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German Pages 392 Year 2008
Ralf-Gerd Zülsdorf Strukturelle Konflikte in Unternehmen
Ralf-Gerd Zülsdorf
Strukturelle Konflikte in Unternehmen Strategien für das Erkennen, Lösen, Vorbeugen
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Stefanie A. Winter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0549-9
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Vorwort Dieses Buch wendet sich an alle Führungskräfte in der Praxis und an angehende Führungskräfte. Eine Maxime für dieses Buch lautet: Konfliktarbeit spart Kosten. Das gilt besonders bei strukturellen Konflikten, da hier Systeme aufeinanderstoßen. Sie ziehen eine Vielzahl von Folgekonflikten nach sich. Wenn in Unternehmen Führungskräfte wiederholt aneinandergeraten, Mitarbeiter aus zwei Abteilungen sich an ihrer gemeinsamen Schnittstelle täglich in „Grabenkriegen“ verwickeln und strategische Projekte „versanden“, liegen die Ursachen selten in persönlichen Streitthemen. Ein weiteres Leitthema des Buches lautet: Die wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten steigert die Wettbewerbsfähigkeit. Strukturelle Konflikte haben eine große Hebelwirkung, da sie sich im Unternehmen auf die Verhaltensweisen vieler Mitarbeiter auswirken. Das gilt auch für deren Lösung, die ein großes Rationalisierungspotenzial eröffnet. Ein professioneller Umgang mit strukturellen Konflikten ist in Unternehmen der Startschuss für neues Denken. Mit dieser Konfliktkompetenz können Führungskräfte nicht nur Kosten sparen und zum Retter vor einer drohenden Unternehmenskrise werden. Durch die konstruktive Nutzung dieser Konflikte für Innovationen und marktgerechten Wandel sichern sie darüber hinaus den Patz ihres Unternehmens in einer globalen Wirtschaft. Zum Aufbau des Buches: Jedes Kapitel beginnt mit Praxisfällen als Grundlage für die darauffolgenden Empfehlungen. Die Empfehlungen beinhalten bewährte Einstellungen und Vorgehensweisen, um ein komplexes Thema zu durchdringen und einfache Grundsätze für ein effektives Handeln abzuleiten. Die Checklisten im Anhang des Buches unterstützen Sie bei der Umsetzung in die tägliche Praxis. Nach einem einleitenden Kapitel zeigt das Kapitel 2 die Vielschichtigkeit von strukturellen Konflikten, deren Konsequenzen sich viele Menschen in Unternehmen nicht bewusst sind. Strukturelle Konflikte an der Unter-
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Vorwort
nehmensspitze, ausgetragen in diplomatischen Glaubenskriegen oder in der Ausnutzung von Macht für persönliche Interessen anstatt für den Unternehmenserfolg, kosten Unternehmen riesige Summen. Die Praxisbeispiele in Kapitel 3 zeigen, dass latente strukturelle Konflikte Unternehmen in die völlige Erstarrung führen und sie in die Insolvenz treiben können. Wenn strukturelle Konflikte in Unternehmen derart eskaliert sind, geht es um ein konsequentes Krisenmanagement für den Turnaround. Das Kapitel beschreibt, wie die inneren Mechanismen von strukturellen Konflikten funktionieren und woran man sie vor dem Eintritt einer Unternehmenskrise erkennt. Den professionellen Umgang mit erkannten strukturellen Konflikten in Moderationen mit den Beteiligten zeigen die Fallbeispiele in Kapitel 4. Voraussetzung dafür ist, dass die Beteiligten die Existenz von strukturellen Konflikten akzeptieren. Auf dieser Grundlage können sie zur wirksamen Konfliktlösung, genauso wie zur Entwicklung von Produktinnovationen, effiziente Techniken einsetzen. Mit den speziellen Techniken zur Deeskalation und Lösung von strukturellen Konflikten aus Kapitel 4 erhalten Sie einen strategischen Handwerkskasten zur Ausübung der neuen Konfliktkompetenz. Die Umsetzung der mit den Beteiligten erarbeiteten Lösung erfordert im Unternehmen oft eine Neugestaltung von Strukturen, Prozessen und Beziehungen. Kapitel 5 gibt dem Leser Handlungsempfehlungen zur erfolgreichen Gestaltung dieses Wandels. Die Praxisbeispiele des Kapitels bieten einen Einstieg in konkretes Handeln zum Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte, um auch sie als Anlass für innovative Veränderungsprozesse zu nutzen. Strategische Aspekte zur Unternehmensführung, durch die Sie strukturelle Konfliktpotenziale wirksam in das operative Tagesgeschäft integrieren und ein „Jiu-Jitsu zur Konfliktlösung“ anwenden, runden das letzte Kapitel ab. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und viel Erfolg beim Anwenden der Strategien und Techniken. Reinbek, im September 2007
Ralf-Gerd Zülsdorf
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Inhaltsverzeichnis Vorwort _______________________________________________ 1
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Einleitung _________________________________________ 11
1.1 Strukturelle Konflikte ________________________________ 12 1.2 Umgang mit strukturellen Konflikten ____________________ 21 1.3 Zusammenfassung ___________________________________ 34 2
Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen _______ 37
2.1 Praxisbeispiele: Typische strukturelle Konflikte ____________ 1. Beispiel: Starres Vergütungssystem im Vertrieb __________ 2. Beispiel: Macht in Projektteams ______________________ 3. Beispiel: „Jojo-Effekt“ in Unternehmen ________________ 2.2 Einordnung und Abgrenzung ___________________________ Konflikte und Noch-nicht-Konflikte _____________________ Konfliktkategorien ___________________________________ Differenzierter Umgang _______________________________ 2.3 Merkmale und Besonderheiten _________________________ Idealtypisches Muster und weitere Merkmale für strukturelle Konflikte ______________________________ Verdeckte strukturelle Konflikte ________________________ 2.4 Der wirksame Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen __________________________________ Vorgehensweise _____________________________________ Lösungsansätze für typische Merkmale ___________________ Lösungsansätze für die Praxisbeispiele ___________________ Zusammenfassung ___________________________________ 2.5 Exkurs: Konfliktbewältigung ___________________________ Eine Partei handelt vorsätzlich _________________________ Konfliktergebnis durch Dritte __________________________ Konfliktsituationen selbst beenden ______________________
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Inhaltsverzeichnis
Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht __________________________ 93
3.1 Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg ______ 1. Beispiel: Opel-Krise _______________________________ 2. Beispiel: ADL-Insolvenz ____________________________ 3. Beispiel: Erstarrung bei einem Mittelständler ____________ 3.2 Unternehmenskrise als letzte Konsequenz ________________ Unternehmenskrise __________________________________ Kalter Krieg ________________________________________ Weitere Eskalationsformen ____________________________ 3.3 Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken _____ Gefährliche Krisenlogik in Unternehmen _________________ Krisenprävention ____________________________________ Behandlung von Unternehmenskrisen ____________________ Zusammenfassung ___________________________________ 3.4 Exkurs: Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen _________________________ 4
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen ______ 145
4.1 Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte ____________ 1. Beispiel: Konflikte zwischen Produktentwicklung und Marketing ______________________________________ 2. Beispiel: Verhärtete Fronten in einem IT-Projekt _________ 3. Beispiel: Machtfrage in der Führungsmannschaft _________ 4.2 Strategische Handlungsempfehlungen ____________________ Einstellungen für den wirksamen Umgang mit Konflikten ____ Streitkultur in Unternehmen ___________________________ Kommunikation auf gleicher Augenhöhe _________________ Strategien für den Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen __________________________________ 4.3 Strategischer Handwerkskasten _________________________ Erforderliche Kompetenzen und Spielregeln zur Prävention __ Effiziente Methoden zur Deeskalation und Klärung von Eskalationen ____________________________________
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Inhaltsverzeichnis
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Effiziente Methoden zur Lösung struktureller Konflikte ______ 222 Kopfstand – Workshop zur Überwindung von Unternehmenskrisen ______________________________ 229 4.4 Zusammenfassung ___________________________________ 233 5
Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte für den Wandel nutzen _____________________ 235
5.1 Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte ___________ 236 1. Beispiel: Konfliktpotenziale vor Projektbeginn ___________ 236 2. Beispiel: Konflikte nach einer Fusion __________________ 243 3. Beispiel: Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess __________________________ 252 5.2 Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte ______________ 260 Latente Konflikte sichtbar machen ______________________ 260 Systemische Organisationsaufstellungen (SysOA) __________ 263 Anwendungsgebiete von SysOA ________________________ 269 5.3 Unternehmenswandel erfolgreich gestalten ________________ 275 Erfolgskriterien für strukturellen Wandel in Unternehmen ____ 276 Change Management im Unternehmen gestalten und umsetzen _______________________________________ 284 Strategischer Handwerkskasten _________________________ 296 5.4 Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft ___________________________ 333 Grundlegende Erfolgsfaktoren zur Unternehmensführung ____ 333 Managing Diversity __________________________________ 341 Ansätze aus anderen Kulturen __________________________ 347 5.5 Zusammenfassung ___________________________________ 356 Anhang: Checklisten ___________________________________ 359 Abbildungsverzeichnis _________________________________ 387 Literaturverzeichnis ____________________________________ 389 Stichwortverzeichnis ___________________________________ 393 Der Autor _____________________________________________ 396
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Einleitung
Themengebiete im Überblick 1. Einleitung 1.1 Strukturelle Konflikte
1.2 Umgang mit strukturellen Konflikten
x Praxisbeispiele
x Praxisbeispiele
x Große Hebelwirkung struktureller
x Mit Konflikten sofort wirksam um-
Konflikte
gehen
x Latente strukturelle Konflikte x Strukturelle Konflikte kosten Energie,
viel Geld und Arbeitsplätze x Rationalisierungspotenziale nutzen
x Kreativität für Innovationen und zur
Konfliktlösung nutzen x Kreative Erfolgsfaktoren nutzen und
Denkfehler vermeiden x Rahmenbedingungen für den wirk-
samen Umgang x Nutzen für Unternehmen:
Stärkung der Wettbewerbsposition 1.3 Zusammenfassung
Strukturelle Konflikte werden in Unternehmen oft personalisiert und auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen. Häufig ist den Menschen nicht bewusst, dass die Ursache ihrer alltäglichen Streitereien ein struktureller Konflikt ist. Schwelende strukturelle Konflikte können schleichend zu Unternehmenskrisen führen, was vielen nicht bekannt ist. Die Menschen im Unternehmen bemerken nur, dass sie sich blockiert fühlen und ihnen ihr Tagesgeschäft nicht von der Hand geht. Sie sind sich der generellen Erstarrung meistens nicht bewusst und wundern sich, wenn ihr Unternehmen zur Insolvenz angemeldet wird. In diesem Kapitel geht es um den Einstieg in die wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten. Strukturelle Konflikte haben eine große Hebelwirkung. Ihre Lösung erfordert ein hohes Maß an gedanklicher Flexibilität und einen gezielten Einsatz von effizienten Techniken. Voraussetzungen hierfür sind das Überlisten von Denkgewohnheiten und die Akzeptanz der nützlichen Funktionen von Konflikten. Auf dieser Grund-
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Einleitung
lage können Sie mit strukturellen Konflikten wirksam umgehen. Der Nutzen liegt in der Steigerung des persönlichen Wirkungsgrads des Einzelnen im Unternehmen zur Entwicklung von Innovationen und der Gestaltung von Unternehmenswandel. Strukturelle Konflikte eröffnen Unternehmen ein großes Rationalisierungspotenzial. Sie sind der Startschuss für neues Denken und bieten Chancen zum innovativen Wandel.
1.1
Strukturelle Konflikte
Praxisbeispiele Strukturelle Konflikte entstehen in Unternehmen in verschiedenen Formen durch konkurrierende oder sich widersprechende Systeme, die aufeinanderstoßen. Einige Beispiele: X
Konflikte durch Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse Rigide Arbeitsabläufe, die den Handlungsspielraum der Beteiligten einengen, und unklare Festlegungen in Verfahren sind Ursachen für prozessuale strukturelle Konflikte. Im Praxisbeispiel „Vergütungssystem im Vertrieb“ verhindert ein starres Vergütungssystem die in einem Vertrieb notwendigen Innovationen. Eine Matrixorganisation, in der ein Mitarbeiter zwei Vorgesetzte hat, ist ein typisches Beispiel für eine konfliktträchtige Organisationsstruktur. In vielen Unternehmen werden parallel zum Tagesgeschäft Projekte durchgeführt. Bei dieser Form der Projektorganisation entstehen die strukturellen Konfliktpotenziale durch mangelnde Definition von Kompetenzen, Uneinigkeit in Zielen zwischen dem Projektteam und Fachbereichen, Unklarheiten in den Projektaufgaben und dem Kampf um knappe Ressourcen. Ein Praxisbeispiel ist unter „Macht im Projektteam“ beschrieben.
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Konflikte durch unklare Schnittstellen zwischen Abteilungen Wenn Aufgaben und Kompetenzen zwischen Abteilungen nicht eindeutig definiert sind, führt dies zwischen den Mitarbeitern der jeweili-
Strukturelle Konflikte
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gen Abteilungen zu Konflikten und Streitereien im Tagesgeschäft. Der Hintergrund ist ein struktureller Konflikt. Kapitel 4 beschreibt im ersten Praxisbeispiel die Lösung eines derartigen strukturellen Konflikts. X
Doppelspitze: Ein Führungsduo teilt sich eine Leitungsfunktion Wenn sich ein Führungsduo eine Leitungsfunktion teilt, birgt diese Aufteilung von Macht strukturelles Konfliktpotenzial, welches oft zu zwischenmenschlichen Konflikten führt. Die Konflikte liegen „nur scheinbar“ auf der Sachebene. Eine solche Doppelspitze beschäftigt sich dann mehr mit sich selbst, anstatt mit der Erfüllung der Unternehmensziele.
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Interessen, Macht und Politik als strukturelle Konfliktpotenziale in Unternehmen Interessen und Macht als Konfliktpotenziale sind aus der Politik bekannt. Die Machenschaften, mit denen einzelne Politiker ihre Interessen verfolgen, haben bei vielen Menschen dazu geführt, dass sie das Wort Politik in der Schublade „Schimpfwort“ unterbringen. Viele Menschen berichten im privaten Umfeld, dass sie in ihrem Unternehmen von Machenschaften umgeben sind, mit denen verschiedene Personen oder Arbeitsgruppen ihre persönlichen Interessen verfolgen und „politische Spielchen“ betreiben. Die Einordnung von Politik in die Schublade „Schimpfwort“ hindert Menschen daran zu erkennen, dass Politik ein wesentlicher Aspekt für die Zusammenarbeit in Unternehmen ist, der strukturelles Konfliktpotenzial in sich birgt. Das Praxisbeispiel „Kalter Krieg bei einem Mittelständler“ zeigt die negativen Auswirkungen von bewusst initiierten „politischen Spielchen“.
Eine der häufigsten Formen, in der in Unternehmen Systeme aufeinander stoßen, sind unterschiedliche Denkstile. Diese treten in vielfältigen Varianten auf und können zu Glaubenskriegen führen. Im Koalitions- und Konkurrenzsystem Unternehmen existieren auf vielen Ebenen unterschiedliche Denkstile als gegensätzliche Pole. X
Ein Beispiel dieser unterschiedlichen Denkstile ist „Kontinuität“ versus „Diskontinuität“. Die scheinbar nicht zu vereinbarenden Ziele sind: „Bewahren“ versus „Innovation“.
14 X
X
X
Einleitung
Andere Beispiele für unterschiedliche Denkstile mit strukturellem Konfliktpotenzial in Unternehmen sind „Kaufleute“ versus „Techniker“ oder „Mitarbeiter des Marketings“ versus „Mitarbeiter des Vertriebs“. Historisch gewachsen sind die Denkstile in den Klassengesellschaften vieler Krankenhäuser: „Ärzteschaft“ versus „Mitarbeiter im Pflegedienst“ versus „Verwaltung“. In globalisierten Unternehmen sind die Denkstile aus den unterschiedlichen Kulturen oft die Ursachen für strukturelles Konfliktpotenzial. Insbesondere bei Global Players beinhalten die Denkstile aus unterschiedlichen Kulturen strukturelles Konfliktpotenzial. Das Kapitel 3 enthält zwei Praxisbeispiele, in denen die negativen Auswirkungen der Eskalation struktureller Konflikte bei Global Players beschrieben sind. Die blutigen Glaubenskriege, in welchen tiefste Zerrüttungen zwischen Menschengruppen auf religiöse Differenzen zurückzuführen sind, haben als Ursache strukturelles Konfliktpotenzial. Es sind die unterschiedlichen Kulturen mit deren jeweiligen Denkstilen, die die kriegerischen Auseinandersetzungen verursacht und veranlasst haben. Unterschiedliche Denkstile können auch in Unternehmen zu Glaubenskriegen führen.
Auch bei grundsätzlichen Veränderungen in Unternehmen, wie einer Fusion mit einem anderen Unternehmen oder tief greifenden Veränderungsprojekten im eigenen Unternehmen, stoßen Systeme aufeinander. Sie sind mit Veränderungen in den Werten und in der Kultur verbunden, wodurch jeweils viele Gruppierungen im Unternehmen betroffen sind. Kapitel 5 beschreibt die Lösung struktureller Konflikte bei Veränderungsprozessen in zwei Praxisbeispielen. Die häufigsten Auswirkungen von strukturellen Konflikten sind die Verlagerungen auf die zwischenmenschliche Ebene. Zwei Abteilungsleiter fechten beispielsweise strukturelle Probleme auf der persönlichen Ebene aus, oder es kommt zu Mobbing-Situationen von Einzelnen durch eine Gruppe. Beide Eskalationsformen können nicht zur Lösung des strukturellen Konflikts führen.
Strukturelle Konflikte
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Große Hebelwirkung struktureller Konflikte Generell handelt es sich bei Konflikten um Gegensätze, die durch Handlungen zum Ausdruck gebracht werden. Bei strukturellen Konflikten sind es konkurrierende oder sich widersprechende Systeme, die aufeinanderstoßen. Strukturelle Konflikte sind im Vergleich zu zwischenmenschlichen Konflikten komplexer und oft nicht sofort zu erkennen. Unternehmen sind Systeme, die für Kooperation und Konkurrenz zugleich konzipiert sind. Bei der Erfüllung gemeinsamer Aufgaben müssen die einzelnen Mitarbeiter zusammenarbeiten. Sie stehen aber häufig wegen Knappheit von Ressourcen, aus Statusneid und Streben nach Beförderung in feindlichen Lagern. Genauso streiten sich die Mitarbeiter des Vertriebs, die auf Wachstum setzen, mit den Mitarbeitern der Finanzabteilung, die eine Kostenkonsolidierung des Erreichten fordern. Viele zwischenmenschliche Konflikte und Streitereien in Unternehmen haben strukturelle Konflikte als Ursache. Strukturelle Konflikte können von den beteiligten Personen nur auf der strukturellen Ebene gelöst werden. Wenn strukturelle Konflikte in Unternehmen nicht wirksam behandelt werden, sind die Folgen in der Praxis entweder Sprachlosigkeit (kalter Konflikt) oder heiße Konflikte in Form von Grabenkämpfen zwischen Abteilungen bzw. Hahnenkämpfen in den Chef-Etagen. Blockaden, Erstarrung und Lähmung sind die ersten Folgen – Unternehmenskrisen die späteren. Die Auswirkungen der Unternehmenskrise von Opel, die besonders durch strukturelles Konfliktpotenzial zwischen USA und Deutschland verursacht wurde, konnten ab Herbst 2004 in der Öffentlichkeit verfolgt werden. Ein weiteres Beispiel ist Arthur D. Little (ADL), bis 2002 eine Unternehmensberatung mit einem erstklassigen Ruf. Im Februar 2002 hatte sie es geschafft, sich selbst zu ruinieren. Der Grund war ein jahrelanges internes Gerangel zwischen USA und Europa aufgrund von strukturellen Konfliktpotenzialen. Beide Fälle – Opel und ADL – sind in Kapitel 3 beschrieben. In beiden Fällen wurden die strukturellen Konflikte vom Management nicht rechtzeitig wirksam behandelt und die dadurch eingetretenen Unternehmenskrisen nicht verhindert.
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Einleitung
Die Lösung struktureller Konflikte erfordert meistens eine neue Ausrichtung und eine Neugestaltung, beispielsweise der Beziehungen von Arbeitsgruppen untereinander. Oft bewirken kleine Änderungen in der Struktur große Erfolge im Unternehmen, da sie sich auf die Verhaltensweisen aller Beteiligten auswirken. Latente strukturelle Konflikte Ein weiteres Merkmal von strukturellen Konflikten ist, dass sie oft in verdeckter Form vorhanden sind. Während auf der sichtbaren Bühne des Unternehmens eine vermeintlich kooperative Zusammenarbeit praktiziert wird, werden die Machtkämpfe und „politischen Spielchen“ im Hintergrund ausgetragen. Unterschiedliche Denkstile und Kulturen – insbesondere bei Global Players – werden nicht offengelegt und können dadurch nicht zum Gegenstand von Verhandlungen werden. Sie werden elegant „unter den Teppich gekehrt“, nach außen totgeschwiegen und im Unternehmen unterhalb der Gürtellinie ausgefochten. Verdecktes strukturelles Konfliktpotenzial gilt es offenzulegen, damit man es überhaupt konstruktiv behandeln kann. Mit Systemischen Organisationsaufstellungen kann man auch verdeckte Konfliktpotenziale offenlegen. Daneben gibt es Ansätze zur Unternehmensführung, die mit unterschiedlichen Kulturen und Denkstilen innerhalb eines Unternehmens offen und wirksam umgehen. Sie nutzen Unterschiede konstruktiv als Erfolgsfaktor. Strukturelle Konflikte kosten Energie, viel Geld und Arbeitsplätze Unproduktive „heiße“ Konflikteskalationen, beispielsweise in Form von Machtkämpfen zwischen zwei Bereichen, sind genauso kontraproduktiv wie ein „Kalter Krieg“ im Unternehmen. Beide destruktiven Austragungsformen erfordern von allen Beteiligten eine hohe Energie und kosten das Unternehmen viel Geld. Sie verhindern eine effiziente Zielerreichung und schaffen ein schlechtes Betriebsklima. Das Thema Konfliktmanagement wird weit verbreitet den so genannten „weichen Faktoren“
Strukturelle Konflikte
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zugeordnet. Dass ein unprofessionelles Konfliktmanagement immense Kosten verursacht und auch zur Insolvenz führen kann, wird dabei nicht bedacht. Zwei Beispiele zeigen einen Bruchteil der Konfliktkosten in der Wirtschaft auf und verdeutlichen damit die ungefähren Größenordnungen: X
X
Eine spezielle Form der Austragung von strukturellen Konflikten in Unternehmen ist Mobbing. Mobbing wird vom Autorenteam des Mobbing-Reports (B. Meschkutat, M. Stackelbeck und G. Langenhoff) als volkswirtschaftliches Problem bezeichnet. Der Schaden, der in deutschen Unternehmen und Verwaltungen hierdurch entsteht, wird auf 15,3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Am 1. April 2006 wurden in der FAZ die aktuellen Ergebnisse der Gallup-Studie veröffentlicht. Die Studie des renommierten Instituts benennt strukturelle Auslöser für innere Kündigungen. Die jährlichen Kosten dieser „aktiv unengagierten“ Mitarbeiter werden in der GallupStudie auf 72,1 Milliarden Euro geschätzt.
Statistisch ergeben diese Kostenschätzungen eine Höhe von über 3.000 Euro pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigtem in Deutschland – also je Mitarbeiter im Unternehmen in jedem Jahr. Wenn man davon ausgeht, dass Mobbingfälle und innere Kündigungen nur einen Bruchteil der Kosten aller unproduktiven strukturellen Konflikte verursachen, kann man eine grobe Größenordnung für die gesamten Konfliktkosten erahnen, die in Unternehmen jährlich durch unprofessionelles Konfliktmanagement entstehen. Eine andere Form, die Kosten unproduktiver Konflikte zu verdeutlichen, ist eine Modellberechnung. Im folgenden Beispiel geht es um die kalkulatorischen Kosten für Konflikte, die während Besprechungen ausgetragen werden – hier im Rahmen eines Projekts. X
Ausgangspunkt sind wöchentliche Projektsitzungen mit zehn Teilnehmern, die sich aus den Mitgliedern des Projektteams und aus Mitarbeitern der Fachbereiche zusammensetzen. Drei dieser Teilnehmer fechten in diesen Sitzungen persönliche Streitereien aus, deren Ursa-
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X
Einleitung
che ungelöste strukturelle Konflikte sind. Durch diese Streitereien dauern die Projektsitzungen jeweils eine Stunde länger als erforderlich. Wenn man die Personalkosten nur in der Höhe von 40 Euro pro Teilnehmer und Stunde ansetzt, sind dies 400 Euro pro Sitzung, also 1.600 Euro pro Monat.
Setzen sich diese Streitereien über ein halbes Jahr fort, ergibt dies kalkulatorische Kosten in Höhe von 9.600 Euro. Noch nicht berücksichtigt ist in dieser Betrachtung der kalkulatorischen Kosten, wie sich diese Streitereien auf die Qualität der Projektergebnisse und auf die Laufzeit des Projekts auswirken. Das Ergebnis dieser Modellrechnung in Höhe von knapp 10.000 Euro Konfliktkosten kann in einigen Unternehmen mit einem Faktor X multipliziert werden. In Unternehmen laufen oft mehrere Projekte – mit regelmäßigen Sitzungen – parallel, und es gibt eine Vielzahl von weiteren Sitzungen. Viele der durch unproduktive Konflikte entstehenden Kosten sind nicht in Euro umzurechnen. Hierzu gehören Reibungsverluste, d. h. die Konfliktbeteiligten leisten nicht das, was sie könnten oder betreiben keine aktive Lösungssuche. Manche Kosten entstehen erst zu späteren Zeitpunkten. Hierzu gehören Beziehungskosten, d. h. der Verlust zukünftiger interner und externer Kundenbeziehungen, die sich beispielsweise aus schlechter Qualität in den Arbeitsergebnissen ergeben. Kosten der Fluktuation durch Konflikte und Kosten für Neueinstellungen lassen sich berechnen. Auch die Kosten für krankheitsbedingte Abwesenheiten durch Konflikte sind ermittelbar, wenn eine direkte UrsachenWirkungskette erkennbar ist. Anwalts- und Gerichtskosten werden fällig, wenn Konflikte auf juristischer Ebene behandelt werden. Aufgrund der großen Hebelwirkung von strukturellen Konflikten in Unternehmen können im Falle eines destruktiven Umgangs die Ausmaße der Verluste nur erahnt werden. Im Vergleich zu einem persönlichen Beziehungskonflikt zwischen zwei Mitarbeitern, haben strukturelle Konflikte eine unfreiwillige Gefolgschaft. Die Umsetzungsberatung hat in ihrem Internetauftritt unter www.umsetzungsberatung.de/konflikte/
Strukturelle Konflikte
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konfliktkosten.php einen Fachaufsatz zum Thema „Konfliktkosten: Der ökonomische Preis von Grabenkriegen und Harmoniesucht“ veröffentlicht. Sie macht deutlich, „je höher die Hierarchiestufe, desto teurer“. Verhärtete Konflikte auf höheren Hierarchieebenen ziehen einen „Rattenschwanz“ von Folgeproblemen und Konflikten nach sich. „Wenn ein Vorstand wegen tiefer Zerwürfnisse weitgehend handlungsunfähig ist, strahlt dies auf das ganze Unternehmen ab und kann nicht nur dessen Ertragslage beeinträchtigen, sondern kann auf die Dauer seine Existenz in Gefahr bringen – vor allem in dynamischen Märkten.“ Strukturelle Konflikte kosten Unternehmen nicht nur Energie und viel Geld. Wenn es aus einer Nicht-Behandlung von strukturellen Konflikten zu einer Unternehmenskrise und in Folge zur Insolvenz kommt, kosten sie gesamtwirtschaftlich Arbeitsplätze. Rationalisierungspotenziale nutzen Die immensen Reibungsverluste durch unproduktive strukturelle Konflikte eröffnen in Unternehmen ein erhebliches Rationalisierungspotenzial, das für Controller, Führungskräfte und die Mitglieder der Unternehmensführung auch eine große Chance bietet. Unter dem Titel „Neue Wege zur Ergebnisverbesserung“ wurde am 9. Oktober 2006 in Österreich eine Studie zu Konfliktkosten veröffentlicht. Die Autoren Exenberger, Grabler, Hauska und Peltz sind Mitglieder der Experts Group Wirtschaftsmediation der Wirtschaftskammer Österreich. Sie befragten Experten aus 15 Unternehmen nach ihrer subjektiven Einschätzung der objektiv schwer messbaren Konfliktkosten und der möglichen Einsparungspotenziale. Die Studie fokussiert auf vier Bereiche mit Ergebnisverbesserungspotenzialen: Personalbereich (u. a. Einsparungspotenziale bei Krankenständen und bei Fluktuation), Kundenbeziehungen, Lieferantenbeziehungen und Rechtskosten. Nachfolgend sind einige Ergebnisse aus dem Personalbereich dargestellt.
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X X
Einleitung
Von den 15 sehen 13 Unternehmen Einsparungspotenziale (= Konfliktkosten) durch einen konstruktiven Umgang mit Konflikten in Höhe von 40 Euro bis 1.400 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Der Durchschnittswert liegt bei 634 Euro. Das wären für ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern 63.400 Euro pro Jahr. Von diesen möglichen Einsparungspotenzialen schätzen die befragten Experten knapp 20 Prozent als tatsächlich realisierbar. Das wären für das Unternehmen mit den 100 Mitarbeitern 12.680 Euro pro Jahr.
Aus der Sicht der Autoren zeigen diese Befragungsergebnisse nur die Spitze des Eisbergs der gesamten Konfliktkosten und deren Rationalisierungspotenzial auf. Einige Kostenfaktoren, wie Produktivität der Mitarbeiter, Fehlerkosten von Unternehmen oder Auswirkungen auf die Innovationskraft des Unternehmens, wurden in dieser Studie nicht untersucht. Die zentrale Botschaft dieser Studie steht in ihrer Zielsetzung. „Die Studie soll Bewusstsein dafür schaffen, dass Konfliktkosten eine Querschnittsmaterie sind und von einer Größenordnung, die Gegenmaßnahmen auch aus wirtschaftlichen Überlegungen nahe legt: Konfliktarbeit spart Kosten!“ Die Autoren appellieren in Ihren Empfehlungen an Unternehmen, im ersten Schritt Transparenz in die Konfliktkosten zu bringen. Darauf aufbauend können durch gezielte Maßnahmen das Konfliktverhalten von Mitarbeitern geschult und weitergehende präventive Maßnahmen eingeleitet werden. Die einzelnen Bereiche für die gezielten Maßnahmen können durch die Höhe der ermittelten Konfliktkosten definiert werden. Bereiche in diesem Sinne könnten Abteilungen, Arbeitsgruppen oder Querschnittsfunktionen wie eine ausgewählte Hierarchiestufe sein. Im Sinne eines vorausschauenden Controllings in Unternehmen könnte dem Thema Konflikte dadurch ein „normaler und ständiger Platz“ geschaffen werden zwischen allen anderen Inhalten des Controllings. Der konstruktive und professionelle Umgang mit Konflikten ist nach den verschiedenen Rationalisierungsansätzen der vergangenen Jahre mit Namen, wie „Kaizen“ und „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)“ für Unternehmen noch ein großes Rationalisierungspotenzial.
Umgang mit strukturellen Konflikten
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Umgang mit strukturellen Konflikten
Praxisbeispiele Getreu dem Motto „nicht der Konflikt ist das Problem, sondern der Umgang damit“ gibt es zwei grundlegende Formen des Umgangs mit Konflikten. Bei einem unwirksamen Umgang mit Konflikten kommt es zu einer destruktiven Konflikteskalation. Ein wirksamer Umgang ermöglicht eine konstruktive Konfliktbehandlung. X
Beispiel 1: Forcierung einer destruktiven Konflikteskalation In einem mittelständischen Unternehmen hatten sich im Laufe der Zeit die Fronten auf der Führungsebene verhärtet. Eine fast schon ironische Situation ergab sich in einem Gespräch zwischen dem Geschäftsführer und einem seiner Abteilungsleiter. Als der Abteilungsleiter eine innovative Idee vorstellte, reagierte der Geschäftsführer mit den Worten: „Sie sind aber auch ein ‚Heini‘. So was Blödes habe ich ja noch nie gehört.“ Daraufhin zog der Abteilungsleiter seinen Personalausweis aus der Tasche, legte diesen auf den Schreibtisch und sagte: „Mein Name ist Müller und nicht Heini.“ Die Forcierung einer weitergehenden Konflikteskalation war geschafft. Es war eine kreative Idee des Abteilungsleiters. Diese Idee führte zur Verschärfung des Konflikts, der vom Geschäftsführer initiiert wurde.
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Beispiel 2: Alternativer Umgang mit Konfliktsituationen Als Trainer stelle ich in Konflikttrainings zum Einstieg drei Fragen an die Teilnehmer. Die erste Frage lautet: „Welche negativen Auswirkungen von Konflikteskalationen habe ich beobachtet (bei mir und anderen Menschen)?“ Die Antworten der Teilnehmer sind beispielsweise: „Kampf“ und „Flucht“, Ärger und Wut, Blockaden, Hilf- und Wehrlosigkeit sowie Verlustängste. Die zweite Frage lautet: „Welche nützlichen Funktionen können Konflikte haben (Motto: den Chancen-Blickwinkel nutzen)?“ Die Antworten der Teilnehmer sind beispielsweise: Reinigendes Gewit-
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Einleitung
ter, Festigen des Zusammenhaltes oder: Chancen für Weiterentwicklung und für einen Neuanfang. Die dritte Frage lautet: „Wie könnte ich den Chancen-Blickwinkel für mich persönlich nutzen?“ Die Antworten der Teilnehmer sind beispielsweise: Indem ich die aktuelle Situation aus einem anderen Blickwinkel betrachte oder den anderen nach seinen Wünschen frage und meine Bedürfnisse benenne. Die Teilnehmer sind anschließend jeweils überrascht, wie schnell sie für sich herausgearbeitet haben, dass Konflikte nicht nur stressig sind, sondern auch nützliche Funktionen beinhalten. Sie sind vor allem davon überrascht, dass sie sich selbst in kurzer Zeit viele Handlungsmöglichkeiten für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten erarbeitet haben. Die Antworten zu den Fragen im zweiten Beispiel zeigen, dass Menschen in der Lage sind, sich Alternativen zu den archaischen Verhaltensweisen „Kampf“ oder „Flucht“ zumindest kognitiv zu erarbeiten. Sie können also ihre bisherigen Denkgewohnheiten überlisten. Das erste Beispiel zeigt, dass Menschen derartige Alternativen in der Praxis nicht immer zur Verfügung stehen. Einige neigen in Konfliktsituationen tendenziell dazu, ihre Ideen zur Eskalation eines Konflikts einzusetzen, anstatt zur Lösungssuche. Mit Konflikten sofort wirksam umgehen Einige Menschen sind in Konflikteskalationen „unheimlich“ kreativ. Mit jeder Eskalationsstufe verhärten sich die Fronten der Konfliktparteien stärker. In den Angriffsspiralen zeigen die Parteien ein hohes Maß an Ideenreichtum, um X X X X X
Argumente zu finden, die beweisen, dass ihr Standpunkt der Richtige ist, rhetorische Kampfdebatten zu führen, sich gegenseitig öffentlich zu diffamieren, sich Sanktionen auszudenken und den „Feind“ am Lebensnerv zu treffen.
Umgang mit strukturellen Konflikten
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Je intensiver diese Form der kreativen Ideenfindung genutzt wird, umso schwieriger ist es für die beteiligten Parteien, ihre Gedanken in eine konstruktive Richtung umzulenken. Das Destruktive an einem Konflikt ist nicht der Konflikt, sondern oft die mangelnde Fähigkeit der Beteiligten, mit ihm konstruktiv umzugehen. Überblick zum Umgang mit Konflikten (1) Konfliktsituationen (2) Unwirksamer Umgang (Destruktive Energien)
(3) Wirksamer Umgang (Konstruktive Energien)
(2.1) Bei den Eskalationsprozessen der Konfliktsituationen wird die Energie in destruktiver Form genutzt.
(2.2) Einsatz von konstruktiven Gedanken zur Deeskalation – Stopp des Eskalationsprozesses – Bewegung in konstruktiver Richtung
(3.1) Einsatz von flexiblen Gedanken zur Klärung der Situation
(3.2) Einsatz von konstruktiven Ideen zur Lösung des Konflikts
Abb. 1: Überblick zum Umgang mit Konflikten Ein frühzeitiges Umlenken der eigenen Gedanken in die produktive Richtung ist ein zentraler Schlüssel für den wirksamen Umgang mit Konfliktsituationen. Dadurch können Effektivität und Effizienz in Unternehmen deutlich gesteigert werden. Auf der Grundlage einer flexiblen Grundeinstellung können Denkgewohnheiten überlistet und Gedanken flexibel genutzt werden, um mit Konflikten konstruktiv umzugehen.
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Einleitung
Diese Form der Kreativität als Grundlage für Verhaltensvielfalt ist in Konfliktsituationen von hohem Nutzen – besonders bei strukturellen Konflikten. Wenn mit einer Konfliktsituation anfänglich unwirksam umgegangen wird, entwickelt sich ein Eskalationsprozess, bei dem die Energien der Beteiligten in destruktiver Form ausgerichtet sind. In diesem Fall sind im ersten Schritt kreative Ideen zur Deeskalation erforderlich. Diese Gedanken sind zum Anhalten des Eskalationsprozesses erforderlich und um den gestoppten Prozess anschließend in eine konstruktive Richtung zu bewegen. Erst danach kann mit dem wirksamen Umgang einer Konfliktsituation zur Klärung und Lösung der Situation begonnen werden. Hilfreich hierfür ist eine mentale Flexibilität zur Vermeidung von Denkblockaden und zur Überlistung von Denkgewohnheiten in Konfliktsituationen wie Ärger und Wut. Die Energien können sofort zur Klärung und zur Entwicklung von alternativen Lösungsansätzen eingesetzt werden. Der bewusste Einsatz von Methoden zum kreativen Entwickeln neuartiger Ideen ist in Unternehmen bei strukturellen Konflikten genauso erforderlich, wie zur Entwicklung von Innovationen. Kreativität für Innovationen und zur Konfliktlösung nutzen Zur Entwicklung von Innovationen sind Kreativität und der Einsatz von Kreativitätstechniken eine wesentliche und allgemein akzeptierte Voraussetzung. Die Schwerpunkte von Innovationen in Unternehmen sind: X X X
Produktinnovationen (einzelne Produkte und Systemlösungen) Prozessinnovationen im organisatorischen und logistischen Bereich (Just in Time) Strategieinnovationen (Beispiel: Ausrichtung auf die Märkte von morgen)
Kreativität ist eine Fähigkeit, um in Unternehmen Aufgaben (auch mal andersartig) zu lösen. Strukturelle Konfliktsituationen sind genauso wie Innovationen komplexe Aufgabenstellungen. Beide Aufgabenstellungen können durch den Einsatz von effizienten Methoden und Techniken wirksam gelöst werden. Kreativitätstechniken sind hierbei ein wichtiger
Umgang mit strukturellen Konflikten
25
Schlüssel und dienen der Ideenfindung. Mit ihnen kann man allein und im Team eine Fülle von Ideen und Anregungen für die Lösung von Aufgaben hervorbringen. Kreativitätstechniken helfen nicht nur Denkblockaden zu überwinden und andersartige Lösungsansätze zu entwickeln. Eine häufige Nutzung von Kreativitätstechniken steigert auch den generellen Zugang zur eigenen Kreativität, auch für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konfliktsituationen. Die Grundlagen für den erfolgreichen Einsatz von Kreativitätstechniken liegen in den persönlichen Einstellungen der beteiligten Menschen und im Unternehmen. Zu einem Teil kann jeder die Art und das Ausmaß seiner Kreativität selbst bestimmen. Um diese Kreativität auch erfolgreich im Unternehmen nutzen zu können, müssen dort die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es gibt einige Mythen, die Menschen daran hindern, kreativ zu sein. Beispiele hierfür sind: X X X X X
„Kreativität heißt, etwas völlig Neues zu entwickeln.“ „Nur wirklich Begabte können richtig kreativ sein.“ „Gute Ideen sind wie Zauberei. Man muss nicht für sie arbeiten, sondern sie kommen von allein.“ „Nur junge Menschen können kreativ sein.“ „Kreative Menschen sind Außenseiter.“
Neben derartigen Mythen gibt es innere Sperren und Denkblockaden, wie beispielsweise übertriebene Furcht und Kritik. Kreativität heißt, eigene geistige Sackgassen zu verlassen, sich von unbrauchbaren Mythen zu verabschieden und neue Wege zu erkunden. Kreativitätstechniken sind zur Entwicklung von Innovationen genauso erforderlich wie zur Lösung von strukturellen Konfliktsituationen. Beim Einsatz von effizienten Methoden und Techniken zur Ideengenerierung steht im ersten Schritt die Quantität der Ideen im Vordergrund. Es geht darum, möglichst viele Ideen zu produzieren. Die bekannteste Technik hierfür ist das Brainstorming, bei dem eine Regel lautet: Quantität vor Qualität. Viele Techniken nutzen den Ansatz eines „kreativen Umwegs“, der Menschen zuerst von einem Problem wegführen soll, damit
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Einleitung
Denkblockaden abgebaut werden. Ein typisches Beispiel ist die Kopfstand-Technik, bei der zum Abbau von Denkblockaden zuerst ein destruktiv ausgerichtetes Brainstorming durchgeführt wird. Erst danach denkt man konstruktiv über Lösungsansätze nach. Insbesondere bei eskalierten strukturellen Konflikten ist der Einsatz von Kreativitätstechniken hilfreich, die den Abbau von Denkblockaden fördern. In den Arbeitsschritten, in denen diese Techniken eingesetzt werden, geht es ausschließlich um das Finden von möglichst vielen Ideen. Damit man die Funktionsweisen dieser Techniken voll ausschöpfen kann, ist eine methodisch saubere Trennung der einzelnen Aktivitäten erforderlich. Die Ideenfindung sollte in eine Vor- und Nachbereitung eingebettet sein. Die einzelnen Schritte sind: X X X
Vorbereitung (Konfliktbeschreibung und Auswahl der Kreativitätstechnik) Reine Ideenfindung (Anwendung der Kreativitätstechnik) Nachbereitung (Strukturierung der Ergebnisse und Bewertung der Ideen).
Wenn die an einer Konfliktklärung beteiligten Parteien wirklich gewillt sind, Kreativitätstechniken zu nutzen, kann der Einsatz der ausgewählten Technik zur Ideenfindung für die strukturelle Konfliktsituation vorbereitet werden. Jede Technik ist für bestimmte Einsatzgebiete geeignet, hat ihre spezielle Vorgehensweise und beinhaltet einen bestimmten Methodeneinsatz. Nachfolgend ist ein Überblick über Funktionsweisen einzelner Techniken dargestellt. Brainstorming
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Brainwriting
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Mind Mapping
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Stürmisches mündliches Ideensammeln, (meistens) mit anderen Schriftliches Ideensammeln einzeln und im Team Einfälle und Geistesblitze bildlich vernetzen und strukturieren
Umgang mit strukturellen Konflikten
Kopfstand-Technik
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Morphologischer Kasten
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Innovativ und fantasievoll denken (Überwindung von Denkblockaden) Zerlegung eines Problems bzw. Strukturierung des Gesamtzusammenhangs
Spezielle Techniken zur Deeskalation von Konfliktsituationen und zur Entwicklung von Lösungsansätzen für Konflikte sind im Kapitel 4 dargestellt. Diese speziellen Techniken helfen den Beteiligten einen systematischen Prozess zur Klärung und Lösung eines strukturellen Konflikts effektiv und effizient zu gestalten. Die Ursachen von strukturellen Konflikten liegen in Systemen. Die Lösung muss durch die in diesen Systemen beteiligten Personen erfolgen. Wichtig für den Lösungsprozess sind bestimmte persönliche Einstellungen der Beteiligten, um Erfolgsfaktoren zu nutzen und Denkfehler zu vermeiden. Kreative Erfolgsfaktoren nutzen und Denkfehler vermeiden „Wer sagt, die Kokosnuss habe eine harte Schale, hat noch nie Hunger gehabt.“ Nach einem kreativen Vorbild befragt, nennt Oliver Handlos, Kreativdirektor einer Werbeagentur, dieses afrikanische Sprichwort. Es sagt für Oliver Handlos „wunderbar einfach“, worum es bei Kreativität geht. Unter der Rubrik „Karriere“ erschien im managermagazin 3/2005 ein Fachartikel unter der Überschrift „Neuer Weg nach oben“. Der Autor dieses Fachartikels, Claus G. Schmalholz, zeigt auf, dass eine hervorragende Ausbildung und höchste Einsatzbereitschaft nicht mehr als Karrieretreiber ausreichen. „Wer Toppositionen anstrebt, muss kreatives Potenzial beweisen.“ Um sich in Unternehmen zu profilieren, muss man beweisen, dass man Neues hervorbringen kann. Nachfolgend sind einige Aussagen von Führungskräften zum Thema „Karriere und Kreativität“ aus dem Fachartikel von Claus G. Schmalholz zusammengefasst. Hierbei geht es um die Formen zur Steigerung der individuellen und kollektiven Kreativität in Unternehmen. X
Offene Kommunikation unterschiedlicher Ansichten als Methode, um gute Ideen zu produzieren.
28 X
X
X
X X
X
Einleitung
Die direkte Kommunikation von Führungskräften mit ihren Mitarbeitern als aufwändiger aber einziger Weg, um die Energien verschiedener Menschen zu addieren. Stets über den Tellerrand des eigenen Fachgebiets hinausschauen und öfter einen Schritt zur Seite treten, um Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können. Sich von anderen, insbesondere von den Erwartungen seiner Kunden, Vorgesetzten und Kollegen, inspirieren lassen und hierfür auch in deren Umgebung „eintauchen“. Offenheit auch in der eigenen Arbeitsumgebung schaffen. Harte Arbeit und Auszeiten im Wechsel: Gute Ideen entstehen vor allem durch harte Vorarbeit und ein wenig Inspiration. Auch Nobelpreisträgern kommen erst durch das Aneignen von Fachwissen gute Ideen in den Sinn sowie deren Kombination mit manchmal zufälligen Informationen. Auszeiten und Ruhepausen sind erforderlich, damit sich vorhandenes Wissen in neuen Verbindungen im Bewusstsein vorarbeiten kann. Führungskräfte, die kreativ sein wollen, müssen auch mal weniger wissen und langsamer denken, anstatt immer nur Themen abzuarbeiten, um sie anschließend abhaken zu können. Der beste Weg, im Alltag die persönlichen Grenzen zu überwinden, ist die Kräftebündelung in Teams mit kreativen Individuen. Gerade bei den Berufskreativen, die u. a. in Werbeagenturen anzutreffen sind, sind viele gute Einfälle das Ergebnis harter Teamarbeit auf Grundlage einer akribischen Beschaffung und Aufbereitung von Informationen.
Die Aussagen stammen von Entwicklungschefs und Chefdesignern großer Industrieunternehmen, von Verantwortlichen aus Werbeagenturen und von namhaften Erfindern, wie Artur Fischer, Erfinder des Dübels und Herr über 1.095 Patente. Ausgehend von dem Verständnis, dass Kreativität die Voraussetzung für jede Innovation ist, zeigen diese Praxiserfahrungen den Weg zur erfolgreichen Förderung und Nutzung von Kreativität auf. Diese kreativen Erfolgsfaktoren für Innovationen sind auch zur wirksamen Behandlung von strukturellen Konflikten erforderlich. Gemeinsam von allen am jeweiligen System (Prozesse, Strukturen) Beteiligten sollten diese Praxiserfahrungen zur Lösung von strukturellen
Umgang mit strukturellen Konflikten
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Konflikten genutzt werden. Grundlagen sind: Dialog fördern, Vertrauen aufbauen, übergreifende Zusammenarbeit anregen und Initiative wecken. Auf diesen Grundlagen sind die individuelle und die kollektive Kreativität der Beteiligten gefordert, um alternative Lösungsansätze für strukturelle Konflikte zu generieren. Eine zentrale Voraussetzung zur erfolgreichen Nutzung von individueller und kollektiver Kreativität ist das Überlisten von Denkgewohnheiten. Dies hilft zur Bewältigung der Routineaufgaben im Alltag, zur Entwicklung von Innovationen und zur wirksamen Behandlung von strukturellen Konflikten, um jeweils Denkfehler zu vermeiden. „Heureka, ich hab’s gefunden.“ Dieser Ausruf des Archimedes ist die Überschrift eines Vortrages des Hirnforschers Ernst Pöppel über Kreativität in der „Lebensumwelt Büro“, nachzulesen unter: www.managermagazin.de/link/poeppel/. Seine Kernaussage ist: „Wer kreativ sein will, muss sein Gehirn praktisch überlisten.“ Nach seinen Forschungsergebnissen will das Gehirn eigentlich gar nicht kreativ sein, da der Mensch von Natur aus auf die Reduktion von Komplexität getrimmt ist. Ernst Pöppel beschreibt, wie man geistige Fehler verhindern kann, um Kreativität zu fördern und die eigene Leistung zu steigern. Anhand von häufig anzutreffenden Denkfehlern zeigt er auf, welche Voraussetzungen zur erfolgreichen Nutzung von Kreativität erforderlich sind. Es folgen vier seiner beschriebenen Fehlerquellen. X
X
Die erste Fehlerquelle ist die „Krankheit der Monokausalitis“. Menschen haben eine natürliche Tendenz, Dinge zu einfach zu sehen. Sie suchen für einen Sachverhalt immer nur nach einer bestimmten Ursache. Dies engt das kreative Denken von vornherein ein. Auch wenn das Gehirn es gerne sehr einfach hätte, dürfen Interdependenzen von Wirkungen nicht übersehen werden. Nahezu alle zu lösenden Probleme werden durch mehrere Faktoren bestimmt, die zu betrachten sind. Das gilt besonders für strukturelle Problemstellungen. Die zweite Fehlerquelle ist die individuelle Prägung. Die individuelle Prägung bestimmt das individuelle Weltbild. Individuelle Einstellungen können Menschen daran hindern, aufgeschlossen zu sein. Ein großer Feind von Kreativität ist ein zu fester individueller Rahmen.
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X
X
Einleitung
Eine gemeinsame Kreativität mit anderen Menschen kann man nur erreichen, wenn man seine eigenen Denkgewohnheiten kennt und offen für die Denkgewohnheiten anderer Menschen ist. Ernst Pöppel spricht in diesem Zusammenhang vom kreativen Zuhören, eine wesentliche Voraussetzung für eine effektive und effiziente Konfliktklärung. Die dritte Fehlerquelle ergibt sich aus der Kommunikation. Kommunikative Fehler entstehen durch die unangemessene verbale und nonverbale Umsetzung der eigenen Gedanken. Eine Idee wird von anderen nicht angenommen, weil sie nicht verstanden wurde. Um Gedanken auch visuell Ausdruck zu verleihen, wird in kreativen Gesprächen oft gezeichnet, also mit Bildern gearbeitet. Dies ist auch für Situationen hilfreich, in denen die Beteiligten einen strukturellen Konflikt klären wollen. Um diesen Klärungsprozess zu gestalten, sollten die beteiligten Systeme, die Personen und die Beziehungen untereinander grafisch dargestellt werden. Die vierte Fehlerquelle sind Meinungen und Theorien über Sachverhalte. Diese können Menschen in ihren Urteilen einschränken und ihr Denken behindern. Insbesondere in Unternehmen ist Kreativität nur erreichbar, wenn Menschen aus ihrem vorgefassten Rahmen heraustreten. Neues widerspricht dem bisherigen Rahmen. Wer eine kreative Idee hat, braucht auch den Mut, diese Idee zu äußern. Strukturelle Konflikte erfordern als komplexe Aufgabenstellungen Mut für neue und andersartige Lösungsansätze.
Diese Empfehlungen zur Vermeidung von Denkfehlern helfen in strukturellen Konfliktsituationen beim Überlisten von eingefahrenen Denkgewohnheiten.
Rahmenbedingungen für den wirksamen Umgang In strukturellen Konfliktsituationen ist das Überlisten der Denkgewohnheiten zur Generierung neuartiger Ideen für die beteiligten Personen eine besondere Herausforderung. Wenn sich bereits destruktive Gedanken, wie beispielsweise Recht-haben-wollen, mit Emotionen, wie Angst und Wut, vermischen, beginnt die Kür. Hier geht es auch darum, die Auswir-
Umgang mit strukturellen Konflikten
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kungen von bereits eingetretenen Fehlern, wie Monokausalitis und feste Meinungen über Sachverhalte, zu erkennen und ihnen bewusst zu begegnen. Nachfolgend sind Rahmenbedingungen für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konfliktsituationen beschrieben. X
Einstellung und Wille prüfen Die Einstellung der Beteiligten beeinflusst den Verlauf und den Ausgang eines Konfliktes. Um einen Konflikt auf kreative Weise klären und lösen zu können, muss man den Konflikt als Chance für Veränderungen und als Startschuss für neues Denken verinnerlichen. Das ist die Grundlage für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten. Die Beteiligten haben akzeptiert, dass ein struktureller Konflikt existiert. Sie müssen auch den festen Willen haben, den Konflikt wirklich gemeinsam lösen zu wollen. Ansonsten helfen keine Techniken zur Generierung von andersartigen Ideen.
X
Den Rahmen setzen Um in Konfliktsituationen flexibel handeln zu können, müssen sich alle Beteiligten gemeinsam die Erlaubnis geben, flexibel handeln zu dürfen. Die Beteiligten vereinbaren Spielregeln, wie sie zur Klärung und Lösung des strukturellen Konflikts miteinander umgehen werden. Alle achten gemeinsam auf die Einhaltung der vereinbarten Spielregeln.
X
Die ersten Schritte durchführen Bevor die Beteiligten den eigentlichen Konflikt lösen können, müssen sie die Eskalationsverstärker entfernen (Beispiel: Recht-haben-wollen) und ein Klima der Empathie herstellen. Auch zum Aufdecken von versteckten Eskalationsverstärkern (Beispiel: Nicht voll bewusste Ängste) gibt es geeignete Techniken, um negative Gefühle in Konfliktsituationen an- und auszusprechen. Diese Techniken sind im Kapitel 4 beschrieben.
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Einleitung
Um auf der richtigen Ebene einer Konfliktklärung und -lösung einsteigen zu können, müssen die Beteiligten den wirklichen Konflikt (eventuell den Konflikt hinter dem Konflikt), die wirkliche Konfliktart (Sach- oder Beziehungskonflikt), den Konfliktkontext (= Kategorie), beispielsweise auf zwischenmenschlicher und/oder struktureller Ebene, und die wirklichen Ursachen (eventuell die Ursache hinter den vordergründigen Ursachen) des Konflikts ermitteln. Wenn die Beteiligten diese Voraussetzungen gemeinsam geschaffen haben, können sie sich auf eine kreative Suche nach neuartigen Lösungsansätzen für den strukturellen Konflikt begeben. Nutzen für Unternehmen: Stärkung der Wettbewerbsposition Viele Mitarbeiter stellen ihren Vorgesetzten hinsichtlich deren Konfliktkompetenz kein gutes Zeugnis aus. Wolfgang Grunwald zeigt in einem Fachaufsatz „Ethik und Konfliktregelung in Unternehmen“ anhand der Ergebnisse mehrerer Umfragen auf, dass Führungskräfte oft als konfliktscheu beurteilt werden. Den Ergebnissen zufolge sprechen über die Hälfte aller Führungskräfte Konflikte selten oder nie an. Im deutlichen Widerspruch zu diesen Ergebnissen stehen die Anforderungen aus ihren Aufgaben. Führungskräfte sind immer stärker gefordert, Konflikte wirksam zu behandeln und konfligierende Bedürfnisse auszubalancieren. Konfliktmanagement ist eine Führungsaufgabe. Ein wirksamer Umgang mit strukturellen Konflikten ist ein Teil des Managements von Komplexitäten in Unternehmen. Unternehmen des dritten Jahrtausends sind geprägt durch X X X
bewahrende und verändernde Kräfte in Prozessen des Changemanagements, zunehmende Globalisierung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Erfordernisse vor Ort und eine zunehmende Flexibilisierung im Berufsalltag.
Umgang mit strukturellen Konflikten
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Derartige komplexe Situationen werden auch von strukturellen Konfliktpotenzialen begleitet. Sie sind in sich widersprüchlich und kontrastreich. Zu hohe Vereinfachungen in diesen komplexen Situationen sind gefährlich. Ein zentrales Element im Umgang mit strukturellen Konflikten ist, sich der Vielschichtigkeit bewusst zu werden. Generell ist der wirksame Umgang mit Konflikten eine Führungsaufgabe für alle Mitarbeiter in Unternehmen. Er erfordert oft einen Blickwinkel, der deutlich über den eigenen Tellerrand hinausgeht. Dieser Blickwinkel kann und muss von verantwortlichen Führungskräften eingenommen werden. In ihrer Funktion haben Führungskräfte die Aufgabe, strukturelle Konflikte wahrzunehmen sowie für eine Klärung und Lösung zu sorgen. Die wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten bietet die Chance zum innovativen Unternehmenswandel, zur Weiterentwicklung des Unternehmens und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Führungskräfte, die in Unternehmen die neue Konfliktkompetenz nutzen, sind „konfliktfit“. Sie lösen auch ihre Alltagsroutine-Aufgaben effektiver und effizienter als ihre anderen Kollegen in den Führungsetagen. X
X
Mit dieser Konfliktkompetenz können Führungskräfte Unternehmenskrisen verhindern und Sprachlosigkeit im Unternehmen präventiv entgegenwirken. Sie werden Retter in sich abzeichnenden Unternehmenskrisen und Initiator für den rechtzeitigen Wandel ihres Unternehmens im globalisierten Markt. Führungskräfte steigern Ihren persönlichen Wirkungsgrad im Unternehmen, indem sie Kosten sparen (Unterbrechen von destruktiven Konflikteskalationen), Effektivität steigern (produktive Nutzung von Konflikten für erforderliche Veränderungsprozesse) und Effizienz steigern (mit produktiven Konflikten zu Innovationen und Wandel im Unternehmen gelangen).
Hilfreich hierfür sind Techniken zur Konfliktbehandlung, wie der im Kapitel 4 beschriebene „Kopfstand-Workshop“. Er hilft zur Überwindung von Denkblockaden und zur Entwicklung von neuartigen Lösungsansätzen für Innovationen und Wandel in Unternehmen.
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Einleitung
Durch professionelles Management von Komplexitäten und durch die konstruktive Behandlung von strukturellen Konflikten können Führungskräfte große Rationalisierungspotenziale bergen und die Wettbewerbsposition ihres Unternehmens steigern. Damit Unternehmen ihren Platz in einer globalen Wirtschaft finden und behalten, muss sich das Management auf den Wandel einstellen. Das Management muss die Kraft haben, Dinge zu verändern. Um Dinge zu verändern, muss das Management auch den Mut haben, strukturelle Konflikte offen zu legen und die Fähigkeit, anschließend konstruktiv nach Lösungen zu suchen. Auf diese Weise können strukturelle Konflikte Auslöser und Ausgangspunkt für strukturellen Wandel sein, um den (neuen) Platz in einer globalisierten Wirtschaft zu finden.
1.3
Zusammenfassung
Strukturelle Konflikte haben eine große Hebelwirkung. Wenn man mit ihnen nicht wirksam umgeht, führen sie oft zu personalisierten Konflikteskalationen. Sie sind auch Rahmenbedingungen für Mobbing. Strukturelle Konflikte existieren auch verdeckt. Verdeckte strukturelle Konflikte müssen im ersten Schritt offengelegt – manchmal auch entfacht – werden. Konflikteskalationen laufen nahezu „automatisch“ ab, wenn man mit ihnen unwirksam umgeht. Die Parteien nutzen bei Konflikteskalationen ihre Kreativität, um den Konfliktgegner auf der persönlichen Ebene öffentlich zu demontieren oder um einen strukturellen Konflikt intelligent „unter den Teppich zu kehren“. Beides ist für die Lösung von strukturellen Konflikten destruktiv. Schwelende strukturelle Konflikte in Unternehmen, die nicht wirksam behandelt werden, können schleichend zur Unternehmenskrise führen, wie im Fall der Opel-Krise im Herbst 2004. Strukturelle Konflikte kosten Energie, viel Geld und manchmal auch Arbeitsplätze. Im Gegensatz zum Tunnelblick in Konflikteskalationen kann man Eskalationsprozesse mit gedanklicher Flexibilität stoppen. Dadurch kann man neue Bewegung in eine festgefahrene Situation bringen und die jeweilige
Zusammenfassung
35
Situation klären. Wenn man es dann noch schafft, Konflikte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, verfügt man über die erforderliche Distanz, um Konflikte gelassener analysieren zu können. Das erhöht die Chance, hinter personalisierten Streitereien auch strukturelle Konfliktpotenziale zu erkennen und behandeln zu können. Mit Konflikten sofort wirksam umzugehen – ohne aufreibende destruktive Eskalationsstufen durchlaufen zu müssen – ist die strategische Empfehlung. Hilfreich für eine Behandlung von strukturellen Konflikten sind Methoden zum Abbau von Denkblockaden und zur Generierung von andersartigen Lösungsideen. Der Einsatz von konstruktiver Energie in Konfliktsituationen erfordert einen bewusst andersartigen Umgang mit diesen Situationen: Konflikte sind kein Tabu und keine Krisen. Dieser wirksame Umgang mit strukturellen Konflikten wird in den Beispielen aus der Praxis im Kapitel 4 dargestellt. Strukturelle Konflikte sind der Startschuss für neues Denken und ein Startsignal für innovativen Wandel. Durch einen wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten nutzen Führungskräfte ein großes Rationalisierungspotenzial und leisten einen strategischen Beitrag zur Weiterentwicklung ihres Unternehmens, besonders in der globalisierten Wirtschaft.
37
2
Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
Themengebiete im Überblick 2. Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen 2.1 Praxisbeispiele: Typische strukturelle Konflikte x Starres Vergü-
2.2 Einordnung und Abgrenzung x Konflikte und
Noch-nichtKonflikte
tungssystem im x KonfliktkategoVertrieb rien x Macht in Prox Differenzierter jektteams Umgang erforx „Jojo-Effekt“ in
2.3 Merkmale und 2.4 Der wirksame Umgang mit Besonderstrukturellen heiten Konfliktx Idealtypisches potenzialen Muster und weitere Merkmale für strukturelle Konflikte x Verdeckte struk-
turelle Konflikte
derlich
Unternehmen
x Vorgehensweise x Lösungs-
ansätze für typische Merkmale x Lösungs-
ansätze für die Praxisbeispiele
2.5 Exkurs: Konfliktbewältigung
2.1
Praxisbeispiele: Typische strukturelle Konflikte
Die drei Praxisbeispiele zeigen exemplarisch Merkmale von strukturellen Konflikten auf. Im ersten Beispiel werden durch ein Vergütungssystem bei den Mitarbeitern Verhaltensweisen hervorgerufen, die nicht im Sinne des Unternehmenserfolgs sein können. Im zweiten Beispiel geht es um das Thema Macht beim Start eines Projekts. Das dritte Beispiel betrifft die „Gemütslage“ eines ganzen Unternehmens. Diese idealtypische Form eines strukturellen Konflikts veröffentlichte Robert Fritz unter dem Begriff „Jojo-Effekt“.
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
1. Beispiel: Starres Vergütungssystem im Vertrieb Einige Provisionssysteme für Außendienstmitarbeiter sind ausschließlich auf der Basis von Einzelprovisionen – teilweise auf Basis von Umsatzgrößen – ausgerichtet. Dies erfüllt den – oft auch gewollten – Zweck des Wettbewerbs der Außendienstmitarbeiter untereinander. Die Konsequenzen dieses starren und eindimensionalen Systems wirken auf die Verhaltensweisen dieser Mitarbeiter in einer Form, wie sie vielen Menschen aus der Schule vertraut sind. X X X X
X
Der Lehrer stellt die Aufgabe, dass die Schüler einen Baum in ihr Malheft malen sollen. Fritzchen hat sofort eine Idee und fängt an zu malen. Hans, der neben Fritzchen sitzt, hat noch keine so richtige Idee und will sich mal bei Fritzchen schlau machen. Daraufhin hält Fritzchen sofort seine Hand schützend über sein Kunstwerk. Fritzchen: „Das ist mein Baum, mal du deinen eigenen Baum!“ Hier gab es kein „Abgucken“ im Sinne eines Lernens unter- und voneinander. Das war von den Lehrern verboten und wurde von ihnen sanktioniert.
Durch ein Vergütungssystem auf Einzelprovisionsbasis entwickelt sich bei den Mitarbeitern ein Denkstil, der kein Lernen untereinander, keine Veränderungsbereitschaft und keine Offenheit für Innovationen im Vertrieb zulässt. Jede Veränderung, so die Vermutungen der Mitarbeiter aufgrund ihrer verinnerlichten Vergütungsstruktur, könnte sich negativ auf die eigene Provision auswirken. Weshalb sollte die Geschäftsleitung denn sonst ein Interesse an Veränderungen im Vergütungssystem haben? Durch diese Struktur in der Vergütung wird das gesamte Vertriebssystem zu einem starren System degradiert. X
Jeder hat nur seine eigene Sicht und starrt nur auf sein Provisionskonto.
Praxisbeispiele: Typische strukturelle Konflikte
X
X
39
Keiner ist bereit, wirklich Erfahrungen auszutauschen im Sinne von „welche mir hilfreichen Tipps und Tricks könnten auch für meine Kollegen von Interesse sein“. Es findet kein Lernen unter- und voneinander statt. Jeder innovative Ansatz wird durch Widerstand aus Angst vor möglichen Einnahmeverlusten abgeblockt.
Da gerade der Vertrieb in einem Unternehmen ein Bereich ist, wo Flexibilität und Innovationen zentrale Werte sein sollten, wirkt ein starres Vertriebssystem aufgrund einer derartigen Vergütungsstruktur geradezu paradox. Für das Unternehmen ist es ein struktureller Konflikt. Dieser Konflikt kann sich negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken, da die Mitarbeiter ausschließlich ihre persönlichen Ziele vor Augen haben. Die zentralen Ziele des Unternehmens und des Vertriebsbereichs können von den Mitarbeitern hierbei ganz und gar „vergessen“ werden.
2. Beispiel: Macht in Projektteams Projektteams sind Gruppen von Menschen, die für eine definierte Aufgabe über einen bestimmten Zeitraum zusammenarbeiten. Sie sollen dabei ein vereinbartes Ziel erreichen. Ein Projektteam kann aus Vertretern verschiedener Fachbereiche, der IT-Abteilung und der Organisationsentwicklung zusammengesetzt sein. Der Projektleiter hat für die Dauer des Projekts die formelle Macht auf der fachlichen und methodischen Ebene. Im Sinne von Teamarbeit sind alle anderen Mitglieder des Projektteams offiziell gleichrangig. Das Problem hierbei ist: Es gibt keine gleichrangigen Mitglieder – und jeder möchte auf seine Weise „etwas gleicher“ sein als der andere. D. h., tendenziell möchte in hochkarätig besetzten Projektteams fast jedes Mitglied besondere Bedeutung und Aufmerksamkeit erfahren und auf diese Weise aus der Gruppe herausgehoben werden. Dadurch wird insbesondere in der Anfangsphase eines Projekts viel Dynamik ausgelöst. Unterschwellig wird eindeutig das Ziel verfolgt, eine Rangordnung unter den Gruppenmitgliedern herzustellen. Das entscheidende Kriterium dieser Rangordnung ist Einfluss und Macht. Die For-
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
men der Austragung des „Machtkampfes“ und die eingesetzten Mittel können sehr unterschiedlich sein. Einzelne Teammitglieder können durch viele Interaktionen außerhalb des Teams Macht erlangen. Andere können innerhalb des Teams mit Worten, Gesten oder Blicken führen. Wo Macht zu vergeben ist, kommt zwangsweise Konkurrenz mit ins Spiel. Die einzelnen Teammitglieder stehen in Konkurrenz und bilden Koalitionen, um ihre jeweilige Machtposition auszubauen. Bei Projektteams können Macht und Einfluss im Rahmen des Prozesses zur Teamentwicklung auch wechseln. Solange dieser Prozess innerhalb des Teams offen erfolgt und keine latenten Konflikte im Hintergrund lauern ist dieser Prozess für die Teamentwicklung notwendig und förderlich. Er dient der Klärung der einzelnen Rollen und der Strukturen im Team. Dazu muss es für alle Mitglieder möglich sein, dass sie ihre Interessen und Bedürfnisse benennen. Widersprüchliche Meinungen sind zu diskutieren und abweichende Meinungen sind ernst zu nehmen. Die Struktur von Macht und Einfluss ist in diesen gruppendynamischen Prozessen immer wieder klärungsbedürftig. Ein Projektteam ist dann arbeitsfähig, wenn es diese dynamischen Prozesse als normal anerkennt und damit angemessen umgehen kann. Wichtig ist, dass in dem Projektteam ein Klima des Vertrauens herrscht. Die einzelnen Teammitglieder müssen ihre Interessen, Meinungen oder Arbeitshypothesen angstfrei einbringen können. Derartige Klärungsprozesse dürfen nicht zum negativen Machtspiel werden. Wenn mit den Themen Macht und Einfluss im Projektteam nicht professionell umgegangen wird, besteht die latente Gefahr, dass diese Themen die gesamte Projektarbeit behindern und überlagern. Wenn die strukturelle Beziehungsebene im Projektteam nicht geregelt ist, können die besten Techniken der Projektplanung und -steuerung dem Projekt nicht zum Erfolg verhelfen. Die strukturellen Konflikte innerhalb des Projektteams führen nahezu zwangsläufig zum Scheitern des Projekts. In der Praxis „versanden“ derartige Projekte oder schleppen sich als „Dürreprojekte“ hin, ohne dass den Beteiligten die strukturellen Ursachen ihres Scheiterns bewusst sind. Diese systembedingten strukturellen Konfliktpotenziale gibt es in allen fachübergreifend zusammengesetzten Projektteams, folglich in nahezu allen Unternehmen.
Praxisbeispiele: Typische strukturelle Konflikte
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3. Beispiel: „Jojo-Effekt“ in Unternehmen Ein mittelständisches Unternehmen will im Globalisierungsprozess mithalten und beschließt seine Leistungen zu verbessern. Das internationale Potenzial soll besser ausgeschöpft und Stillstand vermieden werden. Es beginnt ein Prozess über mehrere Stufen. 1. Die Geschäftsleitung hat ein Veränderungsbedürfnis und überarbeitet die strategische Ausrichtung und die Unternehmensziele. Es wird ein umfassender und tiefgreifender Veränderungsprozess über alle Organisationseinheiten eingeleitet. Zur Umorganisation werden Projektteams eingesetzt, die neue hierarchische Strukturen entwickeln und die Arbeitsabläufe neu gestalten. Mitarbeiter werden intern in andere Positionen versetzt und bekommen neue Aufgaben. 2. Im Rahmen dieser Veränderungen wächst bei den Mitarbeitern und bei den Führungskräften in der mittleren Hierarchieebene ein Gefühl von Instabilität und Unsicherheit. Die vertrauten Verfahren und Kommunikationskanäle sind nicht mehr vorhanden und es fällt ihnen zunehmend schwerer ihre Aufgaben erfolgreich zu erledigen. Der Eindruck, dass die realen Bedingungen im Unternehmen nicht mit den ursprünglich von der Geschäftsleitung vorgestellten neuen Unternehmenszielen übereinstimmen, macht sich breit. Die Führungskräfte und die Mitarbeiter streben wieder nach Kontinuität und leisten Widerstand gegen den initiierten Veränderungsprozess. Die neuen Verfahren werden nicht umgesetzt. Der gesamte Veränderungsprozess wird unterlaufen. 3. Daraufhin bricht die Geschäftsleitung den Veränderungsprozess ab. Alle Mitarbeiter und Führungskräfte erklären die Veränderungsbemühungen für gescheitert. Das ganze Unternehmen kehrt zurück zu seinen gewohnten Verfahren und Verhaltensweisen. Das Bedürfnis nach Kontinuität hat zum Abbruch des ursprünglichen Veränderungsbedürfnisses geführt. Die Mitarbeiter nehmen wieder ihre bisherigen Positionen ein.
42
Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
4. Wieder in den ursprünglichen Verhaltensmustern angekommen, spüren die Mitarbeiter das begrenzte Wachstum. Sie empfinden ihre Kreativität als eingeschränkt und befürchten einen nur sehr begrenzten Fortschritt des Unternehmens und damit auch ihrer persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Nach und nach fordern immer mehr Führungskräfte bei der Geschäftsleitung erneut Veränderungen grundsätzlicher Art ein. An dieser Stelle kann man in diesen Kreislauf wieder bei Punkt 1 „Die Geschäftsleitung hat ein Veränderungsbedürfnis“ einsteigen und die vier Schritte erneut durchlaufen. Viele Unternehmen machen derartige Wechselbäder im Sinne von wiederkehrenden Schleifen durch. Beispiele hierfür sind: X X X
Vom Investitionsförderungsprogramm zum Kostensenkungsprogramm und zurück – und wieder zurück. Von der zentralen zur dezentralen Organisationsstruktur und zurück – und wieder zurück. Vom Unternehmenszukauf zur Besinnung auf die Kernkompetenzen und zurück – und wieder zurück.
Dieses Wechselbad nennt Robert Fritz in seinem Buch „Den Weg des geringsten Widerstands“ den „Jojo-Effekt“, durch den Unternehmen oszillieren. In einem oszillierenden Unternehmen folgt gemäß seiner Definition nach einer Phase des Fortschritts eine Phase des Rückschritts, sodass der Erfolg und die Weiterentwicklung des ersten Schritts wieder aufgehoben werden. Die Warnung vor dem Jojo-Effekt heißt nicht, dass es in Unternehmen keine Strategiewechsel geben darf. Strategiewechsel, verbunden mit einem darauf folgenden konsequent umgesetzten Veränderungsprozess, sind für erfolgreich agierende Unternehmen in bestimmten Entwicklungsphasen unabdingbar. Der Jojo-Effekt warnt vor halbherzigen Strategiewechseln, die vom obersten Management nicht eindeutig gewollt und deshalb auch nicht konsequent umgesetzt werden.
Einordnung und Abgrenzung
2.2
43
Einordnung und Abgrenzung
Zur Einordnung und Abgrenzung von strukturellen Konflikten gehören Konfliktarten und -kategorien. Als Erstes folgt die Abgrenzung zu den Noch-nicht-Konflikten, die durch einen unwirksamen Umgang zu Konflikten eskalieren können. Diese Einordnung und Abgrenzung dient einer differenzierten Wahrnehmung von Konflikten und Noch-nicht-Konflikten. Sie dient auch dem frühzeitigen Erkennen und Unterscheiden struktureller Konflikte im Vergleich zu anderen Konfliktkategorien.
Konflikte und Noch-nicht-Konflikte Definition und Beispiele für Konflikte Bei Konflikten geht es um Gegensätze im Denken, Fühlen und/oder Wollen, die durch Handlungen zum Ausdruck gebracht werden. Es gibt eine Vielzahl von Konfliktarten, wie beispielsweise Verteilungs- und Wertekonflikte. Häufig anzutreffende Konfliktarten auf der zwischenmenschlichen Ebene sind Sach-, Beziehungs- und Rollenkonflikte. X
Sachkonflikte (Ziel- oder Prozedurenkonflikte) Sachkonflikte beruhen auf einer objektiven Begebenheit und sind oft Ausdruck unvereinbarer Ziele oder Uneinigkeiten über den Weg. Sie sind meistens rational bestimmt.
X
Beziehungskonflikte Beziehungskonflikte können durch unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen einzelner Mitglieder in einer Gruppe entstehen. Ursachen für Beziehungskonflikte in einer Arbeitsgruppe können auch Sach- oder Rollenkonflikte sein.
X
Rollenkonflikte Ein typisches Beispiel für einen Rollenkonflikt in einem Unternehmen ist, wenn ein Mitarbeiter aus einer Fachabteilung zusätzlich zu seinem festen Aufgabenbereich in einem Projektteam mitarbeitet. Hier ent-
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
steht der Konflikt durch sich gegenseitig behindernde Verpflichtungen, die der Mitarbeiter in seinen beiden Rollen erfüllen soll. Die Konfliktart gibt einen wichtigen Hinweis für einen wirksamen Umgang mit Konflikten. Beziehungskonflikte können beispielsweise nicht auf der Sachebene, sondern nur auf der Beziehungsebene geklärt werden. Abgrenzung: Noch-nicht-Konflikte Die nachfolgenden Situationen sind noch keine Konflikte. Sie erfordern im Vergleich zu Konflikten einen anderen Umgang. X
Missverständnisse Missverständnisse können sich durch unterschiedliche Wahrnehmungen, unterschiedliche Denkweisen oder aufgrund von unzureichenden Informationen ergeben.
X
Einwände und Widerstände Einwände und Widerstände treten auf, wenn jemand etwas (noch) nicht will. Einwände bei Verkaufsgesprächen geben Verkäufern wichtige Hinweise darauf, was einen potenziellen Käufer noch von einem Kauf abhält. Widerstände bei Veränderungsprojekten geben dem verantwortlichen Projektteam Hinweise auf mögliche Hindernisse für den gewünschten Projekterfolg. Einwände und Widerstände können zu Konflikten führen, wenn man nicht wirksam mit ihnen umgeht. Wenn man sie ernst nimmt, geben sie wichtige Hinweise auf zu bearbeitende Hindernisse.
X
Störungen Es gibt eine Vielzahl von Störungen im Sinne von sich gegenseitig beeinträchtigenden Verhaltensweisen. Bei Besprechungen gilt der Grundsatz: Störungen haben Vorrang! Das bedeutet, dass Störungen umgehend zu bearbeiten sind, damit die Arbeitsgruppe in einer Besprechung wieder arbeitsfähig wird.
Einordnung und Abgrenzung
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X
„Spielchen“ Hier geht es um psychologische Spielchen, die ein Spieler „anzettelt“. Sie werden meistens mit verdeckten Motiven gespielt. Ein Beispiel für ein „Spielchen“ ist das „Gerichtssaal-Spiel“, das oft in Besprechungen gespielt wird. In diesem „Spielchen“ wird nicht nach Lösungen für Probleme, sondern nur nach Schuldigen gesucht.
X
Angriffe Angriffe können beispielsweise in Form von Unterstellungen oder in Form von dummen Sprüchen oder fiesen Fragen erfolgen.
Auch in diesen Situationen geht es im ersten Schritt darum, herauszufinden, um was für eine Art von Situation es sich wirklich handelt. Um mit einem Einwand wirksam umzugehen, benötigt man andere Verhaltensweisen als bei einem persönlichen Angriff.
Konfliktkategorien Die drei folgenden Konfliktkategorien definieren den Kontext, in dem ein Konflikt ausgetragen wird und in dem dieser Konflikt auch nur zu lösen ist. Innere Konflikte Innere Konflikte können zwei positive Ziele in einem selbst sein, die man nicht gleichzeitig realisieren kann. Es können auch zwei zur Verfügung stehende Alternativen sein, die man beide nicht will, sich aber trotzdem für eine dieser Alternativen entscheiden muss. X
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Eine Konfliktart dieser Kategorie ist die Pflichtenkollision. Diese Konfliktart entsteht, wenn beispielsweise zwei gegensätzliche Pflichten miteinander konkurrieren. Für berufstätige Mütter ist diese Kollision alltäglich. Viele Projektmitarbeiter in Unternehmen sind diesem inneren Konflikt ausgesetzt. Ein anderes Beispiel ist ein Mitarbeiter, der mit seiner Terminarbeit zum Ende der Woche nicht fertig wird. Einerseits scheut er sich, am
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
nächsten Montag sich von seinem Vorgesetzten zur Rede stellen zu lassen, andererseits will er es seiner Familie nicht zumuten, diese Arbeit am Wochenende zu Ende zu bringen. Im Alltag ist oft zu beobachten, dass Menschen aufgrund ungelöster innerer Konflikte in ihrem Umfeld zwischenmenschliche Konflikte „anzetteln“. Zwischenmenschliche Konflikte Bei den zwischenmenschlichen Konflikten sind mindestens zwei Menschen beteiligt. Beispiele von Konflikttypen dieser Kategorie sind: X
Interpersonelle Konflikte Konflikte zwischen zwei Einzelpersonen werden als interpersonelle Konflikte bezeichnet. Beispiele hierfür sind die klassischen Paarkonflikte in einer Lebensgemeinschaft oder Konflikte zwischen zwei Kollegen.
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Intra-Gruppen-Konflikte Konflikte innerhalb einer Gruppe werden Intra-Gruppen-Konflikte genannt. Ein Beispiel hierfür ist der Konflikt um die Rangordnung in einer Gruppe.
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Personen-Gruppen-Konflikte Konflikte zwischen einer Einzelperson und einer Gruppe werden Personen-Gruppen-Konflikte genannt. Ein Beispiel hierfür ist: Ein Teammitglied geht mit seinem hohen Drang zur Selbstdarstellung allen anderen Teammitgliedern ständig auf die Nerven.
Strukturelle Konflikte Strukturelle Konflikte in Unternehmen können sich aus administrativen Abläufen, aus Kontrollmechanismen, aus der Kompetenz- und Machtverteilung und aus unterschiedlichen Denkstilen ergeben. Sie sind Bestandteile konkurrierender oder sich widersprechender Systeme und werden meistens zwischen Personengruppen ausgetragen.
Einordnung und Abgrenzung
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Wechselwirkungen zwischen den Konfliktkategorien Konflikte einer Kategorie können sich auf andere Kategorien auswirken und sich gegenseitig beeinflussen. X
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Innere Konflikte können Menschen unbewusst oder bewusst dazu bringen, zwischenmenschliche Konflikte auszulösen. Zwischenmenschliche Konflikte lösen meistens innere Konflikte bei den beteiligten Personen aus. Strukturelle Konflikte werden oft auf der Ebene der zwischenmenschlichen Konflikte ausgetragen, dadurch jedoch nicht gelöst. Auch strukturelle Konflikte lösen bei den Beteiligten oft innere Konflikte aus.
Um Konflikte lösen zu können, muss man den wirklichen Kontext finden, in dem der eigentliche Konflikt entstanden ist und in dem die Ursachen zu finden sind. Ein struktureller Konflikt muss auf der strukturellen Ebene geklärt und gelöst werden.
Differenzierter Umgang Lösungsansatz: Die Konfliktart und -kategorie herausfinden Die Kenntnis über die Art des jeweiligen Konflikts ist eine wesentliche Voraussetzung für eine zielorientierte Gestaltung des Konfliktlösungsprozesses. Erst wenn man weiß, um was für eine Konfliktart (z. B. Sachoder Beziehungskonflikt) es sich handelt, kann man gezielt auf der entsprechenden Ebene einsteigen und geeignete Hebel zur Konfliktlösung einsetzen. Genauso ist zu prüfen, um welche Konfliktkategorie es in einer konkreten Konfliktsituation wirklich geht. Lösungsansatz: Prüfen, ob es sich überhaupt um einen Konflikt handelt Aus Situationen, in denen eine Partei B sich beispielsweise Vorschlägen einer Partei A widersetzt, können Konflikte entstehen. Wenn aber die Partei A mit den Widerständen der Partei B angemessen umgeht, muss
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
kein Konflikt entstehen. Auch die anderen schwierigen Situationen, wie Störungen oder Angriffe, bedürfen eines spezifischen Umgangs. Insofern ist es wichtig, Konflikte von Noch-nicht-Konflikten zu unterscheiden. Lösungsansatz: Prüfen, ob es sich um einen gemeinsam lösbaren Konflikt handelt Ist der aktuelle Konflikt grundsätzlich mit den Beteiligten gemeinsam lösbar? Diese Frage sollte man sicher nicht voreilig beantworten. Es kann jedoch im Verlaufe einer Konflikteskalation zu einer Situation kommen, wo diese Frage eindeutig mit NEIN zu beantworten ist. Dies hat dann im Vergleich zu einer zielorientierten Konfliktlösung ganz andere Konsequenzen zur Folge. Beispiele hierfür sind im Abschnitt „Exkurs: Konfliktbewältigung“ dargestellt. Lösungsansatz: Bei sich selbst beginnen und für sich selbst sorgen! Wenn man einen Konflikt lösen oder einer anderen schwierigen Situation wirksam begegnen will, muss man bei sich selbst beginnen. Zur Lösung eines Konfliktes muss man sich erst selbst Klarheit darüber verschaffen, um was es wirklich geht und was man zur Klärung und Lösung beitragen kann. Das gilt auch für die anderen schwierigen Situationen, die so bezeichneten „Noch-nicht-Konflikte“.
2.3
Merkmale und Besonderheiten
Organisationsstrukturen, Verfahren und Prozesse beinhalten natürliches strukturelles Konfliktpotenzial. Ein typisches Beispiel für eine konfliktträchtige Organisationsstruktur ist die Matrixorganisation, in der ein Mitarbeiter zwei Vorgesetzte hat, einen mit fachlichem und einen mit disziplinarischem Weisungsrecht. Ein anderes Beispiel ist ein Unterneh-
Merkmale und Besonderheiten
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men, in dem als Unternehmenskultur die Teamarbeit im Vordergrund stehen soll, die Entlohnungssysteme aber auf Einzelleistungen ausgerichtet sind. Dies sind Beispiele, bei denen das Konfliktpotenzial durch Systeme, in denen die handelnden Menschen sich bewegen, vorgegeben ist. Derartige Beispiele von strukturellen Konflikten sind (leicht) erkennbar. Neben diesen erkennbaren strukturellen Konflikten gibt es verdeckte strukturelle Konflikte. Bevor es um die „nebulösen Situationen“ bei verdeckten strukturellen Konflikten geht, folgen als Erstes ein idealtypisches Muster und danach weitere Merkmale von strukturellen Konflikten.
Idealtypisches Muster und weitere Merkmale für strukturelle Konflikte Zwei konkurrierende Systeme als Definitionsansatz nach Robert Fritz Das Praxisbeispiel „Jojo-Effekt“ in Unternehmen zeigte ein idealtypisches Muster von strukturellen Konflikten. Wenn ein Unternehmen in Form des Jojo-Effekts ständig zwischen Fortschritt und Rückschritt hin und her pendelt, handelt es sich nach Robert Fritz um einen idealtypischen strukturellen Konflikt. Die Grundlage für eine Weiterentwicklung von Unternehmen ist eine eindimensionale strukturelle Spannung (Beispiel: Spannung zwischen einer angestrebten Vision und der aktuellen Realität). Sie wird durch ein einfaches System von Spannung und Auflösung erzeugt. Die Beispiele von Robert Fritz für eindimensionale strukturelle Spannungen aus dem Alltagsleben sind: X X
Hunger ist ein Spannungszustand, den man üblicherweise durch Essen aufhebt. Übergewicht ist ein Spannungszustand, den man durch eine Diät aufheben kann.
Im Gegensatz zu diesen beiden eindimensionalen Spannungen liegt einem strukturellen Konflikt eine komplexere Struktur zugrunde. Hier
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
erzeugen zwei konkurrierende Ziele zwei eindimensionale Spannungen, die sich gegenseitig behindern. Es entstehen „zwei konkurrierende Systeme“ von Spannung und Auflösung. Indem im System A die Auflösung erreicht wird, entsteht im System B die Spannung, deren Auflösung wieder Spannung im System A erzeugt usw. Übertragen auf die Beispiele aus dem Alltagsleben von Robert Fritz ergibt dies für einen Menschen mit Übergewicht folgenden Prozess: 1. Ein Spannungszustand Hunger wird durch Essen aufgelöst. 2. Durch das Essen nimmt das Übergewicht zu. 3. Der Spannungszustand Übergewicht wird durch eine Diät aufgelöst. 4. Durch die Diät ertönt ein Warnsignal im Körper, das vor einer Hungersnot warnt und es ertönt: „Hunger!“ Wieder 1. Jetzt ist Hunger wieder der dominante Spannungszustand, den es durch Essen aufzulösen gilt. Bei diesem idealtypischen Muster eines strukturellen Konflikts gibt es jeweils eine dominante Spannung, die nach Auflösung sucht, bis es zu einem Dominanzwechsel kommt. In dem Praxisbeispiel des Unternehmens waren dies die folgenden Stufen: 1. Dominante Spannung: Veränderungsbedürfnis der Geschäftsleitung 2. Dominanzwechsel: Nach Durchführung der Veränderungsbemühungen entsteht ein Gefühl von Instabilität und Unsicherheit. 3. Dominante Spannung: Das Bedürfnis nach Kontinuität führt zum Abbruch des Veränderungsprozesses. 4. Dominanzwechsel: Nach Erreichen des ursprünglichen Zustandes wird das begrenzte Wachstum als Mangel erlebt. Es gibt Unternehmen, die einem nicht zu gewinnenden Kampf, dem ständigen Wechsel zwischen dem Willen zum Wandel und dem Willen zur Kontinuität, unterworfen sind. Es ist dort nicht möglich, beide Spannungen gleichzeitig aufzulösen, weil die Spannung in dem einen System automatisch zunimmt, sowie sie im anderen System nachlässt.
Merkmale und Besonderheiten
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Kontinuität versus Diskontinuität in Unternehmen Kontinuität als stabiler Zustand ist selbsterhaltend. Wenn kein erfolgreiches Management von Diskontinuität und Unsicherheit erfolgt, ist dieser stabile Zustand das Risiko eines Veränderungsprozesses. Wenn die Sensibilität für die Notwendigkeit eines Wandels im Unternehmen nur gering ausgeprägt ist, fällt das Aufbrechen von liebgewordenen Mustern schwer. Der bisherige stabile Zustand wird beschworen. Veränderungsprozesse benötigen im ersten Schritt Störungen des bisherigen stabilen Zustands, um bewusst eine Instabilität zu erzeugen. Werden bestehende Muster aufgebrochen, führt dies zuerst in eine krisenhafte Situation. Instabilität ist aber die Voraussetzung für Veränderungsbereitschaft und die Chance zur Neugestaltung. Die Bereitschaft der Beteiligten, sich auch auf den Schmerz einer Veränderung einzulassen, ist die wesentliche Voraussetzung für eine Neugestaltung. Die aktive Gestaltung der Diskontinuität in einem Veränderungsprozess ist als Übergang zu einer zukünftigen Kontinuität eine strategische Aufgabe der obersten Führungsebene. Die Fähigkeit eines Unternehmens, dem JojoEffekt entgegenzuwirken und nicht wieder in die bisherige Kontinuität zurück zu fallen ist abhängig von der Glaubwürdigkeit der obersten Führungsebene. Sie hat die Aufgabe der Verunsicherung im Unternehmen Neugier und Faszination als attraktive Alternativen entgegen zu setzen. Interessen und Macht als strukturelle Konfliktpotenziale in Unternehmen Das Wort Politik in der Schublade „Schimpfwort“ hindert viele Menschen daran zu erkennen, dass Politik ein wesentlicher Aspekt in unserem Zusammenleben ist – auch in Unternehmen. Am deutlichsten tritt die Politik eines Unternehmens bei Konflikten und Machtspielen auf. Wenn Konflikte in den Vordergrund rücken, können diese durch zahllose persönliche Intrigen den normalen Lauf der Dinge aufhalten. Politik entsteht in Unternehmen genauso wie in anderen Formen menschlichen Zusammenlebens, wenn Menschen verschieden denken und unterschiedlich
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
handeln wollen. Diese Unterschiede erzeugen eine Spannung, die mit politischen Mitteln angegangen wird. Die häufig anzutreffende Sichtweise, dass Unternehmen integrierte und rationale Gebilde seien, in denen alle Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen, entspricht nicht der Realität. Ein Unternehmen als ein politisches System zu verstehen, in dem Menschen mit ihren individuellen Interessen agieren, bringt andere Sichtweisen. Unternehmen können als lose geknüpfte Netzwerke von Menschen mit unterschiedlichen Interessen betrachtet werden. Es sind Koalitionen, u. a. um den Lebensunterhalt zu verdienen. Koalitionsbildung ist eine wichtige Komponente bei der Zusammenarbeit in Unternehmen. Auf der Ebene der Koalitionen bekommen die Interessen von Individuen und die Interessen von Organisationseinheiten eine vorrangige Bedeutung. Koalitionsbildung ist eine Strategie, um erwünschte Ziele durchzusetzen. Mitarbeiter in Unternehmen verwenden sehr viel Aufmerksamkeit darauf, mit Hilfe der Koalitionsbildung ihre Macht und ihren Einfluss zu vergrößern. Wichtig ist, dass man die Realität der Koalitionsbildung im Unternehmen wahrnimmt und die Koalitionsbildung im Sinne der übergeordneten Unternehmensziele nutzt. Politische Manöver sind in den Beziehungen zwischen einzelnen Organisationseinheiten latent vorhanden. Viele Aufgaben enthalten widersprüchliche Elemente, die oft verschiedene Rollenkonflikte auslösen. Die politisch beeinflussten Interaktionen, beispielsweise zwischen dem Personal in der Produktion und im Vertrieb, beruhen teilweise auf dem Umstand, dass von ihnen jeweils Handlungen verlangt werden, die einen feindseligen Übergriff erfordern. Das geht so weit, dass bei Besprechungen die Beziehungen durch verschiedene versteckte Verhandlungen beeinflusst werden, deren sich die Teilnehmer der Besprechung nicht immer bewusst sind. In Unternehmen haben Führungskräfte oft Schwierigkeiten im Umgang mit Macht. Insbesondere in Unternehmen, in denen sich eine Harmoniekultur ausgebreitet hat, versucht jeder natürliche Ziel- und Interessenskonflikte zu vermeiden. Dass dabei auch für das Unternehmen wichtige Entscheidungen ausbleiben, wird in Kauf genommen. Mit einer trügeri-
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schen Harmoniekultur kommt man als Unternehmen nicht weit. Wenn unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, ist zwangsläufig Macht und Politik mit im Spielfeld. Unternehmerische Entscheidungen enthalten per Definition Konfliktpotenziale, da nicht präferierte Lösungsansätze negiert werden. Destruktive Interessenskämpfe und Machtspielchen können mehrere Abteilungen oder ein ganzes Unternehmen im Tagesgeschäft behindern, im Extremfall lähmen. Die Warnsignale, die derartige strukturelle Konflikteskalationen aussenden, sind auf allen Ebenen der betroffenen Bereiche wahrzunehmen – auch auf der obersten Führungsebene. In diesen Fällen muss die oberste Unternehmensführung klärend eingreifen. Wenn diese Kämpfe allerdings von der obersten Führungsebene selbst initiiert werden, freuen sich eines Tages die Wettbewerber des betroffenen Unternehmens. Exkurs: Macht in der Politik als negatives Vorbild Das Titelthema des Spiegels in der Ausgabe 24 vom 10. Juni 2002 war die Politik als Ego-Trip der Politiker in Form einer Droge für Wichtigkeit. Obwohl die Politiker schon seit Jahren zu den Schlusslichtern in der Berufsprestige-Skala gehören, scheint die Droge Macht eine Sucht zu sein. Von dieser Droge können einige Politiker nicht loslassen. Nicht alle Politiker sind mit sich in ihrem Job zufrieden. Obwohl einigen nichts Beneidenswertes zu ihrem Beruf einfällt, scheint die Politik trotzdem einen magischen Reiz zu bieten. Nachfolgend sind einige Zitate aus diesem Titelthema des Spiegels ausgewählt. X
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Heide Simonis, damals Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein: „Offensichtlich habe ich mir in der Politik auch eine gewisse Außenwirkung versprochen, die Möglichkeit, andere zu beeinflussen. Und das befriedigt auch die Eitelkeit.“ Peter Gauweiler, Ex-CSU-Landesminister: „Man muss sich von der Politik entwöhnen. Genauso wie man sich von Alkohol und Nikotin entwöhnen muss.“
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
Holger Börner, Ex-Ministerpräsident von Hessen: „Mangel an Menschenkenntnis ist eine der wichtigsten Führungsvoraussetzungen in der Politik.“
Selbstzweifel sind in der Politik nicht nur hinderlich. Sie bedeuten auf oberster Ebene einen Anschlag auf die eigene Persönlichkeit. Erfolg und Macht haben wird hier definiert: Sich in der eigenen Partei und gegen den politischen Gegner durchzusetzen. Die wenigsten Politiker können beschreiben was die Macht ist, die sie so hartnäckig anstreben. Deutlicher zu erkennen ist die Sucht „sichtbar zu sein“. Der Preis für diese Drogen sind persönliche Deformation und Wirklichkeitsverlust. Das hatte auch Otto von Bismarck erkannt, als er Politik eine Leidenschaft nannte, „eine zerstörerische freilich, die alle übrigen Teile der Persönlichkeit aufzehrt“. Die Zitate geben einen Einblick in das Verständnis von Macht in der Politik, das sich bei vielen Menschen inzwischen entwickelt hat. Es gibt viele Meldungen in der Tagespresse, die die Bevölkerung weiter von der als abgehoben empfundenen Politik abkehren lässt. Ein Beispiel ist das Benehmen eines Politikers in Bremen, der Mitte Mai 2005 Sekt auf einen Obdachlosen kippt und dabei fotografiert wird. In einem anderen Beispiel lassen sich niedersächsische Landtagsabgeordnete von der Volkswagen AG bezahlen. Wenn man sich die täglichen „Machtspielchen“ auf den politischen Bühnen betrachtet, wird verständlich, warum für viele Menschen die Begriffe Macht und Politik negativ belegt sind. Menschen übersehen, dass alle Politik machen, jeder auf seinen persönlichen Bühnen – auch in Unternehmen. Ein Führungsteam teilt sich die Macht an der Doppelspitze Eine besondere Form der Aufteilung von Macht ist in der Politik unter dem Begriff Doppelspitze bekannt geworden. Häufig sind an einer Doppelspitze verschiedene ideologische Orientierungen einer Partei oder zwei verschiedene Parteiflügel vertreten. Die Flügelkämpfe an der Basis werden in die doppelt besetzte Führungsrolle verlagert. Die gemeinsame
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Führungsrolle der Doppelspitze zwingt die beiden Rolleninhaber als Repräsentanten unterschiedlicher Systeme einer Partei zum Konflikt. Das Konfliktpotenzial dieser beiden Rolleninhaber untereinander ist strukturell vorgegeben. Beispiel: In einem Großhandelsbetrieb wurden von der Geschäftsleitung auf der zweiten Führungsebene Doppelspitzen eingerichtet. Jede Doppelspitze wurde mit Vertretern unterschiedlicher fachlicher Kompetenz (Beispiel: Know-how über unterschiedliche Produktgruppen im Verkauf) besetzt. Neben dieser fachlichen Ergänzung war der zweite Grund für die Doppelbesetzung die zeitliche Verfügbarkeit und Präsenz. Für die Kunden (Handwerker) war der Großhandelsbetrieb von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr geöffnet. Durch die Doppelspitze sollte gewährleistet werden, dass zu allen Öffnungszeiten Führungskräfte für operative Entscheidungen anwesend sind. Nach einiger Zeit entwickelten sich zwei Konsequenzen aus ungelösten Konflikten in den Doppelspitzen. X
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Einige Doppelspitzen beschäftigten sich immer mehr mit sich selbst, anstatt mit der Erfüllung ihrer vereinbarten Bereichsziele. Ihre Zusammenarbeit untereinander wurde verkrampfter. Es baute sich unterschwelliger Ärger auf, der zu Scheinkonflikten auf der Sachebene führte. Tatsächlich verstrickten sie sich in Beziehungskonflikten. Vereinzelt führte dies zu Kündigungen der unterlegenen Hälfte einer Doppelspitze. In anderen Bereichen erhielten die Mitarbeiter von Doppelspitzen unterschiedliche Anweisungen, je nach dem von welcher Person sie eine Entscheidung einforderten. Dies führte zur Verwirrung der Mitarbeiter und in Folge zur Reduzierung von Einsatzbereitschaft.
