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German Pages 1159 Year 1998
Semiotik Semiotics HSK 13.2
≥
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Handbooks of Linguistics and Communication Science Manuels de linguistique et des sciences de communication Mitbegründet von Gerold Ungeheuer
Herausgegeben von / Edited by / Edite´s par Hugo Steger Herbert Ernst Wiegand Band 13.2
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998
Semiotik Semiotics Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur A Handbook on the Sign-Theoretic Foundations of Nature and Culture Herausgegeben von / Edited by Roland Posner, Klaus Robering, Thomas A. Sebeok 2. Teilband / Volume 2
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die 앪
US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Semiotik : ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur ⫽ Semiotics : a handbook on the sign-theoretic foundations of nature and culture / herausgegeben von Roland Posner, Klaus Robering, Thomas A. Sebeok (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 13 ⫽ Handbooks of linguistics and communication science) English and German. Includes bibliographical references and indexes. ISBN 3-11-009584-X (v. 1 : alk. paper) 1. Semiotics. I. Posner, Roland. II. Robering, Klaus. III. Sebeok, Thomas Albert, 1920⫺ . IV. Series: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 13. P99.S3943 1997 302.2⫺dc21 96-49024 CIP
Die Deutsche Bibliothek ⫺ CIP-Einheitsaufnahme Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft / mitbegr. von Gerold Ungeheuer. Hrsg. von Hugo Steger ; Herbert Ernst Wiegand. ⫺ Berlin ; New York : de Gruyter. Früher hrsg. von Gerold Ungeheuer und Herbert Ernst Wiegand Teilw. mit Parallelt.: Handbooks of linguistics and communication science. ⫺ Teilw. mit Nebent.: HSK Bd. 13. Semiotik Teilbd. 2 (1998) Semiotik : ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur ⫽ Semiotics / hrsg. von Roland Posner … ⫺ Berlin ; New York : de Gruyter. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 13) Teilbd. 2 (1998) ISBN 3-11-015661-X
” Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Inhalt / Contents 2. Teilband / Volume 2 IX.
Geschichte der abendländischen Semiotik IV: Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert History of Western Semiotics IV: From the Renaissance to the Early 19th Century
62.
Stephan Meier-Oeser, Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in general philosophy from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Franke, Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in the philosophy of art and aesthetics from the Renaissance to the early 19th century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Lenzen, Zeichenkonzeptionen in der Logik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in logic from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trabant, Sign conceptions in the philosophy of language from the Renaissance to the early 19th century (Zeichenkonzeptionen in der Sprachphilosophie von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Knobloch, Zeichenkonzeptionen in der Mathematik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in mathematics from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Rauscher, Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in grammar, rhetoric, and poetics from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mario Baroni, Sign conceptions in music from the Renaissance to the early 19th century (Zeichenkonzeptionen in der Musik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Rykwert / Desmond Hui, Sign conceptions in architecture and the fine arts from the Renaissance to the early 19th century (Zeichenkonzeptionen in der Architektur und bildenden Kunst von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . .
63.
64.
65.
66.
67.
68.
69.
1199
1232
1263
1270
1280
1293
1326
1330
VI
70.
Inhalt / Contents
Roger French, Sign conceptions in medicine from the Renaissance to the early 19th century (Zeichenkonzeptionen in der Medizin von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1354
71.
Wolfgang Deppert, Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in natural history and natural philosophy from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1362
72.
Rainer Volp, Zeichenkonzeptionen in der Religion von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert (Sign conceptions in religion from the Renaissance to the early 19th century) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1376
73.
Hans Ulrich Gumbrecht, Sign conceptions in everyday life from the Renaissance to the early 19th century (Zeichenkonzeptionen im Alltagsleben von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1407
X.
Geschichte der abendländischen Semiotik V: Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart History of Western Semiotics V: From the 19th Century to the Present
74.
Adelhard Scheffczyk, Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in general philosophy from the 19th century to the present) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1428
75.
Christoph Hubig, Zeichenkonzeptionen in der Ästhetik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in aesthetics from the 19th century to the present) . . 1466
76.
Denis Vernant, Sign conceptions in logic from the 19th century to the present (Zeichenkonzeptionen in der Logik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1483
Karl-Friedrich Kiesow, Zeichenkonzeptionen in der Sprachphilosophie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in the philosophy of language from the 19th century to the present) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1512
Klaus Mainzer, Zeichenkonzeptionen in der Mathematik und Informatik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in mathematics and informatics from the 19th century to the present) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1553
77.
78.
79.
Andreas Dörner, Zeichenkonzeptionen in der Grammatik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in grammar from the 19th century to the present) . . . 1586
VII
Inhalt / Contents
80.
81.
82.
83.
84.
85.
86.
87.
88.
Christiane Pankow, Zeichenkonzeptionen in Rhetorik, Stilistik und Poetik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in rhetoric, stylistics, and poetics from the 19th century to the present) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eero Tarasti, Sign conceptions in music from the 19th century to the present (Zeichenkonzeptionen in der Musik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Desmond Hui / Joseph Rykwert, Sign conceptions in architecture and the fine arts from the 19th century to the present (Zeichenkonzeptionen in der Architektur und bildenden Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang U. Eckart, Zeichenkonzeptionen in der Medizin vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in medicine from the 19th century to the present) . . . Ulrich Majer, Zeichenkonzeptionen in der Physik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in physics from the 19th century to the present) . . . . Franz M. Wuketits, Zeichenkonzeptionen in der Biologie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in biology from the 19th century to the present) . . . . Leonhard Bauer, Zeichenkonzeptionen in der Ökonomie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in economy from the 19th century to the present) . . . Hermann Deuser, Zeichenkonzeptionen in der Religion vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in religion from the 19th century to the present) . . . . Winfried Nöth, Zeichenkonzeptionen im Alltagsleben vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Sign conceptions in everyday life from the 19th century to the present)
XI.
Geschichte der nichtabendländischen Semiotik History of Non-Western Semiotics
89.
Antonio Loprieno, Zeichenkonzeptionen im Alten Orient (Sign conceptions in the Ancient Middle East) . . . . . . . . . . . . . . . Fedwa Malti-Douglas, Sign conceptions in the Islamic World (Zeichenkonzeptionen in der islamischen Welt) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Fiebach, Zeichenkonzeptionen im nichtislamischen Afrika (Sign conceptions in Non-Islamic Africa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bimal Krishna Matilal / Jogesh Chandra Panda, Sign conceptions in India (Zeichenkonzeptionen in Indien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . You-Zheng Li, Sign conceptions in China (Zeichenkonzeptionen in China) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90. 91. 92.
93.
1601
1625
1656
1694
1713
1723
1732
1743
1761
.
1785
.
1799
. 1814
.
1826
.
1856
VIII
94.
Inhalt / Contents
Harald Haarmann, Sign conceptions in Korea (Zeichenkonzeptionen in Korea) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Yoshihiko Ikegami, Sign conceptions in Japan (Zeichenkonzeptionen in Japan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Huber, Zeichenkonzeptionen in Indonesien und den Philippinen (Sign conceptions in Indonesia and the Philippines) . . . . . . . . . . . . Harald Haarmann, Zeichenkonzeptionen in den Festlandkulturen Südostasiens (Sign conceptions in the mainland cultures of South East Asia) . . . . . Gunter Senft, Zeichenkonzeptionen in Ozeanien (Sign conceptions in Oceania) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas König, Zeichenkonzeptionen in Altamerika (Sign conceptions in the Ancient Americas) . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
1881
.
1898
.
1910
.
1928
.
1971
.
1977
XII.
Gegenwartsströmungen der Semiotik Current Trends in Semiotics
100. 101.
Helmut Pape, Peirce and his followers (Peirce und seine Nachfolger) . . . Svend Erik Larsen, Saussure und seine Nachfolger (Saussure and his followers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pirmin Stekeler-Weithofer, Frege und seine Nachfolger (Frege and his followers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sandra B. Rosenthal, Phenomenological Semiotics (Die phänomenologische Semiotik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Walter Schmitz, Die Signifik (Significs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Baldinger, Semasiologie und Onomasiologie (Semasiology and Onomasiology) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Hegselmann, Der Logische Empirismus (Logical Empiricism) Gerrit Haas, Der Konstruktivismus (Constructivism) . . . . . . . . . . . Ursula Niklas, Praxiology (Die Praxiologie) . . . . . . . . . . . . . . . . . Rom Harre´, Wittgenstein and Ordinary Language Philosophy (Wittgenstein und die Philosophie der normalen Sprache) . . . . . . . . . Thure von Uexküll, Jakob von Uexkülls Umweltlehre (Jakob von Uexküll and his “Umweltlehre”) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Paetzold, Cassirer und seine Nachfolger (Cassirer and his followers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert E. Innis, Bühler and his followers (Bühler und seine Nachfolger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Münch / Roland Posner, Morris, his predecessors and followers (Morris, seine Vorgänger und Nachfolger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer, Grübel, Der Russische Formalismus (Russian Formalism) . . . Thomas G. Winner, Prague Functionalism (Der Prager Funktionalismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2016
95. 96. 97.
98. 99.
102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115.
2040 2074 2096 2112 2118 2146 2162 2169 2173 2183 2191 2198 2204 2233 2248
IX
Inhalt / Contents
116. 117. 118. 119. 120. 121. 122.
Linda R. Waugh / Stephen Rudy, Jakobson and Structuralism (Jakobson und der Strukturalismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jørgen Dines Johansen, Hjelmslev and Glossematics (Hjelmslev und die Glossematik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Fleischer, Die Schule von Moskau und Tartu (The Moscow-Tartu School) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herman Parret, Greimas and his school (Greimas und seine Schule) Giampolo Proni, The position of Eco (Die Position Ecos) . . . . . . Søren Kjørup, The approach of Goodman (Der Ansatz Goodmans) Peter Rusterholz, Poststrukturalistische Semiotik (Post-structuralist semiotics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
..
2256
..
2272
. . . .
. 2289 . 2300 . 2311 . 2320
..
2329
1. Teilband / Volume 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI
I. 1. 2. 3. 4.
II.
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Systematik Systematics Roland Posner, Semiotics and its presentation in this Handbook (Die Semiotik und ihre Darstellung in diesem Handbuch) . . . . . Roland Posner / Klaus Robering, Syntactics (Syntaktik) . . . . . Klaus Robering, Semantik (Semantics) . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Posner, Pragmatics (Pragmatik) . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
1 14 83 219
... ...
247 288
... ... ...
294 300 306
... ...
316 325
...
330
Gegenstand I: Aspekte der Semiose ⫺ Kanäle, Medien und Kodes General Topics I: Aspects of Semiosis ⫺ Channels, Media, and Codes Martin Krampen, Models of semiosis (Modelle der Semiose) . . . Klaus Landwehr, Der optische Kanal (The optical channel) . . . . Gerhard Strube / Gerda Lazarus, Der akustische Kanal (The acoustic channel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Heuer, Der taktile Kanal (The tactile channel) . . . . . . . Jürgen Kröller, Chemical channels (Chemische Kanäle) . . . . . . . Peter Moller, The electric and magnetic channels (Der elektrische und der magnetische Kanal) . . . . . . . . . . . . . . Kurt Brück, Der thermische Kanal (The thermal channel) . . . . . Niels Galley, Die Organisation von Augenbewegungen: Fallstudie einer mehrkanaligen Semiose (The organization of eye movements: A case study of multichannel semiosis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X
13. 14. 15. 16. 17.
Inhalt / Contents
Riccardo Luccio, Body behavior as multichannel semiosis (Körperverhalten als mehrkanalige Semiose) . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Böhme-Dürr, Technische Medien der Semiose (Technical media in semiosis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Terry Threadgold, Social media of semiosis (Soziale Medien der Semiose) Gavin T. Watt / William C. Watt, Codes (Kodes) . . . . . . . . . . . . . . Rudi Keller / Helmut Lüdtke, Kodewandel (Code change) . . . . . . . .
III.
Gegenstand II: Arten der Semiose General Topics II: Types of Semiosis
18.
Thomas A. Sebeok, The evolution of semiosis (Die Evolution der Semiose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thure von Uexküll, Biosemiose (Biosemiosis) . . . . . . . . . . . . . . . . F. Eugene Yates, Microsemiosis (Mikrosemiose) . . . . . . . . . . . . . . . Thure von Uexküll / Werner Geigges / Jörg M. Herrmann, Endosemiose (Endosemiosis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gunda Kraepelin, Mykosemiose (Mycosemiosis) . . . . . . . . . . . . . . Martin Krampen, Phytosemiosis (Phytosemiose) . . . . . . . . . . . . . . Werner Schuler, Zoosemiose (Zoosemiosis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz M. Wuketits, Anthroposemiose (Anthroposemiosis) . . . . . . . . . Peter Bøgh Andersen / Per Hasle / Per Aage Brandt, Machine semiosis (Maschinensemiose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Tembrock, Ökosemiose (Environmental semiosis) . . . . . . . . .
19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.
IV.
Methoden der Semiotik Methods of Semiotics
28.
Wolfgang Balzer, Methodenprobleme der Semiotik (Methodological problems of semiotics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Grotjahn, Daten und Hypothesen in der Semiotik (Data and hypotheses in semiotics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Pelc, Theory formation in semiotics (Theorienbildung in der Semiotik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Pelc, Understanding, explanation, and action as problems of semiotics (Verstehen, Erklären und Handeln als Probleme der Semiotik) . . . .
345 357 384 404 414
436 447 457 464 488 507 522 532 548 571
..
592
..
604
..
617
..
644
V.
Geschichtsschreibung der Semiotik The Historiography of Semiotics
32.
Harald Haarmann, The development of sign conceptions in the evolution of human cultures (Die Entwicklung von Zeichenkonzeptionen in der Evolution menschlicher Kulturen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
668
29. 30. 31.
Inhalt / Contents
33.
34. 35.
XI
Aleida Assmann, Probleme der Erfassung von Zeichenkonzeptionen im Abendland (Problems in the explication of Western sign conceptions) . . . . . . . . .
710
Umberto Eco, History and historiography of semiotics (Geschichte und Geschichtsschreibung der Semiotik) . . . . . . . . . . . .
730
Marcelo Dascal / Klaus D. Dutz, The beginnings of scientific semiotics (Zur Datierung des Beginns einer wissenschaftlichen Semiotik) . . . . . .
746
VI.
Geschichte der abendländischen Semiotik I: Keltisches, Germanisches und Slavisches Altertum History of Western Semiotics I: Celtic, Germanic, and Slavic Antiquity
36.
Harald Haarmann, Zeichenkonzeptionen im keltischen Altertum (Sign conceptions in Celtic Antiquity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
763
Klaus Düwel, Zeichenkonzeptionen im germanischen Altertum (Sign conceptions in Germanic Antiquity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
803
Walter Koschmal, Zeichenkonzeptionen im slavischen Altertum (Sign conceptions in Slavic Antiquity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
822
37. 38.
VII.
Geschichte der abendländischen Semiotik II: Griechische und Römische Antike History of Western Semiotics II: Ancient Greece and Rome
39.
Ezio Pellizer, Sign conceptions in pre-classical Greece (Zeichenkonzeptionen der griechischen Vorklassik) . . . . . . . . . . . . .
831
Karlheinz Hülser, Zeichenkonzeptionen in der Philosophie der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in philosophy in Ancient Greece and Rome) . . . . . . .
837
Pirmin Stekeler-Weithofer, Zeichenkonzeptionen in der Mathematik der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in mathematics in Ancient Greece and Rome) . . . . .
862
Giovanni Manetti, Sign conceptions in grammar, rhetoric, and poetics in Ancient Greece and Rome (Zeichenkonzeptionen in der Grammatik, Rhetorik und Poetik der griechischen und römischen Antike) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
876
Albrecht Riethmüller, Zeichenkonzeptionen in der Musik der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in music in Ancient Greece and Rome) . . . . . . . . . .
893
Alexandros Ph. Lagopoulos, Sign conceptions in architecture and the fine arts in Ancient Greece and Rome (Zeichenkonzeptionen in der Architektur und bildenden Kunst der griechischen und römischen Antike) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
900
40.
41.
42.
43.
44.
XII
45.
46.
47.
48.
Inhalt / Contents
Volker Langhoff, Zeichenkonzeptionen in der Medizin der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in medicine in Ancient Greece and Rome) . . . . . . . . Giovanni Manetti, Sign conceptions in natural history and natural philosophy in Ancient Greece and Rome (Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre der griechischen und römischen Antike) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Graf, Zeichenkonzeptionen in der Religion der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in religion in Ancient Greece and Rome) . . . . . . . . . Wolfgang Schindler und Detlef Rößler, Zeichenkonzeptionen im Alltagsleben der griechischen und römischen Antike (Sign conceptions in everyday life in Ancient Greece and Rome) . . . . .
912
922
939
958
VIII. Geschichte der abendländischen Semiotik III: Das Mittelalter History of Western Semiotics III: The Middle Ages 49.
50. 51.
52. 53.
54.
55.
56.
57.
Stephan Meier-Oeser, Zeichenkonzeptionen in der Philosophie des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in philosophy in the Latin Middle Ages) . . . . . . . . . Franc¸oise Bare´, Sign conceptions in aesthetics in the Latin Middle Ages (Zeichenkonzeptionen in der Ästhetik des lateinischen Mittelalters) . . . George Molland, Sign conceptions in mathematics in the Latin Middle Ages (Zeichenkonzeptionen in der Mathematik des lateinischen Mittelalters) Stephen F. Brown, Sign conceptions in logic in the Latin Middle Ages (Zeichenkonzeptionen in der Logik des lateinischen Mittelalters) . . . . . Markus H. Wörner, Zeichenkonzeptionen in der Grammatik, Rhetorik und Poetik des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in grammar, rhetoric, and poetics in the Latin Middle Ages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franco Alberto Gallo, Sign conceptions in music in the Latin Middle Ages (Zeichenkonzeptionen der in Musik des lateinischen Mittelalters) . . . . . Hans Holländer, Zeichenkonzeptionen in der Architektur und bildenden Kunst des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in architecture and the fine arts in the Latin Middle Ages) Costantino Marmo, Sign conceptions in medicine in the Latin Middle Ages (Zeichenkonzeptionen in der Medizin des lateinischen Mittelalters) . . . Ludger Kaczmarek, Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in natural history and natural philosophy in the Latin Middle Ages) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
984 1022
1029 1036
1046
1060
1065
1094
1099
Inhalt / Contents
58.
59.
60. 61.
Rudolf Suntrup, Zeichenkonzeptionen in der Religion des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in religion in the Latin Middle Ages) . . . . . . . . . . . Klaus Frerichs, Zeichenkonzeptionen im Alltagsleben des lateinischen Mittelalters (Sign conceptions in everyday life in the Latin Middle Ages) . . . . . . . Franz Tinnefeld, Zeichenkonzeptionen im griechischen Mittelalter (Sign conceptions in the Greek Middle Ages) . . . . . . . . . . . . . . . . . Claude Gandelman, Sign conceptions in the Judaic tradition (Zeichenkonzeptionen in der jüdischen Tradition) . . . . . . . . . . . . . .
3. Teilband (Überblick über den vorgesehenen Inhalt) Volume 3 (Preview of Contents) XIII. Semiotik und andere interdisziplinäre Wissenschaften Semiotics and Other Interdisciplinary Approaches 123.
124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131.
Roland Posner, The relationship between individual disciplines and interdisciplinary approaches (Das Verhältnis zwischen Wissenschaftsdisziplinen und interdisziplinären Ansätzen) Klaus Robering, Semiotik und Wissenschaftstheorie (Semiotics and the philosophy of science) Helmar Frank, Semiotik und Informationstheorie (Semiotics and information theory) Herbert Stachowiak, Semiotik und Systemtheorie (Semiotics and systems theory) Reinhard Köhler, Semiotik und Synergetik (Semiotics and synergetics) Alexandre Me´traux, Semiotik und Theorie der Entwicklungsprozesse (Semotics and the theory of developmental processes) Michael Stadler / Wolfgang Wildgen, Semiotik und Gestalttheorie (Semiotics and gestalt theory) Irene Berkel, Semiotik und Psychoanalyse (Semiotics and psychoanalysis) Oliver Scholz, Semiotik und Hermeneutik (Semiotics and hermeneutics)
XIV. Semiotik und Einzelwissenschaften Semiotics and Individual Disciplines 132. 133.
Roland Posner, The semiotic reconstruction of individual disciplines (Die semiotische Rekonstruktion der Einzelwissenschaften) Pirmin Stekeler-Weithofer, Semiotische Aspekte der Mathematik (Semiotic aspects of mathematics)
XIII
1115
1132 1148 1183
XIV
134. 135. 136.
137. 138. 139.
140. 141.
142.
143. 144.
145. 146. 147.
148. 149.
150.
151.
Inhalt / Contents
Andreas Kamlah, Semiotische Aspekte der Physik (Semiotic aspects of physics) Dieter Hellwinkel, Semiotische Aspekte der Chemie (Semiotic aspects of chemistry) Felix Schmeidler, Semiotische Aspekte der Astronomie und Kosmologie (Semiotic aspects of astronomy and cosmology) Kenneth E. Foote, Semiotische Aspekte der Geographie (Semiotic aspects of geography) Jesper Hoffmeyer, Semiotic aspects of biology: Biosemiotics (Semiotische Aspekte der Biologie: Biosemiotik) Andreas Müller / Joachim R. Wolff, Semiotische Aspekte der Neurophysiologie: Neurosemiotik (Semiotic aspects of neurophysiology: Neurosemiotics) Peter Hucklenbroich, Semiotische Aspekte der Medizin: Medizinsemiotik (Semiotic aspects of medicine: Medical semiotics) John A. Michon / Janet L. Jackson, Semiotic aspects of psychology: Psychosemiotics (Semiotische Aspekte der Psychologie: Psychosemiotik) Hans-Georg Soeffner / Hans Hagen Hildebrandt, Semiotische Aspekte der Soziologie: Soziosemiotik (Semiotic aspects of sociology: Sociosemiotics) Bernard S. Jackson, Semiotic aspects of jurisprudence: Legal semiotics (Semiotische Aspekte der Rechtswissenschaft: Rechtssemiotik) Hartmut Kliemt, Semiotische Aspekte der Wirtschaftswissenschaften: Wirtschaftssemiotik (Semiotic aspects of economics) Pertti Ahonen, Semiotic aspects of political science: Political semiotics (Semiotische Aspekte der Politikwissenschaft: Politiksemiotik) Mauro Wolf, Semiotic aspects of mass media studies (Semiotische Aspekte der Publizistikwissenschaft) Luisa Passerini / Antonis Liakos, Semiotic aspects of the historical disciplines (Semiotische Aspekte der Geschichtswissenschaften: Geschichtssemiotik) Klaus Frerichs, Semiotische Aspekte der Archäologie (Semiotic aspects of archeology) Jörg Peters, Semiotische Aspekte der Sprachwissenschaft: Sprachsemiotik (Semiotic aspects of linguistics: Semiotics of natural languages) Michael Titzmann, Semiotische Aspekte der Literaturwissenschaft: Literatursemiotik (Semiotic aspects of literary studies: Semiotics of literature) Erika Fischer-Lichte, Semiotische Aspekte der Theaterwissenschaft: Theatersemiotik (Semiotic aspects of the performing arts)
Inhalt / Contents
152.
153. 154.
155.
156.
157. 158.
Guerino Mazzola, Semiotische Aspekte der Musikwissenschaft: Musiksemiotik (Semiotic aspects of musicology: Semiotics of music) Rolf Kloepfer, Semiotische Aspekte der Filmwissenschaft: Filmsemiotik (Semiotic aspects of film studies: Semiotics of the cinema) Omar Calabrese, Semiotic aspects of art history: Semiotics of the fine arts (Semiotische Aspekte der Kunstgeschichte: Kunstsemiotik) Claus Dreyer, Semiotische Aspekte der Architekturwissenschaft: Architektursemiotik (Semiotic aspects of the study of architecture: Semiotics of architecture) Volker Heeschen, Semiotische Aspekte der Ethnologie: Ethnosemiotik (Semiotic aspects of ethnology and social anthropology: Ethnosemiotics) Donald J. Cunningham, Semiotic aspects of pedagogy (Semiotische Aspekte der Pädagogik) Eckhard Tramsen, Semiotische Aspekte der Religionswissenschaft: Religionssemiotik (Semiotic aspects of religious studies: Semiotics of religion)
XV.
Ausgewählte Gegenstände der Semiotik Selected Topics of Semiotics
159.
Friedrich Kittler, Geschichte der Kommunikationstechniken (The history of communications technology) Yishai Tobin, Divination and futurology (Mantik und Futurologie) Peter Bøgh Andersen / Berit Holmqvist, Work (Arbeit) Gunter Gebauer, Sport (Sports) Paul Bouissac, Interspecific Communication (Kommunikation zwischen Lebewesen verschiedener biologischer Arten) Philip B. Stafford, Gerontology and Geriatrics (Gerontologie und Geriatrie) Bennetta Jules-Rosette, Tourism (Tourismus) Ute Werner, Geschäftsleben (Business) Augusto Ponzio, Ideology (Ideologie) Karl Grammer, Körpersignale in menschlicher Interaktion (Body signals in human interaction) Ernest W. B. Hess-Lüttich, Multimediale Kommunikation (Multimedia Communication) Søren Kjørup, Pictograms (Piktogramme) Eva-Maria Baxmann-Krafft / Bernd Hartlieb, Zeichennormung für Handwerk und Industrie (Standardization of signs for trade and industry) Umberto Eco, Fakes in arts and crafts (Fälschungen in Kunst und Kunstgewerbe)
160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171.
172.
XV
XVI
173. 174. 175. 176.
Inhalt / Contents
Antonio Tadiotto, Ciphers and other secret codes (Chiffren und Geheimkodes) Jose´ Lambert / Clem Robyns, Translation (Übersetzung) Peter Mühlhäusler, Universal languages and language planning (Universalsprachen und Sprachplanung) Richard Berendzen / Bernard M. Oliver, Extraterrestrial communication (Extraterrestrische Kommunikation)
XVI. Anhang Appendix 177. 178.
Gloria Withalm, Semiotische Organisationen (Semiotic organizations) Gloria Withalm, Semiotische Nachschlagewerke und Zeitschriften (Semiotic reference works and periodicals)
Personenindex (Index of persons) Sachindex (Index of subjects)
IX. Geschichte der Semiotik im Abendland IV: Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert History of Western Semiotics IV: From the Renaissance to the Early 19th Century 62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Zeichentheorie 2. Die Zeichenkonzeption in den logischen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts 2.1. Die Definition des Zeichens 2.2. Die ratio signi (der Bestimmungsgrund des Zeichens) und die Zeichenrelationen 2.3. Die Termini und ihre Signifikation 2.4. Die Typologie der Zeichen 3. Die Zeichen in der protestantischen Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts 4. Die Zeichentheorie in der Metaphysik des 18. Jahrhunderts 5. Die Zeichen in der hermetischneuplatonischen Naturphilosophie der Renaissance 6. Die Zeichenkonzeption der entstehenden Naturwissenschaften 7. Modelle artifizieller Zeichensysteme 7.1. „Universal language“ und „philosophical language“ 7.2. Die „characteristica universalis“: G. W. Leibniz 8. Das Zeichen in der Erkenntnislehre 8.1. Das Zeichen in der perzeptiven Erkenntnis 8.2. Die Funktion des Zeichens für das Denken 9. Zusammenfassung: die neuzeitliche Entwicklung der Zeichentheorie bis ins frühe 19. Jahrhundert 10. Literatur (in Auswahl)
1.
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Zeichentheorie
Das komplexe Gefüge der Kontinuitäten, Transformationen und Neuansätze, welches das Verhältnis von mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Logik und Metaphysik bestimmt, ist auch für die Entwicklung der Zeichentheorie vom 14. bis zum 17. Jahrhundert
charakteristisch. Ein signifikanter Bruch, der benennbar oder gar eindeutig datierbar wäre, fand hier, entgegen der geläufigen Kontrastierung von Mittelalter und Renaissance, nicht statt. Der Fundus der frühneuzeitlichen Zeichentheorie ist im wesentlichen gebildet durch mittelalterliche Vorgaben. Denn sowohl die zentralen zeichentheoretischen Fragestellungen als auch das Spektrum ihrer Beantwortung sowie das hierfür verwendete theoretische und terminologische Instrumentarium der Prämoderne entstammen älteren Diskussionen. Eine Veränderung zeichnet sich allerdings insofern ab, als die Theorie des Zeichens im 17. Jahrhundert in stärkerem Maße zu einem Thema mit eigener Geltung avanciert und ihre Darstellung im Rahmen der philosophischen Lehrbücher mitunter die Form und den Umfang von in sich geschlossenen Zeichentraktaten annimmt (vgl. Conimbricenses 1607 ⫽ 1976; Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930). In der Geschichte der philosophischen Disziplinen lassen sich während des 16. und 17. Jahrhunderts zwei Diskurse aufweisen, innerhalb derer eine allgemeine Zeichentheorie entwickelt wurde. (1) Im katholischen Raum wird die Theorie der Zeichen traditionell als Teil der Logik behandelt und an jenen Systemstellen, die sich auf die Summulae des Petrus Hispanus oder das erste Kapitel der Aristotelischen Schrift Perı` herme¯neı´as beziehen, in die Logiklehrbücher sowie die philosophischen Kurse integriert. (2) Im protestantischen Raum, wo sich eine Erörterung des Zeichens im Rahmen der Logik nur vereinzelt finden läßt (z. B. Derodon 1659, 492 ff), wird die Zeichentheorie seit dem frühen 17. Jahrhundert als Teil der Metaphysik
1200
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
in zahlreiche der für den universitären Gebrauch bestimmten Lehrbücher aufgenommen.
2.
Die Zeichenkonzeption in den logischen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts
2.1. Die Definition des Zeichens Die in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Logik zugrunde gelegte Definition des signum ist ⫺ anders als vielfach zu lesen ⫺ nicht die zweistellige Relation des „aliquid stat pro aliquo“. Ausgegangen wird vielmehr allgemein von der auf Petrus Hispanus (ca. 1230) zurückgehenden Zeichendefinition: „Signum est, quod potentiae cognoscenti aliquid repraesentat“ („Ein Zeichen ist etwas, das einem Erkenntnisvermögen etwas repräsentiert“; Soto 1554 ⫽ 1990, fol. 2r; Fonseca 1574, 11). Neben dieser Basisdefinition finden sich zahlreiche Varianten, die entweder vereinfachende Umschreibungen sind oder weitere für das Zeichen und den Akt des Bezeichnens als konstitutiv erachtete Bestimmungen enthalten (vgl. Art. 49). Die gebräuchlichsten lauten: „Significare est potentiae cognitivae aliquid vel aliqua vel aliqualiter ipsam immutando repraesentare“ („Bezeichnen ist etwas oder mehreres oder auf irgendeine Weise einem Erkenntnisvermögen repräsentieren, indem man verändernd auf es einwirkt“; Eck 1517, fol. 71ra; vgl. Nuchelmans 1980, 14 f); „Signum est id, quod facit nos in alicuius rei cognitionem venire“ („Ein Zeichen ist etwas, das uns zur Kenntnis irgendeiner Sache führt“; Arriaga 1632, 178a); „Signum est quod potentiae cognoscenti aliquid repraesentat a se distinctum“ („Ein Zeichen ist etwas, das etwas von ihm Unterschiedenes einem Erkenntnisvermögen repräsentiert“; Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 646a; Compton Carleton 1649, 157a; Ioanniz et Echalaz 1656, 3b; Irenaeus a Sancto Jacobo 1658, 14a). Allen diesen Definitionen gemeinsam ist die Einbindung des Zeichens in ein dreistelliges Beziehungsgefüge. Etwas ist Zeichen von etwas für jemanden ⫺ oder, mit den Worten von Peirce (siehe Art. 100): „A sign stands for something to the idea which it produces, or modifies“ (1931⫺58, 1.339; vgl. 1.346). Diese Definitionen werden zumeist explizit der Augustinischen Zeichendefinition aus De doctrina christiana II,1 („Signum est res praeter
speciem quam ingerit sensibus, aliud aliquid ex se faciens in cogitationem venire“) gegenübergestellt, welche für zu eng erachtet wird, da sie allein für die sinnlich wahrnehmbaren Instrumentalzeichen, nicht aber für die Formalzeichen bzw. die geistigen Begriffe (s. u. § 2.4.1.) gilt (vgl. Art. 49 § 2.1). 2.2. Die ratio signi (der Bestimmungsgrund des Zeichens) und die Zeichenrelationen Nach der gängigen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Auffassung vollzieht sich der Bezeichnungsakt („significatio“) in einem dreistelligen Prozeß, bei dem das Zeichen als Mittler zwischen dem Signifikat und dem Zeichenrezipienten fungiert. Das Zeichen schließt somit zwei Relationen ein: (1) die Beziehung auf das Signifikat und (2) die Beziehung auf das das Zeichen erkennende Vermögen (vgl. Conimbricenses 1607 ⫽ 1976, 9; Arriaga 1632, 179a; Lynceus 1654, 205a; vgl. ferner Willius 1614, 109; Scheibler 1622 ⫽ 1636, 364 f; Derodon 1659, 492; Stannarius 1661, 85). Kontrovers wurde diesbezüglich die Frage diskutiert, ob beide Beziehungen gleichrangig, d. h. für den Vollbegriff des Zeichens im selben Maße konstitutiv sind. Während einige Autoren auf dem notwendigen Vorhandensein beider Beziehungen insistieren (Conimbricenses 1607 ⫽ 1976, 9 f; Lynceus 1654, 205a), vertreten andere die Position, daß etwas, um signifikativ, d. h. um Zeichen zu sein, nicht notwendigerweise etwas anderes aktual repräsentieren muß (Soto 1554, fol. 3v; Arriaga 1632, 179a). So würde auch der von niemandem gesehene Rauch Zeichen des Feuers sein und die Zeichen in einem geschlossenen Buch trotz des Ausfalls der aktualen Beziehung auf ein Erkenntnisvermögen signifikativ bleiben, weshalb nach dieser Auffassung die Worte der Zeichendefinition auch nicht im Sinne eines tatsächlichen Aktes, sondern im Sinne der Eignung zu einem solchen zu verstehen sind (Soto 1554, fol. 3va). Ein Zeichen wäre dieser Lesart zufolge etwas, das geeignet ist, irgendeinem Erkenntnisvermögen etwas zu repräsentieren (vgl. Ecos (1987, 38 f) Modifikation der Morrisschen Zeichendefinition; dazu siehe Art. 113). Nach dieser Meinung genügt bereits die Beziehung auf das Signifikat, um etwas „in actu primo“, d. h. potentiell, zu einem Zeichen zu machen. Durch das Hinzutreten der zweiten Beziehung auf das Erkenntnisvermögen wird das Zeichen lediglich aktuiert, d. h. es wird zu einem Zeichen „in actu secundo“, welches nicht allein signifikativ ist, sondern
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
aktual signifizierend (vgl. Cornaeus 1657, 173; Ioanniz et Echalaz 1656, 215a; Caramuel de Lobkowitz 1642, 6a). Nach einer anderen, vorwiegend von Thomisten wie Francisco de Arau´jo und Johannes a Sancto Thoma vertretenen Lehre, sind beide Beziehungen zu einer einzigen, im Vollsinne dreistelligen Zeichenrelation zusammengebunden, welche direkt auf das Signifikat und indirekt („in obliquo“) auf das Erkenntnisvermögen abzielt (vgl. Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 664; vgl. Beuchot 1980, 50 f). Dort, wo das Zeichen speziell in seiner kommunikativen Funktion thematisiert wird, kann der Bezug zum Erkenntnisvermögen weiter ausdifferenziert und der Bezeichnungsakt als vierstelliges Relationsgefüge interpretiert werden. In diesem Sinne gilt dann: „Signum dicit respectum ad tria: primo ad intellectum a quo imponatur, secundo ad personam cui significat, tertio ad rem, ad quam imponatur“ („Ein Zeichen impliziert einen Bezug auf dreierlei: erstens auf den Intellekt, von dem es eingesetzt wird, zweitens auf die Person, der es etwas bezeichnet, drittens auf die Sache, für die es eingesetzt wird”; Hurtado de Mendoza 1617, 145; Oviedo 1640, 140; Ioanniz et Echalaz 1656, 215a). Da sprachliche Ausdrücke intentional auf Mitteilung bezogen sind, zu einer solchen es aber ebensowohl eines Zeichensenders bedarf, der einen Gedanken qua Zeichen mitzuteilen beabsichtigt, wie eines Empfängers, der in der Lage ist, diese zu verstehen, handelt es sich dort, wo einer dieser Bezüge fehlt, nicht im eigentlichen Sinne um eine Semiose. Das von einem Papageien hervorgebrachte Wort ist dieser Auffassung nach ebensowenig Zeichen im Vollsinn, wie das zu einem Stein gesprochene. Die hiermit betonte Notwendigkeit eines dem Zeichen zugrunde liegenden Verständnisses oder Begriffs auf seiten des Zeichensenders wurde allerdings nicht durchgängig anerkannt, sondern häufig das Zeichenverständnis seitens des Zeichenrezipienten ebenso wie für das natürliche auch für das willkürliche Zeichen als hinreichend angenommen (Caramuel de Lobkowitz 1642, 6a; Compton Carleton 1649, 162 f; Guarini 1665, 730a). Kontrovers war desweiteren die Frage, ob jene Beziehungen den wesensmäßigen Bestimmungsgrund („ratio formalis signi“) ausmachen oder nicht, sowie das damit verbundene Problem, ob es sich bei den in der Zeichendefinition angezeigten Beziehungen um kategoriale Relationen handelt
1201 (was die Behandlung der Zeichentheorie auf der Grundlage der Relationentheorie erforderlich macht) oder lediglich um metaphysisch unbelastete Rücksichten und Eignungen („respectus“, „aptitudines“; vgl. Conimbricenses 1607 ⫽ 1976, 10 f). Erstere Position wurde zumeist von den Thomisten vertreten, nach denen, anders als für die jesuitischen Zeichentheoretiker, das signum in ontologischer Hinsicht zwangsläufig unter die Kategorie der Relation fällt (vgl. Beuchot 1980, 48 ff). Die differenzierteste und theoretisch anspruchsvollste Erörterung des Zeichens vor dem Hintergrund der Relationstheorie findet sich bei Johannes a Sancto Thoma (⫽ Jean Poinsot (1589⫺1644); vgl. Herculano de Carvalho 1969; Deely 1974; 1983). Nach ihm kommt im Begriff des Zeichens zweierlei zusammen: (1) das Moment des Manifestierens oder Repräsentierens und (2) die Hinordnung auf ein anderes, und zwar a) auf die bezeichnete Sache, die, weil nichts Zeichen seiner selbst sein kann, vom Zeichen verschieden sein muß, und b) auf das Erkenntnisvermögen, dem es diese Sache manifestiert oder repräsentiert (Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 646a). Hinsichtlich der von Johannes affirmativ beantworteten Frage, ob das Zeichen unter die Kategorie der Relation fällt, gibt er zu beachten, daß die von diesem geleistete Manifestation oder Repräsentation eine besondere Form derselben darstellt. Denn ein Manifestieren im allgemeinen impliziert noch nicht das Vorhandensein einer Relation, da etwas sowohl (wie das Licht) sich selbst, d. h. ohne Hinordnung auf ein anderes, als auch ein anderes dergestalt manifestieren kann, daß es wie das Licht hinsichtlich der Farben oder die Prämissen hinsichtlich der Konklusion nicht von diesem abhängig ist. Nach Johannes ist jedoch beides, die Hinordnung auf ein anderes ebenso wie die Abhängigkeit vom Manifestierten bzw. vom Signifikat, die er zum Teil in drastischer Weise als Herr-undKnecht-Verhältnis darstellt (1632 ⫽ 1930, 649; 651b; 663a), konstitutiv für das Manifestativsein des Zeichens (646b). Deshalb greift für ihn auch die Zeichendefinition derjenigen zu kurz, die (wie die Jesuiten) den Wesensgrund des Zeichens in dessen Vermögen legen, zur Erkenntnis von etwas anderem zu führen („esse ductivum ad alterum cognoscendum“). Denn dieses Vermögen ist nichts anderes als die „ratio manifestativi seu repraesentativi“ unter Ausschluß der Selbstrepräsentation (647a). Zwar ist ein solches
1202
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Repräsentieren eines anderen wesentliches Bestimmungsmoment des Zeichens. Der Vollbegriff des Zeichens erfordert darüber hinaus jedoch, daß es sich auf sein Signifikat nicht nur wie auf ein von ihm bloß zu Manifestierendes, sondern wie auf ein vornehmlich zu Erkennendes bezieht, welches das Maß seiner selbst (des Zeichens) ist und dessen Stelle es vertritt. Die hier vorliegende Maß- oder Substitutionsbeziehung zum Signifikat ist eine seinsmäßige Relation („relatio secundum esse“). In ihr besteht nach Johannes a Sancto Thoma der Bestimmungsgrund oder das Wesen des Zeichens, die „ratio signi“ (647a). So geht auch im Falle der Präsenz des Repräsentierten die Funktion und der Seinsgrund des Repräsentanten verloren („si res seipsa manifestatur, cessat ratio et officium signi“; 648b) ⫺ ein Theorem, das in politischer Wendung später bei Rousseau zur Begründung der Suspension einer Regierung zum Zeitpunkt der Versammlung aller Bürger dient (Rousseau 1959⫺69, 3.427 f). Weil die „relatio secundum esse“ sowohl die Realbeziehung als auch die gedanklichen Relationen umfaßt, besteht die „ratio formalis signi“, der Wesensgrund des Zeichens, in jedem Fall in einer seinsmäßigen Relation des Zeichens zum Bezeichneten, gleichgültig, ob es sich dabei, wie im Falle des natürlichen Zeichens, um eine „relatio realis“ (656b) oder, wie im Falle des willkürlich eingesetzten Zeichens, um eine „relatio rationis“ (658b) handelt. Das Fundament dieser Relation ist das Vermögen des Zeichens, das Signifikat zu manifestieren bzw. zu repräsentieren. Dieses gründet in einer Übereinstimmung, Proportion oder einem Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Solches kann, wie Johannes, ein gebräuchliches Lehrstück aufgreifend, ausführt, auf dreierlei Weise gegeben sein: (1) durch das Verhältnis einer Ähnlichkeit, Abbildlichkeit oder einer anderen Proportionalität, (2) durch ein Kausalverhältnis und (3), wie im Fall der willkürlichen Sprachzeichen, durch die Einsetzung oder Bestimmung durch die Sprechergemeinschaft (655b). Diese Modi des Zusammenhanges von Zeichen und Bezeichnetem sind damit exakt dieselben, aus denen Peirce seine Trichotomie des Zeichens in „icon“, „index“ und „symbol“ entwickelt hat (Peirce 1931⫺58: 1.372; vgl. Art. 100). Nach Johannes a Sancto Thoma muß zu dem hierdurch begründeten Vermögen des Manifestierens oder Repräsentierens noch die Substitutionsbeziehung zum Bezeichneten hinzukommen, um den Vollbe-
griff des Zeichens zu konstituieren. Fällt diese durch die Nichtexistenz des Signifikats aus (als Beispiel dient das Bild des gestorbenen Kaisers; Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 651a), so ist das Zeichen nicht mehr „formaliter“ bzw. wesensmäßig, sondern nurmehr „fundamentaliter“ oder virtuell ein solches. Weil das Zeichen jedoch nicht aufgrund seiner Stellvertreterrelation sondern aufgrund dieses Fundaments der Relation repräsentativ ist und das Vermögen zur Erkenntnis bewegt, reicht bereits das virtuelle Zeichensein aus, um etwas aktual zu bezeichnen (651a; vgl. 661b). Neben der von Johannes ins Zentrum seiner Erörterung gestellten Relation des Zeichens auf das Signifikat wurde das Zeichen zumeist in eine direkte Relation zum Erkenntnisvermögen gestellt. Eine solche erkennt Johannes nicht an. Hinsichtlich dieser Beziehung ist ihm zufolge zweierlei zu unterscheiden. Das Zeichen bezieht sich nämlich auf das Erkenntnisvermögen (1) insofern es Gegenstand desselben ist und (2) insofern es Zeichen ist. Allein bei der ersten Beziehung, die das Zeichen mit allen übrigen Erkenntnisgegenständen, die selbst nicht Zeichen sind, gemeinsam hat, handelt es sich um eine direkte Beziehung. Als Zeichen dagegen bezieht es sich nur indirekt über die Vermittlung seiner Beziehung zum Signifikat auf das Erkenntnisvermögen. Und in dieser dreistelligen Relation, in der sich das Zeichen direkt auf sein Signifikat und indirekt auf das Erkenntnisvermögen bezieht, besteht der eigentliche Wesensgrund des Zeichens, die „propria et formalis ratio signi“ (664). Beide Momente dieser komplexen Zeichenrelation sind untrennbar miteinander verbunden und zu einer einzigen durchlaufenden Bewegung integriert (665). 2.3. Die Termini und ihre Signifikation Bedingt durch den Kontext, in dem die Zeichentheorie hier abgehandelt wurde, standen logische oder logisch-semantische Problemstellungen im Vordergrund (vgl. Art. 52 und 64). Ein besonderes Gewicht wurde auf die Erörterung der Termini als der elementaren Bestandteile des Aussagesatzes gelegt (vgl. Ashworth 1974, 42 ff; Nuchelmans 1980, 16 ff; siehe Art. 49 § 5.). Allgemein unterscheidet man gemäß mittelalterlichen Vorgaben zwischen (1) dem gesprochenen, (2) dem geschriebenen und (3) dem geistigen Begriff oder Terminus („terminus vocalis, scriptus mentalis“), wobei letzterer seinerseits unter-
1203
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Abb.62.1: Die Signifikationsbeziehungen der Termini nach Johann Eck (1516, fol. 71v): conceptus vocis: a) bezeichnet direkt und auf natürliche Weise das Zeichen (terminus vocis oder scriptum), b) bezeichnet infolge des Zeichens die bezeichnete Sache (signatum), c) bezeichnet infolge des Zeichens und des Bezeichneten zugleich den Sachbegriff (terminus rei), terminus vocalis oder terminus scriptus:
a) bezeichnet auf willkürliche Weise die bezeichnete Sache, b) bezeichnet infolge der bezeichneten Sache den Sachbegriff,
conceptus rei:
a) bezeichnet direkt und auf natürliche Weise die bezeichnete Sache.
teilt wird in a) den geistigen Begriff der Sache („terminus“ oder „conceptus ultimus“) als elementaren Bestandteil des sprachfreien Mentalsatzes und b) in den geistigen Begriff oder die Vorstellung des gesprochenen oder geschriebenen Wortes („terminus“ oder „conceptus non-ultimus“ bzw. „medius“; vgl. Toletus 1615/16, 14a; Soto 1554, fol. 5rv; Fonseca 1574, 16; Hurtado de Mendoza 1617, 10; Aversa 1623, 19a; Arriaga 1632, 3b f; Compton Carleton 1649, 6a). Die beiden Arten des terminus mentalis entsprechen damit ungefähr den Bestandteilen des Saussureschen Zeichens, der Vorstellung und dem Lautbild (der „terminus non ultimus“ wurde bisweilen als „imago vocis“ charakterisiert), ohne jedoch deren untrennbare Verbundenheit zu implizieren (vgl. Art. 101). Vielmehr wird der terminus ultimus, der geistige Begriff einer Sache, als von jeder gesprochenen oder imaginierten Sprache unabhängig aufgefaßt (vgl. Hübener 1983). Wie im Mittelalter gehört
auch im 16. und 17. Jahrhundert die Frage nach der Signifikation der genannten Termini zum festen Bestandteil der Logiklehrbücher (vgl. Abb. 62.1). Herrschte bezüglich der termini mentales dahingehend allgemeiner Konsens, daß der terminus ultimus als Zeichen der Sache und der terminus non ultimus als Zeichen des sprachlichen Ausdrucks in seiner phonologischen oder visuellen Erscheinungsform zu verstehen sei, wurde das Problem der Signifikation des terminus vocalis und ⫺ wenn auch in geringerem Maße ⫺ des terminus scriptus äußerst kontrovers diskutiert (vgl. Ashworth 1981). Denn die Feststellung von Roland Barthes, wonach sich heutzutage „alle darin einig sind, daß das Signifikat kein Ding ist, sondern eine psychische Darstellung von dem Ding“ (1979, 36 f), charakterisiert zwar die seit dem späten 17. Jahrhundert (und, mit Einschränkungen, bis zum frühen 14. Jahrhundert) herrschende Auffassung; für den hier behandelten Zeitraum jedoch gilt sie
1204
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
nicht. Die noch in der Hochscholastik dominierende, seit Scotus, Burleigh und Ockham zunehmend unter Druck geratene Auffassung, daß die sprachlichen Ausdrücke („voces“) unmittelbar die Begriffe und durch deren Vermittlung erst die Dinge bezeichnen („res mediantibus conceptibus“), wird in dieser reinen Form während des 16. und 17. Jahrhunderts nur noch selten vertreten. Verbreiteter sind jene Positionen, nach denen sich die voces in gleichunmittelbarer Weise signifikativ auf die Begriffe und die Dinge beziehen (Soto 1554, fol. 3rb; Conimbricenses 1607, 38 f; Lynceus 1654, 214a), oder die sogar allein die Dinge als das unmittelbare Signifikat der sprachlichen Ausdrücke bestimmen (Eck 1517, fol. 72r; Hurtado de Mendoza 1617, 147; Caramuel de Lobkowitz 1642, 8b f; Franciscus Bonae Spei 1652, 12a; Guarini 1665, 730a). Nach dieser Auffassung läßt sich aus den bezeichneten Sachen allenfalls „consecutive et per illationem“ erschließen, was für ein Begriff im Intellekt des Sprechers vorhanden ist (Aversa 1623, 124b). Hiermit ist auch terminologisch die genaue Umkehrung der früheren „mediantibus-conceptibus“-These des älteren Thomismus erreicht. Die sprachlichen Ausdrücke bezeichnen nicht mehr die geistigen Begriffe und durch deren Vermittlung die Dinge („mediantibus conceptibus“) sondern unmittelbar die Dinge, die Begriffe jedoch erst vermittels eines Rückschlusses von den bezeichneten Dingen auf die beim Sprecher anzunehmenden Konzepte („mediate conceptus“; vgl. Compton Carleton 1649, 159b; Franciscus Bonae Spei 1652, 12a). Auch dort, wo der terminus vocalis aus seiner signifikativen Abhängigkeit von den Begriffen gelöst wurde, blieb die Schrift häufig auf die Sprache bezogen und konnte nicht ebenfalls in eine Immediatbeziehung zu den Dingen treten (vgl. Aversa 1623, 126a). Die Auffassung, nach der die Schrift gleichwertig mit den sprachlichen Ausdrücken unmittelbar die Dinge bezeichnet („tam conceptus quam voces et scripturas esse aequipollentia signa res ipsas immediate significantia“; Caramuel de Lobkowitz 1642, 9a), wurde zwar verschiedentlich vertreten (Oviedo 1640, 141; Compton Carleton 1649, 160b; Mastrius de Meldula 1708, 99a), sie hat sich jedoch im ganzen gesehen nicht durchsetzen können. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil gerade im 17. Jahrhundert stärker zu Bewußtsein kommt, daß es Sonderformen von Schrift gibt, die sich unmittelbar signifikativ auf die
Dinge beziehen. Neben den arithmetischen Zeichen, den Ziffern, werden in diesem Zusammenhang die ägyptischen Hieroglyphen und die chinesischen Schriftzeichen erwähnt (Conimbricenses 1607, 47 f; Aversa 1623, 126b; Arriaga 1632, 184; vgl. Art. 63 § 3.1.3.). 2.4. Die Typologie der Zeichen Mit den verschiedenen Arten der termini war ein Spektrum von Zeichen vorgegeben, dessen eingehende Darstellung die Entwicklung einer Zeichentypologie erforderlich machte, welche ihrerseits den Raum für die Berücksichtigung von Zeichen schuf, die den eigentlichen Bereich der Logik transzendieren. Nicht zuletzt diesem Umstand ist es zu verdanken, daß die Erörterung des Zeichens in den Logik-Lehrbüchern der frühen Neuzeit mitunter den Charakter einer allgemeinen Zeichentheorie annimmt. Die wichtigsten und am ausführlichsten behandelten Zeichendistinktionen sind die zwischen dem formalen und instrumentellen Zeichen („signum formale“ versus „signum instrumentale“) sowie die zwischen dem natürlichen, dem willkürlichen und dem gewohnheitsbedingten Zeichen („signum naturale“ versus „signum ad placitum“ bzw. „signum ex institutione“ versus „signum ex consuetudine“; s. § 2.4.2.). 2.4.1. Signum formale und signum instrumentale Das formale Zeichen („signum formale“), d. h. der geistige Begriff („conceptus mentis“, „terminus formalis“) ist definiert als ein Zeichen, das, ohne selbst erkannt zu werden oder Gegenstand des Erkenntnisvermögens zu sein, zur Kenntnis eines anderen hinführt (Arriaga 1632, 179b). „Formal“ wird es nach Fonseca (1528⫺1599) deshalb genannt, weil es das Erkenntnisvermögen gleichsam bildet und formt (Fonseca 1572, 12). Das instrumentelle Zeichen dagegen manifestiert zuerst sich selbst und dann durch sich etwas anderes (Arriaga 1632, 179b), weshalb es, um seine Zeichenfunktion erfüllen zu können, notwendigerweise zuerst selbst wahrgenommen und erkannt werden muß (Fonseca 1574, 12). Als Beispiele für diesen Zeichentyp dienen zumeist der Rauch als Zeichen des Feuers oder die Spur eines Tieres („vestigium“). Zu ihm gehören aber auch der terminus vocalis und der terminus scriptus. Denn damit das gesprochene oder geschriebene Wort Mensch den wirklichen Menschen bezeichnen kann, muß der Zeichenrezipient sowohl das Wort selbst erfassen als auch dessen Einsetzung
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
kennen (Soto 1554, fol. 2vb). Während das formale Zeichen, da es weder den Erkenntnisgegenstand noch den Erkenntnisakt verdoppelt (Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 694a), eine unmittelbare Erkenntnis konstituiert, ist die durch das Instrumentalzeichen motivierte Erkenntnis stets eine mittelbare. Denn, wie Dominicus Soto (1494/5⫺ 1560) feststellt, „ut res aliqua repraesentet aliam instrumentaliter, duae notitiae requiruntur. Primo notitia ipsius instrumenti, et deinde notitia significationis“ (1554: fol. 2vb; „Damit irgendeine Sache eine andere instrumentell repräsentieren kann, sind zwei Kenntnisse erforderlich. Erstens die Kenntnis des Instruments und ferner die Kenntnis der Bedeutung“). Nach Fonseca (1574, 12) unterscheiden sich die beiden Zeichentypen auch darin, daß das signum formale von verschiedenen Autoren nicht als Zeichen im eigentlichen Sinne („signum proprium“) gewertet werde, da man von ihm ⫺ im Gegensatz zum Instrumentalzeichen ⫺ nur uneigentlicherweise sagen könne, daß es repräsentiert. Im Hintergrund solcher Problematisierungen des Formalzeichens steht die mit diesem unvereinbare Augustinische Zeichendefinition (vgl. Art. 40 § 4.1. und 53 § 1.1.), weshalb auch Soto zu beachten gibt: „Signum secundum Augustinum est illud, quod instrumentaliter significat“ („Zeichen ist nach Augustinus jenes, was instrumentell bezeichnet“). Während Soto, um ⫺ wie er ausdrücklich betont ⫺ sich nicht zu weit von der Sprechweise der Schulen zu entfernen, gleichwohl die Existenz von Formalzeichen einräumt (1554, fol. 2vb), ist ein solches Zugeständnis dort nicht zu erwarten, wo der augustinische Einfluß dominierend war. Von daher ist es auch verständlich, daß sich die berühmt gewordene Zeichendefinition der Logik von Port-Royal („le signe enferme deux ide´es; l’une de la chose qui represente; l’autre de la chose represente´e; et sa nature consiste a` exciter la seconde par la premie`re“; Arnauld 1775⫺83, 41.139; vgl. 38.587) strikt an die älteren Bestimmungen des Instrumentalzeichens anlehnt (vgl. Robinet 1978, 9; siehe Art. 64 § 2. und 67 § 2.4.). 2.4.2. Signum naturale, ad placitum, ex consuetudine Das natürliche Zeichen wird allgemein als ein solches definiert, das unabhängig von einer menschlichen Einsetzung durch seine eigene Natur das Vermögen des Bezeichnens besitzt (vgl. Toletus 1615 ⫽ 1985, 208b; Arriaga
1205 1632, 180a). Insofern bezeichnen die natürlichen Zeichen allen Menschen dasselbe („idem apud omnes“; vgl. Fonseca 1574, 11; Conimbricenses 1607, 17; Hurtado de Mendoza 1617, 144). Zu ihnen gehören all jene Zeichen, die mit ihrem Signifikat durch eine Ähnlichkeits- oder Kausalbeziehung verbunden sind (vgl. Arriaga 1632, 181). Als Exempel dienen zumeist der Rauch als Zeichen des Feuers sowie die Konzepte oder termini mentales, welche traditionell als similitudines rerum (Ähnlichkeiten der Dinge) gelten. ⫺ Willkürliche oder durch Einsetzung gebildete Zeichen („signa ad placitum“, „ex institutione“ bzw. „ex impositione“) bezeichnen dagegen etwas nicht aufgrund ihrer eigenen Natur, sondern verdanken, wie die sprachlichen Ausdrücke, ihre Signifikanz allein der willkürlichen Einsetzung durch den Menschen. Das ihnen zugewiesene Moment der Willkürlichkeit bezieht sich damit nicht auf den jeweiligen Gebrauch, sondern auf den Akt ihrer Einsetzung durch einen ersten Sprachinstitutor. Es ist damit, anders als in der neueren Linguistik, nicht rein funktional, sondern in erster Linie genetisch konzipiert (vgl. Coseriu 1968). ⫺ In die Mitte der seit der Antike fest zum Bestand jeder Zeichentheorie zählenden Distinktion von signum naturale und ad placitum tritt seit dem Spätmittelalter (z. B. Pseudo-Marsilius von Inghen, Hagenauer Kommentar) die Gattung des signum ex consuetudine oder gewohnheitsbedingten Zeichens, dessen Signifikanz weder in der Natur des Zeichenvehikels noch in einer förmlichen öffentlichen Einsetzung begründet ist. Als veranschaulichende Beispiele dienen zumeist die ausgestellten Waren, die ihre eigene Verkäuflichkeit indizieren, die auf den Tischen ausgelegten Servietten als Zeichen des bevorstehenden Mahles sowie der Hund, den man häufig seinem Herrn vorauseilen gesehen hat und der somit zum Zeichen seines nahenden Besitzers wird. Bei einigen Autoren wird die klassische Dichotomie zur Trichotomie erweitert, tritt das gewohnheitsbedingte Zeichen als gleichberechtigter Typ neben das signum naturale und das signum ad placitum (vgl. Toletus 1615, 208b f). In diesem Sinne stellt auch Izquierdo fest: „Signum in primis est triplex“. Er definiert das signum ex consuetudine als dasjenige, “quod supposita consuetudine oriunda ab hominum arbitrio aliud notificat quoquo modo“ („welches unter der Voraussetzung einer aus dem menschlichen Willen entstandenen Gewohnheit etwas anderes auf irgendeine Weise bezeichnet“). Ihm
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
zufolge ist damit jede menschliche Handlung Zeichen dessen, was mit Regelmäßigkeit aus ihr zu folgen pflegt („universim quidlibet solitum ab hominibus fieri notificat id, quod ex eo regulariter sequi solet“; Izquierdo 1659, 104b). Andere Autoren wie Petrus Fonseca, Hurtado de Mendoza oder Dominicus Soto halten an der Dichotomie fest und führen das gewohnheitsbedingte Zeichen auf eines der beiden Glieder der traditionellen Distinktion zurück. Während erstere im signum ex consuetudine eine Sonderform des instituierten Zeichens sehen, bei dem (wie im Falle des vor der Taverne ausgehängten Strauches als Zeichens für den Weinverkauf) an die Stelle der förmlichen Einsetzung der allgemeine Gebrauch („communis usurpatio“) tritt (Fonseca 1574, 13; Hurtado de Mendoza 1617, 144), lehnt Soto das hier implizierte Konzept einer gewohnheitsmäßigen Einsetzung ab und subsumiert das signum ex consuetudine unter das natürliche Zeichen. Denn es sei ⫺ dem gängigen Beispiel gemäß ⫺ ganz natürlich, daß man angesichts der ausgelegten Servietten aus Gewohnheit an das Essen denke (Soto 1554, fol. 3rb). Eine vermittelnde und differenzierende Position vertritt diesbezüglich Johannes a Sancto Thoma. Nach ihm ist zu unterscheiden, ob die Gewohnheit etwas zum Zeichen einsetzt, in welchem Fall es sich um ein signum ad placitum handeln würde, oder ob sie den einfachen Gebrauch einer Sache besagt, aufgrund dessen irgend etwas zum Zeichen wird. In diesem Fall könne das signum ex consuetudine auf das signum naturale zurückgeführt werden. Ist die Gewohnheit dort die Ursache des Zeichens (z. B. „populus consuetudine sua introducat […] aliquem vocem ad significandum“), so verhält sie sich hier nach Art einer Wirkung, welche zur Erkenntnis ihrer Ursache hinführt: Die Gewohnheit, mit Servietten zu essen, zeigt uns die Mahlzeit an, wenn wir die ausgelegten Servietten sehen. Johannes a Sancto Thoma formuliert hiermit (1632 ⫽ 1930, 719) bereits in deutlicher Form die von Roland Barthes in die neuere Semiologie eingeführte Theorie der universellen Semantisierung der Gesellschaft, welche besagt, daß „sobald es eine Gesellschaft gibt, […] jeder Gebrauch zum Zeichen dieses Gebrauchs [wird]“ (Barthes 1964 ⫽ 1979, 36). Die Einführung des signum ex consuetudine ermöglichte eine neue Antwort auf die alte Frage nach der Natürlichkeit oder Willkürlichkeit der sprachlichen Ausdrücke. Die durchgängig vertretene zweite Position implizierte die Annahme eines förm-
lichen Einsetzungsaktes, welcher häufig nach dem Modell der Gesetzgebung durch einen Legislator konzipiert wurde (Hurtado de Mendoza 1617, 145; Arriaga 1632, 182a; Compton Carleton 1649, 162a; Lynceus 1654, 209b) ⫺ ein Modell, das mit dem auch damals allenthalben beobachteten und betonten Phänomen der historischen Veränderung von Sprache allerdings kaum vereinbar ist. Das signum ex consuetudine dagegen machte es möglich, daß unter Aufrechterhaltung des juristischen Paradigmas die Gewohnheit die Funktion der mythischen Figur eines ersten Sprachgesetzgebers übernehmen konnte. Denn, wie Johannes a Sancto Thoma unter Hinweis auf die Gesetzeskraft des Gewohnheitsrechts betont (1632⫺1930, 719b), die consuetudo vermag mit derselben Autorität eine Sache zum Zeichen werden zu lassen, mit der sie ein Gesetz begründet. Durch sie werden neue Worte in die Sprache eingeführt, die vorher nichts bedeuteten, wie auch viele ehemals signifikative Worte nichts mehr bedeuten, weil sie außer Gebrauch geraten sind.
3.
Die Zeichen in der protestantischen Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts
Das zweite Zentrum der frühneuzeitlichen Behandlung einer allgemeinen Zeichentheorie bildet die protestantische Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts mit Vertretern wie Timpler (1567/68⫺1624, Keckermann (1571/73⫺ 1608), Calovius (1612⫺1686) und Fromm (1621⫺1683). Den Ansatzpunkt für eine Integration der Zeichentheorie in die entsprechenden Lehrbücher bildete das Lehrstück der „passiones entis disiunctae“ („getrennten Eigenschaften des Seienden“; vgl. Wundt 1939, 190 ff). Während die einfachen Eigenschaften des Seienden, die sogenannten Transzendentalien unum, verum, bonum, nach allgemeiner Auffassung als mit dem Seienden vertauschbar bzw. konvertibel gelten, so daß jedes Seiende auch ein Eines, Wahres und Gutes ist, handelt es sich bei den disjunktiven um solche Eigenschaften, die nur gemeinsam mit ihrem jeweiligen gegensätzlichen Korrelat dem gesamten Begriffsumfang des Seienden kongruent und somit nur als Paar mit diesem konvertibel sind. Zu dieser Gruppe der passiones oder affectiones entis disiunctae gehört neben den Paaren Akt und Potenz, mensura und mensuratum („Maß und Gemessenes“), Ursache und Wirkung etc. auch das Paar von signum und signatum („Zeichen und Bezeich-
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
netes“). Der metaphysische Stellenwert des Zeichenbegriffs ist damit denkbar hoch angesetzt. Denn jedes Seiende ist dieser Bestimmung zufolge entweder Zeichen oder Bezeichnetes („Omne ens aut est signum aut signatum“; Timpler 1606, 312), wenn nicht beides. Es gibt somit nichts, was per se aus dem Gegenstandsbereich einer allgemeinen Zeichentheorie herausfällt. Die angesichts der Tatsache, daß die Zeichenlehre nicht zum traditionellen Themenkanon der Metaphysik gehört, erforderliche Legitimation ihrer Aufnahme, die Begründung also einer positiven Beantwortung der Frage „An doctrina de signo et signato pertineat ad Metaphysicam?“ (Timpler 1606, 315), gibt Anlaß für die erstmalige explizite Formulierung des Programms einer allgemeinen Zeichentheorie. Die als „utilissima“ apostrophierte (Keckermann 1615, 91; Schultetus 1659, fol. A 2r) „doctrina generalis de signo et signato“ betrachtet das Zeichen und das Bezeichnete sofern sie allerallgemeinste Attribute der Dinge sind. Sie ist nach Timpler (1606, 315) von den speziellen Zeichentheorien zu unterscheiden, welche in den Gegenstandsbereich der verschiedenen Einzeldisziplinen fallen, in denen z. B. von den Zeichen der Gesundheit und Krankheit (Medizin), den meteorologischen und physiognomischen Zeichen (Physik) oder den Sakramentalzeichen (Theologie) gehandelt wird. Die auch heute noch diskutierte Frage, ob die Semiotik „eine spezielle Disziplin mit einer eigenen einheitlichen Methode und genau bestimmten Objekten“ ist oder aber „ein Feld von Untersuchungen, die eine noch nicht vereinheitlichte Ansammlung von Interessen sind“ (Eco 1968, 17; vgl. Art. 120 und Art. 123), wird hier somit dahingehend beantwortet, daß man zwischen allgemeiner und spezieller Zeichentheorie bzw. zwischen einer Behandlung des Zeichens „in actu signato“ und einer solchen „in actu exercito“ differenziert, was in etwa der heutigen Unterscheidung von theoretischer und angewandter Semiotik entspricht. Erstere fällt nach Christoph Scheibler (1622 ⫽ 1636, 364) allein in den Kompetenzbereich der Metaphysik, da der von ihr erörterte Begriff des Zeichens als eines solchen („ratio signi ut sic”) alle Einzelwissenschaften transzendiert, während die Behandlung der unterschiedlichen Zeichen „in actu exercito“ an die sie jeweils betreffenden Einzeldisziplinen delegiert werden muß. Das Vorhandensein zumindest des Konzepts einer allgemeinen Zeichentheorie in der protestan-
1207 tischen Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts schlägt sich in dem begriffsgeschichtlichen Befund nieder, daß der Terminus „Semiologie“ ⫺ anders als häufig zu lesen ⫺ älter ist als Saussures Cours de linguistique ge´ne´rale von 1916 und auch hinter Hoffbauers Tentamina semiologica (1784) sowie Baumgartens Skizzierung einer als Semiotica oder Semiologia philosophica bezeichneten scientia signorum (1779 ⫽ 1963, 108) zurückdatiert. Denn bereits 1659 stellt Schultetus seine Disputatio de Signo et Signato unter den Obertitel „Semeiologia metaphysike“. Der Grundbestand an semiotischen Fragestellungen und Theoremen der älteren LogikLehrbücher (Toletus, Conimbricenses) bleibt trotz einer überwiegend kürzeren Darstellungsform in der metaphysischen Semiologie der Protestanten präsent. Zeichnet sich dort naturgemäß eine Dominanz logischer und logisch relevanter Themenstellungen ab, so erweist sich auch die „doctrina generalis de signo et signato“ der protestantischen Schulmetaphysiken als deutlich von den Belangen einer speziellen Zeichentheorie geprägt; in diesem Falle von der des Sakramentalzeichens mit seiner kontroverstheologisch relevanten Problematik der Abendmahlslehre. Die sich daraus ergebende konfessionelle Bedingtheit der Zeichentheorie schlägt sich bereits in der jeweils zugrunde gelegten Definition des Zeichens nieder. Während die Lutheraner die Definition des Petrus Hispanus übernehmen und das Zeichen als etwas bestimmen, „quod potentiae cognoscenti aliquid repraesentat“ (Scheibler 1622 ⫽ 1636, 365; Scharf 1643, 234; Spengler 1649, § 24; Calovius 1651, 625; Fromm 1651, 367), greifen die Calvinisten zumeist auf die die sinnliche Erkennbarkeit des Zeichens implizierende Augustinische Definition zurück (Keckermann 1615, 88; Burgersdijk 1642, 200; Maccovius 1645, 107; Heereboord 1659 ⫽ 1680, 930) oder bestimmen es ausdrücklich als „ens sensibile, cognoscenti signatum significans“ („ein sinnlich wahrnehmbares Seiendes, das dem Erkennenden ein Signifikat bezeichnet“; Timpler 1606, 317). Denn die Festlegung der Zeichen ⫺ mit Ausnahme allenfalls der Konzepte (vgl. Timpler 1606, 335) ⫺ auf Erfaßbarkeit durch die äußeren Sinne ermöglicht es ihnen, die lutherische Auffassung, wonach das aus den Elementen Brot und Wein und dem realpräsenten Leib Christi gebildete ganze Abendmahlssakrament („totum sacramentum“) ein Zeichen ist, das uns der göttlichen Gnade versichert, als irrtümlich, weil
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
mit dem Begriff des Zeichens unvereinbar zurückzuweisen (vgl. Schultetus 1659, fol. 3r ff). Kontroverstheologisch überschattet ist auch die Frage, ob Zeichen und Bezeichnetes stets real unterschieden sein müssen. Während die Lutheraner die Meinung vertreten, daß eine gedankliche Unterscheidung von beidem ausreicht, um die Geltung der allseits anerkannten These, daß nichts Zeichen seiner selbst sein kann, zu garantieren (Scheibler 1622 ⫽ 1636, 368 f; Fromm 1651, 381 f), wird von calvinistischer Seite auf der sachlichen Verschiedenheit beider insistiert und diese als Argument gegen die Lehre von der Realpräsenz Christi im eucharistischen Brot genutzt (Timpler 1606, 319; Derodon 1659, 492 ff). Zeichnet sich die semiotische Theorie der protestantischen Schulmetaphysik gegenüber der logischen Behandlung des Zeichenbegriffs durch eine umfassendere Zeichentypologie aus, so lassen sich auch die hier eingeführten Distinktionen und Zeichentypen als überwiegend theologisch motiviert erweisen (vgl. Abb. 62.2 und 62.3). Die zum Standardrepertoire der Zeichentypologie zählende Einteilung des Zeichens nach den drei Zeitekstasen in signa rememorativa, demonstrativa und prognostica entstammt wie die meisten der hier behandelten Zeichentypen der mittelalterlichen Sakramentalzeichenlehre. Theologische Kontroversen ergaben sich hierbei besonders bezüglich des signum exhibitivum und des signum practicum. Die signa exhibitiva bzw. metadotika sind im Gegensatz zu den signa nuda oder semantica jene Zeichen, „quae non solum aliquid certe signant sed et illa signata vere exhibent“ („die etwas nicht nur gewiß bezeichnen, sondern das Bezeichnete auch wahrhaft darreichen“; Schultetus 1659, fol. 8 1v). Bei den Lutheranern dient dieser Zeichentyp zur Beschreibung der Sakramente des Neuen Testaments (vgl. Scheibler 1622 ⫽ 1636, 375 f), insbesondere des Abendmahlssakraments, da Brot und Wein den Leib Christi nicht nur bezeichnen, sondern ihn auch physisch darreichen. Nach ihrer Meinung haben die Zwinglianer und Calvinisten, die lediglich eine ideelle Darstellung annehmen, das Abendmahlssakrament zu einem signum nudum oder pure semantikon gemacht (vgl. Calovius 1651, 629 f; Schultetus 1659, fol. 8 1v ff; Fromm 1651, 383). ⫺ Mit diesem Zeichentyp eng verwandt ist der des signum practicum, welches ebenfalls bereits der mittelalterlichen Sakramentalzeichenlehre entstammt. In Anlehnung an die ältere Definition des Sakraments als „signum gratiae significans et efficax“ („ein die Gnade bezeichnendes und bewirkendes Zeichen“,
Wilhelm von Ockham), wird es bestimmt als ein Zeichen, das, anders als sein Komplementum, das signum theoreticum, nicht nur etwas bezeichnet, sondern „signando etiam aliquid per se efficit“ („indem es bezeichnet, durch sich auch etwas bewirkt“; Calovius 1651, 626). Paradigma des signum practicum ist damit wiederum das Abendmahlssakrament, welches nach katholischer wie lutherischer Auffassung die Gnade nicht allein bezeichnet sondern auch bewirkt. Da die Calvinisten eine solche Wirksamkeit nicht anerkennen, unterbleibt in ihren Metaphysiklehrbüchern die Aufnahme dieses Zeichentyps entweder ganz, oder aber er wird auf den Bereich der natürlichen Zeichen (zu denen das Sakrament eben nicht zählt) beschränkt (vgl. Derodon 1659, 499). Die meisten der ausführlich diskutierten Zeichen entstammen dem kontroverstheologisch brisanten Gebiet der Sakramentalzeichenlehre (vgl. dazu auch Art. 72 § 2.1.). Ihre Aufnahme in die allgemeine Zeichentypologie ermöglicht und motiviert jedoch auch das Aufsuchen außertheologischer Beispiele. So kann als Exempel des signum exhibitivum der gefüllte Geldbeutel angeführt werden, der die Münzen nicht nur anzeigt sondern auch darreicht (Fromm 1651, 369; Schultetus 1659, fol. 8 2v), oder die erhobene Axt des Holzfällers zur Veranschaulichung des signum practicum dienen, da sie den Hieb nicht nur anzeigt, sondern diesen auch real dem Holz mitteilt (Fromm 1651, 369). Die Übersetzung der ursprünglich theologischen Zeichendistinktionen in außertheologische Kontexte verlangt ⫺ bedingt durch die Eigenart kultisch-religiöser Zeichenverwendung ⫺ die theoretische Berücksichtigung auch solcher Zeichenfunktionen, die über das Feld rein semantischer Bestimmungen hinausgehen. Entsprechend tritt verschiedentlich die pragmatische Dimension der Zeichen deutlich in den Blick. So dient bei Keckermann (1615, 90) etwa das unter ein Privileg gesetzte Siegel des Fürsten als Beispiel des signum certificans („versichernden Zeichens“), da es nicht nur den Willen des Fürsten gegenüber dem Adressaten des Privilegs kundgibt, sondern diesen auch verbindlich aller versprochenen Benefizien versichert. In ausdrücklicher Form reflektiert Scheibler (1622 ⫽ 1636, 375) auf die pragmatische Dimension der Zeichen, wenn er betont, man müsse zur Gewährleistung einer sinnvollen Distinktion von signum practicum und signum theoreticum ersteres strikt auf jene Zeichen beschränken, die aus ihrem eigenen Zeichensein heraus etwas bewirken, und zwar
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62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
naturale
phantasma noema (notio)
internum (= conceptus) externum
necessarium contingens
prima secunda inartificiale (Strauch hinsichtlich des Weinverkaufes)
signum
arbitrarium
diversum ex efficiente diversum ex finale
reale verbale
scriptum pronunciatum
profanum artificiale ( Statue) sacrum (Sakrament) commonefaciens (Denkmal) obsignans (Wahrzeichen) notificans (Kennzeichen)
Abb. 62.2: Zeichentypologie nach Clemens Timpler (1606).
Signum: notificans (Strauch hinsichtl. des Weinverkaufs)
commonefaciens (Denkmal)
obsignans (Wahrzeichen, Siegel)
necessarium (legitimer Gebrauch der Sakramente hinsichtl. der wahren Kirche)
contingens (Blässe als Zeichen der Gelehrtheit)
significativum (Strauch hinsichtl. des Weinverkaufs)
exhibitivum (Sakrament, Geldbeutel)
formale (species sensibiles oder intelligibiles)
instrumentale (Grenzmarkierung)
naturale (Rauch hinsichtl. des Feuers)
arbitrarium (Schrift)
doctrinale
non-doctrinale (Gebell, Morgenröte)
internum (geistiger Begriff)
externum (Sprache, Schrift)
rememorativum (Denkmal)
demonstrativum (Klopfen an der Tür)
prognosticon (medizinische Zeichen)
theoreticum (Bild des Fürsten)
practicum (erhobene Axt)
manifestativum (Glockengeläut)
manifestativum et suppositivum (sprachliche Ausdrücke, Namen)
Abb. 62.3: Zeichentypologie nach Andreas Fromm (1651).
nicht nur beiläufig und gelegentlich. Wenn man nämlich jede auf einen Zeichenakt hin erfolgende Aktion als Wirkung des Zeichens interpretiert, gibt es vermutlich kein Zeichen, das nicht auch „praktisch“ wäre („fortasse
nullum signum est, quod non sit practicum“). So bezeichnet der vor dem Wirtshaus ausgehängte Strauch nicht nur den Weinverkauf, sondern motiviert auch den Dürstenden, hineinzugehen und Wein zu kaufen.
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4.
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Die Zeichentheorie in der Metaphysik des 18. Jahrhunderts
Die protestantische Tradition der Behandlung der Zeichenlehre im Rahmen der Metaphysik setzt sich, besonders in der Wolffischen Schule, bis ins späte 18. Jahrhundert fort. Inhaltlich kommt es hierbei allerdings zu erheblichen Umbesetzungen, denn die kontroverstheologische Prägung der metaphysischen Zeichenlehre des 17. Jahrhunderts hat sich vollständig verflüchtigt. All jene Zeichendistinktionen, die in erster Linie mit Blick auf konfessionelle Divergenzen innerhalb der Sakramentaltheologie behandelt wurden (z. B. signum practicum ⫺ theoreticum; signum exhibitivum ⫺ nudum), finden keine Erwähnung mehr ⫺ es sei denn in den philosophischen Lexika, wo sie als „Eintheilungen, die wenig Nutzen haben“ umfassend inventarisiert werden (vgl. Zedler 1749 ⫽ 1964, 548 f). Dasselbe gilt auch hinsichtlich der für die ältere Tradition grundlegenden Unterscheidung zwischen dem signum formale und dem signum instrumentale. Indem das Konzept des Formalzeichens theoretisch ausfällt ⫺ Ideen, Begriffe oder geistige Vorstellungen gelten als Repräsentationen der Dinge („sibi aliquid repraesentare“ ⫽ „sich etwas vorstellen“), nicht jedoch als Zeichen derselben ⫺ wird der Begriff des Zeichens auf den Typ des Instrumentalzeichens festgelegt. Zugleich tritt hiermit die Indexfunktion des Zeichens dominierend in den Vordergrund. So gilt nach Christian Wolff (1736 ⫽ 1962, 688), bei dem die alte Zeichendistinktion hinsichtlich der drei Zeitekstasen bereits in die Definition des Zeichens eingeht: „Signum dicitur ens, ex quo alterius praesentia vel adventus vel praeteritio colligitur“, bzw. „ein Zeichen ist ein Ding, daraus ich entweder die Gegenwart, oder die Ankunft eines anderen Dinges erkennen kann, das ist, daraus ich erkennen kann, daß entweder etwas würklich an einem Orte vorhanden ist, oder daselbst gewesen, oder auch etwas daselbst entstehen werde” (1751 ⫽ 1983, 160). Wenn zwei Dinge von Natur aus entweder stets zugleich sind oder aufeinander folgen, so ist das eine Ding Zeichen des anderen (1736 ⫽ 1962, 689). Jedes Kausalverhältnis wird damit in eine Zeichenbeziehung übersetzbar. Die hinreichende Wirkursache („causa efficiens sufficiens“) ist ebenso Zeichen ihrer Wirkung, wie umgekehrt die Wirkung ihre entsprechende Ursache bezeichnet (692 f) oder aber zwei von derselben Ursache abhängige Wirkungen Zei-
chen füreinander sind (694). Diesen natürlichen Zeichen stehen die signa artificialia oder arbitraria („die künstlichen oder willkürlichen Zeichen“) gegenüber, deren Bezeichnungskraft vom Willen des Menschen oder eines anderen vernunftbegabten Lebewesens abhängt (690 f). Nach Wolff lassen sich vier Funktionen der artifiziellen Zeichen unterscheiden, denn diese dienen entweder a) zur Abkürzung, b) zur Geheimhaltung, c) zur deutlichen Vorstellung oder Mitteilung oder d) „zum Erfinden“. Letztere finden Anwendung in der Algebra sowie in der „ZeichenKunst“ („ars inveniendi“; 1751 ⫽ 1983, 175 f). Grundlegend für diese ist auch die Distinktion in signa primitiva und signa derivativa, d. h. in nicht weiter ableitbare Zeichen und solche, die auf einfachere Zeichen zurückgeführt werden können (1736 ⫽ 1962, 694 f). Wolffs zeichentheoretische Ausführungen haben in der Folgezeit einen bestimmenden Einfluß auf die metaphysischen Lehrbücher sowie auf die Entwicklung des Zeichenbegriffs insgesamt ausgeübt (vgl. Roeder 1927, 14 ff; Haller 1959, 125 ff). ⫺ In komprimierter Form bestimmt Alexander Gottlieb Baumgarten das Zeichen im Wolffischen Sinne als „medium cognoscendae alterius existentiae“ (Baumgarten 1779 ⫽ 1963, 107; vgl. Strack 1751, 4), was sein Schüler Georg Friedrich Meier mit den Worten wiedergibt: „ein jedwedes Ding ist ein Zeichen eines anderen, sofern es ein Mittel ist, die Würcklichkeit des andern zu erkennen“ (Meier 1755, 441). Die Konzeption des Zeichens bleibt, wie bereits in Wolffs Ontologia, auf den Typ des anzeigenden Zeichens restringiert. Insofern kann Meier auch die Worte als Zeichen der Gedanken in eine Reihe mit den Anzeichen der Krankheit, des Wetters oder der „Gemüthsbeschaffenheit“ stellen, denn „wenn wir reden, so kann ein anderer aus unsern Worten erkennen, welche Vorstellungen in unserer Seele eben zu der Zeit würcklich sind“ (Meier 1755, 446). Der vollständige Ausfall des signum formale und die dadurch bedingte Verkürzung des Zeichenbegriffs auf das Modell des signum instrumentale ermöglicht eine problemlose Verschmelzung der Wolffschen Zeichendefinition mit derjenigen der Logik von Port-Royal. Sie unternimmt Georg Bernhard Bilfinger, wenn er das signum bestimmt als „res, quae praeter ideam sui in animo ideam excitat cuiusdam alterius ut praesentis, praeteritae aut futurae“ („eine Sache, die neben ihrer eigenen Idee im Geist zugleich die Idee
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
von irgendetwas anderem als eines gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen hervorruft“; vgl. Roeder 1927, 20). Die Verflachung der allgemeinen Zeichentheorie im Sinne der älteren „doctrina generalis de signo et signato“, wie sie sich in den Metaphysik-Lehrbüchern des 18. Jahrhunderts abzeichnet, ist jedoch keineswegs Ausdruck eines geringer gewordenen Interesses am Zeichen. Im Gegenteil: die Nützlichkeit und Notwendigkeit einer fundierten und umfassenden Zeichenlehre wird nirgends emphatischer betont als hier. So heißt es bei Meier (1755, 444): „Da die Zeichen einen so wichtigen und weitläufigen Theil der ganzen menschlichen Erkenntniß ausmachen, da wir ohne Zeichen gar nicht oder sehr wenig und schlecht denken können, und da wir nur vermittelst der Zeichen zu aller unserer Erkenntniß würcklicher Dinge gelangen: so verlohnt es sich wohl der Mühe, die Lehre von den Zeichen recht auszuführen. Daher ist es ein sehr nützliches und nöthiges Unternehmen, wenn die Gelehrten die Lehre von den Zeichen recht anbauen und sie in eine recht vollkommene Wissenschaft verwandeln.“ Die Ansätze zur Einlösung dieses Programms finden sich jedoch nicht mehr in der bereits im Schwinden begriffenen Metaphysik. Die eingehende Behandlung des Zeichenthemas verlagert sich, bedingt durch das Konzept der ars characteristica und die Theorie der cognitio symbolica, in die Erkenntnislehre, Ästhetik und Logik (s. u. § 8.2.4.; vgl. auch Art. 63 und 64).
5.
Die Zeichen in der hermetischneuplatonischen Naturphilosophie der Renaissance
Die hermetisch-neuplatonische Naturphilosophie, die außerhalb der überwiegend aristotelisch geprägten Universitäten des 16. und 17. Jahrhunderts eine starke Verbreitung fand, basiert im Wesentlichen auf der Annahme eines hierarchisch strukturierten Kosmos, der gebildet wird durch (1) den mundus supercoelestis bzw. intellectualis als Region der (je nach Ausdeutung) Engelshierarchien oder spirituellen Naturprinzipien, (2) den mundus coelestis, die Region der Himmelsund Planetensphären und (3) den mundus elementaris, die aus den vier Grundelementen bestehende Erde. Zwischen diesen Welten, die durch zahllose Analogie- und Kausalbeziehungen miteinander verbunden sind, besteht gemäß dem hermetischen Grundsatz,
1211 „quod est inferius est sicut id, quod est superius, et quod est superius est sicut id, quod est inferius“ das Verhältnis einer spiegelbildlichen Entsprechung. Hieraus folgt, wie Agrippa von Nettesheim (1486⫺1535) erläutert, daß „alles Untere unter dem Einfluß des Oberen steht und gewissermaßen […] alles ineinander enthalten ist, nämlich das Unterste im Obersten und das Oberste im Untersten. So befindet sich im Himmel Irdisches, aber der Ursache nach und auf himmlische Weise; auf der Erde dagegen Himmlisches, aber der Wirkung nach und auf irdische Weise. So beziehen sich verschiedene Dinge auf die Sonne, und wieder andere auf den Mond […]. Derartige Dinge empfangen mehrere Wirkungen und Eigenschaften, die den Wirkungen der Gestirne und Sternbilder gleichen, unter deren Einfluß sie stehen“ (Agrippa von Nettesheim 1600 ⫽ 1970, 1.43). Dieser universale Wirkungszusammenhang manifestiert sich durch Zeichen, die das Beziehungsgeflecht zwischen den Dingen anzeigen und verdeutlichen. So haben „alle Sterne […] ihre eigentümliche Natur und Beschaffenheit, deren Zeichen und Merkmale („signacula et characteres“) sie durch ihre Strahlen auch in unsere Welt den Elementen, Steinen, Pflanzen, Tieren und deren Gliedern mitteilen. Jede Sache erhält daher gemäß der harmonischen Ordnung und von ihrem sie bestrahlenden Stern ein besonderes Zeichen oder Merkmal eingedrückt, das den betreffenden Sterneinfluß genau charakterisiert“ (Agrippa von Nettesheim 1600 ⫽ 1970, 1.59). Diese „vertikalen“ Affinitäten zwischen den Sternen und den Dingen liefern das Modell für die „horizontalen“ Wirkungszusammenhänge der Dinge untereinander. Gemeinsam konstituieren sie, so erklärt Paracelsus (1493⫺1541), das dichte Gewebe von geheimen, im Innern der Dinge verborgenen, zugleich jedoch durch äußere Zeichen manifest werdenden Verbindungen, welche jenseits der sichtbaren Oberfläche der Dinge den gesamten Makrokosmos durchziehen und diesen mit dem Mikrokosmos in Beziehung setzen; „dan alles was got erschaffen hat dem menschen zum guten […], wil er nit das es verborgen bleib, und ob ers gleich verborgen, so hat ers doch nicht unbezeichnet gelassen mit auswendig sichtlichen Zeichen“ (Paracelsus 1923⫺33, 11.393). So gibt es nichts, „das die natur nicht gezeichnet habe, durch welche Zeichen man erkennen kann, was im selbigen ist, was gezeichnet ist“ (Paracelsus 1923⫺33, 12.91). Alle „Kräuter, Bäume und andere Gewächse der Erden“ sind
1212
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
„Bücher und magische Zeichen“ (Crollius 1623, 5). Die Textur des großen, in „hieroglyphica grammata“ verfaßten Buches der Natur ist durch die Ähnlichkeit reguliert, der eine tragende Rolle in der Wissens- und Zeichenkonzeption der außeruniversitären, nichtaristotelischen Naturphilosophie des 16. und 17. Jahrhunderts zukommt. Denn die verborgenen Beziehungen und Affinitäten der Dinge, selbst zum großen Teil nach dem Modell der Analogie, Sympathie oder Ähnlichkeit gefaßt, bedürfen der Manifestation durch äußere Zeichen, deren Signifikanz ihrerseits in der Ähnlichkeit begründet ist (vgl. Foucault 1966 ⫽ 1978, 46⫺77). Die Kräuter „reden einen Medicum […] auf Magische Weise durch ihre Signaturn und Zeichen an und geben demselbigen ire innerliche Geheimnusse, so in den Stillschweigen der Natur verborgen, also durch ein Gleichnus zu erkennen (per similitudinem manifestant)“ (Crollius 1623, 5; 1609, praef. admonitoria, 2). Die Mitteilung der Natur an den Menschen erfolgt nicht in arbiträren Zeichen, sondern folgt mit ihren Signaturen dem in seiner Allgemeinverständlichkeit jeder natürlichen menschlichen Sprache überlegenen „modus demonstrandi per similitudinem“ (ebd.). Diese Ähnlichkeit ist es, die anzeigt, daß etwa der Kern der Walnuß, „das Hirn und gantze Haupt gewaltig stärket“ oder daß die dem Augapfel ähnelnde schwarze Beere des Pariskrautes „zu den Gebrechen der Augen eins der aller kräftigsten Mittel ist“ (Crollius 1623, 22 f). Die Erkenntnis der Natur ist damit wesentlich die Dechiffrierung und Interpretation der von ihr eingesetzten Zeichen. „Der von den natürlichen Dingen schreiben will, der muß schreiben aus dem signato und dasselbe aus dem signo erkennen. Sonst ist alles umsonst“ (Paracelsus 1923⫺33, 2.122). Zeichen und Bezeichnetes verhalten sich hierbei stets wie Äußeres und Inneres. Das „Innen“ wird als der Raum der „inneren Werke und Tugenden“ (Paracelsus 1923⫺33, 12.177), der verborgenen Wesenheiten, „innerlich inwohnenden Kräfte“ und „innerlichen Geheimnusse“ der Dinge (Crollius) sowie als „innere Welt“ (Böhme 1622 ⫽ 1957, 19) zum Signifikat schlechthin all der über die Welt verstreuten Zeichen und Charaktere. Zugleich markiert es den eigentlichen Zielpunkt aller wahren Naturerkenntnis, welche anders als die in „unnützlichen disputationes“ befangenen „Nomenclatores“ sich nicht allein um die „eusserliche bittere Rinden bemühet“ (Crollius 1623, 3), sondern wie
die magia naturalis und die besonders im Paracelsismus ausgearbeitete Signaturenlehre (vgl. Weinhandl 1970, 60 ff; Schipperges 1974, 117⫺124; Bianchi 1987) „durch die äußeren Formen das inwendige Herz zu erkennen“ sucht (Paracelsus 1923⫺33, 12.179). In dieser Methode der Erkenntnis des verborgenen Inneren durch äußere Zeichen überschneidet sich die Signaturenlehre nicht nur mit der allgemeinen Physiognomie (Paracelsus 1923⫺33, 8.293), die nach geläufiger Definition lehrt, „ex signis internas corporum naturalium affectiones“ („durch Zeichen die inneren Eigenschaften der natürlichen Körper“) zu erkennen (Alsted 1630, 615), mit der „physiognomia humana“, „quae signa tradit externa, ex quibus internae et occultae hominis affectiones cognosci possunt“ („die die äußeren Zeichen behandelt, aus denen die inneren und verborgenen Eigenschaften des Menschen erkannt werden können“; Timpler 1606, 129), sowie mit jener Kunst der Menschenkenntnis, die Scipio Claramontius 1620 unter dem Titel „Semeiotica moralis“ entworfen hat und für die ein Zeichen ein „beliebiges sinnliches Erfaßbares ist, welchem, indem es existiert oder getan wird, ein mit ihm notwendig oder wahrscheinlich verbundener Charakter zugrunde liegt“ („Signum est sensibile quippiam, quo existente, vel facto, mos certus subest, vel necessario vel probabili nexu“; Claramontius 1620 ⫽ 1665, 10). Sie kommt hierin auch mit der bis ins 17. Jahrhundert hinein gültigen Konzeption empirischer Naturbetrachtung überein. Das Erkennen vollzieht sich als Dechiffrierung und Interpretation von Zeichen (vgl. Art. 57 § 2., 61 und 71).
6.
Die Zeichenkonzeption der entstehenden Naturwissenschaften
Dieses Konzept liegt auch Francis Bacons Programm der „interpretatio naturae“ zugrunde (Bacon 1857⫺74, 1.157 ff). Wie der magia naturalis geht es dieser um ein „introspicere naturam“ (1.280) sowie darum, „ad interiora et remotiora naturae penetrare“ („in das Innere und Verborgene der Natur einzudringen) (1.159). Das Wissenschaftsprogramm Francis Bacons (1561⫺1626) verläßt die ältere Tradition allerdings insofern, als bei ihm der Begriff der Ähnlichkeit beginnt, problematisch zu werden. Die Struktur des Universums gleicht einem Labyrinth, in welchem sich dem Betrachter überall täuschende
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Ähnlichkeiten der Dinge und der Zeichen („fallaces rerum et signorum similitudines“; 1.129) darbieten. Gleichwohl findet sich auch bei Bacon die nachdrückliche Betonung der Wichtigkeit, die Ähnlichkeiten und Analogien zwischen den Dingen aufzuspüren und zu untersuchen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um jene „inanes similitudines et sympathias rerum“ („leeren Ähnlichkeiten und Sympathien der Dinge“), wie sie seiner Meinung nach gerade die Vertreter der magia naturalis beschrieben und erdichtet haben, sondern vielmehr um die „realen, substantiellen und in der Natur selbst begründeten“ Ähnlichkeiten (1.280). Diese manifestieren die Regularitäten und Gesetze, von Bacon als „Formen“ bezeichnet (1.228), die den „verborgenen Prozessen“ und „verborgenen Gestaltungen“ (1.235) zugrunde liegen und deren Erforschung und Erklärung sowohl die Grundlage des Wissens wie dessen praktischer Umsetzung ist (1.229). Eine solche Erkenntnis vermag das syllogistische Verfahren nicht zu liefern, dessen „schlechte und unverständige Abstraktionen“ (1.171) in unheilvoller Verbindung mit der Unangemessenheit und Verworrenheit der menschlichen Sprache stehen, welche ihrerseits der Grund für die „lästigste“ der vier von Bacon analysierten Arten von Idolen (Götzenbilder, d. h. Hauptgründe für den desolaten Zustand der menschlichen Erkenntnis) ist, die „idola fori“ („Götzenbilder des Marktes“). Denn wie die aus leeren Abstraktionen hervorgegangenen Begriffe die Wörter verderben, welche Marken und Zeichen („tesserae et signa“; 1.136) derselben sind, übt umgekehrt die durch sie konstituierte Sprache einen schädlichen Einfluß auf das Denken aus. In einer für die Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und Denken, wie sie das 17. Jahrhundert vornimmt, charakteristischen, nämlich kritischen Form bemerkt Bacon (1.171) hierzu: „Die Menschen glauben, ihr Verstand gebiete den Worten; es kommt aber auch vor, daß die Worte ihre Kraft gegen den Verstand umkehren […]. Die Worte aber werden größtenteils nach der Auffassung der Menge gebildet und trennen die Dinge nach Richtungen, die dem gewöhnlichen Verstand besonders einleuchtend sind. Wenn dann aber ein schärferer Intellekt […] die Bestimmungen ändern will, damit sie der Natur entsprechender sind, widerstreben die Worte“ (vgl. Spinoza 1925, 2.33; Arnauld 1775⫺83, 41.168). Die Idole des menschlichen Intellekts sind willkürliche Abstraktionen ohne reale Entsprechungen in
1213 der Natur. Die Ideen des göttlichen Intellekts dagegen sind als „signacula“ (Bacon 1857⫺ 74, 1.218) und „verae signaturae“ den Dingen eingeprägt (1.160). Bacon stellt daher dem syllogistischen Verfahren der aristotelischen Naturphilosophie, welches vorschnell abstrakte Generalia bildet und aus diesen deduktiv fortschreitet, seine Methode der Induktion entgegen, die ⫺ nicht im Sinne der mathematischen Induktion mißzuverstehen ⫺ unter Beachtung dieser wahren Signaturen und Zeichen von der systematischen Beobachtung des Einzelnen stufenweise (gradatim; 1.160) zu jenen allgemeinen Gesetzen, den „generalissima bene terminata“ bzw. Formen aufsteigt, die im Innersten der Dinge stecken („rebus inhaereant in medullis“; 1.137). Die Ablösung der sich formierenden Naturwissenschaften von der älteren Naturphilosophie und der magia naturalis vollzieht sich zu einem nicht unbedeutenden Teil auf der Ebene einer sich wandelnden Zeichenkonzeption. So wird bei Pierre Gassendi (1592⫺1655) der epikureische Zeichenbegriff zur Grundlage der Bestimmung der Naturphilosophie. Der Gegenstandsbereich, den Gassendi der Physik zuweist, ist koextensiv dem Bereich zeichenvermittelter Erkenntnis in der epikureischen Zeichenlehre. Er umfaßt unter Ausschluß der offenbaren und der absolut verborgenen Dinge („res manifestae“, „res penitus occultae”) die von Natur aus und die temporär verborgenen Dinge („res natura, ad tempus occultae“; Gassendi 1658, 1.69a; vgl. Detel 1978, 53 f). Hierbei hat der Begriff des „Okkulten“, gefaßt als das den Sinnen nicht unmittelbar Zugängliche, seine alten magisch-mystischen Konnotationen verloren. Die sinnlichen Erscheinungen haben den Charakter von sichtbaren Zeichen nicht direkt erkennbarer Dinge. Die Festlegung der Naturerkenntnis auf das Medium der Zeichen impliziert, daß jede Erkenntnis ihren Ursprung in den Sinnen hat; „ideo praeire Menti debet Signum quoddam sensile, quo in rei latentis, nec Sensu perceptae notitiam ducatur“ („also muß dem Geist irgendein sinnliches Zeichen voraufgehen, durch das er zur Kenntnis der verborgenen und nicht durch die Sinne wahrgenommenen Sache geführt wird“; 1.81b). Es gibt nach Gassendi somit ein zweifaches Kriterium der Wahrheit; zum einen die Sinne, durch welche die Zeichen perzipiert werden, und zum anderen den Intellekt, durch welchen, ausgehend von den auf ihre Verläßlichkeit überprüften sichtbaren Zeichen, die Sache schlußfolgernd er-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
kannt wird. Resultat dieser Anwendung der epikureischen Zeichenlehre auf die Physik ist bei Gassendi das Programm einer vom Intellekt oder der Ratio geleiteten empirischen, d. h. zeichenvermittelten Naturerkenntnis als des geeigneten Mittels zur Einlösung der Maxime „legendus est liber ipse naturae, si quidpiam certi addiscendum est“ („soll irgend etwas Sicheres gelernt werden, ist das Buch der Natur selbst zu lesen“; 1658, 3. 266). Die Natur und das Universum ist weiterhin als ein Buch ⫺ und wie ein solches ⫺ zu interpretieren. Was wechselt, sind die Zeichen, in denen es geschrieben ist. Für Galilei sind dies nicht mehr die unmittelbar in die Augen fallenden Signaturen und Ähnlichkeiten. „Darum können wir“, wie er in einer berühmt gewordenen Sentenz ausführt, „es erst lesen, wenn wir die Sprache gelernt haben und mit den Zeichen [charatteri] vertraut sind, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und seine Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne deren Mittel es dem Menschen unmöglich ist, auch nur ein einziges Wort zu verstehen“ (Galilei 1968, 232). Solange davon ausgegangen wird, daß die Natur von sich aus ihre Geschichte erzählt und ihre Geheimnisse preisgibt, hat die wahre Philosophie nichts anderes zu sein, als deren „simulacrum et reflexio“ (Bacon 1857⫺74, 4. 640). Die Zeichen, in denen das Buch der Natur verfaßt ist, und die zu seiner Darstellung verwendeten Zeichen müssen einander entsprechen. Die Sprache der Natur liefert somit das Modell für die Sprache ihrer Beschreibung. Die wissenschaftliche Naturerkenntnis beginnt im 17. Jahrhundert, sich auf mathematische Zeichen festzulegen. An die Stelle des qualitativen Vergleichs tritt die quantitative Berechnung, an die des Gleichnisses die Gleichung. Die mathematischen Zeichen dienen nicht mehr zur Eröffnung eines geheimen „Inneren“ der Dinge als des Ortes der verborgenen Wesenheiten und Ursachen, sondern zur Beschreibung und Ordnung der Phänomene unter dem Gesichtspunkt ihrer Meßbarkeit sowie ihrer Verknüpfung zu einem System (vgl. Cassirer 1906⫺20 ⫽ 1974, 2.401 ff).
7.
Modelle artifizieller Zeichensysteme
7.1. „Universal language“ und „philosophical language“ In De augmentis scientiarum stellt Bacon (1857⫺74, 1.651) fest ⫺ ähnliche Überlegungen finden sich bereits bei älteren Autoren
wie Albert von Sachsen und Paul von Venedig ⫺: „Quicquid scindi possit in differentias satis numerosas, ad notionum varietatem explicandam (modo differentiae illae sensui perceptibiles sunt) fieri posse vehiculum cogitationum de homine in hominem“ („Was immer auch in so viele Teile differenzierbar ist, daß dadurch die Fülle der Begriffe dargetan werden kann, vermag, sofern jene Unterschiede sinnlich wahrnehmbar sind, zum Vehikel der Mitteilung der Gedanken zwischen den Menschen zu werden“). Wenn Sprache und Schrift, wie allgemein üblich, als Systeme arbiträrer Zeichen betrachtet werden, ist es angesichts dieser Fülle möglicher Mitteilungsformen denkbar, daß Zeichensysteme konstruierbar sind, die die jeweils bestehenden in bestimmter oder auch in mehrfacher Hinsicht übertreffen. Nachdem im 16. Jahrhundert zahlreiche Modelle von Geheimschrift (Kryptographia) und Kurzschrift (Brachygraphia) vorgelegt worden waren (siehe auch Art. 173), richtete sich im 17. Jahrhundert das Interesse mehr auf die Entwicklung von skripturalen Zeichensystemen, die die an die natürlichen Sprachen gebundene alphabetische Schrift in ihrer kommunikativen Funktion übertreffen und den Mangel aller natürlichen Sprachen, nicht überall verstanden zu werden, kompensieren sollten (vgl. Art. 175). Gesucht wurde die unter Bezeichnungen wie „lingua universalis“, „common writing“ oder „universal character“ angepriesene Universalsprache (vgl. Knowlson 1975; siehe auch Art. 65 § 5.). Das Modell einer Schrift, durch deren Hilfe „nations of strange languages may communicate their meaning together in writing, though of sundrie tongues“ findet sich bereits 1588 bei Timothy Bright (1588, Epistle dedicatorie), der diese in erster Linie als Kurz- und Geheimschrift konzipiert hat. Die vorgebliche Anwendbarkeit der Kurzschrift Brights als eines universalen Verständigungsmittels resultiert aus der Verwendung von „verbal characters“ anstelle von „spelling characters“. Die Zeichen stehen jeweils für ganze Worte und bezeichnen damit die Dinge unabhängig von den verschiedenen natürlichen Sprachen. Dieser Gedanke einer transidiomatischen Schrift sowie das Prinzip ihrer Konstitution ist bestimmend für die Programme der Universalschrift, wie Cave Becks „Universal character, by which all nations in the World may understand one anothers conceptions, reading out of one common writing their mother tongues“ (Beck 1657; vgl. Salmon 1979, 177⫺190) oder Fran-
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
cis Lodwicks „Common writing“ (1647 ⫽ 1969; vgl. Knowlson 1975, 57 ff). Erklärtes Ziel der Universalschrift ist zunächst die Bereitstellung eines Mittels für die Ermöglichung des wechselseitigen Verkehrs der Nationen sowie für die Ausbreitung des Wissens und der Religion (vgl. Knowlson 1975, 11 f). Die intendierte Universalität der Schrift ist dabei nur zu erreichen, wenn diese ihrer Bindung an die einzelnen natürlichen Sprachen enthoben wird, d. h. nicht länger mehr als alphabetische Schrift nur Zeichen von Zeichen enthält, sondern in eine unmittelbare Zeichenbeziehung zu den Dingen und Begriffen tritt. Bacon hat 1623 in De augmentis scientiarum darauf hingewiesen, daß solche Schriftzeichen („characteres quidam reales, non nominales, qui […] nec literas nec verba, sed res et notiones exprimunt“) in China allgemein in Gebrauch seien. Er unterschied hier zwei Arten von Zeichen („notae“), die unmittelbar die Dinge bezeichnen, nämlich einerseits solche Zeichen, die ihr Signifikat aufgrund einer Ähnlichkeit oder Übereinstimmung mit demselben („ex congruo“) bezeichnen, wie die Hieroglyphen und die Gesten als eine Art transitorischer Hieroglyphen („hieroglyphica transitoria“), und zum anderen die Realcharaktere als willkürlich gebildete Schriftzeichen ohne eine solche Ähnlichkeit zum Signifikat (Bacon 1857⫺74, 1.651ff). Neben den ägyptischen Hieroglyphen und den chinesischen Schriftzeichen galten die Zahlzeichen als Beispiel transidiomatischer Zeichen (vgl. Arriaga 1632, 184). Entsprechend wurden die arabischen Ziffern bei Beck (1657), Johann Joachim Becher (1661 ⫽ 1962) und Athanasius Kircher (1663) zur Konstitution der Universalcharaktere herangezogen. Kam eine Schrift, die aus hieroglyphischen, d. h. eine Ähnlichkeit zum Signifikat aufweisenden Schriftzeichen gebildet war, wegen ihres sehr beschränkten Bereichs möglicher Signifikate zur Bildung einer Universalsprache nicht ernsthaft in Betracht, so war auch die aus Realcharakteren gebildete chinesische Schrift aufgrund der „difficulty and perplexedness“ ihrer Charaktere (Wilkins 1668 ⫽ 1968, 451) kein befriedigendes Modell. Denn für das Hauptproblem der Universalschrift konnte sie keine Lösung aufzeigen, nämlich wie Kürze, Regularität und Einfachheit der Realcharaktere zu erreichen war, wenn diese zugleich die Verschiedenheit und Komplexität der natürlichen Welt adäquat repräsentieren sollten. Um die Anzahl der verwendeten Schriftzeichen möglichst gering
1215 zu halten und die umfangreichen Zeichenglossare überschaubar zu machen, war die Einführung einer systematischen Ordnung erforderlich. Eine solche Strukturierung des Systems der Zeichen ist im Falle von Realcharakteren jedoch immer auch eine Ordnung der Dinge selbst. Diese Aufgabe der Erstellung einer systematischen Ordnung der Dinge nach Art einer Universaltopik bildet den Ansatzpunkt für Einflüsse sowohl von seiten der Tradition der Gedächtniskunst („ars memoriae“) als auch des Lullismus (vgl. Knowlson 1975, 78 ff). Letzterer tritt deutlich zutage bei Kircher (vgl. Schmidt-Biggemann 1983, 176 ff). Im Ganzen gesehen beschränkt er sich zumeist jedoch auf äußerliche Ähnlichkeiten hinsichtlich der kombinatorischen Verknüpfung von Zeichen und Begriffen. Die lullistischen Kategorien selbst werden kaum übernommen. Man ist bemüht, ein eigenes Kategoriensystem philosophisch zu begründen. „Cum enim […] Signa a nobis pro Rebus ipsis supponantur“, bemerkt George Dalgarno (1661, 18), „omnino rationi consentaneum est, ut Ars Signorum Artem Rerum sequatur“ („Da die Zeichen von uns für die Sachen selbst eingesetzt werden, ist es nur vernünftig, daß die Kunst der Zeichen der Kunst der Dinge folgt“). Aus eben diesem Grund hatte sich Descartes bereits 1629 in einem Brief an Mersenne gegen die Realisierbarkeit einer Universalsprache ausgesprochen: „l’invention de cette langue depend de la vraye Philosophie“, so daß ihre Einführung „presuppose de grans changemens en l’ordre des choses, et il faudroit que tout le monde ne fust qu’un paradis terrestre“ (Descartes 1897⫺1913, 1.81 f). Genau zur Herbeiführung dieses Zustandes sollte die lingua universalis nach dem Programm von Johann Amos Comenius beitragen (vgl. De Mott 1955). Sie gilt ihm als das einzige noch fehlende Mittel zur Realisierung seines utopischen Projekts einer „reformatio universalis“ (Comenius 1668, 58 f). In seiner 1641 verfaßten und später der Royal Society dedizierten pansophischen Programmschrift formuliert Comenius (1668, dedicatio n. 9) die an eine solche „lingua prorsus nova, prorsus facilis prorsusque rationalis et philosophica“ zu stellenden Anforderungen. Um als universelles Heilmittel gegen die Verwirrung der Begriffe („confusionis conceptuum antidotum universale“) fungieren zu können, darf sie (1) bis in die kleinsten Bestandteile hinein nur aus signifikativen Elementen bestehen, (2) keinerlei Unregelmäßigkeiten enthalten und
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(3) keine Diskrepanz zwischen den Dingen und den Begriffen zulassen, so daß mit den Worten immer zugleich auch die Naturen der Dinge und ihre Unterschiede ausgedrückt werden (Comenius 1668, 78). Diese formalen Kriterien versuchen auch ⫺ ohne sich jedoch auf ein ähnliches utopisch-pansophisches Programm zu verpflichten ⫺ die beiden umfangreichsten aus dem Kreis der Royal Society stammenden Universalsprachen zu erfüllen, Dalgarnos Ars Signorum (1661; vgl. Salmon 1979, 157⫺175; Rossi 1969, 226 f) sowie John Wilkins’ Entwurf eines „real character“ und einer „philosophical language“ (1668 vgl. Rossi 1960, 223 ff; Knowlson 1975, 98 ff; Clauss 1982). Die Grundlage beider Systeme, die jeweils nicht nur den Entwurf einer Universalschrift sondern zugleich die Methode ihrer sprachlichen Umsetzung vorstellen, bildet eine allgemeine Kategorientafel. Den in ihr enthaltenen Gattungen (17 bei Dalgarno, 40 bei Wilkins) werden jeweils Basiszeichen zugewiesen, die durch Hinzufügung weiterer Zeichen den verschiedenen Arten und Spezies gemäß weiter ausdifferenziert werden können (Abb. 62.4). Für jeden Gegenstand oder Begriff steht somit ein komplexes Zeichen, das ihn nicht allein repräsentiert, sondern auch eindeutig im kategorialen System verortet, ihn also bis zu einem gewissen Grade definiert. Hierdurch vermittelt die Kenntnis der Universalsprache ⫺ die eben deshalb auch als „philosophical language“ apostrophiert werden kann ⫺ zugleich die Kenntnis der Dinge. Dieses Moment unterscheidet, zumindest dem Anspruch nach, die philosophischen Sprachentwürfe von Dalgarno und Wilkins deutlich von den älteren Modellen einer Universalschrift (vgl. Knowlson 1975, 72 ff). 7.2. Die „characteristica universalis“: G. W. Leibniz Die ausführlichsten Ansätze zur Konstruktion eines artifiziellen Zeichensystems zum Zwecke der Erkenntnis finden sich bei G. W. Leibniz (1646⫺1716; vgl. Couturat 1901 ⫽ 1966; Schnelle 1962; Burckhardt 1980; Pombo 1987). In zahlreichen, von ihm selbst zumeist nicht veröffentlichten, Entwürfen untersucht er das Problemfeld von ars characteristica, ars combinatoria und ars inveniendi, das, in enger Verbindung mit seinem metaphysischen System stehend (vgl. Kohler 1913; Matzat 1938), bis zu seinem Tod einen wichtigen Bereich seines Denkens ausmacht (vgl. Art. 64). Begriffs- wie problemgeschichtlich
laufen im Leibnizschen Programm der ars characteristica drei Traditionen zusammen (vgl. Haller 1959, 122): (1) die lingua universalis und philosophical language (vgl. Knowlson 1975, 107 ff), (2) das Konzept einer mathesis universalis (vgl. Poser 1979) und (3) die lullistische Kombinatorik (vgl. Hübener 1983; Schmidt-Biggemann 1983, 186 ff). Leibniz hebt sein eigenes Programm einer ars characteristica deutlich von den älteren Ansätzen einer lingua universalis ab. Denn das von diesen verfolgte Ziel der Erleichterung des wechselseitigen Verkehrs der Völker sei noch der kleinste Nutzen, den eine Universalcharakteristik haben würde (Leibniz 1875⫺90 ⫽ 1978, 7.7; 12; 19): „Ego enim scripturam quandam universalem excogitari posse arbitror, cuius ope calculare in omni genere rerum et demonstrationes invenire possimus perinde ac in Algebra et Arithmetica“ („Ich glaube nämlich, es läßt sich eine Art Universalschrift ausdenken, mit deren Hilfe wir bei allen Arten von Dingen so rechnen und Beweise auffinden können, wie in der Algebra und der Arithmetik“; 7.17; vgl. 184). Die Leibnizschen Realcharaktere sollen also nicht allein die Repräsentation von bereits Bekanntem, sondern vielmehr die Entdeckung von noch Unbekanntem ermöglichen. „Es müßte sich“, meint Leibniz, „eine Art Alphabet der menschlichen Gedanken ersinnen und durch die Verknüpfung seiner Buchstaben und die Analyse der Worte, die sich aus ihnen zusammensetzen, alles andere entdecken und beurteilen lassen“ (7.185). Zwar kann aufgrund dessen, daß der Bereich der kontingenten Tatsachenwahrheiten nicht der logischen Analyse, sondern allein der Erfahrung zugänglich ist, die ars characteristica universalis das utopische Programm einer Pansophie nicht realisieren (7.19; 200). Für den Bereich der Vernunftwahrheiten jedoch garantiert die algebra generalis unter der Voraussetzung einer gelungenen Einführung der die Natur der Dinge repräsentierenden Realcharaktere die gleichsam maschinelle Auffindung der Wahrheit und die Irrtumsunfähigkeit des Denkens („Haec Algebra […] generalis […] praestat, Errare ne possumus quidem si velimus, et ut Veritas quasi picta, velut Machinae ope in charta expressa, deprehendatur“; 7.10). Jeder Irrtum, Widerspruch und jede falsche Schlußfolgerung wäre nurmehr gleichsam ein syntaktischer Fehler, vergleichbar dem Solözismus in der natürlichen Sprache oder dem Rechenfehler in der Arithmetik („sophismata […] et paralogismi nihil aliud forent quam
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Abb. 62.4: John Wilkins (1668, 387): Beschreibung des „real character“.
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quod errores calculi in Arithmeticis, et soloecismis […] in linguis“; 7.205; vgl. 7.200). Die Universalcharakteristik liefert eine gleichsam mechanische Anleitung des Geistes (vgl. 7.14), mit deren Hilfe „quisquis mediocri licet ingenio praeditus […] difficillima etiam intelligere et pulcherrimas veritates invenire possit“ („jeder auch nur mit mittelmäßigem Verstand Begabte die schwierigsten Dinge verstehen und die schönsten Wahrheiten entdecken könnte“; 7.3). Mit Recht hat daher Couturat (1901 ⫽ 1966, 101) hinsichtlich der Leibnizschen characteristica universalis bemerkt: „Elle n’aide pas seulement le raisonnement, elle le remplace“ („Sie unterstützt den Verstand nicht nur, sie ersetzt ihn“; vgl. auch Art. 64, 66 § 2. und 76).
8.
