. Doch herrschen auch in Lieferketten weiterhin natür‐ lich schärfste Konkurrenzverhältnisse. Beispielsweise erfolgt in einer Engpasssituation die Zuteilung knapper Ressourcen wenig altruistisch. Ebenso wird ein Lieferant seine Materialien kaum in eine jeweilige Supply Chain schleusen, wenn er in einem anderen Absatzkanal höhere Deckungsbeiträge wittert.
„You gotta fight for your right to par‐ ty…” (Beastie Boys)
29
A
Grundlagen
Simultanverbesse‐ rung
Ein primäres Anliegen des Supply Chain Managements besteht in der Erfüllung oben beschriebener Aufgaben. Der Ansatz erstreckt sich dabei auf eine Simultanoptimierung der Unternehmenseffektivität und der Unternehmenseffizienz sowie eine Harmonisierung der Wettbewerbs‐ faktoren Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität (vgl. Begriffsblock A.III).
Begriffsblock A.III
Effektivität und Effizienz sowie Zielharmonie von Erfolgsfaktoren
Effektivität und Effizienz: Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge
Doing the right things right
zu tun („Doing the right things“). Effizienz meint hingegen, die Dinge richtig zu tun („Doing the things right“). Die Effektivität ist strate‐ gisch geprägt, und sie orientiert sich an der primär externen und lang‐ fristigen Erfolgswirksamkeit von Handlungen. Eine Effizienz bezieht sich auf die Erzielung günstiger Kosten‐Nutzen‐Relationen. Sie ist operativ, primär intern und kurzfristig ausgelegt. Das betriebswirt‐ schaftliche Ziel besteht darin, „die richtigen Dinge richtig zu tun“.
Harmonisierung von Wettbewerbsfaktoren: Die entscheidenden Fak‐
Wissen, Innovatio‐ nen, Service und Informationen erweitern das Viereck
toren des Wettbewerbs sind Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität („strategisches Viereck“). Grundsätzlich hat sich ein Supply Chain Management auf sämtliche Erfolgsfaktoren ähnlich stark auszurichten (Zielharmonie). Temporär kann natürlich ein Faktor majorisieren.
Schlüssel der Supply Chain
Die Erfolgswirksamkeit von Supply‐Chain‐Aktivitäten speist sich aus einer Verbesserung oben aufgeführter Wettbewerbsfaktoren (Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität). Weitere Schlüsselgrößen können Service, Innovation, Nachhaltigkeit und Information sein. Folgende Optimie‐ rungspotenziale sind den vier Kardinalindikatoren zuzuordnen:
Cash‐throw‐off‐ Potential
Kosten: In der Supply Chain zielt die Schlüsselgröße Kosten auf Pa‐ rameter wie Bestände, Frachten, Investitionen oder Abschreibungen auf logistische Assets (beispielsweise auf Flurförderzeuge oder Ge‐ bäude). Aus hohen Vorräten ergibt sich eine Versorgungssicherheit innerhalb der Lieferkette. Jedoch zehren überhöhte Bestände am Kapi‐ tal einer Organisation (Cash‐Flow‐Verluste).
Zeit: Zumeist wird in der Wertschöpfungskette eine Beschleunigung
Beschleunigung versus Entschleu‐ nigung
der Aktivitäten angestrebt. Die Messung erfolgt beispielsweise über die Order Fulfillment Time. Ein modernes Supply Chain Management kann auch zur Reduzierung der Time‐to‐Market beitragen. Teilweise ist in der Supply Chain jedoch auch eine bewusste Entschleunigung von Prozessen anzuraten (Postponement). 30
Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements
Qualität: Der Erfolgsfaktor Qualität innerhalb der Supply Chain kann anhand von Kriterien wie Ausschuss oder Nacharbeit gemessen wer‐ den. Im Kern wird eine Befriedigung der Kundenwünsche eingefor‐ dert, die vor allem im Ansatz Total Quality Management (vgl. aus‐ führlich S. 107) zum Tragen kommt.
Flexibilität: Schließlich meint der Faktor Flexibilität (Agilität) in der Lieferkette, die Optimierung der Anpassungs‐ und Wandlungsfähig‐ keit von Organisationen. Dazu finden moderne IT‐Systeme Einsatz. Beispielhaft dafür steht der unternehmensübergreifende Ansatz von Advanced Planning and Scheduling (vgl. S. 388).
A.5 „Quality is free!“ (P. B. Crosby)
Anpassungen und Wandlungen
Beckmann (vgl. Beckmann 2004, S. 14f.) segmentiert den Nutzen der Supply Chain in marktseitige, innerbetriebliche sowie lieferantenseitige Attribute. Der marktseitige Nutzen besteht für die Akteure beispiels‐ weise in der Konzentration auf das Kerngeschäft (kein Outsourcing der Aktivitäten), einer Reduzierung von Marktrisiken (hervorgerufen auf Grund eines durchgängigen Informationsflusses) oder der Steigerung der Kundenzufriedenheit (konsequente Ausrichtung der Geschäftspro‐ zesse in Richtung ultimativer Endkunden). Außerdem beschleunigt die Zusammenarbeit im Netzwerk die Erschließung neuer, lukrativer Ab‐ satzmärkte.
„Grau ist alle Theorie, was zählt is auf‘m Platz.“ (A. Preißler)
Supply Chain Management in der Praxis
Beispielblock a.1
Ein Beispiel für die Nutzung eines Supply Chain Managements in der Un‐ ternehmenspraxis liefert Berentzen. Für den Spirituosenhersteller wird die Supply Chain durch „Picks“ in fünf Blöcke eigeteilt. Das Projekt wurde bei Berentzen angestoßen und beinhaltet Prozesse, Informationstechnologie, Controlling (Monitoring), Kooperation und Service. Diese Säulen stützen das Supply Chain Management von Berentzen. Die wichtigsten Neuerungen durch die Einführung eines Supply Chain Managements erstreckten sich für das Unternehmen auf die Bereiche Produktion (Konzentration der Abfüll‐ standorte und revidierte Fertigungsplanung), Distribution (intensivierte Einbeziehung externer Dienstleister sowie Aufbau eines Zentrallagers), IT (revolvierendes Updaten von SAP‐Modulen) sowie Organisation (Gründung einer eigenen Logistikgesellschaft und verstärkte Zulieferintegration). Mit Hilfe von „Picks“ gelang es Berentzen, die Produktionskosten um 20% und die Distributionskosten um 15% zu senken (vgl. Werner 2013b, S. 25).
Ein innerbetrieblicher Nutzen erwächst aus dem Supply Chain Ma‐ nagement durch optimierte Bedarfsprognosen und permanenten Kapa‐
31
Internal Benefits
A
Grundlagen
zitätsabgleich. Moderne SCM‐Systeme zeigen potenzielle Engpasssitua‐ tionen (Bottlenecks) rasch auf. Daraus resultiert beispielsweise die Mög‐ lichkeit einer Bestandsreduzierung. Ferner führt die forcierte Planungs‐ genauigkeit zur Losgrößenoptimierung. Lieferanten werden zu echten Partnern
Schließlich verfügt ein modernes Netzwerkmanagement über einen lieferantenseitigen Nutzen. Dieses Phänomen resultiert aus der Über‐ tragung von Verantwortlichkeiten an vorgelagerte Wertschöpfungsstu‐ fen (Lieferanten oder Hersteller). Beispielhaft dafür steht das Konzept Vendor Managed Inventory (vgl. ausführlich S. 143). Aus diesen intensi‐ vierten Bindungen im Kunden‐Hersteller‐Lieferanten‐Verhältnis resul‐ tiert vielfach eine Straffung der Einkaufsprozesse.
Keys of success in der Supply Chain
Weiterhin zielt die Ausgestaltung von Supply Chains auf die Realisie‐ rung von Schlüsselprinzipien. Dazu zählen Kompression, Kooperation, Virtualisierung, Standardisierung, Integration, Kundenorientierung und Optimierung (zum Teil in Anlehnung an Otto/Kotzrab 2001, S. 166). Nachstehend werden diese prägenden Prinzipien des Netzwerkmana‐ gements näher beschrieben.
Weniger ist manchmal mehr
Kompression: Eine Kompression bedeutet einerseits die reduzierte
Gemeinsam stärker sein
Kooperation: Die Partner streben im Supply Chain Management nach
Virtuelle Bezie‐ hungsgeflechte
Virtualisierung: Ein prägender Punkt in modernen Supply Chains ist
Mass Customizati‐ on als Hybridstra‐ tegie
Standardisierung: In zeitgemäßen Lieferketten finden in zunehmen‐
Bildung von Alli‐ anzen
Integration: Eine Integration von Teilnehmern in modernen Wert‐
Anzahl von Knoten und Akteuren innerhalb eines logistischen Netz‐ werks. Andererseits sind die Entfernungen zwischen diesen Knoten zu minimieren (z. B. Retourenoptimierung). der Wahrung von Verbundeffekten (Economies of Scope) in den Ver‐ sorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingketten. Dabei richten sich die Kooperationsbestrebungen zunehmend globaler aus (Internationali‐ sierung der Supply Chain, Global Sourcing). der Aufbau virtueller Netzwerke. Ein virtuelles Unternehmen bedeutet die temporäre Verschmelzung von Kernkompetenzen. Das Gebilde tritt den Kunden gegenüber als Einheit auf. Nach innen besitzt eine virtuelle Organisation jedoch keine juristischen und aufbauorganisa‐ torischen Verzahnungen. dem Maße standardisierte Module Einsatz. Dadurch steigt die Mög‐ lichkeit eines vereinfachten Datenaustauschs innerhalb der Supply Chain (EDI, Web‐EDI, Kognitive Supply Chain). schöpfungsketten kann sich vertikal oder horizontal ausrichten. Diese
32
Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements
A.5
Verbindung findet intern oder extern statt und läuft sequentiell oder simultan ab.
Kundenorientierung: Idealtypisch sind in einer Supply Chain die Ak‐ tivitäten erst einzuleiten, wenn ein konkreter Kundenbedarf vorliegt (Pull‐Steuerung). Dadurch soll die Anzahl an Slow Movern in den Re‐ galen vermieden werden (z. B. Books‐on‐Demand).
Optimierung: Die Optimierungen innerhalb der Wertschöpfungskette basieren auf mathematisch‐analytischen Modellen. Sie entstammen insbesondere dem Operations Research. Dazu zählen Simulationen, Warteschlangenmodelle, lineare Optimierung, spieltheoretische An‐ sätze oder Transport‐ und Zuordnungsmodelle. Im Rahmen derarti‐ ger Verbesserungen sind Informationsbarrieren zwischen den Part‐ nern abzubauen.
A.5.2
Kick‐off des Kun‐ den
Mathematisch‐ analytische Verbes‐ serungen
Zielkonflikte einer Supply Chain
In einer Supply Chain treffen unterschiedliche Interessenbündel aufei‐ nander. Differenziert nach Typisierungskriterien, lassen sich die Einzel‐ ziele einer Supply Chain in bestimmte Segmente unterteilen (vgl. in ähnlicher Weise Gudehus 2010, S. 74ff.):
Systematisierung einzelner Ziele
Humanziele: Hierzu zählen beispielsweise eine Versorgung mit le‐
Grundbedürfnisse sichern
benswichtigen Gütern, die maximale Sicherheit von Menschen, die Entlastung körperlicher Arbeit, das Eliminieren von Routineaufgaben und eine schnellstmögliche Versorgung in Krisenfällen.
Ökologieziele: In Zeiten nachhaltiger Lieferketten sind beispielsweise eine Senkung von Schadstoffemissionen, die Vermeidung (oder Ver‐ minderung) von Abfällen, eine Schonung von Ressourcen und die Re‐ duzierung von Lärm einzufordern.
Leistungsziele: Innerhalb von Supply Chains erstrecken sich die Leis‐ tungsziele auf Produkt‐ oder Prozessverbesserungen. So steht der Leistungsgrad (Lieferfähigkeit) ebenso latent auf dem Prüfstand, wie die Sendungsqualität (Vollständigkeit). Weiterhin ist die Terminein‐ haltung traditionell eines der prägenden Supply‐Chain‐Ziele (Same Day Delivery, Next Day Delivery).
Effizienzziele: Schließlich sind innerhalb moderner Lieferketten stän‐ dig Kostensenkungen einzufordern. Diese erstrecken sich beispiels‐ weise auf den Auslastungsgrad von Ladungsträgern, den wirtschaftli‐ chen Personaleinsatz, die Verminderung von Beständen oder einer Leistungssteigerung von Betriebsanlagen (Losgrößeneffekte).
33
Umwelt entlasten, möglichst nachhal‐ tig Performance in der Supply Chain erhöhen
Wirtschaftlichkeit steigern
A Ständiger Wechsel der Restriktionen
Grundlagen
Die Planungsabläufe innerhalb moderner Lieferketten sind verschiede‐ nen Restriktionen unterworfen. Diese Rahmenbedingungen beeinträch‐ tigen den Handlungsspielraum der Akteure nachhaltig. Da Supply Chains in der Regel eine hohe Dynamik und eine ausgeprägte Komple‐ xität aufweisen, werden sich diese Randbedingungen rasch ändern kön‐ nen (vgl. Gudehus 2010, S. 78f.). Folgende Restriktionen nehmen in be‐ sonderer Weise Einfluss auf die Ausgestaltung von Lieferketten:
Quellen und Sen‐ ken abstimmen
Räumliche Restriktionen: Dazu zählen die Standorte von Kunden,
Gesetzliche Nor‐ men beachten
Zeitliche Restriktionen: Hier sind Prozesszeiten (Abläufe), eigentli‐
Schnittstellen der Einflussgrößen ausloten
Technische Restriktionen: Unter diesen Punkt fallen beispielsweise
Knotenpunkte schaffen
Strukturelle und organisatorische Restriktionen: Die Ausgestaltung
Rechtliches Umfeld
Gesetzliche und ökologische Restriktionen: Vielfach sind besondere
Lieferanten und Dienstleistern wie auch verfügbare Produktions‐ und Transportflächen. che Arbeits‐ und Bearbeitungszeiten (Schichtpläne) oder Distributi‐ onszeiten (Fahrpläne) zu beachten. die Belastbarkeit der Transportmittel, die vorhandenen Lagerkapazitä‐ ten oder die Geschwindigkeit von Förderzeugen. Diese Faktoren kön‐ nen die Haltbarkeit oder die Beschaffenheit von Waren signifikant be‐ einflussen. von Supply Chains wird weiterhin von der Infrastruktur (Verkehrs‐ wege, Transportnetze) oder den verfügbaren Informationssystemen und Datenbeständen beeinflusst. Sicherheitsauflagen zu beachten. Diese gelten insbesondere für wert‐ volle, knappe oder gefährliche Güter. Gesetze, Vorschriften und Nor‐ men regeln diese Abläufe.
Generisches Porter‐ Problem
Auf Grund dieser differenzierenden Zielanforderungen und der begren‐ zenden Handlungsspielräume, ergeben sich vielfach Zielkonflikte in‐ nerhalb der Ausgestaltung von Lieferketten (vgl. auch Schulte 2017, S. 11). Eine klassische Zielkonkurrenz leitet sich aus dem latenten Span‐ nungsverhältnis zwischen Kostensenkung und Qualitätsverbesserung ab (Kosten‐Qualitäts‐Konflikt). Zur Linderung dieses Dilemmas können gegebenenfalls Outsourcing oder Offshoring beitragen.
Kundenzufrieden‐ heit um jeden Preis?
Ein weiteres Konfliktpotenzial ergibt sich aus der Divergenz von Vor‐ ratssenkung und Warenverfügbarkeit (Bestands‐Servicegrad‐Konflikt). Gemeint ist hier der ausgehende Servicegrad: Eine Steigerung der Kun‐ denflexibilität (für unvorhergesehene Bestellungen) wird zum Teil über höhere Fertigwarenbestände teuer erkauft. Die Akteure sollten hinter‐
34
Aufgaben und Ziele des Supply Chain Managements
A.5
fragen, welchen zusätzlichen Grenzertrag (in Richtung Verfügbarkeit) ein Bestandsaufbau dabei stiftet. Außerdem ist innerhalb von Supply Chains ein ständiges Kräftemessen zwischen Beständen und Frachtkosten auszuloten (vgl. S. 324). Beide Zielgrößen simultan verbessern zu wollen, fällt schwer (Bestands‐ Frachtkosten‐Konflikt). Denn mit einer Reduzierung der Anlieferfens‐ ter (zum Herunterfahren der Transportkosten) ist in der Regel ein Be‐ standsaufbau verbunden. Dieser hängt zwar letztlich von den berück‐ sichtigten Incoterms ab. Doch wird der Lieferant bei einer „Frei‐Haus‐ Lieferung“ seine Zusatzkosten zum Teil über den erhöhten Verkaufs‐ preis auf den Kunden überwälzen.
Intralogistisches Grundsatzproblem
Die Vorratshöhe konkurriert auch mit den ausgehandelten Materialprei‐ sen (Bestands‐Materialpreis‐Konflikt). Um die Materialpreise zu redu‐ zieren, wird der Einkäufer versuchen, die Bestellmengen möglichst zu erhöhen (Purchase Volume Impact). Es versteht sich, dass dieser Effekt zu einem Bestandsaufbau führt, aus dem Cash‐Flow‐Verluste resultie‐ ren.
Einkäufer gegen Bestandsmanager
Ein weiteres Problem leitet sich aus den unterschiedlichen Zielvorstel‐ lungen zweier Welten ab: Auf der einen Seite streben die Funktionsbe‐ reiche Logistik, Einkauf und Produktion nach Standardisierung, um die Variantenanzahl möglichst gering zu halten. Dies mögen Mitarbeiter aus den Disziplinen Technik und Vertrieb jedoch nicht allzu sehr. Sie möch‐ ten Produkte vielmehr auf den Kunden zuschneiden (Standardisie‐ rungs‐Individualisierungs‐Konflikt). Dadurch besteht die latente Ge‐ fahr eines Bestandsaufbaus. Zur Befriedung dieser unterschiedlichen Anforderungen kann Mass Customization beitragen (vgl. S. 164).
Verschiedene Wel‐ ten prallen aufei‐ nander
Eben noch vereint, kurz darauf entzweit: Zwar streben Logistik und Fertigung beide nach Standardisierung. Doch möchte die Logistik dabei mit möglichst niedrigen Beständen auskommen. Die Produktion hinge‐ gen versucht Stock‐Outs an der Linie unbedingt zu vermeiden. Sie wird daher einen hohen Bodensatz an Warenvorräten einfordern (Bestands‐ Verfügbarkeits‐Konflikt).
Wie hoch soll der Bestand denn nun sein?
Ebenso befinden sich eine rasche Auslieferung und die optimale Auslas‐ tung der Transportmittel in einem grundsätzlichen Widerspruch (Liefe‐ rungs‐Auslastungs‐Konflikt). Denn bei einer möglichst schnellen Aus‐ lieferung (z. B. Same Day Delivery) kann in aller Regel nicht darauf gewartet werden, bis das Transportmittel voll ausgelastet ist. Dadurch werden die Transportkosten in Mitleidenschaft gezogen. Die Folge ist, dass viele Lastkraftwagen gänzlich leer fahren.
Schnelligkeit gegen Kosten
35
A Wie viel ist uns die Umwelt wert?
Grundlagen
Mit der Verfolgung besonders schneller Auslieferungsprozesse werden aber nicht nur die Kosten aufgebläht. Auch ökologisch ist diese Vorge‐ hensweise desaströs (Lieferungs‐CO2‐Konflikt). Eine Beschleunigung der Distributionsvorgänge belastet die Umwelt, da verstärkt Kohlendi‐ oxid emittiert wird. Somit ergeben sich negative Auswirkungen auf die CO2‐Bilanzen eingebundener Supply‐Chain‐Partner.
A.6 Schon Heraklit wusste es: „Panta rhei“ – alles ist im Fluss…
Explizite Berück‐ sichtigung der Folgekosten
Motive für die Entstehung von Supply Chains
Das Wettbewerbsumfeld von Unternehmen ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ein Management moderner Lieferketten nimmt sich die‐ sen Herausforderungen an. Insbesondere folgende Phänomene prägen seine Entstehung: Total‐Cost‐of‐Ownership‐Betrachtung, Transaktions‐ kosten, Bullwhip‐Effekt, Globalisierung sowie gesteigerte Kundenanfor‐ derungen. Diese Motive, die für den Aufbau weltweit umspannender logistischer Netzwerke prägend sind, werden nachstehend diskutiert.
A.6.1
Total Cost of Ownership
A.6.1.1
Allgemeine Charakterisierung
Ein erstes Motiv für die Entstehung moderner Lieferketten besteht in einer Total‐Cost‐of‐Ownership‐Betrachtung (TCO). Das Konzept wur‐ de Mitte der 80er Jahre von der Beratungsgesellschaft Gartner entwickelt (vgl. Krämer 2012; Kuhn 2007). In der Ursprungsversion zielte der Ansatz auf die Informationstechnologie (IT). Später wurden die Überlegungen auf weitere Organisationsbereiche übertragen. Eine Total‐Cost‐of‐ Ownership‐Analyse ähnelt dem Lifecycle Costing (Vollkostenbetrach‐ tung, vgl. ausführlich S. 285). Während Lifecycle Costing jedoch im Kern auf Investitionen abzielt (explizite Zeitorientierung), widmet sich TCO vor allem Transaktionskosten (Prozessfokus). Der Übergang zwischen beiden Verfahren verläuft fließend. Neben den eigentlichen Anschaffungskos‐ ten eines Gutes werden bei TCO auch dessen Folgekosten berücksich‐ tigt. Diese fallen für Betrieb, Schulung, Wartung oder Reparatur eines Sachmittels über seine komplette Nutzungsdauer an.
36
Motive für die Entstehung von Supply Chains
Die Ermittlung von Total Cost of Ownership steigert die Transparenz in Supply Chains. Für die Unternehmensführung bietet der Ansatz eine Entscheidungsgrundlage bezüglich der Auswahl homogener Güter. Aus einer TCO‐Berechnung leiten sich Kostentreiber ab. Diesbezüglich ist für eine Total‐Cost‐of‐Ownership‐Überlegung der Gartner Group die Diffe‐ renzierung zwischen direkten und indirekten Kosten maßgeblich:
Direkte Kosten: Die direkten Kosten sind nach der Gartner Group
A.6 Gartner Group als Wegbereiter
Harte Kosten
sichtbar („hart messbar“, „budgetierbar“). Der IT‐gestützte Ansatz dif‐ ferenziert direkte Kosten in die drei Bereiche Hard‐ und Software (Be‐ schaffung und Anwendung von Informationstechnologie), Operations (Vergütung der Mitarbeiter für den Betrieb der Systeme) sowie Admi‐ nistration (Aufwendungen für Organisation und Verwaltung). Für ein Supply Chain Management resultieren direkte Kosten beispielsweise aus Abschreibungen auf Investitionen, Löhnen und Gehältern, Versi‐ cherungen, Zöllen, Verpackungen, Reisekosten oder Beständen (Kapi‐ talbindung).
Indirekte Kosten: Die Ermittlung dieser „weichen“ (unsichtbaren) Einflussgrößen bereitet in der Regel Schwierigkeiten. Die Gartner Group unterscheidet indirekte Kosten in die beiden Segmente End‐ User‐Operations sowie Downtime. Unter die End‐User‐Operations fal‐ len Wertverluste durch Schulung, Self‐ sowie Peer‐to‐Peer‐Support (so genannte „Kommunikation unter Gleichen“; in einem Computer‐ netzwerk sind sämtliche Rechner gleich bedeutsam, das Gegenteil stellt eine Client‐Server‐Lösung dar), Erstellung von Backups oder Futzing (IT‐Benutzung für private Zwecke). Mit dem Begriff „Down‐ time“ werden Systemausfälle umschrieben. Indirekte Kosten hemmen den Verbraucher in der Nutzung eines Wirtschaftsguts. Die Messung dieser Einflussfaktoren auf Investitionen ist allerdings einer ausge‐ prägten Subjektivität des Betrachters unterworfen. Unbestritten ist je‐ doch, dass indirekte Kosten erfolgswirksam sind. Laut Krcmar (vgl. Krcmar 2015, S. 191) belaufen sich diese weichen Einflussgrößen auf 23% bis 46% der gesamten Projektkosten. Albrecht beziffert eben jene indirekten Kosten sogar auf bis zu 53% der Gesamtkosten für IT‐ Projekte (vgl. Albrecht 2006, S. 85).
Neben der Gartner Group haben vor allem Forrester Research sowie die Meta Group den Ansatz von Total Cost of Ownership protegiert. Das Konzept von Forrester Research ist ebenfalls der Informationstechnolo‐ gie entlehnt. Die beeinflussenden Kostenfaktoren einer Entscheidung setzen sich aus Infrastruktur (Kosten für Hard‐ und Software), War‐ tungsverträge, Management, Support, Schulung, Downtime sowie Vor‐
37
Bedeutung weicher Einflussgrößen
Weitere TCO‐ Modelle im Über‐ blick
A
Grundlagen
sorge (Katastrophenschutz) zusammen. Die Meta Group hingegen mo‐ difiziert eine Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse geringfügig und be‐ zeichnet sie als „Real Cost of Ownership“ (RCO). Der Ansatz besagt, dass Kosten „belegbar“ sind. Sie entsprechen weitgehend den direkten Kosten von Gartner. Der Ansatz der Meta Group ergänzt diese Größen jedoch um Einflussfaktoren, welche zu einem Produktivitätsverlust führen. Darunter fallen Kosten für die Aufrechterhaltung von Netzwer‐ ken oder die Migration von Anwendern in dieses Netzwerk. Total Profit of Ownership
Seit geraumer Zeit weitet sich das Konzept von Total Cost of Ownership zum Total Benefit of Ownership (TBO). Diese Methode ermittelt den Gesamtprojektnutzen über seinen kompletten Lebensweg. Neben den Kosten sind auch die Leistungen (Erlöse) von Investitionen zu erfassen. Sämtliche Aktivitäten einer Supply Chain können diesbezüglich in Nutz‐, Stütz‐, Blind‐ und Fehlprozesse unterschieden sein (vgl. Albrecht 2006, S. 85 und S. 349 dieser Schrift). Nutzprozesse sind durchaus von einem Benefit in Richtung Kunde geprägt. Stütz‐, Blind‐ und Fehlpro‐ zessen ist hingegen kaum ein Nutzen inhärent (einseitiger Ressourcen‐ verbrauch). Für ein IT‐System erwächst ein möglicher Benefit beispiels‐ weise aus einer künftigen Integrationsmöglichkeit weiterer Applikatio‐ nen oder Updates (z. B. einer Firewall) in dieses System.
Beispiel für TCO: Einkauf eines Mantels
Im Folgenden wird eine Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse für das Supp‐ ly Chain Management exemplifiziert (vgl. in Auszügen Krokowski 1993, S. 14; Schulte 2017, S. 295). Das Beispiel bezieht sich auf die Lieferanten‐ auswahl eines Handelsunternehmens. Der Einkäufer eines Kaufhausbe‐ treibers möchte eine Kaufentscheidung für modische Herbstmäntel (Trenchcoats) treffen (vgl. Abbildung A.7). Sämtliche Kaufhäuser, in welche die Mäntel geliefert werden, befinden sich in Deutschland. Ein erster möglicher Lieferant fertigt seine Trenchcoats in China. Pro Mantel beträgt der Einkaufspreis 40,00 Euro. Alternativ liegt dem Einkäufer ein zweites Angebot eines deutschen Herstellers von 50,00 Euro pro Mantel vor. Im Lichte einer Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analyse wird dieser Ein‐ kaufspreis um Folgekosten pro Mantel verrechnet (der „Einkaufspreis“ des Mantels wird zu dessen „Einstandspreis“ übergeleitet).
Zunächst berechnet der Einkäufer die Frachtkosten pro Trenchcoat.
Frachtkosten
Diese addieren sich auf 4,50 Euro für die chinesische Variante (Luft‐ fracht 1,50 Euro und See‐/Landfracht 3,00 Euro). Wird der Mantel von dem deutschen Hersteller bezogen, fallen Frachtkosten von insgesamt 1,30 Euro an (diese resultieren ausschließlich aus See‐/Landfracht).
38
Motive für die Entstehung von Supply Chains
Ferner entstehen für jeden aus China bezogenen Mantel Kosten für die Verzollung und die Versicherung in Höhe von 3,80 Euro, wobei der Raubanteil in Zollkosten besteht (3,50 Euro). Wird der Trenchcoat von dem deutschen Hersteller bezogen, fallen keine Zollkosten an. Die Versicherung kostet pro Mantel 0,25 Euro.
Für die Berechnung der Kapital‐ und Lagerkosten sind die Lieferzeit
A.6 Zoll und Versiche‐ rung
Kapitalbindung
sowie die Transportzeit pro Mantel ausschlaggebend. Es ist ange‐ dacht, diese modischen Trenchcoats kurzfristig in witterungsabhängi‐ ge Special‐Sales‐Aktivitäten einzubinden. Auf Grund seiner langen Lieferzeit, muss der Mantel des chinesischen Herstellers voraussicht‐ lich im Durchschnitt 25,0 Tage auf Lager genommen werden. Daraus berechnet der Einkäufer Kapital‐ und Lagerkosten von 3,30 Euro pro Mantel (Opportunitätskosten, Lagerkosten, Handlingskosten). Für ei‐ nen aus Deutschland bezogenen Trenchcoat fallen hingegen nur 1,55 Euro Kapital‐ und Lagerkosten pro Mantel an.
Weiterhin bezieht der Einkäufer Sonstige Logistikkosten in seine TCO‐Berechnung ein. Diese setzen sich zusammen aus Kosten für: Auswahl der Dienstleister, Bestellüberwachung, Kommunikation (in‐ klusive Lieferantenbesuchen vor Ort), Qualitätskontrolle und Bü‐ roprovision (Betreuung durch einen Agenten im Auslandsbüro). In Summe belaufen sich diese Einflussfaktoren für die chinesische Vari‐ ante pro Trenchcoat auf 4,16 Euro. Wird der Mantel in Deutschland gefertigt, entstehen lediglich 0,08 Euro an Sonstigen Kosten pro Trenchcoat.
In Addition ergeben der Einkaufspreis (40,00 Euro) und die Folgekos‐ ten (15,76 Euro) für einen in China hergestellten Trenchcoat 55,76 Eu‐ ro. Für die Mäntel gewährt der Produzent einen Bonus von 2% auf den Einkaufspreis (0,80 Euro). Folglich belaufen sich die Gesamtkos‐ ten der aus China bezogenen Trenchcoats auf 54,96 Euro. Der in Deutschland gefertigte Trenchcoat kostet 53,18 Euro (Einkaufspreis 50,00 Euro und Folgekosten 3,18 Euro). Da der deutsche Hersteller ei‐ nen Bonus von 5% auf den Einkaufspreis pro Mantel abschlägt, kostet der Trenchcoat insgesamt 50,68 Euro. In diesem Beispiel „schlägt“ ein in Deutschland hergestellter Mantel – trotz des erheblich höheren Einkaufspreises – die „chinesische Alternative“ um 4,28 Euro pro Mantel (vgl. Abbildung A.7). Rein aus Kostensicht, wird der Einkäufer diesen Trenchcoat aus Deutschland beziehen. Es sei allerdings der Hinweis erlaubt, dass in diesem Beispiel ausschließlich direkte Kosten verrechnet wurden. Die Kalkulation könnte sowohl um indirekte Kos‐ ten, wie auch um mögliche Total Benefit of Ownership erweitert sein.
39
Weitere Einfluss‐ größen
Ergebnis der Ana‐ lyse
A Abbildung A.7
Grundlagen
Total Cost of Ownership
Entscheidungskriterium Einkaufspreis
Lieferant A
Lieferant B
40,00
50,00
‐ Luftfracht
1,50
0,00
‐ Seefracht/Landfracht
3,00
1,30
(A) Frachtkosten Total
4,50
1,30
‐ Zollkosten
3,50
0,00
‐ Versicherungen
0,30
0,25
(B) Zollkosten/Versicherungen Total
3,80
0,25
‐ Lieferzeit in Tagen
90,00
40,00
‐ Transportzeit in Tagen
25,00
1,00
‐ Lagerzeit in Tagen
25,00
1,55
(C) Kapitalkosten/Lagerkosten Total
3,30
1,55
‐ Kosten Dienstleisterauswahl
0,30
0,05
‐ Kosten Bestellüberwachung
0,23
0,00
‐ Kommunikationskosten
1,13
0,03
‐ Qualitätskontrollkosten
0,98
0,00
‐ Kosten für Büroprovision
1,52
0,00
(D) Sonstige Logistikkosten Total
4,16
0,08
‐ Summe Folgekosten (A + B + C + D)
15,76
3,18
Zwischensumme
55,76
53,18
‐ Abzug Bonus (2%/5%)
‐0,80
‐2,50
54,96
50,68
Endsumme
Legende: Lieferant A ist in China beheimatet, Lieferant B kommt aus Deutschland. Sämtliche Zahlenangaben in €.
40
Motive für die Entstehung von Supply Chains
A.6.1.2
Verzahnung mit Maverick-Buying
A.6.1.3
Maverick-Buying: Grundlegende Überlegungen
A.6
Der Begriff „Maverick‐Buying“ steht für eine wilde, unkontrollierte Beschaffung, die an einem existierenden Rahmenvertrag vorbei durch‐ geführt wird. Die Erscheinungsformen erstrecken sich über unbewuss‐ tes, notgedrungenes, beabsichtigtes oder kriminelles Maverick‐Buying (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 9ff.). Die Kennzahl „Rahmenvertragsquo‐ te“ steht für die Messung dieses Phänomens (vgl. Kennzahlentypologie dieser Schrift auf S. 416). Eine unkontrollierte Beschaffung verschlingt zum Teil viel Geld. Nach Wannenwetsch (vgl. Wannenwetsch 2008, S. 17f.) steigen die Bezugskosten durch ein Maverick‐Buying durchschnittlich um 15% (verglichen mit einer „kontrollierten“ Beschaffung). Gerade der Einkauf von C‐Artikeln gestaltet sich offenkundig recht chaotisch. Bis zu 30% dieser Sachnummern werden an bestehenden Verträgen vorbei bestellt (vgl. Angeles/Nath 2007, S. 110; Wannenwetsch 2013, S. 18).
Fluch wilder Be‐ schaffung
Die Motive für Maverick‐Buying lassen sich in zwei Kategorien untertei‐ len. Einerseits sind sie konkret vor dem Hintergrund der Einkaufstätig‐ keit, also dem Beschaffungsmanagement, zu betrachten. Andererseits können sie in einem generischen Zusammenhang gesehen werden: In einem von allgemeinen Normen abweichenden Arbeitsverhalten (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 4ff.). Die Ursachen für Maverick‐Buying sind vielschichtig (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 4; Large 2013, S. 210; Lonsda‐ le/Watson 2005, S. 159ff.):
Vielschichtige Ursachen für Maverick‐Buying
Operativ tätige Mitarbeiter wissen teilweise schlichtweg nicht um die Existenz von Lieferantenverträgen.
Entscheidungen des Bedarfsträgers leiten sich allein über den Materi‐ alpreis ab. Mögliche Folgekosten bleiben unberücksichtigt.
Konditionen aus Rahmenkontrakten (Einkaufspreise) werden als un‐ vorteilhaft eingeschätzt.
Die Leistungsfähigkeit des Herstellers wird angezweifelt. Bedarfsträ‐ ger sind der Meinung, dass Produkte nicht die geforderten Eigen‐ schaften besitzen und von Dritten hochwertiger oder bedarfsgerechter bezogen werden können.
Es existiert noch gar keine grundsätzliche Entscheidung über den Be‐ schaffungsweg. Einkäufer agieren notgedrungen an möglichen strate‐
41
A
Grundlagen
gischen Entscheidungen vorbei, da Standarddefinitionen bislang feh‐ len.
Interessenkonflikte zwischen den Fachabteilungen und dem strategi‐ schen Einkauf. Der Bedarfsträger stellt lokale oder persönliche Inte‐ ressen über unternehmensweite Ziele (intrinsische Motivation).
Machtspiele und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den beteiligten Akteuren.
Fehlende Anreize zur Einhaltung von Rahmenvereinbarungen. Ausgeprägter Budgetdruck, der den Einkäufer zur Suche neuer Be‐ schaffungswege verleitet.
Existenz von Handkassen (Korruption). Kapazitätsengpässe bisheriger Lieferanten zwingen den Kunden da‐ zu, sich kurzfristig nach anderweitigen Beschaffungswegen umzuse‐ hen. Gründe der weichen Ebene
Neben eher rationalen Gründen für Maverick‐Buying lassen sich auch emotionale Ursachen ausmachen. Dann weicht das Arbeitsverhalten von der Norm ab. Es äußert sich in Machtlosigkeit, Langeweile, Unge‐ rechtigkeit, Frustration, fehlender Organisationsverbundenheit, persön‐ lichem Schicksal oder allgemeinem Widerstand gegen Veränderungen (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 5ff.).
Indirektes Material ist besonders betroffen
Besonders ausgeprägt ist die wilde Beschaffung von Gemeinkostenma‐ terial (Büromaterial, Arbeitshandschuhe, Reinigungsmittel, Kraftstoffe, Schmieröle). Diese Sachnummern sind zwar nur von vergleichsweise geringem Wert. Doch sie erfordern überproportional hohe Transakti‐ onskosten (vgl. Karjalainen et al. 2008, S. 7; Wannenwetsch 2013, S. 17f.).
Auch Dienste bleiben nicht verschont
Weiterhin lastet auch auf dem Einkauf von Dienstleistungen vielfach der Fluch von Maverick‐Buying. Dieses Dilemma kann darin begründet liegen, dass beispielsweise bei kurzfristig durchzuführenden Reparatu‐ ren die Kapazitäten der offiziellen Dienstleister nicht ausreichen oder benötigtes Fachpersonal nicht zur Verfügung steht. Der folgende Bei‐ spielblock a.2 zeigt das untrennbare Nebeneinander von Total Cost of Ownership und Maverick‐Buying.
42
Motive für die Entstehung von Supply Chains
A.6 Beispielblock a.2
Total Cost of Ownership und Maverick‐Buying Ein Kostenstellenverantwortlicher stöbert über das Wochenende ein „un‐ schlagbares“ Angebot für ein Notebook auf. Der Hersteller Vobis bietet dieses zu einem Preisvorteil von 100 Euro an (verglichen mit ähnlichen Geräten der Konkurrenz). Im Laufe der kommenden Woche bestellt der Kostenstellenlei‐ ter fünf Notebooks bei Vobis. Dadurch ergibt sich für seine Organisation ein Preisvorteil von 500 Euro. Allerdings hat das Unternehmen einen Wartungs‐ vertrag mit Hewlett‐Packard abgeschlossen (welchen der Kostenstellenver‐ antwortliche ignoriert). Nach kurzer Zeit ergeben sich Probleme durch In‐ kompatibilitäten der Systemlandschaft. Außerdem stellen sich spätere War‐ tungsschwierigkeiten ein. Der originäre Preisvorteil von 500 Euro wird durch Folgekosten von 1.300 Euro überkompensiert (Trade‐off‐Situation).
A.6.1.4
Eindämmung von Maverick-Buying über Purchasing Cards
Nicht zuletzt zur Vermeidung von Maverick‐Buying, nutzen immer mehr Organisationen elektronische Einkaufskartensysteme (Purchasing Cards). Diese sind vor allem für den Bezug von Gemeinkostenmateria‐ lien gedacht. Die Einkaufskarten können physisch an ausgewählte Mit‐ arbeiter eines Unternehmens ausgegeben werden. Allerdings reicht auch die bloße Hinterlegung einer Kartennummer bei einem Kreditinstitut. Autorisierte Mitarbeiter (beispielsweise Kostenstellenleiter) werden bevollmächtigt, über die Purchasing Card direkt bei zuvor definierten Lieferanten geringwertige Artikel oder Dienste zu bestellen (wie Büro‐ material). Die Zahlung dieser Waren erfolgt über die Einkaufskarte.
Purchasing Cards zur Lösung von Maverick‐Buying
Im Grunde protegieren Einkaufskartensysteme eine Dezentralisierung ausgewählter Bestellvorgänge, indem ein Teil der Beschaffungsverant‐ wortung in die Funktionsbereiche ausgelagert wird. Daraus resultiert eine Entlastung zentraler Einkaufsabteilungen, verbunden mit der Ab‐ senkung von Verwaltungskosten. Mit dem Einsatz von Purchasing Cards wird das Streben nach kontrollierten Beschaffungsaktivitäten lanciert. Die Gefahr für das Aufkeimen des Maverick‐Buying‐Syndroms ist deutlich gemindert. Folgende Arbeitsschritte kennzeichnen beispiel‐ haft ein Purchasing‐Card‐System, beschrieben an dem Arbeitsbeispiel „Bestellung von Büromaterial“ (vgl. Abbildung A.8):
Arbeitsschritte zur Implementierung von Purchasing Cards
43
A
Grundlagen
1. Online‐Bestellung des Büromaterials durch den Bedarfsträger (Kos‐ tenstellenleiter) bei einem zuvor definierten Lieferanten. 2. Die Bestellung geht beim Lieferanten ein. Anschließend werden die Daten zwischen Lieferant und Kreditkartenbetreiber, der so genann‐ ten „Clearing‐Organisation“, abgeglichen (Überprüfung der Autori‐ sierung). 3. Wenn eine Autorisierung erfolgreich war, wird das Büromaterial durch den Lieferanten physisch zugestellt. 4. Im nächsten Arbeitsschritt findet der elektronische Zahlungsabgleich zwischen Kreditkartenbetreiber und Lieferant statt. Der Lieferant wird in der Regel recht schnell entlohnt. 5. Jetzt übermittelt die Kreditkartengesellschaft eine monatliche Sam‐ melrechnung an den Auftraggeber. 6. Schließlich wird der Zahlungsabgleich zwischen dem Auftraggeber und der Kreditkartengesellschaft eingeleitet. Abbildung A.8
Purchasing Cards
6
Bedarfsträger
Zahlungsabgleich
Kosten‐ stelle Auftrag‐ geber
Kreditkarten‐ gesellschaft (Clearing‐ Organisation)
5
Sammelrechnung
3
Bestellung
2
Lieferung
1
Autorisierung
Lieferant 4
Zahlungsabgleich
44
Motive für die Entstehung von Supply Chains
Einkaufskartensysteme werden von UBS Visa, Airplus, MasterCard oder American Express betrieben. Diese „Clearing‐Organisationen“ verfügen in der Regel über eigene Lieferantenlisten. Darin sind zumeist Anbieter aufgeführt, mit denen die Kreditkartenbetreiber bereits seit einiger Zeit Geschäftsbeziehungen pflegen. Zu den Vorteilen der Purchasing Card zählen:
A.6 Nutzen von Ein‐ kaufskarten
Rasche und unkomplizierte Beschaffung nach standardisierten Spiel‐ regeln (richtlinienkonforme Beschaffung zur Eindämmung von Mave‐ rick‐Buying).
Personalkostenreduzierung beim Auftraggeber (Entlastung der Mit‐ arbeiter des Zentraleinkaufs).
Opportunitätsgewinne für den Lieferanten: Rasche Bezahlung des Lieferanten durch die Kreditkartengesellschaft.
Erzielung von Skalen‐Effekten im Einkauf (Purchase‐Volume‐Impact durch Bündelung von Einkaufsvolumina).
Abschaffung von „Handkassen“ zwischen Lieferanten und Kunden. Buchung von Sammelrechnungen: Prozesskostenreduzierung in der Buchhaltung des Auftraggebers.
Variabilisierung der Kostenstruktur (der Auftraggeber reduziert seine Fixkosten, indem er die Kreditkartengesellschaft nur bei Inanspruch‐ nahme vergütet).
Steigerung der Transparenz im Beschaffungswesen. Technische Lösungen allein können jedoch nicht alle Ursachen des Ma‐ verick‐Buyings ausschließen. Daher sind neben den informationstech‐ nisch (IT)‐orientierten Lösungsansätzen, wie der Purchasing Card, auch verhaltensbasierte Lösungsansätze in Betracht zu ziehen. Darunter fallen insbesondere Mitarbeiterführung, Dienstanweisung, Personal Empowerment, Anreizsysteme und Unternehmenskultur.
Mitarbeiterführung: Führungspersönlichkeiten müssen in der Lage sein, ihr Wissen über Existenz und Zweck von Rahmenvereinbarun‐ gen zu teilen (Vorbildfunktion).
Dienstanweisung: Eine derartige Dienstanweisung könnte beispiels‐ weise eine Buchung von Dienstreisen ausschließlich über Vorzugslie‐ feranten gestatten.
45
Hohe Margen als primäre Stolper‐ steine
A
Grundlagen
Personal Empowerment: Übertragung von Verantwortung an das Personal, um deren Motivation zu stärken. Mitarbeiter werden früh‐ zeitig in den Entscheidungsprozess eingebunden und müssen für Fehlentscheidungen Rechenschaft ablegen.
Anreizsysteme: Durch die Unterbreitung positiver oder negativer An‐ reize sollen Verhaltensweisen der Mitarbeiter beeinflusst werden.
Unternehmenskultur: Starke Kulturen verbessern die Mitarbeitermo‐ tivation. Diese kann die Konformität zu Rahmenverträgen fördern. Kritische Würdi‐ gung verhaltens‐ basierter Lösungs‐ ansätze
Generell können verhaltensbasierte Lösungsansätze die Arbeitsmoral der Mitarbeiter steigern und ihren Beitrag zur Eindämmung von Mave‐ rick‐Buying leisten. Jedoch fällt die Messung ihrer Erfolgswirksamkeit schwer. Schließlich kann ein Personal Empowerment zu einer Trade‐off‐ Situation führen: Die gesteigerte Autonomie von Mitarbeitern fördert den wilden Einkauf, wenn die Bedarfsträger weiterhin persönliche über unternehmensweite Interessen stellen.
A.6.2 Ronald Coase als Wegbereiter
Transaktionskosten
Allgemein charakterisiert eine Transaktion den Wechsel eines materiel‐ len oder immateriellen Objekts aus dem Wirkungskreis eines Akteurs in den eines anderen (vgl. Corsten/Gössinger 2007, S. 3). Bei diesem Über‐ gang fallen (Transaktions‐) Kosten an. Die Theorie um Transaktionskos‐ ten geht vor allem auf Ronald Coase zurück, dem 1991 dafür der Nobel‐ preis verliehen wurde. Bezogen auf das Beispiel „Vertragsabschluss“, lassen sich Transaktionskosten folgenden Tätigkeiten beimessen:
Ex‐ante‐ Betrachtung
Transaktionskosten entstehen vor einem Vertragsabschluss (ex ante)
Ex‐post‐ Betrachtung
Nach einem Vertragsabschluss (ex post) fallen Transaktionskosten für
Entstehungsgrün‐ de von Transakti‐ onskosten
beispielsweise für Informationsbeschaffung (Informationssuche über potenzielle Marktpartner), Anbahnung (Kontaktaufnahme) oder Ver‐ einbarung (Verhandlung, Vertragsformulierung, Einigung). Abwicklung (Courtage oder Transport), Änderung (Termin, Preis oder Menge) und Kontrolle (Lieferabnahme) an.
Diese Einflussfaktoren auf Transaktionskosten können noch von weite‐ ren Tätigkeiten umgeben sein. Beispielhaft dafür stehen Kommunikati‐ onsbedarf, Missverständnisse, Verständigungsprobleme oder Konflikte zwischen beteiligten Personen. Die Höhe der Transaktionskosten kann
46
Motive für die Entstehung von Supply Chains
A.6
Geschäftsbeziehungen gänzlich zum Erliegen bringen. Sie werden in Total‐Cost‐of‐Ownership‐Analysen gemessen. In einem Supply Chain Management entstehen Transaktionskosten vor allem an den Schnittstellen. Daher sind innerhalb der Wertschöpfungs‐ kette möglichst verbindliche Regelungen hinsichtlich des Material‐ und Informationsaustauschs aufzustellen, um die Transaktionskosten einzu‐ dämmen. Moderne IT‐Systeme unterstützen diese Zielsetzung innerhalb der Supply Chain (beispielsweise Nutzung von E‐Commerce), wobei die jeweilige Organisationsstruktur durchaus die Höhe von Transaktions‐ kosten beeinträchtigt. Rigide Beziehungen werden aufgelöst und koor‐ dinationsintensive Formen gebildet. Das Virtuelle Unternehmen steht, auf Grund seiner modularen organisatorischen Form, beispielhaft Spa‐ lier für diesen Anspruch.
A.6.3
Transaktionskosten in Supply Chains
Bullwhip-Effekt
Der Bullwhip‐Effekt (vgl. Abbildung A.9) geht auf die Untersuchungen Forresters zu den „Industrial Dynamics“ aus dem Jahr 1958 zurück (vgl. Forrester 1958, S. 37ff.). Forrester zeigte seinerzeit folgendes Phänomen empirisch auf: Wenn innerhalb einer Wertschöpfungskette (bestehend aus den Stufen Produzent, Distributor, Händler und Kunde) eine unge‐ plante Nachfragesteigerung von 10% festgestellt wird, reagieren die Hersteller über. Sie möchten den potenziellen Umsatz nicht verloren geben. Bis zu 40% erhöhen sie ihre Produktion. Erst nach circa einem Jahr pendelt sich das Angebot bei der vorgegebenen Nachfragesteige‐ rung von 10% ein. Das Dilemma der Akteure einer Supply Chain besteht nach Forrester darin, dass ein Marktpartner lediglich um die Bedarfe seiner jeweils vorgelagerten Stufe konkret weiß. Folgende Gründe nennt Forrester für das Aufkeimen logistischer Peitschenschläge (vgl. insbeson‐ dere Forrester 1958, S. 43ff.; vgl. weiterhin Beckmann 2004, S. 7f.):
Peitschenschlag‐ Effekt
Fehlende Bedarfstransparenz in einer Wertschöpfungskette: Die Än‐
Der Kunde, das unberechenbare Wesen…
derungen der Bedarfsniveaus ultimativer Endkunden führen nicht di‐ rekt zur Produktionsanpassung der vorgeschalteten Lieferstufen. In‐ nerhalb der Zeitspanne zwischen Bedarfsänderung und Reaktion werden latent Überbestände in der Supply Chain aufgebaut.
Informationsverzerrung in einer Supply Chain: Dispositionsentschei‐ dungen und Bestellsysteme richten sich auf die eigene Organisation aus. Potenzielle Bedarfsänderungen von Verbrauchern werden nur
47
Sickerverluste in der IT
A
Grundlagen
mit Zeitverzug in dieses System geschleust (Sukzessivplanung statt Simultanplanung).
Häufige Anpassung des Bestandsniveaus: Änderungen in der Be‐
Beschaffungsrou‐ tine fehlt
Gründe für das Aufkeimen des Bullwhip‐Effekts
standspolitik bewirken schwankende Bestellmuster vorgeschalteter Wertschöpfungsstufen des Herstellers (vgl. Keller 2013, S. 113).
Insbesondere Lee et al. trugen die Ergebnisse Forresters fort und weiteten diese zum Bullwhip‐Effekt (vgl. Lee et al. 1997, S. 543ff.). Im Kern führen sie den Peitschenschlag‐Effekt auf Informationsdefizite innerhalb der Lieferketten zurück. Besondere Probleme liegen in den Einflussfaktoren Bedarfsprognose, Beschaffungspolitik, Bedarfsbündelung sowie Preisva‐ riation (vgl. Lee et al. 1997, S. 545ff.; vgl. weiterhin Beckmann 2004, S. 8f.):
Informationsdefizi‐ te über zukünftige Bedarfe
Bedarfsprognose: Die Weitergabe der Bedarfsinformation an die Lie‐
Problembehaftete Beschaffungspro‐ zesse
Beschaffungspolitik: Bei befürchteter Versorgungsknappheit ändert
Reduzierung bestellfixer Kosten über Purchase Volume
Bedarfsbündelung: Eine Bedarfsbündelung erfolgt durch die Aggre‐
Preisschwankun‐ gen
Preisvariation: Schließlich führen Verkaufsförderungsaktivitäten in
feranten erfolgt mit zeitlichem Verzug. So werden Änderungen in den Abrufen den Lieferanten nicht direkt mitgeteilt. Dadurch verlieren die Zulieferorganisationen die Sicht auf die tatsächliche Marktlage. Ein Beispiel dafür ist die Branche für Mobiltelefone zu Beginn dieses Jahr‐ tausends. Zu dieser Zeit brach der erste Hype um Mobiltelefone ab. Die Hersteller korrigierten ihre Bedarfsprognosen deutlich nach un‐ ten. Bis die letzte Stufe der Supply Chain diese Information verarbei‐ tet hatte, vergingen fast zehn Monate. Während dieser Zeit wurden in der Supply Chain latent Überbestände aufgebaut. sich das strategische Bestellverhalten von institutionellen Kunden und Endverbrauchern schlagartig. Beispielhaft dafür stehen witterungsab‐ hängige Saisonwaren (Sonnenmilch, Streusalz), Trendartikel (Fashion) oder selten verfügbare Ressourcen (Impfstoffe). Kunden tendieren da‐ zu, beim Lieferanten diese Kapazitäten zu horten. Die Folge ist ein Be‐ standsaufbau innerhalb der Supply Chain. gation von Kundenabrufen über mehrere Perioden. Der Kunde möch‐ te die Ausnutzung von Skaleneffekten erreichen (Mengenrabatte im Einkauf erzielen) und seine bestellfixen Kosten reduzieren. Diese ku‐ mulierten Werte verleiten den Lieferanten zu dem Trugschluss erhöh‐ ter zukünftiger Bedarfe. der Regel zu einem kurzfristigen Nachfrageschub. Die Bestandspla‐ nung vor, während und nach der Promotion ist besonders schwierig, da sich die Nachfrage sehr volatil verhalten kann. Beispielhaft dafür steht die teilweise rare Verfügbarkeit aktuell beworbener Kosmetika.
48
A.6
Motive für die Entstehung von Supply Chains
Bullwhip‐Effekt
Abbildung A.9
5
Bedarf
4 3 Hersteller Handel
2
Kunde 1 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Zeit
Nach dem Bullwhip‐Effekt (vgl. Beispielblock a.3) führen bereits leichte Nachfrageschwankungen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen zu grö‐ ßeren Aufschaukelungen der Bedarfe. Dieses Phänomen ist im „Beer Distribution Game“ zu erfahren. Anders ausgedrückt, verstärken sich selbst kleinere Veränderungen in den Endbedarfen in rückläufiger Rich‐ tung. Keine Wertschöpfungsstufe möchte Gefahr laufen, eine unvorher‐ sehbare Nachfrage aufgeben zu müssen (Peitschenschlag‐Effekt).
Spielerische Erfah‐ rung des Peit‐ schenschlags
Beispielblock a.3
Bullwhip‐Effekt Der Begriff Bullwhip‐Effekt geht auf Procter & Gamble zurück. Bei der Pro‐ duktion von „Pampers“‐Höschenwindeln war die Anzahl an Endverbrau‐ chern (Babys) in den Vereinigten Staaten mittelfristig konstant. Daher unter‐ stellte Procter & Gamble eine geringe Variabilität der Nachfrage. Doch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Procter & Gamble beobachtete, dass die Ab‐ rufe des Handels für die „Pampers“‐Windeln stark schwankten. Die Volatili‐ täten der Nachfrage steigerten sich umso mehr, je weiter sich eine Wert‐ schöpfungsstufe vom Endverbraucher (Baby) entfernte.
Als Werkzeuge zur Bekämpfung des Bullwhip‐Effekts (vgl. Simchi‐Levi et al. 2007, S. 39ff.) dienen ein verbesserter Informationsaustausch in der
49
Kampf dem Bullwhip!
A
Grundlagen
Supply Chain über die tatsächliche Nachfrage (Reduzierung von Unsi‐ cherheit), Simultaneität der Aktionen (Vermeidung von Zeitverzögerun‐ gen und „Totzeiten“), Zentralisierung der Disposition, Bildung strategi‐ scher Partnerschaften sowie Verminderung der Variabilität (Synchroni‐ sation der Bestellzyklen).
A.6.4
Globalisierung und gesteigerte Kundenanforderungen
“London calling to the underworld – come out of the cupboard, you boys and girls…“ (the Clash)
Ein weiteres Motiv für das Aufkommen moderner Supply Chains be‐ steht in der zunehmenden Globalisierung, die sich beispielsweise aus der Liberalisierung des Handels ableitet (vgl. Arndt 2017, S. 8). Auch der europäische Integrationsprozess ist eine treibende Kraft für die Interna‐ tionalisierung des Wirtschaftsgeschehens. Neben der wirtschaftlichen Liberalisierung, stellen günstigere und schnellere Transport‐ und Kom‐ munikationsmöglichkeiten weitere Hebel der Globalisierung dar. Nach Arndt (vgl. Arndt 2017, S. 9) sind die international getätigten Exporte von 1960 (127 Milliarden US‐Dollar) allein bis zum Jahr 2000 (6.436 Milliar‐ den US‐Dollar) um mehr als das Fünfzigfache gestiegen.
„Nationale Cham‐ pions sind ein Auslaufmodell.“ (N. Kroes)
Die global agierenden Organisationen nutzen möglichst kostengünstige und leistungsfähige Standorte. Daher überrascht der anhaltende Trend zur internationalen Beschaffung nicht (Global Sourcing). Beispielsweise sichern sich die Unternehmen durch globale Beschaffung die Versor‐ gung knapper Ressourcen. Vorprodukte werden in der Regel nach Kos‐ tengesichtspunkten selektiert. Für arbeitsintensive Leistungen findet eine Verlagerung in Niedriglohnländer statt (Offshoring). Anspruchsvol‐ le Aufgaben sind dort zu verrichten, wo qualifiziertes Personal beheima‐ tet ist. Viele Produkte werden weltweit angeboten, wobei lokale und kundenspezifische Modifikationen (Customization) existieren.
Front‐office und Back‐office klug vernetzen
Der Trend zur Globalisierung führt dazu, dass sich die Kunden weitge‐ hend aussuchen können, wo sie ihre Produkte kaufen möchten. Die For‐ derung nach einer weltweiten Verfügbarkeit von Waren wird beispiels‐ weise durch das Internet gestillt. Unabhängig von Ladenöffnungszeiten, sind Güter schnell und preiswert zu beziehen. Doch der Mausklick al‐ lein (Front‐Office) sichert noch nicht das Geschäft. Es bedarf eines adä‐ quaten logistischen Realisationswesens dahinter (Back‐Office).
After Sales Services
Viele Produkte bieten mittlerweile hinsichtlich ihrer technischen Eigen‐ schaften kaum noch Unterscheidungsmerkmale. Daher locken immer
50
Primäre Strategietypen von Supply Chains
A.7
mehr Organisationen Kunden mit Added Services. Zum Beispiel bietet Honda zeitweilig aktuellen und potenziellen Marktpartnern in London nicht nur ein Fahrzeug selbst zum Kauf an. Der Value Added Service besteht in dem integrierten Verkauf eines Parkplatzes für das Auto. Ein Supply Chain Management berücksichtigt dieses Wissen und setzt zur Befriedigung von Kundenwünschen auf hohe Liefertreue, kurze Liefer‐ zeit und ausgeprägte Lieferflexibilität (vgl. Arndt 2017, S. 20).
A.7
Primäre Strategietypen von Supply Chains
Auch wenn die Ausgestaltung einer Supply Chain letztendlich indivi‐ duell und branchenbezogen erfolgt, lassen sich moderne Lieferketten dennoch in vier verschiedene Grundtypen einteilen: Low Cost Supply Chains, Innovative Supply Chains, Service Supply Chains und Qualita‐ tive Supply Chains (vgl. Cohen/Roussel 2006, S. 26ff.).
A.7.1
Phänotypen von Supply Chain Strategien
Kostenführerschaft in der Supply Chain
In Low Cost Supply Chains setzen die Akteure alles daran, ihre Pro‐ dukte besonders günstig an kostenbewusste Abnehmer verkaufen zu können. Das vornehmliche Ziel besteht darin, den Kunden nachhaltige Preisvorteile gegenüber der Konkurrenz aufzuzeigen. Dazu initiieren Kostenführer gezielt Maßnahmen zur Rationalisierung und zur dauer‐ haften Steigerung der Effizienz.
Low Cost Supply Chains
Wichtige Stellhebel einer Supply Chain zur Erreichung der Kostenfüh‐ rerschaft beziehen sich beispielsweise auf die Auslastung der Anlagen, die Forcierung der Lagerumschläge, eine Reduzierung von Transakti‐ onskosten, die Standardisierung der Supply Chain Prozesse, eine ver‐ besserte Lieferantenintegration, die Automatisierung der I&K‐Systeme sowie die Absenkung von Distributionskosten.
Maßnahmen von Kostenführern in der Supply Chain
Optimierung der Anlagenauslastung: Erzielung von Skaleneffekten in den Bereichen Warehouse, Produktionsprozess, Förderzeug.
Forcierung der Lagerumschläge: Einführung von Reichweitenmonito‐ ring, Identifikation und Eliminierung von Ladenhütern (Slow Mover), Bündelung der Lagerstandorte, Einführung von Just‐in‐Time oder
51
A
Grundlagen
Just‐in‐Sequence, Automatisierung von Lager‐ und Umschlagprozes‐ sen, Steigerung der Anzahl zentraler Lagerstätten.
Reduzierung von Transaktionskosten und Prozesskosten: Elektroni‐ sche Geschäftsabwicklungen, weniger Schnittstellen.
Standardisierung der Supply Chain Tätigkeiten: Komplexitätssen‐ kung, Modularisierung von Abläufen, technologische Spezialisierung, Automatisierung des Materialflusses.
Verbesserte Einbindung von Lieferanten durch gezieltes Outsourcing: Berücksichtigung der Spezialkenntnisse von Lieferanten, Konzentrati‐ on auf das Kerngeschäft, Reduzierung der Lieferantenanzahl, Aus‐ nutzung synergetischer Potenziale.
Automatisierung der Informations‐ und Kommunikationssysteme: Einführung von Electronic Data Interchange, Verbessertes Customi‐ zing bestehender Systeme.
Senkung der Distributionsportkosten: Konsolidierung von Waren‐ strömen, Einsatz kostengünstiger Transportmittel. Supply Chain gerechte Produkt‐ entwicklung
Die Erreichung von Kostenführerschaft in der Supply Chain sollte mög‐ lichst frühzeitig beginnen: Schon im Supply Chain Engineering (vgl. S. 125) werden die Hebel für die Wahrung von Low Cost Supply Chains gestellt. Dazu bietet sich eine Modulbauweise an, wodurch die Varian‐ tenanzahl in Grenzen gehalten wird (überschaubares Artikelspektrum). Im Ergebnis sinken die Kosten für Warenhandling, Transaktionen und Verwaltung zum Teil deutlich.
Die Kehrseite von Cost Cutting: Trade‐offs
Doch drohen in Low Cost Supply Chains negative Wechselwirkungen auf andere Schlüsselgrößen: Treten die Akteure zu sehr auf die Kosten‐ bremse, ergeben sich fast zwangsläufig Trade‐off‐Effekte für die Inno‐ vationsfähigkeit, das Serviceverhalten, die Prozess‐ und die Produktqua‐ lität sowie die Agilität von Unternehmen. Auf den Punkt gebracht, sollte das „Cost Cutting“ in der Supply Chain nicht um jeden Preis erfolgen.
A.7.2 „Must‐Haves“ generieren
Innovationsführerschaft in der Supply Chain
Innovationsführerschaft in Supply Chains bedeutet „Killerprodukte“ zu produzieren, die ein Kunde unbedingt haben möchte. Dieser ausgepräg‐ te Kundenwunsch erzeugt einen Nachfragesog bei bestimmten Konsu‐ menten. Vor den Apple‐Stores bildeten sich zeitweise lange Warteschlan‐ gen, wenn das Unternehmen ankündigte, ein neues „iPhone“ in seinen
52
Primäre Strategietypen von Supply Chains
A.7
Retail Stores zu verkaufen. Teilweise campierten die Menschen vor den Geschäften, um frühzeitig ein Gerät der neuesten Generation zu ergat‐ tern. Echte Innovationsführer erzielen mit ihren Produkten vergleichs‐ weise hohe Deckungsbeiträge und streichen eine üppige Produzenten‐ rente ein. Frühe Käufer sind bereit, viel Geld für innovative Waren aus‐ zugeben, um den Trend von Morgen nicht zu verschlafen. Das spanische Modeunternehmen Zara (zugehörig zur Inditex‐Gruppe, dem derzeit größten europäischen Bekleidungshersteller) fährt eine binäre Supply Chain Strategie: Die meisten Sortimentsbereiche sind der Kostenführerschaft zugehörig (asiatische Supply Chain). Doch Zara strebt mit einem Viertel seines Fashion‐Sortiments nach Innovations‐ führerschaft: Zara gelingt es, nachdem ihre Scouts weltweit modische Hypes ausgemacht haben, bestimmte Textilien in weniger als 20 Tagen etikettiert in den Stores anzubieten. Dafür wurden Bestandteile der eu‐ ropäischen Supply Chain zurückgeholt (Backsourcing), um direkten Zu‐ griff auf die einzelnen Glieder dieser Lieferkette zu haben. Zara hat be‐ wusst in die Optimierung ausgewählter Warenströme investiert, um maximale Geschwindigkeit in seinen Geschäftsprozessen zu erreichen.
„Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat.“ (M. Twain)
Innovationsführer versuchen zeitgemäße Design Supply Chains aufzu‐ bauen, um sich einen frühen Marktzugang zu sichern. Zur Reduzierung ihrer Time‐to‐Market sind sie bereit, größere Investitionen einzugehen. High Speed Supply Chains entstehen durch die Einbindung vor‐ und nachgelagerter Wertschöpfungspartner, also durch die Einleitung verti‐ kaler Integrationsstrategien. Die Hersteller binden gern geeignete Mitar‐ beiter selektierter Lieferanten (Resident Engineers, vgl. S. 137 dieser Schrift) in ihre Produktentwicklung ein, um langwierige Reibungsver‐ luste an den Schnittstellen („Iterationsschleifen“) zu vermeiden. Beson‐ ders im B2B‐ und im B2A‐Bereich integrieren manche Hersteller darüber hinaus ausgewählte Kunden in ihre Entwicklungsteams, damit sie früh‐ zeitig ihre Aktivitäten auf deren Wünsche zuschneiden können.
Design Supply Chains durch High Speed
A.7.3
Serviceführerschaft in der Supply Chain
Eine weitere Möglichkeit zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen in der Supply Chain ist das Streben nach Serviceführerschaft. Dazu bieten die Hersteller ihren Kunden besondere Dienstleistungen in der Lieferkette an. Beispiele dafür stellen Konzepte aus dem Vorratsmanagement dar (vgl. S. 294). Zum Beispiel wickeln Akteure für ihre Kunden den Be‐ standsnachschub selbständig ab, wenn ihnen Zugang zu relevanten
53
Den Kunden zusätzlichen Nut‐ zen stiften
A
Grundlagen
Informationen gewährt wird (Vendor Managed Inventory). Einen weite‐ ren Anreiz bietet der Hersteller seinem Kunden, wenn er ausgewählte VMI‐Sachnummern zusätzlich als Konsignationsware führt. Der Kunde bindet somit nicht nur weniger Kapital, er spart auch Transaktionskos‐ ten (weniger Schnittstellen) und Prozesskosten (weniger Personal) ein. „Service bedeutet, das Geschäft mit den Augen der Kunden zu sehen.“ (Redewendung)
Die Übernahme von Zusatzdiensten in der Supply Chain wird als Value Added Services bezeichnet. Diese Mehrwertdienste erkennt der Kunde oftmals nicht auf den ersten Blick. In manchen Fällen werden Basis‐ dienste durch Zusatzleistungen erst besonders reizvoll, wenn dadurch die gesamte Dienstleistung aufgewertet wird. Der Dienstleister wird zum echten Full‐Service‐Provider. Wenn diese Mehrwertdienste den Kunden einen besonderen Nutzen stiften, intensiviert sich die Bindung zu diesem Akteur. Supply Chain Dienstleister müssen zumeist schnell reagieren und ihren Kunden verbrauchsorientierte Lösungen anbieten. Added Services in der Supply Chain können durch Montage, Retour, Sendungsverfolgung, Handling oder Reparatur erbracht werden.
Win‐Win‐ Situation durch Zusatzleistungen
Der Reiz für den Kunden besteht darin, sich auf sein eigentliches Kern‐ geschäft konzentrieren zu können. Unliebsame Zusatzaktivitäten wird er auf einen verlässlichen Partner auslagern, wenn sich dieser besonders gut auf einem bestimmten Geschäftsfeld auskennt. Der Kunde macht sich bewusst „schlanker“, er spart Personal und Kapazitäten ein. Ein Lieferant bietet diesen Service dann gern an, wenn er ein Zusatzgeschäft wittert: Erweist sich der Dienstleister beispielsweise im Warehouse Ma‐ nagement als verlässlicher Partner, bekommt er neben der eigentlichen Lagerhaltung eventuell noch das Warenhandling (Etikettierung, Verpa‐ ckung) oder die Warenverteilung (Distribution) übertragen.
A.7.4
Qualitätsführerschaft in der Supply Chain
Resilienz in der Supply Chain
Eine vierte primäre strategische Positionierung in der Supply Chain besteht in der Qualitätsführerschaft. Qualitative Supply Chains zeichnen sich durch ihre Robustheit aus. Die Qualitätsführer verstehen sich da‐ rauf, Prozesse fehlerfrei abzuwickeln. Sollten dennoch Abweichungen zu den Planvorgaben entstehen, sind sie in der Lage, kleinere Fehler selbst abzustellen.
Antizipatives Risikomanagement in der Lieferkette
Zur Wahrung stabiler Supply‐Chain‐Aktionen, sind Risiken frühzeitig zu erkennen und absichernde Maßnahmen einzuleiten. Mögliche Risi‐ kobereiche in der Supply Chain ergeben sich aus Diskrepanzen zwi‐
54
Primäre Strategietypen von Supply Chains
A.7
schen der Kapazitäts‐ und der Nachfrageplanung. Sollten hier Schwie‐ rigkeiten auftreten, sind spätere Korrekturen im Produktions‐ und Auf‐ tragsmanagement unerlässlich. Deshalb stellen qualitative Supply Chains hohe Ansprüche an Lieferzeit oder Zuverlässigkeit. Differenziert nach Einsatzbereichen finden sich in Abbildung A.10 eine Reihe von Supply‐Chain‐Risiken, die nachhaltigen Einfluss auf eine mögliche Qualitätsführerschaft innerhalb einer Lieferkette haben können. Abbildung A.10
Supply‐Chain‐Risiken der Qualitätsführerschaft
Supply‐Chain‐Bereich
Supply‐Chain‐Risiken (Auswahl)
Design
‐ Komplexitätszunahme und Variantenspektrum ‐ Technologische Abhängigkeit ‐ Unsichere Märkte, ungenaue Prognosen ‐ Mangelnde Abstimmung zwischen SC‐Bereichen ‐ Nicht planbare SC‐Kosten
Beschaffung
‐ Beschaffungsmarktrisiken (z. B. Naturgewalten) ‐ Politische Unsicherheit ‐ Zollbeschränkungen ‐ Lange Wiederbeschaffungszeit ‐ Fehlende Zertifizierungen der Lieferanten ‐ Qualitätsmängel der Lieferanten ‐ Lieferantenabhängigkeit und Preissteigerung
Produktion
‐ Material‐, Personal‐ und Kapazitätsengpässe ‐ Interne und externe Prozessstörungen ‐ Verzögerter Informationsfluss ‐ Hohe Ausschuss‐ und Nacharbeitsraten ‐ Fehlendes Qualitätsmanagement
Distribution
‐ Mangelnde Absatzprognose ‐ Schlechter Servicegrad (Qualität, Quantität, Zeit) ‐ Transportschäden und Havarie ‐ Warenbeschädigung ‐ Kundenausfall
Return
‐ Hohe Retourkosten ‐ Kundeninsolvenz ‐ Technologischer Wandel
In einigen Branchen ist Qualitätsführerschaft besonders wichtig. Bei‐ spielsweise können Fehler in der Pharma Supply Chain (beispielsweise
55
Ship‐to‐Label‐ Prozesse
A
Grundlagen
in der Life Sciences and Healthcare Supply Chain) sehr schwer wiegen‐ de Konsequenzen mit sich bringen, wenn beispielsweise die Kühlkette von Impfstoffen oder zeitkritischer Radiopharmaka unterbrochen wird. In diesem Cold Chain Management ist eine lückenlose Rückverfolgbar‐ keit von Chargen zwingend erforderlich. Nach dem Prinzip „Ship‐to‐ Label“ verlangen Behörden einen Nachweis darüber, dass betroffene Produkte nicht nur mit der auf ihrer Verpackung genannten Temperatur gelagert werden, sondern auch ihr Transport zwingend innerhalb einer festgelegten Temperaturspanne erfolgt. Bei Abweichungen reagieren Medikamente äußerst sensitiv: Es könnten sich ihre Molekularstruktu‐ ren verschieben, biochemische Reaktionen wären die Folge. Die Ver‐ braucher dieser Medikamente könnten ernste Gesundheitsschäden er‐ leiden. „Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ (W. Churchill)
In einer temperaturgeführten Lieferkette gelten somit aus gutem Grund für Gefriergut besonders restriktive Regeln, man spricht hier von einem „Temperatur‐Mapping“:
In der Cold Supply Chain müssen spezielle Fahrzeuge (Kühltranspor‐ ter, die auch eine Einteilung in unterschiedliche Kühlzonen ermögli‐ chen) und Behälter eingesetzt werden, welche in der Lage sind, nied‐ rige und stabile Temperaturen über einen längeren Zeitraum zu ge‐ währleisten.
Der komplette Distributions‐ und Lagerungsprozess wird strengstens überwacht (häufig unterstützt durch temperaturfühlende Sensorik, wie Radiofrequenzsysteme).
An die Hygienemaßnahmen von Gefriergut werden höchste Ansprü‐ che gestellt.
Während der kompletten Distribution muss in den Kühltransportern eine Luftzirkulation möglich sein.
Warenkontrollen erfolgen keinesfalls auf der Rampe, sondern stets im Kühlraum. Zunehmende Bedeutung von Food Chains
Auch in der Lebensmittel‐Supply‐Chain (Food Chain) spielt die Char‐ genrückverfolgung eine besonders wichtige Rolle, um eine dauerhafte Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten zu können. Die Kunden ver‐ langen verstärkt den Entstehungsweg eines Produkts zurück zu seinem Anfangspunkt verfolgen zu können. Das Motto lautet: „From the Farm to the Forc“. Es entstehen ökologische Lieferketten, der Markt für „ethi‐ sche“ Produkte wächst beständig. Die betroffenen Supply Chain Akteu‐
56
Netzwerkkoordination in Supply Chains
A.8
re müssen in ihren Beschaffungs‐, Fertigungs‐ und Distributionsabläu‐ fen die Einwirkung etwaiger Umwelteinflüsse (Hitze, Licht, Sauerstoff) unbedingt berücksichtigen. Diese externen Faktoren beeinflussen die Qualität der Lebensmittel nachhaltig. Die Produkte müssen den Kunden schnell erreichen. Frische spielt in der Food Chain eine große Rolle, denn Lebensmittel verfügen nur über eine begrenzte Haltbarkeit (vgl. Co‐ hen/Roussel 2006, S. 30).
A.8
Netzwerkkoordination in Supply Chains
Netzwerkmodelle dienen der Strukturierung logistischer Aktivitäten. Dazu sind komplette Wertschöpfungsprozesse in ihre einzelnen Kom‐ ponenten zu zerlegen: In ein logistisches Netzwerk werden, von der Quelle bis zur Senke, sämtliche Verbindungen („Kanten“) zwischen zuvor definierten Elementen („Knoten“) aufgenommen. In den nächsten Gliederungsabschnitten finden sich Gedanken zur Modellierung und Systematisierung von Netzwerken in der Wertschöpfungskette. Später erfolgt die nähere Kennzeichnung der Ebenen von Netzmodellen. Schließlich wird in diesem Zusammenhang die aktuelle Diskussion um Netzkompetenzen innerhalb von Supply Chains beleuchtet.
A.8.1
SCM bedeutet Netzwerkkoordina‐ tion
Modellierung und Systematisierung von Netzwerken
Zur Modellierung von Netzwerken sind unterschiedliche Merkmale zu erfüllen. Nach Otto (vgl. Otto 2002, S. 225) kennzeichnen insbesondere die nachstehenden Kriterien Supply‐Chain‐Netzwerke:
Zwischen den Akteuren (Individuen oder Organisationen) findet ein Austausch statt.
Die Partner sind dyadenübergreifend interdependent (eine Dyade wird als „Beziehung innerhalb einer Gruppe“ verstanden).
Entscheidungsprozesse unterliegen einer doppelten Reflexivität: Sie leiten sich sowohl aus der individuellen Zielfunktion einer Organisa‐ tion als auch aus dem Netzwerk selbst ab.
Innerhalb des Netzwerks sind die Akteure zu einer mehrstufigen Kompensation bereit. 57
Merkmale der Netzwerkbildung
A
Grundlagen
Differenzierung verschiedener Netzwerktypen
Bei Erfüllung dieser Merkmale lassen sich diverse Netzwerktypen iden‐ tifizieren. Dazu zählen Reproduktionsnetzwerke, Innovationsnetzwerke, Vermittlungsnetzwerke, Multiplikationsnetzwerke sowie Transport‐ netzwerke (vgl. Otto 2002, S. 229). Ein Reproduktionsnetzwerk beinhal‐ tet in der Regel die Abläufe von Supply‐Chain‐Aktivitäten. Allerdings können sekundär auch die unten angeführten Netzwerktypen vorliegen. Das Reproduktionsnetzwerk steht für die massenhafte und routinemä‐ ßige Fertigung materieller (Personal‐Computer oder Textilien) und im‐ materieller (Akten oder Rechnungen) Objekte. Die Akteure sind inner‐ halb der Reproduktionsnetzwerke fest und langfristig miteinander ver‐ knüpft.
F&E‐Affinität in Supply Chains
Im Gegensatz dazu finden die Partner von Innovationsnetzwerken nur punktuell zueinander. Sie sind in Form von Forschungs‐ und Entwick‐ lungsallianzen (High‐Tech‐Industrie) oder Beratungsprojekten anzutref‐ fen. Mit Hilfe von Innovationsnetzwerken werden insbesondere Arbeits‐ teilung, Know‐how‐Transfer und Kostensplitting anvisiert.
Kontaktierung
Das wesentliche Anliegen der Vermittlungsnetzwerke besteht in der Kontaktherstellung. Ein Beispiel dafür ist die Vermittlung des Personal‐ beraters zwischen Personalsuchenden und Arbeitssuchenden. Ähnlich gestaltet sich die Kreditvermittlung. Das Arrangement der Akteure rich‐ tig sich auf spezifische Vermittlungszwecke aus.
2 + 2 = 5
Multiplikationsnetzwerke finden sich bei McDonalds, indem das Fran‐ chise‐System massenhaft über die Partner ausgerollt wird. Ähnlich ge‐ staltet sich das Prinzip beim Finanzdienstleister MLP: Die zentrale Idee wird in möglichst identischer Form durch eine Vielzahl koordinierter Agenten an aktuelle und potenzielle Marktpartner transferiert.
Distributionsnetz‐ werke
Schließlich beschäftigen sich zum Beispiel Speditionen mit der Distribu‐ tion von Sammelgütern innerhalb der Transportnetzwerke. Diese Netzwerkgattung dient primär zur physischen Überbrückung von Räu‐ men und Zeiten (verstanden als grundlegende Logistikfunktionen).
Arten von Supply Chain Netzwerken
Für eine Supply Chain bieten sich unterschiedliche Systematisierungs‐ ansätze von Netzwerken an. Diesbezüglich benennen Gomm/Trumpfheller strukturbezogene, ebenenbezogene und phasenbezogene Ansätze (vgl. Gomm/Trumpfheller 2004, S. 50ff.). Diese Konzepte werden im Folgenden näher beschrieben.
Strukturierungsei‐ genschaften
Strukturbezogene Ansätze: Ein erstes Kriterium zur Typisierung von Netzwerken stellt deren Größe dar. Diese hängt von der Anzahl an Partnern, der Netzwerkdichte oder der räumlichen Ausdehnung ab.
58
Netzwerkkoordination in Supply Chains
A.8
Weiterhin entscheiden spezifische Eigenschaften von Akteuren über den Aufbau der Netzwerke (Spezialisierungsgrad, Netzwerkerfah‐ rung oder Kooperationsbereitschaft). Hinsichtlich der Sozialkriterien eines Netzwerks sind Vertrauensbasis, Machtverhältnis, Konfliktpo‐ tenzial und Netzkultur zu unterscheiden. Ebenso determiniert die Form der Geschäftsbeziehung die Struktur des Netzwerks. Diesbe‐ züglich sind beispielsweise die Art und die Häufigkeit getätigter Transaktionen, wie auch die Stabilität der Geschäftsbeziehung zu nennen. Eine schließende Form zur Einordnung strukturbezogener Netzwerke kristallisiert sich in den IT‐Beziehungen heraus (Digitali‐ sierung, Internet, EDI, Web‐EDI).
Ebenenbezogene Ansätze: Im Grundsatz sind die Ebenen der ge‐ samtwirtschaftlichen Makro‐Logistik, der einzelwirtschaftlichen Mik‐ ro‐Logistik und der dazwischen liegenden Meta‐Logistik für eine Ty‐ pisierung von Netzwerken zu unterscheiden. Das Supply Chain Ma‐ nagement ordnet sich bei dieser Differenzierung innerhalb der Netzwerk gerichteten Meta‐Logistik ein (vgl. Gomm/Trumpfheller 2004, S. 51). Eine weitere Möglichkeit zur Strukturierung von Netzwerken in Supply Chains stellt der SCOR‐Ansatz dar. Nach diesem Konzept sind verschiedene Ebenen zu unterscheiden: Top‐Level, Configurati‐ on‐Level, Process‐Element‐Level sowie Implementation‐Level (vgl. S. 70).
Phasenbezogene Ansätze: Innerhalb der phasenbezogenen Konzepte kooperierender Unternehmen werden Entwicklungsschritte von Supply Chains differenziert. So können die Stufen Initializing, Proces‐ sing und Reconfiguration durchschritten werden (vgl. Zajac/Olsen 1993, S. 139ff.). In der Initialisierungsstufe entwickelt jeder Partner seine eigene Kooperationsstrategie. Außerdem sind erste Kommuni‐ kations‐ und Austauschprozesse zwischen Akteuren zu identifizieren (zum Beispiel werden Basisnormen vorgegeben). Anschließend wer‐ den unter Processing sämtliche Tätigkeiten des formalen und infor‐ malen Austauschs gefasst. Diese dienen der Konfliktregulierung so‐ wie des Vertrauensaufbaus. Schließlich meint eine Rekonfigurierung die Bewertung der erzielten Ergebnisse einer Zusammenarbeit, die zur Beendigung, Anpassung oder unveränderten Fortführung der Austauschprozesse führen kann.
59
SCM als Element der Meta‐Logistik
Zyklusbezogene SCM‐Konzepte
A
Grundlagen
A.8.2
Netzebenen
Partialnetzwerke
Für ein Supply Chain Management sind Güternetze, Informationsnetze, Sozialnetze, Institutionelle Netze und Finanznetze zu unterscheiden (vgl. Gomm/Trumpfheller 2004, S. 54ff.; Otto 2002, S. 248ff.). Diese einzel‐ nen Ebenen werden synonym als Partialnetze bezeichnet. Sie stehen in einem ständigen Interaktionsprozess zueinander.
Physische logisti‐ sche Kernattribute
Ein Güternetz berücksichtigt logistische Kernaktivitäten wie Transport, Handling, Kommissionieren, Sortieren, Lagern, Verpacken und Signie‐ ren. Dadurch decken Güternetzwerke Zeit‐, Raum‐, Mengen und Sor‐ tenänderungen ab. Der Übergang zu den Informationsnetzwerken ge‐ staltet sich, durch die Zuhilfenahme von Informations‐ und Kommuni‐ kationssystemen, fließend.
IT‐ und Kommuni‐ kationsnetzwerke
Die Informationsnetze (auch „Datennetze“ genannt) umfassen sämtli‐ che IT‐Systeme im engen Sinn. Neben Computernetzen zählen dazu weitere Kommunikations‐ (Post, Fax, Telefon) und Informationsnetze. Ceteris paribus steigen mit der Kompliziertheit von Supply‐Chain‐ Prozessen die Anforderungen an die Informations‐ und Kommunikati‐ onssysteme. Als Basismedien stehen Telefon, Fax und Internet für einfa‐ che Abläufe zur Verfügung. Besonders komplexe Netzwerke werden über kollaborative Lösungen gesteuert (z. B. EDI, Web‐EDI).
„Ich habe nichts gegen Menschen als solche, meine besten Freunde sind welche…“ (Blumfeld)
Menschen gewährleisten den Aufbau und den Zusammenhalt einer Supply Chain (Sozialnetz). Innerhalb des Sozialnetzes spielen sich fach‐ liche und persönliche Beziehungen der beteiligten Akteure ab. Doch nicht nur fachliches Wissen wird zwischenmenschlich ausgetauscht. Soziale Netze beinhalten ebenso emotionale Bindungen und Gefühle. Beispielsweise kann es zwischen den Menschen zu derart angespannten Situationen kommen, dass Supply Chains im Extremfall aufgelöst wer‐ den (Belastungsverhältnis). Eine wesentliche Komponente sozialer Netzwerke stellt das Vertrauen der Partner dar.
Unternehmenszu‐ sammenschluss entscheidet über Bindungsintensität
Institutionelle Netzwerke zeichnen sich durch Kooperationsverträge, Kapitalbeteiligungen und Director Interlock aus. In den Kooperations‐ verträgen sind die Rechte und die Pflichten der Akteure einer Supply Chain niedergeschrieben. Außerdem finden zwischen den Partnern teilweise Kapitalverflechtungen statt (zum Beispiel gegenseitiger Ak‐ tienbesitz). Schließlich betrifft ein Director Interlock institutionelle Netzwerke. Darunter wird der Austausch von Aufsichtsräten und weite‐ rer hochrangiger Persönlichkeiten innerhalb der Supply Chain verstan‐ den. Die institutionellen Verbindungen sind im Konzern sehr ausge‐
60
Netzwerkkoordination in Supply Chains
A.8
prägt. Geringer ist die Bindungsintensität institutioneller Partnerschaf‐ ten beim Vorliegen kooperativer Unternehmenszusammenschlüsse (stra‐ tegische Allianz, Joint Venture, Kartell, BGB‐Gesellschaft, virtuelle Or‐ ganisation, Genossenschaft). Schließlich gehen in das Finanznetz einer Supply Chain sämtliche fi‐ nanziellen Transaktionen („Payment“) der Akteure ein. Diesbezüglich ist eine Unterscheidung in funktionale, institutionale und finanzwirtschaft‐ liche Netzwerke vorzunehmen (vgl. Pfohl et al. 2003, S. 4). In der funkti‐ onsorientierten Sichtweise werden Logistikschnittstellen (Beschaffungs‐, Produktions‐, Distributions‐, Informations‐ und Entsorgungslogistik) um Rechnungswesen, Controlling oder Treasury erweitert. Institutional sind die Partner der Supply Chain (inklusive ihrer Dienstleister) im Zu‐ sammenspiel mit Finanz‐ und Rechnungswesen/Controlling zu betrach‐ ten. Finanzwirtschaftliche Netzwerke berücksichtigen schließlich Aus‐ wirkungen von Logistikaktivitäten auf Prozesskosten, Anlagevermögen (Asset Management, Fleet Management) und Umlaufvermögen (Cash‐ Flow‐Berechnungen).
Finanzielle Netz‐ werke
Diese fünf Partialebenen der Supply Chain befinden sich in ständiger Interaktion. Auf Basis des Güternetzes wird in letzter Konsequenz die Optimierung der finanziellen Ergebnisse (Finanznetz) anvisiert. Die drei dazwischen liegenden Netze sind zwar unabdingbar, aber dennoch lediglich Mittel zum Zweck: Sie ermöglichen die Planung und die Steue‐ rung des Erstellungsprozesses von Produkten und Diensten.
Austauschbezie‐ hungen in Netz‐ werken
A.8.3
Netzkompetenz
Insbesondere Pfohl (vgl. Pfohl 2004; ähnlich Dominik/Hermann 2007) pro‐ tegiert in dem „Athene‐Projekt“ (Applied Theories Enabling Network Excellence) die Untersuchung von Netzkompetenzen innerhalb der Supply Chain. Darunter ist die räumliche wie zeitliche Abstimmung und Verbindung weltweit verstreuter Akteure einer Supply Chain zu verste‐ hen. Im Rahmen des „Athene‐Projekts“ filtrieren sich logistische Kom‐ petenzen von Organisationen hinsichtlich ihrer Material‐, Informations‐, Finanz‐ und Beziehungsströme heraus (vgl. Pfohl 2004, S. 3).
Pallas Athene, Göttin der Weisheit und der Strate‐ gie…
Der Ansatz um Netzkompetenzen beschreibt die Optimierung koopera‐ tiver Beziehungen im Partnergeflecht. Im Gegensatz zum „Resource‐ Based‐View“ (vgl. S. 101) fußen die Überlegungen zu Netzkompetenzen auf Austauschbeziehungen und dem Grundsatz des Teilens. Ressour‐
Weiterentwicklun‐ gen des Resource‐ Based‐View
61
A
Grundlagen
cenorientierte Ansätze akzentuieren hingegen die Einzigartigkeit und die Abgrenzung unternehmensindividueller Faktoren (vgl. Frunzke 2004, S. 31). Und dennoch vereinen sich die beiden scheinbar hybriden Inhalte in dem „Relational View“ (vgl. S. 102). Danach beruht die Netzkompe‐ tenz in Supply Chains auf individuellen und kollektiven Fähigkeiten (vgl. Frunzke 2004, S. 32ff.). „Dein Netzwerk gibt Dir eine besse‐ re Sichtweise – nicht Deine Brille.“ (R. Burt)
Bei Vorhandensein einer individuellen Netzkompetenz basiert ein Wettbewerbsvorteil der Akteure auf der Ausweitung der eigenen Res‐ sourcenbasis. Dieser wird durch Zeitvorsprung, Economies of Scale, Ressourceninterdependenzen sowie (organisatorischer und technologi‐ scher) Innovation geschaffen. Zeitvorteile und Skaleneffekte entstehen durch die Absorption bereits vorhandenen Wissens von Kooperations‐ partnern. Ressourceninterdependenzen verschafft sich eine Organisation aus der Kombination eigener Mittel mit den Ressourcen externer Part‐ ner. Schließlich entwickelt sich eine Innovationskompetenz, indem Un‐ ternehmen an den technologischen und organisatorischen Möglichkeiten Dritter partizipieren.
„Forever together, 4 years 2 come…“ (ABC)
Eine kollektive Netzkompetenz hingegen entwickelt sich einerseits aus einer horizontalen oder vertikalen Co‐Spezialisierung. Darunter wird verstanden, wenn einzelne Organisationen nur noch in denjenigen Be‐ reichen agieren, in welchen sie ihre Stärken sehen. Die Ausführung an‐ derer Aufgaben überlassen sie sonstigen Akteuren des Netzwerks. An‐ dererseits entstehen auch völlig neue Kooperationsformen kollektiven Denkens. Diese äußern sich in interorganisatorischen Ressourcen (zum Beispiel siedeln sich die Partner eines Netzwerks in engster räumlicher Nähe zueinander an), dem Austausch und der Kombination von Wissen sowie der komplementären Ressourcenausstattung. Letzten Anspruch sichern gemeinsam genutzte Informations‐ und Kommunikationssyste‐ me (wie EDI und Web‐EDI).
A.9 Networking
Materialflussanalysen in Supply Chains
Viele Supply Chains sind einer zunehmenden Eigendynamik globaler Märkte und sich wandelnden, multioptionalen Kundenanforderungen unterworfen. Mit Hilfe Netzwerk gerichteter Materialflussanalysen versuchen modern operierende Supply‐Chain‐Akteure diesen Marktan‐ forderungen zu begegnen. Der Einsatz adäquater IT‐Systeme ist dafür conditio sine qua non (vgl. Baumgarten 2009, S. 1ff.; Göpfert 2004, S. 33ff.). 62
Materialflussanalysen in Supply Chains
A.9.1
A.9
Motive für Materialflussanalysen
Das Management kompletter Materialflüsse ist für sämtliche Wert‐ schöpfungsakteure ein zentrales Anliegen. Kundenaufträge werden in einem logistischen Netzwerk aufgegeben, die Folge sind Interaktions‐ prozesse zwischen den Akteuren. Dabei kann die Zahl an Geschäftspro‐ zessen und Schnittstellen rasant anwachsen. Mit zunehmender Komple‐ xität im Partnergeflecht steigt die Gefahr kostenintensiver Stock‐outs. Hier setzen moderne Materialflussanalysen an. Sie dienen dazu, die Risiken für Unterbrechungen in Logistikketten einzudämmen (vgl. Beckmann 2004, S. 1ff.; Gienke/Kämpf 2007, S. 803; Haasis 2008, S. 62ff.).
Frühzeitiges Aufdecken von Engpässen
Zu den Kernaufgaben des Supply Chain Managements gehören die Kernaufgaben Erfassung, die Visualisierung und die Analyse sich ständig wandelnder der Material‐ Materialflüsse. Mit Hilfe der Materialflussanalyse wird der Versuch flussanalyse unternommen, die Transparenz in diesem Netzwerk zu erhöhen, um die Materialflussstruktur zu erhalten, Schwachstellen und ihre Ursachen zu identifizieren sowie Materialflusskosten zu ermitteln. Mit Hilfe der Materialflussanalyse soll die Wirtschaftlichkeit von Aktivi‐ täten in der Supply Chain gesteigert werden. Dazu sind komplexe Mate‐ rialflüsse des betrieblichen Umfelds in Simulationen modellhaft abzu‐ bilden. Eine begriffliche Klärung zur Materialflussanalyse liefern Brun‐ ner und Rechberger: „Material flow analysis is a systematic assessment of the flows and stocks of materials within a system defined in space and time. It connects the sources, the pathways, and the intermediate and final sinks of a material.“ (Brunner/Rechberger 2003, S. 3).
A.9.1.1
Zum Begriff der Material‐ flussanalyse
Systemdefinition
In einer Materialflussanalyse ist das zu erfassende System zunächst räumlich und zeitlich abzugrenzen, um die Interpretationsspielräume im Logistiknetzwerk einzudämmen:
Räumliche Systemgrenzen: Das Prinzip der räumlichen Systemab‐ grenzung kennzeichnet die geografische Lokalisierung des Gesamt‐ systems. Darin sind lokale und intern ausgerichtete Logistikaktivitä‐ ten ebenso verortet, wie globale Netzwerke über die Organisations‐ grenzen hinweg.
Temporäre Systemgrenzen: Eine Materialflussanalyse strebt nach Re‐ präsentativität. Perioden, die größere saisonale Schwankungen auf‐ weisen (zum Beispiel das Weihnachtsgeschäft) sind als Betrachtungs‐
63
Materialfluss im Raum begrenzen
Schwankun‐ gen vermeiden
A
Grundlagen
zeitraum weitgehend ungeeignet. Zur Fortschreibung von Vergan‐ genheitswerten können gleitende Durchschnitte berechnet werden. Ebenso bietet sich die exponentielle Glättung zur Ermittlung von Zu‐ kunftswerten an, um Ausreißer über Gewichtungsfaktoren „einzufan‐ gen“ (Trend, Konjunktur, Saison). Systemelemente definieren
Die Systemdefinition bezieht sich indessen auch auf die Elemente des Systems, die mit diesem interagieren. Darunter fallen Infrastrukturen (Wege, Flächen, Gebäude) ebenso, wie Material‐ und Informations‐ flussmittel (Lagerhaltungsequipment, Informationstechnologie). Ferti‐ gungsspezifische und logistische Prozesse finden diesbezüglich gleich‐ ermaßen Berücksichtigung.
Materialien bilden den Kern der Analyse
Die systemrelevanten Elemente stellen natürlich die Materialien selbst – und die sie umgebenden Informationen – dar. Dennoch unterscheiden sich die Materialien von ihrer Gewichtung. Mit Hilfe der ABC‐Analyse werden speziell diejenigen Materialien filtriert, welche repräsentativ sind und nachhaltigen Einfluss auf Umsatz oder Kosten ausüben. Ge‐ mäß der XYZ‐Analyse, können die Materialien auch nach ihrer Forecast Accuracy untergliedert sein. Unter Abschnitt D.2 (vgl. S. 268) werden diese Inhalte näher beleuchtet.
A.9.1.2 Materialflüsse erfassen und verstehen
Materialflusserfassung
Erst nach der vollständigen Definition des zu analysierenden Systems erfolgt die Erfassung jedweder Materialflussbewegungen. Sie stellen sich als Transport‐ oder Lagerbewegungen dar. Indem sich bewegende und ruhende Materialien ermittelt werden, lässt sich die tatsächliche Richtung und Größe der Materialflüsse räumlich, zeitlich, kosten‐ und mengenmäßig erfassen. Dabei können die Daten zur Materialflussanaly‐ se sowohl primär als auch sekundär (oder in Kombination) erhoben werden. Unabhängig von der gewählten Vorgehensweise sind zum Bei‐ spiel folgende Fragen zu klären:
„Warum wird gelagert und transportiert?“ „Was und wie viel wird eingelagert und transportiert?“ „Woher und wohin wird transportiert?“ „Womit und wie wird gelagert und transportiert?“ „Wann und wie lange wird gelagert und transportiert?“
64
Materialflussanalysen in Supply Chains
A.9.1.3
A.9
Direkte Materialflusserfassung
Eine direkte Materialflusserfassung wird durch eine primäre Datener‐ hebung im laufenden Betrieb vollzogen. Sie findet Anwendung, wenn die erforderlichen Daten über Materialflussbewegungen nicht vorhan‐ den sind oder lediglich in unzureichender Qualität vorliegen. Zu den gängigsten Verfahren zählen Ablauf‐ und Belastungsstudien (vgl. die unten stehenden Inhalte).
Primäre Datener‐ hebung
Das Ziel der Ablaufstudie ist die modellhafte Beschreibung und Abbil‐ dung von Prozessen und ihren Abhängigkeiten im Materialfluss durch direktes Beobachten, Messen oder Befragen. Mit Hilfe der Dekompositi‐ on des kompletten Materialflusses in seine Einzelprozesse, werden zeit‐ oder kostenverursachende Aktivitäten in Fertigung und Logistik (Trans‐ port, Lagerung) identifiziert.
Ablaufstudie
Ausgehend von den Ablaufstudien, geben die Belastungsstudien einen Aufschluss über die Richtung und die Länge der Materialflüsse selbst sowie über ihre Interaktionen innerhalb des Materialflussnetzes. Mit der gemessenen Menge (beispielsweise „Tonnen“), die innerhalb eines defi‐ nierten Zeitintervalls durch eine Supply Chain fließt, lassen sich die Materialflussintensitäten (zum Beispiel „Tonnen pro Monat“) mathema‐ tisch ableiten. Außerdem sind die Auslastungsgrade von Transport‐ und Lagerungsmitteln festzustellen (vgl. Arnold/Furmans 2009, S. 234ff.; Gien‐ ke/Kämpf 2007, S. 375ff.; Martin 2016, S. 31ff.).
Belastungsstudie
A.9.1.4
Indirekte Materialflusserfassung
Mit Hilfe einer sekundären Datenerhebung wird eine unmittelbare Auswertung bereits existierender Materiaflussdaten ermöglicht. Als Grundlage für die sekundäre Datenermittlung dienen moderne Infor‐ mationssysteme, wie Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling (vgl. zu ERP und APS S. 384). Aber auch digi‐ tale Supply Chain Lösungen leisten gute Dienste in der Indirekten Da‐ tenerfassung (vgl. S. 249). Sie ermöglichen die Planung, die Steuerung und die Kontrolle logistischer Materialflussprozesse entlang der gesam‐ ten Supply Chain. Als sekundäre Informationsquellen sind sie für eine Materialflussanalyse von entscheidender Bedeutung (vgl. Baumgarten 2009, S. 45ff.).
65
Sekundäre Daten‐ erhebung
A
Grundlagen
A.9.1.5
Materialflussanalyse und -visualisierung
Darstellungsfor‐ men von Material‐ flüssen
Bei der Erfassung von Materialflüssen werden üblicherweise große Da‐ tenmengen generiert (vgl. Big Data auf S. 258). Um nicht im Datenmeer zu versinken, müssen relevante Informationen filtriert und komplette Materialflüsse visualisiert werden. Über die räumliche Anordnung und zeitliche Abfolge der relevanten Materialströme leitet sich die Struktur des gesamten Netzwerks ab. Für die Erfassung und die Darstellung von Materialbewegungen eignen sich qualitative und quantitative Methoden gleichermaßen. Nachstehend werden diese Inhalte näher erläutert.
Qualitative Mate‐ rialflussanalyse
Die qualitative Visualisierung von Materialflüssen dient der strukturel‐ len Systemanalyse der Supply Chain. Dabei wird das System in Kno‐ tenpunkte (Quellen und Senken) und Kanten (Materialflüsse) zerlegt. Quellen und Senken kennzeichnen logistische oder fertigungsspezifische Leistungssektoren (Wareneingang, Rohstofflager, Produktion, Fertigwa‐ renlager, Warenausgang). In ihnen finden Aktivitäten zur zeitlichen, räumlichen, quantitativen und qualitativen Materialtransformation (wie Lagern oder Produzieren) statt. Kanten repräsentieren dagegen Trans‐ portbewegungen zwischen den Knotenpunkten. Diese Transporte sind ebenfalls als logistische Prozesse aufzufassen, da sie eine räumliche und zeitliche Überbrückung der Materialien ermöglichen und die Leistungs‐ stellen versorgen. Als sendende Leistungsstelle initiiert die Quelle den Transportprozess. Die Senke hingegen beendet diesen als Empfangsbe‐ reich (vgl. Gienke/Kämpf 2007, S. 377ff.; Grundig 2012, S. 119ff.; Gudehus 2010, S. 7ff.).
Strukturelle Parameter der Supply Chain
Auf diese Weise stellt die Supply Chain ein netzwerkartiges System dar, das sich durch Transportbewegungen und Leistungsstellen definiert. Die strukturelle Ausgestaltung der Wertschöpfungskette leitet sich aus den jeweiligen Materialflüssen ab. Doch auch die Quellen und Senken um‐ fassen mit ihrem Standort, ihrer Funktion und ihrer Anzahl die Struk‐ turparameter der Supply Chain (vgl. Haasis 2008, S. 62ff.).
Kombiniert quali‐ tativ‐quantitative Materialflussana‐ lyse
Qualitative Strukturdarstellungen können um quantitative Attribute erweitert sein. Dann werden der zeitliche und der mengenmäßige Fluss von Materialien durch das logistische Gesamtsystem aufgezeigt. Somit wandelt sich die reine Struktur‐ zur Prozessanalyse. Dadurch werden Materialflussmengen pro Zeitintervall und Materialflussintensitäten zwischen Quellen und Senken sichtbar. Sie stellen sich als kumulierte Hochrechnungen statistischer Ausgangsmassen dar, die in eine selbe Richtung verlaufen. Zuvor ermittelte Durchsätze (wie „Tonnen pro Zeit‐ einheit“) werden jetzt als Leistungsgrößen für komplette Materialflüsse
66
Materialflussanalysen in Supply Chains
A.9
herangezogen (vgl. Arnold/Furmans 2007, S. 251ff.; Gienke/Kämpf 2007, S. 377ff.; Grundig 2014, S. 121ff.). In der Folge werden mit der Materialflussmatrix und dem Sankey‐ Materialfluss‐ Diagramm zwei qualitativ‐quantitative Visualisierungsformen der Ma‐ matrix: Von der terialflussanalyse diskutiert. Speziell die Materialflussmatrix ist von Quelle zur Senke praktischer Relevanz. In dieser „Von‐nach‐Matrix“ werden die Material‐ flussbewegungen zwischen den Quellen („Von“) und Senken („Nach“) erfasst. Somit lässt sich ein qualitativer Rückschluss auf die Flussrich‐ tung in den Materialbewegungen ableiten, die vor‐ und rückwärts ge‐ richtet sind. Dabei werden die Quellen auf der Vertikalen abgetragen, die Senken finden sich auf der Horizontalen. Um alle möglichen Materialflüsse lückenlos erfassen und abbilden zu können, werden die Leistungsstellen explizit in der Materialflussmatrix berücksichtigt. Das Konzept richtet sich nach dem Prozessgedanken aus. Demnach stellt der Output eines vorgelagerten Prozesses den Input des nachgelagerten dar. Die Matrix ist so zu lesen, dass beispielsweise die Quelle A („Beschaffungslager“) die Senke B („Produktion“) mit 37 Einheiten versorgt (vgl. Abbildung A.11).
Kausalketten abbilden
Auch innerhalb einer Leistungsstelle (zum Beispiel des Distributions‐ lagers) können Materialflussbewegungen stattfinden. Diese Wechselbe‐ ziehungen spiegelt die Diagonale in der Matrix. Beispielsweise werden innerhalb des Distributionslagers von der Quelle zur Senke 3 Einheiten verschoben. So können Fertigwarenbestände vor ihrer Entsendung, von einem Kunden auf einen anderen, mit höherer Priorität, umgeschichtet werden. Diese Erkenntnis kann zum Ausgangspunkt für eine detaillierte Materialflussanalyse werden, die sich ausschließlich mit diesem Phäno‐ men befasst.
Interne Wechsel‐ beziehungen
Während oberhalb der Diagonalen alle Vorwärts gerichteten Material‐ flüsse zu finden sind, werden auf den darunter liegenden Matrixfeldern alle rückwärtigen Bewegungen abgetragen. Solche Rückwärtsbewegun‐ gen im Materialfluss können erste Anzeichen von Ineffizienzen oder von Kostensenkungspotenzialen sein.
Vorwärts‐ und Rückwärtsaktivitä‐ ten
Ergänzend zur Materialflussmatrix finden weitere Methoden für die Analyse von Materialflüssen Anwendung. Eines dieser Instrumente ist das Sankey‐Diagramm (vgl. Abbildung A.11). Damit können Material‐ flüsse innerhalb des betrachteten Systems maßstabsgetreu oder men‐ genbezogen dargestellt werden. Letzte Variante kommt insbesondere auf höher aggregierten Ebenen zum Einsatz: Zum Beispiel zur abstrak‐ ten Abbildung globaler Materialflüsse externer Supply Chains.
Sankey‐Diagramm einsetzen
67
A
Grundlagen
Wesentliches auf einen Blick erfas‐ sen
Aber auch zur Darstellung interner Materialflüsse eignet sich das Sankey‐Diagramm. Gerade die layoutgerechte Variante erzeugt eine hohe Transparenz, indem die Bedeutung der einzelnen Materialflüsse in der Supply Chain durch Pfeile wiedergegeben ist. Die Stärke dieser Pfeile kann proportional zur Durchsatzmenge ins Verhältnis gesetzt werden. Abbildung A.11 verdeutlicht diesen Kontext. Zum Beispiel versorgt die Produktion das Fertigwarenlager mit 40 Einheiten und empfängt von diesem gleichsam 3 Einheiten (vgl. Arnold/Furmans 2007, S. 243ff.; Gienke/Kämpf 2007, S. 377ff.; Grundig 2014, S. 120ff.).
Abbildung A.11
Materialflussmatrix und Sankey‐Diagramm Sankey‐Diagramm (Layoutgerecht)
Materialflussmatrix Tonnage/Monat
Nach (Senke)
Von (Quelle) (A) Beschaffungslager (B) Produktion (C) Distributionslager (S) Summe
A.9.2 Zum Nutzen der Materialflussana‐ lyse
Rohstofflager
(A) (B) (C) (S)
5 Produktion
37 8 45 5
40 45 5
3
37
3
8
5 42 51 98
8
3
40 Fertigwarenlager
Kritische Würdigung
Ein wesentlicher Vorteil der Materialflussanalyse ist sicherlich in der gesteigerten Transparenz zu sehen. Die Erfassung und die Auswertung von Materialflüssen gestalten sich schlichtweg einfacher, was durch nachstehende Erläuterungen unterstrichen wird:
Strategische Informationen
Operatives Instrument mit strategischem Charakter: Die Material‐
Planung und Modellierung der Materialflüsse
Strategische Netzwerkgestaltung: Durch die Heranziehung einer Ma‐
flussanalyse liefert Informationen, die auch für strategische Problem‐ stellungen herangezogen werden können. Aus ihr lassen sich Auswir‐ kungen auf Sourcing‐Entscheidungen ableiten, indem sie Rückschlüs‐ se auf Transportkosten und Lagerkosten gewährt oder frühzeitig mögliche Stock‐outs aufdeckt. terialflussanalyse werden beteiligte Akteure zur kritischen Analyse ih‐ rer Lieferkette gezwungen. Vernetzte Materialflüsse sind zu simulie‐ ren, um ein verbessertes Gesamtergebnis im Netzwerk zu erreichen.
68
Materialflussanalysen in Supply Chains
A.9
In Kombination mit modernen Informationssystemen, kann die Mate‐ rialflussanalyse zu einem wichtigen Werkzeug für das Supply Chain Design und Planning (vgl. S. 87 dieser Schrift) avancieren.
Prozessverständnis und Kostentransparenz: Mit der Analyse von Materialflussbewegungen erhalten auch logistische Kernprozesse eine exakte Spezifizierung, so dass logistische Leistungsstellen zu bilden sind. Mit Blick auf die Prozesskostenrechnung (vgl. S. 477), wird die Bedeutung der Materialflussanalyse für die Steigerung der Kosten‐ transparenz in den indirekten Leistungsbereichen deutlich. Sie liefert wichtige Basisdaten, um die Gemeinkosten der Logistik verursa‐ chungsgerecht auf die Kostenträger umzulegen.
Flexibilität: Die Materialflussanalyse steigert die Transparenz von Materialbewegungen, so dass Planungs‐, Simulations‐ und Modellie‐ rungszeiten erheblich verkürzt werden können.
Doch kennt natürlich auch eine Materialflussanalyse Grenzen. Nachste‐ hend finden sich einige dieser Schwierigkeiten von Materialflussanaly‐ sen in Stichpunkten:
Kein Modellcharakter: Die Materialflussanalyse ist kein idealtypi‐ sches Modell, das universell einsetzbar ist. Weder in der Praxis noch in der Theorie hat sich ein allgemeingültiges Konzept durchgesetzt. In letzter Konsequenz führt dies zu einem hohen Abstraktionsgrad mit einem eher anwendungsspezifischen Charakter.
Hoher Informationsgehalt: Mit Hilfe der Materialflussanalyse lassen sich erhebliche Datenmengen erfassen, die mit der Komplexität des Betrachtungsumfelds ansteigen. Daher ist eine Abgrenzung des Sys‐ tems ebenso wichtig, wie die Selektion der Datenbasis, um fehlerhafte Analysen zu vermeiden. Speziell bei der erstmaligen Anwendung der Materialflussanalyse sind Fehlinterpretationen der Materialflussdaten kaum zu vermeiden.
Prozess‐ und Kostentransparenz
Struktur und Schnelligkeit
Grenzen
Kein generisches Referenzmodell
Konzentration auf das Wesentliche
Fehlende Nachhaltigkeit und Vergangenheitsbezug: Es mangelt der Vergangenheits‐ Materialflussanalyse an Nachhaltigkeit, wenn sie dem Diktat der ein‐ maligen Anwendung unterworfen ist. Auch der daraus resultierende Aufwand würde kaum die Ergebnisse rechtfertigen, die man sich mit ihrer Anwendung verspricht. Speziell vor dem Hintergrund der dy‐ namischen Entwicklung von Materialflüssen wären einmalige stati‐ sche Momentaufnahmen wenig zielführend.
69
werte in die Zu‐ kunft projizieren
A
Grundlagen
Ex‐Post‐Betrachtung: Schließlich leiten sich Simulationen von Materi‐
Geschwätz von gestern…?
alflüssen aus Werten der Vergangenheit ab. Interessanter wären aber zukunftsgerichtete Analysen von Materialflüssen.
A.10 Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
Prägende SCM‐ Modelle
Nachstehend werden zwei ausgewählte Gestaltungsmodelle des Supp‐ ly Chain Managements diskutiert. Zunächst findet sich in diesem Kon‐ text eine nähere Beschreibung des SCOR‐Ansatzes. Im Anschluss sind diese Überlegungen auf ein spezielles Aufgabenmodell für Software‐ Systeme zu übertragen, dessen Erarbeitung auf SCOR basiert.
A.10.1 SCOR-Modell A.10.1.1 Grundlagen Historie und all‐ gemeiner Hinter‐ grund
Das SCOR‐Modell (Supply‐Chain‐Operations‐Reference‐Model) wurde mit der Zielsetzung aufgestellt, die Abläufe innerhalb einer Supply Chain zu standardisieren (vgl. www.supply‐chain‐org.; Bolstorff et al. 2008; Cohen/Roussel 2006; Poluha 2016). Den Grundstein dazu legte 1996 der Supply Chain Council (SCC): Die beiden Beratungsgesellschaften Pittiglio Rabin Todd & McGrath (PRTM) sowie Advanced Manufacturing Research (AMR) schufen – gemeinsam mit 69 Unternehmen unterschiedlicher Branchen – in Pittsburgh (USA) den Council. Bereits 1997 wurde der SCC in Pennsylvania in das Handelsregister aufgenommen. Dieser Ver‐ bund ist ein unabhängiger, nicht‐gewinnorientierter Verein, der das SCOR‐Modell fördern und ständig weiterentwickeln möchte. Die Tätig‐ keiten im Council werden durch Mitgliedsbeiträge finanziert. Mittler‐ weile gehören dem Council über 1.500 Mitglieder an. Die Teilnahme an diesem Verbund ist, gegen Zahlung einer geringen Gebühr, grundsätz‐ lich möglich. In diesem Council finden sich beispielsweise BASF, Black & Decker, Dow Chemical, Federal Express, General Electric, IBM, Merck, Mo‐ torola, Procter & Gamble, SAP oder Xerox.
70
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
Im Kern ist das SCOR‐Modell ein idealtypischer und über die Branche greifender Ansatz, in dem die Abläufe innerhalb der Supply Chain von den Partnern einheitlich beschrieben werden. Mit Hilfe von Kennzahlen sind die Abläufe in den standardisierten Lieferketten zu messen. Außer‐ dem finden sich in dem Konzept Anforderungen an die eingesetzte Software, inklusive einer Beschreibung ihrer Funktionalitäten (Soft‐ waredatenbank). Aktuell ist die SCOR‐Version 12.0 im Einsatz. Das Mo‐ dell befindet sich jedoch in kontinuierlicher Weiterentwicklung, wobei in recht rascher Abfolge Updates der eingesetzten Software erfolgen. Die Mitglieder im Supply Chain Council haben bereits circa sechs Monate vor der offiziellen Veröffentlichung einer neuen Softwaregeneration Zugang zur neuen Version.
Grundsätzliche Charakterisierung
Als Prozessreferenzmodell erstreckt sich der Ansatz über die komplette Supply Chain: Von der Source of Supply bis zum Point of Consumption. Die Abläufe sind konfigurierbar: es werden unterschiedliche Alternati‐ ven eines gleichen Prozesses abgebildet. Dadurch entsteht eine normier‐ te Sprache für interne und externe Kommunikationsprozesse innerhalb der Wertschöpfungskette. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für den Leistungsvergleich zwischen den Partnern.
SCOR strebt nach Standardisierung
A.10.1.2 Prozessstufen Das idealtypische Referenzmodell ist von hierarchischer Struktur und beinhaltet vier verschiedene Ebenen („Level“). Im Fortgang zwischen den einzelnen Stufen nimmt der Grad an Konkretisierung ständig zu. Diese Entwicklungsstufen stellen Top‐Level, Configuration‐Level, Pro‐ cess‐Element‐Level und Implementation‐Level dar. Diese verschiedenen Stufen werden nachstehend gekennzeichnet. Abbildung A.12 zeigt die‐ sen Zusammenhang auf.
Vier prägende Modellstufen
A.10.1.3 Top-Level (Ebene 1) Die Ebene Top‐Level definiert den Umfang sowie den Inhalt einer Supp‐ ly Chain. Dabei werden die fünf unterschiedlichen Prozesskategorien (Aktivitätenbündel) Planen (Plan), Beschaffen (Source), Herstellen (Make), Liefern (Deliver) und Zurückführen (Return) spezifiziert.
Planen (Plan): In der Supply Chain sind zunächst die Angebots‐ und die voraussichtlichen Nachfragestrukturen zu planen. Dazu werden Lieferquellen bewertet, Nachfrageanforderungen ermittelt, Bestände
71
Prozesskategorien in Ebene 1 spezifi‐ zieren
Generische Pla‐ nung
A
Grundlagen
geplant, Anforderungen an die Produktion und den Vertrieb gestellt, Materialien definiert oder Kapazitäten im Mengengerüst abgeglichen. Außerdem ist die „Infrastruktur“ der Planung festzuschreiben. Dies‐ bezüglich sind Entscheidungen hinsichtlich Make‐or‐Buy, Einlauf‐ und Auslaufsteuerung oder Commodity‐Struktur zu treffen.
Beschaffen (Source): Anschließend sind im SCOR‐Modell alternative
Input
Beschaffungsquellen zu vergleichen, welche die Versorgungssicher‐ heit gewährleisten. Der Prozess beinhaltet interne und externe Aktivi‐ täten. Zu ersten zählen Warenannahme, Qualitätsprüfung, Lagerung oder Bezahlung. Letzte umfassen zum Beispiel die Zertifizierung von Lieferanten oder den Abschluss von Rahmenverträgen.
Herstellen (Make): Das dritte Aktivitätenbündel der Ebene Top Level
Throughput
beinhaltet die Herstellung nachgefragter Güter. Dazu muss der Ferti‐ gungsprozess mit seinen Schnittstellen (beispielsweise Engineering oder Qualitätssicherung) abgestimmt werden. Zur Erreichung einer hohen Kundenzufriedenheit, sind die Produkte qualitativ hochwertig herzustellen.
Liefern (Deliver): In der Prozesskategorie „Deliver“ finden sich Maß‐
Output
nahmen, die zur Befriedigung der Kundennachfrage dienen. Hier werden die Kundenaufträge verwaltet (Bestellerfassung, Fakturie‐ rung, Inkassowesen), Lager bewirtschaftet (Kommissionierung, Ver‐ packung, Versand) und Waren distribuiert (Fleet‐Management, In‐ coterms, Frachtwesen).
Zurückführen (Return): Schließlich umfasst dieser Kernprozess sämt‐
Re‐Logistics
liche administrativen Tätigkeiten, welche mit der Rückgabe von Roh‐ stoffen (an Lieferanten) oder dem Empfang rückgeführter Fertigwaren (von Kunden) verbunden sind. So deckt Return den Rückfluss defek‐ ter Produkte oder überschüssiger Artikel ab (Re‐Logistics). Auch un‐ gängige Sachnummern fallen unter die Rubrik „Return“.
A.10.1.4 Configuration-Level (Ebene 2) Bildung der Pro‐ zesskonfiguration
Auf Basis der Ebene Top‐Level werden auf dieser zweiten Stufe ver‐ schiedene Standardmodule definiert, mit denen sich mögliche Supply Chains konfigurieren lassen. Dazu ist die komplette Supply Chain in unterschiedliche Teilprozesse zu zerlegen. Als Prozesskategorien dienen die „Aktivitätenbündel“ der ersten Ebene: Plan, Source, Make, Deliver und Return (vgl. Abbildung A.12). In diesem Kontext sind beispielswei‐ se folgende Fragen zu klären:
72
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
Plan: „Findet ein Outsourcing von Tätigkeiten statt?“. „Wie kann die potenzielle Nachfrage festgestellt werden?“.
Source: „Liegt eine Pull‐Steuerung vor?“. „Handelt es sich bei der zu beschaffenden Ware um ein Katalogteil?ʺ.
Make: „Fertigen wir in Masse?“. „Können die Fertigungsanlagen rasch umgerüstet werden?“.
Deliver: „Sollen die Produkte kundenspezifisch verpackt werden?“. „Eröffnen wir ein Zentrallager?“.
Return: „Welche Produkte bedürfen einer Rückführung?“. „Wer führt den Rücktransport durch?“.
Die Standardmodule der Toolbox können in einer Matrix dargestellt werden. Horizontal sind die fünf Prozesskategorien Plan, Source, Make, Deliver und Return abgetragen. Vertikal finden sich in der Matrix drei unterschiedliche Prozesstypen: Planning, Execution und Infrastructure.
Primäre Prozessty‐ pen von SCOR
Planning (Planung): Der Prozesstyp Planning zielt darauf, diejenigen Aktivitäten zu definieren, welche Angebot und Nachfrage optimal in Einklang bringen. Dazu zählt die Festlegung des Planungshorizonts ebenso, wie die Ausgestaltung der Planungsprozesse.
Execution (Ausführung): Im nächsten Schritt werden Aktivitäten ein‐ geleitet, die zur Transformation der Planung dienen. Beispielsweise gehören dazu Termine und Maschinenbelegungen.
Infrastructure (Infrastruktur): Schließlich beinhaltet die Infrastruktur sämtliche Aktivitäten, welche die Voraussetzungen für die Realisie‐ rung von Planning und Execution schaffen. Hierunter fallen insbe‐ sondere Informationsaufbereitung und Datenpflege.
Durch die Interaktion der Prozesskategorien Plan (P), Source (S), Make (M), Deliver (D) und Return (R) mit den Prozesstypen Planning, Execut‐ ion sowie Infrastructure entsteht eine zweidimensionale Matrix. Sie wird von dem Supply Chain Council als Configuration Toolbox bezeichnet (vgl. Abbildung A.12). Bei näherer Betrachtung der Matrix fällt auf, dass der Prozesstyp Execution weiter untergliedert ist. Im Rahmen der Aus‐ führungsprozesse wird folgende Differenzierung vorgenommen in:
73
Configuration Toolbox
A
Grundlagen
Source: “Stocked‐Product”, “Make‐to‐Order‐Product”, “Engineer‐to‐ Order‐Product”.
Make: “Make‐to‐Stock”, “Make‐to‐Order”, “Engineer‐to‐Order”. Deliver: “Stocked‐Product”, “Make‐to‐Order‐Product”, “Engineer‐to‐ Order‐Product”.
Return: “Source‐Return”, “Deliver‐Return”. Alles kommt auf den Prüfstand
Aus diesen Hauptfeldern der Toolbox wählen Organisationen die für sie zutreffenden Prozessketten aus. Im Kern findet eine Spezifizierung der Problemstellung statt. Jedes Unternehmen erhält so seine geeignete Kon‐ figuration. Dadurch werden defizitäre Bereiche offen gelegt: Die Tool‐ box trägt zur Identifikation von Redundanzen in der Supply Chain bei.
Abbildung A.12
SCOR‐Toolbox (Ebene 2)
Planning P2 Plan Source
P1 Plan Supply Chain
P3 Plan Make
Make
Source
P5 Plan Return
Deliver
S1 Stocked‐Product
M1 MTS
D1 Stocked‐Product
S2 MTO‐Product
M2 MTO
D2 MTO‐Product D3 ETO‐Product
S3 ETO‐Product
M3 ETO
Customers
Suppliers
P4 Plan Deliver
Execution
Source Return
Deliver Return
R1 Return Defective Product R2 Return MRO‐Product R3 Return Excess Product
R1 Return Defective Product R2 Return MRO‐Product R3 Return Excess Product
Infrastructure Legende: MTS = Make‐to‐Stock
MTO = Make‐to‐Order
MRO = Maintenance, Repair and Overhaul
74
ETO = Engineer‐to‐Order
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
A.10.1.5 Process-Element-Level (Ebene 3) Auf der dritten Prozessstufe, der Gestaltungsebene, schreitet die Konkre‐ tisierung des SCOR‐Modells weiter voran. Jetzt werden die Prozesskate‐ gorien in einzelne Prozesselemente zerlegt. Im Fokus stehen die Defini‐ tion dieser Prozesselemente und die Ermittlung von Input‐Output‐ Relationen je Prozesselement. Wenn möglich, sind für jedes Prozessele‐ ment Benchmarks festzulegen. Dadurch können Rückstände zu den Best Practices identifiziert werden. Schließlich ist die in der Supply Chain zu berücksichtigende Software zu spezifizieren.