Die Ursache war in beiden Fällen das natürliche strukturelle Konfliktpotenzial. Wenn man in Unternehmen Doppelspitzen einrichtet, erzeugt man natürliche strukturelle Konfliktpotenziale.
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Die verschiedenen Denkstile nach Fritz B. Simon: Hausfrau versus Künstler Das Koalitions- und Konkurrenzsystem Unternehmen besteht aus zwei natürlichen gegensätzlichen Polen, die Fritz B. Simon in seinem Buch „Radikale Marktwirtschaft“ mit den Metaphern „Hausfrau“ und „Künstler“ beschrieben hat. Diese ausdrucksvolle Bildsprache mit vorurteilsbehafteten Begrifflichkeiten verdeutlicht die Unterschiede von Denkstilen in Unternehmen. Die Metapher Hausfrauenarbeit zeichnet sich durch Bewahrung und Aufrechterhaltung aus. Merkmale von Hausfrauenarbeit sind: Aufrechterhaltung bestehender Ordnung, Herstellen von Strukturen und Normalität. Sie ist die Voraussetzung, dass Veränderungen ermöglicht werden. Typische Hausfrauenarbeit in Unternehmen leisten alle internen Dienstleistungsbereiche mit Aufgabenstellungen wie IT-Service und Controlling. Auch in Bereichen wie Werbung, die als besonders kreativ eingestuft werden, gibt es zu erledigende Hausfrauenarbeit. Auch dort geben ordnende Aufgaben den organisatorischen Rahmen für die kreativen Arbeiten vor und achten auf deren Einhaltung. Die Arbeit von Künstlern als Metapher ist nicht selbstverständlich und nicht austauschbar. Künstler gehen über die Grenzen einer gewohnten Ordnung hinaus, können diese auch stören oder ihr zuwiderlaufen. Die Ergebnisse der Künstlerarbeit fallen auf. Sie zeichnet sich durch Veränderung aus. Merkmale von Künstlerarbeit sind: Störung bestehender Ordnung, Auflösen von Strukturen, Verrücktheit und Flexibilität. Künstlerarbeit gilt als nicht normativ, sondern als überraschend und innovativ. Sie ist unberechenbar und entfaltet sich auf der Grundlage des Bewahrenden. Typische Künstlerarbeit in Unternehmen ist in Vertriebsbereichen und Bereichen der Produktentwicklung erforderlich. Auch innerhalb eines internen Dienstleistungsbereiches wie z. B. IT-Service gibt es einzelne Aufgabenstellungen, die Künstlerarbeit erfordern. Kreative Ideen sind beispielsweise zur Reorganisation von Verfahren und Abläufen erforderlich.
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Gefahrenpotenzial bei unterschiedlichen Denkstilen: „Entweder-oder-Politik“ Je mehr diese beiden Pole aus einer Innensicht betrachtet werden, desto wertender ist der ideologische Beiklang der beiden Rollen. Die scheinbar unvereinbaren Ziele sind: Bewahren versus Innovation. Der Konflikt zwischen diesen beiden organisatorischen Richtungen kann sich in der Form auswirken, dass eine unüberwindbare Abneigung der Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung gegenüber den Mitarbeitern der Produktion entsteht. Genauso streiten sich die Mitarbeiter des Vertriebs, die auf Wachstum setzen, mit den Mitarbeitern der Finanzabteilung, die eine Konsolidierung des Erreichten fordern. Dieser strukturelle Konflikt ist unausweichlich. Er ist zweckmäßig. Die scheinbar unvereinbaren Gegensätze wie Hausfrauenarbeit versus Künstlerarbeit sind in Unternehmen zu einem funktionellen Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Das Gefahrenpotenzial von unterschiedlichen Denkstilen liegt in der wertenden Innensicht. Solange die scheinbar unvereinbarenden Ziele mit einer strikten „Entweder-oder-Politik“ behandelt werden, steigt das Eskalationsrisiko zwischen den gegensätzlichen Polen. Dabei gibt es zwangsweise Verlierer. Die Konsequenzen dieses Gefahrenpotenzials der „Entweder-oder-Politik“ bei unterschiedlichen Denkstilen werden in den ersten beiden Praxisbeispielen im Kapitel 3 – Opel-Krise und ADLInsolvenz – deutlich. Unterschiedliche Denkstile als Ursache von Glaubenskriegen in Unternehmen Die blutigen Glaubenskriege, die auf eine tiefste Zerrüttung zwischen Menschengruppen aufgrund religiöser Differenzen zurückzuführen sind, sind die Ergebnisse eines destruktiven Umgangs mit unterschiedlichen Denkstilen. Unterschiedliche Denkstile als strukturelles Konfliktpotenzial führen auch in der Wirtschaft zu Glaubenskriegen. Die Ergebnisse in Unternehmen sind Hahnenkämpfe zwischen Vorstandsmitgliedern und Grabenkämpfe zwischen den Mitarbeitern der beteiligten Vorstandsbereiche. Was auf der Strecke bleibt, ist der Unternehmenserfolg. Glaubens-
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kriege in der Industrie kann es beispielsweise zwischen den Technikern und den Kaufleuten geben sowie in Krankenhäusern zwischen den Ärzten, dem Pflegedienst und der Verwaltung. Unterschiedliche Denkstile durch verschiedene Kulturen waren wesentliche Ursachen der Opel-Krise im Herbst 2004. Die Opel-Krise ist ein Beispiel für den destruktiven Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen in globalisierten Unternehmen. Unterschiedliche Denkstile können in Unternehmen auch durch einen Generationswechsel an der Führungsspitze entstehen, wenn beispielsweise die Hälfte der bisherigen alten Führungsmannschaft durch „neue Junge“ ausgetauscht wird. Wenn diese Neuen aus Profilierungsgehabe alles Alte abschaffen und undifferenziert mit neuen Besen kehren, ist der strukturelle Konflikt zu den verbliebenen Alten in der Führungsmannschaft vorprogrammiert. Dieser strukturelle Konflikt zieht in aller Regel schnell seine Kreise in der restlichen Belegschaft, die sich in Folge auch in zwei „kriegerische“ Lager aufteilt. Spezifische strukturelle Konfliktpotenziale in Familienunternehmen Größere mittelständische Familienunternehmen geraten oft durch strukturelle Konflikte der Eigentümer in Schwierigkeiten. Hinsichtlich der praktischen Unternehmensführung passiert dies vorrangig bei den Unternehmen, in denen mehrere Familienmitglieder an der Unternehmensführung beteiligt sind, sie aber untereinander keine klare und eindeutige Abgrenzung von Verantwortung und Kompetenzen vorgenommen haben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zwischen diesen Familienmitgliedern nicht geregelt ist, wer unter ihnen „der Chef“ ist. Das Motto lautet: „Wir entscheiden alles gemeinsam und einstimmig“. Diese vordergründige Harmoniekultur schafft strukturelles Konfliktpotenzial. Ein weiterer Aspekt ist, dass die im Unternehmen tätigen Familienmitglieder ihre interne Familienstruktur mit ihren Facetten in die praktische Unternehmensführung einbringen. Auch das birgt strukturelles Konfliktpotenzial. Das Thema „Generationsübergang“ ist ein weiteres Stichwort zu den spezifischen Konfliktpotenzialen in familiengeführten Unternehmen.
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Insbesondere wenn ein Alleineigentümer oder Mehrheitsgesellschafter mehrere Erben hat, kann ein Generationswechsel in der Familie auch zu einem Wechsel des Unternehmenstyps führen. Manche Familienunternehmen scheitern in der zweiten Generation durch die Widerstände der Mitarbeiter, die dem „Jungen“ nicht das zutrauen, was der „Alte“ bisher gebracht hat. Diese Jungen haben es oft schwer, durch Fachkompetenz und Wissen den Respekt der ihnen nicht so gut Gesinnten zu erwerben. Einen Ausweg aus diesen Konstellationen suchen einige Familienunternehmen durch die Einrichtung einer Doppelspitze: Junior und Senior an der Spitze. Wenn der Senior es hierbei aber nicht schafft, wirklich an den Junior abzugeben, führt das zur Untergrabung der Autorität des Juniors und kann eine geregelte Übergabe des Betriebs unmöglich machen. Besondere Konstellation: Fusionen Beispiel für einen noch rechtzeitigen Abbruch von Fusionsverhandlungen: Die Vorbereitung für den Fusionsprozess zweier mittelständischer Druckereien, wo es u. a. um die Themen Kunden, Produkte und Personal ging, verlief schleppend. Des Öfteren wurden gemeinsam abgestimmte Termine wieder verschoben. Die schriftlich vorzubereitenden Unterlagen wurden von den Verhandlungsführern nicht termingerecht und detailliert erarbeitet. Das waren Signale dafür, dass hier etwas nicht stimmt. Es wurde eine Liste möglicher Themen, die bei den einzelnen Verhandlungsführern „persönliche Knackpunkte“ sein könnten, erarbeitet. Hierbei kamen einige „heiße Themen“ zum Vorschein, beispielsweise genaue Kompetenzabgrenzung und Nachfolgeregelung für den einen Verhandlungspartner, der sich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand befand. Diese Themen wurden in den vorherigen Gesprächen auch schon diskutiert – aber ohne eindeutige Abstimmungsergebnisse in den Protokollen. Diese „heißen Themen“ waren zur Überraschung der Verhandlungsführer der Gegenstand für die nächste Abstimmungsrunde. Danach war der Spuk einer möglichen Fusion beendet. Bei dieser Sitzung wurde allen Beteiligten deutlich, dass jeder seine versteckten persönlichen Interessen an dieser Fusion noch nicht wirklich ins Gespräch eingebracht hatte. Beim gemeinsamen Betrachten aller geheimen persönlichen Interessen
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
erkannten die Beteiligten, dass diese unterschiedlichen Ambitionen nicht gemeinsam realisiert werden konnten. Für die Beteiligten war diese Erkenntnis noch so rechtzeitig, dass kein wirklich großer Schaden entstanden war. Die wirklichen Verhinderer dieser Fusion waren Ansprüche auf Besitzstandswahrung, Statusbewusstsein und Eitelkeiten der einzelnen Verhandlungsführer. Obwohl für Statusbewusstsein und für Eitelkeiten in Fusionsprozessen kein Platz ist, sind genau diese Faktoren oft die Verhinderer. In dem Fachaufsatz „Kontrolliertes Schwitzen“ beschreibt Monika Dunkel das Beispiel einer Fusion von einem niederländischen mit einem britischen Konsumgüterhersteller. Diese Fusion wäre fast dem Statusbewusstsein des 70-jährigen britischen Chairman zum Opfer gefallen. Dieser betagte Chairman fürchtete, dass er nach der Fusion auf seinen Rolls-Royce samt Fahrer verzichten müsse. In seiner Eitelkeit hätte er lieber die Fusion platzen lassen, bevor er den Niederländern seine persönliche Sorge eingestanden hätte. Es bedurfte aufwändiger Interventionen von Beratern, um die Ängste des Rolls-Liebhabers zu zerstreuen. Abschließend soll vor der Einrichtung von Doppelspitzen gewarnt werden. Da viele Fusionen tendenziell wie Übernahmen funktionieren, sind die Repräsentanten der beiden Unternehmen in der Realität nicht gleichberechtigt. Auch bei seltenen gleichberechtigten Fusionen vertreten die Manager an der Doppelspitze jeweils andere gewachsene Systeme in Gestalt von Unternehmenskulturen. Auch bei Fusionen ist eine Doppelspitze selten eine sinnvolle Lösung.
Verdeckte strukturelle Konflikte Strukturelle Konflikte existieren in Unternehmen auch im Hintergrund. Bei der Analyse eines Sachkonfliktes zwischen zwei Kollegen in einem Arbeitsteam stellen die beiden Kollegen gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten fest, dass es gar keinen Sachkonflikt gibt. Auch ein Beziehungskonflikt ist nicht die eigentliche Ursache der heftigen Auseinandersetzung dieser beiden Kollegen untereinander. Die wirkliche Ursache ist,
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dass der Kollege Althaus mit seinen 27 Jahren Betriebszugehörigkeit zur „alten Garde“ und der Kollege Neuhaus mit seinen 1½ Jahren Betriebszugehörigkeit zu den „jungen Revoluzzern“ des Unternehmens gehört. Beide Gruppen bekämpfen sich latent, ohne dass irgendein Mitarbeiter jemals offiziell über dieses Thema redet. Vielen Mitarbeitern sind derartige strukturelle Konfliktpotenziale in ihrem Unternehmen nicht bewusst. Systemarchetypen nach Peter M. Senge Nach Peter M. Senge, dem Buchautor von „Die fünfte Disziplin“, halten uns Strukturen, die uns nicht bewusst sind, gefangen. Er beschreibt in diesem Zusammenhang mehrere „Systemarchetypen“, von denen zwei ausgewählte Beispiele folgen. Derartige Systemarchetypen sind die Schlüssel zum Lernen, verdeckte Strukturen zu erkennen. X
Problemverschiebung Bei der Problemverschiebung wendet man eine kurzfristige „Lösung“ an, um ein Problem zu korrigieren. Das bewirkt eine sofortige Verbesserung. Wenn man verstärkt zu dieser Lösung greift, werden grundsätzliche und langfristige Korrekturmaßnahmen mehr und mehr vernachlässigt. Mit der Zeit verkümmert die Fähigkeit zur Anwendung einer grundsätzlichen Lösung oder verliert an Wirksamkeit, was die Abhängigkeit von der kurzfristigen Lösung noch weiter verstärkt. Wenn man in einem Unternehmen den Absatz nur beim bestehenden Kundenstamm ausbaut, anstatt auch den Kundenstamm selbst auszubauen oder Rechnungen mit geliehenem Geld bezahlt, anstatt diszipliniert zu sparen, weicht man jeweils der Notwendigkeit aus, die grundsätzliche Lösung zu erarbeiten. Dann landet man tendenziell in einer Form von Abhängigkeit. In bürokratisch ausgerichteten Unternehmen und Einrichtungen ist diese Problemverschiebung der betriebliche Alltag. Alle sind sehr emsig – aber nichts ändert sich.
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Eskalation Zwei Personen oder Unternehmen glauben, ihr Wohlbefinden hänge davon ab, dass sie einen Vorteil gegenüber der jeweils anderen Seite erlangen. Immer wenn eine Seite eine Nasenlänge voraus ist, fühlt sich die andere Seite stärker bedroht, was sie dazu veranlasst aggres-
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
siver am eigenen Vorsprung zu arbeiten. Dadurch fühlt sich wiederum die andere Seite bedroht und erhöht ihre eigene Aggressivität usw. Häufig hält jede Seite ihr eigenes aggressives Verhalten für eine reine Verteidigungsreaktion auf die Aggressivität des anderen. Aber wenn jede Seite „in Abwehr“ handelt, schaukelt sich die Situation immer weiter hoch und führt am Ende zu Ergebnissen, die keine Seite will. Beispiele sind die Werbekriege in den Medien oder Kämpfe von Mitarbeitern, letztere um die Aufmerksamkeit der Unternehmensleitung auf sich zu ziehen. Juristen verdienen oft gut an diesem Systemarchetypus Eskalation. Wenn man im Unternehmen die verdeckten Strukturen wahrnimmt, befreit man sich von bisher unerkannten Kräften. Verborgene Strukturen in den Unternehmen Unternehmen sind soziale Gebilde, die funktionsfähige Strukturen brauchen. Beispiele derartiger Strukturen finden im Organigramm ihren Niederschlag. Auch die Prozessstrukturen und das betriebswirtschaftliche Berichtswesen gehören dazu. Zu den offiziellen Strukturen eines Unternehmens gehören genauso das Programm der Produkte/Dienstleistungen und die Zusammensetzung des Personals in seinen verschiedenen Facetten. Diese offiziellen Strukturen sind insofern interessant, da der praktische Umgang mit diesen offiziellen Strukturen oft auch verborgenes strukturelles Konfliktpotenzial birgt. In vielen Fällen ist ungewiss, wie genau die offiziellen Regelungen im Unternehmen wirklich anzuwenden sind. Neben den offiziellen Strukturen gibt es eine Reihe von verborgenen Strukturen durch die das Unternehmen auch eine Beständigkeit erhält. Als Beispiele nennt der Unternehmensberater Wolfgang Schnelle in „Moderieren von Veränderungsprozessen“ die folgenden Strukturen, die den Menschen im Unternehmen weniger bewusst sind und über die man auch weniger spricht. X
Neben den professionellen Denkstilen (Techniker, Handwerker, Verkäufer, Controller) bilden die Mentalitäten aus Schicht-, Nationalitäts- und Generationszugehörigkeit eine Gruppe dieser verborgenen Strukturen.
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Dass „man“ sich in einem Arbeitsteam „konform“ verhalten muss, um anerkannt und nicht ausgestoßen zu werden, zeigt, wie stark informelle Strukturen auch in kleinen Organisationseinheiten sein können. Eine weitere Form von Strukturen, über die eher unter vorgehaltener Hand diskutiert wird, sind Interessenskoalitionen. Hier existieren Regeln und Strategien des mikropolitischen Spiels der Menschen und Abteilungen untereinander. Sie werden durch vermeintliche „sachliche Diskussionen“ tendenziell eher verschleiert. Auch Ziele der Unternehmensleitung stuft Schnelle als verborgene Strukturen ein, so offensichtlich manches formulierte Ziel wie Umsatzhöhe auch sein mag. Es ist nicht immer eindeutig und klar, ob es sich hierbei nicht um Konstrukte handelt, die der Disziplinierung dienen. Sie können erhöht werden, sobald es sich herausstellt, dass sie erfüllt werden – oder umgekehrt.
Alle offiziellen und offensichtlichen Strukturen haben oft auch verborgene Bedeutungen und Wirkungen. Nur die offensichtlichen Strukturen sind erkennbar und ansprechbar – und bei Bedarf auch veränderbar. Für Veränderungsprojekte in Unternehmen sind die offiziellen und die verborgenen Strukturen eines Unternehmens relevant. Beide gemeinsam wirken auf das Verhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens ein. Betrachtet werden in der Praxis bei Veränderungsprojekten meistens nur die offiziellen Strukturen. Die verborgenen Strukturen liefern eine Vielzahl von Ursachen oder Anlässen für strukturelle Konflikte oder andere schwierige Situationen, wie z. B. Widerstände, Angriffe oder Mobbing. So können Widerstände zwischen zwei Arbeitsteams entstehen, weil beide Arbeitsteams eine schriftliche Verfahrensanweisung „anders leben“. Verborgene Strukturen können auch ganz im Widerspruch zu offiziellen Strukturen stehen und dadurch zu strukturellen Konflikten führen. Ein in der Praxis häufig zu beobachtendes Beispiel ist, dass alle Mitarbeiter in einem Unternehmen „ein großes Team“ sein wollen – in der täglichen Arbeit kämpft jedoch jeder gegen jeden.
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
Doppelspitze durch informelle Führungskraft im Hintergrund Eine faktische Doppelspitze existiert dann, wenn neben der offiziell definierten Führungskraft eines Bereichs eine informelle Führungskraft im Hintergrund agiert. Im Gegensatz zu offiziellen Doppelspitzen hat die Machtgrundlage beider Führungskräfte eine unterschiedliche Legitimation. Die inoffizielle Führungskraft führt aufgrund ihrer sozialen Vernetzung und ihrer emotionalen Verankerung im Bereich. Insbesondere in größeren Unternehmen, in denen die tatsächliche Einhaltung von Dienstwegen oft sehr aufwändig ist, entwickeln sich informelle (Führungs-)Strukturen. Wenn die verdeckten informellen Führer mit den rivalisierenden formellen Führern offiziell aufeinander prallen, wird bisher verdecktes strukturelles Konfliktpotenzial offen gelegt. Die Frage ist dann, ob die beiden Führungskräfte das bisher verdeckte strukturelle Konfliktpotenzial erkennen und eine konstruktive Konfliktbehandlung anstreben oder ob sie sich auf der Ebene zwischenmenschlicher Konflikte in Hahnenkämpfe verwickeln.
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Der wirksame Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen
Vorgehensweise Eine wirksame Konfliktbehandlung: Verhandlung auf gleicher Augenhöhe Eine wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten in Unternehmen ist meistens die Verhandlung zwischen Personengruppen. Verhandelt wird in anderen Zusammenhängen, auf Märkten und zwischen Arbeitgebern und -nehmern. Sofern keine unüberwindbaren Hürden auftreten, ist das Ergebnis einer Verhandlung eine Übereinkunft der beteiligten Parteien. Optimal ist ein Verhandlungsergebnis, durch das sich die Beteiligten verbessern, auch in strukturellen Konfliktsituationen. Die Interessen der
Der wirksame Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen
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Beteiligten müssen (im höchstmöglichen Maß) erfüllt werden. Auch die Interessen der nur mittelbar von einem strukturellen Konflikt betroffenen Personen müssen in das Verhandlungsergebnis einfließen. Ein weiteres Kriterium für Verhandlungsergebnisse ist die Umsetzbarkeit. Das Ergebnis muss praktikabel sein, und es sollte einen möglichst effizienten Weg zur Umsetzung beinhalten. Solange unbewegliche Positionen aufeinander treffen, liegt eine wirksame Konfliktbehandlung außerhalb der beteiligten Sichtweisen. Wenn Macht- und Grabenkämpfe dazu kommen und mit dem Abbruch von Verhandlungen gedroht wird, nimmt die destruktive Konflikteskalation ihren Lauf. Solange die Parteien ihren Fokus auf Positionen verlegen, verhindern sie den Blickwinkel auf Interessen. Interessen können zum Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Interessenvertretern werden. Das gilt für Tarifverhandlungen genauso wie bei der Behandlung von strukturellen Konflikten in Unternehmen. Es entsteht ein Wechselspiel der Beteiligten von Angeboten und Zugeständnissen, vorausgesetzt, die Beteiligten setzen auf gegenseitiges Vertrauen. Solange eine Partei die andere(n) Partei(en) übervorteilen will, gibt es keine Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe. Dort fehlt der Vertrauensvorschuss für den zu behandelnden strukturellen Konflikt. Handlungsempfehlung: Modell einer Sechs-SchritteKonfliktbehandlung Die folgenden sechs Schritte sind ein Modell zur Behandlung eines Konflikts. In diesem Modell wird die Konfliktbehandlung durch einen neutralen Moderator begleitet und gesteuert. Die Konfliktparteien können einzelne Personen und Personengruppen sein. 1. Vorbereitung der Konfliktmoderation In der ersten Phase sind die Hauptziele des Moderators, die Hintergründe des strukturellen Konfliktes zu verstehen und die Empfindlichkeiten (z. B. Macht oder Politik) der beteiligten Parteien herauszufinden. Außerdem schafft der Moderator die organisatorischen und methodischen Voraussetzungen zur Durchführung der Konfliktmoderation mit den beteiligten Parteien.
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2. Methodischer Einstieg für den Fahrplan der Moderation Ausgehend davon, dass voraussichtlich ein gespanntes Klima vorherrscht und ein gewisses Misstrauen zwischen den Parteien existiert, gilt es, eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Mit der in Kapitel 4 beschriebenen Intervention „Wünsche und Kreditangebote“ kann man diese Plattform schaffen. Danach können die beteiligten Parteien gemeinsam Vereinbarungen treffen über: Ziel, Ablauf und Spielregeln sowie Zeitplan für die Konfliktmoderation. 3. Konfrontation als inhaltlicher Einstieg zur Ausgangssituation Die Parteien sollen in dieser Phase offen ihre Sicht der Dinge zur Ausgangssituation vortragen. Dies kann in unterschiedlicher Form erfolgen, beispielsweise strukturiert nacheinander oder in Form einer Pro-Contra-Diskussion (siehe Kapitel 4). Gegenseitiges Unterbrechen wird vom Moderator unterbunden, es sei denn, es handelt sich um Verständnisfragen. Hilfreich in diesem Schritt ist auch die in Kapitel 4 beschriebene Intervention „Wahrnehmungsklärungen“. 4. Gemeinsames Verständnis schaffen als Basis zur Konfliktlösung Um beim Aufbau von gegenseitigem Vertrauen erfolgreich zu sein, müssen die Parteien von der Schuldfrage wegkommen. Einzelne zu behandelnde Themen hierbei sind: Vergangenheit (z. B. persönliche Animositäten, die durch den struktuellen Konflikt entstanden sind) aufarbeiten. Offene Fragen (z. B. zur formellen/informellen Struktur/Beziehung) klären. Herausarbeiten von neuen Erkenntnissen und Dingen, die die Parteien bisher nicht gewusst oder anders interpretiert haben (z. B. informelle Rollen). Als Abschluss für diesen Schritt eignen sich die in Kapitel 4 beschriebenen Interventionen „Der gemeinsame distanzierte Blick“ und „Brainstorming über Gemeinsamkeiten“. Diese Interventionen sind bei strukturellen Konflikten zwischen Personengruppen sehr wirksam.
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5. Lösungsfindung in Form eines gemeinsamen Lösungsansatzes Bei der Lösungsfindung geht es im ersten Teil darum, möglichst viele verschiedenartige Lösungsansätze zu finden. Die Empfehlung hierbei ist, Kreativitätstechniken einzusetzen. In den Trainingsinhalten zum Thema Kreativität des Dale Carnegie-Trainings wird u. a. empfohlen, das „Grünlicht-Denken“ (Beispiele: Brainstorming, Ideenfluss) vom „Rotlicht-Denken“ (Beispiele: kritische Bewertung, Qualität als Ziel) methodisch sauber zu trennen, um wirklich mehrere andersartige Lösungsansätze zu entwickeln. Im zweiten Teil geht es um eine gemeinsame Abstimmung und damit um die Festlegung eines Lösungsansatzes. Bei strukturellen Konflikten werden in der Konfliktmoderation meistens Lösungsansätze und noch keine detaillierten Lösungen ausgehandelt. Die detaillierten Lösungen werden nach der Konfliktmoderation ausgearbeitet. Wichtig in diesem Schritt ist, dass die beteiligten Parteien den ausgehandelten Lösungsansatz für fair halten und bereit sind, diesen Lösungsansatz gemeinsam im Anschluss zu konkretisieren. 6. Blick in die Zukunft Abschließend erfolgt der Transfer in die Praxis. Dies bedeutet die gemeinsame Bekräftigung der positiven Eindrücke und Gefühle der Parteien. Die Parteien müssen Vereinbarungen zur Konkretisierung des Lösungsansatzes erzielen. Auch konkrete Absprachen, wie die Parteien derartige Situationen zukünftig meistern, sind zu treffen. Manchmal gelingt es auch Perspektiven zu entwickeln, die über den gemeinsam gefundenen Lösungsansatz hinausgehen. Als Einstieg in diesen Blick in die Zukunft eignet sich beispielsweise die Intervention in Kapitel 4 „Was wäre, wenn ...?“. Fokus: Strukturelle Aspekte als Verhandlungsgegenstände Die sechs Schritte zur Behandlung von Konflikten gelten für zwischenmenschliche und für strukturelle Konflikte grundsätzlich gleichermaßen. Der Unterschied zur inhaltlichen Behandlung von Konflikten ist der Kontext. Bei strukturellen Konflikten sind die im Widerspruch stehenden Systeme (Verantwortungs- und Machtbereiche, Prozesse, Ressourcen und
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Kontrollmechanismen) zu betrachten und zu analysieren. Der Anhang enthält eine Checkliste als Diagnoseschema zur Analyse von strukturellen Konflikten.
Lösungsansätze für typische Merkmale Machtquellen im Kooperations- und Konkurrenzsystem ergründen Unternehmen sind als Systeme für Kooperation und Konkurrenz zugleich konzipiert. Diese gegensätzlichen Dimensionen können durch die hierarchische Struktur in Unternehmen veranschaulicht werden. X
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Die Organisationsstruktur ist einerseits ein Kooperationssystem. In ihr ist die Aufgabenuntergliederung des Unternehmens abgebildet und sind die formalen Beziehungen der Kooperation der einzelnen Einheiten untereinander definiert. Zugleich wird durch die Organisationsstruktur die der Politik förderliche Art des Konkurrenzkampfes hergestellt. Eine Ausprägung ist die Karriereleiter der Organisationsstruktur. Da es oben weniger Stellen gibt als unten, ist die Konkurrenz um die oberen Positionen heftiger. Im Sinne des „Besser Dastehens“ ist jede Gruppe in dieser Hierarchie darauf bedacht, Autorität und Einfluss auf andere auszuüben.
Macht im Sinne von Beeinflussung des Willens anderer entscheidet darüber, wer was wann in welcher Form erreicht. Sie ist das Medium, mit dessen Hilfe Interessenkonflikte gelöst werden. Macht hat auch mit der Fähigkeit zu tun, jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun, was er sonst nicht getan hätte. Um die Machtdynamik innerhalb von Unternehmen zu verstehen und die verschiedenen Wege der Einflussnahme von Mitarbeitern in Unternehmen zu erkennen, hat Gareth Morgan in „Bilder der Organisation“ verschiedene Machtquellen als analytischen Rahmen herausgearbeitet. Einige Beispiele sind im Folgenden kurz dargestellt. Sie sind Anhaltspunkte, um Machtquellen im Unternehmen zu ergründen.
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Offizielle Autorität Dies ist die offiziellste Machtquelle in einem Unternehmen. Diese Art legitimierter Macht wird von allen, die miteinander zu tun haben, oft respektiert und anerkannt.
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Kontrolle über knappe Ressourcen Die Fähigkeit, einige der Ressourcen wie z. B. Geld, Material und Personal zu kontrollieren, ist eine weitere wichtige Machtquelle in Unternehmen. Ein großer Teil der Unternehmenspolitik wird auf die Finanzplanung und die Kontrolle der Zuteilung von finanziellen Ressourcen verwendet.
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Kontrolle über Entscheidungsprozesse Da Unternehmen in hohem Maße Systeme zur Entscheidungsfindung sind, können einzelne Mitarbeiter oder Gruppen, die erheblichen Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben, sehr stark auf das Unternehmen einwirken. Die oft zentralistisch organisierten Einkaufsbereiche im Unternehmen zeigen ihre Macht manchmal auch, um ihre Daseinsberechtigung zu demonstrieren.
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Die Fähigkeit, Unwägbarkeiten gewachsen zu sein Die Fähigkeit mit Unwägbarkeiten, wie sie zum Alltag eines Unternehmens gehören, umzugehen ist eine weitere Machtquelle. Wer als Einzelner oder als Gruppe geschickt mit Störungen, Unterbrechungen oder Zwischenfällen mit erheblichen Einflüssen auf die Abläufe im Unternehmen umgehen kann, gewinnt beträchtliche Macht.
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Interpersonelle Allianz, Netzwerke und die Kontrolle über inoffizielle Netzwerke Durch verschiedene miteinander verknüpfte Netzwerke kann ein Mitarbeiter oder eine Gruppe oft schon im Voraus etwas über aktuelle Entwicklungen in Erfahrung bringen oder durch persönlichen Kontakt auf Entwicklungen Einfluss nehmen. Wichtig für das Schaffen von Koalitionen und Netzwerken ist, dass man Freunde und auch potenzielle Feinde einbindet. Unternehmen verfügen über verschiedenste inoffizielle Netzwerke, in denen die Mitarbeiter durch ihre Interaktionen ihre verschiedenen sozialen Bedürfnisse abdecken. Anführer der-
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artiger inoffizieller Koalitionen können eine mit den offiziellen Führungskräften vergleichbare Machtstellung erlangen. Die Fähigkeit, diese und weitere Machtquellen wie Kontrolle über Sachwissen und Informationen tatsächlich zu nutzen und richtig einzusetzen, hängt auch von strukturellen Faktoren ab. Manche Führungskräfte sind in eine umfassend abgegrenzte Struktur eingebettet, sodass sie nur als halbautonome Schachfiguren agieren können. Auch tiefer liegende Faktoren wie Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht zählen oft zu den strukturellen Faktoren der Machtausübung. Die Auseinandersetzung mit den Themen „Interessen“ und „Macht“ liefert Anregungen zur Entschlüsselung von Machtspielen und politischer Dynamik. Macht von Führungskräften angemessen einsetzen und nutzen Einige Führungskräfte haben ein ambivalentes Verhältnis zu der Macht, die ihnen durch ihre Funktion verliehen wurde. Sie streben einen kooperativen Führungsstil an und glauben, dass Macht darin keine Rolle spielt. Andere Führungskräfte setzen ihre Macht einseitig ein, um ihre persönlichen Bedürfnisse nach Anerkennung oder Bereicherung zu befriedigen. Letzteres wird durch die Veröffentlichung von Skandalen in der Wirtschaft dokumentiert. Zeiten sinkender Erträge, in denen Führungskräfte panisch reagieren und plötzlich nur noch mit Macht entscheiden, unterstützen das ambivalente Verhältnis von Macht. Roland Jäger hat einen Fachaufsatz „Vom Umgang mit der Macht“ geschrieben. Für ihn gestaltet sich der Umgang mit Macht vor allem deshalb schwierig, weil die meisten Führungskräfte sich noch nie explizit mit dem Thema Macht beschäftigt haben. Klärende Fragen hierzu sind: Warum brauchen Führungskräfte Macht, wie entsteht (Führungs-)Macht, aus welchen Quellen speist sie sich und was ist die für eine Führungskraft angemessene Weise, die ihr verliehene Macht konstruktiv zu nutzen. Nach Jäger darf die mit einer Führungsposition verbundene Entscheidungs- und Gestaltungsmacht nie losgelöst von der Führungsposition gesehen werden. In diesem Sinne ist Macht ein Instrument das Führungskräfte brauchen, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Die ihnen verliehene
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Macht ist erforderlich, um notwendige Entscheidungen zu treffen, erforderliche Prozesse zu initiieren und für die konsequente Umsetzung von vereinbarten Maßnahmen zu sorgen. Eine zielorientierte Führungskraft definiert sich vor allem über ihre Aufgabe und strebt in ihrem Tun das Erreichen der gesteckten Ziele an. Sie nutzt die Macht konstruktiv und bedient sich verschiedener Machtmittel, die aus ihrer Persönlichkeit und ihrer Funktion erwachsen. Zielorientiert setzen diese Führungskräfte ihre Macht situativ ein, mal konsensorientiert bei erforderlichen Teamentscheidungen und mal direktiv. Mitarbeiter erwarten, dass ihre Vorgesetzten ihnen im Alltag Orientierung und Halt geben auf der Grundlage von gegenseitigem Vertrauen. Die pluralistische Ausrichtung von Führungskräften wahrnehmen Gareth Morgan charakterisiert ein pluralistisches Bezugssystem in Unternehmen für die drei folgenden Begrifflichkeiten: X
Interessen Es wird die Vielfalt von individuellen Interessen und von Gruppeninteressen betont. Das Unternehmen wird als loser Zusammenschluss betrachtet, mit vorübergehendem Interesse und Zielen.
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Konflikte Konflikte werden als unabdingbare und unabänderliche Bestandteile des Geschehens in Unternehmen betrachtet. Hierbei werden die potenziellen positiven und funktionellen Aspekte von Konflikten betont.
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Macht Macht ist eine wesentliche Variable in einem pluralistischen Bezugssystem. Macht wird als das Mittel angesehen, durch das Interessenkonflikte geklärt und behandelt werden. Das Unternehmen wird als Pluralität von Machtinhabern gesehen. Die Machtinhaber beziehen ihre Macht aus einer Vielzahl von Quellen.
Kennzeichnend für eine pluralistisch ausgerichtete Führungsmannschaft ist, dass sie die Unausweichlichkeit von Politik in Unternehmen akzeptiert. Sie berücksichtigt Individualinteressen und konzentriert sich darauf,
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diese Interessen zu koordinieren. Eine pluralistisch ausgerichtete Führungskraft erkennt, dass Konflikte und Machtspiele positive und negative Funktionen erfüllen können. Ihr Hauptanliegen besteht darin Konflikte so zu handhaben, dass das Unternehmen davon profitiert. Bei der egoistischeren Variante sorgt eine pluralistisch ausgerichtete Führungskraft dafür, dass Konflikte so gehandhabt werden, dass sie ihren eigenen Interessen förderlich sind. Mit Konflikten und Macht differenziert umgehen Aufgrund der unterschiedlichen Wirkungsweisen von strukturellen Konflikten, von der Lethargie bis zur wichtigen Quelle von Innovationen, muss man mit ihnen sehr differenziert umgehen. Die Hauptaufgabe besteht darin, gerade das richtige Maß an Konflikten beizubehalten. X
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Wenn viele Konflikte eine Abteilung oder ein Unternehmen lähmen, gilt es, die Konflikte in produktive Bahnen zu lenken und Techniken zur Konfliktlösung einzusetzen. Führt ein Mangel an Konflikten zur Gleichgültigkeit, gilt es Wege zu finden, wie Konflikte angemessen gefördert werden können. Oft hilft ein Offenlegen von verdeckten Konflikten. Manchmal sollten Konflikte tatsächlich kreativ geschürt und im Sinne der Wiederbelebung einer Organisationseinheit entfacht werden.
Insgesamt beruht eine pluralistische Ausrichtung in der Führungsmannschaft eines Unternehmens auf der Fähigkeit, Situationen angemessen zu deuten. Führungskräfte müssen Konflikte verstehen und Machtbeziehungen durchschauen können, damit sie mit diesen Situationen angemessen umgehen können. Dies setzt ein waches Bewusstsein für konfliktträchtige Themen und Situationen voraus. Die von Gareth Morgan verwendete Metapher, das Unternehmen als politisches System zu verstehen, hilft, den Mythos von Rationalität in Unternehmen zu ersetzen. Durch sie bekommt das Verständnis für menschliche Verhaltensweisen eine politische Blickrichtung. Roderik M. Kramer beschäftigt sich als Professor für Organisationspsychologie mit der Frage, warum einige Führungskräfte ihre Macht so wir-
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kungsvoll ausüben. Die Ergebnisse seines Fachaufsatzes zum Thema „Die Stunde der Einschüchterer“ verdeutlichen, dass politische Intelligenz für zielorientierte Führungskräfte genauso wichtig ist, wie emotionale und soziale Intelligenz. „Politisch intelligente Führer sind sich bewusst, welche Macht Furcht und Angst haben.“ Politisch intelligente Führer wollen greifbare Ergebnisse erzielen und sind sich bewusst, dass zuviel Furcht und Angst zu Verunsicherung und Lähmung führt, zu wenig aber Trägheit und Selbstgefälligkeit hervorrufen. Doppelspitzen vermeiden oder coachen Die Initiierung von strukturellem Konfliktpotenzial durch die Einrichtung von Doppelspitzen ist ohne sachlich wirklich fundierte Gründe zu vermeiden. Wenn es in Ausnahmefällen aus fachlichen, organisatorischen oder personellen zwingenden Gründen zur Einrichtung einer Doppelspitze kommen muss, müssen sich alle Beteiligten über das natürliche strukturelle Konfliktpotenzial bewusst sein. Der Vorgesetzte dieser Doppelspitze muss beide Führungskräfte gleichwertig behandeln und sollte Abstimmungen zur Führung des Tagesgeschäfts stets unter sechs Augen führen. Er sollte Anzeichen für scheinbar persönliche Konflikte zwischen den beiden Führungskräften der Doppelspitze sensibel wahrnehmen und möglichst zeitnah aufgreifen. Personalisierte Konflikte innerhalb einer Doppelspitze haben oft strukturelle Ursachen. Wenn es zu Konfliktsituationen in der Doppelspitze kommt, übernimmt der Vorgesetzte die Aufgaben eines Konfliktmoderators. Als Mediator der Doppelspitze hat er im ersten Schritt die Aufgabe, im Einzelgespräch den Konfliktpartnern zu ermöglichen, ihre Sichtweisen und Eindrücke auf vertraulicher Basis zu schildern. In diesen vertraulichen Vorgesprächen können sich die beiden Personen emotional entlasten. Ziel hierbei ist, dass die aufgestauten negativen Emotionen für das folgende Dreiergespräch offen gelegt und dadurch im Vorfeld bearbeitet werden. Der Vorgesetzte muss sich seiner moderierenden Rolle im Dreiergespräch bewusst sein. Eine Bevorzugung einer der beiden Führungskräfte darf es dabei nicht geben.
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Zur Prophylaxe gegen unproduktive Konflikte in der Doppelspitze sollten regelmäßige Treffen zwischen den beiden Führungskräften der Doppelspitze und ihrem gemeinsamen Vorgesetzten durchgeführt werden. Der Vorgesetzte kann auf relevante Gefahren hinweisen, denen die Doppelspitze ausgesetzt ist. Er kann sie beispielsweise auch darauf aufmerksam machen, wenn aus seiner Beobachtung von den Mitarbeitern (verdeckte) Spaltungsangebote kommen. Die „Sowohl-als-auch-Kombination“ bei unterschiedlichen Denkstilen nutzen Bei den beiden gegensätzlichen Denkstilen, die Fritz B. Simon mit den Metaphern Hausfrau und Künstler beschrieben hat, handelt es sich um zwei Pole. Je mehr diese beiden Pole aus einer Innensicht betrachtet werden, desto wertender ist der ideologische Beiklang der beiden einzelnen Rollen. Die scheinbar unvereinbaren Ziele sind: Bewahren versus Innovation. Simon weist darauf hin, dass dies auch im Familienleben beobachtet werden kann. Die Männer- und Frauenrollen liefern ein gutes Beispiel für die Vor- und Nachteile von Arbeitsteilung und der hierfür erforderlichen Kooperation. Entbunden von häuslichen Pflichten kann ein Partner hinaus ins „feindliche“ Leben gehen und das erforderliche Geld für das gemeinsame Zusammenleben beschaffen. Oft ist in Lebenspartnerschaften zu beobachten, dass beide Partner, jeder für sich, die Partnerschaft aus ihrer Innenperspektive betrachten. Dies kann zu partnerschaftlichen Dramen führen. In Analogie zu Unternehmen, wo es um die Gegenpole „Erhalt von Ordnung oder Kämpfen für Innovationen“ geht, gibt es für Lebenspartnerschaften beispielsweise die Begriffe „klammern oder flüchten“. Während der eine Partner sich für eine immer dauernde Nähe einsetzt, pocht der andere Partner auf seine Freiheit. Der eine klammert und der andere scheint ständig auf der Flucht vor dem Gefängnis einer zuverlässigen Bindung. In der Außenperspektive kann deutlich werden, dass jeder den anderen braucht, um sich selbst frei von zwiespältigen Wünschen und Gefühlen halten zu können. Würde der eine nicht klammern, würde der andere keine Fluchtwünsche spüren und möglicherweise merken, dass er auch
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Sicherheit sucht. Würde der andere nicht dauernd auf seine Freiheit pochen, würde der eine merken, dass es auch Nachteile in sich birgt, wenn man „immer zusammenhängt“. Auf diese Weise könnten beide gegenläufige Tendenzen sich zu einem Gleichgewicht ausloten. Dieser Ansatz gilt auch für Unternehmen. Jedes Unternehmen, das auf dem freien Markt auftritt, braucht beide Denkstile. Durch das Zusammenwirken von Hausfrauen- und Künstlerarbeit kann ein Unternehmen sich ausreichend ändern, um seine Stabilität in einer sich dynamisch verändernden Umwelt zu erhalten. Jedes Unternehmen braucht bestimmte Prozesse, die Infrastrukturen schaffen und erhalten. Kreative Aktivitäten sind für Neuerungen erforderlich und bringen Innovationen zur Erweiterung der Handlungsoptionen. Beide Verhaltensweisen gilt es so miteinander zu kombinieren, dass sie ineinander greifen und zu einem Prozess werden. Dieser Prozess ist ein Muster von Interaktionen. Von außen wird deutlich, dass es darauf ankommt, die Gegenpole in Sowohl-als-auch-Kombinationen zu verwandeln, um den natürlichen Konflikt für das Unternehmen zweckgerichtet zu nutzen. Für Unternehmen gilt, dass sie als ein soziales System immer alle für das Überleben notwendigen Funktionen wahrnehmen. Eine Empfehlung von Simon für dieses strukturelle Konfliktpotenzial lautet, den Hausfrauen genügend Künstler und den Künstlern genügend Hausfrauen zur Seite zu stellen. Dann kommt es bei den Künstlern zu keinem Erstickungstod durch Chaos und bei den Hausfrauen zu keiner Hungersnot aufgrund mangelnder Innovationen. Sowohl-als-auch-Beispiel: Neue Ideen und Erfahrungswissen kombinieren Ein Trend zum Jugendwahn in der Wirtschaft und eine jahrelange Politik der Frühverrentung und der Altersteilzeit hat dazu geführt, dass heute nur noch wenig mehr als ein Drittel der 55- bis 64-jährigen arbeitet. Nina Baumann beschreibt in einem Fachaufsatz „Die älteren sind besonders motiviert“, dass die meisten Unternehmen auf den Nachwuchs setzen, anstatt auf eine ausgewogene Altersmischung in der Belegschaft. Unternehmen, die entlassen müssen, versuchen die älteren Mitarbeiter loszu-
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werden. Unternehmen die einstellen, suchen junge Mitarbeiter. Nach und nach setzt sich in einigen Personalabteilungen die Erkenntnis durch, dass eine Personalpolitik, die einseitig neues Wissen durch neue Mitarbeiter erschließen will, zum Scheitern verurteilt ist. Eine gegenteilige Personalpolitik, die ausschließlich auf Kontinuität und Erfahrung setzt, kann zur Folge haben, dass das Unternehmen den Anschluss an den Markt verpasst. Nur wenige Unternehmen erkennen nach Baumann bislang den Vorteil von generationsgemischten Teams. Es geht sowohl um neue Ideen als auch um Erfahrungswissen. Aus dieser Kombination entstehen tragfähige neue Konzepte. Es geht sowohl um die Übermotiviertheit und Ungeduld von jungen Mitarbeitern als auch um die Erfahrung und Gelassenheit von älteren Mitarbeitern. Eines der von Baumann beschriebenen Beispiele ist die Deutsche Bank, in der „Know-how-Tandems“ eng zusammenarbeiten. Senior Professionals und Nachwuchskräfte arbeiten beispielsweise als Gespann im täglichen Geschäft eng zusammen. Beide lernen voneinander und profitieren davon, im Sinne des Unternehmenserfolgs. Auch verborgene Strukturen erkennen und aufdecken Bei Veränderungsprozessen ist für deren Verantwortliche wichtig zu wissen, wie die Machtverhältnisse und die Denkstile im Unternehmen und in einzelnen Abteilungen sind und gelebt werden. Bei aktuellen Konflikten geht es im Sinne einer Klärung und zielgerechten Lösung auch darum, die Ursache hinter der Ursache zu erkennen. Da kann hinter einem persönlichen Beziehungskonflikt ein struktureller Konflikt innerhalb eines Arbeitsteams im wahrsten Sinne „verborgen“ sein. In beiden Fällen gilt es, die verborgenen Strukturen zu erkunden. Auch für die Planung und Veranlassung von Präventivmaßnahmen zur Vermeidung unproduktiver Konflikte ist die Kenntnis über die verborgenen Strukturen ein wichtiger Baustein. Um die verborgenen Strukturen zu erkunden, sind Gespräche erforderlich. Diese Gespräche sind mit einzelnen Mitarbeitern und Führungskräften zu führen sowie in kleineren Gruppen. Nachfolgend sind einige Bei-
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spiele für Fragen aufgeführt, die man im Rahmen derartiger Erkundungsgespräche stellen kann. X
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Weshalb „verkaufen“ Sie sich als Arbeitsteam gegenüber den anderen Abteilungen ganz anders im Vergleich dazu, wie Sie innerhalb des Teams zusammenarbeiten? Warum wird nicht gehandelt, obwohl die Unternehmensleitung oder der Abteilungsleiter entschieden hat? Warum existieren so viele interne Vermerke und Aktennotizen zwischen Ihrer Abteilung und dem Verkauf? Warum wird eine Dienstleistung oder ein Produkt weiter forciert, obwohl nachgewiesen ist, dass es nicht rentabel ist? Warum wird in der Praxis so wenig kooperativ zusammengearbeitet, obwohl das von allen Führungsebenen gefördert wird?
Um strukturelle Konflikte aufdecken zu können, müssen auch die verborgenen Strukturen allen Beteiligten bewusst werden, die verfestigten Denkstile und die Machtstärke von Arbeitsteams genauso wie das Verborgene in offensichtlichen Strukturen.
Lösungsansätze für die Praxisbeispiele 1. Praxisbeispiel: Starres Vergütungssystem im Vertrieb Die eindimensionale, klassische (Umsatz-)Provision für die einzelnen Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst birgt nicht nur strukturelle Konfliktpotenziale. Sie wird auch den vielfältigen und wettbewerbsintensiven Marktverhältnissen nicht gerecht. Erfolgreiche Vergütungssysteme im Vertrieb orientieren sich an den Unternehmenszielen und an den Leistungen jedes einzelnen Mitarbeiters sowie an Leistungen der Teams. Die eine Grundlage ist ein gesundes Verhältnis zwischen fixen und variablen Anteilen des Gehalts. Die variablen Anteile betragen in einigen Unternehmen bis zu 25 Prozent des Fixgehalts. Die andere Grundlage ist ein funktionierendes Führungssystem, beispielsweise in Form von Führen mit Zielvereinbarungen.
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Gemeinsam zwischen den Mitarbeitern im Außendienst und deren Vorgesetzten werden im Rahmen von Zielvereinbarungsgesprächen für jeden einzelnen Mitarbeiter und für Arbeitsteams konkrete (d. h. messbare) und erreichbare (d. h. motivierende) Ziele definiert. Der Erfüllungsgrad am Ende des Beurteilungszeitraums für die vereinbarten Ziele bestimmt die eine Komponente des variablen Gehalts. Kategorien für Zielformulierungen sind beispielsweise: X X X
Anzahl Kontakte/Gespräche zu Kunden/Interessenten Konkrete Ergebnisse: Angebote/Aufträge Forcierung bestimmter Produktgruppen/Produkte/Dienstleistungen
Hierbei wird zwischen der Gewinnung von Neukunden und der „Bestandskundenpflege“ unterschieden, d. h. jeweils einzelne Ziele definiert. Die zweite Komponente des variablen Gehalts ist die Provision auf den Deckungsbeitrag, jeweils auch auf der individuellen Ebene und ergänzend für Teams. Zum Vergütungs- und Motivationssystem gehören neben den fixen und variablen Gehaltsbestandteilen auch freiwillige geldwerte Zusatzleistungen (z. B. Dienstwagen, Altersversorgung) und Maßnahmen zur Personalentwicklung (z. B. Trainings-/Entwicklungsmaßnahmen, Karriereperspektiven). Auch andere Anreize wie Lebensarbeitszeitmodelle sind hierbei einzubinden. Diese Ansätze für eine Vergütungsstruktur zeigen auf, dass ein flexibles und sehr differenziertes Vergütungssystem die Alternative zum eindimensionalen, klassischen (Umsatz-)Provisionsmodell ist. Eine flexible und mehrdimensionale Vergütungsstruktur integriert Zielsetzungen auf Unternehmensebene, auf der Ebene von Arbeitsteams und auf individueller Ebene. Eine differenzierte Vergütungsstruktur dient der Optimierung der Vertriebssteuerung genauso wie der Wettbewerbsfähigkeit und der Wertsteigerung des Unternehmens. Sie ist in der Praxis nicht völlig frei von Konflikten. Die strukturellen Konfliktpotenziale im Praxisbeispiel des starren, eindimensionalen Vergütungssystems entstehen hierdurch jedoch nicht. Gegensätze im Denken, Wollen und Handeln werden auf den Ebenen „Vereinbarung von Zielen“ und „Überprüfung von Zielerreichungen“ – also auf operativen Ebenen – deutlich. Dort können sie dann konkret ausgehandelt werden.
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Die Zeitschrift personalmagazin (www.personal-magazin.de) veröffentlichte im Internet im April 2005, dass wachstumsorientierte Unternehmen eine innovative Vertriebsvergütung haben. „Mitarbeiter in wachstumsstarken Unternehmen erhalten im Vergleich zu ihren Wettbewerbern eine leistungsorientierte Bezahlung, realistische Zielvorgaben und setzen verstärkt auf Maßnahmen zur Mitarbeitermotivation.“ Das personalmagazin zitiert die Ergebnisse einer branchenübergreifenden Studie der Managementberatung Hewitt, in der insgesamt mehr als 2000 Außendienstler befragt wurden. Die Vergütung von Außendienstmitarbeitern in wachstumsstarken Unternehmen spiegelt sich demnach in einem wesentlich größeren Gestaltungsspielraum für leistungsbezogene Vergütungskomponenten wider. Leistungsschwächere Unternehmen verlassen sich zur Bestimmung der Verkaufseffektivität überwiegend auf die Umsatzzielerreichung. Leistungsstarke Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Verkaufseffektivität auf der Grundlage von differenzierten Betrachtungen beurteilen. Sie beziehen einen Mix von Parametern ein, wie beispielsweise Ergebniszielerreichung, Marktanteil, Kundenzufriedenheit und das Feedback der Vorgesetzten. Die jeweils definierten Erfolgskennzahlen orientieren sich an den aktuellen Zielen des Unternehmens. Flexibilität und Differenzierung sind die generellen Aspekte dieser Ansätze für eine erfolgreiche Vergütungsstruktur. Diese generellen Aspekte finden sich im Thema Managing Diversity in Kapitel 5 als wirksame Umgangsformen für strukturell bedingte Konfliktpotenziale wieder. 2. Praxisbeispiel: Macht im Projektteam Teil 1 – Bewusste Teamentwicklung Man kann mit den natürlichen strukturellen Konfliktpotenzialen in Projektteams bewusst wirksam umgehen. Wenn man ein Projekt übernimmt und die Teammitglieder bereits ausgewählt sind, sorgt man als Erstes dafür, dass das Projektteam wirklich arbeitsfähig wird. Hierzu muss das Projektteam den Prozess einer Teamentwicklung bewusst durchlaufen. Die Teamentwicklung beginnt, wenn die Auswahl der Teammitglieder erfolgt und der Startschuss gefallen ist. Ausgehend davon, dass die
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Teammitglieder grundsätzlich motiviert sind, beginnt danach die innere Dynamik und das Eigenleben des Teams. Auf dem Weg zu einer inneren Teamstruktur (einstimmiges Aufgaben- und Beziehungsgefüge) durchläuft ein Team die folgenden vier typischen Entwicklungsstadien. Es beginnt mit der Phase „Forming“, der Testphase für die Teammitglieder untereinander. Danach folgen das „Storming“ (Konfliktphase), das „Norming“ (Orientierungsphase) und das „Performing“ (Arbeitsphase). Bei der Teambildung geht es um die Auswahl der Mitarbeiter anhand der fachlichen Anforderungen und anhand der für das Projekt erforderlichen Persönlichkeitsmerkmale. Bei der Teamentwicklung geht es um das Zusammenraufen dieser in vielen Fällen sehr verschiedenen Persönlichkeiten. Hierfür braucht man situative Handlungsmöglichkeiten, um diesen Prozess zu fördern. Die Handlungsmöglichkeiten eines Projektleiters in den einzelnen Phasen der Teamentwicklung sind im Anhang „Einflussmöglichkeiten in den Phasen zur Teamentwicklung“ dargestellt. Wichtig für die zweite Phase (das „Storming“) ist, dass Kontroversen und Unterschiede nicht übereilt geschlichtet oder vielleicht unter den Teppich gekehrt, sondern zugelassen werden. In der Phase „Storming“ müssen verschiedene Standpunkte und mögliche Konfliktpotenziale bewusst zu Tage gefördert werden, damit diese gemeinsam mit allen Beteiligten konstruktiv behandelt werden können. Dazu muss es für alle Mitglieder möglich sein, dass sie ihre Interessen und Bedürfnisse benennen. Es geht darum, widersprüchliche Meinungen zu diskutieren und abweichende Meinungen im Sinne von Einwänden ernst zu nehmen und zu klären. Solange die Klärung der strukturellen Beziehungen innerhalb des Projektteams auf der Basis von gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung erfolgt, kann die Klärung von Macht und die Entwicklung einer „gesunden Konkurrenz“ in einem Projektteam zu einem starken Energiesystem werden. Dazu kann man durch eine bewusste Teamentwicklung beitragen. Nach dieser zweiten Phase werden in der dritten Phase (= „Norming“) Regeln zur Zusammenarbeit aufgestellt und vereinbart. In der vierten Phase (dem „Performing“) geht es darum, dass das Projektteam aufeinander eingestimmt ist und arbeitsfähig wird. Es geht in dieser Phase auch darum, dass das Team seinen Platz im Unternehmen gefun-
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den hat. Die Rechte und Pflichten des Teams sind auch allen Beteiligten außerhalb des Teams bekannt und von ihnen akzeptiert. Der Zeitrahmen dieser Teamentwicklung ist vorrangig von der Zusammensetzung des Teams abhängig. Er kann einige Tage oder auch Wochen betragen. Es gibt auch häufig Situationen, in denen das Projektteam einzelne dieser Teamentwicklungsphasen wiederholt durchlaufen muss. Es kann zu Krisen innerhalb des Teams kommen oder es können sich veränderte Rahmenbedingungen, wie andersartige Zielsetzungen oder neue personelle Ergänzungen des Teams, ergeben. Um hier das Gleichgewicht im Team wieder herzustellen, ist es hilfreich, sich auf diese natürlichen Entwicklungsphasen eines Teams zu besinnen, den aktuellen Status wahrzunehmen und den weiteren (neuen) Entwicklungsprozess bewusst zu gestalten. Teil 2 – Regelmäßige Teaminspektionen Auch wenn ein Projektteam seine erste Arbeitsphase (Performing) erreicht hat, ist der Projekterfolg noch nicht sicher. Fehlentwicklungen in einem Projekt können trotz ausgezeichneter Projektplanung eintreten. Sie kommen aber selten aus heiterem Himmel. Die weichen Faktoren des Projektmanagements (z. B. Akzeptanzprobleme im Team, Unzufriedenheit im Fachbereich) zeigen mögliche Fehlentwicklungen oft früher auf als die harten Faktoren (z. B. Qualitätsprobleme, Kosten- und Terminüberschreitungen). Fehlentwicklungen im Projektverlauf sollte man rechtzeitig wahrnehmen, bevor es zu einer Projektkrise kommt. Dann kann ein Projektteam noch die Chancen zur Korrektur nutzen. Regelmäßige Teaminspektionen, in denen die Art und Weise der Zusammenarbeit im Projektteam und mit den Fachbereichen reflektiert wird, helfen Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Für die Durchführung einer Teaminspektion gibt es verschiedene Möglichkeiten. X
Neben den regelmäßig durchzuführenden, fachlich ausgerichteten Projektbesprechungen werden in bestimmten Abständen Besprechungen im Team durchgeführt, bei denen es ausschließlich um das Thema Zusammenarbeit geht.
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Am Anfang oder am Ende von regelmäßigen Projektbesprechungen wird das Thema Zusammenarbeit jeweils besprochen. Es gibt einen aktuellen Anlass, das Thema Zusammenarbeit anzusprechen und ein Teammitglied bittet spontan um eine Teaminspektion.
Der Anhang enthält eine Checkliste „Regelmäßige Teaminspektionen für erfolgreiche Teams“, die man zur Formulierung von Fragen für Teaminspektionen nutzen kann. Projekte sind meistens komplexe Gebilde mit der Vernetzung verschiedener Variablen. So wichtig wie die Teamentwicklung zum Projektstart ist, genauso wichtig ist die ständige Wahrnehmung der Zusammenarbeit während des Projektverlaufs. Dadurch kann man rechtzeitig und angemessen auf mögliche Fehlentwicklungen in diesen komplexen Gebilden reagieren und für die erforderlichen strukturellen Rahmenbedingungen sorgen. 3. Praxisbeispiel: „Jojo-Effekt“ im Unternehmen Eindeutige Ausrichtung und wirksamer Umgang mit Diskontinuität Strukturelle Konflikte kann man nicht wie herkömmliche Probleme lösen. Lösungen für strukturelle Konflikte erfordern eine Neugestaltung der strategischen Ausrichtung von Strukturen und Prozessen gemeinsam mit den beteiligten Personen. Im Gegensatz zu strukturellen Konflikten gibt es strukturelle Spannungen. Sie sind als Differenz zwischen einem angestrebten und dem gegenwärtigen Zustand eine starke Kraft zur Weiterentwicklung von Unternehmen. Wenn Menschen sich durch fordernde und zugleich realistische Ziele im Sinne von Motivation selbst antreiben, liegt hier eine positiv wirkende strukturelle Spannung vor. In Unternehmen sollten Visionen eine derartig positive strukturelle Spannung erzeugen. Für das Praxisbeispiel eines idealtypischen strukturellen Konfliktes des mittelständischen Unternehmens bedeutet das, dass sich die Geschäftsleitung entscheiden muss.
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Im Beispiel ist das Unternehmen zwischen den beiden Polen X X
Veränderungsbedürfnis (Diskontinuität) und Aufrechterhaltung des Bisherigen (Kontinuität)
hin und her gependelt („Jojo-Effekt“). Die Geschäftsleitung muss diese beiden strategischen Ausrichtungen hierarchisch ordnen. In Zukunft muss eine dieser beiden Ausrichtungen wichtiger sein als die andere. Auf der Grundlage einer eindeutigen Ausrichtung des Unternehmens auf Veränderungsbedürfnis geht es um die Initiierung und konsequente Umsetzung von strukturellem Wandel. Hierbei geht es auch um den professionellen Umgang mit der Diskontinuität und der Unsicherheit im Veränderungsprozess. X
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Voraussetzung hierfür ist, dass die Geschäftsleitung für das Unternehmen ein Leitbild als Grundlage für die Neugestaltung erarbeitet. Ein derartiges Leitbild beinhaltet die Mission, also den Auftrag des Unternehmens. Die weiteren Bestandteile sind die Philosophie, d. h. der Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten, und die Vision. Die Vision beinhaltet die übergeordneten Ziele, an denen sich die konkreten Unternehmensziele ausrichten. Sie ist die inhaltliche Grundlage für die Neugestaltung. Auf der Grundlage einer tragfähigen Vision, von der Faszination und Neugier ausgehen, geht es darum, dass sich alle Beteiligten offen auf die Möglichkeiten einer grundlegenden Neugestaltung einlassen. Indem die konkreten Ideen zur Erneuerung von den Führungskräften und Mitarbeitern im Dialog gemeinsam entwickelt werden, werden aus Betroffenen Beteiligte. Die Geschäftsleitung trifft Entscheidungen zu diesen von den Beteiligten entwickelten Ideen und setzt die Rahmenbedingungen für den Veränderungsprozess, beispielsweise: hohe Transparenz und offene Kommunikation im Unternehmen praktizieren, bisherige Muster im Unternehmen bewusst destabilisieren und Erfolge des Veränderungsprozesses publizieren.
Wenn die Geschäftsleitung sich für den Pol Veränderungsbedürfnis entscheidet, hat sie die Aufgabe, für die inhaltliche Basis und für die Rah-
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
menbedingungen zum erfolgreichen Management von Diskontinuität und Unsicherheit zu sorgen. Es geht dann um einen Wandel aus Eigeninitiative, der durch glaubwürdig vorgelebte Veränderungsbereitschaft der Geschäftsleitung getragen wird. In der Unternehmensführung wird oft versucht, widerstreitende Ausrichtungen – wie langfristige Wachstumsstrategien und kurzfristige Finanzerfolge – „ins Gleichgewicht“ zu bringen. Wenn sich derartige Ausrichtungen aber gegenseitig aufheben, kann das Unternehmen keiner Zielrichtung wirklich gerecht werden. Wenn Unternehmen sich nicht diesem Wechselbad, das Robert Fritz den Jojo-Effekt nennt, aussetzen will, muss es sich eindeutig strategisch ausrichten. Es muss sich übergeordnete Ziele geben, die miteinander zu vereinbaren sind. Wenn es aufgrund dieser eindeutigen übergeordneten Ziele im Unternehmen zu tiefgreifenden Veränderungsprozessen kommt, muss die Unternehmensführung die daraus resultierende Diskontinuität und Unsicherheit bewusst managen und steuern. Das Kapitel 5 enthält Empfehlungen zum erfolgreichen Umgang mit Diskontinuität und Unsicherheit in einem strukturellen Veränderungsprozess.
Zusammenfassung Wenn es im Unternehmen irgendwo in der Zusammenarbeit „knistert“, wird oft geprüft, ob ein zwischenmenschlicher Konflikt eskaliert ist. Strukturelle Konflikte können aber die Ursache für personalisierte Konflikte sein. Deshalb sollten bei einer Konfliktanalyse die Ursachen hinter vordergründigen Ursachen geprüft werden. Wenn man einen strukturellen Konflikt erkennt, sollte man diesen Konflikt als Erstes anpacken. Mit der Lösung von strukturellen Konflikten hat man die Chance, auch das mögliche Konfliktpotenzial in anderen Konfliktkategorien vorbeugend zu minimieren. Strukturelle Konflikte liegen im System, sind von grundlegender Bedeutung und haben eine große Hebelwirkung.
Der wirksame Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen
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Die Zusammenarbeit in Unternehmen birgt aufgrund der individuellen Denkstile der einzelnen Menschen ein natürliches Konfliktpotenzial. Dieses kann durch Rahmenbedingungen, die ein strukturelles Konfliktpotenzial in die Arbeitsbeziehungen bringen, noch weiter verstärkt werden. Organisationsformen, wie die Matrix- und die Projektorganisation sowie die Einrichtung von Doppelspitzen beinhalten per Definition strukturelles Konfliktpotenzial. Damit muss man bewusst umgehen. Wo die Möglichkeit besteht, strukturelle Konflikte zu lösen, sollte dieses machtvolle Instrument genutzt werden – zur Freisetzung von Energie für die produktive Arbeit. Zur Klärung und Lösung sind bei strukturellen Konflikten meistens mehrere Personengruppen aus dem Unternehmen beteiligt. In einigen Unternehmen werden Trainer mit der Durchführung von Persönlichkeits- oder Motivationstrainings beauftragt. Hierdurch sollen die „Teamfähigkeit“ von Menschen gefördert und Konflikte zwischen Menschen oder Organisationseinheiten behoben werden. Diese Maßnahmen verfehlen ihre Wirkung, wenn strukturelle Konflikte im Spiel sind. Bei Konflikten auf der strukturellen Ebene helfen keine Maßnahmen auf der Ebene der zwischenmenschlichen Verhaltensweisen. Unklare Verantwortungsbereiche als eigentliche Ursache von täglichen Streitereien zwischen den Mitarbeitern zweier Abteilungen bedeuten, dass diese Verantwortungsbereiche geprüft und genau abgegrenzt werden. Führen unterschiedliche Denkstile, wie Kaufleute versus Techniker, zum Disput, ist dieses Thema von den beteiligten Personengruppen in den Fokus der gemeinsamen Konflikthandlung zu stellen. Die Unternehmensführung ist gefragt wenn Themen wie Macht und Politik im Unternehmen als strukturelles Konfliktpotenzial eskalieren oder Unternehmen im „Jojo-Effekt“ zwischen halbherzigen Strategiewechseln hin und her pendeln.
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
2.5
Exkurs: Konfliktbewältigung
Konfliktsituationen Einige Konfliktsituationen sind nicht gemeinsam mit anderen Menschen lösbar. Nachfolgend sind Lösungsansätze für derartige Konfliktsituationen beschrieben, zuerst für Konflikte generell. Die einzelnen Lösungsansätze werden jeweils auf das folgende Praxisbeispiel einer strukturellen Konfliktsituation übertragen. Praxisbeispiel: Strukturelle Konfliktsituation Bei dem Praxisbeispiel handelt es sich um ein mittelständisches Produktionsunternehmen, das am Markt einen guten Ruf genießt und finanziell gut aufgestellt ist. Der bisherige alleinige Geschäftsführer (= 1. Geschäftsführer) ist seit ca. 20 Jahren in dieser Position. Aufgrund des ständigen Wachstums des Unternehmens hat sich auch sein Aufgabenbereich erweitert, so dass er sich in seiner Position überlastet fühlt. Die Bereiche Vertrieb und kaufmännische Verwaltung werden aus der Sicht des Hauptgesellschafters vom 1. Geschäftsführer vernachlässigt, was in den tendenziell sinkenden Erträgen der letzten drei Jahre zum Ausdruck kommt. Der 1. Geschäftsführer und der Hauptgesellschafter des Unternehmens beschließen, einen zweiten gleichberechtigten Geschäftsführer (= 2. Geschäftsführer) einzustellen. Dieses „gemeinsame Beschließen“ war aber mehr ein Drängen des Hauptgesellschafters. Die zukünftigen Aufgabenbereiche der beiden Geschäftsführer wurden im Vorfeld definiert. Der 1. Geschäftsführer soll sich auf Entwicklung und Produktion, der 2. Geschäftsführer auf Vertrieb und die kaufmännischen Bereiche konzentrieren. Der 1. Geschäftsführer hat das Wort gleichberechtigt offiziell gelten lassen, hat es aber für sich nicht wirklich ernst genommen. Er war davon überzeugt, dass er als „alter Hase“ im operativen Tagesgeschäft die Entscheidungskompetenzen für sich vorteilhaft regeln werde. Aufgrund der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Hauptgesellschafter war sich der 1. Geschäftsführer außerdem sicher, dass er durch den Hauptgesellschafter auch zukünftig unterstützt wird.
Exkurs: Konfliktbewältigung
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Eine Partei handelt vorsätzlich Generelles Hier geht es um Konfliktsituationen, bei denen eine Partei vorsätzlich zum Schaden anderer handelt. Beispiele hierfür sind: X
X X
Wenn die Partei A der Partei B bewusst etwas wegnehmen will, hilft kein Verhandeln. Wenn die Partei B sich nicht bestehlen lassen will, geht es um Streit und Kampf. Wenn die Partei A den Willen zur Vernichtung der Partei B hat, funktionieren Verhandlungen auch nicht. Wenn die Partei A zusätzlich fanatisch oder krankhaft bösartig ist, stellt sich die Frage, wie man mit jemandem verhandeln soll, der Wahnvorstellungen hat.
Bei einigen Konfliktsituationen geht es um Streit und Kampf. In diesen Situationen gibt es kein faires Verhandeln zwischen den beteiligten Parteien. Es geht oft auch um Schutzmaßnahmen für sich selbst. Praxisbeispiel Nachdem der 2. Geschäftsführer ca. drei Monate im Unternehmen ist, fängt er an, im kaufmännischen Bereich aufzuräumen und ein effizientes Controlling einzuführen. Nun wird dem 1. Geschäftsführer bewusst, auf was er sich eingelassen hat. Er kann beispielsweise nicht mehr Entwicklungsprojekte ohne eine vorherige Wirtschaftlichkeitsbetrachtung anstoßen, wie er es früher getan hat. Letzteres hatte dem Hauptgesellschafter in der Vergangenheit immer Unbehagen bereitet, aber er konnte sich gegenüber dem 1. Geschäftsführer nicht durchsetzen. Diese und weitere Einschnitte in den ursprünglichen Verantwortungsbereich veranlassen den 1. Geschäftsführer, einen Machtkampf zu initiieren. Er will mit Macht seine bisherigen komfortablen Entscheidungssituationen aufrecht erhalten und gegenüber „dem Neuen“ und dessen neuartigen Ideen verteidigen. Hierzu nutzt er diverse psychologische Spielchen (z. B. Gerichtssaal-Spiel in Besprechungen: „Wer ist der Schuldige?“) und persönliche Angriffe (z. B. „Sie hocken immer nur mit dem Controller zusam-
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
men.“ „Machen Sie sich doch erst mal in einem Controlling-Handbuch schlau.“). Er legt an einigen Stellen die Lunten für Mobbing gegenüber dem 2. Geschäftsführer. Es findet ein Kampf zwischen den Denkstilen „Alt“ gegen „Neu“ statt. Der 1. Geschäftsführer greift in die Verantwortungsbereiche des 2. Geschäftsführers ein, um ursprüngliche Befugnisse zurückzuerobern. Dass im Vorfeld eine Definition der beiden Aufgabenbereiche mit dem Hauptgesellschafter beschlossen wurde, verdrängt der 1. Geschäftsführer in den Gesprächen mit seinem neuen Mitstreiter. Der 2. Geschäftsführer fängt an sich zu schützen. Er arbeitet eine detaillierte Aufgabenabgrenzung zwischen beiden Positionen schriftlich aus. Diese Aufgabenabgrenzung will der 2. Geschäftsführer mit dem 1. Geschäftsführer und dem Hauptgesellschafter abstimmen und verbindlich vereinbaren. Vor dem gemeinsamen Abstimmungsgespräch mit dem Hauptgesellschafter will sich der 2. Geschäftsführer mit dem 1. Geschäftsführer einigen.
Konfliktergebnis durch Dritte Generelles Es gibt Situationen, in denen ein „Schiedsrichter“ für die Beendigung eines Konfliktes sorgt. Es folgen drei Verfahren für eine Konfliktbewältigung durch Dritte. X X X
In einem Gerichtsverfahren wird ein Konflikt mit dem Erlassen eines bindenden Urteils durch den Richterspruch geregelt. Bei einem Schiedsverfahren unterwerfen sich die streitenden Parteien freiwillig dem Schiedsspruch. Bei einem Schlichtungsverfahren erarbeitet der Schlichter einen unverbindlichen Lösungsvorschlag, der zur Erlangung von Verbindlichkeit von den Parteien akzeptiert werden muss.
Bei den ersten beiden Verfahren wird das Konfliktergebnis durch eine dritte Instanz entschieden. Die Konfliktparteien vergeben damit ihre Chance auf eine Konfliktbehandlung, die sich an ihren persönlichen
Exkurs: Konfliktbewältigung
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Bedürfnissen orientiert. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass das Ergebnis einer Konfliktregelung von den Konfliktparteien positiver bewertet wird, wenn sie an der Erarbeitung aktiv beteiligt waren. Andererseits kommen die ersten beiden Verfahren meistens dann zur Anwendung, wenn die Konflikteskalation zwischen den Parteien eine sehr hohe Stufe erreicht hat und eine Einigung nicht mehr möglich ist. Beim Schlichtungsverfahren haben die Konfliktparteien Einflussmöglichkeiten auf das Ergebnis. Die Aufgabe des Schlichters ist, eine einvernehmliche Konfliktlösung zu erzielen. Die Konfliktparteien werden vom Schlichter zu ihren Interessenlagen und zu ihren Ideen über die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung angehört. Ein weiterer Vorteil bei Schlichtungsverfahren liegt darin begründet, dass der Schlichter oft eigenen Sachverstand einbringt. Praxisbeispiel In dem Praxisbeispiel bittet der 2. Geschäftsführer den Hauptgesellschafter um eine Moderation zwischen ihm und dem 1. Geschäftsführer. Der vorherige Versuch einer Einigung zwischen den beiden Geschäftsführern über die detaillierte Aufgabenabgrenzung kam nicht zustande, da sie vom 1. Geschäftsführer abgeblockt wurde. Scheitert der Hauptgesellschafter in seiner Funktion als moderierender Schiedsrichter im Sinne einer Schlichtung, verbleibt ihm nur noch der Schiedsspruch im Sinne eines Machteingriffs. Machteingriffe sind selten darauf ausgerichtet, die Ursachen von Konflikten zu beseitigen. Sie dienen in der Hauptsache einer akuten Konfliktreduktion und -beherrschung. Im Gegensatz zu den Moderations- oder Schiedsverfahren können Machteingriffe zwar in kürzester Zeit erfolgen. Da die Machtinstanz aber alle Faktoren, Lösungen und Verfahren bestimmt, kann es erforderlich sein, dass die Machtinstanz die Situation lange beherrscht. Dem Hauptgesellschafter gelang die moderierende Schiedsrichterfunktion nicht, also hat er entschieden. Die ihm vorgelegte Aufgabenabgrenzung solle in Kraft treten. Da der Hauptgesellschafter aber keine Zeit und keine Muße hatte, die Beherrschung der Situation für einen längeren
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
Zeitraum durchzuhalten, führte der 1. Geschäftsführer seine „Spielchen“ und persönlichen Attacken auf den 2. Geschäftsführer fort und verschärfte das Mobbing. Wenn der 2. Geschäftsführer im Unternehmen beispielsweise eine Entscheidung für neue Verfahren vor der Belegschaft bekannt gab, folgte kurz darauf der 1. Geschäftsführer und widerrief die Entscheidung des 2. Geschäftsführers. Die Belegschaft wurde durch diese Pattsituation in der obersten Führungsebene lahm gelegt. Nach und nach spürte der 2. Geschäftsführer die Belastungen dieses Kleinkriegs immer schmerzlicher – auf psychologischer und körperlicher Ebene. Ein nochmaliges Intervenieren beim Hauptgesellschafter brachte für den 2. Geschäftsführer nur beschwichtigende Worte, aber keine praktischen Veränderungen.
Konfliktsituationen selbst beenden Generelles Man kann in Konfliktsituationen geraten, die man zügig selbst beenden sollte, da der Konflikt nicht lösbar ist und einem die Aufrechterhaltung der Situation nur schaden würde. X
X
In Partnerschaften können sich beide Partner im Laufe der Zeit unterschiedlich entwickeln. Irgendwann stellen beide fest, dass die Gemeinsamkeiten in ihren Werten und Interessen verloren gegangen sind. Sie haben keine gemeinsame Basis mehr. Es gibt Konflikte, die trotz virtuoser Handhabung von Konfliktlösungsstrategien und -methoden nicht zu lösen sind. So hat beispielsweise Ihr Vorgesetzter Ihren für Sie wichtigen Aufgabenbereich einem neuen Kollegen übertragen. Ihr Vorgesetzter ist der Überzeugung, dass Ihr neuer Kollege diese Aufgaben besser erledigen wird. Sie haben vor einiger Zeit diese Stelle eingenommen, weil Sie der Überzeugung sind, dass genau dieser Aufgabenbereich Ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Sie haben die feste Absicht, einen derartigen Aufgabenbereich auch in Zukunft wahrzunehmen. Hier ist für beide Beteiligten ein Schlussstrich besser, als irgendwie durchzuhalten im Sinne eines Schreckens ohne Ende.
Exkurs: Konfliktbewältigung
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In diesen Fällen ist ein klärendes Konfliktgespräch erforderlich. Es gibt keine gemeinsame Lösung des Konflikts. Die quälende Situation wird zu einem Ende gebracht mit dem Ausblick auf eine Neuorientierung. Insbesondere wenn die konkreten Konstellationen der Konfliktsituation schon Tendenzen von Mobbing aufzeigen und eine Konfliktlösung durch die Beteiligten nicht möglich erscheint, ist ein Durchhalten um jeden Preis ein Zeichen von Starrheit. Häufig geht es in diesen Situationen nur noch um eine Schadensbegrenzung im Rahmen einer abschließenden Klärung zur Trennung. Ein Lösungsansatz für nicht gemeinsam zu lösenden Konfliktsituationen ist Klarheit zu schaffen. Bei den meisten dieser Situationen gibt es mindestens eine Alternative zum „sich-weiter-quälen“. Wenn die andere Konfliktpartei zu keiner gemeinsamen Konfliktlösung bereit oder fähig ist, geht es darum, persönlich mit der Konfliktsituation klarzukommen. Beispiel: In einer Familie haben sich die Kinder so entwickelt, wie es von den Eltern nie gewollt war. Die Eltern konnten die Entwicklung ihrer Kinder auch nachträglich nicht gut heißen. Irgendwann haben die Eltern sich entschieden, den endlosen Krieg mit Ihren Kindern zu beenden. Sie haben verstanden und akzeptiert, dass sie nichts ändern können. Hierdurch haben sie eine Gelassenheit entwickelt, die ihnen zu mehr Lebensqualität verholfen hat. In einem Training zum Thema Konflikte, an dem ich teilnahm, gab uns der Trainer ein Leitmotto mit auf den Weg: Hilfreich für den Umgang mit Konflikten ist, wenn ich X X X
die Gelassenheit besitze, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut besitze, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und über die Weisheit verfüge, das eine von dem anderen zu unterscheiden.
Es geht um die Akzeptanz der jeweiligen Situation und um Klarheit der eigenen Position in dieser Situation. Hierbei geht es auch um Antworten auf die Frage, welche Alternativen es zu der aktuellen Situation gibt.
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Strukturelle Konflikte in Unternehmen erkennen
Praxisbeispiel Dem 2. Geschäftsführer wurde klar, dass er diese Situation nicht länger ertragen kann. Da der Hauptgesellschafter den 1. Geschäftsführer nicht nachhaltig in dessen Schranken verwiesen hatte, konnte es keine Lösung geben. Also bat der 2. Geschäftsführer den Hauptgesellschafter um einen letzten Termin. Dem 2. Geschäftsführer war inzwischen klar, dass es keine Zusammenarbeit mit dem 1. Geschäftsführer geben wird und dass der Hauptgesellschafter sich für einen der beiden entscheiden muss. Da der 2. Geschäftsführer vom Hauptgesellschafter eingestellt worden war, um das Unternehmen wieder in Schwung zu bringen, ging es jetzt darum, dass der Hauptgesellschafter sein Ansinnen konsequent umsetzt. Ansonsten müsste der 2. Geschäftsführer seine Konsequenzen ziehen. Der 2. Geschäftsführer war als „Neuer“ mit viel Elan an den erforderlichen Veränderungsprozess im Unternehmen herangegangen. Er war letztendlich nicht nur an dem Widerstand des „alten“ 1. Geschäftsführers, sondern an der mangelnden Entscheidungs- und Umsetzungskraft des Hauptgesellschafters gescheitert. Der „Neue“ hatte den Mut besessen, im Unternehmen Dinge zu ändern, und auch damit begonnen. Er hatte aber erkannt, dass er die Problematik mit dem Hauptgesellschafter nicht ändern kann. Der Hauptgesellschafter war nicht in der Lage, aus seiner Position heraus in den strukturellen Konfliktthemen (neu gegen alt; Macht- und Politikspielchen) für Klarheit zu sorgen, sei es moderierend oder durch nachhaltigen Machteingriff. Der 2. Geschäftsführer allein würde sich aber gegen die vorsätzlich destruktiven Handlungen des 1. Geschäftsführers nicht wehren – geschweige gegen ihn gewinnen – können. Über diese faktische Situation war sich der 2. Geschäftsführer inzwischen im Klaren und hatte sie akzeptiert. Da er seine Gesundheit nicht völlig aufs Spiel setzen wollte, entschied sich der 2. Geschäftsführer, die Situation für sich zügig zu beenden. Der Hauptgesellschafter konnte sich in dem letzten Termin mit dem 2. Geschäftsführer nicht für ihn als einzigen Geschäftsführer entscheiden. Er schaffte es nicht, dem 1. Geschäftsführer die Konsequenzen einer solchen Entscheidung mitzuteilen. Für den 2. Geschäftsführer ging es nach seinem letzten Termin mit dem Hauptgesellschafter um die Suche nach Alternativen zum aktuellen Job.
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3
Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Themengebiete im Überblick 3. Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht 3.1 Praxisbeispiele: 3.2 Unternehmenskrise Unternehmenskrisen als letzte und Kalter Krieg Konsequenz
3.3 Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
x Opel-Krise
x Unternehmenskrise
x Gefährliche Krisenlogik
x ADL-Insolvenz
x Kalter Krieg
x Erstarrung bei einem
Mittelständler
x Weitere Eskalations-
formen
in Unternehmen x Krisenprävention x Behandlung von Unter-
nehmenskrisen 3.4 Exkurs: Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen
Eskalationsformen struktureller Konflikte im Überblick Strukturelle Konflikte können auf der Ebene eines Unternehmens eskalieren, beispielsweise zwischen Arbeitsgruppen oder Abteilungen. Die anderen Eskalationsformen finden auf der zwischenmenschlichen und auf der individuellen Ebene statt. Unternehmenskrisen in Form von strategischen Krisen und Erfolgskrisen werden spätestens in der Liquiditätskrise auch außerhalb des Unternehmens bekannt. Situationen des Kalten Kriegs in Unternehmen müssen außerhalb nicht bekannt werden. Ob sich Situationen des Kalten Kriegs auch zu Unternehmenskrisen entwickeln, ist meistens abhängig von der Beschaffenheit des Absatzmarktes für das jeweilige Unternehmen. Die häufigste Form der Eskalation von strukturellen Konflikten ist die Personalisierung auf der zwischenmenschlichen Ebene, in Form von persönlichen Streitereien oder als Mobbing-Situationen.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Eskalationsformen struktureller Konflikte in Unternehmen Unternehmensebene
Unternehmenskrise
Kalter Krieg (Sprachlosigkeit)
Zwischenmenschliche Ebene
Konflikte zwischen Einzelnen
Mobbing von Einzelnen
Individuelle Ebene
Innere Konflikte der Beteiligten
Wechselwirkungen
Abb. 2: Eskalationsformen von strukturellen Konflikten im Überblick Die Eskalationen auf den beiden zuerst genannten Ebenen haben meistens auch Wechselwirkungen mit Eskalationen auf der individuellen Ebene der Beteiligten. Strukturelle Konflikte erzeugen bei den einzelnen Beteiligten oft auch innere Konflikte. Sie führen zu Arbeitsverweigerung und innerer Kündigung. In einigen Fällen finden sie ein Ende in der tatsächlichen Kündigung von Arbeitsverhältnissen.
3.1
Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg
Das erste Praxisbeispiel, die Opel-Krise, konnte im Herbst 2004 in der Öffentlichkeit verfolgt werden. Missmanagement und eine schwache Konjunktur bringen den traditionellen Autohersteller in die Krise. Das zweite Beispiel, die Insolvenz der Unternehmensberatung ADL, wurde im Frühjahr 2002 vorrangig von Vertretern dieser Branche wahrgenommen. Das dritte Beispiel, ein mittelständisches Unternehmen, ist nur den beteiligten Führungskräften bekannt. Während es in den ersten beiden Beispielen aufgrund von strukturellen Konfliktpotenzialen zu Unternehmenskrisen kam, wurde das Unternehmen im dritten Beispiel auf der Eskalationsstufe „Kalter Krieg“ viele Jahre weitergeführt. Eine offizielle Unternehmenskrise trat im dritten Beispiel deshalb nicht ein, da dieses Unternehmen keinem Wettbewerb
Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg
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ausgesetzt war. Aufgrund der besonderen Marktbedingungen konnte sich das mittelständische Unternehmen den internen Krieg über einen längeren Zeitraum „leisten“.
1. Beispiel: Opel-Krise Pressemeldungen zur Opel-Krise Krasser konnten die Gegensätze der Pressemeldungen von zwei deutschen Automobilherstellern kaum sein. Anfang Dezember 2004 war zu lesen: X
X
Porsche-Chef Wendelin Wiedeking strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein: „Im nunmehr zehnten Jahr in Folge konnte Porsche einen Gewinnanstieg verbuchen. Eine derartige Kontinuität im Positiven besitzt gewiss Seltenheitswert.“ (Hamburger Abendblatt, 9. Dezember 2004) Opel streicht 9.500 Stellen. Grabesstille herrscht in der Halle, als Opel-Personalvorstand Norbert Küpper das Podium betritt: „Egal was an Sparplänen kommt, auch in 2005 und 2006 wird Opel nicht in die schwarzen Zahlen kommen.“ (Hamburger Abendblatt, 10. Dezember 2004)
Die Bochumer Opelaner hatten im Oktober in einem wilden Streik die Produktion für sieben Tage lahm gelegt. Das hatte großes Aufsehen erregt, konnte aber den in der Opelgeschichte historischen Arbeitsplatzabbau nicht verhindern. Opel gehört seit 1899 zu den Pionieren des Automobilbaus in Deutschland und war in den 20er Jahren der größte deutsche Autobauer. Das Unternehmen wurde 1928 an den US-Konzern General Motors (GM) verkauft. Die während des Krieges eingestellte Produktion von Personenwagen nahm Opel 1947 wieder auf. Mit Modellen wie Kadett, Manta und Ascona fand der Aufschwung von Opel in den 70er Jahren seinen Höhepunkt. Von da an ging es bergab. Einen kurzen Boom gab es nur noch durch die Wiedervereinigung Deutschlands.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Professor Thomas Straubhaar, der Präsident des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts (HWWA) wurde anlässlich der Opel-Krise vom Hamburger Abendblatt Mitte Oktober 2004 befragt, ob der Standort Deutschland in der Krise sei. Seine sinngemäßen Antworten hierauf waren u. a.: X X
X X
Bei Opel wurden Managementfehler gemacht. Es wurden Trends verschlafen und Entwicklungen falsch eingeschätzt. Generell gibt es in Deutschland seit der Bergbaukrise in den 70er Jahren Strukturprobleme in der Wirtschaft mit einem Arbeitsplatzabbau im großen Stil. So bitter wie das für die betroffenen Mitarbeiter auch sein mag, Entlassungen gehören zum stetigen Strukturwandel dazu. Der rasche Wandel durch die Globalisierung verschärft den Wettbewerb aus dem Ausland in fast allen Bereichen. Trotzdem sollte man die Probleme bei Opel jetzt als Chance für einen Neuanfang begreifen.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich zweifelsfrei auch für Opel verschärft. Die strukturellen Ursachen der Opel-Krise sind jedoch hausgemacht. Automarken wie Porsche und BMW sind mit den volkswirtschaftlichen Herausforderungen erfolgreicher umgegangen. Im Oktober 2004 übte Opel-Vorstandschef Hans Demant mit einem Interview in der Zeitschrift „Auto-Motor- und Sport“ Selbstkritik: „haben wir die Entwicklung des Marktes nicht richtig eingeschätzt und nicht früh genug auf die Bremse getreten“. Ergebnisse einer detaillierten Recherche und Analyse zur Opel-Krise Grundlagen einer detaillierten Recherche zur Opel-Kise sind Pressemeldungen, Funk- und Fernsehsendungen, das Internet und eine DVD mit einem Dokumentarfilm über General Motors (GM). Die Zusammenfassung der Erkenntnisse aus diesen Informationsquellen zeigt folgende strukturellen Konfliktpotenziale der Opel-Krise auf:
Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg
X
X
X
X
X X
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Das Managementsystem des US-Konzerns GM stand im grundsätzlichen Widerspruch mit den langen Produktzyklen und dem technischen Qualitätsanspruch der europäischen Automobilbranche. Die strukturellen Konflikte zwischen GM und Opel lagen zum einen in unterschiedlichen Denkstilen, die in der Praxis durch die Unterschiede in der Investitions- und Personalpolitik der beiden Lager zum Ausdruck kamen. Die unterschiedlichen Denkstile waren „kurzfristiges Gewinndenken“ versus „langfristige Ertragssicherung“. Verbunden mit einer strikten „Entweder-Oder-Politik“ waren weitere unterschiedliche Denkstile zwischen GM und Opel die strukturellen Ursachen der Opel-Krise. Beispiel: Entscheidungen über Investition in die Globalisierung oder Investition in die europäischen Standorte. Dabei gibt es zwangsweise Verlierer. Das waren in diesem Beispiel die europäischen Standorte mit den bekannten Konsequenzen für Opel. Macht und Politik wurden in der obersten Führungsebene von einigen vorrangig für die persönliche Karriere genutzt und nicht zur konstruktiven Weiterentwicklung von Opel am Standort Deutschland. Diese vielfältigen strukturellen Konflikte haben in der Belegschaft ein tiefes Misstrauen erzeugt. Das Motto dieses hierdurch zusätzlich entstandenen strukturellen Konfliktpotenzials lautet: „die da oben“ versus „wir da unten“. Schrittweise ist das Selbstwertgefühl der Opelaner in der Rolle als eigenständiges Familienmitglied der GM-Familie verlorengegangen. Auch die Führung von Opel in Deutschland hat nicht zur wirksamen Behandlung der strukturellen Konflikte beigetragen, sondern an den mangelnden strukturellen Anpassungen von Opel mitgewirkt.
GM und Opel haben in der obersten Führungsebene gemeinsam nicht rechtzeitig erkannt, dass die Symptome bei Opel seit Anfang der 90er Jahre strukturelle Konfliktpotenziale waren, die nur gemeinsam zu lösen gewesen wären. Das war zehn Jahre vor der offiziellen Opel-Krise. Opel ist kein Einzelfall – Das Grounding der Swissair Das Grounding der Swissair war am 2. Oktober 2001. An diesem Tag mussten die Swissair-Flugzeuge am Boden bleiben, weil das Geld für das
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Flugbenzin fehlte. Wie im Fall Opel begann das Drama zehn Jahre vor dem offiziellen Absturz. Das Swissair-Debakel kann man unter http://chronik.geschichte-schweiz.ch/swissair-debakel-grounding.html nachlesen. Der Berater Christoph Lauterburg beschreibt in „Der Untergang der Swissair“ diesen Untergang als Lehrstück für strategisches Missmanagement. Hierbei beeinflussten einzelne Personen aufgrund ihrer Denkstrukturen und Interessen stark das Schicksal dieses Unternehmens. X
Der Aufstieg: Die Swissair als „fliegende Bank“ Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die Swissair voll entfalten, da die großen europäischen Fluggesellschaften zunächst kriegsgeschädigt am Boden lagen. Außerdem profitierte sie vom Boom des Wiederaufbaus. In dieser Zeit konnte sich die Swissair enorme finanzielle Reserven zulegen. Das brachte ihr in der Branche den Ruf der „fliegenden Bank“ ein.
X
Die Krux: Defizitäres Kerngeschäft und kein Veränderungsdruck Der Flugbetrieb war stets defizitär. Die Swissair verdiente ihr Geld mit dem Anlagevermögen und mit flugnahen Dienstleistungen. Außerdem wurde wie in den anderen europäischen Ländern der defizitäre Flugbetrieb durch Subventionen aus der Staatskasse kompensiert. Diese Einnahmen reduzierten den Druck zur Lösung der strukturellen Schwachstelle. Ein defizitäres Kerngeschäft kann sich ein Unternehmen, das auf dem freien Markt agieren muss, nicht leisten.
X
Die Marktliberalisierung: Preiskampf und Suche nach Verbündeten Im Laufe der 80er Jahre wurde durch die Liberalisierung des Flugverkehrs die Konkurrenz härter. Im gnadenlosen Preiskampf suchten einige Fluggesellschaften zum Überleben ihr Heil in Allianzen. Auch in der Konzernleitung der Swissair wuchs das Bewusstsein, dass sie ohne Verbündete langfristig nicht überleben können.