Das Zeichen in der Erkenntnislehre
Es ist eine der am einhelligsten vertretenen Thesen der philosophischen Tradition, daß die Erkenntnis die Präsenz des Erkenntnisobjekts zur Voraussetzung hat; ein Allgemeinplatz, der in dieser Generalität ⫺ die weder die Art des Erkenntnisvermögens, noch des Erkenntnisobjekts, noch auch die der Präsenz festlegt ⫺ gleichwohl Raum für zahlreiche divergierende Erkenntniskonzeptionen bietet. Die überwiegend anerkannte Tatsache, daß die Dinge nicht selbst in das Erkenntnisvermögen eingehen oder diesem präsent sein können, macht die Annahme einer vermittelnden, vergegenwärtigenden Instanz erforderlich, welche geeignet ist, die fehlende Präsenz des äußeren Gegenstandes durch ihre Repräsentation desselben zu kompensieren (vgl. Yolton 1984). Wenn Locke (1975, 720 f) zur Begründung der Wichtigkeit einer „doctrine of signs“ feststellt: „For since the Things, the Mind contemplates, are none of them, besides it self, present to the Understanding, ’tis necessary that something else, as a Sign or Representation of the thing it considers, should be present to it“, so verwendet er damit eine durchaus traditionelle Argumentationsfigur. „Ad eliciendam cognitionem“, heißt es bei Johannes a Sancto Thoma, „oportet quod obiectum reddatur unitum seu praesens potentiae […]. Et cum hoc non possit per seipsam ingredi potentiam illique uniri, oportet hoc fieri media aliqua forma, quae vocitur species“ („Zum Hervorbringen einer Erkenntnis ist es erforderlich, daß der Gegenstand mit dem Erkenntnisvermögen vereint oder diesem präsent gemacht
wird […]. Und weil dieser nicht durch sich selbst in das Erkenntnisvermögen eingehen und sich mit diesem vereinigen kann, muß dies durch die Vermittlung einer gewissen Form geschehen, welche Spezies [Erkenntnisbild] genannt wird“; 1632 ⫽ 1930, 707b). Diese Vermittlung zwischen dem materiellen äußeren Gegenstand und dem immateriellen Intellekt wurde der im Mittelalter und der frühen Neuzeit überwiegend ⫺ wenn auch keineswegs ausschließlich ⫺ vertretenen Speziestheorie zufolge als ein mehrstufiger Prozeß der Überführung sinnlicher Erkenntnisbilder („species sensibiles“, „species impressae“) in geistige Erkenntnisbilder („species intelligibiles“, „species expressae“) oder Begriffe („conceptus“) aufgefaßt (vgl. Hamilton, in: Reid 1895 ⫽ 1967, 951⫺960), welche als Ähnlichkeiten, Bilder oder Zeichen der Dinge bestimmt wurden („similitudines“, „imagines“, „simulacra“, „signa“). Der Begriff des Zeichens besitzt damit traditionell eine zentrale Stellung innerhalb der Theorie der Erkenntnis. Denn das Erkennen vollzieht sich im Medium der Zeichen, ist als Prozeß der Transformation von Zeichen beschreibbar. Aber auch dort, wo die Speziestheorie abgelehnt wird, bleibt, wie bei Locke, das Konzept des Zeichens selbst präsent und fungiert weiterhin als vermittelnde Instanz zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Erkenntnis (vgl. Art. 74). 8.1. Das Zeichen in der perzeptiven Erkenntnis Die bis ins 17. Jahrhundert überwiegend anerkannte Speziestheorie bot das Modell einer durch Zeichen geleisteten abgestuften Vermittlung zwischen dem immateriellen Intellekt und dem materiellen äußeren Erkenntnisgegenstand; ein Modell, das gerade dort nicht mehr akzeptiert werden konnte, wo das Problem der geistigen Erfassung körperlicher Dinge sich schärfer stellte als je zuvor: im Dualismus von res cogitans und res extensa bei Descartes (1596⫺1650). Denn bereits die Annahme von species sensibiles, die als von der Materie gelöste, sich im Medium der Luft ausbreitende Formen aufgefaßt wurden, war mit den Prinzipien der cartesischen Physik unvereinbar. An ihre Stelle treten nach cartesischer Auffassung mechanische Bewegungsreize. Anders als die species können diese allerdings in keiner Ähnlichkeitsbeziehung zu dem Gegenstand stehen, dessen Erkenntnis sie vermitteln. Ebenso ist jede Kausalbeziehung unter der Voraussetzung des radikalen
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Dualismus von Leib und Seele ausgeschlossen. Gleichwohl nimmt auch bei Descartes der Zeichenbegriff eine zentrale Stellung innerhalb der Erklärung der Sinneswahrnehmung ein (vgl. Yolton 1984, 22 ff). Werden durch äußere Einwirkungen körpereigene Nerven affiziert, so setzt sich nach der Auffassung von Descartes diese Bewegung der Nerven bis zu den inneren Gehirnteilen fort und gibt dort dem Geist ein Zeichen, etwas zu empfinden, z. B. einen Schmerz im Fuß (vgl. Descartes 1897⫺1910, 7.88: „motus […] menti signum dat ad aliquid sentiendum“). Zwischen der Bewegung im körperlichen Sensorium oder Gehirn und der Empfindung bzw. Vorstellung im Geiste besteht kein Kausalzusammenhang. Das Modell des Zeichens ermöglicht Descartes die Ersetzung der Kausalbeziehung durch eine semantische Beziehung. Die Bewegung im Körper verursacht nicht, sie bezeichnet die Empfindung. Sie bezeichnet die Empfindung, repräsentiert sie jedoch nicht. Denn, wie Descartes hinsichtlich der Wahrnehmung des Lichts ausführt, „c’est nostre esprit tout de mesme, qui nous repre´sente l’ide´e de la Lumiere, toutes les fois que l’action qui la signifie touche nostre oeil“ („dennoch ist es unser Geist, der uns die Idee des Lichtes darstellt, während die Bewegung, die es bezeichnet, unser Auge trifft“; 1897⫺ 1910, 11.4; vgl. La Forge 1974, 175; Chauvin 1713, 622b). Der Zeichencharakter der Bewegung kann nun weder in einer Ähnlichkeit noch einem Kausalverhältnis zum Signifikat begründet sein. Neben diesen beiden Momenten kennt die traditionelle Zeichentheorie als Begründungsinstanz eines Signifikationsverhältnisses nur noch die willkürliche Einsetzung (s. o. § 2.2). Und genau dieser bedient sich Descartes hier als Modell und Begründung seiner Theorie der perzeptiven Erkenntnis äußerer Dinge. Denn wenn die allein aufgrund menschlicher Einsetzung signifikativen Worte uns Dinge erfassen lassen können, mit denen sie keinerlei Ähnlichkeit verbindet, „pourqouy la Nature ne pourrat’elle pas aussi avoir estably certain signe, qui nous fasse avoir les sentimens de la Lumiere, bien que ce signe n’ait rien en soy, qui soit semblable a` ce sentiment?“ („warum könnte dann nicht die Natur auch ein gewisses Zeichen gebildet haben, das uns die Empfindung des Lichtes haben läßt, obwohl es nichts an sich hat, das dieser Empfindung ähnelt?“ Descartes 1897⫺1910, 11.4). Das Konzept eines nach dem Paradigma der Signifikation willkürlicher Sprachzeichen geregelten Zusam-
1219 menhanges von körperlichen und mentalen Prozessen findet sich im Anschluß an Descartes später auch bei Clauberg (1691 ⫽ 1961, 753) und Cudworth (vgl. Yolton 1984, 28 f). Es stellt eine Möglichkeit dar, das zuallererst in der Wahrnehmung zutage tretende Problem der Vermittlung von Geist und Körperlichkeit ohne Rekurs auf die Annahme einer kausalen Beeinflussung ⫺ und sei es auch nur metaphorisch ⫺ in den Griff zu bekommen. Nicolas Malebranche (1638⫺1715) zieht aus der Unmöglichkeit einer unmittelbaren Erkenntnis der äußeren Dinge den Schluß, das primäre Erkenntnisobjekt des Geistes sei „quelque chose qui est intimement unie a` noˆtre ame“ („etwas, das unserer Seele eng verbunden ist“), nämlich die „ide´e“ (Malebranche 1958⫺67, 1.413 f). Die Erkenntnis eines jeglichen Gegenstandes setzt im Geist die Präsenz der Idee desselben voraus. Was erfaßt wird, ist nicht der Gegenstand selbst, z. B. die Sonne, sondern die Idee der Sonne (1.413 f). Im Rahmen der Kritik an verschiedenen Modellen zur Erklärung der menschlichen Erkenntnis wendet sich Malebranche neben der aristotelischen species-Theorie und der Lehre von den eingeborenen Ideen auch gegen jenes ebenfalls auf Descartes zurückgehende Erklärungsmodell der Wahrnehmung, nach welchem unsere Seelen „sont excite´es a […] produire les ide´es par des impressions que les objets font sur les corps, quoique ces impressions ne soient pas des images semblables aux objets qui les causent“ („[…] angeregt werden, die Ideen zu produzieren durch die Eindrücke, welche die Gegenstände auf unsere Körper machen, obwohl diese Eindrücke keine Bilder sind, die den Gegenständen, welche sie bewirken, gleichen“). Die Annahme eines solchen die Partizipation an der göttlichen Macht voraussetzenden „se repre´senter les objets“ lehnt er als Ausdruck menschlicher Überheblichkeit entschieden ab (1.422). Der Ausfall der Verursachung der Perzeption durch äußere Dinge wird nicht durch eine Eigenrepräsentation des Geistes kompensiert, sondern dadurch, daß Gott die Erkenntnis in uns bewirkt: „nous voyons toutes choses en Dieu“ („wir sehen alle Dinge in Gott“; 1.437); Malebranche überführt die cartesische Erkenntnismetaphysik in eine Erkenntnistheologie. Unter der Voraussetzung, daß Gott die Ideen aller von ihm geschaffenen Dinge in sich trägt und darüber hinaus mit der menschlichen Seele durch seine Präsenz vereint ist, steht für Malebranche fest (1.437), „que l’esprit peut voir ce qu’il y a
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dans Dieu qui repre´sente les etres cre´ez, puisque cela est tres-spirituelle, tres-intelligible, et tres-pre´sent a` l’esprit“ („daß der Geist das sehen kann, was in Gott ist, welcher die Geschöpfe repräsentiert, denn das ist sehr geistig, sehr erkennbar und dem Geist sehr gegenwärtig“). Gott selbst wird damit zum Garant der Erfüllung jener Bedingungen, die traditionell an das Erkenntnisobjekt (bzw. die es repräsentierenden Spezies) zur Gewährleistung seiner intellektuellen Erfaßbarkeit gestellt wurden (Immaterialität bzw. Spiritualität, Intelligibilität und Präsenz; vgl. Johannes a Sancto Thoma 1632 ⫽ 1930, 823a). Die Erkenntnis aller Dinge in Gott korrespondiert für Malebranche (1.438) zudem mit der „oeconomie de toute la nature“ („Ökonomie der ganzen Natur“). Denn wenn es Gott möglich ist, allein durch seinen Willensentschluß bei den Geistern die Wahrnehmung aller Dinge zu bewirken, so gibt es keinen Grund für die Annahme, daß er sich hierfür zusätzlicher Hilfsmittel bedient. Abweichend von Descartes versteht Malebranche unter „ide´e“ das vom Bewußtseinsakt bzw. der Modifikation der Seele unterschiedene unmittelbare intelligible Erkenntnisobjekt. Diese „Verdinglichung“ der Ideen wird zum Hauptgegenstand einer umfangreichen Kontroverse mit Arnauld (vgl. GarciaGomez 1979, 184), die in gewisser Hinsicht als Neuauflage der im 14. Jahrhundert geführten Debatte um das „esse obiectivum“ angesehen werden kann. Arnauld, für den „l’ide´e d’un objet“ („die Idee eines Gegenstands“) und „la perception d’un objet“ („die Perzeption eines Gegenstands“) dasselbe sind (Arnauld 1775⫺83 ⫽ 1967, 38.207) und für den die Perzeptionsakte somit die einzigen wahren Ideen („vraies ide´es“) sind, attackiert Malebranches Konzept der von ihm als „eˆtres repre´sentatifs“ („repräsentierende Wesen“) apostrophierten Ideen unter Rekurs auf genuin zeichentheoretische Überlegungen. Nach Arnauld sind all jene Dinge, die gewöhnlich als „repre´sentatives“ charakterisiert werden, wie z. B. Bilder, Rede, Schrift und ähnliche Zeichen (somit auch Malebranches „eˆtres repre´sentatifs“) repräsentativ nur durch ihre Beziehung zu unseren Perzeptionen, durch welche allein die Dinge dem Geist präsent sein können. Malebranches Ideen unterliegen ihm zufolge damit, anders als sein eigenes Modell der Perzeptionen, den Bedingungen des Zeichens. Zu einem solchen gehören nach Arnauld jedoch stets zwei Ideen (s. o. § 2.4.1.): zum einen die des Zeichens und zum
anderen die der bezeichneten Sache. Wenn man, wie er Malebranches Beispiel aufgreifend ausführt, das „eˆtre repre´sentatif“ (die Idee) der Sonne als A und die Sonne selbst als B bezeichnet, dann ist es, damit A für mich repräsentativ ist, erforderlich, daß ich nicht allein die Perzeption von A besitze, sondern auch die von B und daß mir A als Mittel dient, B zu erfassen. Sähe mein Geist nämlich allein A, so würde A lediglich als ein Ding und nicht als ein Zeichen aufgefaßt, das B repräsentiert (38.584⫺587). Malebranches „eˆtres repre´sentatifs“ können somit keine Sacherkenntnis bewirken, ja überhaupt nichts repräsentieren, wenn die bezeichneten oder repräsentierten Dinge selbst nicht bereits durch unmittelbare Perzeption bekannt sind. In diesem Fall jedoch verlieren sie jegliche Funktion und erweisen sich als überflüssig. Eine radikale Anwendung des von Descartes entworfenen Erklärungsmodells sinnlicher Erkenntnis findet sich bei George Berkeley (1685⫺1753; vgl. 1948⫺57, 2.69). Sie steht hier jedoch insofern unter veränderten Vorzeichen, als er auch die letzten Konsequenzen aus jenen Überlegungen zieht, die Malebranche zur Konzipierung seiner Erkenntnistheologie veranlaßten. Denn unter der Voraussetzung, daß die Materie nicht auf den Geist einwirken kann und folglich jede Wahrnehmung als unmittelbar von Gott verursacht anzusehen ist, wird dem Sparsamkeitsprinzip gemäß nicht allein die Annahme weiterer erkenntnisvermittelnder Instanzen überflüssig, sondern auch die Existenz körperlicher Dinge selbst. Deren weitere Zulassung hieße, wenn anders die Welt in Anknüpfung an den alten Topos vom Buch der Natur als Mitteilung Gottes an den Menschen zu verstehen ist, unterstellen, „that God has created innumerable beings that are entirely useless“ (Berkeley 1948⫺57, 2.49). Die „doctrine of matter or corporeal substance“ besitzt damit nicht nur keinerlei Erklärungswert hinsichtlich der Phänomene (2.49; 62), sie bildet, indem sie einen der menschlichen Erkenntnis letztlich unzugänglichen Bereich postuliert, zugleich auch den „main pillar and support of scepticism“ (2.81; vgl. 78 f). Berkeleys Versuch einer Abwehr des Skeptizismus zwingt ihn auch zur Zurückweisung der Lockeschen Ideenlehre, in deren Zulassung abstrakter Ideen er das Hauptmotiv und die theoretische Grundlage für die Annahme der extramentalen Existenz erkenntnisunabhängiger körperlicher Substanzen ausmachen zu können glaubt (vgl.
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Armstrong 1969, 164 f). Denn diese ist nach Berkeley allein das Resultat der unzulässigen Abstraktion der Existenz sinnlicher Objekte von ihrem Erkanntwerden (2.42 f). Mag eine solche Abstraktion auch durch den trügerischen Charakter der Sprache begünstigt werden; wenn man sich von deren schädlichem Einfluß frei macht und den „curtain of words“ (2.40) beiseitezieht, so erkennt man, daß das Sein der Dinge mit ihrem Erkanntwerden zusammenfällt: „esse is percipi“ (2.42). Die unmittelbaren Objekte der sinnlichen Wahrnehmung, das Licht und die Farben mit ihren Schattierungen und Abstufungen sind nichts anderes als Zeichen, die in ihrer unendlichen Vielfalt und Kombination jene „optic language“ (3.159) bilden, in der Gott zu den Menschen spricht (vgl. 3.149) und die ihnen die Entfernungen, Figuren, Lagen, Dimensionen sowie die verschiedenen Qualitäten der tastbaren Gegenstände darstellt: „Not by similitude, nor yet by inference of necessary connexion, but by the arbitrary imposition of Providence, just as words suggest the things signified by them“ (3.154; vgl. 1.264 f). Wie jede andere durch arbiträre Zeichen konstituierte Sprache muß auch die „language of vision“ durch Erfahrung und Gewohnheit erlernt werden. Ein Blindgeborener, der später sein Augenlicht erhielte, könnte ihre Zeichen, das Licht und die Farben, ebensowenig deuten, wie die Worte einer ihm unbekannten Sprache (3.155). Berkeleys idealistischer Sensualismus hat weitreichende Konsequenzen für die Naturphilosophie, da er jede Kausalbeziehung in eine Zeichenbeziehung transformiert. Die Verbindung der Ideen impliziert kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis sondern allein die Relation von Zeichen und Bezeichnetem: „The fire which I see is not the cause of the pain I suffer upon my approaching it, but the mark that forewarns me of it. In like manner, the noise that I hear is not the effect of this or that motion or collision of the ambient bodies, but the sign thereof“ (2.69). Insofern hält er „die Lehre von den Zeichen [„doctrine of signs“] für einen Punkt von großer Wichtigkeit […], der bei genügender Erwägung kein geringes Licht auf die Dinge werfen und eine gerechte und echte Lösung vieler Schwierigkeiten herbeiführen würde“ (3.307). 8.2.
Die Funktion des Zeichens für das Denken 8.2.1. Thomas Hobbes Nach Thomas Hobbes (1588⫺1679) besteht Philosophie in einem durch diskursives Denken (ratiocination) erlangten Wissen (Hobbes
1221 1839⫺45 a ⫽ 1961, 1.3). Die „ratiocination“ ist eine Art Kalkül, dessen zwei fundamentale Operationen als Addieren und Subtrahieren von Ideen, Gedanken oder Konzepten beschreibbar sind (1.13). Da die Gedanken jedoch flüchtig und vergänglich („fluxae et caducae“) sind, bedürfen sie der Unterstützung durch sinnliche ⫺ im Prinzip von jedem Einzelnen beliebig wählbare ⫺ Merkmale, mit deren Hilfe sie gleichsam fixiert und dem Geist für weitere Überlegungen verfügbar gemacht werden können. Diese sinnlichen Merkmale bezeichnet Hobbes als „marks“ bzw. „notae“. Da der Fortschritt der Philosophie in Form einer gemeinschaftlichen Wissensakkumulation jedoch nur gewährleistet werden kann, „if the same notes be made common to many“ (1839⫺45 a ⫽ 1961, 1.14; 1839⫺45 b ⫽ 1962, 1.12), ist zusätzlich zu den „notes“ ein Mittel zur Allgemeinmachung, zur Kommunikation der Gedanken erforderlich, die signa oder signs. Notae und signa sind somit primär funktional unterschieden (vgl. Dascal 1987, 32 ff). Während die notae zur erinnernden Vergegenwärtigung der Gedanken dienen, haben die signa die Aufgabe, sie anderen mitzuteilen (1839⫺45 b ⫽ 1962, 1.13). De facto werden beide Funktionen von sprachlichen Ausdrücken („voces“, „nomina“, „Words“, „Names“) erfüllt, wobei Hobbes jedoch ausdrücklich die Priorität der mnemonischen gegenüber der kommunikativen Funktion betont: „The nature of a name consists principally in this, that it is a mark taken for memory’s sake; but it serves also by accident to signify and make known to others what we remember ourselves“ (1839⫺45 a ⫽ 1961, 1.15). Während die Worte bereits als einzelne zur Erinnerung von Gedanken und damit als notae fungieren können, werden sie zu Zeichen lediglich im Kontext einer vollständigen Rede, eines Satzes („speech“, „oratio“; vgl. 1839⫺45 b ⫽ 1962, 1.13 f). Da der Zeichencharakter der sprachlichen Ausdrücke für Hobbes aufgrund der funktionalen Unterscheidung von notae und signa nur im Rahmen einer Mitteilung realisiert wird, eine solche sich aber nur in Sätzen als den eigentlichen Grundelementen der Kommunikation vollziehen kann ⫺ ein einzelnes Wort mag im Hörer zwar eine Idee evozieren, es garantiert jedoch nicht, daß diese der des Sprechers konform ist ⫺, werden die einzelnen Redeteile („nomina“) erst im Satz signifikativ (zu den Überlegungen von Hobbes über den Ursprung der Sprache vgl. Art. 65 § 7.1. und Art. 109 § 3.2.). Der in
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diesem Lehrstück enthaltene Ansatz zu einer Satzsemantik (vgl. Hungerland und Vick 1973; Dascal 1987, 33) ist von Hobbes allerdings nicht weiter ausgearbeitet worden. Den notae kommt ihm zufolge eine ⫺ wenn auch notwendige ⫺ Hilfsfunktion zu. Der rationale Diskurs selbst, die „computation“, operiert mit den durch die notae hervorgerufenen Ideen und Gedanken, nicht mit den notae oder anderen Zeichen selbst: „by the ratiocination of our mind, we add and subtract in our silent thoughts, without the use of words“ (1839⫺45 a ⫽ 1961, 1.3). Hobbes knüpft mit der deutlichen Abhebung eines sprachfreien Mentaldiskurses vom „verbal discourse“ oder „train of words“ an die ältere mentalistische Tradition an. Neu bei ihm ist allerdings die Betonung der Bedürftigkeit des Mentaldiskurses sowie die stillschweigende sensualistische Umdeutung der älteren Doktrin. Denn Begriffe sind für ihn nie etwas an und für sich Allgemeines, sondern nur Vorstellungsbilder von Einzeldingen („singularium […] rerum imagines et phantasmata“; 1839⫺45 b ⫽ 1962, 1.18; vgl. Hübener 1977, 84). 8.2.2. Richard Burthogge Wie Hobbes verzeichnet auch Richard Burthogge (1638⫺ ca. 1698) den Unterschied zwischen einem privaten und einem öffentlichen Gebrauch der Worte (1694 ⫽ 1976, 27 ff). Er wendet sich jedoch gegen die strikte funktionale Trennung in marks und signs. Denn „in reference to both their Uses, Words are Signs, since in both, they do signify, either to one self […] or unto others“ (1694 ⫽ 1976, 30 f). In Anknüpfung an die Erkenntnistheorie von Arnold Geulincx (1624⫺1669), nach der die Dinge nicht erkannt werden wie sie an sich selbst sind („res ut sunt in se“), sondern nur unter bestimmten Erkenntnisweisen („modi cognoscendi“), erhalten die Worte einen noch stärkeren Einfluß auf das rationale Denken zugesprochen als bei Hobbes. Denn die Erkenntnis des Verstandes („understanding“) wird ganz von den Worten reguliert und bestimmt. Anders als die Imagination verfügt der Verstand über keine eigenen Bilder von den Dingen, durch welche diese gewußt werden könnten: „The only images it has of things […] are the Words which signify them“ (1694 ⫽ 1976, 27). Die Ideen des Verstandes sind nichts anderes als durch Worte gebildete Definitionen (1694 ⫽ 1976, 28). Die Worte sind für den Verstand in einem Maße bestimmend, daß bereits sein Name sich vom Ge-
brauch derselben herleitet; heißt er doch „understanding“, „because it has the power of seeing things under words that stand for them“ (1694 ⫽ 1976, 28). Das Gewebe der Worte und der durch sie gebildeten Begriffe wird gleichsam den Dingen übergeworfen, welche allein „under the Disguise and Masquerade of Notions“ erkannt werden (1694 ⫽ 1976, 65). 8.2.3. John Locke Eine tragende Funktion für die Erkenntnis räumt auch John Locke (1632⫺1704) dem Begriff des Zeichens ein. In seinem Essay concerning Human Understanding entwirft er eine allgemeine Einteilung der Wissenschaften, die neben der Naturwissenschaft („physike˘ “, Fysikh´ ) und der Ethik („praktike˘ “, Praktikh´ ) als dritte Grundlagendisziplin die „doctrine of signs“ oder „se¯me¯iotike˘ “ (Shmeivtikh´ ) anführt, deren Aufgabe die Untersuchung derjenigen Mittel ist, die für die Erlangung gesicherter Ergebnisse in den beiden übrigen Disziplinen und deren Mitteilung erforderlich sind. Hierbei handelt es sich um die Ideen ⫺ die damit, anders als bei Hobbes und Arnauld, mit unter den Begriff des Zeichens fallen ⫺ und die Worte („words“ bzw. „names“) als die beiden „great Instruments of knowledge“. Da die Worte die gebräuchlichsten Zeichen sind, kann diese Disziplin hinlänglich treffend auch „Logik“ genannt werden. De facto geht es Locke jedoch um eine Ersetzung der von ihm kritisierten traditionellen Form der Logik durch die auf den „right use of signs in order to Knowledge“ abzielende Semiotik (Locke 1690 ⫽ 1979, 720 f). Dieser fehlt es jedoch gerade an der zum Kernbestand der älteren Logiken gehörenden theoretischen Bestimmung des Zeichenbegriffs. Die Subsumption der Ideen unter die Zeichen (721) hat in Verbindung mit der extrem weit gefaßten Bedeutung des Ideebegriffs zur Konsequenz, daß, wie in der älteren species-Theorie, die gesamte menschliche Erkenntnis sich im Medium der Zeichen bewegt. Denn der Begriff der Idee steht „for whatsoever is the Object of the Understanding when a Man thinks“ und umfaßt damit „whatever is meant by Phantasm, Notion, Species“ (1690 ⫽ 1979, 47). Die Unschärfe und Widersprüchlichkeit seiner Bestimmung der Idee, die mal als das Objekt der Perzeption (134), mal als die Perzeption selbst (384) beschrieben wird, verbaut nicht allein die Klärung des Begriffs des Zeichens und dessen Verhältnisses zum Bezeichneten (vgl. Haller
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
1959, 119), sie setzt auch der Anwendung traditioneller Zeichenkonzepte auf den Ideebegriff Grenzen. Eine solche ist möglich hinsichtlich der einfachen Ideen, bei denen es sich um Zeichen („marks“ 388; „characters“ 373) der Eigenschaften externer Dinge handelt. Deren Signifikanz bzw. „reality“ gründet, entsprechend der Theorie der mechanischen Verursachung der Perzeption (135 f) sowie der Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten, nicht in einer Ähnlichkeit zum bezeichneten Gegenstand, sondern in der Regularität der Verursachung der Perzeptionen durch äußere Dinge (373; 375). Erfüllen die einfachen und in gewissem Maße auch die komplexen Ideen der Substanzen als „ektypa“ (ektypa) bzw. „Copies“ realer Dinge (383) die gängigen Kriterien natürlicher Zeichen, so fallen die willkürlich aus verschiedenen Arten von einfachen Ideen synthetisierten „mixed modes“ (vgl. 165) aus dem Rahmen der gebräuchlichen Zeichenbestimmungen heraus, da sie, wie ausdrücklich betont wird, „no reference to any Pattern existing, and made by Nature“ haben (390). Sie repräsentieren keine extramentalen Gegenstände, sondern allein das, was sie an sich selbst sind: willkürliche Ensembles einfacher Ideen (vgl. 390; 564). Die Regularität der Verbindung zwischen den einfachen Ideen und den äußeren Dingen erlaubt es, für dieselben die aristotelische Auffassung, der zufolge die geistigen Begriffe „idem apud omnes“ („bei allen Menschen dieselben“) sind, zu übernehmen. Die meisten der einfachen Ideen gleichen sich bei allen Menschen ununterscheidbar (389). Irrtum und Dissens erweisen sich damit als Resultate eines unbedachten Zeichen- und Sprachgebrauchs: „Men, who well examine the Ideas of their own Minds, cannot much differ in thinking; however, they may perplex themselves with words“ (180). Locke unterstreicht die Priorität der Ideen gegenüber den Worten (437; vgl. 689) und unterscheidet ⫺ wie Hobbes und die ältere mentalistische Tradition ⫺ deutlich zwischen einem sprachfreien Mentaldiskurs und dessen nachträglicher Umsetzung in Worte (574 ff). Den beiden Arten von Zeichen, den Ideen und Worten, korrespondieren zwei Arten des Diskurses, die „mental propositions“, „being nothing but a bare consideration of the Ideas, as they are in our Minds stripp’d of Names“, sowie die „verbal propositions“ (574). Auch die Bildung abstrakter und komplexer Ideen vollzieht sich ohne Sprache (429). Den Worten kommt le-
1223 diglich die ⫺ allerdings unverzichtbare ⫺ Funktion einer nachträglichen Fixierung der sprachfrei gebildeten komplexen Ideen zu (435; vgl. 429). Wie Hobbes sieht Locke den Nutzen der Worte in den beiden Funktionen der Erinnerung eigener Gedanken („Recording of our own Thought“) und der Mitteilung an andere („communicating of our Thoughts to others“) (476; 405). Worte sind auf willkürlicher Einsetzung beruhende Zeichen der Ideen (159; 402; 404 ff; vgl. Ashworth 1981; 1984). Ihre Bedeutung ist somit abhängig vom Zeichencharakter der durch sie bezeichneten Ideen: „Words become general, by being made the signs of general Ideas: and Ideas become general by separating from them the circumstances of Time, and Place, and any other Ideas, that may determine them to this or that particular Existence“ (410 f) ⫺ ein Lehrstück, das später von Berkeley und Hume kritisiert wurde, welche die Allgemeinheit von Ideen darin begründet sehen, daß eine partikuläre Idee durch ihre Bindung an einen sprachlichen Ausdruck für andere, ihr ähnliche Ideen stehen kann (Berkeley 1948⫺57, 2.31 f; Hume 1886 ⫽ 1978, 17). Vor dem Hintergrund der Zulassung allgemeiner Ideen darf Lockes These, „‘General’ and ‘Universal’ are inventions and Creatures of the Understanding […] and concern only Signs“ (414) nicht vulgärnominalistisch verstanden werden. Locke hält sich hiermit (da er auch die Idee als Zeichen versteht) strikt im Rahmen der konzeptualistischen Tradition, von welcher er auch die Unterscheidung zwischen einem „particulare in essendo“ und einem „universale in repraesentando“ übernimmt (414). Die These der prinzipiellen Sprachunabhängigkeit des Denkens findet bei Locke ihr Gegengewicht in deskriptiven Aussagen über die individuelle Spracherlernung und den faktischen Gebrauch der Worte. Wenngleich die Ideen genetisch früher sind als die sie bezeichnenden Worte, kehrt sich aus der Perspektive der Spracherlernung das Prioritätsverhältnis um, da die Worte zumeist erlernt werden, bevor die ihnen korrespondierenden Ideen bekannt sind (437). Durch die im Geist eines jeden Einzelnen erfolgende gewohnheitsmäßige Verknüpfung von Ideen und Worten kommt es nicht allein zu einer unmittelbaren Exzitation der Ideen durch die sprachlichen Ausdrücke, sondern häufig auch zu einer Ersetzung (408). Die sprachfreie „mental proposition“ erweist sich damit als Grenzfall: „most Men, if not all, in their Thinking and Reasoning within them-
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selves, made use of Words instead of Ideas“ (574). Der beste Weg zur Erlangung eines klaren und distinkten Wissens wäre jedoch das „examining and judging of Ideas by themselves, their Names being quite laid aside“, was allerdings, wie Locke einräumt, „through the prevailing custom of using Sounds for Ideas […] is very seldom practised“ (579). Locke geht in seinem Zugeständnis eines Einflusses der Sprache auf das Denken nirgends so weit wie Burthogge oder Christian Thomasius (1655⫺1728), bei dem der Gebrauch von Worten als konstitutives Element in die Definition der cogitatio eingeht und ein sprachfreies Denken somit unmöglich wird (Thomasius 1702, 80 f). Sprache bleibt für Locke ⫺ anders als die Zeichen ⫺ prinzipiell hintergehbar. Wenn er die zur Erlangung von Wissen angewandten Zeichen, die Ideen und Worte, behandelt, so ohne dem Begriff des Zeichens auch nur annähernd jenen Grad von Bestimmtheit zukommen zu lassen, der seine Verwendung in den älteren Logiklehrbüchern auszeichnet. Wird der Essay concerning Human Understanding als partielle Einlösung der von Locke postulierten „Doctrine of Signs“ verstanden, so wird deutlich, daß es ihm hierbei nicht um eine theoretische, sondern um eine angewandte Semiotik ging. 8.2.4. Leibniz und die Theorie der „cognitio symbolica“ Bereits in seinen Vorstudien zum Entwurf der ars characteristica (vgl. Art. 64 § 2.3.) betont Leibniz (1646⫺1716) mit Nachdruck die Angewiesenheit menschlichen Denkens auf den Gebrauch von Zeichen: „Omnis ratiocinatio signis quibusdam sive characteribus perficitur. Non tantum enim res ipsae, sed et rerum ideae semper animo distincte observari neque possunt neque debent; et itaque compendii causa signa pro ipsis adhibentur“ („Alles menschliche Denken vollzieht sich mittels gewisser Zeichen oder Charaktere. Denn nicht nur die Dinge selbst, sondern auch die Ideen der Dinge können und sollen vom Geist nicht immer deutlich betrachtet werden; und deshalb werden der Kürze halber statt ihrer die Zeichen verwandt“; Leibniz 1875⫺90 ⫽ 1978, 7.204; vgl. 7.31). In seiner Auffassung von der mnemonischen und fixierenden Funktion der Zeichen für das Denken steht Leibniz in der Folge von Hobbes (vgl. Dascal 1987, 31⫺45; 1978, 134⫺171). Er betont jedoch die erkenntnisfundierende Funktion der Zeichen wesentlich stärker als Hobbes oder
Locke es getan haben. Die Zeichen werden nicht nachträglich mit den in einem sprachfreien Denken entwickelten Ideen verbunden, sondern sind konstitutive Elemente des Diskurses selbst. Zwar ist ein Denken ohne Wörter möglich, nicht jedoch ohne irgendwelche anderen Zeichen („cogitationes fieri possunt sine vocabulis […] at non sine aliis signis“) (1875⫺90 ⫽ 1978, 7.191). Zu diesen rechnet er „literas, figuras chemicas, Astronomicas, Chinenses, Hieroglyphicas, notas Musicas, steganographicas, arithmeticas, algebraicas aliasque omnes quibus inter cogitandum pro rebus utimur“ (7.204). Leibniz bestimmt damit das Zeichen im Sinne der älteren Auffassung vom Instrumentalzeichen, d. h. es muß notwendig den Sinnen zugänglich sein: „Signum est quod nunc sentimus et alioquin cum alio connexum esse ex priore experientia nostra vel aliena judicamus“ („Ein Zeichen ist etwas, das wir jetzt wahrnehmen und von dem wir aus einer früheren eigenen oder fremden Erfahrung urteilen, daß es mit etwas anderem verbunden ist“; Leibniz 1923 ff, 6/2. 500; vgl. Burckhardt 1980, 175; Dascal 1978, 96 ff). Das Modell des signum formale ist bei Leibniz nicht nachweisbar. Als Zeichen fungieren somit nicht die Ideen und geistigen Begriffe selbst, sondern allein die vom Geist zur cogitatio instrumentalisierten artifiziellen notae, Charaktere usw. In den Meditationes de cognitione, veritate et ideis von 1684 unterscheidet Leibniz im Rahmen des dichotomischen Systems von Perfektionsstufen der Erkenntnis zwischen cognitio intuitiva und cognitio symbolica („anschauender“ und „symbolischer Erkenntnis“). Insofern ein Begriff zugleich in all seinen Bestimmungsmomenten erfaßt wird, liegt eine intuitive Erkenntnis vor, wird er dagegen lediglich im Medium eines seine Stelle vertretenden Wortes oder anderen Zeichens erfaßt, handelt es sich um eine symbolische Erkenntnis. Während es von einem einfachen distinkten Begriff keine andere als eine intuitive Erkenntnis geben kann, ist die der komplexen Begriffe in den meisten Fällen symbolisch (1875⫺90 ⫽ 1978, 4.422 f). Die Leibnizsche Unterscheidung von cognitio intuitiva und cognitio symbolica erfährt im 18. Jahrhundert eine breite Rezeption und wird zu einem zentralen Thema der Erkenntnislehre dieser Zeit. Sie tritt hier zumeist an die Stelle der seit dem 14. Jahrhundert diskutierten Unterscheidung von cognitio intuitiva und cognitio abstractiva. Hierdurch werden abstraktive und symbolische Erkenntnis untrennbar miteinander verbun-
62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
den. Dieser Vorgang ist insofern von weitreichender Konsequenz, als abstrakte Erkenntnis unter dieser Voraussetzung nurmehr als symbolische und damit als sprach- und zeichenvermittelte Erkenntnis konzipierbar wird. Zwar wurden auch in der scholastischen Erkenntnislehre alle Instanzen des kognitiven Abstraktionsprozesses (species impressa, species expressa, conceptus) als Zeichen aufgefaßt. Es handelte sich nach deren Verständnis jedoch durchgängig um natürliche Zeichen und nicht, wie im Fall der symbolischen Erkenntnis, um willkürliche. Da zudem bei der Angabe der die deutliche Erkenntnis fundierenden Mittel („Wörter und andere Zeichen“) der zweite Teil aufgrund der Prädominanz der Sprache mitunter wegfällt, lassen sich im Rahmen der Erörterungen der symbolischen oder figürlichen Erkenntnis verschiedentlich Aussagen zum Verhältnis von Sprache und Denken finden, die wie eine Antizipation der „kopernikanischen Wende in der Sprachphilosophie“ klingen ⫺ und es bis zu einem gewissen Grad auch sind. Nach Christian Wolff (1679⫺1754) sind „die Worte der Grund für eine besondere Art von Erkäntniß […], welche wir die figürliche nennen“ (Wolff 1751 ⫽ 1983, 173). Bei dieser „stellen wir uns die Sachen durch die Wörter oder andere Zeichen vor“ (174; vgl. 1736 ⫽ 1962, 204 ff; 248 ff; vgl. Ungeheuer 1983). Die figürliche Erkenntnis hat nach Wolff „viele Vortheile vor der anschauenden, wenn diese nicht vollständig ist, das ist, alles deutlich […] vor Augen lieget, was ein Ding in sich enthält, und wie es mit andern verknüpffet ist und gegen sie sich verhält“ (1751 ⫽ 1983, 176). Da die menschlichen Empfindungen aber größtenteils undeutlich sind und somit dies nicht leisten, wird deutliche Erkenntnis erst durch die „Wörter und Zeichen“ erreicht, mit deren Hilfe die Bestimmungsmomente der Dinge unterschieden werden. „Weil nun aber hierdurch die Aehnlichkeit erhellet, die zwischen verschiedenen eintzelnen Dingen anzutreffen, so gelanget man auf diese Weise zu allgemeinen Begriffen und wird demnach die allgemeine Erkäntniß durch die Wörter deutlich“ (177; vgl. Bilfinger 1725 ⫽ 1982, 267). Ähnliche Thesen vertritt auch Johann Wilhelm Golling in seiner Darstellung der cognitio symbolica (1725). Abstrakte Erkenntnis ist ohne das Instrumentarium der Zeichen, d. h. in der Regel: der Wörter, nicht oder nur sehr unvollkommen zu erlangen. Während sich die sinnliche Erfahrung immer auf Einzeldinge bezieht, können wir mit Hilfe
1225 der Wörter allgemeine Ideen abstrahieren (Golling 1725, 19). Die spezifische Tätigkeit der reinen Vernunft („intellectus purus“), sinnlich nicht erfaßbare Dinge oder abstrakte Begriffe deutlich vorzustellen, ist ohne den Zeichengebrauch der cognitio symbolica nicht möglich (20f). Eine vollständige Festlegung abstrakter auf symbolische Erkenntnis und dieser auf Sprachlichkeit vollzieht Friedrich Christian Baumeister, nach dem die Erkenntnisfunktion des Intellekts in der allein durch Sprache möglichen Formierung allgemeiner Begriffe besteht; einer Fähigkeit, die zugleich das Definiens der untrennbar mit dem Intellekt verbundenen cognitio symbolica ausmacht: „Sensibus cognoscimus res praesentes, quae cognitio dicitur intuitiva. At intellectus in cognoscendis notionibus universalioribus, iisque distincte formandis, versatur, quod nisi per verba, fieri non potest, quae cognitio dicitur symbolica, quae ab intellectu sejungi non potest, […] abstractarum notionum nulla cognitio distincte formari potest, nisi verborum adminiculis“ („Durch die Sinne erkennen wir die gegenwärtigen Dinge, welche Erkenntnis intuitiv genannt wird. Das Geschäft des Intellekts ist es jedoch, die allgemeineren Begriffe zu erkennen und diese deutlich zu bilden, was allein durch die Wörter geschehen kann. Diese Erkenntnis wird symbolisch genannt und vermag nicht vom Intellekt abgetrennt zu werden. […] Von den abstrakten Begriffen kann keine deutliche Erkenntnis gebildet werden, es sei denn mit Hilfe der Wörter“; Baumeister 1765, 236; vgl. Ernesti 1734 ⫽ 1769, 133). Auch Johann Heinrich Lambert (1728⫺1777) eröffnet in seinem Neuen Organon den Entwurf einer Semiotik (vgl. Hubig 1979) mit der Darstellung der „symbolischen Erkenntniß überhaupt“ (Lambert 1764 ⫽ 1965, 5⫺43). Diese gilt ihm als ein „unentbehrliches Hülfsmittel zum Denken“ (11). Denn die Zeichen regulieren gleichsam den Bewußtseinsstrom, weil erst durch sie „unser Denken in eine ununterbrochene Reihe von Empfindungen und klaren Vorstellungen verwandelt wird“ (12). Zudem erweitern allein sie den Horizont des menschlichen Denkens über die Grenzen unmittelbar empfindbarer Gegenstände hinaus und ermöglichen somit abstrakte Erkenntnis: „Da wir […] weder immer die Dinge empfinden, an welche wir denken, und viele Abstracta nicht empfunden werden können so füllet die Empfindung der Zeichen die meisten Lücken in unserem Denken aus, und besonders ist unsere allgemeine oder abstracte Erkenntniß
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
durchaus symbolisch“ (12 f). Mit derselben Deutlichkeit konstatiert auch noch Salomon Maimon (um 1753⫺1800), dessen Interpretation der symbolischen Erkenntnis größtenteils auf Kants Thesen zur schematischen und symbolischen Hypotypose basiert (vgl. Lamacchia 1970): „Die symbolische Erkenntnis ist von großer Wichtigkeit. Durch ihre Hülfe gelangen wir sowohl zu den abstrakten, als zu den aus diesen verschiedentlich komponierten Begriffen, und sind im Stande, aus schon bekannten Wahrheiten neue zu erfinden; d. h. überhaupt unsere Vernunft zu gebrauchen“ (Maimon 1790 ⫽ 1963, 265). Die Behandlung der cognitio symbolica in den Erkenntnislehren des 18. Jahrhunderts bildet einen vielgenutzten Ansatzpunkt für detaillierte Erörterungen der Funktion von Sprache und Zeichen insgesamt für die menschliche Erkenntnis (vgl. Wolff 1968, 204⫺277; Reusch 1734 ⫽ 1750, 228⫺255; Lambert 1764 ⫽ 1965, 2.5⫺216; Maimon 1790 ⫽ 1963, 265⫺332; Hoffbauer 1789). Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Lamberts „Semiotik oder Lehre von der Bezeichnung der Gedanken und Dinge“ (vgl. Coseriu 1972⫺ 75, 140⫺149; Roeder 1927, 25⫺33). Kriterium eines „wissenschaftlichen“ Zeichensystems ist es nach Lambert, daß die verwendeten Zeichen nicht allein „die Begriffe oder Dinge vorstellen, sondern auch solche Verhältnisse anzeigen, daß die Theorie der Sachen und die Theorie der Zeichen miteinander vertauscht werden können“ (1764 ⫽ 1965, 2.16). Ziel ist hierbei stets die Reduktion der Theorie der Sachen auf die Theorie der Zeichen. Das „vollkommenste Muster“ eines solchen wissenschaftlichen Zeichensystems (Charakteristik) ist die Algebra (23). Andere von Lambert hinsichtlich ihrer Erfüllung des genannten Kriteriums untersuchte Zeichensysteme sind die musikalische Notenschrift, Feuillets choreographische Notation, die chemischen und astronomischen Zeichen, Emblemata, Hieroglyphen sowie, insbesondere, die Sprache (vgl. 44 ff). 8.2.5. Condillac und die Ideologen Zu ähnlich dezidierten Aussagen zur Sprachabhängigkeit des Denkens, wie sie sich in der Tradition der cognitio symbolica finden lassen, gelangt, wenn auch von anderen Voraussetzungen ausgehend, Condillac (1714⫺1780; vgl. Art. 65 § 6.2.). Thematisch zunächst an Lockes Empirismus anknüpfend, hinsichtlich der Bewertung der konstitutiven Funktion des Zeichengebrauchs für die menschliche Er-
kenntnis jedoch entscheidend über diesen hinausgehend, hat Condillac eine zusammenhängende sensualistische Theorie für die Entwicklung des Denkvermögens vorgelegt. Die höheren Erkenntnisoperationen bzw. das Denken sind ihm zufolge nichts anderes, als mit Hilfe von Zeichen transformierte sinnliche Wahrnehmungen („sensations transforme´s“): „Le germe de l’art de penser est dans nos sensations“ („Der Keim der Kunst des Denkens liegt in unseren Wahrnehmungen“; Condillac 1946⫺51, 1.717a). „[…] l’usage des signes est le principe qui de´veloppe le germe de toutes nos ide´es“ („der Zeichengebrauch ist das Prinzip welches den Keim all unserer Ideen entwickelt“; 1946⫺51, 1.5b). Die Reflexion, der bei Locke noch der Status einer eigenen Erkenntnisquelle zukam, wird damit ebenfalls auf die Sinne reduziert (1946⫺51, 1.325b). Für die Bildung jeder Art von Ideen sind Wörter absolut notwendig („[…] les mots nous sont absolument ne´cessaire pour nous faire des ide´es de toutes espe`ces“; 1946⫺51, 2.396b). Entsprechend lehnt Condillac die von Locke noch zugelassenen „propositions mentales“ ausdrücklich ab (1.738a). Die genetische Abhängigkeit des Denkens vom Zeichengebrauch impliziert eine Korrespondenz von beidem auch auf der jeweils höchsten Entwicklungsstufe: „L’art de raisonner sera re´duit a` une langue bien fait“ („Die Kunst des Denkens wird zurückgeführt auf eine gut gemachte Sprache“; 2.371). Ebenso gilt nach Condillac allgemein, daß eine Wissenschaft, richtig behandelt, nichts anderes ist als eine gut gebildete Sprache (2.419a). Analytische Methode und Sprache sind dasselbe: „Toute langue est une me´thode analytique et toute me´thode analytique est une langue“ („Jede Sprache ist eine Analysemethode, und jede Analysemethode ist eine Sprache“; 2.419a; vgl. Kretzmann 1967, 385 f; Coseriu 1972⫺75, 225⫺229; Knowlson 1975, 164 ff; Robinet 1978, 207 ff). 1795 richtete das neugegründete Pariser Institut National des Sciences et des Arts in seiner zweiten Klasse eine Abteilung mit dem Arbeitsgebiet „analyse des sensations et des ide´es“ ein. Zu deren Mitgliedern, den sogenannten „Ide´ologues“, gehörten bis zur Schließung der Klassen unter Napoleon 1802 u. a. Destutt de Tracy (1754⫺1836), dessen Ele´ments d’ide´ologie dieser Gruppe den Namen gab, Dege´rando (1772⫺1842), Laromiguie`re (1756⫺1837), Cabanis (1757⫺1808), Garat (1749⫺1833), Pre´vost und Lancelin. Zentraler Ausgangs- und Bezugspunkt ihrer
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62. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
zeichentheoretischen Erörterungen ist die sensualistische Lehre Condillacs. Während Cabanis und Garat an Condillacs Auffassung von der konstitutiven Funktion der Zeichen für das Denken festhalten, zeichnet sich insgesamt bei den Ideologen eine vorsichtige Zurücknahme seiner Thesen ab (vgl. Dascal 1983; Haßler 1981; Ricken 1986). Destutt de Tracy, der in Condillac den eigentlichen Begründer der „ide´ologie“ sieht (1801⫺15 ⫽ 1977, 1.3) und ihn als denjenigen würdigt, der als erster erkannt und bewiesen habe, „que sans signes nous ne pourrions presque pas comparer nos ide´es simples, ni analyser nos ide´es compose´es; qu’ainsi les langues sont aussi ne´cessaire pour penser que pour parler […], et que sans elles nous n’aurions que des notions tre`s peu nombreuses, tre`s confuses et tre`s incompletes“ („daß wir ohne Zeichen unsere einfachen Ideen fast nicht vergleichen noch unsere zusammengesetzten Ideen analysieren könnten; daß daher die Sprachen genau so notwendig sind für das Denken wie für das Sprechen […] und daß wir ohne sie nur sehr wenige, sehr verwirrte und sehr unvollständige Ideen hätten“; 1801⫺15 ⫽ 1977, 1.272), beschränkt die Funktion der Zeichen im wesentlichen auf die nachträgliche Fixation der Ideen und die Unterstützung des Gedächtnisses. Insofern hätte Condillac besser sagen sollen, „que tout signe est l’expression du re´sultat d’un calcule exe´cute´, ou […] d’une analyse faite, et qu’il fixe et constate ce re´sultat“ („daß jedes Zeichen Ausdruck des Ergebnisses der Durchführung einer Rechenoperation oder einer Analyse ist und daß es dieses Ergebnis fixiert und mitteilt“; 1.272). Eine substantielle Revision der zentralen Thesen Condillacs unternimmt Dege´rando in seiner Preisschrift, die 1799 den von der Akademie ausgeschriebenen Wettbewerb mit dem Thema „Determiner l’influence des signes sur la formation des ide´es“ („Bestimmung des Einflusses der Zeichen auf die Bildung von Ideen“) gewann und im folgenden Jahr in einer erweiterten, vierbändigen Fassung unter dem Titel Des signes et de l’art de penser conside´re´s dans leurs rapports mutuels („Die Zeichen und die Kunst des Denkens, in ihren gegenseitigen Beziehungen betrachtet“) erschien. Man habe, so Dege´rando (1800, 1.XXII) „jusqu’ici toujours attribue´ aux signes trop ou trop peu d’influence“ („bis dahin den Zeichen immer zu viel oder zu wenig Einfluß zugeschrieben“) und sei somit in der Folge Condillacs von einem Extrem ins andere gefallen (1800, 1.XX). Dessen Doktrin
sei einseitig: „il a dit en partie ce que les signes sont a` notre esprit, mais il n’a point dit ce que notre esprit est aux signes, et comment il agit sur eux“ („er hat teilweise beschrieben, was die Zeichen für unseren Geist sind, aber überhaupt nicht, was unser Geist für die Zeichen ist und wie er auf sie einwirkt“; 1800, 1.XIX). Wiederholt warnt Dege´rando vor einer Überbewertung der Rolle der Zeichen bei der Herausbildung und Formung der Denkprozesse (1800, 1.292 ff; 3.74; 150 f; vgl. Haßler 1977). Die Perfektionierung der Sprache könne zwar die Kommunikation verbessern, es sei jedoch grundsätzlich falsch, die höheren geistigen Funktionen allein auf diese zurückführen zu wollen oder zu behaupten, jede Wissenschaft sei lediglich eine wohlgeordnete Sprache (1800, 1.XX; 2.121; vgl. Ricken 1986).
9.
Zusammenfassung: die neuzeitliche Entwicklung der Zeichentheorie bis ins frühe 19. Jahrhundert
Das Begriffsfeld von Zeichen und Repräsentation besetzt (auch) in der frühen Neuzeit zentrale Systemstellen der logischen, metaphysischen, naturphilosophischen und erkenntnistheoretischen Diskurse. Hinter diesen Anwendungen auf die verschiedenen Einzeldisziplinen steht mit den zeichentheoretischen Abschnitten innerhalb der neuscholastischen Logik besonders des späten 16. und 17. Jahrhunderts sowie mit der zeitgleich von der protestantischen Schulmetaphysik kultivierten „doctrina generalis de signo et signato“ bereits eine hochentwickelte Form einer allgemeinen Theorie des Zeichens. Als Locke am Schluß seines Essay concerning Human Understanding das Programm einer Semiotik formulierte, waren die umfangreichsten frühneuzeitlichen Diskussionen um eine allgemeine Theorie des Zeichens bereits geführt. Wenngleich deren Einfluß ⫺ vielfach gebrochen und transformiert ⫺ vereinzelt bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus reicht, geraten sie selbst zunehmend in Vergessenheit. Hauptansatzpunkte für die Zeichentheorie des 18. und 19. Jahrhunderts sind neben der Logik von Port-Royal vor allem Locke und Leibniz. Lockes empiristische Theorie führt, besonders in ihrer sensualistischen Verschärfung durch Condillac, an der Wende zum 19. Jahrhundert bei den Ideologen zu einer intensiven Erörterung des Einflusses der Zeichen auf die Erkenntnis so-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
wie zu einer neuerlichen Konjunktur des Zeichenthemas; sein Semiotik-Postulat bildet noch das Fundament für Benjamin Humphrey Smarts Entwurf einer Sematology (1831). Leibnizens Lehre von der cognitio symbolica avanciert in der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts zu einem zentralen Thema der Erkenntnislehre und bildet damit den Ausgangspunkt für eine eingehende Betrachtung der kognitiven Funktion von Zeichen im allgemeinen und Sprache im besonderen. Sein Projekt einer characteristica universalis, in seiner ursprünglichen Intention bald als undurchführbar erkannt, wird im 18. Jahrhundert in vielfach modifizierter Form fortgeführt. Entwürfe eines Zeichenkalküls zum Zwecke der Begründung einer algebraisch orientierten Logik liefern Lambert, Ploucquet, Euler u. a. (vgl. Roeder 1927, 39 ff; Wolters 1980). In erster Linie geht es nun jedoch nicht mehr um die Invention eines Zeichensystems zum gleichsam mechanischen Gewinn eines universellen Wissens, sondern um die Gewinnung einer allgemeinen Wissenschaft von den Zeichensystemen. Diese Wendung zum Konkreten und die Betonung des empirischen Charakters der allgemeinen Zeichentheorie tritt deutlich zutage bei Bilfinger, der anstelle des gebräuchlichen Namens der „characteristica“ den einer „Ars semantica generalis“ vorschlägt (Roeder 1927, 21), bei Baumgarten, der die Zeichensysteme von Sprache, Schrift, Hieroglyphik, Heraldik, Numismatik, Kosmetik usw. als Teilgebiete der „Semiotica“ als der allgemeinen Wissenschaft von den Zeichen bestimmt (1779 ⫽ 1963, 57), in Hoffbauers Semiologia (1789) sowie nicht zuletzt in Lamberts Semiotik (vgl. hierzu Art. 63). Diesem Prozeß korrespondiert vielfach eine „Semiotisierung“ der verschiedenen Einzeldisziplinen wie z. B. der Hermeneutik (vgl. Meier, 1755; siehe Art. 131) oder der Ästhetik (Baumgarten, Lessing, Mendelssohn, Eberhard; siehe Art. 63), in denen der Zeichenbegriff nun eine zentrale Funktion erhält. Die Konjunktur des Zeichenthemas, wie sie sich in Frankreich und Deutschland während des späten 18. Jahrhunderts als späte und vielfach vermittelte Wirkung von Locke und Leibniz zeigt, läßt während des 19. Jahrhunderts mit dem schwindenden Einfluß derselben gleichfalls deutlich nach. Zum Zeitpunkt der Begründung der modernen Semiotik und Semiologie im späten 19. Jahrhundert (vgl. Art. 100⫺103) sind die Semiologie und Semiotik des 18. Jahrhunderts bereits weitge-
hend vergessen und die umfangreichen zeichentheoretischen Diskussionen der frühen Neuzeit vor Locke und Leibniz gar vollständig zu einem Bereich „verschollener Bildung“ geworden. Einschätzungen von der Art, wie Buyssens’ Feststellung „L’histoire de la se´miologie n’est pas longue. Avant Saussure, on trouve, surtout chez les logiciens, des re´marques ge´ne´rales concernant les signes ou les symboles“ („Die Geschichte der Semiologie ist nicht lang. Vor Saussure finden sich, vor allem bei den Logikern, allgemeine Bemerkungen, die die Zeichen oder die Symbole betreffen“; 1967, 12), werden durch die Fülle des historischen Materials entschieden dementiert ⫺ wenngleich dieses zu einem großen Teil erst noch zu erschließen und zu bearbeiten ist.
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Stephan Meier-Oeser, Berlin (Deutschland)
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Einleitung 2. Zeichenkonzeptionen in der Renaissance vom 14. bis 16. Jahrhundert 2.1. Die Sprache der Dichtung im Rahmen der Rhetorik 2.2. Die Darstellung des Sichtbaren im Zeichen der Kunstschönheit: Disegno 3. Zeichenkonzeptionen in der Literatur- und Kunstkritik des 17. und 18. Jahrhunderts 3.1. Die französische Schönheitsphilosophie 3.2. Die pragmatische Dimension der Kunst: Geschmacksdiskussion in England 3.3. Der künstlerische Ausdruck in der deutschen Literatur- und Kunstkritik 4. Zeichenkonzeptionen in der philosophischen Ästhetik und Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts 4.1. Die Semiotik in propädeutischer Funktion 4.2. Die Theorie des schönen Ausdrucks
5. Zeichenkonzeptionen in der frühromantischen Kunst- und Dichtungstheorie 5.1. Der semantische und der syntaktische Aspekt des Symbols 5.2. Der pragmatische Aspekt des Symbolischen 5.3. Die poetische Transformation der Transzendentalphilosophie 6. Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
Die Ausbildung der neuzeitlichen Kunstphilosophie geht wesentlich von Italien aus (14.⫺16. Jahrhundert) und hängt mit der Wiederentdeckung und dem Wiederaufleben der antiken Kunst- und Dichtungstheorien
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
und der antiken Philosophie zusammen (vgl. § 2.). Ein weiterer Ansatz geht auf die Literatur- und Kunstkritik zurück, die im 17. und 18. Jahrhundert zunächst in Frankreich und England, dann ebenso in Deutschland ausgebildet wird (vgl. § 3.). Beide Ansätze prägen die Entstehung der philosophischen Ästhetik im Rahmen von Leibnizens und Christian Wolffs Philosophie sowie deren popularisierende Verbreitung im 18. Jahrhundert (§ 4.). Kunstphilosophie und Ästhetik werden an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert fortgeführt und differenziert durch die vom Deutschen Idealismus beeinflußte frühromantische Kunst- und Dichtungstheorie (§ 5.). Außereuropäische Länder, aber auch Skandinavien oder Rußland waren an dieser Entwicklung nicht beteiligt. Doch gibt es beispielsweise in Rußland Untersuchungen zur Ästhetik der Renaissance (Losev 1982, vgl. Batkin 1978); auch nimmt Rußland teil an der europäischen Romantik (Lettenbauer 1970 und Zelinsky 1975). Die Zeichenkonzeptionen in der europäischen Kunstphilosophie und Ästhetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert sind mit dem Wandel des Kunstbegriffs verbunden, dessen Entstehung das zentrale Problem der modernen Ästhetik und ihrer Historiographie ist. Die Antike und das Mittelalter ordneten die bildenden Künste ebenso wie Musik und Dichtung den verschiedenen Wissenschaften sowie handwerklichen und anderen menschlichen Tätigkeiten zu (vgl. Art. 50); unter Kunst wurde ein Kanon von Regeln verstanden, der dazu anleiten sollte, etwas herzustellen. Das Handwerk des Schuhmachers, die Kochkunst und die Kunst des Jongleurs, Grammatik und Arithmetik sind nicht weniger und in keinem andern Sinn ‘Kunst’ als Malerei und Bildhauerei, Dichtung und Musik (Kristeller 1951⫺ 52, 174). Der neue Kunstbegriff, der im Kontext eines ästhetischen Diskurses ausgebildet wird, an dem im Laufe der Jahrhunderte Personen von unterschiedlicher Profession beteiligt gewesen sind ⫺ Humanisten, Philologen, Philosophen, Künstler, Dichter und Kritiker ⫺ ist grundsätzlich am Prinzip der Nachahmung (der Alten bzw. der Natur) orientiert und setzt voraus, daß „Kunst“ ‘Schönheit’ konnotiert (zur Grammatiktheorie der Humanisten vgl. Art. 67 § 2.). Nachahmung (mi¬mhsiw, imitatio) wird seit Platon und Aristoteles im Sinn von Darstellung, auch von Ausdruck verstanden. Aristoteles (Poetik, 1447 b 25) teilt die Künste nach der Art und
1233
Weise ein, in der sie Gegenstände mit Hilfe der Darstellungsmittel, die ihnen jeweils eigentümlich sind ⫺ Form, Farbe, Ton, Rhythmus und Wort ⫺ ins Werk setzen (vgl. Koller 1954). Die Bindung an das Schöne ermöglicht die Unterscheidung der bildenden Künste (Architektur, Bildhauerei, Malerei), der Dichtung und der Musik von den Wissenschaften und Handwerkskünsten. Schönheit ist zudem die Qualität oder der Wert, durch den Kunstwerke von Gegenständen des Alltags unterschieden werden. Der Künstler, dem ein besonderes Ingenium, Genie (vgl. Fabian 1974, Ritter 1974) zugesprochen wird, macht sichtbar, hörbar, erfahrbar, was im Alltag, in der alltäglichen Wahrnehmung verborgen bleibt. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert wird in der Bestimmung des Geschmacks („bon gouˆt“, „fine taste“) eine Empfänglichkeit oder Sensibilität für das Schöne thematisiert, die für die Produktion wie für die Rezeption und eine angemessene Kritik von Kunstwerken unverzichtbar ist (vgl. Schümmer 1955). ⫺ Die begriffliche Ausformulierung des neuen Kunstbegriffs impliziert ⫺ mehr oder weniger ausdrücklich ⫺ eine zeichentheoretische Bestimmung der Kunst. Kunstwerke werden als imitative oder expressive Zeichen (N. Goodman; vgl. Art. 121) bzw. als Ensemble von Werten (J. Mukarˇovsky´; vgl. Art. 115) aufgefaßt. Sie sind ästhetische Zeichen im Sinne von ikonischen Zeichen, deren Designat einen Wert darstellt. Werthaft ist die Eigenschaft des Kunstobjektes, durch einen schönen Ausdruck Gefallen zu erregen. Die Erörterung der Entstehung solcher Objekte impliziert die Beschreibung des Kunstwerks als Zeichenprozeß, der semantisch, syntaktisch und pragmatisch konstituiert ist (Ch. Morris, siehe Posner 1987, 52; vgl. Art. 113). Der neue Kunstbegriff gipfelt in der autonomen Bestimmung der Kunst. Die semiotische Rekonstruktion der ästhetischen Theoriebildung hat erst begonnen (vgl. Nöth 1985, 381 ff und Paetzold 1987); berücksichtigt werden bislang insbesondere das 18. Jahrhundert und die Romantik (vgl. Todorov 1977). Detaillierte Erörterungen von Einzelproblemen finden sich in der Zeitschrift für Semiotik (1979 ff). Zeichentheoretisch ist die Ausbildung des neuen Kunstbegriffs gleichbedeutend mit dem Schritt vom Verständnis des Kunstwerks als imitatives ästhetisches Zeichen (siehe §§ 2.⫺4.) zu seiner Auffassung als selbstreferentielles Zeichen (siehe § 5.; vgl. auch Art. 120).
1234
2.
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Zeichenkonzeptionen in der Renaissance vom 14. bis 16. Jahrhundert
Die Poetik der Renaissance, die von Humanisten (z. B. Francesco Robertello †1567) und Philosophen (z. B. Francesco Patrizzi †1597), von Philologen (z. B. Julius Caesar Scaliger †1558) und Dichtern (z. B. Torquato Tasso †1595) geschrieben wird, verbindet im Anschluß an die Ars poetica von Horaz und die Poetik des Aristoteles das rhetorische Konzept der Dichtung mit der Nachahmungslehre (vgl. Borinski 1924 ⫽ 1965, I 208⫺245). Die poetische Sprache wird in diesem Rahmen dem Dekorum unterworfen, das als Norm und maßgebender Wert der Dichtung gilt (siehe § 2.1.). Erst im Zusammenhang mit der Theorie der bildenden Künste bindet die Renaissance, im Rückgriff auf die tradierte Schönheitsmetaphysik (vgl. Art. 50), die Kunst an das Schöne. Die Emanzipation der bildenden Künste aus dem Verbund der artes mechanicae wird begrifflich in der Bestimmung der bildenden als der schönen Künste und zeichentheoretisch in der Theorie des Disegno und im Paragone faßbar (s. u. § 2.2.). 2.1. Die Sprache der Dichtung im Rahmen der Rhetorik Die Probleme der Renaissancepoetik ergeben sich aus der Definition der Dichtung (vgl. Art. 67 § 3. und § 4.). Die Dichtung steht als ars rationalis der Philosophie und der Geschichte nahe und ist als Redekunst der Grammatik, Logik und Rhetorik verbunden (vgl. Weinberg 1961 ⫽ 1974, 1⫺37). Alle diese Künste bedienen sich der Sprache. Die spezifische Differenz der Dichtung liegt in der Verbindung zweier Merkmale, der Nachahmung („assimilatio“, „verosimiglianza“, „repraesentare“), die allerdings auch das Prinzip der bildenden Künste ist, und der besonderen Behandlung der Sprache. Entsprechend den aristotelischen Gesichtspunkten der Wirk-, Zweck-, Material- und Formalursache ist die Wirklichkeit der Stoff (materia) der Dichtung, ihre formale Ursache sind die Wörter (vgl. J. C. Scaliger 1561 ⫽ 1964, I 2, 6A1), oder aber ⫺ so der Aristoteles-Kommentator Filippo Sassetti in einer Manuskript gebliebenen Schrift (vgl. Weinberg 1961 ⫽ 1974, 48⫺50) ⫺ der Vers wird als materiale und die Nachahmung als formale Ursache aufgefaßt. Als nachahmende Kunst ist
die Dichtung an Wahrheit im Sinne der Übereinstimmung mit dem Gegenstand gebunden (Scaliger 1561 ⫽ 1964, I 1, 2B1). Die poetische Sprache entsteht aus der Materie der Rede, die in nichts anderem besteht als dem Schriftzeichen oder Buchstaben, der Silbe und dem Vortrag, der Diktion („Orationis autem materia quid aliud sit quam litera, syllaba et dictio?“; II 1, 55D1). Die poetische Diktion beruht auf dem Schmuck der Wörter, der seine Prägung (Charakter) durch rhetorische Figuren und den Numerus, die Zahl der Zeitwerte, d. h. der Aussprachedauer einer kurzen Silbe als metrischer Einheit, erhält („Verba vero duplicem consequuntur ornatum: unum ex figuris, alterum a numeris, quorum ex utroque character constituitur“; IV 1, 174A1; vgl. Lausberg 1960, Artikel „Rhetorik“, „Stil“). Der Reiz der Rede ⫺ so der Humanist Antonio Minturno (De poeta, 1559, 102; vgl. Perpeet 1987) ⫺ liegt in dem, was mit Feinheit, angemessen und schmuckreich („eleganter et apte et ornate“) gesagt wird. Für den Humanisten, Schriftsteller und Literaturtheoretiker Lelio Gregorio Giraldi (Historiae poetarum, 1545, 86; vgl. Perpeet 1987) ist der Dichter ein Mensch, der über große Dinge angemessen und in „gebundener Rede“ („per carmen“) spricht. Als eine von Philosophie und Wissenschaft zu unterscheidende Fertigkeit hat Dichtung den Zweck, den Leser oder Hörer zu erfreuen („delectare“) und ihn zu erschüttern („movere“), um ihn zu belehren („docere“), d. h. um ihm moralische Handlungen erstrebenswert für sein eigenes Verhalten erscheinen zu lassen, „zum Nutzen [beneficio] eines wohlgeordneten Gemeinwesens [ordinata republica]“ (Giasone Denores, Philosoph und Schriftsteller, Poetica, 1588, 2; vgl. Perpeet 1987; siehe Abb. 63.1). Die an Horaz (vgl. Ars poetica 361) anknüpfende Forderung „ut pictura poesis“ („wie ein Bild sei das Gedicht“) wird ebenso in den Vordergrund gerückt wie die Absicht der Dichter zu belustigen oder zu unterrichten („aut prodesse volunt aut delectare poetae“) oder beides zu verbinden und unter einer angenehmen Hülle uns Dinge zu sagen, die im Leben brauchbar sind (vgl. Horaz, Ars poetica 333 f). „Omnis enim oratio eiÓdow, ennoia, mi¬mhsiw quemadmodum et pictura: id quod et ab Aristotele et a Platone declaratum est“ (J. C. Scaliger 1561 ⫽ 1617, 401). Die im Dekorum vorgeschriebene Einheit von „res“ und „verba“ muß den Regeln und Konventionen der einzelnen Gattungen und den Kriterien der drei Stile genügen (vgl. Weinberg
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
1235
Abb. 63.1: Semiotische Dimensionen der Renaissance-Poetik. Von den Bildenden Künsten unterscheidet sich die Dichtkunst dadurch, daß sie sich wie auch die übrigen artes rationales der Sprache bedient; innerhalb der artes rationales hingegen zeichnet sie sich durch ihre besondere Beziehung zu eben diesem Mittel aus. Mit den Bildenden Künsten teilt sie das Verfahren der Nachahmung. Syntaktische und semantische Aspekte poetischer Zeichen werden mit Hilfe der aristotelischen Begrifflichkeit von Material- und Formalursache gefaßt. Aber die beiden Ursachetypen lassen sich keineswegs eindeutig diesen semiotischen Dimensionen zuordnen. Zu erfreuen, zu bewegen und zu belehren werden als anzustrebende pragmatische Effekte der Dichtung angesehen.
1961 ⫽ 1974, 800⫺802, 805⫺808). Wenn der Dichter mit der Schönheit („vaghezza“) der Wörter, dem Wohllaut („dolcezza“) der Reime und der Vielfalt („varieta`“) und Buntheit („floridezza“) der Figuren die geglückte Darstellung der Charaktere, der Gesten und der Handlung verbindet, dann fesselt er den Leser, reißt ihn hin, wir sind dem Alltag und der Gewohnheit, ja gleichsam uns selbst entfremdet („alienati a noi“) und bezaubert von ihrer Schönheit („leggiadria“), sagt der italienische Literaturtheoretiker Benedetto Grasso (De Oratione, 1566, 7; vgl. Perpeet 1987) über die Wirkung der Dichtung. ⫺ Schönheit („venustas“, „pulchritudo“), mit dem Schmuck der Rede („ornatus orationis“) in Verbindung gebracht, bleibt dem Dekorum untergeordnet: „multum opportet esse attentum poetam ad decorum“ (Scaliger 1561 ⫽ 1964, III 16, 99A1). Mit dem Dekorum als Strukturprinzip der Dichtung, das darüber entscheidet, welche Gegenstände es wert sind, den Stoff der Dichtung abzugeben, und das die sprachliche Form bestimmt, ist eine Wertsetzung gegeben, der gemäß Dichtung nicht als ästhetisches Phänomen aufgefaßt wird, sondern als Führerin des Lebens, in welcher Funktion sie
gegen die Vorbehalte verteidigt werden kann, die Platon der Kunst gegenüber geltend gemacht hatte (vgl. Weinberg 1961 ⫽ 1974, 797⫺800). ⫺ Die Forderungen der klassischen Dichtungstheorie an den sprachlichen Ausdruck gehören zu den zentralen Fragen, die den Streit unter anderem über die Divina comedia des Alighieri Dante (1265⫺1321) oder die Dichtung von Torquato Tasso (1544⫺1595) auslösen (Weinberg 1961 ⫽ 1974, 819⫺1112) und dann in der „Querelle des anciens et des modernes“ (vgl. § 3.1.) ausgetragen werden, wie auch in der deutschen Literaturkritik (vgl. Borinski 1886; siehe § 3.3.). 2.2. Die Darstellung des Sichtbaren im Zeichen der Kunstschönheit: Disegno Die Ausbildung des ästhetisch akzentuierten Kunstbegriffs geht mit einem veränderten Selbstverständnis der Renaissance-Künstler einher. Soziologische Voraussetzungen wie die Marktlage der bildenden Künste und die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft (vgl. Warnke 1985, 52 ff) waren dafür ebenso maßgebend wie die neue, aus der Philosophie übernommene ontologische Auffassung des
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Kunstwerks als vollkommene sinnliche Erscheinung (vgl. Perpeet 1987, 252 ff). Damit entsteht das Problem der künstlerischen Bezeichnung des Schönen und der Umschreibung der Kunstschönheit. Die Künstlertraktate der Renaissance unterscheiden sich von der auch im Mittelalter nicht fehlenden Kunstliteratur (vgl. Schlosser 1924 ⫽ 1985, 7⫺67) dadurch, daß nicht mehr gefragt wird, wie etwas gemacht wird, sondern danach, was ein Künstler können und wissen muß, um in seinem Werk Schönheit zur Anschauung zu bringen. Künstler wie Leon Battista Alberti (1404⫺1472), Lorenzo Ghiberti (1378⫺1455), Leonardo da Vinci (1452⫺ 1519), Raffael Santi (1471⫺1528), Michelangelo Buonarroti (1475⫺1564), Lodovico Dolce (1508⫺1568) oder Andrea Palladio (1508⫺1580) (Quellenschriften, meist als Nachdruck verfügbar, verzeichnet bei Perpeet 1987, 400 ff) argumentieren sowohl praxisund werkbezogen als auch philosophisch (vgl. Venturi 1945 ⫽ 1972, 89 ff). Schönheit wurde in der Antike mit dem Nützlichen, wie auch mit dem Guten und Wahren verbunden (vgl. Grassi 1962 ⫽ 1980, 108⫺140, 50 ff, 81⫺92). Dasselbe gilt für das Mittelalter, das Schönheit überdies vorrangig als metaphysisches Attribut Gottes und seiner Schöpfung begriffen hat (vgl. Assunto 1963 ⫽ 1982). Die auf Platon und Plotin zurückgehende Idee der Schönheit wird nun zum philosophischen Leitbegriff der Kunstpraxis (vgl. Panofsky 1924 ⫽ 1989) und gibt den Orientierungspunkt ab für das begriffliche Instrumentarium (Übersicht bei Tatarkiewicz 1974 ⫽ 1987, 3, 296⫺300), mit dem die Künstler ihre Arbeit kommentieren. Sie sehen ihre Aufgabe in der Produktion der Schönheit, um die verborgene Schönheit der Dinge sichtbar zu machen. Die ⫺ mit N. Goodman (1973, 62 ff) gesagt ⫺ Exemplifikation einer fiktiven, durch Kunst erzeugten Welt ist konzentriert auf die Bestimmungen der Nachahmung („imitatio“) und der Auswahl („electio“) (vgl. Perpeet 1987, 136⫺247 und 369⫺392). Kunstschönheit („bellezza“, „venustas“, „vaghezza“, „leggiadria“) ist ein Resultat des Disegno. Der Künstler ⫺ so der Bildhauer und Kunsttheoretiker Vincenzo Danti (Trattato delle perfette proporzioni, 1567, I 11; vgl. Perpeet 1987) ⫺ weiß um die von der Natur beabsichtigte vollkommene Form der Dinge („perfetta forma intenzionale“) und realisiert sie in seinem Werk („mettere in figura“). Nach L. B. Alberti, einem Wortführer der Kunstästhetik in der Renaissance, kommt es
darauf an, Gegenstände gemäß einer „bella invenzione“, entsprechend der „idea di bellezza“ des Künstlers zu bilden (Alberti 1877 ⫽ 1970, 151 f), der hier allein seinem „ingenium“ folgt (136). Die Bestimmung des Disegno, der Zeichnung schließt die Bedeutung von „conceptus“ und von „designatio“ ein. „Designatio“ wurde synonym mit „signum“, „forma“, „descriptio“ gebraucht, umfaßt semantisch Bezeichnung, Anordnung, Begrenzung und wird auch im Sinne von Riß, Plan, Absicht verwendet. Der Kunsttheoretiker und Maler Lodovico Dolce nennt Disegno jene Form, die der Künstler den Dingen verleiht (vgl. Tatarkiewicz 1974 ⫽ 1987, 3, 221 f, 236 ff). Giorgio Vasari, Historiker und Künstler, faßt Architektur, Malerei und Bildhauerei als „arti di disegno“ zusammen: „E perche` il disegno e` padre di ognuna di queste arti ed essendo il dipingere e disignare piu` nostro che loro“. Vasari begreift den Disegno als den äußeren Ausdruck und die zur Anschauung („dichiarazzione“) gebrachte ästhetische Bezeichnung des Konzepts („concetto“) der Schönheit, das ein Künstler in seinem Geist ausgedacht und in Gedanken schon ausgebildet hat (Le opere, ed. Milanesi, 1878, I 168 f; vgl. Panofsky 1924 ⫽ 1989, 33 ff). Dank seiner Kenntnis der Natur und ihrer Maße gelingt es dem Künstler, die Idee eines Naturgegenstandes hervorzubringen und sie zu bezeichnen. Der Theorie-PraxisBezug zeichnet den Begriff des Disegno gegenüber anderen Begriffen wie Idea, Invenzione, Imitatione, Bellezza aus (vgl. Abb. 63.2). Die Geschichte des Begriffs zeigt, daß einmal der Aspekt der Form als Ausdruck eines im Geiste Vorgegebenen im Vordergrund steht und ein andermal das Lineare, Kunsthafte, d. h. der Aspekt der Praxis des Disegno betont wird (vgl. Kemp 1974). Als ⫺ so Alberti (Zehn Bücher über Baukunst, I 1) ⫺ ein im Geist konzipierter, mittels Linien und Formen ausgeführter Riß, kann er als „Prozeß der Entmaterialisierung“ verstanden werden, „die Idee des Disegno zeigt die zunehmende Scheinhaftigkeit der ins Kunstwerk eindringenden Wirklichkeit“ an (vgl. Müller 1972, 58 ff). Der Disegno, verstanden als Verfahren der Welterzeugung durch Malerei, setzt voraus, daß der Künstler die Form der Dinge nicht nach Art der Mathematiker mit dem Verstande mißt, sondern mit dem Auge schaut. Für den Maler kommt es einzig darauf an, nachzubilden, was er sieht („sola studia il pictore fingiere, quello si vede“). Der Prozeß der
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
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Abb. 63.2: Welterzeugung durch Kunst. Der Künstler weiß um die von der Natur beabsichtigte vollkommene Form der Dinge und symbolisiert diese Vollkommenheit im Kunstwerk, indem er diesem einen „disegno“ verleiht, welcher die schöne Erfindung („concetto, bella invenzione“) designiert, die er in seinem Geiste ausgebildet hat.
malerischen Nachbildung der Wirklichkeit beginnt beim Punkt. Der Punkt ist ein Zeichen, das nicht weiter in Teile geteilt werden kann. Ein Zeichen ist das, was immer dergestalt auf einer Fläche sich befindet, daß es von dem Auge wahrgenommen werden kann: „Segnio qui apello, qualunque cosa stia alla superficie per modo che l’occhio possa vederla“ (Alberti 1877 ⫽ 1970, 51). Miteinander verbunden, wachsen Punkte zur Linie an. Die Linie ist ein Zeichen, das in der Weise eingesetzt wird, daß eine Fläche entsteht und auf der Fläche geometrische Figuren ⫺ Kreis, Dreieck, rechte Winkel usw. ⫺ erscheinen. Aus diesen Elementen wird unter Beachtung der Sehpyramide Wirklichkeit in einer bestimmten Distanz zum Betrachter bezeichnet, zur Darstellung gebracht, ins Bild gesetzt. Malerisch bezeichnet wird der Raum nicht allein durch Linien, durch die der Umriß (Contour) erzeugt wird. Hinzu kommen Komposition und Farbe. Die verschiedenen Ebenen des Bildes (vgl. Panofsky 1957 ⫽ 1975, 36 ff) bezeichnen ein Symbolfeld (vgl. Bühler 1934 ⫽ 1978, 179 ff). Für die malerische Bezeichnung gelten Kriterien wie „copia“ und „varietas“, „proportio“ und „prospectiva“, die prinzipiell erfüllt sein müssen, damit ein Bild, aber auch eine Statue oder ein
Bauwerk als Kunstwerke, als ästhetische Zeichen, als Objekte also, angesprochen werden können, denen Schönheit zukommt, und die aus diesem Grunde das Auge des Betrachters erfreuen (vgl. Perpeet 1987, 374 ff). Die Würde der Malerei liegt in der Steigerung der Schönheit der Dinge. Malerei ist nichts anderes, als künstlerisch („con arte“) ein Ebenbild („simile“) zu umfassen, festzuhalten, zu bezeichnen („dipigniere“) ⫺ wie Narziß bei Ovid (Metamorphosen III 407⫺427) das seine aus dem Spiegel der Quelle erblickt (vgl. Alberti 1877 ⫽ 1970, 91 f). Cesare Ripa, Begründer einer Ikonologie, die ausschließlich für Begriffe Zeichen erfindet, stellt in der dritten, 1603 erschienenen Auflage seiner Iconologia (11593), die annähernd vierhundert Begriffe behandelt, von denen einige für die Ästhetik relevant sind (Schönheit, Anmut, Symmetrie u. a., vgl. Tatarkiewicz 1974 ⫽ 1987, 3, 246 ff), den Disegno als Mann dar, der in der einen Hand einen Zirkel und in der anderen einen Spiegel hält (vgl. Abb. 63.3). Die bezeichnende und deutende Kraft der Kunstschönheit, wie sie unter den „arti di disegno“ der Malerei insbesondere zugesprochen wird, gibt im Paragone, dem Wettstreit zwischen den bildenden Künsten und den Wortkünsten des 17. Jahrhunderts (vgl. Per-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 63.3: Ikonologische Darstellung des Disegno. In der Iconologia (31603) des Cesare Ripa findet sich diese allegorische Darstellung des Disegno als Mann mit Zirkel (Maß/Umriß) und Spiegel, der auf die Welt gerichtet ist (Mimesis). Die erste Auflage der Iconologia war bereits 1593 erschienen.
peet 1987, 210 ff), dem im 16. Jahrhundert ein Streit um den Vorrang unter den bildenden Künsten vorhergegangen war, den Maßstab ab. Die Künste des Sehens, des hinweisenden Zeigens, werden den Wortkünsten, den sagenden und schreibenden Künsten, entgegengesetzt und die unterschiedlichen Darstellungsmittel der bildenden Künste, insbesondere die der Malerei und der Dichtung in ihrer semiotischen Eigenart geltend gemacht. Die Rhetorik als Praxis der mündlichen Rede und die Poetik als Lehre von der Dichtung und der gebundenen Sprache behaupten bzw. verteidigen die Kraft des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Der Humanist Lorenzo Valla (vgl. Elegantiae linguae latinae, 1448; siehe Perpeet 1987) beispielsweise bestreitet, daß Bildhauer und Maler es mit der Sprache aufnehmen können. Die Menschen sind auf Verständigung angewiesen, dazu wird die Sprache gebraucht. Die Priorität des Wortes behauptet zudem einen Vorzug der inneren Vorstellungswelt gegenüber der Erscheinungswelt. Der Wettstreit der bildenden Künste und der Wortkünste gipfelt gleichwohl in einem Lob des Auges. Das Kriterium
des Vorrangs der bildenden vor den Sprachkünsten wird in die Bezeichnungskraft der visuellen Künste als der ersten Bedingung des kunstschöpferischen Sehens („virtu visiva“) gelegt, das vom bloß wahrnehmenden und auch vom anschauenden Sehen unterschieden werden muß, weil es die Charaktere der Erscheinungen herausarbeitet und bezeichnet (vgl. Perpeet 1987, 226⫺241). Die sprachlichen Mittel erlauben nur eine hinweisende Schilderung der Merkmale bzw. der Kennzeichen (sxh˜ mata) der Erscheinungswelt. Der Dichter kann die unzähligen kunstreichen Formen, die die Natur geschaffen hat, lediglich beschreiben, der Maler präsentiert sie dem Auge unmittelbar (Leonardo da Vinci 1952, 916). Der Maler sieht die Erscheinungen zum Beispiel von Wasser oder Wolken, indem er Bewegungen erfaßt und sie derart bezeichnet, daß der Betrachter sie nachvollziehen kann (Leonardo da Vinci 1952, 875 f, 497⫺500). Das hör- und lesbare Wort verhält sich zur bildenden Kunst wie der Schatten zum schattenwerfenden Körper, d. h. wie das Vorstellbare und Eingebildete zur sichtbar gegenwärtigen Erscheinung. Die Dichtung
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
legt ihre Gegenstände in die Imagination der Schriftzeichen („lettere“), die Malerei bringt die ihren „realmente“ vor Augen. Das Auge empfängt die Ähnlichkeiten („similitudini“) nicht anders, als wenn sie von der natürlichen Welt herrührten (Leonardo da Vinci 1882/ 1970, 1, I, 2, 4 ff). Der Vorrang der Malerei gegenüber der Dichtung, der auf der Kraft der bildenden Kunst beruht, die Wirklichkeit in ihrem Reichtum und ihrer Mannigfaltigkeit darzustellen und sie in der Schönheit ihrer Werke zu deuten, wird mit anderen Worten auf die Verbindung von indexikalischer und symbolischer Funktion zurückgeführt. Das Kunstschöne deutet die Wirklichkeit als Erscheinung und hat in dieser Hinsicht eine indexikalische Funktion. Aus der Deutung der Erscheinungen bezieht es seine Evidenz und hat in dieser Hinsicht eine symbolische Funktion (Perpeet 1987, 208 ff). Damit ist der moderne Standpunkt vorweggenommen, daß ⫺ so Konrad Fiedler in einem „Bruchstück“ über „Wirklichkeit und Kunst“ (Schriften zur Kunst, 1913/14, ed. Gottfried Boehm, 1971, II 158) ⫺ der sprachliche Ausdruck nicht ausreicht, „um alles zu bezeichnen […], was dem menschlichen Geist überhaupt von der Welt bekannt werden“ könnte.
3.
Zeichenkonzeptionen in der Literatur- und Kunstkritik des 17. und 18. Jahrhunderts
Die Literatur- und Kunstkritik des 17. und 18. Jahrhunderts, wie sie in Frankreich (§ 3.1.), England (§ 3.2.) und Deutschland (§ 3.3.) entstanden ist, impliziert zeichentheoretische Ansätze, die in unterschiedlich akzentuierte Problemstellungen eingebunden sind. Leitend ist die Diskussion der Darstellungsprobleme, die sich für die einzelnen Künste aus dem Grundsatz der Nachahmung und der Bindung an das Schöne ergeben. Thematisiert wird unter anderem das Vergnügen („plaisir“, „pleasure“) oder die Lust als erwünschte Wirkung der Künste sowie ⫺ als Instanz des ästhetischen Urteils ⫺ der gebildete Geschmack („bon gouˆt“, „fine taste“), über den der Produzent von Kunst, das Genie (vgl. Ritter 1974, Sp. 279⫺309), und der Rezipient verfügen muß. Das methodische Gewicht semiotischer Ansätze erweist sich in den Bezügen zu diesen Fragen. Die zeichentheoretischen Implikationen sind dabei durch Vorgaben geprägt, die mit den Entstehungsbedingungen der modernen Literatur- und
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Kunstkritik und ihrer Einbindung in das europäische Kunstleben (vgl. Dresdner 1915 ⫽ 1968, 149⫺234) sowie in soziale, historische und ideengeschichtliche Zusammenhänge wie den Cartesischen Rationalismus (vgl. Krantz 1882), den Empirismus (J. Locke, D. Hume) und die Leibnizsche Metaphysik verknüpft sind (vgl. Wellek 1959, 21 ff). 3.1. Die französische Schönheitsphilosophie In Frankreich verbindet sich die Kritik mit den Dichtungs- und Kunsttheorien, deren Wertsetzungen normativen Rang gewinnen (vgl. Knabe 1972, 141⫺155). Die Betonung der „de´licatesse“ als Kriterium der poetischen Sprache und des „sentiment“ als einer spezifischen Empfindlichkeit für ästhetische Gegenstände, die die Entstehung der neueren Ästhetik vorbereitet (vgl. Baeumler 1923 ⫽ 1967, 18⫺60), bestimmt die im Kontext der „Querelle des anciens et des modernes“, also im Zusammenhang des Streites „über die Vorbildlichkeit der Antike und die Fortschrittlichkeit der mündig gewordenen Moderne“ (Jauß 1964, 9), geführte Erörterung über die Charaktere des Schönen (vgl. Art. 82 § 1.1.). Der Streit darüber, ob Schönheit subjektiv und relativ sei oder aber objektiv, allgemeingültig und rational faßbar, wie es die, vom Cartesischen Rationalismus geprägte, Auffassung der klassischen Theoretiker der Dichtung (Jean Chapelain, N. Boileau-Despre´aux) und der Kunsttheoretiker (N. Poussin, G. Bellori) war, verschafft der neuen subjektivistischen Deutung der Kunst gegenüber der nach wie vor verteidigten klassischen objektivistischen Konzeption (vgl. Bray 1927 ⫽ 1961) mehr und mehr Geltung (vgl. Tatarkiewicz 1974 ⫽ 1987, 3, 421⫺431). Der Phantasie und Erfindungskraft des Künstlers wird mehr Raum gegeben und darin ein Fortschritt der Kunst gesehen, mit dem Ergebnis, daß die antike Kunst in eine historische Distanz gerückt wird (Jauß 1964, 60 ff). In diesem Zusammenhang werden Charaktere des Schönen (Ch. Perrault, P. Andre´, J. Crousaz, D. Bouhours) erörtert (§ 3.1.1.), wobei zwischen natürlichen und arbiträren Zeichen unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist leitend für den Vergleich der Künste unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkung. Dieser Vergleich wird im Kontext der Bindung der Künste an das Nachahmungsprinzip thematisiert, das die Ikonizität der künstlerischen Zeichenwelten zur Folge hat (J. B. Dubos, Ch. Batteux, D. Diderot) (siehe § 3.1.2.⫺ 3.1.3.).
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
3.1.1. Die Charaktere des Schönen Der Fortschritt der Kunst, der gleichbedeutend mit einer fortschreitenden Verwirklichung des Schönen, d. h. des Grades der erreichten Vollkommenheit in der Geschichte der Kunst ist (Perrault 1688 ⫽ 1964, III 154), wird im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen einem „beau absolu“ und einem „beau relatif“ behandelt (vgl. Jauß 1964, 47 ff). Die Arten der Bezeichnung (modi significandi) oder Charaktere des Schönen ergeben sich aus der Forderung nach einer künstlerischen Realisierung oder Bezeichnung der Schönheit in den einzelnen Künsten, insbesondere der Architektur, Musik, Malerei und Dichtung. Für den Maler beispielsweise besteht die schwierige künstlerische Aufgabe nicht darin, die Dinge gut, d. h. täuschend genau darzustellen, so daß man glaubt, sie leibhaftig vor Augen zu sehen, sondern schöne Gegenstände, die Dinge in ihrer ursprünglichen Schönheit, ins Bild zu setzen („La plus grande difficulte´ ne consiste pas a` bien repre´senter des objets, mais a` repre´senter de beaux objets“; Perrault 1688 ⫽ 1964, III 214). Das „beau absolu“ beruht auf dem Gedanken einer rationalen, auf die Vernunft und das Wahre bezogenen und in diesem Sinne objektiven Schönheit, deren Kennzeichen („caracte`res re´els et naturels du beau“) durch Mannigfaltigkeit („variete´“), Einheit („uniformite´“), Proportion und Ordnung bestimmt sind. Das „beau absolu“ ⫺ zu dem beispielsweise der Schmuck (ornatus) der poetischen Rede gehört ⫺ bleibt prinzipiell unvergleichbar (Perrault 1688 ⫽ 1964, III 11⫺13). Ein „beau relatif“ ist vom Zufall und von der Gewöhnung abhängig. Es gibt in der Baukunst Arten der Schönheit, die immer gelten, bei allen Völkern und zu allen Zeiten, bei den „Anciens“ wie bei den „Modernes“, es sind natürliche, ein für allemal gegebene Schönheiten, die zu allen Zeiten und an allen Orten und unabhängig von der Behandlung, vom Herkommen und der Mode gefallen („des beaute´s naturelles et positives qui plaisent toujours, et inde´pendamment de l’usage et de la mode“). Dem stehen Schönheiten gegenüber, die Vergnügen bereiten, weil die Augen sich daran gewöhnt haben („qui plaisent parceque les yeux s’y accoustumez“). Die Verschiedenheit der Proportionen in der Architektur zeigt, daß ihre Schönheit geschichtlich, nämlich in der Konvention der Menschen begründet, somit der Mode unterworfen ist (Perrault 1688 ⫽ 1964, I 138 ff). Das zeitlos Schöne („beau absolu“) kann weder für den Künstler noch für den Kritiker
allein maßgebend sein. Der Rezipient ist vielmehr auf eine von der Vorstellung des Schönen („ide´e du beau“) geleitete ästhetische Sensibilität angewiesen, die „Geschmack“ („bon gouˆt“) genannt wird (Perrault 1688 ⫽ 1964, I 38 f, 182 f, II 47⫺49). Darunter wird die Fähigkeit („disposition naturelle“), das geistige Vergnügen am Schönen zu erfahren, verstanden, zu dem prinzipiell alle Menschen fähig sind (Crousaz 1715, 52 f, 68 f); es ist mit angenehmen Gefühlen oder Vorstellungen („sentiments agre´ables“) verbunden, die in dem Urteil „das ist schön“ zum Ausdruck gebracht werden: „[…] cela est beau c’est dire, j’apperc¸ois quelque chose que j’approuve, ou quelque chose qui me fait plaisir“ (Crousaz 1715, 7). Jede Sprache („langue“) hat die ihr eigene Schönheit. Die Beredsamkeit setzt sie ein, um die Leidenschaften („passions“) der Menschen zu erwecken. An Bauten und vor allem an der Musik bewundern wir komplizierte Kombinationen, die durch die Charaktere des Schönen bezeichnet sind. Sie üben die „Herrschaft der Schönheit“ über unsere Gefühle („l’Empire de la beaute´ sur nos sentiments“) aus, die auf einem Beziehungsgeflecht der Ähnlichkeit („rapport de ressemblance“) zwischen dem Gegenstand und seiner künstlerischen Realisierung beruht (Perrault 1688 ⫽ 1964, 45). Das Kriterium der Ähnlichkeit entscheidet über die Qualität des Kunstwerks. Künstler und Kritiker müssen es beachten, um eine wahre von einer falschen Darstellung unterscheiden zu können. Auf dem Gebiet der schönen Literatur, der geistreichen Werke („ouvrages d’esprit“, „belles lettres“) hat in diesem Zusammenhang D. Bouhours den modernen (d. h.: nicht-antiken) Standpunkt geltend gemacht und das Kriterium der Wahrscheinlichkeit („vraisemblance“) einer künstlerischen Darstellung der alten (klassischen) Maxime entgegengehalten, daß allein das Wahre schön und liebenswert sei: „Rien n’est beau que le vrai. Le vrai seul est aimable“ (N. Boileau-Despre´aux, Epistres X, 11⫺12; vgl. Boileau 1966, 141). Die sogenannte „Logik ohne Dornen“ („logique sans e´pines“) soll dazu dienen, die Diktion eines literarischen oder poetischen Textes von der eines wissenschaftlichen zu unterscheiden. Die Logik ohne Dornen betont den Abbildcharakter des Denkens wie auch der Sprache: „Les pense´es […] sont les images des choses, comme les paroles sont les images des pense´es“ („Die Gedanken sind die Bilder der Dinge, wie die Worte die Bilder der Gedanken sind“). Denken heißt so, in sich das Bild von Dingen zu formen, die geistig oder aber
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
anschaulich, empfindbar, sinnlich wahrnehmbar sind („[…] former en soi la peinture d’un objet ou spirituel ou sensible“; Bouhours 1687 ⫽ 1756, 11). Lebendigkeit und Brillanz sind die verlangten Kennzeichen der poetischen Rede, sie soll frei von Trockenheit und Abstraktion sein („ni seche, ni abstrait“). Die poetische Schreibart ist dabei auf die Verwendung rhetorischer Figuren angewiesen. Die Erdichtung („fiction“), das Mehrdeutige („l’e´quivoque“) und die Übertreibung („l’hyperbole“) machen das Geistreiche im poetischen Denken und Schreiben aus. Die Welt der Poeten („monde des Poe`tes“) hat ihre eigene Wahrheit. Sie stellt einen Zusammenhang eigener, erdichteter Ordnung und Verknüpfung, ein „syste`me fabuleux“ dar, wobei der Künstler einer ontologischen Vorgabe, dem Wesen der Dinge („essence des choses“) verpflichtet bleibt. 3.1.2. Die Ikonizität der künstlerischen Zeichenwelten Die strukturelle Ähnlichkeit der Kunstwerke mit der Welt, in der wir leben, d. h. die Ikonizität der künstlerischen Zeichenwelten, ist vorausgesetzt, wenn Jean Baptiste Du Bos ⫺ seine Re´flexions sur la poesie et la peinture, im Jahre 1719 anonym erschienen, erlebten bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts mindestens 16 Neuauflagen im Original und in Übersetzungen ⫺ den fiktiven Charakter der Kunst betont und in dieser Hinsicht die semantische, syntaktische und pragmatische Dimension der Kunst aufeinander bezieht. Die Kunst erweckt durch Nachahmung wirklicher Begebenheiten im Rezipienten tatsächliche Leidenschaften. Die Quelle des Vergnügens liegt aber nicht in der Illusion, sondern beruht auf der Fiktion: „L’imitation la plus parfaite n’a qu’un eˆtre artificiel“ (Du Bos 1719 ⫽ 1770, I, III 27 f). Die Frage nach den Bedingungen der Erzeugung solcher Kunstwelten bringt die Eigenart der Zeichen, ihre Bedeutung und Anordnung in den Blick, die eine Kunstwelt in der Dichtung und in der Malerei konstituieren. Der Malerei wird, wie schon im Paragone der Renaissance, eine größere Kraft als der Poesie zugesprochen: „la peinture n’employe pas des signes artificiels, ainsi que le fait la Poe¨sie, mais bien des signes naturels“ (Du Bos 1770, I, XL 413). ⫺ Charles Batteux geht von der Ikonizität der Kunst aus, indem er die schönen Künste („beaux arts“) auf ein- und dasselbe Prinzip der Nachahmung der Natur, d. h. „alles dessen, was ist, oder was wir uns leicht als möglich vorstellen können“ zurückführt (Batteux
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1746 ⫽ 1976, I 2, 26). Die künstlerischen Verfahren beschreibt Batteux, der damit den entscheidenden Schritt zum System der Künste getan hat (Kristeller 1951⫺52 ⫽ 1975, 188 f), im Hinblick auf das Vergnügen („plaisir“), das sie uns bereiten und das für ihn ihre Autonomie begründet. Das Vergnügen unterscheidet Musik, Malerei, Bildhauerkunst und Tanzkunst vom Handwerk und von den Künsten des Bedürfnisses, denen Batteux auch die Architektur, ihrer Nützlichkeit wegen, zuordnet. Das Vergnügen beruht darauf, daß die künstlerischen Zeichenwelten Nachbilder der „schönen Natur“ („belle nature“, vgl. Batteux 1746 ⫽ 1753 ⫽ 1976, II 4) darstellen. Nachahmen heißt ein Muster nachbilden: „Imiter, c’est copier un mode`le.“ Dieser Begriff impliziert den des Vorbildes („prototype“), dessen Züge nachgeahmt werden sollen, und den des Nachbildes („copie“), welches diese Züge vorstellt. Die Forderung einer Darstellung des schönen Wahren („beau vrai“), wozu Genie gefordert wird, ergibt sich aus der Anwendung des Grundsatzes der Nachahmung auf die verschiedenen Künste: „Le Ge´nie n’a pu produire les Arts que par l’imitation: ce que c’est qu’imiter“ (Batteux 1746 ⫽ 1976, I 2; vgl. Abb. 63.4). Die Malerei bezeichnet die schöne Natur durch Farben, die Bildhauerkunst durch erhabene Figuren („par les reliefs“), der Tanz durch Bewegungen und die Stellungen des Körpers, die Musik durch Töne („par les sons inarticule´s“), die Poesie durch abgemessene Werke („par la parole mesure´e“). Poesie und Malerei haben eine so große Gleichförmigkeit („conformite´“) miteinander, daß man „für Poesie, Fabel, Versbau, nur Malerei, Zeichnung (desseign), Colorit“ zu setzen brauche (Batteux 1746 ⫽ 1976, III 2). Musik und Tanzkunst können verglichen werden in Bezug auf die Rede, den Ton der Stimme, die Gebärde oder den Gestus: „Gestus est conformatio quaedam et figura totius oris et corporis“ (Batteux 1746 ⫽ 1976, III 1, vgl. Cicero, In Orat. I 25). Während die Sprache dazu dient, daß Menschen „einander ihre Gedanken deutlicher mitteilen können“, sind die Gebärden und Töne „gleichsam das Wörterbuch der einfältigen Natur“, deren Sprache allen Menschen seit ihrer Geburt geläufig ist („[…] la Parole est un langage d’institution, que les hommes ont fait pour se communiquer plus distinctement leurs ide´es: les Gestes et les Tons sont comme le Dictionnaire de la simple Nature; ils contiennent une langue que nous savons tous en naissant […]“; Batteux 1746 ⫽ 1976, III 3, 1).
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Abb. 63.4: Der ästhetische Zeichenprozeß nach Batteux. Das mimetische Verfahren der Schönen Künste beschreibt Batteux im Hinblick auf das Vergnügen, das sie dem Rezipienten bereiten. Durch dieses unterscheiden sie sich von den Künsten des Bedürfnisses und den Handwerken. Ihrem Charakter nach sind die Schönen Künste ikonisch; sie beruhen auf der idealisierenden Nachahmung eines Musters.
Durch Kunst, verstanden als „Sammlung von Regeln, wie man etwas […] gut machen solle“, durch Takt, Bewegung, Modulation und Harmonie erlangen die Ausdrucksmittel des Menschen Vollkommenheit („perfection“), es entstehen Versifikation, Musik und Tanz (III 3). Der Ausdruck („expression“) wird von der Kunst nicht geschaffen, wohl aber geordnet und verstärkt: „L’Art ne cre´e les expressions, ni les de´truit: il les re`gle seulement, les fortifie, les polit.“ Batteux unterstreicht, man bediene sich „im Gespräch des Umgangs und in der Poesie“ derselben Worte, auch seien „die Züge und Farben an den natürlichen Gegenständen […] mit den Zügen und Farben in Schildereyen einerley und auch beim Ausdruck der Leidenschaften, sie mögen wirklich oder erdichtet sein, werden einerlei Töne und Gebärden gebraucht“: „Les mots sont les meˆmes dans la conversation et dans la Poe¨sie; les traits et les couleurs, dans les objets naturels et dans les tableaux; et par conse´quent, les tons et les gestes doivent eˆtre les meˆmes dans les passions, soit re´elles, soit fabuleuses“. Die Ausdrücke sind an sich weder natürlich noch künstlich: „les expressions, en ge´neral, […] ne sont que des signes“. Da sie auf Sinn („sens“) und Bedeutung („signification“) angelegt sind, kann sich die Kunst „aus dem Bezirke der Natur nicht herauswagen“ (Batteux 1746 ⫽ 1976,
III 3, 3). Die hier implizierte Auffassung des Kunstwerks als eines ikonischen Zeichens gibt das entscheidende Kriterium für seine Bewertung ab. Musik muß man ebenso beurteilen wie eine „Schilderey“, an der Züge und Farben zu erblicken sind, deren Sinn der Rezipient versteht, der ihm „schmeichelt“ („flatter“) und ihn „rührt“ („toucher“). „Was würde man wohl von einem Maler sagen, […] der einen Haufen Farben […] auf die Leinwand kleckste, ohne daß sie mit gewissen bekannten Gegenständen einige Ähnlichkeit hätten?“ („[…] qui se contenteroit de jetter sur la toile des traits hardis, […], sans aucune ressemblance avec quelque objet connu?“ Eine derartige Darstellung ist ohne Charakter, sie findet kein Muster („mode`le“) in der Natur, wie es für die Werke aller Künste gefordert wird (Batteux 1746 ⫽ 1753 ⫽ 1976, III 3, 3). Den, aufgrund des alle Künste miteinander verbindenden Grundsatzes der Nachahmung, von ihren Werken geforderten Charakter beschreibt Batteux im einzelnen im Hinblick auf die Musik. 3.1.3. Die Hieroglyphe in den Künsten Den Vergleich der Künste unter dem Gesichtspunkt der strukturellen Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit bringt Denis Diderot in ein Modell der ästhetischen Produktion und Rezeption ein, das er sowohl Batteux als auch
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
der französischen Schönheitsphilosophie (P. Andre´, J. P. Crousaz) (siehe § 3.1.1.) sowie der Theorie der ästhetischen Wirkung, wie sie gleichzeitig in England (Shaftesbury, Hutcheson) (siehe § 3.2.1.) ausgebildet wird, entgegensetzt. Diderot handelt seinerseits „Sur l’origine et la nature du beau“ („Über den Ursprung und die Natur des Schönen“, 1751) und führt die Schönheit und das Wohlgefallen an ihr auf die Kenntnis und die Wahrnehmung der Beziehungen („rapports“) zurück, die fiktionale, als Geflecht von Beziehungen strukturierte Zeichensysteme begründen, wie sie die Werke der einzelnen Künste als solche ausweisen. Die Künste unterscheiden sich zwar durch ihre Darstellungsmittel voneinander, sind hinsichtlich ihrer Wirkung jedoch gleichrangig. Die bildenden Künste, deren Ausdrucksmittel natürliche Zeichen sind, wenden sich unmittelbar an die Sinne und somit an die visuelle Einbildungskraft. Die Dichtung, die sich im Material der Sprache als einem System arbiträrer Zeichen artikuliert, erreicht durch ihre poetische Valenz dieselbe Wirkung. Gegen das cartesianische Ideal einer vernunftsmäßigen Diktion auch in der Dichtung macht Diderot die Schöpfung originaler Metaphern geltend, die entlegene Bereiche miteinander verbinden, unvermutete Beziehungen aufdecken und die Wahrnehmung von Analogien ermöglichen, die über das Assoziative hinausgehen. Aufgrund ihrer Zeichenstruktur ist Dichtung sinnbildhaft, sie artikuliert sich, ebenso wie die Musik, durch Hieroglyphen, d. h. durch ein artifiziell verschlüsseltes Zeichensystem (vgl. Art. 73 § 4.), das ihren je eigenen Ausdruck bestimmt (Diderot 1875⫺77, I 387, vgl. Doolittle 1952, 148 ff). Jede Kunst hat ihre eigene Hieroglyphe, jedes Kunstwerk sein eigenes semantisches und syntaktisches Beziehungsgeflecht. Die Ähnlichkeit der Sinnbilder („emble`mes“), die die einzelnen Künste produzieren, macht Diderot in den Lettres sur les sourds et les muets (1751) geltend gegen Batteux’ Bestimmung einer „belle nature“. Es komme nicht darauf an, die Schönheit einer Kunst gegen die einer anderen abzuwägen, sondern darauf, die gemeinsamen Schönheiten, ihre Analogien zu zeigen und zu erklären, wie ein und dasselbe Bild („image“) vom Dichter, vom Maler und vom Musiker wiedergegeben wird, die flüchtigen Sinnbilder ihres Ausdrucks festzuhalten und nach Ähnlichkeiten zwischen ihnen zu suchen (Diderot 1875⫺77, I 384 f). Damit hängt auch das Laokoon-Problem der Abgrenzung der Dich-
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tung von der Malerei ⫺ „Ut poesis pictura non erit“ („Salons“ 1767, XI 71 f; II 56⫺62) ⫺ (siehe § 3.3.1.), d. h. die Frage zusammen, warum unserer Einbildungskraft Bilder gefallen, die dem Auge mißfallen. Zum Exempel nimmt Diderot einen Vers von Lukrez (De rerum natura I 810 f): „[…] und jegliches Leben/ schwänd uns völlig dahin, da Sehnen und Knochen sich lösten“ („[…] Vita quoque omnis/ Omnibus e nervis atque ossibus exsolvatur“; I 387). Weil der Maler nur über einen Augenblick verfügt, kann er den Tod nicht durch ebensoviele Zeichen wie der Dichter darstellen. Die malerische Darstellung zeigt die Sache selbst: Das „Exsolvatur“ des Lukrez ist in der ganzen Gestalt zu erkennen (vgl. Abb. 63.5). 3.2. Die pragmatische Dimension der Kunst: Geschmacksdiskussion in England Die englische Kunst- und Literaturkritik akzentuiert mit dem Geschmack („fine taste“), ausgehend von unterschiedlichen methodischen Ansätzen, eine spezifische Sensibilität für die Wirkung von Kunst (vgl. Klein 1967). Die Ausleuchtung der pragmatischen Dimension der Kunst steht im Zusammenhang einer gefühlsbetonten, ästhetischen Weltzuwendung und ist mit Abgrenzungsproblemen verbunden, die unter der Fragestellung einer Eigenständigkeit des Gefühls gegenüber dem Verstand erörtert werden (vgl. Franke 1981). Die besondere Bedeutung des Gefühls wird in einer psychologischen bzw. bewußtseinsphilosophischen Perspektive im Rahmen der englischen Moralphilosophie aufgedeckt, die im Anschluß an John Lockes Essay concerning Human Understanding (1690) moralische und ästhetische Tatsachen des Bewußtseins analysiert. Für Anthony Ashley Cooper, später Graf von Shaftesbury (1671⫺1713), der den Denkern der Cambridger Schule, insbesondere deren Naturanschauung nahesteht, ist das ästhetische Gefühl, der Sinn für Schönheit als ein Sinn für das natürlicherweise Anmutige, „a sense of what is naturally graceful“, eine allen Menschen zukommende, natürliche Empfänglichkeit für das Erhabene und das Schöne in Dingen („common and natural sense for the sublime and the beautiful in things“; Shaftesbury 1711 ⫽ 1964, I 89 f, vgl. I 216). Gemeint ist eine kontemplative, „uninteressierte“ Zuwendung zu den Dingen (vgl. Stolnitz 1961 b), die sich gleichermaßen auf ästhetische, geistige und moralische Sachverhalte wie auch auf
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Abb. 63.5: Das Exsolvatur des Lukrez in der Ausdrucksweise des Malers. Darüber ein Beispiel für die musikalische Realisation (vgl. Diderot, ed. Asse´zat und Tourneux 1875⫺77, I 385 f). Für Diderot kommt es nicht darauf an, die Schönheit einer Kunst gegen die einer anderen abzuwägen, sondern darauf, zu erklären, wie ein und dasselbe Bild („image“) vom Dichter, vom Maler und vom Musiker wiedergegeben wird.
Erfahrungen, die der Mensch mit der Natur und der Kunst macht, beziehen kann. Thematisiert werden auf diesem Hintergrund dann aber auch die Ästhetizität oder Polyvalenz (Schmidt 1971) als eine Bedingung der Wirkung von Kunst sowie Fragen der ästhetischen Kommunikation und der ästhetischen Wertsetzung. Unter diesen Gesichtspunkten werden die Künste miteinander verglichen (siehe §§ 3.2.1.⫺3.2.3.; zur Diskussion über ästhetischen Geschmack in Architektur und Kunst vgl. auch Art. 82 § 1.). 3.2.1. Polyvalenz als Bedingung der Wirkung von Kunst Francis Hutcheson (1694⫺1747), Professor der Moralphilosophie in Glasgow, sieht, be-
zogen auf die Kunst, im „sense of beauty“ einen inneren Sinn, der dazu befähigt, die als Einheit in der Mannigfaltigkeit begriffene Komplexität der Schönheit zu erfassen, mit der ein Kunstwerk Ideen darstellt oder bezeichnet: „The internal sense of beauty is a passive power to receiving ideas of beauty from all objects in which there is uniformity, amidst variety“ (Hutcheson 1725 ⫽ 1971, I 1, 10). Schönheit ist dabei nicht als eine Beschaffenheit zu verstehen, die in dem Gegenstand vorausgesetzt wird und die von sich aus schön sein würde, ohne Beziehung auf einen Geist, der sie empfindet: „[…] by Absolute or Original Beauty, is not understood any Quality suppos’d to be in the Object that should of itself be beautiful, without relation to any
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
Mind which perceives it“. „Schönheit“ wie auch andere Namen, die wir sinnlich erfahrbaren Ideen geben, bezeichnet oder bedeutet genau genommen nichts anderes als die Vorstellung eines geistbegabten Wesens: „For Beauty, like other Names of sensibles Ideas, properly denotes the Perception of some Mind“. Ebenso bezeichnen „kalt“, „heiß“, „süß“, „bitter“ nichts anderes als Empfindungen („sensations“), mit denen die Objekte, die diese Ideen in uns hervorrufen, keine Ähnlichkeit („ressemblance“) haben, obgleich wir uns meistens einbilden, daß irgendetwas in dem Gegenstand unserer Vorstellung entspricht („however we generally imagine that there is something in the Object just like our Perception“; Hutcheson 1725 ⫽ 1971, I 17). Auf die Kunst bezogen gilt, daß die Komplexität oder Mehrdeutigkeit („those complex ideas of objects, which obtain the names of beautiful, regular, harmonious“), mit anderen Worten die Ästhetizität oder Polyvalenz des Kunstwerks ein viel größeres Vergnügen auslöst als dasjenige, das eine einzige Sinnesempfindung („simple idea of sensation“) begleitet. Farbkompositionen erfreuen das Auge mehr als der Anblick einer einzigen Farbe, und eine musikalische Komposition wirkt unvergleichlich intensiver auf das Gehör als der auf eine einzige Note zu-
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rückgehende Klang: „Die Wirkung beruht auf jener Harmonie, jener Übereinstimmung von Einfällen oder Ideen, die wir als angenehm empfinden und die aus der Zusammensetzung der Töne entstehen; unter einem ‘guten Ohr’ aber verstehen wir die Fähigkeit, dieses Vergnügen zu empfinden“ („Harmony also denotes our pleasant ideas arising from composition of sounds, and a good ear (as it is generally taken) a power of perceiving this pleasure“; Hutcheson 1725 ⫽ 1971, I 1, 9, vgl. I 1, 8). Der feingebildete Geschmack („fine taste“) ist auf die Sinne zwar angewiesen, geht darin aber nicht auf (vgl. Abb. 63.6). Schönheit, konstituiert durch Proportion (bildende Künste), Harmonie (Musik) und das mit ihr verbundene Vergnügen sind Werte, auf denen die Überredungskraft der Künste beruht. Um die damit bereits angesprochene pragmatische Dimension der Kunst herauszuarbeiten, bindet der englische Schriftsteller und Kritiker, Begründer der Wochenschrift Spectator, Joseph Addison (1672⫺1719) (vgl. The Spectator 1788, Nr. 409, 411⫺421) den Geschmack, der für das Vergnügen an Kunstwerken maßgebend ist, an die Einbildungskraft („imaginatio“, auch „fancy“). Bei dem Vergnügen, das Kunstwerke vermitteln, handelt es sich um „pleasures of imagination“, die zwischen Sinnlich-
Abb. 63.6: Die pragmatische Dimension der Kunst in der englischen Kunst- und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts. (i) Hutcheson: Indem das Kunstwerk auf den Geschmack einwirkt, der zur Empfindung des ästhetischen Vergnügens (Vergnügen am Schönen) allererst befähigt, bewirkt es ein solches Vergnügen. Dieses ist eine Empfindung, deren Intensität mit seiner Komplexität zunimmt, so daß ein polyvalentes Kunstwerk größeres Vergnügen bereitet als ein solches, das lediglich von einfachen Empfindungen begleitet wird.
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Abb. 63.7: Die pragmatische Dimension der Kunst in der englischen Kunst- und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts. (ii) Addison: Natur und Kunst affizieren gleichermaßen den menschlichen Geist und können so Vergnügen hervorrufen. Das Vergnügen an einem Kunstwerk ist ein sekundäres Vergnügen („secondary pleasure“) der Einbildungskraft, welches auf der Fähigkeit beruht, Ideen, die auf Natureinwirkungen beruhen, mit solchen zu vergleichen, die durch Kunsteinwirkungen hervorgerufen sind.
keit und Vernunft („ratio“) eingestuft werden. Die Wirkungen der Kunst werden als Vergnügen sozusagen zweiter Ordnung („secondary pleasures“) mit der Wirkung der Natur („primary pleasures“) verglichen (Addison 1788, 411, VI 64 ff; vgl. Abb. 63.7). Kunstwerke appellieren an die Handlung des Geistes, durch welche die Ideen, die von einem wirklichen Objekt hervorgerufen werden, mit denen verglichen werden, die wir von einem Standbild, einem gemalten Bild, einer Beschreibung oder einem Ton als den Repräsentationen wirklicher Dinge empfangen („[…] that action of the mind which compares the ideas arising from original objects with the ideas we receive from the statue, picture, description or sound that represents them“; Addison 1788, 416, VI 90). Diese Künste erreichen ebenso wie auch Architektur und Gartenkunst eine augenfälligere Repräsentation des Wirklichen als die an Sprache gebundene Dichtung. Doch können Wörter, wenn sie gut gewählt sind, eine so große Kraft in sich tragen, daß eine Beschreibung uns lebhaftere Ideen („lively ideas“) vermittelt als die unmittelbare Ansicht der Dinge. Sie legt unsere Einbildungskraft fest, während sie durch die dichterische Beschreibung freigesetzt wird. Einen anderen Akzent setzt Edmund Burke (1729⫺1797), politischer
Schriftsteller und Ästhetiker, wenn er der persuasiven Kraft der Künste einen ausgezeichneten Stellenwert für die Geselligkeit im Sinne einer ästhetischen Kommunikation zuspricht. Die von ihm in Anknüpfung an die Rhetorik durchgeführte, an der Affektenlehre orientierte Analyse des Geschmacks, die die Erfahrung des Schönen wie die des Erhabenen („sublime“) berücksichtigt, zeigt, daß die Erfahrung des Erhabenen den Menschen auf sich selbst zurückwirft, während die ästhetische, angenehme Empfindungen auslösende Erfahrung des Schönen das Bedürfnis weckt, sich anderen mitzuteilen (Burke 1756 ⫽ 1958, 5. Kap.; vgl. Abb. 63.8). Der poetischen Qualität und Wirkung der Worte kommt in dieser Hinsicht Priorität zu, wobei zwischen „dramatic poetry“ und „descriptive poetry“ unterschieden wird. Das Verfahren der Dichtung, aus dem sie ihre Wirkung bezieht, beruht hauptsächlich auf Substitution („descriptive poetry operates chiefly by substitution“) als Mittel des metaphorischen Sprechens (Burke 1958, 172 f; vgl. Klein 1967, 106 f). Dabei ist die Sprache nicht in der Funktion der Abbildung oder Repräsentation ⫺ „to present a clear idea of things themselves“ ⫺, sondern in der des affektiven Ausdrucks („strong expression“) aufzufassen (vgl. Wecter 1940). Die Sprache erzeugt wirkungsvoller als die
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
Abb. 63.8: Die pragmatische Dimension der Kunst in der englischen Kunst- und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts. (iii) Burke: Burkes Analyse des Geschmacks berücksichtigt gleichermaßen die Erfahrung des Schönen wie die des Erhabenen. Während letztere den Menschen auf sich selbst zurückwirft, weckt die Erfahrung des Schönen das Bedürfnis nach Kommunikation. Dementsprechend räumt Burke den Künsten einen ausgezeichneten Stellenwert für die Geselligkeit im Sinne ästhetischer Kommunikation ein.
