Sachenrecht: Band 1: Sachen, Besitz und Rechte an beweglichen Sachen, 2. Auflage (Enzyklopadie der Rechts- und Staatswissenschaft Abteilung Rechtswissenschaft) [2., vollst. überarb. Aufl.] 354029869X, 9783540298700, 9783540298694 [PDF]

Das Werk behandelt die Sache, den Besitz und die Rechte an beweglichen Sachen. Als systematisches Handbuch wendet er sic

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis......Page 6
Teil 1: Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts......Page 26
§ 1 Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts......Page 27
I. Ursprung und System des Sachenrechts......Page 28
II. Dingliche Rechte......Page 35
III. Dingliche Rechtsgeschäfte......Page 51
Teil 2: Sachen......Page 75
I. Begriff der Sache......Page 76
II. Arten der Sachen......Page 85
III. Bestandteile......Page 96
IV. Zubehör......Page 119
V. Früchte und Nutzungen......Page 131
Teil 3: Besitz an Sachen......Page 142
I. Begriff und Aufgaben des Besitzes......Page 143
II. Geschichtlicher Überblick......Page 148
III. Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes......Page 157
IV. Überblick über das Gesetz......Page 160
§ 4 Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust......Page 162
I. Unmittelbarer Besitz; Besitzobjekt und Besitzsubjekt......Page 163
II. Erwerb des unmittelbaren Besitzes......Page 178
III. Erhalt und Verlust des unmittelbaren Besitzes......Page 185
IV. Besitzdiener und Stellvertreter im Besitz......Page 188
V. Unmittelbarer Besitz ohne Sachherrschaft......Page 200
I. Einführung......Page 205
II. Verbotene Eigenmacht......Page 207
III. Gewaltrechte......Page 214
IV. Besitzschutzansprüche......Page 221
I. Geschichte und Wesen des mittelbaren Besitzes......Page 247
II. Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes......Page 252
III. Erwerb und Verlust des mittelbaren Besitzes......Page 259
IV. Schutz des mittelbaren Besitzes......Page 270
§ 7 Besitz an Rechten......Page 274
I. Rechtsbesitz an Grunddienstbarkeiten......Page 275
II. Rechtsbesitz an persönlichen Dienstbarkeiten......Page 279
III. Sonstige Fälle des Rechtsbesitzes......Page 280
Teil 4: Eigentum an beweglichen Sachen......Page 281
§ 8 Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten......Page 282
I. Eigentum im sozialen Sinne......Page 283
II. Eigentum im zivilrechtlichen Sinne......Page 291
III. Arten des Eigentums......Page 301
§ 9 Eigentumserwerb vom Berechtigten......Page 310
I. Erwerb durch Einigung und Übergabe, § 929, 1......Page 312
II. Brevi manu traditio, § 929, 2......Page 323
III. Erwerb durch Besitzkonstitut, § 930......Page 326
IV. Erwerb durch Besitz- oder Forderungsabtretung, § 931......Page 335
V. Erwerb von Miteigentum......Page 344
VI. Berechtigung des Veräußerers......Page 346
VII. Vertretung im Eigentumserwerb......Page 349
VIII. Geheißerwerb......Page 363
IX. Übereignung von Wertpapieren und Wertrechten......Page 366
X. Traditionspapiere......Page 372
XI. Übereignung von Schiffen......Page 376
§ 10 Erwerb vom Nichtberechtigten......Page 378
I. Geschichtliche Entwicklung......Page 380
II. Allgemeine Voraussetzungen......Page 391
III. Guter Glaube......Page 394
IV. Der gutgläubige Erwerb nach §§ 932–934......Page 404
V. Abhanden gekommene Sachen......Page 419
VI. Folgen des gutgläubigen Erwerbs......Page 430
VII. Gutgläubig lastenfreier Erwerb......Page 434
§ 11 Originärer Eigentumserwerb......Page 439
I. Ersitzung......Page 440
II. Verbindung, Vermischung, Verarbeitung......Page 454
III. Erzeugnisse und Bestandteile......Page 477
IV. Okkupation und Dereliktion......Page 499
V. Fund......Page 520
VI. Schatzfund......Page 541
§ 12 Schutz des Eigentums......Page 550
I. Rei vindicatio......Page 553
II. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis......Page 576
III. Schadensersatz......Page 586
IV. Nutzungen......Page 600
V. Verwendungen......Page 609
VI. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch......Page 647
VII. Verfolgungsanspruch......Page 648
VIII. Deliktischer Eigentumsschutz......Page 649
IX. Eigentumsvermutung......Page 650
X. Schutz des Ersitzungsbesitzes......Page 658
XI. Kulturgüterschutz......Page 670
Teil 5: Beschränkte dingliche Rechte an beweglichen Sachen......Page 678
I. Historische Grundlagen......Page 679
II. Absolute verdinglichte Rechte......Page 684
III. Relative verdinglichte Rechte......Page 690
§ 14 Nießbrauch......Page 692
I. Nießbrauch an beweglichen Sachen......Page 693
II. Nießbrauch am Vermögen......Page 702
III. Nießbrauch am Unternehmen......Page 709
I. Einleitung......Page 711
II. Arten des Pfandrechts......Page 715
III. Objekte des Pfandrechts......Page 719
IV. Gesicherte Forderung......Page 720
V. Begründung des Pfandrechts......Page 725
VI. Rang der Rechte......Page 733
VII. Inhalt des Pfandrechts......Page 736
VIII. Übertragung, Belastung und Untergang des Pfandrechts......Page 762
IX. Pfandrecht an Miteigentumsanteilen......Page 769
X. Mehrheit von Rechten......Page 770
XI. Gesetzliche Pfandrechte......Page 774
XII. Pfändungspfandrecht......Page 776
I. Nießbrauch an Rechten......Page 779
II. Pfandrecht an Rechten......Page 793
§ 17 Anwartschaft des Vorbehaltskäufers......Page 810
I. Geschichte des Anwartschaftsrechts......Page 811
II. Entstehung der Anwartschaft......Page 813
III. Inhalt des Anwartschaftsrechts......Page 820
IV. Verfügungen über die Anwartschaft; Pfändung......Page 827
V. Ende der Anwartschaft......Page 833
VI. Erweiterter Eigentumsvorbehalt......Page 836
§ 18 Treuhand, insbesondere Sicherungseigentum......Page 839
I. Entwicklung und Wesen der Treuhand......Page 840
II. Sicherungsübereignung......Page 846
III. Uneigennützige Treuhand......Page 861
Gesetzesverzeichnis......Page 867
A......Page 881
B......Page 882
D......Page 884
E......Page 885
F......Page 886
G......Page 887
K......Page 888
N......Page 889
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Z......Page 896
Papiere empfehlen

Sachenrecht: Band 1: Sachen, Besitz und Rechte an beweglichen Sachen, 2. Auflage (Enzyklopadie der Rechts- und Staatswissenschaft   Abteilung Rechtswissenschaft) [2., vollst. überarb. Aufl.]
 354029869X, 9783540298700, 9783540298694 [PDF]

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Enzyklopådie der Rechts- und Staatswissenschaft Begrçndet von F. von Liszt und W. Kaskel Herausgegeben von H. Honsell und P. Lerche

Abteilung Rechtswissenschaft

Hans Josef Wieling

Sachenrecht Band 1 Sachen, Besitz und Rechte an beweglichen Sachen

Zweite, vollståndig çberarbeitete Auflage

12

Professor em. Dr. Dr. Hans Josef Wieling Universitåt Trier Fachbereich Rechtswissenschaft Lehrstuhl fçr Bçrgerliches Recht und Ræmisches Recht Richter am Oberlandesgericht a.D., Koblenz Postfach 3825 54268 Trier [email protected]

ISSN 0172-8520 ISBN-10 3-540-29869-X Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-29869-4 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de ° Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Einbandgestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11578703

64/3153-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier

Inhaltsübersicht

Teil 1: Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts, § 1 Teil 2: Sachen, § 2 Teil 3: Besitz an Sachen, § 3 – 7 Teil 4: Eigentum an beweglichen Sachen, § 8 – 12 Teil 5: Beschränkte dingliche Rechte an beweglichen Sachen, § 13 – 18

V

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts §1

Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I. Ursprung und System des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Ursprung des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. System des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3. Anwendbarkeit des 1. und 2. Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4. Objekte des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. Dingliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Entwicklung des dinglichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Wesen des dinglichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Arten der dinglichen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Prinzipien der dinglichen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Dingliche Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Geschichte der dinglichen Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Einigung als Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Tradition und Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Prinzipien des dinglichen Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Verfügungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Teil 2: Sachen §2

Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Begriff der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Körperlichkeit und Beherrschbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Strukturen der Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Arten der Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Res extra commercium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Menschlicher Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Öffentliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Res sacrae et religiosae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Teilbare Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6. Vertretbare Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 7. Verbrauchbare Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 8. Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

VII

Inhaltsverzeichnis

III. Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Begriff des Bestandteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Begriff des wesentlichen Bestandteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Wesentliche Bestandteile nach § 93 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4. Wesentliche Bestandteile nach § 94 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5. Wesentliche Bestandteile nach § 94 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 6. Scheinbestandteile nach § 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7. Unwesentliche Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Zubehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Abgrenzung zum Bestandteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Zweckbestimmung des Zubehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Hauptsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Zubehörsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Räumliches Verhältnis und Verkehrsanschauung . . . . . . . . . . . . . . 102 6. Ende der Zubehöreigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 7. Unternehmenszubehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8. Rechtsfolgen der Zubehöreigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Früchte und Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Entwicklung des Fruchtbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Früchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114 4. Verteilung der Früchte; Kosten und Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115

Teil 3: Besitz an Sachen §3

Einleitung in das Recht des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Aufgaben des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Römische possessio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besitz im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Germanische Gewere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kodifikationen und das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . IV. Überblick über das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 121 126 126 128 129 130 131 135 138

§4

Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmittelbarer Besitz; Besitzobjekt und Besitzsubjekt . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbarer Besitz und Gewahrsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besitzwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besitzobjekt, Teil- und Mitbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besitzsubjekte, juristische Personen und Willensunfähige . . . . . . . 5. Eigenbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erwerb des unmittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 141 141 145 148 151 154 156 156 160

VIII

Inhaltsverzeichnis

III. Erhalt und Verlust des unmittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Erhalt des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Verlust des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IV. Besitzdiener und Stellvertreter im Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Besitzdiener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Stellvertreter im Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V. Unmittelbarer Besitz ohne Sachherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Erbenbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Andere Fälle gesetzlichen Besitzübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 §5

Schutz des unmittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Verbotene Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Voraussetzungen der verbotenen Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Besitzentziehung, Besitzstörung und fehlerhafter Besitz . . . . . . . . . 188 III. Gewaltrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Besitzwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Besitzkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Besitzschutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Anspruch wegen Besitzentziehung, § 861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Anspruch wegen Besitzstörung, § 862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862 . . . . . . . . . . . 207 4. Schutz des Mitbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Verfolgungsanspruch aus § 867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6. Sonstige Besitzschutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

§6

Mittelbarer Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Geschichte und Wesen des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Entwicklung des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Wesen des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Besitzmittlungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Ableitung des Besitzrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Herausgabeanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Besitz des Besitzmittlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5. Besitzwille des mittelbaren Besitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6. Mehrstufiger mittelbarer Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7. Arten des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Erwerb und Verlust des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Erwerb des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Übertragung des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Verlust des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. Schutz des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Umfang des Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Gewaltrechte des mittelbaren Besitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Besitzschutzanspruch aus § 869 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

IX

Inhaltsverzeichnis

§7

Besitz an Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsbesitz an Grunddienstbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des Rechtsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlust des Rechtsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz des Rechtsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsbesitz an persönlichen Dienstbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Fälle des Rechtsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 253 253 255 256 257 258

Teil 4: Eigentum an beweglichen Sachen §8

Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigentum im sozialen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Garantie des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigentum im zivilrechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungen des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arten des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung des Gesamthands- und Bruchteilseigentums . . . . . . . 2. Gesamthandseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bruchteilseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261 262 262 264 270 270 275 280 280 282 282

§9

Eigentumserwerb vom Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erwerb durch Einigung und Übergabe, § 929, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Brevi manu traditio, § 929, 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwerb des Besitzvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb des Eigenbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erwerb des Fremdbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erwerb durch Besitzkonstitut, § 930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte und Arten des Besitzkonstituts; Publizität . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen des Besitzkonstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erwerb durch Besitz- oder Forderungsabtretung, § 931 . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besitzabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besitzanweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forderungsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übereignung besitzloser Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Erwerb von Miteigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Berechtigung des Veräußerers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Vertretung im Eigentumserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Stellvertretung bei der Veräußerung . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Stellvertretung beim Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbare Stellvertretung bei der Veräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mittelbare Stellvertretung beim Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Traditio ad incertam personam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 291 291 296 302 302 303 304 305 305 307 314 314 317 320 321 322 323 325 328 329 329 331 331 337

X

Inhaltsverzeichnis

VIII. Geheißerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 IX. Übereignung von Wertpapieren und Wertrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 1. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2. Wertpapiere im Depot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Sammelurkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4. Wertrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 X. Traditionspapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Wirkung der Traditionspapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 XI. Übereignung von Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 § 10 Erwerb vom Nichtberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 I. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 1. Germanisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3. Vergleich der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 4. Rechtslage nach der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 5. Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 6. Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 7. Prinzipien der gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 II. Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Verkehrsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 III. Guter Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Entwicklung des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Gegenstand des guten Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Umfang des guten Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 4. Kausalität des Rechtsscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 5. Zeitpunkt des guten Glaubens und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 IV. Der gutgläubige Erwerb nach §§ 932 – 934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Erwerb nach §§ 929, 1; 932 I 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. Erwerb nach §§ 929, 2; 932 I 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 3. Erwerb nach §§ 930, 933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 4. Erwerb nach §§ 931, 934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 5. Erwerb des Miteigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 6. Geheißerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 7. Wertpapiere und Wertrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 8. Übereignung von Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 V. Abhanden gekommene Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 2. Ausschluß des gutgläubigen Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 3. Abhandenkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 4. Heilung des Abhandenkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 5. Gutgläubiger Erwerb abhanden gekommener Sachen . . . . . . . . . . . 406 VI. Folgen des gutgläubigen Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Ausgleichsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 2. Rückerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

XI

Inhaltsverzeichnis

VII. Gutgläubig lastenfreier Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 1. Entwicklung des § 936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Voraussetzungen des lastenfreien Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 § 11 Originärer Eigentumserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen der Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen der Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Außerordentliche Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbindung, Vermischung, Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbindung mit einem Grundstück, § 946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbindung beweglicher Sachen, § 947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermengung und Vermischung, § 948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verarbeitung, § 950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erzeugnisse und Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb von Erzeugnissen und Bestandteilen, § 953 . . . . . . . . . . . . 3. Erwerb durch dinglich Berechtigte, § 954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erwerb des gutgläubigen Besitzers, § 955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erwerb aufgrund einer Erwerbsgestattung, § 956 . . . . . . . . . . . . . . 6. Gutgläubiger Erwerb aufgrund einer Gestattung, § 957 . . . . . . . . . IV. Okkupation und Dereliktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aneignung, Okkupation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Aneignungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dereliktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wilde Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verlieren und Finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten des Finders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechte des Finders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behörden- und Verkehrsfund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Schatzfund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entdecken des Schatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besitzergreifung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schatzregal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Analoge Anwendung der §§ 971, 973, 984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XII

418 419 419 422 429 431 433 433 435 438 440 450 456 456 459 459 460 464 475 478 478 478 483 485 488 495 499 500 507 510 515 520 520 521 524 525 526 526 527

Inhaltsverzeichnis

§ 12 Schutz des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 I. Rei vindicatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 1. Voraussetzungen der Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 2. Inhalt der Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 3. Ausschluß der Vindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 4. Konkurrenz mit Ansprüchen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 II. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 1. Römisches und gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 2. Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 3. Grundsätzliches zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . 560 III. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 1. Anwendbarkeit der §§ 989 – 992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 2. Haftung nach Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 3. Haftung des Bösgläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 4. Haftung des Fremdbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 5. Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 6. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 IV. Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 1. Anwendbarkeit der §§ 987 – 993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 2. Haftung nach Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 3. Haftung des Bösgläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 4. Haftung des unentgeltlichen Besitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 5. Haftung des Fremdbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 6. Haftung des deliktischen Besitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 7. Haftung wegen Übermaßfrüchten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 8. Verhältnis zu den §§ 953 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 9. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 V. Verwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 2. Anwendbarkeit der §§ 994 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 3. Begriff und Arten der Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 4. Ansprüche des gutgläubigen, unverklagten Besitzers . . . . . . . . . . . 597 5. Ansprüche des bösgläubigen oder verklagten Besitzers . . . . . . . . . 603 6. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 7. Gläubiger und Schuldner des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 8. Durchsetzung des Verwendungsersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . 608 9. Das Wegnahme- und Aneignungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 VI. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 VII. Verfolgungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 VIII. Deliktischer Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 IX. Eigentumsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1. Entstehung der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 2. Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 3. Widerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

XIII

Inhaltsverzeichnis

X. Schutz des Ersitzungsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung des § 1007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsgrund und Aufbau des § 1007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erwerb und Übertragung des Ersitzungsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . 4. Verlust des Ersitzungsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsstellung des Ersitzungsbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz des Ersitzungsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Kulturgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriegsbedingt entführte Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exportierte Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtslage abhanden gekommener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . .

637 637 639 642 643 645 645 648 649 649 650 653

Teil 5: Beschränkte dingliche Rechte an beweglichen Sachen § 13 Verdinglichte Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Römisches und germanisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preußisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bürgerliches Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspruchsgrund und Aufbau des § 1007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Absolute verdinglichte Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwerb vom Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb vom Nichtberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragung des absoluten verdinglichten Rechts . . . . . . . . . . . . . 4. Verlust des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsstellung des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz des absoluten verdinglichten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Relative verdinglichte Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwerb des relativen verdinglichten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlust des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz des relativen verdinglichten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

659 659 659 661 662 663 664 665 665 667 667 668 668 670 670 671 671

§ 14 Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nießbrauch an beweglichen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Nießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung, Übertragung und Ende des Nießbrauchs . . . . . . . . . . II. Nießbrauch am Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung des Nießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Haftung des Nießbrauchers für Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nießbrauch am Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

672 673 673 678 682 683 683 689

§ 15 Pfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesen des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

691 691 691 694

XIV

Inhaltsverzeichnis

II. Arten des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 1. Vertragliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 2. Gesetzliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 3. Antichresis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 4. Pignus irregulare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 5. Pfandleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 6. Eigentümerpfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 III. Objekte des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 IV. Gesicherte Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700 V. Begründung des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 1. Erwerb vom Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 2. Erwerb vom Nichtberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 VI. Rang der Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 VII. Inhalt des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 1. Schutz des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 2. Gesetzliches Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 3. Voraussetzungen der Pfandverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 4. Privater Pfandverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 5. Sonstige Pfandverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 VIII. Übertragung, Belastung und Untergang des Pfandrechts . . . . . . . . . . . 742 1. Übertragung und Belastung des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 2. Untergang des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 IX. Pfandrecht an Miteigentumsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 X. Mehrheit von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 XI. Gesetzliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 XII. Pfändungspfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 § 16 Nießbrauch und Pfandrecht an Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 I. Nießbrauch an Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 1. Begründung des Nießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 2. Inhalt des Nießbrauchs an Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 3. Erlöschen des Nießbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 4. Nießbrauch an Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 5. Nießbrauch an Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 6. Nießbrauch an Miterbenanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 7. Nießbrauch an Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 II. Pfandrecht an Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 1. Belastbare Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 2. Entstehung des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 3. Inhalt des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 4. Übertragung und Erlöschen des Pfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 5. Pfandrecht an Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 6. Pfandrecht an Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789

XV

Inhaltsverzeichnis

§ 17 Anwartschaft des Vorbehaltskäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790 I. Geschichte des Anwartschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 II. Entstehung der Anwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793 1. Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794 2. Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 III. Inhalt des Anwartschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 1. Stellung des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 2. Stellung des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803 IV. Verfügungen über die Anwartschaft; Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 1. Übertragung der Anwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 2. Verpfändung der Anwartschaft und Nießbrauchbestellung . . . . . . . .811 3. Pfändung der Anwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812 V. Ende der Anwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 VI. Erweiterter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 1. Verlängerter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 2. Erweiterter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 § 18 Treuhand, insbesondere Sicherungseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung und Wesen der Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung der Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesen der Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestellung des Sicherungseigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsstellung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verwertung des Sicherungsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verlängerte und erweiterte Sicherungsübereignung, Sicherungszession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Uneigennützige Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Errichtung der Treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

819 820 820 822 826 826 827 828 833 838 839 841 841 842 843 845

Gesetzesverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861

XVI

Abkürzungsverzeichnis

ABGB AbzG AcP ADHGB ADWO AgrarR ALR AnwK AöR AP ArchBR Bamberger BauR BayObLG BB BGH BJagdG BNatSchG CJ D DB DDRZ DGWR Diss. DJ DJT DJZ DNotZ DR DRpfl DRW DRZ DVBl E 1, 2 EGBGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Abzahlungsgesetz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeine Deutsche Wechselordnung von 1848 Agrarrecht, Zeitschrift für das Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Anwaltkommentar Archiv für öffentliches Recht Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Archiv für bürgerliches Recht Bamberger-Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebsberater Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen Bundesjagdgesetz Bundesnaturschutzgesetz Codex Justinianus Digesta Justiniani Der Betrieb Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Recht Der Deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechtswissenschaft Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt 1. bzw. 2. Entwurf des BGB Einführungsgesetz zum BGB

XVII

Abkürzungsverzeichnis

ErbbRVO EWiR FG FS GBO GG GruchBeitr GrünhutsZ GS HansGZ HKK HRG HRR Index Inst. IPRax JA JbgemR JherJahrb JR JurA Jura JurBl JuS JW JZ KrVJSchr KUR LM LZ MDR MecklZ NJW NJW-RR NuR NVwZ NWVBL NZM OGH OLG OLGR OR

XVIII

Verordnung über das Erbbaurecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Festgabe Festschrift Grundbuchordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Dr. I. A. Gruchot Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Gedächtnisschrift Hanseatische Gerichtszeitung Historisch-Kritischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Höchstrichterliche Rechtsprechung Quaderni camerti di studi romanistici Institutiones Justiniani Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für das gemeine Deutsche Recht Jahrbücher für Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, begr. v. R. Jhering Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Blätter (Österreich) Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kunstrecht und Urheberrecht Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, hrsg. von Lindenmaier und Möhring Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Deutsches Recht Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege, Rechtswissenschaft, Verwaltung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungsreport Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Mietrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte OLG-Report für das genannte Gericht Schweizer Obligationenrecht

Abkürzungsverzeichnis

pr. PrVwBl RAG r+s RabelsZ RdL RE Recht RFH RG-Praxis

sächsArch SchlHA SeuffA SeuffBl SJZ SZ TE TR VersR VerwA VIZ VRS VVDStRL WarnRspr WEG WiB WM Wub WuM WV WZG ZAkDR ZBlFG ZEuP ZGB ZgesStW ZGS ZHR ZIP ZMR

principio, am Anfang, vor weiterer Unterteilung Preußisches Verwaltungsblatt Reichsarbeitsgericht Recht und Schaden (Zeitschrift) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Recht der Landwirtschaft Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der klassischen Altertumswissenschaft Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenstand Reichsfinanzhof Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, 1929 Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern Süddeutsche Juristenzeitung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (rom. Abt.) Teilentwurf zum BGB Tijschrift voor rechtsgeschiedenis Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verkehrsrechtssammlung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (des BGH) in Zivilsachen, hrsg. v. Warneyer Gesetz über das Wohnungseigentum Wirtschaftsrechtliche Beratung Wertpapiermitteilungen Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Die Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Verfassung) Warenzeichengesetz Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zentralblatt für freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zivilgesetzbuch (Schweiz) Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Zivilrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht

XIX

Abkürzungsverzeichnis

ZNR ZRP ZVglRWiss ZZP

XX

Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozeß

Literatur

Gesetzesmaterialien Bekker, E. J. und Fischer, O. (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung und Bearbeitung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 2 Bde, 1889, Nachdruck 1974 Denkschrift zum BGB, zitiert nach Mugdan Hahn, C., Die gesammelten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen: IV. Die gesammten Materialien zur Konkursordnung, 1881; VI. Die gesammten Materialien zum Handelsgesetzbuch, 1897 Jakobs-Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1978 ff. Johow, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, Sachenrecht mit Begründung, 1880; auch in der Ausgabe von Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, 1980 ff. Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888; auch abgedruckt bei Mugdan Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899 Protokolle der (ersten) Kommission über die Beratung eines bürgerlichen Gesetzbuches, metallographiert; auch abgedruckt bei Jakobs-Schubert Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, hrsg. im Auftrag des Reichs-Justizamtes, 1897–1899; auch abgedruckt bei Mugdan vSchmitt, Entwurf eines Rechtes der Erbfolge für das Deutsche Reich, mit Begründung, 1879; auch abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, 1980 ff. Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, gefertigt vom Reichsjustizamt, 1890 ff.