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Das Projekt Alcazar als letzte Chance: Der Anfang vom Ende Im Winter 1992/93 schmiedete Swissair mit drei anderen kleinen europäischen Gesellschaften Fusionspläne unter dem Begriff Alcazar. Das Projekt scheiterte einerseits an den Partikularinteressen und am
Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg
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Machthunger der einzelnen Verhandlungspartner. Aus ihnen wurden nach turbulenten Verhandlungen Gegner des Fusionsprojekts. Hinzu kam massiver Widerstand aus der Öffentlichkeit, da die Schweizer sich gegen den „Ausverkauf“ ihrer nationalen Fluggesellschaft sträubten. Sie befürchteten den Verlust tausender Arbeitsplätze. Die letzte Chance zum Aufbau eines europäischen Flugkonzerns unter gleichberechtigten Partnern hat sich die Swissair auch unter maßgeblichem Einfluss des eigenen Verwaltungsbeirats vertan. Christoph Lauterberg beschreibt das Scheitern des Projekts Alcazar als Anfang vom Ende. X
Der endgültige Absturz: Keine marktreale Vision und eine zu späte Notbremsung Nach dem Projekt Alcazar stand für die Swissair eine strategische Neuorientierung an. 1997 wurde eine Allianz mit British Airways bereits spruchreif ausgehandelt. Diese wurde aber durch die so genannte Hunter-Strategie torpediert. Mit der Hunter-Strategie sollte ein Alleingang der Swissair als europäischer Key Player angestrebt werden. Im Rahmen dieser Strategie erfolgten Investitionen in teilweise marode Fluggesellschaften, deren geplante Sanierungen zu großen Teilen nicht realisiert werden konnten. Als dann die Delta Airlines ihr langjähriges Bündnis kündigte, stand die Swissair allein da. 1998 wurde die Hunter-Strategie nochmals bekräftigt und in kürzester Zeit wurden substanzielle Beteiligungen an anderen Fluggesellschaften erworben. Zu den beiden zuletzt geplanten Beteiligungen kam es dann nicht mehr, da das Kapital aufgebraucht war. Die Ertragslagen bei einigen Beteiligungen erodierten, und bei Swissair akkumulierten sich die Verluste. Die einstige „fliegende Bank“ musste Schulden machen. Obwohl dem Verwaltungsrat im Laufe des Jahres 2000 Zweifel an der Hunter-Strategie kamen, hielt der amtierende CEO an dieser Strategie fest. Anfang 2001 zog der Verwaltungsrat die Notbremse und enthob den CEO seines Amtes. Ein kurzes Sesselrücken und verschiedene Sanierungsideen in 2001 brachten keine wirkliche Wende. Die Swissair war bereits mit mehreren Milliarden verschuldet. Die Banken drehten den Geldhahn zu, und die Swissair konnte das Flugbenzin nicht mehr bezahlen.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Der materielle Schaden beinhaltet u. a. den Totalverlust des Aktienkapitals, die Außenstände unzähliger Gläubiger und zehntausende vernichteter Arbeitsplätze. Die beim Konkursverwalter eingegangenen Forderungen belaufen sich auf 51 Milliarden Schweizer Franken. Hinzu kommt der immaterielle Schaden. Das Grounding vernichtete mit einem Schlag einen Teil der nationalen Identität. Mit der schweizerischen Nationalflagge auf den Schwanzflossen der Swissair-Flugzeuge wurde bis zu diesem Zeitpunkt ein Symbol für Schweizer Qualität in alle Kontinente getragen. Lauterburg beendet seinen Fachbeitrag mit einem Zitat aus dem Buch „Der Fall der Swissair“ von René Lüchinger. „Das Ende der Swissair ist das Resultat einer kollektiven Verblendung von Topmanagement, Verwaltungsbeirat und Politik, welche in ihren Köpfen stets nur eine global agierende Airline als für dieses Land angemessen erachteten.“ Strukturelle Konfliktpotenziale bei Opel und Swissair Beide Fälle, die Opel-Krise im Herbst 2004 und das Grounding der Swissair im Oktober 2001, waren das Ergebnis eines komplexen, fehlgeleiteten Prozessgeschehens. In beiden Fällen waren fehlende strukturelle Anpassungen des Unternehmens an die jeweils aktuellen Markterfordernisse ein Ursachenbereich des fehlgeleiteten Prozessgeschehens. Es wurde an Strategien festgehalten, obwohl es hinreichend Signale gab, dass diese für das Unternehmen nicht hilfreich sind. Die strikte „Entweder-Oder-Politik“ bei GM war: Investition in die Globalisierung anstatt in die europäischen Standorte. Bei Swissair war es das strikte Festhalten an der Investition in eine alleinig global agierende Airline. In beiden Fällen wurden Macht und Politik von einzelnen Hauptakteuren für persönliche Interessen genutzt – anstatt zum Erfolg des Unternehmens. Auch ein teilweise arroganter Umgang mit Macht war bei einzelnen Führungskräften zu erkennen.
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2. Beispiel: ADL-Insolvenz Die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) hatte es geschafft, sich selbst zu ruinieren. Das Unternehmen hatte ausgezeichnete Mitarbeiter, gute Kunden und einen erstklassigen Ruf. Im Magazin „brandeins“ (Ausgabe 04, 2002) berichtete Tom Sommerlatte von diesem Niedergang. In Europa war der Aufstieg dieses Unternehmens mit dem Namen Tom Sommerlatte eng verbunden. Er war 1973 einer der Gründer der deutschen Niederlassung in Wiesbaden und danach auch maßgeblich am Ausbau des Geschäfts auf dem europäischen Kontinent beteiligt. ADL wuchs mit dem allgemeinen Beratungsboom und profilierte sich vor allem durch seine Forschungs- und Entwicklungskompetenz. Insbesondere bei technischen Projektthemen war ADL ein starker Wettbewerber in der Beratungsbranche. Nach Sommerlatte war ADL keiner der in dieser Branche häufig agierenden „Durchlauferhitzer“. ADL setzte nicht auf blutjunge Berater, die entweder schnell aufsteigen sollten oder schnell wieder zu verschwinden hatten. ADL setzte auf erfahrene Berater und auf langfristige Bindung. „Die große Freiheit des Einzelnen und die Bindungskraft des Unternehmens haben sich bei uns immer die Waage gehalten“, so Tom Sommerlatte. Der Erfolg der ur-amerikanischen Firma in Europa sorgte in Amerika für Zündstoff. Dort lief das Geschäft nicht so gut. Auf dem US-Heimatmarkt fehlte die Wachstumsstrategie. Die Entwicklungsschritte zur Insolvenz waren: X X X
Die technikorientierte Chefetage in den USA versäumte es, in das lukrative Geschäft für Management-Strategieberatung einzusteigen. ADL wurde von einem „ADL-Ableger“, der Boston Consulting Group, überholt. Der amerikanische und der europäische Teil von ADL entwickelten sich immer weiter auseinander. Die unterschiedlichen Denkstile zwischen Amerika und Europa verfestigten sich in beiden Lagern. In Amerika hatten die Tüftler in den Labors das Sagen, in Europa waren es die Unternehmensberater.
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X X
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ADL wehrte den Übernahmeversuch eines Investors ab. Die hieraus resultierende chronische Geldknappheit verschärfte die Interessengegensätze zwischen USA und Europa. Es dauerte bis weit in die 90er Jahre, bis das hierfür erforderliche Darlehen getilgt war. Profitable Teile des Unternehmens wie ADL Deutschland mussten ihre Gewinne vollständig an die USA abführen. 1997 erfolgte in den USA die Kehrtwende „back to the roots“ in der Form, dass die sehr unterschiedlichen ADL-Sparten „Tüftler“ und „Berater“ verschmolzen wurden. Die US-Technik-Fraktion setzte hierbei mit einer strikten „Entweder-Oder-Politik“ ihren Denkstil durch und konnte innerhalb von ADL wieder ihre ursprüngliche starke Machtposition einnehmen. Dies hielt Sommerlatte für eine falsche Entscheidung. Er verlor den Machtkampf zwischen den beiden Lagern und fiel danach bei den Amerikanern in Ungnade.
Ein Führungswechsel in den USA sollte 1999 das Unternehmen wieder nach vorn bringen. Der neue Chef in den USA plante, für das folgende Jahr Töchter auszugliedern und an die Börse zu bringen. Die Vorbereitung eines Börsenganges, der im Januar 2000 wieder abgeblasen wurde, kostete 35 Millionen Dollar. Dieses gescheiterte Börsenabenteuer war der Todesstoß. Die „tödliche Spirale“ der strukturellen Konflikteskalation spitzte sich immer weiter zu, führte zu einer Unternehmenskrise und in den Konkurs. X X X X X
Mitarbeiter wurden aufgrund von Sparmaßnahmen im großen Stil entlassen. ADL-Partner stiegen reihenweise aus. Büros wurden geschlossen. Eine geplante Fusion mit einem anderen Beratungsunternehmen scheiterte. Das Unternehmen geriet in die Spirale immer teurerer Kredite. ADL als Traditionsfirma mit Experten auf allen denkbaren Gebieten ließ sich nach Aussagen von Sommerlatte ausnehmen wie ein „Zocker im Rotlichtmilieu“.
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Im Februar 2002 beantragte ADL Gläubigerschutz nach der US-Konkursordnung und kam im April meistbietend unter den Hammer. Zwei Drittel der Erlöse aus dem Verkauf der einzelnen Teile des ADLKonzerns wurden gebraucht, um die Schulden zu bezahlen.
Bei den Entscheidungen von ADL USA hat man zu wenig auf die Managementkompetenz im eigenen Unternehmen vertraut. „Tipps zu geben war immer schon einfacher als anzunehmen. Keine Gruppe ist schwieriger zu beraten als Berater.“ Dies schrieb Peter F. Scott-Morgen, der bei ADL die Position des „Vice President for Change and Learning“ innehatte. Anfang April 2002 berichtete die WELT, dass der Fortbestand der ältesten Unternehmens- und Technologieberatung gesichert sei. Rund 120 Partner von ADL haben im Rahmen eines Management-Buy-Outs das Kerngeschäft ihrer eigenen Firma übernommen. Der Kaufpreis wurde mit Hilfe eines französischen Innovationsberatungsunternehmens finanziert. Die US-amerikanischen ADL-Partner haben sich nicht angeschlossen.
3. Beispiel: Erstarrung bei einem Mittelständler Die Ursache für die Erstarrung eines mittelständischen Unternehmens war ein kalter Konflikt. Zwei Merkmale unterscheiden einen kalten wesentlich von einem heißen Konflikt. X X
Erstens: In einem heißen Konflikt diffamieren und demontieren sich die Konfliktparteien gegenseitig – und zwar öffentlich. Zweitens: In der letzten Eskalationsstufe eines heißen Konflikts geht es um die gegenseitige totale Vernichtung – auch um die einhergehende eigene Vernichtung.
Diese beiden Merkmale gab es bei dem mittelständischen Unternehmen nicht.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Situation des mittelständischen Unternehmens: Sprachlosigkeit Bei dem Unternehmen handelte es sich um eine GmbH mit einer hoheitlichen Aufgabe. Die hoheitliche Aufgabe sicherte der GmbH ihre Einnahmen. Die Unternehmensstrukturen waren historisch gewachsen und die Führungskräfte waren seit vielen Jahren in dieser GmbH beschäftigt. Der Geschäftsführer schaffte durch sein Führungsverhalten ein Klima des gegenseitigen Misstrauens. In Einzelgesprächen mit den Führungskräften gab er sich selbstgefällig und spielte sie gegeneinander aus. In einem Zeitraum von mehreren Jahren entwickelten sich die Eskalationsstufen im Unternehmen bis zur Sprachlosigkeit. X
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Anfangs gab es noch kontroverse Diskussionen zwischen einzelnen Führungskräften und mit dem Geschäftsführer. Die vom Geschäftsführer initiierten „Spielchen“ mit den einzelnen Führungskräften führten schließlich dazu, dass sie sich untereinander nach und nach nicht mehr über den Weg trauten. Die Führungskräfte sahen für sich keine Möglichkeiten eines Wechsels in die freie Wirtschaft. Ihnen wurde klar, dass sie irgendwie miteinander zurechtkommen mussten. Dies bewirkte eine stillschweigende Übereinkunft, dass sie die Konflikte nicht offiziell eskalieren lassen wollten. Diese Übereinkunft wurde zwar nicht kommuniziert – aber alle hielten sich daran. Sie kommunizierten untereinander mittels schriftlicher Aktennotizen oder per E-Mail. Auf schriftliche Kritiken über Mängel in ihrem Verantwortungsbereich von ihren Kollegen reagierten sie mit Ausweichmanövern, indem sie u. a. so taten als hätten sie die Kritiken gar nicht erhalten (sich tot stellen). Da es untereinander keine dialogische Kommunikation gab, wurden nicht bearbeitete Mängel auch nicht nochmals hinterfragt. Der Kritiker hatte seine Kritik schließlich schriftlich dokumentiert. Wenn der Kritisierte nicht reagiert, kann der Kritiker auch nichts mehr tun. Durch ihre zunehmende Sprachlosigkeit schafften sie es, sich gegenseitig ohnmächtig zu machen.
Praxisbeispiele: Unternehmenskrisen und Kalter Krieg
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Der Geschäftsführer nutzte diese zunehmende Sprachlosigkeit der Führungskräfte untereinander zur Forcierung seiner Spielchen. Da er wusste, dass die anderen nicht mehr miteinander redeten, konnte er die einzelnen Führungskräfte in Vier-Augen-Gesprächen noch einfacher gegeneinander ausspielen. Durch die Aktionen des Geschäftsführers verhärteten sich die Fronten zwischen den Führungskräften untereinander zur völligen Erstarrung und Sprachlosigkeit. Das Tagesgeschäft wurde von ihnen abgewickelt. Alle achteten nur darauf, dass ihre interne Sprachlosigkeit nicht außerhalb des Unternehmens bekannt wurde.
Die Sprachlosigkeit im Unternehmen dauerte mehrere Jahre. Es gab offiziell keine Konflikte. Die Herde von Schwelbränden wurden von den Beteiligten in ständigen Kleinkriegen untereinander unter der Decke der Sprachlosigkeit fortgesetzt. Das Unternehmen wurde erst von außen „wachgerüttelt“, als sich die Marktsituation für das Unternehmen änderte und schrittweise durch einen sich verstärkenden Wettbewerb geprägt wurde. Eine Intervention zu einem Zeitpunkt eines „kalten“ Konflikts ist oft schwieriger als bei „heißen“ Konflikten. Intervention: Konflikte zuerst wieder entfachen – um sie behandeln zu können Durch das Wachrütteln von außen erkannte der Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens nach und nach die Auswirkungen der totalen Erstarrung. Durch die veränderte Marktsituation und den zunehmenden Wettbewerb wurde ihm klar, dass die Sprachlosigkeit im Unternehmen unter den neuen Marktbedingungen umgehend zur Insolvenz führen würde. Um zukünftig am Markt zu bestehen musste das Unternehmen schnellstens „wiederbelebt“ werden. Diese Wiederbelebung erfolgte in Form von mehreren Workshops. Hierzu mussten strukturell bedingte Konfliktpotenziale und latent unter den Teppich gekehrte Beziehungskonflikte zuerst wieder entfacht werden. Erst danach konnten diese gemeinsam behandelt werden. Die realen Konfliktpotenziale und -situationen wurden in Form von verfremdeten Rollenspielen in die Workshops
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
eingebracht. Über diesen Umweg gelang es mühsam und zeitaufwändig die Führungskräfte und den Geschäftsführer dazu zu bringen, mit ihren Konflikten professioneller umzugehen. Sie mussten in kleinen Schritten lernen, Konfliktsituationen zu akzeptieren und die Bereitschaft entwickeln, gemeinsam mit anderen Beteiligten einen Konflikt konstruktiv behandeln zu wollen.
3.2
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
Eine Unternehmenskrise wie bei Opel ist die schwerwiegendste Auswirkung von nicht wirksam behandelten strukturellen Konfliktpotenzialen. Im Nachhinein betrachtet, kommt eine Unternehmenskrise selten überraschend und ist die Konsequenz von sich lange vorher ankündigenden Symptomen. In einigen Unternehmen ist der Kalte Krieg eine Vorstufe zur Unternehmenskrise. Wenn ein Unternehmen marktwirtschaftlich zu führen ist, kann es sich einen Kalten Krieg nicht leisten.
Unternehmenskrise Verschiedene Vorboten kündigen eine Unternehmenskrise meistens rechtzeitig an. (Innere) Kündigung als individuelle Lösung Es gibt Situationen, in denen Mitarbeiter strukturelles Konfliktpotenzial erkennen. Sie berichten dies ihrem Vorgesetzten und bitten ihn dafür Sorge zu tragen, dass eine Klärung und Regelung erfolgt. Wenn diese Menschen mehrmals derartige Vorstöße unternommen haben und der Vorgesetzte dies entweder vehement bestritten hat oder es sich aufmerksam angehört und trotzdem nichts unternommen hat, dann schalten diese Mitarbeiter irgendwann ab. Wenn es für diese Mitarbeiter genügend Gründe gibt, trotzdem bei diesem Unternehmen weiter zu arbeiten, gehen
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
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sie in eine Form der inneren Kündigung. Ihre Hülle erscheint täglich am Arbeitsplatz und führt formal die vorgeschriebenen Aufgaben aus. Mehr ist aber nicht mehr drin. Schließlich haben sie ja auch ein Privatleben, in dem sie sich ausleben können. Erhöhte Fehlzeitenquoten können Signale für innere Kündigungen sein. „Durch die innere Kündigung versucht der Mitarbeiter eine gerechte Situation für sich herbeizuführen und die unbefriedigende Arbeitssituation wieder in den Griff zu bekommen“ erläutert Ralf Brinkmann, Studiendekan Wirtschaftspsychologie und Unternehmensberater, in der FAZ vom 1. April 2006. Die FAZ berichtet darin von der aktuellen GallupStudie und deren Analyseergebnissen u. a. zum Thema der inneren Kündigung. Die Gallup-Studie schätzt die jährlichen Kosten durch „aktiv unengagierte“ Mitarbeiter auf insgesamt 72,1 Milliarden Euro. In diesem FAZ-Fachartikel benennt die Diplompsychologin Renate Baumbach strukturelle Auslöser für innere Kündigungen: „das Konkurrenzdenken geht bis zum Mobbing, die Leute sehen keine Perspektive mehr.“ Für Unternehmen bedeuten innere Kündigungen Minderleistung, Fehlzeiten, steigende Personalkosten und Verlust von kreativen Potenzialen. Schwer zu ermitteln ist, welcher zusätzliche quantitative Nutzen den Unternehmen dadurch entgeht, dass Mitarbeiter nicht mehr bereit sind, neue Ideen zu entwickeln und ihre Ideen weiter zu tragen. Andere Mitarbeiter, die selbstbewusst ihre Fähigkeiten kennen, suchen sich in diesen Situationen einen neuen Arbeitgeber und kündigen. Ihr persönliches Motto lautet: „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“. Unkorrektheit von Mitarbeitern und Führungskräften Unkorrektheit von Mitarbeitern und Führungskräften, die dem Unternehmen bewusst Schaden zufügen, um sich persönlich zu bereichern, ist ein weiterer Vorbote von Unternehmenskrisen. Die Handlungspalette der hierbei auftretenden Verhaltensweisen reicht von Kompetenzüberschreitungen bis zum Betrug. Erleichtert werden derartige Verhaltensweisen durch ein unzureichend funktionierendes Rechnungswesen, das nicht als Planungs- und Kontrollsystem im Sinne eines Frühwarnsystems funktioniert.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Lethargie und riskanter Aktionismus in der Führungsmannschaft Um die Mitarbeiter nicht zu verärgern, greifen einige Führungskräfte bei strukturellem Konfliktpotenzial nicht durch. Dadurch schwindet deren Autorität. Es zeigen sich Lähmungserscheinungen durch die Verzögerung von klaren Entscheidungen. Dietrich Fechner beschreibt in „Praxis der Unternehmenssanierungen“ seine Beobachtungen bei strukturellen Krisen als einen ständigen Wechsel von Lethargie und riskantem Aktionismus in der Führungsebene. Die einheitliche Ausrichtung geht verloren. Auswirkungen auf den Außenbereich: Schwelle zur Krise Kommunikationslücken treten bei strukturellem Konfliktpotenzial nicht nur im Unternehmen, sondern auch nach und nach im Außenbereich auf. Der Informationsfluss reduziert sich auf das Notwendigste. Reklamationen und Beschwerden der Kunden nehmen zu. Die Kunden fordern größere Preiszugeständnisse. Die Lieferanten liefern langsamer und mahnen schneller. Sie werden gegenüber dem Unternehmen vorsichtiger. Das Unternehmen steht an der Schwelle einer Unternehmenskrise. Überblick: Vorstufen und Phasen der Unternehmenskrisen Unternehmenskrisen werden meistens aus einer Mischung von endogenen und exogenen Faktoren ausgelöst. In ihrem Buch „SanierungsManagement“ beschreibt das Autorenteam Harz, Hub und Schlarb, dass die Ursachen von Insolvenzen meistens auf Managementfehler zurückzuführen sind.
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
Endogene Faktoren Strukturelles Konfliktpotenzial
Austragung in Form des Kalten Krieges
Weitere Eskalationsformen
Weitere Faktoren x Unzureichendes Rechnungswesen x Exzessives Wachstum x Scheitern großer Projekte
109
Exogene Faktoren x Technologische Veränderungen x Extrem ansteigende Zinsen x Markteinbruch bei Produktlinien x Marktstagnation x Globalisierung
Unternehmenskrise
Stufe 1: Strukturelle oder strategische Krise
Unternehmenskrise
Stufe 2: Erfolgskrise
Unternehmenskrise
Stufe 3: Liquiditätskrise Insolvenz
Abb. 3: Vorstufen und Phasen der Unternehmenskrisen Ursachen für Insolvenzen Die meisten Insolvenzen betreffen nach Aussagen des Autorenteams Harz, Hub und Schlarb Firmen mit einem Umsatz von bis zu 25 Millionen Euro pro Jahr. Insolvenzstatistiken, aus denen diese Daten hervorgehen, enthalten keine Angaben von Krisenunternehmen, die freiwillig aufgegeben haben. Als Insolvenzgründe werden von den in den Statistiken enthaltenen Unternehmen häufig zu geringes Eigenkapital, zu geringer Kreditspielraum, Zunahme des Wettbewerbs, schleppende Zahlungseingänge und Forderungsausfälle genannt. Strukturbedingte Ursachen wie überhöhter oder unterqualifizierter Personalbestand und zu großer Verwaltungsapparat werden weniger genannt. Eine häufige Ursachen-Wirkungs-Kette ist nach Harz, Hub und Schlarb die fehlende Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an sich wandelnde Rahmenbedingungen. Dies ist oft verbunden mit „einsamen“ Entscheidungen der Unternehmensführung, an denen die mittlere Führungsebene nicht beteiligt ist. Es folgen strukturelle Probleme wie mangelnde Motivation, geringe Innovation, veraltete Produkte und Produktionsverfahren.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Hinzu kommen noch Fehleinschätzungen der Marktentwicklung. Die Reduzierung dieser Erfolgspotenziale führt fast zwangsläufig zu hausgemachten Unternehmenskrisen. Wenn dann noch das Rechnungswesen keine aussagefähigen Frühindikatoren liefert, werden die Unternehmenskrisen zu spät bemerkt. Die Insolvenz ist dann fast eine logische Konsequenz. Unternehmenskrisen vor der Insolvenz Eine Unternehmenskrise ist im Sinne von Fechner das Endstadium eines vom Unternehmen ungewollten Prozesses. Im Verlauf dieses ungewollten Prozesses haben sich die Erfolgspotenziale des Unternehmens so ungünstig entwickelt, dass die Existenz akut bedroht ist. X X
Die Erfolgspotenziale sind die Gesamtheit der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen zur Erzielung von Vermögenszuwächsen. Beispiele für diese Ressourcen sind verkäufliche und rentable Produkte, engagierte und qualifizierte Mitarbeiter, rationelle Verfahren, Markennamen und wiederkehrende Kunden.
Die Bedrohung des Unternehmens durch eine Unternehmenskrise konkretisiert sich in den Insolvenzantragspflichten. Die Eskalationsstufen der Unternehmenskrisen Die verschiedenen Krisen, die in der Abb. 3 dargestellt sind, haben eine zeitliche Verknüpfung. In ihrer Entstehungsfolge sind strategische Krisen langfristig, Erfolgskrisen mittelfristig und Liquiditätskrisen kurzfristig. Nach Fechner gibt es zwei Grundvoraussetzungen für den Bestand eines Unternehmens. Diese Grundvoraussetzungen sind die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit und die Vermeidung von Überschuldung. Wenn die Grundvoraussetzung „Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit“ nicht eingehalten werden kann, haben Einzelfirmen, Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften die Pflicht zur Einleitung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens. Kapitalgesellschaften und Genossenschaften haben auch bei der Verfehlung der Grundvoraus-
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
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setzung „Vermeidung von Überschuldung“ die Pflicht zur Einleitung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens. In Anlehnung an diese Grundvoraussetzungen als präventive Zielsysteme eines Unternehmens werden die Unternehmenskrisen wie folgt definiert: X
Stufe 1: Strategische Krise Wenn langfristig wirkende Erfolgsfaktoren und Erfolgspotenziale gestört oder zerstört sind, wird von einer strategischen Krise gesprochen. Beispiele für strategische Krisen sind fehlende Nachfolgeprodukte für absterbende Umsatz- oder Ertragsrenner oder eine unterqualifizierte Belegschaft.
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Stufe 2: Erfolgskrise Wenn ein Unternehmen Verluste macht und diese Verluste zum Aufbrauchen des Eigenkapitals führen, liegt eine Erfolgskrise vor. Es droht die Gefahr der Überschuldung. Anhaltende Verluste aufgrund von Umsatzrückgängen oder Kostensteigerungen sind Beispiele für Erfolgskrisen.
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Stufe 3: Liquiditätskrise Unter einer Liquiditätskrise wird die Entwicklung verstanden, die die konkrete und akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit in sich birgt oder zum Erlöschen der Zahlungsfähigkeit geführt hat. Erforderliche Lohnzahlungen, für die weder ausreichende Geldmittel noch zusätzliche Kreditlinien vorhanden sind, sind ein Beispiel für eine Liquiditätskrise.
In der umgekehrten Reihenfolge werden die Unternehmenskrisen häufig erst erkannt. Wenn die Banken weitere Kredite verweigern, wird die Liquiditätskrise (Stufe 3) offenkundig. Bei der Ursachenforschung erkennt man die dahinter liegende Erfolgskrise (Stufe 2). Erst danach erkennt man, dass man versäumt hat, rechtzeitig Nachfolgeprodukte zu entwickeln und für eine ständige Weiterentwicklung der Belegschaft zu sorgen (Stufe 1: Strategische Krise).
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Strukturelle Konfliktpotenziale als Vorboten strategischer Krisen Wenn in einem Unternehmen keine Frühwarnsysteme für Unternehmenskrisen installiert sind, werden strategische Krisen als Konsequenz eines latenten strukturellen Konfliktpotenzials erst erkannt, wenn es (fast) zu spät ist. Wenn Symptome von strukturellen Konfliktpotenzialen wie X X X
Dienst nach Vorschrift und steigende Fehlzeitenquoten, Kündigungen von qualifizierten und selbstsicheren Mitarbeitern und Häufigkeiten und Intensitäten von Hahnenkämpfen und Grabenkriegen verschiedener Führungskräfte untereinander
von der Unternehmensleitung „übersehen“ werden, startet die Spirale der Unternehmenskrisen. Die Eskalationsstufen, die zur Insolvenz führen, kommen – meistens „langsam, aber sicher“ – in Gang. Am Ende kann aus einer Existenz bedrohenden Krise, die noch die Möglichkeit eines raschen und richtigen Gegensteuerns enthält, eine Existenz vernichtende Krise werden.
Kalter Krieg Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat in „Konfliktmanagement“ für die Eskalation von Konflikten ein neunstufiges Modell entwickelt. Die einzelnen Stufen dieses „heißen Konflikts“ sind im Anhang dargestellt. Zusammengefasst geht es in dem neunstufigen Modell um die folgenden Meilensteine der Eskalation: X X X
In den ersten drei Stufen erfolgen Verstimmungen, Angriffe und Schuldzuweisungen. In der vierten bis sechsten Stufe geht es um ein Denken in Polaritäten, um den Gesichtsverlust des anderen und um Sanktionen. In den letzten drei Stufen des heißen Konflikts muss der Feind ausgesondert, am Lebensnerv getroffen und vernichtet werden.
Diese Zusammenfassung zeigt die Abgrenzung zu einem kalten Konflikt.
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
113
Vier Stufen der Verhärtung in Unternehmen bis zur Sprachlosigkeit Strukturelle Konflikte eskalieren in Unternehmen oft in den folgenden vier Stufen: X
Stufe I: Kontroverse Diskussion, Verstimmungen, erste Angriffe Diese Stufe entspricht weitestgehend der 1. Stufe (= Verstimmung) nach Glasl mit ersten Tendenzen aus der 2. Stufe (= Ja, aber ..). Strukturelle Konflikte werden personalisiert auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen.
X
Stufe II: Unterstellungen und Überlagerung Irgendwann wird das eigentliche Konfliktthema verlassen und der jeweils anderen Partei etwas unterstellt, beispielsweise Egoismus. Die Sachebene wird in dieser Stufe durch destruktiv ausgerichtete Beziehungsthemen überlagert, wobei man vordergründig und offiziell auf der Sachebene bleibt.
X
Stufe III: Eskalationsausbruch und Einbindung von Verbündeten Eine Partei fühlt sich verletzt und erhält dadurch das vermeintliche Recht des Gegenangriffs auf die andere Partei. Es beginnt die Suche nach Verbündeten. Die Parteien sind darauf aus, sich gegenseitig zu schaden. Bis zu dieser Stufe ist der heiße Konflikt ausgebrochen (Glasl/4. Stufe: = Schwarz-Weiss-Malerei).
X
Stufe IV: Sprachlosigkeit und Erstarrung (Die Wende zum kalten Konflikt) Der heiße Konflikt wird vor dem „Gesichtsverlust des anderen“ in der 5. Stufe (= Maske herunter) abgebrochen und verwandelt sich in einen kalten Konflikt. Die gegenseitige öffentliche Demontage unterbleibt. Es erfolgt ein Abbrechen der Kommunikation zwischen den Konfliktparteien. Zwischen ihnen herrscht „Sprachlosigkeit“.
In dieser Sprachlosigkeit und Erstarrung können die Menschen in den Unternehmen solange verharren, wie das Unternehmen sich diese Situation am Markt „leisten“ kann.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Unterschiede zwischen heißen und kalten Konflikten Die Unterscheidung zwischen einem heißen und einem kalten Konflikt hat Glasl wie folgt beschrieben: X
X
Bei einem heißen Konflikt ist die Atmosphäre durch Überempfindlichkeit und Überaktivität gekennzeichnet. Angriff und Verteidigung als explosive Taktiken, um die andere Partei zu „überzeugen“, nehmen Aufsehen erregende Formen an. Im Gegensatz dazu führen kalte Konflikte zu einer zunehmenden Lähmung der äußerlich sichtbaren Aktivitäten. Die Frustrationen und Hassgefühle werden von den Konfliktparteien hinuntergeschluckt. Die Auseinandersetzungen werden indirekt durch destruktives Verhalten fortgesetzt.
Bei kalten Konflikten sind die beteiligten Parteien in Unternehmen verblüffend ehrlich, oft auch sarkastisch. Die Beteiligten wirken auf eine besondere Art und Weise abgeklärt und entwickeln besonders kreativ Vermeidungsstrategien. Mit der Eigendynamik des kalten Konflikts erstarren diese Unternehmen nach und nach. Es gibt keine Begegnungsstätte mehr. Zwischen den Konfliktparteien herrscht ein „soziales Niemandsland“. Jede Partei fühlt sich ohnmächtig gegenüber den anderen, die vermeintlich alle Macht in den Händen haben. Die Konfliktparteien glauben nicht mehr an ihre Fähigkeit, den Konflikt konstruktiv lösen zu können. Sie sind nicht mehr bereit, sich mit den anderen konstruktiv auseinander zu setzen. Mit dieser Machtlosigkeit erstarrt das Unternehmen in einer völligen Sprachlosigkeit. Schweigen kann für ein Unternehmen teuer werden Werden Konflikte unterdrückt und totgeschwiegen, wachsen bei den Beteiligten negative Gefühle, wie Ablehnung, Angst und Wut. Unsicherheit und Misstrauen untereinander nehmen zu. Durch die gegenseitige Abwehrhaltung wird das Schweigen untereinander weiter verstärkt, so dass sich eine für das Unternehmen zerstörerische Spirale des Schwei-
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
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gens aufbaut. Die Beteiligten geraten in einen Teufelskreis der inneren Abschottung. Wenn dieses Schweigen geduldet wird, entstehen im Unternehmen verdeckte Kosten. Die Zusammenarbeit der Mitarbeiter wird vergiftet und die Energie für neue Ideen wird abgetötet. Beides zusammen schadet der Produktivität. Die Menschen in dem Unternehmen müssen einen hohen psychischen Preis zahlen, resultierend aus Ablehnung, Angst, Wut und anderen negativen Gefühlen. Irgendwann wird den einzelnen Menschen dieser Preis zu hoch, sodass das Unternehmen mit einer hohen Mitarbeiterfluktuation zu kämpfen hat. Spätestens zu dem Zeitpunkt entstehen offenkundige Konfliktkosten.
Weitere Eskalationsformen Aus eskalierten strukturellen Konflikten entwickeln sich Konflikte auf der zwischenmenschlichen Ebene. Strukturelle Konflikte sind Nährboden für Mobbing und wirken sich auf die Beteiligten in Form von inneren Konflikten aus. Konflikte zwischen einzelnen Menschen Eine häufige Form der Eskalation von strukturellen Konflikten ist die Personalisierung und die Verlagerung auf zwischenmenschliche Bereiche. Beispiele: X
Das strukturelle Konfliktpotenzial der unterschiedlichen Denkstile, das zwischen der Entwicklungsabteilung und dem Bereich Controlling existiert, entzündet sich im Alltagsgeschäft. Auf der obersten Führungsebene gibt es bei Besprechungen in der Unternehmensführung regelmäßig Streit und Auseinandersetzungen zwischen den Vorgesetzten dieser beiden Unternehmensbereiche in Form von „Hahnenkämpfen“. Auf der Arbeitsebene gibt es zwischen den Mitarbeitern aus beiden Bereichen an ihrer gemeinsamen Schnittstelle täglich Kleinkrieg und Schuldzuweisungen.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Nach und nach entsteht in beiden Bereichen ein Denken, das mit „wir“ (die Guten) und „die da“ (die Schlechten) bezeichnet werden kann. Dieses Denken bestimmt die Arbeitsweise aller Mitarbeiter in beiden Bereichen und wird in Sach- oder Beziehungskonflikten vordergründig zwischen den Beteiligten hitzig ausgetragen. X
Auch offensichtliche strukturelle Konfliktpotenziale, die sich aus der Organisationsstruktur oder aus den Arbeitsprozessen ergeben, erzeugen Konflikte zwischen den Mitarbeitern. Sie sind damit unzufrieden, müssen aber damit leben und tragen ihre Unzufriedenheit auf der zwischenmenschlichen Ebene aus.
Insofern sind die neun Eskalationsstufen von Konflikten auch eine Form der Austragung auf der zwischenmenschlichen Ebene. Ein positives Gegenbeispiel aus der Praxis In einem Arbeitsteam ging es im Klärungsprozess offiziell um einen zwischenmenschlichen Konflikt. Innerhalb der Konfliktanalyse hat sich herausgestellt, dass ein strukturelles Konfliktpotenzial die Ursache des vordergründigen Konflikts war. X X X
Diese Erkenntnis war für die beteiligten Konfliktparteien sehr erleichternd. Sie hatten erkannt, dass sie untereinander gar keine Gegner waren und sich wieder vertragen konnten. Zusätzlich hatten sie eine neu entdeckte Gemeinsamkeit, nämlich einen gemeinsamen Feind. Dieser neue gemeinsame Feind war der Vorgesetzte, der dieses strukturelle Konfliktpotenzial nicht geklärt hatte.
In der Praxis ist dieser Fall selten anzutreffen. In vielen Fällen wird strukturelles Konfliktpotenzial personalisiert auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen.
Unternehmenskrise als letzte Konsequenz
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Mobbing als Spezialfall Mobbing (englisch: über jemanden herfallen) ist in Unternehmen eine besondere Form von Konflikteskalation in zwischenmenschlichen Beziehungen. Strukturelle Konfliktpotenziale, wie Macht und unterschiedliche Denkstile, sind der Nährboden für Mobbing. Die beiden häufigsten Mobbing-Situationen sind: mehrere Kollegen als gemeinsame Täter gegen einen oder der Vorgesetzte als Täter gegen einen seiner Mitarbeiter. Werden Konflikte ganz gezielt eingesetzt, um beispielsweise Kollegen zu schaden, spricht man von Mobbing. In Abgrenzung zu vereinzelten Sticheleien oder einzelnen Angriffen geht es nach Heinz Leymann in „Mobbing“ um einen Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Dieser Prozess ist gekennzeichnet durch eine konfliktbelastete Kommunikation. X X
Die angegriffene Person, das Mobbing-Opfer, ist unterlegen und empfindet die Angriffe als Diskriminierung. Die angreifende Person, der Mobbing-Täter, führt die Angriffe systematisch durch. Das Ziel ist, das Mobbing-Opfer auszustoßen.
Der konkrete Anlass und meistens auch die konkrete Ursache von Mobbing ist ein Konflikt. Insofern können alle im Unternehmen auftretenden Konfliktarten auch Ursachen von Mobbing sein. Daneben gibt es für Mobbing als Spezialfall eines Konfliktes spezifische Ursachen. Matthias von Saldern beschreibt in einem Fachaufsatz „Mobbing – die vier Ursachenebenen“ diese Ebenen: X X X X
Strukturelle Aspekte im Sinne von objektiven Gegebenheiten und Führung. Täter-Signale zur Mobbing-Bereitschaft. Opfer-Signale zur Mobbing-Bereitschaft. Strukturelle Aspekte im Sinne von fehlenden normativen Grenzen und Regeln.
Die Ursachen von Mobbing-Fällen kommen meistens aus mehreren dieser vier Ursachen-Ebenen. So kann es beispielsweise strukturelle Ursachen aus einer unglücklichen Teambesetzung geben und keine Normen
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
zur Verhinderung von Mobbing. Generell kommt es durch Mobbing in Unternehmen zu reduzierter Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, sowie zu Ausfall- und Fehlzeiten. Letztendlich kostet Mobbing in allen Unternehmen Energie, Kraft und Geld. Das erste Kapitel zeigte bereits, dass der Schaden durch Mobbing in deutschen Unternehmen und Verwaltungen auf ca. 15 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt wird. Insofern gibt es auch betriebswirtschaftliche Gründe zur Verhinderung von Mobbing. Innere Konflikte als Konsequenz Menschen erleben durch strukturelles Konfliktpotenzial in Unternehmen innere Konflikte. In einer Matrixorganisation erhält ein Mitarbeiter heute von seinem fachlichen Vorgesetzten Aufgaben, die er mit hoher Priorität erledigen soll. Morgen erhält er Aufgaben mit hoher Priorität von seinem disziplinarischen Vorgesetzten. Da dieser Mitarbeiter beiden Anforderungen gerecht werden will, aber nicht kann, gerät er in einen inneren Konflikt. Auch Mitarbeiter, die für ihr Tagesgeschäft in einer Abteilung tätig sind und zusätzlich an einem Veränderungsprojekt mitarbeiten, kennen diesen Zwiespalt, der die Ursache für innere Konflikte sein kann. Die halbherzige Erledigung einer oder beider Aufgaben ist dann oft eine Konsequenz. Andere Menschen versuchen trotzdem alles zu bewältigen und geraten dann in einen anderen inneren Konflikt, da sie kaum noch Zeit für die Familie, für den Partner und für sich selbst haben. Strukturelles Konfliktpotenzial erzeugt bei diesen Menschen innere Konflikte. Auch wenn strukturelles Konfliktpotenzial personalisiert auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen wird, erzeugt dies bei einzelnen Beteiligten innere Konflikte. Mitarbeiter, die in der Entwicklungsabteilung kreativ an Innovationen arbeiten wollen, müssen sich täglich in Kleinkriegen mit den Mitarbeitern des Bereichs Controlling auseinander setzen. Obwohl sie Letzteres gar nicht wollen, werden sie durch das System dazu gezwungen. Sie selbst fühlen sich dadurch buchstäblich hin und her gerissen.
Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
3.3
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Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
Die Erkenntnis, dass viele Unternehmenskrisen hausgemacht sind, beinhaltet eine gute Nachricht: Das Management steht dieser Gefahr nicht wehrlos gegenüber. In Form eines strategischen Risikomanagements können Führungskräfte die Prävention von Unternehmenskrisen aktiv forcieren. Wenn es trotzdem zu einer Unternehmenskrise kommt, können Führungskräfte die Oberhand behalten. Dann ist jedoch umgehendes Handeln erforderlich. Im Fokus dieses Abschnitts steht die erste Eskalationsstufe von Unternehmenskrisen. Das sind die strategischen Krisen, die u. a. eine Folge von strukturellen Konflikten sein können. Nachfolgend wird für die strategische Krise vereinfachend der Begriff Unternehmenskrise verwendet.
Gefährliche Krisenlogik in Unternehmen Es scheint eine sich wiederholende destruktive Logik zu geben, nach der erfolgreiche Unternehmen in eine Krise stürzen. „Wieso geraten gerade Unternehmen, die jahrelang zu den erfolgreichsten und angesehensten zählten, so häufig in Schwierigkeiten?“ Dieser Frage sind Gilbert Probst und Sebastian Raisch nachgegangen und haben ihre Ergebnisse in einem Fachaufsatz „Die Logik des Niedergangs“ veröffentlicht. Der Niedergang hochprofitabler Unternehmen: Zusammengefasste Ergebnisse Die Autoren haben die 100 größten Unternehmenskrisen in den vergangenen fünf Jahren analysiert. Die Hälfte waren Firmenpleiten in Europa und in den USA. Die andere Hälfte waren Unternehmen, die in diesem Zeitraum mindestens 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt und Verluste beziehungsweise hohe Schulden angehäuft hatten. Die untersuchten Unternehmen haben in diesen fünf Jahren einen Wert von 2.500 Milliarden
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
US-Dollar vernichtet. Zur Beantwortung der Ausgangsfrage haben die Autoren sich auf die Unternehmen konzentriert, die bis zum Zeitpunkt ihres Niedergangs ausgesprochen erfolgreich waren. Mehr als die Hälfte der 100 Unternehmen waren Marktführer in ihrer jeweiligen Branche und seit Jahren hochprofitabel. Der Niedergang war nach den Ergebnissen von Probst und Raisch in allen Fällen hausgemacht, so unterschiedlich die einzelnen Fälle auch waren. Die Logik des hausgemachten Niedergangs zeigte sich in zwei Ausprägungen: X
X
Bei über 70 Prozent der untersuchten Fälle waren die Ursachen des Niedergangs „Erfolgsfaktoren im Überfluss“, beispielsweise hohes Wachstum und die Fähigkeit zum permanenten Wandel. Die Autoren nennen diese Ausprägung das „Burn-out-Syndrom“. Bei den restlichen knapp 30 Prozent war es genau das Gegenteil, nämlich Stillstand und vorzeitiges Altern. Die Autoren nennen diese Ausprägung das „Premature-Aging-Syndrom“.
In der folgenden Grafik sind die von den Autoren analysierten Kernelemente beider Ausprägungen des Niedergangs von Unternehmen dargestellt.
Ausprägungen des hausgemachten Niedergangs erfolgreicher Unternehmen
Kernelemente des Burn-out-Syndroms
Kernelemente des Premature-Aging-Syndroms
x Exzessives Wachstum x Unkontrollierter Wandel x Mächtige Unternehmensführer
x Stagnierendes Wachstum x Zögerlicher Wandel x Schwache Unternehmensführer
x Überzogene Erfolgskultur
x Fehlende Erfolgskultur
Abb. 4: Ausprägungen und Kernelemente des Niedergangs von Unternehmen
Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
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Nachfolgend sind die beiden Ausprägungen anhand der Kernelemente beschrieben, ergänzt um Beispiele der von den Autoren analysierten Krisenfälle. Das Burn-out-Syndrom Die Unternehmen mit dem Burn-out-Syndrom verfügten über vier zentrale Erfolgsfaktoren, allerdings im Überfluss: Wachstum, die Fähigkeit zum Wandel, eine starke Führung und eine erfolgsorientierte Kultur. Die Autoren Probst und Raisch führen an: „Es scheint eine Grenze zu geben, von der ab diese vier Erfolgsfaktoren kontraproduktiv wirken“. X
Exzessives Wachstum Überzogenes Wachstum durch Akquisitionen und Übernahme anderer Unternehmen ist besonders dann ein Grund für Insolvenzen, wenn es durch einen hohen Anteil an Fremdkapital finanziert wird. Bei den untersuchten Fällen wurden Übernahmen oft vorschnell und zu überhöhten Preisen abgewickelt. Als Beispiele nennen die Autoren u. a. die drei Telekom-Riesen Britisch Telecom, Deutsche Telekom und France Télécom. Diese Konzerne konnten zwar eine drohende Insolvenz abwenden, haben aber insgesamt eine Schuldenlast von über 150 Milliarden US-Dollar zu tragen.
X
Unkontrollierter Wandel Die Vielfalt von akquirierten Unternehmen erhöhte nicht nur die Komplexität, sondern auch die Unruhe in den Organisationen der Unternehmen insgesamt. Die erwarteten Synergien der permanenten Umbauten in der Organisation ließen sich oft nicht realisieren und führten zunehmend zu operativen Problemen. Als typisches Beispiel nennen die Autoren den Technologiekonzern ABB. „Nach 60 Übernahmen in unterschiedlichsten Branchen und einem wahren Restrukturierungsrausch blieb ein verzettelter, heimatloser Konzern übrig.“
X
Mächtige Unternehmensführer Die Untersuchung ergab, dass dominante Persönlichkeiten in der Topposition fast aller Fälle den Niedergang wesentlich mit verursacht haben. Das hierfür typische Szenario ist ein mächtiger und nahezu auto-
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
kratisch herrschender Vorstandschef, der „nach Gutdünken schaltet und waltet“, sowie nach höheren Zielen strebt. X
Überzogene Erfolgskultur Eine überzogene Erfolgskultur ist einerseits durch hohe Gehälter und schnelle Aufstiegschancen sowie andererseits durch starkes internes Konkurrenzdenken und lange Arbeitszeiten gekennzeichnet. Die Loyalität gegenüber dem Unternehmen basiert auf der Chance, „rasch viel Geld zu machen“. In den von den Autoren untersuchten Krisenfällen kippte diese Erfolgskultur zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise, da das Management bei den Gehältern sparen und Beförderungen stoppen musste. Die Folgen in diesen Krisen waren Abwanderungen der besten und innere Kündigungen der verbleibenden Mitarbeiter – „was die Krise weiter verstärkte“.
Zusammenfassend beschreiben die Autoren das Burn-out-Syndrom als Krankheit: „Ein übertrieben ehrgeiziger Vorstandschef überlastet durch exzessives Wachstum und unaufhörlichen Wandel die Organisation auf Dauer so sehr, dass diese schlicht ausbrennt.“ Als ein Beispiel nennen die Autoren den Konzern DaimlerChrysler, der zweimal mit diesem Syndrom konfrontiert wurde. Der erste Burn-out erfolgte ab 1985, als Edzard Reuter in einer beispiellosen Expansion nahezu alles aufkaufte, was am Markt verfügbar war. Seine Vision war ein integrierter Technologiekonzern. Jürgen Schrempp gelang als Nachfolger die Zerschlagung des Technologiekonzerns und die Konzentration auf das Kerngeschäft. Daimler-Benz war 1998 wieder das alte Muster-Autounternehmen. Danach führte Jürgen Schrempp Daimler ohne Druck von außen in den zweiten Burn-out, diesmal mit der Vision von der Welt AG. Zum zweiten Mal entstand eine Großbaustelle, mit den im Nachhinein von außen erkennbaren Konsequenzen. Das Premature-Aging-Syndrom Die restlichen 30 Prozent der untersuchten Fälle haben das genaue Gegenteil getan und sind dadurch in die Krise geraten.
Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
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Stagnierendes Wachstum Unternehmen, wie der Fotoriese Kodak und der Kopiererhersteller Xerox, weisen seit Jahren stagnierende Umsätze aus. „Zaghafte Versuche, wieder zu wachsen, sind gescheitert.“
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Zögerlicher Wandel In den Beispielen Kodak und Xerox blockieren starke Kräfte im Unternehmen jegliche Veränderungen. Kodak hat den Trend zur digitalen Fotografie ignoriert, um das Kerngeschäft mit Filmen nicht zu gefährden. Trotz des digitalen Zeitalters konzentriert sich das Management von Xerox auf das Kerngeschäft Fotokopierer. „Der Niedergang der untersuchten Firmen ist im Wesentlichen auf ein starres Festhalten an einer zunehmend veralteten Erfolgsformel zurückzuführen.“
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Schwache Unternehmensführer In den untersuchten Fällen gab es keine starke Führung, die in der Lage gewesen wäre, notwendige Veränderungen im Unternehmen durchzusetzen und sich gegen Widerstände zu behaupten. In den meisten Fällen war es der Vorstandsvorsitzende, der an vergangenen Erfolgen und an seinen Gewohnheiten zunehmend starr festhielt.
X
Fehlende Erfolgskultur Die untersuchten Unternehmen mit dem Premature-Aging-Syndrom hatten eine angenehme, auf Loyalität und Vertrauen angelegte Unternehmenskultur. Auf Basis dieser Kultur vermied das Management in den Unternehmen zu lange notwendige Einschnitte beim Personal. Waren in diesen Unternehmen dann Entlassungen unvermeidlich, wurde hierdurch die Unternehmenskultur zerstört. Als Beispiel nennen die Autoren das Unternehmen Kodak, bei dem nach einer Streichung von 30.000 Stellen in den letzten sechs Jahren „kein bisschen Loyalität oder Motivation mehr übrig blieb“.
Bei den Unternehmen mit dem Premature-Aging-Syndrom konnten die Autoren durch das Fehlen von Wachstum und Wandel ein vorzeitiges Vergreisen feststellen. Das Management hat in diesen Fällen Veränderungen zunehmend ignoriert.
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Empfehlungen: Balance halten und den Niedergang verhindern Die erste Empfehlung lautet: Langfristig die Balance zu halten zwischen den beiden oben beschriebenen Extremen. In Bezug auf die vier Kernelemente bedeutet dies: X X X X
Gesundes Wachstum, d. h. das Wachstum des Unternehmens auf einen optimalen Wachstumswert ausrichten und darauf begrenzen. Stabiler Wandel, d. h. notwendige Veränderungen auf Basis stabiler organisatorischer Regeln konsequent umsetzen. Geteilte Macht, d. h. situationsabhängige und geteilte Machtausübung in der Führungsebene. Ausgewogene Unternehmenskultur, d. h. eine wehrhafte Vertrauenskultur, in der Leistung honoriert und Leistungsverweigerung sanktioniert wird und sich alle Mitarbeiter darauf verlassen können.
Sowohl sehr geringe als auch sehr hohe Werte dieser vier Kernelemente können sich auf Dauer für das Unternehmen negativ auswirken. Die zweite Empfehlung lautet: Den Niedergang verhindern. Hierbei geht es um den Einsatz von effektiven Frühwarnsystemen, die sich nicht nur auf Kennzahlen des Rechnungswesens beschränken. Kennzahlen des Rechnungswesens werden erst am Ende von Geschäftsprozessen ermittelt. Die ersten Krisensignale sind meistens qualitativer Natur und auf der strategischen Ebene zu erkennen, beispielsweise in den oben beschriebenen vier Kernelementen. Werden in einem strategischen Frühwarnsystem Krisensignale erkannt, müssen Maßnahmen zur Krisenbehandlung ergriffen werden, um den Ausbruch der drohenden Krise zu verhindern. Um in potenziellen Krisensituationen rechtzeitig gegenzusteuern, muss das Management bisherige Strategien und Vorgehensweisen oft zu einem Zeitpunkt ändern, zu dem diese (scheinbar) noch erfolgreich sind. Hier ist der Mut zu eindeutigen Richtungsänderungen erforderlich, verbunden mit der Fähigkeit, mit Unsicherheit und Widerständen wirksam umzugehen.
Potenziellen Unternehmenskrisen aktiv entgegenwirken
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Krisenbewusstsein bei Führungskräften in Unternehmen stärken Neue Auflagen, wie das Transparenzgesetz (KontraG) und die Ratingrichtlinien nach Basel II, sollen Unternehmen veranlassen, ihre Aktivitäten zur Prävention von Unternehmenskrisen zu verstärken. Die von Studnitz Management Consultants GmbH hat in den Jahren 2004 und 2005 in Norddeutschland 600 Führungskräfte zum Thema Krisenprävention und -management befragt und die Ergebnisse im Internet veröffentlicht (Quelle: www.vonstudnitzpartner.de). Hierbei ging es um Fragen zum Verständnis von Unternehmenskrisen und zu Aktivitäten einer Krisenprävention. Das zusammengefasste Ergebnis dieser Befragung zeigt, dass die Bedeutung von Krisenprävention und -management in vielen Unternehmen nicht ausreichend im Bewusstsein der Führungskräfte verankert ist. Drei Viertel der Befragten haben in ihrem Unternehmen noch nie etwas über ein Krisenmanagement gehört. Über 70 Prozent der Befragten verbinden überwiegend Konfliktsituationen aus dem Alltagsgeschäft mit dem Begriff Krise. Im Analyseergebnis verwundert es die Autoren, dass dieses Thema in Unternehmen nicht ausreichend zum Gegenstand der Entwicklung von Führungskräften gemacht wird. Auch der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. Chris Löwer prophezeit in einem Fachbeitrag im Handelsblatt vom 22. September 2006, dass sich die Krisenprävention für Unternehmensberater zu einem lukrativen Geschäft entwickeln wird. Der Autor beschreibt das Ergebnis einer BDU-Umfrage aus dem Jahr 2005, bei der mittelständische Unternehmen in BadenWürttemberg zu ihrem Risikomanagement befragt wurden. Danach kümmert sich nur jedes zweite Untenehmen bewusst um die Krisenprävention. „Es werden viel zu selten unternehmensrelevante Kennzahlen erhoben, um künftige Entwicklungen einschätzen zu können, womit das Risiko von Firmenpleiten steigt.“ Alle Führungskräfte eines Unternehmens müssen sensibel für potenzielle Krisenfälle sein. Sie müssen Methoden beherrschen, um Krisensituatio-
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nen frühzeitig zu erkennen und schnell zu analysieren. Sie müssen im Eintrittsfall mit ihren Mitarbeitern dazu beitragen, dem Unternehmen wirksam aus einer Krise zu helfen.
Krisenprävention In vielen Unternehmen haben die im Management Verantwortlichen für die kaufmännischen Bereiche gelernt, bestimmte Risiken für das Unternehmen einzuschätzen und sich dagegen abzusichern. Währungsschwankungen werden durch Hedging und Ausfälle der Computersysteme durch den Einsatz von IT-Notsystemen abgesichert. In den meisten Unternehmen erfolgt das Risikomanagement im Rahmen des Controllings und beschränkt sich dadurch weitestgehend auf finanzielle Kennzahlen. Wenn die Auswirkungen einer Unternehmenskrise in den quantitativen Kennzahlen zu erkennen sind, kann es schon zu spät sein, um den Ausbruch der Krise zu verhindern. Eine Prävention potenzieller Krisen erfordert frühzeitig Krisensignale auf strategischen Ebenen. Eine generelle Voraussetzung hierfür ist, das erforderliche Krisenbewusstsein im Unternehmen zu schaffen. Strategisches Risikomanagement: Endogene und exogene Risikofaktoren Strategisches Risikomanagement bedeutet, sich in die Offensive zu begeben – im gesamten Management des Unternehmens. Es geht nicht nur um einzelne finanzielle und betriebsbedingte Risiken, sondern um das Risikomanagement für das gesamte Unternehmen. Die Gefahren von Risiken sind zu vermeiden und die Negativaspekte von Risiken zu begrenzen. Im Sinne des Fachartikels „Gefahren intelligent abwehren“ von den Autoren Drzik und Slywotzky hilft strategisches Risikomanagement dem Management, die Erfolgschancen zu erhöhen, die sich hinter Risiken auch verbergen. „Risikomanagement zwingt die Mitarbeiter systematisch über die Zukunft nachzudenken und hilft ihnen, Wachstumsmöglichkei-
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ten zu erkennen.“ Unternehmen, die wachsen wollen, müssen Risiken eingehen. Das gilt für die Wirkungsbereiche außerhalb des Unternehmens (Kunden, Lieferanten und Produkte) und für das Unternehmen selbst (Strukturen, Geschäftsmodelle und Verfahren). Mit dem frühzeitigen Erkennen und dem zeitigen Ergreifen von Gegenmaßnahmen kann man im Unternehmen potenzielle Risiken kontrollieren und die Punkte herauskristallisieren, an denen sich Risiken mit Chancen verbinden lassen. Hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten eines Unternehmens sind exogene und endogene Faktoren zu unterscheiden. Eine exogen indizierte Krise bedeutet, dass das Unternehmen in einen Konflikt mit dem Umfeld gerät. Auf viele exogene Ursachen kann ein Unternehmen nur reagieren. Endogene Ursachen (z. B. strukturelle Konflikte) werden im Unternehmen selbst erzeugt, können also aktiv vermieden werden. Strategische Ebenen zur Identifikation von Krisensignalen Zu den endogenen Faktoren von Unternehmenskrisen gehört die Unternehmenspolitik im erweiterten Sinne. Konkrete Beispiele sind die in diesem Kapitel zum Burn-out- und Premature-Aging-Syndrom jeweils beschriebenen vier Kernelemente in negativer Ausprägung: X X X X
Exzessives/Stagnierendes Wachstum, Unkontrollierter/Zögerlicher Wandel, Zu mächtige/Zu schwache Unternehmensführer und Überzogene/Fehlende Erfolgskultur.
Auch strategische Projekte für die Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen oder für die Einführung neuer Verfahren und IT-Unterstützung können sich zu endogenen Faktoren von Unternehmenskrisen entwickeln. Einige der von Drzik und Slywotzky beschriebenen exogenen strategischen Risiken sind: X
Sinkende Branchenmargen Branchen machen beispielsweise eine rapide Deregulierungsphase durch, die den Preiskampf zwischen den Unternehmen mit hohen Kosten verschärft. Als Beispiel nennen die Autoren die Fluggesellschaften.
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X
Technologische Veränderungen Wenn beispielsweise eine neue Technologie für ein Unternehmen unerwartet den Markt erobert, wie im Falle der digitalen Fotografie bei Kodak, werden vielleicht in kurzer Folge bestimmte Produkte von Kunden nicht mehr nachgefragt.
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Konkurrent mit bahnbrechendem Konzept Eines der bedrohlichsten Wettbewerbsrisiken dürften Konkurrenten sein, die sich mit einem einzigartigen Konzept in den Markt drängen und dort einen Löwenanteil sichern. Einzelhändler, die sich mit der Verbreitung der amerikanischen Wal-Mart-Läden in den 80er und 90er Jahren befassten, konnten die gewaltige Welle vorausahnen, die durch dieses Geschäftskonzept ausgelöst wurde.
Weitere von den Autoren genannte Risiken sind Markenerosion und Marktstagnation. Alle hier genannten endogenen und exogenen Risiken dienen als Beispiele zum Aufzeigen der strategischen Ebenen, die zur frühzeitigen Identifikation von Krisensignalen zu betrachten sind. Der Anhang enthält eine Checkliste über Krisensymptome, die im Verhältnis zu den Kunden, zu den Lieferanten und zu den Kreditgebern sowie im Unternehmen selbst oft schon sehr frühzeitig erkennbar sind. Der Prozess zum Aufbau eines Risikomanagement-Systems beginnt mit der Risikoidentifikation. Es erfolgt eine möglichst vollständige, kontinuierliche und proaktive Erfassung aller Gefahrenquellen, Störpotenziale und Schadensursachen eines Unternehmens, die sich negativ auf die Erreichung der Unternehmensziele auswirken könnten. In einem Fachaufsatz „Frühaufklärungssysteme“ beschreibt Frank Romeike drei Trends in der Risikolandschaft: Der Wandel vollzieht sich immer schneller, die potenziellen Auswirkungen werden größer und die Kalkulierbarkeit von Risiken nimmt ab. Trotzdem ist für ihn jedes Risikomanagement gleichzeitig ein Chancenmanagement.
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Die Schritte zur Umsetzung im Rahmen der Unternehmenssteuerung Ein Risiko- und Chancenmanagement-System ist ein integraler Bestandteil der Unternehmenssteuerung in allen Unternehmensebenen und -funktionen. Zur Gestaltung dieses Prozesses sind folgende Aufgaben erforderlich: X X
X X
X X X
Identifikation der Risiken in den strategischen Feldern Erstellung eines Risikoprofils für das Unternehmen, in dem jedes Risiko visualisiert, eingeordnet und bewertet wird: Benennung der bedrohten Unternehmenswerte Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit Bezifferung der möglichen Auswirkungen (in Euro) Erkennen der potenziellen Vorteile der einzelnen Risiken und Aufzeigen der damit verbundenen Chancen Definition der Risikostrategie für alle identifizierten Risiken: Reduzierung oder Vermeidung des Risikos Ausnutzung der mit dem Risiko verbundenen Chancen Übertragung des Risikos auf Dritte (z. B. Versicherung) Entwicklung von alternativen Lösungsansätzen und -möglichkeiten (Nutzung von effizienten Techniken zur Ideengenerierung) Definition konkreter Maßnahmen zur Umsetzung von Lösungsansätzen Überführung der Maßnahmen in ein Risiko- und Chancen-Controlling: Planung der Maßnahmen (was, wer, bis wann?) Kontrolle der Umsetzung (Nach-)Steuerung der Umsetzung
Das Risiko- und Chancenmanagement-System ist integraler Bestandteil der Unternehmenssteuerung. Die Risikoverantwortlichen werden durch ein Risiko-Reporting über die aktuellen Stände der Umsetzung und über die erreichten Ergebnisse informiert. Das Risikoportfolio wird aktualisiert und die Risikopositionen werden überwacht, um auch Anpassungsbedürfnisse in der Planung von Maßnahmen vorzunehmen.
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Arbeitskreis „Standard Chance- und Risikomanagement“ Die Risk Management Association e. V. (RMA) ist eine Vereinigung von Organisationen und Menschen, die sich mit dem Risikomanagement beschäftigen. Ziele des Vereins sind die Förderung, Weiterentwicklung und Verbreitung des Risikomanagements in Unternehmen und Organisationen (Quelle: www.rma-ev.org). Die Arbeitskreise des RMA befassen sich mit den theoretisch-methodischen Grundlagen und mit Fragen der praktischen Anwendung für ausgewählte Themen des Risikomanagements. Anfang Dezember 2005 wurde ein „RMA Chancen- und Risikomanagement Standard“ veröffentlicht für ein ganzheitliches Bild des Chancenund Risikomanagements in Unternehmen. In diesem Standard sind fünf Dimensionen von Bedeutung: X X X X X
die Umwelt des Unternehmens (Außendimension), die Ziele des Unternehmens (z. B. Kunden- und Leistungsziele), der Chancen- und Risikomanagement-Prozess, die Unternehmensebenen (z. B. Geschäftsleitungs- und Mitarbeiterebene) und die Kultur, Führungs- und Kontrollaspekte im Unternehmen.
Die Dimension des Prozesses zum Chancen- und Risikomanagement bildet den Kern des Systems. Der Prozess ist ein systematischer, ganzheitlicher und iterativer Vorgang, der den gesamten Chancen- und Risikozyklus abdeckt – von der Identifikation einer Chance oder eines Risikos bis zur Kontrolle der Reaktionsmaßnahmen. Der Standardleitfaden zur Einführung des Chancen- und Risikomanagements ist unter www.rma-ev.org abzurufen. Durch Aus- und Weiterbildung von Menschen, die im Bereich Risikomanagement tätig sind, hilft die RMA auch, das Krisenbewusstsein in Unternehmen zu fördern.
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Die Einführung einer Streitkultur als Präventivmaßnahme vor einer Krise Wenn eine Krise im Unternehmen eingetreten ist, bekommt die Krisenkommunikation – nach innen und außen – eine zentrale Bedeutung. Ziele der Krisenkommunikation sind, die Krise zu entdramatisieren, Lähmung zu überwinden und Handlungsspielraum zu gewinnen. Hierzu ist auf der Basis von Vertrauen eine offene Kommunikations- und Streitkultur erforderlich. Die Umsetzung der Krisenkommunikation bei Eintritt einer Krise wird im Unternehmen dann schwierig, wenn eine Harmonie- oder eine Misstrauenskultur vorherrscht. Eine wehrhafte Vertrauenskultur, verbunden mit einer Streitkultur im Unternehmen ist eine gute Ausgangsbasis, um Unternehmenskrisen wirksam zu behandeln. Auf der Grundlage einer konstruktiven Kritik- und Konfliktkultur können Führungskräfte und Mitarbeiter eine Krise als Chance zur wirklichen Veränderung und Weiterentwicklung des Unternehmens begreifen und nutzen. Insofern ist eine konstruktive Streitkultur nicht nur für die erfolgreiche Durchführung des Alltagsgeschäfts förderlich. Sie ist gleichzeitig eine gute Basis zur wirksamen Behandlung von Unternehmenskrisen. Unternehmenskrisen erfordern eine hohe Flexibilität und ein andersartiges Handeln im Vergleich zum Zeitraum vor der Krise. Sie sind oft der Anstoß für Qualitätsverbesserungen, zu intensiven Auseinandersetzungen mit geänderten Umweltverhältnissen und zur Eliminierung von unproduktiven Routinen im Unternehmen. Durch eine konstruktive Streitkultur werden endogene Risikofaktoren einer Unternehmenskrise minimiert und die wirksame Behandlung von exogenen Risikofaktoren bei Eintritt einer Unternehmenskrise gefördert. Das Kapitel 4 enthält Empfehlungen zur Entwicklung einer konstruktiven Streitkultur.
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Behandlung von Unternehmenskrisen Plötzlicher oder schleichender Eintritt Unternehmenskrisen können plötzlich durch ein unerwartetes Ereignis eintreten. Ereignisse wie ein Großfeuer auf dem gesamten Fabrikgelände, ein Anschlag auf das Unternehmen oder der plötzliche Ausfall der wichtigsten Kunden können so schwere Auswirkungen auf das Unternehmen haben, dass die Unternehmenskrise unmittelbar folgt. In vielen Fällen ist der Prozess, in dem ein Unternehmen sich einer Krise nähert und dann hineinschlittert, schleichend. Meistens wirken mehrere Faktoren, wie Generationswechsel in der Führung, Weggang wichtiger Mitarbeiter, Gewinneinbruch, neue starke Wettbewerber oder Kündigung von Kreditlinien zusammen – oft über einen längeren Zeitraum. Unternehmenskrisen nähern sich oft „auf leisen Sohlen“! Dramaturgie des Absturzes der internen Kommunikation in der Krise Die Dramaturgie der Kommunikation bei Eintritt einer Unternehmenskrise ist vergleichbar mit den Auswirkungen von eskalierenden strukturellen Konflikten. Rosabeth Moss Kanter ist Professorin für Unternehmensführung, spezialisiert auf Strategie und das Management von Transformationsprozessen. Sie hat in einem Fachaufsatz „So schaffen Sie die Wende“ den Absturz der internen Kommunikation in der Krise wie folgt zusammengefasst: „Es beginnt mit einem Schlag, der das Unternehmen aus dem Gleichgewicht bringt. Dann schieben die Mitarbeiter sich gegenseitig die Schuld zu und machen Kollegen aus anderen Bereichen des Unternehmens schlecht. Die hieraus resultierenden Spannungen senken die Kooperationsbereitschaft und arten schnell in eine Art Revierkämpfe aus. Jeder im Unternehmen grenzt sich immer stärker ab und hält Informationen zurück. Sobald nicht mehr alle an einem Strang ziehen, klappt immer weniger. Die Menschen glauben am Ende, sie seien hilflos. Sie werden passiv. Schließlich zeigt sich das letzte Symptom der Krise: kollektive Verweigerungshaltung.“
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Bei der Betrachtung dieser in mehreren Krisenfällen zu beobachtenden Dramaturgie bezeichnet die Autorin es als Wunder, wenn ein Unternehmen aus einer derartigen Abwärtsspirale ausbricht. Ihre wichtigste Botschaft ist: Die Manager an der Spitze eines Krisenunternehmens müssen den Turnaround in den Köpfen aller Beteiligten bewirken. Strukturen für ein Krisenmanagement auf der Basis von Vertrauen und Zuversicht Für Rosabeth Moss Kanter ist eine schlüssige Strategie zur wirksamen Behandlung von Unternehmenskrisen wichtig – aber nicht ausreichend, um die Krisenstimmung im Unternehmen zu beenden. „Sie müssen vor allem das Vertrauen von Mitarbeitern und Führungskräften zurückgewinnen, die Kommunikation in Gang bringen und ihre Manager aus der Lethargie reißen.“ Im Vergleich zu der oben beschriebenen Abfolge muss die Unternehmensleitung den Mitarbeitern neue Energien geben, indem sie Informationsblockaden, Schuldzuweisungen, Revierkämpfe und Hilflosigkeit durch die folgenden Empfehlungen ersetzt. X
Dialog fördern Wenn Unternehmen Informationen vor ihren Mitarbeitern und vor der Öffentlichkeit geheim halten, verschlimmern sich die finanziellen und strategischen Probleme. Wer eine Unternehmenskrise überwinden will, muss das Unternehmen neu ausrichten. Hierzu müssen – in der Hierarchie oben beginnend – alle Kommunikationswege erschlossen werden. In Krisensituationen sind oft zusätzliche Kommunikationsplattformen, wie beispielsweise wöchentliche Mitarbeitertreffen, erforderlich. Hierdurch können aktuelle Daten und Fakten allen Beteiligten transparent gemacht werden.
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Respekt schaffen Neben der Transparenz von Informationen geht es um die Gestaltung der Beziehungen. Beschuldigungen und Bestrafungen sind keine Krisenhelfer. Wenn die Unternehmensführung den Turnaround schaffen will, muss sie Respekt vorleben und die Mitarbeiter dazu bringen, sich
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gegenseitig zu respektieren. Wenn Mitarbeiter untereinander ihre Fähigkeiten anerkennen, werden sie gemeinsam effizienter an einer neuen Zukunft arbeiten. X
Übergreifende Zusammenarbeit anregen Zur wirksamen Behandlung einer Unternehmenskrise müssen strategische Probleme gelöst werden – und das in bereichsübergreifenden Projekten. Der Nutzen bereichsübergreifender Projekte liegt zusätzlich darin begründet, dass alle beteiligten Bereiche auf den erforderlichen Veränderungsprozess eingeschworen werden. Besonders zur Überwindung von Krisen ist es wichtig, die Organisation um flexible, auf Zeit angelegte Strategieteams zu ergänzen, die in mehreren Richtungen agieren und Beziehungen aufnehmen.
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Initiative wecken Wenn das Management die Strukturen für ein wirksames Krisenmanagement geschaffen hat, gilt es die Mitarbeiter psychisch zu stärken. Auch das beginnt in der Unternehmensführung. In der praktischen Umsetzung gilt es, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und neu zu wachsen. Das Motto lautet: „Wir haben die Dinge in der Hand! Wir können etwas ändern, wenn wir es wollen!“
Es gibt keine Patentlösungen, um in einem krisengeschüttelten Unternehmen den Turnaround zu schaffen. Jedes Unternehmen braucht hierzu seine situationsbezogene Strategie und Vorgehensweise. Aus ihrer Analyse von Krisenfällen, in denen die Unternehmen den Turnaround geschafft haben, ergibt sich für Rosabeth Moss Kanter eine allumfassende Aufgabe zur Neuausrichtung des Unternehmens. Um den Turnaround zu schaffen, muss die Person an der Spitze als Krisenmanager die Belegschaft aufrütteln, von oben bis unten. Der Krisenmanager muss auch den Mitarbeitern wieder Zuversicht geben, die sich längst ihrem Schicksal gefügt hatten. Das ist die Basis, um die Strukturen für das Krisenmanagement erfolgreich mit Leben zu füllen.
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Krisenkommunikation ist Chefsache: Die Krise entdramatisieren Interne und externe Krisenkommunikation ist Sache des obersten Krisenmanagers! Entsprechend der Einrichtung von internen Strukturen für ein Krisenmanagement geht es auch darum, nach außen Vertrauen und Zuversicht zurückzugewinnen. Neben den eigenen Mitarbeitern sind die Adressaten der Krisenkommunikation Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner oder Investoren. Für diese Gruppen muss ein integriertes, zielgruppenorientiertes Kommunikationskonzept entwickelt und umgesetzt werden. Gesprächspartner für die Zielgruppen ist der Chef – als oberster Krisenmanager. In Unternehmenskrisen besteht die Gefahr, dass das Gerücht zum wichtigsten Kommunikationsinstrument wird. Nur wenn der Chef selbst die Funktion des Repräsentanten wahrnimmt, behält er das Heft in der Hand und kann die Kommunikation über die Krise weitestgehend steuern. Was er persönlich kommuniziert, hat im Zweifelsfall mehr Bedeutung als Berichte und schriftliche Meldungen. Spekulationen von außen sind in Krisenzeiten Verstärker von Unternehmenskrisen. Um aktuelle Lähmungen zu überwinden und die eigene Handlungsfähigkeit wiederherzustellen, ist das Ziel der Krisenkommunikation, eine Krise zu entdramatisieren. Die Besonderheit in der Krisenkommunikation liegt in der Notwendigkeit, sich den neuen Herausforderungen zu stellen und mit den damit verbundenen Risiken und Ängsten konstruktiv umzugehen. Das Turnaround-Management (TM): Die ersten Schritte Das TM beginnt mit einer schonungslosen Klärung und Analyse der Ausgangssituation. Auf dieser Grundlage werden Ziele für den Turnaround definiert und die Turnaround-Strategie als mittelfristiger Weg aus der Krise entwickelt. Es folgen die Ableitung und Umsetzung von operativen Maßnahmen und deren Steuerung. Die zu analysierenden Optimierungsbereiche sind Marktbearbeitung (Produkte, Märkte und Zielgruppen), Beziehungen zu Partnern (Stakeholder und Shareholder) und die
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innere Struktur (Prozesse, Organisation, Infrastruktur und Ressourcen). Die ersten Schritte im TM sind: X
1. Schritt: Kassensturz und aktuelle Liquiditätsplanung als Sofortmaßnahmen Die Sofortmaßnahmen dienen im Sinne einer Liquiditätssicherung der Verhinderung einer Verschlechterung der finanziellen Situation des Unternehmens. Sie dienen auch der Zeitgewinnung, um das Sanierungskonzept für den Turnaround zu erarbeiten. Es geht um eine Bestandsaufnahme aller liquiden und nicht liquiden Mittel. Darauf aufbauend sind in Form einer aktuellen Liquiditätsplanung Überlegungen anzustellen, wo und wie man beispielsweise kurzfristig Kosten senken und Einnahmen steigern könnte. Letzteres könnte durch das Eintreiben von ausstehenden Forderungen oder durch den Verkauf von „Tafelsilber“ erreicht werden.
X
2. Schritt: Gespräche mit Gläubigern führen In Form von persönlichen Gesprächen mit Lieferanten und Vertretern von Kreditinstituten sind nach dem ersten Schritt die Gläubiger in die aktuelle Situation einzubinden. Es geht um eine (Konflikt-)Potenzialanalyse über die mögliche Verhandlungsbereitschaft der einzelnen Gläubiger. Von deren Kooperationsbereitschaft hängt in vielen Unternehmenskrisen die Fähigkeit zum Überleben ab. Zur Zeitgewinnung für die Erstellung des Sanierungskonzeptes wäre es vorteilhaft, mit den (Haupt-)Gläubigern ein Stillhalteabkommen zu vereinbaren. Als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Gläubigern muss deutlich werden, dass mit einem durchdachten Sanierungskonzept die Unternehmenskrise überwunden wird. Auf dieser Grundlage kann das gemeinsame Ziel für ein Stillhalteabkommen mit den Gläubigern sein, den Schaden im gegenseitigen Interesse zu minimieren.
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3. Schritt: Schriftliches Sanierungskonzept Basis ist eine umfassende Stärken- und Schwächenanalyse des eigenen Unternehmens im Vergleich zu den Wettbewerbern und eine Chancen- und Risikoanalyse der Markt- und Umweltsituation. Durch die kritischen Erfolgsfaktoren und tief greifenden Veränderungsmaßnahmen muss sichergestellt werden, dass die strukturellen Ursachen
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der Unternehmenskrise bereinigt werden. Es muss zu erkennen sein, dass der Turnaround erreicht werden kann. Zur Umsetzung der Maßnahmen sind bei einer Unternehmenskrise i. d. R. zusätzliche Finanzmittel erforderlich. Dafür muss ein potenzieller Kreditgeber durch das Sanierungskonzept davon überzeugt werden, dass das von ihm einzugehende Risiko kalkulierbar ist. Einige Kreditinstitute stellen in diesen Situationen oft die Bedingung, dass das schriftliche Sanierungskonzept durch einen externen und unabhängigen Unternehmensberater erstellt wird. Der Anhang enthält eine Checkliste über die erforderlichen Bestandteile eines Sanierungskonzepts. Parallel zu diesen drei Schritten muss die wirksame Krisenkommunikation konzipiert und umgesetzt werden. Der Prozess zur Umsetzung des Sanierungskonzepts entspricht den in Kapitel 5 beschriebenen Veränderungsprozessen in Unternehmen, mit dem Unterschied, dass beim TM ein hoher Zeitdruck herrscht. Methodischer Handwerkskasten für den sozialen Prozess Zur Überwindung der Hindernisse im sozialen Prozess des Krisenmanagements sind einige methodische Handwerkszeuge hilfreich, die in Kapitel 4 beschrieben werden. Sich dem anstehenden Problem zu stellen ist die erforderliche Einstellung der Beteiligten, um effiziente Methoden wirksam einzusetzen. X
Emotionale Entlastung der Beteiligten Durch den Eintritt einer Unternehmenskrise geraten viele Beteiligte unter Druck. Es entstehen Ängste über negative persönliche Konsequenzen. Angst und Frustration münden in gegenseitigen Schuldzuweisungen und Angriffen. In diesen Situationen ist es hilfreich, Angriffe und Vorwürfe in Aussagen über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu übersetzen. Mit der Intervention „Gefühle an- und aussprechen baut Eskalationsverstärker ab“ können die Beteiligten ihre angestauten Gefühle loswerden.
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Destruktive Prozesse beenden Bei der Suche nach Lösungen können die Beteiligten immer wieder auf die Ebene der Schuldzuweisungen und Angriffe zurückfallen. Um derartige destruktive Prozesse zu unterbrechen, ist die Intervention „Break: Die Bitte, eine Auszeit zu nehmen und Abstand zu gewinnen“ für einen Stopp der negativen Gedanken hilfreich.
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Raum für kreative Ideenfindung öffnen Um wirklich Raum für eine kreative Ideenfindung zu öffnen ist der „Kopfstand-Workshop zur Überwindung von Unternehmenskrisen“ eine umfassende und effiziente Intervention. Die Frage für den Kopfstand könnte lauten: „Was können wir tun, um die Krise soweit zu vergrößern, damit wir Insolvenz anmelden müssen?“ Diese Frage wird von den Beteiligten solange beantwortet, bis der größte Druck raus ist. Danach erfolgt eine Pause zur Unterbrechung des Workshops, um im nächsten Schritt den Blick nach vorne zu richten und kreative Lösungsideen zu entwickeln.
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Gelenkte Aufmerksamkeit auf alternative Impulse Die Intervention „Verschiedene Gedankenfelder für gewünschte Ergebnisrichtungen“ hilft den Beteiligten, kreative Lösungsideen zur Überwindung der Krise systematisch gegenüber zu stellen und strukturierte Entscheidungsvorlagen zu erarbeiten.
Die in Kapitel 4 beschriebenen Methoden unterstützen den sozialen Prozess des TM zur Krisenbewältigung. Generelle Voraussetzung für das TM: Management auf der Basis von Vertrauen Für das TM ist ein übergreifendes Multiprojektmanagement erforderlich, das die Teilprojekte in den zu bildenden bereichsübergreifenden Strategieteams stringent koordiniert und steuert. Für das Krisenmanagement sind Strukturen und eine personelle Besetzung erforderlich, die für alle strategischen Projekte erforderlich sind. Es geht um eine klare Ausrichtung des Unternehmens, um eindeutige und erreichbare Projektziele und um konkrete Maßnahmenpakete, die von den Beteiligten zügig umgesetzt
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werden. Zusätzlich sind für das Krisenmanagement die beschriebenen (Kommunikations-)Strukturen erforderlich. Nicht zuletzt erfordert ein TM in einer akuten Krisensituation spezielle Handlungsmuster von allen Beteiligten und insbesondere vom obersten Krisenmanager. Diese Handlungsmuster werden von dem Bewusstsein gesteuert, dass es sich um eine Krise handelt und dass der kritische Faktor „Zeit“ heißt. Der Anhang enthält eine Checkliste mit „To-Dos für Manager in einer Krisensituation“, die Peter Callan zum Thema „Management und Selbstmanagement in der Krise“ empfiehlt. Als Geschäftsführer der Sennheiser electronic GmbH & Co. KG in Tullamore, Irland musste Callan am 2. Mai 2004 miterleben, wie das Montagewerk durch ein Großfeuer zerstört wurde. In einem „Kraftakt“ hat er mit seiner Mannschaft eine „Bypass-Organisation aus dem Boden gestampft“. Seine Empfehlung für Krisenmanager lautet: „Denke immer an eines: Dein größter Feind heißt Resignation. In der Krise brauchst Du das Vertrauen Deiner Mitarbeiter/innen, damit sie Dir mit vollem Einsatz helfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Aber das Vertrauen Deiner Mitarbeiter/-innen kannst Du nicht erst herbei organisieren, wenn die Krise da ist. Du hast es vorher gewonnen – oder du hast es gar nicht.“ Vertrauen aller Beteiligten ist die zentrale Voraussetzung, um in Krisensituationen schnell und effektiv handeln zu können.
Zusammenfassung Strukturelle Konfliktpotenziale eskalieren in Unternehmen oft auf der zwischenmenschlichen Ebene. Wenn den Beteiligten die strukturellen Ursachen ihrer Streitereien nicht bewusst werden, durchlaufen sie meistens mehrere der von Friedrich Glasl definierten neun Eskalationsstufen. Die strukturellen Problematiken werden dadurch nicht gelöst. Mobbing, als Spezialfall einer Konflikteskalation, findet in strukturellen Konfliktpotenzialen förderliche Rahmenbedingungen. In diesen Konfliktsituationen entstehen bei fast allen Beteiligten auch innere Konflikte, die die Konfliktsituationen im Unternehmen verschärfen. Das alles kostet Unternehmen Energie, Kraft und letztendlich viel Geld.
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Wenn strukturelle Konflikte in einem Unternehmen auf breiter Basis eskalieren, kann es zu einem Kalten Krieg kommen, der zu einer inneren Sprachlosigkeit führt. Für Unternehmen, die zum wirtschaftlichen Handeln verpflichtet sind, ist diese interne Erstarrung die Vorstufe zu einer Unternehmenskrise. Wie bei der Opel-Krise zu erkennen, kündigen sich Unternehmenskrisen lange vor ihrem Entstehen durch Vorboten an. Ein wirksamer Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen, als Vorboten von Krisen, erfordert eine rechtzeitige Wahrnehmung und die Akzeptanz der konkreten Situation. Strukturelle Konflikte müssen durch die beteiligten Personengruppen geklärt und gelöst werden. Wichtig hierbei ist, dass die Beteiligten wirklich auf der strukturellen Ebene zur Klärung und Lösung einsteigen. Strukturelle Konflikte sind selten die alleinige Ursache von Unternehmenskrisen. Sie sind oft gepaart mit endogenen Faktoren (z. B. stagnierendes Wachstum) und mit exogenen Faktoren (z. B. technologische Veränderungen). In einem strategisch ausgerichteten Chancen- und Risikomanagement können Ursachen von möglichen Unternehmenskrisen rechtzeitig erkannt werden, bevor es zur Krise kommt. Wenn es zu einer Unternehmenskrise kommt, ist umgehendes Handeln erforderlich. Um in einer Unternehmenskrise effektiv und effizient handeln zu können, ist das Vertrauen der Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen nötig. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Einrichtung einer konstruktiven Streitkultur, bevor es zu einer Krise kommt. Um die Chancen einer Unternehmenskrise zu nutzen, muss ein Unternehmen nach außen und innen neu ausgerichtet werden.
Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen
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Exkurs: Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen
Probleme, Konflikte und Störungen in Unternehmen können u. a. betriebswirtschaftliche, juristische, strukturelle oder persönlichkeitsbedingte Ursachen haben. Es folgt die Beschreibung von strukturellem persönlichkeitsbedingtem Konfliktpotenzial. Dieses Konfliktpotenzial wird aus den Herkunftsfamilien einzelner Mitarbeiter oder Führungskräfte verursacht und in das Unternehmen als Neuinszenierung von Konflikten eingebracht. Erstes Beispiel: Neuinszenierung von Konflikten aus dem System Familie Es geht um die Entstehung von Konflikten in Unternehmen durch einzelne Menschen, die persönliche Konfliktpotenziale in das Unternehmen einbringen. Die Autorinnen Holitzka und Remmert beschreiben in ihrem Buch über „Systemische Organisationsaufstellungen für Konfliktlösungen in Unternehmen“ die Wiederholung alter Kommunikations- und Handlungsmuster einzelner Menschen im Beruf. Muster die diese Menschen in ihrer Herkunftsfamilie erlernt haben, werden unreflektiert auf andere aktuelle Lebensbereiche übertragen – auch in ein Unternehmen. Sie haben sich schon damals bewährt. Einige Beziehungen in Unternehmen spiegeln die Beziehungsmuster wider, die Menschen in ihrer Herkunftsfamilie erlebt haben. Sind die Beziehungsmuster in der Herkunftsfamilie gestört, kann sich ihre Neuinszenierung zu einer systemischen Störung im Unternehmen entwickeln. Diese familiären Störungen können sich auf den verschiedenen Ebenen eines Unternehmens auswirken. Sie zeigen sich dann in der Beziehung zu Kollegen oder zu dem Vorgesetzten. Das folgende Beispiel ist eine exemplarische Beschreibung von Hintergründen. Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen
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Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
Ein häufiges Thema für Neuinszenierungen in Unternehmen beruht auf der Verletzung der systemischen Ordnung in Familien. Diese systemische Ordnung in Familien bedeutet, dass jedes Mitglied in der Familie an seinem Platz steht und dass es in der Familie Grenzen zwischen den Generationen gibt. Wenn Kinder offen oder verdeckt in Konflikte ihrer Eltern hineingezogen werden, kommt es häufig vor, dass die Kinder versuchen, die Konflikte der Eltern zu lösen. Sie fangen an zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater zu vermitteln und nehmen die Rolle eines Schlichters ein. Sie versuchen in dieser Rolle ihren Eltern zu erklären, wie die Eltern ihren Konflikt lösen können. Wenn Eltern dies zulassen, besteht die Gefahr, dass das Kind über seine Kind-Rolle hinauswächst. Die prägende Lernerfahrung für dieses Kind ist, dass es die Führung seiner Eltern innehat. Das Kind lernt, dass es ohne seine Hilfe nicht geht und es erlebt unbewusst, dass es mit dieser Aufgabe überfordert ist. Manchmal haben diese Kinder auch Erfolg in ihrem Schlichterjob. Für ihre persönliche natürliche Entwicklung ist er aber gefährlich. Durch derartige Situationen wird verhindert, dass die Kinder ihren eigentlichen Platz in der Familie, nämlich einfach nur Kind sein dürfen, einnehmen können. Wenn diese Kinder als Erwachsene in Unternehmen mit Menschen agieren, kann ihre in frühen Jahren gemachte Lernerfahrung zum Vorschein kommen. Sie neigen dazu, eventuell heimlich, aber selbstverständlich beispielsweise die inoffizielle Führung in ihrem Arbeitsteam zu übernehmen. Ihr Vorgesetzter ist aus ihrer Sicht in dieser Situation genauso wie damals die Eltern unfähig, die Führungsaufgabe auszufüllen. Die Verallgemeinerung des jetzt Erwachsenen lautet: „Alle Vorgesetzten sind grundsätzlich unfähig für ihren Job“. Wenn ein so geprägter Mensch auf einen Vorgesetzten mit einem dazu passenden Gegenprogramm trifft, ist das Konfliktpotenzial eröffnet. Das passende Gegenprogramm des Vorgesetzten könnte lauten: „Steht es mir eigentlich zu, in diesem Team der Chef zu sein?“. Schnell verliert der Vorgesetzte seine Autorität in dem Team. Der andere übernimmt (un)heimlich die Stelle des Vorgesetzten, und die Mitarbeiter wissen nicht mehr, woran sie sich orientieren können und sollen. „Zwei
Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen
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Menschen“ in diesem Team sind „nicht auf ihrem Platz“, wodurch eine Störung des Systems Team ausgelöst wird. Die konkreten Auswirkungen dieser systemischen Störung zeigen sich in Form von Konflikten zwischen dem Vorgesetzten und dem speziellen Mitarbeiter sowie zwischen diesem (heimlichen Führungs-)Kollegen und den anderen Kollegen des Teams. Da keinem der Beteiligten wirklich bewusst ist, was die eigentliche Ursache ist, kommt es zu keiner wirklichen Lösung von vordergründig entstehenden Konflikten. Zweites Beispiel: Doppelbelichtungen als Ursache für Neuinszenierungen Das zweite Beispiel, die so genannte Doppelbelichtung, ist eine weitere Ursache einer möglichen Neuinszenierung in Unternehmen. Klassische Fälle dieser Doppelbelichtungen sind die Gleichsetzung von Vorgesetzten mit einem Elternteil oder die Gleichsetzung von Mitarbeitern einer Führungskraft mit deren Kindern. Mit diesen Doppelbelichtungen ist eine Wiederholung von alten Verhaltensmustern und damit erlebten Gefühlen verbunden. Diese unterschwellige emotionale Färbung der offiziellen beruflichen Beziehung birgt permanent Konfliktpotenzial. Ohne die Auflösung einer derartigen Doppelbelichtung besteht keine Chance, zu einer sachlichen Arbeitsatmosphäre zu gelangen. Ein Beispiel für eine derartige Doppelbelichtung wird im Kapitel 5 „Konflikte nach einer Fusion“ dargestellt. Dort geht es um die Doppelbelichtung eines Mitarbeiters, der in seinem Chef nicht nur den Vorgesetzten sondern gleichzeitig seinen Vater sah. Zu seinem Vater hatte dieser Mitarbeiter eine emotional belastete Beziehung. Diese brachte er im Unternehmen in der Beziehung zu seinem Chef ein. Ein Klärungs- und Lösungsansatz: Systemische Organisationsaufstellungen Dies sind zwei Beispiele für meistens unbewusste Neuinszenierungen in Unternehmen aufgrund von persönlichkeitsbedingten Störungen. Vordergründige Konflikte zwischen Kollegen und zwischen Mitarbeitern und
144
Vorsicht Unternehmenskrise: Wenn die Eskalation droht
deren Vorgesetzten können Wiederholungen von Mustern aus den Herkunftsfamilien einzelner Mitarbeiter oder Führungskräfte sein. Schwerwiegende oder dauerhafte Konflikte entstehen dann, wenn die Konfliktparteien zueinander passende Programme haben. Die beiden Beispiele für Neuinszenierungen im Unternehmen verdeutlichen, dass die Ursachen eines Konfliktes nicht immer auf der Ebene zu finden sind, auf der der Konflikt ausgetragen wird. Ein Lösungsansatz, der im ersten Schritt zur Klärung derartiger Situationen beiträgt, ist die Methode der „Systemischen Organisationsaufstellungen (SysOA)“. Diese Methode wird in Kapitel 5 beschrieben. Sie eignet sich besonders für Problem- oder Konfliktsituationen, die als chronisch zu bezeichnen sind und für die es keine für die Beteiligten bewusst nachvollziehbaren Ursachen gibt.
145
4
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Themengebiete im Überblick 4. Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen 4.2 Strategische Hand4.1 Praxisbeispiele: lungsempfehlungen Lösung struktureller Konflikte
4.3 Strategischer Handwerkskasten
x Konflikte zwischen
x Erforderliche Kompe-
Produktentwicklung und Marketing x Verhärtete Fronten in
einem IT-Projekt x Machtfrage in der Füh-
rungsmannschaft
x Einstellungen für den
wirksamen Umgang mit Konflikten x Streitkultur in Unter-
nehmen x Strategien für den Um-
gang mit strukturellen Konfliktpotenzialen
tenzen und Spielregeln zur Prävention x Effiziente Methoden zur
Deeskalation und Klärung von Eskalationen x Effiziente Methoden zur
Lösung struktureller Konflikte x Kopfstand-Workshop
zur Überwindung von Unternehmenskrisen 4.4 Zusammenfassung
4.1
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
Eine in der Praxis häufig anzutreffende Art für den Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen sind personalisierte Alltagsstreitereien und Grabenkämpfe zwischen den Beteiligten. Drei Beispiele verdeutlichen dies. Den Beteiligten im ersten Praxisbeispiel ist nicht bewusst, dass der Hintergrund ihrer täglichen Schuldzuweisungen und Angriffe strukturelle Ursachen sind. Im zweiten Beispiel haben Gruppierungen innerhalb eines großen Projekts ihre Gemeinsamkeiten im Projekt „vergessen“ und die gegenseitige Vertrauensbasis verloren. Sie streiten sich auf der Ebene von
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
zwischenmenschlichen Konflikten, die strukturelle Ursachen haben. Im dritten Beispiel wird ein initiierter Veränderungsprozess zu einem Machtkampf umfunktioniert, der die gesamte Führungsmannschaft lahmlegt. In den drei Beispielen erfolgte in der Praxis die gezielte Anwendung von effizienten Methoden zur Deeskalation, Klärung und Lösung der strukturellen Konflikte. Durch die Anwendung dieser Methoden kann man gemeinsam mit den Beteiligten die Voraussetzungen für eine wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten schaffen.
1. Beispiel: Konflikte zwischen Produktentwicklung und Marketing Um strukturelle Konflikte lösen zu können, müssen sie als solche erkannt und akzeptiert werden. Hilfreich hierbei ist die Erkenntnis, dass Konflikte produktive Funktionen haben. Situation: Frust über die täglichen Streitereien mit den Anderen Die Ausgangssituation dieses Praxisbeispiels war ein Workshop zum Thema Konfliktmanagement mit Mitarbeitern des Bereichs „Produktentwicklung“ aus einem Unternehmen der Telekommunikationsbranche. Die Teilnehmer wurden zum Einstieg in den Workshop nach praktischen Beispielen aus ihrem Unternehmen gefragt. Es kristallisierte sich heraus, dass alle Teilnehmer Konflikte mit Mitarbeitern vorrangig aus dem Bereich „Marketing“ und teilweise aus dem Bereich „Betrieb“ erlebt hatten. Nach den Ursachen und Anlässen gefragt, antworteten die Teilnehmer: X X X
Nichtlieferung oder verspätete Lieferung von Arbeitsergebnissen der anderen. Ablehnung von Aufträgen aus unserem Bereich (Verweigerungshaltung „der anderen“) durch den Bereich Marketing. Diskussionen und Streitigkeiten über Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den Bereichen Produktentwicklung und Marketing.
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
X X X
147
Rücknahme des Qualitätssiegels vom Bereich Betrieb. Nicht-Erfüllbarkeit von Vorgaben aus dem Bereich Marketing. Keine Weiterleitung der notwendigen Unterlagen und Informationen aus den beiden anderen Bereichen an die Produktentwicklung.
Die Teilnehmer waren zwar ihren Frust losgeworden, aber noch nicht zum Denken in Lösungen bereit. Mit einem ersten Hinweis, dass hinter den alltäglichen Streitereien über Zuständigkeiten strukturelle Problemstellungen und Konfliktpotenziale verborgen sind, konnten die Teilnehmer noch nichts anfangen. Erste Intervention: Faktische Wahlmöglichkeiten aufzeigen Die erste Intervention bei den Teilnehmern war, die grundsätzlichen Wahlmöglichkeiten in sich wiederholenden Konfliktsituationen aufzuzeigen. Die Wahlmöglichkeiten bei eskalierten Konflikten mit anderen Konfliktparteien sind: 1. Alternative: Flucht. 2. Alternative: Ertragen im Sinne von Aussitzen (Formen: Angriff und Verteidigung). 3. Alternative: Den Versuch unternehmen, einen Kontakt zu initiieren und die Beziehung zu den anderen Bereichen wieder aufzunehmen. Die erste Alternative kam für die Mitarbeiter der Produktentwicklung praktisch nicht in Frage. Die zweite Alternative hatten sie schon lange genug ertragen. Dazu hatten sie keine Lust mehr. Bei den Voraussetzungen der dritten Alternative konnten sie sich noch nicht so richtig vorstellen, dass sie dazu in der Lage sind. Voraussetzungen hierfür wären, eine innere Bereitschaft für einen solchen Kontakt und ein klärendes Gespräch zu suchen und durchzuführen. Dadurch könnten sie die strukturellen Ursachen der alltäglichen Konflikte und Streitereien zwischen den Bereichen klären und lösen.
148
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Zweite Intervention: Perspektivwechsel zum „Bewegen“ der Teilnehmer Nach der ersten Intervention wurde klar, dass weitere Erklärungen zum wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten die Teilnehmer nicht weiterbringen würden. Es folgte eine für diese Situation sehr wirksame Intervention zum Perspektivwechsel. Ziel hierbei war, die Teilnehmer aus ihren festgefahrenen und einseitigen Sichtweisen zu befreien und sie „zu bewegen“. Die Einleitung dieser Intervention erfolgte mit der Vorstellung von drei Wahrnehmenspositionen: X X X
Die ICH-Position: Position des eigenen Bereichs. Die ANDERE-Position: In diesem Fall zweimal die Position der anderen Bereiche. Die META-Position: Position eines Beobachters der Konfliktparteien von außen.