Abb. 63.9: Die Leidenschaften als Designate poetischer Sprache. Das hauptsächliche Verfahren der „descriptive poetry“ ist die Substitution. Wesentlich für diese ist jedoch nicht die Darstellungs-, sondern die Ausdrucksfunktion der Sprache.
anderen Künste, beispielsweise die Malerei, den Ausdruck des Schönen und Erhabenen, der vor allem auf Leidenschaften beruht, als deren natürliche Zeichen die Worte in dieser Hinsicht verstanden werden können (Niehues-Pröbsting 1987, 22; vgl. Abb. 63.9). 3.2.2. Musik als Schwesterkunst der Poesie Zeichentheoretisch ist insbesondere der bisher wenig beachtete Versuch des Kunstkritikers Daniel Webb (1719⫺1798) von Inter-
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esse, der im Bezugsrahmen der Rhetorik den Zusammenhang zwischen der kompositionellen Struktur des Kunstwerks und seiner Rezeption neu bestimmt. Die Relation zwischen der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Dimension der Kunst, das Ästhetische also, wird nicht von formalen Beziehungen zwischen Kunstwerk und Betrachter ausgehend bestimmt, sondern, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Popularität der Newtonschen Philosophie, als Funktion mechanistisch verstandener Bewußtseinsoperationen aufgefaßt und das ästhetische Vergnügen dabei als Resultat vorrationaler Identifikation von Zeichen und Bezeichnetem verstanden (Kerkhoff 1974, XXIII, vgl. LI ff). In einer Abhandlung über Schönheit in der Dichtung (Remarks on the Beauties of Poetry, 1762) beispielsweise wird die Funktion des Verses zum einen im Hinblick auf die Wirkung untersucht, die der Vers auf das Gefühl des Lesers oder Hörers eines poetischen Textes ausübt, zum andern steht seine auf Bedeutung, auf Sinn abzielende, bezeichnende Funktion in Frage. Beide Funktionen der Versifikation zielen auf die Empfindung von Harmonie ab. Der Fluß der Verse erfreut am meisten das Ohr, unabhängig vom Sinn, der Ton oder das Versmaß korrespondiert aber auch mit der Idee und begleitet sie: „The first [aim of versification] consists in a general flow of verse, most pleasing to the ear, but independent on the sense: the second, in bringing the sound or measure of the verse to correspond with, and accompany the idea. The former may be called a verbal harmony: the latter a sentimental“ (Webb 1762 ⫽ 1974, 5). Die künstlerische Verarbeitung des Materials, die auf die Stimulierung der Emotionen des Rezipienten abzielt, bleibt am Prinzip der Nachahmung der Natur orientiert, und zwar insofern, als die Gefühlswelt des Menschen zur ästhetischen Repräsentation gelangen soll (vgl. Kerkhoff 1974, XL ff). Die Malerei als Raumkunst kann zeitliche Vorgänge nicht abbilden. Dichtung und Musik sind dazu hervorragend geeignet, da das Material ⫺ Wörter („words“) und Töne („sounds“) ⫺, in dem diese Künste sich ausdrücken, von sich aus als imitatio aufzufassen ist so, daß unter diesem Gesichtspunkt nunmehr die Musik als Schwesterkunst der Dichtung angesehen wird (Webb 1769 ⫽ 1974, 63 ff). Die Musik wird onomatopoetisch, als Tonmalerei, verstanden und gibt in dieser Sicht ein bevorzugtes Ausdrucksfeld der Leidenschaften und Empfindungen ab, die sie unmittelbar auf den Hörer
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(i) Webbs allgemeine Analyse ästhetischen Vergnügens. Das ästhetische Vergnügen resultiert aus der Identifikation des Zeichens mit dem Bezeichneten in einer vorrationalen Bewußtseinsoperation.
(ii) Die doppelte Funktionsweise des Verses bei Webb. Der Vers wirkt einerseits durch seinen Zeichenkörper auf das Gehörsempfinden (Ohr) des Rezipienten und erzeugt so die Empfindung verbaler Harmonie. Dadurch, daß er in Ton und Versmaß mit der von ihm ausgedrückten Idee korrespondiert, wirkt der Vers aber auch auf das Gefühl/den Geist und führt zum Empfinden sentimentaler Harmonie. Beide Empfindungen sind dazu geeignet, im Rezipienten Emotionen zu stimulieren. Abb. 63.10: Die Ästhetik Webbs.
überträgt (Webb 1769 ⫽ 1974, 1 ff). Diese Wirkung ist vergleichbar mit dem „musical rhythmus“, der das Vergnügen („pleasure“) am sprachlichen Ausdruck („by words significative“) zur Bezeichnung von Gefühlen ausmacht (vgl. Art. 68 § 3.). Diese zeichentheoretisch akzentuierte, als Theorie der Empfindungen ausgeführte Theorie der Kunst impliziert folgerichtig Kriterien für die Bewertung von Kunstwerken, die in die ästhetische Erfahrung als Erfahrung des Vergnügens („pleasure“) oder Mißvergnügens („pain“, „display of imagination“) im Umgang mit ästhetischen Objekten gelegt wird (vgl. Webb 1769 ⫽ 1974, 12 ff; 152 ff). 3.2.3. Funktionen der Kunst Die Semiose, die ein Kunstwerk veranlaßt, wird im Zusammenhang des Vergleichs der Künste von James Harris (1709⫺1750) thematisiert. Der englische Philosoph und Kritiker hält daran fest, daß die Künste in ihrer mimetischen Komponente übereinstimmen. Je nachdem ob die Mittel zur Bezeichnung ihrer Gegenstände natürlich sind oder künstlich, d. h. willkürlich, gewählt sind, differieren die Künste dann aber im Hinblick auf die Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem und damit auch in ihrer Wirkung: „They dif-
fer, as they imitate by different Media. Painting by Figure and Colour; Music by Sound and Motion; Painting and Music, by Media which are natural; Poetry, for the Greatest Part, by a Medium which is Artificial (Harris 1744 ⫽ 1765 ⫽ 1970, II 1). Eine gemalte Figur oder eine musikalische Komposition hat immer einen natürlicherweise gegebenen Bezug („nature Relation“) zu dem, was, im Medium der Kunst dargestellt, Ähnlichkeit („Resemblance“) intendiert. Die Beschreibung durch Worte hat eine solche natürliche Relation nur zu einzelnen Ideen, deren Symbole die Wörter sind („of which those Words are the Symbols“). Die poetische Beschreibung versteht nur, wer die Sprache spricht, in der sie abgefaßt ist. Musikalische und bildnerische Darstellungen („imitations“) dagegen seien für alle Menschen verständlich („intelligible to all Men“). Die syntaktische Dimension der Kunst, mit anderen Worten die künstlerischen Verfahren der Komposition, der Anordnung von Elementen oder Zeichen als Teile eines Kunstwerks, ihre Zusammensetzung zu einem Ganzen wird im Blick auf die Unterscheidung zwischen Zeit- und Raumkünsten thematisiert, bereichert durch die später von Herder (siehe § 3.3.1.) aufge-
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
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Abb. 63.11: Syntaktische Kriterien zur Klassifikation der Künste. Nach der Ordnungsrelation (Neben- bzw. Nacheinander), die der Bildung komplexer Zeichen zugrunde liegt, unterscheidet Harris Raum- und Zeitkünste. Diese Unterscheidung manifestiert sich auch im ontologischen Status ⫺ Werk vs. Energie ⫺ der Hervorbringungen der jeweiligen Künste. Diese Differenzierungen sind später von Herder (vgl. § 3.3.1.) weitergeführt worden.
nommene, weitere Entgegensetzung von Werk und Energie: „there is no Production, but will be either a Work or an Energy“ (Harris 1744 ⫽ 1765 ⫽ 1970, I 33) ⫺ worunter Harris die je eigentümliche Wirkung der bildenden Künste bzw. der Dichtung und der Musik wie auch des Tanzes begreift (vgl. Abb. 63.11). ⫺ Eingehende sprachkritische Erörterungen bieten die Elements of Criticism („Grundsätze der Kritik“, 1762) des schottischen Ästhetikers Henry Home (Lord Kames, 1696⫺1782). Die Elements sind zudem wegen der kommunikativen und kultivierenden Funktion semiotisch relevant, die dem poetischen Ausdruck wie den Künsten insgesamt zugeschrieben wird. Die Schönheit der Sprache („beauty of language“) wird in Orientierung an der Umgangssprache im Hinblick auf den Ton („sound“), die Bedeutung („signification“) und die Ähnlichkeit („resemblance“) zwischen Ton und Bedeutung untersucht. Mit vielen Beispielen aus antiken und neuzeitlichen Autoren (unter anderen Vergil, Horaz, Plautus, Milton und Shakespeare) werden insbesondere Metapher und Allegorie als Ausdrucksmittel der poetischen Sprache behandelt und figürliche Redewendungen verzeichnet, die ein Subjekt oder ein Prädikat poetisch ausdrücken. Die poetische Sprache als künstlerischer Ausdruck der Leidenschaft, als „language of passion“, komme ebenso wie die Umgangssprache unserem Hang entgegen, unsere Meinungen, Gemüts-
bewegungen und alles, was uns rührt, andern mitzuteilen („to communicate our opinions, our emotions, and every thing that affects us“; Home 1762, chap. 17). Der unterstellte unmittelbare Bezug zum Leben und Erleben bedingt auch die gesellschaftliche Relevanz der Kunst. Die schönen Künste ⫺ so Home in der Widmung an den König ⫺ seien von klugen Herrschern immer gefördert worden, nicht allein wegen der persönlichen Unterhaltung oder Belustigung, sondern auch wegen ihres nützlichen Einflusses auf die Gesellschaft: „The fine Arts have ever been encouraged by wise Princes, not singly for private amusement, but for their beneficial influence in society“ (Home 1762, I 3). Die kultivierende Funktion der Kunst wird anthropologisch aus der Annahme einer gemeinschaftlichen Natur des Menschen und einer allen Menschen zukommenden Sensitivität begründet. 3.3. Der künstlerische Ausdruck in der deutschen Literatur- und Kunstkritik Methodisches Gewicht gewinnen semiotische Aspekte ausdrücklich in der Diskussion über die Grenzen des künstlerischen Ausdrucks in der Dichtung und den bildenden Künsten, wie sie im Kontext der deutschen Literaturund Kunstkritik insbesondere von Lessing und Herder geführt worden ist (§§ 3.3.1.⫺ 3.3.2.), und für die Erörterung der Ausdruckskunst des Schauspielers im Theater des Barock (§ 3.3.2.).
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3.3.1. Die Grenzen des künstlerischen Ausdrucks Gotthold Ephraim Lessing knüpft in seiner, Fragment gebliebenen (vgl. Lessing, ed. Bluemner 1880, 277 ff), Untersuchung Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) insbesondere an die kunstkritischen Analysen von Du Bos, Batteux und Diderot (vgl. § 3.1.2.⫺3.1.3.), Harris und Home (vgl. § 3.2.3.) sowie von Mendelssohn (vgl. § 4.2.) an. Lessing arbeitet zum ersten Mal die Eigenart des poetischen Textes, d. h. Merkmale der Literarität heraus. „Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen“, fallen in den Bereich der Poesie. Solche Gegenstände heißen Handlungen, sie schreiten, wie am Beispiel der Kunst Homers und ihrer Rezeption gezeigt wird, in der Zeit fort (vgl. 1766 ⫽ 1880, XVII und XVIII). Die in der Abgrenzung zur Malerei herausgearbeitete Eigenart des poetischen Textes basiert weiter auf zeichentheoretischen Voraussetzungen; sie sind ihrerseits eingebunden in eine Theorie des schönen Ausdrucks, in der produktions- und rezeptionsästhetische Aspekte in einer werkästhetisch akzentuierten Perspektive entwickelt werden. Ausgehend von der Aufgabe des Künstlers, in seinem Werk Ausdruck und Schönheit miteinander zu verbinden, unterstellt Lessing einen Gegensatz von barock überbordendem Ausdruck, wie er insbesondere dem Theater zugehört (vgl. § 3.3.2.), und einer aus der antiken Bildhauerkunst überkommenen Schönheitsvorstellung. Das Laokoon-Projekt thematisiert die Bedingungen einer Verbindung des auf Inhalte bezogenen Ausdrucks und einer auf Form bzw. Gestalt bezogenen Schönheit in der dichterischen wie auch in der bildnerischen Darstellung. Die Abgrenzung dieser Künste voneinander unterliegt normativen Vorgaben. Die Gesetze der Form verlangen im Fall der bildnerischen Darstellung des mit Schlangen kämpfenden Laokoon, den Ausdruck des Schmerzes zu dämpfen. Denn Schönheit ist die Bedingung der erstrebten Affekt-Wirkung des Mitleids, der Sympathie (Laokoon I und II; vgl. Hamburgische Dramaturgie, 1767⫺69 ⫽ 1964, 42. Stück). Diese Wirkung stellt sich gegenüber einer verzerrten Gestalt nicht ein. Lessing bestimmt daher die Grenze zwischen der bildenden Kunst und der Dichtung im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der künstlerischen Zeichensysteme unter dem Gesichtspunkt ihrer Eignung, schönen Formen Gestalt und Aus-
druck zu verleihen, d. h. solche Formen zu bezeichnen, bei denen es „unstreitig“ ist, daß „die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben“ (Lessing 1767⫺69, 16. und 17. Stück). Lessings Untersuchung der „Verwendungsgesetze des künstlerischen Materials“ hat in der neueren Forschung große Beachtung gefunden. Lessings ästhetische Theorie wird rekonstruiert (vgl. Hardenberg 1979), kritisiert, und es werden Ansatzpunkte für einen rationalen ästhetischen Diskurs aus ihr entwickelt, z. B. in der semiotisch orientierten Literaturwissenschaft (Todorov, Stierle), in der auf die Kunsttheorie angewandten Semiotik von Peirce oder der Epistemologie von Symbolsystemen (N. Goodman; vgl. Gebauer 1984). ⫺ Die zeichentheoretisch begründete Gegenüberstellung von natürlichen und künstlichen Darstellungsund Ausdrucksmitteln sowie die Entgegensetzung und Unterscheidung von Raum- und Zeitkünsten wird von Johann Gottfried Herder in der Absicht noch einmal aufgenommen, die Sinnebene, also die semantische Dimension insbesondere der Poesie, unter einem weiteren Gesichtspunkt zu bestimmen. Die Zeichen der Poesie, die Wörter, haben einen Sinn, der sich durch die Opposition von Raum und Zeit nicht erfassen läßt. Herder spricht daher von „Kraft“, von „Energie“, um die von der Bedeutung des Kunstwerks ausgehende Wirkung zu erfassen. Die Künste des Raumes (Malerei, Bildhauerei) bringen Werke hervor; die der Zeit, insbesondere die Musik, aber auch der Tanz sind Künste der Energie. Die Dichtung hat an beiden teil, sie eröffnet, durch die Vorstellung ihrer Gegenstände, einen fiktiven Raum, zugleich wirkt sie in der Zeit, weil sie eine Rede ist, d. h. sich sukzessiv entfaltet. Raum und Zeit schließen sich in der Poesie, aufgrund der ihr eigentümlichen Zeichenstruktur, zu einer Einheit zusammen (Herder, 1. Kritisches Wäldchen, 1769 ⫽ 1967, III 74⫺82; vgl. Nivelle 1960, 171⫺174). 3.3.2. Ausdruckskunst im Theater des Barock Die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Zeichen ist im Zusammenhang mit Entwürfen zu einer Ästhetik der Schauspielkunst, die um 1800 entstanden ist, auf den schauspielerischen Ausdruck übertragen worden. Lessing gab in der Auseinandersetzung mit Diderot (vgl. Paradoxe sur le come´dien, 1769⫺1778) in Deutschland den Anstoß zu einer Diskussion über die Schauspielkunst (vgl. Theatralische Bibliothek, 1754).
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
Abb. 63.12: Nachahmung eines Eimers, von dem gerade die Rede ist. Die malende Geste des Schauspielers bleibt dem Ausdruck, den seine Rolle erfordert, oft äußerlich (vgl. Engel 1804 ⫽ 1971, VIII 51 ff).
Neben Goethe und Schiller sowie Mendelssohn und Nikolai, die mehr an dichtungstheoretischen Fragen interessiert waren, haben die Popularphilosophen Joh. Georg Sulzer, Joh. Kaspar Lavater, Georg Christoph Lichtenberg und vor allem der Berliner Spätaufklärer Joh. Jakob Engel (1741⫺1802) die Ausbildung einer Theorie der Schauspielkunst gefördert (vgl. Fischer-Lichte 1983, 156⫺177). Engel, der von 1787 bis 1794 das Berliner Nationaltheater leitete, leistete mit seinem Buch Ideen zu einer Mimik, das 1785 und 1786 in zwei Teilen erschien und bald danach ins Französische und Holländische übersetzt wurde, einen originellen Beitrag zur Diskussion über den Ausdruck in der Schauspielkunst. Engel bestimmt den schauspielerischen Ausdruck im Anschluß an die Rhetorik
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als „significatio affectionum animi“ (Engel 1804 ⫽ 1971, VII 68) und legt im Anschluß an die neuzeitliche Affektenlehre (Re´ne´ Descartes) und die Charakterologie (Charles Le Brun) den Schwerpunkt auf die bis dahin noch wenig erörterte Mienen- und Gebärdensprache (vgl. Art. 69 § 4.). Die Ideen zu einer Mimik werden als dramaturgische Typik der Affekte entfaltet, die dem Schauspieler Mittel und Wege zeigt, um an der Gestalt, die er in seiner Rolle verkörpert, durch die Kunst seines Ausdrucks die moralische Natur des Menschen hervortreten zu lassen, sie vorzuzeigen (Franke 1995). Die Signifikationen der Gemütsbewegungen, aufgefaßt als Ausdrucksgebärden, werden streng von den gestischen, den malenden und deutenden Gebärden unterschieden. Gesten entsprechen der rhetorischen Demonstration. Die malende Gebärde demonstriert oder illustriert das gesprochene Wort, beispielsweise durch eine gestikulierende Nachbildung des Gegenstandes, von dem gerade die Rede ist (vgl. Abb. 63.12). Die Ausdrucksgebärde kann zwar mit den gestischen oder deutenden Gebärden verbunden werden; jedoch muß sie in dieser Kombination den Aufbau der Gestalt, die der Schauspieler in einer Rolle vorführt, prägen und ihr Profil verleihen (Engel 1804 ⫽ 1971, VIII 68 f). In der Ausdruckssprache, die, in Verbindung mit dem Mienenspiel, durch das Gebärdenspiel des Körpers konstituiert wird, gipfelt die Kunst des Schauspielers, der lernen muß, alle äußerlichen Kennzeichen und Merkmale nachzuahmen, von denen man weiß, daß sie etwas Bestimmtes ausdrücken. Aus Le Brun nimmt Engel sowohl ein Beispiel für seine Beschreibung des analogen Ausdrucks der Bewunderung als auch für den Ausdruck des physiologisch bedingten Mienenspiels, in dem wir den Ausdruck des Lachens wiedererkennen (Engel 1804 ⫽ 1971, I 124; vgl. Abb. 63.13 und 63.14). Mit der Herausarbeitung der Ausdrucksgebärde weist die Mimik von Engels voraus auf die Gestalttheorie (vgl. Bühler 1933 ⫽ 1968, 38 ff).
4.
Zeichenkonzeptionen in der philosophischen Ästhetik und Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts
Der, von ihm selbst so genannten, Semiotik hat Alexander Gottlieb Baumgarten, der philosophiehistorisch zu den Schülern von Chri-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 63.13: Charles Le Brun (Ausdruck der Affecten, deutsche Übersetzung Nürnberg 1721): „L’admiration“. Wenn man jemanden bewundert, will man sich ihm ähnlich machen. Der analoge Ausdruck des inneren Zustandes verweist hier auf die Disposition zur Nachahmung des Objekts (Engel 1804 ⫽ 1971, VIII 52).
Abb. 63.14: Das Lachen. Mit Le Brun sieht Engel im Lachen ein physiologisches, unwillkürliches Mienenspiel. Sein Charakteristikum: Nase, Mund und Augen folgen der Bewegung der Augenbrauen, die sich gegen die Mitte der Stirn hinziehen.
stian Wolff gehört (vgl. Franke 1988, 351 ff; siehe Art. 62 § 8.2.4.), im Kontext der von ihm begründeten philosophischen Ästhetik eine propädeutische Funktion für die Erkenntnis zugewiesen (siehe § 4.1.). Die Popu-
larphilosophie (z. B. Moses Mendelssohn, Joh. Georg Sulzer) verbindet die kunst- und literaturkritische Unterscheidung zwischen natürlichen und arbiträren Zeichen mit der ästhetischen Theorie des „schönen Denkens“
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
(„pulchre cogitare“) zu einer Theorie des schönen Ausdrucks (§ 4.2.). 4.1. Die Semiotik in propädeutischer Funktion Zeichen sind für Baumgarten im Anschluß an die große Tradition seit Augustinus (vgl. Coseriu 1970⫺75, 105 ff und Haller 1959, 128 ff) von sich aus auf das durch sie Bezeichnete hingeordnet. Das Zeichen ist insofern Ziel des Bezeichneten, als zwischen Zeichen und Bezeichnetem ein immer schon vorgegebener Bezeichnungszusammenhang besteht: „Nexus inter signum et signatum significativus est, signoque tributus significatus dicitur“ (Baumgarten 1739 ⫽ 1779 ⫽ 1963, § 347). Zeichen sind Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Dinge. Die, erstmalig in der zweiten Auflage der Metaphysica (1742; 1 1739) berücksichtigte, erkenntnispsychologisch begriffene Fähigkeit, Zeichen zu bilden und sie auszulegen, ein „Vermögen der Zeichenkunde“ („facultas characteristica, facultas signatrix“) (Baumgarten 1779 ⫽ 1963, § 619), wird sowohl für die intellektuelle Erkenntnis, deren Feld die Wissenschaften sind, in Ansatz gebracht als auch für die ästhetische Erkenntnis („cognitio sensitiva“), die in den Künsten Ausdruck findet. Die Semiotik oder philosophische Semiologie wird als Zeichentheorie („scientia signorum“) im Sinne eines Regelkanons zur Erfindung und Auslegung von Zeichen eingeführt. Die ästhetische Zeichentheorie ist zunächst als Charakteristik der Rede konzipiert, verstanden als Philologie oder auch ⫺ da sie Regeln angibt, die für viele Sprachen Gültigkeit haben ⫺ als Grammatik; ihr werden Orthographie, Etymologie, Syntax, Prosodie wie auch die lexikographische Bedeutung der Wortzeichen und die Schönschreibekunst („Philologia Graphice“) zugewiesen. Als Regelkanon der Beredsamkeit („eloquentia“) berücksichtigt die ästhetische Charakteristik die prosaische und die gebundene Rede, so daß ihr nicht nur die Rhetorik, sondern auch die Poetik zugeordnet wird. Die Erfindung („inventio“) und die Auslegung („interpretatio“) ästhetischer Zeichen verlangt eine Theorie, aus der die Grundsätze für die Schönheit der poetischen Rede abgeleitet werden können (vgl. Meier 1748⫺50 ⫽ 1976, § 516). Baumgarten löst die poetische Rede aus dem rhetorischen wie auch aus dem dichtungstheoretischen Rahmen, wie er z. B. für Johann Christoph Gott-
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scheds (1730 ⫽ 1751 ⫽ 1962, VII⫺XII) Bestimmung „von poetischen Wörtern“, der „poetischen Schreibart“ usw. noch verbindlich ist. Als ein Organon des poetischen Ausdrucks konzipiert, wird die rhetorische Ausdruckslehre („elocutio“) in Rücksicht auf den metaphysischen Grund der Ästhetik Baumgartens (vgl. Paetzold 1983, 8⫺41; Franke 1972, 9⫺11 und 76 ff) zu einer Semiotik in der Bestimmung einer ästhetischen Propädeutik umgeformt (vgl. Franke 1979). Die Konzeption der Semiotik, die in der unvollendet gebliebenen „Aesthetica“ Programm bleibt (siehe Abb. 63.15), zeichnet sich in der Magisterschrift Meditationes de nonnullis ad poema pertinentibus („Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes“; vgl. Baumgarten 1735 ⫽ 1983) bereits ab. Die zeichentheoretische Konzeption geht von der ästhetischen Erkenntnis („cognitio sensitiva“; vgl. Baumgarten 1750/58 ⫽ 1961, § 17) aus, die ein Gedicht („oratio sensitiva perfecta“) in Rücksicht auf die Vorstellungen oder Ideen sowie auf ihre Verknüpfung und hinsichtlich der Worte oder artikulierten Laute bestimmt, die aus Buchstaben als den Zeichen der Worte bestehen: „Orationis sensitivae varia sunt repraesentationes sensitivae, nexus earum, voces sive soni articulati litteris constantes earum signa“ (Baumgarten 1735 ⫽ 1983, § 6). Sinnliche Vorstellungen verlangen als „perceptiones praegnantes“ prägnante, bedeutungsschwangere Ausdrücke. Der poetische Ausdruck ist als metaphorischer Ausdruck („vox impropria“) von vielsagender Bedeutung („significatus improprius“), der er auch seine persuasive, ins Gemüt gehende Kraft oder Wirkung verdankt (Baumgarten 1735 ⫽ 1983, § 79; 1739 ⫽ 1963, § 517 ff). Den Tropen, d. h. dichterischen Wendungen, Umschreibungen, wie sie Metapher, Synekdoche oder Allegorie leisten, kommt eine genuin poetische Qualität zu, weil sie die Komplexität sinnlicher, miteinander verknüpfter („confundere“) Vorstellungen unterstützen („quia suppeditant repraesentationes complexas confusas“; Baumgarten 1735 ⫽ 1983, § 79), d. h. einen metaphorischen „nexus“ begründen, dessen zeichentheoretischen Kontext Umberto Eco (1984 ⫽ 1985, 133 ff) im Hinblick auf traditionelle Definitionen untersucht. Durch seine Bindung an Kriterien wie (moralische) Größe („magnitudo“), Klarheit und Wahrheit („dignitas signi“; Baumgarten 1750⫺58 ⫽ 1961, § 22) soll der poetische Ausdruck der prinzipiellen Funktion des Zeichens gerecht werden, mit dem Bezeichneten eine Verbindung
1254
Die Ästhetik als Instrumentalphilosophie naturalis (dispositio ad intelligendum) Logica artificialis (theoretica sive docens)
de conceptibus Veritas logica (recte cogitare)
de judiciis de ratiociniis
Instrumentalphilosophie
Aesthetica
Methodologia
# #
Semiotica
Veritas aesthetica (pulchre cogitare)
#
artificialis (theoretica sive docens)
scientia ... ars scientia ... ars scientia
#
Heuristica
ars
heuristica
#
Aesthetica characteristica
hermeneutica (interpretatio aesthetica) Abb. 63.15: Die Stellung der Semiotik in Baumgartens Aesthetica (1750/58). Die Aufgliederung ist nur so weit fortgeführt, wie es für den Standort der Semiotik in der Tradition der Ästhetik nötig erscheint. Die jeweilige Dreiteilung der „Logica artificialis“ und der „Aesthetica artificialis“ soll keine Parallelität anzeigen (vgl. Franke 1979, 349).
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Mundus optimus
naturalis (dispositio totius animae ad pulchre cogitandum)
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
einzugehen, die den Bezeichnungszusammenhang in der Welt repräsentiert. Aufgrund ihrer Ordnungstruktur stellt eine Dichtung, wie jedes Kunstwerk, eine artifizielle Welt für sich dar. Kunstwerke bieten eine analoge Ansicht zum Kosmos im Gegensatz zum Chaos (Baumgarten 1735 ⫽ 1983, § 68). Sie sind Zeichen des Universums (vgl. Franke 1979, 354 f). ⫺ Die ästhetische Charakteristik hat Georg Friedrich Meier in ihrer hermeneutischen Bestimmung, als „Wissenschaft der Regeln, durch deren Beobachtung die Bedeutungen aus ihren Zeichen erkannt werden“, die in erster Linie auf die Rede bezogen wird, im Anschluß an Baumgarten, ausgeführt. Auslegen heißt nichts anderes als „den Zusammenhang der bezeichneten Sache mit ihren Zeichen“ einzusehen (Meier 1757 ⫽ 1965, § 1 und 3). „Sinnlichen Schriften“ ist eine „ästhetische Auslegung“ („interpretatio aesthetica“) angemessen. Sie wird von Meier, der darin Baumgarten folgt, erkenntnismetaphysisch aus der Repräsentationskraft der sensitiven Fähigkeiten des Menschen begründet, die als ein Analogon der Vernunft (vgl. Franke 1972, 51 ff) das Auslegen des Sinns einer ästhetischen Rede („sensus orationis sensitivae“) gewährleisten. Die ästhetische Rede stellt eine „Reihe von Worten“ dar, die miteinander verbundene Vorstellungen bedeuten (Meier 1757 ⫽ 1965, § 103). Als Gegenstand der Auslegung wird die Rede zum Text, dessen Sinn aus Zeichen, dem Ausdruck („terminus“), der gewöhnlicherweise in einer menschlichen Stimme besteht, daher „Wort“ („vocabulum“) heißt, ermittelt werden muß (vgl. Art. 131). 4.2. Die Theorie des schönen Ausdrucks In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht im Anschluß an die durch Leibnizens und Christian Wolffs Philosophie geprägte Ästhetik von Baumgarten (siehe § 4.1.), aber auch unter dem Einfluß der englischen Kritik (siehe § 3.2.) eine Theorie des schönen Ausdrucks. Diese verbindet die traditionelle Einteilung der Künste nach der Art und Weise der Bezeichnung mit der philosophischen Bestimmung des Schönen, bezogen sowohl auf die semantische als auch auf die syntaktische und pragmatische Dimension von Kunst. Das Wort Ausdruck, das „bald dem Zeichen, als der Ursache der Vorstellung, bald seiner Wirkung beigelegt“ wird, meint in der „Kunstsprache“ solche Vorstellungen, „die vermittelst äußerlicher Zeichen“, also durch die verschiedenen Darstellungsmittel, im Gemüt erregt werden, durch Wörter und Sätze,
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Töne und Tonsätze, Gesichtszüge, Gebärden, auch die Gesichtsfarbe, oder ⫺ im Tanz ⫺ durch Stellung, Gebärden und Bewegung (Sulzer 1771⫺74, Artikel „Ausdruck“). Die artifizielle Bezeichnung soll eine künstlerische Form so prägen, daß jener Wert, der „das Schöne“ genannt wird, „für einen Menschen von Geschmack sinnlich wahrnehmbar wird“. Die künstlerische Form muß begrenzt sein, um „ohne Anstrengung“ rezipiert werden zu können; bereits Aristoteles (vgl. Rhetorik III 8) merkte an, „daß das Unbeschränkte nicht angenehm, ja sogar nicht begreiflich sei“ (vgl. Sulzer 1771⫺74, Artikel „Ganz“). Durch die Komposition soll die Vielfalt der einzelnen Elemente zur Einheit gebracht erscheinen, die Zeichen sollen mit anderen Worten so verknüpft werden, daß eine Semiose entsteht, d. h. so, als ob sie „in Eines zusammenfließen“ (Sulzer 1771⫺74, Artikel „Schön, Schönheit“). Die Realisierung einer solchen, syntaktisch wie pragmatisch begründeten Ordnungsstruktur muß prinzipiell „dem Materiellen des Werks angemessen sein“, sie beruht in den bildenden Künsten, beispielsweise in der Baukunst (Sulzer 1771⫺74, Artikel „Säulenordnung“), auf anderen Regeln als in der Musik oder Dichtung. Aufgefaßt als „Beherrscherin aller unserer Empfindungen“, ist Schönheit in der Natur nur „zerstreut“ anzutreffen. Der „Geist des Menschen“ bildet sie in den Werken der Kunst nach. Die der Maxime eines durch die Kunst vorgestellten Werks, das sinnlich vollkommen ist, genügenden Zeichenkonstellationen und Konfigurationen besänftigen die Leidenschaften des Menschen. Das gilt sogar für die Baukunst. Prächtige und majestätische Gebäude erregen Ehrfurcht und Schaudern. Lustschlösser laden zur Fröhlichkeit ein, Einsiedeleien zu Ernst und Tiefsinn usw. (Mendelssohn 1757 ⫽ 1892, 144⫺147). Die „richtige“ Abbildung eines Gegenstandes, die „bloß ihrer Ähnlichkeit wegen“ gefällt, wird durch die Polyvalenz des Ausdrucks weit übertroffen. Der Wert der poetischen Sprachbilder beispielsweise bemißt sich nach der Menge von Merkmalen, die der Ausdruck auf einmal in das Gedächtnis zurückbringt und uns das Bezeichnete lebhafter empfinden läßt als das Zeichen. Aus der unterschiedlichen Art und Weise der Bezeichnung ergibt sich die Einteilung in schöne Künste und schöne Wissenschaften („beaux arts et belles lettres“), wobei zu den letzteren sowohl die Dichtung als auch die Rhetorik gehört. Die schönen Kün-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
ste artikulieren sich insoweit durch natürliche Zeichen als die Verbindung des Zeichens mit der bezeichneten Sache in den Eigenschaften des Bezeichneten selbst begründet ist, während diejenigen Zeichen „willkürlich“ zu nennen sind, die von sich aus mit der bezeichneten Sache nichts gemein haben, sondern aufgrund einer Vereinbarung willkürlich dafür genommen werden (Mendelssohn 1757 ⫽ 1892, 153 ff). Die Allegorie wird dabei als ein natürliches Zeichen verstanden, „das an die Stelle der bezeichneten Sache gesetzt wird“. Denn in der Allegorie liegt ein Bild, aus dem die Sache, die dargestellt werden soll, erkannt werden kann (vgl. Sulzer 1771⫺74, Artikel „Allegorie“). Solche Bilder haben sowohl in den „redenden“ als auch in den „zeichnenden“ Künsten die Funktion, in der Art des Beispiels, Gleichnisses, der Fabel oder Parabel abstrakten Vorstellungen einen Körper zu geben, wodurch die Vorstellungen anschaulich und faßlich werden. Die Quellen, aus denen diese artifiziellen Bilder, Erfindungen der Einbildungskraft, geschöpft werden, sind insbesondere Natur, Geschichte, Mythologie oder auch die „Sitten der Tiere und der Menschen“ (Sulzer 1771⫺74, Artikel „Bild“). Die Grenzen der natürlichen Zeichen sind auch die des Ausdrucks in den bildenden Künsten (vgl. § 3.3.1.). Im übrigen verleiht die Herstellung einer ästhetischen Ordnung auch solchen Dingen eine ästhetische Kraft, die uns sonst völlig gleichgültig wären. Eine Menge verstreut liegender Feldsteine, die wir ohne jegliche Aufmerksamkeit sehen, kann durch Ordnung in einen Gegenstand verwandelt werden, der Aufmerksamkeit erregt und uns wohlgefällt (vgl. Sulzer 1771⫺74, Artikel „Ordnung“). Die Kriterien des Ganzen, der Einheit und Harmonie, die den schönen Ausdruck gewährleisten (vgl. die entsprechenden Artikel bei Sulzer 1771⫺74), verweisen so am Ende des 18. Jahrhunderts noch einmal auf die klassische Bestimmung des geschlossenen Kunstwerks, das Umberto Eco (1962 ⫽ 1977) mit dem offenen Kunstwerk der Moderne konfrontiert hat (vgl. Art. 120).
5.
Zeichenkonzeptionen in der frühromantischen Kunst- und Dichtungstheorie
Es entsteht im Kontext der frühromantischen Kunst- und Dichtungstheorie, die durch die Philosophie des Deutschen Idealismus, insbesondere durch das Denken Fichtes, geprägt
ist (vgl. Link 1978), die Idee der Kunst als eines Reflexionsmediums der Formen (Benjamin 1920 ⫽ 1973, 82). Die Kunsttheorie, die sich von einer bloß technischen Theorie der Kunst unterscheiden will, geht davon aus, daß der Inbegriff der Künste die Kunst ist. Um die Autonomie der Kunst zu behaupten, wird methodisch der historische mit dem kritischen Gesichtspunkt verbunden (A. W. Schlegel 1884 ⫽ 1968, 3⫺31). Aufgefaßt als autonom, unendlich vielfältig und rezeptionsästhetisch vieldeutig erscheint das romantische Kunstwerk als Anlaß für einen offenen, selbstreferentiellen Zeichenprozeß. Die imitative Auffassung der Kunst und ihrer auf natürliche bzw. arbiträre Zeichen bezogenen Darstellungsmittel wird von einer expressiven Bestimmung der Kunst abgelöst. Infolgedessen tritt die Allegorie zugunsten des Symbols zurück. Um einer modernen Auffassung des Ornaments gerecht zu werden, unterscheidet Karl Philipp Moritz, der „Symbol“ im Sinne eines konventionellen Zeichens verwendet, zwischen einer deiktischen, d. h. „bloßen Allegorie“ und einer „schönen Allegorie“, der die Funktion eines selbstreferentiellen Symbols zukommt (vgl. Franke 1996). Zwischen beiden Begriffen wird erst am Ende des 18. Jahrhunderts begrifflich scharf unterschieden, nachdem Kant in der Kritik der Urteilskraft (1790, § 59) Schönheit als Symbol der Sittlichkeit aufgefaßt hatte. Bis dahin ist „Symbol“ als ästhetischer Terminus selten. In der zweiten Auflage von Joh. Georg Sulzers „Allgemeine Theorie der schönen Künste“ (1792) kommt das Wort noch ebensowenig vor wie bei dem Kantianer Wilhelm Traugott Krug (1802). Die neue Bewertung der Allegorie, die aus der Rhetorik herausgelöst und in den Kontext idealistischer Theoriebildung eingebracht wird, und des Symbols in seiner ein Kunstwerk strukturierenden Funktion impliziert zeichentheoretische Ansätze, an denen das allmähliche Verblassen des klassischen Kunstideals ebenso offensichtlich und faßbar wird wie die Überwindung der klassischen Kunst- und Dichtungstheorien des 18. Jahrhunderts (Todorov 1977, 179⫺260; vgl. Abb. 63.16). 5.1. Der semantische und der syntaktische Aspekt des Symbols Während bis dahin die Allegorie als ein natürliches Zeichen (vgl. § 4.2.) und das Symbol als ein willkürliches Zeichen verstanden wurde, wird nunmehr das Symbol als natürliches Zeichen aufgefaßt. Diese Bestimmung
63. Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik
1257
Abb. 63.16: Schema/Allegorie bei Kant (a) und in der idealistischen Ästhetik nach Kant (b). Für Kant drückt ein Schema einen Verstandesbegriff durch eine ihm korrespondierende Anschauung aus, während ein Symbol einer Idee (⫽ Vernunftbegriff) eine Anschauung unterlegt, obwohl ihr keine solche angemessen sein kann. ⫺ In der idealistischen Ästhetik nach Kant werden Schema/Allegorie und Symbol (manchmal neben Zeichen und Bild) als Modi der Bedeutungskonstitution unterschieden. Bei Schema und Allegorie vermitteln ggf. mehrere semantische Relationen zwischen dem Signifikanten und den Komponenten seiner Bedeutungsstruktur, während das Symbol die semantischen Relationen dieser Komponenten oder sogar Bedeutendes und Bedeutetes miteinander identifiziert. So bedeutet (R1) etwa bei Sulzer die Allegorie etwas (x), das von dem (y) verschieden ist, was sie darstellt (R2), während beim Symbol seit der Romantik ⫺ in Sulzers Lexikon (1771⫺74) gibt es dafür noch kein Stichwort ⫺ Bedeutetes (x) und Dargestelltes (y) übereinstimmen (R1 und R2 also zu demselben Relat x ⫽ y führen). In der romantischen Kunstphilosophie, bei F. Schlegel, Wackenroder, Novalis wie dann auch bei Schelling ist das Symbol (s), was es bedeutet; bei ihm fällt also nicht nur R1 mit R2 (und dementsprechend x mit y) zusammen, sondern bildet auch eine Schleife (so daß x ⫽ s ⫽ y gilt). Damit ist der Gedanke des offenen Kunstwerks vorweggenommen.
setzt die der Natur als eines beseelten und daher symbolisch sprechenden Organismus voraus, die sich bereits bei Herder findet (vgl. Herder, Ausgabe Suphan 1878 ⫽ 1967, XXII 322⫺324; vgl. ferner Sörensen 1963, 58 ff), der sie allerdings auf die orientalischen, insbesondere die ägyptischen Bildwelten anwendet, die später noch Hegel (vgl. Ästhetik 1835 ⫽ 1955, I 298) lediglich als „Vorkunst“ gelten läßt. Demgegenüber wird das Symbol jetzt als Ausdruck des Poetischen im Sinne dessen, was allen Künsten gemeinsam ist, begriffen: Das Schöne ist eine in sich bedeutsame symbolische Erscheinung (A. W. Schlegel 1884 ⫽ 1968, 118). Unter Voraussetzung einer naturmystischen Weltauffassung, der sowohl philosophische als auch poetische Wahrheit zugesprochen wird, werden alle Dinge als in einem wechselseitigen Beziehungsgeflecht stehend verstanden, alles bedeutet alles, jeder Teil des Universums spiegelt das Ganze. Nach der „poetischen Ansicht der Dinge“ kann „das Unendliche“ nur „symbolisch, in Bildern und Zeichen“ repräsentiert werden (A. W. Schlegel 1884 ⫽ 1968, 91 f; vgl. 100 ff).
Die romantische Weltanschauung gipfelt in einer Sprachphilosophie, dergemäß die physiognomische Symbolsprache der organischen Natur, als das Äußere, die Sprache des Inneren ist (vgl. Fiesel 1927), Ausdruck der „Verfahrungsweise des poetischen Geistes“ (vgl. Hölderlin 1969). Die poetische Sprache wird auf diesem Hintergrund durch eine metaphysische Metapherntheorie bestimmt, nach der die künstlerische Darstellung ein Ausdruck der „gegenseitigen Verkettung aller Dinge durch ein ununterbrochenes Symbolisieren“ ist (A. W. Schlegel 1884 ⫽ 1968, 93). Das Symbol wird mit anderen Worten auf die Gesamtstruktur eines Kunstwerks bezogen, die aus der Korrelation vieler Zeichen entsteht (Titzmann 1979, 650). 5.2. Der pragmatische Aspekt des Symbolischen Die pragmatische Dimension eines symbolisierenden, alles mit allem verkettenden und so dem Unendlichen analogen Kunstwerks macht Wilhelm Heinrich Wackenroder am Beispiel der bildenden Künste, der Architek-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
tur und der Musik geltend. Die Sprache der Worte bleibt für ihn hinter der Wirkung zurück, die Farben und Töne auf das Gefühl der Menschen ausüben können. Das emotional bestimmte Symbol wird auf die „zwei wunderbaren Sprachen“ der Natur und der Kunst und die „geheimnisvolle Kraft“ dieser Sprachen bezogen. Diese Sprachen rühren sowohl unsere Sinne als auch unseren Geist. Zwar haben wir die „irdischen Dinge“ in unserer Hand, „wenn wir ihre Namen aussprechen, wir herrschen durch Worte über den ganzen Erdkreis, […] nur das Unsichtbare ziehen Worte […] nicht in unser Gemüt herab“. Die Malerei redet durch Bilder, sie bedient sich einer „Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem äußeren nach kennen und verstehen“. Sie „schmelzt das Geistige und Unsinnliche […] in die sichtbaren Gestalten hinein“, daß wir „von Grund auf bewegt werden“ (Wackenroder 1797 ⫽ 1968: 55⫺ 58). Das Kunstwerk wird so auch zum Symbol des menschlichen Inneren, ja des Unbewußten, der menschlichen Seele (vgl. Sörensen 1963: 204⫺210; siehe auch Art. 72 §§ 2.4.⫺2.5.; zur Vorgeschichte des Symbolbegriffs vgl. Art. 34). 5.3. Die poetische Transformation der Transzendentalphilosophie Bezogen auf die Sprache wird die traditionelle Einteilung der künstlerischen Ausdrucksmittel in natürliche und willkürliche Zeichen zwar übernommen, nun aber von der Poesie gefordert, die Sprache zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückzuführen und „Zeichen der Verabredung in natürliche und an sich bedeutende Zeichen umzuwandeln“ (A. W. Schlegel 1884 ⫽ 1968, 279 ff). Die poetische Transformation beruht auf der „Symbolik der Wortsprache“ als dem „Medium der Poesie“, mit anderen Worten auf der metaphorischen Kraft, die der Sprache selbst innewohnt. Unter dieser Voraussetzung wird die Selbstbezüglichkeit des romantischen Sprachkunstwerks begründet: Es ist mit der Sprache „wie mit den mathematischen Formeln. Sie machen eine Welt für sich aus. Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus“ (Novalis 1799 ⫽ 1960 ff, II 2, 672 f). Gemäß der metaphysischen Vorgabe, daß alles mit allem verwoben ist, drückt die ⫺ ebenso wie mathematische Formeln ⫺ mit sich selbst spielende Sprache von sich aus unmittelbar das Unendliche aus. Die Poesie, das Poetische kann so „die transcendentale Erinnerung des Ewigen
im menschlichen Geiste“ genannt werden, „als das gemeinsame Gedächtnis des Menschengeschlechts“ (F. Schlegel 1828⫺29 ⫽ 1958 ff, X 399) so, daß der Mythologie ein hoher Stellenwert zukommt. Das Poetische ist der Geschichte unterworfen, wie auch das Gedächtnis des Menschengeschlechts „von Jahrhundert zu Jahrhundert, von einer Nation zur anderen fortgeht“. Im wechselnden Gewand der Zeiten weist das Poetische als Ursprung des künstlerischen Ausdrucks auf das Unendliche, „jenes Erste und Ewige“ zurück (vgl. Art. 75 § 1. und § 2.). Das romantische Kunstwerk ist mit anderen Worten in dem Sinn autoreflexiv, daß es den Geist des Autors ausdrückt, wie es im Hinblick auf den Roman als die exemplarische romantische Kunstform heißt (F. Schlegel 1798 ⫽ 1958 ff, II 182, Athenäumsfragment Nr. 116). Aufgrund dieser Selbstbezüglichkeit wird die Kunst und das romantische Kunstwerk, Expression des Poetischen, als prinzipiell unabgeschlossen verstanden. Das Poetische kann „nie vollendet sein“. Die Erfahrungen des Menschen in der Welt und mit dem Unsichtbaren erscheinen durch die „poetische Reflexion“ vervielfacht „wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln“ (F. Schlegel 1798 ⫽ 1958). Damit ist der Gedanke des offenen Kunstwerks, das nurmehr dem Geist des Künstlers verpflichtet ist und dessen Botschaften vieldeutig sind (vgl. Eco 1962 ⫽ 1977), vorweggenommen.
6.
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1263
64. Zeichenkonzeptionen in der Logik
64. Zeichenkonzeptionen in der Logik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Einleitung 2. Erweiterungen der Syllogistik 2.1. Extension und Intension 2.2. Quantität und Qualität 2.3. Vorarbeiten zur Charakteristik oder Universalsprache 2.4. Quantifikation des Prädikates 3. Die Ideen zur Logik von Leibniz 3.1. Die Algebra der Begriffe 3.2. Die Satzlogik 3.3. Die Quantorenlogik 4. Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
In der Logik-Geschichtsschreibung (Bochenski 1956, § 36) wird die Periode zwischen der Spätscholastik und der beginnenden mathematischen Logik des 19. Jahrhunderts als eine bloße Zeit des Übergangs angesehen, die zu keinen nennenswerten Weiterentwicklungen geführt hat. Tatsächlich beschränkten sich die Logiker jener Zeit ⫺ mit einer großen Ausnahme ⫺ darauf, die Kompendien der traditionellen Syllogistik zu überarbeiten und höchstens punktuell zu erweitern. Die für die Semiotik interessantesten Erweiterungen werden in §§ 2.1.⫺2.4. vorgestellt. Einen Überblick über weitere logische und semantische Entwicklungen findet man bei Kneale (1962, Kap. V) und bei Kretzmann (1967, 375⫺391). Genauere Informationen zu den Beiträgen, die diese Epoche zur Philosophie der Logik, zur Semantik und zur Ontologie geleistet hat, findet man auch bei Rabus (1868), Wundt (1938) und in den betreffenden Kapiteln von Angelelli (1967). Angesichts der wohl berechtigten negativen Einschätzung Bochenskis, was die technische Entwicklung der Disziplin Logik in diesem Zeitraum anbelangt, verdient es der besonderen Erwähnung, daß z. B. Leibniz die Beiträge dieser Epoche in den genannten Bereichen durchaus geschätzt hat. Die Abschnitte §§ 3.1.⫺3.3. behandeln dann den erwähnten Ausnahmelogiker G. W. Leibniz, dessen Entwürfe den Rahmen der „klassischen“ Logik bei weitem überragen und die zum Teil sogar Entwicklungen des 20. Jahrhunderts antizipieren (vgl. Art. 62 § 8.2.4. und Art. 76 § 1.). Zum einen hat Leibniz die Syllogistik zu einem Kalkül der Begriffsalgebra verallgemeinert, der be-
weisbar isomorph ist zur üblichen Mengenalgebra. Ferner ist es Leibniz mittels eines genial einfachen ‘Tricks’ gelungen, diese Begriffsalgebra in eine Algebra der Sätze zu überführen, die einen Kalkül der strikten Implikation ergibt. Schließlich hat er noch Begriffsquantoren (in der verkappten Gestalt von „unbestimmten Begriffen“) eingeführt, die die logische Definition von Individualbegriffen ermöglichen und damit letztendlich zu einem begriffslogischen Kalkül zweiter Ordnung führen (zu der grammatiktheoretischen Position von Leibniz vgl. Art. 67 § 2.4.). Diese Entdeckungen haben allerdings den Fortgang der Logikgeschichte praktisch nicht beeinflußt, weil die einschlägigen Fragmente von Leibniz mehr als 200 Jahre lang im Archiv der Niedersächsischen Landesbibliothek verschlossen waren, bis sie 1903 durch den französischen Mathematiker Louis Couturat publiziert wurden.
2.
Erweiterungen der Syllogistik
2.1. Extension und Intension Eine erste semiotisch bedeutsame Theorie besteht in der Unterscheidung der Extension bzw. der Ausdehnung von generellen Termen bzw. von „Ideen“ einerseits und der Intension bzw. ⫺ wie es in der Terminologie der Logik von Port-Royal heißt ⫺ der „Komprehension“ andererseits: „Bei den universellen Ideen ist es wichtig, zwei Sachen streng auseinanderzuhalten, die Komprehension und die Ausdehnung. Unter der Komprehension einer Idee verstehe ich die Attribute, die sie in sich schließt und die man nicht wegnehmen kann, ohne sie zu zerstören. Unter der Ausdehnung einer Idee verstehe ich die Gegenstände, denen diese Idee zukommt“ (Arnauld und Nicole 1662, 59) Diese Unterscheidung läßt sich etwa durch das folgende Beispiel veranschaulichen: „Wenn ich sage Der Mensch ist ein Lebewesen, so will ich [extensional] gerade dies ausdrücken: die Menschen sind unter den Lebewesen zu suchen, d. h. wenn etwas kein Lebewesen ist, so ist es auch kein Mensch“ (Leibniz 1903, 235). Man kann diese Aussage jedoch auch intensional deuten, und dann gilt, daß „umgekehrt der Begriff des Lebewesens
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Teil des Begriffs ist, der dem Menschen zukommt; denn Mensch ist vernünftiges Lebewesen. [… Der Begriff] Lebewesen umfaßt mehr Individuen als Mensch; aber Mensch umfaßt mehr Ideen […]; der eine besitzt mehr Extension, der andere mehr Intension“ (Leibniz 1875 ff, Bd. 5, 469). Das hierbei angesprochene Reziprozitätsgesetz (vgl. WaltherKlaus 1987) lautet ausführlicher: „Die Methode der Begriffe ist konträr zu der der Individuen, das heißt nämlich: Wenn alle Menschen einen Teil aller Lebewesen darstellen, bzw. wenn alle Menschen in allen Lebewesen [enthalten] sind, dann ist umgekehrt der Begriff des Lebewesens im Begriff des Menschen [enthalten]; und so wie es mehrere Lebewesen außer den Menschen gibt, so ist [umgekehrt] irgendetwas zur Idee des Lebewesens hinzuzufügen, damit die Idee des Menschen entsteht. Indem nämlich die Bedingungen vermehrt werden, vermindert sich die Anzahl“ (Leibniz 1903, 235). 2.2. Quantität und Qualität Die Theorie der Quantität und der Qualität der Terme einer kategorischen Satzform ist eine Ausarbeitung der scholastischen Lehre der distributiven Terme, die in der Logik von Port-Royal die folgende Gestalt annimmt: „Je nachdem, ob das Subjekt einer Aussage universal oder partikulär genommen wird, resultiert die Aussage als universale oder partikuläre […]. Das Prädikat einer affirmativen Aussage […] wird stets als partikulär betrachtet. […] Das Prädikat einer negativen Aussage wird stets als universal betrachtet“ (Arnauld und Nicole 1662, 183). Aus diesen Theoremen werden allgemeine Regeln für Syllogismen der Art hergeleitet, daß zum Beispiel ein Begriff in der Konklusion nur dann universal auftreten darf, wenn er auch in der Prämisse universal auftritt. Solche allgemeinen Regeln führen weiterhin zu speziellen Restriktionen für die einzelnen syllogistischen Figuren, mit denen schließlich gezeigt werden kann, daß nur die traditionell als gültig akzeptierten Modi formal schlüssig sind. Arnauld und Nicoles Theorie ist jedoch unbefriedigend, weil sie keine präzise Definition dafür liefert, wann ein Begriff in einer Aussage universal bzw. partikulär auftritt. Daß zum Beispiel das Prädikat der affirmativen Aussagen Jeder Mensch ist ein Lebewesen bzw. Ein Mensch ist gelehrt partikulär ist, ist zwar einigermaßen plausibel, sofern man die letztere in der Form Ein Mensch ist ein Gelehrter paraphrasiert. Daß jedoch das Prädi-
kat der negativen Aussagen Kein Mensch ist ein Stein bzw. Ein Mensch ist nicht ein Stein universal ist, läßt sich erst dann einsehen, wenn man zu der folgenden, „unnatürlichen“ Paraphrase übergeht: Jeder Mensch ist verschieden von jedem Stein, Ein Mensch ist verschieden von jedem Gelehrten. Leibniz hat dagegen ein allgemeines, quantorenlogisches Kriterium dafür gefunden, wann ein Term innerhalb einer Aussage universal bzw. partikulär vorkommt. Und es ist ihm auch gelungen, die fraglichen Regeln der Quantität und Qualität aus den Grundgesetzen der Begriffslogik in Strenge herzuleiten (für Einzelheiten vgl. Lenzen 1990 a; zur Theorie der Attribute vgl. Art. 3 § 3.). 2.3.
Vorarbeiten zur Charakteristik oder Universalsprache
2.3.1. Charakteristische Zahlen Leibniz hoffte, dereinst eine universelle Sprache oder Charakteristik erfinden zu können, „deren Zeichen oder Charaktere das gleiche leisten würden wie die arithmetischen Operationen bei den Zahlen“. In einer solchen Sprache würde „jedem Ding eine eigene charakteristische Zahl zugeordnet werden. […] Wenn die charakteristischen Zahlen […] erst einmal festgesetzt sind, wird das menschliche Geschlecht über eine neue Art von Organon verfügen, das die Kraft des Verstandes um vieles mehr verstärkt als die optischen Gläser den Augen geholfen haben“ (Leibniz 1875 ff, Bd. 7, 184⫺187). Dies war natürlich ein unerfüllbarer Wunschtraum, weil er es erlaubt hätte, die Wahrheit beliebiger, auch kontingenter Aussagen auf die Wahrheit arithmetischer Beziehungen zu reduzieren und somit unfehlbar ‘auszurechnen’. Immerhin hat Leibniz jedoch eine Möglichkeit entdeckt, mittels beliebig angenommener charakteristischer Zahlen die logische Wahrheit von Aussagen bzw. von Schlüssen entscheiden zu können: „Wenn irgendeine Aussage vorliegt, dann werden für jeden ihrer Terme, nämlich für das Subjekt und für das Prädikat, zwei Zahlen hingeschrieben, die eine mit dem Pluszeichen, ⫹, die andere mit dem Minuszeichen, ⫺, versehen. […] Dabei ist nur auf das Eine acht zu geben, daß die beiden Zahlen eines Terms keinen gemeinsamen Teiler haben.“ Dann kann man festlegen: „Die universal affirmative Aussage (zum Beispiel Jeder Weise ist fromm) ⫹70 ⫺33 ⫹10 ⫺3
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64. Zeichenkonzeptionen in der Logik
[…] ist wahr, wenn jede charakteristische Zahl des Subjekts (z. B. ⫹ 70 und ⫺33) durch die charakteristische Zahl des Prädikates mit dem gleichen Vorzeichen (⫹ 70 durch ⫹10 und ⫺33 durch ⫺3) exakt (das heißt so, daß kein Rest bleibt) geteilt werden kann. […] Die partikulär negative Aussage ist wahr, wenn die universal affirmative nicht wahr ist, und umgekehrt. Zum Beispiel
untereinander ebenso viele Geraden gezeichnet wie es Terme gibt, und die Aussagen werden durch die Verhältnisse der Geraden ausgedrückt, indem [nämlich] Gerade Gerade enthalten. Dabei muß man acht geben, daß nicht mehr ausgedrückt wird, als der Form nach billig ist. […] Universal affirmative Aussage Jedes B ist C
Ein Frommer ist nicht weise ⫹10 ⫺3 ⫹70 ⫺33 […] Die universal negative Aussage (zum Beispiel Kein Frommer ist elend) ⫹10 ⫺3 ⫹5 ⫺14 […] ist wahr, wenn irgendwelche zwei Zahlen verschiedener Terme mit verschiedenen Vorzeichen (wie ⫹10 und ⫺14, denn jene hat das Vorzeichen ⫹, diese das Minuszeichen, jene stammt vom Subjekt, diese vom Prädikat) einen gemeinsamen Teiler besitzen (⫹10 und ⫺14 lassen sich nämlich beide exakt durch 2 teilen). […] Die partikulär affirmative Aussage ist wahr, wenn die universal negative nicht wahr ist, und umgekehrt“ (Leibniz 1903, 78⫺80). Diese arithmetischen Bedingungen legen wie folgt einen Begriff der logischen Gültigkeit fest: „In diesem Kalkül lassen sich alle Modi und Figuren alleine durch die Rechenregeln beweisen. Wenn wir wissen wollen, ob irgendein [Schluß] formal gültig ist, müssen wir sehen, ob die Negation der Konklusion mit den Prämissen verträglich ist, d. h. ob sich Zahlen angeben lassen, die zugleich die Prämissen und die Negation der Konklusion erfüllen; wenn keine solchen gefunden werden können, ist das Argument formal schlüssig“ (Leibniz 1903, 247). Daß dies tatsächlich ein Modell für die Syllogistik darstellt, wurde zum erstenmal von Lukasiewicz (1951, § 34) verifiziert. 2.3.2. Liniendiagramme Mehrere Logiker haben unterschiedliche graphische Repräsentationen der kategorischen Satzformen erfunden, mit denen man die Gültigkeit von Syllogismen überprüfen kann. Ein erster Ansatz geht auf Leibniz zurück: „Ich habe einige Male darüber nachgedacht, wie man die Logische Form durch das Zeichnen von Linien überprüfen kann. Es werden
B ———— C ——————
[…] Universal negative Aussage Kein B ist C
B ———— C ————
[…] Partikulär affirmative Aussage Ein B ist C
B ———— C ————
[…] Partikulär negative Aussage Ein B ist nicht C B —————— C ————“ (Leibniz 1903, 292⫺293). Diese Darstellung läßt jedoch u. a. unklar, ob die universalen Satzformen die jeweiligen partikulären im Sinne der sogenannten Subalternation implizieren oder nicht. Dieses Problem wird erst durch die folgende Verbesserung gelöst: „Eine senkrechte Linie bezeichnet die Grenzen, außerhalb welcher sich die Terme nicht, aber innerhalb welcher sie sich unbeschadet der Aussage, d. h. der Begriffsbeziehung, erstrecken können. So wie eine senkrechte Linie das Maximum bezeichnet, so bezeichnet eine doppelte waagrechte Linie das Minimum, d. h. das, was nicht unbeschadet der Begriffsbeziehung weggenommen werden kann“ (Leibniz 1982, § 113). Das frühere Diagramm für die universal affirmative Aussage soll also dadurch verbessert werden, daß man die B-Linie beiderseits durch senkrechte Striche eingrenzt und zugleich das darunter liegende Stück der C-Linie doppelt zeichnet: Jedes B ist C
B |————| C ————— ——————
Bei der partikulär affirmativen Aussage ist entsprechend der „Durchschnitt“ beider Linien doppelt zu zeichnen: „Ein B ist C […]
1266
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
—— B ———— —— C ————“ (Leibniz 1982, § 114).
III. In besonders bejahenden Sätzen: Einige A sind B, fällt ein Theil des Zirkels A in den Zirkel B:
Die Darstellung der universal negativen Aussage kann praktisch unverändert übernommen werden: „Die Negation von Ein B ist C […] wird so ausgedrückt: B ————| C |————“ (Leibniz 1982, § 120). Das Diagramm der partikulär negativen Aussage schließlich soll zum Ausdruck bringen, daß das „Minimum“ von B disjunkt ist mit dem Umfang des Begriffs C, also außerhalb des „Maximums“ von C liegt: „[D]ie Negation von Jedes B ist C wird so ausgedrückt: —— B ———— C |————“ (Leibniz 1982, § 121). Mit diesem verbesserten Ansatz können nicht nur die traditionell als gültig angesehenen Syllogismen, sondern auch die Oppositions-, Konversions- und Subalternationsgesetze verifiziert werden (vgl. Lenzen 1990, Kap. 1). 2.3.3. Kreisdiagramme Bereits Leibniz hatte neben den Linien- auch Kreisdiagramme in Betracht gezogen. Der „locus classicus“ für diese Variante ist jedoch (Euler 1769 ff, 114⫺115): „I. Die Vorstellung eines allgemein bejahenden Satzes wird also diese seyn:
A B
[…] IV. Endlich was die besonders verneinenden Sätze betrifft, Einige A sind nicht B, so muß ein Theil des Zirkels A außer dem Zirkel B fallen, wie hier
A
B
Mit diesen Kreisdiagrammen, die sich vor Euler bereits bei Lange (1712) finden lassen, sind ähnliche Probleme wie mit den einfachen Liniendiagrammen von Leibniz verbunden, die Gergonne (1816) zu der folgenden Verbesserung führte: Eulers Diagramm für die partikulär affirmative Aussage wird so interpretiert, daß A und B einen gemeinsamen Durchschnitt besitzen, aber weder A in B enthalten ist noch umgekehrt. Eulers Darstellung der universal affirmativen Aussage wird hingegen so verstanden, daß A eine echte Teilmenge von B ist; daneben benötigt Gergonne nun zusätzlich die konverse Relation:
B
A
.“
A
B
sowie die durch
II. Für allgemein verneinende Sätze werden die beyden Zirkel A und B […] voneinander abgesondert, und also vorgestellt:
A
B
AB
symbolisierte Beziehung des Zusammenfallens von A und B. Auf der Grundlage dieser modifizierten Beziehungen transformiert sich die traditionelle Syllogistik in die Theorie der
1267
64. Zeichenkonzeptionen in der Logik
Gergonne-Syllogismen, die zum Beispiel von Faris (1955) ausführlich untersucht wurde (siehe auch May 1995). 2.4. Quantifikation des Prädikates W. Hamilton hat versucht, die Prädikatbegriffe der syllogistischen Satzformen durch die Quantorausdrücke alle bzw. einige zu modifizieren. An Stelle der universal affirmativen Aussage, die im Englischen entweder durch Every A is B oder durch All A are B ausgedrückt werden kann, sollte zum Beispiel All A is all B bzw. All A is some B treten. Versteht man das Wort all in einem kollektiven Sinn, so besagen diese Formeln, daß die ganze Menge A mit der ganzen bzw. mit einem Teil der Menge B zusammenfällt. Entsprechend drückt Some A is all B bzw. Some A is some B aus, daß ein Teil der Menge A mit dem gesamten bzw. mit einem Teil von B zusammenfällt. Bednarowski (1956) hat gezeigt, daß diese Deutung zu einer Variante der Gergonne-Syllogistik führt, bei der jedoch die von Hamilton (1866, Bd. II, 258 ff) zusätzlich erwähnten negativen Formeln Any A is not any B, Any A is not some B, Some A is not any B bzw. Some A is not some B keinen vernünftigen Sinn machen. Diese verlangen stattdessen eine distributive (auf Einzeldinge bezogene) Deutung, wie sie schon Leibniz in Betracht gezogen hatte. Fügt man bei den affirmativen Aussagen vor dem Prädikat den Existenzquantor ein ein, so besagt Jedes A ist ein B bzw. Ein A ist ein B, ‘daß jeder beliebige von denen, die A genannt werden, identisch ist mit einem von denen, die B genannt werden’ bzw. ‘daß irgendeiner von denen, die A genannt werden, identisch ist mit einem von jenen, die B genannt werden’. Die negativen Aussagen Jedes A ist nicht ein B bzw. Ein A ist nicht ein B bedeuten entsprechend, daß jeder beliebige bzw. zumindest „ein gewisser von denen, die A genannt werden, verschieden ist von jedem beliebigen derer, die B genannt werden“ (Leibniz 1903, 193). Darüber hinaus sind nun auch die affirmativen Formeln mit einem Allquantor vor dem Prädikat: Jedes A ist jedes B bzw. Ein A ist jedes B durchaus sinnvolle, wenngleich in der Regel falsche Aussagen. Man muß sie nämlich analog so verstehen, daß alle bzw. einige von denen, „die A genannt werden, identisch sind mit allen, die B genannt werden“, und das ist nie der Fall, außer wenn es nur genau ein B gibt. Entsprechend werden die negativen Formeln Jedes A
ist nicht jedes B bzw. Ein A ist nicht jedes B trivialerweise wahr: „Es wäre unnütz zu sagen, […] jeder beliebige von denen, die A genannt werden, ist verschieden von irgendeinem jener, die B genannt werden, das versteht sich nämlich von alleine, außer wenn B ein Einziger ist“ (Leibniz 1903, 194).
3.
Die Ideen zur Logik von Leibniz
3.1. Die Algebra der Begriffe Die universal affirmative Aussage wurde bereits von Aristoteles intensional als Beziehung zwischen Begriffen gedeutet, daß nämlich der Begriff A den Begriff B enthält. Diese durch AeB zu symbolisierende Relation der Inklusion stellt das erste Element der Algebra der Begriffe dar. Als seine wesentlichen Eigenschaften erkannte Leibniz die Reflexivität (AeA) sowie die Transitivität (AeB & BeC → AeC). Auch das zweite Element der Begriffsalgebra geht auf Aristoteles zurück: die Begriffsnegation Non-A oder formal ⬃A. Die wichtigsten Gesetze hierfür, insbesondere das der doppelten Verneinung (⬃⬃A⫽A) und das der Kontraposition (AeB ↔ ⬃Be⬃A), wurden allerdings erst in der Scholastik formuliert, die übrigens auch die universal negative Aussage gemäß dem Prinzip der sogenannten Obversion auf die entsprechende affirmative Aussage mit negativem Prädikat (Ae⬃B) reduzierte. Ein einziger weiterer logischer Operator reicht aus, um eine konzeptuell vollständige Algebra der Begriffe zu erzeugen: die Begriffskonjunktion A und B, formal AB. Ein paar einfache Gesetze hierfür finden sich zum Beispiel bei Jungius (1638), der sich nach Ashworth (1967) teilweise auf frühere Autoren stützen konnte. Die entscheidende Ausarbeitung gelang erst Leibniz, der neben den Gesetzen der Symmetrie (AB⫽BA) und der Idempotenz (AA⫽A) insbesondere das folgende Grundgesetz formulierte: AeBC ↔ AeB & AeC: „Daß A B enthält und daß A C enthält ist das gleiche, wie daß A BC enthält“ (Leibniz 1982, § 35). Mit den genannten 3 Operatoren lassen sich zahlreiche andere Elemente der Begriffsalgebra definieren, u. a. die Identität (A⫽B ↔ AeB & BeA), die Disjunktion bzw. das Kommune zweier Begriffe (A∨B⫽df ⬃(⬃A⬃B)) sowie die Widerspruchsfreiheit oder Möglichkeit eines Begriffs (M(A) ↔ ÿ(Ae⬃A)). Zusammen mit Begriffs-Inklusion, Negation und Konjunktion geht dieser systematisch
1268
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
bedeutsame Operator in das folgende Fundamentalprinzip ein: AeB ↔ ÿM(A⬃B). Mit den angeführten Gesetzen war Leibniz bereits 1686 eine vollständige Axiomatisierung der Begriffsalgebra gelungen, die isomorph ist zur üblichen Mengenalgebra (vgl. Lenzen 1984; siehe auch Wessel 1995). 3.2. Die Satzlogik Ähnlich wie Aristoteles die Syllogistik unter stillschweigender Voraussetzung elementarer satzlogischer Prinzipien entwickelte, hat auch Leibniz den allgemeineren Kalkül der Begriffslogik zunächst unter Voraussetzung gewisser aussagenlogischer Gesetze aufgebaut. Es kam ihm jedoch bald die Idee, Aussagen selber nach Art der Begriffe aufzufassen und die aussagenlogischen Gesetze im nachhinein in direkter Analogie zu den begriffslogischen Gesetzen zu gewinnen: „Wenn ich […] alle Aussagen nach Art der Begriffe und alle hypothetischen Aussagen nach Art der kategorischen auffassen und so alle einheitlich behandeln kann, so verspricht dies eine wunderbare Leichtigkeit in meiner Charakteristik […], und sie wird eine Erfindung von größer Bedeutung sein“ (Leibniz 1982, § 75). Hypothetische Aussagen nach Art der kategorischen aufzufassen, bedeutet dabei, die Wenn-dann-Beziehung zwischen Sätzen analog zur Inklusionsbeziehung zwischen Begriffen zu verstehen, so daß sich die Gesetze für ,e‘ in Gesetze für ,→‘ transformieren: „Was auch immer über einen Begriff gesagt wird, der einen anderen Begriff enthält, das läßt sich auch über eine Proposition sagen, aus der eine andere Proposition folgt“ (Leibniz 1982, § 189). Auf diese Weise erhält man aus den Gesetzen für ‘e’ zunächst entsprechende Prinzipien der Reflexivität (a→a) und der Transitivität ((a→b) & (b→g) → (a→g)) der Satzimplikation. Außerdem ergeben sich aus den obigen Prinzipien der Begriffskonjunktion analoge Gesetze der Symmetrie (a& b ↔ b&a) und der Idempotenz (a&a ↔ a) der Satzkonjunktion; ferner gehen die Grundgesetze der doppelten Verneinung und der Kontraposition vom Bereich der Begriffe unmittelbar in den Bereich der Sätze über: ÿ ÿa ↔a bzw. (a→b) ↔ (ÿb →ÿa). Schließlich gewinnt man aus dem oben erwähnten Gesetz AeB ↔ ÿM(A⬃B) das satzlogische Pendant (a→b) ↔ ÿ앳(a&ÿb) gemäß dem Gedanken: „A enthält B ist eine wahre Aussage, wenn A Non-B einen Widerspruch impliziert. Das trifft sowohl auf kategorische als auch auf hypothetische Aussagen zu“ (Leib-
niz 1903, 405). Hier zeigt sich besonders deutlich, daß die Folgerungsbeziehung bei Leibniz immer eine strikte oder logische, und nicht eine bloß materiale Implikation darstellt. Für weitere Einzelheiten vgl. Lenzen (1987). 3.3. Die Quantorenlogik Leibniz hat in den reiferen Entwürfen eines allgemeinen Kalküls neben den Begriffskonstanten A,B,C,… auch Begriffsvariable („unbestimmte Begriffe“) betrachtet, die implizit durch entsprechende Quantoren abgebunden werden. So fungiert etwa Y in der Formel A⫽YB für die universal affirmative Aussage als Existenzquantor, d. h. im Sinne von Y(A⫽BY), denn: „A enthält B ist dasselbe wie A fällt zusammen mit einem gewissen B, d. h. A⫽BY“ (Leibniz 1982, § 16). Daneben benutzte Leibniz gelegentlich auch „unbestimmte Begriffe“ in der Funktion von Allquantoren, die er durch eine spezielle ⫽, Symbolik zu unterscheiden versuchte: „Y d. h. der unbestimmte [Begriff] mit einer Linie, bedeutet für mich ‘jeder beliebige’; Y ist ⫽ ist jeder beliebige“ ein unbestimmtes, Y (Leibniz 1982, § 81). Ein typisches Gesetz mit einem Allquantor lautet: „A enthält B ist dasselbe wie zu behaupten ‘Wenn X A enthält, so folgt, daß auch gilt X enthält B’“ (Leibniz 1903, 260), formal: AeB ↔ X(XeA → XeB). Mit Hilfe des Allquantors kann man dann Individualbegriffe auf rein logische Weise als vollständige (und widerspruchsfreie) Begriffe auszeichnen: „Manche Terme bezeichnen [einzelne] Dinge, andere [… allgemeine] Begriffe. So bezeichnen die Terme gelehrt, A, und reich, B, [allgemeine] Begriffe, und wenn man diese beiden setzt, folgt nicht, daß man zwei [verschiedene] Dinge gesetzt habe; und es kann passieren, daß YA⫽XB ist, d. h. daß ein gewisser Gelehrter derselbe ist wie ein gewisser Reicher. Wenn A jedoch Alexander den Großen bezeichnet, B hingegen den Diktator Caesar, dann kann so etwas nicht geschehen, denn wenn A und B [einzelne] Dinge sind, so folgt, gesetzt A ist nicht ⫽ B, daß auch YA nicht ⫽ XB ist. Der Grund hierfür ist, daß A und B vollständige Terme sind, in denen bereits alles enthalten ist, was man ihnen [konsistenterweise] hinzufügen kann, und es ist YA⫽A“ (Leibniz 1982 a, 133). Die letztere Bestimmung besagt sinngemäß, daß bei einem Individualbegriff A für jeden beliebigen ⫺ mit A verträglichen ⫺ Begriff Y gilt YA⫽A, d. h. AeY. Mit I(A) als Abkürzung für A ist ein Individualbe-
64. Zeichenkonzeptionen in der Logik
griff ergibt sich formal I(A) ⫽df M(A) & Y(M(AY) → AeY), wobei die triviale Bedingung hinzugefügt wurde, daß A selber widerspruchsfrei ist. Auf diese Weise wird Leibnizens Kalkül zu einer Begriffslogik zweiter Stufe, denn man kann eine neue Sorte von über Individuen (bzw. genauer: über Individualbegriffe) laufenden Quantoren per Definition einführen. Für Einzelheiten sei auf (Lenzen 1990, Kap. 3) verwiesen.
1269
Kneale, William und Martha (1962), The Development of Logic. Oxford.
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1270
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
65. Sign conceptions in the philosophy of language from the Renaissance to the early 19th century 1. Preliminary remarks 2. The discovery of the mother tongue and the semiotic tradition 2.1. “Locutio naturalis” versus “locutio artificialis” 2.2. Dante’s semiotics 3. The revival of Latin and the appearance of a new semiotics 3.1. The historicity and peculiarity of Latin 3.2. Valla’s semiotics 4. The victory of the vernacular and the return to the semiotic tradition 4.1. The victory of the vernacular 4.2. The defense of the national languages 5. In search of the lost universality 5.1. Historicity and universality 5.2. General Grammar and Cartesian semiotics 5.3. “Lingua adamica” I: the Ur-language 5.4. “Lingua adamica” II: the characteristica universalis 6. On the way to a semantics of individual languages: worldviews 6.1. Arbitrary ideas 6.2. Cognitive function and the artificiality of the sign 6.3. Worldviews (“Weltansichten”) 7. The semiotics of origin 7.1. The biblical tradition 7.2. Beyond the Bible 7.3. From conjectural diachrony to transcendental origin and to history 8. The word between sign and symbol 9. Selected references
1.
Preliminary remarks
In the period between Dante and Humboldt there was neither a discipline nor a direction of philosophical investigation that could be called “philosophy of language”. Indeed, the term “philosophy of language” is barely used during this time. Herder is probably the first ⫺ and only one ⫺ to even use the expression; even Humboldt, who at the end of the time span under discussion quite clearly practices what we today would call “philosophy of language”, does not use the term per se. Nonetheless, philosophical reflections on language are contained within various philosophical, poetological, political, logical, religious, and linguistic writings of this era, and the historical progression of these various theories leads directly to the establishment of the discipline “philosophy of language”: Dante’s and Du
Bellay’s reflections on language, for example, are situated within the framework of a poetics; Speroni’s tract is part of a “cultural political” discussion; Hobbes’, Locke’s, and Condillac’s treatises are clearly “philosophical”; while Humboldt wanted to practice linguistics, rather than philosophy. Thus, philosophy of language like semiotics and aesthetics ⫺ as Eco (cf. Art. 34) has shown ⫺ develops implicitly in other fields, ante litteram, unknown to itself, under other headings. Hence, the difficulty of this article lies in the fact that it tries to work out semiotic conceptions from the as yet unoutlined field of “the philosophy of language”, which is just now developing, and to relate these conceptions to the even more vaguely outlined domain of “semiotics”. This article will necessarily overlap with the articles on semiotic conceptions in Philosophy (62), Grammar, Rhetoric and Poetics (67), Logic (64) and Religion (72), and the reader is referred to these articles. The era stretching from Dante to the beginning of the nineteenth century encompasses a half-millenium. European thought needed these 500 years in order to clarify some of the essential questions posed in that triangle of Being, Thought, and Language which, according to Eco, Aristotle had bequested to European thought as a semiotic exercise. From the point of view of philosophy of language, this time period represents a unified era insofar as Dante stands at the beginning of a series of reflections on the diversity of languages ⫺ arising in opposition to the universal language of the Middle Ages ⫺ that comes to a certain conclusion with Humboldt. It is the era of the “discovery of the mother tongue”, as Weisgerber (1948) called it (cf. Art. 77 § 9.3.). The main problem addressed during this time is the question of the place and function of the so-called “natural” languages, i. e., of the individual historical languages, in man’s mastering of the world. The discovery of individual historical languages means recognition of the profound semantic differences among human languages and, bound up with that, insight into the cognitive function of language, into the linguistic nature of thought. At least since Augustine, and thus for all Western thought, language has unquestioningly been subsumed under the category of
1271
65. Sign conceptions in the philosophy of language
the signum, the sign (Eco 1984, 33). The increasingly exact insight into the diversity of languages ⫺ which since Aristotle has been discussed essentially only from the perspective of the arbitrariness (“kata` synthe˘ ke¯n”, kata¡ synuh¬khn) of material words ⫺ makes it necessary to revise the semiotic status of language during the time period under consideration.
2.
The discovery of the mother tongue and the semiotic tradition
2.1. “Locutio naturalis” versus “locutio artificialis” In his treatise De vulgari eloquentia Dante (1265⫺1321) is concerned with justifying the writing of poetry in the mother tongue rather than in Latin, and with investigating which of the available Italian “vulgar” languages would be suitable for this poetic composition. The opposition between Latin (or “grammatica”) and the “vulgar tongue” is first conceived of as an opposition between “locutio artificialis” and “locutio naturalis”, where the “locutio naturalis” is the language learned from the environment and from the nanny (not from the mother! ⫺ although the term “materna locutio” does eventually appear). Thus, it is an opposition between a language transmitted without wilful intervention (and in this respect non-arbitrary) and a language brought into fixed rules by scholars. “Naturalness” also means that the language changes in space and time, while the “grammatica” is immutable, set down once and for all, translocally and transtemporally. Thus, at the beginning of modern European thought about the diversity of languages we find the experience and the reflection of a diaphasic and stylistic differentiation of languages. The diversity of the languages themselves is primarily sought, quite in accordance with tradition, in the differences between the material words, the signifiers (to which different values are attributed). In addition, the languages differ with regard to their rhetorical and aesthetic qualities. These two differentiating factors ⫺ the material-lexicological and the rhetorical one ⫺ will remain the parameters for the comparison of languages until the beginning of the 19th century, when the “internal structure” of language (F. Schlegel) moves into the center of comparative linguistics. Dante does not yet go so far as to see the semantic diversity of languages, since the
different “languages” that he discusses, i. e., the “vulgar” Latin dialects, are much too closely related for him to have distinguished such differences. Dante’s petition for a “high” vernacular literary language does not have any immediate echo, since Humanism ⫺ the revival of classical studies and the linguistic norms of classical Latin ⫺ arose at the same time and suppressed this publicity for the “vulgar tongue”. Not until two hundred years later in the cultural-political battle for the Italian literary language would these initiatives be introduced again. 2.2. Dante’s semiotics Dante’s search for the “illustrious” mother tongue suited for poetry is built on the traditional Aristotelian theory of signs transmitted by Thomas Aquinas. Thus, in Dante the Latin formula introduced by Boethius for Aristotle’s “kata` synthe˘ ke¯n”, namely “secundum placitum”, is just as self-evident (cf. Coseriu 1967) as is the subsumption of the word under the class of sign (“signum”), which had been commonplace since Augustine. Dante bases the question of the semiotic structure of language on man’s position in the world. He places the “animal rationale” between the animals and the angels. The incorporeal angels understand each other via the “speculatio spiritualis”, the direct mirroring of their spirits. Animals understand each other via corporeal gestures, with which they depict “passiones” directly. Human beings need sensiblerational signs in order to communicate their ideas (“conceptiones”) to each other (the purpose of signs here is, quite traditionally, communication): “rationale signum et sensuale”. The sign is sensible in that it is a sound (“in quantum sonus est”); rational insofar as it “evidently means something arbitrarily” (“rationale vero in quantum aliquid significare videtur ad placitum”; De vulg. el. I,III). “Ad placitum” (or “a nostro beneplacito”, I, IX) refers in traditional Aristotelian manner to the relationship between the material sign and the concept (“conceptio”).
3.
The revival of Latin and the appearance of a new semiotics
3.1. The historicity and peculiarity of Latin Decisive insights into the structure of language arise within the framework of the Humanist revival of Latin, since the Humanist objective of the return to classical standards
1272
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
makes the historical change of Latin evident (cf. Art. 63 § 2.). In Humanism the experience of the diachronic differentiation of language leads to an increased understanding of the semiotic structure of language. Moreover, the new influence of Plato brought about by this renewal of Greek studies also begins to shake up the predominantly Aristotelian semiotics of the late Middle Ages. According to Waswo (1987, 111), Lorenzo Valla (1407⫺1457) is the first to contradict the dominant Western conception of language as a communicative, instrumental nomenclature which represents objects. Meaning is no longer equated with the signified object. Language no longer represents reality; rather it constitutes a reality made by man. Thus, language is the second creation of the world, as it were, the ingenious invention (“ingeniosum inventum”; Gerl 1974, 225). To be sure, it is characteristic that this semantic insight of Valla’s only refers to Latin, and is in no way bound up with a linguistic relativism, but rather with giving precedence to a religiously elevated Latin, the “Latini sermonis sacramentum” (Gerl 1974, 243). Juan Luis Vives (1492⫺1540), whom Coseriu (1969, 139) presents as a typical representative of Renaissance linguistic thought, adopts Valla’s new semantic conception ⫺ although not in its complete radicalism ⫺ and expands its applicability: Linguistic meaning is not referential; it is created socio-historically; meaning (“significare”) is “being said in different respects” (“dici secundum respectum”). Vives, however, still does not know what concretely makes up the peculiar character of each language (“proprietas, quod a Graecis idı´oma dicitur”; Coseriu 1971, 240). Vives has not only the classical languages in mind, but other languages as well. Indeed, he already argues for the maintenance of the mother tongue (the “lingua patria”) ⫺ a remarkable novelty in the Humanist era (Coseriu 1971, 240). 3.2. Valla’s semiotics It is characteristic that the opposition between “given by nature” and “made by man” moves into the center of the semiotic discussion of the word (cf. Art. 40 § 3.2.). Valla’s position is best characterized by the following quotation: “Even if the sounds are given by nature, the words and the meanings are given by the creator: of these, the ear perceives the sounds, the mind perceives the meanings, both perceive the words” (“Ut soni
sint a natura, voces autem et significationes ab artifice: quorum sonos auris, significationes animus, voces ambo percipiunt”; Dial. I. xiv, 676). On the one hand meanings are considered to be created by man, by the maker himself: “ab artifice” or “ab institutione”. Thus, in a certain sense “arbitrariness” is extended to meaning, i. e., the subject’s active role in cognition is strengthened and seen as a linguistic component. In the Aristotelian tradition the “kata` synthe˘ ke¯n” (which corresponds to “ab institutione”) referred only to the signification-relation (of the signs to the content of consciousness), and not to the cognitionrelation (of the content of consciousness to the objects), which was thought of as a relation of universal images (homologies) to the objects. On the other hand, the naturalness of the “vox” is strongly emphasized in opposition to its traditional arbitrariness. The spiritual-corporeal double nature of the “vox” proves to be a natural-artificial double nature. The word is both: natural tones perceived by the ear (Aristotle’s “agra´mmatoi pso´phoi”, agra¬mmatoi co¬foi) as well as artificial meaning, made by man and perceived by the mind, so that it is perceived by both (“voces ambo percipiunt”): “Vox humana naturalis illa quidem est, sed eius significatio ab institutione descendit” (Dial. I. xiv, 676). As a further element of the “naturalness” of words, Valla emphasizes a “certain” (“quasi”) iconicity of words: “voces sunt quasi imagines significationum”. Valla thus goes against tradition in emphasizing the artificial character of meaning, at the same time stressing the “naturalness” of the material words, which had traditionally been conceived of as arbitrary (cf. Art. 67 § 2.2.). Not until Humboldt would linguistic theory once again determine so exactly the semiotic place of the word between sign and image (see § 8. below).
4.
The victory of the vernacular and the return to the semiotic tradition
4.1. The victory of the vernacular The 16th century sees the decisive breakthrough of national languages (cf. Art. 67 § 2.3.). This breakthrough took on different forms in accordance with the traditions of the various European countries. Court and popular literature, as well as the religious discussions in the Reformation controversies, and increasingly also the various branches of the general and technical sciences use the var-
1273
65. Sign conceptions in the philosophy of language
ious national languages rather than Latin. Political organization is now explicitly bound to the language of the people in that country. In 1492, the year in which America was discovered and Granada was reconquered, Antonio de Nebrija (1441⫺1522) presents his Castilian grammar to the Queen with an indication of the political, imperial usefulness of his work: “siempre la lengua fue compan˜era del imperio” (“language has always been a companion of the empire”; Nebrija 1492 ⫽ 1980, 97). Furthermore, the states’ administrations explicitly renounce Latin. Franc¸ois I, for example, decrees in the Edict of VillersCottereˆts (1539) that France will use the “langage maternel franc¸ois”, and not Latin in all official proceedings and documents. The discovery of the printing press effectively secures the national distribution of these vernacular writings. Protestantism, founded on the return to the text of the Bible (“scriptura sola”), resolutely promotes literacy in the national languages (cf. Art. 33 § 3.3.1.). The diastratic and sociological opposition between Latin and the vernacular, which is considered to be intolerable, has now become the movens of linguistic reflection. 4.2. The defense of the national languages The process of emancipating the national languages in 16th-century Europe is supported everywhere by a propaganda program of written defenses which, like the most famous of them, Du Bellay’s Deffence et Illustration de la Langue Franc¸oyze (1549), are based on Sperone Speroni’s Dialogo delle lingue (1542). While this dialogue brings to a head positions of the “questione della lingua” which had only been discussed in Italy in this manner, it also contains the basic problematics at stake in the entire Western culture: namely, the question of the relationship of modern languages to the revived linguistic culture of Antiquity. Whereas traditional Humanism assigns to poetry and to “elevated” linguistic activities the exclusive use of Latin, the modern mindset, conditioned by courtly fashions and by natural sciences, demands the use of the vernacular, i. e., the real spoken language (“locutio naturalis”) for literary and scientific purposes. Between these two extremes is the position of the so-called “umanesimo volgare”, which, following the model of the classical “imitatio”, calls for an imitation of the “vulgar” classics ⫺ at least for poetry. What is remarkable about this constellation is that the “modern” side pro-
moting the vernacular is also the side of the “old” ⫺ i. e., Aristotelian ⫺ semiotic theory. Propounding a universal identity of meanings, it argues for tolerance of the diversity of arbitrary signifiers: Every language is capable of expressing everything, therefore the use of the old language, Latin, is an unnecessary impediment that only perpetuates the outdated social privileges of the academic caste. The “outmoded” learned position under attack here did not only cling to the classical languages because of the great stature of the antique writers, but also because it was convinced of the special semantic qualities of these languages, which in explicit ⫺ if perhaps not justifiable ⫺ reference to Plato made it appear doubtful that everything could be expressed in all languages equally well. Du Bellay’s De´fense is interesting precisely in its semiotic inconsistency. On the one hand he explicitly adopts the “Aristotelian” position of Speroni’s dialogue as his own (all languages are equal and differ only materially), yet in his eulogizing of French Du Bellay cannot completely forego a “Platonic” allusion to the specific ⫺ even if only connotative ⫺ peculiarities of the vernacular languages (“je ne sais quoi propre seulement a` elle”; Du Bellay 1549 ⫽ 1904, 88).
5.
In search of the lost universality
5.1. Historicity and universality Waswo (1987, 85) points out that despite the insights of Valla or Vives into the historicity and individuality of languages, and despite the changes in the linguistic practices of the European peoples, these reflections on language tend to lie fallow and do not produce a new linguistic conception of the Renaissance period as a whole. Rather, the Renaissance still remains largely rooted in the “Aristotelian” tradition (e. g., Scaliger), which the rationalist and enlightened discussion can continue without break (cf. Art. 62 § 7.1.). Indeed, it follows from Speroni’s dialogue that in each case the different linguistico-political program is, in a manner of speaking, bound to the “wrong” semiotic theory: The universalist propaganda for Latin is bound to the insights into the semantic individuality of languages and the cognitive function of language; while the triumphant propaganda for the individual national language is bound up with the universalist “Aristotelian” concep-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
tion of language as a set of arbitrary signs serving the purpose of communication. It must be pointed out that in spite of the prevailing universalism, it can in no way be construed that historical understanding was exhausted in the 17th century and did not surface again until the end of the 18th century. Aarsleff (1975) has emphasized that documentation of historical empirical material increases extraordinarily in the 17th century, and thus presents a strong counterweight to ahistorical rationalism. The empirical anthropology emerging in the 18th century tries to draw scientific conclusions from material gathered in the 17th century, and one of the results of this research is the establishment of the discipline of linguistics. Of course, reference must also be made to philosophers like Leibniz, who regards the diversity of the historical-empirical as manifestations of the human spirit which are worthy of investigation; and to the philologicalhistorical insights that Giambattista Vico (1668⫺1774) sets against Cartesian universalism. By the 17th century the linguistic diversity of Europe is a fait accompli. The Latin universality of the Middle Ages endures only in a few academic enclaves. The lost linguistic catholicity leaves behind an obvious yearning for unity, and there are various attempts to satisfy this yearning. For instance, the comparatively short-lived rise of French to the new universal language of Europe, “la langue Soleil”, begins. Similarly, General Grammar searches for the common factor behind the diversity of languages. Both the reconstruction of the Ur-language from existing languages and the project of the construction of a new universal language are efforts to find the lost universality of the “lingua adamica”. 5.2. General Grammar and Cartesian semiotics The stated intention of the Grammar of PortRoyal (1660) is to explicate the common elements of all languages (“les raisons de ce qui est commun a` toutes les langues”), as it is announced in the title of the Grammaire ge´ne´rale et raisonne´e. The Port-Royal Grammar is the starting point of a whole series of General Grammars, those of Beauze´e (1767), Condillac (1775), Domergue (1799), Thie´bault (1802), Destutt de Tracy (1803), and Bernhardi (1801⫺3 and 1805), to mention a few. The semiotics underlying the Grammaire ge´ne´rale and realized in the Logic of Port-Royal
(1662⫺83) is an Aristotelian sign theory augmented by the Augustinian-Cartesian duality of body and mind. Descartes himself (1637) had granted language, which for him serves only communicative purposes, merely the function of being a “witness” for the presence of thought in man. This is why the PortRoyal Logic (which sets the Cartesian-Augustinian “intellection pure” of incorporeal, pure thought against the empiricist genesis of thought from sensible-corporeal “ideas”) sees words only as a means of communication: they do not belong to pure incorporeal thought, but can be appended to thought as a necessary bodily evil. As materially appearing entities they are bound up with ideas by habit (“accoutumance”). This connection between sound and idea is “arbitrary” (“d’institution et d’e´tablissement”; Logique I. iv), i. e., without a necessary, or perhaps iconic connection. Ideas, however, are in no way arbitrary: “c’est une chose purement arbitraire, que de joindre une telle ide´e a` un tel son plutoˆt qu’a` un autre; mais les ide´es ne sont point des choses arbitraires, et qui de´pendent de notre fantaisie” (Logique I. i). This essentially traditional Aristotelian semiotic theory of language, which transfers the strict mind-body division to the division between word and idea, is not an innovation of the Port-Royal Logic. What is new here is the return to Stoic semiotics, which in a certain sense annuls this mind-body division. As in Stoic semiotics, the sign is identified as a double-sided unity of the ideas of the “representing” and the “represented” thing. This conception of the sign is not repeated again until Hegel (cf. Art. 74 § 5.), and it is from here that Saussure (cf. Art. 101) later adopted his terminology: “Ainsi le signe enferme deux ide´es: l’une de la chose qui repre´sente; l’autre de la chose repre´sente´e; et sa nature consiste a` exciter la seconde par la premie`re” (Logique I. iv). The sign as a double-idea is a psychological entity which surpasses the material realities of both things (“choses”), the represented object and the concretely appearing signifier. According to Hegel (1830), intelligence, “by making its own that bond which is the sign”, turns “the intuition which the name is initially, into a representation, so that the content, the meaning, and the sign are identified and become One representation“ (“die Intelligenz, jene Verknüpfung, die das Zeichen ist, zu dem Ihrigen machend, macht die Anschauung, welche der Name zunächst ist, zu einer Vorstellu ng, so daß der Inhalt, die Be-
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deutung, und das Zeichen identifiziert, Eine Vorstellu ng sind”; Hegel 1830 ⫽ 1970, § 461). 5.3. “Lingua adamica” I: the Ur-language Leibniz (1646⫺1716), who against Locke considers the multiplicity of human languages as “the best mirror of the human spirit” (“le meilleur miroir de l’esprit humain”) in the “marvelous variety of its operations” (“la merveilleuse varie´te´ de ses ope´rations”; Nouv. Ess. III. vii, 6 and ix), and who was a proponent of the use of the vernacular, nevertheless thought the reconstruction of an onomatopoeic iconic original language from existing languages to be possible. He himself presented such onomatopoeic Ur-roots, which in his opinion the Adamic language had also exhibited (cf. Leibniz 1710). Not only is this the beginning of reconstructive attempts in historical comparative linguistics ⫺ which now, as ever, are motivated by the search for the lost unity hidden behind diversity ⫺ it is also a renewed attempt to criticize the dominant Aristotelian sign theory. When Leibniz states that signifiers were originally iconic, this is a recourse to Kratylos’ position in the Platonic dialogue of the same name (cf. Art. 40 § 3.2.1.). 5.4. “Lingua adamica” II: the characteristica universalis From the experience of the diversity of languages it becomes increasingly clear that natural languages ⫺ to put it negatively ⫺ present “significations confuses” (Descartes), that as “mist before our eyes” (Locke) they do not afford a clear view of the world, that they transmit “ide´es inde´termine´es” (Condillac). Even if they are ⫺ seen positively ⫺ the best mirror of the marvelous variety of the human spirit, the philosophical-scientific yearning for clear and distinct ideas apparently remains unfulfilled in the medium of the natural languages. Just as historical reconstruction tries to restore the “natural”, iconic, and therefore true origin covered over by historical development, a newly constructed “lingua adamica” would strive for the “correct” signification of clear and distinct ideas. Rene´ Descartes (1596⫺1650) considers such a philosophical universal language based on an analysis of the world via the “vraie philosophie” possible, but not practically achievable. Nonetheless, this Cartesian idea was already taken up in the 17th century in corresponding concrete suggestions (e. g.,
by Bishop John Wilkins and George Dalgarno). In this respect, too, Leibniz’s linguistic thought, in complete sympathy with the rich diversity of human languages, remains oriented to the unity behind diversity, to the possibility of the construction of an ⫺ at least written ⫺ universal scientific language, of a “characteristica universalis”, which he sometimes explicitly calls the “lingua adamica” (cf. Art. 62 § 7.2. and Art. 64 § 2.3.). Analogous constructions of a universal written language of concepts (“Begriffsschrift”) have been attempted up until the present (cf. Articles 102 and 175). Humboldt, who sees man and his thought set in language, and that means simultaneously in the historical relativity of a language (which, however, he can transcend in many ways; cf. Art. 77 § 1.), considers, as does Hegel, these attempts to try to place man outside language to be futile.
6.
On the way to a semantics of individual languages: worldviews
In the 17th and 18th centuries, after the experiences of diaphasic, diachronic and diastratic linguistic differentiation, Europeans acquire increasing knowledge about the diatopic diversity of human languages. This knowledge, gained through the colonial subjugation of the other continents of the world, promotes an increasingly exact formulation of the semiotic particularity and function of language. It is no coincidence that John Locke (1632⫺1704) is one of the first to refer to languages of the New World in a theoretical linguistic context (“the Caribbee or Westoe tongues”; Essay III. v, 8), and indeed within the context of a discussion of how individual languages shape very different types of thought in various peoples. Humboldt has frequently said that a linguistic theory which sees language as a set of arbitrary signs serving the purpose of communication is an inadequate description of the essence of language and is detrimental to the study of languages. Linguistic research, according to Humboldt, is only interesting when it investigates the “participation of language in the formation of ideas” (“den Antheil der Sprache an der Bildung der Vorstellungen”; VI, 119). In other words, linguistic research should recognize that language has a cognitive function and that the “formation of ideas” works differently in each language; i. e., that the di-
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versity of languages is not only a diversity of sounds, but a “diversity in worldviews” (“eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst”; IV, 27). In rationalist linguistic theory ⫺ by virtue of its traditional Aristotelian semiotic basis ⫺ the insight into the diversity of languages is reduced to the traditional understanding of the difference among languages as a difference in sounds. Yet while Locke explicitly propounds the same sign theory according to which ideas are bound up with the words “arbitrarily” or “voluntarily”, and for which the function of language is first and foremost communication, in a discussion of these “ideas” he nonetheless comes close to the insight into the individual structure of meaning of each language. Thus, in empiricist philosophy there arises a fruitful conflict between an Aristotelian theory of signs and a non-Aristotelian cognitive theory. 6.1. Arbitrary ideas Because of its theoretical epistemological premises, empiricism finds itself confronted with the problem of understanding. In renouncing the notion of (innate) universal ideas of pure thought and conceiving of ideas as originating from the sensory perceptions of each individual, empiricism is faced with the problem of explaining how it is possible to produce the same ideas in another person. Thus, methods for the intersubjective assurance of mutual understanding must be developed, above all for scientific and philosophical use, but also, for example, with regard to politics in the safeguarding of peace, for the avoidance of conflicts arising from misunderstandings. Locke does not take the route of the universal language, but rather that of the standardization of the “natural” language. In this connection, Locke distinguishes between two classes of ideas: “simple ideas” and “complex ideas”. Complex ideas are subdivided into ideas of “mixed modes”, “relations”, and “substances”. The class of mixed modes is the interesting one for further linguistic reflection, in that these ideas are not given passively through sensory impressions, like the simple ideas, but rather through an “arbitrary”, deliberate combination of ideas put together by free choice (“a voluntary collection of ideas put together in the mind, independent from any original patterns in nature”; Essay III. v, 5). Not only is the principle of semantic componential analysis anticipated here; more importantly, the principle of arbitrariness is explicitly carried over
to meaning, and thus, as numerous of Locke’s examples show, the semantic individuality of at least part of the vocabulary is recognized (cf. Art. 62 § 8.2.3.). When Leibniz (in the Nouveaux Essais) always sees nature and arbitrariness at work in linguistic meaning, he is not only criticizing the Lockean distinction between arbitrary and natural significations, but also recognizes a unified principle ruling in the formation of all linguistic meanings (cf. Art. 62 § 8.2.4.). 6.2. Cognitive function and the artificiality of the sign While Locke still discusses language completely from the perspective of the communication of essentially pre-linguistic thought, E´tienne Bonnot de Condillac (1714⫺1780) sees that human cognition is not possible without signs. The transition from natural to artificial signs marks the border between man and animal, and thus the transition to specifically human cognitive capacities. Condillac systematically integrates linguistic theory into a cognitive theory that is presented as the diachronic progression from sensible perception to reason. In recognizing the cognitive function of the sign, Condillac is the first real philosopher of language, or rather the first real semiotic philosopher, since he conceives of language as only one of the many semiotic potentialities of man. This semiotic, rather than linguistic, orientation of his philosophy is the reason why ⫺ in spite of his recognition of the constitutive role of signs in thought ⫺ Condillac’s insights into the specific structure of individual languages remain relatively traditional: He links the individuality of languages, the “ge´nie des langues” shaped by climate and political conditions, to the different syntactic succession of ideas, as well as to the so-called “ide´es accessoires”, i. e., to the lexical connotations, and not yet to their particular semantic structures. The semiotic basis of Condillac’s linguistic theory, the “neocratylism” of his theory of signification, which goes back to Leibniz, is a decisive departure from Aristotelian theory. It is his criticism of the arbitrariness of the sign (cf. Trabant 1986, ch. 5). The profound rationalist Aristotelian dualism between body and spirit, the split between “arbitrary” signifiers and ideas, is overcome in the name of a monist sensualist theory. In his Grammaire (1775) Condillac thus specifies that signs are not “arbitrary” in the sense of “contingent” and “non-depicting”. Rather, they are cre-
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ated by man and hence “artificial” (cf. Valla’s “ab artifice”; see § 3.2.), but they are originally dependent on the “ordre de la nature”, and are thus deeply rooted in the objective arrangement of the world. The “arbitrariness” of the sign is thus explicitly limited to the moment of “artificiality”, and “nature” ⫺ i. e., objectivity ⫺ is given much more weight than the free will of the subject (cf. Art. 62 § 8.2.5.). Condillac’s suggestions for “true” philosophical speech amount to following the “ordre de la nature” again, which has been displaced by the rampant development of individual languages. As for Locke, the construction of an artificial universal language is not necessarily the correct way back to “nature”. 6.3. Worldviews (“Weltansichten”) With his term “worldviews” (“Weltansichten”) Wilhelm von Humboldt (1767⫺1835) takes up the various intuitions of the semantic diversity of languages extending from the classical connotative “je ne sais quoi” over the Lockean mixed modes to the syntactic combinations and “ide´es accessoires” of Condillac’s “ge´nie des langues” It is through “worldviews” that languages are distinguished from each other. In concurrence with Friedrich Schlegel’s formula of the “internal structure” of language as the parameter of language comparison, Humboldt sees that languages do not only differ lexically ⫺ which by and large was the extent of linguistic discussions up until then ⫺ but that it is actually grammar that is the carrier of the structural individuality of a language. This insight into the specificity of the individual language is the foundation for modern structural linguistics, a foundation which without question was laid by Humboldt (even if for the time being linguistics primarily pursued other paths of investigation; cf. Art. 67 and 77 § 1.).
7.
The semiotics of origin
7.1. The biblical tradition For Christianity, the question of the origin of language (as well as the origin of linguistic diversity) is unequivocally settled in the Bible and in the Augustinian interpretation of the relevant biblical passages. This is why up until Thomas Hobbes (1588⫺1679, see his Leviathan 1651 ⫽ 1839, I, 4) one finds almost exclusively variations on Adam’s giving of
1277 names in Genesis. Dante is noteworthy in that he ignores the biblical story of the Adamic naming or quite evidently does not consider this speech (“locutio”). Rather, independent of the Bible, in which a woman is presented as the first speaker, he imagines his own story for Adam’s first speech: Adam’s first word was the word for God, which was spoken as an answer (“responsio”) to the word of God for the purpose of glorifying God. Against Dante’s complicated interpretation of Genesis, Hobbes concisely declares: “The first author of Speech was God himself, that instructed Adam how to name such creatures as he presented to his sight; For the Scripture goeth no further in this matter” (Hobbes 1651 ⫽ 1839, I, 4; cf. Art. 62 § 8.2.1.). After the construction of the Tower of Babel people forgot the Adamic language and must invent language again, out of “need”, says Hobbes. 7.2. Beyond the Bible The problem which the Enlightenment discussion of the origin of language faces is how to escape from the weight of the Bible and from Church sanctions. Condillac, for example, does this by explicitly calling his hypotheses on the origin of language a “novel”. From today’s perspective, the then centrallydiscussed question of the divine or human origin of language is secondary to the question of the semiotic place and the functions of language tied up with that place. Thus, for example, the empiricist discussions of the origin of language are concerned with determining the “need” of the origin presumed by Hobbes. For Condillac (1746) physical needs induce the “cris des passions” that become signs which man makes use of voluntarily, via a process of habitualization. In opposition to Condillac, Jean Jacques Rousseau (1712⫺ 1778) roots the origin in moral needs (“besoins moraux”; Rousseau 1781). Essentially, however, both authors see the origin of language in an interactive necessity. Johann Gottfried Herder (1744⫺1803) protests against this presumption of an origin of language in the pragmatic dimension, conceived of as a dimension of sensations, of “passions” and not of thought (see Herder 1772). Herder, taking up Leibniz’s notion of an imitative origin, sees the origin of language in the onomatopoeic imitation of living creatures which produce sounds. This imitative capability derives from the human disposition to “reflection” (“Besonnenheit”), and
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Herder thus sees the origin of language in the cognitive semantic dimension, in the confrontation of man with the world (vgl. Art. 72 § 2.4.). Vico (1744), who escapes the theological tradition by postulating two origins, a “biblical” and a “heathen” (of which only the latter interests him), also does not place much importance on the interactive necessity at the beginning of language, but much more on the “poetic” elaboration of the world: a “wild”, corporeal, pre-reflexive thought in “fantastic universals”, which first expresses itself in completely somatic, iconic actions (“atti e corpi”). Only gradually does language become specialized into the communicative function (“lingua pistolare”) and the articulated language (“lingua articolata”), and distances itself from its “natural”, iconic, “similar”, metaphorical origins, in order to appear as an arbitrary sign (“a placito”), which, however, it can never really become, since man can never completely emancipate himself from his corporeal, “wild”, fantastic origins. 7.3. From conjectural diachrony to transcendental origin and to history Locke does not yet ask the question about the origin of ideas diachronically, but he asks about their “eternal” basis in human faculties. To be sure, he repeatedly cites the diachrony of the mental development of the child in support of his argument, and thus here and there alludes to an ontogenetic development. Condillac gives the question of the origin of human cognition a clearly diachronic answer, related to the phylogenesis of the human species (which the child in turn reproduces in its ontogenetic development). This diachronic formulation of the question remains decisive for the 18th century, until Immanuel Kant (1724⫺1804) makes the sharp distinction between the (temporal) beginning (“Anheben”) and the (transcendental) origination (“Entspringen”), recognizing only the question of the transcendental origin of cognition as a philosophical question. Humboldt, coming from Leibnizian philosophy, and thinking within the framework of Kantian philosophy, turns the question of the origin of language into a transcendental question. He is no longer concerned with diachrony, but rather with the ongoing genesis of language from man’s faculties, which have always been and always will be at work in all speaking. Humboldt’s entire language-philosophical thought revolves around this origin.
As Johann Georg Hamann (1730⫺1788) had done before, he identifies the problem of the synthesis of thought left open in Kant, the combining of understanding and sensibility in the imagination, as the production of language. The linguistic production of thought is not due to “need”, but is a free, poetic, luxurious and simultaneous producing of “idea” and “word” in an insoluble unity. The word is really produced as sound, perceived by the speaking-thinking person himself, and simultaneously perceived and re-produced by another person. The linguistic synthesis of thought is only completed in the re-production of the word by this perceiving other. With regard to the other aspect of the origin discussion, diachrony, Humboldt is no longer interested in the conjectural “history” constructed by Enlightenment philosophy. Rather, in accordance with modern historical research, history begins where documents exist, where an event can be proven empirically. Developments and changes in language can be traced here. With the documents available to us, however, we are always situated in the middle of this history, and cannot say anything about the origin (at least nothing “scientific”, i. e., empirically documentable).
8.
The word between sign and symbol
At the beginning of his linguistic work, Humboldt writes that the error of conceiving of language as an arbitrary sign has long disappeared (with which he was presumably alluding to the Leibnizian context familiar to him). In the course of his research, however, he is forced to see that this is not at all the case, and that this theoretical arch-enemy of all linguistic study must be fought perpetually, that, indeed, the goal of comparative linguistics on the whole should be a critique of arbitrariness, “in order to see languages less and less as arbitrary signs and, by delving deeper into mental life, to seek out in the individuality of their structure aids for the investigation and recognition of truth and for the formation of the way of thinking and of character” (“die Sprachen immer weniger als willkührliche Zeichen anzusehen, und, auf eine tiefer in das geistige Leben eingreifende Weise, in der Eigenthümlichkeit ihres Baues Hülfsmittel zur Erforschung und Erkennung der Wahrheit, und Bildung der Gesinnung, und des Charakters aufzusuchen”; IV, 32 f). Thus, the linguistic research which conceives of lan-
65. Sign conceptions in the philosophy of language
guages as “worldviews” is based on a semiotic theory that takes the word out of its traditional subsumption under the notion of sign and draws closer to the image (symbol; cf. Art. 63 § 5.1.), where the word as a semiotic structure sui generis is differentiated from both sign and symbol categorically. The word is differentiated from the sign through synthesis, the indissoluble unity between expression and content. In the sign “the signified has an existence independent of its sign”, while in language “the concept only becomes complete through the word, and the two cannot be separated from each other” (V, 428). In the image or symbol, which shares with the word this indissoluble unity between expression and content, expression and content fuse: “idea and material [“Körperstoff”] coincide”, while in the word they are inseparable, yet distinct. This connection between expression and content which is characteristic for the word is manifested in the structural semiotic characteristic that modern semiotics has dubbed “double articulation” (Martinet 1960; cf. Art. 101). The phonetic “articulation” (the segmentation of the sound in phonemes) is the structural representation of the segmentation of the thinkable in “portions” (the segmentation in monemes), which Humboldt calls “reflection”. The production of the word is thus a synthetic generation of reflection and articulation. This is why language is the “formative organ of thought” (“das bildende Organ des Gedanken”).
9.
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66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. 2. 3. 4. 5.
Semiotische Probleme des Unendlichen Kalküle und Zeichenwahl Die Entwicklung der analytischen Geometrie Synthetische Geometrie und Zeichentechnik Ansätze zu metamathematischen Untersuchungen: die Unabhängigkeit des Parallelenpostulates 6. Der Status arithmetischer und geometrischer Axiome 7. Zahlsysteme und Algorithmen 8. Literatur (in Auswahl)
1.
Semiotische Probleme des Unendlichen
Die überragenden Fortschritte der Mathematik im 17. Jahrhundert betrafen die Algebra, die analytische Geometrie und den Infinitesimalkalkül. Die seit den Griechen bis dahin grundlegende mathematische Disziplin der Geometrie (vgl. Art. 41) gab die Führungsrolle an die Algebra ab. Algebra wie Infinitesimalkalkül blieben bis ins 19. Jahrhundert ohne konsistente logische Begründung. Die bis dahin gültigen Grenzen der griechischen Geometrie für zulässige Größen wie die bis
dahin geforderte Strenge der Methoden wurden von den Mathematikern nicht länger beibehalten (Kline 1972, 398 f). Die Begriffe Größe, Variable beziehen sich, wenn nichts anderes gesagt ist (Cavalieri, Carnot), hier und im folgenden auf Zahlen bzw. Zahlbereiche. Die Mathematiker rechneten mit Zeichen auch dann, wenn der ontologische Status des Bezeichneten nicht geklärt oder nicht definiert war, sogar dann, wenn die Zeichen nach eigener Erklärung nichts Existierendes bezeichneten (Toth 1987, 114). Dieses Problem trat stets beim Umgang mit dem Unendlichen auf. P. de Fermat (1601⫺1665) entwickelte 1629 eine „Methode zum Bestimmen von Extremwerten und zum Anlegen von Tangenten“. Er führte dazu eine kleine, aber endliche, positive, konstante Größe E ein und betrachtete die Ausdrücke A und A ⫹ E als annähernd gleich. A ist eine Variable. In moderner Bezeichnungsweise lehrte sein Verfahren, f(A ⫹ E) ⫺ f(A) zu bilden, nach der DiviE sion durch E dieses E Null zu setzen und aus
66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
dem übrigbleibenden Ausdruck A zu ermitteln. Deshalb hat ihn Laplace den eigentlichen Erfinder der Differentialrechnung genannt. Der Erfolg seiner Methode ließ Forderungen nach Konsistenz und Rechtfertigung vergessen. Er vermerkte ausdrücklich, daß man keine allgemeinere Methode angeben könne. Tatsächlich wurde Allgemeinheit, die in einem mechanisch handhabbaren Algorithmus offenbar wurde, zum Gütekriterium für die später entwickelten Infinitesimalmethoden und zum Gütezeichen der sich entwikkelnden Algebra. Bereits 1635 veröffentlichte B. Cavalieri (1598?⫺1647) seine Geometrie, durch die Indivisibeln von Kontinuen auf eine neue Weise fortentwickelt. 1647 führte er die Überlegungen in einem zweiten Werk fort. Er war der einzige Mathematiker des 17. Jahrhunderts, der eine neue Integrationsmethode schuf, die nicht vollständig mit der griechischen Tradition brach. Er dehnte die griechische Theorie der Größen auf Quantitäten aus, die unendlich viele Elemente haben: seine omnes- oder alle-Begriffe (Andersen 1985). Um zu verstehen, was er z. B. im ebenen Fall mit „allen Linien“ oder „Indivisibeln“ bezeichnete, wähle man eine geschlossene ebene Kurve K und denke sich im Punkt A eine Berührungslinie, die „Regel“. Dann gibt es unendlich viele Parallelen bis zur gegenüberliegenden Tangente im Berührungspunkt C. Die Gesamtheit der innerhalb von K liegenden Parallelenabschnitte bildet eine Größenklasse „alle Linien“ bezüglich der gewählten Regel.
Abb. 66.1: Cavalieris Indivisibelnmethode.
Je nachdem, ob er die Kollektive von Linien (Ebenen) oder die Linien (Ebenen) paarweise verglich, sprach er von einer kollektiven oder ersten bzw. distributiven oder zweiten Methode. Der Ausdruck „Indivisibeln“ führte Cavalieris Leser bis in unsere Tage in die Irre.
1281 Nicht Cavalieris genuine Begriffe übten einen Einfluß auf die weitere Entwicklung aus, sondern das, was er nach Interpretation seiner Nachfolger vermeintlich darunter verstand, nämlich Summen: E. Torricelli (1608⫺1647) glaubte fälschlich, ebene Figuren seien nach Cavalieri die Summen von Liniensegmenten, und G. P. de Roberval (1602⫺1675), ebene Figuren seien nach Cavalieri die Summen von Infinitesimalien, das heißt unendlich kleinen Größen; G. W. Leibniz (1646⫺1716) übernahm die Mischung von Namen und Begriffen, die mit Integrationen verbunden waren. Er gebrauchte in der Frühzeit (1675) den Cavalierischen Ausdruck omnes zur Bezeichnung einer Summe und wollte 1676 die andernfalls trügerische Indivisibelngeometrie mit Hilfe der unendlich kleinen Größen zu einer sicheren Methode ausbauen (Leibniz 1993). 1655 erschien die arithmetische Integrationsmethode von J. Wallis (1616⫺1703). In seiner „Arithmetik der unendlichen Größen“ rechnete Wallis mit unendlichen Größen wie mit endlichen. ⬁ bezeichnet die Zahl 1 Unendlich, eine unendlich kleine Größe. ⬁ Im 18. Jahrhundert sagte E. B. de Condillac (1714⫺1780) dazu, wenn die Mathematiker mit dem Unendlichen rechnen könnten, dann nur, weil sie es mit dem Zeichen ⬁ tun (Rousseau 1986, 318). Wallis war sich der Gefahr des Irrtums bewußt und gab ausführliche Erläuterungen in der Art, daß gelten sollte: 1 1 · ⬁ ⫽ 1, A · ⬁ ⫽ A. ⬁ ⬁ Er räumte ein, daß das Produkt ⬁ · 0 keine Zahl auf bestimmte Weise bezeichne. Es kann aber gleichsam „virtualiter“ an die Stelle einer beliebigen Zahl treten. Eine ähnliche Argumentation verwandte L. Euler im 18. Jahrhundert. Die syntaktischen Gebrauchsregeln für ⬁ entnahm Wallis also durch Analogie dem Bereich endlicher Größen. Eine genauere Klärung des ontologischen wie semantischen Status unterließ er (zur Vorgeschichte vgl. Art. 51 § 5.). I. Newton (1643⫺1727) und G. W. Leibniz versuchten sich ⫺ erfolglos ⫺ an einer Lösung dieser Frage. Beide verwandten unendlich kleine Größen. Newton gründete dazu seine Infinitesimalmathematik auf mechanische, kinematische Vorstellungen. Die sich in der Zeit ändernden Größen x hießen „Fluenten“, deren endliche Wachstumsgeschwindigkeit „x˙“. Mit „o“ bezeichnete Newton einen
1282
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
unendlich kleinen Zuwachs der Variablen x, später ein unendlich kleines Zeitintervall. Demnach ist o Null, wie Newton sagte, oder im Vergleich mit endlichen Größen äquivalent mit Null. Die Inkonsistenz dieser Erklärungen veranlaßte ihn 1687, in den Mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie auf Infinitesimalien zu verzichten und mit Hilfe des zentralen Begriffes der Bewegung die Theorie der ersten und letzten Verhältnisse der eben beginnenden bzw. verschwindenden Zunahmen einzuführen. Die Frage, wie zwei Größen, die beide Null sind, ein (letztes) Ver0 hältnis haben können, was also „ “ bedeu0 ten sollte, konnte er so nicht erklären. Leibniz betrachtete demgegenüber Folgen unendlich benachbarter Werte. Ein Differential dx bezeichnete danach eine Differenz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Werten in der Folge (Bos 1974). So wie Newton Fluxionen von Fluxionen bildete, führte Leibniz Differentiale von Differentialen ein: ddx, dddx usf. Sieht man von der Erstveröffentlichung seines Differentialkalküls im Jahre 1684 ab (Jusˇkevicˇ 1969), in der dx als konstante Größe definiert wurde, verstand Leibniz unter einer unendlich kleinen Größe dx eine variable positive Größe, die kleiner als jede vorgegebene Größe gemacht werden kann und insofern auch Null gesetzt werden darf. Es gibt also unendlich viele derartige Größen. Kritikern wie B. Nieuwentijt (1654⫺ 1718) hielt Leibniz entgegen, daß es durchaus Größen seien. Es sind fiktive, ideale Hilfsgrößen, die ebensowenig wie imaginäre Zahlen wirklich existieren, die aber für die Rechnung nützlich sind (Robinet 1986, 283⫺294). Das Ergebnis der mit ihrer Hilfe durchgeführten Rechnung läßt sich ohne diese formulieren. Semiotisch gesprochen führte dies aber auf Bezeichnungen, denen nichts Bezeichnetes entsprach, ein Unding für den Kritiker G. Berkeley (1685⫺1753). Die Mathematiker des 18. Jahrhunderts gaben sich mit dieser Semantik nicht zufrieden. L. Euler (1707⫺1783) bekannte 1755 seine Überzeugung, daß die einzige rigorose Methode, infinitesimale Verfahren zu rechtfertigen, darin bestehe, unendlich kleine Größen und Differentiale als absolute Nullen zu interpretieren. Das Verhältnis der Nullen, die mit verschiedenen Symbolen wie dx, dy bezeichnet werden, nicht die Nullen selbst, seien Thema des Calculus (Juschkewitsch 1959; Youschkevitch 1971). ⫺ J. Le Rond d’Alembert (1717⫺1783) vertrat ab 1754 Newtons
Standpunkt, daß der Grenzwertbegriff die Grundlage für den Calculus liefern müsse. Sein vom heutigen Grenzwertbegriff abweichendes Konzept brachte Schwierigkeiten mit sich, die eine breite Akzeptanz seiner Ideen verhinderten. ⫺ J. L. Lagrange (1736⫺1813) entwickelte stattdessen 1772 einen algebraischen Aufbau der Analysis, der frei von aller Metaphysik, allen Theorien unendlich kleiner oder verschwindender Größen sein sollte. Er definierte die Ableitung einer Funktion als Koeffizienten des zweiten Terms einer unendlichen, der sogenannten Taylorschen Reihe. Die Eigenschaften dieser Reihe sollten in rein algebraischer Form dargelegt werden. Auch Lagranges Vorgehen war erfolglos. L. Carnot (1753⫺1823) definierte 1797 in den „Überlegungen über die Metaphysik des Infinitesimalkalküls“ die Infinitesimalanalysis als die Kunst, hilfsweise infinitesimale Größen anzuwenden, um die Beziehungen zwischen vorgegebenen Größen zu entdecken. Der exakte Begriff derartiger Größen sei sehr einfach: dx, dy seien unendlich kleine Größen, nicht weil man sie als sehr klein ansah, sondern weil man sie als Größen betrachtete, die kleiner werden können, als man sie in beliebiger Kleinheit vorausgesetzt hatte. Für Carnot waren die unendlich kleinen Größen ⫺ im Gegensatz zu Euler ⫺ keineswegs wirklich Null. Sie mußten und konnten eliminiert werden, ohne daß ihnen ein bestimmter Wert zugeordnet wurde. Es waren zu jeder Zeit variable, unbestimmte Größen. Denselben semiotischen Status hatte ihnen Leibniz in der Argumentation mit Mathematikern zugewiesen. Die Ähnlichkeit mit L. A. Cauchys (1789⫺1857) Umgang mit unendlich kleinen Größen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist nicht zufällig. In seiner „Algebraischen Analysis“ (1821) definierte er „unendlich klein“ als mögliche Eigenschaft einer Variablen: Eine Variable wird unendlich klein, wenn ihr Grenzwert Null ist. Unendlich kleine Größen waren für Cauchys Analysis grundlegend, mit Strenge vereinbar und ermöglichten Einfachheit (Laugwitz 1987; Edwards 1979).