Prozesselemente werden geformt
Jedes Feld in der Toolbox ist auf dieser dritten Ebene mit Input‐Output‐ Relationen je Prozesselement versehen. Beispielhaft wird eine Input‐ Output‐Beziehung für die einzelnen Prozesse von „M3“, Engineer‐to‐ Order („Kundenauftragsbezogen Fertigen“), diskutiert:
Prozesselement „M3“ als Beispiel
Herstellaktivitäten terminieren („M3.1“), Material ausgeben („M3.2“), Herstellung und Überprüfung („M3.3“), Packen („M3.4“) und Produkt bereitstellen („M3.5“). Originär werden die Aktivitäten dieser Kausalkette zur Terminierung der Herstellaktivitäten („M3.1“) abgeleitet. Dazu bedarf es Informatio‐ nen aus dem Produktionsplan (P = Plan), Auffüllsignalen zur Lieferung (D = Deliver) und zur Herstellung (M = Manufacturing). Als Ergebnis dieser Tätigkeiten kristallisiert sich ein geplanter Output für die Liefe‐ rung (D) und die Fertigung (P) heraus.
„M3“ wird aufge‐ brochen
Die Auslösung des Bestandsignals ist die nächste Ursache dieser Kau‐ salbeziehung, indem eine Materialausgabe erfolgt („M3.2“). Diese wird für die anschließende Herstellung und Überprüfung („M3.3“) benötigt. Das System stellt automatisch eine Bestandslücke fest (Auffüllsignal Herstellung). Im Anschluss an die Produktion erfolgt der Packvorgang („M3.4“). Schließlich stehen die Fertigwarenbestände zur Versendung bereit („M3.5“). Zum besseren Verständnis dieses Sachverhalts dient Abbildung A.13.
Ursache‐ Wirkungs‐ Zusammenhänge
75
A Abbildung A.13
Grundlagen
Kausalkette (Ebene 3)
(P) Produktionsplan (D) Auffüllsignal Liefern
(M) Auffüllsignal Herstellen (S) Auftragsüberhang
(M)(S) Bestand M3.1
M3.2
M3.3
M3.4
M3.5
Terminieren
Material
Herstellen
Packen
Produkt
Geplanter Output (D)(P)
Auffüllsignal
Bestand
Herstellen (S)(M)
(P)(D)(M)
Für jedes Prozes‐ selement eine Regelkarte
Innerhalb einer Prozesskategorie (M3) sind die einzelnen Prozessele‐ mente minutiös zu definieren. Beispielhaft wird eine solche Regelkarte für das Prozesselement „Herstellung und Überprüfen“ (M3.3) in Abbil‐ dung A.14 visualisiert.
KPI zur Messung der Zielerreichung
Jedem Prozesselement werden die vier Leistungsmerkmale Flexibili‐ tät/Reaktionszeit, Kosten, Liefertreue/Qualität sowie Kapital beigemes‐ sen. Die Bewertung dieser Leistungsattribute erfolgt über spezifische Key Performance Indicator (KPIs). Zum Beispiel wird das Leistungs‐ merkmal „Kosten“ für das Prozesselement M3.3 („Herstellung und Überprüfung“) über die Kennzahlen „Garantiekosten“, „Gesamtzahl Beschäftigter in der Produktion“, „Kapitalumschlag“ sowie „Wertschöp‐ fung“ bewertet.
76
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10 Abbildung A.14
Regelkarte (Ebene 3)
Prozesskategorie: Engineer‐to‐Order
Prozessnummer: M3
Prozesselement: Prozesselementnummer: M3.3 Herstellung/Überprüfung Prozesselementdefinition: Die Aktivitäten, die vorgenommen werden, um Rohma‐ terial in den Endzustand zu überführen. Es stehen Pro‐ zesse in Verbindung mit der Validierung der Produkt‐ leistung, um deren Übereinstimmung mit den Spezifika‐ tionen und Anforderungen sicherzustellen. Leistungsmerkmale
Kennzahlen
Flexibilität/Reaktionszeit ‐ Gesamte Reaktionszeit ‐ Neuplanungszyklus Kosten
Liefertreue/Qualität
Kapital
‐ Garantiekosten ‐ Beschäftigte in der Produktion ‐ Kapitalumschlag ‐ Wertschöpfung ‐ Kosten für Ausschuss und Nacharbeit ‐ Qualitätsniveau ‐ Fehlerrate im Prozess ‐ Training und Ausbildung ‐ Kapazitätsauslastung ‐ Cycle Time
A.10.1.6 Implementation-Level (Ebene 4) Auf der vierten Ebene findet die Implementierung statt. Im Mittelpunkt steht die Detaillierung der Prozesselemente. Dazu sind die einzelnen Prozesselemente in unterschiedliche Aktivitäten zu zerlegen. Für das Prozesselement „M3.3“ („Herstellung und Überprüfung“) müssen Prei‐ se kalkuliert, Lagerraum geschaffen, Liefertermine festgelegt, Trans‐ portmittel definiert und Fahrtrouten eingeplant werden.
Umsetzung von SCOR
Entscheidend ist in diesem Kontext die Flexibilität des SCOR‐Modells. Dieses stellt sich nicht als rigides Gebilde dar. Es wird vielmehr hinsicht‐ lich der jeweiligen Spezifika einer Organisation angepasst. Laut dem Supply Chain Council ist diese vierte Ebene zwar nicht dem SCOR‐Ansatz direkt zugehörig: Weil zu viele Besonderheiten in der Unternehmens‐ praxis (insbesondere zwischen verschiedenen Branchen) vorliegen, kann
SCOR zielt auf Wandlungsfähig‐ keit
77
A
Grundlagen
kein allgemeingültiges Konzept definiert werden. Die Stufe der Imple‐ mentierung ist in ihrer Durchführung jedoch zwingend notwendig, da ein SCOR‐Modell ansonsten unvollständig bliebe.
A.10.1.7 Messung über SCOR Kennzahlenver‐ gleich via SCOR
Wie oben kurz dargestellt, basieren zwei unterschiedliche Gruppen von Leistungsmerkmalen auf dem SCOR‐Ansatz: Die ersten Indikatoren sind extern geprägt („Liefertreue/Qualität“ und „Flexibilität/Reaktionszeit“). Der zweiten Leistungskategorie sind interne Performance‐Indicators zugehörig („Kosten“ und „Kapital“). Differenziert nach externen und internen Leistungsmerkmalen, ragen aus dem SCOR‐Ansatz nachste‐ hende acht Hauptkennzahlen heraus (vgl. Becker 2004, S. 83; Bolstorff et al. 2011, S. 77ff.; Cohen/Roussel 2006, S. 208ff.; Poluha 2016): Kundenwun‐ schliefertreue, Liefertreue zum bestätigten Termin, Auftragsabwick‐ lungszeit, Produktionssteigerungsflexibilität, gesamte Supply‐Chain‐ Kosten, Cash‐to‐Cash‐Cycle, Bestandsreichweite und Kapitalumschlag. Abbildung A.15 stellt diesen Zusammenhang in übersichtlicher Form dar. Im Folgenden sind diese besonders wichtigen SCOR‐Kennzahlen (Key Performance Indicator) begrifflich zu klären.
Kundenwunschliefertreue (On Time Delivery to Request): Nach SCOR misst dieser KPI den Prozentsatz pünktlich an Kunden ausgelieferter Bestellungen (bezogen auf den ursprünglich gewünschten Lieferter‐ min).
Liefertreue zum bestätigten Termin (On Time Delivery to Commit): Prozentsatz der bearbeiteten Aufträge, die zeitgerecht, oder vor dem eigentlich festgelegten Liefertermin, erledigt werden.
Auftragsabwicklungszeit (Order Fulfillment Leadtime): Zeit in Tagen, welche für die Abfolge von Tätigkeiten zur vollständigen Bearbeitung eines Kundenauftrags benötigt wird.
Produktionssteigerungsflexibilität (Upside Production Flexibility): Zeit in Tagen, die Organisationen benötigen, um eine ungeplante Nachfra‐ gesteigerung von 20% zu erfüllen.
Gesamte Supply‐Chain‐Kosten (Total Supply Chain Costs): Diese Kennzahl wird vorzugsweise in Relation des Umsatzes gemessen. Nach SCOR setzen sich Supply‐Chain‐Kosten aus Auftragsabwick‐ lungskosten, Materialbeschaffungskosten, Bestandskosten, Finanzie‐ rungskosten, Planungskosten und IT‐Kosten zusammen. Sie beinhal‐ ten darüber hinaus auch Garantiekosten.
78
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
Cash‐to‐Cash‐Cycle: Zeitspanne in Tagen zwischen Rechnungsstel‐ lung des Lieferanten und Eingang der Kundenzahlung. Drei Reich‐ weiten bemessen den Cash‐to‐Cash‐Cycle: Debitorentage (Days Sales Outstanding), Lagerreichweite (Days on Hand) und Kreditorentage (Days Payables Outstanding); vgl. ausführlich S. 491 dieser Schrift.
Bestandsreichweite (Inventory Days of Supply): Zeitspanne in Tagen, die ein Material ausreicht, um Abrufe zu decken (unter Berücksichti‐ gung der aktuellen Lagerbestände).
Kapitalumschlag (Asset Turns): Anzahl jährlicher Lagerumschläge. Die Performance Measurement Group (PMG) führte bezüglich dieser aufge‐ listeten Kennzahlen ein funktionales Benchmarking durch (vgl. Co‐ hen/Roussel 2006, S. 286ff.; Poluha 2016; www.pmgbenchmarking.com). PMG ist eine Tochtergesellschaft von PRTM. An dem Benchmarking nahmen 170 Unternehmen verschiedener Branchen teil. Zur Anonymisierung der Organisationen fand eine Verdichtung der erhobenen Daten in die fünf Segmente Computer/IT, Industrie, Telekommunikation, Chemie und Versandhandel statt. Das Benchmarking erstreckte sich ursprünglich über die Jahre 1999 bis 2000, und es wurde im Jahr 2017 aktualisiert (hier die neuen Zahlen).
Kundenwunschliefertreue Liefertreue zum bestätigten Termin Auftragsabwicklungszeit Produktionssteigerungsflexibilität Supply‐Chain‐Kosten Cash‐to‐Cash‐Cycle Bestandsreichweite Kapitalumschlag
Abbildung A.15
Hauptkennzahlen von SCOR
Leistungskennzahlen innerhalb der Supply Chain
Supply Chain Benchmarks
Service/ Qualität
Flexibili‐ tät/Zeit
Kosten
Kapital
79
A
Grundlagen
Kundenwunschlie‐ fertreue
Obwohl es aus der Studie nicht explizit hervorgeht, ist anzunehmen, dass sich der Kundenwunschliefertermin dieses Benchmarkings auf externe Kunden bezieht (und nicht auf Intercompany‐Lieferungen). Ein Wert des Best‐in‐Class nahe 100% überrascht nicht. Eher verwundert, dass im Durchschnitt beispielsweise in der Industrie die Kennzahl „On Time Delivery to Request“ nur 68,90% beträgt.
On Time Delivery to Request
Liefertreue zum bestätigten Termin
Bewusste Verlang‐ samung der Pro‐ zesse
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
72,60%
94,30%
Industrie
68,90%
97,00%
Telekommunikation
77,00%
99,00%
Chemie
79,00%
99,00%
Versandhandel
81,20%
97,60%
Ähnliches gilt für den KPI „On Time Delivery to Commit“ (Liefertreue zum bestätigten Termin). Wiederum an der Industrie gemessen, errei‐ chen durchschnittliche Organisationen eine Liefertreue von 72,00%. Die Definition dieser Kennzahl ist jedoch mit Problemen behaftet. Nach SCOR misst sie den Prozentsatz der bearbeiteten Aufträge, die zeitge‐ recht, oder vor dem eigentlich festgelegten Liefertermin erledigt wurden. Penaltys (Strafpunkte) werden folglich nur für diejenigen Auslieferun‐ gen vergeben, welche verspätet eintreffen. Doch auch deutlich verfrühte Warenankünfte stellen den Kunden zum Teil vor größere Schwierigkei‐ ten. Wenn beispielsweise eine Schiffsladung mit Düngemittel den Ab‐ nehmer drei Tage zu früh erreicht, muss dieser kurzfristig einen geeig‐ neten Lagerplatz für die Waren finden. Zur Lösung dieses Problems bietet sich ein logistisches Postponement an, indem ein Sendungsverfolgungssystem (Tracking‐and‐Tracing) ein‐ gesetzt wird: Zum Beispiel unterstützt durch den „Event‐Manager“ von SAP auf Basis moderner Sensorik. Außerdem wäre es aussagekräftiger, nicht gesamte Aufträge, sondern vielmehr einzelne Positionen pro Auf‐ trag zu messen (Verbesserung der Granulierung).
80
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
On Time Delivery to Commit
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
74,30%
95,00%
Industrie
72,00%
97,50%
Telekommunikation
78,00%
94,80%
Chemie
82,10%
99,00%
Versandhandel
81,90%
98,80%
Die Auftragsabwicklungszeit („Order Fulfillment Leadtime“) hängt nicht nur von der Branche an sich, sondern auch von dem spezifischen Geschäft innerhalb dieser Branche ab. Daher ist zwar die Tatsache, dass beispielsweise im Versandhandel der Beste nur 2,00 Tage zur kompletten Bearbeitung eines Kundenauftrags benötigt, durchaus interessant. Hin‐ gegen schafft diese Feststellung für den Betrachter kaum einen wirkli‐ chen Mehrwert.
Order Fulfillment Leadtime
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
6,90
2,30
Industrie
5,70
2,50
Telekommunikation
8,50
3,30
Chemie
6,10
2,90
Versandhandel
5,50
2,00
A.10
Auftragsabwick‐ lungszeit
Die Flexibilität zur Steigerung der Produktivität ist wichtig, um rasch auf unerwartete Kundenbedarfe reagieren zu können. Best‐in‐Class‐ Unternehmen geben an, einen plötzlichen Nachfrageschub von 20% in nur wenigen Tagen erfüllen zu können. Beispielsweise behauptet der Primus im Segment Computer/IT, lediglich 4,30 Tage zur Deckung der Nachfrage zu benötigen.
Produktionssteige‐ rungsflexibilität
Dadurch wird der „Forrester‐Effekt“ deutlich gelindert (vgl. S. 47). In diesem Kontext ist allerdings zu beachten, dass Forrester seinerzeit empi‐ risch feststellte, dass Organisationen Ende der 50er Jahre des letzten Jahrtausends circa ein Jahr zur Befriedigung eines plötzlichen Nachfra‐ geschubs von 10% benötigten. Die Upside Production Flexibility hinge‐ gen wurde nicht empirisch bestimmt. Die angegebenen Zahlen der be‐
Von Forrester zum Bullwhip
81
A
Grundlagen
teiligten Benchmarking‐Partner sind lediglich Schätzwerte „auf dem Papier“. Die erzielten Verbesserungen sind nicht zuletzt auf die zuneh‐ mende Digitalisierung in der Supply Chain zurückzuführen, wie auch der engen Kooperation unter den Wertschöpfungspartnern.
Upside Production Flexibility
Gesamte Supply Chain Kosten
Hinkende Kenn‐ zahlenvergleiche
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
30,00
4,30
Industrie
30,00
10,00
Telekommunikation
25,30
2,60
Chemie
30,00
6,00
Versandhandel
42,00
8,30
Aus dem Benchmarking geht hervor, dass durchschnittliche Organisati‐ onen, je nach Branchenzugehörigkeit, zwischen 8,30% und 11,20% ihrer Umsätze zur Abwicklung ihrer Supply Chain Aktivitäten verwenden. Zum Beispiel betragen die Supply Chain Kosten im Bereich der Tele‐ kommunikation im Durchschnitt 8,30% des Umsatzes. Der Branchen‐ primus behauptet, dass nur 3,30% seines Umsatzes an Supply Chain Kosten anfielen. Wenn sich externe Organisationen an diesen Werten messen wollen, sei Vorsicht angebracht: Aus der Definition der Supply Chain Kosten geht hervor, dass sich diese aus Auftragsmanagement (Verwaltung von Kun‐ denaufträgen, Distributionskosten, Rechnungsstellung), Materialbe‐ schaffungskosten (Qualitätsentwicklung Lieferant, Wareneingangskon‐ trolle), Lagerhaltungskosten (Opportunitätskosten, Wertberichtigungen), Finanzierungskosten, Planungskosten und IT‐Kosten zusammensetzen. Während die ersten drei Einflussgrößen vermutlich zu 100% in die Be‐ rechnung eingehen, bleibt zu hinterfragen, mit welchem Prozentsatz Finanzierungs‐, Planungs‐ und IT‐Kosten in die Kalkulation fließen. In letzter Konsequenz klärt wohl nur die innerbetriebliche Leistungsver‐ rechnung über diese Werte auf. Doch sind diese Verrechnungssätze individuell pro Organisation festgelegt und somit für Dritte nicht ein‐ sehbar (Proportionalisierungsfaktoren). Also würden wohl Äpfel mit Birnen verglichen, sollte eine Messung mit diesen erzielten Prozentwer‐ ten „blind“ erfolgen.
82
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
Totale Supply Chain Kosten
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
8,30%
4,00%
Industrie
10,30%
4,30%
Telekommunikation
8,30%
3,30%
Chemie
11,20%
3,90%
Versandhandel
9,20%
4,90%
A.10
Ein Cash‐to‐Cash‐Cycle (vgl. Heesen 2012; Pfohl 2010, S. 221; Weber et al. 2007) ist ein Kapitalelement der Supply Chain. In seine Bestimmung fließen Änderungen von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten ein. Die Vorratshöhe leitet sich insbesondere aus beschaffungs‐ und produktionslogistischen Maßnahmen ab. Über den Umschlag von For‐ derungen und Verbindlichkeiten entscheiden vertragliche Rahmenver‐ einbarungen, die zwischen Lieferanten und Kunden abgeschlossen wer‐ den. Die Zahlen des Benchmarkings belegen, dass der Liquiditätskreis‐ lauf durchschnittlich zwei bis drei Monate beträgt. Er berechnet sich aus der Addition von Debitorentagen (Days Sales Outstandig) und Lager‐ reichweite (Days on Hand), abzüglich der Kreditorentage (Days Payables Outstanding). Der Wert soll natürlich möglichst gering sein, im Idealfall sogar negativ.
Liquiditätskreislauf berechnen
Der Cash‐to‐Cash‐Cycle spiegelt die Machtverhältnisse innerhalb einer Supply Chain. Organisationen streben nach raschem Zahlungseingang und niedrigen Beständen. Die Lieferanten werden möglichst spät be‐ zahlt, um durch sie ein zinsloses Darlehen zu erhalten (quasi als Vorfi‐ nanzierung). Beispielsweise beträgt der Cash‐to‐Cash‐Cycle in der Che‐ mie im Durchschnitt 91,20 Tage, also ungefähr drei Kalendermonate. Daraus resultieren für die betroffenen Organisationen erhebliche Oppor‐ tunitätskosten.
„Money, get away, you get a good job with more pay and you’re okay…” (Pink Floyd)
83
A
Grundlagen
Cash‐to‐Cash‐Cycle
Bestandsreichwei‐ ten klein halten
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
75,10
9,70
Industrie
67,60
‐ 4,50
Telekommunikation
100,20
14,40
Chemie
91,20
‐ 3,40
Versandhandel
66,60
11,70
Aus dem Benchmarking geht hervor, dass die Akteure aus der Industrie im Durchschnitt eine Lagerreichweite (Inventory Days of Supply) von 79,50 Tagen aufweisen. Organisationen der Telekommunikation verfü‐ gen über Bestände, welche sich mehr als vier Monate nicht umschlagen (Slow Mover). Die Best‐in‐Class‐Organisation aus dem Feld Versand‐ handel kommt mit einer Bestandsreichweite von lediglich 10,90 Tagen aus. Interessant wäre der Aufbruch der Lagerreichweite nach Geschäfts‐ bereichen, eine Information, die aus diesem Benchmarking leider nicht hervorgeht.
Inventory Days of Supply
Hohe Kapitalum‐ schläge anpeilen
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
51,80
18,30
Industrie
79,50
24,50
Telekommunikation
123,50
15,00
Chemie
83,50
26,30
Versandhandel
45,30
10,90
Schließlich findet sich die Umschlagshäufigkeit von Vorräten („Asset Turns“) in dem Benchmarking. Da diese Zahlen reziprok zur Lager‐ reichweite ermittelt werden, hätte die Angabe bezüglich der Inventory Days of Supply ausgereicht. Dennoch können die Angaben hinsichtlich des Lagerumschlags als „Probe“ zur Reichweite aufgefasst werden. In der Tat sind diese Ergebnisse (verglichen mit der Lagerreichweite) nach‐ vollziehbar: Wenn sich im Segment Industrie eine durchschnittliche Bestandsreichweite von 79,50 Tagen findet, korreliert dieser Wert mit einem Lagerumschlag von 4,70 Turns pro Jahr: 4,70 Turns multipliziert
84
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
mit 79,50 Tagen Reichweite ergeben 373,65 Tage. Die Abweichung zu den tatsächlichen Kalendertagen ist zu vernachlässigen.
Net Assets Turns
Average
Best‐in‐Class
Computer/IT
7,30
19,10
Industrie
4,70
16,30
Telekommunikation
3,10
26,30
Chemie
4,50
15,30
Versandhandel
8,30
36,50
Der Reiz dieses Benchmarkings liegt darin, dass externe Betrachter ein „erstes Gefühl“ zur Bewertung ihrer eigenen Supply‐Chain‐Prozesse erhalten. Dennoch bleiben viele Fragen unbeantwortet: Es ist zwar durchaus interessant zu wissen, dass der Best‐in‐Class in der Chemie 15,30 Net Asset Turns jährlich bewältigt. Doch welche Fähigkeiten kata‐ pultieren ihn in die Position des Klassenbesten? Der Weg in eine Best‐ Practice‐Situation wird nicht aufgezeigt. Ferner bleibt offen, welche Organisation sich hinter dem Besten verbirgt. Schließlich ist auch die Spannweite zwischen Best‐in‐Class und Worst‐in‐Class verdeckt.
„Wenn du deinen Feind kennst und dich selbst, musst du auch 100 Schlachten nicht fürchten.“ (Sunzi)
A.10.1.8 Kritische Würdigung Die Gedanken um das SCOR‐Modell sind von etlichen Stärken und Schwächen geprägt. Zunächst werden die Vorteile von SCOR diskutiert. Im Anschluss ist auf die Nachteile von SCOR einzugehen.
Der SCOR‐Ansatz dient zur branchenübergreifenden Standardisie‐ rung von Abläufen innerhalb der Supply Chain. Die beteiligten Orga‐ nisationen „sprechen eine Sprache“, indem sie beispielsweise ihre Kennzahlen identisch definieren. Außerdem werden Kompatibilitäten innerhalb einer Supply Chain forciert, weil die jeweilige Hard‐ und Software aufeinander abgestimmt sind.
Wenn die Unternehmen den SCOR‐Ansatz berücksichtigen, müssen sie dieses allgemeingültige Konzept auf ihre spezifische Wettbewerbs‐ situation übertragen. Dadurch besteht der Zwang, sich kritisch mit den Ist‐Abläufen innerhalb der Organisation auseinanderzusetzen („Klärendes Gewitter“).
85
SCOR befriedigt viele Wünsche...
A
Grundlagen
Ferner können die Partner von den Best‐Practices lernen und dadurch vielleicht auch selbst die Stages‐of‐Excellence durchschreiten. ...dennoch bleiben etliche Fragen offen
Jedoch sind auch einige Probleme des SCOR‐Modells zu beachten, die auf dem Weg zu einem modernen Supply Chain Management zu Stol‐ persteinen geraten können.
Das Modell hat auf Grund seiner branchenübergreifenden Betrach‐ tungsweise einen hohen Abstraktionsgrad.
Es ist bei einer instabilen Kooperationsbasis im Netzwerk kaum an‐ wendbar, weil es eine gewisse Kontinuität verlangt.
Wird der Ansatz nachhaltig angewendet, steigt die Abhängigkeit zwischen den eingebundenen Partnern, wodurch die Akteure Souve‐ ränität einbüßen.
Die enge Lieferanten‐Kunden‐Anbindung an den Schnittstellen führt zur Preisgabe sensitiver Informationen. Dadurch besteht die latente Gefahr des Know‐how‐Abflusses.
A.10.2 Aufgabenmodell für Supply Chain Software A.10.2.1 Grundlagen Software‐Modell auf Basis von SCOR
Basierend auf den Überlegungen des Supply Chain Councils, entwickel‐ ten die beiden Fraunhofer‐Institute IML („Fraunhofer‐Institut für Mate‐ rialfluss und Logistik“) aus Dortmund und IPA („Fraunhofer‐Institut für Produktionstechnik und Automatisierung“), ansässig in Stuttgart, ge‐ meinsam mit dem „Zentrum für Unternehmenswissenschaften“ der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ein SCM‐Referenz‐ und Aufgabenmodell (vgl. insbesondere Hellingrath et al. 2008, S. 99ff.; ähnlich Kuhn/Hellingrath 2013). Das von Hellingrath et al. erarbeitete Konzept zerlegt den SCOR‐Ansatz, und es misst jedem Level spezifische Anforderungen von SCM‐Software‐Modellen bei. Somit kann dieses Aufgabenmodell als Grundlage für die Auswahl von Softwarealternati‐ ven für das Supply Chain Management verstanden werden.
Software‐Anbieter im SCM
Mögliche Anbieter von Supply Chain Software sind Agilisys, Axxom, Demand Solutions, Descartes, DynaSys, Icon‐SCM, J. D. Edwards, Manhattan Associates, Manugistics, Mapics, Oracle und SAP. Die meisten dieser Soft‐ ware‐Hersteller werden in einem „Marktspiegel“ von Busch et al. (vgl. 86
A.10
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
Busch et al. 2003) einer näheren Untersuchung unterzogen. Die Bewer‐ tung der unterschiedlichen Software‐Lösungen bezieht sich nach Busch auf Funktionstiefe, unterstützendes Betreibermodell, Datenbanksystem, Datenübertragung, Lizenzkosten und Support nach Implementierung. Das Aufgabenmodell nach Hellingrath et al. umfasst drei Hauptebenen: Gestaltung (Supply Chain Design), Planung (Supply Chain Planning) und Ausführung (Supply Chain Execution). Abbildung A.16 visualisiert diesen Zusammenhang. Der Schwerpunkt der Überlegungen richtet sich auf die Planungsstufe aus. Sie ist in verschiedene Planungsinhalte zer‐ legt. Im Folgenden werden die drei Referenzebenen des Aufgabenmo‐ dells näher charakterisiert (vgl. Hellingrath et al. 2008, S. 104ff.).
Hauptebenen des Modells
Aufgabenmodell für SCM‐Software‐Systeme
Abbildung A.16
Design Netzwerk Bedarfsplanung
Planning
Netzwerkplanung Beschaffung, Produktion, Distrib. Order Promising Feinplanung Beschaffung, Produktion, Distrib. Auftragsabwicklung Transport
Produktion
Execution Lager
Event‐Management Alert‐ Management
Tracking/ Tracing
Workflow Ma‐ nagement
…
87
A
Grundlagen
A.10.2.2 Supply Chain Design Supply Chain Design: Generische Netzwerkgestal‐ tung
Zunächst richtet sich das Modell nach der strategischen Netzwerkge‐ staltung aus (Supply Chain Design, vgl. Gattorna 2015; Straube et al. 2007, S. 12ff.; Watson et al. 2012). Ein ehernes Ziel besteht in der Auswahl des kostengünstigsten SCM‐Software‐Systems. Dazu sind generische Fragen an die Struktur und die Ausgestaltung des strategischen Netzwerks zu stellen (vgl. Hellingrath et al. 2008, S. 104f.; Straube et al. 2007, S. 12ff.). Beispielsweise findet eine Klärung folgender Fragen statt: „Welches Produkt wird hergestellt?“. „In welchem Werk findet die Produktion statt?“. „Welche Lieferanten sind in die Supply Chain integriert?“. „Wer‐ den zwischengeschaltete Distributionsstufen benötigt?“.
Simulationen zur Prozessoptimie‐ rung
Im Rahmen der Definition des Supply Chain Designs fallen grundle‐ gende Investitionsentscheidungen an. Auf ihrer Basis können sich gra‐ vierende kostenmäßige Veränderungen innerhalb der kompletten Lie‐ ferkette ergeben. Die Auswahl einer Software‐Lösung für das Supply Chain Management hängt beispielsweise von der Anzahl einbezogener Werke, Lieferanten, Handelspartner, Distributionszentren oder Spedi‐ teure ab. Mit der Simulation von „What‐if‐Szenarien“ sind unterschied‐ liche logistische Netzwerke hinsichtlich ihrer Größe, Komplexität und Kompliziertheit durchzuspielen. So kann die Erweiterung der Supply Chain um zusätzliche Werke, der Wechsel von Lieferanten, der Ausfall von Kunden, die Nutzung anderer Distributionskanäle oder der Einsatz neuer Spediteure durchgespielt werden.
A.10.2.3 Supply Chain Planning Taktische und operative Pla‐ nungsentscheidun‐ gen
Die zweite Hauptebene des Modells orientiert sich an kollaborativen Planungsentscheidungen innerhalb der Supply Chain. Nachdem die strategischen Überlegungen im Supply Chain Design fixiert wurden, beginnt der taktische wie operative Umsetzungsprozess auf Planungs‐ ebene. Diesbezüglich sind Bedarfe, Bestände, Kapazitäten oder Kapazi‐ tätszuordnungen der Akteure abzugleichen. Folgende Planungsinhalte (vgl. Hellingrath et al. 2008, S. 105ff.) werden unterschieden: Bedarfspla‐ nung, Netzwerkplanung, Beschaffungs‐, Produktions‐ und Distributi‐ onsplanung, Order Promising, Beschaffungsfein‐, Produktionsfein‐ und Distributionsfeinplanung sowie Kollaborative Planung.
88
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
A.10.2.4 Bedarfsplanung Die primäre Aufgabe der Bedarfsplanung besteht in lang‐, mittel‐ und kurzfristigen Prognosen sämtlicher Bedarfe kollaborativer Akteure. Im B2B‐Geschäft basiert die Bedarfsplanung auf den Kundenabrufen. Wenn die Abnehmer ihre Bestellungen nicht laufend revidieren, gestaltet sich eine derartige Bedarfsplanung gut strukturierbar. Für eine B2C‐ Abwicklung hingegen gelten andere Spielregeln. Die Kaufentscheidung ultimativer Endverbraucher hängt von vielen Einflussfaktoren ab. Be‐ sondere Schwierigkeiten sind saisonalen oder modischen Geschäftspro‐ zessen immanent. Diese Bedarfsschwankungen betreffen zum Beispiel die Konsumgüter‐ und die Bekleidungsindustrie (Fashion Supply Chain). Eine Bedarfsplanung befindet sich diesbezüglich in einem laten‐ ten Spannungsverhältnis zwischen optimaler Kapazitätsplanung, ho‐ hem Lieferservicegrad und niedriger Kapitalbindung. Als Konsequenz dieser Probleme entsteht innerhalb einer Supply Chain der Peitschen‐ schlag‐Effekt (Bullwhip‐Effekt, vgl. S. 47).
Schwankungen in den Abrufen er‐ schweren die Be‐ darfsplanung
Insbesondere die mittelfristige und die langfristige Bedarfsplanung be‐ reiten Schwierigkeiten. Die zur Verfügung stehenden Daten sind Werte der Vergangenheit. Mit Hilfe statistischer Prognosen werden diese In‐ formationen in die Zukunft projiziert (beispielsweise über gleitende Durchschnitte oder exponentielle Glättungen). Diese parametrisierten Zukunftsbilder basieren auf diversen Restriktionen, welche durchaus an Gültigkeit verlieren können. Folglich stehen die mittelfristige und die langfristige Bedarfsplanung ein wenig „auf wackeligen Füßen“.
Zukunftsbilder auf Basis von Vergan‐ genheitswerten aufbauen
A.10.2.5 Netzwerkplanung Mit Hilfe der Netzwerkplanung findet die Koordination einzelner Ak‐ teure einer Supply Chain statt. Im Rahmen der internen Planung sind beispielsweise weltweit die Produktions‐ und die Logistikzentren von Geschäftsbereichen zu definieren. Für unternehmensübergreifende Netzwerke werden die Beschaffungs‐, die Produktions‐ und die Distri‐ butionsplanung entlang der gesamten logistischen Kette in dem kollabo‐ rativen Partnergeflecht abgeklärt. Eine besondere Position nehmen dies‐ bezüglich dominierende Akteure („Hub Firms“) ein: Diese verfügen über die umfassendsten Informationen zur Planung, Steuerung und Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette.
89
Netzwerkplanung spannt sich um Leuchttürme
A Aufbau und Auflö‐ sung des Mengen‐ gerüsts
Grundlagen
Ein wichtiges Anliegen der Netzwerkplanung besteht in der Optimie‐ rung von Bedarfen, Ressourcen (Repetierfaktoren) und Kapazitäten (Potenzialfaktoren). Das Ergebnis dieses Abgleichs ist die Generierung eines Mengengerüsts. Auf Basis von Verkaufsprognosen, leitet sich aus diesem Mengengerüst die Zuordnung von Produktionsvolumina auf verschiedene Werke ab. Üblich ist eine derartige Netzwerkplanung auf Jahresbasis (Budgetierung). In seltenen Fällen können für „stabile“ Netzwerke aber auch Mengengerüste über einen längeren Planungsho‐ rizont aufgespannt sein.
A.10.2.6 Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsplanung Spannungsver‐ hältnisse ausloten
Die Beschaffungsplanung basiert auf der Bedarfs‐ und der Netzwerk‐ planung. Auf der einen Seite sichert die Beschaffungsplanung die Teile‐ versorgung. Andererseits erfolgt sie mit möglichst niedrigen Beständen. Die Planungsfrist beträgt in der Regel Tage oder Wochen. Ein wichtiges Planungstool ist in diesem Kontext die Stückliste. Sie dient zur Ermitt‐ lung von Primär,‐ Sekundär‐ und Tertiärbedarfen. Als Entscheidungskri‐ terien der Beschaffungsplanung werden Anlieferrhythmus, Wiederbe‐ schaffungszeit und Bestandshöhe definiert.
Auffinden des optimalen Kapazi‐ tätsauslastungs‐ grads
Außerdem ist für jeden Standort der Supply Chain ein Produktionsplan zu erstellen („Master Production Schedule“). Im Rahmen der Generie‐ rung von Produktionsplänen sind hohe Kapazitätsauslastungen anzu‐ streben. Gleichsam ist zu berücksichtigen, dass unerwartete Zusatzauf‐ träge möglichst nicht abgewiesen werden (Produktionsflexibilität). Wei‐ tere mögliche Stellhebel der Produktionsplanung sind Durchlaufzeiten, Rüstkosten, Ausschussraten, Bestände, Servicegrade und (Arbeits‐) Pro‐ duktivitäten. Der Horizont dieser Vorausschau liegt bei Tagen oder Wo‐ chen. Als Hilfsmittel zur Erstellung eines Master Production Schedule dienen Schichtpläne oder Maschinenbelegungspläne.
Einbindung von Logistikdienstleis‐ tern
Die Hauptaufgabe der Distributionsplanung liegt in der Sicherung der Warenströme in Richtung Kunde. Diese Planung wird auf Tages‐ oder Wochenbasis erstellt. Eine gewichtige Hilfestellung leistet die Kennzahl „Reichweite von Fertigwarenbeständen“ (Finished Goods). Sie dient der Feinjustierung im Rahmen der Warenverteilung. Zur Optimierung der Distributionsplanung können unterschiedliche Versorgungs‐Szenarien durchgespielt werden. Mögliche Einflussfaktoren für derartige Simulati‐ onen sind die Einbindung von Logistikdienstleistern in die Warenvertei‐ lung, die Nutzung weiterer Distributionskanäle oder der Aufbau von Lagerumschlagsplätzen (Cross Docking).
90
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
A.10.2.7 Order Promising Unter Order Promising wird eine Verfügbarkeits‐ oder Machbarkeits‐ prüfung verstanden. Prägende Begrifflichkeiten sind Available‐to‐ Promise und Capable‐to‐Promise (vgl. S. 162). Unter Available‐to‐ Promise (ATP) wird das an den Kunden gerichtete Versprechen ver‐ standen, eine Leistung zu definierten Konditionen zu erbringen. Ein Beispiel dafür ist die Zustellung von Büchern und weiterer Produkte durch Amazon innerhalb von 24 Stunden. Ein ähnliches Versprechen gibt der Otto‐Versand ab. Neben dem Wunschliefertermin, sind teilweise weitere Versprechen einzuhalten. Diese können Liefermengen, Konfigu‐ rationen, Preise oder Kompatibilitäten von Artikeln betreffen.
Ein Versprechen wird abgegeben…
Capable‐to‐Promise (CTP) umschreibt die Fähigkeit einer Organisation, das in Richtung Kunde signalisierte Lieferversprechen einzuhalten. Dieses Prinzip ist dem logistischen Realisierungsprozess geschuldet. Während Available‐to‐Promise nach außen (in Richtung Kunde) gerich‐ tet ist, wirkt Capable‐to‐Promise nach innen. Die Koexistenz beider Sichtweisen wirkt als Front‐End‐Back‐End‐Beziehung. Folglich bezieht der Ansatz die Optimierung logistischer Assets mit ein. Beispielhaft dafür steht das Fleet Management.
…kann es auch gehalten werden?
A.10.2.8 Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsfeinplanung Ein weiteres Modul der Planungsstufe besteht in der Feinjustierung von Beschaffungs‐, Produktions‐ und Distributionsprozessen. Die Beschaf‐ fungsfeinplanung erfolgt in manchen Branchen auf Stundenbasis (bei‐ spielsweise für zeitkritische Radiopharmaka). Allgemein beschrieben, werden die in einer Beschaffungsplanung eingehenden Lieferabrufe (LAB) jetzt in Feinabrufe (FAB) umgemünzt. Verfahren wie Just‐in‐Time und Just‐in‐Sequence fußen auf dieser minutiösen Feinjustierung.
Feinjustrierung der Abrufe
Ähnlich detailliert ist der Produktionsfeinplan zu erstellen. Er wird aus dem generischen Produktionsplan abgeleitet. Im Unterschied zu diesem, findet die Feinjustierung nicht länger auf Werks‐, sondern vielmehr auf Produktionsbereichsebene statt. Der Planungshorizont liegt bei Stunden oder wenigen Tagen. Ein Hilfsmittel der Produktionsfeineinstellung ist die Reihenfolgebelegungsplanung.
Dekomposition auf Ebene der Produk‐ tionsbereiche
Prägend für die Distributionsfeinjustierung sind Touren‐ und Trans‐ portmittelplanung. Beispielsweise wird darin ein Milk Run (vgl. S. 328) festgelegt. Allgemein erfolgt in der Distributionsfeinplanung der Ver‐
Distributionskos‐ ten vs. Servicegrad
91
A
Grundlagen
gleich unterschiedlicher Transportszenarien. Dabei werden die Ent‐ scheidungen einerseits nach Kostengesichtspunkten (wie Outsourcing des Fuhrparks) gefällt. Andererseits spielt der ausgehende Lieferser‐ vicegrad eine gewichtige Rolle für die Distributionsfeinplanung (zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit).
A.10.2.9 Kollaborative Planung Zielharmonie schaffen
Die kollaborative Planung verfolgt die harmonisierte Zusammenarbeit sämtlicher Akteure einer Supply Chain. Dazu findet eine Synchronisati‐ on von Versorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingaktivitäten statt. Mög‐ liche kollaborative Software‐Lösungen beziehen sich auf die Kapazitäts‐ planung, die Bedarfsplanung und die Bestandsplanung.
Notwendige Kapa‐ zitäten ermitteln
Kapazitätsplanung: Über Primär‐, Sekundär‐ und Tertiärbedarfe
APS‐Systeme ermöglichen Simu‐ lationen
Bedarfsplanung: Zur kollaborativen Bedarfsplanung werden Kun‐
Intensivierte Schnittstellenbear‐ beitung
Bestandsplanung: Schlussendlich richtet sich eine kollaborative Be‐
werden die notwendigen Kapazitäten interagierender Akteure abge‐ leitet. Neben den eigenen Werkdaten sind auch Informationen von Lieferanten und externen Dienstleistern in Web‐basierte Lösungen einzuspielen. dendaten zeitgleich mit eigenen Informationen verarbeitet (Real‐ Time‐Process). Außerdem können Lieferantendaten in die Bedarfs‐ planung eingebunden werden. Auf der Basis von „What‐if‐Szenarien“ finden über Advanced‐Planning‐and‐Scheduling‐Systeme Simulatio‐ nen statt (vgl. S. 384). standsplanung zumeist nach der Überwälzung der Bestandshoheit ei‐ nes Kunden in Richtung Hersteller aus (Vendor Managed Inventory). Das Monitoring der Vorräte basiert auf IT‐Lösungen im Sinne von Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR).
A.10.2.10 Supply Chain Management ausführen
Supply Chain Execution
Nachdem die Planungstätigkeiten abgeschlossen sind, werden ausfüh‐ rende logistische Aktivitäten initiiert (Supply Chain Execution). Ein wichtiger Pfeiler dieser Umsetzung besteht in der Auftragsabwicklung. Diese erstreckt sich im Kern auf die Transportabwicklung, die Produkti‐ onsabwicklung sowie das Lagermanagement. Allgemein steht der Be‐ griff „Auftragsabwicklung“ für die Abfolge logistischer Tätigkeiten, die zur kompletten Bearbeitung eines Kundenauftrages notwendig sind
92
Gestaltungsmodelle des Supply Chain Managements
A.10
(vgl. Otto 2004, S. 14ff.). Im Grunde beschreibt die Auftragsabwicklung den Fluss von Ordering bis Payment (vgl. zum „Order‐to‐Payment‐S“ S. 7 der vorliegenden Schrift). Der Anspruch nach Supply Chain Execution wird insbesondere über ein Event Management erreicht (vgl. Ijioui et al. 2007; Fürstenberg/Vogeler 2012). Bei einem Supply Chain Event Management (SCEM) erfolgt eine permanente Überwachung von Supply‐Chain‐Aktivitäten, indem Früh‐ warnmechanismen greifen. Möglichst in Echtzeit sind beispielsweise Transportengpässe oder Produktionsausfälle aufzudecken (vgl. Kil‐ ger/Stahuber 2002, S. 479ff.). Ebenso dient ein Supply Chain Event Ma‐ nagement zur Vermeidung oder zur Identifizierung von Out‐of‐Stock‐ Situationen.
Event Manage‐ ment zur Aufde‐ ckung von Engpäs‐ sen
Für die Aufdeckung von Defiziten innerhalb der Supply Chain existie‐ ren seit geraumer Zeit eigene Softwarelösungen. Beispielhaft dafür steht „CapriChain“: Eine Web‐basierte Lösung zur Überwachung der kompletten Supply Chain. Der Anbieter suggeriert, potenzielle Zielab‐ weichungen innerhalb der Wertschöpfungskette in Echtzeit anzuzeigen. „CapriChain“ ist eine Automotive‐Lösung von appliLog.
Beispiel für eine Softwarelösung
Wichtige Hilfsmittel des Supply Chain Event Managements stellen bei‐ spielsweise Alert Management, Workflow Management oder Tracking‐ and‐Tracing‐Systeme dar. Diese Tools sind inhaltlich eng miteinander verflochten. Nachstehend werden diese Begrifflichkeiten näher be‐ schrieben.
Hilfsmittel des Event Manage‐ ments
Alert Management: Ein Alert („Alarm!“) Management dient der mög‐ lichst frühzeitigen Erkennung von Abweichungen zwischen Ist‐ und Soll‐Abläufen. Diesbezüglich sind Toleranzprofile einzustellen. Beim Verlassen dieser Interventionspunkte „ertönt“ automatisch ein Warn‐ signal. Beispiele für Alerts stellen Budgetüberschreitungen oder Ver‐ tragskündigungen von Kunden dar. Insbesondere Monitoring‐ Systeme bieten sich für ein Alert Management an. Darunter ist eine visuelle Überwachung von Aktivitäten innerhalb von Wertschöp‐ fungsketten zu verstehen. Dem Nutzer stehen, je nach IT‐System, un‐ terschiedliche grafische Oberflächen zur Verfügung.
Workflow Management: Unter dem Begriff „Workflow Management“ ist die elektronische Überwachung von Arbeitsabläufen zu verstehen. Diesbezüglich nimmt ein „Computer Supported Cooperative Work (CSCW)“ eine bedeutsame Position ein. Darunter ist die strukturierte und arbeitsteilige Zusammenarbeit einzelner User zu verstehen (auf Basis von „Groupware“). Die jeweiligen Aktivitäten stehen im Work‐
93
Alarmsignale über Dashboards dar‐ stellen
Optimierung von Arbeitsabläufen
A
Grundlagen
flow Management in Abhängigkeit zueinander. Eine Folgeaktivität wird direkt durch den Ausgang der vorherigen Tätigkeit gesteuert. Treten Abweichungen auf, ist der Informationsfluss automatisch un‐ terbrochen.
Tracking and Tracing: Mit diesem Begriff werden Systeme zur Sen‐
Systeme zur Sen‐ dungsverfolgung
dungsverfolgung umschrieben. Insbesondere die Identifikationstech‐ nik RFID nimmt im Event Management eine exponierte Rolle ein (vgl. die Ausführungen ab S. 364).
A.10.2.11
Kritische Würdigung
Die goldene Seite der Medaille
Der Charme dieses Modells liegt in seiner stringenten Fortführung der Lieferkettensystematisierung nach SCOR. Aus den spezifischen Attribu‐ ten an eine SCM‐Software leiten Hellingrath et al. konkrete Vorschläge ab, die in letzter Konsequenz zur Durchlaufzeitenbeschleunigung, Lie‐ fertreueerhöhung oder Bestandsreduzierung führen können. Konkrete Software‐Lösungen für das Supply Chain Management lassen sich aus dem „Marktspiegel SCM“ ableiten (vgl. Busch et al. 2003; Laakmann et al. 2003). Darin finden sich neutrale (herstellerunabhängige) Bewertungen von Software‐Lösungen des Supply Chain Managements. Die Untersu‐ chung von Laakmann et al. berücksichtigt 23 alternative Software‐ Anbieter (vgl. Laakmann et al. 2003). Busch et al. testeten die Eignung 14 verschiedener Software‐Lösungen für das Supply Chain Management (vgl. Busch et al. 2003, S. 72ff.).
„I still haven’t found what I’m looking for…” (U 2)
So interessant die Ergebnisse dieser beiden Marktstudien zur SCM‐ Software auch sind. Letztendlich vermitteln sie nur einen ersten (gro‐ ben) Überblick von Anforderungen, die an eine Supply‐Chain‐Software gestellt wird. Interessierte Betrachter kommen nicht umhin, ein „Customizing“ dieser generischen Ausführungen hinsichtlich ihrer spe‐ zifischen Organisation vorzunehmen. Ferner werden die Branchen‐ schwergewichte Oracle und SAP (welche umfassende Software‐Tools im Supply Chain Management anbieten) direkt mit kleineren Nischenanbie‐ tern (DynaSys, Axxom oder Icon‐SCM) verglichen. Es sei die Frage gestat‐ tet, inwieweit eine solch heterogene Bewertung von Software‐Lösungen haltbar ist.
94
Verständnisfragen
A.11 Verständnisfragen Was verstehen Sie unter einem Supply Chain Management? Kennzeichnen Sie die historische Entwicklung des Supply Chain Ma‐ nagements. Nennen Sie die Protagonisten des Konzepts.
Grenzen Sie das Supply Chain Management von benachbarten tradi‐ tionellen Ansätzen ab.
Klären Sie die Begriffe Demand Chain Management und Customer Relationship Management. Worin bestehen die Unterschiede zum Supply Chain Management?
Definieren Sie die Ansätze Supplier Relationship Management, Bezie‐ hungsmanagement sowie Supply Chain Relationship Management.
Kennzeichen Sie Typologien zur Klärung des Begriffs „Supply Chain Management“.
Nennen Sie mögliche Ursachen für den Bullwhip‐Effekt. Welche Lö‐ sungen bieten sich zu dessen Minderung an?
Beschreiben Sie die Inhalte der internen und der netzwerkgetriebenen Supply Chain.
Kennzeichnen Sie drei Zielkonflikte innerhalb moderner Supply Chains. Führen Sie Möglichkeiten zur Linderung dieser potenziellen Dyssynergien auf.
Charakterisieren Sie das Order‐to‐Payment‐S. Geben Sie für das Order‐to‐Payment‐S ein Beispiel aus der Konsum‐ güterindustrie an.
Nennen Sie die entscheidenden Faktoren des Wettbewerbs. Inwiefern stehen diese Schlüsselgrößen in einem Konkurrenzverhältnis zuei‐ nander?
Was ist ein Trade‐off‐Effekt? Leiten Sie ein Beispiel für eine Trade‐off‐ Situation in Supply Chains ab.
Klären Sie den Begriff „Netzwerkkompetenz“. Systematisieren Sie Ausprägungsformen logistischer Netzwerke.
Kennzeichnen Sie die Netzebenen von Erklärungsansätzen um die Netzwerkkompetenz.
Total Cost of Ownership: Klären Sie den Begriff. Nennen Sie mögliche logistische Einflussfaktoren für ein Global Sourcing. Was versteht man unter Total Benefit of Ownership?
Definieren Sie den Begriff „Maverick‐Buying“. Welche Gefahren mes‐ sen Sie einem Maverick‐Buying bei?
95
A.11
A
Grundlagen
Charakterisieren Sie die Arbeitsschritte zur Implementierung von Purchase‐Card‐Systemen. Welche Vorteile und welche Gefahren sehen Sie in der Nutzung von Einkaufskarten?
Typisieren Sie mögliche Supply Chain Strategien. Beschreiben Sie die‐ se Ansätze kurz und benennen Sie stichpunktartig mögliche Vorteile und Nachteile dieser Strategien.
Beschreiben Sie verschiedene Netzwerktypen. Geben Sie pro Ausprä‐ gungsform zwei Beispiele an.
Klären Sie den Begriff „Relational View“. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie Vorteile und Nachteile des Konzepts in übersichtlicher Form auflisten.
Leiten Sie einen beispielhaften Materialfluss unter Berücksichtigung von Flussmatrix und Sankey‐Diagramm ab.
Beschreiben Sie die Grundgedanken und den Nutzen von SCOR. Nennen Sie die Leistungsmerkmale und die Hauptkennzahlen von SCOR.
Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von SCOR in übersichtlicher Art gegenüberstellen.
Diskutieren Sie den Cash‐to‐Cash‐Cycle aus Lieferanten‐ und aus Kundensicht.
Interpretieren Sie die Höhe des Cash‐to‐Cash‐Cycle: Was bedeutet ein negativer Cash‐to‐Cycle?
Kennzeichen Sie die Stufen des Aufgabenmodells für SCM‐Software. Klären Sie die Begriffe “Supply Chain Design”, “Supply Chain Plan‐ ning” und “Supply Chain Execution”.
96
Lernziele und Vorgehensweise
B.1
B Einfluss von
Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
B.1
Lernziele und Vorgehensweise
Im Rahmen von Kapitel B wird untersucht, inwieweit ausgewählte Füh‐ rungskonzepte die Ausgestaltung eines Supply Chain Managements beeinflussen. Als Kriterien zur Selektion dienen die Aktualität, die Pra‐ xisbezogenheit und die theoretische Relevanz der Ansätze. Die ausge‐ wählten Konzepte sind:
Lernziele von Kapitel B
Markt‐ und Ressourcenfokussierung, Total Quality Management, Business Reengineering und Time Based Competition. Die Lernziele dieses Abschnitts bestehen darin, eine Beschreibung der vier Führungskonzepte in ihren Grundzügen vorzunehmen, die Not‐ wendigkeit zur Integration des Supply Chain Managements innerhalb der Ansätze aufzuzeigen sowie zu kennzeichnen, inwiefern die Konzep‐ te eine Ausgestaltung der Wertschöpfungskette beeinflussen.
Nutzen der Inhalte
Die Vorgehensweise in diesem Zusammenhang ist, dass zunächst die Markt‐ und die Ressourcenfokussierung (erst isoliert und später inte‐ griert) gekennzeichnet werden. Anschließend findet eine Charakterisie‐ rung des Total Quality Managements statt. Das Pendant eines Total Qua‐ lity Managements stellt der Radikalansatz des Business Reengineerings dar. Schließlich wird der Wettbewerbsfaktor Zeit bei der Beschreibung von Time Based Competition besonders berücksichtigt. Viele Beispiele aus der Unternehmenspraxis unterstreichen die Ausführungen. Zum Abschluss von Kapitel B werden einige Verständnisfragen gestellt.
Weiteres Vorgehen dieses Kapitels
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_2
97
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
B.2 Marktbezug und Ressourcenorien‐ tierung
Markt- und Ressourcenfokussierung
Zwei grundlegende Möglichkeiten zur Ausgestaltung des strategischen Managements stellen die Markt‐ und die Ressourcenfokussierung dar. Zunächst sind im Folgenden beide Konzepte isoliert zu charakterisieren. Außerdem wird ihre Verzahnung mit Hilfe eines speziellen Portfolios vorgenommen. Es wird zu zeigen sein, dass beide Ansätze sehr wohl in Kombination betrachtet werden können. Schließlich ist die spezielle Bedeutung der Markt‐ und der Ressourcenfokussierung für das Supply Chain Management aufzuzeigen.
B.2.1
Charakterisierung
B.2.1.1
Isolierte Marktfokussierung
Outside‐in‐ Perspektive
Das marktfokussierte Konzept der strategischen Führung hat seine Wurzeln Mitte der 80er Jahre. Die Arbeiten gehen auf die Harvard School zurück und beschäftigen sich mit der Erzielung strategischer Vorteile im Wettbewerb (Structure‐Conduct‐Performance‐Paradigma). Michael E. Porter (vgl. Porter 2006; Porter 2013; Porter 2014) ist der prägende Wegbereiter zur Ausformulierung des Market‐Based‐View. Darunter ist eine Outsi‐ de‐in‐Perspektive zu verstehen, welche auf dem Gedanken der Wert‐ schöpfungskette beruht.
Wettbewerbsan‐ triebe
Zu den wesentlichen Determinanten des Marktes zählen nach Porter Kunden, Konkurrenten und Lieferanten. Die Erfolgsposition einer Or‐ ganisation wird durch unterschiedliche Triebkräfte des Wettbewerbs („Forces of Competition“) beeinflusst. In diesem Zusammenhang identi‐ fiziert Porter fünf maßgebliche Antriebe, die nachstehend wiedergegeben sind:
Eine Bedrohung durch neue Konkurrenten. Das Verhandlungspotenzial von Lieferanten. Die Verhandlungsmacht der Kunden. Eine Bedrohung durch Ersatzprodukte. Die Rivalität unter den bestehenden Organisationen.
98
Markt- und Ressourcenfokussierung
Die erste Triebkraft des Market‐Based‐View stellt die Bedrohung durch neue Konkurrenten dar („Threat of new Entrants“). Wenn neue Wett‐ bewerber einen Markt betreten, leidet darunter häufig dessen Attraktivi‐ tät. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt neuer Konkurrenten in einen Markt hängt primär von seiner Profitabilität und seinen Wachstumsaus‐ sichten ab. Etablierte Unternehmen schützen sich daher durch den Auf‐ bau von Marktzutrittsbarrieren:
B.2 Neue Konkurren‐ ten betreten den Markt
Economies of Scale: Kostenvorteile auf Grund kumulierter Produkti‐ onsmengen.
Benefits of Scale auf der Nachfrageseite: Wenn beispielsweise etablier‐ te Akteure ihren Kunden einen langjährigen, individuellen Service anbieten.
Wechselkosten auf der Kundenseite: Diese fallen für Transaktionen, Training oder Umbau an.
Kapitalerfordernisse: Reduktion durch Leasing von Vermögensgegen‐ ständen.
Etablierte Vertriebskanäle und Vertriebssysteme: Zum Beispiel Filiali‐ sierung im Lebensmitteleinzelhandel.
Sonstige Faktoren: Patentschutz, Zugang zu knappen Ressourcen, Spezialkenntnisse.
Wenn die Verhandlungsmacht von Lieferanten zunimmt („Bargaining Power of Suppliers“) sinkt in der Regel die Branchenattraktivität. Starke Lieferanten tendieren zu Preiserhöhungen, Qualitäts‐ und Servicebe‐ grenzungen oder einer Kostenverlagerung auf den Verursacher. Sie ent‐ stehen durch eine begrenzte Anbieteranzahl, schlecht austauschbare Produkte und hohe Wechselkosten („Switching Costs“). Besonders pre‐ kär ist eine „Sandwich‐Position“ für die Hersteller: Wenn sie zwischen einem starken Kunden und einem starken Lieferanten quasi einge‐ klemmt sind. Zur Bemessung dieses Abhängigkeitsverhältnisses bietet sich beispielsweise die Kennzahl „Umsatzanteil der größten drei Liefe‐ ranten“ an.
„Willst Du den Charakter eines Menschen erken‐ nen, so gib ihm Macht.“ (A. Lincoln)
Eine weitere Triebkraft des Wettbewerbs ist die Verhandlungsmacht der Kunden („Bargaining Power of Buyers“). Nimmt deren Verhandlungs‐ spielraum zu, lindert diese Entwicklung die Anziehungskraft des Mark‐ tes: Dominate Kunden spielen ihre Lieferanten gegenseitig aus und zwingen sie zu Preiszugeständnissen. Vielfach treffen wenige Kunden auf vergleichsweise viele Lieferanten, wodurch die Substituierbarkeit
„And they blame you with the power of persuasion…“ (ABC)
99
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
von Produkten leichter fällt. Für die Lieferanten bestehen hingegen ge‐ ringe Ausweichmöglichkeiten („Barriers‐to‐Excit“). Erfolgsverspre‐ chende Substitute
Tritt eine Bedrohung durch Ersatzprodukte ein („Threat of Substitute Products and Services“), mindert diese Erscheinung die Strahlkraft des Marktes. Je besser das Preis‐Leistungs‐Verhältnis des Substitutes aus‐ fällt, desto schwerer wiegt eine derartige Bedrohung. Beispiele dafür liefern Mobiltelefon versus Festanschluss, Online‐Bestellung versus stationärer Handel, Digitalfotographie versus chemiebasierter Fotogra‐ fie, Flat TV versus Röhrenfernseher oder Generika versus medizinischer Markenartikel.
„Wo zwei zusam‐ men stoßen, siegt immer der Beson‐ nene.“ (Laotse)
Schließlich wird die Attraktivität eines Marktes darunter leiden, wenn zwischen den bestehenden Akteuren ausgeprägte Rivalitäten vorliegen („Rivalry Among Existing Suppliers“). Es finden erbitterte Kämpfe um Marktanteile und die Abschöpfung von Renten statt. Das Ergebnis sind extreme Preiskämpfe (niedrige Gewinnmargen) und die Forcierung teurer Innovationsprozesse. Besonders ausgeprägt ist die Rivalität in einem reifen Wettbewerbsumfeld:, wenn der Kampf vorrangig über den Preis ausgetragen wird (Stahlproduktion, Stationärer Handel). Aus diesen Triebkräften leitet Porter drei generische Wettbewerbsstra‐ tegien ab. Generisch bedeutet, dass die Strategien für die meisten Un‐ ternehmen gelten („Normstrategien“).
Kostenvorsprung gegenüber der Konkurrenz
Kostenführerschaft: Ein Akteur erlangt die Kostenführerschaft, wenn
Singularität durch besondere Attribute
Differenzierung: Für die Differenzierungsstrategie wählt ein Unter‐
Konzentration auf Marktnischen
Konzentration: Während sich die Strategien der Kostenführerschaft
er sich einen Kostenvorsprung gegenüber seiner Konkurrenz sichert. Dieser kann aus Standortvorteilen (zum Beispiel einem günstigen Ressourcenzugang), Economies of Scale oder Erfahrungseffekten re‐ sultieren. Für die Strategie der Kostenführerschaft eignen sich Mas‐ senfertigung (Prozesstyp) oder Fließfertigung (Organisationstyp). nehmen ein Leistungsangebot, das sich durch eine Singularität aus‐ zeichnet. Das Produkt weist einzigartige Attribute auf. Beispiele dafür sind die Sportlichkeit von Porsche, die Exklusivität von Rolex und die seltene Verfügbarkeit von Afri‐Cola. Der Kunde honoriert das Produkt mit einer Zusatzprämie. Als Fertigungsverfahren dienen die Einzelfer‐ tigung, die Serienfertigung (Prozesstyp) oder die Werkstattfertigung (Organisationstyp). und der Differenzierung auf die gesamte Branche beziehen, ist das Zielsegment der Konzentration eine geografische Region, eine Käu‐ fergruppe oder ein Ausschnitt aus dem Sortiment. Oftmals wird der
100
Markt- und Ressourcenfokussierung
B.2
Konzentrierer ein Nischenbearbeiter sein. Auch innerhalb dieses Teilsegments ist eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich der zu wäh‐ lenden Wettbewerbsstrategie zu treffen. Dadurch kann eine nachhal‐ tig verteidigungsfähige Position eingenommen werden. Somit legt sich eine Organisation in dem Teilsegment wiederum auf eine der beiden Strategien von Kostenführerschaft oder Differenzierung fest. Ein Beispiel für die Konzentrationsstrategie innerhalb der Kraftfahr‐ zeugbranche sind die Kleinstwagen der ATW Autotechnik. Diese „Mo‐ ped‐Autos“ dürfen mit dem Führerschein der Klasse fünf gefahren werden. Sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit zwischen 25 km/h und 50 km/h.
Nach Porter muss sich eine Organisation für eine der beschriebenen strategischen Ausrichtungen entscheiden. Er empfiehlt, eine Position „zwischen den Stühlen“ – bezogen auf die beiden Extremfälle Kosten‐ führerschaft und Differenzierung – zu vermeiden. Die Simultaneitäts‐ hypothese (vgl. die hybriden Wettbewerbsstrategien auf S. 164) hinge‐ gen geht davon aus, dass zumindest temporär ein kombinierter Strate‐ gieeinsatz möglich ist. Danach kann sich ein Unternehmen sukzessive vom Differenzierer zum Kostenführer wandeln. Ein umgekehrter Wech‐ sel ist ebenso möglich. Ein Beispiel für ersten Fall sind Funkuhren. Diese wurden bei ihrer Markteinführung zu einem hohen Preis angeboten und zielten auf das Attribut der Exklusivität. Mittlerweile sind einige Model‐ le schon für fünf Euro auf dem „Wühltisch“ zu erwerben. Die Herstel‐ lung von Funkuhren erfolgt heutzutage in Masse.
B.2.1.2
„Here I am, stuck in the middle with you…” (Louise)
Isolierte Ressourcenfokussierung
Anfang der 90er Jahre entwickelte die Chicago School eine krasse Gegen‐ position zur Marktfokussierung, den Resource‐Based‐View (Resource‐ Conduct‐Performance‐Paradigma). Sein prägendes Merkmal ist die Inside‐ out‐Perspektive. Institutionen können über besondere Fähigkeiten (Er‐ folgspotenziale) auf bestimmten Gebieten verfügen. Diese werden als Kernkompetenzen bezeichnet. Sie lassen sich einteilen in:
Tangible Kompetenzen (Anlagen, Maschinen, Gebäude). Intangible Kompetenzen (Know‐how, Reputation). Finanzielle Kompetenzen (Finanzierungsformen). Organisatorische Kompetenzen (Informations‐ und Kommunikations‐ systeme, Personalführungssysteme).
101
Inside‐out‐ Perspektive
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Von der Fähigkeit zur Kernkompetenz
Der Weg zur Kernkompetenz ist weit: Grundvoraussetzung ihres Ent‐ stehens sind Individuelle Fähigkeiten (sämtliche auf eine Person bezo‐ genen Leistungspotenziale). Aus diesen Individuellen Fähigkeiten leiten sich Kollektive Fähigkeiten ab, die sich in Faktoren wie Verständnis und Geschicklichkeit innerhalb einer Gruppe (Organisation) zeigen. Eine Individuelle Kompetenz ergibt sich in der nachgewiesenen Möglichkeit eines Einzelnen, eine bestimmte Aufgabe bewältigen zu können. Die Kollektive Kompetenz beschreibt, wenn diese Anforderungen in einer Gruppe erbracht werden. Ressourcen hingegen sind lediglich materielle und immaterielle Hilfsmittel zur Aufgabenlösung. Eine Kernkompetenz besteht langfristig, sie ist zu verteidigen, zu erkennen und zu transferie‐ ren. Aus ihr ergeben sich spezielle Wettbewerbsvorteile für eine Organi‐ sation, die auf Ressourcen und besonderen (Individuellen und Kol‐ lektiven) Fähigkeiten beruhen.
“Kompetenz zeigt sich in Einfach‐ heit.” (G. W. Exler)
Zu den Protagonisten der Ressourcenfokussierung zählen Prahalad und Hamel (vgl. Prahalad/Hamel 1990; Prahalad/Ramaswamy 2004). Beispiels‐ weise verfügt Sony über die Kernkompetenz der Miniaturisierung, wel‐ che in Produkte wie Walkman, CD‐Spieler, Notebook und Mini‐Disc eingeht. Honda setzt seine speziellen Fähigkeiten bei der Entwicklung und Fertigung von Kleinmotoren ein (Rasenmäher, Motorräder und Autos). Tupperware besitzt besondere Fähigkeiten im Vertrieb von Haus‐ haltsartikeln. Wichtige Voraussetzungen des Konzepts sind (vgl. obige Definition):
Begrenzte Imitierbarkeit und Substituierbarkeit von Kernkompeten‐ zen.
Verteidigungsfähigkeit und Stabilität dieser besonderen Fähigkeiten auf bestimmten Gebieten.
Gezielte Transformation von Kernkompetenzen in künftig anvisierte Geschäftsfelder.
Wahrnehmung der besonderen Fähigkeiten durch den Kunden. Netzkompetenz im Relational‐View
Der Resource‐Based‐View wurde mittlerweile zum „Relational‐View“ weiter entwickelt (vgl. Dyer/Singh 1998). Während der Resource‐Based‐ View die Einzigartigkeit und die Abgrenzungsmöglichkeit individueller Stärken akzentuiert, legt der Relational‐View seinen Schwerpunkt auf eine Individuelle oder eine Kollektive Netzkompetenz. Die Individuelle Netzkompetenz ergibt sich durch Zeit‐ und Kostenvorteile, welche sich durch Absorption vorhandenen Wissens von Partnern innerhalb einer
102
B.2
Markt- und Ressourcenfokussierung
Supply Chain einstellen: Ressourcen‐Interdependenzen durch die Kom‐ bination von Eigen‐ und Fremdmitteln in einer Lieferkette. Eine Kollektive Netzkompetenz hingegen ergibt sich entweder durch eine Co‐Spezialisierung oder durch eine Kooperationskompetenz. Co‐ Spezialisierung bedeutet die Konzentration einer Organisation auf die eigenen Stärken, verbunden mit der Auslagerung restlicher Aktivitäten an sonstige Akteure eines Netzwerks (Virtuelles Unternehmen). Eine Kooperationskompetenz zeigt sich durch den zielgerichteten Austausch und die aktive Kombination von Wissen innerhalb einer Kompetenzge‐ meinschaft (Strategische Supply Chain Allianz).
B.2.1.3
Kollektive Supply Chain Kompetenz
Integrierte Markt- und Ressourcenfokussierung
Aus den Nachteilen einer isolierten Anwendung von Market‐Based‐ View und Resource‐Based‐View erwächst die Notwendigkeit zur In‐ tegration beider Sichtweisen. Einer alleinigen Berücksichtigung des marktfokussierten Konzepts ist die Gefahr immanent, dass ein Unter‐ nehmen den Wünschen der Kunden permanent „hinterher hechelt“. Es verstreicht einige Zeit, bis die Organisation ihre mühsam identifizierten Kundenanforderungen umsetzt („Time Gap“). Innerhalb dieser Zeit‐ spanne können sich die Wünsche der Konsumenten, insbesondere in dynamischen Märkten (z. B. Fashion), jedoch schon wieder ändern. Au‐ ßerdem büßt der Hersteller Innovationspotenziale ein. Dem Resource‐ Based‐View haftet bei ausschließlicher Betrachtung das Problem an, dass unter Umständen Leistungen hervorgebracht werden, die zwar tech‐ nisch ausgereift sind. Dennoch lehnt sie der Kunde, auf Grund ihres hohen Preises oder der geringen Bedienfreundlichkeit, ab.
Kombination von Innensicht und Außensicht
Die Möglichkeit zur Kombination von Markt‐ und Ressourcenorientie‐ rung wird durch GEKKO beschrieben. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio (vgl. Werner 1996, S. 25). Abbildung B.1 visualisiert diesen Zusammenhang. Eine externe Umweltdimension (Erfolgsposition) wird mit der internen Unternehmensdimension (Erfolgspotenzial) verzahnt. Die Geschäfts‐ feldattraktivität beruht auf den fünf Triebkräften des Wettbewerbs nach Porter. Im Portfolio wird die Frage gestellt, ob sie „hoch“ oder „niedrig“ ausgeprägt ist. Bei der Dimension der Kernkompetenzen ist der Frage nachzugehen, ob diese grundsätzlich vorhanden sind („ja“ oder „nein“). Dadurch ergeben sich in der Matrix vier unterschiedliche Felder. Diese sind plakativ mit strategischen Empfehlungen besetzt.
Erfolgsposition und Erfolgspotenzial
103
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
„Should I stay or should I go, if I go there will be trou‐ ble, and if I stay there will be dou‐ ble…“ (the Clash)
Move or Quit: Ist die Geschäftsfeldattraktivität niedrig ausgeprägt
Erfolgspositionen einnehmen
Search for new Markets: Eine Organisation verfügt über Kernkompe‐
Erfolgspotenziale fördern
Build up Competencies: Dieses Feld in der Matrix beschreibt eine Si‐
und besitzt ein Unternehmen keine Kernkompetenzen, bedeutet dies: „Move or Quit“. Die Organisation muss entweder ihre Position im Wettbewerb verbessern (zum Beispiel durch eine intensivierte Zu‐ sammenarbeit mit Zulieferern) oder Kernkompetenzen erwerben (Move). Gelingt dies nicht, verlässt sie den Markt (Quit). Etliche tradi‐ tionelle Versandhändler, die es versäumten, sich rechtzeitig zu „be‐ wegen“ (das Geschäftsmodell zum Beispiel um den Online‐Versand zu erweitern), sind mittlerweile von der Bildfläche komplett ver‐ schwunden. tenzen, setzt diese aber auf einem Markt mit geringer Attraktivität ein. Ein Beispiel für die Suche nach neuen Märkten ist Sony. Basierend auf ihrer Kompetenz der Miniaturisierung, vereinte das Unternehmen seinerzeit zwei reife Geschäftsfelder mit geringer Attraktivität: Der Kassettenrecorder und der Kopfhörer wurden zum Walkman inte‐ griert, der den Markt quasi im Fluge eroberte. Ein weiteres Beispiel stellt McDonald‘s dar. Das Unternehmen wurde auf der Suche nach neuen Märkten fündig und spricht seit einiger Zeit mit dem „McCafé“ eine völlig neue Zielgruppe an. Außerdem haben die Hersteller kos‐ metischer Produkte auf der Suche nach neuen Absatzmärkten seit wenigen Jahren offenkundig das Zielsegment „Männer“ entdeckt. Un‐ ter dem Signet „Men’s Health“ finden sich mittlerweile eine Vielzahl von Produkten unterschiedlicher Hersteller (wie „Nivea for Men“). Ein weiteres Beispiel für die Suche nach neuen Märkten liefert adidas: Un‐ ter dem Label „Neo“ bietet das Unternehmen Kleidung und Schuhe an, die speziell auf junge Käufer zugeschnitten sind. Auch die Bier‐ brauer unterzogen sich einem gewissen Wandel. Sie haben Bier‐Mix‐ Getränke in ihr Sortiment aufgenommen. Dies mit ordentlichem Er‐ folg, jedenfalls finden sich mittlerweile etliche Bier‐Misch‐Getränke am Markt (Schöfferhofer mit „Grapefruit“, Flensburger mit „Lemon‐ grass“, Becks mit „Twisted Orange“). tuation, in der sich ein Unternehmen bereits auf einem lukrativen Markt befindet, aber keine Kernkompetenzen besitzt. Beispielhaft da‐ für steht das Unternehmen Continental Automotive Systems. In den spä‐ ten 1970er Jahren kündigte Bosch das ABS (Antiblockiersystem) an. Continental‐Teves erkannte dessen Zukunftschancen und setzte alle Hebel in Bewegung, um sich ebenfalls die neue Technik anzueignen. Nach circa zwei Jahren wurde das Unternehmen für seine Bemühun‐ gen belohnt. Eine Reihe von Konkurrenten, welche die Zeichen der Zeit nicht erkannten und weiter auf hydraulische Bremssysteme setz‐
104
Markt- und Ressourcenfokussierung
B.2
ten, mussten Konkurs anmelden. Ebenso fällt das Prinzip „Books on Demand“ in dieses Feld der Matrix. Beispielsweise erwarb die Books on Demand GmbH aus Norderstedt die relevante Kompetenz, um auf diese Weise nicht länger Bücher auf Verdacht zu drucken (die viel‐ leicht im Regal verstauben). Der Buchdruck wird vielmehr erst bei ei‐ ner konkreten Nachfrage angestoßen. Auch für junge Autoren ist die‐ ses Prinzip interessant, um den Druckkostenzuschuss zu begrenzen. Ebenso ist im Automobilbereich die Brennstoffzelle ein hart um‐ kämpftes Terrain. Die Konkurrenten wetteifern derzeit mit aller Macht darum, in diesem Bereich aktuelle und künftige Produzentenrenten einzustreichen. Ähnlich verhält es sich mit Elektroautos. Die „Green‐ Cars“ haben sich am Markt in den letzten Jahren etabliert und dem Verbrennungsmotor deutliche Marktanteile abgejagt. Schließlich hatte Nokia offenkundig den Übergang vom reinen Mobiltelefon zum Smartphone ein wenig verschlafen. Jedenfalls versuchte das Unter‐ nehmen nachdrücklich mit dem Modell „Lumia“ verlorene Marktan‐ teile zurückzugewinnen. Dazu mussten sie sich zuvor umfangreiche Kenntnisse auf den Gebieten der Computerfunktionalität und der Konnektivität aneignen. Ein Managementfehler, den das Unterneh‐ men teuer bezahlte: denn im April 2014 kaufte Microsoft die Handy‐ sparte von Nokia auf.
Stay on Top: Wenn ein Hersteller über Kernkompetenzen verfügt und sich auf einem attraktiven Markt befindet, sollte er versuchen, seine Stellung im Wettbewerb nachhaltig zu verteidigen. In Palmela, Portu‐ gal, bauten bis zum Ende des Jahres 1998 VW („Sharan“), Seat („Al‐ hambra“) sowie Ford („Galaxy“) gemeinsam unter dem Emblem „Au‐ toeuropa“ den „World Car“. 1995 kamen die Vans auf den Markt. VW beendete allerdings nach kurzer Zeit diese Liaison Dangereuses mit Ford. Seit 1999 gehört das Werk vollständig VW. Die Nachfolger der weitgehend identischen Fahrzeuge wurden getrennt entwickelt. VW kaufte sich für mehr als vier Milliarden Euro aus dieser strategischen Allianz frei, um sich von dem Wettbewerber nicht länger in seine Entwicklungstechnik der Dieselmotoren schauen zu lassen: VW wollte „on Top“ bleiben. Auch andere Unternehmen beherrschen es schon seit Jahren, eine Spitzenposition einzunehmen. Dazu zählen Microsoft, Google, Amazon, Coca Cola, Ikea und Aldi. Sie verstehen es in ihrem je‐ weiligen Segment, ihre Vorreiterrolle zu verteidigen. Auch wenn es natürlich nicht immer leicht ist, die Konkurrenz auf Abstand zu hal‐ ten.
105
„We are the cham‐ pions, my friends, and we’ll keep on fighting ‘til the end…” (Queen)
B Abbildung B.1
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Geschäftsfeldattraktivität‐Kernkompetenzen‐Portfolio (GEKKO)
Resource‐Based‐View
GEKKO
Erfolgspote nzial
Kernkompe te nzen vorhande n?
„Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit...“ (Tocotronic)
Niedrig
Move or Quit
Ja Search for new Markets
Build up
Stay on
Competencies
Top
Es bleibt festzuhalten, dass Market‐Based‐View und Resource‐Based‐ View stets gemeinsam zu betrachten sind. Eine Erfolgsposition (Markt‐ fokussierung) ist nur über Erfolgspotenziale (Ressourcenfokussierung) einzunehmen. Umgekehrt sind Erfolgspotenziale immer zielgerichtet einzusetzen. Technische Neuerungen zeichnen sich durch ihre Verwert‐ barkeit am Markt aus. Der Market‐Based‐View und der Resource‐Based‐ View sind folglich nicht zwei unterschiedliche Medaillen. Es sind viel‐ mehr zwei Seiten einer Medaille. Ein Ansatz wird den anderen kurzfris‐ tig vielleicht majorisieren. Mittel‐ bis langfristig sind jedoch beide Kon‐ zepte stets ausgewogen zu berücksichtigen.
B.2.2 Wertschöpfungs‐ kette als Basis
Hoch
Erfolgsposition
Market‐Based‐View
Geschäftsfeldattraktivität?
Ne in
Auswirkungen auf das Supply Chain Management
Der Grundgedanke einer Integration von Komponenten des Supply Chain Managements leitet sich vor allem aus der Wertschöpfungskette Porters ab. Ein kompletter Prozess wird im Rahmen seiner Optimierung zerlegt. Insellösungen sind zu vermeiden, weil sie nur suboptimale Er‐ gebnisse erbringen. Dadurch wird der Versuch unternommen, synerge‐
106
B.3
Total Quality Management
tische Potenziale auszuschöpfen und Trade‐off‐Situationen zu verhin‐ dern. Der marktbasierte Ansatz fördert die Zuliefer‐Kunden‐Integration. So‐ mit findet eine Verbesserung an den Schnittstellen (Interfaces) statt. Vor allem die Disponenten werden im Supply Chain Management die Zu‐ sammenarbeit zwischen den Partnern realisieren. Sie steuern ihren Da‐ tenaustausch über die Abrufe. Es wird das Ziel verfolgt, die Reibungs‐ verluste innerhalb der Wertschöpfungsketten zu senken. Beispielsweise stimmt sich die Supply Chain „Lieferant‐Hersteller‐Kunde“ hinsichtlich der einzusetzenden IT‐Systeme ab. In diesem Zusammenhang etablieren sich IT‐gestützte Standardlösungen auf Basis von SCOR.
Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden
Ein Unternehmen kann im Supply Chain Management seine eigenen Fähigkeiten, kombiniert mit den Kompetenzen seiner Partner, nutzen. Der markt‐ und der ressourcenfokussierte Ansatz verschmelzen. Diesen Sachverhalt unterstreicht ein kurzes Beispiel: Ein externer Logistik‐ dienstleister (3PL) verfügt über Know‐how auf dem Gebiet der Waren‐ eingangsabwicklungen. In der Wareneingangskontrolle und bei der Verteilung von Materialien an ihre Lagerorte nutzt er RFID. Dadurch reduzieren sich die Fehler im Wareneingang. Verglichen mit manuellen Abläufen, wird Personal eingespart. Ein Versandhändler erkennt die Kompetenz des Dienstleisters. Er überträgt jenem die Verantwortung für die Wareneingangskontrolle. Versandhändler verfügen häufig selbst über besondere Fähigkeiten hinsichtlich der Kommissionierung, weil sie sich mit der Bereitstellung von Artikeln schon seit vielen Jahren beschäf‐ tigen. Indem der Versandhändler seine Wareneingangskontrolle an den 3PL auslagert, wird der komplette Materialfluss, vom Wareneingang bis zur Kommissionierung, optimiert.
Beispiel im Waren‐ eingang
B.3
Total Quality Management
B.3.1
Charakterisierung
In ein Total Quality Management (TQM, vgl. Hummel/Malorny 2011; Oakland 2020; Oess 2013; Rothlauf 2014; Zink 2004) sind sämtliche Funk‐ tionsbereiche und Mitarbeiter einer Organisation einbezogen („Com‐ pany‐Wide‐Quality‐Control“). Die ersten Überlegungen zu TQM gehen
107
TQM: „Das also war des Pudels Kern.“ (J. W. v. Goethe)
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
auf William Edwards Deming zurück, einen amerikanischen Physiker und Statistiker. Bekannt wurde das Konzept jedoch erst durch seine Weiter‐ entwicklung in Asien. Insbesondere in der japanischen Automobilin‐ dustrie wurden gute Ergebnisse in den frühen 80er Jahren mit TQM erzielt. Als in den späten 80er Jahren Unternehmen wie Bosch oder Phi‐ lips die European Foundation for Quality Management (EFQM) gründeten, etablierte sich TQM auch in Europa. Verbesserung der Prozesseffektivität als Hauptziel
Total Quality Management stellt den Kunden in den Mittelpunkt, um die Prozesseffektivität zu steigern. Qualität ist erreicht, wenn die Un‐ ternehmensprozesse dazu geeignet sind, spezifische Anforderungen von Kunden exzellent zu erfüllen (anwendungsorientierter Qualitätsbegriff). Damit sind nicht nur die externen Kunden gemeint. Auch die internen Kunden, die Mitarbeiter anderer Funktionsbereiche, müssen mit der erbrachten Leistung zufrieden sein. Qualität manifestiert sich demnach zur dauerhaften Unternehmensphilosophie. Dadurch wird das „Over‐ the‐Wall‐Syndrom“ (vgl. S. 119 der vorliegenden Schrift) vermieden. Im Fokus des Total Quality Managements steht die Steigerung der Kunden‐ zufriedenheit, wobei das Konzept folgende Inhalte kennt:
Manifestierung klarer Prinzipien und Bewertungskriterien (Operatio‐ nalisierung) zur Steigerung der Qualität von Produkten, Prozessen und Dienstleistungen.
Festlegung eindeutiger Ziele zur Einleitung eines ständigen Verbesse‐ rungsprozesses (fortwährende Zielerreichungskontrolle). Qualität ist kein Endziel, sondern ein Prozess, der niemals aufhört.
Implementierung eines Qualitätsmanagement‐Systems, das aktives Handeln voraussetzt: Qualitätsverbesserungen sind keine Selbstläufer.
Bestimmung der organisatorischen Zuständigkeiten mit grundsätzli‐ chem Einbezug sämtlicher Unternehmensbereiche und möglichst vie‐ ler Mitarbeiter. Paradigmenwechsel durch TQM
Durch das Aufkommen von Total Quality Management hat ein Para‐ digmenwechsel – von einer traditionellen Qualitätskontrolle zum ech‐ ten Qualitätsmanagement – stattgefunden. Abbildung B.2 spiegelt die‐ ses Phänomen. Die Darstellung zeigt gravierende Unterschiede in den Bereichen Orientierung, Arbeitsfokus, Mitarbeiter, Kontrolle und Kosten auf.
108
Total Quality Management
B.3 Abbildung B.2
Paradigmenwechsel durch TQM Von traditioneller Qualitätskontrolle… Orientierung
Arbeitsfokus
Mitarbeiter
Qualität am
Strategie der
Separate QM‐
Qualität
Kosten für
Produkt
Fehler‐
Abteilung
durch End‐
Ausschuss
ausgerichtet
vermeidung
kontrolle
eingeplant
Orientierung
Arbeitsfokus
Kontrolle
Kosten
Qualität am
Strategie der
Integriertes
Qualität
Poka‐Yoke‐
Prozess
Fehler‐
QM‐System
ständig be‐
Prinzip (Feh‐
ausgerichtet
verhütung
gleitend
lerfreiheit)
Mitarbeiter
Kontrolle
Kosten
…zum echten Qualitätsmanagement
Ein Lean Management (vgl. Bertagnolli 2018; Gorecki/Pautsch 2018; Thomsen 2006; Tündermann 2020; Womack/Jones 2013; Womack/Jones/Roos 2007) beschreibt die Ausschöpfung von Optimierungspotenzialen durch die Vereinfachung von Unternehmensabläufen und die Verschlankung von Hierarchien (Prozesseffizienz). Mit der Erkennung und späteren Eliminierung nicht wertschöpfender Aktivitäten werden Produktivitäts‐ steigerungen anvisiert. Beispiele dafür sind die konsequente Einleitung von Make‐to‐Order‐Prozessen, eine ganzheitliche Wertschöpfungsbe‐ trachtung oder die Zusammenfassung vergleichbarer Aufgaben in ho‐ mogenen Bündeln.
„Die meisten Schlankheitskuren dünnen nur das Konto aus.“ (T. Häntsch)
Das Konzept stellt eine Erweiterung der vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelten Lean Production dar. Das Lean Manage‐ ment bezieht sich nicht ausschließlich auf die Fertigung, sondern auf sämtliche Funktionsbereiche. Die hierarchische Struktur einer Organisa‐ tion wird nicht als geerbt empfunden. Sie ist vielmehr ständig hinsicht‐ lich ihrer Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Für überflüssig identifizierte Ebenen werden gestrichen, was die Agilität im Wettbewerb fördert. Zum Beispiel reduzierte Texas Instruments seinerzeit die Anzahl seiner Füh‐ rungskräfte radikal von 4.000 auf 200.
Abbau hierarchi‐ scher Ebenen
109
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Wenn aus Schlankheit Ma‐ gersucht wird
Ein radikales Lean Management birgt jedoch auch Nachteile in sich. Viele Unternehmen sind nicht nur schlank, sondern sogar „magersüch‐ tig“ geworden. Sie bauten in rezessiven Phasen Mitarbeiter ab und wa‐ ren bei anziehender Konjunktur unterbesetzt. Nicht alle eingehenden Aufträge konnten angenommen werden. Es fehlten Mitarbeiter zur Auf‐ tragsbearbeitung, weshalb diese Gesellschaften potenzielle Umsätze verloren. Mit der Anwendung von Lean Management haben sich einige Organisationen regelrecht aus dem Markt katapultiert. Im Handel wur‐ de das Fachpersonal durch weniger qualifizierte Mitarbeiter ersetzt, worunter die Kundenberatung litt. In der Fertigung fand teilweise eine Eliminierung der Facharbeiterebene statt (Know‐how‐Verlust).
Politik der kleinen Schritte: Dem Sisyphos‐Prinzip folgen
Kaizen Management (vgl. Brunner 2014; Hermold 2020; Takeda 2006) bedeutet die Einleitung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses („Continuous Improvement Process“). Unternehmensaktivitäten sind dauerhaft auf die Steigerung des Konsumentennutzens ausgerichtet. Die Politik „der kleinen Schritte“ besagt, dass sich Veränderungen nicht sprunghaft, sondern allmählich einstellen. Die Grundvoraussetzung für diesen ständigen Wandel sind Anstrengungen aller Beteiligten, um das Prozess‐Know‐how zu verbessern. Der Ansatz ist somit integrativer und wesentlicher Bestandteil eines in der Unternehmensphilosophie dauer‐ haft verankerten Qualitätselements.
„Qualität lindert den Schmerz, den der Preis verur‐ sacht.“ (Redewendung)
Im Fokus von Kaizen Management steht die Verminderung oder Ver‐ meidung menschlicher Fehler, die vor allem in Verschwendung („Mu‐ da“), Überlastung („Muri“) sowie Unregelmäßigkeiten („Mura“) be‐ gründet sind. Sämtliche Organisationsabläufe werden fortwährend hin‐ sichtlich ihrer Verbesserungspotenziale analysiert. Anschließend sind sie möglichst zu standardisieren und langfristig in dem Unternehmen zu integrieren. Erst mit der Generalisierung dieser Aktivität wird der nächste Optimierungsprozess – auf höherem (verbessertem) Arbeitsni‐ veau – angestoßen. Dieses Prinzip fußt auf dem so genannten „Deming Cycle“. Unter den 14 Punkten von Deming (vgl. Deming 2000) finden sich Praktiken zur Qualitätsverbesserung. Beispielhaft dafür stehen Vorschlagswesen, Kleingruppenarbeit, Mechanisierung oder Arbeitsdis‐ ziplin.
Drei Ebenen der Qualität
Zur Typisierung dieser unterschiedlichen Begriffe des Qualitätsmana‐ gements dient nachstehend ein Drei‐Ebenen‐Modell (vgl. Abbildung B.3). In der vorliegenden Schrift wird das Total Quality Management als das alles umspannende Konzept angesehen, es ist somit auf der Meta‐ führungsebene angesiedelt. TQM erfährt auf zweiter Stufe (Strategie‐
110
Total Quality Management
B.3
ebene) direkte Unterstützung durch Lean Management und Kaizen Management. Auf der dritten Stufe finden sich schließlich diverse In‐ strumente des Qualitätswesens („Qualitätsbaukasten“), welche der zweiten Ebene direkt und der Metaführungsebene indirekt helfen. Eini‐ ge dieser Qualitäts‐Hilfsmittel werden – unter besonderer Berücksichti‐ gung ihrer Auswirkungen auf ein Supply Chain Management – auf S. 348 näher charakterisiert. Drei‐Ebenen‐Modell der Qualität
Abbildung B.3
Total Quality Management (Prozesseffektivität) ‐ Übergreifende Qualitätsphilosophie im Unternehmen ‐ Intern und extern ausgerichtete Kundenbindung ‐ Vermeidung des Over‐the‐Wall‐Syndroms ‐ Von der Qualitätskontrolle zum Qualitätsmanagement
Ebene 1: Metaführungsebene
Lean Management (Prozesseffizienz)
Kaizen Management (Prozess‐Know‐how)
‐ Einfache Abläufe
‐ Continuous Improvement
‐ Schlanke Hierarchie
‐ Betriebliches Vorschlagswesen
‐ Produktivitätssteigerung
‐ Deming Cycle
‐ Wertschöpfungsausrichtung
‐ Fehlervermeidungsstrategie
Ebene 2: Strategieebene
FMEA
Quality Circle
Six Sigma Statistical Pro‐ cess Control
QFD Quality Bench‐ marking
Bottleneck Engi‐ neering …
Ebene 3: Instrumentenebene
111
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
B.3.2 TQM in der Supp‐ ly Chain
Auswirkungen auf das Supply Chain Management
Eine bedeutsame Zielsetzung innerhalb der Supply Chain liegt in der Reduzierung der Raten für Ausschuss und Nacharbeit („Scrap and Rework“) begründet. Die Einleitung von Präventivmaßnahmen zur Verbesserung der Schlüsselgröße Qualität unterstützt diese Anforde‐ rung. Ein Supply Chain Management korreliert mit dem Fertigungsbe‐ reich. Für beide Organisationseinheiten wird die angestrebte Quote an PPM („Parts per Million“) vielfach auf null festgelegt. Sie zielt auf die Vermeidung von Ausschuss und Nacharbeit. Zwei Beispiele zeigen ausgewählte Möglichkeiten zur Fehlerreduzierung in der Wertschöp‐ fungskette.
Ident‐Techniken im Wareneingang
Wareneingang: Zur Fehlervermeidung im Wareneingang kann eine
Mixed Load im Versand
Versand: Beim Anbringen der Warenanhänger schleichen sich vor al‐
manuelle Identifizierung von Materialien durch IT‐gestützte Techni‐ ken substituiert werden. Barcode und RFID fördern die Datenverwal‐ tung. Es findet eine IT‐orientierte Zuordnung von Sachnummern zu ihren Lagerorten statt. lem bei Mischpaletten (Mixed Load) Fehler ein. Die Mitarbeiter müs‐ sen unterschiedliche Label an die Kisten heften, was zu einem gewis‐ sen Durcheinander führen kann. Kunden beschweren sich darüber, wenn sie unkorrekt beliefert werden, wodurch Nachbesserungen notwendig sind. Diese potenzielle Fehlerquelle ist dadurch zu redu‐ zieren, indem pro Palette nur noch eine Sachnummer zugelassen wird (artikelreine Palette). Im ersten Schritt steigen zwar tendenziell die Versandkosten. Diese werden aber vielfach durch niedrigere Kosten für eine Qualitätssicherung (über‐) kompensiert.
Organisatorischer Rahmen
Für eine Berücksichtigung des Total Quality Managements innerhalb der Supply Chain ist eine Implementierung im Sinne des Gegenstromver‐ fahrens zu wählen. Top Down muss die Führungsebene das neue Quali‐ tätsbewusstsein vorleben. Bottom Up soll sich die Belegschaft mit TQM identifizieren.
Robuste Supply Chains
Wenn der Wettbewerbsfaktor Qualität als echte Philosophie verstanden wird und Einzug in die Ausformulierung der Unternehmensstrategien erhält, wird das Fundament für den Aufbau robuster Supply Chains geschaffen. Produkte und Dienste zeichnen sich im Qualitätswettbewerb durch Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit aus. Da fast 90% aller möglichen Fehler bereits in den frühen Stadien der Produktentstehung
112
Business Reengineering
B.4
auftreten, setzen Fehlervermeidungsstrategien bereits in diesen so ge‐ nannten Design Phases an (vgl. Cohen/Roussel 2006, S. 29). Eine wesentliche Zielsetzung im Qualitätswettbewerb moderner Supply Chains ist die Chargenrückverfolgbarkeit. Dadurch wird die Sicherheit in Lieferketten erhöht. Dieser Anspruch ist in manchen Branchen beson‐ ders wichtig (beispielsweise in der Pharmazie und beim Handel mit Bio‐ Lebensmitteln). Mit Hilfe von Radiofrequenzsystemen können diese Ansprüche vielfach gut erfüllt werden (vgl. S. 346). Im Einzelfall stellt sich allerdings die Frage, welche Investitionen mit der Nutzung von RFID verbunden sind: Selbst einfache Transponder‐Lösungen kosten das drei‐ bis vierfache, verglichen mit einem zweidimensionalem Barcode.
B.4
Business Reengineering
B.4.1
Charakterisierung
Pay‐Back‐Zeiten für RFID ermitteln
Das Pendant von Total Quality Management ist das Business Reengi‐ neering (vgl. Hammer/Champy 2004; Jeston 2006; Slamanig 2014). Wäh‐ rend beim Total Quality Management die inkrementelle Verbesserung existenter Strukturen vorgenommen wird, stellt das Business Reenginee‐ ring eine prozessorganisatorische Neuorientierung dar. Bekannte Vorge‐ hensweisen werden hinsichtlich ihrer Effektivität und Effizienz über‐ prüft. Konsequent ausgeführt, ist der Ansatz eine Radikalkur für die Organisation. Alte Systeme werden über Bord geworfen und Prozesse sowie Aktivitäten, die keinen Mehrwert schaffen, konsequent und dau‐ erhaft eliminiert.
Alles kommt auf den Prüfstand
Ein Business Reengineering ist eine Bombenwurfstrategie, was auch bildlich ausgedrückt werden kann: Wenn ein Baum kränkelt, werden nicht nur ein paar Äste abgeschnitten und der Baum gedüngt sowie mit besonderer Sorgfalt gepflegt (dies wäre die Philosophie des Total Quali‐ ty Managements). Der kranke Baum ist vielmehr komplett aus dem Boden zu reißen. Es wird ein neuer Baum gepflanzt. Begriffsblock B.I verdeutlicht mit den vier „Re’s“ das Wesen von Business Reengineering (vgl. auch Abbildung B.4).
„Hütet euch vor Technikern: Mit Nähmaschinen fangen sie an, mit Atombomben hören sie auf.“ (M. Pagnol)
113
B Begriffsblock B.I
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Vier „Re’s“ des Business Reengineerings
Renewing: „Erneuerung“ bedeutet die verbesserte Schulung und or‐ ganisatorische Einbindung von Mitarbeitern in das Unternehmen.
Revitalizing: „Revitalisierung“ meint eine Prozessneugestaltung in‐ nerhalb der Organisation.
Reframing: „Einstellungsänderungen“ bewirken, dass herkömmliche Denkmuster abzulegen und neue Wege einzuschlagen sind.
Restructuring: „Restrukturierung“ erfordert schließlich die revidierte Definition des Aktivitätenportfolios. Anders ausgedrückt, sucht ein Unternehmen nach neuen Standbeinen.
Reengineering von Leasinganträgen
Zum Beispiel (vgl. Hammer/Champy 2004, S. 113) benötigte IBM für die Bearbeitung eines Antrags auf Leasing sechs Arbeitstage, obwohl die Prozedur des eigentlichen Ausfüllens lediglich 90 Minuten dauerte. Die Dokumente gingen von einer Abteilung zur nächsten. Dieser Prozess wurde im Business Reengineering als Schwachstelle identifiziert und die Verantwortung in eine Hand gelegt. Ein Spezialist bearbeitet jetzt einen Antrag komplett in durchschnittlich vier Stunden.
Vereinfachung der Prozessabläufe
Das Unternehmen Hallmark betrieb ebenso ein Reengineering (vgl. Hammer/Champy 2004, S. 135). Hallmark produziert Glückwunschkarten. Von der Idee bis zur Vermarktung einer neuen Karte vergingen über drei Jahre. Die Organisation stellte durch Business Reengineering fest, dass die Arbeit zu 90% ruhte. Zur Reduzierung der Time‐to‐Market bildete Hallmark ein Team aus Künstlern, Schriftstellern, Marketing‐ und Fertigungsspezialisten. Es gelang der Gruppe, eine neue Karte innerhalb von knapp sechs Monaten den Kunden anzubieten. Die Arbeit wurde vom Ergebnis aus reorganisiert und bezog sich nicht länger auf speziali‐ sierte Funktionsbereiche (wie Vertrieb oder Fertigung).
Kodak als Positiv‐ beispiel
Auch Kodak setzte Reengineering erfolgreich ein. Das Unternehmen durchbrach seine originär funktionale Organisationsstruktur. Vielmehr entwickelte Kodak eine Prozessorganisation. Mit dem Ergebnis einer drastischen Kostenreduzierung: Die zuvor 20%ige Budgetüberschrei‐ tung wandelte sich zu einer 15%igen Kostenunterschreitung in der Jah‐ resplanung. Ebenso halbierte sich bei Kodak die durchschnittliche Bear‐ beitungszeit pro Auftrag. Dennoch war Kodak dazu gezwungen, einen tiefgreifenden Wandel zum Spezialisten für Digitaldruck zu vollziehen.
114
Business Reengineering
B.4 Abbildung B.4
Komponenten des Business Reengineerings
Renewing (Erneuerung)
Revitalizing (Revitalisierung)
„Zeige den Menschen, dass sie wich‐
„Krempel die Organisation um und
tig sind und mache sie fit“
schneide alte Zöpfe ab“
Reframing (Einstellungen)
Restructuring (Restrukturierung)
„Schlage andere Wege ein und wirf
„Räume das Programmportfolio auf
altes Denken über Bord“
und setze auf neue Karten“
Doch die Resonanz der Unternehmenspraxis auf Business Reenginee‐ ring fällt unterschiedlich aus. Während Rolls‐Royce und Mastercard gute Erfahrungen mit dem Business Reengineering sammelten, zeigt eine Studie von Arthur D. Little, dass circa 50% der Anwender mit dem An‐ satz unzufrieden sind und sich vom Business Reengineering abwenden (vgl. Werner 2013a, S. 19). Das Misslingen wird vor allem damit begrün‐ det, dass die eigenen Mitarbeiter nicht bereit oder in der Lage sind, sich einer signifikanten Veränderung anzupassen. Außerdem würden Reen‐ gineering‐Projekte teilweise schlichtweg zu spät eingeleitet. Die Consul‐ ting‐Gesellschaft Kurt Salmon Associates bescheinigt dem Business Reen‐ gineering sogar eine Floprate von nahezu 75% (vgl. Werner 2013b, S. 39).
B.4.2
Alles auf eine Karte setzen…
Auswirkungen auf das Supply Chain Management
Das Supply Chain Management profitiert davon, dass beim Business Reengineering sämtliche Haupt‐ und Teilprozesse in Frage gestellt wer‐ den. Überhöhte Lagerbestände überdecken vielfach fehlerhafte Prozesse. Möchte ein Unternehmen seine Tätigkeiten gemäß der Philosophien von Just‐in‐Time oder Just‐in‐Sequence abwickeln, werden diese Missstän‐ de zwingend aufgedeckt. Für die Realisierung von Just‐in‐Time und Just‐in‐Sequence muss die Zusammenarbeit zwischen den Partnern innerhalb der internen und der übergreifenden Wertschöpfungskette funktionieren. Beim Vorhandensein von Problemen an den Schnittstellen
115
Steigerung der Transparenz
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
werden Zwischenlager eingerichtet und die Sicherheitsbestände (Notre‐ serven) erhöht. Es sind Maßnahmen einzuleiten, welche der Philosophie von JiT und JiS widersprechen. Mit Hilfe von Business Reengineering können diese Schwachstellen automatisch aufgedeckt und bearbeitet werden. Revision der Grundsatzphiloso‐ phie
Ein weiterer Punkt betrifft den Überwachungsaspekt in der Supply Chain. Traditionell findet in der Wareneingangskontrolle eine Überprü‐ fung von Sachnummern statt. Die Teile werden hinsichtlich ihrer Quan‐ tität und Qualität durch Sichtkontrolle, Zählen oder Wiegen überprüft. Nach ihrer Identifizierung landen mangelhafte Vorräte im Sperrlager. Das System ist nach dem Motto aufgebaut: „Traue keinem Lieferanten!“. Business Reengineering könnte ein neues Denken unterstützen. Durch die intensivierte Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern wird das Ziel verfolgt, eine Wareneingangskontrolle abzuschaffen (Lieferantenin‐ tegration). Eigene Mitarbeiter sind zu den Lieferanten zu entsenden, um die Anforderungen der Hersteller frühzeitig weiterzugeben (Resident Engineering). Mit den Lieferanten wird ein auf Dauer ausgelegtes Ver‐ trauensverhältnis gesucht, wofür die einzelnen Arbeitsschritte und die IT‐Systeme aufeinander abzustimmen sind. Mit einer fertigungssyn‐ chronen Belieferung, die direkt an der Montage ansetzt, ist eine potenzi‐ elle Bestandsreduzierung verbunden.
Business Re‐ engineering einer Strickmaschine
Zum Beispiel (vgl. Werner 2013a, S. 33) führte Stoll, ein deutscher Her‐ steller für Textilmaschinen, ein Business Reengineering in seiner Supply Chain durch. Für die Strickmaschine „CMS Selectanit“ wurden die Be‐ schaffungs‐ und die Fertigungsprozesse heruntergebrochen und die Teilevielfalt reduziert. Ein integrales Gussteil ersetzt jetzt in der Strick‐ maschine den bisher verwendeten Schlitten, welcher fünf unterschiedli‐ che Sachnummern in sich vereinte. Außerdem senkte Stoll bei der Ferti‐ gung seiner Nadelbetten die Anzahl der Arbeitsgänge von 260 auf 68. In der Montage wurden die Arbeitsplätze neu angeordnet (reorganisiert). Seit dieser Zeit sind die Teile nicht länger in Kisten und unsortiert, son‐ dern unverpackt sowie in definierter Reihenfolge zu liefern. Stoll sparte pro Montagevorgang 30% an Zeit ein. Insgesamt reduzierte sich die Durchlaufzeit um 20 Arbeitstage (von 50 Tagen auf 30 Tage). Die Länge des Materialflusses betrug 1.000 km/Jahr. Sie verkürzte sich durch Busi‐ ness Reengineering um 50%. Schließlich verringerte sich die Kapitalbin‐ dung um fast 60%.
116
Time Based Competition
B.5
Time Based Competition
Time Based Competition ist ein Managementansatz, bei dem der Wett‐ bewerbsfaktor Zeit dominiert. Zu Beginn der 90er Jahre wurde die Be‐ deutung der Erfolgsgröße Zeit insbesondere von Stalk und Hout (vgl. Stalk/Hout 2003) aufgegriffen. Sie erkannten, dass sich die Entstehungs‐ zyklen von Produkten verlängerten, parallel jedoch die eigentlichen Marktzyklen der Produkte in vielen Branchen kürzer wurden. Ein Prob‐ lem, das im Folgenden näher untersucht wird.
B.5.1
B.5 Den Zeitdieben auf der Spur
Charakterisierung
Mit dem Ansatz Time Based Competition korreliert das Pionier‐ Follower‐Management. Begriffsblock B.II fasst die Charakteristika von Pionieren, Frühen Folgern und Späten Folgern zusammen. Der Pionier (First Mover) agiert proaktiv‐offensiv und geht Risiken ein. Außerdem schöpft der Pionier frühzeitig Produzentenrente ab und fixiert, zumin‐ dest temporär, den Trend. In Anlehnung an Porter, agieren Pioniere häu‐ fig als Differenzierer. Ein First Mover erlangt ein frühzeitiges Know‐how über den Markt und nutzt Imagevorteile aus. Außerdem setzt er Stan‐ dards in der Branche, gewinnt Markentreue und generiert Eintrittsbarri‐ eren (z. B. über seine Preisstrategie). Etwaige Probleme für einen First‐ to‐Market resultieren insbesondere aus technischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten, hohen Markterschließungskosten, Qualitätsmängeln (technisch unausgereifte Produkte) und dem Risiko der richtigen Be‐ darfsabschätzung. Ein Beispiel für einen First Mover im Segment der Smartphone‐Technologie stellt Apple dar. Wenn es bei Handys um die Nutzung Künstlicher Intelligenz geht, setzt Huawei derzeit Standards.
Den optimalen Zeitpunkt für den Marktzugang finden: Innovative First Mover
Frühe Folger (Early Mover) werden auch als Second‐to‐Market bezeich‐ net. Sie fahren keine reine Imitationsstrategie, sondern versuchen, die Leistungen des Pioniers weiter zu entwickeln, um eigene Standards zu generieren. Frühe Folger setzen alles daran, den First Movern auf lukra‐ tiven Märkten frühzeitig die Renten abzujagen. Sie nutzen konsequent die Markterschließungsaktivitäten des First‐to‐Market. Gleichzeitig vermeiden sie dessen Fehler (Reduzierung von Sunk Costs und Swit‐ ching Costs). Probleme ergeben sich für den Early Mover indem für ihn keine Monopolvorteile mehr bestehen und der Pionier schon Industrie‐ standards implementiert hat. Beispielhaft für einen bewussten Second‐ to‐Market im Segment der Mobiltelefone steht Samsung.
Sandwich‐Position von Second Mo‐ vern
117
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Reaktiv‐defensive Third‐Mover
Die Späten Folger (Late Mover) hingegen agieren reaktiv‐defensiv. Third‐ to‐Market scheuen grundsätzlich Marktrisiken. Häufig bearbeitet ein Late Mover Nischen und lernt aus den Fehlern der First und der Second Mover, deren Leistungen er adaptiert oder kopiert. Späte Folger setzen konsequent auf die Kostenführerschaft‐Strategie Porters. Sie nutzen die Transparenz des Marktes. Eine Flop‐Gefahr für ihre Produkte besteht kaum mehr. Von Late Movern werden keine Innovationen erwartet. Ihre Verkaufspreise sind relativ gering (minimaler Forschungs‐ und Entwick‐ lungs‐Aufwand, ausgeprägte Fixkostendegression in der Fertigung). Schwierigkeiten ergeben sich für Späte Folger, indem nur ein begrenztes Marktpotenzial vorliegt (sie operieren vornehmlich in reifen Branchen), Marketing‐Maßnahmen kaum mehr sinnvoll einsetzbar sind (Überflu‐ tung der Märkte) und Käufer schon ihre Präferenzen in Richtung First Mover und Second Mover abgegeben haben. Wiederum auf das Feld der Smartphone‐Hersteller bezogen, sind Wiko, Oppo, Meizu oder OnePlus Beispiele für Späte Folger.
Begriffsblock B.II
Pionier‐ und Follower‐Management
First Mover (Pionier) Proaktiv‐offensiv
Second Mover (Früher Folger) Weiterentwicklung von Pionierleistungen
Third Mover (Später Folger) Reaktiv‐defensiv
Geht sehr hohe Risiken ein Geht hohe Risiken ein
Risikoscheu
Setzt Marktzutrittsbarrie‐ ren
Bearbeitet konsequent Nischen
Setzt eigene Standards
Schöpft Produzentenrente Niedrige Sunk Costs und ab Switching Costs
Lernt aus den Fehlern von Pionieren und Frühen Folgern
Fixiert den Trend („Trend‐ setter“)
Modifiziert den Trend („Imitatorischer Innova‐ tor“)
Adaptiert den Trend („Me‐ too‐Produkte“)
Beispiel Smartphone: Apple, Huawei
Beispiel Smartphone: Samsung
Beispiel Smartphone: Wiko, Oppo, Meizu
118
Time Based Competition
B.5.2
B.5
Beschleunigungsmanagement
Im Umgang mit der Schlüsselgröße Zeit wird zumeist die Möglichkeit einer Beschleunigung von Abläufen untersucht. Begriffe wie Capabilities of Time, Speed Management und High Speed Management haben sich in den letzten Jahren in Theorie und Praxis etabliert. Vor allem mit Hilfe von Simultaneous Engineering und Rapid Prototyping wird die Pro‐ duktentwicklung forciert. Bei der Verkürzung der Marktzugangszeiten (Time‐to‐Market) werden große Erfolge verzeichnet, was die nachste‐ henden zwei Beispiele untermauern (vgl. Block b.1).
Verkürzung der Time‐to‐Market
“Said ‘race against time’, thought it was clever, time is immortal and we’re forever…“ (GBH)
Beispielblock b.1
Die Boeing Aerospace Corporation benötigte für ihre Konstruktions‐ zeichnungen über zwei Wochen. Mittels computergestützter Design‐ techniken schafft es Boeing heute, Konstruktionspläne in nur 38 Minu‐ ten zu erstellen.
Ein weiteres Beispiel ist der japanische Multikonzern Panasonic. Die Fertigungszeiten ihrer Waschmaschinen verkürzte das Unternehmen von 360 Stunden auf zwei Stunden.
B.5.2.1
Simultaneous Engineering
Simultaneous Engineering (vgl. Anderson 2020; Bullinger 2013; Dixius 2013; Eversheim/Schuh 2004; Hartley 2017) bedeutet eine Abkehr von der sequentiellen Produktentwicklung. Bei dieser resultiert die Gefahr von Verzögerungen daraus, dass erst mit dem vollständigen Abschluss einer Phase der Übergang zur nächsten Stufe möglich ist. Außerdem koope‐ rieren die Abteilungen kaum miteinander. Die Arbeit eines Bereichs wird nach ihrer Fertigstellung einer nächsten Abteilung, und zwar weit‐ gehend unabgestimmt, quasi „über die Wand“ geworfen („Over‐the‐ Wall‐Syndrom“). Die Folge sind zeitintensive Nachbesserungen.
Traditionelle Pro‐ duktentwicklung
Mit Hilfe von Simultaneous Engineering (synonym „Concurrent Engi‐ neering“) können diese Probleme umgangen werden. Der Ansatz wurde in der japanischen Automobilindustrie entwickelt. Es ist ein Experten‐ team aus unterschiedlichen Funktionsbereichen zu bilden, das aus circa zehn Personen besteht („Joint‐Working‐Group“). Die Größe des Teams hängt aber letztendlich von der Komplexität der zu bewältigenden Auf‐ gabe ab. Der Vorsitzende berichtet in der Regel direkt an das Manage‐
Kernaussagen von Simultaneous Engineering
119
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
ment. In die Gruppe können Lieferanten und Kunden eingebunden sein (Resident Engineering). Die Entwicklungsabschnitte sind nicht länger isoliert, sondern integriert zu betrachten. Simultaneous Engineering bedeutet die zeitlich parallelisierte Bearbeitung von Aufgaben in einem interdisziplinären Team unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfakto‐ ren Zeit, Kosten, Qualität, Agilität, Innovation und Service. Zur Kom‐ munikation der Mitglieder untereinander bieten sich vorzugsweise mo‐ derne Groupware‐Lösungen an. Experten unter‐ schiedlicher Berei‐ che arbeiten zu‐ sammen
Beispielblock b.2
Experten aus unterschiedlichen betrieblichen Funktionseinheiten (Logis‐ tik, Einkauf, Marketing, Entwicklung, Konstruktion, Qualität oder Con‐ trolling) bringen ihre Fachkompetenz zielgerichtet in dieser Gruppe ein. Zeitliche Parallelisierung bedeutet, dass beispielsweise die Marketing‐ aktionen weit vor dem eigentlichen Serienanlauf angestoßen werden, wozu bereits vorhandene Prototypen genutzt werden können. Es findet ein Wissensaustausch „auf hohem Niveau“ statt, der eigene Gedanken‐ horizont wird durch die Transdisziplinarität der Gruppe erweitert. Mit Simultaneous Engineering kann die Time‐to‐Market deutlich verkürzt werden, was einige Beispiele aus Block b.2 verdeutlichen.
Simultaneous Engineering
Kodak reduzierte durch die Nutzung von Simultaneous Engineering die Produktentwicklungszeit der Kamera „Funsaver“ um 50%.
Die Zeiteinsparung von Fuji betrug bei der Entwicklung des Kopier‐ geräts „FX 3500“ über 30%.
AT & T benötigte ursprünglich zwei Jahre für die Entwicklung eines neuen Telefons. Durch Simultaneous Engineering wurde diese Zeit‐ spanne auf unter sechs Monate gedrückt.
Hewlett‐Packard gelang es schließlich, die Entwicklungszeit eines neu‐ en Druckers von 54 Monaten auf 15 Monate zu senken.
Beispiel „Industrie‐ roboter“
Für ein Supply Chain Management ist die Reduzierung von verwende‐ ten Bauteilen durch Simultaneous Engineering von Bedeutung. Das deutsche Unternehmen Reis Robotics hat Simultaneous Engineering in über 20 Projekten eingesetzt. Eines dieser Vorhaben war die Entwick‐ lung des neuen Industrieroboters mit Knickarm. Reis Robotics senkte die Anzahl der Bauteile an den sechs Gelenken des Roboters um 50%. Das Unternehmen führt diesen Effekt primär auf Simultaneous Engineering 120
Time Based Competition
B.5
zurück (vgl. Werner 2013a, S. 15). Reis Robotics aus Obernburg am Main ist nach erfolgter Übernahme heute ein Teil von Kuka, einem der welt‐ weit führenden Anbieter für Robitik, sowie Anlagen‐ und Systemtech‐ nik. Kuka ist einer der Pioniere von Industrie 4.0 Bei den Zahlenangaben in obigen Beispielen ist jedoch zu beachten (und dies gilt letztlich für sämtliche aufgeführten Beispiele in diesem Buch), dass diese Werte immer nur ceteris paribus gelten: Wenn Nutzeneffekte zwischen einem frühen Zeitpunkt ohne und einem späteren Zeitpunkt mit Instrumenteneinsatz (hier: Simultaneous Engineering) festgestellt werden, ist streng genommen ein Vergleich nur haltbar, wenn in dem betrachteten Zeitraum keine weiteren Veränderungen eingetreten sind. Diese Forderung stellt für die Praxis sicherlich eine heroische Prämisse dar, die nur selten erfüllt sein dürfte. Folgende Probleme können sich bei Simultaneous Engineering einstellen:
Durch das interdisziplinäre Vorgehen reduziert sich der Kontrollme‐ chanismus zwischen den Abteilungen. Wenn sich die originär im Team erarbeiteten Hypothesen später als nicht korrekt herausstellen, hat die gesamte Gruppe in die falsche Richtung gearbeitet. Daraus re‐ sultieren hohe Änderungskosten (Switching Costs) sowie Zeitverzö‐ gerungen.
Eine weitere Schwierigkeit von Simultaneous Engineering ist seine Schwerfälligkeit. Beim Aufkommen unterschiedlicher Meinungen in der Gruppe, kann der Teamvorsitzende zwar ein forciertes Vorgehen einfordern. Er wird aber bei konträren Vorstellungen der beteiligten Personen auf offene sowie verborgene Widerstände stoßen.
Für die in das Team entsandten Mitarbeiter ist deren dortige Mitarbeit eine echte Belastungsprobe: Auf Grund physischer und psychischer Überforderung kann es zum Burn‐Out kommen. Einige Menschen ge‐ raten regelrecht zwischen die Fronten, wenn sie zeitgleich sowohl im Simultaneous‐Engineering‐Team als auch in ihrer Herkunftsabteilung arbeiten.
Schließlich befürchten einige Kunden durch die Bildung eines unter‐ nehmensübergreifenden Teams für Simultaneous Engineering den Abfluss von Wissen an ihre Lieferanten. Dies gilt insbesondere, wenn ein Mitarbeiter eines Lieferanten (Resident Engineering) temporär in das Simultaneous‐Engineering‐Team eingebunden war.
121
„Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung.“ (L. da Vinci)
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
B.5.2.2
Rapid Prototyping
Abkehr von der konventionellen Produktentwick‐ lung
Rapid Prototyping ist ein CAD‐gestütztes, iteratives Verfahren, welches die traditionelle Erstellung von Prototypen revolutioniert hat (vgl. Becker 2020; Berger/Hartmann 2019). Synonym wird Rapid Prototyping als „ge‐ neratives Fertigungsverfahren“ bezeichnet. Rapid Tooling ist die Nutzung des Verfahrens speziell im Werkzeugbau, Rapid Manufacturing bezieht sich auf die Konstruktion einzelner Fertigteile. Rapid Prototyping ist eine additive Fertigungstechnik, mit der Modelle mit dem Ziel konstru‐ iert werden, Ideen zu visualisieren, Aspekte zur Lösungsfindung zu erkunden und ein vorläufiges Arbeitsergebnis systematisch auszutesten. Es können mit dem Verfahren verschiedene Arten von Prototypen her‐ gestellt werden: Design‐Prototypen (Optik), Ergonomie‐Prototypen (Anwendungen), Funktions‐Prototypen (Eigenschaften), Proportions‐ Prototypen (Größenverhältnisse) und Technische‐Prototypen (Funktio‐ nen).
Weite Verbreitung des Verfahrens
Eine zunehmende Bedeutung von Rapid Prototyping wird durch die Zahlen der Euromold deutlich. Die Euromold ist die weltweit bedeutsams‐ te Fachmesse für Werkzeug‐ und Formbau, Design sowie Produktent‐ wicklung. Seit 1993 wird sie jährlich veranstaltet. Über Frankfurt und Düsseldorf ist die Euromold mittlerweile nach München umgezogen. Von den circa 1.300 Ausstellern im Jahr 2019 haben sich allein über 600 Un‐ ternehmen mit dem Spezialgebiet Rapid Prototyping beschäftigt. In Begriffsblock B.III finden sich ausgewählte Techniken des Rapid Proto‐ typings.
Gleichzeitige Ver‐ besserung mehrerer Schlüsselgrößen
Die Anschaffungskosten für Anlagen zur Durchführung von Rapid Prototyping differieren sehr. Sie reichen von einigen Hundert Euro (ein‐ fache Drucker für 3‐D‐Printing) bis weit über 200.000 Euro (stereolitho‐ graphische Apparaturen). Die Zeiteinsparungspotenziale durch die Anwendung des Verfahrens werden zwischen 30% und 70% beziffert. Der Automobilindustrie ist es beispielsweise gelungen, die Erstellung von Prototypen, verglichen mit konventionellen Techniken, um das 22fache zu beschleunigen. Mittlerweile sind auch komplizierte Formen durch Rapid Prototyping herzustellen. Das Verfahren zeichnet sich durch seine Reagibilität aus, indem Änderungen direkt am PC erfolgen. Zum Beispiel hat Porsche für seinen „GT1“ die Strömungsuntersuchun‐ gen für den neuen Kühlmantel des Fahrzeuges durch Rapid Prototyping optimiert. Wenige Monate später gewann der „GT1“ das 24‐Stunden‐ Rennen von Le Mans.
122
Time Based Competition
B.5 Begriffsblock B.III
Ausgewählte Techniken des Rapid Prototypings
Stereolithographie: Sie ist eine weit verbreitete Industrietechnik. Flüssige Photopolymere (lichtempfindliche Kunststoffharze) werden selektiv gehärtet. Die CAD‐gestützten Geometriedaten sind auf einen Steuerrechner zu übertragen. Anschließend beginnt der Slice Process. Darunter ist die Zerlegung des kompletten Modells in dünne, hori‐ zontale Schichten (mit Übertragung auf den Laser) zu verstehen. Der Laserstrahl wird senkrecht auf eine mit flüssigem Harz gefüllte Wan‐ ne gerichtet. Schichtenweise findet die Härtung der Masse statt. Das Resultat ist ein fertiger, dreidimensionaler Prototyp.
Laminated Object Manufacturing: Dünne Papierschichten werden durch einen Heißkleber aufeinander laminiert. Eine spezielle Ma‐ schine schneidet anschließend mit einem Laserstrahl die zuvor im Computer definierte Kontur aus. Die Geometriedaten werden mit Hilfe von CAD erstellt.
Hauptvariante in der Industrie
CAD‐gestützte Klebetechnik
3D‐Printing: Bei diesem Verfahren leitet sich der schichtweise Auf‐
Verfahren mit bau ebenfalls aus CAD ab. Ausgangsbasis ist ein Garanulat‐ oder großen Zu‐ Kalkpulverbett. In dem 3D‐Drucker werden die Pulverteilchen durch kunftspotenzialen einen extern eingespritzten Binder miteinander verklebt. Im nachge‐ schalteten Prozessschritt wird der Binder wieder ausgetrieben und das überschüssige Granulat (oder Kalkpulver) abgesaugt. Die Aus‐ gangsmasse steht dann für einen erneuten Druckvorgang bereit. Das 3D‐Printing erfährt derzeit einen großen Hype, der sich bis in privat‐ wirtschaftliche Bereiche erstreckt (B2C‐Segment). Es ist das günstigste und das schnellste Verfahren. Unterschiedlichste Materialen können mittlerweile gedruckt werden (Metalle, Kunststoffe, Keramik etc.).
Laser‐Sintern: Wiederum wird die Zeichnung durch CAD generiert. Der Laserstrahl richtet sich beim Sintern auf einen Behälter, der mit Sand und Metallpulver gefüllt ist. Ein gebündelter Lichtstrahl (ein rund 100 Watt starker Kohlendioxid‐Laser) zeichnet die Konturen in den Sand und das Metallpulver, er härtet schichtenweise die Masse. Die Geschwindigkeit des Lichtstrahls beträgt zwischen 100 und 500 Millimeter pro Sekunde.