Den Teilnehmern wurde deutlich gemacht, dass sie eine Konfliktsituation flexibel aus diesen Positionen im Sinne von verschiedenen Perspektiven betrachten sollten. Dies ist die Voraussetzung, um einen Überblick über die Zusammenhänge dieser strukturellen Konfliktsituationen mit den anderen Bereichen zu bekommen.
ICH-Position: Produktentwicklung
ANDERE-Position: Betrieb
ANDERE-Position: Marketing
META-Position: Beobachter von außen
Abb. 5: Konflikte zwischen Produktentwicklung und Marketing – Perspektivwechsel
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
149
Die vier Positionen wurden auf dem Fußboden im Raum markiert. Alle Teilnehmer nahmen gemeinsam zuerst die ICH-Position ein. Das war für sie vertraut und leicht. Sie konnten nochmals Dinge artikulieren, die sie bedrückten. Das Einnehmen der beiden ANDERE-Positionen, der Bereiche Marketing und Betrieb, war für sie nicht so einfach. Am Ende dieses Schrittes wurde den Teilnehmern klar, dass die Mitarbeiter der beiden anderen Bereiche jeweils auch „nur ihre Interessen vertraten“. Beim Einnehmen der META-Position wurden die Teilnehmer aufgefordert, gemeinsam in eine außenstehende Position zu gehen und die drei beteiligten Konfliktparteien mit einem distanzierten Blick von außen wahrzunehmen. Diese gemeinsame Position sollte der Hauptabteilungsleiter aller drei Bereiche sein. Wie auch in den beiden ANDERE-Positionen ging es in der Position des Hauptabteilungsleiters um die distanzierte Wahrnehmung und Analyse der Konfliktsituationen. Bei dieser distanzierten Wahrnehmung wurde den Teilnehmern klar, dass alle Mitarbeiter in ihrem Bereichsdenken verhaftet waren und keiner bereit war, auf die Mitarbeiter der anderen Bereiche zuzugehen. Die distanzierte Analyse brachte den Teilnehmern die Einsicht, dass eine Konfliktpartei stets bei sich selbst anfangen muss, wenn sie eine Konfliktsituation lösen will. Dies gilt folglich auch für den eigenen Bereich, den Bereich Produktentwicklung. Voraussetzungen für eine wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten sind differenzierte Wahrnehmung und Akzeptanz der Konflikte, sowie der Wille zur Klärung. Eine Wahrnehmung der Konfliktsituation aus mehreren Perspektiven war in der Situation des Praxisbeispiels vor dieser Intervention nicht gegeben. Die Mitarbeiter des Bereichs Produktentwicklung waren über die alltäglichen Konflikte mit den Mitarbeitern aus den anderen Bereichen frustriert. Die Wahrnehmung der Konflikte erfolgte jedoch ausschließlich aus der Sichtweise ihrer eigenen Position. Die Akzeptanz der Konflikte und der Wille zur Klärung waren vorher auch nicht gegeben. Die Mitarbeiter haben in ihren eingefahrenen Denkstilen eine wesentliche Funktion von Konflikten nicht akzeptiert: Die Funktion, Klärungsbedarf aufzuzeigen. Die Mitarbeiter hatten innerlich nicht akzeptiert, dass die alltäglichen zwischenmenschlichen Konflikte jeweils konkrete Hinweise auf einzelne zwischen den Bereichen zu klä-
150
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
rende strukturelle Themen waren. Die Folge der fehlenden inneren Akzeptanz war, dass sie auch keinen wirklichen Willen zur Klärung der einzelnen strukturellen Konfliktursachen besaßen. Erst nach der Akzeptanz der strukturellen Konflikte konnten sie den Willen zur Klärung entwickeln und die Konsequenz aus diesem Willen verstehen, nämlich bei sich selbst anzufangen. Mit der zweiten Intervention Perspektivwechsel wurden bei den Teilnehmern die Voraussetzungen für eine wirksame Konfliktbehandlung geschaffen. Ergebnisse mit Unterstützung von effizienten Techniken Nachdem die Teilnehmer innerlich wirklich bereit waren, über Ansätze und Maßnahmen für eine zukünftige Zusammenarbeit nachzudenken, wurden diese gemeinsam herausgearbeitet. Zur effizienten Gestaltung dieses Prozesses wurden Techniken, wie Brainstorming, Mind Mapping und eine „Was-wäre-wenn-Intervention“, eingesetzt. Die zusammengefassten Ergebnisse über die gemeinsam erarbeiteten Handlungsmöglichkeiten waren: X
X
X
X
Die eigenen Aufgabenbereiche innerhalb des Bereichs Produktentwicklung nochmals gemeinsam zu definieren, um sie anschließend klar und deutlich den anderen Bereichen kommunizieren zu können. Die Wünsche und Anforderungen des Bereichs Produktentwicklung an den Schnittstellen zu den anderen Bereichen (Marketing und Betrieb) genau zu definieren. Verhandlungen mit den beiden anderen Bereichen zu initiieren, vorzubereiten und durchzuführen, mit dem Ziel gemeinsame Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Die Verhandlungsergebnisse in die Praxis umzusetzen und mit Leben zu erfüllen.
Ergänzt wurden diese generellen Ergebnisse um die Erfahrungen mit den konkreten Konfliktsituationen, d. h. den einzelnen strukturell bedingten Konfliktursachen. Für jede Konfliktursache, wie beispielsweise Nichtlieferung von Arbeitsergebnissen, wurden von den Teilnehmern konkrete Handlungsschritte für ihren Bereich ausgearbeitet.
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
151
Zusammenfassende Empfehlungen Erste Voraussetzungen zur Lösung sind eine differenzierte Wahrnehmung und eine Akzeptanz der strukturellen Konflikte, die sich hinter alltäglichen Streitereien verbergen. Die nächste Voraussetzung ist der Wille, die strukturellen Konflikte wirklich lösen zu wollen. Wenn diese Voraussetzungen für eine wirksame Konfliktbehandlung bei den beteiligten Parteien nicht gegeben sind, müssen sie als Einstieg in eine Klärung nachgeholt werden.
2. Beispiel: Verhärtete Fronten in einem IT-Projekt Die wirksame Behandlung von strukturellen Konflikten erfordert eine Vertrauensbasis und ein Verhandeln unter gleichwertigen Partnern. Diese weiteren Voraussetzungen sind gemeinsam mit allen Konfliktparteien vor der inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Konflikt zu schaffen. Wenn im eigenen Verantwortungsbereich strukturelle Konflikte zwischen Gruppierungen entbrannt sind, muss man prüfen, inwieweit man eine neutrale Vermittlerrolle einnehmen kann. Falls Sie persönlich in einen strukturellen Konflikt inhaltlich involviert sind, könnte es für Sie schwierig werden, ein Verhandeln unter gleichwertigen Partnern zu moderieren. Holen Sie sich in solchen Fällen neutrale Unterstützung zur Konfliktbehandlung, beispielsweise von einer Führungskraft aus einem anderen Bereich oder von einem Moderator aus der Organisationsentwicklung Ihres Unternehmens. Situation: Unterschiedliche Augenhöhe und kein Vertrauen untereinander Im IT-Bereich eines Produktionsunternehmens (Tochterunternehmen in Deutschland) wurde ein Projekt zur Einführung einer Standardsoftware gemeinsam mit einer externen Beratungsgruppe aus Deutschland und Beratern aus dem Competence Center des ausländischen Mutterkonzerns realisiert. In diesem Projekt wollte aber keine so richtige Zusammenar-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
beit entstehen. Es knirschte und krachte ständig, vorrangig zwischen den Mitarbeitern des deutschen Tochterunternehmens und den Beratern aus dem Competence Center (= CC) des Mutterkonzerns.
Mitarbeiter des IT-Bereichs
Externe Berater aus Deutschland
Berater aus dem Competence Center (CC) des Konzerns
Abb. 6: Verhärtete Fronten in einem IT-Projekt – Drei Gruppierungen Die Berater aus dem CC hatten die Aufgabe, in Deutschland einen europäischen Standard für das Rechnungswesen einzuführen. Da sie auch Projekte in anderen Ländern betreuten, hatten sie wenig Zeit für Deutschland. Die deutschen Mitarbeiter fühlten sich von den „übermächtigen“ Beratern des CC bevormundet und nicht so richtig ernst genommen. Sie beurteilten die Berater des CC beispielsweise wie folgt: X X
„Die erklären uns gar nicht, warum etwas gemacht werden soll.“ „Die beschäftigen sich nicht ausreichend mit unseren Problemen vor Ort.“
Formal lag eine genaue Definition der Aufgabenzuordnung zwischen den beteiligten drei Gruppen vor. Praktisch wurde keine kooperative Zusammenarbeit gelebt. In der Projektarbeit ging es vorrangig um Politik und um die Machtfrage, oft auch um Recht-haben-wollen. Die Berater des CC hatten den Eindruck, dass die Mitarbeiter aus Deutschland sich gegen den europäischen Standard sträuben und ihren bisherigen Aufbau des deutschen Rechnungswesens auch mit der neuen Software beibehalten wollen.
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
153
Lösungsansatz: Gemeinsamer Konfliktworkshop mit den drei Gruppen Vor diesem Hintergrund sollte ein Workshop mit den drei am Konflikt beteiligten Gruppen durchgeführt werden. Bei diesem Workshop sollten die emotionalen Probleme offen ausgesprochen und gemeinsam Spielregeln zur zukünftigen Zusammenarbeit erarbeitet werden. Der Initiator für diesen Workshop war der Leiter des IT-Bereichs in Deutschland. Er beauftragte zwei Moderatoren aus dem Bereich Organisationsentwicklung als neutrale Vermittler zwischen den drei Gruppen. Für den Konfliktworkshop wurden zwei Tage angesetzt, einschließlich einer Übernachtung im Tagungshotel. Durch den gemeinsamen Abend im Tagungshotel sollte Raum für einen Informationsaustausch außerhalb der Workshop-Zeiten zur Verfügung stehen. Da es sich um insgesamt 24 Teilnehmer handelte, hatten die Moderatoren den Ablauf so geplant, dass nur einige Aktivitäten gemeinsam im Plenum stattfanden. Der Schwerpunkt des Workshops wurde auf „Arbeiten in Kleingruppen“ gelegt. Nachfolgend sind zwei ausgewählte Interventionen beschrieben, eine gemeinsam im Plenum und eine in den Arbeitsgruppen. Ziel hierbei war, Vertrauen auf der Basis eines gegenseitigen Verständnisses aufzubauen, um zukünftig als gleichwertige Partner im Projekt wirklich zusammenzuarbeiten. Mit beiden Interventionen kann man Konfliktparteien dazu bewegen, dass diese sich gegenseitig als Verhandlungspartner auf gleicher Augenhöhe akzeptieren. Wenn man das Brainstorming über Gemeinsamkeiten einsetzt, kann man mit Aha-Erlebnissen aller Beteiligten rechnen. Der methodische Ansatz „Arbeiten in Kleingruppen“ ist besonders bei solchen strukturellen Konflikten effizient einzusetzen, an denen mehr als zwei Personengruppen zur Lösung zu beteiligen sind. Erste Intervention im Plenum: Brainstorming über Gemeinsamkeiten Nach dem Einstieg in den Workshop ging es im ersten Schritt darum herauszufinden, ob es für die gemeinsame Projektarbeit überhaupt Ge-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
meinsamkeiten gab. Ein Brainstorming über Gemeinsamkeiten ist in strukturellen Konfliktsituationen ein guter Einstieg in eine Deeskalation. Das Motto des Brainstormings lautet: Quantität schafft anschließend Qualität. In kurzer Zeit werden möglichst viele Ideen über Gemeinsamkeiten produziert. In Konfliktsituationen verengen die Konfliktparteien ihren Tunnelblick derartig, dass sie nur noch die Dinge wahrnehmen, die sie voneinander trennen. Die Beteiligten „vergessen“ ihre Gemeinsamkeiten. Das war insbesondere zwischen den deutschen Mitarbeitern des Tochterunternehmens und den Beratern des CC aus dem Konzern der Fall. Die Denkstile waren in beiden Lagern verhärtet. Die Streitigkeiten in der Projektarbeit hatten alles überschattet, auch, dass alle in einem Konzern und einem gemeinsamen Projekt arbeiteten. Wichtig bei diesem Brainstorming ist, dass sich die Teilnehmer inhaltlich X X
weg von den „Kleinigkeiten“ der aktuellen Konflikte aus dem Alltag und hin zu den „höheren“ Ebenen
bewegen. Die Überschriften der Ergebnisfächer auf den Moderationswänden für diese Intervention im Plenum waren: X X X
Gemeinsame Werte im europäischen Konzern Gemeinsame Visionen und übergeordnete Ziele im Konzern und im Projekt Gemeinsame Interessen und konkrete Ziele im Projekt
Bei den ersten beiden Konzern-Ergebnisfächern „erinnerten“ sich die Mitarbeiter der beiden Hauptkonkurrenten aus dem Tochterunternehmen und dem Konzern, dass es ein Unternehmensleitbild gab und sie nannten die Visionen und übergeordneten Ziele des Konzerns. Bei den ProjektErgebnisfächern gab es eine „Rückbesinnung“ aller Teilnehmer auf die Ziele des gemeinsamen Projekts und die Visionen, die sie zum Projektstart damit verbunden hatten. Nachdem alle Teilnehmer sich auf diese übergeordneten Gemeinsamkeiten verständigt und sie die Ergebnisse ihres Brainstormings auf den Mo-
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
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derationswänden vor Augen hatten, war eine gute Grundlage zur Fortsetzung des Klärungsprozesses erreicht. Auf dieser Grundlage erfolgte im Plenum die gemeinsame Erarbeitung der strittigen Punkte und „offenen Enden“ aus der Alltagsprojektarbeit als Themenspeicher für die Arbeit in den Kleingruppen. Zweite Intervention in Kleingruppen: Rollentausch zum „Bewegen“ der Teilnehmer Zur inhaltlichen Bearbeitung der konkreten Streitpunkte wurden vier Kleingruppen gebildet, jeweils mit Vertretern aus den drei verschiedenen Gruppierungen. Jede Kleingruppe wählte sich ein Thema aus dem Themenspeicher aus. Danach stimmten sie ab, wer in der jeweiligen Kleingruppe die Moderation übernehmen sollte. Die vier Gruppen wurden von den beiden neutralen Moderatoren methodisch betreut. Die inhaltliche Arbeit in den Kleingruppen begann mit einem kreativen Umweg, einem Rollentausch. Durch den Rollentausch in den Kleingruppen sollte das Problembewusstsein gegenseitig gefördert werden, um die anderen Standpunkte besser zu verstehen. Der generelle Ablauf ist: X
X
Jede Konfliktpartei beschreibt die Situation aus ihrer Sicht, möglichst mit viel Dramaturgie. Jede Partei spielt (etwas übertrieben) ihre Rolle in dieser Situation. Danach folgt der Rollentausch. Jede Partei schlüpft in die Rolle der anderen Parteien und beschreibt dramatisch deren Rollen.
In Konflikt-Workshops, in denen es um die Klärung von konkreten Konfliktsituationen der Beteiligten geht, ist dieser Rollentausch am Anfang oft sehr schwierig. Dies war in allen Kleingruppen der Fall, besonders zwischen den verhärteten Denkstilen der beiden Hauptkontrahenten. Dieser Rollentausch hat in allen Kleingruppen schrittweise Bewegung in die festgefahrenen Positionen gebracht. Verteidigungsburgen wurden geöffnet und die Vertreter der Gruppierungen erkannten, dass nicht nur „die Anderen“ etwas zur Klärung beitragen sollten. Nachdem die einzelnen Teilnehmer in den Kleingruppen jeweils in der eigenen Rolle Dampf ablassen konnten und sich mit den anderen Rollen auseinandersetzen
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
mussten, konnten sie die verschiedenen Sichtweisen akzeptieren. Auf Basis dieser gegenseitigen Akzeptanz waren sie in der Lage, die Themen inhaltlich auf gleicher Augenhöhe und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Danach konnten sie Techniken zur Ideenfindung, die die neutralen Moderatoren in die Kleingruppen einbrachten, einsetzen und inhaltlich konstruktive Lösungen für ihre jeweiligen konkreten Streitthemen erarbeiten. Die Ergebnisse aus den Kleingruppen wurden anschließend im Plenum gegenseitig vorgestellt. Dies führte bei allen Teilnehmern zu einer neuen Sicherheit im Umgang miteinander. Sie begriffen, dass sie in der Lage sind, auch schwierige Themen gemeinsam zu bearbeiten. Jede Kleingruppe berichtete, meist mit etwas Selbstironie den erlebten Prozess des Rollentausches. Dadurch wurde die Stimmung im Plenum lockerer und offener. Die vorher politisch vereiste Situation taute auf. Zum Abendessen saßen alle Teilnehmer an einem gemeinsamen Tisch. Die einzelnen Teilnehmer hatten sich trotzdem jeweils in ihren Gruppierungen zusammengefunden. Nach dem Essen lockerte sich die Sitzordnung auf, und die Diskussionen wurden intensiver. Aus den verschiedenen Gesprächsfetzen der einzelnen Diskussionsrunden war zu entnehmen, dass alle Teilnehmer ihre Erlebnisse vom Tag aufarbeiteten. Es ging wiederholt um die Erkenntnis, dass sie gemeinsame Projektziele haben, gemeinsam in und für einen Konzern arbeiten und gemeinsam auch in der Lage sind, schwierige Themen zu behandeln. Der gemeinsame Abend erfüllte seine geplante Funktion. Ergebnisse des zweitätigen Workshops Die Teilnehmer hatten es an den zwei Tagen geschafft, alle strittigen Themen zu bearbeiten und jeweils Lösungsansätze und Schritte zur Umsetzung auszuarbeiten. Mithilfe der ersten beiden Interventionen hatten alle Teilnehmer ihre zuvor festen Standpunkte durch mehrdimensionale Sichtweisen ersetzt und sich aufeinander eingelassen. Sie hatten erfahren, dass sie auf gleicher Augenhöhe gemeinsam arbeiten und fair verhandeln können. Mit einer dritten Intervention „Wünsche und Kreditangebote“ (siehe 3. Praxisbeispiel) hatten sie sich zum Ende des Workshops die
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
157
Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelegt. Ein gemeinsam erarbeiteter Maßnahmenkatalog für die Zeit nach dem Workshop (was/wer/bis wann) rundete den Transfer in die Praxis ab. Der Auftraggeber übernahm die Funktion, die Umsetzung des Maßnahmenplans zu steuern und zu überwachen. Zusammenfassende Empfehlungen Vor einer inhaltlichen Klärung von Konfliktthemen muss man für gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz der Konfliktparteien untereinander sorgen. Alle Beteiligten müssen gemeinsam herausarbeiten, weshalb sie an einer gemeinsamen Konfliktlösung Interesse haben sollten! Zur Auflockerung der Teilnehmer sind Aktivitäten außerhalb des jeweiligen offiziellen Rahmens hilfreich.
3. Beispiel: Machtfrage in der Führungsmannschaft Strukturelle Konflikte sind ein Anlass, um im Unternehmen Bedürfnisse und Interessen auszutauschen. Bei einem wirksamen Umgang können strukturelle Konflikte Impulse zur Neuausrichtung geben. Situation: Unterschiedliche Denkstile lähmen die Führungsmannschaft Der Fachbereich, der in einer städtischen Innenbehörde die Gewerbeimmobilien verwaltete, wurde in eine GmbH überführt. Der neue Geschäftsführer und zwei neue Abteilungsleiter dieser GmbH waren Externe aus der Wirtschaft. Die anderen acht Abteilungsleiter der neu gegründeten GmbH waren vorher in gleicher Funktion in der ehemaligen Behörde tätig. Die Strukturen und Prozesse der ehemaligen Behörde sollten unter dem Mantel der GmbH reformiert werden. Es ging um eine Neuausrichtung der GmbH-Aufgaben nach außen und um Veränderungsprozesse im Unternehmen. Die drei von außen besetzten Positionen sollten diese Veränderungen initiieren und forcieren.
158
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Hierbei wollten die ehemaligen Abteilungsleiter aus der Behörde nicht so recht mitziehen. Ihr jahrelang untereinander aufgebautes Netzwerk verfestigte sich umso stärker, je machtvoller die Neuen die Veränderungen einforderten. Nach und nach entstand ein tiefer Graben zwischen den Denkstilen „der Neuen“ und „der Alten“: Neues Unternehmerdenken versus gewohntes Beamtendenken. Der Machtkampf zwischen beiden Lagern in der Führungsmannschaft lähmte den geplanten Veränderungsprozess und wirkte sich negativ auf das operative Geschäft aus. Die Vertreter aus beiden „Lagern“ kommunizierten nur noch schriftlich mit der jeweils anderen Seite. Projekte zur Flächenoptimierung in den Gewerbeimmobilien wurden verschleppt, wodurch Rationalisierungs- und Erlöspotenziale ungenutzt blieben.
Die Neuen
Die Alten
Ein Geschäftsführer
Acht Abteilungsleiter
Zwei Abteilungsleiter
Unternehmerdenken
Beamtendenken
Abb. 7: Machtfrage in der Führungsmannschaft – Unterschiedliche Denkstile Lösungsansatz: Gemeinsamer Strategieworkshop mit externer Moderation Nachdem der Geschäftsführer den akuten Klärungsbedarf erkannt hatte, wurde ihm auch bewusst, dass er in seiner Position für die Klärung und Lösung dieses strukturellen Konflikts verantwortlich ist. Da er jedoch selbst involviert war, wusste er, dass er aufgrund der verhärteten Fronten nicht in der Lage wäre, zwischen den Konfliktparteien neutral zu vermit-
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
159
teln. Die andere Seite würde jeden Vermittlungsversuch seinerseits als taktisches Manöver interpretieren und noch stärker blockieren. Also beauftragte er zwei externe Moderatoren, um neutral zwischen den Konfliktparteien für eine „Prozessgestaltung auf gleicher Augenhöhe“ zu sorgen. Ein zweitägiger Strategieworkshop mit der gesamten Führungsmannschaft sollte den Knoten auflösen. Der tiefe Graben sollte zu einem gemeinsamen Korridor in die Zukunft geebnet werden. Zum Einstieg in den Workshop wurden alle Teilnehmer nach ihrer persönlichen Bereitschaft zur gemeinsamen Lösung des Konflikts befragt. Jeder Teilnehmer äußerte in dieser Einstiegsrunde seinen Willen zur Konfliktlösung. „Die Neuen“ bekräftigten diesen Willen deutlich – „die Alten“ etwas zurückhaltender. Nachfolgend sind drei effiziente Interventionen beschrieben, mit denen der strukturelle Konflikt in dem Strategieworkshop gemeinsam mit allen Beteiligten gelöst wurde. Wenn man bei einem strukturellen Konflikt die Rolle des neutralen Verhandlungsführers einnimmt, sind die folgenden Methoden auf dem Weg zu einer wirksamen Konfliktbehandlung sehr effizient. Erste Intervention: Vertrauensbildung (Wünsche und Kreditangebote) Das erste Thema nach dem Einstieg in den Workshop war die Zusammenarbeit innerhalb der Führungsmannschaft. Da zwischen beiden Lagern ein Klima des Misstrauens vorherrschte, ging es als Erstes um vertrauensbildende Maßnahmen. Das Artikulieren von Bedürfnissen in Form von Wünschen und die von Friedrich Glasl empfohlene „Strategie der Kreditangebote“ ist in diesen Situationen für Konfliktparteien hilfreich. Die Beteiligten können sich damit gegenseitig erste sichtbare Beweise dafür liefern, dass sie es mit einer konstruktiven Konfliktlösung wirklich ernst meinen. Genereller Ablauf dieser Intervention: X
Die Konfliktparteien überlegen sich, welche Kreditangebote sie der anderen Partei im Sinne eines Beweises für die Ernsthaftigkeit ihres Willens zur Konfliktlösung überreichen wollen. Außerdem überlegen die Parteien, was sie sich von der anderen Partei wünschen.
160 X
X
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Die Kreditangebote und Wünsche werden jeweils der anderen Partei vorgestellt, ohne Bewertung seitens der anderen Partei und ohne Zusatzbedingungen der vortragenden Partei. Jede Partei überlegt im Anschluss an diesen Austausch, wie sie mit den erhaltenen Kreditangeboten und Wünschen umgeht.
Nachdem alle Teilnehmer des Strategieworkshops der Tatsache, dass es in der Führungsmannschaft „zwei Lager“ im Sinne von zwei Konfliktparteien gibt, zugestimmt hatten, wurde die Intervention mit den folgenden Fragen eingeleitet: 1. Was wünschen Sie sich von der anderen Partei generell? 2. Was könnte die andere Partei konkret tun, um Beweise des Vertrauens zu geben? 3. Was können Sie dazu beitragen, dass die andere Partei in die Lage versetzt wird, Ihre Wünsche umzusetzen? 4. Welche generellen und konkreten Kreditangebote im Sinne von Vertrauensvorschuss können Sie der anderen Partei machen? Beide „Lager“ erarbeiteten mit jeweils einem Moderator parallel die Antworten zu diesen Fragen. Die Parteien stellten sich im Anschluss die Ergebnisse gegenseitig vor. Die zusammengefassten Ergebnisse waren: X
X
Das Lager der Neuen wünschte sich mehr Offenheit für die anstehenden Veränderungsprozesse. Das Lager der Alten wünschte sich, die Dinge aufrechtzuerhalten, die in der Vergangenheit wirklich erfolgreich waren. Beide Seiten boten an, zukünftig der jeweils anderen Gedankenwelt (= Denkstile) offener zu begegnen und diese zu akzeptieren.
Abschließend wurden konkrete Vereinbarungen für die zukünftige Zusammenarbeit (Regeln für den Informationsfluss, regelmäßige Besprechungen etc.) getroffen. Nachdem alle Teilnehmer untereinander festgestellt hatten, dass sie gegenseitig erfüllbare Wünsche hatten und auch bereit waren sich entgegen zu kommen, ging es in eine längere Kaffeepause. Diese Pause wurde von
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
161
allen Teilnehmern dazu genutzt, die Ergebnisse aus der ersten Intervention zu vertiefen. Ein erster Schritt zur Überwindung der bisherigen Sprachbarrieren zwischen den beiden Denkstilen war erreicht. Zweite Intervention: Abbau von Denkblockaden (Destruktives Brainstorming) Das nächste Thema sollte die zukünftige Ausrichtung der GmbH sein. Um die eingefahrenen Denkstile weiter in Bewegung zu bringen, erfolgte ein destruktives Brainstorming. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, möglichst viele Ideen zu sammeln, wie sie die neue GmbH am schnellsten „gegen die Wand fahren“ und wie sie am besten die Stadt – ihren Hauptkunden – verärgern könnten. Zuerst waren alle Teilnehmer über diese für sie absurde Fragestellung irritiert. Sie ließen sich aber dazu überreden und hatten nach kurzer Zeit viel Spaß an diesem destruktiven Brainstorming. Nachdem zwei Moderationswände mit den kreativen Ideen der Teilnehmer beschrieben waren, wurde die Intervention mit dem Hinweis abgeschlossen, dass mit diesem „Material“ später weitergearbeitet wird. Die Stimmung war jetzt deutlich lockerer, als zu Beginn des Workshops. Die Teilnehmer konnten wieder miteinander lachen. Dritte Intervention: Gemeinsamkeiten (ein Bild für die Zukunft der GmbH) Als Einstieg in die inhaltliche Diskussion zur strategischen Ausrichtung der GmbH wurden die Teilnehmer gebeten, von ihren persönlichen inneren Bildern über die GmbH zu berichten. Es ging um die Bilder, die sie von der aktuell gelebten GmbH hatten und darum, welche Bilder sie sich für die GmbH der Zukunft vorstellen könnten. Auch bei dieser Intervention waren die Teilnehmer am Anfang skeptisch, regten sich aber dann schnell gegenseitig durch kreative Ideen an. Beispiele dieser persönlichen inneren Bilder waren: X
Ein Schiff in stürmischer See, dessen Route noch etwas schwierig zu sein scheint und das auf neuen Kurs gebracht werden muss.
162 X X
X
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Eine neue Dampflok mit neuen Wagen, die ihre Spur noch finden muss – bei der einzelne alte Wagen auch mal eine eigene Spur nutzen. Eine umlagerte Burg, die sich gegenüber den Erwartungen des Umfelds noch in Verteidigungsstellung befindet und deren Bewohner Pläne schmieden, wie sie sich aus dieser Verteidigungshaltung befreien. Ein junger Riese, der schnell aus sich heraus wächst und eigene Bewegungen und Fähigkeiten in kurzer Zeit entwickelt.
Am Ende waren alle positiv überrascht, welche verschiedenen Bilder in den Köpfen existierten und dass durchaus ein gemeinsamer Nenner zu erkennen war: Der Blick in eine gemeinsame Zukunft. In dieser positiven Grundstimmung ging es in die Mittagspause. Die Gespräche in der Mittagspause kreisten weiterhin um die Zukunftsbilder der GmbH. Erarbeitung der strategischen Ausrichtung und Einsatz des „Materials“ In gut gelaunter Stimmung ging es am Nachmittag des ersten Tages und am zweiten Tag um die konkrete Erarbeitung der zukünftigen strategischen Ausrichtung. Es ging um Visionen, Strategien, Chancen/Risiken am Markt und um Stärken/Schwächen in der Organisation der GmbH. Als Einstieg in die einzelnen Themen diente das „Material“ aus der zweiten Intervention, dem destruktiven Brainstorming. Die dort genannten destruktiven Ideen wurden jeweils durch Umkehrung in die positive Richtung gedreht und dann mit konkreten Handlungsfeldern unterlegt. Diese Vorgehensweise entspricht dem Modell des Kopfstand-Workshops, der am Ende dieses Kapitels beschrieben wird. Es folgt ein Beispiel für die Umkehrung einer destruktiven Idee aus dem Material und für die anschließende Formulierung konkreter Handlungsfelder. X
X
Eine Idee aus dem destruktiven Brainstorming war: Unsere Mitarbeiter im An- und Verkauf entwickeln sich zum Ämter- und Bürgerschreck. Die Umkehrung dieser Idee lautete: Als Dienstleister für unsere Kunden sind wir serviceorientiert und leben das Prinzip der „offenen Türen“.
Praxisbeispiele: Lösung struktureller Konflikte
X
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Als konkrete Handlungsfelder wurden definiert: Weiterentwicklung der Beziehungen zu den Ämtern durch regelmäßige Kontaktpflege Aufbau eines Bürgerbüros (zentrale Lage, Hotline etc.) Entwicklung eines offenen und entgegenkommenden Arbeitsklimas in der GmbH
Diese gemeinsame Arbeit mit dem Material war etwas mühsamer als die Interventionen vom ersten Vormittag, da die Teilnehmer konkrete Ergebnisse erarbeiten mussten. Ergebnisse des Strategieworkshops Am frühen Nachmittag des zweiten Tages hatten die Teilnehmer sich anhand der Umkehrungen aus dem Material einen umfangreichen Maßnahmenkatalog mit Terminen und Verantwortlichkeiten für die Umsetzung in die Praxis erarbeitet. Der ehemals tiefe Graben zwischen den Denkstilen der beiden Lager war überwunden. Die Teilnehmer hatten durch effiziente Interventionen und kreative Umwege in dem Workshop erkannt, dass sie schließlich in „einem Boot sitzen“. Ihnen wurde bewusst, dass sie ihr Unternehmen nur gemeinsam nach vorne bringen können. Sie haben auch verinnerlicht, dass sie als einzelne in der Führungsmannschaft nur dann erfolgreich sind, wenn sie miteinander und nicht – wie bisher – gegeneinander arbeiten. Ihre erste gemeinsame Aktion am Tag nach dem Workshop sollte sein, ihre Workshopergebnisse allen Mitarbeitern der GmbH vorzustellen. Diese Präsentation haben die Teilnehmer am Ende des zweiten Workshoptages gemeinsam vorbereitet. Durch diese Präsentation hat sich die gesamte Führungsmannschaft gegenüber ihren Mitarbeitern verpflichtet, die Workshopergebnisse wirklich in die Praxis umzusetzen.
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Zusammenfassende Empfehlungen Wenn man in strukturellen Konflikten die neutrale Vermittlerrolle einnimmt, muss man den Konfliktparteien als Erstes helfen, ihre in der Vergangenheit aufgebauten Denkblockaden abzubauen. Erst danach sind die Beteiligten in der Lage, einen Blick für zukünftige Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Diese vorbereitenden Schritte sind erforderlich, um die beteiligten Gruppierungen in die Lage zu versetzen, offen und gemeinsam neue und andersartige Lösungsansätze für den strukturellen Konflikt zu erarbeiten. Für den Abschluss der Moderation einer strukturellen Konfliktsituation ist ein Arbeitsschritt erforderlich, in dem sich die Teilnehmer gegenseitig verpflichten, ihre Arbeitsergebnisse tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Darauf aufbauend kann man die Umsetzung der gemeinsam vereinbarten Maßnahmen in die Praxis steuern und überwachen.
4.2
Strategische Handlungsempfehlungen
Die persönliche Einstellung eines Menschen prägt sein Erleben und damit auch sein Verhalten. Um den Chancen-Blickwinkel von Konflikten einzunehmen, ist für einige Menschen ein Paradigmenwechsel in der Einstellung erforderlich. Für diese persönliche Einstellung ist jeder Mitarbeiter im Unternehmen selbst verantwortlich. Führungskräfte sollten dafür sorgen, dass der Chancen-Blickwinkel im Unternehmen gefördert und gefordert wird. Eine weitere Empfehlung ist, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um effiziente Methoden zur Behandlung von strukturellen Konflikten nutzen zu können. Zu diesen Rahmenbedingungen zählen in Unternehmen eine konstruktive Streitkultur, die Kenntnisse über konstruktive Strategien im Umgang mit Konflikten und bestimmte Formen der Kommunikation. Auf der Grundlage dieser Rahmenbedingungen können alle Mitarbeiter im Unternehmen effiziente Methoden zur Lösung von struk-
Strategische Handlungsempfehlungen
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turellen Konflikten nutzen. Für die Schaffung der Rahmenbedingungen sind die Führungskräfte im Unternehmen verantwortlich, beginnend in der Unternehmensleitung.
Einstellungen für den wirksamen Umgang mit Konflikten Die grundsätzliche Auffassung, die Glaubenssätze und der Denkstil bilden die Basis für die Einstellung, mit der Menschen mit Konflikten umgehen. In Abhängigkeit von der Konfliktauffassung kann man mit einer Positionsstrategie oder einer Lösungsstrategie arbeiten. Positionsstrategie: X Ich gehe davon aus, dass sich einer von uns durchsetzen wird. Deshalb verfolge ich jetzt meine Ziele und verteidige meine Position um jeden Preis. X Meine Position steht fest. X In die Position des Anderen versetze ich mich nicht und zeige mich höchstens verhandlungsbereit, um zu siegen. Um meine Position in Unklarheit zu lassen, halte ich mich zurück. Ich lasse zuerst die Anderen kommen. Lösungsstrategie: Ich betrachte diesen Konflikt als unsere gemeinsame Aufgabenstellung. Das Ziel ist, den Konflikt zu lösen. Mit der Lösung sollen beide Seiten einverstanden sein. X Meine Position ist flexibel. Meine Interessen sind mir wichtig. Auf die Interessen der anderen Seite bin ich gespannt. X Ich bin in der Lage, mich auch in die Position des Anderen hineinzuversetzen. Meine Interessen und Absichten bringe ich offen und fair zum Ausdruck. X
Wenn man in konfliktträchtigen Situationen für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen finden will, ist eine Lösungsstrategie als Konflikteinstellung die Basis.
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Widersprüchlichkeiten als Sinn für Konflikte erkennen Gerhard Schwarz gibt in seinem Buch „Konfliktmanagement“ eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Konflikten. Für ihn sind die einzelnen Dimensionen der Widersprüchlichkeiten bei Konflikten in Arbeitsgruppen sinnvoll und aufeinander angewiesen. X
X
X
Konflikte bearbeiten Unterschiede und stellen den Zusammenhalt einer Gruppe her: Konflikte verdeutlichen nicht nur Unterschiede, sie machen auch untereinander fruchtbar. Durch Konfliktsituationen werden (fast) alle Dimensionen auf den Tisch gebracht, was nach deren Bearbeitung zu besseren Entscheidungen führt. Es können Unterschiede überwunden werden, was den Zusammenhalt einer Gruppe wieder herstellen kann. Die Gruppe kann hierdurch eine Sicherheit erlangen, oft auf einer höheren Ebene des gemeinsamen Verständnisses. Konflikte garantieren Komplexität und Gemeinsamkeiten: Durch Konflikt- und Streitgespräche in einer Gruppe werden Verschiedenheiten herausgearbeitet und die Komplexität eines Themas verdeutlicht. Durch die gemeinsame Bearbeitung dieser Komplexität erreicht man in einer Gruppe Gemeinsamkeiten. Konflikte garantieren Veränderung und Stabilität: Konflikte sind oft Anlass für anstehende Veränderungen zur Weiterentwicklung. Sie dienen zur Findung einer neuen Identität oder Organisationsform, deren Erreichen eine neue Stabilität gewährleistet.
Es kommt besonders dort zu Problemen, wo Pannen gepflegt und Konflikte vermieden werden. Die Prinzipien „Unterschiede bearbeiten“ und „Zusammenhalt in der Gruppe herstellen“ widersprechen sich nur auf den ersten Blick. Beide sind gemeinsam für das Verständnis von Konflikten hilfreich. Jede Konfliktbehandlung in einer Gruppe kann den Zusammenhalt festigen. Konflikte machen deutlich, dass es Probleme durch Widersprüchlichkeiten gibt, die gemeinsam bewältigt werden wollen.
Strategische Handlungsempfehlungen
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Welchen Sinn und welche Funktionen könnte ein Konflikt haben? Diese Frage lenkt die Gedanken in einer Konfliktsituation in eine ganz andere Richtung als die Fragen: „Wie komme ich hier halbwegs unbeschadet wieder heraus?“ „Wie komme ich zu meinem Recht?“ Wenn man für einen Konflikt einen Sinn gefunden hat, kann man sich auch die Frage nach den nützlichen Funktionen dieses Konflikts beantworten: X
X
Gibt uns dieser Konflikt die Chance, endlich einmal ein Thema zwischen unserer Arbeitsgruppe und der anderen Arbeitsgruppe zu klären? Könnte die Bearbeitung dieses Konfliktes unser Arbeitsteam durch Klärung eines kritischen Themas einen Schritt nach vorn bringen?
Einigen Menschen fällt es leichter, zuerst die konkreten Funktionen zu definieren, die ein Konflikt erfüllen kann. Darauf aufbauend können sie den übergeordneten Sinn dieser Funktionen herausfinden. Nachfolgend sind Ideen für derartige nützliche Funktionen aufgelistet: X
Konflikte erfordern und fördern Kommunikation, decken Probleme auf und können diese lösen helfen, machen Unterschiede deutlicher und sorgen für Klarheit, können auch Gemeinsamkeiten aufdecken, regen Interesse und Neugier an, können Motivation und Ansporn hervorrufen, lösen Veränderungen aus und bieten neue Lösungsmöglichkeiten (in der Persönlichkeit und im Unternehmen), lassen aufgestaute Spannungen „verpuffen“, sind Übungssituationen, um beispielsweise Flexibilität und eigene Gelassenheit zu trainieren, verhindern Stagnation und Erstarrung, geben Signale, dass Handlungen und Veränderungen notwendig und möglich sind, machen geistig flexibler, stimulieren und fördern Kreativität für Innovationen,
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
sind Herausforderungen und Chancen zur Weiterentwicklung, beinhalten ein hohes Maß an Energie für sozialen Wandel und Fortschritt. Wenn man eine Konfliktsituation erwartet oder sich in einer befindet, sollte man sich die Frage nach dem Sinn dieser aktuellen Situation beantworten. Die Funktionsliste für Konflikte ist hierfür eine Unterstützung. Wenn man einige Funktionen des aktuellen strukturellen Konflikts identifiziert hat, kann man daraus auch den Sinn ableiten. Ein Paradigmenwechsel Für Menschen, die Konflikte bisher ausschließlich als Krise betrachtet haben, kann der Chancen-Blickwinkel auf Konflikte ein Paradigmenwechsel sein. Zur Umsetzung dieses Paradigmenwechsels sind drei Aspekte erforderlich (Beispiel: Lernen des Autofahrens): X
Wollen (Einen Pkw selbst steuern) Sein Leben auch in Konfliktsituationen aktiv und konstruktiv steuern wollen Eigene Bedürfnisse und Ziele erreichen wollen
X
Dürfen (Den Führerschein machen) Sich die Erlaubnis geben, in diesen Situationen flexibel und kreativ sein zu dürfen Mythen (z. B. Ich bin in Konfliktsituationen nicht kreativ) vom Sockel stoßen Kreative Fähigkeiten und Verhaltensweisen im Umgang mit Konflikten lernen
X
Können (Das Fahren in der Praxis lernen) Es tun: Erlerntes ausprobieren und anwenden Beginnend mit weniger schwierigen Situationen – sich nach und nach steigern (wachsen) für strukturelle Konfliktsituationen
Es geht darum, die neue Konflikteinstellung als zusätzliche Gewohnheit einzurichten.
Strategische Handlungsempfehlungen
Einstellung (Haltung, innerer Dialog)
Bisher:
Blickwechsel:
Konflikte sind Krisen
Konflikte sind Chancen
x Konflikte sind vermeidbar
x Konflikte sind menschlich
und werden von bewussten Störern initiiert x Konflikte sind destruktiv und
müssen unterdrückt werden x Konflikte sind störende
Krisen Erleben
x Ärger, Ängste und Frustra-
(Wahrnehmen, Bewerten, Reagieren)
x Hilflosigkeit und Ohnmacht
tion durch fehlende Handlungsmöglichkeiten x Tunnelblick, Blockaden,
Erstarrung Verhalten (Umgang mit sich und anderen)
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x Einsatz von destruktiven
Ideen für – Verteidigung und Kampf – Flucht und Vermeidung x Nutzung von destruktivem
Humor in Form von Ironie und Sarkasmus
und entstehen, wo Menschen zusammenarbeiten x Konflikte zeigen Klärungs-
bedarf und Optionen auf x Konflikte sind Chancen für
neues Denken x Neugier auf die Herausfor-
derung x Gedankliche Flexibilität
durch Erfassen mehrerer Perspektiven x Energie zur Bewegung
und Stimulanz für neuartige Ideen x Wertschätzung im Umgang x Die Situation akzeptieren,
aufdecken und konstruktiv klären x Kreativ neuartige Wege und
Lösungen suchen (auch mit einer Prise Humor)
Abb. 8: Zwei Möglichkeiten einer Konflikteinstellung
Aspekte einer konstruktiven Konflikteinstellung In dem Buch „Angriff ist die schlechteste Verteidigung“ hat das Autorenteam Rhode, Meis und Bongartz die folgenden vier Aspekte für eine konstruktive Einstellung in Konfliktsituationen herausgearbeitet: X
Jeder hat Recht Diese Empfehlung für den Umgang mit anderen Menschen sagt aus, dass jeder seine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Es gibt keine objektive Wirklichkeit. Wenn Menschen anerkennen, dass jede Wahrnehmung ein individuelles richtiges Nehmen von Wahrheit ist, können sie aufhören andere gewaltsam in ihre eigene Richtung zu zie-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
hen. Für eine konstruktive Konflikteinstellung ist eine innere Haltung erforderlich, dass es auch in einem Konflikt keine objektiv richtigen oder falschen Standpunkte gibt. X
Jeder hat seine Interessen Mit einer respektvollen Einstellung gegenüber anderen Menschen kann man deren Interessen akzeptieren und die eigenen Interessen verfolgen. Man kann die Perspektiven und Interessen der anderen Partei kennenlernen, sich der jeweiligen Bedürfnisse bewusst werden und diese mit der anderen Partei austauschen.
X
Respektvolles Interesse Die Verbindung von Wertschätzung der anderen Partei und Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Interessen ist die Grundlage für eine gemeinsame Konfliktösung. Wenn man sich auf die Interessen der beteiligten Konfliktparteien konzentriert, legt man den Grundstein. Es ist der Grundstein für einen Prozess, damit es zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann. Voraussetzung für diesen Grundstein ist die innere Einstellung des respektvollen Interesses an der Wirklichkeit der anderen Konfliktpartei.
X
Handlungsfähigkeit durch Selbstverantwortung Wenn man Opferhaltungen, wie „der andere ist schuld“ oder „ich bin schuld“ einnimmt, ist man abhängig oder ohnmächtig. Wenn man Selbstverantwortung übernimmt, bleibt man handlungsfähig. Menschen, die anderen oder sich die Schuld geben, wollen leiden und nicht handeln. Selbstverantwortung bedeutet im ersten Schritt, sich selbst zu überprüfen und zu hinterfragen. Es geht um die Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse/Wünsche und um die Verantwortung für den Umgang mit dem Konflikt. Durch die bewusste Übernahme von Verantwortung ermächtigen Sie sich selbst und bleiben in Konfliktsituationen handlungsfähig.
Die grundsätzlichen Empfehlungen zu diesen vier Aspekten sind: die eigene Wahrnehmung von der Wahrnehmung anderer zu trennen, respektvoll miteinander umzugehen und aus der Opferrolle auszusteigen.
Strategische Handlungsempfehlungen
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Streitkultur in Unternehmen Kultur und Werte in Unternehmen Oliver Haubner und Frank Schermann beschreiben in einem Fachartikel die Ergebnisse der Recherchen zum Carl-Bertelsmann-Preis 2004. Von der Bertelsmann Stiftung wurden 41 Verwaltungen hinsichtlich ihrer Modernisierungsaktivitäten untersucht. Der Preisträger in 2004 war das dänische Århus Amt, zuständig für 26 Gemeinden mit insgesamt 640.000 Einwohnern in Ost-Jütland. Das Amt zeichnete sich nicht nur durch eine ausgeprägte Kundenorientierung und durch eine hohe Effizienz aus. Das Amt pflegt darüber hinaus eine auf den Menschen ausgerichtete Organisationskultur und eine dialogische Führung. Respekt, innere Verpflichtung und der Wille, sich ständig weiterzuentwickeln sind in dieser Verwaltung lebendiger Alltag. Die Rechercheergebnisse der Autoren zeigen, dass sich die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern erst dann voll entfalten kann, wenn sie sich an Leitbildern und Zielen orientieren können. Sie müssen auch am Erfolg ihrer Arbeit partizipieren können. Das Wertesystem ihrer Organisation im täglichen Umgang miteinander und in der operativen Arbeit ist hierbei von großer Bedeutung. Das bestätigten 95 Prozent der von der Bertelsmann Stiftung befragten Verwaltungen. „In 85 Prozent der untersuchten Verwaltungen wird das Wertesystem unter Einbeziehung der Mitarbeiter kontinuierlich weiterentwickelt.“ Bewusstes Wertemanagement in Unternehmen Ein Unternehmen braucht nach dem Geleitwort von Jürgen Dormann zum „Handbuch Wertemanagement“ klar dokumentierte Aussagen, an denen sich Mitarbeiter und Führungskräfte orientieren können. Diese Werte müssen in Unternehmen gelebt werden und dürfen der Praxis nicht widersprechen. Die oberste Führungsebene prägt mit ihren persönlichen Verhaltensweisen die Kultur eines Unternehmens. Sie muss Werte vorleben. Es gibt einige Werte, wie Respekt vor dem Menschen, Ehrlichkeit, Eigendisziplin und Verantwortlichkeit, die in allen Unternehmen selbst-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
verständlich sein müssten. Wenn sich die Menschen auf derartige Werte ein- und verlassen können, ist das eine gute Voraussetzung für eine Kultur des Vertrauens und eine Basis für eine konstruktive Streitkultur. Ulrich Wickert beschreibt in seinem Buch „Gauner muss man Gauner nennen“, dass es in Wirklichkeit nicht an Werten mangelt. Obwohl jeder grundlegende Werte und Tugenden kennt, richten zu wenige ihr Handeln danach aus. „Verlässlichkeit und Verantwortung, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit halten mehr als 90 Prozent für wichtige Maßstäbe.“ Trotz dieser Sehnsucht nach Werten scheinen diese Begriffe hohl geworden zu sein. Umso wichtiger ist für Unternehmen ein bewusstes Wertemanagement. Vertrauen und Vertrauenskultur Vertrauen wird oft als der wichtigste Stabilisierungs- und Stabilitätsfaktor genannt. Ohne Vertrauen gibt es keine positive Entwicklung im Sinne eines Wachstums. Das gilt für das Wachstum in Beziehungen in Unternehmen und für das Wachstum in den gesellschaftlichen Strukturen. Die Meldungen in Presse, Funk und Fernsehen räumen dieser Aussage mit einem umgekehrten Vorzeichen viel Platz ein. Die Schlagzeilen beinhalten Begriffe wie Vertrauenskrise, Misstrauen und Vertrauensbruch. Ein häufiger Tenor lautet: Ist das Vertrauen erst einmal erschüttert, lässt es sich nur sehr schwer wiederherstellen. Misstrauenskultur und Misstrauensspiralen Man könnte schon fast von einer allgemeinen Misstrauenskultur sprechen. Eine Misstrauenskultur ist ein Nährboden für Misstrauensspiralen. Viele der täglichen Informationen tragen zur Förderung einer Misstrauenskultur bei. Zwei Beispiele für Unternehmen mit wiederkehrenden Meldungen über Affären sind Volkswagen und Siemens: Die Lustreisen der VW-Betriebsräte, die vom Vorstand gedeckt wurden, dürften bis ins Jahr 1996 zurückreichen. „Doch die Puffbesuche von Gewerkschaftern und Managern dienten zuletzt offenbar auch dazu, Größeres vorzubereiten: Den heimlichen Aufbau eines externen Firmengeflechts“ (Der Spiegel 30/2005). Mitte Dezember 2006 berichtete die ARD-Tagesschau, dass ein Vorstandsmitglied der Siemens AG verhaftet worden ist, weil er seit
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über zwei Jahren von einem vermuteten Schmiergeldsystem gewusst haben soll. Mitte März 2007 berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass die Siemens AG Betriebsräte gekauft haben soll, um deren Wohlwollen zu verschaffen. Mitte Juli 2007 legte ein weiterer Betriebsratschef und zugleich Aufsichtsratsmitglied von Volkswagen wegen seiner Verwicklungen in die Affären seine Ämter nieder. Die Bandbreite dieser Veröffentlichungen reicht von unflätigen Bereicherungen über Missbrauch von Insiderwissen bis zu organisierter Kriminalität. Dies sind Signale einer Kultur, die Misstrauen wachsen lässt und ein Nährboden für Misstrauensspiralen in Unternehmen ist. Beim Teufelskreislauf des Misstrauens geht es um wechselseitige und sich gegenseitig beeinflussende Verhaltensweisen. Einer macht den Anfang und der andere spielt mit. Reinhard K. Sprenger hat in seinem Buch „Vertrauen führt“ diesen Prozess und die dahinter liegende Eigendynamik beschrieben. Die These des Autors hierbei ist: Die Misstrauensspirale beginnt mit einem Misstrauen, das die „unabweisbare Tendenz“ hat, sich im sozialen Miteinander zu bestätigen und zu verstärken. Führungskräfte, die gegenüber ihren Mitarbeitern misstrauisch sind, werden in den allermeisten Fällen bestätigt. Es wird in deren Verantwortungsbereich stets Mitarbeiter geben, die durch ihr Verhalten das Misstrauen ihres Vorgesetzten rechtfertigen. Misstrauen ist in diesem Sinne ist nach Sprenger eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: „Misstraue jemandem und er wird dein Misstrauen bestätigen.“ Misstrauen und Konflikteskalation liegen eng zusammen Konflikteskalationen, die durch ein fehlendes Vertrauen oder durch ein tiefes Misstrauen geprägt sind, fehlt die Basis für eine gemeinsame und tragfähige Konfliktbehandlung. Wenn in diesen Situationen eine gemeinsame Konfliktlösung von den Konfliktparteien gewünscht wird oder aus den Rahmenbedingungen heraus erfolgen muss, muss zuerst der Eskalationsverstärker „Misstrauen“ entfernt werden. Vertrauen ist Grundlage und Voraussetzung, wenn Konfliktparteien eine gemeinsame Konfliktlösung erreichen wollen oder quasi dazu verpflichtet sind, wie in der Zusammenarbeit in Unternehmen.
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Wenn Vertrauen in einer Konflikteskalation tiefgreifend verwundet wurde und ein gegenseitiges Vertrauen von den Konfliktparteien für die Zukunft gänzlich ausgeschlossen wird, kann es zu einer Beendigung des Konfliktes durch Dritte kommen, oder eine Konfliktpartei steigt aus dem System ganz aus. Vertrauen wiederbeleben Um die „alte Schrulle“ Vertrauen wiederzubeleben und zu aktivieren ist es hilfreich, sich an zeitlosen Werten zu orientieren. Derartige Werte heißen: Anstand, Moral, Respekt und Toleranz. Wo Werte fehlen, herrscht Desorientierung und Vertrauensverlust. Werte wieder in den Mittelpunkt zu stellen ist hilfreich, um Vertrauen zu schaffen und zu fördern. Sich auf Werte zu konzentrieren und eine Vertrauensinspektion durchzuführen, sind zwei Ansatzpunkte, mit denen man sich auf Vertrauen einstimmen kann. Vertrauen ist in Unternehmen ein wirksamer Führungsgrundsatz. Vertrauensfähige Führungskräfte sind nach Sprenger von vertrauensfähigen Mitarbeitern umgeben. Wenn Ihnen Vertrauen wichtig ist, können Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern eine Vertrauensinspektion durchführen. Der Anhang enthält eine Checkliste mit Fragen zur Durchführung einer Vertrauensinspektion. Im Kern geht es um die Beantwortung der Frage: Lohnt sich Vertrauen als Strategie für die Zusammenarbeit? Sobald es einer Führungskraft gelingt, das Vertrauen der Umgebung zu gewinnen und zu bewahren, ist nach Fredmund Malik auch das Betriebsklima als Basis der Zusammenarbeit in Ordnung. In seinem Buch „Führen-Leisten-Leben“ beschreibt er, worauf es aus seiner Sicht bei einer wirksamen Führung in letzter Konsequenz ankommt: Das gegenseitige Vertrauen. Durch Vertrauen erreicht man eine robuste Führungssituation, die auch in Konfliktsituationen belastbar ist. Die Empfehlungen des Autors zum Aufbau von Vertrauen für Führungskräfte sind: X X X
Niemals das Verliererspiel spielen (eigene Fehler den Mitarbeitern in die Schuhe schieben). Zuhören können (auch wenn man viel um die Ohren hat). Authentisch sein (auch zu seinen eigenen Ecken und Kanten stehen).
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X X
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Charakterlich integer sein (was man meint, auch sagen und danach handeln). Sich von Intriganten trennen (Intriganten vergiften jeden noch so guten Brunnen).
Vertrauen darf man nach Malik nicht mit blindem Vertrauen gleichsetzen. Eine gesunde Portion Misstrauen hilft, sich vor Intrigen und Störmanövern von außen zu sensibilisieren. Es kommt auf die richtige Dosis an. Der Welt mit einem maßvollen Vertrauen entgegenzugehen, ist ein pragmatischer Ansatz. „Vertrauen Sie aus Eigennutz“ und „Der klügere Egoist kooperiert“, sind die Empfehlungen von Sprenger. Ein nur auf kurzfristige Vorteile ausgerichteter Eigennutz ist oft zu kurz gegriffen. Vertrauensmechanismus in Gang setzen Wenn man den Vertrauensmechanismus aktiv in Gang bringen will, macht man sich auch verwundbar! Genau diese Verwundbarkeit ist das Instrument, mit dem man eine Vertrauensbeziehung starten kann. Mit einem Vertrauensvorschuss steigt man in einen Vertrauensmechanismus ein. Grundsätzlich haben Menschen eine psychologische Mechanik, die sie nach Ausgleich suchen lässt. Wenn Menschen sich entspannt fühlen wollen, müssen ihr Geben und Nehmen im Gleichgewicht sein. Durch diese psychologische Mechanik wird der Vertrauensmechanismus in Bewegung gesetzt und weiterentwickelt. Ein entgegengebrachtes Vertrauen erzeugt Ansprüche und bindet. Die bindende Wirkung, die von einem Vertrauensvorschuss ausgehen kann, ist von der Größe der riskanten Vorleistung abhängig. Wenn wir von anderen Menschen für vertrauenswürdig gehalten werden, fühlen wir uns verpflichtet, etwas zurückzugeben, um unsere Beziehung im Gleichgewicht zu halten. Sprenger spricht von einer Vertrauensspirale, die man durch Risikoeinsatz in Gang bringen kann. Wenn man anderen Menschen vertraut, ermutigt dies diese Menschen ihrerseits zu vertrauen. Vertrauen erzeugt genau das Verhalten, das auch seine Voraussetzung ist. Vertrauen ist zirkular. Es ist Voraussetzung und Ergebnis eines Prozesses. Wenn niemand in diesem Prozess der Erste sein will, dann wird sich nichts bewegen. Wenn Konfliktsituationen sich verhärten und eskalieren wächst oft das Miss-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
trauen der widerstreitenden Parteien. Um mit diesen Situationen wirksam umzugehen, muss im ersten Schritt eine Vertrauensbasis geschaffen werden, damit die Parteien offen ins Gespräch kommen können. Um die Eskalationsstufen in einem Konflikt zurückfahren zu können, ist Vertrauen der beteiligten Parteien erforderlich. Das Minimum ist das Vertrauen, dass es zu einer gemeinsamen Lösung kommen könnte. Fehlt dieses „Minimal-Vertrauen“ in einer Konfliktsituation wird es zu keiner gemeinsamen Lösung kommen. Selbstvertrauen bringt in Konfliktsituationen Gelassenheit Nicht zuletzt geht es auch um das Selbstvertrauen. Sich selbst zuzutrauen in Konfliktsituationen mit anderen konstruktiv umgehen zu können, hängt auch vom Selbstvertrauen ab. Nach Patricia Störrle und Uwe Kern hat „sich selbst zu vertrauen mit sich ausprobieren zu tun“. Ihre Empfehlung in „Kündigung: Karrierekick statt Karriereknick“ lautet: Je häufiger man in herausfordernde Situationen hineingeht und diese bewusst meistert, desto besser kann man die Möglichkeiten und Grenzen ausloten. „Gehen Sie zunächst kleine Schritte und wagen Sie sich dann an größere Herausforderungen. Die Erfolge und die Erfahrungen steigern Ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl.“ Selbstvertrauen und Selbstsicherheit bringen die erforderliche Gelassenheit, um mit Konflikten konstruktiv umgehen zu können. Konstruktive Streitkultur Eine konstruktive Streitkultur in Unternehmen kann zu einem wichtigen Antriebsmotor für Innovationen werden. Durch sie wird gewährleistet, dass jeder seine Meinung vertreten kann, ohne Nachteile zu befürchten. Auf ihrer Grundlage regt Dissens zur Diskussion an und fördert dadurch das Entstehen neuer Ideen. Diese Ideen können zu neuen Produkten, wirksameren Verkaufsstrategien und optimaleren Prozessen führen. Eine konstruktive Streitkultur heißt, einander offen und fair die Meinung zu sagen ohne zu verletzen.
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Eine grundlegende Problematik für die Entwicklung einer konstruktiven Streitkultur ist, dass viele Menschen nicht die Chance hatten, ein konstruktives Streiten zu lernen. Diese Menschen haben nicht gelernt, wie sie Konflikte konstruktiv austragen können. Sie fliehen vor Konflikten oder kehren sie unter den Teppich, in der Hoffnung, dass sich die Konflikte in Luft auflösen. Unproduktive Konflikteskalationen lassen sich vermeiden, indem die unterschiedlichen Meinungen dargelegt und die gegenseitigen Interessen offengelegt werden. Für ein tolerantes Argumentieren braucht ein Unternehmen eine geeignete Kultur, die so etwas zulässt und fördert. Mit einer konstruktiven Streitkultur erleichtert man den Umgang mit strukturellen Konflikten. Zu einer konstruktiven Streitkultur gehören Toleranz und Einfühlung gegenüber anderen Meinungen und Standpunkten. Verschiedenheit erfahren und ertragen zu können, ist Grundlage für eine konstruktive Streitkultur, genauso wie positive Rückmeldungen geben und Empathie ausdrücken zu können. Gefühle anderer (an)zuerkennen, sich verständlich und akzeptabel auszudrücken und die Konsequenzen eigener Mitteilungen tragen zu können, sind Bestandteile einer konstruktiven Streitkultur. Sie ist ein wesentlicher Baustein zum Aufbau einer Kommunikations- und Kooperationskompetenz im Unternehmen. Modell Orchester: Elemente einer konstruktiven Streitkultur Unter der Rubrik „Führungskräftetraining“ erschien in der Zeitschrift management & training im Juni 2003 ein Fachartikel „Harmonie und Streitkultur“. In einem Workshop im Hinterraum eines Bremer Theaters haben 14 Führungskräfte der Ewe Tel Oldenburg erfahren, was sie von einem Orchester lernen können. Die Führungskräfte erlebten bei dieser Begegnung mit der fremden Welt die Möglichkeiten und Grenzen von Hierarchie, Sinn und Unsinn eines Dirigenten und den Nutzen einer konstruktiven Streitkultur. Einige Führungskräfte stellten in diesem Workshop kritische Fragen: X X
„Warum diskutieren die Musiker so lange über einzelne Passagen?“ „Wird der Stimmführer (Dirigent) eigentlich ernst genommen, wenn er sich so viel Kritik gefallen lässt?“
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Die Führungskräfte erfuhren, dass Macht im Orchester flexibel und funktional organisiert ist. Trotz der existierenden Hierarchie wechselt die Führung situativ. „Das erfordert eine robuste Konfliktkultur, die fachliche Auseinandersetzungen von persönlichen Animositäten trennt.“ Die Offenheit der Musiker untereinander und mit ihrem Dirigenten regt die Führungskräfte in dem Workshop zu weiteren Fragen an: X X
„Warum hat sich im Orchester eine solche Kultur der Offenheit entwickelt?“ „Warum können die Musiker scheinbar so gut mit Kritik umgehen?“
Die Antwort auf beide Fragen ist für den Geschäftsführer des Orchesters einfach: „Weil es funktional ist.“ Bei der Musik existiert ein Feedback in Echtzeit. „Wenn ein Missklang entsteht, haben Musiker nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie akzeptieren eine minderwertige Leistung, oder es muss darüber gesprochen werden.“ Kritik ist bei Musikern ein akzeptierter Weg zur Perfektion. Hinzu kommt der Zwang zu einer präzisen Kommunikation. Musiker dürfen bei ihrer Leistungserbringung nicht miteinander reden und müssen trotzdem präzise kommunizieren. Außerdem herrscht im Orchester Selbstdisziplin. Wenn ein Musiker versucht, seine Individualität gegen die anderen durchzusetzen, sinkt das ganze Orchester zur Zweitklassigkeit ab. Machtspiele in den Führungsetagen, die in Unternehmen oftmals fatale Folgen haben, haben in einem funktionierenden Orchester keine Chance. Der aus Machtspielen in einem Orchester resultierende Qualitätsverlust wird für alle Beteiligten unüberhörbar. Dieses natürliche Element zur Selbstdisziplin fehlt in einigen Unternehmen. Eine konstruktive Streitkultur, mit den Elementen X X X X X
Macht und Führung flexibel und situativ nutzen, Offenheit im Umgang miteinander, Feedback in Echtzeit, Kritik – als ein akzeptierter Weg zur Perfektion, präzise und wirkungsvolle Kommunikation,
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fachliche Auseinandersetzungen von persönlichen Animositäten trennen und hohe Selbstdisziplin aller Beteiligten
ist in Orchestern die Basis für ein harmonisches Zusammenspiel, beispielsweise für eine gelungene Partitur. Gegenteilige Praxis in einigen Unternehmen: Einsatz von Streit-Keulen Im Gegensatz zu einem Orchester werden in einigen Unternehmen oft die von Simone Pöhlmann und Angela Roethe in „Die Streitschule“ beschriebenen Streit-Keulen eingesetzt: X X X X X X
Kritik-Keule („Dieser Bericht ist völlig ungenau. Das ist ja typisch für Sie!“). Droh-Keule („Das war mein letztes Angebot ...“). Argumenten-/Belehrungs-Keule („Warum versuchen Sie nicht ...“). Bestimmer-Keule („Sie müssen sofort ...“). Überheblichkeits-Keule („Und wegen was regen Sie sich auf ...“). Ratschlag-Keule („Ich würde Ihnen jetzt dringend raten ...“).
Derartige Übergriffe in einer „Gesprächskultur“ sind das Gegenteil einer konstruktiven Streitkultur. Durch diese „Psycho-Techniken“ werden Lunten für unproduktive Konflikte gelegt. In einer konstruktiven Streitkultur hingegen können strukturelle Konfliktpotenziale Anlass für produktive Auseinandersetzungen sein und als Anstoß für neue Ideen genutzt werden. Das Beispiel „in einem Orchester mitzuspielen“ und die Fantasie „in einem Boot zu sitzen“ können Modelle für die Entwicklung einer konstruktiven Streitkultur sein. Irgendwie streiten kann jeder. Die Kunst konstruktiv und fair zu streiten, beherrscht nicht jeder. Diese Kunst kann man lernen.
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Schritte zur Umsetzung einer konstruktiven Streitkultur in Unternehmen Zum Erwerben der Kunst des fairen Streitens sind eine konstruktive Einstellung im Umgang mit Konflikten und einige förderliche Verhaltensweisen zweckmäßig. Hierzu zählt die Einstellung, dass Meinungsunterschiede und Konflikte richtig und wichtig sind. Grundlage für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten ist die Nutzung des ChanceBlickwinkels. Die weitere Grundlage ist die Einstellung, dass Konflikte nützliche Funktionen haben: Handlungsbedarf und -möglichkeiten aufzeigen. Die förderlichen Verhaltensweisen basieren auf der Erkenntnis, dass bei einem konstruktiven Umgang mit Konflikten jeder bei sich selbst beginnen und im ersten Schritt Klarheit für sich selbst schaffen muss. Einzelne nützliche Verhaltensweisen auf dieser Basis sind: X X X
Sich dem Konflikt stellen, anstatt ihn zu vermeiden oder (vorschnell) abzubrechen. Probleme möglichst „zeitnah zur Entstehung“ ansprechen, bevor Ängste oder Ärger und Wut diese überlagern. Stets konkrete Situationen ansprechen, damit das eigene Anliegen verständlich wird und andere sich dazu konkret äußern können.
Auch wenn man Konflikte nicht sofort vollständig klären und lösen kann, ist das zeitnahe und bewusste Ansprechen von Konflikten wichtig. Die Konfliktparteien müssen sich zügig darauf verständigen, was das zu lösende Problem ist. Sie müssen sich auch darüber einigen, wann und wie sie damit umgehen wollen. Praktische Anwendung durch Streiten üben Das eigentliche Problem beim ungeübten Streiten liegt selten am inhaltlichen Thema der Auseinandersetzung. Das Problem liegt meistens in der Form der Auseinandersetzung, beispielsweise wie miteinander gesprochen wird. Durch eine unangemessene Form kann schnell aus einer kleinen Mücke ein riesiger Elefant werden. Erschwerend kommt beim ungeübten Streiten hinzu, dass die beteiligten Parteien ihre individuellen Lerngeschichten und ihre persönlichen Temperamente einbringen. Die
Strategische Handlungsempfehlungen
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einen leben ihre Streitlust in der Form aus, dass sie andere mit Vorwürfen bombardieren. Andere entziehen sich jeglichen Streits und wiederum andere müssen immer alles „offen und ehrlich“ ansprechen. Die Gefahr bei einem Streit zwischen ungeübten Streitern liegt in einem nervenaufreibenden Zerreden oder „Aneinander-vorbei-Reden“ im Streitthema. Checklisten: Regeln für eine faire und konstruktive Streitkultur in Unternehmen Um konstruktives Streiten lernen zu können, sind Regeln für den Umgang beim Streiten nützlich. Der Anhang enthält Checklisten für eine faire und konstruktive Streitkultur in Unternehmen. Hierbei geht es um zwei Ansatzpunkte. 1. Grundregeln für eine faire Streitkultur Beispiele für diese Grundregeln sind: alle Streitparteien haben Rechte, jeder Streit hat einen Anfang und ein Ende, und nicht in jeder Stimmung (weiter) streiten. Derartige Grundregeln bilden die Basis für eine konstruktive Streitkultur im Unternehmen. Auf dieser gemeinsamen Basis finden sich die Streitparteien zu einem konstruktiven Streitgespräch. 2. Spielregeln für ein konstruktives Streitgespräch Beispiele für diese Spielregeln sind: Fragen stellen, Gefühle konkret formulieren und Verallgemeinerungen vermeiden. Die Streitparteien einigen sich vor der inhaltlichen Auseinandersetzung über die Spielregeln, die für ihr konkretes Gespräch zur Anwendung kommen. Sie achten während des Gesprächs auf deren Einhaltung. Unternehmen, die eine faire und konstruktive Streitkultur etablieren wollen, sorgen durch die Erarbeitung von Grundregeln für die erforderlichen Rahmenbedingungen. Die Spielregeln sind Empfehlungen für die einzelnen Streitgespräche. Zur Akzeptanz dieser Grund- und Spielregeln müssen diese mit Leben erfüllt werden, begonnen in der Unternehmensleitung. Durch die Verständigung aller Mitarbeiter und Führungskräfte im Unternehmen auf diese Grund- und Spielregeln wird der (Übungs-)Raum für
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Streitgespräche geschaffen. Danach ist jeder einzelne gefordert, das konstruktive Streiten zu üben. Als flankierende Maßnahmen können Sie im Unternehmen beispielsweise Plakate zur Streitkultur, wie sie unter www.friedenspaedagogik.de angeboten werden, aufhängen. Zum Üben von konstruktiven Streitgesprächen eignen sich kleinere Streitthemen aus der Praxis genauso wie bewusstes Üben in Rollenspielen. „Die Streitschule“ von Simone Pöhlmann und Angela Roethe enthält eine Vielzahl von Anregungen zum Trainieren der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit in Streitgesprächen. Exkurs: Improvisationstheater als realitätsnahes Übungsfeld Die Schauspieler in Improvisationstheatern verfügen über eine Vielzahl von Übungen zur Steigerung der mentalen Beweglichkeit. Der Schauspiel-Trainer Keith Johnstone bezeichnet in „Improvisation und Theater“ den Konflikt als zentrales Faktum, sowohl des realen Daseins als auch des (Theater-)Spiels. Es folgen zwei Beispiele für Übungen aus der Welt des Improvisationstheaters: X
Rollenbewusstsein fördern: Hoch-Tief-Status-Übungen Status wird in diesen Übungen als eine Verhaltensweise definiert, als etwas, das man tut. Im Hoch-Status sind Menschen größer und besser. Sie haben einen stechenden Blick und eine langsame, bestimmende Stimme. Im Tief-Status sind Menschen kleiner und schlechter. Sie haben einen devoten Blick und eine schnelle, ängstliche Stimme. In den Hoch-Tief-Status-Übungen haben die Spieler einer Szene (mit einem vorgegebenen Text) die Aufgabe, bewusst und abwechselnd den Hoch- und den Tief-Status einzunehmen. Ziel der Übungen ist neben der Förderung von Rollenbewusstsein, die Förderung von innerlicher Flexibilität, um zwischen diesen beiden Polen bewusst wechseln zu können.
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Das „Annehmen“ von Situationen fördern: Hollywood-Kantine Es handelt sich um zwei begeisterte Regisseure, Alan und Bob, die sich in einem Kantinen-Gespräch gegenseitig anspornen und in wilder Fantasie immer noch einen draufsetzen wollen. Alan hat eine tolle Idee für einen Film: „Ich habe die Idee, einen grandiosen Film über
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das Weltall/das Alltagsleben der Hornissen/die Streitkultur der Ameisen und deren Übertragung auf Menschen/das Sexualleben der Pinguine und deren Übertragung ... zu drehen.“ Daraufhin meint Bob: „Ja, genau, wir drehen einen Film ...“ (genaue Wiederholung von Alan) und Bob spinnt auf der Basis der Wiederholung weiter. Dann wiederholt Alan die letzten Aussagen von Bob: „Ja, genau, über ...“ und spinnt den Inhalt weiter aus. Die wichtigste Regel bei dieser Übung ist: Annehmen, Aufgreifen und Vergrößern der Äußerungen des Mitspielers! Die Einhaltung dieser wichtigsten Regel fällt vielen Spielern schwer. Die Ursache hierfür ist: Sie müssen sich zuerst auf das einlassen, was der andere Spieler jeweils vorgibt, bevor sie darauf aufbauend ihre eigenen Ideen ergänzen können. Übungen dieser Art fordern Körper, Geist und Seele. Sie sind ein Abbild der Realität. Das Annehmen und wirklich innerliche Akzeptieren einer Konfliktsituation ist bei einigen Menschen die schwerste Hürde für eine wirksame Konfliktbehandlung. Sich in einer Konfliktsituation seiner Rolle(n) bewusst zu sein und flexibel auch andere Positionen einzunehmen, erzeugt eine nützliche mentale Beweglichkeit zur wirksamen Konfliktbehandlung. Die Techniken des strategischen Handwerkskastens, die in diesem Kapitel nachfolgend vorgestellt werden, sind Anleitungen zur Förderung von mentaler Beweglichkeit, speziell für Konfliktsituationen. Sie eignen sich auch für praktische Übungen zum Trainieren von konstruktiven Streitgesprächen anhand von Praxisfällen. Die Hohe Schule des Streitens Die Früherkennung und Prävention von unproduktiven Konflikten entlastet in Unternehmen das Klima und verbessert erheblich die Effizienz in der Zusammenarbeit. Beides spart in Unternehmen Zeit und Geld. Unter www.umsetzungsberatung.de wird die Konfliktprävention als die effizienteste Form von Konfliktmanagement dargestellt. Voraussetzung ist, dass man Vorboten von Konflikten rechtzeitig erkennt und Konfliktpotenziale frühzeitig zur Klärung bringt.
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Einziger vermeintlicher Nachteil könnte für einige sein, dass eine derartige Konfliktprävention wenig Aufmerksamkeit erfährt und damit nicht (offiziell) gewürdigt wird. Die Umsetzungsberatung beschreibt, dass Feuerwehreinsätze im Stile eines Red Adair sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Von jemandem, der einen Brand verhindert hat, nimmt kaum einer Notiz. „Mit dem Hubschrauber einfliegen, im Laufschritt zur Brandstelle, mit heroischem Einsatz (möglichst vor laufenden Kameras) die Flammen niedergekämpft, ein paar knurrige Worte zu den wartenden Reportern, Abflug mit knatternden Rotoren – das macht Eindruck.“ Konflikteskalationen in Form von Hahnenkämpfen zwischen zwei Abteilungsleitern und Stellungskriegen der Mitarbeiter dieser beiden Abteilungen an den Grenzen (Schnittstellen) fallen auf. Der Nutzen einer professionellen Konfliktprävention durch ersparte Reibungsverluste, vermiedene Verzögerungen und unproduktive Krisen wird oft nur von wenigen registriert. Eine professionelle Konfliktprävention, oft mit einer unauffälligen Effizienz verbunden, passt eher zu Menschen, die vor allem zügig zu Ergebnissen kommen wollen. Effizient arbeitende Menschen nutzen die Grund- und Spielregeln einer konstruktiven Streitkultur, wenn es zu Differenzen mit anderen Menschen kommt. Die Regeln der Streitkultur nutzend, kann man zur Konfliktprävention mit einem Erwartungsmanagement arbeiten. Erwartungen frühzeitig abgleichen Ein zentraler Schlüssel zur Konfliktprävention ist ein ständiges Wahrnehmen und Abgleichen von Erwartungen. Dadurch wird einer der häufigsten Konfliktursachen, nämlich Enttäuschungen, präventiv entgegengewirkt. Beim Erwartungsmanagement gibt es einige Stolpersteine, die aufzeigen, weshalb es nicht automatisch funktioniert: X X
Oft sind den Menschen ihre eigenen Erwartungen selbst nicht klar. Andere trauen sich nicht, ihre Erwartungen klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Es könnte sein, dass die eigenen Erwartungen nicht mit den Vorstellungen zur Umgebung passen und es dadurch zu Streitereien kommen könnte.
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Konfliktscheue versuchen, es allen Recht zu machen, und behalten deshalb die eigenen Bedürfnisse für sich, wodurch sie oft innerlich enttäuscht werden. Besonders in großen Unternehmen findet man oft eine Kultur, in der Erwartungen „diplomatisch verkleidet“ werden.
Zur hohen Kunst der Streitschule gehört die Konfliktprävention in Form einer frühzeitigen Erwartungsklärung. Hilfreich hierfür ist die Erkenntnis, dass vorgetragene Erwartungen nicht automatisch mit einer Verpflichtung zur Erfüllung verbunden sind. Es geht um den Abgleich von Erwartungen. Die einzige Verpflichtung, die man bei einer zum Ausdruck gebrachten Erwartung zu berücksichtigen hat, ist eine klare Stellungnahme als Empfänger einer Erwartung. Diese Stellungnahme muss nicht nur „ja oder nein“ sein. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten. Unter www.umsetzungsberatung.de werden Varianten für Stellungnahmen zu einer Erwartung genannt: X
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Bedingte Zusage: „Ich habe verstanden, was Sie von mir erwarten, und ich will versuchen, es nach Möglichkeit zu erfüllen, kann (oder will) es Ihnen im Moment aber noch nicht verbindlich zusagen.“ Verbindliche Absage: „Ich habe verstanden, was Sie von mir erwarten, kann (oder will) diese Erwartung aber definitiv nicht erfüllen.“ (Begründung)
Die sofortigen Stellungnahmen können auch zu Enttäuschungen des Gegenübers führen, sind im Zweifel aber das kleinere Übel. Zu einem späteren Zeitpunkt wäre diese Enttäuschung nämlich größer, da sich die Erwartungen verfestigt hätten. Es geht darum, dass Menschen miteinander reden und frühzeitig ihre gegenseitigen Erwartungen zum Ausdruck bringen. Faires Rivalisieren in Unternehmen Unternehmen sind Systeme, die auf Kooperation und Konkurrenz zugleich ausgerichtet sind. Insofern ist Rivalität genauso wie Kooperation in Unternehmen eine Kernkompetenz. In dem Fachaufsatz „Gut, besser, am besten“ beschreibt Eva Tenzer, dass fair ausgetragener Wettbe-
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werb positive Auswirkungen für die konkurrierenden Arbeitnehmer und für das Unternehmen hat. Rivalität kann negative und positive Funktionen erfüllen. Rivalisieren gilt oft als unsolidarisch, weil Konkurrenten gelegentlich zu unfairen Mitteln greifen und damit das Arbeitsklima vergiften. In negativer Form werden nach Tenzer Rivalitäten in Form von „psychologischen Spielchen“ oder in Form von verdeckten Angriffen ausgetragen. „Da wird mit Kritik an Kollegen gewartet, bis der Chef sicher mithören kann.“ Für andere Kollegen wichtige Informationen werden verschwiegen oder verzögert weitergegeben. „Hart bandagierte Rivalen streuen Gerüchte, klauen Ideen, fälschen Forschungsergebnisse.“ Unfair konkurrierende Persönlichkeiten vermeiden es, eigene Schwächen zuzugeben. Sie gehen davon aus, dass andere Menschen die gezeigten Schwächen umgehend skrupellos ausnutzen. Destruktive Rivalen richten ihre Aufmerksamkeit ständig auf den Vergleich mit anderen und auf ihren persönlichen Erfolg. Sie wollen, auch auf Kosten anderer, in jedem Fall gewinnen. Wenn Opfer unfairer Rivalen zu ähnlichen Mitteln greifen, wird eine destruktive Schleife in Gang gesetzt. Auf der anderen Seite hat fair ausgetragener Wettbewerb mehrere positive Funktionen. Fair ausgetragene Rivalitäten helfen, sich gegen andere Menschen und deren Erwartungen abzugrenzen. Rivalitäten erzeugen höhere Konzentration der Beteiligten. In einer Arbeitsgruppe kann Rivalität solidarisierend wirken, wenn man gegen ein anderes Team in Wettstreit tritt. Ein Team kann dadurch zusammengeschweißt werden. Nicht zuletzt erfüllt das Rivalisieren auch eine Auslesefunktion bei der Neubesetzung von freigewordenen Stellen. „Wer stark rivalisiert, zeigt Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und freie Potenziale, die im Sinne des Unternehmens eingesetzt werden können.“ Mit fairen Mitteln ausgetragene Konkurrenz ist prinzipiell gut fürs Geschäft. Regelrechte Leistungswettbewerbe in Unternehmen sollten jedoch nur dort durchgeführt werden, wo eine gegenseitige Sabotage schwierig ist. Ein Beispiel ist der Außendienst, wo die regionale Verantwortlichkeit genau abgegrenzt ist. Wenn Mitarbeiter in Teams aufgrund ihrer Aufgaben sehr eng zusammenarbeiten müssen, sollte innerhalb der Teams auf Leistungswettbewerbe verzichtet werden.
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Die faire Rivalität spornt in Unternehmen viele Menschen an, die gleichen Erfolge anzustreben wie ihre Kollegen. Eine faire Rivalität ist natürlich und für das Unternehmen nützlich. Tenzer gibt fünf Tipps für souveräne Rivalen: X X X X X
Schärfen Sie Ihre Wahrnehmung für eigenes und fremdes Rivalisieren und rivalisieren Sie bewusst. Unterscheiden Sie genau, wo Sie mit Rivalität und wo mit Kooperation weiterkommen und rivalisieren Sie angemessen. Betrachten Sie Rivalitäten als Ritual des Arbeitslebens, das durchaus lustvoll erlebt werden kann und rivalisieren Sie gelassen. Rivalisieren Sie offen und sprechen Sie mit Kollegen über Konkurrenzkonflikte. Rivalisieren Sie fair und machen Sie klar, welche unfairen Methoden sie nicht akzeptieren und deshalb auch selbst nicht anwenden.
Konkurrenz belebt das Geschäft und Rivalitäten spornen an. Sie sind eine wesentliche Grundlage für Fortschritt und Weiterentwicklung. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen muss sich mit den Leistungen anderer auseinandersetzen und im täglichen Wettbewerb bestehen. Das geht auch mit fairen Mitteln und Methoden. Die philosophische Streitkultur als Vorbild für eine Unternehmenskultur Die Verbindung von Philosophie und Ökonomie kommt an den deutschen Hochschulen langsam in Schwung. Die Universität in Bayreuth eröffnete zum Wintersemester 2000 den Studiengang „Philosophy & Economics“. Wer diesen Studiengang belegt, erlebt im Vergleich zu dem üblichen wirtschaftswissenschaftlichen Studium eine Horizonterweiterung. Wirtschaftswissenschaft beinhaltet bisher häufig eine intellektuelle Verengung in der künstlichen Welt der vereinfachenden Hypothesen und der mathematischen Modelle. Dieser Tunnelblick wird durch die Kombination mit Philosophie erweitert. Das Modell von Bayreuth hat bereits in anderen Städten Schule gemacht und setzt sich weiter durch.
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Bundespräsident Horst Köhler hat zum Thema „Ökonomie ist mehr als Zahlen und Tabellen“ vor Nobelpreisträgern im August 2006 in Lindau über die Schnittstelle zwischen Geistes- und Naturwissenschaften referiert. Die Ökonomie hat nach seiner Auffassung einen Anteil an beiden Themenbereichen. Das macht sie so spannend und vielseitig. Das sollte auch Ansporn für die Ökonomie sein, diese Besonderheit zu nutzen, um über Fachgrenzen hinweg zu denken. Horst Köhler verweist auf die Historie und zeigt auf, dass die Klassiker der Nationalökonomie Ökonomen und zugleich Philosophen, Juristen und Soziologen waren. „Und weil die Ökonomie interdisziplinär ausgerichtet ist, ist es fast erforderlich, dass sie die Erkenntnisse ökonomischen Denkens auch auf Themenfelder anwendet, die wir auf den ersten Blick gar nicht unbedingt dem Bereich der Wirtschaft und des Marktes zuordnen würden.“ Also wagen wir jetzt einen Blick in die Welt der Philosophie. Für eine konstruktive Streitkultur in Unternehmen liefert die Philosophie wertvolle Anregungen. Sie lebt vom Austausch der Meinungen in Diskussionen. Jens Soentgen hat philosophische Diskussionen beobachtet, viele hilfreiche Praktiken entdeckt und diese in seinem Buch „Selbstdenken!“ veröffentlicht. Diese Praktiken lassen sich überall dort gezielt einsetzen, wo über Ideen und Meinungen diskutiert wird. Das kann auch bei Auseinandersetzungen und Verhandlungen in Unternehmen sein. Aristoteles hat die erste Kollektion solcher Praktiken veröffentlicht. Er sammelte wiederkehrende Denk- und Argumentationsmuster, die unabhängig vom jeweiligen Thema nützlich waren. Aristoteles veröffentlichte nicht nur einen Einführungskurs in die Philosophie, sondern auch eine Denkschule. Nicht der, der viel weiß, galt bei den Athenern als gebildet. Gebildet bedeutete hier, dass man im Kopf beweglich war. Beweglichkeit im Kopf bedeutet, dass man sich zu jedem Thema eine Meinung bilden kann, neue Argumente entwickelt und mit Ideen spielerisch umgehen kann. Bei den von Soentgen dargestellten 20 Praktiken der Philosophie geht es nicht um Wissen, sondern um Können. Es geht darum, Argumente zu produzieren, Thesen aufzustellen und mit Fantasien zu spielen. Die dargestellten Praktiken haben das Ziel, die eigene Abhängigkeit von den Meinungen anderer zu verringern. Sie sollen Quellen für Ideen er-
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schließen und das Urteil schärfen – vor allem aber, zum selbstständigen Denken anregen. Es folgen drei Kurzbeschreibungen der vom Autor erläuterten Praktiken: X
Provozieren (Praktik 1): Die Philosophie war seit ihren Anfängen eine Form der Provokation. Sokrates, der als öffentliches Ärgernis galt, war genauso wie Diogenes ein Provokateur. Diogenes hat die damaligen Sitten und Bräuche auf den Kopf gestellt. In den Sechzigerjahren standen Fritz Teufel und Rainer Langhans als Anreger für Brandstiftung vor Gericht. Die beiden Angeklagten verwandelten das Gerichtsverfahren nach und nach in eine Performance. Durch ihr Auftreten stellten sie autoritäre Rituale auf den Kopf und verunsicherten die bürgerliche Welt. Provokationen beruhen oft auf einer Umwertung von gewohnten Werten. Das Hohe wird erniedrigt und umgekehrt. Provokationen dienen u. a. dazu, Geflechte von Konventionen zu unterbrechen. Eingefahrene Denkgewohnheiten in Arbeitsteams und in ganzen Unternehmen sind manchmal nur provokativ zu unterbrechen. Neuzeitliche Vertreter dieser Praktik sind Edward de Bono (Denkschule) und Frank Farrelly (Provokative Therapie). Das Kernelement der Provokativen Therapie ist die Forcierung der Selbstverantwortung bei den Patienten. Farrelly befreit seine Patienten, indem er sie provokativ auffordert, aus ihrer Opferrolle auszusteigen.
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Gedankenexperimente (Praktik 12): In der Philosophie war früher die Fabel beliebt. Heute bedient man sich der so genannten Gedankenexperimente, die beispielsweise beginnen mit: „Was wäre, wenn wir“. Überlegungen, was man mit einem großen Lottogewinn machen würde, sind in der Philosophie noch keine Gedankenexperimente. Bei einem Gedankenexperiment wird die zu entwickelnde Fantasiegeschichte als Argument in einer Diskussion benutzt. Sie dient dazu, eine bestimmte Meinung zu begründen. Ein Gedankenexperiment zum Thema Streitkultur könnte lauten: „Stellen wir uns vor, alle Führungskräfte und Mitarbeiter in unserem Unternehmen würden auf der Grundlage der Grund- und Spielregeln für eine konstruktive Streitkul-
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tur miteinander umgehen. Wie würde sich das auf unser Betriebsklima auswirken?“ Gedankenexperimente dienen auch dem Weiterdenken und Variieren: „Wie würde sich das auf den Umgang mit unseren Kunden und Lieferanten auswirken?“ „Wie würde sich das auf meine Verhaltensweisen in der Familie auswirken?“ X
Ursachen (Praktik 19): Die Kernaussage dieser Praktik ist: Es gibt das Prinzip des mehrfachen Grunds. „Dinge sind nicht, wie sie sind aus nur einem Grund.“ Die verschiedenen Ursachen einer Situation genießen in der Philosophie ein hohes Prestige. Erst wenn man alle Ursachen erkannt hat, weiß man so richtig, warum Dinge so sind, wie sie sind. Ein Beispiel aus der Politik zu den verschiedenen Ursachen von Situationen ist gut bekannt. Kommt die Konjunktur in Gang, sagt ein Kanzler: „Das ist mein Aufschwung!“ Er betrachtet sich also selbst als Wirkungsursache der positiven Entwicklung. Kommt es dagegen zu einer Pleitewelle und steigen die Arbeitslosenzahlen, dann sagt dieser Kanzler: „Die weltwirtschaftliche Lage ist schuld.“ Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Der Misserfolg ist hingegen ein Waisenkind. Aristoteles war der erste Philosoph, der sich mit dem Begriff der Ursache eingehender beschäftigte. Die Ursachenebenen nach Aristoteles sind: Form (Formursache), Zukunft (Zweckursache), Vergangenheit (Wirkursache) und Material (Materialursache). Wenn Menschen die Ursachen einer Situation anders lokalisieren als andere, liegt es nicht immer daran, dass sie bewusst die Unwahrheit sagen. Je nach Perspektive werden unterschiedliche Ursachen ausgemacht. Deshalb ist es wichtig, die oft mehreren Ursachen einer Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Diese drei Praktiken geben Hinweise auf kombinierbare Denkmuster, die man in gedanklicher Beweglichkeit einsetzen kann. Ein Konflikt hat selten nur eine wahre und richtige Ursache. Techniken wie Gedankenexperimente („was wäre, wenn ...“) helfen bei konstruktiven Auseinandersetzungen. Um festgefahrene Gedankenwelten auch einmal dramatisch zu unterbrechen, sollte man eine provozierende Haltung einnehmen.
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Wichtig für den Einsatz dieser Praktiken ist das Ziel, gemeinsam in einer Sache und einer aktuellen Situation weiterzukommen. Die einzelnen Praktiken zu beherrschen, ist alleine nicht ausreichend. Es geht auch nicht darum, den anderen mit allen Mitteln von einer festgefahrenen Meinung zu überzeugen. Grundlage für die Anwendung dieser philosophischen Praktiken ist eine bestimmte innere Haltung. Diese innere Haltung zieht von vornherein in Betracht, dass auch der andere Recht haben kann. Den harten Siegeswillen, der viele sachliche Diskussionen zerstören kann, gilt es in Schranken zu halten. Die Meister der Antike empfehlen, sich zu jeder Frage nicht nur eine, sondern zwei entgegengesetzte Meinungen zu bilden. Das ist für einige Menschen eine schwierige gedankliche Gymnastik. Diese gedankliche Gymnastik ist nützlich. Bei Menschen die nur eine einzige Meinung kennen, besteht die Gefahr, dass sie diese Meinung zum Maß aller Dinge machen. Dadurch erklären sie das, was andere sagen, vorschnell für Unsinn. Jens Soentgen meint dazu: „Nichts ist so unphilosophisch wie die Meinung, die eigene Philosophie sei der Weisheit letzter Schluss.“ Menschen müssen bereit sein, von anderen zu lernen. Sie müssen auch den Mut haben, selbst zu denken und ihre Gedanken auch anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Zum Abschluss folgt eine Geschichte aus dem Milinda-Pañha, einem altindischen Text aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., mit der Soentgen sein Buch beginnt. Diese Metapher ist in Unternehmen mit dem Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten vergleichbar oder mit Konfliktsituationen, in denen ein Kollege vermeintlich über dem anderen steht. Der König sprach: „Ehrwürdiger Nagasena, möchtest du noch weiter mit mir diskutieren?“ „Wenn du nach Art eines Weisen diskutieren willst, o König, dann schon; willst du aber nach Art eines Königs diskutieren, dann nicht.“ „Wie diskutieren denn Weise, ehrwürdiger Nagasena?“ „Bei den Diskussionen der Weisen, o König, zeigt sich ein Auf- und Abwickeln, ein Überzeugen und Zugestehen; Nebeneinanderstellungen und Gegenüberstellungen werden gemacht. Und doch geraten die Weisen dabei nicht außer sich. So, o König, diskutieren Weise.“
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Kommunikation auf gleicher Augenhöhe Beispiel: Workshop zum Umgang miteinander Beim Verkauf eines Unternehmens aus der Veranstaltungsbranche kam eine bereits installierte IT-Anwendungssoftware nicht „zum Laufen“. Obwohl die Software schon seit knapp drei Jahren installiert war, weigerten sich die Mitarbeiter, mit dieser Software zu arbeiten. Sie begründeten ihre Abwehrhaltung damit, dass die Software nicht ihren Anforderungen entsprach. Nachdem die Anforderungen der Anwender mit dem Funktionsumfang der Software abgeglichen wurden, stellte sich ein ausreichend hoher Grad an Übereinstimmung heraus. Durch die Gespräche mit einzelnen Mitarbeitern wurde nach einiger Zeit deutlich, dass die Software ein gemeinsamer Feind war, auf den sie alle schimpfen konnten. Auf diese Weise lenkten sie gemeinsam von ihrem internen strukturellen Konflikt ab. Drei Jahre vorher wurden zwei ursprünglich eigenständige Verkaufsbereiche zusammengefasst. Die Verkaufsbereiche hatten bis zur Zusammenlegung mehr gegen- als miteinander gearbeitet. Diese Umgangsform haben die beiden Mitarbeitergruppen auch im gemeinsamen Verkaufsbereich beibehalten. Um diesen strukturellen Konflikt zu lösen, wurde mit allen Mitarbeitern ein Workshop durchgeführt. Das erste Thema dieses Workshops lautete: Umgangston und -form. Die Teilnehmer hatten drei Fragen zu beantworten. X
Was gefällt mir zurzeit an unserem Umgangston nicht? Antworten der Teilnehmer: Nicht richtig zuhören Zu wenig Zeit nehmen Auf sachliche Fragen keine sachliche Antwort erhalten Genervt reagieren, wenn etwas gerade nicht passt Eigene schlechte Laune an anderen auslassen Fehlendes Grüßen oder Zurückgrüßen
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Was wünsche ich mir für unseren zukünftigen Umgang? Antworten der Teilnehmer: Den richtigen Ton finden (auch ein „Bitte“ in Stresssituationen und kein Schreien) Aufeinander eingehen Verständnis entwickeln und zeigen Nicht aneinander vorbeireden Sich bemühen, den anderen zu verstehen Den anderen ausreden lassen Sich auch entschuldigen Problem- und Konfliktbehandlung Frühzeitig Konflikte bearbeiten Direkt zwischen den Beteiligten klären Bereit sein, den ersten Schritt zu machen und über den eigenen Schatten zu springen Offene und ehrliche Kommunikation Toleranz und Hilfsbereitschaft gegenüber dem anderen Mehr Geduld aufbringen Vorher fragen, ob der andere Zeit hat
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Was können wir ab jetzt konkret tun? Antworten der Teilnehmer: Jeder überprüft für sich in Bezug auf die genannten Wünsche: „Wie verhalte ich mich?“ „Was möchte ich bei mir ändern?“ Die angesprochenen Punkte verinnerlichen Gemeinsames Grundverständnis: Respekt, Akzeptanz und Toleranz untereinander ... und ab und zu etwas - Humor!
Im Rahmen der anschließenden lebhaften Diskussion wurde allen Teilnehmern deutlich, dass jeder Veränderungen nur bei sich – und nicht bei anderen – vornehmen kann. „Wenn ich in unserem Bereich etwas verändern will, muss ich bei mir beginnen.“
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Nach diesem bereinigenden Einstieg wurden die weiteren Themen dieses Tages, wie Bereichskultur und Zusammenarbeit im Akquisitionsprozess, in entspannter Form bearbeitet. Nachdem die Mitarbeiter X X X
ihre inneren Wünsche offiziell benennen durften, gesehen haben, dass die anderen ähnliche Wünsche hatten und für sich erkannt hatten, was sie persönlich zur Erfüllung ihrer eigenen Wünsche aktiv beitragen können,
war die Funktion des bisherigen gemeinsamen Feindes (IT-Anwendungssoftware) überflüssig geworden. Diese drei Fragen kann man für eine wirksame Kommunikation auf gleicher Augenhöhe einsetzen. Durch die Beantwortung dieser Fragen haben alle Teilnehmer des Workshops erkannt, dass sie gemeinsam eine Umgangsform auf gleicher Augenhöhe erreichen können. Schritte für eine wirksame Kommunikation auf gleicher Augenhöhe Marshall B. Rosenberg hat in seinem Buch „Gewaltfreie Kommunikation“ eine Methode entwickelt, die die eigene Wahrnehmung trainiert. Ziel hierbei ist, die Bewusstheit in eine Richtung zu lenken, durch die eigene Wünsche erfüllt werden. X
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Durch die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) kann man sich trainieren, sorgfältig zu beobachten und die Verhaltensweisen und Umstände, die einen stören, genau zu benennen. Man lernt für konkrete Situationen zu erkennen, was man wirklich braucht und wie man dies klar ausspricht.