2.
Kalküle und Zeichenwahl
Die Entwicklung der Algebra zur Leitdisziplin der Mathematik im 17. und 18. Jahrhundert stand in untrennbarem Zusammenhang mit der Entwicklung einer leistungsfähigen algebraischen Symbolik. Ihre Leistungsfähigkeit umfaßte (1) die Allgemeinheit der Me-
66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
thoden und Lösungen, (2) die Mechanisierung, das heißt Kalkülisierung des Überlegungsprozesses, (3) die Minimierung der Denkarbeit beim Problemlösen, (4) die erkenntnisfördernde, heuristische Funktion. Diese vier Kriterien wurden von den Neuerern (Vie`te, Descartes, Newton, Leibniz, Euler, Lagrange) wie von den nacheifernden Befürwortern (Condillac, Carnot) hervorgehoben (Knobloch 1980). Sie spiegelten sich in der verwandten Terminologie wieder. F. Vie`te (1540⫺1603) nannte das Werk, in dem er seine symbolische Algebra darlegte, Einführung in die analytische Kunst (1591). Er griff damit den antiken Begriff „Analysis“ als Methode der Erfindung auf. Da er Buchstabenkoeffizienten statt positiver Zahlen verwandte, löste seine Gleichungstheorie in einem Zuge unendlich viele Fälle. Er strebte mit Hilfe seiner Symbolik eine deduktive Wissenschaft von Größen an. „Analysis“ nahm allmählich die Bedeutung ‘algebraische Methode’ an. D’Alembert verwandte in der Encyclope´die (Diderot und d’Alembert 1751⫺ 1780) „Analysis“ und „Algebra“ als Synonyme. „Arithmetica universalis“ war der von W. Whiston (1667⫺1752) gewählte, von Newton beibehaltene Name für die Algebra. Newton wie Leibniz betrachteten den Calculus als eine Erweiterung der Algebra (vgl. Art. 62 § 7.). Leibniz hatte es ausdrücklich als Aufgabe formuliert, die er selbst auf vorbildliche Weise löste, für die neue Analysis das zu tun, was Vie`te für die Gleichungstheorie und Descartes für die Geometrie getan hatte, eine Algebraisierung auszuarbeiten, das heißt die Rückführung der infinitesimalen Analysis auf einen Operationenkalkül mit einheitlichem Bezeichnungssystem von algebraischem Charakter. Denn Descartes gebrauchte „Analysis“ als Bezeichnung für die Anwendung der Algebra auf die Geometrie, da die Algebra dazu diente, geometrische Konstruktionsprobleme zu lösen. Der Terminus „analytische Geometrie“ beschrieb dieses Vorgehen. Lagrange sagte 1797 in seiner „Theorie der analytischen Funktionen“, der Calculus sei nur eine Verallgemeinerung der elementaren Algebra. Carnot definierte in demselben Jahr den Differentialkalkül als die Rechnung, die zur Elimination der unendlich kleinen Größen nur die gewöhnlichen, algebraischen Transformationen erfordere. Leibniz habe gezeigt, daß seine Methode die auf einen Algorithmus reduzierte archimedische Exhaustionsmethode sei. Leibnizens Infinitesimalkalkül rage unter den verschiedenen Metho-
1283 den wegen der Vollkommenheit seines Algorithmus und des Reichtums der Anwendungen hervor. Daher war der Infinitesimalkalkül für J. H. Lambert (1728⫺1777) das Paradigma einer Kalkülisierung. Leibniz selbst versuchte, seinen Differentialkalkül unter anderem durch Bezugnahme auf die gewöhnliche Algebra zu rechtfertigen. Für E. B. de Condillac war die Algebra die Sprache der Mathematik. Sein 1798 posthum erschienenes Werk Die Sprache der Kalküle wiederholte die Überzeugung seines früheren Werkes zur Erkenntnistheorie ⫺ er sprach von „Logik“ ⫺: Das mathematische Wissen ist durch die analytischen Eigenschaften dieser vollkommensten und einfachsten aller Sprachen definiert. Die Algebra hat diese Vorzüge, weil sie von der Analogie, das heißt der Erfindungsmethode gebildet ist. Ihre Zeichen stehen für exakte Ideen, mit denen man in verschiedenen Beziehungen manipuliert. Denn Denken hieß für Condillac Rechnen. Seine Analogie wird zu einer sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaft der Zeichensysteme (vgl. Art. 78 § 5.3.). Der Infinitesimalkalkül war der bei weitem wichtigste Kalkül, der in der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelt wurde. Aber der Wille, mathematische Probleme einer quantitativen operationalen Behandlung zugänglich zu machen, führte zur Erfindung oder mindestens Projektierung zahlreicher anderer Kalküle. Die Anwendung von Fermats und Descartes’ algebraischen Methoden auf geometrische Probleme, insbesondere Kurvenuntersuchungen, führte zum Kalkül der analytischen Geometrie. Leibniz bemühte sich in zahlreichen Entwürfen, einen Logikkalkül (Mittelstraß 1986, Lenzen 1990; vgl. auch Art. 64) wie eine „analysis situs“, einen geometrischen Kalkül der Lage aufzubauen (Echeverrı´a 1980). Während die analytische Geometrie den Umweg über die Algebra geht, sollten die Charaktere dieses neuen Kalküls, der geometrischen Charakteristik, unmittelbar der geometrischen Anschauung folgen. Die betreffenden Versuche blieben Fragmente und ebenso weitgehend unbekannt wie seine Ausarbeitung eines Determinantenkalküls. An sie knüpft aber im 19. Jahrhundert wieder H. Grassmann (1809⫺1877) an (vgl. Grassmann 1847; siehe auch Art. 78 § 2.2.). Zu den Wegbereitern der Matrizen- und Determinantenrechnung im 18. Jahrhundert gehörte auch Lagrange (1773). Lagrange, neben Euler der führende Vertreter der analytischen Methode im 18. Jahrhundert, wurde
1284
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
jedoch seit 1754 vor allem zum Begründer des neuen analytischen Kalküls der Variationsrechnung. 1788 veröffentlichte Lagrange seine in analytischer Sprache geschriebene „Analytische Mechanik“. Die dort auftretenden Differentialgleichungssysteme löst er mit Hilfe seines Variationskalküls. Euler hatte von Anbeginn an die Leistungsfähigkeit des neuen Kalküls anerkannt und diesen übernommen. Bei aller Kalküleuphorie fehlte es nicht an Kritikern, die an den Grundbegriffen und Methoden der neuen Kalküle Anstoß nahmen (B. Nieuwentijt, G. Berkeley). Anders als M. Rolle (1652⫺1719) bestritt Berkeley (1734) nicht die Exaktheit des Newtonschen oder Leibnizschen Infinitesimalkalküls (Berkeley 1969). Aber die exakten Ergebnisse seien nur auf Grund von Fehlerkompensationen möglich. Dies war in Carnot’s (1797) Augen kein Makel, da der Kalkül unausweichlich zur Kompensation der Fehler führe. Berkeley bestritt nicht die Wahrheit, wohl aber die Wissenschaftlichkeit des Fluxions- und des Differentialkalküls. Die Mathematik als Wissenschaft werde von der blinden Anwendung mathematischer Rechentechniken durch die Methode bzw. das Beweisen unterschieden. Seine Kritik fußte auf seiner strengen Trennung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Der mathematische Zeichenapparat führe im Falle der Fluxionen oder Differentiale zu Zeichen, denen keine Vorstellung entspreche, deren Designatum nicht perzipiert werden könne und deshalb nichts sei. Zeichen und Figuren seien nur Repräsentanten, durch deren beliebigen Bezug zu den repräsentierten Vorstellungen mathematische Allgemeinheit zustande komme. Die Beliebigkeit der Zeichenwahl findet insbesondere an der Forderung nach Konstanz der Zeichenbedeutung ihre Grenze. Bedeutungslose Zeichen, die für sich genommen sinnlos sind, seien grundsätzlich nicht zugelassen. Auch später eliminierbare Zeichen müßten sinn-, d. h. bedeutungsvoll sein. Carnots Position zeigte, daß man bei gleicher Ontologie ⫺ auch er lehnte die Existenz negativer oder imaginärer Zahlen ab ⫺ entgegengesetzte semiotische Positionen vertreten konnte. Der Erfolg des Leibnizschen Differentialkalküls gegenüber dem Newtonschen Fluxionskalkül beruhte nicht zuletzt auf der gewählten Symbolik. Leibnizens Bezeichnungsweise machte deutlich, daß es sich bei d und s um Operatoren handelte. Newton verwandte
kaum ein Zeichen für die Integration. Seine Punktnotation x˙ für Fluxion erforderte, alle Variablen als Funktionen einer Variablen, der Zeit, zu betrachten. Sie ließ im Gegensatz zu Leibnizens Bezeichnungsweise keine Übertragung auf Fälle zu, in denen die Variablen von mehr als einer unabhängigen Variablen abhingen. Grundsätzlich interessierte sich Leibniz weit mehr als Newton für Bezeichnungsfragen, für eine gute Charakteristik, da diese eine der größten Hilfen des menschlichen Geistes darstelle. Sein Kalkül könne alles ausdrücken, was vorher nur figürlich darstellbar war. Gemäß Leibniz sollen Zeichen alles ausdrücken, was in der bezeichneten Sache verborgen liegt, das Denken erleichtern und heuristisch wertvoll sein. Er hat diesen Vorsatz insbesondere bei der Entwicklung seines Determinantenkalküls zu verwirklichen versucht. Er verwandte fiktive Zahlen, deren numerische Werte hauptsächlich relationalen Zwecken, nicht Größenangaben dienten. Dementsprechend erklärte Euler 1764 den Vorrang der Mathematik unter den anderen mit Wahrheitssuche befaßten Wissenschaften damit, daß sie über geeignete Zeichen verfüge, eine Argumentation, die Eulers Bewunderer Condillac wieder aufnahm. Gemäß dem Grundgedanken der Leibnizschen Charakteristik trete an die Stelle der Sukzession der Denkschritte die reine Simultaneität, eine Leistung, die nur das symbolische Denken zu vollbringen vermag. Die Symbolik führte also zur Fortbildung der Technik und Methodik des mathematischen Beweises (vgl. Art. 62 § 7.2.).
3.
Die Entwicklung der analytischen Geometrie
Durch Vermischung algebraischer und geometrischer Methoden schufen P. de Fermat und R. Descartes (1596⫺1650) im 17. Jahrhundert die Koordinatengeometrie. Beide verwandten weder diese Bezeichnung noch die Idee von Achsen. Ihre grundlegende Idee war die Verbindung algebraischer Gleichungen mit Kurven und Oberflächen. Beide beschränkten sich auf positive Werte (Boyer 1956). Ihre „Koordinatensysteme“ ermöglichten, semiotisch gesprochen, eine anschauliche Darstellung der relativen Lage der Kurvenpunkte zueinander, die gegenüber einer Koordinatentransformation invariant blieb. Ihre Vorgehensweisen waren jedoch zueinan-
1285
66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
der entgegengesetzt. Fermat ging unter Verwendung der von Vie`te geschaffenen algebraischen Symbolik von einer algebraischen Gleichung aus, um daraus die Kurveneigenschaft abzuleiten. Sein grundlegend neues Prinzip lautete: Wenn in einer Schlußgleichung zwei unbekannte Größen auftreten, die durch Strecken repräsentiert werden, so haben wir einen geometrischen Ort. Das Ende einer von beiden beschreibt eine gerade oder gekrümmte Linie. Fermats Anliegen war eine allgemeine Methode zum Studium geometrischer Örter. Ohne die y-Achse explizit zu benutzen, legte er die Lage eines Kurvenpunktes durch die variable Größe A (heute x), die auf einer Grundlinie von einem ausgezeichneten Punkt N aus gemessen wurde, und die schräg zur Grundlinie abzutragende variable Größe E (heute y) fest. Die Grundlinie lieferte zusammen mit der variablen Größe E ein eindeutig bestimmtes Bezugs- oder Koordinatensystem. Fermat wußte, daß eine Transformation dieses Systems eine Vereinfachung der Gleichungen zweiten Grades erlaubte. Der Zusammenhang zwischen A und E, der durch die algebraische Formel gegeben war, wurde mit Hilfe der Koordinaten in einen „geometrischen Ort“, in einen geometrischen Zusammenhang, eine Kurve übersetzt. Im Gegensatz zu Fermat ging Descartes vom Ort einer kinematisch konstruierten Kurve aus und bestimmte anschließend eine algebraische Gleichung. Seine Idee war, die durch stetige und reguläre Punktbewegung erzeugten Kurven in einer Hierarchie algebraischer Gleichungen zu klassifizieren. Betrieb Fermat eine geometrisch interpretierte Algebra, so betrieb Descartes eine algebraisch interpretierte Geometrie. Seine Bezugssysteme bestanden aus beliebig-winkligen Geraden-, Strecken- und Tangentensystemen, nicht aus den nach ihm benannten Cartesischen, rechtwinkligen Koordinaten. Insofern war er weniger ein Begründer der analytischen Koordinatengeometrie als einer der ersten bedeutenden Theoretiker der algebraischen Kurven und Funktionen (Mainzer 1980, 97 f). Das Neue an Fermats und Descartes’ Methode war die graphische Repräsentation von unbestimmten Gleichungen. Um den Übersetzungsprozeß zu ermöglichen und zu erleichtern, gab Descartes geometrische Deutungen algebraischer Größen und Operationen. Auch höheren Potenzen, die geometrisch weithin für nicht interpretierbar gehalten wurden, ordnete er Streckengrößen zu. Des-
halb konnte er auf die Beibehaltung des Homogenitätsprinzips verzichten. Dieser Verzicht zog eine unschätzbare Rechenerleichterung nach sich. Dennoch hat sich Leibniz ihrer in zahllosen nachgelassenen Entwürfen nicht bedient. Zugleich wählte er um 1676 Beispiele aus der Mechanik, um höhere als dritte Potenzen als real existierend interpretieren zu können (Leibniz 1976, 98⫺107). Sie erlaubten ihm eine reale Darstellung der im Geiste stattfindenden Multiplikation. Die Nachfolger von Fermat und Descartes hoben deren Beschränkung auf positive Koordinaten bzw. die eine gewählte Art des Bezugssystems auf. J. Wallis führte 1655 in seiner Schrift Über die Kegelschnitte negative Abszissen und Ordinaten ein und betonte die Überlegenheit der algebraischen Vorgehensweise. Newton betrachtete 1671 erstmalig polare und bipolare Koordinaten. Newton war zwar von der heuristischen Zweckmäßigkeit der analytischen Methoden überzeugt, trat jedoch für eine Trennung der Arithmetik von der Geometrie ein und gab sich als Verfechter der antiken synthetischen Geometrie. Besonders scharf wandte sich Thomas Hobbes (1588⫺1679) gegen eine solche Vermischung von Geometrie und Algebra. Er sprach von „der Herde der formelgläubigen Modernisten“ und meinte damit insbesondere Wallis. Tatsächlich wurden die analytischen Methoden zur Behandlung geometrischer Probleme wesentlich auf dem Kontinent fortentwickelt, von Leibniz, Jakob (1654⫺1705) und Johann (1667⫺1748) Bernoulli und ihrem Schüler Jakob Hermann. Am nachhaltigsten beeinflußte Euler die Geometrieauffassung des 18. Jahrhunderts, insbesondere mit seinem Lehrbuch „Einführung in die Analysis unendlicher Größen“, dessen zweiter Teil eine umfassende Darstellung der analytischen Geometrie war. Lagrange vertrat ohne Einschränkung den analytischen Standpunkt und betonte ausdrücklich, daß seine Lösungen ohne Figuren verstanden werden könnten. Die geometrische Anschauung spielte für ihn keine Rolle mehr.
4.
Synthetische Geometrie und Zeichentechnik
Die Grundlage der modernen elementaren analytischen Geometrie legte G. Monge (1746⫺1818). Zugleich schuf er den neuen
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Zweig der darstellenden Geometrie. Semiotisch gesprochen erlaubten das durch ein standardisiertes Projektionsverfahren gewonnene zweidimensionale Zeichengebilde, die Ebenenaufrisse, einen eindeutigen Rückschluß auf dreidimensionale Raumgebilde, die einer strengen Definition fähig sind. Monges beide Werke zur darstellenden wie zur analytischen Geometrie, die von 1795 an erschienen, zeigen, daß er die figürliche Darstellung ebenso wie analytische Methoden für wichtig hielt. Die Ausbildung im technischen Zeichnen umfaßte einen hohen Prozentsatz der Unterrichtsstunden an der Ecole Polytechnique (Klein 1926⫺27, I, 66). Zur Entwicklung der Anschauung ließ er mathematische Modelle anfertigen und wurde so zum Begründer der Unterrichtstechnik, sich solcher Anschauungshilfen zu bedienen. Die darstellende Geometrie hatte vier Vorläufer: (1) die Architekturzeichnung, (2) die Perspektive, (3) die Schattentheorie, (4) die Kartographie (Taton 1951). Auf diesen Vorläufern aufbauend bestand Monges Prinzip darin, daß eine Raumfigur vollständig durch die Projektion auf zwei aufeinander senkrecht stehende Ebenen definiert ist. Monge entnahm die Richtigkeit dieses Prinzips der cartesischen Geometrie des Raumes von A. Clairaut (1713⫺1765) und L. Euler. Die
Abb. 66.2: Veranschaulichung der Mongeschen Drehkonstruktion.
zweite Ebene wird sodann auf die erste durch Drehung um deren Schnittgerade heruntergeklappt gedacht. Die beiden Projektionen befinden sich nun auf derselben Senkrechten zur Erdlinie. Die Nachfolger von Monge gaben seinen Standpunkt auf, daß analytische und synthetische Geometrie gleichberechtigt sind. Die Quelle des sich im 19. Jahrhundert herausbildenden Gegensatzes lag in L. Carnots 1803
Abb. 66.3: Mongesche Drehkonstruktion um die vertikale Achse durch Q (wahre Länge und Neigungswinkel einer Strecke).
erschienener Geometrie der Stellung. Carnots Bestrebungen erinnern an Leibnizens Fragment gebliebene Versuche, eine koordinatenfreie „Characteristica geometrica“ auf Grund logischer Symbole, ein Gegenstück zur analytischen Geometrie von Descartes, aufzubauen. Carnot selbst sah den Zusammenhang, betonte jedoch den Unterschied beider Konzepte. Er wollte die Geometrie in rein synthetischer Form neu entstehen lassen. Er wollte die Geometrie von der „Hieroglyphenschrift der Analysis“ befreien, ohne deshalb ein Gegner der Infinitesimalanalysis zu sein. Im Gegenteil, sechs Jahre zuvor hatte er ein Loblied auf den Leibnizschen Kalkül gesungen. Seine Ablehnung beruhte auf seinem Verständnis mathematischer Größen und Vorzeichen. Carnot unterschied zwischen wahren Größen und algebraischen Werten, die nur fiktive, für Rechenzwecke eingeführte Objekte seien, wie negative oder infinitesimale Werte. Sie bezeichnen keine Größen. Denn jede Größe war für ihn ein reales Objekt, das der Geist begreifen kann (mindestens ihre Darstellung in der Rechnung). Für ihn war eine negative Größe eine Größe, der ein falsches Vorzeichen vorangeht. Carnot wollte die Zeichenregeln nur durch die Betrachtung der Figuren und ihrer Änderungen selbst entstehen lassen, eine Theorie der „korrelativen Figuren“ schaffen, der er schon 1801 eine Veröffentlichung gewidmet hatte. Er bezeichnete damit Figuren, die als verschiedene Stellungen eines einzigen variablen Systems nach einer Transformation nicht merkbaren Grades betrachtet werden können. Aus Carnots Korrelativität der Figuren wurde J. V. Poncelets (1788⫺1867) Prinzip der Kontinuität: Eine an einer Figur mit hinreichender Allgemeinheit erkannte Bezie-
66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
hung gilt auch für alle anderen Figuren, die sich aus ihr durch kontinuierliche Lageveränderungen ableiten lassen. Poncelets neue Art geometrischer Anschauung, „das projektive Denken“, ließ ihn zum Entdecker und Begründer der projektiven Geometrie werden, die auf den Prinzipien der Projektion und der Reziprozität aufbaute. Da Poncelet die Analysis ablehnte, konnte er seinem neuen Gedankengebäude, den imaginären Punkten oder dem Kontinuitätsprinzip, keine sichere Grundlage geben.
5.
Ansätze zu metamathematischen Untersuchungen: die Unabhängigkeit des Parallelenpostulates
Das euklidische fünfte, sogenannte Parallelenpostulat lautet: „Wenn eine gerade Linie beim Schnitt mit zwei geraden Linien bewirkt, daß innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte werden, dann treffen sich die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins Unendliche auf der Seite, auf der die Winkel liegen, die zusammen kleiner als zwei Rechte sind.“ Das metamathematische Parallelenproblem besteht in der Frage: Ist der wahre Satz E (das Parallelenpostulat) ein Theorem der absoluten Geometrie, oder ist er von den Axiomen der absoluten Geometrie logisch unabhängig (Toth 1982, 143)? Die Unabhängigkeit als objektive Eigenschaft von E war metamathematisch beweisbar und wurde in der Sprache der Geometrie bewiesen. Dagegen war das Metaprädikat „wahr“ durch keinen Beweis begründbar (Toth 1987). Als vom 18. Jahrhundert an E durch non-E ersetzt wurde, implizierte die Konsistenz des neuen geometrischen Systems nicht seine Wahrheit. Nach vorausgegangenen Diskussionen im Mathematikerkreis um Eudoxos hatte Euklid zum ersten Mal die richtige Lösung gegeben (vgl. Art. 41). Er wies dem Satz E den Wert der Wahrheit zu und fügte ihn als neues Axiom den vorhandenen absolut geometrischen Axiomen hinzu. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde dieser Wissensstand wiedergewonnen. Der Beweis der logischen Unabhängigkeit von E ist im Rahmen der absoluten Geometrie möglich. Die im 19. Jahrhundert aufkommende nicht-euklidische Geometrie ist für die Lösung des Parallelenproblems nicht notwendig. Die Lösung des Parallelenpro-
1287 blems ist für die nicht-euklidische Geometrie nicht hinreichend (Toth 1982). Die Entwicklung eines Systems, das dem euklidischen entgegengesetzt war, ist historisch auch wirklich vor der Lösung des Parallelenproblems aufgetreten. Der schottische Philosoph Th. Reid (1710⫺1796) entwarf 1764 durch seine „geometry of visibles“ eine elliptische, parallelenlose Geometrie. Die Kritik an Euklids Entscheidung und damit die metamathematische Problematik wurde in Westeuropa nach 1550 neu aufgenommen (Bonola 1908, 13). Im hier betrachteten Zeitraum sind zwei einander überschneidende Perioden zu unterscheiden (Gray 1987). Die Mathematiker der ersten Periode betrieben synthetische Geometrie im klassischen Stil Euklids. Ihr bedeutendster Vertreter war A.-M. Legendre (1752⫺1833). Ihr Ziel war und blieb nachzuweisen, daß E ein Theorem ist. Die Mathematiker der zweiten Periode ersetzten die anschaulich-geometrischen Aussagen weitgehend durch trigonometrische Formeln. Ihre bedeutendsten Vertreter waren N. I. Lobatschewski (1792⫺1856) und J. Bolyai (1802⫺1860). Diese akzeptierten, daß E ein Axiom ist, und wurden so zu Begründern der nicht-euklidischen Geometrie. Die Angehörigen der ersten Gruppe wollten den in ihren Augen nicht hinreichend selbstverständlichen Satz E beweisen. Sie legten ihren Beweisversuchen Prinzipien (Äquidistanz, Ähnlichkeit) zugrunde, die sie unmittelbar der räumlichen Anschauung entnehmen zu können glaubten. In Wahrheit waren es zu E äquivalente Charakterisierungen. G. Saccheri (1667⫺1733) versuchte 1733 einen indirekten Beweis mit Hilfe von Winkelsummen. Seine Grundfigur war das nach ihm benannte Viereck, das zwei einander gegenüberliegende, gleiche, auf der Grundseite senkrecht stehende Seiten hat. Die Winkelsumme des Vierecks könnte (1) 360∞ (Euklidische Geometrie), (2) größer oder (3) kleiner als 360∞ sein. Sein Ziel war es, die zweite und dritte Hypothese des stumpfen und des spitzen Winkels auf einen Widerspruch zu führen. Unter der Voraussetzung der Unendlichkeit der Geraden konnte er die Hypothese vom stumpfen Winkel ausschließen. Auch seine mißglückte Widerlegung der Hypothese des spitzen Winkels nahm auf die „Natur der Geraden“ Bezug. Er schloß in unzulässiger Weise von Eigenschaften, die für Figuren in endlicher Entfernung gelten, auf dieselben Eigenschaften in unendlicher Entfernung. Le-
1288
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
gendre stützte sich unter anderem auf Saccheris Ergebnisse. Johann Heinrich Lambert war der erste bedeutende Vertreter der zweiten Gruppe von Mathematikern. Seine Grundfigur war das nach ihm benannte dreirechtwinklige Viereck. Die drei Hypothesen des rechten, stumpfen bzw. spitzen Winkels wurden über die Beschaffenheit des vierten Winkels gemacht. Seine „Theorie der Parallellinien“ (vgl. Engel und Stäckel 1895) zeichnete sich dadurch aus, daß sie die erste ausgearbeitete Theorie der hyperbolischen Trigonometrie enthielt, in der wichtige Sätze der späteren hyperbolischen Geometrie abgeleitet waren (Mainzer 1980, 123). Er vermerkte, er sollte fast den Schluß ziehen, daß die dritte Hypothese bei einer imaginären Kugelfläche vorkomme. Doch er verwarf die Hypothese, zumal sie ihn gezwungen hätte, die Existenz eines absoluten Streckenmaßes anzunehmen. Eine Reihe von Mathematikern, wie F. K. Schweikart, F. A. Taurinus und F. C. Wachter, leiteten nach Lambert Sätze der hyperbolischen Geometrie ab, zwangsläufig ohne auf Widersprüche zu stoßen. Die Frage blieb, inwiefern diese Geometrie eine Raumgeometrie sein konnte. Denn eine akzeptable nicht-euklidische Geometrie sollte physikalisch akzeptabel sein. N. Lobatschewski (1826) und J. Bolyai (1823) waren die ersten, die in Veröffentlichungen von 1829 bzw. 1831 für die Richtigkeit der neuen Geometrie eintraten. Ihre trigonometrischen Ausführungen machten eine nicht-euklidische Geometrie intuitiv plausibel und mathematisch handhabbar (vgl. Art. 78 § 2. und Art. 84 § 2.).
6.
Der Status arithmetischer und geometrischer Axiome
Mit den euklidischen Axiomen hatte man seit der Antike eine axiomatische, wenn auch wegen des Parallelenproblems kritisierte Grundlage für einen deduktiven Aufbau der Geometrie. Etwas Vergleichbares gab es für die Arithmetik nicht vor dem Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Art. 78 § 3.). Zu umstritten blieb der ontologische Status negativer und imaginärer Zahlen, wie noch das Beispiel Carnots und Cauchys im 19. Jahrhundert zeigt. Die semiotischen Grundfragen der Axiomatik betrafen die Existenz der bezeichneten Objekte und die Begründung der durch die Axiome formulierten oder implizierten Gesetze. Weder platonische intellektuelle An-
schauung noch der aristotelische Prozeß der Abstraktion führten auf derartige Objekte. Wohl aber konnte Anschaulichkeit den ontologischen Status von Objekten sichern, wie C. F. Gaußens (1777⫺1855) geometrische Deutung der komplexen Zahlen zeigte (1799). Erst im 19. Jahrhundert suchte R. Hamilton (1805⫺1865) in Analogie zur Geometrie nach einem Bereich der Erfahrung, aus dem man die Regeln der Algebra ablesen kann, und fand ihn in der Zeit (Theory of Conjugate Functions or Algebraic Couples, with a Preliminary Essay on Algebra as the Science of Pure Time, 1835; vgl. auch Volkert 1986, 42). Als Ausweg blieb der Formalismus, wie ihn etwa Leibniz, Euler und Lagrange vorschlugen. Diese Vorgehensweise wurde auf den Umgang mit dem Unendlichen übertragen, das mit dem Endlichen analogisiert wurde. So sprach Wallis von der „Arithmetik der unendlichen Größen“ (1655). Leibniz gründete auf das Kontinuitätsgesetz die Überzeugung, daß die Regeln des Endlichen im Unendlichen gültig bleiben. Euler ging davon aus, daß sich alle Funktionen wie die algebraischen verhalten. Er übertrug die Eigenschaften von endlichen Summen auf unendliche Reihen. Um jeder, auch jeder divergenten Reihe eine Summe zuordnen zu können, definierte er 1754/55 „Summe“ als den algebraischen Ausdruck, aus dem die Reihe entwikkelt wurde. Lagrange setzte Funktion und unendliche Reihe gleich, um seinen formalen Aufbau des „Calculus“ durchzuführen. Für die Geometrie gab Descartes eine rationalistische Begründung durch den Verstand. Die geometrische Ausdehnung der Körper sei eine dem Verstand angeborene Idee. Die Ausdehnung aller physischen Körper sei durch Streckenverhältnisse bestimmt. Daher führte Descartes die Geometrie auf den Begriff der Einheitsstrecke und der Strekkenverknüpfung zurück. Das Zurückgehen auf die anschauliche Evidenz der Axiome war für seine analytische wie für Euklids synthetische Geometrie zwangsläufig. Leibniz sah darin keine hinreichende Grundlage für die Geometrie. Seine Beweisversuche der Euklidischen Axiome beruhten auf seiner analytischen Wahrheitstheorie: Definitionen, die von Charakteren zu unterscheiden seien, seien Ausdrücke der Ideen. Geometrische Axiome und Sätze seien reduzierbar auf Definitionen. Der Beweis sei eine Kette von Definitionen. Jedes Axiom und jede Definition Euklids müsse durch Analyse in einfache Terme zerlegt werden. Die wahre
1289
66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
Grundlage der Geometrie sei das Alphabet der geometrischen Sprache. Da alle Wahrheiten ohne unendlichen Regreß durch Zerlegung beweisbar seien, sei das Ziel der Vervollkommnung der Geometrie und der Reduktion auf Charaktere erreicht, wenn alle Axiome bewiesen seien. Dieses Vorhaben verfolgte Leibniz als notwendige Vorstufe für den Aufbau seines neuen geometrischen Kalküls. Die Sensualisten hoben demgegenüber die Rolle der Wahrnehmung mit den Sinnesorganen auch bei der geometrischen Erkenntnis hervor. J. Locke (1632⫺1704) unterschied zwischen objektiven und subjektiven Eigenschaften eines Körpers, für D. Hume (1711⫺1776) waren die geometrischen Eigenschaften eines Körpers nur subjektiv. I. Kant (1724⫺1804) nahm zwischen der rationalistischen und empiristischen Begründung der Geometrie eine Mittelstellung ein. Dazu begann er seine Kritik der reinen Vernunft (1781) mit der Einführung in die transzendentale Ästhetik, die Wissenschaft von den apriorischen Prinzipien der Sinnlichkeit, insofern es um apriorische synthetische Urteile geht. Der Erfolg der logischen Methode der Mathematik beruhe darauf, daß die Mathematik über einen unabhängig von aller Logik gesicherten Besitz an Erkenntnis verfüge. Raum und Zeit seien keine Begriffe, sondern subjektive, apriorische Formen der reinen Anschauung. Der Verstand sei das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung räumlich und zeitlich zu denken. Die mathematische Erkenntnis sei die Vernunfterkenntnis aus der Konstruktion der Begriffe (etwa eines Dreieckes), das heißt: aus der apriorischen Darstellung der ihm entsprechenden Anschauung. Die Sätze der reinen Mathematik seien intuitive synthetische Urteile a priori, das heißt: allgemeingültig, notwendig, erfahrungsunabhängig, für jede Erfahrung geltend, sie erst ermöglichend. Da die geometrischen Formen gemäß Kant unveränderlich und erfahrungsunabhängig sind, kann über ihre Eigenschaften, über die Sätze der Geometrie nicht durch Erfahrung entschieden werden. Im Gegenteil, die räumliche Form der reinen Anschauung legt die geometrischen Axiome und damit die Eigenschaften des physikalischen Raumes fest: Sie schreibt diesem die Gesetze der Euklidischen Geometrie a priori vor. Gegen Kants apriorisch-subjektive Interpretation der Geometrie war nicht erst die rein diskursive Neuformulierung der geome-
trischen Urteile durch die nichteuklidischen Theorien des 19. Jahrhunderts ein Schlag. Sieben Jahre vor seiner Kritik der reinen Vernunft war Th. Reids Inquiry into the Human Mind erschienen, in der Reid die Möglichkeit einer elliptischen Geometrie aufgezeigt hatte.
7.
Zahlsysteme und Algorithmen
Welche Objekte, Zahlen, Operationen in der Mathematik waren möglich? Das Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit algorithmischer Verfahren (Gleichungslehre, Reihenentwicklungen usf.) und der Wunsch, diese möglichst universell einzusetzen, führte dazu, daß die Mathematiker Zeichen für „unmögliche“ Operationen und Objekte, gegebenenfalls in Form fiktiver Hilfsgrößen, einführten und verwandten. Für die Algebraiker bis zum 17. Jahrhundert war Möglichkeit oder Unmöglichkeit eine absolute, innere Qualität der bezeichneten Operationen, des bezeichneten Objektes: „a ⫺ b“ hatte nur eine Bedeutung, solange galt: a ⬎ b. In dieser Auffassung spiegelte sich der Bezug zur Praxis wider. Die Vie`tesche Algebra war aus der Arithmetik hervorgegangen, die für den Bedarf der Praktiker entwickelt worden war. Die Einsicht, daß „möglich“ und „unmöglich“ relative Begriffe sind, die davon abhängen, welche Beschränkungen man dem Operanden auferlegt, wurde erst im 19. Jahrhundert durch eine formale Herangehensweise an die Mathematik gewonnen. J. Wallis plädierte 1655 in seiner „Arithmetik unendlicher Größen“ dafür, Zeichen für im strengen Sinn unausführbare Operationen einzuführen, und zwar durch Analogiebildung zu bekannten Operationen. So erfand er negative und gebrochene Exponenten, um zwischen unendlichen Reihen zu interpolieren. Wallis sagte selbst, daß Unmögliches schon früher in der Arithmetik aufgetreten sei: negative und imaginäre Zahlen. Die Mathematiker rechneten mit ihren Zeichen seit dem 16. Jahrhundert, obwohl ihre Definition widerspruchsvoll war, ihre Existenz geleugnet oder bezweifelt wurde. Michael Stifel (1487?⫺1567) definierte 1544 negative Zahlen als „kleiner als nichts“, die absurd und Ergebnis reiner Fiktion seien. Descartes (1637) nannte sie „falsche“ Zahlen. Sie waren für Christian Wolff (1679⫺1754) keine wahren, für Carnot überhaupt keine Größen. Sie führten nicht nur auf ontologische, sondern auch auf logische und semantische Schwierig-
1290
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
keiten. Da 1 :⫺ 1 ⫽ ⫺ 1 : 1, galt nicht mehr der Satz, daß das Verhältnis des Größeren zum Kleineren dem Verhältnis des Größeren zum Kleineren gleich ist. Für Leibniz waren es daher keine „wahren“, sondern „imaginäre“ Verhältnisse, während Wallis sie für größer als unendlich erklärt hatte. Von negativen Zahlen konnte man sich mit Hilfe der Erweiterung des Zahlenstrahls zur Zahlengeraden eine Vorstellung verschaffen. Dies entfiel im Falle der imaginären Zahlen. Wallis schlug 1685 erstmalig eine geometrische Deutung vor, die sich nicht durchsetzte (Gericke 1970, 72 f). Leibniz parallelisierte sie mit den unendlich kleinen und unendlichen Größen. Es seien zum Rechnen geeignete Fiktionen (Thiel 1982, 49). Die Redeweise 兹⫺1 sei eine mögliche Größe, sei nur von der Analogie gestützt (Leibniz 1980, 462), streng genommen nicht richtig, nur in tolerierbarer Weise wahr. Eine imaginäre Zahl sei ein Monstrum der idealen Welt, fast ein Amphibium zwischen Sein und Nichtsein. Euler erklärte, sie sei nicht unter die möglichen Zahlen zu rechnen, da alle vorstellbaren Zahlen entweder größer oder kleiner als Null oder Null selbst seien (Toth 1987, 115). Für Lambert war „兹⫺1“ ein Symbol der Absurdität, für Kant eine Marke, ein Zeichen ohne Bedeutung. Auch für Condillac bezeichnete dieser Ausdruck nichts (Rousseau 1986, 117). Die gleiche Ansicht vertrat Cauchy 1821. Eine solche Zeichenkombination sei rein symbolisch und habe keinen Sinn. Durchgesetzt hat sich jedoch erst die geometrische Interpretation von Gauß (1831). 1837 hat R. Hamilton die erste einwandfreie rein arithmetische Begründung gegeben. Seine Einstellung hinderte Euler nicht, mit den Zeichen für imaginäre Zahlen äußerst erfolgreich zu rechnen. Wenn sich eine Aufgabe nicht lösen ließ, so vertrat er die Ansicht, es werde dies mehr am Analytiker als an der Analysis liegen. Er beherrschte virtuos die Magie der mathematischen Zeichensprache. Er hatte den algorithmischen Gesichtspunkt von seinem Lehrer Johann I. Bernoulli übernommen, dem er auch die Definition der Funktion als eines analytischen, das heißt algorithmischen Ausdrucks verdankte. Daher entwickelte er selbst neue Algorithmen, etwa für Kettenbrüche. Das Lösen von Integrationsaufgaben und Differentialgleichungen war, wie vor allem die Arbeiten zur Mechanik zeigten, insbesondere deshalb so schwer, weil dem Verfahren der Integration weithin der algorithmische Charakter fehlte, der dem Dif-
ferentialkalkül zu eigen war. Carnot (1970, 123) sprach von dem Infinitesimalalgorithmus, mit dessen Hilfe die Geistesarbeit abgekürzt und erleichtert werden könne, da sie auf mechanische Arbeit reduziert werde (siehe auch Art. 133).
8.
Literatur (in Auswahl)
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66. Zeichenkonzeptionen in der Mathematik
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1292
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
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Eberhard Knobloch, Berlin (Deutschland)
1293
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Einleitung 2. Grammatik 2.1. Zeichengebrauch versus Zeichenstruktur 2.2. Die humanistische Grammatik 2.3. Normierung und Pflege der Nationalsprachen 2.4. Universale und rationale Grammatik 2.5. Historie und Erfahrung als Parameter 3. Rhetorik 3.1. Rhetorik als Fundament von Grammatik und Poetik 3.2. Ausdifferenzierung von Rhetorik im praktischen Kontext 4. Poetik 4.1. Die Etablierung der Poetik als Disziplin 4.2. Rhetorisches und antirhetorisches Verständnis der Poetik 4.3. Der Weltbezug der Dichtung 5. Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
Logik, Rhetorik und Grammatik, als Trivium der sieben „artes liberales“ während des Mittelalters in engem Zusammenhang stehend, durchdringen einander auch in dem zu behandelnden Zeitraum. Grammatische, rhetorische und logische Bestimmungen stehen in so enger Wechselbeziehung zueinander, daß der Ort der hier zu differenzierenden Gesichtspunkte: poetische, rhetorische und grammatische Zeichenkonzeptionen, hinsichtlich der zeitgenössischen Etikettierung changiert. Grammatische Überlegungen werden in Rhetoriken abgehandelt ⫺ systematisch häufig die Satzsyntax ⫺ und in der Logik fundiert, Darstellungen der Rhetorik firmieren unter Poetik und umgekehrt, und Teile der Poetik sind unmittelbarer Bestandteil traditioneller Grammatiken, vor allem im Bereich der Prosodie. Die Poetik, nicht als eigenständige „ars“ gezählt, sondern teils der Rhetorik, teils der Grammatik zugerechnet, bemüht sich gerade deshalb im 14. Jahrhundert um eine Apologie der Poesie und bestimmt diese als hoch über den „artes“ stehend (Petrarca). Damit wird trotz der für die Gesamtepoche der Renaissance und des Barock charakteristischen Rhetorisierung der Poetik ein Gegenmoment akzentuiert, das im Ausgang des 18. Jahrhunderts in der Abwertung der Rhetorik und in dem paradigmatischen Verständnis der Poesie als Erkenntnis und Sprache strukturierenden und ermögli-
chenden Zeichensystems seinen Schlußpunkt findet (vgl. Art. 63 § 4.). Die enge Verzahnung der Bereiche bedingt, daß historische Verlaufslinien (sei dies bezüglich des Eigenwerts der Nationalsprachen, sei es bezüglich der pragmatischen bzw. rationalistischen Fundierung oder bezüglich des Bewußtwerdens der Historizität der Zeichensysteme und ihrer Regeln), die für das Zeichenverständnis von besonderer Relevanz sind, in allen drei Bereichen zum Tragen kommen. Wenn die Disziplinen im folgenden gesondert abgehandelt werden, so gilt es diese enge Verbundenheit und die gemeinsamen geistesgeschichtlichen Einflußströme mitzubedenken. Eine Rechtfertigung findet die Aufspaltung darin, daß die Etablierung der Poetik als eigenständiger Disziplin ⫺ in bewußter Distanzierung zum Kanon der „artes“ ⫺ eine nicht unbedeutende Differenz zum mittelalterlichen Wissenschaftsverständnis anzeigt (vgl. Art. 63 § 5.).
2.
Grammatik
Die zeichentheoretisch relevanten Grundannahmen bezüglich der Grammatik finden sich nicht so sehr in einzelnen grammatischen Regeln, auch nicht in Regeln über die Form der Grammatik, sondern sie zeigen sich in der Weise, wie Grammatiken geschrieben werden, sowie in den Fragen, was als Argument verwendet wird, welche Geltungsgründe für Regeln benannt werden und was überhaupt zum Gegenstand grammatischer Beschreibung wird. Das weite Spektrum des Begriffsraums läßt sich anzeigen mit der sprachphilosophisch bedeutsamen Differenz in der Verwendung der Begriffe Tiefen- versus Oberflächengrammatik in der Moderne bei L. Wittgenstein (1953; vgl. Art. 109) und deren Spannungsverhältnis zur Chomskyschen (1965 ⫽ 1969; vgl. Art. 79 § 4.) Konzeption von Tiefen- und Oberflächenstruktur der Sprache und den spezifischen Folgerungen für eine grammatische Beschreibung. 2.1. Zeichengebrauch versus Zeichenstruktur Die zwei Betrachtungsebenen ⫺ zunächst nur als je andere Akzentuierung und Topikalisierung der Blickrichtung auf Zeichengebrauch
1294
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
(Wittgenstein) und apriorische rationale Zeichenstruktur (Chomsky) erscheinend ⫺ entfalten in den systematischen Folgerungen grundsätzlich verschiedene Paradigmen. Auch der in Rede stehende Zeitraum läßt sich in seinem Gesamt kennzeichnen als ein Gegenspiel und Ineinander dieser zwei Theorieansätze, die beide Anfang des 19. Jahrhunderts zunächst abbrechen bzw. ihr Artikulationsforum nicht mehr in der Sprachwissenschaft finden, ähnlich wie die universalsprachlichen Bemühungen (vgl. Art. 62 § 7.1. und Art. 65 § 5.) zum Erliegen kommen und in veränderter Form in den Kunstsprachen der Logik (einerseits) und den Welthilfssprachen (andererseits) andersgeartete Fortsetzungen erfahren (vgl. Art. 175). Der Versuch einer historiographischen Aufarbeitung der rationalistischen Richtung durch Chomsky selbst (Chomsky 1966) verdeutlicht dies nicht nur in seiner zeitlichen Terminierung der cartesianischen Linguistik (von Descartes bis W. v. Humboldt), sondern auch in seinen Gegenakzentuierungen, sei es, indem er die Argumentationsrichtung der Grammatik von PortRoyal (1660) im Gegenspiel zur „grammaire d’usage“, namentlich von Vaugelas (1647), referiert, sei es, daß er gegen den Rekurs auf die Kategorie des Gebrauchs in der Moderne, namentlich Wittgenstein, argumentiert. Ein weiteres Moment korreliert dieser skizzierten Dichotomie und verstärkt sie. Es ist das Gegeneinander von Relativismus (auf usus und Lebensform rekurrierend) und Universalismus. Dabei entspricht dem Relativismus der theoretischen Ebene auf der Ebene der Praxis eine eher normative Tendenz, die aus dem Versuch erwächst, über die soziale Rechtfertigung feste Strukturen zu etablieren. Die Norm ist eben genau dort notwendig, wo das Gesetz ⫺ ob als naturwissenschaftliche oder logische Vorgabe ⫺ fehlt. Die universalistische Auffassung ist dem Problem der Norm ⫺ einem pragmatischen Geltungsproblem ⫺, insofern sie Gründe benennt, weitgehend enthoben. So liegt beispielsweise das fundamentale Novum Scaligers (1540), der selbst durchaus in Renaissance-Denken und Humanismus eingebettet ist, darin, daß er im Gegensatz zur Beschreibung der Sprache bei den Humanisten Ursachen („causae“) geltend macht. Damit greift er einerseits auf die feste Ordnung des Mittelalters zurück und weist andererseits voraus auf die universalistische Grammatik PortRoyals. Scaliger (1484⫺1558) steht somit in Gegensatz zu den vorausliegenden humani-
stischen Grammatikern und bringt das apriorische Moment stärker zur Geltung (vgl. Abb. 67.1). Solche Gegenüberstellungen können nur Strukturen verdeutlichen. Die vielfältigen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten, wie sie vor allem für die Grammatik von Port-Royal (Arnauld, 1612⫺1694) und die „grammaire d’usage“ (Vaugelas, 1585⫺1650) erarbeitet wurden (vgl. Hillmann 1972), geraten dabei leicht aus dem Blick. Doch gilt dies für alle Schematisierungen, und die Gegenüberstellung erschließt Betrachtungsperspektiven. Einen Problemfall bilden lediglich jene Arbeiten, die gleichsam einem dritten Strang zugehören, indem sie Momente beider Seiten zeigen, was vor allem bei Abhandlungen, die in der sprachphilosophischen Entwicklungslinie von J. Locke angesiedelt sind, der Fall ist. Chomskys Ungenügen ⫺ von Aarsleff und zahlreichen weiteren Rezensenten in bezug auf Chomsky (1966) konstatiert ⫺ rührt von einer Fehleinschätzung solcher Ansätze her. Die grammatischen Konzeptionen von Condillac (1714⫺1780) und Horne Tooke (1736⫺1812), die gleichsam sensualistische Variationen von Port-Royal darstellen, wären dafür Beispiele (vgl. § 2.5.; siehe auch Art. 62 § 8.2.5.). Doch sei zunächst der historische Verlauf skizziert. 2.2. Die humanistische Grammatik Die humanistische Grammatik muß gesehen werden vor dem Hintergrund des neuen Lernens und dem Bildungsideal des „homo eruditus“ und damit auch in Zusammenhang mit dem neuen Selbstentwurf des Menschen, dem eher die selbstbestimmte Setzung der gesellschaftlichen Institutionen Geltungsgrund war als irgendwelche metaphysisch verankerten Gesetze. Seinen Ausdruck fand dies nicht zuletzt darin, daß ein Bewußtsein für die Legitimität der eigenen Normen und Setzungen entstand. Grammatik interessiert nicht als Vorgabe einer höheren Ordnung und nicht als universelle Struktur, sondern als gesellschaftliche, gesetzte oder zu setzende Norm. Die Eloquenz als über den gesellschaftlichen Erfolg definierte Könnerschaft im Umgang mit Sprache bestimmte Interesse und Fragestellung. Hierin liegt der Grund dafür, daß die humanistischen Sprach- und Volkserzieher (z. B. Valla, 1407⫺1457, Vives, 1492⫺1540) die Verwerfung der mittelalterlichen grammatikalischen Traktate und Lehrbücher forderten (zu diesen vgl. Art. 53 § 4.). Der richtige Gebrauch stellte das Kriterium dar, und
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
Relativismus Normenverpflichtetheit wegen relativer Beliebigkeit; Relation Sprecher⫺Hörer für Zeichenkonstitution bedeutsam; Regeln und Wahrheit durch Kohärenz und Angemessenheit bestimmt; Relation „res“⫺„verba“ durch praktische Adäquatheit festgelegt; „ordre social“; Kategorie des Gebrauchs; purete´; grammaire du bon usage; beschreiben; „usus“; Valla; Vaugelas; Vico; Wittgenstein; Sprache als Kommunikationsmittel prägt die Struktur des Denkens; Berufung auf Praxis und Sprachgemeinschaft als konstitutive Momente der Sprache legt Wendung gegen Privatsprache nahe.
1295
Universalismus Freiheitsmoment innerhalb a priori gegebener Strukturen; Relation Sprecher⫺Hörer vernachlässigbar; „adaequatio ad rem“; „res“⫺„verba“-Relation und Verknüpfungsregeln durch geistige Struktur bestimmt; „ordre naturel“; Kategorie des Ursprungs; principes; grammaire raisonne´e; erklären; „causae“; Scaliger; Arnauld; Descartes; Chomsky; Sprache ist primär Ausdruck des Denkens; Verständnis von Kommunikation als sekundärem Moment und Berufung auf a priori gegebene Strukturen implizieren die Möglichkeit von Privatsprache.
Abb. 67.1: Gegenüberstellung von Relativismus und Universalismus in der Sprachtheorie.
das hieß zunächst, daß die Frage nach den Gründen obsolet erschien. Es galt nicht Gesetzmäßigkeiten zu erklären, sondern die gesellschaftlichen Normen zu beschreiben. Das steht nicht in Widerspruch zu der Hinwendung zu den Quellen, sondern rechtfertigt gerade diese Hinwendung als Frage nach dem „usus“. Es ist sicher nicht richtig, die scharfe Wendung der Humanisten gegen die logischen Spitzfindigkeiten der mittelalterlichen Grammatiker als Minimalisierung der Bedeutung der Grammatik zu interpretieren, doch gilt eindeutig ein Primat der Rhetorik. Ein Musterbeispiel ist Vallas De linguae Latinae elegantia (ca. 1440). Sowohl die Berufung auf Donat und Priscian wie die Verurteilung der mittelalterlichen grammatischen Arbeiten und die Ausrichtung auf die Verbesserung des geschriebenen Lateins nach den antiken Mustern finden sich dort. In zeichentheoretischer Hinsicht ist der Aspekt des Musters entscheidend für das Verständnis der Zeichenkonstitution und der Regelung der Zeichenverwendung. Geltungsgrund der grammatischen Regeln sind ausgezeichnete Muster, die einen Standard festsetzen und damit normativ wirken. In ähnlicher Weise wie Valla präsentieren sich die humanistischen Grammati-
ken von Perottus (1468) und Sulpitius (1475) eher als elementare Lehrgrammatiken denn als grammatische Theorien. Mit ihrem normativen Anspruch stellen sie Beispiele dar für die bis ins 18. Jahrhundert konstante Form der Lehrgrammatik ⫺ auch und gerade im Rekurs auf Donat und Priscian ⫺ und in der Übertragung der grammatischen Beschreibungssprache auf die nationalsprachlichen Grammatiken. Der zeichentheoretische Status der Volkssprachen bestimmt sich von daher ambig, da einerseits die klassischen Sprachen als Muster und Vorgabe für die Strukturierung des Zeichensystems fungieren und somit der Grammatik der Volkssprachen sekundären Status zuordnen, andererseits die adamitische Ursprache analog zur Volkssprache gedacht wird (vgl. § 2.3.1. zu Dante). Eine der typischsten Ausprägungen einer Lehrgrammatik für das Lateinische stellt die Shorte Introduction William Lilys (1468?⫺ 1522) dar (Lily 1549; zur Editionsgeschichte vgl. Padley 1976, 24 f). Sie ist nicht nur eine normsetzende Instanz, sondern gleichsam eine Institution. Dabei spielt nicht die wissenschaftliche Durchdringung oder der Reichtum der Beobachtungen die entscheidende Rolle. Thomas Linacres (ca. 1460⫺1524)
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grammatische Überlegungen (Linacre 1524), durchaus wie die von Lily im Rahmen humanistischer Grammatiktradition stehend, sind fundierter und reichhaltiger. Entscheidend jedoch ist die Etablierung der Grammatik als normativer Instanz im gesellschaftlichen Leben. Dies wird in Lilys Fall durch die Empfehlung von Edward VI. bezüglich der Einheitlichkeit einer Grammatik ⫺ im Vorwort von 1549 ausdrücklich erwähnt ⫺ gewährleistet und durch kirchliche Vorschriften festgeschrieben. So kommt es, daß Lilys Werk ohne Übertreibung als „die Schulgrammatik“ (Padley 1976, 24) angesehen werden kann. Weit über zwei Jahrhunderte blieb diese Grammatik bestimmend, und ihr Einfluß reicht bis in die heutige Zeit. Semiotisch interessant sind dabei charakteristische Folgerungen, die sich analog in den fremdsprachlichen Lehrgrammatiken finden lassen ⫺ als Musterbeispiel sei auf Theodor Arnolds Grammatica Anglicana concentrata (Arnold 1736 ⫽ 1838) verwiesen, die als maßgebende Englischgrammatik für Deutsche nahezu eineinhalb Jahrhunderte bestimmend blieb. Definiert wird die Struktur des Zeichensystems grundsätzlich über das nicht weiter hinterfragbare Muster. Kennzeichnend für diese Arbeiten im Paradigma der Lateingrammatik sind denn auch häufig Doppelgrammatiken oder gar, dem Bildungsideal entsprechend, drei bzw. vier Sprachen strukturell gleich darbietende Grammatiken, die sich in nahezu identischer Weise auf das universale Muster der Lateingrammatik stützen (vgl. etwa Johann Elias Greiffenhahns Italiänische (1714), Französische (1716) und Englische (1723) Grammatik für Studierende, die eine nach der anderen in Jena erschienen). Das nun darf nicht verwechselt werden mit einer universalgesetzlichen Begründung der grammatischen Kategorien und Regeln, sondern leitet sich her aus dem Zusammenhang der Normetablierung aufgrund eines bestimmten kulturell ausgezeichneten Gebrauchs. Dieses normative Moment findet sich auch in den Grammatiken der einzelnen Volkssprachen, und sowohl Gottscheds (1700⫺1766) Grammatik wie die seiner zeitgenössischen Opponenten ⫺ etwa Aichinger und Antesperg ⫺ liegen in dieser Linie (vgl. § 2.3.). Charakteristisch für die verschiedenen Stränge der volkssprachlichen Grammatik ist die Fundierung der Zeichen in einem Gebrauch, der nicht von der Struktur des Denkens her zu analysieren ist. Es liegt freilich in der Natur der Sache, daß dennoch in unter-
schiedlichem Ausmaß Gedankengut aus der Linie der rationalistischen Grammatik in die einzelsprachlichen Grammatiken des 18. Jahrhunderts Eingang findet, obwohl letztere ihrer Struktur und Geschichte nach dem völlig anderen Verständnis von Zeichenkonstitution und Regelfundierung über Muster und Gebrauch weitgehend verpflichtet bleiben. Die Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland geführte Diskussion „Was ist Hochdeutsch“, in der Adelung (1732⫺1806) den Gebrauch der besten Schriftsteller als Norm etabliert wissen wollte, gewinnt nicht nur wegen der Fundierung des Geltungsanspruchs im Gebrauch Zeigecharakter, sondern auch dadurch, daß Adelung spekulative Überlegungen hinsichtlich der historischen Entwicklung in seine Ausführungen zur Sprache einbezieht. Die Etikettierung „philosophischer Sprachlehrer“ ⫺ durch Salomon Maimon (um 1753⫺1800) ⫺ erfolgt deshalb zu Recht, weil sich bei Adelung strenges Räsonnement im Sinn der „grammaire raisonne´e“ verbindet mit dem Blick auf Erfahrung und Historie und die eigentliche Zielrichtung gleichwohl die Etablierung einer Norm bleibt. Adelung bringt so gewissermaßen eine Versöhnung aller drei Stränge: (1) Muster und Gebrauch, (2) logische Ursache und apriorische Bestimmtheit und (3) Historie und Erfahrung. 2.3.
Normierung und Pflege der Nationalsprachen 2.3.1. Volkssprachliche Grammatiken Die Anfänge der Beschäftigung mit der Grammatik der einzelnen Volkssprachen fallen zusammen mit Dantes (1265⫺1321) eher poetologischem Werk De vulgari eloquentia (ca. 1310), das auch eine allgemeine Sprachtheorie enthält. Initiale Anstöße konnte das Werk freilich nicht liefern, da es unvollendet blieb und erst Anfang des 16. Jahrhunderts erstmals gedruckt wurde (vgl. Art. 65 §§ 2.⫺3.). Als „locutio vulgaris“ bestimmt Dante jene Sprache, die Kinder im Erstspracherwerb erlangen, indem sie ihre Amme nachahmen, ohne irgendeine Regel zu befolgen („nutricem imitantes sine omni regula“; I,i,2). Dieser Muttersprache werden die Sprachen gegenübergestellt, die über eine Grammatik und damit geregelte Zeichensysteme verfügen, wie das Lateinische und das Griechische. Dante betont die Priorität der natürlichen Sprache („nobilior est vulgaris“), ist doch die adamitische Sprache als natürliche Sprache („locutio vulgaris“) zu denken. Diese Rang-
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
bestimmung der Volkssprache kennzeichnet das kulturelle Klima der Zeit und lenkt die Aufmerksamkeit auf semiotische Systeme, die ungeregelt scheinen, bzw. nicht nach Regeln erlernt werden. Der Aufweis, daß die Volkssprachen genauso geregelt sind wie das klassische Latein, war dann ein Hauptanliegen der frühen volkssprachlichen Grammatiken, was wesentlich zu dem dargelegten Abhängigkeitsverhältnis vom Latein beitrug. Dantes allgemeine Ausführungen zum Zeichenbegriff beziehen sich auf Sprache überhaupt, was ein Zurücktreten der Frage nach der Grammatik bedingt. In seiner Entfaltung der Geschichte der menschlichen Sprache bestimmt er als Ziel der Sprache, die Begriffe unseres Denkens mitzuteilen. Wegen des fehlenden Verstandes („ratio“) bedürfen die Tiere und wegen der für sie überflüssigen Sinnlichkeit („medium sensuale“) die Engel der Sprache nicht. Dante betont, daß wir die anderen nicht aus eigenen Gebärden und Passionen heraus verstehen, sondern daß es für das sprachliche Zeichen („signum“) notwendig ist, etwas im Verstand und in den Sinnen zu haben („aliquod rationale et sensuale habere“; I,iii,2). Wenn Dante die körperliche („sensuale“) Seite des Zeichens dann als die des Lauts bestimmt und die verstandesmäßige („rationale“) als die Bedeutung (I,iii,3), dann wird deutlich, inwiefern die fundamentalen Bestimmungen des Zeichens der cartesischen Grammatik Port-Royals ähneln und die spätere Dichotomie Saussures zwischen „signifie´“ und „signifiant“ als natürliche Distinktion gedacht wird (vgl. Art. 101). Der Grund für diese Parallelität liegt aber nicht in der Entfaltung humanistischer Konzeptionen, sondern in der gemeinsamen Verpflichtetheit gegenüber mittelalterlichem Denken. Ein Musterbeispiel für die neue Gewichtung der Volkssprache stellt Nebrijas Grama´tica sobre la lengua castellana (1492) dar. Bei ihm findet sich die deutliche Akzentuierung der Besonderheit der Volkssprache in charakteristischer Form verknüpft mit der Bezugnahme auf klassische Muster. Anfänglich liegt die Rechtfertigung der Beschäftigung mit den Volkssprachen nicht in erster Linie in ihrem Eigenwert als dem von Zeichensystemen eigener Struktur und Prägung, sondern verdankt sich einem anders motivierten, stark von der Poesie und Poetik bestimmten humanistischen Interesse an der Volkssprache. Die grundsätzliche Entwicklungslinie verläuft dabei so, daß zunächst in Anlehnung an das lateinische Muster gezeigt wird, daß
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die Volkssprache ⫺ genau wie das unstrittige Latein ⫺ alle Eigenschaften einer (im alten Sinne von „te¬xnh, te´chne¯“) kunstwürdigen Sprache hat, worauf dann der Eigenwert der Volkssprache, ihr besonderes Verdienst und ihre spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten in den Vordergrund rücken. Dieses historische Verlaufsmuster gilt durchgängig und läßt sich sowohl für die Renaissance (etwa in Leon Battista Albertis, 1404⫺1472, Grammatik von 1450; vgl. Percival 1975, 248) wie für den Barock (etwa am Beispiel des bedeutendsten deutschen Grammatikers des 17. Jahrhunderts Justus Georg Schottel, 1612⫺1676) unmittelbar zeigen. Schottel übersteigt den humanistischen Sprachbegriff hin zu einer „tieferen Sprachdeutung aus mystisch-naturphilosophischen Kreisen“ (Hecht 1967, 9*). Die Orientierung an der geschriebenen Sprache und dem Muster des Latein bleibt bei ihm zwar zu einem gewissen Grad erhalten, und sein Bemühen, Regeln und Gesetze der Grammatik anzugeben, ist gekennzeichnet von dem normativen Moment humanistisch-rhetorischer Festschreibung der Sprachrichtigkeit, doch zielen seine Überlegungen zur „Grundrichtigkeit“ der Sprache auf eine der Sprache zukommende natürliche, ihrem Wesen entsprechende Gesetzmäßigkeit. Schottel dachte dabei nicht an sprachliche Universalien, sondern bezog sich in seiner Lehre von den Stammwörtern in ausgezeichneter Weise auf die Muttersprache. Das Deutsche erachtete er wegen des Reichtums an Stammwörtern und der Möglichkeiten der Wortbildung als besondere Sprache. Vor allem der Wortbildung als zeichengenerierendem Prinzip galt seine Aufmerksamkeit, und hier liegen seine größten Verdienste als Sprachtheoretiker. Die Heraushebung systematischer zeichengenerierender Prozesse ist ein wichtiger Schritt hin zu einem dynamischen Verständnis des Zeichens, weg vom reinen Thesauruscharakter des Lexikons und gleichzeitig weg von einer ahistorischen Betrachtungsweise (vgl. § 2.5.). Auf der Ebene des Elementarzeichens, beim einsilbigen Stammwort ist die Korrelation von „verbum“ und „res“ als eine in der Sache motivierte gedacht, insofern Stammwörter „ihr ding/dessen Namen sie sind/eigentlich austrükken“ (Schottel 1663 ⫽ 1967, 62; vgl. auch Hecht 1967, 12* f). Schottel vertritt demnach eine Auffassung von der menschlichen Sprache, die den „fy¬sei (phy´sei)“-Charakter der Zeichenrelation stark betont. Dieses Beharren auf der Motiviertheit
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der Zeichen wird auch für die Poesie wichtig. Schottels auf Lautsymbolik gestützte Beispiele (Schottel 1663 ⫽ 1967, 59 f) machen deutlich, in welcher Weise er die Wörter als „wesentliche“, d. h. das Wesen der Dinge lautlich darstellende Abbildungen denkt. Tritt aus dem Gesagten klar zutage, inwiefern Schottels Streben nach Normen des Deutschen in den theoretischen Grundlagen sich vom humanistischen Rekurs auf das Muster und den Gebrauch doch deutlich unterscheidet, so zeigt sich gleichzeitig, daß seine Art der rationalisierenden (begründenden) Grammatik deutlich von der rationalistischen Grammatik (vgl. § 2.4.) zu unterscheiden ist (vgl. Hecht 1967, 18*). Stärker sind eher noch die Parallelen zu der auf Geschichte und Erfahrung hin orientierten Linie der Sprachbetrachtung (§ 2.5.). Wie bei Schottel sind rund hundert Jahre später Gottscheds grammatische Arbeiten geprägt von sprachpflegerischen und sprachpolitischen Intentionen. Gottscheds Deutsche Sprachkunst (1748 ⫽ 1762) wurde zur Standardgrammatik seiner Zeit und steht damit in direkter Kontinuität sprachpflegerischer Bemühungen des Deutschen. Im Vergleich mit Schottels epochemachendem Werk ist Gottscheds Arbeit freilich nicht nur konventioneller; sie entbehrt im Gegensatz dazu jedweder Originalität. Gerade deshalb kommt in zeichentheoretischer Hinsicht jener Aspekt, den wir schon an Schulgrammatiken herausgehoben haben und der für die praktische Etablierung der Volkssprachen und die Pflege dieser Zeichensysteme von eminenter Bedeutung ist, deutlicher heraus. Das Verdienst Gottscheds um die Grammatik beschränkt sich weitgehend darauf, die Etablierung und Durchsetzung einer Norm für die hochdeutsche Schriftsprache vorangetrieben, wenn nicht erreicht zu haben. Dieses Moment der Institutionalisierung und des Festschreibens der Regeln des Zeichensystems durch Schaffung einer Berufungsinstanz als soziales Faktum entspricht dem Zeichenverständnis, das für das Sprachdenken der Renaissance und die Etablierung der Lehrgrammatiken typisch war. Nicht das theoretische Moment, sondern das praktische ist in diesem Zusammenhang entscheidend. Dem entspricht, daß dieses Zeichenverständnis nicht unbedingt in theoretischem Widerspruch zu fundamentaleren Konzeptionen, die nicht den Musteraspekt betreffen, stehen muß. Oft liegt nur eine unterschiedliche Topikalisierung verschiedener Fragestellungen vor. Sowohl Schottel wie
Dante können als Beispiel dienen. Die Blicknahme der Gebrauchsbedingungen der Zeichensysteme und die Bemühungen um die Etablierung von im sozialen Raum abgesicherten Invarianten müssen nicht notwendigerweise im Widerspruch zu den Ergebnissen einer rationalen Grammatik stehen. Doch blendet die Konzentration auf die sprachpflegerischen Aspekte notgedrungen das Eigentümliche rationaler und universaler Grammatik aus. Eine Ausnahmestellung kommt Adelung zu, bei welchem sich sprachpflegerische Aspekte mit philosophisch-rationalistischer Sprachbetrachtung verbinden und das Normierungselement als Residuum des Gebrauchsansatzes ebenso hereinspielt wie die Suche nach Gründen. Die Grammatik sucht dabei die Beschreibungsadäquatheit in Richtung auf Erklärungsadäquatheit zu überbieten. 2.3.2. Lexikographie Dabei ist in Zusammenhang mit der Etablierung und Durchsetzung einer Norm auch an die Lexikographie zu denken, und keineswegs zufällig waren die meisten der Grammatiken dieser Art von Wörterbuchprojekten begleitet. Schottel trug sich mit dem Plan zu einem Wörterbuch der deutschen Sprache, und Kaspar Stielers Wörterbuch (1691 ⫽ 1968) steht in Zusammenhang mit den Bemühungen der Sprachgesellschaften um die Sprachpflege (vgl. Abb. 67.2). Die konkrete Ausgestaltung, die spezifischen Unzulänglichkeiten wie die methodischen Vorgaben können hierbei zunächst vernachlässigt werden. Wichtig ist im gegebenen Betrachtungsrahmen mehr die zum Ausdruck gelangende Tendenz, den Zeichenvorrat eines im Gebrauch gegebenen Zeichensystems durch Bezugsetzung zu seinen historischen Vorstufen festzuhalten und gleichzeitig zu definieren, d. h. durch Aufnahme ins Lexikon den Sprachstand zu beschreiben und normativ vorzugeben. Einige der wichtigeren lexikographischen Arbeiten stehen in engem Zusammenhang mit den dem Gebrauch verpflichteten Grammatiken. So ist auch der Plan des Wörterbuchs der Acade´mie Franc¸aise mit dem Namen Vaugelas verknüpft. Er war über einen längeren Zeitraum (1637) mit dem Wörterbuch, das die Akademie zu etablieren suchte, befaßt, doch fanden seine Arbeiten dann (das Wörterbuch erschien 1694) keinen Eingang in die tatsächliche Fassung.
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
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Abb. 67.2: „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs“, Kupferstich aus der Erstausgabe des gleichnamigen lexikographischen Werks von Caspar Stieler (Pseudonym: „Der Spate“), Nürnberg 1691 (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8⬚ Ling. VII, 5015). Der volle Titel lautet: „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs, oder Teutscher Sprachschatz, Worinnen alle und iede teutsche Wurzeln oder Stammwörter, so viel deren annoch bekant und ietzo im Gebrauch seyn, nebst ihrer Ankunft, abgeleiteten, duppelungen und vornemsten Redarten, mit guter lateinischer Tolmetschung und kunstgegründeten Anmerkungen befindlich. Samt einer Hochteutschen Letterkunst, Nachschuß und teutschem Register. So Lehrenden als Lernenden, zu beider Sprachen Kundigkeit, nötig und nützlich, durch unermüdeten Fleiß in vielen Jahren gesamlet von dem Spaten“ (Abbildung entnommen aus Hennig und Lauer 1985, 340).
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Am deutlichsten tritt die normative Tendenz in dem berühmten Vocabolario della Accademia della Crusca (1. Ausgabe Florenz 1612; 5. Ausgabe 1863⫺1923; abgebrochen) zu Tage, wobei bezeichnenderweise die Kritik an dem Wörterbuch vor allem Unangemessenheit in der Erfassung des tatsächlichen Sprachgebrauchs und die Aufnahme zahlreicher Archaismen ⫺ das Vocabulario orientiert sich am Trecento (vgl. § 2.3.1. zu Dante) ⫺ moniert. Es zeigt sich jedoch gerade in der puristischen Distanzierung vom „gewöhnlichen“ Gebrauch implizit die Verpflichtung auf das der Grammatik des Humanismus zugrunde liegende relativistische, an der Grundkategorie des „usus“ ausgerichtete Zeichenverständnis. Das Wörterbuch leistet so eine praktikable Normierung mit Orientierung an sozial etablierten Mustern (vgl. Abb. 67.1 und § 2.2. zur Lehrgrammatik). Besinnen wir uns auf die an den Anfang gestellte Erschließungsperspektive Wittgenstein versus Chomsky zurück, so ist es nicht uninteressant zu bemerken, daß Wittgensteins tiefengrammatische Betrachtungen auf den semantischen Raum lexikalischer Einheiten zielen und von daher semantische Besonderheiten syntaktischer Fügungen in den Blick genommen werden. Chomsky hingegen schenkt im Wesentlichen der Untersuchung semantischer Unterschiede nur am Rande Beachtung, soweit eben Fragen der Syntax berührt werden. Das Faktum, daß Wittgensteins einzige Veröffentlichung neben dem Tractatus ein Wörterbuch für Volksschulen (1926) blieb, hat vielleicht über das bloß Symbolische hinaus Indikatorfunktion. Für Deutschland findet sich in der Lexikologie wiederum die Summe der Bemühungen um eine Grundlage und Norm für die Standardsprache am Ende des 18. Jahrhunderts durch Adelung gezogen. Sein Werk, der Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart (5 Bände, 1774⫺1786), stellt einen zwar theoretisch bald in der Konzeption des Grimmschen Wörterbuches überholten Ansatz dar, doch bedeutet es einen Gipfel sprachpflegerischen Bemühens im Rahmen des normativ-gebrauchsorientierten Zeichenund Sprachverständnisses und überbietet die vorausgegangenen unzulänglichen Versuche weit. Daß solche lexikalischen Arbeiten der theoretischen Konzeption nach nahezu immer die volkssprachlichen Grammatiken begleiten sollten ⫺ Antespergs groß angekündigte Projekte sind gerade in ihrem Scheitern
symptomatisch ⫺ ergibt sich aus dem grundlegenden Zeichenverständnis, gemäß welchem Grammatik und Wörterbuch eine analoge und wechselseitig ergänzende Funktion bei der Etablierung der Norm zukam. Adelungs Werk entsprach der Intention und Leistung nach durchaus einem solchen normsetzenden Wörterbuch, wenn auch bei ihm der Aspekt der Beschreibung des Sprachstands gegenüber der präskriptiven Festlegung des Standards an Gewicht gewann. In England legte Samuel Johnson (1709⫺1784) Mitte des 18. Jahrhunderts das autoritative Wörterbuch der englischen Sprache vor (Dictionary of the English Language, 1747⫺1755), wobei hier im Vergleich zu vorangehenden Versuchen Baileys und Boyers ein zeichentheoretisch interessantes Phänomen zu beobachten ist. Es zeigt sich ein allmählicher Übergang von universalenzyklopädischen Tendenzen zu einem reinen Wörterbuch an, insofern Zeichen, die durch unmittelbare Korrelation zum Weltwissen bestimmt sind, verstärkt aus dem Wörterbuch der Einzelsprache herausgenommen werden. 2.3.3. Sprachgesellschaften und Akademien Ein Wort ist in diesem Zusammenhang zu dem Wirken der Sprachgesellschaften und Akademien angezeigt. Ihre Bedeutung liegt auf dem praktischen Gebiet der Normierung und Verankerung der Volkssprachen als eigenständiger Literatursprachen. Deshalb fand nicht nur Grammatik und Rechtschreibung sowie die Sammlung und Bewahrung des Zeicheninventars im Lexikon Beachtung, sondern vor allem auch die Sprachpflege in der Poesie. Insofern die Herausgabe der im vorigen Abschnitt erwähnten Wörterbücher sowohl bei der 1582 in Florenz gegründeten Accademia della Crusca wie bei der 1635 gegründeten Acade´mie Franc¸aise zu den wichtigsten Leistungen zählt, bietet der Abschnitt eine gute Illustration der Bemühungen der Akademien und beleuchtet deren Rolle für Konstitution und Pflege eines hochentwickelten sozial verankerten Zeichensystems. Die bedeutendste deutsche Sprachgesellschaft, die 1617 gegründete „Fruchtbringende Gesellschaft“, orientierte sich ganz am Vorbild der Accademia della Crusca (vgl. Otto 1972 und die dort ausgewiesene Literatur). Die Grundtendenz der Bemühungen um die Sprache lief darauf hinaus, für alle Bereiche praktischer Sprachverwendung, ob im poetischen oder politisch-gesellschaftlichen
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
Referenzrahmen (siehe die Rhetorik), gemäß poetologischen und grammatikalischen Regeln ein Normierungsgerüst bereitzustellen. Mehr als konkrete Ergebnisse der Gesellschaftsarbeit ⫺ als Beispiel ist jedoch die Deutsche Rechtschreibung von Gueintz (1645) für Sprachreinigung und Normierungsstreben sehr bezeichnend ⫺ verdient diese Grundintention der Gesellschaftsarbeit Beachtung. Zeichentheoretisch zielt dies auf die Etablierung der für das Sprachsystem unverzichtbaren Invarianten ab, wobei die Aufnahme solcher sprachinhärenter Verlaufslinien als direkter Programmpunkt natürlich eine sprachpolitische Steuerung der Selbstorganisation der Gebrauchsregeln bedeutet. Je fundamentaler die Rolle des Gebrauchs für die Zeichenkonstitution gedacht wird, um so dringlicher und bedeutsamer erscheint eine solche Aufgabenstellung. Als rein praktische Aufgabe, also ohne Implikationen auf der Ebene der konstitutiven Regeln des Zeichensystems, bleibt ein solch sprachpflegerisches Bemühen auch bei universalistischen Ansätzen rationaler Grammatik bestehen, rückt dort aber ⫺ sieht man von den universalen Interessen Leibnizens ab ⫺ nie in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Die im einzelnen bereits angesprochenen, bzw. unter § 3. abgehandelten Autoren (Opitz; Schottel; Buchner; Harsdoerffer; vgl. auch §§ 2.3.2. und 2.4. zu Vaugelas) vermitteln auch ein Bild der über puristische Bestrebungen hinauszielenden und wirkungsgeschichtlich weiterweisenden Arbeiten. Erwähnung verdient die Ausstrahlung des sprachpflegerischen Grundgedankens und die Aufnahme dieser Intentionen in den Gelehrtengesellschaften des 18. Jahrhunderts, selbst wenn diese sich ausdrücklich von den barokken Sprachgesellschaften distanzierten. In systematischer Sicht überwiegen hinsichtlich Zeichenpflege und Regelauffassung die Gemeinsamkeiten die Differenzen weit. Insbesondere die vielerorts im 18. Jahrhundert blühenden „Deutschen Gesellschaften“ ⫺ deren „spiritus rector“ in Leipzig Gottsched war ⫺ gilt es zu beachten und selbst der 1885 gegründete „Allgemeine Deutsche Sprachverein“, dessen Nachfolgeorganisation bis in die heutige Zeit wirkt, zeigt sich in seiner Zielvorgabe („den echten Geist und das eigentümliche Wesen der deutschen Sprache zu pflegen und den Sinn für ihre Reinheit, Richtigkeit, Deutlichkeit und Schönheit zu bele-
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ben“; Otto 1972, 69) unmittelbar den programmatischen Zielen der Fruchtbringenden Gesellschaft verpflichtet. Eine Wurzel ⫺ wenngleich mit Sicherheit nicht die bedeutendste ⫺ der 1700 auf Anraten von Leibniz gegründeten Preußischen Akademie der Wissenschaften, mag vielleicht auch in der Arbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft zu sehen sein. Leibniz selbst hoffte zwar, wie die Unvorgreifflichen Gedanken (1693; vgl. § 2.4.) belegen, auf eine Verbesserung der Stellung des Deutschen, verfolgte also im Grunde ähnliche sprachpolitische Ziele wie die Sprachgesellschaften, stand jedoch den konkreten puristischen Bestrebungen distanziert, wenn nicht sogar verständnislos gegenüber (vgl. Leibniz 1693, § 16 ff). Leibnizens Interesse für die Probleme der praktischen Zeichenpflege zeigt sich daneben in seiner Propagierung umfangreicher Wörterbuchprojekte (vgl. Leibniz 1693, § 32 ff). Grundsätzlich steht die Normierung und Pflege der Zeichensysteme jedoch in engem Zusammenhang mit dem sich aus der humanistischen Grammatiktradition herleitenden Zeichen- und Grammatikverständnis, wenn es dieses, wie anhand von Schottel gezeigt, auch gelegentlich überbietet. Nicht die rationalistische Traditionslinie von Scaliger über Sanctius und Port-Royal wirkte sich hier aus, sondern das Korrektheitsideal der Humanisten. Dabei bestimmte zwar die lateinische Tradition der Humanismusgrammatik den Rahmen, doch verband sich dies mit dem wachsenden Interesse an den nationalen Sprachen. Diese humanistische Quelle der Entdeckung der Eigentümlichkeit und des besonderen Werts der Volkssprachen macht deutlich, daß trotz des Spannungsverhältnisses zum lateinischen Muster die Grammatik sehr eng dieser Tradition korreliert. Ein ganz anderes Moment kommt hingegen mit der Betonung des historischen Aspekts bei Condillac, Herder und Vico herein (zu diesem zweiten Aspekt vgl. § 2.5.). Doch gibt es auch hier Parallelen und Verknüpfungspunkte. Nicht zu Unrecht weist Hecht (Nachwort zu Schottel 1663 ⫽ 1967, 19*) auf die Zukunftsträchtigkeit der bei Schottel bereits „erahnten“ geschichtlichen und systematischen Aspekte im Hinblick auf Sprache als gestaltende Kraft hin. Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Linie erfolgte dann ohnehin in dem völlig anderen sprachwissenschaftlichen Paradigma des 19. Jahrhunderts (vgl. Art. 79).
1302 2.4.
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Universale und rationale Grammatik
2.4.1. Scaliger Entwickelt sich in der Renaissance also ein relativistisches, den Kategorien des Gebrauchs und des Musters verpflichtetes Verständnis von Grammatik, mit einer zeichentheoretisch bemerkenswerten Einbindung des Sprecher-Hörer-Verhältnisses als Konstitutivum ⫺ zumindest wird dies durch die Theorie inpliziert⫺, so wird in der Spätrenaissance mit dem 1540 erschienenen Werk Scaligers (1484⫺1558) die Aufmerksamkeit in die andere Richtung gelenkt, indem die Gesetze und Regeln der Sprache nicht gemäß ihrer sozialen Etablierung beschrieben werden, sondern nach den Regeln gefragt wird, die der sozialen Etablierung der Sprache vorausliegen. Scaligers Frage nach den Ursachen („causae“) nimmt dabei direkt die Fragerichtung der Grammatik von Port-Royal voraus. Zwar gilt für Scaliger ⫺ wie übrigens auch für Port-Royal ⫺, daß der Grammatiker den Gebrauch zu beschreiben hat, doch die Intentionsrichtung ist anders als in der humanistischen Grammatik Vallas. Nach den Gründen für bestimmte Strukturen in der Sprache wird gefragt, nicht werden die Muster als Grund benannt. Deshalb trennt Scaliger Grammatik und Stilistik, die in Vallas Schriften eine ununterscheidbare Einheit bilden, und gelangt dabei zur prinzipiellen Unterscheidung von Grammatikalität und Akzeptabilität (vgl. Ste´fanini 1976, 322 und 326). Man könnte sagen, daß die Verletzung konstitutiver Regeln des Zeichensystems ⫺ das sind Regeln, die einen rationalen Grund haben ⫺ der Nichtbeachtung von Angemessenheits- und Gebrauchsregeln gegenübergestellt wird. Die Grammatik sieht Scaliger in eine umfassende allgemeine Zeichentheorie eingebettet, dergestalt, daß sie die artikulierte Sprache zum Gegenstand hat. Diese selbst steht in Opposition zu nicht artikulierten stimmlichen Lauten und stellt zusammen mit diesen eine Untergruppe der Zeichensysteme dar, die auf den Gehörsinn Bezug nehmen. Bei der Umsetzung der Verstandesbegriffe in ein sinnlich wahrnehmbares Medium, wie sie für die Zwecke der Kommunikation erforderlich ist, ist nach Scaliger neben den Zeichen für den herausgehobenen Gehörsinn jedoch auch an Zeichen für den Gesichtssinn zu denken, womit nicht lediglich Verschriftung gemeint ist. Situiert Scaliger die menschliche Sprache also wie Saussure im Rahmen einer allge-
meinen Zeichentheorie, so stimmt er auch in der Auffassung von der Arbitrarität des Zeichens mit diesem ⫺ wie mit Port-Royal ⫺ überein. Die konstatierte Arbitrarität des Zeichens kollidiert dabei ebensowenig mit der Annahme von Begründungsstrukturen wie die rigide Einforderung der Beachtung der Regeln des Gebrauchs. Diesen hält Scaliger, dem Humanismus darin stark verpflichtet, als Sprachrichtigkeit („latinitas“) ganz im rhetorischen Sinn hoch und wert. Entscheidend für die gewandelte Blicknahme des sprachlichen Zeichens ist nicht eine Abwertung des richtigen Gebrauchs in der praktischen Sprachverwendung, sondern die Annahme einer rationalen Organisation, die der Sprache im lexikalischen Bereich wie insbesondere in der grammatischen Struktur eignet und die dem Gebrauch vorausliegt. 2.4.2. Sanctius Betrachtet man die Inseln universalistischrationalistischer Sprachreflexion in der humanistischen Tradition, so gilt es auch auf die 1585 erschienene Minerva von Sanctius (1554⫺1628) hinzuweisen (vgl. Salus 1976, 88). Als Lateingrammatik angelegt, bietet das Werk tiefgründige Überlegungen zur logischen Struktur der Grammatik allgemein, und die Unterscheidung einer Oberflächenund Tiefenstruktur, die Chomsky an der Port-Royal-Grammatik hervorhebt, findet sich der Sache nach eindeutig schon bei Sanctius (vgl. Percival 1976). Festzuhalten ist auch bei Sanctius das Bemühen, Erklärungen bezüglich der sprachlichen Phänomene zu geben, was auf jene grundlegende Differenz zwischen rationalistisch-universalistischer und humanistisch-rhetorischer Sprachbetrachtung und Zeichenkonzeption verweist, die mit der Unterscheidung von Beschreiben des korrekten Gebrauchs und Erklären der Phänomene angezeigt ist. Die Fronten hinsichtlich der Frage nach der Arbitrarität des einzelnen sprachlichen Zeichens korrelieren dabei wie gezeigt nicht der Unterscheidung begründend vs. beschreibend, wofür die Port-RoyalGrammatik, die die Doktrin von der Arbitrarität des Zeichens vertrat, deutliches Beispiel ist. Die Frage der Logik der Zeichenverknüpfung und das Problem der Begründbarkeit grammatikalischer Kategorien ist vielmehr entscheidend. So gewinnt die Grammatik von PortRoyal einen Gutteil ihres zeichentheoretischen Interesses aus der Gegenüberstellung zu Vaugelas, da die „grammaire d’usage“ und
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
die rationale oder philosophische Grammatik grundlegend verschiedene semiotische Räume etablieren. Die Tendenz der Arbeiten ist dabei ausschlaggebend. Die unterschiedliche Gerichtetheit überwiegt bei weitem die in jüngerer Zeit von der Forschung (vgl. Hillman 1975) wieder stärker in den Blick genommenen oberflächlichen Gemeinsamkeiten. 2.4.3. Vaugelas Claude F. de Vaugelas (1585⫺1650) etablierte mit einer Grammatik der Anmerkungen zum richtigen Gebrauch einen Typus, der auf Beobachtung einer ausgezeichneten Variante der Alltagssprache, nämlich der Sprache des Hofs, beruht. Der Gebrauch war, wenn nicht die einzige, so doch die ausschlaggebende Autorität. Das Zeichen und die Verknüpfung der Zeichen wurde folglich auch wesentlich von der Oberflächenstruktur her bestimmt. Zu einer theoretischen Fundierung des dekriptiven Ansatzes gelangt Vaugelas allerdings nicht. Zwar tritt bei ihm an die Stelle der Erklärung die Beschreibung, was Wittgensteins Diktum, daß alle Erklärung durch Beschreibung ersetzt werden muß, Genüge leisten würde, doch eine analoge Konzeption zu Wittgensteins Unterscheidung von Oberflächengrammatik und Tiefengrammatik, wo die Einbettung in Gebrauchszusammenhänge und die Rechtfertigung durch Institutionen die Tiefenstruktur beschreibt, ist bei Vaugelas nicht zu finden. Es setzt dies eine Reflexion darüber voraus, daß die grammatikalische Form selbst die Differenzen des tatsächlichen Gebrauchs zu verschleiern vermag. Dies ist erst möglich, wenn eine philosophische Fundierung stattfindet, die der Praxis und der Erfahrung unmittelbar eine kategorienbildende Funktion zuschreibt. Ansätze dazu erwachsen später aus anderen sprachphilosophischen Konzeptionen bei Condillac, Hamann und Herder (vgl. § 2.5.). 2.4.4. Die Grammatik von Port-Royal In der Port-Royal-Grammatik begegnet man, wie Chomsky richtig bemerkt, einem grundsätzlich anderen, rationalistischen und universalistischen Rekurs auf eine Differenz von Tiefen- und Oberflächenstruktur. Die Logik von Port-Royal und die Grammatik sind dabei als Einheit zu betrachten, wie sowohl Dominicy (1984) als auch Donze´ (1967, 175) feststellen, die darauf verweisen, daß die Grundlegung rationalistischer Grammatik des 18. Jahrhunderts auf dem Gesamtkomplex von Grammatik und Logik beruht. Die
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Tiefenstruktur im Sinn der Port-RoyalGrammatik zeigt die universelle, rationale Denkstruktur, wie sie dem Urteil zugrunde liegt, an und bringt die Bedeutung zum Ausdruck. Sie ist entsprechend der Universalität des Denkens allen Sprachen gemeinsam. Die Diversität der Sprachen gründet zum einen darin, daß die Regeln, die die Tiefenstruktur mit dem materiellen Korrelat des geäußerten Satzes verbinden (wir können hier in moderner Terminologie von Transformationsregeln sprechen) sprachspezifisch sind, zum anderen in der Arbitrarität des Zeichens, die Arnauld (1612⫺1694) in Logique (1662) wie Grammaire (1660) betont. Chomsky gewichtet die Parallele der „grammaire ge´ne´rale“ zu modernen Konzeptionen so stark, daß er feststellen zu können glaubt, daß die moderne Theorie der transformationellen generativen Grammatik als explizitere Version der Port-Royal-Theorie verstanden werden kann (Chomsky 1966, 38 f). Es ist hier angezeigt, darauf zu verweisen, daß die Korrelation zu neueren Chomsky-Thesen nicht so problemlos aufgewiesen werden kann. Dafür ist kennzeichnend, daß die von Chomsky (1966, 33 f) beispielhaft verwendete Analyse des attributiven Adjektivs als Relativsatz heute von ihm selbst nicht mehr vertreten wird. Diese an der Struktur logischer Zeichenverknüpfung orientierte Analyse Arnaulds betrifft allerdings eine Grundthese der PortRoyal-Grammatik, wie am Verständnis der Rolle des Verbs deutlich wird. Der von Chomsky als Beispiel benutzte Satz Dieu invisible a cre´e´ le monde visible wird von Arnauld als zusammengesetzte Aussage von drei Teilen verstanden, deren jede ein eigenes affirmatives Urteil ausdrückt. Die berühmte Theorie über den zeichentheoretischen Status des Verbs als Verknüpfung von zwei Ideen in einer affirmativen Aussage spielt hier herein, da der Satz zu analysieren ist als ‘Dieu est invisible & Dieu a cre´e´ le monde & Le monde est visible’. Die Nominalphrase (Adjektiv ⫹ Substantiv‚ dieu invisible) wird als Satz analysiert, bei welchem das „verbe substantif“ ⫺ die Kopula est ⫺ weggefallen ist. Das „verbe substantif“ spielt insofern eine ausgezeichnete Rolle, als es die Affirmation, die eigentliche Grundfunktion des Verbs, rein ausdrückt. In den anderen Fällen, die PortRoyal-Grammatik spricht vom „verbe adjectif“, werden akzidentelle Beziehungen zusammen mit der prinzipiellen Bedeutung der Affirmation verknüpft, seien dies Beziehungen
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zum Attribut ⫺ so schließt das lat. vivit in Petrus vivit die reine Affirmation und das Attribut ‘lebend’ ein ⫺, zum Subjekt oder zur Zeit. Die traditionellen Definitionen des Verbs werden auf dieser Basis kritisiert, und der Vorwurf wird erhoben, daß diese ihre Aufmerksamkeit auf akzidentelle Phänomene wie Kongruenz und Tempus gelegt haben. Deutlich wird hier der Rückgang auf logische Strukturen als Begründungsmuster (vgl. auch Leibniz) für die grammatischen Kategorien und die Herleitung der Eigenschaften der Zeichen und Zeichensysteme von den universal gedachten Verstandesstrukturen. Es ist dies der Wesenszug der rationalen Grammatik cartesianischer Ausprägung sowohl im allgemeinen Anspruch wie im Benennen von Vernunftgründen. Dies hält im Prinzip auch Foucault (1967, 7) fest, wenn er resümiert, daß „la grammaire ne saurait valoir comme les pre´scriptions d’un le´gislateur“ sondern „e´nonce les re`gles auxquelles il faut bien qu’une langue s’ordonne pour pouvoir exister“ („die Grammatik dürfte keine Wertungen geben wie die Vorschriften eines Gesetzgebers“, sondern sie „gibt die Regeln an, nach denen eine Sprache sich wohl richten muß, um existieren zu können“). Es benennt dies exakt jene Differenz in der Auffassung des Zeichens und der Organisation des Zeichensystems, die wir in ihrem dialektischen Gegeneinander als fundamentale Verlaufslinie des betrachteten Zeitraums zugrunde legen. Die konkreten Ausführungen zum Verb zeigen dabei, daß die Port-Royal-Grammatik auf der Basis logisch-kategorialer Unterscheidungen auch pragmatische Phänomene in den Blick nimmt. Swiggers (1984, 111) weist darauf hin, daß eine originäre Leistung der Grammaire in der Unterscheidung zweier Funktionen des Verbs liegt, deren eine intern (syntaktisch-semantisch), deren andere hingegen extern (performativ und pragmatisch) bestimmt ist. Die Unterscheidung korreliert Ausarbeitungen der universalen rationalistischen Grammatik bei Du Marsais, wo mit der Gegenüberstellung von „proposition“ und „e´nonciation“ dieser Unterschied aufgegriffen wird (zu den Weiterungen der Diskussion bei Beauze´e vgl. Swiggers 1984, 112 f). 2.4.5. Beauze´ und Du Marsais Dezidiert festgelegt wird die Bestimmung und Funktion einer allgemeinen Grammatik in der Nachfolge von Port-Royal. Beauze´e (1717⫺1789) und Du Marsais können als Schlüsselfiguren der universalistisch-rationa-
listischen Grammatik angesehen werden. Die zeichentheoretischen Implikationen kommen dabei am besten in der Auseinandersetzung mit der sensualistisch begründeten Grammatik in der Folge Condillacs in den Blick, beispielhaft etwa in der für das 18. Jahrhundert charakteristischen Diskussion über das Inversionenproblem. Finden sich bei Du Marsais auch sensualistische Einflüsse, so kommt doch im Streit um die Existenz eines der Vernunft entsprechenden Satzbaus als „ordre naturel“ (vgl. Abb. 67.1) bei ihm die klassisch rationalistische und universalistische Position deutlich zum Ausdruck. Der Grundgedanke besagt, daß erfahrungsunabhängige sprachliche Parameter als universelle Vorgabe in den Einzelsprachen nur zufällige Modifikationen erfahren. Dementsprechend werden auch die Sprachen hinsichtlich der universellen Struktur als unmittelbar vergleichbar gedacht, was zu der These von der Universalität der französischen Sprache führte, da hier die Oberflächenstruktur der gesprochenen Sprache der logischen Tiefenstruktur des Denkens in der Anordnung der Zeichen entspricht (vgl. Rivarol 1784: Discours sur l’universalite´ de la langue franc¸aise). Vertreten wurde die Theorie vom „ordre naturel“ des Französischen bereits von der Port-Royal-Grammatik, doch erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts entfaltete sich die grammatische Kontroverse im Gegeneinander der sprachphilosophisch divergenten Grundannahmen von Sensualismus und Rationalismus (vgl. Ricken 1976; dort weitere Literaturangaben). Bezeichnenderweise artikulierten sich Gegenmeinungen zur Annahme eines verbindlichen Prinzips der Wortfolge in der Entwicklung des cartesischen Denkens selbst und zwar dort, wo das Interesse nicht auf die rationale Struktur und die „res cogitans“ gerichtet war, sondern wo die Psychophysiologie von Descartes auf die Sprache angewendet wurde. Ricken verweist auf Bernhard Lamy als Autor des ersten theoretischen Versuchs einer Widerlegung, und es ist keineswegs zufällig, daß damit ein Rhetoriker genannt wird, der Sprache von der Seite der res extensa her betrachtet und dabei die Passionenlehre ins Spiel bringt (Ricken 1976, 462 f). Die Passionenlehre benennt ein Prinzip, das in allen Sprachtheorien angenommen wird, wobei der Status der Passionen für die Etablierung sprachlicher Einheiten jedoch signifikant differiert. So kann es beim Zustandekommen des sprachlichen Zeichens um die Verbindung des Eindrucks eines Gegenstan-
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
des mit dem Eindruck eines Wortes gehen oder um den unmittelbaren Ausdruck einer Empfindung wie bei den Interjektionen. In letzterer Form kommt eine auf Passionen gründende ‘Sprache’ selbst dem Tier zu, was Herders rhetorischer Formulierung „Schon als Tier hat der Mensch Sprache“ als Verweis auf die Sprache der Empfindungen zugrunde liegt (Herder 1772; vgl. auch Art. 65 § 7.2. zu Herder). Die Rückführung auf Sinneseindrücke (vgl. § 2.5. zu Horne Tooke) spielt ebenso eine Rolle wie die Auslösung affektiver Reaktionen. Die Bezugnahme auf Passionen stellt immer ein psychologisches Argument dar und findet sich sowohl in der Rhetorik wie in der Poetik in der Frage der Evokation von Affekten, sei es durch poetische Mittel, sei es durch rhetorische Figuren. In der Grammatik nun hängt von der Gewichtung der Rolle der Sinneseindrücke ab, ob und inwiefern apriorische rationale Prinzipien angenommen werden. In Hinsicht auf die Wortstellung argumentierte Lamy in Analogie zur Sinneswahrnehmung für einen gedanklichen Gesamtgehalt des Satzes, der nicht an sich nach logischen Kriterien strukturiert sei, sondern nur für die sprachliche Mitteilung in lineare Aufeinanderfolge zu bringen sei. Damit ist die Prämisse des „ordre naturel“ hinfällig und der Weg frei für eine Wortstellung, die rhetorischen Kriterien eher denn logischen Gesetzen gehorcht. „Als notwendiges Prinzip der Wortfolge gilt nunmehr eine psychologisch wirksame, die Aufmerksamkeit des Hörers fesselnde Gedankenverbindung“ (Ricken 1976, 463). Wendete sich später Condillac eher indirekt gegen eine genormte Reihenfolge, so brachte Batteux in den Lettres sur la phrase franc¸oise compare´e avec la phrase latine (1748) eine Auszeichnung der Wortfolge gemäß der Intensität der von den Dingen bewirkten Sensationen zum Vorschlag, also das direkte Gegenbild zu einer apriorischen universalen Ordnung. Auch bei Batteux ist wiederum auf den sogar dezidiert gesuchten Konnex zur Rhetorik hinzuweisen, den er im Traite´ de la construction oratoire (1764), seiner Entgegnung auf Du Marsais, unmittelbar im Titel kundtut. Auch Condillacs aus dem Inversionenstreit erwachsene Art d’e´crire (1769⫺73), eine sensualistische Stiltheorie, macht die rhetorische Komponente deutlich. Auf der rationalistischen Seite fand das rhetorische Moment und der Ausdruck der Passionen als Darstellung der affektiven Wertigkeit und des Interesses (Topikalisierung) bei
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Du Marsais seine Berücksichtigung in der Annahme einer „construction figure´e“, die allerdings auf die „construction naturelle“, die vorgängige, universelle Ordnung, angewiesen bleibt. Allein diese universale Struktur ist originärer Gegenstand der Grammatik. Die von Interesse und Affekten geleitete rhetorische Wortstellung kann wegen des Fehlens einer festen Ordnung unter keine Regeln ⫺ die traditionelle Bestimmung der Grammatik (vgl. § 2.3.1. zu Dante) ⫺ gebracht werden. Die „construction usuelle“, von Du Marsais als Mischform von „construction naturelle“ und „construction figure´e“ gedacht, die in den unterschiedlichen Formen der Einzelsprachen zum Ausdruck gelangt, kann daher nur beschrieben werden und entzieht sich der Erklärung. Nicolas Beauze´e formulierte dann in seiner Grammaire ge´ne´rale, ou Exposition raisonne´e des e´le´ments ne´cessaires du langage pour servir de fondement a` l’e´tude de toutes les langues (1767) die rationalistischen Prinzipien in zugespitzter Form, um den Angriff von Batteux auf Du Marsais zu beantworten. Beauze´e stellt somit in seiner Argumentation bezüglich der „science grammaticale“ als allgemeiner Grammatik, die allen Einzelsprachen vorausliegt, und der „art grammaticale“, die a posteriori die verschiedenen Sprachen untersucht, den Musterfall der universalen rationalistischen Grammatik dar. Betrachten wir von dieser Problemstellung aus die heutige ‘rationalistische’ Position Chomskys, so ist zum einen festzuhalten, daß Chomsky die Lehre von der Wortstellung als durch logische Prinzipien vorgegebener Grundlage der Sprache ablehnt (vgl. Ricken 1976, 484), daß er aber andererseits der Grundidee einer apriorischen Vorgabe, die nicht von Kommunikation und Passionen im klassischen Sinn bestimmt ist, durchaus Folge leisten würde. Chomsky könnte im übrigen auch der philosophischen Position des Sensualismus folgen, in dem Sinne, daß die apriorischen Strukturen sich evolutionär entwickelt haben. 2.4.6. Leibniz In der Geschichte der rationalen Grammatik nimmt G. W. Leibniz (1646⫺1716) einen prominenten Platz ein, wenn er auch lediglich in Fragmenten seine Überlegungen zur „grammatica rationalis“ bzw. „grammatica universalis“ vorgelegt hat und sie nicht in einer zusammenhängenden, ausgearbeiteten Form präsentiert (die meisten finden sich in Coutu-
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rat 1903). Brekle (1971) hat gezeigt, inwiefern Ersetzungen, die nach Leibniz von der im normalen Sprachgebrauch gegebenen Form zur logischen Grundform des a est b führen, mit Ersetzungsregeln der generativen Grammatik vergleichbar sind. Die „grammatica rationalis“ bestimmt sich nach Leibniz vornehmlich als Disziplin, welche die Regeln solcher Ersetzung angibt. Wir verweisen beispielsweise auf den Gedanken der Ersetzung des Verbs durch ‘Nomen ⫹ est’ oder der Kasus durch den ‘Nominativ ⫹ Partikel’ (Couturat 1903, 35). Die Definitionen des Satzes greifen bei Leibniz zurück auf traditionelle Formulierungen, wie sie in der Rezeption des aristotelischen Organons das ganze Mittelalter hindurch gebräuchlich waren (vgl. Burkhardt 1980, 127 ff, der einige Beispiele versammelt). Berührt werden damit die Grundlagen des metaphysischen Systems: Der Gedanke, daß das Prädikat dem Subjekt inhärent sei („praedicatum inest subiecto“), ist vor dem Hintergrund des Leibnizschen Substanzbegriffs zu sehen ebenso wie die Aufgaben der Logik ⫺ Leibniz rechnete die nichtsyllogistischen Schlußformen der Grammatik zu. Dies mag nochmals den rationalistischen Ansatz bei Leibniz verdeutlichen, der jedoch in den sprachpolitischen und den sprachwissenschaftlichen etymologischen Überlegungen zurücktritt. Im Gegensatz zu den anderen Rationalisten finden sich bei Leibniz sowohl das kommunikative Moment als zeichenprägende und definierende Gestaltungskraft berücksichtigt wie auch Sprachentwicklungslinien bedacht, die das Verhältnis von Lautgestalt und begrifflichem Gehalt als Wirkungsgröße von natürlicher Motiviertheit und historischer Veränderung begreifen. Gedanken, wie sie in den Arbeiten Herders, Condillacs oder Horne Tookes ihren Niederschlag finden, klingen hier an (vgl. § 2.5.). Die Ausführungen zur rationalen und universalen Struktur der Grammatik zielen ihrem Wesen nach bei Leibniz hingegen stärker auf eine Ideal- oder Universalsprache. Da weder die sprachphilosophischen noch die universalsprachlichen Konzeptionen Gegenstand dieses Artikels sind (vgl. Art. 65), sei auch auf die fundamentalen Überlegungen von Leibniz zu einer Klassifikation der Welt, die sich in der Zeichenstruktur widerspiegelt und das idealsprachliche Lexikon bestimmen müßte, nur ganz am Rand verwiesen. Leibnizens Anmerkungen zum Deutschen und zu anderen natürlichen Sprachen sind so deutlich zu unterscheiden von seinen Überle-
gungen zu einer Idealsprache, wenngleich festzuhalten bleibt, daß auf einer sehr grundlegenden Ebene doch eine gemeinsame Struktur gedacht wird. Die natürliche Sprache stellt gleichsam die unterste Stufe der Zeichentheorie dar (Poser 1979, 311; Heinekamp 1976, 550). Dies wird insbesondere in den etymologischen Erwägungen augenfällig. Deutlich erkennbar ist eine Verwandtschaft mit Schottel, sowohl hinsichtlich der Wurzelworte wie hinsichtlich der Motiviertheit der Zeichen. Insgesamt nimmt Leibniz in der Frage der Arbitrarität des Zeichens einen vermittelnden Standpunkt ein. Bereits aus der Tatsache, daß die Anzahl möglicher motivierender Korrelationen zwischen Zeichen („signifiant“) und Bezeichnetem unbegrenzt ist ⫺ die unmittelbare onomatopoetische Abbildung, der Leibniz einige Aufmerksamkeit widmet, umfaßt nur einen kleinen Teil der Zeichen ⫺, folgt ein hoher Grad an Arbitrarität. Doch neigt Leibniz letztlich einer naturalistischen These zu, insofern er den Wurzeln, den letzten Elementen der Sprache, seien dies einzelne Wörter oder Wortpartikel, eine natürliche Bedeutung („significatio naturalis“; vgl. Heinekamp 1976, 540 ff) zubilligt. Es liegt auf der Hand, daß Leibnizens metaphysisches Prinzip des zureichenden Grundes hier zum Tragen kommt, und somit wird eigentlich eine Verbindung der rationalen und genetischen Denkrichtungen ⫺ der Untersuchung von logischer Struktur und Sprachursprung ⫺ geleistet. Wenn Leibniz die mnemonischen und erkenntnisfundierenden Funktionen der Zeichen und der Zeichenoperationen betont und zugleich auf die kommunikative Funktion der Sprache als eigentlichen Grund für deren Erfindung hinweist (1705 ⫽ 1765), dann erwächst dies nicht aus widersprüchlichen Intuitionen, sondern beruht auf der Verknüpfung empirischer und rationaler Konzeptionen. In der Sprachvergleichung ⫺ Leibniz kommen auch Verdienste hinsichtlich der Etablierung der finno-ugrischen Verwandtschaftsbeziehungen zu (vgl. Droixhe 1987, 91⫺114) ⫺ leistet Leibniz gerade vor dem Hintergrund eines universalistischen Denkens der Sprache seinen Beitrag, da er in der Phänomenbetrachtung die einzelsprachlichen Parameter um so deutlicher zu analysieren sich bemüht. Zeichentheoretisch interessiert Leibniz bei der Betrachtung der natürlichen Sprachen nicht in erster Linie das universale Moment, obwohl er die verschiedenen Strukturen von einer einheitlichen Theorie her denkt ⫺ eine
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
Leistung, die in unserer Zeit das wesentliche Verdienst der Chomskyschen Arbeiten ausmacht. Leibniz selbst richtete das Hauptaugenmerk nicht auf den Nachweis der universalen Strukturen der Einzelsprachen, sondern auf die philosophische Durchdringung des Zeichensystems Sprache, wobei die Grammatik des Verstandes („grammatica rationis“) direkt zu Überlegungen hinsichtlich der Sprachplanung und Verbesserung der Sprachen und damit zum Aufbau der Kalkülsprachen führt (vgl. Heinekamp 1976, 533; siehe auch Art. 175 und Art. 176). Damit ist dann allerdings ein fundamentaler Unterschied, nicht nur in der Interessenrichtung, zu Chomsky angezeigt. Die Zeichenkonzeption von Leibniz beleuchtet am besten sein berühmter und vielzitierter Vergleich des sprachlichen Zeichens mit Rechenpfennigen (1693, § 7; vgl. auch Heinekamp 1976), wobei hier zugleich der Spannungsbogen zwischen „grammatica rationis“ und einzelsprachlichen Wort- und Strukturbestimmungen deutlich wird. Um „die Worte als Ziffern oder als Rechenpfennige“ gebrauchen zu können, ist es zwar notwendig, daß sie „wohl gefaßt, wohl unterschieden, zulänglich, häufig, leichtfließend und angenehm“ sind ⫺ logische und pragmatische Erfordernisse finden sich hier gut gemischt ⫺, doch von der Motiviertheit des Zeichens ist hier keine Rede, und historische Veränderungen treten, bedenkt man die Konzeption, nur als Störfall auf. Denn, obwohl diese Erläuterungen im Kontext von Überlegungen zur deutschen Sprache stehen, bestimmt sich das Ziel als universale Findungsmethode einer „ars inveniendi“, deren empirisch in den Sprachen erfahrbarer Gehalt („daher braucht man oft die Worte als Ziffern […]“) als Beleg für die Sprachtheorie einer „characteristica universalis“ dient. Da „die Worte nicht nur der Gedanken, sondern auch der Dinge Zeichen sind“ (1693, § 5), können und sollen sie vornehmlich dazu dienen, durch wohldefinierte Operationen ⫺ die Regeln der Grammatik (und Logik!) ⫺ zu neuen Erkenntnissen zu führen. Man operiert gleichsam mit Chips (Rechenpfennigen), um am Schluß das Ergebnis in Goldwährung (Erkenntnis) umzutauschen (vgl. Artikel 41 § 2.). Die Wohldefiniertheit der Zeichen und der Operationen vorausgesetzt, erhalten wir so auf einfache Weise Resultate unserer Denkbemühungen. Hier sieht Leibniz die eigentliche Bedeutung des sprachlichen Zeichens, und dies ist der Gehalt seiner erkenntnistheoretischen Forderung: „Calculemus“.
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In verschiedener Hinsicht entspricht diese Auffassung vom sprachlichen Zeichen recht genau sensualistischen Konzeptionen; so, wenn die Abstraktionsleistung und die Instrumentalisierung des Zeichens als eines Kürzels in Denkprozessen angesprochen sind. Auf der philosophischen Ebene bleibt bei Leibniz allerdings gleichwohl die rationale Vorgabe ⫺ und sei es auch nur die fundamentale des Prinzips des zureichenden Grundes und des Satzes der Identität ⫺ wichtig. Nur jedoch, insofern die Grammatik auf solche Grundprinzipien sich stützt, kann davon gesprochen werden, daß sie rational und allgemein zu denken ist und a priori gegeben ist. Es läßt dies in allen konkreten Fragen einen weiten Spielraum für empiristische Positionen. Der Leibnizsche Grundgedanke des Rechnens mit Zeichen, die für Begriffe stehen, läßt sich am besten verstehen, wenn man auf der anderen kategorialen Ebene der Sätze Wittgensteins Tractatus-Konzeption betrachtet. Bei Wittgenstein sind die Worte (der „Satz“) ebenfalls der Gedanken („Gedanke“) wie der Dinge („Sachverhalt“) Zeichen (Tractatus 3, 1922), und hier funktioniert das Prinzip des Rechnens (mit Wahrheitswerten) tatsächlich so, daß sich am Ende der Rücktransfer vom Zeichen (dem „Satz-Bild“) über den Gedanken (das „Gedanken-Bild“) zu den Dingen bzw. deren Verhältnis zueinander (dem „Abgebildeten“) herstellen läßt (vgl. Art. 109). Die Traditionslinie einer allgemeinen Grammatik umfaßt von Arnauld ausgehend Leibniz, Du Marsais (1729), Beauze´e (1767), Condillac und die Ideologen, wobei die Mischung rationalistischer und empiristischer Stränge das eigentliche Charakteristikum darstellt. Diese bleibt bei Leibniz noch von rationalistischen Grundannahmen eingeholt, bei Condillac erfährt sie jedoch jene sensualistische Ausrichtung, die den Leibnizschen Opponenten Locke als einen Gewährsmann ersten Ranges ins Spiel bringt. Chomsky verkennt in seiner Cartesianischen Linguistik genau jene bei Leibniz virulenten Momente, die bei Locke deutlich akzentuiert werden. Historiographisch stellen sie sich dar als Rekurs auf Historie und Erfahrung statt auf apriorische Kategorien. 2.4.7. Bernhardi Bevor wir uns dieser, der rationalen Universalgrammatik einerseits konkurrierenden, sie andererseits aufgreifenden Richtung zuwenden, sei beispielhaft auf einen Vertreter ratio-
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nalistischer Grammatik verwiesen, der allein schon deshalb Beachtung verdient, weil er das Kantische Programm eines erkenntnistheoretischen Idealismus rigoros auf die Sprache und die Grammatik der Sprache anwendet und gleichzeitig romantischem Gedankengut nahesteht: August Ferdinand Bernhardi (1769⫺1820). Bernhardi deduziert die Möglichkeit einer universalen Grammatik aus einer Sprachursprungstheorie, die Sprache als „früheste reinste Aeußerung des Verstandes“ (Bernhardi 1797, 8) und Abbild desselben versteht. Von daher scheint es ihm evident, daß es einen allgemeinen Kern der Grammatik geben muß, der diese Gemeinsamkeit des Vernunftursprungs widerspiegelt. Bernhardis grammatische Untersuchungen zielen in den Anfangsgründen der Sprachwissenschaft von 1805 auf die „nothwendige“ oder „idealische Form“ der Sprache, die realiter in keiner empirischen Sprache gegeben ist. Die Zeichendefinition Bernhardis selbst entbehrt einer besonderen Originalität, da er Sprache als „Ganzes von artikulierten Lauten“ bestimmt, die der Darstellung menschlicher „Vorstellungen“ dienen: „Dasjenige was die einzelne Vernunft in der äußeren Anschauung hervorbringt, um sich mit anderen zu verknüpfen, heißt: eine Darstellung“ (Bernhardi 1805, 12). In dieser Bestimmung klingt das kommunikative Ziel, das teleologische Ursache des Sprachursprungs ist, an, aber auch die von Kantischer Erkenntnistheorie geprägte Vorstellung einer allgemeinen absoluten Vernunft, die sich ihrer Selbstübereinstimmung in der Übereinstimmung der Einzelsubjekte vergewissert. Es zeichnet Bernhardi aus, daß er in der rationalen, von apriorischen Denk- und Erkenntnisstrukturen bestimmten Darstellung gleichwohl den kommunikativen Aspekt betont und die Kommunikationssituation für systematische Unterscheidungen wie die zwischen „gebundener“ und „freier“ Darstellung ⫺ erstere erfordert den unmittelbaren situativen Bezug auf die Kommunikationspartner, bei letzterer kann von den konkreten Umständen abstrahiert werden ⫺ nutzt. Die überaus geläufige Unterscheidung „willkürlicher“ und „nachahmender“ Zeichen erfährt vor dem Hintergrund der Kantischen Begrifflichkeit ihre besondere Note. Als Funktion der Einbildungskraft erhalten wir motivierte Zeichen, die, wenn der Verstand sich dieser Zeichen bemächtigt, zu den willkürlichen Zeichen werden, die für die
Sprachdarstellung charakteristisch sind (vgl. Bernhardi 1805, 43). Auf Kant nimmt Bernhardi auch in seiner Urteilstheorie Bezug, wobei das synthetische Moment in Begriffsbildung und Gegenstandskonstitution liegt, während die Urteile immer analytischen Charakter, gemäß der Kantischen Bestimmung des analytischen Urteils, haben. Wir finden uns damit eigentlich rückverwiesen auf Leibniz, bei dem im Prinzip alle Sätze analytischen Charakter haben. Bei den kontingenten Sätzen kann jedoch die Demonstration, insofern der Mensch über keine vollständige Vorstellung („notio completa“) verfügt, nicht immer geleistet werden. Sowohl Bernhardis Verständnis der Substanz als „Vereinigung mehrerer Eigenschaften zu einer Einheit“ (Bernhardi 1805, 118) als auch seine Analyse der Satzstruktur mittels „Inhärenz“ (die Anwendung des Prinzips „praedicatum inest subjecto“) entspricht Leibniz. Die Kopulatheorie, die Bernhardi konkret vertritt, unterscheidet sich auch kaum von der Auffassung von PortRoyal. Zusammenfassend ist festzustellen, daß nicht die Zeichendefinition Bernhardi interessant macht, sondern die Situierung in einem Argumentationsraum, in dem romantische Gedanken einer universalpoetischen Fundierung neben rationalem Kalkül stehen, historische Entwicklung in einer Bewegung der Vernunft aufgehoben wird und Kommunikationsgesichtspunkte sich mit apriorischen Denkstrukturen überschneiden. So kann Bernhardi für den Universalismus der apriorischen Denkgesetze stehen und zugleich auf den Universalismus der historischen Veränderung und der poetischen Kraft verweisen. Der Gebrauch als etablierter „usus“ hat hier keinen systematischen Ort; wenn der Sprachgebrauch hereinspielt, dann als dem Symbolisierungsvermögen innewohnende Kraft, die in historisch je spezifischer Weise zum Ausdruck gelangt. 2.5. Historie und Erfahrung als Parameter Von Leibniz ausgehend können wir ein Gegenmodell der Sprachbetrachtung, das auf den großen Leibnizschen Opponenten Locke (1632⫺1704) zurückgeht, betrachten (vgl. Art. 62 § 8.2.3.). Dieses steht nicht im philosophischen Paradigma des Rationalismus cartesianischer Prägung. Damit wird gleichzeitig eine dritte Komponente unserer anfänglichen Gegenüberstellung (vgl. Abb. 67.1) angesprochen, die zwar rationalistische Begrün-
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dungsmodelle anzuwenden sucht, gleichzeitig aber einem strikten Sensualismus verpflichtet ist und von daher das Schema sprengt. Es gibt dann keine apriorischen aller Erfahrung vorausliegenden Strukturen der Sprache, andererseits gibt es wohl gesetzmäßige Zusammenhänge und Entwicklungen, die die Zeichenkonstitution unabhängig von Muster und freier Konvention steuern, bzw. diese erst fundieren. Am Beispiel Horne Tookes sei dies erläutert. H. Tookes radikaler Sensualismus hinderte ihn nicht daran, die Port-Royal-Grammatik mit großem Respekt zu betrachten, und seine Fragestellung zielte genau wie die von PortRoyal auf philosophische Prinzipien der Grammatik und auf Erklärungsadäquatheit. Seine Topikalisierung des Abkürzungsverfahrens als Grundphänomen der Zeichenkonstitution in der Sprache hat seine Parallelstellen in der Erklärung des Adverbs durch die Port-Royal-Grammatiker, welche auch Condillac zugrunde legte. Doch während sich Abkürzungen im Port-Royal-Paradigma auf die Konstruktion beschränkten (vgl. die Relativsatzanalyse), wirkt die Abkürzung bei H. Tooke in dreifacher Form (vgl. Aarsleff 1967, 51). Bei der Begriffsbildung fassen die Namen die Mannigfaltigkeit der Einzeleindrücke in für die Kommunikation brauchbare kurze Ausdrücke zusammen ⫺ hier verweist Tooke auf Locke, und hierin liegt der Grund, wieso Tooke für Lockes Essay concerning Human Understanding als angemesseneren Titel „a Grammatical Essay“ ansieht. Bei den Wortarten steht als Zielvorgabe für Tooke die generelle Rückführung auf die Nomina, für die das benannte Schema der Zusammenfassung von Sinneseindrücken unmittelbar einsichtig ist. Doch verbleibt dann als Problemfall das Verb. Aus kommunikationstheoretischen Überlegungen muß Tooke es neben dem Nomen als eigene Kategorie in die primäre Zeichenklasse aufnehmen, die alle für die Kommunikation notwendigen Wörter beinhaltet (vgl. Aarsleff 1967, 47 f), da eine vollständige Reduzierung auf nominale Bestandteile den Grundcharakter der Aussage verfehlt. Die dritte Art der Abkürzung schließlich ist die hinsichtlich der Konstruktion, die auch in der Port-Royal-Theorie und den Überlegungen der universalistischen Grammatik von jeher eine bedeutende Rolle spielte. Von Du Marsais wurde sie beispielsweise als universales Prinzip angenommen.