Robuste Prototy‐ pen
Schwierigkeiten von Rapid Prototyping können daraus resultieren, dass die Prototypen zwar für eine Fallstudie im Windkanal prädestiniert sind, jedoch im Crash‐Test versagen. Außerdem sind die Teile zu leicht, um durch sie die Einhaltung des zulässigen Gesamtgewichts zu be‐
123
Probleme von Rapid Prototyping
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
stimmen. Schließlich sind die hergestellten Teile sehr zerbrechlich (vgl. z. B. aus Granulat gedruckte Prototypen durch 3‐D‐Printing). Dies sind die At‐ trappen der Zu‐ kunft
Neuerdings werden Prototypen nicht länger physisch hergestellt. Mo‐ derne Varianten der CAD‐gestützten Prototypengenerierung sind Digi‐ tal Mock‐up und Virtual Reality (Virtual Prototyping). Digital Mock‐ ups (künstliche „Attrappen“) werden im Rechner wirklichkeitsgetreu nachgebildet. Klassische Einsatzbereiche sind die Bauteilberechnung und die Computersimulation. Für die Supply Chain sind künstliche Mock‐ups durchaus von Interesse. Beispielsweise können Bauraumana‐ lysen (zur optimalen Raumnutzung) oder Montageabläufe am Rechner simuliert werden. Bereits in der Konstruktionsphase lassen sich ver‐ schiedene Montagetechniken virtuell miteinander vergleichen. Wenn ein gesamter Materialfluss über einzelne Mock‐ups simuliert wird, be‐ schreibt dies ein Virtual Reality (Virtual Prototyping). Mit Hilfe dieses Verfahrens können alternative Szenarien nach Entscheidungskriterien – wie Instandhaltungszeiten, Stillstandzeiten, Lagerzeiten oder Wartungs‐ intervallen – durchgespielt werden. Auf Grund dieser digitalen Modelle hat sich beispielsweise in der Automobilindustrie die kostenintensive Generierung physischer Prototypen in den letzten Jahren halbiert. Die Nutzer tragen Datenbrillen, mit denen sie ihre reale Umwelt nicht mehr wahrnehmen. Die virtuelle Welt kann gesehen, gehört und gespürt wer‐ den (Industrieanwendungen, 3D Gaming, Schulungen).
B.5.3 Mut zur Langsam‐ keit: Den Fuß vom Beschleunigungs‐ pedal…
Entschleunigungsmanagement
Der Erfolgsfaktor Zeit wird in der Regel wenig differenziert betrachtet. Die Unternehmen einiger Branchen steigerten sich in den letzten Jahren in eine wahre „Beschleunigungseuphorie“. Nur selten werden die Mög‐ lichkeiten einer bewussten Entschleunigung analysiert. Das japanische Ministry of International Trade and Industry (MITI) erkannte die Gefahren des ungebremsten Entwicklungsfiebers und warnte die japanische Au‐ tomobilbranche und die audiovisuelle Industrie unlängst davor, die Zeitspanne Concept‐to‐Cash weiter zu verkürzen. Die Prozesse der Substitution nehmen mittlerweile Dimensionen an, die vor einigen Jah‐ ren undenkbar schienen: Der Produktlebenszyklus eines Flat‐TV beträgt derzeit kaum noch sechs Monate. Eine Laptopgeneration veraltet bereits nach ähnlich kurzer Zeit. Für den Konsumenten lassen sich kaum noch produktspezifische Charakteristika ausmachen, die Produkte kannibali‐ sieren sich mittlerweile gegenseitig.
124
Time Based Competition
B.5.4
Supply Chain Engineering
Unter einem Supply Chain Engineering wird nachstehend eine Supply‐ Chain‐gerechte Produktentwicklung verstanden (synonym auch „Supp‐ ly Chain Driven Product Development“ oder „Design for Supply Chain“). Ein Supply Chain Engineering umfasst sechs Bausteine: Vielfalt der Varianten, Konfiguration der Teile, Auswirkungen auf die Beschaf‐ fungsplanung, Bedingungen für Lagerung und Transport, Komponenten der Verpackung sowie Zusammensetzung der Erzeugnisse (vgl. Pawellek et al. 2005; Schulte 2017, S. 400ff.).
B.5.4.1
B.5 Logistikgerechte Produktentwick‐ lung
Vielfalt der Varianten
Im Rahmen der Festlegung der Variantenanzahl ergeben sich eine Reihe von Zielkonflikten (Trade‐offs) innerhalb einer Organisation: Aus Sicht des Supply Chain Managements sollte das Spektrum der zu entwi‐ ckelnden Varianten überschaubar bleiben: Jede neu konzipierte Sach‐ nummer muss schließlich auch logistisch verwaltet werden. Vielfältige administrative Tätigkeiten (wie das Anlegen der Sachnummer im Teile‐ stamm) treiben bekanntlich die Prozesskosten in die Höhe.
Viele Varianten als logistisches Desas‐ ter
Der Vertriebsmitarbeiter wird hingegen eine Variantenvielfalt schätzen. Dadurch kann er seinen Kunden unterschiedliche Produktvarianten vorlegen, neue Märkte erschließen und sich gegenüber dem Wettbewerb positionieren. Vielleicht trifft eine der angebotenen Alternativen exakt die Wünsche des Kunden und führt zum Vertragsabschluss.
Dem Kunden alternative Varian‐ ten offerieren
Die Entwicklung der Produktalternativen entspricht möglichst dem Grundsatz eines modernen Variantenmanagements: Maximierung der nach außen durch den Kunden wahrgenommenen Variantenvielfalt bei gleichzeitiger Minimierung der intern eingesetzten Anzahl an Teilen, Baugruppen oder Komponenten. Die Auslotung dieses Balanceakts kann zur Herkulesaufgabe geraten. Denn es ist nicht leicht, den richti‐ gen Grad an Produktindividualisierung zu treffen. Wird diese Schraube überdreht, ergeben sich negative logistische Effekte (der Aufwand für das Handling der Sachnummern steigt). Zur Lösung dieses Spagats zwischen Standardisierung und Individualisierung kann der Hybridan‐ satz Mass Customization (vgl. S. 164) eingesetzt werden. Die Modul‐ bauweise erfolgt quasi aus dem Baukasten heraus (begrenzte Varianten‐ anzahl) und wird durch den kundenindividuellen Zuschnitt der Pro‐
Mass Customizati‐ on als Lösungsan‐ satz
125
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
duktalternativen dennoch den speziellen Wünschen der Kunden gerecht (große Variantenanzahl).
B.5.4.2
Konfiguration der Teile
„Man ist niemals zu schwer für seine Größe, aber man ist oft zu klein für sein Gewicht.“ (G. Fröbe)
Schon in der Produktentwicklung werden mit der Teilekonfiguration die Weichen für logistische Folgeentscheidungen gestellt. Das Gewicht, das Volumen und die Form von Sachnummern beeinflussen spätere Distri‐ butions‐, Kommissionierungs‐ und Lagerungsvorgänge. Beispielsweise hängen die Auswahl der Ladungsträger und das manuelle Handling von Produkten von ihrer Beschaffenheit ab. Leichte Produkte sind ein‐ facher in der Handhabung und benötigen weniger Hilfe beim Umladen, Bewegen oder Umschlagen. Die Faustregel lautet: Durch die Verwen‐ dung von Standardgrößen (beispielsweise der Ladungsträger) und die Vermeidung von Sperrigkeit werden die Logistikkosten gesenkt.
Standardisierte Bauteile entwickeln
Aber auch die Bauweise der Teile beeinflusst die nachfolgende Logistik: Bei einer Integralbauweise erfolgt die Konstruktion aus wenigen Sach‐ nummern (z. B. Gussteile), die eine hohe Komplexität auszeichnet. Folg‐ lich benötigen integrale Teile besondere Verpackungen und viel Platz zur Lagerung. Bei Differenzialteilen hingegen werden einfach zu produ‐ zierende Komponenten zu einem fertigen Bauteil montiert. Auf Grund der Vielzahl von Einzelsachnummern benötigen differentiale Bauteile einen großen logistischen Steuerungsaufwand. Außerdem lassen sich symmetrische Bauformen besser in Bearbeitungsmaschinen einspannen als Differenzialteile (Minimierung der Bearbeitungsvorgänge).
Unempfindliche Oberflächen er‐ leichtern das logis‐ tische Handling
Auch die Oberflächenbeschaffenheit konstruierter Teile wirkt sich auf logistische Folgeentscheidungen aus: Für stoßempfindliche Oberflächen müssen besondere Schutzmaßnahmen eingeleitet werden (weiche Unter‐ lagen, zusätzliches Verpackungsmaterial, erhöhter Transportaufwand). Auch wirkt sich die Oberflächenbeschaffenheit von Materialen auf den Verpackungsprozess aus: Unempfindliche Oberflächen können häufig automatisiert verpackt werden. Besondere Spielregeln gelten für Gefahr‐ stoffe und Gefahrgut. Sie verursachen hohe Kosten für Verpackung, Lagerung und Transport (vgl. Schulte 2017, S. 402).
B.5.4.3 Einfache Beschaf‐ fungsplanung garantieren
Auswirkungen auf die Beschaffungsplanung
Das Supply Chain Engineering beeinflusst die Beschaffungsplanung nachhaltig. Dies betrifft insbesondere die Lieferantenauswahl, die Wie‐ derbeschaffungszeit der Materialien sowie die Integration von Lieferan‐
126
Time Based Competition
B.5
ten. Für die Lieferantenauswahl (Sourcing‐Entscheidung) gilt, dass die Raten entwicklungstechnischer Restriktionen und spezieller Konfigura‐ tionen das Spektrum möglicher Zulieferer begrenzt. Auch ein patent‐ rechtlicher Schutz engt die Auswahl möglicher Beschaffungsquellen ein. Die Wiederbeschaffungszeit von Einzelteilen ist eng verwoben mit der Integration von Lieferanten. Technische Kompatibilitäten zwischen Herstellern und Lieferanten sind nicht zwingend mit logistischen Zielen deckungsgleich: Während die Technik besonders das Innovationspoten‐ zial von Lieferanten wertschätzt, achtet die Logistik verstärkt auf den Lieferservicegrad des Anbieters.
B.5.4.4
Enge Beziehungen zu Tier 1 Anbietern schaffen
Bedingungen für Lagerung und Transport
Ein zeitgemäßes Supply Chain Engineering berücksichtigt Lager‐ und Transportbedingungen einzelner Teile. Die Ingenieure sollten frühzeitig Komponenten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lagerdauer in ihren entwicklungsspezifischen Überlegungen berücksichtigen. Beson‐ dere Anforderungen ergeben sich für temperaturfühlige Güter. In der Kältelogistik darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden (vgl. S. 56). Temperaturstabile Güter kommen hingegen ohne Isolierung oder Klimaanpassung aus.
Wenn die Kühlket‐ te reißt, können die Folgen dramatisch sein
Im Rahmen der Distribution der Güter sind spezielle Transportlagen zu vermeiden: Werden Produkte in unterschiedlicher Lage transportiert, vermindert sich deren Packungsdichte auf dem Transportmittel, wodurch die Distributionskosten steigen. Auch ist eine Verschachtelung der Bauteile ineinander kaum möglich. Die Verpackungs‐ und die Transportprozesse werden komplizierter, spezielle Sonderhilfsmittel (wie Hängevorrichtungen oder Tragehilfen) sind notwendig.
Ladefläche optimal nutzen
Die Begrenzung der Lagerdauer führt zum Anstieg der Logistikkosten. Wird korrosionsfestes Material eingesetzt, nehmen die Beschaffungs‐ und Produktionskosten zu. Doch lohnen sich diese Zusatzkosten häufig, wenn sich später in den Lagerprozessen Kostenreduktionen ergeben (positive Trade‐off‐Situation).
Total‐Cost‐of‐ Ownership‐ Analyse
B.5.4.5
Komponenten der Verpackung
Eine logistikgerechte Produktentwicklung berücksichtigt frühzeitig verpackungslogistische Folgeentscheidungen. Das Primärziel besteht darin, die Packdichte (Behälterfüllgrad, Stauraumausnutzung) auf den
127
Packdichte gewähr‐ leisten
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Transportmitteln zu optimieren. Grundsätzlich gilt: Je höher die Pack‐ dichte, desto geringer die Transportkosten. Große Mengen an Verpa‐ ckungsmaterial vermindern die Stauraumausnutzung. Schon geringfü‐ gige Änderungen an der Verpackung selbst können zur Vergrößerung der Packdichte führen (Stapelbarkeit, Bauteilabstände, Gewichtsrestrik‐ tionen). Standardisierung schlägt Spezialisie‐ rung
Der Einsatz standardisierter Ladungsträger (Kisten, Kartons, Paletten, Behälter, Container) mit normierten Abmessungen dient der Reduktion von Prozess‐ und Transaktionskosten. Spezialladungsträger sind sowohl in ihrer Anschaffung als auch in ihrem Betrieb teuer. Beispielsweise führen sie zu hohen Reinigungskosten, da Logistikdienstleister ihre Prozesse auf die Nutzung von Standardladungsträgern ausgerichtet haben.
B.5.4.6
Zusammensetzung der Erzeugnisse
Komponentenbau‐ weise nutzen
Schließlich beinhaltet ein Supply Chain Engineering die Entwicklung einer logistikgerechten Zusammensetzung der Erzeugnisse. Die Produk‐ te können in ihrer Struktur auf unterschiedliche Weise verbessert wer‐ den. Beispielsweise beeinflusst die Anzahl der im Produkt verbauten Einzelteile nachhaltig logistische Folgeentscheidungen. Eine hohe An‐ zahl verschiedener Bauteile vergrößert die Lieferantenanzahl. Dadurch gehen Volumeneffekte im Einkauf verloren. Außerdem entstehen hohe Transaktions‐ und Kapitalbindungskosten (vgl. Schulte 2017, S. 403).
Chancen und Risiken von Gleich‐ teilen ausloten
Gleichteile (Mehrfachverwendungsteile) werden in diversen Varianten eines Produkts verbaut (Plattformstrategie). Mit ihrer Verwendung steigt die Einkaufsmacht des Herstellers: es lassen sich in der Verhand‐ lung mit einem Lieferanten Preisvorteile herausschlagen. Der Einsatz von Standardteilen erleichtert die komplette Beschaffungs‐ und Absatz‐ planung. Die Folge sind reduzierte Sicherheitsbestände, die zu positiven Cash‐Flow‐Effekten führen. Es soll allerdings nicht verschwiegen wer‐ den, dass ein Stock‐out von Gleichteilen verheerende Auswirkungen auf die Fertigungsprozesse hat. Dann droht gleich ein mehrfacher Bandstill‐ stand.
Kritische Bauteile möglichst vermei‐ den
Werden hingegen spezielle, kritische Bauteile konstruiert, sieht sich die Ersatzteillogistik (Spare Parts) mit dem Problem konfrontiert, die lang‐ fristige Verfügbarkeit dieser Teile zu sichern. Besonders schwierig ist dieses Ersatzeilmanagement bei kurzen Produktlebenszyklen. Hier geht die Schere zwischen Lebensdauer des Produkts und anschließender
128
Time Based Competition
B.5
Verfügbarkeit von Ersatzteilen besonders auseinander. So befinden sich etliche Notebooks kaum länger als ein halbes Jahr auf dem Markt. Ihre Versorgung mit Ersatzteilen muss hingegen häufig über zehn Jahre ge‐ währleistet sein.
B.5.5
Auswirkungen auf das Supply Chain Management
Der Wettbewerbsfaktor Zeit hat signifikanten Einfluss auf das Order‐to‐ Payment‐S. Für die Optimierung der Supply Chain sind die beiden Mög‐ lichkeiten von Prozessbeschleunigung und Prozessentschleunigung zu untersuchen. Zumeist wird erster Variante der Vorrang eingeräumt, um die Durchlaufzeiten zu verkürzen, was zum Beispiel durch schnelleres Einrichten der Maschinen gelingt. Verbesserungsmaßnahmen sind aber nicht erst im Fertigungsprozess selbst, sondern bereits im vorgelagerten Entstehungszyklus von Produkten und Prozessen zu suchen. In der Produktentwicklung werden die Weichen zur Optimierung von Durch‐ laufzeiten und Rüstzeiten gestellt. Die Maschinen sind fertigungs‐ und montagegerecht zu konstruieren, um die Ansprüche nach Reaktionsfä‐ higkeit und Anpassungsfähigkeit gleichsam zu erfüllen. Eine derart ausgerichtete Produktentwicklung wird als Design‐for‐Manufacturing‐ and‐Assembling (DFMA) bezeichnet. In der Automobilindustrie strebt DFMA – durch die Aufteilung des Fahrzeugs in Baugruppen – nach einer verbesserten Austauschbarkeit von Komponenten. Mercedes bezif‐ fert allein für sein Werk Sindelfingen das jährliche Einsparungspotenzial von DFMA auf 25 Millionen Euro (vgl. Batchelor/Schmidt 2004, S. 25).
Fertigungs‐ und montagegerechte Konstruktion
In schnellen Supply Chains lassen sich Wettbewerbsvorteile erzielen. Dies gilt insbesondere für Innovationsführer („Design Leader“, vgl. S. 52). Unternehmen wie Apple, Nike oder Sony setzen viele Trends. Diese Innovationsführer versuchen Marktzugangsbarrieren aufzubauen, was ihnen auf sehr unterschiedliche Art gelingt:
Design Chain Management
Innovationsführer leiten Economies of Scale (Betriebsgrößenersparnisse) ein, indem sie die Fixkosten auf zunehmende Produktionsmengen verteilen.
Design Leader agieren gemeinsam mit Partnern in der Supply Chain. Dadurch schöpfen sie Economies of Scope aus (Verbundeffekte). Sie for‐ cieren frühzeitig Lieferantenintegrationsprozesse. Beispielhaft stehen dafür System Sourcing oder Modular Sourcing (vgl. S. 180).
129
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Weiterhin generieren innovative Supply‐Chain‐Akteure Dichtevorteile (Economies of Density). Beispielsweise erzielen sie Bündelungseffekte in Industrieparks (wie in Hambach, bei der Fertigung des „Smart“). Aus dieser Agglomeration erwachsen Kostenvorteile („Cost Sharing“).
Außerdem können Innovationsführer Marktzugangsbarrieren über eine aggressive Preispolitik schaffen („Penetration Pricing“), indem sie beispielsweise Betriebsgrößenersparnisse oder Differenzierungsvor‐ teile ausnutzen.
Raising Rivals Costs: Schließlich kann eine Zugangsschranke für einen Markt über abschreckende Maßnahmen errichtet werden. Hiernach verlangt der First‐to‐Market von einem Folger überhöhte Preise für den Gebrauch seiner Kapazitäten: Zum Beispiel in der Telekommuni‐ kation für die Nutzung von Netzen. IT‐ Unterstützung in der Supply Chain gewährleis‐ ten
Für die Zusammenarbeit im Team ist eine adäquate IT‐Architektur zu schaffen. Der interne und der kooperative Know‐how‐Transfer werden durch vernetztes Arbeiten gewährleistet. Kommunikations‐, Dokumen‐ tations‐ sowie Rechercheprozesse in der Supply Chain sollten auf dem Gedanken von Groupware basieren. Dadurch sind Informationsinseln zu vermeiden. Die Mitglieder können auf das identische und stets aktu‐ elle Datenmaterial zurückgreifen. In der Logistikkette realisieren diese Voraussetzungen EDI (Electronic Data Interchange) und Web‐EDI. Im Simultaneous‐Engineering‐Team unterstützen vor allem die Mitglieder der Funktionsbereiche Logistik, Einkauf und Operations die Optimie‐ rung innerhalb der Supply Chain. Sie müssen ihre Anforderungen ge‐ genüber dem IT‐Bereich durchsetzen, welcher die Grundlage für eine IT‐ Anbindung aller Wertschöpfungspartner sichert.
„It’s better to burn out than to fade away…“ (N. Young)
Ein Supply Chain Management kann sich auch auf eine beabsichtigte Entschleunigung von Prozessen beziehen (vgl. in diesem Kontext die Strategien des Postponements auf S. 169). Dies ist beispielsweise mög‐ lich, wenn das Unternehmen über eine Quasi‐Monopolstellung verfügt oder patentrechtlichen Schutz für bestimmte Leistungen genießt. Wer‐ den die mit den Lieferanten und Kunden im Rahmenvertrag vereinbar‐ ten Richtwerte eingehalten, können Hersteller typische logistische Fehler vermeiden: Überlieferungen oder Unterlieferungen von Kunden (abwei‐ chende Liefermengen), unkorrekte Liefertermine, falsche Warenanhä‐ nger (Label), qualitative Defizite der Waren, unkorrekte Lieferorte oder falsche Verpackungen.
130
Verständnisfragen
B.6
Verständnisfragen
Charakterisieren Sie die Triebkräfte des Wettbewerbs und die Strate‐ gien zur Marktbearbeitung nach M. E. Porter. Inwieweit beeinflussen diese Triebkräfte mögliche Entwicklungen innerhalb moderner Supp‐ ly Chains?
Was ist eine Kernkompetenz? Welche Voraussetzungen müssen gege‐ ben sein, dass Kernkompetenzen entstehen können? Nennen Sie drei Praxisbeispiele für die Existenz von Kernkompetenzen aus dem be‐ trieblichen Umfeld.
Kennzeichnen Sie den Market‐Based‐View und den Resource‐Based‐ View in ihren Grundzügen. Wie lassen sich beide Ansätze im GEKKO kombinieren? Stellen Sie in einer Tabelle die Vorteile und die Nachtei‐ le von GEKKO gegenüber.
Charakterisieren Sie die Weiterentwicklung des Resource‐Based‐View zum Relational‐View. Gehen Sie dabei auf spezifische Erweiterungen im Lichte der Supply Chain ein.
Was ist ein Total Quality Management? Gehen Sie näher auf den Be‐ griff ein. Beschreiben Sie die Bedeutung von TQM für zeitgemäße Wertschöpfungsketten.
Wie unterstützen Lean Management und Kaizen Management ein To‐ tal Quality Management? Charakterisieren Sie in Stichpunkten Lean Management und Kaizen Management. Inwiefern beeinflusst ein To‐ tal Quality Management die Ausgestaltung einer Supply Chain?
Zeigen Sie Möglichkeiten und Grenzen des Business Reengineerings auf. Beschreiben Sie die vier „Re’s“ des Business Reengineerings. Wel‐ che Gefahren messen Sie einem Reengineering bei?
Eignet sich eine Bombenwurfstrategie für das Supply Chain Manage‐ ment? Begründen Sie Ihre Aussage. Nennen Sie Gründe, warum im betrieblichen Umfeld durchschnittlich drei von vier Reengineering‐ Projekten scheitern.
Mit Hilfe welcher Strategien und welcher Instrumente können Orga‐ nisationen ihre Time‐to‐Market verkürzen? Charakterisieren sie kurz diese Strategien und Hilfsmittel.
Warum kann in Supply Chains der Einsatz bewusster zeitlicher Ver‐ zögerungsstrategien (Entschleunigung) zur Erzielung von Wettbe‐ werbsvorteilen führen?
131
B.6
B
Einfluss von Führungskonzepten auf die Gestaltung der Supply Chain
Simultaneous Engineering: Beschreiben Sie das Verfahren und zeigen Sie die Unterschiede zu einer Sukzessiven Produktentwicklung auf. Nennen Sie Vorteile und Nachteile von Simultaneous Engineering für die Ausgestaltung einer Wertschöpfungskette.
Rapid Prototyping: Klären Sie den Begriff. Welches sind die wichtigs‐ ten Techniken des Rapid Prototypings? Suchen Sie sich ein solches Verfahren aus und benennen Sie dessen Vorteile und Nachteile stich‐ punktartig in einer Tabelle.
Erklären Sie die derzeitige Euphorie um das 3D‐Printing. Welche Wei‐ terentwicklungen in den nächsten Jahren erwarten Sie von diesem Verfahren?
Resident Engineering: Geben Sie dazu ein Beispiel aus der Automobil‐ industrie an. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile des Verfahrens gegenüberstellen.
Charakterisieren Sie das Instrument Design‐for‐Manufacturing‐and‐ Assembling in seinen Grundlagen. Führen Sie ein Beispiel aus dem betrieblichen Umfeld an. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie Vorteile und Nachteile von DFMA gegenüberstellen.
Nennen Sie Gründe für eine bewusste Entschleunigung in Supply Chains (Postponement‐Strategie). Ziehen Sie im Rahmen Ihrer Erläu‐ terung die Kostenaufwuchskurve heran.
Welches sind die Einflüsse von Time Based Competition auf das Supply Chain Management von Unternehmen? Nennen Sie Vorteile und Nachteile von Beschleunigungs‐Strategien für eine zeitgemäße Supply Chain.
Beschreiben Sie die einzelnen Komponenten eines Supply Chain En‐ gineerings. Wählen Sie einen dieser Stellhebel für eine logistikgerech‐ te Produktentwicklung aus und stellen Sie in einer Tabelle mögliche Vorteile und Nachteile dieses Instruments gegenüber.
132
Lernziele und Vorgehensweise
C.1
C Strategien des Supply Chain Managements
Die unter Kapitel B beschriebenen Führungskonzepte sind eine Platt‐ form für das Supply Chain Management. Basierend auf diesen Ansätzen können in den Lieferketten unterschiedliche Strategien Einsatz finden. Ihre Auswahl hängt von den Besonderheiten der Organisationen ab, wobei sich diese Konzepte in der Supply Chain auf die Versorgung, die Entsorgung und das Recycling von Unternehmensaktivitäten beziehen.
C.1
Lernziele und Vorgehensweise
Das Lernziel von Kapitel C besteht darin, Versorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingstrategien von Wertschöpfungsketten zu beschreiben. Sie gewährleisten den Warenfluss im Order‐to‐Payment‐S. Im weiteren Vorgehen werden die Grundlagen, im Schwerpunkt die Möglichkeit zur Kooperation zwischen Lieferant, Hersteller und Kunde, aufgezeigt. An‐ schließend findet die Kennzeichnung von Versorgungsstrategien statt. Efficient Consumer Response, Customer Relationship Management, Mass Customization, Postponement, Sourcing‐ und Beschaffungsstrate‐ gien, Ersatzteil‐ und Risikomanagement sowie elektronische Lieferket‐ ten und Kognitive Supply Chains stehen im Mittelpunkt. Außerdem sind für ein Supply Chain Management Ansätze von Entsorgung und Recycling zu skizzieren, bevor Verständnisfragen gestellt werden.
C.2
Strategien zur Umsetzung von Führungskonzep‐ ten
Lernziele und Vorgehensweise
Grundlagen
Kooperationsstrategien unterstützen die Funktionen von Versorgung, Entsorgung und Recycling innerhalb zeitgemäßer Lieferketten. Koopera‐ tive Strategien richten sich vertikal oder horizontal aus. Ihre Unterschei‐ dung orientiert sich an den integrierten Wertschöpfungsstufen (vgl. Abbil‐ dung C.1).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_3
133
Formen der Koope‐ ration
C
Strategien des Supply Chain Managements
Vertikale Kooperationsstrategien erfolgen mit vor‐ oder nachgelagerten Wertschöpfungspartnern. Erste beziehen sich auf die Lieferantenin‐ tegration, letzte auf die Kundeneinbindung.
Horizontale Kooperationsstrategien richten sich auf die gleiche Stufe der Wertschöpfung aus. Sie finden zwischen konkurrierenden Partnern statt, häufig in Form strategischer Allianzen. Abbildung C.1
Vertikale und horizontale Kooperation Kooperationsstrategien Vertikale Kooperationen
Horizontale Kooperationen
Kundenkooperation
Strategische Allianz
Lieferantenkooperation
Coopetition
„Nur wo das Geld regiert, in der Kunde König. Wo Materialien knapp sind, ist der Liefe‐ rant ein Fürst.“ (Redewendung)
C.2.1
Vertikale Kooperationsstrategien
C.2.1.1
Lieferantenkooperation
Das Verhältnis zwischen Lieferant und Kunde intensiviert sich seit eini‐ gen Jahren. Der Anbieter wird als „echter“ Wertschöpfungspartner ak‐ zeptiert. Jeder Lieferant bedeutet für den Kunden eine Schnittstelle. Sie bindet Kapazitäten, zum Beispiel für die Steuerung der Disposition. Der Trend geht dahin, dass viele Hersteller ihre Anzahl an Lieferanten (Number‐of‐Active‐Suppliers) insgesamt verringern. So trennte sich der Bekleidungshersteller Steilmann innerhalb eines Jahres von 40% seiner Zulieferer, um dadurch seine Stellung im Wettbewerb zu verbessern. Der britische Lebensmittelhersteller Quaker Oats drückte die Zahl der Zulieferer für Faltkartons von 22 auf gerade einmal zwei. Ebenso redu‐ zierte der Luft‐ und Raumfahrtkonzern EADS seine Lieferantenanzahl, über den Zeitraum von vier Jahren, drastisch (von 3.000 auf 500). Den verbliebenen Lieferanten wurde dabei mehr Verantwortung übertragen.
134
Grundlagen
C.2
Der Anlass zur Einleitung dieser drastischen Maßnahme waren Lie‐ ferverzögerungen des Flaggschiffs „A 380“. Schließlich suchte auch Sony in einem Lieferantenreduzierungsprogramm sein Heil. Das Unterneh‐ men halbierte die Anzahl seiner Lieferanten in zwei Jahren auf 1.200 aktive Anbieter. Die Beschaffungskosten wurden dadurch um 20% her‐ untergefahren. In vielen Branchen überträgt die Industrie den Lieferanten mehr Ver‐ antwortung. Die Lieferanten rücken näher an den Hersteller heran. Sie werden in Industrieparks – vielfach in direkter Nähe des Herstellers, oder auf dem Gelände des Kunden selbst – angesiedelt. Ein Beispiel dafür zeigt Block c.1.
Lieferantenintegration in Hambach
Beispiele zur Liefe‐ rantenreduktion
Beispielblock c.1
In Hambach (Frankreich) fertigt MCC den „Smart“. Dazu hat die Organi‐ sation sieben ausgewählte Lieferanten in Werksnähe in einem Industrie‐ park integriert („Smartville“). Darunter befinden sich Continental und Magna. Die Tagesproduktion beträgt circa 560 Fahrzeuge. MCC wird Just‐in‐Sequence beliefert, wodurch die Sicherheitsbestände vergleichs‐ weise gering sind. Das Werk ist in Kreuzform konzipiert („Montage‐ plus‐Konzept“). Jeder der vier Äste übernimmt verschiedene Logistik‐ und Montageanforderungen: Cockpitintegration in die Stahlkarosse (Ast 1), Hochzeit des Fahrzeugs, indem technische Arbeiten unter dem „Smart“ stattfinden (Ast 2), Verkleidung des Autos mit Panels, Türen und Scheiben (Ast 3) sowie Einbau der Sitze, Zubehörteile und Räder (Ast 4). Dabei ist die Bauweise streng modular. Die jeweiligen Baugrup‐ pen laufen über Fließbänder direkt bis an die Montagestraßen. Diese Struktur benötigt nur wenig Platz. Die maximale Entfernung zwischen Andockstelle pro Lieferant und Montageband beträgt gerade einmal zehn Meter. Der „Smart EQ“ ist die Elektrovariante. Derzeit überlegt sich Daimler, die Produktion des „Smart EQ“ nach China zu verlagern.
Auf Grund der Absicht der Hersteller, die Anzahl ihrer Lieferanten zu reduzieren, reagieren einige Zulieferer mit Verbundstrategien. Zum Beispiel schlossen sich 160 zumeist kleinere Anbieter in Österreich zu dem steirischen Automobilnetzwerk AC Styria zusammen. Der Cluster stellt eine auf die Automobilindustrie gerichtete Symbiose aus Zuliefer‐ unternehmen dar. Heute finden hier über 40.000 Menschen ihren Ar‐ beitsplatz. Mittlerweile ist der Verbund auf 180 Partner angewachsen.
135
Lieferanten koope‐ rieren auch unter‐ einander
C
Strategien des Supply Chain Managements
Der Gesamtumsatz liegt bei über 2 Milliarden Euro per annum. In dem Cluster kooperieren beispielsweise 25 Partner aus Österreich, die Opel in Deutschland mit Teilen beliefern. Sie schöpfen Synergiepotenziale in der Logistik aus und senken die Frachtkosten durch die gemeinsame Nut‐ zung von Flurförderzeugen. Das Projekt der Steirer entlehnt sich der Verbund Initiative Automobil (VIA) in Nordrhein‐Westfalen. Möglichkeiten der Lieferantenintegra‐ tion
Die Hersteller nutzen die Spezialkenntnisse und die Flexibilität der Lie‐ feranten, um ihre eigenen Kapazitäten zu entlasten. Eine Zusammenar‐ beit zwischen Hersteller und Zulieferer kann hinsichtlich der Bindungs‐ intensität sowie des Leistungspotenziales unterschieden werden (vgl. Begriffsblock C.I und S. 187).
Begriffsblock C.I
Möglichkeiten der Lieferantenanbindung
Unterscheidung nach der Bindungsintensität - Systemlieferanten: Sie beliefern den Hersteller direkt (First‐Tier‐ Supplier). Zum Teil wird ihnen die Entwicklungsverantwortung übertragen. Eine Verzahnung mit dem Hersteller ist auf Dauer ausgerichtet, die Bindungsintensität hoch.
- Sublieferanten: Es sind Anbieter der zweiten oder nächsten Ord‐ nung (Tier 2 bis Tier n). Sie sind direkte oder indirekte Lieferan‐ ten eines Systemanbieters und indirekte Zulieferer des Herstellers (OEM). Der Einfluss des Produzenten auf die Sublieferanten ist gering, die Bindungsintensität zwischen den Akteuren niedrig.
Unterscheidung nach dem Leistungspotenzial - Black‐Box‐Lieferanten: Black‐Box‐Lieferanten werden frühzeitig in die Produktentwicklung des Herstellers einbezogen. Das Soll‐ profil definiert dieser im Lasten‐ und Pflichtenheft. Im Rahmen der Realisierung von Anforderungen werden dem Lieferanten Freiheiten eingeräumt, sein Leistungspotenzial ist sehr hoch.
- Detailvorgabelieferanten: Ein Hersteller überlässt dem Detail‐ vorgabelieferanten Zeichnungen und Skizzen. Dieser fertigt nach strikten Anweisungen. Der Detailvorgabelieferant richtet sein Leistungsangebot nach den Rahmen‐ und den Fertigungsbedin‐ gungen des Produzenten aus.
- Kataloglieferanten: Standardteile werden von den Kunden quasi aus einem Katalog abgerufen. Spezifische Wünsche bleiben unbe‐ rücksichtigt. Das Leistungspotenzial des Anbieters ist niedrig.
136
Grundlagen
C.2
Auf S. 119 wurde bei der Beschreibung von Simultaneous Engineering kurz auf die Möglichkeit des Resident Engineerings eingegangen. Lie‐ feranten entsenden eigene Mitarbeiter zum Hersteller. Für die Dauer von zwei bis drei Jahren werden diese in die Produktentwicklung des Herstellers integriert, weil in den frühen Phasen die größten Möglichkei‐ ten zur Beeinflussung der Wettbewerbsfaktoren Kosten, Zeit, Qualität, Flexibilität, Innovation, Nachhaltigkeit und Information bestehen (vgl. Beispielblock c.2).
Was ist ein Resi‐ dent Engineer?
Resident Engineering
Beispielblock c.2
Continental Automotive Systems und Thyssen Krupp entsenden Resident Engi‐ neers nach Wolfsburg zu VW. Diese sind in die Entwicklung eines Triebstrangs für den neuen Golf involviert. Frühzeitig richten die Ingenieure der beiden Zulieferer ihre Aktivitäten auf die Wünsche des Herstellers VW aus.
Zur Verbesserung ihres Supply Chain Managements werden die Ab‐ nehmer aktiv und schulen ihre Lieferanten. Die Kunden versuchen eine Kompatibilität zwischen den Akteuren herzustellen. In die Entwicklung der „Concorde“ bezog Chrysler ausgewählte Lieferanten ein, stattete diese mit einer identischen (CAD‐gestützten) Software aus und schulte die Mitarbeiter der Zulieferer. Fragen der Lieferanten konnten direkt beantwortet werden. Für Chrysler gab es keine Konvertierungsprobleme mit den eingehenden Dateien.
Fitness‐for‐use
Die Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Kunde kann jedoch auch Probleme beinhalten. Gefahren für ein Supply Chain Management sind vor allem darin zu sehen, dass einer der Beteiligten versucht, einseitig die Preise zu drücken, oder lediglich die Bestandsverantwortung auf einen Dritten zu überwälzen. Auch wird die eherne Zielsetzung einer Win‐Win‐Situation zwischen Lieferanten und Kunden manchmal auf eine ernste Probe gestellt, was nachstehendes Beispiel unterstreicht:
Nicht immer funk‐ tionieren Lieferan‐ tenanbindungen
Unter dem Signet „Lopéz‐Effekt“ ist das Preisdiktat des ehemaligen Opel‐ und späteren VW‐Einkaufschef José Ignacio Lopéz de Arriorùa we‐ nig rühmlich in die Geschichte eingegangen. Gemäß der „Rasenmä‐ her‐Methode“ verlangte Lopéz den Lieferanten seinerzeit in einem „Brandbrief“ Preisreduzierungen von bis zu 10% ab. Er begründete dies, indem die Lieferanten Verbesserungsvorschläge erarbeiten soll‐ ten, die zu einer Kostenreduktion führen.
137
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.2.1.2 „Der Kunde steht bei uns im Mittel‐ punkt, und deshalb immer im Weg.“ (Redewendung)
Basic Needs
Kundenkooperation
Neben der Zusammenarbeit mit den Lieferanten suchen die Hersteller auch eine intensivierte Kooperation mit ihren Kunden. Die Erwartungen und die Anforderungen von Kunden werden vielfach in Gruppen ge‐ bündelt. Es sind in diesem Zusammenhang drei Arten zu unterscheiden: Ausgesprochene Erwartungen, unausgesprochene Anforderungen so‐ wie unausgesprochene Erwartungen.
Ausgesprochene Erwartungen: Sie beinhalten Wünsche, welche die aktuellen und potenziellen Konsumenten gegenüber ihrer Umwelt deutlich zum Ausdruck bringen: „Ich mag grüne Rasenmäher beson‐ ders gern!“. Der Hersteller kann sich auf diese Wünsche seiner Kun‐ den gut einstellen.
Gewichtige Fehler‐ quellen
Unausgesprochene Anforderungen: Unausgesprochene Anforderun‐
Innovationsspiel‐ wiese
Unausgesprochene Erwartungen: Darunter sind innovative Ideen
Kundenwünsche frühzeitig erkennen
gen werden von den Kunden für selbstverständlich gehalten, aber bei ihrem Nichtvorhandensein besonders negativ bewertet. Beispiele da‐ für sind Fahrer‐ und Beifahrerairbag sowie elektronisches Stabilitäts‐ programm (ESP) bei einem Auto der gehobenen Mittelklasse oder der Fahrspurassistent eines Navigationsgeräts. und Vorschläge seitens des Herstellers zu verstehen, die der Kunde nicht für selbstverständlich erachtet und deren Vorhandensein er be‐ sonders positiv honoriert. Beispiele dafür sind die Internet‐Nutzung am Fernsehgerät durch die „Plug & Play Internet E@sy Box“ von Sa‐ telco, der erste biologisch abbaubare Kaugummi „Chicza“ des Herstel‐ lers Phytotreasures, ein Motorradhelm des italienischen Produzenten Brembo mit automatischem Riemenverschluss oder „Bicibomba“: Das erste Fahrrad, das Wasserpumpen antreiben kann.
Im Mittelpunkt steht das Erkennen der Wünsche von Konsumenten. Dazu findet das Laboratory‐Store‐Concept Einsatz. Der Grundgedanke bei diesem aus Japan stammenden Ansatz ist, dass der Kunde nicht nur ein Feedback zu ihm vorgelegten Produktalternativen gibt, sondern unmittelbar in den Entwicklungsprozess einbezogen ist. Er wirkt im „Labor“ aktiv mit und wird dort befragt oder beobachtet. Beispielblock c.3 verdeutlicht diesen Zusammenhang.
138
Grundlagen
C.2 Beispielblock c.3
Kundenintegration Little Tikes ist ein Spielwarenhersteller aus den USA. In das „Child Care Center“ der Organisation werden Kinder zum Spielen mit neu entwickelten Spielsachen, Prototypen oder verbesserten Spielzeugvarianten eingeladen. Mitarbeiter von Little Tikes beobachten und befragen die Kinder. Dadurch bekommen die Ingenieure sehr früh Hinweise für ihre Entwicklungskonzep‐ te: Little Tikes konnte die Rate an Ladenhütern dadurch deutlich reduzieren.
Zur Beschreibung und Erforschung von Kundeneinstellungen bietet sich Conjoint Measurement an (vgl. Gustafsson et al. 2013). Seit Ende der 70er Jahre setzen Marktforschungsinstitute das Verfahren ein. Ausgewählte Befragte bringen vollständige Produktversionen in eine Rangordnung. Die Nachfrager geben Präferenz‐ oder Paarvergleiche ab. Dann sind Teilnutzenwerte für die einzelnen Ausstattungsmerkmale eines Pro‐ dukts dekompositionell (durch das Herunterbrechen von Gesamtpro‐ dukten auf die Ebene ihrer Teile) abzuleiten. Deren jeweiliger Beitrag am Gesamtnutzen eines Produkts wird festgestellt. Das Produkt ist nicht länger homogenes Ganzes, sondern heterogenes Bündel verschiedener Teileigenschaften. Auf Grund der Variation einer Teileigenschaft, kann die dadurch entstandene subjektive Nutzenänderung in Einheiten abge‐ lesen werden.
C.2.2
Conjoint Analyse
Horizontale Kooperationsstrategien
Horizontale Kooperationsstrategien beziehen sich auf die Integration von Akteuren der gleichen Wertschöpfungsebene. Vor allem die Bildung strategischer Allianzen nimmt in diesem Kontext eine exponierte Stel‐ lung ein. Konkurrenten möchten sich durch ihre Zusammenarbeit Vor‐ teile im Wettbewerb verschaffen. Für die Bildung strategischer Allianzen im Supply Chain Management finden sich viele Beispiele:
In der „Star‐Alliance“ bündeln bereits seit einigen Jahren internationa‐ le Fluggesellschaften ihre Kompetenzen. In diese Partnerschaft sind beispielsweise Air Canada, Asiana Airlines, Lufthansa, Scandinavian Air‐ lines, Singapore Airlines, Swiss oder United eingebunden.
Seit dem April 2014 vertreibt die Bitburger Brauerei das Benedektiner Weißbräu der Klosterbrüder aus dem Ettal. Das Brauen selbst, natür‐
139
Gemeinsame Stär‐ ken nutzen
C
Strategien des Supply Chain Managements
lich nach „Originalrezept“, übernimmt Licher (die Licher‐Brauerei ge‐ hört schon seit Jahren zur Bitburger‐Gruppe).
Die beiden in der Medizintechnik tätigen Unternehmen B. Braun und Paul Hartmann gründeten „MedSL“, um insbesondere die Kosten für die Warenverteilung gemeinsam zu schultern.
In der Pharmabranche schlossen sich im Jahre 2015 Pfizer und Merck zur Entwicklung eines gemeinsamen Mittels gegen Krebs in einer Ko‐ operation zusammen (Projekt „Anti PD‐L1“).
Die zwei größten deutschen Facheinzelhandelsverbände im Spielwa‐ ren‐ und Freizeitartikelmarkt (Vedes und Idee & Spiel) bündeln seit ei‐ nigen Jahren in der „Toy Alliance“ ihren Einkauf.
In dem „California Fuel Cell Partnership“ haben sich mehrere Auto‐ bauer (z. B. Chrysler, Ford, General Motors) zur Weiterentwicklung der Brennstoffzellentechnik zusammengeschlossen. Zusammenarbeit und Wettbewerb im Gleichschritt
Coopetition ist eine besondere Form der horizontalen Kooperation. Der Begriff speist sich aus Corporation (Zusammenarbeit) und Competition (Wettbewerb). Zum Beispiel beschlossen Daimler und Renault‐Nissan eine weitreichende Zusammenarbeit, die sich insbesondere auf drei Segmen‐ te bezieht: Gemeinsame Kleinwagenentwicklung (betrifft den „Smart“ bei Daimler und den „Twingo“ von Renault), kooperative Motorenent‐ wicklung (Daimler übernimmt kleinere Aggregate von Renault – im Ge‐ genzug erhält die noble Nissan‐Tochter Infinity Vier‐ und Sechszylinder von Daimler) sowie die Zusammenarbeit bei leichten Nutzfahrzeugen (Daimler ist an der Entwicklung eines Kastenkombis interessiert, der sich an den Renault „Kangoo“ anlehnt). In allen anderen Bereichen stehen Daimler und Renault‐Nissan jedoch weiterhin im scharfen Wettbewerb zueinander.
C.3 Warenverfügbar‐ keit sichern
Strategien der Versorgung
Abbildung A.2 (vgl. S. 9) zeigte, dass im Supply Chain Management die Strategien zur Versorgung flussabwärts – von links nach rechts – verlau‐ fen. Eine vorgelagerte Stufe versorgt ihre jeweils nachgelagerte. Damit wird die Verfügbarkeit von Waren gewährleistet. Die erste hier disku‐ tierte Versorgungsstrategie moderner Supply Chains ist Efficient Con‐ sumer Response.
140
Strategien der Versorgung
C.3.1
C.3
Efficient Consumer Response
Die Ursprünge von Efficient Consumer Response (ECR) liegen in den USA (vgl. Corsten 2004; Dreeser 2007; Goldhahn 2007; v. d. Heydt 1999; Kühnel 2009; Lammers 2012; Seifert 2006; Wildemann 2012). 1992 präsen‐ tierte das Food Marketing Institute, ansässig in Washington DC, erstmalig das Konzept. Insbesondere die Konsumgüterindustrie und der Handel griffen den Gedanken von Efficient Consumer Response zunächst auf. Mittlerweile haben sich viele weitere Organisationen der Initiative ange‐ schlossen. 1994 wurde schließlich die Idee in Europa aufgenommen und das Executive Board of ECR Europe gegründet.
Historie von ECR
Ein legendäres Beispiel für das Konzept ist die Zusammenarbeit von Wal Mart und Procter & Gamble. Der Warenhauskonzern Wal Mart erziel‐ te durch die Anwendung von Efficient Consumer Response insbesonde‐ re Verbesserungen der Kennzahlen Warenumschlag, Umsatz pro Ver‐ kaufsfläche und EBIT. Die Lebensmittelindustrie rechnet durch die in‐ tensivierten Beschaffungs‐ und Absatzkooperationen im Sinne von ECR mit einer Reduzierung der Verbraucherpreise um bis zu 7,1% (vgl. Corsten 2004, S. 36). Laut dem European Executive Board beinhaltet der Ansatz, allein in der europäischen Lebensmittelindustrie, ein Kosten‐ senkungspotenzial von 27 Milliarden US Dollar. Das Volumen zur Be‐ standsreduzierung wird auf bis zu 40% beziffert (vgl. Hughes et al. 2000, S. 124). Wenn diese Zahlen auch recht hoch gegriffen erscheinen, so ist ECR sicherlich eine deutliche Verbesserungsmöglichkeit immanent.
ECR auf dem Siegeszug: „Veni, vidi, vici…“ (G. J. Caesar)
Efficient Consumer Response bedeutet eine „effiziente Kundenreakti‐ on“. Das Neue an dem Ansatz ist die gelungene Verbindung von Logis‐ tik und Marketing. Die Schnittstelle dazu gewährleistet die Informati‐ onstechnologie. Im Kern folgt ECR insbesondere den Gedanken zweier Ansätze: dem Marketing Channel Management und dem Quick Respon‐ se. Das Marketing Channel Management (vgl. Emrich 2008) hat seine Wurzeln bereits in den 60er Jahren. Im Vordergrund steht die physische Distribution von Waren, weshalb die Lagerung und der Transport ver‐ kaufsfähiger Güter latent nach Verbesserungspotenzialen untersucht werden. In diesem Kontext dominieren Fragen über die Absatzwege oder die Absatzmittler. Mit der Durchführung eines Marketing Channel Managements ist die Entwicklung neuer Kooperationsformen zwischen Herstellern und einbezogenen Handelsstufen verbunden.
„Marketing muss so anziehend sein, dass uns die Leute in ihrem Leben haben wollen.“ (J. Stengel)
Der Ansatz Quick Response wurde Mitte der 80er Jahre von Kurt Sal‐ mon Associates – speziell für die Fashion Logistics – entwickelt: Die Bera‐ tungsgesellschaft erkannte, dass diverse Teilprozesse innerhalb der Tex‐
Blitzreaktion
141
C
Strategien des Supply Chain Managements
til‐ und Bekleidungsindustrie effizient arbeiteten, der Gesamtprozess sich jedoch wenig wirtschaftlich gestaltete. Die Mitarbeiter von Kurt Salmon Associates brachen die Wertschöpfungskette in ihre Einzelteile herunter. In ausgewählten Bekleidungsgeschäften wurden Projektgrup‐ pen eingerichtet, welche eine enge Zusammenarbeit mit Handelsgesell‐ schaften (wie J. C. Penny und Dillards) eingingen. Die ins Leben berufe‐ nen Teams versuchten Ineffizienzen entlang der Logistikketten aufzude‐ cken. Offenbar mit gutem Erfolg, wie bald deutlich wurde. Durch Quick Response stellte sich bei Unternehmen der Textilbranche ein Umsatzzu‐ wachs von bis zu 25% ein (vgl. Werner 2013a, S. 17). Außerdem gelang es der Textilindustrie, auf kostspielige Preisabschläge zum Ende einer je‐ weiligen Saison zu verzichten. Die Anwender von Quick Response er‐ halten heute die Verkaufszahlen artikelgenau übermittelt. Ein weiterer Fortschritt ist darin zu sehen, dass – im Sinne eines modernen Postpo‐ nements – die Pullover in den Fabriken von Benetton zunächst ungefärbt bereitliegen und erst beim Eingang einer Kundenbestellung nachfrage‐ gerecht eingefärbt werden. Säulen von ECR
Abbildung C.2
Im Folgenden sind die Komponenten von Efficient Consumer Response zu untersuchen. Zunächst werden die Logistikbestandteile Vendor Ma‐ naged Inventory, Cross Docking und Synchronized Production be‐ schrieben. Anschließend findet eine Kennzeichnung der Marketingan‐ sätze statt: Efficient Product Introduction, Efficient Store Assortment sowie Efficient Promotion. Die Verbindung zwischen Logistik und Mar‐ keting gewährleistet eine dritte Komponente, die Informationstechnolo‐ gie (vgl. Abbildung C.2).
Komponenten von Efficient Consumer Response Logistikkomponenten
Marketingkomponenten
Vendor Managed Inventory
Efficient Product Introduction
Cross Docking
Efficient Store Assortment
Synchronized Production
Efficient Promotion
IT‐Architektur
142
Strategien der Versorgung
C.3.1.1
C.3
Komponenten der Logistik
Die Inhalte einer Logistik folgen bei Efficient Consumer Response den Zielen und den Grundsatzprinzipien der Supply Chain im Allgemeinen. Eine Verkettung von Wertschöpfungspartnern steht in diesem Kontext im Mittelpunkt. Die Warenverfügbarkeit richtet sich nach der simulta‐ nen Optimierung unterschiedlicher Wettbewerbsfaktoren aus. Dabei sind im Idealfall Ziele in Richtung Kosten, Zeit, Qualität, Agilität, Ser‐ vice, Innovation, Nachhaltigkeit und Wissen gleichsam zu erfüllen. Frei‐ lich kann eine dieser Schlüsselgrößen temporär hervorragen. Langfristig führt jedoch eine Nichtbeachtung dieser angestrebten Zielharmonie zu Trade‐offs. Zum Beispiel münden übertriebene Kostensenkungsmaß‐ nahmen häufig in qualitative Defizite.
Logistische Wur‐ zeln
C.3.1.1.1 Vendor Managed Inventory Nomen est omen: der Begriff „Vendor Managed Inventory“ (vgl. Beck‐ mann 2007; v. d. Heydt 1996; v. d. Heydt 1997; Mau 2003; Reitner 2013; Sei‐ fert 2004; Werner/Brill 2011) spiegelt bereits die zentrale Idee: Ein Kunde überträgt seinem Hersteller („Vendor“) die Planungs‐ und die Steue‐ rungshoheit für das Bestandsmanagement („Inventory“). Ihm obliegen beispielsweise Termin‐ und Mengenentscheidungen über die zu liefern‐ den Artikel (vgl. Arndt 2017, S. 161).
Bestandshoheit überwälzen
Der Kunde transferiert folglich die Verantwortung des Vorratsmanage‐ ments in den Autonomiebereich seines Industriepartners (vgl. Seifert 2006, S. 124). Zugleich versorgt der Kunde diesen Hersteller mit Progno‐ sedaten aus Bedarfs‐ und Marktanalysen, sowie tatsächlichen Verkaufs‐ daten vom Point‐of‐Sale. Auf dieser Basis generiert der Hersteller eine eigenständige und autonome Produktions‐ und Transportplanung (vgl. Arndt 2017, S. 162).
Informationszu‐ gänge gewährleis‐ ten
Der Begriff Vendor Managed Inventory hat sich in Literatur und Praxis unbedingt durchgesetzt, wenn es um die Übertragung von Bestandsver‐ antwortung für ausgewählte Partner innerhalb einer Lieferkette geht. Seit geraumer Zeit tauchen jedoch benachbarte Termini auf, die zunächst von VMI abzugrenzen sind. Begriffsblock C.II nimmt sich diesen Kon‐ zepten an. Continuous Replenishment, Buyer Managed Inventory, Co‐ Managed Inventory und Supplier Managed Inventory werden darin näher beschrieben.
Sammelsurium benachbarter Ter‐ mini
143
C
Strategien des Supply Chain Managements
Begriffsblock C.II
VMI und benachbarte Begriffe
Continuous Replenishment als strategischer Über‐ bau
Continuous Replenishment (CR): Der Ansatz wird synonym als
Klassische Be‐ standsführung durch BMI
Buyer Managed Inventory (BMI): BMI beschreibt eine traditionelle
VMI in Testphase ausprobieren
Co‐Managed Inventory (CMI): Diese Hybridform aggregiert sich aus
Bestandsmanage‐ ment durch Liefe‐ rantenintegration
Supplier Managed Inventory (SMI): Die Grundidee von SMI und
„Efficient Replenishment“ bezeichnet und ist der historische Vorläufer von VMI. Der Warennachschub soll kontinuierlich erfolgen, Stock‐ out‐Situationen sind demzufolge verboten. In ihrer Zielsetzung äh‐ neln sich beide Konzepte. Doch Continuous Replenishment geht wei‐ ter als VMI. Neben der Überwälzung der Bestandsverantwortung auf den Hersteller, umfasst CR auch dessen nachfragesynchrone Produk‐ tionsplanung und ‐steuerung. CR ist als Philosophie zu verstehen (Strategieebene). VMI stellt als operativer Stellhebel zur Realisierung der Philosophie einen kontinuierlichen Warennachschub sicher. Bestandsführung. Die Verantwortung des Vorratsmanagements liegt komplett in dem Autonomiebereich des Kunden. Dieser steuert und überwacht seine Bestände selbständig. VMI und BMI. Bei Co‐Managed Inventory wird VMI nicht direkt „scharf“ gestellt, sondern für die Dauer von circa einem Jahr auspro‐ biert. Während dieser Zeit sind keine Konventionalstrafen zu zahlen. Der Hersteller steuert sich bei CMI nicht völlig eigenständig. Er un‐ terbreitet dem Kunden vielmehr einen Vorschlag für die Bestandsfüh‐ rung, die dieser annehmen oder ablehnen kann. VMI ist identisch: jeweils überträgt der Kunde einem in der Supply Chain vorgelagerten Partner die Bestandsführung. Jedoch handelt es sich bei VMI um ein Hersteller‐Kunden‐Verhältnis, das Konzept ist am Ende der Wertschöpfungskette angesiedelt. Bei SMI liegt hingegen ein Lieferanten‐Hersteller‐Verhältnis vor, was beutet, dass SMI sich in der Supply Chain eher in Richtung Urproduktion verschiebt.
Funktionsweise von VMI
Bei der Bestandsführung über Vendor Managed Inventory sind pro Sachnummer, in Abhängigkeit des Lagerhaltungsmodells, ein Mindest‐ bestand und ein Höchstbestand zu definieren. Zusätzlich kann ein Si‐ cherheitsbestand festgeschrieben werden (Reichweitenkorridor). Beim Erreichen des Meldebestands sorgt der Lieferant automatisch für den Warennachschub. Er zeichnet für diesen Prozess verantwortlich. Wenn der Hersteller die Regale des Handels selbst auffüllt, beliefert er im Sin‐ ne von Rack Jobbing. Dieses Prinzip findet auch in der Industrie weite Verbreitung. Eine Reihe spezieller Techniken unterstützen Vendor Ma‐
144
Strategien der Versorgung
C.3
naged Inventory. Diese Hilfsmittel werden nachstehend kurz gekenn‐ zeichnet:
Roll Cage Sequencing (RCS): Synonym wird der Ansatz mit dem Be‐ griff „Efficient Operating Standards“ umschrieben. Die Beladung von Fahrzeugen im (Zentral‐) Lager erfolgt filialgerecht (vgl. die Aus‐ führungen zu Cross Docking auf S. 152). In diesem Kontext bedeutet RCS, die Reihenfolge der Transporteinheiten mit dem Layout der zu beliefernden Filialen so abzustimmen, dass bei der Entladung vor Ort die Paletten und die Rollcontainer direkt auszuräumen sind. Bei‐ spielsweise entspricht die Höhe des Artikels im Idealfall seiner späte‐ ren Positionierung im Regal.
Efficient Unit Loads (EUL): Dieses Hilfsmittel konzentriert sich auf die beim Warenumschlag zum Einsatz kommenden Ladungsträger (Paletten, Rollcontainer, Kartonagen, Fässer). EUL bemüht sich um die Schaffung einheitlicher Standards zur Optimierung von Transport‐ und Lageraktivitäten. Die Beratungsgesellschaft A.T. Kearney sieht in der Berücksichtigung einheitlicher Ladungsträger ein Kostenreduzie‐ rungspotenzial von 1,2 % (vgl. Werner 2013b, S. 15).
Computer Assisted Ordering (CAO): Das Computer Assisted Or‐ dering nutzt für die Erfassung und die Steuerung der zwischen In‐ dustrie und Handel anfallenden Warenströme die Fähigkeiten mo‐ derner IT. Die Software kommt dabei an signifikanten Schnittstellen zum Einsatz, wie dem Wareneingang oder dem Point‐of‐Sale im Han‐ del. Das System stellt eine Abkehr traditioneller Bestandspflege dar, bei der Mitarbeiter im Handel manuell die Bestände überprüfen und Bestellvorgänge auslösen. Allerdings sind zum Teil umfangreiche In‐ vestitionen in CAO erforderlich.
Container an Layout anpassen
Ladungsträger optimieren
IT kollaborativ einsetzen
Bei Berücksichtigung einer Bestandsführung im Sinne von Vendor Ma‐ naged Inventory orientieren sich die Hersteller an der tatsächlichen Nachfrage ihrer Kunden (Pull‐Steuerung). Mit Hilfe von VMI wird viel‐ fach eine Verbesserung wichtiger Schlüsselgrößen des Wettbewerbs erreicht:
Betroffene Wettbe‐ werbsfaktoren
Senkung von Kosten, insbesondere durch eine reduzierte Lagerhal‐
Cash Flow verbes‐ sern
tung, aber auch auf Grund einer optimierten Ausnutzung von Trans‐ portkapazitäten: Die Beratungsgesellschaft Kurt Salmon Associates er‐ rechnete, dass die durchschnittliche Bestandsreichweite im Handel ohne VMI 104 Tage betrug. Nach der VMI‐Einführung wurde diese Zeitspanne auf 61 Tage verkürzt (vgl. Mau 2003, S. 58). Die Kooperati‐ on zwischen L’Oreal und der Drogeriekette dm ist diesem Vorteil ge‐
145
C
Strategien des Supply Chain Managements
schuldet. Beide Organisationen reduzierten mit VMI die Bestands‐ reichweite um über 50% (vgl. Senger/Österle 2003, S. 9). Beschleunigungs‐ erfolge
Forcierung der (Durchlauf‐) Zeit: Die Durchlaufzeiten verkürzen sich
Servicegrade hoch‐ fahren
Steigerung der Qualität (Erhöhung von Service‐ und Dienstleistungs‐
Peaks abfedern
Ausnutzung der Flexibilität von Herstellern: Das Unternehmen No‐
bei einer VMI‐Abwicklung um bis zu 20% (vgl. Seifert 2004, S. 28). grad): Laut Mau verbessert sich der Servicegrad des Handels durch die Einführung von Vendor Managed Inventory auf bis zu 99,9% (vgl. Mau 2003, S. 89). vozymes ist ein weltweit führender Hersteller von Enzymen. Mit Hilfe von Vendor Managed Inventory wählt die Organisation eigenverant‐ wortlich die optimale Liefermenge für Kunden. Je nach Transportvo‐ lumen finden dabei Auf‐ oder Abrundungen der Liefervolumina statt, um die Transportmittel besser auszulasten. Zusätzliche Flexibilität wird durch die Priorisierung der Nachlieferungen an verschiedene Handelspartner erreicht. Daraus resultiert eine Glättung der sonst üb‐ lichen Produktions‐ und Distributionsspitzen (vgl. o. V. 2006a, S. 28).
Spielregeln
Die operativen Rahmenbedingungen für eine Lagerbewirtschaftung über VMI sind vielschichtig. Unten findet sich eine diesbezügliche Zu‐ sammenstellung wesentlicher Einflussgrößen:
Geld nicht liegen lassen
Konditionen und Rahmenverträge: Zwischen Herstellern und Kun‐
Reichweitenfenster
Lagerkapazität: Um ein Überfüllen der Lagerstätten am Point‐of‐Sale
den sind in den Kontrakten die Beschaffungsmengen und die Bezugs‐ preise festzulegen. Auf Grund des Aufbrechens von Warensendungen in kleine Einheiten, sollte der Handel dennoch auf die Ausschöpfung von Mengenrabatten achten (die Möglichkeit zur Abgabe von „Sam‐ melbestellungen“ berücksichtigen). zu vermeiden, werden dem Lieferanten, für die betroffenen Sach‐ nummern, maximale Lagerkapazitäten zugeteilt.
Rhythmus definie‐ ren
Anlieferrhythmen: Bei relativ kontinuierlichen Bedarfen können „fes‐
Kritische Liefer‐ menge finden
Mindestliefermengen: Um eine wirkliche Win‐Win‐Situation zwi‐
te“ Anlieferrhythmen definiert werden. Dadurch sinken die Transak‐ tionskosten, weil administrative Tätigkeiten teilweise entfallen. schen den beteiligten Partnern zu erzielen, sollten „Mini‐Lieferungen“ unterbleiben. Sie könnten das ohnehin zum Teil recht enge Kostenkor‐ sett von Vendor Managed Inventory sprengen.
146
Strategien der Versorgung
C.3
Mit der Übertragung der Sortimentsverantwortung am Point‐of‐Sale ist der Hersteller verpflichtet, für einen rechtzeitigen, bedarfsgerechten Warennachschub zu sorgen. Daraus speist sich der Vorteil, dass die Bestandslücken im Sortiment des Handels abnehmen, wodurch sich mögliche Umsatzverluste verringern. Der Hersteller nutzt die Verkaufs‐ daten des Handels, um seine Produktion (entsprechend der Verbrauchs‐ nachfrage) bedarfssynchron zu steuern.
Nutzen von VMI im Überblick
Eine weitere Stärke von Vendor Managed Inventory ist die Verringerung des Bullwhip‐Effekts (vgl. S. 47). Hierbei entsprechen Höhe und Verlauf der Güterströme entlang der Supply Chain nicht der tatsächlichen Nach‐ frage des Konsumenten, da geringe Störungen und Nachfrageschwan‐ kungen in der Wertschöpfungskette in ihrer Gesamtheit die ursprüngli‐ che Verbrauchernachfrage verzerren. Daraus ergeben sich Bestellmen‐ genschwankungen, die wie Peitschenhiebe hochgetrieben sind und entlang der kompletten Supply Chain schwingen. Ein entscheidender Grund für das Entstehen des Bullwhip‐Effekts ist ein divergierendes Informationsgefälle über die Stufen der Lieferkette. VMI hebelt diesen unterschiedlichen Wissensstand der einzelnen Netzwerkakteure weitge‐ hend aus, da der Kunde den Hersteller kontinuierlich mit Informationen versorgt.
Peitschenschläge abfedern
Auch wenn Vendor Managed Inventory die beschriebenen Vorteile inhä‐ rent sind, ist der Ansatz dennoch von einigen Problemen umgeben. Bei VMI schiebt der Kunde den „Schwarzen Peter“ in Richtung Hersteller. Treten Stock‐out‐Situationen auf, wird dieser dafür mit Konventional‐ strafen belegt. Eine weitere Schwierigkeit ist im Austausch vertraulicher Informationen zu sehen. Darunter fallen Bestandsdaten, vorgesehene Verkaufsmengen oder Preisabsprachen (Know‐how‐Abfluss). Auch besteht durch die Übertragung der Bestandshoheit auf den Hersteller, aus Sicht des Handels, die latente Gefahr vom Verlust möglicher Kom‐ petenzen. So schwindet dessen Einflussnahme auf die eigene Regalflä‐ che. Ein weiteres Problem ist, dass die Verkaufszahlen des Handels nur bedingt Aufschluss über das zukünftige Käuferverhalten erlauben, da es sich um Daten der Vergangenheit handelt.
„Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“ (F. Nietzsche)
Kritisch ist auch der hohe Automatisierungsgrad von Vendor Managed Inventory zu hinterfragen. Die auf der Basis von Bestands‐ und Ver‐ kaufsdaten systemseitig erstellten Bestellvorschläge sorgen zwar für Zeitersparnisse (da Dispositionsstufen im Handel wegfallen). Doch be‐ dürfen die zu Grunde liegenden Kennzahlen auch einer qualitativen Ergänzung, Ursachenforschung und Interpretation. Ein prägendes Ele‐
Supply Chain Relationship Ma‐ nagement
147
C
Strategien des Supply Chain Managements
ment von VMI ist sein Automatismus. Hingegen werden menschliche Attribute (Sozialfaktoren) bislang kaum berücksichtigt. Beispielsweise profitiert die gelungene Einführung von Vendor Managed Inventory nicht nur vom technischen Interieur, sondern auch von den Erfah‐ rungswerten seiner Mitarbeiter. VMI nicht über‐ treiben
Ferner scheint der Anreiz für ein Vendor Managed Inventory stark von der Branchenzugehörigkeit der beteiligten Akteure abzuhängen. Ebenso existiert offenkundig eine kritische Maximalmasse, um eine Abwick‐ lung über VMI adäquat zu gewährleisten. Laut Thonemann et al. haben Organisationen Schwierigkeiten, mehr als 30% ihres Umsatzes über Vendor Managed Inventory zu steuern (vgl. Thonemann et al. 2012, S. 37).
Erstes Praxisbei‐ spiel zum Droge‐ riefachmarkt
Im Folgenden werden zwei Praxisbeispiele für den Einsatz von Vendor Managed Inventory diskutiert. Der erste Fall bezieht sich auf dm, das zweite Beispiel auf Twentieth Century Fox Home Entertainment Germany. Die Drogeriekette dm (vgl. zu dem Beispiel Holland et al. 2001, S. 69) hat schon im Jahre 1986, durch den Bau eines zentralisierten Warenverteil‐ zentrums, den Grundstein für die Nutzung von Efficient Consumer Response gelegt. 1991 folgte die Ausstattung sämtlicher Filialen mit Scanner‐Kassen. Drei Jahre später wurde das auf ein Netzwerk ausge‐ richtete IT‐System „Laboss“ eingeführt. „Laboss“ diente in erster Linie zur Bestell‐ und Lageroptimierung. Das Unternehmen entschied sich dafür, der Vision einer so genannten „Consumer Driven Supply Chain“ zu folgen. Im Kern strebt dm nach einer Effektivitäts‐ und Effizienzstei‐ gerung seiner Logistikprozesse.
VMI im Einsatz bei dm
Auf dieser Basis wurde 1995 eine Lagerbewirtschaftung via Vendor Managed Inventory zwischen dm und Colgate eingeleitet. Dieses Pilot‐ projekt verfolgte das Ziel, die betroffenen Bestände durch den Hersteller komplett bis an den Point‐of‐Sale in den Handelsgeschäften zu steuern. Nachdem zunächst eine Abwicklung der Aktivitäten mittels Co‐ Managed Inventory gewählt wurde, erfolgte 1997 der Übergang zu „echtem“ VMI. Zeitgleich wurde bei dm das neue Dauerniedrigpreis‐ konzept „EDLP (Every Day Low Price)“ eingeführt, um dem Waren‐ strom mehr Kontinuität zu verleihen.
Pionierprojekt mit Colgate
Die Zusammenarbeit zwischen dm und Colgate gestaltete sich derart erfolgreich, dass dm eine Reihe weiterer Hersteller in seine VMI‐ Aktivitäten einbezog. Mittlerweile werden in den Filialen der Drogerie‐ kette fast 40% der Artikel über VMI gesteuert.
148
Strategien der Versorgung
C.3
Ein zweites Beispiel für eine Abwicklung über VMI stellt Twentieth Century Fox Home Entertainment Germany (nachstehend kurz „FOX“ genannt) dar. FOX ist ein Tochterunternehmen des Filmstudios Twentieth Century Fox und gehört seit 2019 zur Walt Disney Company, einem der größten Medienkonzerne der Welt. Das Unternehmen ist in allen rele‐ vanten Märkten mit eigenen Niederlassungen vertreten und vertreibt Filmproduktionen und TV‐Serien der konzerneigenen Filmstudios auf digitalen Datenträgern mit den Standardformaten DVD und Bluray. Neuerdings ermöglicht FOX seinen Kunden auch einen elektronischen Datendownload über VOD („Video on Demand“) und EST („Electronic Sell Thru“). Mit Standort Frankfurt am Main ist FOX für die Vermark‐ tung der physischen Medien in den Bereichen Rental (Verleihgeschäft) und Retail (Kaufgeschäft) in Deutschland und Österreich verantwortlich.
„Der Fuchs, der an die Trauben nicht rankam, behauptet, sie sind eh sauer.“ (Redewendung)
Seit 20 Jahren (Stand: 2020) praktiziert FOX Vendor Managed Invento‐ ry. Mittlerweile wickelt das Unternehmen mehr als 50% seiner Disposi‐ tionsvorgänge mittels VMI ab. Zunächst nutzte FOX das IT‐System eines Dienstleisters. Doch seit über zehn Jahren setzt die Organisation auf eigene Systeme, die weltweit Einsatz finden. Zunächst musste bei den Retailern einige Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die benötig‐ ten Bestands‐ und Verkaufsdaten zur Verfügung zu stellen. Doch all‐ mählich hat ein Umdenken bei den Handelspartnern stattgefunden: Es ist ein gutes Argument, wenn aus Pilotprojekten etlicher Filialen (Out‐ lets) von Umsatzverdopplungen berichtet wird, die eine VMI‐ Abwicklung gegenüber tradierter Nachschuborganisation erzielt. Au‐ ßerdem schätzt der Fachhandel die Entlastung seiner lokalen Einkäufer, indem diese von der Disposition des Basissortiments befreit sind und mehr Zeit für anderweitige Tätigkeiten finden. Die Kunden können bei FOX zwischen einer Vollversorgung und einer Teilversorgung wählen: Im ersten Fall wird das gesamte aktive Produktportfolio mittels VMI disponiert, im zweiten Fall nur der klassische Katalogbereich (vgl. Wer‐ ner/Brill 2011).
„Johnny the Fox meets Jimmy the Weed...“ (Thin Lizzy)
Sämtliche Datenströme wickelt FOX über EDI ab. Die notwendigen Informationen werden in separaten Warenwirtschaftssystemen verar‐ beitet und gegebenenfalls ausgewählten Dienstleistern zur Verfügung gestellt (vgl. Werner/Brill 2011).
Systemabwicklung bei FOX
Basiswarenwirtschaftssystem: Zunächst werden die Abverkaufs‐ und Bestandsdaten über Nacht in das Basiswarenwirtschaftssystem J.D. Edwards eingelesen und an das separate VMI‐System „Demantra“ (vgl. unten) weitergeleitet. Ebenso sendet das Warenwirtschaftssys‐
149
Grundsystem
C
Strategien des Supply Chain Managements
tem eines Logistikdienstleisters offene Bestellungen und Lieferungen an das Basissystem. Unbekannte oder falsche EAN‐Codes werden nicht berücksichtigt und in einem täglichen Fehlerreport zur weiteren Bearbeitung gesammelt. Für sie ist eine Stammdatenkorrektur in den Basissystemen vorzunehmen. IT‐Customizing
Titelplanung (MIDAS): Pro Titel und Filiale sind minimale und ma‐ ximale Lagerreichweiten vorgegeben. Das System MIDAS („Mainte‐ nance of Item, Display and Store Relationship“) wurde speziell von FOX entwickelt. Dieses Tool weist beispielsweise auf Titel hin, die keinesfalls im Sortiment des Kunden fehlen sollten. Temporäre Akti‐ onen werden mit Start‐ und Endterminen versehen. Für sie sind am Point‐of‐Sale zumeist Sonderflächen auszuweisen. In MIDAS erfolgt die Festschreibung grundlegender Eckwerte. Die Gretchenfrage lau‐ tet: „Welche Filiale hat welche Titel in welcher Menge wann im Sorti‐ ment vorzuhalten?“
Planning and Replenishment
Detailplanung
Performance Mes‐ sung
Bedarfsermittlung und Auftragsgenerierung (DEMANTRA): Das VMI‐System Demantra („Demand Management“) unterteilt sich in einen „Demand Planner“ und einen „Demand Replenisher“. Über den Demand Planner leiten sich die zukünftigen Bedarfe (Forecasts) aus vergleichbaren historischen Verkaufsdaten ab. Die Reichweiten von Neuheiten werden hingegen über die Absätze bereits lieferbarer und vergleichbarer Titel geschätzt. Die Planung wird erschwert, wenn der Handel maximale Bestandswerte vorgibt, welche FOX nicht über‐ schreiten darf. Tägliche Nachliefermengen pro Datenträger und Out‐ let berechnen sich über den Demand Replenisher. In die Kalkulatio‐ nen gehen verfügbare Bestände, offene Aufträge, Prognosen aus dem Demand Planner sowie minimale und maximale Lagerreichweiten aus MIDAS ein. FOX berücksichtigt im Demand Replenisher auch spezielle Kundenwünsche. Es ist beispielsweise möglich, einzelne Displays täglich auszuschalten oder die Paketgrößen kundengerecht zu variieren.
VMI‐Account Manager: In dem Account Manager werden die täglich ermittelten Lieferungen aus dem Demand Replenisher freigegeben und an das Dispositionssystem des Logistikdienstleisters übermittelt. Der Account Manager gestattet es dem FOX‐Mitarbeiter, komplexe Displays auf Titel‐ und Storeebene in ein EXCEL‐Arbeitsblatt einzu‐ spielen. Manuell können Aufträge eingelesen und freigegeben sowie Erstbestückungen für Aktionen oder Retourenabrufe vorgenommen werden.
VMI‐Reporting Manager: Schließlich findet die Leistungskontrolle im Reporting Manager statt. Sämtliche relevanten Informationen werden
150
Strategien der Versorgung
C.3
in einer Datenbank gesammelt. Mögliche Standardberichte beziehen sich auf Servicegrad, Liefermenge oder Bestand. Sonderberichte (zum Beispiel über Stock‐outs) ergänzen diese Ergebnisse. Auch die Zuord‐ nung einzelner Displays auf die Filialen lässt sich mit dem Reporting Manager einsehen.
Der VMI‐Prozess (vgl. Werner/Brill 2011) wird in der Regel über Scan‐ Vorgänge an den Kassen der Handelsfilialen angestoßen. Diese Ver‐ kaufszahlen werden FOX zunächst im „Sales Report“ (SLSRPT) via EDI übermittelt. Der Disponent ergänzt diese Daten um bedarfsrelevante Informationen. Somit erfährt FOX – täglich aktualisiert – den verfügba‐ ren Bestand pro Titel am Point‐of‐Sale. Außerdem transferiert eine jewei‐ lige Filiale den Lagerbestandsbericht an FOX, wobei diesbezüglich das Nachrichtenformat INVRPT („Inventory Report“) Einsatz findet. Das Einlesen dieser Daten, ihre weitere Verarbeitung sowie die Ableitung von Bedarfen erfolgt automatisch auf Basis der eingestellten Parameter. Die Bestandshöhe eines Bild‐ oder Tonträgers errechnet sich aus der vereinbarten Lagerreichweite und den tatsächlichen Kundenbedarfen eines Titels (dem Bruttobedarf abzüglich der verfügbaren Vorräte vor Ort). Im nächsten Schritt ermittelt der Disponent die Liefertermine und die Liefermengen der jeweiligen Aufträge (ORDERS). Entgegen tradier‐ ter Bestandsführung wartet FOX nicht auf den Kundenabruf, sondern übersendet dem Handel vielmehr eine selbst initiierte Bestellung mit Auftragsnummer. Etliche Kunden überprüfen diese Informationen, und sie nehmen gegebenenfalls Änderungen vor oder lehnen den Auftrag ab (Co‐Managed Inventory). Wenn sie den Auftrag bestätigen, nutzen sie dazu den Übertragungstyp ORDRSP („Pegged Orders“). Andere Kun‐ den überlassen hingegen die Auftragsplanung vollständig dem Dispo‐ nenten von FOX (Vendor Managed Inventory in Reinform).
Im Anfang war der Sales Report…
Vor der physischen Auslieferung der digitalen Datenträger stellt FOX den Kunden ein Lieferavis zu. Dieser elektronische Lieferschein wird mit Hilfe des Nachrichtenformats DESADV („Despatch Advice“) über‐ mittelt. Auf ihm finden sich die final gelisteten Lieferpositionen. Nach‐ dem der Kunde die Waren vereinnahmt hat, gleicht er die Lieferdoku‐ mente mit den gebuchten Wareneingängen ab. FOX erhält über das Format RECADV („Receiving Advice“) eine Bestätigung des Warenein‐ gangs. Schließlich stellt FOX die (Sammel‐) Rechnung und übersendet diese dem Kunden. Die Warenzustellung erfolgt im Übrigen zumeist über eine vorherige Zentrallagerung und spätere filialgerechte Kommis‐ sionierung (Cross Docking). Wenn allerdings Stock‐outs am Point‐of‐ Sale drohen, wird durch FOX eine Direktbelieferung an die Filialen
Direktversorgung nur im Notfall
151
C
Strategien des Supply Chain Managements
vorgenommen. Innerhalb von 48 Stunden ist dann ein unmittelbar zuge‐ stellter Ton‐ oder Bildträger im Handel verfügbar. Abbildung C.3 visua‐ lisiert die oben beschriebenen VMI‐Arbeitsschritte bei FOX. Abbildung C.3
VMI bei Twentieth Century Fox
Handel Bestands‐ daten
SLSRPT
INVRPT
FOX
Bestellung bestätigen
Warenein‐
ORDRSP
RECADV
gänge
ORDERS
DESADV
Bestand
Bestellung
Lieferung
prüfen
anlegen
tätigen
Rechnung
C.3.1.1.2 Cross Docking Historie und Ziele
Cross Docking wird synonym als „verbrauchsorientierte Warenvertei‐ lung“ bezeichnet. Der Ansatz ist zu Beginn der 90er Jahre als eine be‐ sondere Variante der Zentrallagerung entstanden. Wie auch Vendor Managed Inventory, entstammt Cross Docking der Philosophie von Efficient Consumer Response. Das Konzept unternimmt den Versuch, die Lagerhaltung zu minimieren und die Durchlaufzeiten herunterzu‐ fahren. Vielfach wird VMI durch Cross Docking erst ermöglicht: Um den kontinuierlichen Warennachschub auf Dauer aufrechterhalten zu können, sind (vornehmlich in Ballungsräumen) zentrale Warenum‐ schlagspunkte einzurichten. Ansonsten wären „Miniladungen“ über größere Distanzen abzuwickeln, was sich nicht rentieren würde.
Docking Station etablieren
Das Aufkommen von Cross Docking (vgl. Becker 2020; Harnisch 2011; Harps 1996; Holland et al. 2001, S. 55ff.; Mau 2003, S. 87ff.) ist dem „Eng‐ pass Rampe“ geschuldet. Gerade in der City ist es für den Hersteller zum Teil ausgesprochen schwierig, die Läden in den oftmals engen Straßen anzuliefern. Große Lastkraftwagen stauen sich häufig an den Rampen. Deshalb werden die Komplettladungen der Hersteller aufge‐ brochen. Die Industrie liefert nicht länger direkt an den Handel, sondern an einen Umschlagspunkt. Diese zentralisierte Docking Station wird synonym Transshipment Point genannt. Darin sind die Ladungen fili‐ 152
Strategien der Versorgung
C.3
algerecht zu kommissionieren und anschließend zum Kunden zu dis‐ tribuieren (vgl. unten das „Zwei‐Stufen‐Prinzip“). Bei Cross Docking findet im Idealfall keine Zwischenlagerung der Waren statt. Diese wer‐ den dann direkt durch den Transshipment Point zum Kunden „durchge‐ reicht“. Es sind drei grundsätzliche Arten des Cross Dockings zu unterscheiden: Das artikelreine Cross Docking, das einstufige sowie das zweistufige Cross Docking (vgl. Harnisch 2011, S. 33ff.; Stickel 2006, S. 7):
Beim artikelreinen Cross Docking wird nur eine Sachnummer pro Palette distribuiert. Der Lieferant verschickt Vollpaletten in den zent‐ ral gelegenen Transshipment Point, der nur als Zwischenlagerstätte dient. Ohne Aufbruch der Paletten findet deren Entsendung an den Handel statt. Diese Methode eignet sich vor allem für großvolumige, schnell drehende Artikel und Display‐Paletten.
Das einstufige Cross Docking beschreibt eine Variante, bei der die Waren durch den Hersteller pro Palette bereits vorkommissioniert werden. Im Zentrallager findet für diese Mischpaletten in der Regel nur eine Zwischenlagerung statt. Bei Bedarf werden diese Artikel an die Kunden distribuiert (teilweise gemeinsam mit sonstigen Sendun‐ gen). Dementsprechend ist der logistische Mehraufwand für das ein‐ stufige Cross Docking gering.
Die am häufigsten angewendete Variante eines Cross Dockings ist das Zwei‐Stufen‐Prinzip. Artikelreine Paletten werden in die Docking Station gebracht, dort aufgebrochen und später filialgerecht verteilt („Cross Docking im engen Sinn“). Im Handel beträgt die Verweildau‐ er der Waren im Transshipment Point zum Teil unter 24 Stunden. Ab‐ bildung C.4 visualisiert die Abwicklung von Cross Docking nach dem Zwei‐Stufen‐Prinzip.
Als Strategie für das Supply Chain Management eignet sich Cross Do‐ cking zur Verbesserung der Lager‐ und der Handlingskosten. Außerdem dient das Verfahren zur Einsparung von Lagerplatz. Aus Sicht des Kun‐ den (insbesondere des Handels) wird der Warenumschlag pro Sach‐ nummer gepusht. Hier kommt das Wesen des Supply Chain Manage‐ ments zum Ausdruck: Eine Abkehr von Versorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingketten mit hohen Lagerbeständen sowie unregelmäßigen Lieferungen großer Mengen. Und die Hinwendung zu Prozessen mit geringer Lagerhaltung, welche auf der tatsächlichen Nachfrage ohne Vorlauf basieren (vgl. Stickel 2006).
153
Arten
Mixed Load ver‐ meiden
Vorkommissionie‐ rung
Cross Docking im engen Sinn
Eigenschaften des Cross Dockings
C Abbildung C.4
Strategien des Supply Chain Managements
Zweistufiges Cross Docking
Kosten auf mehre‐ re Schultern verteilen: Cost Sharing
Transshipment‐ point
Hersteller
Kunde
A aaaaa
abc
1
aacc
2
bb
3
aaaaa
Bier
B bbbbb bbbbb
Kartoffelchips aac C
4
ccccc ccccc
bbc Pizza
5
Die Kosten für die Einrichtung eines Transshipment Points trägt im ersten Schritt der Kunde (beispielsweise der Handel). Über den Preis überwälzt er aber einen Teil der Kosten an den Hersteller. Auch der Endverbraucher trägt, über erhöhte Verkaufspreise der Waren, teilweise zur Deckung der Kosten bei. Im Kern entstehen Kosten für das Waren‐ handling im Zentrallager. Diese Dienste lassen sich Logistikdienstleister (3PL) entsprechend vergüten. Allerdings rechnet sich offenkundig – vornehmlich im Handel – eine Abwicklung im Sinne von Cross Docking mittlerweile durchaus. Die originär entstandenen Kosten werden von den eingehenden Erträgen zum Teil deutlich überkompensiert. Entspre‐ chend sieht McKinsey in der Nutzung von Cross Docking im Handel ein Kostensenkungspotenzial zwischen 10% und 15% (vgl. Werner 2013b, S. 23). Aber auch in mehreren anderen Branchen (wie Bauwirtschaft, Che‐
154
Strategien der Versorgung
C.3
mie oder Automotive) wird Cross Docking mittlerweile recht erfolgreich betrieben. Kleine und mittelgroße Organisationen nutzen zur Durchführung von Cross Docking ein Multiple User Warehouse. Darunter ist der Aufbau eines Umschlagsplatzes zu verstehen, den unterschiedliche, rechtlich selbständige Partner, gemeinsam nutzen. Die beteiligten Akteure vertei‐ len dabei die Lagerinvestitionen auf mehrere Schultern („Cost Sharing“). Den Betreiber des Transshipment Points (3PL) entlohnen die Supply‐ Chain‐Akteure im Idealfall anteilig über Prozesskostensätze. Allerdings gestaltet sich die Bezahlung des Dienstleisters über Prozesskostensätze sehr arbeitsintensiv, wenn sich mehrere unabhängige Partner den Platz innerhalb der Docking Station teilen. In diesem Fall bietet sich eine Kal‐ kulation über genutzte Flächenmeter der Lagerzonen an.
„Chips on my shoulder, more as I grow older…” (Soft Cell)
Grundsätzlich entstehen durch die Anwendung von Cross Docking reduzierte Lagerbestände auf sämtlichen Stufen der Supply Chain. Ein weiterer Vorteil ist eine bessere Nutzung der im Lager gewonnenen Fläche. Ferner wird der Wettbewerbsfaktor Zeit optimiert, indem Ein‐ und Auslagerungsprozesse schneller stattfinden. Die zeitliche Abstim‐ mung mit dem Handel verbessert die Frische und reduziert die Anzahl der Waren mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Außerdem führt die Bündelung der Warensendungen zu einer besseren Auslastung der Transportmittel.
Nutzen des Verfah‐ rens
Doch wo Licht ist, findet sich bekanntlich auch Schatten. Cross Docking kennt Schwierigkeiten in der organisatorischen Umsetzung. Etliche potenzielle Partner verfügen schlichtweg nicht über die benötigten La‐ gerkapazitäten oder einen geeigneten Fuhrpark, um das Verfahren um‐ zusetzen. Deshalb sind entweder Investitionen zu tätigen, oder Koopera‐ tionen mit Logistikdienstleistern einzugehen. Außerdem hapert es in manchem Fall nicht zwingend an den zur Verfügung stehenden Infor‐ mations‐ und Kommunikationssystemen, sondern an der mangelnden Genauigkeit der ausgetauschten Daten. Auch wird um die Wahrung der Geheimhaltungssphäre gefürchtet. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass sich die Kosten nicht unbedingt über sämtliche Stufen der Supply Chain gleichermaßen reduzieren, sondern lediglich in der logistischen Kette vom Kunden zum Hersteller verschieben. Die durchschnittliche Dauer zur Implementierung von Cross Docking beträgt im Übrigen sieben Monate (vgl. Lillig et al. 2005, S. 30).
Grenzen der filial‐ gerechten Kommis‐ sionierung
Als Praxisbeispiel für die Durchführung von Cross Docking sei auf das Unternehmen Danzas verwiesen. Die Danzas Holding AG wurde 1815
Praxisbeispiel
155
C
Strategien des Supply Chain Managements
gegründet und gehört aktuell zu den führenden Organisationen des Transports von Handelsgütern. Auch Lagerungen oder Kommissionie‐ rungen werden beispielsweise von Danzas als Dienstleistungen angebo‐ ten (vgl. zu dem Beispiel o. V. 2005, S. 40ff.). Cross Docking bei Danzas
In einem Pilotprojekt zwischen Industrie, Handel und Danzas wurden Kleinsendungen verschiedener Markenartikelhersteller in einem speziel‐ len Transshipment Point zusammengefasst. Danzas wickelt in der Do‐ cking Station sämtliche logistischen Dienstleistungen (wie die Kommis‐ sionierung) komplett in Eigenregie ab. Daraus ergeben sich für Danzas die Vorteile besser ausgelasteter Transportkapazitäten und verkürzter Wartezeiten. Die aus der Fabrik gehenden Warensendungen an den Handel werden zudem gebündelt. Auf Grund der Mengendegression reduzieren sich für die Handelspartner die Frachtkosten. Auch für den Endverbraucher ergibt sich schließlich ein Vorteil: Die Waren können am Point‐of‐Sale frischer angeboten werden.
Chargen können eindeutig identifi‐ ziert werden
Die Kommunikation im Partnergeflecht sichert die „Nummer der Ver‐ sandeinheit“ (NVE) in Verbindung mit dem EAN‐Code 128. Dadurch werden Fehler bei der Identifizierung und späteren Steuerung der Wa‐ ren vermieden. Beispielsweise ermöglichen die Scan‐Prozesse im Wa‐ reneingang eine automatische Platzreservierung, welche den produkt‐ spezifischen Anforderungen des Lagerortes entspricht. Diesbezüglich sind Differenzierungen an Temperatur, Hygiene oder Sicherheit vorzu‐ nehmen.
Viel Licht....
Die internationale Akzeptanz des EAN‐Standards ermöglicht Danzas eine Ausweitung der Philosophie auf weitere Niederlassungen. Durch das Pilotprojekt werden Kosteneinsparungen von bis zu 30% erzielt (vgl. o. V. 2005, S. 31). Für den Handel stellt die Rampe nicht länger den Engpass dar. Außerdem erfolgen die Anlieferungen zuverlässiger und termingerechter. Neben einer Bestandsreduzierung ist eine Verminde‐ rung der Prozesskosten festzustellen. Der Hersteller profitiert zudem von optimierten Tourenplanungen mit weniger Lastkraftwagen, besse‐ ren Kapazitätsauslastungen der Transportmittel, verminderten Umwelt‐ belastungen und günstigeren Transporttarifen.
C.3.1.1.3 Synchronized Production JiT oder JiS nutzen
Neben Vendor Managed Inventory und Cross Docking dient Synchro‐ nized Production zur Komplettierung der logistischen Attribute von Efficient Consumer Response. Die automatisch aus dem Handel gemel‐
156
Strategien der Versorgung
C.3
deten Scanner‐Daten nutzt der Hersteller zur Optimierung seiner Pro‐ duktionsplanung und ‐steuerung. Er verlässt sich nicht auf vage Plan‐ zahlen („was der Kunde vielleicht gern haben könnte“), sondern auf die tatsächliche Nachfrage („was der Kunde tatsächlich haben möchte“). Synchronized Production lehnt sich an das Pull‐Prinzip. Zum Beispiel stellt Edeka ausgewählten Partnern die Scanner‐Daten mittels der Soft‐ ware „E 3 Trim“ zur Verfügung. Ebenso sucht der Handel verstärkt die Zusammenarbeit mit Herstellern. Sommerfield Stores Ltd. führte in Eng‐ land ein Pilotprojekt ein, in das elf Systemlieferanten zur Realisierung von ECR integriert waren. Die Schnittstelle zwischen Industrie und Handel sicherte in diesem Fall EDI (Electronic Data Interchange).
C.3.1.2
Komponenten des Marketings
Die Inhalte des Marketings stellen das Pendant zu den Logistikkompo‐ nenten dar und sind dem Category Management zuzuordnen (vgl. Grajczyk 2015; Kleinfeld 2020; Steiner 2012). Ein Category Management umfasst die Bildung von Warengruppen („Categories“). Diese werden als strategische Geschäftsfelder (zum Beispiel die audiovisuelle Branche) oder strategische Geschäftseinheiten (wie CD‐Spieler innerhalb der au‐ diovisuellen Branche) definiert. Der Category Manager zeichnet für eine bestimmte Warengruppe verantwortlich. Beispielhaft dafür steht das Segment „Baby, Kids & Co“ des SB‐Warenhauses real. Hersteller und Handel richten ihre Aktivitäten an den Wünschen der Kunden aus und bilden interdisziplinäre Teams. Das Category Management umfasst die drei Marketing‐Komponenten Efficient Product Introduction, Efficient Store Assortment und Efficient Promotion.
Efficient Product Introduction: Die effiziente Einführung neuer Pro‐ dukte bezieht sich auf die Reduzierung der Flopraten. Diese geben die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Fehl‐ schlags in der Produktentwicklung in Prozent an. Industrie und Han‐ del erarbeiten gemeinsam Konzepte, um Ladenhüter in den Regalen zu vermeiden. Sie bündeln ihre Kompetenzen. Beispielsweise wollte der belgische Handelsriese Delhaize in sein Sortiment eine Eigenmarke für gekühlte Fertiggerichte aufnehmen. Mit Hot Cuisine fand man ei‐ nen geeigneten Partner. Hot Cuisine bietet Fertiggerichte an und be‐ herrscht das „Vacuum Cooking“. Die Partner entwickelten eine ge‐ meinsame Strategie zum Absatz der Vakuumierungs‐Technologie.
Efficient Store Assortment: Mit einer effizienten Sortimentsgestal‐ tung wird eine Harmonisierung der Artikel im Geschäft verfolgt. Zum
157
Warengruppen definieren
Phase „Concept‐to‐ Cash“ verkürzen
Locken und Ab‐ schöpfen
C
Strategien des Supply Chain Managements
Beispiel ist eine Ausgewogenheit zwischen Strategieartikeln und Pro‐ fitartikeln herzustellen (Sortimentsmix): Strategieartikel sind Fre‐ quenzbringer, die zwar nur über einen geringen Deckungsbeitrag ver‐ fügen, aber die Kunden in das Geschäft locken. Profitartikel weisen hingegen einen hohen Deckungsbeitrag auf. Persönlich initiierte Maßnahmen am POS
Efficient Promotion: Innerhalb von Efficient Consumer Response sind schließlich Aktivitäten zur effizienten Verkaufsförderung zwischen den Herstellern und den Handelsgeschäften abzustimmen. Die per‐ sönlich initiierten Maßnahmen richten sich direkt auf den Point of Sa‐ le aus (der sich immer mehr zum Point of Difference entwickelt).
C.3.1.3
Komponenten der Informationstechnologie
IT als Plattform
Bei Efficient Consumer Response wird die Verbindung zwischen den Komponenten der Logistik und des Marketings durch die Informations‐ technologie gewährleistet. Sie schafft die digitalisierte Basis zum Daten‐ austausch via EDI (Electronic Data Interchange) oder Web‐EDI (vgl. S. 361). Zum Beispiel nutzt die Industrie die Scanner‐Daten des Handels. Außerdem werden die Informationen zusätzlich zweck‐ und entschei‐ dungsrelevant filtriert. Dazu sind Kundendaten, Verkaufsdaten und Konkurrenzdaten in einem Data Warehouse zu verwalten (vgl. S. 374 dieser Schrift). Ein Beispiel für eine Data‐Warehouse‐Lösung im Rah‐ men von Efficient Consumer Response liefert Wal Mart. Das Unterneh‐ men speichert und verwaltet weltweit den Umsatz von über 80.000 Arti‐ keln aus circa 2.000 Filialen für einen Zeitraum von 65 Wochen. Bei Be‐ darf kann jede Sachnummer individuell abgerufen und bearbeitet werden. Sämtliche Personen, welche für die Sortimentsgestaltung ver‐ antwortlich zeichnen, haben Zugriff auf diese Datenbank. Autorisierte Lieferanten können sich ebenfalls in das System einloggen.
Grenzen von ECR beachten
Im Zuge der einsetzenden Euphorie bezüglich Efficient Consumer Response kommen jedoch auch kritische Stimmen auf. Insbesondere wird Efficient Consumer Response vorgeworfen, dass der Handel mit der Einführung des Ansatzes versuchen würde, einseitig die Preise zu drücken und seine Bestandsverantwortung auf den Hersteller abzuwäl‐ zen (der Handel würde sich „schlanker“ machen). Außerdem nehmen die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den eingebundenen Partnern zu. Trotzdem etabliert sich Efficient Consumer Response neben dem Handel derzeit in der Baubranche, in der Holzwirtschaft, in der Auto‐ mobilindustrie sowie in der Chemie‐ und Pharmabranche.
158
Strategien der Versorgung
C.3.2
Customer Relationship Management und Mass Customization
Ein Supply Chain Management ist konsequent auf den Kunden ausge‐ richtet. Schwerpunktmäßig verfolgt der Ansatz eine Pull‐Orientierung. Im Supply Chain Management wird eine Antwort auf die Frage gesucht, was der Kunde tatsächlich haben möchte („Built‐to‐Order“). Vage Ver‐ mutungen bezüglich einer möglichen Nachfrage sind dabei in den Hin‐ tergrund zu schieben (vgl. in diesem Zusammenhang die Diskussion um die Metaführungsansätze von Market‐Based‐View und Resource‐Based‐ View auf S. 98). Deshalb nutzt das Supply Chain Management Instru‐ mente, die zur Verbesserung des Kundenmanagements beitragen. Mit Customer Relationship Management und Mass Customization werden zwei dieser Hilfsmittel in der Folge näher gekennzeichnet.
C.3.2.1
C.3 Pull‐Strategie: Die unmittelbare An‐ sprache der End‐ kunden
Customer Relationship Management
Mitte der 80er Jahre kam der Begriff „Customer Relationship“ in den Vereinigten Staaten auf. Er wurde in der Zwischenzeit in vielfältiger Weise zu Relationship Marketing, One‐to‐One‐Marketing und Customer Relationship Management weiterentwickelt (vgl. Bruhn 2016; Hippner et al. 2011; Müller 2015; Raab/Werner 2010 und Begriffsblock C.III).
CRM: Historie und Begriff
Begriffsblock C.III
Customer Relationship Management und verwandte Konzepte
Relationship Marketing: Darunter ist die Entwicklung und Verbesse‐ rung bestehender Kundenbeziehungen zu verstehen. Der Schwer‐ punkt von Aktivitäten liegt beim Relationship Marketing nicht auf ei‐ ner Akquisition neuer Kunden (vgl. Bruhn 2016).
One‐to‐One‐Marketing: Ein One‐to‐One‐Marketing rückt den einzel‐ nen Kunden stärker in den Mittelpunkt. Es geht nicht darum, mög‐ lichst viele Käufer zu finden, sondern an besonders umsatzstarke Kunden Produkte abzusetzen (zum Beispiel mittels Cross Selling). Es wird beim One‐to‐One‐Marketing der Versuch unternommen, diese Stammkunden langfristig an die Organisation zu binden.
Customer Relationship Management: Customer Relationship Ma‐ nagement bedeutet die Planung, die Steuerung und die Kontrolle sämtlicher auf aktuelle und potenzielle Marktpartner gerichteter Maßnahmen, mit dem Ziel einer Intensivierung der Kundenbezie‐ hung (Kumar/Reinartz 2018, S. 15).
159
Kunden dauerhaft gewinnen
Kundennutzen entscheidet
Beziehungsma‐ nagement
C KPI zur Messung des Kundennut‐ zens
Strategien des Supply Chain Managements
Im Sinne eines Customer Relationship Managements (CRM) sind die Faktoren Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität und Kundenakquisiti‐ on ständig zu verbessern. Ein reines Transaktionsmarketing hat sich durch das Aufkommen von CRM zum echten Beziehungsmarketing gewandelt. Diese Erweiterung bezieht sich insbesondere auf die Kom‐ ponenten Information, Interaktion, Integration und Individualisierung.
„Was“: Aufbau der Kundenbeziehung
Information: Über Informationen werden Kundenbeziehungen auf‐
„Wie?“: Kunden in den Mittelpunkt rücken
Interaktion: Zum Austauschprozess zwischen einer Organisation mit
„Womit?“: Kun‐ denbeziehung messen
Integration: Der Anspruch nach Integration bedeutet, den Kunden di‐
„Wodurch?“: Spezialisierung und Vergleich umsetzen
Individualisierung: Die Individualisierung im Customer Relationship
Schlüsselgrößen definieren
Ein Customer Relationship Management zielt auf die Intensivierung der Austauschprozesse von Herstellern und Kunden. Es dient einer Verbes‐ serung der strategischen Zielgrößen Profitabilität, Differenzierung und Dauerhaftigkeit.
Profit sichern
gebaut und gepflegt. Dazu dient beispielsweise das Internet. Die In‐ formationen sollen von hoher Substanz sein und zur Lösung einer Problemstellung des Kunden direkt beitragen. Die Digitalisierung bie‐ tet umfangreiche Möglichkeiten zur Informationssammlung. ihren Kunden können virtuelle Gemeinschaften (Communities) auf‐ gebaut werden. Dadurch soll ein Zugehörigkeitsgefühl für den Kun‐ den entstehen. Eine Möglichkeit dazu bieten Diskussionsforen im In‐ ternet oder die Nutzung von Social Media Kanälen. rekt in den Prozess zur Leistungserstellung einzubinden. Beispielhaft dafür steht im Supply Chain Management ein Tracking and Tracing. Eine weitere Möglichkeit bietet das „Affiliate“‐Programm. Darunter ist ein System zu verstehen, welches eine erfolgsabhängige Vergütung von Usern sichert: Wie der Erfolgsbonus, den Amazon und Sky für das aktive und erfolgreiche Werben neuer Kunden gewähren. Management beschreibt den Übergang von Mass Consumption zu Mass Customization (vgl. S. 164 dieser Schrift). Mit Hilfe von „Collabo‐ rative Filtring“ besteht die Möglichkeit, individuelle Empfehlungen – auf Basis eines Präferenzvergleichs – an weitere Nutzer zu geben. Über das Internet werden dabei den Usern ausgewählte Produktvor‐ schläge übermittelt.
Profitabilität: Klassische Strategien des Marketings richteten sich vor allem darauf aus, möglichst viele Kunden an sich zu binden, um den Share‐of‐Market (Marktanteil) zu steigern. Das Customer Relationship
160
Strategien der Versorgung
C.3
Management bezieht sich hingegen im Schwerpunkt auf die Verbesse‐ rung der Kaufintensität zu selektierten Kunden (Share‐of‐Wallet).
Differenzierung: Die Kunden werden nicht länger als eine wenig dif‐ ferenzierte Einheit verstanden. Vielmehr entwickeln sich Massenpro‐ dukte sukzessive zu echten Maßanfertigungen (Mass Customization).
Dauerhaftigkeit: Im Rahmen von CRM ändert sich die Zielvorgabe. Sie ist nicht länger der möglichst umfangreichen Neukundengewin‐ nung geschuldet, sondern wendet sich der langfristigen Pflege bereits bestehender Kundenbeziehungen zu.
Kundenindividuell in Masse Long‐Range‐ Planning
Wesentlich für ein Customer Relationship Management ist die intensive Nutzung moderner Informations‐ und Kommunikationstechniken. Bis‐ herige Insellösungen des Marketings (wie Help‐Desk‐Lösungen oder Vertriebsinformationssysteme) werden nicht länger geduldet. Sie gestat‐ ten keine einheitliche Sichtweise zum Kunden und beinhalten lediglich unvollständige oder veraltete Daten. Jetzt werden diese Informationen in ein unternehmensweit standardisiertes CRM‐System eingebunden. Dieses System ist ein „Customer Touch Point“ (Kontaktpunkt), der den Dialog mit den Kunden gewährleistet.
Touch Points schaffen
Ein Customer Relationship Management stellt eine systematische Zu‐ sammenführung von Kundeninformationen dar, verbunden mit der Synchronisation sämtlicher Kommunikationskanäle, um den Kunden ganzheitlich abzubilden („One‐Face‐of‐the‐Customer“). Dadurch ist eine differenzierte und einheitliche Ansprache in Kundenrichtung gewähr‐ leistet: „One‐Face‐to‐the‐Customer“ (vgl. Bruhn 2016; Buttle 2019, S. 53; Hippner et al. 2011; Raab/Werner 2010).
„It’s not hard to go the distance when you finally get involved face to face…“ (Daft Punk)
C.3.2.1.1 Komponenten Die Komponenten des Customer Relationship Managements setzen sich aus dem kommunikativen CRM, dem operativen CRM sowie dem ana‐ lytischen CRM zusammen (vgl. Hippner et al. 2011, S. 91ff.). Diese Inhalte werden im Folgenden kurz beschrieben.
Im kommunikativen CRM werden die Kommunikationskanäle zum Kunden synchronisiert. Dazu zählen die Instrumente Telefon, Internet oder E‐Mail ebenso, wie das klassische Verkaufsgespräch des Außen‐ dienstmitarbeiters. In dem „Customer Interaction Center“ können die Informationen aus diesen unterschiedlichen Kommunikationsebenen zusammenfließen.
161
Struktur von CRM
„Die Welt ist nicht schlechter gewor‐ den, wir haben nur ein besseres Kom‐ munikationsnetz.“ (K. Hubbard)
C
Strategien des Supply Chain Managements
Front‐End‐Back‐ End‐Lösung
Das operative CRM beinhaltet sämtliche Lösungen, die in unmittelba‐
Closed‐Loops
Schließlich sind im analytischen CRM Kundenkontakte und Kunden‐
rer Verbindung zum Front‐Office, dem Kontaktpunkt zum Kunden, stehen. Ein operatives CRM untergliedert sich in Marketing Automa‐ tion, Sales Automation sowie Service Automation. Zur zielführenden Verarbeitung innerhalb der Supply Chain wird das Know‐how aus dem Front‐Office im Back‐Office verarbeitet. Mögliche Lösungen in diesem Back‐Office stellen ERP‐ und APS‐Systeme dar. reaktionen systematisch aufzuzeichnen. Dadurch wird sichergestellt, dass keine Informationen versickern. Wenn sich beispielsweise ein Kunde im Call Center der Organisation beschwert, muss dieses Wis‐ sen bis auf die oberste Managementebene durchdringen können. CRM ist ein Ansatz im Sinne von Closing‐the‐Loop: Die Beschwerde des Kunden wird in das CRM‐System eingegeben, dort gepflegt und so lange verfolgt, bis das Problem gelöst ist. Wesentliche Systembestand‐ teile eines analytischen Customer Relationship Managements sind Da‐ ta Warehouse, OLAP und Data Mining (vgl. S. 375).
C.3.2.1.2 Weiterentwicklung zu Enterprise Relationship Management Champions League der Supply Chain
In modernen Supply Chains wandelt sich das Customer Relationship Management zum Enterprise Relationship Management (ERM, vgl. Baumgarten 2001a, S. 25; Werner 2013b, S. 18). Symptomatisch für ein Enterprise Relationship Management ist die vollständige Integration des Kunden in die Lieferkette des Herstellers. Ein Kundenauftrag wird durchgängig verfolgt: Von der Bestellung, über die Produktion, bis zur Auslieferung. Sämtliche Parameter des Produzenten richten sich nach den Prinzipien Available‐to‐Promise und Capable‐to‐Promise aus.
ATP: Ein Verspre‐ chen abzugeben, ist die eine Sache…
Available‐to‐Promise: Der Abnehmer darf erwarten, dass seine Be‐
…es halten zu können, die andere (CTP)
Capable‐to‐Promise: Capable‐to‐Promise bedeutet, dass ein Unter‐
stellung fristgerecht bearbeitet wird. Deshalb bestätigt der Hersteller die rechtzeitige Auslieferung des Kundenauftrags verbindlich. Ein Beispiel dafür ist das Versprechen von Amazon, bestimmte Waren in‐ nerhalb einer vorgegebenen Zeit auszuliefern (z. B. „Next Day De‐ livery“). Available‐to‐Promise ist also eine Front‐End‐Betrachtung. nehmen auch über die internen Fähigkeiten verfügt, das nachgefragte Produkt entsprechend herzustellen (Back‐End‐Sichtweise). Falls die Bestellung des Kunden bisher noch nicht in einer Produktion einge‐ plant war, findet diese Berücksichtigung jetzt statt, wobei dem Kun‐
162
Strategien der Versorgung
C.3
den ein Liefertermin vorgeschlagen werden kann. Diese Vorgehens‐ weise findet sich beispielsweise in der Automobilindustrie.
Zur Realisierung von Available‐to‐Promise setzen die Produzenten oft‐ mals flexible KEP (Kurier‐, Express‐ und Paketdienste) ein. Diese exter‐ nen Warenverteiler sind auf die Distribution geringer Sendungsgrößen spezialisiert. Mit Hilfe der Kurier‐, Express‐ und Paketdienste werden die Hersteller dem Kundenanspruch nach Spezialisierung und Indivi‐ dualisierung gerecht. Zum Teil übernehmen die KEP auch kostenpflich‐ tige Zusatzdienste (z. B. Amazon Prime durch „Same Day Delivery“).
KEP zielgerichtet einsetzen
Die Kundeninformationen sind bei Enterprise Relationship Management elektronisch zu sammeln, zu verwalten und aufzubereiten. Beispielswei‐ se kann eine Verdichtung von Daten zum Zweck der Managementin‐ formation stattfinden. Hierbei wird das elektronische Front‐End‐System des Kunden (das Internet) nicht länger losgelöst vom Back‐End‐System des Produzenten (dem logistischen Realisierungsprozess) gesehen. Front‐End und Back‐End verschmelzen in Enterprise Relationship Ma‐ nagement zur integrierten Supply Chain mit maximaler Kundenbefrie‐ digung und Wertsteigerung.
ERM als MIS nutzen
In Zeiten von ERM sind alle Partner einer Supply Chain zielorientiert miteinander verbunden: Vom Lieferanten (der Source of Supply), über den Hersteller, bis zum Kunden (dem Point of Consumption). Dabei rich‐ tet sich der Ansatz streng nach dem Pull‐Konzept aus. Die Planung, die Steuerung und die Kontrolle in der Lieferkette erfolgen über die Gren‐ zen von Akteuren hinweg. Dadurch werden Reibungsverluste an den Schnittstellen vermieden und Value Added Services erzielt. Enterprise Relationship Management benötigt dazu moderne Informations‐ und Kommunikations‐Techniken. Sie erlauben eine Bearbeitung von Prozes‐ sen in Echtzeit (Realtime Process). Eine mögliche Abwicklung im Sinne von ERM besteht, wenn:
Prozess spezifizie‐ ren
Ein Kunde über das Internet bei einem Hersteller seiner Wahl Waren bestellt und dieser Kundenauftrag bei dem Hersteller in einem IT‐ System segmentiert wird,
wozu die Aufbau‐ und die Ablauforganisation des Herstellers hin‐ sichtlich der notwendigen Prozessumstellungen schnellstmöglich an‐ zupassen sind, außerdem eine enge Abstimmung an den Schnittstel‐ len zu ausgewählten Lieferanten (Tier‐One‐Supplier) stattfindet und
dadurch eine durchgängige Auftragsverfolgung und verbindliche Lie‐ ferzusage ermöglicht wird.
163
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.3.2.2
Mass Customization
Zeiten von Stuck‐ in‐the‐Middle sind passé
In Mass Customization (vgl. insbesondere Piller 2012; Pine 1993; vgl. weiterhin Beaufils 2016; Hanisch 2006; Seidenschwarz 2008) vereinen sich die Vorteile der Massenfertigung mit denen der kundenspezifischen Einzelfertigung. Der Ansatz stellt die „Stuck‐in‐the‐Middle‐These“ Por‐ ters in Frage: Nach Michael E. Porter muss sich eine Organisation für eine der generischen Wettbewerbsstrategien von Kostenführerschaft oder Differenzierung entscheiden, weil sie ansonsten eine Position zwischen den Stühlen einnimmt (vgl. S. 98). Diesem Postulat der Unvereinbarkeit von Kostenführerschaft und Differenzierung stehen hybride Wettbe‐ werbsstrategien gegenüber. Sie erlauben die simultane Realisation von Kostenführerschaft und Differenzierung. Eines dieser hybriden Konzep‐ te ist Mass Customization (vgl. Abbildung C.5 und Piller 2012, S. 16).
Abbildung C.5
Hybride Wettbewerbsstrategien
Strategie
Beschreibung
Protagonist
Outpacing
Rechtzeitiger Wechsel zwischen Kosten‐ Gilbert/Streckel führerschaft und Differenzierung möglich, (1985) wobei die bereits erzielten Wettbewerbs‐ vorteile erhalten bleiben.
Mass Customization
Kundenindividuelle Massenfertigung.
Pine (1993)
Simultaneitätshypothese
Gleichzeitige Kostenführerschaft und Differenzierung durch moderne Ferti‐ gungsansätze.
Duale Internationalisie‐ rung
Weltweite Anwendung unterschiedlicher Wettbewerbsstrategien an verschiedenen Orten (zum Beispiel Kostenführerschaft im Inland und Differenzierung im Ausland).
Dynamische Produktdif‐ ferenzierung
Möglichkeit des Erzeugniswechsels durch adäquate Fertigungsverfahren.
Corsten/Will (1995) Fleck (1995)
Kaluza (1996)
Charakteristika des Konzepts
Mass Customization bedeutet eine kundenindividuelle Massenferti‐ gung von Gütern für einen großen Absatzmarkt. Die Erzeugnisse müs‐ sen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Nachfragern erfüllen. Dabei sollen die Kosten in etwa denen einer massenhaften Fertigung standar‐ 164
Strategien der Versorgung
C.3
disierter Produkte entsprechen. Deshalb bedeutet Mass Customization nicht „Einzelfertigung um jeden Preis“. Vielmehr richtet sich der Ansatz nach einer ausgewogenen Verknüpfung kontinuierlich verlaufender Massenfertigung und diskontinuierlicher Einzelfertigung aus. Zu den Voraussetzungen für die Nutzung von Mass Customization zählen:
Hohe Stückzahlen: Die Fertigung von Mass Customization bezieht sich auf eine hohe Menge. Dabei werden Economies of Scale erzielt. Die Basen für die Massenfertigung („Mass“) stellen standardisierte Leistungsmodule dar. Sie werden „aus dem Baukasten“ heraus zu‐ sammengesetzt. Erst im eigentlichen Verkaufsprozess beginnt ihre kundenspezifische Konfigurierung. Beispiele hierfür liefert die Le‐ bensmittelindustrie bei der Fertigung von Müsli (MyMuesli.com) oder Schokolade (chocri.de). Aber auch viele Küchen werden nach diesem Prinzip hergestellt.
Individualisierung: Der Begriff „Customization“ steht für eine indivi‐ duelle Befriedigung von Kundenwünschen. Diese kundengerechte Spezifizierung des Leistungsprogramms kann sich auf die Kommuni‐ kation, die Konfiguration, das Design, die Preisgestaltung oder den After‐Sales‐Bereich erstrecken (Varietät). Das Ziel besteht nicht darin, die klassische Einzelfertigung zu ersetzen. Sondern ein Spektrum an in Masse gefertigten und standardisierten Modulen zu schaffen, die in ihrer Konfiguration dem Käufer einen besonders hohen Nutzen stif‐ ten. Beispielhaft dafür steht die individuelle Fertigung von Chinos: Das amerikanische Versandhaus Lands’ End produziert diesen Hosen‐ typus nach dem Prinzip Mass Customization.
Preis und Zielmarkt: Für ein über Mass Customization hergestelltes Produkt sollte der Verkaufspreis mit dem eines vergleichbaren Stan‐ dardprodukts übereinstimmen, um in Konkurrenz mit Leistungen der Wettbewerber treten zu können. Auch darf der Zielmarkt nicht zu klein sein, damit die gefertigten Waren absetzbar sind.
Variantenanzahl: Die Variantenanzahl sollte nicht zu groß gewählt sein. Es geht nicht darum, besonders viele und ähnliche Produkte hervorzubringen, von denen eines den Wünschen des Kunden „zufäl‐ lig“ entsprechen könnte. Die Abnehmer müssen bei Mass Customiza‐ tion keine Auswahl aus einem Sammelsurium an Alternativen treffen. Sie erhalten vielmehr eine spezifisch auf sie zugeschnittene Leistung.
Mass Customization ist ein kombiniertes Push‐Pull‐Verfahren: Zu‐ nächst werden halb veredelte Produkte in recht hohen Mengen herge‐ stellt und ein Stück weit in den Markt gedrückt (Push). Dadurch erzielen
165
Skaleneffekte gene‐ rieren
Wünsche der Kunden identifizie‐ ren
Preise und Ziel‐ märkte fixieren
Variantenzahl nicht ausufern lassen
Primäre Pull‐ Orientierung
C
Strategien des Supply Chain Managements
die Anwender von Mass Customization Economies of Scale (Mengende‐ gressionseffekte) und Economies of Scope (Verbundeffekte), indem sich einzelne Produktkomponenten zu Modulen aggregieren lassen. Das Halbfertigfabrikat (Work‐in‐Process) verbleibt jedoch in einem generi‐ schen Zustand und wird erst beim Eintreffen eines expliziten Kunden‐ wunschs fertig gestellt, indem beispielsweise die Modulbauweise Ein‐ satz findet. Dadurch sind Änderungskosten weitgehend zu vermeiden. Ein Beispiel für Mass Customization findet sich in Block c.4. Beispielblock c.4
Mass Customization über das Internet Der deutsche Textilhersteller Odermark befand sich Ende der neunziger Jahre in der Krise und begann im Oktober 2000 mit der Einführung von Mass Customization. Zunächst waren die Voraussetzungen für die Nutzung von Mass Customization zu schaffen. Dazu mussten moderne Schneideautoma‐ ten für die Stoffe angeschafft und eine neue Software zur Steuerung der Fertigungsprozesse implementiert werden. Zudem erforderte diese Umor‐ ganisation eine Schulung der Mitarbeiter. Schließlich waren gar zwei zusätz‐ liche Textiltechniker einzustellen. Odermark investierte insgesamt über drei Millionen Euro in die Umstellung auf Mass Customization. Das Geld ist offenkundig gut angelegt. Es ist dem Unternehmen gelungen, dass bereits über 60 Bekleidungshäuser maßgeschneiderte Anzüge von dem Textilher‐ steller Odermark via Internet bestellen (insgesamt 13.000 Anzüge im ersten Jahr). Der Datenaustausch zwischen Auftraggeber und ‐nehmer erfolgt onli‐ ne und erlaubt die Herstellung maßgeschneiderter Anzüge. Der Anzug von der Stange ist für Odermark passé.
Ausprägungsfor‐ men
Die Arten von Mass Customization lassen sich in die beiden Hauptbe‐ reiche Soft Customization und Hard Customization einteilen (vgl. Hug 2013, S. 33). Deren nähere Beschreibung erfolgt in den nachstehenden Gliederungsabschnitten (vgl. auch Abbildung C. 6).
C.3.2.2.1 Soft Customization Produktion ist nicht direkt betrof‐ fen
Soft Customization ist eine offene Individualisierung. Der Eingriff findet außerhalb der eigentlichen Fertigung statt, die Kunden werden also nicht direkt in den Produktionsprozess eingebunden. Wenige Varianten in großer Stückzahl bieten die Möglichkeit zur Differenzierung. Die Ausprägungsformen für Soft Customization sind Selbstindividualisie‐ rung, Serviceindividualisierung sowie Endfertigung am Point‐of‐Sale.
166
Strategien der Versorgung
Selbstindividualisierung: Das Angebot umfasst bei dieser Art stan‐ dardisierte Leistungen, welche der Kunde selbst konstruiert. Es findet quasi eine Endfertigung durch den Kunden statt. Beispiele dafür sind Neff (ein Produzent von Kühlschränken) oder Hallmark (im Rahmen der Fertigung von Glückwunschkarten). Analog sind die Pager von Motorola kundenindividuell konfiguriert. Auch Procter & Gamble er‐ möglicht seinen Kunden eine Selbstindividualisierung: Unter der Marke „Reflect.com“ bietet der Konzern bereits seit über 20 Jahren er‐ folgreich Kosmetik‐ und Pflegeprodukte an, welche der Endverbrau‐ cher selbst konfiguriert.
Serviceindividualisierung: Das Standardprodukt ist um individuelle Sekundärleistungen zu ergänzen, wobei kein direkter Dialog mit dem Kunden vor der Endmontage notwendig ist. Planters Company stellen auf diese Art unterschiedliche Verpackungseinheiten von Nüssen für aktuelle und potenzielle Konsumenten her.
Individuelle Endfertigung am Point‐of‐Sale: Bei dieser dritten Form liegt ein standardisiertes Grundprodukt vor. Es ist eine technische Plattform, die erst am Point‐of‐Sale auf die spezifischen Wünsche der Kunden zugeschnitten wird. Beispielhaft dafür steht das individuelle Brillendesign des japanischen Herstellers Paris Miki oder die Verede‐ lung von Skiern durch MySki.
C.3 Kunde gibt das Produkt vor
Standardprodukte schaffen
Anpassungen am POS
C.3.2.2.2 Hard Customization Hard Customization orientiert sich an der geschlossenen Individualisie‐ rung. Die Varietät findet innerhalb der Fertigung statt: Die Wünsche des Kunden haben einen direkten Einfluss auf die Fertigung des Produkts, indem der Kunde seine Bedürfnisse vor Fertigungsbeginn mitteilt. Mög‐ liche Ausprägungen für Hard Customization stellen die kundenindivi‐ duelle Einzelfertigung, die kundenindividuelle Vorfertigung, das modu‐ lare Baukastenprinzip und die massenhafte Fertigung von Unikaten dar.
Kundenindividuelle Endfertigung: Die Individualisierung tritt bei dieser Variante in der letzten Fertigungsstufe des Herstellers ein. Der Kunde gibt seine Erzeugnisanforderungen an den Produzenten wei‐ ter. Diese Möglichkeit kann sich bei einem Postponement einstellen (vgl. S. 169). Nach dem Prinzip der kundenindividuellen Endferti‐ gung richtet sich die Herstellung der Vitaminpillen von Sovital aus.
Kundenindividuelle Vorfertigung: Hier bezieht sich die Individuali‐ sierung auf die frühen Fertigungsstufen. Die weiteren Produktions‐ schritte sind streng standardisiert. Insbesondere die Bekleidungsin‐ 167
Fertigungsverfah‐ ren ändern
Postponement durchführen
Sorten individuell schaffen
C
Strategien des Supply Chain Managements
dustrie wählt eine kundenindividuelle Vorfertigung. Ein Beispiel stellt das Vermessen von Kunden in Levis‐Stores dar. Die Jeans „501“ gibt es in 51 verschiedenen Varianten, die kundenindividuell über Bodyscan‐ ner auf den jeweiligen Träger zugeschnitten sind. Hauptvariante von Mass Customizati‐ on
Modulares Baukastenprinzip: Das modulare Baukastenprinzip
Einzelstücke nach generischem Grundtyp
Massenhafte Fertigung von Unikaten: Bei der massenhaften Ferti‐
kommt bei Mass Customization recht häufig zum Einsatz, es ist wohl sein bekanntester Vertreter. Die standardisierten Komponenten wer‐ den zu kundengerechten Modulen zusammengestellt. Beispiele finden sich bei der PC‐Fertigung von Dell und Vobis. Aus dem modularen Baukasten stammen auch die Uhren und Taschen des Netzhändlers Xaaaz. Viele Autos werden modular aus dem Baukasten hergestellt. gung von Unikaten richtet sich schließlich die Herstellung über die gesamte Supply Chain streng nach Kundenwünschen aus. Im Gegen‐ satz zur konventionellen Einzelfertigung, werden hier standardisierte Prozesse abgewickelt, die moderne Produktionsabläufe nutzen. Auf diese Art stellen My Twinn ihre Puppen her, und Arcumi liefert unter Anwendung dieses Verfahrens Nährstoffpräparate nach Maß.