Durch die GFK werden aus gewohnheitsmäßigen automatischen Reaktionen bewusste Antworten. Diese Antworten stehen fest auf dem Boden des Bewusstseins über dem, was man wahrnimmt, fühlt und braucht. Nachfolgend sind drei Schritte für die GFK dargestellt.
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1. Schritt: Beobachten, ohne zu bewerten Im ersten Schritt geht es um das genaue Trennen von Beobachtung und Bewertung. Rosenberg bezeichnet die höchste Form menschlicher Intelligenz, zu beobachten ohne zu bewerten. Für viele Menschen ist es schwierig, andere und deren Verhalten in einer Weise zu beobachten, die frei von Kritik und (Vor-)Verurteilung ist. Der Autor beschreibt ein Beispiel, in dem er von einem Schulrat gebeten wurde, ihm bei der Lösung einer Konfliktsituation in einer Schule zu helfen. Das Lehrerkollegium dieser Schule berichtete dem Schulrat von wiederholt auftretenden Kommunikationsproblemen mit dem Schulleiter. Rosenberg führte als Erstes ein Gespräch mit den Lehrern. Seine einleitende Frage an die Lehrer lautete: „Was tut der Schulleiter? Durch welche Handlungen gerät er in Konflikte mit Ihren Bedürfnissen?“ X X
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Die erste Antwort eines Lehrers war: „Er hat eine große Klappe!“ Nach dieser und weiteren Antworten intervenierte der Autor jeweils dadurch, dass er deutlich machte, dass er nach Beobachtungen gefragt hatte. Aber alle weiteren Antworten waren hiervon weit entfernt. Weitere Beispiele für Antworten waren: „Der Schulleiter will immer nur senden und redet zu viel!“ „Er meint, nur er hätte etwas Wichtiges zu sagen.“ „Er will immer, dass sich alles um ihn dreht.“ Irgendwann platzten zwei Lehrer gleichzeitig heraus: „Also, Ihre Frage nach den nüchternen Beobachtungen ist aber wirklich schwer zu beantworten!“
Die Gruppe hat es dann doch geschafft, gemeinsam eine Liste mit den genau beschriebenen Verhaltensweisen des Schulleiters, die sie störten, zu erarbeiten. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht immer einfach ist, eingefahrene Gewohnheiten abzulegen und die Fähigkeit zu meistern, Beobachtung von Bewertung zu trennen. Wenn man eine Beobachtung mit einer Bewertung verknüpft, vermindert man die Wahrscheinlichkeit, dass andere das hören, was man sagen will. Die GFK verlangt nicht, dass man vollkommen objektiv bleibt und sich
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in jeder Aussage jeglicher Bewertung enthält. Die GFK tritt dafür ein, zwischen Beobachtungen und deren Bewertungen sauber zu trennen. Beobachtungen sollten auf einen Zeitrahmen und auf den Zusammenhang bezogen werden. X X
Beispiel für Vermischung von Beobachtung und Bewertung: „Ernst Meier ist ein schlechter Fußballspieler.“ Beispiel für Trennung von Beobachtung und Bewertung: „Der Stürmer Ernst Meier hat in den letzten 12 Spielen kein Tor mehr geschossen. Für mich ist er ein schlechter Fußballspieler.“
2. Schritt: Gefühle wahrnehmen, annehmen und ausdrücken In der GFK geht es auch darum, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Nach Rosenberg ist bei manchen Menschen das Repertoire an Schimpfwörtern größer als der Wortschatz, mit dem sie ihren eigenen Gefühlszustand klar beschreiben können. Insbesondere für Konfliktsituationen ist es oft sehr hilfreich, wenn die beteiligten Parteien ihre Gefühle ausdrücken. Der wichtigste Ansatz hierfür ist, die eigenen Gefühle von den eigenen Gedanken zu trennen. Viele Menschen benutzen in ihrem Sprachgebrauch das Wort „fühlen“, ohne damit wirklich ein Gefühl auszudrücken. In der GFK wird genau unterschieden zwischen Wörtern, die wirkliche Gefühle ausdrücken, und Wörtern, die beschreiben, was wir darüber denken, wie wir fühlen. X X
Beispiel für eine Aussage, die eine Fähigkeit beurteilt, aber keine Gefühle klar ausdrückt: „Ich fühle mich unzulänglich als Malerin.“ Beispiel für den Ausdruck eines Gefühls: „Ich fühle mich als Malerin frustriert über mich selbst.“
Die GFK unterscheidet zwischen Aussagen, die Gedanken oder Interpretationen wiedergeben und dem tatsächlichen Ausdruck von Gefühlen. Sie empfiehlt, sich einen Wortschatz zu entwickeln, der es einem ermöglicht, Gefühle klar und deutlich zu beschreiben. Mit diesem Wortschatz kann man leichter mit anderen Menschen in Kontakt treten. Gerade in Konfliktsituationen kann es hilfreich sein, wenn man sich zugesteht, mit dem Ausdrücken von Gefühlen auch Verletzlichkeit zu zeigen.
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Beispiele wie Menschen sich fühlen, wenn sich ihre Bedürfnisse erfüllen: Aufgeregt, ausgeglichen, entschlossen, ergriffen, gespannt, lebendig, selbstzufrieden, zuversichtlich. Beispiele, wie Menschen sich fühlen, wenn sich ihre Bedürfnisse nicht erfüllen: Ängstlich, ärgerlich, besorgt, erschöpft, frustriert, traurig, unzufrieden, zornig.
Wenn man Gefühle ausdrücken will, helfen keine vagen Formulierungen wie z. B.: „Ich habe ein gutes Gefühl dazu.“ Benutzen Sie Wörter, die Ihre spezifischen Gefühle zum Ausdruck bringen, wie beispielsweise: „Ich bin traurig, wenn ich höre, ...“. 3. Schritt: Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen In diesem Schritt geht es darum, die eigenen Gefühlswurzeln zu erkennen und zu akzeptieren. Was andere Menschen sagen oder tun, kann ein Auslöser für die eigenen Gefühle sein. Es ist aber nicht die Ursache. Wenn man die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernimmt, kann man die dahinter liegenden Bedürfnisse erkennen. Rosenberg beschreibt vier Reaktionsmöglichkeiten, mit denen man eine als negativ empfundene Aussage eines anderen aufnehmen kann. Als Beispiel dient die Aussage eines Gegenübers: „Du bist ein extrem egoistischer Mensch.“ X
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Man kann sich selbst die Schuld geben. Sie nehmen es persönlich, akzeptieren das Urteil des anderen und geben sich die Schuld. Ihre Antwort: „Entschuldigung, nächstes Mal bin ich sensibler.“ Man gibt dem anderen die Schuld. Ihre Antwort lautet: „Ich nehme immer Rücksicht auf deine Bedürfnisse. Du bist derjenige, der extrem egoistisch ist.“ Man nimmt die eigenen Gefühle und die dahinter liegenden Bedürfnisse wahr. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse richten, kann Ihnen in diesem Beispiel folgendes bewusst werden: Ihr aktuelles Gefühl von Verletzung rührt aus dem Bedürfnis her, dass Ihre Bemühungen anerkannt werden. So könnte hier Ihre Antwort lauten: „Wenn ich das höre, fühle ich mich verletzt. Ich bemühe mich auf das zu achten, was dir wichtig ist. Diese Aussage
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verletzt mich, weil ich gern möchte, dass meine Bemühungen anerkannt werden.“ Man nimmt die Gefühle und Bedürfnisse des anderen wahr. Bei dieser vierten Möglichkeit geht es darum, dass man sich selbst über die Gefühle und Bedürfnisse des anderen klar wird. Ihre klärende Frage könnte lauten: „Bist du verletzt, weil du mehr Interesse für dein Anliegen erwartest?“
Anstatt anderen Menschen die Schuld für die eigenen Gefühle zu geben, geht es um das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Bedürfnisse. Urteile und Interpretationen sind entfremdete Aussagen der eigenen Bedürfnisse. Je direkter man seine Gefühle mit eigenen Bedürfnissen in Verbindung bringen kann, desto höher ist die Chance, dass die Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn sich die Bedürfnisse von Menschen nicht erfüllen, denken viele (automatisch) darüber nach, was andere Menschen falsch gemacht haben. Sie erkennen umgehend den Splitter im Auge Ihres Gegenübers, aber nicht den Balken im eigenen Auge. Viele Menschen sind geübter darin, die vermuteten Fehler anderer zu analysieren, als klar und deutlich die eigenen Bedürfnisse auszudrücken. Die Erfahrungen von Rosenberg sind: In dem Moment, in dem Menschen anfangen über das zu sprechen, was sie brauchen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Das klingt zwar banal, aber nur wenige Menschen sind sich dieser Banalität bewusst. Der Autor zeigt auf: Wenn wir unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, tun es andere auch nicht. Er beschreibt das Beispiel seiner Mutter, die auf einem seiner Workshops erkannt hat, dass sie sich 36 Jahre über ihren Mann geärgert hat. Ihr Mann hat ihre Bedürfnisse nie erfüllt. Auf diesem Workshop hat sie für sich schmerzlich erkannt, dass sie ihm nicht ein einziges Mal klar gesagt hat, was sie braucht. Wichtig ist, Sprachmuster zu erkennen, die tendenziell die Verantwortung für die eigenen Gefühle verdecken. Je besser es Ihnen gelingt, Ihre Gefühle direkt mit Ihren Bedürfnissen zu verbinden, desto einfacher ist es für andere, auf Ihre Bedürfnisse zu reagieren.
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Strategien für den Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen Als Erstes folgen strategische Empfehlungen für Managementkonzepte und Führungsverhalten, die in Unternehmen präventiv gegen unproduktive strukturelle Konfliktpotenziale wirken. Danach folgen strategische Umgangsformen mit strukturellen Konfliktpotenzialen und eskalierten Konflikten.
Managementkonzepte und Führungsverhalten als präventive Faktoren Vier nachhaltige Managementkonzepte helfen Unternehmen zur Vermeidung von unproduktiven strukturellen Konflikten. X
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Wertemanagement im Unternehmen: Wenn Werte, wie gegenseitiger Respekt, Ehrlichkeit und Eigendisziplin im Unternehmen selbstverständlich sind, ist unproduktiven strukturellen Konflikten der Nährboden entzogen. Kundenorientierung als eindeutige Ausrichtung im Unternehmen: Diese eindeutige Ausrichtung kann interne Grabenkriege verhindern, die aufgrund unterschiedlicher Denkstile entstehen. Unterschiedliche Denkstile einzelner Mitarbeiter haben sich im Tagesgeschäft dem übergeordneten gemeinsamen Denkstil der eindeutigen Kundenorientierung unterzuordnen. Technologische Veränderungen im Markt: Zur Verhinderung technologischbedingter exogener Ursachen von Unternehmenskrisen müssen Unternehmen ihr Umfeld sorgfältig wahrnehmen und rechtzeitig darauf reagieren. Diese Ausrichtung verhindert auch endogene Ursachen von Unternehmenskrisen, wie starres Festhalten an alten Gewohnheiten. Das Unternehmen als lernende Organisation: Strukturelle Konfliktpotenziale werden in diesen Organisationen als Chance zur Weiterentwicklung des Unternehmens betrachtet, gefördert und gemeinsam
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konstruktiv behandelt. Strukturelle Konflikte sind in diesen Unternehmen akzeptierte Aufgabenstellungen und willkommene Herausforderungen zur Weiterentwicklung. Diese vier Managementkonzepte werden in Kapitel 5 detailliert beschrieben. Dort wird auch ein authentisches Führungsverhalten detailliert beschrieben, das Führungskräfte zu einem bewussten Umgang mit Konflikten anleitet. In dem in Kapitel 5 beschriebenen „fundamentalen Zustand der Führungsfähigkeit“ sind Führungskräfte X X X X
ergebnisorientiert (anstatt komfortorientiert), von innen gleitet (anstatt von außen gelenkt), auf andere konzentriert (anstatt auf sich konzentriert) und offen (anstatt verschlossen).
Diese vier Qualitäten des fundamentalen Zustands der Führungsfähigkeit fördern Vertrauen und ehrliches Feedback. Sie helfen Führungskräften auch, mit notwendigen Konflikten gemeinsam mit ihren Mitarbeitern wirksam umzugehen. Die vier Managementkonzepte und die vier Qualitäten des Führungsverhaltens sind Erfolgsfaktoren zur Nutzung von strukturellen Konfliktpotenzialen im Tagesgeschäft. Unproduktive Konfliktpotenziale werden offen und präventiv behandelt. Notwendige Konfliktpotenziale werden im Sinne der Unternehmensziele gefördert und wirksam behandelt. Eingebettet in eine Vision ist die konsequente Umsetzung dieser vier Managementkonzepte für das jeweilige Unternehmen individuell auszugestalten. Dies ist die Basis für nachhaltig erfolgreiche Unternehmen. Das fundamentale Führungsverhalten setzt diese Basis im operativen Tagesgeschäft erfolgreicher Unternehmen um. Beide zusammen sind die Grundlage für einen konstruktiven und produktiven Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen, die dann zu Optimierungen von Produkten, Prozessen und Strukturen führen.
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Sechs Strategien zur Konfliktbehandlung Die Autoren Jeff Weiss und Jonathan Hughes haben einen Fachaufsatz unter dem Titel „Gehen Sie Streit nicht aus dem Weg!“ veröffentlicht. Für sie ist ein kontrollierter Krach die Voraussetzung für kreative Lösungen und für kluge Kompromisse. Ihrer Erfahrung nach ist Streit im Unternehmen nicht nur unvermeidbar, sondern sehr wichtig. Die Autoren beschreiben sechs Strategien, die für einen produktiven Umgang mit Konflikten sorgen und die Konfliktbehandlung in die Geschäftsprozesse integrieren. Im Fokus der Betrachtungen stehen Situationen, in denen es um eine unternehmensweite Zusammenarbeit geht. Im immer schärfer werdenden Wettbewerb kommt es verstärkt zu einer Zusammenarbeit mit Mitarbeitern aus dem gesamten Unternehmen mit folgenden Vorteilen: Einheitlicher Auftritt gegenüber den Kunden, schnellere Entscheidungen, Kosteneinsparungen durch gemeinsam genutzte Ressourcen und mehr innovative Produkte. Diese übergreifende Zusammenarbeit beinhaltet strukturelles Konfliktpotenzial, da die einzelnen Mitarbeiter unterschiedliche Prioritäten, Leistungsanreize und Arbeitsmethoden haben. In diesen Situationen kann man nicht davon ausgehen, dass man Konflikte allein durch eine verbesserte Zusammenarbeit eindämmen kann. Die Unternehmensleitung muss akzeptieren, dass Konflikte unausweichlich und wichtig sind. Erst die Auseinandersetzungen in dieser übergreifenden Zusammenarbeit liefern die Grundlagen für kreative Lösungen und kluge Kompromisse, die zwischen vordergründig sich widersprechenden Zielen zu finden sind. Die von den Autoren zugrunde gelegte Beispielsituation zur Erläuterung dieser Strategien lautet: In einem Unternehmen werden Vertriebsmitarbeiter aus zehn Produkt- und Servicebereichen aufgefordert, integrierte Kundenlösungen zu entwickeln und zu verkaufen. Das bedeutet für jedes Angebot, dass sich mehrere Verkaufsteams jeweils über die Kundenstrategie, den Ressourceneinsatz, die Angebots- und -preisgestaltung einigen müssen. Welches Verkaufsteam kümmert sich um die Beziehungen zu den Entscheidungsträgern beim Kunden und welches Verkaufsteam gewährt einen Preisnachlass? Die hierdurch entstehenden Reibereien erfor-
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dern einen hohen Zeitaufwand und komplizieren den Geschäftsabschluss. Solange die Unternehmensleitung den Mitarbeitern die Lösungsfindung überlässt, ohne einen hierfür geeigneten Rahmen vorzugeben, besteht die Gefahr einer Verzettelung. Es wird darüber debattiert, wer im Recht ist und es wird über unbedeutende Zugeständnisse geschachert. Den Mitarbeitern fehlen effiziente Methoden und Rahmenbedingungen für den Umgang mit den strukturellen Konfliktpotenzialen. X
Strategie 1: Methoden zur Konfliktbehandlung gemeinsam entwickeln und anwenden Eine klar definierte und strukturierte Methode zur Konfliktbehandlung mindert negative Konflikt-Begleiterscheinungen, wie schlechtes Betriebsklima und unproduktive Zeitaufwände für die Beteiligten. Darüber hinaus sollte die Methode ein Weg sein, der im Verlauf von strukturierten Diskussionen über sich widerstreitende Ziele zu neuen und andersartigen Lösungen führt. Effektive Methoden zur Konfliktbehandlung müssen mit einem festgelegten Prozess Schritt für Schritt verbunden sein. Sie müssen als Bestandteil in die Geschäftsprozesse, hier in die Angebotserstellung, integriert werden. Die Unternehmensleitung muss mit der Integration der Konfliktbehandlung in die Geschäftsprozesse deutlich machen, dass Konflikte als selbstverständlicher Bestandteil des Geschäftslebens betrachtet werden. Mit derartigen Rahmenbedingungen können die Mitarbeiter Konflikte als Chance begreifen und sich an die klaren Vorgaben des Prozesses halten. Sie können dann ihre Energie und Zeit zur Untersuchung und Beurteilung von Lösungsvarianten nutzen. Das sind Grundlagen für Innovationskraft, effiziente Abläufe und die Fähigkeit, schwierige strategische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
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Strategie 2: Kriterien für Kompromisse definieren Für übergreifend zusammenarbeitende Verkaufsteams sind generelle Vorgaben, wie „das zu tun, was im Kundeninteresse liegt“, nicht ausreichend. Strukturelles Konfliktpotenzial entsteht hier fast zwangsläufig, da sich zwischen den Beteiligten abweichende Auffassungen darüber entwickeln, wie sie die Kundenbedürfnisse am besten erfüllen können. Die Erfüllung der Strategie 1 erspart den Mitarbeitern nicht, dass sie im Prozess Kompromisse zwischen konkurrierenden Prioritä-
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ten finden müssen. Hierfür muss die Unternehmensleitung eindeutige Kriterien festlegen. Ein Beispiel der Autoren Weiss und Hughes lautet: „Wenn ein Verkäufer weiß, dass fünf Prozentpunkte Marktanteil wichtiger als eine Steigerung der Kundenzufriedenheit um 10 Punkte sind, fällt es ihm leichter, im Zweifelsfall die richtigen strategischen Zugeständnisse zu machen.“ Durch die Festlegung von klaren Kriterien, abgeleitet aus den Unternehmenszielen, macht die Unternehmensleitung wiederum deutlich, dass Konflikte selbstverständlicher Bestandteil der Geschäftstätigkeit sind. Anhand eindeutiger Kriterien können Lösungsmöglichkeiten und erforderliche Zugeständnisse einzelner Beteiligter beurteilt werden. Anstatt in endlosen Debatten Standpunkte zu verteidigen, wenden alle Beteiligten den Kriterienkatalog gemeinsam an. Sie entwickeln dadurch ein besseres Verständnis über die Vor- und Nachteile einzelner Lösungsmöglichkeiten. X
Strategie 3: Konflikteskalation als Chance für das Coaching nutzen Bei der übergreifenden Zusammenarbeit besteht auch bei Anwendung der Strategie 1 und 2 die Gefahr einer menschlichen Tendenz, Konflikte an die Vorgesetzten weiterzureichen. Wenn die Führungskräfte dieser menschlichen Tendenz unterliegen, sind die Konflikte innerhalb kürzester Zeit auf dem Schreibtisch der Unternehmensleitung. Diese ist aber vom Ursprung des Konfliktthemas am weitesten entfernt und kann die tatsächlichen Situationen selten richtig einschätzen. Die alternative Vorgehensweise ist, dass die Führungskräfte die an sie delegierten Auseinandersetzungen als Chance nutzen, ihren Mitarbeitern bei deren Konfliktbehandlung zu helfen. Sie helfen ihren Mitarbeitern anhand der Strategie 1 und 2 bei der Beurteilung von Kompromissen und bei der Erarbeitung von Empfehlungen. Die Autoren Weiss und Hughes machen deutlich, dass dieser Coaching-Ansatz anfangs aufwändig ist, er sich aber mittelfristig eindeutig auszahlt.
X
Strategie 4: Vorgaben für das Weiterleiten von Konflikten definieren Auch bei der Umsetzung der Strategien 1 bis 3 wird es Streitfälle geben, die in der Unternehmensleitung zu lösen sind. Als wirksame Vorgabe zur Weiterleitung von Konflikten hat es sich bewährt, dass die streitenden Mitarbeiter sich nur gemeinsam an ihren Vorgesetzten
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
wenden dürfen. Dieses Vorgehen hat den fachlichen Vorteil, dass die Führungskräfte, die das letzte Wort haben, die Ursachen und die Lösungsvarianten vor ihrer Entscheidung kennenlernen. Der weitere Vorteil dieser Vorgabe ist, dass die sich streitenden Parteien gezwungen werden, das anstehende Problem und die Lösungsvarianten gemeinsam (als Bericht oder als Vortrag) zu formulieren. Nach den Erfahrungen der Autoren führte die gemeinsame und systematische Dokumentation eines Problems und der verschiedenen Lösungsansätze direkt zu einer Lösung des bis dahin anstehenden Konflikts. Die nächsthöhere Ebene musste gar nicht mehr eingeschaltet werden, da die Beteiligten durch den Vorbereitungsprozess „quasi gezwungen“ wurden, das Problem selbst zu lösen. X
Strategie 5: Prozesse einrichten, damit Vorgesetzte Konflikte direkt mit ihren Kontrahenten klären Da auch Führungskräfte die menschliche Tendenz zeigen, Konflikte nach oben zu delegieren, sollten sie sich verpflichten, ihnen vorgelegte Konflikte direkt mit dem Kontrahenten auf gleicher Ebene zu klären. Das kann in Einzelfällen in Form von Vier-Augengesprächen sinnvoll sein oder in regelmäßigen Sitzungen des Managements. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass erforderliche bereichsübergreifende Entscheidungen mit allen verantwortlichen Entscheidungsträgern getroffen werden.
X
Strategie 6: Transparenz beim Konfliktlösungsprozess herstellen In vielen Unternehmen gibt die Unternehmensleitung die Entscheidungen zur Lösung eines Konflikts bekannt, ohne dass sie die Argumente des Entscheidungsprozesses erläutert. Eine Information über die Argumente der Entscheidungsfindung gibt den Mitarbeitern wichtige Hinweise, wie sie Konflikte zukünftig selbst lösen können. Gerüchte und Spekulationen über mögliche Sieger und Verlierer von Entscheidungen erhalten dadurch keinen Raum. Wenn die Mitarbeiter erfahren, wie Konflikte in der Unternehmensleitung gelöst wurden, verstehen sie das „Warum“ einer Entscheidung. Sie werden dadurch auch eher in die Lage versetzt, von der Unternehmensleitung getroffene Entscheidungen in die Praxis umzusetzen.
Strategische Handlungsempfehlungen
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Aus der Erfahrung der Autoren ist Konfliktmanagement dann am effizientesten, wenn es den Parteien hilft, ihre Auseinandersetzungen selbst beizulegen. Diese sechs Strategien helfen, bei Auseinandersetzungen bessere Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen, die anschließend von den Beteiligten auch umgesetzt werden. Sie sind die Rahmenbedingungen, um mit strukturellen Konflikten produktiv umzugehen und sie in die täglichen Prozesse der Entscheidungsfindung zu integrieren. Diese sechs Strategien zeigen auch, dass Konflikte mehr als nur eine notwendige Vorstufe zur Zusammenarbeit sein können. Mit ihnen brauchen Unternehmen nicht mehr dem Irrtum unterliegen, dass Konflikte überflüssige Ärgernisse sind, die man vermeiden sollte. Die sechs Strategien zeigen den Weg, wie Unternehmen strukturelle Konflikte als wertvolle Ressource managen und dadurch nutzen können. Durch sie eröffnen sich interessante neue Perspektiven, indem Konflikte und ihre Ursachen, wie alle anderen Aufgabenstellungen systematisch analysiert und bearbeitet werden. Die abschließende Beurteilung der Autoren Hughes und Weiss lautet: Wenn Unternehmen damit umzugehen wissen, können strukturelle Konflikte äußerst wertvoll sein. Strategische Erfolgsrezepte: 3 +1 zur Konfliktlösung Das folgende Beispiel dient als Ausgangssituation für die strategischen Erfolgsrezepte 3+1 zur Moderation von eskalierten strukturellen Konflikten mit den beteiligten Gruppen. Es handelt sich um ein Unternehmen aus der Energiewirtschaft, nachfolgend Energie-AG genannt. In der Energie-AG gab es ein großes und für diese Branche typisches Projekt. Aufgabenstellung dieses Projekts war die Digitalisierung aller Daten über die Stromnetze der Stadt. Hierfür war die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems und die Erfassung der Bestandsdaten erforderlich. Vier Jahre vor dem Jahr der nachfolgend beschriebenen Konfliktmoderation begann die Zusammenarbeit mit einem Generalunternehmer (GU). Der GU war für die IT-Lösungen und für die Erfassung der Bestandsdaten verantwortlich. Die Inbetriebnahme des neuen Systems und der erfassten Daten sollte in zwei Jahren erfolgen. Im Sommer des betreffenden Jahres hatte der GU einen Insol-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
venzantrag gestellt. Dies hatte im Projekt zu einer tiefen Krise geführt. Im Projekt gab es seit dem Projektstart schon öfter Grabenkämpfe. Der Insolvenzantrag wurde drei Wochen später zurückgenommen und der GU wollte sich am Markt neu positionieren. In dieser Situation wurde ein zweitägiger Workshop mit 20 Mitgliedern des Projekts durchgeführt. Ziel dieses Workshops war, gemeinsam einen neuen Start für das Projekt durchzuführen. Der Workshop fand in einem ruhig gelegenen Tagungshotel mit angenehmem Ambiente und guter Ausstattung statt. Die Teilnehmer waren am Vorabend des ersten Workshoptages angereist. Dies ermöglichte den Teilnehmern erste Kontaktaufnahmen zur jeweils anderen Seite vor dem offiziellen Teil und auf neutralem Boden. Einige Aspekte zur Durchführung des Workshops am ersten Tag waren: X
X
X
X X
In der Einstiegsrunde waren die Erwartungshaltungen der Teilnehmer sehr bunt gemischt, von skeptischen Äußerungen wie „sich überraschen“ lassen bis zum Zweckoptimismus in Form von Hoffnung auf einen Neuanfang. Zur Klärung der aktuellen Ausgangssituation im Projekt bekamen beide Gruppen, die Energie-AG- und die GU-Teilnehmer, die Gelegenheit in gemeinsamer Runde ihre jeweilige Sichtweise zu beschreiben. Als Basis für die für den Nachmittag geplanten Arbeitsgruppen wurde im nächsten Schritt ein gemeinsames Verständnis erarbeitet. Beide Gruppen formulierten ihre Wünsche für die Zusammenarbeit an die jeweils andere Gruppe und ihre Bereitschaft, was sie in diese Zusammenarbeit einbringen werden. Durch diese Intervention erkannten die Teilnehmer den Willen zur Zusammenarbeit auf beiden Seiten. Im Anschluss wurden die zu klärenden inhaltlichen Konfliktthemen herausgearbeitet und mit Prioritäten zur Bearbeitung bewertet. Für die vier Themen mit den höchsten Prioritäten wurden Arbeitsgruppen gebildet, jeweils gemischt mit Energie-AG- und GU-Teilnehmern. Die Themen dieser Arbeitsgruppen waren aktuelle Problemzonen aus der Projektarbeit: Produktionsprozesse in der Softwareentwicklung Strukturen und Verantwortung in der Projektorganisation
Strategische Handlungsempfehlungen
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Formen der Zusammenarbeit in Besprechungen zur Abstimmung von Softwareanforderungen Prozess für das Änderungsmanagement. In den gemischten Arbeitsgruppen erprobten die Teilnehmer des Workshops am Nachmittag des ersten Tages ihre konkrete Zusammenarbeit in den jeweiligen konfliktbehafteten Themen. Beim Blitzlicht zum Abschluss des ersten Tages waren die Teilnehmer positiv überrascht. Sie hatten es alle geschafft, gemeinsam teilweise schon lang schwelende schwierige Themen konstruktiv zu bearbeiten. Am zweiten Tag stellten alle Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vor. Im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse erfolgte jeweils eine Diskussion über ein gemeinsames Verständnis aller Teilnehmer zum jeweiligen Thema. Danach wurden konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Arbeitsergebnisse in die praktische Projektarbeit mit Verantwortlichkeiten und Terminen vereinbart. In der Abschlussrunde des zweiten Tages waren alle Teilnehmer über die Vielzahl der gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse erfreut und mit dem Ablauf des Workshops außerordentlich zufrieden. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass sie gemeinsam einen neuen Start geschafft hatten. In der Nachbereitung des Workshops erhielten alle Teilnehmer ein Protokoll über die vereinbarten Maßnahmen. Die beiden Projektleiter der Energie-AG und des GU erhielten die Aufgabe, den Maßnahmenplan zum Controlling der Umsetzung zu nutzen. Das Ziel des Workshops wurde erreicht. Die Grundlagen für den Neustart des Projekts wurden von den Teilnehmern gemeinsam auf den strukturellen Ebenen der Projektorganisation, der Prozesse und im Umgang miteinander erarbeitet. Durch die praktische Erprobung der Zusammenarbeit in den gemischten Arbeitsgruppen haben alle Teilnehmer erfahren, dass sie in der Lage sind, gemeinsam schwierige Themen konstruktiv zu bearbeiten. Diese praktische Erprobung hat darüberhinaus die Erkenntnis gebracht, in welcher Form sie zukünftig effektiver und effizienter zusammenarbeiten werden. Die gegenseitige Vertrauensbasis haben sich die Teilnehmer auf dem Workshop untereinander erwiesen und damit Brücken über frühere Grä-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
ben gebaut. Im Ergebnis wurden über 20 Maßnahmenpakete vereinbart, die in den folgenden Monaten umgesetzt wurden. Es gibt 3 + 1 Erfolgsrezepte, durch die man in vergleichbaren Workshops destruktive Konflikteskalationen in konstruktive Verhandlungen umkehren kann. Es folgen die ersten drei Erfolgsrezepte: X
Neutralität und positive Verhandlungsstimmung Das erste Rezept ist kein Geheimnis. Es wird trotzdem selten in Konflikteskalationen wirklich genutzt. Im Energie-AG-Beispiel waren dies die neutralen und angenehmen Räumlichkeiten, die neutralen Moderatoren und die Anreise am Vorabend als inoffizieller Einstieg.
X
Deeskalation: Weg von „Positionen“ – hin zu „Interessen“ Das zweite Rezept ist weniger bekannt. Es ist die vom Konfliktforscher Friedrich Glasl entwickelte Intervention zur Deeskaltion von Konflikten: Die Schule des Wünschens und der Kreditangebote. Wenn sich die Konfliktparteien auf diese Intervention einlassen, erkennen sie häufig, dass die Gegenpartei durchaus verhandelbare Interessen hat und auch bereit ist, entgegenzukommen. Der bis dahin stattgefundene Kampf um Positionen wird hierbei ersetzt durch einen Austausch über die Interessen hinter den Positionen.
X
Praktische Kooperation in gemischten Arbeitsgruppen Das dritte Rezept lautet: Gemischte Gruppenarbeiten. Da jede Arbeitsgruppe in dem Workshop davon ausgehen muss, dass die anderen Gruppen vorzeigbare Ergebnisse präsentieren werden, gibt es in allen Gruppen eine Gemeinsamkeit. Diese Gemeinsamkeit ist die zu bewältigende Aufgabenstellung, verbunden mit einer anschließend guten Präsentation der Arbeitsergebnisse im Plenum. Jede Gruppe unterliegt einem gewissen Zwang konstruktiv zusammenarbeiten zu müssen, auf gleicher Augenhöhe. Dabei stellen die einzelnen Mitglieder der eigentlich rivalisierenden Gruppierungen innerhalb der Arbeitsgruppen häufig fest, dass die Mitglieder der anderen Seite doch keine Ungeheuer sind. Am Ende haben sie es dann geschafft, ein schwieriges Thema gemeinsam zu bearbeiten. Dies gibt ihnen die Hoffnung auf eine verbesserte Zusammenarbeit in der zukünftigen Praxis.
Strategischer Handwerkskasten
209
Das additive Rezept (+1) für eine erfolgreiche Konfliktmoderation ist die Voraussetzung, dass die Vorgesetzten der rivalisierenden Gruppen wirklich an einer Lösung des strukturellen Konflikts interessiert sind. Ohne diese Voraussetzung hat man als Konfliktmoderator schlechte Karten. Damit die Workshopergebnisse in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden, müssen die Vorgesetzten der rivalisierenden Gruppen an der Konfliktmoderation teilnehmen. Die Vorgesetzten erhalten im Workshop den offiziellen Auftrag, gemeinsam für die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen in der Praxis zu sorgen. Das funktionierte in den drei Praxisbeispielen am Anfang dieses Kapitels und bei der Energie-AG. In allen Fällen waren die Vorgesetzten der rivalisierenden Gruppen wirklich an der Lösung der oft längerfristig währenden strukturellen Konfliktsituation interessiert. Deshalb haben sie die Konfliktmoderationen initiiert.
4.3
Strategischer Handwerkskasten
Die wichtigsten persönlichen Kompetenzen im Umgang mit Konflikten sind: Für sich selbst sorgen und Sicherheit im Umgang mit den Methoden zur Behandlung von Konflikten erlangen. Für die Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist wichtig, sich zuerst über die Art und Weise zu verständigen, bevor man gemeinsam in die inhaltliche Lösung eines strukturellen Konflikts einsteigt. Für Besprechungen werden in Unternehmen zur effizienten Gestaltung oft Spielregeln vereinbart.
Erforderliche Kompetenzen und Spielregeln zur Prävention Modell: Der Moderator als Prozessgestalter In Trainings zur Ausbildung von Moderatoren kommt von den Teilnehmern oft die folgende Frage: „Wie wichtig ist meine Rolle als Moderator in einer Moderation?“ Einen Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage gibt das Modell der themenzentrierten Interaktion (TZI), das Barbara
210
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Langmaack in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt. Zusammengefasst dient die TZI dazu, Themen und Aufgaben ins Zentrum der beteiligten Personen zu stellen (themenzentriert), um sie dann mit allen Beteiligten zu bearbeiten (interaktionell). Aufgaben sollen gleichermaßen unter Einbeziehung von Kopf, Herz und Hand gelöst werden. Wenn es zu der oben genannten Frage in einem Moderationstraining kommt, dient das TZI-Modell zur Klärung der Rollenverteilung in einer Gruppe. Den Teilnehmern wird die folgende Frage gestellt: „Wer hat in einem moderierten Arbeitsprozess die wichtigste Rolle?“ Moderator
Thema des Arbeits- und Lernprozesses
Die einzelnen Teilnehmer
Die Gruppe insgesamt
Frage: Wer hat die wichtigste Rolle in diesem Prozess?
Abb. 9: Rollenverteilung in einer Gruppe in Anlehnung an das TZI-Modell Die häufigste Antwort ist: „Natürlich der einzelne Teilnehmer!“ Die zweithäufigste Antwort ist: „Die Gruppe als ganze Einheit.“ Nur wenige Teilnehmer sprechen dem Moderator die wichtigste Rolle in diesem Prozess zu. Gerade in umgekehrter Reihenfolge zu diesen Nennungen ist die Wichtigkeit der Rollen in diesem Arbeitsprozess: 1. Der Moderator Der Moderator hat die Aufgabe, diesen Prozess zu steuern. Hierzu muss er stets erkennen, in welchem Stadium die Gruppe sich befindet
Strategischer Handwerkskasten
211
und welche geeigneten Maßnahmen zur konstruktiven Förderung des Prozesses er einleiten sollte. Es ist seine Aufgabe, den anderen Komponenten der TZI, nämlich den einzelnen Teilnehmern, der Gruppe als Ganzes und dem gemeinsamen Thema Aufmerksamkeit zu schenken und diese Komponenten in Balance zu halten. 2. Die Gruppe Die Gruppe insgesamt nimmt die zweitwichtigste Rolle in diesem Arbeitsprozess ein. Wenn eine Gruppe die Aufgabe hat, ein Ergebnis zu erarbeiten, stehen der Gruppenarbeitsprozess und das gemeinsame Ergebnis dieser Gruppenarbeit im Vordergrund der Prozesssteuerung. Im Ergebnis zählt, was die Gruppe erarbeitet hat. 3. Die einzelnen Teilnehmer Natürlich sind die Interessen und Meinungen der einzelnen Teilnehmer in einem solchen Prozess relevant und ist deren Einbringung in den Prozess wichtig. Diese sind in den Gruppenprozess einzubringen und dort gemeinsam zu bearbeiten. Als Moderator ist man in der Rolle als Prozessgestalter gleichzeitig in einer Vorbildfunktion für die anderen Teilnehmer. Man muss nicht nur auf die Einhaltung von vereinbarten Spielregeln durch die Teilnehmer achten. In der Vorbildfunktion muss man diese selbst auch einhalten. Selbstmanagement: Als Moderator für sich selbst sorgen Da dem Moderator in diesem Prozess eine zentrale Rolle zukommt, sollte er drei für ihn nützliche Dinge beachten: 1. Auf den eigenen Zustand achten. 2. Auf den Zustand der Teilnehmer in der gesamten Gruppe achten. 3. Das gemeinsame Ziel im Auge behalten. Hilfreich hierfür sind eigene positive Erlebnisse in vergleichbaren Situationen, wodurch man sich selbst unterstützen kann. Eine innere Selbstsicherheit erzielt man durch eine angemessene Vorbereitung auf die Situation und durch das Besinnen auf die Methodenkompetenz während der Moderation.
212
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Spielregeln für die Zusammenarbeit vereinbaren Indem man sich mit anderen Menschen am Anfang einer Zusammenarbeit darauf verständigt, wie man zusammenarbeiten will, schaltet man mögliche unproduktive Konfliktpotenziale im Vorfeld aus. Regeln in der Zusammenarbeit mit Gruppen einzusetzen, haben ihren Ursprung auch in der TZI. Beispiele: X X X
Sei eigenverantwortlich und sei deine eigene „Chair Person“. Störungen haben Vorrang und sind sofort zu bearbeiten. Spreche in der „Ich-Form“ anstatt in „man“ oder „wir“.
Grundlage und gleichzeitig Ziel hierbei ist, für die Zusammenarbeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu fördern. Diese Merkmale sind: Persönliche Offenheit, Interesse an den anderen Menschen und Authentizität, d. h. Echtheit und Einheit von Körper, Geist und Seele. Als Moderator hat man die Aufgabe, Spielregeln zu empfehlen. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, welche Spielregeln gelten sollen. Alle Menschen in dieser Besprechung gehen dann die Verpflichtung ein, sich an diese Spielregeln zu halten. Der Moderator und die Teilnehmer achten darauf, dass diese gegenseitige Verpflichtung eingehalten wird. Konfliktprävention: Ein Modell für Arbeiten in Arbeitsgruppen Wenn Menschen in einer Gruppe zusammenarbeiten ist es erforderlich, sich auf weitere Aspekte für die Zusammenarbeit zu verständigen. Für Gruppenarbeiten in Trainings gibt es drei Eckpunkte, über die sich die Teilnehmer in den einzelnen Arbeitsgruppen einigen sollten, bevor sie mit der inhaltlichen Arbeit beginnen: 1. Ein einheitliches Verständnis der genauen inhaltlichen Aufgabe herstellen. 2. Eine Rollenaufteilung für die Gruppenarbeit gemeinsam definieren (Beispiele: Wer übernimmt die Moderation in der Gruppenarbeit, wer präsentiert im Anschluss die Ergebnisse im Plenum? Wer ist der Zeitmanager während der Gruppenarbeit?).
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3. Das Vorgehen abstimmen: In welchen Schritten will die Gruppe ihre Aufgabenstellung bearbeiten? Hier nimmt der unter 2. benannte Moderator seine Aufgabe auf und moderiert die Abstimmung der Vorgehensweise zur Lösung der Aufgabe. Wenn diese Vorgaben nicht gemacht werden, kommt es bei vielen Gruppenarbeiten vor, dass sich die Teilnehmer in den Kleingruppen in den ersten 30 Minuten (bei einer Zeitvorgabe von 45 Minuten insgesamt) ständig über viele inhaltliche Details streiten. Dies wird zusätzlich vermischt mit Diskussionen über das Vorgehen und die Methodik für die Gruppenarbeit. In den dann verbleibenden 15 Minuten werden hektisch irgendwelche Ergebnisse auf ein Flipchart geschrieben. Diese Ergebnisse muss dann ein armer „Ausgeguckter“ aus der jeweiligen Arbeitsgruppe im Plenum präsentieren. Übertragung des Modells: Arbeitsfähigkeit einer Gruppe sicherstellen Aus der Teamentwicklung ist bekannt, dass Gruppen, bevor sie arbeitsfähig sind, bestimmte Phasen, wie beispielsweise Storming (Konflikte austragen, Rollen klären) und Norming (sich Regeln für die Zusammenarbeit geben) durchlaufen müssen. Durch die drei oben genannten Vorgaben in dem Modell der Trainingssituation werden unproduktive Sach-, Rollen- und Prozedurenkonflikte vermieden: Es wird als Erstes abgestimmt, zu welchem Thema und in welcher Form die Menschen zusammenarbeiten werden. Dieses Modell zeigt, wie ein Trainer vorbeugend auf die Reduzierung von unproduktiven Konflikten in Gruppenarbeiten einwirken kann. Als Trainer muss man anschließend darauf achten, dass diese Vorgaben in den Arbeitsgruppen eingehalten werden. Dieses Modell ist auf die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen generell übertragbar. Bevor die Mitglieder einer Arbeitsgruppe effizient Ergebnisse erarbeiten können, muss die Arbeitsfähigkeit her- und sichergestellt werden. Zusätzlich zur Vereinbarung von Spielregeln für den Umgang miteinander geht es vor der inhaltlichen Arbeit um die Verständigung über folgende Punkte:
214 X X X
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Was (die gemeinsame Aufgabe), Wer (die Aufteilung der Rollen), Wie (die Vorgehensweise).
Wenn man diese Aspekte gemeinsam mit allen Beteiligten einer Arbeitsgruppe vereinbart, hat man strukturell die Arbeitsfähigkeit hergestellt. Diese strukturelle Basis ermöglicht kooperatives und effizientes Arbeiten und vermeidet unproduktive Konflikte.
Effiziente Methoden zur Deeskalation und Klärung von Eskalationen Nachfolgend werden effiziente Methoden und Techniken beschrieben, die geeignet sind bei Konflikten Eskalationsverstärker, wie Recht-habenwollen, zu identifizieren und zu entschärfen. Außerdem geht es um Wahrnehmungsklärungen, gegenseitige Aussprache, Aufbau von Vertrauen und das Erkennen von Gemeinsamkeiten. Diese Interventionen helfen, die negative Fahrt aus einer Konflikteskalation zu nehmen. Die folgenden Techniken sind besonders für die ersten vier Schritte des in Kapitel 2 beschriebenen Modells der „Sechs-Schritte-Konfliktbehandlung“ geeignet. Etwas (Bekanntes) infrage stellen und Umdeuten öffnet Denkblockaden Zum Beginn einer Konfliktklärung ist es hilfreich, Bekanntes infrage und Probleme in einen neuen Bezugsrahmen zu stellen. Die Technik, Dinge oder Situationen in einen anderen Bezugsrahmen zu stellen und ihnen eine (unerwartete) andere Bedeutung zu geben, wird oft für das Kreieren von Witzen genutzt. Dieser methodische Ansatz wird „Umdeuten“ genannt. Konfliktsituationen können durch Umdeuten einen andersartigen Sinn erhalten. Teilnehmer eines Konflikt-Workshops könnten beispielsweise formulieren: „Durch das Entdecken unseres strukturellen Konflikts ist unser Vorgesetzter endlich mal auf uns aufmerksam geworden. Zur
Strategischer Handwerkskasten
215
Belohnung dürfen wir jetzt an diesem schönen Tagungsort an einem Workshop teilnehmen.“ Umdeuten von Situationen befreit von festgefahrenen Denkmustern und öffnet andersartige Denkrichtungen. Auch die „Sowohl-als-auchKombinationstechnik“ schafft neue Denkrichtungen. Wenn in einer Konfliktsituation zwei unterschiedliche Denkstile aufeinanderstoßen, wie „Kreativ-Chaot“ und „penibler Ordnungsfanatiker“, so könnte ein Außenstehender die Frage stellen: „Was für Möglichkeiten gibt es, mit ausgeprägtem Ordnungssinn und kreativem Chaos zu einem besseren Ganzen zu gelangen?“ Wahrnehmungsklärungen mit Bildern bringen erste Klarheiten Die Klärung der unterschiedlichen Wahrnehmungen der beteiligten Konfliktparteien ist insbesondere in den ersten Schritten einer gemeinsamen Konfliktklärung eine wichtige Voraussetzung. Wahrnehmung bedeutet, Dinge zu betrachten, bevor man sie interpretiert und bewertet. Die Art und Weise, wie man eine Situation wahrnimmt, entscheidet darüber, wie man mit der Situation umgeht. Konfliktparteien können sich im ersten Schritt ihrer eigenen Wahrnehmung bewusst(er) werden, wenn sie jeweils ein Bild von dem Konflikt malen. Alternativen zum Malen eines Bildes können die Anfertigung einer Collage oder das Erfinden einer verfremdeten Metapher über die aktuelle Situation sein. Wenn die Parteien ihr „Werk“ erbracht haben, stellen sie im zweiten Schritt ihr Werk der jeweils anderen Partei vor. Die andere Partei darf Verständnisfragen stellen, Bewertungen sind nicht erlaubt. Danach erfolgt der Abgleich der beiden Werke, durch Aufzeigen von ähnlich gelagerten Wahrnehmungen und die Verdeutlichung von Unterschieden. Diese Art der Wahrnehmungsklärung bringt Licht und Klarheit in verworrene Konfliktsituationen.
216
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Break: Die Bitte, eine „Auszeit“ zu nehmen, und Abstand gewinnen Aus dem Sport ist das Handzeichen „T“ bekannt, mit dem ein Trainer oder Ringrichter die Sportler zu einer Auszeit auffordert. Wenn sich im Boxkampf die beiden Boxer ineinander verhakt und verkeilt haben, schreitet der Ringrichter ein und ruft: „Break“. Beide Boxer müssen dann auseinander und jeweils einige Schritte zurückgehen. Erst wenn der Ringrichter sein Signal gibt, geht es im Boxkampf weiter. Wenn sich Parteien in einer Konfliktsituation gegenseitig blockieren, hängen sie entweder in einer Sackgasse fest oder treiben gemeinsam die Eskalationsstufen voran. Wenn man in derartigen Situationen erste Anzeichen solcher Blockaden wahrnimmt, schlüpft man kurz in die Rolle eines Beobachters dieser Situation, in die Rolle eines Ringrichters, und bittet in dieser Rolle um eine Unterbrechung. X
X
Gehen Sie zuerst in eine andere Position. Wenn Sie gerade sitzen, verändern Sie Ihre Haltung für die andere Partei deutlich wahrnehmbar, oder Sie stehen auf. Wenn Sie bereits stehen, nehmen Sie eine andere Position und eine deutlich wahrnehmbare andere Haltung ein. Formen Sie mit Ihren Händen ein „T“ und sagen Sie: „Auszeit“.
Es muss deutlich werden, dass man gerade „ausgestiegen“ ist und auch die andere Partei bittet, „mit auszusteigen“. Gehen Sie körperlich und mental einen großen Schritt zurück und gewinnen Sie innerlich Abstand zu der verhakten Situation. Nehmen Sie sich eine kurze Auszeit, bevor Sie sich wieder aufeinander zu bewegen, hoffentlich etwas gelassener als vorher. Der Rollentausch bringt Bewegung in verfahrene Situationen Wenn eine Konflikteskalation ab der zweiten Eskalationsstufe schon etwas festgefahren scheint, kann man einen Rollentausch durchführen. Beide Parteien einigen sich auf eine bestimmte, besonders schwierige Konfliktsituation. Jede Konfliktpartei beschreibt die Situation aus ihrer Sicht, möglichst mit viel Dramaturgie. Jede Partei spielt ihre eigene Rolle
Strategischer Handwerkskasten
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in dieser Situation. Danach erfolgt der Rollentausch. In Trainings zum Thema Konfliktmanagement macht der Rollentausch immer Spaß und bringt Lebendigkeit in das Training. Trotzdem beschreiben die Teilnehmer jeweils im Anschluss, dass es ihnen anfänglich sehr schwer gefallen sei, in die andere Rolle zu schlüpfen. Ein Moderator ist für diese Intervention hilfreich, unabhängig von dem Grad der Eskalationsstufe. Bei stark eskalierten Konflikten, ab Stufe IV. im Eskalationsmodell von Glasl, empfiehlt es sich, diese Methode in getrennten Besprechungen mit den Konfliktparteien einzeln durchzuführen. In diesen Fällen übernimmt man als Moderator jeweils die Rolle des „Advocatus Diaboli“. Der Moderator ist dann der „Anwalt des Teufels“, also der Gegenpartei. Auch in der fünften Eskalationsstufe „Maske runter“ kann man bei einer vorläufigen Trennung der beteiligten Konfliktparteien durch diesen Rollentausch Bewegung in eine festgefahrene Situation bringen. Der gemeinsame distanzierte Blick schafft andersartige Perspektiven Aufbauend auf den Wahrnehmungsklärungen, eventuell mit einer kurzen Auszeit dazwischen, kann im nächsten Schritt ein gemeinsamer distanzierter Blick auf die Konfliktsituation erfolgen. Die Parteien gehen gemeinsam in außenstehende Positionen. In Unternehmen können dies außenstehende Kollegen, ein gemeinsamer Vorgesetzter oder ein Kunde sein. Zur praktischen Unterstützung bei der Einnahme dieser Positionen können sich die Beteiligten auf andere Stühle setzen. Der methodische Ansatz sollte in deutlich getrennten Schritten erfolgen. X
Wahrnehmung: Zuerst berichten beide Parteien einzeln für sich, was sie in der aktuellen gemeinsamen Position als Kollege A über die Situation und die beteiligten Parteien wahrnehmen.
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Analyse und Verarbeitung: Im zweiten Schritt berichten beide Parteien, wie sie das Wahrgenommene aus der außenstehenden Position einschätzen, analysieren und bewerten. Falls den Beteiligten Ideen und Anregungen im Sinne von Lösungsansätzen aus ihrer aktuellen Position dazu einfallen, können diese auch genannt werden.
Durch das Einnehmen außenstehender Positionen kann man Konfliktparteien in die Lage versetzen, den Konflikt aus übergeordneten Zusammenhängen zu betrachten. Das kann für gemeinsame Sichtweisen oder für zusätzlichen Klärungsbedarf sorgen. Gefühle an- und aussprechen baut Eskalationsverstärker ab Im Sinne von Empathie als eine wichtige Voraussetzung für die Konfliktklärung gibt es eine Intervention, in der Konfliktparteien lernen, sich in die Gefühlswelt der anderen Partei hineinzuversetzen. Die folgende Intervention könnte man mit der Überschrift „Ich-Kommentare“ versehen. Ein Beispiel: X X
Frau Heller sagt: „Wenn ich morgens im Büro erscheine, begegnet mir Herr Most schon mit einer sauren Miene.“ Herr Most kommentiert daraufhin als Ich für Frau Heller: „Ich ärgere mich jedes Mal darüber. Das verdirbt mir oft meine gute Laune.“
Die „Ich-Kommentare“ können von der betreffenden Person (hier: Frau Heller) kurz zurechtgerückt werden. Danach geht das Gespräch weiter. Auf diese Weise haben beide Parteien die Möglichkeit, die Dinge aus- und anzusprechen, die in Konfliktsituationen oft unterschwellig bleiben und bei den Konfliktparteien schlechte Gefühle verursachen. Durch diese Intervention kann man an unterschwellig wirkende Eskalationsverstärker, wie beispielsweise unbewusste Ängste, herankommen und diese Eskalationsverstärker ausbauen. Diese Intervention kann man auch zwischendurch in den verschiedenen Schritten einer Konflikt-Deeskalation durchführen. Gefühle zu äußern und ein Feedback von der anderen Partei zu bekommen, trägt auch zur Wahrnehmungsklärung bei.
Strategischer Handwerkskasten
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Wünsche und Kreditangebote als vertrauensbildende Maßnahme Die Strategie der kleinen Kreditangebote empfiehlt Friedrich Glasl, damit Konfliktparteien gegenseitiges Vertrauen aufbauen können. Sie liefern sich sichtbare Beweise dafür, dass sie es mit einer konstruktiven Konfliktlösung wirklich ernst meinen. Diese Intervention kann ein erster Schritt in den Einstieg von Verhandlungen für die gemeinsame Lösung eines Konflikts sein. So mancher Streit, der sich zu entwickeln beginnt, kann durch diese Intervention abgebrochen werden. Anstatt über Positionen zu streiten, tauschen sich die Konfliktparteien über ihre konkreten Bedürfnisse und Wünsche und über mögliche Zugeständnisse aus. Sie stellen dabei oft fest, dass die andere Partei eigentlich erfüllbare Wünsche in ihrem Herzen trägt. Diese Intervention beinhaltet grundlegende Elemente für eine Kommunikation auf gleicher Augenhöhe, wie eigene Bedürfnisse wahrnehmen, annehmen und zum Ausdruck bringen. Ein Ziel ist, entstandene Misstrauensvorbehalte abzubauen. Wenn Sie sich jedoch mit einer anderen Konfliktpartei in einer Konfliktsituation bereits auf der vierten Eskalationsstufe, der Ebene der Sprachlosigkeit und dem Denken in Schwarz und weiß (nach Glasl) befinden, hat sich die Misstrauensspirale schon sehr stark festgesetzt. In diesem Fall müsste diese Intervention durch eine dritte Partei, die die Konfliktparteien in getrennten Gesprächen befragt, durchgeführt werden. Zum Durchbrechen der Misstrauensspirale könnte die dritte Partei als „Vertrauensdepot“ fungieren. Es folgen einige Fragen, die man als Moderator zur Durchführung dieser Intervention nutzen kann: 1. Was wünschen Sie sich von der anderen Partei? 2. Was könnte die andere Partei tun, um Beweise des Vertrauens zu geben? 3. Wie möchten Sie, dass die andere Partei Ihre Wünsche aus 1. und 2. erfüllt?
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
4. Was können Sie dazu beitragen, dass die andere Partei in die Lage versetzt wird, Ihre Wünsche umzusetzen? 5. Welche generellen und konkreten Kreditangebote, im Sinne von Vertrauensvorschuss, können Sie der anderen Partei machen? 6. Was können Sie und die andere Partei tun, damit die gegenseitigen Kreditangebote eindeutig und belastbar sind? Je frühzeitiger man diese Intervention in einer Konflikteskalation erfolgreich durchführt, desto größer ist die Chance, den Eskalationsverstärker Misstrauen auszuschalten und zu einer gemeinsamen Arbeitsfähigkeit zu gelangen. Brainstorming über Gemeinsamkeiten als (neue) inhaltliche Grundlage Als Übergang von der Konfliktklärung zu einer Konfliktlösung kann man mit den Konfliktparteien ein Brainstorming über Gemeinsamkeiten machen. Das Motto des Brainstormings lautet: Quantität schafft anschließend Qualität. In kurzer Zeit werden möglichst viele Ideen über Gemeinsamkeiten produziert. Die Beteiligten „vergessen“ oft ihre Gemeinsamkeiten in Konfliktsituationen. In Konfliktsituationen, insbesondere ab der dritten Eskalationsstufe, der Stufe der Verhärtung, verengen die Konfliktparteien ihren Tunnelblick derartig, dass sie nur noch die Dinge wahrnehmen, die sie voneinander trennen. Dass die Konfliktparteien in einer Abteilung und in einem Unternehmen arbeiten, tritt oft weit in den Hintergrund. Der aktuelle Konflikt oder die Streitspirale überschattet alles, auch die vorhandenen Gemeinsamkeiten im Unternehmen. Wichtig bei dem Brainstorming über Gemeinsamkeiten ist, dass man sich inhaltlich X X
weg von den „Kleinigkeiten“ eines aktuellen Konflikts und hin zu den „höheren“ Ebenen
Strategischer Handwerkskasten
221
bewegt. Die üblichen Spielregeln für das Brainstorming, wie „jeder Beitrag ist willkommen“ und „Beurteilungen sind untersagt“, sind hierbei einzuhalten. Nehmen Sie sich einzelne übergeordnete Themen und finden Sie zusammen mit der anderen Partei heraus, welche Gemeinsamkeiten Sie und die andere Partei haben. Welche Werte verkörpert unser Unternehmen und welche Werte sind uns allen im Umgang im Unternehmen und mit unseren Kunden und Lieferanten wichtig? Wie schaffen wir es, diese Werte im Alltag zu leben? Danach folgen Fragen zu übergeordneten Zielen. In nahezu allen Unternehmen gibt es Visionen, die teilweise in Unternehmensleitbildern schriftlich festgelegt sind. Auch gemeinsame (übergeordnete) Interessen müssen in einer Abteilung zu finden sein. Ansonsten müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, weshalb die Abteilung überhaupt existiert? Wenn man sich auf diese übergeordneten Gemeinsamkeiten mit der anderen Partei verständigt und geeinigt hat, hat man eine gute Grundlage zum Einstieg in den Lösungsprozess. Auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten fällt es Konfliktparteien leichter, gemeinsam Ideen für Lösungsvarianten zu erarbeiten. Eine Variante für den Einstieg in das Brainstorming über Gemeinsamkeiten Wenn sich die Konfliktparteien noch nicht auf einen Austausch über Gemeinsamkeiten einlassen können, gibt es einen kreativen Umweg, über Dinge die die Konfliktparteien nicht gut finden. Ein Einstieg in diese Intervention wäre dann, dass man mit den Konfliktparteien zuerst ein Brainstorming über die „Un’s“ macht. Ein Beispiel für eine Frage zu diesen „Un’s“ ist: „Was ist aus unserer Sicht in unserem Unternehmen unmenschlich, unmöglich und unfair?“ Nach diesem „sich Warmlaufen“ mit den „Un’s“ fällt es den Konfliktparteien vielleicht leichter, sich über positive gemeinsame Werte auszulassen.
222
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Effiziente Methoden zur Lösung struktureller Konflikte Die folgenden effizienten Methoden und Techniken sind vorrangig für den Lösungsprozess einzusetzen. Die einzelnen Interventionen sind für verschiedene „Härtegrade“ der Eskalationsstufen von Konflikten einsetzbar. Die Hinweise auf die Einsatzmöglichkeiten der einzelnen Techniken für die jeweiligen Konflikt-Eskalationsstufen sind eine Orientierungshilfe. Wenn sich eine Konflikteskalation in einer höheren Stufe – als die jeweils angegebene – befindet, sind zuerst die Techniken zur Deeskalation aus dem vorherigen Abschnitt einzusetzen. Kontrollierter Dialog Ein strukturierter Ablauf im Vergleich zum Rollentausch ist der methodische Ansatz des kontrollierten Dialogs. Jede Konfliktpartei stellt abwechselnd dar, wie sie eine bestimmte Situation wahrgenommen hat, was sie gesehen, gehört und dabei gefühlt hat. Die andere Partei wiederholt sinngemäß das von der ersten Partei Genannte. Dieser Dialog ist abwechselnd so lange durchzuführen, bis alles genannt wurde, was „raus musste“. Um diese Übung sinnvoll durchzuführen müssen im Gegensatz zum Rollentausch beide Parteien zum selben Zeitpunkt am selben Ort sein, also sich gegenüberstehen oder gegenübersitzen. Insofern ist der praktische Einsatz dieser Übung maximal bis zur vierten Eskalationsstufe möglich, und dort nur mit einer starken Persönlichkeit als Moderator. Plus-Minus-Interesse (PMI) zur Lenkung der gemeinsamen Aufmerksamkeit Den größten Denkfehler sieht Edward de Bono in „De Bonos neue Denkschule“ darin, dass man einen Standpunkt verteidigt, den man bereits eingenommen hat. Dies kann aufgrund eines oberflächlichen Denkens, eines Vorurteils oder einer Tradition geschehen. In Konflikteskalationen geht es oft um diese Verteidigungssituation, die Edward de Bono Intelligenzfalle nennt. Wenn die beteiligten Parteien jeweils für sich selbst
Strategischer Handwerkskasten
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„wissen“, dass sie Recht haben und dies auch beweisen können, warum sollten sie ein Thema nochmals gründlich untersuchen? Das PMI ist ein Werkzeug, das man nicht aufwändig erlernen muss. Viele Menschen glauben, dass sie es bereits benutzen. Wenn diese Menschen aber in Konflikteskalationen „rutschen“, haben sie es oft vergessen. Die Abkürzung „PMI“ steht für X X X
P = Plus oder Pluspunkte, M = Minus oder Minuspunkte und I = Interesse oder interessante Punkte.
Mit diesem Werkzeug lenkt man die Aufmerksamkeit der beteiligten Parteien. Wenn man das PMI zur Klärung und Lösung eines strukturellen Konfliktes einsetzen will, muss man diese Methode mit den beteiligten Konfliktparteien abstimmen, damit die Parteien sich wirklich gemeinsam darauf einlassen. Die Methode des PMI lenkt die Aufmerksamkeit bewusst zuerst auf die Pluspunkte einer Idee oder Lösungsvariante, dann auf die Minuspunkte und schließlich auf die interessanten Punkte. Wichtig ist, dass man dies sehr bewusst und diszipliniert macht. Es sollten jeweils Zeitvorgaben von drei bis sieben Minuten für jeden der drei Blickwinkel vorher vereinbart werden. Anstatt die Kreativität zur Bestätigung eines Vorurteils oder einer festgefahrenen Position zu vergeuden, nutzt man gemeinsam mit der anderen Konfliktpartei und jeder für seinen Ansatz die Kreativität für das PMI. Hierdurch kann man Lösungsansätze für einen strukturellen Konflikt aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Konfliktparteien systematisch näher untersuchen. Nach dieser kognitiven Intervention kann man auch Gefühle heranziehen, um sich zu entscheiden. Wichtig ist, dass man die Gefühle vor oder nach dieser gelenkten Aufmerksamkeit des PMI ins Spiel bringt, damit die Gefühle diese Intervention nicht überlagern. Wenn sich im Verlauf des Konfliktlösungsprozesses die Konfliktparteien auf einen Lösungsansatz einigen, können sie das PMI nutzen. Sie können dann prüfen, ob bei dem gemeinsamen Lösungsansatz die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt sind und verwirklicht werden können. Das PMI ist in den ersten zwei Eskalationsstufen von Konflikten
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
noch leicht einzusetzen. Ab der dritten Eskalationsstufe wird es schwieriger. Spätestens ab der vierten Eskalationsstufe müssen Sie die Beteiligten mittels anderer Interventionen emotional zuerst auf ein einfacher zu handhabendes Konfliktniveau bringen, um diese kognitive Intervention effizient durchführen zu können. Verschiedene Gedankenfelder für gewünschte Ergebnisrichtungen Bei der Methode der verschiedenen Gedankenfelder wird die Aufmerksamkeit der Konfliktparteien auf vier Ergebnisrichtungen gelenkt. Ein Moderator sollte die methodische Steuerung übernehmen. Das Grundmuster ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Probleme:
Interessen:
KonfliktThema Lösungsideen:
Hindernisse:
Abb. 10: Vier Gedankenfelder als Methode zur Konfliktlösung X
Die Anzahl und die Inhalte der Überschriften der (vier) Gedankenfelder muss man individuell für die jeweilige Situation auswählen.
Strategischer Handwerkskasten
X
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Themen dieser Gedankenfelder können sein: der Gegenstand des strukturellen Konflikts, die Auswirkungen des Konflikts auf die beteiligten Personengruppen, Ursache(n) des Konflikts und der Umgang der Konfliktparteien (einzeln und miteinander) mit dem Konflikt.
Dieser methodische Ansatz, auf die jeweilige Situation (Konflikt-Thema und Gedankenfelder) zugeschnitten und systematisch durchgeführt, eignet sich unter Anleitung eines Moderators auch als Intervention für die vierte Eskalationsstufe. Die „Hidden Agenda“: Geheime Rollen klären In vielen Konfliktsituationen scheint allen Beteiligten klar zu sein, wer weshalb in welcher Position (festgefahren) ist und wer welchen Auftrag hat. Diese Intervention kann man als „Stopp“ im Klärungsprozess und zur Aufklärung von Hintergründen einsetzen. Konsequent durchgeführt kann diese Methode als Vorbereitung für konkrete Verhandlungen dienen. Hierbei geht es um die Offenlegung der „Hidden Agenda“ und der eigentlichen Rollen der Konfliktparteien. Themen, zu denen sich die Konfliktparteien offen äußern sollten, sind: X X X
Meine Rolle – offiziell und inoffiziell – in diesem strukturellen Konflikt ist ... Mein Auftrag – offiziell und inoffiziell – hierbei ist ... Meine Interessen – offiziell und heimlich – hierbei sind ...
Durch diese Intervention kann man als Moderator die Konfliktparteien auch aus der vierten Eskalationsstufe auf niedrigeres Konfliktniveau begleiten. Auch für Konfliktsituationen, in denen kein Moderator eingebunden ist, kann diese Übung eingesetzt werden. Voraussetzung ist, dass einer der Beteiligten die Initiative ergreift und bereit ist, den „Stopp“ zu setzen. Diese Person muss danach auch den Mut besitzen, die geheimen Themen offen anzusprechen. Die durch diese Intervention erreichte Offenheit bietet den Raum zur Entwicklung von Lösungsansätzen.
226
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Gedankenexperimente für Lösungen: „Was wäre, wenn...?“ Wenn man an einem Konflikt beteiligt ist, kann man sich gemeinsam mit der anderen Konfliktpartei diese Frage zur Lösungssuche stellen. Diese Intervention ist in ernst gemeinter Form, in witziger Form oder als paradoxe Intervention einsetzbar. Es ist ein Ansatz, um die Aufmerksamkeit der Beteiligten in die Richtung von Lösungsansätzen zu lenken. Einige Beispiele für mögliche Fragen sind: X X X X X
Was wäre, wenn wir uns „plötzlich“ einigen würden? Was wäre, wenn die Geschäftsleitung unsere Abteilung einfach wegrationalisieren würde? Was wäre, wenn wir durch eine neuartige Idee ganz groß rauskommen würden? Was wäre, wenn wir uns für den Rest unseres Lebens aus dem Weg gehen würden? Was wäre, wenn es uns wirklich egal wäre, wie wir uns einigen?
Insbesondere mit einer der Situation angemessenen Prise Humor kann die „Was wäre wenn-Frage“ eine nützliche Intervention sein, um die Denkstile der Beteiligten in die Lösungsrichtung bringen. Bei dieser auf die Zukunft bezogenen Fragestellung können die beteiligten Konfliktparteien Handlungsalternativen im Sinne von Optionen für die Zukunft entwickeln. „Was wäre, wenn ...?“ – in Kombination mit einem Perspektivwechsel In Verbindung mit einem Perspektivwechsel der Konfliktparteien ist diese „So-tun-als-ob-Intervention“ ein hilfreiches Instrument, um sich mit etwas Distanz zum Konfliktthema auf die Findung von Lösungsansätzen zu konzentrieren. Beispiele für Fragen zur Durchführung dieser Intervention in Verbindung mit einem Perspektivwechsel sind: X
Was wäre, wenn wir ab heute Nachmittag über den Konflikt wie über ein Problem sprechen, das zwei ganz andere Kollegen miteinander haben?
Strategischer Handwerkskasten
X
227
Wie wäre es, wenn wir beide so tun, als wären wir in den Rollen unserer jeweiligen Vorgesetzten, die an unserer Stelle den Konflikt lösen wollen?
Die Parteien können sich durch den Perspektivwechsel von ihren festgefahrenen Positionen befreien und so tun, als ob Sie persönlich gar nichts mit dem Konflikt zu tun haben. Dadurch können Sie Eskalationsverstärker, wie Recht-haben-wollen, ausschalten oder deren destruktive Kraft reduzieren und lösungsorientiert denken. Bewusst viele Lösungsansätze generieren: Alternativen & Auswahl (A & A) Wenn in einer Konfliktsituation die Parteien sich jeweils auf ihre Lösungen festgelegt haben, ist es schwierig, dass sie sich auf eine dieser beiden Lösungen einigen werden. Auch wenn die Parteien wirklich bereit sind, den Konflikt gemeinsam konstruktiv zu lösen, bleibt das „Restrisiko“ des Gesichtsverlustes. Um sich überhaupt einigen zu können bedarf es bei strukturellen Konflikten inhaltlich oft eines neuartigen Lösungsansatzes, der bisher noch nicht zur Diskussion stand. In Anlehnung an Edward de Bono, der sein Konzept „alternatives, possibilities and choices“ nennt, geht es bei A & A um eine bewusste „Produktion von Alternativen“. Ziel ist, im Anschluss eine wirkliche Auswahl zu haben. Diese Methode kann man besonders für die Lösungsfindung im Modell der „Sechs-SchritteKonfliktbehandlung“ einsetzen. Sie hilft, die Aufmerksamkeit von einem allgemeinen Wunsch nach einer Lösung auf mehrere alternative Lösungsansätze zu lenken. X
X
Hierzu kann man beispielsweise alternative Hypothesen formulieren. Dies ist nahezu unabhängig davon, wie sehr man (im Inneren) denkt, ob man die jeweilige Hypothese für gut oder für „wahr“ hält. Es gilt eine Lösung X hinter einer Lösung A, die wiederum hinter der Lösung B hervorkommt, zu finden. Es geht nach dem Motto „Finden Sie mindestens 20 Lösungen für das Verkehrsproblem in der Stoßzeit in Hamburg“, darum, nach vielen Lösungsideen zu suchen. Selbst wenn man glaubt, schon einen adäquaten Lösungsansatz gefunden zu haben, geht es um die Suche nach weiteren Lösungsansätzen.
228 X
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Die Konfliktparteien sollen sich nicht mit der „erstbesten Lösung“ zufriedengeben, sondern nach wirklichen Alternativen suchen.
Dies sollten wirkliche Alternativen, im Vergleich zu den bisher bekannten Konfliktpositionen und Lösungsansätzen sein. Entwerfen Sie bewusst alternative Zukunftsvarianten, beispielsweise in Form von Visionen, um ihre Entscheidungsgrundlage zu erweitern. Setzen Sie sich ein quantitatives Ziel, mindestens fünf echte Alternativen zu finden, und nutzen Sie Kreativitätstechniken zur Erreichung dieses Ziels. Selbstverständlich bedeutet es Arbeit, sich danach zwischen mehreren Lösungsansätzen „entscheiden zu müssen“. Man kann Entscheidungen gemeinsam mit der anderen Konfliktpartei dadurch verbessern, dass man die Bandbreite der in Betracht kommenden Alternativen verbessert. Ohne die innere Bereitschaft der Konfliktparteien, nach Alternativen zu suchen, kleben sie an den Konfliktpositionen fest. Für Edward de Bono ist das „System der Möglichkeiten“ die treibende Kraft unserer Wissenschaft und Technik – auch zur Lösung struktureller Konflikte. Eine Kombination von A & A mit anderen methodischen Ansätzen Um möglichst viele Lösungsansätze zu generieren, kann man einen mehrstufigen Interventionsprozess initiieren. Die Beteiligten machen hierbei einen kreativen Umweg, um sich auf diesen Prozess einzustimmen: X
Erster Schritt: Destruktives Brainstorming aus distanzierter Sicht In einem destruktiven Brainstorming finden die Parteien heraus, was bisher alles schief gelaufen ist. Die Frage für dieses Brainstorming könnte lauten: „Welche Mängel weist unsere bisherige Umgangsform aus der Sicht des Kollegen X auf?“ Es geht nicht darum, wer im Einzelnen was falsch gemacht hat. Es sollen die Mängel herausgearbeitet werden, die ein Außenstehender mit etwas Distanz erkennen würde, um daraus gemeinsam zu lernen.
Strategischer Handwerkskasten
229
X
Zweiter Schritt: Konstruktives Brainstorming aus gemeinsamer Sicht Die Parteien sehen sich ihre Ergebnisse an und kehren die einzelnen Mängel in positiver Richtung um. Die Frage für dieses Brainstorming könnte lauten: „Wie steigen wir ab jetzt gemeinsam in eine Konfliktlösung ein?“ Die im ersten Schritt gesammelten Mängel als Checkliste nutzend, sammelt man jetzt positive Ideen in unsortierter Form.
X
Dritter Schritt: Gedankenfelder zum Sortieren der positiven Ideen Genereller Umgang miteinander Wünsche an die andere Partei Kreditangebote an die andere Partei Konkrete Techniken zur Erarbeitung von Alternativen im Lösungsprozess
X
Vierter Schritt: Gemeinsame Vereinbarung zur Ideenfindung Die Parteien prüfen gemeinsam, ob die gesammelten Ideen sich vollständig anfühlen oder ob sie noch Dinge ergänzen wollen. Sie treffen Vereinbarungen über die Ergebnisse aus den vier Gedankenfeldern und wählen für den weiteren Lösungsprozess die gewünschten Techniken zur Ideenfindung aus.
Wenn die Parteien diese ersten vier Schritte gemeinsam durchlaufen haben, haben sie bewiesen, dass sie miteinander Ergebnisse erarbeiten können. Das ist eine gute Grundlage zur gemeinsamen inhaltlichen Lösung des strukturellen Konflikts.
Kopfstand – Workshop zur Überwindung von Unternehmenskrisen Zur wirksamen Behandlung von strukturellen Konflikten und zur Überwindung einer Unternehmenskrise können Lösungsideen effizient über einen Kopfstand-Workshop erarbeitet werden. Diese Intervention ist ein bewusst herbeigeführter Perspektivenwechsel, in Form eines Kopfstands. Bevor es zur gewünschten Suche nach Lösungsansätzen kommt, wird die zu lösende Aufgabenstellung in ihr Gegenteil umgekehrt. Dadurch wird die aktuelle Aufgabenstellung scheinbar zugespitzt. Diese Zuspitzung
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
hilft in schwierigen Situationen Denkblockaden aufzulösen und sich die Erlaubnis zu geben, das Unmögliche zu denken. Die einzelnen Schritte für die Durchführung des Kopfstand-Workshops sind: X
X
X
X
X
Stellen Sie ein Team von maximal acht Teilnehmern zusammen, das hinsichtlich des fachlichen Know-hows und der Persönlichkeiten eine „bunte Mischung“ ist. Nehmen Sie sich mit Ihrem Team für den Kopfstand-Workshop einen ganzen Tag Zeit. Treffen Sie sich hierfür nicht im Unternehmen, sondern an einem anderen Ort, beispielsweise in einem Tagungshotel. Prüfen Sie, ob Sie persönlich die Rolle des Moderators übernehmen wollen. Wenn Sie selbst inhaltlich mitarbeiten wollen, sollte ein Moderator Sie und Ihr Team moderieren und stringent führen. Beginnen Sie mit der Klärung und Formulierung der zu lösenden Aufgabenstellung und formulieren Sie gemeinsam die Zielsetzung dieses Workshops. Sammlung von Stichworten der Teilnehmer über die Ausgangssituation im Sinne der aktuellen Problem- und Aufgabenstellung. Diskussion über die Lösungsrichtung: Was genau soll erarbeitet werden und was ist das Ziel dieses gemeinsamen Workshops (z. B. Überwindung der Unternehmenskrise oder Lösung eines strukturellen Konflikts). Erarbeitung einer gemeinsam formulierten Ziel- und Aufgabenstellung für den Workshop, damit allen Teilnehmern klar ist, worum es geht. Sofern in diesem Schritt von einzelnen Teilnehmern spontan erste Lösungsansätze genannt werden, sind diese zur späteren Bearbeitung in einem Ideenspeicher festzuhalten (Materialfundus). Machen Sie danach gemeinsam mit dem Team eine Umkehrung der Lösungsrichtung in Form eines Kopfstands. Stellen Sie eine Kopfstand-Frage und machen Sie ein destruktives Brainstorming. Beispiele für derartige Kopfstand-Fragen in Krisensituationen sind: Wie schaffen wir es, innerhalb von zwei bis drei Wochen unser Unternehmen aktiv vollends „gegen die Wand zu fahren“, damit alle Mitarbeiter arbeitslos werden?
Strategischer Handwerkskasten
X
X
X
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Was können wir alles tun, um unsere Kunden für immer und ewig zu vergraulen? Was können wir alles tun, um unsere Lieferanten total abzuschrecken? Was können wir tun, um unsere Mitarbeiter zu demoralisieren und fertigzumachen? Wie steigern wir die Krankenstände in der Belegschaft? Wie bringen wir unsere strategischen Projekte auf dem schnellsten Weg zum Scheitern? Alle in diesem destruktiven Brainstorming geäußerten KopfstandIdeen werden notiert, damit sie später konkret bearbeitet werden können. Diese Umkehrung zum Verfremden des Problems ist bei strukturellen Konflikten und Krisensituationen zum Öffnen und Überwinden von Denkblockaden hilfreich. Mit dem in diesem Schritt gesammelten „Material“ wird später weitergearbeitet. Als optionalen Zwischenschritt könnten Sie mit Ihrem Team noch in andere Kopfstand-Positionen gehen, um weiteres „Material“ für die anschließende Bearbeitung zu sammeln. Derartige Positionen können Kunden, Lieferanten oder Anteilseigner sein. Eine Frage zur Hinführung des Teams in die jeweilige Position lautet: „Was würden uns unsere Kunden empfehlen, damit wir möglichst schnell pleite und ruiniert sind?“ Nach diesem Kopfstand-Brainstorming ist es wichtig, eine Pause zu machen. Die Teilnehmer müssen aus dem destruktiv ausgerichteten „Kopfstand-Status“ herausgeführt werden. Je nach Umfeld und Wetterlage kann ein Spaziergang hilfreich sein. Als Einstieg in die Bearbeitung der einzelnen Aussagen geht es anschließend zuerst um die Festlegung der Reihenfolge der Themen des umfangreichen „Materialfundus“ aus dem destruktiven Brainstorming. Die gesammelten Themen erhalten Prioritäten für die anschließende Bearbeitung.
232 X
X
Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
Danach erfolgt die Bearbeitung jeder einzelnen Aussage. Hierbei sollten Sie für jede Aussage die folgenden Schritte systematisch einhalten. Es geht um konstruktive Umkehrungen der vorher erarbeiteten Verfremdungen und um die Erarbeitung konkreter Handlungsoptionen. (1) Verständigen Sie sich gemeinsam bei jeder Aussage als Erstes darüber, um was es in dieser Aussage inhaltlich geht. Um welches Thema (Inhalt oder Tatbestand) geht es bei der jeweiligen Aussage aus dem „Materialfundus“? (2) Das ermittelte Thema wird in einem Aktivitätenkatalog notiert. (3) Dann werden durch Umkehrungen der ursprünglich negativen Aussage positive Ideen gesucht, um den Eintritt der negativen Aussage zu verhindern. Wenn die negative Aussage lautet: Reklamationen nicht ernst nehmen und nur schleppend bearbeiten, könnten die Umkehrungen jetzt lauten: Reklamationen mit höchster Priorität bearbeiten und Reklamationen zur Kundenbindung nutzen. Diese Umkehrung gibt Antworten auf die Frage: „Was wollen wir tun?“ (4) Nach dieser Umkehrung sollten Sie zu jedem Thema mindestens drei konkrete Aktivitäten im Sinne von (kurzfristigen) Handlungsoptionen gemeinsam erarbeiten. Mit diesem Schritt erarbeiten Sie sich die Antworten auf die Frage: „Wie wollen wir das umsetzen?“ (5) Die konkreten Aktivitäten werden in dem Aktivitätenkatalog mit Verantwortlichkeiten und Terminen konkretisiert (Masterplan zur Umsetzung). Alternative: Bearbeitung der einzelnen Aussagen aus dem „Materialfundus“ in Kleingruppen Nachdem die Reihenfolge zur Bearbeitung der einzelnen Themen gemeinsam festgelegt wurde, können auch Arbeitsgruppen zur Bearbeitung gebildet werden. Diese Arbeitsgruppen bearbeiten ihre Themen in der Reihenfolge der Schritte (1) bis (5). Anschließend werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im gesamten Team vorgestellt, ein gemeinsames Verständnis erarbeitet und die Einzelmaßnahmenpläne verabschiedet.
Zusammenfassung
233
Während der Schritt des verfremdenden Kopfstands oft sehr lebendig abläuft, ist die Bearbeitung jeder einzelnen Aussage aus dem „Materialfundus“ in dieser systematischen Form eher „harte Arbeit“. Alle Teilnehmer müssen in diesem Schritt konkret werden, sich festlegen und Verantwortung übernehmen. Am Ende eines derartigen Prozesses sind die Teilnehmer meistens überrascht, wie viel „Konkretes“ und „Praktikables“ sie in so kurzer Zeit erarbeitet haben. Dieser kreative und zugleich mühsame Prozess bringt bei stringenter Anwendung eine hohe Quantität und Qualität von innovativen Ideen und produktiven Ergebnissen. Durch den kreativen Umweg über die Kopfstandposition können Sie die Teilnehmer dabei unterstützen, den in Krisensituationen oft aufgestauten Ärger und Frust auf eine erlaubte Art abzulassen. Das macht die Köpfe der Teilnehmer frei für neue und andersartige Ideen. Die konkret erarbeiteten Aktivitäten in dem Masterplan spornen die Teilnehmer nach dem Workshop zur Umsetzung in die Praxis an. Sorgen Sie nach dem Kopfstand-Workshop für eine konsequente Umsetzung des gemeinsam verabschiedeten Masterplans. Die Umsetzungserfolge sollten in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit dem Team des Kopfstand-Workshops überprüft und gewürdigt werden.
4.4
Zusammenfassung
Die nützlichen Funktionen von Konflikten anzuerkennen und den Sinn einer konkreten Konfliktsituation zu erkennen, hilft strukturelle Konflikte als Chancen zu begreifen. Die Rahmenbedingungen in Unternehmen sollten eine konstruktive und faire Streitkultur fördern und fordern. Bei derartigen Rahmenbedingungen können die Menschen in Unternehmen den wirksamen Umgang mit strukturellen Konfliktsituationen und eine wirkungsvolle Kommunikation trainieren und praktizieren. Das Trainieren von gedanklicher Flüssigkeit und mentaler Bewegung in weniger schwierigen Alltagssituationen hilft, in strukturellen Konfliktsitua-
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Strukturelle Konflikte strategisch wirksam lösen
tionen einfacher die Perspektiven zu wechseln und die erforderliche Distanz zu bewahren. Dies sind für jeden Einzelnen vorteilhafte Voraussetzungen für einen wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten. Die Führungsmannschaft sollte im Unternehmen für eine konstruktive Streitkultur sorgen. Eine konstruktive Streitkultur erhöht die Effektivität und Effizienz im Alltagsgeschäft. Sie ist eine gute Basis für eine Vertrauenskultur mit einer offenen und authentischen Kommunikation. Zusätzlich ist sie eine geradezu ideale Voraussetzung, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam eine Unternehmenskrise erfolgreich zu überwinden haben. Für einen professionellen Umgang mit Unternehmenskrisen ist eine Vertrauens- und Streitkultur im Unternehmen eine gute Basis, die vor dem Eintritt einer Krise aufzubauen ist. Zur wirksamen Behandlung von strukturellen Konflikten gibt es Strategien, die Konfliktbehandlung in die alltäglichen Geschäftsprozesse zu integrieren. Die Moderation von strukturellen Konflikten zwischen den beteiligten Personengruppen erfordert die Beteiligung der Vorgesetzten dieser Gruppen. Beide Ansätze benötigen eine methodisch ausgereifte Vorgehensweise und die Nutzung von Methoden, die speziell in Konfliktsituationen effektiv sind. Ein Beispiel ist der Kopfstand-Workshop zur Überwindung von Unternehmenskrisen. Es gibt eine Vielzahl von effizienten Methoden, die eine effektive Klärung und Lösung von strukturellen Konflikten gemeinsam mit den beteiligten Personengruppen unterstützt. Diese Methoden helfen bei der Befreiung von Denkblockaden und bei der Ideenfindung für andersartige Lösungsansätze für einen strukturellen Konflikt. Andersartige Lösungsansätze sind im Vergleich zu den bekannten Lösungsansätzen der Konfliktparteien bei einem strukturellen Konflikt zur inhaltlichen Einigung meistens erforderlich.
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5
Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte für den Wandel nutzen
Themengebiete im Überblick 5. Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte für den Wandel nutzen 5.1 Praxisbeispie- 5.2 Aufdecken le: Verdeckte verdeckter strukturelle struktureller Konflikte Konflikte x Konfliktpoten-
ziale vor Projektbeginn x Konflikte nach
einer Fusion x Konflikte beim
Einstieg in einen Veränderungsprozess
5.3 Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
x Latente Konflikte x Erfolgskriterien
sichtbar machen x Systemische
Organisationsaufstellungen (SysOA) x Anwendungs-
gebiete von SysOA
5.4 Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft
für strukturellen Wandel in Unter- x Grundlegende Erfolgsfaktoren nehmen zur Unternehx Change Managemensführung ment im Unter-
nehmen gestal- x Managing Diversity ten und umsetzen x Strategischer
Handwerkskasten
x Ansätze aus an-
deren Kulturen
5.5 Zusammenfassung
Schwerpunkt zum Aufdecken von verdeckten strukturellen Konflikten ist die Methode der Systemischen Organisationsaufstellungen (SysOA). Diese Methode wird zur Klärung von Konfliktsituationen und zur Entwicklung von Lösungsansätzen eingesetzt. Sie ist auch hilfreich zur Konfliktprävention. Ihre Anwendungsgebiete sind in den Praxisbeispielen veranschaulicht. Nach der Klärung und Lösung von strukturellen Konflikten sind im Unternehmen oft Veränderungsprozesse zur Umsetzung der vereinbarten Lösung erforderlich. Der wirksame Umgang mit Unsicherheit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für strukturelle Veränderungsprozesse.
236
Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Die im letzten Abschnitt dargestellten Führungsansätze helfen in der Alltagsroutine mit strukturellen Konfliktpotenzialen wirksam umzugehen. Grundlage hierfür ist die Akzeptanz, dass strukturelle Konflikte in Unternehmen natürliche Elemente sind, die auch in der Alltagsroutine Chance-Blickwinkel und Anlässe für Innovationen bieten.
5.1
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
Es folgen Praxisbeispiele zum Aufdecken von verdeckten Konfliktpotenzialen und zum Entwickeln von Lösungsansätzen. Im ersten Beispiel handelt es sich um vorbeugende Maßnahmen zur Prävention von befürchteten Konfliktpotenzialen. Im zweiten Beispiel folgt die Klärung einer eingetretenen Konfliktsituation mit verdeckten Konfliktpotenzialen und die Entwicklung von Lösungsansätzen. Der Inhalt des dritten Beispiels ist der Einstieg in einen Veränderungsprozess zur Neuausrichtung eines Unternehmens. Die hierfür entwickelte Vision des Geschäftsführers wird durch verdeckte strukturelle Konflikte im Unternehmen nicht angenommen.
1. Beispiel: Konfliktpotenziale vor Projektbeginn Die Methode der Systemischen Organisationsaufstellungen (SysOA) wird oft als „Lernen mit dem Körper“ bezeichnet, da Menschen sich in andere Menschen und in Dinge hineinversetzen. Diese Methode eignet sich auch zur Vermeidung von unproduktiven Konflikten. Situation: Konfliktpotenziale aus der Sicht des Beraters Ein Berater (nachfolgend Herr Berger genannt) hat über einen Zeitraum von einem Jahr als Coach des internen Projektleiters ein Software-Einführungsprojekt begleitet. Dieses Einführungsprojekt (Projekt E) sollte planmäßig Ende März abgeschlossen werden. Ab April sollte der Berater
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
237
ein Folgeprojekt zum Thema IT-Anforderungsmanagement (Projekt A) durchführen. Dieses neue Projekt A bereitete Herrn Berger gedanklich große Schwierigkeiten. Bei seinen Gedanken an dieses Projekt war ihm regelrecht „mulmig“. Im Projekt E hatte er wiederholt Schwierigkeiten mit dem internen Projektleiter gehabt. Dieser Projektleiter hatte persönlich kein Interesse an dem neuen Projekt A und signalisierte Herrn Berger, dass von ihm im Projekt A keine Mitarbeit zu erwarten sei. Der Geschäftsführer als offizieller Auftraggeber für das Projekt A sollte Anfang Mai ausscheiden. Herrn Berger war unklar, wer in dem Projekt A aufgrund welcher Interessen wie handeln wird. Ihm war auch nicht transparent von welchen beteiligten Personen er die Vorgaben für seine Projektarbeit erhalten würde. Für Herrn Berger war der Sinn und Zweck des Projekts A unklar. Folgende Fragen beschäftigten ihn: X X X
X
Für wen sollen die Projektergebnisse sein? Was genau ist meine Aufgabe? Gibt es wirklich Menschen in dem Unternehmen, die an den Ergebnissen aus dem Projekt A Interesse haben oder produziere ich in dem Projekt nur „Schrankware“? Akzeptieren die Beteiligten im Unternehmen mich in der neuen Rolle als Projektleiter für das Projekt A, wo sie mich fest in der Rolle des Coaches für das Projekt E verankert haben. Wie kann ich mich aufstellen und abgrenzen?
Aufgrund dieser Situation befürchtete Herr Berger eine Vielzahl von Konfliktpotenzialen hinsichtlich der neuen Aufgabenstellung und der beteiligten Personen, insbesondere mit dem Projektleiter des abzuschließenden Projekts E. Herrn Berger war nicht klar, wie er mit diesen Konfliktpotenzialen umgehen soll. Mit dem Geschäftsführer sollte Ende Februar ein erstes Gespräch zu dem Projekt A stattfinden. Um für sich bis zu diesem Gespräch Klarheit zu verschaffen führte Herr Berger Anfang Februar eine Projektaufstellung durch.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Eine Projektaufstellung ist die Übertragung einer SysOA auf die Projektarbeit. Die Projektaufstellung gliedert sich in zwei Phasen: X X
Klärung der Situation durch Aufstellen der relevanten Projektbeteiligten und -ziele als Ausgangssituation. Kreative Variation der Aufstellung der Ausgangssituation mit dem Blick auf die Zukunft zur Erarbeitung von Lösungsvarianten.
Als Aufstellungssymbole dienten in diesem Praxisbeispiel Karten, auf denen von Herrn Berger die Funktionen der beteiligten Personen und die beiden Projekte notiert wurden. Ausgangssituation: Wahrnehmung schärfen Herr Berger ordnete die Aufstellungssymbole auf dem Fußboden (siehe Abb. 11). Die „Nasen“ der Symbole zeigen die jeweilige Blickrichtung der Symbole.
Geschäftsführer
Projektleiter E
Projekt A
Berater Berger
Förderer
Projekt E
Mitarbeiter
Abb. 11: Konfliktpotenziale vor Projektbeginn – Ausgangssituation
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Herr Berger nahm im ersten Durchgang die Positionen der folgenden Symbole ein und schilderte seine jeweiligen Wahrnehmungen in diesen Positionen. X
Herr Berger in der Position: Geschäftsführer In dieser Position erkannte er, dass der Geschäftsführer den Berater in der Rolle des Projektleiters für das Projekt A haben will. Der Geschäftsführer ist überzeugt, dass seine Interessen vom Berater fachlich vertreten werden. Deshalb lässt er dem Berater freie Hand in der Ausgestaltung des Projekts. Dies war eine erste wichtige Erkenntnis für Herrn Berger. Der Geschäftsführer blickt wohlwollend mit Abstand auf beide Projekte.
X
Herr Berger in der Position: Berater In seiner eigenen Rolle hat Herr Berger aufgrund einiger Fragen erkannt, dass es im Umfeld der beiden Projekte Förderer gibt. Daraufhin hat er seine Aufstellung um ein Symbol für die erkannten Förderer ergänzt.
X
Herr Berger in der Position: Projektleiter für das Projekt E Der Blick des Projektleiters ist auf den Geschäftsführer ausgerichtet, da er sich von ihm „interessantere“ Themen erhofft. Die Projekte, sowohl das Projekt E als auch das Projekt A, sind ihm im Grunde unwichtig. Ihm sind andere Themen wichtiger. Als Herr Berger die Position des Projektleiters eingenommen hatte, schwankte sein Stand. Als er den hierfür zugrunde liegenden Gefühlen genauer nachging, spürte er, dass der Projektleiter selbst seine eigenen Probleme hatte. Der Projektleiter fühlte sich einsam und von verschiedenen Seiten bedroht. Er bekam von den anderen Beteiligten keine Unterstützung, vor allem nicht von den Mitarbeitern, für die die Einführung der Software im Projekt E erfolgte. Auch diese Erkenntnis war für Herrn Berger zur Einschätzung der Situation wichtig. Bisher war Herr Berger davon ausgegangen, dass er alleine Schwierigkeiten mit dem Projektleiter hatte. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Auch die anderen Mitarbeiter scheinen mit dem Projektleiter nicht zurecht zu kommen.
240 X
Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Herr Berger in der Position: Projekt IT-Anforderungsmanagement (Projekt A) Den ersten Durchgang schloss Herr Berger mit dem Einnehmen der Position des neuen Projekts ab. In dieser Position war er froh, dass es Förderer im Sinne von Unterstützern für das Projekt gab. Obwohl er in dieser Position einen mühsamen Anfang verspürte, blieb er mit seinem Blick nach vorne gerichtet.
Intervention und Vorgaben für den zweiten Durchgang Nachdem die Ergebnisse des ersten Durchgangs besprochen waren, gab es nur eine einzige Vorgabe für Herrn Berger: Die nahe Zukunft. Er sollte seinen Blick in die Zukunft richten, und zwar auf den Zeitraum Ende April/Anfang Mai. Mit dieser Blickrichtung sollte er die Aufstellungssymbole betrachten und die Aufstellung entsprechend verändern. Das war für Herrn Berger ein Ruck mit einem „Aha-Effekt“. Dieser zeitliche Wechsel in der Blickrichtung erleichterte ihn deutlich wahrnehmbar. Diese zweite Aufstellung bereitete offensichtlich Freude. Das Ergebnis der zweiten Aufstellung ist in der Abb. 12 dargestellt. Die Förderer des Projekts sind in dieser zweiten Aufstellung näher an das Projekt A rangerückt, auch unter dem Aspekt, dass das Projekt E inzwischen abgeschlossen ist. Auch die Mitarbeiter blicken in dieser Aufstellung auf das Projekt A, was Herrn Berger den Eindruck vermittelt, dass die Projektergebnisse von den Mitarbeitern gebraucht werden. Damit wurde eine weitere Unklarheit, die von Herrn Berger vor Beginn der Aufstellungsarbeit genannt wurde, in diesem zweiten Durchgang klarer. Der Projektleiter des früheren Projekts E blickt jetzt ganz nach außen, wo er für sich erhofft, eine für ihn interessantere Aufgabe übernehmen zu können. Insofern steht dieser Projektleiter Herrn Berger nicht mehr als vermeintliches Drohpotenzial für sein Projekt A im Wege. Dies war für Herrn Berger wieder eine wichtige Erkenntnis.