Lehrbücher zum Sachenrecht Baur-Stürner, Lehrbuch des Sachenrechts, 17. Auflage 1999 Brehm-Berger, Sachenrecht, 2000 Buhl, Heinrich, Das Recht der beweglichen Sachen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche, 1901 Cosack, Konrad, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts II, 4. Auflage 1904 Cosack-Mitteis, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts II, 7. Auflage 1924

XXI

Literatur

Crome, Carl, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1900 ff. Eichler, Hermann, Institutionen des Sachenrechts, 1954–1960 Endemann, F., Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 6. Auflage 1900 Gerber-Cosack, System des Deutschen Privatrechts auf der Grundlage des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1895 vGierke, Julius, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 4. Auflage 1959 Goldmann-Lilienthal-Sternberg, Das Bürgerliche Gesetzbuch II, Sachenrecht, 1912 Heck, Philipp, Grundriß des Sachenrechts, 1930 Hedemann, Justus Wilhelm, Sachenrecht, 3. Auflage 1960 Heilfron-Pick, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Sachenrecht, 3. Auflage 1907 Kipp-Wolff, Sachenrecht, 5. Bearbeitung 1923 Lange, Heinrich, Sachenrecht, 1967 Maenner, Karl, Sachenrecht, 2. Auflage 1906 Müller, Klaus, Sachenrecht, 4. Auflage 1997 Schwab-Prütting, Sachenrecht, 31. Auflage 2003 Vieweg-Werner, Sachenrecht, 2. Aufl. 2005 Westermann, Harm Peter, BGB-Sachenrecht, 10. Auflage 2002 Westermann, Harry, Sachenrecht, 5. Auflage 1966 Westermann-Bearbeiter, Sachenrecht, 7. Auflage 1998, bearbeitet von H. P. Westermann, Gursky und Eickmann Wilhelm, Jan, Sachenrecht, 2. Auflage 2002 Wolf, Ernst, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Auflage 1979 Wolf, Manfred, Sachenrecht, 18. Auflage 2002 Wolff, Martin, Sachenrecht, 5. Bearbeitung 1923 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Bearbeitung 1957

Kommentare zum Sachenrecht Alternativkommentar zum BGB, 1979 ff. Anwaltkommentar BGB, Band 2, Sachenrecht, 2. Auflage 2005 ff. Bamberger-Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003 ff. Biermann, Johannes, Das Sachenrecht, 3. Aufl 1914 Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, hrsg. von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, zit.: RGRK, 12. Auflage 1977 ff. Erman, Handkommentar zum BGB, 11. Auflage 2004 Fischer-Henle, Bürgerliches Gesetzbuch, 8. Auflage 1909 Fuchs, Eugen, Kommentar zu den grundbuchrechtlichen Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches und zur Grundbuchordnung I, 1902 Historisch-kritischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (HHK), 2003 ff. Jauernig, Othmar, Bürgerliches Gesetzbuch mit Erläuterungen, 11. Auflage 2004 Kretzschmar, Ferdinand, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1906 Münchener Kommentar, 4. Auflage, 2001 ff. Neumann, Hugo, Handausgabe des BGB, 5. Auflage 1909 Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 64. Auflage 2005 Plancks Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4./5. Auflage 1913/1933 Rosenberg, Leo, Kommentar zum Sachenrecht, 1919

XXII

Literatur

Schlegelberger-Vogels, Erläuterungswerk zum Bürgerlichen Gesetzbuch und zum neuen Volksrecht, 1939 Soergel-Siebert, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12./13. Auflage 1987 ff. Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12./13. Auflage 1978/1993 ff. Staudinger-Kober, Sachenrecht, 7./8. Auflage 1912 Turnau-Förster, Das Liegenschaftsrecht I, 3. Auflage 1906

Weitere Lehrbücher und Kommentare Arndts, Ludwig, Lehrbuch der Pandekten, 9. Aufl. 1877 Baron, J., Pandekten, 8. Aufl. 1893 Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 63. Aufl. 2004 Boehmer, Gustav, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, 1950 ff. Brinz, Lehrbuch der Pandekten I, 2. Auflage 1873 Bülow, Peter, Recht der Kreditsicherheiten, 6. Auflage 2003 Bülow-Artz, Verbraucherprivatrecht, 2003 Canaris, Claus-Wilhelm, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981 Coing, Helmut, Europäisches Privatrecht I, 1985 Dernburg, Heinrich, Pandekten, 6. Auflage 1900 Dernburg, Heinrich, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reiches und Preußens, 3. Band, 3. Auflage 1904 (zit.: BR) Dernburg, Heinrich, Preußisches Privatrecht, 3. Auflage 1881 (zit.: PrR) Ehrenberg, Handbuch des Handeslsrechts V1, 1, 1928 Eichmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts II, 11. Auflage 1967 Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung 1958 Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Bearbeitung 1959 Fikentscher, Wolfgang, Schuldrecht, 9. Auflage 1997 Flume, Werner, Allgemeiner Teil des BGB I 1, 1977; II, 3. Auflage 1979 Förster-Eccius, Preußisches Recht, 6. Auflage 1892 Forsthoff, Ernst, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Auflage 1973 Gerber, C. F., System des deutschen Privatrechts, 15. Auflage 1886 vGierke, Otto, Deutsches Privatrecht II, 1905 Goldschmidt, Levin, Handbuch des Handelsrechts, 1868 und Nachdruck 1973 Gursky, Karl-Heinz, Sachenrecht, 9. Auflage 1996 Hübner, Heinz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Auflage 1996 Hueck-Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Auflage 1986 Jellinek, Georg, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1931, Neudruck 1966 Kaser, Max, Das römische Privatrecht I, 2. Auflage 1971 Kaser, Max, Das römische Privatrecht II, 2. Auflage 1975 Kaser-Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, 2. Auflage 1996 Koch, C. F., Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, 7. Auflage 1878 Köhler, Helmut, BGB - Allgemeiner Teil, 26. Auflage 2002 Koppensteiner-Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Auflage 1988 Krey, Volker, Strafrecht, Besonderer Teil, 11. Auflage 1998 Kromer, Michael, Sachenrecht des öffentlichen Rechts, 1985

XXIII

Literatur

Kunkel-Honsell-Mayer-Maly-Selb, Römisches Recht, 4. Auflage 1987 Lange-Kuchinke, Erbrecht, 5. Auflage 2001 Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auflage 1983 Larenz, Karl, Schuldrecht, Besonderer Teil, 1. Halbband, 13. Auflage 1986 (II 1) Larenz-Canaris, Schuldrecht, Besonderer Teil II 2, 13. Auflage 1994 Larenz-Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004 Mackeldey, Ferdinand, Lehrbuch des heutigen römischen Rechts, 5. Auflage 1823 Medicus, Dieter, Bürgerliches Recht, 20. Auflage 2004 Medicus, Dieter, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Auflage 2002 Mitteis-Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Auflage 1981 Oertmann, Paul, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1927 Papier, Hans-Jürgen, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Auflage 1998 Pappermann-Löhr-Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 1987 Pieroth-Schlink, Grundrechte, 21. Aufl. 2005 Puchta, G. F., Cursus der Institutionen, 9. Auflage 1881 Puchta, G. F. Pandekten, 4. Auflage 1848 Regelsberger, Ferdinand, Pandekten I, 1893 Reuter-Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983 Reinicke-Tiedtke, Kreditsicherung, 4. Auflage 2000 vSavigny, Friedrich Carl, System des heutigen römischen Rechts, 1840 Sohm, Rudolf, Institutionen – Geschichte und System des römischen Privatrechts, 13. Auflage 1908 Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 22. Aufl. 2002 Stobbe, Otto, Handbuch des deutschen Privatrechts, 5 Bände, 1871 ff. Tiedtke, Klaus, Gutgläubiger Erwerb, 1985 vTuhr, Andreas, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1910 ff. Vangerow, Karl Adolph, Lehrbuch der Pandekten, 7. Aufl. 1863 Wesenberg-Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. Auflage 1985 Wieling, Hans, Bereicherungsrecht, 3. Auflage 2003 Wieling-Finkenauer, Fälle zum besonderen Schuldrecht, 5. Auflage 2004 Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage 1906 Wolff-Bachof-Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Auflage 1994 Wolf-Horn-Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl. 1999 Zöllner-Rehfeldt, Wertpapierrecht, 14. Auflage 1987

Monographien Albrecht, Carl, Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts, 1928 Assmann, Dorothea, Die Vormerkung, 1998 Brandt, Hans, Eigentumserwerb und Austauschgeschäft, 1940 Bruns, Carl Georg, Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart, 1848 Bruns, Viktor, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, 1910 Bussi, Emilio, La formazione dei dogmi di diritto privato nel diritto comune I, Padua 1937 Diederichsen, Uwe, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, 1965

XXIV

Literatur

Draganesco, George, Die Lehre vom Besitzerwerb durch Stellvertreter, 1916 Dulckeit, Gerhard, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951 Eck, Ernst, Vorträge über das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs II, 1904 Ehmann-Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002 Ernst, Wolfgang, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, 1992 Finkenauer, Thomas, Eigentum und Zeitablauf – das dominium sine re im Grundstücksrecht, 2000 Gärtner, Max, Der gerichtliche Schutz gegen Besitzverlust, 1901 vGierke, Otto, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, 1889 vGierke, Otto, Die Bedeutung des Fahrnisbesitzes für streitiges Recht, 1897 Hager, Johannes, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, 1990 Heusler, Andreas, Die Gewere, 1872 Holthöfer, Ernst, Sachteil und Sachzubehör im römischen und gemeinen Recht, 1972 Jeroschewitz, Georg, Vertretung bei der Fahrnisübertragung, Diss. Königsberg 1920 vJhering, Rudolf, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 10. Auflage 1968 vJhering, Rudolf, Über den Grund des Besitzschutzes, 2. Auflage 1869 vJhering, Rudolf, Der Besitzwille, 1889 Klinck, Fabian, Erwerb durch Übergabe an Dritte, 2003 Kniep, Ferdinand, Der Besitz des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1900 Koch, Peter, § 1007, Neues Verständnis auf der Grundlage alten Rechts, 1986 Köbl, Ursula, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis im Anspruchssystem des BGB, 1971 Kötter, Hans-Wilhelm, Die Tauglichkeit der Vorausabtretung als Sicherungsmittel des Geld- und Warenverkehrs, 1960 Kress, Hugo, Besitz und Recht, 1909 Leonhard, Franz, Vertretung beim Besitzerwerb, 1899 Meischeider, Emil, Besitz und Besitzschutz, 1876 Menger, Anton, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Nachdruck der 4. Auflage 1982 Merrem, Thomas, Ist der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO?, 1995 Nachschlagewerk des Reichsgerichts, Bürgerliches Gesetzbuch Band 8, hrsg. von Werner Schubert und Hans Peter Glöckner, 2000, zitiert RG, Nachschlagewerk Oeckinghaus, Arne, Kaufvertrag und Übereignung beim Kauf beweglicher Sachen im deutschen und französischen Recht, 1973 Pininski, Leon, Der Tatbestand des Besitzerwerbes nach gemeinem Recht, 1885 Plambeck, Barbara, Die Verjährung der Vindikation, 1997 Randa, Anton, Der Besitz nach oesterreichischem Rechte unter Berücksichtigung des gemeinen Rechts, 2. Auflage 1876 Rhode, Ernst, Studien zum Besitzrecht I–III (1913); XIX (1909); XXI (1907); XXII (1913) Rinke, Marion, Die Kausalabhängigkeit des Anwartschaftsrechts aus Eigentumsvorbehalt, 1998 Ruffert, Matthias, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2002 Sandtner, Walter, Kritik der Besitzlehre, Diss. München 1968

XXV

Literatur

vSavigny, Das Recht des Besitzes, 7. Auflage 1967 Serick, Rolf, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. 1 (1963); Bd. 2 (1965); Bd. 3 (1970); Bd. 4 (1976); Bd. 5 (1982); Bd. 6 (1986) Sokolowski, Paul, Die Philosophie im Privatrecht II, 1907 Sosnitza, Olaf, Besitz und Besitzschutz, 2003 Spyridakis, Johannes, Zur Problematik der Sachbestandteile, 1966 Stadler, Astrid, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996 Stintzing, Wolfgang, Die Übertragung beweglicher Sachen, 1911 Thorn, Karsten, Der Mobiliarerwerb von Nichtberechtigen, 1996 Wacke, Andreas, Das Besitzkonstitut als Übergabesurrogat in Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik, 1974

XXVI

Teil 1 Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

1

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

§1

Literatur: Arndt, Michel, Überschießende Rechtsmacht als Problem abstrakter und nichtakzessorischer Konstruktionen, 2000; Beer, Hubert, Die relative Unwirksamkeit, 1975; Beyerle, Der dingliche Vertrag, FS Gustav Boehmer (1954), 164 ff., 172; Breyhan, Christian, Abstrakte Übereignung und Parteiwille in der Rechtsprechung, 1929; Bruck, Ernst, Die Einigung im Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1900; Bülow, Grundfragen der Verfügungsverbote, JuS 1994, 1 ff.; vCaemmerer, Rechtsvergleichung und Reform der Fahrnisübereignung, RabelsZ 12 (1939), 675 ff.; Exner, Adolf, Die Lehre vom Rechtserwerb nach österreichischem und gemeinem Recht, 1867; Felgentraeger, Wilhelm, Friedrich Carl vSavignys Einfluß auf die Übereignungslehre, 1927; Ferrari, Franco, Vom Abstraktionsprinzip und Konsensualprinzip zum Traditionsprinzip, ZEuP 1993, 52 ff.; Fuchs, Eugen, Grundbegriffe des Sachenrechts, 1917; ders., Das Wesen der Dinglichkeit, 1889; Gadow, Die Einrede der Arglist, JherJahrb 84 (1934), 174 ff.; Grigoleit, Die Abstraktion und Willensmängel, Die Anfechtbarkeit des Verfügungsgeschäfts, AcP 199 (1999), 379 ff.; Gursky, Der Vindikationsanspruch und § 281, Jura 2004, 433 ff.; Haag Molkenteller, Dieter, Die These vom dinglichen Vertrag, 1991; Haas, Joachim, Die Zulässigkeit von Verfügungen zugunsten Dritter, Diss. Würzburg 1973; Heck, Philipp, Das abstrakte dingliche Rechtsgeschäft, 1937; Hofmann, Franz, Die Lehre vom Titulus und Modus adquirendi und von der iusta causa traditionis, 1873; Horstmann, Horst, Untersuchung über die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Normen auf dingliche Ansprüche, 1938; Kluckhohn, Wilhelm, Die Verfügungen zugunsten Dritter, 1914; Koffka, Ein Beitrag zur Lehre von der dinglichen Bindung der Betheiligten an ihre Einigung nach § 873 Abs. 2 BGB, FG Richard Wilke (1900), 165 ff.; Krause, Das Einigungsprinzip und die Neugestaltung des Sachenrechts, AcP 145 (1939), 312 ff.; Kühne, Versprechen und Gegenstand, AcP 140 (1935), 1 ff.; Landsberg, Ernst, Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigenthum, 1883; Lange, Rechtsgrundabhängigkeit der Verfügung im Boden- und Fahrnisrecht, AcP 146 (1941), 28 ff.; Litten, Abstrakte Rechtsgeschäfte und Verkehrssicherheit, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16 (1922/23), 493 ff.; Locher, Eugen, Die Neugestaltung des Liegenschaftsrechts, 1942; May, Erich, Die Möglichkeit der Beseitigung des Abstraktionsprinzips bei den Verfügungsgeschäften des Fahrnisrechts, 1952; Mehrtens, Gerhard, Das gesetzliche Veräußerungsverbot, Diss. Göttingen 1974; Michaels, Ralf, Sachzuordnung durch Kaufvertrag, Traditionsprinzip, Konsensprinzip, ius ad rem in Geschichte, Theorie und geltendem Recht, 2002; Mühl, Treu und Glauben im Sachenrecht, NJW 1956, 1157 ff.; Neuburger, Eugen, Eigentumserwerb durch Anspruchsabtretung, Diss. Tübingen 1901; Nolte, Hermann, Zur Reform der Eigentumsübertragung, 1941; Pabst, Wolfgang, Die Rechtsnatur der Einigung im Sachenrecht, Diss. Dresden 1909; Paulus, Christoph, Richterliches Verfügungsverbot und Vormerkung im Konkurs, 1981; Prinz, Leopold, Der Kampf gegen die abstrakte Übereignung, Diss. Erlangen 1919; Raape, Leo, Das gesetzliche Veräußerungsverbot des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1908; Rosenberg, Verträge zugunsten Dritter im Sachenrecht, DJZ 1912, 542 ff.; Ruhwedel, Grundlagen und Rechtswirkungen sogenannter relativer Verfügungsverbote, JuS 1980, 161 ff.; Schindler, Kausale oder abstrakte Übereignung, FS Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, 1997, 1033 ff.; Simon, Paul, Die rechtliche Natur der sachenrechtlichen Einigung, 1907; Stadler, Astrid, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996; Steyert, Gaston, Der dingliche Vertrag im B. G. B., Diss. Straßburg 1905; Stöver, Ist die Einigung im Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Rechtsgeschäft? ArchBR 26 (1905), 149 ff.; Strohal, Rechtsübertragung und Kausalgeschäft im Hinblick auf den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 27 (1889),

3

§ 1 I 1 a, b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

335 ff.; Süss, Das Traditionsprinzip, ein Atavismus des Sachenrechts, FS M. Wolff (1952), 141 ff.; Wank-Kamanabrou, Zur Widerruflichkeit der Einigung bei den §§ 929 S. 1, 930, 931 BGB, Jura 2000, 154 ff.; Weiland, Thomas, Die Sicherung konkurrierender Sachleistungsansprüche im Wege einstweiliger Verfügung durch Vormerkung und Verfügungsverbot, 1992; Wieacker, Franz, Sacheinheit und Sachzuordnung, AcP 148 (1943), 57 ff.; ders., Zum System des deutschen Vermögensrechts, 1941; ders., Die Forderung als Mittel und Gegenstand der Vermögenszuordnung, DRW 1941, 49 ff.; Wiegand, Numerus clausus der dinglichen Rechte, Zur Entstehung und Bedeutung eines zentralen zivilrechtlichen Dogmas, in: Wege europäischer Rechtsgeschichte, Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag dargelegt, 1987, 623 ff.; Wieling, Ius ad rem durch einstweilige Verfügung?, JZ 1982, 839 ff.; ders., Nuda proprietas, in: Sodalitas, Scritti in onore di Antonio Guarino, 1984, 2519 ff., ders., Das Abstraktionsprinzip für Europa!, ZEuP 2001, 301 ff.; ders., Das System des Sachenrechts im BGB, in: I cento anni del Codice civile tedesco in Germania e nella cultura italiana, 2002, 1165 ff.; ders., Numerus clausus der Sachenrechte?, in: Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte – Hans Hattenhauer zum 8. September 2001, 2003, 557 ff.

§1 I 1

I. Ursprung und System des Sachenrechts 1. Ursprung des Sachenrechts a) Das objektive Sachenrecht regelt die rechtliche Beziehung des Menschen zu einem körperlichen Gegenstand (Sache)1. Diese Beziehung zu einer Sache tritt in Erscheinung als subjektives Sachenrecht (Recht an der Sache, dingliches Recht, ius in re), z.B. als Eigentum oder Pfandrecht. Die spezifische Eigenschaft des dinglichen Rechts besteht darin, daß es unmittelbar die Sache ergreift, die Sache dem Menschen zuordnet: Es ist ein Herrschaftsrecht, welches dem Inhaber gestattet, mit der Sache in bestimmter Weise zu verfahren. Dagegen gibt der obligatorische Anspruch eine solche Sachherrschaft nicht; er gibt lediglich das Recht, vom Verpflichteten eine bestimmte Handlung zu verlangen2. Wer etwa eine Sache gekauft, aber noch nicht erhalten hat, hat noch kein Recht an der Sache; er kann nur vom Verkäufer verlangen, daß dieser ihm die Sache übergebe und übereigne. Die Einteilung in dingliche Rechte und obligatorische Ansprüche ist für unsere Rechtsordnung von wesentlicher Bedeutung. b) Das Recht kennt ursprünglich nur absolute Rechte, Herrschaftsrechte an Personen und Sachen; die Vorstellung des Anspruchs hat sich erst später entwickelt. So kennt das alte römische Recht nur ein einheitliches Recht, ein Herrschaftsrecht, das mit „meum esse“ bezeichnet wird und sowohl Personen als auch Sachen erfassen kann3. Wer mit einer Sache in jeder Hinsicht nach Belieben verfahren darf (der Eigentümer), kann ohne Zweifel ein „meum esse“ behaupten. Aber auch wer nur berechtigt ist, über 1 2

3

4

Daneben regelt es auch die tatsächlichen Beziehungen Mensch – Gegenstand: im Besitzrecht. Vgl. etwa Paulus D 44, 7, 3 pr.: Obligationum substantia non in eo consistit, ut aliquod corpus nostrum aut servitutem nostram faciat, sed ut alium nobis adstringat ad dandum aliquid vel faciendum vel praestandum. (Die Natur der Obligation liegt nicht darin, daß sie eine Sache oder eine Dienstbarkeit zur unsrigen macht, sondern darin, daß sie einen anderen uns verbindlich macht, uns etwas zu geben, zu bewirken oder zu leisten). Kaser I § 31 I 1; zum griechischen Recht vgl. etwa H. J. Wolff, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechts, in: Zur griechischen Rechtsgeschichte, hrsg. von E. Berneker (1968), 483 ff.; zum germanischen Recht vgl. etwa Schröder-Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (1932) 66; Ogris, Haftung, in HRG I 1901 ff. und unten § 13 I 1 b.

1. Ursprung des Sachenrechts

§1 I 1 b

das Grundstück zu gehen, Vieh darüber zu treiben, Wasser daraus abzuleiten (der Inhaber einer Servitut), kann sagen, daß die Sache ihm insoweit gehöre; er kann ein „meum esse“ behaupten4. Das „meum esse“ wird weiter auf Sklaven angewandt, die Rechtsobjekte sind, aber auch auf freie Personen: Von der Ehefrau in seiner Gewalt, vom Hauskind behauptet der pater familias ein „meum esse“ und vindiziert sie, wenn ein anderer § 1 I sie ihm vorenthält5. In allen Fällen gibt es nur eine einzige Klage, die legis actio sacramento in rem, welche das Recht des Klägers feststellt oder verneint. Wird das Recht festgestellt, so folgt daraus nicht etwa ein Anspruch auf Herausgabe; der Kläger ist vielmehr berechtigt, das Streitobjekt an sich zu nehmen6. Einen Anspruch gibt es ursprünglich weder aus Vertrag noch aus Delikt. Austauschverträge gibt es nur als Handkauf, ein Kaufvertrag, der erst später erfüllt werden soll, ist rechtlich unverbindlich7. Aus einem Darlehensvertrag (nexum, von nectere = binden, verstricken) folgt kein Rückzahlungsanspruch: Der Darlehensnehmer gibt sich gewissermaßen selbst zum Pfand, bestellt dem Gläubiger ein Pfandrecht an seiner Person. Der Darlehensgeber kann nicht Rückzahlung des Darlehens verlangen. Befreit sich der Darlehensnehmer nicht durch Rückzahlung von seiner Haftung, so kann der Darlehensgeber auf seine Person zugreifen8: Er darf ihn töten oder als Sklaven verkaufen9. Auch die sponsio10 gab ursprünglich keinen Anspruch; es handelte sich um ein sakrales Versprechen, in welchem sich der Versprechende in die Gewalt eines Gottes versprach, wenn er die versprochene Leistung nicht vornehme11. Wer ein Delikt begeht, ist ursprünglich nicht zur Leistung eines Ersatzes oder einer Strafe verpflichtet; er verfällt vielmehr der Rache des Geschädigten oder seiner Sippe. Der Täter wird getötet oder unterliegt der Talionsstrafe. Erst allmählich setzt sich die Möglichkeit durch, diese Strafe durch die Vereinbarung und Zahlung einer Geldsumme (vgl. das germanische Wergeld) abzuwenden. Später wird im Interesse des Rechtsfriedens die Annahme des Lösegeldes zwingend vorgeschrieben, dem Geschädigten wird damit ein Zahlungsanspruch gegen den Schädiger zugebilligt12. Aus Delikten wird also zum ersten Male ein Anspruch gegeben, später auch aus der sponsio. Da es aber auch hier keine Vollstreckung in das Vermögen gibt, sondern nur eine Personalexekution (Tötung, Verkauf als Sklave, Schuldknechtschaft), ändert sich gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht viel. Eine solche, auf bäuerliche Verhältnisse abgestimmte Rechtsordnung kann die Bedürfnisse einer späteren Entwicklungsphase der Gesellschaft nicht mehr befriedigen. Die Machtentfaltung Roms ändert die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und fordert eine differenziertere und elastischere Rechtsordnung. Sie entsteht im 3. Jh. v. Chr., zusammen mit einem neuen Zivilverfahren, dem Formularprozeß. Der Prätor als Gerichtsmagistrat erkennt die Klagbarkeit vieler formloser Verträge an, die auf der 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Kaser I § 38 I. Kaser I § 14 III; Kaser-Hackl § 14 I. Vgl. Kaser-Hackl § 14 VI 2. Vgl. etwa Platon, Nomoi Buch 11, 915 d, e. Kaser I § 43 II 2. Kaser-Hackl § 20 VII 1. Eine Art abstrakten Schuldversprechens, durch bestimmte Wortformeln begründet. Kaser I § 43 III. Vgl. Kaser I § 39 II; § 41 II.

5

§1 I 2 a

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

„bona fides“ (Treu und Glauben) begründet sind. So kann im Formularverfahren ein formloser Kaufvertrag durchgesetzt werden, ein Mietvertrag, Werkvertrag u.s.w. Damit sind zum ersten Mal in der abendländischen Geschichte Ansprüche aus Verträgen anerkannt. Die persönliche Haftung, die ein Zugriffsrecht auf den Körper begründet, wird durch die obligatio (Schuld, Pflicht zur Leistung) ersetzt13. Die Zweiteilung dingliches Recht – Anspruch geht von dieser Zeit an durch die Geschichte der euro- § 1 I 2 päischen Rechtsordnungen.

2. System des Sachenrechts a) Die geschlossene Darstellung des Sachenrechts als einer einheitlichen Materie geht auf das Lehrbuch (Institutiones) des römischen Schuljuristen Gaius im 2. Jh. n. Chr. zurück. Dagegen läßt das prätorische Edikt, welches alle im Klageweg verfolgbaren actiones aufführt, für uns keine systematische Ordnung erkennen. Gaius teilte sein Lehrbuch in drei Teile ein: personae, res, actiones. Der erste Teil (1. Buch) enthält das Personen- und Familienrecht, der zweite Teil (Buch 2 und Buch 3 bis § 87) das Sachen- und Erbrecht, der dritte Teil (Buch 3 §§ 88 ff. und Buch 4) das Schuld- oder Aktionenrecht14. Das Gaiussystem hat zunächst wenig Nachfolge gefunden, die römischen Juristen hielten sich an die Ediktsordnung, ebenso die Kodifikationen der Kaiser Theodosius II. und Justinian, mit Ausnahme der Institutionen Justinians von 533, welche dem Gaiussystem folgen15. Der Ediktsordnung folgen auch die Schriften der mittelalterlichen Juristen. Erst seit dem 16. Jh. zeigen sich in Frankreich, Holland und Deutschland Tendenzen, die ungeeignete Ediktsordnung zu verlassen und eigene, brauchbare Ordnungen zu finden16. Diese Bestrebungen brachten eine verwirrende Vielfalt neuer Systeme hervor; auch das Institutionensystem wurde bei der Suche nach einer brauchbaren Ordnung wieder mehrfach verwendet. Eine Vereinheitlichung brachte erst das Pandektenrecht des 19. Jh. in Deutschland unter der Führung der historischen Rechtsschule („Pandektensystem“). Dieses Pandektensystem geht auf die Juristen des Naturrechts zurück, letztlich auf Samuel Pufendorf (1632 – 1694). Hier wird zum ersten Male der „Allgemeine Teil“ geschaffen, Sachenrecht und Obligationenrecht werden getrennt, wie schon im Institutionensystem und den meisten Darstellungen des Usus modernus. Das Familienrecht wird vom Personenrecht getrennt, weil das Naturrechtssystem vom Recht der Einzelperson zu immer größeren Gesamtheiten fortschreitet: Beginnend mit dem Recht der Einzelperson kam man über das Recht der Familie zum Recht des Staates und zum Recht der Völker. Das Erbrecht wird vom Sachenrecht abgetrennt und an das Familienrecht angeschlossen, weil die Intestaterbfolge 13 14

15 16

6

Vgl. Kaser I § 112 I; auch Paulus D 44, 7, 3 pr., oben Fn. 2. Nach antikem römischem Recht enthielt das 3. Buch mit den Prozeßformeln, actiones, nur Prozeßrecht; die Forderungen fanden sich als res incorporales im 2. Buch des Gaius. Nachdem aber im gemeinen Recht das Denken in Aktionen außer Gebrauch gekommen und die Stelle des 3. Buches so frei geworden war, besetzte man sie mit den Obligationen. Justinians Institutionen sind ein Lehrbuch in Gesetzesform. Hierzu und zum Folgenden vgl. Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, SZ (rom. Abt.) 42 (1921), 578 ff.; Wieacker, Zum System des deutschen Vermögensrechts (1941).