Mass Customizati‐ on eignet sich nicht überall
Jedoch bedarf Mass Customization einer intensiven Forschung und Entwicklung, weil der „Baukasten“ immer auf dem neuesten Stand der Technik gehalten werden muss. Außerdem steigen die ohnehin schon hohen Anforderungen an die Mitarbeiter hinsichtlich einer adäquaten Qualifikation. Weiterhin ist das Konzept in einigen Fällen schlichtweg gescheitert: Ausstatter wie Cut for You und C & A ersetzten das Maß‐ band durch den Laser. Sie stellten medienwirksam 3D‐Bodyscanner auf. Sogar Maßschneider, wie Dietrich Brügelmann, boten maßgefertigte Hemden über das Internet an. Doch die hohen Erwartungen erfüllten sich in der Fashion Logistics nur zum Teil. Entsprechend rückten oben genannte Organisationen wieder von der kundenindividuellen Massen‐ fertigung ab. Ähnliche Erfahrungen sammelte die Schuhindustrie. Auf der „Popkomm“ stellte Creo Schuhe vor, welche die User individuell am Bildschirm selbst konfigurieren konnten. Doch der Erfolg war allenfalls mäßig. Die Kunden schreckten offenkundig vor individuell am Compu‐ ter zusammengestellten Schuhen zurück. Außerdem war der Markt wohl noch nicht für diese revolutionäre Schuhproduktion vorbereitet, das Zielsegment schlichtweg zu klein und der Verkaufspreis zu hoch (vgl. Schmitz‐Normann 2004, S. 110ff.).
Sperrriegel für den Handel
Außerdem kollidiert Mass Customization teilweise mit den intensiven Ansprüchen des Handels: Wenn Markenartikelhersteller nach der kun‐
168
Strategien der Versorgung
C.3
denindividuellen Massenfertigung streben, entsteht aus der Sicht des Handels der Eindruck, dass dieser nur zweitklassige Ware verkaufen würde. Auch müsste das Personal für spezielle Vermessungen am Point‐ of‐Sale geschult sein. Und schließlich: Wem gehören die Daten, welche der Händler erhebt und an den Hersteller weiterleitet? Folglich vertrieb Adidas seine Marke „Mi‐adidas“, welche im Sinne von Mass Customiza‐ tion gefertigt wird, auch aus Rücksicht auf den Handel, zeitweise nur in Flagship‐Stores. Adidas überlegt allerdings derweil, das Prinzip über die Nutzung von 3D Druck wieder einzuführen. Abbildung C.6
Arten von Mass Customization Hard Customization
Soft Customization
Kundenindividuelle Endfertigung
Selbstindividualisierung
Kundenindividuelle Vorfertigung
Serviceindividualisierung
Modulares Baukastenprinzip
Individuelle Endfertigung
Unikatfertigung
C.3.3
Postponement
C.3.3.1
Grundlagen
Eine weitere Versorgungsstrategie in der Supply Chain ist Postpone‐ ment. Die grundlegende Idee besteht bei einem Postponement darin, die Aktivitäten in der Lieferkette nachhaltig zu verzögern (bewusste Ent‐ schleunigung). So kann die endgültige Produktgestalt erst in der letzten Fertigungsstufe definiert werden (vgl. die Verbindung zur „kundenin‐ dividuellen Endfertigung“ bei Mass Customization). Dadurch korreliert Postponement eng mit dem Ansatz Time Based Competition, indem sich logistische Maßnahmen latent im Spannungsfeld zwischen Beschleuni‐ gung und bewusster Entschleunigung einpendeln (vgl. S. 119).
169
„And this is why you will never care. These things take time…“ (the Smiths)
C
Strategien des Supply Chain Managements
„Die Natur eilt nicht und dennoch wird alles erreicht.“ (Laozi)
Durch die Einleitung von Verzögerungsstrategien versuchen die Unter‐ nehmen ihre Lagerbestände (insbesondere Halbfertig‐ und Fertigwaren) abzubauen. In jeder Stufe erlangt ein Wirtschaftsgut einen Zuwachs an Wert (Produktionsleistungen, Serviceleistungen). Daraus resultiert eine ständige Kostenzunahme mit steigendem Lagerhaltungsrisiko: Die Be‐ stände werden in ihrer Bewirtschaftung immer teurer („Kostenauf‐ wuchskurve“). In der Supply Chain ist eine Produktion von Slow Mo‐ vern möglichst zu vermeiden, diese haben lange Verweilzeiten im Lager. Mit Hilfe einer kundengerechten Fertigung sollen diese Opportunitäts‐ kosten sinken: Postponement‐Strategien richten sich in letzter Konse‐ quenz nach den Wünschen der Kunden aus (vgl. Cheng 2012, S. 53).
Standardisierungs‐ phase strecken
Bei einem Postponement werden die ein Produkt spezifizierenden Akti‐ vitäten in der Supply Chain so lange hinausgeschoben, bis sichere (Kunden‐) Informationen vorliegen. Die Lagerbestände verbleiben in einem generischen Stadium. Sie sind erst beim Eintreffen konkreter Konsumentenwünsche individuell zu konfigurieren. Damit wird der Zeitpunkt einer Produktentkoppelung bewusst hinausgezögert. Abbil‐ dung C.7 zeigt, dass Bestände im Zeitablauf einem Veredelungsprozess unterworfen sind. Mit steigender Wertschöpfung nehmen die kumulier‐ ten Stückkosten im Zeitablauf zu. Kaufteile und Rohstoffe werden zu Halbfertigfabrikaten (Work‐in‐Process) weiter verarbeitet, und der Zeit‐ punkt zur Auftragsentkoppelung verschiebt sich nach hinten. In Kombi‐ nation mit Mass Customization bedeutet diese Verlangsamungsstrategie die Ausnutzung von Skaleneffekten (Push‐Ansatz).
Abbildung C.7
Kostenaufwuchskurve
Postponement
k kum
Fertigwaren
WIP Rohstoffe
Produkt‐ entkoppelungspunkt
t
170
Kundenwunsch
Kundenwunsch
(Push)
(Pull)
Mass
Customization
Kundenwunsch
Strategien der Versorgung
C.3
Die finale Produktkonfiguration (Pull‐Orientierung) erfolgt nicht auf Verdacht, sondern explizit nach Kundenwunsch. Dazu sind die Bestän‐ de möglichst in einem einheitlichen Zustand zu halten. Durch die Ferti‐ gung standardisierter Produkte in großen Mengen werden Economies of Scale erzielt. Die Notwendigkeit zur Durchführung von Postponement innerhalb der Supply Chain verdeutlicht Beispielblock c.5.
Phase der Customization
Beispiel zu Postponement
Beispielblock c.5
Bei Auslandsaufenthalten ergibt sich immer wieder das gleiche Problem: Der Netzstecker eines Rasierers oder Föns passt nicht in die vorgesehene Dose. Um den Kunden diese Unannehmlichkeit zu ersparen, stattete Hew‐ lett‐Packard seine Deskjet‐Printer mit einem auf das jeweilige Empfängerland zugeschnittenen Netzteil aus. Daher musste für die in Asien gefertigten Drucker ein sehr großer Vorrat an unterschiedlichen Netzsteckern vorgehal‐ ten werden. Die Bestandskosten, insbesondere für Halbfertigfabrikate, wa‐ ren enorm. Heute entschleunigt Hewlett‐Packard die Zuordnung von Deskjet‐ Printer und Netzteil. Die Organisation stellt generische Drucker mit einer modularen Produktarchitektur her. Erst im regionalen Verteilzentrum fügen die Mitarbeiter die landesspezifischen Netzteile bei. Durch dieses Postpo‐ nement senkt Hewlett‐Packard seine Bestandskosten um circa fünf Prozent. In ähnlicher Weise wird an Waschmaschinen erst im letzten Produktionsstadi‐ um ein landesspezifisches Bedienfeld angebracht. Ersatzteile von Autos verweilen in einem zentralen Hub. Erst nach der Kundenbestellung erfolgt deren Verschickung in die weltweiten Destinationen im Eiltempo.
Auf die Möglichkeiten und die Grenzen für ein Postponement in der Supply Chain wirken sich vor allem nachstehende Einflussfaktoren aus:
Risikostruktur in der Branche: Ein häufiges Problem von Logistik‐ prozessen sind Schwankungen im Nachfrageverhalten der Kunden.
Produktkomplexität: Je höher die Produktkomplexität, desto eher sollte der Informationsfluss angestoßen werden.
Kapitalbindung der Sachnummern: Sie bestimmt den Kostenzuwachs auf einer bestimmten Wertschöpfungsstufe.
Möglichkeiten zur Erzielung von Skaleneffekten: Um die Erfah‐ rungskurve konsequent „herunterzufahren“.
Informations‐ und Kommunikationssysteme: Sie sind die Plattform für ein erfolgreiches Postponement.
171
Abhängigkeiten von Postponement
C
Strategien des Supply Chain Managements
Konkurrenzattribute: Die Kundentreue und die Kundenstruktur sind bedeutsame Parameter, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen.
Variantenvielfalt und Produktkomplexität: Beide Schlüsselgrößen sollten bei Postponement nicht ausufern.
C.3.3.2 Ausprägungsfor‐ men
Arten
Im Allgemeinen werden zwei verschiedene Möglichkeiten des Postpo‐ nements innerhalb der Supply Chains unterschieden: Form Postpone‐ ment und Time Postponement. Eine nähere Kennzeichnung dieser bei‐ den Ausprägungen findet sich im Folgenden (vgl. Cheng et al. 2012).
C.3.3.2.1 Form Postponement Verbindung zu Mass Customizati‐ on
Ein Form Postponement (vgl. Marbacher 2001, S. 327ff.) wird auch als Assembly Postponement oder Value Added Postponement bezeichnet. Form Postponement bedeutet, wenn die Produkte möglichst lange in einem Standardzustand verweilen. Der Punkt zur Leistungsdifferenzierung wird bewusst nach hinten verlagert. Beispielhaft dafür steht das modu‐ lare Baukastenprinzip von Mass Customization: Die Standardkompo‐ nenten werden erst nach Auftragseingang kundengerecht zu Modulen zusammengefügt. Dadurch begegnet ein Hersteller der Gefahr, Produk‐ te zu fertigen, welche der Kunde, beispielsweise auf Grund einer um‐ ständlichen Bedienweise oder eines zu hohen Preises, ablehnt. In Form Postponement verschmelzen die Vorteile von Individualisierung und Mengendegression (vgl. Bellovoda 2011; Cheng et al. 2012).
Standardisierung und Parallelisie‐ rung
Doch Form Postponement bezieht sich nicht nur auf das Endprodukt selbst, sondern auch auf die zu seiner Herstellung notwendigen Aktivi‐ täten. Mit Hilfe einer Modularität in den Prozessen wird die Basis für den Übergang von Sequentialität zur Simultaneität geschaffen: Die Ab‐ kehr von Aktivitäten, die streng nacheinander geschaltet sind (eine neue Tätigkeit kann erst dann starten, wenn die vorherige abgeschlossen ist), und die Hinwendung zur Parallelisierung standardisierter Abläufe.
Möglichkeiten für Form Postpone‐ ment
Eine Ausgestaltung des Form Postponements bezieht sich auf die Mög‐ lichkeiten zur Individualisierung von Waren. Hohe Spezifizierungsbe‐ darfe ergeben sich beispielsweise im Autobau. Hier können die Farbge‐ bung, die Motorenauswahl oder die Definition der Innenausstattung der Fahrzeuge als Pakete einer Individualisierung dienen. Nur wenige Al‐
172
Strategien der Versorgung
C.3
ternativen für eine Spezialisierung ergeben sich hingegen in der Kon‐ sumgüterelektrik. Es sind dort vor allem länderspezifische Merkmale, die eine Produktdifferenzierung ermöglichen (unterschiedliche Bedie‐ nungsanleitungen, Verpackungen oder Anschlussstecker). Eine Spezifi‐ zierung dieser Produkte direkt durch den Kunden ist jedoch kaum zu realisieren. Die Modifizierung logistischer Abläufe durch Form Postponement er‐ streckt sich einerseits auf die eigentliche Produktion. Andererseits be‐ zieht sie sich auf die Schnittstelle zwischen Produktion und Distribution.
Form Postponement innerhalb der Produktion: Beispielhaft dafür steht Benetton. Früher ließ das Unternehmen zunächst das Garn färben und erst später die Kleidungsstücke weben. Auf Grund sich rasch än‐ dernder Modetrends bei der Farbgebung entstanden dadurch Laden‐ hüter. Heute hat Benetton den Fertigungsprozess umgestellt. Benetton webt jetzt zunächst die Kleidung und färbt die Garne erst im An‐ schluss individuell.
Form Postponement zwischen Produktion und Distribution: Das Form Postponement kann sich auch auf eine Verbindung zwischen Fertigung sowie anschließender Distribution beziehen. Dabei über‐ nehmen externe Logistikdienstleister Value Added Services (Kommis‐ sionierung, Labeling, Verpackung).
Unterscheidung nach Wertschöp‐ fungsbezug Fertigungsprozesse entschleunigen
Added Services verlangsamen
C.3.3.2.2 Time Postponement Das Time Postponement (vgl. Bellovoda 2011; Marbacher 2001, S. 329ff.) zielt darauf, sämtliche Aktivitäten in der Supply Chain möglichst nah am Kundenauftrag auszuführen. Es werden also vor dem Eintreffen der Bestellung nur wenige (logistische) Aktivitäten innerhalb eines Unter‐ nehmens durchgeführt. Abbildung C.6 zeigt die vier Ausprägungen für ein Time Postponement auf: Full Speculation, Manufacturing Postpone‐ ment, Logistics Postponement und Full Time Postponement (vgl. Cheng et al. 2012; Pagh/Cooper 1998, S. 13ff.).
Produktion am Kunden ausrichten
Full Speculation: Eine reine Spekulation ist die einfachste Form.
Prognoseorientierte Abwicklung
Streng genommen findet hier allenfalls ein schwach ausgeprägtes Postponement statt. Die Produktion und die Lieferung werden tradi‐ tionell vom Lager ausgehend vorgenommen (Make‐to‐Stock kombi‐ niert mit Deliver‐to‐Stock). Basierend auf Absatzprognosen, werden die Aktivitäten in Fertigung und Distribution bereits vor Eingang des Kundenauftrags angestoßen. Full Speculation ist häufig in der Kon‐
173
C
Strategien des Supply Chain Managements
sumgüterindustrie vorzufinden. Dadurch können Economies of Scale (Losgrößendegression) ausgeschöpft und kurze Lieferzeiten erzielt werden. Die Vorteile gehen jedoch tendenziell zu Lasten höherer La‐ gerkosten. Fertigungsprozesse verlangsamen
Manufacturing Postponement: Ein Manufacturing Postponement be‐
Entschleunigung der Distribution
Logistics Postponement: Logistics Postponement ist eine Kombinati‐
Kundenorientierte Fertigung und Auslieferung
Full Time Postponement: Schließlich ist unter einem Full Time Postpo‐ nement eine Produktion und eine Belieferung durch Kundenauftrag zu verstehen (Make‐to‐Order kombiniert mit Deliver‐to‐Order). Hier wird eine besonders frühe Individualisierung von Produkten angestrebt. Ferti‐ gung und Logistik korrelieren mit dem Engineering. Dadurch entfallen Langsamdreher an Fertigwaren. Der Ansatz richtet sich streng nach dem Pull‐Konzept aus (Customization). Allerdings sind, auf Grund der ausge‐ prägten Kundenfokussierung und Spezialisierung, die Möglichkeiten zur Erzielung von Skaleneffekten deutlich begrenzt.
deutet eine Produktion nach Eingang des Kundenauftrags (Make‐to‐ Order). Hierunter fallen Tätigkeiten wie Beschriften oder Verpacken. Die Lieferung erfolgt jedoch standardisiert (Deliver‐to‐Stock). Ein Bei‐ spiel dafür ist das individuelle Mischen von Farben direkt im Bau‐ markt: Auf Lager werden nur wenige Grundfarben gehalten, die sich zu jedem gewünschten Farbton mischen lassen. Diese Grundtöne werden auf konventionellem Weg in den Baumarkt distribuiert. Dort stellen sich die Kunden ihre Farbvarianten und Mengen individuell zusammen. Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung eines digitalen Fo‐ tokalenders: Der Kunde konzipiert seinen Kalender zum Beispiel in einem Drogeriemarkt individuell. So wählt er die Grüße und die Far‐ be des Fotokalenders aus und setzt die Fotos exklusiv ein (Make‐to‐ Order). Die Zustellung in den Drogeriemarkt erfolgt nach dem Druck auf klassische Weise (Deliver‐to‐Stock). on der Produktion vom Lager (Make‐to‐Stock) mit einer kundenindi‐ viduellen Anlieferung (Deliver‐to‐Order). Ein typisches Beispiel dafür ist die Errichtung eines Transshipment Points für ein zweistufiges Cross Docking. Durch die Einführung zentraler Umschlagsplätze kann der Kunde individuell mit standardisierten Gütern versorgt werden. In der Fertigung sind Skaleneffekte zu erzielen, die auf hohen Stückzahlen beruhen: Die Fixkosten verteilen sich auf eine höhere Ausbringungsmenge. Dieser Ansatz wird vor allem im Versandhan‐ del, der Konsumgüter‐ und der Möbelindustrie praktiziert.
174
Strategien der Versorgung
Abbildung C.8
Strategien des Time Postponements
Lieferung
Lieferung direkt vom Lager
Lieferung durch Kunden‐ auftrag
(Deliver‐to‐Stock)
(Deliver‐to‐Order)
Produktion direkt auf Lager
Prognoseorientierte Ferti‐ gung und Distribution
Verzögerung von Distribu‐ tionsaktivitäten
(Make‐to‐Stock)
(Full Speculation)
(Logistics Postponement)
Bewusste Verzögerung von Produktionsabläufen
Kundenorientierte Ferti‐ gung und Distribution
Produktion
Produktion durch Kun‐ denauftrag
(Make‐to‐Order)
(Manufacturing Postponement)
C.3
(Full Time Postponement)
Die Gefahren eines Postponements liegen insbesondere darin begrün‐ det, wenn die originär antizipierten Kundenwünsche sich im Nach‐ hinein als falsch erweisen. Dann hat ein Unternehmen nämlich bereits den Work‐in‐Process (Werkstattbestand) hochgefahren, der Kapital ver‐ zehrt. Ebenso ist die Verlangsamungsstrategie in besonders innovativen Branchen gefährlich, weil der verspätete Marktzugang mit Umsatzein‐ bußen verbunden ist. Schließlich stößt ein Postponement dann an Gren‐ zen, wenn sich die Kundenwünsche schlagartig ändern. Dieses Phäno‐ men taucht zum Beispiel in der Modebranche auf, in welcher Schwan‐ kungen um den Trend sowie saisonale Volatilitäten vorherrschen.
C.3.4
Auch Verzöge‐ rungsstrategien sind nicht ohne Probleme
Sourcing-Strategien
Weitere Strategien der Versorgung im Supply Chain Management resul‐ tieren aus unterschiedlichen Beschaffungsquellen. Eine Diskussion um Sourcing‐Ansätze ist in Deutschland bereits Anfang der 90er Jahre auf‐ gekommen (vgl. Ament 2007; Arnold et al. 2009; Heinecke 2017; Kerkhoff 2006; Kleemann 2006; Schulte 2017). Die einzelnen Sourcing‐Konzepte können nach Differenzierungsmerkmalen in einer „Toolbox“ unter‐ schieden werden. In Abbildung C.9 finden sich die wichtigsten Sour‐ cing‐Ansätze (vgl. Arnold et al. 2009, S. 80; Schulte 2017, S. 433).
175
Verschiedenartig‐ keit von Beschaf‐ fungsquellen
C Outsourcing des Einkaufs
Strategien des Supply Chain Managements
Eine betriebswirtschaftliche Grundsatzentscheidung leitet sich daraus ab, ob eine Organisation ihr Lieferantenmanagement selbst erbringt, oder eben jene Tätigkeit auslagert (3rd Party Procurement). Bei einem solchen 3rd Party Procurement werden spezielle Beschaffungsaktivitä‐ ten einem Dienstleister übertragen. Zum Beispiel haben sich HPI Unter‐ nehmensgruppe (Hoechst procurement international), Mercateo und Portum auf dieses Geschäftsfeld spezialisiert und beschaffen für ihre Kunden vorwiegend standardisierte MRO‐Artikel (Maintenance, Repair and Operations). Die Kunden versprechen sich von einem Outsourcing ihrer Einkaufstätigkeiten primär folgende positiven Effekte:
Reduzierung von Fixkosten innerhalb der Beschaffung: Abbau admi‐ nistrativer Tätigkeiten, Einsparung von Personal, Absenkung der Pro‐ zesskosten.
Verminderung von Transaktionskosten: Standardisierte Kommunika‐ tionsprozesse mit dem Beschaffungsdienstleister.
Bündelung von Einkaufsmengen: Purchase Volume Impact (Preisvor‐ teile), insbesondere, wenn der Dienstleister identische Sachnummern für mehrere Kunden gleichzeitig bestellt.
Konzentration auf das Kerngeschäft: Der Kunde kann „unliebsame“ Beschaffungstätigkeiten auf den Dienstleister auslagern.
Internationalisierung der Beschaffung: Insbesondere für kleine oder mittelgroße Kunden bietet 3rd Party Procurement die Möglichkeit zur globalen Beschaffung.
Erzielung von Kostentransparenz: Der Einkaufsdienstleister stellt für erbrachte Leistungen Rechnungen aus, die durch den Kunden über‐ prüft werden können. Handelsmarge beachten
Natürlich stellt der Beschaffungsdienstleister eine entsprechende Han‐ delsmarge in Rechnung, die sich prozentual von dem Beschaffungswert ableitet. Die Auslagerung der Beschaffung auf einen Dienstleister bietet sich vornehmlich für standardisierte Artikel an. Für Teile des strategi‐ schen Einkaufs hingegen eignet sich die Heranziehung eines 3rd Party Procurement kaum, da die Sachnummern häufig zeitkritisch und erläu‐ terungsbedürftig sind.
176
Strategien der Versorgung
Abbildung C.9
Sourcing‐Toolbox
Unterscheidungskriterium
Lieferantenanzahl
Güterkomplexität
Sourcing‐Konzept
Single Sourcing
Sole Sourcing
Modular Sourcing
Double Sourcing
System Sourcing
Multiple Sourcing Unit Sourcing
Organisationsform
Individual Sourcing
Collective Sourcing
Ort der Wertschöpfung
External Sourcing
Internal Sourcing
Beschaffungsareal
C.3
Global Sourcing
Domestic Sourcing
Local Sourcing
C.3.4.1
Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Lieferantenanzahl
Werden Sourcing‐Konzepte nach ihrer Lieferantenanzahl unterschieden, finden sich in der Toolbox Single Sourcing, Sole Sourcing, Double Sourc‐ ing sowie Multiple Sourcing. Single Sourcing bedeutet, dass sich ein Unternehmen pro Materialart freiwillig auf eine Beschaffungsquelle kon‐ zentriert (fakultativer Einquellenbezug). Zum Beispiel arbeitet Hewlett‐ Packard pro Technologie mit nur einem Lieferanten zusammen. Wenn ein Autobauer seine Reifen bislang von Continental, Bridgestone, Goodyear und Pirelli bezog, bedeutet Single Sourcing, dass drei dieser vier Quellen für die Materialart Reifen ausscheiden und eine exklusive Belieferung, beispielsweise durch Continental, erfolgt.
Die wichtigsten Charakteristika des Single Sourcings sind: - Aufbau einer auf Dauer angelegten Partnerschaft zwischen Liefe‐ rant und Kunde sowie intensive Abstimmung der Organisatio‐ nen.
177
„I feel so lonely, lonely, lonely, lone…“ (the Police)
C
Strategien des Supply Chain Managements
- Übertragung von technischem Know‐how an den Lieferanten und Tätigung gemeinsamer Investitionen.
- Hoher Grad an Vorhersagegenauigkeit sowie Abhängigkeit zwi‐ schen den Akteuren. Single Sourcing führt zur Abhän‐ gigkeit
Dieses Risiko der Abhängigkeit bei Single Sourcing bekamen Automo‐ bilhersteller Anfang des Jahres 2020 mit Ausbruch der Corona‐Krise zu spüren. So musste die Produktion von Honda in Wuhan (China) über Wochen ruhen, weil die Lieferkette zu einigen Single‐Source Lieferanten unterbrochen war. Ähnlich erging es Nissan in seinem Werk in Kyushu. Auch hier wurde die Produktion durch Covid‐19 lahmgelegt.
Kritische Gedanken
Im Rahmen einer kritischen Würdigung des Single Sourcings werden nachstehend die wesentlichen Vorteile und Nachteile des Konzepts auf‐ gezeigt.
Vorteile
Nachteile
Purchase Volume Impact im Einkauf und Hohe Abhängigkeiten der Wertschöp‐ Losgrößeneffekt in der Fertigung (Her‐ fungspartner. unterfahren der Erfahrungskurve).
Sole Sourcing als unfreiwilliger Einquellenbezug
Senkung der Transportkosten (Optimie‐ rung der Transportfenster).
Wegfall des Wettbewerbs (keine Ver‐ gleichbarkeit zu weiteren Lieferanten).
Verminderung der Transaktionskosten und der Verwaltungskosten.
Stock‐out‐Gefahr (Produktionsunterbre‐ chungen schlagen sich direkt nieder).
Förderung gleich bleibender Qualität.
Schwierigkeit des Lieferantenwechsels.
Reduzierung der Kapitalbindung (Be‐ rücksichtigung der Philosophien Just‐in‐ Time oder Just‐in‐Sequence).
Vernachlässigung der Integration techni‐ scher Innovationen (wenn der Lieferant dazu nicht in der Lage ist).
Von Single Sourcing ist das Sole Sourcing abzugrenzen. Dabei handelt es sich, häufig hervorgerufen durch eine monopolistische Anbietersituation, um die unfreiwillige Beschränkung auf einen Lieferanten pro Materialart. Sole Sourcing stellt quasi ein „erzwungenes Single Sourcing“ dar. Dieses Phänomen kann sich aus der Verknappung von Ressourcen, einem regen Verdrängungswettbewerb, der Vergabe exklusiver Nutzungsrechte oder staatlichen Regulierungsmaßnahmen ableiten. Beispielsweise beträgt die Wartezeit für Hochtemperatur‐Parabolspiegel durchschnittlich mehr als fünf Jahre. Mit diesen Geräten versucht man Sonnenstürme exakter vorhersagen zu können. Ein Kunde dieser Spiegel ist beispielsweise die NASA. Es gibt
178
Strategien der Versorgung
C.3
weltweit nur einen Hersteller dieser Parabolspiegel, welche einer extremen Hitze trotzen müssen. Ein freiwilliger Zweiquellenbezug pro Materialart wird als Double Sourcing bezeichnet. Die bewusste Aufstockung um einen weiteren Lieferanten für eine bestimmte Sachnummer würde folglich zu einem „Triple Sourcing“ führen. Ein Double Sourcing (synonym: „Dual Sourcing“) wird insbesonde‐ re zur Streuung von Risiken durchgeführt, indem sich die Kunden ein zwei‐ tes „Lieferantenstandbein“ pro Materialart suchen. Kunden schützen sich mittels Dual Sourcing vor einem Versorgungsengpass, sollte ein Lieferant wegzubrechen drohen. Auch wird die Gefahr gemindert, die Kapazitäts‐ grenzen von Lieferanten zu überschreiten.
Double Sourcing
Beim Mehrquellenbezug (Multiple Sourcing) richtet sich die Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Kunde nach dem Prinzip der Seltenheit aus. Ein Kunde versucht sich Preisvorteile zu verschaffen, indem er eine Spotmarktbe‐ ziehung mit Lieferanten eingeht. Die Bindung zwischen den Partnern ist lose. Multiple Sourcing eignet sich für Produkte, die einen geringen Erklärungs‐ bedarf besitzen. Das Einkaufsvolumen ist vergleichsweise gering. Gleiches gilt für das Versorgungsrisiko (Risikostreuung). Zur Senkung der Beschaf‐ fungskosten bietet sich für die Multiple Beschaffung häufig eine elektroni‐ sche Abwicklung an (Electronic Procurement). Insbesondere B‐ und C‐ Artikel werden vorzugsweise elektronisch bezogen. Voraussetzung für der‐ artige Beschaffungsvorgänge ist, dass die Artikel möglichst standardisiert sind. Beispielsweise unterliegen sie DIN‐Normen und sind dadurch quasi wie aus dem Katalog abrufbar.
Multiple Sourcing verringert Beschaf‐ fungsrisiken
Multiple Sourcing sichert eine ausgeprägte Beschaffungsflexibilität. Diese kann bedeutsam sein, wenn größere Schwankungen der Bedarfe vorliegen. Daher ist die Abhängigkeit von den Lieferanten extrem begrenzt. Ferner generieren Kunden bei einer Mehrquellenbeschaffung bewusst Konkurrenz‐ situationen unter den Lieferanten. Nachteilig wirkt sich bei Multiple Sour‐ cing der extreme Informationsbedarf aus, wodurch hohe Transaktions‐ und Prozesskosten anfallen können (intensivierter Kommunikations‐ und Logis‐ tikbedarf). Außerdem verringert sich die Möglichkeit, Purchase Volume Effekte zu erzielen.
Charakteristika Multipler Beschaf‐ fung
C.3.4.2
Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Güterkomplexität
Nach der Komplexität von Gütern werden die Ausprägungsformen Modular Sourcing, System Sourcing und Unit Sourcing unterschieden. Selbst bei der Durchführung von Single Sourcing oder Double Sourcing können für einen Hersteller noch zu viele Lieferanten agieren. Zur wei‐ teren Reduzierung der Schnittstellen eignet sich Modular Sourcing. Der 179
Modular Sourcing
C
Strategien des Supply Chain Managements
Ansatz beinhaltet den Einkauf fertig produzierter Baugruppen (Modu‐ le), die in der Regel mit einem ausgeprägten Funktionsumfang ausge‐ stattet sind. Die zumeist technisch recht komplexen Produkte stellen in sich geschlossene Einheiten dar und sind abgrenzbar von anderen Bau‐ gruppen. Beispielsweise bezieht die Automobilindustrie komplette Ar‐ maturenbretter, Lenkstocksäulen oder Sitz‐ und Chassis‐Systeme von ihren Modullieferanten. So hat VW in seinem Werk Mosel 16 verschie‐ dene Beschaffungsmodule definiert, durch deren Einsatz der Autobauer seine Fertigungstiefe auf unter 20% absenkte. Aber auch in der Bauin‐ dustrie oder in der elektronikverarbeitenden Industrie wird Modular Sourcing umfangreich praktiziert. Tier‐1‐Lieferanten
Eigenverantwortli‐ ches Agieren von Systemlieferanten
Die Modullieferanten befinden sich vielfach in räumlicher Nähe ihrer Kunden. Häufig sind sie in einem Industriepark, oder gar direkt auf dem Gelände des Kunden selbst, angesiedelt. Der Modullieferant ist ein klassischer First‐Tier‐Anbieter und wird quasi zum Generalunterneh‐ mer, weil er die Warenströme eigenverantwortlich koordiniert. Zum Teil agieren die Modulhersteller als echte Black‐Box‐Lieferanten (vgl. zu dem Begriff S. 136). Ein Beispiel für Modular Sourcing zeigt Abbildung C.10. Ein Automo‐ bilkonzern wird danach im Sinne von Single Sourcing folgendermaßen beliefert: Lieferant 1 (L1) mit Reifen, Lieferant 2 (L2) mit Chassis, Liefe‐ rant 3 (L3) mit Bremsen und Lieferant 4 (L4) mit Getrieben. Der Automo‐ bilhersteller hat folglich vier Schnittstellen zu bearbeiten. Modular Sourcing bedeutet, dass er einen Modullieferanten auswählt (hier: L2). Dieser ver‐ bleibt als Komplettlieferant (Fokalunternehmen). Reifen, Bremsen und Ge‐ triebe sind jetzt direkt an den Modulhersteller zu liefern. Er integriert diese Komponenten in sein Chassis. Aus den originären Direktlieferanten L1, L3 und L4 werden für den Autobauer Sublieferanten: Vier Schnittstellen redu‐ zieren sich somit zu einer direkten Bezugslinie.
180
Strategien der Versorgung
Modular Sourcing
C.3 Abbildung C.10
Sublieferanten
Modullieferant
Hersteller (OEM)
L1 Reifen
L3 Bremsen
L2 Chassis
L2 + L1 + L3 + L4
L4 Getriebe
Nachstehend sind die wesentlichen Vorteile und Nachteile von Modu‐ lar Sourcing aufgelistet. Fest steht, dass sich die beteiligten Akteure in ein sehr ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis begeben.
Vorteile
Nachteile
Konsequente Reduzierung von Schnitt‐ stellen (aus Kundensicht).
Abhängigkeit für den Kunden (es ist problematisch, wenn der Modullieferant die Preise deutlich erhöht).
Konzentration des Kunden auf sein Kerngeschäft.
Abhängigkeit für den Lieferanten (zu‐ meist Großkundenbeziehung).
Direktanbindung zwischen Kunde und Modullieferant (wichtig bei Aufkom‐ menden Problemen).
Neuabstimmung der Informations‐ und Kommunikationssysteme zwischen Mo‐ dul‐ und Sublieferant.
Senkung der Beschaffungskosten.
Aufgabe an Wettbewerb für den Kunden.
Wegfall einer Wareneingangskontrolle.
Verlust an Innovationspotenzial.
Festlegung von Qualitätsstandards.
Schwierigkeit des Lieferantenwechsels.
Verminderung von Frachtkosten (her‐ vorgerufen durch die räumliche Nähe).
Reputationsprobleme des Lieferanten wirken direkt auf den Kunden.
181
„We’ve got a bigger problem now…“ (Dead Kennedys)
C
Strategien des Supply Chain Managements
Übertragung der Entwicklungsver‐ antwortung bei System Sourcing
Die konsequente Weiterentwicklung von einem Modular Sourcing führt zu System Sourcing, das sich durch eine sehr ausgeprägte Güterkom‐ plexität auszeichnet. Systemlieferanten werden eigenverantwortlich und möglichst frühzeitig in die Abläufe ihrer Kunden integriert. Nach einer Fixierung der Kundenanforderungen im Lasten‐ und Pflichtenheft, wird dem Systemlieferanten die (Gesamt‐ oder Teil‐) Verantwortung für For‐ schung und Entwicklung übertragen. Deswegen wird der Ansatz syno‐ nym auch als „Forward Sourcing“ („Entwicklungseinbindung“) be‐ zeichnet. Die betroffenen Systeme stellen voll funktionsfähige entwick‐ lungstechnische Einheiten dar. Neben F&E kann das Aufgabenspektrum des Lieferanten noch um Tätigkeiten wie Einkauf, Logistik, Industrial Engineering oder Qualitätssicherung ausgeweitet werden. Der Anbieter erbringt folglich bei System Sourcing in der Regel ein ganzes Bündel unterschiedlicher Aktivitäten, er agiert dabei zumeist als Black‐Box‐ Anbieter (vgl. S. 136 der vorliegenden Schrift). Die Bindungsintensität ist bei einem Systemlieferanten wesentlich intensiver als bei einem reinen Modullieferanten, wobei einige Modulanbieter im Zeitablauf zu System‐ lieferanten mutieren.
Beschaffung von Einzelkomponen‐ ten über Unit Sourcing
Ganz anders läuft die Beschaffung bei einem Unit Sourcing ab. Die Güterkomplexität ist in diesem Fall ausgesprochen gering ausgeprägt. Kunden beschaffen sich bei Unit Sourcing von mehreren Lieferanten Einzelkomponenten, welche sie selbst zu einem funktionsfähigen End‐ produkt zusammensetzen. In der Automobilindustrie können dies Schalter, Schläuche oder Verkleidungen sein. Der Koordinierungsauf‐ wand ist für den Kunden entsprechend hoch, weshalb vergleichsweise hohe Transaktions‐ und Prozesskosten anfallen. Allerdings laufen die Kunden kaum Gefahr, dass Know‐how unbeabsichtigt an ihre Wert‐ schöpfungspartner abfließt.
C.3.4.3 Individual Sour‐ cing als klassische Beschaffungsform
Sourcing-Konzepte unterschieden nach der Organisationsform
Werden Beschaffungsquellen nach ihrer organisatorischen Ausprägung unterschieden, finden sich die Konzepte Individual Sourcing und Coll‐ ective Sourcing. Die zu beschaffenden Subjekte werden bei Individual Sourcing von einem Unternehmen selbst organisiert. In der Unterneh‐ menspraxis stellt Individual Sourcing den Regelfall dar. Ein Supply‐ Chain‐Akteur nimmt seine Beschaffungsaufgaben mit eigenen Ressour‐ cen in Selbstverantwortung wahr, wenn er nach Beschaffungsautonomie strebt und enge Kontakte mit seinen Lieferanten eingehen möchte.
182
Strategien der Versorgung
C.3
Das Gegenstück zu Individual Sourcing ist das Collective Sourcing. Eine synonyme Bezeichnung dieses Konzepts ist „Cooperative Sour‐ cing“. Der Beschaffungsmarkt wird durch mehrere (vielfach rechtlich selbständige) Unternehmen gemeinsam bearbeitet, die einem Zulieferer gegenüber als Kollektiv auftreten. Eine klassische Erscheinungsform von Collective Sourcing ist die Einkaufsallianz. Die Zusammenarbeit kann sich von einer losen, situativen Verbindung bis hin zur Gründung einer eigenen, gemeinsamen Einkaufsgesellschaft erstrecken.
„Was dem Einzel‐ nen nicht möglich ist, das schaffen viele.“ (F. W. Raiffeisen)
Die Leitbilder von Collective Sourcing lassen sich in Objekt‐, Markt‐, Prozess‐ sowie Beziehungsziele differenzieren (vgl. Schulte 2017, S. 470). Zu den Objektzielen einer kooperativen Beschaffung zählen Material‐ preisreduzierungen (Ausnutzung von Mengenrabatten durch Volumen‐ bündelung), Steigerung der Produktqualität und die Erzielung günstiger Zahlungsbedingungen (Verlängerung der Zahlungstage bei der Beglei‐ chung von Lieferantenrechnungen). Das primäre Marktziel von Collec‐ tive Sourcing besteht in dem verbesserten Zugang zu den Beschaf‐ fungsmärkten insgesamt. Die prägenden Prozessziele eines kollektiven Einkaufs bestehen in der Reduzierung des Beschaffungsaufwands (ge‐ ringere Transaktions‐ und Prozesskosten), dem verbesserten Informati‐ onsstand über die Märkte überhaupt und einer Beschleunigung der Beschaffungsvorgänge. Schließlich zählt zu den Beziehungszielen die enge Anbindung zwischen Zulieferer und Abnehmer ebenso, wie die Möglichkeit, diese Zusammenarbeit auf weitere Gebiete auszudehnen.
Elementare Ziele der kollektiven Beschaffung
C.3.4.4
Sourcing-Konzepte unterschieden nach dem Ort der Wertschöpfung
Werden Sourcing‐Konzepte nach dem Ort ihrer erbrachten Wertschöp‐ fung differenziert, finden sich in der Toolbox External Sourcing und Internal Sourcing. Bei External Sourcing vollzieht der Lieferant den Wertschöpfungsprozess auf seinem eigenen Werksgelände. Erst nach Fertigstellung des Einsatzgutes wird dieses an den Kunden ausgeliefert und von ihm anschließend weiterverarbeitet. Somit liegt bei External Sourcing eine Trennung zwischen Fertigungsort und Verbauungsort vor. Für den Kunden bedeutet External Sourcing die Wahrung seiner Ein‐ kaufsautonomie. Diese Freiheit bezahlt der Kunde jedoch mit langen Transportwegen, die teuer sind und den Wertschöpfungsprozess insge‐ samt verlangsamen.
183
External Sourcing als Normalform
C Räumliche Nähe durch Internal Sourcing
Strategien des Supply Chain Managements
Bei Internal Sourcing erbringt der Lieferant die Wertschöpfung direkt auf dem Werksgelände seines Kunden (oder zumindest in unmittelbarer räumlicher Nähe zu diesem Kunden). Zu den besonderen Ausprägun‐ gen von Internal Sourcing zählen Lieferantenparks und das Factory‐ within‐a‐Factory‐Konzept.
Kurze Wege beruhigen die Prozesse
Lieferantenparks: Insbesondere in der Automobilindustrie wurden in
Direkte Produkti‐ onseinbindung des Lieferanten
Factory‐within‐a‐Factory‐Konzept: Bei dem Factory‐within‐a‐Factory‐
den letzten Jahren viele Lieferantenparks (synonym als „Industrie‐ parks“ bezeichnet) gegründet. Beispiele dafür finden sich in Palmela (Portugal, Volkswagen), Hambach (Frankreich, Smart), Valencia (Spani‐ en, Ford), Rastatt (Deutschland, Daimler) oder Genk (Belgien, Ford). Mit Hilfe kurzer Wege wird die Sicherheit in den Prozessen erhöht (weniger Trouble‐Shooting) und das Marktrisiko auf den Lieferanten überwälzt. Außerdem vermindert der Hersteller mit der Errichtung von Industrieparks seine Transportkosten und Sicherheitsbestände. Auf Grund der räumlichen Nähe senkt der Kunde seine Fertigungstie‐ fe und setzt Ladungsträger wirtschaftlicher ein (es wird weniger Ver‐ packungsmaterial verbraucht und die Anzahl von Transportschäden nimmt ab). Wichtige Kriterien für die Einbeziehung eines Lieferanten in einen Industriepark sind Beschaffungsvolumen, Entwicklungspo‐ tenzial des Anbieters oder dessen Technologisches Wissen. Prinzip werden ausgewählte Lieferanten direkt auf dem Werksgelän‐ de des Kunden physisch angesiedelt und in seine Produktionsprozes‐ se integriert. Beispiele finden sich in der chemischen Industrie und im Autobau. Aus Kundensicht liegen die Vorteile des Ansatzes auf der Hand: Rascher Kommunikations‐ und Abwicklungsprozess, kontinu‐ ierlicher Produktionsfluss, Erzielung von Skaleneffekten und Risiko‐ überwälzung auf den Lieferanten.
C.3.4.5 „Globalisierung: Der Osten wird westlicher, der Süden wird südli‐ cher.“ (M. Hinrich)
Sourcing-Konzepte unterschieden nach dem Beschaffungsareal
Schließlich werden in der Toolbox Sourcing‐Konzepte nach dem Be‐ schaffungsareal unterschieden. Unter Global Sourcing ist eine Marktbe‐ arbeitung in Form einer systematischen Ausdehnung der Einkaufspoli‐ tik auf internationale Quellen zu verstehen. Das Primärziel von Global Sourcing besteht in einer Verminderung der Beschaffungskosten. Die Consulting‐Gesellschaft Droege misst dem Global Sourcing, verglichen mit traditionellen Beschaffungsstrategien, ein Kostensenkungspotenzial von bis zu 30% dauerhaft bei (vgl. Kleemann 2006, S. 34). Doch der An‐ satz geht weiter. Er kann auch zur Erschließung von Zeit‐, Qualitäts‐, 184
Strategien der Versorgung
Agilitäts‐ und Innovationsvorteilen dienen. Für eine Realisierung von Global Sourcing sind unterschiedliche Voraussetzungen zu klären:
C.3 Rahmenbedingun‐ gen überprüfen
Politische Stabilität im Land des Zulieferers. Handels‐ und Rechtssicherheit im Land des Lieferanten. Intensive Marktforschung. Überwindung sprachlicher Barrieren. Schaffung einer datentechnischen Infrastruktur („IT‐Plattform“). Etliche Hersteller werden aus der Notwendigkeit zur Erweiterung ihrer Lieferkapazitäten, der Verknappung von Ressourcen oder der Aus‐ schöpfung Lohnkosten bedingter Preisvorteile regelrecht dazu gezwun‐ gen, ein Global Player in der Beschaffung zu werden. Zusammengefasst lassen sich die Vorteile und die Nachteile von Global Sourcing folgen‐ dermaßen darstellen:
Vorteile
Nachteile
Versorgung mit Gütern, die im Inland Wechselkursrisiken (zum Teil über ein knapp oder nicht vorhanden sind (z. B. Hedging abzufedern) und Warenverzol‐ Seltene Erden). Dadurch reduziert sich die lung. Abhängigkeit von inländischen Lieferan‐ ten. Steigerung der Transparenz über globale Leistungen.
Transport‐ und Qualitätsrisiken.
Ausnutzung von Konjunktur‐, Wachs‐ tums‐ und Inflationsunterschieden.
Kommunikationsschwierigkeiten (sprachliche und kulturelle Barrieren).
Senkung der Einkaufspreise.
Steigerung der Transportkosten (in Abhängigkeit von den Incoterms).
Ausübung von Druck auf inländische Lieferanten (insbesondere für Preisver‐ handlungen).
Erhöhung der Sicherheitsbestände, da die Gefahr für Stock‐out‐Situationen tendenziell steigt.
Schaffung neuer Absatzmärkte (auf Grund neuer Kontakte): Beschaffungs‐ märkte sind potenzielle Absatzmärkte.
Begrenzung von Beschaffungsstrategien (Just‐in‐Time‐Abwicklung nur bedingt möglich).
Sortimentsdiversifikation und Ausnut‐ Erhöhter Koordinations‐ und Logistik‐ zung von Spezialisierungen ausländischer aufwand. Lieferanten
185
Gründe globaler Beschaffung
C
Strategien des Supply Chain Managements
Global‐Sourcing‐ Strategie fixieren
Der Prozess zur Realisierung von Global Sourcing lässt sich in drei Arbeitsschritte untergliedern. Zunächst werden die Ziele der globalen Beschaffungsstrategie priorisiert. Diesbezüglich sind Kosten‐, Technik‐ sowie Marktziele zu unterscheiden. Im zweiten Schritt geht es darum, verschiedene Optionen auszuwählen, die sich für Global Sourcing anbie‐ ten. Diese Möglichkeiten erstrecken sich auf Produkte, Länder und Lie‐ feranten. Schließlich wird die Global‐Sourcing‐Strategie festgelegt, um sich bietende internationale synergetischen Potenziale auszuschöpfen. Abbildung C.11 zeigt diesen Zusammenhang auf.
Abbildung C.11
Prozess zur Realisierung von Global Sourcing
Arbeitsschritt
Inhalte der Global‐Sourcing‐Strategie ‐ Niedrige Einkaufspreise
Schritt 1: Ziele priorisieren
Kosten
‐ Optimale Lebenszyklusphase ausschöpfen
Technik
‐ Sicherung multinationaler Innovationen
Markt
‐ Regionale Anpassung an Leistungsportfolio
‐ Nutzung internationales Lieferanten‐Know‐how
‐ Kennenlernen potenzieller Absatzmärkte
‐ Standardisierte Produkte Produkte
Schritt 2: Optionen wählen
‐ Preisvorteile konsequent sichern ‐ Kostenvorteile analysieren
Länder
‐ Know‐how und Ressourcenunterschiede
‐ Referenzen und Image abwägen Lieferanten ‐ Spezielle Fähigkeiten einsetzen ‐ Optimaler Produkt‐Markt‐Lieferanten‐Mix Schritt 3: Strategie fixieren
‐ Neuausrichtung Produktportfolio Synergie
‐ Abgestimmte Anzahl von Lieferanten je Produkt ‐ Verbesserte geografische Streuung
186
Strategien der Versorgung
C.3
Unter Domestic Sourcing wird die Warenbeschaffung auf Heimatmärk‐ ten verstanden. Finden sich Standorte in kulturell ähnlichen Ländern, kann sich ein Domestic Sourcing auch über die Landesgrenzen im engen Sinn hinaus erstrecken. Dies gilt, wenn zwischen den sich ähnelnden Ländern nur geringe Unterschiede in Sprache, politischer Stabilität oder Währung bestehen. Beispielsweise können landesübergreifende Beschaf‐ fungsaktivitäten im Raum Deutschland‐Österreich‐Schweiz (so genannte DACH‐Staaten) oder in skandinavischen Ländern durchaus als Domes‐ tic Sourcing bezeichnet werden. Der Übergang zu Global Sourcing (in der Variante „Near Source“) verläuft dann fließend. Dies gilt auch für die mögliche Ausdehnung von Domestic Sourcing zu „Euro‐Sourcing“. Darunter ist die Suche nach einer optimalen Beschaffungsquelle in Eu‐ ropa (oder der Währungszone des Euro) zu verstehen.
Inländischer Ein‐ kauf über Domestic Sourcing
Das Pendant zu Global Sourcing ist das Local Sourcing: Die bewusste Lieferantenauswahl in geografischer Nähe. Viele mittelständische Un‐ ternehmen tendieren eher zum Einkauf „um die Ecke“, als zu einem echten globalen Beschaffungsmanagement. Local Sourcing verspricht eine Risikoreduktion von Transportausfällen (z. B. in Zeiten von Corona) oder Warenbeschädigungen. Außerdem fällt die Kommunikation ver‐ gleichsweise leicht. Auch kann die Bevorzugung lokaler Anbieter für ein positives Image sorgen, weil es dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient und kurze Wege in aller Regel ökologische Vorteile versprechen. Dafür sind die lokalen Beschaffungspreise häufig höher als auf internationalen Märkten und die Ressourcen limitiert.
Local Sourcing: Einkauf um die Ecke
C.3.5
Lieferantenmanagement
Eng verbunden mit den Sourcing‐Strategien ist das Lieferantenma‐ nagement. Ein modernes Lieferantenmanagement ist unerlässlich für die Ausgestaltung einer Supply Chain und zielt im Kern auf die syste‐ matische Steuerung einer Lieferantenbeziehung (vgl. Hartmann 2019; Helmold/Terry 2016). In vielen Branchen, wie beispielsweise der Automo‐ bilindustrie, verlagern die Hersteller immer mehr Tätigkeiten auf aus‐ gewählte Wertschöpfungspartner. Dadurch reduzieren die OEM (Origi‐ nal Equipment Manufacturer) ihre eigene Fertigungstiefe.
Optimierung der Lieferantenbezie‐ hung
Das strategische Lieferantenmanagement besteht in einer langfristigen Optimierung der Lieferantenbeziehung, um die Versorgungssicherheit des Unternehmens dauerhaft zu gewährleisten. Dabei ist ständig der Balanceakt zwischen intensiver Lieferantenkooperation und gleichzeiti‐
Strategisches Lieferantenma‐ nagement: Ein‐ kaufseffektivität
187
C
Strategien des Supply Chain Managements
ger Wahrung der Unabhängigkeit zu vollziehen. Diese Eigenständigkeit erlangt ein Hersteller vornehmlich durch den frühzeitigen Aufbau alter‐ nativer Beschaffungsquellen (Double Sourcing, Triple Sourcing). Die Einleitung eines strategischen Lieferantenmanagements bedeutet die Gewährleistung einer hohen Beschaffungsqualität zu möglichst niedri‐ gen Kosten. Schlussendlich dient das strategische Lieferantenmanage‐ ment dazu, die eigene Wettbewerbsfähigkeit (Einkaufseffektivität) zu steigern. Operatives Liefe‐ rantenmanage‐ ment: Einkaufseffi‐ zienz
Das operative Lieferantenmanagement richtet sich hingegen vornehm‐ lich auf die Verbesserung der Beschaffungseffizienz aus. Die Reduzie‐ rung der Beschaffungskosten gelingt insbesondere durch die Steigerung der Transparenz von Einkaufsprozessen. Dadurch werden die Beschaf‐ fungsaktivitäten zwischen den Alternativen vergleichbar: Die Hersteller können sich auf ihre geeignetsten Lieferquellen konzentrieren (Best Practices). Bestehende Anlieferbeziehungen werden mit neuen Möglich‐ keiten hinsichtlich ihrer Vorteilhaftigkeit systematisch abgewogen (Messfunktion). Operatives Lieferantenmanagement bedeutet aber auch, Optimierungspotenziale über geeignete Kennzahlen aufzudecken und die eigene Verhandlungsposition im Beschaffungsvorgang stetig zu verbessern.
Bausteine moder‐ nen Lieferanten‐ managements
Der Lieferantenmanagementprozess lässt sich in drei Hauptabschnitte untergliedern: Die Vorauswahl von Lieferanten (Identifikation, Eingren‐ zung), die Steuerung der Lieferantenbeziehung (Bewertung, Auswahl) sowie die Intensivierung der Lieferantenbeziehung (Integration, Ent‐ wicklung). Dieser Prozess wird im Folgenden näher charakterisiert.
C.3.5.1 Vorauswahl an Lieferanten treffen
Vorauswahl der Lieferanten
Der erste Hauptarbeitsschritt zur Implementierung eines zeitgemäßen Lieferantenmanagements besteht in der Vorauswahl geeigneter Anbie‐ ter. Dazu müssen Lieferanten zunächst identifiziert und das Feld mögli‐ cher Partner anschließend eingegrenzt werden.
C.3.5.1.1 Lieferantenidentifikation Selbstauskunft als gute Möglichkeit
Zur Lieferantenidentifikation werden traditionell unterschiedliche Pri‐ mär‐ und Sekundärquellen eingesetzt. Mögliche Primärquellen zum Aufbau einer Lieferantenbeziehung sind Befragungen des Lieferanten oder die Einholung von Selbstauskünften. Weiterhin sind auf Messen, Tagungen oder Ausstellungen erste Kontakte mit Lieferanten zu knüp‐
188
Strategien der Versorgung
C.3
fen. Auch können Probelieferungen vereinbart oder spezielle Bera‐ tungsunternehmen in den Aufbau einer Lieferantenbeziehung einge‐ bunden werden. Als Sekundärquellen zur Identifikation geeigneter Lieferanten bieten sich Fachpublikationen und Statistiken ebenso an, wie eingeholte Refe‐ renzen von geeigneter Stelle. Weitere Studien können über das Internet angestoßen und über Börsen oder Marktberichte eingeholt werden.
Zusätzlich Sekun‐ därquellen nutzen
C.3.5.1.2 Lieferanteneingrenzung Nachdem die Identifizierung der Lieferanten erfolgte, wird das Feld potenzieller Akteure eingegrenzt. Bei diesem „Pooling“ von Lieferanten geht es in erster Linie darum, die Arbeitsbelastung der eigenen Einkäu‐ fer in Grenzen zu halten. Damit bleiben die Transaktionskosten und die Prozesskosten überschaubar. Zur zielgerichteten Lieferanteneingren‐ zung empfiehlt sich der Einsatz eines standardisierten Fragebogens. Mögliche Fragen daraus beziehen sich auf verfügbare Kapazitäten des Lieferanten, seine Bonitäten und Preisvorstellungen, die angepeilten Servicegrade, das technologische Know‐how des Lieferanten, gewünsch‐ te Nachhaltigkeitsziele oder die verfügbaren Assets des Lieferanten.
C.3.5.2
Anzahl der Liefe‐ ranten begrenzen
Steuerung der Lieferantenbeziehung
C.3.5.2.1 Lieferantenbewertung Eine Lieferantenbewertung (Supplier Rating System) erfolgt vorzugs‐ weise unter der Zuhilfenahme einer Nutzwertanalyse. In dieser Ent‐ scheidungsmatrix wird die Leistungsfähigkeit des Lieferanten auf den Prüfstand gestellt. In seine Beurteilung fließen Kriterien wie Image, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit, Kostenstrukturen und Kooperationsbereitschaft ein. Jedes Bewertungskriterium wird zunächst relativ gewichtet. Anschließend erfolgt die Ermittlung der erreichten Punktzahl je Beurteilungskriterium und Lieferant. In Abbildung C.12 wird dazu eine Skalierung von einem Punkt (sehr schlecht) bis fünf Punkten (sehr gut) vorgenommen. Der hier beurteilte Lieferant erzielt insgesamt einen Indexwert von 3,17 Punkte (von möglichen 5,00 Punk‐ ten). Je höher dieser Punktwert ausfällt, desto besser wurde der Liefe‐ rant bewertet.
189
Nutzwertanalyse durchführen
C
Strategien des Supply Chain Managements
Lieferantenklassifi‐ zierung am Beispiel des Bayer‐ Konzerns
Eine Lieferantenbewertung mündet in der Regel in eine Klassifizierung von Anbietern. Besonders gut bewertete Lieferanten erreichen mindes‐ tens 90% der erzielbaren Punkte („Supreme Suppliers“). Mit ihnen sind strategische Kooperationen besonders interessant. Hersteller gehen mit diesen Lieferanten gern langfristige Verbindungen ein. Gut bis mittel‐ mäßig bewertete Lieferanten („Standard Suppliers“), die zwischen 70% und 90% der erzielbaren Punkte erreichen, erfüllen die Beurteilungskri‐ terien zumindest ordentlich, weshalb in aller Regel nichts gegen eine Fortführung der Beziehung spricht. Schlecht bewertete Lieferanten („Poor Suppliers“) erreichen hingegen lediglich zwischen 50% bis 70% der möglichen Punkte. Sie müssen aufzeigen, wie sie zukünftig ihre Arbeitsabläufe verbessern werden. Sehr schlecht bewertete Anbieter („Desourced Suppliers“) kommen sogar nur auf weniger als 50% der er‐ zielbaren Punkte. Sprechen nicht strategische Gründe dagegen, sollte sich ein Hersteller von ihnen trennen. Dieser Vorgang wird als ein „Outphasen“ von Lieferanten bezeichnet.
Probleme der Lieferantenbewer‐ tung
Die Lieferantenbewertung ist ein pragmatisches Verfahren, welches sich in der Praxis einer weiten Verbreitung erfreut. Zu den Nachteilen des Supplier Ratings zählt jedoch, dass seine Durchführung auf Vergangen‐ heitsdaten beruht. Häufig bleiben dabei die Potenziale von Lieferanten unterbelichtet (zum Beispiel, wenn es sich um neue Lieferanten handelt). Auch erfolgt das Rating zum Teil subjektiv, dies gilt insbesondere für nur bedingt quantifizierbare Kriterien („Kompetenz der Ansprechpart‐ ner“). Weiterhin ergeben sich bei der Bewertung, auf Grund von Run‐ dungen und Zahlenverdichtungen, Skalierungsbrüche.
C.3.5.2.2 Lieferantenauswahl Festlegung auf bestimmte Liefe‐ ranten
Jetzt werden im nächsten Arbeitsschritt des Lieferantenmanagement‐ prozesses die einzelnen Beschaffungsobjekte möglichen Anbietern zuge‐ teilt. Bei dieser Entscheidung können die Lieferanten nach drei Selekti‐ onskategorien eingeteilt werden:
Deutliche Überlegenheit möglicher Lieferanten: Die Lieferanten‐ auswahl fällt vergleichsweise leicht. Fehlentscheidungen sind nahezu ausgeschlossen. Sollten jedoch spätere Probleme auftreten, sind die Konsequenzen zumeist schwerwiegend, weil ein Lieferantenersatz kurzfristig kaum zur Verfügung steht.
Minimale Unterschiede zwischen möglichen Lieferanten: Es fällt schwer, eine eindeutige Lieferantenentscheidung zu treffen. Auch be‐ steht latent die Gefahr, den falschen Lieferanten auszuwählen. Sollte
190
Strategien der Versorgung
C.3
dies jedoch der Fall gewesen sein, bestehen gute Substitutionschan‐ cen.
Kaum geeignete Lieferanten vorhanden: Eine schwierige Entschei‐ dungssituation für die Lieferantenauswahl. Die Versorgungssicherheit ist prinzipiell wichtiger als die Preisverhandlung. Abbildung C.12
Matrix zur Lieferantenbewertung
Bewertungskriterien
Relatives Gewicht
Skalierung (erreichte Punkte)
Index
%
1
2
3
4
5
‐ Einkaufspreis
15%
X
0,45
‐ Kompetenz Ansprechpartner
8%
X
0,16
‐ Reaktionsverhalten bei Anfragen
7%
X
0,28
‐ Lieferservicegrad
15%
X
0,60
‐ Reklamationsverhalten
10%
X
0,30
‐ Lieferverzugsquote
5%
X
0,05
‐ Lieferrückstände
7%
X
0,14
‐ Verpackungsqualität
5%
X
0,25
‐ Innovationsgrad Lieferant
7%
X
0,28
‐ Nachhaltigkeit und Arbeitsschutz
6%
X
0,18
‐ Finanzielle Stabilität Lieferant
15%
X
0,60
100%
Gesamtergebnis
3,17
Legende: 5 Punkte (sehr gut) 4 Punkte (gut) 3 Punkte (mittelmäßig) 2 Punkte (schlecht) 1 Punkt (sehr schlecht)
191
C Lieferantenauswahl treffen
Strategien des Supply Chain Managements
Bei der Auswahl der Lieferanten stehen unterschiedliche Beschaf‐ fungsquellen zur Verfügung (vgl. Sourcing‐Konzepte auf S. 182). Der Einkäufer wird diese Entscheidungsfindung vorzugsweise mit Exper‐ ten aus anderen Funktionsbereichen abstimmen (Technik, Logistik, Controlling, Qualitätssicherung). Folgende Entscheidungsmerkmale für die Lieferantenauswahl sind von besonderer Relevanz:
Langfristige Volumenbündelung: Durch die Vergabe größerer Volu‐ menanteile auf eine begrenzte Anzahl an Lieferanten ergeben sich Bündelungseffekte (Purchase Volume Impact).
Zusammenfassung ähnlicher Teile: Es erfolgt eine Aggregation ver‐ wandter Teile auf ausgewählte Lieferanten. Diese Strategie ist sinn‐ voll, wenn die einzukaufenden Produkte sich in ihren Materialantei‐ len ähneln oder die Produktionsabläufe vergleichbar sind.
Aufbau kurzfristiger Spotmarktbeziehungen: Teilweise können Lie‐ feranten unterschiedliche Anforderungen der Hersteller nicht kom‐ plett abdecken. Diese suchen sich dann weitere Standbeine. Auch nut‐ zen die Kunden gern die individuellen Fähigkeiten ihrer Lieferanten. Schließlich setzen die Hersteller auf internationale Preisunterschiede, weshalb sie vorzugsweise Electronic Procurement betreiben.
C.3.5.3 Zusammenarbeit forcieren
Intensivierung der Lieferantenbeziehung
Im dritten Hauptschritt des Lieferantenmanagements findet eine Inten‐ sivierung der Beziehung des Herstellers zu ausgewählten Anbietern statt. Zunächst werden geeignete Lieferanten integriert, später erfolgt ihre systematische Weiterentwicklung.
C.3.5.3.1 Lieferantenintegration Inhalte der Liefe‐ rantenintegration
Unter der Integration von Lieferanten ist ihre dauerhafte Einbindung in die Produktions‐ oder die Montageprozesse der Hersteller zu verstehen. Mögliche Erfolgsfaktoren einer Lieferantenintegration erstrecken sich auf eine Abstimmung der Informations‐ und Kommunikations‐Systeme, die Intensivierung etwaiger Zielüberschneidungen, eine Implementie‐ rung gemeinsamer Anreizmechanismen sowie das Pooling von Wissen und Ressourcen. Zu den Aufgabenfeldern einbezogener Lieferanten zählen (vgl. Hartmann 2019; Helmold/Terry 2016):
Entwicklungsintegration: Einbindung von Resident Engineers in die Entwicklungsaktivitäten der Hersteller, Realisierung von System
192
Strategien der Versorgung
C.3
Sourcing und Modular Sourcing, Intensivierung von Supply Chain Engineering.
Beschaffungsintegration: Einleitung von Just‐in‐Time‐ oder Just‐in‐ Sequence‐Abwicklungen, Übertragung der Bestandshoheit auf geeig‐ nete Lieferanten (Vendor Managed Inventory), Einleitung von Kon‐ signationsprozessen.
Produktionsintegration: Einbindung von Lieferanten in die Kanban‐ Abwicklung, Steuerung über Fortschrittszahlen mit Hilfe von Liefe‐ ranteninformationen, Errichtung von Lieferantenparks, Implementie‐ rung des Factory‐within‐a‐Factory‐Prinzips.
C.3.5.3.2 Lieferantenentwicklung Schließlich endet der Lieferantenmanagementprozess mit der Entwick‐ lung geeigneter Akteure. Das Ziel besteht darin, langfristig ein echtes Supplier Relationship Management (ein dauerhaftes Beziehungsver‐ hältnis) zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten zu betreiben, um dadurch gegenseitig Wettbewerbsvorteile zu erzielen. In Abbildung C.13 wird deutlich, dass die Ziele der Lieferantenentwicklung sowohl quali‐ tativ als auch quantitativ geprägt sind. Ziele der Lieferantenentwicklung
Ziele qualitativer Lieferantenentwicklung Steigerung von Prozess‐ und Produktqualität
Abbildung C.13
Ziele quantitativer Lieferantenentwicklung Verringerung der Materialeinstandspreise
Verbesserung der Beziehung zur gesam‐ ten Lieferantenbasis
Senkung von Transaktionskosten und Prozesskosten
Erschließung neuer Absatzmärkte durch Lieferantenkontakte
Effizienzsteigerung in den Prozessen mittels adäquater IT‐Systeme
Forcierung der Transparenz in den Beschaffungsprozessen
Lieferanten auf hohem Niveau entwickeln
Verkürzung der Durchlaufzeiten durch optimierte Beschaffungsprozesse
193
C Arbeitsschritte der Lieferantenent‐ wicklung
Strategien des Supply Chain Managements
Bei der Lieferantenentwicklung geht der Hersteller quasi in Vorleistung, weil er sich von der gezielten Förderung eines Lieferanten zukünftig Wettbewerbsvorteile verspricht. Doch der Lieferant muss auch wirklich seine Bereitschaft für die langfristige Unterstützung bekunden und ge‐ währen. Nur dann wird zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten eine partnerschaftliche Geschäftsbeziehung entstehen. Die Entwicklung der Lieferanten selbst kann im Abstellen personeller Ressourcen oder in einer finanziellen Unterstützung bestehen. Aber auch ein aktiver Know‐ how‐Transfer oder die Einberufung gemeinsamer Workshops ist denk‐ bar. Der Prozess zur Entwicklung von Lieferanten kann in fünf Arbeits‐ schritte unterteilt werden, die nachstehend wiedergegeben werden.
Arbeitsschritt 1: Identifikation entwicklungsfähiger Lieferanten Für die Entwicklung ausgewählter Lieferanten bietet sich zunächst die Durchführung einer Spend‐Analyse an. Dabei werden die Lieferanten nach bestimmten Auswahlkriterien differenziert. Zum Beispiel kön‐ nen die Einstandspreise nach ihrem Volumenanteil unterschieden werden. Insbesondere A‐Lieferanten (hohes Volumen) werden für ei‐ ne Entwicklung ausgewählt. Es können aber auch Strategische Liefe‐ ranten sein, die sich für eine Entwicklung eignen, weil sie beispiels‐ weise über ein großes Innovationspotenzial verfügen oder selten er‐ hältliche Ressourcen besitzen.
Differenzierung von Lieferanten
Arbeitsschritt 2: Auditierung von Lieferanten Eine Auditierung von Lieferanten bedeutet eine Vor‐Ort‐Begehung bei bestimmten Anbietern. Im Grundsatz soll dabei die Leistungsfä‐ higkeit der Lieferanten überprüft werden. Mögliche funktionale Inhal‐ te einer Auditierung von Lieferanten umfassen die Organisation (Standort, Personalstruktur, IT‐Infrastruktur), die Ökonomie (Kapital‐ struktur, Preise, Vermögenszusammensetzung, Abnahmemengen), die Qualität (Zertifizierung, Produkte, Prozesse, Mitarbeiterqualifikation), die Fertigung (Anlagen, Produktionsabläufe, Kapazitäten, Know‐ how), die Logistik (Lager, Fuhrpark, Anliefermöglichkeiten, Prozess‐ strukturen) und Sonstige Kriterien (Innovationsfähigkeit, Nachhaltig‐ keit, Ökobilanz, Ressourcenzugang).
Leistungsfähigkeit im Audit überprü‐ fen
Arbeitsschritt 3: Bildung von Entwicklungsteams Anschließend bildet der Hersteller mit bestimmten Lieferanten ge‐ meinsame Entwicklungsteams. Dazu werden geeignete Führungs‐ kräfte festgelegt. Diese sollen vorzugsweise in Cross‐funktionalen Gruppen ihre Fähigkeiten bündeln. Wesentlich ist dabei, die jeweili‐
Cross‐funktionale Teams
194
Strategien der Versorgung
C.3
gen Kompetenzen der betroffenen Mitarbeiter festzulegen, wobei auch ein „Bypassing“ grundsätzlich möglich ist. Damit ist das Über‐ springen hierarchischer Ebenen gemeint.
Arbeitsschritt 4: Maßnahmenplanung Zielgerichtet bringen Hersteller und Lieferanten anschließend ihre je‐ weiligen Stärken in die Kooperation ein. Dabei müssen die beabsich‐ tigten Aktivitäten hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit, ihres Ressour‐ cenbedarfs und ihrer Realisierbarkeit überprüft werden. Mögliche Maßnahmen einer Lieferantenentwicklung können sein: Räumliche Ansiedlung des Lieferanten in Kundennähe (Lieferantenpark), Ein‐ führung fertigungssynchroner Beschaffungsaktivitäten, Investitionen in die Infrastruktur des Lieferanten, Abstimmung der IT‐Systeme oder gegenseitige Aussendung von Mitarbeitern.
Zusammenarbeit mit Lieferanten intensivieren
Arbeitsschritt 5: Implementierung und Kontrolle Schließlich wird die Lieferantenentwicklung umgesetzt und ständig auf ihre Erfolgswirksamkeit überprüft. Dazu müssen geeignete Kennzahlen festgelegt werden (wie EBIT‐Marge, Return on Sales, Cash‐Flow‐Effekt, Pay‐Back‐Zeit). Zusätzlich bietet sich der Aufbau eines umfassenden Berichtswesens an. In diesem Reporting‐System erfolgt in bestimmten Zeitintervallen (z. B. monatlich) eine Aktualisie‐ rung der Ergebnisse. Über Data‐Warehouse‐Lösungen findet die ziel‐ gerichtete Informationsverarbeitung statt.
C.3.6
Beschaffungsstrategien
Die Beschaffungsstrategien sind ein weiterer Untersuchungsbereich von Versorgungskonzepten im Supply Chain Management. In diesem Zusammenhang werden eine Steuerung über Kanban, die Methode der Fortschrittszahlen, eine Belastungsorientierte Auftragsfreigabe und die retrograde Terminierung nachstehend näher charakterisiert.
C.3.6.1
Rechnet sich die Kooperation lang‐ fristig?
Warenfluss syste‐ matisch abwickeln
Kanban
Der Ansatz stammt aus Japan. Kanban bedeutet im Deutschen „Karte“. Synonym wird Kanban als „Pull‐Konzept“ (Hol‐Konzept) bezeichnet (vgl. Anderson 2011; Dickmann 2015; Eisenberg 2018; Geiger et al. 2011; Leopold 2016; Weber 2014; Wildemann 1984; Wildemann 2011). Diese Beschaffungs‐ strategie beinhaltet eine Abwendung von der zentralisierten Produkti‐
195
Abkehr von der zentralen Produk‐ tionsplanung
C
Strategien des Supply Chain Managements
onsplanung und die Hinwendung zu vermaschten, selbst steuernden Regel‐ kreisen. Kanban geht nicht länger einer Beantwortung der Frage nach, was der Kunde gern haben könnte, sondern was der Kunde tatsächlich haben möchte. Während beim Push‐Prinzip die Hersteller ihre Güter in den Markt „drücken“, stoßen beim Pull‐Konzept die Kunden eine Pro‐ duktion an. Sie „ziehen“ die gefertigten Artikel aus den Unternehmen. Kanban steuert retrograd
Einkarten‐ und Zweikartensystem
Ein Kanban enthält sämtliche notwendigen Steuerungsinformationen, wie Teile‐ und Abnehmerdaten, Bestellmenge, Transportart oder Behäl‐ ter. Die Karten werden auf einer Übersichtstafel verwaltet und zur Len‐ kung zwischen erzeugender Stelle (Quelle) und verbrauchendem Bereich (Senke) eingesetzt. Erst wenn der Meldebestand erreicht ist, wird die Produktion aktiviert. Auslöser für eine Fertigung ist die jeweils nachge‐ lagerte Stelle. Beim Auftreten von Bedarfen entnimmt die verbrauchen‐ de Abteilung einen, durch die vorgelagerte Stufe gefüllten, Behälter aus dem Pufferlager. Dadurch wird der Hol‐Gedanke von Kanban deutlich. Zum Ablauf von Kanban vgl. Abbildung C.14. Grundsätzlich sind Ein‐ karten‐ und Zweikarten‐Systeme zu unterscheiden (vgl. Burrows 2015):
Einkarten‐Kanban: Zwischen produzierender und verbrauchender Stelle wird nur ein Transportkanban eingesetzt. Dieses Verfahren bil‐ det eher die Ausnahme, bei dem die Produktion traditionell über zentral vorgegebene Planzahlen erfolgt.
Zweikarten‐Kanban: Es wird zwischen einem Produktions‐ und ei‐ nem Transportkanban unterschieden. Verbraucht eine Senke (End‐ montage) den Inhalt des Behälters, ist der dort angebrachte Transport‐ kanban abzutrennen und durch einen vollen Behälter, der aus dem Pufferlager geholt wird, zu ersetzen. Ein Transportkanban regelt den Abruf zwischen verbrauchender Stelle und vorgeschaltetem Pufferla‐ ger. An dem vollen Behälter befindet sich ein Produktionskanban, der nach Abruf an die Quelle (Vormontage) geleitet wird. Der Produkti‐ onskanban steuert (losgelöst von der zentralen Produktionsplanung) eigenständig den Materialfluss innerhalb der Fertigung und im Puf‐ ferlager. Montage von Kurbelwellen als Beispiel
Der Prozessfluss des Zweikarten‐Systems wird nachstehend anhand eines Beispiels beschrieben (vgl. Holzmüller 2003, S. 21). Abbildung C.15 dient diesbezüglich dem besseren Verständnis. In der Senke (Endmon‐ tage) wurde ein zuvor definierter Mindestbestand erreicht. Somit meldet die Endmontage ihren Bedarf an, indem sie an einen leeren Behälter (vom Typ „C“) einen Transportkanban heftet und diesen in das Puffer‐ lager („F‐26‐18“) bringt. Die Vormontage holt den Transportkanban aus
196
Strategien der Versorgung
C.3
dem Pufferlager. Entsprechend der konkreten Nachfrage der Senke, füllt die Vormontage den Behälter mit 20 Kurbelwellen (Typ „56790‐321“) auf, der somit zum Produktionskanban („P“) wird. Es ist der vierte von acht identischen Produktionskanbans, die sich im Umlauf befinden. Die Kurbelwellen werden für den Fahrzeugtyp „SX50BC‐150“ benötigt und auf Band „SB‐8“ verbaut. Jetzt wird der gefüllte Behälter in das Pufferla‐ ger gebracht. Zur gegebenen Zeit entnimmt die Endmontage diese 20 Kurbelwellen dem Pufferlager. Ein neuer Regelkreis wird angestoßen, wenn der nächste Mindestbestand erreicht ist. Kanban
Abbildung C.14
Hersteller
Material
Legende: PL PL = WE = HRL =
Kunde V
PL
1
EM
PL
2
VM
PL
3
KOM
PL
PL
WE
Lieferant
4
HRL
5
Information Pufferlager Wareneingang Hochregallager
KOM = VM = EM = V =
Komissionierzone Vormontage Endmontage Versand
Eine Kanban‐Steuerung passt sich somit flexibel kleineren Schwankun‐ gen innerhalb der Supply Chain an. Ganz anders die zentrale Produkti‐ onssteuerung, diese reagiert auf Änderungen der Kundenabrufe zu‐ meist nur träge. Um diese mangelnde Anpassungsfähigkeit kompensie‐ ren zu können, benötigen zentralisiert gesteuerte Abläufe hohe Sicherheitsbestände (Kapitalbindung). Außerdem bedeuten bereits klei‐ nere Modifizierungen des Fertigungsprozesses (zum Beispiel bei Stö‐ rungen im Betriebsablauf) für die zentrale Produktionssteuerung einen riesigen Koordinationsaufwand. Es werden personalintensive Abläufe initiiert, die mit einer hohen Fixkostenbelastung verbunden sind.
197
Zentral‐ vs. De‐ zentral‐Prinzip
C Abbildung C.15
Strategien des Supply Chain Managements
Beispiel eines Produktionskanbans Lagernummer: F26‐18 Teilenummer: 56790‐321 Teilebezeichnung: Kurbelwelle P
Band: SB‐8
Fahrzeugtyp: SX50BC‐150 Behälter: C
Menge: 20
Karte: 4/8
Prägende Ziele von Kanban
Kanban‐Systeme werden aber nicht nur zur Verbesserung der Prozess‐ flexibilität eingeführt. Sie diesen ebenso zur Erhöhung der Transparenz in den Wertschöpfungsketten. Weitere Ziele von Kanban bestehen in der Begrenzung von Verschwendung (verringerte Bestände, beschleunigte Durchläufe) und der Reduzierung des Planungsaufwands (vereinfachte Dispositionsvorgänge).
Kanban folgt strik‐ ten Regeln, die genau einzuhalten sind
Das Kanban‐Prinzip folgt strikten Grundregeln: Der Auslöser eines Prozesses ist immer der Verbraucher (Hol‐Gedanke). Weiterhin gilt: „Keine Produktion und keine Lieferung ohne Karte“. Die Entnahme‐ menge muss immer mit der Produktionsmenge übereinstimmen. Ebenso ist die Weitergabe fehlerhafter Teile verboten. Schließlich darf die An‐ zahl der insgesamt eingesetzten Karten nicht eigenmächtig verändert werden.
Das Team ist der Star…
Kanban ist die logische Weiterführung des Kaizen‐Gedankens: eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (vgl. S. 110). Die Steuerung der Regelkreise obliegt zu weiten Teilen den eingebundenen Mitarbeitern selbst. Eine Zentrale greift nur bei gravierenden Schwierigkeiten unter‐ stützend ein. Dadurch fördert Kanban die Eigenständigkeit und die Kreativität der Menschen. Kanban steigert die Motivation der Mitarbei‐ ter, diese agieren als wirkliches Team. Die Mitarbeiter sind integrativer und eigenverantwortlicher Bestandteil des gesamten Materialflusses.
Losgrößen und Anzahl eingesetzter Behälter festlegen
Jeder Kanban‐Regelkreis hat zwei prägende Parameter: Einerseits sind es die Losgrößen (die Teilezahl je Kanban‐Behälter). Andererseits ist es die Menge der in einem Regelkreis umlaufenden Karten. Die Anzahl dieser eingesetzten Karten ist abhängig von den Bedarfen pro Zeitein‐ heit, der Wiederbeschaffungszeit der Waren sowie der Anzahl an Teilen pro Behälter. Sämtliche Parameter werden für jeden Regelkreis indivi‐ duell festgelegt. Dabei sind situationsbedingte kurzfristige Anpassungen 198
Strategien der Versorgung
C.3
nicht nur möglich, sondern vielfach auch nötig (beispielsweise bei Be‐ triebsstörungen auf Grund von Maschinenausfällen). Die Philosophie von Kanban orientiert sich am Supermarktprinzip: Ein Verbraucher entnimmt, wie in einem Supermarkt, aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge. Die Lücke wird festgestellt und das Lager anschließend bis zum definierten Level aufgefüllt. Wich‐ tige Voraussetzungen für eine Steuerung über Kanban sind:
Spielregeln von Kanban‐ Regelkreisen
Jeder Verbraucher (zum Beispiel die Endmontage) darf nur die tat‐ sächlich benötigte Menge (Pull‐Gedanke) aus dem Pufferlager ent‐ nehmen. Ansonsten würde entweder ein Versorgungsengpass drohen (Unterbestand), oder der Work‐in‐Process (Werkstattbestand) zu hoch sein (Überbestand).
Jeder Produzent (zum Beispiel die Vormontage) stellt nur die tatsäch‐ lich in Auftrag gegebene Menge her (Arbeitsdisziplin).
Im Prozess befinden sich nur Teile mit einer vorgegebenen und einge‐ haltenen Qualität. Hohe Ausschuss‐ oder Nacharbeitsraten zerstören die Kanban‐Idee, da Produktionsunterbrechungen den Steuerungs‐ prozess erschweren.
Der Grad an Auftragswiederholung ist hoch. Folglich eignen sich für Kanban insbesondere die Serienfertigung und die Massenfertigung. Bei diesen Fertigungsprinzipien fallen vergleichsweise geringe Be‐ darfsschwankungen an.
Das Kundenabrufverhalten ist prinzipiell gut prognostizierbar (hohe Forecast Accuracy). Dadurch fallen nur geringen Folgekosten an.
Die Arbeitsplätze richten sich streng nach dem Materialfluss aus. Die Kapazitäten sind so miteinander abgestimmt, dass im Prozessablauf keine Engpässe entstehen.
Die Losgrößen sind relativ konstant. Dadurch ergibt sich eine ausge‐ prägte Planungssicherheit in den mittels Kanban abgewickelten Pro‐ duktionsprozessen.
Doch auch eine Kanban‐Steuerung unterliegt einigen Problemen. Geht der Überblick hinsichtlich der Anzahl eingesetzter Karten verloren, be‐ ginnt ein inflationäres Nachrücken von Kanbans. Außerdem werden Mitarbeiter zum Teil an der Linie Sachnummern „hamstern“, wenn sie einen Bandabriss befürchten. Dadurch wollen sie potenzielle Stock‐out‐ Situationen vermeiden. Auch wird sich die Anzahl eingesetzter Karten irgendwann einpendeln. Eine wirkliche Überprüfung der Kartenanzahl
199
Grenzen von Kan‐ ban
C
Strategien des Supply Chain Managements
findet dann nicht länger statt. Schließlich sind einige Mitarbeiter mit der Selbststeuerung über Kanban schlichtweg überfordert. Von JiT zu JiS
Das Prinzip der Produktions‐Synchronisation spiegelt sich bei Kanban in den Philosophien von Just‐in‐Time (JiT) und Just‐in‐Sequence (JiS, vgl. Krüger 2004; Furukawa‐Caspary 2018; Takeda 2009). In der Automobil‐ und deren Zulieferindustrie, aber auch in vielen anderen Branchen, sind JiT und JiS weit verbreitet. Bei der Produktion des „Smart“ in Hambach werden über 90% aller Zulieferteile Just‐in‐Time abgewickelt. Den Rest machen Schrauben und kleinere Plastikteile aus, die höchstens zwei Wochen im Werk lagern.
Neuerungen von JiS
Ein erster Unterschied zwischen Just‐in‐Time und Just‐in‐Sequence ist darin zu sehen, dass bei Just‐in‐Time der Versuch unternommen wird, mit einem „Nullbestand“ auszukommen, indem die Vorräte des Herstel‐ lers auf vorgelagerte Wertschöpfungsstufen zu überwälzen sind. Just‐in‐ Sequence hingegen bedeutet, die Bandgeschwindigkeit – ständig wech‐ selnd an die Kundennachfrage – dynamisch anzupassen. Wenn die Bedarfe plötzlich umschwenken, sind Bestände zwar nicht erwünscht, aber temporär durchaus erlaubt.
Ein Lieferant erbringt zusätzli‐ che Vorleistungen und sorgt für die richtige Reihenfolge
Eine weitere Neuerung von Just‐in‐Sequence bildet die Prozessoptimie‐ rung, indem die Reihenfolge von Arbeitsschritten abgestimmt ist. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise findet sich bei Audi. Bei der Fertigung des „TT“ im ungarischen Györ wendet der Autobauer Just‐in‐Sequence mit gutem Erfolg an. Die Fertigung fußt auf „SILS“ (Supply‐in‐Line‐ Sequence), wobei die Bandversorgung über ein Modulcenter in der Nä‐ he der Montagelinien abläuft. Der Tier‐One‐Lieferant Lear befindet sich in unmittelbarer Nähe des Produktionspunkts. Lear stellt die Sitze für den „TT“ her. Erst 180 Minuten vor dem eigentlichen Einbau erhält der Lieferant den Feinabruf. Bereits in der gewünschten Reihenfolge distri‐ buiert Lear mit kleinen Vans die Sitze in das Werk von Audi.
Halbherzige Um‐ setzung von JiT
Eine Studie von KPMG („Europe on the Move“) setzt sich dezidiert mit der Eignung von Just‐in‐Time in der Automobilindustrie auseinander. Die Untersuchung zeigt, dass die durchschnittliche Reichweite der Fahr‐ zeuge, über unterschiedliche europäische Produzenten hinweg, bei 50 Tagen liege. Zwar könnten einige Hersteller im Fertigungsprozess ihre Durchlaufzeiten herunterfahren. Doch stünden die Fahrzeuge anschlie‐ ßend viele Tage auf der Halde. Vor allem durch Probleme im Vertrieb würde in der kompletten Wertschöpfungskette Just‐in‐Time kaum reali‐ siert. Viele Autobauer würden in Europa, insbesondere im Niedrig‐ und Mittelpreissegment, noch immer am Push‐System festhalten und ihre
200
Strategien der Versorgung
C.3
Fahrzeuge nach einem festen Verteilplan herstellten. Nachstehend sind die wesentlichen Voraussetzungen von Just‐in‐Time aufgelistet:
Bereitschaft zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den eingebundenen Partnern: Zum Beispiel durch eine gemeinsame Be‐ standsführung.
Voraussetzungen von JiT
Einsatz von A‐Sachnummern mit möglichst hohen Lagerumschlägen (Fast Mover), damit sich die Investitionen in Just‐in‐Time auch rentie‐ ren.
Erzielung eines hohen Servicegrads durch betroffene Lieferanten, um Retouren (bei der Warendistribution) und Stock‐outs (während der Produktion) zu vermeiden.
Enge Abstimmung der Strategien zwischen Lieferant und Abnehmer, um einen reibungslosen Prozessfluss möglichst langfristig gewährleis‐ ten zu können. Der Lieferant übernimmt eine hohe Verantwortung für den Produktionsfluss seines Kunden.
Adäquate Informations‐ und Kommunikationssysteme, die einen ra‐ schen Wissenstransfer gewährleisten. Somit kann auf kurzfristige Än‐ derungen zeitnah reagiert werden.
Schaffung einer geeigneten Infrastruktur. Die Bestandsführung wird quasi auf die Straße verlagert. Zur Wahrung kurzer Lieferzeiten und zur Realisierung alternativer Routen (Ausweichmöglichkeiten), ist ei‐ ne geeignete infrastrukturelle Anbindung zwingend notwendig.
Flexibilität des Lieferanten, damit dieser möglichst rasch auf Ände‐ rungen reagieren kann (Kapazitätsreserven, Personal, Finanzkraft).
Hohe Forecast Accuracy, um ungeplante Nachfrageschübe weitestge‐ hend vermeiden zu können.
Die Sicherheitsbestände des Kunden werden bei Just‐in‐Time gesenkt und sämtliche den Wert mindernden Tätigkeiten eliminiert. Das Mate‐ rial ist produktionssynchron zu beschaffen, um Überbestände zu ver‐ meiden. Dadurch werden Probleme innerhalb der Versorgungskette zwingend aufgedeckt, weil nicht abgestimmte Kapazitäten, mangelnde Flexibilität, geringe Termintreue und qualitative Defizite direkt zum Versagen der Methode führen. Just‐in‐Time bedeutet somit eine Steige‐ rung der Prozesstransparenz.
JiT schafft Klarheit
Die Vorteile von Just‐in‐Time erstrecken sich, neben der angesproche‐ nen Transparenzsteigerung, auf Verbesserungen von Lagerumschlag, Handlingskosten, Lagerkosten, Durchlaufzeiten, Rüstzeiten sowie Ferti‐
Kritische Würdi‐ gung
201
C
Strategien des Supply Chain Managements
gungsschwankungen. Doch es sind auch einige Nachteile von Just‐in‐ Time zu beachten:
Einleitung von Trouble Shooting bei Störungen: Zum Beispiel, wenn LKW‐Fahrer streiken. Corona hat gezeigt, wie anfällig Just‐in‐Time ist.
Erhöhung der Transportkosten (häufige Anlieferung kleiner Mengen, verbunden mit ökologischen Belastungen).
Verlagerung der Bestände auf vorgeschaltete Wertschöpfungsebenen. Es findet keine tatsächliche Reduzierung der Bestände in der Liefer‐ kette statt.
C.3.6.2 Fortschrittszahlen: Historie und Be‐ griff
Begriffsblock C.IV
Fortschrittszahlen
Neben Kanban ist das Konzept der Fortschrittszahlen (vgl. Krings 2004; Ostertag 2008) eine weitere Versorgungsstrategie in modernen Supply Chains. Bereits seit den frühen 60er Jahren operieren Hersteller mit Fort‐ schrittszahlen. Mitte der 70er Jahre verlor das Konzept, insbesondere durch das Aufkommen von Kanban, an Bedeutung; um zu Beginn der 90er Jahre – in der Automobil‐ und ihrer Zulieferindustrie – seine regel‐ rechte Renaissance zu erleben. Ein wesentlicher Grundgedanke von Fortschrittszahlen besteht in der engen Verknüpfung zwischen Lieferant und Kunde. Die Steuerung der Zusammenarbeit wird über Abrufe (vgl. Begriffsblock C.IV) geregelt.
Arten von Abrufen
Lieferabruf (LAB): Im Lieferabruf werden die allgemeinen Konditio‐ nen festgeschrieben. Sie steuern die Freigabe für die Beschaffung von Materialien des Lieferanten. Die Basis zur Bearbeitung stellt ein Rah‐ menvertrag dar. Der Kunde verpflichtet sich darin, bestimmte Men‐ gen innerhalb eines definierten Zeitraums abzunehmen. Die Aktuali‐ sierung der Abrufe erfolgt häufig monatlich. Wobei sich die Vorschau über einen Zeitraum von einigen Monaten im Produktionsplan mani‐ festieren kann.
Feinabruf (FAB): Der FAB konkretisiert die Mengen, Termine und Or‐ te aus dem LAB. Synonym wird er als Direktabruf oder Versandabruf bezeichnet. Seine Vorschau umfasst beispielsweise im Segment „Au‐ tomotive“ in der Regel zwei bis vier Wochen.
202
Strategien der Versorgung
Im Rahmen der Bildung von Fortschrittszahlen wird der komplette Be‐ schaffungs‐ und Fertigungsprozess in Kontrollblöcke dekomponiert. Ein Kontrollblock ist ein selbst steuerndes Subsystem. Die Bedarfe der Teilabschnitte und die Mengen sind kumuliert darzustellen. Der Begriff resultiert daraus, dass der in Tagen oder Wochen angegebene Fortschritt im Herstellungsprozess aufgezeigt wird. Jeder einbezogene Bereich gibt den Input und den Output von Rohstoffen, Teilen sowie Endprodukten über ein Zeitraster an. Die verschiedenen Arten von Fortschrittszahlen sind (vgl. Ostertag 2008, S. 35):
Fortschrittszahlen
C.3 „Das größte Prob‐ lem an dem Fort‐ schritt ist: Auch die Nachteile entwi‐ ckeln sich weiter.“ (E. Ferstl)
Charakterisierung
Eingangs‐ Fortschrittszahl
Der auf die Zeit bezogene Mengeninput, welcher die Belas‐ tung eines Kontrollblocks anzeigt.
Ausgangs‐ Fortschrittszahl
Die Ausgangs‐Fortschrittszahl gibt den auf die Zeit bezogenen Mengenoutput eines Kontrollblocks an.
Ist‐Fortschrittszahl
Sie misst den effektiven Fertigungsfortschritt pro Kontroll‐ block, innerhalb eines definierten Betrachtungszeitraums.
Soll‐Fortschrittszahl Die Soll‐Fortschrittszahl bestimmt die mengenmäßige Soll‐ vorgabe pro Kontrollblock innerhalb eines definierten Be‐ trachtungszeitraums (die „gewünschte“ Vorgabe). Plan‐ Fortschrittszahl
Schließlich zeigt die Plan‐Fortschrittszahl die mengenmäßige Planvorgabe pro Kontrollblock innerhalb eines definierten Betrachtungszeitraums auf („realistische Vorgabe“).
Der Bestand je Kontrollblock errechnet sich pro Periode zu einem be‐ stimmten Zeitpunkt aus der Differenz von Eingangs‐Fortschrittszahl und Ausgangs‐Fortschrittszahl (vgl. Ostertag 2008, S. 51):
Berechnungs‐ grundlage
Berechnung von Fortschrittszahlen Bestand pro Kontrollblock (t) = EFZ (t) – AFZ (t) Legende: EFZ = Eingangs‐Fortschrittszahl
AFZ = Ausgangs‐Fortschrittszahl t = Untersuchungszeitraum
In der grafischen Darstellung sind die Ist‐, die Soll‐ und die Plan‐ Fortschrittszahlen abgetragen. Die zeitlichen und die mengenmäßigen
203
Vorläufe und Rück‐ stände
C
Strategien des Supply Chain Managements
Vorläufe („V“) sowie Rückstände („R“) geben an, ob die Zielwerte über‐ oder unterschritten sind. Abbildung C.16 zeigt diesen Sachverhalt an‐ hand eines Beispiels. Der Beginn dieser Betrachtung ist der Zeitpunkt t0 (t wird in Fertigungstagen gemessen und horizontal abgetragen). Verti‐ kal sind die produzierten Mengeneinheiten (ME) angegeben: der Fort‐ schritt pro Zeiteinheit im Untersuchungszeitraum. Am Anfang des vier‐ ten Tags (t4) beläuft sich der Rückstand auf 100 ME. An diesem vierten Tag werden 200 ME hergestellt, somit ergibt sich an dessen Ende ein Vorlauf von 100 ME – Vorläufe verursachen Kapitalbindungseffekte. Der nächste Betrachtungszeitpunkt ist t11 (heute). Wiederum beträgt der Rückstand 100 ME. Es sollten kumuliert 500 ME hergestellt sein. Jedoch wurden nur 400 ME produziert. Zum Aufzeigen der Synchronisation zwischen Ist und Soll, werden die Planzahlen in das Diagramm einge‐ tragen. Der Plan gibt an, dass in der Periode t13 eine Anpassung von Soll und Ist stattfindet und der Rückstand zu diesem Zeitpunkt (also in zwei Tagen) voraussichtlich aufgeholt ist.
Beispiel zur Bestimmung von Fortschrittszahlen 700 600 500
R
400
R
300
V
V
200
Heute
Abbildung C.16
R 100 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 13 14 15 16
t
Legende: R = Rückstand V = Vorlauf t = Zeit
204
= = = =
Ist‐Fortschrittszahl Soll‐Fortschrittszahl Plan‐Fortschrittszahl Soll‐Fortschrittszahl gleich Plan‐Fortschrittszahl
Strategien der Versorgung
C.3.6.3
C.3
Belastungsorientierte Auftragsfreigabe
Das Konzept der Belastungsorientierten Auftragsfreigabe (BOA) wur‐ de Mitte der 80er Jahre am Institut für Fabrikanlagen (IFA) in Hannover entwickelt (vgl. Weigelt 2011; Wiendahl 1987). Es orientiert sich an den Kapazitäten der Arbeitsstationen und nach dem Ziel, eine verfrühte oder eine verspätete Auftragsfreigabe in die Supply Chain zu verhindern. Aufträge werden in das System geschleust, wenn sie als dringlich einzu‐ stufen sind. Die zwei Steuerungsparameter „Terminschranke“ und „Be‐ lastungsschranke“ bestimmen die Dringlichkeit der Aufträge.
Historie und Schranken
Terminschranke: Der letztmögliche Starttermin für die Einlastung von Aufträgen in die Supply Chain.
Belastungsschranke: Die Belastungsschranke gibt den Grenzwert an, bis zu dem Aufträge je Station bearbeitet werden können.
Die Fertigungskapazitäten sind fix, wodurch die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe recht rigide wirkt. Ein Trichtermodell steuert die Ein‐ schleusung von Aufträgen in die Versorgungskette (vgl. Abbildung C.17). Wichtige Stell‐ und Regelgrößen des Konzepts sind:
Stell‐ und Regelgrößen
Starrheit als Rest‐ riktion
Charakterisierung
Mittlerer Bestand
Der mittlere Bestand charakterisiert die vor einem Arbeitsplatz bereits wartenden Aufträge. Diese Vorräte haben eine Pufferfunktion.
Mittlere Belastung
Sie symbolisiert die vor einer Maschine neu ankom‐ menden Aufträge.
Kapazität
Eine Kapazität misst die mögliche Leistung der Arbeitsstation. Sie entspricht der unteren Öffnung des Trichters.
Mittlere gewichtete Durch‐ laufzeit
Schließlich bestimmt die mittlere gewichtete Durch‐ laufzeit das Verhältnis aus mittlerem Bestand und mittlerer Kapazität.
Das Konzept ist in der Unternehmenspraxis allerdings nicht sehr ver‐ breitet. Eine Steuerung der Versorgung innerhalb der Supply Chain wird durch drei generische Arbeitsschritte gewährleistet (vgl. Weigelt 2011, S. 5ff.).
205
BOA‐Prozess
C Dringlichkeit festlegen
Strategien des Supply Chain Managements
Arbeitsschritt 1: Bei der Anwendung von BOA wird zunächst mit der Bestimmung einer Terminschranke die Basis für die Durchlaufterminie‐ rung geschaffen. Je näher ein Auftrag vor der Terminschranke liegt, desto dringlicher ist seine Bearbeitung. Die Terminierung erfolgt mit Hilfe statistisch gewonnener mittlerer gewichteter Durchlaufzeiten.
Berechnung der gewichteten Durchlaufzeit Mittlere gewichtete Durchlaufzeit (MD) MD = Legende:
Kapazitäten an den Arbeitsstationen fixieren
MB A / T MB = Mittlerer Auftragsbestand A = Auftragsabgang (Stunden) T = Untersuchungszeitraum (Tage)
Arbeitsschritt 2: Die Aufträge werden nur dann in das System ge‐ schleust, wenn sie eine gegebene Belastungsschranke pro Arbeitsstation nicht überschreiten. Dadurch ist die Vermeidung einer Überlastung an den Maschinen gewährleistet. Die Belastungsschranke kann mit Hilfe von Simulationsverfahren ermittelt werden, wodurch die Belastungsori‐ entierte Auftragsfreigabe an Flexibilität gewinnt. Dann reduziert sich das bereits angesprochene Problem der Starrheit.
Berechnung der Belastungsschranke Belastungsschranke (BS)
BS = MB + AB Legende:
Jedem Auftrag seine Chance
MB = Mittlerer Auftragsbestand AB = Auftragsabgang pro Periode
Arbeitsschritt 3: Alle Aufträge, die in Arbeitsschritt 2 noch nicht freige‐ geben wurden (weil ihre Dringlichkeit nicht hoch genug ausgeprägt war), haben jetzt die Chance – mit erhöhter Dringlichkeit – durch die Belastungsschranke in die Supply Chain geleitet zu werden. Nach er‐ folgter Freigabe und Bearbeitung ist der Bestand schließlich auf Lager zu nehmen.
206
Strategien der Versorgung
Belastungsorientierte Auftragsfreigabe
C.3 Abbildung C.17
Mittlere Belastung (neue Aufträge)
Bestandsniveau
Mittlerer Bestand (bereits wartende Aufträge) Kapazität (Stellrad)
Abgefertigte Aufträge
Lager
Zu den wesentlichen Voraussetzungen einer Belastungsorientierten Auftragsfreigabe zählen:
C.3.6.4
Harmonisierende Kapazitäten.
BOA eignet sich nicht für jeden Fertigungsprozess
Kleine Fertigungslose mit ähnlichen Arbeitsinhalten. Kontinuierliche (linear verlaufende) Produktionsprozesse. Weitgehend unveränderte Maschinenfolge (Identical Routing). Keine größeren Störungen (wie Fertigungsausfälle). Nur geringe Änderungen von Auftragsmengen und ‐terminen.
Retrograde Terminierung
Eine weitere Versorgungsstrategie im Supply Chain Management ist die Retrograde Terminierung. Ende der 80er Jahre wurde der Ansatz von Adam (vgl. Adam et al. 1999; Zirkel 2004) entwickelt. Die zentrale Aussage des Konzepts lautet, dass im Fertigungsprozess auch Diskontinuitäten auftreten können (insbesondere bei der Einzelfertigung und der Werk‐ stattfertigung). Diskontinuierlich bedeutet, dass die Prozesse nicht‐ linear verlaufen. Die Starttermine einer Fertigung werden entgegen des
207
Historie und Dis‐ kontinuität
C
Strategien des Supply Chain Managements
eigentlichen Materialflusses (retrograd) festgelegt. Den finalen Soll‐ Liefertermin zum Kunden bestimmt die zentrale Produktionsplanung. Eine Retrograde Terminierung kennt drei Arbeitsschritte: Phasen der Ret‐ rograden Terminie‐ rung
Arbeitsschritt 1: Ausgehend vom Soll‐Liefertermin zum Abnehmer geben die einzelnen Fertigungsbereiche, rückwärts terminiert, ihre gewünschten Startzeiten an die zentrale Produktionsplanung weiter. Es ist zu unterstellen, dass keine Restriktionen hinsichtlich der nutz‐ baren Kapazitäten vorliegen. Der Rahmenplan einer Fertigung wird zunächst grob (und damit wenig praktikabel) erstellt.
Arbeitsschritt 2: Dieser Rahmenplan wird unter der Heranziehung einer Maschinenbelegungsübersicht revidiert. Es erfolgt eine Zuord‐ nung von Aufträgen zu Maschinen. Treten Terminkollisionen auf, sind diese durch den Einsatz einer Prioritätsregel zu entschärfen. Dabei wird vom Prinzip der Rückwärtsterminierung innerhalb der Wert‐ schöpfungskette ausgegangen. Die einzelnen Wunschvorstellungen der Funktionsbereiche sind anschließend in eine Gesamtübersicht zu bringen.
Arbeitsschritt 3: Die provisorische Ausgangsplanung wird modifi‐ ziert. Es findet eine Abstimmung zwischen den Wünschen der Abtei‐ lungen und den tatsächlichen Fertigungsverhältnissen durch die zent‐ rale Produktionssteuerung statt. Beispielsweise kann der Auftrags‐ start in Richtung Gegenwart verschoben werden, um auftretende Verzugszeiten zu reduzieren. Aufträge den Arbeitsstationen zuweisen
Der dominierende Steuerungsparameter einer Retrograden Terminie‐ rung ist der Maschinenbelegungsplan. Er ist als Rahmenplan – und nicht als minutiöse Steuereinheit – zu verstehen. In ihm werden die Ar‐ beitsstationen und die Anzahl der in einer Lieferkette tätigen Mitarbeiter berücksichtigt. Der Maschinenbelegungsplan enthält zunächst nur die Eckdaten für den Planungszeitraum. Zum Beispiel eine Vorgabe der Produktionszahlen auf Wochenbasis.
Abhängigkeit von der Zentrale ver‐ mindern
Innerhalb definierter Interventionsdaten (Grenzwerte) kann ein Mitar‐ beiter frei über die Verschiebung der Reihenfolge entscheiden, wenn dies der Gesamtoptimierung zuträglich ist. Er darf jedoch die Soll‐ Bearbeitungszeit je Arbeitsgang insgesamt nicht überschreiten. Die zent‐ rale und die provisorische Produktionsplanung werden folglich dezent‐ ral (in den Funktionsbereichen selbst) verbessert.
Flexibilität als scharfe Waffe
Der Ansatz zielt darauf, beim Auftreten unvorhersehbarer Störungen geringen Ausmaßes rasch Anpassungen vorzunehmen. Dadurch ist die
208
Strategien der Versorgung
C.3
retrograde Terminierung sehr flexibel. Das Mitspracherecht und die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter bewirken auch eine Motivati‐ onssteigerung. Jedoch kann es bei häufigen Modifizierungen der Daten zu Problemen in der zentralen Produktionssteuerung kommen, indem die Anpassungen nicht adäquat vorgenommen werden.
C.3.7
Ersatzteilmanagement
Angelehnt an die deutsche Industrienorm 24420 (Teil I/4‐1), stellen Er‐ satzteile (Spare Parts) den Austausch beschädigter, verschlissener oder fehlerhafter Einzelkomponenten, Baugruppen oder vollständiger Er‐ zeugnisse dar. Eine Feinuntergliederung von Ersatzteilen nach ihrem Verwendungszweck findet sich beim „Deutschen Institut für Normung“ (DIN 31051). Danach werden Ersatzteile in Reserveteile, Verbrauchsteile und Kleinteile unterschieden (vgl. Biedermann 2018, S. 3ff.).
„Es gibt keinen Ersatz für das Leben: Lieber jung sterben, als nur um das Leben herum‐ schnüffeln.“ (A. Rubinstein)
Reserveteile: Sie sind den Fertigungsanlagen direkt zugeordnet. Grundsätzlich zeichnen sich Reserveteile durch geringe Bestands‐ mengen und eine hohe Kapitalbindung aus. Sie werden typischer‐ weise zur Instandhaltung benötigt. Es sind vielfach Antriebskompo‐ nenten, wie Motoren oder Getriebe.
Verbrauchsteile: Darunter sind genormte Sachnummern zu verste‐ hen, die einer ausgeprägten Abnutzung unterliegen. Ihre wirtschaftli‐ che Instandsetzung ist zumeist nicht möglich. Vielmehr sind Ver‐ brauchsteile einer begrenzten Lebensdauer unterworfen, die sich je‐ doch vielfach recht gut prognostizieren lässt. Zu ihnen zählen Leuchtmittel, Bremsscheiben oder Kleinmotoren.
Kleinteile: Schließlich werden Kleinteile in großen Mengen bevorra‐ tet. Ihr durchschnittlicher WACC‐Effekt schlägt kaum zu Buche (Puf‐ ferlagerbildung). Kleinteile sind typischerweise normiert (Schrauben, Unterlegscheiben, Dichtungsgummis).
Die Ersatzteilnachfrage kann entweder auf ein plötzliches Ereignis, oder auf einen Verschleiß zurückgehen (vgl. Biedermann 2018, S. 55). Ein plötzliches Ereignis eines Ersatzteilbedarfs ist beispielsweise ein Unfall. Um dem Verschleiß vorzubeugen, sind Wartungsmaßnahmen einzulei‐ ten (Austausch defekter oder abgenutzter Teile). Ein Teileaustausch ist vorzugsweise mit den Folgekosten abzuwägen (Total‐Cost‐of‐Ownership‐ Analyse).
209
Unfall und Ver‐ schleiß als Ursa‐ chen der Ersatz‐ teilnachfrage
C Ersatzteile nach ihrer Herkunft unterscheiden
Strategien des Supply Chain Managements
Wenn Ersatzteile nach ihrer Herkunft betrachtet werden, bietet sich eine Unterscheidung in Originalteile, Fremdteile, Gebrauchsteile sowie Nachbauteile an. Ihre nähere Kennzeichnung findet sich im Folgenden. Ein grundsätzliches Differenzierungskriterium ist dabei die Fertigungs‐ tiefe der Ersatzteilhersteller (vgl. Biedermann 2018, S. 13ff.).
Originalersatzteile (Genuine Spare Parts): Originalersatzteile produ‐ ziert der Hersteller (OEM) als Erstausrüster entweder selbst, oder er bezieht sie „original“ von Dritten (Outsourcing). Die Qualität der Sachnummern ist identisch mit der Erstausrüstung. Beispielsweise setzt sich ein VW „Golf“ aus über 1.200 Einzelkomponenten zusam‐ men, für die Originalersatzteile auf Lager vorzuhalten sind.
Fremdersatzteile (Third Party Replacement): Darunter sind vom Erstausrüster selbst hergestellte Ident‐Bauteile zu verstehen, die auch Nachbauteile der Drittanbieter sein können. Sie werden unter der Marke eines Zulieferunternehmens vertrieben, und sie entsprechen den Qualitätsstandards der Originalteile.
Gebrauchtteile: Gebrauchtteile sind entweder instandgesetzte Sach‐ nummern, oder aus Altanlagen entnommene Komponenten.
Nachbauteile: Sind Patent‐ oder Designschutz abgelaufen, werden ei‐ nige Artikel mittlerweile als Nachbauteile angeboten. Diese sind den Originalteilen nachempfunden. Sie werden häufig als Eigenmarken vertrieben (zum Beispiel Automobilwischblätter bei Discountern). Ersatzteilmanage‐ ment und seine Einflussfaktoren
Grundsätzlich hat sich die Notwendigkeit für ein Ersatzteilmanagement in den letzten Jahren intensiviert. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die Ausgestaltung eines modernen Ersatzteilwesens zählen globa‐ lisierte Wirtschaftsabläufe (geografische Ausweitung von Kunden‐ standorten), zunehmender Wettbewerb (Anstieg der Variantenvielfalt), technologische Veränderungen (Ausdehnung der Wartungsintervalle), gesetzliche Änderungen (Verlängerung von Gewährleistungsfristen) und modifizierte Kundenanforderungen (zunehmende Service‐Levels).
Kundenzufrieden‐ heit vs. Kosten
Dabei befindet sich das Ersatzteilmanagement in einem latenten Span‐ nungsverhältnis zwischen hohem Lieferservicegrad (Technik‐ und Ver‐ triebssicht) bei gleichzeitig niedriger Kapitalbindung (Controlling‐ Sicht). Ein ausgeprägter Lieferservicegrad schafft Kundenzufriedenheit und mindert das Risiko von Produktionsunterbrechungen. Damit sind in der Regel niedrige Ausfallfolgekosten verbunden. Auch tragen re‐ gelmäßige Wartungen und Inspektionen von Anlagen dazu bei, diese
210
Strategien der Versorgung
C.3
langfristig zu erhalten. Allerdings wird durch die Bevorratung kapital‐ intensiver Reserveteile die Anlagenverfügbarkeit teuer erkauft. Zur Linderung dieses generischen Zielkonflikts zwischen Warenverfüg‐ barkeit und Lagerhaltungskosten, sollte sich ein zeitgemäßes Ersatz‐ teilmanagement auf eine Optimierung seiner vier prägenden Schlüssel‐ komponenten konzentrieren. Dazu zählen: Bestandsmanagement, Pro‐ zessmanagement, Lager‐ und Infrastruktur sowie Kooperationen (vgl. Pawellek 2012, S. 59ff.).
C.3.7.1
Säulen des moder‐ nen Ersatzteilma‐ nagements
Bestandsmanagement
Das Bestandsmanagement von Ersatzkomponenten unterliegt besonde‐ ren Spielregeln. Die gewünschten Ersatzteile sollen in geforderter Qua‐ lität und Menge stets pünktlich am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Fehlende Ersatzteile können komplette Produktionsprozesse zum Erlie‐ gen bringen (Stock‐Outs). Gleichzeitig dürfen die Lagerhaltungskosten nicht ausufern.
Stock‐outs schmer‐ zen im Ersatzteil‐ geschäft besonders
Wesentliche Charakteristika für die Bevorratung von Ersatzteilen sind die Nutzungsintensität und die Nutzungsbedingungen von Produkti‐ onsanlagen. Aber auch die jeweiligen Instandhaltungsstrategien ent‐ scheiden über die Lagerung von Ersatzteilen: Werden Wartungen von Fertigungs‐ und Montageanlagen korrektiv (nach deren Ausfall) vorge‐ nommen, oder erfolgt die Wartung präventiv in regelmäßigen Zeitinter‐ vallen? Aber auch die Nachfrage von Ersatzteilen über die letzten Peri‐ oden, sowie das Ausfallverhalten von Bauteilen, sind wichtige Schlüs‐ selfaktoren für die Lagerung von Ersatzteilen. Besondere Beachtung verdienen diesbezüglich Anlagen, deren Nutzung über das geplante Anlagenalter hinausgeht (Auslaufbedarfe). Gute Dienste leisten in einer zeitgemäßen digitalen Instandhaltung Datenbrillen: Digital Maintenan‐ ce wird häufig über Augmented Reality realisiert.
Fokus auf die Instandhaltung
Grundsätzlich ist die Lagerhaltung kostenintensiver Reserveteile nur anzuraten, wenn der entscheidungsrelevante Nutzen (beispielweise die Vermeidung von Fehlmengenkosten oder Konventionalstrafen) die Lagerhaltungskosten übertrifft. Stehen mehrere Bevorratungsalternati‐ ven zur Verfügung, ist die Variante mit dem größten Kostenvorteil zu wählen. Problematisch gestaltet es sich dabei allerdings, dass einige Bestimmungsgrößen sich kaum monetär ausdrücken lassen und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten a priori nur schwerlich abzuschätzen sind (wie Imageschäden bei nicht rechtzeitiger Lieferung).
Kosten‐Nutzen‐ Verhältnisse auslo‐ ten
211
C Wertbetrachtung und Forecast Ac‐ curacy
Strategien des Supply Chain Managements
Zum zielgerechten Management von Ersatzteilen bietet sich die klassi‐ sche Differenzierung nach ABC‐ und XYZ‐Teilen an (vgl. S. 298). A‐, B‐ und C‐Sachnummern werden nach Wert und Menge unterschieden. Die Aufteilung in X‐, Y‐ und Z‐Teile orientiert sich nach ihrer Vorhersage‐ genauigkeit (Forecast Accuracy). Speziell für das Ersatzteilmanagement gelten dabei folgende entscheidungsrelevanten Implikationen (vgl. Pa‐ wellek 2012, S. 81ff.).
A‐Ersatzteile sind typischerweise kapitalintensive Einort‐Reserveteile. Der Ausfall solcher Komponenten ist häufig mit hohen Stillstandkos‐ ten verbunden. A‐Ersatzsachnummern lassen sich nicht instand set‐ zen. Auf Grund der ausgeprägten Lagerhaltungskosten ist die Menge an A‐Ersatzteilen möglichst klein zu halten.
Zu den B‐Ersatzteilen zählen Mehrort‐Normteile. Es sind Komponen‐ ten klassischer Standardmaschinenbaugruppen (Motoren oder Ge‐ triebe).
Schließlich werden den C‐Ersatznummern Klein‐ und Verschleißteile (wie beispielsweise Dichtungen) zugerechnet. Ihr Wert ist relativ ge‐ ring, die bevorratete Menge groß.
Für die X‐Ersatznummern gilt, dass sie einer guten Vorhersagegenau‐ igkeit unterliegen. Es sind zumeist Kleinteile, die sich teilweise ferti‐ gungssynchron steuern lassen.
Y‐Ersatzteile sind mit einer durchschnittlichen Forecast Accuracy ausgestattet. Für sie bietet sich die Vorratsbeschaffung an.
Sehr schwer planbar sind insbesondere Z‐Ersatzgüter. Weder die fer‐ tigungssynchrone Beschaffung (schlecht planbare Bestände), noch die Pufferlagerung (zu teuer), bieten sich als Dispositionsvariante an. Da‐ her sollte ein gewisser Sicherheitsbestand dieser Sachnummern auf Lager geführt werden, der allerdings regelmäßig zu überwachen ist.
C.3.7.2
Prozessmanagement
Weitere Verbesserungspotenziale des Ersatzteilmanagements liegen in „Wenn man den einer Prozessoptimierung begründet. Das prägende Element des Pro‐ Streit mit einem Wein zessmanagements ist die Serviceorganisation: Supply Chain Prozesse begießt, so richtet streben nach Standardisierung. Auf Grund permanenter Prozesskontrol‐ man mehr aus, als durch einen Prozess.“ len, sind die Prozessfehlerraten zu reduzieren. Außerdem werden die Aufgaben eindeutig definiert, um den Grundstein für die Schaffung (Redewendung) klarer Prozessstrukturen zu legen.
212
Strategien der Versorgung
C.3
Ein modernes Ersatzteilmanagement basiert auf einem ganzheitlichen Life Cycle Management. Dadurch sollen einerseits die Fertigungskos‐ ten von Ersatzteilen heruntergefahren werden. Andererseits sind im Rahmen der Ersatzteilproduktion die Wiederbeschaffungszeiten zu reduzieren. Der Schlüssel des Erfolgs liegt in einer lückenlosen Stamm‐ datenpflege und einer transparenten Dokumentation der Ersatzteilhis‐ torie begründet (aktives Nachfolge‐ und Änderungswesen).
Integrierter Le‐ benszyklus im Fokus
Eine weitere erfolgsrelevante Komponente der Ersatzteilbewirtschaf‐ tung stellt ein zeitgemäßes Lieferantenmanagement dar. Ausgewählte Lieferanten sind aktiv in die Ersatzteilprozesse einzubinden. Als Selek‐ tionskriterien können die Termintreue, die Lieferqualität oder die Upsi‐ de Production Flexibility von Lieferanten herangezogen werden. Zur Bewertung dieser Entscheidungskriterien ist möglichst ein Lieferanten‐ bewertungssystem zu implementieren (Supplier Rating System).
Aktive Lieferanten‐ einbindung
Zudem sind die Dispositionsregeln im Ersatzteilmanagement mög‐ lichst klar zu strukturieren. Ein prägendes Kriterium ist dabei die Klas‐ sifizierung von Ersatzteilen. Diesbezüglich bietet sich der kombinierte Einsatz der oben charakterisierten ABC‐ und XYZ‐Analysen an (vgl. S. 298). Die Sortimentspflege erfolgt kontinuierlich. Zur Reduzierung kos‐ tenintensiver Wertberichtigungen sind langsam drehende Ersatzteile möglichst frühzeitig zu identifizieren; und gegebenenfalls auch zu eli‐ minieren. An dieser Stelle sind Excess‐and‐Obsolete‐Analysen anzura‐ ten (vgl. S. 301).
Bestände struktu‐ rieren und analy‐ sieren
Die Angebots‐ und die Auftragsabwicklung technischer Ersatzteile soll‐ te auf einer lückenlosen Dokumentation fußen. Außerdem müssen die Stücklisten ständig aktualisiert werden. Wettbewerbsvorteile resultieren aus einer Erzielung kurzer Reaktions‐ und Lieferzeiten, um die Kun‐ den schnellstmöglich mit den benötigten Ersatzteilen versorgen zu kön‐ nen. Um diesen Prozess nicht unnötig zu verlangsamen, sind länder‐ spezifische Vorschriften zu beachten (beispielsweise im Rahmen der Zollabwicklung).
Agilität als Er‐ folgsgröße in der Supply Chain
Im Supply Chain Management im Allgemeinen und im Ersatzteilma‐ nagement im Besonderen spielt die Kundenzufriedenheit eine zentrale Rolle. Somit sind vor allem Verbesserungen der Servicegrade gemeint. Um dies erreichen zu können, ist die Schaffung eindeutig strukturierter Kundensegmente vorzunehmen. In möglichst kurzen Intervallen, wer‐ den Kundenanforderungsanalysen durchgeführt. Call Center oder On‐ line (Bestell‐) Services gewährleisten zudem eine möglichst durchgängi‐
Abschluss von Full‐Service‐ Verträgen
213
C
Strategien des Supply Chain Managements
ge Erreichbarkeit. Ein effizientes Category Management dient der diffe‐ renzierten Bearbeitung von Schlüsselkunden. Chargen nicht verlieren: Resilienz im Ersatzteilma‐ nagement
Als Bindeglied zwischen Produktion und nachgelagerten Supply‐Chain‐ Prozessen, gewährleistet die Distribution eine lückenlose Überwachung aller Lager‐ und Transportebenen. Die Ersatzteilchargen müssen jeder‐ zeit zurückzuverfolgen sein. Dazu werden moderne Systeme zur Sen‐ dungsverfolgung eingesetzt. Gute Dienste erbringen in diesem Kontext Radiofrequenzlösungen (vgl. S. 364). Da die Investitionen in RFID zum Teil erheblich sind, sollten zunächst jedoch die jeweiligen Kosten‐ Nutzen‐Relationen ausgelotet werden.
Transparenz in den Return‐Prozessen
Schließlich sind Prozessverbesserungen des Ersatzteilwesens auch in der Abwicklung von Retouren möglich. Bei diesen Rückführungsvor‐ gängen ist insbesondere die Wiedereinsteuerung betroffener Sendungen in die Supply Chain schwierig. Eine automatisierte Bestandsaktualisie‐ rung ist ebenso bedeutsam, wie die durchgängige Chargenrückverfol‐ gung. Retournierte Waren sind vorzugsweise direkt im Wareneingang auf Beschädigung oder Funktionsfähigkeit zu überprüfen.
C.3.7.3
Lager- und Infrastruktur
Gretchenfrage der Lagerhaltung
Zunächst sind im Ersatzteilwesen die Vorteile und Nachteile zwischen zentraler und dezentraler Lagerbewirtschaftung gegenüberzustellen. Für die Errichtung eines Zentrallagers sprechen niedrigere Investitio‐ nen. Aber auch die laufenden Kosten sind bei zentraler Bewirtschaftung häufig geringer, da sich Bündelungseffekte ergeben (Cost Sharing). Der Steuerungsaufwand fällt vergleichsweise einfach aus. Auch ist die Er‐ satzteilverfügbarkeit im Zentrallager hoch. Schließlich gestalten sich Zentrallagerprozesse transparent, was sich positiv auf die Bestandsrege‐ lung auswirkt.
Economies of Density durch Zentrallagerung
Schließlich wird die Zentrallagerung in Ballungsräumen die vorteilhaf‐ tere Variante sein: Dann können Economies of Density (Dichteeffekte, vgl. S. 130) ausgeschöpft werden, da die Kunden zumeist in räumlicher Nähe zueinander angesiedelt sind (Agglomerationsvorteil). Die Trans‐ portfahrzeuge werden gut ausgelastet sein, wodurch sich die Transport‐ kosten auf viele Waren verteilen (geringere „Kosten pro Sendung“).
Regionale Kunden‐ verteilung
Ein großer Nachteil einer Zentrallagerung von Ersatzteilen ergibt sich allerdings aus der geringen Lieferflexibilität: Liegen die Kunden räum‐ lich weit auseinander (Deglomeration), ist eine Zentrallagerung von Ersatzteilen kaum anzuraten, weil die laufenden Kosten (vor allem
214
Strategien der Versorgung
C.3
Transportkosten), auf Grund der ausufernden Entfernungen, zu hoch ausfallen. Außerdem sind die Reaktionsintervalle zu lang, worunter der Servicegrad leidet. Umgekehrt verhält es sich bei dezentraler Lagerbewirtschaftung von Ersatzteilen. Der Koordinierungsaufwand sollte nicht unterschätzt wer‐ den, denn Regionallagerung sorgt für Intransparenz (erhöhter Pla‐ nungs‐ und Kontrollaufwand). In den verschiedenen Lagern befinden sich häufig keine Vollsortimente, sondern auf die Region zugeschnittene Teilsortimente. Dadurch kann sich ein Unternehmen zwar flexibel auf die Besonderheiten eines Absatzgebiets einstellen. Doch entstehen somit auch Zusatzkosten, da identische Ersatzteile in unterschiedlichen La‐ gern zu bevorraten sind (Opportunitätskosten). Folglich wird die Reak‐ tionsfähigkeit bei dezentraler Lagerung durch eine erhöhte Kapitalbin‐ dung teuer erkauft.
Kurze Wege bei dezentraler Lager‐ bewirtschaftung
Unabhängig von der Grundsatzentscheidung zwischen zentraler und dezentraler Lagerhaltung, verlangt das Ersatzteilmanagement einen ausgesprochen anpassungsfähigen Einsatz von Technik und Personal. Dazu sind vorzugsweise automatisierte Lagerhaltungs‐ und Kommissi‐ onierungssysteme (Pick‐by‐Light, Pick‐by‐Voice, Pick‐by‐Vision) sowie parallelisierte Auftragsbearbeitungstechniken einzusetzen.
Flexibler Einsatz von Technik und Personal
C.3.7.4
Kooperationen
Seit dem Aufkommen von Lean Management (vgl. S. 109 dieser Schrift), werden bevorzugt Unternehmensleistungen mit geringer Wertschöp‐ fung ausgelagert. Diese Besonderheit trifft auch für das Ersatzteilwesen zu, da kein großer Warenumschlag vorliegt. Der Auftraggeber erhofft sich von einem Outsourcing seines Ersatzteilbereichs – oder von Aus‐ zügen daraus – Veränderungen in den Kostenstrukturen: Originäre Fixkosten werden variabilisiert (Gemeinkostensenkung durch schlanke‐ re Verwaltung). Weiterhin sind die mit Prozessänderungen verbunde‐ nen Auswirkungen auf die Transaktionskosten ebenso zu beachten, wie die gesteigerte Abwicklungstransparenz.