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Neben der Abkürzung als zeichengenerierendem Prinzip kommt bei Tooke als Erklärungsmuster der Etymologie besondere Bedeutung zu. Etymologie ist allerdings das Werkzeug, um die deduzierte universale Theorie des sprachlichen Zeichens als Zusammenfassung von Sinneseindrücken im Nomen zu stützen, nicht liegen Etymologien als induktive Basis der Theorie zugrunde. Es kann und braucht an dieser Stelle nicht auf die häufig mangelnde Adäquatheit der etymologischen Erklärungen, die ganz im Dienst der Zurückführung der Wortarten auf Nomina („noun reduction“) stehen, eingegangen werden. Als theoretische Folgerung ergibt sich aber, daß die Etymologie in die universale Grammatik hineinwirkt, ja erst die universellen Momente hervortreten läßt. Diese liegen nicht mehr in der Repräsentation eines vor- oder unsprachlichen kognitiven Gehalts und orientieren sich damit auch nicht an den Operationen universaler Denkprozesse, sondern betreffen den Ablauf der sprachlichen Konstitution und die Normierung des kognitiven Apparats und der allgemeinen Begrifflichkeit (vgl. auch Arndt 1979). In Abhebung zur rationalen Universalgrammatik gilt es festzuhalten, daß Universalität hier auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt ist. Das Verfahren selbst, der Zeichenkonstitutionsprozeß, wird universell verstanden, doch durch die Umkehrung der Wirkungsrichtung der Relation Denken⫺Sprache (universelle Denkoperationen garantierten für Port-Royal die Universalität der Sprache als Abbild des Denkens, während nun die Sprache einen aktiven Part als Prägung des Denkens spielt) kommt ein starkes Moment der Relativität herein. Und diese Relativität erweist sich nicht als Epiphänomen wie in der rationalen Grammatik cartesianischer Form, sondern als Folge der Konzeption des Rückgangs auf die Sinneserfahrung als Quelle des Zeichens. Die Betonung des Primärziels der Kommunikation mittels Sprache statt des Blicks auf die Funktion eines Ausdrucks des Denkens durch sprachliche Zeichen verstärkt das relativistische und dynamische Moment. Aarsleff (1967, 54) deutet dies an, wenn er bei Tooke von „germs of a very romantic and mystical notion of language“ spricht, und es sind unschwer Topoi der Argumentation selbst noch des romantischen Rationalisten Bernhardi hier zu erkennen. Rational ist bei Tooke jedoch nur das Begründungsverfahren, keinesfalls nimmt er auf
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rationale Grundprinzipien bezug, die der Erfahrung vorausliegen. Wir finden solche Momente bei Johann Gottfried Herder (1744⫺1803) und Condillac ebenso, und es ist keineswegs ein Zufall oder Mißverständnis, daß Herder vehemente Kritik an der Kantischen Philosophie gerade auf dieser Basis übt. Geschichte und Erfahrung bestimmen nach Herder die Sprache und deren grammatische Struktur, keineswegs legen apriorische Kategorien den Raum der Erfahrung fest (vgl. Herder 1792). Die Entdek kung der Geschichtlichkeit der Sprache und der nationalen Eigentümlichkeiten, für die wir summarisch auf Condillac, Vico und Herder verweisen, erlangt von daher einen anderen und zwar eminent wichtigen Stellenwert. Bleibt scheinbar die Zeichenauffassung als Zuordnung eines materiellen Korrelats zu einer ideellen Komponente unverändert, so bestimmt sich der ganze Strukturraum neu, insofern nicht von der allgemein und unveränderlich gedachten Seite des Denkens die Zeichen und Zeichenoperationen in den Blick genommen werden, sondern aufgrund der empirischen Einflußgrößen und deren unstrittiger Variabilität die allgemeine und apriorische Natur des Denkens in Frage gestellt wird. Deutlich wird dabei auch, wie sich die benannten semiotischen Grundkonzeptionen überschneiden. Bestimmt sich das Interesse an den nationalen Eigentümlichkeiten und die Pflege und Normierung der Einzelsprachen zum einen von der dem Gebrauch und der gesellschaftlichen Akzeptanz zugewandten relativistischen Renaissancelinie (vgl. § 2.3.) her, so kommt aus der Linie der Locke-Rezeption die philosophische Begründung einer erfahrungsabhängigen Grundlegung von Sprache und Denken, die ihrerseits den Blick auf die Relativität der einzelnen Sprachen stärker ins Spiel bringt als die universale Struktur des Denkens. Condillac kann insofern als Musterfall angesehen werden, als er auf der einen Seite die rationalen Prinzipien der universalen Grammatik zugrunde legt, auf der anderen Seite einen ausgeprägten Sensualismus vertritt (Aarsleff 1967, 14; vgl. auch die Diskussion um die Wortstellung in § 2.4.; siehe außerdem Art. 65 § 8.2.5.). Von diesen Gegebenheiten her läßt sich das Gesamtbild der semiotischen Konzeptionen der Grammatik als Feld dreier Wirkungslinien beschreiben, deren eine, universalistisch und rationalistisch, Sprache von der Logik und den Denkgesetzen her betrachtet,
deren andere den Musteraspekt und damit Konvention und „usus“ betont und deren dritte, vom Sensualismus geprägt, Erfahrung und Historizität als fundamentale Einflußgrößen der Sprachentwicklung und Zeichenkonstitution ansieht. Daß letztlich die Positionen immer in vielfältigen Facetten schillern, daß Momente der einen Position oft nur in anderer Gewichtung bei Gegnern aufgenommen sind, zeigt sich sowohl bei PortRoyal wie bei Leibniz deutlich und in anderer Weise auch bei Scaliger oder Dante. Der Blick auf antagonistische Grundtendenzen klärt weniger die Zeichendefinitionen als den Raum, in dem diese Definitionen stehen, und die Implikationen, die damit verbunden sind. Er macht gleichzeitig verständlich, warum bestimmte Tätigkeitsfelder wie die Lexikographie in manchen Zeiten blühen, in anderen ganz am Rande des Interesses liegen. Insofern die Historiographie selbst keinen neutralen Standpunkt hat und einnehmen kann, läßt sich vom Blick auf solche Grundstrukturen doch auch erkennen, worin die Ursachen für Blindstellen mancher historiographischer Entwürfe liegen. Chomsky hat durchaus recht, wenn er eine Linie der allgemeinen, apriorischen, rationalen Grammatik zieht, doch übersieht er dabei die vielen Querverbindungen und schließlich auch, daß ein Großteil der Leistungen, die er reklamiert, genauso auf einer anderen Basis gewonnen werden können. Seine Vorwürfe treffen am ehesten einen Relativismus, der das Fundament der Zeichenkonstitution und der grammatischen Regeln in der gesellschaftlichen Praxis ortet. Ein tiefer greifender Rekurs auf den Gebrauch als Resultante von historischen und empirischen Einflußgrößen bleibt den Chomskyschen Angriffen weitgehend entzogen bzw. wird von den Vorwürfen der Beliebigkeit und Beschränkung auf oberflächliche Beschreibung nicht getroffen. So könnte Herder, den Chomsky selbst als Beleg für eine rationalistische Fundierung anführt, in manchem auch als Gegenbeleg verwendet werden, und Locke, den Chomsky zu verwerfen scheint, in manchem als Beleg für cartesianische Linguistik in der bei Chomsky skizzierten Form.
3.
Rhetorik
3.1. Rhetorik als Fundament von Grammatik und Poetik Die Rhetorik durchläuft seit der Renaissance eine Entwicklung, die zwischen ihrer Bewertung als Muster für Grammatik und Poetik
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
und ⫺ in der Zeit ihres höchsten Ansehens ⫺ als Paradigma des Wissenschaftsverständnisses einerseits, und völliger Verwerfung ihrer Verfahren und Mittel andererseits schwankt (zur Rhetorik des Hochmittelalters vgl. Art. 53 §§ 3.⫺5.). Steht auf der einen Seite die Fundierung des Wahrheitsbegriffs und seine Aufgabe im „aptum“ und die Bestimmung noch der materialen Erkenntnis in Abhängigkeit von formaler Adäquatheit, so steht auf der anderen Seite gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Auffassung, daß selbst für den Fall, daß die richtigen Inhalte vertreten werden, deren rhetorische Aufbereitung abträglich sei. Dieses Verständnis wird in der Debatte um den Mißbrauch der Wörter („abus des mots“) bei den Ideologen eher verdeckt, da hier der Mißbrauch der Rhetorik angegriffen wird, während der Forderung nach Eliminierung der Rhetorik zugunsten einer pädagogisch egalitären, wissenschaftlichen Betrachtung der Sprache eigentlich ein anderes Grundverständnis der Relation Sprecher⫺ Zeichen⫺Hörer zugrunde liegt, das Zeichen und Rede von den affektiven Komponenten loszulösen sucht und die dyadische Korrelation von Zeichenform (Laut) und Gegenstand (Bedeutung) bzw. von Satz und Proposition im Sinne von Port-Royal in Reinkultur anstrebt. Der mit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts einsetzende Niedergang der Rhetorik korreliert unmittelbar der Entwicklung hin zu rationalistischer Universalität und Gewißheit der Erkenntnis, sei dies im cartesianischrationalistischen Sinn, sei dies in der sensualistischen Gewißheit des Empirismus (Perelman 1977⫽1980, 17; vgl. §§ 2.4. und 2.5.). Die theoretischen Aspekte einer rhetorischen Fundierung des Sprachsystems sind in § 2. in den Grundzügen skizziert. Für die praktischen Folgerungen der unterschiedlichen Gewichtung und Akzentuierung von Figurenlehre und Affektenlehre beispielsweise und die spezifische Aufnahme der antiken Rhetorik wirkte sich entscheidend aus, daß der eigentliche Ort der angewandten Rhetorik völlig verändert war. Dies führte einerseits zu einer verstärkten Gewichtung von Rhetorischem als sprachkonstitutivem Moment, mit entsprechenden erkenntnistheoretischen Implikationen, andererseits jedoch zu dem völligen Zusammenbruch der Rhetorik, sobald sie als nichtkonstitutiv für die Zeichenetablierung auf der primären sprachlichen Ebene angesehen wurde, vor allem seitdem das poetische Zeichen seine Geltung im Zuge der
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Emanzipation der Poetik ebenfalls nicht mehr aus rhetorischen Regeln herleitete (vgl. § 4. und die Tendenz zum „poeta vates“; siehe auch Art. 63 § 2.1.). Der Grund hierfür ist in der spezifischen Ausdifferenzierung des praktischen Kontexts von Rhetorik zu suchen. 3.2. Ausdifferenzierung von Rhetorik im praktischen Kontext Für die humanistisch-lateinische Rhetoriktheorie ist die „prinzipielle Isolation von der politischen, sozialen Realität des 17. Jahrhunderts“ charakteristisch (Barner 1970, 154). Es ist dies eine Folge der Norm- und Zeichenetablierung vom höfischen Ideal her ⫺ Baldassare Castigliones (1478⫺1529) Cortegiano (1528) bezeichnet Barner (1970, 369) als „Schlüsselwerk der höfischen Barockrhetorik“. Diese läuft in dem Moment, wo die rednerische Praxis im wesentlichen auf die zeitlose epideiktische Gattung der Rede beschränkt wird (Barner 1970, 154), leer. Zwar wird die Sprache des Hofs zum Muster, so daß durchaus ein rhetorisches Moment zum Tragen kommt, doch gleichzeitig wird die generative Kraft der Rhetorik beschnitten, da die Praxis der Rede keinen Raum läßt zur Konsensherstellung im Argumentieren. „Der große, vor allem am Beispiel Ciceros studierte, Bereich der politischen ‘beratenden Rede’ entfällt, […] weil absolutistische Kabinettspolitik kein öffentliches ‘genus deliberativum’ benötigt“ (Barner 1970, 154). Der „Neubeginn im Zeichen des Politischen“ (Barner 1970, 167, Kapitelüberschrift; siehe auch 190) ⫺ für den Christian Weise (1642⫺1708) als Beispiel stehen kann ⫺ korreliert zum einen der Betonung des Werts der Nationalsprachen in der Rhetorik, bringt aber auch eine Umorientierung der politischen Rede mit sich. Das rhetorische Grundverständnis des Zeichensystems Sprache mit dem Einbezug der Sprecher-Hörer-Gewöhnung in den zeichendefinierenden Raum gelangt bei Weise jedenfalls auch in der Anwendung der Rhetorik als Argumentationskunst wieder zur Geltung. Doch Weises Propagierung des adressatenkonformen Sprechens führte die Rhetorik gleichwohl in die Richtung, die eine Seite des Dilemmas der Rhetorik im Ausgang des 18. Jahrhunderts ausmachte. Gegenüber dem Volk empfiehlt Weise die „euserliche Larve“ (Weise 1696) und weiß sich hierin durchaus mit seinen Kritikern Hallbauer und Fabricius einig (vgl. Gabler 1982, 45 f). Festzuhalten bleibt, daß mit Weise eine Wendung gegen die Lobrede, die epideikti-
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sche Gattung („genus demonstrativum“), die sich auf die Häufung von manieristisch „curiösen Realien“ und gesuchten Formen beschränkt (vgl. G. E. Grimm 1982) zu verzeichnen ist. So kommt eine „Reaktualisierung einer ihre persuasorischen Grundlagen hervorkehrenden Rhetorik“ (Gabler 1980, 14) zum Tragen, auch wenn die Rede als öffentliche weitgehend auf das „genus demonstrativum“ beschränkt bleibt. Doch korreliert der Weiseschen Wendung zu persuasorischen Aspekten eine Verschiebung im Adressatenbereich. Die ‘politische’ Rhetorik Weisescher Prägung findet im privaten Bereich statt und ihre Wirkungsintention zielt nicht zuerst auf die Vertretung einer Sache, sondern auf den Beifall des Hofes. Die Anbindung der Beredsamkeit an die Staatsform stellt sich also in ganz anderer Form dar als in der Antike (vgl. Barner 1970, 48), und die Nähe der Lobrede wirkt fort. Bleibt dem öffentlichen Bereich der Lobrede das Pathos und der Redeschmuck als Ziel und Mittel zugleich erhalten, so fordert aber doch die private Rede von der und für die Sache das Argument, die Fähigkeit des Überzeugens und den Gewinn des Interesses wieder ein. Zeichentheoretisch ist diese Veränderung der Sender-Empfänger Relation, welche Weise von Lohenstein unterscheidet, ebenso bedeutsam wie die von Grimm (1982) hervorgehobene Wendung Hallbauers gegen die ‘politische’ Rhetorik Weises unter Berufung auf Sachverpflichtetheit und philosophische Wahrheit jenseits der Rhetorik (siehe unten). Grimm (1982) sieht die Differenz zwischen der „öffentlichen Rede“ und der „philosophischen Rede“ richtig, doch entgeht ihm die Differenz zwischen der persuasorischen privaten politischen Rede und den institutionalisierten Festreden. Weise verbindet, soweit er diesen privaten, nicht-institutionellen Bereich ins Spiel bringt, doch einiges mit Hallbauer und dem, was Grimm als „philosophische Redekunst“ kennzeichnet. Wie bereits erwähnt, plädierte Friedrich August Hallbauer (1692⫺1750) in seiner Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie (1725) mit Weise durchaus für die ‘rhetorische Schminke’, und seine Kritik an Weise betrifft dessen Realienverliebtheit, d. h. dessen Rückgriff auf Beispielsammlungen und ähnliches, denen Hallbauer ihren Real-Charakter, verstanden als Sachangemessenheit bezüglich des Redegegenstandes, gerade abstreitet. Die Tendenz in der Rhetorik, die Einschränkung der Praxis aufzuheben und weg-
zugelangen von der Beschränkung auf die Feier der Lobrede, geht über Weise hinaus und führt zu den Punkten, die seine Kritiker thematisieren. Sucht Weise die Gesichtspunkte der Rede wieder in Erinnerung zu rufen, die bei der im „genus demonstrativum“ präsupponierten Einmütigkeit zwischen Hörer und Sprecher keine Rolle mehr spielen, so bleibt für die Kritiker Weises die Rede noch immer zu entleert von inhaltlicher Relevanz, und wenn sie auch nicht über den Redeschmuck allein definiert wird, so scheint ihnen doch die Anknüpfung des Argumentierens an die Preziosität der entscheidende Punkt. Damit aber kommt indirekt ein Argument gegen die rhetorischen Mittel selbst zum Tragen. Wird in der Rhetorik die Gewichtigkeit rhetorischer Mittel zugunsten der Sachargumentation minimalisiert, Rhetorik nur mehr verstanden als pädagogische Krücke für die Vermittlung einer jenseits der Rhetorik angesiedelten Wahrheit, dann gewinnt die Kantische Kritik der Rhetorik an Plausibilität. Sie erscheint dann nur als mehr oder minder schädliches Beiwerk, sei es, daß man ihrer nicht bedarf, weil man sich an den aufgeklärten, verständigen Fachmann richtet, sei es, daß man folgert, daß das gemeine Publikum aufzuklären ist, das heißt von Rhetorik zu befreien. Perelman (1977 ⫽ 1980, 16) akzentuiert diesen Aspekt heute deutlich, wenn er festhält, daß „eine Argumentation keine Gewißheit verschaffen kann, und gegen Gewißheit sich nicht argumentieren läßt“. Nur bei umstrittener Gewißheit ⫺ dies kann allerdings auf einer sehr fundamentalen Ebene liegen, weshalb Perelman sich auf Wittgenstein (Über Gewißheit, 1969) beruft ⫺ kommt die Argumentation und damit Rhetorik ins Spiel. Weise abstrahiert weitgehend von der „res“ als Redegegenstand und achtet allein auf die Wirkung, was realiter bedeutet, daß jedes Argument vertreten werden kann; Hallbauer und in der Folge Gottsched tendieren zu einer Aufwertung der Beweisgründe, um „auch der Redekunst zur demonstrativen Gewißheit zu verhelfen“ (Grimm 1982, 91), und zielen somit auf eine Ebene, auf der die Argumentation aus theoretischen Gründen aufgehoben ist. Wenn Hallbauer Weise vehement kritisiert, dann im Blick auf das deliberative Genus. Nur vor diesem Hintergrund ist die Wendung gegen die Kollektaneen und Ratschläge, die Weise für die „inventio“ bereithält, verständlich. In der Neubewertung der Muttersprache
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und der Grundtendenz einer Verlagerung des Interesses auf die Argumentation stimmen sie überein. „Ab Chr. Weise finden sich die oratoria mit den politica verbunden und verlegt sich Rhetorik verstärkt auf Redesituationen, in denen eine reale Beeinflussung ermöglicht und notwendig wird“ (Gabler 1980, Anm. 28; zu Weise vgl. insbesondere Barner 1970). Dies ist gleichsam die Bedingung, unter der auch Hallbauer, Fabricius und Gottsched stehen. Doch während Weise die Aufmerksamkeit stärker auf die Beeinflussung des Hörers durch rhetorische Mittel legt, beziehen sich Hallbauer in seiner Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie (1725) und Johann Andreas Fabricius (1696⫺1769) in seiner Philosophischen Oratorie (1724) auf Sachadäquatheit. Es bedeutet dies gleichzeitig einen Übergang vom Richtmaß des äußeren „aptums“ zum sachlichen Angemessenheitsideal des inneren „aptums“. Steht bei Weise die Gewinnung des Interesses im Vordergrund und ist sein Ziel die „Vermittlung einer für die Alltagsangelegenheiten bestimmten Redefertigkeit“ (Grimm 1982, 66), so sucht die philosophische Redekunst die Sachangemessenheit des sprachlichen Ausdrucks zu befördern und in den Blickpunkt zu rücken. Eine Anmerkung zum Verhältnis von „res“ und „verba“ (vgl. auch § 4.) ist hier nötig. Das Verhältnis zwischen „res“ und „verba“ kommt in mehrfacher Weise ins Spiel: (a) „res“ kann stehen für die in der Rede zu verhandelnden Sachen (das Thema), denen die Ausführung der Rede entsprechen muß; (b) in spezifischerer Weise liefert die inventio unter Ausnützung der „loci“ Gedanken („res“), die zum Thema beitragen (auch als exempla). Die Kritik der philosophischen Redekunst an Weise betrifft nun die Beziehung zwischen (a) und (b), insofern deren Vertreter (Hallbauer; Fabricius; Gottsched) Weises Realien („res“ nach (b)) die angemessene Ordnung untereinander und in Bezug zur verhandelten Sache („res“ nach (a)) bestreiten (inneres „aptum“; vgl. Ueding 1976, 227 f). Die „res“ (b) werden in ähnlicher Weise wie die Gedanken in der Theorie von Emanuele Tesauro (1591⫺1675) zu von der Sache (a) losgelösten Versatzstükken. Das Verhältnis der Worte zum Bezeichneten („res“), nach Maßgabe einer „phy´sei“oder „the´sei“-Auffassung von der Sprache ⫺ die „thesei“-Auffassung entspricht einem rhetorischen Verständnis der fundamentalen Konstitutionsebene eher ⫺ spielt auf dieser Ebene keine Rolle (vgl. Ueding 1976, 87). Am
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Rande sei in diesem Zusammenhang vermerkt, daß, so sich in den Rhetoriken unmittelbare Zeichendefinitionen finden, diese wenig besagen und kaum etwas vom Eigentümlichen der vertretenen Position wiedergeben. So würde Fabricius’ allgemeine Bestimmung der Rede als Fähigkeit „durch einen […] veränderlichen laut, andern seine gedanken und regungen, von einer sache zu erkennen zu geben“ (Fabricius 1724, 3) von keinem der hier behandelten Grammatiker, Rhetoriker oder Poetologen in Frage gestellt. Die Gegenbewegung zu Weise und die Hinwendung zu einer ‘philosophischen’ Rhetorik, die den inhaltlichen Gesichtspunkt in den Vordergrund rückt, könnte den Eindruck erwecken, daß die Rhetorik im 18. Jahrhundert nochmals die fundamentale erkenntnistheoretische Rolle zurückgewinnt, die ihr in der Renaissance zunächst zukam. Doch dieser Eindruck täuscht. Wissenschaft und wissenschaftliche Erkenntnis werden allgemein wie bei Kant oder den Ideologen als direktes Gegenmoment der Rhetorik bestimmt. Dort wo praktische Beeinflussung eine entscheidende Rolle spielt, in Fragen der Politik oder etwa in der Predigt, wird der Bezug zur klassischen Rhetorik eher vermieden und die Eigentümlichkeit der politischen Rede oder der Predigtlehre betont. Wenn J. G. Herder fragt: „Sollen wir Ciceronen auf der Kanzel haben?“ (1766), dann ist für ihn die Ablehnung der tradierten Redeformen für die geistliche Rede aus den verschiedensten Gründen selbstverständlich. Nicht nur scheint ihm die Affekterregung nicht am Platz zu sein, auch bedarf die Vermittlung ewiger Wahrheiten im Unterschied zu tagesabhängigen Fragen nicht der tradierten Rhetorik. Das rhetorische Sprachzeichen wird also nun unmittelbar verstanden als von der Sache weitgehend gelöstes affekterzeugendes Mittel, das sich für Fragen von Bedeutung und zur Darstellung der Wahrheit eher verbietet. Das Plädoyer für den mittleren Stil versteht sich in diesem Zusammenhang von selbst. Für die politische Rede stellte Herder in ähnlicher Weise fest, daß die Bedingungen antiker Rhetorik in der gegenwärtigen Zeit nicht erfüllt seien. Diese Standardklage seit der frühen Aufklärung erfährt zwar in den Umwälzungen der französischen Revolution eine praktische Veränderung, was die Bedeutsamkeit des „genus deliberativum“ im politischen Diskurs betrifft, doch die theoretische Aufarbeitung erfolgt erst im 19. Jahrhundert. Vor allem in Deutschland findet die politi-
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sche Rede erst spät Beachtung, z. B. bei Adam Müller, 1779⫺1829. Für die Rhetorik läßt sich in groben Umrissen folgende historische Verlaufslinie skizzieren. Im Zug der Entwicklung nach der Renaissance wird die Rhetorik in ihrer praktischen Anwendung als Redekunst immer stärker auf das „genus demonstrativum“, die epideiktische Rede eingeschränkt, obwohl auf der Grundlagenebene die Fundierung von Erkenntnis wie die Etablierung des Sprachsystems gemäß rhetorischen Prinzipien gedacht werden. Doch gilt es hier zu unterscheiden zwischen der Fundierung der Zeichen aufgrund rhetorischer Prinzipien und den zur Anwendung gelangenden rhetorischen Zeichen. Die Rezeption der antiken Rhetorik führte aufgrund der Praxis letztlich zu einer Hochschätzung der Figurenlehre und des Redeschmucks (vgl. § 4. zu Tesauro) unter Vernachlässigung der Argumentationslehre. Die theoretische Hochschätzung der Rhetorik kam so der Grammatik ⫺ im weiten Sinn von Sprachwissenschaft ⫺ und der Poetik zugute, nicht aber der Rhetorik als Redekunst. In dieser kam es gemäß der aristotelischen Bestimmung des „genus demonstrativum“ zu einer Überbetonung der Redemittel, und dies bedeutete zugleich den weitgehenden Ausschluß rhetorischer Momente aus der Wissensvermittlung, sobald die rationalistische Gegenbewegung das rhetorische Fundament im Streben nach Erkenntnisgewißheit aufhob. So blieb die öffentliche Rede das ganze Barock hindurch Lobrede im hohen Ton, und die aufkommende politische Rede blieb dem privaten Bereich vorbehalten. Die angestrebte grundlegende Reform der Rhetorik führte in der veränderten Konstellation eher zu einem Aufweis ihrer Überflüssigkeit, denn zu einer Neubestimmung. So kennzeichneten in der Folge am Ende des 18. Jahrhunderts „Theoriefeindlichkeit, Ablehnung der antiken Tradition und volkstümliche Anwendung der Rede“ das Bild der Rhetorik, was letztlich einer Zurückweisung der Rhetorik (cf. Ueding 1976, 114) gleichkommt. Auf der formalen Seite kann man zwei Grundmomente der Rhetorik herausstreichen, die in den verschiedenen Stadien in unterschiedlicher Gewichtigkeit den Verweisungsraum der Zeichen bestimmten. In den Gesamtkomplex des äußeren „aptum“ einzuordnen, findet sich „die Pathoslehre, die sich mit der affektiven Beeinflussung des jeweiligen Publikums beschäftigt“, regelmäßig in den Lehrbüchern enthalten
(Barner 1970, 152). Die Pathoslehre ist so zunächst bei Weise wie auch bei Lohenstein von besonderer Bedeutung. Doch findet sich eine durchaus verschiedene Gewichtung. Die Vorliebe des Barock für den hohen Stil mit dessen Möglichkeiten für Pathos und „movere“ wird schon bei Weise in Frage gestellt. Mit der Abwertung des hohen Stils verliert die Pathoslehre ihre Bedeutung in der Rhetorik in dem Moment, wo die Aufmerksamkeit sich auf das innere „aptum“ richtet. Bleibt sie residual zunächst noch für die Poetik von Bedeutung in der Korrelation von Gattungen und Stilarten ⫺ Gottsched ordnet den erhabenen Stil der Poesie zu und fordert für die Rede generell den mittleren (vgl. Ueding 1976, 109) ⫺ so verliert sich die Bedeutung der Pathoslehre in dem Moment, als die technische Handhabung der Affekterzeugung mit den klassischen Mitteln der Rhetorik in den Hintergrund tritt und selbst die Tragödienlehre mit Lessing auch noch die Gottschedschen Einschränkungen aufhebt. Damit ist die spezifische Wertigkeit der sprachlichen Zeichen in funktionaler Abhängigkeit vom Sprecher, wie sie in den Festlegungen der Poetik nochmals festgeschrieben wurde, aufgehoben. Die Figurenlehre stützt zum einen die Versuche der affektuösen Beeinflussung, indem ein Repertoire zur Verfügung gestellt wird, die eigenen Affekte auszudrücken. So ordnet Meyfart (1634) den einzelnen Figuren des Redeschmucks unmittelbar spezifische Affektqualitäten zu. Zum anderen besteht die Tendenz, die Figuren wie die Tropen um ihrer selbst willen zur Anwendung zu bringen. Der Redeschmuck steigt im „genus demonstrativum“ ohnehin zum Eigenwert. Ist dafür beispielhaft der Manierismus Tesauros, so zielt die Stoßrichtung der innerhalb der Rhetorik angedeuteten Kritik der rhetorischen Mittel auf alle formalen Besonderheiten. Mit der Verwerfung der antiken rhetorischen Mittel (vgl. Ueding 1976, 113) wegen des formalen Leerlaufs, der zwar nicht den antiken theoretischen Konzeptionen zuzurechnen war, sondern aus den spezifischen Anwendungsbedingungen der Rede erwuchs, verlor auch die Lehre von den Figuren und Tropen ihre Bedeutung. Bedeutsam erscheint dies vor dem Hintergrund der heutigen Situation, insofern in der Neugewichtung der Rhetorik bei Perelman die Figurenlehre zugunsten der argumentativen Seite in den Hintergrund rückt, während Dubois (1970 ⫽ 1974) versucht, gerade über
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eine moderne Rekonstruktion der rhetorischen Figuren die Neubewertung der Rhetorik als Grundlagenwissenschaft zu stützen. Keineswegs zufällig orientiert sich Dubois am literarischen Bereich, während Perelman die politisch-gesellschaftliche Dimension im Blick hat. Insofern Poetik und Rhetorik über weite Teile ineinsfallen (vgl. Ueding 1976, 108 f), behandeln die folgenden Überlegungen zur Poetik gleichermaßen rhetorische Fragen. Den systematischen Ansatz der zur Trennung führenden Entwicklung akzentuiert § 4. als Verlaufslinie innerhalb der Poetik.
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Poetik
Der zu behandelnde Zeitraum (zur Poetik des Mittelalters vgl. Art. 53 §§ 2.⫺4.) bringt die Etablierung der Poetik als eigenständige Disziplin gegenüber dem Kanon der „artes“ und fällt nach Auffassung mancher Theoretiker in seinem Endpunkt mit ihrem Ende zusammen (vgl. Boetius 1974, 133). Mag diese Zäsur auch zu streng angesetzt sein, so gilt gleichwohl, daß die Poetik mit den großen Entwürfen der Romantiker hinsichtlich einer Universalpoesie einen End- und Kulminationspunkt erreicht, insofern jedes sprachliche Zeichen und insbesondere die poetologische Reflexion ihre Geltung vom Poetizitätsgrad des Zeichens her gewinnt. Friedrich Schlegels berühmtes Diktum, daß die wahre Kritik der Poesie selbst Poesie werden müsse (1798: Kritische Fragmente, 117) ist als zeichentheoretisches Axiom über das Verhältnis von Objekt (⫽ Dichtung) und Metasprache (⫽ Kritik) zu verstehen. 4.1. Die Etablierung der Poetik als Disziplin Dantes De vulgari eloquentia (ca. 1310 ⫽ 1957; für die Poetik sind vor allem die Abschnitte II iv ff relevant) liefert den Ausgangspunkt für die poetologische Reflexion, nicht nur in der Berücksichtigung der volkssprachlichen Dichtung, sondern auch in der Apologie der Poesie und der Ausrichtung am Modell der antiken Rhetorik und Poetik mit den Mustern Cicero und Virgil. Poesie wird definiert als „fictio rhetorica musicaque poita“ (II iv2, 3), womit die rhetorische Grundlage der Poesie deutlich akzentuiert wird. Man könnte trotz der Hochschätzung der Poesie von der Poetik als einem Sondergebiet der Rhetorik sprechen, das zum einen formal durch die musikalische Struktur von Metrum
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und Reim bestimmt ist, zum anderen durch die besondere Art des Wirklichkeitsbezugs. Zeichentheoretisch wichtig ist daneben die von Dante im Convivio aufgegriffene Lehre vom vierfachen Schriftsinn, die nichts anderes besagt, als daß dem Zeichen qua „signifiant“ auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Bedeutungen zugemessen werden (vgl. Art. 58 § 3. und Art. 60 § 4.3.). Dies korreliert eng der hermeneutisch bedeutsamen Lehre von den zwei Wahrheiten. So kann es auch nicht verwundern, wenn Petrarca (1304⫺ 1374), in den Grundzügen Dante verwandt, in seiner Apologie der Poesie den allegorischen Veritasbegriff heranzieht. Das Wahrheitsproblem der Dichtung ist zeichentheoretisch folgenreich, sowohl in einem technischen Sinn in der Frage der Zuordnung von Wahrheitswerten zu Aussagen, deren Termini keinen Bezug in der Welt haben, wie auch in jenem emphatischen Sinn, der eine Wahrheit jenseits der Aussagenwahrheit meint und der in den Konzeptionen des späten 18. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt. Für die volkssprachliche Poesie gilt analog zur Grammatik der Volkssprachen (siehe oben § 2.3.1.), daß der Musteraspekt der Antike und damit gleichzeitig die Möglichkeit von Regularität analog zum durch Regeln bestimmten Vorbild verstanden wird. Den Aspekt des Regelhaften unterstreicht die sich zunächst ausdifferenzierende und verstärkende Rhetorisierung der Poetik. Das ganze Barock hindurch wird die Poesie als spezifische Rede in gebundener Form betrachtet; die Poetizität eines Textes wird demnach überwiegend an einem reinen Formmerkmal festgemacht. Ob Erdmann Neumeister (1742) die Poesie als „galante Art der Eloquentz“ bestimmt oder Walch sie als eine „Art der Wohlredenheit“ (1726) auffaßt, die Gleichsetzungen und Unterordnungen der Poesie unter die Beredsamkeit legen den Raum auch der Poetik fest, die eben eine Art Rhetorik darstellt (vgl. § 3.). Doch findet sich schon bei Petrarca mit der Sonderstellung der Poesie gegenüber den „artes“ der Ansatz grundgelegt, der in der Betonung der Rolle des Dichters als „poeta vates“ statt des rhetorisch erforderten „poeta eruditus“ in der Folgezeit die Regelverpflichtetheit immer stärker in Frage stellen wird und das Ursprungsmoment des poetischen Zeichens, die „creatio“ statt der sekundären „imitatio“ der Muster in den Vordergrund bringen wird. Mit den rhetorischen Bestimmungen kommt nicht nur die Regelgeleitetheit zum
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Ausdruck, auch die Lehre der „convenientia“ erlangt dichtungstheoretische Bedeutsamkeit. Für den poetischen Text als Makrozeichen gibt es demnach eine Auswahlfunktion, die bezüglich der einzelnen Stilarten Zuordnungen im Blick auf Sujet, Personen, Worte und Topoi gewährleistet. Das „aptum“ der Rhetorik wird somit auch für die, Horaz aufgreifende, Poetik zum grundlegenden Moment, wobei, über Horaz hinausgehend, als dritte Funktion der Dichtung in völliger Entsprechung der rhetorischen Trias im 15. Jahrhundert neben das „delectare“ und „docere“ das „movere“ tritt. Die Funktion des „movere“ zeigt jedoch auch gegenläufige Momente an, deren antirhetorische Tendenz später im Rückgriff auf peri¡ yÕcoyw (Perı` Hy´psous, 1. Jh. n. Chr., fälschlich C. Longinus zugeschrieben) artikuliert werden. Der Pseudo-Longinus peri¡ yÕcoyw (Über das Erhabene) kam wirkungsgeschichtlich erst im 18. Jahrhundert durch Nicolas Boileau(-Despreaux) (1636⫺1711) ⫺ welcher selbst dichtungstheoretisch eher eine Gegenposition vertrat ⫺ zum Tragen, doch bereits im 15. Jahrhundert wird im Zug der Platon-Renaissance durch die Aufnahme der „furor“-Lehre, beispielsweise bei Marsiglio Ficino (1433⫺1499), das „Gegenmotiv“ zum rhetorisch geprägten Mimesiskonzept mit der „imitatio“ der Muster deutlich akzentuiert. Die Adäquatheitsbedingungen für poetische Zeichen unterscheiden sich für beide Konzeptionen beträchtlich, auch wenn bei Renaissanceautoren (z. B. Cristofero Landino, 1424⫺1492) gelegentlich beide Prinzipien ⫺ „furor divinus“ und „imitatio“ der Muster ⫺ ungeachtet der Widersprüchlichkeit gleichzeitig dezidiert vertreten werden. Die Situation verkompliziert sich durch die Tatsache, daß quer zu diesen Unterscheidungen und interagierend der aristotelische Mimesisbegriff in der zweifachen Ausformung der Nachahmung der Natur (aus der Physik) und der Nachahmung von Handlungen (aus der Poetik) steht. Im Fall der „imitatio“, gekoppelt mit dem Konzept des „poeta eruditus“, ergibt sich eine Tendenz zu steigender Elaboriertheit der Regeln des poetischen Zeichensystems. In einer Ausformung führt dies zu einer Wertung der „res“-„verba“-Relation, die das „signifiant“ qua „signifiant“ als originäres Material der Dichtung begreift und eine Form des Manierismus pflegt, die von der hypertrophen Ausgestaltung formaler rhetorischer Mittel des Redeschmucks lebt. In einer anderen Ent-
wicklungslinie führt der rhetorische Strang zu den ausdifferenzierten inhaltlichen Vorschriften klassisch aufklärerischer Poetik (Gottsched, Boileau), die so den technischen Regelapparat der „ars rhetorica“ auf der inhaltlichen Seite weitertragen. Scheint der inhaltliche Aspekt auch in der „argutezza“Lehre des Manierismus berührt, so ist zu beachten, daß die Inhalte selbst zum formalen Element werden. Der Manierismus wertet in der Überakzentuierung der Regeln bezüglich des „signifiant“ des dichterischen Zeichens sowohl die reine Worthülse (das „signifiant“ der natürlichen Sprache) auf, wie das leerlaufende Spiel der Begriffe ⫺ die zwar auf der Ebene der natürlichen Sprache inhaltlich gedeckt sind (darauf beruht die „argutezza“), auf der Ebene des poetischen Zeichens jedoch selbst Formelemente der „signifiant“-Ebene darstellen (vgl. § 3.2. zu Tesauros Figurenlehre). Die „furor“-Lehre hingegen, gekoppelt mit dem Konzept des „poeta vates“, begünstigt die individuelle Regeländerung. Diese erfährt ihre Rechtfertigung über die inhaltliche Ebene, das heißt, den Konnex zu den eigentlichen „res“, eine Relation, die als hochmotiviert angesehen wird, sich jedoch der Erfassung durch Regeln entzieht. An der „pa´thos“-Lehre treten die differenten Anschauungen deutlich hervor. Die Voraussetzung der Rhetorik ⫺ die „pa´thos“Lehre impliziert eine technische Handhabung des äußeren „aptums“ ⫺ wird durch die „furor“-Lehre negiert. Zwar gibt es auch im Manierismus, bei Tesauro etwa, eine Theorie des „furor poeticus“, indem aus den Leidenschaften der Seele der ingeniöse Scharfsinn hergeleitet wird (vgl. Rotermund 1968, 254), doch ist die Poetik in ihrem Gesamtduktus dergestalt ausgelegt, daß Pathos als Gegenstand der Dichtung thematisiert wird und die Pathosgeste als rhetorische Figur benützt wird. Eine ganze Reihe von rhetorischen „figurae patheticae“ (Apostrophe, Interrogatio, Exclamatio, Hyperbel) werden so in den Poetiken für die Darstellung der Affekte angeführt. Im Heraustreten aus den konventionellen Geltungen werden in der „furor“-Lehre die Zeichen der gewöhnlichen sprachlichen Ebene auf eine höhere Wahrheit hin überboten (vgl. Abb. 67.1 sowie Abb. 67.4, Relation A⫺D). Es ist dies strikt zu unterscheiden von der angestrebten preziösen Überbietung der gewöhnlichen Rede im formalen Manierismus (Marini), die gerade keinen emphatischen
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Wahrheitsanspruch erhebt. Die antirhetorische „furor“-Lehre geht einher mit einem Verständnis des poetischen Zeichens in Relation zu den eigentlichen „res“, wie es bei August Wilhelm Schlegel (1767⫺1845) am Ende des 18. Jahrhunderts in der Kennzeichnung des Dichtens als eines Vermögen, die Sprache zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückzuführen, zum Ausdruck kommt: „Zeichen der Verabredung […] beinah in natürliche und an sich bedeutende Zeichen umzuschaffen“ (Schlegel, A. W. (1795), Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache; vgl. dazu Preisendanz 1964). Wenn hier „antirhetorisch“ verwendet wird als Kennzeichnung, dann ist anzumerken, daß das Gegenmoment durchaus im Rahmen einer Theorie der Rhetorik zu konstruieren wäre, es entspricht einer nichtartistischen Rhetorik, die den „te´chne¯“Aspekt zurückstellt. Die Rechtfertigung einer Rede von gegenrhetorischen Momenten ergibt sich aus dem historischen Wandel des Selbstverständnisses von Poetik und Rhetorik im hier behandelten Zeitraum. 4.2. Rhetorisches und antirhetorisches Verständnis der Poetik Stellt man die Positionen eines regelgeleiteten rhetorischen Poetikverständnisses und eines Regeln und Konventionen überbietenden antirhetorischen Grundverständnisses der Poesie schematisch gegenüber, so kann dies nur Tendenzen anzeigen, Kraftlinien verdeutlichen. Grundsätzlich gilt, daß bei den einzelnen Autoren rhetorische Momente durchgän-
Rhetorische Tendenz der Poetik Cicero, Quintilian, Horaz; „imitatio“ der Muster; „concetto“ und „argutezza“ (Scharfsinn); formale Komponente; Sozialordnung/Konvention; Gottsched; Regelpoetik; „poeta eruditus“; Manierismus als Regelverselbständigung in „inventio“ und „ornatus“ (Schwulst); Klangmalerei als Formspiel; Universalrhetorik und Convenienz; nominalistische Auflösungstendenz der „res“⫺„verba“-Relation zum gesetzten Verbum ohne semantische Deckung außerhalb des „usus“.
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gig mit antirhetorischen widerstreiten. Johann Jakob Breitinger (1701⫺1776) zeigt sich in seiner Critischen Dichtkunst (1740) für sich betrachtet der rhetorischen Linie und dem Nachahmungsprinzip verpflichtet. So ist denn auch in der Grundkonzeption die Übereinstimmung mit Gottsched offenkundig. Doch in der Erhebung des Wunderbaren zum konstitutiven Moment der Poesie ist ein Gedanke angesprochen, der in jene andere Richtung weist, die letztlich Rhetorisierung der Poetik und Nachahmungsprinzip zugunsten der Betonung des Kreativen verwirft. Das Neue ist denn auch bei Breitinger ein ästhetisches Kriterium und die semantische Fundierung des Zeichens verstärkt diese Akzentuierung des Schöpferischen. Der Bezug der dichterischen Begriffe und Vorstellungen liegt nicht in der Welt der „würcklichen Dinge, sondern in irgend einem anderen möglichen Welt-Gebäude“ (vgl. Abb. 67.4; Aufwertung von A⫺C). Angesprochen ist damit Leibnizens Konzept der möglichen Welt (vgl. Bender 1973, 91 f), und verlagert wird so das Schwergewicht auf die Eigenwertigkeit der fiktionalen Welt, während die „verisimilitudo“ als Mimesisprinzip zurücktritt. Das folgende Schema (Abb. 67.3) soll Gewichtungen und Tendenzen im skizzierten Sinn darstellen, wobei von dieser Perspektive aus die Auseinandersetzung um den englischen und französischen Geschmack (Gottsched versus Lessing) und die Positionen von Theoretikern wie Scaliger, Harsdoerffer, Buchner und Schlegel geortet werden.
Antirhetorische Tendenz der Poetik Longin- und Platon-Rezeption und Umwertung; Schau; überbegrifflich Wunderbares; inhaltliche Motiviertheit; Natürlichkeit/Gefühl; Bodmer & Breitinger; Genie; „poeta vates“; mystische Überhöhung manieristischer Stileffekte, ekstatischer Manierismus (Harsdoerffer); Lautsymbolik als Bedeutungsträger; Universalpoesie und mystische Wahrheit; realistische Auflösungstendenz der „res“⫺„verba“-Relation zum gegebenen Verbum als eigenwertiger „res“.
Abb. 67.3: Gegenüberstellung der Leittendenzen im Verhältnis der Rhetorik zur Poetik.
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Beide widerstreitenden Tendenzen enthalten in sich antagonistische Momente, so daß etwa Gottsched, dem Grundanliegen der Rhetorik gemäß, mit Regelverpflichtetheit gegen den Regelleerlauf des Schwulst argumentieren kann, andererseits Lessing die Opposition gegen Gottscheds starre Regeln mit den gleichen Argumenten, nämlich Sachangemessenheit und vernünftiger Natürlichkeit, betreibt, die Gottsched gegen den Formalismus artikuliert. Mit der gleichen Stoßrichtung wie Lessing (1729⫺1781) und doch gegen ihn beruft sich der Sturm und Drang auf Natürlichkeit, jedoch nun von der Empfindung des Subjekts her bestimmt. Obwohl der Manierismus generell als Verstoß gegen das rhetorische Prinzip des „aptum“ verstanden werden kann, ist er als Stilphänomen gleichzeitig Musterbeispiel für eine Entwicklung der Rhetorik, die nicht mehr vordringlich der Sache sich verpflichtet weiß, sondern die die Gesuchtheit der Figuren und Tropen und ganz allgemein den Redeschmuck in den Vordergrund stellt. Die Trennung des „verbum“ von den „res“ kommt bei Tesauro im Cannochiale Aristotelico (1670) in der Verteidigung der freien Metapher zum Ausdruck. Die nominalistische Auflösungstendenz führt auf zwei Ebenen zu einer Betonung der Formseite. Zum einen tritt die Relation zu den „res“, der konventionellen Bedeutungsseite gegenüber einem selbstgenügsamen Spiel der Laute, zurück, zum anderen wird die Beziehung „verba“⫺ „res“ als beliebig gesetzte verwendet, um im Formspiel mit Bedeutungen frei von inhaltlicher Bedeutsamkeit jenseits der formalen Ebene operieren zu können. Das scharfsinnige Spiel mit Begriffen verweist nicht über sich hinaus, sondern erfüllt sich in der formalen Figur. Wird hierbei die rhetorische Argumentationslehre „empfindlich getroffen“ (Wiegmann 1977, 37), so erwächst doch ein solches Konzept letztlich aus der Verselbständigung der formalen Seite der Rhetorik, soweit sie Figurenlehre und Redeschmuck betrifft. Die Form wird zum eigentlichen Zeichenträger. Tesauros Werk liefert hierin, trotz der Berufung auf Aristoteles, eine pointierte formale Gegenposition zum Aristotelismus, der die Grundbedingungen überzeugender Argumentation hinsichtlich der Sache in den Vordergrund rückt. Die Zuordnung Tesauros zu einer Richtung der Poetik, die von der formalen Kraftlinie der Rhetorik geprägt ist, macht somit auch deutlich, daß die Aufnahme ari-
stotelischen Gedankenguts zur Poetik ⫺ die Poetik des Aristoteles wurde erst nach der Edition des Originaltexts (1508) wirkungsgeschichtlich bedeutsam ⫺ in gewisser Hinsicht sowohl in der Konzeption der Mimesis wie der Affektenlehre auch eine antirhetorische Wendung beinhaltete. Die im Zuge der Aristoteles-Rezeption entwickelten Poetiken, wie Castelvetros (ca. 1505⫺1571) kommentierte Aristoteles-Ausgabe von 1570, die erstmals die in der Folgezeit so bedeutsame Forderung nach den drei Einheiten der Handlung, des Orts und der Zeit vertritt (es entspricht dies einer Forderung nach Motiviertheit der Relation des poetischen Makrozeichens im Bezug zu der fiktionalen (möglichen) Welt und der Festlegung der Zugänglichkeitsrelation zur wirklichen Welt; vgl. Abb. 67.4), stehen somit in einem Spannungsverhältnis sowohl zu den rhetorischen Poetiken wie zu den platonisierenden Tendenzen. Die bedeutsamste Synthese bieten Scaligers Poetices libri septem (1561). Scaliger verarbeitet die rhetorische Tradition und verbindet die Konzepte des „poeta vates“ und des „poeta eruditus“ ⫺ wobei der erstere einer „phy´sei“-These hinsichtlich der Natur des poetischen Zeichens zuzuordnen ist (die Relation wird in entrückter Schau erkannt), während letzterer einer Konventionstheorie (mit lehrbaren Fertigungstechniken) zuneigt. Außerdem leistet Scaliger von Aristoteles ausgehend eine zukunftsweisende Synthese, da er für die Poetizität des Texts nachprüfbare notwendige Bedingungen benennt, die aber nicht hinreichen, weshalb er für den Auffindungszusammenhang die Inspirationslehre benützt. Seine Betonung der „verisimilitudo“ knüpft das poetische Zeichen über die Abbildrelation an die wirkliche Welt, wobei der schöne Schein gut aristotelisch die Natur vollkommener zur Darstellung zu bringen vermag. Die „res“ sind als „altera natura“ (vgl. Gaede 1978, 52 ff) darzustellen. 4.3. Der Weltbezug der Dichtung Scaliger war von immensem Einfluß, und die Barockpoetik eines Martin Opitz (Buch von der Deutschen Poeterey, 1624) kann im wesentlichen als Adaptation von Scaliger verstanden werden, wobei Opitz (1597⫺1639) die Lehrbarkeit der Dichtung ⫺ und damit das rhetorische Moment ⫺ stärker akzentuiert. Wichtig ist Opitz, insofern er für die deutsche Poetik und Poesie normsetzend wirkt. Dabei ist die Etablierung der Unterscheidung zwischen quantitierender lateini-
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
scher und akzentuierender deutscher Metrik zeichentheoretisch bedeutsam, impliziert dieser Rückgang auf das germanische Betonungsgesetz (erstmals bei Philipp Sidney, An Apology for Poetry, 1595) doch nicht nur die Kongruenz von Vers- und Wortbetonung ⫺ ein eher marginales Phänomen der Korrelation poetischer und natürlicher Sprache ⫺, sondern im Rekurs auf nationalsprachliche Eigentümlichkeiten auch eine vorsichtige Distanzierung von Poetologie als universaler Theorie ⫺ was einhergeht mit einer stärkeren Gewichtung der materialen Seite des Zeichens, die von spezifischen einzelsprachlichen Parametern bestimmt wird. In anderer, akzentuierterer Form kommt dieser Gedanke bei Georg Philipp Harsdoerffer (1607⫺1658) zum Tragen, da der Rückgriff auf die materiale Zeichenkomponente in Klangmalerei und Sprachartistik Sprache in ähnlicher Weise von ihrer inhaltlichen Funktion loszukoppeln scheint wie die Manieristen. Doch wird bei Harsdoerffer zugleich eine mystische Qualität der Sprache mitgedacht (vgl. Boetius 1973, 123), die eine engere Verbindung von „res“ und „verba“ annimmt als sie für die konventionelle Alltagssprache gilt. Das poetische Zeichen ist gerade durch die motivierte Verknüpfung der Laute mit nicht genau bestimmbaren korrelierenden Entitäten, die durch den Klang angezeigt werden, charakterisiert. W. Kayser (1962, 167⫺184) zeigt, daß die Klangmalerei bei Harsdoerffer den sprachtheoretischen Grundannahmen und Lehren Schottels verpflichtet ist. Gelten für Schottels Wurzelworte der Sprache (vgl. § 2.3.) ähnliche Überlegungen, so basieren jedoch auch Herders Ausführungen über die Poesie als Ursprache der Menschheit, „wo alles tönte“, auf solchen Gedanken. Trotz der Verpflichtetheit auf Rhetorik ist in der Grundkonzeption bei Harsdoerffer also ein wirkmächtiges Gegenmoment zum formalen Apparat der Rhetorik vorhanden. Bei August Buchner (1591⫺1661) finden wir in seiner Anleitung zur Deutschen Poeterey (1665 ⫽ 1966) andererseits die klassische rhetorische Stillehre in Beziehung gesetzt zum Klangwert der Buchstaben (Buchner, Anleitung, 1665 ⫽ 1966, 106 f). Es läuft dies auf eine Hypostasierung jenes Prinzips der Angemessenheit hinaus, das Handlung, Gattung, Personenstand und Sprachstil in festgelegter Weise korreliert.
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Der Unterschied zwischen Poet und Orator stellt sich für Buchner zunächst minimal dar (Anleitung, 1665 ⫽ 1966, 15 f), wobei dem Orator eine Mittelstellung zwischen Philosoph und Poet zukommt. Doch bedenkt Buchner auch in Ansätzen die schöpferische Komponente, die er in der kleinen Schrift Poet (1665 ⫽ 1966; von Praetorius gesondert herausgegebener Teil der Poetik) stärker herausstellt. Das poetische Zeichen ist wie bei Dante über seine Fiktionalität bestimmt; d. h. daß der Bezug fehlt. Die Eigenwertigkeit einer dichterischen Bezugswelt wird von Buchner jedoch nicht gesehen, und er löst die Wahrheitsproblematik ⫺ hier im Sinne von Adäquatheitsforderung ⫺ im klassischen Sinn, sich an Scaliger anlehnend, über die „verisimilitudo“. Das „prodesse“ bleibt eigentliches Dichtungsziel und die Poesie ermöglicht es, die Wahrheit verdeckter und angenehmer zu vermitteln. Die Relation A⫺C (das Verhältnis zwischen Dichtung und möglicher Welt; vgl. Abb. 67.4) wird minimalisiert zugunsten von A⫺B (dem Verhältnis zwischen Dichtung und historisch-empirischer Welt) einschließlich des sozial etablierten Regelapparats. Buchners grammatische Überlegungen zur Wortbildung (Anleitung, 1665 ⫽ 1966, 56 f) ⫺ er streift am Rande Konzeptionen wie das Kopfprinzip und parallelisiert die Wortbildung mit der Konstruktion von Satzphrasen ⫺ sind nicht nur als Erwägungen bezüglich der Generierung neuer Zeichen interessant, sie zeigen gleichzeitig, daß der Raum der poetischen Lizenz im Gegensatz zu den allgemeinen Ausführungen zum Poeten als Schöpfer extrem eingeschränkt bleibt. Das poetische Zeichen unterliegt den gleichen grammatischen Restriktionen wie die gewöhnliche Sprache. Können die Vorgenannten ⫺ Buchner und Harsdoerffer ⫺ bei aller Verschiedenheit als Opitzianer und damit im Scaligerschen Rahmen verstanden werden (vgl. Wiegmann 1977, 50), so kommt es mit Gottscheds Versuch einer Kritischen Dichtkunst (1730) zu einem deutlicher markierten Neuansatz. Gaede (1978, 98 ff) betont zwar den Rückgriff auf aristotelisches Gedankengut zu stark als Eigentümlichkeit Gottscheds, da dieser Rückgriff sich bei Scaliger genau so findet wie bei Lessing, dem zeitgenössischen Antipoden Gottscheds. Man kann jedoch Gaede darin folgen, daß unter Bezugnahme auf metaphysische Konzeptionen von Leibniz der „Ver-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
mögliche Welt
exemplifiziert
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(schafft)
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ist angelegt in
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Dichtung
B historischempirische Welt
Abb. 67.4: Das Verhältnis von Dichtung und Welt in der Poetiken des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Dichtung bildet die historisch-empirische Welt ab, indem sie eine mögliche Welt darstellt, welche die höhere Wirklichkeit exemplifiziert, die in der historisch-empirischen Welt angelegt ist. Die mögliche Welt ist durch Widerspruchsfreiheit und innere Wahrscheinlichkeit gekennzeichnet. Sie ist von der historisch-empirischen Welt aus zugänglich durch ihre Ähnlichkeit und äußere Wahrscheinlichkeit. Die im Text besprochenen Dichtungstheorien unterscheiden sich voneinander durch die verschieden starke Akzentuierung der einzelnen Relationen.
knüpfungsgedanke“ besonderes Gewicht gewinnt. Damit verlagert sich das Mimesisprinzip von der Nachahmung der Natur und der Nachahmung der Muster hin zur Nachahmung der „Zusammensetzung und Verbindung der Sachen“ und damit auch zur Abbildung des Handlungsraums, nicht als reales Abbild, sondern als Strukturisomorphie. Dies bedingt indirekt die Hochschätzung der Fabel. Das einheitsstiftende Prinzip ⫺ sowohl das Band zwischen Dichtung und realer Welt betreffend wie die interne Handlungseinheit der fiktionalen Welt ⫺ siedelt Gottsched dabei außerhalb der Dichtung in einem allgemeinen moralischen Satz an. Trotz dieser starken Gewichtung des außerpoetischen Zwecks der Dichtung und der Festlegung auf Erkenntnis und Vermittlung dieser Wahrheit („docere“) findet sich in Gottscheds Versuch einer kritischen Dichtkunst (1730) auch ein Gedanke, der dann von seinem Schweizer Gegner Breitinger mit der Betonung des Wunderbaren
dezidiert vertreten und topikalisiert wird: der Gedanke, daß kennzeichnendes Merkmal des Poetischen eine bestimmte Differenz zum „Ansehen der Wahrheit“ sei (vgl. Preisendanz 1964, 74). Dies bedeutet eine Aufwertung der schöpferischen Komponente A⫺C (vgl. Abb. 67.4) auch schon bei Gottsched, die bei den Schweizern dann verstärkt zum Tragen kommt. Die Betonung der Kategorie des Wunderbaren und staunenmachenden Neuen („movere“) in Breitingers Critischer Dichtkunst (1740) hat hier ihre Quelle, und so wird deutlich, inwiefern Gottsched zwar im Vergleich zu Breitinger stärker dem rhetorischen „aptum“ und der Regelbestimmtheit zuneigt (vgl. Abb. 67.3), daß jedoch bei aller zeitgenössischen Polemik ein eher gradueller Unterschied gegeben ist. Anhand von Abb. 67.4 läßt sich dieses Verhältnis verdeutlichen, wobei die Differenzen zwischen englischem (Lessing, Lenz) und französischem Geschmack (Boileau, Gottsched) sich daran ebenfalls exemplifizieren lassen.
67. Zeichenkonzeptionen in Grammatik, Rhetorik und Poetik
Für Gottsched gilt bei aller Akzentuierung des eigenständigen Moments der Dichtung dennoch die Regelverpflichtetheit der Rhetorik in jenem klassischen Sinn, daß nicht die leerlaufende Rhetorik des Redeschmucks und der Figuren und die Indienstnahme der ‘Sachen’ als kuriose aber beliebige Redegegenstände, losgelöst von einer echten Sachverpflichtetheit (vgl. die in § 3.2. beschriebene Differenz zwischen Weise und Hallbauer), zählt, sondern jene Angemessenheit von Form und Inhalt, die eigentliches Ziel der rhetorischen Argumentationslehre darstellt. Daraus folgt die Gewichtung lehrbarer Grundsätze der Dichtung und die Festlegung auf klassische Regeln, wie sie in der französischen Poetik und Dichtung (Boileau, Corneille) musterhaft gegeben waren. Die Zugänglichkeit (C⫺B) der dichterischen (möglichen) Welt für die wirkliche Welt wird als festgelegt gedacht und gemäß dem Muster der Alten bestimmt. In der Querelle des Anciens et des Modernes steht Gottsched auf Seiten der Alten, betont die Ausrichtung an den Mustern und den daraus gewonnenen Regeln, womit gleichzeitig dem individuellen Schaffensspielraum enge Grenzen gezogen sind. Lessings Kritik an Gottsched und der Regelakribie der Franzosen ist letztlich ein Plädoyer dafür, das Gegenmoment dieser Relation, die freie Schöpfung (A⫺C), zu betonen. Dies findet sein paradigmatisches Demonstrationsobjekt im Werk Shakespeares. Die Bestimmung der Zugänglichkeitsrelation zwischen wirklicher Welt und möglicher Welt der Dichtung differiert bei Lessing in zweifacher Weise von Gottsched. Zum einen ist die größere Freiheit der Dichtung ⫺ hierin Breitinger gleich ⫺ gegenüber der Welt zu vermerken als Freiheit der Abbildungskorrelation von jener Art von Wahrscheinlichkeit und Verpflichtetheit auf Wirklichkeitsstrukturen, wie sie durch die drei Einheiten vorgegeben oder besser nachgezeichnet werden soll. Zum anderen findet sich die Einforderung einer natürlicheren Darstellung der Welt unter Hintansetzung der gesellschaftlichen Konvention, wie sie gemäß dem rhetorischen „aptum“ etwa in der durchgreifenden Strukturierung durch die Dreistillehre (vgl. Art. 53 § 3.) gegeben war. Dieses Gegenüber von „englischem Geschmack“ ⫺ rigoroser als Lessing nahm Jakob Reinhold Michael Lenz (1751⫺1792) auf Shakespeare Bezug und forderte die „hundert Einheiten“ des dichterischen Kunstwerks qua dichterischen Werks, womit er den Eigenwert der geschaffenen
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Welt entschieden unterstrich ⫺ und französischem Klassizismus kam bereits in der Betonung des paradigmatischen Status von Milton bei den Schweizern zum Ausdruck. Ein anderer Akzent kommt nochmals in Schillers (1759⫺1805) poetologischen Konzeptionen zum Tragen. Im Prinzip ist bei Schiller die Trennung der Poetik von der Rhetorik abgeschlossen, doch findet sich eine ambivalente Aufwertung rhetorischer Momente und damit „eine Theorie reaktiviert, die der Stürmer und Dränger noch zu den ‘abgeschmackten Konventionen’ gerechnet hatte“ (Ueding 1976, 124). Übersehen werden darf jedoch nicht, daß Argumentationen, die in Zusammenhang mit der rhetorischen Linie bei Schiller verstanden werden müssen, aus einem ganz anderen Deutungshorizont erwachsen. So zielt Pathos in Schillers Überlegungen „über das Pathetische“ nicht primär auf den Pathosbegriff der Rhetorik (vgl. Wiegmann 1977, 90). Wenn mit Recht davon gesprochen werden kann, daß „Wirkung als zentrale dramentheoretische Kategorie beibehalten wird“ (Ueding 1976, 151), dann ist in der Folgerung „einer quasi-rhetorischen Affektenlehre“ (ebd.) das „quasi“ zu unterstreichen. Die entscheidende Differenz zu genuin rhetorischen Fundierungen liegt bei Schiller in der Autonomisierung des künstlerischen Scheins. Die bei Schiller für das poetische Zeichen entscheidenden Beziehungen liegen zwischen A (Dichtung), C (im Kunstwerk konstruierter möglicher Welt) und D (einer wirklicheren Wirklichkeit, auf die in B als utopisches Moment verwiesen ist). Der Bezug zu B (der historisch-empirischen Welt) spielt in dem durch das dichterische Zeichen eröffneten Raum eine nachgeordnete Rolle. Soweit Schillers Gedanken „über die ästhetische Erziehung des Menschen“ eine sozialethische Funktion der Kunst ansprechen, ist diese in einer Wirkungslinie D →B zu orten. Der Gegensatz zu Gottsched tritt hier deutlich zu Tage. Bei diesem wird ein allgemeiner moralischer Satz (ein Satz, der in B gilt) exemplarisch durch die Dichtung abgebildet, wobei das Gelingen dieser Abbildung, die dichterische Wahrheit, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann, durch die relativ starre Zugänglichkeitsrelation C⫺B gewährleistet wird. Bei Schiller dagegen liegt die „poetische Wahrheit […] in der ‘inneren Möglichkeit’ einer ‘res’, nicht in der faktischen Wirklichkeit“ (Wiegmann 1977, 93), bestimmt sich also nach dem Verhältnis A⫺C⫺D.
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In den Schlußakzenten gleichsam der Poetik im Ausgang des 18. Jahrhunderts treten insbesonders Friedrich Schlegel (1772⫺1829) und Novalis (1772⫺1801) mit Konzeptionen hervor, die den Status der Poesie als metaphysisch fundamental bestimmen, so daß die Poesie nun für die grammatischen und rhetorischen Aspekte des Zeichensystems Sprache grundlegend wird. Es bedeutet dies eine Wendung vom Gedanken der genetischen Priorität in der Abfolge der Sprachentwicklung ⫺ wie sie Herder (1772) in seiner Sprachursprungstheorie skizziert ⫺ hin zu einer systematischen Priorität. Begründet findet sich diese Auffassung durch ein Verständnis der Poesie als eines „wahren Realismus“, weshalb F. Schlegel auch anraten kann, daß wer ins „Innere der Physik dringen“ wolle, sich in „die Mysterien der Poesie“ einweihen lassen solle (Fragmente 1798). Auch die Rede von der Natur als der „eigentlichen Verfasserin“ der Poesie Homers weist in die Richtung eines Poesieverständnisses, das sich von der Beziehung zwischen der Dichtung (A) und der „wirklichen Wirklichkeit“ (D) ⫺ hier mit der Charakterisierung eines Unendlichen ⫺ her bestimmt. Die Kennzeichnung der romantischen Poesie als „progressiver Universalpoesie“ ist zugleich programmatische poetologische Forderung: „in gewissem Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein“ (116. Athenäumsfragment). Aus dem unabgeltbaren Überschuß des semantischen Potentials des Unendlichen gegenüber der endlichen Sprache ergibt sich der Gedanke der unendlichen Progression der Poesie als approximativer Annäherung an das Unendliche. Dies gilt für Novalis ebenso wie Schlegel. Im Beziehungsgeflecht des poetischen Zeichens muß man die romantische Konzeption als Relation zwischen A, C und D verstehen. Die Betonung des Grundsatzes „daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide“ (Fragment 116) bedeutet die theoretische Aufhebung aller Restriktionen bezüglich der Zugänglichkeitsrelation B⫺C, wie sie einerseits für rhetorische Forderungen des „aptum“, andererseits aber auch für gegenrhetorische Natürlichkeitsforderungen galten. Doch grundgelegt findet sich hier eine Sprachauffassung, die in ihren Weiterungen bis in die sprachphilosophischen Konzeptionen eines Martin Heidegger Bedeutung erlangt (vgl. Art. 70 § 20). Es gibt nämlich durchaus eine Einflußrichtung von der Dichtung aus auf die Welt. Dem liegt eine beson-
dere Auffassung von der Sprachlichkeit der Welt zugrunde. Diese Sprachlichkeit der Welt ist in dem zweifachen Sinn zu verstehen, daß (i) die Welt (B) selbst Zeichencharakter hat hinsichtlich des Unendlichen (D) ⫺ eine Modifikation Hamannscher Gedanken ⫺ und daß (ii) die Welt (B) in ihrer ontologischen Verfaßtheit in Abhängigkeit von der Sprache und damit der Poesie zu bestimmen ist. Hieraus ergibt sich eine Relativität der Sprache, die ganz anders begründet ist als die theoretische Relativität, die sich aus der Berufung auf usuelle Gebrauchsmuster ergibt (siehe oben § 2.1.). Die Poetik als Theorie der Poesie findet sich romantisch in der Poesie aufgehoben. Die Nachwirkungen der Konzeption vom poetischen Zeichen als eigentlichem Geltungsgrund und Wahrheitsstifter finden sich heute eher in der Sprachphilosophie (vgl. Art. 77) denn in der poetologischen Reflexion (vgl. Art. 150).
5.
Literatur (in Auswahl)
5.1. Quellen (in historischer Reihenfolge) [1310 ca.] Dante, Alighieri, De vulgari eloquentia. Neudruck, ed. A. Marigo. Florenz 1957. [1440] Valla, Laurentius, De linguae Latinae elegantia. In: Opera Omnia. T.I. Basel 1540. Nachdruck Turin 1962. [1450 ca.] Alberti, Leon Battista, Regole della lingua fiorentina. Ed. C. Grayson 1964: La prima grammatica della lingua volgare. Bologna. [1468] Perottuss, Nicolaus, Rudimenta Grammatices. 1475 Sulpitius, Verulanus, De arte grammatica opusculum compendiosa. Perugia. 1481 Nebrija, Antonio, Introductiones Latinae. Salamanca. 1492 Nebrija, Antonio, Gra´matica sobre la lengua castellana. Salamanca. 1524 Linacre, Thomas, De emendata structura Latini sermonis libri sex. London. 1540 Scaliger, Julius Caesar, De causis Latinae linguae libri tredecim. Lyon. 1544 Talaeus, Audomarus, Instituiones oratoriae. Paris. 1549 Lily, William, A Shorte Introduction of Grammar, Generally to be Used in the Kynges Majesties Dominions, for the Bryngynge up of all Those that Entende to Atteyne the Knowledge of the Latin Tongue. London. 1559 Ramus, Petrus, Scholae in liberales artes.
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1323
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1324
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
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5.2. Sekundärliteratur Aarsleff, Hans (1967), The Study of Language in England, 1780⫺1860. Princeton. Aarsleff, Hans (1975), „The Eighteenth Century, Including Leibniz“. In Sebeok 1975: 383⫺479. Arndt, Hans Werner (1979), „Semiotik und Sprachtheorie im klassischen Rationalismus der deutschen Aufklärung“. Zeitschrift für Semiotik 1: 305⫺308. Arnold, Heinz Ludwig und Volker Sinemus (eds.) (1973), Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft. Band 1. Literaturwissenschaft. München.
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Josef Rauscher, Mainz (Deutschland)
1326
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
68. Sign conceptions in music from the Renaissance to the early 19th century 1. 2. 3. 4. 5.
Introduction Music as a numerical harmony Music as an emotional stimulus Further developments Selected references
contradiction between the two notions and both are present in many theoretical works of the four centuries.
2. 1.
Introduction
In the four centuries from the Renaissance to the years of the French Revolution, numerous social and cultural events gave rise to important transformations of the philosophical and aesthetical frameworks inherited from the medieval and classic traditions (cf. Art. 62, 63, 65 and 67). In the same period these same events induced in European music (cf. Art. 54) a large number of stylistic changes: transformations from polyphonic to monodic conceptions and from modal to tonal hierarchies; developments in instrumental music and in musical theatre; and the growth of new national and religious traditions (cf. Art. 72 and 73). These philosophical and stylistic changes gave birth to a complex system of new ideas also in the field of music theory (cf. Art. 84). Explicit references to sign conceptions or to clear semiotical or presemiotical terminology are rarely seen in the musical writings of this period, but a potentially semiotic conception did exist and was present throughout Europe, that is, the conviction that music can be philosophically or psychologically interpreted, the implicit tenet that musical sound stat pro aliquo. In order to draw a general, simplified picture of this point of view, it is necessary to make an initial reference to two ancient principles, both of which were present in the writings of Plato and widely known also in the Middle Ages: the notion of music as a numerical harmony, as a symbol of the formal perfection of the universe, and the notion of music as a powerful stimulus, able to give rise to emotional effects in human minds (cf. Art. 43). Both notions are taken up and discussed in the works of the philosophers and music theorists of the humanist period; in the centuries which followed both are developed and enriched with new philosophical and scientific ideas, as well as with new empirical data coming from the observation of contemporary music. In the following sections they will be presented separately, even though there is no direct
Music as a numerical harmony
Platonic philosophy was studied in depth in Florence in the second half of the fifteenth century, particularly by Marsilio Ficino (1433⫺1499; cf. Ficino 1576), who translated into Latin not only Plato’s dialogues, but also works by Plotinus and Porphyry, and treatises of the hermetic tradition. In this complex body of rational thought and mystical intuition, a central point is devoted to the idea of spirit, conceived as a sort of airy substance which governs cosmic motions. Music too consists of airy substance and of motions. Therefore there is a fundamental likeness between spirit and music; moreover their motions are likewise governed by numerical laws. The connection of music and the mysterious perfection of cosmic forces explains its strong power on the human soul and the human body. In the works by Gioseffo Zarlino (1517⫺1590; cf. Zarlino 1558), traces of this kind of musical conception (a revised version of the ancient ‘harmony of the spheres’ of Pythagoras) can be found in the idea of ‘natural’ chords based on the numerical proportions of the strings (cf. Art. 71, Fig. 71.5: Kircher’s organ). One can divide a fifth using two different mathematical procedures: the so-called harmonic or the so-called arithmetic proportions. In the first case we obtain a major triad, in the second case a minor one. The human ear always responds with pleasure to this numerical perfection, but with two different attitudes: The major third is inclined to happiness, the minor to melancholy. Once again a natural concordance is implied between the passions of the soul and the numerical order governing physical and cosmic events. An even stronger connection between music and astronomy can be found in the works of Johannes Kepler (1571⫺1630; cf. Kepler 1619). His principal intuition was based on a surprising correspondence between the movements of celestial bodies and those of musical strings, particularly when he discovered that the orbits of the planets were not round but elliptical, and that their speed
1327
68. Sign conceptions in music
increased or decreased according to their distance from the sun. Thus in his version the relationships between music and astronomy are no longer of arithmetical but of geometrical order. According to his calculus, the sounds theoretically produced by the movements of the planets correspond to a polyphonic mixture quite similar to the music of his time, except for a much more extensive use of dissonances. For Kepler, however, human music is not an imitation of heavenly music. Rather, each of them reflects the cosmic perfection in its own sphere. A substantial contribution to the development of this philosophical conception came from experimental science: The idea that perfect chords used in contemporary music were based on natural laws found strong confirmation when Sauveur (1701 ⫽ 1743) gave experimental evidence to the existence and the structure of harmonic vibrations in complex sounds. Leibniz, who was aware of this new field of investigation, added to his philosophical and esthetical ideas about universal harmony the modern notion that the human mind was unconsciously able to calculate and to appreciate with a feeling of pleasure the subtle perfection of vibratory phenomena (Leibniz 1875⫺1890 ⫽ 1932). But this theoretical tendency reached its more complete organization in the works of J. Ph. Rameau (1683⫺ 1764), who combined the philosophical tradition, experimental research and the actual music of his time into an organic synthesis (Rameau 1722, Rameau 1754). Tonal harmony, as it was practised from the last decades of the eighteenth century onward, was based on a well organized hierarchy of tonalities and of chords within each tonality, with a center identified in the ‘natural’ perfection of the chord of the main tonality in a piece. Rameau gave a structural description of such a system, thus not only confirming the ancient idea of music as a symbol of geometrical perfection, but also explaining the emotional phenomenon of musical ‘tension’ by means of the distance of chords from their basic tonal center. In the music-theoretical tradition outlined above, no clear semiotic consciousness can be found. In the relationships between music and cosmic harmony sound is never conceived in terms of a ‘signifier’. The cognitive means of this epoch offered other kinds of concepts: Philosophers preferred to speak of ‘imitation’ or of ‘correspondence between’ or ‘revelation of’ (cf. Fig. 68.1). But there is a
difference between the use of conceptual categories and the act of listening to music. It is probably in the latter situation that one can notice a sort of implicit semiotic process: On these occasions the mysterious perfection of sound is really evoking and ‘standing for’ something else.
3.
Music as an emotional stimulus
In the period under review a parallel theoretical tradition was developed, which was based on the notion of the ‘effects’ of music. It too has its origin in classical Greek culture. Initially it occurs in ancient religious rituals and myths, later also in philosophical works, such as Plato’s dialogues, and it was in this philosophical version that it was passed down to the medieval world. Complexus effectuum musices (ca. 1473) by Johannes Tinctoris (1436⫺1511) is one of the first Renaissance treatises that systematically discusses these classical theories, adapting them to the contemporary uses of music. A further substantial stimulus to studies in this field was given by reflections on a crucial stylistic problem of Italian secular court music of the sixteenth century: that of the relationships between music and poetry. Almost all writers on music of that period and many of the composers (e. g., Monteverdi) discuss this problem extensively. The basic idea, clearly underlined in the treatises of Nicola Vicentino (1511⫺ 1572; cf. Vicentino 1555), is that music can (and must) ‘imitate’, with its proper means and expressive powers, concepts and feelings in verbal language. Vincenzo Galilei (ca. 1520⫺1591; cf. Galilei 1581), goes even further: In his opinion not the concepts of verbal language but the vocal inflexions and the gestures of the actors on the stage must become the model of the art of a good musician. Another source of useful suggestions was the ‘imitation’ of oratorial procedures, whose success was particularly due to the great tradition of classical rhetoric: Joachim Burmeister (1606), for example, tried to ‘translate’ rhetorical procedures into musical techniques. The impulse towards theatrical and oratorial inflexions was confirmed by the birth of opera and oratorio, but it was present also in many forms of instrumental music. There was a close stylistic relationship between the vocal and the purely instrumental music of the epoch, but from a theoretical point of view the difference between the two genres was more important (compare also the developments in churchmusic after the Re-
1328 IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Fig. 68.1: A table of the numerical correspondence between musical intervals and natural objects (from Kircher, Musurgia universalis, 1650: II 393).
68. Sign conceptions in music
1329
Fig. 68.2: Effects of music according to Athanasius Kircher: „Puella tarantata, quae non nisi tympanis curari poterat“ („A girl bitten by a tarantula, who could not be cured except by drums“; Kircher, Phonurgia nova, 1673: 206).
formation; Art. 72 § 1.3.). In the case of vocal music the discussion was developed primarily over the problem of the hierarchical relationships between poetry and music (cf. Art. 63 § 3.2.2.). The supporters of modern style affirmed that music ought to imitate the laws of poetry (or be its ‘servant’). In the case of purely instrumental music, on the other hand, music possessed its own rhetorical laws, and for this reason it was considered, more or less explicitly, to be a sort of language endowed with specific semiotic powers. These were normally described both according to rhetorical ideas and to the theory of ‘effects’, mainly emotional effects, as they were viewed in the German tradition of the Affektenlehre. One of the main topics of classical treatises on ‘ars rhetorica’ was the discussion of the different oratorial styles. A direct consequence of this was the diffusion of a typology of musical styles, such as the one proposed by Athanasius Kircher (1602⫺1680; cf. Kircher 1650), where the semiotic powers of music also assumed a pragmatic importance, each style being suited to particular social circumstances (cf. Fig. 68.2). In the first half of the eighteenth century Johann Mattheson (1681⫺1764; cf. Mattheson
1739), gave a clear and systematic summary of this body of theory in an attempt to shield music from the charge of being the most irrational of the arts. An important contribution to the discussion about the rational-irrational nature of music was constituted by the philosophical French quarrels of the same century: On the one hand the rationalist tradition affirmed that the only function of music was to add a sort of pleasure to the content of the words, whereas on the other hand Jean-Jacques Rousseau (1712⫺1778) in his Essai sur l’origine des langues asserted that the union of melody and words was not additive in character: In his opinion, melody was the primordial condition of language when language and music occurred as a single entity (cf. Art. 54 § 2.). Traces of this idea have survived in modern Europe, so that music (and above all melody) appears as a real language, an inarticulate, but vivid and passionate language, more full of energy than words (Rousseau 1838). Denis Diderot (1713⫺1784) has a similar argument; in particular, he claims that music is a ‘cris animal’ able to attain and to bring to light the great vitality of instinctive life (Diderot ca. 1760).
1330
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
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Ficino, Marsilio (1576), “De triplici vita”. In Opera Omnia. Basilea: 493 ff.
Mario Baroni, Bologna (Italy)
4.
Further developments
In the opposition between Rameau’s conception of musical harmony as a natural code reflecting the mathematical structure of the universe and Rousseau’s conception of melody as a natural code emerging from the anthropological functions of human mind, two very ancient lines of thinking attain conflicting positions (cf. Art. 67 § 2.). Both conceptions are semiotically important, for in both cases music can refer to ‘something else’, but in the former the musical signifier is identified in the secret regularity of the relationships between sounds that are homomorphic with the rational organization of the world, whereas in the latter it is identified in the energetical relationships between sounds that are homomorphic with human physiological and vocal gestures. Such an opposition will be developed further: Some traces can be found even in nineteenth-century discussions about form and content in music, where form is conceived as a rational order between sounds and content as inner pulsions and visions of human imagination (cf. Art. 81).
5.
Selected references
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69. Sign conceptions in architecture and the fine arts from the Renaissance to the early 19th century 1. The semiotics of Vitruvius 2. Alberti and the semiotic foundation of the classical canons 3. The sources of sign conceptions in theories of art 3.1. Astrology ⫺ the heavenly signs 3.2. Physiognomy ⫺ the bodily signs 4. Scientific studies of sign conceptions 5. The moral aspects of sign conceptions and their impact on artistic doctrines 5.1. Decorum 5.2. Character 6. The absolutization of sign conceptions 7. Conclusion 8. Selected references
1.
The semiotics of Vitruvius
The idea that you could look at architecture as a sign system was already suggested by Vitruvius (active 46⫺30 B. C.) in his De architectura, the earliest surviving handbook on the subject, written at the time of the Roman Emperor Augustus. At the beginning of his treatise (I. i. 3) Vitruvius divides discourse and especially architectural discourse into two parts: that which signifies and that which is signified (“quod significat et quod significatur”). That which is signified is the proposed
69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
thing of which one speaks (“significatur proposita res, de qua dicitur”), that which signifies is the demonstration unfolded and explained in systems of teachings or instructions (“demonstratio rationibus doctrinarum explicata”). It is not quite clear what Vitruvius actually refers to by “res”, but interpreting from the context, it is fair to assume that the thing signified is the practice and the handy execution of a design, for he says (I. i. 1) that the science of the architect consists of both “fabrica” and “ratiocinatio”. “Fabrica”, as Vitruvius explains, is the constant and grinding practice through which material is given whatever shape is required by the design, while “ratiocinatio” demonstrates and accounts for how things were to be made according to theory and a predetermined design. Vitruvius goes on to say that an architect needs experiences of both kinds ⫺ of “quod significat” and of “quod significatur” ⫺ and that he must have both a natural gift (“ingenium”) and also readiness to learn (“disciplina”). He also demands of the architect skill in craft as well as familiarity with mathematics, history, philosophy, music, medicine, law and astronomy. Vitruvius proceeds to explain how an architect draws on various disciplines. As an example, he shows how the use of caryatids may be justified historically by the humiliation of the Caria by the Greeks for their conspiracy with the Persians. Their matrons were led away into slavery but were not even allowed to lay aside their finery and ornaments. As an eternal warning to posterity, the architects of the time designed marble statues of long-robed women instead of columns to support the mutules and cornices (I. i. 5). Similarly the Spartans, having conquered the Persians, built a colonnade in which they placed statues of their captives to support the roofs and the architraves to signify the merit and courage of their citizens (I. i. 6). Vitruvius’ concern here is not the problem of what a building signifies but rather how an architect can apply historical knowledge in justifying designs. A general education, he says, is put together like a body from its members, so that those trained in various studies recognize the same characters in all the arts and see the intercommunication of all disciplines (I. i. 11). For all arts are composed of two things: craftsmanship (“opus”) and theory (“ratiocinatio”). Craftsmanship is specific to the singular art, theory is shared among the educated persons according to Vitruvius (I. i.
1331
Fig. 69.1: Leonardo da Vinci: The Vitruvian Man, Academy, Venice, Italy, circa 1490.
15). The use of the body as a simile for the structure of general knowledge and theory is very important, since Vitruvius applies the same metaphor again when he talks about the organization of buildings (III. i). Vitruvius’ exposition of the semiotic aspect is brief and marginal, yet he is the first to record this idea and to apply it specifically to architecture, probably following Greek masters whose writings have perished. The series of opposites: “significat”/“significatur”, “fabrica”/“ratiocinatio”, “opus”/ “ratiocinatio”, seem to be mere reiterations of the same idea. Later commentators have tried to articulate this idea further in different ways. In the early sixteenth century, Cesare Cesariano (1483⫺1543), the first extensive commentator, points out that Vitruvius restates the same idea at the end of Book VI, where he compares the architect’s and the layman’s abilities to conceive and to perceive. All men, not only architects, can approve what is good. But the difference between the architect and the layman is that while the latter only comprehends what is already done, the former, once he has formed his plan, has a definite idea how the design will turn out
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Fig. 69.2: Cesare Cesariano: The Vitruvian Man (from Commentary of Vitruvius, Como, 1521).
in reality. Cesariano extends this by saying that the thing signified is the designation of ideas in plan and elevation and that therefore the architect himself is the agent who signifies. Cesariano’s interpretation offers a twofold articulation of the semiotic problem. In the first place, the plan (“ichnographia”) and elevation (“orthographia”) which Vitruvius speaks about in I. 2 as “dispositio”, one of the three “ordinationes” of architecture, are signs themselves (“significat”) in relation to the actual building which is signified (“significatur”). By introducing the architect as the one who signifies (“significat”), it is the “disposi-
tio” that becomes signified (“significatur”). In this sense, Cesariano may have anticipated Peirce’s (1839⫺1914) introduction of the interpretant between the signifier and the signified. The next important 16th century commentator, Daniele Barbaro (died 1569), elucidates the problem on a more general semantic level. He begins with a reflection about the semiotic nature of various disciplines. Among the arts, he says, there are some whose aims do not pass beyond the consideration of what is contained within the subjects, such as mathematics; there are others whose opera-
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69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
tion will need nothing for their completion, such as the playing of musical instruments; yet others leave some relic of their process, such as the arts of production; others require learning and the acquisition of skills, such as hunting; still others do not consider, nor finish, nor require intentions but correct and amend the errors and the harm of things already done, an example being medicine. Architecture, according to Barbaro, calls on all of them. He generalizes: the thing signified is the effect, the work of all the arts, and conclusions of all the sciences; while reasons, proofs and causes are that which signifies, because “the sign refers to the thing signified: the cause to the effect, the conclusion to the proof” (Barbaro 1556 ⫽ 1629, Commentary I. i. 3). Barbaro sees every work to be the outward expression, the material sign, of a corresponding form conceived in the intellect, and considers that this is particularly true in architecture. He further holds that every art is to signify, that is, to represent the things according to their properties, which concur principally to form the concept according to its intention. Lastly, he differentiates some signs as being closer to the things they represent while others are more superficial and feebly connected. The architect must leave it to the orator, the poet and the dialectician to engage in a more fictitious discourse. Barbaro’s observation that architecture, as well as the other visual arts, are signs closer to the signification of matter than some other arts, such as rhetoric, poetry or dialectic, was made shortly after the major dispute in the cinquecento among the artists regarding which art was greatest. The results of this dispute were summed up by the famous “paragone inchiesta” conducted by the great humanist Benedetto Varchi (1502⫺1565), later published as Della maggioranza delle arti, in which Varchi ranked architecture second only to medicine. Barbaro’s interpretation of the signifier and the signified as cause and effect was echoed again in the 17th century commentary of Claude Perrault (1613⫺ 1688). In fact, the latter modified the original interpretation of the semiotic dichotomy and spoke of “appearances” rather than effects. For him, the thing signified is what appears to be; and the reasons for its appearance are that which signifies. Such novel interpretations of the semiotic approach to architecture ⫺ the close association with matter and the reduction to the concept to appearance where meaning is sought only in the visible and superficial ⫺ provided the major ar-
guments for the 19th century philosophers to rank architecture and the fine arts lower than the other disciplines. This unfortunately reversed the original intention of Vitruvius (cf. Art. 63 § 2.2.).
2.
Alberti and the semiotic foundation of the classical canons
The Renaissance extolled Greek and Roman civilization as a model for imitation and emulation. In architecture and the fine arts, there was an attempt to formulate “classical” canons to replace medieval precepts and exchange antique motifs for Gothic forms (cf. Art. 55). Vitruvius’ treatise was well known to literary and philosophical authors in the Middle Ages. However, it seems not to have been read as a source-book by architects and artists until the Renaissance. Architecture and the fine arts were only then put on a par with other classical learning by the humanists, the first and most influential of whom was the Florentine Leon Battista Alberti (1404⫺1472). However, despite the developing interests in historical studies and hence in Vitruvius’ text, Alberti was so critical of his Roman predecessor that he set out to write his own ten books on architecture, having already composed a treatise on painting and another on sculpture. The basic doctrines regarding the fundamental principles in architecture, in spite of Alberti’s criticism of his predecessor, remain surprisingly alike although he is a more subtle thinker, and a better stylist. Concerning the nature of the subject, Alberti says in his preface to the De re aedificatoria that he considers a building a kind of body consisting, like all other bodies, of lineaments (“lineamenta”) and matter (“materia”); the first produced by thought, the other taken out of nature; so that one is the result of mental process and the other of preparation and choice. He further reflects that neither one nor the other is sufficient in itself, without the hand of an experienced artificer, who knows how to give form to his materials according to the proper design. In the first chapter of Book I, he restates the distinction between the signifier and the signified as the semiotic relation between design and matter, since the whole art of building consists of lineaments (“lineamenta”) and structure (“structura”): “It is the function and duty of lineaments to prescribe an appropriate place, exact numbers, a proper scale, and a graceful order for whole buildings and for each of their constituent parts […]. It is
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Fig. 69.3: Claude Perrault: The Vitruvian Man (from Commentary of Vitruvius, Paris, 1673).
quite possible to project whole forms in the mind without any recourse to the material, by designing and determining a fixed orientation and conjunction for the various lines and angles.” Anticipating Cesariano, Alberti spells out here the distinction of the syntactical nature of design within the semiotics of architecture. For lineamenta are “the precise and correct outline, conceived in the mind, made up of lines and angles, and perfected in the learned intellect and imagination”. This double semiotic nature of architecture and design perhaps
reveals a common origin of “the arts of making visible” (“arti del disegno”) as investigated later by Vasari (cf. Art. 63 § 2.2.). In terms of design principles, Alberti followed Vitruvius’ account of the mimetic origin of architecture, of art from nature. Considering the art of building to have begun in Asia (the Near East and Egypt), Alberti goes on to describe its fullness in Greece, where it was refined by the observation of nature: “They performed all manner of experiment, surveying and retracing the steps of Nature,
69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
mixing equal with unequal, straight with curved, light with shade; they considered whether a third combination might arise, as from the union of male and female, which would help them to achieve their original aim” (VI. iii). On arriving in Italy, the art of building was brought to perfection by the conclusion that the members in buildings ought to be contrived in the same manner as in animals; as, for instance, in a horse, whose limbs are generally most beautiful when they are most useful for service. On partition (“partitio”) and on the origin of building, Alberti also says that “part should relate to part in buildings just as members relate to members in animals” (I. ix). The members of a building should stand in such proportion to each other that the whole building might appear to be an entire and perfect body. Alberti here reiterates an idea which is most crucial to the traditional “ratiocinatio” of architecture: the body as the raison d’eˆtre of the whole conception of the classical canons in architecture and the fine arts. The definitive canon of proportion for the human body has been attributed to the fifth century sculptor Polyclitus. Vitruvius also mentions this analogy in describing the principle of symmetry in buildings, especially in temples, claiming that it must have an exact proportion worked out after the fashion of the members of a finely-shaped human body (III. i). From the body, proportionate dimensions are extracted for the building operations: the finger or inch, the palm, the foot, the cubit. These are then grouped into perfect numbers, of which Vitruvius mentions three: six, ten and sixteen (1 ⫹ 2 ⫹ 3 ⫽ 6, 1 ⫹ 2 ⫹ 3 ⫹ 4 ⫽ 10, 1 ⫹ 2 ⫹ 3 ⫹ 4 ⫹ 3 ⫹ 2 ⫹ 1 ⫽ 16). Moreover, the body is seen to embody two perfect geometries derived from the square and the circle: For a man lying on his back with hands and feet outspread and the centre of a circle placed on his navel will have his figure and toes touching the circumference; the height of a man with his arms outstretched forms a square (cf. Fig. 69.1). Vitruvius’ passage had been quoted in several medieval manuscripts, especially in the vast encyclopaedia, the Speculum, compiled by Vincent of Beauvais (1190⫺1264). But such mentions were not accompanied by any image or illustration. The first illustrated Vitruvius appeared in 1511 but the illustrations for the Vitruvian man in square and circle were a little earlier. The first, probably done about 1430, is to be found in Mariano Taccola’s treatise De ingeneis (1433). The next appeared
1335 about 1470 in Taccola’s pupil Francesco di Giorgio’s (1439⫺1501/2) treatise on architecture and engineering. The third, some twenty years later, is the famous one drawn by Leonardo da Vinci in the Academia in Venice (cf. Fig. 69.1). A newly discovered Vitruvian manuscript in Ferrara (Sgarbi 1993), which is dated about the end of the fifteenth or the beginning of the sixteenth century, also contains illustrations of the homo bene figuratus. From the sixteenth century on, a profusion of similar drawings appeared in the various Vitruvian commentaries and a few major treatises on art, architecture and philosophy (cf. Fig. 69.2 and 69.3; see also Scholz 1994). The analogical conception of body and building is manifested clearly again in one particular member of classical architecture, the column, or the whole assemblage with pedestal and entablature, usually referred to as the “Order” (Fig. 69.4; cf. Art. 2 § 5.1.2.). Alberti regards the column as the major ornament of any building. He finds nothing that deserves more care and expense in the whole art of building, or ought to be more graceful, than the column (I. x). The origin of the different Orders, according to Alberti, comes from the imitation of nature. “By studying in Nature the patterns both for whole bodies and for their individual parts, they [‚i. e., ancient architects] understood that at their very origins bodies do not consist of equal portions, with the result that some are slender, some fat, and others in between […]. Following Nature’s own example, they also invented three different ways of ornamenting a house, their names taken from the nations who favored one above the others, or even invented each, as it is said. One kind was fuller, more practical and enduring: this they called Doric. Another was slender and full of charm: this they named Corinthian. The one that lay in between, as though composed of both, they called the Ionic; they devised these for the body as a whole” (IX. v). Alberti does not follow Vitruvius exactly in the detailed proportioning of the Orders, yet he repeats Vitruvius’ account of their origins. Both record the invention of the Corinthian Order by the fourth-century sculptor Callimachus who, having seen the beautiful composition of the acanthus leaves growing under the weight of a tile covering a basket over the grave of a virgin, made a drawing of the grouping, fixed the proportions and named that style of column “Corinthian” (Vitruvius IV. i. 9; Alberti VII. vi). The heights of the columns were first taken from the measures of a man’s footstep and later
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Fig. 69.4: Vincenzo Scamozzi: The Five Orders (from L’idea della architettura universale, Venice, 1615).
amended for slenderness in the subtlety of judgements for the different Orders (Vitruvius IV. i. 8; Alberti VII. vi). The differences in measurements of the parts in the Orders became more divergent with the production of ever more theories and treatises among the later theorists. This led to the dispute in the 17th century about the nature of the authority the ancients could exercise over the moderns in the matter of proportional rules, and finally, to the collapse of the whole doctrine (cf. Art. 63 § 3.1.1.).
3.
The sources of sign conceptions in theories of art
The body remained a powerful image and object of investigation not only for a formulation of a proportional doctrine as in architecture and design, but also for both literal and figurative representations. Alberti’s De statua, Pomponius Gauricus’ (died 1530) De sculptura, Dürer’s (1471⫺1528) Vier Bücher von menschlicher Proportion were all com-
69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
posed with such an intention in mind. But the study of the body as a sign went beyond the mathematical and geometrical measures (cf. Art. 82 § 1.3.). One empirical approach involved anatomy and the direct borrowing from medicine. It is interesting to note the relation between architecture and medicine with regard to the study of the human body for a history of sign conceptions. The term “semeiotic” (“se¯meio¯tiko´s”, the etymological origin of the now more commonly used “semiotic”) in fact originates from a branch of medical procedure known today as symptomatology. Medical semiotics deals with the diagnosis and interpretation of symptoms to assess the individual’s health from the external bodily signs (cf. Art. 45, 56 and 70). In architecture, the body serves as an example for the manifestation of the microcosmic order ⫺ the term “fabrica” implies a metaphoric chain from world order to buildings and bodies (cf. Vesalius 1543). It is therefore not surprising that Renaissance artists were also among the first practitioners of anatomy: the Pollaiuolo Brothers, Verocchio (1432⫺1488), Signorelli (1440⫺1525), Bramante (1444⫺1514), Leonardo (1452⫺1519) and Michelangelo (1475⫺1564). Indeed the great anatomist Vesalius (1514⫺1564) had complained that the crowds of artists at his lecture-demonstrations were pushing out the bona-fide medical students. Their constructive passions led them to investigate the exact relationship of bone and sinew and to understand the make-up of the tissues and the frame of the body fabric. The impact of anatomy on artistic theories might have been appreciated in Michelangelo’s pupil Vincenzo Danti’s (1530⫺1576) treatise Trattato delle perfecte proporzione. Unfortunately most of this work was lost. Parallel to the empirical anatomical approach for an understanding of the physical human body, there were other methods, inextricably linked with the medical tradition since antiquity, which purported to be capable of gaining knowledge of the internal workings of the body otherwise inaccessible to anatomical dissection. These were astrology and physiognomy. 3.1. Astrology ⫺ the heavenly signs Astrology, widely diffused since time immemorial (cf. Art. 46 § 5.2.), remained powerful in the Renaissance. Its rationale, reformulated on neo-Platonic cosmology, was a theory of macrocosm and microcosm which found its application in medicine: man, who
1337 represents the world in summarized form, is influenced by the cosmic forces, which are combined in his make-up in the same proportions as in the universe; by inference, the fate of a patient is thus dependent on astronomical calculations. According to the Greek principle of “melothesı´a”, each zodiacal sign rules over some part of the body while each planet relates to a certain organ or limb. The body’s anatomy and physiology are governed by the stars and the physician or surgeon must know how to operate accordingly. Illustration of this principle could be found as early as the eleventh century, but the most famous one was the miniature of a zodiacal man illuminated by the Limburg Brothers (active in the 15th century) for Jean de France, Duc de Berry (1340⫺1416), in his Tre`s Riches Heures, produced about 1416 (cf.
Fig. 69.5: The Limbourg Brothers: Zodiacal Man (from Tre`s Riches Heures of Jean, Duke of Berry, Muse´e Conde´, Chantilly, France, circa 1416).
Fig. 69.5). The profusion of the images of the zodiacal man as carrying the astro-medical theme perhaps culminated in the seventeenth century in Silvestro Giannotti’s (1680⫺1750) carving of an array of stellar demigods around the central figure of Apollo ⫺ the inventor of medicine ⫺ on the ceiling of the astronomical theatre of the Archiginnasio in Bologna.
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Fig. 69.6: Albrecht Dürer: “Der Verzweifelnde” (“Despairing Man”; copperplate engraving, ca. 1516).
An important component of the astrological theory of medicine was the doctrine of humors and temperaments which were thought of as the products of the necessary preponderance of one of the four elements: earth, water, air and fire ⫺ of which the body, like the rest of the world, was made. The connection between astrology and humors was well stated by the Venerable Bede (675⫺735) in his meditations on the calendar: “Man himself, whom the wise call ‘microcosmos’ (that is, a little world) has a body wholly tempered by qualities which surely imitate the individual humors of which it is composed, as if it were following the seasons by which it is dominated.” The elements are kept apart or attracted to each other by the dialectic principles of “philotis”, “eros” and “poleimon” which sustain the order of the whole world fabric effecting both its per-
manence and its continuous flux. From the four elements are composed the four humors of the body ⫺ blood, phlegm, choler and melancholy ⫺ and hence the four temperaments: sanguine, phlegmatic, choleric and melancholic. The impact of the pervasiveness of these theories on the artistic productions of the Renaissance can be seen, for example, in Dürer’s “Der Verzweifelnde” and “Melencolia I” (Fig. 69.6 and 69.7). But the person who formulated the most extensive art-theoretical statement about them was the 16th century Milanese painter and theorist Giovan Paolo Lomazzo (1538⫺1600). Lomazzo’s ideas are set out in his two books Trattato dell’arte della pittura (1584) and Idea del tempio della pittura (1590) in which he lists five important aspects of painting: proportion, motion, color, light and perspective. He subsequently shows how each of
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69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
Fig. 69.7: Albrecht Dürer: “Melencolia I” (iron etching, 1514).
these aspects corresponds to planetary control. Different types of proportion are suitable for different types of body, according to the planetary influence of their nature. For example, a body of ten face-lengths belongs to Mars and therefore has to be regulated to the imitation of the Martian form. For a long and slender body is formed by the heat and dryness which results from an impetuous and choleric nature. Motion (“moto”) Lomazzo defines as the outward expression and extrinsic demonstration in the body of things which the mind bears internally. The mechanism by which the passions of the mind affect the body is exemplified: Melancholy, to take one temperament, is earthy; therefore the actions of such a body are slow, heavy and restrained. The consequences are anxiety, disquiet, sadness, stubbornness etc. which all tend downwards, making parts of the body hang and decline. Thus anxiety, horror and despair appear most forcibly in these bodies. From this conjunction, Lomazzo arrives at
the idea of imitation, which is a hidden and secret power of similitude by which one body induces others to participate in its affections. He subsequently invokes the power passions and affections show in the natural instinct and inclination, which proceed from superior bodies. Without this knowledge, no artist can really succeed in his work. An artist must, moreover, know his own artistic temperament for an efficient exercise of his skills, for he himself is also subject to planetary influence. The antique idea of the body as the principal source of sign conceptions acquired new force in Lomazzo’s writings, which went beyond the abstract and quantitative realm of analogy. The proportion of the body as a theoretical ideal was no longer a static embodiment of geometrical and numerical ratios of members. It had to encompass the dynamic expressive changes of the body as a result of the internal workings of the soul. Cornelius Agrippa (1486?⫺1535), on whom
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Fig. 69.8: Leonardo da Vinci: “Five Grotesque Heads”, Windsor Collection, Berkshire, England.
Lomazzo relied heavily in his work, expresses this clearly in his De occulta philosophia: “As the consonance in the body consists in a due measure and proportion of the members: so the consonance of the mind in a due temperament and proportion of its virtues and operations ⫺ concupiscible, irascible and reasonable ⫺ which are so combined” (Agrippa 1533: II. xxviii. 170 f). 3.2. Physiognomy ⫺ the bodily signs The theory of expression in the arts owed its rationale to another tradition⫺physiognomy. Physiognomy was a branch of natural science in ancient Greece which aimed to establish the relations between characters and temperaments through external bodily signs. Many ancient authors wrote on the subject, among them Polemon (active in the 3rd century), Adamantius (active in the 4th century) and Apuleius (active in the 2nd century). The first systematic treatment (attributed to Aristotle) became very popular in the Middle Ages after
Bartolomaeus de Messina (active in the 13th century) translated it into Latin. The GrecoRoman tradition emphasized the zoomorphological aspect of the study by drawing analogies between the physical resemblances of man and animal. It was adopted by several medieval thinkers, the most influential being Albertus Magnus (1193?⫺1280). Another branch, which developed from Arabic sources, became more familiar in the Middle Ages, introducing astrological and occult beliefs. It found wide applications in matters from the choice of ministers to the purchase of slaves. It was given sanction by authors such as Michael Scot (the court astrologer and magician of Emperor Frederic II) as well as in several medical books such as the Secretum secretorum and the Liber Alamansorius. The two trends ⫺ the classical and the Arabic ⫺ remained separate until Peter d’Abano (1250⫺1316) attempted a systematic synthesis in his book Liber complicationis phisionomie in 1295 and in his chapters on Physiog-
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69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
nomy in the Conciliator in 1310. Michele Savonarola, the physician to the Marquis Nicolas III d’Este in Ferrara (1384⫺1461), relied heavily on the latter for his Speculum physionomiae (ca. 1450) which was a remarkable work trying to bring physiognomy and medicine together. The animal analogy in physiognomy was added to the correspondence between elements and complexions: air/sanguine/monkey, water/phlegmatic/lamb, fire/ choleric/lion and earth/melancholy/swine. During the Renaissance, interest in the subject revived with a profusion of reprints of the ancient texts. A major work called Chyromantie ac physionomie anastasis by the Bolognese physican and hermetic philosopher Bartolomeo Cocles (1467⫺1504), appeared in 1503 with an introduction by the anatomist Alessandro Achillini (1463⫺1512); concerning chiromancy and other techniques of divination cf. Art. 160. The relation between physiognomy and art was explicitly mentioned by Pomponius Gauricus in the chapter on physiognomy in his De sculptura (1504): “Physiognomy is a method by which we observe and deduce qualities of the mind according to the signs of the body. As the proverb says, one knows the artisan from his tools and the nature of the master from his house. Now this rule is reversible [“antistrophon”] and can be taken in two senses. It will be wholly indispensable to the sculptor because we will either have to produce the image according to the living model […] or have to imagine the appearance of the dead according to their well attested moral characters […]. We have seen with pleasure that this has been done by Veronius for Cartullus, Vitruvius, Marcus, Celsus and Pliny whom one thereby assumes as fellow citizens. It is indeed hardly possible to express in words all the service which physiognomy renders to the sculptor, and not only to the sculptors, but to all mankind.” Gauricus’ intention to utilize physiognomy as a tool to reconstruct the famous dead ⫺ his aim of art for the perpetuation of great men ⫺ could also be applied in the fabrication of the ideal and the imaginary as in the case of Leonardo, who wrote an essay called De fisonomia e chiromanzia. His famous studies of the grotesque heads can be seen as a formal exercise on the variations of proportions and of types corresponding to the different expressions and emotions (Fig. 69.8). In his studies for the Trivulzio monument, Leonardo shows warriors who assimilate images of lions or dragons. Many Renaissance artists also experimented with this
animal physiognomical idea, which was promulgated widely towards the end of the 16th century with the appearance of Giambattista della Porta’s (1540⫺1615) treatise Della fisonomia dell’huomo in 1586. Della Porta’s treatise follows the Aristotelian tradition. He affirms the principle of correspondence between body and soul and theorizes: “Therefore the disposition of the body responds to the power and virtue of the soul. Thus the soul and the body with all correspondences are so entangled with each other that one is the cause of joy, the other of sorrow” (Book 1, ch. 2). “Beauty is a measured disposition of the body members, which is the model and image of that of the soul. The parts within have the same composition as those outside and those that have a similar action demonstrate on the outside a similar form. Therefore, nature has fabricated a body which conforms to the effects of the soul” (Book 4, ch. 11). Della Porta even associates animals with historical figures. Plato is compared to the dog, Socrates to the hart and Vitellius to the owl. The high nose in Plato as in the dog indicates unaffectedness and good sense (Fig. 69.9). Aristotle’s nose, which was snub, like that of the hart indicates luxuriance. The big head in Vitellius like that of the owl indicates an obstinate spirit and a cowardly character. Della Porta’s treatise was an immediate success and became very popular in the beginning of the 17th century, inspiring many artists including Rubens (1577⫺1640) and Charles Le Brun (1619⫺1690; cf. Art. 63 § 3.3.2.).
4.
Scientific studies of sign conceptions
While physiognomy examines permanent traits of character, the study of expressions and the temporary emotional changes of countenance belongs to pathognomy. By mid-17th century, this was studied with the rising enthusiasm of modern science. A theory of the human figure was first taken up by the theologian Coeffeteau (1574⫺1623). Subsequent investigations, however, became increasingly more concerned with the scientific relation between body and mind. The physician Marin Cureau de la Chambre (1640⫺1662) wrote Les characte`res des passions between 1640 and 1662, which was physiologic and mechanistic in its approach. He postulated the heart as the seat of passion. This was contradicted by Descartes (1596⫺1650), who asserted that the link be-
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Fig. 69.9: Giambattista della Porta: Plato and the Dog (from Della fisonomia dell’huomo, Naples, 1598).
tween the soul and the body was the tiny pineal gland, located at the base of the brain, which transmitted the passions and affections of the soul to the body. The face was the most accurate index of the mind since it contained the brain and the eyebrows, the latter being the most expressive organs of the face because they were closest to the seat of the soul. This theory of deduction from a few established a priori rules marked a significant change from the pseudo-scientific physiognomy of Porta and the occult astrology of Lomazzo. It was made apparent by Charles Le Brun, who summarized both Cureau and Descartes in his treatise on expression. Le Brun believes that passion is a movement of the soul which induces action in the body. Action is a movement of muscles induced by the nerves which act through the spirits contained in the cavity of the brain. Le Brun follows Descartes in his belief that the seat of the soul is in the brain and not in the heart. The soul receives the impressions of passions in the brain and experiences the effects in the heart. Like Lomazzo, Le Brun elaborates a list of
“motions”. His description of the passions, however, is more physiological. For example, he explains that admiration is a surprise which makes the soul consider a rare and extraordinary object with admiration. This surprise may be so powerful that it sometimes pushes the spirit towards the object. While the subject is occupied in considering this impression, there remains no more spirit to motivate the muscles, and the body becomes immobile as a statue. An excess of admiration thus causes astonishment. Le Brun’s account is almost a paraphrase of Descartes. He reiterates Descartes’ ordering of the passions by distinguishing the simple from the complex ones. There are six primary passions: admiration, love, hatred, desire, joy and sadness. All other passions are either aspects of these six or composed from them. Estimation and contempt, for example, are kinds of admiration. The soul is divided into two sensitive parts: “l’appe´tit concupiscible”, which houses the simple passions, and “l’appe´tit irascible” which accommodates the more savage types including fear, boldness, hope, despair, anger and dread.
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69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
Fig. 69.10: Charles Le Brun: Geometry in the physiognomy of animals.
Le Brun’s understanding of physiognomy is zoomorphological. He seems to know della Porta (perhaps through Cureau), but differs from the pseudo-Aristotelian tradition in recognizing that animals of the same species do not all look alike nor necessarily have the same characters. He proposes to codify the signs which mark the passions of different animals, first by examining them in one species which is universally subject to one passion, next comparing them with others which only display that passion in particular cases. Furthermore, he suggests that the head is the place which most readily shows the inclinations of the body. One must also identify the dominant features of a sign responsible for that particular inclination when correlating it to the human face because some people may have some resemblance to a certain animal and yet do not possess its characteristic passions. Le Brun’s version of physiognomic semiotics is certainly an improvement on della Porta’s simplistic syllogism. He is also an innovator in introducing geometry into the interpretation of physiognomic signs (cf. Fig. 69.10). By establishing certain key points on an animal head, Le Brun superimposes geometrical lines passing through them to form in each case a circumscribing equilateral triangle. A line parallel to that side of the triangle which runs down from the ear and passes through the corner of the eye and the mouth, would indicate that the animal is ferocious and carnivorus. Otherwise it is herbivorous. The same line would also indicate that the animal is strong if, by projecting it up, it cuts the brow at a prominence and not
at a depression. One can also compare the intelligence among animals by projecting a line from the exterior corner of the eye tangentially to the eyelid towards the forehead. If this line cuts the forehead at a prominence rather than a depression, the animal is intelligent. This intersection on the front of the human face marks the location of the pineal gland. Le Brun’s theory was born at a time when the narrative nature of art, an essential element in historical paintings, relied heavily on expressions (Fig. 69.11). But the concern for expression in art had been apparent in the
Fig. 69.11: Charles Le Brun: “Agony in Garden”, painting, private collection, circa 1657.
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Renaissance since Alberti’s Della pittura and manifested itself perhaps most clearly in the works of Domenichino (1581⫺1641), whom Poussin (1594?⫺1665) greatly admired for his expressive skills. Domenichino had realised that there was a need for a theoretical study of the problem of expression in order to transfer the passions from the artist’s mind onto the canvas. Poussin, his disciple, formulated a theory of “modes” by borrowing from ancient music, which was first introduced into the academy by Le Brun. But Le Brun’s treatise provided the systematic theory of the subject (cf. Art. 63 § 3.3.2.). Le Brun’s work, especially his geometrization of the head, initiated an enormous interest in studying the geometry of the skull. One important figure was the Dutch physician and anatomist Pierre Camper (1722⫺1789). Camper’s interest in drawing led to his investigation into the connection between anatomy and art (cf. Art. 82 § 4.3.). As a professor of anatomy, he dissected many corpses and collected skulls of all races from many parts of the world. Following Le Brun’s method of geometrical reduction, he demonstrated how different species of animals could be transformed from one into another according to a few biomechanical rules. His major contribution is the idea of the facial angle, which, he believes, regulates intelligence both in animals and in man. The facial angle is formed by the line connecting the prominence of the forehead and the tip of the maxilla with the horizontal. Camper shows that this angle increases with the progression of intelligence, from monkey (42 degrees), ape (58 degrees), Negro (70 degrees), European (80⫺90 degrees) to ancient Greek (100 degrees). This hypothesis foreshadowed Darwin’s theory of evolution in the next century (cf. Art. 85). It also marked the beginning of the scientific zeal to measure man’s intelligence, epitomized with the 19th century craze of skull measuring. One notable example was Johann Friedrich Blumenbach (1752⫺1840) in Göttingen. The ethnological implication of this work was utilized by the Nazi politicians to support their pan-German attitudes. Despite this unfortunate development into a scientific racism, the study of the skull later became an indispensable tool in the new study of physical anthropology.
5.
The moral aspects of sign conceptions and their impact on artistic doctrines
The moral dimension of the study of human signs became apparent in the 19th century in
an important work on physiognomy which appeared towards the end of the 18th century ⫺ the Physiognomische Fragmente of Johann Caspar Lavater (1741⫺1801), a theologian and Protestant minister from Zürich. Goethe, who had contributed to the work, noted that the direction of Lavater’s research was towards the moral and religious aspects. Lavater first published his work on the subject in a small booklet called Von der Physiognomik, to be edited by his friend J. G. Zimmermann whom he regarded highly for his expertise in medical semiotics. This booklet, which contained Lavater’s thesis in summary form, was later developed into the more comprehensive treatise to be published in Leipzig and Winterthur between 1775 and 1778. The treatise is copiously illustrated with portraits of numerous famous men. It includes chapters on various aspects of physiognomy, for example, on bodily signs of health and sickness, on resemblance between parents and children, on differences between the sexes, the young and the aged, even the living and the dead. But the study on the whole concentrates on facial features and includes extracts from many authors which range from Buffon’s (1707⫺1788) study on national physiognomy to Winkelmann’s (1717⫺1768) history of art, besides other famous figures such as Aristotle, della Porta, Camper, as well as the more recent philosopher Kant (1724⫺ 1804) and his contemporary Lichtenberg (1742⫺1799). Lichtenberg’s inclusion was interesting as he was skeptical of and opposed to the study of physiognomy. The exchanges between him and Lavater reflect both the strength and weakness on either side. While Lichtenberg’s refutation of physiognomy cannot be absolute, Lavater’s defence of the subject remains concessive. The debate indeed reveals the limitations not only of physiognomy but also of other human and social scienes, since generalizations drawn from the relations between signs and effects in physiognomy, unlike the laws in physical and natural sciences, can never be definite. Like the generalizations in other social sciences, they always coexist with counterexamples, or at least the possibility of counterexamples, and still proclaim their predictive power. Lavater’s defense perhaps lends a view to the inevitability of this predicament. In response to Lichtenberg’s statement, “Our senses acquaint us only with surfaces, from which all deductions are made. This is not very favourable to physiognomy, for which some-
69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
thing more definite is required, since this reading of the superficies is the source of all our errors, and frequently of our ignorance”, Lavater replies, “So it is with us in nature: we can read absolutely nothing other than superficies. In a world devoid of miracles, the external must ever have a relation to the internal; were we to prove that all reading of the superficies were false, what should we achieve but the destruction of all human knowledge? All our inquiries produce only new superficies; all our truth must be the truth of the superficies. It is not the reading of the superficies that is the source of all our error; for, if it were so, we should have no truth; but the not reading, or, which is the same in effect, reading not rightly” (Lavater 1775⫺78 ⫽ 1969: IV. 27 f). A unique feature of Lavater’s system is his use of Christian theology to defend physiognomy. He believes that an ideal physiognomist should also be a Christian, for his knowledge of the heart would then be associated with philanthropy. By his physiognomical wisdom, he would discern the presence of the divine radiance in man’s visage, not only the virtues and characters; and his philanthropy would prompt him to minister to his subject’s needs. He quotes the Scripture to support his ideas, for example, Matthew 6:27, 28, 33: “Which of you by taking thought can add one cubit unto his stature? ⫺ And why take ye thought for raiment? ⫺ Seek ye first the kingdom of God, and his righteousness; and all these things shall be added unto you” (Lavater 1775⫺78 ⫽ 1969: IV, 202), interpreting this as a justification for the physiognomical belief that the external is the expression of the internal, that man should take care of the internal and a sufficient care of the external will be the result. 5.1. Decorum The moral aspect in sign conceptions is reflected in theory of art under the doctrine of decorum, which assumed a new prominence in the 17th century, leading to the inception of the idea of ‘character’ in the 18th century. The concept of decorum in the visual arts was borrowed from classical rhetoric and poetics, with its moral precept already implicit in Cicero who translated it from the Greek word “pre´pon”: “What in Latin is called “decorum” (propriety), in Greek is called “prepon”. Such is its essential nature, that it is inseparable from moral goodness, for what is proper is morally right, and what is morally right is proper. The
1345 nature of the difference between morality and propriety can be more easily felt than expressed. For whatever propriety may be, it is manifested only when there is pre-existing moral rectitude” (Cicero, De officiis: I, xxvii). It is clear from Cicero’s definition that there is an inherent connection between ethics and aesthetics, that it is meaningless to speak about one in isolation from the other. Similarly, in Horace and Quintilian, who were the chief sources cited in later discussions of decorum, the poetical principle is always understood within a moral context. The Greek concept of “e¯thiko´s” ⫺ which Cicero translated as “moralis” ⫺ was quite different from its etymological descendant “moral”. “Ethiko´s” means ‘pertaining to character’ where a man’s character is his set of dispositions to behave in one way rather than another, to lead one particular kind of life. The early use of the word “moral” found its closest meaning in “practical”, and it was only in the 16th and 17th centuries that the word began to take on its modern connotations (MacIntyre 1981). Alberti had alluded to this doctrine in Della pittura, insisting that all body parts had to be fitted to each other so that the limbs expressed the same physiological type and the gestures as well as the movements were in accordance with the character depicted; he also introduced it in the concept of “istoria” whereby conventions could be set with reference to precedents. Vitruvius had indeed mentioned “decor” as one of the key principles in architecture. “Decor”, he says, “is the faultless ensemble of a work composed in accordance with precedent [“auctoritas”] of approved details, and is based on convention [“statio”], or custom [“consuetudo”] or nature [“natura”]” (I. ii. 5). The later concept of decorum returns to the ancient ideal of the concept as not only an aesthetic but also a moral one. In the writings of 17th century theorists such as Dolce (1616⫺1686), Boileau (1636⫺1711) or Fe´libien (1619⫺ 1695), there was the same emphasis that art should not only be pleasing to the senses but be morally edifying as well. Lavater’s work on moralizing physiognomic signs can therefore be seen as an anticipation of a 19th century full scale moral crusade in art and architecture (cf. Art. 75; for a discussion of taste in art see Art. 82 § 1.). 5.2. Character The 18th century notion of ‘character’ was a further transformation of the concept of decorum stimulated by the renewed interest in
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the study of physiognomy and expression. This had achieved wide circulation at the end of the 17th century through Jean de la Bruye`re’s translation of a treatise on character by Theophrastus, to which he added his own “modern” version. It had a powerful impact on the new literary form of the novel, on painting and sculpture and also on architectural thinking. One of the forerunners for such a theory of character was Germain Boffrand (1667⫺1754), who in his treatise, which is a deliberate emulation of Horace, wrote, “Architecture, though its object seems only to be the use of that which is material, is capable of different genres, which render its parts, so to speak, animated by the different characters which it can express. A building expresses by its composition, as if on a stage, whether the scene is pastoral or tragic, whether it is a temple or a palace, a public building or a particular house intended for a certain use. These different buildings, by their disposition, their structure, the manner in which they are decorated, should announce their purpose to the spectators, and if they do not establish this they trespass against the expression […]” (Boffrand 1745: 16). This opinion was echoed by J. F. Blondel who even subordinated the idea of style to character; he says, “After all it matters little whether our monuments resemble former architecture, ancient, Gothic, or modern, provided that they have a satisfactory effect and a character suited to each genre of edifice” (Blondel 1771⫺78: II, 318). Another theorist, Nicolas Le Camus de Me´zie`res wrote Le ge´nie de l’architecture ou l’analogie de cet art avec nos sensations in 1780, which argues that a building should evoke a suitable emotion by its character. He explores how this could be achieved by composing architectural forms under the effect of light and shadow. Quatreme`re de Quincy (1755⫺1849) also devoted a long discussion to “caracte`re” in his Dictionnaire historique d’architecture in 1832. In England, too, a contemporary of Boffrand by the name of Robert Morris (1701⫺1754) attempted a character study of the orders of architecture, by relating them to the ‘character’ of the landscape in which the buildings were to be situated. Many of the theories were an attempt to revalidate a theory of the Orders in the context of the new post-Le-Brun intellectual atmosphere. Boffrand maintains that it is in the proportions of the Orders that one can discover the character suited to each type of
Fig. 69.12: Diego de Sagredo: Entablature and profile of the human head.
building. By an analogical comparison with music and poetry, he even reduced the analysis of character down to the basic element, the lines: “These different lines in architecture are as the tones in music, which express in different chords joy and sorrow, love and hatred […]. Indeed one has employed the forms and contours in the mausolea and the churches which suit only the theatres […]. This disorder comes from the misunderstanding of proprieties of these different lines, and the lack of attention to the effects which they produce […]” (Boffrand 1745: 9). “The profiles of the mouldings and the other parts which compose a building in architecture are as the words in discourse. There are only three types of lines which form all buildings, the straight, the concave and the convex” (Boffrand 1745: 22; cf. Fig. 69.12 and 69.13). This doctrine was moreover extended by Jacques-Franc¸ois Blondel, who taught that the mouldings could “signify” the character of a building.