2. System des Sachenrechts

§1 I 2 b

auf dem Familienrecht aufbaut. Dieses fünfteilige System ist zuerst von Gustav Hugo (1764 – 1844, Begründer der historischen Rechtsschule) und von Georg Arnold Heise § 1 I (1778 – 1851) verwendet worden, es ging in das sächsische BGB (1865) ein sowie in das BGB. Während zumeist das Sachenrecht vor dem Schuldrecht behandelt wurde, beschloß die erste BGB-Kommission, das Schuldrecht voranzustellen17. b) Anders als das zweite Buch des BGB, das Schuldrecht, enthält das dritte Buch keinen Allgemeinen Teil des Sachenrechts18. Die erste Kommission war der Ansicht, eine solche Regelung empfehle sich nicht, da die Voraussetzungen des Rechtserwerbs bei beweglichen Sachen und Grundstücken zu verschieden seien19. Abgelehnt wurde auch ein Antrag, allgemeine Bestimmungen für bewegliche Sachen aufzustellen. Auch hier gebe es – im Gegensatz zu den Grundstücksrechten – zu wenig Gemeinsames, etwa bei der Eigentumsübertragung und der Pfandrechts- bzw. Nießbrauchbestellung. Es sei daher besser, mit Verweisungen zu arbeiten20. Immerhin kann der erste Abschnitt über den Besitz als Allgemeiner Teil des Sachenrechts gelten, weil er Regeln enthält, die auf Sachen aller Art anzuwenden sind. Ein Allgemeiner Teil wurde schließlich für Grundstücksrechte in den §§ 873 – 902 geschaffen. Ursprünglich waren auch Regelungen über Sachen, Bestandteile und Zubehör als Allgemeiner Teil des Sachenrechts vorgesehen gewesen, die zweite Kommission versetzte sie jedoch in das erste Buch des BGB21. Die §§ 90 – 103 stellen damit nicht nur einen Allgemeinen Teil des Sachenrechts, sondern des gesamten Privatrechts dar. Das BGB regelt in seinem dritten Buch zunächst den Besitz an Sachen (1. Abschnitt), sodann die Rechte an Sachen (2. – 9. Abschnitt). Hier findet sich zunächst ein Allgemeiner Teil des Grundstücksrechts (2. Abschnitt), gefolgt von den einzelnen Sachenrechten: Eigentum, Erbbaurecht22, Dienstbarkeiten, Vorkaufsrecht, Reallasten, Grundpfandrechte, Pfandrecht. Im dritten Buch finden sich aber nicht nur sachenrechtliche Regelungen; wegen des Sachzusammenhangs sind vielmehr auch schuldrechtliche Regeln aufgenommen23, etwa das Legalschuldverhältnis zwischen Eigentümer und Nießbraucher, §§ 1041 – 1055. Auch das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 985 – 1003) ist ein Schuldverhältnis. Umgekehrt gibt es sachenrechtliche Regeln außerhalb des dritten Buches des BGB. Dazu gehören im Allgemeinen Teil etwa die §§ 90 ff., im Schuldrecht etwa die §§ 562, 583, 592, 647, 704, im Familienrecht die §§ 1362, 1365, 1370, 1416 und sehr viele Vorschriften im Erbrecht. Auch außerhalb des BGB finden sich sachenrechtliche Vorschriften, etwa im HGB24, in der ZPO25, in der Erbbaurechtsverordnung von 1919, im Reichssiedlungsgesetz von 1919, im Reichsheimstättengesetz von

17 18 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3234, Jakobs-Schubert, Schuldrecht I 28; auch JakobsSchubert, Einführung 236. Vgl. zum Folgenden auch Wieling, System 1165 ff. Protokolle der 1. Kommission 3968 – 3974, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 416 – 419. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3587 ff., Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 430; auch Motive 3, 332. Protokolle der 2. Kommission 3277 (Mugdan 3, 486). Jetzt geregelt in der Erbbaurechtsverordnung von 1919. Vgl. Johow, Begründung 3. Vgl. etwa §§ 366, 397, 404, 441, 464, 475 b. Vgl. z.B. §§ 868, 898.

7

§1 I 3

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

1920, im Schiffsgesetz von 1940, im Wohnungseigentumsgesetz von 195126. Durch Landesrecht können sachenrechtliche Gebiete geregelt werden nach den Art. 64 – 69, 109 – 133, 143 EGBGB.

3. Anwendbarkeit des 1. und 2. Buches Daß der Allgemeine Teil des BGB auch im Sachenrecht anwendbar ist, ist selbstverständlich. Denn es ist der Sinn des Allgemeinen Teils, daß seine Regeln überall im BGB Anwendung finden sollen27. Ansprüche aus dinglichen Rechten, etwa der Anspruch aus § 985, unterliegen daher der Verjährung nach §§ 194 ff., vgl. jetzt auch § 197 I Nr. 1. Der Gesetzgeber kann freilich im konkreten Fall etwas anderes bestimmen, etwa daß ein Anspruch nicht verjährt, wie etwa in §§ 758, 898. Problematisch ist allerdings die Bedeutung eines dinglichen Rechts, wenn die dieses Recht schützenden Ansprüche verjährt sind. Welchen Wert hat etwa das Eigentum noch, wenn die Herausgabeansprüche gegen den Besitzer verjährt sind? Es entspricht dem Sinn der Verjährungsvorschriften, im Interesse der Verkehrssicherheit in solchen Fällen das nudum dominium enden zu lassen und einen Eigentumserwerb durch den Besitzer anzunehmen28. Eine Ausnahme wie in anderen Ländern wäre de lege ferenda für nationale Kulturgüter wünschenswert29. Ob der Allgemeine Teil des Schuldrechts auch im Sachenrecht anwendbar sei, ist umstritten. Einige Autoren gehen von der grundsätzlichen Unanwendbarkeit des Schuldrechts auf das Sachenrecht aus30. Dagegen gehen die Motive zum BGB von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 241 – 432 aus, wobei jedoch Begrenzungen und Ausnahmen durchaus möglich seien31. Das ist zu Recht auch h.M.32: Das allgemeine Schuldrecht ist anwendbar, wenn nicht die dingliche Natur des Rechtsverhältnisses dagegensteht oder das Sachenrecht eine Sonderregelung enthält; ob das der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen. Zu unterscheiden ist die Anwendung des allgemeinen Schuldrechts auf dingliche Ansprüche und auf das dingliche Recht selbst. Auf Ansprüche, die aus einem dinglichen Recht entstehen, aber von dessen Fortbestand unabhängig sind33, ist das Schuldrecht ohne weiteres anzuwenden34. Mehr Vorsicht ist geboten bei den dinglichen Ansprüchen, die vom Fortbestand des dinglichen Rechts abhängig sind35. Nach h.M. kann 26 27 28

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Vgl. zu diesen Gesetzen Eichler I 30 ff. Vgl. etwa RG 54, 366; vgl. dazu unten III 2. Vgl. Gaius D 9, 4, 27 pr.: „Nullum enim pignus est, cuius persecutio negatur“ (es gibt kein Pfandrecht, wenn man es nicht geltend machen kann); auch Wieling, Scritti Guarino 2528 und unten § 11 I 4. Vgl. unten § 12 XI 3. Vgl. MünchenerK-Rinne Einleitung 8 vor § 854; Baur-Stürner § 5 Rn. 25. Motive 2, 4; 3, 399. Vgl. etwa Planck-Strecker I 5 a vor § 854; Schlegelberger-Vogels-Pritsch 47 vor § 854; Soergel-Stürner Einl. 11 vor § 854; Erman-Lorenz Einl. 13 f. vor § 854; Palandt-Bassenge Einleitung Rn. 10 vor § 854; Endemann II § 2, 2; Hedemann § 5 I c; RG 105, 88. Ich bezeichne sie als dingliche Ansprüche im weiteren Sinne, vgl. unten 1 II 2 b bei Fn. 31; dazu gehören etwa die Ansprüche aus §§ 987 – 993. Vgl. Westermann-Westermann § 2 III 2. Dingliche Ansprüche im engeren Sinne.

§1 I 3

3. Anwendbarkeit des 1. und 2. Buches

§1 I 3

auch hier das Schuldrecht angewandt werden, doch müsse jeweils geprüft werden, ob die dingliche Natur des Anspruchs eine abweichende Regelung erfordere. Auf das dingliche Recht selbst sei das Schuldrecht nicht anwendbar36. Dem kann man nur mit Einschränkungen zustimmen. Die Verzugsvorschriften (§§ 286 ff., 293 ff.) z.B. kann man grundsätzlich auch auf dingliche Ansprüche anwenden37, doch enthält § 990 II für die Vindikation eine besondere Regelung: Nur der bösgläubige Besitzer kann in Verzug kommen. Anwendbar sind etwa auch die §§ 269, 27138; für den verklagten oder bösgläubigen Besitzer kann aber gemäß §§ 989, 990 etwas anderes gelten39. Die §§ 275 ff. sind auf § 985 nicht anwendbar, weil die §§ 987 ff. eine Sonderregelung enthalten40. Aus diesem Grund ist auch § 285, der dem früheren § 281 entspricht, nicht auf dingliche Ansprüche anwendbar41 und ebensowenig § 28142. Dingliche Ansprüche, die vom Fortbestand des Rechts abhängig sind, wie Ansprüche aus §§ 985, 1004, sind grundsätzlich nicht abtretbar, dingliches Recht und Anspruch können nicht getrennt werden. Der Anspruch dient der Verwirklichung des Rechts, und dieser kann nur dem Rechtsinhaber zustehen43. Problematisch ist die Anwendung des § 242. Die Vorschrift ist nach h.M. auf ding- § 1 I 3 liche Ansprüche anwendbar, nicht aber auf das dingliche Recht selbst. Denn der Anspruch schaffe eine Verpflichtung, auf welche § 242 typischerweise anwendbar sei; dagegen bewirke das dingliche Recht keine Leistungsbeziehungen, sondern eine Zuordnung; hierauf könne § 242 nicht angewandt werden44. Diese Unterscheidung ist nicht haltbar, dingliches Recht und daraus entspringende dingliche Ansprüche können nicht getrennt werden. Die Zuordnung entscheidet über die – wirklichen oder potentiellen – Ansprüche, und ohne Ansprüche wird etwa das Eigentum zu einer nuda pro36

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Soergel-Stürner Einl. 12 vor § 854; Palandt-Heinrichs § 242 Rn. 79; Staudinger-Seiler Einl. 82 ff. vor § 854; Westermann-Westermann § 2 IV; Wolff-Raiser § 1 III 1; Horstmann 13 ff., 23; RG JW 1922, 1513; OGH MDR 1949, 161; BGH 10, 75. Vgl. vTuhr I 265; Wolff-Raiser § 1 III 1; zur Anwendbarkeit auf § 888 vgl. BGH 49, 263 ff. Vgl. etwa Soergel-Stürner Einl. 15 vor § 854; Wolff-Raiser § 1 III 1; Horstmann 37 f. Vgl. etwa Palandt-Bassenge § 985 Rn. 14. Zu § 251 II vgl. Horstmann 30 ff.; zu § 254 vgl. Horstmann 32 ff.; Soergel-Stürner Einl. 16 vor § 854; zu § 278 Soergel-Stürner Einl. 17 vor § 854; zu § 372 vgl. Wolff-Raiser § 1 III 1; zu § 273 Horstmann 38 ff. Das ist zu Recht h.M., vgl. dazu Merle, Risiko und Schutz des Eigentümers bei Genehmigung der Verfügung des Nichtberechtigten, AcP 183 (1983), 84 f.; Heckmann, Zur Frage der Anwendbarkeit des Surrogationsprinzips auf den Eigentumsherausgabeanspruch, Jura 1983, 561 ff.; a.A. dagegen Heck § 32, 7 f.; J. vGierke § 39 VII; E. Wolf § 3 E IV c 12; Deubner, Bemerkungen zur analogen Anwendung des § 281 BGB auf den Eigentumsherausgabeanspruch, MDR 1958, 197 ff.; Klapproth, Zur analogen Anwendung des § 281 auf den Eigentumsherausgabeanspruch, MDR 1965, 525 ff. (bei zufälligem Untergang der Sache); Dölle, Eigentum und Ersatzherausgabe, RG-Praxis III (1929) 22 ff.; vCaemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, FS Rabel I (1954) 333 ff., vgl. auch unten § 12 I 2 e. Westermann-Westermann § 2 III 2 c hält § 285 auf andere dingliche Ansprüche als § 985 für anwendbar, mit Hinweis auf BGH 8, 58. Das ist abzulehnen. Der BGH prüft in dieser Entscheidung die Anwendung des § 285 (alt: § 281) auf Ansprüche aus einem Wohnrecht, lehnt aber schließlich die Anwendung zutreffend ab. Vgl. Gursky, Jura 2004, 433 ff. Vgl. unten § 9 IV 1 und 4; § 12 I 2 e. Vgl. oben bei Fn. 36.

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§1 I 4

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

prietas, einer leeren Form, die für den Inhaber sinnlos ist. Zwar ist mit der h.M. anzunehmen, daß in Zuordnungsfragen nicht mit § 242 eingegriffen werden soll, doch ist die Abgrenzung nicht formell, sondern materiell vorzunehmen. Die Zuordnung wird nicht nur geändert, wenn dem Eigentümer sein Recht entzogen wird; sie wird auch dann geändert, wenn ihm gegen den Besitzer die Ansprüche aus § 985 oder § 894 entzogen werden, so daß ihm nur die nuda proprietas bleibt, wie etwa im Fall des § 241 a. § 242 ist also auf dingliche Ansprüche immer dann nicht anwendbar, wenn dadurch das dingliche Recht in seinem Kern betroffen würde; wenn eine dauernde oder doch lang andauernde Trennung von Eigentum und Besitzrecht entstehen würde45. Dagegen bestehen bei einer kurzfristigen nuda proprietas keine Bedenken, wenn etwa ein Verkäufer die Kaufsache vom Käufer vindiziert, die dieser ohne Übereignung in seine Gewalt bekommen hat; hier kann der Käufer sich auf § 242 berufen, weil er ein Besitzrecht hat § 1 I 4 und weil der Verkäufer verpflichtet ist, ihm die Sache zu übereignen.

4. Objekte des Sachenrechts Das Recht ist definiert als die Willensmacht einer Person, die dem einzelnen von der Gemeinschaft und der Rechtsordnung gewährt wird. Und es gibt nur zwei Arten von Objekten, auf welche sich diese Willensmacht beziehen kann: Auf die natürlichen Sachen im weitesten Sinne und auf Menschen. Hat jemand Willensmacht über eine Sache, so sprechen wir von Sachenrechten oder von dinglichen Rechten, etwa vom Eigentum an einer Sache, vom Pfandrecht, vom Nießbrauch u.s.w. Die Sachenrechte gehören zu den absoluten Rechten, die eine Berechtigung über ein Rechtsobjekt verleihen. Solche Rechte über andere Menschen kann eine Rechtsordnung nur anerkennen, wenn sie die Sklaverei zuläßt. Erkennt man dagegen die natürliche Freiheit des Menschen an, so kann es absolute Rechte an Menschen nur in sehr eingeschränktem Maße geben, etwa als Recht der Eltern an ihren unmündigen Kindern, woraus z.B. der Herausgabeanspruch nach § 1632 resultiert, dessen Verwandtschaft mit der rei vindicatio man aus politischen Bedenken heute gern verschleiert. Darüber hinaus kann es ein Recht an einer Person nur als Recht auf Vornahme bestimmter Handlungen geben, etwa eine Sache zu übergeben. Solche Rechte nennen wir obligatorische Rechte46. Objekte des Sachenrechts sind grundsätzlich nur körperliche Sachen. Nur an körperlichen Sachen gibt es Eigentum, Pfandrecht, Nießbrauch u.s.w.; das entspricht dem römischen Recht47. Dagegen war der Sachbegriff des germanischen und mittelalterlichen und z.T. des gemeinen Rechts weiter, er umfaßte alle Rechtsobjekte48. Auch Rechte waren daher als Sachen anerkannt, an denen es Besitz49 und Eigentum gab50. 45

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Vgl. Wieling, Scritti Guarino 2530; Finkenauer 218 – 237. Ebenso im Ergebnis OLG München MDR 1957, 481 f.; Ballerstedt, SJZ 1948, 390; Mühl, NJW 1956, 1661; Gadow, JherJahrb 84 (1934), 187; LG Itzehoe JZ 1983, 308 f. Vgl. Johow, Begründung 1 f. Vgl. Kaser I § 92 I 1; zum heutigen Sachbegriff vgl. unten § 2 I 1. Vgl. O. vGierke II § 100 II 4. Vgl. unten § 3 II 2 – 4. Vgl. z.B. ABGB § 353: „Alles, was jemandem zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigentum.“

4. Objekte des Sachenrechts

§ 1 II

Das BGB ist zum Standpunkt des römischen Rechts und des Pandektenrechts des 19. Jh. zurückgekehrt, wonach sich das Sachenrecht grundsätzlich nur mit körperlichen Sachen befaßt51. Die Beschränkung des Sachbegriffs auf körperliche Sachen ist häufig kritisiert worden52. In der Tat ergeben sich daraus Schwierigkeiten etwa bei der Frage, wie ein Vermögen oder ein Unternehmen übertragen oder geschützt werden kann. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, daß die Körperlichkeit der Sachen diese zwangsläufig von anderen Gegenständen abgrenzt. Die Gefahr des Verlustes eines Gegenstandes durch Abhandenkommen gibt es nur bei Sachen, nicht bei Rechten; das gleiche gilt von der Möglichkeit des Rechtsscheins durch Besitz. Die §§ 929 ff. könnten daher nicht auf andere als dingliche Rechte angewandt werden, die Unterscheidung Sachen – unkörperliche Gegenstände ist sachgerecht53. Mit einer einfachen Ausdehnung des Sachbegriffs auf unkörperliche Gegenstände wäre nichts zu erreichen, die Regeln über Eigentum oder Besitz an Sachen lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Gegenstände übertragen. Es bedarf der Schaffung eigener Regeln für diese Gegenstände. Wieweit diese Regeln durch Analogie aus dem Sachenrecht zu gewinnen sind, ist jeweils zu prüfen54. Zu den Sachen, an denen dingliche Rechte möglich sind, gehören also weder die Sachgesamtheiten55 noch die Rechtsgesamtheiten56. Zu den Sachen gehören auch nicht die Rechte, auch nicht die sogenannten „grundstücksgleichen Rechte“. Dazu sollen etwa das Erbbaurecht, das Erbpachtrecht (Art. 63 EGBGB) und das Abbaurecht (Art. 68 EGBGB) gehören. Sie werden so genannt, weil auf diese Rechte gemäß § 1017 BGB bzw. § 11 ErbbRVO die Vorschriften über Grundstücke anwendbar sind. Die Bezeichnung beruht auf der Verwechslung von Grundstück und Eigentum am Grundstück; gemeint ist, daß diese Rechte wie das Eigentum am Grundstück behandelt werden. Es handelt sich nicht um grundstücksgleiche, sondern um grundeigentumsähn§ 1 II liche Rechte.

II. Dingliche Rechte Der Unterschied zwischen dinglichen und obligatorischen Rechten1 beherrscht seit dem römischen Recht die europäischen Rechtsordnungen, sie basieren auf dieser Unterscheidung. Obligatorische Rechte verpflichten einen bestimmten Schuldner, eine Leistung an einen Gläubiger zu erbringen; dingliche Rechte dagegen ordnen eine Sache

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Vgl. Johow, Begründung 17 ff. Vgl. etwa Wieacker, AcP 148 (1943), 59; DRW 1941, 61. Vgl. dazu Johow 17 ff.; ebenso Lange, Rez. Wieacker, System des deutschen Vermögensrechts, AcP 147 (1941), 295 f. Vgl. zum „Unternehmen“ Baur-Stürner § 28; zu Urheberrechten u.ä. Fabricius, Zur Theorie des stücklosen Effektengiroverkehrs, AcP 162 (1963), 473. Vgl. unten § 2 I 2 c. Vgl. unten § 2 I 2 d. Daneben gibt es weitere Arten von Rechten, etwa Gestaltungsrechte.

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§ 1 II 1 a

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

in bestimmter Hinsicht dem Vermögen einer bestimmten Person zu2. Wie das Wesen § 1 II 1 des dinglichen Rechts zu bestimmen sei, ist bis heute umstritten; praktische Bedeutung kommt dem Meinungsstreit nicht zu, meist werden lediglich verschiedene Aspekte der Dinglichkeit in den Vordergrund gestellt3. Das ius commune bezeichnet das dingliche Recht als ius in re4 im Gegensatz zum ius ad rem, welches den obligatorischen Anspruch bezeichnet5. Das BGB kannte den Terminus „dingliches Recht“ nicht, erst die Schuldrechtsreform hat ihn in § 197 I Nr. 1 übernommen; er findet er sich weiter in § 47 InsO; § 24 ZPO spricht von „dinglicher Belastung“. Das BGB bezeichnet dingliche Rechte grundsätzlich mit dem Ausdruck „Recht (Eigentum, Nießbrauch) an einer Sache, Recht an einem Grundstück“6, vgl. etwa §§ 95 I 2, 873, 889, 901, 925, 928, 929, 954, 955 I 2, 973, 988, 1042. Die Literatur benutzt auch den Ausdruck „Sachenrecht“.

1. Entwicklung des dinglichen Rechts a) Schon das ältere römische Recht unterscheidet zwischen actiones in rem und actiones in personam7. Dabei bedeutet actio nicht das subjektive Recht, sondern das Prozeßverfahren, in welchem dieses Recht geltend gemacht wird. Die actio in rem, z.B. die vindicatio, ist ein Prätendentenstreit um den Zugriff auf eine Sache bzw. Person. Dem Sieger wird der Zugriff auf das Streitobjekt gestattet, dem Unterliegenden verwehrt. Irgendwelche Ansprüche gegen den Unterliegenden bringt die actio in rem ur2

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Vgl. Inst. 4, 6, 1: „Omnium actionum summa divisio in duo genera deducitur: aut enim in rem sunt aut in personam. Nam agit unusquisque aut cum eo, qui ei obligatus est, … aut cum eo agit, qui nullo iure ei obligatus est, movet tamen alicui de aliqua re controversiam.“ (Die oberste Einteilung aller Klagen geschieht in zwei Arten: Sie sind entweder in rem oder in personam. Jeder nämlich klagt gegen den, der ihm zu einer Leistung verpflichtet ist, oder gegen den, der ihm zwar nicht verpflichtet ist, der aber wegen einer Sache mit ihm streitet). Zu den verschiedenen Ansichten vgl. etwa Kühne, Versprechen und Gegenstand, AcP 140 (1935), 11 ff. Vgl. etwa Struve, Iurisprudentia romano-germanica forensis, 18. Aufl. 1767, Lib. II tit. 1 § 14: „Ius in re est facultas iure competens, quae ipsi rei inhaeret, adeoque actionem, ipsam rem persequentem producit.“ (Ius in re ist das Recht, das an der Sache selbst haftet, das daher einen Klageschutz hervorbringt, welcher der Sache selbst folgt). Zur Entwicklung des dinglichen Rechts insbesondere im Mittelalter vgl. Feenstra, Robert, Ius in re. Het begrip zakelijk recht in historisch perspectief, Zwolle 1979. Vgl. Struve, a.a.O. Lib. III tit. 1 § 1: „Ius ad rem est facultas iure competens, qua ad rem praestandam, h.e. dandum aliquid vel faciendum, aut aliquando patiendum, personam ex facto suo obligatam habemus.“ (Ius ad rem ist das Recht, durch welche uns eine Person aus deren eigenem Verhalten verpflichtet ist, und zwar zu irgendeiner Leistung, sei es, etwas zu geben, etwas zu tun oder auch etwas zu dulden). Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Wesener, Dingliche und persönliche Sachenrechte – iura in re und iura ad rem. Zur Herkunft und Ausbildung dieses Unterschiedes, FS Hubert Niederländer zum 70. Geburtstag 1991, 195 ff. Völlig falsch ist daher die Überschrift zu § 196 „Verjährungsfrist bei Rechten an einem Grundstück“. Rechte an einem Grundstück sind dingliche Rechte, die bekanntlich nicht verjähren; § 196 behandelt Verpflichtungen wegen Rechten an Grundstücken. Der moderne Gesetzgeber kennt die Terminologie des BGB nicht! Vgl. etwa die Unterscheidung legis actio sacramento in rem – in personam, Kaser-Hackl § 13 f.

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1. Entwicklung des dinglichen Rechts

§ 1 II 1 a

sprünglich nicht hervor, sie stellt nur das Recht zum Zugriff fest8. Es wird im Selbsthil- § 1 II feverfahren verwirklicht. Dagegen richtet sich die actio in personam gegen eine bestimmte Person, ihr Ziel ist der Zugriff auf diese Person, etwa wegen eines begangenen Delikts, wegen eines nicht zurückgezahlten Darlehens u.s.w.9 Hat der Kläger Erfolg, so hat er ein Zugriffsrecht auf die Person, nicht aber ein Zugriffsrecht auf ein Leistungsobjekt, z.B. auf die durch sponsio versprochene Sache. Der Gläubiger kann den Schuldner allenfalls mittelbar zwingen, die Sache herauszugeben, indem er ihm den Zugriff auf seine Person androht10. Das der actio in personam zugrunde liegende Recht richtet sich also gegen eine bestimmte freie Person, das der actio in rem zugrunde liegende Recht gibt eine unmittelbare Herrschaftsmacht über Sachen oder Personen (z.B. Sklaven, Hauskinder u.s.w.). Das durch keinerlei Ansprüche gesicherte Zugriffsrecht, ius in re, wird problematisch, sobald der Staat die Selbsthilfe einzuschränken beginnt. Das römische Recht mußte zu vielerlei Hilfsmitteln greifen, um das Fehlen von Ansprüchen zum Schutz des Zugriffsrechts auszugleichen. Da das ius in re keine Ansprüche gibt, kann der Eigentümer den Besitzer nicht zwingen, mit dem Streitobjekt vor Gericht zu erscheinen11. Das aber ist erforderlich, um die actio in rem durchzuführen. Weigert sich der Besitzer, mit der Sache vor Gericht zu erscheinen, so kann der Prozeß mit der actio in rem nicht durchgeführt werden. Um den Schutz des dinglichen Rechts nicht leerlaufen zu lassen, gibt der Prätor in solchen Fällen eine persönliche Klage gegen den Besitzer, eine Klage auf Vorlage der Sache vor Gericht12. Auf diese Klage mußte sich der Besitzer einlassen, wenn er der Verurteilung und dem Zugriff auf seine Person entgehen wollte. Hatte sich der Besitzer auf die actio in rem eingelassen, so gab der Prätor den Zwischenbesitz für die Zeit des Prozesses einer der Parteien. Da das Urteil aber nur auf Feststellung des Zugriffsrechts lautete, mußte gesichert werden, daß im Falle eines Sieges des Nichtbesitzers dieser zu seinem Recht kam. Der Besitzer mußte daher Gestellungsbürgen beibringen13, die der anderen Partei dafür hafteten, daß die Sache ihm im Falle eines Sieges herausgegeben wurde, und zwar unversehrt. Der unterlegene Besitzer haftete nicht. Auch wegen der vom Unterlegenen gezogenen Nutzungen gab es keinen Anspruch aus der actio in rem. Man sah in der unberechtigten Nutzung aber ein Delikt und gab dem Berechtigten eine Deliktsklage auf den doppelten Wert14. All das zeigt, mit welcher Konsequenz das alte römische Recht die Trennung zwischen dinglichen und persönlichen Klagen durchführte. Das dingliche Recht gab lediglich ein unmittelbares Zugriffsrecht, verpflichtete aber weder den Besitzer noch sonst jemand. Um den Schutz dieses Rechtes zu gewähren, mußte man zu Behelfen greifen, wie zur actio ad exhibendum, zu Gestellungsbürgen u.s.w. 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Kaser I § 7 I 2; § 32 II. Vgl. oben I 1 b. Leistet der Schuldner nicht, so ist der Gläubiger berechtigt, ihn zu töten, als Sklaven zu verkaufen oder ihn als Schuldknecht für sich arbeiten zu lassen. Bei actiones in rem herrscht „Einlassungsfreiheit“, vgl. Kaser I § 32 II. Die actio ad exhibendum, vgl. Kunkel-Selb Anhang § 13 II, IV, heute § 809 BGB. Bei Klagen um Grundstücke gab es weitere Hilfsmittel. Praedes litis et vindiciarum, vgl. Kaser I § 32 IV. Kaser I § 32 IV.