Outsourcing im Ersatzteilwesen möglich
Instandhaltungsketten (Maintenance‐Supply‐Chains) sind häufig recht komplexe Gebilde. Daher stellt das Ersatzteilmanagement hohe Anfor‐ derungen an einen 3PL. Die Bedarfe treten zumeist diskontinuierlich auf (geringe Forecast Accuracy). Außerdem gestatten diese sporadischen Abrufe zumeist nur die Fertigung und den Vertrieb kleiner Lose. Folg‐ lich sind bei einer Fremdvergabe von Tätigkeiten im Ersatzteilbereich
Kooperationspoten‐ ziale des Ersatzteil‐ bereichs
215
C
Strategien des Supply Chain Managements
zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer klare Regeln und Verant‐ wortlichkeiten niederzuschreiben. Diese Maßnahmen fördern die früh‐ zeitige Entdeckung potenzieller Engpässe (Medienbrüche, Schnittstel‐ lenprobleme, Verzögerungen). Der Preis der Kooperation
Doch jedes Ding hat bekanntlich seine zwei Seiten. Wenn sich ein Auf‐ traggeber für das Outsourcing seines Ersatzteilwesens entscheidet, be‐ gibt er sich in ein Abhängigkeitsverhältnis einem Dritten gegenüber. Neben der Aufgabe seiner Autonomie büßt der Auftraggeber seine Nä‐ he zum Kunden ein: Kundenreklamationen könnten beispielsweise bei dem 3PL versickern.
C.3.8
Risikomanagement in der Supply Chain
„Das Restrisiko ist das Risiko, das einem den Rest gibt.“ (P. Chevalier)
Allgemein stellt ein Supply‐Chain‐Risiko eine Verlust‐ oder Schadens‐ gefahr dar. Sie entsteht, wenn eine zukünftige Entwicklung negativer verläuft, als ursprünglich geplant. Im Extremfall können diese Risiken existenzbedrohend sein (vgl. Steiff 2009, S. 109). Viele aktuelle Entwick‐ lungen belasten die Robustheit von Supply Chains: Zunehmende Glo‐ balisierung, verstärkter Wettbewerb unter den Supply Chains, Verlage‐ rungen in Billiglohnländer, zunehmendes Outsourcing, Reduzierung der Lieferantenanzahl, Absenkung der Sicherheitsbestände, Abbau von Kapazitäten und Personal, Zentralisierung von Produktions‐ und Dis‐ tributionsstandorten oder gravierende Verzerrungen der Nachfrage. Diese Faktoren belasten die Stabilität von Lieferketten nachhaltig. Die Supply Chain gerät zu einem regelrechten Vabanquespiel. Zur frühzei‐ tigen Identifikation dieser Bedrohungen bietet sich die Implementierung eines Risikomanagement‐Systems innerhalb der Wertschöpfungskette an (vgl. Huth/Romeike 2015; Siepermann et al. 2015; Wappler 2017).
Endogene und exogene Faktoren bedrohen Supply Chains
Ebenso belasten externe Störungen und Katastrophen jedweder Art (Pandemien, Erdbeben, Tsunami, Feuer, Krieg, Terrorismus) den rei‐ bungslosen Ablauf in Supply Chains. Die Akteure innerhalb der Liefer‐ ketten sind verwundbarer („vulnerable“) geworden. Aktienkurse wer‐ den durchgerüttelt und Unternehmenswerte vernichtet. Es überrascht nicht, dass sich gegenwärtig viele Supply‐Chain‐Partner besser gegen Risiken absichern, um an Robustheit in ihren Prozessen zu gewinnen.
Erdbeben und Tsunami erschüt‐ tern 2011 Japan
Wie angreifbar Supply Chains geworden sind, zeigten die Auswirkun‐ gen des schlimmen Erdbebens 2011 in Japan, verbunden mit einem katastrophalen Tsunami: Diese schwerste jemals in Japan registrierte
216
Strategien der Versorgung
C.3
Erderschütterung legte nicht nur die Produktion der Autobauer Toyota, Nissan und Honda schlagartig lahm (der finanzielle Schaden dieser Eruption wurde allein für die japanische Automobilindustrie auf etwa 25 Milliarden Euro beziffert). Auch bei Sony oder Canon standen die Bänder unmittelbar nach Ausbruch der Katastrophe still. Die Auswirkungen externer Schocks sind branchenübergreifend zu spüren: Als 2001 in Großbritannien die Maul‐ und Klauenseuche aus‐ brach, führte diese Nutztierkrankheit, also ein Ereignis aus dem Bereich der Landwirtschaft, zu Stock‐outs in der Automobilindustrie: Bei Volvo und Ford kam es zu Produktionsunterbrechungen, da das benötigte Leder für die Innenausstattung der Fahrzeuge nicht mehr verfügbar war (vgl. Kersten et al. 2008, S. 13).
C.3.8.1
Branchenübergrei‐ fende Auswirkun‐ gen
Supply-Chain-Risiken in ausgewählten Bereichen
Wenn Beschaffungsrisiken auftreten, kann die Versorgungssicherheit von Supply‐Chain‐Akteuren nachhaltig gestört sein. Dazu zählen politi‐ sche Unruhen, Transportunfälle, Ressourcenverknappung und Naturka‐ tastrophen. In Taiwan zerstörte beispielsweise in Jahre 2016 ein Erdbe‐ ben die Energieversorgung von Semiconducter‐Fabriken, die aktuell über 50% der weltweiten Versorgung mit Memory‐Chips und anderen Computerkomponenten abwickeln. Es entstanden gravierende Engpäs‐ se in den Materialströmen, wodurch Hardwareproduzenten (wie Apple, Dell, IBM) schätzungsweise 5% ihres Jahresergebnisses einbüßten.
Beschaffungsrisi‐ ken in der Supply Chain
Viele Beschaffungsrisiken sind hausgemacht, sie erwachsen quasi selbst aus aktuellen Trends rund um das Supply Chain Management (vgl. Mujkanovic 2017, S. 21): In modernen Lieferketten wurden in den letzten Jahren beachtliche Effizienz‐ und Reagibilitätssteigerungen verzeichnet. Mit Konzepten wie Just‐in‐Sequence, Vendor Managed Inventory oder Global Sourcing wurde ein erfolgreiches Cost Cutting betrieben, was zu niedrigen Beständen und Produktionsverlagerungen in Niedriglohn‐ länder führte. Der Preis der Prozessschlankheit sind drohende Stock‐ outs, wenn es zu unerwarteten Problemen in der Beschaffungskette kommt. Kostspielige Bandstillstände sind die Folge (vgl. C.3.8.3).
Wenn Schlankheit zur Magersucht führt
Zu besonderen Schwierigkeiten in den Beschaffungsprozessen führen Qualitätsschwankungen in der Anlieferung. Gerade in Zeiten der In‐ ternationalisierung des Einkaufs (Global Sourcing), verbunden mit lan‐ gen Transportwegen, sind qualitative Defizite zum Teil desaströs. Um eine volatile Anlieferqualität abzufedern, müssen die Hersteller tenden‐
Qualitätsdefizite lassen Supply Chains kollabieren
217
C
Strategien des Supply Chain Managements
ziell ihre Sicherheitsbestände erhöhen. Eine Maßnahme, die in Zeiten von Just‐in‐Time‐Abwicklungen verpönt scheint. Eine mögliche Lösung könnte hier die Errichtung eines Konsignationslagers sein: Der Bestand ist zwar physisch durch den Kunden bereits verfügbar (der Vorrat ist in Kundenbesitz), aber die Waren befinden sich wirtschaftlich noch im Eigentum des Lieferanten (sie werden in dessen Bilanz geführt). Produktionsrisiken durch Absatz‐ schwankungen
Eine häufige Ursache von Produktionsrisiken stellen schlechte Absatz‐ prognosen (Forecast Accuracy) dar. Unerwartete Schwankungen in den Verkaufszahlen können im Extremfall zu Produktionsstillständen füh‐ ren. Bricht die Nachfrage unerwartet weg, sind überhöhte Lagerbestän‐ de die Folge (Cash‐Flow‐Verluste). Steigt die Nachfrage unvorhergese‐ hen, werden kostspielige Trouble‐Shooting‐Aktivitäten (Sonderfahrten, Zusatzschichten) notwendig. Der Hersteller möchte schließlich den ungeplanten Absatz befriedigen und ein Abwandern von Kunden in Richtung Konkurrenz verhindern.
Temporäre Koope‐ rationen erschwe‐ ren die Planung
Besonders schwierig ist die Planung der Produktionskapazitäten in unternehmensübergreifenden Supply Chains, wenn rechtlich selbstän‐ dige Akteure teilweise nur temporär miteinander kooperieren. Beson‐ ders lose sind derartige Verbindungen in Virtuellen Unternehmen. Kommt es bei einer solchen Zusammenarbeit zur Verknappung von Ressourcen oder zu Lieferengpässen, kehrt sich eine beabsichtigte Win‐ Win‐Situation schnell ins Gegenteil um: Dann ist sich jeder selbst der nächste.
Warehouse‐Risiken minimieren
Zu den Produktionsrisiken können unterschiedliche Lagerrisiken ge‐ rechnet werden (Warehouse‐Risk). Diese Lagerrisiken entstehen möglich‐ erweise durch Diebstahl, Brand oder Sachbeschädigung. Außerdem führen Unterbestände zur Nichteinhaltung von Lieferverpflichtungen. Verzögerungen im Liefervorgang sind die Folge, häufig verbunden mit Schadenersatzansprüchen.
Nachfragerisiken in der Wertschöp‐ fungskette
Drohende Rezessionen, politische Unsicherheiten oder unsichere wirt‐ schaftliche Erwartungen stellen bedeutsame Auslöser für Nachfrageri‐ siken in einer Supply Chain dar. Aber auch Imageschäden führen zu Nachfrageschwankungen: Produktmängel und Rückrufaktionen belas‐ ten die Reputation eines Unternehmens substantiell.
Stock‐outs durch Transportunterbre‐ chungen
Eine weitere Ausprägungsform des Nahfragerisikos ist das Transportri‐ siko. So führen Unterbrechungen im Distributionsvorgang (zum Bei‐ spiel unverhältnismäßig lange Wartezeiten), im schlimmsten Fall, zur Unterbrechung der kompletten Lieferkette. Auch erschwert die Zunah‐ me an gesetzlichen Regulierungen (Kontrollen, Standzeiten) die physi‐ 218
Strategien der Versorgung
C.3
sche Warenverteilung. Speditionen werden versuchen, als sicher einge‐ stufte Transportrouten auszuwählen. Doch besitzen diese Wege teilwei‐ se nur ein begrenztes Mengenvolumen: Die Aufnahmekapazitäten etwa‐ iger Transportrouten sind nicht beliebig steigerungsfähig.
C.3.8.2
Risikomanagementprozess in der Supply Chain
C.3.8.2.1 Risikoidentifikation Im Rahmen der Risikoidentifikation sollen alle Gefahrenquellen, Stör‐ potenziale und Schadensursachen erfasst werden, die sich negativ auf Supply‐Chain‐Ziele auswirken. Zur Identifizierung etwaiger Supply‐ Chain‐Risiken werden kreativ‐intuitive Verfahren und analytisch‐ strukturierte Hilfsmittel eingesetzt. Die Kreativ‐intuitiven Verfahren sind nicht streng an eine bestimmte Ordnung gebunden. Zu ihnen zäh‐ len Brainstorming, Interviews und die Delphi‐Methode.
Risiken schnellst‐ möglich erfassen
Supply‐Chain‐Brainstorming: Es wird ein gruppenorientierter Ideen‐
„I got so much funky shit inside my brain. I couldn’t ex‐ plain…“ (Jungle Brothers)
findungsprozess eingeleitet. Die Gruppe besteht aus fünf bis acht Per‐ sonen und wird von einem Mentor geleitet. Im ersten Schritt werden mögliche Störungen auf die Supply Chain wertungsfrei gesammelt (Kritikverbot) und visualisiert. Dabei kommt es nicht auf die Qualität der Beiträge an. Im zweiten Schritt erfolgen die Strukturierung und die Bewertung der Supply‐Chain‐Risiken. Für die Erfassung mögli‐ cher neuer Risiken eignet sich Brainstorming gut. Allerdings stößt der Ansatz bei komplexen Abläufen rasch an seine Grenzen.
Supply‐Chain‐Interviews: Beteiligte werden über ihre Einschätzung zu Supply‐Chain‐Risiken im offenen Rahmen befragt. Die Ergebnisse hängen stark von der Erfahrung und der Fachkompetenz der befrag‐ ten Personen ab. Innerhalb der Interviews können Untersuchungsge‐ genstände facettenreich (aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus) durchleuchtet werden.
Supply‐Chain‐Delphi‐Methode: Es wird eine anonyme, schriftliche Expertenbefragung (auf Basis eines Fragebogens) initiiert. Ein Mode‐ rator versendet die Fragebögen zu bestimmten Supply‐Chain‐ Problemstellungen und trägt die schriftlich geäußerten Kommentare und Einschätzungen zusammen. Anschließend wird eine zweite Be‐ fragungsrunde eingeleitet, die der Konsensfindung dient. Unter Be‐ rücksichtigung der gesammelten Ergebnisse wird der Fragebogen er‐
219
Befragungen in der Supply Chain initiieren
„Der Herr, der das Orakel von Delphi besitzt, sagt nichts und birgt nichts, sondern er deutet nur an.“ (Heraklit)
C
Strategien des Supply Chain Managements
neut den Experten zugestellt, die bei Bedarf ihre zunächst geäußerten Meinungen anpassen können. Strukturierte Risiko‐Erfassung
Die Analytisch‐strukturierten Verfahren hingegen legen rationale und in sich geschlossene Denkprozesse zur systematischen und zielgerichte‐ ten Risikoidentifikation zu Grunde. Zu diesen Verfahren zählt die Risi‐ ko‐Checkliste.
„Noch 148 Mails checken. Wer weiß, was mir dann noch passiert…“ (T. Bendzko)
Supply‐Chain‐Risiko‐Checkliste: Ein Analytiker nutzt vorhandene
Risiko‐Bewusstsein schärfen
Für eine effektive Risikoidentifikation sind innerhalb der Supply Chain organisatorische Voraussetzungen zu schaffen. Im Kern geht es darum, bei den Mitarbeitern ein echtes Risikobewusstsein zu wecken. Auch wenn das Risikomanagement im betrieblichen Umfeld wohl schwer‐ punktmäßig speziellen Abteilungen anvertraut wird, sollten letztendlich alle Unternehmensbereiche in das System eingebunden sein. Dadurch wird bei den Mitarbeitern die Akzeptanz für das Risikomanagementsys‐ tem geweckt und gefördert.
Dokumentationen mit Eintragungen zu möglichen Supply‐Chain‐ Risiken. Diese Informationen trägt er zusammen und entwickelt dar‐ aus eine eigene Checkliste. Es hängt sehr von der Auswahl der Do‐ kumente ab, ob drohende Gefahren möglichst umfassend auf der Checkliste berücksichtigt sind.
C.3.8.2.2 Risikoanalyse „High risk insur‐ ance, the time is right…“ (the Ramones)
Nachdem die Risiken erfasst wurden, beginnt ihre „Inventur“: Erkenn‐ bare Risiken müssen zunächst erfasst werden. Ein Unternehmen wird einerseits interne Bereiche einer möglichen Verletzbarkeit definieren. Andererseits werden potenzielle externe Risikobereiche aufgelistet, die aus der Interaktion mit weiteren Supply‐Chain‐Akteuren entstehen, was vergleichsweise schwer fällt (Umfeldanalyse).
Kausalzusammen‐ hänge dokumentie‐ ren
Die Supply‐Chain‐Risiken werden anschließend kategorisiert, um eine zielgerichtete Steuerung der Gesamtsituation zu ermöglichen. Ein Ar‐ beitsschritt, der auch als Risiko‐Mapping bezeichnet wird. Außerdem sind zur Operationalisierung dieser Risikobereiche geeignete Kennzah‐ len zu benennen und zu definieren. Für besonders schwer wiegende Risiken kann sich deren Zerlegung in mehrere Sub‐Risiken anbieten. Dadurch fällt es leichter, die jeweiligen Risikotreiber zu identifizieren und diese in Kausalzusammenhänge (Ursache‐Wirkungs‐Verkettungen) zu überführen.
220
Strategien der Versorgung
Eine umfassende Risikoanalyse endet schließlich mit einem systemati‐ schen Durchleuchten der internen Geschäftsprozesse, um drohende Gefahren schnellstmöglich zu erfassen. Dadurch wird eine frühzeitige Identifikation und Beurteilung strategischer und operativer Risiken möglich.
C.3 Interne Pro‐ zessanalyse ge‐ währleisten
C.3.8.2.3 Risikobewertung Im Rahmen der Risikobewertung (Risk Assessment) werden die ein‐ zelnen Risikobereiche selektiert und mit einer Eintrittswahrscheinlich‐ keit versehen. Zur Risikoselektion empfiehlt sich eine Differenzierung in „normale“ und „abnormale“ Risiken. Zu den „Normalrisiken“ einer Organisation zählen Lieferverzögerungen, Materialpreissteigerungen, Wechselkursprobleme, Überkapazitäten oder Absatzprognoseschwie‐ rigkeiten. Ein „Abnormales‐Risiko“ ist beispielsweise eine Rückrufakti‐ on oder eine unerwartete Gesetzesänderung. Die normalen Supply‐ Chain‐Risiken werden vorzugsweise über dezentralisiert agierende Ex‐ perten (Logistik, Einkauf, Vertrieb, Technik) aufgelistet. Schwerer fällt das Aufspüren abnormaler Risiken. Diese sollten zentral (in einer Risi‐ komanagement‐Abteilung) zusammengetragen werden, weil hier die Expertise aus den Funktionsbereichen nur bedingt weiter hilft.
Inventur der Risi‐ ken vornehmen
Anschließend wird die Eintrittswahrscheinlichkeit (Likelihood) von Supp‐ ly‐Chain‐Risiken bestimmt und mit ihrer Intensität auf die erwartete Schadenswirkung (Impact) quantifiziert. Die Fehler‐Möglichkeits‐ und Einfluss‐Analyse (FMEA) stellt ein Hilfsmittel dar, das für diesen Be‐ wertungsvorgang gut geeignet ist. Dabei wird eine Risikoprioritätszahl ermittelt, die sich aus der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Risikos, der Wahrscheinlichkeit, dieses Risiko entdecken zu können sowie der Wahrscheinlichkeit, wie bedeutsam der Fehler für den Kun‐ den ist, berechnet (vgl. zur FMEA S. 356 dieser Schrift).
Bedeutung der FMEA
Zur Visualisierung der Schadensauswirkungen bietet sich ein Risiko‐ Mapping an. In einer so genannten „Heat Map“ können die Risiken übersichtlich in einem Portfolio abgebildet werden (vgl. Abbildung C.18). Durch die Verwendung von Farben oder Markierungen sind die Informationen durch den Betrachter besonders rasch zu erfassen. Kriti‐ sche Supply‐Chain‐Aktivitäten zeichnen sich einerseits durch eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit für eine Disruption von Supply‐Chain‐ Prozessen aus. Andererseits wird die befürchtete Schadensauswirkung als schwerwiegend (signifikant) eingestuft.
“It was the heat of the night I think, or it could’ve been the effect of a drink…” (Soft Cell)
221
C
Strategien des Supply Chain Managements
In der beispielhaft dargestellten Heat Map finden sich fünf eingetragene Supply‐Chain‐Risiken. Die Bewertung auf beiden Achsen reicht von eins („sehr gering“) bis fünf („sehr hoch“). Für die Ereignisse eins und fünf sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und die potenzielle Schadens‐ auswirkung im Portfolio jeweils ungefähr mittelmäßig ausgeprägt. Das Risikoereignis zwei tritt sehr wahrscheinlich ein, doch es nimmt voraus‐ sichtlich nur geringfügig Einfluss auf das operative Ergebnis (in diesem Falle den EBIT). Die Risikoereignisse drei und vier sind hingegen sehr bedeutsam von ihrer zu befürchtenden Schadensauswirkung. Insbeson‐ dere das Ereignis drei ist sehr kritisch, denn seine Eintrittswahrschein‐ lichkeit ist hoch. Die verantwortlichen Personen eines Unternehmens sollten zunächst die Supply‐Chain‐Risk‐Aktivitäten auf das Ereignis drei bündeln, ohne dabei freilich die restlichen Risiken innerhalb der Wert‐ schöpfungskette aus den Augen zu verlieren.
Abbildung C.18
Heat‐Map einer Supply Chain
Eintrittswahrschein‐ lichkeit
Zum Umgang mit der Heat‐Map
5 4 3 2 1
2
1
1 2
5
3
4
3
4
5
Schadensauswirkung (EBIT)
C.3.8.2.4 Risikomilderung Milderung von Supply‐Chain‐ Risiken
Nachdem die Risiken bewertet wurden, sind Maßnahmen zu ihrer Mil‐ derung festzulegen (Risk Mitigation). Betroffene Organisationen sollten ausloten, inwieweit es zur Eliminierung, Reduzierung, Limitierung, Transferierung oder Akzeptierung von Supply‐Chain‐Risiken kommt. Es sind unterschiedliche Milderungs‐Strategien für Supply Chains denkbar. Beispiele dafür finden sich in Abbildung C.19 (vgl. Sodhi/Tang 2012, S. 98).
222
Strategien der Versorgung
C.3 Abbildung C.19
Supply‐Chain‐Mitigation
Mitigations‐ Strategie
Beschreibung
Aktivität
Vermeidung
Eliminierung von Gründen zur Risiko‐Entstehung
Follower anstatt Pionier, Local und Domestic Sourcing
Verzögerung
Reduzierung der primären Entstehungsursache
Postponement von Logistik‐ prozessen
Absicherung
Begrenzung der Risiko‐ Hauptursachen
Hedging von Wechselkursge‐ schäften
Diversifikation
Reduzierung der Abhängig‐ keit
Double Sourcing, Triple Sourcing
Überwälzung
Verteilung der Risiken auf mehrere Schultern
Multiple User Warehouse, Strategische Allianzen
Akzeptanz
Risiken hinsichtlich ihrer Entstehung billigen
Nachfrageschwankungen auf den Absatzmärkten
Die Mitigation von Supply‐Chain‐Risiken wird reaktiv, präventiv oder proaktiv vorgenommen. Eine reaktive Abmilderung von Supply‐Chain‐ Gefahren erfolgt erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefal‐ len ist. Es geht lediglich um eine Schadensbegrenzung. Schon Hippokra‐ tes wusste: „Vorbeugen ist besser als heilen“. Entsprechend werden bei einer präventiven Mitigation vorbeugende Maßnahmen getroffen, wel‐ che die Auswirkungen möglicher Gefahren begrenzen. Eine proaktive Mitigation bedeutet die Abmilderung von Supply‐Chain‐Risiken durch die Implementierung eines umfassenden und kontinuierlichen Risiko‐ Managementprozesses. Eine Grundvoraussetzung, um die Produktver‐ antwortung über eine gesamte Wertschöpfungskette zu übernehmen.
Arten der Mitiga‐ tion
C.3.8.2.5 Risikokontrolle Im letzten Schritt erfolgt eine kontinuierliche Kontrolle (Risk Control) des kompletten Supply‐Chain‐Prozesses. Das Ziel besteht darin, die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen überprüfen zu können und bei unliebsamen Überraschungen einzuschreiten. Es geht um das Analysie‐ ren und das Lernen aus Ereignissen, um daraus Handlungsbedarfe und zukünftige Trends abzuleiten. Veränderungen werden in einer Supply
223
Fortwährende Kontrollprozesse einleiten
C
Strategien des Supply Chain Managements
Chain kontinuierlich erfasst, was zur Antizipation interner oder externer Risikopotenziale führt. Supply‐Chain‐ Tachometer entwer‐ fen
Für die Dokumentation der Risiken und das Aufzeigen von Soll‐Ist‐ Abweichungen sind geeignete Formate festzulegen. Dafür sind Dash‐ Board‐Systeme besonders geeignet (moderne „Armaturenbretter“). Sie gewährleisten die Aufbereitung unterschiedlicher Supply‐Chain‐Risiken in Grafiken, um etwaige Gefahrenbereiche zu visualisieren.
Kontinuierlicher Regelkreis (Closed Loops)
Die einzelnen Phasen des gesamten Supply‐Chain‐Risikoprozesses fol‐ gen einem Regelkreis. Darin werden Chancen und Gefahren erfasst und eingeleitete Maßnahmen ständig hinsichtlich ihrer Erfolgswirksamkeit überprüft. Je nach der Dynamik und der Komplexität des Umfelds, erfolgt die Neufeststellung dieser Chancen und Risiken in zuvor festge‐ legten zeitlichen Intervallen.
Predictive Analy‐ tics im Risikocon‐ trolling
Die organisatorische Abwicklung dieser Aktivitäten wird vorzugswei‐ se einem zentralen Risikocontrolling übertragen. Dennoch müssen alle Ebenen des Unternehmens schlussendlich in diesen Prozess eingebun‐ den sein. Allein schon, um die Akzeptanz der Maßnahmen zu gewähr‐ leisten und das notwendige „Risikobewusstsein“ bei den Mitarbeitern zu wecken. Die Verantwortlichen des Risikocontrollings übernehmen die Sammlung, die Konsolidierung und die zielgerichtete Aufbereitung (Reporting) der Ergebnisse. Außerdem legen sie geeignete Key Perfor‐ mance Indicator (hier verstanden als „Frühwarnindikatoren“) für die Berichterstattung fest.
Strategische und operative Risiken
Im Sinne einer gewissen Hierarchisierung und Priorisierung gilt der erste Blick auf der „Risikolandkarte“ dem großen Ganzen (vgl. Hot‐ wagner 2008, S. 38). Darin sind die primären Einflussbereiche von Chan‐ cen und Risiken einer Supply Chain erfasst. Dennoch dürfen die Details dieses Risikomanagement‐Systems nicht unterschätzt werden. Denn die Ursachen vieler Risiken liegen in untergeordneten Prozessen. Deren Auswirkungen können jedoch eine gewisse Eigendynamik entwickeln, die sich langfristig dominant auf das Gesamtsystem niederschlägt: Über Ursache‐Wirkungs‐Ketten (Kausalbetrachtung) ergeben sich Interde‐ pendenzen zwischen einzelnen Risikobereichen.
C.3.8.3 Corona führt zum globalen Stillstand
Supply Chains in Krisenzeiten: Beispiel Corona
Der Ursprung des Corona‐Virus liegt in China. Ende 2019 trat es in der Großstadt Wuhan auf. Die ersten Corona‐Viren wurden schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt. Aber bei reinen Mensch‐zu‐
224
Strategien der Versorgung
C.3
Mensch‐Übertragungen oder Tier‐zu‐Tier‐Übertragungen war das Virus nicht besorgniserregend. Der neuartige und gefährliche Virus „Covid‐19“ hat seinen Ursprung jedoch in einer Tier‐zu‐Mensch‐Übertragung. In China wurden im Januar 2020 die ersten Todesfälle gemeldet, die im Zu‐ sammenhang mit Corona standen. Dann breitete sich das Virus rasch über den kompletten Globus aus. Die Folge war eine weltweite Pandemie. In den USA, Brasilien, Indien, Russland oder Südafrika, überall schlug Corona erbarmungslos zu, auch in Deutschland. Somit wurden weitreichende Maß‐ nahmen eingeleitet, um die Infektionsketten zu unterbrechen und die Ver‐ breitung von Corona einzudämmen: Das Tragen von Mund‐Nasen‐Schutz, die Schließung öffentlicher Einrichtungen, das Verbot von Zusammenkünf‐ ten größerer Gruppen, die Verhängung von Einreisebeschränkungen oder das Aussprechen von Ausgangs‐ und Kontaktsperren. Weltweit wurden Millionen Menschen in Quarantäne geschickt. Um die dramatischen wirt‐ schaftlichen Einbrüche von Corona bestmöglich abfedern zu können, be‐ schlossen nationale wie internationale Regierungen milliardenschwere Hilfsmaßnahmen und Konjunkturpakete.
„Am Ende wird alles gut werden – und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht zu Ende.“ (O. Wilde)
C.3.8.3.1 Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette Supply Chains sind Gebilde, in denen die Abläufe exakt geplant und minu‐ tiös aufeinander abgestimmt sind. Seit vielen Jahren sind Programme etab‐ liert, welche Wertschöpfungsprozesse umkrempeln und optimieren. Die Aktivitäten im Netzwerk sind hocheffizient, die Supply Chain agiert mit minimalen Beständen. Waren werden zudem global beschafft, um günstige Einkaufspreise auszuschöpfen. Trotz aller Schlankheit und Globalisierung, steht dennoch die absolute Kundenzufriedenheit im Mittelpunkt. Leider verhalten sich diese genannten Ziele nicht harmonisch zueinander.
Supply Chain Akteure als radikale Nutzenoptimierer
Mit Corona wurde alles anders. An den Grenzen stauten sich die LKW ki‐ lometerlang, Fahrer schickte man in Zwangsquarantäne. Die Produktion kam zum Stillstand. Paletten blieben auf den Fahrzeugen liegen, Frachtflüge und Schiffstransporte wurden komplett abgesagt. Die Liefertermine konnten nicht mehr valide geplant werden. Kurzum, das logistische Kartenhaus brach in sich zusammen. Chaos allerorten im Wertschöpfungsverbund. Die Katastrophe hatte einen Namen: Covod‐19 (vgl. Kirschey 2020, S. 13).
„Walls come tumb‐ ling down…“ (the Style Council)
Corona legte die Schwachstellen einer auf absolute Effizienz getrimmten Logistikkette schonungslos offen. Kaum eine Branche blieb verschont. Der Einzelhandel musste beispielsweise feststellen, dass Kunden Hamsterkäufe tätigten. In den Regalen entstanden Warenlücken, die nicht unmittelbar aufgefüllt werden konnten. Für den deutschen Handel und seine Kunden eine völlig ungewohnte Situation. Die Politik reagierte auf Corona. Ein Lie‐ ferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre Supply Chain
Ein winzig kleines Virus mit einer gewaltigen Spreng‐ kraft
225
C
Strategien des Supply Chain Managements
robuster aufzustellen und das Risikomanagement gegenüber externen Schocks verbindlich auszuweiten. Wenn Schlankheit zur Magersucht wird
Durch das Aufkommen von Corona erscheinen die Beschaffungskonzepte Just‐in‐Time und Just‐in‐Sequence in einem völlig neuen Licht. Das drasti‐ sche Herunterfahren der Lagebestände und die minutengenaue Taktung der Arbeitsabläufe zwischen Hersteller und Lieferant mutieren in Krisenzeiten zu einem fragilen Konstrukt. Die Hersteller mussten unmittelbar auf Corona reagieren. Sie fuhren ihre Pufferbestände hoch und sahen absolute Kosten‐ reduktion auf einmal kritisch. Auch erkannten sie die Gefahr unsicherer Planungen. In der kompletten Lieferkette setzte ein fundamental anderes Denken ein: „Robustheit schlägt Schlankheit“.
„Es ist der Globali‐ sierung egal, ob die Leute sie mögen, oder nicht.“ (H. Simon)
Durch das Aufkommen von Covid‐19 sind die Sourcing Strategien zusam‐ mengebrochen. Es war der Albtraum eines jeden Logistikers: Lieferanten stellten von heute auf morgen ihre Fertigung ein, zusätzlich fehlten Trans‐ portmittel. Die Grenzen wurden geschlossen und Einfahrverbote verhängt. Ansätze wie Single Sourcing und Global Sourcing verkamen durch Corona zur Farce. Notgedrungen begaben sich die OEM auf die Suche nach neuen, lokalen Lieferanten. Double Sourcing ersetzte Single Sourcing, Unternehmen verschafften sich ein sicheres zweites Standbein für Kaufteile und Rohstoffe. Aus Global Sourcing wurde Local Sourcing: Beschaffungen im Inland kosten zwar oftmals mehr Geld. Dafür sind die Abläufe schnell und die kurzen Beschaffungswege sicher. Die OEM bildeten Task‐Force‐Gruppen. Diese setzten sich an die Erarbeitung alternativer Lieferantenprogramme. Sie for‐ mulierten Szenarien. Die sollten ihnen dabei helfen, zukünftig die Risiken in der Supply Chain besser abschätzen zu können.
Selbstbestimmtes Lieferkettenma‐ nagement als ehernes Ziel
Viele Unternehmen überdenken seit Corona ihre Make‐or‐Buy‐Strategien. Wo gestern noch Outsourcing oder Offshoring in Niedriglohnländer an der Tagesordnung waren, gehen die ersten OEM zum Backsourcing über. Die Eigenfertigung vor Ort erscheint sicherer als der Transport fremdgefertigter Güter. Warentransporte über tausende von Kilometern, verbunden mit einer manchmal abenteuerlichen Kommunikation, werden jetzt kritisch gesehen. McKinsey erwartet, dass vor allem Automobilhersteller ihre Lieferketten neu bewerten (vgl. Gelowicz 2020, o. S.). Als Reaktion auf Corona, bauen sich OEM vermehrt lokale Strukturen auf. Sie verzichten auf komplexe Lieferket‐ ten, die über sieben Stufen reichen und Seefrachten, die von China nach Europa einen Monat unterwegs sind.
Lieferantenbewer‐ tung mit neuer Gewichtung
Das Screening der Lieferanten muss sich neu ausrichten. Als Folge von Corona, justieren OEM ihr Supplier Rating System schärfer. Die Möglich‐ keit zur sicheren Interaktion und stabilen Kommunikation mit Lieferanten wird als unabdingbar eingeschätzt. Bei einem inländischen Transport kann beispielsweise keine Grenze zwischen Lieferant und Hersteller geschlossen
226
Strategien der Versorgung
C.3
werden. Der robuste Lieferweg und das schnelle Reaktionsverhalten im Krisenfall sind wichtig, damit die Produktion nicht zusammenbricht. Diese Ziele erscheinen seit Corona wichtiger, als das Feilschen um den letzten Cent in der Preisverhandlung.
C.3.8.3.2 Resilienz statt Effizienz in der Supply Chain Die Supply Chain richtet sich durch das Covid‐19‐Virus neu aus. Enge Tak‐ tungen in den Lieferketten funktionieren nur so lange, wie alle Rädchen an den Schnittstellen verlässlich ineinander greifen. Corona hat die Supply Chain aber vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Zeit wird zeigen, ob der Wan‐ del von Effizienz zu Resilienz (verstanden als Widerstandskraft; die Fähig‐ keit, eine schwierige Situation gut meistern zu können) nur ein vorüberge‐ hendes Phänomen im Wertschöpfungsverbund ist. Die Akteure werden überprüfen, ob sie ein Zurück in den Zustand vor der Krise überhaupt wol‐ len. Unbedingte Wirtschaftlichkeit und Robustheit sind zwei logistische Ziele, die nur schwerlich harmonieren. Es scheint aber so, dass die absolute Schlankheit in der Logistik seit Corona zumindest vorübergehend ausge‐ dient hat.
Widerstandsfähig‐ keit statt Cost Cutting im Netz‐ werk
Ein gut funktionierendes Risikomanagement ist wichtiger denn je. Die Unternehmen haben aus der Corona‐Krise gelernt, dass ein Puffer an strate‐ gisch bedeutsamen sowie sich rasch verknappenden Ressourcen unabding‐ bar ist. Sie wissen, dass diese Sicherheitsbestände Cash Flow rauben und Kapital binden. Dennoch gehen einige OEM offenkundig lieber auf die si‐ chere Seite. Um die Einbußen an Working Capital überschaubar zu halten, erfolgt allerdings ein dauerhaftes Screening derjenigen Sachnummern, de‐ ren Pufferbestände (Buffer Stocks) bewusst erhöht wurden.
Zur Neuausrich‐ tung des Supply Chain Risk Mana‐ gements
Die Erstellung oder Überarbeitung bestehender Business Continuity Plans ist eine Reaktion des betrieblichen Umfelds auf das Corona‐Virus (vgl. Kirschey 2020, S. 17). Selbst wenn die Akteure Pläne für die Fortsetzung ihres Geschäfts in Krisenzeiten hatten, gingen sie niemals von der Langfristigkeit einer solchen Pandemie aus. In den Notfallplänen zur Aufrechterhaltung ihrer Betriebsabläufe müssen die OEM Strategien festhalten, wie sie im Aus‐ nahmefall flexibel reagieren können. Ursachen von Störungen müssen schnellstmöglich erkannt und Abstellmaßnahmen automatisch eingeleitet werden. In einem Business Continuity Plan steht zum Beispiel, welche
Notfallpläne zur Aufrechterhaltung der Betriebsbereit‐ schaft
Kunden im Notfall priorisiert beliefert werden, Back‐up‐Lieferanten kurzfristig verfügbar sind, Transportrouten alternativ zur Verfügung stehen und Kommunikationsmaßnahmen im Störfall direkt einzuleiten sind. 227
C
Strategien des Supply Chain Managements
Intermodale Ver‐ kehrssteuerung
Die Supply Chain wird durch Covid‐19 intermodaler. Dies bedeutet die Kombination verschiedener Verkehrsträger zur Beförderung großer Waren‐ mengen. Dabei werden zum Teil weite Strecken zurückgelegt, um durch raschen Warenumschlag die Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern. Die Automatisierung der Abläufe im intermodalen Verkehr begünstigt die Vermeidung von Personenkontakten. Voraussetzung ist das eingespielte Ineinandergreifen verschiedener Verkehrsträger in modernen Hubs. Zum Beispiel als trimodaler Huckepack‐Transport, aus der Kombination der Transportmittel LKW, Bahn und Schiff.
Aus Fehlern wird man schlau: Mut zum Backsourcing
Lagererweiterungen sind eine zusätzliche Antwort auf die Corona‐Krise. Supply Chain Abläufe gewinnen durch Bestandserhöhungen an Sicherheit. Kritisches Material wird über einen Zweitlieferanten abgesichert. Reshoring ersetzt Offshoring: Ursprünglich ins Ausland verlagerte Aktivitäten werden ins Inland zurückgeholt. Dadurch reduziert sich die Wahrscheinlichkeit für Lieferunterbrechungen. Es wird vermutet, dass die Hälfte der von Störun‐ gen während der Corona‐Krise heimgesuchten Akteure in den nächsten Jahren bewusste Rückverlagerungen ihrer Produktion ins Inland einleiten (vgl. Kirschey 2020, S. 19).
Die Pandemie schweißt zusam‐ men: Supply Chain Partnerschaft
Etliche Unternehmen sehen die Corona‐Krise auch als Chance, um Liefer‐ stillstände in der Wertschöpfungskette zu beheben. Die von der Pandemie betroffenen OEM streben eine engere Kooperation mit ihren Logistikpart‐ nern an. Tracking Systeme spielen dabei eine besondere Rolle. Sie erlauben eine Sendungsverfolgung in Echtzeit mit Hilfe intelligenter Identifikations‐ techniken. RFID und mehrdimensionale Barcode Techniken leisten hier gute Dienste. Der Materialfluss gestaltet sich mit ihnen transparenter. Unterbre‐ chungen in den Transportvorgängen werden über Alert‐Systeme festge‐ stellt, die bei Störungen sofort „Alarm“ schlagen. Hersteller und betroffene Logistikdienstleister sind gleichermaßen gewarnt.
„Zu niemandem ist man ehrlicher, als zum Suchfeld von Google.“ (C. Kurz)
Die Supply Chain ist in den letzten Jahren digitaler geworden. Mit dem Aufkommen von Covid‐19 erhielt die Digitalisierung der Wertschöpfungs‐ kette noch einmal einen Schub. Moderne Technogien, wie Internet of Things, Digital Twins, Big Data, Blockchain und Machine Learning, haben in der Lieferkette Einzug erhalten (vgl. S. 256 dieser Schrift). Sie erlauben eine rasche und zielgerichtete Kommunikation unter den Wertschöpfungspart‐ nern. Zudem sind umfangreiche Datenanalysen und eine aussagefähige Prognostik über digitale Hilfsmittel möglich. Dadurch erhöht sich der logis‐ tische Automatisierungsgrad. Intelligente Tools unterstützen und beschleu‐ nigen die Arbeitsabläufe schon heute. Smartphone, Tablet und Datenbrillen sind in einer robusten Supply Chain nicht mehr wegzudenken.
228
Strategien der Versorgung
C.3.9
E-Supply-Chains
C.3.9.1
Grundlagen
C.3
Elektronische Supply Chains (synonym: „E‐Supply Chains“, vgl. Flappner et al. 2005; Hausen 2005; Kurzmann/Langmann 2015; Mrozek/Seitz 2020; Piontek 2009; Werner 2013a, S. 12ff.) gewährleisten die Versorgung, die Entsorgung und das Recycling von Geschäftsabläufen über die tech‐ nischen Hilfsmittel Internet, Extranet oder Intranet. Sie stoßen die physi‐ sche Auftragsabwicklung an. Weiterhin gewährleisten E‐Supply Chains den Geld‐ und den Informationsfluss.
„Eine Tastatur ist der Mund der Einsamen.“ (D. Wieser)
Elektronische Supply Chains sind beispielsweise auf eine Simultaneität von Planungsschritten, die Bewältigung von Engpässen, eine Ausnut‐ zung von Geschwindigkeitsvorteilen und die Bildung globaler Netz‐ werke ausgelegt. Nach einer Studie des Bundesverbandes Materialwirt‐ schaft, Einkauf und Logistik (BME) können durch die Nutzung von Inter‐ net, Extranet und Intranet die Kosten des Einkaufs um bis zu 80% gesenkt werden. Dabei wird von einem durchschnittlichen Kostensatz von 80 Euro bis 130 Euro pro Bestelltransaktion ausgegangen. Überpro‐ portional hohe Folgekosten entstehen dabei für B‐ und C‐Artikel, wenn für die Bestellungen geringwertiger Güter hohe Verwaltungsaufwen‐ dungen (Prozesskosten) anfallen (vgl. Werner 2013a, S. 50).
Einsparung von Transaktionskosten
Wichtige Anforderungen an die Ausgestaltung moderner Elektroni‐ scher Lieferketten manifestieren sich in transparenten Geschäftsabläu‐ fen, gut planbaren Prozessschritten, hoher Agilität zwischen den Wert‐ schöpfungspartnern im Rahmen der Auftragsbewältigung, stabilen und qualitativ hochwertigen Interaktionen innerhalb der Supply Chain sowie günstigen Transaktionen.
Rahmenbedingun‐ gen schaffen
Zur Ausgestaltung der Informations‐ und Kommunikationswege zwi‐ schen den Akteuren sind in zeitgemäßen Elektronischen Supply Chains grundsätzlich drei verschiedene Ausprägungsarten denkbar, die sich bezüglich ihrer Bindungsintensität zwischen den beteiligten Partnern unterscheiden (hier bezogen auf das Medium Internet, vgl. Stoll 2007, S. 131; Werner 2013b, S. 15):
„Please seize these chains that hold us back: Let’s make it work!…“ (the Redskins)
229
C
Strategien des Supply Chain Managements
Art des Informationstransfers
Charakterisierung
Bereitstellung von Unternehmens‐ und Produktinformationen
Bei dieser ersten Variante rufen Kunden und Lieferanten beim Hersteller lediglich Informationen ab. Diese können Lieferzei‐ ten, Produktkataloge oder Produktpreise betreffen. Die Bindungsintensität zwischen den Teilnehmern ist gering.
Passive Interaktion zwischen den Koopera‐ tionspartnern
Eine passive Interaktion besitzt eine mittle‐ re Bindung zwischen den Partnern. Sie bedeutet, dass die Systeme der Teilnehmer für Abfragen miteinander vernetzt sind. Zum Beispiel können Händler Informatio‐ nen von Herstellern erhalten, indem sie für spezielle Links auf deren Homepages ein Passwort bekommen.
Aktive Interaktion zwischen den Kooperati‐ Bei dieser dritten Variante sind die Daten onspartnern zwischen den Akteuren aktiv zu bestätigen oder zu ändern. Dies ist insbesondere in den frühen Phasen der Produktentwick‐ lung entscheidend, indem die Lieferanten an der Erstellung von Zeichnungen oder Kalkulationen direkt beteiligt werden (beispielsweise für Resident Engineering). Hier liegt eine hohe Bindungsintensität vor.
Geschäft via Maus‐ klick abwickeln
Elektronische Lieferketten stellen Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen dar. Als Front‐End‐Systeme dienen Internet, Extranet oder Intranet. Das Back‐End‐Modul ist das Supply Chain Management, welches die rei‐ bungslosen Abläufe von physischen Prozessen gewährleisten soll: die Zustellung der elektronisch bestellten Waren. Dazu bedient sich das Supply Chain Management traditioneller Logistikfunktionen, um Räu‐ me sowie Zeiten überbrücken zu können. Doch auch Geld‐, Informa‐ tions‐ und Sozialströme sind berücksichtigt, um in den Wertschöp‐ fungsketten an Schnelligkeit zu gewinnen. Wie Beispielblock c.6 auf‐ zeigt, stellen sich in der gelungenen Verbindung von Front‐End und Back‐End aber noch einige Probleme ein.
230
Strategien der Versorgung
C.3 Beispielblock c.6
Problembehaftete Front‐End‐Back‐End‐Beziehungen Bei Buchbestellungen via Internet erwarten die User, dass ihre Waren spätes‐ tens zwei Tage nach dem Ordering bei ihnen eintreffen. Ein Zeitfenster, das über Print‐on‐Demand gerade so eingehalten werden kann. Stationäre Apo‐ theken sichern häufig „Same Day Delivery“ zu. Dieses Versprechen können sie nur auf Grund funktionierender Großhandelsanbindung zusichern. Doch nicht immer werden angegebene Liefertermine auch wirklich erfüllt. In den USA tätigten 2017 im Weihnachtsgeschäft über 55% der potenziellen Online‐ Kunden ihre Bestellungen tatsächlich über das Internet. Leider erhielten knapp ein Fünftel der User ihre Waren erst im Anschluss an das Weihnachts‐ fest. Besonders problembehaftet verlief die Artikelzustellung durch die In‐ ternet Retailer (darunter sind Unternehmen zu verstehen, die ihr Geschäft speziell über das Internet abwickeln). Während die Termintreue bei ihnen nur 80% betrug, erzielten traditionelle Versandhäuser hier immerhin eine Erfolgsquote von knapp 90%. Trifft eine Lieferung deutlich verspätet ein, können Kunden für die betroffene Organisation dauerhaft verloren sein.
In der Front‐End‐Back‐End‐Abwicklung von E‐Supply Chains sind neun grundsätzliche Ausgestaltungsvarianten denkbar. Sie beziehen sich auf die Anbieter und die Empfänger elektronischer Leistungen und erstre‐ cken sich auf die Segmente „Business“, „Customer“ und „Administrati‐ on“. Abbildung C.20 zeigt denkbare Kombinationsmöglichkeiten von E‐Commerce (vgl. auch Hermanns/Bagusat 2008, S. 317). Vor allem fol‐ gende drei Business‐to‐Alternativen (B2) sind von besonderer Bedeu‐ tung: Business‐to‐Business, Business‐to‐Customer sowie Business‐to‐ Administration:
Business‐to‐Business (B2B): Zwischen 70% und 80% des Gesamtum‐ satzes elektronischer Geschäftsabwicklungen entfallen auf institutio‐ nelle Transaktionen.
Business‐to‐Customer (B2C): Ein Geschäft mit ultimativen Endver‐ brauchern ist eigenen Gesetzen unterworfen. Das Abrufverhalten von Endkunden ist nämlich schlecht planbar. Teilweise fällt es schwer, Kundenbindungen zu intensivieren.
Business‐to‐Administration (B2A): Schließlich bedeutet B2A, eine Abwicklung zwischen einem institutionellen Akteur und einer öffent‐ liche Verwaltung. Beispielsweise, wenn SAP ihre Software in Behör‐ den ausrollt.
231
B2B und B2C als Hauptvertreter von E‐Commerce
C Abbildung C.20
Strategien des Supply Chain Managements
E‐Commerce im Überblick
Nachfrage Angebot
Customer
Business
Customer
Business
Administration
C2C
C2B
C2A
(Private Kleinanzei‐ ge online)
(Jobanzeige Arbeits‐ suchender)
(Steuererklärung Privatperson)
B2C
B2B
B2A
(Kundenbestellung über Internet)
(OEM bestellt bei Zulieferer)
(Steuererklärung Unternehmen)
A2C
A2B
A2A
(Subvention an Unternehmen)
(Transaktionen von Verwaltungen)
Administration (Sozialhilfeantrag im Internet)
Abwicklung von Geschäftsprozessen über E‐Procure‐ ment
Im Einkauf können für den B2B‐Bereich vier unterschiedliche Möglich‐ keiten zur Abwicklung von Geschäftsprozessen unterschieden werden. Abbildung C.21 (vgl. Kaplan/Sawhney 2000, S. 59) visualisiert diesen Zusammenhang in einer Matrix mit vier Feldern. In der Horizontalen steht die Frage, was die Unternehmen einkaufen im Mittelpunkt. Dies‐ bezüglich ist in die beiden Alternativen von Betriebsinput und Produk‐ tionsinput zu differenzieren. Den Betriebsinput stellen MRO‐Produkte dar (Maintenance, Repair and Overhaul): Also Güter, die zur Wartung, Reparatur oder Überholung benötigt werden. Der Begriff „Overhaul“ wird zum Teil auch durch „Operations“ ersetzt. Vielfach findet sich für den Betriebsinput die Bezeichnung „indirektes Material“.
Direktes Material
Der Produktionsinput aggregiert sich in der Matrix aus Rohmaterialien oder Bauteilen, welche unmittelbar in das Endprodukt eingehen („direk‐ tes Material“). In der Vertikalen wird das Wie abgetragen: Einerseits können Systemkäufe vorliegen, die auf längerfristig ausgehandelten Ver‐ trägen basieren. Andererseits sind kurzfristig initiierte Spoteinkäufe denkbar, welche einen plötzlich auftretenden Bedarf zu möglichst nied‐ rigen Preisen befriedigen. Nachstehend erfolgt eine kurze Kennzeich‐ nung der vier Felder des Portfolios (vgl. Kaplan/Sawhney 2000, S. 57ff.).
232
Strategien der Versorgung
Feld I: Im ersten Feld finden sich MRO‐Hubs. Sie stellen Betriebsinput dar und werden systematisch bezogen. Die auf einem MRO‐Hub ge‐ handelten Güter sind geringwertig, haben aber hohe Transaktionskos‐ ten. Zu ihnen zählen Büromaterialien, Flugtickets oder Reinigungs‐ dienste. Anbieter sind W. W. Grainger oder MRO.com.
Feld II: Das Feld II symbolisiert einen Katalogknotenpunkt. Hier tref‐ fen Produktionsinput und systematischer Einkauf zusammen. Auf diesen Einkaufsplattformen werden branchenspezifische und stan‐ dardisierte Waren – zu möglichst geringen Transaktionskosten – ge‐ handelt. Chemdex, SciQuest.com oder PlasticNet.com sind diesem Ge‐ schäftsfeld zuzuordnen.
Feld III: Die spezialisierten Spothändler Employease, Adauction.com und CapacityWeb.com schaffen elektronische Märkte für notwendige be‐ triebliche Ressourcen (wie Arbeitskraft oder Werbung). Sie erlauben die kurzfristige Ausdehnung oder Begrenzung einer Geschäftstätig‐ keit. Den höchsten Marktwert erreichen diese Plattformen bei Waren, die in ihrem Wert erheblich schwanken (wie Strom, Öl oder Wasser).
Feld IV: Schließlich symbolisiert das vierte Feld eine Konstellation, wenn Produktionsinput und Spoteinkauf aufeinander treffen. Auf den Börsen e‐Steel oder PaperExchange.com können die Einkäufer ihre Ge‐ schäfte kurzfristig zu günstigen Preisen abwickeln. Sie funktionieren nach dem Prinzip der traditionellen Warenbörsen. Beispielhaft dafür stehen auch Excess‐and‐Obsolete‐Verkaufsbörsen (vgl. S. 301).
Betriebsinput
Produktionsinput
(Materialien gehen indi‐ rekt in das Endprodukt)
(Materialien gehen direkt in das Endprodukt)
MRO‐Hub
Katalogknotenpunkt
Spothändler
Börse
Wie wird gekauft?
Systemkauf (Kontinuierlicher Waren‐ bezug)
Spotkauf (Sporadischer Warenbe‐ zug)
Beschaffung von MRO‐Gütern
Transaktionskosten senken
Spotmarktbezie‐ hungen generieren
Börsen im engen Sinn
Abbildung C.21
B2B im Einkauf
Was wird gekauft?
C.3
233
C
Strategien des Supply Chain Managements
Kleine Sendungs‐ größen wirtschaft‐ lich distribuieren
Im B2C‐Bereich bieten die neuen Medien völlig neue Wege, um die Anforderungen der Konsumenten nach individueller Produktgestal‐ tung, schneller, akkurater und zuverlässiger Warenauslieferung sowie umfangreicher Produktinformation befriedigen zu können. Immer mehr Produzenten reduzieren ihre Auftragsgrößen und setzen zur Sorti‐ mentsverteilung flexibel agierende Kurier‐, Express‐ und Paketdienste (KEP) ein. Die Best Practices verfügen über unkomplizierte Websites, gut genutzte Datenbestände und bequeme Zahlungsweisen. Im Internetzeit‐ alter wird Anfassbarkeit durch Information ersetzt. So erleichtert Wal Mart mit Hinweisen im Internet den Prozess zur Selbstbedienung. Die Informationen im Internet gehen durch den Gebrauch aber nicht unter. Vielmehr sind sie, über eine beliebig große Anzahl von Websites, jeder‐ zeit reproduzierbar.
Cash‐Throw‐offs heben
In vielen Bereichen ist eine Verkürzung der Distributionsstufen festzu‐ stellen. Durch die Nutzung des Internets besteht die Möglichkeit, dass der Kunde seine Wünsche direkt an den Hersteller weitergibt. Daraus resultieren zum Teil erhebliche Preisvorteile für den Nachfrager: Die Gewinnmargen für zwischengeschaltete Handelsstufen entfallen. Insbe‐ sondere die Funktion des Großhandels wird in einigen Branchen schlichtweg eliminiert.
Make‐to‐Order‐ Fertigung
Stellvertretend für die oben charakterisierte Vorgehensweise steht der Computerhersteller Dell. Es gelingt Dell schon seit einiger Zeit, durch die Verwendung von standardisierten Komponenten und Modulen, Com‐ puter erst nach dem Eingang einer Bestellung durch den Kunden indi‐ viduell zu konfigurieren. Dieses Prinzip wird als Built‐to‐Order be‐ zeichnet und lehnt sich an das Konzept Mass Customization an. Dell verfügt über ein zentrales Netzwerk, in das Informationen von Kunden, Händlern, externen Dienstleistern (Speditionen, Kurier‐, Express‐ und Paketdienstleister), Lieferanten und den eigenen Produktionsstätten in Echtzeit fließen (Real Time Process). Freilich gelingt Dell diese Produkti‐ onsweise nur, weil das Sortiment eine vergleichsweise geringe Ferti‐ gungstiefe aufweist und von der Komplexität her überschaubar ist. Bei‐ spielblock c.7 sind einige weitere Möglichkeiten für eine B2C‐ Anbindung zu entnehmen.
234
Strategien der Versorgung
C.3 Beispielblock c.7
Möglichkeiten im B2C‐Geschäft
Auf Urlaub‐anbieter.com stellen Reisende ihre Touren selbst zusammen. Beispielsweise kann ein Kunde aus über 40 Bausteinen seine maßge‐ schneiderte Thailand‐Rundreise planen. Der Trekking‐Freund kommt ebenso auf seine Kosten, wie die anspruchsvolle Familie. Für letzte Zielgruppe finden sich Kinderrundreisen, Elefantenritte oder span‐ nende Dschungelerkundungen.
Angelehnt an das Fertigungsprinzip Mass Customization, gestalten ultimative Endverbraucher ihre Kleidungsstücke online bei shirtalarm. Dazu wählen sie einen „Rohling“ (T‐Shirt, Mütze, Pullover oder Schürze) im „Shirt‐Designer“ aus. Darauf applizieren sie eine Darstel‐ lung aus der „Motivgalerie“ oder ein eigenes Foto (oder beides in Kombination). Druckart, Schriftart und Schriftgröße sind frei gestalt‐ bar. Bis zu fünf Zeilen Text können pro Textebene ausgefüllt werden.
Im Buchhandel lautet die Zauberformel „Books on Demand“. Es ste‐ hen elektronische Druckvorlagen im Computer zur Verfügung. Erst wenn durch den Kunden eine Bestellung aufgegeben wird, beginnt der Druck. Bei Anwendung von „Books on Demand“ gelingt es der deutschen Verlagsgruppe Beltz bereits zwei Tage nach der elektroni‐ schen Bestellung die Bücher auszuliefern. Durch diese Pull‐Steuerung vermeidet der Buchhandel Slow Mover in den Regalen.
Der Einsatz des Internets ist weitgehend von der Komplexität einer Leis‐ tung abhängig. Bei sehr beratungsintensiven Produkten stößt das Inter‐ net allerdings an seine Grenzen. Es sind zu viele Fragen im Detail zu klären. In Tendenz gilt, dass mit sinkendem Erklärungsaufwand eines Produkts die Möglichkeit zu seinem Online‐Vertrieb steigt. Außerdem besteht vor allem im offenen Netz (Internet) immer die Gefahr, seine Geheimhaltungssphäre zu verlieren. Jedoch können Firewalls, Client‐ Server‐Authentifizierungs‐Systeme und Verschlüsselungsmodule einen gewissen Schutz gegen ein unberechtigtes Einloggen bieten.
C.3.9.2
Tücken des Inter‐ nets
Electronic Commerce
Unter Electronic Commerce ist allgemein ein elektronischer Geschäfts‐ verkehr zu verstehen. Dieser stellt sich in Supply Chains in Form von elektronischen Marktplätzen, kollaborativen Prozessen, virtuellen Frachtbörsen, elektronischen Ausschreibungen und Auktionen sowie Tracking‐ and‐Tracing‐Systemen dar.
235
Formen von Electronic Com‐ merce
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.3.9.2.1 Elektronische Marktplätze Arten virtueller Märkte
Unter elektronischen Marktplätzen sind Plattformen des gewerblichen Austauschs von Gütern und Diensten zu verstehen. Es sind so genannte Marktknotenpunkte („E‐Hubs“). Virtuelle Märkte bieten die Möglich‐ keit, Produkte zeit‐ und ortsungebunden abzusetzen. Herkömmliche Restriktionen des stationären Handels, wie Ladenöffnungszeiten oder Standorte, entfallen im E‐Zeitalter. Der elektronische Handel erlaubt einen raschen Datenaustausch. Dabei sind verschiedene Arten von elektronischen Märkten zu unterscheiden (vgl. Begriffsblock C.V).
Begriffsblock C.V
Arten elektronischer Marktplätze
Horizontale Marktplätze: Horizontale Marktplätze verfügen über ein branchenübergreifendes und heterogenes Angebot. Beispiele dafür sind tradeout.com oder Youtilities.com.
Vertikale Marktplätze: Die Betreiber vertikaler Märkte spezialisieren sich auf die Bedürfnisse und Erfordernisse innerhalb bestimmter Branchen. Ihr Angebot ist homogen. Zu ihnen zählen Brand‐X, Sci‐ Qest.com oder newtron.net. Auf Brand‐X tummeln sich beispielsweise Musikfreunde des Genres „Jazz und Rock“.
Private Marktplätze: Sie werden gegründet, um Lieferanten und Kunden enger an das Unternehmen zu binden. Ein Beispiel dafür ist AutoXchange von Ford.
Konsortialmarktplätze: Einen Konsortialmarkt gründen mehrere rechtlich selbständige Organisationen gemeinsam (wie Covisint oder SupplyOn, vgl. S. 237 der vorliegenden Schrift).
Geschlossene Marktplätze: Nur berechtigte Akteure haben Zutritt zu diesem Marktplatz. Die Partner sind vornehmlich an einer langfristi‐ gen Kunden‐Lieferanten‐Beziehung, über spezielle Kommunikations‐ netzwerke, interessiert. Auf elektronische und institutionelle Aus‐ tauschprozesse kleiner und mittelgroßer Unternehmen hat sich bei‐ spielsweise Prozeus spezialisiert.
Offene Marktplätze: Möglichst viele Teilnehmer stehen in loser Ver‐ bindung zueinander. Vielfach kennen sich die Akteure nicht näher. Auf offenen Marktplätzen herrscht häufig ein reger Preiswettbewerb. Eine solche Plattform findet sich mit Serveline, auf der offene Aus‐ schreibungen für IT‐Equipment stattfinden.
236
Strategien der Versorgung
C.3
Die kritischen Erfolgsfaktoren elektronischer Märkte sind Commerce, Content und Connection (vgl. Bächle/Lehmann 2010, S. 25). Mit Commerce wird der Grundmechanismus des virtuellen Marktplatzes bezeichnet (wie Auktionen oder Kataloge). Content steht für den Inhalt dieser Platt‐ form. Dazu zählen beispielsweise Produktbeschreibungen, Lagerbestän‐ de, Preise oder Firmenprofile. Schließlich beschreibt Connection einer‐ seits die Fähigkeit, Transaktionen zwischen Käufern und Verkäufern wirtschaftlich durchzuführen (Intraconnection). Andererseits erweitert Interconnection diese enge Sichtweise und umfasst den Informations‐ austausch mit weiteren Marktplätzen.
Die drei Säulen der Weisheit…
Über Fachportale können die User Zugang zu den elektronischen Märk‐ ten erhalten. Sie sind die Eingangstore in die Unternehmen. Bei Fachpor‐ talen treffen wenige Anbieter auf eine recht breite Nachfrage. Sie zielen auf die Erhöhung der Kundenbindung, wobei hier weniger der Endver‐ braucher, sondern mehr Fachhändler, Spediteure, Handwerker oder Gastronomen gemeint sind. Beispielblock c.8 beschreibt eine Möglich‐ keit zum Aufbau eines Fachportals (vgl. Gollek 2013, S. 13ff.; Schneider 2012, S. 113).
Fachportale als besonderes Oligo‐ pol
Fachportal
Beispielblock c.8
Ein Fachportal für die grafische Industrie hat Printnation aufgebaut. Die Kunden sind in der Regel kleine und mittelgroße Druckereien. Dieses Fach‐ portal beherbergt mehr als 130.000 Produkte von 1.500 Herstellern. Im An‐ gebot sind Druckplatten, Filme, Papiere oder chemische Artikel. Auf der Homepage von Printnation findet sich auch ein Link zur Auktionsplattform für gebrauchte Geräte der grafischen Industrie. Ferner bietet Printnation dort Sonderangebote, Serviceverträge und Finanzierungsalternativen für die Druckereien an. Printnation weist im Internet schließlich noch auf die Mög‐ lichkeit einer gebührenfreien Telefonberatung hin.
Ein virtueller Marktplatz wurde mit „SupplyOn“ geschaffen, den unter anderem ZF, Continental, Hella und Bosch gründeten. Die IT‐Architektur basiert auf SAP. Dieser elektronische Marktplatz aggregiert sich vor‐ nehmlich aus den vier miteinander vernetzten Bausteinen Einkauf, Qua‐ lität, Supply Chain Management und Finanzen (vgl. zu den nachstehen‐ den Ausführungen Hess 2010, S. 59f.; Werner 2013a, S. 51ff.).
237
Nähere Kennzeich‐ nung von Supp‐ lyOn
C
Strategien des Supply Chain Managements
Elektronische Beschaffung
Einkauf: SupplyOn bietet Sourcing‐Lösungen und berät Dritte bei‐
Qualitative Attri‐ bute
Qualität: „SupplyOn“ beschäftigt sich weiterhin mit Qualitätsma‐
Netzwerkmanage‐ ment von Sup‐ plyOn
Supply Chain Management: In dem Segment Supply Chain Ma‐
Financial Supply Chain
Finanzen: Schließlich erstreckt sich SupplyOn auch auf die Geldströme
spielsweise bei der Lieferantenauswahl, dem Stammdatenmanage‐ ment oder der Lieferantensuche. Die Purchasing‐Module Business Di‐ rectory, Requests for Quotations und Biddings sind prägend für den gesamten E‐Hub. Als Business Directory wird die Bestimmung der Grunddaten des Einkaufs bezeichnet. Das Herz von Business Directo‐ ry ist die Definition der Materialgruppen. Requests for Quotations meint die Festlegung von Normen und Spezifikationen für den virtu‐ ellen Einkauf (Standardkonfigurationen). Schließlich erlaubt Biddings die Durchführung von Auktionen. Sie sind in Form von 1:n‐ Bedingungen aufgebaut. Zu den bekanntesten Auktionsverfahren zählen „Reverse Auction“, „Dutch Auction“ und „Sealed Bit Auction“. Nach Goldman Sachs sind 34% des Einkaufsvolumens in der Automo‐ bilindustrie für Auktionen geeignet (vgl. Goldman Sachs 2004, S. 18). nagement. Dazu zählen Qualitätsvorausplanung, Erstbemusterung, Lieferantenbewertung, Reklamations‐ sowie Zertifizierungsmanage‐ ment. Diesbezüglich werden beispielsweise die Module Online Colla‐ boration, Dokumentenmanagement und Engineering Services einge‐ setzt. nagement bezieht sich SupplyOn vor allem auf klassische Bedarfspro‐ zesse, Vendor Managed Inventory, Kanban, Transportmittelplanung, Alert‐Management und Lagermanagement. Die Optimierungspoten‐ ziale elektronischer Schnittstellen werden über EDI und Web‐EDI rea‐ lisiert. moderner Wertschöpfungsketten. Mögliche Arbeitsgebiete stellen Rechnungsstellung mit digitaler Signatur, Gutschriftanzeige, Verrech‐ nungsanzeige und Zahlungsavis dar.
C.3.9.2.2 Kollaborative Prozesse Real‐Time‐Prozesse schalten
Kollaborative Abwicklungen innerhalb einer Supply Chain (vgl. Colla‐ borative Planning, Collaborative Commerce und Collaborative Design) bedeuten eine interorganisatorische Koppelung rechtlich selbständiger Partner im Netzwerk einer Lieferkette über das Internet. In diesem Ver‐ bund findet der Austausch von Informationen in Echtzeit statt. Eine Möglichkeit zur Realisierung kollaborativer Supply Chains ist der „Ad‐ vanced Planner and Optimizer“ (APO) von SAP (vgl. in diesem Zusam‐ menhang die Ausführungen zu Advanced Planning and Scheduling auf
238
Strategien der Versorgung
C.3
S. 386ff.). Mit dem Modul Collaborative Planning (CPL) wird die Trans‐ formation von Planungsdaten innerhalb verschiedener Standorte im Konzernverbund – wie auch zu selbständigen Geschäftspartnern – über das Internet ermöglicht. In den kollaborativen Wertschöpfungsketten gleichen die Akteure mit Hilfe des Internets ihre Forecasts miteinander ab. Dadurch können Lie‐ feranten und Hersteller rasch auf geänderte Kundenabrufe reagieren und die Planzahlen online bestätigen. Indem sich die Planungszyklen verkürzen, steigt einerseits die Reaktionsfähigkeit innerhalb einer Supp‐ ly Chain. Andererseits erhöht sich die Agilität der Teilnehmer in einer Lieferkette. Diese passen sich den geänderten Situationen flexibel an. Eine Kollaboration unterstützt Prozesse zur Bestandsreduzierung und fördert die Lieferfähigkeit von Unternehmen. Supplier Collaboration meint den gezielten Informationsaustausch mit ausgewählten Lieferan‐ ten (Upstream), Customer Collaboration beschreibt die Kommunikation mit Kunden in Echtzeit (Downstream).
„Uptown girl, she’s been living in her uptown world…“ (B. Joel)
Mit Hilfe von Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) werden über das Internet die Bedarfszahlen aus verschiedenen Absatzkanälen aggregiert und auf einer elektronischen Plattform sämtli‐ chen Teilnehmern einer Lieferkette zur Verfügung gestellt. Beispielblock c.9 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Anhand eines Mengengerüsts sind die Materialien den jeweiligen Fertigungskapazitäten der Hersteller zuzuweisen.
CPFR
Jeder berechtigte Nutzer in der Supply Chain kann mit CPFR mögliche Änderungen in den Abrufen als Real‐Time‐Process ermitteln und in den revidierten Produktionsplänen berücksichtigen. Lieferanten, Hersteller und Kunden generieren mit Hilfe von CPFR quasi einen gemeinsamen Geschäftsplan, der zur Synchronisation von Supply‐Chain‐Aktivitäten beiträgt. Auf Basis von Marktprognosen arbeiten die Akteure zusam‐ men. Sie erzeugen eine gemeinsame Bedarfsplanung, passen Produktion und Lagerwesen der aktuellen Nachfrage an und stimmen den Material‐ fluss ab. Beispielsweise initiieren sie Verkaufsförderungsmaßnahmen im Verbund. Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment kann folglich als Weiterentwicklung von Efficient Consumer Response an‐ gesehen werden (dort erfolgte eine einseitige Prozessoptimierung). Die‐ se Logik berücksichtigt VW in seinem „Kapazitätsmanagement‐Projekt“. Hierbei schließt sich VW online mit ausgewählten Lieferanten zusam‐ men, um die aktuellen Bedarfe mit den Anbietern gemeinsam abzu‐ stimmen.
Kollaborative Aktivitäten in der Praxis
239
C Beispielblock c.9
Strategien des Supply Chain Managements
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment Ein Beispiel für eine CPFR‐Lösung liefert Manugistics, die vor einigen Jahren von JDA übernommen wurden. Aus den Erfahrungen einer Zusammenar‐ beit mit über 30 Partnern ist „NetWORKS“ von Manugistics entstanden. Mit Hilfe von „NetWORKS“ kooperieren die beiden US‐Konzerne Nabisco (Snacks‐ und Knabberartikel) und Wegmans (Supermarktkette). Sie stimmen gemeinsame Promotions online ab oder analysieren das Verbraucherverhal‐ ten. Diese Informationen werden in „NetWORKS“ gesammelt und zielge‐ richtet aufbereitet. Dadurch kann Nabisco seine Bedarfsprognosen von Snacks und Knabberartikeln für die Filialen der Supermarktkette stets aktua‐ lisieren. Dieser kollaborative Planungsansatz führt zu einem deutlichen Umsatzplus. Auch Amazon nutzt diese Manugistics‐Lösung bereits seit Mai 2010.
C.3.9.2.3 Virtuelle Frachtbörsen Added Values sichern und die Umwelt entlasten
Auf virtuellen Frachtbörsen werden weltweit Frachtkapazitäten ange‐ boten und Frachtgesuche der Verlader gesichtet. Mit Hilfe von Fracht‐ börsen können die beteiligten Partner Value Added Services erzielen, indem sie ihre Verkehrsmittel besser auslasten: Sie bündeln die Fracht‐ aufträge und optimieren die Transportzeitfenster. Diese Möglichkeit ist von großer Bedeutung, fahren doch allein in Deutschland circa 20% aller Lastkraftwagen völlig leer. Und auch beladene Fahrzeuge sind zum Teil nur zu circa 70% ausgelastet.
Transaktionskosten reduzieren
Außerdem können über virtuelle Frachtbörsen die Transaktionskosten der Auftragsakquisition heruntergefahren werden. Mit Hilfe von Daten‐ banken werden die notwendigen Informationen verwaltet und später zielgerecht aufbereitet. Die wohl bekannteste Frachtbörse in Europa dürfte „Teleroute“ sein. Jeden Tag finden dort zumeist über 200.000 Fracht‐ und Fahrzeugangebote zusammen (vgl. Beispielblock c.10). So macht es sich „Brummifreund.de“ zur Aufgabe, jederzeit über den aktu‐ ellen Stand deutscher Frachtportale zu informieren. Etliche Frachtbörsen mussten jedoch recht bald ihre Pforten wieder schließen (ein Beispiel dafür ist TradeNetOne.com).
240
Strategien der Versorgung
C.3 Beispielblock c.10
Virtuelle Frachtbörse Seit nunmehr 35 Jahren existiert „Teleroute“. Das Unternehmen gehört seit 2017 zur Alpega‐Gruppe. Auf dieser Plattform gibt der Nachfrager zunächst relevante Daten in die dafür vorgesehene Maske ein. Dabei kann der Su‐ chende beispielsweise Präferenzen für einen Hausspediteur oder eine be‐ sonders preisgünstige Variante definieren. Auf Basis dieser Informationen schlägt das System einen Dienstleister für den Transport vor. „Teleroute“ berücksichtigt Parameter wie Produktspezifika, geografische Restriktionen, Lager und Infrastruktur, Container und Verpackungsmaterial, Transport‐ und Ladeeinrichtungen sowie Personal. Die Systemantwortzeiten sind recht gering, und die Aktualisierung erfolgt quasi in Echtzeit. Schließlich kann „Teleroute“ bei Bedarf auch das Forderungsmanagement übernehmen.
Eine Abwicklung der Distributionsprozesse mit Hilfe von virtuellen Frachtbörsen ist jedoch auch von einigen Problemen geprägt.
In Deutschland werden nur drei Prozent des gesamten Gütervolu‐ mens über elektronische Frachtbörsen abgewickelt. Diese niedrige Zahl liegt wohl vor allem darin begründet, dass es den Frachtbörsen an der notwendigen Bekanntheit mangelt. Dadurch werden die Mög‐ lichkeiten für das Angebot und die Nachfrage von Frachtkapazitäten deutlich eingeschränkt.
Auch wenn die Frachtbörsen durch Firewalls geschützt werden kön‐ nen, fürchten vor allem die Nachfrager um die Wahrung ihrer Ge‐ heimhaltungssphäre. Bei der Bildung von Transportgemeinschaften können in der Tat sensitive Informationen an unberechtigte Dritte ab‐ fließen.
Die einzelnen Frachtbörsen stellen für sich immer nur Insellösungen dar, weil die Märkte nicht miteinander verbunden sind. Es sind folg‐ lich nur suboptimale Lösungen. Eine gesamtoptimale Lösung könnte durch die Vernetzung dieser isolierten Plattformen entstehen.
Ceteris paribus gilt, dass mit zunehmender Komplexität die Eignung virtueller Frachtbörsen schwindet. Für besonders zeitkritische Sen‐ dungen (wie Radiopharmaka) oder sehr erklärungsbedürftige Güter, bieten sich Transportabwicklungen über elektronische Frachtbörsen kaum an.
241
„Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem.“ (J. W. v. Goethe)
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.3.9.2.4 Elektronische Ausschreibungen und Auktionen Preis‐ und Kosten‐ vorteile ausnutzen
Ein hoher Anteil der Einkaufskosten entfällt traditionell auf administra‐ tive Tätigkeiten. Daher werden im betrieblichen Umfeld verstärkt neue Beschaffungsformen auf den Prüfstand gehoben. Zu ihnen zählen elekt‐ ronische Ausschreibungen, welche über geschlossene, halboffene oder offene Systeme abgewickelt werden:
Langfristige Anbindungen sichern
Geschlossene Systeme: Da geschlossene Systeme in ihrer Einrichtung
Hybridform
Halboffene Systeme: Halboffene Systeme werden verstärkt im Handel
und ihrem Betrieb sehr teuer sind, rentieren sie sich nur bei langfristiger Anbindung und großen Bestellmengen (Automobilwirtschaft). Mittels Extranet‐Lösungen sind die Lieferanten und Kunden miteinander ver‐ bunden. eingesetzt. Kundenseitig existiert eine geschlossene Standardschnittstel‐ le. Auf der Lieferantenseite liegen offene Verbindungen vor. Kunden können aktiv in die Vorgänge des Lieferanten eingreifen, dort Bestellun‐ gen platzieren, den aktuellen Lagerbestand abrufen oder sich über den Stand eines Liefervorgangs informieren.
Multiple Ein‐ kaufsmöglichkeit über Spotmärkte
Offene Systeme: Bei einer Vielzahl möglicher Akteure werden schließ‐
Ausschreibungs‐ formen im Über‐ blick
Im Rahmen privatwirtschaftlicher elektronischer Ausschreibungen („Electronic Request“) wird eine Untergliederung in vier Einkaufsvari‐ anten vorgenommen. Charakteristisch für diese Alternativen ist ihre zunehmende Bindungsintensität (vgl. Buchholz/Appelfeller 2010, S. 19):
Generischer Kapazitätsab‐ gleich
Unverbindliche Preisabfrage
lich offene Systeme gewählt. Die Bedarfe sind gering. Diese treten in un‐ regelmäßigen Intervallen auf. Zumeist nutzen die Beteiligten das Inter‐ net, wobei Informationen beispielsweise über jährliche Kataloge zur Ver‐ fügung gestellt werden.
Electronic Request for Information (ERI): Bei dieser Leistungsnachfra‐ ge werden Lieferanten dazu befragt, ob sie grundsätzlich in der Lage sind, einen Bedarf zu befriedigen (elektronische Selbstauskunft des Lie‐ feranten). ERI ist also eine bloße Marktsondierung. Die Antworten der Lieferanten enthalten beispielsweise Hinweise zu Listenpreisen.
Electronic Request for Quotation (ERQ): Auf Basis eines detaillierten Bedarfs aus dem Lastenheft, wird bei ERQ eine normierte und konkrete Preisabfrage in Richtung Lieferant eingefordert, die sämtliche möglichen Kostenparameter beinhaltet. Natürlich versendet der Kunde diese An‐ fragen nur an Lieferanten, von deren Leistungsfähigkeit er überzeugt ist.
242
Strategien der Versorgung
Electronic Request for Proposal (ERP): Ein nächster Schritt ist die Auf‐ forderung zur Abgabe eines juristisch verpflichtenden Angebots. Die‐ ser Vorgang ist mit einer Ausschreibung im klassischen Sinn vergleich‐ bar. Das Angebot enthält ein Pflichtenheft, aus dem der Kunde die De‐ tails ersehen kann. Selbstverständlich besteht für den Abnehmer keine Verpflichtung zur Angebotsannahme.
Electronic Request for Feature (ERF): Schließlich kann der Kunde einen Lieferanten auch zur Angebotserweiterung auffordern. Diese Form der Ausschreibung wird insbesondere bei Folgeaufträgen genutzt.
C.3 Komplette Prob‐ lemlösung
Folgeaufträge sichern
Während elektronische Ausschreibungen Einkaufsprozesse revolutio‐ nieren, bieten sich für Warenverkäufe mit aktiven Preisverhandlungen elektronische Auktionen an. Klassische Einkaufsprozesse stellen bilate‐ rale Preisverhandlungen zwischen Kunden und Lieferanten dar. Elekt‐ ronische Auktionen hingegen zeichnen sich durch multilaterale Preis‐ verhandlungen mit Lieferanten aus. Dies führt zu beschleunigten Ver‐ kaufsaktivitäten mit Preis‐ und Kostenvorteilen (vgl. Sulaj 2008, S. 51).
Moderner Verkauf über Auktionen
Forward Auction: Bei dieser Englischen Auktion versteigert ein Anbie‐
Angebotsauktion gemäß der „Auf‐ wärtsversteige‐ rung.“
ter seine Leistung an den Meistbietenden. Sukzessive werden höhere Gebote für ein Gut in offener Form so lange genannt, bis nur noch ein Bieter übrig ist, oder die Angebotszeit abläuft („Ebay‐Prinzip“). Der Bieter mit dem höchsten Angebot erhält den Zuschlag.
Reverse Auction: Eine Holländische Auktion verhält sich umgekehrt zu obigem Fall. Bei dieser nachfrageseitigen Auktion schreibt ein Unter‐ nehmen – unter Vorgabe eines Zeitfensters – ein Kaufangebot für eine Leistung aus. Diesbezüglich werden relevante Spezifikationen, wie Preis, Menge oder Qualität, mit angegeben. Interessierte Lieferanten beobach‐ ten den im Zeitablauf fallenden Preis. Den Zuschlag erhält der Bieter mit dem niedrigsten Angebot (z. B. eine Spedition für einen Umzug).
Bundle Auction: Typisch für eine Bundle Auction ist die Erzielung von Purchase Volume Effekten. Sämtliche elektronisch ausgeschriebenen Po‐ sitionen werden von einem Lieferanten gebündelt bezogen. Häufig sind es Fachportale in Nischen. Hier findet eine elektronische Beschaffung quasi „aus einer Hand“ statt.
Cherry Picking Auction: Besonders in heterogenen Märkten sind Anbie‐ ter nicht immer in der Lage, sämtliche Teilbedarfe von Kunden abzude‐ cken. Außerdem können mache Lieferanten nur in Teilsegmenten beson‐ ders günstige Preise anbieten. In diesen Fällen pickt sich der Kunde be‐ sonders verlockende Angebote verschiedener Anbieter heraus.
243
Auktion bei fallen‐ den Preisen durch‐ führen
Warenbündelung auf einen Lieferan‐ ten
„Cherry blossom girl, I’ll always be there for you…“ (Air)
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.3.9.2.5 Tracking and Tracing Begriff und allge‐ meine Charakteri‐ sierung
Tracking‐and‐Tracing‐Systeme dienen zur Sendungsverfolgung. Ein Tracking‐System eröffnet die Möglichkeit, sich zu jeder Zeit hinsichtlich des aktuellen Aufenthaltsorts einer Frachtsendung in Echtzeit zu erkun‐ digen (vgl. Appelhans 2016; Essig et al. 2012, S. 27; Hunewald 2005, S. 133; Martus 2014). Das Tracing‐System gewährleistet die Archivierung dieser Informationen, um kontinuierlich den Sendungsverlauf der Güter fest‐ stellen zu können. Die Software zur Routenplanung basiert bei Tracking and Tracing auf der Idee neuronaler Netze.
Beispiele für Tra‐ cking and Tracing
In den elektronischen Supply Chains können sich die Hersteller und die Kunden über Tracking and Tracing jederzeit Informationen über den Fortschritt ihres Transportvorgangs einholen:
In seiner Wertschöpfungskette „Tierernährung“ sichert BASF die not‐ wendige Rückverfolgung über das Tool „Trace Tracker“. Gemäß der Maxime „From Farm to Fork“ sichert BASF somit die Dokumentation über Warenherkunft, Inhaltsstoffe oder Produktionsmethoden.
EADS nutzt das System „EDITT“ („Dynamic Interoperale Track and Trace“) zur Warenbestandsüberwachung und Sendungsrückverfol‐ gung, welches ursprünglich für militärische Zwecke eingesetzt wurde.
UPS erhöht mit Tracking and Tracing durch Echtzeitverfolgung, so‐ wohl für die eigene Organisation als auch seine Kunden, die Transpa‐ renz bei der Güterzustellung. GPS als Primärva‐ riante
Bei der Sendungsverfolgung finden vor allem die über Satelliten gesteu‐ erten Hilfsmittel GPS (Global Positioning System) und AEI (Automatic Equipment Identification) Einsatz. Das europäische Satellitennavigati‐ onssystem Galileo soll Ende 2020 mit seinem Alltagsbetrieb starten. Mit Hilfe dieser telematischen Techniken werden die Frachtstücke beim Bela‐ den der Fahrzeuge – häufig unter Zuhilfenahme des Barcodes – mit dem Status „on Board“ eingescannt. In zunehmendem Maße ergänzen Her‐ steller an dieser Stelle den Barcode durch RFID. Diese Informationen sind direkt an eine zentrale Datenbank weiterzugeben. Während des kompletten Transportvorgangs können über Telematik genaue Positi‐ onsabfragen eingeholt werden. Daraus ergeben sich gleich mehrere Vor‐ teile: Zunächst sinkt der administrative Aufwand bei der Datenverwal‐ tung. Außerdem verbessert sich, neben der Lagerhaltung, das Fuhr‐ parkmanagement der Wettbewerber. Schließlich gestattet Telematik ein jederzeitiges Lokalisieren von Fahrzeugen, wodurch eine sofortige Reak‐ tion auf Störungen möglich ist. Beispielsweise können LKW kurzfristig
244
Strategien der Versorgung
C.3
um einen Stau geleitet werden (vgl. Beispielblock c.11). Die Beratungs‐ gesellschaft Roland Berger hat errechnet, dass mit dem Einsatz eines te‐ lematischen Fuhrpark‐ und Flottenmanagements die Kosten in der Dis‐ tributionslogistik um bis zu fünf Prozent sinken. Beispielblock c.11
Tracking and Tracing via GPS Schenker Eurocargo hat mittlerweile sämtliche in Deutschland verkehrenden Lastkraftwagen mit der Telematik bestückt. Es wurde das Flottensteuerungs‐ und Kommunikationssystem „Passo Fleet“ in die Fahrzeuge integriert. Das Modul „Real Time Arrival“ überprüft alle 15 Sekunden die wahrscheinliche Ankunftszeit der LKW. Dadurch verfügt Schenker Eurocargo über ein zeitge‐ mäßes Tool zur automatisierten Sendungsverfolgung.
C.3.9.3
Zukünftige Einsatzfelder und Gefahren
Immer mehr Organisationen konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft („Downsizing“). Somit ergibt sich in den elektronischen Supply Chains ein weites Aufgabengebiet für Fourth‐Party‐Logistics‐Provider (4PL). Die 4PL sind Systemintegratoren, die auch als „Lead Logistics Provider“ (LLP) bezeichnet werden. Sie haben ihre Wurzeln in den Systemdienst‐ leistern 3PL (Third‐Party‐Logistics‐Provider). Neben den klassischen Logistikdiensten, wie Lagerung oder Transport, erbringen 3PL für ihre Kunden auch das Order Processing, die Kundenbetreuung oder die Planung und die Implementierung von IT‐Systemen. 4PL erweitern die‐ ses Aufgabenspektrum dahingehend, indem sie als Netzwerkintegrato‐ ren Gesamtlösungen zur Planung, Steuerung und Kontrolle von Abläu‐ fen in der kompletten Supply Chain anbieten.
Formen moderner Kontraktlogistik
Fourth‐Party‐Logistics‐Provider verknüpfen die Teilnehmer einer Logis‐ tikkette, so dass ein möglichst reibungsloser Prozessablauf zur Steige‐ rung der Wertschöpfung entsteht. Einerseits übernehmen sie dabei weite Teile der Strategiefindung innerhalb einer Lieferkette. Andererseits kümmern sie sich um die operative Umsetzung der einzuleitenden Maßnahmen. Beispielsweise schlagen sie eine Fremdvergabe nicht nur vor, Fourth‐Party‐Logistics‐Provider setzen sie auch um. Ebenfalls ana‐ lysieren sie die Logistik hinsichtlich der Möglichkeit einer organisatori‐ schen Umgestaltung. Schließlich lösen 4PL auch technische Problemstel‐ lungen, wie die Implementierung einer neuen Software. Dabei verfügen
Einsatzfelder der 4PL
245
C
Strategien des Supply Chain Managements
4PL, die zum Teil eigene elektronische Marktplätze geschaffen haben, nur über geringe logistische Assets, wie LKW oder Flurförderzeuge. Sie investieren vielmehr in die ausgewählten Kompetenzfelder von IT oder Beratungs‐Know‐how (vgl. Beispielblock c.12). Beispielblock c.12
Fourth‐Party‐Logistics‐Provider Im Jahr 2004 schufen Schenker (Logistikexpertise) und Siemens (IT‐ Kompetenz) als Joint Venture den Fourth‐Party‐Logistics‐Provider „Schen‐ ker Industrial Logistics“. Der Unternehmensverbund ist auf Ersatzteil‐, Wer‐ bemittel‐ und Produktionslogistik spezialisiert. Zwar besteht das Unterneh‐ men noch heute. Doch erwarb im Jahr 2008 die Schenker AG von der Siemens AG den Restanteil von 49%. Weitere Lead Logistics Provider zwischen Lo‐ gistikexperten und IT‐Beratungsgesellschaften wurden zwischenzeitlich gänzlich aufgelöst. So existieren die – zunächst euphorisch gefeierten – Ko‐ operationen zwischen Dachser und CSC („E‐Chain‐Logistics“) sowie Fixemer und IDS Scheer („Escate“) mittlerweile nicht mehr.
Automatismus innerhalb der Prozessoptimie‐ rung
Die elektronischen Lieferketten richten sich nach dem Prinzip Connecti‐ vity aus. Darunter ist eine automatisierte Überprüfung aller möglichen Verbindungen im Netzwerk der Supply‐Chain‐Teilnehmer zu verstehen. Die internen und die externen Prozessketten werden bezüglich ihres jeweiligen Beitrags zur Steigerung der Wertschöpfung im Partnerge‐ flecht untersucht. Es gewinnt bei Connectivity diejenige Alternative, welche den potenziell größten Nutzen verspricht. Somit findet in den Supply Chains der Zukunft die Durchführung langwieriger und kosten‐ intensiver manueller Abstimmungstätigkeiten kaum noch statt.
Potenziale der KEP nutzen
Außerdem wird in den Lieferketten der Trend zur Verkleinerung von Sendungsgrößen andauern (die Verschlankung von Warenströmen). Indem die Hersteller die Variantenvielfalt erhöhen, reagieren sie auf die individuellen Wünsche der Konsumenten. Zur Distribution der kleinen Sendungsmengen setzen sie Kurier‐, Express‐ und Paketdienste (KEP) ein. Diese gewähren eine schnelle und flexible Auslieferung von Waren. Neben der reinen Güterverteilung werden die KEP in Zukunft verstärkt Value Added Services anbieten. Dazu zählen der Einsatz von Tracking‐ and‐Tracing‐Systemen, die Nutzung elektronischer Frachtbörsen oder die Erbringung von After‐Sales‐Aktivitäten (vgl. Beispielblock c.13).
246
Strategien der Versorgung
C.3 Beispielblock c.13
Kurier‐, Express‐ und Paketdienste WIDIA ist ein Hersteller von Werkzeugen und Werkzeugkomponenten. Um einen Belieferungsservice der Kunden innerhalb von 24 Stunden zu gewähr‐ leisten, beschloss das Management von WIDIA, den KEP‐Dienstleister DHL für die Warenverteilung zu engagieren. Dazu wurden zunächst die Systeme von WIDIA und DHL miteinander verknüpft. Der Kurier‐, Express‐ und Paketdienst fährt täglich circa 450 Sendungen des Werkzeugbauers an 65 verschiedene Zielorte in ganz Europa aus. Sämtliche zuvor in sieben europä‐ ischen Ländern befindlichen Außenlager konnten schon nach drei bis vier Monaten (durch den Einsatz von DHL) aufgelöst werden. Obwohl sich die Transportkosten erhöhten, stellte sich für WIDIA bezüglich der totalen Supp‐ ly‐Chain‐Kosten ein positiver Effekt ein, weil die Kapitalbindung des Unter‐ nehmens um über 30% abnahm.
Weitere Potenziale zur Verbesserung der Abläufe in den Lieferketten stellen sich durch E‐Fulfillment ein (vgl. Köcher 2006). Darunter werden sämtliche operativen Maßnahmen verstanden, die zur elektronisch ge‐ stützten Abwicklung eines Kundenauftrags notwendig sind. Sie erstre‐ cken sich vom Auftragseingang, über Beschaffung, Produktion und Distribution, bis zum Payment. Ein E‐Fulfillment wird zumeist über APS‐Systeme realisiert. Das E‐Fulfillment fördert ein Supply Chain Ma‐ nagement in mehrfacher Hinsicht (vgl. auch Beispielblock c.14):
E‐Supply‐Chains in Excellence
Die Waren‐ und die Kapazitätsverfügbarkeit in der Supply Chain ist
Zum Nutzen von E‐Fulfillment
durch ein visuell gestütztes Bestandsmanagement rasch ersichtlich. Auf Grund des ständigen Abgleichs von Repetierfaktoren mit Poten‐ zialfaktoren wird eine Entscheidungsfindung im Sinne von Available‐ to‐Promise und Capable‐to‐Promise nachhaltig gefördert.
Ein E‐Fulfillment stützt kollaborative Planungsprozesse. Dadurch steigt die Transparenz im Supply Chain Management. Die Partner in‐ nerhalb einer Wertschöpfungskette werden nur mit denjenigen Infor‐ mationen „konfrontiert“, die sie zur Fortführung ihrer Aktivitäten auch wirklich benötigen. In diesem Zusammenhang kann beispiels‐ weise ein Splitting von Kundenaufträgen erfolgen.
Das Payment umfasst die Zahlungsabwicklung in der Supply Chain. Hier fallen Tätigkeiten wie Rechnungsstellung oder Rechnungsprü‐ fung an. Bei einer Bearbeitung dieser Aktivitäten über E‐Fulfillment können zum Beispiel die an unterschiedlichen Standorten ausgestell‐
247
C
Strategien des Supply Chain Managements
ten Lieferscheine eines Kunden automatisch zu einer Gesamtrech‐ nung addiert werden (Verbesserung des Liquiditätskreislaufs).
Schließlich kann ein modernes E‐Fulfillment auch eine Optimierung der Distributionsströme beinhalten. Wenn in der Lieferkette, bei‐ spielsweise auf Grund einer Verzögerung, der originär anvisierte Flugtermin nicht einzuhalten ist, kann das System sofort mit der Su‐ che nach alternativen Flugrouten beginnen und eine Präferenzlösung vorschlagen. Beispielblock c.14
E‐Fulfillment Laut Schömer und Hebsaker (vgl. Schömer/Hebsaker 2007, S. 47) sind durch die Berücksichtigung einer Lösung über E‐Fulfillment folgende Verbesserungen in der Supply Chain zu erzielen: Senkung der Auftragsabwicklungskosten um bis zu 30%, Verringerung der Lagerbestände um circa 35%, Reduzierung der Transportkosten um 5% bis 15%, Beschleunigung der Cycle Times bis zu 30% und Verbesserung der Liefertreue bis zu 35%.
Gefahrenherde
Abhängigkeiten
Doch auch in den E‐Supply Chains ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Nutzung der modernen Medien birgt auch einige Gefahren in sich, auf die in der Folge kurz hingewiesen wird (vgl. Werner 2013b, S. 25).
Das über die Unternehmensgrenzen gestrickte engmaschige Koopera‐ tionsnetzwerk hat seinen Preis: Die forcierte Lieferanteneinbindung in den E‐Supply Chains führt zur Abhängigkeit der Hersteller. Treten beim Anbieter Probleme auf, schlagen sich diese direkt auf den Pro‐ duzenten nieder.
Gläserne Kunden
Elektronische Supply Chains richten sich streng nach dem Pull‐ Prinzip aus. Sämtliche über die Kunden einholbaren Daten werden – im Sinne von Customer Relationship – gesammelt und gezielt aufbe‐ reitet. Daraus leitet sich das Problem des „gläsernen“ Kunden ab.
Anonymitätsver‐ luste
Eine weitere Schwierigkeit kann im Abfluss sensitiver Daten bestehen.
IT‐Boliden
Schließlich finden in den E‐Supply Chains IT‐Systeme Einsatz, die
Dadurch geht die Geheimhaltungssphäre von Akteuren ein Stück weit verloren. Gegen ein unberechtigtes Einloggen können Firewalls, Cli‐ ent‐Server‐Authentifizierungs‐ oder Verschlüsselungssysteme aufge‐ baut werden. Aber selbst diese dürften von einem „IT‐Profi“ zu kna‐ cken sein. hinsichtlich ihrer Schnelligkeit und Speicherkapazität wohl noch nicht
248
Strategien der Versorgung
C.3
an die Grenzen gestoßen sind. Indem immer mehr Informationen produziert werden, kann der User quasi im „Datenmeer“ versinken. Hier zeichnet sich eine Vorgehensweise ab, die häufig Quantität vor Qualität stellt (vgl. Big Data auf S. 258).
C.3.10 Supply Chain 4.0: Kognitiver Wertschöpfungsverbund C.3.10.1 Allgemeine Überlegungen zu Supply Chain 4.0 Unter dem Begriff „Supply Chain 4.0“ wird die Standardisierung und die Automatisierung vernetzter Wertschöpfungsaktivitäten, auf der Basis lernfähiger Algorithmen, verstanden. Supply Chain 4.0 ist ein be‐ deutsamer Enabler zur Realisierung und Implementierung von Industrie 4.0 im betrieblichen Umfeld.
Supply Chain 4.0 auf dem Siegeszug
Der Terminus Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution (vgl. Hanschke 2018; Schulz 2017; Wagner 2018). Er wurde erstmals 2011 auf der Hannover‐Messe vorgestellt und ging aus einer Arbeitsgruppe der Bundesregierung hervor. Diese entwarf eine Vision zur zukünftigen Ausgestaltung der Industriegesellschaft in Deutschland. Eine besondere Rolle spielt dabei die Nutzung des Internets. Aktuell befinden sich vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen an der Türschwelle zur vier‐ ten industriellen Revolution. Große Konzerne haben diese bereits viel‐ fach durchschritten. Nachstehend wird die Entwicklung der verschie‐ denen industriellen Schübe kurz skizziert (vgl. Reinhart 2017, S. 13).
Verbindung zu Industrie 4.0
Industrie 1.0: Die erste Stufe der Industrialisierung beginnt um das Jahr 1750. Es ist der Startschuss zur Mechanisierung. Zu den Meilen‐ steinen jener Zeit zählen Erfindungen wie der Webstuhl. Außerdem wurden neue Antriebsformen eingesetzt: Beispielsweise Dampfkraft (Dampfschiff, Dampflok) und Wasserkraft (Schifffahrt).
Industrie 2.0: Unter der breiten Nutzung von Elektrizität beginnt um das Jahr 1870 die Massenfertigung mit Hilfe von Fließbändern (As‐ sembly Lines). Das Prinzip der Arbeitsteilung wird erstmals in den Schlachthöfen von Cincinnati angewendet. Henry Ford erkennt dies und überträgt jene Idee auf die Produktion von Automobilien.
Industrie 3.0: Konrad Zuse entwickelte im Jahr 1941 den ersten funk‐ tionsfähigen Computer. Damit läutet er das Zeitalter der Digitalisie‐ rung ein, welches um das Jahr 1970 voll ausgeprägt ist. Im Mittel‐
249
Erste Erfolge früher Industrialisierung
Massenfertigung und Beginn der Globalisierung
Computer regieren
C
Strategien des Supply Chain Managements
punkt stehen Aktivitäten zur Automatisierung und Rationalisierung von Fertigungsabläufen. „Every Business is Software Business now.“ (D. Leffingwell)
Industrie 4.0: Die Grundidee von Industrie 4.0 ist die Smart Factory:
„Fortschritt ist das Werk der Unzu‐ friedenheit.“ (J.‐P. Sartre)
Supply Chain 4.0 ist nichts Geringeres als der Wegbereiter zur Realisie‐ rung von Industrie 4.0. Sie ist das Rückgrat der intelligenten Fertigung. Beide Welten sind auf das engste miteinander verwoben: Fahrerlose Transporteinheiten befördern Waren selbständig an das Fließband, dann übernehmen selbststeuernde Fertigungsanlagen den Verbau. Autonom agierende Drohnen gleichen Lagerbestände automatisch ab, damit es in der anschließenden automatisierten Produktion zu keinen Stock‐outs kommt.
Modernes Netz‐ werkmanagement durch Supply Chain 4.0
In der Supply Chain 4.0 werden rigide Lieferketten durch flexible Netzwerke abgelöst. Der Informationsaustausch erfolgt über die Gren‐ zen des eigenen Unternehmens hinweg mit standardisierten Schnittstel‐ len. Große Datenmengen werden systematisch gesammelt und zwischen den Akteuren zielgerichtet in Echtzeit im Netzwerk ausgetauscht. Eins‐ tige Insellösungen verschmelzen in der Supply Chain 4.0 zu einem gro‐ ßen Ganzen. Voraussetzung dafür ist die Nutzung eines möglichst stan‐ dardisierten Informationssystems. Mit Hilfe horizontaler und vertikaler Verbundaktivitäten stimmen die Partner der Wertschöpfungskette ihre Bedarfe untereinander ab. Mit dem Ergebnis, dass sich die Lieferzeiten reduzieren und die Kapitalbindung sinkt.
Eine digitale Fabrik, die sich nach dem Prinzip der Virtualisierung ausrichtet. Der Leitgedanke ist das Verschmelzen physischer Kompo‐ nenten (Produkte) mit ihren digitalen Modellen. Auf Basis einer ver‐ netzten Infrastruktur, kann in der intelligenten Fabrik auf die darin in‐ tegrierten Module jederzeit zugriffen werden. Cyber‐Physische‐ Systeme (CPS) ermöglichen in der cleveren Fabrik ein digitales und agiles Zusammenschließen einzelner Komponenten zu einer optima‐ len Gesamtlösung (vgl. die Ausführungen unten).
C.3.10.2 Bedeutung von Smart Factory und Smart City „Smart“ lautet heute die Zauber‐ formel…!
Die Realisierung von Industrie 4.0 wäre ohne die Smart Factory nicht denkbar (Kozai 2018; Steven/Dörseln 2020). Innerhalb einer cleveren Fab‐ rik herrscht das Prinzip der autonomen Eigenorganisation: Die Fabrik trifft selbst die Entscheidungen und organisiert sich ohne fremde Ein‐ griffe. Cyber‐Physische‐Systeme (CPS) tauschen über das Internet In‐ formationen aus und starten selbständig Aktivitäten. Die Kommunikati‐ on übernimmt das Internet of Things. Cyber‐Physische‐Systeme (Cyber‐
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Strategien der Versorgung
C.3
Physical‐Systems) können Objekte, Geräte, Gebäude, Verkehrsmittel, Produktionsanlagen oder logistische Assets sein (vgl. Werner/Taphorn 2019, S. 37). In der Fabrik erfolgt eine intelligente Vernetzung der Ma‐ schinen. Das Produkt selbst teilt automatisch für die Fertigung benötigte Informationen den Cyber‐Physischen‐Systemen mit. Diese sind mit ei‐ nem eigebetteten Software‐System (Embedded System) ausgestattet und gewährleisten Konnektivität, also die Möglichkeit, Verbindungen zu schaffen. Über Sensoren und Aktoren reagieren Cyber‐Physische‐ Systeme höchst flexibel auf externe Einflüsse.
Sensoren: Die Sensoren registrieren und verarbeiten Messdaten aus der physischen Welt. Über Netzwerke melden sie diese einer speziel‐ len Software. Zuvor ungefilterte Informationen werden anschießend durch die Software zu Steuerdaten aufbereitet. Diese Steuerdaten gibt die Software zielsicher an vernetzte Aktoren weiter.
Aktoren: Die Aktoren sind Antriebselemente. Sie empfangen die von den Sensoren abgegebenen Informationen und wirken unmittelbar auf die physikalische Welt. Über die Aktoren werden beispielsweise Türen oder Schleusen geöffnet, Weichen gestellt, Schranken verschlos‐ sen oder Produktionsvorgänge angestoßen.
Clevere Sensoren messen Dinge…
…intelligente Aktoren setzen anschließend Befeh‐ le um
In einem Cyber‐Physischen‐Produktions‐System (CPPS) werden origi‐ när getrennte Cyber‐Physische‐Systeme intelligent miteinander verbun‐ den. Es entsteht ein integriertes Produktionssystem, in dem einzelne Werkstücke ihre Umgebung wahrnehmen und sich automatisch de‐ zentralisierten Fertigungsprozessen anpassen. In der Smart Factory fin‐ det also die vollständige Vernetzung und Kommunikation unterschied‐ licher Cyber‐Physischer‐Systeme statt. Mit dem Ergebnis, dass sich Wa‐ rendurchläufe beschleunigen und die Kapazitäten optimal ausgelastet sind. Bevorzugt werden in der smarten Fabrik intelligente Materialien verwendet: Diese führen ihre Eigenschaften auf einem RFID‐Chip mit sich. Mit Hilfe des Datenträgers finden die schlauen Materialien ihren Weg eigenständig durch die Produktion.
Gekoppelte Cyber‐ Physische‐Systeme
Neben der revolutionierten Fertigung ermöglicht Industrie 4.0 auch eine intelligente Instandhaltung (Smart Maintenance). An die Objekte (z. B. Montage‐ oder Fertigungsanlagen) werden zum Beispiel Vibrations‐ oder Temperatursensoren appliziert. Die Sensoren liefern Messdaten und sonstige Informationen. Der Zustand des Objekts wird über die Sensorik kontinuierlich überwacht. Werden Unregelmäßigkeiten er‐ kannt, gibt das Cyber‐Physische‐System unmittelbar eine Fehlermel‐ dung an ein zentrales Netzwerk weiter. Der Servicetechniker erhält di‐
„Die Instandhal‐ tung von Luft‐ schlössern ist ein kostspieliges Ver‐ gnügen.“ (E. G. Bulwer‐ Lytton)
251
C
Strategien des Supply Chain Managements
rekt eine entsprechende Information. Außerdem wird ein Bestellvorgang für ein Ersatzteil direkt ausgelöst, wenn ein solches benötigt wird. Wie die Datenbrille dem Servicetechni‐ ker hilft
Die Steuerung des Cyber‐Physischen‐Systems erfolgt bei Smart Mainte‐ nance über aktuelle und vergangene Daten. So kann ein erwartetes Sys‐ temverhalten von Anlagen simuliert werden. Beispielsweise wird der richtige Zeitpunkt für den Austausch von Ersatzteilen prognostiziert. Bei der smarten Instandhaltung tragen die Servicetechniker Datenbrillen (Virtual Reality). Mit ihnen können sie Reparaturvorgänge visuell steu‐ ern. Außerdem erhalten sie Empfehlungen für notwendige Instandhal‐ tungsmaßnahmen der Cyber‐Physischen‐Systeme.
„Individualverkehr bedeutet, kollektiv im Stau zu ste‐ hen.“ (A. Buntenbroich)
Die Abläufe innerhalb der Smart Factory sind ohne einen entsprechen‐ den logistischen Input kaum realisierbar. So werden für den innerbe‐ trieblichen Transport in der cleveren Fabrik Fahrerlose Transportfahr‐ zeuge (FTF) eingesetzt. Diese Fahrzeuge können untereinander kom‐ munizieren. Anders als Montagebänder, bringen sie Bauteile flexibel von Station zu Station. Eine feste Reihenfolge müssen sie nicht einhalten. Die digitalisierten logistischen Assets erhöhen den Automatisierungsgrad in der Halle. Sie sind in der Lage, auch komplexe Probleme zu lösen.
Fahrerlose Trans‐ port Systeme regeln die Distribu‐ tion in der smarten Fabrik
In der smarten Fabrik erlauben kamerabasierte Sensoren‐Systeme eine fehlerfreie Navigation zu Lagerplätzen und Arbeitsstationen. Integrier‐ te Sicherheitsscanner erkennen Hindernisse selbständig. Die Fahrge‐ schwindigkeit der Förderzeuge passt sich einer jeweiligen Situation selbständig an. Fahrerlose Transportfahrzeuge beschleunigen den Mate‐ rialfluss. Ihr Einsatz führt dazu, dass die Arbeitsstationen besser ausge‐ lastet sind und die Warenverfügbarkeit steigt.
Ausgeprägte Flexi‐ bilität im Material‐ fluss
In der Smart Factory werden bevorzugt wandelbare Materialflusssys‐ teme eingesetzt. Förderzeuge sind in der Lage, unterschiedliche Produk‐ te – unabhängig von ihren Abmessungen oder ihrem Gewicht – trans‐ portieren zu können. Jeder Ort in der Fabrik kann problemlos bedient werden, die Wegstrecken sind nicht festgelegt. Die Folge sind hochgra‐ dig flexible Arbeitsabläufe. Bei einem wandelbaren Materialfluss erfolgt die Lokalisierung von Gütern in Echtzeit. Routenplanungen passen sich automatisch den Fertigungsprozessen an. Treten Störungen in den Ar‐ beitsabläufen auf, erfolgen die notwendigen Anpassungen ohne manuel‐ le Eingriffe.
Moderne Logistik durch AR
Ein weiterer Baustein der lernenden Supply Chain ist die Nutzung von Augmented Reality (AR): Die computergestützte Erweiterung der menschlichen Realitätswahrnehmung (vgl. Lang/Müller 2020). Die wirk‐ liche und die virtuelle Welt verschmelzen bei Augmented Reality mitei‐ 252
Strategien der Versorgung
C.3
nander. Durch den Einsatz von Kameras, Sensoren und hochauflösen‐ den Displays, können dem Nutzer virtuelle Aspekte in die Datenbrille eingeblendet werden (Textbausteine, Zusatzinformationen als Bild, Vi‐ deos). Dadurch werden die Logistikmitarbeiter reale Situationen besser beherrschen. In der Intralogistik hilft diese Datenbrille beispielsweise beim Kommissionierungsvorgang: Pick‐by‐Vision bedeutet, dass der Kommissionierer während des Pick‐Vorgangs über die Datenbrille In‐ formationen bezüglich der zu entnehmenden Ware erhält (Head‐ Mounted Display). Sie verrät ihm den Lagerplatz, die Artikelbezeich‐ nung, die Artikelnummer und die pro Auftrag zu kommissionierende Menge. Neben Textinformationen werden dem Lagermitarbeiter virtuel‐ le Objekte angezeigt, die von seiner Blickrichtung abhängen. Dies kön‐ nen Navigationspfeile oder farbige Umrandungen von Lagerorten sein. Der Kommissionierer interagiert mit dem Lagersystem, indem er ein Touchpad einsetzt. Zusätzlich kann er Sprachbefehle erteilen (Pick‐by‐ Voice) und die Waren mit Barcode‐Scannern erfassen (Pick‐by‐Light). Die Supply Chain 4.0 ist aber nicht nur ein wichtiger Treiber für die clevere Fabrik. Eine urbane Logistik ist unabdingbar, wenn es um das Leben in der Smart City geht (vgl. Gassmann/Böhm 2018; Meier/Portmann 2017). Unsere Städte sollen technologisch fortschrittlicher, sozialer, grü‐ ner und mobiler werden. Technische, wirtschaftliche und soziale Innova‐ tionen sind die Bausteine der intelligenten Stadt.
Leben in der schlauen Stadt
Es zieht die Menschen verstärkt in die Stadt, um darin zu wohnen und zu arbeiten. Immer mehr Personen teilen sich in den Städten den be‐ grenzt zur Verfügung stehenden Raum. Dies gilt nicht nur für Mega‐ Cities. Das Zusammenleben der Menschen in den Städten soll nachhaltig und effizient sein. Intelligente Infrastrukturen bieten den Leuten einen Mehrwert, sie erhöhen die Lebensqualität. Bürger, Verwaltung und Wirtschaft sollen sich in der smarten Stadt neu ausrichten.
„Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt.“ (Sinnspruch)
Um diese Ziele umsetzen zu können, werden drahtlose und super‐ schnelle Funknetze benötigt. Ansonsten funktionieren innovative Lö‐ sungen auf smarten Endgeräten nicht. Die Infrastrukturen innerhalb der cleveren Stadt sind mit Sensoren ausgestattet. Diese sammeln Daten und übertragen sie in Echtzeit an eine Cloud. Dort werden die Daten gespeichert und archiviert. Weil die Endgeräte verstärkt miteinander vernetzt sind, können die Daten für clevere Anwendungen abgerufen und verarbeitet werden. So finden Bürger und Touristen unkompliziert über Apps die schnellsten Routen innerhalb der Stadt. Sie können auch gleich das passende Ticket für ihre Route buchen und online bezahlen.
„In the city there’s a thousand things I want to say to you…“ (the Jam)
253
C
Strategien des Supply Chain Managements
Komplette Stadtführungen werden heute bereits mit Hilfe von Smart‐ phones selbständig durchgeführt („Selfservice‐City‐Tour“). Intelligente Park‐ systeme
Sensoren auf Parkplätzen erfassen den Raum und erkennen, ob ein Parkplatz gerade durch ein Fahrzeug belegt oder frei ist. Fahrer können diese Informationen über eine App abrufen. Ein digitaler Wegweiser hilft dem Fahrer, den gesuchten Parkplatz zielsicher anzusteuern. Erste Navigationssysteme sind gerade dabei, den zur Verfügung stehenden Parkraum mit der Größe des Fahrzeugs zielsicher abzustimmen.
Auch die Logistik lernt in der moder‐ nen Stadt ständig hinzu
Moderne Logistikanwendungen bereichern die Smart City auf verschie‐ dene Weise. So befinden sich an zentralen Standorten Lagerboxen in der Innenstadt. Diese nutzen Lieferdienste als Umschlagsplätze und Abhol‐ stationen. Empfänger können an diesen Boxen ihre Warensendungen zu jeder Tag‐ und Nachtzeit abholen. Oder sie beauftragen Kurierdienste (wie Fahrradkuriere) damit, die letzte Etappe der Auslieferung zu über‐ nehmen. Liefertaxen, Lastenfahrräder, Drohnen und Roboter sind in den Ballungsräumen die logistischen Schlüsselkomponenten der Zukunft. Die Durchführung dreidimensionaler Planungen, die Nutzung moder‐ ner Robotik (z. B. zur Kommissionierung), der schnelle Datenaustausch sowie intelligente Prognostik und Analytik sind unverzichtbare Supply Chain Stellhebel in der Smart City.
Smart City Loop als wegweisendes Zukunftsprojekt
Unsere Innenstädte sind geprägt von Staus, Feinstaub, Verkehrslärm, Fahrverboten, Unfällen und Parkplatznot. Deshalb muss das Verkehrs‐ aufkommen besser organisiert werden. Ein Vorschlag zur Entlastung der Innenstädte liefert Smart City Loop: Waren werden über ein unterirdi‐ sches Röhrensystem in die Städte hinein und aus ihnen wieder heraus geführt. Die Idee lautet, Güterverteilzentren und City Hubs mit Röhren zu verbinden. Diese sind mit entsprechender Fördertechnik ausgestattet. Der Durchmesser der Röhren lässt die Distribution von Industriepalet‐ ten zu. Die Güter werden vollautomatisch unterirdisch aus den Güter‐ verteilzentren in die Innenstädte geschickt. Bis die Waren in die City Hubs kommen, legen sie eine Strecke von vier bis sieben Kilometern zurück. Im Distributionsvorgang übernehmen Elektro‐Fahrzeuge die Letzte Meile zum Kunden. In entgegengesetzter Richtung werden Re‐ touren, Transportverpackungen und Leergut unterirdisch wieder aus der Stadt hinaus befördert und am Stadtrand zum Abtransport verladen.
Hamburg als Pionier von Smart City Loop
Die Stadt Hamburg erstellt derzeit eine Machbarkeitsstudie zu Smart City Loop. Die Gesamtkosten für das Projekt werden auf über 100 Milli‐ onen Euro geschätzt, wobei die Höhe letztendlich von der Länge der verbauten Röhren abhängt. Kunden werden an der Kostenumlage betei‐
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Strategien der Versorgung
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ligt, sie zahlen eine Gebühr für den Paletten‐Transport. Die Projektver‐ antwortlichen rechnen damit, dass in Hamburg täglich ungefähr 5.000 Paletten verschickt und 1.000 LKW Fahrten eingespart werden können. Der Preis pro Palette ist in etwa mit den heutigen Kosten für einen Transportunternehmer vergleichbar (vgl. Lammers 2019, o. S.). Schließlich ist die smarte Mobilität in der Stadt von Energieeffizienz geprägt. Die Sharing Economy ist ein zentrales Element moderner Ur‐ banisierung. Car‐Sharing, Bike‐Sharing oder die Nutzung flexibel fahr‐ barer E‐Scooter auf Leihbasis sind feste Bestandteile für das Leben in der Smart City (Intermodale Verkehrssysteme). Ursprünglich private Autos werden zu öffentlichen Taxen umfunktioniert. Die Fahrer und die Gäste kommunizieren über spezielle Apps (Uber‐Prinzip). Sind Elektrofahr‐ zeuge beim Car‐Sharing im Einsatz, informieren Charging‐Apps den Nutzer über internetfähige, öffentliche Ladestationen in der Umgebung.
„Die Hölle, das ist der Himmel, den man mit nieman‐ den teilen kann.“ (E. Ferstl)
„Teilen statt besitzen“ lautet das Motto der Sharing Economy. Clevere Geschäftsmodelle in der Logistik richten sich danach aus, Fahrzeuge gemeinschaftlich zu nutzten (Car‐Sharing). Voraussetzung dafür sind integrierte Informations‐ und Buchungssysteme über spezielle Apps. Collaborative Consumption löst Eigentum ab: Die Autos befinden sich nicht länger im Eigentum der Nutzer. Sie wechseln vielmehr ständig den Besitzer. Für die Anwender ist es interessant, dass sie nicht für die In‐ standsetzung und die Versicherung der Fahrzeuge verantwortlich sind. Ergebnis: Die Sharing Economy entlastet unsere Umwelt. Der Gebrauch der geteilten Autos gestaltet sich bewusster und Ressourcen werden geschont. Die Sharing Economy ist Bestandteil einer modernen Erlebnis‐ und Spaßgesellschaft.
Sharing Economy als Megatrend unserer Zeit
Immer mehr Leute teilen Dinge. Manche Menschen überlassen Fremden ihre Wohnung, wenn sie nicht selbst vor Ort sind. Über Plattformen wie Airbnb ist es mittlerweile recht einfach, seine Urlaubstage in einer Pri‐ vatwohnung zu verbringen. Knapp 20% deutscher Urlauber haben Air‐ bnb bereits genutzt, mit steigender Tendenz. Über spezielle Apps werden Kleidertauschpartys organisiert, Werkzeuge, Garten‐ und Haushaltsge‐ räte geteilt sowie die Lebensmittelverschwendung bekämpft. Die Vortei‐ le der Sharing Idee liegen auf der Hand: Leihen macht unabhängig und ist flexibel. Zudem ist es vergleichsweise günstig, da Dinge oder Räume nur für den tatsächlichen Nutzungszeitraum gezahlt werden.
„Ich brauche keine Bohrmaschine, ich brauche ein Loch in der Wand.“ (Sinnspruch)
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C Sankt Martin hat seinen Mantel wirklich geteilt, er hat ihn nicht stun‐ denweise vermietet
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Aber die Sharing Economy hat auch ihre Schattenseiten. Proteste gegen den Fahrdienst Uber nehmen zu. Mancherorts sehen sich Taxifahrer in ihrer Existenz bedroht. Kritiker glauben, dass die Mieten in den Städten auch deshalb so rasant steigen, weil Zweitwohnungsbesitzer ihre Bleibe lieber teuer und tageweise mit Touristen teilen, als sie an Dauerbewoh‐ ner zu vermieten. Als Gegenreaktion trat in Berlin 2018 das Zweckent‐ fremdungsverbot in Kraft. Es liegt auf der Hand, dass Hotelbetreiber über die Existenz von Airbnb nicht unbedingt begeistert sind.
C.3.10.3 Technologien der Kognitiven Supply Chain „Brave new world.“ (A. Huxley)
Die Kognitive Supply Chain setzt Dinge und Technologien in Bewe‐ gung. Digitale Gadgets haben die Logistik erobert: Tablets, Smartpho‐ nes, Scanner, Kameras, Headsets und Drohnen sind nicht mehr wegzu‐ denken. Die Kognitive Supply Chain ist eine intelligente Mixtur zeitge‐ mäßer Sensoren und Aktoren, Radiofrequenzsysteme (RFID), Barcodes, GPS, Electronic Data Interchange (EDI), Web‐EDI, Embedded Systems, Robotik sowie Cloud‐Computing. In der Folge werden diese und weite‐ re Begriffe bei der Beschreibung wichtiger Unterstützungstechnologien einer Kognitiven Supply Chain von besonderer Bedeutung sein.
Kleine Helferlein der Kognitiven Supply Chain
Ohne helfende Technologien wäre eine Kognitive Supply Chain kaum realisierbar (vgl. Spee/Kretschmer 2018). Diese Tools werden nachstehend näher erläutert. Abbildung C.22 zeigt die Komponenten in übersichtli‐ cher Weise. Dazu zählen: Internet of Things, Digital Twins, Big Data, Blockchain und Machine Learning.
Abbildung C.22
Komponenten der Kognitiven Supply Chain
IoT/Digital Twins
Big Data
Kognitive Supply Chain
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Blockchain
Machine Learning
Strategien der Versorgung
C.3
C.3.10.3.1 Internet of Things und Digital Twins Das klassische Internet beschränkt sich auf die rein virtuelle Welt. Mit dem Internet of Things (IoT) erweitert sich diese Sicht: Die Vernetzung des Internets mit Alltagsgegenständen (vgl. Borgmeier/Grohmann 2017). Bestimmte Dinge werden mit Sensoren und Rechenkernen ausgestattet. Sie können ihren physischen Zustand als Information in das Internet einspeisen. Zum Beispiel meldet eine Fracht während eines Transport‐ vorgangs Abweichungen zu Soll‐Richtwerten automatisch. Oder im Lager werden Lücken eigenständig festgestellt und Bestellvorgänge unmittelbar initiiert: Intelligente Regalsysteme sind mit Sensorik be‐ stückt, sie erkennen eine Warenentnahme sofort.
Das Internet of Things ist allge‐ genwärtig
Ein Beispiel für die Nutzung des Internet of Things in der Supply Chain liefert die Schweizer Güterbahn SBB Cargo (vgl. o. V. 2020, o. S.). Ge‐ meinsam mit Bosch Engineering wurde ein „Asset Intelligence System“ entwickelt, um den Schienengüterverkehr zu optimieren. Die Bahnwa‐ gons sind mit Sensoren ausgestattet. Diese sammeln metergenau Infor‐ mationen über die Position und den Zustand von Ladung und Wagons (zum Beispiel Temperatur und Luftfeuchtigkeit). Mittels einer Vernet‐ zungs‐Hardware werden gespeicherte Daten über Mobilfunk an einen Server geschickt. Diese Informationen wertet SBB Cargo aus. Da es beim Rangieren und Verladen der Wagons mitunter zu heftigen Erschütte‐ rungen kommt – wodurch die Waren und die Güterwagen beschädigt werden können – misst ein dreiachsiger Beschleunigungssensor die Stärke, die Häufigkeit und die genaue Position der Stöße. Diese und weitere Daten werden über eine spezielle Software sofort ausgewertet. Dadurch ist SBB Cargo bestens gewappnet: Das Unternehmen kann seine Kunden beispielsweise frühzeitig auf Verzögerungen in den Transport‐ vorgängen hinweisen.
„Rezepte aus dem Internet machen den User selten fett.“ (Kalenderspruch)
Das Internet of Things kann als Vorstufe für das Entstehen von Digital Twins verstanden werden. Der digitale Zwilling ist die Software Reprä‐ sentation eines einzelnen Objekts oder eines gesamten Systems. Die Idee stammt von der NASA. Diese setzte die Technologie zur vollständigen Nachbildung früherer Raumkapseln ein. Die NASA simulierte und di‐ agnostizierte mit dem Zwilling mögliche Probleme im All.
Die besondere Rolle digitaler Doppel‐ gänger
Ein digitaler Doppelgänger ist eine eindeutige, virtuelle Abbildung des physischen Objekts. Dessen Zustand und Verhalten werden durch den Zwilling überwacht. Die virtuelle Doublette ist dauerhaft mit dem phy‐ sischen Objekt verbunden. Sie aktualisiert ständig verfügbare Informati‐ onen. Ohne fremde Hilfe erfasst der digitale Zwilling somit Verände‐
Was ist ein „Digi‐ tal Twin“?
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Strategien des Supply Chain Managements
rungen in der wirklichen Welt. Die realen Objekte sind Produkte oder Maschinen. Es können aber auch komplette betriebliche Systeme mit digitalen Doubletten abgebildet werden. Digitale Zwillinge ermöglichen es, Zukunftsbilder zu schreiben
Bei der Digitalisierung von Prozessen erlauben die virtuellen Zwillinge eine unterschiedliche Sichtweise auf real existierende Dinge. Das physi‐ sche Objekt und sein digitaler Doppelgänger interagieren fortlaufend miteinander. Daten aus dem physischen System werden in Echtzeit auf das Modell übertragen. Die digitalen Kopien sind in beliebiger Anzahl reproduzierbar, mit dem Ziel, Szenarien durchzuspielen. Unternehmen erhalten schon dann Hinweise von externen Einflüssen auf ihre Objekte (Produkte, Systeme), bevor diese Aktivitäten vollständig abgeschlossen sind. Dadurch reduzieren sich die Total Cost of Ownership: Maßnahmen werden antizipativ eingeleitet, im Idealfall bleiben Folgekosten aus.