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Geschäftsführer Projektleiter E Förderer
Projekt A
Berater Berger
Projekt E
Mitarbeiter
Abb. 12: Konfliktpotenziale vor Projektbeginn – Zweite Aufstellung Das Projekt E ist abgeschlossen und die Software ist eingeführt. Herr Berger hat somit seine Aufgabe für das Projekt E erfolgreich beendet und blickt jetzt auf das Projekt A, das seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Mit dem abgeschlossenen Projekt E im Rücken kann er sich gestärkt und freier auf das Projekt A konzentrieren. Hinsichtlich des fachlich erforderlichen Inputs für das Projekt A kann er sich auf die Unterstützung der Mitarbeiter im Unternehmen verlassen. Ansonsten hat er freie Hand für seine Projektarbeit. Abschlussbesprechung: Ergebnisse und Handlungsanleitung zur Umsetzung In der Abschlussbesprechung hat Herr Berger die Erkenntnisse seiner Projektaufstellung wie folgt zusammengefasst: 1. Für das anstehende Projekt A dürfte es keine wirklichen Probleme geben! Diese Kernaussage ist eine völlige Umkehrung der Situation: Konfliktpotenziale aus der Sicht des Beraters.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
2. Es gibt weiterhin einige schwierige Themen mit dem Projektleiter des noch laufenden Projekts E. Diese müssen gesondert, auf persönlicher Ebene zwischen ihm und dem Projektleiter, geklärt werden. Diese Schwierigkeiten haben nichts mit dem neuen Projekt A zu tun und sind davon getrennt zu behandeln. 3. Durch die zweite Aufstellung hat sich der Berater in die Lage gebracht, die Rahmenbedingungen für das Projekt A zu definieren. Durch das Projekt A kann Herr Berger einen Veränderungsprozess initiieren, der Erfolg versprechend sein kann. Er hat in der Aufstellung erkannt, dass es im Unternehmen Menschen gibt, die den initiierten Prozess nach Abschluss des Projekts fortsetzen werden. Es gibt kurz-, mittel- und langfristige Förderer für die Inhalte des Projekts A, die auch Nutzer der Projektergebnisse sein werden. Verhinderer oder Störer gibt es für das Projekt A nicht – auch nicht seitens des Projektleiters des Projekts E. Das Ergebnis dieser Rahmenbedingungen ist: Es lohnt sich in diesem Projekt A sinnvolle Arbeit zu leisten. 4. Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen und den Einzelergebnissen aus den beiden Aufstellungen hat Herr Berger sich eine Handlungsanleitung für die nächsten Schritte erarbeitet. In dem anstehenden Gespräch mit dem Geschäftsführer wird Herr Berger ihn über dessen Wünsche und Anforderungen für die zu erarbeitenden Projektergebnisse befragen. Darüber hinaus gibt es im Moment keinen weiteren Abstimmungsbedarf. Ab Anfang April muss Herr Berger, für alle Beteiligten deutlich erkennbar, die alte Rolle des Coaches für den Projektleiter des Projekts E offiziell abgeben und ablegen. Genauso offiziell muss er mit diesem Schritt die Rolle des Projektleiters für das Projekt A einnehmen. Für die inhaltlichen Zielvorgaben des Projekts A bedarf es – außer der ersten Abstimmung mit dem Geschäftsführer – keiner weiteren Abstimmungsgespräche. Er kann die einzelnen Aufgabenstellungen aufgrund der eigenen Erfahrungen im Unternehmen nach eigenem
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Ermessen ausgestalten. Keine der aufgestellten Personen wird ihm in sein Projekt hineinreden wollen. Zur Einbindung der fachlich erforderlichen Ansprechpartner für die Projektarbeit wird Herr Berger die rechtzeitige Einbindung der Förderer und Mitarbeiter des Unternehmens in den Projektablauf einplanen. Resümee Wenn man die am Anfang beschriebene Situation über die Konfliktpotenziale mit den Ergebnissen aus dem Abschlussgespräch vergleicht, so liegen Gedankenwelten dazwischen. Die anfängliche Situation beinhaltete befürchtete Konfliktpotenziale, die durch die Projektaufstellung präventiv geklärt und behandelt werden konnten. Herr Berger hat dadurch unproduktive Konfliktpotenziale, die er ohne diese Projektaufstellung aufgrund seiner Befürchtungen in die Projektarbeit voraussichtlich eingebracht hätte, im Vorwege für sich und damit für die Projektarbeit geklärt. In den folgenden Wochen nach der Projektaufstellung hat Herr Berger die erarbeitete Handlungsanleitung konsequent in die Praxis umgesetzt, angefangen beim Gespräch mit dem Geschäftsführer. Das Projekt A wurde Ende Mai durch Herrn Berger erfolgreich abgeschlossen und die Projektergebnisse von den zukünftigen Nutzern zufrieden abgenommen. Wichtig bei einer Projektaufstellung oder einer anderen Form der SysOA ist, dass man am Ende konkrete Maßnahmen zur Umsetzung in die Praxis definiert. Durch diese Methode kann man eine Problemstellung nur „am Reißbrett“ klären und Lösungsansätze erarbeiten. Die reale Lösung muss man anschließend in die Praxis umsetzen.
2. Beispiel: Konflikte nach einer Fusion Durch Umstrukturierungen und Fusionen ist in den letzten Jahren in Unternehmen viel in Bewegung gekommen. Nach derartigen Bewegungen in Unternehmen sind sich einige Mitarbeiter manchmal nicht mehr
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
im Klaren, wo genau ihr Platz in der neuen Struktur ist. Dieses strukturelle Konfliktpotenzial wird dann oft auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgetragen. Mit der Methode der SysOA kann man Menschen helfen, ihren eigenen Platz in der Organisation zu finden. Situation: Konflikte mit dem Chef und mit Kollegen Herr Paul ist ein langjähriger Mitarbeiter in einem mittelständischen Großhandelsbetrieb. Er kam zu einem Einzelcoaching, weil er das gespannte Verhältnis zu seinem Chef und auch zu einigen seiner Kollegen nicht mehr ertragen wollte. In der Verkaufsabteilung, in der er arbeitete, gab es neben seinem Chef und der Sekretärin noch fünf weitere Kollegen. Am Anfang seiner Zusammenarbeit mit seinem jetzigen Chef, der den Vorgänger vor einem Jahr ablöste, hatte sich Herr Paul auf ihn eingelassen. Es gab allerdings manchmal leichte Spannungen. Vor sechs Monaten hatte der Großhandelsbetrieb mit einem bisherigen Wettbewerber fusioniert. Die Verkaufsabteilung wurde um Mitarbeiter des bisherigen Wettbewerbers erweitert. Die neuen Kollegen hatten bisher in einer anderen Unternehmenskultur (mehr Hierarchie, höhere Fixgehälter) gelebt, wodurch es seit der Zusammenführung öfter zu Spannungen kam. Vor allem hatten sich seitdem die Spannungen zwischen Herrn Paul und seinem Chef deutlich erhöht. Es kam schon zu lautstarken Auseinandersetzungen. Manchmal dachte Paul, er sei ein viel besserer Vorgesetzter. Das Klima unter den Kollegen verschlechterte sich täglich. Herr Paul wollte herausfinden, welche Rolle er in der Abteilung einnimmt und zukünftig einnehmen könnte. Er wollte die Ursachen für die Spannungen zu den Kollegen und dem Chef ergründen. Da er als langjähriger Mitarbeiter ansonsten keinen Anlass hatte das Unternehmen zu verlassen, wollte er auch wissen, was er zu einer Verbesserung des Klimas in der Abteilung beitragen kann. Wie im Beispiel von Herrn Berger wurde die Methode der SysOA angewandt und durch einen Coach begleitet. Als Aufstellungssymbole dienten Karten, auf denen von Herrn Paul die Funktionen der Beteiligten notiert wurden. Auf eine Karte schrieb er seinen Namen.
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Ausgangssituation: Wo stehe ich in der Abteilung? Herr Paul ordnete die Karten als Aufstellungssymbole (siehe Abb. 13) auf dem Fußboden. Die „Nasen“ der Symbole zeigen die jeweilige Blickrichtung der einzelnen Personen.
Chef
Sekretärin
Kollege Alt (2) Kollege Neu (1)
Kollege Neu (2)
Kollege Neu (3)
Herr Paul Kollege Alt (1)
Abb. 13: Konflikte nach einer Fusion – Ausgangssituation Herr Paul nahm im ersten Durchgang die folgenden Positionen ein und schilderte seine jeweilige Wahrnehmung in diesen Positionen. X
Herr Paul in der Position: Chef In dieser Position stellt er sich aufrecht hin, schaut auf die anderen Positionen herab und scheint sich dabei ganz wohl zu fühlen. Er schaut wohlwollend auf seine Sekretärin und sagt: „Auf sie kann ich mich voll verlassen. Sie war von Anfang an meine beste Stütze in der Abteilung.“ Dann schaut er auf die Kollegen, kneift die Augen etwas zusammen und sagt: „Das kann ich von meinen anderen Mitarbeitern nicht behaupten. Die bedrängen mich irgendwie.“ Dann fixiert sein Blick Herrn Paul, der fast genau gegenüber und im Vergleich zu den anderen Kollegen, etwas weiter vorne steht. Die Augen von Herrn Paul in der Position des Chefs verengen sich weiter. Er sagt in dieser Chef-Position zur Position des Herrn Paul: „Besonders Herr Paul zeigt seit einiger Zeit ein hohes aggressives Verhalten, das wiederholt Spannungen zwischen uns hervorruft. Er sollte wissen, dass ich der
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Stärkere bin.“ Danach sieht Herr Paul in der Chef-Position auch die anderen Kollegen einzeln scharf an, als wolle er andeuten, dass seine letzte Äußerung auch ihnen gelte. X
Herr Paul in der Position: Sekretärin In dieser Position wirkt Herr Paul etwas verunsichert und schaut etwas bedrückt auf die Positionen der Kollegen. Er sagt: „Ich finde die Last von meinem Chef erdrückend und verstehe nicht so richtig, weshalb mich die Kollegen so böse ansehen.“
X
Herr Paul in der Position: Kollege Alt (2) „Obwohl ich hier dem Chef am nächsten stehe und auch schon lange in diesem Laden bin, habe ich keine Verbindung zum Chef. Im Gegensatz zum früheren Chef zieht dieser Chef sich immer mehr zurück (Herr Paul in der Position des Kollegen Alt (2) zeigt auf die Position des Chefs). Ich habe das Gefühl, dass der Chef sich von uns abschottet.“ Am liebsten würde der Kollege Alt (2) seinen Platz wechseln, aber er weiß nicht wo er hingehen soll. Mit 61 Jahren sieht er für sich keine Alternative zum jetzigen Arbeitgeber.
X
Herr Paul in der Position: Kollege Neu (1) In dieser Position schaut sich Herr Paul verärgert zuerst die Kollegen und dann den Chef an. „Wenn ich mir das alles so ansehe, bin ich über die Fusionen und deren Konsequenzen für mich wütend. Auch mir gefällt es nicht hier zu stehen. Mir stinkt es, in dieser Abteilung zu arbeiten, in der ich keinen richtigen Kontakt zum Chef und zu den Kollegen finde.“ Beim letzten Satz geht der Blick von Herrn Paul in der Position „Kollege Neu (1)“ auf die Kollegen Alt, also auch auf die Position von Herrn Paul.
X
Herr Paul in der Position: Herr Paul „Auch ich würde am liebsten woanders stehen. Insbesondere meinem Chef mag ich nicht mehr in die Augen schauen.“ Er geht einen Schritt zurück. „Hoffentlich bleibt der da stehen und kommt nicht näher an mich ran.“ Herr Paul fängt in seiner Position an zu zittern. Auf das Zittern angesprochen, sagt er: „Ja, aus Wut. Einerseits würde ich mich am liebsten vor ihm verstecken, andererseits könnte ich ihn umbringen.“
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Daraufhin verließ Herr Paul seine Position. Er wurde gebeten, seine letzten Gefühle abzuschütteln und in die aktuelle und reale Situation zurückzukommen. Intervention vor dem zweiten Durchgang: Aufdecken einer Doppelbelichtung Aufgrund der heftigen emotionalen Reaktion von Paul in seiner eigenen Position entstand die Vermutung, dass hier eine so genannte Doppelbeleuchtung vorliegen könnte (siehe Kapitel 3 „Systemische Wechselwirkungen von Familie und Unternehmen“). Herr Paul wurde gebeten, einmal etwas anderes auszuprobieren. Er stellte sich auf Anweisung zwischen seine eigene Position und die Position seines Chefs. Der Coach fragte Herrn Paul nach dem Namen seines Chefs und wie er ihn anrede. Dann bat der Coach ihn zu sagen: „Herr Winter, Sie sind mein Chef und Vorgesetzter.“ Herr Paul hatte deutlich Schwierigkeiten, diesen Satz mit Blick auf die Position des Chefs auszusprechen. Irgendwie schaute er durch seinen Chef durch und fing wieder an zu zittern. Der Coach nahm das Aufstellungssymbol für den Chef weg, stellte sich selbst etwas hinter die Position, wo bisher dieses Symbol lag und fragte dabei: „Wenn ich den Chef zur Seite ziehe, kommt eine andere Person zum Vorschein. Wer ist diese Person?“ Wieder begann Herr Paul zu zittern. Mit großen Augen presste er die Worte: „Mein Vater“ heraus. Wut und Traurigkeit schienen gleichermaßen in dem Gesicht von Herrn Paul ihren Ausdruck zu finden. Der Coach legte daraufhin das Aufstellungssymbol des Chefs neben sich, gab Herrn Paul eine Aufgabe und nannte ihm die Sätze, die er hierbei sprechen sollte. Wie aufgetragen, führte Herr Paul die Aufgabe aus: X X X
Zuerst schaute er in die Richtung des Coaches und sagte: „Du bist mein Vater.“ Dann schaute er in die Richtung des Symbols für den Chef und sagte: „Sie sind mein Chef.“ Diese beiden Aussagen wiederholte er mehrmals.
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Abschließend schaute er sich beide Positionen abwechselnd an und sagte: „Und ihr beide seid zwei völlig andere Personen, die nichts miteinander zu tun haben. Du Vater gehörst zu meiner Familie und Sie, Herr Winter, sind mein Chef.“
Die Intervention wurde mit dem Hinweis abgeschlossen, dass Herr Paul für die Beziehung zu seinem Vater prüfen sollte, weshalb diese mit den emotional starken Gefühlen verbunden ist. Auf Nachfrage zur aktuellen Aufstellung meinte Herr Paul, dass der Druck, der von seinem Chef bisher ausgegangen ist, nicht mehr ganz so stark sei. Er kann seinem Chef jetzt wohl besser in die Augen sehen als in der ersten Aufstellung. Vorgaben für auf den zweiten Durchgang Bevor Herr Paul die erste Aufstellung für den zweiten Durchgang variierte, sollte er sich überlegen, was er seinem Chef im Sinne einer Klärung gerne sagen würde. Er sollte sich auch überlegen, was er sich kurzfristig von seinem Chef wünscht und was er selbst kurzfristig zur Verbesserung der Situation beitragen kann. Kurzfristig beinhaltet einen Zeitraum von drei Monaten. Herr Paul überlegte und variierte dann die erste Aufstellung. Das Ergebnis ist in Abb. 14 dargestellt.
Sekretärin Chef Herr Paul Kollege Neu (3)
Kollege Alt (2)
Kollege Neu (1) Kollege Neu (2)
Kollege Alt (1)
Abb. 14: Konflikte nach einer Fusion – Zweite Aufstellung
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Herr Paul hatte das Aufstellungssymbol für seine Position näher zur Position des Chefs gelegt. Das Symbol für Herrn Paul schaute in die Runde der Kollegen, mit seitlichem Blick zum Chef. Die Kollegen standen insgesamt mehr in einem Halbkreis, weniger in Form einer Front zum Chef. Die Kollegen waren gemischt (Alt und Neu) aufgestellt. Die Position der Sekretärin wurde von Herrn Paul etwas nach hinten gerückt. Nachdem Herr Paul seine zweite Aufstellung durchgeführt hatte, nahm er die folgenden Positionen ein: X
Herr Paul in der Position: Herr Paul In dieser Position wendet er sich zuerst an die Position seines Chefs. „Da Sie wissen, dass ich fast am längsten in dieser Abteilung arbeite und mit nahezu allen Themen und vielen Kunden vertraut bin, sind Sie bei Ihrem Arbeitsantritt mit Fragen immer zu mir gekommen. Obwohl ich auch Ihren Job hätte machen können, habe ich Sie mit meiner ganzen Erfahrung bei Ihrer Einarbeitung unterstützt. Darüber habe ich nie ein anerkennendes Wort von Ihnen gehört. Als dann die neuen Kollegen dazu kamen, hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr von Ihnen beachtet zu werden. Das hat mich gekränkt.“ Nachdem er diese Worte losgeworden war, schaute Herr Paul kurz zum Boden. Dann richtete er sich wieder auf und sagte: „Ich wünsche mir, dass wir als Abteilung zusammenarbeiten und wir Kollegen uns untereinander vertreten können. Außerdem wünsche ich mir, dass meine Erfahrungen aus den letzten knapp 20 Jahren anerkannt werden.“ Wieder ein kurzer Blick zum Boden: „Ich weiß, dass Sie der Chef sind und ich erkenne dies auch an. Ich will mich zukünftig auch mehr in die Zusammenarbeit mit den Kollegen einbringen.“ Zu den Kollegen gewandt, sagte Paul: „Ich akzeptiere auch die neuen Kollegen und wünsche mir von allen Kollegen eine kooperative Zusammenarbeit. Ich werde meinen Teil dazu beitragen.“ Dann verließ Herr Paul seine eigene Position sichtlich erleichtert.
X
Herr Paul in den Positionen: Kollege Neu (1) und Alt (2) In beiden Positionen hatte Herr Paul eine entspannte Haltung eingenommen und jeweils auch die Bereitschaft einer zukünftig kooperativen Zusammenarbeit bekräftigt.
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X
Herr Paul in der Position: Chef Als Herr Paul jetzt die Position seines Chefs einnimmt, schaut er nicht mehr so auf die anderen Positionen herab. Er wirkt eher nachdenklich. Als erstes wendet er sich an die Position von Paul: „Ich habe in meiner Einarbeitungszeit sehr von Ihren Erfahrungen profitiert. Es tut mir leid, dass ich dies Ihnen gegenüber nicht so zum Ausdruck gebracht habe. Ich danke Ihnen für Ihre bisherige Unterstützung und freue mich, dass Sie in meiner Nähe stehen. Ich möchte zum Wohle unserer Abteilung auch zukünftig auf Ihre Erfahrungen zurückgreifen dürfen.“ Dann wendet er sich an die Positionen aller Kollegen: „Ich weiß, dass ich mich, insbesondere als die neuen Kollegen dazukamen, etwas zurückgezogen habe. Mir war das in meiner noch neuen Rolle alles etwas zu viel. Ich freue mich, dass Sie eine kooperative Zusammenarbeit anbieten und mich in meiner Rolle als Vorgesetzter akzeptieren. Ich werde zukünftig offener und direkter auf jeden einzelnen von Ihnen zu gehen.“
X
Herr Paul in der Position: Sekretärin Im Vergleich zur ersten Aufstellung ist die Haltung von Herrn Paul in dieser Position jetzt entspannter: „Ich fühle mich jetzt nicht mehr nach vorne geschoben. Die Kollegen schauen mich jetzt offener und freundlicher an.“
Als Herr Paul diese Position verließ und sich die zweite Aufstellung nochmals anschaute, sagte er: „Ja, dieser Platz passt zu mir – in der Beziehung zu meinem Chef und zu den Kollegen. Abschlussbesprechung: Ergebnisse und nächste Schritte In der Abschlussbesprechung hat Herr Paul seine Erkenntnisse wie folgt zusammengefasst: 1. In der ersten Aufstellung waren die Positionen „Chef“ und „Herr Paul“ frontal gegenübergestellt. Dies hat die persönlichen Spannungen zwischen diesen beiden Positionen zum Ausdruck gebracht.
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2. Dass Herr Paul die Position des Chefs im Unternehmen mit der Rolle seines Vaters vermischte und dadurch negative emotionale Erinnerungen aus seiner Familie auf seinen Chef übertrug, war seine wichtigste Erkenntnis aus der Aufstellungsarbeit. Er hatte zu seinem Vater ein etwas gestörtes Verhältnis. Ihm wurde in der Abschlussbesprechung bewusst, dass er auch mit seinem vorherigen Vorgesetzten dieselbe Schwierigkeit hatte, ihn als Autoritätsperson anzuerkennen. Er entschied sich, dieses Thema mit seinem Vater im Rahmen einer Familienaufstellung weiter zu bearbeiten. 3. Die weitere wichtige Erkenntnis war für Herrn Paul, die Konstellation der Abteilung zu akzeptieren und die eigene Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Indem er sich entschied, nicht mehr heimlich der Abteilungsleiter sein zu wollen und seinen Vorgesetzten akzeptierte, war für ihn der Weg frei, seine eigene Rolle zu finden. Auf dem Platz in der Nähe seines Vorgesetzten und gleichzeitig in einer Reihe mit den anderen Kollegen fühlte er sich wohl. Auf diesem Platz hat er Kontakt zu allen Kollegen und kann seine Erfahrungen gegenüber den Kollegen und dem Chef einbringen. Als erste Aufgabe nach der Abschlussbesprechung hatte sich Herr Paul vorgenommen, konkrete Schritte auszuarbeiten, wie er in der Realität auf seinen Vorgesetzten und auf seine Kollegen zugeht, um die Themen der Aufstellung für sich in der Praxis zu klären. Resümee Wenn Menschen in ihrem Umfeld durchgehend Schwierigkeiten mit ihren Vorgesetzten haben, kann dies ein Hinweis auf eine Doppelbelichtung sein. Auf unbewusster Ebene verwechseln und vermischen Menschen ihre jeweils aktuellen Vorgesetzten mit einer anderen Person, zu der sie ein gestörtes Verhältnis haben. Dies kann ein Elternteil, ein Lehrer oder eine andere frühere Autoritätsperson sein. Diese Vermischung führt zu unbewussten und damit zu verdeckten Konfliktpotenzialen. Für diese Menschen ist es wichtig, die beiden im Unterbewusstsein überblendeten Personen bewusst zu trennen. Mit den Formeln: „Du bist mein Vater“ und „Sie sind mein Chef“ sowie „Ihr seid unterschiedliche Personen und
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habt nichts miteinander zu tun“ hat Herr Paul eine bewusste Trennung für sich initiiert. Diesen in der Aufstellung initiierten Prozess hat Herr Paul in der Praxis schrittweise für sich umgesetzt.
3. Beispiel: Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess Das folgende Beispiel stammt aus einem Konfliktmanagement-Training, an dem Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen teilgenommen haben. Dort wurde die Methode der SysOA als Lösungsweg für besonders verzwickte und schwer erkennbare Konfliktsituationen vorgestellt. Daraufhin meldete sich ein Teilnehmer, der sich in einer solchen Situation befand und bereit war, seine Situation aufzustellen. Bei dieser Aufstellung wurde nicht mit Aufstellungssymbolen, sondern mit Teilnehmern aus dem Training als so genannte Stellvertreter für die aufzustellenden Positionen gearbeitet. Situation: Ein Geschäftsführer im Konflikt mit seinen Führungskräften Herr Appelt war Geschäftsführer eines Groß- und Außenhandelsunternehmens, das historisch gewachsen unter drei Firmierungen am Markt agierte. Er hatte die Vision, dass das Unternehmen in fünf Jahren unter einer einheitlichen Firmierung zum Branchenführer aufsteigt. Handelssparten des Unternehmens waren Holz, Papier und Karton. Herr Appelt war von seiner Vision überzeugt und hatte schon viel konzeptionelle Arbeit und Geld für Marktforschungen investiert, um seine Vision zu konkretisieren. Er fand in seiner Führungsmannschaft aber wenig Unterstützung für seine Vision. Er schildert die Situation: „Mit meiner strategischen Konzeption bin ich jetzt an einem Punkt, von dem ab konkrete Maßnahmen mit den Führungskräften der Handelssparten gemeinsam zu erarbeiten sind. Die Führungskräfte blockieren die Zusammenarbeit unterschwellig und ich weiß nicht weshalb?“
Praxisbeispiele: Verdeckte strukturelle Konflikte
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Jede der drei Handelssparten wurde in einer eigenen Firma vertrieben, mit eigenem Vertriebssystem und unterschiedlichen Kunden. Herr Appelt wollte unter einer einheitlichen Firma die Vertriebssysteme transparenter gestalten und somit bei den Kunden Cross-Selling-Chancen ausnutzen. Alle Kunden sollten das neue Unternehmen als Einheit mit mehreren Handelssparten wahrnehmen. Bei der Vorstellung seiner Konzeption für einen einheitlichen Marktauftritt wurde Herr Appelt von den Führungskräften der Handelssparten zuletzt offen blockiert, so dass die Situation eskalierte. Jetzt wollte Herr Appelt durch die Aufstellung wissen, was er tun könne, damit er trotz der eskalierten Konfliktsituation mit seiner Führungsmannschaft gemeinsam an der Umsetzung der Vision weiterarbeiten kann. Herr Appelt wählte aus den anderen Teilnehmern des Trainings drei Stellvertreter für die Führungskräfte, jeweils einen Stellvertreter für seine Vision, für einen symbolischen Kunden sowie für sich selbst aus. Die Teilnehmer waren bereit, als Stellvertreter zu fungieren. Ausgangssituation: Herr Appelt stellte die ausgewählten Stellvertreter im Raum auf. Die „Nasen“ der Symbole zeigen die jeweilige Blickrichtung der Stellvertreter (vgl. Abb. 15). Die aufgestellten Stellvertreter wurden in ihren Positionen nach ihren Eindrücken und Befindlichkeiten befragt. X
Geschäftsführer Obwohl die Vision vom Geschäftsführer weit weg war, hatte er sie doch genau vor Augen. Ihn störten die Führungskräfte, die ihm seine Sicht auf die Vision etwas verdeckten. Geschäftsführer: „Irgendwie versuche ich die Führungskräfte zur Vision hin zu treiben, aber die bewegen sich überhaupt nicht nach vorne. Ich agiere hinter ihrem Rücken irgendwie hilflos.“
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Führungskraft „Holz“
Geschäftsführer
Führungskraft „Karton“
Führungskraft „Papier“
Kunde Vision
Abb. 15: Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess – Ausgangssituation X
Führungskräfte Die drei Führungskräfte sahen sich untereinander nicht an und nahmen sich selbst jeweils als vollkommen eigenständige Firmen wahr. Obwohl sie sich in Bezug auf Kunden eher als Konkurrenz empfanden, hatten sie den Kunden kaum oder gar nicht in ihrer Blickrichtung. Die Vision hatte keiner der Führungskräfte richtig vor Augen. Der Geschäftsführer hielt ihnen zwar den Rücken frei, eine Beziehung zu ihm hatten alle drei Führungskräfte aber nicht.
X
Kunde Der Kunde schaute etwas verwirrt auf die anderen. Er wusste nicht genau, auf welche Handelssparte er seinen Blick ausrichten sollte. Am meisten irritiert war er, dass ihn die anderen kaum ansahen. Kunde: „Ich frage mich, wie wichtig bin ich eigentlich für das Unternehmen?“ Er wagte einen kurzen Blick zur Vision und sagte: „Die würde mich mal interessieren.“
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X
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Vision Die Vision erwiderte den Blick des Kunden freundlich: „Endlich werde ich von jemandem wahrgenommen.“ Bisher hatte sie nur der Geschäftsführer gesehen. „Ich glaube die anderen wissen gar nicht, wie wichtig ich für sie bin.“ Sie war der Meinung, dass ihr Standpunkt am Rande des Geschehens nicht ihrer Rolle und Aufgabe entsprach.
Nachdem Herr Appelt als Beobachter der Ausgangssituation zu den Befragungsergebnissen der einzelnen Stellvertreter nichts zu ergänzen hatte, folgte die Intervention vor dem zweiten Durchgang. Intervention und Vorgabe für den zweiten Durchgang Im ersten Schritt sollten die drei Führungskräfte untereinander Blickkontakt aufnehmen und sich auch die Vision und den Kunden genauer ansehen. Die vorher angespannten Beziehungen der drei Führungskräfte untereinander lockerten sich etwas auf. Dem Kunden konnten alle drei in die Augen schauen, nur die Vision wurde von ihnen weiterhin sehr skeptisch in Augenschein genommen. Befragt nach den Hintergründen ihrer skeptischen Haltung, äußerten die Führungskräfte ihre Ängste, dass die Vision ihnen ihre bisherige Verantwortung und Eigenständigkeit entzieht. Das war Herrn Appelt bis zu diesem Zeitpunkt so nicht bewusst. Er versichert ihnen, dass sie ihre bisherigen Verantwortungsbereiche weiterhin eigenständig führen und nur gegenüber dem Kunden unter einem gemeinsamen Dach auftreten sollten. Hier schien ein unausgesprochenes Thema zwischen dem Geschäftsführer und seiner Führungsmannschaft im realen Leben zu existieren, das beim zweiten Durchgang geklärt werden sollte. Nachdem durch die Intervention die Stimmung etwas lockerer wurde, gab es für die zweite Aufstellung eine Vorgabe für die Stellvertreter: Sie sollten sich so aufstellen, dass sie sich alle untereinander sehen konnten. Dazu musste als Erstes der Geschäftsführer hinter seinen Führungskräften hervor kommen und sich für alle sichtbar positionieren. Danach positionierten sich alle anderen nahezu kreisförmig an. Das Ergebnis der zweiten Aufstellung ist in Abb. 16 dargestellt.
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Führungskraft „Papier“ Führungskraft „Holz“
Führungskraft „Karton“
Geschäftsführer
Vision
Kunde
Abb. 16: Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess – Zweite Aufstellung Der Kunde und die Vision rückten näher an die anderen heran und wollten „dabei sein“. Alle bildeten einen Kreis, in dem jeder jeden sehen konnte. Die einzelnen Stellvertreter lächelten sich untereinander an. Sie wurden wieder nach ihren Eindrücken und Befindlichkeiten gefragt. X
Geschäftsführer Er freute sich, dass er die Vision jetzt klar und deutlich sehen konnte. Da er jetzt auch alle anderen sehen konnte, fiel es ihm leichter, alle direkt anzusprechen. Er schaute zu dem Kunden, zu der Vision und zu seinen Führungskräften und erklärte allen gemeinsam, dass die Vision das ganze Unternehmen bei allen Kunden bekannter machen soll und jedem Kunden einen Zusatznutzen bringen wird. Auf die Ergebnisse aus der vorherigen Intervention eingehend betonte er gegenüber den Führungskräften, dass hierdurch deren Verantwortungsbereiche nicht eingeschränkt werden: „Durch die Vision sollen unsere Kundenbeziehungen auf eine breitere Basis gestellt werden, die uns eine europäische Expansion ermöglicht.“
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X
Führungskräfte Die Führungskräfte hörten dem Geschäftsführer aufmerksam zu, blieben aber in einer zurückhaltenden Zustimmung. Die Führungskraft „Holz“, als langjähriger Mitarbeiter, sprach aus, was wohl auch die anderen störte: „Auch wenn du uns jetzt direkt siehst und ansprichst, geht es dir immer nur um deine Vision und nicht um uns. Mir fehlt eine persönliche Wertschätzung über das, was ich in den vielen Jahren für das Unternehmen geleistet habe. Dein ausschließlicher Blick für die Zukunft stellt unsere Leistungen aus der Vergangenheit in den Schatten.“ Das zustimmende Nicken der beiden anderen Führungskräfte zeigte, dass alle drei Führungskräfte eine Wertschätzung ihrer bisherigen Leistungen durch den Geschäftsführer vermissten. Es entstand der Eindruck, dass der Geschäftsführer in seine Vision „verbohrt“ war und dadurch andere Dinge nicht wahrgenommen und deshalb auch nicht gewürdigt hatte.
X
Geschäftsführer Der Geschäftsführer schien von der Aussage der Führungskraft „Holz“ zunächst getroffen und von der anschließenden Erkenntnis betroffen. Nach einer Weile hatte er sich besonnen und sprach alle drei Führungskräfte nacheinander einzeln an: „Es tut mir leid, dass ich durch die strikte Verfolgung meiner neuen Ideen deren Voraussetzungen vergessen habe, nämlich dass wir es in unserem Unternehmen so weit gebracht haben. Ohne den Erfolg, den du in deinem Verantwortungsbereich erzielt hast, wären wir gemeinsam nicht so weit wie wir jetzt sind. Ich sehe was du alles für unser Unternehmen geleistet hast und wünsche mir, dass wir unsere Aufgaben weiter gemeinsam so erfolgreich erledigen.“ Nachdem er sich an alle drei Führungskräfte persönlich gewandt hatte, wurde die Stimmung unterhalb der Führungskräfte und zum Geschäftsführer entspannter. Der Geschäftsführer wandte sich dann an den Kunden und brachte auch ihm gegenüber seine Wertschätzung entgegen. Schließlich hatten die Kunden durch ihre langjährige Treue zur erfolgreichen Entwicklung des Unternehmens maßgeblich beigetragen.
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X
Kunde Der Kunde reagierte leicht ironisch: „Ich dachte schon, dass es um mich hier gar nicht geht.“ Nachdem der Kunde anschließend die Wertschätzung des Geschäftsführers angenommen hatte, machte er deutlich, dass er diese Aufstellung mit dem offenen Umgang als angenehm empfindet. Er freute sich über das breitere Angebot von mehreren Handelssparten der drei Führungskräfte. Jetzt war er gespannt, welcher weitere Nutzen sich für ihn durch die Vision ergeben würde.
X
Vision Die Vision lächelte daraufhin den Kunden an und griff den Faden auf: „Ich bin überzeugt, dass ich dir gemeinsam mit den anderen einen wertvollen Zusatznutzen bringen kann.“ Anschließend wandte sie sich an die drei Führungskräfte und bat diese um aktive Unterstützung: „Den Erfolg der enormen Leistungen, die ihr in den vergangenen Jahren für das Unternehmen erbracht habt, können wir zukünftig gemeinsam zum Nutzen unserer Kunden steigern.“ Sie machte deutlich, dass sie ihre Rolle und Aufgabe darin sieht, die Führungskräfte bei deren zukünftigen Aufgaben zu unterstützen: „Ich diene der gemeinsamen Aufgabe zur Entwicklung des Unternehmens.“
Die Aussagen der Vision ließen auch die letzten Zweifel bei den Führungskräften verschwinden. Die Vision ist also nicht der Gegner in deren Existenzkampf, sondern eine Verbündete für die Zukunft. Danach schienen alle Stellvertreter mit der aktuellen Situation zufrieden zu sein. Abschluss der zweiten Aufstellung Herr Appelt, der auch die zweite Aufstellung mit Staunen beobachtet hatte, nahm zum Abschluss selbst die Position des Geschäftsführers ein und spürte sich in diese Position hinein. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht stellte er fest, dass seine Idee von der Vision einer gemeinsamen Firmierung der richtige Ansatz zur weiteren Unternehmensentwicklung ist. Nachdenklich stimmten ihn dann die einzelnen Ergebnisse aus der Intervention und der zweiten Aufstellung. Er hatte mit dem Alleingang
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seiner Vision offensichtlich seiner langjährigen Führungsmannschaft indirekt das Gefühl vermittelt, dass ihre bisherigen Leistungen nichts mehr Wert seien. Diese beiden Seiten der Erkenntnisse aus den Aufstellungen machten ihm Mut, zum Thema Vision weiter zu arbeiten. Sie brachten ihm gleichzeitig wertvolle Erkenntnisse, wie er seine Führungsfehler bei seinen direkten Mitarbeitern wieder bereinigen konnte: „Mir fallen in dieser Position schon erste Ideen und Ansatzpunkte ein, wie ich die Führungsmannschaft wirklich in den sinnvollen Veränderungsprozess einbinden kann.“ Er erkannte, dass sein strikter Alleingang die Konflikteskalation hervorgerufen hat. Er bedankte sich bei den Stellvertretern der Aufstellung, dass sie ihm diese wertvollen Erkenntnisse vor Augen geführt haben. Resümee Bei der Situation von Herrn Appelt im Unternehmen handelte es sich um einen verdeckten strukturellen Konflikt zwischen ihm und seiner Führungsmannschaft. Die gegensätzlichen Denkstile waren Neues versus Bewährtes. Je mehr Herr Appelt Neues forderte, umso mehr blockierte das andere Lager und es kam zu einer offenen Eskalation. Die eigentlichen strukturellen Ursachen der Eskalation waren den Beteiligten wahrscheinlich nicht bewusst, zumindest nicht Herrn Appelt. Herrn Appelt wurde durch die Aufstellung deutlich, dass er die Konflikteskalation durch seinen Alleingang hervorgerufen hat. Ihm wurde gleichzeitig klar, dass er diesen Führungsfehler auch korrigieren kann. Als Basis hierfür hatte er in der zweiten Aufstellung die Themen Offenheit und Wertschätzung im Umgang miteinander erkannt. Zur Umsetzung seiner Erkenntnisse musste er im Unternehmen als Erstes wieder den Kontakt zu seiner Führungsmannschaft aufnehmen und die eskalierte Situation entschärfen. Danach konnte er die bisher unausgesprochenen Themen, wie Wertschätzung und Verantwortlichkeiten, offen ansprechen. Erst wenn seinen langjährig erfolgreichen Führungskräften ihre weiterhin verantwortliche Rolle klar ist, würden sie gegenüber der Vision einer einheitlichen Firmierung offen sein.
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Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte
Latente Konflikte sichtbar machen Um im Hintergrund lauernde strukturelle Konflikte bearbeiten zu können, muss man in vielen Fällen Ursachen hinter einer vordergründigen Ursache herausfinden. Viele strukturelle Konflikte werden vordergründig als zwischenmenschliche Konflikte ausgetragen. X
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Bei Führungskräften, die sich „Hahnenkämpfe“ liefern und Mitarbeitern, die sich gegenseitig in „Alltags-Kriegen“ verzetteln, sind oft strukturelle Konflikte die Ursache. Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift machen und in die innere Emigration geflüchtet sind, können dies aufgrund latenter struktureller Konflikte gemacht haben. Deren Existenz wollte bisher keiner wahrnehmen. Die täglichen Sticheleien zwischen den Kaufleuten und den Technikern verschärfen sich. Weil jeder „seinen Denkstil“ hat, ist es manchen Menschen nicht bewusst, dass andere Menschen auch ihren Denkstil haben und dass diese verschiedenen Denkstile ein natürliches strukturelles Konfliktpotenzial beinhalten.
Wenn Mitarbeiter und Führungskräfte in Lethargie erstarren, kann man zuerst einen künstlichen Konflikt provozieren, um die Beteiligten aufzuwecken und wachzurütteln. Mit der dadurch aufgeweckten Mannschaft kann man dann nach hintergründigen Konfliktpotenzialen forschen, die die Ursachen für die Erstarrung sind. Effiziente Techniken aus dem strategischen Handwerkskasten nutzen Zum Sichtbarmachen von verdeckten strukturellen Konflikten sind viele der in Kapitel 4 beschriebenen Techniken nützlich. Beispiele hierfür sind:
Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte
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Dinge infrage zu stellen ist eine Möglichkeit, um traditionelle Verfahren, historisch gewachsene Verantwortungsbereiche und liebgewordene Gewohnheiten Einzelner in einem Unternehmensbereich zu hinterfragen. Klärungen aller Beteiligten über hintergründige Wahrnehmungsschichten sind besonders bei latenten strukturellen Konflikten für alle Beteiligten hilfreich. In diesen Situationen sind die Wahrnehmungen der Beteiligten durch strukturelle Rahmenbedingungen meistens eingeengt. Ein distanzierter Blick von außen, um übergeordnete Zusammenhänge für das ganze Unternehmen zu verstehen, hilft beim Aufdecken von verdeckten Konflikten. Geeignet sind externe Positionen, wie Kunden und Lieferanten, genauso wie interne Positionen, wie Unternehmensführung und Betriebsrat. Gefühle aus- und ansprechen ist gerade bei latenten strukturellen Konflikten ein positives Ventil für alle Beteiligten und deren „Grummeln“ im Bauch. Das Brainstorming über übergeordnete Gemeinsamkeiten in „unserem Unternehmen“ und dessen zukünftige Fähigkeit, im Wettbewerb die Nase vorn zu haben oder in „unserem Bereich“ und dessen zukünftige Weiterentwicklung im Unternehmen ist ein wichtiger Baustein, um sich gemeinsam zurückzubesinnen und gleichzeitig nach vorne auszurichten. Die Basis übergeordneter Gemeinsamkeiten erleichtert den beteiligten Parteien, auch verdeckte strukturelle Konflikte offenzulegen. Das Erkennen dieser Gemeinsamkeiten (z. B. Qualitätsanspruch für die zu erbringenden Dienstleistungen) erleichtert den konstruktiven Umgang mit Unterschieden (z. B. Techniker/Kaufleute).
Eine weitere Technik zur Erforschung von Ursachen hinter vordergründigen Ursachen ist die Klärung von geheimen Rollen und Aufträgen. Durch diese Intervention können gerade verdeckte strukturelle Konflikte für alle Beteiligten sichtbar gemacht werden. Historisch gewachsene Rollen und Verhaltensweisen, die einigen Beteiligten vielleicht gar nicht (mehr) so bewusst sind, können wechselseitig offengelegt werden. Bei
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strukturellen Konflikten sind auch Interventionen zur Erforschung verdeckter und geheimer Interessen hilfreich. Hier kann die Schule des Wünschens im Sinne von verdeckten Forderungen ein Einstieg in die Erforschung sein. Konkretes Hinterfragen – auch bisweilen provozierend Ein wichtiger Baustein zum Aufdecken struktureller Konflikte sind die im Unternehmen verborgenen Strukturen, wie Kapitel 2 beschrieben hat. Um die verborgenen Strukturen zu erkunden, sind Sondierungsgespräche erforderlich. Diese Gespräche sind teilweise mit einzelnen Mitarbeitern und Führungskräften zu führen, teilweise auch in kleineren Gruppen. Nachfolgend werden in Anlehnung an Wolfgang Schnelles Fachaufsatz „Moderieren von Veränderungen“ einige Beispiele für Fragen gegeben, die man im Rahmen derartiger Erkundungsgespräche stellen kann: X
X X X X X
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Weshalb „verkaufen“ Sie sich als Arbeitsteam gegenüber den anderen Abteilungen ganz anders als Sie innerhalb des Teams zusammenarbeiten? Warum wird nicht gehandelt, obwohl die Geschäftsleitung entschieden hat? Provokante Variante: Entscheidet die Geschäftsleitung, weil sie weiß oder weil sie will, dass nicht gehandelt wird? Warum existieren so viele interne Vermerke und Aktennotizen zwischen Ihrer Abteilung und der Buchhaltung? Warum wird Leistungsqualität verlangt und Leistungsquantität belohnt? Warum wird ein Produkt forciert, obwohl nachgewiesen ist, dass es nicht rentabel ist – oder hat man vergessen, die Kosten für die ServiceLeistungen einzurechnen? Warum wird so wenig kooperativ zusammengearbeitet, obwohl das auf allen Führungsebenen gefördert wird – oder ist das aufwändige nachträgliche Koordinieren so reizvoll?
Um latente strukturelle Konflikte aufdecken zu können, müssen allen Beteiligten die verborgenen Strukturen bewusst werden, die verfestigten Denkstile und die Machtstärke von Arbeitsteams genauso wie die ver-
Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte
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borgenen Bedeutungen von offensichtlichen Strukturen. Hierfür sind auch provozierende Fragen hilfreich.
Systemische Organisationsaufstellungen (SysOA) Die Methode der SysOA eignet sich für problematische Situationen, die einen chronischen Charakter haben und bei denen keine offensichtlichen Ursachen zu erkennen sind. Insofern ist diese Methode besonders für Konfliktsituationen geeignet, die man unter dem Begriff „atmosphärische Störungen“ zusammenfassen kann. Die Ansatzpunkte sind die Systemmitglieder und das System, beispielsweise eine Abteilung oder ein Unternehmen. Unternehmen sind lebendige Systeme Zum Verständnis der SysOA folgen Erläuterungen zum Begriff des Systems. Generell versteht man unter einem System, ein aus einzelnen Elementen zusammengesetztes, gegliedertes Ganzes mit Ordnung und Struktur. Täglich benutzen wir unser Zahlensystem, das logisch und in diesem Sinne verlässlich ist. Im Gegensatz hierzu weisen Unternehmen als lebendige Systeme folgende Merkmale auf: X
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Lebendige Systeme sind Beziehungsgeflechte von Elementen, die sich ununterbrochen gegenseitig beeinflussen. Jede Aktion eines Elements löst bei anderen Elementen (Re-)Aktionen aus. Diese (Re-)Aktionen wirken dann auf den ursprünglichen Akteur zurück. Dies ist der so genannte Rückkopplungseffekt. Lebendige Systeme müssen in sich in Bewegung bleiben, sonst hören sie auf zu existieren. Ein Beispiel hierfür ist unser Körper, in dem ununterbrochen ineinander verflochtene Vorgänge ablaufen, die erst mit dem Tod zum Stillstand kommen. Lebendige Systeme funktionieren, wie sie wollen, und sind bestrebt, einen möglichst stabilen Zustand einzunehmen. Dadurch wollen sie ihr reibungsloses Funktionieren sicherstellen.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Gibt es an einer Stelle im System eine Störung, geht das ganze System in eine Ausgleichsbewegung. Das System reguliert sich selbst, um sich als System funktionsfähig zu erhalten.
In dieser Form funktionieren auch soziale Systeme wie Familien und Unternehmen. Die Elemente in diesen Systemen sind die zugehörigen Menschen als Systemmitglieder. Die Methode der systemischen Aufstellung hat ihren Ursprung in der Familientherapie. Dort erkannte man, dass verhaltensauffällige Mitglieder einer Familie oft nicht selbst die Ursache einer Störung waren. Sie repräsentierten nur die Störung in einem Familiensystem. In der systemischen Familienaufstellung wird das System als Ganzes, als Beziehungsmuster zwischen den Systemmitgliedern, betrachtet. Auf diese Weise sollen die wirklichen Ursachen der Störung eines Familienmitglieds erkannt werden, die auf der Ebene des Familiensystems liegen.*
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In ihrem Buch „Systemische Familienaufstellungen für Konfliktlösungen im Beruf“ beschreiben die Autorinnen Holitzka und Remmert die familientherapeutische Arbeit von Bert Hellinger als eine Quelle. Aufstellungen als eine besondere Variante des psychodramatischen Rollenspiels sind seit ihrer Erprobung und Anwendung durch Jakob L. Moreno anerkannte Techniken in der Gruppen- und Familientherapie. Auch Virginia Satir hat in ihrer familientherapeutischen Arbeit menschliche Beziehungsprobleme in Aufstellungen auf eine räumlich-sinnlich erfahrbare Weise mit ihren Klienten bearbeitet. Auch sie hat mit der „Stellungssprache“ der heute in Unternehmen eingesetzten SysOA gearbeitet. Beispiel: Als Leiterin eines Workshops hat sie einen Freiwilligen (Klient), der seine Problemsituation lösen wollte, zu sich nach vorne gebeten. Für jedes einzelne Problem, das dieser Klient nannte, wurde ein weiterer freiwilliger Teilnehmer nach vorne gebeten. Diese weiteren Freiwilligen haben den Klienten jeweils an einem Kleidungsstück oder direkt an einem Körperteil angefasst und leicht gezogen. Nachdem ca. 15 Freiwillige als Stellvertreter für die Probleme an dem Klienten in verschiedene Richtungen zerrten, wurde dem Klienten sinnlich sein Problem bewusst. Er wollte es allen Recht machen und jedem dienen. Danach half Virginia Satir dem Klienten, seinen überdimensionalen Knoten aufzulösen. Diese familientherapeutischen Arbeiten liefern die Ansätze der SysOA im System Unternehmen.
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Zwei Ansatzpunkte der SysOA: System Unternehmen und Systemmitglieder Bei SysOA wird zum einen das Unternehmen als Ganzes betrachtet. Dadurch wird Einblick in die allgemeine Beziehungsstruktur und die Gesetzmäßigkeiten des Unternehmenssystems genommen. Auf diese Weise können Konfliktpotenziale erkannt werden, die sich den üblichen Klärungsversuchen auf der Kommunikations- und Verhaltensebene entziehen. Die Betrachtungsgegenstände auf dieser Ebene können Motivationsprobleme, konfliktbelastete Arbeitsbeziehungen, Führungsschwierigkeiten oder kritische Kundenbeziehungen sein. Der zweite Ansatzpunkt von SysOA ist die Ebene des einzelnen Systemmitgliedes. Hier geht es im ersten Schritt darum, die Ursachen für belastende Probleme und Konflikte im Unternehmen zu erkennen. Betrachtungsgegenstände auf dieser Ebene können sein: Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten aufzudecken, den „eigenen Platz“ im Unternehmen zu finden sowie Ursachen für Überforderungsgefühle zu erkennen. Durchführung von SysOA zur Entwicklung von Lösungsansätzen Die Methode der SysOA wird oft im Rahmen von Workshops mit mehreren Personen durchgeführt. Ein Moderator leitet die SysOA. Der Begriff „Aufstellung“ ist wörtlich zu nehmen. Der SysOA-Ansatz beruht darauf, dass ein Beziehungssystem und die darin oft unbewussten Verflechtungen mit Hilfe von positionierten Stellvertretern rekonstruiert werden. Ein Teilnehmer (= Aufsteller), der ein Problem oder einen Konflikt mit der SysOA klären will, wählt aus den anderen Teilnehmern des Workshops Personen als Stellvertreter aus. Die ausgewählten Stellvertreter können als Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden aufgestellt werden. Auch ein abstrakter Aspekt wie ein Projekt oder ein Konfliktthema kann mittels Stellvertretern aufgestellt werden. Der Aufsteller positioniert die Stellvertreter so im Raum, dass die Konstellation seinem inneren Bild der zu bearbeitenden Situation entspricht. Blickrichtungen sowie Nähe und Distanz der Stellvertreter geben einen Einblick in das Beziehungssystem
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
der Situation. Auf dieser Grundlage arbeitet der Moderator mit der Aufstellungskonstellation. Er versucht, dem Aufsteller Bilder einer Wirklichkeit zu eröffnen, die er bisher so noch nicht gesehen hat. Diese Bilder sollen ihm helfen, Situationen, Gefühle und Verhaltensweisen besser zu verstehen und mögliche Lösungsansätze zu finden. Der Moderator hilft dem Aufsteller Kräfte zu erkennen, die unbewusst wirken. Es soll Licht ins Dunkel verborgener Konflikte gebracht werden. Das Denken, Handeln und Fühlen wird maßgeblich von inneren Bildern bestimmt. Das Sichtbarmachen von inneren Bildern im Äußeren hat eine große Wirkung zur Klärung von unbewussten Konflikten oder Konfliktpotenzialen. Die SysOA dient im ersten Schritt zur Klärung von Konfliktsituationen. Aus dieser Klärung einer Situation kann man sich im zweiten Schritt durch Veränderungen in der Aufstellungskonstellation Lösungsansätze erarbeiten. Aufstellungsarbeit ist Vertrauenssache, besonders dann, wenn sehr persönliche Themen berührt werden. Sie fördert manchmal schmerzhafte Erkenntnisse und unangenehme Wahrheiten zu Tage, die ein Aufsteller nicht öffentlich bekannt machen will. Insofern ist eine häufige Form der SysOA ein Workshop an einem neutralen Ort. Die Teilnehmer kennen sich vorher nicht und werden sich tendenziell auch später nie wieder begegnen. Anspruch und Nutzen von SysOA Der Anspruch von SysOA ist, Anstöße zu geben. Aufstellungen verändern im realen Leben noch nichts. Sie verdeutlichen Abbilder von Systemen. Durch sie können Lösungsansätze deutlich werden. Die reale Lösung des Konfliktes muss anschließend in der Wirklichkeit erfolgen. Hierzu hilft in vielen Fällen eine Änderung der inneren Haltung des Aufstellers durch das Erleben in der Aufstellung. Ob er die erarbeiteten Lösungsansätze in die Praxis umsetzt, bleibt seine Entscheidung. In Unternehmen kann die SysOA auch zum Erkennen und zur Diagnose von verdecktem strukturellem Konfliktpotenzial dienen. Ein Ergebnis kann hierbei sein, dass es sich in der betrachteten Situation um einen
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Konflikt zwischen zwei Parteien handelt. Sind den Beteiligten aus der SysOA die Situationen und die (bisher verdeckten) Ursachen hierfür bewusst geworden, können sie im nächsten Schritt gemeinsam in einen Lösungsprozess einsteigen. Ein Ergebnis einer SysOA kann auch sein, dass den Menschen im Unternehmen die gemeinsamen Werte und Ziele fehlen. Dieses strukturelle Konfliktpotenzial kann die Ursache für wiederholt auftretende Konflikte sein. In diesem Fall sollte nach der durchgeführten SysOA ein Prozess für eine Organisationsentwicklung eingeleitet werden. Die Aufstellungsarbeit als kontroverse Methode wurde empirisch erforscht In den Bereichen Beratung, Coaching und Organisationsentwicklung gehört die Aufstellungsarbeit seit einigen Jahren zu einer kontrovers diskutierten Methode. Die Diskussionen hierüber werden teilweise verbissen und oft in undifferenzierter Schwarz-Weiß-Malerei betrieben. Dabei liegen die Wurzeln dieser Methode in uralten archaischen Phänomenen. Schon frühzeitig wurden räumliche Relationen von Menschen als Metapher für die Verdeutlichung von Beziehungen der Menschen untereinander verwendet. Auch heutzutage werden derartige Metaphern in der Umgangssprache eingesetzt. Beispiel: „Mein Vorgesetzter (oder mein Arbeitsteam) steht hinter mir.“ In der Zeitschrift Personalführung war die „Psychotechnik Organisationsaufstellung“ das Schwerpunktthema der Ausgabe 5/2005. Einige Aussagen über die Aufstellungsarbeit aus den einzelnen Fachartikeln wurden ausgewählt. X
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„Der Terminus „Aufstellung“ weckt kriegerische Assoziationen. Er stammt aber aus der Familientherapie und soll Wachstum, Lernen und Entwicklung fördern“ (Prof. Dr. Ferdinand Buer). „Sich selbst und andere besser zu verstehen – diesen Zielen ist die ursprüngliche Aufstellungsarbeit in der Familientherapie verpflichtet“ (Micha Hilgers). „Aufstellungen sind ein Abbild der zentralen Beziehungsdynamik“ (Gunthard Weber).
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„Aufstellungen nach Hellinger sind unseriös, weil sie nicht ausreichend zwischen Problemanalyse und Zielvorstellungen unterscheiden. Professionelles Handeln verlangt die Integration der Technik in ein prozessbegleitendes Coaching“ (Micha Hilgers). „Aufstellungen liefern keine absoluten Wahrheiten, sondern bestenfalls Hypothesen – und die müssen in der Realität auf ihre Relevanz und Tauglichkeit überprüft werden“ (Jan Schlüter).
In den einzelnen Fachaufsätzen wird deutlich, weshalb Aufstellungsarbeit so kontrovers diskutiert wird. Einerseits fristet die Methode der Aufstellung eine esoterische und verklärte Nischenexistenz. Andererseits wollen professionelle Berater gerade diesen esoterischen und verklärten Blick auf die Aufstellung entzaubern und sie zu einem professionellen Standard in der Organisationsentwicklung machen. Peter Schlötter hat sich mit der Methode der Systemischen Aufstellungen (SysA) wissenschaftlich auseinandergesetzt und die Ergebnisse seiner Untersuchungen in seinem Buch „Vertraute Sprache – Systemaufstellungen sind kein Zufallsprodukt“ beschrieben. Durch die Ergebnisse seiner Arbeit könnte die Diskussion und Auseinandersetzung über Aufstellungen auf eine neue Ebene gehoben werden. „Die Untersuchung belegt mit hohem Signifikanzniveau, dass wir, zumindest in unserer westlichen Kultur, ein generell ähnliches Erleben über die Bedeutung der Stellung von Personen zueinander im Raum haben und in ähnlichen Positionen zu ähnlichen Deutungen und Erlebnisweisen kommen.“ Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Standpunkt zu anderen Personen im Raum die Wahrnehmung bestimmt. Schlötter hat herausgefunden, dass es kein Zufall ist, was in SysA passiert. Was die Stellvertreter in einer SysA wahrnehmen, ist von den Stellungen im Raum abhängig. In Form von Versuchsreihen wurden ca. 4.000 Einzelversuche mit 250 verschiedenen Personen als Probanden durchgeführt. 14 Klienten waren bereit, als Aufsteller zu fungieren. Mehrere Unternehmen, wie WEB.DE, Bertelsmann-Stiftung und Robert Bosch GmbH, haben sich an diesen Versuchsreihen beteiligt. In verschiedenen Settings wurde die Wahrnehmung von Stellvertretern wiederholt mit unterschiedlichen Personen analysiert. Das Ergebnis war: Eine Person A erlebte in einem Ver-
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suchsaufbau das gleiche wie eine Person B oder C, wenn sie auf derselben Stelle einer SysA stand. Die Personen nahmen am gleichen Standort Ähnliches wahr. Schlötter hat den empirischen Nachweis erbracht, dass den in SysA auftretenden Personenkonstellationen von beliebigen Personen tendenziell ein einheitlicher Sinn zugewiesen wird. Seiner Meinung nach können SysA begründet als eine Art Zeichensprache aufgefasst werden. Da die meisten Aufsteller in den Versuchsreihen die SysA zum ersten Mal erlebten, kann davon ausgegangen werden, dass kein positives Vorurteil die Bewertungen der Aufsteller färbte. Sie empfanden ihre persönlichen SysA überwiegend als übereinstimmend mit ihrer realen Lebenssituation. Außerdem bewerteten sie das Ergebnis ihrer SysA „als deutlich nützlich“.
Anwendungsgebiete von SysOA Die Anwendungsgebiete dieser Methode sind vielfältig. Sie wird in Unternehmen nicht nur zur Konfliktklärung und -lösung eingesetzt. Sie ist auch als Instrument geeignet, einen Unternehmenswandel konstruktiv vorzubereiten und zu begleiten. Hierbei gibt es verschiedene Anwendungsformen. Im Praxisbeispiel „Konfliktpotenziale vor Projektbeginn“ war die Motivation des Aufstellers die präventive Klärung von Sachverhalten und von vermuteten Konfliktpotenzialen. Im zweiten Durchgang mit der neu positionierten Aufstellung und in der Abschlussbesprechung hat sich der Aufsteller zweckmäßige Rahmenbedingungen definiert, Lösungsansätze entwickelt und konkrete Handlungsschritte erarbeitet. Damit konnte er in der praktischen Umsetzung dieser Ergebnisse möglichen unproduktiven Konflikten aktiv entgegenwirken und sein Projekt erfolgreich umsetzen. Im Praxisbeispiel „Konflikte nach einer Fusion“ hatte es in der Abteilung, in der der Aufsteller gearbeitet hat, schon seit einiger Zeit geknirscht. Für den Aufsteller brauchte es einen gewissen Leidensdruck, bis er sich entschieden hatte, für sich eine Klärung der eskalierten Situation herbeiführen zu wollen.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
In der Praxis geht es meistens um beides, die Klärung bereits eingetretener und die präventive Behandlung noch nicht eingetretener Situationen. Oft ist der Anlass für die Durchführung einer SysOA eine akut zu klärende Situation, in der Handlungsbedarf besteht. Im Rahmen der Aufstellungen werden dann mehrere – auch länger zurückliegende – Ursachen herausgearbeitet. Diese Ursachen hinter den vordergründigen Ursachen geben dann Hinweise, an welchen anderen Stellen eine präventive Klärung sinnvoll sein könnte. Organisationsentwicklung: Veränderungsprozesse und SysOA im Verbund Ein Einsatz der SysOA eignet sich in Veränderungsprozessen präventiv und kurierend. Im Rahmen der Planung von Veränderungsprozessen können SysOA als Interventionen im Kontext der anstehenden Organisationsentwicklung integriert werden. Nicht beabsichtigte Konfliktsituationen, die in Veränderungsprozessen eskalieren, können Motivation und Gegenstand von situativ einzusetzenden SysOA sein. Erfolgreich durchgeführte SysOA für Konfliktsituationen im Führungsalltag haben in (fast) allen Fällen Veränderungsprozesse auf der persönlichen Ebene des Aufstellers zur Folge. Wenn in SysOA verdeckte strukturelle Konflikte zu Tage gefördert werden, kann die Umsetzung der Ergebnisse Veränderungsprozesse im Unternehmen initiieren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass SysOA keine isolierten Einzelveranstaltungen sind, sondern dass sie im Kontext eines anstehenden oder initiierten Veränderungsprozess erfolgen. Die Methode der SysOA benötigt jeweils ein klares Format, das auf die Lernarchitektur des Veränderungsprozesses aufbaut. Symbole als Alternative zur Aufstellung von Personen Es gibt viele Gründe dafür, dass ein Aufsteller nicht mit Personen als Stellvertreter arbeiten will oder kann. Als Beispiel sei ein Klient bei einem Einzelcoaching genannt, in dem der Coach ihm nach einer ersten
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Klärung der Situation empfiehlt, eine Aufstellung zu machen. In diesen Fällen gibt es keine Personen, die man hierfür aufstellen könnte. Zwei Varianten sind: X
Variante 1: Nutzung von Raumankern, um sich als Aufsteller in andere Personen zu versetzen Diese Variante wurde in den ersten beiden Praxisbeispielen angewendet. Der Aufsteller notiert die einzelnen Namen der relevanten Mitglieder des aufzustellenden Systems jeweils auf einer Karte. Auch ein Gegenstand wie ein Projektziel kann auf einer Karte notiert werden. Anschließend macht der Aufsteller seine Aufstellung, indem er die beschrifteten Karten im Raum auslegt (anstelle von Stellvertretern). Danach stellt sich der Aufsteller auf jeden dieser ausgelegten Raumanker und versucht sich in die Gefühlslage der jeweiligen Person oder des Gegenstands zu versetzen. Hierbei nimmt er genau wahr, wie seine jeweilige Position und Blickrichtung zu den Positionen und Blickrichtungen der anderen Personen ist. Nach jedem Einnehmen und Wahrnehmen einer Position erfolgt eine kurze Unterbrechung der Aufstellung, damit der Aufsteller sich „neutralisiert“ und anschließend in der Lage ist, eine andere Position einzunehmen.
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Variante 2: Figuren und andere Gegenstände von oben betrachten In dieser Variante stehen dem Aufsteller Figuren und andere Gegenstände zur Verfügung, die er für seine Aufstellung nutzt. Im Sinne eines Sandkastenspiels, wie bei den kriegerischen Feldzügen aus vergangenen Zeiten, verschafft er sich dadurch einen Überblick über die Situation. Auch in dieser Variante geht es in einzelnen Schritten darum, dass der Aufsteller in die Rollen der Figuren hineinschlüpft.
Eine in Unternehmen praktizierte Anwendung dieser Varianten mit dem Einsatz von Symbolen sind Projektaufstellungen. Bei jedem neuen Projekt müssen sich der Projektleiter und die Mitarbeiter des Projekts meist auf eine komplexe Situation einlassen. In einer Projektaufstellung aus der Praxis mit Figuren hat ein Projektmitarbeiter 30 Figuren aufgestellt, die alle direkt am Projekt mitgewirkt haben und jeweils in kleinen Grüppchen zusammenstanden. Nachdem der Aufsteller sein Werk zur Aus-
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
gangssituation von oben betrachtete, fiel ihm auf, dass in dieser Aufstellung kein Symbol für das Projektziel vorhanden war und dass alle Grüppchen in verschiedene Richtungen blickten. Dadurch wurden ihm die Ursachen der bisherigen Schwierigkeiten im Projekt deutlich vor Augen geführt. Es gab keine einheitliche Ausrichtung im Projekt und jede Gruppierung verfolgte ausschließlich ihre persönlichen Zielsetzungen. Leitfaden zur Anwendung aus den Praxisbeispielen Die beiden ersten Praxisbeispiele sind Einzelcoachings für einen Klienten, im ersten Beispiel eine Projekt- und im zweiten Beispiel eine Abteilungskonstellation. Nachfolgend sind die Entwicklungsschritte dieser beiden SysOA dargestellt.
Einstieg: Vorklärung der Situation und Vorbereitung der SysOA
Aufstellen der Ausgangssituation (Erster Durchgang der SysOA)
Intervention und Vorgaben für den zweiten Durchgang (Klärung von Ursachen hinter der Ursache, Zieldefinition, Versetzung der Zeitlinie)
Zweiter Durchgang der SysOA mit Vorgaben
Abschlussbesprechung mit Transfer zur praktischen Umsetzung
Schriftliche Dokumentation als Leitfaden zur Umsetzung
Abb. 17: SysOA-Entwicklungsschritte als Leitfaden zur Anwendung
Aufdecken verdeckter struktureller Konflikte
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Erläuterungen zu den einzelnen Entwicklungsschritten: X
Einstieg: Vorklärung der Situation und Vorbereitung der SysOA Der Aufsteller erläutert dem Coach die zu klärende Situation und sein Anliegen. Wenn der Coach danach zu dem Ergebnis kommt, dass die Methode der SysOA zur Klärung der Situation sinnvoll erscheint und der Klient bereit ist, sich auf diese Methode einzulassen, werden die Raumanker für die SysOA vorbereitet.
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Aufstellen der Ausgangssituation (Erster Durchgang der SysOA) Der Klient stellt das System der Ausgangssituation auf, indem er die Bodenanker – mit Namen oder Gegenständen beschriftete Karten – auslegt. Hierbei achtet er genau auf die Stellung der Mitglieder des Systems und deren Blickrichtungen. Auch ein Gegenstand, wie ein Projektziel, hat eine Blickrichtung. Zur repräsentativen Wahrnehmung des Systems nimmt der Aufsteller die Stellung der einzelnen Mitglieder des Systems ein. Auf jedem einzelnen Bodenanker versucht der Klient sich mit allen Sinnen in die jeweilige Person (oder den Gegenstand) hineinzuversetzen. Der Coach unterstützt den Klienten hierbei durch helfende Fragen und beobachtet genau die jeweilige Haltung des Klienten, sowie dessen Gestik und Mimik in der jeweiligen Position. Nachdem der Klient die jeweilige Position eingenommen hat, bringt er seine Befindlichkeit zum Ausdruck. Dies sind die jeweiligen visuellen Eindrücke in der aufgestellten Ausgangssituation und die jeweiligen introspektiven Wahrnehmungen beim Fühlen und Spüren. Nach jeder eingenommenen Position folgt für den Klienten ein „Break“, eine Neutralisierung gegenüber der zuvor eingenommenen Position. Abschließend geht der Klient auf einen Meta-Bodenanker außerhalb der Aufstellung, betrachtet von dort die ganze Ausgangssituation und bespricht dies mit dem Coach. Dann folgt eine kurze Pause.
X
Intervention und Vorgaben für den zweiten Durchgang In diesem Entwicklungsschritt macht der Coach Vorschläge zur Intervention für die Ausgangssituation. Beispiele für derartige Interventionen sind:
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Klärung einer Ursache hinter der Ursache: Diese Form der Intervention ist im zweiten Praxisbeispiel erfolgt. Dort hat der Coach dem Aufsteller geholfen, eine Doppelbelichtung aufzudecken, durch die der Aufsteller sich wiederholt im beruflichen Umfeld in Schwierigkeiten gebracht hat. Durchführung einer Zielformulierung: Der Coach unterstützt den Klienten bei seiner Formulierung eines eindeutigen und nachhaltigen Ziels. Ein Modell der Zielformulierung sind die Kriterien der SMART-Formel: Spezifisch, messbar, angemessen, realistisch und terminiert. Versetzung der Zeitlinie: Diese einfache und oft sehr wirkungsvolle Intervention hat im ersten Praxisbeispiel eine große Wirkung erzielt. Die Lenkung des Blickwinkels auf den Zeitpunkt des geplanten Endes des aktuellen Projekts hatte dem Aufsteller einen positiven Schub gegeben. Aus dem Ergebnis der Intervention formuliert der Coach die Vorgaben für den zweiten Durchgang der SysOA. X
Zweiter Durchgang der SysOA mit Vorgaben Nachdem der Coach seine Vorgaben mit dem Aufsteller besprochen und abgestimmt hat, variiert der Klient seine Aufstellung. Dann nimmt der Klient die Positionen der Aufstellung ein, die beispielsweise zur Umsetzung des formulierten Ziels und der hierfür gemachten Vorgaben für den zweiten Durchgang erforderlich sind. Im zweiten Praxisbeispiel formuliert der Klient beispielsweise in den jeweils eingenommenen Positionen seine Wünsche und Angebote zur zukünftigen Zusammenarbeit. Abschließend geht er wieder auf den MetaBodenanker und überprüft, ob das System jetzt stimmig ist. In einigen Fällen ist es erforderlich, den zweiten Durchgang mit variierten Vorgaben mehrmals zu durchlaufen, solange, bis das System für den Aufsteller stimmig ist.
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Abschlussbesprechung mit Transfer zur praktischen Umsetzung In der Abschlussbesprechung werden die Ergebnisse der zweiten SysOA durch den Aufsteller zusammengefasst und mit der Ausgangssituation der ersten SysOA verglichen. Gemeinsam mit dem Coach
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
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werden darauf aufbauend die nächsten konkreten Schritte des Klienten zur praktischen Umsetzung abgestimmt und vereinbart. X
Schriftliche Dokumentation als Leitfaden zur Umsetzung Die Inhalte der Abschlussbesprechung, die Ergebnisse und die vereinbarten nächsten Schritte dokumentiert der Coach schriftlich. Diese Dokumentation erhält der Aufsteller als Leitfaden für seine Umsetzung.
In der Praxis gibt es nach einem solchen Einzelcoaching ein oder zwei Folgetermine zur gemeinsamen Überprüfung der umgesetzten Maßnahmen und deren Erfolg. An diesen Terminen wird der bisher eingeschlagene Weg bestätigt oder auch modifiziert und es werden wiederum die nächsten konkreten Schritte vereinbart.
5.3
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
Um auf den zunehmend schwierigen Märkten zu überleben, stehen viele Unternehmen unverändert vor der Herausforderung, sich radikal zu wandeln. General Electric hat es in den 90er Jahren geschafft, ein großes Unternehmen einem radikalen Wandel zu unterziehen und dadurch wirklich nachhaltig wettbewerbsfähig zu werden. In vielen Unternehmen bewirken Veränderungsprogramme partielle Kostensenkungen und einige optimierte Prozesse, aber keinen auf Wachstum ausgerichteten strukturellen Wandel. Arun Gairola, der als Berater bei großen Konzernen Veränderungsinitiativen begleitet hat, analysiert in seinem Fachartikel „Das Unternehmen umbauen“ die Ursachen des Scheiterns von Change-Management-Programmen. Aus seinen Erfahrungen sind die größten Fehler eine unausgereifte Strategie, Halbherzigkeiten des Managements und ein falscher Umgang mit den Mitarbeitern. In vielen Unternehmen hat er beobachtet, dass das Management vor allem mit operativen Dingen und Machtspielen beschäftigt ist. Dadurch bleibt zu wenig Zeit für strategische Themen
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übrig. Strukturelle Veränderungen erfordern eine ausgereifte Strategie, Mut zur Umsetzung und ein Change Management, das ein bisheriges System gänzlich infrage stellt. Erfolgreiche strukturelle Veränderungsprozesse beginnen in der obersten Führungsebene, die zuerst in neuen Bahnen denken muss. Nach Gairola müssen die Führungskräfte im Unternehmen verstehen, worauf sie sich bei ihrem Veränderungsvorhaben einlassen und was sie dafür persönlich tun. Sie müssen den Zweck und die Notwendigkeit tief verinnerlichen, damit sie sich nicht von ihrem Vorhaben durch vermeintlich wichtigere Probleme abbringen lassen. Nicht zuletzt müssen sie sich verpflichten, sich als Erster selbst zu verändern und sich so verhalten, wie sie es von ihren Mitarbeitern erwarten. Strukturelle Veränderungsprozesse systematisch zu planen ist auf den ersten Blick in sich fast ein Widerspruch. Einerseits sind Eckpunkte und Vorgaben erforderlich, die den Prozess planbar machen. Andererseits bedeuten strukturelle Veränderungen einen grundlegenden Wandel, der sich nur bedingt vorausplanen lässt und mit einer Expedition vergleichbar ist.
Erfolgskriterien für strukturellen Wandel in Unternehmen Umgangsformen bei Veränderungsdruck Es gibt zwei Umgangsformen mit Veränderungsdruck in Unternehmen, eine Funktionsoptimierung oder einen Prozessmusterwechsel. Peter Kruse unterscheidet in seinem Buch „Next Practice“ diese grundsätzlich verschiedenen Umgangsformen wie folgt: X
Funktionsoptimierung: Bei Veränderungsdruck machen Menschen das, was sie immer gemacht haben, nur schneller. Das funktioniert solange, bis sie ihr Plateau erreicht haben, von dem aus es nicht mehr schneller geht.
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
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Prozessmusterwechsel: Bei Veränderungsdruck machen Menschen etwas ganz anderes im Vergleich zum bisherigen Verhalten und zu bisherigen Verfahren. Sie steigen auf ein neues Plateau.
Strukturelle Veränderungsprozesse erfordern einen Prozessmusterwechsel. Sie erfordern viel Kraft und erzeugen eine hohe Spannung im Unternehmen. Sie benötigen ein Change Management aus der bisherigen Stabilität in eine kritische Instabilität, und von dort zu einer neuen Stabilität. Kernkompetenz für strukturelle Veränderungsprozesse ist das Management dieser kritischen Instabilität, die mit Unsicherheit der Beteiligten verbunden ist. Ein harter Erfolgsfaktor zum Management von Unsicherheit ist die Unternehmenskultur.
Kritische Instabilität
Störung
Neugestaltung Prozessmusterwechsel
Bisherige Stabilität
Neue Stabilität
Abb. 18: Prozessmusterwechsel für strukturelle Veränderungen
Kulturelle Aspekte für strukturelle Veränderungsprozesse Veränderungen in der Unternehmenskultur sind Voraussetzung und Ergebnis eines strukturellen Veränderungsprozesses. Kulturveränderungen in Unternehmen sind aktiv in den Prozess des Change Managements einzubinden. Gute Voraussetzungen für ein Change Management sind eine
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Vertrauensbasis und eine gelebte Streitkultur. Der Turnaround bei einer Unternehmenskrise ist wie ein Change Management für strukturelle Veränderungen, mit dem wesentlichen Unterschied, dass ein Turnaround unter hohem Zeitdruck erfolgen muss. Auf der Basis einer gelebten Streitkultur können die beiden tiefgreifenden Veränderungsprozesse offen und dadurch effektiv durchgeführt werden. Hilfreich für ein fruchtbares Klima für tiefgreifende Veränderungen ist eine Fehlerkultur – die Erlaubnis Fehler machen zu dürfen, um daraus zu lernen. Die Aufforderung einer formal abgesicherten Organisation, in der keine Fehler zulässig sind, führt zur Fehlervermeidung. Bei Veränderungsprozessen ist es unmöglich immer im Vorfeld zu wissen, was richtig sein wird. Fehler machen gehört zum Handeln in unsicheren Situationen und zum Lernen für zukünftiges Handeln. Im Gegensatz zu dem Motto „wer nichts macht, macht nichts verkehrt“ geht es darum, neue Dinge durch Handeln auszuprobieren und aus den Ergebnissen zu lernen. Interventionen auf verschiedenen Ebenen Erfolgreiches Change Management für strukturelle Veränderungen erfordert Ansätze zur Intervention auf verschiedenen Ebenen. Diese Ebenen sind verschiedene Unternehmenssysteme, wie Denkkulturen und Prozessstrukturen sowie die Ebene der Individuen. Um Instabilität in einem bisherigen System zu erzeugen, sind Interventionen auf der Ebene einzelner Führungskräfte und Mitarbeiter und auf den Systemebenen erforderlich. Beispiele dieser Systemebenen sind Kommunikationsprozesse im Unternehmen, Arbeitsabläufe sowie formelle und informelle Strukturen. Hierfür sind Interventionen mit Personengruppen durchzuführen, wie beispielsweise der Führungsmannschaft im Vertrieb oder der Arbeitsgruppe Service Dienste. Bei strukturellen Veränderungsprozessen geht es um individuelles Lernen aller Beteiligten und um gemeinsames Lernen innerhalb von Arbeitsgruppen, auf bestimmten Hierarchieebenen oder in der gesamten Belegschaft des Unternehmens. Zur Neugestaltung der verschiedenen Unternehmenssysteme sind ganzheitliches Denken und gemeinsames Aufga-
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
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benlösen verschiedener Personengruppen erforderlich, begonnen bei der Vision und den Strategien für den strukturellen Wandel. Ganzheitliche Veränderungen wirken sich auf alle beteiligten Individuen aus, so dass mit den strukturellen Veränderungen individuelle Lernprozesse angestoßen werden. Parallel zu den Lernprozessen in Gruppen sind Maßnahmen zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung erforderlich. Dialogische und emotionale Kommunikation fördern und fordern Organisationale Lernprozesse erfordern ein miteinander reden und diskutieren, um eine gemeinsame Neugestaltung zu erreichen. Strukturelle Veränderungen sind bei einigen Beteiligten stets mit Ängsten verbunden, wie Angst vor Machtverlust oder vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes. Andere Beteiligte empfinden Freude und Begeisterung. Die erfolgreiche Umsetzung von strukturellen Veränderungen erfordert Begeisterung bei (möglichst) allen Menschen, die die Veränderungen umsetzen. Obwohl Emotionen zum Leben gehören, wie Luft zum Atmen, werden in Unternehmen Emotionen oft unterdrückt. Jedes Change Management löst bei den Beteiligten Gefühle aus, schlechte genauso wie gute. Emotionen sind keine lästigen Anhängsel von Veränderungsprozessen. Das bewusste Einbinden von Emotionen der Beteiligten ist ein zentrales Element im Change Management. Man muss mit der hohen Ambivalenz, die ein struktureller Veränderungsprozess natürlich in sich birgt, wirksam umgehen. Eine Kommunikation zwischen den einzelnen Menschen und zwischen Personengruppen, die auch den Ausdruck von Befindlichkeiten zulässt, kann zu einem wirkungsvollen Instrument beim Aufbau von Vertrauen werden. Strukturelle Veränderungen sind auch soziale Prozesse. Die Integration der Menschen, eine offene Kommunikation und ein vertrauensvolles Miteinander sind für den Erfolg dieser Prozesse bestimmend.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Praxisbeispiel: Führungskräfteentwicklung für den strukturellen Wandel Ein mittelständisches Großhandelsunternehmen schaffte gemeinsam mit den Führungskräften und Mitarbeitern innerhalb eines Jahres einen Quantensprung im gesamten Unternehmen. Erreicht wurde dieser strukturelle Wandel durch Strategieworkshops mit der Unternehmensführung, durch eine systematische Personalentwicklung der weiteren Führungskräfte und durch begleitende Einzelcoachings. Auslöser dieses Veränderungsprozesses war ein verstärkter Wettbewerbsdruck in den vorangegangenen Jahren, der sich zunehmend negativ auf die Geschäftsergebnisse auswirkte. X
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Ein zweitägiger Strategieworkshop I mit den Mitgliedern der Unternehmensführung initiierte den Veränderungsprozess inhaltlich. Es wurde eine Vision für die kommenden drei Jahre erarbeitet und Strategien für die einzelnen Geschäftsfelder abgeleitet. Einige Geschäftsfelder sollten strategisch massiv ausgeweitet und andere drastisch reduziert werden. Optionen für neue Geschäftsfelder sollten entwickelt und im Markt erprobt werden. Im Anschluss folgte eine Workshopreihe I mit den 24 Führungskräften, getrennt nach den drei Unternehmensbereichen Verkauf, Einkauf/Logistik und Verwaltung. Der inhaltliche Schwerpunkt war die dialogische Auseinandersetzung mit der Vision und den Strategien. Darauf aufbauend wurden konkrete Veränderungsprojekte für die einzelnen Unternehmensbereiche definiert hinsichtlich der Inhalte, Strukturen und des terminlichen Rahmens. Der methodische Schwerpunkt war die Vermittlung von Wissen in den Themen Führung, Projektmanagement, Teamarbeit und Moderation von Besprechungen. Insgesamt wurden zwölf Projekte definiert, u. a. für die Entwicklung von Produktlinien, zur Erneuerung der Strukturen, zur personellen Besetzung und zur Prozessgestaltung. Die einzelnen Themen wurden konzeptionell ausgearbeitet. Die Führungskräfte aus den Workshops bildeten jeweils für ihren Unternehmensbereich das Kernteam, das die übergreifende Koordination der Projekte übernahm. Nach drei Monaten erfolgte eine Bestandsaufnahme aller Projekte. Insgesamt waren knapp 100 Mitarbeiter beteiligt.
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Ein Strategieworkshop II stellte den Mitgliedern der Unternehmensführung die konzeptionellen Projektergebnisse vor, um strategische Entscheidungen zu treffen. Die Vision wurde weiter ausgestaltet, die Konzeptionen abgestimmt und die umzusetzenden Strategien ausgewählt. Abschließend erfolgte die Definition der Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Konzeptionen. Im Anschluss folgte eine Workshopreihe II mit den 24 Führungskräften. Für jeden Unternehmensbereich wurden die Ergebnisse aus dem Strategieworkshop II diskutiert und konkretisiert. Es wurden Projektpläne zur Umsetzung der Konzeptionen erarbeitet, insbesondere zur Kommunikation und Einbindung weiterer Mitarbeiter in die Projektarbeiten. Den zweiten Schwerpunkt bildeten wieder methodische Themen zum Umsetzungs-Know-how und für den wirksamen Umgang mit Widerständen und Konflikten. Die Umsetzungsprojekte wurden vereinzelt durch Coachings betreut. Für die Führungskräfte aus dem Verkauf rundete ein Training zur Persönlichkeitsentwicklung der Verkaufsleiter in ihrer neu definierten Rolle den Veränderungsprozess ab.
Nach etwa einem Jahr hatte das gesamte Unternehmen seine neue stabile Lage erreicht. Im Jahr darauf waren die Geschäftsleitung, Führungskräfte und Mitarbeiter mit den erreichten Geschäftsergebnissen deutlich zufriedener als in den Jahren zuvor. Vermeidbare Fehler bei initiierten Veränderungsprozessen Die typischen Fehler bei Veränderungsprozessen liegen in der Gestaltung und Führung. John P. Kotter analysiert in „Leading Change“ mehrere Veränderungsinitiativen und kristallisiert acht typische Fehler heraus. X
Zu wenig Dringlichkeit vermitteln Die Unternehmensführung signalisiert den Mitarbeitern zu Beginn eines Unternehmenswandels nicht die notwendige Dringlichkeit des Vorhabens. „Zu viele Erfolge in der Vergangenheit, das Fehlen sichtbarer Krisen, ungenügendes Feedback von Kunden ...“ schaffen eine Verharmlosung der Realität. Dies äußert sich durch Aussagen wie:
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
„Das haben wir schon immer so gemacht, warum sollen wir es diesmal anders machen?“ Zu lange und zu selbstherrlich wird am Status quo festgehalten. X
Zu wenig Koalition in der Unternehmensführung Veränderungsinitiativen scheitern auch, wenn in der obersten Ebene der Unternehmensführung keine starke Führungskoalition existiert. Gerade bei strukturellem Wandel kann ein massives Trägheitspotenzial nicht ohne die erforderliche Autorität der gesamten Unternehmensführung überwunden werden.
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Der Vision zu wenig Gestalt und Kraft verleihen Fehlt eine klare und überzeugende Vision, so fehlt der Veränderungsinitiative die wegweisende Richtung. Es folgen zeitintensive, manchmal auch nutzlose, Einzelprojekte die anschließend versanden. „Die Vision spielt eine Schlüsselrolle bei der Durchführung eines sinnvollen und erfolgreichen Wandels. Sie hilft Ihnen, Handlungen unter der Berücksichtigung vieler Beteiligter zu planen, abzugleichen und anzuregen“, so Kotter.
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Die Vision unzureichend kommunizieren Häufig wird die Vision nur unzureichend vermittelt und auf das Feedback der Mitarbeiter kein Wert gelegt. Struktureller Wandel ist nahezu unmöglich, wenn die Mehrheit der Mitarbeiter die Vision nicht verstanden und verinnerlicht hat. Sie werden nur dann bereit sein, Verzicht zu üben und Engagement zu zeigen, wenn ihnen der Wandel nützlich und realisierbar erscheint. Dieses sowohl rationale als auch emotionale Verständnis kann nur zustande kommen, wenn den Mitarbeitern die Vision rechtzeitig und plausibel kommuniziert wird. Durch ein Feedback der Mitarbeiter, beispielsweise in Form von Großgruppenveranstaltungen, kann man eine direkte Kommunikation zwischen oben und unten zur praktischen Einbindung aller Mitarbeiter erzielen.
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Barrieren nicht beseitigen Wenn die Verantwortlichen für den Unternehmenswandel es versäumen, Barrieren zu beseitigen und Widerständen wirksam zu begegnen, sinkt die Bereitschaft der motivierten Mitarbeiter. Wenn verände-
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rungsbereite Mitarbeiter auf Blockaden stoßen und bei deren Überwindung keine hinreichende Unterstützung erhalten, scheitert der Veränderungsprozess an entmutigten Mitstreitern. Auch organisatorische Blockaden, wie Bewertungs- und Vergütungssysteme, können Barrieren sein und eine flexible Anpassung an die neue Ausrichtung verhindern. X
Kurzfristige Erfolge und Siege nicht würdigen Das Fehlen kurzfristig sichtbarer Erfolge führt zunehmend zum Widerstand der Mitarbeiter, die vom Sinn des Wandels noch nicht richtig überzeugt sind. Strukturelle Veränderungsprozesse dauern gewöhnlich Monate. Oftmals bleibt dabei die Planung und Würdigung kurzfristig realisierbarer Erfolge auf der Strecke. Es werden zwar Zwischenziele festgelegt. Ob diese tatsächlich erreicht werden, bleibt für die meisten Mitarbeiter fraglich. Für die Motivation aller Mitarbeiter ist es wichtig, dass tatsächlich Zwischenergebnisse realisiert, gewürdigt und als Erfolge gefeiert werden.
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Den Veränderungsprozess zu früh offiziell beenden Der Veränderungsprozess wird offiziell verfrüht für beendet erklärt, beispielsweise nachdem die ersten Optimierungen erreicht worden sind. Dadurch wird verhindert, dass die veränderten Handlungs- und Denkweisen dauerhaft im Unternehmen verankert werden und somit die Veränderungen tatsächlich dauerhaft wirken.
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Veränderungen nicht in der Kultur verankern Werden die Veränderungen nicht in der Unternehmenskultur wirklich verankert, erreicht das Unternehmen nicht den neuen stabilen Zustand. Der Unternehmenswandel braucht neue Verhaltensweisen, die in sozialen Normen und Werten im Unternehmen manifestiert sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Macht der bisherigen Gewohnheiten die alten Verhaltensweisen wiederbelebt.
Diese acht typischen Fehler sind durch eine gezielte Gestaltung von Veränderungsinitiativen vermeidbar.
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Change Management im Unternehmen gestalten und umsetzen Das folgende Modell für eine erfolgreiche Durchführung von tiefgreifenden Veränderungsprozessen muss zur Anwendung im Unternehmen individuell ausgestaltet werden. Inhaltliche Ebenen zur Gestaltung von Veränderungsprozessen X X X X
Ausrichtung des Unternehmens, Kultur und Personal, Strukturen und Prozesse, Informationstechnologie.
Für diese Ebenen sind inhaltlich ineinander greifende Konzeptionen zu erarbeiten und in dem Veränderungsprozess umzusetzen. Methodische Ebenen: Projektmanagement und Change Management im Verbund Ein Veränderungsprozess ist ein Projekt mit dem Charakter der Einmaligkeit. Deshalb sollte ein professionelles Projektmanagement implementiert werden, in dem die X X X
Führungsaufgaben, Führungsorganisation, Führungstechniken und -mittel
für die erfolgreiche Durchführung eines Projekts als handwerkliche Grundlagen dienen. Hierzu zählen u. a. eine Projektorganisation mit einem Projektteam und einem eindeutigen Auftrag von einem namentlich definierten Auftraggeber. Das gesamte Projekt ist in einzelnen Phasen zu planen, die Einhaltung dieser Planung ist zu kontrollieren und bei PlanIst-Abweichungen sind Steuerungsmaßnahmen einzuleiten. Diese handwerklichen Grundlagen sind für ein ergebnisorientiertes Change Management erforderlich.
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
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Als notwendige Voraussetzung für tiefgreifende Veränderungen in Unternehmen müssen Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit gestärkt und gefördert werden. Das Change Management bezeichnet die Steuerung eines Veränderungsprozesses, in dem Akzeptanz und Nachhaltigkeit für Veränderungen geschaffen werden. Das Schaffen dieser Akzeptanz und Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt der folgenden zehn Aufgabenpakete. Diese Aufgabenpakete sind mit dem Projektmanagement für erfolgreiche Veränderungsprozesse zu verzahnen. Zehn methodische Aufgabenpakete für erfolgreiche Veränderungsprozesse
Projektmanagement
Auf der Grundlage eines stringenten Projektmanagements unterstützen die zehn Aufgabenpakete ein erfolgreiches Change Management für strukturellen Wandel. Aufgabenpaket 1:
Initiierung des Wandels
Aufgabenpaket 2:
Überzeugung von der Notwendigkeit
Aufgabenpaket 3:
Grobplanung im Kernteam
Aufgabenpaket 4:
Vision und Strategie
Aufgabenpaket 5:
Kommunikation und Netzwerkaufbau
Aufgabenpaket 6:
Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld
Aufgabenpaket 7:
Kurzfristige Erfolge
Aufgabenpaket 8:
Fortsetzung der Veränderungen auf breiter Basis
Aufgabenpaket 9:
Festigung der neuen Kultur
Aufgabenpaket 10: Festigung einer lernenden Organisation
Abb. 19: Zehn Aufgabenpakete für erfolgreiche Veränderungsprozesse Diese Aufgabenpakete geben eine Orientierung für eine Reihenfolge der elementaren Aufgabenstellungen für den erfolgreichen strukturellen Wandel. Die einzelnen Aufgabenpakete sind einerseits vorausschauend
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
zu planen. Andererseits ist der Veränderungsprozess selbst ein Lernprozess, verbunden mit einer laufenden Überprüfung und Anpassung der Planung an aktuelle Veränderungsergebnisse. Aufgabenpaket 1: Initiierung des Wandels Der Begriff Organisationsentwicklung, der sich früher stärker nach innen (Strukturen und Prozesse) gerichtet hatte, wurde in den letzten Jahren vom Begriff Change Management verdrängt. Dieser Begriffswechsel brachte auch inhaltliche Neuorientierungen. Das Change Management fokussiert einen ergebnisorientierten Wandel – anstatt Entwicklung – und orientiert sich nach außen, also am Wandel im Markt. In dieser Außenorientierung geht es um internationale Wirtschaftspolitik und um die strategische Orientierung im Wettbewerb. Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, technologische Entwicklungen und neue Formen der Kooperationen zwischen Unternehmen bilden die Anstöße zur Initiierung von Change Management in Unternehmen. Strategische Neuausrichtungen und Ziele stehen beim Change Management im Vordergrund, die einen Wandel in den Mentalitäten der Menschen und in den Geschäftsprozessen zur Folge haben. Die Initiierung des erforderlichen Wandels muss nicht zwingend von der Unternehmensführung erfolgen. Sie kann auch von einer anderen Hierarchiestufe aus erfolgen, in der die Notwendigkeit einer strukturellen Veränderung erkannt wurde. Aufgabenpaket 2: Überzeugung von der Notwendigkeit Nachdem die Notwendigkeit eines strukturellen Wandels im Unternehmen erkannt wurde, geht es darum, die Menschen im Unternehmen von der Notwendigkeit zu überzeugen. Je stärker der Sinn für Veränderungen ausgeprägt ist, umso stärker fällt die Bereitschaft und das Engagement der Beteiligten aus. Diese Grundvoraussetzung für erfolgreiche Veränderungsprozesse muss im ersten Schritt in der Unternehmensführung (in der Geschäftsleitung oder im Vorstand) geschaffen werden. Wenn die Geschäftsleitung eines mittelständischen Großhandelsunternehmens
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
287
davon überzeugt ist, dass sie für eine erfolgreiche Zukunft eine neue Vertriebsstrategie braucht, ist sie in der Lage, diese Botschaft authentisch in die Belegschaft zu transportieren. Menschen treten erst dann überzeugend für notwendige Veränderungen ein, wenn ihnen Ziel und Nutzen klar sind. Sie brauchen Gewissheit, warum ihr Handeln für das Erreichen des Ziels relevant ist. In dieser Vorphase eines Change Projekts muss bei allen von einer Veränderung betroffenen Führungskräften und Mitarbeitern das Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen geweckt werden. Es geht bereits zu diesem Zeitpunkt darum, Kommunikationsstrukturen in den beteiligten Bereichen zu initiieren. Über ein hohes Maß an Transparenz ist sicherzustellen, dass allen Beteiligten klar wird, was der anstehende strukturelle Veränderungsprozess mit ihnen persönlich zu tun hat. In dieser Phase wird der erste Schritt zur Instabilität im bisherigen System erzeugt. Aufgabenpaket 3: Grobplanung im Kernteam Zur konkreten Vorbereitung, zur inhaltlichen Ausgestaltung und zur ergebnisorientierten Umsetzung hat sich die Bildung eines Kernteams bewährt. Das Kernteam sollte sich aus Vertretern verschiedener Hierarchiestufen aus den direkt und indirekt betroffenen Bereichen zusammensetzen. Einem Kernteam für das Change Management im Vertrieb könnten neben den Vertretern aus dem Vertrieb jeweils ein Vertreter aus den Bereichen Einkauf, Logistik und Controlling angehören. Auftraggeber dieses Kernteams sollten namentlich benannte Mitglieder der Unternehmensführung, insbesondere die Verantwortlichen für den Vertrieb sein. Eine erste Aufgabe des Projektleiters dieses Kernteams ist es, dafür zu sorgen, dass es im Projektteam zur Teamarbeit kommt. Im Sinne des Prozesses zur Teamentwicklung müssen der Projektleiter und die Mitglieder ein echtes Projektteam werden, in dem offen und vertrauensvoll zusammengearbeitet wird. Eine nächste Aufgabe ist die Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses zur Ausgangslage und über die Zielrichtungen. Darauf aufbauend erfolgt eine Grobplanung für das Change Management, das inhaltlich mit den Themen Vision und Strategie startet.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Aufgabenpaket 4: Vision und Strategie Mit diesem Aufgabenpaket beginnt die inhaltliche Gestaltung des Change Managements. Die wichtigen Fragen zu Beginn einer Veränderung sind: X X X
Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dort hin?
Diese inhaltlichen Grundlagen werden in mehreren Workshops erarbeitet, an denen jeweils die erforderlichen Mitglieder der Unternehmensführung (z. B. Vertriebsvorstand) und weitere Fachleute (z. B. Vertriebsleiter aus einzelnen Produktlinien) mitwirken. Empfehlungen für die hierfür erforderlichen Instrumente enthält Kapitel 5 im strategischen Handwerkskasten. In Form von Szenarioanalysen geht es in diesen Workshops um die gemeinsame Bestimmung der strategischen Ausgangssituation, um die Entwicklung von strategischen Optionen für die Zukunft und um die Auswahl der gewollten neuen Strategie. Darauf aufbauend werden die nächsten Schritte vereinbart, wie die Erarbeitung der erforderlichen konkreten Konzeptionen für die einzelnen inhaltlichen Ebenen und deren Umsetzung. Es werden geeignete Projektstrukturen zur Einbindung von weiteren Mitarbeitern in die inhaltliche Erarbeitung definiert und Eckpunkte zur Kommunikation im Change Management vereinbart.
Praxisbeispiel: Strategieworkshop Ein traditionelles mittelständisches Unternehmen in Norddeutschland entwickelte, produzierte und verkaufte Industriearmaturen (Ursprungsbetrieb). Im Laufe der Zeit wurde für den Entwicklungsbereich ein eigener Betrieb (Nebenbetrieb 1) gegründet, der seine Entwicklungen auch an andere Unternehmen vertrieb. Außerdem wurde ein weiteres Unternehmen (Nebenbetrieb 2) zugekauft, das sich um den Vertrieb kümmerte und hierbei auch Fremdprodukte zukaufte. Jedes Unternehmen hatte seine eigene Firmierung. Als der generelle Wettbewerb für den Ur-
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sprungsbetrieb schärfer wurde und sich die Margen verringerten, versuchte dieser, seine Margen über die beiden Töchter aufzubessern. Daraufhin beklagte sich der Nebenbetrieb 1 beim Eigentümer, dass seine Entwicklungsleistungen für den Ursprungsbetrieb zu gering vergütet werden. Der Nebenbetrieb 2 beklagte sich, dass die vom Ursprungsbetrieb einzukaufenden Produkte zu teurer sind. Die positiven Geschäftsergebnisse waren in den letzten drei Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Der Eigentümer erkannte, dass das „Auseinanderdriften“ der drei Unternehmen mittelfristig die Gefahr birgt, dass alle Betriebe negative Geschäftsergebnisse erwirtschaften. Ihm wurde klar, dass die historisch gewachsenen Unternehmensstrukturen gemeinsam neu auszurichten sind. Da er sich als Klammer aller Unternehmen betrachtete, wollte er an der inhaltlichen Neuausrichtung aktiv mitwirken und Rahmenbedingungen für den Unternehmensverbund erarbeiten. Gemeinsam mit zwei Moderatoren plante er einen Strategieworkshop für sich und die insgesamt zwölf Führungskräfte aus den drei Unternehmen. Die Führungskräfte bekamen von den Moderatoren methodische Vorgaben zur inhaltlichen Vorbereitung dieses Strategieworkshops. 1. Tag
2. Tag
Arbeiten im Plenum
Arbeiten in Gruppen
x Ausgangssituationen der einzelnen
x Ziele, Strategien und Aktivitäten je
Unternehmen x Leitbild und Zielsetzungen der Un-
ternehmensgruppe
Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe x Gegenseitige Abstimmung
Arbeiten in Gruppen
Arbeiten im Plenum
x Strategische Erfolgsfaktoren (SEF)
x Zukünftige Gemeinsamkeiten und
je Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe x Gegenseitige Abstimmung
Zusammenarbeit in der Unternehmensgruppe x Hierzu konkrete Aktivitäten verein-
baren
Abb. 20: Praxisbeispiel: Ablauf eines zweitägigen Strategieworkshops
290
Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Der zweitägige Strategieworkshop wurde in vier Arbeitseinheiten durchgeführt (vgl. Abb. 20). Die erste und die letzte Arbeitseinheit fand gemeinsam mit allen Führungskräften im Plenum statt. In den dazwischen liegenden Einheiten gab es Gruppenarbeiten, getrennt nach den drei Unternehmen. X
Ausgangssituation der einzelnen Unternehmen Die Führungskräfte stellten jeweils die aktuelle Ausgangssituation ihres Unternehmens vor, die sie anhand der methodischen Vorgaben vorbereitet hatten (Produkte, Kunden, Markt und interne Organisation). Hierdurch wurde ein gegenseitiges Verständnis aller Teilnehmer für die einzelnen Unternehmen erreicht.
X
Leitbild und Zielsetzungen der Unternehmensgruppe Der Eigentümer stellte sein vorbereitetes Leitbild für die Unternehmensgruppe vor. Beispiele für Aussagen zum Leitbild: Vision: Wir sind ein weltbekannter Systemlösungsanbieter für fluidtechnische Komponenten Mission/Auftrag: Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Industriearmaturen Das zwölf Punkte umfassende Leitbild für die Unternehmensgruppe wurde gemeinsam diskutiert und in einigen Punkten ergänzt. Danach folgte die Vorstellung und Abstimmung von Kennzahlen der nächsten drei Jahre für die Unternehmensgruppe.