6.
The absolutization of sign conceptions
Boffrand’s reduction of the concept of ‘character’ to proportion and lines indicated a shift of interest in the study of expression to the more abstract and fundamental geometrical elements. This was accompanied by the decline of interest in the academic history of painting. The new direction of artistic sign conceptions was formulated in Humbert de Superville’s (1770⫺1849) treatise Essai sur les signes inconditionnels dans l’art published in
1347
69. Sign conceptions in architecture and the fine arts
Fig. 69.13: Jacques-Franc¸ois Blondel: Trabeation of the Tuscan Order (according to Vignola, Cours d’Architecture …, Paris, 1771, Planches, Tome 1, Planche XII).
Leiden between 1827 and 1832. As the title suggests, Superville’s theory was about the “unconditional” signs in art. By “unconditional” he means those signs which convey the same emotions and meanings to all men universally. In other words, these signs are absolute, their interpretations free from any cultural or historical context; their justification can only be based on myth ⫺ the primordial encounter between man and the universe. Superville investigates the problem systematically. He starts with lines, of which there
are three possible directions in relation to a vertical axis: horizontal, descending and ascending obliques. The correlation of these to the human face displays their emotive significance as is shown by the movement and change of directions of the various organs. Superville identifies each direction with one of the three goddesses of the Judgment of Paris, seen as the three basic human properties: pleasure, wisdom and power. The ascending oblique line associates with Venus, Queen of Cythera; it signifies passion, movement, agitation, beauty, inconstancy and
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change. The descending one he associates with Juno Ludovisi, which represents meditation, profundity of thought, grandeur of soul, gravity and the sublime. The horizontal, mediating between the two, is Minerva, the Pallas of Velletri, which stands for order, equilibrium, dignity, stability and duration. The transition from the pathognomy of faces to their physiognomic characterization is theoretically ambiguous, for Superville gives no explanation for how “weeping” turns into “reflection” or “greatness”. However, he escapes this difficulty by resorting to a physiological principle which does not deal with objective character but with a subjective judgment of character. Using this tripartite schema, Superville also formulates a theory of color, with red and black occupying the ends which stand for agile and solemn while white takes the center representing the calm. Yellow is situated between red and white and azure between white and black. He projects this category of three onto the plant kingdom, shown by the pine, the oak and the fir. Superville next considers the relevance of this principle to the arts. The three linear schemes govern three kinds of architecture: Gothic, Chinese and Greek. The Gothic church, according to Superville, signifies man’s physical and moral dignity, hence the solemnity and power. Chinese architecture, with its capricious constructions and expansive colors, conveys a sense of gaiety opposite to the Gothic. Superville even draws an analogy between the national physiognomy of the Chinese and their characteristically curving roofs, thus relating physio-ethnology to aesthetics. The third type of architecture is the Greek Doric temple, which induces a sense of calm and tranquility through its predominantly horizontal lines and the whiteness of the stone construction. Superville, however, disdains Greek sculpture. He exalts the Egyptian sculpture instead. The former embodies to him no meaning beyond mere formal beauty, while the latter, originating from the sarcophagus, which commemorates death and the regeneration of life, is a truly open, disinterested production of art. It constantly eludes the limiting circle of human imagination and thought with its omission of details and avoidance of imitation. Superville gives the highest rank to painting, regarding it as the most spiritual of the arts because it is an art of signs devoid of the materiality of architecture and sculpture. It is the visible expression of the nonverbal lan-
guage of the mind, the manifestation of the intellectual idea in the form of an external sign (cf. Art. 82 § 2.1.).
7.
Conclusion
Humbert de Superville’s theory may seem overly simplistic and, if taken quite literally, could not possibly account for all the richness and complexity of the language of form. Nevertheless, it was a major source of influence for the development of abstract art from the romantic expressionism of the 19th century. With its naı¨ve force of reduction, moreover, it emphasized one important point, that the interpretation of signs resides in myth. It may even be argued that all artistic creation is thus based on a poetic mythos. Having investigated the theories of proportion and the parallel development in the studies of physiognomy and expression since the Renaissance, we have finally come to a theory of art which unites form and meaning on the most elementary level. It is no longer based on taking physical objects as signs, but turns to the absolute signs of line and color. The apparently eccentric Superville in fact takes up some of Camper’s ideas. Although his book had limited circulation, his ideas formed the basis of Charles Blanc’s (1813⫺1882) Grammaire des arts du dessein, which was the most widely read manual of art in the 19th century. Through Blanc’s manual it influenced many of the leading artists of the late nineteenth and early twentieth century, and its echoes may still be heard in contemporary discussions (cf. Art. 154 and Art. 155).
8.
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1354
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
70. Sign conceptions in medicine from the Renaissance to the early 19th century 1. Introduction 2. Signs, symptoms, and semiotics: urines and pulses 3. Medical semiotics 4. Signs and natural philosophy 5. Elicitation of signs 6. Conclusion: a historical view 7. Selected references
1.
Introduction
For the purposes of this chapter, the Renaissance was the period when the classical word, and practice, “semiotics”, was born again in the West. Galen, physician to Marcus Aurelius in imperial Rome, had divided medicine up into five great divisions, physiology, pathology, semiotics, therapeutics and hygiene. These respectively dealt with how the body worked, how it went wrong, how to understand the signs produced in health and disease, how to treat illness and how to maintain health. Semiotics therefore stood on the boundary between the theory and the practice of medicine and was the point at which the ‘rationalist’ physician guided his practice by means of his understanding of how the body functioned and malfunctioned (cf. Art. 40; see also Art. 69 § 3.). In other words it is in medicine above other disciplines that we can see a genuinely historical use of the word, and practice, of semiotics. Within this use, medical men from the Renaissance to the early nineteenth century consciously discussed the theory and practice of semiotics. It is part of the purpose of this article to outline this discussion in order to provide a historical model for modern discussions of wider-than-medical semiotics. It is also a purpose of this article to look briefly at how signs were seen, understood and used in medicine outside the formal category of medical semiotics. It will be convenient to begin with this. The Renaissance physician, then, apart from the formal semiotics of the Galenic corpus, read, understood and acted upon signs in a number of ways. Signs, indeed, were fundamental to the practice of medicine, because diseases, particularly internal diseases, could not be seen directly (cf. Art. 46 § 1.). Here we must distinguish between the physician and the surgeon, for many of the conditions that the surgeon
treated were directly perceptible to the senses. Many of the surgeon’s practices ⫺ the closing of wounds, the draining of abscesses, the excision of tumours ⫺ were in a sense empirical in not requiring theoretical knowledge for their performance. In contrast the physician had secured the place of medicine as a doctrine within the universities by emphasizing its theory rather than its practice. With an education, a licence to teach and a licence to practise behind him, the Renaissance physician like his medieval predecessor, tried ⫺ and largely succeeded ⫺ in gaining control of the medical profession. Correspondingly his status and the status of his internal medicine was greater than that of the surgeon and his external medicine and that of the apothecary. The physician’s maintenance of his status was achieved by his control over who was admitted to that level of the profession. In a university context this not only meant that the licence was commercially valuable, but also that the qualifications required by aspiring physicians were largely those that were taught verbally, not practically. All this meant that of the various classical medical sects described by Galen, and now with the classical revival of the Renaissance becoming important again, that of the Rationalists was the most attractive to university trained physicians. The Rationalists believed that knowledge of the structure and function of the body was possible and necessary for the doctor, who had to intervene in that structure and function when things went wrong (cf. Art. 71 § 4.). But the structure and function of the body were not sui generis and depended, for the great Rationalist Galen, upon the natural philosophy of Aristotle and the medical precepts of Hippocrates. It followed that discussions of signs were couched in terms of Aristotelian causality, substance, essence and accidents. We shall see that in the period of review semiotic theory within medicine varied in accordance with the natural philosophy of the writer (cf. Art. 62 §§ 5. and 6.).
2.
Signs, symptoms, and semiotics: urines and pulses
But before examining this relationship between natural philosophy and the theory of signs, we must, as promised, look at medical
70. Sign conceptions in medicine
signs outside the field of formal, Galenic, semiotics. These also depended on a knowledge of the structure and functioning of the body. The first group of signs I want to consider are those involved in uroscopy. Although the examination of urines is characteristic of medieval medicine, its practice continued into the Renaissance, and then as before diagnosis and prognosis from a sample of urine was a device used by the doctor to secure his reputation. Diagnosis and prognosis are of course the very essence of reading signs, and here we are again taken back to Galen, whose use of these techniques in a Rome where they were not otherwise practised helped him become physician to the emperor. The Renaissance doctor who could tell what was wrong with, and what would happen to a distant patient from a sample of urine, was an impressive figure to beholders. Also impressive was the university-trained physician’s narration of the theory behind his reading of the signs. Galen too had recognised the advantages of an elaborate theory in this way; and his doctrine of urines, taken from a number of separate remarks in the Hippocratic writings and elaborated into a coherent theory in line with Galen’s own physiological doctrines, was the basis of Renaissance uroscopy. This theory postulated that urine was a byproduct of perhaps the most basic physiological change of the body, the production of blood from food. This change was held to take place in the liver, the smallness of the vessels of which required that the constituents of the forming blood should be carried by a very fluid watery vehicle. This watery substance was superfluous when the generation of blood was complete and was removed by the kidneys. The proximity of this fluid ⫺ now urine ⫺ to the central process of sanguification left obvious signs, it was argued, in the urine. Sanguification was a function exercised by the fundamentally important natural faculty, and thus the physician, inspecting the urine, was looking at signs that indicated the state of a central bodily activity. The normal appearance of urine was held to be an orange color, a reflection of the red color of normal blood. If the vital faculty, the instrument of which was partly heat, was disordered, it might well “burn” the blood (a process known as adustio), giving the urine a higher color. Other colors in the urine represented excess of one or more of the other cardinal humors in the body.
1355 The physician inspected the urine in a “jordan”, a glass vessel shaped like the bladder. The purpose was to reproduce the situation in the body, in order that the signs could be read more accurately. Apart from color, the physician was looking for different levels in the urine: for sediment, for anything that rose to the top and at the central zone. Part of the physician’s apparatus was a color reference chart, sometimes arranged in a circle, from which he could read off the diagnosis from the appropriate color. The second group of signs the Renaissance physician used was that related to the pulse. Galenic theory held that the heart was the seat of the vital faculty, the second of the three great bodily faculties, depending on the nutritive, blood-making faculty of the liver and supporting the highest, the animal or rational faculty of the brain. The vital faculty turned venous blood from the liver into arterial, which it imbued with heat and vital spirit. The action of the heart was to expand forcibly, drawing in venous blood and air. The concocted arterial blood was then drawn out into the arteries by the forceful expansion of the arteries beginning at the heart and flowing outwards, the pulse. By feeling the pulse of the patient, then, the doctor was reading signs that he believed had been generated at the site of the operation of the vital faculty. A weak pulse meant a weak vital faculty. There was an extensive categorization of pulses: strong and weak; full and thin; frequent and infrequent, regular and irregular, leaping; creeping; wormlike. Prognostication from these signs was equally elaborate and relied on interpreting the state of the vital faculty. There was much in common between these two systems of sign-reading. In both cases the source of the signs was an important faculty, which was part of a detailed theory of bodily action. This theory ⫺ of the microcosm ⫺ was closely related to that of the world at large ⫺ the macrocosm: it was part of natural philosophy. Both faculties were of course internal and hidden from the senses and could only be read by signs (cf. Art. 71 Fig. 71.6). A complete theoretical knowledge of medicine was required to read both kinds of signs. In both cases the display of reading the signs and the associated rationalist account of how this part of the practice of medicine was explicable even to the extent of macrocosmic natural philosophy was impressive to the patient and other observers and so
1356
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
professionally useful to the doctor. (See the works by Philaretus and Theophilus in the Articella, and that by Recorde.) We may take the writing of Jean Fernel (1497?⫺1558) as an example of the Renaissance practice of semiotics (Fernel 1643, 335; 377). Book 4 of his Seven Books of Pathology is devoted to urines and pulses, which he describes as “reliable signs” (“certa signa”) within the art of medicine. Over and above what has been said above about the specific indications of each sign, Fernel takes the pulse as being the principal sign of general bodily vigor, and the urine as supplying more obscure signs of vigor. The differences between pulses, that is, the signs the doctor reads from the wrist, are said by Fernel to be threefold, deriving either from the arterial diastole, the period of “quiet” between successive diastoles or from their rhythm. Each of these three he again subdivides, so that signs from diastole are of five sorts: the size of the diastole, its strength, its duration, and the nature and fullness of the artery. At a second level of subdivision, “size” of diastole, for example, is taken to mean length, breadth and height and their opposites, short, narrow and low. In the same way there are said to be six signs taken from the period of rest between the diastoles, and seven from the rhythm or sequence of diastoles. These categories also are subdivided, so that the reader is faced with a large number of individual signs. Each is irreducible, but might be meaningful only in combination with others. For example, the pulse was normally taken by the doctor laying two or three fingers across the wrist, and one or more qualities of the pulse would only appear as they appeared successively beneath the fingers. Thus Fernel’s “wavy” pulse is one that feels strong under the first and third finger but weak under the second and fourth. Another example is that the traditional kinds of pulse are also made up of individual signs: The pulse that “creeps like ants” (“formicans”) is small, languid, quick and unequal. Fernel’s method of working, like that of his Renaissance colleagues, was to set out first what was natural among the groups of signs that constituted the types of pulse. Normality ⫺ naturalness ⫺ included what was proper for the age and sex of the patient, his state of activity (after exercise; in sleep), his eating habits, the state of his mind and the season of the year. Thus prepared with a picture of the normal, the doctor in the sickroom could more easily dis-
cern what was unnatural. Each unnatural condition had its combination of signs, beginning with general humoral imbalance and the kinds of fever (see also Art. 83 § 1.).
3.
Medical semiotics
To turn now to formal semiotics in Renaissance medicine, we must first understand what was meant in the Renaissance by the terms involved in the argument about the source, medium and reception of signs. It was broadly agreed (following Galen) that medicine was about the naturals, the non-naturals and the contra-naturals. The seven naturals were the components and workings of the body, from similar and organic parts to the spirits and faculties. The non-naturals were things external to the patient that could be manipulated by him or the doctor, like sleep, exercise and diet. Contra- (or praeter-) naturals were those that damaged the body. Disease was disordered function. On this basis the Renaissance physicians built an elaborate doctrine of signs. We may again take as an example (because he rapidly became known as the prince of the neoterics) Jean Fernel. He distinguished between sign (“signum”) and symptom (“symptoma”). Signs were the bigger category and included symptoms, so that every symptom was also a sign. Symptoms, then, were signs of things that were beyond (“praeter”) nature. Fernel extends this traditional categorization by distinguishing things beyond nature from things against (“contra”) nature. It is only contranaturals that damage the body, said Fernel, so that symptoms as affections beyond nature were not the same as diseases. The dark color of skin burnt by the sun, or the color of urine, while they do not damage the body and are simply beyond nature, are merely symptoms and not diseases. Disease itself is that which damages the body, and always had to be considered in conjunction with its cause, which itself might damage the body, if only accidentally. We should note in this usage of Fernel’s that symptom is not tightly tied to disease. A symptom is not a symptom of a disease, but a sign that relates to causes, to disease or to accidental results of a cause. Fernel admits that there was another, tighter, definition of symptom in use. This allowed only that the praeternatural affections coming from the disease were symptoms.
1357
70. Sign conceptions in medicine
The distinction between sign and symptom was maintained in a different form by the second of our examples, the seventeenth century Regius professor of medicine at Montpellier, Lazarus Riverius (1737, 47). By now it was becoming common to call Galen’s fivefold division of medicine the Institutes, that is, the body of theoretical medicine. But within this scheme Riverius places his discussion of symptoms wholly outside semiotics. Instead, consideration of symptoms is the fourth and final part of pathology. So here symptoms are not categorized with signs; they are the praeternatural result of the disease, following it as effects follow causes, and specific to the disease. Riverius held that there were three kinds of symptoms: damaged function, praeternatural effects in the excreta (such as a bad color of urine) and changed temperament. So for Riverius signs, the subject of semiotics, are quite different from symptoms. Signs are those things used by the doctor in investigating the location and nature of the disease and the possibilities of cure. A sign is something obvious to the senses that signifies (“significat”) something else lurking in the body. Some are pathognomic and appear and disappear with the disease, like the thoracic pain, the cough, the spitting of blood and fever of pleurisy. Others are more accidental and can be used by the doctor to make judgments about the outcome. This is surely the nub of the matter: While symptoms are merely the results of disease, signs are things that the physician uses to make diagnoses and prognoses. Riverius feels that he is following Galen’s Ars parva in grouping signs into those relating to health, those of illness and those of the neutral condition; likewise signs tell of what has gone, what is, and what will be. For Riverius signs not only indicate disease and its outcome, but the cause of the disease and its effects: There are signs of symptoms. This doctrine of signs relates to a body that suffers according to the principles of Galenic pathology. Excess or defect of humors, disturbed balance of the elementary qualities, defects in concoction, critical days, all supply signs to the doctor. These pathological changes are in themselves not available to the senses, and Riverius supplies analytical tables that graphically derive perceptible signs from the invisible pathology. The result is almost a classification of signs as later writers were to classify diseases.
The system adopted by Boerhaave (1660⫺1734; cf. Boerhaave 1727, 318; 404), the greatest teacher of medicine of the eighteenth century, was somewhat similar. Again, symptoms were part of pathology, and Boerhaave, like Riverius, related symptom to disease as effect to cause. But there were symptoms too of the cause of the disease, and symptoms of symptoms: that is, symptoms arising from earlier symptoms as effects from a cause. With the ancients and with Riverius, Boerhaave felt he was dealing with three causes: damaged function, disorders in the excrements (and food) and change in the (temperamental) quality of the body. Symptoms such as anorexia or excessive appetite revealed disordered digestive function, for example.
4.
Signs and natural philosophy
Like the ancients too, Boerhaave looked for causes of symptoms in contemporary natural philosophy. While the Hippocratic writings are sometimes self-consciously hesitant about introducing explanatory theory into medical descriptions, Galen had no such scruples, and borrowed extensively from the natural philosophy of Aristotle and Plato to rationalize the Hippocratic observations. The result was a microcosm in which the moving powers were the soul, or souls, and the associated faculties. The natural philosophy that was available and attractive to Boerhaave, in contrast, was mechanism, partly at least Newtonian. Faculties had no part in this mechanism and the soul was purely a rational and immortal entity. In its place Boerhaave and others traced the path of motion ⫺ and thus also of change, whether pathological or physiological ⫺ through a series of observable and wholly material structures. Mechanism was the natural necessity of moving matter. Boerhaave found the causes of symptoms in the mechanical properties of the bodily fluids and solids. Viscous and inert phlegm obstructed the small vessels; excessive sharpness of the particles composing fluids was held to be corrosive; the laxity of fibers caused weakness. Like Riverius, Boerhaave treated signs quite separately from symptoms in the third of the five divisions of medicine, semiotics. The difference was partly one of causality. Symptoms were proper to their causes as necessary effects, while signs were distinct from
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
these causes, although arising from them: An Aristotelian would have called them accidents. To put it another way, signs were signs only in virtue of being perceptible and capable of being used by the doctor in making diagnoses and prognoses. Boerhaave lists the signs of health and disease. Signs of future illness, he says, are to be sought in changes in the accustomed functioning of the body, in changes in the temperament of the patient and of his parts, and from a knowledge of epidemics and predisposing causes. Signs of past diseases are the relics of their disabling effects. There are signs too, of the causes of disease, firmly located within Boerhaave’s particulate chemistry: the signs of “alcaline acrimony” are an unpleasant smell of the body, like putrefying flesh or urine, an erosion of the flesh associated with certain colors, a great thirst, a lack of appetite, frothy urine, dry skin and mouth, thin and florid blood that does not clot readily, and a number of others. Boerhaave also has “acid”, “oily” and “muriatic” acrimony, each with a list of signs. The pulse and urine retain the traditional place as special categories of sign, to which Boerhaave adds respiration. Mechanism as a way of explaining bodily actions became widespread in the first half of the eighteenth century. The mechanical “model” was a device either of Newtonian hydraulics or a Cartesian concatenation of solid parts. The attraction of these models was that the body could be explained in terms of the knowable laws of physics and that the unknowable essence of “faculty” or “soul” could be dispensed with. But by midcentury a number of people had begun to think that life, perception and reproduction could not be explained mechanically. If the body were indeed a machine, then what moved the machine? What enabled the inert matter of the machine to perceive? How can a machine be rational? The answer to these three questions was, for those distrusting mechanism, “the soul”. But it was no longer the tripartite soul of Renaissance Aristotelianism or Platonism, but the single, rational, immortal soul of the eighteenth century Enlightenment. Often too it was identified with the Hippocratic “healing power of nature” and it was argued that it was the soul’s power of perception and motion that made the body active. Disease was no longer a damaged material and mechanical function, but was the soul’s perception of, and attempt to throw off some noxious cause. That a notion of the im-
portance of soul gave a different understanding of the relationship between sign, symptom and disease may be seen in the work of J. T. Rosetti (1734, preface, 1⫺13). Attempting to bring the art of Hippocrates up to date after the achievements of Harvey, Willis, Descartes and others, Rosetti announces that the mechanism of recent years has to be interpreted in the light of the fact that the Hippocratic enormon is not only identifiable with “soul” but is of central importance to pathology. He rejects the notion that disease is caused by externals invading the body and replaces it with the notion that illness is caused by the soul departing from the correct manner of governing the body. It follows that disease is not damaged function, where function is mechanical system of cause and effect, and it also follows that the intricate relationship ⫺ used by the mechanists ⫺ between cause, disease, symptom and sign could no longer hold true. Rosetti has no systematic discussion of symptoms and signs, no semiotics: his scheme is a “New System”, not an Institutes. Many of the ‘animists’ of the eighteenth century have been said by historians to have been influenced by Georg Ernst Stahl (1660⫺1734) of Halle (Geyer-Kordesch 1987). His doctrine of a freely-acting, physiological soul as the centre of the body’s physiology and pathology was seen by some of his contemporaries as retrogressive, an attempt to restore the doctrines of Aristotle. And a number of the animists who came after Stahl rejected his notions. Some, like Robert Whytt (1714⫺1766) of Edinburgh, could see no attractions in an account of pathology that attributed so much wilfulness to the soul (French 1969). Others, like Boissier de Sauvages, were animists, paradoxically, because the very power of the mechanical model of bodily activity convinced them that the body needed a non-mechanical source of power (French 1990). By now, too, the natural philosophy of Aristotle had disappeared from the schools. In the absence of his elaborate scheme of causality and his distinction between accident and necessity it became more difficult to maintain the distinction between sign and symptom that Riverius and Boerhaave had maintained. In addition the animists held that the self-preserving, sentient and occasionally wilful action of the soul was the cause of disease: There was no longer a mechanical necessity that linked symptoms to
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their proper diseases and distinguished them from signs. Moreover, animists like Boissier de Sauvages, holding that the soul was the Hippocratic healing power of nature, abandoned the old terms “contra-” and “praeternatural”. Diseases, he said, were eminently natural, however undesirable. In this way Sauvages pushed away the Galenic definitions as well as those of the mechanists, seeing that every relationship between such categories relied on some form of natural philosophy. In its place he attempted to restore the practice of the ancient Methodists, who had, he believed, eschewed theory. His resultant “Methodical Pathology” was, he hoped, an account of diseases that relied on their characteristics alone, rather than on any underlying theory. The related attempt to classify diseases as the botanists classified plants ⫺ and Sauvages was perhaps the most famous of the early nosologists ⫺ was likewise based on the similarity of the phenomena. Often of course symptoms, being manifest to the senses, were treated as diseases by some authors. Animism in its mid-century form gave way by the end of the century to a vitalism that conferred special powers on living matter without necessarily deriving those powers from a soul. Nosology, which is likely to have been related to animism in the way suggested above, was practised into the nineteenth century. This background ⫺ belief in a soul or special living forces, the decay of Aristotelian natural philosophy ⫺ led to the loss of the distinction between symptom and sign. Friedrich Hoffmann (1660⫺1742) was a colleague of Stahl at Halle, but with very different, and mechanical ideas of how the body worked. He made an extensive defense of his own doctrines when they seemed to be threatened by the animistic teaching of Stahl (Hoffmann 1748⫺49 II), and his principal argument was that Stahl’s system could not provide a satisfactory pathology. Hoffmann represented Stahl’s doctrine as teaching that every disease came from the soul’s attempt to throw off noxious matter. Even poison was said to have its effects not by any innate action (Stahl said matter was inert) but by the soul’s fear and consequent reactions. These reactions constituted the symptoms of poisoning, which were very similar in origin to symptoms of other disease. These points raised questions that threatened the traditional Institutes of medicine of early eighteenth century medicine. If fever was a beneficial action of the
1359 soul in throwing off some noxious agent, then how could it be a disease, a contranatural event, or damaged function? Perhaps fever was rather a symptom of something else. The whole question of the relationship between symptom and disease was reopened. In our terms, what was the sign, and what was the signified? Hoffmann was aware of the “great confusion” (Hoffmann 1748⫺49 I, 164) that reigned on the issue of the distinction between disease and symptom, and does not give an extended discussion of symptomology or semiotics. A good example of doctors taking different views on what constituted a disease and what a symptom in eighteenth century medicine is the case of scrophula. “Scrophula” was not a term that could be found in classical medicine. It seemed then to be a more or less new disease, dating only from the Middle Ages. But scrophula was also known as the King’s Evil, a condition that could be cured by the touch of a monarch of a ‘true line’ of descent, that is, one whose position in the scheme of things had been ordained by God. The Stuarts in England and in exile, and the kings of France continued to touch for the Evil in the eighteenth century, for political reasons; but the followers of the Hanoverians, and the inhabitants of republican states denied that kings had any special powers. Indeed, they also denied that scrophula existed as a disease. Instead, they picked upon one of what in England were regarded as its symptoms, the swollen glands of the neck. They could then call this a disease, which could be identified with the ancient desriptions of struma. So in this case largely political and religious considerations determined which of two systems of interpretation of symptoms were to be adopted. In England what was signified by a number of signs, provided they all occurred together, was a disease entity. In Holland the English signs became disease entities, sometimes accidentally occurring together. It seems too that in this plethora of different opinions, the older distinctions between, on the one hand, the symptom, as a cause-effect product of the disease or its cause, and on the other the sign, as a noncausal but visible clue usable by the physician in prognosis, was lost. Certainly by the end of the century, for example James Gregory (or more correctly, Gregorie, 1638⫺1675; cf. Gregory 1837), used the term “signum” in his overview of medicine to cover what had
1360
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
earlier been covered by “sign” and “symptom”. His translator in the early nineteenth century uses indifferently “sign” and “symptom” for Gregory’s “signum”.
5.
Elicitation of signs
We have seen how in the Renaissance the reading of signs from the urine and pulse was part of the display used by the doctor to impress and gain the confidence of his patient. During the eighteenth century the doctor continued to read these signs, and depended too on the patient’s own account of past symptoms, accidents, disease and anything that could be used by the doctor in making a prognosis. The patient’s story contained signs for the doctor, and went to make up the medical “case” in the descriptive, Hippocratic sense. By the end of the century the doctor was taking a more active part in establishing what signs were readable in the patient. Maximilian Stoll, in Vienna, layed down systematic rules for examining his patients, so that it was the doctor rather than the patient who determined what constituted a sign and what made up the case (Stoll 1786⫺90, Pars sexta; 269). He began by asking routine questions. Has the patient suffered the diseases of childhood? If he has suffered from any serious illness as an adult, was it cured by a doctor or spontaneously? In what state of health was he before the present illness? When did the illness begin? Stoll warns the doctor not to interrupt too often, lest he make the patient forget some part of the story. It seems likely from his interest in the “constitution” of the years that Stoll was attempting by asking such questions to format the replies into a Sydenhamian or Hippocratic case, which would give him clues as to the outcome. But he goes further than these predecessors in seeking signs from the body of the patient. He begins by playing down the role of the pulse, observing that it is a very unreliable sign in the young and old, and should never be used on its own. He is also nervous about giving too much credence to signs taken from the urine, because, he says, such things have become part of quackery, “pseudomedicine”. (Yet he believes, like his medieval forebears, that the state of urine indicates that of blood.) He adds respiration as a source of signs to be taken in conjunction with the pulse, and proceeds to add a systematic observation of the state of the body in order to generate signs. An examination of the face, eyes, tongue, mouth, hypo-
chondre, midriff and abdomen follows. According to Stoll, the signs to be read from the tongue were extremely important, affording insight into the condition of the neighboring parts, so often inflamed in disease, into that of the digestive tract, and of the whole of the circulating fluids. Stoll’s examination of the lower parts of the body was more direct. The normal relaxed and smooth state of the hypochondre could be disturbed by a number of things the doctor could feel with his hands: internal tumours, tensions, throbbing or hardness. The doctor could also discover signs of pain by probing. We are told that Stoll used Auenbrugger’s percussion method, that is, he actively took part in the generation of signs by percussing the patient and listening. After death Stoll attempted to find the anatomical lesion that had helped to produce the signs he had elicited. This systematic ⫺ and quite lengthy ⫺ process was suited to the examination of small numbers of patients. Stoll’s clinic contained only 12 beds, and it was his preference “to see much in few” patients rather than little in many. His cases were probably selected from those in the General Hospital; this was certainly the case a few years after his death, when the Hospital took 13,000 cases a year. Large numbers were also characteristic of the hospitals of post-revolutionary Paris (Maulitz 1987). Here egalitarian sentiment and the pressing need to service a large army resulted in the union of surgery and traditional internal medicine. The two branches of medicine had their own pathological traditions, which combined fruitfully in the early years of the nineteenth century. State support of medical education, large hospitals with an abundance of examples of pathological processes and the new surgicomedical approach ultimately gave rise to pathological anatomy in the sense we now use the term. Central to this new programme was a changed role of signs. According to Lesky (1976) the new technique was a modification of that used in Vienna by Stoll; and certainly the new feature was the elicitation of signs. This was “physical diagnosis”, the generation and reading of “physical signs”. It sought to correlate perceptible pathological change in the living with post mortem appearance. Auenbrugger’s percussion and Laennec’s stethoscope were techniques of exploring the cavities of the body by sound. Healthy empty cavities echoed satisfactorily, and the movement of morbid fluids could be detected; the
70. Sign conceptions in medicine
motion of blood in the heart and air in the lungs could be heard. Here then is a fundamental shift in medical semiotics. In the earlier period the doctor was the receiver of signs. It was not of course a passive process, and his medical training had taught him which among the many observable phenomena pertaining to the patient were signs, symptoms and diseases. But his action was one of selection between signs sent by the body: from the body’s mechanism, from Nature, from the soul, or from whatever dominated the natural philosophy of the doctor. But now the doctor himself was initiating the semiotic process by percussion or shaking. He was by his actions specifying what kinds of sign he wanted to receive and the body was the transmitter of the sign. Such, then, is a summary of formal semiotics in medicine from the Renaissance to the early nineteenth century, together with some note of the part played by signs outside formal semiotics. Both terms, “semiotics” and “sign” have been used as they were used by people in the past: It has not been the intention of this chapter to present an analysis of history in terms of a modern theory of semiosis. Nevertheless it will be convenient to end with suggestions as to how a historian, rather than a linguistic or logical semiotician might view the role of signs.
6.
Conclusion: a historical view
The most striking thing about the historical account given above is the variability of signs and symptoms. We have seen how at different times for different people, the distinction between sign and symptom and between symptom and disease, broke down. Even at the same time different doctors saw different things as symptoms or signs. We have also seen how this was related to the underlying natural philosophy of the observer, and even to his religion and politics. Historically, then, it is very difficult to pin down, at any level above that of the individual, and for purposes of a modern semiotic analysis, what a sign was. If one observer, A, thought that B was the symptom of a disease, C, and another observer thought, that B was itself a disease, not a signifier but the signified, then no scheme of semiotics will cover both cases. What claims the historian’s attention is the observer, the physician. The historian operates perhaps mostly in the field of pragmatics. I want to argue that it is not historically
1361 justifiable to regard the physician as simply a ‘receiver’ of information, as in Robering’s discussion (Article 3) about means of information. Nor even is it justifiable to see the physician merely as an interpreter of signs, in the way set out by Posner in Article 1. Rather, the physician generates, or more properly constructs signs in a way which is described by Th. von Uexküll (Article 110). This was so at all periods covered by this discussion. The physician began the process of constructing the sign even before he saw the patient. He began with an idea of the normal, which was given to him by his training. This is explicit practice in some of the Hippocratic and Galenic works and was acted upon in the Renaissance. His observation of the patient then revealed a number of things that were not natural. There were irreducible components of what he saw: absences or novelties, changes in color, shape, size, heat, number and so on. Can we call these “signs”? They are not passively received by the doctor, nor independently transmitted to him: They are only signs in differing from a model of the natural in his mind; indeed they are only seen by him because they do differ. In practice the number of variations from the natural is finite and the doctor carries in his mind a series of possibilities: He knows what kind of thing to expect and he recognizes something as a sign only when it matches something he knows. In a similar way it is only when the irreducible portions of sensation reach a certain level of complexity or combination that the physician acts. The action may be simple recognition that he can now see a sign or a symptom, or it may be an appropriate therapeutic move, as if he were acting on a stimulus (as in Posner’s Article 4). But again, recognition of a symptom or sign arises from the physician’s training alone, and we cannot say that there is anything in the sign itself that refers to a signified. Taken to an extreme this would imply that medical semiotics is almost entirely pragmatics in concentrating on the fact that perception is an active, not a passive process. This particularly applies to the formal field of historical semiotics of traditional internal medicine, which was intended to penetrate the barriers enclosing the internal body. When the physician came to elicit physical signs he was surely constructing the sign to an even greater degree. Here the number of possibilities of what a sign can be is small. They are all models in
1362
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French, Roger K. (1990), “Pathology and the Soul”. In: The Medical Enlightenment of the Eighteenth Century, ed. A. Cunningham and R. French. Cambridge GB.
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Galen (1527), Microtegni seu Ars parva. In Galeni operum impressio novissima. Venetiis apud Iuntas.
Roger French, Cambridge (Great Britain)
the physician’s mind. He arranges circumstances in which the auditory sensation will or will not occur. This is a sign only in making, in the physician’s mind, a correspondence with another set of eventualities which he believes to be the causes (lesions). And it was a sign, in the first instance to an Auenbrugger or a Laennec. It is only at the level of the individual that we can talk of a semiosis happening, and that only if we accept as independently existing what was claimed to exist by the physician, not what we would impose on him by hindsight (cf. Art. 83).
7.
Selected references
Articella, (1483) Venice. Boerhaave, Hermann (1727), Institutiones medicae. Leyden. Fernel, Jean F. (1643), Universa medicina. Geneva. French, Roger K. (1969), Robert Whytt, the Soul and Medicine. London.
71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Allgemeines 2. Was gilt als Zeichen? 3. Zeichenkonzeptionen der Renaissance 3.1. Zeichenkonzeptionen des Realismus 3.2. Nominalistische Zeichenkonzeptionen 3.3. Holistische Zeichenkonzeptionen 4. Zeichenkonzeptionen der Aufklärung 4.1. Rationalistische Zeichenkonzeptionen 4.2. Empiristische Zeichenkonzeptionen 4.3. Konstruktivistische Zeichenkonzeptionen 4.4. Transzendentalistische Zeichenkonzeptionen 5. Allgemeine Tendenz in der Entwicklung der Zeichenkonzeptionen 6. Literatur (in Auswahl)
Formen, Inhalten oder Gegenständen, durch deren Existenz die menschlichen Sinneswahrnehmungen gedeutet werden. Für diese Deutung sind Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre (vgl. Art. 46) erforderlich, durch die festgelegt ist, (1) was als ein Zeichen gilt, (2) wodurch es eine Bedeutung erhält und (3) wie das Subjekt die Kenntnis über die Bedeutung des Zeichens erwirbt. Zeichenkonzeptionen können ganz oder teilweise explizit oder implizit vorliegen.
1.
Die im mythischen Denken (vgl. Art. 47 §§ 1.⫺3.) noch nicht vorhandene Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem entsteht durch die Unterscheidung von Ursprünglichem und Abgeleitetem. Das Ursprüngliche
Allgemeines
Ein „Zeichen“ ist gemäß Art. 1 ein für ein Subjekt verstehbarer Bedeutungsträger. „Naturlehre“ heißt hier die Lehre von den Wesen,
2.
Was gilt als Zeichen?
71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre
1363
Abb. 71.1: Geschoßbahn von Tartaglia und Ryff. Die Zeichensetzungsfähigkeit des Menschen manifestiert sich anfänglich in Abbildungen von sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen. Diese Kompetenz steigert sich durch die Vorstellung, auch naturgesetzliche Zusammenhänge mit Hilfe von geometrischen Konstruktionen darstellen zu können. Zum Beschreiben der Geschoßbahn benutzte Nicolo Tartaglia (1499⫺1537) einfachste geometrische Figuren wie Geraden, Kreise, rechtwinklig-gleichschenklige Dreiecke ⫺ in Vorahnung der cartesischen Vorstellung, daß Gott in seiner Güte die Welt so einfach wie möglich erschaffen habe, damit der Mensch sie erkennen könne (vgl. Harig 1984, 19).
gehört stets zur Bedeutung des daraus Abgeleiteten, das im semiotischen Verhältnis dadurch zum Zeichen für das Ursprüngliche wird. Die metaphysischen Vorstellungen darüber, was das Ursprüngliche ist, legen bestimmte Zeichenkonzeptionen fest. Im nichtmythischen Verständnis der Sprache sind die Begriffe die zentralen Bedeutungsträger. Begriffe sind hier als sprachliche Elemente zu verstehen, die je nach Betrachtungsweise etwas Einzelnes oder etwas Allgemeines reprä-
sentieren (Deppert 1989, 18). Der mittelalterliche Universalienstreit (vgl. Art. 52 § 4.) brachte für die Beantwortung der Frage, ob das Allgemeine oder das Einzelne das Ursprüngliche sei, die drei Denkmöglichkeiten des Realismus, des Nominalismus und des Holismus hervor: (1) Position des Realismus: Das Allgemeine ist das Ursprüngliche, und das Einzelne ist daraus abgeleitet, d. h. etwas Einzelnes ist Zeichen für etwas Allgemeines, wie im
1364
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.2: Jacob Böhmes „Gelassenheit“. Zu den ersten Zeichenkonzeptionen gehört die Vorstellung, daß ein Strahl die Verbindung vom Abhängigen zum Ursprünglichen herstellt. Die Göttlichkeit wird darum als ein Strahlenquell dargestellt. Das Erschaffene erscheint in runden Formen, wobei die in sich geschlossenen Formen, wie die Kreise, auf unvergänglich Geschaffenes verweisen. Es kann durch die Strahlen der Göttlichkeit erkannt werden, die sich nach der Darstellung Jacob Böhmes (1575⫺1624) im Geschaffenen selbst spiegeln (vgl. J. Böhme, Von der Menschwerdung Christi, 1620).
Platonismus (vgl. Art. 40 § 3.2.1.), wo das Einzelne der Sinnenwelt Anteil an den ewigen Ideen hat und mithin auf diese hinweist. (2) Position des Nominalismus: Das Einzelne ist das Ursprüngliche, und das Allgemeine ist erst daraus abgeleitet, d. h. etwas Allgemeines ist Zeichen für etwas Einzelnes, in dem das Allgemeine erst durch das Gemeinsame von Einzelnem entsteht, so daß ein (allgemeines) Prädikat auf die einzelnen Gegenstände verweist, die es erfüllen. (3) Position des Holismus: Einzelnes und Allgemeines sind in gleicher Weise ursprüng-
lich, wie Teile eines Ganzen, d. h. Einzelnes kann auf Allgemeines verweisen („pars pro toto“) und umgekehrt („totum pro parte“). Da diese drei Positionen genau den Möglichkeiten des relationalen Verständnisses von Begriffen entstammen, finden sie sich auch in den sprachphilosophischen Zeichenkonzeptionen wieder. Die Philosophen der Renaissance lassen sich zwar nicht eindeutig diesen drei grundsätzlichen Zeichenkonzeptionen zuordnen. Die Entwicklung führt jedoch hin zu den Zeichenkonzeptionen der Aufklärungszeit, die in
71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre
1365
Abb. 71.3: Christiaan Huygens Luftfernrohr. Aufgrund des Kosmisierungsprogramms (vgl. Deppert 1989, 223 und 1993, 115) versuchen die Naturwissenschaftler bis heute, alle beobachtbaren Erscheinungen durch kosmische Gesetze zu erklären (das sind Gesetze, die im ganzen Kosmos gelten und diesen charakterisieren). Darum war die Astronomie die erste Wissenschaft. Die Zeichen der kosmischen Ordnungsmacht waren die Lichtstrahlen der Himmelskörper (vgl. Abb. 71.2). Durch das Zeichnen von gesetzmäßigen Wirkungslinien (vgl. Abb. 71.1) in Form von optischen Strahlengängen konstruierte Huygens (1629⫺1695) Fernrohre, durch die das mit dem bloßen Auge sichtbare Lichtbild bzw. die Reichweite des Sichtbaren vergrößert werden konnte. Dadurch sollten die ewigen Gesetze des Kosmos genauer studiert werden können, damit sie zur Erklärung des irdischen Geschehens dienen konnten (vgl. Schreier 1988, 179).
rationalistische, empiristische und konstruktivistische sowie in transzendentalistische Positionen eingeteilt werden können.
3.
Zeichenkonzeptionen der Renaissance
3.1. Zeichenkonzeptionen des Realismus Die christliche Metaphysik, nach der der Ursprung allen Seins auf Gottes Schöpfertat und mithin auf seine Schöpfungsgedanken
als allgemeinste Universalien zurückzuführen ist, bewirkte in der Renaissance die Auffassung, die gesamte Schöpfung sei als verschlüsselte Offenbarung anzusehen, d. h. alles Seiende sei als bedeutungsträchtiges Zeichen seines göttlichen Ursprungs zu betrachten. Dabei bedeutet größere Nähe zu Gott höhere Existenzform, weil der alles hervorbringende Energiestrom nur durch das Höhere zum Niederen gelangt (vgl. Hübner 1985, 344 ff). Dadurch wird das Niedrigere stets zum Zeichen für das Höhere.
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.4: A. Kirchers Abhöranlagen. Den Regenten war es schon immer wichtig, die Pläne der Untergebenen zu kennen. Darum konstruierte Athanasius Kircher (1602⫺1680) Abhöranlagen. Darin sollten nach dem Prinzip von optischen Strahlengängen (vgl. Abb. 71.1 und 71.2) und mit Hilfe der vom Bau des Ohres abgesehenen Schneckenform die einzelnen akustischen Ereignisse auf dem Hof oder im Saal in Schalltrichtern gesammelt und an den Abhörort geleitet werden (vgl. Kircher 1650 ⫽ 1970, Buch IX).
Für Nikolaus Cusanus (1401⫺1464) verweist alles Einzelne auf das Ganze der Schöpfung, und „Namen und Worte haben Hinweischarakter auf ein ihre Trennung Übersteigendes“ (Gerl 1989, 54). Ähnlich versteht Paracelsus von Hohenheim (1493/94⫺1541) alle wissenschaftliche Arbeit als Einübung im Fortschreiten vom Bild zum Wesen (vgl. Art. 62 § 5.). So entspricht der Erforschung des menschlichen Organismus als eines Mikrokosmos die Erforschung des Makrokosmos (Gerl 1989, 81). Paracelsus entwirft eine Lehre von der Signatur der Dinge („signatura rerum“), nach der Erkenntnis in der Entzifferung der Zeichen besteht, die Gott der gesamten Schöpfung aufgeprägt hat. Es geht um das Enträtseln des „Buches der Natur“ (vgl. Art. 33 § 4. und Art. 57 § 2.). Diese Gedanken sucht Jacob Böhme (1575⫺1624) durch Versenkung in die Sprache zu verwirklichen, um so die Natursprache, d. h. die adamische Sprache des Garten Eden zurückzugewinnen (vgl. Art. 65 § 5.). Denn durch die nach der babylonischen Sprachverwirrung übriggebliebenen einzelnen Sprachen ist nach Böhme dem Menschen
die grundsätzliche Verbindung zu Gott geblieben, so daß der Mensch durch mystische Versenkung in die das Ding beschreibenden Worte wieder mit Gott verschmelzen und damit der göttlichen Macht über die Naturdinge teilhaftig werden kann. „Natur wie Geschichte sind für ihn das ‘ausgesprochene Wort Gottes’“ (Gerl 1989, 91). „Je tiefer die Vertrautheit mit den ‘signaturae’, desto wahrscheinlicher ist der Gewinn der hinter ihnen stehenden Wirklichkeiten“ (Bausani 1970, 96 f). 3.2. Nominalistische Zeichenkonzeptionen Der Nominalist sieht den Ursprung aller Erkenntnis in dem einzeln Gegebenen, d. h., alles Allgemeine bezieht seine Bedeutung nur durch dieses Einzelne, wobei das einfachste Einzelne gesucht wird, aus dem alles andere zusammengesetzt ist (vgl. Art. 62 § 2.3.). Johannes Reuchlin (1455⫺1522) faßt darum alle Sprachen als „rätselhafte aber entzifferbare Baupläne des Universums“ auf, und er sieht „im Alphabet mit seinen qualitativen Zahlenwerten“ die „Elemente des Wirklichen“ (Gerl 1989, 74). Auf diesem Hintergrund entsteht die Idee einer Pasigraphie, ei-
71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre
1367
Abb. 71.5: Musik als Zeichen für die Harmonie der Welt. Athanasius Kircher stellt in seinem Werk Musurgia universalis (1650, Buch X, S. 366) mit Hilfe einer Orgel die schon aus der Antike von den Pythagoreern stammende Idee dar, daß die Musik die durch Zahlenverhältnisse gegebene Harmonie der Welt beweise. Kircher ordnet durch sechs verschiedene Register jedem der sechs Schöpfungstage seine eigene Harmonie zu. Die volle Registratur repräsentiert die umfassende Harmonie der ganzen Schöpfung, weil „die Natur und die gantze Welt nichts anderster zu seyn scheinen/ als ein vollkommene Music/ und Musicalische Harmony“ (Kircher 1650 ⫽ 1970, Buch VIII). Der einzelne Orgelklang ist Zeichen für die allgemeinen Schöpfungsgedanken Gottes.
ner universellen Zeichenschrift, die aufgrund der Darstellung elementarer Dinge für alle Menschen verständlich ist. Die ägyptischen und mexikanischen Hieroglyphen (vgl. Art. 63 § 3.1.3.) sowie die chinesischen Schriftzeichen werden als mögliche Vorläufer einer Pasigraphie angesehen (Bausani 1970, 94). Francis Bacon (1561⫺1626) hat darüber hinaus als erster die Möglichkeit einer universellen Kunstsprache diskutiert. Hier liegt auch die gedankliche Quelle der pasigraphischen Theorie der „real characters“. Die Welt in ihrer Vielfalt durch die Kombination weniger (27) Bausteine zu verstehen, war für
Athanasius Kircher (1602⫺1680) ein durchaus noch nominalistisch zu verstehender Versuch zur Konstruktion von Universalsprachen: „wer diese Kunst (‘ars combinatoria’) versteht/ dem wird in der gantzen Natur nichts verborgen sein können/“ (Kircher 1663, 231). 3.3. Holistische Zeichenkonzeptionen Ganzheitliches Argumentieren ist stets dadurch charakterisiert, daß gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse dargestellt werden. Mit dem Gedanken der „coincidentia oppositorum“ führt Cusanus (vgl. Art. 49 § 13.) die
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.6: Sympathie zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos (Megakosmos). Noch Athanasius Kircher ist von der platonischen Idee beseelt, daß die Übereinstimmung von Makrokosmos und Mikrokosmos durch die Zahlenverhältnisse der Musik bestimmt ist. Kircher ordnet hier ganz im Sinne von Paracelsus den einzelnen Körperzonen des Menschen Tierkreisbereiche zu, wobei das Ganze durch die Sphärenmusik der Mond-, Sonnen-, Planeten- und Fixsternsphären harmonisch zusammengehalten wird (vgl. Kircher 1650 ⫽ 1970, 401 ff).
Gegensätze sogar in einer größeren Einheit zusammen. Auch Marsilio Ficino (1433⫺1499) spricht von Zeichen, die in Form von Bildern ihre Bedeutung in sich tragen. Diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen Zeichen und Bedeutung wird dabei durch die Seele vermittelt, die Ficino das „Zentrum der Natur“ nennt (Osterhus 1987, 109) und die „die Bilder von allem in sich trägt“ (Gerl 1989, 62). Auch in der Alchemie (vgl. Art. 69 § 3.1.) und in der frühen neuzeitlichen Chemie (etwa bei Paracelsus) wird in jedem Existierenden eine wechselseitige Abhängigkeit von qualitätslosem Urstoff (meist Quecksilber) und qualitätserzeugendem Urstoff (die Seele, die sich als Schwefel materialisiert) gedacht; denn jede Qualität bedürfe eines stofflichen Trägers
(vgl. Dijksterhuis 1983, 92 ff). Diese zum Teil noch aristotelischen Vorstellungen über die Struktur der Materie bestimmten weitgehend die naturwissenschaftlichen Nomenklatursysteme der Neuzeit (vgl. Art. 62 § 6.).
4.
Zeichenkonzeptionen der Aufklärung
4.1. Rationalistische Zeichenkonzeptionen Die rationalistische Metaphysik versteht eine Wahrnehmung implizit als ein nicht vom Menschen gesetztes Zeichen, das auf bekannte Bedeutungen hinweist. Galileo Galilei (1564⫺1642) sagt: „Das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben“
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1369
Abb. 71.7: Prager Uhr. Durch den Wunsch, den Aszendenten und den Stand der Planeten zur Bestimmung des Horoskops auch für Tagesgeburten leicht angeben zu können, waren die ersten Räderuhren als Nachbildungen des Kosmos entstanden. Der Hauptzeiger dieser sogenannten Volluhren läuft mit der Sonne einmal während einer vollen Tag-Nacht-Periode um. Er weist dadurch auf den Sonnenstand zur Tages- und Nachtzeit hin. Zugleich zeigt er auf einer exzentrischen Kreisscheibe, die in einem Jahr einmal umläuft, das Sternbild an, das am Horizont aufgeht. Die ganze Uhr ist ein Zeichen für die gegenseitige Abhängigkeit des Allgemeinen und des Einzelnen. Der Kosmos als Ganzes ermöglicht das einzelne Geschehen in ihm, das in seiner zyklischen Abfolge wiederum das Ganze darstellt. Die kosmischen Uhren können darum auch als Beispiel einer holistischen Zeichenkonzeption angesehen werden. Die Bewegung des Zeigers weist dabei auf den Pulsschlag der Seele des Schöpfers hin.
(Gerl 1989, 210). Indem wir die Natur betrachten, werden wir uns der uns angeborenen allgemeinen Bedeutungen, wovon die Mathematik nur ein bestimmter Teil ist, bewußt. In einem Brief an Mersenne denkt Rene´ Descartes (1596⫺1650) an eine Universalsprache, die sich auf „die einfachen in der Vorstellungskraft des Menschen liegenden
Ideen“ stützt, „aus denen sich alles zusammensetzt, was sie denken“ (Descartes 1949, 29). Gottfried Wilhelm Leibniz (1646⫺1716) versucht den Aufbau einer solchen Sprache, die er „adamische Sprache“ nennt, zu beginnen, indem er ein „Wörterbuch der Ideen“ und eine rationale Grammatik zu erstellen sucht, die alle möglichen Beziehungen der Ideen auszudrücken gestattet (Bausani 1970,
1370
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.8: Theatrum Cometicum (1667). Die eingeborenen Ideen konnten im Rahmen rationalistischer Zeichenkonzeptionen nur dann zu einer wahren Beschreibung der Natur führen, wenn die Vernunftwahrheit im Einklang mit der Offenbarung stand. Darum stellt der polnische Unitarier Stanislav Lubieniecki (1623⫺1675) auf dem Titelbild seines Theatrum Cometicum den zwischen Erde und Gott stehenden Menschen mit den Büchern Revelatio (Offenbarung) und Ratio (Vernunft) dar. Die Kometen, die bis dahin ausschließlich als Ankündiger von Unheil angesehen wurden, werden nun auch als Zeichen für die Gesetzmäßigkeit des kosmischen Geschehens aufgefaßt, die von der Allmacht Gottes beherrscht wird und der Mensch erkennen muß, um das irdische Geschehen verstehen zu können (vgl. Abb. 71.3). Das Bibelzitat Jer. 10,2 auf dem Fries über dem Bild der Silhouette einer Stadt mit einem Kometenbeobachter bringt dies zum Ausdruck: „A signis coeli nolite metuere, quae metuunt gentes“ („Vor den Zeichen des Himmels sollt ihr euch nicht fürchten, wie es die Heiden tun“; vgl. Weidemann 1987, 5 f).
105 f; vgl. Art. 65 § 5.). Wenn diese „Algebra der Ideen“ vorliegt, „dann wird Denken und Rechnen das Gleiche sein“ (Couturat 1903, 27 f). 4.2. Empiristische Zeichenkonzeptionen Die empiristische Metaphysik faßt das Wahrnehmen als den Quell aller Vorstellungen über die Realität auf. Diese Realität wird
durch die christlich geprägte Tradition als von Gott geformt und vorgegeben aufgefaßt. Die durch ihn gestifteten Gesetze, nach denen sich alle natürlichen Gegenstände verhalten, lassen sich mit Hilfe von Experimenten erschließen. Die Ergebnisse von Experimenten sind Zeichen für das Vorliegen bestimmter Naturgesetze. „Die Dinge sind zu nehmen, wie sie sich selbst geben, dann zeigen
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1371
Abb. 71.9: Eines von Otto von Guerickes Luftdruckexperimenten. Acht Männer sind nicht in der Lage, einen Kolben aus einem Zylinder zu ziehen, aus dem die Luft herausgepumpt wurde. Hier verweist Otto von Guericke (1602⫺1668) durch das Experiment auf den naturgesetzlichen Zusammenhang der Schwere der Luftsäule und der damit verbundenen Kraftentwicklung (vgl. Schreier 1988, 154).
sie uns, wie sie zu verstehen sind“, sagt John Locke (1632⫺1704; vgl. Locke 1978, 52 f). Nach David Hume (1711⫺1776) erkennt der Mensch, indem er das durch die Sinne gelieferte Material zusammensetzt, umstellt, vermehrt oder vermindert (vgl. Hume 1928, 19). Für Locke sind die Wörter nichts als Zeichen, die auf die so entstandenen Vorstellungen hinweisen (Locke 1962, 1 ff; vgl. Art. 62 § 8.2.3.). Indirekt verweisen demnach die Wörter auf die wahrgenommenen Sachen, die die Vorstellungen erzeugen. Demgemäß entstand die Idee einer Sprache der Sachen (der „real characters“), wie sie etwa von John Wilkins (1614⫺1672) entworfen wurde. Konstruktionen entstehen aus einem Zweck. Der Zweck ist hier das Ursprüngliche. Darum verweisen konstruktivistische Zeichen auf Zwecke. 4.3. Konstruktivistische Zeichenkonzeptionen Wenn Gott die Welt geschaffen hat, so muß es im Falle der Identifikation von menschli-
cher und göttlicher Vernunft möglich sein, die einzelnen Schöpfungsakte nachzuvollziehen. Dadurch wird der Mensch fähig, selbst die Bedeutungen von Zeichen zu setzen. Dies galt schon früh für die handwerklichen Erzeugnisse des Menschen. Der Wunsch, den Aszendenten und den Stand der Planeten zur Bestimmung des Horoskops auch für Tagesgeburten leicht angeben zu können, führte im 13. und 14. Jahrhundert dazu, Maschinen zu konstruieren, die die Himmelsbewegungen synchron nachvollziehen. Die Zeiger der so entstandenen Räderuhren waren Zeichen für die tatsächlichen Sternstellungen. Nachdem der Mensch die Himmelsbewegungen erkannt und ein Modell des sich bewegenden Kosmos nachgebaut hatte, konnte er den so geschaffenen Zeichen Bedeutungen verleihen (Deppert 1989, 154 ff). Ebenso versteht Thomas Hobbes (1588⫺1679) die Philosophie als die „rationale Erkenntnis der Erscheinungen oder Wirkungen aus der Kenntnis ihrer […] faktischen Erzeugungen, die wir aus der Kenntnis
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.10: Leonardos Situs-Figur der Frau Leonardo da Vincis (1452⫺1519). Aufgabe der Philosophie war die Sichtbarmachung aller Realität (vgl. Sukale 1987, 23 ff), da nur das Auge direkten Zugang zur Wirklichkeit besitze. Nur ein sichtbares Zeichen konnte darum auf Realität verweisen. Deshalb zeichnete Leonardo den ersten gläsernen Menschen, um das räumliche Ineinandergreifen der einzelnen Organe sichtbar zu machen. Die Allgemeinheit der Darstellung wurde dabei aus vielen einzelnen anatomischen Studien zusammengetragen (vgl. Leonardo da Vinci 1952, Tafel VI).
der Wirkungen gezogen haben“ (Hobbes 1967, 56). „Die Empirie vermittelt uns Kenntnis der Objekte. Die Erklärungen liefert sie uns nicht, sie sind unsere Konstruktionen“ (Fiebig 1973, XII). 4.4. Transzendentalistische Zeichenkonzeptionen Die transzendental-philosophische Metaphysik sieht in einer Wahrnehmung oder im Denken eines Urteils explizit sowohl ein Zeichen für das Vorhandensein apriorischer Bedeutungen als auch für die Möglichkeit zu aposteriorischer Erfahrung. Erfahrung ist ein Zeichen für das Vorhandensein der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung
(Kant 1787, 269 ff). Diese liegen in den Bewußtseinsstrukturen bewußter Wesen bereit und spannen den Rahmen möglicher erfahrbarer Naturgesetze auf. Das Ursprüngliche (die reinen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes) des zu Erkennenden liegt im Menschen selbst und nicht mehr bei einem Schöpfergott. Es läßt sich „bei Gelegenheit der Erfahrung“ aufdecken (Kant 1770, § 8), inbesondere durch die vollständige Klassifikation der Erfahrungsurteile (Kant 1787, §§ 9 f). Durch das transzendentale Auswahlprinzip wird die Wahrnehmung zum Zeichen für das empirische Faktum (vgl. Deppert 1989, 46 ff); denn erst mit Hilfe der Wahrnehmung kann entschieden werden, welche der
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71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre
vollständigen Abhängigkeit des Menschen von Gott hinsichtlich seiner Fähigkeit des Festlegens von Zeichen und ihrer Bedeutung und endet mit der vollständigen menschlichen Zeichensetzungskompetenz ohne irgendeinen Rückgriff auf göttliche Offenbarungen.
6.
Literatur (in Auswahl)
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Abb. 71.11: Das allgemeine Schema von John Wilkins. Nach dem abgebildeten Schema versuchte J. Wilkins alles Bennennbare in einer Sprache der Sachen zu ordnen. Für die allgemeinste Einteilung benutzte er das Begriffspaar ,Allgemeines ⫺ Besonderes‘. Während die Aufteilung des Allgemeinen ihn nur auf allgemeine Dinge und allgemeine Worte führt, liefert ihm die weitere Untergliederung des Besonderen mit Hilfe des Begriffspaares ,Schöpfer ⫺ Geschöpf‘ die ganze Welt mit ihren weiteren Aufteilungen (vgl. Wilkins 1668, 23).
a priori bereitliegenden Möglichkeiten in der Erscheinungswelt realisiert sind (vgl. Deppert 1993).
5.
Allgemeine Tendenz in der Entwicklung der Zeichenkonzeptionen
Die Entwicklung der Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre von der Renaissance bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts beginnt mit der
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1374
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 71.12: Leonardos Lasthebemaschine. Leonardos Prinzip der Sichtbarmachung des Verborgenen brachte ihn erstmals auf die Idee einer sogenannten Explosionszeichnung, durch die die Funktionen der Teile im Gesamtzusammenhang der Konstruktion der Maschine wahrnehmbar werden. Die Zeichnung wird dadurch zum Zeichen für die Konstruktionsidee, die ursprünglicher ist als die Konstruktion (vgl. Sukale 1987, 39, Nr. 20).
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71. Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre
1375
Abb. 71.13: Fernrohr des Astronomen Johann Hevel (Hevelius). Gewiß gehört zu den Bedingungen der Möglichkeit für astronomische Erkenntnisse spätestens seit Christiaan Huygens ein Fernrohr. Dies aber sind Bedingungen, die auf Grund von Erfahrungen hergestellt werden können und die in einer transzendentalistischen Zeichenkonzeption nicht gemeint sind. Es geht um die Bedingungen für Erfahrung überhaupt. Ihnen folgen aber nach Kant die Prinzipien der Konstruktion dieses imposanten Fernrohrs, da dabei die transzendentale Voraussetzung eines euklidischen Raumes gemacht werde, d. h. angenommen wird, daß die Lichtstrahlen geradlinig verlaufen. Da die euklidische Raumstruktur nach Kant die reine Form der äußeren Anschauung ist und damit der apriorische Ursprung aller Raumerfahrungen, so ist in einer transzendentalistischen Zeichenkonzeption jede astronomische Erkenntnis mit Hilfe dieses Fernrohrs ein Zeichen für diesen apriorischen Ursprung der reinen Anschauungsformen (vgl. Hevel, 1670).
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1376
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
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Wolfgang Deppert, Kiel (Deutschland)
72. Zeichenkonzeptionen in der Religion von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert 1. Die Wandlungen der Zeichenwelten vom 16. bis 19. Jahrhundert 1.1. Christlicher Kult 1.2. Kanzelrede und Dialogkultur 1.3. Kirchenmusik 1.4. Sakralbauten 1.5. Kirchenausstattung 2. Theoretische Aspekte der Theologie, Philosophie, Sprachauffassung und Rhetorik 2.1. Renaissance und Reformation 2.2. Von der altprotestantischen Orthodoxie zur Aufklärung 2.3. Hamann 2.4. Herder 2.5. Schleiermacher 3. Literatur (in Auswahl)
1.
Die Wandlungen der Zeichenwelten vom 16. bis 19. Jahrhundert
Die Umwälzungen der Zeichenwelten des ausgehenden Mittelalters griffen weit über die Renaissance hinaus (vgl. Art. 63 § 2.). Nicht nur die Entdeckung der Antike in den sprachlichen und ästhetischen Kodes der gelehrten Welt schuf ein neues Bewußtsein, vielmehr ermöglichte die Sehnsucht nach einer Reform des Reiches „an Haupt und Gliedern“ eine wenigstens religiöse Reformation mit folgenreichen Umschichtungen der üblichen Zeichenwelten. Insbesondere das Verhältnis zu den Repräsentanten der kirchlichen Institution änderte sich, der Umgang mit Literatur drang noch im 16. Jahrhundert
in alle Volksschichten ein und bewirkte neue fundamentale Beziehungen zwischen Raum und Sprache. Die deutsche Reformation wurde zum Ausgangspunkt eines stark veränderten Verhältnisses zum Kult (vgl. § 1.1.), zur öffentlichen Rede (§ 1.2.) und zur Musik (§ 1.3.), auch im übrigen Europa. 1.1. Christlicher Kult Die Kritik der Reformatoren an der Ablaßpraxis zerstörte die Illusion, daß Bedeutungen des Rituals aus dem Handlungsverlauf selbst ablesbar seien und beendeten ein unbefragtes vektorielles Denken (es beruht auf der Annahme, daß zwei Dinge, die aneinander angrenzen, sich auch wechselseitig darstellen oder beeinflussen können). Nicht mehr teilte das Heilige (oder auch das Unreine) seine Kraft durch Angrenzung, Berührung und Einverleibung mit. Man bestritt jetzt, daß Fehlleistungen durch irgendwelche Einflußnahmen auf das Heilige wieder gutzumachen seien (vgl. dazu Huizinga 1935 ⫽ 1975, 291 und Fleischer 1984, 280). Zwar betrachtete man die Welt immer noch als „ein Netzgeflecht untereinander verknüpfter und sich ständig abbildender oder beeinflussender Zeichen und Raumsphären“, „alles war potentiell Zeichen eines andern, alles wirkte auf den Zustand des Ganzen und wirkte wie das Ganze“ (Huizinga 1935 ⫽ 1975, 280; vgl. Art. 71), doch die Undurchschaubarkeit der Wege dieser Wirkungen machte es erforder-
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72. Zeichenkonzeptionen in der Religion
Abb. 72.1: Taufe zur Zeit der Reformation. Holzverkleidung am Taufstein der Liebfrauenkirche Bamberg, 1520. Der Säugling wird ganz in das Becken getaucht (nach Volp 1993, II, 417).
lich, daß die ⫺ mit der Rhetorik präsente ⫺ sogenannte „necessitas“ für die Zeichenproduktion neu begründet wurde. Die Reduktion unendlich vieler Sakramentalien, Segenshandlungen und der 7 Sakramente auf lediglich 2 bis 3 Sakramente (Taufe, Abendmahl und gegebenenfalls Beichte), innerhalb weniger Jahre in Westeuropa allenthalben akzeptiert und sogar populär, zeigt etwas von der Kraft der Umschichtung. Die westliche Sucht nach rechtlich Verbindlichem hatte den Sakramentsbegriff (durch Tertullian, ca. 160⫺220 n. Chr.) gegenüber dem griechischen Mysterion eingespielt: den Mysterienkulten ähnlich wollte man die Feier der Ursprungshandlung vor Profanierung schützen, erweiterte sie jedoch dann auf Sekundär-Mysterien wie Firmung, Eheschließung, Priesterweihe, letzte Ölung und Beichte (vgl. Art. 58 §§ 2.⫺4. und Art. 60
§ 4.5.). Anders als Augustin hatte Thomas von Aquin (1225⫺1274) das „Signum“ noch einmal in „Materia“ und „Forma“ unterschieden: bei suppositio materialis steht das Zeichen für Laut bzw. Laut und Bedeutung; bei suppositio formalis steht das Zeichen für eine allgemeine Bedeutung („Mensch“ bezeichnet einmal /mins/ und einmal ‘Menschlichkeit’, d. h. die Idee des Menschen). Dadurch verflüchtigt sich die situativ gedeckte „res“ zugunsten spekulativ, rechtlich oder magisch gedachter Signifikate. Die Reformatoren (s. u. §§ 2.1.2.⫺2.1.4.) stellten das Bewußtsein des Zeichenvorgangs in den Mittelpunkt, so daß verbale Substitute wie Predigt, Glaubensverhör bei der Anmeldung zum Kommunionsempfang und eine Fülle Gottesdienstempfehlungen die Folge waren. Martin Luther ebenso wie Thomas Münzer veröffentlichten 1523 unter-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 72.2: Taufschüssel aus Teterbüll (Schleswig-Holstein), 18. Jahrhundert. Die Höhe (12 cm) erlaubt nur die Benetzung mit Wasser („Aspersis“). Der breite Rand ermöglicht es, die Schüssel in alte Becken einzuhängen (nach Volp 1993, II, 420).
schiedliche Taufordnungen, die beide zum ersten Mal den gesamten Verlauf des Rituals in deutscher Sprache anboten, weil bisher die Beteiligten „nichts davon verstehen, was da geredet und gehandelt wird“. Die Verschiebung auf das verbale, d. h. durch arbiträre Zeichen vermittelte, Verstehen wird schon darin deutlich, daß Luther die dreimaligen Exorzismen auf einen verkürzt; die zweimalige Rezitation des Credo erhält jetzt die Funktion der Patenverpflichtung, das Vaterunser wird ebenfalls mitgebetet. Die Darreichung des Salzes (datio salis), bisher Symbol der noch nicht eingelösten eucharistischen Gemeinschaft, wird begleitet mit den Worten: „Nimm das Salz der Weisheit, die dich fördere zum ewigen Leben“, wird also spiritualisiert. Durch das sogenannte „Sintflut-Gebet“ erhält die Taufe eine eindeutige Ausrichtung im Sinne von Röm. 6 (vgl. Abb. 72.1). ⫺ Luthers anfänglicher Versuch, die Semantik des Wassers heraufzuholen („Ersäufen des alten Adam“), wird im Taufbüchlein von 1526 wieder aufgegeben, da die Ganztaufe nicht mehr geübt wird. Hier fällt die datio salis ganz weg, ebenso die Salbungen vor und
nach der Taufe und die Überreichung der Kerze (vgl. Abb. 72.2). Calvin fordert die Taufe im Gemeindegottesdienst, wodurch die Aufnahme in die Kirche dokumentiert wird. Die Darreichung des Taufkleides wird allerdings beibehalten. Die anglikanische Kirche übernimmt das Taufbüchlein Luthers von 1526, die römische Kirche (1614) baut die Patenbefragung aus, behält aber im Ganzen die mittelalterlichen Bräuche bei. Die Taufliturgien in der lutherischen Kirche gerieten immer wieder unter die Auseinandersetzung über Exorzismus (Austreibung des Bösen), Abrenuntiatio diaboli (Absage des Täuflings an den Götzendienst) und die Frage an die Kinder (Kinderglaube) ⫺ Symptome der Spannung zwischen Analogiedenken und arbiträrer Zeichenauffassung. Erst hier bürgerte sich die Verpflichtung ein, die „Einsetzungsworte“ (Mt. 26,28; Mk. 16,16) hinzuzufügen. Das Problem der Einsetzungsworte ist vor allem für das Abendmahl (Eucharistie) kennzeichnend. Am Streit darüber brach die Reformation in einen reformierten und einen lutherischen Teil auseinander (s. u. § 2.1.). In
72. Zeichenkonzeptionen in der Religion
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Abb. 72.3: Das Mithandeln der gesamten Ortsgemeinschaft dokumentiert sich in den mitten im Raum stehenden sogenannten „Prinzipalstücken“ Altar, Taufbecken und Kanzel sowie in der Bedeutung des Gesangs und der Malereien (die Ausschnitte aus biblischen Geschichten zeigen). Dorfkirche in Weiler bei Heilbronn, erbaut 1760.
beiden Fällen wurde die bisherige Gottesdienstpraxis (vgl. dazu Art. 58 § 4.) völlig neu strukturiert, insofern nicht der Priester, sondern der sogenannte „Hohepriester“ Christus als historische und gleichzeitig mythische Gestalt den Schlüssel für die Gesamtstruktur des Gottesdienstes lieferte. Bezeichnend dafür ist Luthers Vorschlag der sogenannten Deutschen Messe (1524): Er brach den Kanon, also die heiligste Sequenz mit Präfation, Fürbitten und eucharistischem Gebet aus dem Syntagma des Gottesdienstes heraus, weil die ursprüngliche Intention des Ganzen sich in ihr Gegenteil verkehrt hatte: das vektorielle Denken hatte ein theurgisches Einflußnehmen des Priesters auf das göttliche Handeln angenommen. Luther empfahl statt dessen, nach einer Paraphrase des Vaterunsers die Einsetzungsworte zu singen, während Brot und Wein jedem zur Kommunion gereicht werden. Allerdings war dieser Vorschlag nur ein Modell von dreien: Die sogenannte „Formula missae et communionis pro ecclesia Wittenbergensis“ von 1523 behielt die lateinische Sprache ⫺ abgesehen von Predigt, Credo-Lied usw. ⫺ bei, wechselte nur die mißverständlichen Passagen aus. Die so-
genannte „Dritte Weise“ „derer, die mit Ernst Christen wollen sein und das Evangelium mit Hand und Mund bekennen“, empfahl er als Ersatz für die aufgelösten Klostergemeinschaften: freie und doch verbindliche Ordnungen in Gemeinschaften, die später zum Vorbild der pietistischen Bewegung wurden (vgl. Abb. 72.3). Die in der Vorrede zur Deutschen Messe empfohlenen drei Gottesdienst-Modelle bilden ein Paradigma, welches die Universalität der Sprache (Formula missae), das experimentelle Element (Deutsche Messe) und die Mitverantwortung des Handelns (Dritte Weise) in den Mittelpunkt stellt. Es ist deutlich, daß diese aus der Rhetorik (Mitdenken, Miterleben und Mithandeln) genommene Perspektive einen Kosmos von möglichen Gottesdienstformen hätte entwickeln können, doch aufs Ganze gesehen wurde der Sonntagvormittag-Gottesdienst zum Kristallisationspunkt religiösen Lebens: eine Mischung aus mittelalterlicher Messe, allerdings verdeutscht und zunehmend von Theologen in schwarzen Talaren verantwortet, und sogenanntem „Prädikanten-Gottesdienst“. Dadurch erhielten die Amtshandlungen als Nachfolgehandlungen der Sakramen-
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Abb. 72.4: Tafelbild (160 ⫻ 100 cm) in der Stadt-Kirche St. Blasius von Bopfingen (Württemberg), 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts: die Sakramente (Abendmahl vorne, Taufe hinten) und Segenshandlungen (Trauung rechts im Hintergrund), Betreuung Trauernder (links im Hintergrund) sowie Musik (links) und Bildbetrachtung (rechts). Die Liturgen tragen das Chorhemd über dem Predigertalar. Die Kommunikanten empfangen rechts das Brot, links den Wein (nach Volp 1993, II, 373).
talien wieder eigene Bedeutung: so die Konfirmation anstelle der Firmung (mit Glaubensverhör der Heranwachsenden), die Trauung, die Beerdigung und auch die Pfarrer-Ordination (vgl. Abb. 72.4). Einweihungen von Kirchen nannte man „Indienstnahme“ durch „Heiligung“: Der häusliche Gottesdienst machte es möglich, die Kirchen tagsüber zu schließen und sie nur zu öffnen, wenn man sich gemeinsam versammelte. Hausandachten und tägliches Bibellesen, das Segnen der Kinder und der Ernte, der Reisesegen und Segenshandlungen im Angesicht des Todes sowie Morgen-/Abendsegen ⫺ das waren protestantische Sakramentalien, denen auch Prozessionen (z. B. anläßlich von Trauung und Beerdigung) wie selbstverständlich folgten. Die konfessionellen Auseinandersetzungen des 17. und 18. Jahrhunderts verstärkten die kontrastierenden Zeichenwelten: je mehr Predigt im evangelischen Raum, desto mehr Selbstdarstellung der Kirche mit Prozessionen (z. B. die Fronleichnamsprozes-
sion) im römischen Verständnis. Je stärker Protestanten die Kirchenräume umfunktionierten, desto mehr waren Katholiken geneigt, ihre Kirchen als göttliche Tempel auszustatten (Jesuiten-Stil). Auch darin spalteten sich die Zeichengebräuche: Katholische Kinder wurden zur Kommunion vorbereitet durch Einübung liturgischer Praxis, insbesondere im Meßdieneramt; evangelische Kinder hatten den Katechismus zu lernen, um den wahren Glauben zu kennen. Natürlich war damit die Einübung in das nahezu alles entscheidende Liedgut verbunden. Ihr Überleben verdankt die Firmung als Konfirmation keiner dogmatischen oder gar biblischen Begründung, sondern dem „Glaubensexamen“, dem sich die Familien, vor allem die Kinder, bei ihrer Anmeldung im Pfarrhaus oder in der Sakristei vor dem jeweiligen Abendmahlsgang zu unterziehen hatten. So entstand aus der Beichte eine öffentliche Konfirmationsfeier mit sogenannter „Vorstellung“. Die Popularität der Konfirmation erwuchs aus dem Glaubensverhör als Erneuerung des
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Taufgelübdes unter dem Einfluß des Pietismus (Ph. J. Spener, 1635⫺1705) als „Verspruch der Treue zum Heiland Jesus Christus“, im Rationalismus als Aufnahme in die Erwachsenenwelt der Christenheit. Obwohl die „Ordination“ des Pfarrers ähnlich feierlich ausgestaltet wurde wie zuvor die Priesterweihe, zeigte sich doch auch darin eine Umschichtung der Zeichenwelten: in der Regel verheiratet, wurde der Pfarrer nicht vom Bischof legitimiert, sondern von mehrheitlich mit Laien besetzten Synoden; er stellte sich zunehmend als Seelsorger und Theologe, weniger als Priester dar. Die Verankerung der Entscheidung in der Basis machte die Stärke des Protestantismus aus („Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, schon als Priester, Bischof und Papst geweiht zu sein, obwohl nicht einem Jeglichen ziemt, solch Amt zu haben“; M. Luther, WA VI, 408,11⫺13). Die Differenzierung der Ämter wird nicht in Hierarchien, sondern in der Übernahme nicht eingelöster Aufgaben gesehen. Anfangs war „Ordination“ jede Einführung eines Theologen in ein neues Pfarramt, analog der Praxis der alten Kirche. Der Ordination zum kirchlichen Amt stand die Eheschließung als Schöpfungsauftrag gegenüber. Anders als die im Tridentinum festgelegte Jurisdiktion der Kirche unterschied Luther in seinem Traubüchlein von 1529 den Akt der Kopulation ⫺ hier handelt der Pfarrer aushilfsweise als Beauftragter öffentlicher Ordnung ⫺ von dem der Benediction als fürbittendem Segen der Gemeinde. Das Brauchtum der Begleitung von Sterbenden und Toten bietet Aufschluß über Tendenzen, die den jeweiligen Intentionen zum Teil entgegenlaufen. Die Kritik der Reformation richtet sich gegen eine Totenmesse, welche Konnotationen des Handelns am Toten auslöst. Begräbnisse sollten „ehrlich mit der Nachbarschaft und Freundschaft gehalten werden, daß wir bei solchen Begräbnissen anzeigen die Liebe, die wir gegen die unseren haben“ (Pommern 1535). Lieder, Lesungen und Gebete werden zum Teil der Totenmesse entnommen, doch unterschiedliche Funktionsträger im Umkreis der Verstorbenen dokumentieren die reale Beziehungsstruktur der Situation: Beim Tod sprach der Älteste der Anwesenden den Segen, der mit einem Dank an Gott, der sogenannten „Parentation“ schloß; die „Abdankung“ war der Dank durch ein Mitglied der Familie vom Altar aus, für Hilfe und Geleit während des Sterbens und der Bestattung; die sogenannte
1381 „Standrede“ am Grab und die Leichenpredigt (Evangeliumsverkündigung) mit Lebenslauf von der Kanzel war Aufgabe des Pfarrers (vgl. Abb. 72.5). Nicht der Repräsentant kirchlicher Institution, sondern die Gemeinde, repräsentiert in Delegationen von Nachbarschaften, Freundschaften, Zünften usw., war verpflichtet zur Sterbebegleitung und dementsprechend auch zur Begleitung der Leiche. Im 18. Jahrhundert gerieten Beerdigungen bei Nacht deshalb in Mode, weil Familien und Freundschaften die nächtlichen Begräbnisse (zuvor nur für unbußfertige Sünder, Selbstmörder und Ungetaufte vorgesehen) als Privileg von geistig Gebildeten entdeckten. Erst seit dem 19. Jahrhundert repräsentierte der Pfarrer, analog dem römischen Brauchtum, die gesamte Institution. Damit wurde zum vorherrschenden Zeichen die Grabrede, die insbesondere zur Zeit der Orthodoxie eine Hochblüte erlebt hatte. 1.2. Kanzelrede und Dialogkultur Zu den großen Entdeckungen des 16. Jahrhunderts gehört die gegenüber dem Mittelalter veränderte Praxis der Kanzelrede: die Reformationsbewegung nutzte sämtliche Möglichkeiten zur Predigt, die das späte Mittelalter geboten hatte, häufig Mischformen zwischen Stundengebet und PrädikantenGottesdienst, auch den Messen mitunter vorangestellt (vgl. Abb. 72.6). Vom Nominalismus (vgl. Art. 62 § 2.3 sowie § 4.) übernahm Luther die Grundentscheidung, daß nicht das Wasser bzw. Brot und Wein mache, was Taufe und Abendmahl sakramental erscheinen läßt, sondern der Glaubensvorgang: „Wir aber sollen […] lernen mehr das Wort als das Zeichen, mehr den Glauben als Werk“ (De captivitate Babylonica, 1520, WA II, 727⫺737). Das Wort als jenseitige Verheißung führt zu einer Krise der Zeichenhandlung, die von der Zeichenhandlung des Wortes absieht: „Es ist alles besser nachgelassen, denn das Wort. Und es ist nichts besser getrieben denn das Wort“ (Von ordenung gottis diensts ynn der gemeine, WA XII, 37). Ohne freie Rede kein Gottesdienst, war die Devise. Obwohl bis ins 18. Jahrhundert hinein alle westlichen Liturgien ein in sich kohärentes Zeichenuniversum von Raum und Zeit darstellten, hat die Polemik zwischen den Konfessionen bestimmte Zeichenqualitäten hochstilisiert, hier die der Predigt. Die sogenannten „Kanzelaltäre“ belegen dies architektonisch (zur früheren Ausstattung des Altarraums vgl. Art. 58 § 4. und Art. 60 § 4.6.): Auf
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Abb. 72.5: Österlicher Gottesdienst bei Sonnenaufgang in Herrenhut (seit 1715). Die Gemeinschaft mit den Verstorbenen dokumentiert ewige Gleichheit vor der göttlichen Güte. Es gibt keine Grabsteine, nur Platten mit Inschriften.
der Kanzel wurde katechisiert, Seelsorge getrieben, wurden Informationen kirchenleitender Art weitergegeben (vgl. Abb. 72.7). Im reformierten Gottesdienst feierte man ohnehin nur viermal im Jahr das Abendmahl, so daß sich die Predigt als Zentralfigur der Liturgie herausbildete. Gegenüber diesem Instrument rechtgläubiger Frömmigkeit protestierten wiederum pietistische freie Zirkel durch Gemeinschaftsbildung mit Bibelstunden, Hauskreisen, Predigtnachgesprächen und anderen Redekulturen, die die sogenannte „Dialogkultur“ des 18. Jahrhunderts vorbereiteten. In die öffentlichen Gottesdienste brachte man die Bibel mit zum Nachlesen der Texte. Nach Johann Rambach (1693⫺1735) hat die Predigt den dreifachen Zweck: Überzeugung von der Wahrheit der Heilstatsachen (finis proximus), Erbauung und Weihe der Herzen (finis intermedius) und Erlangung der Seligkeit (finis
altimus). Die Aufklärung rückte die Predigt noch mehr in den Mittelpunkt. Für Johann L. von Mosheim (1694⫺1755) hat die Predigt zwei Zwecke: die Erbauung des Verstandes (Verstehen der „Wahrheiten“) und die Erbauung des Willens (zur Besserung). Die Rhetorik erhält wieder einen höheren Stellenwert, um Glauben und Vernunft miteinander zu versöhnen (vgl. Art. 67 § 3.2.). Die Zentralfunktion der freien Rede verdankt sich nicht nur der Fähigkeit, zu normieren und zu protestieren. Seit dem 17. Jahrhundert verliert die verbale Sprache ihren angestammten Charakter einer selbstwirksamen Weltbeschreibung dank der bis dahin stets unterstellten Analogie zum göttlichen Reden. Der reformatorischen Wiederentdeckung dieser Analogie steht eine andere Entdeckung gegenüber: überkommene, magisch gefüllte Sprache wird auch als Hindernis für den kritischen Geist angesehen. Das
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Abb. 72.6: Lutherpredigt aus dem Jahre 1519. Mit Luthers Bild wurde die Reformbewegung auch propagandistisch gestützt (Kunstsammlung, Veste Coburg).
nötigt dazu, Sprache als System, ja als Kunstsprache zu entwickeln: Für Leibniz (1646⫺1716) sollen die Zeichen (⫽ characteres) dieses Systems so universell angeordnet sein, daß sie untereinander in derselben Beziehung stehen wie Denkinhalte (vgl. Art. 62 § 7.2.). Dadurch steht die Sprache als ein ei-
genes Ordnungssystem der Ratio dem System magischer Zeichen und Zeichenhandlungen des Volkes gegenüber. Die sprachtheoretischen Neuansätze von Hamann, Herder, Schleiermacher und Humboldt (vgl. Art. 65 und 77) boten der Predigt die Chance, das magische und analoge Denken gleichsam un-
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Abb. 72.7: Kanzelaltar in Sachsen. Inneres der Jakobikirche in Einsiedel (Erzgebirge), 1850⫺62: ein 2-emporiger Saalbau, dessen Kanzel auf der Höhe der Männerempore in der vertikalen Mitte der Gemeinde angebracht ist (aus Kunst und Kirche 1, 1968: 32).
terhalb der rationalen Sprache an deren Berührungspunkten als Poesie für die Liturgie zu entdecken. So konnte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Kanzelrede den Prosastil der deutschen Sprache maßgeblich beeinflussen, auch wenn sich jenseits der kirchli-
chen Kultur eigenständige Dialogkulturen etablierten. 1.3. Kirchenmusik Musik als Zeichenuniversum ist am besten unter den Spannungen von drei Bedeutungs-
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Abb. 72.8: Titelblatt der Folio-Ausgabe des Frankfurter Kirchengesangbuches (1569⫺1630). David demütigt sich oben vor den Posaunen des Gerichts (der Prophet Nathan predigt); unten führt er mit der Harfe einen Zug von Musikanten an (Foto: Bayerische Staatsbibliothek München, VD 16, K 928).
achsen erkennbar: 1. Volk und Klerus, 2. Vokal- und Instrumental-Musik sowie 3. weltliche und geistliche Musik. 1.3.1. Gemeinde- und Chorgesang Den Ausgang des Mittelalters kennzeichnet eine starke Spannung zwischen mehrstimmi-
ger Wucherung der Chöre in Hymnen, Sequenzen und Tropen einerseits und dem einstimmigen Singen volkstümlicher Lieder jenseits der Messe in Andachten, Prozessionen und Wallfahrten andererseits. Ein wesentlicher Erfolg der Reformation beruhte auf der Übernahme des chorischen Liedgutes
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durch das Volk, das damit am Verkündigungsauftrag des Klerus beteiligt wurde. Man nahm Gemeinde- und Chorgesang als Einheit, die lediglich funktional unterschieden wurde. Bis ins 18. Jahrhundert hinein sind Gesangbücher (vgl. Abb. 72.8) als Ritualhilfe lediglich im Besitz von Pfarrherren, Kantoren, Chorknaben oder sonstigen Chormitgliedern, während die Gemeinde singt, was sie kennt: so insbesondere die sich wiederholenden Detempore-Lieder und die Verdeutschung der Psalmen. Die Chöre bestanden weithin aus Schülern, nach dem 30jährigen Krieg entstanden Kantoreien und die sogenannten „Adjuvanten-Chöre“, d. h. Vereinigungen musikliebender Bürger kleinerer Ortschaften ohne Lateinschulen und Kurrenden. Seit dem 17. Jahrhundert bürgert sich der Besitz des Gesangbuches für die Familien ein, so daß die damals aufblühende Dichtung der Kirchenlieder schnell populär wurde. Das Tridentinum reinigte auch die römische Messe von mehrstimmigen Wucherungen, indem sie den abgeklärten A-Capella-Stil Palestrinas empfahl. 1.3.2. Vokal- und Instrumentalmusik Die Instrumental-Musik, von den Calvinisten zunächst aus dem Gottesdienst verbannt, gewinnt eine hohe Bewertung durch Luthers Musikauffassung: „Nach der Theologie sei keine Kunst, die der Musik gleichgesetzt werden könne, da sie allein nach jener vermag, wessen sonst nur die Gottesgelahrtheit fähig ist: ein ruhiges und fröhliches Gemüt zu schenken“ (Luther, WA, Briefwechsel V (1529⫺1530): 639; zit. von H. J. Moser 1954, 27). Immer sind natürliche Zeichenbeziehungen im Spiel (Donum Dei et naturae), der Geometrie, Arithmetik und Astronomie vergleichbar. Der bis ins kleinste Dorf hinein geübte Einsatz von Schulchören erforderte zudem instrumentelle Begleitung. Die hohe Blüte der Kirchenmusik seit dem 17. Jahrhundert (Schütz, Prätorius, Schein, Scheidt und Buxtehude) verdankt sich einer Synthese von Instrumental- und Vokal-Musik, die mit städtischer Kultur häufig gleichgesetzt wird. Nach dem 30jährigen Krieg erlernen Schüler und Bürger in den Kantoreigesellschaften das Instrumentalspiel, das im Zuge der neuartigen Spielmusik zunehmend Autonomie gegenüber dem Singen gewinnt. Die geistliche Kantate entwickelt sich aus (a) der Motette, dem mehrstimmigen (figuralen) Kunstgesang mit einer Liedstrophe oder einem Bibelwort, anfänglich ohne Instrument von Kurrenden
und Schülerchören in Sachsen bzw. Thüringen zwischen 1500 und 1675 gepflegt; außerdem sind es (b) die weltlichen Madrigale mit ihren von den Kirchentonarten abweichenden frei erfundenen Singweisen (auch Einflüsse des französischen Chansons) und später (seit Johann Sebastian Bach) einer Ausdrucksskala in differenzierter Chromatik: die Melodien erscheinen in der Solostimme, während die Instrumente eigene Vor- und Zwischenspiele übernehmen; (c) auch Einflüsse der italienischen Oper (Monteverdi) verknüpfen Solo und mehrstimmigen Gesang mit Instrumentalmusik (vgl. Art. 68 § 3.). In dem Maße, in dem die Instrumente Choräle begleiten und umgekehrt Kirchenlieder in die neue Kunstform der Kantate und des Oratoriums eindringen (J. S. Bach), entsteht eine Symbiose von Wort und Musik, die die religiöse Kultur des Protestantismus bis heute bestimmt. Bachs Aufgabe war es, jede Woche musikalisch eigenständig Schriftauslegung und Lobpreis in einer Dramaturgie von Anamnese und Epiklese durchzukomponieren. Die Kritik des Pietismus und der Aufklärung brachte diese Entwicklung am Ende des 18. Jahrhunderts zum Niedergang. 1.3.3. Weltliche und geistliche Musik Von der Reformation ⫺ Johann Walter vertonte Luthers Hymnen, Psalmenlieder, Katechismusstücke u. a. ⫺ bis zu J. S. Bach waren es weltliche Musiken, Liebeslieder des Volkes eingeschlossen, die für den kirchlichen Gebrauch übertragen wurden, wie umgekehrt auch Chorlieder in das Volkslied eindrangen. Der Hintergrund: Tonkunst war immer Gleichnis der göttlichen Weltharmonie (vgl. Art. 68 § 2.): „wo diese nicht in Acht genommen wird, da ist’s keine eigentliche Musik, sondern ein teuflisches Geplärre und Geleier“ (J. S. Bach, Generalbaßlehre, 1738). Individuelle Werte, erotische Konnotationen und höfische Würdesymbole werden ohne weiteres für den religiösen Gebrauch aufbereitet. Die konfessionellen Unterschiede sind am Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch präsent: während im Protestantismus alle musikalischen Zeichen-Hierarchien auf die Gemeindegesänge hin orientiert sind ⫺ Chöre unterstützen die Gemeinde, singen mit ihr alternativ oder gipfeln die Stimmung an Festtagen auf ⫺ wird im römisch-katholischen Bereich immer noch streng unterschieden zwischen den dem Klerus bzw. den Chören vorbehaltenen Beiträgen einerseits und bloßen Andachtsliedern des Volkes
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Abb. 72.9: Kirchenräume der Renaissance: 1 St. Peter, Rom; Entwurf Michelangelos (1546) 2 Reformierter Temple Paradis, Lyon (1564) 3 Reformierte Kirche, La Rochelle (1577) 4 Reformierte Kirche, Caen (1611) 5 Reformierte Kirche Oosterkerk, Amsterdam (1669⫺71) 6⫺7 Lutherische Kirche, Amsterdam (1668) (nach Volp 1993: I, 392 f)
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Abb. 72.10: Inneres der Frauenkirche in Dresden (Architekt: Georg Bähr, erbaut 1722⫺43). Mit dem Verkauf des Anrechts auf Plätze (5 Emporen!) finanzierten die Bürger den Raum für 2400 Besucher. Sie kamen zur Taufe auf das untere Podest, zum Abendmahl auf das obere. Darüber ein Gemälde der Himmelfahrt Jesu und ganz oben der Orgelprospekt ⫺ ein Gesamtkunstwerk (nach Volp 1993, I, 372).
andererseits. Die Verselbständigung einer nichtkirchlichen, wenn auch religiös durchaus affizierten weltlichen Musikkultur im 19. Jahrhundert ist eine Folge dieser nicht zur Eigendynamik entwickelten Diastase (vgl. Art. 81). 1.4. Sakralbauten An Kirchenräumen zeigen sich die Zeichenhierarchien besonders eindrücklich (zu den
bevorzugten Kirchenräumen im Christentum der Antike und des Mittelalters siehe Art. 60 § 4.6. und Art. 55 § 5.2.; vgl. auch die Tempelarchitektur der griechisch-römischen (Art. 47 § 2.1.), hinduistischen (Art. 92 § 5.1.) und buddhistischen (Art. 96 § 8. und 97 § 5.2.) Kulturen). Drei Bedeutungsachsen sind auch hier aufschlußreich: 1. das Umfunktionieren überkommener Großräume versus Demon-
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Abb. 72.11a: Grundriß der Frauenkirche in Dresden: Wo in katholischen Kirchen Seitenaltäre sind, befinden sich hier Türen, um den Zusammenhang von öffentlichem Gottesdienst und Hausandacht zu demonstrieren (nach Volp 1993, I, 370).
Abb. 72.11b: Grundriß-Entwurf für den Umbau des Berliner Doms von Friedrich Schinkel (1815): in der Mitte der Gemeindeversammlung der Altar, auf den oberen Rängen die Kanzel (nach Volp 1993, I, 379).
stration der Renaissance römischer Baukunst, 2. hörfähige Räume versus schaufähige Räume, 3. Zentralbauten für das Volk versus Zentralbauten für den Klerus. 1.4.1. Gebrauchsarchitektur Der überschaubare Einraum der Renaissance, ein vom Kubus her komponierter in sich ruhender harmonischer Raum, geprägt von sinnlicher Gegenwärtigkeit, bot für beide Positionen der westlichen Kirchen Entwicklungschancen. Die durch die Reformation bestimmten Gemeinden richteten sich in der Vielzahl überkommener Bauten neu ein, funktionierten diese demonstrativ um, indem sie zum Beispiel den Altar mitten in das Schiff stellten und das Volk in den Chorraum hereinließen. Eigenständige Bauten standen im krassen Kontrast zu den DemonstrativProjekten Roms (Bramantes bzw. Michelangelos St. Peter in Rom): man baute bescheidene Schloßkapellen und Kleinkirchen (vgl. Abb. 72.9). 1.4.2. Hörfähige versus schaufähige Räume Auffallend im protestantischen Kirchenraum war der Einbau von vielen Emporen und zahlreichen Bänken, notwendig zum Zuhören langer Predigten, während die römische Tradition den offenen Prozessionsraum bevorzugte. Selbst bei gleichen Stiltendenzen der Barockzeit entstanden typische Analogien und Differenzen: einerseits der theatermäßige Aufbau eines Kanzelaltars samt Orgel, auf den sich mehrere Emporen hin ausrichteten (z. B. die Frauenkirche in Dresden; vgl. Abb.
72.10, 72.11 und 72.12), andererseits ein durch Schaueffekte hochgezüchteter Altarraum, auf den hin sich das Volk ausrichtete, dem man zunehmend Bankreihen gestattete (vgl. Abb. 72.13). Das Pathos war je nach Region (Mittelmeer-Raum bzw. Südamerika) unterschiedlich (vgl. Art. 73 § 4.). 1.4.3. Volks- versus klerusbezogene Bauformen Der bis ins 19. Jahrhundert hinein beliebte Zentralraum (noch F. Schinkels Grundidee!) war, je nach Konfession, von unterschiedlichen Motiven und daher auch Zeichenhierarchien geprägt. So gab es bis zu 6000 Personen fassende protestantische Großkirchen, die, häufig im Holzfachwerkbau konzipiert (schlesische Friedenskirchen), den Charakter riesiger Wohnstuben annahmen. Entscheidend war der für jeden ungehinderte Blick auf die Kanzel und der Zugang zu Abendmahlstisch und Taufstein (vgl. Abb. 72.14). Die oberhessischen Fachwerkkirchen ebenso wie die hugenottischen Zentralbauten belegen ein der damaligen Wohnkultur verwandtes Zeichenuniversum. Die tägliche Andacht kulminierte im gemeinsamen Gottesdienstbesuch am Sonntag, weswegen Kirchenräume in der Woche verschlossen bleiben konnten. Schinkels Pläne für den Berliner Dom wollen das Volk in einem großen Kreis, entsprechend einer Volksversammlung, um die liturgischen Prinzipalstücke herum scharen. Vorgänger sind zahlreiche Bauten und Ideen der Barockzeit (J. Furtenbach und L. Chr. Sturm), die das griechische Kreuz variieren
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Abb. 72.12a: Grundriß der Sophien-Kirche, Berlin, erbaut 1712⫺13 (nach Volp 1993, I, 375).
Abb. 72.12b: Grundriß der Dreifaltigkeits-Kirche, Berlin, erbaut 1739. Mit Kanzelaltar (nach Volp 1993, I, 375).
und das Kleeblatt, das Oval, die Fünfkonchen-Kirche, das Dreieck, das Quadrat, das zentrierte Rechteck, das Vieleck, die Winkelhakenform oder ineinander geschobene Schiffe entworfen haben. Im anglikanischen Raum verbreiteten sich Saalbauten im Recht-
eck, Vieleck, im Oval und Kreis mit klassizistischen Säulenfronten, häufig als eine Synthese von Ratio und Gefühl, Sparsamkeit und Progressivität. Der freie Umgang mit Raumformen im Protestantismus war einer der Anlässe, warum sich in katholischen Kir-
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Abb. 72.13: Jesuitenkirche St. Michael, München, erbaut 1583⫺1597. Das mit Bänken vollgestellte Schiff zwingt zur Schau in den Altarraum. Die Gegenreformation nimmt den gestreckten Prozessionsraum wieder auf.
Abb. 72.14: Lutherische Oosterkerk, Amsterdam (Architekt: Adriaan Dorsmann, erbaut 1669⫺71). Zum Abendmahl wurde das Gestühl in der Mitte weggeräumt, um die Tische zu bereiten.
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Abb. 72.15: Kirchensaal von Herrenhut, 1756. Die weiße Farbe (des Orgelprospekts, der Bänke, der Gewänder, der Vorhänge) schafft einen Zusammenhang „österlicher Freude“, in dem das Abendmahl an Tischen auf dem Podest seitlich des Bischofssitzes (Graf von Zinzendorf) und vor den Presbytern „in Armut“ gefeiert und an alle Teilnehmer ausgeteilt wird (nach Volp 1993, I, 373).
chen dann im späteren 19. Jahrhundert der basilikale Stil durchsetzte: er galt als Garant für eine auf den Klerus bezogene Raumform. 1.5. Kirchenausstattung Bilder, Geräte und Gewänder (zu deren Interpretation im Mittelalter vgl. Art. 58, Abb. 58.13) sind ebenfalls unter drei Bedeutungsachsen zu begreifen: 1. Mystische und magische Tendenzen lösen sich ab, 2. pädagogische und propagandistische Interessen bilden eine zweite semantische Achse, und 3. allegorische Ideen und bürgerliche Repräsentation bestimmen die Barockkultur. 1.5.1. Mystische und magische Tendenzen Die Lichtmetaphysik Augustins (vgl. Art. 50 § 3. und Art. 60 § 4.4.2.) hat die abendländische Bildtheologie stark vom arbiträren Zeichen her bestimmt, denn das Licht galt stets als die Kraft des göttlichen Wortes. Das Wort hielt man ⫺ von den Mystikern des
Mittelalters bis in die Neuzeit herein ⫺ für wirkungskräftiger, da es die Unmöglichkeit dokumentiert, sich von Gott ein zutreffendes Bild zu machen. „Bild“ hieß in der westlichen Argumentation häufig „figura“, ein rhetorischer Terminus, während das lateinische „imago“ wenn nicht magische, so doch wenigstens pädagogische Konnotationen enthielt. Ikonische Zeichen im „uti et frui Dei“ sind immer nur mittelbare Wahrnehmungsbeziehungen, den austauschbaren Zeichen unsrer Sprache entsprechend. Nicht nur das Ohr hat keinen Ton aus sich selbst, auch das Auge ist auf das Außen des Lichts gewiesen: hierin unterschied sich Augustin (Confessiones XII, 5,7) von Plotin. Bilderkenntnis vollzieht sich im Modell des Redens: „Das Licht, welches Glas durchdringt, ohne es zu durchbrechen, gleicht dem Wort Gottes, dem Licht des Vaters, das durch den Leib der Jungfrau gegangen ist“ (Bernhard von Clairvaux zu den gotischen Glasfenstern). Diese nur dem
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Abb. 72.16: Georg als Drachentöter, Hochaltar der Klosterkirche Weltenburg in Bayern (Architekten: Gebrüder Cosmas und Egid Asam, erbaut etwa 1716⫺1736). Die indirekte Beleuchtung soll das Bild pathetisieren (nach Volp 1993, I, 479).
Gebildeten bewußte Interpretation fächert sich an der Schwelle der Reformation in drei unterschiedliche Auffassungen: a. Das Volk verbindet mit Bildern, Geräten und Gewändern magische Vorstellungen, die zum Stiften von Bildern führen, zu Wallfahrten und verwandten Praktiken. b. Die Malerei wird zunehmend zur Mythisierung der Natur (Auferstehungsglorie in M. Grünewalds Altarbild von Colmar) oder zur Mythisierung der
Antike (Renaissance-Malerei); die Lichtmetaphysik erreicht in der Barockkultur (vgl. Abb. 72.16), auch in der Malerei etwa von Rembrandt (vgl. Abb. 72.17), eine eigenständige Semantik. c. Sofern die Räume von Bildern entleert werden (reformierte Praxis, weiß getünchte Räume der Herrnhuter Brüdergemeine; vgl. Abb. 72.15), verbirgt sich das Zeichenuniversum in der Mythisierung der Sprache.
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Abb. 72.17: Rembrandt van Rijn (1606⫺1669), „Gethsemane“. Bilder werden im reformierten Christentum für die Privatandacht geschaffen.
1.5.2. Pädagogische und propagandistische Zwecke Die pädagogische Verwendung der Bilder ist eine alte abendländische Tradition (seit den Libri Carolini, dem von Karl dem Großen in Auftrag gegebenen Werk über die Bildverehrung von 791). Das plötzliche Ende des Bilderstiftens und des Reliquienkults seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts (zu Parallelen in der Antike vgl. Art. 47 § 3. sowie § 7.2, Art. 60 § 4.7. und Art. 61 § 2.2.5.) verschaffte den Malern neue Wirkungsbereiche in den Predigtpostillen, Andachts- und Gesangbüchern, aber auch auf zahlreichen Retabel-Altären. Der pädagogischen Verwendung des Bildes korrespondiert die propagandistische: zahlreiche Flugblätter der Reformationszeit dämmen die Flut der Andachtsbilder von Wallfahrtsorten ein, erhalten aber wiederum in der Gegenreformation Nachfolger. Die Propaganda-Funktion wurde auf das Altarbild und die Geräte (Monstranz) ausgeweitet. 1.5.3. Allegorie und bürgerliche Repräsentation Eine Abmilderung der pädagogisch-propagandistischen Bedeutungsachse zeigt sich im allegorischen Bildergebrauch, der sich in der
manieristischen Ornamentalik des 16. Jahrhunderts vorbereitet. Hier korrespondiert der ornamentalen Allegorik die Selbstdarstellung von Adligen, Pfarrern und später auch verdienten Bürgern (Epitaphien); auch Geräte und Gewänder sind in der Regel Stiftungen. Der Aufbau einer eigenständigen Symbolwelt der Frühromantik (vgl. Art. 63 § 5.) stand dann allerdings wieder in einem scharfen Kontrast zu der Geschmackskultur der ausgehenden Aufklärung (vgl. Abb. 72.18), womit sich die Diastase zwischen der individuellen Kunst und dem öffentlichen Kunstbetrieb (auch in der Kirche) auftat. 1.5.4. Konfessionelle Gegensätze Die Entwicklung der Geräte und Gewänder in dieser Epoche ist wesentlich durch konfessionelle Gegensätze gekennzeichnet: während sich die römische Kultur mit barockem Pomp überbot, meinten Protestanten, sich durch zunehmende Abstinenz von Farben auszeichnen zu müssen. Dadurch wurde der schwarze Gelehrtentalar der Reformation im 18. und 19. Jahrhundert zur Standeskleidung der Pfarrer, dem die Römische Kirche das immer glanzvollere Priesterornat entgegenhielt (vgl. Art. 73 § 4.).
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Abb. 72.18: Caspar David Friedrich (1774⫺1840), „Kreuz im Gebirge“ (sogenannter Tetschener Altar), 1808. Rituelle Figuren (Rahmen) und individuelle Figuration (Gemälde) deuten sich gegenseitig (nach Volp 1993, I, 483).
2.
Theoretische Aspekte der Theologie, Philosophie, Sprachauffassung und Rhetorik
2.1. Renaissance und Reformation Die Umbrüche des 16. Jahrhunderts wurzeln in der Auffassung, daß die Zeichen (⫽ Hand-
lungen/Worte) nicht durch ihrer Natur nach dunkle Dinge bewirkt sind, sondern sich auf zuvor längst bewußte und bekannte Sachverhalte beziehen. Sie beanspruchen also für sich selbst Geltung, sofern sie in bezug auf offene Sachverhalte („res“) von anderen Zeichen interpretiert werden. Und sie deuten sich dem Subjekt, unabhängig von einem nur weni-
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gen zugänglichen dunklen Welt-Bild und -System, in einem unendlich (genauer: perspektivisch) erscheinenden Raum gegenseitig. Die Wirklichkeit der Zeichen wird selbst in Bild, Symbol und Ritus als berechenbares (A. Dürer) oder glaubwürdiges System (Reformatoren) durchschaut und rekonstruiert. So gelten auch Bilder und Riten als „Schriften“, deren Botschaft unsre Augen lesend rekonstruieren. Der Zusammenbruch theologischer Systeme (z. B. der Transsubstantiationslehre; vgl. Art. 62 § 3.) geht einher mit einer Neubewertung der Artes liberales, insbesondere der Grammatik, Dialektik und Rhetorik, und führt damit zur Neuentdeckung von Augustins Semiotik. Mit ihm verwirft man einen Dualismus, der die Zeichen zu Elementen eines spekulativen Systems erklärt; die Abneigung der Humanisten und Reformatoren dagegen führt dazu, das Signum als Handlungselement in bezug auf die Intelligenz handelnder Subjekte in bestimmten Situationen zu fassen: Zeichenvorgänge haben einen didaktischen Wert („docere“), der exhortative, informative oder ähnliche Funktionen hat. Dieser steckt aber, wie jede Perspektive, voller Fallen, die sich das menschliche Wissen selbst bereitet. Die „vox articulata“ (Signifikant) ist nur durch bestimmte Umstände dank sprachlicher Systeme („nomina“) auf Bedeutungen bezogen (Signifikate), mit deren Hilfe die „res“ gedacht werden kann. Somit ist ein direkter Zugriff auf die „res“ im Signifikat nicht möglich, sondern immer nur semiotisch vermittelt denkbar; es handelt sich um einen Prozeß, in dem der Sinn der „res“ in einer Vielzahl neuer Zeichenbeziehungen zum Vorschein kommt. Das Signum verwirklicht „res“ nur durch Funktionsbezüge. In jedem Zeichen ist Wissen enthalten, unabhängig von der Sache, die es bezeichnet (Augustin, De magistro; Confessiones X u. a.). Zur Bewältigung dieser neuen Aufgabe bieten Humanisten (die Protagonisten der Renaissance) und Reformatoren unterschiedliche Erklärungsmodelle an. Abgesehen von den in der Rhetorik und Grammatik neu entdeckten Zeichentheorien schichtet sich auch das Gewicht des Wertekosmos etwa so um: ⫺ die Sprache ist das wichtigste Instrument menschlicher Kommunikation; ⫺ es gibt unterste Texte, die eine gleichsam absolute Priorität besitzen, auch wenn sie durch menschliche Vereinbarung, wie z. B. die Kanonbildung der Bibel, entstanden sind;
⫺ alle praktischen Aufgaben erschließen sich fast vollständig durch die Neubewertung der Sprache, etwa durch Übersetzungen in die Volkssprache, Übereinstimmung von neuen Lehren mit Theorien praktischen Handelns. Der Diskurs entsteht über die Frage, wie die Zeichen in ihren bisherigen nomina und genera dank neuer Signifikate die religiöse und kulturelle Praxis verändern. Die Folge ist eine Neubegründung europäischer Hermeneutik (vgl. Art. 62 § 5.) und öffentlicher Redekultur (theologische Wissenschaft, öffentliche Predigt und andere kulturelle Umbrüche; vgl. Art. 67 § 3.2.). 2.1.1. Erasmus Erasmus Rotterodamus (1466/69⫺1536) gestand ⫺ von Plato, Origenes, Hieronymus und Augustin beeinflußt ⫺ den äußeren Zeichen die Fähigkeit zu, Mittel zur vollständigen Spiritualität zu sein: als Sprache notwendig für die Erkenntnis, als Ritus erforderlich für die Schwäche des Glaubens. Programmatisch versuchte er, eine Synthese zwischen den bonae litterae und den sacrae litterae der Primärtexte, also der klassischen Texte der Antike, für eine neue christliche Ethik zu finden. Ähnlich wie Dürer Hieroglyphen der neuen Weltsicht schuf, verfaßte Erasmus Zeichenensembles als Epigramme, Kommentare und Anleitungen zum Leben im Sinne der Bergpredigt. Er gab die Werke der Kirchenväter heraus, das Neue Testament und Streitschriften, war selbst aber von irenischer Natur. 2.1.2. Zwingli Huldrych Zwingli (1484⫺1531), angestoßen durch Erasmus, aber auch durch Studien antiker Texte, besonders von Paulus und Augustin, entwickelt Theorien, welche die Unabhängigkeit individueller Glaubenskraft (siehe die Illuminationstheorie Augustins; vgl. Art. 40 § 4.1.) von den in Zeichen bzw. Worten vermittelten Glaubenssystemen und Handlungsaufforderungen herausarbeitet. Seine 67 Schlußreden sind die erste reformatorische Dogmatik in deutscher Sprache. Musikalisch hochgebildet und Sammler von Kunstwerken seiner Zeit, bekämpfte er leidenschaftlich die Idolatrie des Kultbildes und die Behauptung einer Wiederholung des Opfers Christi, weil dadurch eigene religiöse Erfahrungen verhindert werden (2. Züricher Disputation, 26.⫺29. 10. 1523). Punktuell verbannte er sogar die Musik, damit jeder Beteiligte eigenständige Kombinationen der Zei-
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chenzusammenhänge herstellen kann. Zumal die Ästhetik der Bilder verführe dazu, den Votivakt zu perpetuieren und jenseits der religiösen Handlung das Zeichen mit dem Bezeichneten zu verwechseln. Jeder am Gottesdienst Beteiligte soll eigenständig Regeln jener Situation rekonstruieren, wie sie ⫺ aus den biblischen Texten erhebbar ⫺ die Jünger in Gegenwart Jesu zur Zeichenkonstitution verwendeten (vgl.: Action oder Bruch des Nachtmahls, 1525). Das Abendmahlsgedächtnis kann nach Zwingli das Kreuzopfer Jesu nicht wiederholen (vgl. Hebr. 7, 25), weil weder die damalige noch die heutige Situation des Mahls dem Kreuzopfer analog sei, sondern schon von Jesus als symbolisierende Handlung angesehen wurde: dem Abendmahlsvollzug analog sind Erinnerung und Dank. Nur in der Analogie zu diesem Akt könne Glauben entstehen, da damit in Christus nicht nur eine historische Person geehrt werde. Die überlieferten Worte Christi „hoc est corpus meum“ sind als propositio singularis zu lesen; sie sind keine Gattungsanzeige, sondern eine situative Aussage, also eine nur „per notam et demonstrationem“ in die Situation eingebundene propositio. Das „est“ verbindet als Kopula zwei Dinge in einer Situation, meint also keine Existenzaussage. Das „hoc“ bezieht sich eindeutig auf die Handlung, also weder auf den Gegenstand (gegenüber Karlstadt, der behauptet hatte, Jesus habe auf sich selber geschaut) noch auf Substanzen. Die Handlung, in der Jesus sein „corpus symbolicum“ gab, steht für Zwingli im Mittelpunkt: es geht um eine Handlungsanalogie, keine vektorielle Verbindung von Brot und Jesus. Im Streit mit Luther (Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi, 1526 und: Daß diese Worte „das ist mein Leib“ ewiglich den alten Sinn haben werden, 1527) besteht Zwingli darauf, daß die Worte Christi „das ist mein Leib …“ angesichts des Brotes als „Zeichen, Bild und Gedächtnis“, als „Tropen“ als „Abbild“ interpretiert werden. Dem Zentralsymbol „Christus“, wenn es nicht im Wissen aufgelöst werden soll, kann nur eine differente Nomenklatur, können nur „unterschiedliche Worte“ gerecht werden, damit der gleiche Sinn in unterschiedlichen Situationen zum Vorschein kommt. Daraus folgt, daß das Sakrament im strengen Sinn als „Zeichen oder Zeremonie“, d. h. Zeichenhandlung gesehen wird, mittels derer der Mensch glaubhaft macht, daß er entweder „ein Kandidat oder Soldat Christi ist“. Auf die Setzung Christi bezieht sich die aktuelle
1397 Handlung, die darin zum Beweis wird, daß der Zeichenbenutzer dem Tod Christi traut, ihm dafür Dank sagt und am Lob der Gemeinde teilnimmt. Der Umgang mit den Geräten und das Decken des Abendmahlstisches soll also so weit wie möglich analog der Ursprungssituation geschehen. 2.1.3. Luther Martin Luther (1483⫺1546), bewegt von Paulus- und Augustin-Studien, beeinflußt vom Nominalismus W. v. Ockhams, beruft sich häufig ausdrücklich auf die Artes liberales (einschließlich der Musik, die er vor alle anderen setzt) gegenüber den spekulativen Systemen. Alle Zeichen sind kulturell vermittelt, auch wenn sie Gottes Schöpfung zu erkennen geben (mit Augustin: neben den signa data sind signa enuntiata natürliche Zeichenelemente des Wissens). Alle Güter „sind in zwei Stücke in Christo: Gabe und Exempel“ (WA, Kawerau V, 122); nur im Vollzug wird Glaube erkannt, entweder als „frui“ („fides qua“) oder im „uti“ („fides quae“), dem Wissen vom Glauben (⫽ „docere“). Auch sakramentale Zeichen sind grundsätzlich arbiträr, weswegen Luther besonders auf dem Interpretationshorizont der Musik (Gesang) und ⫺ in Metafunktion ⫺ auf dem des „Wortes“ (der freien Rede) besteht. Die Praxisumstände entscheiden über den Sinn einer Aussage: gegenüber Rom werden andere Probleme herausgearbeitet als gegenüber den „Schwärmern“ (zu denen er Zwingli rechnet). Es wirken in Handlungen die Zeichen, der Bezugsrahmen und die Interpretanten zusammen. Insofern ist die Trias seiner methodisch exakten Vorgehensweise in den Schriften durchaus „semiotisch“ (vgl. Volp 1994, 727⫺ 747). Es sind „drei Dinge die man wissen muß vom Sacrament“, daß es sei (1) „äußerlich und sichtlich in einer leiblichen Form oder Gestalt“ als „das Sacrament oder Zeichen“, daß es (2) „in dem Geist des Menschen“ „innerlich und geistlich sei“ als „Bedeutung desselben Sacraments“ und daß es 3. die Aufgabe habe, „beide zusammen zunutz und in den Brauch [zu] bringen“, insbesondere als „Glaube derselben beiden“ (Sermon von dem heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe, 1519: WA II, 727⫺737). Zu 1: Gegenstand der syntaktischen Betrachtungsweise sind „Text und Form“ (Vorrede zum Kleinen Katechismus). Auf unterschiedlichen Ebenen werden gegenseitige Relationen bestimmt: Glaube, Liebe und Hoffnung (ethische Syntax); Glaube, Vaterunser
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und 10 Gebote (katechetische Syntax) sowie die „Marken und Kennzeichen“ der Kirche bzw. „Wahrzeichen der Christen“: „die Taufe, das Brot und das Evangelium“ (1520; WA VII, 720, 32⫺38). Entsprechend lotet Luther die Mißbräuche der Kirche aus: „Gottes Wort verschweigen“, „unchristliche Fabeln und Lügen …“ verbreiten und den „Gottesdienst als ein Werk“ sehen (WA XII, 35⫺37). Analog wird ein Universum von drei korrespondierenden Gottesdienstmodellen entworfen: (a) formula missae (universell erkennbare Sprachelemente), (b) öffentlich erlebnisfähige Formen: „Deutsche Messe“ und (c) ein Modell mündiger Christen, das die Handlungsbereitschaft aller Beteiligten voraussetzt (die „Dritte Weise des Gottesdienstes“; Vorrede zur Deutschen Messe; WA XIX, 44, 70⫺113). Zu 2: Der semantische Horizont steht unter den Bedeutungsachsen von „uti et frui“ („Gesetz und Evangelium“): allen Erkenntnisvorgängen im Zeichen, auch der sakramentalen Handlung, geht immer schon das unverfügbare Testament voraus, dem menschlichen Zeichen das göttliche Zeichen (1520; WA VI, 518, 14⫺15). Begriffe sind auswechselbar (WA XIX, 44, 70⫺113). Selbst Christen sind „heilige Zeichen“ geworden, die sich selbst durch die evangelische Geschichte je neu zu interpretieren haben („Simul Iustus et peccator“; WA IX, 440). Die obersten ethischen Achsen sind „Glaube und Liebe“ bzw. Freiheit und Dienst („Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan […], ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“; WA VII, 20, 25⫺ 21,4) oder auch Hören und Handeln bzw. Loben und Danken (WA IL, 588). Zu 3: Praktische Regeln bestehen in der Kunst als einer unendlichen Aufgabe (WA XXIX, 494, 14 f). Das Bedeutende kann das Bedeutete nie erreichen, erschöpft sich doch Bedeutung nicht in der „Handlung eines Augenblicks“ (WA VI, 534, 31⫺34); es erfährt seine Bedeutung in der Kommunikation der Gemeinschaft bzw. in der Frucht des Tuns (WA VI, 532). Der Glaube ist somit ein Wagnis, „sapientia experimentalis et non doctrinalis“ (WA IX, 98), auf Sinnevidenz in unendlicher Interpretation angewiesen (WA XXIX, 494, 14 f). 2.1.4 Calvin Johannes Calvin (1509⫺1564), von Melanchthon und Luther beeinflußt, maßstabsetzend für die reformierten Kirchen, befaßte
sich besonders intensiv mit Augustins Sakramentenlehre. Das Bewegtwerden (Glauben) vom Werk Christi (illuminatio, frui) ist grundsätzlich nicht beeinflußbar durch das Wissen bzw. die Arbeit an den Zeichen (sacramenta, uti). Die Dummheit, das Volk mit Zeichen zu amüsieren, deren Bedeutung man ihm nicht darlege, hat aber nicht zur Folge das „bloße (d. h. hüllenlose) Anschauen“ Gottes (Institutio IV, 14, 4 f; vgl. 14, 15). Denn die vorausgehende Gnade (Prädestinationslehre), obwohl unabhängig von menschlicher Erkenntnis durch Zeichen („extra usum“), veranlaßt desto mehr, sich derselben zu vergewissern (zur Prädestinationslehre Institutio III, 24). Die absolute Trennung zwischen „signum“ und „res“ ordnet die Wirkung von Gottes Rede nicht menschlicher Predigt zu, sondern dem Glauben (⫽ der „Wahrheit in der Erfüllung von Zusagen“; Institutio IV, 13). Menschen brauchen nicht nur irgendwelche Zeichen, sondern Merkzeichen („Symbole“), die der Situation und ihrer Erkenntnisfähigkeit entsprechen. Dazu hat Christus seiner Gemeinde zwei Zeichenhandlungen (Taufe, Abendmahl) als unterschiedlich gegliederte Signifikanten hinterlassen. Fünf semiotische Funktionen (vgl. Volp 1994, 748⫺760) sind daran bemerkenswert. 1. Um zu entscheiden, ob wir ein Sakrament „gebrauchen oder empfangen sollen“, gilt zunächst „die sicherste Regel“: „Wir sollen in leiblichen Dingen die geistlichen empfangen, als ob sie uns vor Augen gestellt wären“, nicht so, als ob diese „an das Sakrament angebunden oder in es eingeschlossen wären“, sondern weil es uns durch eine bildliche Darstellung die Zuversicht der Erfüllung vermehrt (Institutio IV, 15,14). 2. Das Bild oder die Zeichenhandlung eines Menschen will sein ein „Merkzeichen seines Willens“, indem sie eine Korrelation herstellt zwischen Intention („Dienst am Wort“) und Extension (Üben und Verwalten der Sakramente) (Institutio IV, 1,9; IV, 14,4; IV, 15,14). 3. Die Funktion der Zeichen für das Wissen kann eine unbegrenzte Semiose auslösen, braucht aber ihrerseits als Interpretanten Gebet und Predigt (Vorrede des Genfer Gesangbuches von 1542/43). Als Selbsterkenntnis sind die Zeichenhandlungen „Merkzeichen und Beweis unserer Reinigung“ (Institutio IV, 15,1); „mortificatio in Christo und nova vita“ (15,5) verpflichten im öffentlichen Bekenntniszeichen zu Lobpreis, Reden und Treue (IV, 15, 13).