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§ 1 II 2

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

b) Das klassische römische Recht verwischt diese konsequente, aber unpraktische Trennung von dinglichem Zugriffsrecht und persönlichem Anspruch. Das der actio in personam zugrunde liegende Recht wird jetzt verstanden als ein Anspruch auf Leistung. Die actiones in rem gehen weiterhin primär auf die bloße Feststellung des Zugriffsrechtes. Wird mit der actio per sponsionem15 geklagt, so bleibt es der Sache nach beim gleichen Zustand wie schon bei der legis actio sacramento in rem16. Anders ist es, wenn mit der moderneren formula petitoria geklagt wurde. Auch hier gilt zwar weiterhin die Einlassungsfreiheit. Läßt sich aber der Besitzer auf die Klage ein, so tritt dadurch eine Verpflichtung ein. Es wird nicht nur das Eigentum des Klägers festgestellt, der Beklagte wird auch verurteilt, zwar nicht zur Herausgabe, vielmehr auf Wertersatz, da das römische Recht nur eine Geldverurteilung kennt17. Weiter kann der Beklagte zum Ersatz von Nutzungen und Schaden verurteilt werden18. Das dingliche Recht ist also weiterhin ein Zugriffsrecht, es bringt aber bei seiner Verletzung nun Ansprüche hervor. Die Besonderheit der dinglichen Ansprüche liegt in der Einlassungsfreiheit: Der mit einer actio in rem verklagte Besitzer kann den Besitz der Sache aufgeben und so den Prozeß vermeiden. Nachdem Justinian die Einlassungsfreiheit abgeschafft hat19, unterscheiden sich actio in rem und actio in personam nur noch nach ihrem Entstehungsgrund: Die actio in rem entsteht aus der Verletzung eines dinglichen Rechts. Im § 1 II 2 übrigen verfolgen beide Klagen Leistungsansprüche.

2. Wesen des dinglichen Rechts Dingliche Rechte sind eine Unterart der absoluten Rechte, zu denen weiter das Persönlichkeitsrecht, persönliche Familienrechte und die Immaterialgüterrechte gehören. Die spezifische Art dieser Rechte ist darin zu sehen, daß sie ein bestimmtes Gut einer Person zuweisen, so daß jeder andere dies zu respektieren und jede Beeinträchtigung des Rechtsguts zu unterlassen hat20. Dingliche Rechte haben also eine Abwehrfunktion und eine Zuordnungsfunktion, wie dies exemplarisch in § 903, 1 ausgesprochen ist: Der Eigentümer kann „mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Dingliche Rechte weisen eine körperliche Sache einer Person zu. Das Gesetz kennzeichnet diese dinglichen Rechte mit dem Ausdruck „Recht an einer Sache, an einem Grundstück“, vgl. etwa §§ 95 I 2, 873, 973. Wenn also § 954 vom Fruchterwerb dessen spricht, der „ein Recht an einer fremden Sache“ hat, so meint das nicht den Pächter eines Grundstücks, der nur ein obligatorisches Nutzungsrecht hat, wohl aber den Inhaber eines dinglichen Nießbrauchsrechts.

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Es handelt sich um eine formelle Wette: Der Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger eine geringfügige Summe zu zahlen, falls dieser Eigentümer sei. Der Kläger klagt die Wettsumme ein, obsiegt er, so ist sein Eigentum festgestellt. Vgl. Kaser-Hackl § 47 III 1. Gaius 4, 48: „Omnium autem formularum quae condemnationem habent, ad pecuniariam aestimationem condemnatio concepta est.“ (Bei allen Prozeßformeln, die auf eine Verurteilung gehen, ist die Verurteilung auf eine Schätzung in Geld gerichtet). Vgl. Kaser-Hackl § 47 III 2; Kaser I § 103 I 4 f. Vgl. Kaser II § 245 II 3. H.M., vgl. Larenz-Wolf § 13 Rn. 10.

2. Wesen des dinglichen Rechts

§ 1 II 2 a

a) Das dingliche Recht ist auch heute am leichtesten zu begreifen in seiner Funktion § 1 II als ein Zugriffsrecht21 auf die Sache selbst, während das obligatorische Recht einen Zugriff auf die Person des Schuldners, d.h. auf sein Vermögen ermöglicht. Dieser Zugriff erfolgt heute im Normalfall nicht mehr im Wege der Selbsthilfe durch den Rechtsinhaber, sondern für diesen durch staatliche Organe, vermittelt durch Ansprüche. Vergleichen wir die Situation des Käufers, der gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung hat, mit der Situation des Eigentümers, der einen Herausgabeanspruch gegen den Besitzer hat: Die Funktion der Ansprüche ist in beiden Fällen unterschiedlich. Der Käufer hat ein Zugriffsrecht auf das Vermögen des Verkäufers, er kann auf die Kaufsache zugreifen, solange sie im Vermögen des Verkäufers ist. Veräußert der Verkäufer die Sache an einen Dritten, so scheidet sie aus dem Vermögen des Verkäufers aus. Der Käufer kann die Sache nicht mehr erlangen, da sie sich nicht mehr im Vermögen seines Schuldners befindet und da er gegen den Dritten kein Zugriffsrecht hat. Wird der Verkäufer insolvent, so bleibt zwar das Zugriffsrecht des Käufers auf das Vermögen des Verkäufers bestehen, es konkurriert aber mit dem Zugriffsrecht aller anderen Insolvenzgläubiger. Er kann daher nicht die Kaufsache für sich allein beanspruchen, er bekommt nur einen quotenmäßigen Wertersatz für seine Forderung. Pfändet ein Gläubiger des Verkäufers die Sache bei diesem, so kann der Käufer dagegen nichts unternehmen. Der Gläubiger hat ebenso ein Zugriffsrecht auf das Vermögen wie der Käufer selbst, ja durch das Pfändungspfandrecht erhält er sogar ein Zugriffsrecht an der gepfändeten Sache. Dagegen hat der Eigentümer ein Zugriffsrecht auf die Sache selbst. Veräußert der Besitzer die Sache, so kann der Eigentümer sein Recht gegenüber dem Erwerber ausüben. Auch die Insolvenz des Besitzers beeinträchtigt den Eigentümer nicht, da er nicht nur ein Zugriffsrecht auf das Vermögen des Besitzers hat wie die persönlichen Gläubiger, sondern ein Zugriffsrecht auf die Sache selbst; und diese gehört nicht zum Vermögen des Besitzers22. Auch eine Pfändung durch einen Gläubiger des Besitzers beeinträchtigt den Eigentümer nicht. Da die Sache nicht zum Vermögen des Besitzers gehört, sondern dem Eigentümer, kann dieser den Zugriff des Gläubigers abwehren. Das dingliche Recht bewährt sich also insbesondere in den Fällen, in welchen der Besitz der Sache wechselt23. Es ist daher nicht falsch, ein wesentliches Merkmal des dinglichen Rechts im absoluten Klageschutz zu sehen. Der jeweilige Besitzer beeinträchtigt das Eigentum, der Eigentümer kann gegen jeden vorgehen, der sein Recht beeinträchtigt. Das gleiche ist gesagt, wenn man das Spezifische des dinglichen Rechts in der unmittelbaren Sachbeziehung sieht. Der Eigentümer kann unmittelbar auf die Sache zugreifen, ohne den Umweg über das Vermögen eines Schuldners nehmen zu müssen. 21

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Das dingliche Recht ist ein Zugriffsrecht, nicht aber – wie oft behauptet wird – eine Zugriffsmöglichkeit. Die tatsächliche Möglichkeit des Zugriffs spielt keine Rolle, das Eigentum bleibt etwa auch dann erhalten, wenn die Sache von einem unbekannten Dieb gestohlen wird. Wer ein Zugriffsrecht auf die Sache hat, zu dessen Vermögen gehört die Sache. Insofern ist die Ansicht zutreffend, ein dingliches Recht ordne eine Sache einer Person, d.h. ihrem Vermögen zu, vgl. Gerber-Cosack § 61; Westermann-Westermann § 2 II 1 a. Entsprechendes gilt zugunsten des Inhabers eines beschränkten Rechts am Grundstück, wenn der Eigentümer wechselt; der Inhaber einer Hypothek z.B. kann die Duldung der Versteigerung von jedem Eigentümer verlangen.

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§ 1 II 2 b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

Dagegen kann der Inhaber eines persönlichen Anspruchs sich nur an das Vermögen ei- § 1 II 2 ner ganz bestimmten Person, seines Schuldners, halten. b) Das Zugriffsrecht zeigt aber nur die Außen- und Abwehrseite des dinglichen Rechts, es zeigt die Verteidigungsmöglichkeiten, die das dingliche Recht gewährt, wenn es angegriffen wird. Diese Wirkung des dinglichen Rechts ist wichtig, aber nicht sein eigentlicher Zweck. Niemand greift auf eine Sache zu um des Zugriffs willen. Der eigentliche Zweck des dinglichen Rechts ist es, eine Sache dem Vermögen des Rechtsinhabers einzuordnen (Zuordnungsfunktion). Wer z.B. einen Nießbrauch an einer Sache hat, in dessen Vermögen gehören die Nutzungen der Sache, die Sache gehört bezüglich der Nutzungen in sein Vermögen. Wer dagegen nur einen Anspruch aus einem Pachtvertrag hat, in dessen Vermögen ist nicht die Sache, sondern nur der Anspruch gegen den Vertragspartner24. Der Unterschied zeigt sich, wenn der Verpächter oder der Besteller des Nießbrauchs die Sache veräußert. Kennzeichnend für das dingliche Recht ist seine Zuordnungsfunktion. Damit ist nicht gemeint, daß das Recht einer bestimmten Person zugeordnet ist; das gilt für alle Rechte, auch für obligatorische. Gemeint ist vielmehr die Tatsache, daß absolute Rechte einen Gegenstand einer Person zuordnen, daß dingliche Rechte eine Sache einer Person zuordnen. Der Rechtsinhaber des dinglichen Rechts kann im Rahmen des jeweiligen Rechts25 nach seinem Belieben mit der Sache verfahren. Dieser Aspekt ist gemeint, wenn gesagt wird, das dingliche Recht unterwerfe die Sache unmittelbar dem Rechtsinhaber26, vermittle die Herrschaft über die Sache, gebe die Befugnis, selbsthandelnd das Schicksal der Sache zu bestimmen27. Jeder andere hat dieses Recht zu respektieren, greift er störend ein, so entsteht das Zugriffsrecht des dinglich Berechtigten, das er durch die staatlichen Organe (Gerichte, Gerichtsvollzieher) ausübt. Die Rechtsordnung muß allerdings Regeln aufstellen, in welchen Fällen sie diesen Zugriff durch den Rechtsinhaber zulassen will. Das geschieht durch das rechtstechnische Hilfsmittel der „dinglichen Ansprüche“28. Die Rechtsordnung legt dem Störer die Verpflichtung auf, die Störung zu unterlassen oder zu beseitigen; geschieht das nicht, so hat der Berechtigte das Zugriffsrecht zur Abwendung der Störung29. Solche dinglichen Ansprüche im engeren Sinne finden sich insbesondere in §§ 894, 985, 1004, ferner etwa in §§ 888, 1005, 1007, 1134, 1147 und in den Verweisungen gemäß §§ 1017 II, 1027, 1065, 1090 II, 1192, 1200, 1227, § 11 ErbbRVO, § 34 WEG. Es handelt sich hierbei um persönliche Ansprüche gegen einen bestimmten Schuldner, den Störer, sie ge24 25 26 27 28 29

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Es sei denn, daß sich seine Stellung durch Überlassung der Sache verdinglicht hat, vgl. unten § 13. Z.B. Nutzungsrecht, Verwertungsrecht, umfassendes Recht (Eigentum). Vgl. etwa Dernburg, Pandekten I § 22, 1 a. Vgl. etwa Cosack-Mitteis II § 1 II; Windscheid-Kipp I § 38. Der Ausdruck findet sich in § 198. Irrig ist die Ansicht Westermanns (5. Aufl. 1966) § 2 III 1, der dingliche Anspruch entstehe nur bei doppelter Zuordnung der Sache: Eine gestohlene Sache sei rechtlich dem Eigentümer zugeordnet und bezüglich des Besitzes dem Dieb. Aber dem Dieb ist die Sache in keiner Weise zugeordnet, dennoch entsteht zwischen ihm und dem Eigentümer das Legalschuldverhältnis aus §§ 985 ff. Gegen Westermann Wolff-Raiser § 2 I Fn. 2 mit zutreffendem Hinweis auf den Fall des nichtbesitzenden Störers. Westermann-Gursky § 2 III 1 rettet das mit dem Hinweis, der Besitz sei dem Dieb zugeordnet, doch ist eine solche „Zuordnung“ nicht das, was man üblicherweise unter der Zuordnungsfunktion dinglicher Rechte versteht.

2. Wesen des dinglichen Rechts

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statten den Zugriff auf sein Vermögen. „Dinglich“ sind diese Ansprüche aus zwei Gründen: Einmal deshalb, weil sie aus der Verletzung eines dinglichen Rechts entstehen. Der dingliche Anspruch gibt zwar nur ein Zugriffsrecht gegen die Person des Störers, z.B. gegen den unrechtmäßigen Besitzer; überträgt dieser den Besitz an einen anderen, so kann der Eigentümer nicht mehr gegen ihn vorgehen. Er kann aber gegen den neuen Besitzer vorgehen, das dingliche Recht läßt bei jeder Besitzübertragung sofort einen neuen dinglichen Anspruch gegen den Besitzer entstehen. „Dinglich“ heißt der Anspruch weiter deshalb, weil er dem Schutz des dinglichen Rechts dient und daher von diesem nicht getrennt werden kann: Inhaber des dinglichen Rechts und des dinglichen Anspruchs müssen identisch sein, der Eigentümer kann z.B. den Anspruch aus § 985 nicht übertragen, ohne auch das Eigentum zu übertragen30. Zu den dinglichen Ansprüchen in diesem Sinne rechne ich daher nicht diejenigen Ansprüche, die zwar aus der Verletzung eines dinglichen Rechts entstehen, aber nicht mehr dessen Schutz die- § 1 II nen, sondern einen Ersatz für einen irreparablen Eingriff bieten (dingliche Ansprüche in weiterem Sinne)31: Ansprüche wegen Vernichtung, Beschädigung, Nutzung der Sache, vgl. §§ 823 I, 812, 990 i.V.m. §§ 987, 989. Diese Ansprüche, z.B. wegen Beschädigung der Sache, können unabhängig vom Eigentum übertragen werden32. Das dingliche Recht kann man also dahin bestimmen, daß es eine Sache dem Vermögen einer Person zuordnet33 und dieser im Störungsfall ein Zugriffsrecht auf die Sache gibt. Im Gegensatz zum obligatorischen Anspruch handelt es sich nicht um ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Personen, sondern um ein Rechtsverhältnis einer Person zu einer Sache34. 30

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Allgemein zu den dinglichen Ansprüchen vgl. Picker, Der „dingliche“ Anspruch, in: Im Dienste der Gerechtigkeit, FS Franz Bydlinski, Hrsg. Koziol und Rummel, 2002, 269 ff., ders., Der vindikatorische Herausgabeanspruch, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Hrsg. Canaris u.a., 2000, 693 ff. Vgl. Palandt-Bassenge Einleitung Rn. 10 vor § 854; Wolff-Raiser § 2 I und oben I Fn. 33, 35. Die Schweizer Doktrin kennt daneben den von Liver eingeführten Begriff der „Realobligation“. Es handelt sich um Ansprüche, die aus einem dinglichen Recht oder dem Besitz entstehen und gegen den jeweiligen Besitzer einer Sache bzw. den Inhaber eines Rechts an der Sache gerichtet sind, vgl. etwa Meyer-Hayoz, Das Eigentum, System-Teil Nr. 150 ff., im Berner Kommentar (4. Aufl. 1966) Band IV. In ähnlicher Weise spricht die italienische Lehre in solchen Fällen von einer obligatio propter rem oder von einer actio ambulatoria, welche gewissermaßen beim Übergang des Rechts mitwandert. Da aber für diese Ansprüche außer den genannten Voraussetzungen keine Besonderheiten gelten, erscheint die Übernahme solcher Termini nicht erforderlich. Häufig wird betont, daß die Zuordnung nicht nur bei dinglichen Rechten vorkomme, sondern auch bei Forderungen und allen sonstigen Rechten, vgl. Westermann-Westermann § 2 II 2; auch Wolff-Raiser § 1 I 4; J. vGierke § 2 a.E. Daß jedes Recht einen Rechtsinhaber hat, ist in unserer Rechtsordnung eine Selbstverständlichkeit. Das Besondere des dinglichen (und absoluten) Rechts liegt denn auch nicht darin, daß es dem Rechtsinhaber zugeordnet ist, sondern daß es eine Sache (einen Gegenstand) dem Rechtsinhaber zuordnet. Daß ein solches Rechtsverhältnis möglich sei, kann man nur dann bestreiten, wenn man den Begriff des Rechtsverhältnisses auf Leistungsverhältnisse verkürzt, die es freilich nur zwischen Personen geben kann. Das Rechtsverhältnis kann aber auch in der Zuweisung einer Sache zu einer Person bestehen, vgl. Windscheid-Kipp I § 38; Westermann-Westermann § 1 II 2 a; Raiser, Der Stand der Lehre vom subjektiven Recht im Deutschen Zivilrecht, JZ 1961, 467. Das bedeutet natürlich nicht, daß Sachen Adressaten von Rechtsnormen sein könnten; Rechtsnormen können sich nur an Personen richten. Die Zuordnung der Sache zu einer Person ist ein Denkmodell, um die Besonderheit des dinglichen Rechts zu erklären.

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§ 1 II 3 a, b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

3. Arten der dinglichen Rechte a) Wie das römische und gemeine Recht stellt auch das BGB dem umfassenden Recht an der Sache, dem Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte gegenüber. Das Eigentumsrecht ordnet eine Sache in vollem Umfang in das Vermögen des Rechtsinhabers ein, der Eigentümer darf mit der Sache tun, was er mag, er darf mit ihr nach Belieben verfahren, § 903. Neben diesem Vollrecht gibt es die beschränkten dinglichen Rechte35, welche die Sache nur in einer bestimmten Hinsicht dem Vermögen des Rechtsinhabers zuordnen. Man kann sie wie folgt gruppieren: – Nutzungsrechte: Nießbrauch und Dienstbarkeiten, Erbbaurecht, Wohnrecht (§ 1093 BGB) und Dauerwohnrecht (§ 31 WEG); – Verwertungsrechte: Pfandrecht, Grundpfandrechte, Reallasten; – Erwerbsrechte: Vor- und Wiederkaufsrechte, Aneignungsrechte, Vormerkung und Anwartschaften. Beschränkte dingliche Rechte wie Pfandrecht oder Nießbrauch ändern die durch das Eigentum bewirkte Zuordnung der Sache; die Sache wird im Umfang des beschränkten Rechts aus dem Vermögen des Eigentümers herausgenommen und dem Vermögen des Pfandgläubigers u.s.w. zugeordnet. Betrachtet man Eigentum als die Summe des Nutzungs- und Verwertungsrechts, so bleibt etwa dem Eigentümer einer verpfändeten Sache nur das Nutzungsrecht; das Verwertungsrecht steht dem Pfandgläubiger zu. Der Eigentümer einer mit einem Nießbrauch belasteten Sache hat nur noch das Verwertungsrecht, der Nießbraucher hat das Nutzungsrecht. Die beschränkten dinglichen Rechte kann man sich daher als verselbständigte Teile des Eigentumsrechts vorstellen, als „Eigentumssplitter“, was allerdings nur ein dogmatisch nicht verwertbares Bild ist. Das Eigentum ist aber mehr als die Summe dieser Teilrechte. Der Eigentümer einer verpfändeten Sache hat nur das Nutzungsrecht, sein Recht kann aber nicht als Nießbrauch verstanden werden. Der Eigentümer, der das Verwertungs- und Nutzungsrecht an seiner Sache völlig auf einen anderen übertragen hat36, verliert deswegen nicht sein Eigentum. Er bleibt Eigentümer, auch wenn es sich vorübergehend um eine nuda proprietas handelt. Erlöschen aber die beschränkten Rechte, so kehren die entsprechenden Befugnisse automatisch in das Vermögen des Eigentümers zurück; das Nutzungsrecht z.B. muß nach Ende des Nießbrauchs nicht etwa vom Nießbraucher auf den Eigentümer zurückübertragen werden. Das Eigentum ist „elastisch“, es füllt sich nach dem Erlöschen von Belastungen immer wieder zum umfassenden Vollrecht auf. b) Das gemeine Recht nannte die beschränkten dinglichen Rechte iura in re aliena, d.h. sie konnten nur an einer fremden Sache bestehen, nicht zugunsten des Eigentümers an der eigenen Sache. Diesen Grundsatz haben die Römer bei den Dienstbarkeiten entwickelt: Nulli res sua servit37. Wer das Vollrecht hat, bedarf des beschränkten Rechts 35

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Der Ausdruck geht zurück auf Hartmann, Rechte an eigener Sache (1877) 76 ff.; beschränkt ist – gegenüber dem Eigentum – der Umfang der Rechte, nicht die Dinglichkeit. Daher ist es falsch, wenn ein immer mehr umsichgreifender Sprachgebrauch unbedachter und nachlässiger Autoren von „beschränkt dinglichen Rechten“ redet, was sogar der Gesetzgeber in Art. 233 § 2 b I 2 EGBGB als schlechtes Beispiel vormacht. Vgl. das Beispiel bei Lange § 2 III 1: Der Eigentümer hat an seinem Grundstück einen Nießbrauch bestellt, es mit Hypotheken überlastet und noch ein Vorkaufsrecht bestellt. Paulus D 8, 2, 26.

§ 1 II 3 b

3. Arten der dinglichen Rechte

§ 1 II 3 b

nicht. Das ist zwar grundsätzlich richtig, doch gibt es Situationen, in welchen ein Recht § 1 II an der eigenen Sache wirtschaftlich wünschenswert ist. Dennoch haben die Römer an ihrem Grundsatz festgehalten38, ebenso das gemeine Recht. Eine Wende bahnte sich aber schon vor dem BGB durch die wirtschaftlich geforderte Zulassung von Eigentümerhypotheken an39. Johow sah keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulassung von Rechten an eigener Sache40, doch wurde eine generelle Regelung nicht in das BGB aufgenommen. Grundsätzlich erlöschen beschränkte dingliche Rechte, wenn sie mit dem Eigentum in einer Hand zusammenfallen (Konsolidation). Dagegen bestimmt § 889, daß Grundstücksrechte nicht durch Konsolidation erlöschen. Für das Pfandrecht an Mobilien gilt dasselbe, wenn der Eigentümer am Fortbestehen des Pfandrechts ein Interesse hat, oder wenn die gesicherte Forderung belastet ist, § 1256 I 2, II. Entsprechendes gilt für den Nießbrauch, § 1063 II. Kein Eigentümer soll einen Schaden dadurch erleiden, daß er zusätzlich ein Recht an der Sache erwirbt, kein Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechts soll durch den Erwerb des Eigentums benachteiligt werden41. Die Bestellung eines Rechts an eigener Sache ist vom Gesetz ausdrücklich nur für die Grundschuld und Rentenschuld zugelassen, §§ 1196, 1199. Die Bestellung einer Eigentümerdienstbarkeit lehnte die erste Kommission ab, da der Eigentümer den Bestellungsvertrag nicht mit sich selbst abschließen könne, ein einseitiger Bestellungsakt im Gesetz nicht vorgesehen sei und da schließlich auch kein Bedürfnis bestehe42. Das kann kaum überzeugen. Tatsächlich gibt es nicht selten Situationen, in welchen die Bestellung eines Rechts an eigener Sache wirtschaftlich geboten erscheint; Probleme können dadurch nicht entstehen. Es erscheint daher unbedenklich und richtig, die Bestellung von Eigentümerrechten an Grundstücken generell zuzulassen43. Die Bestellung hat in diesen Fällen durch einseitige Erklärung des Eigentümers und Eintragung zu geschehen44, entspr. § 885. Dagegen können an Mobilien Eigentümerrechte zwar bestehen, aber nicht vom 38

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Immerhin ließ man im schon im klassischen Recht eine Ausnahme beim Pfandrecht zu, Kaser I § 110 IV, und im nachklassischen Recht weiter eine Servitut zugunsten eines Miteigentümers, Kaser II § 246 II 2. Vgl. Motive 3, 201 f.; Knöchlein, Gerhard, Das Recht an der eigenen Sache, 1991, 30 ff. Vgl. Johow, Begründung 7. Vgl. Motive 3, 842: „In diesem Falle die Rechtsvereinigung zum materiellen Nachteile derjenigen Person ausschlagen zu lassen, in welcher ein Überfluß von Recht stattfindet, würde eine Unbilligkeit sein“. Eine solche Unbilligkeit findet sich in der Entscheidung BGH NJW 2000, 1033 f., in welcher der BGH mit begriffsjuristischer Argumentation einem vormerkungsgesicherten Käufer den Erwerb vorenthält, weil er später das Eigentum geerbt hat, und dafür die Erwerbsmöglichkeit dem Inhaber einer nachrangigen Vormerkung zuspricht. Das verletzt die berechtigten Interessen des Inhabers der vorrangigen Vormerkung, nur weil er zugleich Eigentümer geworden ist, vgl. Gebauer-Haubold, JZ 2000, 680 ff.; Wieling, JR 2001, 148 – 151; Wacke, „Vom Pech, eine gute Erbschaft zu machen“ oder die Ausschaltung des Zufalls als Maxime der Gerechtigkeit, DNotZ 2001, 302 ff. Motive 3, 480, Mugdan 3, 267. Die ältere Lehre und Rechtsprechung folgte dem, vgl. etwa Planck-Strecker § 873 N. I 3 und heute E. Wolf § 12 A III e, B III b 2 cc. So auch Weitnauer, Können Erbbaurecht und Dauerwohnrecht zugunsten des Eigentümers bestellt werden?, DNotZ 1958, 352 ff.; ders., Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit für den Eigentümer, DNotZ 1964, 716; Harder, Zur Lehre vom Eigentümernießbrauch, DNotZ 1970, 267; ferner Heck § 25; Palandt-Bassenge Einleitung Rn. 7 vor § 854. Vgl. OLG Hamm, DRpfl 1973, 137.