Digital Twins in der Smart Factory
In der Smart Factory ist es mit Hilfe von Digital Twins möglich, den kompletten Lebenszyklus von Objekten zu durchleuchten. Beispielswei‐ se können über Simulationen frühzeitig Hinweise darauf erfolgen, wann bei Produkten, Werkzeugen oder Maschinen Verschleißerscheinungen eintreten. Dadurch lassen sich kostspielige Reparaturen vermeiden. Letztendlich kann der komplette Materialfluss einer Wertschöpfungsket‐ te über Digital Twins simuliert werden. Mit dem Ergebnis, dass die lo‐ gistischen Assets besser ausgelastet sind.
Maritime Digi‐ talzwillinge
Ein weiterer Einsatzbereich digitaler Doubletten ist die Überwachung von Containerflotten. Der komplette Transportvorgang wird elektro‐ nisch begleitet (vgl. o. V. 2019, o. S.). Schlaue Sensoren, welche an die Schiffscontainer appliziert sind, zeigen jederzeit den aktuellen Standort des Schiffes an. Die Sensoren messen nicht nur die Zeit, die Temperatur oder die Luftfeuchtigkeit auf dem Seeweg. Sie weisen möglicherweise zusätzlich auf eine Verschmutzung oder eine Beschädigung der Ware hin. Diese Informationen fließen in den digitalen Doppelgänger des Containernetzes. Die Reederei überprüft auf diese Weise die Wirtschaft‐ lichkeit ihrer gesamten Containerflotte (vgl. o. V. 2019, o. S.).
C.3.10.3.2 Big Data Von Big Data zu Smart Data
In vielen Unternehmen und Branchen nimmt die Datenflut unaufhalt‐ sam zu. Daher verwundert es nicht, dass seit geraumer Zeit verstärkt Big Data Lösungen im betrieblichen Umfeld eingesetzt werden (vgl. Freiknecht/Papp 2018; Mayer‐Schönberger 2013). Wenn es nicht nur um die Menge, sondern eher um die Güte von Daten geht, wandelt sich Big
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Strategien der Versorgung
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Data zu „Smart Data“. Dann lautet das Motto: „Qualität statt Quanti‐ tät“. Big Data leitet sich aus den „4Vs“ ab:
Volume: Datenvolumen, Umfang der Daten. Velocity: Geschwindigkeit von Datengenerierung und Datentransfer. Variety: Bandbreite an Datenquellen. Veracity: Datenechtheit. Zum Teil werden die „4Vs“ noch um die zwei Komponenten Value (Mehrwert von Daten) sowie Validity (Datenqualität) erweitert. Die Akteure einer Supply Chain erzeugen unzählige Daten. Dies gilt einmal für das Unternehmen selbst (interne Datenbasis). Aber auch für seine Verbindung mit den Wertschöpfungsakteuren: Aus der Interaktion mit Lieferanten, Kunden, Dienstleistern und weiteren Partnern werden zu‐ sätzliche Daten generiert (externe Datenbasis). Hinzu kommen Sonstige Informationen. Diese bestehen in der Logistik beispielsweise aus Ver‐ kehrs‐ und Wetterdaten, sowie Informationen zur Fahrzeugdiagnose (Wartungstermine von LKW, Kraftstoffverbrauch der Flotte).
„Verwirrung lässt sich wunderbar stiften, wenn man die Informations‐ menge erhöht.“ (T. Renzie)
Big Data fallen in der Supply Chain in unterschiedlichen Bereichen an. Zum Beispiel in der Bestands‐ und Lagerverwaltung. Mit Hilfe von Sensoren kann das Vorratsmanagement automatisiert werden, um un‐ liebsame Stock‐outs zu vermeiden. Die Einführung moderner Lager‐ techniken führt häufig zu Kostenvorteilen (beispielsweise „Pick‐by‐ Vision“), wobei sich die Investitionen in der Regel recht bald amortisie‐ ren. Moderne Lagerverwaltungstechniken sind zudem schnell und si‐ cher. Big Data hilft dabei, das Lagerlayout zu optimieren und die Be‐ standshöhe zu überwachen. Werden Überstände festgestellt, können gezielt Aktivitäten zum Warenabverkauf eingeleitet werden: Zum Bei‐ spiel, wenn im Lebensmittelsektor der Ablauf von Haltbarkeitsdaten befürchtet wird.
Big Data in der Supply Chain
Ein weiterer Einsatzbereich von Big Data in der Logistik ist die Trans‐ port‐ und Routenplanung. Wichtige Informationen liefern GPS‐Daten, Wetter‐ und Temperaturparameter sowie Auskünfte zur Entwicklung von Kraftstoffpreisen. Diese und viele weitere Daten können in eine moderne Software eingegeben werden, um entweder virtuelle Fracht‐ börsen zu nutzen oder die eigene Tourenplanung zu optimieren. Derzeit wird die Letzte Meile innig diskutiert. Mit mobilen Internetinformatio‐ nen und GPS‐Daten, lassen sich die Fahrtwege der KEP optimieren. Somit werden die Distributionskosten abgesenkt. Spezielle Wärme‐ und Schocksensoren sichern zudem die Ware während des Zustellvorgangs.
Intelligente Trans‐ port‐ und Routen‐ planung
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Strategien des Supply Chain Managements
Bei der Distribution stoßempfindlicher Waren können Routen ausge‐ wählt werden, auf denen die Fahrzeuge gezielt Straßenunebenheiten vermeiden (zum Beispiel kein Transport über Pflastersteine). Selbstver‐ ständlich entlastet diese clevere Transport‐ und Routenplanung auch unsere Umwelt. Ressourcenpla‐ nung mit Big Data
Big Data Analytics ist zudem ein wichtiger Baustein für eine verbesserte Kapazitätsplanung. Aufgrund von Datenverfügbarkeit, können Engpäs‐ se (beispielsweise Stoßzeiten) umgangen und die verfügbaren Kapazitä‐ ten gleichmäßig ausgelastet werden. Es erfolgt zudem eine optimale Zuweisung personeller Ressourcen zu geeigneten Arbeitsmaschinen, mit dem Ergebnis des beschleunigten Warendurchflusses.
Der König will bedient werden
Auch im Kundenmanagement leistet Big Data in der Wertschöpfungs‐ kette gute Dienste. Im Zuge der Digitalisierung hat sich das Verhalten von Konsumenten gewandelt: Insbesondere im E‐Commerce wachsen die Erwartungen. Same Day oder Next Day Delivery, hundertprozentige Warenverfügbarkeit und fortwährende Updates zum Lieferstatus setzen Kunden heute voraus. Sie vergleichen die Preise und verlangen pünktli‐ che Lieferungen, natürlich in guter Qualität. Idealerweise entfallen Lie‐ ferkosten, Retouren müssen unkompliziert sein. Kundendaten gewinnen somit an Bedeutung. Gezielte Websiteanalysen verraten Einiges über einen Kunden und sein Kaufverhalten (Alter, Geschlecht, Interessen, Preisvorstellung, Bindungsdauer, Warenretouren). Die gezielte Auswer‐ tung dieser Daten ist die Basis zur Einleitung punktgenauer Marketing‐ kampagnen.
Umfangreiche Nutzung von Big Data durch Ama‐ zon Deutschland
Ein Beispiel für die Nutzung von Big Data in der Supply Chain liefert Amazon in Deutschland (vgl. o. V. 2018, o. S.). Das Unternehmen betreibt in seinem Zentrallager in Bad Hersfeld eine automatisierte und chaoti‐ sche Lagerhaltung. Wird ein Produkt dem Hochregal entnommen und ist somit sein Lagerplatz leer, kommt es zur baldigen Auffüllung dieser freien Regalfläche durch ein anderes Produkt, das in seinen Maßen ähn‐ lich ist. Die Kosten im Lager sind auf Grund der guten Auslastung der Regalplätze niedrig. Eine unabdingbare Voraussetzung für ein funktio‐ nierendes Lagermanagement von Amazon ist ein gutes Datenhandling. Dadurch geht beim Picken der chaotisch gelagerten Waren keine Zeit verloren. Das automatisierte Lagersystem des Unternehmens zeigt bei einem Bestelleingang unverzüglich an, ob die gewünschte Ware im La‐ ger aktuell verfügbar ist, oder ob sie sich gerade auf dem Weg nach Bad Hersfeld befindet. Mit Hilfe von Big Data erhält Amazon ein ausgespro‐
260
Strategien der Versorgung
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chen flexibles Lagerhaltungssystem. Es bietet die Möglichkeit, auf Schwankungen von Nachfrage oder Bestand zeitnah zu reagieren.
C.3.10.3.3 Blockchain Eine Blockchain besteht aus einer beständig erweiterbaren Liste dezent‐ raler Datensätze („Blocks“). Diese sind durch kryptografische Verfahren miteinander verbunden (vgl. Drescher 2017; Hosp 2018; Sandner/Welpe 2020). Die Kryptografie ist die Lehre der Geheimschriften. Sie gewähr‐ leistet eine vertrauliche und authentische Nachrichtenübermittlung. Dies sind prägende Aspekte der Blockchain‐Technologie. Ein Block be‐ sitzt einen kryptografisch sicheren Hash des vorherigen Blocks. Weiter‐ hin verfügt er über Transaktionsdaten und einen Zeitstempel. Im Ergeb‐ nis ist die Blockchain ein dezentrales Teilnehmerprotokoll für Transakti‐ onen mit hoher Datenqualität, das Veränderungen transparent erfasst (vgl. Klotz 2016).
„Bitcoin ist eine technologische Tour de Force.“ (FoxBusiness)
Dezentralität: Das Protokoll ist in Wirklichkeit eine riesige Daten‐ bank. Diese liegt nicht auf einem Server oder bei einem Unternehmen, sondern ist über Journale auf sehr vielen Computern verteilt. Ein Journal gehört niemandem, jeder Teilnehmer hat die identischen Zu‐ griffsrechte.
Transaktionen: Transaktionen können alle Arten von Informationen sein. Sie sind zu jeder Zeit nachvollziehbar. Auch von Teilnehmern, die später in die Blockchain eingetreten sind. Die Transaktionen sind zum Teil finanzieller Art (Bitcoins). Es existieren aber auch unzählige nicht‐finanzielle Transaktionen.
Teilnehmer: Die Teilnehmer sind Parteien. Sie befolgen die Regeln der Blockchain. Diese Regeln ermöglichen es, Transaktionen direkt zwi‐ schen den Parteien abzuwickeln. Kostenpflichtige Intermediäre (Ver‐ mittler) müssen in die Abwicklungen nicht einbezogen werden.
Transparenz: Das Journal der Blockchain wird ständig durch ein Netzwerk an „Minern“ kontrolliert. Die Miner verifizieren Block für Block, hinterlegen Informationen und teilen sie im Netzwerk. Jede Partei hat Zugriff auf die identische Blockchain.
Eine Information wird in Blöcken abgelegt. Die Art der Information ist zweitrangig. Es kann sich um Finanztransaktionen handeln. Aber auch Verträge, Testamente, Aktien oder Kaufverträge werden hinterlegt. Jeder Block ist mit einem vorhergehenden Block verbunden und enthält eine
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Verkettung einzel‐ ner Blöcke
C
Strategien des Supply Chain Managements
Historie: Die Prüfsumme des vorhergehenden Blocks sowie die Prüf‐ summe der kompletten Kette. „Nichts als die Wahrheit…“
Durch das Mining erfolgt die Authentifizierung des Blocks. Ist der Block erst einmal verifiziert, kann die darin abgelegte Information nicht mehr verändert werden. Die Nachricht ist für alle Teilnehmer sichtbar gespei‐ chert und für jeden Zugreifer im Original verfügbar. Korruption und Manipulation sind kaum möglich. Das Blockchain‐Protokoll ist eine „Single Source of Truth“ („einzige Quelle der Wahrheit“). Wie erwähnt, werden die Blöcke über Miner verifiziert. Diese Minenarbeiter stellen zudem Rechenleistung zur Verfügung. Sie sind quasi die Buchhalter der Blockchain. Miner erhalten zur Belohnung eine Kryptowährung: Bit‐ coins. Diese virtuelle Währung kommt ohne Banken aus. Die Entschädi‐ gung der Miner wird als „Proof of Work“ bezeichnet.
Sicherheit über Verschlüsselung
Jeder Akteur einer Blockchain benötigt eine Zugangssoftware („Wallet“). Diese enthält ein Schlüsselpaar: Bestehend aus einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel ist für jeden Teil‐ nehmer einsehbar. Der private Schlüssel ist hingegen geheim und ver‐ gleichbar mit einem Passwort. Jede Transaktion in der Blockchain wird mit Hilfe des privaten Schlüssels signalisiert. Ohne diese Kennzeich‐ nung ist eine Transaktion ungültig. Das Schlüsselpaar besitzt eine asymmetrische Verschlüsselung. Somit ist es für ein Dritten unmöglich, nur anhand des öffentlichen Schlüssels den privaten Code erraten zu können.
Smart Contracts in der Blockchain
Ein Beispiel für die Nutzung der Blockchain sind Smart Contracts (vgl. Klotz 2016): Wird ein Autokauf mittels einer Blockchain über Kaufraten abgewickelt, erfolgt die Freischaltung des digitalen Autoschlüssels für den neuen Eigentümer erst, nachdem der festgelegte Kaufpreis auf dem Konto des Verkäufers eingegangen ist. Beim Ausbleiben einer Rate, wird der Wagen automatisch gesperrt. Die Vertragsführung erfolgt wertneut‐ ral, und zwar exakt so, wie der Vertrag in der Blockchain hinterlegt ist. Es liegt also eine Wenn‐Dann‐Beziehung vor: Sobald ein Ereignis mit direktem Bezug zum Vertragsinhalt eintritt, wird die entsprechende Aktion ausgelöst. Der digital hinterlegte Vertrag kommuniziert über die Blockchain direkt mit dem Objekt (hier: dem Auto). Ein Beispiel für einen Smart Contract stellt das System „Ethereum“ dar.
Revolution in der Musikbranche
Der Blockchain‐Gedanke wird auch von der Musikindustrie genutzt. Wenn ein Musikdienst die Blockchain einsetzt, ist er quasi ein öffentli‐ cher, dezentraler Musikladen. Er benötigt keine Plattenverträge mehr. Die Künstler verwalten in der Blockchain die Rechte an der Nutzung
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Strategien der Versorgung
C.3
ihrer eigenen Musik selbst. Zudem ändert sich das Verhältnis zwischen Fan und Künstler schlagartig: Fans können jetzt aktiv an der Unterstüt‐ zung eines Künstlers teilhaben. Sie sorgen für eine Verbreitung der Mu‐ sik und werden Teil des Erfolgs. Ein Musikdienst, der die Blockchain‐ Technologie nutzt, ist „Bit Block Music“. Für eine Supply Chain ist der Blockchain‐Gedanke allein deshalb reiz‐ voll, weil die Anzahl beteiligter Akteure nicht begrenzt ist. So können Lieferanten, Hersteller, Dienstleister, Händler und Kunden gleicherma‐ ßen darin eingebunden sein. Unternehmen wie Walmart und Carrefour beginnen gerade damit, die Blockchain zur Neuausrichtung ihrer Aktivi‐ täten in der Wertschöpfungskette zu nutzen.
Reiz der Blockchain für den Wertschöp‐ fungsverbund
Die Supply Chain Blockchain wird auch als „Enterprise Blockchain“ oder „Industrial Blockchain“ bezeichnet. Ein möglicher Einsatzbereich ist das Dokumentenmanagement. Dieses ist unentbehrlich für die Einlei‐ tung von Distributionsaktivitäten. Papierlose Abwicklungen sind zum Beispiel für die Schifffahrt interessant. Das Konnossement (der Fracht‐ brief) kann in eine Blockchain eingestellt und dort verwaltet werden. Alle Beteiligten (Sender, Empfänger, Spediteure, Carrier, Banken, Versi‐ cherungen) haben Zugriff auf die identischen und digitalisierten Doku‐ mente. Änderungen oder Löschungen können alle Teilnehmer jederzeit nachvollziehen. Durch die asymmetrische Verschlüsselung bleiben hochsensible Informationen geschützt, absolute Sicherheit ist gewähr‐ leistet. Die Transaktionen sind zertifiziert, sie können dezentral und global gespeichert werden. Alle Akteure signieren in der Blockchain ihre Frachtbriefe digital („Digital Stampery“).
„Das Schiff hängt mehr am Ruder, als das Ruder am Schiff.“ (Sprichwort)
Die weltweit größte Reederei für Containerschiffe, das Unternehmen Maersk, ist gerade dabei, die Blockchain zur Hinterlegung ihrer Konnos‐ semente im Netz zu nutzen (vgl. Hofmann 2019, o. S.). Das Vorhaben wird durch IBM begleitet und umgesetzt, es nennt sich „Trade‐Lens“. 94 weltweit tätige Organisationen haben sich „Trade‐Lens“ angeschlossen. Darunter finden sich PSA Singapore, Patrick Terminals, Hafenbehörden, Schifffahrtslinien und Transportunternehmen. Von diesem Projekt erhof‐ fen sich Maersk, mit Stammsitz in Dänemark, und die weiteren Partner einen Rückgang an Betrug (weniger Schmuggel), eine Reduzierung der Fehlerrate in der Abwicklung, schnellere Transporte (durch die rasche Überprüfbarkeit der Verschiffungs‐ und Verladedokumente) sowie weit‐ reichende Kosteneinsparungen. Ebenso wird die Supply Chain Block‐ chain bereits in der Lebensmittelindustrie und im Pharmabereich ge‐ nutzt.
Globale Bedeutung von „Trade‐Lens“
263
C
Strategien des Supply Chain Managements
C.3.10.3.4 Machine Learning Lernende Maschi‐ nen und Künstli‐ che Intelligenz
Machine Learning ist ein wichtiger Teilbereich der Künstlichen Intelli‐ genz (KI). Über maschinelles Lernen werden IT‐Systeme in die Lage versetzt, auf Basis vorhandener Datenbestände und dynamischer Algo‐ rithmen, bestimmte Verhaltensmuster und Gesetzmäßigkeiten zu erken‐ nen (vgl. Burkov 2019; Geron 2019; Nguyen/Zeigermann 2018). Die IT‐ Systeme finden eigenständig Lösungen für sich ergebende Probleme. Künstliches Wissen leitet sich aus Erfahrungen ab. Ein großer Vorteil von Machine Learning ist, dass dynamische Modelle erstellt werden, die nicht nur Muster aus ihrer eigenen Geschichte ableiten. Sie lassen sich weiterentwickeln, indem sie unbekannte Parameter anderer Datenquel‐ len aktiv einbeziehen.
„Wer seine Ge‐ schäfte maschi‐ nenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz.“ (Konfuzius)
Eine Software kann nur selbständig lernen und Lösungen finden, wenn sie zuvor mit relevanten Daten und Algorithmen gefüttert wurde. Zu‐ dem sind Regeln für die Analyse des Datenbestands und das Erkennen der Verhaltensmuster aufzustellen. Dabei ist Maschine Learning vielsei‐ tig einsetzbar: Richtig eingestellt, können die IT‐Systeme Vorhersagen auf Basis analysierter Daten treffen. Sie errechnen Eintrittswahrschein‐ lichkeiten für Ereignisse und erkennen gezielt Verhaltensmuster. Mit Machine Learning werden Daten gefunden, extrahiert und zusammen‐ fasst. Die bedeutsamsten Verfahren von Machine Learning sind:
Überwachtes Ler‐ nen mit bekannten Eingangsdaten
Überwachtes Lernen (Supervised Learning): Der dynamische Algo‐
Unüberwachtes Lernen ohne kon‐ kretes Ziel
Unüberwachtes Lernen (Unsupervised Learning): Der Algorithmus
rithmus lernt eine Funktion aus gegebenen Paaren von Eingaben und Ausgaben eines Verhaltensmodells. Die Eingangsparameter sind be‐ kannt. Während des Lernens stellt ein „Lehrer“ den korrekten Funk‐ tionswert zu einer Eingabe bereit. Ziel des Überwachten Lernens ist es, dem Netz die Fähigkeit anzutrainieren, bestimmte Assoziationen herzustellen. So können beispielsweise Handschriften erkannt wer‐ den. Sind Bilder von Fröschen und Molchen zu unterscheiden, gibt der Entwickler an, auf welchen Fotos ein Frosch und auf welchen Bil‐ dern ein Molch zu sehen ist. Nach der Analyse tausender Fotos, lernt der Algorithmus selbständig Schritt für Schritt, die Froschbilder und die Molchbilder zu unterscheiden. erzeugt für eine gegebene Menge von Eingaben ein Modell, das Vor‐ hersagen trifft. Der Entwickler gibt jedoch kein konkretes Ziel vor. Das System weiß also nicht, was es erkennen soll. Über ein Clus‐ tering Verfahren werden Daten in unterschiedliche Kategorien einge‐ teilt. Das Ziel ist es, Eingaben in charakteristische Muster zu differen‐ zieren. Wenn dem System Froschbilder und Molchbilder vorgelegt
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Strategien der Versorgung
C.3
werden, teilt es alles, was aussieht wie ein Frosch und alles, was aus‐ sieht wie ein Molch, in entsprechende Gruppen ein. Ohne diese je‐ doch so zu benennen, denn der Algorithmus weiß noch gar nicht, wie ein Frosch und wie ein Molch aussehen und wie sie heißen.
Bestärkendes Lernen (Reinforcement Learning): Synonym wird auch der Begriff „Verstärkendes Lernen“ verwendet. Ein Ausgangsdaten‐ material wird nicht benötigt. Der Algorithmus lernt durch Belohnung oder Bestrafung eine bestimmte Taktik. Das Ziel ist es herauszufinden, wie in möglichen Situationen zu handeln ist, um den Nutzen des An‐ wenders zu maximieren (Trial‐and‐Error‐Verfahren). Ein bekanntes Beispiel für Bestärkendes Lernen ist „AlphaGo“ von Google. „AlphaGo Zero“ kann sich mit den weltweit besten Spielern des Brettspiels „Go“ messen und sich das Spiel ohne menschliches Zutun selber beibrin‐ gen. Für Menschen ist das Bestärkende Lernen übrigens die häufigste Lernform.
Bestärkendes Ler‐ nen mit Hilfe von Nutzenmaximie‐ rung
Im Internetumfeld werden über Machine Learning beispielsweise Spam‐Mails selbständig erkannt und geeignete Spam‐Filter vorgeschla‐ gen. Auch die Sprach‐ und die Textbearbeitung digitaler Assistenten ist möglich. Über Machine Learning lässt sich zudem die Relevanz von Webseiten für Suchbegriffe oder das Erkennen von Internetaktivitäten bestimmter User erfassen. Weitere Anwendungsbereiche sind die Bild‐ und die Gesichtserkennung, Aktienmarktanalysen oder das automati‐ sche Erkennen von Kreditkartenbetrug.
„Ich habe schon einiges gelernt und weiß: Gigabyte sind nicht der Nachfolger von Mega Perls.“ (H. Schmidt)
In der Supply Chain kann Machine Learning dazu dienen, die Forecast Accuracy (Absatzprognosegenauigkeit) besser einschätzen zu können. Die maschinellen Algorithmen speisen sich beispielsweise aus den Kun‐ denbestellungen und tatsächlichen Warenabverkäufen der Vergangen‐ heit: Haben Kunden ihre Bestellungen nach Warenzugang behalten? Oder haben sie ihre Warenbestellungen storniert? Vielleicht haben die Kunden die bestellte und ausgelieferte Ware nach Erhalt direkt wieder zurückgeschickt, weil das T‐Shirt nicht passte. Auf diese Weise können Signale identifiziert werden, die einen Anstieg oder einen Rückgang der Nachfrage voraussehen. Ein Wissen, das unabdingbar ist, wenn Unter‐ nehmen frühzeitig ihre Lagerbestände anpassen wollen.
Planungssicherheit von Kunden als Königsdisziplin
Im Tourenmanagement hilft Machine Learning bei der Planung von Transportwegen. So können über die Algorithmen, die ihre Funktions‐ weise ständig anpassen, Berechnungen zur voraussichtlichen Ankunfts‐ zeit von Warensendungen vorgenommen werden. Auch sind Rück‐ schlüsse auf die Sendungsverfolgung von Frachtsendungen möglich. Ein wichtiger Punkt für Kurier, Express‐ und Paketdienstleister, wenn es
KEP können Ma‐ chine Learning umfangreich nut‐ zen
265
C
Strategien des Supply Chain Managements
darum geht, die schnellste Route in Echtzeit zu finden und Verzögerun‐ gen sowie Unterbrechungen im Distributionsvorgang vorherzusagen. Die Fahrzeugflotte kann über Predictive Maintenance optimiert wer‐ den: Im einfachsten Fall werden Ausfallzeiten von Fahrzeugen über Betriebsstunden und Lastenprofile prognostiziert. Zudem kann die Sen‐ sorik dazu genutzt werden, um Daten über die eingesetzten Fahrzeuge gezielt auszuwerten. Dies hilft dabei, die wahrscheinlichen Wartungs‐ und Instandhaltungstermine für die Flotte vorherzusagen, wodurch teure Reparaturen zum Teil vermeidbar sind.
C.3.10.4 Kognitive Supply Chain Die schlaue Supply Chain ist selbstler‐ nend
Ohne die oben charakterisierten Technologien wäre das Entstehen einer Kognitiven Supply Chain kaum denkbar: Internet of Things, Digital Twins, Big Data, Blockchain und Machine Learning sind die Grundpfei‐ ler, auf denen sich eine Kognitive Supply Chain errichtet. Das Ziel der Kognitiven (im Sinne einer lernenden, wahrnehmenden, erkennenden, denkenden) Supply Chain liegt in der Selbstoptimierung der Smart Factory. Die Assets in einer intelligenten Fabrik sind eng miteinander vernetzt: Kommunikation und Steuerung des Materialflusses erfolgen autonom, also ohne das Eingreifen von Menschen.
„Heute ist die Utopie vom Vor‐ mittag die Wirk‐ lichkeit vom Nachmittag.“ (T. Capote)
In der Kognitiven Supply Chain sind die eingesetzten Komponenten in der Lage, eigenständig zu lernen, wiederkehrende Muster zu erkennen und daraus hilfreiche Handlungsempfehlungen abzuleiten. Es sind alle‐ samt selbsterkennende Tools, welche die Mitarbeiter in ihrer Entschei‐ dungsfindung direkt unterstützen, indem sie frühzeitig auf zukünftig eintretende Ereignisse hinweisen. Somit sind die eingesetzten Produkti‐ onssysteme in der Lage, die beständig wachsenden Individualisie‐ rungswünsche von Kunden zu erfüllen.
Antizipation und unbedingte Vernet‐ zung in der Wert‐ schöpfungskette
Eine derartige Vernetzung und gezielte Steuerung leistungsfähiger Ele‐ mente entlang einer Wertschöpfungskette wird als Supply Chain Execu‐ tion System bezeichnet. Es ist eine kluge Steuerungszentrale, welche den beteiligten Akteuren einer Wertschöpfungskette relevante Informa‐ tionen transparent zur Verfügung stellt. Sie verbindet die Partner unter‐ einander und liefert Informationen in Echtzeit. Das Supply Chain Execu‐ tion System ist in der Welt einer Kognitiven Supply Chain von un‐ schätzbarem Wert. Die Gretchenfrage darin lautet: „Was wird passieren und wie können wir uns optimal darauf vorbereiten?“. Eine unmittelba‐ re Antwort auf diese Frage liefert der Adaptive Wertschöpfungsver‐ bund.
266
Strategien der Versorgung
C.3
In einer adaptiven (anpassungsfähigen) Welt richten sich Informations‐ fluss und Materialfluss flexibel nach dem Fortschritt der Fertigung aus. Zwischen den Mitarbeitern in der Produktion und der Supply Chain werden die Aktivitäten synchronisiert. Adaptive Supply Chain Systeme reagieren bei Störungen oder unerwarteten Ereignissen schnell, agil und eigenständig. Dies sind wichtige Voraussetzungen für die Realisierung der Smart Factory. Das Internet of Things wird zum Internet of Supply Chain. So sind in adaptiven Lieferketten intelligente Behälter mit Senso‐ rik ausgestattet. Sie zeigen automatisch an, wenn sie leer sind und auf‐ gefüllt werden müssen. Ausgelastete Maschinen weisen Aufträge selb‐ ständig an Fertigungszellen weiter, die über freie Kapazitäten verfügen. Die Digitalisierung wirft ihren Schatten auf die Kognitive Supply. Sie richtet sich nach den Attributen Schnelligkeit, Flexibilität, Granularität, Genauigkeit und Effizienz aus (vgl. Alicke/Rachor/Seyfert 2016, o. S.):
Die clevere Idee des Anpassens
Schnelligkeit: Neue Ansätze der Warenzustellung verkürzen die Lie‐
„Es gibt Wichtige‐ res im Leben als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“ (M. Gandhi)
ferzeiten zum Teil erheblich. Zudem erhöht sich die Prognosegenau‐ igkeit durch den Einsatz geeigneter Verfahren. Die Vorhersagen selbst werden nicht mehr nur monatlich aufgestellt, sie erfolgen eher wö‐ chentlich oder sogar täglich. „Predictive Shipping“ bedeutet, dass Produkte bereits versendet werden, bevor der Kunde per Mausklick seine Bestellung aufgibt. Dieses Prinzip ist für Waren mit hohem La‐ gerumschlag einsetzbar (Fast Moving Goods, also schnell drehende Artikel mit hohem Lagerumschlag).
Flexibilität: Echtzeitplanungen ermöglichen eine flexible Reaktion auf Nachfrage‐ und Angebotsänderungen. Auf Grund guter Verfolgungs‐ systeme (Tracking and Tracing) können Kunden bei Bedarf die Sen‐ dung an ein bequemes Ziel umleiten. Außerdem werden Supply Chain Dienste bei Bedarf verstärkt zugekauft; die Ressourcen müssen nicht länger im eigenen Haus verfügbar sein (Buy‐Abwicklung statt Make‐Variante). Ebenso gewinnen viele Transportnetze an Agilität, indem der Verkehrsfluss clever geregelt wird (z. B. lernende Ampel‐ systeme in der Smart City, die über Sensorik gesteuert werden).
Granularität: Kunden wünschen immer häufiger individuell bedient zu werden. Deshalb bietet sich eine Mikrosegmentierung von Kun‐ dendaten an: Die Kundenwünsche werden in geeignete Cluster sepa‐ riert. Konsumenten wählen aus einen „Supply Chain Menü“ diejeni‐ gen Leistungen aus, welche ihre Wünsche am besten befriedigen (Rea‐ lisierung von „Customization“).
267
Agilität in der Wertschöpfungs‐ kette
Supply Chain Menü für Kunden zusammenstellen
C
Strategien des Supply Chain Managements
Performance Mea‐ surement im Netzwerk
Genauigkeit: In der Supply Chain werden verstärkt End‐to‐End‐
Kognitive Kosten‐ Nutzen‐ Optimierung
Effizienz: Zunehmende Digitalisierung führt in der Regel zu einem
Lösungen eingefordert, die in Echtzeit ablaufen. Ein Beispiel dafür ist die Möglichkeit der exakten räumlichen Ortung einzelner Akteure im kompletten Netzwerk. Da in der Regel sehr viele Daten zur Verfü‐ gung stehen, können diese zur automatischen Ableitung geeigneter Kennzahlen genutzt werden. Mit ihnen lässt sich die Erfolgswirksam‐ keit eingeleiteter Maßnahmen exakt messen. Anstieg der Wirtschaftlichkeit. Bereits heute wird die Lagerhaltung über moderne Roboter abgewickelt, der Automatisierungsgrad im Warehouse ist hoch. Mit der Nutzung zeitgemäßer Planungstools werden zudem Ineffizienzen innerhalb der Lieferkette aufgedeckt und aktiv bekämpft.
Sensoren und Aktoren steuern den Warenfluss selbständig
Die Systemkomponenten kommunizieren und interagieren in der Kog‐ nitiven Supply Chain ohne menschliche Eingriffe: Industrie 4.0 und Supply Chain 4.0 verschmelzen miteinander. Die Arbeitsweise richtet sich lateral (seitlich) aus: Während bislang noch zentrale Organisations‐ einheiten bei Störungen eingreifen mussten (z. B. über einen logistischen Leitstand), erkennt die Anlage nun selbst ein Problem und initiiert ei‐ genständig Verbesserungsaktivitäten. Der Prozessablauf passt sich, ohne Zutun des Menschen, an eine bestimmte Situation an: Informationsfluss und Materialfluss verlaufen synchron. Beispielsweise verlangsamen sich Produktions‐ und Distributionsabläufe im Störungsfall automatisch. Ebenso werden Warenströme von selbst auf andere Arbeitsstationen umgeleitet, wenn die Kapazitäten einer Maschine ausgelastet sind.
Predictive Analyt‐ ics in der Supply Chain
In der Kognitiven Supply Chain verfügen smarte Komponenten über die Fähigkeit, selbständig zu lernen. Wiederkehrende Verhaltensmuster werden von den Objekten erkannt und Handlungsempfehlungen au‐ tomatisch abgegeben. Die Voraussetzung zur Realisierung dieser hyper‐ intelligenten Abläufe sind Datenbestände von extrem hoher Qualität. Aus validen Daten lassen sich gut strukturierte, semantische Analysen ableiten. Mit Hilfe von Predictive Analytics werden sich wiederholende Muster aufgedeckt und Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit zu‐ künftiger Ereignisse getroffen („what will happen?“). Ein möglicher Ein‐ satzbereich in der Wertschöpfungskette ist die Steuerung von Transport‐ vorgängen. Predictive Analytics hilft dabei, günstige Spediteure zu fin‐ den, Analysen zur optimalen Gewichtsverteilung auf Lieferfahrzeugen durchzuführen und unerwartete Zustände zu erkennen, die Warenzu‐ stellungen beeinträchtigen (Nachrichten, Wetter, Engpässe).
268
Strategien der Versorgung
C.3
Teilweise schlägt das System mögliche Lösungen vor und rät dazu, be‐ stimmte Handlungen vorzunehmen, damit ein Ereignis (nicht) eintritt: Bei Prescriptive Analytics dominiert die Frage „how can we make it hap‐ pen?“. Es werden konkrete Ratschläge darüber erteilt, wie man einen Trend in eine gewünschte Richtung lenken kann, wie man ein vorherge‐ sagtes Ereignis verhindert, oder wie man auf ein zukünftiges Ereignis reagiert. Dazu führen die Unternehmen beispielsweise Monte Carlo Simulationen durch.
„Wenn man nicht mehr weiter kann, fängt man zu simulieren an.“ (Redewendung)
Die Kognitive Supply Chain versetzt die Akteure in die Lage, sich früh‐ zeitig auf mögliche Szenarien einzustellen. Erkennt das System zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Trendartikel, ist es nahe‐ liegend, frühzeitig im Lager Platz zu schaffen und die Bevorratung ge‐ zielt nach diesem Trendartikel auszurichten. Schließlich ist mit einer baldigen Nachfrage dieses Artikels zu rechnen. Dadurch steigt der Rei‐ fegrad beachtlich: Das Unternehmen ist auf seinem Weg zur lernenden Organisation.
„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom: Hört man damit auf, treibt man zurück.“ (Laozi)
Mitarbeiter werden in der Kognitiven Supply Chain in ihrer Entschei‐ dungsfindung unterstützt und entlastet. Clevere Systeme weisen die Menschen selbständig und frühzeitig auf kaum vorhersehbare wie auch wahrscheinlich eintretende Ereignisse gleichermaßen hin. Dadurch be‐ steht für die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre Arbeitsabläufe kurzfristig an neue Situationen flexibel anzupassen: Zum Beispiel können die Wert‐ schöpfungspartner beim Einsatz von Event Management Programmen auf Störungen in der Lieferkette, volatile Preisgestaltung, Qualitätsprob‐ leme von Lieferanten oder personelle Engpässe frühzeitig hingewiesen werden. Dies ist wichtig, um in der Produktion und der Supply Chain adäquat auf die sich immer rascher ändernden Kundenpräferenzen reagieren zu können.
Kurze Reaktions‐ zeiten im Supply Chain Event Ma‐ nagement
In der digitalisierten Wertschöpfungskette finden sich viele eingebettete Systeme (Embedded Systems). Diese elektronischen Geräte sind eine Kombination aus Hardware und Software. Sie werden für ganz be‐ stimmte Funktionen konzipiert und sorgen in der Industrie für die Funktionalität von Anlagen und Maschinen. Aber auch autonome Fahr‐ zeuge, Haushaltsgeräte, Smartphones, Spielzeuge oder Verkaufsautoma‐ ten nutzen Embedded Systems. Wichtige Schlüsseltechnologien für den Einsatz von Embedded Systems sind Autobau, Luft‐ und Raumfahrt, Maschinenbau, Telekommunikations‐ und Elektroindustrie, Medizin‐ technik sowie Energietechnik.
Eingebettete Sys‐ teme sind der Schlüssel zum Erfolg
269
C
Strategien des Supply Chain Managements
Mikroprozessoren und Mikrocontrol‐ ler
Die Verbindung eingebetteter Systeme zum Internet der Dinge liegt auf der Hand. Die Hardware von Embedded Systems basiert auf Mikropro‐ zessoren, in denen eine einzige Zentraleinheit implementiert ist. Es kön‐ nen aber auch Mikrocontroller verbaut sein: Komponenten, die neben der Zentraleinheit noch über Speicher oder Peripheriegeräte verfügen.
Sense‐Think‐Act‐ Modell
In der modernen Fabrik stellen Embedded Systems eine gelungene Symbiose dreier Dimensionen dar, die in ein „Sense‐Think‐Act“‐Modell integriert sind (vgl. Nebel 2018, o. S.).
Erfassung und Kommunikation durch Sensorik
Sense: Das eigebettete System verfügt über Sensorik. Diese Sensorik
„Denken ist allen Menschen erlaubt, bleibt aber vielen erspart.“ (C. Goetz)
Think: Ein weiterer Baustein von Embedded Systems ist die Daten‐
Aktoren setzen Befehle um
Act: Die dritte Komponente eingebetteter Systeme ist die Aktorik. Ak‐
„Hamburg, meine Perle.“ (Lotto King Karl)
ist zum Beispiel die Basis für eine Bildverarbeitung. Mit ihrer Hilfe können Fahrerlose Transport Systeme Hindernisse erkennen und um‐ steuern. Dazu werden spurgeführte Transportmittel mit sensorischer Umgebungserfassung eingesetzt. Neben der Kollisionsvermeidung taugen die Sensoren zur Navigation und zur Lokalisation. Auch Augmented Reality richtet sich nach dem Prinzip „Sense“ aus (Pick‐ by‐Vision). Die Sensorik ist aber nicht nur für die Umgebungserfas‐ sung von immenser Bedeutung. Sie ist auch die Basis zur Kommuni‐ kation innerhalb der Smart Factory. Dadurch wird der selbständige In‐ formationsaustausch zwischen den Cyber‐Physischen‐Systemen er‐ möglicht. verarbeitung. Sie sichert beispielsweise die Navigation selbststeuern‐ der Cyber‐Physischer‐Systeme. Aber auch die Tourenplanung richtet sich nach dem „Think“‐Prinzip aus. Sie ist nicht nur für Kurier‐, Ex‐ press‐ und Paketdienste von großem Nutzen. toren führen die von Sensoren angestoßenen Befehle an Objekten aus. So werden in der smarten Logistik Fahrtenregler über Aktoren ge‐ steuert, Ladungsträger automatisch geöffnet oder geschlossen und Waren von Robotern selbststeuernd aus dem Regal gegriffen.
Ein Beispiel für die Realisierung einer Kognitiven Supply Chain ist der Hamburger Hafen. Wegen seiner Lokalität kann der Hafen nicht weiter ausgebaut werden, dennoch steigen dort die Frachtvolumina stetig. Deshalb wurden moderne Cloud‐Anwendungen im Hamburger Hafen installiert. Sie gewährleisten eine Realtime‐Datensammlung über Radio‐ frequenzsysteme und weitere spezielle Sensorik. Eine Vielzahl von Da‐ ten über Hafenverkehr, Speditionen, Lagerdienstleister, Paketzusteller und sonstige Partner wird täglich aufgenommen, verarbeitet und wei‐ tergeleitet. So ist es möglich, die Warenflüsse im Hafen intelligent und autonom zu steuern. Die Effizienz der Güterverteilung hat sich spürbar 270
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
verbessert. Zudem reduzieren sich im Kognitiven Hamburger Hafen die Wartezeiten der LKW und sonstiger Transportmittel. Gleichzeitig ge‐ winnt der Hafen neue Kunden und lastet seine verfügbaren Kapazitäten besser aus.
C.4
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
Die Strategien von Entsorgung und Recycling in der Supply Chain be‐ inhalten die Beseitigung sowie die Rückführung von Stoffen in den Pro‐ duktionsprozess durch Verwendung oder Verwertung (vgl. Baranan 2016; Bönneken 2005; Bretzke/Barkawi 2012; Emmett/Sood 2010; Fiedler 2010; Ohlig 2007; Palevich 2012; Sadowski 2010). Im Zuge der steigenden Um‐ weltverschmutzung sowie der Verknappung von Ressourcen haben in den letzten Jahren Entsorgung und Recycling an Bedeutung gewonnen.
Notwendigkeit für Entsorgung und Recycling
Beispielhaft dafür steht das medizintechnische Recycling‐Webportal „Medtechplus“. Diese in Österreich beheimatete Initiative macht es sich zur Aufgabe, medizinische Produkte zu reparieren und zu recyceln. Beispielsweise werden EKG‐Monitore, Ultraschallgeräte oder Defibrilla‐ toren, die in der „westlichen“ Welt als veraltet angesehen werden, repa‐ riert, verwendet oder verwertet. Sie sind anschließend einer weiteren Nutzung zuzuführen. Ihren Einsatz finden diese Produkte dann häufig in der „dritten“ Welt, in der eine latente Unterversorgung mit medizini‐ schen Geräten vorherrscht. Einige offenkundig ausgediente Defibrillato‐ ren („Schockgeber“, die bei Herzrhythmusstörungen Einsatz finden) können wieder instand gesetzt werden und Menschenleben retten.
Recycling in der Medizintechnik
Das Order‐to‐Payment‐S endet nicht mit der Konsumption von Waren durch einen Kunden. Die Lieferkette umfasst die Beseitigung, Verwen‐ dung oder Verwertung von Stoffen im Anschluss an ihren Gebrauch. Im Order‐to‐Payment‐S (vgl. S. 9ff.) finden sich die Strategien von Entsor‐ gung und Recycling im dritten Bereich (flussaufwärts verlaufend). Auf Grund des Verursacherprinzips wird dem Hersteller die Pflicht zur Rücknahme von Verpackungen, Batterien oder Arzneimitteln auferlegt. Die Basis dieser Regelung ist das „Kreislaufwirtschafts‐ und Abfallge‐ setz“ (KrW/AbfG), das am 07.10.1996 in Deutschland eingeführt wurde. Das vorrangige Ziel dieses Gesetzes liegt darin, das traditionelle Abfall‐ recht zur modernen und ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft zu erwei‐
Einordnung der Prozessinhalte in das Order‐to‐ Payment‐S
271
C
Strategien des Supply Chain Managements
tern. Der Hersteller besitzt jetzt die ökologische Produktverantwortung für seine Erzeugnisse. Grundprinzip der Restevermeidung
Im Supply Chain Management lautet das Grundprinzip: „Vermeidung vor Recycling (Verwendung oder Verwertung) vor Entsorgung“. Dieses Prinzip symbolisiert die Prioritätenreihenfolge einer proaktiven Restevermei‐ dung. Abfälle dürfen nur noch beseitigt werden, wenn ihre Verwertung oder Verwendung ausgeschlossen sind. Zu den Reststoffen einer Pro‐ duktion zählen fester Output (Metallspäne, Verpackungen), flüssiger Rest (Spülbäder), gasförmiger Output (Abluft), Licht, Wärme oder Schall. Diese Komponenten können sich in einer Ökobilanz finden.
Kostenorientierung schon in den frü‐ hen Phasen
Im Sinne des Lifecycle Costings (vgl. S. 285) setzen die Aktivitäten zur Reststoffvermeidung schon in den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung ein. Hier stellen die Techniker die Weichen zum Kneten der Kosten im integrierten Produktlebenszyklus. Weil die Maßnahmen für Entsorgung oder Recycling die totalen Kosten einer Leistung zum Teil beträchtlich steigern können, suchen die Ingenieure nach mehrfach ver‐ wendbaren oder verwertbaren, langlebigen, reparaturfreundlichen und schadstoffarmen Lösungen.
Kuppelproduktion nach Riebel
Der Fokus zur Eindämmung der Kosten für Entsorgung und Recycling gehen auf die Theorie der Kuppelproduktion nach Riebel zurück (vgl. Riebel 1994). Danach sind Reststoffe unerwünschter Output der Produk‐ tions‐ und Konsumtionsprozesse. Diesbezüglich werden Beseitigungs‐ stoffe und Kreislaufstoffe unterschieden. Es ist jedoch zu beachten, dass der unerwünschte „Kuppeloutput“ einer Organisation wertvoller „Kup‐ pelinput“ für ein zweites Unternehmen sein kann. So fallen bei der Her‐ stellung von Kunststoffen Abfälle an, welche den Stahlwerken als Brennstoffe dienen.
Umweltschutz als Wettbewerbsfaktor
Im Order‐to‐Payment‐S tragen die Standardisierung von Ladungsträ‐ gern, die Verminderung von Packstoffen oder die Verwendung von Mehrweglösungen zur Reduzierung von Abfallstoffen bei. Ökonomisch steigt die Bedeutung für Entsorgung und Recycling in der Supply Chain. Dafür sind unter anderem folgende Punkte verantwortlich (vgl. Schulte 2017, S. 315):
Gesellschaftliche und staatliche Bedeutung: - Der Wertewandel in unsrer Gesellschaft und dem Management
Allgemeines Um‐ feld
zugunsten von Umweltaspekten (ökologische Verantwortung, Grenzen des Wachstums, Proteste von Bürgerinitiativen, umwelt‐ bewusste Mitarbeiter).
272
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
- Die Neueinführung von Gesetzen sowie Vorschriften (wie Abfallbe‐ seitigungsgesetz, Verpackungsverordnung, Verordnungen für Gefahrgut, Elektronikschrott und Altautos).
Marktbedeutung - Der intensivierte Wunsch des Kunden nach umweltverträglichen Produkten, Produktionsprozessen und Transporten.
Betriebliche Um‐ feldfaktoren
- Das Versiegen von Ressourcen sowie die Verminderung der Res‐ sourceneffizienz.
- Eine Nutzung der Schlüsselgröße Umweltschutz durch die Kon‐ kurrenz (Ersatzprodukte, Markteintritt neuer Konkurrenten, Kommunikationsstrategien der Wettbewerber).
Unternehmensbezogene Bedeutung - Die Merkmale im Produktionsprozess (wie Art und Umfang der Reststoffe, Ort des Anfalls oder Wertigkeit der Stoffe).
Interne Betrach‐ tungsebene
- Die steigenden Kosten für Entsorgung und Recycling (auf Grund der Verknappung von Deponieressourcen).
Zur Einlösung gesetzlicher Regelungen (beispielsweise Verpflichtungen zur Produktrücknahme) existieren unterschiedliche Verwendungs‐ und Verwertungs‐Ansätze innerhalb der Supply Chain. Einen besonderen Stellenwert besitzt das Duale System. Die 1990 speziell für diesen Zweck gegründete Gesellschaft „Duale System Deutschland GmbH“ koor‐ diniert die Beseitigung, die Verwendung und die Verwertung von Rest‐ stoffen. Mit dem Signet „Grüner Punkt“ wird den Herstellern, gegen eine Lizenzgebühr, die Teilnahme am Kreislaufsystem gestattet. Über die gestiegenen Verkaufspreise ist der Konsument natürlich an den Kos‐ ten für Entsorgung und Recycling beteiligt. Diese Gebühr wird durch höhere Absatzpreise an den Verbraucher überwälzt (begründet durch das Verursacherprinzip). Kritiker halten dem Dualen System entgegen, dass es nicht zur Lösung der Abfallproblematik beitrüge. Es würde le‐ diglich eine Umlenkung der Resteströme erfolgen. Verbunden mit dem Resultat, dass sich „vor den Kippen“ lange Warteschleifen bildeten.
„Müll ist die Pest eines überverpack‐ ten Zeitalters.“ (P. Rinnhofer)
Entsorgung und Recycling haben sich mittlerweile als eigenständige Logistikfunktionen etabliert. Entsorgungs‐ und Recyclinglogistik sind Subsysteme im Gesamtsystem eines Supply Chain Managements. Sie stellen das Pendant zu den Versorgungsströmen dar. Die Wurzeln der Entsorgungslogistik sind Mitte der 80er Jahre zu suchen, wobei zunächst die Aktivitäten zur Raum‐ und zur Zeitüberbrückung von Resten domi‐ nierten. In den frühen 90er Jahren weitete sich dieses Aufgabenspektrum
Zunehmende Bedeutung der Re‐ Logistics
273
C
Strategien des Supply Chain Managements
zur Recyclinglogistik: Einer Kreislaufwirtschaft, um die Verwendung und Verwertung dieser Abfallstoffe zu sichern. Beide Funktionsbereiche einer Logistik werden im Folgenden skizziert.
C.4.1
Strategien der Entsorgung
Zum Begriff der Entsorgung
Die Entsorgung kennzeichnet eine Beseitigung von Stoffen. Betriebs‐ wirtschaftlich bedeutet eine Entsorgung die endgültige Abfallentledi‐ gung. Sie beinhaltet zum Beispiel die Deponierung, die Verbrennung und die Kompostierung von Resten. Im Unterschied zum Recycling, werden die Stoffe nicht in den Produktionsprozess zurückgeführt. In der Supply Chain meint die Entsorgung eine Retrodistribution und umfasst den Durchsatz der Entsorgungsgüter: vom Ursprungsort der Stoffe (Quelle) bis zur Beseitigung ihrer Reste (Senke). Welche Probleme bei der Entsorgung anfallen können, zeigt Beispielblock c.15.
Beispielblock c.15
Bohrinsel „Deepwater Horizon“ Im April 2010 ereignete sich im Golf von Mexiko eine Umweltkatastrophe dramatischen Ausmaßes. Zwei Tage nach einer Explosion sank die Bohrinsel „Deepwater Horizon“. Millionen Liter Öl traten aus dem in 1.600 Meter Tiefe befindlichen Bohrloch aus, das über etliche Wochen nicht geschlossen werden konnte. Beispielsweise schlug der Versuch fehl, die Unglücksstelle mit einer gigantischen Glocke abzudichten. BP kostete die Rettungsaktion insgesamt circa 62 Milliarden US‐Dollar. Die Organisation erlitt zudem einen nachhaltigen Imageschaden und taumelte in ihre größte Krise. Mit aller Vehemenz wurde die Küste Louisianas von einer schlimmen Ölpest getrof‐ fen und für viele Jahre verpestet.
Vorgeschaltete Aktivitäten
Vor einer Entsorgung sind häufig Aufbereitungsprozesse an Reststoffen durchzuführen. In diesem Zusammenhang lassen sich Trennungs‐ und Umwandlungstätigkeiten unterscheiden.
Trennung: Vor ihrer Beseitigung müssen Stoffe demontiert, filtriert oder magnetisch getrennt werden.
Umwandlung: Die Umwandlung vor der Entsorgung beinhaltet eine Entwässerung, Zerkleinerung oder Verfestigung von Resten.
274
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
Zu den Aufgaben der Entsorgung im Order‐to‐Payment‐S zählen die Lagerung, der Transport, der Umschlag, die Sammlung und die Sortie‐ rung der Abfallstoffe sowie eine Verpackungsreduzierung (vgl. Schulte 2017, S. 339ff.).
Attribute der Entsorgung
Lagerung: Anders als bei den Versorgungsstrategien, zielt die Lagerung der Reste nicht auf eine Aufrechterhaltung der Produktionsprozesse innerhalb der Wertschöpfungskette. Sie dient vielmehr der Schaffung wirtschaftlicher Transportlose beim Sammeln oder Umladen der Stoffe. Dabei sind einige Kriterien zu beachten:
Gefahren der La‐ gerhaltung
Das Verbot zur Zusammenlagerung von gefährlichen Stoffen, indem getrennte Lagerzonen eingerichtet werden. Für jede Rückstandsart wird ein separater Bereich gebildet.
Eine Volumenbegrenzung, um die „kritische Schwelle“ nicht zu über‐ schreiten. Die kritische Schwelle kennzeichnet den Punkt, ab welchem die Stoffe bei ihrer Lagerung zur Gefahr werden.
Eine Beobachtung von strukturellen Veränderungen der Reste. Zum Beispiel auf Basis chemischer Reaktionen.
Das Schaffen von Sicherheitszonen. Beispiele dafür sind Brandschutz, undurchlässiger Boden oder Auffangwannen.
Transport: Der Faktor Zeit spielt während des Transports der Reststoffe in der Regel eine untergeordnete Rolle. Weil von den Gütern umwelt‐ schädliche Wirkungen ausgehen können, sind vielmehr besondere Si‐ cherheitsvorkehrungen während des internen und des externen Transports zu treffen. Zum Beispiel werden spezielle Behälter verwendet und als solche gekennzeichnet. Auch können moderne und über Satelliten ge‐ steuerte Systeme zur Sendungsverfolgung eingesetzt werden. Wenn möglich, ist ein Pendelverkehr einzurichten. Gemäß eines Milk Runs (vgl. S. 328), werden auszuliefernde und einzusammelnde Güter mög‐ lichst im selben Umlauf transportiert. Dabei ist auf die Verträglichkeit der Waren, wie auch die potenzielle Notwendigkeit für längere Aufent‐ halte, zu achten.
Robuste Distribu‐ tionsaktivitäten
Umschlag: Die Prozesse von Warenumschlägen finden beim Wechsel der Transportmittel oder einer Zwischenlagerung bei der Auftragsab‐ wicklung von Gütern statt. Aus ökonomischen und ökologischen Grün‐ den ist die Anzahl dieser Tätigkeiten gering zu halten. Mit jedem Um‐ schlagprozess erhöht sich die Gefahr, dass sich Rückstände freisetzen.
Warenhandling begrenzen
275
C Hunter and Collec‐ tor
Strategien des Supply Chain Managements
Sammlung und Sortierung: Eine Sammlung von Reststoffen beginnt mit der Füllung von Behältern. Sie endet mit der Beladung der Fahrzeuge. Weil die Reststoffe vielfach in gemischter Form anfallen, werden sie bei ihrer Sammlung sortiert. Letzte Tätigkeit dient zur Erhöhung der Sor‐ tenreinheit. In diesem Kontext sind drei Arten zu unterscheiden:
Gemischte Sammlung ohne nachträgliche Sortierung (insbesondere bei ungefährlichen Stoffen).
Gemischte Sammlung mit nachträglicher Sortierung. Getrennte Sammlung ohne nachträgliche Sortierung. Artikelschutz hat oberste Priorität
Verpackung: Einerseits sind die Verpackungen selbst Rückstände. An‐ dererseits nehmen Verpackungen Stoffe zur Entsorgung auf. Die Anfor‐ derungen an die Beseitigung einer Verpackung ergeben sich aus ihrer Größe, Art und Form sowie ihrem Gewicht. Werden gefährliche Stoffe entsorgt, muss eine Schutzfunktion der Verpackung gegeben sein (zum Beispiel eine stabile Seitenwand). Damit entweichen diese Stoffe nicht in die Umwelt. Die rechtliche Grundlage für Verpackungen bei der Güter‐ entsorgung stellt die mehrfach novellierte Verpackungsverordnung dar. In diesem Kontext wird in Transportverpackungen (für sichere Distributi‐ on), Umverpackungen (zusätzliche Umhüllungen ohne direkte Schutz‐ funktion) und Verkaufsverpackungen (sie erfüllen Aufgaben wie Halt‐ barkeit, Hygiene, Information oder Attraktivität) unterschieden. Verpa‐ ckungen können als Ein‐ oder als Mehrwegsysteme vorliegen.
Einweglösungen belasten die Um‐ welt
Einwegsysteme: Die Einwegsysteme haben vergleichsweise geringe
Mehrweglösungen erfordern hohe Investitionen
Mehrwegsysteme: Sie finden als Europaletten (Holz), Chep‐Paletten
Produktionskosten, ein niedriges Gewicht, sie müssen nicht gereinigt werden und ermöglichen eine individuelle Beschriftung. Jedoch belas‐ ten Einwegsysteme die Umwelt und fördern das Wegwerfverhalten der Verbraucher. (Kunststoff) oder Collicobehälter (Aluminium) Einsatz und werden in der Warenverteilung berücksichtigt. Zumeist sind Mehrwegsysteme stapelbar und im Pool zwischen mehreren Produzenten einzusetzen. Dadurch reduzieren sich die hohen Investitionen für Mehrwegsyste‐ me. Sie steigern jedoch den administrativen Aufwand, will doch bei‐ spielsweise ihre Reinigung organisiert sein. Zum Teil setzen Waren‐ hauskonzerne unternehmensinterne Mehrwegsysteme ein. Außerdem verfügen die meisten Brauereien über eigene und standardisierte Ge‐ tränkekästen, die in der Regel in mehreren Umläufen Einsatz finden.
276
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4.2
C.4
Strategien des Recyclings
Recycling bedeutet eine Rückführung von Stoffen und Energie in den Produktionsprozess durch Verwendung oder Verwertung. In letzter Zeit hat sich dafür der Begriff „Re‐Logistics“ etabliert (vgl. Bretzke 2014). Das Recycling ist eine Rücklaufnutzung und entlastet die Natur. Basie‐ rend auf der Verknappung sowie einer Verteuerung von Rohstoffen, wird mit dem Recycling die Ressourceneffizienz erhöht. Mit der Durch‐ führung von Recycling reduziert sich in der Supply Chain das Beschaf‐ fungsvolumen für Primärstoffe zugunsten von Verwendungs‐ oder Verwertungsgütern. Vier im Grundsatz unterschiedliche strategische Ausrichtungen finden sich in der Supply Chain. Sie sind in Begriffsblock C.VI wiedergegeben. Verwendung bedeutet eine Aufarbeitung von Stof‐ fen, Verwertung ist die Aufbereitung der Reste.
„Recycling lebt vom Mitmachen, nicht vom Miesma‐ chen.“ (J. Leinen)
Strategien des Recyclings
Begriffsblock C.VI
Substanz
Einsatzbereich
Verwendung
Verwertung
(Aufarbeitung: Die Gestalt (Aufbereitung: Die Gestalt des Wertstoffs bleibt erhal‐ des Wertstoffs wird aufge‐ ten) löst)
Wieder
Wiederverwendung
Wiederverwertung
(gleicher Einsatzbereich)
(Mehrwegverpackungen, Austauschmotoren, Pfand‐ flaschen)
Altglasrecycling, Altpa‐ pierrecycling)
Weiter
Weiterverwendung
Weiterverwertung
(neuer Einsatzbereich)
(Senfgläser als Trinkgläser nutzen, Zigarrenkiste zur Aufbewahrung von Fotos)
(Tartanbolzplätze aus Altreifen, Parkbänke aus Kunststoffverpackungen)
Für das Recycling ist eine Vorgehensweise im Sinne der Kreislaufwirt‐ schaft typisch. Diese widerspricht vehement einer tradierten „End‐of‐ Pipe“‐Philosophie, bei der die Aktivitäten innerhalb einer Supply Chain mit der Auslieferung von Waren enden. Vielmehr fallen in einem Kreis‐ lauf zwischen den beteiligten Akteuren – auch nach der Verteilung von Erzeugnissen – Tätigkeiten wie Sammeln, Trennen oder Lagern an. Viele Produkte oder Produktkomponenten sind nach ihrem Gebrauch zur
277
Regelkreissysteme implementieren
C
Strategien des Supply Chain Managements
Aufbereitung oder Aufarbeitung in den Kreislauf zurückzuführen. Sie können aber auch zu ihrer Beseitigung innerhalb der Lieferkette weiter‐ geleitet werden. Wertschöpfungs‐ netzwerke
In modernen Supply Chains sind in zunehmendem Maße Recycling‐ netzwerke (vgl. Beispielblock c.16) über die Unternehmensgrenzen hinweg aufzubauen. Sie werden zur Senkung von Transaktionskosten innerhalb einer Lieferkette genutzt. Insbesondere in der Automobilin‐ dustrie und der Elektronikbranche können die Hersteller mittlerweile ge‐ und verbrauchte Produkte zurücknehmen, demontieren und sogar einige Teile an ihre Zulieferer zurückführen.
Clevere Idee
Die Partner nehmen aus unterschiedlichen Gründen an einem Recyc‐ lingnetzwerk teil. Sie wollen beispielsweise knappe Rohstoffe sichern, Auflagen des Gesetzgebers einhalten und ihre Transaktionskosten in der Supply Chain senken. Dazu richtete das Rationalisierungs‐Kuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) bereits 1974 eine spezielle „Recyclingbörse“ ein, auf der Reste angeboten und nachgefragt werden können.
Beispielblock c.16
Recycling im Netzwerk Ein Recycling‐Netzwerk existiert im Ruhrgebiet. In diese Kooperationsform sind Unternehmen der Stahlindustrie, Kraftwerke sowie Stadtwerke einge‐ bunden. Einige der Beteiligten agieren hierbei gleichzeitig als Resteprodu‐ zent und Restenutzer. Andere Akteure sind ausschließliche Nutzer. Zum Beispiel werden Stahlreste auf Schrottplätzen gesammelt und an die Stahl‐ werke zum Einschmelzen weitergegeben. Dadurch entsteht einerseits ver‐ werteter (aufbereiteter) Stahl. Andererseits fallen in dem Recyclingprozess Reste an, die weitere Akteure nutzen: Die Flugasche kann die Baustoffin‐ dustrie gut gebrauchen, die Stahlwerkasche wird in der Baustoffindustrie, dem Straßenbau und der Landwirtschaft benötigt, den Hüttensand verarbei‐ tet die Zementindustrie und das Eisensulfat leistet im Klärwerk gute Dienste (vgl. Werner 2013b, S. 55).
Outsourcing und Offshoring
Zur Durchführung eines Recyclings stellt sich die betriebswirtschaftliche Grundsatzentscheidung von Make‐or‐Buy. Bei der Eigenerbringung oder der Fremdvergabe von Recyclingtätigkeiten wird zwischen einem Outsourcing und einem Offshoring differenziert. Die Literatur ist sich bei der Umschreibung dieser Begrifflichkeiten nicht einig. In der vorlie‐ genden Schrift wird der Unterschied beider Konzepte im Folgenden gesehen:
278
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
Outsourcing betrifft die organisatorische Verlagerung von Aktivitäten zur Veränderung der Kostenstruktur (Variabilisierung originärer Fixkostenanteile).
Offshoring bedeutet hingegen die geografische Verlagerung von Akti‐ vitäten primär ins Ausland. Abbildung C.23 hilft dabei, die Arten von Offshoring besser zu verstehen. Abbildung C.23
Formen von Offshoring im Überblick
Interner Offshore
Offshore Outsourcing
(Verlagerung an ausländische Tochtergesellschaften)
(Verlagerung an ausländische, rechtlich selbständige Partner
Nearshore
Farshore
(Verlagerung ins „nahe“ Aus‐ land)
(Verlagerung ins „ferne“ Aus‐ land)
____________________________________________________________________
Das Outsourcing oder Offshoring von Recycling‐Aktivitäten kann auf Basis unterschiedlicher Restriktionen, insbesondere Kapazitäts‐ und Kapitalbarrieren sowie fehlendem Know‐how, notwendig sein. Einige externe Dienstleister haben sich auf das Recycling spezialisiert. Bei‐ spielsweise übernimmt in Deutschland die Vereinigung für Wertstoffrecyc‐ ling (VfW) die Rücknahme von Batterien und Akkumulatoren der In‐ dustrie. Die Bahntrans (ein in Duisburg ansässiger Logistikdienstleister) nutzt im Recycling die Software CADIS (vgl. Beispielblock c.17).
Gründe für eine Fremdvergabe
Recycling über Computer Aided Dispatching
Beispielblock c.17
In der Kreislaufwirtschaft setzt Bahntrans die Software CADIS (Computer Aided Dispatching) ein. Das Unternehmen steuert mit CADIS die Abholung der bereitgestellten Versandkartons des Kunden im Austausch mit Leerkar‐ tons. Außerdem stützt sich bei Bahntrans der Transport von Altbatterien in die drei Sortierzentralen in Schleswig‐Holstein auf CADIS.
1980 verfügten in Deutschland nur 63% der Hersteller über ein Recyc‐ ling‐Konzept, heute sind es nahezu 100%. In der aktuellen Diskussion
279
Automotive‐ Recycling
C
Strategien des Supply Chain Managements
befinden sich die Rücknahmeverpflichtungen für Altautos. Bereits 2002 wurde laut einer EU‐Verordnung die kostenfreie Rücknahme von Alt‐ fahrzeugen beschlossen. Sie gilt für sämtliche Fahrzeuge mit Erstzulas‐ sung nach dem 01.07.2002. Der „Verband deutscher Autoverwerter“ setzt diese Verordnung seit dem 01.07.2007 konsequent um. Weiterhin sind die Autobauer seit 2008 gemäß einer EU‐Richtlinie dazu verpflichtet, den Nachweis über eine spätere Recyclingfähigkeit ihrer Fahrzeuge zu erbringen. Dem VW „Tiguan“ wird beispielsweise durch das Kraftfahrt‐ Bundesamt bescheinigt, er sei zu 85% recycelbar. Das Recycling von Autos folgt grundsätzlich nachstehendem Prozess (vgl. auch Beispiel‐ block c.18). 1. Zunächst sind den Autos die voll recyclingfähigen Batterien zu ent‐ nehmen. 2. Anschließend werden die Fahrzeuge trockengelegt und von sämtli‐ chen Betriebsflüssigkeiten befreit. Dann beginnt die Demontage von Teilen mit Schadstoffcharakter. 3. Jetzt werden diejenigen Baugruppen separiert, welche für eine Ver‐ wendung oder Verwertung geeignet erscheinen. Dazu zählen Kunst‐ stoffteile, Räder, Scheiben, Konsolen oder Sitze. 4. Der Rest des verbliebenen Fahrzeugs landet im Shredder. Heute be‐ steht dabei noch das Problem, dass bei der Zerkleinerung Filterstäube als Sondermüll anfallen.
5. Schließlich erfolgt die Verwendung oder Verwertung der metallischen Materialanteile durch Wirbelstrom‐ oder Schmelzverfahren. Beispielblock c.18
Recycling in der Automobilindustrie Für ein umweltgerechtes Recycling finden sich in der Automobilindustrie einige Beispiele. Opel kooperiert auf diesem Gebiet mit dem Hersteller Pape Entsorgung. Der Dienstleister übernimmt das Recycling der Fahrzeuge von den Opel‐Autohäusern in ganz Deutschland. VW, Audi und Skoda arbeiten diesbezüglich mit CCR München zusammen. Dieser Partner gewährleistet beispielsweise eine kostenfreie Rücknahme von Stoßfängern, Brems‐ und Kühlflüssigkeit.
Kausalzusammen‐ hang
Nach den Gesetzen der Thermodynamik sind dem Recycling allerdings natürliche Grenzen auferlegt. Die Qualität der Stoffe nimmt mit jedem Recyclingdurchlauf ab. Dieses Phänomen wird als Downcycling be‐ zeichnet. Ein Upcycling bedeutet hingegen, dass die einer Verwendung 280
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
oder Verwertung unterzogenen Stoffe mit Produktinnovationen konkur‐ rieren. Upcycling ist eine spezifische Form des Recyclings, bei der ein technischer Fortschritt in die gleichzeitige Modernisierung des Produkts einfließt. Ein Beispiel dafür ist die Herstellung von Kopiergeräten durch Xerox. Die Produktlinie „Greenline“ (Kopiergeräte von hoher Qualität der neueren Generation) umfasst zu 80% verwendete oder verwertete Alt‐Teile. Entsprechend sind nur 20% von „Greenline“ Neu‐Teile.
C.4.3
Green Supply Chains: Sustainability
C.4.3.1
Allgemeine Charakterisierung
Green Supply Chains (vgl. Achillas et al. 2018; Bretzke 2014; Bretz‐ ke/Barkawi 2012; Emmett/Sood 2010; Khan 2019) gewinnen an Bedeutung. Spätestens mit der regen Diskussion um Nachhaltigkeit („Sustainabili‐ ty“) sind sie in aller Munde. Die Gretchenfrage lautet: „Welchen Beitrag können Green Supply Chains zur Sicherung und Verbesserung von Nachhaltigkeit leisten?“. Sustainability ist zum Modebegriff avanciert. Der Ansatz wird in die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales un‐ tergliedert (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012; Pufé 2017). Eine grüne Supply Chain fordert den Wandel vom Ertrag zur Substanz. Mögliche Ziele und Ansprüche, die sich aus den Eckpfeilern von Sustainability ableiten, sind im Folgenden aufgelistet (vgl. Sadowski 2010, S. 33ff.).
Ökonomie: Sicherung von Wissen, Balance herstellen zwischen Indi‐ vidual‐ und Gemeinschaftsinteressen, Optimierung von Geschäfts‐ prozessen, Gewährleistung von Wettbewerbsfähigkeit.
Ökologie: Einhaltung von Umweltschutzauflagen, Sicherstellung und Erhalt der natürlichen Ressourcen, minimaler Einsatz von Material und Energie, Klimaschutz.
Soziales: Einhaltung von Mindeststandards, Berücksichtigung der In‐
„Green! Is a way of life, and millions would kill to see their name up in the lights…” (T. Hall)
„Natürlich interes‐ siert mich meine Zukunft, ich will schließlich den Rest meines Lebens darin verbringen.” (M. Twain)
teressen aller Stakeholder, Verbesserung der gesellschaftlichen Akzep‐ tanz.
Unternehmerische Entscheidungen wirken sich unterschiedlich auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit aus. Selbstverständlich sind diese Einflussgrößen nicht immer gleichermaßen betroffen. Beispielsweise werden in Supply Chains Rohstoffe und Flächen verbraucht, zudem entstehen Lärm‐ und andere Belästigungen. Diese Umweltfaktoren wir‐
281
Wege zur grünen Logistik
C
Strategien des Supply Chain Managements
ken sich ökologisch und sozial aus. Eine wirtschaftliche Einflussnahme entsteht durch proaktive Kostenvermeidung im Produktlebenszyklus. Beispiel der Distri‐ butionslogistik
Ein wesentlicher Stellhebel von Green Supply Chains ist die Distributi‐ onslogistik. Grundsätzlich stehen drei diesbezügliche Primärstrategien zur Verfügung, wenn es um die Verbesserung der Nachhaltigkeit geht.
Reduzierung der Transportentfernung. Optimierung der Transportmittelauslastung. Einsatz umweltfreundlicher Transportmittel. Denn wir haben nur die eine Erde…
Beispielblock c.19
Ein Beispiel für die optimierte Auslastung von Verkehrsmitteln findet sich in Beispielblock C.19. Zur Umweltentlastung tragen bei: Sendungs‐ konsolidierung (beispielsweise über elektronische Frachtbösen, vgl. S. 236), Transportvermeidung, trimodale Logistik‐Hubs (optimierte Ver‐ knüpfung verschiedener Verkehrsträger – beispielsweise über Hucke‐ Pack‐Transporte, um die Schiene besser zu nutzen) oder optimierte Rou‐ tenplanungen (vgl. zu Milk Run S. 328). Optimierung der Transportmittelauslastung
Energizer ist einer der führenden Batterie‐, Taschenlampen‐ und Rasier‐ klingenhersteller. Das Unternehmen beförderte ursprünglich Rasierklin‐ gen und Batterien getrennt. Zudem betrug die maximale Ladung eines LKW 33 Europaletten. Auf Grund einer variierenden Höhe zwischen 1,20m bis 1,80m pro Palette, wurde die Transportkapazität der Fahrzeu‐ ge jedoch nur suboptimal genutzt. Zur verbesserten Nutzung der Lade‐ fläche bündelte Energizer den Transport von Rasierklingen und Batte‐ rien. Im Ergebnis sparten diese Maßnahmen etwa 647.000 km, 355.000 Tonnen CO2 und 300.000 € pro Jahr ein (vgl. Stabauer 2009, S. 69).
C.4.3.2 „Darum lieb’ ich alles was so grün ist, weil mein Schatz ein Jäger ist...“ (Kinderlied)
Product Carbon Footprint
Eng verwoben mit Green Supply Chains sind Überlegungen zum Pro‐ duct Carbon Footprint (PCF). Dieser bewertet den „CO2‐Fußabdruck“ von Produkten und Prozessen. Die wesentlichen Gründe für das Erhe‐ ben des Footprints sind umweltpolitische Maßnahmen (wie das Kyoto‐ Protokoll oder die Einführung von CO2‐Steuern), gesteigerte Nachfrage in Richtung umweltfreundlicher Produkte und interne Optimierungspo‐
282
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
tenziale (beispielsweise im Ressourcenmanagement). Hier setzt Green Supply Chain Management, um die CO2‐Belastung in Beschaffung, Pro‐ duktion, Distribution und Verwaltung zu begrenzen. Der Product Carbon Footprint misst Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Lebensdauer von Produkten und Prozessen. In jeder Le‐ benszyklusphase werden die entstehenden Treibhausgase ermittelt. Zur weiteren Kalkulation müssen sämtliche Treibhausgaspotenziale in CO2‐ Äquivalente umgerechnet werden. Der Weltklimarat legte fest, dass beispielsweise 1 Kg Methan (CH4) dieselbe schädliche Wirkung wie 25 Kg CO2 aufweist. Analog sind Umweltbelastungen durch Lachgas (N2O), Flurchlorkohlenwasserstoff (FCKW) sowie Schwefelhexalfluorid (SF6) auf das CO2‐Äquivalent zu beziehen. Aber auch weitere Stoffe – wie Kilowattstunden (Strom) oder Liter (Benzin) – können auf CO2‐Basis umgerechnet werden (vgl. McKinnon et al. 2010).
Chemiekurs für die Hosentasche
In Deutschland startete im Mai 2008 das mittlerweile recht bekannt ge‐ wordene „PCF‐Projekt“. Die Träger des Vorhabens sind der World Wild‐ life Fond Deutschland (WWF), das Ökoinstitut (Freiburg) und das Institut für Klimafolgeforschung (Potsdam). Partner aus Industrie und Handel sind Deutsche Telekom, dm, Frosta, Henkel, Krombacher, Rewe, Tchibo, Tetra Pak sowie Tengelmann. Privater Konsum verursacht in Deutschland circa 40% der jährlichen Pro‐Kopf‐Emission an Treibhausgasen. Das „PCF‐Projekt“ versucht deshalb, den jeweiligen Anteil einzelner Produkte an der ge‐ samten CO2‐Belastung zu berechnen.
PCF‐Projekt als Leuchtturm
Am Beispiel einer „Frischmilchverpackung“ von Tetra Pak bestehen grundsätzliche Umweltwirkungen durch Treibhauseffekt, Eutrophie‐ rung, Energieverbrauch, Versauerung, Siedlungsabfall, Sonderabfall, Mineralien und Wasserentnahme. Diese Einflussgrößen leiten sich über die DIN/ISO‐Normen 14040‐14043 ab. Jetzt wird gemessen, inwieweit sich durch die Maßnahmen Gewichtsreduzierung, verbesserte Recyc‐ lingquote oder intensivierte Aluminium‐Rückgewinnung der Verpa‐ ckung eine Verbesserung der Umweltwirkungen ableitet: Wenn das Verpackungsgewicht um 10% gesenkt wird, reduziert dies den Treib‐ hauseffekt um „x%“.
PCF einer Verpa‐ ckung
Der Footprint kann ein Verkaufsargument für den Absatz klimaneutra‐ ler Produkte werden. Wenn Produkte einen „CO2‐Fußabdruck“ bekom‐ men, wird der Konsument letztendlich darüber entscheiden, wie wichtig ihm Umweltverträglichkeit ist. Für Markenartikelhersteller ist dies viel‐ leicht von Interesse, wenn sie ihre Produkte gegenüber Handelsmarken abgrenzen wollen. In England führte Tesco in einer Testphase den Foot‐
Nutzen und Gefah‐ ren
283
C
Strategien des Supply Chain Managements
print bereits 2008 für einige Produkte ein. Lobbyisten stehen dieser Ökoplakette allerdings kritisch gegenüber, da die Berechnung sehr teuer sei. In der Tat ist ein derzeitiges Problem des PCF sein fehlender interna‐ tionaler Berechnungsstandard auf Produktebene. Ein Product Carbon Footprint kann integrativer Bestandteil der Ökobilanz sein, was nach‐ stehend deutlich wird.
C.4.3.3 „Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.“ (C. Darwin)
Ökobilanz in der Green Supply Chain
Um den Nutzen von Ökobilanzen („Life Cycle Assessment“) ist seit geraumer Zeit eine hitzige Diskussion entfacht. Zum Beispiel wurde die Einführung des Dosenpfands im Mai 2006 weitgehend über Ökobilan‐ zen gerechtfertigt. Sie leiten sich aus dem Gesetz der Thermodynamik (Wärmelehre) ab. Danach können Energie sowie Materie weder erzeugt oder vernichtet, sondern nur umgewandelt werden. Stoffe (Input) wer‐ den in ein System geleitet. Dort führen sie zur Bestandsmehrung oder verlassen das System in veränderter Form (Output). Das Gesamtsystem ist folglich einem latenten Austauschprozess von Input‐Output‐Strömen unterworfen (vgl. Klöpffer/Grahl 2012; Mönnich 2020; Sroufe/Sarkins 2007; Weichert 2015):
Input: Eingehende Stoffe (Anlagen, Material, Wasser, Luft oder Ener‐ giezugabe).
Output: Ausgehende Stoffe (Produkt, Abfall, Abwasser, Abluft oder Energieabgabe). Arten von Ökobi‐ lanzen
Für das Kriterium „Abluft“ kann der oben diskutierte Product Carbon Footprint integrativer Bestandteil der Ökobilanz werden, indem er für die Messung des CO2‐Ausstoßes steht. Gemäß des Anspruchs der Aus‐ gewogenheit, muss die Summe aus Anfangsbestand plus Input men‐ genmäßig dem Ergebnis aus Endbestand plus Output entsprechen. Diesbezüglich sind drei grundsätzliche Arten von Ökobilanzen zu diffe‐ renzieren: Produkt‐, Betriebs‐ und Prozessbilanzen. Für das Produkt „Autotür“ gehen beispielsweise folgende Parameter in die Ökobilanz ein:
Input: Rohstoffe (Blech), Hilfsstoffe (Lack), Betriebsstoffe (Schmier‐ mittel), Lieferantenverpackung (Pappe), Energie (Strom), Wasser.
Output: Produkt (Tür), Abgänge (Produktionsabfall), Energieabgabe (Lärm, Wasser, Luft).
284
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
Beim Aufstellen der Ökobilanz sind grundsätzliche Regeln einzuhalten. Zum Teil erinnern diese Attribute an allgemeine „Grundsätze ord‐ nungsgemäßer Buchführung“ (GoB). Nachstehend werden wesentliche Spielregeln aufgelistet, die für Ökobilanzen gelten:
C.4 Spielregeln der Ökobilanzierung
Einhaltung der Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung (Bilanz‐ vollständigkeit, Bilanzklarheit).
Datenerhebung in physikalischen Mengeneinheiten: Kilogramm (Stof‐ fe) sowie Kilowatt (Energie). Ergänzende Angaben sind Stück oder Kubikmeter.
Standardisierung und Dokumentation der Mess‐ und der Erhebungs‐ daten (örtliche und zeitliche Vergleichbarkeit).
Frühzeitige Einspeisung von Stoff‐ und Energiedaten in ein IT‐System (z.B. Gefahrstoffdatenbank).
Eindeutige Definition der Systemgrenzen (was ist mit „Beteiligungen“ oder „beigestelltem Material“?).
Erhebungszeitraum und ‐zeitpunkt fixieren (Anlehnung an das Ge‐ schäftsjahr, Bestandserhebungen werden an die Inventur gekoppelt).
Das Aufstellen von Ökobilanzen erfolgt grundsätzlich auf freiwilliger Basis. Wird eine Ökobilanz erstellt, setzen sie die meisten Unternehmen als Vertriebs‐ und Marketinginstrument ein. Damit verleihen sich man‐ che Organisationen quasi selbst ein Ökosiegel. Probleme, die im Rah‐ men der Ökobilanzierung auftreten können, sind beispielsweise der Versuch eines Vergleichs ökologischer Verträglichkeit von unterschiedli‐ chen Entwicklungs‐ und Produktionsprozessen bei diversen Belastungs‐ arten. So stellt ein Verbrennungsprozess eine Luftbelastung dar, ein Drehprozess hingegen eine Abwasserbelastung. Zudem existieren nur für bestimmte problematische Stoffe staatlich fixierte Grenzwerte (wie in der Chemieproduktion), die zumindest Anhaltspunkte für eine Bewer‐ tung liefern (Unschädlichkeitsgrenzen). Folglich ergibt sich eine „Spiel‐ wiese“ der Subjektivität, da sich ein jedes Unternehmen selbst bestimm‐ te Normen auferlegt.
C.4.3.4
Dem Vertrieb ein Argument an die Hand geben
Nachhaltigkeit und Lifecycle Costing
Die Grundidee des Lifecycle Costings beruht darauf, dass neben den eigentlichen Marktlebenszykluskosten auch Vorlauf‐ und Nachlaufkos‐ ten im Kostenmanagement zu berücksichtigen sind. Als Basis dient der integrierte Produktlebenszyklus. Er teilt sich in die Phasen Entstehungs‐
285
Von der Wiege bis zur Bahre
C
Strategien des Supply Chain Managements
zyklus, Marktzyklus sowie Entsorgungs‐/Recyclingzyklus auf. Bei einem Lifecycle Costing setzen die Aktivitäten zur Reststoffvermeidung bereits in den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung ein. Hier stellen Techniker die Weichen für ein späteres Kostenkneten im integrierten Produktlebenszyklus („80‐20‐Regel“). Die Kosten über den kompletten Lebensweg eines Produkts sind relevant. Bei einer tradierten Kostenver‐ rechnung würde lediglich der Marktzyklus untersucht. Vorlauf‐ und Nachlaufkosten wären nicht dem Produkt direkt zuzuweisen, sondern als Gemeinkostensätze lediglich „umzulegen“. Insbesondere mit der zunehmenden Bedeutung von Vorlauf‐ und Nachlaufkosten ist dieser traditionelle Weg zu ungenau und wenig befriedigend. Vorläufe und Nach‐ läufe beachten
Bei der Lebenszykluskostenrechnung werden die Kosten in spezielle Phasen kategorisiert, um Trade‐off‐Beziehungen aufzuzeigen. Bei‐ spielsweise erzeugt die Entwicklung eines umweltverträglichen Pro‐ dukts in der Marktphase zum Teil höhere Materialkosten. Jedoch wird dadurch später vielfach ein vereinfachtes Recycling möglich, weshalb sich im Lebenszyklus die Nachlaufkosten senken. Beispielsweise sind die Anschaffungskosten einer Energiesparlampe höher als die einer konventionellen Glühlampe. Über den geringeren Stromverbrauch kompensiert sich jedoch im Zeitablauf der höhere Anschaffungspreis des Energieleuchtmittels (vgl. Horváth et al. 2019, S. 473ff.)
Life Cycle Costing versus Total Cost of Ownership
In einer Lebenszykluskostenrechnung werden unterschiedliche Investi‐ tionen nach ihrer Wirtschaftlichkeit abgewogen. Dazu sind potenzielle Erträge und Aufwendungen miteinander zu verrechnen. Rasch ist er‐ sichtlich, ob und wann eine Investition ihren Break‐Even erreicht. Dabei besteht zwischen Lifecycle Costing und Total Cost of Ownership (vgl. S. 36ff.) eine enge Beziehung. Der Übergang der Hilfsmittel ist fließend: Beide Ansätze berücksichtigen die Kosten über den kompletten Lebens‐ weg eines Produkts. Doch während für Total Cost of Ownership primär Transaktionskosten von großer Relevanz sind (Prozessorientierung), be‐ zieht sich Lifecycle Costing verstärkt auf Investitionen (Zeitbezug). Die Aufwendungen und die Erträge der Lebenszykluskostenrechnung kön‐ nen in eine Vorlauf‐ und in eine Nachlaufphase eingeteilt werden.
Vorlaufphase (Entstehungszyklus) - Aufwendungen: Marktforschung, Verfahrensentwicklung, Stück‐ listen‐ und Arbeitsplanerstellung, Prototyping und Markter‐ schließung.
- Erträge: Subventionen (Forschungsförderung), Kundenanzahlun‐ gen und Lizenzverkäufe.
286
Strategien der Entsorgung und des Recyclings
C.4
Nachlaufphase (Entsorgungszyklus/Recyclingzyklus) - Aufwendungen: After‐Sales‐Services, Garantiekosten, Schadens‐ ersatzzahlungen, Produktrückrufe, Reklamationen, Ersatzteilhal‐ tung, Reparatur, Rücknahme, direktes Recycling, Stilllegung.
- Erträge: Kundenvergütungen für Ersatzteile oder Restwerte nicht mehr genutzter Wirtschaftsgüter (zum Beispiel der Verkauf von Excess‐Vorräten).
Abschließend wird ein Beispiel (vgl. Beispielblock c.20) zur Lebenszyk‐ luskostenrechnung wiedergegeben. Das Einflusspotenzial von Green Supply Chain Management erstreckt sich über den kompletten Lebens‐ weg dieses Produkts (8 Jahre). Das Erzeugnis spielt in seinem Lebens‐ zyklus Erträge ab der dritten Phase ein. Besonders Cash‐trächtig sind das fünfte und das sechste Lebensjahr. In den ersten zwei Jahren erwirt‐ schaftet das Produkt einen jeweils negativen Deckungsbeitrag (Vorlauf‐ phase). Kumuliert (YTD, Year to Date) überschreitet das Produkt die Gewinnschwelle (Break‐Even‐Point) im vierten Jahr. Nicht zu vergessen sind die Nachlaufkosten in der siebten und der achten Phase für eine spätere Entsorgung. Insgesamt erzielt der Hersteller mit diesem Produkt einen Gewinn von 100.000 Euro, bei einer Umsatzrendite von 10% (vgl. in ähnlicher Weise Horváth et al. 2019, S. 475).
Anwendung der Lebenszyklusrech‐ nung
Beispiel des Lifecycle Costings
Beispielblock c.20
Periode
1
2
3
4
Ertrag (E) Verkauf
150
Aufwand (A) Herstellung Entwicklung Verwaltung Vertrieb Entsorgung
‐ 11
5
6
7
8
Summe
200
300
250
100
1.000
‐75
‐100
‐150
‐125
‐50
‐ 500
‐ 14
‐18
‐14
‐27
‐ 21
‐6
‐111
‐15
‐15
‐21
‐29
‐29
‐29
‐29
‐29
‐196
‐20
‐14
‐18
‐14
‐8
‐74
‐6
‐13
‐19
Summe (E‐A)
‐26
‐29
36
37
80
57
‐5
‐50
100
Summe YTD
‐26
‐55
‐19
18
98
155
150
100
100
Legende: Alle Zahlen in Tausend Euro (T€], YTD = Year to Date
287
C Wie lautet der „richtige“ Verrech‐ nungsschlüssel?
Strategien des Supply Chain Managements
Es bleibt festzuhalten, dass die Lebenszykluskostenrechnung für eine „grüne“ Supply Chain sehr bedeutsame Effekte aufzeigt, indem bei‐ spielsweise die Nachlaufkosten explizit ermittelt werden. Natürlich hat Lifecycle Costing dabei ein Prognoseproblem: Zukünftige Produktvo‐ lumina und Preise sind bei der Kostenverteilung nur grob abzuschätzen und schlecht in Phasen zu unterteilen. Außerdem werden etwaige Inter‐ dependenzen unter den Funktionsbereichen nicht deutlich. Schließlich erfolgt die Verrechnung der Gemeinkosten proportional zu den Einzel‐ kosten über einen Verteilungsschlüssel. Dieses Problem betrifft admi‐ nistrative Tätigkeiten (Verwaltung) ebenso, wie Forschung und Entwick‐ lung sowie Marketing.
C.5
Verständnisfragen
Welche Arten von Kooperationsstrategien kennen Sie? Kennzeichnen Sie diese und beschreiben Sie deren Probleme.
Zeigen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden auf (unterschieden nach dem Leistungspotenzial sowie der Bindungsintensität).
Klären Sie den Begriff „First‐Tier‐Lieferant“. Geben Sie drei Beispiele aus der Praxis an.
Charakterisieren Sie die Vorteile und die Nachteile von Resident En‐ gineering.
Beschreiben Sie beispielhaft das Laboratory‐Store‐Concept. Definieren Sie den Begriff „Horizontale Kooperationsstrategie“. Ge‐ ben Sie dafür drei Beispiele neueren Datums an.
Klären Sie den Begriff Efficient Consumer Response (ECR) und be‐ nennen Sie die Komponenten des Konzepts. Nehmen Sie eine kriti‐ sche Würdigung von ECR vor.
Beschreiben Sie die Logistikmodule von ECR. Gehen Sie auf die po‐ tenziellen Vorteile und Nachteile ein.
Vendor Managed Inventory (VMI): Klären Sie den Begriff. Grenzen Sie ihn von benachbarten Termini ab. Welches sind operative Rah‐ menbedingungen des Konzepts? In welchen Phasen läuft idealtypisch ein VMI‐Prozess ab? Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von VMI auflisten.
288
Verständnisfragen
Benennen Sie Ausprägungsformen für ein Cross Docking. Welche Möglichkeiten der Kostenverteilung schlagen Sie in einem Multiple User Warehouse vor?
Was bedeutet der Begriff „Category Management“? Definieren Sie die Module des Category Managements in ECR.
Grenzen Sie die Begriffe „Relationship Marketing“, „One‐to‐One‐ Marketing“ und „Customer Relationship Management“ voneinander ab.
Nennen und erklären Sie die strategischen Zielgrößen und die Kom‐ ponenten von Customer Relationship Management.
Charakterisieren Sie die Weiterentwicklung von Customer Relations‐ hip Management zu Enterprise Relationship Management.
„Available‐to‐Promise“ und „Capable‐to‐Promise“: Erläutern Sie diese Begriffe. Beschreiben Sie das Zusammenspiel von Logistik, Produkti‐ on, Einkauf und Vertrieb zur Optimierung beider Größen.
Ordnen Sie Mass Customization in die hybriden Wettbewerbsstrate‐ gien ein und nennen Sie die wichtigsten Voraussetzungen von Mass Customization.
Beschreiben Sie die beiden Konzepte „Soft Customization“ und „Hard Customization“.
Warum sind Postponement‐Strategien anzuwenden? Klären Sie den Begriff „Postponement“ und zeigen Sie die Einflussfaktoren für ein Postponement am Beispiel der chemischen Industrie auf.
Kennzeichnen Sie die Möglichkeiten und die Grenzen für ein Form Postponement und ein Time Postponement.
Welche Sourcing‐Strategien kennen Sie? Charakterisieren Sie zwei Ansätze näher und würdigen Sie diese kritisch.
Diskutieren Sie die Eignung von Single Sourcing und Multiple Sour‐ cing für das Supply Chain Management.
Zeigen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Aus‐ prägungsformen Single Sourcing und Sole Sourcing auf. Geben Sie für das Sole Sourcing drei Beispiele aus dem betrieblichen Umfeld an.
Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Konzepte Single Sourcing und Multiple Sourcing, anhand von ausgewählten Unterscheidungs‐ kriterien, gegenüberstellen.
Charakterisieren Sie Modular Sourcing anhand eines Beispiels aus der Automobilindustrie. Grenzen Sie Modular Sourcing von System Sour‐ cing ab.
289
C.5
C
Strategien des Supply Chain Managements
Welche Chancen und welche Risiken messen Sie einem Unit Sourcing bei?
Beschreiben Sie Collective Sourcing und geben Sie dazu ein Beispiel aus dem betrieblichen Umfeld an. Nehmen Sie eine kritische Würdi‐ gung von Collective Sourcing vor.
„Global Sourcing“: Klären Sie den Begriff, nennen Sie wesentliche Vo‐ raussetzungen und würdigen Sie ihn kritisch.
Grenzen Sie Global Sourcing von Local Sourcing und von Domestic Sourcing ab.
Welche Beschaffungsstrategien kennen Sie in der Supply Chain? Worin besteht der Unterschied zwischen Kanban und einer zentrali‐ sierten Produktionssteuerung? Berücksichtigen Sie die Voraussetzun‐ gen für eine Implementierung von Kanban.
Grenzen Sie die Begriffe „Just‐in‐Time“ und „Just‐in‐Sequence“ von‐ einander ab. Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von Just‐in‐Time (aus Kundensicht) gegenüberstellen.
Beschreiben Sie den Ansatz der Fortschrittszahlen anhand eines Bei‐ spiels (mit grafischer Darstellung). Berücksichtigen Sie dabei die Vo‐ raussetzungen des Ansatzes.
Gehen Sie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kanban und Fortschrittszahlen ein.
Nehmen Sie eine Kennzeichnung der Belastungsorientierten Auftrags‐ freigabe vor. Berücksichtigen Sie die Voraussetzungen und die Ar‐ beitsschritte des Konzepts.
Beantworten Sie folgende Fragen zur Retrograden Terminierung: His‐ torische Entwicklung, Begriffsklärung und Charakterisierung, Ar‐ beitsschritte sowie kritische Würdigung.
Beschreiben Sie den Risikomanagementprozess in seinen Grundzü‐ gen. Nennen Sie Vorteile und mögliche Gefahren dieses Ansatzes.
Kennzeichen Sie Methoden zur Bewertung von Supply‐Chain‐Risiken. Gehen Sie dabei in besondere Weise auf die Fehler‐Möglichkeits‐und‐ Einfluss‐Analyse ein.
Supply Chain Mitigation: Klären Sie den Begriff und entwerfen Sie ei‐ ne Übersicht, in der Sie Mitigations‐Strategien beispielhaft kennzeich‐ nen.
Inwieweit hat Corona das Risikomanagement in der Supply Chain verändert?
Was verstehen Sie unter elektronischen Supply Chains? Orden Sie den Begriff in das Order‐to‐Payment‐S ein.
290
Verständnisfragen
Was verstehen Sie unter „Electronic Commerce“? Benennen Sie mögli‐ che Stellhebel von Electronic Commerce in Supply Chains.
Was ist eine virtuelle Frachtbörse? Zeigen Sie die Chancen und die Ri‐ siken virtueller Frachtbörsen am Beispiel der Automobilindustrie auf. Wie stufen Sie die Entwicklungspotenziale von virtuellen Frachtbör‐ sen ein?
Benennen und kennzeichnen Sie mögliche elektronische Ausschrei‐ bungsvarianten. Wählen Sie sich eine dieser Formen aus und entwer‐ fen Sie eine Tabelle, in der Sie eine kritische Würdigung der Variante durchführen.
Was verstehen Sie unter „Tracking and Tracing“? Ordnen Sie GPS‐ Systeme in die Idee von Tracking and Tracing ein. Welche Gefahren messen Sie Tracking‐and‐Tracing‐Systemen bei?
Kennzeichnen Sie den Übergang von 3PL zu 4PL. Worin sehen Sie die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen beiden Begriffen? Entwerfen Sie eine Tabelle, in der Sie Fourth‐Party‐Logistics‐Provider kritisch würdigen.
Inwieweit hängen Industrie 4.0 und Supply Chain 4.0 zusammen? Welches sind die wesentlichen Komponenten einer Kognitiven Supply Chain?
Beschreiben Sie die prägenden Übergänge der industriellen Revoluti‐ on auf dem Weg zu Industrie 4.0. Nennen Sie Vorteile und Nachteile der Industrialisierung für die Wirtschaft und für die darin agierenden Menschen.
Was verstehen Sie unter Cyber‐Physischen‐Systemen in der smarten Fabrik? Unterscheiden Sie Sensoren von Aktoren und benennen Sie jeweils drei mögliche Ausprägungsformen.
Benennen Sie drei Gefahren, welche die Smart Factory Ihrer Meinung nach in sich birgt. Begründen Sie kurz Ihre Aussage. Warum haben Sie gerade diese drei potenziellen Schwierigkeiten benannt?
Was ist eine Smart City und aus welchen Elementen besteht sie? Wel‐ chen Beitrag leistet der demographische Wandel für das Entstehen von Smart Cities? Warum wollen immer Menschen in engen Städten leben?
Welche logistischen Implikationen entnehmen sie intelligenten Städ‐ ten? Wie werden sich die smarten Städte aus logistischer Sicht in den nächsten Jahren entwickeln? Welche möglichen Gefahren sehen Sie dabei auf die Menschen zukommen?
Welchen logischen Beitrag leistet das Internet der Dinge? Benennen Sie drei Beispiele zum Internet of Supply Chain. Welche Rolle nehmen
291
C.5
C
Strategien des Supply Chain Managements
darin Digital Twins ein? Wo sehen Sie Gefahren in der Nutzung von Digital Twins?
Big Data in der Supply Chain: Gehen Sie auf den Begriff ein. Entwer‐ fen Sie eine Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von Big Data im Wertschöpfungsverbund gegenüberstellen.
Welche Rolle spielt die Blockchain‐Technologie für die Abwicklung von Arbeitsabläufen innerhalb einer Supply Chain? Welche Vorteile bringt die Blockchain speziell auf dem Gebiet der Logistik?
Charakterisieren Sie den Begriff „Machine Learning“. Stellen Sie mög‐ liche Ausprägungsformen des maschinellen Lernens speziell in der Wertschöpfungskette vor.
Sharing Economy: Beschreiben Sie den Beitrag der Sharing Economy für die Supply Chain. Welche Vorteile und welche Nachteile können mit ihrer Nutzung verbunden sein?
Bennen Sie sind spezielle Logistikanforderungen an Entsorgung und Recycling. Welche Möglichkeiten bietet die Supply Chain zur Redu‐ zierung von Umweltbelastung?
Listen Sie Aufgaben einer Entsorgung auf. Nennen Sie beispielhaft mögliche Aufbereitungsprozesse, die vor einer Entsorgung stattfinden können.
Beschreiben Sie mögliche Recycling‐Strategien in Supply Chains stichpunktartig. Geben Sie dazu jeweils ein Beispiel aus der Konsum‐ güterindustrie an.
Was bedeutet für Sie „Nachhaltigkeit in der Supply Chain“? Welche Größen zur Messung von Sustainability speziell in zeitgemäßen Wert‐ schöpfungsketten schlagen Sie vor?
Product Carbon Footprint: Klären Sie den Begriff. Inwieweit kann ein Carbon Footprint in Supply Chains eingesetzt werden? Welche Stell‐ hebel zur Verbesserung des Footprints sehen Sie in Wertschöpfungs‐ ketten?
Beschreiben Sie den Nutzen und die Gefahren des Lifecycle Costings für nachhaltige Supply Chains. Entwerfen Sie ein Formblatt, auf dem Sie beispielhaft eine Lebenszyklusrechnung innerhalb einer Supply Chain durchspielen.
Diskutieren Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Vollkostenrechnungen Lifecycle Costing und Total Cost of Ownership.
292
Lernziele und Vorgehensweise
D.1
D Instrumente des Supply Chain Managements
Instrumente sind Techniken, die zur Lösung bestimmter Problemstel‐ lungen dienen. Unter diesem Gliederungsabschnitt werden ausgewählte Hilfsmittel des Supply Chain Managements diskutiert. Ihr Einsatz er‐ möglicht die Umsetzung der unter Abschnitt C charakterisierten Strate‐ gien moderner Logistikketten. Strategien und Instrumente sind zeitlich eng verflochten: Chandlers These „Structure follows Strategy“ verliert im Supply Chain Management an Gültigkeit. Sie wird durch „Structure and Strategy“ ersetzt, weil Strategien und Instrumente im Netzwerk zeit‐ gleich einzubeziehen sind.
D.1
Simultaneität von Strategien und Instrumenten
Lernziele und Vorgehensweise
Die Lernziele von Kapitel D bestehen in folgenden Punkten:
Eine Verknüpfung zwischen Strategien und Instrumenten des Supply Chain Managements aufzuzeigen.
Die Inhalte der Instrumente zu kennzeichnen. Grundlegende Begriffe zu klären. Eine kritische Würdigung der Hilfsmittel zu skizzieren. Bei einer Beschreibung von Instrumenten des Supply Chain Manage‐ ments sind zunächst ausgewählte Hilfsmittel zur Lösung logistischer Kernfragen vorzustellen. Dazu zählen als Instrumente zur Bestandsre‐ duzierung die Dekomposition der Vorräte, die Gängigkeitsanalyse, das Reichweitenmonitoring, die Konsignationsanalyse sowie eine Durch‐ laufzeiten‐ und Rüstzeitenanalyse. Zur Senkung von Frachtkosten wer‐ den die maschinelle Frachtkostenermittlung, eine Standardisierung von Verpackungen, Milk Run, Letzte Meile sowie Hub and Spoke gekenn‐ zeichnet. Anschließend sind mit Benchmarking und Reverse Enginee‐ ring zwei Instrumente zur Informationsgewinnung in der Supply Chain
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_4
293
Diskutierte Hilfsmittel
D
Instrumente des Supply Chain Managements
zu charakterisieren. Die wesentlichen Hilfsgrößen einer Qualitätssiche‐ rung in der Lieferkette stellen Quality Function Deployment, Failure Mode and Effects Analysis sowie Bottleneck Engineering dar. Schließlich werden als IT‐gestützte Hilfsmittel Electronic Data Interchange (EDI) und Web‐EDI, Barcode, RFID, Data Warehouse, Computer Integrated Manufacturing sowie Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling diskutiert. Analog zu den bisher beschriebe‐ nen Kapiteln sind den Ausführungen Verständnisfragen nachzustellen.
D.2
Instrumente zur Bestandsreduzierung
Konkurrierende Logistikziele
Die Notwendigkeit zur Reduzierung von Beständen (vgl. Brüll et al. 2007; Hartmann 2011; Ottwaska 2009; Schönsleben 2011; Stölzle et al. 2004; Tempelmeier 2018; Weber/Bartz 2018; Werner 2007) resultiert aus dem Phä‐ nomen der Kapitalbindung. Zur betriebswirtschaftlichen Bedeutung von Vorräten vgl. S. 394 dieser Schrift. Im Supply Chain Management herrscht ein latenter Zielkonflikt. Auf der einen Seite wird die Versor‐ gungssicherung einer Organisation verfolgt, um den physischen Materi‐ alfluss sicherzustellen. Auf der anderen Seite richtet sich die Reduzie‐ rung von Vorräten nach einer Minderung der Kapitalbindung aus. Die isolierte Optimierung dieser beiden strategischen Grundhaltungen be‐ inhaltet ein Konfliktpotenzial. Zum Beispiel geht eine Bestandsreduzie‐ rung „um jeden Preis“ zu Lasten der Versorgungssicherheit. Sie führt im Extremfall zur Stock‐out‐Situation: Das Absenken der Vorräte mün‐ det in einen Nullbestand (vgl. S. 33). Die Lösung dieser Problemstellung liegt in der integrierten Optimierung von Versorgungs‐, Entsorgungs‐ und Recyclingzielen innerhalb der Supply Chain (Zielharmonie).
„At the height of the fighting, he – la – hu...” (Heaven 17)
Doch herrscht nicht nur ein Dauerstreit zwischen Bestandsmanagement und Versorgungssicherheit. Ebenso besteht eine Trade‐off‐Situation zwischen Beständen und Produktvielfalt: Der Vertrieb wünscht einen größtmöglichen Kundenzuschnitt (Customization). Die Logistik favori‐ siert hingegen eher Produkt‐ und Prozessstandardisierung. Und auch zwischen Produktion und Logistik besteht ein Zielkonflikt. Die Ferti‐ gung strebt nach Losgrößeneffekten und möchte „möglichst aus dem Vol‐ len schöpfen“. Aus logistischer Sicht sind mit einer derartigen Fertigung jedoch hohe Lagerbestände verbunden. Schließlich ist auch das fortwäh‐ rende Spannungsverhältnis zwischen Lagerbestand versus Transportkos‐ ten auszuloten (vgl. S. 323 dieser Schrift).
294
Instrumente zur Bestandsreduzierung
D.2
Die Gesamtkosten einer Bevorratung setzen sich aus Lagerkosten und Fehlmengenkosten zusammen (vgl. Abbildung D.1):
Lagerkosten: Lagerkosten sind abhängig von der Lagerbestands‐
Cash‐Flow‐Diebe
menge, dem Lagerbestandswert und der Dauer einer Bevorratung. Sie werden untergliedert in Lagerhaltungskosten, Zinskosten sowie Sonstige Kosten.
-
Lagerhaltungskosten: Sie fallen als Raumkosten (Abschreibungen, Mieten, Energie) und Lagerbewirtschaftungskosten (Versicherun‐ gen, Personal, Reifung) an.
Hohe Fixkosten
-
Zinskosten: Zinskosten resultieren aus der Bindung finanzieller Ressourcen in Beständen. Das gebundene Geld kann nicht ange‐ legt werden. Es entstehen entgangene Gewinne (Opportunitäts‐ kosten). Heutzutage leitet sich die Verzinsung meist über den Weighted Average Cost of Capital (WACC) ab.
Opportunitätskos‐ ten vermeiden
-
Sonstige Kosten: In dieses Segment sind Wertminderungen ein‐ zuordnen, die beispielsweise auf Grund von Schwund, Verderb oder Ungängigkeit resultieren.
Schwund und Verderb
Fehlmengenkosten: Fehlmengenkosten entstehen, wenn die Güter‐ mengen zur Befriedigung eines Bedarfs nicht ausreichen. Die Einlei‐ tung von Ad‐hoc‐Maßnahmen (Trouble Shooting) oder ein Bandstill‐ stand können folgen. Sie untergliedern sich in Mengenabhängige, Zeitabhängige sowie Sonstige Fehlmengenkosten.
Unterbestände führen zu Fehlmengenkosten
-
Mengenabhängige Fehlmengenkosten: Weil Einsatzgüter feh‐ len, müssen häufig Substitutionswaren beschafft werden, die hochwertig und teuer sind. Daraus ergeben sich in der Regel Preisdifferenzen.
Preisdifferenzen
-
Zeitabhängige Fehlmengenkosten: Sie fallen vor allem für Kon‐ ventionalstrafen an. Die Dauer der Störung bestimmt die Höhe der Kosten. Besonders schwer wiegen Lieferunterbrechungen, die zum Produktionsstillstand des Kunden führen. In der Auto‐ mobilindustrie kann dieses Problem den Lieferanten pro Stunde 150.000 Euro und mehr kosten.
Hohe Kosten durch Bandstillstand
-
Sonstige Fehlmengenkosten: Die Sonstigen Fehlmengenkosten untergliedern sich in Opportunitätskosten und in Goodwill‐ Verluste. Beim Vorliegen von Opportunitätskosten (entgangenen Gewinnen) gehen Aufträge verloren, weil Kundenbestellungen –
Goodwill-Defizite schmerzen besonders
295
D
Instrumente des Supply Chain Managements
auf Grund von Fehlmengen – nicht zu bearbeiten sind. Liegen hingegen Image‐ oder Reputationsminderungen in Fehlmengen begründet, leiten sich daraus sogar Goodwill‐Verluste ab. Abbildung D.1
Gesamtkosten der Bevorratung
Gesamtkosten der Bevorratung Lagerkosten
Fehlmengenkosten
‐ Lagerhaltungskosten
‐ Mengenabhängige Kosten
‐ Zinskosten
‐ Zeitabhängige Kosten
‐ Sonstige Kosten
‐ Sonstige Kosten
Kunden ziehen die Leistungen aus den Herstellern
Die Reduzierung von Vorräten leitet sich vielfach aus der Umsetzung einer Pull‐Steuerung ab. Als ein Spezialist für eine kundengerechte Fertigung erweist sich der Maßkonfektionär Dolzer. Der Hauptsitz von Dolzer befindet sich in Schneeberg im Odenwald. Das Unternehmen hat sich auf die Fertigung von Maßanzügen (diese sind ab 149 Euro zu ha‐ ben) und maßgeschneiderten Hemden (die Verkaufspreise beginnen ab 50 Euro) spezialisiert. Süffisant wird Dolzer als der „Aldi unter den Maß‐ schneidern“ bezeichnet. Mit einer Umsatzrendite von über 10% ausge‐ stattet, stellt Dolzer die speziell auf den Kunden zugeschnittenen Klei‐ dungsstücke quasi aus dem Baukasten her (nach dem Prinzip Mass Customization). Dolzer reduzierte mit diesem Konzept seine Bestände um über 15% (vgl. Werner 2013, S. 113).
D.2.1 Gesamtbestand als Black-Box
Dekomposition der Bestände
Eine Dekomposition von Vorräten kennzeichnet die Zerlegung des Ge‐ samtbestands in seine Einzelteile. Dadurch steigert sich die Transparenz von Vorräten. Die notwendigen Informationen liefert das Controlling. Das Herunterbrechen fußt auf einer Kontierung von Beständen. Basis ist § 266 Abs. 2 im HGB gemäß der Gliederung einer deutschen Bilanz. Die internationalen Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS und US‐ GAAP ähneln an dieser Stelle der deutschen Bestandsführung. Vorräte
296
Instrumente zur Bestandsreduzierung
D.2
werden in der Bilanz zumeist der Buchungsklasse „0“ zugerechnet. Die einzelnen Buchungen verdichten sich zu Kontengruppen. Auf einen Blick ist zu erkennen, wo der Hebel zur Einleitung von Verbesserungs‐ maßnahmen anzusetzen ist (vgl. Beispielblock d.1).
Dekomposition der Bestände
Bestandsart
Beispielblock d.1
Kontengruppe
Betrag (in T€)
Bezogenes Rohmaterial (Raw Material)
051
700
Bezogene Kaufteile (Purchased Parts)
052
4.500
Selbstgefertigte Teile (Manufactured Parts)
053
300
Werkstattbestand (Work‐in‐Process)
054
400
Fertigerzeugnisse (Finished Goods)
055
3.500
Beigestelltes Material (Goods‐at‐Suppliers)
056
150
Gemeinkostenmaterial (Small Tools)
057
250
Sonstige (Other)
058
200
059
10.000
Gesamtbestand
Durch das Herunterbrechen des Gesamtbestands von 10 Millionen Euro auf die Ebene der Kontengruppen wird deutlich, dass sich Aktivi‐ täten zur Reduzierung von Vorräten zuerst auf bezogene Kaufteile (4,5 Millionen Euro) und Fertigerzeugnisse (3,5 Millionen Euro) erstrecken. In diesen beiden Bereichen liegen 80% des Kapitals gebunden.
Problemzonen identifizieren
Von der Buchungsklasse 051 (bezogenes Rohmaterial) bis 055 (Fertiger‐ zeugnisse) steigt die Wertschöpfung. Zur Verdeutlichung der Klasse 056 (Beigestelltes Material) dient folgendes Beispiel: Ein Automobilkonzern hat die Produktion von Stoßfängern einem Dritten übergeben. Er stellt dem Lieferanten Stahl bei, welchen der Zulieferer zur Herstellung der
Zur Besonderheit des Beigestellten Materials
297
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Stoßfänger benötigt. Der Stahl wird von riesigen Coils gerollt. Obwohl der Lieferant im Besitz der Stahl‐Coils ist, sind diese dem Eigentum des Automobilkonzerns zuzurechnen. ABC‐Analyse schafft Transpa‐ renz
Eine Möglichkeit zum Aufbrechen gesamter Bestände bietet die ABC‐ Analyse (vgl. Haberstock 2016; Schneider 2012, S. 13ff.). Vorräte werden auf Grund ihres Wertes und ihrer Menge in A‐, B‐ sowie C‐Teile zerlegt. Die ABC‐Analyse basiert auf der Annahme, dass Materialien für ein Unternehmen von unterschiedlicher Bedeutung sind. Im Supply Chain Management eignet sich die ABC‐Analyse auch für eine Einteilung nach Materialbedarfen, Kundengruppen oder Spediteuren.
Beispiel einer ABC‐Analyse
Ein Beispiel für die ABC‐Analyse zeigt Block d.2. Für einen Hersteller von Bremsgeräten sind Sensoren und Tellergehäuse A‐Teile (mit einem Wert von 70% und einer Menge von 20% der gesamten Sachnummern der Bremsgeräte). Die Maßnahmen zur Bestandsreduzierung nehmen sich bevorzugt diesen Sachnummern an. B‐Teile stellen Rollmembrane und C‐Teile Schrauben, Dichtringe oder Muttern dar. Die C‐Teile bein‐ halten einen Wert von 5% und eine Menge von 50%. Allein von ihrem Wert her betrachtet, scheinen C‐Teile kaum zur Ausnutzung von Kos‐ tensenkungspotenzialen zu taugen. Doch der Schein trügt: Das Ma‐ nagement der C‐Artikel erzeugt überproportional hohe Transaktions‐ kosten. Grundsätzlich erfolgt die Festlegung der Prozentsätze für A‐, B‐ und C‐Teile unternehmensindividuell.
Beispielblock d.2
ABC‐Analyse (Prozentangaben beispielhaft)
Wert
Menge
A‐Teil
70%
20%
B‐Teil
25%
30%
C‐Teil
5%
50%
Unerwartete Nach‐ frageschübe
Neben der ABC‐Analyse bietet die XYZ‐Analyse (vgl. Haberstock 2016; Schneider 2012) eine Alternative zur Zerlegung von Beständen. Sie rich‐ tet sich nach dem Verbrauchsverlauf der Vorräte aus. Wie bei der ABC‐ Analyse, lassen sich die Güter in Gruppen zusammenfassen. Das Unter‐ scheidungskriterium zur Einteilung von Vorräten in X‐, Y‐ und Z‐Teile stellt deren Planungssicherheit (Forecast Accuracy) dar. Dazu sind die
298
Instrumente zur Bestandsreduzierung
D.2
Artikelpositionen nach steigendem Variationskoeffizienten zu sortieren. Dieser errechnet sich aus Standardabweichung zu arithmetischem Mit‐ telwert (vgl. Begriffsblock D.I). Begriffsblock D.I
XYZ‐Analyse
X‐Güter: Ein sehr gleichförmiger (weitgehend deterministischer) Verbrauch beschreibt X‐Güter. Es liegen geringe Bedarfsschwankun‐ gen mit hoher Absatzprognosegenauigkeit vor. X‐Güter sind für Just‐ in‐Time‐Anlieferungen prädestiniert.
Y‐Güter: Sie zeichnen sich insbesondere durch trendorientierte oder konjunkturbedingte Schwankungen aus. Die Vorhersagegenauigkeit der Y‐Güter ist mittelmäßig ausgeprägt.
Z‐Güter: Für Z‐Güter ist ein ungleichförmiger (stochastischer) Ver‐ brauch typisch. Die Bedarfsschwankungen sind hoch, und die Vor‐ hersagegenauigkeit ist gering. Beispielsweise ist das Saisongeschäft zum Teil erheblichen Schwankungen unterworfen. Gleiches kann für die logistische Steuerung nach einer Verkaufsförderungsaktion gel‐ ten. Auch für den Bereich Fashion (Modebranche) sind zum Teil sehr ungleichförmige Verbräuche typisch, da die Wünsche der Kunden sich rasch ändern können.
Die ABC‐Analyse und die XYZ‐Analyse sind mit den Arten der Materi‐ albeschaffung zu kombinieren. Dabei werden die Möglichkeiten der Fallweisen Beschaffung, der Vorratsbeschaffung sowie der Bedarfsge‐ rechten Beschaffung unterschieden (vgl. Begriffsblock D.II).
Beschaffungsalter‐ nativen
Eine weitere Systematisierungsmöglichkeit von Materialien nimmt die LMN‐Analyse vor. Diese Differenzierung ist der Aufteilung in groß‐, mittel‐ und kleinvolumigen Sachnummern geschuldet. L‐Teile sind großvolumige Artikel. Analog werden unter N‐Sachnummern kleine Artikel gefasst. Im Mittelfeld finden sich M‐Teile. Selbstverständlich bedeutet es nicht, dass ein N‐Teil unbedeutsam ist. Es kann teuer (kapi‐ talintensiv) oder selten verfügbar (strategisch relevant) sein. Folglich zielt die LMN‐Analyse auf die Sperrigkeit von Gütern, wobei diese Be‐ standsdifferenzierung beispielsweise bei nur begrenzt verfügbarem Ladevolumen von Interesse ist (zur Erzielung einer hohen Packdichte). Um die Komplexität der weiteren Ausführungen nicht überzustrapazie‐ ren, wird die LMN‐Analyse in der Folge jedoch nicht näher untersucht.
Materialdifferen‐ zierung nach Volumenanteilen
299
D Begriffsblock D.II
Instrumente des Supply Chain Managements
Arten der Materialbeschaffung
Fallweise Beschaffung: Sie wird synonym als Einzelbeschaffung be‐
Singularität der Entscheidungen
zeichnet. Eine Beschaffung erfolgt beim Auftreten eines konkreten Bedarfs. Normteile (Schrauben etc.) bleiben von einer Fallweisen Be‐ schaffung ausgeklammert. Es werden hohe Anforderungen bezüglich der Lieferbereitschaft von Anbietern gestellt. Daraus resultiert ein großes Fehlmengenrisiko – verbunden mit der Gefahr, verspäteter Zugänge. Die Lagerkosten dieser Alternative sind jedoch niedrig.
Vorratsbeschaffung: Die Vorratsbeschaffung verläuft losgelöst vom
Routineprozesse
eigentlichen Fertigungsverlauf. Eine Ware wird auf Lager genom‐ men, um günstige Lieferkonditionen auszunutzen und Puffer zu bil‐ den. Die Materialbedarfe lassen sich kaum vorhersagen. Das Beschaf‐ fungsrisiko wird zu Lasten höherer Bestände abgewälzt.
Bedarfsgerechte Beschaffung: Es erfolgt eine synchron mit der Ferti‐
JiT und JiS als Zauberformeln
gung abgestimmte Beschaffung an die Nachfragestruktur. Die Bedarfs‐ gerechte Beschaffung ist anspruchsvoll und beinhaltet ein recht hohes Kostensenkungspotenzial durch die Möglichkeit einer Just‐in‐Time‐ oder Just‐in‐Sequence‐Anlieferung.
Kombinations‐ möglichkeiten
Reduzierung der Kapitalbindung
Lager als Puffer
Die Abbildung D.2 visualisiert die Kombination von ABC‐Analyse und XYZ‐Analyse mit den Arten der Materialbeschaffung. Innerhalb dieser Darstellung kristallisieren sich die drei Felder Bedarfsgerechte Beschaf‐ fung, Vorratsbeschaffung sowie Fallweise Beschaffung heraus.
Feld I: Eine Anlieferung gemäß der Just‐in‐Time‐Philosophie eignet sich für A‐Teile. Sie zeichnen sich durch einen hohen Wert und eine geringe Menge aus. Als Beschaffungsart wird die Fertigungssyn‐ chrone Beschaffung gewählt (zum Teil auch die Fallweise Beschaf‐ fung). Zur Durchführung von Just‐in‐Time muss der Verbrauch der Waren möglichst gleichförmig verlaufen. Ein Charakteristikum, das vor allem für X‐Güter gilt.
Feld II: Für C‐Teile bietet sich eine Vorratsbeschaffung an. Die Ein‐ standspreise der Waren sind niedrig. Auf Basis unterschiedlicher Verbrauchsverläufe eignen sich X‐, Y‐ und Z‐Güter für diese Beschaf‐ fungsart, wobei der Schwerpunkt auf den Y‐Gütern liegt. Obwohl diese Artikel von ihrem Wert her unbedeutend sind, verfügen sie über verhältnismäßig hohe Transaktionskosten. Daher bietet sich für diese Konstellation die Berücksichtigung eines externen Beschaf‐ fungsdienstleisters (3rd Party Procurement) möglicherweise an.
300
Instrumente zur Bestandsreduzierung
Feld III: Neben einer Fertigungssynchronen Beschaffung werden A‐ Teile einzeln angefordert. Auch B‐Teile unterliegen einer Fallweisen Beschaffung. Der Verbrauch ist zumeist recht ungleichförmig, wes‐ halb es sich um Z‐Güter handelt. Das Problem dieser Beschaffungsart liegt in ihrer Seltenheit begründet: Es besteht kaum die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, da die Tätigkeiten nur eine geringe Arbeitsroutine aufweisen.
ABC‐ und XYZ‐Analyse integriert mit Arten der Materialbeschaffung A‐Teile X‐Güter
B‐Teile
D.2 Projektbezogene Beschaffung
Abbildung D.2
C‐Teile
Bedarfsgerechte Beschaffung
I Vorratsbeschaffung
Y‐Güter
II Fallweise
Z‐Güter
D.2.2
Beschaffung
III
Gängigkeitsanalyse
Ein weiteres Instrument des Bestandsmanagements ist die Gängigkeits‐ analyse (vgl. Werner 2000f). Vorräte werden in die beiden Kategorien „gängig“ und „ungängig“ eingeteilt. Letzte sind „zum Teil ungängig“ oder „völlig ungängig“. Als Unterscheidungsmerkmal dient die vergan‐ genheitsbezogene Lagerreichweite (vgl. S. 306), wobei in der Automo‐ bilindustrie folgende Differenzierung üblich ist (vgl. Abbildung D.3):
Gängig: Vorräte sind im Segment Automotive gängig, wenn sie eine Reichweite von kleiner/gleich drei Monaten haben.
Zum Teil ungängig: Diese Bestände weisen eine Reichweite zwischen größer als drei Monaten sowie kleiner als zwölf Monaten auf.
301
Vermeidung un‐ gängiger Bestände
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Völlig ungängig: Als völlig ungängig werden im Autobau Vorräte mit einer Reichweite von größer/gleich 12 Monaten deklariert.
Abbildung D.3
Einteilung der Gängigkeit
Gängigkeit der Bestände
Gängig
Ungängig
RW ≤ 3 Monate
Zum Teil ungängig
Völlig ungängig
„Excess“
„Obsolete“
RW > 3 Monate 18 R
15 R und
/= 10 R
< 10 R und >/= 6 R
10 km
Zielwert
Leichtgängige Rastung
2
Objektiver
10 11 12 13
5 mm
Billig
9
ja / nein
4
8
5
Bruchfe st, stabil
7
10 Pers.
5
6
x RZ
Mine soll nicht auslaufe n
5
ja / nein
4
4
(x)
Mine austauschbar
3
> x N
4
Optische
x bar
Soll Klick habe n
1
x N
5
x N
Technische Optische
Kugelschreiber
Be de utung Soll schre ibe n
Schreiblänge (km)
Technische
Anforderungen des Kunden
Konkurrenz‐
↑ ↑ ↑ ↑
Projekt Kugelschreiber
Anforderungen an das Design
Besser
↓ ↓
5
18
9
9
9
12
6
355
D
Instrumente des Supply Chain Managements
D.5.2 Historie und Begriffsklärung
FMEA als ausgesprochen pragmatisches Instrument des Risikomanagements
Berechnung der Risikoprioritätszahl
Failure Mode and Effects Analysis
Ein weiteres Instrument zur Qualitätssicherung in der Supply Chain ist die Failure Mode and Effects Analysis (FMEA, vgl. Arndt 2016; Eber‐ hardt 2015; Göbbert/Zürl 2006; Tietjen/Müller 2011; Werdich 2012). Die FMEA wurde in den 60er Jahren in den USA – im Rahmen des Raum‐ fahrtprogramms Apollo – entwickelt. In Europa wird sie seit den 70er Jahren eingesetzt. Eine FMEA fußt auf dem Prinzip der vorausschauen‐ den Fehlervermeidung: Aktivitäten zur Qualitätssicherung werden prä‐ ventiv eingeleitet. Die Failure Mode and Effects Analysis bietet mit Ent‐ wicklungs‐FMEA, Konstruktions‐FMEA und Prozess‐FMEA ein breites Anwendungsspektrum. Im Supply Chain Management ist insbesondere die Prozess‐FMEA von Bedeutung. Komplette Abläufe werden in Haupt‐ und Nebenprozesse dekomponiert. Mögliche logistische Aufgaben und Ziele der FMEA sind: Erhöhung der Prozessqualität, Senkung von Prozesskosten, Redu‐ zierung der Prozesszeit, Steigerung einer Prozessflexibilität, Identifizie‐ rung potenzieller Schwachstellen und Forcierung des Know‐how‐ Transfers. Zur Durchführung einer Failure Mode and Effects Analysis wird ein Team gebildet, das sich vor allem aus Ingenieuren rekrutiert. Idealtypisch durchläuft eine FMEA folgende Arbeitsschritte: 1.