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4. Da jedes Zeichen zugleich Gott und den Satan bezeichnen kann, besteht Calvin auf „Einfachheit statt Prunk“, „Lauterkeit des Herzens“ statt „Werkerei“, aber auch auf einem jeweils neuen theologischen und politischen System. 5. Die konkrete Handhabung der Sakramente kann je nach Region und Situation unterschiedlich geschehen: „Ob der Täufling ganz untergetaucht wird, ob das einmal oder dreimal geschieht, oder ob man ihn bloß mit Wasser übergießt und damit besprengt“ (IV, 15,19). 2.2. Von der altprotestantischen Orthodoxie zur Aufklärung Die nachreformatorische Epoche ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Emanzipation der Liturgik und Hermeneutik, die sich auf die methodischen Grundregeln der Artes liberales, insbesondere der Rhetorik und Grammatik, berufen. Epochemachend für das deutschsprachige Bildungswesen ⫺ mit starken Einflüssen auch auf den Katholizismus ⫺ war Luthers Freund und Berater Philipp Melanchthon (1497⫺1560). Er schuf nicht nur die Grundlagen der Gelehrtenschule sowie die bis ins 18. Jahrhundert üblichen Lehrbücher für den Elementar-Unterricht, sondern war auch maßgeblich für die Propädeutika der Universitäten, der Neugründungen ebenso wie der reformfreudigen. Aristoteles, Plato, die Stoa und Cicero lieferten das Arsenal methodischen Argumentierens; Melanchthon wendete die rhetorischen Grundbegriffe auf das Studium der Bücher an. Das antike Verhältnis von „caput“ und „membra“ geriet zum Postulat: alle einzelnen Zeichen sind aus dem Ganzen und das Ganze aus allem Einzelnen zu verstehen. Melanchthon förderte das Interesse an der kopernikanischen Lehre und wirkte als Quellensammler anregend. Sein Hauptwerk, die Loci communes (1521) mit dem Prinzip „sacra scriptura sui ipsius interpres“ („die Heilige Schrift ist verständlich aus sich selbst“) hatte nicht nur auf die altprotestantische Dogmatik, sondern auch auf die Hermeneutik der Aufklärung Auswirkung. Semiotisch ist die Epoche noch unerforscht (vgl. Art. 62 § 3.), obgleich der Begriff „Semiotik“ nicht gerade selten vorkommt (vgl. J. C. Dannhauer; s. u. § 2.2.2.). Im Rahmen dieses Artikels sind so nur einige erste Hinweise möglich.
1399 2.2.1. Gerhard Johann Gerhard (1582⫺1637) führt gegen die Behauptung vom kirchlichen Interpretationsrahmen der Heiligen Schrift (Robert Bellarmini 1542⫺1621) das Postulat von der Selbstevidenz und hinreichenden Vollkommenheit der biblischen Schrift ins Feld. Entsprechend ihrem Charakter sprachlicher Zeichen ist die Schrift allerdings kein Glaubensartikel, sondern nur „principium articulorum fidei“ (Loci theologici; cum pro adstruenda veritate …, I, 11). Die von Augustin übernommene Lehre der inneren „illuminatio“ führt ihn bezüglich der biblischen Schriftsteller zur sogenannten „Inspirationslehre“. Das Verhältnis von „signum“ und „signatum“ ist ein Verhältnis von Wortgestalt und unausschöpflichem Sinngehalt, deren „res“ weder durch kirchliche Lehre noch durch „immediata spiritus sancti inspiratio“ (I, 237 b) bestimmt wird, auch wenn das innere Zeugnis des heiligen Geistes die „perspicuitas und efficatia“ der Schriftzeichen begründet. Die „regula fidei“ ist lediglich der hermeneutische Schlüssel, „Wort und Sakrament“ dagegen sind die „Wahr-Zeichen“, in denen sich Christus selbst offenbart. Da das Lehren (⫽ docere) eine praktische Aufgabe von Apologetik bzw. Polemik ist, entsteht kein in sich konsistentes System, sondern eine Hierarchie von Bedeutungsachsen, ausgehend von der Dialektik von „Gesetz und Evangelium“. Intention und Extension von Gottes Wort, Glauben und Wissen bilden jeweils situationsadäquate Achsen im Legitimationszusammenhang. Insofern kann man von einer semiotischen Denkweise im Sinne dieser Trias sprechen: ⫺ Alle Lehre ist entscheidbar auf dem Hintergrund von semantischen Bedeutungsachsen; ⫺ ihr vorgelagert ist die Lehre von der Heiligen Schrift, eine Hermeneutik der Syntax aller biblischen Zeichen, die ihre Rahmenbedingungen in sich selbst haben; ⫺ der Artikel „de usu“ schließt jeden anderen Artikel ab. Eine ähnliche Einteilung zur Liturgik (Trias von „necessitas“, „utilitas“ und „modus“) findet sich auch andernorts (vgl. z. B. J. Molther 1599, Zur Liturgik). In dem Maße, in dem sich historisches Wissenschaftsinteresse und empirisch gelenkter Pragmatismus vom bisherigen Ethos und Pathos der Künste emanzipieren, verliert auch das Bewußtsein gegenüber religiös in sich evidenten Zeichenkomplexen an Überzeugungskraft.
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2.2.2. Dannhauer Johann Conrad Dannhauer (1603⫺1666), Professor für Rhetorik und Theologie in Straßburg, hat als Schüler J. Gerhards und als Lehrer des einflußreichen Pietisten Ph. J. Spener einen nicht zu überschätzenden Einfluß auf die Methodologie des 17. Jahrhunderts ausgeübt. Seine Idea boni interpretis (1630) stellt eine „hermeneutica generalis“ als „modus sciendi“ für die drei höheren Fakultäten auf. Erst recht sein Buch Hermeneutica sacra sive methodus exponendarum sacrarum litterarum von 1654 hat ein neues Fundament rhetorischer Regeln des Bezeichnens und Organisierens von Rede gelegt, die die „Kunst des Lesens“ einbezieht. Im Gegensatz zur synthetischen Methode des Aristoteles entwickelt Dannhauer eine „methodus resolutiva“, d. h. eine „hermeneutica analytica“, die als Vorstufe analytischer Logik gilt. Wahre und falsche Folgerungen einer Aussage festzustellen ist unabhängig von der Wahrheit der Dinge. Über Thomasius vermittelt, wurde dann die Unterscheidung zwischen Meinung und Wahrheit zum Thema der Philosophen in Halle (Chr. Wolff u. a.). Den dogmatischen Stoff trägt Dannhauer in symbolisch-allegorischer Form vor (Hodosophia christiana sive Theologia positiva, 1649; viele Auflagen). In seinem Liber conscientiae pertus sive theologia conscientiaria von 1662/ 1667 stellt er „alle sittliche Betätigung im Lichte einer fortdauernden Gewissenskur dar, an der sich eine Jatrik und Therapeutik, eine moralische Physiologie, Pathologie und Semiotik beteiligen“ (Bosse 1898, 464). 2.2.3. Die Theologie der Aufklärung Die meisten Theologen der Aufklärung argumentieren selbstredend mit dem Zeichenbegriff. In seinem Buch von 1706 über die Elemente einer instrumentellen Philosophie behauptet Johann Franz Buddeus (1667⫺ 1729): „signa seu notae sunt infallibiles“ („Zeichen oder Begriffe sind unfehlbar“). Denn das Zeichen ist immer „prius signato“ (297). Das Zeichen ist „quod potentiae cognoscendi aliquid repraesentat“. Buddeus unterscheidet zwischen dem „signum naturale“, was von Natur aus „cum signato cohaeret“ (also kein bloß natürliches Zeichen!), und dem „signum arbitrarium“, welches zu einem zu Bezeichnenden aus göttlicher oder menschlicher „institutio“ („Einsetzung“) zugesprochen wird. Als Bezeichnetes dagegen gilt dasjenige, „quod potentiae cognoscendi
per signum repraesentatur“ („was dem Erkenntnisvermögen durch das Zeichen vergegenwärtigt wird“; 297). Der Streit um die „subtilitas intelligendi et explicandi“, ergänzt durch die „subtilitas applicandi“ (J. J. Rambach, 1693⫺1735), läßt eine Methodik aufscheinen, die Urteilskraft verlangt, welche nicht selbst wieder durch Regeln gesichert werden kann ⫺ ein durchaus semiotisches Erbe. 2.3. Hamann Johann Georg Hamann (1730⫺1788), Vorläufer der analytischen Sprachtheorien, hatte erhebliche Wirkungen auf den Sturm und Drang, den frühen Idealismus, Herder, Goethe, die Romantik, Hegel und Kierkegaard (vgl. Art. 77). Nach ihm dürfen Symbolbegriff (1) und Zeichenbegriff (2) nicht verwechselt werden. 1. Will man „die Geschichte des menschlichen Geschlechts und der Seele“ erfassen, dann ist vor aller allgemeinen Betrachtung der Historie die Sprache zu studieren (1759; Briefwechsel I, 393). In der Kritik an der Verbalinspiration ebenso wie an den Unzulänglichkeiten der Historiker zitiert er immer wieder Luthers Votum, daß die Theologie nichts anderes zu sein habe als eine Grammatik der Heiligen Schrift (Briefwechsel II, 90). Denn die Sprache arbeitet mit Symbolen, die etwas „bedeuten“, in denen „gediegene Bedeutung aufbewahrt wird“ (N III, 305). Symbolische Lehrbücher enthalten das anerkannte Bekenntnis einer religiösen Gemeinschaft (N II, 209). Wiewohl der Ausdruck „Symbolum“ „den Mysterien der Heiden entlehnt“ ist, ist es etwas, woran man etwas erkennt als Losung, Sinnbild oder Glaubenssatz (N III, 147, 150; V, 315). Dank Gottes Demut hat auch die Sprache Geschlechtlichkeit („vestigia trinitatis“): „Er, Sie, Es“ (N III, 179) sind Symbole seiner Selbstdarstellung. 2. Das „Zeichen“ setzt Hamann gleich mit der „Idee des Lesers“; „nur er selbst kennt“ es; es ist des Autors „Muse und Gehilfin“: der Autor baut das „Bild und den Leib des Lesers aus den feinsten Adern des beredten Pluton […]“ (N II, 358). Autoren und Leser erschaffen sich jeweils neue künstliche Sinnesapparate, um wirkliche Gegenstände zu bestimmten Begriffen und wieder diese Begriffe zu sinnlichen Anschauungen durch abstrakte Zeichen zu verwandeln (N III, 387). So besitzt die Sprache ein „ästhetisches und logisches Vermögen“ (N III, 288): indem sie Anschauungen aufnimmt und Begriffe denkt,
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liegt das ästhetische Vermögen darin, daß sie Laut und Buchstabe ist. Töne und Buchstaben nämlich sind ⫺ ohne es zu wissen oder zu wollen ⫺ Zeichen der Gedanken (N III, 238). Das logische Vermögen beruht auf der Fähigkeit, die Zeichen mit den vorhandenen Bildern zu verknüpfen. Als Einheit beider Vermögen ist sie vor dem Denken da: als Wesen, das eine Sprache hat, vermag der Mensch etwas zu verlauten und etwas zu bezeichnen (N III, 288). 2.4. Herder Johann Gottfried Herder (1744⫺1803) besteht im Gegensatz zu Kants transzendentalphilosophischen Spekulationen darauf, einen Inbegriff aller Zeichen als Erkenntnismedium zu suchen, den er in der Sprache findet (S VIII, 197; XXI, 96; X, 164; vgl. Art. 77 § 1.). Was über Hamann hinausgeht, sei ebenfalls entsprechend den Ausdrücken „Symbol“ (1) und „Zeichen“ (2) unterschieden. 1. Die symbolische Handlung, Statthalter einer praktischen Wahrheit, steht am Ursprung der Sprache (Von Religion, Lehrmeinungen und Gebräuchen, 1798; M XVIII, 255). Ihr Vorzug ist, „daß, indem sie durch sie selbst spricht, sie vielseitig gedeutet werden kann und jedem nach seinem Gesichtspunkt etwas Neues sage“ (M XVIII, 252). Der exemplarische Charakter ⫺ in Christentum, Taufe und Abendmahl ⫺ macht sie zum Zeichen ihrer ursprünglichen Kraft. Rituelle Wiederholung stellt Verbindung mit dem Ursprung her. Hermeneutische Regeln haben darauf zu achten, daß der Sinn der Ursprungshandlung nicht durch Lehrmeinungen überdeckt wird („Die Lehrmeinung spricht, und die Sinne der Wähnenden, von ihr tantalisiert, schweigen“; M XVIII, 242). Will der Sinn der ursprünglichen Handlung zum Vorschein kommen, dann sind zu unterscheiden: a. Der Kern der Handlung: Wie hat „ihr Erfinder […] symbolisieret“? (M XVIII, 255; vgl. 188). b. Welche Ursprungselemente enthält die „authentische Erklärung“ des Urhebers? c. Welches sind die begleitenden Umstände, gleichsam „die Seele der Handlung“, die auf die Veranlassung, den Zweck sowie den Charakter des Handelnden in einem bestimmten Moment schließen lassen? (M XVIII, 255). Hermeneutik hat also die Aufgabe, die sekundären und tertiären Symbolisationen, die sich über die ursprünglichen allmählich geschoben haben, kritisch zu befragen. Dabei sind drei hermeneutische Grundregeln zu beachten: die große Regel
1401 unserer Natur, die höchste Regel aus dem Gefühl des Zusammenhangs als eines Ganzen in unserem Selbstbewußtsein und die „innigste Regel“ der Religion, welche aus der „sich verstärkenden Gemeinschaft“ ihre Wirkung bezieht (M XVIII, 238). 2. Im Sprechen zeigt der Mensch, daß er „zum Vernunftgebrauch organisiert“ ist (S XIII, 91, 115). Daher ist schon das Denken ein innerliches Sprechen (S XXI, 88). Alle Tatsachen, die wir als Zeichen wahrnehmen, sind Gesetze einer inneren Struktur. Deshalb besteht die „Sprache des sinnlichen Menschen“ zunächst aus „Bildern und Zeichen, welche die Handlungen über den Augenblick hinaus festhalten“ (Älteste Urkunde des Menschengeschlechts, 1774, S V, 140). Da jede Erfahrung zwischen Ausdruck und Begriff unterscheidet, sind die Regeln zu suchen, welche „Worte in der Schrift, Bilder in Zeichen, Töne in Zügen“ analysieren helfen (S V, 151). Auf der synthetischen Seite ist alles Sprechen eine Kunst, welche nicht Ideen illustriert, sondern ursprüngliche Ideen verkörpert. „Leibhafte Form ist der Tempel. Und Geist die Gottheit, die ihn durchhaucht“ (Plastik. Wahrnehmungen über Form und Gestalt an Pygmalions bildendem Traum, 1778). Deshalb braucht die Kunst, sowohl die der Auslegung wie die des Bildens, „Besonnenheit“ in der Verbindung von Empfindung und Erkennen, eine Art Metakritik als „inneren Sinn“, der alle niedrigen Seelenkräfte „umfaßt und zu […] einem höheren Eins“ erhebt (S XXI, 87). 2.5. Schleiermacher Friedrich Schleiermacher (1768⫺1834) hat in Auseinandersetzung mit I. Kant (vgl. Art. 74 § 2.) ein bislang noch nicht ausgewertetes semiotisches Instrumentarium erarbeitet, das einen erheblichen Einfluß auf die neuzeitliche Pädagogik, Hermeneutik, Sprachphilosophie, Soziologie und Theologie ausgeübt hat (vgl. Art. 74 § 8.). Ein auch nur ungefährer Einblick in das schwer zugängliche umfangreiche Werk muß an dieser Stelle aphoristisch bleiben. Einem allgemeinen Überblick (1) folgt ein Hinweis auf die Zeichendefinition der Frühzeit (2), auf seine Theorie des darstellenden Handelns (3) und die ausdrücklich semiotische „Trilogie“ (4). 1. Schleiermachers Interesse an der neuzeitlichen Bestimmung eines autonomen Religionsbegriffs bringt ihn zu einer prozessuralen Methodologie, welche ⫺ im Gegensatz zur idealistischen Philosophie (deren oberste
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Begriffe sind ihm bloße „Einfälle, Erzeugnisse des freien und künstlerischen Denkens“, DJ, 602, 607, 565) ⫺ als offenes System sowohl Wissenschaftstheorie und Ethik als auch Einzeldisziplinen, die Theologie eingeschlossen, beschreibt. Bewußtsein ist nur „Symbol“ des bezeichnenden Handelns, das „unmittelbarste freilich“ (E 573; vgl. 433; 586); andererseits ist aber jedes Symbol immer schon organisierte Vernunft (E 247; 425 u. ö.). Alles Handeln der Vernunft in der Natur ist bezeichnende Tätigkeit; da keine Wissenschaft einen unmittelbar gewissen Satz an ihre Spitze stellen kann (E 245), konstruiert Schleiermacher eine Ethik, die „alles wahrhaft menschliche Handeln umfassen und verzeichnen“ kann (E 246). Sie ist selbst nur „vorläufige Bezeichnung des Lebens der Vernunft und dieses in seinem notwendigen Gegensatz ist Handeln auf die Natur“ (E 247). Deshalb hat auch das Gefühl („etwas zu tun“) erkennende Funktion, ja es gibt „Zeichen“ wie z. B. leibliche „Gebärden“, die sich „verhalten […] zum Gefühl ganz wie die Sprache zum Denken“ (ÄO 29). So ist Ethik nur zu verstehen als Zusammenspiel von symbolisierendem (⫽ erkennendem) und organisierendem (⫽ bildendem/gestaltendem) Handeln, von Gemeinschaftsbildung und Persönlichkeitsbildung, von nicht übertragbaren und übertragbaren Bildern. Erst das Resultat aller ethischen Prozesse in der Menge symbolisierender und organisierender Akte kann als „höchstes Gut“ zur Hypothese werden, die selbst wiederum nur als Bezeichnung eines Resultats dient, das durch die Wirkungsgemeinschaft aller einzelnen hervorgebracht wird (E 584 u. ö.). Symbole sind also immer nur „approximative“ Werte (E 425). So wird selbstredend auch der allgemeine Begriff der Religion wie der Kirche in der so verstandenen Ethik aufgestellt (GL § 2.2). 2. „Zeichen sind nöthig“, da selbst „von dem, was wir in unsrer Seele gewahr werden“, keine unmittelbare Mitteilung möglich ist: das Zeichen löst Empfindungen aus, welche für den Produzenten wie den Rezipienten unterschiedliche Erinnerungen herbeibringen, die als „Ausdruck“ miteinander zu vergleichen sind (US 365 f). „Natürliche Zeichen“, zunächst bloße Folgen unsrer Empfindungen, sind Indikatoren, „wesentliche Zeichen“ wirken durch gemeinschaftliche Ähnlichkeit; dagegen wird die semantische Bindung an die Sache durch die Verabredung „willkürliche Zeichen“ genannt (US 365).
Während sich die natürlichen Zeichen in der Folge von Gebärden und Tönen finden, bedient sich die Bildende Kunst ikonischer Funktionen; die Worte werden zu den willkürlichen Zeichen gezählt: sie bedürfen der Sprache, die Schleiermacher als „allgemeines Bezeichnungssystem“ inauguriert (US 365; DO 372 f). ⫺ Die Allgemeinheit der Sprache versteht sich entweder als Schema (Resultat) eines Prozesses oder als dessen Propositum (Urbild). So sind selbst Begriffe immer nur „schwebende Einheiten“ (DO 196, 342 f; vgl. 133), lediglich dem Willen zur Übereinstimmung von Intension und Extension im Sinne sokratischer Begriffsbildung gedacht. Das Wissen ist deshalb als ein System „von Folgerungen an einem bestimmten Punkt“ zu denken (E 319), weil es Schemata (Gattungsbilder) gibt, die in ihrer Abstufung nicht des Denkens bedürfen, sofern sie nicht dem andern zum Bewußtsein gebracht werden wollen (Psychologie 247). Die Idee des Schematismus kommt am besten in der „Gebärdensprache“ zum Vorschein (Schleiermacher nennt Kinder, Taubstumme und Menschen in differenten Sprachen). Die Gebärde will „nichts anderes sein als ein Zeichen“, während auf dem organisierenden System ohne Bedeutung die „Tonsprache“ beruht (E 305; PT 295). Das organisch gedachte Allgemeine wird zum Signifikanten, wenn das Zeichen des Ausdrucks auf ein System schließen läßt, das jenem System entspricht, in dem sich die Ideen als „Totalität aller Erkenntnisacte“ darstellen (E 305). 3. Der Ausdruck „Gefühl“ steht nach Schleiermacher für das Prinzip kommunikativer Kompetenz, beinhaltet also eine Erkenntnisfunktion: es ist „bezeichnende Tätigkeit“ selbst (E 647) unter dem Charakter eigentümlicher Bestimmtheit. Es steuert freie Entscheidungen im Bewußtsein „schlechthinniger Abhängigkeit“, ist also gleichzusetzen mit der „Stetigkeit des Selbstbewußtseins“ (E 646). Sofern der Mensch durch das Allgemeine „zum Bewußtsein seiner Freiheit gelangt“ (ÄO 83), ist er zu einem „permanenten Bewußtsein des Göttlichen in sich selbst“ fähig (ebd.). Diese Permanenz des religiösen Gefühls kann also nicht Ausdruck eines allgemein Gedachten sein, sondern konstituiert sich durch unendlich viele „Zeichen eines Allgemeinen“ in jedem Produzierenden (PT 71). „Das Einzelne ist nur wahr, sofern es das Allgemeine des Produzierenden in sich trägt“ (ÄO 80). Deshalb bestimmt Schleiermacher das Verhältnis von individuellem Allge-
72. Zeichenkonzeptionen in der Religion
meinen zum sozialen Allgemeinen als das Verhältnis des Glaubens zum Wissen bzw. des Umgangs mit Signifikanten des Glaubens zum Bezeichnungssystem Sprache. „Wenn das Bilden der Phantasie in und mit seinem Heraustreten Kunst ist, und der Vernunftgehalt im eigenthümlichen Erkennen Religion, so verhält sich Kunst zu Religion wie Sprache zum Wissen“ (E 324 f). ⫺ Im Mittelpunkt des sozialen Lebens steht das „Fest“ als „Tätigkeit selbst“, d. h. Kompetenz und Performanz von Regeln erhöhten Bewußtseins (PT 71; CS 61). Wichtigster Vorgang ist die „Darstellung des Undarstellbaren“ (Mimesis). Gemeint ist nicht der subjektive Ausdruck von Ideen, sondern die Organisation von Signifikanten, die für das Einströmen des Unbekannten Raum bieten: „Das darstellende Handeln ist das In-die-Erscheinung-treten der Gemeinschaft selbst, also auch dasjenige, wodurch die Gemeinschaft erst ein Object des Bewußtseins werden kann“ (CS 513). Ihr Prinzip, die Liebe, macht, daß repräsentative Funktionen durch Korrektive Wirkungen hervorbringen, in denen sich „die beständige Realisation des menschlichen Wesens selbst“ (CS 517) zeigt. Sprache ebenso wie Kunst sind Darstellungsmittel, die sich zum Wissen bzw. Glauben verhalten wie „Form“ zu „Stoff“ (CS 528; PT 789). Kunst ist zwar freie Produktivität, im Gegensatz zu Fichte kommt jedoch das Gefühl nur im Subjekt zustande; es wird nicht vom Subjekt bewirkt, da es immer schon kulturell kodiert, im Lichte einer Einheit erschlossen wird, die ihrer Verfügung entgleitet. Die innerste Einheit des Lebens ist als solche immer nur vorausgesetzt gedacht, nie „Gegenstand“ für das Bewußtsein (E 576). Das individuelle Symbolisieren an der Kunst („Selbstmanifestation“) wird also von innen begrenzt durch das Organisiertsein in der Sozialität. Der unüberwindbare Bruch einer „fehlenden Einheit“ (DO 290), uneinholbar selbst dem Gefühl bewußt als Kluft zwischen dem „Sich-selbst-setzen“ und dem „Sichselbst-nicht-so-gesetzt-haben“ (GL § 5), macht die Semiose zu einem notwendigen Instrument menschlichen Bewußtseins (vgl. R 182 f). 4. Eine Enzyklopädie der Theologie verfaßt Schleiermacher als „Trilogie“ (KD 13) syntaktischer, semantischer und pragmatischer Theoriebildung. Die Syntax „religiöser Lebensmomente“ umfaßt die gesamte „Entwicklung der Religion von den ersten Symbolen des Alten Testaments an bis in die gegenwärtige „Statistik“ (KD 11 f). Die
1403 „Kenntnis des zu leitenden Ganzen“ kann nur als „Ergebnis der Vergangenheit begriffen werden“ (KD 11). Da „sich das Mißverstehen von selbst ergibt und das Verstehen auf jedem Punkt muß gewollt und gesucht werden“ (HF 92), kann die Differenz der Zeichensysteme nicht induktiv, aber die Kombination möglicher Inhalte auch nicht deduktiv gewonnen werden. Deshalb entwickelt Schleiermacher eine Methodik der sogenannten „Divination“, welche ⫺ ähnlich wie die Abduktion bei Ch. S. Peirce (vgl. Art. 100) ⫺ auch unbewußtes Schließen intersubjektiv nachvollziehbar ausweist. Divination ist eine Weise, Tätigkeit und Fähigkeit des Erkennens auch als Hypothesenbildung in der Form des logischen Schlusses zu begreifen (Daube-Schakkat 1984, 263⫺278). ⫺ Die sogenannte „philosophische Theologie“ (KD 13⫺30) ist deshalb im strengen Sinne „semantisch“ zu nennen, weil sie ihren Sinn nur durch die „Einwirkung ihrer Resultate auf einen unmittelbaren Lebensmoment“ erhält (KD 99). Philosophie ist Kritik differenter Bedeutungsregeln hinsichtlich des Verhältnisses idealer Intention zur realen, d. h. situationsadäquaten Exposition. ⫺ Praktische Theorien fragen nicht nur nach der „richtigen Methode“, sondern dank Klassifikationen und Strukturierung nach dem Verhältnis von „Masse und Einzelnen“ in Entscheidungssituationen (KD 99 ff), nach der Methodologie eines Problemfeldes. Zusammenfassend (zu § 2.5.) ist zu sagen: Alle Notationen der Kultur werden bei Schleiermacher 1. als Syntax der Symbole, 2. als Beziehung zum Objekt und 3. als „Organ für beides“ angesehen (E 88). „Alles soll Jedes sein, nur in verschiedener Beziehung und zwar nicht für die Persönlichkeit, sondern für die Vernunft“ (E 93). Insofern setzt sich Schleiermachers Methodologie von der späteren Symboltheorie ⫺ etwa Creuzers ⫺ ab, als zwar Symbole immer schon strukturierte Texte sind, jedoch nur im situativen Zeichenvorgang des Mitteilungsaktes ihre Funktion erfüllen. „Mitteilende Darstellung“ und „darstellende Mitteilung“ ermöglichen die gegenseitige Überprüfung der Zeichenkomplexe von Kommunikation. Insgesamt (zu § 2.) ist festzustellen, daß die anbrechende Neuzeit und die heraufziehende Moderne in Europa wesentlich durch den Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Hermeneutik geprägt waren. Seit der Renaissance verlangte man den Rückgriff auf die Urtexte als
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
Grundlage humanistischer Bildung, und die Reformation war eine Konsequenz dieses Verlangens. Parallel zur vorurteilslosen Erforschung der Urtexte forderte man jedoch auch eine vorurteilslose Erforschung der Natur. Das von Rene´ Descartes formulierte Ideal der Mathesis universalis und die von Leibniz angestrebte Characteristica universalis sollten das menschliche Wissen auf mathematisch auslegbare Grundlagen stellen. Um die Konkurrenz zwischen diesen beiden Wissenschaftsidealen zu überwinden, bedurfte es der Mathematik wie der Textinterpretation gleichermaßen fähiger Geister wie Friedrich Schleiermacher und Charles S. Peirce. Beide versuchten eine Lösung auf der Basis von Überlegungen über die Natur der Zeichen. Die Konsequenzen des Peirceschen Ansatzes für die Zeichenkonzeptionen der Religion untersucht Art. 87.
3.
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73. Sign conceptions in everyday life
73. Sign conceptions in everyday life from the Renaissance to the early 19th century 1. 2. 3. 4. 5.
A topic with dim contours The subject as an agent of signification Certainty turning inwards Theatricality of the outside world Sincerity, expression and the risks of representation 6. State-representation and the resistance of opacity 7. Selected references 7.1. Sources 7.2. Secondary literature
1.
A topic with dim contours
The idea of casting the numerous sign conceptions that emerged in European everyday life between the Renaissance and the early nineteenth century into the form of a historical narrative is so full of pitfalls that it might appear as an act of intellectual daring to venture upon such a project. For, first of all, identifying the phenomenal level to which the complex notion of “sign conceptions in everyday life” is meant to refer poses a particular difficulty (cf. Art. 48 § 1., Art. 59 § 2., and Art. 88 § 3.). Should it come close to what Michel Foucault brought to light through his epistemological archeology: “l’expe´rience nue de l’ordre et de ses modes d’eˆtre […] entre l’usage de ce qu’on pourrait appeler les codes coordinateurs et les re´flexions sur l’ordre” (“the naked experience of order and its modes of being […] somewhere between what we can call the coordinating codes and the reflections on the phenomenon of order”; Foucault 1966, 12 f)? It is clear that the (meta-)history of reflections on sign-codes, which Foucault mentions in the first place, is assigned to other parts of this Handbook, and that the codes proper (as stocks of social knowledge), belong to the field of social history, rather than to semiotics. Is, however, that “naked experience of order and its modes of being” which Foucault has in mind even capable of historicity? In this article, I will be working upon the assumption that what imposes itself as quasi ‘ontological’ evidence of order and structure in acts of everyday experience can be interpreted as a phenomenal layer which in fact depends on a variety of historically specific conditions. While sociologists have come to define the presuppositions constitut-
ing this layer as “basic elements of social knowledge”, they appear as sign conceptions specific to various everyday cultures as soon as they become manifest in institutionalized techniques of signifying (cf. Art. 15). Once circumscribed, however, our topic confronts us with a series of further problems. It is clear, for example, that instead of exclusively reducing the scope of the investigation to ‘popular’ layers of past societies, the adjective “everyday” emphasizes the aspect of institutionalization in the phenomena we thematize. Nevertheless, everyday culture does include “popular culture”, thus confronting us with the notorious problem caused by the lack of primary sources for sociohistorical contexts where writing was not routine. In reconstructing these spheres, we will have to rely mostly on descriptions provided by intellectuals ⫺ descriptions which are of course influenced by their authors’ specific perspectives (cf. Art. 59 § 2.). But even if we were able to dismiss this difficulty, it cannot be taken for granted that the various sign conceptions occurring on various levels of past societies and in various national contexts will let themselves be totalized in all-encompassing descriptions. Furthermore, it is not obvious that the sequence of such common denominators, should they exist at all, will end up constituting the form of a history. Specifically, this last difficulty has often been alluded to as a reason for the impossibility of periodizing everyday culture in early modern Europe (Burke 1987, 102). We simply seem to observe too many overlapping shifts, beginnings and relapses for a clear-cut history to be traced. In other words, to write the following pages required the decision to behave in a more daringly Hegelian way than the present epistemological discussion would normally allow; furthermore, even under such a premise, the status of this article will at best be no more than that of a challenge for more detailed research in the future. With such an apology, the question arises whether the analytical repertoire offered by semiotics is sufficiently differentiated to do justice to the amazing variety of sign conceptions encountered in three and a half centuries of European culture between 1450 and 1800. Only three basic models of totalization come to
1408
IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
mind. Signifier and signified can be experienced as (1) fused, as a unity which seems to refute the possibility of a distinction between them; (2) as mutually corresponding or, in other words, as the unity of their distinction; (3) as finding themselves in a movement towards mutual independence, whereby they tend to lose the character of signifier and signified. In order to enrich this relatively narrow range of interpretative models, we will include in our central field of observation the different modes in which the human body was positioned (and sometimes eliminated) both as an agent and/or object of signification. The first historiographical requirement to be fulfilled, then, by our tools of analysis and totalization is the description of a sign concept typical for the various everyday cultures in the European Middle Ages (or, more precisely, a description of the historically specific assumptions preconsciously underlying what was then accepted as the evidence of experience). This will serve as a background against which the specificity of early modern sign conceptions can appear in contrast. Certainly, one basic feature of medieval culture was the belief that, through the event of divine Creation, each object of experience (including the human body) had its specific cosmological place and its inherent meaning(s); furthermore, it was expected that such meanings would remain hidden from human understanding unless they were disclosed through divine revelation. Whereas medieval culture, at least ideally, did not yet regard signification as an act performed by human beings, we will try to show (in § 2. of this article) how early European Modernity can be characterized by the emergence of subjecthood, i. e., through the progressive occupancy of the roles of agency in signification by the human mind. Within this development, the phenomena experienced and the meanings attributed to them were increasingly seen as separated (Gumbrecht 1985). Therefore, the emergence of subjecthood brought forth two new and divergent modalities in the experience of signification. On the one side, it produced the growing conviction that irrefutable evidence could only be encountered in a self-reflective movement towards the inner spheres of the human psyche (§ 3.); on the other side, the rise of subjecthood was accompanied by the feeling that the outside world, as constituted in human acts of signification, was “but a theatre”
(§ 4.). In § 5., we will demonstrate how the European Enlightenment, from the late seventeenth century onward, established a new norm of sincerity against this overwhelming feeling of theatricality, and that the norm of sincerity ended up producing the expectation that the outer appearance of the human body was capable of expressing inner truths (analogous to the visible world representing an invisible world-order). The age of the bourgeois reforms and revolutions around 1800 thus saw both the gigantic effort of the State to institutionalize this world view of ideal transparency and also the beginning of its collapse (§ 6.). Ever since, the opacity of the human body and the materiality of the signifiers have been played out against what is now seen as a simulacrum of transparency and representation staged by the State.
2.
The subject as an agent of signification
In 1513, in a now famous passage of the twenty-first chapter in the Principe, Niccolo Machiavelli presented Fernando de Arago´n, who, with his wife, Isabel de Castilla, ruled over Spain, as the incarnation of the ideal politician: “Nessuna cosa fa tanto stimare uno principe quanto fanno le grandi impresi e dare di se´ rari esempli. Noi abbiamo ne’ nostri tempi Ferrando di Aragona, presente re di Spagna. Costui si puo` chiamare quasi principe nuovo, perche´ di uno re debole e` diventato per fama e per gloria il primo re de’ Cristiani” (“Nothing contributes so much to the esteem in which a prince is held as great exploits and the capacity to set stunning examples. In our times, we have Ferdinand of Arago´n, the present King of Spain. He can indeed be hailed as the new prince because, after beginning his reign as a king with but little power, he has become, in terms of fame and glory, the first king of Christianity”; Machiavelli 1513 ⫽ 1963, 71). In the catalogue of Fernando’s achievements evoked by Machiavelli, one feature recurs, which seems to be regarded as the main reason for the Spanish king’s superiority as a politician: “[…] per potere intraprendere maggiori imprese, servendosi sempre della religione si volse a una pietosa cruelta`, cacciando e spoliando del suo regno de’ Marrani, ne´ puo` essere questo esemplo piu` miserabile ne´ piu` raro. Assalto` sotto questo medesimo mantello l’Africa: fece im-
73. Sign conceptions in everyday life
presa di Italia: ha ultimamente assaltato la Francia: e cosı` sempre ha fatte e ordite cose grande, le quali sempre hanno tenuti sospesi e ammirati gli animi de’ sudditi e occupati nello evento di essi. E sono nate queste sua azioni in modo l’una dall’altra, che non ha dato mai infra l’una e l’altra spazio alli uomini di potere quietamente operarli contro” (“always recurring to religion as a legitimation for increasingly daring actions, he turned to a pious form of cruelty when he expelled the muslims from his reign; this was a both horrible and stunning deed. Under the same religious coat he attacked Africa, led the Italian campaign, and has recently attacked France, and thus he has always achieved great things which kept occupied the spirit and the admiration of his subjects. Each of his actions gave birth to the next so that there was never enough space between them to quietly plan operations against him”). More precisely, it was a structure of duplicity which impressed Machiavelli as a most remarkable innovation. Fernando calculated his actions so that they would not only fulfill their expected military or religious functions, but also so that their appearance and the speed of their performance would serve as a “coat” (“mantello”) under which he could cover future projects. Around 1500, the metaphor of the coat (shield, disguise) was frequently used to designate the capacity for producing deceitful realities and the imposition of their pretended meanings upon one’s enemies in the context of political strategies (Burke 1987, 9 ff). We can therefore read it as a symptom for man’s passage to the subject-role in the act of signification. From first being experienced as inherent to the world of objects and actions, meaning was now transformed into a quality conveyed to or withdrawn from objects and actions by human artifice. Typically enough, Fernando’s contemporaries found this capacity equally characteristic of his wife Isabel (Gumbrecht 1990, 221 ff): she became famous for having suffered labors in the births of her two children without letting any expression of pain appear on her face. On the other hand, Isabel explained, in extensive letters to her confessor, that she had only given in to the temptation of wearing precious dresses under the strategy of impressing her guests, the members of the French court, with such a sign of the economic strength of the Spanish crown. Not by coincidence is the fifteenth century referred to as the historical period in which differences in clothing (which
1409 had been unchangeable elements belonging to different life-forms in the medieval estates) began to be displayed as a surface of individual identity-presentation, especially in festive attire and the garb of mercenaries (Thiel 1985, 153). It is therefore interesting to see that, since the 1530s, Isabel’s forerunners as the rulers of Castille had been harshly criticized by their contemporaries for what we can identify as the one-dimensionality of their appearance. Isabel’s half-brother and immediate predecessor Enrique IV, much to his political detriment, had never even tried to conceal a leaning towards the pleasures and forms of Islamic culture. Juan II, Isabel’s father, had become so completely absorbed in the sphere of an uninterrupted courtly feast organized by his favorite and chancellor Alvaro de Luna that he was thought to have forgotten the everyday world which lay beyond the border of his joyful environment; he had progressively abandoned the ritual functions and even the larger responsibilities belonging to his role as king. However, the new capacity of controlling one’s appearance, of imposing its intended meaning upon others and of hiding behind such facades, had its flip-side in a growing awareness ⫺ and fear ⫺ of the interpretative depth of the other party (without analyzing their interrelatedness, Norbert Elias mentions both concerns as important steps in the “process of civilization”; 1977, I. 69, 101 f). As a reaction to this fear we find, from the 1470s on, a growing number of legal documents in the reign of Fernando and Isabel trying to reinforce the law that obliged Jews and Muslims to mark their religious identity through specific symbols displayed on their clothes (Sua´rez Ferna´ndez 1964, 141 ff). But despite such measures ⫺ and in a climate where the hetero´doxos were more inclined towards conversion than ever before ⫺ the Catholic monarchs ended up falling prey to the projections of their own subjecthood. Contemporary historiography presents their decision to bring the Inquisition to Spain as based on the interpretation of symptoms (mainly the smell of food) which the Jewish inhabitants of Seville could not help producing ⫺ against the appearance of their newly embraced Christianity. “Habeis de saber, que las costumbres de la gente comun de ellos ante la Inquisicion, ni mas ni menos era de los propios hediondos judios, y esto causaba la continua conversacion que con ellos tenian; ansı´ eran tragones y comilones, que nunca perdieron el comer a cos-
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tumbre juda´ica de manjarejos, e´ olletas de adefina, manjarejos de cebollas e´ ajos, refritos con aceite, y la carne guisaban con aceite […]; y el aceite con la carne es cosa que hace muy mal oler el resuello, y ansı´ sus casas y puertas hedian muy mal a´ aquellos manjarejos; y ellos ese mesmo tenian el olor de los judios por causa de los manjares y de no ser baptizados. Y puesto caso que algunos fueron baptizados, mortificado el cara´cter del baptismo en ellos por la credulidad, e por judaizar, hedian como judı´os” (“You must know that, before the Inquisition, their habits were exactly the same as those of the stinking Jews ⫺ and this came from their continued contact with them; thus they were gluttons who never gave up the habit of cooking Jewish food with onions and garlick and of frying their meat in oil […]; and oil with meat produces a very bad smell; and thus their houses and their doors had the bad smell of that food; and they had themselves that smell of Jews because of the food and because they were not baptized. And although some among them were baptized, they repressed the effect of the baptism with superstition ⫺ and because of their Jewish life-style they smelled like Jews”; quoted after Gumbrecht 1990, 238). The symptomatological character of Fernando’s and Isabel’s reaction described in this passage lies both in the fact that what they interpreted as a sign had of course never been intended to be taken as such and in the lack of an institutionalized code that related the smell of certain types of food to religious convictions. Whereas such a ‘reading’ radically ignored the intentions of the monarchs’ potential victims, we know that, less than a century earlier, the pure intention articulated in the act of former Jews becoming christianized had been regarded as sufficient to free them from any suspicion and subsequent persecution. As one might expect, the Spanish Inquisition ended up producing as an effect that which had been presupposed as its cause and legitimation. Under the pressure of the Sanctum Officium, an increasing number of Jews and Muslims returned to the orthodoxy of their religions. Sometimes the Muslims’ situation was eased by the official license of their religion to hide their adherence to Islam by making a distinction between imposed behavior and true intentions “Y si os forcaran sobre beber el Vino, pues bebed lo, no con voluntad de hazer vicio del” (“And if they force you to drink wine, then you may drink it ⫺ as long as you do not drink it with vicious inten-
tions”; quoted after Kruells-Hepermann 1990, 14). Radically different from the expectation of “threefold” or “sevenfold” meaning-levels guaranteed by the medieval reading of the Scriptures (cf. Art. 58 § 3.), this unfolding of a hitherto unknown dimension of depth in the process of interpretation played an important part in the emergence of early Modern European culture. From that time on, interpretative depth also became typical in the reception of texts and paintings (Burke 1984, 151). Our ⫺ opposite ⫺ tendency to classify the bureaucratic cruelty and violence of the Inquisition as typically medieval is probably but a faint contribution to the retrospective legitimation of Modernity (Toma´s y Valiente 1976, 18). What makes the Inquisition singular in the early modern context ⫺ and what perhaps provoked its recourse to physical repression and extermination ⫺ was the new experience of an endlessness of interpretation. If the initial insistence of the accused on their Christian orthodoxy was no longer sufficient to dilute the Inquisitors’ suspicions, which is why they quite regularly proceeded to extract ‘confessions’ under conditions of torture. But, as modern subjects, the Inquisitors even distrusted the ‘evidence’ they themselves produced, thereby making a formal confirmation of such testimony, some days after the torturing, a legal requirement. Quite naturally, the defendants used to recant. This led to renewed torture ⫺ and opened up the unending chain of acts of interpretation that could ultimately only be cut short through the auto da fe´ (Toma´s y Valiente 1976, 17; Lea 1985, 218 ff). Our account of the emergence around 1500 of a new sign conception ⫺ based on the acts of simulation and interpretation as constitutive of modern subjecthood ⫺ could find ample confirmation in the theological debates and political controversies of the Reformation. But it seems to differ widely from Foucault’s description of “la prose du monde” as “episte´me´” of the sixteenth century (Foucault 1966, 32 ff). What he highlights is an enlacement of meanings (“langue”) and things (“objets”), a superimposing of the mapping and the deciphering of phenomena (1966, 44 ff). This archeological reconstruction might well describe, due to Foucault’s concentration on French sources, an intermediate state between the medieval situation of meaning-immanence (as distinguished from an experience of enlacement and superimposing) and the modern disposability of meaning
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Fig. 73.1: Courtly dinner table. Woodcut by Michael Wolgemut from Schatzbehalter, Nuremberg 1491 (cf. Wiswe 1970, 6).
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Fig. 73.2: Upper-class dinner table with intarsia. Bavaria 1743. The inlaid plates, cups, knives, forks, and spoons were to demonstrate high-level dining culture (cf. Jacobeit and Jacobeit 1986, 211).
for the strategies of the subject (not available before the world was perceived as a surface to be read). If we follow Machiavelli, this stage was reached in Spain (and, of course, in Italy) considerably earlier than in the rest of Europe. There is an obvious relation of concomitance between the emergence of subjectivity and the establishment of that “invisible wall of affectivity separating individual bodies”, whose history Norbert Elias has so meticulously described (1977, I.70 ff). Among other areas of behavior, his demonstration focusses on a transformation in the eating-habits. From the late fifteenth century onward, it became regarded as unmannered to pick up pieces of food with both hands (“only three fingers” were a better solution, recommended Erasmus); and the use of individual knives and forks established further distance between the food and the person eating it (cf. Fig. 73.1 and 73.2). In a different context, the institutionalization of the printing press after 1450 was a parallel ‘agent’ in this process of
transformation (Eisenstein 1979). It not only caused a split between signifying as a spiritual act and the now mechanical aspects of text-production, thereby helping to establish the author-role; at the same time, by occupying a space between the writer’s hand and the page covered with characters, the printing press contributed to the completion of a development through which the body was isolated from any intellectual activities. Written language in print became increasingly interwoven with various forms of professional practice (Giesecke 1980). Taking into account the fact that, in medieval culture, the art of writing had been almost exclusively applied to religious functions, one might emphasize among the effects of printing an aspect of desacralization, in addition to the formation of new codes or writing in non-Latin languages. As far as the written representation of quantities is concerned, this development seems to have been completed even before the end of the fifteenth century. Up until 1300, acts of calculating and ac-
73. Sign conceptions in everyday life
counting had been performed through the exclusive use of the abacus; only their final results were represented by Roman numerals. As late as 1299, merchants were formally forbidden to use Hindu-Arabic numerals for purposes of trade (Struik 1987, 81). But the growing complexity of economy, navigation, astronomy and politics brought about an astonishingly swift bridging of this gap between the practice of calculating and the tools of its representation (cf. Art. 51 § 2.). With the introduction of a sign for the zero value, for the empty column on the abacus, the dominance of the manual instrument over the notation of quantities was finally broken (NeillWright 1952, 127 ff). This new “calculability of the world” (Georg Simmel’s term is “Rechenhaftigkeit”) greatly contributed to the rise of bureaucracy in European culture (Burke 1987, 39 and 130).
3.
Certainty turning inwards
As the history of the Spanish Inquisition shows, the price paid for the subject’s new role of active participation in the acts of signifying was the impression of a loss of stability and reliability in the world of meanings. This may have been the ground for a tendency towards self-reflexivity and the impetus for a search of cognitive evidence inside the human psyche, which we can observe after 1500. Self-observation seemed to be exempt from the newly discovered fallacies in the interpretation of the exterior world and, at the same time, it could be perceived as an intellectual gesture protecting against any external control. The classical locus of this inward turn is the very passage in Descartes’ Discours de la me´thode (1636) which leads to the conclusion “cogito ergo sum”. What makes this text so relevant for our purpose is a double strategy invented by Descartes: On the way to philosophical certainty, he disregarded any kind of knowledge which he could not irrefutably claim as dependent of the human mind itself, and, at the same time, he used the fiction of not having a body: “je me re´solus de feindre que toutes les choses qui m’e´taient jamais entre´es en l’esprit n’e´taient non plus vraies que les illusions de mes songes […]. Puis, examinant avec attention ce que j’e´tais, et voyant que je pouvais feindre que je n’avais aucun corps, et qu’il n’y avait aucun monde, ni aucun lieu ou` je fusse; mais que je ne pouvais pas
1413 feindre, pour cela, que je n’e´tais point; et qu’au contraire, de cela meˆme que je pensais a` douter de la ve´rite´ des autres choses, il suivait tre`s e´videmment et tre`s certainement que j’e´tais […]” (“I decided to act as if all the things that had ever come to my mind were not truer than the illusions of my dreams […]. Then, attentively examining my own being and seeing how I could feign that I did not have a body and that there was neither a world nor a place where I found myself; but that, nevertheless, I could not feign that I did not exist and that, on the contrary, from the very fact that I could have the intention to challenge the truth of all other things, it very obviously and very certainly followed that I did exist […]”; Descartes 1636 ⫽ 1966, 59 f). More than half a century earlier and in a radically different cultural context, the (mostly female) discourse of Spanish mysticism had described a strikingly similar introspective movement by focussing on the human psyche as the place of an intimate encounter between transcendency and immanence. In this sphere a double-levelled observation took place: The mystic observed her soul enjoying a vision of God (Luhmann and Fuchs 1989). For our task of interrelating sign conceptions from different fields of everyday practice, it is important to note that the contemplative use of religious paintings as an initial step in the process of mystical experience had become a standard device. From first being an object of veneration (on the basis of the assumption that paintings provided a quasi-magical presence of whatever they represented), they passed on to inspiring veneration through their impact on imagination as a precondition for identification (Burke 1984, 118). In the words of Santa Teresa de Avila (1515⫺1582): “Tenı´a este modo de oracio´n, que, como no podı´a discurrir con el entendimiento, procuraba representar a Cristo dentro de mı´; y halla´bame mejor, a mi parecer, de las partes adonde le veı´a ma´s solo. Parecı´ame a mı´ que estando solo y afligido, como persona necesitada, me habı´a de admitir a mı´” (“I cultivated a form of praying in which, as I could not use my understanding, I tried to imagine Christ within myself; and it appeared to me that the more I saw Him alone the better I was feeling. It seemed to me that, if He were alone and afflicted like a person in need, he would be more likely to let me be with Him”; Teresa de Jesu´s 1970, 84). Of the many ways in which it intensely psychologized religion, what contributed
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most to making mysticism suspect of heresy was the almost complete substitution of vocal prayer by silent prayer, which was part of the tendency to eliminate the human body, as an unreliable element, from acts of experience and signification. For the same reason, Santa Teresa continuously insisted that her visionary encounters with Christ were perceptions “by the eyes of her soul”, with, “however little, the body participating”. The dominant feature of mystical experience was, however, its desire for immediacy. Not only did it exclude ‘understanding’ and ‘memory’; appealing exclusively to the devotee’s ‘will’, the evidence of God’s presence was so overwhelming that it literally did not leave any space for representation. “Bien entiende [el alma] que no quiere sino a su Dios; mas no ama cosa particular de El, sino todo junto le quiere, y no sabe lo que quiere. Digo no sabe, porque no representa nada la imaginacio´n; ni, a mi parecer, mucho tiempo de lo que esta´ asi, no obran las potencias” (“[The soul] understands very well that it does not long but for its God; it is, however, not any particular aspect of Him that it loves, but it wants Him entirely and it does not know what it wants. I say that it does not know what it wants because the imagination does not represent anything in particular; nor, I believe, are the human faculties at work while this is the case”; Teresa de Jesu´s 1970, 129). Quite naturally, however, the shelter which this self-reflective turn offered to various forms of excentric experience and thinking caused an augmentation in the institutional pressures towards confession. What we read as Santa Teresa’s autobiography is indeed a text explicitly addressed to her confessor (and presented as having been requested by him). But it may also be true that, in turn, she quite astutely profited from the legitimacy of this textual form in order to transform the publication and propagation of her new way of religious experience into a calculable risk. As a strategy to assure cognitive certainty, mysticism’s emphasis on the spirituality of experience and signification dominated in the rule for the order founded by Santa Teresa. Any bodily contact (including embraces) among the nuns was strictly prohibited ⫺ not to mention contact with the outside world. Furthermore, conversations in the convent were only considered legitimate under very specific conditions; the faces of the nuns had to be veiled; and their clothes and bed cloths were not allowed to show any color (Santa
Teresa de Jesu´s 1970, 673 ff). To be sure, it was not an attitude of penitence that stood behind such instructions, but rather the decision to radically withdraw from a world of treacherous appearances; for similar tendencies in Protestantism cf. Art. 72 § 1.5.
4.
Theatricality of the outside world
At first glance, the function of fashion at the Spanish court during the second half of the sixteenth century ⫺ which soon became a model for the nobility throughout Europe ⫺ seems to have been similar to the status of clothing in contemporary monastic life. The dominant (non-)color was black, the geometrical style of dresses and outfits (which first popularized the wasp-waist and the corselette) made the contours of the human body disappear, and the increasingly exuberant collars (whose wasteful use of material caused serious economic strain in the early seventeenth century) were meant to emphasize the spirituality of the face (Thiel 1985, 189 ff). But while the veil that covered the nuns’ faces in Santa Teresa’s monastery sealed the reflexive reclusiveness of their spirituality, the general repression of the body in courtly fashion highlighted ⫺ ‘staged’, so to speak ⫺ whichever parts of the body remained visible in the social sphere (cf. Fig. 73.3). By regularly wearing a patch over one of her eyes, the Princess of Eboli, favorite to King Philip II, invented a particularly efficient way of energizing this allusion to the physical aspect of her existence ⫺ against a background of scarcity in the devices of selfpresentation. Similarly, the ceremonial of the Spanish court prescribed that, whenever members of the royal family were walking through a palace, each door had to be immediately locked behind them ⫺ an act that, paradoxically, both assured and publicized their solitude on the social stage. What these examples make us understand is the historical fact that, parallel to the search for ultimate evidence and certainty in the inner sphere of the human psyche, subject-centered signifying generated the complementary realization of the social sphere as a realm necessarily constituted in human interaction (and of interaction producing structures of visible reality even where the main concern was to escape it). But while the twentieth century seems to be particularly impressed by the unavoidability of signifying ef-
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73. Sign conceptions in everyday life
Fig. 73.3: Courtly clothing fashion in the late 16th century. Only the face and the hands were left visible. The face was framed by a huge frill (cf. Racinet 1989, 163).
fects in any kind of interaction (hence the success of the truism that ‘one cannot not communicate’), the Baroque age tended to articulate the equivalent experience in abundant metaphors of theatricality and indulged in a boundless sophistication of self-staging. Under the concept of sprezzatura, its most admirable side had already been exhaustively discussed in Baldassarre Castiglione’s Cortegiano (1528 ⫽ 1968). The ultimate perfection of social behavior, according to him, lay in an elegance that staged itself as if it were natural ⫺ and that he contrasted with affettazione as a style that could not help letting its self-awareness become visible. “Qual occhio e`
cosı´ cieco, che non vegga […] la disgrazia della affettazione? e la grazia in molti omini e donne che sono qui presenti, di quella sprezzata desinvoltura (che´ nei movimenti del corpo molti cosı´ la chiamano), con un parlar o ridere o addattarsi mostrando non estimar e pensar piu´ ad ogni altra cosa che a quello, per far credere a chi vede di non saper ne´ poter errare” (“Which eye is so blind that it does not see […] the awkwardness of affection? And, on the other side, the grace that many men and women among us achieve through that almost contemptuous lightness [thus it is called by many referring to the movements of the body] by which they show in their speech and
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smile and behavior that they are not concerned with anything else and by which they show to those who see them that they are not self-conscious nor can ever be confused”; Castiglione 1528 ⫽ 1968, 76). Theatricality, however, was not an exclusive preoccupation with the repression of symptoms for that selfawareness which now accompanied the acts of signifying. On the contrary, the seventeenth century abounded in elaborate ritualizations of patterns of everyday behavior ⫺ often as seemingly unimportant as the modes of address (Burke 1987, 90). Only slowly are we becoming aware that such marked forms of everyday theatricality, far from following the model of pre-existing forms of theater, were probably the social environment which facilitated the emergence of “theater” in the modern sense. For it is literally impossible to identify an equivalent to modern “theater” among the multiple medieval and early modern forms of performance displaying the human body. The theater-curtain, the invention of independent theaterplots, the professionalization of theater-writers, theater-actors and theater-directors are cultural phenomena which only gained a clear institutional profile during the decades following 1550. Stephen Greenblatt has shown how eagerly Shakespeare, in turn, embraced what he had perceived as the theatricality of contemporary politics ⫺ in order to “energize” such everyday rituals through their re-presentation on his stage (Greenblatt 1988, 21 ff); Caldero´n’s virtuoso play with the dialectics of the stage-metaphor has become proverbial, and the character of the “pı´caro” was built on his (and the other protagonists’) capacity to perform the reality of a social role which the hero knows can never be his. But while such protagonists as Lazarillo de Tormes or Guzma´n de Alfarache are shown as being mainly concerned with representing a social status to which they had no legal access, the contemporary Castilian society was obsessed with the suspicion that beggars, by successfully adopting an appearance of poverty and even of physical mutilation, were accumulating unheard-of riches. In reaction, the bureaucracy of the Spanish State ended up expediting documents that confirmed the status of “sincere and legitimate poverty” (Real Ramos 1988). The threshold between a ‘theatrical’ sign conception (which would finally give up the presupposition of a ‘reality’ as its counterpart) and a practice of signifying dependent
on the firm belief in a sphere of reality lying outside the subject’s manipulative power, may mark an interesting possibility for historical differentiation. From this perspective, it appears as a quite convincing hypothesis that the decay of the Spanish Empire during the seventeenth century was caused, at least in part, by the overwhelmingly successful denial of military defeats and subsequent economic crises. For too long the State and its politicians were acting as if such disasters had never occurred. In this context it may be symptomatic that, for many of Caldero´n’s heroes, the concern with maintaining their honor in the social sphere regularly prevails over potentially divergent personal certainties: In El me´dico de su honra a husband kills his wife after she has fallen under public suspicion of adultery ⫺ although he knows for sure that such blame is unjustified. Similarly, in Quevedo’s picaresque novel El Busco´n there is no reality to be found ‘beyond’ the protagonists’ masks and disguises and, in the last instance, Gracia´n’s rhetoric does not seem to reckon with an ultimate horizon of truth (Gumbrecht 1990, 426 ff). Only a few decades later (and perhaps in a not altogether different political environment), Leibniz brought the repertoire of mathematical symbols almost to its present-day level of complexity (Struik 1987, 88 ff) and based his “lingua universalis”, in opposition to Descartes’ concern with empirical evidence, exclusively on its inherent logical consistency (Dhombres 1978, 167 f). After the integration of everyday practices of calculation with mathematical notation reached around 1500, this was a decisive step in the opposite direction, because it laid the groundwork in mathematics for the emancipation of a pure sign-code from the aspects of its practical application. The signs had learned to exist without a reference to ‘reality’ long before the reality of this reference began to be questioned (cf. Art. 62 § 7.). Perhaps the France of Louis XIV was the one European culture during that historical period never to cross the threshold towards a total loss of the empirical concept of reality. Foucault’s insistence on the referential functions of languages in the “episte´me´ classique” could serve as a confirmation for this view (1966, 86 ff); the practice of anchoring political representation in the quasi-divine presence of the absolute monarch’s person furnishes us with further proof (Apostolide`s 1981, Goubert and Roche 1984, I. 207 ff).
73. Sign conceptions in everyday life
French mathematicians seem to have been more concerned with the applicability of their theories than, for example, Leibniz was. The practical aspect of their thinking could refer to the mechanization of production, as in Descartes’ case, to the nobility’s passion for gambling in dice and cards, which indirectly motivated Pascal’s interest in a theory of probabilities, or, as early as the eighteenth century, to the need of the emerging life-insurance industry for reliable techniques of prognostication (Struik 1987, 103). In contrast to Spain, where the proportion of precious metal contained in the currency was constantly reduced to an amount far below its nominal value (which was not yet mentioned on the coins’ surface) and without such progression ever leading to an understanding of the logic of inflation, the French crown interrupted this practice from 1726 onward, and thus achieved long-term monetary stability. Accordingly, the institutional separation between the economic signifier and its signified through the introduction of papermoney did not become generally accepted in France before the age of the Revolution (Goubert and Roche 1984, I. 58 ff). But if the ancien re´gime showed itself comparatively reluctant in letting the horizons of reference for its signs vanish, it was certainly no less prolific than other kingdoms in its sphere of representation and theatrically (cf. Fig. 73.4 on plate I). What characterizes the court of Versailles in our retrospective is both the constant reference to the State as its signified and the playfulness of its signifiers. Under the reign of Louis XIV, the individual variety of the mercenaries’ clothes was for the first time transformed into a system of uniforms representing, as a complex code, the homogeneity and the hierarchical structure of the French army. The bows and clasps, literally counting by the hundreds, the lace and the silk in which the King’s body was wrapped during the early years of his rule suggested an association with his youthfulness, while his huge wig was meant to connote the lion as king of the literary animal realm (Thiel 1985, 227 ff). What set this style of representation apart from the tradition in courtly self-staging was the dividing line and the distance which it established between Louis and his innermost environment on the one side and the crowds of admiring spectators on the other. For centuries the “entre´e royale”, the ritual of the King’s entering and taking possession of the cities belonging to
1417 his realm, had included the active participation of the townspeople and its officers; from 1662 on, it was substituted by a complex and thoroughly organized spectacle on the “place du Carroussel”, whose actors represented the allegory of a cosmology centered around the French monarch (Apostolide`s 1981, 149). While the distance between Versailles and the capital transformed even the court’s everyday life into an ongoing theatrical event, the feasts held in the royal castle and its garden, which included forms of performance ranging between knightly tournaments and the new genre of come´die ballet, were organized rather to impress the King’s guests than to make them part of his world. During the reign of Louis XIV ⫺ and through most of the eighteenth century ⫺ the custom remained alive to adorn dresses and outfits (sometimes even wigs) with emblems to be deciphered (Thiel 1985, 154, 178). This leads us to a final aspect of theatricality as a historically specific style of signifying. For only by keeping in mind the fact that books were not the normal ⫺ or at least not the original ⫺ place for the presentation and reading of emblems, may we understand the Praefatio to Alciatus’ Liber emblematum, which, after its first publication in 1531, had an almost overwhelming impact on far more than a century of European culture: “Dum pueros iuglans, iuvenes dum tessera fallit / Detinet et segnes chartula picta viros. / Haec nos festivis Emblemata cudimos horis / Artificium illustri signaque facta manu, / Vestibus ut torulos, petasis ut figere parmas, / Et valeat tacitis scribere quisque notis” (“While the ball keeps small boys busy and the dice adolescents, pictures drawn on paper fascinate even grave men. We cast these Emblems, which are artworks and signs from illustrious hand, in the hours of idleness so that all of them may be used either by being attached in the form of laces to clothes and in the form of little shields to hats, or by provoking the writing of silent notes”; Alciatus 1531 ⫽ 1985, 26). What distinguished emblems from the ‘hieroglyphs’ that had been used analogously as elements of apparel during the Renaissance (cf. Art. 63 § 3.1.3.), was the relatedness of their pictorial contents to segments of generally accepted reality-layers. In contrast, the hieroglyphs, similar in this regard to the “rebus” of our times, had tended to inscribe riddles into their clearly unrealistic sign-configurations, intentionally complicating their reading
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
through strategies of concealment. The emblematic picture was usually framed by a single concept (“superscriptio”, “motto”) and a longer interpretation (“subscriptio”) that converged in the function of stabilizing an intended meaning and assuring its understanding. We know neither exactly why the emblems came to progressively occupy the cultural place of the hieroglyphs from the early sixteenth century on, nor why it turned out to be so fascinating to produce, read and wear them. One might speculate that, if in the hide-and-seek play of the hieroglyphs, Renaissance culture was exalting the newly discovered mastery of the subject as agent of interpretation, the emblems, through their double framing, may have functioned as a symptom of the subsequent concern that both spheres would end up drifting apart, once the assumption of a homogeneity between the phenomena and their meanings was definitively given up. Analogous to the visualization of the State through the dazzling shine of royal courts, the wearing of emblems might have been a half-conscious act of conjuring up the unity between a world of objects and the languages of their representation.
5.
Sincerity, expression and the risks of representation
There were few Frenchmen in the times of Louis XIV who knew the court so intimately as Jean de la Bruye`re ⫺ and there were even fewer among them who maintained so much intellectual and emotional distance. Like Castiglione, he found inacceptable any form of affectation, but unlike him, La Bruye`re would never have approved of sprezzatura, the successful feigning of naturalness. His observation of the court and his reactions to it seem to be based on an unarticulated ideal of ‘well measured’ behavior that could not be produced by artifice. Therefore La Bruye`re’s description of the awareness and control in the courtiers’ actions turned out deeply critical: “Un homme qui sait la cour est maıˆtre de son geste, de ses yeux et de son visage; il est profond, impe´ne´trable; il dissimule les mauvais offices, sourit a` ses ennemis, contraint son humeur, de´guise ses passions, de´ment son coeur, parle, agit contre ses sentiments. Tout ce grand raffinement n’est qu’un vice, que l’on appelle faussete´, quelquefois aussi inutile au courtisan pour sa fortune, que la franchise, la since´rite´
et la vertu” (“A man who knows the court is capable of controlling his gestures, his eyes and his face; he is profound and impenetrable; he conceals his bad intentions, smiles to his enemies, masters his temper, disguises his passions, denies his heart, speaks and acts against his feelings. All this great sophistication is but the vice we call dissimulation ⫺ and sometimes it is as unefficient for the courtiers’ fortune as frankness, sincerity and virtue”; La Bruye`re 1688 ⫽ 1957, 214). Whereas La Bruye`re deplored the inefficiency of sincerity and virtue at court, he did receive some comfort from his impression that the vice of dissimulation was not necessarily more successful. But it saddened him to see that courtly behavior, like a game of chess, was regularly ‘won’ by those who were merely clever ⫺ or simply lucky. At any rate, the implications of the concept ‘sincerity’ became much more complex in the Maximes of his contemporary La Rochefoucauld. For him the very intention to be sincere inevitably transformed sincerity into a strategy that was as ethically contemptible as any other act of an all too carefully prepared self-presentation: “La since´rite´ est une ouverture de coeur. On la trouve en fort peu de gens, et celle que l’on voit d’ordinaire n’est qu’une fine dissimulation, pour attirer la confiance des autres” (“Sincerity is an opening of the heart. It can only be found with very few people and in its usual form it is but a highly developed dissimulation which is meant to produce trust in other persons”; La Rouchefoucauld 1678 ⫽ 1964, 411). If true sincerity, however, could not be achieved through conscious self-presentation, La Rouchefoucauld proposed as its only valuable substitution the eagerness to vacate the subject-position as an active position; he thereby expected the subject to transform him or herself into the object of a moral gaze: “C’est eˆtre ve´ritablement honne`te homme que de vouloir eˆtre toujours expose´ a` la vue des honneˆtes gens” (“The truly honest man is he who wants to be continuously exposed to the gaze of honest people”; 430). This was a much subtler perspective than the one implicit in La Bruye`re’s complaints about the sociability of the court or than, as late as 1745, the position of a Spanish treatise concerning the Molestias de trato humano, where the simple absence of bad intentions came close to a definition of moral quality: “Solo en el hombre bueno no cabe el dolo, la simulacio´n, ni el engan˜o” (“Only the good man is
73. Sign conceptions in everyday life
free from ruse, dissimulation and deceit”; Juan Crysostomo 1745, 255). Through the distance which they kept from the spheres of everyday interaction and through their stoicism, the Moralistes became forerunners of the eighteenth century Enlightenment, prefiguring the philosophe as its central role (Gumbrecht and Reichardt 1985). As the philosophe, according to Diderot and d’Alembert’s Encyclope´die, combined the solitude of systematic reflection with the strong moral commitment to play a role in the social world, it became his task ⫺ and his problem ⫺ to reintegrate aspects of reflexiveness and theatricality, the two forms of signifying which had been diverging during the age of Baroque. Under this constellation the Moralistes’ debate about the ambiguities of sincerity found a lively continuation. Human actions and the human body were to be interpreted as ‘expressions of the soul’ (today we would rather say ‘as expressions of personal identity’), but this was only believed possible in those cases where the particular expressions were unaware of themselves. Paradoxically therefore, the philosophes relied on the others’ expressivity as a precondition for their everyday interpretations and, at the same time, found the desire to declare one’s soul illegitimate as soon as it turned into selfpresentation (Assmann 1986). Of course they were constantly accused by their enemies ⫺ and not always without reason ⫺ of exempting themselves from the very norm which they so insistently propagated. In the same historical situation, the reading of the human body as an expression of the soul was cast into a method ⫺ and almost into a discipline ⫺ by Johann Caspar Lavater’s Physiognomische Fragmente zur Befoerderung der Menschenkenntnis und Menschenwuerde (1775⫺1778): “Da dieses Wort [i. e., ‘Physiognomik’] so oft in dieser Schrift vorkoemmt, so muß ich vor allen Dingen sagen, was ich darunter verstehe, naemlich: die Fertigkeit, durch das Aeusserliche eines Menschen sein Innres zu erkennen, das, was nicht unmittelbar in die Sinne faellt, vermittelst irgend eines natuerlichen Ausdrucks wahrzunehmen. In so fern ich von der Physiognomik als einer Wissenschaft rede, begreif’ ich unter Physiognomie alle unmittelbaren Aeusserungen des Menschen. Alle Zuege, Umrisse, alle passive und aktive [sic] Bewegungen, alle Lagen und Stellungen des menschlichen Koerpers, alles, wodurch der leidende oder handelnde Mensch unmittelbar bemerkt werden kann, wodurch er
1419 seine Person zeigt, ist der Gegenstand der Physiognomik” (“As this word [‘Physiognomik’] so frequently appears in this treatise, I should define it; I intend it to mean the capacity of recognizing a man’s interior life through his exterior appearance, of perceiving that which does not materialize in any element of his natural expression. Inasmuch as I call this a science, I subsume under physiognomy any immediate expression of a human being. The object of this science comprehends all the features and contours, all the passive and active movements, all the positions and situations of the human body, in short, everything whereby human beings can be immediately noticed as either passive or active and whereby they become visible as persons; Lavater 1775⫺78 ⫽ 1943, 124; cf. Art. 69 § 3.2.). Lavater’s insistence on the immediacy of the expressions to be interpreted refers, of course, to the presupposition of their sincerity ⫺ and precisely this implication made his enterprise so problematic (Blumenberg 1981, 199 ff). Not by coincidence, it became the main object of criticism in an audience granted to Lavater by the Austrian Emperor Joseph II, one of the rois philosophes of the European Enlightenment: “Ich gebe Ihnen gerne zu, dass man vieles von den Geisteskraeften des Menschen, seinem Humor, seinem Temperamente, seinen Leidenschaften aus seinem Gesichte erkennen koenne, aber die Ehrlichkeit, o die Ehrlichkeit ist sehr schwer aus dem Gesichte zu erkennen. Wahrlich, da muessen Sie sich wohl in acht nehmen! Der Verstellungskuenste giebt es gar zu viel” (“I gladly concede that many of the intellectual capacities of human beings, their humors, their temperaments, their passions can be recognized through their face; but their sincerity ⫺ oh how difficult it is to see their sincerity in their face. Here you must be truly cautious! There are so many forms of deceit”). It was probably not only out of politeness to the emperor that Lavater in turn basically conceded him this objection. He maintained, however, the expectation that it was possible to indirectly identify sincerity through a configuration of the expressions of other intellectual and emotional faculties: “Es giebt ein gewisses Maass von Kraft, von Weisheit, Guete, das so gleichmaessig gemischt sein kann, dass sich Ehrlichkeit beynahe daraus ergeben muss […]. Ein grosses Maass von Guete und Wohlwollen und Festigkeit ist in einem Gesichte schwerlich zu verkennen. Wo das ist, kann keine Falschheit und Bosheit zugleich sein.
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Fig. 73.5: “The Five Orders of Perriwigs”. Copperplate engraving by William Hogarth, London 1761. This is a caricature of the Orders of Perriwigs issued during the reign of King George II (1760). Hogarth presents them as “five orders” with reference to the Orders of columns (cf. Fig. 69.4). In the first line one sees the wigs of bishops and priests, in the second those of the older peers and municipal councillors, followed by those of lawyers, excentrics and, finally, court ladies (cf. Jedding-Gesterling and Brutscher 1988, 130).
Und weh dem Menschen, der diese Zuege von Ehrlichkeit und heiterer Menschenliebe in einem offnen freien Gesichte nicht zu erkennen und lieb zu gewinnen faehig ist” (“There is a
certain amount of strength, wisdom and goodness which can be so harmoniously combined that it almost necessarily yields sincerity […]. It is hard to misinterpret a
73. Sign conceptions in everyday life
great amount of goodness and benevolence and firmness in a face. It cannot dwell together with hypocrisy and maliciousness. And alas for him who is not capable of recognizing and cherishing these traces of sincerity and serene philanthropy in an open and frank face!”; 244 f). This cult of sincerity and the complementary obsession to discover and decipher ‘expressions of the heart’ everywhere certainly contributed to the steep career by which written correspondence became the favorite medium of communication during the eighteenth century ⫺ and, as a textual form, a favorite device of the most successful novelists. The connotations of immediacy and secrecy which it implied made it an almost natural space for articulating the most intimate thoughts and feelings. On an institutional level, its dominance had been preceded, after 1500, by a movement of centralization and systematization of the then profitable postal services through the State. Two hundred years later, the aspect of transmission which had been prevailing in the practice of correspondence since Roman Antiquity, leading to a definition of letters as “silent messengers”, was substituted by the all-dominating expression-paradigm that made correspondence appear to be “the written articulation of thoughts” (Fontius 1988, 274). In the same context, fashion developped a tendency to use its elements and colors as signifiers in a complex code for the expression of tender feelings (Thiel 1985, 252). Soon, however, the example of Werther, perhaps the most worshipped literary letter-writer in the age of Enlightenment, transformed this gallant language of fashion by imposing upon it the moral norm of sincerity. The simplicity and sobriety of Wertherkleidung set a new trend of clothing for the sentimental youth ⫺ which could not have been at a greater distance from both the display of emblems as part of the costume and the exuberance of seventeenth century fashion. What we perceive as the paradoxical unity of a desire to read expressions and a prohibition of the will to express oneself was a leitmotiv in the work of Jean-Jacques Rousseau (Starobinski 1971). The vehement attack against the institution of theater in his Lettre a` d’Alembert (1758 ⫽ 1967) is grounded in the moral condemnation of the very professional skill which, only twenty years later, was enthusiastically celebrated in Diderot’s Paradoxe sur le come´dien (it is perhaps symp-
1421 tomatic that this latter treatise was not published before 1830). Rousseau’s phobia of theatricality as deceit was activated by the comedians’ capacity to present emotions whose referent were not their own feelings: “Qu’est-ce que le talent du come´dien? L’art de se contrefaire, de reveˆtir un autre caracte`re que le sien, de paraıˆtre diffe´rent de ce qu’on est, de se passionner de sang-froid, de dire autre chose que ce qu’on pense aussi naturellement que si l’on le pensait re´ellement, et d’oublier enfin sa propre place a` force de prendre celle d’autrui. Qu’est-ce que la profession du come´dien? Un me´tier par lequel il se donne en repre´sentation pour de l’argent, se soumet a` l’ignominie et aux affronts qu’on ache`te le droit de lui faire, et met publiquement sa personne en vente. J’adjure tout homme since`re de dire s’il ne sent pas au fond de son aˆme qu’il y a dans ce trafic de soi-meˆme quelque chose de servile et bas” (“What is the specific talent of the actor? The art of deceit, of adopting a character which is not his own, of appearing different from what he really is, of becoming passionate with cool blood, of saying something different from what he thinks as naturally as if he really were thinking it and, finally, of forgetting one’s own place in order to occupy somebody else’s. What is the profession of the actor? A craft by which he presents himself in a representation for money, by which he yields to the ignominy and the insults inflicted on him by those who buy the right to do so and by which he publicly puts his person on sale. I implore all honest men to say whether they do not feel, deep down in their soul, that there is something vile and servile in such self-marketing”; Rousseau 1758 ⫽ 1967, 163). To this horror-vision of public representation, Rousseau opposed the tender memory of an evening dance in his native Geneva where the individual citizens had spontaneously joined up to constitute a public sphere that blurred the distinction between actors and spectators and, as we may also conclude, between the signifiers and the signified: “Une danse de gens e´gaye´s par un long repas semblerait n’offrir rien de fort inte´ressant a` voir; cependant, l’accord de cinq ou six cents hommes en uniforme, se tenant tous par la main […] formait une sensation tre`s vive qu’on ne pouvait supporter de sang-froid. Il e´tait tard, les femmes e´taient couche´es, toutes se releve`rent. Bientoˆt les feneˆtres furent pleines de spectatrices qui donnaient du nouveau ze`le aux acteurs; elles ne purent tenir longtemps a` leurs feneˆtres, elles descendirent; les maıˆtresses
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venaient voir leurs maris, les servantes apportaient du vin, les enfants meˆmes e´veille´s par le bruit accoururent demi-veˆtus entre les pe`res et les me`res. La danse fut suspendue; ce ne furent qu’embrassements, ris, sante´s, caresses. Il re´sulta de tout cela un attendrissement ge´ne´ral que je ne saurais peindre, mais que, dans l’alle´gresse universelle, on e´prouve assez naturellement au milieu de tout ce qui nous est cher” (“A dance of some people who are in good humor after a long meal would not seem to have anything interesting to offer to the eye; but the harmony among five or six hundred men in uniform holding each other by their hands […] caused a very lively impression which I was incapable of experiencing with cold blood. It was late and the women had already gone to bed ⫺ but they all got up again. Soon the windows were crowded with female spectators who inspired the actors with new energy, and it was not long before they came down; the wives joined their husbands, the maids brought wine and, woken up by that happy noise, even the half-clothed children came running to their fathers’ and mothers’ company. The dance was interrupted; they were all embraces, smiles, toasts, hugs. There was a universal endearment which I could never describe but which, in moments of joyfulness, we often experience while among those we cherish”; 248). Rousseau’s influence on the invention of a new political culture during the French Revolution, particularly during its two most radical years between 1792 and 1794, is notorious ⫺ but, at the same time, this political culture (which our retrospective classifies as the culture of political representation) was in sharp contrast to Rousseau’s constant moral concern as articulated in the Lettre a` d’Alembert. After all, it had been Rousseau’s central argument in Du contrat social that only small republics, through the institution of popular assemblies, could avoid the evil of political representation by the physical co-presence of their citizens. We know (mostly from eighteenth century criminal reports) in which kind of concrete social experience Rousseau’s dream of such ecstatic immediacy must have been grounded: Face-to-face interaction was so predominant in the life of his contemporaries that they very often did not know ⫺ and did not have to know ⫺ the names of those persons with whom they interacted on a daily basis (Farge 1979, 105). The expectation that similar conditions for consensus, by virtue of a shared ‘human’ nature and a soli-
darity articulated in the ideal of fraternite´, could be repeated on a national level was the assumption that ultimately made the French Revolution’s ⫺ and other European revolutions’ ⫺ experiments in radical democracy fail. Its cultural politics were therefore characterized by the ambiguity between an impatience caused by the lack of spontaneous collective consensus and a reluctance to use techniques of opinion-building, an ambiguity which mimicked the ambivalence of expression as (morally good) readability and as (morally bad) self-staging. Manipulation through the genre of caricature, for example, was quite regularly accompanied by lengthy ethical legitimations. If this genre had been used in the past to fulfill the aristocracy’s goals of repression, remarked the deputy Lequinio in a parliamentary speech of 1792, it was only fair to now profit from it for the sake of enlightenment and education (Herding and Reichardt 1989, 17). The main historical stage, however, on which a longstanding anti-ritualistic undercurrent (Burke 1987, 223 ff) and the eighteenth century ideal of expression lost their battle against the need for public visualization and political representation were the civic feasts of the French Revolution. Their meticulous programs, mostly invented by the painter Jacques-Louis David, showed that, with the failure of a spontaneous large-scale consensus and with signifiers and signified not converging, an almost repressive style of staging was required. Detailed subscriptiones had to explain the intended meanings of the symbols displayed, and complex allegorical scenes were meant to replace a harmony of collective expression which the citizens, at least after 1790, no longer felt an urge to produce. More and more, they found themselves in a situation of mere spectators ⫺ which was ironically similar to the role they had been assigned under Louis XIV. At the same time, the Parliament found itself entangled in heated debates over the question of how it might be possible to create a civic religion for the propagation of morality and to simultaneously avoid the representational masquerade of rituals (Furet and Ozouf 1988, 609). This discussion probably reached its apex on the occasion of the Feˆte de la Raison in November 1793, where a lightly-dressed actress, as an allegory of Reason, had been given preference over a wooden sculpture (because this latter solution was found remindful of
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Fig. 73.6: “Heinrike Dannecker”. Painting by G. Schick, Berlin 1802. Woman in a liberated posture, clothed with a dress in the style (and the colors) of the French Revolution (cf. Jacobeit and Jacobeit 1986, 136).
the Christian cult of the Saints). But would her body, especially her breasts, which were visible through the ‘Roman’ dress, not awaken the spectators’ uncivic imaginations and, through such imagination, their sexual desire? Whenever symbols of femininity made concretely evident both what the eighteenth century experienced as the dangers of representation and the impossibility of renouncing it, the revolutionary discourse provided a standard argument (whose persuasiveness we may rightfully doubt): denying its sexual appeal, it explained the beauty of the female body as grounded in its visible appropriateness for the ‘civic’ functions of procreation and nursing (Baxmann 1989, 64 ff). In the end, the anti-representational attitude of the radical revolutionaries, which
was, as we have seen, based on the desire to bring the human psyche back into the public sphere by imposing ‘sincerity of expression’ as a norm, produced more of the symbols and rituals of modern politics than any posterior strategy of manipulation. The political system’s binary code of the ‘Right’ and the ‘Left’ emerged out of a tendency to avoid the space which had been occupied by the representatives of the Nobility and the Clergy in the initial assembly of the E´tats Ge´ne´raux (Furet and Ozouf 1988, 404 ff). As a combination between the colors red and blue, worn by the insurgents of July 1789, and the white ground in the arms of the Bourbon monarchy, the Tricolore, which, during the nineteenth century, became the most successful model for national flags, had originally
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served to suppress emblems of royal power. For a short while, even fashion had fallen prey to the value of e´galite´ and the inversion of its sign-phobia into an obsession with collective representation. Not only was the clothing of the poor exalted as an expression of morality in the image and the concept of the sans-culotte, in 1793 Jacques-Louis David even received the State commission to design a “national costume” (Thiel 1985, 282).
6.
State-representation and the resistance of opacity
It has been said that the works of the Ide´ologues ⫺ who, with strong support from the State, emerged as the dominant group of intellectuals in late and post-revolutionary France ⫺ were primarily concerned with the confirmation and stabilization of a relation of correspondence between language and the world, whereas Kant’s critical writings were testing the limits of the paradigm of representation (Foucault 1966, 255). If this is true, then we have to locate the politics of communication in Napole´on Bonaparte’s Empire clearly on the latter side. They inaugurated a double-levelled practice of filling the public sphere with manifold representations of the State ⫺ and of efficiently undermining the functioning of the public space. This structure may be regarded as characteristic for gestures of State-interventions in the sphere of communication up to the present day. As far as the undermining is concerned, the Empire narrowed down the sheer extension of the public sphere by setting a limit to the number of communicative institutions, such as newspapers, journals and theaters, that had been proliferating during the early years of the Revolution. For the first time, an intelligence service was institutionalized that systematically controlled the information and opinions circulating in the shrinking public space. Imperial politics reduced the functions of parliaments and elections to a mere post factum approval of Napoleon’s decisions. The stability of his State grounded itself on an innovative style of supervision which was invisible and anonymous, only articulating itself in situations that seriously threatened the survival of the entire political system (Markov 1985, 204 ff). What remained was but a modest glimmer of the Revolution’s utopian intentions. One should not forget, however, that a serious critique of the Revolution’s failure to make such hopes come true would have to demonstrate that they were at all re-
alistic in the first place. Perhaps, instead of actively destroying an achievement of democracy, Napoleon was rather the executioner of a collapse that would have occurred with or without him. On the side of its visibility, the Empire was eager to remove certain architectural memories of the Revolution (Markov 1985, 202 f) and to invent and institutionalize a new signcode for the exclusive representation of the State which, heteroclite as it was in its origins, strongly emphasized connotations of homogeneity and continuity. Some days before the sumptuous Imperial coronation of October 1804, the hope was even expressed that the constant change of fashions, whose dramatic acceleration during the revolutionary years had been much commented, might now come to a standstill: “Les modes qui, depuis plusieurs anne´es, avaient l’inconve´nient de se croiser sans cesse, d’eˆtre aussitoˆt remplace´es que connues, et souvent de rester imparfaites, vont tre`s probablement prendre une marche re´gulie`re et redevenir belles et majestueuses” (“The trends of fashion which, in the past few years, were constantly changing and were regularly substituted as soon as they became known, are now likely to return to a more regular rhythm, to their former beauty and dignity”; Aulard 1923, 326). Most of the standard elements in the representation of the French State until the present day were institutionalized during the Empire: the formulaic use of the motto “Liberte´, Egalite´, Fraternite´”, to highlight its revolutionary origins, as well as the Code civil, the system of education, a bureaucracy of civil servants and the Legion d’Honneur. But the fact that, in France, institutions representative of the new national State emerged during the first decades after 1800 was not at all an isolated case. Although its elements go back to the days of the War of Independence, the usage of the ‘Star Spangled Banner’ as their national flag did not become regularized in the United States of America before the 1810’s, from which same decade the national anthem also dates (Guenter 1990, 38 ff). In England, as well as in Germany and France, these years saw the rise of a new prison architecture, whose fac¸ades displayed the severe emblems of State power and whose interior structures were designed to transform the prisoner’s body into the object of an anonymous and penetrating gaze of the State and of public morality (Bender 1987, 201 ff). This awesome mind-controlling efficiency of the ‘public eye’ no longer had to rely on the sub-
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ject’s willingness to make his or her soul readable through acts of expressive sincerity. Around the turn of the eighteenth century, however, and at first hidden under an appearance of continuity through the reference to cultural codes from classical antiquity, a new style of furniture, fashion and body-presentation emerged, one that opposed the material opacity of bodies and other objects to the general expectation of their expressiveness (and perhaps also to the State’s surveying systems). Visiting Paris between November 1802 and March 1803, the Prussian conductor Johann Friedrich Reichardt was at first scandalized to notice that the attention of theater-audiences focussed primarily on the actresses’ de´collete´; later, he seemed surprised (if not excited) by the experience that a distinguished lady received him for a pianolesson in her ne´glige´; and he ended up being simply pleased by the perfection of Madame de Recamier’s body as displayed under a transparent tunic, and by the sophisticated interiors of her chambre a` coucher: “Das erste, was Madame Recamier mit jeder neu anlangenden Dame vornahm, war, dass sie sagte: ‘Voulez vous voir ma chambre a` coucher?’, sie dann unter den Arm fasste und nach dem Schlafzimmer fuehrte. Dass ein Schwarm von Herren, jung und alt, diesem Zuge jedesmal folgte, darf ich Dir nicht erst sagen. Dieses Schlafzimmer mit seinem daranhaengenden Bade ist aber auch das eleganteste, das man sehen kann […]” (“The first thing that Madame de Recamier did with each newly arrived female guest was to ask her: ‘Would you like to see my bedroom?’, to grasp her by the arm and to take her to the bedroom. Unnecessary to say that each time they were followed by a whole cohort of younger and older men. But it is true that this bedroom with its contiguous bathroom is the most elegant thing that one can possibly see […]”; Reichardt 1802⫺1803 ⫽ 1981, 71). What follows is a description of Madame Recamier’s bed and bathing-tub, of closets and wallpapers, of mirrors and curtains, so detailed that it could have served for a readership of professional architects. As Reichardt’s discourse seems to imply, such publicizing of the intimate private sphere was now becoming an upper-class ritual. It probably counted on the still existing erotic connotations of the space and the objects disclosed, but, by bringing to the surface what had been institutionally concealed for centuries, the new lifestyle implied a provocative act of desemiotization. A sim-
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Fig. 73.7: Figures to be produced by ice-skaters. Drawings from the Versuch einer Enzyklopaedie der Leibesuebungen (“Attempt at an encyclopedia of physical exercise”) by Gerhard U. A. Vieth, 1795 (cf. Eichel 1984, 134).
ilar reception was facilitated by the paintings and etchings that Francisco Goya created after the year 1793 ⫺ when a mysterious illness had left him deaf. The secret appeal of the body shown in La maja desnuda (regardless of whether its model was or was not the Duquesa de Alba) may well lead to the final conclusion that it does not bear any secret, nor articulate any expression, nor open any interpretative depth. It is even more obvious that Goya’s own subscriptiones to the eighty etchings entitled “Los caprichos” (1799) were carefully (and sometimes contemptuously) devised to make any effort of deciphering fail. This is true for its most famous piece (number 43) whose comment “El suen˜o de la razo´n produce monstruos” is irreducibly ambiguous, containing two opposite meanings:
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IX. Von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert
‘When Reason sleeps, the monsters awake’ and ‘Dreams of Reason generate monsters’. For an even more aggressive degree of desemiotization, which left absolutely nothing to be interpreted, we may invoke number 69 of the Caprichos, where a half naked, scrawny old man holds the body of a child by the legs, appearing to light a fire with a fart that comes out of its anus; the comment is “sopla” (‘he/she/it blows’ or ‘blow!’). Finally, in this context, it is certainly legitimate to ask whether the concept of the sublime as defined in Kant’s Third Critique, by the emphasis it lays on the disproportion between certain objects of experience and the faculties of the human mind, was not an early reaction to the emerging impression of the world’s opacity and thus an homage paid to the limits of expression and interpretation: “[…] das eigentlich Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung moeglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen laesst, rege gemacht und ins Gemuet gerufen werden kann” (“the sublime, in the strict sense of the word, cannot be contained in any sensuous form, but rather concerns ideas of reason, which, although no adequate presentation of them is possible, may be excited and called into the mind by that very inadequacy itself which does admit of sensuous presentation”; Kant 1790 ⫽ 1968, 330). It is worth recalling, however ⫺ and there can hardly be more convincing evidence than the existence of semiotics as an academic discipline ⫺ that the threshold in the European history of sign conceptions which was crossed after 1800 did not lead to an apocalyptic breakdown of signification. Rather, the culture of Modernity has established itself as an interplay between the three spheres of a withdrawal, an active production and a desemiotization of representations. Unless one believes in the possibility of intentionally changing such a scenario (but, if it were feasible, in whose name and for which needs?), all that remains to be said about this situation is that its complexity may well have been the inspirational force behind the emergence of semiotic science (cf. Art. 88).
7.
Selected references
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X. Geschichte der Semiotik im Abendland V: Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart History of Western Semiotics V: From the 19th Century to the Present 74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart 1. Einleitung: die Universalität des Zeichens und die Idee der Semiotik 2. Kants Lehre vom Zeichen 3. Fichte 4. Schelling 5. Hegel 6. Hegel vs. Frege 7. Erkenntnistheorie und Zeichenarchitektonik: Peirce 8. Die Semiotik im Rahmen der Hermeneutik: Schleiermacher und Dilthey 9. Dilthey und der Modellbegriff der Naturwissenschaften 10. Cassirers Synthese 11. Semiotik im Rahmen der naturalisierten Erkenntnistheorie (Helmholtz, Lotze) und die Problematik des naturalisierten Zeichenbegriffs 12. Husserls intentionale Semiotik 13. Meinongs Gegenstandstheorie 14. Husserls intentionale Einheit von Sprache und Akt 15. Searles Intentionalität als Repräsentation 16. Repräsentation als Information: Dretskes Theorie 17. Die Relevanz des Informationsbegriffs und die Idee der Cognitive Science 18. Der Strukturalismus 19. Die Semiotik der Warenwelt bei Marx 20. Die Dekonstruktion der Subjektivitätsphilosophie und ihre semiotischen Konsequenzen: Heidegger und Nietzsche 21. Schelers anthropologische Semiotik 22. Mead: Symbol und soziale Interaktion 23. Peirce und die soziale Dimension der Zeichen 24. Abschluß 25. Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung: die Universalität des Zeichens und die Idee der Semiotik
Umberto Eco schreibt in seinem Buch Zeichen: „Seit Kant scheint, um die Wahrheit zu sagen, die moderne Philosophie dem Problem
des Zeichens auszuweichen“ (Eco 1981, 132). Eine Darstellung, deren Gegenstand die Entwicklung der Semiotik in der Allgemeinen Philosophie vom 19. Jahrhundert bis heute ist, wird sich natürlich, soll der Sinn eines solchen Unterfangens nicht schon im Ansatz verloren gehen, mit diesem vernichtenden Urteil auseinandersetzen müssen. Eco kann indes nicht die ganze moderne nachkantische Philosophie meinen, denn Namen wie Peirce (1839⫺1914), Morris (1901⫺1979), Cassirer (1874⫺1945), die Leitfiguren in der Entwicklung der Semiotik der Neuzeit, tauchen doch auch in jeder Philosophiegeschichte auf. Andererseits weist Eco im selben Band darauf hin, daß man die Meinung vertreten kann, daß diesem Ausweichen der modernen Philosophie vor dem Problem des Zeichens schon in der Philosophie des deutschen Idealismus eine „Theorie der geistigen Aktivität“ gegenüberstehe, die „gänzlich semiotisch geprägt ist” (ebd.). Wie ist nun dieser Widerspruch zu erklären? Handelt es sich überhaupt um einen solchen? Dieser Widerspruch kann sich doch auch dadurch auflösen, daß das Zeichen als Zeichen in zahlreichen Strömungen der Philosophie nur deswegen keine besondere Rolle gespielt hat, weil alles ein Zeichen ist. In der Tat schreibt z. B. der philosophierende Dichter Novalis (1772⫺1801) im „Allgemeinen Brouillon“: „Der Mensch spricht nicht allein, auch das Universum spricht, alles spricht, unendliche Sprachen“ (Novalis 1789⫺90, 267). Das Weltganze wird dem so Gestimmten entsprechend auch „eine große Schrift“ (Novalis 1800, 79). Novalis fügt als Verweis auf die Herkunft dieser Idee die „Lehre von den Signaturen“ (Novalis 1789⫺ 90, 267) an. Die Tradition des Großen Buchs
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
der Natur ist hier noch ganz lebendig (vgl. Art. 62 §§ 6.⫺8.). Aber nicht nur die Natur ist in dieser romantischen Betrachtungsweise zeichenerfüllt, auch die Geschichte. So hat schon der die Romantik stark beeinflussende Hamann (1730⫺1788) geschrieben: „Das Buch der Natur und der Geschichte sind nichts als Chyffern, verborgene Zeichen, die eben den Schlüssel nötig haben, der die heilige Schrift auslegt und die Absicht ihrer Eingebung ist“ (Hamann 1758, 308). Natur und Geschichte besitzen also in dieser Sicht als „große Schrift“, als kodiert in Chiffren, den Charakter der Lesbarkeit: sie sind durch und durch semiotisch. Ihre Erkenntnis ist demgemäß auch vergleichbar der Entschlüsselung eines Kodes. Wir werden gegen Ende unserer Darstellung eine moderne Version dieser Auffassung in der Semiologie des Strukturalismus wiederfinden. Das von Eco konstatierte Ausweichen der Philosophie vor dem Problem des Zeichens, seine Behandlung als quantite´ ne´gligeable, ist also bereits in der so philosophisch inspirierten Romantik zur Universalsetzung des Zeichencharakters umgestaltet. Zeichen zu sein (Schrift oder Chiffre) wird in dieser Sichtweise zur ontologischen Grundbestimmung des „Seins des Seienden“ (vgl. Art. 67 § 4.3). Wir müssen erneut fragen: handelt es sich bei den beiden zitierten Aussagen Ecos wirklich um einen Widerspruch? Und wir werden sagen müssen: Es ist doch klar, da wo die Differenz von Zeichen und Bedeutung gänzlich aufgehoben ist zugunsten einer Art universeller Plastizität, in der alles Zeichen (für alles) sein kann, wo die Zeichensprache wiederum nur die allgemeine Idee einer Zeichensprache ist, der die Artikulation, die effektive Kodifikation ihrer Grammatik und Semantik fehlt, und sei diese in einem noch so weiten Sinn genommen, da wird das Dechiffrieren zu einem bloßen Programm, dessen Abschluß nicht abzusehen ist: eine jener die Romantik so sehr charakterisierenden unendlichen Aufgaben (vgl. Art. 63 § 5). In der Tat, da wo alles Zeichen ist, da gibt es keine Semiotik mehr. Und so löst sich dieser Widerspruch: „Semiotik gibt es nur da, wo man zu erklären versucht, wo und was man kommuniziert und designiert“ (Eco 1981, 132). Allerdings ist es eine gute Heuristik für unsere Darstellung, die von uns behandelte Epoche der Philosophiegeschichte als eine Gratwanderung zwischen diesen ineinander umschlagenden Extremen zu betrachten: dem
1429 Ausweichen vor dem Problem des Zeichens, d. h. seiner Abwertung und Ignorierung, und seiner Universalsetzung (vgl. Art. 33 § 4.). Die wahre Natur und Relevanz des Zeichens enthüllt sich gerade in diesem Spiel zwischen den Extremen, die in Wahrheit beide Vermeidungsstrategien des Zeichenproblems sind (siehe auch Art. 34). Wir finden in unserem Jahrhundert einen ähnlichen Extremismus in Ansehung des Zeichens als „Chiffre“ in der Philosophie von Jaspers ⫺ mit dem angesprochenen Problem des Zusammenfalls von Zeichen und Bezeichnetem, somit der Aufhebung der Semiotik. Jaspers (1883⫺1969) schreibt nämlich: „Vom Sein ist zu erfahren in den Chiffren des Daseins“ (Jaspers 1932, 130). Damit koinzidiert das Chiffre-Sein des Daseins mit seiner Faktizität und seiner Wohlordnung: „Daß das Dasein so ist, daß in ihm Ordnung und diese Ordnung ist, ist Chiffre seiner Transzendenz“ (ebd., 184). Jaspers betrachtet Existenz selbst als „Ort des Lesens der Chiffrenschrift“ (ebd., 150). Die Chiffre ist „Mittler […] zwischen Existenz und Transzendenz“ (ebd., 137). Aber es gilt eben auch: „Es gibt nichts, was nicht Chiffre sein könnte“ (ebd., 168). So sind die Natur und die Geschichte Chiffre der Transzendenz, aber auch die Freiheit und vieles andere mehr, was existentiell bedeutsam ist. Aber Jaspers versucht, gerade die Auszeichnung solcher besonderen semiotischen Gegenstände, nämlich der existentiell bedeutsamen, dadurch zu gewinnen, daß er sie vom „deutbaren“ Symbol abhebt. Die Chiffre „bringt Transzendenz zur Gegenwart, aber sie ist nicht deutbar“ (ebd., 141); dies gilt dagegen für alles, dem man normalerweise Zeichencharakter zuschreibt: deutbar sind Zeichen, Metaphern, Vergleiche, Modelle, Repräsentationen. „Während diese bewußte Symbolik ihre Helligkeit gerade erst im Deuten bekommt, wird die unbewußte Symbolik der Chiffrenschrift durch Deutung gar nicht berührt“ (ebd.). Chiffrenschrift nämlich ist „schaubare Symbolik ohne eigentliche Deutungsmöglichkeit“ (ebd., 147). Insofern die Jasperssche Semiotik die Koinzidenz von Zeichen und Bezeichnetem ausdrücklich postuliert ⫺ „in der Chiffrenschrift ist Trennung von Symbol und dem was symbolisiert wird, unmöglich“ (ebd., 141) ⫺ hebt sie sich als Semiotik, als Lehre von den Zeichen selbst, auf, da der distinktive Charakter der Zeichen, anderes bezeichnend zu sein, gar nicht mehr zum Zuge kommt. Es ist ⫺ mutatis mutandis ⫺ der
1430
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
eben geschilderte Sachverhalt: Die Überladung des Zeichencharakters mit ontologischer Bürde hebt diesen selbst auf.
2.
Kants Lehre vom Zeichen
Apel (*1922) folgend können wir den Paradigmenwechsel in der Geschichte der Philosophie im 19. Jahrhundert als eine semiotische „Transformation der Philosophie“ (vgl. Apel 1973 und vor allem Apel 1967⫺1970) bezeichnen, für welche vor allem die Initiative von Peirce steht. Apel spricht zwar von der Philosophie allgemein, aber gemeint ist in erster Linie die Philosophie, welche gewissermaßen das Ferment für die intellektuellen Bemühungen der letzten beiden Jahrhunderte ⫺ sei es in Zustimmung, sei es in kritischer Ablehnung ⫺ darstellt: die Kantische. Sie vor allem ist einer Transformation unterzogen worden. Nun ist es ja in der Tat nicht so, als gäbe es bei Kant (1724⫺1804) keine Reflexion über Zeichen. Im Gegenteil hat er eine zweifache Strategie der „Versinnlichung“ herausgestellt: „entweder schematisch, da einem Begriff, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriff, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche unterlegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch ist, d. h. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalt nach übereinkommt“ (Kant 1790, 351). Symbol und Schema sind also nach Kant die wesentlichen Elemente der Versinnlichung. Dabei ist es so, daß Kant mit dem Symbol vor allem den Fall des analogen Transfers erfassen will, also eine „indirekte“ Darstellung von etwas durch etwas anderes. Dieser analoge Transfer ist wesentliche Leistung der Urteilskraft, der es obliegt, „erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“ (ebd., 352). Kant wählt als Beispiel die Handmühle als Symbol für den despotischen Staat, oder die Modellierung des Organischen durch mechanische Systeme wie Uhren. Es sei nun daran erinnert, daß Kant in seiner Erkenntnistheorie im Rahmen der „De-
duktion der reinen Verstandesbegriffe“ (Schematismuskapitel) zwei Arten von Synthesen unterscheidet: die „synthesis intellectualis“ (eine Verknüpfung der Erfahrungsdaten nach Kategorien) und die „synthesis speciosa“, auch die „figürliche Synthesis“ (vgl. Kant 1787, 119) genannt. Diese etwa beim Zeichnen eines Dreiecks oder bei der Aufdeckung von Raumsymmetrien erforderliche figurative Synthesis nennt Kant an einer Stelle in der „Anthropologie“, die vom „Bezeichnungsvermögen“ überhaupt handelt, auch insgesamt „symbolische Erkenntnis“ (Kant 1798, 191), sofern es sich hier um Gestaltqualitäten in der Wahrnehmungsorganisation handelt. Die symbolische Erkenntnis ist aber schwerpunktmäßig bei Kant dem analogen Sprachgebrauch vorbehalten: „unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstellungen“ (Kant 1790, 352). Es muß nun noch der Vollständigkeit halber erwähnt werden, daß Kant einen dritten Versinnlichungsfall vor Augen hat, nämlich die „Charakterismen“ (ebd.), mit welchen er die rein arbiträren, in subjektiv mnemonischer Absicht eingeführten Zeichen etwa einer Algebra als „Zeichenfiguren“ meint. Wir stellen also zu unserem Erstaunen fest, daß Kant bereits eine zwar nicht sehr reiche, aber doch gegliederte Semiotik hat, die unter dem Grundproblem der „Versinnlichung“ sich in die drei durch Urteilskraft gesteuerten Verfahren oder Strategien ausdifferenziert: Charakterismen, Symbole, Schemata. Wie man sieht, geht es bei Schemata wie Symbolen um die Versinnlichung von Begriffen (die „Vorstellung […] von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe“; Kant 1787, 135). Die spezifische Differenz ist dabei, daß das Symbol eine indirekte, das Schema aber eine direkte Darstellung eines Begriffs ist. Der Charakter dagegen ist das Zeichen als solches, dessen Gestalt willkürlich gewählt ist. Betrachten wir nun das folgende Zitat, so sehen wir, daß trotz artikulierter Semiotik Kants Philosophie nicht eo ipso semiotisch durchdrungen ist. Kant schreibt zu Beginn der Elementarlehre: „Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselben unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung“ (Kant 1787, § 1). Dies ist für die Einord-
1431
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
nung Kants in einen semiotischen Kontext eine ganz wichtige Bestimmung. Anschauung ist der ausgezeichnete, weil unmittelbare Gegenstandsbezug. Der Charakter der Unmittelbarkeit kann nicht genug betont werden, meint er doch: durch nichts vermittelte, unverdeckte Präsenz des Gegenstands (dies ist ja nur eine Umschreibung dessen, was bei Kant „Erscheinung“ (Phänomen) heißt). Bekanntlich sind nach Kant Gegenstände insgesamt nur Erscheinungen und seine erkenntnistheoretische Revolution besteht darin, die Bedingungen solcher Gegenstandspräsenz im Erkenntnissubjekt aufzusuchen. Anschauung ⫽ unmittelbarer Gegenstandsbezug ist nach Kant Vorstellung, genauer, sie ist „die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann“ (ebd., 58); und hier noch relevanter: sie ist „repraesentatio singularis“ (Kant 1800, 91), also vor allem Repräsentation. Und hier liegt nun das entscheidende Problem beschlossen: dadurch, daß Kant die unmittelbare Gegenstandspräsenz in der Vorstellung sieht, diese aber schon „Repräsentation“ ist, bleibt für die Vertretung der Gegenstände durch Zeichen epistemologisch kein grundlegendes Interesse mehr übrig. Ist die Anschauung selbst Repräsentation, so ist die Reflexion auf diese Form der Darstellung schon Erkenntnistheorie. In dieser Sicht erscheint die explizite semiotische Betrachtungsweise als ein im Prinzip vernachlässigbarer Umweg. Für sehr viele der im folgenden zu betrachtenden Gestalten der Philosophie bestimmt sich ihre Beziehung zu semiotischen Fragen aus einer vergleichbaren Grundeinstellung. Es kann hier nicht der Ort sein, die Erkenntnistheorie Kants selbst zu entwickeln. Wir können aber als vorläufiges, hier interessierendes Resultat festhalten: Kant hat unter dem Titel „Versinnlichung“ semiotisch durchaus relevante Distinktionen eingeführt: Charaktere, Symbole, Schemata. Die Identifizierung von Anschauung als unmittelbarem Gegenstandsbezug gibt dem Zeichen ⫺ anders natürlich als der Sinnlichkeit selbst ⫺ keinen wesentlichen Ort in der Erkenntnistheorie. Die Form der Repräsentation des Gegenstandes ist sinnlich-anschaulich, aber nicht per se zeichenhaft. Erkenntnistheorie bedarf des Umwegs über das Zeichen nicht. Der Kantische epistemologische Grundterm „Vorstellung“ definiert die „Formen“ (der Anschauung, der Sinnlichkeit) als selbst repräsentierend. Ihr epistemologischer Ort,
ihre integrierende Einheit ist das Bewußtsein. Die Versinnlichungsstrategien werden in Form von Mentalität expliziert. In diesem Sinn können wir sagen: die Transformation, welche Kants Philosophie wird erfahren müssen, ist die von der bewußtseinsphilosophischen zur zeichenvermittelten Erkenntnistheorie; aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und unsere Darstellung will einige wichtige Stationen präsentieren. Jedenfalls ist hier schon deutlich: das Ausweichen der Philosophie vor dem Problem des Zeichens ist, so wahr es sein mag, doch ein vielfältig motiviertes und vermitteltes Verhalten, das in sich selbst systematisches Interesse beanspruchen kann.
3.
Fichte
Betrachten wir im Anschluß an Kant ⫺ und durchaus nicht vorrangig aus chronologischen Gründen ⫺ das semiotische Problem, wie es sich für Fichte (1762⫺1814) stellt. Hier haben wir die Einsicht ins Zentrum der Philosophie zu stellen, daß das Gewebe der Verstandeshandlungen, welches Kant für die Einheit der Erfahrung als konstitutiv erkennt, sich zwar als entscheidende Grundlage aller Erkenntnis herausstellt, es muß jedoch auf ein einheitliches Prinzip zurückgeführt werden: das Ich-denke, aber als „Tathandlung“ interpretiert, d. h. als Einheit von Setzen und Sein, virtuell als gründende Einheit von Satz und Tatsache. Wir haben hier die von Eco zitierte „Theorie der geistigen Aktivität“ in Reinform. Ist sie „gänzlich semiotisch“? Fichte hat immer wieder das Problem einer für seine Wissenschaftslehre eigentümlichen Zeichensprache ventiliert und in Aussicht gestellt, daß die Wissenschaftslehre noch zu einem „ihr durchaus eigenthümlichen Zeichensystem“ (s. u.) gelangen werde und daß sie sich nur vorläufig und provisorisch der Wortsprache bedienen muß. Er schreibt: „Hätte sie [die Wissenschaftslehre] sogleich anfangen können, wie sie freilich endigen wird, dadurch, daß sie sich ein ihr durchaus eigenthümliches Zeichensystem geschaffen hätte, dessen Zeichen nur ihre Anschauungen und die Verhältnisse derselben zueinander und schlechthin nichts außer diesem bedeuten, so hätte sie freilich nicht mißverstanden werden können, aber sie würde auch nie verstanden worden sein […]. Jetzt aber hat sie das schwierige Unternehmen zu bestehen von der
1432 Verworrenheit der Wörter aus, welche Gedanken im Bauche man neuerlich sogar zu Richtern über die Vernunft hat erheben wollen, Andere zur Anschauung zu leiten“ (Fichte 1801, 384). Das semiotisch Interessante an Fichte ist in folgendem zu sehen: Idealziel der Darstellung der Wissenschaftslehre ist eine ihre eigentümliche Zeichensprache. Gleichzeitig aber wird die Möglichkeit der entlastenden Stellvertretung durch Zeichen von Fichte entschieden abgelehnt. Der reine Unmittelbarkeit suggerierende Terminus ist auch hier wieder „Anschauung“ bzw. „reine Anschauung“. Sie ist der Garant von unverstellter Authentizität und daher von „Wissenschaftlichkeit“ im Sinn der Fichteschen Wissenschaftslehre: „Ohne wirkliche Erhebung zur Anschauung und mit ihr zur Wissenschaftlichkeit kann man sie [die Wissenschaftslehre] […] gar nicht fassen […]. Überdies erhebt sie aus dem […] Grund, daß sie durchaus kein Hülfsmittel, keinen Träger ihrer Anschauungen hat, außer die Anschauung selbst, den menschlichen Geist höher, als es keine Geometrie vermag“ (ebd., 404). Die Wissenschaftslehre hat also, anders als die Geometrie, durchaus kein Hilfsmittel, keinen Träger ihrer Anschauung, als die Anschauung selbst. Daher liegt die Devise nahe: „Also weg mit Zeichen und Wort. Es bleibt nichts übrig als unser lebendiges Denken und Einsehen selbst, das sich nicht an die Tafel zeichnen, noch auf irgend eine Art stellvertreten läßt, sondern das eben in natura geliefert werden muß“ (Fichte 1804 a, 138). Hier haben wir es wieder: Grundlegend ist das, für das es keinen „Stellvertreter“ gibt; das Ich als Grundbegriff der Fichteschen Philosophie ist ja nur das ausgezeichnete Etwas, das in gar keinem Fall und durch nichts vertreten werden kann. Es ist eben ein „Selbst“. Zeichen indes sind Stellvertreter. Also … Aber Fichte radikalisiert, wenn er in Sprache nur „Worte, welche an sich nichts sind und zu leerem Hauche schwinden werden, sobald die Einsicht erreicht“ (Fichte 1804, 44) ist, erkennt. Dies ist bestens auf den Punkt gebracht das Pathos dieser Art idealistischer Philosophie, daß sie glaubt, Zeichen nur als Notbehelf einsetzen zu können, wo doch das Gemeinte die durch nichts zu substituierende Anschauung ist, die keinen anderen Träger kennt als sie selbst (s. o.). Das bedeutet in der Konsequenz: die Stellvertretung der Sache durch Zeichen ist in dieser Sicht ein Verstellen der Sache durch Zeichen. Das, was an der Sache ist, zeigt, bezeichnet sich selbst. Daher
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Fichtes Motto: „Ich sage und muthe an, unmittelbar einzusehen“ (ebd.). Klaus Oehler hat mit einigem Recht in der Fichteschen Theorie des Bildes einen vergessenen, auf die Etablierung einer universalen Semiotik hindeutenden Zug gesehen. Er belegt dies auch plausibel, und doch will der Buchstabe mit den erklärten Intentionen Fichtes nicht übereinstimmen. Oehler weist sehr gut darauf hin, daß sowohl nach Kant wie nach Fichte „der endliche menschliche Verstand auf Bild und Zeichen angewiesen ist“ (Oehler 1981, 79). Fichtes Lehre vom Bild ist der Versuch, die Kantsche Doktrin vom Schematismus der Einbildungskraft, vom Ins-Bild-Setzen eines Begriffs fortzuführen. Während aber Kant die Kategorie als Konstruktionsregel solcher Bilder hervorgehoben hat und diese wiederum letztlich, wie ein bekanntes Zitat aus den Prolegomena belegt, an die Sprache zurückbindet, indem er die transzendentale Untersuchung mit der grammatischen Analyse vergleicht (vgl. Kant 1783, 322 f), ist für Fichte Sprache insgesamt „der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen” (Fichte 1795, 302). (Zu Fichtes Sprachphilosophie vgl. vor allem Jergius 1975). Daher steht im Zentrum seines Interesses nicht der „Gegenstand der Aussage“ und seine kategorial-schematische Konstruktion (dies würde ja auch eine explizite Logik erfordern) sondern das „Objekt des Bewußtseins“. Es ist daher auch gewissermaßen zwangsläufig und innerlich konsequent, daß sich seine Epistemologie der Unmittelbarkeit verbürgenden „paraoptischen“ (Ryle 1949 ⫽ 1973, 214) Metaphern bedient (vgl. besonders die „Sehe“, 33 u. ö.). Daher kann die sonst sehr richtige Bemerkung Oehlers: „Der Mensch lebt nicht in einer Welt der reinen Unmittelbarkeit, er lebt vielmehr in Bilderwelten“ (Oehler 1981, 80) nur äußerst bedingt als Argument für einen explizit semiotischen Charakter der Fichteschen Philosophie in Anspruch genommen werden.