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§ 1 II 3 c

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

Eigentümer als solche bestellt werden. Die Bestellung wäre ein rein interner Vorgang § 1 II 3 ohne jede Außenwirkung45. c) Das gemeine Recht unterscheidet in Anlehnung an das römische zwischen ius ad rem und ius in re. Ius ad rem ist der schuldrechtliche Anspruch, ius in re ist das dingliche Recht46; das ALR spricht vom (obligatorischen) Recht zur Sache und vom (dinglichen) Recht auf die Sache47. Daneben kennt das gemeine Recht ein ius ad rem im engeren Sinne, das bisweilen – zu Unrecht – als eine Zwischenform zwischen obligatorischem und dinglichem Recht bezeichnet wurde. Dieses ius ad rem im engeren Sinne ist im Mittelalter entstanden48, es erscheint zum ersten Mal im Kommentar des Baldus zum Codextitel 7, 75, „de revocandis his quae per fraudem alienata sunt“. Es geht dabei um die Rückforderung von Sachen, welche der Schuldner arglistig veräußert hat, um einen Gläubiger zu benachteiligen; um eine Problematik also, die heute als Gläubigeroder Insolvenzanfechtung geregelt ist. Dieses ius ad rem, das ja lediglich ein obligatorisches Recht bezeichnet, sollte im Fall des Doppelverkaufs eingreifen: Es sollte dem ersten Käufer gegen den zweiten zustehen, wenn dieser die Sache in Kenntnis des ersten Kaufs erworben hatte; der erste Käufer sollte gegen den zweiten einen Anspruch auf Herausgabe haben49. Diese Klage wurde als rein obligatorisch angesehen, als eine „actio revocatoria ex aequitate“50, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als dieses ius ad rem bereits kurz vor seinem Ende stand, wollte man in ihr vereinzelt eine dingliche Klage sehen51. Aus heutiger Sicht handelt es sich um eine obligatorische Klage, entsprechend dem Anspruch aus § 826 BGB, der aber an strengere Voraussetzungen geknüpft wird52.

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Ein Recht an eigener Sache kann aber durch einen Nichteigentümer bestellt werden, der dem Eigentümer, welcher an die Berechtigung des Verfügenden glaubt, ein Pfandrecht oder einen Nießbrauch einräumt, vgl. Wolff-Raiser § 2 V 3 b. Vgl. die Definition Struves, oben Fn. 4 und 5. Vgl. ALR I 2 § 124: „In so fern dergleichen persönliches Recht das Geben, oder die Gewährung einer bestimmten Sache, zum Gegenstand hat, wird es ein Recht zur Sache genannt.“ § 127: „Dergleichen Rechte, die ihrem Gegenstande nach dinglich sind, heißen Rechte auf die Sache.“ Vgl. Wieling, JZ 1982, 839 und neuerdings Sella-Geusen, Sylvia, Doppelverkauf, Zur Rechtsstellung des ersten Käufers im gelehrten Recht des Mittelalters, 1999 sowie Michaels, Ralf, Sachzuordnung durch Kaufvertrag, Traditionsprinzip, Konsensprinzip, ius ad rem in Geschichte, Theorie und geltendem Recht, 2002. Vgl. für das preußische Recht etwa ALR I 10 § 25; I 19 §§ 5 f. Vgl. etwa Brunnemann, Johannes, Commentarius in Codicem Justinianeum, 1717, CJ 3, 32, 15 n. 6: Est alia limitatio hujus regulae, si secundus scivit Jus ad rem, quod priori competebat, nam tunc actionem revocatoriam priori competere plures tradunt. (Es gibt eine andere Ausnahme von der Regel, daß nämlich der erste Käufer vor dem zweiten keinen Vorrang habe, und zwar wenn der zweite Käufer den Anspruch des ersten aus dem Kaufvertrag kannte. Denn dann wollen die meisten dem ersten eine Rückgabeklage geben). Für die Dinglichkeit sprach sich aus insbesondere Ziebarth, Die Realexekution und die Obligation (1866), 197 ff.; dagegen etwa Dernburg, PrR I § 184, und Förster-Eccius III 6, die in diesem ius ad rem eine Art actio de dolo sahen. Vgl. dazu unten 4 c; auch Sella-Geusen (oben Fn. 48); Wieling, Rez. Michaels (oben Fn. 48), SZ (germ. Abt.) 120 (2003), 480 – 491.

3. Arten der dinglichen Rechte

§ 1 II 3 d

vSavigny und die historische Rechtsschule des 19. Jh. gehen auf das reine römische § 1 II Recht zurück und verwerfen daher das angeblich quasidingliche ius ad rem. Auch das BGB hat es nicht übernommen53. d) Objekte der dinglichen Rechte sind grundsätzlich nur Sachen. Ein Pfandrecht oder Nießbrauch belastet die Sache, nicht das Eigentum an der Sache. Ein Pfandrecht erlischt daher nicht, wenn die Sache derelinquiert wird, es gibt dingliche Rechte an herrenlosen Sachen54. Der Gesetzgeber hat innerhalb des Sachenrechts aber auch Rechte an Rechten geregelt, und zwar den Nießbrauch (§§ 1068 ff.) und das Pfandrecht (§§ 1273 ff.) an Rechten. Schon das römische Recht ließ Nießbrauch und Pfandrechte an Rechten zu55, es mußte sie anerkennen, nachdem man einen Nießbrauch und ein Pfandrecht am Vermögen zugelassen hatte; das gemeine Recht und das BGB haben dies übernommen. Umstritten ist die Konstruktion solcher Rechte an Rechten56; was bedeutet es, ein „dingliches Recht“ z.B. an einer Forderung zu haben? Dingliche Rechte bewirken die Zuweisung einer Sache in ein Vermögen. Wer das Eigentum an einer Sache hat, hat die Sache in jeder Hinsicht in seinem Vermögen. An Rechten dagegen gibt es kein Eigentum, Rechte bedürfen – anders als Sachen – keiner Zuweisung; sie sind immer dem Rechtsinhaber zugewiesen. Beschränkte dingliche Rechte besagen, daß die Sache in gewisser Hinsicht nicht dem Eigentümer zugewiesen ist, sondern dem Inhaber des beschränkten Rechts. Spricht man von dinglichen Rechten an Rechten, so kann damit entsprechend nur gemeint sein, daß das Recht in bestimmter Hinsicht ausnahmsweise nicht dem Rechtsinhaber zugewiesen ist, sondern dem Inhaber des „Rechtes am Recht“. Der Nießbrauch oder das Pfandrecht am Recht bedeuten eine Zuweisungsänderung, die man sich wie eine partielle Abtretung des Rechts vorstellen kann57. Der Inhaber des beschränkten Rechts ist nunmehr berechtigt, das belastete Recht an Stelle des Rechtsinhabers auszuüben58. Ist das belastete Recht ein grundeigentumsähnliches Recht59, z.B. ein Erbbaurecht, das mit einer Hypothek belastet ist, so ergreift das belastende Recht nur das belastete Recht, nicht die Sache selbst60. Nur mittelbar wird auch die Sache dem Rechtsinhaber zugeordnet. Die Hypothek am Erbbaurecht weist also nur das Erbbaurecht in das Vermögen des Hypothekengläubigers, nicht das Grundstück. Wird die gesicherte Forderung fällig, so kann der Hypothekengläubiger nur das Erbbaurecht verwerten, nicht das Grundstück.

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Vgl. Wieling, JZ 1982, 840. Vgl. O. vGierke II § 139 I; Endemann II § 8, 3 a.E.; MünchenerK-Quack § 959 Rn. 18; auch das Gesetz spricht vom Recht an der Sache, vgl. etwa §§ 1018, 1030, 1105, 1113, 1204 u.s.w. Unklar insoweit Wilhelm Rn. 43 ff. Vgl. Kaser I § 106 I 8, § 110 II 1 d. Vgl. die Literatur bei Wolff-Raiser § 120 Fn. 1; Westermann-Gursky § 136 I 2; Heck § 120, 3; Enneccerus-Nipperdey § 77 Fn. 6. So etwa Puchta, Cursus § 250, 1; Dernburg, Pandekten I § 292; Endemann II § 8, 3 a.E.; Cosack-Mitteis II § 70 III; vTuhr II 1, 66; Heck § 120, 2; Dulckeit 53 ff. Puchta, Cursus § 250, 1 nennt den Inhaber des beschränkten Rechts geradezu Procurator, d.h. Bevollmächtigten des Rechtsinhabers. Vgl. dazu oben I 4 a.E. Vgl. aber Windscheid-Kipp I § 48 a Fn. 7.

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§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

4. Prinzipien der dinglichen Rechte Dingliche Rechte zeichnen sich durch einige Prinzipien aus, welche bei anderen Rechten, etwa Forderungen, nicht gelten. a) Im Sachenrecht gilt der Grundsatz der Spezialität; es handelt sich dabei um ein Prinzip, das schon im preußischen Recht hervorgehoben wurde, meist allerdings für das Grundstücksrecht. Das Prinzip der Spezialität besagt, daß es Sachenrechte nur an einzelnen, bestimmten Sachen gibt und daß entsprechend nur über einzelne Sachen verfügt werden kann. Es gibt Sachenrechte weder an Sach- noch an Rechtsgesamtheiten, eine Verpfändung eines Unternehmens etwa ist nicht möglich. So ist auch der Nießbrauch an einem Vermögen nichts anderes als ein Nießbrauch an den einzelnen Vermögensbestandteilen, vgl. § 1085. Das Spezialitätsprinzip besagt aber auch, daß ein dingliches Recht und eine dingliche Verfügung immer die ganze Sache erfaßt, nicht etwa reale Teile davon; niemand kann Eigentümer des vorderen oder hinteren Teils, der linken oder rechten Seite eines PKW sein61. Ein Sachenrecht kann sich auch nicht auf noch unbestimmte Objekte richten. Man kann sich zwar verpflichten, nur gattungsmäßig bestimmte Sachen zu leisten; übereignen kann man solchermaßen unbestimmte Sachen nicht62. b) Für Sachenrechte gilt der Grundsatz der Absolutheit, d.h. sie wirken nicht nur gegen einen bestimmten Schuldner, sondern absolut gegen jedermann. Gegen jeden Störer entstehen die dinglichen Abwehransprüche. Neben diesen normalen dinglichen Rechten gibt es auch solche, die gegen jeden wirksam sind, ausgenommen gegenüber einem oder gegenüber einzelnen Personen. So wirkt etwa das relative Eigentum, das bei einer verbotswidrigen Verfügung gemäß §§ 135, 136, 883, 888 entsteht, gegenüber allen, ausgenommen gegenüber dem Geschützten. Ein relatives dingliches Recht hat auch der Ersitzungsbesitzer nach §§ 937, 1007. Er ist gegenüber allen geschützt, ausgenommen gegenüber dem Eigentümer. Trotz dieser Relativität handelt es sich um dingliche Rechte. c) Dingliche Rechte stehen zueinander in einem Rangverhältnis, im Gegensatz zu den obligatorischen Ansprüchen. Die beschränkten dinglichen Rechte gehen dem Eigentum vor, untereinander richtet sich ihre Rangfolge nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Rechts, vgl. §§ 879, 1209: prior tempore, potior iure63. Da dingliche Rechte die Sache einem Vermögen zuordnen, ist eine solche Rangabstufung erforderlich, wenn verschiedene Rechte die Sache verschiedenen Vermögen zuordnen. Dagegen stehen obligatorische Ansprüche gleichrangig nebeneinander, die Entstehungszeit spielt keine Rolle. Bei einem Doppelverkauf, wenn jemand eine Sache an verschiedene Personen verkauft, hat nur der Käufer Erfolg, der den Verkäufer zuerst 61

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Ausnahmen sind – wie immer im Recht – möglich. An einzelnen Wohnungen eines Hausgrundstücks gibt es Wohnungseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz, man kann sich damit beruhigen, daß man eine Ausnahme vom Spezialitätsprinzip annimmt oder ausnahmsweise die Wohnung als eine Sache ansieht. Schützt man jeden rechtmäßigen Besitzer einer beweglichen oder unbeweglichen Sache gegenüber jedermann nach § 823 I – wie es der h.M. entspricht –, so billigt man auch einem Wohnungsmieter ein dingliches Recht an einem Grundstücksteil zu. Vgl. dazu oben I 4; unten § 2 I pr. Vgl. Caracalla (a. 212) CJ 8, 17, 3.

§ 1 II 4 b, c

4. Prinzipien der dinglichen Rechte

§ 1 II 4 d

zur Übereignung veranlassen kann, mag er auch als letzter gekauft haben. Das gilt auch dann, wenn der zweite Käufer um den Verkauf an den ersten gewußt hat. Der erste Käufer hat nur dann wegen sittenwidriger Schädigung einen Herausgabeanspruch aus § 826 gegen den zweiten, wenn dieser im Zusammenwirken mit dem Verkäufer eine absichtliche Schädigung des ersten Käufers geplant hat64. Dagegen ist § 826 nicht schon dann gegeben, wenn der zweite Käufer lediglich die Bereitschaft des Verkäufers zum Vertragsbruch zu seinem Vorteil ausnutzt. Die Gleichrangigkeit der obligatorischen Rechte, die erst mit der Erfüllung des Anspruchs durch den Schuldner ihr Ende findet, kann auch nicht durch die Erwirkung eines Verfügungsverbots im Wege einer einstweiligen Verfügung umgangen werden; eine solche einstweilige Verfügung ist nicht zulässig. Weder der erste Käufer noch der § 1 II zweite kann dem Schuldner verbieten lassen, an den jeweils anderen zu leisten, also ihm die Sache zu übergeben und zu übereignen65. Der Schuldner bleibt in seiner Entscheidung, an welchen der Schuldner er die Leistung erbringen will, frei. d) Dingliche Rechte wirken gegen jedermann, sind also von jedem zu beachten. Das ist aber nur möglich, wenn die dinglichen Rechte auch nach außen erkennbar sind. Das Gesetz ist daher bestrebt, dingliche Rechte äußerlich in Erscheinung treten zu lassen: Publizitätsprinzip. Als äußeres Zeichen des dinglichen Rechts dient bei Mobilien der Besitz66, bei Grundstücken das Grundbuch. Das Problem der Erkennbarkeit dinglicher Rechte ist aber von geringerer Bedeutung als oft angenommen wird. Da die Dinge dieser Erde regelmäßig zu Eigentum vergeben sind, darf man nur in Sonderfällen davon ausgehen, daß an einer Sache kein dingliches Recht besteht. Wer eine Sache beschädigt, wegnimmt u.s.w., muß davon ausgehen, daß er ein dingliches Recht verletzt. Wem dieses Recht zusteht und welcher Art dieses Recht ist, muß für ihn nicht erkennbar sein, da er jedes dingliche Recht zu respektieren hat. Hat eine Person die Sache im Besitz, so steigert sich die Wahrscheinlichkeit eines dinglichen Rechts zur Sicherheit67. Aber auch eine besitzlose Sache steht regelmäßig in fremdem Eigentum, wie der auf der Straße liegende goldene Ring. Nur in Ausnahmefällen darf man davon ausgehen, daß an einer Sache keine Rechte bestehen, wie z.B. an der liegengelassenen Zeitung im Zug. Als äußeres Zeichen dinglicher Rechte an beweglichen Sachen dient nicht allgemein der Besitz; dieser besagt über die Stellung des Besitzers zur Sache gar nichts. Der Besitzer kann Eigentümer, Dieb, Mieter, Pfandgläubiger u.s.w. sein. Entscheidend ist der Eigenbesitz, soweit es um das Eigentum geht, der Pfandbesitz, wenn es um das Pfandrecht geht u.s.w. Nur wenn also der Besitzer behauptet, Eigentümer zu sein, wenn er also als Eigenbesitzer auftritt, kann der Besitz als äußeres Zeichen auf das Eigentum

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Ein ius ad rem gibt es nicht mehr, vgl. oben 3 c; dazu auch Braun, Der Doppelverkauf einer Sache zwischen denselben Parteien, AcP 193 (1993), 556 ff. Vgl. Wieling, JZ 1982, 839 ff.; JZ 1983, 592. Entsprechendes gilt bei der Doppelvermietung, vgl. OLG Frankfurt, MDR 1997, 137 f.; Brandenburgisches OLG, MDR 1998, 98; OLG Schleswig, MDR 2000, 1428; LG München I, WuM 1991, 577; Ulrici, ZMR 2002, 881 ff. Vgl. RG 77, 208. Wenn auch nicht zur absoluten Sicherheit; man kann sich Fälle ausdenken, in denen die in Besitz genommene Sache herrenlos bleibt.

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§ 1 II 4 d

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

hindeuten68; eine solche Behauptung liegt insbesondere konkludent dann vor, wenn der Besitzer wie ein Eigentümer über die Sache verfügt. Ein persönlicher Gläubiger dagegen kann nicht darauf vertrauen, daß die Sachen im Besitz des Schuldners diesem auch § 1 II 4 gehören69. Selbst wenn in diesem Fall der Schuldner Eigentum behauptet und er als Eigentümer auftritt, nützt das dem Gläubiger wenig; nur wenn er aufgrund einer Verfügung des Schuldners ein Recht erwürbe, würde der Gläubiger in seinem Vertrauen auf den Besitz des Schuldners als Publizitätstatbestand geschützt70. Publizitätstatbestand ist bei beweglichen Sachen einmal der unmittelbare Besitz, daneben aber auch der mittelbare, der dem unmittelbaren Besitz insofern weitgehend gleichgestellt ist, vgl. § 1006 I, III. Da hier der Besitzer die Sache nicht innehat, ist dieser Besitz aus den Umständen der Sache selbst nicht zu erkennen. Der Hinweis auf das Herrschaftsrecht liegt hier darin, daß der Sachinhaber grundsätzlich bereit ist, die Sache an den mittelbaren Eigenbesitzer herauszugeben71. Diese Herausgabebereitschaft ist feststellbar, mag sie auch nicht so ins Auge springen wie die Inhabung einer Sache. Es ist wünschenswert, daß dingliche Rechte nach außen erkennbar sind. Besteht ein Publizitätstatbestand, so weist er auf das Recht hin. Das dingliche Recht ist aber nicht abhängig von einem Publizitätstatbestand, weder in der Entstehung noch im Fortbestand. Eine Hypothek geht nicht schon dadurch unter, daß sie im Grundbuch gelöscht wird, ein Pfandrecht nicht dadurch, daß der Pfandgläubiger den Besitz verliert. Bei der Begründung und Übertragung dinglicher Rechte ist es freilich in aller Regel erforderlich, daß sich die Verfügungsmacht des Verfügenden durch dessen Sachbesitz dokumentiert, der Rechtserwerb des Erwerbers dadurch, daß er den Besitz an der Sache erwirbt. Es gibt aber auch Ausnahmen; so hat etwa bei der Übereignung durch Vindikationszession (§ 931) der Veräußerer keinen Besitz, der Erwerber erwirbt keinen Besitz. Die Rechtsänderung ist nach außen hin nicht erkennbar, ebenso wenig das Eigentum des Verfügenden. Das ist vertretbar, solange der Verfügende tatsächlich Rechtsinhaber ist. Ist er es nicht, so kann der Erwerber ohne Publizitätstatbestand kein Recht erwerben; gutgläubiger Erwerb stellt erhöhte Anforderungen an die Publizität. Bei Grundstücken ist das Publizitätsprinzip konsequenter durchgeführt als bei beweglichen Sachen, doch drohen hier Gefahren von der Seite des öffentlichen Rechts. Das öffentliche Recht läßt weitgehende Eigentumsbeschränkungen zu, die nach außen nicht erkennbar sind, aber dennoch gegen jeden Rechtsnachfolger wirken und so die Verkehrssicherheit erheblich gefährden72. So wirken etwa öffentlichrechtliche Baulasten wie Dienstbarkeiten, sind aus dem Grundbuch aber nicht ersichtlich; sie wirken gegen jeden Erwerber des Grundstücks, selbst wenn er von der Belastung nichts weiß.

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Bei mehrfachem (gestuftem) Besitz spricht also der Besitz für dasjenige dingliche Recht, das der Besitzer zu haben behauptet: Für den Pfandgläubiger z.B. spricht sein unmittelbarer Pfandbesitz, für den Eigentümer spricht dessen mittelbarer Eigenbesitz. Vgl. Wacke, Besitzkonstitut 33. Dies noch mit der Einschränkung aus § 935. Vgl. unten § 6 II 4. Vgl. etwa den eindrucksvollen Fall in BGH NJW 1981, 980 ff.

4. Prinzipien der dinglichen Rechte

§ 1 II 4 e, f

Baulasten gefährden daher die Rechtssicherheit73. Bedenken bestehen auch gegen die § 1 II verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Baulasten74. f e) Zweifelhaft ist, ob die gesetzliche Zuordnung einer Sache, z.B. bei der Ersitzung, einen Rechtsgrund i.S.v. § 812 bildet. Der erste Entwurf enthielt in § 748 II folgende Regelung: „Als rechtlicher Grund ist es im Zweifel anzusehen, wenn ein Rechtsverlust auf einer diesen bestimmenden Vorschrift beruht.“ Die zweite Kommission hat das gestrichen75, weil der Satz in dieser Allgemeinheit nicht richtig sei. In der Tat wird man in jedem einzelnen Fall zu prüfen haben, ob das Gesetz einen endgültigen, ersatzlosen Verlust anordnen will, wie etwa beim Fund nach Ablauf der Fristen in §§ 973, 977, oder ob aus Gründen der Rechtssicherheit ein Rechtsverlust angeordnet ist, der vom Begünstigten auszugleichen ist, wie in § 951. Die Ersitzung trägt ihren Rechtsgrund in sich und schließt eine Kondiktion aus76. f) Nach einhelliger Meinung gibt es einen numerus clausus der dinglichen Rechte77: Es könne nur diejenigen dinglichen Rechte geben, welche von der Rechtsordnung ausdrücklich zugelassen seien, die gesetzliche Aufzählung der dinglichen Rechte sei erschöpfend („Typenzwang“). Andere dingliche Rechte könnten nicht begründet werden. Diese Auffassung ist für das BGB unhaltbar. Das römische Recht kannte ursprünglich nur ein einheitliches Herrschaftsrecht an Sachen, das mit „meum esse“ bezeichnet wurde78. Später teilte man dieses Recht gemäß seinen Funktionen in dominium und servitutes, noch später kommt das pignus als dingliches Recht hinzu79. Die nachklassische Zeit entwickelte weiter das Dauermietrecht (superficies, Erbbaurecht) und die Erbpacht (emphyteusis, ius perpetuum) zu dinglichen Rechten80, deren Zahl auf diese Weise weiter anwuchs. Von einem numerus clausus der dinglichen Rechte kann also zu keinem Zeitpunkt der Entwicklung die Rede sein. Das ius commune übernahm diese Rechte, erweitert allenfalls um die „possessio“ und das „ius hereditarium“, die bisweilen als dingliche Rechte angesehen wurden. Dagegen kannte das germanische Recht eine Fülle beschränkter dinglicher Rechte, 73

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Zu Recht kritisch etwa Quack, Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten zur Sicherung planungsrechtlicher Zweckbindung, DRpfl 1979, 281 ff.; Sachse, Spannungsverhältnis zwischen Baulastenverzeichnis und Grundbuch, NJW 1979, 195 ff.; MünchenerK-Falckenberg Rn. 16 vor § 1018; Walter, Liegenschaftsrechte außerhalb des Grundbuchs, JA 1981, 322 ff. MünchenerK-Falckenberg 16 vor § 1018. Das BVerfG NJW 1991, 713 hat sich zwar für die Verfassungsmäßigkeit ausgesprochen, doch sind die Gründe keineswegs überzeugend. Das Gericht stellt zunächst zutreffend fest, daß der Landesgesetzgeber keine neuen Grundstücksrechte schaffen kann, auch nicht dadurch, daß er sie in öffentlichrechtliche Rechtsinstitute umformt. Bei der Suche nach den Unterschieden zwischen einer Dienstbarkeit und der Baulast fällt dem Gericht nur ein, daß die Baulast öffentlichrechtlich geregelt und daher „hoheitlich“ durchsetzbar sei und daß sie eine Verpflichtung gegenüber der Baubehörde begründe. Da auch eine Dienstbarkeit zugunsten der Gemeinde bestellt werden könnte, vgl. Grziwotz, BauR 1990, 20, ist es offenbar nicht einfach, die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Baulast auszuräumen. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 2944, Mugdan 2, 1171. Vgl. unten § 11 I 3 a. Vgl. nur Westermann-Westermann § 3 III 1; Wilhelm Rn. 9 ff.; Palandt-Bassenge Einleitung Rn. 3 vor § 854. Vgl. oben I 1 b. Vgl. Kaser I § 38. Vgl. Kaser II §§ 248, 249.

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§ 1 II 4 f

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

die durch Klagen aus der Gewere geschützt waren81; ihre Anzahl war theoretisch unbegrenzt, eine praktische Grenze setzt die Brauchbarkeit. Die Zahl dieser dinglichen Rechte entsprach in etwa der Zahl der obligatorischen Besitzrechte des römischen Rechts. Diese Rechtslage wurde vom preußischen ALR übernommen, wonach jedes obligatorische Recht zum Besitz zu einem dinglichen Recht wurde, sobald der Inhaber des Rechts den Besitz der Sache erlangte82. Der Berechtigte wurde durch Klagen „aus älterem Besitz“ gegen schlechter Berechtigte geschützt83. Im preußischen Recht konnte es daher keinen numerus clausus der dinglichen Rechte geben84, jedes Recht zum Be- § 1 II 4 sitz konnte verdinglicht werden. Allerdings muß man feststellen, daß mit dem Kreis der aus dem römischen Recht bekannten dinglichen Rechte zuzüglich Miete und Pacht den Bedürfnissen offenbar Genüge getan war; denn es sind für das preußische Recht keine Versuche bekannt, darüber hinaus dingliche Rechte schaffen. Im Pandektenrecht des 19. Jahrhunderts mutierte die Kenntnis von der beschränkten Anzahl dinglicher Rechte zur Vorstellung, es könne nicht mehr als diese Rechte geben; der Ausdruck numerus clausus kommt allerdings erst im 20. Jahrhundert auf. Johow ging in der Begründung seines Teilentwurfs daher von einer geschlossenen Zahl der dinglichen Rechte aus. Neben Eigentum, Erbbaurecht, Dienstbarkeiten und Pfandrecht wurde aus dem germanischen Recht die Reallast übernommen, die erste Kommission übernahm weiter das dingliche Vorkaufsrecht an Grundstücken. Die Erbpacht wurde beseitigt85. Auch die erste und die zweite Kommission gehen vom geschlossenen Kreis der dinglichen Rechte aus. Der Grundsatz wird aber verwässert durch die Anerkennung der Vormerkung86 und dadurch, daß man auch der Grundstücksmiete und -pacht dingliche Wirkung zubilligt: Der Mieter und Pächter kann sein Besitzrecht auch gegenüber einem Rechtsnachfolger des Vermieters bzw. Verpächters geltend machen, §§ 566, 578, 581 II, er kann das gegenüber jedem Dritten mit Hilfe des § 823 I. Völlig beseitigt wird der Grundsatz des Typenzwangs für bewegliche Sachen durch den von der zweiten Kommission aufgenommenen § 1007, der jedem Inhaber eines Besitzrechts eine dingliche Position verleiht, sobald er den Besitz erlangt. Der erste Entwurf kannte neben der Vindikation nur einen Herausgabeanspruch des gutgläubigen Eigenbesitzers, § 945 E 1, der auf der römischen actio Publiciana basierte. Die zweite Kommission erweiterte den Anspruch, indem sie ihn allen Besitzern eröffnete, in ausdrücklicher Anlehnung an das preußische Recht87. Damit war das Prinzip des numerus clausus der dinglichen Rechte für Mobilien aufgegeben88, ohne daß der Gesetzgeber das bemerkt hatte. 81 82

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Vgl. O. vGierke II § 120 II, IV 7; Wieling, Numerus clausus 557 ff., 560 ff. Vgl. ALR I 2 § 135: Wenn demjenigen, der ein persönliches Recht zu einer Sache hat, der Besitz derselben auf den Grund dieses Rechtes eingeräumt wird, so entsteht dadurch ein dingliches Recht auf die Sache. Vgl. ALR I 7 §§ 161 ff.; I 15 § 34. Vgl. Fuchs, Grundbegriffe 10 und Dinglichkeit 66. Vgl. Johow, Begründung 7 und 1069; auch Wiegand, Numerus clausus der dinglichen Rechte, FS Karl Kroeschell (1987) 623 ff. Vgl. Dernburg, BürgR II § 62, 4. Protokolle 4052 f., Mugdan 3, 698 f. Vgl. dazu unten § 13. Das wird in der Literatur häufig übersehen, vgl. etwa Wiegand, Numerus clausus der Sachenrechte, FS Kroeschell (1987) 623 ff. Zutreffend dagegen Dernburg III § 124; Kühne, AcP 140 (1935), 62 f.; P. Koch 86 ff.; Rinke 94; Finkenauer 148 Fn. 160; HKK-Finkenauer §§ 158 – 163 Rn. 26 mit Rn. 129; vgl. auch Wieling, Numerus clausus 567 ff.