Einleitung einer Risikoanalyse betroffener Bereiche.
2.
Bewertung der Risiken vornehmen (Risikoprioritätszahl).
3.
Identifikation von Verbesserungsmaßnahmen.
4.
Initiierung von Umsetzungsmaßnahmen.
5.
Erläuterung signifikanter Abweichungen.
Zur Eintragung der Orientierungsdaten dient ein Formblatt (vgl. Abbil‐ dung D.16). Mögliche Fehlerquellen werden mittels Kreativitätstechni‐ ken (wie Brainstorming, Brainwriting, Morphologischer Kasten) ermit‐ telt. Die potenziellen Fehlerursachen sind in das Formblatt einzutragen und zu gewichten. Es werden drei Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt, deren multiplikative Verknüpfung in die Berechnung einer Risikoprio‐ ritätszahl mündet (vgl. Kamiske/Pfeufer 2014, S. 55):
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Fehlers. Wahrscheinlichkeit der Bedeutung des Fehlers. Wahrscheinlichkeit des Entdeckens eines Fehlers vor Produktausliefe‐ rung an den Kunden. 356
Instrumente zur Qualitätssicherung
D.5
Die Multiplikation der drei Wahrscheinlichkeiten ergibt den Ist‐ Zustand. Üblich ist die Quantifizierung der Komponenten auf einer Skala von eins („kein“ oder „sehr geringes Risiko“) bis zehn („sehr ho‐ hes Risiko“). Im Extremfall erreicht die Risikoprioritätszahl folglich einen Wert von 1.000 Punkten. Sie spiegelt Kriterien wie Gebrauchstüch‐ tigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Die am höchsten bewerteten Risiken sind zuerst zu beseitigen, um die Verbesserungsreihenfolge zu wahren. Es werden Maßnahmen definiert, die zur Reduzierung der Risikoprioritätszahl beitragen und in den Soll‐Zustand münden.
Vom Ist- zum Soll-Zustand überleiten
Im Folgenden wird ein Beispiel zur Durchführung einer FMEA in der Supply Chain skizziert. Nachdem die Namen der Teammitglieder in das Formblatt eingetragen wurden, ist zunächst der Anwendungsbereich zu kennzeichnen. Die FMEA kann sich auf sämtliche Funktionen der Wert‐ schöpfungskette erstrecken. Aus Gründen der Übersichtlichkeit bezieht sich die FMEA im Folgenden exklusiv auf die Wareneingangskontrolle. Zunächst sind potenzielle Fehler der Wareneingangskontrolle und ihre Ursachen aufzulisten. Ein möglicher Fehler stellt die falsche Zuweisung von Materialien zu ihren Lagerorten dar. Die Ursache des Fehlers liegt darin begründet, dass die Waren ihren Lagerplätzen manuell zugeteilt werden. Die Lagerarbeiter müssen die Sachnummern suchen, weil sie die Materialien nicht sofort finden. Daraus ergeben sich Probleme beim Picken der Waren für die Kommissionierung. Anschließend wird für den Ist‐Zustand eine Risikoprioritätszahl ermittelt (hier: 480 Punkte). Sie errechnet sich aus der Multiplikation der oben genannten drei Wahr‐ scheinlichkeiten:
„Besser ein Diamant mit einem Fehler als ein Kieselstein ohne.“ (Konfuzius)
a)
Wahrscheinlichkeit des Fehlerauftritts.
b)
Wahrscheinlichkeit der Fehlerbehebung.
c)
Wahrscheinlichkeit der Fehlerentdeckung (vor Auslieferung).
a × b × c = 8 Punkte × 10 Punkte × 6 Punkte = 480 Punkte.
Anschließend findet eine Überleitung zum Soll‐Zustand statt. Als emp‐ fohlene Abstellmaßnahme des Fehlers wird eine Zuordnung von Waren zu ihren Lagerplätzen mittels RFID identifiziert. Außerdem sind die Verantwortlichkeiten und die jeweiligen Zeitfenster festzulegen. Durch diese Maßnahmen reduziert sich die Risikoprioritätszahl schließlich auf 30 Punkte:
357
Verbesserungen vornehmen und RPZ senken
D
Instrumente des Supply Chain Managements
a)
Wahrscheinlichkeit des Fehlerauftritts.
b)
Wahrscheinlichkeit der Fehlerbehebung.
c)
Wahrscheinlichkeit der Fehlerentdeckung (vor Auslieferung).
Von der Ist-RPZ zur Soll-RPZ
Abbildung D.16
a × b × c = 1 Punkt × 10 Punkte × 3 Punkte = 30 Punkte.
Das oben charakterisierte Beispiel für die Anwendung der FMEA im Supply Chain Management findet sich in Abbildung D.16. Es wird deut‐ lich, dass die Risikoprioritätszahl gesenkt wurde. Die Wahrscheinlich‐ keit der Bedeutung des Fehlers ist allerdings nicht zu reduzieren.
Formblatt einer FMEA (Wareneingangskontrolle)
Anwendungsbereich
Wareneingangskontrolle
Potenzieller Fehler
Falsche Warenzuordnung zum Lagerplatz
Potenzielle Fehlerursache
Manuelle Warenzuteilung zum Lagerplatz
Folge des Fehlers
Probleme der Kommissionierung
Ist‐RPZ
8 x 10 x 6 = 480
Abstellmaßnahme
RFID‐Zuordnung der Waren zum Lagerplatz
Verantwortlich
Brigitte Werner
Termin
16‐01‐2021
Soll‐RPZ
1 x 10 x 3 = 30
Verantwortlich
Hans Hubert („Berti“) Vogts
Legende: „RPZ“ steht für Risikoprioritätszahl
Problembereiche der FMEA
Die FMEA ist ein sehr pragmatischer Lösungsansatz. Er dient nachhaltig zur Steigerung der Transparenz von Supply Chain Prozessen. Sämtliche Aktivitäten sind hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit auf den Prüfstand zu stellen, was „einem klärenden Gewitter“ gleichkommt. Doch wo Licht ist, findet sich bekanntlich auch Schatten:
Das Team setzt sich vor allem aus Ingenieuren zusammen. Dadurch bleibt das Wissen von Experten aus Marketing oder Controlling weitgehend unberücksichtigt.
358
Instrumente zur Qualitätssicherung
D.5
Die Failure Mode and Effects Analysis dient als Alibifunktion. Für ei‐ ne Produkthaftungsklage wirkt die FMEA entlastend im Sinne von „Wir haben alle Anstrengungen unternommen, um Risiken zu ver‐ meiden“. Im umgekehrten Fall kann die nicht durchgeführte Fehler‐ Möglichkeits‐ und Einfluss‐Analyse eine Belastung sein, wenn der Kunde seinem Lieferanten die Aufstellung einer FMEA abverlangt.
Bei der FMEA treten durch Auf‐ oder Abrundungen Skalenbrüche auf. Strukturelle Unterschiede verschwimmen bei zwei Risiken, die zum Beispiel bei „6,6“ und „7,4“ Punkten liegen. Die verdichtete Ri‐ sikoprioritätszahl „7,0“ suggeriert ein gleich hohes Risiko für beide potenziellen Fehler, obwohl eine Spannweite von 0,8 Punkten vor‐ liegt.
Für komplexe Prozesse ist die Durchführung einer FMEA zudem recht zeitaufwendig.
Die drei Wahrscheinlichkeiten, welche einer Ermittlung der Risi‐ koprioritätszahl dienen, werden gleich stark gewichtet. Ihre Bedeu‐ tung für das Supply Chain Management kann allerdings von Fall zu Fall variieren.
Schließlich ist die Berechnung der drei Wahrscheinlichkeiten subjek‐ tiv. Es handelt sich um personenbezogene Einschätzungen von Risi‐ kopotenzialen. Zwei unabhängige Teams können bei der Berechnung ihrer Risikoprioritätszahlen – selbst für identische Prozesse – zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
D.5.3
Bottleneck Engineering
Bottleneck Engineering bietet eine dritte Möglichkeit zur Qualitätssiche‐ rung in modernen Supply Chains (vgl. Akao 1992, S. 143ff.; Gamweger et al. 2009, S. 64ff.). Es ist ein Subinstrument des Quality Function Deploy‐ ments. Die vier Qualitätspläne von QFD basieren auf Qualitätstabellen (vgl. S. 352). Innerhalb dieser Tabellen werden unterschiedliche Quali‐ tätszielwerte festgelegt. Wenn ein Qualitätszielwert – ein objektiver Ziel‐ wert im Quality Function Deployment – nicht einzuhalten ist, liegt eine Engpasssituation (ein Bottleneck) vor.
Engpässe vermeiden
Die Verifizierung des Qualitätsniveaus für ein Bottleneck Engineering fußt auf einer Matrix. Im Kern wird eine Antwort auf die Frage gesucht, ob das anvisierte Qualitätsniveau der Supply Chain mit den zur Verfü‐ gung stehenden Techniken zu realisieren ist. Wenn nicht, existiert ein technischer Engpass. Während sich die Prozessinhalte in der Matrix auf
Einsatzbereiche des Hilfsmittels
359
D
Instrumente des Supply Chain Managements
der Ordinate finden, kennzeichnen die zur Verfügung stehenden Tech‐ niken die Abszisse. Eine Bewertung innerhalb der Matrix erfolgt in An‐ lehnung an die Nutzwertanalyse. Arbeitsschritte
„Der Flaschenhals, durch den die Menschheit muss, ist nach oben hin so eng, dass er zum Nadelöhr wird, durch das wir Kamele wohl nicht passen wollen.“ (T. S. Lutter)
Der Prozess des Bottleneck Engineerings durchläuft idealtypisch nach‐ stehende fünf Arbeitsschritte: 1.
Systematische Feststellung einer Problemstellung.
2.
Bestimmung von Qualitätszielwerten für ausgewählte Designan‐ forderungen (Produktkomponenten).
3.
Vergleich von Qualitätszielwerten mit festgelegten Benchmarks pro Designanforderung.
4.
Definition und Einleitung von Maßnahmen zur Gegensteuerung.
5.
Kontinuierliche Erläuterung von Abweichungen.
Die unterstützende Wirkung des Bottleneck Engineerings für das Quali‐ ty Function Deployment wird durch das Beispiel „Entwicklung eines Badmintonschlägers“ deutlich. Eine Kundenanforderung lautet, dass der Schläger nicht aus der Hand rutschen darf. Diese Kundenanforde‐ rung korreliert mit der Umwicklung des Schlägergriffs (Designanforde‐ rung). Frottee bietet eine Möglichkeit zur Umwicklung des Griffs. Die Designanforderung Frottee (der Repetierfaktor) wird mit den zur Verfü‐ gung stehenden Techniken (den Potenzialfaktoren) abgeglichen. Es stellt sich heraus, dass die Maschine für die Bespannung der Schlägergriffe auf Kunststoffbänder geeicht ist. Wird Frottee auf die Maschine ge‐ spannt, reißt das Material. Es liegt eine Engpasssituation vor. Weil die Kundenanforderung umzusetzen ist, muss entweder das Material zur Umwicklung des Schlägergriffs geändert oder die Arbeitsstation substi‐ tuiert (modifiziert) werden.
D.6 Wirkung neuer Medien
Instrumente zur IT-Unterstützung
In einer Wertschöpfungskette wird das Informationsmanagement insbe‐ sondere durch die Hilfsmittel Electronic Data Interchange (EDI), Web‐ EDI, Barcode, RFID, Data Warehouse, Computer Aided Manufacturing, Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling realisiert. Ihre nähere Charakterisierung erfolgt in den nachstehenden Kapiteln.
360
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6.1
D.6
Electronic Data Interchange (EDI) und WebEDI
Electronic Data Interchange (EDI) ist ein elektronischer Datenaustausch zwischen mindestens zwei Partnern (vgl. Cancilla 2017; Kischporski 2017; Nollau/Ziegler 2002). Im Supply Chain Management wird dazu eine Point‐to‐Point‐Anbindung zwischen Lieferanten (Quellen) und Kunden (Senken) geschaffen. Die Partner steuern ihren elektronischen Datenaus‐ tausch über Abrufe, Gutschriften, Rechnungen, Transportdaten oder Bestände. Ein Beispiel für die Verknüpfung der Systeme zwischen den Akteuren via EDI ist eine automatisierte Lagerhaltung: Wenn der Mel‐ debestand im Lager des Kunden erreicht ist, löst der Lieferant von selbst eine Warenzustellung aus, ohne dass der Kunde einen Lieferabruf tätigt.
„Das Internet bietet unvorstellbar viel Mist, der Rest ist gar nicht so übel.“ (E. Probst)
EDI aggregiert sich aus zwei Bausteinen (vgl. Kischporski 2017, S. 13; Neuburger 2013, S, 77): Dem Kommunikations‐ und dem Konvertie‐ rungssystem. Symptomatisch für das Kommunikationssystem ist die Ver‐ wendung von Protokollen. Eine Mailbox stellt die technische Plattform einer Point‐to‐Point‐Anbindung zwischen den Partnern dar. Internen und externen Usern kann eine Zugangsberechtigung zu dieser Mailbox erteilt werden. Das zweite Modul, das Konvertierungssystem von EDI, gewährleistet die Standardisierung der Nachrichtenformate. Ansonsten müssten die Dateien während des Transfers laufend neu konvertiert werden. Bei der Standardisierung von Formaten hat sich weltweit EDIFACT (vgl. Begriffsblock D.VII) durchgesetzt. Die Bestrebungen zur Erarbeitung einer europäischen Norm mündeten beispielsweise in der Automobilindustrie in den Standard ODETTE (vgl. Begriffsblock D.VII).
Papierlose Kommunikation und Standardisierung
Begriffsblock D.VII
EDIFACT und ODETTE
EDIFACT (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) ist ein weltweiter, branchenunabhängiger Standard für EDI. Im Jahr 1988 vorgestellt, ist EDIFACT nach Verfahrensanwei‐ sungen zu pflegen. Die Initiative zur Vereinheitlichung der Abläufe wurde von der International Standardization Organization (ISO) ins Leben gerufen.
ODETTE (Organization for Data Exchange by Teletransmission in Europe) ist ein branchenabhängiger Standard. Auf Basis der EDIFACT‐ Syntax, wurde er von der europäischen Automobil‐ und ihrer Zulie‐ ferindustrie erarbeitet (unter Beteiligung des VDA).
361
D Was bringt EDI?
Instrumente des Supply Chain Managements
Die Vorteile von Electronic Data Interchange sind vor allem in fol‐ genden Punkten zu sehen:
Jedes Ding hat seine zwei Seiten
Vermeidung einer Mehrfacherfassung von Daten. Senkung der Anzahl manueller Tätigkeiten. Reduzierung administrativer Maßnahmen (Konvertieren). Beschleunigung der Kommunikationsprozesse (Standards).
Eine Anbindung über EDI beinhaltet jedoch auch einige kritische Punkte, die anschließend kurz aufgelistet werden:
- Geringe Transparenz über Gebühren der Netzbetreiber. - Verletzung der Zugriffsrechte (Geheimhaltung). - Zum Teil hohe Anschaffungskosten (je nach Ausprägung). In Web-EDI verschmelzen Offenheit und Standard
An diesem letzten Kritikpunkt setzt Web‐EDI (vgl. Schumacher 2006; Werner 2001, S. 24) an. Web‐EDI bedeutet die Realisierung eines elektro‐ nischen Datenaustauschs über Internet oder Extranet. Hier wird die Point‐to‐Point‐Anbindung (1:1) einer konventionellen EDI‐Schnittstelle zugunsten einer n:m‐Beziehung aufgelöst. In diesem Kontext finden Lösungen wie „XML“ (Extensible Markup Language) Einsatz. Der Da‐ tenaustausch zwischen den Partnern (beispielsweise die Wertschöp‐ fungskette Lieferant‐Hersteller‐Kunde) gestaltet sich bei Web‐EDI aus‐ gesprochen flexibel, weil zur Nutzung von Web‐EDI keine spezielle Software zu installieren ist.
Web-EDI ist für KMU sehr interessant
Jetzt haben auch kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) die Möglichkeit zur durchgängigen Planung von Prozessketten mit ihren Partnern. Während eine traditionelle EDI‐Verbindung nur wenigen Systemlieferanten und größeren Kunden den Datenaustausch mit dem Hersteller gestattet, sind durch Web‐EDI insbesondere kleine und mit‐ telgroße Organisationen nicht länger auf Hilfsmittel wie Fax, Telefon oder Postweg angewiesen. In Web‐EDI verschmelzen die Vorteile von Offenheit (Internet) und Standardisierung (EDI). Dadurch werden die jeweiligen Nachteile einer isolierten Betrachtung des Internets (es gibt kaum Richtlinien für die automatisierte und die digitale Weiterverarbei‐ tung der Daten beim Empfänger) und EDI (die besonders ausgeprägte Inflexibilität) aufgelöst. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Kunden bei Existenz von Web‐EDI‐Schnittstellen von angebundenen Lieferanten erwarten, dass diese (u. U. mehrmals täglich) im System nachschauen, ob eine Bestellung vorliegt oder sich die Kundenabrufe geändert haben.
362
Instrumente zur IT-Unterstützung
Für die Realisierung von Web‐EDI benötigen die Partner lediglich einen geeigneten PC, einen Zugang zum Internet und einen Browser. Bei der Verarbeitung kleiner Datenmengen reduzieren sich durch die Berück‐ sichtigung von Web‐EDI die Kosten in der Supply Chain zum Teil deut‐ lich: Nach einer veröffentlichten Studie von Roland Berger sinken durch die Nutzung von Web‐EDI im Autobau die Kommunikationskosten pro Transaktion von acht Euro (traditioneller elektronischer Datenaus‐ tausch) auf einen Euro (Web‐EDI, vgl. Schumacher 2006, S. 13). Indem punktuelle Anbindungen bei Web‐EDI entfallen, können derartige kol‐ laborativen Planungsprozesse im gesamten Netzwerk der Lieferkette zu vergleichsweise günstigen Konditionen stattfinden. Web‐EDI stößt jedoch insbesondere dann an seine Grenzen, wenn im Rahmen der Kommunikation zwischen den Partnern große Datenmen‐ gen anfallen (Big Data). In diesem Fall ist die klassische EDI‐Anbindung die bessere Alternative, weil hier dauerhafte Schnittstellen vorliegen. Diese permanenten Verbindungen sind auf die Bearbeitung großer In‐ formationsmengen ausgelegt. Wie auf S. 362 deutlich wurde, verlagert der Kunde mit Web‐EDI auch Aktivitäten auf angeschlossene Lieferan‐ ten. Diese müssen nun selbständig und unaufgefordert mehrmals täg‐ lich im System nachschauen, ob revidierte Kundenaufträge vorliegen.
D.6.2
D.6 Cash-Throw-offs ausschöpfen
Große Datenmengen reiben WebEDI auf
Barcode
Der Barcode wird synonym Strich‐ oder Balkencode genannt (vgl. Dankmeier 2013; ten Hompel/Büchter 2007; Klimant et al. 2012; Klimonczyk 2016; Schwaiger 2009). Ein Barcode ist ein optoelektronischer Datenträ‐ ger, welcher den Identifikationstechniken zuzurechnen ist. Der Bar‐ code bildet eine Sequenz von Strichen ab, die mit dem Scanner gelesen werden. Beim Auftreffen reflektierten Lichts auf einen Fotosensor, wird eine elektrische Impulsfolge erzeugt, automatisch ausgewertet (deco‐ diert) und in rechnerverständliche Signale übersetzt. Die Technik ist bereits 70 Jahre alt. Mittlerweile existieren viele 2D Codes (Code 49, PDF 417, QR‐Code, Data Matrix, Maxi Code). Sie wurden weiterentwickelt zu 3D Codes (High Capacity Color Codes). Diese lesen Informationen von bunten Labels. Noch intelligenter sind 4D Codes: Sie berücksichtigen neben der Farbe zusätzlich die Zeit. 4D Codes werden in einer Abfolge nacheinander erfasst. Bestrebungen zur Vereinheitlichung verschiedener Barcodes mündeten in die Europäische Artikelnummer (EAN, vgl. Be‐ griffsblock D.VIII, in dem dieser Sachverhalt wiedergegeben wird).
363
Über 250 verschiedene BarcodeTechniken weltweit
D Begriffsblock D.VIII
Instrumente des Supply Chain Managements
EAN‐Code und Global Commerce Initiative Ein EAN‐Code (Europäische Artikel Nummer) fördert die Standardisierung von Sachnummern, um potenzielle Fehlerquellen beim Scannen zu reduzie‐ ren. Der EAN‐Code ist ein an Waren angebrachter Aufklebezettel, der durch den Barcode oder RFID identifiziert wird. Die Bestrebungen der Global Commerce Initiative münden in eine weltweite Standardisierung der Arti‐ kelnummern (Erweiterung von EAN). Die Initiative wurde von 30 Akteuren verschiedener Branchen in Paris gegründet, und die Aktivitäten unterstüt‐ zen über 800.000 Unternehmen weltweit. Direkt beteiligt sind zum Beispiel Coca Cola, Procter & Gamble, Wal Mart, Mars und Unilever.
Neue Anwendungsgebiete
Barcodes werden nicht nur für einfache Scann‐Vorgänge eingesetzt. Ihr Anwendungsbereich ist mittlerweile recht umfangreich. UPS kontrol‐ liert beispielsweise weltweit über das Internet den aktuellen Aufent‐ haltsort von Paketsendungen online. Daimler verschafft sich einen Über‐ blick hinsichtlich seiner auf den Weltmeeren befindlichen Warenwerte. Schließlich sorgt Airbus Industries mit Barcode‐gestützter Lagerhaltung dafür, dass die Flugzeuge möglichst lange in der Luft, und nicht unnötig im Hangar, verweilen.
Chargenrückverfolgbarkeit als Primärziel
Die Strichcodes sind für eine Produkthaftung ausgesprochen interes‐ sant. Mit ihnen wird die Chargenrückverfolgung erleichtert. Wenn Fehler auftreten, können diese rasch bis auf ihren Ursprung zurückge‐ führt werden. Ein Punkt, der insbesondere bei Rückrufaktionen von Relevanz ist. Diesbezüglich führte Intel die Seriennummer für ihre Mik‐ roprozessoren ein, weil Computer‐Chips ähnlich austauschbar wie Glühlampen sind. Ohne Seriennummer fehlt den Prozessoren die indi‐ viduelle Kennzeichnung, die eine Rückverfolgung ermöglicht.
D.6.3 „Veni, vidi, vici“ – Wie Caesar einst bei Zela (Schlacht gegen Pharnakes II)…
Radio Frequency Identification (RFID)
Die RFID‐Technologie stellt eine Weiterentwicklung des Barcodes dar. Sie kam erstmals im zweiten Weltkrieg zum Einsatz (vgl. Finkenzeller 2015; Kern 2006; Lenk 2015; Polat 2013; Tamm/Tribowski 2010). Der be‐ triebswirtschaftliche Nutzen von RFID wurde aber erst viel später (zu Beginn der 90er Jahre) erkannt. Bei Radio Frequency Identification han‐ delt es sich um eine Technologie zur kontaktlosen, umfassenden Identi‐ fizierung von Objekten und der Erfassung von Daten jedweder Art.
364
Instrumente zur IT-Unterstützung
Ein RFID‐System besteht aus drei Komponenten: Dem Rechner (Com‐ puterapplikation), einem Lesegerät mit integrierter Kopplungseinheit sowie dem RFID‐Transponder. Der Transponder wird auch häufig als „Tag“ bezeichnet. In die deutsche Sprache übertragen meint ein „Tag“ so viel wie „Etikett“ oder „Schildchen“. Er ist an einem Objekt (zum Beispiel der Ware oder einem Container) befestigt und stellt den eigent‐ lichen Datenträger eines RFID‐Systems dar. Ein Transponder besteht aus einem Koppelelement sowie einem elektronischen Mikrochip (vgl. Abbildung D.17).
Bestandteile eines RFID‐Systems
D.6 „Die beste Methode, um Informationen zu bekommen, ist die, selbst welche zu geben.“ (N. Machiavelli)
Abbildung D.17
Daten
RFID‐Lesegerät Takt und Energie
Kontaktloser Daten‐ träger (RFID‐Transponder)
Computer‐ Applikation
Koppelelement und Chip (Spule, Mikro‐ wellenantenne)
Die Datenübertragung sowie die Energieversorgung zwischen dem Transponder und dem Lesegerät erfolgt unter Verwendung magneti‐ scher oder elektromagnetischer Felder. Das Lesegerät sendet Daten an den Transponder und empfängt Informationen von diesem, sobald sich der Transponder in dem Ansprechbereich des Lesegeräts befindet. Die vom Lesegerät empfangenen Daten werden durch die nachgeschaltete Computerapplikation ausgewertet (vgl. Finkenzeller 2015, S. 113).
Bedeutung elektromagnetischer Felder
Bei den RFID‐Geräten gibt es eine Vielzahl von Bauformen, welche sich auf die Schaltung (Chip), die Antenne und die Verkapselung beziehen und somit die Befestigungsmöglichkeiten an einem Objekt beeinflussen. Die Verkapselung stellt lediglich einen Schutz gegen Umwelteinflüsse dar. Eine stark verbreitete Transponderform ist der Smart Label, bei dem die Spule – inklusive RFID‐Chip – auf einer Klebefolie angebracht ist. Diese Transponder können als Selbstklebeetiketten benutzt werden, um sie auf Gepäckstücke, Pakete und Waren zu heften. Da diese Klebeeti‐
Aktive und passive Transponder
365
D
Instrumente des Supply Chain Managements
ketten nachträglich leicht zu bedrucken sind, ist es möglich, sie mit ei‐ nem zusätzlichen Strichcode auszustatten. Transponder benötigen zur Erfüllung ihrer Funktionen Energie, um ihren Mikrochip zu betreiben und Daten zum Lesegerät zu senden. Sie lassen sich nach ihrer Art der Energieversorgung in passive und aktive Tags untergliedern. Günstige Variante
Passive Transponder haben keine eigene Energieversorgung. Viel‐ mehr wird die Energie für den Betrieb von RFID durch das Lesegerät bereitgestellt. Wenn die Waren in das elektrische Feld eines Lese‐ geräts gelangen, wird ein elektromagnetisches Feld erzeugt, das die Antennenspule des Empfängers durchdringt. Jetzt können die Daten ausgelesen werden.
Starke Leistung zu hohem Preis
Level von RFID
Tags auf Ladungsträgern anbringen
Case-Level auf Kartonagen und Behältern
Aktive Transponder verfügen über eine eigene Energiequelle. Sie haben eine Batterie, die den Mikrochip mit ausreichender Leistung versorgt und den Erhalt der gespeicherten Daten sichert. Die Energie für die Datenübertragung bekommt der Transponder über das elekt‐ romagnetische Feld, welches vom Lesegerät erzeugt wird. Aktive Transponder können Daten über größere Distanzen mit dem Lese‐ gerät austauschen und bieten höhere Datenübertragungsraten.
Das RFID‐Verfahren stellt eine Querschnittstechnologie dar, die bran‐ chenübergreifend zu Identifikationszwecken eingesetzt wird. Die Kenn‐ zeichnung und Identifikation kann grundsätzlich auf drei verschiede‐ nen Ebenen stattfinden: Unit‐Level, Case‐Level und Item‐Level.
Bei der Identifikation auf Ladungsträgerebene (Unit‐Level) wird je‐ der Ladungsträger (z.B. eine Palette) mit einem RFID‐Tag versehen. Enthält die Palette sortenreine Ware, erfolgt die Speicherung von Produktdaten (Artikelnummer, Mindesthaltbarkeitsdatum) auf dem Transponder. Bei nicht sortenreiner Ware ist auf dem Tag nur eine Unit‐ID abgelegt. Der Zugriff auf Produktinformationen, welche in einer Datenbank gespeichert sind, wird durch eine Verknüpfung der Unit‐ID mit produktspezifischen Daten gewährleistet. Auf Unit‐Level eignet sich besonders der Einsatz von beschreibbaren Einheiten, um zusätzliche Daten (wie das Wareneingangsdatum) erfassen zu kön‐ nen.
Die Identifikation von Produkten auf Karton‐ bzw. Behälterebene (Case‐Level) verhält sich ähnlich wie die der Ladungsträgerebene (Unit‐Level). Bei sortenreinen Waren werden Produktinformationen wieder direkt auf einem RFID‐Tag gespeichert, der jetzt allerdings auf einer Kartonage oder einem Mehrwegbehälter appliziert ist. Für
366
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
nicht sortenreine Waren verweist die Case‐ID auf die in einer Daten‐ bank hinterlegten Produktinformationen.
Bei der Identifikation auf Artikelebene (Item‐Level) besitzt jedes Pro‐ dukt eine weltweit eindeutige Identifikationsnummer. Auf Item‐ Level kommen Read‐Only‐ oder einmal beschreibbare Write‐Once‐ Read‐Many (WORM)‐Transponder zum Einsatz. Sämtliche Produkt‐ daten werden hierbei in einer zentralen Datenbank erfasst, die mittels Artikel‐ID abrufbar sind.
Grundsätzlich sind Radiofrequenzsysteme über die gesamte Supply Chain einzusetzen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass bis dato ein Sammelsurium unterschiedlicher Transponderarten vorliegt. Weil es noch keinen Standard für die Radiofrequenztechnik gibt, entstehen an den Schnittstellen einer Wertschöpfungskette Reibungsverluste. Zwi‐ schen den Partnern sind nämlich die Daten häufig noch zu konvertieren. Bei näherer Betrachtung der mannigfaltigen Eigenschaften von RFID‐ Lösungen wird deren weites Anwendungsspektrum rasch deutlich (vgl. Finkenzeller 2015; Justin 2005; Tamm/Tribowski 2010).
Datenänderung und ‐ergänzung: Bei den „Read‐and‐Write“‐Tags be‐ steht die Möglichkeit, die Daten über 100.000‐fach zu überschreiben. Außerdem können die originären Informationen jederzeit aktualisiert oder erweitert werden. Diese Alternativen bietet der rigide Barcode nicht.
Schnelligkeit und Reichweite: Die Lesegeschwindigkeit von RFID ist deutlich höher als die des Barcodes, wodurch die Rückverfolgbarkeit der Informationen gefördert wird. Zusätzlich steigt die Lesedistanz. „Long‐Range‐Systeme“ besitzen bereits eine Reichweite von über zwanzig Metern Entfernung. Daraus ergibt sich jedoch das Risiko, dass die Leseeinheiten auch Objekte außerhalb des anvisierten Erfas‐ sungsfelds identifizieren.
Datenkapazität: Im Vergleich zum konventionellen Strichcode, kann ein Transponder weit größere Datenmengen abbilden. Der kleinste Typ ist der „Festcodespeicher“. Er fasst zwischen 16 Bit und 64 Bit und verwaltet reine Binärdaten. Die meisten Transponder sind mit Prozessoren, RAM‐ oder ROM‐Speichern ausgestattet. Beispielhaft dafür steht der EEPROM („Electrical Erasable Programmable Read Only Memory“). Dieser Speicher besitzt eine Kapazität bis zu 8 KB. Bei großen Speicherformaten hängt die Decodierung der Informatio‐ nen allerdings direkt von der Menge der zu verarbeitenden Informa‐
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Transponder am Produkt selbst applizieren
Ausgeprägte Supply Chain Affinität
Transponder sind überschreibbar
Longe-RangeLösungen
Kleine und große Applikationen
D
Instrumente des Supply Chain Managements
tionen ab. Eine verlängerte „Auslesezeit“ erhöht jedoch die ohnehin nicht geringen Preise für die Radiofrequenzlösungen. Unterscheidung nach der Datenübertragung
Betriebsdaten: Die Betriebsarten werden nach Vollduplex‐Systemen,
Lesegeräte untergliedert nach ihrer Frequenz
Betriebsfrequenz: Bezüglich der Betriebsfrequenz der Lesegeräte er‐
Barcode im Preis unschlagbar
Kosten: Der Transponder hätte den Barcode wohl schon viel stärker
Erfassung im Pulk möglich
Einzel‐ und Pulk‐Erfassung: Mit Hilfe des Lesegeräts können be‐
Umweltresistenz
Umweltfaktoren: Insbesondere Metalle beeinflussen die elektromag‐
Teilduplex‐Systemen und sequentiellen Transpondern unterschieden. Bei Vollduplex‐Systemen ist eine gleichzeitige beiderseitige Daten‐ übertragung möglich. Teilduplex‐Systeme gewährleisten ebenfalls einen Datentransfer in zwei Richtungen, aber abwechselnd und nicht simultan. Sequentielle Transponder hingegen erlauben nur eine Da‐ tenübertragung in eine Richtung. folgt eine Untergliederung in die drei Bereiche Low Frequency (von 30 kHz bis 300 kHz), High Frequency (3MHz bis 30 MHz) sowie Ra‐ dio Frequency (300 MHz bis 3 GHz). ergänzt, wäre er im Vergleich zum Strichcode nicht deutlich teurer. In Abhängigkeit von den Anforderungen und den Stückzahlen, be‐ wegen sich die Preise für Tags zwischen wenigen Eurocent und eini‐ gen Tausend Euro (RFID‐Lösungen im „Long‐Range‐Bereich“). Für den Einsatz von Radiofrequenzsystemen muss in aller Regel die be‐ stehende Infrastruktur erweitert werden (wie die Hardware im Be‐ reich der Informationstechnologie). stimmte Tags gezielt angesteuert werden. Es besteht die Möglichkeit, hunderte von Transpondern in einem Antennenfeld gemeinsam an‐ zuvisieren (Pulk‐Erfassung). Problematisch gestaltet sich dabei je‐ doch das direkte „Übereinander positionieren“ der einzelnen Anten‐ nen (im Sinne einer „Anti‐Kollisions‐Positionierung“). netischen Felder. Sie erzeugen Wirbelströme, die zum „Datenchaos“ führen. Auch wenn eine Ferritabschirmung diesen Effekt dämpfen kann, bleibt die Leistungsfähigkeit von RFID eingeschränkt. Gegen‐ über rauen Umwelteinflüssen (wie Schmutz, Feuchtigkeit, Tempera‐ turschwankung oder Vibration) reagieren die meisten Transponder jedoch weitgehend resistent. So arbeiten spezielle Radiofrequenzsys‐ teme in Gießereien noch bei einer Temperatur von über 250 Grad Celsius problemlos. Ausgenommen ist davon der recht empfindliche Röhrentransponder aus Glas. Dieser wird häufig in der Kennzeich‐ nung von Haustieren, Nutzvieh und Versuchstieren eingesetzt (Hunde, Katzen, Rinder, Schafe, Ziegen, Vögel).
368
Instrumente zur IT-Unterstützung
Optische Abdeckung: Schließlich kann die Radiofrequenztechnik ohne Sichtkontakt zur Leseeinheit eingesetzt werden. Der Chip ist am Produkt selbst oder an einer Verpackung anzubringen. Zum Beispiel nutzt der Versandhandel die Möglichkeit, den Transponder in eine Folie zu laminieren, um dadurch die Sendungsverfolgung während des Transports kontinuierlich zu gewährleisten.
D.6 Laminierungstechnik
In der Supply Chain bewirkt die Nutzung von RFID unterschiedliche betriebswirtschaftliche Effekte (vgl. unten). Zunächst reduzieren sich die Bearbeitungszeit und der Ressourcenverbrauch. Weiterhin fällt we‐ niger Schwund in der Produktion an, die Rate an Prozessfehlern nimmt ebenso ab. Der Informationsfluss beschleunigt sich tendenziell und die Kundenzufriedenheit steigt.
RFID in der Supply Chain
Die Bearbeitungszeit in der Supply Chain verkürzt sich durch die Nut‐ zung von RFID, indem Mitarbeiter von zeitraubenden manuellen Routi‐ netätigkeiten entlastet werden. Der Grad an Automatisierung steigt, was Auswirkungen auf die Kostenstruktur der produzierten Güter hat. Au‐ ßerdem können die Menschen jetzt in anderen Wertschöpfungsprozes‐ sen eingesetzt werden.
Schnelle Supply Chain Prozesse mittels RFID
Eine weitere Wirkung des Einsatzes der Radiofrequenztechnik in der Supply Chain bezieht sich auf den Ressourcenverbrauch (Geldmittel, Sachmittel). Beispielsweise kann RFID im Rahmen der Kommissionie‐ rung zum Einsatz kommen. Die Rate manueller Tätigkeiten (mittels Handlesegeräten) sinkt, und es werden weniger Kommissionierer im Prozess benötigt. Wenn weniger Menschen in der Halle arbeiten, wer‐ den auch nicht mehr so viele Flurförderzeuge benötigt.
Reduzierung des Vermögensverzehrs
Mit Hilfe von RFID können außerdem die Schwundraten gesenkt wer‐ den. Beispielsweise dienen die Tags der Diebstahlsicherung gegenüber Kunden und Mitarbeitern, der Reduzierung von Warenverlust, durch das digitale Erkennen einer begrenzten Mindesthaltbarkeit, sowie der automatisierten Informationsweitergabe bei einer Warenbeschädigung.
Weniger Schwund in der Lieferkette
Ein zusätzlicher Effekt, der auf die Nutzung von RFID in der Supply Chain zurückgeht, ist mit der Reduzierung von Prozessfehlern verbun‐ den. Im Sinne von Total Cost of Ownership bedeuten weniger Prozess‐ fehler eine Absenkung unliebsamer Folgekosten. So ist die Rate an Nacharbeiten (Rework) gezielt abzusenken. Weiterhin dürfte die Kun‐ denzufriedenheit zunehmen (Zuwachs an Vertrauen, weniger Schaden‐ ersatzansprüche).
Senkung der Folgekosten
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D
Instrumente des Supply Chain Managements
Der Detaillierungsgrad von Informationen verbessert sich
Ein weiterer betriebswirtschaftlicher Effekt, welcher sich aus der Nut‐ zung von Radiofrequenzlösungen in der Supply Chain ergibt, bezieht sich auf den verbesserten Informationsfluss (Erhöhung der Datengra‐ nularität und Aktualisierung der Prozessdaten). Die Durchlaufzeit im Gesamtprozess wird auf Grund der forcierten Automatisierung ver‐ kürzt. Dadurch reduzieren sich die Personalkosten, da weniger Prozess‐ schritte notwendig sind und die Informationsqualität an Güte hinzuge‐ winnt. Zusätzlich verbessern sich die Analyse‐ und die Auswertungs‐ möglichkeiten innerhalb einer Organisation, was eine kontinuierliche Prozessoptimierung begünstigt und letztendlich auch zu Umsatzsteige‐ rungen führen kann (z. B. den Verkauf zusätzlicher Informationsleistun‐ gen).
Den Kunden glücklich machen
Eng verwoben mit der Steigerung des Informationsflusses ist schließlich die Verbesserung der Kundenzufriedenheit. Die oben aufgezeigten Möglichkeiten der Kostenersparnis können über gesenkte Verkaufsprei‐ se an den Kunden weitergegeben werden. Schließlich nimmt auch die Termintreue mit RFID zu, indem zugesicherte Liefertermine besser ein‐ gehalten werden (z. B. Same Day Delivery, Next Day Delivery).
Praxisbeispiele für die Nutzung von RFID
Nachstehend werden diverse Einsatzfelder der RFID‐Technologie in unterschiedlichen Branchen aufgezeigt. In einigen Bereichen, wie der Automobilindustrie, kommt das Verfahren schon seit etlichen Jahren zum Einsatz. Aber auch der Handel und die Konsumgüterindustrie nutzen die Radiofrequenztechnik mittlerweile umfangreich. RFID hat sich in etlichen Branchen schon zu einer flächendeckenden Technik gemausert. Nachfolgend werden einige Praxisbeispiele aus der Industrie und dem Handel kurz vorgestellt.
„Autos: Draußen die Reifen, drinnen die Unreifen.“ (M. Hinrich)
Die Automobilindustrie gehört zu den ursprünglichen Einsatzgebieten der Radiofrequenztechnologie. Seit Mitte der 90er Jahre werden Zünd‐ schlüssel mit integriertem Transponder für elektronische Wegfahrsper‐ ren in Kraftfahrzeugen verwendet. Ebenso setzt BMW bereits seit eini‐ gen Jahren im Werk Dingolfing die RFID‐Technologie zur Identifikation von Karosserien in der Lagerbewirtschaftung und der Kommissionie‐ rung ein. Dazu wird ein aktiver Tag, der mit typspezifischen Daten (wie der Fahrgestellnummer) beschrieben ist, auf der Motorhaube appliziert. In sämtlichen Montageabschnitten können die benötigen Daten ausgele‐ sen und aktualisiert werden. Insgesamt sind im Werk über 3.500 Trans‐ ponder im Umlauf und rund 80 Lesegeräte installiert. Volkswagen stattete mittlerweile mehr als 800.000 Mehrwegbehälter mit passiven UHF‐Tags aus. Dieser Umstand ist der weltweiten Versorgung von Produktions‐
370
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
werken mit Montagefertigteilen und der Verringerung der Schwundrate geschuldet (vgl. Finkenzeller 2015, S. 384 und S. 403). Auch die chemische Industrie stellt ein Marktsegment dar, in dem sich die RFID‐Technologie bereits seit Jahren etabliert hat. Sie wird bei‐ spielsweise zur eindeutigen Kennzeichnung und Identifikation von erneut befüllbaren Gasflaschen und Behältern mit Chemikalien einge‐ setzt. Zumeist befinden sich dazu beschreibbare Tags im Einsatz, auf denen spezielle Angaben (wie Behälternummer, Inhalt, Volumen, ma‐ ximaler Fülldruck oder TÜV‐Termine) hinterlegt sind. Nach einer Befül‐ lung des Behälters erfolgt die Aktualisierung der auf dem Transponder gespeicherten Daten. Die Pharmaindustrie nutzt die Radiofrequenztechnik, um mit den auf Medikamentenverpackungen applizierten Tags einen eindeutigen Nachweis über die Herkunft des Arzneimittels zu liefern. Außerdem schützen RFID‐Lösungen vor Arzneimittelfälschungen, indem sich der Plagiatschutz von Medikamenten verbessert. RFID bürgt hier quasi als dynamisches Echtheitszertifikat, wodurch Produktfälschungen ausgele‐ sen werden können. Im Pharmabereich stößt die Radiofrequenztechnik diesbezüglich auf ein breites Einsatzgebiet. Liegt doch der Anteil an Plagiaten von Medikamenten allein in den USA bei circa 20 Prozent. Auch der Handel greift mittlerweile recht häufig auf RFID zurück. In dem dortigen Segment Fashion herrschen eigene Gesetze. Die zeitrau‐ bende Applizierung und Ablösung von Hartetiketten bereitet Herstel‐ lern von Modeartikeln zum Teil große Schwierigkeiten. Zudem müssen die Etiketten durch die Naht gestochen werden, um nicht den Oberstoff zu beschädigen. Daher finden sich in der „fashiongroup RFID“ derzeit Bekleidungshersteller und Modehändler zusammen. Unterstützt wer‐ den sie von der Beratungsgesellschaft „GCS“. Die „fashiongroup RFID“ möchte den Tag zukünftig stärker zur Diebstahlsicherung einsetzen („Electronic Article Surveillance, EAS“). Auf Grund unzureichender Warensicherungssysteme finden sich in der Modebranche recht hohe Bestandsdifferenzen. So kündigte C&A im März 2017 das konzernweite Projekt „Source Tagging“ an. Unter Source Tagging wird eine elektroni‐ sche Artikelsicherung bereits im Produktionsland verstanden. Folglich lässt C&A die EAS‐Elemente direkt von den Herstellern an die Beklei‐ dung heften. Auch für den Fashion‐Bereich ist der Markenschutz von großer Bedeutung. Markenartikelhersteller wollen dem Vertrieb von Produktfälschungen nicht länger tatenlos zusehen. Von dem intensivier‐
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Identifizierung von Gasflaschen
RFID zum Aufspüren von Plagiaten
Diebstahlsicherung in der Modebranche
D
Instrumente des Supply Chain Managements
ten Einsatz der Radiofrequenztechnik versprechen sich Luxuslabels eine bessere Chargenrückverfolgung. RFID für Dienstleister
WarehouseManagement via RFID
Ebenso hat die RFID‐Technologie in der Dienstleistungsbranche bereits Einzug erhalten. Beispielsweise überwacht der Logistikdienstleister TK‐ LOG mit Hilfe der RFID‐Technologie für Tiefkühlwaren die Tempera‐ turverläufe während des Transports. Dazu werden aktive Transponder mit integrierter Sensorik auf Paletten‐ und Behälterebene appliziert. Weiterhin wird am Frankfurter Flughafen die RFID‐Technologie – bei der Wartung von sicherheitsrelevanten Einrichtungen – eingesetzt. Die Fraport AG optimierte die einmal im Jahr durchzuführende Wartung von Brandschutzklappen und Brandschutztüren durch die Verwendung von RFID‐Tags. Zur Überprüfung benötigte Informationen (wie Angaben zum letzten Wartungstermin) wurden auf den Transpondern, die direkt auf den Klappen und Türen befestigt sind, gespeichert. Mit mobilen RFID‐Lesegeräten können die hinterlegten Daten jederzeit ermittelt sowie aktualisiert werden. Eine weitere Einsatzmöglichkeit der RFID‐ Technologie im Flughafenumfeld stellt die Abfertigung von Gepäckstü‐ cken dar. Nachstehend werden die speziellen Einsatzmöglichkeiten der RFID‐ Technologie in der Lagerwirtschaft untersucht. Etliche Vorgänge im Lagerbereich, bei denen Mitarbeiter bislang einzelne Barcodes von La‐ gergütern manuell und zeitintensiv einscannen mussten, sind mit Hilfe der RFID‐Technologie effizienter abzuwickeln. Mit modernen Radiofre‐ quenz‐Lösungen versehene Lagergüter können mit mobilen Lesegeräten automatisch identifiziert und die auf dem Chip gespeicherten Informa‐ tionen schneller und kontaktlos übertragen werden. Weiterhin gestatten im Wareneingang und Warenausgang positionierte RFID‐Lesegeräte (auf Grund der Fähigkeit zur Pulk‐Erfassung von Transpondern) die automatische Ortung von kompletten ein‐ und ausgehenden Warenlie‐ ferungen binnen weniger Sekunden. Allerdings unter der Vorausset‐ zung, dass die Waren auf Artikelebene mit Tags ausgestattet sind. Der Mitarbeiter muss dazu den Lesebereich des RFID‐Systems mit der Liefe‐ rung passieren. Die Sendung kann dabei sogar verpackt bleiben oder bereits versandfertig sein, da die Daten auf dem Chip ohne Sichtkontakt ausgelesen und übertragen werden. Ferner weisen RFID‐Lösungen eine weitaus höhere Speicherkapazität als Barcodes auf. Neben einer eindeu‐ tigen Identifikationsnummer können daher zum Beispiel bei Lebensmit‐ teln Verfallsdaten oder auch Temperaturverläufe aufgezeichnet werden. In Lagern mit einer Veredelungsfunktion erteilen Radiofrequenzsysteme schließlich Auskunft über die Reifedauer von Produkten.
372
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
Der Barcode ist als Identifikationstechnik vom Preis her unschlagbar günstig. Pro Barcodevergabe fallen Kosten von wenigen Eurocent an. Einfache, passive Tags kosten das drei‐ bis vierfache. RFID wird (trotz des Vorhandenseins von Skaleneffekten) den Barcode voraussichtlich preislich nicht erreichen, geschweige denn unterbieten. Daher dürfte die Zukunft in der Integration von RFID und Barcode liegen (vgl. Beispiel‐ block d.7).
RFID und Barcode: Gemeinsam sind wir stark!
Um RFID ist mittlerweile jedoch eine recht hitzige Diskussion entfacht. Neben den oben gekennzeichneten Möglichkeiten der Technik ist auch auf Gefahren hinzuweisen. Hier ist zunächst die Angst des gläsernen Konsumenten zu nennen („No RFID!“). Tieren werden umfangreich Glastransponder unter die Haut injiziert, um zum Beispiel in Zeiten des BSE‐Skandals Chargen zurückverfolgen zu können. Auch erste Men‐ schen haben sich Chips unter die Haut implantieren lassen. Der Chip öffnet Türen, verrät persönliche Daten und hält circa 30 Jahre. Eine Hül‐ le aus hochpoliertem Glas sorgt dafür, dass der Transponder nicht mit der Haut verwächst. Benetton bekam allerdings mit Transpondern ver‐ bundene Ängste von Menschen deutlich zu spüren, indem Personen im Internet eine Kampagne gegen das Unternehmen ins Leben riefen. In dieser forderten sie zum Boykott gegen Benetton auf: „Send Benetton a Message. Don’t buy Clothing with Tracking devices“.
Hitzige Diskussion um RFID
Neben diesem Datenschutzproblem ist auch die Datensicherheit ein viel diskutierter Aspekt, wenn RFID ins Spiel kommt. Wie soll verhin‐ dert werden, dass Informationen nicht doch an unberechtigte Dritte durchsickern? Ohne Zweifel bietet RFID große Möglichkeiten. Doch wenn dieses Wissen abfließt, gereicht der originäre Vorteil unmittelbar zur Katastrophe.
Latente Gefahr des Wissensabflusses
Weitere Schwierigkeiten leiten sich aus den noch immer recht hohen Kosten, fehlenden Standards und störenden Umwelteinflüssen ab. So schränken Funkstörungen die Trefferquote der Lesegenauigkeit ein. Forscher der Universität Amsterdam haben herausgefunden, dass Funk‐ Etiketten die Tauglichkeit medizinischer Geräte beeinflussen können. Von 123 Testabläufen stellten sie in 34 Fällen Störungen fest. Betroffen waren beispielsweise Dialysegeräte, Herzschrittmacher und Beat‐ mungsgeräte. In 22 Fällen wurden die Störungen als gefährlich beurteilt. Beispielsweise zeigte ein EKG‐Monitor eine nicht vorhandene Herz‐ rhythmusstörung an.
Chaos bei Sonnenstürmen
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D Beispielblock d.7 Zur Integration von RFID und Barcode
Instrumente des Supply Chain Managements
Quo Vadis RFID? Die Frage lautet wohl nicht, Barcode oder RFID? Vielmehr liegt die Zukunft wohl eher im Zusammenspiel beider Identifikationstechniken. Eine Kombi‐ nation von Barcode und Transponder findet sich beispielsweise im Handel. Ein Labeling via RFID auf Artikelebene erweist sich vielfach als schlichtweg zu teuer. Die Tags werden daher vor allem an Paletten oder Ladungsträgern angebracht. Probleme ergaben sich bei der RFID‐Technik in Vergangenheit allerdings insbesondere dann, wenn es sich um Mischpaletten (Mixed Load) handelte und Medienbrüche auftraten. Um diesem Dilemma zu begegnen, wird eine Kombination aus Barcode und RFID‐Tag gewählt. Eine gängige Variante ist der so genannte Smart Label. Darunter ist eine papierdünne Transponderform zu verstehen. Die Transponderspule wird auf eine 0,1 mm dicke Plastikfolie angebracht und auf der Rückseite mit einem Kleber be‐ schichtet, so dass der Transponder als Selbstklebeetikett zu verwenden ist. Diese laminierten Etiketten können leicht nachträglich bedruckt werden, daher ist die Kombination mit einem Barcode möglich (vgl. Finkenzeller 2015, S. 20f.). Moderne Drucktechnologien beschriften Etiketten dreifach: Erstens elektronisch mit RFID, zweitens mit einem Barcode und drittens mit einem Klarzeichen. Sämtliche drei Teilprozesse werden im selben Druckvorgang vollzogen.
D.6.4 Historie und Begriffsklärung
Data Warehouse
Ein Data Warehouse (vgl. Bauer/Günzel 2013; Gerken 2018; Gomez et al. 2006; Karamagi 2020; Mehrwald 2013; Schneider/Jordan 2016) ist ein von operationalen IT‐Systemen getrenntes Datenbanksystem, in dem unter‐ nehmensweit Informationen aus unterschiedlichen (Sub‐) Systemen – zum Teil um weitere Daten ergänzt – gespeichert und User‐orientiert verarbeitet werden. Der Begriff kam Anfang der 90er Jahre auf und hat seine Wurzeln in dem 1988 von IBM durchgeführten Projekt „European Business Information Systems“ (EBIS). 1991 wurde die Studie in „Wa‐ rehouse Strategy“ umbenannt. IBM entwickelte ein Konzept, das Me‐ chanismen zur Bewältigung der allgemeinen Informationsexplosion schaffen sollte. Das Projekt richtete sich danach aus, autorisierte Einzel‐ personen mit Geschäftsinformationen sämtlicher Bereiche einer Organi‐ sation zu versorgen. Der Zugang zu unterschiedlichen Systemen sollte über eine standardisierte Schnittstelle möglich sein (vgl. die Verbindung zu Customer Relationship Management auf S. 159).
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Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
Die Elemente im Data Warehouse sind die eigentliche Datenbasis sowie ManagementinforTransformationsprogramme zur Übernahme interner und externer mation Informationen. Weiterhin dienen Archivierungsprogramme zur Daten‐ speicherung und Informationssicherung. Den Input für das Data Wa‐ rehouse stellen interne Datenquellen (operative Vorsysteme aus den Funktionsbereichen) und externe Datenquellen (beispielsweise Informa‐ tionen von Lieferanten) dar. Auch Informationen aus dem Internet kön‐ nen im Data Warehouse genutzt werden. Der Output richtet sich benut‐ zerorientiert nach Absatzkanälen, Kunden‐ oder Produktinhalten. Fol‐ gende Kriterien stehen hier im Mittelpunkt (vgl. Gerken 2018, S. 15):
Zumeist haben die User einen Direktzugriff auf die Informationen im Data Warehouse.
Wenn die Datenflut zu groß ist, kann dem Benutzer ein Ausschnitt aus dem gesamten Repertoire gewährt werden. Diese Lösung wird als Data Mart bezeichnet.
Schließlich besteht im Data Warehouse für den User die Möglichkeit zur Datenveredelung: In der Information Factory werden für Konsoli‐ dierungen des Controllings die Daten betriebswirtschaftlich aufberei‐ tet und in speziellen Applikationen verdichtet.
OLAP wie auch Data Mining dienen in einem Data Warehouse zur Ma‐ nagementunterstützung. Traditionelle Managementinformationssyste‐ me beinhalten vorstrukturierte oder vorausgewählte Informationen. Bei OLAP (Online Analytical Processing) werden hohe Anforderungen an ein Führungssystem gestellt, was unten deutlich wird (vgl. Gomez et al. 2006, S. 57):
Multidimensionalität: OLAP ist die Basis für die Aggregation unter‐ schiedlicher Dimensionen (eine Bildung von Datenwürfeln). Ein Bei‐ spiel dafür ist die Verdichtung von Umsätzen nach Produkten und Regionen. Wie bei einem Würfel können die Informationen betrachtet (Slice), gedreht (Dice) oder einer höheren Verdichtungsstufe zuge‐ führt werden (Drill Down).
Flexibilität: OLAP dient der Durchführung von Analysen oder Prä‐ sentationen. Der User kann diverse Vergleichsrechnungen oder Zeit‐ reihenanalysen durchführen.
Ergonomische Benutzeroberfläche: Die Oberfläche ist in die bisheri‐ ge Arbeitswelt des Anwenders integriert. Neues Wissen muss zur Nutzung von OLAP nicht erst erlernt werden.
375
Was kann OLAP leisten?
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Schnelligkeit: Das System gewährleistet kurze Antwortzeiten, die sich aus schnellen Rückkopplungen und geringen Iterationsschleifen ableiten. Arbeitsgebiete von Data Mining
Das Grundprinzip von Data Mining ist das automatische Erkennen von Datenstrukturen, wie Trends in Marktsegmenten. Dazu werden die Rohdaten filtriert und nach Mustern aufbereitet. Für die Steuerung gibt der User Befehle zur Parametrisierung der Komponenten an. Die Daten‐ bankschnittstelle versorgt das System mit aufbereiteten Extrakten aus dem Warehouse. Einer Wissensbasis wird das erforderliche Know‐how entnommen, wobei im Rahmen dieser Fokussierung darüber entschieden wird, welches Wissen überhaupt relevant ist. Analysealgorithmen unter‐ suchen die Daten hinsichtlich einer potenziellen Auffälligkeit. Die In‐ formationen sind einer grundsätzlichen Bewertung zu unterziehen (bei‐ spielsweise: „Sind die Daten für uns von Nutzen“?). Schließlich können sie dem Anwender präsentiert werden (vgl. Gabriel et al. 2009, S. 113).
NCR als Beispiel
Das Unternehmen NCR bietet unterschiedliche Data‐Warehouse‐ Applikationen an. Eine Schwierigkeit von Banken ist zum Beispiel die zunehmende Anonymität ihrer Kunden. NCR hat für die National Aust‐ ralia Bank eine Data‐Warehouse‐Lösung erarbeitet. Zunächst wurden über 800 Ereignisse definiert – wie der „Umzug eines Kunden“ – und Verknüpfungen zwischen den Ereignissen hergestellt. Zieht ein Kunde der Bank tatsächlich um, wird er automatisch daran erinnert, seine neue Adresse zu melden. Außerdem bekommt er eine Information über die nächstgelegene Filiale an seinem neuen Wohnort. Ihm wird für den Umzug eine Spedition empfohlen, die mit der Bank zusammenarbeitet und eventuell spezielle Rabatte gewährt. Die Bank bereitet außerdem automatisch Formulare vor, welche der Kunde nur noch unterschreiben muss.
„Kunden sind wie kleine Hunde: erst will sie jeder haben, doch wenn sie da sind, geht keiner mit ihnen Gassi.“ (Kalenderspruch)
Doch eine Lösung über ein Data Warehouse beinhaltet auch einige Prob‐ leme. Durch die Fülle an Alternativen zur Informationsgewinnung be‐ steht die Gefahr des gläsernen Kunden. Schwierigkeiten ergeben sich durch den Informationszugang nicht autorisierter Personen, verbunden mit Datenmissbrauch. Ein weiteres Problem ist die Informationsflut im Data Warehouse (Big Data, vgl. S. 258). Zwar besteht die Möglichkeit zur Datenerfassung und Datenaufbereitung. Offen ist aber die zweckori‐ entierte Nutzung der Informationen, um nicht im „Datenmeer“ zu ver‐ sinken.
376
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6.5
D.6
Computer Integrated Manufacturing
Computer Integrated Manufacturing (CIM, vgl. Dangelmaier 2003; Groo‐ ver 2014; Heinen 1991, S. 578ff.; Scheer 1992; Webber 2020; Zelewski et al. 2008) stellt eine Möglichkeit zur IT‐Unterstützung in Supply Chains dar. CIM beschreibt den integrierten IT‐Einsatz sämtlicher mit der Produkti‐ on vernetzten Funktionsbereiche eines Unternehmens. Das Instrument umfasst das IT‐orientierte Zusammenwirken aller Leitparameter der Produktionsplanung, welche zum integrierten Rechnereinsatz eine ge‐ meinsame Datenbasis nutzen.
Grundlagen von CIM
Der Begriff „Computer Integrated Manufacturing“ kam 1973 im anglo‐ amerikanischen Sprachraum auf. Harrington veröffentlichte in diesem Jahr seine gleichnamige Schrift (vgl. Harrington 1973). Er beschreibt darin die Möglichkeiten für eine rechnergestützte Konstruktion, Ma‐ schinen‐ und Fertigungsanlagenführung, Materialwirtschaft sowie Qua‐ litätssicherung. Die Arbeit von Harrington ist die Basis für diverse Modi‐ fizierungen. In Japan etablierte sich Computer Integrated Manufacturing zu Beginn der 80er Jahre. In Deutschland fand der Begriff Mitte der 80er Jahre Eingang in Literatur und Praxis.
Historie und Begriffsklärung
Im Kern werden bei CIM bisherige Insellösungen aufeinander abge‐ stimmt und zusammengeführt. Die CIM‐Architektur umspannt dabei zwei Hauptkomponenten:
„Ein Computer würde erst dann menschlich, wenn er anfinge, zu lügen.“ (H.-J. QuadbeckSeeger)
Das betriebswirtschaftliche PPS‐Modul (Produktionsplanung und Pro‐ duktionssteuerung).
Die technischen Komponenten CAE (Computer Aided Engineering), CAD (Computer Aided Design), CAP (Computer Aided Planning), CAM (Computer Aided Manufacturing) sowie CAQ (Computer Aid‐ ed Quality Assurance). Vgl. zum Aufbau der CIM‐Architektur Ab‐ bildung D.18.
Die Informationssysteme von Betriebswirtschaft und Technik wurden separat entwickelt. Harrington beherrschte die Kunst, die Komponenten zu vereinen. Er konzipierte einen durchgängigen Informationsfluss auf gleicher Datenbasis. Wenn die Teilsysteme unverbunden nebeneinander stehen, können sich durch manuelle Informationseingaben Redundan‐ zen oder Pleonasmen ergeben. Doppeleingaben benötigen Zeit, und sie sind anfällig für Fehler. Bei Insellösungen besteht das Problem, dass nicht alle Funktionsbereiche über die identische und aktuelle Datenbasis verfügen.
377
Insellösungen vermeiden: „La isla bonita…“ (Madonna)
D Prozessketten ermitteln
Instrumente des Supply Chain Managements
Innerhalb der Supply Chain werden mit Hilfe von Computer Integrated Manufacturing die Produktionsvorgänge (Teilvorgänge) verbunden. Es entstehen somit durchgängige Prozessketten. In den Unternehmen werden mit CIM zumeist aufbauorganisatorische und ablauforganisato‐ rische Umstrukturierungen notwendig.
Weiteres Vorgehen
Im Folgenden sind die Komponenten von Computer Integrated Manu‐ facturing näher zu charakterisieren. Zunächst findet sich eine Beschrei‐ bung der betriebswirtschaftlichen PPS‐Komponente. Anschließend wird die technische Säule von CIM diskutiert.
Abbildung D.18
CIM‐Architektur Computer Integrated Manufacturing (CIM) Betriebswirtschaftliche Komponente
Technische Komponenten
Produktionsplanung und ‐steuerung (PPS)
Computer Aided Engineering (CAE) Computer Aided Design (CAD) Computer Aided Planning (CAP)
Computer Aided Manufacturing (CAM) Computer Aided Quality Assurance (CAQ)
D.6.5.1 Betriebswirtschaftliches Standbein
Produktionsplanung und -steuerung (PPS)
Die Produktionsplanung und ‐steuerung ist das betriebswirtschaftliche Modul von CIM (vgl. Zelewski et al. 2008). Es umfasst die rechnergestütz‐ te Planung, Steuerung und Kontrolle der Produktionsabläufe (von der Angebotseinholung bis zum Warenversand). Für diese Aufgaben wer‐ den Mengen‐, Termin‐ und Kapazitätsrestriktionen berücksichtigt. Zu den Kerntätigkeiten von PPS zählen Grunddatenverwaltung (Informa‐ tionsbasis), Produktionsplanung (Produktprogramm‐, Mengen‐, Ter‐ min‐ und Kapazitätsplanung) sowie Produktionssteuerung (Auf‐ tragsveranlassung und Auftragsüberwachung).
378
Instrumente zur IT-Unterstützung
PPS basiert auf der Nutzung einer Standardsoftware, wobei hier Mo‐ dulbausteine zusammengefügt werden. Die Programme setzen sich aus den Grunddaten einer Produktionsplanung und ‐steuerung zusammen, wobei folgende Arten zu unterscheiden sind:
D.6 Grunddaten von PPS
Auftragsdaten (Kundenbestellungen). Teilestammdaten (Sachnummer des Produkts, technische Angaben und wertmäßige Informationen).
Erzeugnisstrukturdaten (Mengenbeziehungen und technologische Zu‐ sammenhänge der Produktkomponenten und ‐teile).
Materialbeschaffungsdaten (Lagerbestandsführung und Lieferanten‐ steuerung).
Arbeitsgangdaten (Zuordnung der Repetierfaktoren zu den Maschi‐ nen).
Betriebsmitteldaten (Leistungsbreite an Potenzialfaktoren). Das PPS‐System richtet sich nach dem Sukzessivplanungskonzept aus: Eine komplexe Aufgabe wird in Teilprobleme zerlegt und in abgestimm‐ ten Planungsstufen gelöst. In diesen Phasen steigt die Wertschöpfung. Zunächst findet eine Aufgabenverteilung statt (ʺWer macht was?ʺ). Die Produktionsplanung greift auf die Auftragsdaten zurück, um die Primär‐ bedarfe zu ermitteln. Diese bilden die Grundlage für die Materialdispo‐ sition und die Planung der Produktionsprozesse. Die Teilestammdaten dienen zur Auflösung der Erzeugnisstruktur durch die Materialdispositi‐ on. Dazu zieht die Disposition die Primärbedarfe heran, leitet Stücklis‐ ten ab und ermittelt die Bestandsdaten. Eine Materialbeschaffungsplanung klärt ab, welche Teile selbst gefertigt (Make) und welche von Dritten bezogen werden (Buy). Die Produktionssteuerung errechnet schließlich, mit Hilfe von Arbeitsgang‐ und Betriebsmitteldaten, die Zusammenstellung der Fertigungsaufträge zu Losen: Repetierfaktoren werden optimal den Potenzialfaktoren zugewiesen (Reihenfolge‐ und Maschinenbelegungs‐ plan).
Interdependenzen der Dateninhalte
Durch einen Abgleich der Fertigungsbelege mit den Betriebsdaten wird ermittelt, inwieweit die Realisierung der Fertigungsaufträge mit den geplanten Bearbeitungsschritten übereinstimmt („Überwachung des Auftragsfortschritts“). Dieser Vorgang stellt eine BDE (Betriebsdatener‐ fassung) dar. Wenn festgestellt wird, dass Kapazitätsauslastung, Durch‐ laufzeit oder Werkstattbestand nicht mit den Plandaten übereinstim‐
Kontrollmechanismus von PPS
379
D
Instrumente des Supply Chain Managements
men, findet im Rahmen von BDE eine Revision der Prozesse statt, und es sind Anpassungsmaßnahmen einzuleiten. Wechselwirkungen zu Beschaffungsstrategien
Der Aufbau von PPS kann sich auf die unter Punkt C.3.5 beschriebenen Beschaffungsstrategien richten. Wenn Unternehmen ihre Aktivitäten auf den Kunden fokussieren, orientiert sich PPS an Kanban. Die Produk‐ tionsplanung und ‐steuerung umfasst die gesamte Supply Chain. Der Schwerpunkt liegt auf den internen Abläufen. Sie eignen sich für gleich‐ artige Fertigungsprozesse (Fließfertigung). PPS‐Systeme stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn sie auf diskontinuierliche Fertigungsverläufe treffen.
D.6.5.2 Übergang von CAE zu CAD
Computer Aided Design (CAD)
Computer Aided Design (CAD) ist eine technische Komponente von CIM und bedeutet eine rechnergestützte Konstruktion. Liegen die Anfor‐ derungen an das System im Schwerpunkt in den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung, kommt das Modul Computer Aided En‐ gineering (CAE) zum Einsatz. Das Grundprinzip beider Varianten ist identisch. Die Inhalte von CAE werden unter die Beschreibung von CAD gefasst. CAD erfüllt zwei Tätigkeitsbereiche, die Gestaltung und die Detaillierung.
Gestaltung: Den Schwerpunkt der Gestaltung bilden Berechnungen und die Erstellung von Fertigungsunterlagen. Eine Gestaltung bein‐ haltet die Funktionsfindung: Dafür ist die Gesamtfunktion eines Pro‐ dukts in seine Teilfunktionen aufzubrechen. Entwürfe werden maß‐ stabgerecht erstellt (geometrische Modelle).
Detaillierung: Aus der Vielzahl an Alternativen ist die optimale Kombination zu wählen. Die Entwürfe aus der Gestaltung werden um technische Informationen ergänzt (Werkstoffe, Oberflächen etc.) und die Sachnummern je Produkt in Stücklisten hinterlegt. Eine Form der Detaillierung ist die CAD‐gestützte Erstellung von Prototypen (Rapid Prototyping, vgl. S. 122 der vorliegenden Schrift). Hilfsmittel der Konstruktion
Für die Gestaltung und die Detaillierung benötigt der Konstrukteur eine Reihe geometrischer und technischer Daten zum Erstellen seiner Grafi‐ ken. Er wird durch Workstations und Software (zum Beispiel „Catia“) unterstützt. CAD bezieht sich vor allem auf Berechnungen und Zeich‐ nungen. Außerdem fördert es die Generierung von Stücklisten und Ar‐ beitsplänen. Durch den Einsatz von CAD besteht die Möglichkeit zur Anpassungskonstruktion und zur Variantenkonstruktion.
380
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
Bei der Anpassungskonstruktion werden einzelne Baugruppen eines bereits bestehenden Produktkonzepts verändert.
In der Variantenkonstruktion ist gemäß des Baukastenprinzips auf bereits konstruierte Teile zurückzugreifen, die nur noch aneinander zu reihen sind. Dadurch ergeben sich Zeitersparnisse.
Das originär technisch ausgelegte Computer Aided Design kann auch betriebswirtschaftlich genutzt werden. Im Rahmen der begleitenden Kalkulation sind die späteren Fertigungs‐ und Materialkosten frühzeitig abzuschätzen. Unterschiedliche Gestaltungsalternativen werden simu‐ liert, wodurch die Kostenauswirkungen rasch bekannt sind.
Strategisches Kostenmanagement
Der Einsatz von Computer Aided Design intensiviert die Beziehungen zwischen Lieferanten und Herstellern. Sehr eng ist diese Bindung bei‐ spielsweise in der Automobilindustrie. In einer Studie vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe wird ausgewiesen, dass über 90% der Automobilzulieferer die CAD‐Daten ihrer Kunden verarbeiten können.
Automobilbranche als Beispiel
D.6.5.3
Computer Aided Planning (CAP)
Basierend auf den Ergebnissen von Computer Aided Design werden bei Computer Aided Planning (CAP) rechnergestützte Planungsaufgaben vor‐ genommen. Sie sind zur Herstellung von Produkten oder Produktkom‐ ponenten notwendig. Der Schwerpunkt von CAP liegt auf der Generie‐ rung von Arbeitsplänen. Auch die Programmierung von NC‐ Maschinen und Industrierobotern sowie die Prüf‐ und die Montagepla‐ nung basieren auf Computer Aided Planning.
CAD als Basis
Computer Aided Planning legt IT‐gestützt die Bearbeitungsschritte im Fertigungsprozess fest. Die Spezifikationen enthalten Daten über die einzusetzenden Betriebsmittel (Maschinen und Werkzeuge) sowie die Dauer einer Bearbeitung. In den Arbeitsplänen werden die Folgen der Arbeitsgänge definiert, die Repetierfaktoren den Potenzialfaktoren (Ar‐ beitsstationen) zugeteilt und die Fertigungshilfsmittel fixiert. Folgende Systeme zur Erstellung von Arbeitsplänen sind zu unterscheiden:
Computer gestütztes Erstellen von Arbeitsplänen
Arbeitsplanverwaltung: Auf dieser untersten Stufe werden aus einer Vielzahl an bereits vorhandenen Fertigungsinformationen spezielle Aktivitäten ausgewählt und miteinander verknüpft. Durch die Anei‐ nanderreihung bereits existierender Tätigkeiten entstehen neue Ar‐ beitspläne. Sie können komplette Prozesse der Supply Chain abde‐
381
Verknüpfung von Basisinformationen
D
Instrumente des Supply Chain Managements
cken. Insbesondere für Aktivitäten mit einer ausgeprägten Wieder‐ holhäufigkeit eignet sich die Arbeitsplanverwaltung (Fließfertigung). Grundtyp zur Standardisierung schaffen
Variantenprinzip: Das Variantenprinzip fußt auf ähnlichen Kompo‐
Vorhandene Pläne nutzen
Anpassungsprinzip: Für ein neues Projekt ist ein bereits existieren‐
„Alles auf null, drück auf Reset…“ (Alpa Gun)
Generierungsprinzip: Dieses Verfahren ist das umfangreichste, da
nenten. Für sie wird ein Grundtyp festgelegt. Außerdem sind Stan‐ dardisierungsmerkmale zu definieren. Neue Varianten entstehen auf Grund von Modifikationen dieses Grundtyps. Durch die Eingabe vorgegebener Parameter werden die Arbeitspläne automatisch er‐ stellt. der und möglichst ähnlicher Arbeitsplan auszuwählen. Die Spezifika im neuen Prozess werden durch den Austausch von Elementen be‐ rücksichtigt. Der ursprüngliche Arbeitsplan unterliegt Modifikatio‐ nen. Es findet eine Anpassung an die revidierte Problemstellung statt. eine umfassende Neuplanung vorzunehmen ist. Die Rechenalgo‐ rithmen werden über CAD direkt aus dem verfügbaren geometri‐ schen und technischen Datenbestand abgeleitet. Ein Arbeitsplan ist komplett neu zu erstellen.
D.6.5.4 Fortführung von CAP
Was ist eine NCMaschine?
Computer Aided Manufacturing (CAM)
Die Resultate von CAP stoßen ein Computer Aided Manufacturing (CAM) an. Darunter ist eine automatisierte Fertigung zu verstehen. CAM umfasst die eigentlichen Be‐ oder Verarbeitungsprozesse von Modulen und Teilen. Diese technische Komponente verbindet die Fertigungspro‐ zesse mit den Transport‐ und den Lagersystemen in Supply Chains. Der Schwerpunkt von Aktivitäten liegt auf der Produktionslogistik. CAM umfasst folgende Teilfunktionen: Bearbeitungssysteme im Sinne von NC, CNC und DNC, Werkstück‐ und Werkzeughandhabungssysteme, automatisierte Transport‐ und Lagerhaltungssysteme, IT‐orientierte Montagesysteme und rechnergestützte Instandhaltungssysteme. NC‐Systeme sind eine Weiterentwicklung mechanisch automatisierter Werkzeugmaschinen. CAP‐gestützte Arbeitspläne stellen das Funda‐ ment zur Werkstückbearbeitung dar. Die Maschinensteuerung läuft über Informationen zur Koordination der Werkzeugbewegungen und Schaltvorgänge. Drei grundsätzliche Arten von NC‐Maschinen werden unterschieden:
382
Instrumente zur IT-Unterstützung
Reine NC (Numeric Control) Maschinen: Sie stellen die einfachste Form dar. Auf Basis einer Fixierung der Steuerungsparameter ist die Rigidität dieser Alternative hoch. Die Eingabe erfolgt nicht online (bei einigen alten Modellen sogar noch über Lochstreifen).
CNC (Computerized Numeric Control) Maschinen: Die CNC‐ Maschinen sind mit Mikroprozessoren ausgestattet. Ihre Program‐ mierung wird online und einzeln in der Werkstatt vorgenommen.
DNC (Direct Numeric Control) Maschinen: Bei DNC‐Maschinen werden mehrere Arbeitsstationen gemeinsam online zentral über ei‐ nen Steuerrechner verwaltet. Die Maschinen sind über einen Server miteinander vernetzt.
D.6 Einfachste Abwicklungsart
Online Programmierung Maschinenintegration
Eine besondere Form von CAM sind Industrieroboter (Handhabungs‐ geräte). Zwei Techniken zur Programmierung von Industrierobotern werden unterschieden: Das Play‐Back‐Verfahren und das Teach‐In‐ Verfahren. Ein Play‐Back‐Verfahren ist die manuelle Führung des Ro‐ boters. Die Einzelbewegungen werden zunächst gespeichert, der Robo‐ ter wiederholt anschließend die erlernten Bewegungsmuster beliebig oft. Beim Teach‐In‐Verfahren erfolgt die direkte Eingabe des Bewegungs‐ musters online, ohne eine vorherige manuelle Führung. Auch bei dieser Form ist die Wiederholhäufigkeit nicht begrenzt. Industrieroboter wer‐ den für Schweiß‐, Bohr‐, Fräs‐, Schleif‐ oder Lackiervorgänge eingesetzt. Sie sind mit Sensoren ausgestattet und können unterschiedliche geomet‐ rische Formen erkennen.
Roboter programmieren
Computer Aided Manufacturing umfasst nicht nur die eigentlichen Fertigungsprozesse. In der Wertschöpfungskette wird auch der innerbe‐ triebliche Transport durch CAM abgedeckt. Zum Beispiel laufen Akti‐ vitäten zur Ein‐ und Auslagerung, Kommissionierung und Steuerung von Flurförderzeugen CAM‐gestützt ab.
Nutzen innerhalb der Supply Chain
Der höchste Grad der Automatisierung wird bei flexiblen Fertigungs‐ systemen erreicht, indem eine komplette Automatisierung von Arbeits‐ schritten vorliegt. Der Unterschied zu NC‐Maschinen besteht darin, dass diese zwar einzelne Arbeitsschritte lenken. Einen geschlossenen Ferti‐ gungsprozess bewältigen NC‐Maschinen jedoch nicht. Deshalb sind NC‐ Maschinen häufig umzurüsten. Bei den flexiblen Fertigungssystemen wird zwischen dem Bearbeitungszentrum und der Fertigungszelle un‐ terschieden.
Anpassungsorientierte Fertigungssysteme
Bearbeitungszentrum: Das Bearbeitungszentrum stellt ein elektroni‐ sches Werkstückwechselsystem dar. Die Maschinen können mehrere
383
Automatisierter Werkzeugwechsel
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Bearbeitungsschritte CAM‐gestützt an einem Werkstück vornehmen. Der Wechsel erfolgt selbständig aus dem Magazin heraus. Auf einer Drehplattform werden ähnliche Arbeitsschritte am Werkstück se‐ quentiell durchgeführt. Werkstückspeicherung zur Bearbeitung kompletter Prozesse
Fertigungszelle: Neben dem mechanischen Werkstückwechsel findet eine automatisierte Speicherung der Werkstücke statt. Dadurch wird die Bearbeitung mehrerer Werkstücke in beliebiger Reihenfolge er‐ möglicht. Die unterschiedlichen Arbeitsoperationen können auf ver‐ schiedenen Anlagen und an diversen Produkten nacheinander durchgeführt werden. Manuelle Eingriffe sind nicht notwendig. Der Werkstückspeicher wird sukzessive (Werkstück für Werkstück) ab‐ gearbeitet.
D.6.5.5 Präventives Qualitätsmanagement
Computer Aided Quality Assurance (CAQ) folgt nicht erst im Anschluss von CAD/CAE, CAP und CAM. Die rechnergestützte Qualitätssicherung begleitet die kompletten technischen Komponenten von CIM. Zum Teil ist bereits die Produktionsplanung und ‐steuerung in CAQ eingebettet. Qualitätsanforderungen an ein Produkt oder ein Verfahren sind schon in den frühen Phasen von Forschung und Entwicklung zu berücksichtigen, um spätere Änderungen oder Umrüstungen zu vermeiden. CAQ fördert die Realisierung eines präventiven Qualitätsmanagements. Die rech‐ nergestützte Qualitätssicherung beginnt mit der qualitätsfokussierten Verifizierung der Geometriedaten von CAD (zum Beispiel: „Sind die Modelle maßstabgetreu?“). Der Einsatz von CAQ setzt sich mit der Überprüfung der Arbeitspläne in CAP fort. Im Rahmen von CAM wer‐ den Grenzwerte für Fehlertoleranzen und Passgenauigkeiten überprüft.
D.6.6 Von CIM zu ERP
Computer Aided Quality Assurance (CAQ)
Enterprise Resource Planning und Advanced Planning and Scheduling
Die Systeme zur Produktionsplanung und ‐steuerung einer CIM‐ Architektur richten sich im Schwerpunkt auf Programm‐, Potenzial‐ und Prozessmodellierung aus. Sie wurden im Zeitablauf zu Enterprise Re‐ source Planning erweitert (ERP, vgl. Gronau 2014; Kurbel 2016; Ritter 2008). Die Zwischenstufe bei diesem Übergang stellen MRP‐Tools dar (vgl. Begriffsblock D.IX), welche bereits eine unternehmensweite In‐ tegration von Produktions‐, Vertriebs‐ und Erfolgsplanung sichern.
384
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6 Begriffsblock D.IX
MRP‐Systeme
MRP I: Material Requirement Planning ist ein System zur Materialbe‐ darfsplanung. Die Materialbedarfe werden aus vorgegebenen Pro‐ duktionsmengen abgeleitet, wobei allerdings die verfügbaren Kapa‐ zitäten unberücksichtigt bleiben. MRP‐I‐Systeme wurden im Laufe der Zeit schrittweise durch CRP (Capacity Requirement Planning), MPS (Master Production Scheduling) und DRP (Distribution Requirement Planning) erweitert. Sämtliche Ansätze richten sich jedoch nach einer Sukzessivplanung aus.
MRP II: Später wurden MRP‐I‐Systeme zu MRP II (Manufacturing Re‐ source Planning) ausgebaut. Dieses Tool berücksichtigt zwar die ver‐ fügbaren Kapazitäten. Jedoch orientiert sich auch dieser Ansatz an einer Sukzessivplanung, indem die Kapazitäten und die Materialbe‐ darfe schrittweise miteinander abgestimmt werden. Dadurch entste‐ hen Inkonsistenzen: Auf Grund mangelnder Kapazitäten sind die Materialpläne ständig neu zu definieren.
Planung der Materialbedarfe
Abstimmung mit den Kapazitäten
Die Strukturplanung von MRP II und ERP ist nahezu identisch: Überge‐ ordnete Gesamtstrategien werden sukzessive in unterschiedliche Spezi‐ alpläne heruntergebrochen. Im Gegensatz zu MRP II gewährleisten die Module von Enterprise Resource Planning jedoch auch Funktionen wie Instandhaltung, Auftragsverwaltung oder Personalwirtschaft. Der Grundstein für Enterprise Resource Planning wurde in den 90er Jahren gelegt. Unternehmensweit regelt ein ERP‐System die Geschäftsprozesse transaktionsorientiert. Dazu werden die notwendigen Informationen aus einer relationalen Datenbank entnommen, in speziellen Tabellen hinter‐ legt und bei Zugriff über Suchabfragen individuell wieder zusammen‐ gesetzt.
Unternehmensweite Sukzessivplanung
Enterprise Resource Planning gewährleistet die operative und die auto‐ matisierte Steuerung von unternehmenseigenen Prozessen in der Supp‐ ly Chain. Als Basis für ERP dient die Software von SAP (SAP R/3) oder Oracle. Der Produktionsplan wird sukzessiv abgearbeitet, und die Opti‐ mierung richtet sich an den logistischen Teilsystemen innerhalb der Unternehmen aus.
ERP in der Supply Chain
385
D Selbst ERPSysteme kennen noch etliche Begrenzungen
Instrumente des Supply Chain Managements
Jedoch weisen die ERP‐Systeme eine Reihe von Schwierigkeiten auf (vgl. Gronau 2014, S. 97):
ERP basiert auf dem Konzept der Sukzessivplanung, die Materialbe‐ darfe werden nacheinander (und nicht parallel) mit den Kapazitäten abgeglichen.
Es werden keine Wechselbeziehungen zwischen den untergeordneten Plänen berücksichtigt.
Weiterhin deckt ERP den Verwaltungsbereich und das Engineering kaum ab. Dieses Manko wiegt umso schwerer, indem gerade in die‐ sen Funktionen die Gemeinkosten überproportional hoch sind.
Der Ansatz ist wenig flexibel, indem er beispielsweise von festen Be‐ arbeitungs‐ und Wartezeiten ausgeht. Simulationen finden kaum statt.
Die Bereitstellung der Informationen ist zeitkritisch, weil sehr viele Einzelzugriffe auf Teilestamm, Erzeugnisstruktur, Materialbeschaf‐ fung, Arbeitsgang und Betriebsmittel in kurzen Zeitabständen erfol‐ gen.
Als Gesamtsystem bleibt die Supply Chain bei ERP unberücksichtigt, weil ein direkter Zugang von Lieferanten‐ und Kundeninformationen fehlt. Diese Einschränkung wiegt besonders stark bei schwankender Nachfrage (Bullwhip‐Effekt, vgl. S. 47). Von der Sukzessivplanung zur Simultanplanung
An diesen Schwierigkeiten von ERP setzt APS (Advanced Planning and Scheduling) an. APS ist über die komplette Supply Chain einsetzbar (vgl. Betge 2006; Gronau 2014; König 2009; Zeilhofer‐Ficker 2015). Diese Systeme stellen eine Ergänzung zu den ERP‐Modulen dar. Die Optimie‐ rung der Planungsparameter basiert bei APS auf mathematischen Algo‐ rithmen. Anbieter dieser Systeme sind beispielsweise SAP, Oracle und Manugistics (JDA Software). Seine Daten bezieht APS aus den operativen Transaktionseinheiten der ERP‐Module. An diese dezentralen Bereiche gibt APS seine Informationen nach Bearbeitung zurück. APS zielt auf die simultane Abstimmung sämtlicher Aktivitäten der kompletten Liefer‐ kette und ist dabei hoch reagibel. Sämtliche Aktivitäten, die zu einer Wertsteigerung beitragen können, sind synchron aufeinander abzu‐ stimmen. Mit Hilfe von Simulationen werden unterschiedliche Alterna‐ tiven recht schnell durchgespielt. APS wählt diejenige Möglichkeit, wel‐ che den potenziell größten Nutzen verspricht (vgl. Beispielblock d.8). 386
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
Nachstehend werden die wesentlichen Merkmale von Advanced Plan‐ ning and Scheduling aufgelistet (vgl. Betge 2006, S. 23ff.; El‐Berishy 2011; Günther/van Beek 2010).
So funktioniert APS…
Kundenorientierung: Im Mittelpunkt steht die Synchronisation von
Pull-Steuerung
Kapazitäten und Bedarfen, um zu einer kundengerechten Auftrags‐ bearbeitung zu finden (Pull‐Ausrichtung).
Realitätsnähe: APS zeigt die Verfügbarkeit der Kapazitäten und Be‐ darfe weitgehend in Echtzeit auf. In besonderer Weise sind dabei Engpässe (Constraints) aufzudecken, die zur Planungsunsicherheit führen. Dabei werden weiche und harte Engpässe unterschieden. Probleme, die aus weichen Engpässen (Soft Constraints) resultieren, lassen sich relativ rasch lösen. Ein weicher Engpass liegt zum Beispiel vor, wenn ein kurzfristiger Nachfrageschub ein Werk mit einem Ka‐ pazitätsauslastungsgrad von lediglich 65% trifft. Dieses Werk hat keine Probleme damit, den Zusatzauftrag anzunehmen. Harte Rest‐ riktionen (Hard Constraints) hingegen führen zu nachhaltigen Schwie‐ rigkeiten in der Supply Chain. Bezüglich des oben aufgeführten Bei‐ spiels liegen sie vor, wenn Zusatzaufträge auf Werke mit nahezu kompletter Kapazitätsauslastung treffen.
Simultaneität: Die Module von Advanced Planning and Scheduling erlauben eine parallelisierte Bearbeitung einzelner Aktivitäten im Planungsprozess. Dadurch wird der Nachteil einer Sukzessivplanung (wie z. B. ERP) aufgelöst.
Geschwindigkeit und Flexibilität: Ein weiteres Charakteristikum von APS ist die hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit. Die Systeme sind hauptspeicherresistent, und die Planungsläufe benötigen nur wenige Augenblicke. Treten unerwartete Änderungen der Restrikti‐ onen oder Planungsabweichungen auf, reagieren die Module von APS mit ausgeprägter Anpassungsfähigkeit darauf. Dadurch werden die Anforderungen für ein Available‐to‐Promise und ein Capable‐to‐ Promise erfüllt.
Integration: Neben den unternehmenseigenen Daten fließen in Ad‐ vanced Planning and Scheduling auch die Informationen von Liefe‐ ranten und Kunden ein. Dadurch deckt APS die komplette Supply Chain ab.
Simulation: Mit Hilfe von stochastischen Prognosen werden reale oder geplante Systeme auf dem Rechner in unterschiedlichen Model‐ len durchgespielt (What‐if‐Szenarien).
387
Vermeidung von Engpässen
Simultan statt sequentiell
„Zeittotschläger auf ihren Wegen, heute Nacht gehöre ich zu ihnen…“ (Blumfeld)
Supply Chain Orientierung
What-ifSimulationen
D Beispielblock d.8
Instrumente des Supply Chain Managements
Advanced Planning and Scheduling Erfahrungen mit dem Einsatz von Advanced Planning and Scheduling mit Hilfe von SAP APO sammelte beispielsweise Röhm bei der Produktion von Plexiglas. APO steht für „Advanced Planner and Optimizer“. Die Aktivitä‐ ten beziehen sich insbesondere auf die Module „PP“ (Production Planning) und „DS“ (Detailed Scheduling). Es folgte die Spezifizierung der Netzwerk‐ planung („SNP“, Supply Network Planning) für Röhm. Anschließend unter‐ suchten die Projektverantwortlichen mittels Simulationen die Beziehungen für Beschaffung, Lagerung, Produktion, Handling und Transport von Plexi‐ glas in diesem Verbund. Schließlich definierte Röhm die Parameter für eine kollaborative Planung zwischen den beteiligten Partnern, wozu im Internet Planungsmappen auf der Basis von ITS (Internet Transaction Server) erstellt wurden.
Leistungsmodule
Fundament
Die Struktur von APS zeigt sich in der Advanced‐Planning‐and‐ Scheduling‐Matrix (vgl. Betge 2006, S. 75ff.; El‐Berishy 2011, S. 93f.; Gün‐ ther/van Beek 2010, S. 103ff.). Sie spiegelt den Aufbau der APS‐Systeme der meisten Softwareanbieter und beinhaltet die folgenden Module:
Strategic Network Planning: Eine strategische Netzwerkplanung ist langfristig ausgerichtet (drei bis zehn Jahre). Sie beinhaltet die Konfi‐ guration der kompletten Wertschöpfungskette und umfasst Simulati‐ onen auf Basis stochastischer Optimierungsmodelle (What‐if‐ Simulationen). Dazu werden die Knotenpunkte in der Supply Chain visualisiert. Hierunter fallen beispielsweise Fertigungsstätten, Lager‐ orte, Lieferanten oder Distributionszentren (bei SAP „Cockpit“ ge‐ nannt). Aber auch wichtige Informationen aus der Verkaufsplanung fließen in die strategische Netzwerkplanung ein.
Kapazitäts- und Bedarfsabgleich
Master Planning: Bei den meisten Softwareanbietern erstreckt sich
Operations Research
Demand Planning: Die Nachfrageplanung beinhaltet die Erstellung
die Hauptplanung über einen mittelfristigen Zeitraum von circa zwölf Monaten. Darin sind Aktivitäten von Beschaffung, Produktion und Distribution innerhalb der Supply Chain geregelt. In diesem Kontext findet eine Abstimmung der verfügbaren Kapazitäten mit den Bedarfen statt – ohne dabei große Puffer aufzubauen. Wichtige Voraussetzungen dafür sind Beschaffungs‐, Produktions‐, Transport‐ und Materialbedarfsplanungen aus ERP. von Prognosen über die zukünftige Nachfrage. Diesbezüglich wer‐ den Zeitreihenanalysen durchgeführt und kausale Zusammenhänge
388
Instrumente zur IT-Unterstützung
D.6
bestimmt. Ein Beispiel dafür ist der Absatz von Sonnencreme und Streusalz in Abhängigkeit von der Temperatur.
Material Requirement Planning: Eine mittel‐ bis kurzfristige Materi‐ albedarfsplanung ist für das Ordering der Vorräte zuständig. Dazu werden unterschiedliche Transaktionen in APS durchgespielt.
Production Planning and Scheduling: Hier wird deutlich, dass APS kein Ersatz, sondern vielmehr eine Ergänzung für ERP ist. Unterneh‐ mensintern findet eine engpassorientierte Kapazitätsplanung über ERP statt, welche sich auf die Faktoren Personal, Materialeinsatz und Maschinenbelegung erstreckt. Ein wichtiges Ziel ist in diesem Zu‐ sammenhang die Verkürzung der Durchlaufzeiten. Dazu werden die Produktionsfolgen simuliert. APS wählt diejenige Alternative, welche die größte Erfolgswahrscheinlichkeit verspricht.
Distribution and Transport Planning: Die Distributions‐ und Trans‐ portplanung beinhaltet eine Warenverteilung. Hergestellte Güter können direkt an den Abnehmer distribuiert oder in einem Verteil‐ zentrum zwischengelagert werden. Diesbezüglich muss die jeweilige Software für APS auf die Minimierung der Transport‐ und der La‐ gerkosten achten. Aber auch Prämissen – wie Warenverderblichkeit, Materialhandling und Verpackungsvorschriften – sind zu berücksich‐ tigen. Deshalb leitet sich die Distributions‐ und Transportplanung aus Informationen über Transportvolumen, Fahrzeugverfügbarkeit und Incoterms ab.
Demand Fulfillment: Schließlich bedeutet ein Demand Fulfillment eine Überprüfung der Warenverfügbarkeit. Hier setzt das Prinzip Available‐to‐Promise (ATP) an: Die Liefertermine sind verbindlich zuzusagen. Deshalb findet ein Abgleich zwischen dem Lagerbestand und der Kundenbestellung statt. Wenn sich genügend Waren in ei‐ nem Lager befinden, ist die Lieferzusage unproblematisch. Demand Fulfillment läuft über Simulationen ab, wobei besonders dringende Aufträge mit Hilfe einer Prioritätsregel vorgezogen werden.
Zur Abrundung der Überlegungen dieses Kapitels findet sich eine kriti‐ sche Würdigung von APS‐Systemen. Zu den wesentlichen Vorteilen von APS zählen:
Der Ansatz erstreckt sich über die komplette Supply Chain. Im Ge‐ gensatz zu ERP werden Lieferanten‐ und Kundeninformationen di‐ rekt in das System gespielt, was zur Minderung von Reibungsverlus‐ ten (auf Grund von Iterationsschleifen) an den Schnittstellen führt.
389
Materialbedarfe simulieren
Fertigungsorientierung
Distributionslogistische Implikationen
ATP: Überprüfung der Warenverfügbarkeit
Vielfältige Möglichkeiten von APSSystemen
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Mit Hilfe von Advanced Planning and Scheduling wird eine Organi‐ sation schnell und in Echtzeit auf Marktveränderungen reagieren können. Zusätzlich verhält sich APS sehr reagibel, weil sich die Mo‐ dule an wandelnde Wettbewerbsbedingungen anpassen.
APS‐Systeme bedeuten den Übergang von einer Sukzessivplanung (diese liegt bei PPS, MRP I, MRP II und ERP vor) zu einer Simultan‐ planung. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Möglichkeit zur zeitlich parallelisierten Bearbeitung der Aktivitätenbündel.
In der kompletten Supply Chain sind durch APS‐Systeme die Bestän‐ de zu senken. Außerdem werden die Durchlaufzeiten gepusht, wo‐ raus sich kürzere Lieferzeiten ableiten.
Die APS‐Module können die Basis für ein Frühaufklärungssystem bilden. Zum Beispiel zeigt der “Alert Monitor“ von SAP dem User zunächst das auslösende Ereignis an und schlägt sofort eine Funktion vor, die zur Klärung dieser Problemstellung dient.
Advanced Planning an Scheduling richtet sich nach dem Pull‐ Konzept aus, indem die Wünsche der Kunden nachhaltig Berücksich‐ tigung finden. Nach der anfänglichen Euphorie gegenüber Advanced Planning and Scheduling, werden dem Ansatz mittlerweile jedoch auch Vorbehalte entgegengebracht:
Aber auch APSSysteme stoßen an Grenzen
Die Systeme für Einkauf, Lagerbestandsführung oder Fakturierung werden nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt. Diese operativen Module sind weiterhin zu pflegen, was einen Mehraufwand an Ver‐ waltungstätigkeiten und die Einleitung zusätzlicher Transaktionen bedeutet.
Durch die Berücksichtigung einer Software im Sinne von APS steigen die Abhängigkeiten in der Lieferkette. Werden beispielsweise die Systeme zwischen Hersteller und Modullieferant dauerhaft ver‐ knüpft, sind sich beide Partner auf „Gedeih und Verderb“ ausgelie‐ fert. Dazu kommt, dass die Transparenz innerhalb der Kostenkalku‐ lation steigt: Insbesondere kleinere Lieferanten könnten dadurch ei‐ nen Druck auf ihre Gewinnmargen befürchten.
Allein durch die Implementierung von APS werden sich die Supply‐ Chain‐Prozesse nicht automatisch verbessern. Auch das beste System scheitert an einer minderwertigen Datengüte. Um eine hohe Daten‐ qualität zu erreichen und um einen allgemein reibungslosen Ablauf von APS zu gewährleisten, müssen die Mitarbeiter geschult werden.
390
Verständnisfragen
D.7
Verständnisfragen
Woraus setzen sich Sie die Gesamtkosten einer Bevorratung zusam‐ men?
Nennen Sie Instrumente zur Bestandsreduzierung. Was ist eine ABC‐Analyse? Was ist eine XYZ‐Analyse? Charakterisieren Sie die Arten der Materialbeschaffung. Kombinieren Sie die ABC‐Analyse und die XYZ‐Analyse mit den Ar‐ ten der Materialbeschaffung.
Beschreiben Sie das Wesen der Gängigkeitsanalyse. Entwerfen Sie ei‐ ne Tabelle, in der Sie die Vorteile und die Nachteile von Excess and Obsolete gegenüberstellen.
Worin besteht der Unterschied zwischen OES‐, OEM‐ und AM‐ Teilen?
Zeigen Sie Maßnahmen zur Reduzierung ungängiger Vorräte auf. Kennzeichnen Sie das Ampelverfahren des Reichweitenmonitorings. Führen Sie dazu ein Beispiel aus der Medizintechnik an.
Diskutieren Sie die Phänomene „Einlaufsteuerung“ und „Auslauf‐ steuerung“.
Klären Sie den Begriff “Cost‐Charge‐Back“. Beschreiben Sie die Konsignationsanalyse. Nennen Sie Gründe zur Konsignation aus Kunden‐ und aus Lieferantensicht.
Welches sind die Arbeitsschritte zur Einrichtung eines Konsignati‐ Beschreiben Sie das Verfahren „Payment‐on‐Production“. onslagers?
Grenzen Sie die Konsignationsabwicklung vom Lieferanten‐Logistik‐ Zentrum ab.
Beschreiben Sie den Ablauf einer Bestandsfinanzierung. Leiten Sie Cash‐to‐Cash‐Effekte aus Sicht der jeweils beteiligten Partner des Verfahrens ab.
Charakterisieren Sie die Inhalte der Durchlaufzeiten‐ und der Rüst‐ zeitenanalyse.
Nennen und diskutieren Sie Instrumente zur Frachtkostenreduzie‐ rung.
Was bedeutet ein „Milk Run“? Was verstehen Sie unter der Letzten Meile? Welche Strategien und welche Technologien kennen Sie, um diese Letzte Meile bestmöglich zu überwinden?
391
D.7
D
Instrumente des Supply Chain Managements
Diskutieren Sie die Möglichkeiten von Kurier‐, Express‐ und Paket‐ diensten auf der Letzten Meile.
Welches sind die Vorteile und die Nachteile von Hub and Spoke ver‐ glichen mit Point to Point im Flugverkehr?
Beschreiben Sie die Arten von Benchmarking. Welches sind die Vor‐ und die Nachteile des wettbewerbsfokussier‐ ten Benchmarkings?
Diskutieren Sie den Begriff „Reverse Engineering“. Beantworten Sie folgende Fragen zu Quality Function Deployment: Historie, Begriffsklärung und Charakterisierung, Qualitätspläne, Ar‐ beitsschritte zur Erstellung eines House of Quality (dargestellt am Beispiel „Rasenmäher“) und kritische Würdigung.
Kennzeichnen Sie das Instrument „Failure Mode and Effects Analy‐ sis“. Nehmen Sie eine kritische Würdigung der FMEA vor.
Geben Sie ein Beispiel für Bottleneck Engineering an. Charakterisieren Sie EDI, EDIFACT und ODETTE. Was verbirgt sich hinter diesen Abkürzungen? Welches sind die Vor‐ und die Nachteile von EDI.
Kennzeichnen Sie den Übergang von EDI zu Web‐EDI. Worin sehen Sie die Stärken und die Schwächen von Web‐EDI?
Beschreiben Sie die Aufgaben von Barcodes. Worin besteht der Un‐ terschied zu RFID?
Charakterisieren Sie mögliche Einsatzgebiete und Eigenschaften von RFID in der Supply Chain.
Was verstehen Sie unter einem „Data Warehouse“? Klären Sie die Begriffe „Data Mining“ und „OLAP“.
Charakterisieren Sie die technischen Komponenten von CIM. Beschreiben Sie CAP‐gestützte Systeme zur Erstellung von Arbeits‐ plänen.
Welche Arten von NC‐Maschinen kennen Sie? Benennen Sie flexible Fertigungssysteme.
Kennzeichnen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ERP‐ und APS‐Systemen.
Listen Sie Vorteile und Nachteile von APS‐Systemen auf.
392
Lernziele und Vorgehensweise
E.1
E Controlling der Supply Chain E.1
Lernziele und Vorgehensweise
Das Lernziel von Kapitel E besteht darin, die Bedeutung des Control‐ lings für ein Supply Chain Management aufzuzeigen. Einerseits wird die Führung durch sein Controlling in festen Intervallen, zum Beispiel im Rahmen von Monatsabschlüssen, mit Informationen versorgt. Ande‐ rerseits muss das Controlling‐System auch Ad‐hoc‐Abfragen zulassen. Zur Gewährleistung beider Anforderungen dient die Einbindung von Supply Chain Prozessen in ein adäquates Planungs‐, Steuerungs‐ und Kontrollsystem.
Warum ein Con‐ trolling der Supply Chain?
In Kapitel E werden im weiteren Vorgehen zunächst die betriebswirt‐ schaftlichen Grundlagen für ein Controlling der Supply Chain beschrie‐ ben. Durch ein Cost Tracking sind die Auswirkungen der Logistik‐ Aktivitäten auf die Bilanz sowie die Gewinn‐ und Verlustrechnung fest‐ zustellen. Anschließend wird eine Kennzahlentypologie des Supply Chain Managements abgeleitet, welche in die Darstellung von Werttrei‐ berbäumen mündet.
Vorgehensweise im Überblick
Dem Controller stehen Hilfsmittel zur Verfügung, die zur Planung, Steuerung und Kontrolle von Abläufen innerhalb moderner Lieferketten beitragen sowie die Informationsversorgung der Unternehmensführung sichern. Zu diesen Hilfsmitteln zählen die Hard‐(Soft)‐Analyse, das Target Costing, die Prozesskostenrechnung, der Economic Value Added, das Working Capital Management und das Supply Chain Performance Measurement. Dessen Hauptvertreter, die Supply Chain Scorecard, wird zudem mit einer Strategy Map kombiniert. Sämtliche Instrumente wer‐ den ausführlich charakterisiert und speziell auf das Supply Chain Ma‐ nagement bezogen. Auch dieses Kapitel endet mit Verständnisfragen.
Moderne Instru‐ mente des Control‐ lings im Einsatz
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Werner, Supply Chain Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32429-2_5
393
E
Controlling der Supply Chain
E.2
Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking
E.2.1
Betriebswirtschaftliche Grundlagen
Financial Supply Chains
Das Controlling der Supply Chain ist ein Subsystem der Führung. Zu seinen Aufgaben zählen die Planung, die Steuerung und die Kontrolle sämtlicher Aktivitäten innerhalb der Supply Chain. Erweitert werden diese Tätigkeiten durch die Sicherstellung einer Informationsversorgung des (Supply Chain) Managements. Dazu setzt das Controlling unter‐ schiedliche Hilfsmittel ein. Im Folgenden werden neuere Controlling‐ Instrumente der Supply Chain beschrieben. Zunächst sind jedoch einige betriebswirtschaftliche Grundlagen zu klären.
Supply Chain als Regelkreis
Das Supply Chain Management stellt ein Regelkreissystem dar. Der Regler ist die Führung und die Regelstrecke das Order‐to‐Payment‐S. Mögliche Stell‐ und Regelgrößen innerhalb von Wertschöpfungsketten sind Bestände, Frachtkosten, Durchlaufzeiten, Rüstzeiten oder Material‐ preise. Anhand von Beständen, Frachtkosten und Materialpreisen wird die Bedeutung der Stell‐ und der Regelgrößen für die Erfolgswirksam‐ keit ausgewählter Maßnahmen beschrieben. Im Schwerpunkt beziehen sich ihre Auswirkungen auf die Bilanz sowie die Gewinn‐ und Verlust‐ rechnung.
Kapitalbindung
Bestände binden Kapital, weil das investierte Geld für andere Zwecke nicht zur Verfügung steht. Freies Kapital könnte durch seine Anlage einen Zins erwirtschaften. Dadurch ergeben sich für ein Unternehmen Opportunitätskosten („entgangene Gewinne“). In Kapitel D wurde deut‐ lich, dass sich die Gesamtkosten einer Bevorratung aus Lagerkosten (Lagerhaltungskosten, Zinskosten und Sonstige Kosten) sowie aus Fehlmengenkosten aggregieren (vgl. S. 295).
Verbesserung des Cash Flow
Das Phänomen der Kapitalbindung durch Vorräte ist in der Betriebs‐ wirtschaftslehre hinlänglich bekannt. Doch erst seit den späten 60er Jahren werden Programme zur Bestandsreduzierung mit Nachdruck betrieben. Indem Vorräte eine Komponente des Umlaufvermögens der Bilanz darstellen, erwirkt ihre Reduzierung einen positiven Effekt auf den Cash Flow („Finanzmittelüberschuss“). Vorräte werden zumeist unter der Klasse 0 kontiert. Die Maßnahmen zur Bestandsreduzierung haben seit dem Aufkommen von Just‐in‐Time sehr an Bedeutung ge‐ wonnen. Durch die Senkung von Vorräten besteht die Möglichkeit zum
394
Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking
E.2
Aktivtausch in der Bilanz, indem sich das Umlaufvermögen reduziert und das Anlagevermögen erhöht. Das freigesetzte Kapital wird bei‐ spielsweise in Sachanlagen (Maschinen, Gebäude) investiert. Für finanzwirtschaftliche Analysen sind Bruttobestände (Gross Invento‐ ry) und Nettobestände (Net Inventory) zu unterscheiden. Resultierend aus der Ungängigkeit von Materialien, werden die Bruttobestände über die „Inventory Reserve“ zu Nettobeständen abgewertet. Verantwortlich dafür sind beispielsweise Planungsunsicherheiten im Abrufverhalten der Kunden, Serienausläufe von Produkten oder die Etablierung neuer Modetrends (vgl. zu Excess‐and‐Obsolete‐Beständen S. 301). Der Effekt einer Wertberichtigung auf ungängige Vorräte fließt in die Gewinn‐ und Verlustrechnung ein (vgl. unten). Gemessen wird dieses Phänomen durch die Kennzahlen Lagerumschlagshäufigkeit und Lagerreichweite. Beide Indikatoren werden ab S. 419 näher beschrieben.
„Mehr Netto vom Brutto…“
Auf die Gewinn‐ und Verlustrechnung schlägt sich die Vorratshöhe, mit Ausnahme der Bestandsumwertung zum Jahresabschluss, nur indi‐ rekt nieder. Vor allem in den Herstellungskosten des Umsatzes (Cost of Sales) finden sich die Auswirkungen einer Lagerbevorratung zum Bei‐ spiel in den Materialgemeinkosten, den Werkzeugkosten und den Per‐ sonalkosten. Für kalkulatorische Berechnungen wird der Bestandseffekt auf das Betriebsergebnis der Gewinn‐ und Verlustrechnung über den WACC (Weighted Average Cost of Capital) verzinst. Dieser gewichtete Eigen‐ und Fremdkapitalkostensatz liegt zwischen 6% und 10% und differiert zwischen Unternehmen und Branchen. Beträgt die Höhe der Bestände 100 Millionen Euro, die in der Bilanz im Umlaufvermögen ausgewiesen werden, und ist der WACC mit 7% angesetzt, ergibt dies eine kalkulatorische Belastung für den EBIT von 7 Millionen Euro.
Verzinsung und G&V‐Effekt
Die Frachtkosten und die Materialpreise sind Komponenten einer Ge‐ winn‐ und Verlustrechnung. In der Regel werden die Frachtkosten unter der Klasse vier und die Materialpreise unter der Klasse sieben in der Erfolgsrechnung gebucht. Ihre Erhöhung oder Reduzierung wirkt sich zu 100% auf den EBIT aus. Beide Größen finden sich entweder in den Herstellungskosten des Umsatzes der Gewinn‐ und Verlustrechnung, oder sie werden in der Erfolgsrechnung separat ausgewiesen.
Auswirkungen auf die Erfolgsrech‐ nung
Nachstehend wird aufgezeigt, wie der Controller ein Cost Tracking für Materialpreise, Frachtkosten und Bestände implementieren kann. Sämt‐ liche drei Einflussgrößen auf das Supply Chain Management sind Be‐ standteil einer Hard‐(Soft)‐Analyse. Ein Beispiel unterstreicht diese Zu‐ sammenhänge (vgl. S. 463).
Hard Spots und Soft Spots in der Supply Chain
395
E
Controlling der Supply Chain
E.2.2 Was ist ein Cost Tracking?
Cost Tracking
Das Cost Tracking ist ein spezielles Überwachungssystem, welches zur Messung der Erfolgswirksamkeit von Unternehmensaktivitäten herange‐ zogen wird. Es ist häufig in ein Reporting‐System (Berichtswesen) inte‐ griert. Im Folgenden bezieht sich das Cost Tracking auf drei ausgewähl‐ te Bereiche der Supply Chain:
Cost Tracking von Materialpreisen Cost Tracking von Frachtkosten Cost Tracking von Beständen „Niemand plant zu versagen, aber die meisten versagen beim Planen.“ (L. Iacocca)
Sämtliche drei Arten eines Cost Trackings im Supply Chain Manage‐ ment basieren auf der Verwendung von Formblättern. Zur Beschreibung des Cost Trackings von Materialpreisen, Frachtkosten und Beständen dient ein Beispiel: Das Phantomunternehmen View AG stellt Fernsehge‐ räte in Deutschland am Standort Frankfurt her. Zu Beginn des Ge‐ schäftsjahrs 2020 nimmt die View AG einen Lieferantenwechsel für LCD‐ Panel vor. Bislang wurde die Organisation mit LCD‐Panel aus Italien beliefert, und zukünftig bezieht sie diese aus Taiwan. Das Cost Tracking der Materialpreise, Frachtkosten und Bestände erstreckt sich auf den Berichtsmonat Juli des laufenden Geschäftsjahrs.
E.2.2.1 Grundlagen der Materialpreisab‐ weichung
Cost Tracking von Materialpreisen
Die Materialpreise werden – wie oben bereits kurz erwähnt – in der Regel unter der Klasse sieben in der Gewinn‐ und Verlustrechnung ge‐ bucht. Der Controller findet sie in der Erfolgsrechnung entweder sepa‐ riert ausgewiesen, oder sie werden dort unter die Herstellungskosten des Umsatzes gefasst. Änderungen in den Materialpreisen (Erhöhungen oder Reduzierungen) schlagen sich folglich zu 100% auf die Kennzahl „EBIT“ nieder. Für das Cost Tracking der Materialpreise entwirft das Controlling der View AG den Chart I (vgl. Abbildung E.1 und Werner 1999e, S. 150ff.). In diesem Chart ist die Materialpreisabweichung für LCD‐Panel abgetragen. Alle Zahlen werden in Tausend Euro (T€) und negative Zahlen in Klammern angegeben. Die Materialpreisabwei‐ chung bemisst die Leistung des Einkäufers. Sie gibt den Unterschiedsbe‐ trag zwischen den im Vorjahr budgetierten und im laufenden Geschäfts‐ jahr wirklich gebuchten Materialpreisen (Actual), sowie den unterjährig geplanten Materialpreisen (Forecast), an.
396
Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking
Bereich A.1: Bis zum Juli 2020 stehen dem Controlling aus den Mo‐ natsabschlüssen Ist‐Zahlen (Actual) zur Verfügung. Ab dem Monat August 2020 trägt das Controlling Planzahlen (Forecast) in den Chart.
Bereich B.1: Der Bereich B.1 visualisiert die totale Materialpreisabwei‐ chung. Die Zahlen sind kumuliert dargestellt. Bis zum Actual Juli be‐ läuft sich die Materialpreisabweichung auf 194 T€. Ein Forecast (sy‐ nonym als „Outlook“ bezeichnet) gibt die unterjährige Planung der Materialpreise wieder. Bis zum Dezember 2020 beträgt diese 322 T€.
-
E.2 Perioden spezifizie‐ ren Kumulierte Dar‐ stellung
Volumeneffekt: Auf den Volumeneffekt entfällt der Raubanteil dieser Materialpreisabweichung. Von den 194 T€ im Actual Ju‐ li 2020 gehen drauf allein 154 T€ zurück. Diese Komponente ist durch den Einkäufer beeinflussbar. Mit der Umstellung der LCD‐Panel‐Belieferung von Italien nach Taiwan ist es dem Einkäufer gelungen, die Beschaffungspreise zu reduzieren.
Senkung der Mate‐ rialpreise
- Börsenmaterial: In die Herstellung der LCD‐Panel geht Kupfer
Kein Potenzial zur Beeinflussung
ein. Der Preis für Kupfer wird an der Börse notiert. Er ist durch den Einkauf nicht zu verhandeln. Kupfer kostet im Jahr 2020 mehr als budgetiert wurde. Dieser Effekt ist separat auszuwei‐ sen. Er kumuliert sich bis zum Jahresende 2020 auf (51) T€.
- Wechselkurseffekt: Auch auf die Wechselkurse kann der Einkauf keinen direkten Einfluss ausüben. Von der totalen Material‐ preisabweichung zum Dezember 2020 (322 T€) entfallen allein 125 T€ auf die Wechselkurse. Wenn diese Auswirkung auf ei‐ nem Hedging basiert, hat der Bereich Treasury das Kurssiche‐ rungsgeschäft für diese Währung vorteilhaft abgeschlossen.
- Werkzeugkosten: Werkzeugkosten nehmen in manchen Bran‐ chen hohe Beträge ein. Die (7) T€ basieren auf einer Werkzeug‐ beistellung an den LCD‐Panel‐Lieferanten.
- Skonto: Schließlich werden die gezogenen Skonti ausgewiesen. Sie leiten sich aus den Zahlungszielen ab. Zum Beispiel kann eine Zahlungsbedingung lauten: „Ziehung von 3% Skonto bei Zahlung bis zum 10. Tag des Folgemonats oder nach 30 Tagen netto“. Im Rahmen des LCD‐Panel‐Bezugs erzielt die View AG aus Skonti bis zum Jahresende voraussichtlich 5 T€.
Bereich D.1: Hier trägt das Controlling die Zahlen für das Budget 2020 ein. Auf Basis des Lieferantenwechsels nach Taiwan wird monat‐ lich mit einem positiven Effekt von 10 T€ gerechnet.
Bereich E.1: Die Abweichungen zwischen Actual und Forecast sowie Budget finden sich in Block E.1. Bis zum Juli 2020 wird im Actual eine
397
Währungsschwan‐ kungen über Hedging abfedern?
Beigestelltes Mate‐ rial Zahlungsbedin‐ gungen ausloten
Budgetierte Mate‐ rialpreise Abweichungen messen
E
Controlling der Supply Chain
positive Abweichung von 124 T€ erzielt. Diese erhöht sich bis zum Jahresende auf 202 T€. Obwohl das Controlling bereits eine Reduzie‐ rung der Einkaufspreise durch den Lieferantenwechsel von 120 T€ im Budget berücksichtigte, wird diese Erwartung im laufenden Ge‐ schäftsjahr um 202 T€ übertroffen.
Bereich F.1: Schließlich werden in diesen Bereich einzuleitende Aktio‐
Maßnahmen und Verantwortlichkei‐ ten definieren Abbildung E.1
nen zur Verbesserung der Materialpreisabweichung, sowie Erklärun‐ gen für diese Abweichungen eingetragen und quantifiziert. Cost Tracking von Materialpreisen
Chart I: Materialpreisabweichung (MPA)
Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan View AG 2020
Monat Periode
Alle Zahlen kumuliert (YTD)
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
A.1
01 Act
02 Act
03 Act
04 Act
05 Act
06 Act
07 Act
08 Fc
09 Fc
10 Fc
11 Fc
12 Fc
45
66
95
112
132
164
194
217
242
269
295
322
34
51
75
91
103
131
154
170
190
210
230
250
(3)
(7) (13) (17) (23) (27) (31) (35) (39) (43) (47) (51)
B.1
Σ MPA
C.1
Komponenten der MPA
‐ Volumeneffekt ‐ Börsenmaterial ‐ Wechselkurseffekt ‐ Werkzeugkosten ‐ Skonto
MPA Bud
D.1
E.1 F.1
MPA Act/Fc vs. Bud
15
23
34
41
55
62
73
85
95
105
115
125
(1)
(1)
(2)
(4)
(5)
(5)
(5)
(6)
(7)
(7)
(7)
(7)
0
0
1
1
2
3
3
3
3
4
4
5
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
120
35
46
65
72
82
104
124
137
152
169
185
202
Aktionen zur Verbesserung der Materialpreisabweichung und Abweichungserklärungen Monat Periode
01 Act
02 Act
03 Act
04 Act
05 Act
06 Act
07 Act
Aktionen zur Verbesserung der Materialpreisabweichung
Abweichungserklärungen (Act/Fc vs. Bud)
398
Monat: Juli
‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐
08 Fc
09 Fc
10 Fc
11 Fc
12 Fc
Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget, YTD = Year to Date MPA = Materialpreisabweichung, alle Zahlen in Tausend Euro (T€) Negative Zahlen werden in Klammern angezeigt
Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking
E.2.2.2
E.2
Cost Tracking von Frachtkosten
Weil die View AG ihre Frachtkosten unter der Klasse vier kontiert, beein‐ flussen sie den EBIT in der Gewinn‐ und Verlustrechnung zu 100%. Für den LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan wird eine Belieferung Ab‐Werk unter‐ stellt. Die View AG zahlt die Frachtkosten selbst. Das Cost Tracking der Frachtkosten findet sich in Chart II (vgl. Abbildung E.2).
Auswirkung auf das operative Er‐ gebnis
Bereich A.2: In diesen Bereich wird die Periode eingetragen.
Berichtsperioden
Bereich B.2: Die Frachtkosten sind kumuliert anzugeben. Bis zum Ac‐
Totale Frachtkosten in den Chart ein‐ tragen
tual Juli 2020 belaufen sie sich für den LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan auf 166 T€. Der Forecast bis zum Dezember 2020 beträgt kumuliert 283 T€.
Bereich C.2: Zunächst findet sich hier eine Unterscheidung in Ein‐ gangs‐ und in Ausgangsfrachten. Sie werden in die Bereiche normale Frachtkosten, Sonderfahrten und Zölle zerlegt (letzte sind von der Lo‐ gistik nur indirekt beeinflussbar). Den Raubanteil an Frachtkosten nehmen die Eingangsfrachten mit 267 T€ ein (Jahresendwert). Durch das Herunterbrechen der Frachtkosten in einzelne Bestandteile, sind potenzielle Problembereiche sofort zu erkennen. Beispielsweise betra‐ gen die selektiven Sonderfahrten für den Monat März im Eingangsbe‐ reich 27 T€. Der Controller wird dem Frachtverantwortlichen dafür eine Begründung abverlangen.
Bereich D.2: Das Budget für eine Belieferung von LCD‐Panel aus Tai‐ wan beziffert sich für Frachtkosten auf 240 T€ (pro Monat 20 T€).
Bereich E.2: Es ergibt sich bis zum Jahresende 2020 eine negative Ab‐ weichung zwischen Actual (Forecast) und Budget von (43) T€.
Bereich F.2: In den Abschnitt F.2 sind die Aktionen zur Verbesserung des Status quo und Erklärungen für Abweichungen in das Formblatt einzutragen. Diese Informationen liefert der Funktionsbereich Logis‐ tik.
Bereich G.2: Im Bereich G.2 wird die Kennzahl „Frachtkosten in Rela‐ tion des Umsatzes“ berechnet. Die Frachtkosten weichen zum Jahres‐ ende 2020 absolut voraussichtlich um (43) T€ negativ ab. Allerdings können absolute Zielvorgaben zu Fehlentscheidungen führen: In Zei‐ ten von Better Budgeting und Beyond Budgeting sind sie durch relati‐ ve Zielvorgaben zu ergänzen, oder sogar zu ersetzen. Die höheren Frachtkosten ergeben sich, weil im Forecast bis zum Dezember 2020 ein gesteigerter Umsatz – verglichen mit dem Budget – um 5.000 T€ erzielt wird. Laut Budget 2020 waren bis zum Jahresende Frachtkos‐
399
Aufbruch der Black‐Box
Budgetierung der Basiswerte Negative Abwei‐ chung Wer macht was wann?
Relative Zielvorga‐ ben schlagen Abso‐ lut‐Werte
E
Controlling der Supply Chain
ten, in Relation des Umsatzes, von 1,00% erlaubt. Der Forecast weist jedoch lediglich einen Wert von 0,98%, aus: Die Freight‐Ratio liegt 0,02% besser als im Budget eingeplant (positive Abweichung). Abbildung E.2
Cost Tracking von Frachtkosten
Chart II: Frachtkosten
Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan Alle Zahlen kumuliert (YTD)
View AG 2020
Monat Periode
A.2 01 Act
A.2 02 Act
23
38
B.2
Σ Frachtkosten
C.2
Komponenten der Frachtkosten Eingangsfrachten
‐ Normalfracht ‐ Sonderfahrten ‐ Zölle
A.2 04 Act
A.2 05 Act
A.2 06 Act
A.2 08 Fc
A.2 09 Fc
A.2 07 Act
Monat: Juli
80 105 123 136 166 181 207 232 256 283
35
75
97 115 126 156 170 194 219 243 267
29 4 2
42 31 2
61 33 3
79 33 3
88 113 125 145 165 185 205 35 38 39 43 47 51 55 3 5 6 6 7 7 7
3
3
5
8
8
10
10
11
13
13
13
16
‐ Normalfracht
3 0 0
3 0 0
5 0 0
5 3 0
5 3 0
7 3 0
8 3 0
8 3 0
10 3 0
10 3 0
10 3 0
13 3 0
D.2 E.2 F.2
Frachtkosten Bud
20
40
60
80 100 120 140 160 180 200 220 240
(3)
Act/Fc vs. Bud
(2) (20) (25) (23) (16) (26) (21) (27) (32) (36) (43)
12 Fc
Aktionen zur Verbesserung der Frachtkosten/Abweichungserklärungen
Monat Periode ‐
G.2
01 Act
02 Act
03 Act
04 Act
05 Act
06 Act
07 Act
08 Fc
09 Fc
10 Fc
11 Fc
‐
‐
Frachtkosten/ Umsatz (%)
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
Umsatz BUD
2000
4000
6000
8000
10000
12000
14000
16000
18000
20000
22000
24000
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
1,00
2013
5113
8356
10890
12993
14236
16730
19000
22000
25000
27000
29000
Frachtkos‐ ten/Umsatz (%)
Umsatz Act/Fc
Frachtkos‐ ten/Umsatz (%)
1,14
0,74
0,96
0,96
0,95
0,96
0,99
0,95
0,94
Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget, YTD = Year to Date Alle Zahlen in Tausend Euro (T€) Negative Zahlen werden in Klammern angezeigt
400
A.2 12 Fc
17 2 1
‐ Zölle
A.2 11 Fc
Ausgangsfracht.