X
Strategische Erfolgsfaktoren (SEF) je Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe Auf der Grundlage des gemeinsamen Leitbildes und der Zielsetzungen erarbeiteten die drei Gruppen jeweils für ihr Unternehmen die SEF. Basis hierfür waren die Komponenten Markt (Produkte, Kunden, Wettbewerb) und Organisation (Strukturen, Mitarbeiter, Prozesse, Technologie). Zur Erarbeitung dieser strategischen Erfolgsfaktoren wurden beispielsweise folgende Fragen in den Gruppen beantwortet: Markt: Welche Chancen wollen wir weiter ausbauen und welchen Risiken entgegnen? Organisation: Welche Stärken wollen wir weiterentwickeln und welche Schwächen ausmerzen?
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
X X
X X
X
291
Die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen wurden am Abend des ersten Tages gegenseitig vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Ziele, Strategien und Aktivitäten je Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe Anhand der Abstimmungen über die SEF vom ersten Tag ging es in den Arbeitsgruppen am Vormittag des zweiten Tages für jedes Unternehmen um die Konkretisierung von Zielen, Strategien und Aktivitäten zu den einzelnen SEF. Beispiel: Ziel: Der Umsatz mit dem XY-Kupplungsprogramm ist in den nächsten drei Jahren von 2 Millionen Euro auf 3 Millionen Euro gestiegen. Strategien: Erhöhung der Ideenausbeute in der gesamten Unternehmensgruppe und konsequente, stetige Neuentwicklung von Produkten. Aktivitäten: Gemeinsame Analyse des Produktfolios, gemeinsame Innovationsrunden einrichten, Beteiligungsmodell für Produktideen einführen (mit Terminen und Verantwortlichkeiten). Die Arbeitsergebnisse wurden wieder gegenseitig vorgestellt und abgestimmt. Zukünftige Gemeinsamkeiten und Zusammenarbeit in der Unternehmensgruppe Nach einer Diskussion über gewollte Unterschiede im Sinne von Schwerpunkten der einzelnen Unternehmen erfolgte eine Abstimmung über strategisch gewollte Gemeinsamkeiten für die Zukunft (u. a. Auftritt im Markt). Anschließend wurden konkrete Vereinbarungen über die zukünftige Zusammenarbeit der Unternehmen untereinander getroffen. Hierzu wurden abschließend konkrete Aktivitäten („wer, was, bis wann“) vereinbart.
Die konsequente Umsetzung aller vereinbarten Maßnahmen wurde vom Eigentümer in den folgenden zwölf Monaten überwacht und gesteuert.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Aufgabenpaket 5: Kommunikation und Netzwerkaufbau Eine Vision kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie alle beteiligten Menschen erreicht, von ihnen verstanden und verinnerlicht wird. Es geht um glaubwürdige Botschaften, die alle Beteiligten mitziehen. Die Unternehmensführung und die gesamte Führungsmannschaft aus den betroffenen Bereichen haben die Aufgabe, diese Botschaften offen und authentisch zu kommunizieren. Neben dem Commitment in der Unternehmensführung ist die Kommunikation der zweitwichtigste Erfolgsfaktor im Change Management. Der strategische Handwerkskasten beschreibt das hierfür erforderliche Instrument. Ein zentrales Element ist die Kommunikation über Dialog. Parallel zur Nutzung von verschiedenen Kommunikationsmitteln zur Verbreitung der Informationen im Unternehmen sind Feedbacks und Diskussionen erforderlich. Nur so kann man alle Beteiligten wirklich erreichen. In mehreren Workshops können Ideen vorgestellt, diskutiert und Feedbacks eingeholt werden. Teilprojektergebnisse, wie einzelne Konzeptteile, werden gezielt den einzelnen Betroffenen vorgestellt und im Diskurs Ideen und Anregungen zur Weiterentwicklung eingeholt. Diese dialogische Kommunikation dient gleichzeitig zum Aufbau eines Netzwerkes in den beteiligten Bereichen, um weitere Mitarbeiter in die Umsetzung einzubinden. Einige Instrumente zur dialogischen Kommunikation enthält der Abschnitt „Management von Unsicherheit in der Umsetzung“. Aufgabenpaket 6: Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld Im vorherigen Arbeitspaket ging es darum, Begeisterung zu entfachen und Hindernisse wie Missverständnisse, Ängste und Widerstände wahrzunehmen. Derartige Hindernisse werden deutlicher und massiver, wenn die ersten konkret durchzuführenden Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld der einzelnen Beteiligten erfolgen sollen. Wenn die ersten Betroffenen im aufgebauten Netzwerk Pilotprojekte in ihrem direkten Arbeitsumfeld umsetzen, geht es um einen produktiven und praktischen Umgang mit Begeisterung und Skepsis.
Unternehmenswandel erfolgreich gestalten
293
Auch bei einer umfassenden dialogischen Kommunikation im Vorfeld verbleibt eine Restunsicherheit, die sich die bei den ersten praktischen Umsetzungsaktivitäten in Widerständen äußert. Widerstand ist bei Veränderungen eine normale menschliche Reaktion. Widerstand ist in diesen Situationen meist ein Indiz, dass Menschen etwas noch nicht wissen oder befürchten, etwas nicht zu können. In diesen Situationen hilft nur eines: die dialogische Kommunikation konsequent fortzusetzen. Es geht darum, den Betroffenen zuzuhören, genau hinzuschauen und zu erkunden, wo noch Defizite existieren. Wenn im Aufgabenpaket 5 hinreichend Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufgebaut wurde, gibt es keinen Grund, sich im Aufgabenpaket 6 aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Widerstände, die bei Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld auftreten, geben in vielen Fällen auch Hinweise, an welchen Stellen im Detail noch Nachbesserungen für den Veränderungsprozess erforderlich sind. Empfehlungen zum wirksamen Umgang mit Widerständen finden sich im Abschnitt „Management von Unsicherheit in der Umsetzung“. Aufgabenpaket 7: Kurzfristige Erfolge Wenn die Aufgabenpakete 1 bis 6 erfolgreich durchgeführt wurden, gibt es bei den ersten Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld nicht nur Widerstände, sondern auch erste Erfolge. Wichtig ist, dass kurzfristige Erfolge erzielt und sichergestellt werden. Der Zielerreichungsgrad sollte für alle Beteiligten erkennbar sein und über die eingerichteten Kommunikationskanäle verbreitet werden. Es gilt deutlich zu machen, dass die bisherige Mitwirkung am Veränderungsprozess nicht umsonst gewesen ist, sondern hilft, die erforderlichen Rahmenbedingungen für den Veränderungsprozess zu verstärken. Durch das Erzielen kurzfristiger Erfolge lassen sich auch (noch) skeptische Mitarbeiter vom eingeschlagenen Kurs des Change Managements überzeugen. Kurzfristig erzielte Erfolge dienen als positives Feedback für alle Beteiligten, die aktiv am Veränderungsprozess mitwirken, sowohl im Kernteam als auch bei den Netzwerkarbeitern. Es steigert sowohl die Moral als auch die Motivation aller Beteiligten. Außerdem liefern kurzfristige Erfolge dem Kernteam konkrete Informationen über die Erreich-
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
barkeit der gesetzten Ziele. Darauf aufbauend kann das Kernteam seine Umsetzungsstrategien anpassen und optimieren. Aufgabenpaket 8: Fortsetzung der Veränderungen auf breiter Basis Beim Erreichen von kurzfristigen Erfolgen ist ein erster Meilenstein im Change Management erreicht. Dem Auftraggeber des Kernteams kann hierdurch vermittelt werden, dass die angestrebten Veränderungen in die gewünschte Richtung gehen. Jetzt muss man die Vorteile der Veränderung absichern und das Change Management konsequent fortsetzen. Bei den Beteiligten muss jetzt auf breiter Basis für Handlungsfähigkeit gesorgt werden, indem sie u. a. auch zeitliche Ressourcen zur aktiven Umsetzungsarbeit erhalten und von Teilen ihres Tagesgeschäfts entlastet werden. Hier wird unter Beweis gestellt, inwieweit die Führungsmannschaft hinter dem Veränderungsprozess steht. Die einzelnen Führungskräfte müssen über Prioritäten entscheiden und in einigen Fällen den Umsetzungsaktivitäten für das Change Management den Vorrang vor dem operativen Tagesgeschäft geben. Da in der Umsetzungsphase auf breiter Ebene meistens mehrere Teilprojekte parallel oder kurzfristig nacheinander in Angriff genommen werden, ist von den Mitgliedern des Kernteams ein straffes Multiprojektmanagement mit einem stringenten Projektcontrolling (Planung, Kontrolle und Steuerung) gefordert. Aufgabenpaket 9: Festigung der neuen Kultur Erfolge können im Veränderungsprozess zum Feind des Change Managements werden, wenn sie Menschen dazu verleiten, nach einer Veränderung wieder in alte Verhaltensmuster zu verfallen. Ein Change Management ist nur dann erfolgreich, wenn sich die Werte und Einstellungen aller Beteiligten dauerhaft verändern. Eine neue Vertriebsstrategie erfordert oft auch völliges Umlernen der Verkäufer. Diese brauchen beispielsweise im Vergleich zur vorherigen Situation eine ausgeprägtere Führungskompetenz, um nachhaltigen Erfolg am Markt zu erzielen. Die Qualifizierungsmaßnahmen in einem erfolgreichen Change Management
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beinhalten Elemente, in denen es um die innere Haltung der Mitarbeiter in den strategisch neu ausgerichteten Bereichen geht. In einem neu ausgerichteten Vertrieb ist es oft zweckmäßig, den Führungskräften ein „Coaching on the Job“ anzubieten, um sie in der Umsetzung der neuen persönlichen Anforderungen in der Praxis zu unterstützen. Neben den fachlich orientierten Umsetzungsaktivitäten benötigen Menschen bei einem Change Management persönliche Anleitung, Hilfestellungen und Coaching. Es geht um die Integration der erforderlichen Kulturelemente für die strategisch neu ausgerichteten Bereiche auf allen Ebenen. Ein Beispiel zur aktiven Einbindung der Unternehmenskultur liefert der Abschnitt über die „Instrumente zur Gestaltung des Veränderungsprozesses“. Aufgabenpaket 10: Aufbau einer lernenden Organisation Nachdem die Neuausrichtung eine stabile Lage in den Köpfen aller Beteiligten erreicht hat, ist eine positiv kritische Reflexion des durchgeführten Change Management hilfreich zur Gestaltung der weiteren Zukunft. Ein erfolgreiches Change Management bewirkt, dass die neue stabile Lage über einen Zeitraum von mehreren Jahren beibehalten und nicht nach einem Jahr von einem neuen strukturellen Veränderungsprozess überrollt wird. Insofern geht es in dem neu ausgerichteten Bereich parallel zur Abwicklung des Tagesgeschäfts darum, an welchen Stellen dieser Bereich weiter optimiert werden kann. In Reflexion des vorangegangenen Veränderungsprozesses kann herausgearbeitet werden, welche Vorgehensweisen in den betroffenen Bereichen hilfreich waren und für zukünftige Optimierungsansätze genutzt werden könnten. Hieraus können sich die Beteiligten Verfahren und Regeln ableiten, wie sie parallel zu ihrem Tagesgeschäft erkannte Optimierungsansätze kommunizieren und gemeinsam umsetzen.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Strategischer Handwerkskasten Basis-Instrumente für erfolgreiche Veränderungsprozesse Zu den Basis-Instrumenten zählen so genannte harte und weiche Faktoren des Veränderungsmanagements. Die harten Faktoren bestehen im Wesentlichen aus den Kernkompetenzen des Projektmanagements, einschließlich des Multiprojektmanagements. Bei den weichen Faktoren geht es um effektive und effiziente Zusammenarbeit in Projektteams sowie um Moderation von Workshops mit mehreren und mit vielen Teilnehmern (Großgruppenveranstaltungen). Hierfür ist u. a. ein wirksamer Umgang mit Konfliktpotenzialen und mit potenziellen Widerständen erforderlich. Auch die praktische Anwendung von Kreativitätstechniken zur Ideengenerierung und die Schaffung der hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen zählen zu den Basis-Instrumenten. Auf dieser Grundlage kann man die folgenden Instrumente des strategischen Handwerkskastens auswählen und anwenden. Vorbemerkungen zum Inhalt Der Fokus dieses Abschnitts liegt auf einigen Instrumenten, die für einen tiefgreifenden Wandel erforderlich und erfolgreich sind. Dies sind Instrumente zur Erarbeitung der inhaltlichen Ausrichtung auf einer machbaren und möglichst breiten Basis. Es sind weiterhin Instrumente zur emotionalen Einbindung der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess, einschließlich systemischer Interventionen. Zur Anwendung und Nutzung dieser Instrumente ist vertiefende Literatur heranzuziehen. Der strategische Handwerkskasten gibt Empfehlungen für Handwerkszeuge, die in der Praxis bei Veränderungsprozessen erfolgreich angewendet wurden.
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Instrumente zur inhaltlichen Ausrichtung des Wandels Es folgen Instrumente zur inhaltlichen Ausrichtung von Veränderungsprozessen, in Arbeitsgruppen, in der Unternehmensführung und in Form von Großgruppenveranstaltungen. Wesentlicher Erfolgsfaktor für den Einsatz dieser Instrumente ist eine ausführliche Vorbereitung der jeweiligen Veranstaltungsform. Werkstätten zur Ideenfindung in Arbeitsgruppen Es gibt eine Vielzahl von Varianten zur Gestaltung von moderierten Workshops zur Ideenfindung, in denen die Teilnehmer unter der Überschrift Zukunftsmanagement ihr Know-how und ihre Kreativität einbringen. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze dieser Workshops sind die systematisch gestaltete Zukunftswerkstatt und die so genannte DynamicFacilitation, als chaotische Variante. Die Zukunftswerkstatt zeichnet sich durch ein zielgerichtetes Vorgehen aus, das kreatives Arbeiten der Teilnehmer methodisch fördert. Inhaltlich ist sie ein offener Prozess, der durch die Teilnehmer ausgestaltet wird. Das Ziel ist die Erarbeitung von wünschenswerten Zukunftssituationen. Das Vorgehensmodell beinhaltet drei Phasen: X
Phase 1: Beschwerde- und Kritikphase Der inhaltliche Start beginnt mit einer Themensammlung und -sortierung. Es werden Themen gesammelt, die von den Teilnehmern als kritisch eingestuft werden und für die neue Lösungen gefunden werden müssen. Die jeweiligen kritischen Punkte werden konkretisiert und mit Beispielen unterlegt. Danach folgt eine Unterbrechung des Ablaufs durch eine Pause.
X
Phase 2: Fantasie- und Utopiephase In der zweiten Phase findet bewusst ein Bruch zur Realität statt. Es wird gemeinsam kreativ an wünschbaren Alternativen und Lösungsvorstellungen gearbeitet. Hierzu werden die Teilnehmer zu Beginn dieser Phase hinsichtlich der Atmosphäre auf diesen kreativen Teil des Workshops eingestimmt. Sie werden auch mit der Nutzung von Krea-
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
tivitätstechniken vertraut gemacht. Mit Hilfe verschiedener Kreativitätstechniken werden danach Utopien nach dem Motto „Was wäre, wenn wir ...“ entworfen. Diese Utopien werden gemeinsam ausgestaltet. Am Ende dieser Phase werden die Utopien gegenübergestellt und ausgewertet. Danach erfolgt wieder eine Unterbrechung der Arbeiten durch eine Pause. X
Phase 3: Verwirklichungs- und Praxisphase Diese Phase beginnt mit einer Auswahl der Utopien, mit denen die Praxisumsetzung im Workshop erprobt werden soll. Die einzelnen Utopien werden von den Teilnehmern durch Übersetzungen in die Praxis präzisiert. Wenn die Teilnehmer danach zu der gemeinsamen Entscheidung gelangen, dass ihre Ideen umsetzungswürdig und –fähig sind, werden konkretere Maßnahmen entwickelt und vereinbart, um die Weiterarbeit an der Umsetzung vorzubereiten.
Der Workshop entwickelte neue Ideen und konkrete Umsetzungsmaßnahmen. Gleichzeitig wurde gemeinsam definiert, welche Ideen nicht weiter verfolgt werden sollen. Je nach Umfang der Themen und Anzahl der Teilnehmer beträgt die Dauer einer Zukunftswerkstatt ein bis zwei Tage. Insgesamt orientiert sich diese Methode an konventionellen Moderationsformen zur Problemlösung und Entscheidungsfindung. In einem Fachaufsatz beschreibt Matthias zur Bonsen die „DynamicFacilitation“ als Gegenstück zu einer konventionellen Moderation. Im Zentrum dieser Methode steht ein Prozess, der „Wahlmöglichkeiten schaffen“ genannt wird. Das methodische Handwerkszeug basiert auf „vier Listen“, deren Überschriften auf leeren Moderationswänden sichtbar sind. X
Liste: Probleme Hier werden alle Aussagen von Teilnehmern gesammelt, die von ihnen während der gesamten Dauer der Moderation als problematisch beschrieben werden.
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X
Liste: Lösungen Alle zu irgendeinem Zeitpunkt der Moderation genannten Lösungen, gleich zu welchem Problem sie passen, werden hier gesammelt. Diese Lösungssammlung erscheint wie ein chaotischer Mix.
X
Liste: Befürchtungen/Bedenken Jede geäußerte Befürchtung, sei es auf Grund eines beschriebenen Problems oder einer vorgeschlagenen Lösung, wird hier gesammelt. Alle Bedenken sollen ernst genommen und anerkannt werden. Diese Liste hilft, den emotionalen Anteil in der Diskussion vom sachlichen Anteil zu separieren.
X
Liste: Informationen Harte Fakten, Daten und Beobachtungen, die sich nicht den anderen drei Listen zuordnen lassen, werden in dieser Liste gesammelt.
Nach dem Motto „Alles muss raus“ werden die Teilnehmer eingeladen, sich von den Gedanken und Gefühlen, die sie mitgebracht haben, zu „reinigen“. Emotionen, die sich bei den Teilnehmern beispielsweise durch Ankündigungen von erforderlichen Veränderungen aufgestaut haben, können rausgelassen werden. Danach, so die Leitidee dieser Methode, kommt bei den Teilnehmern erst eine wirkliche Veränderung im Denken zu Stande, die zu neuen Lösungen in der Sache führt. Am Ende dieser Moderation findet kein Auswahlprozess für die gesammelten Lösungen statt. Die gesammelten Lösungen werden auch nicht den Bedenken gegenübergestellt. Nach Matthias zur Bonsen kommt bei der Dynamik-Facilitation einfach ein Punkt, an dem die Lösung offensichtlich wird – an dem alle Teilnehmer wissen: „Das ist es“. Die Aufgabe des Moderators an dieser Stelle ist, den Teilnehmern zu helfen, ihre Erkenntnisse gemeinsam zu reflektieren. Die Zukunftswerkstatt und die Methode Dynamic-Facilitation sind Instrumente zur Ideenfindung in Arbeitsgruppen. Dynamik-Facilitation eignet sich zusätzlich für konfliktbeladene Themen, da die Emotionen der Teilnehmer in den Prozess bewusster integriert werden. Neben dem Ergebnis von konkreten Lösungsansätzen bieten beide Workshopformen auch den methodischen Rahmen für Ideen einer radikalen Veränderung, die eine Neuausrichtung des Unternehmens erfordern.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Komponenten zur strategischen Unternehmensentwicklung Das Ziel einer strategischen Unternehmensentwicklung ist es, den Fortbestand und die Weiterentwicklung eines Unternehmens langfristig zu gewährleisten. Da das Thema Strategieentwicklung Chefsache ist, muss die Unternehmensführung von der Notwendigkeit überzeugt sein. Die Komponenten für eine strategische Unternehmensentwicklung sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Generelle strategische Ausrichtung des Unternehmens
Strukturkonzept
Marktstrategie
Projektdefinition zur Umsetzung
Abb. 21: Komponenten der Strategieentwicklung Zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens sind folgende Fragen zu beantworten: X X X X
Welches sind die grundlegenden Unternehmenswerte (Unternehmensleitbild)? Welche Bedürfnisse in der Gesellschaft will das Unternehmen befriedigen (Mission)? Was sind die langfristigen Ziele des Unternehmens (Vision)? Welche Verhaltensregeln sind für das Unternehmen bindend (Philosophie)?
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Die Bestandteile einer Marktstrategie sind: X X X X X X
Definition von Marktzielen (Zielmärkte, Umsatz, Marktanteil) Definition finanzwirtschaftlicher Ziele Beschreibung der wichtigsten Zielmärkte (Regionen, Kunden, Produkte) Beschreibung der Basisstrategie (Qualitätsführerschaft, Kostenführerschaft, Nischenstrategie) Beschreibung vorhandener oder aufzubauender Alleinstellungsmerkmale, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen Grundzüge für den Marketing-Mix (Produkte, Preise, Promotion, Platzierung)
Für das Strukturkonzept sind die folgenden Fragen zu beantworten: X X X X
Welche internen/externen Ressourcen werden benötigt? Welche Kompetenzen müssen aufgebaut und weiterentwickelt werden? Welche kulturelle Ausrichtung ist erforderlich? Welche Strukturen sind zu schaffen?
Untersuchungsfelder zur Ausgangssituation sind Leistungen, Rechtsform, Standorte, Systeme (Infrastruktur und Aufbauorganisation), Prozesse und Ressourcen. Ein wirksames Instrument zur Analyse der Ausgangssituation und zur Ableitung von strategischen Erfolgsfaktoren ist die nachfolgend dargestellte SWOT-Analyse. Die SWOT-Analyse wurde in dem Praxisbeispiel Strategieworkshop angewendet. SWOT-Analyse zur inhaltlichen Erarbeitung der strategischen Ausrichtung Die Abkürzung SWOT steht für die Begriffe Strength, Weaknesses, Opportunities und Threats. Sie deutet auf die beiden Bestandteile StärkenSchwächen-Analyse und Chancen-Risiken-Analyse hin. Sie stellt eine zeitliche und inhaltliche Verknüpfung zwischen unternehmensinterner und umweltbezogener Perspektive dar.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Der erste Bestandteil der SWOT-Analyse, die Stärken-Schwächen-Analyse, vergleicht die spezifischen Stärken und Schwächen des Unternehmens mit denen der Wettbewerber. Dabei wird auf unternehmensinterne Daten zurückgegriffen, die aus einer Potenzialanalyse gewonnen werden, und auf Informationen, die aus Konkurrenzanalysen stammen. Eine Zusammenführung dieser Informationen identifiziert diejenigen Bereiche, in denen das Unternehmen Wettbewerbsvorteile und –nachteile besitzt. Beispiele für Inhalte sind: X
X X
Angebotspotenzial der Produkte/Dienstleistungen (Qualität, Leistungsfähigkeit und Design der Produkte, Produktprogramm und Produktstruktur, etc.) Personal (Qualifikation, Erfahrung, Motivation, Entlohnungssystem, Sozialleistungen, Altersstruktur, Fluktuation, Führungskräfte etc.) Management und Organisation (Organisationsstruktur, Führungsstil, Planungsinstrumente, Kontroll- und Steuerungsinstrumente etc.)
Der zweite Bestandteil der SWOT-Analyse, die Chancen-Risiken-Analyse, betrachtet die Unternehmensumwelt. Sie strebt eine Identifikation und Vorhersage von Umweltentwicklungen an, aus denen dem Unternehmen Chancen und Risiken erwachsen können und die damit für die Unternehmensstrategie von Bedeutung sind. Beispiele für Inhalte sind: X
X
X
Marktpotenzial/Marktvolumen (Zahl der potenziellen Abnehmer, Marktwachstum, Marktsättigung, verfügbare Investitionsmittel/Einkommen, demografische Entwicklung etc.) Kundenstruktur und Kundenwünsche (Verteilung und Größe der Kundenstruktur, Nachfragemacht, Kundenanforderungen, Schlüsselfaktoren für den Kauf etc.) Technologische Entwicklung (neue Produkttechnologien und Fertigungstechnologien, Substitutionsmöglichkeiten etc.)
Die Ergebnisse in einer SWOT-Matrix dargestellt zeigen vier Arten von Strategien.
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SWOT-Matrix
Chancen
Risiken
Stärken
Stärken-ChancenStrategien
Stärken-RisikenStrategien
Schwächen
Schwächen-ChancenStrategien
Schwächen-RisikenStrategien
Abb. 22: SWOT-Matrix mit vier Strategiearten Die vier Strategiearten sind: X
X
X
X
Stärken-Chancen-Strategien dienen der Nutzung der Marktchancen des Unternehmens unter Einsatz der internen Stärken (z. B. durch Neuentwicklung von Produktlinien und einzelnen Produkten). Stärken-Risiken-Strategien dienen der Entschärfung von Marktrisiken des Unternehmens unter Nutzung der internen Stärken (z. B. gezielte Nutzung von Know-how über Zielländer/-regionen zur Stärkung der Wettbewerbsposition). Schwächen-Chancen-Strategien dienen der Nutzung von Marktchancen des Unternehmens durch Abbau von internen Schwächen des Unternehmens (z. B. durch Prozessoptimierungen für Erfolg versprechende Produktlinien). Schwächen-Risiken-Strategien zielen darauf ab, interne Schwächen abzubauen und Risiken zu reduzieren (z. B. Outsourcing von Leistungen außerhalb des Kerngeschäfts).
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Die Beurteiler der SWOT-Analyse müssen über die notwendigen Informationen aus dem Unternehmen und über Wettbewerber verfügen. Die Ableitung von Strategien für das Unternehmen erfolgt durch die Unternehmensführung. BSC und EFQM als Alternativen zur Erarbeitung der strategischen Ausrichtung Die Balanced Scorecard (BSC) und das Excellence-Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) sind zwei weitere methodische Handwerkszeuge zur Erarbeitung der strategischen Ausrichtung. Beide Methoden haben über die SWOT-Analyse hinausgehende Anwendungsgebiete. Das EFQM-Modell ist ein Bewertungsmodell zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens anhand von definierten Kriterien. Beispiele für Kriterien sind Politik und Strategie, Mitarbeiter sowie kundenbezogene Ergebnisse. Dieses Modell kann man zur Selbstbewertung im Unternehmen nutzen, um Stärken/Schwächen sichtbar zu machen und mit dem Ziel, kurzfristige Verbesserungspotenziale sowie Ansatzpunkte für umfassende Veränderungen herauszuarbeiten. Darüber hinaus kann man dieses Modell nutzen, um ein Unternehmen auf eine Bewerbung für den Europäischen Qualitätspreis vorzubereiten. Die BSC beinhaltet die methodischen Schritte der SWOT-Analyse und geht in der Anwendung darüber hinaus. Sie ist eine Klammer zwischen dem strategischen und dem operativen Geschäft. In der BSC werden Vision und Strategien in ein ausgewogenes Bündel von Kennzahlen (vier Standardbereiche: Kunden, Mitarbeiter, Prozesse und Finanzen) zur Leistungsmessung übertragen. Wenn man die BSC anwendet, zwingt man sich bewusst, eine Balance zwischen einer wertsteigernden Strategie und den erforderlichen kurzfristigen Maßnahmen zu suchen und zu finden. Wenn man es schafft, die BSC nahtlos ins Managementsystem zu integrieren, verfügt man über ein erfolgreiches Instrument zur stringenten Strategieumsetzung.
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Workshops zur Strategieentwicklung mit der Unternehmensführung Als Rahmen für eine strategische Unternehmensentwicklung eignen sich Strategieworkshops mit der Unternehmensführung und der zweiten Führungsebene. Die methodischen Schritte eines derartigen Strategieworkshops (bei mittelständischen Unternehmen) oder einer Sequenz von Strategieworkshops (bei Großunternehmen) sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Generelle strategische Ausrichtung des Unternehmens
SWOT-Analyse Bereich A
SWOT-Analyse Bereich B
SWOT-Analyse Bereich C
Ableitung von Strategieoptionen für Markt und Strukturen
Auswahl Marktstrategien/Definition Strukturkonzept
Projektdefinition zur Umsetzung
Abb. 23: Methodische Schritte für Strategieworkshops Bei einem mittelständischen Unternehmen dauert ein gut vorbereiteter Strategieworkshop mit der Geschäftsleitung und der zweiten Führungsebene ca. zwei Tage. Die Geschäftsleitung erarbeitet zur Vorbereitung ein Diskussionspapier zur generellen strategischen Ausrichtung. Die Mitglieder der zweiten Führungsebene erarbeiten zur Vorbereitung des Workshops die Eckpunkte der SWOT-Analysen für ihre Verantwortungsbereiche. Durch diese Vorarbeiten sind sie gemeinsam in der Lage, die Strategieoptionen abzuleiten und Entscheidungen zur strategischen Ausrichtung zu treffen.
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In einem Großunternehmen ist die Strategieentwicklung zeitlich aufwändiger. Bereits für den Einstieg in diesen Entwicklungsprozess ist oft ein zweitägiger Workshop mit den Mitgliedern des Vorstands zur Erarbeitung der generellen strategischen Ausrichtung erforderlich. Im Anschluss folgen Workshops in den einzelnen Unternehmensbereichen zur Erarbeitung der SWOT-Analysen, bevor es zu dem eigentlichen Strategieworkshop mit der gesamten Führungsmannschaft kommt. Einige Tipps zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von moderierten Strategieworkshops: X
Tipp 1: Inhalte kommen von der Führungsmannschaft/Moderation von Extern Die Inhalte sind von der Führungsmannschaft des Unternehmens zu erarbeiten, da sie im Anschluss für die Umsetzung der abgestimmten Ergebnisse sorgen muss. Eine externe Unterstützung ist für die methodische Vorbereitung und Durchführung zu empfehlen.
X
Tipp 2: Alle Teilnehmer erscheinen vorbereitet zum Strategieworkshop Die Inhalte (strategische Ausrichtung, Eckpunkte der SWOT-Analysen) sind von den Teilnehmern vor dem Workshop vorzubereiten oder ihnen zur Verfügung zu stellen. Die Aufforderung lautet, sich auf diesen Workshop vorzubereiten.
X
Tipp 3: Abgestimmte Agenda im Vorwege Idealerweise ist auch der Ablauf des Strategieworkshops (Themen und Prioritäten) mit den Teilnehmern im Vorfeld abgestimmt, zumindest ist er allen bekannt.
X
Tipp 4: Aufteilung auf zwei Terminblöcke (optional) Als vorteilhaft hat sich in einigen Fällen die Aufteilung des Strategieworkshops auf zwei Terminblöcke erwiesen. Dadurch haben die Teilnehmer die Möglichkeit, zum zweiten Termin weitere Informationen zu besorgen oder einzelne Themen als Ergebnis aus dem ersten Termin detaillierter auszuarbeiten.
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X
Tipp 5: Konkrete Maßnahmen zum Abschluss Den Strategieworkshop sollte man stets mit konkreten Handlungsschritten in Form eines gemeinsam vereinbarten Maßnahmenplans abschließen, um den Fortschritt der geplanten Initiativen zu steuern und zu kontrollieren.
X
Tipp 6: Nachbereitung der Ergebnisse Die erarbeiteten Workshopergebnisse sind so aufzubereiten, dass allen Teilnehmern im Nachgang klar ist, was von ihnen in der Umsetzung zu tun ist.
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Tipp 7: Regelmäßige Folgetreffen In regelmäßigen Abständen gibt es Folgetreffen zum gemeinsamen Rückblick auf das Erreichte und zur Weiterentwicklung von Strategien, Zielen und Maßnahmen.
Damit die Wirkung eines ersten Strategieworkshops nicht verpufft, muss man das Thema Strategieumsetzung in den Alltag der gesamten Führungsmannschaft integrieren. Einbindung der Mitarbeiter in Form von Großgruppenveranstaltungen Oben ausgeheckte Strategien müssen unten umgesetzt werden. Unten zeigt sich dann oft Unverständnis und es entsteht schnell Widerstand gegen die von oben aufgedrückten Strategien. Aus diesem Grund haben sich in der Praxis in den letzten Jahren verschiedene Formen für eine Strategieentwicklung unter Einbindung der Mitarbeiter in Form von Großgruppenveranstaltungen entwickelt. Es folgen Kurzbeschreibungen von zwei unterschiedlichen Formen dieser Großgruppenveranstaltungen, die RTSC-Konferenz und die Open Space-Methode. RTSC ist die Abkürzung von Real Time Strategic Change und bedeutet strategische Veränderung in Echtzeit. In einer RTSC-Konferenz stellt die Unternehmensführung ihre Vorstellungen (Vision, Strategie, Ziele) hinsichtlich der erforderlichen Veränderungen einem repräsentativen Querschnitt der Mitarbeiterschaft zur Diskussion vor. Während der Konferenz erfolgt unter Einbeziehung des Feedbacks der Mitarbeiter eine Überar-
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
beitung der strategischen Vorstellungen der Unternehmensführung. Im Ergebnis wurden am Ende der Konferenz konkrete Schritte zur Umsetzung der Strategie entwickelt und mit den Mitarbeitern vereinbart. Eine RTSC-Konferenz dauert zwei bis drei Tage und gliedert sich in folgende Phasen: X
Phase 1: Eine gemeinsame Ausgangsbasis schaffen Die erste Phase beginnt mit einem „Wachrütteln“ aller Teilnehmer der RTSC-Konferenz. Die wesentlichen Aspekte der aktuellen Situation des Unternehmens und weshalb Veränderungen notwendig sind, werden den Teilnehmern von der Unternehmensführung vorgestellt. Diese Vorstellung soll fachlich und emotional „unter die Haut“ gehen, damit ein Gefühl der Dringlichkeit verspürt wird. Es geht um ein gemeinsames Verständnis dafür, dass im Unternehmen bestimmte Themen angegangen werden müssen und um Basisinformationen zur Ausgangssituation. Diese Phase ist idealerweise zur Mittagspause des ersten Tages abgeschlossen.
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Phase 2: Feedback und Identifikation herstellen Die Unternehmensführung stellt ihre bisher entwickelten Vorstellungen über die Neuausrichtung vor und zeigt auf, wie der Zielzustand erreicht werden soll. Dieser Entwurf wird allen Teilnehmern zur Diskussion gestellt. Nach einer ersten generellen Feedbackrunde werden Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge in Arbeitsgruppen erarbeitet und anschließend im Plenum vorgestellt. Idealerweise ist diese Phase am Ende des ersten Tages abgeschlossen, sodass die Unternehmensführung die Feedbackergebnisse umgehend in ihren Entwurf einarbeiten kann. Durch die unmittelbare Mitwirkung aller Teilnehmer an der Erarbeitung des Entwurfs für die gemeinsame Zukunft wird in dieser Phase der erste Schritt für eine Identifikation erreicht.
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Phase 3: Entscheiden und Konsequenzen erarbeiten Die Ergebnisse des überarbeiteten Entwurfs liegen idealerweise am Morgen des zweiten Tages vor. Der überarbeitete Entwurf wird von der Unternehmensführung vorgestellt, gemeinsam noch um Feinjustierungen ergänzt und verabschiedet. Im Anschluss werden die Schritte zur Umsetzung der strategischen Ausrichtung entwickelt und konkrete
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Maßnahmen erarbeitet. Dies erfolgt wieder in Arbeitsgruppen, die anschließend ihre Ergebnisse im Plenum vorstellen. Nach der Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden die Konsequenzen der neuen strategischen Ausrichtung für das eigene Arbeitsverhalten und für die zukünftige Zusammenarbeit und Kommunikation abgeleitet. Als Übergang zum Changeprozess im realen Leben endet die dritte Phase mit dem Beginn des Umdenkungsprozesses für die anstehenden Veränderungen im gesamten Unternehmen. Im Ergebnis der RTSC-Konferenz sind nicht nur die strategischen Vorstellungen der Unternehmensführung weiterentwickelt. Über den unmittelbaren und zeitnahen Dialog mit der Unternehmensführung werden die Mitarbeiter für die Ideen des Wandels gewonnen. Es wird der Gemeinschaftsgeist gestärkt und ein Klima geschaffen, in dem jeder RTSCTeilnehmer sich für die Umsetzung der Veränderungen mitverantwortlich fühlt. Die Open Space-Methode ist auch eine Großgruppenveranstaltung im Sinne einer Mitarbeiterkonferenz, allerdings ohne inhaltliche Vorgaben seitens der Unternehmensführung. Hier gibt es keine vorbereiteten inhaltlichen Entwürfe, keine festgelegten Arbeitsthemen und keine Referenten. Die Unternehmensführung nutzt die Open Space-Methode, um bewusst das Wissen und die Kreativität der Mitarbeiter für die Weiterentwicklung des Unternehmens und zur Lösung komplexer Probleme zu fördern. Im Mittelpunkt steht ein Generalthema das allen eingeladenen Teilnehmern wichtig ist. Beispiel für ein Generalthema ist eine Neupositionierung von Marketing und Vertrieb. Daneben gibt es eine Vorgehensweise und Regeln für den Ablauf. Die Open Space-Veranstaltung dauert zwei bis drei Tage und gliedert sich in folgende Schritte: X
Auftakt: Alle Teilnehmer sitzen in einem großen Kreis vor leeren Moderationswänden. Der Moderator erläutert den Ablauf und die Regeln. Anschließend gibt er eine Einführung in das inhaltliche Generalthema. Beispiel: Weshalb ist die Neupositionierung der Marketing- und Vertriebsbereiche jetzt erforderlich?
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Marktplatz für Tagungsthemen: Die Teilnehmer schreiben Themen, die ihnen im Rahmen des Generalthemas wichtig sind, auf Karten. Die Karten werden an die leeren Moderationswände geheftet und nach zusammenhängenden Themenbereichen sortiert. Auf diesem Marktplatz der Themenbereiche tragen sich die Teilnehmer dort ein, wo sie mitarbeiten wollen. Arbeitsgruppen: Für die hierdurch selbst organisierten Arbeitsgruppen wird ein Zeitfahrplan erstellt, in dem jeder Arbeitsgruppe ein bestimmtes Zeitkontingent (ca. zwei Stunden) zur Erarbeitung ihrer Ergebnisse zur Verfügung steht. Es gibt jeweils einen Themenverantwortlichen, der seine Arbeitsgruppe moderiert. Ergebnissicherung: Bei der Open Space-Methode gibt es im Plenum keine Präsentation der Arbeitsergebnisse. Alle Themenverantwortlichen erstellen ihren Ergebnisbericht auf zwei bis drei Seiten während der Arbeit in den Gruppen in elektronischer Form. Veröffentlichung und Vergabe von Prioritäten: Die Arbeitsergebnisse werden ausgedruckt und an alle Teilnehmer zur Sichtung verteilt. Im Anschluss erfolgt eine gemeinsame Vergabe von Prioritäten zur Weiterarbeit an den Themen. Abschluss: Die einzelnen Arbeitsgruppen vereinbaren die nächsten Schritte und konkrete Maßnahmen zur Weiterarbeit und Umsetzung des jeweiligen Themas. Diese Vereinbarungen werden in der Dokumentation ergänzt und wieder an alle Teilnehmer verteilt.
Im Ergebnis wurden Ziele und Lösungsansätze entwickelt, die von vielen Mitarbeitern mitgetragen werden und somit die Identifikation mit dem Unternehmen und dem anstehenden Wandel fördern. Da in einer Open Space-Veranstaltung vorrangig Lösungsideen und -ansätze erarbeitet werden, muss im Anschluss dafür gesorgt werden, dass die Ergebnisse in der Praxis konkretisiert werden. Einige Wochen nach der Veranstaltung erfolgt ein Review-Treffen zwischen der Unternehmensführung und den Themenverantwortlichen zur Überprüfung der erreichten Stände und zur Entscheidung der jeweils weiteren Vorgehensweise für die Umsetzung. Beide Formen von Großgruppenveranstaltungen, die RTSC-Konferenz und die Open Space-Methode, sind theoretisch für eine Anzahl von bis zu 100 Teilnehmern konzipiert. Diese Größenordnung von Teilnehmern
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in einer zu moderierenden Veranstaltung ist sicher eine organisatorische Herausforderung für den Veranstalter und für die Moderatoren. Festzuhalten bleibt, dass beide Formen zur Einbindung einer Anzahl von Mitarbeitern geeignet sind, die deutlich über 20 liegt. Diese Breitenwirkung in der unmittelbaren Kommunikation zwischen der Unternehmensführung und einem Querschnitt aus der Mitarbeiterschaft ist ein zentrales Element für den Erfolg eines umfassenden Veränderungsprozesses. Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz Voraussetzungen für den Erfolg dieser Workshop-Instrumente zur inhaltlichen Ausrichtung des Unternehmens sind: X
Echtes Interesse/Veränderungsdruck Die Teilnehmer einer Werkstatt zur Ideenfindung genauso wie die einer RTSC-Konferenz brauchen zur effektiven Neuausrichtung ein wirkliches Interesse. Auch der in der Praxis oft existierende Druck für erforderliche Veränderungen muss den Teilnehmern emotional bewusst sein.
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Zeit und Raum für die Veranstaltung Den Teilnehmer muss genügend gemeinsame Zeit zur Verfügung stehen, sich wirklich mit den anstehenden Veränderungen auseinanderzusetzen und sich damit zu identifizieren. Um diesen Veranstaltungen einen besonderen Raum zu geben, ist es zweckmäßig, sie außerhalb des Unternehmens durchzuführen.
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Vorbereitung der Veranstaltung Am aufwändigsten ist die Vorbereitung einer RTSC-Konferenz. Hier sind im Vorfeld oft viele Gespräche und Workshops in der Führungsebene erforderlich, um den in der Konferenz vorzustellenden strategischen Entwurf zu erarbeiten und den genauen Ablauf der RTSC-Konferenz zu planen. Auch Strategieworkshops mit der Unternehmensführung müssen fachlich (z. B. SWOT-Analysen) vorbereitet sein, wenn im Workshop tatsächlich strategische Entscheidungen getroffen werden sollen. Die beiden tendenziell chaotischen Varianten, die Dynamic-Facilitation und die Open Space-Methode, erfordern inhaltlich
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
weniger Vorbereitung als die anderen Formen. Alle beschriebenen Veranstaltungsformen benötigen eine hinreichende methodische Vorbereitung und Planung, einschließlich der Einstimmung aller einzuladenden Teilnehmer. X
Nachbereitung Schwerpunkt der Nachbereitung ist die Sicherstellung der Ergebnisse als Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung in die Praxis. Die gemeinsam in den Veranstaltungen vereinbarten Maßnahmen zur Umsetzung müssen von einem Projektcontroller gesteuert und überwacht werden.
In der Praxis hat sich in vielen Fällen die Durchführung mehrerer Review-Workshops, teils in kleineren Kreisen, bewährt. In einem Kernteam, beispielsweise mit Themenverantwortlichen einer Open Space-Veranstaltung, wird die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen gemeinsam gesteuert und ein Teamgeist aus der ersten Veranstaltung aufrechterhalten. Ein Nutzen des Einsatzes dieser Instrumente liegt in der Einbindung von Menschen aus dem Unternehmen zur inhaltlichen Ausrichtung. Hierdurch wird die fachliche Kompetenz durch mehrere oder sogar viele Köpfe und die gemeinsam zu entwickelnden kreativen Potenziale aller Beteiligten genutzt. Der Hauptnutzen für die Umsetzung der Ergebnisse liegt in der Identifikation aller Beteiligten mit der neuen strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Instrumente zur Gestaltung des Veränderungsprozesses Auf der Grundlage von definierten Zielen und Aufgabenstellungen für das Veränderungsprojekt ist eine professionelle Projektorganisation aufzubauen und personell zu besetzen. Es beginnt mit dem Auftraggeber, dem Lenkungsausschuss, in dem die Verantwortlichen aus der Unternehmensführung vertreten sind. Dieser Auftraggeber wählt den Projektleiter und mit ihm zusammen die Projektmitarbeiter aus. Außerdem werden Ansprechpartner aus den betroffenen Fachbereichen benannt, die mit dem Projektteam zusammenarbeiten und denen hierfür die erforderlichen Zeitkontingente zur Verfügung gestellt werden.
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Im Sinne eines professionellen Projektcontrollings (Planung, Kontrolle und Steuerung) sind die einzelnen Projektphasen, von der Analyse bis zur Umsetzung, grob inhaltlich („was ist wie zu tun?“) zu definieren und mit einem Zeitraster zu hinterlegen. Vor dem Start einer Phase erfolgt jeweils die Detailplanung von Inhalten und Ergebnissen sowie von Terminen und Ressourceneinsatz. Das ist die Grundlage für die Kontrolle und Steuerung des Projektfortschritts. Kernelemente des Projektcontrollings sind Arbeitspakete, die zwischen den Projektbeteiligten definiert, vereinbart und von ihnen umgesetzt werden. Sie sind die kleinste Einheit für eine zeitnahe Kontrolle des Projektfortschritts und zur Projektsteuerung. Da im Rahmen der Umsetzung von Veränderungsprozessen üblicherweise mehrere Teilprojekte parallel durchzuführen sind, gehört auch das Beherrschen von Multiprojektmanagement zu den Kernkompetenzen. Hier geht es um die übergreifende Termin- und Ressourcenplanung sowie die Kontrolle und Steuerung aller Teilprojekte. Teamentwicklung im Projektteam Zur effektiven und effizienten Teamarbeit geht es in der Teamentwicklung um das Zusammenschweißen des Projektteams in Form einer bewussten Teamentwicklung. Als Projektleiter sollte man die natürlichen Phasen einer Teamentwicklung – Forming, Storming, Norming und Performing – und die Einflussmöglichkeiten in diesen Entwicklungsphasen kennen und nutzen. Das Thema wurde in Kapitel 2 bei den Lösungsansätzen für die Praxisbeispiele beschrieben (2. Praxisbeispiel: Macht im Projektteam). Handwerkszeuge und Know-how für die methodische Projektarbeit Für das Projektcontrolling ist ein geeignetes IT-Tool erforderlich, das die Projektplanung verwaltet und mit dem eine effiziente Kontrolle des Projektfortschritts erfolgen kann. Das Projektteam muss aus den geplanten Aufgaben ableiten, welche Handwerkszeuge zur inhaltlichen Projektarbeit erforderlich sind. Beispiele hierfür sind Interviewleitfäden, Zugang
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
zu Erfahrungsdaten, Methoden wie die SWOT-Analyse und Dokumentationsstandards. Als Projektleiter muss man sicherstellen, dass das Knowhow im Umgang mit den erforderlichen methodischen Handwerkszeugen im Projektteam vorhanden ist. Kommunikation für den Wandel Eine gezielte und angemessene Kommunikation für den Wandel hat zum Ziel, Ängsten und Gerüchten im Unternehmen entgegenzuwirken und eine positive Grundhaltung für den Veränderungsprozess zu erzeugen. Potenzielle Probleme, Schwierigkeiten und Krisenentwicklungen werden rechtzeitig erkannt und können dadurch zeitnah wirksam behandelt werden. Das Ziel der Planung und Durchführung einer erfolgreichen Kommunikation ist die aktive Unterstützung und Forcierung des Veränderungsprozesses. Der Zweck liegt in der Einstellungs- und Verhaltensänderung der beteiligten Personen in Bezug auf den anstehenden Veränderungsprozess. Die beteiligten Personen werden darauf vorbereitet, wie sie mit den zukünftigen Veränderungen in ihrem Arbeitsumfeld umgehen können. Die generellen Aufgaben der Kommunikation sind alle beteiligten Personen (nachfolgend „Zielgruppen“ genannt) zu informieren, Akzeptanz und Motivation zu schaffen sowie Führung und Koordination. Die erste Aufgabe ist die Erarbeitung eines zielgruppenorientierten Kommunikationskonzepts in den folgenden Schritten: X
Konkrete Ziele definieren Die Ziele, die durch die Kommunikation erreicht werden sollen, sind zu konkretisieren und zu definieren. Beispiele für generelle Ziele: Förderung der Motivation und Akzeptanz Abbau von Unsicherheiten und Ängsten Mitarbeiter als Multiplikatoren werben und einbinden
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Bedarf ermitteln Es gilt den zielgruppenorientierten Kommunikationsbedarf in den einzelnen Phasen des Veränderungsprozesses zu ermitteln.
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Erfassung der beteiligten Personenkreise und Definition der Zielgruppen Analyse der Betroffenheit der einzelnen Zielgruppen (Beispiele: Verantwortung, Aufgaben, Budget) Hierbei kann mit differenzierten Ausprägungen des Grads der Betroffenheit (z. B. ++/+/0/-/--) gearbeitet werden. Dies gibt ein klares Bild hinsichtlich möglicher Fürsprecher und Gegner. Für jede Zielgruppe erfolgt eine Analyse und Situationsbeschreibung zu folgenden Aspekten: – Nutzen und Vorteile durch die geplanten Veränderungen – Mögliche Widerstände gegen die Veränderungen – Mögliche Vorbehalte und bestehende Probleme bei der Umsetzung von Projektergebnissen – Informationsstand und -bedarf X
Themen planen Auf der Grundlage des ermittelten Informationsbedarfs erfolgt die Planung der einzelnen Themen je Zielgruppe und Projektphase. In diesem Zusammenhang ist zu überprüfen, ob bei einigen Themen Zielgruppen zu gemeinsamen Kommunikationsveranstaltungen zusammengefasst werden können.
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Kommunikationsstrategien entwickeln Es sind Ansätze zu den möglichen Kommunikationsstrategien je Zielgruppe und Thema zu definieren: Sachliche Basisinformationen darstellen Emotionale Aspekte (positive, negative) aufbereiten
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Kommunikationskanäle festlegen Ideen für die möglichen Kommunikationskanäle zu den Themen und Zielgruppen werden gesammelt und abgestimmt. Beispiele: Zeitungen/Rundschreiben Meetings/Veranstaltungen E-Mails
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Fragen: Welche Informationen sind auf einen bestimmten Kanal transportierbar und welche nicht? In welchen Intervallen sind die Kanäle wirksam einsetzbar? Welche Rahmenbedingungen sind jeweils erforderlich? X
Zeitraster und Terminverlauf erarbeiten Abschließend folgt die Terminierung für den zeitlichen Verlauf der Themen je Zielgruppe im Veränderungsprozess. Hierbei werden die Sequenzen für regelmäßige Termine, wie z. B. wöchentliche oder monatliche Jour-fixe-Runden, festgelegt. Anhand der Meilensteine im Projektplan wird das Terminraster für Sitzungen des Lenkungsausschusses definiert. In dieses Terminraster und in die Sequenzen weiterer regelmäßiger Termine werden die weiteren inhaltlich geplanten Formen der Kommunikation für den Veränderungsprozess integriert.
Verantwortlich für das Thema Kommunikation für den Wandel ist der Projektleiter. Dies gilt für den gesamten Veränderungsprozess in der Innen- und Außenwirkung. Bei der Aufstellung des Kommunikationskonzepts bindet der Projektleiter das Projektteam ein. Die Umsetzungsplanung erfolgt in Form eines konkreten Maßnahmenplans. Als Anregung für die Überschriften in den Spalten dieses Maßnahmenplans dient die folgende Checkliste: X X X X X X X X X
Für welche Zielgruppe? In welcher Projektphase? Über welchen Inhalt? Zu welchem Zeitpunkt? Mit welcher Kommunikationsstrategie? In welcher Form (Mittel und Weg)? Wer ist für die Vorbereitung verantwortlich? Wer ist für die Durchführung verantwortlich? Mit wem sind die Inhalte vorher abzustimmen?
In der Umsetzungsplanung sind alle Maßnahmen der formalen Kommunikation über die Projektorganisation (u. a. Berichtswesen, Lenkungsausschuss) und über die PR-Aktivitäten sowie die planbaren Formen der
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informellen Kommunikation enthalten. Im Rahmen der Durchführung sollte man darauf achten, dass am Ende der jeweiligen Maßnahme jeweils ein Feedback der Teilnehmer über den Ablauf und die Ergebnisse stattfindet. Für die wirksame Kommunikation eines effizienten Wandels muss man die Planungen über die zu kommunizierenden Inhalte permanent aktualisieren und situationsgerecht anpassen. Training und Einsatz von Change Agents Die Kommunikation für Wandel kann man durch ein Training für Change Agents wirksam unterstützen. Einen Teil der Change Agents für den Wandel bilden die für das Projekt definierten Ansprechpartner aus den Fachbereichen. Diese Ansprechpartner sollten durch Werbung um weitere Mitarbeiter, die sich mit dem Veränderungsprozess identifizieren, erweitert werden. Diese Gruppe der Change Agents unterstützt das Projektteam in der Kommunikations- und Überzeugungsarbeit im Unternehmen. Um diese Aufgaben wirksam durchführen zu können, erhalten die Change Agents ein spezielles Training in Form eines gemeinsamen Workshops. Themen dieses Workshops sind vertiefende Inhalte zu den geplanten Veränderungsergebnissen und -nutzen für die Mitarbeiter des Unternehmens, aber auch über die erforderlichen Verhaltensänderungen im Arbeitsumfeld. Weitere Themen sind der wirksame Umgang mit Ängsten, Einwänden, Widerständen und Konflikten. Aktive Einbindung der Unternehmenskultur Zum Beginn eines umfassenden Veränderungsprozesses kann man eine Analyse zur Unternehmenskultur durchführen. Die Unternehmenskultur bietet den Rahmen für das im Unternehmen akzeptierte soziale Verhalten. Sie kann eine Unternehmensstrategie begründen und fördern oder ihr im Wege stehen und sie zunichte machen. Wenn ein Unternehmen eine strategische Neuausrichtung anstrebt, kann in der Umsetzung davon ausgegangen werden, dass ein kultureller Wandel erforderlich sein wird. Einige Aspekte zur Durchführung einer Kulturanalyse:
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Die Erarbeitung einer Kulturanalyse kann durch das Projektteam am Anfang der inhaltlichen Projektarbeit erfolgen. Die Ergebnisse sollten dann gemeinsam mit dem Auftraggeber, dem Lenkungsausschuss, reflektiert werden. Sie können sowohl für das Projektteam als auch für den Lenkungsausschuss wichtige Hinweise zur Gestaltung des Veränderungsprozesses enthalten. Beispiele für Kulturelemente sind: Leitgedanken des Unternehmens oder der Unternehmensführung, Verhaltenweisen der Vorgesetzten gegenüber ihren Mitarbeitern (Kritiken, Belohnungen, Beförderungen), Einstellungen (zu Werten, Qualität, Innovation) sowie offiziellen Regeln und der gelebte Umgang damit.
Die zentralen Fragen zur Analyse der Unternehmenskultur hinsichtlich eines anstehenden Veränderungsprozesses lauten: Welche Kulturelemente waren für den Erfolg (oder Misserfolg) unserer bisherigen Strategie maßgeblich und welche Kulturelemente erfordert die neue strategische Ausrichtung? Beispiel: Abschied vom Alten Ein Beispiel für eine Intervention zur Unternehmenskultur beschreiben die Autorinnen Andrea Brante und Daniela Liebich in einem Fachaufsatz „Abschied vom Alten“ anhand einer Fusion zweier Versicherungsgesellschaften. In einem Großprojekt sollte ein neues, gemeinsames Ganzes geschaffen werden: ein Unternehmen, das geprägt ist durch interkulturelles Denken und Handeln. Das erste Teilprojekt zielte darauf ab, jedem Mitarbeiter nahe zu bringen, welche Veränderungen ihn durch den Zusammenschluss persönlich betreffen. Der Erfolg dieses Teilprojekts sollte die Grundlage für den Erfolg des Gesamtprojekts schaffen. Kurzbeschreibung dieses Teilprojekts: X X
Für die Mitarbeiter der einzelnen Abteilungen wurden zweitägige „Core-Value-Workshops“ durchgeführt. Themen in diesen Workshops waren die neuen Unternehmensgrundsätze: Respekt, Ethik, Teamarbeit, hervorragende Qualität und persönliche Entwicklung.
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Die Teilnehmer erhielten in Einzel- und Gruppenarbeiten die Gelegenheit, sich persönlich von angenehmen und unangenehmen Gewohnheiten sowie liebgewordenen Ritualen und bekannten Strukturen zu trennen. Von Altlasten befreit, konnten sie sich auf die neuen Themen der Unternehmensgrundsätze einlassen. Die Teilnehmer diskutierten die Begriffe und Definitionen. Sie erarbeiteten Konkretisierungsvorschläge und praktische Beispiele für ihren eigenen Arbeitsbereich.
Nach Abschluss der Workshopreihe war eine von allen anerkannte Basis geschaffen, die auch die Grundlage für die zukünftige Mitarbeiterbeurteilung war. Zusätzlich zu dieser inhaltlichen Auseinandersetzung mit den neuen Unternehmensgrundsätzen förderte die Workshopreihe Teamarbeit und kooperative Zusammenarbeit. Organisationale Energie zur Aktivierung der Beteiligten nutzen Emotionen in Unternehmen waren das zentrale Thema einer Festansprache von Professorin Dr. Heike Bruch: „Organisationale Energie. Erkenntnisse aus einem internationalen Forschungsprojekt“. In diesem Projekt wurde organisationale Energie als die Kraft definiert, mit der Unternehmen arbeiten und Dinge bewegen. „Die Stärke organisationaler Energie zeigt an, in welchem Ausmaß Unternehmen ihr Potenzial zur Verfolgung zentraler Unternehmensziele aktiviert haben.“ Es geht um die Aktivierung des emotionalen, mentalen und aktionalen Potenzials in Unternehmen. Unterschiedliche energetische Zustände sind ein wesentlicher Hinweis auf die Innovationskraft und die Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens. Die Forschungsergebnisse zeigen drei idealtypische Strategien im Umgang mit emotionaler Energie. Zwei dieser Strategien dienen der kurzfristigen Aktivierung und Fokussierung von Energie. Diese beiden Strategien kann man zur Mobilisierung für tiefgreifende Veränderungsprozesse nutzen.
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Killing the Dragon-Strategie: Bedrohungen bewältigen Organisationale Energie kann besonders zur gemeinsamen Bewältigung von externen Bedrohungen mobilisiert werden. Beispiele hierfür sind: Unternehmenskrise, drohende feindliche Übernahme und Markteinbruch wichtiger Produktlinien. Da externe Bedrohungen nicht automatisch zu hoher positiver Energie führen, erfordert die Mobilisierung einen klaren Fokus auf die Bedrohung. Drei Handlungsempfehlungen für diese Strategie sind: 1. Prägnante und eindringliche Kommunikation der Bedrohungssituation, also dem zu erlegenden Drachen. 2. Zur Mobilisierung ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen („Die Bedrohung ist für uns alle relevant!“). 3. Oberste Priorität: Mit einem gezielten Attention Management die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein aller Menschen im Unternehmen auf die Bewältigung dieser zentralen Bedrohung lenken. Die Bedrohung muss als gemeinsam machbare Herausforderung empfunden werden.
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Winning the Princess-Strategie: Chancen ergreifen Organisationale Energie kann auch dann besonders mobilisiert werden, wenn es um außergewöhnliche Chancen geht. Beispiele hierfür sind: Verheißungsvolle Vision, Produktinnovation und Markterschließung mit neuen Produkten. Derartige Chancen existieren aber meist nur in der Interpretation weniger Beteiligter und sind deshalb für andere weniger gut greifbar. Deshalb muss gezielt eine produktive Spannung zwischen dem Möglichen und der aktuellen Realität erzeugt werden. Drei Handlungsempfehlungen für diese Strategie sind: 1. Wirkungsvolle Kommunikation eines attraktiven Spannungsbogens zwischen der Ausgangslage und den Zukunftschancen. 2. Die Menschen zu einer gemeinsamen Begeisterung für die Zukunft gewinnen. Sie „emotional packen“ und ihnen Bilder mit klarem Sinn anbieten, damit sie den persönlichen Bezug zur noch unkonkreten Zukunft herstellen können. 3. Demonstrative Investitionen in die Umsetzung einer Zukunftsvision, u. a. durch persönliches Vorbildhandeln der Führungskräfte.
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Es geht um die Stärkung der Fokussierung zur gemeinsamen Ausrichtung auf die neuen zentralen Unternehmensziele. Wichtig für beide Strategien ist die emotionale Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und des Vertrauens in die eigene Kompetenz. Beide Ausgangssituationen, die externe Bedrohung und die außergewöhnliche Chance, sind mit Unsicherheit verbunden. Besonders wichtig sind deshalb die Glaubwürdigkeit der Unternehmensführung und das Vertrauen in die eigene Kompetenz zur Mobilisierung von organisationaler Energie. Zugespitzt formuliert sind diese Mobilisierungsstrategien mit dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ vergleichbar. Sie unterstreichen den emotionalen Anteil in der Veränderungsarbeit. Insofern unterstützt die Mobilisierung von organisationaler Energie in Veränderungsprozessen das Management von Unsicherheit. Die Grundaussage der organisationalen Energie lautet: „Nutzen Sie Emotionen in Veränderungsprozessen aktiv für den wirksamen Umgang mit Unsicherheit.“ Management von Unsicherheit in der Umsetzung Veränderungsprozesse bedeuten Instabilität und sind mit Unsicherheit verbunden. Bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen kann die Intensität von Widerständen, erzeugt durch Unsicherheiten, beeinflusst werden. Auszuschalten sind Widerstände im Vorfeld nicht. Systemische Interventionen sind für den frühzeitigen Umgang mit potenziellen Widerständen hilfreich. Durch sie kann man die Mitarbeiter in ihren Systemen (Strukturen, Prozesse) für den Veränderungsprozess mobilisieren. Verschiedene Formen des nachfolgend skizzierten „Unternehmenstheaters“ unterstützen den Abbau von Unsicherheit und den Aufbau von dialogischer Kommunikation. Einige Widerstände, die beispielsweise auf erforderlichen Nachbesserungsbedarf in Konzeptionen hinweisen, sind für den Veränderungsprozess nützlich und wertvoll. Andere Widerstände, die auf eine pure Blockierung des Veränderungsprozesses ausgerichtet sind, erscheinen auf den ersten Blick nur störend. Sie sind für den Erfolg des Veränderungsprozesses genauso ernst zu nehmen. Die Symptome für Widerstand sind
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vielfältig. Sie können sich durch ausführliche Debatten oder zurückhaltendes Schweigen in Besprechungen bemerkbar machen. Auch Lustlosigkeit oder das Fernbleiben von wichtigen Besprechungen sind Signale. Unüberhörbar sind Widerstandssymptome, wenn ausführliche Gegenargumentationen erfolgen, Vorwürfe in den Raum gestellt werden oder sturer Formalismus gelebt wird. Um mit Widerständen wirksam umzugehen, muss man die jeweiligen Ursachen ermitteln. Hauptursachen von Widerständen sind „nicht verstehen“, „nicht können“ und „nicht wollen“. X
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„Nicht verstehen“: Die Veränderungen stehen im Widerspruch zur bisherigen Kultur und die Mitarbeiter sind nicht bereit, ihre bisherigen vermeintlich erfolgreichen Verfahren zugunsten unsicherer neuer Verfahren aufzugeben. „Nicht können“: Aufgrund von persönlich empfundener Inkompetenz (z. B. fehlende Fortbildungsmöglichkeiten) sehen sich Mitarbeiter nicht in der Lage, die neuen Anforderungen aus den beabsichtigten Veränderungen zu erfüllen. „Nicht wollen“: Aus Angst vor Veränderung einer vertrauten Zusammenarbeit oder vor Macht- und Prestigeverlust wollen sich die Mitarbeiter nicht mit den geplanten Veränderungen auseinandersetzen.
Erst wenn man die Ursachen von Widerständen ergründet hat, kann man bewusst mit ihnen umgehen. Für den strategischen Umgang ist die Kenntnis über die Intensität von Widerständen und die damit verbundenen Verhaltensmuster wichtig. X
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Skeptiker sind hinsichtlich der Wirksamkeit der geplanten Veränderung einfach nur skeptisch. Sie sind von der Notwendigkeit des Veränderungsprozesses zu überzeugen. Bremser stehen einer Veränderung grundsätzlich negativ gegenüber, auch wenn sie die Notwendigkeit erkannt haben sollten. Um diese Verhaltensmuster zu brechen, müssen Bremsern die persönlichen Vorteile der Veränderung verdeutlicht werden, um sie zur Mitwirkung zu bewegen.
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Gegner verteidigen ihren aktuellen Status aktiv. Sie fürchten oft persönliche und fachliche Risiken. Diese Gruppe von Widerständlern muss man bei der Mitarbeit kritisch beobachten. Sie sind in ihrer Meinung, wenn überhaupt, nur durch Erfolge des Veränderungsprozesses zu beeinflussen.
Neben diesen drei Verhaltensmustern gibt es auch die Befürworter von anstehenden Veränderungen. Diese Gruppe sollte man als erste „Mitstreiter“ gewinnen und sie als Motor einsetzen. In den nächsten Schritten gilt es, die Skeptiker zu überzeugen und den Bremsern ihre Vorteile zu verdeutlichen. Penetrante Gegner, die sich auch durch Erfolge nicht umstimmen lassen, sind gegebenenfalls von dem Veränderungsprozess zu isolieren. Es geht dann darum, ihren Einfluss auf die anderen Mitarbeiter in dem Veränderungsprozess zu begrenzen. Indem man als Projektleiter dafür Sorge trägt, dass alle zu beteiligenden Gremien und Menschen wirklich an dem Veränderungsprozess beteiligt werden, hat man eine große Chance, die Bedenken, Einwände und Widerstände von Anfang zu integrieren. Den notwendigen Energieeinsatz und den erforderlichen Zeitaufwand zur Ermittlung und Bearbeitung aller möglichen Formen der Widerstände muss man als Projektleiter im Vorfeld als ein elementares Arbeitspaket definieren und einplanen. Die Autoren Doppler und Lauterburg weisen in ihrem Buch „Changemanagement“ darauf hin, dass die erste spontane Reaktion desjenigen, der auf Widerstand stößt, oft Ungeduld, Ärger oder persönliche Betroffenheit ist. Manche versuchen, das mögliche Problem durch zusätzliche Erklärungen aus der Welt zu schaffen. Beides wird der Behandlung von Widerständen nicht gerecht und birgt zusätzlich die Gefahr, dass jeder Erklärungsversuch wie eine persönliche Rechtfertigung wirkt. Um die Ursachen eines Widerstands zu erforschen, gilt es Fragen zu stellen und aktiv zuzuhören. Beispiele: X X
Welches sind die wirklichen Interessen, Anliegen, Bedürfnisse, Befürchtungen und Ängste der Betroffenen? Was sollte aus Sicht der Betroffenen vermieden werden – und aus welchen Gründen?
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Welche alternativen Möglichkeiten und Ideen werden von den Betroffenen selbst genannt?
Fragen dieser Art helfen, an den Kern des Problems heranzukommen. Wenn erst einmal allen Beteiligten bekannt und klar ist, wo die wirklichen Ursachen des Widerstands liegen, ist die wichtigste Voraussetzung geschaffen, um gemeinsam neue Vorgehensweisen oder Alternativen auszuhandeln. Für jeden potenziellen Widerstand gilt, ihn rechtzeitig zu erkennen, ernst zu nehmen und zu bearbeiten. Die Energie, die durch Widerstand blockiert ist, gilt es freizusetzen. Widerstände beinhalten Störfaktoren und Chancen. Wenn man die Chancen auch als Chancen wahrnimmt, kann man im wirksamen Umgang mit Widerständen konstruktive Energie freisetzen. Handlungsoptionen erweitern Roderik M. Kramer hat als Professor für Organisationspsychologie in seinen Forschungen die Erkenntnis gewonnen, dass Angst einflößende Führungskräfte in Veränderungsprozessen hilfreich sind. Seine Erkenntnisse hat er in einem Fachaufsatz unter dem Titel „Die Stunde der Einschüchterer“ veröffentlicht. „Diese Führungskräfte lotsen Mitarbeiter durch die schwierige Phase und treiben sie zu außerordentlichen Leistungen an.“ Angetrieben von einer Vision treten Einschüchterer bisweilen ein wenig tyrannisch auf, wenn es der Zielerreichung dient. Große Einschüchterer widersprechen in ihrem Vorgehen so manchem (Vor-)Urteil über eine gute Führungskraft. Sie führen nicht mit großem Einfühlungsvermögen und voller Demut. Sie sind sehr direkt, ruppig und auch mal laut. „Bei all unserer Faszination für soziale Intelligenz und sanfte Machtausübung haben wir die Fähigkeit übersehen, die Führungskräfte brauchen, um Veränderungen auch mal gegen massiven Widerstand oder starke Trägheit durchzusetzen. Das sind die Situationen, in denen die politische Intelligenz von einschüchternden Führern erforderlich ist.“ Ihre Vorgehensweisen, gespickt mit Konfrontationen und skeptischen Fragen, tragen zwar nicht unbedingt zur Beliebtheit einer Führungskraft bei, sie rütteln Mitarbeiter auf. Gerade bei gewaltsam erzwungenen Veränderungen, beispielsweise durch das Wegbrechen der
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erfolgreichsten Produktlinien, kann diese politische Intelligenz von Einschüchterern den Unterschied zwischen Lähmung und Erfolg ausmachen. Die Empfehlungen von Kramer für Taktiken von politisch intelligenten Einschüchterern widersprechen dem herkömmlichen Verständnis von Führungsintelligenz, das vorrangig auf interpersonale Fähigkeiten (z. B. Einfühlungsvermögen) setzt. Beispiele dieser empfohlenen Taktiken sind „Gehen Sie dicht heran, und werden Sie persönlich“, „Seien Sie zornig“ und „Seien Sie allwissend“. Die meisten Führungskräfte lehnen derartige Taktiken genauso ab, wie viele Buchautoren der Managementliteratur. In gravierenden strukturellen Veränderungsprozessen ist Einfühlungsvermögen von Führungskräften zum Brückenbauen nicht immer ausreichend. Zum Wachrütteln besonders standhafter Bewahrer mit hoher Selbstgefälligkeit erweitert eine situativ fehlende Empathie die Handlungsmöglichkeiten eines Veränderungsmanagers. Gezielte Konfrontationen mit Veränderungsnotwendigkeiten und bewusste Provokationen können in einzelnen Situationen wirkungsvoller sein, als immer noch weitere Brücken zu bauen. Systemische Interventionen als ganzheitliche Impulse für Veränderungsprozesse Volkswirtschaftlich sind Interventionen zielgerichtete Eingriffe in das Marktgeschehen, um beispielsweise Preise für landwirtschaftliche Produkte zu stabilisieren (Interventionspreis). Eine Intervention für Veränderungsprozesse in Unternehmen ist eine zielgerichtete Kommunikation zwischen Personen. Systemische Interventionen sollen Veränderungen bei Personen und in Systemen (Strukturen, Prozesse, emotionale Energiepegel) bewirken. Durch sie sollen Impulse für den Veränderungsprozess erzielt werden, beispielsweise durch eine Unterbrechung von rigiden Schleifen (scheinbare unveränderbare Muster) und durch die Schaffung von Freiräumen für Handlungsalternativen. Eine einfache Methode für eine systemische Intervention ist das zirkuläre Fragen (Mehrbrillenprinzip) in Einzel- oder Gruppengesprächen. Beispiel: Die Effizienz eines Arbeitsprozesses wird von den Mitgliedern einer Arbeitsgruppe zirkulär von verschiedenen Positionen hinterfragt
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und betrachtet. Diese Positionen können sein: Mitglied der Arbeitsgruppe, Vorgesetzter der Arbeitsgruppe, Mitglieder aus Zuliefer-Arbeitsgruppen und Mitglieder aus Abnehmer-Arbeitsgruppen. Dieses Mehrbrillenprinzip soll Denkblockaden öffnen und ganzheitliche Sichtweisen sicherstellen. Komplexere systemische Interventionen sind Systemische Organisationsaufstellungen (SysOA), die in diesem Kapitel beschrieben wurden. Auch Rollenspiele ermöglichen es, komplexe Zusammenhänge in einem Veränderungsprozess in überschaubarer Form zu repräsentieren und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Beispiel: Wenn ein Vorgesetzter in die Rolle seiner Mitarbeiter und seiner Kunden schlüpft, erlebt er die anderen Perspektiven. Gleichzeitig wird sein Blick auf die Situation vollständiger und damit der Komplexität angemessener. In simulierten Rollenspielen können beispielsweise alternative Zukunftsszenarien eines Veränderungsprozesses über neue Prozesse oder Entscheidungssituationen durchgespielt und erlebt werden. Unternehmenstheater als systemische Intervention mit hohen Synergieeffekten Verschiedene Formen des Unternehmenstheaters haben sich als Interventionsform zur Umsetzung von Veränderungsprozessen in der Praxis etabliert. Dieses Instrument bietet methodisch viele Möglichkeiten, komplizierte Vorgänge erfahrbar und ihre Auswirkungen auf die Menschen transparent zu machen. Ein Ansatz ist das klassische Schauspiel, in dem ein spezielles Theaterstück zum Veränderungsprozess von professionellen Schauspielern vor den Mitarbeitern des Unternehmens vorgeführt wird. Ein anderer Ansatz, bei dem die Mitarbeiter unter Anleitung selbst ein Theaterstück spielen, kommt aus der Theaterpädagogik. Durch die visuelle Darstellung und Verkörperung im Unternehmenstheater werden die vorgeführten Inhalte intensiver aufgenommen. Komplexe Diskussionsprozesse kann man hierdurch handhabbarer und effizienter gestalten. Theaterspiele ermöglichen einen konsequenten Wechsel zwischen verschiedenen Perspektiven. Kontroverse Standpunkte den Schauspielern in den Mund gelegt, ermöglichen den Mitarbeitern im Anschluss andere
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Formen der Auseinandersetzung. Die Spiegelung von Szenen aus dem Unternehmen auf der Bühne bringt höhere Synergieeffekte als pures kognitives Analysieren. Praxisbeispiel: Unternehmenstheater für die Mitarbeiter einer Sparkasse Unter dem Titel „Mit Unternehmenstheater fit für Veränderungen“ beschreibt Leonhard Fromm ein Praxisbeispiel, in dem Schauspieler die Mitarbeiter einer Sparkasse spielerisch mit Szenen aus dem Geschäftsalltag konfrontiert haben. Das Instrument Unternehmenstheater wurde für die Einführung eines neuen Beratungskonzeptes für die 600 Mitarbeiter einer Sparkasse erfolgreich genutzt. Zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit entwickelte die Sparkasse ein neues Beratungskonzept. Durch dieses neue Beratungskonzept sollten die Kunden von den Kundenberatern zukünftig ganzheitlicher beraten werden. Hierzu wurden im Vergleich zu vorher intensivere Beratungsgespräche erforderlich. Die Kundenberater sollten zukünftig in „spielerischer Fragetechnik“ von ihren Kunden mehr Hintergrundinformationen erfragen, damit sie wirklich kompetent beraten. Bauliche Veränderungen, weg vom unüberwindbaren Schalter und hin zum offenen Servicepoint, unterstützten das Konzept. Da die Kundenberater in der Vergangenheit selten wirklich umfassend beraten hatten, fiel es besonders älteren Mitarbeitern schwer, den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden. Eine frontale Power-Point-Präsentation über das neue Konzept hätte die notwendige kulturelle Veränderung, verbunden mit den erhöhten Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten der Kundenberater, nicht bewirkt. Die von der Sparkasse engagierten Theaterleute führten als Erstes eine Recherche durch. Sie vertieften sich in das neue Beratungskonzept und befragten dann Mitarbeiter aus den Bereichen, wie sie über das neue Konzept denken. Auf dieser Basis entstanden acht Alltagsszenen, mit denen die Schauspieler die Mitarbeiter in halbtägigen Workshops konfrontierten. Drei Beispiele dieser Alltagsszenen:
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„Da versteckte sich etwa ein Kundenberater (Schauspieler) hinter Kübelpflanzen, um nicht vom Kunden angesprochen zu werden.“ „Kundengespräche wirkten unnatürlich und gezwungen, weil die Kundenberater an zu viele Vorgaben gleichzeitig denken mussten.“ „Eine Stammtischszene beleuchtet das private Umfeld.“
Insgesamt ging es darum, wie die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz mit den Neuerungen umgehen und wie sie diese Neuerungen nach außen darstellen. Zu jeder Situation wurde nach der Vorführung aller Szenen eine Arbeitsgruppe gebildet. In den Arbeitsgruppen wurden von den Mitarbeitern Lösungen erörtert, auf ihre Stimmigkeit durchgespielt und anschließend im Plenum präsentiert. Durch diese praktischen Übungen wurden Fehlverhalten im Umgang mit Kunden, sprachliche Mängel oder persönliche Ängste schnell offensichtlich und konnten gemeinsam thematisiert werden. Durch die spielerischen Alltagsszenen und deren praktische Bearbeitung im Anschluss haben die Mitarbeiter der Sparkasse auch gelernt, ungezwungener mit den Kunden ins Gespräch zu kommen. Auch so mancher am Anfang skeptische Mitarbeiter war bereits nach Minuten interessiert und sogar begeistert bei der Sache. Das Ziel, dass das Konzept in Fleisch und Blut übergehen sollte, wurde in den TheaterWorkshops erreicht. Bilder und Metapher zur Unterstützung von systemischen Interventionen Weitere Instrumente bei systemischen Interventionen für erfolgreiche Veränderungsprozesse sind Bilder und Metapher. Julian Mack hat einen Fachaufsatz „Metapher in Unternehmensführung und Beratung nutzen“ veröffentlicht. Für ihn sind Metaphern ein unverzichtbarer Teil unserer Sprache und unseres Lebens. Sie liefern unmittelbar Ansatzpunkte für die Veränderung von Sicht- und Verhaltensweisen. In Unternehmen werden häufig kriegerische Metaphern verwendet, wie: „um Marktanteile kämpfen“ und „Mitstreiter positionieren“. Das bewusste Nutzen anderer Metaphern kann in Unternehmen neue Sichtweisen und den Blick für Hand-
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lungsalternativen öffnen. Für Veränderungsprojekte empfiehlt Mack, den Begriff „Projekt“ durch „Expedition“ zu ersetzen. „Die Metapher der Expedition kann helfen, die damit verbundene, notwendige Veränderung der Denkstrukturen zu vollziehen.“ Bei einer Expedition ist die Herausforderung das treibende Motiv und das Expeditionsteam der Erfolgsfaktor. Es geht um Orientierung und flexibles Vorgehen in einem unbekannten Gebiet, in dem auch vorausschauend mit Risiken umgegangen werden muss. Expeditionsleiter planen eiserne Rationen und Zeitreserven ein, um nicht schon bei der ersten unvorhersehbaren Hürde zu scheitern. Um aufkommende Gefahren und Krisen zu bewältigen, bilden Bergsteiger Seilschaften und führen Forscher Ersatzgeräte mit. Im Gegensatz zum Begriff Projekt, der einen vermeintlich rationalen Zugang zum Problem und eine Beherrschbarkeit von Problemlösungen impliziert, weckt die Metapher Expedition andersartige Assoziationen. Die Metapher Expedition ermöglicht in einem umfassenden Veränderungsprozess interessantere und zugleich realistischere Anschauungen. Metaphern und Bilder werden bei erfolgreichen Veränderungsprozessen in Auftaktveranstaltungen zur Einbindung aller Mitarbeiter eingesetzt. Svenja Gloger beschreibt in ihrem Fachaufsatz „Per Rock und Rallye ins Bild gesetzt“ eine derartige Auftaktveranstaltung bei einem Energieversorger. Der Energieversorger hatte aus einer Krise heraus eine strategische Neuausrichtung entwickelt. Zur Umsetzung dieser Neuausrichtung wurde ein umfassender Unternehmenswandel erforderlich. Zum Auftakt dieses Wandels erblickten die Mitarbeiter auf der Informationsveranstaltung eine große Wandtafel mit einem Poster, auf dem eine Autorallye durch Wüstenlandschaften abgebildet war. Aus Lautsprechern ertönte die Popgruppe PUR: „Wo sind all die Indianer hin?“ Die erste Bildtafel für die gemeinsam durchzuführende Rallye beschäftigte sich mit wichtigen Etappen der Vergangenheit des Energieversorgers. Von „nichts ist unmöglich in den 50er Jahren“ bis hin zum „Steckenbleiben im Sand“ wurden von den Mitarbeitern die einzelnen Situationen der Rallye angefahren. Durch die Beantwortung von Fragen zu den Stationen konnten sich die Mitarbeiter der aktuellen Situation nähern. Im zweiten Teil der Rallye ging es um die Gegenwart. Hier musste eine Meerenge überwunden werden, für die verschiedene Bauelemente als Symbole für einzelne
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Strategien und Maßnahmen zur Verfügung standen. Der dritte Teil der Rallye, die Zukunft, führte durch eine abwechslungsreiche, vielgestaltige Landschaft. Im Spiel ging es hier darum, die neue Unternehmenskultur Punkt für Punkt nachzuvollziehen. So vordergründig dieses Spiel mit Spaß betrieben wurde, keiner der Teilnehmer hat den hintergründigen Ernst dieser Botschaft verkannt. Da die Inhalte der Fragen und Antworten reale Daten und Fakten waren, wurde allen von Anfang an klar, wie ernst die Lage ist und dass sich etwas ändern muss. Die realen Daten und Fakten haben durch die Veranschaulichung in Form einer Rallye deutlich Farbe bekommen und das hatte auf alle Teilnehmer Wirkung gezeigt. Instrument einer integrierten Change-Theater-Dramaturgie Dieses Instrument kombiniert die theaterbasierte Intervention mit dem Prozess zur Strategieentwicklung. Es ist eine Alternative zu den in diesem Kapitel dargestellten Instrumenten der Strategieentwicklung zur inhaltlichen Ausrichtung des Unternehmenswandels. Zusätzlich zu den inhaltlichen Vorbereitungen für die Strategieentwicklung sind bei diesem Instrument die theaterbasierten Vorbereitungen hinsichtlich der Dramaturgie und der Theaterszenen zu treffen. Auftraggeber einer solchen Veranstaltung ist die Unternehmensführung. Die Teilnehmer sollten einen repräsentativen Querschnitt des Unternehmens bilden. Für die Leitung und Moderation dieser Veranstaltung ist es empfehlenswert neutrale Moderatoren einzusetzen, denen theaterbasierte Interventionen vertraut sind. Es folgt ein Change-Theater in sechs Schritten. X
Schritt 1: Ausgangssituation analysieren und Veränderungsbedarf verdeutlichen Es beginnt mit einer Sensibilisierung und Einstimmung aller Teilnehmer durch Spiegelung von Alltagssituationen in Theaterszenen. Schauspieler schlüpfen stellvertretend in die Rollen von einzelnen Mitarbeitern im Unternehmen. Beispiele für Theaterszenen: Strukturelle Konflikte zwischen Abteilungen und Arbeitsgruppen eskalieren Umständliche und aufwändige Arbeitsprozesse erzeugen Lieferrückstände
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Kundenbeschwerden und -reklamationen werden unerträglich Wettbewerber gehen auf Kundenklau Technologisch veraltete Produkte müssen „verhökert“ werden. Je nach beabsichtigter Dramaturgie werden die Teilnehmer während oder/und im Anschluss einer Szene aktiv eingebunden. Die aktive Einbindung während einer Szene erfolgt auf freiwilliger Basis. Ein Teilnehmer kann „Stopp“ rufen und beispielsweise in eine Szene mit einsteigen oder einen ergänzenden Beitrag aus der Praxis nennen. Nach jeder Szene erfolgt eine kurze Reflexion durch die Teilnehmer im Plenum. Nach der letzten Szene werden die erarbeiten Ergebnisse von den Moderatoren zusammengefasst und der Veränderungsbedarf verdeutlicht. Danach folgt eine Pause zur Unterbrechung der Veranstaltung. X
Schritt 2: Themenbereiche definieren und konkretisieren Im Plenum werden die zu optimierenden Themen, die durch die Theaterszenen gespiegelt wurden, gesammelt. In einem Brainstorming wird diese Themensammlung um weitere Anregungen durch die Teilnehmer ergänzt. Im Anschluss folgt eine Sortierung der einzelnen Themen zu zusammengehörenden Themenbereichen, wie z. B. Marktauftritt oder Fertigungsprozesse. Abschließend prüfen die Teilnehmer, ob die Schwachstellen und Veränderungsbedarfe je Themenbereich vollständig benannt sind und ergänzen die Themen um konkrete Beispiele aus der Praxis.
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Schritt 3: Zukunft gestalten in Arbeitsgruppen Die Dringlichkeit von Veränderungen ist erkannt und die Ansatzpunkte hierfür sind benannt. In Arbeitsgruppen werden je Themenbereich Lösungsansätze für die zukünftige Gestaltung erarbeitet. Nach einem Einstieg über ein Brainstorming zur gemeinsamen Ideenfindung werden systematisch visionäre Ideen herauskristallisiert und strategische Voraussetzungen definiert. Jeder Teilnehmer leistet in den Arbeitsgruppen somit seinen Beitrag zur Neuausrichtung des Unternehmens.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
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Schritt 4: Zukunft im Theaterlabor testen und Feedback einholen Gemeinsam mit den Schauspielern werden die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen in Szenen umgesetzt und allen Teilnehmern vorgestellt. Nach jeder Szene erfolgt eine gemeinsame Reflexion über erfolgreiche und weniger erfolgreiche Aspekte der Szene. Nachdem alle Zukunftsszenen das Labor absolviert haben, erhalten die Arbeitsgruppen die Gelegenheit, das Feedback der Teilnehmer in ihre Ergebnisse zu integrieren.
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Schritt 5: Erfolgsstrategien zusammenführen Die überarbeiteten Visionen und Strategien aus den einzelnen Arbeitsgruppen werden im Plenum gegenübergestellt, um Verknüpfungen, Überschneidungen und Abhängigkeiten untereinander zu identifizieren. Danach folgt eine kritische Beurteilung, welche der Strategien aus dem Testlabor tatsächlich im realen Alltag des Unternehmens erfolgreich sein könnten. Abschließend einigen sich die Teilnehmer auf Kernstrategien und -botschaften für die Neuausrichtung des Unternehmens.
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Schritt 6: Maßnahmenpläne erarbeiten In teilweise neu zusammengesetzten Arbeitsgruppen werden die konkreten ersten Maßnahmen zur Umsetzung („was, wer, wann?“) der jeweiligen Kernstrategie erarbeitet. Die einzelnen Maßnahmenpläne werden im Plenum abgestimmt, so dass ein überschneidungsfreier Masterfahrplan entwickelt und vereinbart wird.
Der Vorteil dieses Change-Theaters im Vergleich zu den Instrumenten zur Strategieentwicklung ist die emotionale Einbindung der Teilnehmer. Dies wirkt sich in einer gesteigerten Kreativität zur Ideenfindung aus und auch in einer realitätsnahen Überprüfung von Ideen.
Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft
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Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft
Managing Diversity ist ein integrierter Ansatz zur Führung, bei dem Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Unternehmen gefordert und gefördert werden. Ein zentrales Element hierbei ist, strukturelle Konfliktpotenziale bewusst zu meistern. Zwei Aspekte aus anderen Kulturen sind die Listigkeit der Chinesen und die Weisheit der Indianer. Beide Ansätze sind im Führungsalltag situativ einsetzbar zur individuellen Ausprägung des persönlichen Führungsstils.
Grundlegende Erfolgsfaktoren zur Unternehmensführung Viele erfolgreiche Buchautoren haben über Einstellungen und Verhalten von erfolgreichen Führungskräften in Unternehmen berichtet. Auch wenn es noch keine globale Erfolgscheckliste für alle Unternehmen in allen Kulturen gibt, kristallisieren sich einige Grundlagen für eine erfolgreiche Unternehmensführung heraus. Diese Grundlagen sind für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten im Tagesgeschäft hilfreich. Pioniere auf der Suche nach Erfolgsfaktoren in der Wirtschaft Anfang der 80er Jahre veröffentlichten Thomas J. Peters und Robert H. Waterman ihre Untersuchungsergebnisse unter dem Titel „Auf der Suche nach Spitzenleistungen („In Search of Excellence“). Sie provozierten Führungskräfte mit der Behauptung, dass Manager mit unterschiedlichen Aktivitäten und Einstellungen ein Unternehmen zum Gewinner oder Verlierer machen. Die Autoren untersuchten über 40 Unternehmen, darunter IBM und McDonald’s, die kontinuierlich bessere Leistungen als ihre Konkurrenten über einen Zeitraum von 20 Jahren erbrachten. Als Kriterium zur Auswahl dieser erfolgreichen Unternehmen dienten Fi-
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nanzkennzahlen über Wachstum und Renditen. In der Analyse prüften die Autoren, welche Einstellungen und Aktivitäten im Unternehmen diese so erfolgreich gemacht hatten. Beispiele für derartige Erfolgsfaktoren sind: X X X X
Praktisches, werteorientiertes Management Konzentration auf das Kerngeschäft Aktiv agieren und nah am Kunden sein Förderung von Autonomie und Unternehmertum.
Der Hauptverdienst der beiden Autoren als Pioniere dieser Art von Managementliteratur war, dass die Inhalte ihrer Veröffentlichung erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurden. Zu den erfolgreichen Werken zum Thema Führung im deutschsprachigen Raum zählt Fredmund Maliks „Führen Leisten Leben“. Als Querdenker in dieser Szene hat sich Reinhard K. Sprenger einen Namen gemacht, der einzelne Führungsthemen fokussiert hat, wie beispielsweise „Vertrauen führt“. Auch Pater Anselm Bilgri, in 2004 als Leiter der Wirtschaftsbetriebe des Klosters Andechs tätig, hat gemeinsam mit Konrad Stadler erfolgreich Erfolgskriterien veröffentlicht. Im Juli 2004 verließ Bilgri das Kloster Andechs und gründete ein Zentrum für Unternehmenskultur. In dem Buch „Finde das rechte Maß“ beschreibt Bilgri Benediktinerklöster als Global Players und als spirituelle unternehmerische Zentren. Auf der Basis von benediktinischer Spiritualität leitet er konkrete Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Unternehmensführung im globalisierten Markt ab. Diese Autoren haben eine Vielzahl von Menschen zum Nachdenken über erfolgreiche Unternehmensführung angeregt und dem Management ein hohes Gewicht verliehen. Malik schreibt in diesem Zusammenhang, dass Management die wichtigste Funktion in der Gesellschaft ist: Eine Realität, die nicht mehr zu beseitigen ist. Mit wenigen Ausnahmen leiten die meisten Autoren aus ihren Untersuchungen generelle Handlungsempfehlungen zur erfolgreichen Unternehmensführung ab. Diese Handlungsempfehlungen verleiten zu dem Rückschluss, dass es einheitliche Checklisten für erfolgreiche Verhaltensweisen für alle Unternehmen in allen Kulturen unserer Welt gibt. Dem ist nicht so.
Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft
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Julia Kirby beschreibt in ihrem Fachartikel „Auf der Suche nach einer Weltformel“, dass es eine gewaltige Aufgabe ist, X X X
die relative Leistung von Unternehmen über mehrere Branchen und Epochen hinweg zu messen, unter ihnen die Besten zu ermitteln und Gemeinsamkeiten zu entdecken, auf die ihre Erfolge zurückzuführen sind.
Ihre Analyse von 83 Jahresbänden der Harvard Business Review zeigt, dass mit jedem neuen Versuch die Erfolgsfaktoren zu ermitteln, methodische Probleme neu beleuchtet und neue Daten zur Verfügung gestellt werden. Um zu verstehen, welche Fortschritte in der Analyse von Höchstleistungen in Unternehmen erzielt wurden, beschäftigte sie sich mit den Fragen, die bei jedem dieser Versuche zu beantworten waren. Beispiele: X X X X X
Welche Einheit ist zu analysieren? Was macht einen Gewinner aus? Was stellt ein Erfolgsmuster dar? Sind die Antworten allgemein gültig? Sind Höchstleistungen zeitlos?
Als Resümee beschreibt Kirby, dass die Suche nach der Weltformel für Unternehmenserfolg inzwischen zu einem Gemeinschaftsprojekt vieler Wissenschaftler geworden ist. Nach ihrer Einschätzung macht dieses noch nicht abgeschlossene Projekt Fortschritte. Zum jetzigen Zeitpunkt können weitere Wissenschaftler auf der Arbeit anderer aufbauen mit vielfältigeren Datenbeständen und aussagekräftigeren Theorien. Es gibt noch keine allgemein gültige Checkliste für erfolgreiche Verhaltensweisen, aber einige Grundlagen in Form von nachhaltigen Managementkonzepten und für ein robustes Führungsverhalten. Diese Grundlagen sind für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten im operativen Tagesgeschäft eine gute Basis.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Vier nachhaltige Managementkonzepte als Erfolgsfaktor für eine Konfliktkultur Einige Managementkonzepte zur erfolgreichen Unternehmensführung sind nachhaltiger Natur und widerstehen den wechselnden Trends in der Managementliteratur. Diese Managementkonzepte helfen Unternehmen zur Vermeidung von unproduktiven strukturellen Konflikten und wirken präventiv gegen weitere endogene Ursachen von Unternehmenskrisen. Diese vier Managementkonzepte sind nachfolgend mit den Konsequenzen für einen wirksamen Umgang mit strukturellen Konflikten beschrieben. X
Wertemanagement im Unternehmen Gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und anderen Partnern müssen Unternehmen glaubwürdig sein, eine Basis für Vertrauen. Unternehmen, die ihre Werte kennen und sichtbar vorleben, werden nachhaltig erfolgreicher sein, als diejenigen, die ausschließlich an einem kurzfristigen Gewinnstreben ausgerichtet sind. Wenn Werte, wie gegenseitiger Respekt, Ehrlichkeit und Eigendisziplin, im Unternehmen selbstverständlich sind, ist unproduktiven strukturellen Konflikten der Nährboden entzogen.
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Kundenorientierung im Unternehmen Wenn das Augenmerk der Führungskräfte und Mitarbeiter auf die Kunden ausgerichtet ist, ist diese Zielgruppe Ausgangspunkt und Ziel aller Aktivitäten im Unternehmen. Diese für den Unternehmenserfolg wichtigste Grundlage verhindert beispielsweise interne Grabenkriege, die aufgrund unterschiedlicher Denkstile oder durch destruktive Machtspielchen entstehen. Kundenorientierung ist der große gemeinsame Nenner und der Maßstab an dem auch strukturelle Konflikte gemessen und deren Behandlung ausgerichtet werden.
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Technologische Neuerungen im Markt Technologische Veränderungen im Markt dürfen ein Unternehmen nicht gänzlich unvorbereitet treffen. Das gilt ganz besonders für die Produktbereiche, die zur Kernkompetenz eines Unternehmens zählen. Zur Verhinderung derartiger exogener Ursachen von Unternehmens-
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krisen müssen Unternehmen ihr Umfeld sorgfältig wahrnehmen und rechtzeitig darauf reagieren, besser noch selbst agieren. Wenn das Augenmerk der Führungskräfte und Mitarbeiter auf dieses Thema ausgerichtet ist, ist das neben der Kundenorientierung der zweite große gemeinsame Nenner und Maßstab für strukturelle Angelegenheiten. Diese Ausrichtung verhindert auch weitere endogene Ursachen von Unternehmenskrisen, wie beispielsweise zögerlichen Wandel oder starres Festhalten an alten Gewohnheiten. Externe und interne strukturelle Konfliktpotenziale können hierdurch rechtzeitig wahrgenommen und zügig wirksam behandelt werden. X
Das Unternehmen als lernende Organisation Unternehmen können im Wettbewerb nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie sich stets weiterentwickeln. Zur erfolgreichen Weiterentwicklung müssen Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen eigenverantwortlich mitdenken, konstruktiv zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren. Dies ist die Basis für eine lernende Organisation, in der neue Ideen entwickelt und Innovationen umgesetzt werden. In einer derartigen Unternehmenskultur sind strukturelle Konflikte keine Krise und kein Anlass für Grabenkämpfe. Strukturelle Konfliktpotenziale werden hier als Chance zur Weiterentwicklung des Unternehmens betrachtet, bewusst aufgespürt und gemeinsam wirksam behandelt.
Eingebettet in eine Vision ist die konsequente Umsetzung dieser vier Managementkonzepte, mit gesundem Menschenverstand für das jeweilige Unternehmen individuell ausgestaltet, die Basis für nachhaltig erfolgreiche Unternehmen. Sie ist gleichzeitig die Basis für einen konstruktiven und produktiven Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen, der dann zu Optimierungen von Produkten, Prozessen und Strukturen führt. Fundamentale Führungsfähigkeit für das operative Alltagsgeschäft In einem Fachartikel „Momente echter Größe“ beschreibt Robert E. Quinn, dass Führungskräfte sich an ihren eigenen Werten ausrichten sollten. Um als Führungskraft herausragende Ergebnisse zu erzielen, ist
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es wenig hilfreich, anderen erfolgreichen Führungskräften nachzueifern. „Manager arbeiten dann am besten, wenn sie niemanden kopieren, sondern auf ihre eigenen fundamentalen Werte und Fähigkeiten zurückgreifen.“ Der Autor definiert den „fundamentalen Zustand“ und vergleicht diesen mit einem „Normalzustand“ der Führungsfähigkeit. X
Normalzustand der Führungsfähigkeit Komfortorientiert: Ich halte an dem fest, was ich kenne. Von außen gelenkt: Ich füge mich den Wünschen anderer im Bestreben, den Frieden zu wahren. Auf mich konzentriert: Ich stelle meine eigenen Interessen über die der Gruppe. Verschlossen: Ich verschließe mich äußeren Reizen, um meine Arbeit fortzuführen und Risiken zu vermeiden.
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Fundamentaler Zustand der Führungsfähigkeit Ergebnisorientiert: Ich wage mich über vertrautes Terrain hinaus und verfolge neue Ziele. Von innen geleitet: Ich verhalte mich entsprechend meinen Wertvorstellungen. Auf andere konzentriert: Ich stelle das Allgemeinwohl an die erste Stelle. Offen: Ich lerne von meiner Umgebung und erkenne, wann die Notwendigkeit für eine Veränderung gegeben ist.