1. Geschichte der dinglichen Übereignung

§ 1 III 1

III. Dingliche Rechtsgeschäfte

§ 1 III

Rechtsgeschäfte, welche dingliche Rechte unmittelbar ändern, heißen dingliche Rechtsgeschäfte1. Sie sind zu unterscheiden von den obligatorischen Rechtsgeschäften, welche über eine Verpflichtung des Schuldners allenfalls einen mittelbaren Einfluß auf die dinglichen Rechte haben. Dingliche Rechtsgeschäfte enthalten entweder die Begründung eines dinglichen Rechts oder eine Verfügung über solch ein Recht2. Verfügungen sind möglich nicht nur über dingliche Rechte, sondern über Rechte aller Art; sie bewirken unmittelbar eine Übertragung, Inhaltsänderung oder Aufhebung des Rechts. So ist eine Eigentumsübertragung oder die Zession einer Forderung eine Verfügung, ebenso der Verzicht auf ein Pfandrecht oder auf eine Forderung; wer eine Hypothek bestellt, verfügt über das Grundstück, da sich der Inhalt des Eigentumsrechtes ändert; ebenso verfügt der über eine Forderung, der eine Stundung vereinbart. Dingliche Rechtsgeschäfte sind meist Verträge, vgl. §§ 873, 929; es gibt aber auch einseitige dingliche Rechtsgeschäfte. Dazu gehört regelmäßig die Aufgabe von Rechten, vgl. §§ 875, 928, 959, 1064, 1255, aber auch andere einseitige dingliche Rechtsgeschäfte kommen vor, vgl. §§ 885, 1188, 1195, 1196.

1. Geschichte der dinglichen Übereignung3 Ebenso wie heute die volkstümliche Rechtsauffassung, so kennen auch vorwissenschaftliche Rechte nur einen einheitlichen Veräußerungsvertrag, etwa den Kauf, nicht aber daneben ein weiteres dingliches Rechtsgeschäft. Danach geht das Eigentum entweder sofort mit dem Kaufvertrag über (Vertragsprinzip), oder aber es wird zusätzlich ein Verlautbarungstatbestand gefordert (Trennungsprinzip), etwa die Übergabe der Sache oder eine öffentliche Verkündung des Eigentumswechsels. Erst in einer fortgeschrittenen Rechtskultur kann der Gedanke aufkommen, daß die Übereignung ein Rechtsgeschäft sei, das neben einem Verpflichtungsgeschäft stehe. Die Übereignung kann in einem bloßen dinglichen Vertrag bestehen oder in einem Vertrag plus Verlautbarungstatbestand. Die Übereignung kann von dem Verpflichtungsgeschäft unabhängig (Abstraktionsprinzip) sein, oder sie kann von dem Verpflichtungsgeschäft so abhängig sein, daß sie nur wirksam ist, wenn auch dieses wirksam ist (Kausalprinzip)4.

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Nach einem Vorschlag vSavignys, System III 313: dingliche Verträge. Vgl. Art. 11 V EGBGB. Es soll hier keine Geschichte des dinglichen Rechtsgeschäfts im allgemeinen versucht werden, da die verschiedenen dinglichen Rechtsgeschäfte in den einzelnen Rechtsordnungen verschiedene Formen hatten. So wurde im römischen Recht ein Pfandrecht durch formlosen Vertrag bestellt, die Übereignung geschah z. T. durch abstraktes Formalgeschäft, z. T. durch kausale traditio u.s.w. Es werden hier nur die Übereignungsformen berücksichtigt, welche dem BGB als Muster für alle dinglichen Rechtsgeschäfte dienten. Das Abstraktionsprinzip ist zu unterscheiden von der Akzessorietät eines Sicherungsrechts. Akzessorietät besagt, daß ein Sicherungsrecht nur bestehen kann, wenn auch eine zu sichernde Forderung vorhanden ist: Ohne zu sicherndes Recht kein Sicherungsrecht. Die Akzessorietät der Sicherungsrechte erscheint selbstverständlich, doch gibt es sehr wohl Sicherungsrechte ohne Forderungen, etwa Hypotheken und Grundschulden.

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§ 1 III 1 a

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

a) Im alten römischen Recht wurden die wertvolleren Sachen, res mancipi5, durch § 1 III mancipatio übertragen. Die mancipatio war ein Kaufvertrag vor fünf Zeugen, der zugleich das Eigentum übergehen ließ. Eine Übergabe der Sache war nicht erforderlich6, wenn sie auch meistens geschah. Die übrigen Sachen, res nec mancipi, wurden durch formlosen Kaufvertrag veräußert, der das Eigentum übergehen ließ, sobald die Übergabe der Sache (traditio) hinzukam7. Der Kaufvertrag u.s.w. allein genügte nicht zur Übereignung8, ja es erschien den Römern als eine Regel des Naturrechts, daß die Übereignung eine traditio voraussetzte9. Später entwickelte sich die mancipatio zum reinen Übereignungsgeschäft, das aus beliebigem Grund vorgenommen werden konnte. Da sie ein eigenständiges Rechtsgeschäft darstellte, war sie vom Grundgeschäft (Kauf, Tausch u.s.w.) unabhängig: Sie war abstrakt10. Dagegen war die traditio auch weiterhin ein tatsächlicher Vorgang, kein Rechtsgeschäft. An eine abstrakte Übereignung durch traditio konnte man daher nicht denken11, da sonst das Eigentum ohne jedes wirksame Rechtsgeschäft hätte übergehen können, z.B. bei der Veräußerung durch einen Geschäftsunfähigen12. Neben der Übereignung durch traditio und mancipatio gab es noch ein abstraktes Übereignungsgeschäft für Sachen aller Art, die in iure cessio; sie wurde selten benutzt, da sie vor dem Prätor vorzunehmen war. Dieses Nebeneinander von abstrakter Übereignung für wertvollere Sachen und kausaler Übereignung für die restlichen hat die Römer nie gestört. Wenn die traditio auch kein Rechtsgeschäft war, so mußte doch zwischen ihr und dem Kausalgeschäft eine Beziehung hergestellt werden, durch eine Zweckbestimmung des Veräußerers: Die traditio übertrug das Eigentum nur, wenn sie aufgrund eines Vertrags erfolgte, der auf Eigentumsübertragung gerichtet war; die traditio aufgrund eines Mietvertrags konnte das Eigentum nicht übertragen. Wurde also eine Sache verkauft und vereinbart, daß der Käufer bis zur Kaufpreiszahlung als Entleiher besitzen solle, so 5 6

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Vgl. dazu unten § 2 II 8. Vgl. Livius 26, 11: Hannibal erschrickt, als er von einem gefangenen Römer erfährt, in Rom sei vor einigen Tagen ohne Preisnachlaß das Grundstück veräußert worden, auf welchem sich sein Feldlager befindet; es ist hier wohl an eine mancipatio zu denken. Als eigentlichen Grund für den Eigentumsübergang sahen die Römer nicht die traditio an (sie könnte auch z.B. an einen Mieter erfolgen), sondern das Grundgeschäft, vgl. Kaser I § 100 IV 2. Vgl. Diocletian und Maximian CJ 2, 3, 20 (a. 293): „Traditionibus et usucapionibus dominia rerum, non nudis pactis transferuntur“ (Durch Übergabe und durch Ersitzung wird Eigentum übertragen, nicht durch bloße Vereinbarungen). Vgl. Inst. 2, 1, 40: „Per traditionem quoque iure naturali res nobis adquiruntur.“ (Auch durch Übergabe erwerben wir nach natürlichem Recht das Eigentum an Sachen). Vgl. Kaser I § 9 II 2, § 33 I 1, § 100 II 1. Vgl. D 41, 1, 31 pr. (Paulus): „Numquam nuda traditio transfert dominium, sed ita, si venditio aut aliqua iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur“ (Die bloße Übergabe überträgt nie das Eigentum, sondern nur dann, wenn ein Kaufvertrag vorausgeht oder sonst ein rechtlicher Grund, weshalb die Sache übergeben wird). In der romanistischen Literatur wird bisweilen die Ansicht vertreten, für die Übereignung mit traditio habe ein Putativtitel genügt, d.h. ein Kausalgeschäft, das der Erwerber für wirksam hielt, das aber unwirksam war. Belege dafür gibt es in den Quellen nicht, nur bei der Ersitzung hielt man in Ausnahmefällen einen Putativtitel für ausreichend, vgl. dazu Kaser I § 100 IV 2, § 101 I 3. Es ist kaum anzunehmen, daß die Veräußerung durch einen Geschäftsunfähigen zum sofortigen Eigentumsübergang führen konnte.

1. Geschichte der dinglichen Übereignung

§ 1 III 1 b

ging mit der traditio das Eigentum nicht über13. Die einseitige Zweckbestimmung des Veräußerers reichte aber zur Übereignung nicht aus, hinzukommen mußte der Wille des Empfängers, Eigentum zu erwerben. Traditio bedeutete also Übergabe und Einigung, daß die Übergabe zum Zweck der Übereignung erfolge wegen eines abgeschlossenen Kausalgeschäfts14. Als ein Rechtsgeschäft wurde diese Einigung aber nicht verstanden. Im nachklassischen Recht verschwand der Unterschied zwischen res mancipi und res nec mancipi, die mancipatio kam außer Gebrauch. Das nachklassische Vulgarrecht ließ das Eigentum schon mit Abschluß des Kaufvertrages u.s.w. übergehen, eine traditio war nicht erforderlich15. Dagegen kehrte Justinian zum klassischen Zustand insofern zurück, als erst die traditio das Eigentum übergehen ließ16. Ob die Übereignung ein wirk- § 1 III sames Grundgeschäft voraussetzte, lassen die Quellen nicht klar erkennen; man scheint jedoch die traditio als abstraktes Rechtsgeschäft aufgefaßt zu haben17. Im römischen Recht sind also alle heute vorkommenden Übereignungsformen bereits vorhanden. b) Das mittelalterliche Recht übernimmt die römischrechtliche Regelung, wie sie für res nec mancipi gegolten hatte18. Danach erfordert die Übereignung eine traditio, als Grund der traditio soll allerdings auch ein Putativtitel ausreichen19. Eine solche Regelung ist nur haltbar, wenn man die traditio als Rechtsgeschäft ausgestaltet, doch wissen wir über die Auffassung der mittelalterlichen Juristen zu diesem Punkt nichts. Das gemeine Recht entwickelte aus mittelalterlichen Ansätzen20 im 16. Jh. die Lehre vom Eigentumserwerb durch Titulus und Modus acquirendi21. Unter Titulus verstand man 13 14

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Vgl. etwa Javolenus D 18, 6, 17; Ulpianus D 43, 26, 20. Vgl. Javolenus D 44, 7, 55: „In omnibus rebus, quae dominium transferunt, concurrat oportet affectus ex utraque parte contrahentium: nam sive ea venditio sive donatio sive conductio sive quaelibet alia causa contrahendi fuit, nisi animus utriusque consentit, perduci ad affectum id quod inchoatur non potest“ (Bei allen Geschäften, die Eigentum übertragen, muß ein entsprechender Wille beider Parteien hinzukommen; denn es mag ein Kauf, eine Schenkung, eine Miete oder ein anderer Vertrag zugrunde liegen, wenn sich nicht beide einig sind, kann der beabsichtigte Erfolg nicht eintreten). Vgl. Kaser II § 242 I – III. Vgl. Kaser II § 242 IV. Vgl. Inst. 2, 1, 40: „Per traditionem quoque iure naturali res nobis adquirantur; nihil enim tam conveniens est naturali aequitati, quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi“ (Wir erwerben Sachen ferner durch traditio, gemäß natürlichem Recht. Denn nichts entspricht so sehr der natürlichen Billigkeit, als den Willen des Eigentümers, der seine Sache auf einen anderen übertragen will, anzuerkennen); vgl. auch Gaius D 41, 1, 9, 3 und weitere Texte, die für eine abstrakte traditio schon vor Justinian sprechen, bei Liebs, Abstraktion im Neueren Gemeinen Recht, in: El Dret comú i Catalunya (2001) 119 ff., 126 ff. Für die Übereignung von Grundstücken entwickelten sich seit der Zeit Kaiser Konstantins besondere Regeln; vgl. dazu Wieling, Wie Kaiser Konstantin die germanische Auflassung erfand, SZ (germ. Abt.) 124 (2007). Vgl. Accursius, gl. iusta causa ad D 41, 1, 31: iusta causa, vera vel putativa. Die Glosse (vgl. gl. nec enim sicut ad D 41, 2, 3, 4) unterscheidet bei der Übereignung zwischen causa efficiens proxima und remota. Causa remota ist das Grundgeschäft, z.B. Kauf, causa proxima ist die Besitzübertragung, vgl. Landsberg 102 ff.; Felgentraeger 2 f.; Hofmann 38 f. Diese Lehre taucht zuerst auf bei Johann Apel, Methodica dialectices ratio ad iurisprudentiam accommodata, 1535. Zu ihrer Geschichte vgl. auch Wesener, Dingliche und persönliche Sachenrechte, FS H. Niederländer (1991), 195 ff.

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§ 1 III 1 b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

das zur Eigentumsübertragung verpflichtende Rechtsgeschäft, Modus bezeichnete die Besitzübertragung. Der Titel allein schuf nur ein ius ad rem22, erst der hinzutretende Modus ließ das Eigentum übergehen. Diese zuerst auf die Übereignung beschränkte Lehre wurde später auf alle Arten des Eigentumserwerbs ausgedehnt23, wobei man z.B. bei der Okkupation den diese zulassenden Rechtssatz zum Titulus erklärte, den Besitzerwerb zum Modus acquirendi24. Die Lehre vom Titulus und Modus ist nicht sonderlich geeignet, die Probleme der Übereignung zu verdeutlichen, insbesondere enthält sie keinen Hinweis auf die notwendige Verknüpfung von Titulus und Modus im Willen der Parteien. Besonders wenn man sich – wie zumeist – mit einem Putativtitel begnügt, ist der Übereignungs- § 1 III wille der Parteien bei der traditio unentbehrlich. Nur wenige Autoren vor vSavigny haben diese Problematik erkannt25, sie deuten den Titel zutreffend als ein Indiz für den Übereignungswillen der Parteien. Das preußische ALR und das österreichische ABGB haben die Titulus-Modus-Lehre übernommen. Das Naturrecht läßt nach dem Vorbild des Hugo Grotius26 mit dem Grundgeschäft nicht nur ein ius ad rem auf den Erwerber übergehen, sondern das Eigentum selbst. Eine solche Regelung, die dem Besitz als Rechtsscheinstatbestand keinerlei Bedeutung beimißt, gefährdet die Sicherheit des Warenverkehrs aufs höchste und ist untragbar. Veräußerte etwa der Verkäufer eine Sache, ohne sie zu übergeben, so wurde der Erwerber dennoch Eigentümer. Veräußerte der Verkäufer sie nochmals und gab dem zweiten Käufer die Sache, so konnte dieser nicht Eigentümer werden27. Dagegen erwarb nach gemeinem Recht in solchen Fällen der zweite Käufer das Eigentum mit der Übergabe; er haftete allerdings gemäß dem „ius ad rem im engeren Sinne“ dem ersten Käufer auf Herausgabe, wenn er beim Erwerb der Sache den ersten Kaufvertrag gekannt hatte28. Die naturrechtliche Regelung wurde vom französischen Code civil übernommen29, allerdings mit solchen Modifikationen, daß die Regelung im Ergebnis der des gemeinen Rechts gleichkommt30: Der Käufer – oder wer sonst einen Anspruch auf Übereignung der Sache erwirbt – wird sofort mit Abschluß des Kaufvertrages Eigentümer, vgl. art. 711, 1582. Wird die Sache an einen zweiten Käufer verkauft und übergeben, so wird dieser nicht Eigentümer, wenn er den ersten Kauf kennt. Er weiß dann, daß er 22 23 24

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Vgl. oben II 3 c. Vgl. Felgentraeger 5, 7; Landsberg 104. Vgl. ALR I 9 § 1: „Die äußeren Handlungen, durch welche das Eigenthum erworben wird, bestimmen die verschiedenen Erwerbsarten (Modus acquirendi). § 2: Der gesetzliche Grund, vermöge dessen diese äußeren Handlungen die Kraft haben, daß dadurch das Eigenthum erworben werden kann, wird der Titel des Eigenthums genannt“. Allgemein zur Geschichte der Lehre von Titulus und Modus vgl. die Schrift von Hofmann. Vgl. Felgentraeger 8, 10 f.; Hofmann 60 ff. Vgl. Grotius, De iure belli ac pacis II 6 § 1 und II 8 § 25. Einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten kannte das Naturrecht ebenso wenig wie das römische und gemeine Recht. Vgl. dazu oben II 3 c. Nach anderer Ansicht beruht die Regelung des Code civil auf der vorhergehenden Praxis, jedem Kauf in der Urkunde eine Klausel über eine traditio ficta (tradition feinte) aufzunehmen, welche das Eigentum übergehen ließ, vgl. Oeckinghaus 88 ff.; Nolte 40 f. Ein Zusammenwirken beider Einflüsse ist wahrscheinlich. Vgl. dazu Brandt 188 f.; Nolte 41 f.

1. Geschichte der dinglichen Übereignung

§ 1 III 1 c

vom Nichtberechtigten erworben hat und muß die Sache dem ersten Käufer (Eigentümer) herausgeben. War der zweite Käufer aber gutgläubig, so erwirbt er Eigentum § 1 III mit der Übergabe der Sache, er kann sie behalten, vgl. art. 1141, auch art. 2279 f. Wie der französische Code civil lassen auch der belgische und luxemburgische Code civil sowie der italienische Codice civile das Eigentum mit dem Kaufvertrag übergehen. c) Entscheidend beeinflußt wird die Lehre vom dinglichen Rechtsgeschäft durch vSavigny. Er will zunächst die Lehre vom Titulus und Modus acquirendi auf die Übereignung beschränken und bekämpft die Ansicht, welche die Lehre auf alle Erwerbsarten ausdehnt31. Später verwirft er diese Lehre, indem er die iusta causa völlig vom Grundgeschäft ablöst: Iusta causa ist der übereinstimmende Wille der Parteien, Eigentum zu übertragen. Die Einigung ist ein Rechtsgeschäft, ein Vertrag, dessen Wirksamkeit nicht vom Bestehen des Grundgeschäfts abhängt32. Die grundlegenden Gedanken dieser Lehre sind nicht neu, bereits in der römischen mancipatio hatte es ein abstraktes Übereignungsgeschäft gegeben. Auch hatte man schon vor vSavigny die Bedeutung der Willenseinigung für die Übereignung erkannt, die Abstraktion vom Grundgeschäft ist in der Lehre vom Putativtitel vorbereitet. Das Verdienst vSavignys ist es, die Vertragsnatur der Einigung deutlich herausgestellt und die verschiedenen Gesichtspunkte zu einem klaren Begriff vom abstrakten, dinglichen Rechtsgeschäft zusammengefaßt zu haben. Seitdem ist es eine gesicherte Erkenntnis, daß es neben den schuldrechtlichen Verträgen auch dingliche Verträge gibt. Die Lehre vSavignys setzte sich schnell durch33, wenn auch die alte Lehre von Titulus und Modus noch vertreten wurde. Die Länder, in welchen sie gesetzlich festgeschrieben war (z.B. Preußen und Österreich), übernahmen vSavignys Lehre von der Übereignung als selbständiges Rechtsgeschäft, mußten sie aber kausal ausgestalten, da sie die Übereignung nicht vom Schuldvertrag loslösen konnten34. Die folgende Gesetzgebung gestaltete die Übereignung als abstraktes dingliches Rechtsgeschäft aus, vgl. sächs. BGB § 253; bay. Entwurf III Art. 93; preußisches Eigentumserwerbsgesetz (1872) §§ 1 ff. Johow hat die Lehre vSavignys in seinem Teilentwurf übernommen, die Lehre von Titulus und Modus acquirendi verworfen35: Diese Lehre vermische in unzulässiger Weise das Sachenrecht mit dem Obligationenrecht36. Erforderlich sei ein Übereignungsvertrag, der allein aber nicht ausreiche. In Deutschland sei es aufgrund des germanischen und römischen Rechts eine völlig feststehende Rechtsanschauung, daß der 31 32

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Vgl. Felgentraeger 28. Vgl. Felgentraeger 34 ff.; Hofmann 61 ff.; Ranieri, Die Lehre der abstrakten Übereignung in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Hrsg. Helmut Coing, 1977, 90 ff.; Hammen, Die Bedeutung Friedrich Carl von vSavignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen BGB (1983), 150 ff. Vgl. Hofmann 66 ff.; Gruchot, Glossen zum Allgemeinen Landrecht, GruchBeitr 8 (1864), 407. Auch die österreichische Rechtswissenschaft erkennt einen (kausalen) dinglichen Vertrag an, obwohl das ABGB noch von der Titulus-Modus-Lehre ausgeht (§§ 424 f.), vgl. schon Exner 5 ff., der sogar eine abstrakte Einigung annimmt, 82 ff. Der kausale Übereignungsvertrag ist somit als letzte Übereignungsform entstanden, als Notbehelf gegenüber dem abstrakten Übereignungsvertrag. Der Eigentumserwerb durch kausalen dinglichen Vertrag gilt etwa in Österreich, der Schweiz, Spanien und in den Niederlanden. Johow, Begründung 92 f., 628 ff. Vgl. oben II 3 c.

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§ 1 III 1 d aa

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

Rechtserwerb eine traditio fordere37. Davon abzugehen und etwa die Regelung des Code § 1 III civil zu übernehmen gebe es keine Gründe. Die deutsche Regelung sei aus Gründen der aa Verkehrssicherheit der französischen vielmehr vorzuziehen. Der erste Entwurf hat diese Vorschläge übernommen, ebenso der zweite Entwurf 38, der zum Gesetz geworden ist. d) Die Regelung des BGB ist häufig kritisiert worden, schon der erste Entwurf fand eine Reihe von Gegnern39; dabei ist die Argumentation regelmäßig eher gefühlsbetont als sachlich40. Auch in der folgenden Zeit ist die Kritik nicht verstummt41, besonders heftig wird sie im Zuge der „nationalsozialistischen Rechtserneuerung“42, erlischt aber auch später nicht43. Im Zuge des europäischen Zusammenschlusses und im Hinblick auf eine mögliche Rechtsvereinigung ist die Diskussion um die Übereignungsformen wieder angefacht worden. Tatsächlich sind die Unterschiede der einzelnen Übereignungsformen in der Praxis gering44. Was die Kritiker an Stelle der gesetzlichen Regelung vorschlagen, ist keineswegs einheitlich. Es reicht von der Übertragung durch den obligatorischen Vertrag bis zum kausalen dinglichen Rechtsgeschäft; das läßt erahnen, daß jede beliebige Lösung nicht lange auf ihre Kritiker warten müßte45. aa) Einige Autoren wollen das Trennungsprinzip aufgeben und den Eigentumsübergang allein durch den schuldrechtlichen Vertrag eintreten lassen (Vertragsprinzip)46. Das ist abzulehnen. Zwar kann man mit einer solchen Übereignungsform zu durchaus praktikablen Ergebnissen kommen, wie das Beispiel des Code civil zeigt. Das reine Vertragsprinzip beachtet aber nicht die Interessen der Verkehrssicherheit47, ein Nachteil, der nur teilweise durch besondere Maßnahmen beseitigt werden kann48. Allerdings 37 38 39

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Johow, Begründung 750 ff. Ein Vorstoß in der 2. Kommission mit dem Ziel, die Übereignung kausal zu gestalten, wurde abgelehnt, Protokolle der 2. Kommission 3387, Mugdan 3, 523 f. Vgl. Zusammenstellung III 143 ff.; 153 ff.; VI 560 ff.; O. vGierke, Entwurf 314 f., 335 f.; Strohal, Rechtsübertragung und Kausalgeschäft im Hinblick auf den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 27 (1889), 335 ff. Vgl. dazu etwa Bruck 22. Vgl. etwa Litten, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16, 493 ff. Vgl. dazu Nolte 103 ff.; Locher 43; Brandt 2; Krause, AcP 145 (1939), 324; Heck, Rechtsgeschäft 4 ff.; Eisenhardt, Die Entwicklung des Abstraktionsprinzips im 20. Jahrhundert, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur, FS für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, 1997, 215 – 232 mit Literatur; HKK-Finkenauer §§ 158 – 163 Rn. 42. Vgl. etwa Süss, FS M. Wolff 141; Beyerle, FS Gustav Boehmer 164 ff. Vgl. etwa vCaemmerer, RabelsZ 12 (1939), 685, 689, 697; Ferrari, ZEuP 1993, 58. Zur Gestaltung der Übereignung in anderen Ländern vgl. Stadler 24 ff., 55 ff.; eine Übersicht über die Regelungen in Europa gibt von Bar, Christian, Hrsg., Sachenrecht in Europa, Band I – IV, 2000 f., mit Rez. Wieling, Rabels Zeitschrift Bd. 68 (2004), 195 – 212. So etwa Süss, FS Wolff 141 ff.; Hedemann § 21 II b 2; Meyer, Öffentliches und Privatrecht nach germanischer Anschauung, ZAkDR 1935, 53; Müller-Erzbach, Das Traditionsprinzip beim Eigentumserwerb, Diss. Göttingen 1898. So auch Brandt 189; Krause, AcP 145 (1939), 313 f.; Lange, AcP 146 (1941), 37; Nolte 6, 68, 86, 93, 109 f.; O. vGierke, Zusammenstellung III 153; Baur-Stürner § 5 Rn. 47; PlanckStrecker III 1, 1 vor § 854; Larenz II 1 § 39 II d. Veräußert der Eigentümer eine Sache und behält er sie im Besitz, so erscheint er nach außen weiterhin als Eigentümer. Veräußert er sie nun an einen zweiten Erwerber und übergibt er sie, so wird dieser durch die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs geschützt, vgl. Code civil art. 1141. Ein Gläubiger aber, der auf den Besitz des Veräußerers vertraut und die Sache pfänden läßt, ist ungeschützt, vgl. Nolte 93 f.