4.
Schelling
Was nun dieses quer zur semiotischen Intention liegende Pathos der Unmittelbarkeit betrifft, so können wir durchaus Schellings (1775⫺1854) Philosophie an Fichtes Seite rücken. Schelling spricht im System des transzendentalen Idealismus von der Aufgabe, „einen Punkt [zu] finden, in welchem das Object und sein Begriff, der Gegenstand und seine
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74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Vorstellung ursprünglich, schlechthin und ohne alle Vermittlung Eins sind. Daß diese Aufgabe mit der, ein Princip alles Wissens zu finden, identisch ist, läßt sich noch kürzer so darthun. ⫺ Wie Vorstellung und Gegenstand [das sind für Schelling epistemologisch die einzig relevanten Termini] übereinstimmen können, ist schlechthin unerklärbar, wenn nicht im Wissen selbst ein Punkt ist, wo beide ursprünglich Eins ⫺ oder wo die vollkommenste Identität des Seyns und des Vorstellens ist. Da nun die Vorstellung das Subjective, das Seyn aber das Objective ist, so heißt die Aufgabe aufs genaueste ausgedrückt so viel: den Punkt zu finden, wo Subject und Object unvermittelt Eins sind“ (Schelling 1800, 364). Sowohl in den philosophischen Systemen Fichtes als auch Schellings wird das, was Gegenstand heißen soll, erst schrittweise entwikkelt, wobei hier eigentlich nur noch in Anführungszeichen von „Gegenstand“ gesprochen werden kann, da es sich um die Genese von Gegenständlichkeit aus Bewußtseinsakten handelt. Die Artikuliertheit des Systems ergibt sich aus der Stufung der produktiven Handlung und der Reflexion auf diese. Ein Zitat Fichtes möge dies verdeutlichen. Fichte schreibt: „Ich bin in der ersten Anschauung, der producirenden, verloren in ein Object. Ich reflectire zuvörderst auf mich selbst, finde mich und unterscheide von mir das Object“ (Fichte 1795 a, 374). Wenn aber Objektivität nach der Lehre der Identitätsphilosophie ohnehin nur als selbstvergessene Handlung (Produktion) eines Subjekts zu verstehen ist, so können in spekulativer Sicht, d. h. in einer Sicht, die sich gewissermaßen auf der ontologisch indifferenten „Schnittstelle“ zwischen Subjekt und Objekt bewegt, auch die Stufen der Reflexion als Genese des Bewußtseins ebenso wie seines Inhalts, nämlich bei Schelling der Natur bzw. bei Hegel (vgl. § 5.) der Geschichte, verstanden werden. Die Genese der Natur aus solchen Oszillationen zwischen produzierendem Akt und dem Bewußtwerden desselben (seiner Artikulation) ist das, was die Schellingsche Naturphilosophie der Fichteschen Philosophie hinzugefügt hat. Für uns indes ist vor allem relevant, daß Schelling den Versuch gemacht hat, diese so beschriebene Genese der Natur ⫺ sagen wir einmal ⫺ zu kalkülisieren. Dieser Versuch stellt sich in Schellingschen Formeln so dar: Ausgangspunkt ist mit A ⫽ A das „in sich verschlungene Seyn“ (Schelling 1810, 425); das heißt im Sinn der Identitätsphilosophie
dreierlei: A als Objekt, A als Subjekt, die Identität beider. Motor des Progresses ist die Differenzierung, nach Schelling „Einheit des Gegensatzes und der Entzweiung“ (ebd.). Weil aber die ursprüngliche Identität gewahrt ist, gilt: A ⫺⫺⫺⫺ A⫽B Diese Einheit des Gegensatzes und der Entzweiung tritt nun auf beiden Seiten, Subjekt und Objekt, wiederum in gleicher Artikulation auf: A (
A⫽B
A )
A (
A⫽B
B )
So ergibt sich ein gewisser Schematismus der iterierten Differenzierung und Vereinigung, den wir hier aber nicht weiter verfolgen können (vgl. ebd., 425 ff). Es ist aber jedem sofort klar, daß es sich hier nicht eigentlich um einen Kalkül handeln kann ⫺ es fehlen ja alle Grundbedingungen: Anfangsfiguren, formale Ableitungsregeln usw. Diese Formeln müssen vielmehr als Stenogramm einer epistemologisch-kosmologischen Spekulation gelten. Das ist aber entscheidend, weil hier das Wesentliche verfehlt wird: die spekulative Natur der idealistischen Philosophie, die Äquilibristik auf der indifferenten Schnittstelle von Subjekt und Objekt, hätte es in semiotischer Sicht gerade erforderlich gemacht, daß die Bezeichnungen der essentiellen Strukturen des Seins als seiende essentielle Strukturen des Zeichens hätten aufgewiesen werden müssen. Anders ausgedrückt: der Kalkül der Genese müßte untrennbar mit der Genese des Kalküls verbunden sein. Die Schellingsche Formalisierung dagegen ist meilenweit davon entfernt: der Zeichengebrauch der Anschauungsideologen bleibt durchaus im Rahmen eines Stenogramms (vgl. Art. 82 § 2.1.). Beginnen wir eine vorläufige Zusammenfassung mit einem Einwand: Natürlich sind die philosophischen Systeme Fichtes und Schellings insgesamt zeichenhaft manifestiert: sie schreiben doch über Erkenntnis und haben ihre Doktrinen in Vorlesungen vorgetragen. Was immer Inhalt ihrer Theorie ist, ist also trivialerweise z. B. sprachlich-zeichenhaft vermittelt. Aber das Problem, welches sich mit und bei ihnen in semiotischer Sicht stellt, ist, daß ihr Gegenstand, nämlich Vorstellungen, selbst Repräsentationen sind. Mit ihnen stellt sich die wirklich schwere Aufgabe, die Form
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X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
der Repräsentation von Gegenständlichem selbst gegenständlich darstellen zu müssen: die Repräsentation der Repräsentation. Das Bewußtsein hierüber ist zwar sowohl bei Schelling als auch bei Fichte vorhanden, die semiotischen Konsequenzen aber sind unzulänglich. Das zweite Problem, das sich ihnen stellt ⫺ und dessen sind sie sich sogar sehr bewußt ⫺ ist, daß ihr zentraler Gegenstand Handlungen sind. Handlungen sind aber wirklich nur als durchgeführte, als aktuelle, und nicht durch etwas, etwa durch den Report über eine Handlung, zu substituieren. Ein solcher Report über eine Handlung behandelt diese wie ein Objekt. Wie aber das Nichtvertretbare, das Ich-denke als Ich-tue, in und durch Zeichenoperationen zum Ausdruck kommen kann, von diesem Problem ist zwar das Bewußtsein, aber nicht die Lösung vorhanden.
5.
Hegel
Bisher blieb mit Absicht die Diskussion Hegels (1770⫺1831) ausgespart (vgl. Art. 75 § 2.4. und Art. 82 § 1.5.). Für Fichte ist Sprache im weitesten Sinne der „Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen“ (Fichte 1795, 302). Die Sprachgenese erblickt er im Kommunikationsbedürfnis; seine sprachgenetischen Überlegungen treten daher auch vornehmlich im Kontext der Rechtsphilosophie auf als Bedingung der Möglichkeit der Vertragsfähigkeit freier Wesen. Er spricht von der Notwendigkeit, daß sich der „Trieb, eine Sprache zu realisiren, und die Nothwendigkeit, ihn zu befriedigen“, einstellt, „wenn vernünftige Wesen miteinander in Wechselwirkung treten“ (ebd., 309). Hegel dagegen begreift, daß in restlos alles ⫺ wie er in der Logik schreibt ⫺, was dem Menschen innerlich ist, die Sprache eingedrungen ist, und was er so in der Sprache äußert, enthält implizit oder explizit eine Kategorie (vgl. Hegel 1812, 21). Der Ort des Logischen, der Vernunft also, ist nach Hegel die Sprache. Ihm ist daher klar, daß diese auch schon in die „Einsicht ins Ich“ kategorial eingedrungen ist, und er hat das „Meinen“, das subjektive „Für-wahr-Halten“, aber auch das „eine Bedeutung mit etwas verbinden“ selbst zu einer Art strategisch legitimem, aber auch in keiner Weise bevorzugten Zug in dem evolvierenden, gleichsam autopoietischen Entwicklungsgang des Geistes gemacht, in welchem der volle Bewußtseinsgehalt einer Weltsicht rekonstruiert wird (vgl. Hegel 1806). Ausgezeichnete, immer wieder eingenommene und verlassene Argumentationspositionen
sind hier das An-sich-sein, das Sein-für-Anderes und das Für-mich-sein, alles perspektivische Verschiebungen und Situationen, die einen wirklichen Diskurs charakterisieren. Hegel betont also ⫺ und hierin unterscheidet er sich von Fichte und Schelling ⫺ den diskursiven Charakter des Denkens. Andererseits können wir sein Hauptwerk, die Phänomenologie des Geistes, durchaus als eine expandierte Version des Kantischen Schematismuskapitels begreifen: dessen Aufgabe war, einem reinen Verstandesbegriff sein Bild zu verschaffen. Die im Entwicklungsgang der Phänomenologie des Geistes evolvierten Bilder allerdings sind Weltbilder, Lebensformen, Sprachspiele, welche die Potenz eines jeweils restringierten und erweiterungsfähigen Vokabulars (eines Kodes, können wir sagen) gewissermaßen durchprobieren. Was über die jeweils eingeschränkten Sichtweisen hinausführt, ist die Direktive durch den elaboriertesten Kode, den Hegel „absolutes Wissen“ nennt. Er ist nach Hegel das Verfügen über alle Weisen, in denen sich das Wahre darstellt, zur Erscheinung, zum Phänomen wird. Die Charakterisierung, welche Hegel von der „Erscheinung“ gibt, könnte nun dazu verführen, seine ganze Philosophie als eine Art „semiotica magna“ aufzufassen. Er schreibt: „Eine Erscheinung, die etwas bedeutet, stellt nicht sich selber und das, was sie als äußere ist, vor, sondern ein Anderes, wie das Symbol“ (Hegel 1835, 43). Hegel hat damit einen seiner Grundterme und damit die Grundstruktur seiner philosophischen Spekulation schon sehr deutlich dem Zeichenbegriff angenähert, diesen also gleichsam universal gesetzt; außerdem hat er in der Analyse des Meinens und der „Sinnlichen Gewißheit“ (der referentiellen Deixis) zweifellos ein wichtiges Ingrediens aller Semiotik untersucht (vgl. Hegel 1806, insbesondere das Kapitel „Die Sinnliche Gewißheit“). Aber wir müssen hier doch der semiotischen Euphorie einen Dämpfer verpassen: Denken ist nach Hegel diskursiv und rückgebunden an Anschauungen (sein Vexierspiel von Unmittelbarkeit und Vermittlung). Der Ort der Logik ist die Sprache. Aber einschränkend müssen wir sagen: Es ist die Sprache als allgemeines Kulturphänomen, als Hort der Lebensformen. Der Zeichensprache, insbesondere der logischen Zeichensprache dagegen hat Hegel in einer sehr aufschlußreichen Bemerkung in seiner Logik eine Abfuhr erteilt: Er schreibt da anläßlich der Betrachtung der Kalkülisierungsversuche der Logik, wie sie von Leibniz mit seiner Idee
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
der allgemeinen Charakteristik und des calculus ratiocinator vorgenommen wurden: „Das Ableiten der sogenannten Regeln und Gesetze des Schließens vornehmlich ist nicht viel besser als ein Befingern von Stäbchen von ungleicher Länge, um sie nach ihrer Größe zu sortieren und zu verbinden“ (Hegel 1812, 49). Und weiter: „Man hat daher nicht mit Unrecht dieses Denken dem Rechnen und das Rechnen wieder diesem Denken gleichgesetzt“ (ebd.). Dieses Tun ist für Hegel „begriffloses Kalkulieren“ (ebd.), an sich „geistlos“ (ebd.). Was macht nach Hegel die entscheidende Differenz von seiner Logik zu solchen formalen Kalkülen als Zeichensystemen aus? Es ist der Begriff, noch deutlicher, der „Geist“. Das Befingern von Stäbchen wie auch das Kalkulieren mit Steinchen ist dagegen geistloses Tun. Das Operieren mit begrifflosen Zeichen ist nach Hegel Kinderei; erst der Begriff, der Geist, läßt so etwas wie Logik entstehen. Da aber die Sprache, und zwar, das ist ganz wesentlich, die volle Sprache in ihrer ganzen Potenz, der Ort des Geistes ist, so handelt es sich bei solchen formalen Kalkülen eben nicht um „Sprachen“, wohlgemerkt im Hegelschen Sinn (vgl. aber Art. 78 § 5.). Der Dialektiker Hegel erkennt hier gerade nicht die Dialektik zwischen der Sprache als Gesamtkulturphänomen, die allerdings phänomenologisch ist, d. h. an Lebensformen gebunden, und der Formalität von Sprachen, welche im Medium einer spezifischen Anschauung, nämlich der synthesis speciosa, der Zeichensynthese, sich entwickeln (die zugegebenermaßen nicht unmittelbar Lebensform ist, genau so wenig, wie etwa die Mathematik dies schlechthin ist).
6.
Hegel vs. Frege
Wenn Hegel gegen die Formelsprache die „Geistesgegenwart“ postuliert, so ist es tatsächlich wie ein Musterstück seiner Dialektik anzusehen, wenn gerade der Nichtdialektiker Frege (1848⫺1925), dem die Theorie der formalen Sprachen so viel verdankt (vgl. Art. 76 § 3.1.), die Dialektik, die in der „Versinnlichung“ des Zeichens liegt, bestens erkannt hat. Er schreibt: „Wir würden uns ohne Zeichen schwerlich zum begrifflichen Denken erheben. Indem wir nämlich verschiedenen aber ähnlichen Dingen dasselbe Zeichen geben, bezeichnen wir eigentlich nicht mehr das einzelne Ding, sondern das ihnen Gemeinsame,
1435 den Begriff. Und diesen gewinnen wir erst dadurch, daß wir ihn bezeichnen; denn da er an sich unanschaulich ist, bedarf er eines anschaulichen Vertreters, um uns erscheinen zu können“ (Frege 1882, 90). Frege sagt aber auch im Anschluß hieran den entscheidenden und sehr dialektisch klingenden Satz: „So erschließt uns das Sinnliche die Welt des Unsinnlichen“ (ebd.). Die janusköpfige, wahrhaft dialektische Natur des Zeichens beschreibt Frege so: „Zeichen sind für das Denken von derselben Bedeutung, wie für die Schiffahrt die Erfindung, den Wind zu gebrauchen, um gegen den Wind zu segeln“ (ebd.). Und schließlich: „So dringen wir Schritt für Schritt in die innere Welt unserer Vorstellungen ein und bewegen uns darin nach Belieben, indem wir das Sinnliche selbst benutzen, um uns von seinem Zwang zu befreien“ (ebd., 89 f). Das Sinnliche selbst benutzen, um uns von seinem Zwang zu befreien, man muß zugeben, daß dies auch eine Übersetzung der Aufgabenstellung der Phänomenologie des Geistes sein könnte, mit dem Ausgangspunkt der „sinnlichen Gewißheit“ und dem Endpunkt des zu sich selbst Kommens des Geistes, ein Schritt-für-SchrittEindringen in die Welt unserer Vorstellungen und eine Befreiung vom Zwang des Sinnlichen. Aber hier hören dann auch die Gemeinsamkeiten auf: Das Unsinnliche am Sinnlichen ist für Hegel der Geist, für Frege der Sinn (vgl. Frege 1892). Dieser macht das Zeichen erst tauglich dazu, bezeichnend zu sein (vgl. Art. 102). Aber vor allem: was Hegel als Stein des Anstoßes empfand, nämlich daß man das Rechnen mit dem Denken gleichsetzt, das sieht Frege als seine Prämisse an: „Sollten […] nicht die Gesetze der Zahlen mit denen des Denkens in der innigsten Verbindung stehen?“ (Frege 1884, 21). Die Durchführung des logizistischen Programms Freges ist der Nachweis, daß es sich in der Tat so verhält. Für die Zeichensprache des reinen Denkens, wie sie Frege in der Begriffsschrift entwirft, ist dann aber die verschärfende Einsicht leitend, daß nicht jedes Zeichensystem gleiches Interesse beanspruchen kann, denn „von den Zeichen will niemand etwas wissen, wenn nicht deren Eigenschaft zugleich eine des Bezeichneten ausdrückt“ (ebd., 32). Auf die Entwicklung eines in dieser Hinsicht adäquaten Zeichensystems hat, wie man weiß, Frege die größte Sorgfalt verwendet. Die Auswirkungen seines Ansatzes sind für die Analyse der Logik und der natürlichen Sprachen von großer Bedeutung gewesen. Beson-
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X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
ders Wittgenstein (1889⫺1951) hat in seinem „Tractatus“ und in den „Tagebüchern“ immer wieder über die notwendige „Multiplizität“, d. h. sachgerechte expressive Kraft eines Zeichensystems nachgedacht (vgl. Wittgenstein 1914⫺16 und 1921; siehe auch Art. 109).
7.
Erkenntnistheorie und Zeichenarchitektonik: Peirce
In Peirce (1839⫺1914) haben wir einen Theoretiker vor uns, der den kantischen erkenntnistheoretischen Ansatz auf der einen Seite und den bei Frege angetroffenen logisch motivierten Ansatz einer Zeichenarchitektonik in einen fruchtbaren Ausgleich zu bringen versucht hat, freilich ohne daß Peirce sich auf Frege bezogen hätte. Seine immer wieder neu formulierten logisch-semiotischen Überlegungen sind vielmehr durch Leibniz (1646⫺ 1716), de Morgan (1806⫺1871), Boole (1815⫺1864) und Schröder (1841⫺1902) beeinflußt. Peirce hat dem Begriff der Repräsentation wieder eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Sie ist das, was etwas Gegenstand des Bewußtseins sein läßt. In diesem Begriff werden das Kognitive, das Ontische und das Signitive indifferent: „Whatever is capable of being represented is itself of a representative nature“ (Peirce 1958, Bd. VIII, 8.268; geschrieben 1903). Peirce kann deswegen sagen, daß der Begriff des Seins selbst nur über das Repräsentiertsein, und zwar im Zeichen, zugänglich wird. Mit Recht darf daher Peirce als der eigentliche Begründer einer Semiotik als eigenständiger Disziplin betrachtet werden. Aber es ist an dieser Stelle wichtig, daß Peirce sich nicht mit solchen allgemeinen Postulaten begnügt, sondern in der Tat daran gegangen ist ⫺ durchaus entsprechend der aristotelischen Einsicht, daß das Sein in vielfacher Weise ausgesagt wird ⫺ die vielfachen Bezeichnungsmöglichkeiten von Seiendem zu analysieren. Unmöglich können wir hier in die Details einsteigen ⫺ das muß dem gesonderten Artikel 100 über Peirce in diesem Handbuch vorbehalten sein (vgl. aber vor allem Oehler 1979 und Pape 1989) ⫺, aber es ist doch wichtig, daß Peirce seinen Zeichenkatalog aus einer Grundtrichotomie entwikkelt hat, die er aufgrund einer Auseinandersetzung mit den Kategorien von Aristoteles, aber vor allem von Kant erarbeitete: „There are three modes of being. I hold that we can
observe them in elements of whatever is at any time before the mind in any way. They are the being of positive qualitative possibility, the being of actual fact, and the being of law that will govern facts in the future“ (Peirce 1931⫺35, Bd. I, 1.23; (geschrieben 1903). Gemäß der Koinzidenz des Kognitiv-Ontischen mit dem Signitiven entsprechen den drei Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit auch drei Zeichengrundklassen, die aber wiederum in drei Aspekte unterteilt werden, und zwar 1. mit Blick auf das Zeichen als solches; 2. mit Blick auf das bezeichnete Objekt; 3. mit Blick auf den „Interpretanten“. Die Subkategorisierung am Leitfaden der drei Kategorien ergibt bezüglich 1. die Einteilung in a) Qualisign (die Zeichengestalt oder Zeichenqualität), b) Sinsign („Token“), c) Legisign („Type“); im Hinblick auf 2. die Einteilung in a) Ikon, b) Index, c) Symbol; im Hinblick auf 3. die Einteilung in a) Rhema (Bezeichner eines Themas einer Rede überhaupt), b) Dicent (wahrheitsfähiges Zeichen), c) Argument (logisches Argument). Da nun diese verschiedenen Klassifikationen noch untereinander kombinatorisch verknüpft werden können, ergibt sich eine eindrucksvolle Zeichenarchitektonik, die insgesamt dem Bedürfnis entsprungen ist, jener von Frege angesprochenen Übereinstimmung der Eigenschaften des Zeichens mit dem des Bezeichneten nachzuspüren. Mit dieser kurzen Erläuterung müssen wir es hier bewenden lassen (vgl. aber Art. 100). Wir werden auf Peirce noch einmal zum Schluß zurückkommen.
8.
Die Semiotik im Rahmen der Hermeneutik: Schleiermacher und Dilthey
Kant hatte die kategorial strukturierte systematische Einheit des Bewußtseins daraufhin untersucht, welche Verstandesleistungen der Erfahrung Kohärenz verleihen, eine Kohä-
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
renz, die er oft mit dem Terminus „Kontext der Erfahrung“ (Kant 1787, 195) bezeichnete. Hegel hat diesen Kontext schon als im wesentlichen sprachlich erkannt. Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrungen lesen zu können, war das Projekt der Erkenntnistheorie Kants. Schleiermacher (1768⫺ 1834) nun erkannte, daß umgekehrt Texte selbst Erscheinungen, ein Erfahrungsbestand sind, der buchstabiert werden muß, um als kohärenter Sinnzusammenhang, als sinnvoll zusammenhängendes Zeichensystem erfahren werden zu können (vgl. Art. 72 § 2.5.). Ebenso wie die Erkenntnistheorie durch die Gefahr des Irrtums auf den Plan gerufen wird, wird es die Erkenntnistheorie des Textverstehens, die Hermeneutik, durch die Gefahr des Mißverstehens. Daß es einer solchen Wissenschaft bedarf, ergibt sich ebenfalls aus dem naheliegenden Parallelismus: Sagte Kant, Erscheinungen sind nicht Dinge an sich, so geht Schleiermacher von der grundlegenden Einsicht aus, daß Zeichen nichts an sich sind; kein Zeichen ist autonomer Bürge seiner Bedeutung. Jedes „Wort, das in der Sprache gewachsen ist, […] ist gleich eine Combination einer Mannigfaltigkeit von Beziehungen und Übergängen“ (Schleiermacher 1838, 51). Die Rekonstruktion dieser Beziehungen und Übergänge vermag sich aber auf nichts anderes zu stützen als die Sprache selbst. „Alles vorauszusetzende in der Hermeneutik ist nur Sprache, und alles zu findende […] muß aus der Sprache gefunden werden“ (Schleiermacher 1820⫺29, 38). Jede Rede ist also eingebettet in die gesamte Sprache, aber sie konkretisiert sich nur individuell. In diesem Spannungsfeld von individueller Instantiierung und dem Sprachganzen ist die Hermeneutik als Wissenschaft angesiedelt. „Von Seiten der Sprache angesehen entsteht […] die technische Disziplin der Hermeneutik daraus, daß jede Rede nur als objective Darstellung gelten kann, inwiefern sie aus der Sprache genommen und aus ihr zu begreifen ist, daß sie aber auf der anderen Seite nur entstehen kann als Aktion eines Einzelnen […]. Die Ausgleichung beider Momente macht das Verstehen und Auslegen zur Kunst“ (Schleiermacher 1812⫺13, 116). Die Sprache selbst ist nach Schleiermacher das „individuelle Allgemeine“ (vgl. vor allem die Ausführungen in Schleiermacher 1822, § 272⫺275). „Der Einzelne ist […] in seinem Denken durch die gemeinsame Sprache bedingt und kann nur die Gedanken denken, welche in seiner Sprache schon ihre Bezeichnung ha-
1437 ben“ (Schleiermacher 1838, 12). Das aber heißt: die patente, die offenbare Textstruktur, ist eingebettet in eine latente Wissensstruktur, welche das Verstehen des Einzelnen zurückvermittelt in eine holistische Perspektive. Schleiermacher schreibt: „Man muß die Totalität ‘fassen’, was ihm [dem Autor] zu Gebote stand, kennen“ (Schleiermacher 1820⫺29, 70), um die Bedeutung des Textes wirklich zu erfassen. Für die Sprache als „allgemeines Bezeichnungssystem“ (Schleiermacher 1822, 372) gilt nun, daß sie in einem Schematisierungsprozeß gründet. Schleiermacher verwendet also zur Erhellung der Synthese von Individuellem und Allgemeinem einen Kantischen Begriff. „Denn wir können das allgemeine Bild in seiner Differenz vom einzelnen nur durch ein Zeichen fixieren, sei nun das Zeichen ein Wort oder wieder ein Bild“ (ebd.). „Das Entstehen der Sprache hängt an diesem Schematisierungsprozeß und ist in ihm hinlänglich begründet“ (ebd.). Mit Schleiermacher stellt sich also in umfassender Weise das Verstehensproblem angesichts von solchen komplexen Zeichensystemen wie sprachlichen Texten. Aber die Hermeneutik als wissenschaftliche Disziplin ⫺ und hier zeigt sich die Weite des Schleiermacherschen Ansatzes ⫺ ist nicht auf schriftliche Texte beschränkt. Denn das Problem des Mißverstehens stellt sich „überall wo es im Ausdruck der Gedanken durch die Rede für einen Vernehmenden etwas fremdes gibt“ (Schleiermacher 1920⫺29, 128). Die Hermeneutik als Auslegungslehre bzw. Verstehenspraxis kann nicht länger als reine Textwissenschaft in einem restringierten Sinn von Zeichenrealisierung verstanden werden, sondern sie findet nach Schleiermacher „im Gebiet der Muttersprache und im unmittelbaren Verkehr mit Menschen“ (ebd., 130) statt. Die fachwissenschaftliche Sphäre des Philologen und Übersetzers überschreitend, wird der Alltag selbst zum problematischen (Gesamtkon-)Text. Damit erhält das Verstehensproblem eine wissenschaftlich zentrale und umfassende Bedeutung. Es ist Dilthey (1833⫺1911), welcher hieraus die Konsequenz gezogen hat (vgl. Art. 77 § 6.). In der Tat, „Verstehen“ ist der Diltheysche Zentralbegriff, welcher eine eigenständige Spezies Wissenschaft konstituiert: die Geisteswissenschaften. „Ihr Umfang reicht so weit wie das Verstehen“ (Dilthey 1910, 148). Dilthey bindet seine Theorieentwicklung grundsätzlich an die semiotische Beziehung von Zeichen und Zeichenverstehen. „Den
1438 Vorgang, in dem wir aus Zeichen, die von außen gegeben sind, Inneres erkennen, nennen wir Verstehen“ (ebd., 309). Was aber ist dieses Innere, das doch offenbar der Hauptgegenstand der Geisteswissenschaften ist? Dilthey antwortet: „Das Verstehen hat […] seinen einheitlichen Gegenstand in den Objektivationen des Lebens“ (ebd., 148). Das Leben also ist es, das sich veräußert, objektiviert, und darin verstanden werden kann. Ja, Dilthey schreibt: „Es ist der Vorgang des Verstehens, durch den Leben über sich selbst in seinen Tiefen aufgeklärt wird“ (ebd., 87). Gegenstand des Verstehens überhaupt sind also allgemein „Lebensäußerungen“ als Ausdruck des Geistigen. „Jede Lebensäußerung hat eine Bedeutung, sofern sie als ein Zeichen etwas ausdrückt, als ein Ausdruck auf etwas hinweist, das dem Leben angehört“ (ebd., 234). Dilthey formuliert damit natürlich einen äußerst umfassenden (Lebens-)Ausdrucksbegriff, denn „ich verstehe hier unter Lebensäußerungen nicht nur die Ausdrücke, die etwas meinen oder bedeuten (wollen), […] sondern ebenso diejenigen, die ohne solche Absicht als Ausdruck eines Geistigen ein solches für uns verständlich machen“ (ebd., 205). Dazu zählen Gebärden, Mienen, Worte oder die „dauernden geistigen Schöpfungen, in denen die Tiefe des Schaffenden sich dem Auffassenden öffnet, oder die beständigen Objektivierungen des Geistes in gesellschaftlichen Gebilden, durch welche die Gemeinsamkeit menschlichen Wissens hindurchscheint“ (ebd., 86). Also gehören auch die Formen des Rechts, der Moral, der Sitte, kurz der Bereich dazu, den schon Hegel als das Reich des „objektiven Geistes“ bezeichnet hatte. Das von Dilthey für die Geisteswissenschaften reklamierte Verstehen des Inneren ist nicht Individualpsychologie, denn es gilt: „Jede einzelne Lebensäußerung repräsentiert im Reich dieses objektiven Geistes ein Gemeinsames. Jedes Wort, jeder Satz, jede Gebärde oder Höflichkeitsformel, jedes Kunstwerk und jede historische Tat sind nur verständlich, weil eine Gemeinsamkeit den sich in ihnen Äußernden mit dem Verstehenden verbindet“ (ebd., 146 f). Gegenstand der Geisteswissenschaften ist also in dem fundierenden Zusammenhang von „Leben, Ausdruck und Verstehen“ (ebd., 86) der objektive Gehalt geltender Symbole. Auf der Basis dieser Gemeinsamkeit dringt das Verstehen „in die fremden Lebensäußerungen durch die Transposition aus der Fülle eigener Erlebnisse ein“
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
(ebd., 118). „Das Verstehen und Deuten ist die Methode, welche die Geisteswissenschaften erfüllt“ (ebd., 205). Worin besteht nun eigentlich diese Methode? „Auf der Grundlage dieses Hineinversetzens, dieser Transposition entsteht nun aber die höchste Art, in welcher die Totalität des Seelenlebens im Verstehen wirksam ist, das Nachbilden oder Nacherleben“ (ebd., 214). Nachbilden oder Nacherleben, Hineinversetzen in den Ausdruckssinn objektivierter Symbole, ist die den Geisteswissenschaften eigentümliche Methode. Da es sich in der Tat um Lebensäußerungen handelt, so muß diese Methode gewissermaßen Wiederbelebung sein; und in der Tat bezeichnet Dilthey die Transposition als ein „Zurückübersetzen in die volle ganze Lebendigkeit“ (Dilthey 1895⫺96, 265). Im Lichte dieser Konzeption ist alles, was Gegenstand der Geisteswissenschaften sein kann, in irgendeinem Sinn „res gesta“. „Alles ist hier durch geistiges Tun entstanden und trägt daher den Charakter der Historizität. In die Sinnenwelt selbst ist es verwoben als Produkt der Geschichte. Von der Verteilung der Bäume in einem Park, der Anordnung der Häuser in einer Straße, dem zweckmäßigen Werkzeug des Handwerkers bis zu dem Strafurteil im Gerichtsgebäude ist um uns stündlich geschichtlich Gewordenes. Was der Geist heute hineinverlegt von seinem Charakter in seine Lebensäußerung, ist morgen, wenn es dasteht, Geschichte“ (Dilthey 1910, 147). Objektivation des Lebens ist ⫺ das wird hier besonders deutlich und rechtfertigt die ausführlichen Zitate ⫺ alles, was zum Bereich der menschlichen Kultur gehört, was durch den Menschen als Artifex im umfassenden Sinn autorisiert ist. Geisteswissenschaft in ihrem vollen Sinn ist das Wiederbeleben der Sinnintentionen dieses Autors Menschheit, der sich in der Geschichte zum Ausdruck bringt. (Vgl.: „so ist überall der Zusammenhang von Erleben, Ausdruck und Verstehen das eigene Verfahren, durch das die Menschheit als geisteswissenschaftlicher Gegenstand für uns da ist“, ebd., 87.) Aber, so müssen wir nunmehr fragen, ist denn wirklich alles Produkt menschlicher Kultur?
9.
Dilthey und der Modellbegriff der Naturwissenschaft
Wir werden hier dazu geführt zu bemerken, daß Dilthey seine semiotisch fundierte Geisteswissenschaft nur durch Abgrenzung ge-
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
gen die Naturwissenschaften gewinnt. Die geistlose, nicht humane, nicht geschichtliche Natur kann nicht eigentlich verstanden werden. Sie ist der Bereich, der sich gerade so konstituiert, daß „der Mensch sich selbst ausschaltet“ (Dilthey, 83), denn die direkte Lebensbedeutsamkeit, welche das Verstehen aufschließt, verschwindet. Es „unterscheiden sich […] von den Naturwissenschaften die Geisteswissenschaften dadurch, daß jene zu ihrem Gegenstand Tatsachen haben, welche im Bewußtsein als von außen, als Phänomene und einzeln gegeben auftreten, wogegen sie in diesen als Realität und als lebendiger Zusammenhang originaliter auftreten“ (Dilthey 1894, 143). D. h., die direkte Lebensbedeutsamkeit, welche das Verstehen aufschließt, verschwindet, und anstatt, daß ein lebendiger Zusammenhang wie die Objektivationen des Lebens originaliter auftritt, wird der große Gegenstand, die Natur, „als eine Ordnung nach Gesetzen konstruiert“ (Dilthey 1910, 83), aber um den Preis, daß der „Erlebnischarakter unserer Eindrücke von der Natur […] immer mehr zurücktritt hinter das abstrakte Auffassen derselben nach den Relationen von Raum, Zeit, Masse und Bewegung“ (ebd., 82 f). Dilthey resümiert: „So ist die Natur uns fremd, dem auffassenden Subjekt transzendent, in Hilfskonstruktionen vermittels des phänomenal Gegebenen zu diesem hinzugedacht“ (ebd., 90), und er formuliert lapidar: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey 1894, 144). Natur ist ausgeschalteter Mensch, mit der Konsequenz, daß der Zugang zur Natur nicht über originaliter Gegebenes erfolgt, sondern über Substruktionen. Zur Erklärung von Naturvorgängen sind Hilfskonstruktionen nötig, die nicht „gedeckt“ sind durch „Erlebnischaraktere“; die Natur ist dem Verstehen transzendent und muß, gewissermaßen faute de mieux, durch Substruktionen erklärt werden (vgl. Art. 31 § 1.). Was aber ist die semiotische Bedeutsamkeit von all diesem? Sie ist durchaus nicht unerheblich. Haben wir bei Dilthey schon eine Ausdehnung des Symbolbegriffs auf schlechthin alle Ausdrücke menschlicher Kultur („Lebensäußerungen“) gesehen, so wird sich nunmehr zeigen, daß das, was er der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als Manko ankreidet, nämlich das Operieren mit „Hilfskonstruktionen“ (also hypothetischen Gebilden, schematischen Modellen), sich als entscheidende Stärke erweist. Nach Kants Diktum können wir nur das verstehen, was wir
1439 machen. Was die Natur betrifft, so mögen wir sie, muß man mit Dilthey wohl sagen, zwar erkennen und erklären können, aber verstehen können wir sie gerade nicht, weil wir sie nicht „machen“. Das Erklären erscheint in dieser Sicht geradezu als abkünftiger, defizienter Modus des Verstehens. Die methodologischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts werden aber gerade das Motiv wieder verstärken, das schon Descartes antrieb, daß nämlich nur das wirklich durchsichtig erkannt ist, was im funktionalen Modell simuliert werden kann. Der Verzicht auf die Erlebnischaraktere und die Idee, daß man mit Bedeutungen, statt sich in sie einzufühlen, rechnen kann, gibt auch dem epistemologischen Status formaler und modellhafter Zeichensysteme eine von Dilthey ungeahnte Aufwertung. „Das Seelenleben verstehen wir, die Natur erklären wir“, schrieb Dilthey. Hören wir nun, was einer seiner Zeitgenossen, der Physiker und Wissenschaftstheoretiker P. Duhem (1861⫺1916) hierzu zu sagen hat. Duhem schreibt nämlich bezüglich der Charakteristik einer physikalischen Theorie abgrenzend: „Eine physikalische Theorie ist keine Erklärung“ (Duhem 1906, 20). Damit scheint sogar das, was Dilthey den Naturwissenschaften als ihre genuine Fähigkeit einräumte, nicht zu gelten. Aber was ist dann eine physikalische Theorie, bzw. ein physikalisches Gesetz? „Ein physikalisches Gesetz ist eine symbolische Beziehung“ (ebd., 227). Aber, wird man fragen: eine symbolische Beziehung und sonst nichts? Wozu würde dann aber die ganze Begriffsarbeit der Physiker gut sein; würde sich denn überhaupt der ganze Aufwand der empirischen Forschung lohnen, wenn am Ende nur die Verwandlung von Naturtatsachen in symbolische Beziehungen stünde? Eine physikalische Theorie bzw. ein physikalisches Gesetz ist nach Duhem „eine symbolische Beziehung mit einer Anwendung auf die konkrete Wirklichkeit“ (ebd.). Jedoch weiß Duhem genau, daß diese Beziehung einer bezeichneten Sache zu dem Zeichen, das für sie steht, einer Realität zu dem Symbol, das sie darstellt, keineswegs unmittelbar ist. „Ein physikalisches Gesetz ist eine symbolische Beziehung, deren Anwendung auf die konkrete Wirklichkeit erfordert, daß man eine ganze Gruppe von Theorien kenne und akzeptiere“ (ebd.). Nehmen wir etwa ein konkretes Gas mit einer bestimmten Temperatur. „Um diesem mehr oder minder warmen Gas eine Temperatur zuzuschreiben, muß man zum Thermometer
1440 greifen […]. Der Gebrauch des Thermometers wie der des Manometers setzen aber […] den Gebrauch physikalischer Theorien voraus“ (ebd., 220). Also: der Wert eines Volumens, das ein Gas einnimmt, der Wert des Drucks, unter dem es steht, der Grad der Temperatur, den es besitzt, sind allerdings sämtlich keine konkreten Objekte und Eigenschaften, die wir z. B. den unmittelbaren phänomenalen Eigenschaften wie Farben und Tönen an die Seite stellen dürfen; hierin hat Dilthey sicher recht, es sind „abstrakte Symbole“. Abstrakt in dem Sinn, daß der einzelne Begriff niemals für sich allein an der Erfahrung gemessen und beglaubigt werden kann, sondern er erhält diese Bestätigung stets nur als Glied eines theoretischen Gesamtkomplexes. Das, was Dilthey wegen der fehlenden Einfühlbarkeit, Unmittelbarkeit oder Phänomenalität das Substruktive, nicht im direkten Erleben Ausgewiesene der Naturwissenschaften nennt, und was er deswegen als defizitär einschätzt, erweist sich vielmehr als deren eigentliche Potenz. Es ist in der Tat zwischen den Fakten und dem Naturgesetz in den Naturwissenschaften eine klarere Dissoziation möglich als in den Geisteswissenschaften, wo das Verstehen der „Lebensbedeutsamkeit“ von individuellen Situationen zwar mit Rückbezug auf ein Sinnganzes erfolgt, aber nicht in der Form der deduktiven Ableitung, welche Duhem (und natürlich andere) für die Form der naturwissenschaftlichen Theorie wiederum als konstitutiv annimmt. Nach Duhem ist eine physikalische Theorie zwar keine Erklärung, aber sie ist ein „System mathematischer Lehrsätze, die aus einer kleinen Anzahl von Prinzipien abgeleitet werden und den Zweck haben, eine zusammengehörige Gruppe experimenteller Gesetze ebenso einfach wie vollständig und genau darzustellen“ (ebd., 21). Was also an unmittelbarer, erlebnishafter Anschaulichkeit verloren geht, wird andererseits durch vereinheitlichende, eben systematische und prinzipielle Durchsichtigkeit bei weitem wieder wettgemacht. Die Umbildung des bloßen Eindrucks in das mathematische Symbol ist die Bedingung für die Gewinnung eines mathematischen Zusammenhangs. Das Symbol besitzt sein Korrelat nicht in den phänomenalen Bestandteilen der Wahrnehmung, sondern in dem gesetzlichen Zusammenhang, der zwischen ihren einzelnen Gliedern besteht (zur Vorgeschichte des Symbolbegriffs vgl. Art. 63 § 5.1.). Die Bedeutungszuweisung der Zeichen für empirische Größen erfolgt durchaus mit Rekurs auf
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
die Gesamttheorie ⫺ etwas, was auch der Naturwissenschaft eine holistische Struktur verschafft (vgl. die sogenannte DuhemQuine-These). Also: die wissenschaftstheoretische Forderung, die an physikalische Symbole gestellt wird, ist nicht, daß sie ein einzelnes sinnlich aufzeigbares Dasein abbilden, sondern daß sie untereinander in einer derartigen Verknüpfung stehen, daß kraft dieser Verknüpfungen, kraft der „denknotwendigen“ Zusammenhänge die Erfahrung ihre Kohärenz erhält. Genau in diesem Sinn schreibt Heinrich Hertz (1857⫺1894) über die Theoriebildung der Physik: „Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände. Damit diese Forderung überhaupt erfüllbar sei, müssen gewisse Übereinstimmungen vorhanden sein zwischen der Natur und unserem Geiste. Die Erfahrung lehrt, daß […] solche Übereinstimmungen in der Tat bestehen. Ist es uns einmal geglückt, aus der angesammelten bisherigen Erfahrung Bilder von der verlangten Beschaffenheit abzuleiten, so können wir an ihnen, wie an Modellen, in kurzer Zeit die Folgen entwickeln, welche in der äußeren Welt erst in längerer Zeit oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens auftreten werden“ (Hertz 1894, 1 f). Hatte Dilthey die substruktive Natur der Hilfskonstruktionen angeprangert, so wird hier deutlich, daß Hertz gerade in der Operation mit symbolischen Modellen die prospektive Kraft der Naturwissenschaft verankert. Der Modellbegriff ist überhaupt für die methodische Diskussion der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts von entscheidender Bedeutung gewesen (zur Vorgeschichte des Modellbegriffs im 18. Jahrhundert vgl. Art. 62 §§ 7.2. und 8.2.4.). Duhem selbst hat seine Wichtigkeit anerkannt, aber er hat sich heftig dagegen gewehrt, daß das Verstehen eines physikalischen Prozesses damit identisch sei, ihn in einem der seinerzeit fast ausschließlich gängigen mechanischen Modelle zu visualisieren. Hertz’ Modelle sind durchaus auch nicht als solche Visualisierungen gemeint, sondern sie betreffen die innere, die symbolisch-mathematische Struktur der physikalischen Theoriebildung. Es ergibt sich daraus aber, daß verschiedene Begriffe von Modell zu differenzieren sind. Modelle sind, allgemein gesprochen, Repräsentationssy-
1441
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
steme. Ihnen liegt eine Abbildungsbeziehung (Regeln der Zuordnung) zugrunde, welche den reale Gegenstände bzw. Prozesse vertretenden Zeichen ihre spezifische Bedeutung zuweist. Die Erörterung von Modellen enthält daher zwangsläufig Elemente, welche auch die Darstellungsfähigkeit von Zeichen überhaupt betreffen. Wir können mit Achinstein theoretische, analoge und imaginäre Modelle unterscheiden (vgl. zu dem folgenden Achinstein 1968, 203 ff). Ein theoretisches Modell ist und ein imaginäres Modell kann sein eine Menge von Hypothesen. Aber in dem theoretischen Modell ist der Anspruch der, daß die Aussagen, die gemacht werden, auch wenn dies approximativ gemeint ist, wirklich gelten. Dies muß bei dem imaginären Modell nicht der Fall sein. Ein analoges Modell dagegen ist keine Annahmenmenge, sondern ein konkretes Ding. In den Fällen des imaginären und des analogen Modells wird keine Identitätsbehauptung gemacht bezüglich des modellierten Objekts. Wenn also ein Wissenschaftler ein theoretisches Modell vorgibt, so will er das, was eine physikalische Größe ist (beispielsweise ein Elektron), approximieren, indem er darüber Annahmen vorträgt. In einem analogen Modell von X will er eine bestimmte Entität Y konstruieren, welche eine positive Analogie mit X und keine negative Analogie aufweist in den bislang getesteten Rücksichten. Und im imaginären Modell von X will er betrachten, was X sein könnte, wenn es gewissen Bedingungen, die im vorhinein spezifiziert werden, unterworfen ist. Die exemplarischen Modelle der Physik und Biologie des 19. Jahrhunderts bieten Beispiele für alle drei Möglichkeiten. Maxwells (1831⫺1879) Strömungsmodell des elektromagnetischen Feldes ist ein analoges Modell; Maxwells mechanisches Modell des elektromagnetischen Feldes ist ein imaginäres Modell. Das Standardbeispiel eines theoretischen Modells ist das Äthermodell, das Fitz Gerald (1851⫺1901) 1899 vorlegte. In Wahrheit ist es eine in sich geschlossene mathematische Theorie (vgl. Art. 84). Fassen wir zusammen: Dilthey unterschätzt bei weitem die Komplexität der Zuordnungen von modellhafter Repräsentation und Wirklichkeit. Er unterschätzt vor allem die Wirkkraft eines Prozesses, den besonders Blumenberg hervorragend geschildert hat (vgl. Blumenberg 1981, besonders 100 ff), nämlich daß die ursprünglich an Nachahmung (mı´me¯sis) der Natur orientierte antike und mittelalterliche Physik mit der
Entwicklung des Modellbegriffs bei Descartes (1596⫺1650) und im 19. Jahrhundert den Status der Nachahmung der Natur verliert und vielmehr der „Vorahmer“ der Natur wird. Über die Zuordnung von Modellen zur Realität wird Realität zur Projektion des Modells. Wir verstehen die Natur aus dem heraus, was wir im Modell simulieren können (die Biologie ist ein besonders eklatantes Beispiel). Die Substruktionen und Hilfskonstruktionen, die Symbole und Bilder modellhafter Repräsentationssysteme substituieren ganz dezidiert die unmittelbare Erfahrung der Welt (vgl. Posner 1995): ein glänzender Triumph, so können wir sagen, der Zeichen über die Wirklichkeit.
10. Cassirers Synthese Ernst Cassirer (1901⫺1979) nun hat versucht, den von Dilthey aufgerissenen Graben zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften zu überwinden. Seine programmatische Intention ist es nämlich, eine adäquate Explikation naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Phänomene gleichzeitig zu geben. Er sieht diese einheitliche Grundlegung in der „Logik der Kulturwissenschaften“ (vgl. Art. 77 § 9.1. und Art. 111). Die Philosophie der Symbolischen Formen stellt „Prolegomena zu einer künftigen Kulturphilosophie“ (Cassirer 1938, 229) dar (zu der Verbindung von Semiotik und Kulturphilosophie überhaupt vgl. Posner 1989). Es sind also kulturphilosophische Kategorien, welche Modellfunktion für diese Synthese besitzen. Sie sind es, die den Gegensatz des Nomothetischen gegen das Ideographische überbrükken, die Polarisierung von Ding- und Gesetzesbegriff auf der einen und Form- und Stilbegriff auf der anderen Seite in eine höhere Einheit aufheben. Cassirer versteht dieses Unterfangen als eine „allgemeine Theorie der geistigen Ausdrucksformen“ (Cassirer 1923⫺ 29, Bd. I, V). Er schreibt: „Die verschiedenen Erzeugnisse der geistigen Kultur, die Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnis, der Mythos, die Kunst, die Religion werden so bei all ihrer inneren Verschiedenheit zu Gliedern eines einzigen großen Problemzusammenhangs“ (ebd., 12). Sie sind die Bausteine, aus denen sich die Welt des Wirklichen wie die des Geistigen aufbaut. Hierbei handelt es sich insgesamt um Ansätze, die „alle auf das eine Ziel bezogen sind, die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst
1442 befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden“ (ebd.). Cassirers Interesse gehört also ebenso wie Diltheys dem „Ausdruck“ als Objektivierung des Geistes, aber anders als Dilthey schreitet er von der Beschränkung auf die Geisteswissenschaften als verstehende Wissenschaften fort zur Rekognition der Naturwissenschaft als ebenfalls einer Art Geisteswissenschaft. Was erlaubt ihm denn diese einheitliche Betrachtung? Er findet sie in der „Grundfunktion der Zeichengebung überhaupt“ (ebd., 43). Das Projekt Cassirers nämlich, die umfassende Kulturanalyse, erweist: „Die Analysis des Wirklichen führt auf die Analysis der Ideen, die Analysis der Ideen auf die der Zeichen zurück“ (Cassirer 1923⫺29, Bd. III, 54). Zeichen stehen also im Brennpunkt der Kulturbetrachtung. Die Wirklichkeit wie die Ideen sind für den analytischen Blick nur Durchgangsstadien. „Denn das Zeichen ist keine bloß zufällige Hülle des Gedankens, sondern sein notwendiges und wesentliches Organ. Es dient nicht nur dem Zweck der Mitteilung eines fertiggegebenen Gedankeninhalts, sondern ist ein Instrument, kraft dessen dieser Inhalt selbst sich herausbildet, und kraft dessen er erst seine volle Bestimmtheit gewinnt. Der Akt der begrifflichen Bestimmung eines Inhalts geht mit dem Akt seiner Fixierung in irgendeinem charakteristischen Zeichen Hand in Hand“ (Cassirer 1923⫺29, Bd. I, 18). Die Ideenanalyse findet also ihre Erfüllung in der „Philosophie der symbolischen Formen“ (vgl. Krois 1984 und vor allem Neumann 1973). Der Symbolbegriff wird zum Grundbegriff der Cassirerschen Philosophie überhaupt. Er versucht mit ihm „das Ganze jener Phänomene zu umfassen, in denen überhaupt eine wie immer geartete ‘Sinnerfüllung’ des Sinnlichen sich darstellt; ⫺ in denen ein Sinnliches, in der Art des Daseins und Soseins, sich zugleich als Besonderung und Verkörperung […] eines Sinnes darstellt“ (Cassirer 1923⫺ 29, Bd. III, 109). Cassirer stellt drei Weisen der Manifestation und Inkarnation des Sinnes heraus: Die Ausdrucks-, die Darstellungs- und die Bedeutungsfunktion des Zeichens bzw. des Symbols (vgl. ebd., 524 ff). Cassirer registriert nämlich in der Symbolisierung eine Tendenz, der gemäß der „Halt am Gegebenen und die ‘Ähnlichkeit’ mit ihm […] mehr und mehr verloren [geht]: aus der Phase des ‘mimischen’ und des ‘analogischen’ Ausdrucks schreitet die Sprache zur rein symbolischen Formung fort“
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
(ebd., 483). Das Ausdrucksphänomen ist durch die Ungeschiedenheit von Sinnträger und Sinn gekennzeichnet (z. B. der Fetisch oder mythische Gestalten). Basis der Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem ist hier das emotional-affektive Leben. Die Darstellung entspricht dem alltäglichen Weltverhalten. Die Sprache hat hier schon wesentlich kommunikative Funktion. Die Welt der Wissenschaft dagegen nutzt das Operieren mit reinen Bedeutungen. Ihr Medium ist der Begriff. Das Zeichen realisiert seine objektivierende Funktion und bringt den invarianten ideellen Gehalt zur Darstellung. Obgleich die Symbole hier am artifiziellsten sind, drücken sie doch den umfassendsten objektiven Gehalt aus (z. B. physikalische Gesetze). Halten wir uns das Gesagte vor Augen, so wird man fragen: kann es ⫺ aus semiotischer Sicht ⫺ noch ein plus ultra darüber hinaus, was Cassirer programmatisch und darstellerisch entfaltet hat, geben? Muß nicht eigentlich die „Philosophie der symbolischen Formen“ als Synthese des Ideographischen und des Nomothetischen der logische Endpunkt einer Semiotik in der allgemeinen Philosophie der beiden letzten Jahrhunderte sein? Als Abschluß eines Weges von der Eliminierung des Zeichens als irrelevant zu seinem Triumph als Fokus einer allumfassenden Kulturphilosophie? Der Gedanke ist naheliegend, aber schauen wir hier näher zu, so bemerken wir, daß auch Cassirer noch durchaus festhält an einer gewissen Asymmetrie. Was ist nämlich Kulturphilosophie? Sie ist „allgemeine Theorie der geistigen Ausdrucksformen“ (siehe oben). Das Zeichen erscheint als Ausdrucksmittel des Geistes oder ist überhaupt die Weise seiner Erscheinung. In der Tat. Aber durch alle diese Erscheinungsweisen scheint hindurch der invariante Kern, die semiotische Erfüllung der Geistmetaphysik: „die höchste objektive Wahrheit, die sich dem Geist erschließt, ist zuletzt die Form seines eigenen Tuns“ (Cassirer 1923⫺29, Bd. I, 48). Nicht also um eine semiotische Transformation der Kantischen Philosophie handelt es sich hier, sondern um die Anreicherung des Kantischen Kerns, des transzendentalphilosophischen Modells, durch semiotische Überlegungen. Wir müssen aber nunmehr fragen: In welchem Licht erscheint der Philosophie das Zeichen, wenn sie an dem Primat des Geistes nicht in gleicher Weise festhält, wenn sich die Stellung von Erkenntnis und Natur zueinander in der
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Weise verändert haben, daß Erkenntnis selbst sub specie naturae gesehen wird? Dem wollen wir uns nun zuwenden.
11. Semiotik im Rahmen der naturalisierten Erkenntnistheorie (Helmholtz, Lotze) und die Problematik des naturalistischen Zeichenbegriffs Die nachidealistische Philosophie kann insgesamt durch einen Trend charakterisiert werden, den Rorty in seinem „Spiegel der Natur“ als „Detranszendentalisierung“ der Erkenntnistheorie bezeichnet hat (Rorty 1979 ⫽ 1981, 327). Unter diesem Titel schließt sich ein ganzes Syndrom von Entwicklungstendenzen zusammen: die Philosophie verliert den Rang, Verwalterin des absoluten Wissens zu sein. Sie tritt in Konkurrenz zu den Naturwissenschaften. Der Rang, Fundamentalwissenschaft zu sein, wird ihr von allen Seiten streitig gemacht. Wenn Fichte noch seine spekulative Philosophie als Wissenschaftslehre schlechthin ausgab, ohne sich ⫺ anders als übrigens Hegel ⫺ mit den Wissenschaften seiner Zeit auseinanderzusetzen, so werden deren Resultate nunmehr zur Rechtfertigungsbasis von Philosophemen herangezogen: Schopenhauer (1788⫺1860) betrachtet als einen seiner Lehrmeister neben Kant einen Physiologen (Pierre-Jean-Georges Cabanis, 1757⫺1808); Nietzsche (1844⫺1900) stützt seine Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen mit dem neuentdeckten Energieerhaltungssatz (Nietzsche 1887 a, 693: „Der Satz vom Bestehen der Energie fordert die ewige Wiederkehr“); die Mainstream-Philosophie arbeitet als Zentralideologie das aus, was jedem professionellen Naturwissenschaftler selbstverständliche Prämisse ist: den Materialismus. Ein heute nahezu unbekanntes Philosophiegeschichtsbuch hat den nach Hegel folgenden Zeitabschnitt den der „Philosophie im Zeitalter des Spezialismus“ (Cohn 1925) genannt, und Cassirer selbst hat den roten Faden seiner grandiosen Schilderung des Erkenntnisproblems nach Hegel unterbrochen mit der Begründung, daß sich eine solche homogene, an den sich ablösenden philosophischen Systemen entlangfahrende Entwicklungslinie nicht mehr aufrechterhalten läßt (vgl. Cassirer 1906⫺20, Bd. IV: Einleitung). Die von R. Safranski (1987) liebevoll so genannten „wilden Jahre der Philosophie“,
1443 d. h. die Jahre der abundierenden philosophischen Spekulation, sind domestiziert worden (vielleicht mit Ausnahme des wildgebliebenen Nietzsche), teils durch Übernahme des herrschenden Wissenschaftsparadigmas, teils auch durch das große Projekt der Historisierung der Philosophie selbst. Es ist insbesondere der Sinn und die Möglichkeit von Erkenntnis a priori, welche angesichts der erfolgreichen empirischen und mathematischen Wissenschaften erneut zur Debatte steht. Dabei hatten wir gesehen, daß die Kantische, aber auch die nachfolgende Erkenntnistheorie sich durchgehend im Rahmen von „Bewußtsein“, von Mentalität expliziert. Quine (*1908) hat nun in unserer Zeit diese gesamte Tendenz, das mentale Vokabular überhaupt, als „pernicious“ (Quine 1964, 27), als gefährlichen Irrweg bezeichnet, und er postuliert, es aus der Erkenntnistheorie zu eliminieren. Die notwendige Korrektur besteht in dem, was er die „Naturalisierung der Erkenntnistheorie“ nennt. In seinem Aufsatz gleichen Namens gibt er eine Zustandsbeschreibung des inkriminierten Ausgangspunkts und die fällige Rettung aus der drohenden Gefahr. Er schreibt: „In the old epistemological context the conscious form had priority, for we were out to justify our knowledge of the external world by rational reconstruction“ (ebd., 84). Soweit die Diagnose. Und nun die Therapie: „What to count as observation now can be settled in terms of the stimulation of sensory receptors, let consciousness fall where it may“ (ebd.). Man kann nun diese Tendenz zur Naturalisierung der Erkenntnistheorie schon unmittelbar nach dem Höhepunkt der idealistischen Systeme verfolgen. Symptom dafür ist die Aufwertung der Physiologie, Schopenhauers Interesse am „Trieb“, Nietzsches Interesse am „Leib“. Man muß dabei nicht so weit gehen, wie der damalige Vulgärmaterialismus, etwa Moleschotts (1822⫺1893) „Kreislauf des Lebens“ (1852) oder Ludwig Büchners (1824⫺ 1899) „Kraft und Stoff“ (1855). Hier wird freilich schon im Ansatz über das legitime Ziel hinausgeschossen, insofern die Empirie in ihrer handgreiflichsten Form gegen spekulative Metaphysik ins Feld geführt wird (was natürlich auch nur eine schlechte Form der Metaphysik ist). Das erneute Nachdenken über den Geist und seine Stellung in der Natur führt aber nach Veränderung der Prämissen immer mehr dazu, von den vormaligen idealistischen Systemen Fichtes, Schellings und Hegels abzurücken, welche ⫺ zugegebe-
1444 nermaßen nicht unmittelbar im Quineschen Sinn ⫺ doch versuchen, „durch rationale Rekonstruktion die Außenwelt zu rechtfertigen“, eine Genese der Welt im Bewußtsein aufzuweisen. Der Trend der Naturalisierung geht dahin, die Fundamente der empirischen Erkenntnis in dieser selbst zu finden. Es ist die empirische Erkenntnis der empirischen Erkenntnis. Für die Stellung von Geist und Natur ist dann ⫺ wenn einmal der Primat von „Bewußtsein“ zur Disposition gestellt ist ⫺ jede Kombination möglich, und so bieten das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert jede erdenkliche Spielart dieses Verhältnisses: vom ungebrochenen Idealismus Fichtes zum Dualismus, zum Materialismus, zum Epiphänomenalismus, zum Spiritualismus und zurück. Das 20. Jahrhundert freilich wird diese Debatte, das Leib-Seele-Problem, erneut angehen, allerdings mit dem geschärften Werkzeug der logischen und grammatischen Analyse (vgl. Art. 106). Aber dazu bedurfte es erst einmal der Entdeckung der Wichtigkeit und Mächtigkeit dieses Instrumentariums (vgl. den guten Überblick in Hastedt 1988). Und dies wiederum entwickelte sich aus einer nunmehr erneut einsetzenden Debatte über das Verhältnis von Mentalität, Zeichen und Bedeutung. Wenn nämlich der Mentalismus in der Erkenntnistheorie so schädlich ist, ja vielleicht am Ausweichen der Philosophie vor dem Problem des Zeichens schuld oder mindestens mitschuldig ist, so ist die nunmehr entstehende Frage die: was trägt die Naturalisierung der Erkenntnistheorie für die Rolle der Zeichen in der Weltorientierung bei? Hermann von Helmholtz (1821⫺1894), dem wir uns nun zuwenden wollen, hat, statt dem Problem des Zeichens auszuweichen, gleich alle unmittelbaren Bewußtseinsinhalte zu Zeichen werden lassen (vgl. Art. 84 § 2.2.). Er schreibt nämlich: „Unsere Vorstellungen von den Dingen können gar nichts anderes sein, als Symbole, natürlich gegebene Zeichen für die Dinge; welche wir zur Regelung unserer Bewegungen und Handlungen benutzen lernen“ (Helmholtz 1867, 443). Insbesondere die „Sinnesempfindungen sind für unser Bewußtsein Zeichen, deren Bedeutung verstehen zu lernen unserem Verstande überlassen ist“ (ebd., 797). Dies darf als der oberste Satz der Helmholtzschen Semiotik gelten. Natürlich ist er kommentierungsbedürftig. Es ist vor allem die Wahrnehmungsanalyse von Helmholtz, welche den Zeichenbegriff be-
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nutzt. „Unsere Empfindungen“, schreibt er, „sind […] Wirkungen, welche durch äußere Ursachen in unseren Organen hervorgebracht werden, und wie eine solche Wirkung sich äußert, hängt natürlich ganz wesentlich von der Art des Apparats ab, auf den gewirkt wird. Insofern die Qualität unserer Empfindungen uns von der Eigentümlichkeit der äußeren Einwirkung, durch welche sie erregt wird, eine Nachricht gibt, kann sie als ein Zeichen derselben gelten“ (Helmholtz 1878, 115). Also: alles, was wir über die Außenwelt durch Wahrnehmung wissen, ist bewußt geworden als Resultat gewisser Veränderungen durch externe Ursachen, die in unseren Sinnesorganen stattfinden. Diese Veränderungen werden durch die Nerven dem Gehirn mitgeteilt, wo sie bewußte Sensationen werden. Helmholtz betont nun ausdrücklich, daß unsere Empfindungen und Vorstellungen Zeichen sind, nicht „Abbilder“ der Gegenstände, denn „vom Bilde verlangt man irgendeine Art der Gleichheit mit dem abgebildeten Gegenstande […]. Ein Zeichen aber braucht gar keine Art der Ähnlichkeit mit dem zu haben, dessen Zeichen es ist“ (ebd.). Helmholtz fordert hier lediglich eine Art „funktionaler Entsprechung der beidseitigen Struktur“, so daß die Nachricht eindeutig entschlüsselt werden kann. Konkret ist unter funktionaler Struktur die Invarianzannahme zu verstehen, daß ein Reizort stets demselben Reiz, eine Reizart stets derselben Qualität und Intensität der Empfindung entspricht. Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem liegt also nicht in der Abbildungsstruktur, sondern beschränkt sich nach Helmholtz darauf, daß „das gleiche Objekt, unter gleichen Umständen zur Einwirkung kommend, das gleiche Zeichen hervorruft, und daß also ungleiche Zeichen immer ungleicher Einwirkung entsprechen“ (ebd.). Betrachten wir nun einen Fall, an dem sich diese Zeichenkonzeption in bestimmter Weise konkretisiert und an dem auch die innewohnende Problematik aufgewiesen werden kann. Locke (1632⫺1704) hatte bei der Unterscheidung der primären und der sekundären Qualitäten die letzteren der spezifischen Ausstattung des menschlichen Erkenntnisapparats zugewiesen (Locke 1690). Kant hatte auch die primären Qualitäten (insbesondere die Ausdehnung) als Form der Anschauung ins Erkenntnissubjekt verlegt. Was allerdings dabei offengeblieben war, war die Frage: wie kommen wir zu der spezifischen Raumanschauung, die uns Menschen
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zu eigen ist? Wie kommt es, daß wir lokalisierend unsere Sinnesempfindungen bestimmten Raumstellen zuordnen, also den Roteindruck als irgendwie zugehörig zu der dort, d. h. an einer objektiven Raumstelle befindlichen Ampel empfinden? Es ist vornehmlich Hermann Lotzes (1817⫺1881) Verdienst, hierin überhaupt ein Problem erkannt zu haben: daß und wie unser Gesichts- und Tastsinn die einfachen und an sich unstrukturierten Sensationen in ein wohlgeformtes Raumganzes organisiert. Denn wie Lotze bemerkt, gilt doch, daß die Eindrücke, welche wir von den Dingen empfangen, ihre Vorstellungen, „in unserem Geiste […] raumlos neben einander“ (Lotze 1854⫺64, Bd. I, 258) sind. Räumliche und zeitliche Vorstellungen müssen demnach, da sie nicht fertig vorgefunden werden, von der Seele erzeugt werden, und zwar unbewußt (vgl. ebd., 259). Der Raum, bzw. die unbewußte Genese des Raums wird dadurch zu einem nicht mehr transzendentalphilosophischen, d. h. die Raumform als solche betreffenden Problem, sondern zu einem Problem der Psychophysik. Unter den Prämissen Lotzes muß also die Frage beantwortet werden, wie sich eine Raumvorstellung aus selbst unräumlichen Empfindungen aufbauen kann. Für die Aktualisierung der Raumvorstellung muß nach Lotze ein externer Anstoß (Stimulus) angenommen werden. Dieser Anstoß wird in seiner qualitativen Eigenart mitbestimmt durch den Ort der Körperreizung. Lotze sagt, daß „gleiche Reize in jeder Nervenfaser einen besonderen Nebeneindruck verursachen, der für jede verschieden ist“ (Lotze 1879, 549). So können zwei benachbarte Netzhautpunkte im allgemeinen deutlich getrennte Ortswahrnehmungen vermitteln. Von diesen qualitativen Eindrücken ist die Lokalisierbarkeit der Empfindungen abhängig. Der Erregung dieser Netzhautpunkte muß also etwas anhaften, was die Verschiedenheit der Ortswahrnehmung bedingt. Das unterscheidende Merkmal der Erregung einer bestimmten Netzhautstelle nennt Lotze „Lokalzeichen“. Lokalzeichen sind „ein System abgestufter qualitativer Kennzeichen“ (ebd., 557). Die Idee ist also, daß durch die Ausstattung der Sehqualitäten mit solchen Lokalzeichen ein solcher Raumaufbau vollzogen werden kann. Vermittels ihrer sollen die räumlichen Bestimmungen der Reize des physiologischen Systems durch ein System abgestufter qualitativer Kennzeichen unräumlicher Natur ersetzt werden.
1445 Wir haben hier also ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten: Die Räumlichkeit des Erregungsorgans (Netzhaut), die Unräumlichkeit der ausgelösten Erregung (Empfindung als Bewußtseinsphänomen) und die über das System der Lokalzeichen vermittelte, daraus resultierende Auswertung der Reize als räumliche Struktur durch das Bewußtsein. Man wird nun nicht sagen können, daß Lotze dieses Problem zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst hat; wichtig für unseren Zusammenhang ist hier aber, daß wiederum an der Schnittstelle von Psyche und Physis das Zeichen einen besonderen Stellenwert erhält, sicher nicht zuletzt deswegen, weil es selbst seiner Natur nach beiden Welten angehört. Helmholtz und Lotze haben in unserem Konspekt eine notwendige Stelle, weil sie uns konfrontieren mit einem Zeichenbegriff, der naturalistisch gefaßt ist und die Frage erzwingt, wie so etwas überhaupt möglich ist (als neueren Ansatz dieser Art vgl. Sendlmeier 1996). Sehen wir also etwas näher zu. Wenn Helmholtz schreibt, daß alle unsere Empfindungen und Vorstellungen Zeichen sind und die Empfindungen als Wirkungen Nachrichten vermitteln von der Qualität dieser Einwirkung, so ist das Zeichensein solcher Art Zeichen an die reale Existenz, an die Wirklichkeit einer solchen Einwirkung gebunden. Das liegt in ihrer Natur, Wirkung solcher Reizursachen zu sein. Nun ist jedes Zeichen Zeichen für etwas, sonst hätte es ja mit seiner dinglichen Struktur sein Bewenden, also im Helmholtzschen Fall mit der physiologischen Seite der Nervenreizung. Was macht, so können wir fragen, die Empfindungen und Vorstellungen überhaupt zu Zeichen, d. h. was verschafft ihnen diesen Mehrwert über die materielle Natur hinaus? Was macht die Differenz aus zwischen einem Nervenreiz, der ja selbst z. B. in einer neurophysiologischen Diagnose nur als Bezeichnetes auftreten würde, und demselben Nervenreiz als Zeichen für eine Qualität? Es kann doch das Bezeichnete der physiologischen Beschreibung nicht eo ipso wieder nur Zeichen sein; wir hätten es dann nur noch mit Zeichen zu tun; etwas, was die Verankerung der Erkenntnis unmittelbar in der Natur nun gerade nicht wollen kann. Nun geht es hier typischerweise nur um eine sehr spezielle Art von Zeichen, eben diejenigen, deren Zeichensein direkt abhängt von der realen Existenz des Bezeichneten. Diesbezüglich stellt sich aber auch sofort die
1446 Frage: Ist ein Nervenreiz, der die Vorstellung etwa eines dreieckigen Körpers vermittelt (der einen solchen bezeichnet) gleichzeitig auch ein Zeichen für einen Körper mit einer Winkelsumme von 180 Grad? Ferner: legt man die Ursache-Wirkungs-Relation, wie man hier muß, der Zeichenbeziehung zugrunde als alleinige Bedingung ihrer Möglichkeit, so stellt sich wiederum die Frage nach der Eindeutigkeit der Bezeichnung; es besteht ja zwischen Ursache und Wirkung nur eine allenfalls naturgesetzliche, nicht aber logische Verknüpfung. Und zu einem vorgegebenen Ereignis (d. h. ja hier: einer effizierten Vorstellung) kann es mehrere Ursachen geben: Blitze im Sehfeld können reale Blitze denotieren, aber sie können auch Zeichen einer Netzhautablösung sein. So zeigt sich hier jedenfalls sehr deutlich, daß in dieser Hinsicht die Semiotik der naturalisierten Erkenntnistheorie, der empirischen Erkenntnis von der empirischen Erkenntnis, in gewisse Aporien gerät; daß sie, die gerade nicht mentalistisch sein will, als Konsequenz die Sicherheit der unmittelbaren Erkenntnis, welche traditionell das Reich der mentalen Gegebenheiten charakterisiert, der vermittelten, indirekten Form des Schließens (von der Wirkung auf die Ursache) überantworten muß. Helmholtz hat diese verborgene Tätigkeit des Geistes „unbewußte Schlüsse“ genannt. Er schreibt in diesem Zusammenhang: „Die psychischen Thätigkeiten, durch welche wir zu dem Urteil kommen, daß ein bestimmtes Object von bestimmter Beschaffenheit an einem bestimmten Ort außer uns vorhanden sei, sind im Allgemeinen nicht bewußte Thätigkeiten, sondern unbewußte. Sie sind in ihrem Resultate einem Schlusse gleich, insofern wir aus der beobachteten Wirkung auf unsere Sinne die Vorstellung von einer Ursache dieser Wirkung gewinnen, während wir in der That direkt doch immer nur die Nervenerregungen, also die Wirkungen wahrnehmen können, niemals die äußeren Objecte“ (Helmholtz 1867 : 430). Es ist übrigens auch Helmholtz klar, daß der unbewußte Schluß eine Art hölzernes Eisen ist und nur den Titel abgeben kann für ein ungelöstes Problem. Im Kern ist es das der Zeichenhaftigkeit und Logizität der Wahrnehmung.
12. Husserls intentionale Semiotik Da Zeichen, die ihre Zeichenfunktion nur unter der Bedingung der realen Existenz des Bezeichneten erfüllen können, tatsächlich nur
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einen speziellen Zeichentypus darstellen, wird klar, daß überhaupt nicht länger nur über das Zeichen gesprochen werden kann, sondern daß hier Differenzierungen vorgenommen werden müssen. Um beides, um die Frage nach dem Ursprung und der Art der Verknüpfung von Zeichen und Bezeichnetem, welche bei Helmholtz letztlich im Unbewußten verankert wurde, wie auch um die Differenzierung der Bezeichnungsweisen hat sich Edmund Husserl (1859⫺1938) bemüht (vgl. Art. 77 § 7.1. und Art. 103). Husserl spricht in den Logischen Untersuchungen ganz im Stil von Helmholtz einmal von den Sinnesdaten als von „Zeichen für die Eigenschaften eines Gegenstands“ (Husserl 1901, 75). Aber er unterscheidet in den Ideen im Akt der Wahrnehmung zwei verschiedene Ebenen: die „hyletische“ der Sinnesempfindung und des Sinnesdatums und die „noetische“ Ebene der Apprehension. Er begründet diesen Unterschied so: „Wir finden konkrete Erlebnisdaten als Komponenten in umfassenderen konkreten Erlebnissen […] und zwar so, daß über jenen sensuellen Momenten eine gleichsam ‘beseelende’, sinngebende bzw. Sinngebung wesentlich implizierende Schicht liegt“ (Husserl 1913, 208). Die Notwendigkeit, diese höhere Schicht anzunehmen, ergibt sich genau aus der Indeterminiertheit der Sinnesreize, welche uns schon bei Helmholtz als Problem aufstieß. Nichts an den hyletischen Daten determiniert unzweideutig ihren objektiven Bezug. Das gleiche sensuelle Material kann einmal als Mensch, einmal als Schaufensterpuppe interpretiert werden (dieses Beispiel stammt von Husserl selbst; vgl. Husserl 1939, 99 f) oder auch ⫺ um einen noch bekannteren Fall zu nehmen ⫺ die gleiche Figur als Hase oder Ente. Die hyletischen Daten sind nach Husserl amorph, sie entbehren der Organisation. Die objektive Determination eines solchen Sinneseindrucks kommt erst durch die Faktoren zustande, die Husserl „Noesen“ oder „intentionale Formen“ nennt. „In der perzeptiven Apperzeption erhalten die Sinnesdaten eine noetische Form; durch den so konstituierten intentionalen Akt erscheint ein Ding, ein Baum, ein Haus usw.“ (Gurwitsch 1975, 217). Zum Beispiel wird eine Folge von akustischen Reizen erst im Licht des Noema, des gemeinten Sinns, d. h. der intentionalen Form, als Melodie perzipierbar. Da nun auch in Husserls Ausdrucksweise die Sinnesdaten Zeichen sind, so gilt der Rückbezug auch und gerade für die Zeichen
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als sinnlich konkretisierte. Die Erkenntnistheorie der Wahrnehmung geht über in eine Semiotik der wahrnehmbaren Zeichen. Es ist auch beim Zeichen die „gleichsam beseelende, sinngebende bzw. Sinngebung wesentlich implizierende Schicht“, welche nach Husserl das Zeichen zum Zeichen von etwas macht. Durch Einführung bzw. Wiedereinführung des Begriffs „Intentionalität“ als Zentralterm seiner Semiotik ⫺ Intentionalität ist bei Husserl das „Wesen des egologischen Lebens“ (Husserl 1936, 84) ⫺ unternimmt Husserl noch einmal den Versuch, in Termen der Mentalität das auch von der naturalisierten Erkenntnistheorie nicht gelüftete Geheimnis des Zeichenseins aufzuklären. Er kann daher mit einigem Recht als der große Widerpart jedes Versuchs einer Naturalisierung der Erkenntnistheorie angesehen werden (vgl. zu Husserls Zeichentheorie Scheffczyk 1988). Husserl weiß, daß Zeichen an sich nichts sind, daß sie erst „sinnbelebt“ durch die Noesen, die intentionalen Akte des Bewußtseins, Sinn und Referenz erhalten. Was Husserl nämlich für die Sinnesdaten behauptet hat, läßt sich in expliziter Form für das Zeichen übernehmen: Zeichen sind, über ihre physische Natur hinaus, „Komponenten in umfassenderen konkreten Erlebnissen, die als ganze intentional sind und zwar so, daß über jenen sensuellen Momenten eine gleichsam beseelende sinngebende Schicht liegt, durch die aus dem sensuellen, das in sich nichts von Intentionalität hat, eben das konkrete intentionale Erlebnis zustande kommt“ (Husserl 1913, 208). Soviel zum Fundamentalen. Nun zur Zeichendifferenzierung. Husserl schreibt: „Jedes Zeichen ist Zeichen für etwas, aber nicht jedes hat eine ‘Bedeutung’, einen ‘Sinn’, der mit dem Zeichen ‘ausgedrückt’ ist“ (Husserl 1901, 23). Husserls Semiotik ist also geprägt von einer großen Dichotomie: der zwischen den bedeutenden (sinnhabenden) Zeichen und jenen anderen, die zwar bezeichnen, aber nicht bedeuten. Die letzteren nennt er „Anzeichen“. Von diesen unterscheidet er die Ausdrücke. Zeichen in der Art von Anzeichen haben keine Bedeutung und keinen Sinn (in Husserlscher Terminologie, wohlgemerkt). Folgendes sind Beispiele für Zeichen als Anzeichen: der Rauch als Zeichen für das Feuer, Marskanäle als Indizien für intelligente Wesen auf dem Mars usw. Diese Zeichen sind bedeutungslos, aber doch nicht stumm. Sie sind deutbar, tragen einen Verweis auf einen Sachverhalt in sich. Es gibt hier drei Charakteristika, die zu beachten sind:
1447 a) Wenn a b anzeigt, besteht keine objektiv notwendige Beziehung zwischen ihnen. Husserl verweist den Ursprung der Anzeige an die Assoziation, in dem Sinn nämlich, daß ein „nichteinsichtiges Motiv“ (Husserl 1901, 25) die Überzeugung von dem Sein der einen Sache mit dem Sein der anderen Sache koppelt. Konvention, empirische Beziehung oder das „weil“ der Motivation bis hin zur Konditionierung machen das eine zum (An-)Zeichen für etwas anderes. b) Die Anzeige ist eine Relation existierender Dinge oder Ereignisse. Sie ist also keine interne Eigenschaft des Zeichens. c) Das Anzeichen gehört der vorsprachlichen, der vorausdrücklichen Schicht an. Es ist genau diese letzte Charakteristik, welche uns Aufschluß darüber verschafft, was es heißen soll, daß diese Zeichen Zeichen für etwas sind, aber keinen Sinn und keine Bedeutung haben. Welchen Zeichen gegenüber ist dies die Diskriminante? Nun, das ergibt sich gewissermaßen von selbst: der Ausdruck ist das bedeutsame, sinnvoll fungierende Zeichen. Der Ausdruck ist das sprachliche Zeichen im prägnanten Sinn. Er allein ist wahrheitsfähig und besitzt als solcher Bedeutung. Wie wir gesehen haben, stellt Husserl seine Semiotik in den phänomenologischen Rahmen. Ihr obliegt es, die „Wurzeln der Referenz“ in den ursprünglich gegenstandskonstituierenden Akten aufzudecken. Dies geschieht methodisch so, daß die Natur solcher „vermeinenden“ Akte in ihrer ausdrücklichen Form, d. h. eben am Ausdruck selbst, studiert wird. Und da gilt nach Husserl: „Jeder Ausdruck sagt nicht nur Etwas, sondern er sagt auch über Etwas; er hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er bezieht sich auch auf irgendwelche Gegenstände“ (Husserl 1901, 46). Ja, es gilt sogar: „einen Ausdruck mit Sinn zu gebrauchen und sich ausdrückend auf den Gegenstand beziehen […] ist einerlei“ (ebd., 54). Dabei kommt es nicht darauf an, daß der gemeinte Gegenstand wirklich existiert. Der Ausdruck als Ausdruck ist unrealisierte Gegenstandsbeziehung. Dieser so unschuldig klingende Satz formuliert aber in dem Augenblick ein schweres epistemologisches Problem ⫺ man könnte auch sagen, er stellt eine erkenntnistheoretische Falle ⫺, wenn der Ausdruck „Gegenstand“ gewissermaßen at face value genommen wird; wenn Zeichen und Bedeutung grundsätzlich nach dem Modell von Namen und Gegenstand aufeinander bezogen werden. Husserl hat die-
1448 ser Auffassung trotz mancher Differenzierung selbst Vorschub geleistet, indem er nämlich schreibt: „Die verstehende Auffassung, in der sich das Bedeuten eines Zeichens vollzieht, ist […] mit den […] objektivierenden Auffassungen verwandt, in welchen uns, mittels einer erlebten Empfindungskomplexion die anschauliche Vorstellung […] eines Gegenstands erwächst“ (ebd., 74). Das Bedeutunghaben des Zeichens verbürgt damit schon einen wie immer gearteten Gegenstandsbezug. Was als Semiotik intendiert war, wird auf diese Weise zur sublimierten Gegenstandstheorie. Es ist genau dieser Ansatz, den Alexius Meinong (1853⫺1920) realisiert hat.
13. Meinongs Gegenstandstheorie Meinong ist in unserem Zusammenhang in der Tat deswegen von Belang, weil er sein Hauptwerk Über Annahmen (Meinong 1910) einleitet mit semiotischen Überlegungen (vgl. Art. 77 § 7.2.). Er beschäftigt sich in diesen Voruntersuchungen mit der Relation von Zeichen und Bezeichnetem. Er setzt das Bezeichnete mit der Bedeutung des Zeichens gleich. Die „Bedeutungen selbst sind stets Gegenstände (bei Wörtern meist Objekte)“ (Meinong 1923, 130). Ein Wort z. B. bedeutet aber nur in dem Fall etwas, „sofern es ein präsentierendes Erlebnis ausdrückt, und der durch dieses Erlebnis präsentierte Gegenstand ist dann eben die Bedeutung des Wortes“ (Meinong 1910, 28). In der Tat sind also die Bedeutungen von Zeichen Gegenstände. Die semiotische Einleitung bereitet den Weg für die Gegenstandstheorie. Die in Frage kommenden Gegenstände können sowohl raumzeitlich existierende (konkrete) Gegenstände sein wie auch abstrakte Objekte, etwa Eigenschaften, Relationen, mathematische Gegenstände. Hierzu gehören auch die sogenannten Objektive (Sachverhalte, Propositionen). Aber Meinong spricht auch von nichtseienden (weder existierenden noch bestehenden) Gegenständen. Fiktive, aber logisch mögliche Gegenstände wie der „goldene Berg“, aber auch widersprüchliche wie der „viereckige Kreis“ gehören gleichberechtigt in diese Kategorie. Für seine Ontologie legt Meinong zwei Prinzipien zugrunde: 1. das Prinzip der Unabhängigkeit des Soseins vom Sein (eine prädikative Aussage „A
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ist B“ ist unabhängig davon, daß A existiert („ist“); vgl. Meinong 1910, 78) und 2. die These vom Außersein des reinen Gegenstandes (vgl. ebd., 234). Das besagt, daß auch ein Urteil über das Nichtsein eines Gegenstandes nur unter der Voraussetzung seines vorherigen Gegebenseins jenseits von Sein und Nichtsein gefällt werden kann. So muß es z. B. die Tatsache, daß heute Freitag ist, und die Nichttatsache, daß heute Samstag ist, geben, damit ihnen die Tatsächlichkeit bzw. die Nichttatsächlichkeit zugesprochen werden kann, und der goldene Berg muß da sein, damit er golden und nichtexistent sein kann (vgl. Günther 1987). Nach Bertrand Russells (1872⫺1970) Meinung nun sind solche Philosophen wie Meinong dazu durch die oberflächengrammatische Form verführt worden, daß jeder Satz, auch etwa dieser: „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl“ von der SubjektPrädikat-Form ist, d. h. eine Satzaussage von einem Satzgegenstand macht mit der entsprechenden Rollenverteilung von Prädikat und gegenständlichem Träger von Eigenschaften. In Wahrheit aber handelt es sich um eine komplexe Aussage. In der Tat zeigt die berühmte Analyse Russells in On Denoting (1905), daß die definite Beschreibung „der gegenwärtige König von Frankreich“ nicht eine unabhängige Einheit in dem Satz ist. Sie ergibt sich vielmehr aus der Konjunktion folgender Aussagen: 1. Es gibt einen gegenwärtigen König von Frankreich. 2. Es gibt höchstens einen König von Frankreich. 3. Wenn jemand König von Frankreich ist, so ist er kahl. Damit hat Russell in der Auseinandersetzung mit einer eigentümlichen Theorie der Zeichenbedeutung, der Gegenstandstheorie, ein entscheidendes Prinzip formuliert, daß nämlich die Oberflächengestalt eines Satzes nicht mit seiner wahren logischen Struktur übereinstimmen muß (zu der Russell-MeinongDebatte vgl. vor allem Simons 1988; siehe auch Art. 76 § 3.2.2.). Diese Differenz zwischen der Oberflächengrammatik und einer Tiefengrammatik ist dann insbesondere im Denken Wittgensteins (1889⫺1951) und von da aus in der gesamten sprachanalytischen Philosophie operativer Leitfaden geworden gerade im Kampf gegen die Gegenstandstheorie der Bedeutung. Eingebettet in eine
1449
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umfassende Philosophie der Sprache ist die Zeichenbedeutung hinfort befreit von der Präponderanz des Benennens; sie ist vielmehr Projektion zugrunde liegender Tiefenstrukturen und damit abhängig von diesen Projektionsregeln. Wir können dies als eine Substitution der gegenstandsbasierten Bedeutungstheorie durch eine regelbasierte Theorie der Zeichenbedeutung auffassen (zu der entsprechenden Auseinandersetzung in der Renaissance vgl. Art. 67 Abb. 1).
14. Husserls intentionale Einheit von Sprache und Akt Indes, wenn Husserls Philosophie und namentlich seine Semiotik mit dem Problem der Vergegenständlichung der Bedeutung belastet ist und er hierin ein Weggenosse Meinongs genannt werden darf, so wäre es doch falsch, die Verwandtschaft zu übertreiben. Dies würde verkennen, daß Husserls Semiotik in Phänomenologie eingebettet ist und daß es deren Zielsetzung ist, Referentialität als begründet in nichts anderem als einem „Gewebe intentionaler Akte“ zu erblicken. Da andererseits der Ausdruck der Zentralbegriff seiner Semiotik ist, so ist klar, was durch den Intentionalitätsbegriff eigentlich erfaßt und benannt werden soll: nämlich die untrennbare Einheit von „Aboutness“ auf der einen Seite (daß nämlich Bewußtsein stets Bewußtsein von etwas ist, daß jeder Ausdruck Ausdruck von etwas ist, jeder Satz etwas über etwas aussagt, jeder Name etwas benennt und jedes bedeutende Zeichen etwas bedeutet) mit dem Akthaften, Aktualen auf der anderen Seite, welches im Kern das „Wesen des egologischen Lebens“ ⫺ Husserls Formel für Intentionalität ⫺ ausmacht. Was Husserl von Meinong also wesentlich unterscheidet und ihn in gewisser Hinsicht einerseits wieder in die Nähe der idealistischen Philosophie rückt, ihn andererseits aber ⫺ wie wir gleich sehen werden ⫺ modernen Strömungen der Sprachphilosophie und der Cognitive Science assimiliert, ist die Konzentration auf diese eigentümliche Einheit von Sprache und Handlung, von Ausdruck und Akt im Begriff der Intentionalität. Was ist näherhin damit gemeint? Der Begriff der Intentionalität ist in neuerer Zeit bekanntlich wieder von Franz Brentano (1838⫺1917) ins Spiel gebracht worden. Für ihn ist Intentionalität das Kennzeichen des Mentalen. „Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Schola-
stiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstands genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht Realität zu verstehen ist) oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden […]. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteil ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehaßt etc. […]. Diese intentionale Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas ähnliches. Und somit können wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten“ (Brentano 1874, Bd. I, § 5). Brentano formuliert an dieser Stelle aber nur die Aboutness der Intentionalität. Der Akt als eigenständige Größe konstituiert sich dadurch, daß beim Durchtesten zulässiger Prädikate dem Akt und dem Objekt der Intention nicht die gleichen Attribute zugesprochen werden können: Ich erinnere mich beispielsweise an etwas Gestriges. Aber meine Erinnerung daran ist doch gegenwärtig. Auch das, was ich für morgen hoffe, muß nicht eintreten, aber deswegen ist doch meine Hoffnung nicht auf morgen zu verschieben. Was einer glaubt, kann durchaus identisch sein mit dem, was ein anderer bezweifelt, aber deswegen ist doch diese Hoffnung nicht mit diesem Zweifel identisch. Und ⫺ um noch zwei wichtige Fälle zu nennen ⫺ wenn gestern ein Vulkan ausbrach, so ist es doch jetzt wahr, daß gestern ein Vulkan ausbrach; und wenn ich denke, daß ich ein zusammenhangloser Traum bin, so hat doch dieser Gedanke seine eigene Kohärenz. Es korreliert hier also allen Inhalten ein selbst gewissermaßen nur formales Element, nämlich das Aktualsein des Inhalts in der Form der (bei Husserl Bewußtseins-)Präsenz. Diese Präsenz, das Ver-Gegenwärtigen, ist ja, wie Husserl richtig sah, Wesen des egologischen Lebens. Husserl hat zeitlebens um die adäquate Fassung dieser Einheit von Sprache (Ausdruck) und Akt (d. h. Aktualität, Präsenz) gerungen.
15. Searles Intentionalität als Repräsentation Unter diesen Bedingungen verwundert es nicht, daß Husserl gerade in einem Sprachphilosophen unserer Zeit einen Fortsetzer sei-
1450 ner Intentionen gefunden hat. Searle nämlich hat in diesem Charakter des Präsentierens, dem Aktual-, oder, wie er sagt, Im-Gebrauchsein der Intentionalität zugleich mit ihrer Darstellungs-, d. h. Repräsentationsfunktion (Searle benutzt den Terminus „representation“) ihr wesentliches Charakteristikum erkannt. Searle schreibt: „The key to understanding intentionality is representation“ (Searle 1981, 726). Searle unterstreicht dies in der Absicht, den Unterschied zwischen Intentionalität und Intensionalität hervorzuheben. Daß beide Begriffe nicht immer klar geschieden werden, liegt nach Searle daran, daß „die Beschäftigung mit der Intentionalität an einer Verwechslung von Ebenen leidet, die ein wenig der Verwechslung von Gebrauch und Erwähnung ähnelt. Die (häufig vorliegende) Intensionalität-mit-einem-s von Sätzen über intentionale Zustände verlockt zu dem Schluß, intentionale Zustände selbst seien irgendwie intensional-mit-einem-s, irgendwie seien sie nicht wirklich auf ihre Objekte gerichtet, sondern auf ihren eigenen Repräsentationsgehalt. Dies ist jedoch eine Verwechslung von Eigenschaften der Beschreibung intentionaler Zustände mit Eigenschaften der beschriebenen Zustände, eine Verwechslung der ‘Erwähnung’ geistiger Zustände mit ihrem ‘Gebrauch’. Angaben intentionaler geistiger Zustände sind in der Tat (im allgemeinen) intensional-mit-einem-s, weil sie von Repräsentationen handeln. Aber intentionale geistige Zustände handeln nicht von Repräsentationen, sie sind Repräsentationen“ (Searle 1979, 157). Intentionalität wird also nur dann adäquat erfaßt, wenn sie als aktuale und im Gebrauch erfaßt wird, und nicht durch eine sie objektivierende Repräsentation „vergegenständlicht“ wird. Ganz im Sinn von Husserls Akzentuierung des Egologischen unterstreicht Searle die Nicht-Eliminierbarkeit der „Innenperspektive“: wenn also z. B. einer eine Meinung bezüglich einer Sache äußert, so muß man, um den „intentional content“ zu verstehen, „do more than just look at the sentence used to express the belief. One must look at the intentional content in the man’s head“ (Searle 1981, 726). Wer fühlt sich hier nicht an Fichte erinnert, aber es ist einer der prominentesten Vertreter der modernen Sprachphilosophie, der dies äußert. Und ihre semiotische Konsequenz? Sie ist in der Tat umfassend, vertritt doch Searle die These, daß „language is derived from intentionality“ (Searle 1979 a, 92). Intentionalität ist so gewissermaßen der Motor,
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der die Sprache lebendig erhält. Aber die semiotische Konsequenz liegt vor allem in der schon erwähnten These: „The key to understanding intentionality is representation“. Ein intentionaler Zustand ist nämlich nach Searle die „Repräsentation der Bedingungen seiner Erfüllung“ (Searle 1979, 165). Aber wohlgemerkt: intentionale geistige Zustände handeln nicht von Repräsentationen, sie sind Repräsentationen. Der Report über eine Intention hat somit ganz andere Erfüllungsbedingungen als die Intention ⫺ ja man muß wohl so tautologisch sprechen ⫺ als wirklich intendierte. Wir können diese Husserl und Searle zusammenschließende diffizile Problematik vielleicht so formulieren: Jeder intentionale Ausdruck als Ausdruck einer Intention weist an oder repräsentiert den logischen Ort der Erfüllung der Intention in einem Koordinatensystem, dessen Ursprung immer im Aktualen liegt (Intentionen sind Repräsentationen, sie handeln nicht davon). Wir können dann, was das von Searle angesprochene Verhältnis von Intension und Intention betrifft, pointiert so formulieren: Intensionen definieren mögliche Welten, aber man hat in keiner möglichen Welt eine Intention, außer man hat sie, d. h. außer in der aktualen. Eben diese Einheit von Akt(ualität) und Form der Repräsentation kann als Leitfaden der philosophischen Bemühungen seit Kant angesehen werden. Aber wenn hier von Repräsentation die Rede ist: kann es sich wirklich noch ungebrochen um den vertrauten Begriff aus der erkenntnistheoretischen Tradition mit dem Bewußtseinsprimat handeln? Ist die Tradition der mentalistischen Semantik denn wirklich noch so ungebrochen?
16. Repräsentation als Information: Dretskes Theorie Wir wollen uns zum Zweck der Beantwortung dieser Frage noch einmal darauf besinnen, ob wir der Helmholtzschen Semiotik unter den Bedingungen einer naturalisierten Erkenntnistheorie tatsächlich gerecht geworden sind. Schauen wir dazu noch einmal etwas näher an, was Helmholtz eigentlich geschrieben hatte: „Insofern die Qualität unserer Empfindungen uns von der Eigentümlichkeit der äußeren Einwirkung, durch welche sie erregt wird, eine Nachricht gibt, kann sie als Zeichen derselben gelten“ (Helmholtz 1878, 115). Bei genauerem Hinsehen erweist sich
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demnach ⫺ und darauf weist auch schon die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassende Ablehnung der Abbildtheorie hin ⫺ als der Kern der Helmholtzschen Semiotik eine Form der Informationsübermittlung. Sinnesempfindungen und Vorstellungen, also in der Terminologie der klassischen Epistemologie: Repräsentationen, sind hier genau insofern in Frage und intern auf eine Zeichensprache, welche sich nunmehr als ein Nachrichtenkode erweist, bezogen, als sie Informationsträger sind. Die Helmholtzsche naturalisierte Erkenntnistheorie erkennt den wesentlichen Charakter der Repräsentation in der Information. Damit wird aber die ganze Diskussion des Verhältnisses von Zeichen und Bedeutung herausgerückt aus der klassisch-erkenntnistheoretischen Perspektive in eine moderne informationstheoretische. Nun ist freilich in diesem Kontext das von Husserl Erarbeitete keineswegs unwichtig, denn seine Unterscheidung zwischen den hyletischen Daten und der noetischen Form macht auch hier Sinn, da z. B. die Wahrnehmung einer Ente schon auf unterster Stufe eine Form der Informationsverarbeitung ist, aber es muß durchaus nicht schon die Information darin enthalten sein, daß es sich um eine Ente handelt. Hierzu bedarf es ⫺ wie sich Dretske, auf den wir uns im folgenden vor allem stützen wollen ⫺ ausdrückt, erst einer eigenen kognitiven Transformation (vgl. Dretske 1983, 60). Mit Dretske können wir drei Formen solcher Informationsverarbeitung unterscheiden (vgl. Bieri 1986, 20 ff): 1. die nomisch vermittelte (Z. B. immer dann, wenn das Telephon klingelt, weiß ich, daß mich jemand anruft. Das Klingeln zweier Telephone bloß relativ zueinander dagegen ist ohne Informationsgehalt. Das Telephonklingeln bedeutet ⫺ d. h. nunmehr: enthält die Information ⫺, daß mich jemand anruft. Ähnlich informiert der Fingerabdruck über den Täter, das Licht vom fernen Stern über die chemische Zusammensetzung seiner Materie usw.); 2. die Repräsentationsform, in der es eine Rolle spielt, wie etwas für ein Bewußtsein ist (die phänomenologische Ebene); 3. die Repräsentationsform, welche wahrheitsfähig, d. h. auf Wahrheitsbedingungen bezogen ist (die propositionale Ebene). Dretske versucht in seinem Buch Knowledge and the Flow of Information (1981) eine Theorie des Wissens zu geben, welche auf dem Informationsbegriff aufbaut. Kernstück ist die
1451 Explikation eines semantischen Informationsbegriffs als Theorie des Inhalts („content“) einer Information. Es geht ihm aber gerade um die Erfassung der Spezifizität der Information in einem Zeichen. Es ist bei Signalen, Strukturen, Zeichen nur das besondere Signal, welches einen Informationsgehalt besitzt. Er hebt sich hier ausdrücklich ab von der quantisierenden mathematischen Informationstheorie Shannons. Dretske faßt Information gleichsam als den Urstoff der Welt auf. Sie ist etwas objektiv Vorgegebenes, das wir kaufen und verkaufen können, ohne daß sie darum ein Ding wäre. Wir würden dagegen nie eine Vorstellung oder einen Sinneseindruck (die klassischen Repräsentationen) kaufen. Auch unterhalb der Wissensebene ⫺ wie oben schon angedeutet ⫺ hat es Sinn, von Informationsverarbeitung zu sprechen. In gar keiner Weise handelt es sich hier um etwas rein Subjektives. Eine Information kann kausal einwirken: die Information, daß er gekommen ist, erzeugt kausal den Glauben, daß er gekommen ist und die entsprechenden Verhaltensweisen. Aber andererseits gilt doch auch, daß der Informationsgehalt eines Zeichens nicht an sich einzigartig ist: Es gibt daher genau genommen kein isoliertes Stück Information in einer Struktur. Und hier liegt auch der Unterschied zur sprachlichen Bedeutung: daß Peter nicht kommt, bedeutet nicht linguistisch oder logisch, daß er mir böse ist, wohl aber hat dieser Tatbestand unter Umständen diesen Informationswert. Aber er kann mich auch darüber informieren, daß Nebel auf der Autobahn ist, denn dann wollte er nicht kommen. Aber ferner: daß Leonardo der Maler der Mona Lisa ist, und daß er der Erfinder schrecklicher Kriegsgeräte ist, sind zwei verschiedene Informationen, auch wenn sie von demselben Gegenstand handeln. Der Informationsgehalt einer Struktur hängt also nicht nur von der Referenz des denotierenden Ausdrucks ab, sondern ebenso von seiner Intension. Unter Vernachlässigung der von Husserl und der Sache nach von Searle explizit gemachten Unterscheidung zwischen Intension und Intention zieht Dretske die Konsequenz: der Informationsgehalt einer Struktur weist intentionale Eigenschaften auf. Objektiv, wie der Informationsbegriff nachweislich ist, ist er doch gleichwohl „subjektiv“, da intentional, was hier eigentlich so viel heißt wie „wissensabhängig“ oder „wissensbasiert“. Und Dretske schreibt den interessanten Satz: „If intentionality is the mark of the mental, then we al-
1452 ready have in the physically objective notion of information, defined above, the traces of mentality“ (Dretske 1983, 58). Reflektieren wir auf die bisherigen Erörterungen, so stellen wir fest, daß im Informationsbegriff die objektive Seite der Unabhängigkeit vom Bewußtsein (was ein Anliegen der naturalisierten Erkenntnistheorie ist) und die Seite des Intentionalen (der Platzhalter von Mentalität in der Erkenntnistheorie) gewissermaßen aufgehoben, indifferent geworden ist; beide Seiten sind nicht unabhängig voneinander zu denken. Der Informationsbegriff, wie ihn Dretske ins Spiel bringt, erweist sich als ontologisch neutraler Begriff, der eine sowohl mentalistische wie physikalistische Interpretation zuläßt. Die alte Dichotomie Materie und Geist hat daher hier die Chance, in einer Indifferenz, wie sie sich Schelling nicht hätte intensiver träumen lassen können, neutralisiert zu werden; und wiederum steht das Zeichen, das Signal, die Struktur als Informationsträger im Mittelpunkt, denn was wäre die Information ohne die Realisierung oder Manifestierung in einem wie immer gearteten Kode. Ist aber das Zeichen nunmehr als informationstragender Kode in Frage, so erfährt auch die semiotische Aufgabe eine unerhörte Erweiterung, und die Husserlsche Einteilung in anzeigende und bedeutende Zeichen, verdienstvoll immerhin als erster expliziter Differenzierungsversuch, erscheint nunmehr höchstens als ein vielleicht exponierter Fall unter tausend anderen Möglichkeiten der Zeichen, Information zu tragen, Kodierung zu sein (vgl. Art. 125).
17. Die Relevanz des Informationsbegriffs und die Idee der Cognitive Science Schon Bertrand Russell (1872⫺1970) hatte von einer Art „Entmaterialisierung der Materie“ (Russell 1956, 145 ff) im Fortschritt der modernen Naturwissenschaften gesprochen. In diesem Sinn hat besonders C. F. von Weizsäcker (*1912) den Informationsbegriff als grundlegend für das Verständnis physikalischer Begriffe fruchtbar zu machen versucht. Er vertritt z. B. die These, „Substanzmenge sei Information“ (Weizsäcker 1982, 361). Was bedeutet das etwa bezüglich der Masse? Die Information einer Situation ist nach v. Weizsäcker einfach die Anzahl der in sie eingehenden Uralternativen. Nach dem einfachsten Modell eines Masseteilchens ist dessen Ruhe-
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masse die Anzahl der zum Aufbau des ruhenden Teilchens notwendigen Uralternativen, also exakt die im Teilchen investierte Information. Das bewegte Teilchen hat eine höhere Masse, es enthält mehr Uralternativen. „Die Welt selbst“, schreibt v. Weizsäcker, „erscheint in dieser Theorie als der Inbegriff der Formen“ (ebd., 364), wobei er Form hier mit Information gleichsetzt. Und er fährt interessanterweise fort: „Die Theorie vollzieht demnach dem Ansatz nach die radikale Objektivierung der Semantik“ (ebd.). Im Sinn der von uns herausgestellten Indifferenz bzw. ontologischen Neutralität des Informationsbegriffs stellt v. Weizsäcker, einen Schritt noch weitergehend, sich selbst die Frage, ob nicht diese Objektivierung der Semantik auch das Wissen und Verstehen selbst als „Teil eines großen Prozesses der Selbstbewegung“ (ebd.) zu verstehen lehrt, wobei unter Selbstbewegung das Prinzip zu verstehen ist, daß Information Information erzeugt. Das aber würde bedeuten, daß Geist und Natur, Subjekt und Objekt nur als partes integrantes eines großen Weltprozesses der Informationsgenerierung und Informationsverarbeitung verstanden werden können. Auf der Basis dieser ontologischen Neutralität im Informationskonzept kann sich dann aber auch die Idee einer Wissenschaft herausbilden, deren Gegenstand das Studium der homologen Eigenschaften aller „informavores“, d. h. aller informationsverarbeitenden Systeme ist; die menschliche Erkenntnis hätte hier keine Ausnahmeposition. Eine solche Wissenschaft hat sich in der Tat in jüngster Zeit unter dem Namen der „cognitive science“ etabliert. Näherhin ist sie die Zusammenfassung verschiedenster Wissenschaften wie Informatik, Philosophie, Psychologie, Linguistik und Systemtheorie in einer gemeinsamen disziplinären Matrix. Insofern das Verarbeiten von Information als Operieren in Form von regelgesteuerter Symbolmanipulation betrachtet wird, lassen sich res cogitantes (vulgo Menschen) und andere informations- und symbolverarbeitende Systeme (man denke vornehmlich an Computer) als „semantic engines“ (vgl. Haugeland 1981, Einleitung) unter ein gemeinsames Genus fassen (vgl. Art. 78 § 5.3.). Hier rückt natürlich vor allem die Beziehung von Kognition und Computation, von natürlicher und künstlicher Intelligenz in den Vordergrund (zu der Beziehung von Semiotik und künstlicher Intelligenz vgl. vor allem Jorna 1990).
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
Sieht man einmal von den historischen Vorläufern einer solchen Entwicklung wie Hobbes (1588⫺1679) und Leibniz (1646⫺ 1716) ab, so ist die Homologisierung von Computation und Cognition ideologisch vor allem vermittelt einerseits durch Überlegungen, wie sie A. Turing (1912⫺1954) in seinem „Imitationstest“ vorgetragen hat (Turing 1950), der ein Zuschreibungskriterium für Intelligenz von Maschinen enthält, andererseits aber im wissenschaftstheoretisch-philosophischen Sinn durch Überlegungen H. Putnams (Putnam 1975). Der von Putnam vertretene turing-funktionale Materialismus besagt, daß es zu jedem mentalen Zustand (die traditionelle Bewußtseinsphilosophie ist also gewandelt zu einer Theorie mentaler Zustände) einen physikalisch neutralen Zustand gibt, der eine abstrakte Funktion realisiert. Computer, Menschen, aber auch Naturvorgänge sind solche Realisierungen abstrakter funktionaler, ontologisch neutraler Zustände. Mentalität kann dann ingesamt als kausal realisiertes System von formalen, funktionalen Zuständen angesehen werden. Haugeland umschreibt die hier zugrunde liegende „Metaphysik“ wie folgt: „The basic idea of cognitive science is that intelligent beings are semantic engines ⫺ in other words, automatic formal systems, with interpretations under which they consistently make sense. People and intelligent computers turn out to be merely different manifestations of the same underlying phenomenon“ (Haugeland 1981, 31). Für unseren Zusammenhang ist nun in der Tat wichtig, daß mit dem Begriff des kognitiven Systems der der (inneren) „Repräsentation“ eng verbunden ist. Gemeint ist damit so etwas wie eine intrinsische Modellierung des Repräsentationsgehalts von Symbolsystemen (vgl. hierzu vor allem Fodors Buch Representations, Fodor 1981). Searle, der, wie wir gesehen hatten, dem Repräsentationsbegriff durchaus große Bedeutung beimißt, vertritt die These, daß solche funktionalen Modelle nicht in Wahrheit Repräsentationen sind, sondern daß wir, die selbstbewußten Theoretiker, es sind, die „by convenience“ glauben, daß die funktionalen Zustände eines Computers, aber dementsprechend auch unseres Gehirns als eines informationsverarbeitenden Systems, einen Repräsentationsgehalt, d. h. eine semantische Dimension haben. Searle hat dieses Problem, welches ja, wie man leicht sieht, von unmittelbarer semiotischer Relevanz ist, an dem berühmten „Chi-
1453 nese-Room“-Experiment klarzumachen versucht (vgl. Searle 1980 und Searle 1986). Wir sollen uns hier etwa einen Roboter vorstellen, der formale Symbole auf ein in einem Raum befindliches Display produziert. Diese werden von einem Homunkulus betrachtet. Als Antwort auf diese Eingaben tippt der Homunkulus andere Symbole ein und zwar gemäß einem komplexen Satz von Instruktionen, welche vollständig durch formale oder syntaktische Relationen zwischen den Symbolen spezifiziert sind. Die von ihm eingetippten Symbole produzieren wiederum Antworten bei dem Roboter, so daß man, vorausgesetzt, es handele sich um chinesische Symbole, von außen betrachtet meinen könnte, es finde eine chinesische Unterhaltung statt. Searles Behauptung ist nun die, daß eben kein „Verstehen“ der semantischen Eigenschaften (der Bedeutungen) der Symbole vorliegt; daß eine solche rein syntaktische Symbolmanipulation nicht mit dem Verstehen von Sprache gleichzusetzen ist, denn es handele sich hier nur um uninterpretierte Zeichen, so daß in diesem Sinn auch Symbolmanipulation noch nicht eo ipso mit Kognition gleichgesetzt werden kann. Searle wendet sich hiermit gegen die Ansprüche der von ihm so genannten „starken KI“ (stark, wegen der starken Ansprüche), welche eben diese Identifizierung vornimmt. Es ist nunmehr höchste Zeit für eine kurze Bilanz dieses komplexen Kapitels. Zu unserer Überraschung stellt sich, nach zahlreichen Überwindungs-, Eliminierungs- und Ausweichversuchen, gerade im Schoß der modernen Cognitive Science das Problem des Zeichens, das Problem des Symbolverstehens in erneuter Weise. Es erweist sich sogar, daß sich im Zug der Erörterung seiner Möglichkeit das Privileg des Menschen, Verstehender, Bedeutungsgebender zu sein, gleichsam relativiert, daß er ⫺ jedenfalls in den Augen mancher Theoretiker ⫺ nur ein symbolverstehendes System unter anderen semantic engines ist, so daß eine ursprünglich speziell auf ihn zugeschnittene Disziplin, die Epistemologie, ihren Aufgabenbereich gewaltig erweitert sieht und sich zu dem ausweitet, was der Wissenschaftstheoretiker Clark Glymour eine „android epistemology“ nennt (Glymour 1987). Möglich wurde diese Erweiterung aber nur, weil das Operieren mit Symbolen und das Verarbeiten von Information sich gleichsam zur kosmischen Invariante herausgebildet hat. Betrachten wir aber den Gang unserer Darstellung, so wird man nicht ganz ein-
1454 deutig die Frage beantworten können, ob diese Entwicklung möglich geworden ist, obwohl die philosophische Tradition seit Kant vor dem Problem des Zeichens ausgewichen ist, oder aber, ob sie gerade dadurch ermöglicht wurde, daß dieses Ausweichen und die stete Konfrontation mit der Unausweichlichkeit des semiotischen Problems permanent katalytisch gewirkt hat, gewissermaßen als List einer mit Zeichen spielenden und Zeichen setzenden Vernunft.
18. Der Strukturalismus Nach Dretske ist Information das epistemisch und ontisch Erste. Also nicht der Geist und nicht das Wort, auch nicht die Tat; Information ist nach ihm „the raw material out of which minds were manufactured“ (Dretske 1983, 57). Dretskes These, aus einem ganz anderen geistigen Milieu entsprungen, trifft sich gleichwohl mit einer Denkweise, welche sich ihrerseits des Vokabulars der Informationstheorie bedient hat, um eine metaphysische These, die in unserer ganzen bisherigen Diskussion eine große Rolle gespielt hat, zu destruieren, nämlich die von der sinnkonstituierenden Subjektivität: gemeint ist der Strukturalismus (vgl. Art. 77 §§ 8. und 13.). Der Strukturalismus hat für seine Gedanken eine enorme Anregung erhalten durch die Vorarbeit F. de Saussures (1857⫺1913) und R. Jakobsons (1896⫺1982) auf linguistischer Seite. Es kann hier nicht der Ort sein, die Theorien Saussures, deren Interpretation ohnehin mit notorischen Schwierigkeiten behaftet ist, darzustellen (vgl. dazu Artikel 101 in diesem Handbuch), aber es sind zwei wesentliche Aspekte, die für unsere Thematik eine wichtige Rolle spielen: Saussure hatte die Sprachwissenschaft zum Teilgebiet dessen gemacht, was er „Se´miologie“ nannte. Die Semiologie ist „une science qui e´tudie la vie des signes au sein de la vie sociale“ („eine Wissenschaft, die das Leben der Zeichen im Schoße des sozialen Lebens untersucht“; Saussure 1916, 33). Und: „Elle nous apprendrait en quoi consistent les signes, quelles lois les re´gissent“ („Sie würde uns lehren, woraus die Zeichen bestehen, welche Gesetze sie regieren“; ebd.). Die signitive Funktion des Zeichens beruht nun nach Saussure nicht auf einer natürlichen Verbindung („lien naturel“; ebd., 101) ⫺ das sprachliche Zeichen ist „arbitraire“ (ebd.) ⫺, sondern die Bedeutung ei-
X. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
nes Zeichens ist der Effekt rein differentieller Beziehungen zu anderen Zeichen (zu Saussures Zeichenlehre vgl. Krampen 1979). Zwar war Saussure wohl der erste, der die Sprache mit einem Spiel nach Regeln, analog dem Schachspiel verglich, wesentlich ist aber vielmehr die Einsicht, daß es sich bei ihr um ein „jeu des oppositions“ („Spiel der Oppositionen“; ebd., 168) handelt: „dans la langue il n’y a que des diffe´rences sans termes positifs“ („in der Sprache gibt es nichts als Unterschiede ohne positive Begriffe“; ebd., 166). Der andere, ebenfalls auf Saussure fußende große Anreger der Strukturalisten, R. Jakobson, hat diese differentielle Funktion, wie sie z. B. im System der phonetischen „distinctive features“ besonders klar realisiert ist, so ausgedrückt: „The exceptionally rich repertory of definitely coded meaningful units (morphemes and words) is made possible through the diaphanous system of their merely differential components devoid of proper meaning (distinctive features, phonemes and the rules of their combinability). These components are semiotic entities sui generis. The signatum of these entities is bare otherness, namely a presumably semantic difference between the meaningful units to which it pertains and those which ceteris paribus do not contain the same entity“ (Jakobson 1971, 707; zu Jakobson vgl. vor allem Holenstein 1975 sowie Art. 116). Die zweite wichtige Einsicht Saussures, die hier zum Tragen kommt, ist seine Unterscheidung von langue und parole. Für uns ist vor allem wichtig, daß Saussure die langue als „code“ (Saussure 1916, 31) bezeichnet. Sie wird damit als System von Regeln betrachtet, welche die Generierung von „messages“ erlaubt. Damit aber haben wir den Anschluß an die vorangehenden Überlegungen erreicht. Nun hatte Saussure ja, wie sich aus obigem Zitat ergibt, die Semiologie als Wissenschaft, die die Zeichen in ihrem sozialen Kontext studiert, eingeführt. Der Strukturalismus in dem uns heute geläufigen erweiterten Sinn ergibt sich genau aus der Auffassung, daß die Bedeutungskonstitution des Zeichens als Effekt rein differentieller Beziehungen nicht nur für die im engeren Sinn sprachlichen Systeme gilt; es gilt vielmehr: alle soziokulturellen Systeme haben eine Kodestruktur, d. h. sind Sprachen im Sinne von „langue“, also im Sinn von einer Gesamtheit von Botschaften, deren Formation von Regeln geleitet ist. Unter dieser Prämisse gilt z. B. für Le´vi-Strauss (*1908) hinsichtlich seiner Untersuchungen der Ver-
74. Zeichenkonzeptionen in der Allgemeinen Philosophie
wandtschaftsbeziehungen „primitiver“ Kulturen, „daß man die Heiratsregeln und die Verwandtschaftsgefüge als eine Art Sprache ansah, das heißt als ein Operationsgefüge, das dazu bestimmt ist, zwischen den Individuen und den Gruppen einen bestimmten Kommunikationstyp zu sichern“ (Le´viStrauss 1958, 74). Und ferner und direkter: „die Verwandtschaftsbeziehungen sind in einer anderen Ordnung der Wirklichkeit Phänomene des gleichen Typus wie die sprachlichen“ (ebd., 46). So ist etwa auch der Mythos, ein Hauptforschungsgebiet von Le´viStrauss, eine Rede, auf die sich Transformationen anwenden lassen, ähnlich wie die Permutations- und Oppositionstests, durch die der Begriff „Phonem“ in der Linguistik operationalisiert wird. Le´vi-Strauss spricht demgemäß auch von „Mythemen“. Die Grundthese ist, daß die Gesamtheit der Mythen sich als invariante Struktur durch das Spiel solcher Permutations- und Oppositionstransformationen herausstellt. Das Gesetz der differentiellen Beziehung zur Herausarbeitung des Verhältnisses von Kode und Message macht sich auch hier geltend und realisiert eigentlich jene berühmte Bestimmung, die Bateson von der Information gegeben hat: „Informationen bestehen aus Unterschieden, die einen Unterschied machen“ (Bateson 1979 ⫽ 1982, 123). Hören wir, was Le´vi-Strauss, der sich hier explizit auf Saussure stützt, für die Struktur für charakteristisch hält: Eine Struktur zeigt nach ihm „Systemcharakter“. „Sie besteht aus Elementen, die so angeordnet sind, daß die Veränderungen eines von ihnen eine Veränderung aller übrigen nach sich zieht“ (Le´vi-Strauss 1958, 302). Der Inhalt einer solchen Struktur zerfällt in Komponenten, die zu bestimmten Klassen gehören, deren Elemente durcheinander ersetzbar sind, wodurch das gemeinsame Schema zutage tritt. Systeme mit verschiedenen Elementen, aber mit derselben schematischen Struktur, sind analog, wodurch sich im Werk von Le´viStrauss jene geistreiche Analogisierung verschiedenster Bereiche ergibt. Die begrifflichen Schemata wiederum sind innerhalb einer Transformationsgruppe untereinander ersetzbar. „Die diesen verschiedenen Systemtypen eigentümlichen Transformationsgruppen wiederum werden von einer einzigen Kombinatorik beherrscht. Die Regeln dieser Kombinatorik sind die des menschlichen Geistes, auf die sich alle möglichen Strukturen zurückführen lassen“ (Sperber 1973, 251 f). Invarianten einer Gruppe von Transformatio-
1455 nen bilden ein Modell. Man kann verallgemeinernd vielleicht sogar sagen, daß eine Analyse eines Inhalts, gleichgültig welches dieser sein mag, struktural ist, wenn sie diesen Inhalt als ein Modell erscheinen läßt. Und so schreibt auch Le´vi-Strauss: Jedes Modell gehört „zu einer Gruppe von Umwandlungen, deren jede einem Modell derselben Familie entspricht, so daß das ganze dieser Umwandlungen eine Gruppe von Modellen bildet“ (Le´vi-Strauss 1958, 302). Man sieht, daß der Strukturalismus sehr konsequent die Grundthese, daß es sich bei Mythen, Verwandtschaftsverhältnissen usw. um Sprachen im Sinne von langue, d. h. um Kodes handelt, mit den Mitteln der strukturalistischen Linguistik durchführt und die Grammatik dieses Zeichenspiels ausarbeitet. Nun hatte schon Le´vi-Strauss den Begriff des Mythos aus der Beschränkung auf die „Primitiven“ herausgenommen und in den Reden unserer Politiker und im schamanenhaften Tun des Psychiaters vergleichbar lohnende Gegenstände einer strukturalistischen Mythenkunde gesehen (vgl. Le´vi-Strauss 1958, 230: „Nichts ähnelt dem mythischen Denken mehr als die politische