Wenn Führungskräfte im Normalzustand komfortorientiert sind, vermeiden sie Konflikte und reproduzieren das Bekannte. Im Normalzustand fügen Führungskräfte sich einem sozialen Druck, Konflikte zu vermeiden. Um sich gut mit ihren Mitarbeitern zu verstehen und den politischen Frieden aufrechtzuerhalten, kommt es zu Konfliktvermeidungen. Wenn Führungskräfte im Normalzustand dann noch ihre eigenen Bedürfnisse über die der Allgemeinheit stellen, zerstören sie das in sie gesetzte Vertrauen. Indem sie sich im Alltagsgeschäft dann auf ihre Arbeit konzentrieren und sich äußeren Anregungen verschließen, ignorieren sie auch Signale für notwendige strukturelle Veränderungen.
Nutzung struktureller Konfliktpotenziale im operativen Tagesgeschäft
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Im fundamentalen Zustand der Führungsfähigkeit nehmen Führungskräfte die Geschehnisse in ihrer Umgebung stärker wahr und machen sich ständig ein neues Bild. Da sie die Interessen der Allgemeinheit an erster Stelle berücksichtigen, wird ihnen Vertrauen und Respekt entgegengebracht. Wenn Führungskräfte sich auf ihre zentralen inneren Werte, wie Integrität und Selbstvertrauen, besinnen, steigern sie ihre Authentizität. Sie sind dann auch bereit, die Konflikte mit den Mitarbeitern auszutragen, denen das Verhalten nicht gefällt. Das Verlassen des Weges des geringsten Widerstands führt diese Führungskräfte weg von der Problemvermeidung und hin zur Suche nach neuen Möglichkeiten. Zur Erlangung der fundamentalen Führungsfähigkeit nennt Quinn vier Fragen, die sich Führungskräfte bei jeder Aufgabenstellung stets ehrlich beantworten sollten. X
Bin ich ergebnisorientiert? Durch die Beantwortung dieser Frage können Führungskräfte aktiv, zielgerichtet, optimistisch und auch hartnäckig agieren.
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Bin ich von innen heraus geleitet? Um andere Menschen zu Höchstleistungen anzuspornen, müssen sich Führungskräfte von innen heraus leiten lassen. In diesem Zustand kann man die Mitarbeiter fordern und gleichzeitig unterstützen.
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Gehe ich auf andere ein? Wenn Führungskräfte sich für das gemeinsame Wohl in Arbeitsgruppen und im Unternehmen einsetzen, wird dies von den Mitarbeitern registriert und sie bringen diesem Verhalten Respekt und Vertrauen entgegen.
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Bin ich nach außen hin offen? Führungskräfte, die der Außenwelt offen gegenüberstehen, wollen von ihr lernen. Sie suchen aktiv und ernsthaft ein ehrliches Feedback und erkennen notwendige Veränderungen.
Führungskräfte im Zustand der fundamentalen Führungsfähigkeit erhalten detaillierte Feedbacks, da ihre Mitarbeiter ihnen vertrauen. Hierdurch entsteht ein Zyklus des Lernens und der gegenseitigen Stärkung, in dem die Beteiligten Veränderungsstrategien gemeinsam entwickeln können.
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Gute Führungskräfte laufen in Krisenzeiten oft zur Höchstform auf. Nach Robert E. Quinn können sie sich auch im Alltag in diesen Zustand versetzen. „Sie müssen sich dazu die vier Fragen stellen und auf ihre innere Stimme hören.“ Offene Kommunikation als Unternehmenskultur Im Alltagsgeschäft ist zur praktischen Umsetzung eine offene Kommunikation erforderlich. Die hierfür geeignete Unternehmenskultur müssen authentische Führungskräfte vorleben und gemeinsam mit ihren Mitarbeitern mit Leben füllen. Die Umsetzung der strategischen Handlungsempfehlungen und die Nutzung des strategischen Handwerkskastens zur Behandlung von strukturellen Konflikten, beschrieben in Kapitel 4, sind die weiteren Erfolgsfaktoren für die Nutzung von strukturellen Konfliktpotenzialen im Tagesgeschäft.
Nachhaltige Managementkonzepte
Fundamentale Führungsfähigkeiten
Nutzung struktureller Konflikte im Tagesgeschäft
Strategische Handlungsempfehlungen und strategischer Handwerkskasten x Einstellungen, Streitkultur, Kommunikation und Strategien x Kompetenzen und Spielregeln, Effiziente Methoden zur Deeskalation, Klärung und Lösung von Konflikten
Abb. 24: Erfolgsfaktoren für den Umgang mit strukturellen Konflikten im Alltagsgeschäft Die Umsetzung einer offenen Kommunikation muss von der Unternehmensführung gewollt sein. Hierfür sind Rahmenbedingungen und Regeln für eine konstruktive Streitkultur genauso erforderlich wie Botschaften
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für eine konstruktive Einstellung im Umgang mit Konflikten. Die Grundlage einer offenen Kommunikation erfordert für die Nutzung von strukturellen Konflikten im Tagesgeschäft auch eine hohe methodische und soziale Kompetenz in der Führungsmannschaft. Die Investitionen, die Unternehmen für die Vermittlung dieser Kompetenzen tätigen, sind Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Sie sind auch Investitionen zur Überwindung von Unternehmenskrisen oder zur Krisenprävention.
Managing Diversity In der globalisierten Wirtschaft ist die Kompetenz für den wirksamen Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil geworden. Die Globalisierung bringt für viele Unternehmen durch kulturelle Unterschiede neue Aufgabenstellungen, die nur auf der strukturellen Ebene wirksam zu lösen sind. Der Begriff Managing Diversity steht für die Schaffung einer optimalen Arbeitsumwelt. Das Personalmanagement eines Unternehmens berücksichtigt im Diversity Management Unterschiede wie Geschlecht, Alter, Rasse, Lebensstil, kulturelle Herkunft und Sprache der Mitarbeiter. Managing Diversity beinhaltet mehr als eine differenzierte Personalpolitik. Das Autorenteam Wagner und Sepehri geht in einem Fachaufsatz über „Managing Diversity“ davon aus, dass es eine global gültige und standardisierte Definition in Bezug auf die Anwendung von Diversity nicht geben wird. Im Kern geht es bei Diversity um die Verschiedenheit und Gleichheit von Menschen. In Europa wirken sich die Globalisierung, die größer werdende Mobilität der Menschen und die verstärkte Partizipation von Frauen im Arbeitsleben auf die Zusammenarbeit im Unternehmen aus. Diversity Managing ist ein Ansatz, um solche Entwicklungen positiv zu nutzen. Autokonzerne, wie Ford und Daimler, betreiben teilweise seit den 70er Jahren ein aktives Diversity Management verbunden mit mehr Chancengleichheit. Für Ford ist Vielfalt eine der Stärken des Unternehmens und Diversity ein Eckpfeiler der weltweiten Ford-Unternehmenskultur. Seit
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
2005 entscheidet bei Daimler ein mit Vorstandsmitgliedern und TopManagern besetztes „Global Diversity Council“ über die Ausrichtung der Diversity-Maßnahmen im Konzern. Managing Diversity als integrativer Ansatz Der integrative Ansatz beinhaltet im Sinne des Autorenteams Wagner und Sepehri ein ganzheitliches Verständnis. Er verbindet ein ökonomisches Verständnis mit der Zielsetzung, die verschiedenen Mitarbeiterinteressen zu respektieren und zu integrieren. Die Vielfalt ist ein fruchtbares Prinzip zur Gestaltung und das „Lernen von Vielfalt“ ein zentrales Element. Die Kunst dieses integrativen Ansatzes besteht darin, eine optimale Verbindung von Differenzierung und Integration zu erzielen. Hierbei lassen sich die folgenden einzelnen Ansätze unterscheiden: X
Diskriminierungs- und Fairnessansatz Hier geht es um ein Instrument zur Gleichberechtigung aller Mitarbeiter, auch der Gruppen, die als benachteiligt gelten, wie beispielsweise Behinderte oder Homosexuelle. Derartige Unterschiede werden im Sinne einer fairen und gleichen Behandlung bewusst ignoriert.
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Marktzutritts- und Legitimitätsansatz Diversity als marktorientierter Ansatz verdeutlicht, dass Märkte divers sind und dass deshalb auch die Mitarbeiter in einem Unternehmen divers sein müssen. Dieser Ansatz wird in vielen Unternehmen an einzelnen Stellen bereits praktiziert. Ein Versicherungsunternehmen, das im südamerikanischen Markt expandieren will, stellt einen aus Peru oder Brasilien stammenden Mitarbeiter als Verkäufer ein.
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Lern- und Effektivitätsansatz Im Sinne eines ganzheitlichen Managementansatzes geht es bei Diversity um die Lerneffekte durch eine vielfältige Mitarbeiterschaft. Klaus-Dieter Hohr berichtet in einem Fachaufsatz unter dem Titel „Diversity als Prinzip für die Gestaltung von Lernwelten“ über Personalentwicklungsmaßnahmen für den internationalen Managementnachwuchs eines Produktionsunternehmens.
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„Im Mittelpunkt des Lernens steht stets das Lernen in kleinen Teilnehmergruppen zwischen sechs und zehn Personen.“ „In der Zusammenstellung der Lerngruppen wurde auf maximale Unterschiedlichkeit der Teinehmer geachtet.“ Diversity als Managementansatz umgesetzt bedeutet, dass sich Menschen aus verschiedenen Funktionsbereichen, aus verschiedenen Kulturen, aus unterschiedlichen Hierarchieebenen und mit weiteren Unterscheidungsmerkmalen zusammenfinden. Es geht um Wertschätzung, Offenheit und Interesse an anderen Menschen und deren andersartigen Perspektiven sowie um die Förderung von Menschen durch ihre Teilhabe an Erfahrungen anderer Lernpartner. Beim integrativen Ansatz der Managing Diversity geht es um alles worin sich Menschen unterscheiden und ähneln. Als Konzept der Unternehmensführung sind Verschiedenartigkeiten und Gemeinsamkeiten bewusst zu managen. Beispiele für Verschiedenartigkeiten und Gemeinsamkeiten sind: X X X X
Sichtbare Unterschiede von Individuen wie Geschlecht, Rasse, Alter und ethnische Herkunft. Kaum sichtbare und schwierig wahrnehmbare Unterschiede wie die Ansichten und Denkweisen der Individuen. Demografische Unterschiede wie Ausbildung. Kulturelle Unterschiede hinsichtlich der Wertvorstellungen und des Rollenverständnisses.
Bei Managing Diversity sind die existierende Vielfältigkeit und die potenziellen Gemeinsamkeiten wahrzunehmen, wertzuschätzen und optimal zu managen. Eine Zielgröße ist die effektive Nutzung von Diversity in der Mitarbeiterschaft eines Unternehmens mit akzeptablen Reibungsverlusten. Unternehmen erkennen Managing Diversity zunehmend als Quelle von Flexibilität, von Kreativität und von Problemlösungskompetenz. Teams, die vielfältig zusammengesetzt sind, finden zu besseren Lösungen als homogen zusammengesetzte Arbeitsgruppen. Es entstehen neuartigere und qualitativ bessere Lösungen, wenn kompetente Mitarbeiter verschiedener Herkunft, verschiedenen Alters, mit unterschiedlicher
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Management Excellence: Verdeckte strukturelle Konflikte nutzen
Fach- und Methodenkompetenz in einem Team zusammenarbeiten. Voraussetzung ist, dass diese Mitarbeiter ein gemeinsames Ziel haben, offen kommunizieren und fair zusammenarbeiten. Bei der Zusammensetzung derartiger Teams kommt es auf eine wirksame Mischung von Mitarbeitertypen, von Arbeitsstilen und von Kompetenzen an. Eine Voraussetzung für eine wirksame Diversity ist, dass gemeinsame Werte existieren und gelebt werden. Es soll ein Gleichgewicht zwischen dem Grad der Heterogenität der Mitarbeiter und deren organisatorischem Zusammenwirken erreicht werden. Hierfür sind ein einheitliches Wertesystem und eine einheitliche Sprache im weitesten Sinne erforderlich. Nur so können neuartige Ideen effektiv kommuniziert und umgesetzt werden. Die Individualität ist als Ressource im Sinne von Diversity zu verstehen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Managing Diversity führt durch eine verbesserte Marktdurchdringung zu Produktions- und Umsatzsteigerungen und zu einem guten Betriebsklima auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung. Konflikte gemeinsam kreativ meistern Mit Konflikten wirksam umzugehen und Konflikte in Teams gemeinsam konstruktiv zu lösen, ist ein Ansatzpunkt für die Umsetzung dieses Konzeptes zur Unternehmensführung. Durch Managing Diversity wird das natürliche Konfliktpotenzial in einem Unternehmen erhöht. Die gewünschte Unterschiedlichkeit in Kulturen, Denkweisen, Arbeitsstilen und Kompetenzen beinhaltet strukturelles Konfliktpotenzial. Wenn mit dieser Unterschiedlichkeit nicht bewusst wirksam umgegangen wird, ist dies der Nährboden für Konflikteskalationen. Die Verschiedenheiten kommen in der verbalen und nonverbalen Kommunikation zum Ausdruck. Das Autorenteam Höher und Höher beschreibt in „Konfliktmanagement“, dass sich Homogenitätsbestrebungen als Reaktion auf die Vielfalt entwickeln können. Die Folge hiervon könnte sein, dass sich ein Trend zur Einheit und Gruppennorm durchsetzt. Gruppennorm im Sinne von Gruppendruck hemmt Effektivität und Kreativität. Auch die von den Menschen wahrgenommene oder vermutete Verschiedenheit birgt natürliches Konfliktpotenzial. Genauso sind unter-
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schiedliche persönliche Zielvorstellungen und unterschiedlich interpretierte gemeinsame Ziele Nährboden für Missverständnisse, Widerstände und Konflikte. Die Verschiedenheit zu ertragen, auszuhalten und damit angemessen umzugehen, ist für viele Menschen schwierig. Viele Menschen haben ein starkes Harmoniebedürfnis verinnerlicht. Sie scheuen die Verschiedenheit und das darin enthaltene strukturelle Konfliktpotenzial. Managing Diversity erfordert eine gelebte Streit- und Konfliktkultur. Verständnis- und Kommunikationsschwierigkeiten, Einwände und Widerstände müssen erlaubt sein und offen bearbeitet werden. Auf der Basis von Toleranz sind Konfliktsituationen herauszufordern um hierdurch Klärungen zu erreichen. Abweichende Meinungen müssen in Gruppenprozessen deutlich werden, um sie gemeinsam klären zu können. Das Ziel lautet: Integration der verschiedenen Individuen zu arbeitsfähigen Teams. Konflikte fördern die unterschiedlichen Sichtweisen und machen sie für alle Beteiligten wahrnehmbar. Eine gemeinsame konstruktive Lösung von Konflikten erfordert Konfliktkompetenz und schafft Gemeinsamkeiten. Um Diversity als Ressource funktional einzusetzen, muss man eine effektive Zusammenarbeit von heterogen zusammengesetzten Teams organisieren. Teamentwicklungsprozesse sind in den ersten Schritten mit Auseinandersetzungen und Konfliktsituationen verbunden. Durch einen wirksamen Umgang mit Konflikten schafft man eine wesentliche Voraussetzung von Managing Diversity und zur Wechselwirkung von Konflikt und Kreativität. Konflikte und Kreativität fördern sich gegenseitig. Die Aufforderung dieser Wechselwirkung ist, kreative Spannungen zu fördern und zu nutzen. Managing Diversity schafft hierfür die Rahmenbedingungen. Umsetzung des integrativen Managementkonzeptes Die Einführung von Diversity zielt auf eine Veränderung der Unternehmenskultur ab. Eine multikulturelle Organisation ist eine notwendige Voraussetzung, wenn man Diversity im Unternehmen erfolgreich umset-
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zen will. Auf der Grundlage dieser Unternehmenskultur sind die Organisationsstrukturen für das Unternehmen zu entwickeln. Das Autorenteam Höher und Höher empfiehlt, die Diversity-Kompetenz auf den folgenden vier Ebenen ganzheitlich zu forcieren: X
Kognitives Lernen Hier geht es um Informationen über die Erfordernisse von Diversity, deren Hintergründe und Rahmenbedingungen. Es geht auch um konkrete Diversity-Konzepte und um Erfahrungen, die andere Unternehmen mit derartigen Konzepten bereits gesammelt haben.
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Bewusstseinstraining Hier erfolgt die Schulung von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gegenüber Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Es gilt den diskriminierenden und den fördernden Umgang mit diesen Thematiken bewusst wahrzunehmen.
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Fähigkeitentraining Bei diesem Training stehen Kommunikation, Führung und methodisches Know-how im Vordergrund. Es geht auch um die wirksame Moderation zur Entwicklung von Diversity.
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Problemlösungskompetenz Auch hier geht es um methodische Kompetenzen. Neben der Kompetenz, mit strukturellen Konflikten wirksam und lösungsorientiert umzugehen, geht es auch um Methoden für ein effizientes Projektmanagement. Bei der Umsetzung von Diversity-Ansätzen in einem Unternehmen oder in einzelnen Bereichen geht es um Handlungsorientierung und um die konkrete Planung der einzelnen Schritte zur Umsetzung.
Ein derartiger grundsätzlicher Wandel in einem Unternehmen oder in einzelnen Bereichen braucht die Zeit, die die Menschen benötigen um diesen Wandel wirklich mitzumachen. Die offene Haltung aller beteiligten Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Diversity. Diese offene Haltung beinhaltet auch einen natürlichen Umgang mit strukturellen
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Konflikten. Es geht darum, dass die Menschen Verschiedenheit, Abweichungen und Auseinandersetzungen als einen natürlichen Prozess für Entwicklungen annehmen. Solange Konflikte als persönliche Bedrohung angesehen werden, fehlt diese Offenheit. Sich die Erlaubnis zu geben, auch mit strukturellen Konflikten offen und kreativ umgehen zu dürfen, fördert die Offenheit. 2007 hat die Universität Witten/Herdecke den ersten europäischen Studiengang zum „Diversity Manager“ (www.uni-wh.de/diversity) angekündigt. Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) bietet, wie viele weitere Trainingsinstitute, Trainings zu Diversity Management an (www.dfgp.de/diversity). Ansprechpartner finden sich auch in der Deutschen Gesellschaft für Diversity Management (www.diversitygesellschaft.de).
Ansätze aus anderen Kulturen List als Jiu-Jitsu der Konfliktlösung Harro von Senger bezeichnet in „Die Kunst der List“ die 36 chinesischen Strategeme als Jiu-Jitsu der Konfliktlösung. Diese Strategeme helfen in schwierigen Situationen oftmals besser als die im Westen vielfach übliche plumpe Konfrontation. Grundlage ist der Rat eines chinesischen Weisen: „Ein die Menschen schädigendes Herz darf man nicht haben! Aber ein sich vor den Menschen in Acht nehmendes Herz ist unverzichtbar!“ In China wurde das Durchschauen und Anwenden von List seit alters hoch geschätzt und kultiviert. China hat unterschiedliche Überlistungstechniken benannt und systematisch zusammengestellt. Von Senger zeigt anhand von praktischen Beispielen auf, welche Arten von List in schwierigen Situationen zur Verfügung stehen und wie man sie wirksam anwendet. Dieses geheime Buch der Kriegskunst stammt aus der Zeit zwischen 1368 und 1644. „Strategem“ ist ein Wort für „List“. List definiert der Autor als ein bewusst mit Schläue eingesetztes, außergewöhnliches Mittel für Problemlö-
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sungen. Konfliktsituationen erfordern oftmals außergewöhnliche Mittel für einen wirksamen Umgang. Bei der List gibt es täuschende und täuschungsfreie Mittel. Dem Wort „Strategem“ wird die Bedeutung von Kriegslist und ziviler List gegeben. Da das Wort „Strategem“ in Deutschland unbelasteter ist als das Wort „List“, verwendet der Autor das Wort „Strategem“ bewusst. In Europa tun sich viele Menschen schwer eine List anzuwenden, da sie ein listiges Verhalten für verwerflich halten. Das Verhalten anderer Menschen im Hinblick auf den Einsatz möglicher List zu analysieren, gehört sich ihrer Meinung nach nicht. Von den Menschen in der westlichen Welt wird List oft als etwas Ethisch-Moralisches betrachtet. X
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Die einen Menschen meinen, dass List im Grunde etwas Gutes ist. Erinnerungen an Märchen wie „Hänsel und Gretel“ und „Das tapfere Schneiderlein“ lassen sie beim Begriff „List“ schmunzeln. Andere Menschen runzeln sofort die Stirn, wenn sie das Wort List hören, und denken sich gleich etwas Böses dabei. List wird von ihnen umgehend mit „teuflischer List“ gleichgesetzt.
Durch diesen ethischen Umhang, mit dem das Wort List umgeben wird, bleibt die List in der westlichen Welt oft unerkannt. List wird, ohne sie umfassend zu kennen, überstürzt bewertet. Das Unvermögen, die List unbefangen zu betrachten und in alle Richtungen zu untersuchen, ist Nährboden für Vorurteile über List. List wird in der westlichen Welt nicht zur Kenntnis genommen, bagatellisiert oder auch verteufelt. Europäer verblüffen aus der Sicht des Autors durch ihre Listblindheit und meistens inkompetente Anwendung von List. Besonders nachteilig wirkt sich für diese Menschen aus, dass es ihnen fast immer misslingt, die List der anderen rechtzeitig zu durchschauen. In China wird die List unbefangen betrachtet. Die Chinesen haben vorurteilsfrei über List nachgedacht. Als Ergebnis dieses Nachdenkens haben sie die wichtigsten im Laufe der Zeit erprobten 36 Listen in einem Katalog zusammengestellt. Durch die wertfreien Formulierungen der Listtechniken ermöglicht dieser Katalog eine Gesamtschau der List in ihrer Vielfältigkeit. Beim Studium der Strategeme wird klar, dass List nicht
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unbedingt mit Täuschung gleichzusetzen ist. Das Durchschauen und Anwenden von List hat in China einen hohen Stellenwert. Dieses Jahrtausende alte ABC der List beinhaltet weltweit gültige Erfahrungen im trickreichen Umgang mit schwierigen Situationen aller Art, auch mit Konfliktsituationen. Die chinesische Sicht zur Bewusstmachung der im Westen weitgehend unerforschten List ist Voraussetzung, um diese nicht ungefährliche Ressource optimal nutzen zu können. Listbewusstsein und Listsensibilität sind bei Chinesen schlagkräftiger als bei den Europäern. Sie nutzen den Katalog der 36 Strategeme entweder als Leitfaden für eigenes listiges Verhalten oder als Kompass zum Durchschauen von fremden listigen Taten. Listkundigkeit als Selbstschutz Voraussetzung für eine Listkundigkeit ist, den Versuch in Frage zu stellen, die Welt als einen übersichtlichen und durch Eindeutigkeit geprägten Raum zu betrachten. Die Folge kann zunächst einmal eine verunsichernde Einsicht in die Vieldeutigkeit und in die Unübersichtlichkeit humaner Dinge sein. Hierdurch wird das Weltbild etwas vielschichtiger im Vergleich zum westlichen Glauben an eine eindimensionale Vernunft. Durch das Studium der chinesischen Strategemkunde kann man entdecken, dass List nicht aus dem Bauch heraus anzuwenden ist. Die Ressource List ist verantwortungsvoll. Durch die Strategemkunde wird schnell bewusst, wie wichtig es ist, List rechtzeitig und gründlich zu durchschauen. Dies dient dem Selbstschutz. Als Listkundiger wird man in der Lage sein, eine List zu planen und umzusetzen. Vor allem kann man eine List anderer rechtzeitig durchschauen. Die 36 Stategeme: Beispiele Wenn Chinesen mit einem mutmaßlichen Listvorgang konfrontiert werden, erkennen sie den dahinter steckenden Listtyp. Dadurch können sie darauf wirksam (re-)agieren. Die einzelnen Strategeme sind einerseits strategisch, also auf langfristige Zielsetzungen, ausgerichtet. Sie sind
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auch operativ-taktisch, können also für den Augenblicksbedarf eingesetzt werden. Diese listorientierten Grundanleitungen lassen sich in unzähligen Situationen effizient umsetzen. Voraussetzung für eine strategemische Analyse im Hinblick auf die List anderer ist eine Listsensibilität. Bei der strategemischen Analyse ist zu unterscheiden, ob eine Situation eher harmlos oder als bedeutend strategemverdächtig einzustufen ist. Nachfolgend sind Beispiele aus den 36 Strategemen ausgewählt und in Kurzform zusammengefasst. X
Nummer 7: Aus dem Nichts etwas erzeugen Bei diesem Kreatorstrategem geht es um einen Vorteilsgewinn durch Vorgaukeln eines Trugbildes, in dem etwas aus der Luft gegriffen wird. Mittels einer neuen konstruktiven Idee wird ein Opponent ausgespielt.
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Nummer 19: Unter dem Kessel das Brennholz wegziehen Dies ist ein Wurzelbeseitigungs- und Wurzelbehandlungsstrategem, bei dem es auch um Konfliktbehandlung im Sinne einer Deeskalation geht.
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Nummer 26: Die Akazie scheltend auf den Maulbeerbaum zeigen Bei diesem Strategem der indirekten Kritik geht es auch um indirekte Angriffe, um Schattenboxen und um eine Blitzableiterfunktion. Es ist eine Möglichkeit für den Umgang mit Konfliktpotenzialen.
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Nummer 29: Einen Baum mit Blumen schmücken Gemeint ist hier, einen dürren Baum mit künstlichen Blüten zu schmücken, also ein Attrappen- und Imponierstrategem.
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Nummer 36: Weglaufen ist das Beste Ein rechtzeitiges Weglaufen ist bei einer sich abzeichnenden (völligen) Aussichtslosigkeit das Beste. Dieses Rückzugsstrategem wird auch als Abstandsgewinnungsstrategem bezeichnet. Wenn man das Weglaufen nicht wörtlich, sondern sinnbildlich anwendet, ist der Gedanke: Gewinnen von Abstand bei Konflikteskalationen.
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Europäische Beispiele Auch wenn die Menschen in der westlichen Welt aus der Sicht von Harro von Senger tendenziell von einer Listblindheit getrübt sind, einzelne der hier genannten Beispiele von List gibt es auch hier. Jeder kann mit etwas Übung derartige Strategeme, bewusst oder unbewusst von anderen Menschen eingesetzt, erkennen. Man kann derartige Strategeme für Alltagssituationen bewusst nutzen, auch für Konfliktsituationen. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass einige dieser Strategeme auch in europäischen Breitengraden in ähnlicher Form angewendet werden. Sie haben bei uns zwar andere Bezeichnungen und teilweise auch einen etwas abweichenden Inhalt. Der Ansatz ist vergleichbar. X
Nummer 7: Aus dem Nichts etwas erzeugen Ein bekanntes Beispiel für dieses Strategem ist das „Streuen von Gerüchten“. Dies kennen wir alle aus unserem Umfeld, im positiven oder negativen Sinn. Im negativen Sinn ist das Streuen von Gerüchten eine oft gewählte Methode bei psychologischen Spielchen oder beim Mobbing. Andererseits kann man über einen neuen Kollegen berichten, was dieser in seinem vorherigen Job alles erreicht hat und somit für eine gewisse positive Grundstimmung sorgen. Die in hohem Maße von der Psychologie abhängige Börse ist ein vielfältiger Austragungsort für das „Gerüchte in die Welt setzen“. Auch Unternehmen bedienen sich dieses Strategems, um bei ihren Kunden auf diese Weise für Zusatznachfragen zu sorgen.
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Nummer 11: Der Pflaumenbaum verdorrt anstelle des Pfirsichbaumes In Unternehmen wird dieses Strategem gern mit einer Metapher aus dem Schachspiel umschrieben: „Ein Bauernopfer bringen“. Ein womöglich völlig schuldloser Mitarbeiter muss für etwas „den Kopf hinhalten“, das eigentlich sein Vorgesetzter zu verantworten hat. Auch im politischen Umfeld sind derartige Bauernopfer zu beobachten. Ein anderes Beispiel auf unseren politischen Bühnen ist das Verhalten von europäischen Regierungen, wenn sie sich aus ihrer nationalen Verantwortung stehlen wollen. Zuerst delegieren sie beispielsweise das Problem der Arbeitslosigkeit auf die Europäische Union und anschließend geben sie ihr die Schuld dafür, dass sie das Problem nicht gelöst hat.
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Nummer 29: Einen Baum mit Blumen schmücken Auch für das Strategem gibt es in unserem Sprachgebrauch vergleichbare Ansätze, allerdings tendenziell eher mit negativem Beigeschmack. Beispiele sind: „Sich mit fremden Federn schmücken“, schön reden oder schön färben. Für Werbefotografen und Schaufensterdekorateure ist dieses Strategem Berufsalltag.
Harro von Senger hat für alle 36 Strategeme eine Vielzahl von Beispielen aus unseren Breitengraden dargestellt. Diese Beispiele zeigen in ihrer Gesamtheit auf, dass es hilfreich ist, wenn man von anderen angewendete Strategeme durchschaut. Sofern man Listen im Sinne dieser Strategeme rechtzeitig erkennen und analysieren kann, hat man die Wahl, wie man damit umgehen will. Man kann eine wahrgenommene List einfach hinterfragen oder diese direkt offenlegen. Man kann auch mitspielen, indem man mit einer gut durchdachten Gegenlist in dieses Spiel einsteigt. Voraussetzung ist, dass man ein Strategem des Gegenübers erkennt. Die Grundlage zum Erkennen und zum Anwenden von Strategemen ist, sich damit vertraut zu machen. Unsere Sicht auf die Wirklichkeit hängt von unserem Blickwinkel und von unserem Objektiv ab. Man kann sich ein zusätzliches Objektiv schaffen, indem man die Sichtweise der Listkundigkeit in den Alltag integriert. Weisheit der Indianer Unter der Überschrift „Die Weisheit der Indianer“ berichtete das Hamburger Abendblatt 2002 in seiner Pfingstausgabe, wie sich zwei Amerikaner auf ihre indianische Abstammung besannen. In Rückbesinnung auf alte Traditionen entwickelten sie ein Modell, das in vielen Unternehmen in Nordamerika zur Problem- und Konfliktlösung praktiziert wird. Die beiden Akteure, die dieses Modell in Deutschland vorgestellt haben, nennen sich Rainbow Hawk Kinney-Linton und Wind Eagle. Rainbow Hawk Kinney-Linton arbeitete bis zu seinem 40. Lebensjahr als erfolgreicher Architekt in Kalifornien. Seine Großmutter gehörte dem Volk der Delaware-Indianer an. Wind Eagle war u. a. Lehrerin und Unterneh-
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mensberaterin. Ihre Vorfahren waren Mohikaner. Beide besannen sich auf ihre Vorfahren und gründeten das Ehama-Instititut. Sie entwickelten ein Modell zur effektiven Konfliktlösung, das in Unternehmen wirksam eingesetzt wird. Im Gegensatz zu den kontroversen Diskussionen vieler Besprechungen in Unternehmen kommen indianische Ratssitzungen auf einem anderen Weg zu Entscheidungen. X
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Eine weiß-schwarze Adlerfeder ist das mächtigste Instrument in dieser Ratsversammlung. Wer diesen „talking stick“ (Redestab) hält, darf sprechen. Alle anderen Mitglieder dieser Versammlung schweigen und hören respektvoll zu. Das Medizinrad („Circle of Law“) teilt das zu besprechende Thema in acht Himmelsrichtungen ein. Aus jeder Himmelsrichtung vertritt jeweils ein Sprecher den Blickwinkel. Die acht Blickwinkel sind: Ost (gelb): Freiheit und Kreativität der Entscheidung Südost (orange): Objektiver gegenwärtiger Zustand Süd (rot): Eigene Kraft und drohende Gefahren Südwest (purpur): Zweck und Ausrichtung West (violett): Auswirkung auf das Gleichgewicht Nordwest (hellviolett): Zusammenhänge und Zeitrahmen Nord (blau): Krankheit des Handelns Nordost (grün): Integrität und Vitalität – ist alles bedacht? Acht Sprecher tragen dem Rat ihre jeweiligen Ideen und Lösungsvorschläge vor. Sie konzentrieren sich jeweils auf ihren Punkt (den jeweiligen Blickwinkel), ohne über die anderen zu diskutieren.
Das indianische Rad bietet anwendbare Regeln und Werkzeuge, die Ideen und Absichten aus vielen Perspektiven zu einem lebendigen Ganzen vereinen sollen. „Wir geben Teile unseres Wissens weiter, das von Generation zu Generation überliefert wurde. Unser Erbe ist die Summe der Weisheit aus Millionen Jahren.“
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Nutzen und Voraussetzungen in Unternehmen Ein wesentlicher Nutzen dieser Ratssitzung liegt darin begründet, dass es keine internen Sieger und Verlierer gibt. Dieser Verzicht trägt zur Motivation und Kreativität unter den Teilnehmern einer Besprechung bei. Individualität und Teamgedanke werden gleichermaßen akzeptiert und eingebunden. Bei Auseinandersetzungen in Unternehmen fehlt oft eine Umwelt des Vertrauens. Zur Nutzung dieses Modells der Ratsversammlung muss man eine Umgebung schaffen, in der die Menschen auf natürliche Weise miteinander umgehen. Die Teilnehmer dieser Ratssitzungen müssen die Bereitschaft mitbringen, einige Prinzipien und Regeln zu achten. Diese sind: X X X
Einem festen Ablauf folgen. Zuhören und andere Stimmen/Meinungen akzeptieren. Wer den Redestab hält, hat das Wort.
Alle Teilnehmer müssen bereit sein, sich wirklich auf diesen Prozess einzulassen. Anwendungsbeispiele aus der Praxis und Varianten Manager aus US-Unternehmen bestätigen, dass allein der Respekt vor anderen Meinungen ihre Entscheidung bereits positiv beeinflusst hat. Zwei Beispiele: X
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Eine Einheit der US Air Force musste mit einem geringeren Budget auskommen. Den verantwortlichen Offizieren gelang es, die Einschnitte sachgerecht vorzunehmen, weil sie bei der Ratssitzung Informationen und Meinungen erfuhren, die sie zuvor nie gehört hatten. Ein Unternehmen aus der Finanzbranche entschied sich, mit der Einführung eines neuen Produktes noch zu warten. Die Ratsversammlung hatte ergeben, dass die übereilte Einführung des noch nicht ausgereiften Artikels langfristig die Firma schwächen würde.
Das Modell der indianischen Ratssitzungen lässt sich in Unternehmen dann einsetzen, wenn die Voraussetzungen geschaffen und von den Teil-
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nehmern eingehalten werden. Hierbei müssen es nicht unbedingt die acht Himmelsrichtungen sein, die die Blickwinkel bestimmen. X
In einer Projektbesprechung können es die Blickwinkel der verschiedenen Aufgabenfelder der Projektmitarbeiter, die verschiedenen beteiligten Fachabteilungen und verschiedene Entscheidungsinstanzen sein.
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In einer Abteilungsleiter-Besprechung können es die Blickwinkel Strategie und Idee, Chancen und Nutzen, Risiken und Aufwand, Umfeld und Umwelt sein.
Grundsätzlich handelt es sich bei der Ratssitzung um ein Modell, das in der Praxis gelebt wird. Nutzung als Kreativitätstechnik für strukturelle Konfliktsituationen Die indianische Ratssitzung zeigt deutliche Parallelen zur Kreativitätstechnik „Sechs Hüte“ von De Bono auf. Symbole und Ablauf sind mit wenigen Abweichungen stark vergleichbar. Beide Techniken sind ein sehr wirksamer Weg, unproduktive Missverständnisse erst gar nicht entstehen zu lassen, Widerstände konstruktiv zu bearbeiten und strukturelle Konflikte zu lösen. Dies ist möglich, wenn die Voraussetzungen für diese Techniken geschaffen werden und die Teilnehmer dies akzeptieren. Die Deeskalation in einem Konflikteskalationsprozess muss so weit reduziert werden, dass die zentralen Aspekte, wie X X X X
einfache Regeln akzeptieren und gemeinsam leben, Umwelt des Vertrauens, gegenseitiger Respekt und sich darauf (wirklich!) einlassen
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umgesetzt werden. Dann ist die indianische Ratssitzung, die „aus Generationen überliefert wurde“, ein wirksames Instrument, um auch heute neuartige Lösungen zu entwickeln. Sie ist wie die Sechs-Hüte-Technik von De Bono zur Lösung von strukturellen Konflikten geeignet. Kreativ neuartige Lösungen zu entwickeln, ist für die Lösung von strukturellen Konfliktsituationen nahezu immer erforderlich. Manchmal ist es in unserer schnelllebigen Zeit hilfreich, sich auf Voraussetzungen zu besinnen, die „als Summe der Weisheit aus Millionen Jahren“ hilfreich waren.
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Zusammenfassung
Wenn sich Führungskräfte in Unternehmen in Hahnenkämpfe verwickeln und Mitarbeiter sich gegenseitig in Alltagskriegen verzetteln, sind meist strukturelle Konfliktpotenziale die oft unbewusste Ursache. Einige der in Kapitel 4 beschriebenen strategischen Handlungsempfehlungen sind auch zum Aufdecken von verdeckten strukturellen Konflikten geeignet. Eine spezielle Methode zum Aufdecken dieser Konflikte ist die Systemische Organisationsaufstellung (SysOA). Die Anwendung dieser Methode hat zwei Ansatzpunkte: Die Beziehungsstruktur der Menschen und die Gesetzmäßigkeiten des Unternehmens. Die Kombination dieser beiden Ansatzpunkte ist der Schlüssel zum Aufdecken von verdeckten strukturellen Konflikten und zur Entwicklung von Lösungsansätzen für diese Situationen. Die reale Lösung von strukturellen Konflikten erfordert strukturelle Veränderungen, verbunden mit dem Managen von Unsicherheit. Strukturelle Veränderungen müssen von der Unternehmensführung gewollt sein. Sie erfordern eine inhaltliche Neuausrichtung, ein professionelles Projektmanagement und ein ausgereiftes Change Management. Die betroffenen Mitarbeiter sind für den notwendigen Veränderungsprozess emotional aktiv einzubinden. Erfolgreiche strukturelle Veränderungen erfordern einen Kulturwechsel im Unternehmen, um einen neuen stabilen Zustand wirklich zu erreichen.
Zusammenfassung
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Für Unternehmen in einem stabilen Zustand gilt es, die natürlichen strukturellen Konfliktpotenziale im Tagesgeschäft produktiv zu nutzen. Einige nachhaltig erfolgreiche Managementkonzepte sind gleichzeitig für eine konstruktive Konfliktkultur geeignet, in der strukturelle Konfliktpotenziale als Chance zur Weiterentwicklung des Unternehmens genutzt werden. Ergebnisorientierte Führungskräfte, die das Allgemeinwohl an die erste Stelle setzen und von ihrem Umfeld lernen, können eine konstruktive Konfliktkultur im Tagesgeschäft fördern und einfordern. Management Diversity ist als integrativer Managementansatz ein Denkmodell für Flexibilität, Kreativität und Konfliktlösungskompetenz im Tagesgeschäft. Zur Erweiterung der persönlichen Flexibilität im Führungsalltag kann man Ansätze aus anderen Kulturen, wie die Listkundigkeit der Chinesen und die indianische Ratssitzung, situativ einsetzen.
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Anhang: Checklisten 1. Strukturelle Konfliktpotenziale erkennen 9 Welche strukturellen Konfliktpotenziale sind in den existierenden Organisationsstrukturen und in den Arbeitsprozessen erkennbar? Matrixorganisation oder Linienorganisation mit Projekten Rigide Arbeitsabläufe mit stark eingeengten Handlungsspielräumen der Beteiligten Mehrdeutige Verantwortungsbereiche Einzelner oder von Arbeitsgruppen Gegensätzlich ausgerichtete Systeme, wie Vergütungssystem versus Motivationssystem Doppelspitzen in der Führung 9 Wie werden offizielle Strukturen inoffiziell gelebt? Unterschiedliche Umsetzung von offiziellen Strukturen (Verfahrensbeschreibungen, Arbeitsanweisungen) in verschiedenen Arbeitsgruppen Informelle Führer versus Linien-Vorgesetzte 9 Bewegen sich Arbeitsgruppen, Unternehmensbereiche oder das ganze Unternehmen im Rhythmus des Jojo-Effekts? Vom Investitionsförderungsprogramm zum Kostensenkungsprogramm und zurück Von der zentralen zur dezentralen Organisationsstruktur und zurück Vom Unternehmenszukauf zur Besinnung auf die Kernkompetenzen und zurück 9 In welcher Form wird im Unternehmen mit den Themen Interessen, Macht und Politik umgegangen? Machtquellen Einzelner oder von Arbeitsgruppen Persönliche Interessenkoalitionen und Machtspielchen innerhalb von Projektteams oder zwischen Projektteam und den Fachbereichen
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Anhang: Checklisten
Autoritäre Führungsstile in Arbeitsgruppen, Unternehmensbereichen und im Unternehmen insgesamt Harmoniekultur in der Führungsmannschaft 9 Wie wird mit verschiedenen Sichtweisen und Denkstilen in Arbeitsgruppen, Unternehmensbereichen und im Unternehmen umgegangen? Grabenkämpfe auf der Führungsebene oder zwischen Arbeitsgruppen Vorherrschung von Innenperspektiven Einzelner oder von Arbeitsgruppen Nutzung von Außensichten – Sowohl-als-auch-Sichtweisen Starre oder flexible Unternehmenskultur 9 Gibt es Konfliktpotenziale durch die Konstellation: Familienunternehmen? Straffe Führung des „Big Boss“ Harmoniekultur in der Familien-Unternehmensführung Unklare Aufgaben- und Kompetenzbereiche der Familienmitglieder Generationsübergang von „alt“ zu „jung“ 9 Steht eine Fusion mit einem anderen Unternehmen bevor oder wird eine Fusion bereits durchgeführt? Persönliche „Knackpunkte“ und „Heiße Themen“ bei den Verhandlungsführern Klärung der generellen Strukturen: – Zuständigkeiten im Innen- und Außenverhältnis – Gestaltung der Produkt- und Dienstleistungspalette – Gestaltung der Personalpolitik – Gestaltung der Prozesse Maßnahmen zum „Zusammenwachsen“ von Unternehmenskulturen
Anhang: Checklisten
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2. Diagnoseschema zur Analyse struktureller Konflikte 1. Streitthemen: In jedem Unternehmen gibt es aufgrund des individuellen Konfliktpotenzials wiederkehrende Konfliktthemen. 9 Sind planlos durcheinander laufende oder zu bürokratisch reglementierte Arbeitsabläufe die Anlässe oder die Ursache von täglichen Streitereien? 9 Ist ein tiefes Misstrauen, verbunden mit Kälte und Ablehnung der Mitarbeiter untereinander, die eigentliche Ursache der Konflikte, die beispielsweise bei dem anstehenden Veränderungsprozess ständig aufflackern? 2. Beziehungsebene: Wie stehen die Parteien im Konflikt gegeneinander? 9 Sind es bestimmte Personen oder Personengruppen, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale oder Denkstile im Unternehmen wiederholt für Konfliktpotenziale mit anderen Personen oder Personengruppen sorgen? 9 Welche strukturbedingten Zuordnungen (z. B. Aufgabenverteilung) der Konfliktparteien sind nicht ziel- und ergebnisorientiert und sorgen für Konflikte? 3. Umgangsformen: Wie äußert sich der Konflikt? 9 Ist das emotionale Klima erhitzt oder bereits eingefroren? 9 Versteifen sich die Parteien eines Konfliktes schnell in der Positionstrategie, indem sie sich auf Kosten der jeweils anderen Parteien durchsetzen wollen? Oder: Setzen die Parteien (noch) auf die Problemlösungsstrategie? 4. Bisheriger Konfliktverlauf: Wie hat sich der Konflikt entwickelt? 9 Welche strukturellen Eskalationsverstärker, wie zusätzliche Belastungen der Beteiligten durch Projektarbeiten neben dem Tagesgeschäft, sind im Spiel?
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Anhang: Checklisten
9 Wird der Konflikt von den Beteiligten bewusst forciert, damit Schwachpunkte in der Organisation geklärt werden sollen? 9 Welche destruktiven Verhaltensmuster der Beteiligten werden durch die organisatorischen Rahmenbedingungen (z. B. Arbeitsbelastungen) gefördert? 5. Aktueller Stand: Was hat der Konflikt zum Zeitpunkt der Analyse gebracht? 9 Welcher Nutzen oder Schaden ist durch den Konflikt entstanden? 9 An welchen Schwachstellen könnte der Konflikt erneut aufbrechen?
3. Einflussmöglichkeiten in den Phasen zur Teamentwicklung Vier Phasen zur Teamentwicklung: 9 Forming (Testphase) Merkmale – Die Gruppe beginnt, sich zu bilden. Die Situation ist unklar und undifferenziert. – Unsicherheit und Abhängigkeit dominieren. Ein gegenseitiges Kennenlernen und Überprüfen der Verhaltensweisen ist notwendig. Einflussgrößen des Projektleiters – Dafür sorgen, dass jeder „seinen“ Platz findet. – Alle Mitglieder ernst nehmen und wertschätzen. – Den Kontakt und die Kommunikation untereinander fördern. – Die Gruppe durch Struktur und Lenkung unterstützen (Beziehungsarbeit vor Sacharbeit). – Motto: „Lass dir Zeit beim Start!“
Anhang: Checklisten
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9 Storming (Konfliktphase) Merkmale – Macht- und Statusklärungen finden statt. Auflehnung gegenüber den Führern entsteht. – Erste Konflikte brechen auf. Schwache Gefühle der Zusammengehörigkeit bilden sich. Einflussgrößen des Projektleiters – Kontroversen und Unterschiede zulassen (nicht schlichten) und ggf. auch fördern und herausfordern! – Für Klarheit in der eigenen Rolle und für die Rollen der anderen Teammitglieder sorgen. 9 Norming (Orientierungsphase) Merkmale – Normen werden gebildet. Gegenseitige Unterstützung findet statt. – Gruppengefühl entwickelt sich. Gegenseitige Akzeptanz der Unterschiedlichkeit. Mehr Offenheit ist erlaubt. Einflussgrößen des Projektleiters – Den Wunsch nach Orientierung unterstützen und forcieren (Arbeitszeiten, Ziele und Vorgehensweisen). – Einsatz von Kommunikationsregeln (Jeder spricht für sich, Zuhören, keine Killerphrasen). 9 Performing (Arbeitsphase) Merkmale – Rollen sind flexibel und funktional. Kooperatives und koordiniertes Verhalten ist möglich. – Zwischenmenschliche Konflikte sind gelöst. Beziehungen stehen im Dienste der Aufgabenbewältigung. Einflussgrößen des Projektleiters – Teamprozess und Aufgabenerfüllung moderieren. – Das Team nach außen und oben vertreten. – Auf Belastungen und Signale der Einzelnen im Team achten.
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Anhang: Checklisten
4. Regelmäßige Teaminspektionen für erfolgreiche Teams Erfolgreiche Teams 9 ... haben klar definierte Ziele und arbeiten miteinander (anstatt gegeneinander). 9 ... stellen die Interessen der Gruppe über die persönlichen Interessen. 9 ... betrachten Dinge von mehreren Seiten. 9 ... nehmen Konflikte ernst und behandeln sie konstruktiv. 9 ... achten darauf, dass alle Teammitglieder auch in Konfliktsituationen ihr Gesicht wahren können. 9 ... schätzen die Wertvorstellungen der anderen Teammitglieder. 9 ... unterstützen andere Teammitglieder bei deren Problemlösung nach deren Aufforderung. 9 ... sehen verschiedene Alternativen für Lösungswege zur Umsetzung einer Idee. 9 ... arbeiten und agieren nach dem WIN-WIN-Prinzip. 9 ... benutzen klare und eindeutige Formulierungen (offene Kommunikation). 9 ... achten auf eine entspannte Atmosphäre in der Zusammenarbeit. 9 ... geben sich regelmäßig in angemessener Form Feedback im Team und vermeiden hierbei unproduktive persönliche Angriffe. 9 ... nehmen Störungen in der Gruppe wahr und räumen deren Behebung den Vorrang ein. 9 ... zeichnen sich durch Teammitglieder aus, die flexibel in Diskussionen sind und den anderen aktiv zuhören. 9 ... einigen sich bei Entscheidungen und setzen diese konsequent um. 9 ... bewerten und behandeln den Gruppenkonsens als wertvolles Gut. 9 ... werten gemeinsame Erfolge als Teamerfolge.
Anhang: Checklisten
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5. Strukturelle Konfliktpotenziale im Praxisfall der Opel-Krise 9 Mangelnde strukturelle Anpassungen an die Markterfordernisse: Fehlende Markenführung außen und innen. Investitions- und Personalpolitik im Widerspruch zu den Erfordernissen des Marktes. Keine Investitionen in Markttrends und in eigene Innovationen für den Markt. Keine konsequente Ermittlung von Wünschen und Bedürfnissen von (potenziellen) Kunden. 9 Fehlende Einbindung der Führungskräfte in die Unternehmensentwicklung. 9 Keine Akzeptanz und wirksame Behandlung unterschiedlicher Denkstile (USA versus Deutschland) im Unternehmen und im Konzern. 9 Führungskräfte nutzen Macht und Politik für den persönlichen Karriereweg ohne Augenmaß zur ganzheitlichen Unternehmensentwicklung. 9 Personalentscheidungen gegen Widerstände und mit Macht durchsetzen. 9 Häufiger Personalwechsel in der Unternehmensleitung. 9 Mangelnde Vertrauenskultur oder eine Kultur des Misstrauens, verbunden mit einer destruktiven Koalitionsbildung: „die da oben“ (Oberstes Management) und „wir da unten“ (Belegschaft). 9 Vereinfachtes Denken in Polaritäten (entweder-oder) in der Unternehmenskultur, anstatt vielfältiges Denken (sowohl-als-auch). Beispiele: Entweder Qualität oder Kosten. Entweder Zentralisierung oder Dezentralisierung. Entweder Investitionen in Markt A oder in Markt B. Entweder Global Player oder Local Player. 9 Keine wirkliche Wahrnehmung und Akzeptanz von strukturellen Konfliktpotenzialen mit der Konsequenz einer Nicht-Behandlung der strukturellen Konflikte. 9 Offenkundige Anzeichen für strukturelle Konflikte werden ignoriert (bei Opel/GM: zweifache Umfrageergebnisse bei Führungskräften und Pressemitteilungen über das Opel-Image).
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Anhang: Checklisten
6. Neunstufiges Eskalationsmodell bei Konflikten Kurzbeschreibung der neun Stufen des Eskalationsmodells von Friedrich Glasl: 9 1. Stufe: Verstimmung Die Parteien können jeweils die Gegenseite nicht mehr verstehen und beginnen damit, ihre Auffassungen gegenseitig auszuschließen. Beide Seiten pochen auf ihre eigenen Ideen und Lösungsvorschläge. Die eigenen Standpunkte verfestigen und verhärten sich. 9 2. Stufe: Ja, aber ... In der zweiten Stufe nimmt die Konfrontation der Konfliktparteien zu. Es kommt zu Zusammenstößen. Nach und nach prägen neben Konkurrenz auch Überheblichkeit und Arroganz das Auftreten der beiden Konfliktparteien. Der Ton wird schärfer. Beide Parteien befinden sich jetzt bereits in einem inneren Widerspruch: Einerseits sind die Parteien noch gewillt, den Konflikt aus der Welt zu schaffen, andererseits sind sie in ihren Verhaltensweisen bereits auf Angriff eingestellt. 9 3. Stufe : Das Patt Die Verhärtung tritt vollends ein. Die Standpunkte lassen sich nicht versöhnen. Beide Parteien kommen zu dem Ergebnis, dass Diskussionen völlig sinnlos sind. Es beginnt mit der Projektion in der Form, dass jede Partei genau das von der anderen Partei erwartet, wozu sie selbst nicht bereit ist. Die Schuld, dass dieser Konflikt so weit eskalieren konnte, trägt jeweils der andere. 9 4. Stufe: Schwarz-Weiß-Malerei In der vierten Stufe will jede Partei ihre eigene Existenz sichern. Der andere soll verlieren. Im Denken der beiden Parteien gibt es jetzt nur noch Schwarz oder Weiß. Denken in Polaritäten bedeutet: Während die andere Partei verabscheuungswürdig ist, ist man selbst völlig anders. Verbündete werden gesucht. Durch Image-Kampagnen werden Mitstreiter geworben, um die eigene Macht zu stärken.
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9 5. Stufe: Maske herunter Es geht um Gesichtsverlust des anderen, indem beide Parteien sich gegenseitig öffentlich demontieren und diffamieren. Kompromisslos wird der Gesichtsverlust der anderen Partei angestrebt. Die Würde der anderen Partei soll durch das „Maske-vom-Gesicht-reißen“ diskriminiert werden. 9 6. Stufe: Schwebende Ängste Sanktionen stehen im Vordergrund. Gewaltdenken und -handlungen nehmen zu. Die Parteien haben sich in der sechsten Stufe kaum noch selbst unter Kontrolle. Jeder versucht, den anderen zu bestrafen. Durch die auf beiden Seiten erzeugten Ängste wird jeweils die Klarheit im Denken auf ein Minimum reduziert. Es wird irrational und panisch gehandelt. Die Beteiligten werden in ihrem Denken und Handeln immer mehr fremdbestimmt. 9 7. Stufe: Ein Sieg, der keiner ist Es geht darum, die feindliche Partei als „Un-Menschen“ auszusondern. Der Feind wird jeweils als lebloses und gefühlloses Objekt gesehen. Beide Feinde versuchen sich gegenseitig in ihrer Existenz zu erschüttern. In dieser Stufe können die feindseligen Auseinandersetzungen nur noch beigelegt werden, wenn eine Partei ihre Existenz aufgibt. In dieser sich immer schneller drehenden Gewalt- und Hassspirale haben beide Parteien ihren Bezug zur Realität verloren. Zur Befriedigung der eigenen Lust an Zerstörung wird dem anderen Schaden zugefügt. 9 8. Stufe: Hauptsache kaputt Der Feind soll am Lebensnerv getroffen werden. In dieser kriegerischen Auseinandersetzung werden Personen an der Front vom Hinterland abgeschnitten. Beide haben es inzwischen geschafft, auch sich selbst nachhaltig zu schwächen. Das jeweils eigene Überleben gerät in Gefahr. 9 9. Stufe: Supergau Es folgt die totale Konfrontation mit Vernichtung um jeden Preis. Den Feinden bleibt nur noch die Hoffnung, dass sie im eigenen Untergang den Feind mit in den Abgrund reißen. Beide Parteien vernichten sich gegenseitig!
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Anhang: Checklisten
7. Vorboten von Unternehmenskrisen Die folgenden Symptome können Hinweise auf strukturelle Konflikte als Vorboten einer Unternehmenskrise sein. 9 Anzeichen für Eskalationen von strukturellen Konfliktpotenzialen: Dienst nach Vorschrift, keine kreativen Ideen für Innovationen und eine aktive Lösungsorientierung. Innere Kündigungen einzelner Mitarbeiter. Steigende Fehlzeitquoten. Vermehrte reale Kündigungen qualifizierter und selbstsicherer Mitarbeiter. Hahnenkämpfe zwischen Führungskräften in der Unternehmensleitung. Tägliche Kleinkriege von Mitarbeitern verschiedener Bereiche an ihren Grenzen (Schnittstellen zu den anderen Bereichen). Unkorrektheiten von Mitarbeitern und Führungskräften nehmen zu. Führungsverhalten wechselt zwischen Lethargie und blindem Aktionismus. 9 Kennzeichen eines kalten Konflikts in Unternehmen: Die dialogische Kommunikation wird auf ein Minimum reduziert. Es gibt offiziell keine Konflikte im Unternehmen. Absicherungsdiskussionen und schriftliche Kommunikation im Unternehmen verstärken sich zusehends. Konstruktive Verbesserungsvorschläge werden nicht angenommen und somit nicht in der Praxis umgesetzt. Kaum oder kein Smalltalk in den Arbeitsräumen und auf dem Flur. Tendenzen bei Vier-Augengesprächen: über andere Kollegen herzuziehen. Sprachlosigkeit und Kälte bestimmen die Umgangsform in der Arbeitsguppe oder in der Abteilung.
Anhang: Checklisten
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8. Frühzeitig erkennbare Symptome einer Unternehmenskrise Vier Betrachtungsebenen für Symptome einer Unternehmenskrise: 9 Im Verhältnis zu den Kunden: Bei frühzeitiger Zahlung werden höhere Skontoabzüge angeboten. Sonderangebote folgen häufiger und zu branchenunüblichen Zeiten. Preisverhandlungen werden leichter. Mit Zusatzleistungen wird versucht, Aufträge zu ködern. Das angebotene Sortiment wird deutlich weniger systematisch; es ufert entweder aus, oder es wird deutlich geringer. Die Produkte werden in kurzer Folge von unterschiedlichen Herstellern bezogen (immer neue Marken etc.) 9 Im Verhältnis zu den Lieferanten: Verzicht auf Skontoausnutzung bei vorheriger Inanspruchnahme. Vereinbarte Zahlungsziele werden überschritten. Die Zahlungsweise ändert sich häufiger. Mahnungen werden nicht mit Zahlungen beantwortet. Die Neigung zu Reklamationen steigt. Aufträge werden storniert. Es wird um Ratenzahlungen gebeten (oder um Lieferungen in Konsignation). Lieferanten werden häufiger gewechselt. Bestellungen werden kleiner (evtl. dafür häufiger). 9 Im Verhältnis zu Kreditgebern: Die Vorlage von Finanzplänen, Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen verzögert sich. Überziehungen der Kreditlimiten werden häufiger, dauern länger und werden zunehmend fadenscheiniger begründet. Der Wunsch nach Erweiterung der Kreditlimiten wird nicht logisch begründet. Es werden neue Bankverbindungen/Kreditgeber gesucht.
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Anhang: Checklisten
9 Im Unternehmen selbst: Qualifizierte Führungskräfte wandern ab. Es entsteht wachsende Arbeitsüberlastung für die Führungskräfte. Der Führungsstil wird immer hektischer. Die Betriebsabläufe und die Koordination der verschiedenen Betriebsbereiche verschlechtern sich zunehmend. Die Informationspolitik wird zunehmend weniger transparent. Die Betriebs-, Sortiments- und Absatzpolitik wechseln häufiger. Es werden in kurzer Folge neue Geschäftspartner vorgestellt (die oft still und leise wieder verschwinden). Die Unternehmens- und Betriebsberater reichen sich die Klinke. Die Klagen der Geschäftsleitung über die Banken oder die schlechte Zahlungsmoral der Kunden nehmen zu. (Quelle: Alisys Consulting AG; www.alisys.ch/chklst/chksan.htm; 27.05.07)
9. To-Dos für Manager in einer Krisensituation Anregungen, mit einer Krisensituation persönlich professionell umzugehen: 9 1. Mach Dir bewusst, dass Du Dich in einer Krisensituation befindest – und dass ab sofort andere Gesetze herrschen als im Normalbetrieb! 9 2. Der kritische Faktor heisst Zeit: Was immer Du tust – es muss schnell gehen! Jede Minute ist Gold wert! 9 3. Installiere einen Krisenstab: kurze Treffen, aber regelmäßig und mit hoher Frequenz! Nur so gewinnst Du in einer chaotischen Situation den Überblick. 9 4. Setze die Prioritäten der Situation entsprechend: Handeln geht vor Kosten, Zuständigkeiten und Hierarchie! 9 5. Paralleles Denken – pro-aktives Entscheiden: detaillierte Analysen und sequentielles Vorgehen haben ausgedient! 9 6. Leadership ist gefragt – nicht nur Management: Deine Mitarbeiter/innen brauchen Orientierung, Aufmunterung und Unterstützung! 9 7. Lass Dich nicht dazu hinreissen, alles selbst machen zu wollen – delegiere Aufgaben und koordiniere die Prozesse!
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9 8. „Geht nicht“ gibt’s nicht: Es müssen immer wieder pragmatische, gegebenfalls unkonventionelle Lösungen gefunden werden! 9 9. Kommuniziere offen und zeitnah mit allen wichtigen Stakeholdern im Unternehmen und im Umfeld! 9 10. Verschaffe Dir immer wieder kurze Pausen für Dich allein, um Distanz zu gewinnen und die Informationsflut zu verarbeiten! 9 11. Trage Sorge für Dich: Du musst essen; Du musst schlafen; Du musst körperlich fit bleiben! 9 12. Trage Sorge für Deine Familie: Du brauchst sie, und sie braucht Dich – also lasse sie nicht einfach links liegen! (Quelle: Peter Callan, Management und Selbstmanagement der Krise)
10. Bestandteile eines Sanierungskonzeptes Um sicherzustellen, dass den strukturellen Ursachen einer Krise begegnet wird, müssen die folgenden Fragestellungen bei der Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes schriftlich beantwortet werden. 9 In welcher Situation befindet sich das Unternehmen? 9 Wo liegen die Ursachen für die Unternehmenskrise? 9 Welche Stärken, welche Schwächen weist das Unternehmen auf und mit welchen Maßnahmen können Schwachstellen beseitigt werden? 9 Wie groß sind die Chancen zur Realisierung des Turnaround? 9 In welchen Schritten können die Maßnahmen eingeführt und umgesetzt werden? 9 Welchen Beitrag leistet der Unternehmer bzw. die Unternehmerin zur Sanierung? 9 Welchen Beitrag müssen die Gläubiger zur Sanierung leisten? 9 Welcher zusätzliche Finanzierungsbedarf besteht zur Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen? 9 Welche Chancen und Risiken ergeben sich bei der Realisierung des geplanten Sanierungskonzeptes? (Quelle: www.unternehmenssicherung-essen.de; Rubrik: Risiko- und Krisenmanagement; Broschüre: „Krisenmanagement in kleineren Unternehmen“; S. 7)
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11. Vertrauensinspektion mit den Mitarbeitern Wenn einer Führungskraft Vertrauen wichtig ist, sollte sie in regelmäßigen Abständen mit ihren Mitarbeitern die folgenden Fragen gemeinsam beantworten: 9 Welchen Stellenwert hat Vertrauen in unserer Zusammenarbeit? 9 Was tun wir, um in unserer Gruppe und im Unternehmen Vertrauen zu fördern? 9 An welchen Kriterien und Verhaltensweisen erkennen wir unsere Vertrauenskultur? 9 Was und wo sind die kritischen vertrauensrelevanten Themen und Gegenstände? 9 Was sind die größten Hürden, um Vertrauen bei uns aufzubauen? 9 Welche unserer gelebten Umgangsformen stehen im Gegensatz zu Vertrauen? 9 Was tun wir, um unter uns Vertrauen zu fördern? 9 Geben wir uns auch in schwierigen Situationen, bei Widerständen, Störungen und Konflikten einen Vertrauensvorschuss? Der Fragenkatalog ist angelehnt an Reinhard K. Sprenger, „Vertrauen führt“. Die Kernfrage lautet: „Lohnt sich Vertrauen als Strategie für unsere Zusammenarbeit oder nicht?“
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12. Strategien für den Umgang mit strukturellen Konfliktpotenzialen 9 Vier Managementkonzepte zur Vermeidung unproduktiver struktureller Konflikte: Wertemanagement im Unternehmen gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und anderen Partnern – als Basis für Vertrauen. Kundenorientierung als gemeinsamer Nenner und zur Ausrichtung des internen Handelns bei strukturellen Aufgabenstellungen. Technologische Veränderungen am Markt sorgfältig wahrnehmen und darauf rechtzeitig reagieren – besser agieren. Das Unternehmen als lernende Organisation, die strukturelle Konfliktpotenziale als Chance zur Weiterentwicklung nutzt. 9 Sechs Strategien zur integrierten Konfliktbehandlung zwischen Arbeitsgruppen in den täglichen Arbeitsprozessen: Methoden zur Konfliktbehandlung gemeinsam entwickeln und anwenden. Kriterien für Kompromisse definieren und gemeinsam anwenden. Konflikteskalation als Chance für das Coaching der Beteiligten nutzen. Vorgaben für das Weiterleiten von Konflikten an Vorgesetzte definieren. Prozesse einrichten, damit Vorgesetzte Konflikte direkt mit ihren Kontrahenten klären. Transparenz für alle Beteiligten beim Konfliktlösungsprozess herstellen. 9 3 + 1 Strategische Erfolgsrezepte für Moderationen struktureller Konflikte mit den beteiligten Personengruppen: 1 = Neutralität und positive Verhandlungsstimmung. 2 = Deeskalation: weg von Positionen – hin zu Interessen. 3 = Praktische Kooperation in gemischten Kleingruppen einfordern (in den Kleingruppen jeweils Teilnehmer aus den verschiedenen Parteien). + 1 = Die Vorgesetzten der rivalisierenden Parteien müssen die Konfliktlösung wirklich wollen und in der Moderation zur Konfliktlösung eingebunden sein.
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Anhang: Checklisten
13. Grundregeln für eine faire Streitkultur in Unternehmen Die Grundregeln bilden die Rahmenbedingungen für eine faire Streitkultur. 9 Goldene Regel als Basis So wie Sie wollen, dass Menschen mit Ihnen umgehen, so tun Sie es auch im Umgang mit Ihren Kollegen und Vorgesetzten (Umkehrung von: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu“). 9 Alle Streitparteien haben Rechte Es geht beispielsweise um das Recht, einen Streit anzufangen oder ihn auf später zu verschieben. Es geht auch um das Recht, Streitregeln vorzuschlagen, zu vereinbaren und deren Einhaltung einzufordern. 9 Jeder Streit hat einen Anfang und ein Ende Am Anfang wird festgelegt, um was es konkret geht und wie man beim Streiten miteinander umgehen will. Damit ein Streit nicht zu einer Endlosschleife wird, muss ein klares Ende herbeigeführt werden. 9 Direkt unter vier Augen streiten (ohne Publikum) Konstruktives Streiten braucht eine ungestörte Atmosphäre, Zeit und vor allem kein Publikum. In Analogie zu Kritikgesprächen sollten Streitgespräche ausschließlich zwischen den beteiligten Parteien in einem geschützten Raum erfolgen. 9 Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort Wichtig ist der richtige Zeitpunkt für eine Aussprache. Das gilt für alle beteiligten Parteien. Wenn der Kollege gerade im Stress steht oder einen wichtigen Termin vor sich hat, sollten Sie einen geeigneteren Zeitpunkt auswählen. Genauso wichtig ist der geeignete Ort für eine Aussprache. Wenn es mit einem Kollegen immer Streit am Arbeitsplatz gibt, dann können Sie sich an einem anderen neutralen Ort treffen (in der Kantine, bei einem Spaziergang, in einem Café).
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9 Zuhören hat erste Priorität Zuhören hat bei verbalen Auseinandersetzungen eine höhere Priorität als das Reden. Das aktive Zuhören, das Nachfragen einschließt, ermöglicht die Aussagen des Gegenübers vollständig anzuhören und zu verstehen. Vergewissern Sie sich, ob Sie Ihr Gegenüber auch wirklich richtig verstanden haben. 9 Nicht in jeder Stimmung (weiter)streiten Kommen während des Streitens negative Emotionen auf, wird der Raum für konstruktives und faires Streiten eng. Das Denken der Streitparteien kann auf ein Schwarz-Weiß-Denken absinken. Eine Pause und das Verlassen des Streitorts kann destruktive Schleifen unterbrechen. Vereinbaren Sie vor dem Auseinandergehen Zeitpunkt und Ort zur konstruktiven Fortsetzung der Auseinandersetzung. 9 Ein konstruktiver Streit ist kein Wettkampf mit Verlierern Alle Streitparteien haben die Chance, auf gleicher Augenhöhe ihre Argumente auszutauschen. Jede Partei hat dabei ihre Form der Wertschätzung gegenüber der anderen. Bei einem konstruktiven Streit siegt nicht eine Partei über die andere. Der Streit endet mit einem gemeinsamen Ergebnis der „Verhandlungspartner“. Das Ergebnis kann eine gemeinsame Einigung über das Streitthema sein oder die gemeinsame Erkenntnis, dass es keine gemeinsame Einigung geben wird. Auch im letzteren Fall steht am Ende des Streits eine Vereinbarung, wie die Parteien nach diesem Streit – auf gleicher Augenhöhe – miteinander umgehen werden. 9 Auch mal kleinliche Äußerungen souverän überhören Nicht zuletzt gehört zur Kunst des konstruktiven Streitens das Überhören von „Ausrutschern“ des Gegenübers. Auch Äußerungen, auf die es in einer Situation keine passende Antwort gibt, dürfen mal überhört werden. Wenn Sie im richtigen Augenblick schweigen, können Sie oft besser streiten, weil Sie nur dort streiten, wo es sich lohnt. 9 Nicht über Schuldfragen streiten, sondern über Lösungen Beim Streiten über die Schuldfrage geht es um die Vergangenheit und um Positionen. Gegenstand des Streitens sollten die verschiedenen Interessen und Ansätze von Lösungen für die Zukunft sein.
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14. Einzelne Regeln für ein konstruktives Streitgespräch Auf Basis der Grundregeln für eine faire Streitkultur können die Beteiligten Regeln für den persönlichen Umgang in einem konkreten Streitgespräch vereinbaren. 9 Wahrnehmungen konkret beschreiben statt interpretieren Wahrgenommene Verhaltensweisen konkret beschreiben und direkt zur Sache kommen. Interpretationen und Wahrnehmungen sind genau zu trennen. Beschreiben Sie die Auswirkungen Ihrer Wahrnehmung (auf die Gruppe, die Abteilung und das Unternehmen). 9 Fragen stellen Fragen helfen Unklares zu klären und konstruktive Einwände zu bearbeiten. Auch bei persönlichen Angriffen Ihres Gegenübers kann eine Frage Ihrerseits helfen. Fragen Sie auch, was Ihr Gegenüber sich wünscht und was ihm wichtig ist. 9 Gefühle konkret formulieren Auch das Äußern der eigenen (negativen) Gefühle gehört zu einem konstruktiven Streitgespräch. Formulieren Sie Gefühle persönlich und konkret. Beispiel: „Ich fühle mich in dieser Situation übergangen.“ 9 Verallgemeinerungen vermeiden Aussagen mit „immer“ oder „nie“ reizen zum Widerspruch und erzeugen fast automatisch Gegenbeispiele. 9 Ich-Aussagen anstatt Sie/Du-Aussagen Ich-Aussagen vermeiden Schuldzuweisungen und können mit Wünschen verbunden werden. Statt: „Sie kontrollieren ständig meine Arbeiten“ – besser: „Ich wünsche mir mehr Eigenständigkeit bei der Erledigung.“ 9 Keine Abwertung und Vorwürfe Es gibt eine Vielzahl von Psycho-Tretminen, die provozieren und eine Situation verspannen. Sie verhindern einen konstruktiven Streit und senken das Gesprächsniveau. Ironische oder zynische Bemerkungen gehören nicht in ein konstruktives Streitgespräch.
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9 Einen Stopp setzen – als Notbremse Wenn Sie spüren, dass negative Emotionen in Ihnen zu brodeln beginnen, setzen Sie ein Stopp-Signal. Gewinnen Sie als Erstes Abstand zur aktuellen Situation. 9 Auf der Meta-Ebene kommunizieren Nutzen Sie auch die Meta-Kommunikation und sprechen Sie über die Art und Weise, wie Sie im Streitgespräch miteinander kommunizieren. Das kann besonders nach einem Stopp sehr hilfreich sein, um den bisherigen Gesprächsverlauf zu reflektieren. 9 Positive Gedanken nennen Suchen Sie nach positiven Aspekten in der aktuellen Situation oder was sich daraus noch ergeben könnte. Benennen Sie diese positiven Gedanken. Beispiel: „Ich schätze sehr, dass wir es geschafft haben, das Thema gemeinsam anzusprechen.“ 9 Gemeinsamkeiten entdecken Gibt es zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber Gemeinsamkeiten, in der Persönlichkeit oder zu anderen Themen. Welche Gemeinsamkeiten verbinden Sie mit Ihrem Gegenüber im aktuellen Streitthema. Was könnten Sie durch eine Klärung des Streits gemeinsam erreichen? (Wieder-)Entdeckte Gemeinsamkeiten helfen, Verbindungen aufzubauen. 9 Denken Sie gemeinsam nach vorne Welche Lösungsansätze könnten Sie sich im Streitthema für die Zukunft vorstellen? Welche Lösungen könnten über Ihre Bedürfnisse und über die Bedürfnisse Ihres Gegenüber noch hinausgehen? Wie sollten Sie und Ihr Gegenüber zukünftig bei Streitthemen oder generell miteinander umgehen? 9 Beenden Sie mit einer klaren Vereinbarung Wer wird was und bis wann zur Umsetzung der Gesprächsergebnisse tun? Woran werden Sie gemeinsam den Erfolg der Umsetzung erkennen?
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15. Sechs Schritte zur Systemischen Organisationsaufstellung (SysOA) Bei dieser SysOA werden Raumanker anstelle von Stellvertretern genutzt. 9 (1) Einstieg: Vorklärung der Situation und Vorbereitung der SysOA Der Klient erläutert dem Coach kurz die zu klärende Situation und sein Anliegen. Wenn der Klient bereit ist, sich auf diese Methode einzulassen, werden die Raumanker für die SysOA vorbereitet. 9 (2) Ausgangssituation aufstellen (erster Durchgang der SysOA) Der Klient stellt das System der Ausgangssituation auf. Hierbei achtet er genau auf die Stellung der Mitglieder des Systems und deren Blickrichtungen. Zur repräsentativen Wahrnehmung des Systems nimmt der Klient die Stellung der einzelnen Mitglieder des Systems ein und versucht sich mit allen Sinnen in die jeweilige Person (oder den Gegenstand) hineinzuversetzen. Danach bringt er seine Befindlichkeit in diesen Positionen zum Ausdruck. Nach jeder eingenommenen Position folgt für Klienten ein „Break“. Abschließend betrachtet der Klient die ganze Ausgangssituation von außen (Meta-Raumanker). 9 (3) Intervention und Vorgaben für den zweiten Durchgang Der Coach macht Vorschläge zur Intervention für die Ausgangssituation und stimmt diese mit dem Klienten ab. Beispiele für typische Interventionen sind: Klärung von Ursachen hinter vordergründigen Anlässen Durchführung einer Zielformulierung Versetzung der Zeitlinie in die Zukunft Hieraus formuliert der Coach die Vorgaben für den zweiten Durchgang. 9 (4) Zweiter Durchgang der SysOA mit Vorgaben Entsprechend der Vorgaben variiert der Klient seine Aufstellung. Dann nimmt der Klient die Positionen dieser Aufstellung ein. Abschließend geht der Klient wieder auf den Meta-Bodenanker und überprüft, ob das System jetzt stimmig ist. Falls das System noch nicht
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schlüssig ist, werden die Schritte (3) und (4) wiederholt, bis das System für den Klienten schlüssig ist. 9 (5) Abschlussbesprechung mit Transfer zur praktischen Umsetzung In der Abschlussbesprechung werden die Ergebnisse der zweiten SysOA durch den Klienten zusammengefasst und mit der Ausgangssituation der ersten SysOA verglichen. Gemeinsam mit dem Coach werden darauf aufbauend die nächsten konkreten Schritte des Klienten zur praktischen Umsetzung besprochen, abgestimmt und vereinbart. 9 (6) Schriftliche Dokumentation als Leitfaden zur Umsetzung Die Inhalte der Abschlussbesprechung – die Ergebnisse und die vereinbarten nächsten Schritte – dokumentiert der Coach schriftlich. Diese Dokumentation erhält der Klient als Leitfaden für seine Umsetzung. In der Praxis gibt es nach einer solchen SysOA ein oder zwei Folgetermin(e) zur gemeinsamen Überprüfung der umgesetzten Maßnahmen und deren Erfolg. An diesen Terminen wird der bisher eingeschlagene Weg bestätigt oder auch modifiziert und es werden wiederum die nächsten konkreten Schritte vereinbart.
16. Acht typische Fehler bei initiierten Veränderungsprozessen 9 Zu wenig Dringlichkeit vermitteln Die Unternehmensführung signalisiert den Mitarbeitern zu Beginn eines Unternehmenswandels nicht die notwendige Dringlichkeit des Vorhabens. Zu lange und zu selbstherrlich wird am Status quo festgehalten. 9 Zu wenig Koalition in der Unternehmensführung Gerade bei strukturellem Wandel kann ein massives Trägheitspotenzial nicht ohne die erforderliche Autorität durch die Unternehmensführung überwunden werden.
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9 Der Vision zu wenig Gestalt und Kraft verleihen Eine klare, verständliche und überzeugende Vision hilft Ihnen, Handlungen unter der Berücksichtigung vieler Beteiligter zu planen, abzugleichen und anzuregen. 9 Die Vision unzureichend kommunizieren Mitarbeiter werden nur dann bereit sein, Verzicht zu üben und Engagement zu zeigen, wenn ihnen der Wandel nützlich und realisierbar erscheint. Voraussetzung hierfür ist, den Mitarbeitern die Vision plausibel im Dialog zu kommunizieren. 9 Barrieren nicht beseitigen Wenn veränderungsbereite Mitarbeiter auf Blockaden stoßen und bei deren Überwindung keine hinreichende Unterstützung erhalten, scheitern Veränderungsprozesse an entmutigten Mitstreitern. Auch organisatorische Blockaden können eine flexible Anpassung an die neue Ausrichtung verhindern. 9 Kurzfristige Erfolge und Siege nicht würdigen Oftmals bleibt die Planung und Würdigung kurzfristig realisierbarer Erfolge auf der Strecke. Es werden zwar Zwischenziele festgelegt, aber ob diese tatsächlich erreicht werden, bleibt für die meisten Mitarbeiter fraglich. 9 Den Veränderungsprozess zu früh offiziell beenden Der Veränderungsprozess wird oft offiziell verfrüht für beendet erklärt. Dadurch wird verhindert, dass die veränderten Handlungs- und Denkweisen dauerhaft in der Unternehmenskultur verankert werden. 9 Veränderungen nicht in der Kultur verankern Werden die Veränderungen nicht in der Unternehmenskultur wirklich verankert, erreicht das Unternehmen nicht den neuen stabilen Zustand. Durch die Macht der bisherigen Gewohnheiten können die alten Verhaltensweisen wieder belebt werden. (In Anlehnung an John P. Kotter, Leading Change)
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17. Zehn Aufgabenpakete für ein erfolgreiches Change Management 9 Aufgabenpaket 1: Initiierung des Wandels Das Change Management fokussiert einen ergebnisorientierten Wandel und orientiert sich nach außen, also am Wandel im Markt. Aus dieser Außenorientierung kommen die Anstöße zur Initiierung von Veränderungsprozessen in Unternehmen. 9 Aufgabenpaket 2: Überzeugung von der Notwendigkeit Diese Grundvoraussetzung für erfolgreiche Veränderungsprozesse muss im ersten Schritt in der Unternehmensführung (Geschäftsleitung oder Vorstand) geschaffen werden. In dieser Vorphase eines Change Projekts muss bei allen Führungskräften und Mitarbeitern, die von einer Veränderung betroffenen sind, das Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen geweckt werden. 9 Aufgabenpaket 3: Grobplanung im Kernteam Das Kernteam sollte sich aus Vertretern verschiedener Hierarchiestufen aus den direkt und indirekt betroffenen Bereichen zusammensetzen. Die erste Aufgabe des Projektleiters dieses Kernteams ist, dafür zu sorgen, dass es im Projektteam zur Teamarbeit kommt. Aufbauend auf einem gemeinsamen Verständnis über die Zielrichtungen erfolgt eine Grobplanung für den Prozess des Change Managements. 9 Aufgabenpaket 4: Vision und Strategie Mit diesem Aufgabenpaket beginnt die inhaltliche Gestaltung des Change Managements. Die wichtigen Fragen zu Beginn einer Veränderung sind: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dort hin? Diese inhaltlichen Grundlagen für ein erfolgreiches Change Management werden in Workshops und in Form von Szenarioanalysen erarbeitet. Darauf aufbauend werden die nächsten Schritte vereinbart, wie die Erarbeitung der erforderlichen Konzeptionen für die einzelnen inhaltlichen Ebenen (z. B. Strukturen und Prozesse).
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9 Aufgabenpaket 5: Kommunikation und Netzwerkaufbau Dieses Aufgabenpaket enthält die zielgruppenorientierte Kommunikation zu den Beteiligten im Unternehmen. Die zuständige Unternehmensführung und die gesamte Führungsmannschaft aus den betroffenen Bereichen haben die Aufgabe, diese Botschaften offen und authentisch zu kommunizieren. Ein zentrales Element hierzu ist die Kommunikation über Dialog, einschließlich Feedbacks und Diskussionen. 9 Aufgabenpaket 6: Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld Hindernisse werden deutlicher und massiver, wenn die ersten konkret durchzuführenden Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld der einzelnen Führungskräfte und Mitarbeiter erfolgen sollen. Hier geht es um einen produktiven und praktischen Umgang mit Begeisterung und Skepsis. Nutzen Sie die Hinweise der Mitarbeiter auch, um zu prüfen, an welchen Stellen im Detail noch Nachbesserungen für den Veränderungsprozess erforderlich sind. 9 Aufgabenpaket 7: Kurzfristige Erfolge Wichtig bei diesem ersten Schritt der praktischen Veränderung ist, dass kurzfristige Erfolge erzielt und sichergestellt werden. Der Zielerreichungsgrad sollte für alle Beteiligten erkennbar sein und über die eingerichteten Kommunikationskanäle verbreitet werden. Es gilt deutlich zu machen, dass die bisherige Mitwirkung am Veränderungsprozess oder die eingebrachten Opfer helfen, die erforderlichen Rahmenbedingungen für den Veränderungsprozess zu verstärken. 9 Aufgabenpaket 8: Fortsetzungen der Veränderungen auf breiter Basis Jetzt müssen Sie die Vorteile der Veränderung absichern und das Change Management erfolgreich fortsetzen. Bei den Beteiligten muss jetzt auf breiter Basis für Handlungsfähigkeit gesorgt werden, indem sie u. a. auch zeitliche Ressourcen zur aktiven Umsetzungsarbeit erhalten und von Teilen ihres Tagesgeschäfts entlastet werden. Da in der Umsetzungsphase auf breiter Ebene meistens mehrere Teilprojekte teils parallel oder kurzfristig nacheinander in Angriff genommen werden, ist von den Mitgliedern des Kernteams ein straffes Multiprojektmanagement gefordert.
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9 Aufgabenpaket 9: Festigung der neuen Kultur Für ein erfolgreiches Change Management müssen sich die Werte und Einstellungen aller Beteiligten dauerhaft verändern. Neben den fachlich orientierten Umsetzungsaktivitäten benötigen Menschen persönliche Anleitung, Hilfestellungen und Coaching. Es geht um die Integration der erforderlichen Kulturelemente für die strategisch neu ausgerichteten Bereiche auf allen Ebenen. 9 Aufgabenpaket 10: Festigung einer lernenden Organisation Ein erfolgreich durchgeführtes Change Management bewirkt, dass die neue stabile Lage über mehrere Jahre beibehalten wird. Insofern wird es in einem neu ausgerichteten Bereich parallel zur Durchführung des Tagesgeschäfts darum gehen, an welchen Stellen dieser Bereich zukünftig weiter optimiert werden kann. Die Beteiligten erarbeiten Verfahren und Regeln, wie sie parallel zu ihrem Tagesgeschäft erkannte Optimierungsansätze kommunizieren und gemeinsam umsetzen.
18. Reflexion der Ausgangssituation vor dem Veränderungsprozess Dieses Instrument dient zur Qualitätssicherung eines geplanten strukturellen Veränderungsprozesses und zur Prüfung der Erfolgwahrscheinlichkeit im Vorfeld (in Anlehnung an Peter Kruses „Check-up zur Erfolgssicherung“ in Next Practice). 9 Reicht für die anstehenden Veränderungen die Optimierung bestehender Funktionalitäten aus (Best Practice) oder ist tatsächlich ein kreativer Sprung im Sinne eines Prozessmusterwechsels erforderlich (Next Practice) – also ein struktureller Veränderungsprozess? 9 Haben Sie eine Vision, die hinreichend faszinierend und glaubwürdig ist, um die für einen strukturellen Veränderungsprozess notwendige Phase der Instabilität gemeinsam zu bestehen? 9 Können Sie ohne weitere Vorbereitung einem Mitarbeiter persönlich überzeugend erklären, warum sich das Unternehmen (die Abteilung) gerade zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich verändern soll?
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9 Was können Sie tun, um sicherzustellen, dass Ihre Führungsmannschaft geschlossen hinter dem geplanten strukturellen Veränderungsprozess steht und bereit ist, größere Risiken dafür einzugehen? 9 Welche Konsequenzen sind vorgesehen, wenn Führungskräfte durch ihr Verhalten im Verlauf des Veränderungsprozesses zeigen, dass sie die gemeinsam abgestimmte Vision nicht teilen? 9 Ist allen Beteiligten klar, dass die Veränderung nicht sofort Erfolge hervorbringen wird, sondern erst einmal ein Einbruch in der Leistungsfähigkeit des Unternehmens (der Abteilung) zu erwarten ist? 9 Ist im Unternehmen eine hinreichende Fehlertoleranz vorhanden, um neue Ideen auszutesten und nicht gleich beim ersten Misserfolg enttäuscht zu den alten und „bewährten“ Mustern zurückzukehren? 9 Wissen Sie, wer in Ihrem Unternehmen am meisten am Erhalt des Bestehenden interessiert ist und wie Sie diese „Bewahrer“ destabilisieren, um die Veränderungsbereitschaft zu erhöhen? 9 Ist garantiert, dass getroffene Entscheidungen über Veränderungen nicht nachträglich informell unterlaufen werden können und die Umsetzung der Entscheidungen konsequent verfolgt wird? 9 Sind die Regeln Ihrer neuen Unternehmenskultur hinreichend transparent, um gegebenenfalls über gezielte Regelbrüche der alten Unternehmenskultur zu intervenieren oder unterstützend weitere neue Regeln vereinbaren zu können? 9 Wie weit ist die Netzwerkbildung im Unternehmen bereits entwickelt und mit welchen organisatorischen und personellen Maßnahmen können Sie die Vernetzungsdichte noch weiter erhöhen? 9 Haben Sie ein hinreichendes Potenzial von Befürwortern und Change Agents, die geeignet sind sich auf Zukunftsszenarien einzulassen, und die mit Kreativität dem Neuen Gestalt geben können? 9 Woran werden Sie merken, dass Sie den von Ihnen angestrebten Wunschzustand erreicht haben, und welche Rahmenbedingungen haben Sie für den Weg dorthin aufgestellt? 9 Haben Sie Methoden installiert und in der Praxis erprobt, die es Ihnen erlauben, den strukturellen Veränderungsprozess bezogen auf so genannte „Harte Faktoren“ (z. B. Projektcontrolling) und so genannte „Weiche Faktoren“ (z. B. Teamentwicklung) sichtbar zu machen?
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9 Mit Hilfe welcher Kommunikationsstrategie und Informationskanäle können Sie während des Veränderungsprozesses die schnelle und authentische Information aller beteiligten Mitarbeiter und Führungskräfte sicherstellen? 9 Sind sich die Führungskräfte im Unternehmen ihrer kommunikativen Verantwortung bewusst und hinsichtlich ihrer persönlichen sprachlichen und authentischen Kompetenz hinreichend vorbereitet? 9 Berücksichtigt die strategische Planung des strukturellen Veränderungsprozesses eine angemessene Balance zwischen Stabilität und Instabilität, um Panik und Burn-out zu vermeiden? Und schließlich: Ist gewährleistet, dass im Unternehmen während des ganzen Veränderungsprozesses ein lebendiger Dialog und Diskurs über die angestrebten Werte der neuen Unternehmenskultur stattfindet?
19. Sieben Tipps zur Durchführung von Strategieworkshops Die Tipps dienen der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von moderierten Strategieworkshops. 9 Tipp 1: Inhalte kommen von der Führungsmannschaft / Moderation von Externen Die Inhalte sind von der Führungsmannschaft des Unternehmens zu erarbeiten, da sie im Anschluss für die Umsetzung der abgestimmten Ergebnisse sorgen muss. Eine externe Unterstützung ist für die methodische Vorbereitung und Durchführung der Moderation zu empfehlen. 9 Tipp 2: Alle Teilnehmer erscheinen vorbereitet zum Strategieworkshop Die vorzubereitenden Inhalte (strategische Ausrichtung, Eckpunkte der SWOT-Analysen) sind allen Teilnehmern rechtzeitig vor dem Workshop zur Verfügung zu stellen, mit der Aufforderung, sich auf diesen Workshop vorzubereiten.
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9 Tipp 3: Abgestimmte Agenda im Vorwege Idealerweise ist auch der Ablauf des Strategieworkshops (Themen und Prioritäten) mit den Teilnehmern im Vorfeld abgestimmt, zumindest allen bekannt. 9 Tipp 4: Aufteilung auf zwei Terminblöcke Als vorteilhaft hat sich die Aufteilung des Strategieworkshops auf zwei Terminblöcke erwiesen. Dadurch haben die Teilnehmer die Möglichkeit, zum zweiten Termin weitere Informationen zu besorgen oder einzelne Themen – als Ergebnis aus dem ersten Termin – detaillierter auszuarbeiten. 9 Tipp 5: Konkrete Maßnahmen zum Abschluss Den Strategieworkshop sollten Sie stets mit konkreten Handlungsschritten in Form eines gemeinsam vereinbarten Maßnahmenplans abschließen, um den Fortschritt der geplanten Initiativen zu steuern und zu kontrollieren. 9 Tipp 6: Nachbereitung der Ergebnisse Bereiten Sie die erarbeiteten Workshopergebnisse so auf, dass allen Teilnehmern im Nachgang klar ist, was von ihnen zur Umsetzung zu tun ist. 9 Tipp 7: Regelmäßige Folgetreffen Führen Sie in regelmäßigen Abständen Folgetreffen durch, zur gemeinsamen Rückschau auf das Erreichte und zur Weiterentwicklung von Strategien, Zielen und Maßnahmen. Damit die Wirkung eines ersten Strategieworkshops nicht verpufft, müssen Sie das Thema Strategie in den Alltag der gesamten Führungsmannschaft integrieren.
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:
Überblick zum Umgang mit Konflikten_______________ Eskalationsformen von strukturellen Konflikten im Überblick____________________________________ Vorstufen und Phasen der Unternehmenskrisen _________ Ausprägungen und Kernelemente des Niedergangs von Unternehmen ________________________________ Konflikte zwischen Produktentwicklung und Marketing – Perspektivwechsel _____________________ Verhärtete Fronten in einem IT-Projekt – Drei Gruppierungen ______________________________ Machtfrage in der Führungsmannschaft – Unterschiedliche Denkstile ________________________ Zwei Möglichkeiten einer Konflikteinstellung _________ Rollenverteilung in einer Gruppe in Anlehnung an das TZI-Modell _______________________________ Vier Gedankenfelder als Methode zur Konfliktlösung ___ Konfliktpotenziale vor Projektbeginn – Ausgangssituation _______________________________ Konfliktpotenziale vor Projektbeginn – Zweite Aufstellung ______________________________ Konflikte nach einer Fusion – Ausgangssituation _______ Konflikte nach einer Fusion – Zweite Aufstellung ______ Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess – Ausgangssituation _______________________________ Konflikte beim Einstieg in einen Veränderungsprozess – Zweite Aufstellung ______________________________ SysOA–Entwicklungsschritte als Leitfaden zur Anwendung _________________________________ Prozessmusterwechsel für strukturelle Veränderungen ___ Zehn Aufgabenpakete für erfolgreiche Veränderungsprozesse ____________________________
23 94 109 120 148 152 158 169 210 224 238 241 245 248 254 256 272 277 285
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24:
Praxisbeispiel: Ablauf eines zweitägigen Strategieworkshops _______________________________ Komponenten der Strategieentwicklung _______________ SWOT-Matrix mit vier Strategiearten _________________ Methodische Schritte für Strategieworkshops __________ Erfolgsfaktoren für den Umgang mit strukturellen Konflikten im Alltagsgeschäft ______________________
289 300 303 305 340
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Stichwortverzeichnis A Abstand 216 ADL-Insolvenz 101 Alternativen & Auswahl 227 Aufstellungsarbeit 267 Ausrichtung – pluralistische 71
Erfolg – kurzfristiger 293 Erfolgsfaktor 333 Erfolgskrise 111 Erfolgsrezept – zur Konfliktlösung 205 Erwartungsmanagement 184 Eskalationsstufe 110
B Blick – distanzierter 217 Brainstorming 153, 220 Burn-out-Syndrom 121
C Change Agents 317 Change-Theater-Dramaturgie 330
F Familienunternehmen 58 Führungsfähigkeit – fundamentale 337 Führungsverhalten 199 Funktionsoptimierung 276 Fusionen 59
G D Denkblockade 161 Denkgewohnheiten – Überlisten von 29 Denkstil 13, 56, 157 Dialog – kontrollierter 222 Doppelbelichtung 247 Doppelspitze 13, 54, 73 Dynamic-Facilitation 298
E Energie – organisationale 319 Entweder-oder-Politik 57
Gedankenexperimente 226 Gedankenfelder 224 Großgruppenveranstaltungen 307 Grounding der Swissair 97
H Harmoniekultur 52 Hohe Schule des Streitens 183
I Improvisationstheater 182 Initiierung des Wandels 286 Interessen 51 Intervention – systemische 325
394
Stichwortverzeichnis
J
L
Jojo-Effekt 49, 82
Liquiditätskrise 111 List als Jiu-Jitsu 347 Lösungsstrategie 165
K kalter Konflikt 103, 112 Kernteam 287 Kommunikation 314 – dialogische 292 – emotionale 279 – gewaltfreie 194 – wirksame 194 Kommunikationskonzept – zielgruppenorientiertes 314 Kommunikationsstruktur 287 Konfliktbehandlung 64 – Strategien zur 201 Konflikte – innere 45 – zwischenmenschliche 46 Konflikteinstellung – konstruktive 169 Konflikteskalation 21 Konfliktkosten 17 Konfliktprävention 183, 212 Kreativität 24 Kreativitätstechnik 24 Kreditangebot 159, 219 Krise – strategische 111 Krisenbewusstsein 125 Krisenkommunikation 135 Krisenlogik 119 Krisenmanagement 133 Krisenprävention 126 Kultur 171 Kündigung – innere 107
M Macht 51 Machteingriff 89 Machtquelle 68 Managementkonzept 199 – nachhaltiges 336 Management von Unsicherheit 321 Managing Diversity 333, 341 Mobbing 117
N Noch-nicht-Konflikte 44
O Opel-Krise 95 Open Space-Methode 309 Organisation – lernende 295, 337 Organisationsstruktur – konfliktträchtige 12
P Paradigmenwechsel 168 Perspektivwechsel 148 Plus-Minus-Interesse 222 Positionsstrategie 165 Premature-Aging-Syndrom 122 Projektcontrolling 313 Projektorganisation 312 Prozessmusterwechsel 277
R Ratssitzung – indianische 353
Stichwortverzeichnis
Risikomanagement – strategisches 126 Risikomanagement-System 128 Rivalisieren – faires 185 Rolle – geheime 225 Rollentausch 155, 216 RTSC-Konferenz 307
S Schiedsverfahren 88 Schlichtungsverfahren 88 Sinn von Konflikten 166 Sowohl-als-auch-Kombination 75 Spielregeln 212 Sprachlosigkeit 104 Strategem 347 Strategieentwicklung 305 Strategieworkshop 288 – moderierter 306 Streit-Keulen 179 Streitkultur 131 – konstruktive 176, 181 – philosophische 187 Struktur – verborgene 62, 76 SWOT-Analyse 301 System Unternehmen 265 Systemarchetyp 61 Systeme – konkurrierende 49 – lebendige 263 Systemmitglieder 265
395
Teamentwicklung 40, 79 Turnaround-Management 135
U Umdeuten 214 Unternehmen als politisches System 72 Unternehmensentwicklung – strategische 300 Unternehmenskultur 277, 317 Unternehmenstheater 326
V Veränderungsbereitschaft 285 Veränderungsprozess – erfolgreicher 285 – struktureller 276 Veränderungsprozesse – Fehler 281 Vertrauen 138 Vertrauensbildung 159 Vertrauenskultur 172 Vertrauensmechanismus 175 Vision 288
W Wahrnehmungsklärung 215 Wandel – struktureller 275 Werkstätten zur Ideenfindung 297 Wertemanagement 171, 336 Widerstände 321 Wünsche 159, 219
T
Z
Teamarbeit 39
Zukunftswerkstatt 297
396
Der Autor
Der Autor Ralf-Gerd Zülsdorf wurde 1953 in Hamburg geboren. Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert, ist Organisationsfachmann und Moderator. Als Führungskraft eines internationalen Unternehmens nutzte er strukturelle Konfliktpotenziale, um in seinem Verantwortungsbereich innovative Veränderungsprozesse zu initiieren. Als Unternehmensberater löst er bei mittelständischen und großen Unternehmen strukturelle Konflikte gemeinsam mit den Beteiligten. Minimax in Bad Oldesloe und Vattenfall in Berlin sind zwei Beispiele für Unternehmen, für die er die Lösung von strukturellen Konflikten erfolgreich moderiert hat. Er ist Autor des Buches „Konflikte & Kreativität“ und hat Fachaufsätze zu den Themengebieten Veränderungsmanagement, Moderation und Streitkultur in Unternehmen veröffentlicht.