1. Geschichte der dinglichen Übereignung

§ 1 III 1 d bb

hat auch das BGB das Traditionsprinzip stark ausgehöhlt und gefährdet damit die Verkehrssicherheit. Es besteht aber kein Anlaß, diese Gefahr noch zu verschärfen, indem man das Traditionsprinzip völlig abschafft49. Jedenfalls kann keine Rede davon sein, daß im BGB wegen der Ausnahmen vom Traditionsprinzip praktisch bereits das Vertragsprinzip gelte50. Die Ausnahmen heben nicht die grundsätzliche Geltung des Tradi- § 1 III tionsprinzips auf 51. Das Übergabeprinzip hat in Deutschland eine lange Tradition und bb sollte schon deshalb beibehalten werden. Schließlich bietet das Vertragsprinzip gegenüber dem Traditionsprinzip keinerlei Vorteile, die zu einer Änderung des bestehenden Rechtszustandes Anlaß geben könnten. In Wirklichkeit wäre ein reines Vertragsprinzip gar nicht durchführbar. Das Vertragsprinzip setzt als Korrektiv die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs voraus, damit die Verkehrssicherheit nicht völlig untergraben wird. Soll ein gutgläubiger Erwerb auch möglich sein von einem Veräußerer, der die Sache nicht besitzt? Wenn dem Besitz jede Publizitätswirkung abgesprochen wird, müßte eine solche Möglichkeit bejaht werden. Und wenn der Veräußerer die Sache besitzt, sie aber nicht übergibt, soll dann ein gutgläubiger Erwerb möglich sein? Das wird wohl niemand annehmen wollen, auch der Code civil läßt einen gutgläubigen Erwerb nur bei Sachübergabe zu. Das aber zeigt, worauf es entscheidend ankommt: auf die traditio. bb) Im Gegensatz zum Vertragsprinzip, nach welchem das Eigentum bereits mit dem schuldrechtlichen Vertrag übergeht, unterscheidet das Trennungsprinzip zwischen schuldrechtlichem Vertrag (Verpflichtungsgeschäft) und sachenrechtlichem Vollzug dieser Verpflichtung (Erfüllungsgeschäft). Dabei kann die Erfüllung in einem rein tatsächlichen Vorgang liegen (Titulus-Modus-Lehre), in einem reinen dinglichen Vertrag oder in einem aus dinglichem Vertrag und Übergabe zusammengesetztem Rechtsgeschäft. Letzteres kann in seiner Wirkung von der Existenz eines Verpflichtungsgeschäfts abhängig sein (Kausalprinzip) oder nicht (Abstraktionsprinzip). Abzulehnen ist eine Gesetzesänderung zugunsten der Titulus-Modus-Lehre, also einer Übereignung durch Kaufvertrag und tatsächliche Übergabe, ohne dinglichen Vertrag52. Eine solche Lösung ermöglicht keinerlei Modifizierungen der Eigentumsübertragung, z.B. durch Bedingungen. Ein Eigentumsvorbehalt mit Anwartschaft des Käufers wäre nach einer solchen Lösung nicht möglich53; mit dem obligatorischen Vertrag und der Übergabe ginge das Eigentum zwangsläufig über54, wenn man nicht auch den Kaufvertrag unter die Bedingung stellen wollte. Das kann aber nicht im Interesse der Parteien liegen. Auch für das französische Recht nimmt daher die h.M. neben dem Schuldvertrag wenigstens einen dinglichen Vertrag an, obwohl der Code civil vom Eigentumsübergang durch bloßen Schuldvertrag ausgeht55. Ebenso nimmt die österrei49

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Eher stellt sich die Frage, ob man die Durchbrechungen des Traditionsprinzips nicht einschränken sollte, vgl. Krause, AcP 145 (1939), 313; Larenz II 1 § 39 II d; Baur-Stürner § 51 Rn. 44. So aber Kohler, Vertrag und Übergabe, ArchBR 18 (1900), 1 ff.; ähnlich Heck § 56, 3. So zutreffend Nolte 51; J. vGierke § 31 pr.; Baur-Stürner § 51 Rn. 3; Larenz II 1 § 39 II d. Dafür aber Schloßmann, Über den Vorvertrag, JherJahrb 45 (1903), 124 f.; Brandt 10, 155, 175; Wieacker, System 36; Krause, AcP 145 (1939), 320; Larenz II 1 § 39 II d; Schindler, FS Karl Kroeschell (1997) 1033, 1041. Das sieht Brandt 174 f. freilich als einen Vorteil dieser Lösung an. Vgl. dazu Nolte 66; Locher 44 f.; Larenz II 1 § 39 II c; Eichler I 108. Vgl. vCaemmerer, RabelsZ 12 (1939), 695; Nolte 43; Oeckinghaus 96 f.

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§ 1 III 1 d cc

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

chische Doktrin einen kausalen dinglichen Vertrag an, obwohl das ABGB die Titulus- § 1 III Modus-Lehre vertritt56. Das Trennungsprinzip mit Anerkennung eines eigenen dingli- cc chen Rechtsgeschäfts muß daher auf alle Fälle bewahrt werden57. cc) Die meisten Kritiker der geltenden Regelung fordern einen kausalen dinglichen Übereignungsvertrag mit Sachübergabe (Kausalprinzip)58. Hervorgehoben wird regelmäßig, daß die Abstraktion vom Rechtsgrund lebensfremd sei, nicht der „Rechtswirklichkeit“ entspreche und dem Laien unverständlich bleibe. Das kann indessen kein entscheidendes Argument sein. Auch ein kausaler dinglicher Vertrag ist nicht im Volksbewußtsein verwurzelt, er ist dem Laien ebenso unverständlich wie der abstrakte. Der abstrakte dingliche Vertrag ist kein Versuch, volkstümliche Vorstellungen auszudrücken, sondern ein Versuch, die Interessen der Beteiligten bei der Übereignung in richtigem Maße zu berücksichtigen59. Richtig ist die von vielen Autoren betonte Erkenntnis, daß das Ziel des Abstraktionsprinzips (Verkehrssicherheit) seit dem Inkrafttreten des BGB zum Teil schon durch die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs gesichert ist60, so daß der Unterschied zwischen Abstraktions- und Kausalprinzip nicht übermäßig groß ist. Wer versucht sein sollte, die Nachteile der einen gegenüber der anderen Übereignungsform zu sehr zu betonen, der sollte sich daran erinnern, daß die Römer eine abstrakte und eine kausale Übereignungsform gleichzeitig und nebeneinander verwandten, ohne dabei irgendwelche rechtlichen Bedenken zu haben. Im Verhältnis Veräußerer – Erwerber ist der Unterschied der beiden Übereignungsarten bedeutungslos61. Bei gestörtem Kausalverhältnis hat der Veräußerer entweder einen Rückgabeanspruch nach § 812 (Abstraktionsprinzip) oder nach § 985 (Kausalprinzip). Unterschiede zeigen sich nur im Verhältnis zu Dritten. Wird der Erwerber insolvent oder pfändet ein Gläubiger die Sache, so ist der Veräußerer nach dem Abstraktionsprinzip ungeschützt, da der Erwerber Eigentümer geworden ist. Nach dem Kausalprinzip ist der Veräußerer Eigentümer geblieben, er kann die Sache im Insolvenzverfahren aussondern (§ 47 InsO), gegen die Pfändung kann er die Widerspruchsklage erheben (§ 771 ZPO). Aber auch nach dem Abstraktionsprinzip bleibt der Veräußerer nicht ungeschützt, er kann sich auf die Saldotheorie berufen, d.h. die empfangene Leistung behalten, bis er seine eigene zurückerhält. Nur wenn er vorgeleistet hat, bleibt er schutzlos. Es bleibt zu entscheiden, welches Ergebnis besser ist. Der Besitz der Sache läßt den Erwerber nach außen als Berechtigten erscheinen, die Gläubiger haben sich auf diesen Schein verlassen. Das Abstraktionsprinzip schützt dieses Vertrauen und damit die Verkehrssicherheit, das Kausalprinzip schützt einseitig einen der Gläubiger, den Veräußerer, der noch dazu durch die 56 57 58

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Vgl. Feil, Kommentar zum ABGB (1977) zu §§ 423, 424. So auch Locher 42 ff.; Lange, Rechtswirklichkeit und Abstraktion, AcP 148 (1943), 203 ff. Vgl. etwa Zusammenstellung III 153 ff.; VI 561; Litten, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16, 493 ff.; Locher 61 ff.; Heck, Rechtsgeschäft, passim; Nolte 120; Strohal, JherJahrb 27 (1889), 335 ff.; Lange, AcP 146 (1941), 28 ff.; Beyerle, FS G. Boehmer 164 ff.; Ferrari, ZEuP 1993, 52; Wacke, ZEuP 2000, 254 ff. sowie die Literatur bei Prinz 15 ff. Vgl. Heck § 30, 10; Locher 42; Larenz II 1 § 39 II d. Vgl. Litten, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16, 498; Nolte 87; Locher 65; Heck § 30, 10; Westermann-Westermann § 4 III. Vgl. Heck, Rechtsgeschäft 17; vCaemmerer, RabelsZ 12 (1939), 685; Westermann-Westermann § 4 II 2.

2. Einigung als Rechtsgeschäft

§ 1 III 2

Übergabe des Besitzes den Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Es besteht kein Anlaß, den Veräußerer durch das Kausalprinzip einseitig auf Kosten der anderen Gläubiger zu bevorzugen62. Verfügt der Erwerber über die Sache, indem er sie z.B. veräußert oder verpfändet, so handelt er nach dem Abstraktionsprinzip als Berechtigter, da er ja Eigentümer war. Die Verfügung ist wirksam. Nach dem Kausalprinzip handelt er als Nichtberechtigter, doch ist der zweite Erwerber durch die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs geschützt. Der Verkehrsschutz, den das Abstraktionsprinzip verwirklichen soll, ist hier bereits durch den Schutz des guten Glaubens weitgehend gesichert. Dennoch bleibt auch hier das Abstraktionsprinzip vorzugswürdig63, es erspart dem Erwerber die Prüfung, ob das Kausalgeschäft, aufgrund dessen der Veräußerer die Sache erworben hat, gültig war. Andernfalls müßte der Erwerber sich versichern, daß beim Kauf kein Dissens vorlag, daß es sich nicht um ein Scheingeschäft handelte u.s.w. Es ergibt sich, daß das Abstraktionsprinzip allen anderen Gestaltungsmöglichkeiten der Sachübereignung überlegen ist; es ist das Erbe vSavignys und der historischen Rechtsschule, das man nicht leichtfertig verschleudern und durch eine schlechtere Re- § 1 III gelung ersetzen sollte64.

2. Einigung als Rechtsgeschäft Das Gesetz kennt den Ausdruck „dingliches Rechtsgeschäft“ nicht, es spricht von „Einigung“, vgl. § 873, oder „einig sein“, vgl. §§ 929, 1032, 1205. Johow sah in der Willenseinigung von Veräußerer und Erwerber einen dinglichen Vertrag65, der erste Entwurf sprach ausdrücklich von einem „Vertrag“, vgl. etwa §§ 828, 874, 983, 1147 E 1. Die zweite Kommission66 hatte Bedenken, den Ausdruck „Vertrag“ zu übernehmen; die Rechtsübertragung erfordere neben der Einigung noch die Eintragung bzw. Übergabe; einen Teil des Übertragungsgeschäfts könne man nicht als „Vertrag“ bezeichnen. Daher sei der Ausdruck „Einigung“ vorzuziehen, die Einigung sei allerdings ein „vertragsmäßiges Verhältnis“. Es ist richtig, daß das dingliche Rechtsgeschäft über die Einigung hinaus einen weiteren Vorgang erfordert, es besteht aus zwei Teilen. Das kann jedoch nicht hindern, den einen Teil des Rechtsgeschäfts als Vertrag 62

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So auch Breyhan 126; vCaemmerer, RabelsZ 12 (1939), 700; a.A. Heck, Rechtsgeschäft 19, nach welchem der Schutz des Veräußerers den „Bedürfnissen und Wertungen unseres Volkes“ entspreche. Dem wird man kaum zustimmen können. Wie Heck auch May 36 f. Vgl. Breyhan 123 ff.; vTuhr II 2, 110. Zugunsten des Abstraktionsprinzips sprechen sich z.B. aus Jhering, Geist III 210; Breyhan 123 ff.; Flume II § 12 III 3; Staudinger-Seiler Einl. 49 ff. vor § 854; J. vGierke § 17 I 1 a 1; Peters, Kauf und Übereignung, Jura 1986, 459; Stadler 728 ff., 739 ff.; Roth, Rez. Stadler, JZ 1996, 955; Stürner, Der hundertste Geburtstag des BGB – nationale Kodifikation im Greisenalter?, JZ 1996, 741 ff., 747; Grigoleit, AcP 199 (1999), 379 ff.; Aretz, JA 1998, 242 ff.; Arndt 33 ff., 49 f.; Wieling, ZEuP 2001, 301 ff.; Bormann, Jens, Wettbewerbsbeschränkungen durch Grundstücksrechte, 2003, 246 ff. Daß keinerlei praktische Gründe für eine Rechtsänderung sprechen, betont auch Rother, Erfüllung durch abstraktes Rechtsgeschäft, AcP 169 (1969), 3. Johow, Begründung 740. Protokolle 3392 ff., Mugdan 3, 525 ff.

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§ 1 III 2 a

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

zu bezeichnen67, nur auf diesen Teil der Übereignung können die Regeln über Rechts- § 1 III geschäfte angewandt werden68. Die Einigung ist also als Vertrag ein Teil des Rechtsgeschäfts Übereignung69. a) Auf die Einigung sind grundsätzlich die Regeln des Allgemeinen Teils über Rechtsgeschäfte anwendbar70, also die §§ 104 ff. einschließlich des § 105 a71, 116 ff., 145 ff., 158 ff., 164 ff., 182 ff.72, soweit das Sachenrecht keine besonderen Regeln enthält. Im Einzelfall empfiehlt sich jedoch die Prüfung, ob eine Vorschrift des Allgemeinen Teils tatsächlich anwendbar ist oder ob nicht die Besonderheiten des dinglichen Rechtsgeschäfts die Anwendung ausschließen73. Wer ein Recht überträgt oder bestellt, muß geschäftsfähig sein; andernfalls ist das dingliche Rechtsgeschäft unwirksam; für den Erwerb des Rechts reicht beschränkte Geschäftsfähigkeit aus, §§ 106 f., da das dingliche Geschäft für den Erwerber lediglich rechtliche Vorteile bringt74. Die Einigung ist grundsätzlich formfrei, §§ 873, 929, 1032, 1205, eine Ausnahme gilt für die Auflassung, § 92575. Für die Auslegung der Erklärungen gelten die §§ 133, 15776. Die Einigungserklärung wird i.d.R. nicht ausdrücklich, sondern konkludent erfolgen. Wer eine verkaufte Sache übergibt, will sie regelmäßig übereignen. Es ist jedoch in jedem Fall zu prüfen, ob der Übereignungswille wirklich vorhanden ist. Der Erwerber hat das Recht, die angebotene Sache zunächst zu prüfen, z.B. ob sie frei von Mängeln ist. Es steht ihm frei, das Übereignungsangebot erst nach der positiv ausgefallenen Prüfung anzunehmen. Wird mangelhafte Ware geleistet, so geht nach h.M. das Eigentum beim Handelskauf und beim Gattungskauf nicht über; der Käufer nehme die Ware bis zur endgültigen Prüfung nur in Besitz77. Das ist abzulehnen, über die Annahme entscheidet allein das gemäß §§ 133, 157 67

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Daß die Einigung ein Vertrag sei, ist h.M.; a.A. etwa Bruck 12; Nolte 111; Haag Molkenteller passim und die bei Planck-Strecker III 2, 5 vor § 854 Genannten. Der Frage kommt keine praktische Bedeutung zu, da man sich über die Anwendbarkeit der Vorschriften über Rechtsgeschäfte einig ist. Eintragung oder Übergabe sind keine Rechtsgeschäfte, sondern Tatsachen. Als solche könne sie weder wirksam noch unwirksam sein, sondern nur existent oder nicht existent. Die h.M., welche in gewissen Fällen „unwirksame Eintragungen“ annimmt, welche keinen Rechtsschein begründen könnten, ist daher nicht haltbar, vgl. im Ergebnis zutreffend Lutter, Gutglaubensschutz im Grundbuch, AcP 164 (1964), 152 ff. mit Literatur. Vgl. dazu Heck § 29, 5 – 8; Simon 57. Das gilt entsprechend auch für einseitige dingliche Rechtsgeschäfte. Lediglich eine analoge Anwendung befürwortet Dieter Haag Molkenteller, Die These vom dinglichen Vertrag (1991). Vgl. zu diesem fragwürdigen Produkt einer unsicher gewordenen Gesetzgebungskunst Casper, Geschäfte des täglichen Lebens – kritische Anmerkungen zum neuen § 105 a BGB, NJW 2002, 3425 ff. und die ironische Glosse von Kohler, JZ 2004, 348 f. So etwa Biermann, Vorbemerkung 5 b α vor § 854; Planck-Strecker III 2, 4 b vor § 854; MünchenerK-Rinne Einleitung Rn. 8 vor § 854; Staudinger-Seiler Einl. 77 vor § 854; J. vGierke § 17 I 1 a; Bruck 52 ff.; Rosenberg § 873 N. IV 1; a.A. etwa Baur-Stürner § 5 Rn. 25 f. So auch Simon 83 ff. Vgl. dazu Larenz-Wolf § 25 Rn. 21 ff.; Rosenberg § 873 N. IV 1 a. Verfahrensrechtlich bedarf die Eintragungsbewilligung der notariellen Beglaubigung, § 29 GBO, doch spielt das für das materielle Recht keine Rolle. Vgl. Rosenberg § 873 N. IV 1 d; BGH WM 1978, 194 ff. (Auslegung der Auflassung). Vgl. die Literatur bei Oeckinghaus 81 ff.

2. Einigung als Rechtsgeschäft

§ 1 III 2 b

zu beurteilende Verhalten des Empfängers. Prüft er die Ware nicht unverzüglich, so liegt darin regelmäßig eine Annahme des Übereignungsangebots. Stellt er sie später zur Disposition, so ist darin allenfalls ein Angebot zur Rückübereignung zu sehen78. Eine Konversion eines dinglichen Rechtsgeschäfts in ein anderes gemäß § 140 ist möglich79, so kann etwa eine Übereignung in die Übertragung eines Anwartschaftsrechts umgedeutet werden; oder die Bestellung eines Pfandrechts für eine Darlehensforderung kann umgedeutet werden in ein Pfandrecht zur Sicherung des Bereicherungsanspruchs. Selbstverständlich müssen die Voraussetzungen des § 140 vorliegen. Eine Vertretung bei der Einigung ist möglich80, auch durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht81. Die Einigung kann im Rahmen des § 181 durch Selbstkontrahieren erfolgen82, eine Einigung durch einen Nichtberechtigten kann gemäß § 185 vom Berechtigten genehmigt werden83. Damit der Erfolg eines dinglichen Rechtsgeschäfts eintreten kann, ist neben einer wirksamen Einigung und der Übergabe bzw. Eintragung noch als dritte Voraussetzung die Verfügungsmacht erforderlich. Verfügungsmacht hat der Inhaber eines Rechts, aber auch der, dem der Berechtigte eine Einwilligung oder Genehmigung nach § 185 erteilt. Auch das Gesetz kann einem Dritten Verfügungsmacht verleihen; so ist etwa der Pfandgläubiger nach Pfandreife zur Veräußerung des Pfandes berechtigt, § 1242. Die Verfügungsmacht kann durch den guten Glauben ersetzt werden, wenn die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs vorliegen. Fehlt die Verfügungsmacht und liegt auch ein gutgläubiger Erwerb nicht vor, so kann das dingliche Rechtsgeschäft den bezweckten Erfolg nicht herbeiführen, mag auch die Einigung nach den Regeln der § 1 III Rechtsgeschäftslehre wirksam sein; das dingliche Rechtsgeschäft war erfolglos. Genehmigt der Berechtigte das wirksame, aber erfolglose Geschäft des Nichtberechtigten, so wird es gemäß § 185 wirksam. b) Ob die dingliche Einigung bereits vor der Übergabe die Parteien bindet, ist umstritten. Bei dinglichen Rechtsgeschäften über Grundstücke schreibt § 873 II vor, daß die Bindung nur in bestimmten Fällen eintritt. Hieraus und aus dem Wortlaut der §§ 929, 1032, 1205 („einig sind“) schließt die h.M., daß die Einigung über eine bewegliche Sache bis zur Übergabe frei widerruflich ist und daß sie im Augenblick der Übergabe noch vorhanden sein muß84. § 873 hat den Sinn, gegen leichtsinnige Verträge über Grundstücksrechte zu schützen. Zum Schutz der Parteien wird die Verbindlichkeit der Einigung nur in gewissen Fäl78 79 80 81 82 83 84

So zutreffend Oeckinghaus 83 ff.; vgl. auch unten § 9 I 1. Vgl. Bernhöft, JW 1933, 1340; Staudinger-Seiler 77 vor § 854. Zur Stellvertretung bei der Besitzübergabe vgl. unten § 4 IV 2. Simon 113 ff. BGH 77, 7 ff. Vgl. Simon 136 ff.; OLG Köln JW 1933, 1340; OLG Köln DNotZ 1980, 628 ff. Vgl. etwa RG 135, 366 f.; BGH 7, 115; 14, 119; BGH NJW 1979, 213 ff.; Bekker, Grundsätzliches zum Eigentumserwerb, AcP 139 (1934), 228 ff.; Eccius, Einigung und dinglicher Vertrag im Sachenrecht, GruchBeitr 47 (1903), 52; Palandt-Bassenge § 929 Rn. 6; Staudinger-Seiler Einl. 77 vor § 854; MünchenerK-Quack § 929 Rn. 99; RGRK-Pikart § 929 Rn. 52; Soergel-Henssler § 929 Rn. 38; E. Wolf § 5 A III i; Eichler I 116; Baur-Stürner § 5 Rn. 38; Lange § 14 II 1; Müller Rn. 2379; Brehm-Berger § 27 Rn. 11. Entsprechend halten Planck-Brodmann § 929 N. 3 a β; Wolff-Raiser § 66 I 4; Rosenberg § 873 N. IV 1 e β auch den Antrag zur Einigung nicht für bindend, entgegen § 145.

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§ 1 III 2 c

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

len angeordnet85. Von diesem Gesichtspunkt her müßte die Einigung bei beweglichen Sachen sofort bindend sein, da das Gesetz bei beweglichen Sachen einen entsprechenden Schutz gegen Übereilung nicht kennt86. Es muß daher überraschen, wenn die erste Kommission dennoch der Einigung keinerlei Bindung zugestehen will87. Die Begründung ist rein doktrinär: Die Übergabe sei nicht etwa die Bedingung für die Wirksamkeit der Einigung, sondern ein notwendig präsentes Moment dieser Einigung. Bis zur Übergabe sei daher die Einigung unverbindlich. Diese Begründung kann nicht überzeugen, die h.M. ist abzulehnen88. Es besteht kein Grund, den Parteien entgegen den anerkann- § 1 III ten Grundsätzen des Rechts ein Abgehen vom geschlossenen Vertrag zu ermöglichen89. Sowohl die Einigung ist bindend als auch gemäß § 145 der Antrag auf Einigung90. Der Ausdruck „einig sind“ ergibt kein Argument für die gegenteilige Ansicht91. c) Bindung an die Einigung bedeutet Unwiderruflichkeit. Darüber hinaus ist verschiedentlich angenommen worden, eine bindende Einigung bewirke ein relatives Verfügungsverbot i.S.v. §§ 135, 888 II 92. Lasse man eine abweichende Verfügung zu, so liege darin ein konkludenter Widerruf, der wegen der Bindung an die Einigung nicht möglich sei. Indessen liegt in einer abweichenden Verfügung kein Widerruf der ersten Einigung; diese bleibt bestehen, kann aber mangels Eintragung bzw. Übergabe keine dingliche Rechtsänderung mehr bewirken93. Eine Verfügungsbeschränkung bewirkt sie nicht. Die Einigung bringt auch keine Ansprüche hervor, selbst dann nicht, wenn sie bindend geworden ist. Sie kann weder einen obligatorischen Erfüllungsanspruch schaffen94 noch einen dinglichen95. Aus der Einigung kann daher weder die Übergabe noch

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Vgl. Motive 3, 175; Protokolle der 2. Kommission 3405, Mugdan 3, 529. Vgl. § 311 b für das schuldrechtliche Geschäft. Motive 3, 336. Die h.M. mindert die unerwünschten Folgen der freien Widerrufbarkeit der Einigung dadurch, daß sie das Fortbestehen des Einigseins vermutet; ein Widerruf der Einigung muß für den anderen Vertragspartner erkennbar sein, wer sich auf einen Widerruf beruft, muß ihn beweisen; vgl. nur Palandt-Bassenge § 929 Rn. 6. So zutreffend Neuburger 21; Simon 14 f.; vLübtow, Das Geschäft „für den es angeht“, ZHR 112 (1949), 257; Heck § 55, 7; Westermann-Westermann § 38, 4; J. vGierke § 31 I 1; Endemann II § 20 I; Fuchs, Grundbegriffe 159; vTuhr I 176 Fn. 18; Zitelmann, JherJahrb 70 (1921), 10 ff.; Schödermeier-Woopen, Die diskriminierte Einigung, JA 1985, 622 ff.; Wank-Kamanabrou, Jura 2000, 154 ff. Vgl. Simon 89 ff; Dernburg, BürgR III § 100 I 1. Der 1. Entwurf forderte in allen Fällen (E 1 §§ 828, 874, 983, 1147) einen „Vertrag“, die 2. Kommission hat dies abgeändert: Es sei zwar ein dingliches Rechtsgeschäft zu fordern, ob man dies aber als Vertrag zu konstruieren habe, solle der Wissenschaft überlassen bleiben, vgl. Protokolle der 2. Kommission 3675 ff., 3383 ff., Mugdan 3, 623 f., 522 f. Es wurden verschiedene Formulierungen vorgeschlagen, die endgültige Formulierung aber der Redaktionskommission überlassen. Diese entschied sich für den Ausdruck „einig sein“, die Frage der Bindung an die Einigung sollte damit aber nicht entschieden werden. So insbesondere Simon 16 ff., 33 ff.; Koffka, FG Wilke 173 ff. So zutreffend Biermann § 873 N. 5; Planck-Strecker § 873 N. III 2 c α mit weiterer Literatur; Wolff-Raiser § 38 IV; Westermann § 76 I 5; Palandt-Bassenge § 873 Rn. 9; BGH 49, 200; Stöver, ArchBR 26 (1905), 191; Neuburger 15 f. So aber Fuchs, Grundbegriffe 161 ff. So aber Endemann II § 21, 3.