A.2 10 Fc
20
‐ Sonderfahrten
A.2 03 Act
0,93
0,95
0,98
Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Cost Tracking
E.2.2.3
E.2
Cost Tracking von Beständen
Schließlich erstellt der Controller auch für das Cost Tracking von Be‐ ständen ein Formblatt (vgl. Chart III). Die Vorräte sind eine Komponen‐ te des Umlaufvermögens in der Bilanz der View AG. Sie binden Kapital und bewirken Opportunitätskosten. Auf Grund des Lieferantenwechsels von Italien nach Taiwan und der damit verbundenen deutlichen Verlän‐ gerung der Lieferzeiten, werden zusätzliche Sicherheitsbestände an LCD‐Panel benötigt. Mit dieser Maßnahme möchte die View AG potenzi‐ elle Störungen und Lieferverzögerungen abfedern, um drohende Stock‐ outs zu vermeiden. Vgl. zum Cost Tracking der Bestände nachstehende Abbildung E.3.
Bereich A.3: Wie in den ersten beiden Fällen, werden in diesen Block
Kalkulatorische Berechnung
Zeitraum festlegen
die Perioden des Cost Trackings eingetragen (Actual und Forecast).
Bereich B.3: In dem Bereich B.3 des Charts finden sich die Bruttobe‐
Gross Inventory
stände (also vor Abwertung auf Grund von Ungängigkeit). Im Actual Juli 2020 beziffert sich der Bruttobestand an LCD‐Panel insgesamt auf 229 T€.
Bereich C.3: Die Vorräte werden schließlich in ihre Komponenten zer‐ legt. Die Logistikleitung sieht unmittelbar, auf welche Kontengruppen sich die Verbesserungsmaßnahmen zur Bestandsreduzierung zuerst erstrecken müssen: Hier sind es eindeutig die Kaufteile, die beispiels‐ weise in Konsignation genommen werden könnten.
Bereich D.3: Für das Budget 2020 wurde unterstellt, dass die Vorräte
Zerlegung des Gesamtbestands
Planwerte
schrittweise insgesamt um 75 T€ abzubauen sind: Von 250 T€ im Ja‐ nuar auf 175 T€ im Dezember. Dafür sind Maßnahmen zur Senkung von Vorräten einzuleiten.
Bereich E.3: Im Forecast wird ein Ausgleich der negativen Abwei‐
Forecast on Budget
chung (versus Budget) bis zum Jahresende eingeplant. Forecast und Budget sind im Dezember 2020 „in line“ bei 175 T€. Ausgehend vom letzten verfügbaren Actual, müssen folglich die Vorräte bis zum Jah‐ resende um 29 T€ heruntergefahren werden.
Bereich F.3: Schließlich werden (wie in den beiden zuvor charakteri‐ sierten Charts auch) in den Bereich F.3 Aktionen zur Verbesserung und Erläuterungen für Abweichungen eingestellt.
401
Aktionen definieren
E Abbildung E.3
Controlling der Supply Chain
Cost Tracking von Beständen
Chart III: Bruttobestände Projekt: LCD‐Panel‐Bezug aus Taiwan View AG 2020
Alle Zahlen selektiv
Monat: Juli
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
A.3
Monat Periode
01 Act
02 Act
03 Act
04 Act
05 Act
06 Act
07 Act
08 Fc
09 Fc
10 Fc
11 Fc
12 Fc
286
276
B.3
Σ Bestände
Komponenten der Bestände:
Rohmaterial Kaufteile Selbstgef. Teile Work‐in‐Process Fertigwaren Beigst. Material Anzahlungen Sonstige
D.3 Bestand Bud E.3 F.3
0 177 39 33 33 0 1 3
Act vs. Bud
250
0 199 31 29 12 0 3 2
287
267
0 203 27 23 31 0 1 2
0 187 30 19 27 0 2 2
0 165 22 27 10 0 3 2
210
0 150 20 30 10 0 3 1
0 150 18 28 10 0 3 1
188
0 140 16 28 8 0 3 0
175
0 135 16 26 8 0 3 0
0 126 15 25 6 0 3 0
225
225
225
200
200
200
175
175
175
(36) (26) (37) (42) (43) (35) (29) (14) (10) (20) (13)
Monat Periode
195
250
01 Act
02 Act
03 Act
04 Act
Aktionen zur Verbesserung der Bestände
‐ ‐ ‐
Abweichungserklärung (Act/Fc vs. Bud)
‐ ‐ ‐
402
0 187 24 25 18 0 2 4
214
0 199 25 22 19 0 1 2
229
250
260
Aktionen zur Verbesserung der Bestände und Abweichungserklärungen
268
0
05 Act
06 Act
07 Act
08 Fc
09 Fc
10 Fc
11 Fc
12 Fc
Legende: Act = Actual, Fc = Forecast, Bud = Budget Alle Zahlen in Tausend Euro (T€) Negative Zahlen werden in Klammern wiedergegeben
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3.1
Allgemeine Grundlagen
Kennzahlen (Ratios) haben die Funktion, schnell und aussagekräftig über betriebswirtschaftliche Sachverhalte zu informieren (vgl. Binder 2019; Gladen 2014; Krause 2010; Krause 2016; Steger 2014). Sie stellen eine Wiedergabe quantitativ erfassbarer Sachverhalte in konzentrierter Form dar. Zunehmend werden im Kennzahlenmanagement zur Leistungsbe‐ wertung mit KPI, BPI und PPI neuartige Erfolgsparameter eingesetzt.
E.3
Key Performance Indicator und weitere Messgrö‐ ßen
Key Performance Indicator (KPI): Key Performance Indicator sind echte Spitzenkennzahlen. Sie besitzen einen hoch strategischen und langfristigen Charakter. KPI messen in der Regel nicht exakt, viel‐ mehr suchen sie eine Antwort darauf, wie es grundsätzlich um die Per‐ formance steht. Beispiele für KPI in der Supply Chain sind Kunden‐ zufriedenheit und Order Fulfillment Time (Auftragsbearbeitungszeit).
Business Performance Indicator (BPI): BPI sind taktische Kennzah‐ len ausgewählter Supply Chain Bereiche (Funktionseinheit, Business Unit, Profit Center). Die oben angesprochene „Order Fulfillment Ti‐ me“ kann in die Indikatoren Beschaffungszeit, Lagerzeit, Verpa‐ ckungszeit und Auslieferzeit zerlegt werden.
Process Performance Indicator (PPI): Process Performance Indicator sind operative Prozessgrößen in ausgewählten Geschäftsbereichen. Sie messen genau („die zweite Stelle hinter dem Komma“) und sind mit dem Begriff “Kennzahl” im engen Sinn gleichzusetzen. Ausge‐ wählte PPI der „Beschaffungszeit“ stellen Bestellanforderungs‐, Mate‐ rialdispositions‐, Warenannahme‐ und Eingangskontrollzeit dar.
Kennzahlen ermöglichen es, einzelne Vorgänge miteinander in Verbin‐ dung zu setzen. Isoliert betrachtet sind Kennzahlen jedoch wenig aussa‐ gekräftig. Erst im internen oder externen Vergleich gewinnen sie an Bedeutung. Zum Beispiel bietet sich ein interner Zeitvergleich an, wenn Kenngrößen mehrerer Perioden miteinander abgewogen werden.
Erst der Vergleich macht Kennzahlen wirklich stark
Die Begrifflichkeiten „Kennzahlenvergleich“ und „Benchmarking“ (vgl. S. 342) werden zuweilen gleichgesetzt. In der vorliegenden Schrift wird dieser Vorgehensweise jedoch nicht gefolgt: Während eine Kennzahl lediglich das „Wo“ aufzeigt (wo befindet sich ein Unternehmen im Wett‐ bewerb?), beschreibt ein Benchmarking das „Wie“ (wie ist es einer Orga‐
Kennzahlen als unverzichtbarer Bestandteil des Benchmarkings
403
E
Controlling der Supply Chain
nisation gelungen, eine Best‐Practice‐Situation einzunehmen?). Bildlich gesprochen beschreibt eine Kennzahl „lediglich“ den Temperaturanzei‐ ger eines Heizkörpers. Sie ist aber nicht das Thermostat (der automati‐ sche Temperaturregler). Eine Kennzahl zeigt an, wo ein Unternehmen steht. Doch den Weg in eine Best‐Practice‐Situation zeigt sie nicht auto‐ matisch auf. Ich stimme mit der Mathematik nicht überein. Ich meine, dass die Summe von Nullen eine gefährliche Zahl ist.“ (S. Jerzy Lec)
Das Kennzahlenmanagement innerhalb einer Supply Chain befindet sich derzeit im Wandel. Früher wurden ausschließlich operative KPI eingesetzt. Diese bezogen sich auf das eigene Unternehmen und seine Segmente (Standort, Profit Center, Business Unit). In Zeiten modernen Netzwerkmanagements finden hingegen auch strategische Kennzahlen Einsatz. Letzte zielen nicht nur auf die eigene Organisation, sondern auf die komplette Wertschöpfungskette. Eine wichtige Voraussetzung für die Nutzung strategischer Kennzahlen ist die möglichst trennscharfe Koordination räumlich oder zeitlich verteilter Aktivitäten innerhalb einer Supply Chain.
E.3.2 Systematisierung von Kennzahlen
Arten von Kennzahlen
In der vorliegenden Schrift werden vier Differenzierungsalternativen von Kennzahlen unterscheiden. Weitere Abgrenzungsmöglichkeiten – wie die Unterteilung in normative und in deskriptive Kennzahlen – werden nicht aufgezeigt, weil sie das inhaltliche Fortkommen kaum stärken. Die nähere Charakterisierung dieser Kennzahlenarten erfolgt in den nachstehenden Abschnitten:
Statistische Differenzierung: Absolute und relative Kennzahlen (Glie‐ derungsabschnitt E.3.2.1).
Differenzierung nach der Zielrichtung: Erfolgs‐, Liquiditäts‐ und Wert‐ steigerungskennzahlen (Kapitel E.3.2.2).
Differenzierung nach der Erfolgswirksamkeit: Strategische und operati‐ ve Kennzahlen (Gliederungspunkt E.3.2.3).
Differenzierung nach dem Objektbezug: Leistungs‐ und Kostenkenn‐ zahlen (Gliederungsabschnitt E.3.2.4).
E.3.2.1 Statistische Unter‐ scheidung
Absolute und relative Kennzahlen
Die Geister scheiden sich, wenn es darum geht, ob bereits ein Absolut‐ Wert als Kennzahl anzusehen ist (zum Beispiel der „Umsatz“ eines Un‐
404
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
ternehmens), oder ob nicht erst durch die Relation eine Kennzahl ent‐ steht (zum Beispiel der „Jahresüberschuss im Verhältnis zum Umsatz“). Unter die relativen Kennzahlen werden Gliederungszahlen, Bezie‐ hungszahlen und Indexzahlen gefasst (vgl. zur Typologie relativer Kennzahlen Abbildung E.4). Während die Gliederungszahl ein „Teil des Ganzen“ ist (z. B. der Marktanteil), gibt die Beziehungszahl eine Nor‐ mierung von Basisdaten wieder (beispielsweise Umsatz pro Mitarbeiter eines Geschäftsjahrs). Die Indexzahl hingegen zeigt die Entwicklung ausgewählter Größen über einen zeitlichen Horizont an. Ein Beispiel ist die Preisentwicklung für Aluminium über die letzten zwölf Monate.
Typologie relativer Kennzahlen
Abbildung E.4
Kennzahlentyp
Aussage
Beispiel
Gliederungszahl
Teil des Ganzen
Absoluter Marktanteil in %
Beziehungszahl
Normierung von Basis‐ zahlen
Umsatz pro Mitarbeiter und Periode
Indexzahl
Beurteilung der zeitlichen Entwicklung
Preisindex für Rohstoffe
E.3.2.2
Erfolgs-, Liquiditäts- und Wertsteigerungskennzahlen
Unter die Erfolgskennzahlen fallen die Renditegrößen. Zunächst bietet sich zur Berechnung des Unternehmenserfolgs die Umsatzrendite an (Return on Sales, ROS). Der Return on Sales berechnet sich aus Größen der Gewinn‐ und Verlustrechnung. Bei seiner Ermittlung wird der Ge‐ winn in das Verhältnis zum erzielten Umsatz gesetzt. Die Größe „Ge‐ winn“ ist in der Regel gleichzusetzen mit „Jahresüberschuss“. ROS =
Gewinn × 100 Umsatz
„Erfolg haben heißt, einmal mehr aufstehen, als man hingefallen ist.“ (W. Churchill)
Eine weitere Erfolgskennzahl ist die Eigenkapitalrendite (Return on Equity, ROE), welche die Division von Gewinn zu Eigenkapital darstellt. Während der Gewinn aus der Erfolgsrechnung eines Unternehmens hervorgeht, entstammt das Eigenkapital der Bilanz.
405
Return on Equity
E
Controlling der Supply Chain
ROE =
Gewinn × 100 Eigenkapital
Return on Total Capital
Wie die Umsatzrendite und die Eigenkapitalrendite, stellt auch die Ge‐ samtkapitalrendite (Return on Total Capital, ROTC) eine eher traditionel‐ le Erfolgsgröße dar. Der ROTC ermittelt sich ebenfalls aus dem „Ge‐ winn“. Folgende Definition der Gesamtkapitalrendite ist üblich:
ROTC =
Moderne Indikato‐ ren zur Bestim‐ mung von Rendi‐ ten
(Gewinn FK ‐ Zinsen) × 100 Eigenkapit al + Fremdkapit al
Neben diesen drei tradierten Erfolgsgrößen gewinnen insbesondere der Return on Capital Employed (ROCE) sowie der Return on Assets (ROA) an Bedeutung. Sie werden auf Bilanzpressekonferenzen und im Rahmen von Kennzahlenvergleichen mittlerweile häufig berücksichtigt. Beide Key Performance Indicator können jeweils als die erwirtschaftete „Kapitalrendite“ eines Unternehmens verstanden werden. Die Berech‐ nungsmöglichkeiten von ROCE und ROA sind den folgenden Definiti‐ onsblöcken zu entnehmen.
ROCE =
EBIT × 100 Eingesetztes Kapital
ROCE und ROA auf dem Siegeszug
Bei der Ermittlung von ROCE ist das operative Ergebnis einer Periode (EBIT) in der Gewinn‐ und Verlustrechnung abzulesen. Das eingesetzte Kapital (Capital Employed) setzt sich aus dem Anlagevermögen und dem Net Working Capital – Vorräte, Forderungen sowie unverzinsliche Verbindlichkeiten – zusammen (vgl. S. 452). Im Unterschied zu dem Return on Capital Employed, leitet sich bei der Kennzahl Return on Assets der Zähler nicht aus dem EBIT, sondern aus dem Rohertrag ab (Gross Profit). Bei einem näheren Blick auf die Gewinn‐ und Verlust‐ rechnung findet bei der Überleitung des Rohertrags zum EBIT eine Ver‐ rechnung von Aufwendungen und Erträgen über folgende drei Blöcke statt:
Marketing und Vertrieb (Marketing and Sales) Allgemeine Verwaltung (Administration and General) Forschung und Entwicklung (Research and Development) 406
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
ROA =
Gross Profit × 100 Eingesetzt es Kapital
E.3
Vermutlich liegt die zunehmende Verbreitung von ROCE und ROA in der Unternehmenspraxis darin begründet, dass eine Erfolgsberechnung sich nicht länger aus dem Jahresüberschuss („Gewinn“) ableitet. Viel‐ mehr werden bei der Kapitalrendite EBIT oder Rohertrag als echte Er‐ folgsindikatoren angesehen, denn diese beiden Größen sind hochgradig disponibel. Sie zeigen unverblümt den operativen Geschäftserfolg auf. Der Jahresüberschuss hingegen berechnet sich nach Zinsen und Steuern. Bekanntlich sind die (Fremdkapital‐) Verzinsung sowie die Besteuerung durch das Management kaum beeinflussbar, weil sie extern vorgegeben werden.
Disponibilität besonders ausge‐ prägt
Schließlich stellt der Return on Investment (ROI) eine weitere Erfolgs‐ größe dar, die sich aus der Multiplikation von Umsatzrendite (Return on Sales) sowie Kapitalumschlag (Capital Turnover) errechnet. Diesbezüg‐ lich ist die Aufschlüsselung zu einem Kennzahlensystem möglich (Du‐ Pont‐Schema, vgl. Abbildung E.5).
ROI als Kennzah‐ lensystem
Ein Supply Chain Manager beeinflusst die Rentabilität eines Unter‐ nehmens direkt und nachhaltig. Folgendes Beispiel verdeutlicht diesen Gedanken (vgl. Abbildung E.6): Auf Grund eingeleiteter Aktivitäten zur Bestandssenkung gelingt es einem Unternehmen, die Vorräte um 20% zu senken. Absolut ausgedrückt, vermindern sich die Bestände von 100 Millionen Euro auf nunmehr 80 Millionen Euro. Ceteris paribus bewirkt dieser Effekt ein Absenken des Umlaufvermögens um 20 Millionen Eu‐ ro: Es vermindert sich von 110 Millionen Euro auf 90 Millionen Euro. Somit reduziert sich das Gesamtvermögen ebenfalls um 20 Millionen Euro: von 234 Millionen Euro auf 214 Millionen Euro. Basierend auf diesem Vermögensabbau erhöht sich der Kapitalumschlag deutlich von 2,31 auf 2,52. Turns Die Änderung der Spitzenkennzahl ROI ist ebenfalls beachtlich. Diese steigt von 12,82% auf 14,03%. Im Ergebnis lässt das herangezogene Beispiel folgende Interpretation zu: Eine Senkung der Vorräte um 20% verbessert den ROI um 1,21% Prozentpunkte (auf Basis der verwendeten Zahlen). Dies entspricht einer relativen Renditesteige‐ rung von 9,5%.
Bestände beeinflus‐ sen den ROI nach‐ haltig
407
E Abbildung E.5
Controlling der Supply Chain
Beispiel zur Berechnung des Return on Investment Preis 2 + Umsatz 540.000 Gewinn 30.000
ROI 12,82%
Umsatz‐ rendite 5,56%
:
x
Umsatz 540.000
Kapital‐ umschlag 2,31
: Vermögen 134.000
Menge 270.000
‐ Kosten 510.000
Material 398.000 + Personal 102.000
Anlage‐ vermögen 124.000
+ Sonstiges 10.000
+ Umlauf‐ vermögen 110.000
Bestände 100.000 + Sonstiges 10.000
Legende: Zahlen in Tausend Euro (T€); ausgenommen Prozentwerte.
Auswirkungen der Bestandsreduzie‐ rung richtig inter‐ pretieren
Doch sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass oben beschriebenes Beispiel der Vorratssenkung nur ceteris paribus gilt. Eine Verbesserung der Rendite ausschließlich auf ein Absenken von Beständen zurückfüh‐ ren zu wollen, erscheint abenteuerlich: In dem charakterisierten Betrach‐ tungszeitraum wurden die Vorräte um 20% reduziert. Alle übrigen Grö‐ ßen blieben in ihrer Höhe jedoch unverändert.
Komplementäres versus konkurrie‐ rendes Verhalten
Diese Annahme erscheint wenig realistisch. Eine Bestandssenkung „um jeden Preis“ ruft Trade‐off‐Effekte regelrecht auf den Plan (Zielkonkur‐ renz). Beispielsweise wirken sich Bestandsreduzierungen tendenziell negativ auf Materialpreise, Frachtkosten, Produktionskosten oder Um‐ sätze aus. Diese negativen Auswirkungen könnten zu einer Verschlech‐ terung der Rentabilität führten (vgl. Abbildung E.6). Ein Supply Chain Controller müsste die positiven Cash‐Flow‐Effekte einer Bestandsredu‐ zierung mit den zu erwartenden Verschlechterungen auf den EBIT ge‐ genüberstellen, um eine gesamtoptimale Entscheidung für ein Unter‐ nehmen treffen zu können. Die festgestellte Renditesteigerung von 9,5% wäre so nicht mehr haltbar. 408
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Verbesserung des ROI durch Bestandssenkung
E.3 Abbildung E.6
Preis 2 Umsatz 540.000 Gewinn 30.000
ROI 14,03%
Umsatz‐ rendite 5,56%
:
x
Umsatz 540.000
Kapital‐ umschlag 2,52
:
‐ Kosten 510.000
Vermögen 214.000
+ Menge 270.000
Material 398.000 + Personal 102.000
Anlage‐ vermögen 124.000
+ Sonstiges 10.000
+ Umlauf‐ vermögen 90.000
Bestände 80.000 + Sonstiges 10.000
Legende: Zahlen in Tausend Euro (T€); ausgenommen Prozentwerte.
Der Finanzmittelüberschuss eines Unternehmens stellt die Dynamisie‐ rung der statischen Liquidität dar. Er ist ein Indikator der Ertragskraft. Synonym wird der Finanzmittelüberschuss als Cash Flow bezeichnet. Im einfachen Fall ermittelt sich der Cash Flow als Differenz zwischen Ein‐ zahlungen und Auszahlungen. Damit zeigt der Cash Flow die Fähigkeit eines Unternehmens auf, Einzahlungsüberschüsse aus den betrieblichen Leistungsprozessen zu generieren. Doch sind direkte Einzahlungen und Auszahlungen eines Unternehmens für einen Dritten nicht einsehbar. Daher werden weitere Indikatoren aus dem Jahresabschluss als Grund‐ lage zur Berechnung eines Cash Flow herangezogen.
Cash‐Flow‐ Betrachtung
Der Cash Flow dient der Abbildung von Finanzströmen in Supply Chains. Im Order‐to‐Payment‐S auf S. 8 ist er in den unteren, dritten Bereich einzuordnen. Gerade in Krisenzeiten (z. B. Corona) achten die Unternehmen verstärkt auf die Sicherung ihrer Liquiditätskennzahlen. Ein benachbarter Indikator des Cash Flow ist Working Capital. Die Grö‐ ße hat insbesondere durch das Aufkommen des Cash‐to‐Cash‐Cycle in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance erfahren.
“Money, get away, get a good job with more pay…“ (Pink Floyd)
409
E Verschiedene Mög‐ lichkeiten der Cash‐ Flow‐Ermittlung
Controlling der Supply Chain
Es handelt sich bei einem Cash Flow um keine einheitlich definierte Kennzahl. Vielmehr existieren etliche Berechnungsmöglichkeiten, um einen Finanzmittelüberschuss zu bestimmen. Deshalb ist im Rahmen eines Benchmarkings über den Cash Flow dessen Definition genau zu beachten. Eine pragmatische Ermittlungsmöglichkeit zur Berechnung des Cash Flow zeigt der nachstehende Definitionsblock auf (vgl. Alter 2016, S. 51; Lewe/Schneider 2004, S. 41; Probst 2012, S. 59). Jahresüberschuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen ± Erhöhung/Verminderun g von Rückstellu ngen
= ʺ Praktiker Cash Flowʺ
Erweiterter Cash Flow
Dieser „Praktiker Cash Flow“ gibt jedoch nicht wieder, dass ein Supply Chain Management einen mitunter gewichtigen Einfluss auf den Fi‐ nanzmittelüberschuss ausübt. Daher ist unten der erweiterte Cash Flow angegeben, dessen Definition aufdeckt, dass Veränderungen von Be‐ ständen und Forderungen den Finanzmittelüberschuss in seiner Höhe direkt beeinflussen (vgl. Lewe/Schneider 2004, S. 42). Jahresüberschuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen auf Vermögensw erte + Veränderun gen Rückstellu ngen + Veränderun gen Sonderpost en mit Rücklagena nteil
+ Veränderun gen Wertberich tigungen ‐ Veränderun gen Vorräte ‐ Veränderun gen Forderunge n ‐ Veränderun gen aktive RAP ‐ Aktivierte Eigenleist ungen = Eweiterter Cash Flow
Cash Flows sind sehr transparent
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten eines Cash Flow werden nicht ver‐ folgt, um den Rahmen der Ausführungen nicht zu sprengen. Der Leser sei auf die Fachliteratur verwiesen (vgl. Alter 2016, S. 19ff.; Krüger 2011, S. 13; Lewe/Schneider 2004, S. 41ff.; Ossola‐Haring 2006, S. 108ff.; Reinecke et al. 2009, S. 113ff.). Dort sind Discounted (Free) Cash Flow, indirekter Cash Flow, operativer Cash Flow und Netto Cash Flow definiert.
410
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Schließlich werden nach ihrer Zielrichtung Wertsteigerungskennzahlen unterschieden. Der wohl bedeutsamste Vertreter dieser Gattung ist der Economic Value Added (EVA). Unter Gliederungspunkt E.4.4 findet sich seine ausführliche Charakterisierung (vgl. S. 485). Der Economic Value Added – wie auch die benachbarten Konzepte Market Value Added, Economic Profit, Added Value oder Cash Value Added – steigern die Transparenz im Wettbewerb. Es sind Kennzahlen, die dem Gedanken des Shareholder Value folgen.
E.3.2.3
E.3 Economic Value Added
Strategische und operative Kennzahlen
Strategische Kennzahlen zeichnen sich durch eine hohe Erfolgswirk‐ samkeit aus (Effektivitätskennzahlen). Zumeist messen sie langfristige Effekte. Operative Kennzahlen hingegen finden zur Bewertung der Effizienz Berücksichtigung. Beispielsweise bewerten sie die Wirtschaft‐ lichkeit logistischer Aktivitäten. Strategische wie auch operative Indika‐ toren können sich entweder auf ein komplettes Netzwerk (extern), oder intern ausrichten. Abbildung E.7 zeigt diesen Zusammenhang in über‐ sichtlicher Weise auf (vgl. außerdem Meyer 2011, S. 125ff.; We‐ ber/Wallenburg 2010, S. 245ff.). Selbstverständlich sind die herangezoge‐ nen KPI nur beispielhaft zu verstehen. Sie lassen sich außerdem nicht binär einem jeweiligen Feld zuordnen.
„Strategie ist ein System von Notbe‐ helfen.“ (H. Graf v. Moltke)
Strategische und operative Kennzahlen
Abbildung E.7
Kennzahlart Supply Ebene
Strategische Kennzahlen
Operative Kennzahlen
‐ Gesamtdurchlauf SC ‐ Gesamtkosten SC Netzwerkkennzahlen ‐ Time‐to‐Market SC ‐ Gesamtlieferzeit SC
‐ Cash‐to‐Cash‐Cycle ‐ Schnittstellen SC ‐ Kundenkontakte SC
‐ Lagerumschlag Interne Kennzahlen ‐ Lieferservicegrad ‐ Lieferflexibilität
‐ Kosten pro Bestellung ‐ Aufträge pro Jahr ‐ Gängigkeit Bestände
E.3.2.4
Leistungs- und Kostenkennzahlen
Schließlich können Leistungs‐ und Kostenkennzahlen kategorisiert wer‐ den. Die Performance in Supply Chains bezieht sich zumeist auf die
411
Differenzierung nach ihrem “Objektbezug”
E
Controlling der Supply Chain
Einhaltung zeitlicher und qualitativer Vorgaben. Ebenso sind jedoch in modernen Wertschöpfungsnetzen auch Leistungskriterien, wie Anpas‐ sungsfähigkeit, Komplexität und Kooperationsbereitschaft zu bewerten. Die Kostenindikatoren hingegen beziehen sich beispielsweise auf Pro‐ zesskosten, Qualitätskosten, Bevorratungskosten, Abstimmungskosten und Distributionskosten. Abbildung E.8 gibt diesen Sachverhalt über‐ sichtlich wieder (vgl. auch Weber/Wallenburg 2010, S. 243ff.). Abbildung E.8
Leistungs‐ und Kostenkennzahlen
Kategorie Kennzahlentyp
Kennzahlenkategorie
‐ Geschwindigkeit ‐ Qualität Leistungskennzahlen ‐ Anpassungsfähigkeit ‐ Kooperation ‐ Komplexität
Kostenkennzahlen
‐ Prozesskosten ‐ Qualitätskosten ‐ Bevorratungskosten ‐ Abstimmungskosten ‐ Distributionskosten
Beispiel ‐ Durchlaufzeit ‐ Ausschussrate ‐ Einrichtzeit ‐ Gleiche Datensätze ‐ Zahl Produktvarianten ‐ Transaktionskosten ‐ Rückrufkosten ‐ Bestandskosten ‐ Kommunikationskosten ‐ Frachtkosten
E.3.3 Grundsätzlicher Aufbau der Typo‐ logie
Kennzahlentypologie der Supply Chain
Im Folgenden wird eine zweidimensionale Typologie eines Kennzah‐ lenmanagements der Supply Chain diskutiert. Prägend für die Elemente der ersten Dimension ist die Zunahme an Wertschöpfung. Basierend auf der Zerlegung einer unternehmensinternen Supply Chain, stellen Input, Throughput und Output die drei Kernbereiche der Logistikkette dar. Zur Reduzierung von Opportunitätskosten in der Supply Chain, werden zusätzlich Kennzahlen des Payments berücksichtigt. Unter Be‐ zug ihres Wertschöpfungsbeitrags kristallisieren sich folgende Kenn‐ zahlengruppen heraus:
Input: Kennzahlen der Beschaffung Throughput: Kennzahlen der Lagerung, der Kommissionierung und der Produktion
412
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Output: Kennzahlen der Distribution Payment: Kennzahlen der Finanzströme Die Zunahme an Wertschöpfung über die Stufen Input, Throughput und Output resultiert insbesondere aus den Faktoren Personaleinsatz, Mate‐ rialverbrauch, logistische Abschreibungen sowie Betriebs‐ und Hilfsmit‐ telverbrauch. Diese Einflussgrößen reichen von der Materialbeschaffung bis zum Versand der Fertigwarenbestände. Das vorgestellte Kennzah‐ lensystem ist allerdings nicht ausschließlich auf den direkten Sektor (Produktion, Montage) zu beziehen. Es kann sehr wohl auch zur Mes‐ sung von Aktivitäten im indirekten Bereich (Dienstleistungen, Service) dienen.
Wertschöpfungs‐ bezug
In der zweiten Dimension der Typologie sind verschiedene Arten von Kennzahlen aufgeführt. Die Kennzahlen des vorliegenden Systems wer‐ den in drei Bereiche unterteilt:
Arten von Kenn‐ zahlen
Generische Kennzahlen (Strukturkennzahlen) Kennzahlen zur Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitsbewertung Qualitäts‐ und Service‐Kennzahlen Bei der näheren Beschreibung der verschiedenen Kennzahlenarten die‐ ser Typologie ist zunächst der Begriff der generischen Größen zu klären. Unter die generischen Key Performance Indicator fallen strategische und übergeordnete Größen, welche den jeweiligen Bereich einer Supply Chain grundsätzlich prägen (strukturelle Kennzahlen).
Struktur‐ kennzahlen
Die zweite Kategorie unterschiedlicher Kennzahlenarten bezieht sich in der Typologie auf Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitsindikatoren. Produktivitätskennzahlen sind das Ergebnis bestimmter Output‐Input‐ Relationen. Häufig werden in diesem Zusammenhang Arbeitsprodukti‐ vitäten gemessen: Ein Beispiel dafür sind in der Kommissionierung „Picks pro Stunde“. Im Rahmen der Ermittlung von Wirtschaftlich‐ keitskennzahlen bedarf es der Bewertung einer Produktivität über Auf‐ wendungen (Erträge) oder Kosten (Leistungen). Wieder auf die Kom‐ missionierung bezogen, sind dies beispielsweise „Kosten pro Pick“.
Von der Produkti‐ vität zur Wirt‐ schaftlichkeit
In dem dritten Bereich unterschiedlicher Arten von Kennzahlen des Supply Chain Managements finden sich Qualitäts‐ und Serviceindika‐ toren (Zufriedenheitsindizes). Ein gewichtiger Vertreter dieser Kategorie ist der Lieferservicegrad.
Messgrößen von Qualität und Service
413
E
Controlling der Supply Chain
Anspruch und Aussagegehalt
Diese beiden Dimensionen der Kennzahlentypologie werden in den folgenden Kapiteln mit einer Vielzahl von Key Performance Indicator aufgefüllt. Das vorliegende Konzept erhebt keinen Anspruch auf Voll‐ ständigkeit. Auch können die Definitionen der Kennzahlen im Einzelfall variieren. In der Folge wird dennoch der Versuch unternommen, mit den hier abgebildeten Größen die wesentlichen Werttreiber eines mo‐ dernen Supply Chain Managements erfasst zu haben. Abbildung E.9 zeigt eine zweidimensionale Matrix, in der sich die oben charakterisier‐ ten Inhalte wiederfinden.
Abbildung E.9
Struktur der Kennzahlentypologie einer Supply Chain Wertschöp‐ fung
Kennzahlenart
Input
Throughput
‐ Beschaffung ‐ Lagerung ‐ Beistellung ‐ Fertigung
Output
Payment
‐ Distribution ‐ Finanzen
Generische Kenn‐ zahlen
I.1
II.1
III.1
IV.1
Produktivitäts‐ und Wirtschaft‐ lichkeitskennzahlen
I.2
II.2
III.2
IV.2
Qualitäts‐ und Servicekennzahlen
I.3
II.3
III.3
IV.3
E.3.3.1 Geringe Wert‐ schöpfung
Input: Kennzahlen der Beschaffung
Der Input ist ein Sektor der Kennzahlentypologie mit niedrig ausgepräg‐ ter Wertschöpfung, da noch keine Materialveredelung stattgefunden hat. Unter Bezug auf die Bestandsstruktur finden sich hier vor allem bezoge‐ ne Rohmaterialien und Fertigungsteile (Kaufteile). Die Kennzahlen des Inputs einer Supply Chain entstammen insbesondere der Beschaffung.
414
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Allgemein messen sie die Performance einer Lieferantenintegration (vgl. zu Kennzahlen der Beschaffung einer Supply Chain Cohen/Roussel 2006, S. 303ff.; Schulte 2017, S. 641ff.; Stollenwerk 2016, S. 91ff.; Strigl et al. 2004, S. 143ff.).
E.3.3.1.1 Generische Kennzahlen Zunächst werden die absoluten generischen Kennzahlen des Inputs einer Supply Chain aufgeführt (vgl. Feld I.1 in der Typologie‐Box sowie den nachstehenden Kennzahlenblock). Diesen Größen verfügen über eine ausgeprägte Affinität zum Einkauf und zur Disposition. Anzahl Einkaufste ile. Einkaufsvo lumen. Anzahl Bestellpo sitionen. Anzahl Lieferante n.
Weiterhin finden sich in der Typologie etliche relative generische Kenn‐ zahlen des Inputs einer Supply Chain. Ein Klassiker unter diesen Grö‐ ßen ist der Preisindex. Seine begriffliche Klärung erfolgt im nachstehen‐ den Definitionsblock. Ferner fallen in dieses Segment der Typologie die Kennzahlen Volumenstruktur sowie Maverick‐Buying‐Quote (auch deren Begriffsfindung ist unten wiedergegeben). Mit Hilfe von Preisin‐ dizes wird die Leistung der Einkäufer gemessen (vgl. zur Materialpreis‐ abweichung Gliederungspunkt E.2.2.1 auf S. 396). Dazu sind möglichst sämtliche Einflussfaktoren herauszurechnen, welche der Einkäufer nicht direkt verhandeln kann. Dazu zählen Währungseffekte, Zoll oder Bör‐ senmaterialien. Preisindex (%) =
Allgemeine Be‐ schaffungskenn‐ zahlen
Preis gezahlt × 100 Preis budgetier t
„Ein Zyniker ist ein Mensch, der von jedem Ding den Preis und von keinem den Wert kennt.“ (O. Wilde)
Der Key Performance Indicator Volumenstruktur steigert die Transpa‐ renz von Beschaffungsaktivitäten, indem das komplette Einkaufsvolu‐ men in diverse Warengruppen („Commodity“) heruntergebrochen ist. Mit Hilfe der Differenzierung von Beschaffungswegen (Hersteller, Großhändler, Einzelhändler, Agenturen) kann die Aussagekraft dieser Kennzahl gesteigert werden.
415
Volumen pro Commodity ermit‐ teln
E
Controlling der Supply Chain
Struktur Volumen (%) =
Wilder Einkauf
Einkaufsvo lumen pro Materialar t × 100
Totales Einkaufsvo lumen pro Jahr
Der Begriff Maverick‐Buying (Rahmenvertragsquote) wurde in der vorliegenden Schrift bereits geklärt (vgl. S. 41). Kurz gesagt, steht er für eine Warenbeschaffungsart, die nicht auf Basis existenter Rahmenver‐ träge vorgenommen wird. Dadurch können insbesondere die Total Cost of Ownership (vgl. S. 36) negativ beeinflusst sein. Mit Hilfe der Mave‐ rick‐Buying‐Quote ist dieser Missstand aufzudecken.
Maverick ‐ Buying ‐ Quote (%) =
Einkaufsvo lumen RV × 100
Totales Einkaufsvo lumen
E.3.3.1.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Kennzahlen im Überblick
In Feld I.2 der Matrix treffen die beiden Dimensionen Input sowie Pro‐ duktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen aufeinander. Die hier charakterisierten Indikatoren zur Leistungsmessung sind Sendungen pro Tag, Warenannahmezeit je Sendung, Wareneingangskontrollen pro Tag, Warenannahmekosten je Sendung sowie Wareneingangskontroll‐ kosten pro Tag.
Produktivität im Wareneingang
Die Kennzahl Sendungen pro Tag misst die Produktivität der Mitarbei‐ ter innerhalb der Warenannahme. Im Rahmen eines Kennzahlenver‐ gleichs von Sendungen pro Tag, ist die Bedeutung unterschiedlicher Hilfsmittel zur Warenvereinnahmung herauszustellen (wie Barcode oder RFID). Diese Instrumente beeinflussen die Supply Chain Performance nachhaltig und können die Ergebnisse eines Benchmarkings verfälschen.
Sendungen pro Tag =
Kostentreiber der Beschaffung
Anzahl eingehende Sendungen Anzahl Mitarbeite rstunden
Ein weiterer Vertreter zur Beurteilung einer Produktivität innerhalb der Wertschöpfungskette ist die Warenannahmezeit pro Sendung. Ceteris paribus treiben überproportional lange Warenvereinnahmungen die Prozesskosten in die Höhe, weil die Aktivitäten an Effizienz einbüßen. Daher sind in diesem Fall die Gründe für niedrige Produktivitäten in der Warenannahme herauszuarbeiten – und diese Defizite möglichst rasch abzustellen.
416
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Annahmezei t pro Sendung =
Warenannahmezeit insgesamt Anzahl eingehende Sendungen
In der Unternehmenspraxis zeigt sich der Trend, die Raten durchgeführ‐ ter Wareneingangskontrollen (WEK) zu senken. Dadurch sollen Hand‐ lingskosten und Personalkosten eingespart werden. Mit Hilfe dieser Produktivitätskennzahl ist zu überprüfen, ob dieses Ziel erreicht wurde. WEK pro Tag =
Anzahl Kontrollen im WE Anzahl WE pro Tag
Kosten Warenannah me insgesamt Anzahl eigehende Sendungen je Tag
Kosten je Kontrolle Wareneinga ng Anzahl eingehende Waren je Tag
Wirtschaftlichkeit des Wareneingangs
Schließlich sind die Wareneingangskontrollkosten pro Tag zu ermitteln. Diese Wirtschaftlichkeitskennzahl ist wichtig für die Berechnung von Transaktionskosten innerhalb eines Supply Chain Managements. Mit Hilfe einer intensivierten Zulieferintegration (verbunden mit der Mög‐ lichkeit, Aktivitäten des Kunden auf den Lieferanten zu verlagern) wird derzeit in der Unternehmenspraxis der Versuch unternommen, die Kos‐ ten für Wareneingangskontrollen drastisch zu senken. Kosten für Kontrollen im WE =
Eingangskontrollen verschlingen Geld
Der Wirtschaftlichkeitsindikator Warenannahmekosten je Sendung findet im Rahmen der Bestimmung von Prozesskostensätzen innerhalb der Beschaffung breiten Einsatz. Mögliche Kostentreiber können das Warenhandling und der Personaleinsatz sein. Kosten Annahme je Sendung =
E.3
Vertrauensindex innerhalb der Wertschöpfungs‐ kette
E.3.3.1.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Schließlich erfolgt unter diesem Gliederungsabschnitt für das Segment Input eine Beschreibung von Qualitäts‐ und Servicekennzahlen (vgl. in der Kennzahlentypologie Feld I.3). Der „König“ unter diesen Größen ist der Lieferservicegrad. Im Allgemeinen misst er den Prozentsatz an Auf‐ trägen, die ein Lieferant vereinbarungsgemäß abarbeiten konnte. Dabei sind qualitative, quantitative und zeitliche Abweichungen von Zielvor‐ gaben grundsätzlich denkbar.
417
„The king is gone, but he’s not forgot‐ ten, this is the story of a Johnny Rot‐ ten…“ (Neil Young)
E Auftragsgerechte Bestellungen
Controlling der Supply Chain
Der eingehende Servicegrad misst den Prozentsatz von termin‐, mengen‐ und qualitätsgerechten Anlieferungen. Diese Kennzahl bewertet die Warenverfügbarkeit eines Kunden. Servicegra d (%) =
„Forget all about equality. We call it master and serv‐ ant…“ (Depeche Mode)
Anzahl auftragsge rechte Bestellpo sitionen 100
Als „Unterkennzahlen“ des eingehenden Servicegrads finden die Zu‐ rückweisungsquote und die Verzögerungsquote Einsatz. Deren nähere Kennzeichnung erfolgt nachstehend. Beide Indikatoren stehen für die Güte von Lieferantensendungen. Die Zurückweisungsquote gibt den Prozentsatz für Lieferungen an, welche unter qualitativen, quantitativen oder zeitlichen Defiziten leiden. Diese Schwierigkeiten müssen nicht unbedingt die Ware selbst betreffen. Sie können beispielsweise auch in einer beschädigten oder verdreckten Mehrwegverpackung begründet liegen. Sendungen abgewiesen (%) =
Wer zu spät kommt...
Anzahl Zugänge abgewiesen 100 Anzahl Zugänge insgesamt
Die Verzögerungsquote bemisst ausschließlich die zeitliche Güte einge‐ hender Warenlieferungen. Dieser Performance Indicator ermittelt somit den Prozentsatz von Lieferrückständen („Logistics Backlogs“).
Backlogs (%) =
Anzahl Zugänge verspätet 100 Anzahl Zugänge insgesamt
E.3.3.2 Throughput als Supply Chain Komponente
Anzahl Bestellpo sitionen insgesamt
Throughput: Kennzahlen der Lagerung, der Kommissionierung und der Produktion
Nachdem die Kennzahlen des Inputs oben näher gewürdigt wurden, findet im Anschluss eine Charakterisierung des Bereichs Throughput statt. Mit zunehmender Wertschöpfung werden darunter die drei Seg‐ mente Lagerung, Kommissionierung und Produktion subsumiert. Zu möglichen Kennzahlen des Throughputs vgl. Cohen/Roussel 2006, S. 305ff.; Gunasekaran et al. 2001, S. 80ff.; Krüger 2014, S. 87; Ossola‐Haring 2006, S. 357ff.; Reinecke et al. 2009, S. 113; Schulte 2017, S. 650ff.; Siegwart 2002, S. 98ff.; Strigl et al. 2004, S. 165ff.; Weber 2010, S.55ff.
418
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
E.3.3.2.1 Generische Kennzahlen Die Beschreibung der Performanz‐Indikatoren des Throughputs beginnt wiederum mit den generischen Kennzahlen (vgl. Feld II.1 in der Kenn‐ zahlentypologie). Analog zur Diskussion um die Inhalte des Inputs, finden sich im nachstehenden Kennzahlenblock zunächst einige absolu‐ te Werte.
Übergeordnete Absolut‐Werte
Anzahl gelagerter Artikel. Anzahl Verpackung seinheiten . Menge gelagerter Teile. Anzahl Lagervorgä nge.
Auftragsvo lumen. Anzahl zu disponiere nder Artikel. Anzahl Auftragsei ngänge.
Bei der Charakterisierung relativer Größen der Lagerwirtschaft ragen zwei Indikatoren heraus: Die Umschlagshäufigkeit und die Reichweite des Lagers. Die Lagerumschlagshäufigkeit (Turn Rate) stellt eine strate‐ gische Kennzahl dar, welche für das (Top‐) Management und die Lo‐ gistikleitung von großer Bedeutung ist. Für das Tagesgeschäft hingegen ist die Turn Rate nur von geringem Nutzen, da sie eine Verdichtung von Sachnummern darstellt (zum Beispiel auf Produktlinienebene) und den Disponenten im operativen Tätigkeitsfeld kaum Dienste erweist.
Turn Rate als strategischer Indi‐ kator
Eine Turn Rate gibt an, wie oft die Bestände pro Periode, zumeist bezo‐ gen auf ein Geschäftsjahr, im Lager ausgetauscht werden (sich „um‐ schlagen“). Ihre Berechnung erfolgt aus Größen der Gewinn‐ und Ver‐ lustrechnung (Umsatz oder Herstellungskosten des Umsatzes) sowie der Bilanz (durchschnittlicher Lagerbestand). Die Vorräte sind möglichst im Durchschnitt anzugeben, weil ein Absolut‐Wert zum Jahresabschluss zu einer Verfälschung der tatsächlichen Verhältnisse führen könnte. Da Umsatz und Lagerbestand aus dem Geschäftsbericht leicht abzulesen sind (zumindest gilt dies für publikationspflichtige Gesellschaften), findet die unten dargestellte Berechnung einer Turn Rate aus externer Sicht (Investor Relations) häufig Anwendung.
Auch für Dritte nachvollziehbar
Turn Rate (Investor Relations) =
Umsatz (Herstellu ngskosten) Durchschni ttlicher Lagerbesta nd
419
E Beispiel zur Turn‐ Rate‐Berechnung
Controlling der Supply Chain
Ein Beispiel zur Ermittlung einer Turn Rate unterstreicht die Ausfüh‐ rungen: Ein mittelständischer Automobilzulieferer erzielt einen Umsatz von 500 Millionen Euro. In der Bilanz verbucht diese Organisation einen Bestand von 60 Millionen Euro. Daraus errechnet sich eine Lagerum‐ schlagshäufigkeit von 8,3 pro Jahr. 8,3 Turns =
Interne Lagerum‐ schläge über Mate‐ rialverbräuche
500.000.000 Euro 60.000.000 Euro
Für interne Ermittlungen der Turn Rate kann in der Berechnungsformel im Zähler der Wareneinsatz (synonym: Materialverbrauch) den Umsatz ersetzen. Diese Berechnung der Lagerumschlagshäufigkeit ist sicherlich „schärfer“. Jedoch verschließt sie die Möglichkeit eines externen Kenn‐ zahlenvergleichs, da der Wareneinsatz für einen Dritten nicht einsehbar ist.
Turn Rate (Interne Berechnung) =
Operatives Schwergewicht des Lagers
Materialve rbrauch Durchschnittlicher Lagerbestand
Im Gegensatz zur Umschlagshäufigkeit stellt die Reichweite des Lagers (Days on Hand, Ranges) eine operative Kennzahl des Warehouse Mana‐ gements dar. Dieser Indikator wird bis auf die einzelne Sachnummer heruntergebrochen und hilft dem Disponenten bei der täglichen Steue‐ rung seines Vorratsvermögens. Von der Semantik her leicht ableitbar, gibt diese Kennzahl an, wie viele Tage (Wochen, Monate) der Vorrat einer Materialart auf Lager „ausreicht“. Zum Teil finden sich in der Lite‐ ratur synonym die Bezeichnungen „Lagerdauer“ und „Eindeckzeit“ (vgl. Krüger 2014, S. 129; Lewe/Schneider 2004, S. 111). Analog zur Um‐ schlagshäufigkeit, ist zunächst wiederum die externe Berechnungsme‐ thode (Investor‐Relations) aufgezeigt. Anschließend werden zwei inter‐ ne Möglichkeiten zur Definition von Lagerreichweiten diskutiert: die vergangenheitsorientierte und die zukunftsorientierte Eindeckzeit. Die retrospektive Lagerreichweite wird reziprok zur Umschlagshäufigkeit berechnet (vgl. unten):
Ranges (Investor Relations) =
420
Durchschnittlicher Lagerbestand Umsatz (Umsatzkosten)
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Das herangezogene Beispiel zur Kalkulation einer Lagerumschlagshäu‐ figkeit (vgl. S. 420) wird hier aufgegriffen und fortgeführt. Dazu ist der durchschnittliche Bestand mit den Kalendertagen (oder Wochen) eines Jahres zu multiplizieren und durch den Umsatz zu dividieren. Die Reichweite der Vorräte beträgt durchschnittlich 43,2 Tage. Schließlich kann eine Probe vorgenommen werden: Die Umschlagshäufigkeit (8,3) wird mit der Reichweite (43,2) multipliziert. Das Ergebnis von 360 ergibt die Kalendertage eines gesamten Jahres. 43,2 Tage =
60.000.000 Euro x 360 Tage 500.000.00 0 Euro
Bestand Verbrauch
Bestand Bedarf
Verbrauch als Berechnungsbasis
Ein Bedarf ermittelt sich hingegen bei der zukunftsorientierten Reich‐ weite aus den Liefer‐ und den Feinabrufen. Für „schwierige“ Kunden, die ihre Bestellungen häufig ändern und somit nur über eine geringe Absatzprognosegenauigkeit verfügen, ist die Bestandssteuerung über eine zukunftsgerichtete Reichweite nicht empfehlenswert. Interne Reichweite des Lagers (prospektiv) =
Berechnung der Lagerreichweite
Die Heranziehung einer vergangenheitsfokussierten Reichweite bietet sich für Unternehmen an, deren Geschäft saisonalen, trendgetriebenen oder konjunkturbedingten Schwankungen unterworfen ist. Der vergan‐ gene Verbrauch bezieht sich auf die im Rahmen einer Fertigung oder Montage bereits verbauten Vorräte.
Interne Reichweite des Lagers (retrospek tiv) =
E.3
Nicht für jedes Geschäft geeignet
Die Lagerumschlagshäufigkeit und die Lagerreichweite sind zwei wich‐ tige Indikatoren zur Leistungsmessung des Warehouse Managements. In den nachstehenden Definitionsblöcken werden zusätzliche generische Kennzahlen diskutiert, welche im Lagerwesen eingesetzt werden (vgl. insbesondere Krüger 2014, S. 95; Schulte 2017, S. 652ff.).
Weitere Kennzah‐ len des Lagerwe‐ sens
Bedeutsamen Einfluss auf die Lagerbewirtschaftung üben die Hand‐ lingskosten aus. Opportunitätskosten (entgangene Zinsgewinne) und Fehlmengenkosten (auf Grund von Unterbeständen) werden bei der Ermittlung des Lagerkostensatzes hingegen nicht berücksichtigt. Darun‐ ter leidet die Aussagekraft dieser Kennzahl. Folglich sollte die konventi‐
Erweiterte Lager‐ kostensätze definie‐ ren
421
E
Controlling der Supply Chain
onelle Berechnung von Lagerkostensätzen (die Division von Lagerkos‐ ten zu durchschnittlichen Lagerbeständen) um Zinskosten und Fehl‐ mengenkosten erweitert werden. Kostensatz Lagerung + Zinssatz (des gebundenen Kapitals) + Kosten für Fehlmengen
= Kostensatz Lagerung erweitert
Hohe Fixkosten‐ anteile
Der Flächennutzungsgrad ist ein Indikator für die Fixkostenbelastung des Lagers: Ein geringer Flächenauslastungsgrad (hervorgerufen durch hohe Leerstandraten) zeugt von einer überproportionalen Fixkostenbe‐ lastung, beispielsweise durch Mieten und Abschreibungen. Die Fixkos‐ ten werden nämlich auf relativ wenige Produktionseinheiten umgelegt. Außerdem weist ein ausgeprägter Flächennutzungsgrad vielfach auf die Notwendigkeit zur Lagererweiterung oder zum Outsourcing hin. Flächennut zung (%) =
Lagerflächen besser ausnutzen
Auslastung Lager (belegte Fläche Regal) 100 Kapazität Lager (Gesamtflä che)
Mit Hilfe des Lagerflächenanteils wird die Bedeutung einer Lagerfläche ermittelt. Nach Schulte (vgl. Schulte 2001, S. 484) liegt die Relation der Fertigungsfläche zur Lagerfläche in der Praxis zumeist zwischen 0,6 und 1,6. Mit einer Verringerung der Lagerfläche, wird die verbesserte Flä‐ chennutzung erreicht, welche zur Effizienzsteigerung der Produktions‐ steuerung führt (Zunahme an „Lagerdichte“). Fläche Lagerung (%) =
Hermaphrodit zwischen den Fronten
Fläche Fertigung 100 Fläche Lager
Die Kennzahl Vorratsquote ist eine Hybridgröße und steht zwischen den Welten der Logistik („Anzahl bevorrateter Güter“ im Zähler) und des Einkaufs („Anzahl beschaffter Artikel“ im Nenner). Der Nachteil dieser Größe ist, dass sie zwar über die Menge bevorrateter und be‐ schaffter Artikel Aufschluss gibt, jedoch den Wert von Gütern vernach‐ lässigt. Deshalb ist dieser Leistungsindikator möglichst um die Reich‐ weite oder die Turn Rate zu ergänzen.
422
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Vorratsquote (%) =
Anzahl bevorrateter Güter 100 Anzahl beschaffter Artikel
Im Anschluss an die Darstellung generischer Kennzahlen des Wa‐ rehouse Managements erfolgt in den weiteren Ausführungen eine Dis‐ kussion ausgewählter generischer Indikatoren einer Kommissionierung (vgl. die nachstehenden Definitionsblöcke „Kommissionier‐Positionen pro Auftrag“ und „Automatisierungsgrad der Kommissionierung“). Den Manager einer Wertschöpfungskette interessiert nicht nur die bloße Anzahl der Kommissionierungen, sondern auch deren Zuordnung zu Aufträgen: Um beispielsweise auf Basis dieser Informationen spätere durchschnittliche Bearbeitungszeiten pro Mitarbeiter zu errechnen. Picks pro Auftrag =
Picks insgesamt Anzahl Aufträge
Pickvorgänge bewerten
Die Kennzahl Automatisierungsgrad der Kommissionierung gibt Auf‐ schluss über den Anteil händischen Eingreifens im Rahmen der Bereit‐ stellung: Ein niedriger Automatisierungsgrad lässt auf hohe Personal‐ und Handlingskosten für Pickvorgänge schließen.
Picks automatisi ert =
E.3
Maschinelle vs. manuelle Kommis‐ sionierung
Picks automatisi ert 100 Picks insgesamt
Schließlich sind für das Segment Throughput noch die generischen Key Performance Indicator einer Produktion zu untersuchen. Die erste hier vorgestellte Kennzahl „Flächenanteil der Verkehrswege“ stellt den di‐ rekten Übergang zur Kommissionierung dar (diese Größe könnte ebenso unter die Bereitstellung gefasst sein).
KPI der Fertigung
Je großzügiger die Flächenanteile der Verkehrswege in der Halle ge‐ wählt werden, desto weniger Raum steht für Produktion und Logistik zur Verfügung. Über Simulationen lassen sich die Verkehrswege des Lagerbereichs optimieren.
Verkehrswege schlucken Fläche
Anteil Fläche Verkehrswe ge (%) =
Fläche der Verkehrswe ge 100 Fläche Produktion
423
E Outsourcing vs. Insourcing
Controlling der Supply Chain
Die Fertigungstiefe beziffert den Anteil der Selbsterstellung (Eigenferti‐ gung) am Umsatz. Anders ausgedrückt, misst diese Kennzahl die Out‐ sourcing‐Quote eines Unternehmens. Zur Ermittlung der Wertschöp‐ fung sind die Vor‐ und die Fremdleistungen von den selbst erstellten Leistungen zu subtrahieren.
Fertigungs tiefe (%) =
Wie wird „Anpas‐ sungsfähigkeit“ gemessen?
Wertschöpfung 100 Umsatz
Eine Upside Production Flexibility (Lieferflexibilität) ist integrativer Bestandteil von SCOR (vgl. zu SCOR S. 70). Sie bemisst die Zeitspanne in Tagen, welche ein Unternehmen zur Befriedigung eines ungeplanten Nachfrageschubs benötigt. SCOR geht von einer nicht vorhersehbaren Steigerung der Kundenbestellungen um 20% aus. Kennzahlenvergleiche (vgl. S. 82) zeigen auf, dass in Zeiten moderner IT – verbunden mit den Möglichkeiten zur unternehmensübergreifenden Kommunikation – die Marktpartner zur Befriedigung einer plötzlichen Nachfrage nur noch wenige Wochen benötigen. Ende der fünfziger Jahre maß Forrester (For‐ rester‐Aufschaukelung), dass Organisationen circa ein Jahr daran arbei‐ teten, um auf einen ungeplanten Nachfrageschub von 10% adäquat zu reagieren. Der Bullwhip‐Effekt ist mit Hilfe moderner IT (welche einem verbesserten Informationstransfer zwischen den Partnern dient) dem‐ nach zwar nicht gänzlich besiegt, aber zumindest eingedämmt worden. Ein Bullwhip‐Effekt beschreibt den logistischen Peitschenschlag: Über die Stufen einer Logistikkette schaukeln sich Bestände stufenweise hoch. Angebot und Nachfrage befinden sich nicht im Abgleich. Mögliche Gründe für das Entstehen eines logistischen Peitschenschlags liegen in fehlerhaften Absatzprognosen, sprunghaftem Bestellverhalten der Kun‐ den (zum Beispiel über Verkaufsförderungsmaßnahmen hervorgerufen), angesammelten Bestellvorgängen sowie forcierten Rabattaktionen des Handels (vgl. ausführlich S. 47). Upside Production Flex. (%) = Zeitspanne in Tagen, zur Befriedig ung einer nicht geplanten Steigerung der Nachfrage von 20%.
Entsorgung und Recycling gewin‐ nen an Bedeutung
Nicht nur die Kennzahlen der Versorgung dienen zur Bewertung von Produktionsprozessen. Auch KPI für Entsorgung und Recycling finden hier Einsatz. Ein Beispiel dafür ist die Recyclingquote. Mit ihr ist der Anteil verwendeter oder verwerteter Materialien zu ermitteln, welche in den Produktionsprozess zurückgeführt werden. In manchen Branchen
424
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
steigt dieser Wert, auf Grund der Verknappung oder der Verteuerung von Ressourcen, fast automatisch (Green Supply Chains).
Quote Recycling (%) =
Anteil recyceltes Material 100 Verbrauch Material insgesamt
E.3.3.2.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Die Inhalte dieses Gliederungsabschnitts widmen sich Feld II.2 der Kennzahlentypologie. Hier treffen die beiden Dimensionen „Through‐ put“ sowie „Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen“ aufei‐ nander. Im ersten Schritt werden diverse Lagerkennzahlen dieses Seg‐ ments beschrieben. Im Anschluss findet eine nähere Untersuchung von KPI der Kommissionierung und der Produktion statt.
„See I’m leaving, this warehouse frightens me…“ (D. Matthews Band)
Mit der Kennzahl Lagerbewegungen je Mitarbeiter wird die Produkti‐ vität der Mitarbeiter des Lagers bewertet. Bei einem Benchmarking die‐ ser Kennzahl ist zu beachten, dass den Mitarbeitern sehr unterschiedli‐ che Hilfsmittel (Förderzeuge) zur Verfügung stehen können, wodurch die Gefahr besteht, „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen.
Eingeschränkte Vergleichbarkeit
Lagerwegun gen je Mitarbeite r =
Anzahl Lagerbewegungen insgesamt Anzahl Mitarbeite r im Lager
Der Raumnutzungsgrad zeigt an, wie effizient die zur Verfügung ste‐ hende Lagerfläche in Anspruch genommen wird. Ein wesentlicher Ein‐ flussfaktor ist die potenzielle Stapelbarkeit der Waren selbst oder ihrer Verpackungsträger. Als Entscheidungsalternativen bieten sich Großla‐ dungsträger oder Kleinladungsträger an.
Raumnutzun gsgrad des Lagers (%) =
Lagergutvo lumen 100 Lagerraumv olumen
Den Platzdieben auf der Spur
Die durchschnittlichen Lagerplatzkosten ermitteln die Wirtschaftlich‐ keit des Lagers. Allerdings sollte diese Kennzahl mit dem Raumnut‐ zungsgrad (vgl. oben) kombiniert berechnet werden, da ansonsten das Volumen der zur Verfügung stehenden Lagerplätze unberücksichtigt bliebe.
425
Kosten der Lage‐ rung erfassen
E
Controlling der Supply Chain
Kosten pro Lagerplatz =
Hoher Personal‐ kostenanteil
Kosten Interieur Lager insgesamt Plätze Lager insgesamt
Der Zähler der Kennzahl Kosten pro Lagerbewegung leitet sich insbe‐ sondere aus Personal‐ und Sachkosten der Lagerwirtschaft ab. Im Kern gibt der Indikator an, welche Aufträge in ihrer Art oder auf Grund ihrer Größe besonders hohe Kosten verursachen. Kosten pro Lagerbeweg ung =
Kosten Lager Zugang Lager / Abgang Lager
Produktivität und Wirtschaftlichkeit der Beistellung
Im Anschluss an die Kennzeichnung ausgewählter Lagerkennzahlen werden nachstehend Key Performance Indicator für eine Kommissio‐ nierung diskutiert, welche zur Bestimmung von Produktivitäten oder Wirtschaftlichkeiten dienen. Die im Folgenden dargestellten Kennzahlen sind Kommissionierungen je Mitarbeiter, Kommissionieraufträge pro Mitarbeiter sowie Kosten pro Kommissionierauftrag.
Wie produktiv sind die Lagermitarbei‐ ter?
Ein Kommissionier‐Vorgang wird als „Picken“ bezeichnet. Daher ist die Kennzahl „Kommissionierungen pro Mitarbeiter“ auch als Picks pro Mitarbeiter bekannt. Sie misst die Produktivität der Werktätigen des Lagers. In Kombination mit dem Automatisierungsgrad, der auch pro Mitarbeiter gemessen werden kann, gewinnt diese Größe an Gewicht. Picks je MA (%) =
Picks in Aufträgen verdichten
Als Ergänzung zu den „Picks pro Mitarbeiter“ dient der Key Perfor‐ mance Indicator Kommissionieraufträge pro Mitarbeiter. Die Kennzahl misst die abgearbeiteten Aufträge je Mitarbeiter. Sie gibt Aufschluss über den Umfang eingehender Kundenbestellungen. Aufträge je Pick und MA
Pickvorgänge in ihrer Art differen‐ zieren
Picks 100 MA Lager
Picks bearbeite t je MA MA Lager
Wie wirtschaftlich gestaltet sich ein Kommissioniervorgang? Mit Hilfe der Kosten pro Kommissionierauftrag wird eine Antwort auf diese Frage gegeben. Dabei ist zu beachten, dass die Komplexität eines Kom‐ missionierungsauftrags signifikanten Einfluss auf die Kostenstruktur dieser Aktivität ausübt. 426
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Kosten pro Auftrag Bereitste llung
Kosten Bereitste llung insgesamt
Anzahl Aufträge Bereitste llung
Schließlich sind die Produktivitäten und die Wirtschaftlichkeiten einer im Anschluss an die Kommissionierung stattfindenden Produktion zu messen. Die erste Kennzahl zur Leistungsbewertung in dem betrachte‐ ten Segment ist die Anzahl der bearbeiteten Auftragseingänge je Mit‐ arbeiter. Diese Größe gibt Aufschluss hinsichtlich der Produktivität und des Auslastungsgrads von Mitarbeitern innerhalb der Disposition. Für einen Kennzahlenvergleich ist zu berücksichtigen, dass die Anzahl der bearbeiteten Aufträge gegebenenfalls stark vom jeweiligen Equipment und dem Automatisierungsgrad des Arbeitsplatzes abhängt: beispiels‐ weise der Ausstattung der Arbeitsstätte mit Informations‐ und Kommu‐ nikationssystemen. Auftragsei ngänge bearbeite t pro MA
Bearbeitet e Aufträge je MA
Bestandsko nten insgesamt MA zur Bestandsf ührung
Menge Produktion Maschinene insatz (Stunden)
Bestandskonten vergleichen
Eine Maschinennutzungsintensität bemisst die Arbeitsproduktivität innerhalb einer Supply Chain. Sie ist als Indikator für die Auslastung der Potenzialfaktoren eines Unternehmens zu verstehen. Die Größe gewinnt an Aussagekraft, indem sie mit dem Werttreiber „Ausfallzeit pro Maschine“ (vgl. S. 431) in Kombination betrachtet wird.
Intensität genutzter Maschinen
Effizienz in der Fertigung erhöhen
MA Auftragsab wicklung
Ergänzend zur Größe „Anzahl bearbeiteter Auftragseingänge pro Mit‐ arbeiter“ dient die Häufigkeit gepflegter Bestandskonten je Mitarbei‐ ter zur Aufdeckung der Produktivität innerhalb einer Disposition. Die einzelnen Auftragseingänge können vom Umfang her sehr verschieden sein. Zur Nivellierung dieses Ungleichgewichts, wird die Anzahl der durch einen Mitarbeiter gepflegten Bestandskonten zusätzlich in die Analyse einbezogen. Gepflegte Bestandsk onten je MA
E.3
427
Messung der Arbeitsproduktivi‐ tät
E Produktivität bewerten
Controlling der Supply Chain
Mit Hilfe der Bearbeitungskosten pro Auftragseingang wird die Wirt‐ schaftlichkeit einer Produktionssteuerung bewertet. Sie kann zur Kos‐ ten‐Nutzen‐Bestimmung der Auftragsabwicklung dienen. Dazu sind die Bearbeitungskosten eines Auftragseingangs im Idealfall in eine Transak‐ tionskostenanalyse einzubeziehen. Kosten je Auftrag Bereitste llung
Dispositionskosten senken
Kosten Abwicklung je Auftrag Auftragsei ngänge bearbeite t
Überproportional hohe Kosten je Dispositionsaktivität (diese Kennzahl wird synonym „Kosten je Bestellung“ genannt) zeugen von einer wenig wirtschaftlichen Produktionsplanung. Dieses Manko kann durch Ineffi‐ zienzen des Einsatzes technologischer Ressourcen (wie IT) oder in einer mangelnden Kommunikation mit benachbarten Funktionsbereichen begründet liegen. Kosten Bestellun gen
Kosten je Bestellun g
Anzahl Bestellun gen
Prozesskosten dominieren
Schließlich wird die Kennzahl Bearbeitungskosten je Produktionsauf‐ trag vorzugsweise im Rahmen einer Prozesskostenermittlung herange‐ zogen. Für Kennzahlenvergleiche gilt jedoch, dass unterschiedliche He‐ terogenitäten der Fertigungsstrukturen signifikanten Einfluss auf die Bearbeitungskosten von Fertigungsaufträgen ausüben. Kosten Bearbeitu ng je Auftrag Produktion
Kosten Bearbeitu ng insgesamt Anzahl Aufträge Produktion
E.3.3.2.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen „Mag ja sein, dass der Kunde König ist, aber ich wüsste gern, in welchem Land.“ (D. Fleischhammel)
Wie unter Gliederungsabschnitt E.3.3 auf S. 412 aufgezeigt wurde, ver‐ binden sich in dem Feld II.3 der Kennzahlenmatrix die beiden Dimensi‐ onen „Throughput“ sowie „Qualitäts‐ und Servicekennzahlen“. Unter Beibehaltung der bisherigen Vorgehensweise, sind zunächst Kennzahlen der Lagerung zu nennen. Nach deren Diskussion erfolgt die Einordnung von Schlüsselkennzahlen der Kommissionierung in dieses Feld der Mat‐ rix. Abschließend werden die Fertigungskennzahlen näher charakteri‐ siert.
428
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Auf Basis der vergangenheitsorientierten Reichweite, werden Bestände in die drei Bereiche „gängig“, „zum Teil ungängig“ (Excess) sowie „völ‐ lig ungängig“ (Obsolete) aufgebrochen. Unter Gliederungsabschnitt D.2.2 (vgl. S. 301) wurde die Gängigkeitsanalyse bereits intensiv disku‐ tiert. Die Kennzahl Excess‐and‐Obsolete‐Ratio gibt dabei, basierend auf der vergangenheitsbezogenen Lagerreichweite, den Anteil sich nur lang‐ sam umschlagender oder gar nicht mehr drehender Vorräte an. Im schlimmsten Fall droht eine Verschrottung dieser Sachnummern, welche sich zu Lasten des EBIT niederschlägt. Die Excess‐and‐Obsolete‐Ratio (quantitative Betrachtung) sollte um Gründe für die Entstehung dieser Ungängigkeiten ergänzt werden (qualitative Ergänzung). Ungängigke it (%) =
Ungängiger Bestand 100 Gesamtbest and
Identifizierung von Excess‐ and Obso‐ lete‐Vorräten
Ein Lagerverlust entsteht insbesondere durch Schwund und Verderb. Diebstahl und mangelhaft gekühlte Waren sind mögliche Ursachen für einen Schwund an Vorräten. Insbesondere der Handel leidet unter ver‐ derblichen Waren mit Mindesthaltbarkeit (Obst und Gemüse). Verlust Lager pro Periode (%) =
E.3
Verlust an Lagerbesta nd 100 Gesamtbest and
Schwund und Verderb messen
Nachdem einige Kennzahlen der Lagerung genannt wurden, sind in der Folge Indikatoren der Kommissionierung herauszuarbeiten. Diese wer‐ den einerseits in den Bereich Supply‐Chain‐Throughput eingeordnet. Andererseits handelt es sich um Qualitäts‐ und Servicekennzahlen. Da‐ zu werden nachstehend drei KPI näher betrachtet: Der interne Service‐ grad, die interne Zurückweisungsquote und die interne Verzögerungs‐ quote. Diese Größen wurden als Qualitäts‐ und Servicekennzahlen des Inputs (der Beschaffung) in Feld I.3 der Matrix bereits vorgestellt und dort, unter dem Blickwinkel des externen Lieferantenbezugs, beschrie‐ ben. Unter diesem Gliederungspunkt erfolgt nun die umgekehrte Leis‐ tungsmessung von Supply Chain Indikatoren in Richtung Kunde.
Qualität der Kom‐ missionierung
Im Rahmen der Berechnung des internen Servicegrads, sind zeitliche, mengenmäßige und qualitative Defizite der Kommissionierung in Rich‐ tung Kunde denkbar. Doch auch örtliche Fehler können im Rahmen der Bereitstellung auftreten: Wie eine falsche Zuordnung von Materialien in den Bereitstellungszonen.
Internen Service garantieren
429
E
Controlling der Supply Chain
Interner Servicegra d (%) =
Auftragsge rechte Kommission ierungen 100 Kommissionierungen insgesamt
Stock‐outs vermei‐ den
Die interne Zurückweisungsquote ist eine Unter‐Kennzahl des internen Servicegrads. Viele Fehler der Kommissionierung werden in der folgen‐ den Produktion per se aufgedeckt, indem sie diese verzögern oder viel‐ leicht sogar zu einem Bandstillstand führen. Besonders problematisch sind schleichende Kommissionierungsfehler, die erst nach der Waren‐ auslieferung zum Kunden aufgedeckt werden: Dann ist eine Erhöhung der Rate an Retouren zu befürchten.
Interne Zurückweis ungen (%) =
Abgewiesene Kommissionierungen 100 Kommission ierungen insgesamt
Zeitliche Mängel aufdecken
Weiterhin steht die interne Verzögerungsquote (Backlog) für verspätete Produktionsprozesse, die – auf Grund einer fehlerhaften Kommissionie‐ rung – nicht rechtzeitig eingeleitet werden. Bereitstellungsfehler führen zu eingeschränkten Belegungszeiten der Maschinen.
Interne Backlogs (%) =
Verspätete Produktionsstunden 100 Produktionsstunden insgesamt
Verbrauchsabwei‐ chungen belasten den EBIT
Abschließend werden unter diesem Gliederungspunkt die Qualitäts‐ und die Servicekennzahlen einer Produktion aufgelistet. Die erste dies‐ bezüglich beschriebene Größe ist die Verbrauchsabweichung. Sie ist ein wichtiger Vertreter zur Bewertung der Qualität von Produktionsvorgän‐ gen. Signifikante Verbrauchsabweichungen sind Indikatoren für Ineffi‐ zienzen entlang des Fertigungsprozesses und belasten den EBIT direkt: sie sind voll ergebniswirksam.
Verbrauchsabweichung (%) =
Scrap and Rework bewerten
Tatsächlic her Verbrauchswert 100 Geplanter Verbrauchswert
Überproportional hohe Raten für Ausschuss und Nacharbeit (Scrap and Rework) sind Spiegelbilder für grundsätzliche Fertigungsdefizite. Aller‐
430
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
dings besagen diese Kennzahlen nicht, an welcher Produktionsstufe ein Fehler aufgetreten ist.
Quote Ausschuss oder Nacharbeit (%) =
Ausschuss/Nacharbeit 100 Materialve rbrauch insgesamt
Ausfallzeiten (auch „Brachzeiten“ genannt) und Reparaturzeiten der Maschinen mindern die Produktivität innerhalb einer Wertschöpfungs‐ kette. Jedoch erlaubt diese Größe keine Aussage über die Gründe eines Bandstillstands. Um den Aussagegehalt dieser Kennzahlen zu steigern, sind zusätzlich Ausfallkosten oder Reparaturkosten (vgl. unten) von Maschinen zu ermitteln.
Ausfallzei t pro Maschine (%) =
Ausfallzei t pro Maschine 100 Gesamtlauf zeit pro Maschine
Der Leistungstreiber Ausfall‐/Reparaturkosten pro Maschine ist eine direkte Ergänzung zur oben beschriebenen Kennzahl Ausfallzeit (Repa‐ raturzeit) pro Maschine. Durch eine Kombination beider Indikatoren wird eine simultane Zeit‐ und Kostenbetrachtung ermöglicht. Ausfallkos ten pro Maschine =
E.3.3.3
Ausfallkos ten pro Maschine 100 Gesamtkost en pro Maschine
Brachzeiten rauben Produktivität
Ergänzende Kenn‐ zahl
Output: Kennzahlen der Distribution
Der Bereich Output richtet sich zu den externen Kunden aus. Moderne Lieferketten orientieren sich vornehmlich am Pull‐Prinzip („Make‐to‐ Order“, „Engineer‐to‐Order“). Die Bestandsveredelung ist jetzt abge‐ schlossen, dadurch ist der Wertschöpfungsbeitrag dieses Segments hoch. Im Bereich Output kommen Fertigwarenbestände zum Einsatz. Zu den Kennzahlen der Distribution vgl. Berrisch 2013; Cohen/Roussel 2006, S. 310ff.; Gunasekaran et al. 2001, S. 80ff.; Krüger 2014, S. 147; Schulte 2001, S. 484ff.; Schulte 2017, S. 659.
Hohe Wertschöp‐ fung
Eine vornehmliche Aufgabe des Supply Chain Managements besteht in einer adäquaten Warenzustellung in Richtung Kunde. Diesbezüglich führt eine geringe Absatzprognosegenauigkeit (beispielsweise auf Grund kurzfristiger Nachfrageschwankungen) zu Ineffizienzen in Supp‐ ly Chains. Die Folge sind Vorratserhöhungen. Für den Hersteller besteht
Peitschenschläge der Nachfrage
431
E
Controlling der Supply Chain
die Gretchenfrage im Ausloten des Balanceakts zwischen hohem Ser‐ vicegrad und niedrigem Lagerbestand. Bedeutung von B2C und B2B
Ein Kunde ist nicht zwingend mit dem ultimativen Endverbraucher gleichzusetzen (B2C‐Anbindung). Auch zwischengeschaltete Handels‐ stufen (B2B‐Abwicklung, wie der Einzel‐ und der Großhandel) stellen ausgewählte Formen einer Kundenanbindung dar. Die Kennzahlen des Outputs werden, analog der bisherigen Ausführungen, in die drei Berei‐ che generische Kennzahlen, Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeits‐ kennzahlen sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen untergliedert.
E.3.3.3.1 Generische Kennzahlen Allgemein gültige Größen
Auf Basis der Kennzahlentypologie beziehen sich die strukturellen Kennzahlen einer Distribution auf das Feld III.1. Analog der Bereiche Input und Throughput, sind für den Output zunächst absolute generi‐ sche Key Performance Indicator anzugeben. Der folgende Kennzahlen‐ block zeigt diese Größen in übersichtlicher Form auf. Kundenanza hl (aktuell/p otenziell) . Anzahl Auslieferu ngen. Anzahl (Zwischen‐ ) Lagerstätt en.
Auftragsvo lumen. Entfernung zwischen Lagerstufe n.
Relative KPI im Überblick
Zu den relativen generischen Kennzahlen der Distribution zählen: Um‐ satz pro Kunde, Eigentransportquote, Order Fulfillment Time, Durch‐ laufzeit sowie Lagerumschlag Fertigwarenbestand. In dieser Reihenfolge werden die Indikatoren unten beschrieben.
Deckungsbeiträge für strategische Kunden berechnen
Der Umsatz pro Kunde bemisst die Bedeutung des Abnehmers, er ist für aktuelle und potenzielle Kunden zu berechnen. Dieser KPI stellt eine wichtige Eckzahl des Category Managements dar. Allerdings erfasst diese Größe nicht die Kosten, welche in eine diesbezügliche Analyse einzubeziehen wären. Daher ist der Umsatz pro Kunde möglichst zum Deckungsbeitrag pro Kunde zu erweitern. Im B2B‐Bereich ist dieser Indika‐ tor recht einfach zu berechnen. Sehr viel schwieriger fällt dies für statio‐ näre B2C‐Abwicklungen. Umsatz pro Kunde (%) =
432
Gesamtumsa tz Kundenanzahl
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Die Eigentransportquote ist eine wichtige Kennzahl des Flottenmana‐ gements (Fleet). Sie gibt den Prozentsatz der Selbsttransporte in Rich‐ tung Kunde an. Jedoch blendet dieser Key Performance Indicator die jeweils distribuierte Menge aus.
Eigentransportquote (%) =
Anzahl Eigentransporte 100 Anzahl Fremdtransporte
Zeiten für Liefer‐ vorläufe einplanen
Die totale Durchlaufzeit (Total Cycle Time) bemisst sich vom Auftrags‐ eingang bis zur Warendistribution. In diese Kennzahl geht die reine Produktionszeit ein, welche synonym als „Durchlaufzeit im engen Sinn“ bezeichnet wird. Die Stellhebel der Durchlaufzeit sind eigentliche Pro‐ duktionszeit, Rüstzeit, Ausfallzeit, Liegezeit, Lagerzeit, Vorwärmzeit und Bereitstellungszeit. Durchlaufz eit = Zeitspanne in Stunden (Tagen/Woc hen) vom Eingang des Auftrags, bis zur Verteilung der Waren.
Flottenmanage‐ ment
Im Rahmen der Ermittlung einer Liefervorlaufzeit (Order Fulfillment Time) ist für die Warendisposition eine Wiederbeschaffungszeit zu be‐ achten. In diesen Key Performance Indicator können – quasi als Unter‐ kennzahlen – die Größen „Perfect Order Fulfillment“ sowie „Fill Rate“ einfließen. Mit Hilfe der Lieferbeschaffenheit (Perfect Order Fulfillment) wird eine Lieferung, neben ihrer zeitlichen Treue, über weitere Faktoren gemessen, die einem Kunden Grund zur Beanstandung geben könnten (zum Beispiel Menge, Spezifikation, Dokumentation, Beschädigung). Die Lieferbereitschaft (Fill Rate) gibt hingegen an, inwieweit ein Anbieter in der Lage ist, direkt aus seinem Lager zu liefern. Folglich befindet sich eine Fill Rate in einem kontinuierlichen Spannungsfeld zwischen dro‐ henden Lieferengpässen und kapitalintensiver Lagerbevorratung (Op‐ portunitätskosten). Liefervorl aufzeit = Zeitspanne in Stunden (Tagen/Woc hen) zur kompletten Bearbeitu ng eines Auftrags des Kunden.
E.3
Einflussfaktoren der Durchlaufzeit
Eine Zunahme an Fertigwarenbeständen erhöht tendenziell die Agilität von Unternehmen, um rasch auf unerwartete Kundennachfragen reagie‐ ren zu können. Dieser Zugewinn an Servicegrad wird jedoch – auf Grund einer gesteigerten Kapitalbindung – zum Teil teuer erkauft. Die‐
433
Fertigwaren stei‐ gern die Flexibilität
E
Controlling der Supply Chain
ser Zusammenhang kann mit dem Lagerumschlag an Fertigwarenbe‐ stand gemessen werden.
Lagerumsch lag Fertigware nbestand =
Umsatz (Umsatzkos ten) Fertigware nbestand
E.3.3.3.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen Distribution straf‐ fen
In dem Feld III.2 der Kennzahlentypologie des Supply Chain Manage‐ ments treffen die beiden Dimensionen Output sowie Kennzahlen zur Messung von Produktivitäten und Wirtschaftlichkeiten aufeinander. Diesbezüglich findet zunächst eine nähere Beschreibung der Auftrags‐ abwicklungsquote statt.
Ergänzung um ausgewählte Positi‐ onen
Die Auftragsabwicklungsquote dient einer Ermittlung der Produktivi‐ tät von Mitarbeitern der Disposition. Eine Modifizierung oder Ergän‐ zung erfährt diese Größe, indem im Zähler die Anzahl bearbeiteter Auf‐ tragspositionen berücksichtigt wird.
Auftragsab wicklungsq uote (%) =
Produktivität des Versendens bewer‐ ten
Bearbeitet e Aufträge 100 Mitarbeite r Auftragsdi sposition
Eine Versandabwicklungsquote erhöht den Aussagewert der zuvor diskutierten Auftragsabwicklungsquote. Ein abgewickelter Auftrag muss nicht zwingend zu seiner späteren Versendung gelangen. Das bloße Wissen um die Quote von Versendungen sagt jedoch nichts über die Schwierigkeiten von Distributionsvorgängen aus.
Versandabwicklungsqu ote (%) =
Fixkostendegressi‐ on herstellen
Anzahl Sendungen 100 Arbeitstag e
Die nächste herangezogene Kennzahl misst den Kapazitätsauslastungs‐ grad von Förderzeugen (intern) und Transportmitteln (extern). Mit stei‐ gendem Transportmittelnutzungsgrad verbessert sich die Fixkostenver‐ teilung durchgeführter Distributionsvorgänge, weil die Packdichte zu‐ nimmt.
Transportmittelnutzu ngsgrad =
434
Tatsächlic hes Transportvolumen Mögliches Transportvolumen
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Mit Hilfe der Auftragsabwicklungskosten wird die Wirtschaftlichkeit innerhalb der Distribution gemessen. Mögliche Kostenverursacher der Auftragsabwicklung sind Personalkosten, Reisekosten, IT‐Kosten (in‐ klusive Abschreibungen), Mieten, Fuhrpark, Steuern, Versicherungen und Energiekosten.
Auftragsab wicklungsk osten =
Gesamtkost en Auftragsab wicklung Umsatz (pro Monat/pro Jahr)
Versandkosten insgesamt Durchgefüh rte Sendungen
Prozesskostensätze beachten
Eine weitere Alternative zur Messung der Wirtschaftlichkeit des Outputs liefert die Versandkostenquote. Sie dient – insbesondere in Kombinati‐ on mit den zuvor charakterisierten Auftragsabwicklungskosten – zur Transparenzsteigerung der Distribution. Jedoch empfiehlt es sich, diese kostenfokussierte Betrachtung um Mengenangaben zu ergänzen.
Versandkostenquote =
E.3
Mengenangaben hinzufügen
E.3.3.3.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Den Abschluss der Beschreibung Output‐gerichteter Wertgrößen inner‐ halb einer Supply Chain bilden die Qualitäts‐ und Servicekennzahlen (vgl. Feld III.3 der Typisierungsmatrix). Im Kern liegt eine umgekehrte Betrachtung der qualitäts‐ und serviceorientierten Kennzahlen des In‐ puts zu Grunde: Unter Feld I.3 wurde die Lieferantenleistung über Qua‐ litäts‐ und Servicegrößen gemessen. Unter diesem Gliederungspunkt findet eine Umkehrung dieser Analyse statt. Jetzt wird die Liefergüte des Herstellers selbst, durch seine Kunden, bewertet.
Umgekehrte Be‐ trachtung des Inputs
Bezüglich ihrer Messung unterscheiden sich allerdings die Qualitäts‐ und Servicekennzahlen zwischen Beschaffung und Distribution. Die Bestimmung der Lieferantenleistung bereitet keine größeren Probleme, da ein Hersteller die eingehende Leistung seiner Lieferanten jederzeit direkt bewerten kann. Umgekehrt ist der Hersteller bei der Messung seiner ausgehenden Lieferleistung auf das Feedback des Kunden ange‐ wiesen. Erfolgt keine Rückkoppelung, geht der Hersteller in der Regel davon aus, dass seine Lieferung auftragsgemäß abgewickelt wurde.
Erschwerte Mes‐ sung
435
E Platzhirsch der Qualität
Controlling der Supply Chain
Der ausgehende Lieferservicegrad beschreibt den Prozentsatz von Wa‐ rensendungen in Richtung Kunde hinsichtlich ihrer zeitlichen, men‐ genmäßigen und qualitativen Güte.
Lieferservicegrad (%) =
Zurückweisungen der Distribution
Auftragsge rechte Auslieferp ositionen 100 Auslieferp ositionen insgesamt
Eine Zurückweisungsquote ermittelt den Prozentsatz an Auslieferun‐ gen bezüglich qualitativer, quantitativer oder zeitlicher Defizite der Warensendung.
Zurückweis ungsquote (%) =
Zeitliche Miss‐ stände
Zurückgewi esene Auslieferu ngen 100 Ausgehende Lieferunge n insgesamt
Die Verzögerungsquote berücksichtigt ausschließlich die zeitliche Güte ausgehender Lieferungen. Sie bemisst den Prozentsatz verspäteter Dis‐ tributionsvorgänge.
Verzögerungsquote (%) =
E.3.3.4
Verspätete Auslieferungen 100 Ausgehende Lieferungen insgesamt
Payment: Kennzahlen der Finanzprozesse
Net Working Capital optimieren
Im Rahmen der Charakterisierung des Supply Chain Managements im Allgemeinen, wie auch bei der Beschreibung des Order‐to‐Payment‐S im Besonderen, wurde deutlich, dass ein zeitgemäßes Lieferkettenma‐ nagement die Finanzströme explizit erfasst. Moderne Supply Chains zielen darauf, die Opportunitätskosten (entgangene Gewinne) zu redu‐ zieren. Diesbezüglich fordern die Hersteller möglichst zeitnahe Zah‐ lungseingänge bezüglich ihrer Kundenrechnungen ein. Der Erfolg dieser Zielsetzung hängt jedoch sehr stark von der Machtkonstellation einer Lieferanten‐Kunden‐Beziehung ab. Bleiben die Kundenzahlungen über Wochen oder sogar Monate aus, findet durch den Hersteller eine Art Vorfinanzierung in Richtung Kunde statt: Es wird quasi ein zinsloser Kredit gewährt.
Finanzkennzahlen werden unter‐ schätzt
Bei näherer Betrachtung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen der Supply Chain fällt auf, dass sich diese den Finanzströmen kaum oder gar nicht widmen (vgl. Krüger 2014; Ossola‐Haring 2006; Reichmann 2017;
436
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Schulte 2001; Schulte 2017). In diese Lücke stößt die vorliegende Kenn‐ zahlentypologie. Unter Berücksichtigung dieses Wissens werden im Folgenden einige Kennzahlen des Supply Chain Managements näher gewürdigt, die ex‐ plizit zur Bewertung von Finanzströmen dienen. Analog zu den bishe‐ rigen Ausführungen zur Kennzahlentypologie, sind diese Größen in die drei Felder generische Kennzahlen, Produktivitäts‐ und Wirtschaftlich‐ keitskennzahlen sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen einzuteilen.
Finanzströme von Supply Chains
E.3.3.4.1 Generische Kennzahlen Zu den generischen Größen der Finanzströme einer Supply Chain zäh‐ len Supply Chain Kosten, Skontoquote, Rabattstruktur, Bestellobligo, Liquidität, erweiterter Cash Flow, Working Capital, Cash‐to‐Cash‐Cycle, Economic Value Added (EVA) und Return on Capital Employed (ROCE). In dem Feld IV.1 der Kennzahlenmatrix finden diese Indikato‐ ren ihren Eingang (vgl. deren nähere Kennzeichnung unten).
Weiteres Vorgehen
Die gesamten Supply Chain Kosten sind in Relation zum Umsatz zu messen. Eine absolute Erhöhung der Umsätze bedingt zumeist auch eine Zunahme an Supply Chain Kosten. Bei der folgenden Definition ist zu beachten, dass die Auftragsabwicklungskosten, Materialbeschaffungs‐ kosten und Bestandskosten voll in die totalen Supply Chain Kosten ein‐ gehen. Die Finanzierungskosten, Planungskosten und IT‐Kosten werden jedoch nur anteilig verrechnet. Die wesentliche Bezugsgröße ihrer Be‐ stimmung ist die innerbetriebliche Leistungsverrechnung. Doch stellt sich die Frage, welcher prozentuale Anteil dieser Kosten pro Unternehmen auf die Supply Chain im Einzelfall umzulegen ist.
Kosten der Supply Chain Aktivitäten
Insbesondere externe Kennzahlenvergleiche über gesamte Supply Chain Kosten sind daher mit Vorsicht zu genießen. Die jeweilige Defini‐ tion der Supply Chain Kosten pro Partner ist zu hinterfragen, um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Dennoch wird der Versuch unternom‐ men, Empfehlungen für die Praxis zu geben. Gemäß obiger Begriffsklä‐ rung erzielen branchenübergreifend Best‐in‐Class‐Unternehmen Bench‐ marks ihrer Supply Chain Kosten zu den Umsätzen zwischen 4% und 6%. Durchschnittliche Unternehmen pendeln sich diesbezüglich zwi‐ schen 8% und 11% ein (vgl. Werner 2013a, S. 55 sowie S. 83 der vorlie‐ genden Schrift).
Vorsicht bei Wett‐ bewerbsvergleichen
437
E
Controlling der Supply Chain
Auftragsab wicklungsk osten + Materialbe schaffungs kosten + Bestandsko sten + Finanzieru ngskosten (anteilig) + Planungsko sten (anteilig) + IT ‐ Kosten (anteilig)
= Supply Chain Kosten
Vereinheitlichung von Zahlungsbe‐ dingungen anstre‐ ben
Eine Skontoquote steht für den Anteil von Einkäufen mit Skontoabzug, die mit der gesamten Anzahl getätigter Einkäufe eines Unternehmens ins Verhältnis gesetzt werden. Mit diesem Key Performance Indicator ist zu überprüfen, ob bei der Bezahlung von Lieferantenrechnungen ein zustehender Skontobetrag wirklich verrechnet wurde. Zum Monitoring dieses Vorgangs bietet es sich an, die Zahlungsbedingungen innerhalb der Unternehmen zu vereinheitlichen. Ansonsten müsste pro Rechnung überprüft werden, ob die Mitarbeiter im Back‐Office (Rechnungswesen) bei der Begleichung einer Lieferantenrechnung potenzielle Zahlungsab‐ züge auch de facto realisiert haben (Prozesskostenaufblähung).
Skontoquote (%) =
Möglichkeiten rabattierter Ein‐ käufe
Einkäufe unter Abzug von Skonto 100 Einkäufe insgesamt
Rabattierte Einkäufe werden insbesondere als Mengenrabatte, Umsatz‐ rabatte, Treuerabatte, Saisonrabatte oder Sonderrabatte gewährt. Diese Kennzahl bemisst den Anteil der rabattierten Einkäufe im Verhältnis zu den insgesamt getätigten Einkäufen. Die Höhe der eingeräumten Rabat‐ te wird mit dieser Größe jedoch nicht verdeutlicht. Eine Ergänzung der Kennzahl um diese Information wäre wünschenswert.
Rabattstruktur (%) =
Zahlungsausstand von Bestellungen
Einkäufe mit Rabattgewährung 100 Einkäufe insgesamt
Ein Bestellobligo beschreibt den Zahlungsausstand eines Unterneh‐ mens. Basierend auf einem hohen Bestellüberhang, könnte auf Dauer die Liquidität gefährdet sein: Es drohen überproportional hohe zukünftige Lieferantenverbindlichkeiten.
438
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Bestellbestand + Bestellwertzugang ‐ Rechnungseingang (per Datum) = Bestellobligo
Die Liquidität 3. Grades ist ein geeigneter Indikator, um die Finanz‐ ströme in Wertschöpfungsnetzen zu bemessen. In die Ermittlung gehen Bestände und Forderungen explizit ein. Eine Erhöhung des Vorratsver‐ mögens schmälert tendenziell die Liquidität eines Wettbewerbers. Die erweiterte Betrachtung der Liquidität dritten Grades erfolgt in der nach‐ stehenden Cash‐Flow‐Betrachtung.
Liquidität 3. Grades =
Liquide Mittel Bestände Forderungen Kurzfristige Verbindlichkeiten
Bestände und Forderungen erfassen
Der Cash Flow verkörpert als Kennzahl die Dynamisierung einer stati‐ schen Liquidität. Er ist ein Indikator für die Ertragskraft von Unterneh‐ men und wird synonym als „Finanzmittelüberschuss“ bezeichnet. Wie oben hervorgehoben, wirken sich Veränderungen an Vorräten und For‐ derungen auf den erweiterten Cash Flow aus.
Dynamisierung der Liquidität
Jahresüber schuss ± Abschreibu ngen/Zusch reibungen auf Vermögensw erte + Veränderun gen Rückstellu ngen + Veränderun gen Sonderpost en mit Rücklagena nteil
+ Veränderun gen Wertberich tigungen ‐ Veränderun gen Vorräte ‐ Veränderun gen Forderunge n ‐ Veränderun gen aktive RAP ‐ Aktivierte Eigenleist ungen = Erweiterte r Cash Flow
Eine nächste Kennzahl, die zur Messung der Liquidität eines Unterneh‐ mens herangezogen werden kann, ist das Working Capital (vgl. S. 490, hier die Berechnungsmöglichkeit Current Ratio). Tendenziell gilt: Je hö‐ her das Working Capital ist, desto gesicherter ist die Liquidität. Aller‐ dings verursacht ein hohes Working Capital Opportunitätskosten. Die Supply Chain wirkt auf den Zähler, Bestände und Forderungen sind 439
Generierung von Geldzuflüssen
E
Controlling der Supply Chain
Komponenten des Umlaufvermögens. Ihre Zunahme oder Abnahme beeinflusst das Working Capital direkt. Jedoch werden Bestände (Excess and Obsolete) und Forderungen (Disputes) mit einer Laufzeit größer eines Jahres nicht unter das Working Capital gefasst. Working Capital (%) =
Shareholder‐Value‐ Bezug
Umlaufvermögen ( 1 Jahr) 100 Kurzfristige Verbindlichkeiten
Ein wichtiger Vertreter des Working Capital Managements ist der Cash‐ to‐Cash‐Cycle. Er bemisst den Liquiditätskreislauf in Tagen. Die Zahl soll möglichst klein sein, im Idealfall sogar negativ. In Supply Chains wer‐ den durchschnittliche Cash‐to‐Cash‐Cycles von zwei bis drei Monaten gemessen (vgl. Heesen 2012; Weber et al. 2007, vgl. auch S. 84 dieser Schrift). Dieses Ergebnis gibt sicher nicht die im Lieferkettenmanage‐ ment gern zitierte „Win‐Win‐Situation“ wieder. Eher entsteht der Ein‐ druck, dass manche Akteure ihre Marktmacht ausspielen. Sie lassen sich rasch durch ihre Kunden bezahlen, begleichen ihrerseits jedoch die Lie‐ ferantenrechnungen erst nach etlichen Wochen oder Monaten. In der Zwischenzeit finanziert der Lieferant den Kunden (zinslos) vor. Für den Lieferanten ergeben sich Opportunitätskosten, da dieser das Geld zwi‐ schenzeitlich nicht anlegen kann. Neben dem Debitorenmanagement (Days Sales Outstanding) und dem Kreditorenmanagement (Days Payables Outstanding) leitet sich der Liquiditätskreislauf aus der Lager‐ reichweite (Days on Hand) ab. Unter Gliederungspunkt E.4.5 werden Working Capital und Cash‐to‐Cash‐Cycle ausführlich beschrieben. Cash ‐ to ‐ Cash ‐ Cycle = Zeitspanne in Tagen, die sich aus Zahlung des Kunden, Reichweite des Lagers und Rechnung des Lieferante n
ableitet (synonym ʺ Kreislauf der Liquidität ʺ ).
Wertsteigerungs‐ konzept
Der Economic Value Added (EVA) ist eine absolute Kennzahl im Ma‐ nagement von Wertsteigerungen und in die Philosophie um den Share‐ holder Value eingebettet (vgl. zur ausführlichen Diskussion um EVA S. 485). EVA steht für den Wertbeitrag, den ein Unternehmen pro Jahr ge‐ neriert (die Kennzahl EVA weist einen positiven Betrag auf) oder vernich‐ tet (das Ergebnis der EVA‐Kalkulation ergibt eine negative Zahl). Das Management innerhalb einer Supply Chain hat unterschiedliche Wert‐ hebel zur Beeinflussung dieser Größe. Dies gilt einerseits für den Net Operating Profit After Tax (NOPAT). Zum Beispiel determinieren Mate‐ rialpreise, Abwertungen auf Bestände, Frachtkosten und Abschreibun‐
440
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
gen auf logistische Assets den operativen Geschäftserfolg direkt. Ande‐ rerseits nimmt ein Supply Chain Management Einfluss auf das Capital. Beispielhaft dafür stehen Make‐or‐Buy‐Entscheidungen im Fleet‐ Management, Verfahren für Sale‐and‐Buy‐Back oder Sale‐and‐Lease‐ Back logistischer Anlagen, Bestandsoptimierung und Forderungsma‐ nagement. Economic Value Added = NOPAT ‐ (Capital WACC)
Der Return on Capital Employed (Kapitalrendite) ist stellvertretend für die Renditekennzahlen in die Kennzahlentypologie aufgenommen wor‐ den. Zu weiteren Möglichkeiten der Rentabilitätsmessung vgl. S. 405, vgl. S. 452 speziell zu ROCE. Aus Sicht des Supply Chain Managements sind die Stellhebel zur Beeinflussung von ROCE sowohl im Zähler als auch im Nenner der Kennzahl zu suchen. Ähnlich wie für EVA gilt, dass ein Supply Chain Management das Ergebnis der gewöhnlichen betrieb‐ lichen Geschäftstätigkeit (EBIT) durch Vorratsabwertungen, Ausschuss‐ und Nacharbeitsraten, Materialpreise, Abschreibungen sowie Frachtkos‐ ten beeinflusst. Bezogen auf das eingesetzte Kapital sind über ein Supply Chain Management Auswirkungen auf Cash‐to‐Cash‐Cycle, Vorratsma‐ nagement oder logistische Sachanlagen (wie eigener Fuhrpark oder Fremdvergabe des Fuhrparks) möglich. ROCE =
EBIT × 100 Eingesetzt es Kapital
Regelrechter Hype um ROCE
E.3.3.4.2 Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen In dem Feld IV.2 der Kennzahlentypologie einer Supply Chain finden sich Inhalte des Payments und Größen für Produktivitäten und Wirt‐ schaftlichkeiten. Zunächst wird die Fakturierungsquote näher charakte‐ risiert.
Finanzprozesse bewerten
Die Fakturierungsquote ist ein Indikator für die Produktivität der Fi‐ nanzströme. Sie bemisst den Prozentsatz ausgestellter und versendeter Kundenrechnungen. Über den Eingang von Kundenzahlungen gibt die Fakturierungsquote jedoch keinen Aufschluss. Sie ist daher möglichst um den Cash‐to‐Cash‐Cycle zu ergänzen.
Produktivität der Zahlungsströme
441
E
Controlling der Supply Chain
Fakturieru ngsquote (%) =
Materialkosten und Fertigungskosten vergleichen
Fakturiert e Kundenrechnungen 100
Kundenrechnungen insgesamt
Die Herstellungskosten von Unternehmen setzen sich insbesondere aus Materialeinzel‐ und Materialgemeinkosten sowie Fertigungseinzel‐ und Fertigungsgemeinkosten zusammen. Sie sind in der Gewinn‐ und Ver‐ lustrechnung direkt unter dem Umsatz abzulesen. Mit Hilfe der Materi‐ alintensität wird die Wirtschaftlichkeit des Wareneinsatzes gemessen. Zum Beispiel kann dieser überproportional hoch im Vergleich zu den Fertigungskosten liegen.
Materialintensität (%) =
Materialkosten 100 Herstellungskosten
E.3.3.4.3 Qualitäts- und Servicekennzahlen Das letzte Feld der Matrix
Schließlich wird mit Feld IV.3 auch der zwölfte und letzte Bereich der Kennzahlenmatrix einer Supply Chain mit Leben gefüllt. Hier treffen die beiden Dimensionen Payment sowie Qualitäts‐ und Servicekennzahlen aufeinander. Diesbezüglich sind im Folgenden drei KPI näher zu würdi‐ gen: Supply Chain Disputes, Cost‐Charge‐Back‐Ratio sowie Inventory Reserve (vgl. die unten stehenden Definitionsblöcke).
Disputes abbauen
In die deutsche Sprache übertragen, ist der Begriff Disputes mit „zwei‐ felhaften oder dubiosen Forderungen“ gleichzusetzen, die eine lange Restlaufzeit aufweisen: Treten Fehler in der Supply Chain in Richtung Kunde auf, können Disputes entstehen. Das Ausfallrisiko von Disputes ist größer als 0% und kleiner als 100%. Ein Beispiel dafür ist ein Verpa‐ ckungsschaden. Wenn sich eine Kundenrechnung auf 10.000 Euro be‐ läuft, der Kunde jedoch auf Grund eines potenziellen Verpackungsscha‐ dens nur 8.000 Euro überweist, schlagen beim Hersteller Disputes in Höhe von 2.000 Euro zu Buche. In der Folge ist abzuklären, ob diese Forderung in Richtung Kunde tatsächlich nicht einholbar ist. In diesem Fall muss für die originäre Forderung eine Wertberichtigung gebildet werden, worunter der EBIT direkt leidet.
Supply Chain Disputes (%) =
442
Supply Chain Disputes 100 Disputes insgesamt
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Die Kennzahl Cost‐Charge‐Back‐Ratio korrespondiert direkt mit den Supply Chain Disputes. Sie kann im Input für Lieferanten und im Out‐ put für Kunden bestimmt werden. Zum Teil ist auf Basis eines Supplier‐ Rating‐Systems (vgl. S. 189) ein Cost‐Charge‐Back‐Verfahren in der Un‐ ternehmenspraxis verankert. Dabei entscheidet die Machtkonstellation im Partnergeflecht über die Einsatzmöglichkeiten des Verfahrens. Unter Cost‐Charge‐Back ist zu verstehen, wenn logistische Fehler mit dem Lieferanten zunächst definiert und Strafpunkte („Penaltys“) vergeben werden. Auf Basis von Prozesskosten sind diesen Fehlern Geldbeträge beizumessen. Für das Supply Chain Management kann ein derartiges Problem in einem defizitären Labeling bestehen. Tritt dieser Fehler auf, wird der vereinbarte Geldbetrag direkt bei der nächsten eingehenden Lieferantenrechnung einbehalten. Dadurch entstehen Disputes erst gar nicht mehr (vgl. oben). Allerdings ist der Kunde zumeist in der Bring‐ schuld, um einen logistischen Fehler zu beweisen. Cost ‐ Charge ‐ Back ‐ Ratio (%) =
Einbehalte ne Rechnungsb eträge 100 Wert Lieferante nrechnunge n total
E.3 Automatische Verrechnung quali‐ tativer Mängel
Eine Inventory Reserve (Wertberichtigung auf Bestände) wird auf Grund der Ungängigkeit von Vorräten vorgenommen. Diese kann in einer mangelhaften Einlauf‐ oder Auslaufsteuerung begründet liegen. In einem auf S. 303 charakterisierten Beispiel zur Gängigkeit beträgt der Bruttobestand eines Standorts zehn Millionen Euro. Allerdings schlagen sich dort Vorräte entweder gar nicht mehr (Obsolete) oder nur noch bedingt (Excess) pro Periode um. Für diese Bestände wird eine Wertbe‐ richtigung von zwei Millionen Euro gebildet. Folglich errechnet sich ein Nettobestand von acht Millionen Euro.
Gross Inventory vs. Net Inventory
Die Abwertung ungängiger Vorräte wirkt sich direkt negativ auf das operative Ergebnis (EBIT) eines Unternehmens aus. Daher sind Ungän‐ gigkeiten von Beständen möglichst gering zu halten. Ist der Verkauf von Excess‐ und Obsolete‐Waren unmöglich, kann in letzter Konsequenz die Verschrottung dieser Sachnummern drohen. Um dabei den Effekt in Richtung EBIT abzufedern, schreibt das kaufmännische Vorsichtsprinzip die Bildung von Wertberichtigungen vor. Die folgende Kennzahl „Inven‐ tory Reserve“ spiegelt die Höhe dieser Wertberichtigung auf Grund von Ungängigkeiten.
Interdependenzen zur Gängigkeit
443
E
Controlling der Supply Chain
Bruttobest and (Gross Inventory) ‐ Wertberich tigung (Inventory Reserve)
= Nettobesta nd (Net Inventory)
E.3.3.5 KPI im Überblick
Kennzahlentypologie im Überblick
Die zuvor beschriebene Typologie zur Einordnung ausgewählter Kenn‐ zahlen eines Supply Chain Managements erfolgt zweidimensional:
Eine erste Perspektive zeigt den Bezug der Kennzahlen zur Wert‐ schöpfung auf. Die drei logistischen Primärsegmente Input (Beschaf‐ fung), Throughput (Lagerung, Kommissionierung und Produktion) sowie Output (Distribution) sind direkt auf einen Wertzuwachs bezo‐ gen. Sie sind von Aktivitäten des Payments umgeben, da in einer Supply Chain bekanntlich auch die Finanzströme explizit berücksich‐ tigt werden (Order‐to‐Payment‐S).
Unter die zweite Dimension sind drei unterschiedliche Arten von Supply Chain Kennzahlen gefasst. Sie setzen sich aus generischen Messwerten (Strukturindikatoren), Produktivitäts‐ und Wirtschaft‐ lichkeitskennzahlen sowie qualitäts‐ und serviceorientierten Größen zusammen. Modifikationen sind möglich
Aus diesen beiden Betrachtungsebenen ergeben sich in einer Matrix zur Supply Chain Typisierung zwölf verschiedene Betrachtungsfelder. Die folgende Abbildung E.10 fasst die oben ausführlich charakterisierten Einzelkennzahlen in übersichtlicher Weise zusammen. In Summe sind hier 85 Kennzahlen moderner Wertschöpfungsketten aufgelistet. Es versteht sich von selbst, dass dieser Ansatz keinen Anspruch auf Voll‐ ständigkeit erheben möchte. Je nach Branchenbezug oder spezifischer Problemstellung kann sich die Notwendigkeit zur Modifizierung dieser Typisierung ergeben. Dies gilt sowohl für die Auswahl der herangezo‐ genen Kennzahlen, wie auch für ihre jeweiligen Definitionen.
444
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
Abbildung E.10
Indikatoren der Kennzahlentypologie einer Supply Chain Input
Throughput
Output
Payment
‐ Beschaffung
‐ Lagerung ‐ Beistellung ‐ Fertigung
‐ Distribution
Einkaufsteile
Sachnummern
Kundenanzahl
SC‐Kosten
Einkaufsvolumen
Verpackungseinheit.
Auslieferungen
Skontoquote
Bestellpositionen
Gelagerte Teile
Lagerstätten
Rabattstruktur
Lieferantenanzahl
Lagervorgänge
Auftragsvolumen
Bestellobligo
Preisindex
Auftragsvolumen
Lagerstufen
Liquidität
Volumenstruktur
Disponierte Teile
Umsatz pro Kunde
Cash Flow
Maverick‐Buying
Auftragseingänge
Eigentransportq.
Working Capital
Umschlagshäuftigk.
Order Fulfillment
Cash‐to‐Cash‐Cycle
Reichweite
Durchlaufzeit
EVA
Lagerkostensatz
Umschlag Fertigw.
ROCE
A
‐ Finanzen
Flächennutzungsgr. Lagerflächenanteil Vorratsquote Kommissionierpos. Automatisierungsgr. Flächenanteil Fertigungstiefe Upside Prod. Flexib. Recyclingquote Sendungen täglich
Lagerbewegungen
Auftragsabwickl.
Fakturierungsquote
Annahmezeit
Raumnutzungsgrad
Versendungen
Materialintensität
WEK pro Tag
Lagerplatzkosten
Nutzungsgrad
Annahmekosten
Lagerbewegungsk.
Versandkosten
WEK‐Kosten
Kommissionierungen
B
Kosten Kommission. Auftragseingänge Bestandskonten Maschinennutzung Bearbeitungskosten Dispositionskosten
C
E.3
Servicegrad
Excess/Obsolete
Servicegrad
SC‐Disputes
Zurückweisungsq.
Lagerverlust
Zurückweisungsq.
Cost‐Charge‐Back
Verzugsquote
Servicegrad (intern)
Verzugsquote
Inventory Reserve
Zurückweisungsq. Verzögrerungsquote Verbrauchsabweich. Ausschuss/Nacharb. Ausfall/Reparatur
Legende: A = Generische Kennzahlen (Strukturkennzahlen) B = Produktivitäts‐ und Wirtschaftlichkeitskennzahlen C = Qualitäts‐ und Servicekennzahlen
445
E
Controlling der Supply Chain
E.3.4
Ausgewählte Visualisierungsformen des Kennzahlenmanagements
Synergetische Potenziale heben
Mit diesem Gliederungspunkt finden die Gedanken des Kennzahlenma‐ nagements innerhalb moderner Supply Chains ihre Abrundung. Die oben diskutierte Typisierungsmöglichkeit für ein Lieferkettenmanage‐ ment dient der inhaltlichen Einordnung einzelner Größen in ein überge‐ ordnetes Kennzahlensystem. Dadurch erschließen sich in der Supply Chain synergetische Potenziale: Die Einzelkennzahlen verdichten sich in der Kennzahlenmatrix in zwölf Felder. Sie gewinnen in Summe an struktureller Aussagekraft, verglichen mit der isolierten Aussage einzel‐ ner Indikatoren.
Grafische Darstel‐ lungsmöglichkeiten
Einen zusätzlichen Schub an Transparenz erfährt das diskutierte Kenn‐ zahlensystem, indem ausgewählte Größen visualisiert werden. In die‐ sem Kontext werden in den nachstehenden Gliederungspunkten zu‐ nächst der Werttreiberbaum und anschließend der Kennzahlenradar beschrieben. Die Auswahlkriterien für diese beiden grafischen Darstel‐ lungsformen des Kennzahlenmanagements sind ihr Pragmatismus und ihr wissenschaftlicher Anspruch. Zur Diskussion weiterer Visualisie‐ rungsformen des Kennzahlenmanagements sei auf die einschlägige Literatur verwiesen (vgl. Botthof/Hölzl 2008; Deyhle 2003, S. 94ff.). Dort werden beispielsweise die Hilfsmittel Ist‐Ziel‐Diagramm, Kennzahlen‐ formular, Grid oder Fadenkreuz thematisiert.
E.3.4.1
Werttreiberbaum (Value Driver Tree)
Grundidee und Aufbau
Die Idee zur Generierung von Werttreiberbäumen entstammt dem Du‐ Pont‐Schema, das seinerzeit zur Ermittlung des Return on Investment (ROI) entwickelt wurde. Zur ausführlichen Diskussion um den ROI vgl. S. 407. Die Erstellung von Werttreiberbäumen ist sowohl generisch als auch funktionsbereichsbezogen denkbar. Neben dem Supply Chain Management, können Treiberbäume auch für die Produktion oder den Vertrieb aufgebaut werden. Ebenso eignet sich der Aufbau von Werttrei‐ berbäumen, wenn es um Darstellungen des Shareholder Value geht. Zu den Darstellungsmöglichkeiten von Werttreiberbäumen vgl. Deyhle 2003, S. 101ff.
Wurzelknoten als Spitzenkennzahl
Im Rahmen der Erarbeitung moderner Werttreiberbäume wurde aus dem ROI‐Schema der Grundgedanke abgekupfert, Kennzahlen inner‐ halb eines Wirkungskreises analytisch oder sachlogisch miteinander zu verknüpfen. Dabei werden einzelne Kennzahlen in einem Baum auf einen Spitzenwert („Wurzelknoten“) hin verdichtet. Die einzelnen 446
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Kennzahlen in diesem Geflecht beeinflussen den Wurzelknoten direkt oder indirekt, sie „treiben“ dessen Wert. Dabei leiten sich Werttreiber‐ bäume zumeist kombiniert aus einem Erfolgs‐ und einem Bilanzstrang ab. IT‐gestützt können die Auswirkungen geänderter Eingangsparameter (Kennzahlen) auf den Wurzelknoten simuliert werden. Einige Bera‐ tungsgesellschaften haben dazu spezielle Software‐Lösungen entwickelt. Stellvertretend sei hier auf das Tool „Business Planning and Simulation“ von SAP verwiesen, das die Simulation von Werttreiberbäumen mit dem Tool „Business Warehouse – Business Planning Simulation (BW‐BPS)“ ermöglicht.
Werttreiberbäume und IT
Bei näherer Betrachtung von Werttreiberbäumen tauchen als mögliche Wurzelknoten insbesondere die Spitzengrößen EBIT, Shareholder Valu‐ e, Economic Value Added, Return on Capital Employed und Discounted (Free) Cash Flow auf. In Abgrenzung zum tradierten ROI‐Baum, werden in die Berechnung der Wurzelknoten nicht länger rein monistische Indi‐ katoren einbezogen. Vielmehr können auch „Non‐Financials“ (qualita‐ tive Indikatoren) als Einflussgrößen in Werttreiberbäumen berücksich‐ tigt werden. Beispielhaft dafür stehen die „Non‐Financials“ Kundenbin‐ dung, Image, Technologie, Innovation, Mitarbeiter und Qualität.
Alternative Wur‐ zelknoten im Über‐ blick
Die Erstellung von Werttreiberbäumen wird häufig mit Überlegungen zum Performance Measurement (Performance Management) und der Balanced Scorecard verknüpft (vgl. S. 494). Dieser Tatbestand über‐ rascht nicht sonderlich. Performance Measurement Konzepte sind da‐ rum bemüht, auch nichtmonetäre Größen in ihre Darstellung einzube‐ ziehen. Anders ausgedrückt, ist der Werttreiberbaum ein Hilfsmittel, in dem der Beitrag qualitativer Indikatoren zur Schaffung oder Vernich‐ tung finanzieller Ergebnisse („Werte“) visualisiert wird.
Performance Mea‐ surement Systeme
In der Folge werden zwei Beispiele zur Generierung von Werttreiber‐ bäumen herangezogen. Der erste Fall ist generisch gehalten. Er bezieht sich auf die rein mathematische Ermittlung eines Economic Value Ad‐ ded (EVA). Das zweite Beispiel ist speziell auf das Supply Chain Ma‐ nagement zugeschnitten. Darin werden mögliche Wirkungshebel der Wertschöpfungskette auf ihren Wurzelknoten Return on Capital Employed (ROCE) simuliert.
Beispielhafte Er‐ stellung von Wert‐ treiberbäumen
447
E
Controlling der Supply Chain
E.3.4.1.1 Werttreiberbaum über den Knoten EVA EVA als Spitzen‐ wert
Der Werttreiberbaum zur Berechnung des Wurzelknotens Economic Value Added ist in Abbildung E.11 dargestellt (vgl. Deyhle 2004, S. 101; Speckbacher 2005, S. 9). Ausgenommen von Prozentwerten, gelten folgende Zahlenangaben in Millionen Euro. In Summe verdichtet sich der Spitzenwert Economic Value Added (EVA) auf 1,2 Millionen Eu‐ ro. Mit Hilfe dieses monetären Werttreiberbaums wird das Zustande‐ kommen von EVA visualisiert. Die Überleitung auf den Wurzelknoten ist in fünf verschiedene Arbeitsebenen zerlegt:
„Dass ihr den sichersten Pfad wählt, wer möchte das leugnen? Aber ihr tappet nur blind auf dem gebahntes‐ ten Pfad.“ (F. v. Schiller)
Arbeitsebene 1/Arbeitsebene 2: Der Wurzelknoten Economic Value Added beträgt in Summe 1,2 Millionen Euro. Dieses Resultat berech‐ net sich aus der Subtraktion der Kapitalkosten (Capital Charge) von dem Nettobetriebsergebnis nach Steuern (NOPAT). Dabei sind zwei primäre Stränge zur Berechnung von EVA zu unterscheiden: Der obe‐ re Bereich (NOPAT) ergibt sich aus Werten der Gewinn‐ und Verlust‐ rechnung. Der untere Zweig (Capital Charge) bezieht sich auf die Bi‐ lanz.
EVA = NOPAT ‐ Capital Charge EVA 4,0 ‐ 2,8 EVA 1,2
Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) NOPAT über Erfolgsgrößen berechnen
Arbeitsebene 3 (oberer Strang): Die Größe NOPAT berechnet sich aus der Subtraktion der (Ertrag‐) Steuern von einem NOPBT (Net Opera‐ ting Profit before Tax), dem Nettobetriebsergebnis vor Steuern. In dem beispielhaft charakterisierten Werttreiberbaum beläuft sich der NO‐ PAT im oberen Zweig auf 4,0 Millionen Euro.
NOPAT = NOPBT ‐ Tax NOPAT 6,1 ‐ 2,1 NOPAT 4,0
Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) Bilanzzahlen füh‐ ren zu Capital Charge
Arbeitsebene 3 (unterer Strang): Bei der Ermittlung von Kapitalkos‐ ten (Capital Charge) im unteren Strang, ist ein Bezug zwischen Net Assets sowie Weighted Average Cost of Capital herzustellen. Die Net Assets leiten sich aus dem insgesamt investierten Kapital ab. Im Rah‐ men der Gewinnerzielung fallen Kapitalkosten an. Diese zeigen sich im Weighted Average Cost of Capital, dem gewichteten Eigen‐ und
448
Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Fremdkapitalkostensatz. Die Net Assets (25,8) wurden mit dem WACC von 11,0% multipliziert und durch 100 geteilt. Die Kapitalkos‐ ten belaufen sich in Summe auf 2,8 Millionen Euro.
Capital Charge =
Net Assets WACC (%) 100
Capital Charge =
25,8 11,0 (%) 100
Capital Charge = 2,8 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenomm en Prozentwerte)
Arbeitsebene 4 (oberer Strang): Wie beschrieben, stammen die Zah‐ len des oberen Zweigs dieses Werttreiberbaums aus der Erfolgsrech‐ nung. Diesbezüglich ist auf vierter Arbeitsebene die Kalkulation der Größe NOPBT (Net Operating Profit before Tax) hervorzuheben. Sie beläuft sich auf 6,1 Millionen Euro. Das Nettobetriebsergebnis vor Steuern setzt sich aus dem Rohertrag (Gross Profit/33,8), allgemeinen Vertriebs‐ und Verwaltungsaufwendungen (Selling and Administrati‐ on/‐29,2), sonstigen Aufwendungen und Erträgen (Other/1,5) sowie Anpassungen (Adjustment/0,0) zusammen.
Nettobetriebser‐ gebnis nach Steu‐ ern
NOPBT = Gross Profit Selling/Ad m. Other Adjustment NOPBT 33,8 ‐ 29,2 1,5 0,0 NOPBT 6,1
Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)
Arbeitsebene 4 (unterer Strang): In dem unteren Strang des Werttrei‐ berbaums bedarf die Zusammensetzung der Net Assets einer näheren Erläuterung. Die Net Assets addieren sich auf 25,8 Millionen Euro. Sie setzen sich aus dem Anlagevermögen (Fixed Assets/3,9), inklusive den Beteiligungen an verbundenen Unternehmen (Affiliated Companies), sowie dem Working Capital (21,9) zusammen.
449
Aufbruch der Net Assets
E
Controlling der Supply Chain
Net Assets = Fixed Assets/Affiliated Working Capital Net Assets 3,9 21,9 Net Assets 25,8
Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)
Finale Betrachtung der Erfolgsgrößen
Arbeitsebene 5 (oberer Strang): Schließlich ist die fünfte Arbeitsebene zu kennzeichnen. Analog der bisherigen Darstellung, wird zunächst der obere Zweig der Gewinn‐ und Verlustrechnung beschrieben. Der Rohertrag (Gross Profit/33,8) ergibt sich aus der Verrechnung von Umsatz (Sales/260,0) und Herstellungskosten des Umsatzes (Cost of Sales/‐226,2). Gemäß ihrer Semantik, speisen sich die Vertriebs‐ und allgemeinen Verwaltungsaufwendungen (Selling and Administrati‐ on/‐29,2) aus den Vertriebsaufwendungen (Selling/‐28,1) sowie den Verwaltungsaufwendungen (General/‐1,1). Weiterhin bedürfen die sonstigen Aufwendungen (Other/1,5) einer näheren Betrachtung. Sie addieren sich aus Forschungs‐ und Entwicklungsaufwendungen (Re‐ search and Development/0,0) und sonstigen betrieblichen Erträgen (Change in Provision/1,5).
Gross Profit = Sales Cost of Sales Gross Profit = 260,0 + (‐226,2) Gross Profit 33,8 Selling/Administration Selling Administration Selling/Administration (‐28,1) (‐1,1) Selling/Administration (‐29,2)
Other R & D Change in Provision Other Other 0,0 1,5 Other 1,5 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte) Beachtliches Poten‐ zial zur Beeinflus‐ sung von Supply Chain Prozessen
Arbeitsebene 5 (unterer Strang): Die Bilanzposition Fixed Assets and Affiliated (Anlagevermögen und Beteiligungen an verbundenen Un‐ ternehmen/3,9) berechnet sich aus eben jenen zwei Größen, wobei sich die Fixed Assets auf den Wert 3,9 und die Investments in Affiliated Companies auf 0,0 belaufen. Das Working Capital (21,9) hingegen setzt sich aus Beständen (Inventories/12,8), Forderungen (Receiva‐ bles/31,2), Verbindlichkeiten (Liabilities/‐22,0) sowie Vorauszahlungen (Prepayments/‐0,1) zusammen.
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Kennzahlenmanagement in der Supply Chain
E.3
Fixed Assets/Affiliated = Fixed Assets Affiliated Fixed Assetes/Affiliated = 3,9 0,0 Fixed Assets/Affiliated 3,9 Working Capital Invent. Receiv. Liabilities Prepaym. Other Working Capital 12,8 31,2 (‐22,0) (‐0,1)
Working Capital 21,9 Legende : Alle Zahlen in Millionen € (ausgenommen Prozentwerte)
Der Werttreiberbaum über den Economic Value Added (vgl. Abbildung E.11) ist ein operativ geprägtes Hilfsmittel des Managements im Allge‐ meinen und des Controllings im Speziellen.