2. Einigung als Rechtsgeschäft

§ 1 III 2 d

die Eintragungsbewilligung verlangt werden; auch ein Schadensersatzanspruch kann § 1 III aus der Einigung nicht entstehen96. d) Heftig umstritten ist die Frage, ob eine dingliche Einigung zugunsten eines Dritten möglich ist. Eine direkte Anwendung des § 328 I scheidet gemäß seinem Wortlaut aus, da die dingliche Einigung kein Leistungsrecht begründet. Fraglich ist, ob § 328 entsprechend angewandt werden kann. Die wohl noch h.M. verneint dies97: Regeln des Schuldrechts seien auf das Sachenrecht nicht anwendbar; es bestehe auch kein Bedürfnis für die Anwendung des § 328, da das gleiche Ergebnis über eine vollmachtlose Vertretung erreicht werden könne. Schließlich schaffe das Zurückweisungsrecht des Dritten nach § 333 eine unerträgliche Rechtsunsicherheit. Eine vermittelnde Ansicht will dingliche Verträge zugunsten Dritter wenigstens dann zulassen, wenn das dingliche Recht einen Leistungsanspruch begründet, wie etwa die Reallasten, Grundpfandrechte, Vorkaufsrechte u.s.w.98 Eine dritte Ansicht läßt dingliche Verträge zugunsten Dritter unbeschränkt zu99, wobei freilich der Vollziehungstatbestand in der Person des dritten Rechtserwerbers vorliegen muß, d.h. dieser muß im Grundbuch eingetragen werden bzw. ihm muß die Sache übergeben werden100. Dieser Ansicht gebührt der Vorzug. Der Vertrag zugunsten Dritter hat seinen systematischen Standort im Schuldrecht, und die dingliche Einigung bringt keine Ansprüche hervor. Die Besonderheit des Vertrags zugunsten Dritter liegt aber nicht darin, daß er Ansprüche hervorbringt, sondern daß er die Wirkungen fremden Handelns einem Unbeteiligten zuschreibt101. Der Vertrag zugunsten Dritter wirkt damit ähnlich wie die Stellvertretung. Ob dem Dritten die Wirkung eines Schuldvertrages oder eines dinglichen Vertrages zugerechnet wird, ist aber von untergeordneter Bedeutung. Der Unterschied zur Vertretung ohne Vertretungsmacht besteht lediglich darin, daß dort das Geschäft für den Dritten schwebend unwirksam ist und durch Genehmigung wirksam werden kann, während hier das Geschäft sofort wirksam ist, aber zurückgewiesen werden kann. Die durch diese Zurück96

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So zutreffend Pabst 76; Steyert 30 f.; Neuburger 16; Rosenberg § 873 N. IV 5 f α mit weiterer Literatur; Biermann § 873 N. 4; Westermann-Westermann § 38, 4; Wolff-Raiser § 38 II 3; J. vGierke § 17 I 1 a; Simon 11; Bruck 6 ff.; RG 151, 77; Stöver, ArchBR 26 (1905), 192 f.; Lange § 14 II 3. So die ständige Rechtsprechung, vgl. RG 66, 99 f.; 98, 282 f.; 124, 221; BGH NJW 1993, 2617; vgl. ferner z.B. Kress, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts (1929) 630; PlanckBrodmann § 929 N. IV 3 a ζ; Staudinger-Seiler Einl. 83 vor § 854; RGRK-Ballhaus § 328 Rn. 6; RGRK-Augustin § 873 Rn. 57; Palandt-Heinrichs Einführung Rn. 9 vor § 328; Ewald, Der Rückerwerb des Nichtberechtigten, JherJahrb 76 (1916), 242; Hellwig, Die Verträge auf Leistungen an Dritte (1899) 40, 53 f.; Heilmann, Der Vertrag zugunsten Dritter, NJW 1968, 1855. So etwa Fikentscher, Schuldrecht Rn. 253; Siber, Schuldrecht (1931) § 45 IV 1; Wolff-Raiser § 38 II 3; J. vGierke § 17 I 1 a; Lehmann, JW 1931, 525; ähnlich auch MünchenerKGottwald § 328 Rn. 190; Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter (1949) 131 f. Vgl. Westermann-Westermann § 3 II 4; Heck § 10, 7; Larenz I § 17 IV; Baur-Stürner § 5 Rn. 28; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht (1929) § 183; Rosenberg § 873 N. IV 4 b β; Staudinger-Jagmann Rn. 62 ff. vor § 328; Kluckhohn 93 ff.; Haas 72 ff., 126 ff.; Rosenberg, DJZ 1912, 542 ff. Vgl. z.B. BayObLG NJW 1958, 1917; Westermann-Westermann § 3 II 4; Erman-Westermann § 328 Rn. 3; Larenz I § 17 IV; Baur-Stürner a.a.O. Vgl. Kluckhohn 93 ff.; Westermann-Westermann § 3 II 4; Haas 137; Staudinger-Jagmann Rn. 60 ff vor § 328.

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§ 1 III 3

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

weisungsmöglichkeit bedingte Unsicherheit ist jedoch kein Grund, einen dinglichen Vertrag zugunsten Dritter abzulehnen. Dingliche Rechtsgeschäfte können bedingt abgeschlossen werden, wodurch ähnliche Unsicherheiten entstehen102, die Rechtsordnung nimmt solche Unsicherheiten hin. Etwas anderes könnte sich gemäß § 925 II bei der Auflassung ergeben, da das Gesetz hier eine Klarheit insofern fordert, als Bedingungen und Befristungen nicht zulässig sind. Es wird daher die Ansicht vertreten, daß eine Auflassung zugunsten Dritter in jedem Fall ausgeschlossen sei103. Dem wird entgegengehalten, daß das Gesetz auch bei der Auflassung Unsicherheiten in Form möglicher Anfechtungen und relativer Verfügungsbeschränkungen gemäß §§ 135 f., 883 in Kauf nehme104. Das trifft zu, doch hat das Gesetz andererseits die Unsicherheiten möglichst gering halten wollen. Wenn aber eine Vertretung durch vollmachtlosen Vertreter gemäß h.M. auch bei der Auflassung zugelassen wird105, so muß man entsprechend auch eine Auflassung zugunsten Dritter zulassen. Bei einer Vertretung fordern allerdings die Formvorschriften (§ 29 GBO) den Nachweis der nachträglichen Genehmigung gemäß § 177. Beim Vertrag zugunsten Dritter sollte entsprechend ein Verzicht auf das Zurückweisungsrecht gefordert werden. Insgesamt besteht kein anerkennenswerter Grund, durch Nichtanerkennung dinglicher Verträge zugunsten Dritter den Bürger zu bevormunden und zu schikanieren, wenn er einen solchen Vertrag abschließen will oder abgeschlossen hat. Die Einigung zugunsten des Dritten wird wirksam, wenn dieser im Grundbuch eingetragen wird (§ 873) oder wenn ihm der Besitz übertragen wird, sei es nachträglich der unmittelbare Besitz gemäß §§ 929, 854 I, sei es der offene Besitz gemäß §§ 929, 854 II oder der mittelbare Besitz gemäß § 930. In jedem Fall wird der Dritte aber erst § 1 III und nur dann Besitzer, wenn er den Besitzwillen hat106.

3. Tradition und Eintragung Das dingliche Rechtsgeschäft wird erst wirksam, wenn zur Einigung der Publizitätsakt, d.h. die Tatsache der Besitzübertragung bzw. Eintragung ins Grundbuch hinzukommt. Übergabe und Eintragung sind Teile des dinglichen Rechtsgeschäfts, sind aber selbst – anders als die Einigung – keine rechtsgeschäftlichen Handlungen. Daher müssen Verfügungsbefugnis und – im Fall des gutgläubigen Erwerbs – der gute Glaube sowohl bei der Einigung als auch beim Publizitätsakt vorhanden sein107. Anders liegt es bei der Geschäftsfähigkeit. Der erste Entwurf enthielt in § 828 IV die Regelung, ein dingliches Rechtsgeschäft werde nicht dadurch beeinträchtigt, daß eine Partei nach der Einigung sterbe oder geschäftsunfähig werde. Die zweite Kommission strich das im Hinblick auf § 153 als selbstverständlich108. Der Gesetzgeber ging also davon aus, daß

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Erman-Westermann § 328 Rn. 3; Haas 29. Vgl. Baur-Stürner § 5 Rn. 28; Staudinger-Jagmann Rn. 74 a vor § 328. Vgl. Westermann-Westermann § 3 II 4; vgl. auch Kluckhohn 189. Vgl. Soergel-Stürner § 925 Rn. 25 mit Literatur. Vgl. unten § 6 II 5. Ausnahmen gelten im Grundstücksrecht, vgl. etwa §§ 878, 892 II. Protokolle 3408, Mugdan 3, 530.

4. Prinzipien des dinglichen Rechtsgeschäfts

§ 1 III 4 a, b

zur Zeit der Übergabe bzw. Eintragung Geschäftsfähigkeit nicht vorliegen müsse. Dem § 1 III ist zuzustimmen, da der Publizitätsakt keine rechtsgeschäftliche Handlung darstellt109. b

4. Prinzipien des dinglichen Rechtsgeschäfts a) Wie für das gesamte Sachenrecht, so gilt auch für das dingliche Rechtsgeschäft der Grundsatz der Spezialität: Jedes dingliche Rechtsgeschäft kann sich nur auf eine bestimmte Sache beziehen, nicht auf eine Mehrheit von Sachen oder auf unbestimmte Sachen; umgekehrt bezieht sich ein dingliches Rechtsgeschäft immer auf die ganze Sache, nicht auf Teile davon. Man kann sich zwar verpflichten, Sachen zu liefern, die nur gattungsmäßig bestimmt sind (§ 243); eine Übereignung solcher Sachen ist nicht möglich. Denn weil das dingliche Rechtsgeschäft ein Zugriffsrecht auf eine bestimmte Sache schafft, muß die betroffene Sache individualisiert sein. Traditionsgemäß ist es auch nicht möglich, ein dingliches Rechtsgeschäft über eine Mehrheit von Sachen abzuschließen, z.B. eine Sachgesamtheit (etwa eine Büchersammlung) zu übereignen. Es muß jede einzelne Sache übereignet werden. Das Gesetz läßt jedoch in gewissen Fällen hiervon Ausnahmen zu, vgl. etwa §§ 926, 2033 I110. b) Die Rechtsordnung ist bestrebt, dingliche Rechte nach Möglichkeit sichtbar zu machen, durch Publizitätstatbestände111. Das bedingt, daß auch die Rechtsänderung, d.h. das dingliche Rechtsgeschäft, nach außen möglichst in Erscheinung treten soll. Bei Grundstücken bewirkt die Eintragung – neben der Einigung – die Rechtsänderung und zeigt sie nach außen an. Bei beweglichen Sachen liegt der Publizitätsvorgang in der Besitzübertragung, der vom Erwerber erworbene Besitz zeigt sein Recht an. Dieses Publizitätsprinzip für dingliche Rechtsgeschäfte ist nur bei Grundstücken konsequent durchgeführt. Bei beweglichen Sachen gilt es zwar im Grundsatz auch, doch ist hier der Grundsatz durch Ausnahmen durchbrochen. Insgesamt ist aber zu bedenken, daß der Übertragungsakt selbst, d.h. das Eintragen ins Grundbuch bzw. das Übergeben der Sache, kaum als Publizitätstatbestand geeignet sind. Das Eintragen ins Register wird kaum jemals ein Außenstehender sehen, die Übergabe der Sache ist ein schnell vorübergehender Akt mit geringer Publizitätswirkung. Daher liegt der Publizitätstatbestand nicht im Übertragungsakt, sondern in dessen Ergebnis: im Eingetragensein des Rechtes („Eintragung“ im weiteren Sinne) bzw. im besitzrechtlichen Ergebnis des Übertragungsakts. Vom Entstehen und Bestehen dieses Zustandes hängt die Wirksamkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts ab112, wobei dieser Zustand freilich nicht andauern muß. Ist das Recht erst entstanden, so ist es unabhängig vom Weiterbestand des Publizitätstatbestandes.

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Ebenso Bruck 53; Westermann-Westermann § 38, 4; anders für bewegliche Sachen die h.M., welche die Bindung an die Einigung grundsätzlich verneint und ein rechtsgeschäftliches „Einigsein“ z.Z. der Übergabe verlangt, vgl. oben 2 b; doch läßt Baur-Stürner § 5 Rn. 38 die Geschäftsfähigkeit z.Z. der Einigung ausreichen, was zwar inkonsequent, im Ergebnis aber richtig ist. Vgl. unten § 2 I 2 c. Vgl. oben II 4 d. Vgl. oben II 4 d.

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§ 1 III 4 c aa

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

c) Für dingliche Rechtsgeschäfte gilt das Abstraktionsprinzip, d.h. die Gültigkeit § 1 III des dinglichen Rechtsgeschäfts ist nicht davon abhängig, daß ein wirksames Kausalge- aa schäft oder überhaupt ein Kausalgeschäft (Kauf, Schenkung u.s.w.) vorliegt. Johows Teilentwurf (§ 133) und der erste Entwurf (§§ 829, 874) hatten dies ausdrücklich geregelt. Die zweite Kommission hat diese Vorschriften gestrichen113: Sie seien richtig, aber überflüssig. Aus der Fassung der §§ 873, 929 u.s.w. ergebe sich, daß die dort genannten Voraussetzungen zum Eigentumserwerb genügten. Daher sind die Ansichten abzulehnen, welche in die §§ 873, 929 u.s.w. ein kausales Element zu bringen versuchen, indem sie über die dort genannten Erfordernisse hinaus weitere Voraussetzungen schaffen wollen; sei es, daß ein gültiges Kausalgeschäft gefordert wird114, sei es, daß wenigstens ein Konsens über den Zweck der Einigung gefordert wird115. §§ 873, 929 u.s.w. regeln das dingliche Rechtsgeschäft abschließend116. Abstraktion bedeutet aber lediglich Unabhängigkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts vom Kausalgeschäft; es bedeutet keineswegs, daß ein dingliches Rechtsgeschäft nicht wegen Sittenwidrigkeit, Anfechtung u.s.w. unwirksam sein könne. Im Verhältnis zum Kausalgeschäft ist im Einzelfall jeweils zu prüfen, ob ein Mangel nur dieses Kausalgeschäft betrifft oder ob er sich auch auf die dingliche Einigung bezieht; denkbar ist auch, daß der Mangel sich ausschließlich im dinglichen Rechtsgeschäft findet. aa) Nach einer früher weitverbreiteten Meinung kann ein dingliches Rechtsgeschäft niemals gemäß § 138 I sittenwidrig sein, weil sein Inhalt gesetzlich festgelegt sei und deswegen nicht sittenwidrig sein könne117. Das trifft jedoch nicht zu. Zwar kann ein dingliches Rechtsgeschäft nach seinem Inhalt niemals sittenwidrig sein, doch ist es möglich, daß damit ein sittenwidriger Zweck verfolgt wird. In diesem Fall kann § 138 I eingreifen118. Voraussetzung ist, daß entweder die Parteien gemeinsam einen sittenwid- § 1 III rigen Zweck gegenüber Dritten oder gegenüber dem Gemeininteresse verfolgen, oder daß die eine Partei einen sittenwidrigen Zweck gegenüber der anderen verfolgt119. Daher sind im Falle des § 138 II auch die dinglichen Zuwendungen des Bewucherten an den Wucherer nichtig. 113 114

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Protokolle der 2. Kommission 3408, Mugdan 3, 531. So Schreiber, Abhängigkeit des Erfüllungsgeschäfts vom obligatorischen Vertrag bei anfechtbaren und unsittlichen Rechtsgeschäften, GruchBeitr 52 (1908), 516; du Chesne, Ist die Einigung ein abstraktes Geschäft?, Sächs. Archiv für Rechtspflege 1922, 98 ff. Gegen Schreiber vgl. Prinz 32 ff. So Neuner, Abstrakte und kausale Übereignung beweglicher Sachen, Rheinische Zeitschr. für Zivil- und Prozeßrecht 14 (1926), 9 ff.; Krückmann, Über abstrakte und kausale Tradition und § 929 BGB, ArchBR 13 (1897), 1 ff.; Oeckinghaus 59 ff.; Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960, § 70, 7; Jahr, Zur iusta causa traditionis, SZ (rom. Abt.) 80 (1963), 141 ff.; Siber, Schuldrechtliche Vertragsfreiheit, JherJahrb 70 (1921), 235 Fn. 1. So zutreffend vCaemmerer, RabelsZ 12 (1939), 677 Fn. 1; Heck, Rechtsgeschäft 1; J. vGierke, Die Einheit des Rechts, ZHR 111, 64; Planck-Brodmann § 929 N. IV 3 c δ; vOlshausen, Rez. in JZ 1975, 30 Fn. 5 a. So z.B. Rosenberg § 873 N. III 2 c δ; Planck-Strecker § 873 N. III 5 b η; Prinz 79 ff., jeweils mit weiterer Literatur. So zutreffend Palandt-Bassenge, Einleitung Rn. 12 vor § 854; Soergel-Stürner § 873 Rn. 9; MünchenerK-Wacke § 873 Rn. 22; Baur-Stürner § 5 Rn. 51; Westermann-Westermann § 4 IV 1; Wolff-Raiser § 38 Fn. 11; Heck § 30, 9; J. vGierke § 17 I 1 a γ. Vgl. Flume II § 18, 8 mit Rechtsprechungsanalyse; Larenz-Wolf § 41 Rn. 23 f.; RG 145, 154; BGH 26, 185 ff.

4. Prinzipien des dinglichen Rechtsgeschäfts

§ 1 III 4 c bb

Ob bei einer Anfechtung nur das Verpflichtungsgeschäft vernichtet wird oder auch das dingliche Rechtsgeschäft, hängt davon ab, für welche Rechtsgeschäfte ein Anfechtungsgrund vorliegt. Die Anfechtungserklärung bezieht sich im Zweifel auf beide Rechtsgeschäfte120. Eine Anfechtung nach § 119 I (wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums) wird sich selten auf das dingliche Geschäft erstrecken, da der Inhalt beider Geschäfte verschieden ist. Es ist aber durchaus möglich, daß im Einzelfall auch ein dingliches Geschäft nach § 119 I anfechtbar ist, wenn etwa eine Sache irrtümlich einer falschen Person übereignet wird121. Häufiger wird eine Anfechtung gemäß § 119 II (Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache) in Betracht kommen, z.B. beim Irrtum über die Kreditwürdigkeit eines Vertragspartners122. Eine Anfechtung nach § 123 (wegen Drohung oder arglistiger Täuschung) wird regelmäßig auch das dingliche Rechtsgeschäft ergreifen123. Dagegen berechtigt allein die Tatsache, daß das Kausalgeschäft nichtig ist, niemals zur Anfechtung des dinglichen Rechtsgeschäfts; die irrige Erwartung, das Kausalgeschäft sei wirksam, ist in Anbetracht des Abstraktionsprinzips ein unbeachtlicher Motivirrtum. Im konkreten Fall ist grundsätzlich zu prüfen, ob der Anfechtungsgrund nur das schuldrechtliche Geschäft erfaßt, ob er das dingliche Geschäft erfaßt oder beide. Dagegen ist die Prüfung einer „Fehleridentität“ ein ungeeignetes und irreführendes Hilfsmittel, die Frage der Anfechtbarkeit des dinglichen Geschäfts zu klären. Denn es hängt nichts davon ab, ob sich der Irrtum sowohl im schuldrechtlichen wie dinglichen Vertrag ausgewirkt hat. Selbstverständlich ist eine Anfechtung auch dann möglich, wenn ein Irrtum nur im dinglichen Rechtsgeschäft aufgetreten ist, wenn etwa eine Sa- § 1 III che an A verkauft wurde, irrtümlich aber an B übereignet wurde. Nicht eine „Fehler- bb identität“ entscheidet über die Anfechtbarkeit, vielmehr sind bei jedem Rechtsgeschäft die Voraussetzungen der §§ 119 ff. zu prüfen. bb) Ein dingliches Rechtsgeschäft kann bedingt abgeschlossen werden, mit Ausnahme der Auflassung, § 925 II124. Daher kann ein dingliches Rechtsgeschäft auch unter der Bedingung abgeschlossen werden, daß das Kausalgeschäft wirksam ist. Eine solche Bedingung kann auch stillschweigend vereinbart werden, doch darf sie nicht generell angenommen werden125. Andernfalls würde das vom Gesetz angeordnete Abstraktionsprinzip aufgehoben126. Eine Bedingung ist daher nur anzunehmen, wenn ein besonderer 120 121 122

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Vgl. Rosenberg § 873 N. III 2 c ζ; J. vGierke § 17 I 1 a δ; Westermann-Westermann § 4 IV 1. Vgl. Rosenberg § 873 N. III 2 c ζ; Wolff-Raiser § 38 Fn. 11. Vgl. RG 66, 385; Rosenberg § 873 N. III 2 c ζ mit Literatur; Westermann-Westermann § 4 IV 1; Eichler I 110. Gegen eine Anfechtungsmöglichkeit von Verfügungen mit nicht überzeugenden Gründen Grigoleit, AcP 199 (1999), 396 ff. Vgl. Rosenberg, Westermann, Wolff-Raiser, Eichler a.a.O.; Baur-Stürner § 5 Rn. 8. Das gleiche gilt von der Übertragung des Erbbaurechts, § 11 I 2 ErbbRVO. Diese Geschäfte sind somit notwendig abstrakt, vgl. Bruck 24 ff. Keineswegs also bei allen Alltagsbargeschäften („Alltagszusammenhang“), so aber Kriegsmann, Nikolaus Hermann, Der Rechtsgrund der Eigentumsübertragung, 1905; Goldmann-Lilienthal § 16 Fn. 4. So zu Recht Bruck 24; Rosenberg § 873 N. III 2 c θ; MünchenerK-Wacke § 873 Rn. 23; Staudinger-Seiler Einl. 52 vor § 854; May 55 f.; HKK-Finkenauer §§ 158 – 163 Rn. 42. Abzulehnen ist daher die Entscheidung BGH NJW 1982, 275 ff., die mit Hilfe eines fingierten Parteiwillens das gesetzlich angeordnete Abstraktionsprinzip umgeht; die Entscheidung ist auch in anderer Hinsicht fehlerhaft, vgl. die Rezension von Jauernig in NJW 1982, 268 ff.

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§ 1 III 4 c cc

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

Anlaß zu der Annahme besteht, die Parteien hätten einen entsprechenden (hypothetischen) Willen gehabt127. Es ist daher in der Tendenz richtig, wenn Breyhan eine stillschweigende Bedingung, das Kausalgeschäft sei wirksam, überhaupt nicht zulassen will. Etwas anderes solle nur gelten, wenn der Veräußerer Grund zu Zweifeln habe, ob das Kausalgeschäft überhaupt zustande kommen werde: Das gelte etwa bei der Zusendung unbestellter Ware oder dann, wenn das dingliche Geschäft vor dem Kausalgeschäft abgeschlossen werde. Der Empfänger solle nicht berechtigt sein, die Übereignung anzunehmen, den Kaufvertrag aber abzulehnen128. Diese zutreffende Ansicht ist auszudehnen § 1 III auf alle Fälle, in welchen die Parteien im Zweifel sind über das wirksame Zustandekom- cc men des Kausalgeschäfts129; nicht dagegen auf Fälle, in denen der zukünftige Bestand eines gültigen Kausalgeschäfts zweifelhaft ist, etwa bei einem Rücktrittsvorbehalt. cc) Abzulehnen ist der Versuch, das Abstraktionsprinzip über § 139 zu umgehen. Gemäß § 139 ist ein Rechtsgeschäft im Zweifel insgesamt nichtig, wenn ein Teil nichtig ist. Voraussetzung ist allerdings, daß es sich um ein „einheitliches Rechtsgeschäft“ handelt, was sich nach dem hypothetischen Willen der Parteien entscheidet: Hätten sie die Nichtigkeit des ganzen Geschäfts gewollt, wenn sie die Nichtigkeit des Teils gekannt hätten? Die h.M. bejaht ein „einheitliches Rechtsgeschäft“ i.S.v. § 139 auch dann, wenn mehrere Rechtsgeschäfte vorliegen, welche nach dem Willen der Parteien in eine entsprechende Verbindung treten sollen. Man kann daher auf den Gedanken kommen, Kausalgeschäft und dingliches Rechtsgeschäft zu einem „einheitlichen Rechtsgeschäft“ i.S.v. § 139 zu verbinden. Daß eine solche Verbindung für die Auflassung nicht in Betracht kommt, ist anerkannt. Die Bedingungsfeindlichkeit der Auflassung nach § 925 II schließt es aus, die Wirkung des dinglichen Geschäfts vom Kausalgeschäft abhängig zu machen. Aber auch in anderen Fällen ist § 139 entgegen einer verbreiteten Ansicht130 nicht anwendbar. Die generelle Anwendung würde das gesetzlich angeordnete Abstraktionsprinzip aufheben131. Vertretbar wäre die Anwendung des § 139 nur in dem Ausmaß, in welchem auch eine konkludente Bedingung angenommen werden darf. Insoweit ist aber die Anwendung des § 139 überflüssig. 127

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Es genügt keineswegs, daß Grundgeschäft und dingliches Geschäft gleichzeitig abgeschlossen sind; so zutreffend Staudinger-Seiler Einl. 50 vor § 854; Rosenberg § 873 N. III 2 c θ; vgl. dazu auch Stadler 82 ff. Vgl. Breyhan 53 ff., 80; ähnlich Rosenberg § 873 N. III 2 c θ; Kohler, ArchBR 18 (1900), 113. Vgl. Westermann-Westermann § 4 IV 2; Baur-Stürner § 5 Rn. 53; MünchenerK-Wacke § 873 Rn. 23; J. vGierke, ZHR 111, 65 will sogar Bedingungen nur anerkennen, wenn sie ausdrücklich vereinbart sind. Vgl. etwa Soergel-Stürner § 873 Rn. 11; Staudinger-Seiler Einl. 53 vor § 854; Westermann-Westermann § 4 IV 3; J. vGierke § 17 I 1 a δ; Heck § 30, 8; Wolff-Raiser § 38 II 4; J. vGierke, ZHR 111, 66; BGH JZ 1951, 782; BGH NJW 1967, 1130; Eisenhardt, Die Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts und die Überwindung des Abstraktionsprinzips, JZ 1991, 271 ff.; Brehm-Berger § 1 Rn. 26. So zutreffend auch Baur-Stürner § 5 Rn. 55 ff.; Schwab-Prütting § 4 Rn. 25; Flume II § 12 III 4; Stadler 92 ff.; Planck-Strecker § 873 N. III 5 b pr.; Rosenberg § 873 N. III 2 c η; Palandt-Bassenge § 139 Rn. 7; Breyhan 202; Larenz-Wolf § 45 Rn. 12 ff.; Prinz 138 ff.; Marcuse, Wirkung der Ungültigkeit des Kausalgeschäfts auf das sachenrechtliche Erfüllungsgeschäft, GruchBeitr 66 (1923), 161; Goldmann, Ist bei gleichzeitiger Vornahme von Kausal- und Verfügungsgeschäft und Ungültigkeit des ersteren § 139 anwendbar?, GruchBeitr. 56 (1912), 172; Schlüter, Durchbrechung des Abstraktionsprinzips über § 139, JuS 1969, 11 f.; BayObLG DRpfl 1969, 48; Grigoleit, AcP 199 (1999), 413 ff.

5. Verfügungsverbote

§ 1 III 5 a

5. Verfügungsverbote Dem Inhaber eines Rechts steht grundsätzlich die Befugnis zu, über dieses Recht zu verfügen, es etwa zu veräußern oder zu verpfänden; etwas anderes gilt nur dann, wenn dies ausdrücklich von der Rechtsordnung bestimmt wird. So bestimmt etwa § 1059, daß der Nießbrauch nicht übertragen werden kann132. Sieht man von diesen Fällen ab, so ist im Recht auch die Befugnis enthalten, über das Recht zu verfügen. Durch ein Rechtsgeschäft kann die Verfügungsbefugnis nicht eingeschränkt werden, § 137. Hat z.B. jemand beim Erhalt einer Sache versprochen, nicht darüber zu verfügen, so ist er dennoch verfügungsbefugt133; schuldrechtlich ist er aber zur Unterlassung von Verfügungen verpflichtet und haftet bei schuldhaften Verstößen auf Schadensersatz134. Die Rechtsordnung kann aber bestimmen, daß unter bestimmten Voraussetzungen die Verfügung eines Geschäftsfähigen über ein an sich verfügbares Recht unwirksam ist: Sie kann Verfügungsverbote anordnen135. Solche Verfügungsverbote können ent- § 1 III weder den Schutz der Allgemeinheit bezwecken (absolute Verfügungsverbote) oder den Schutz einzelner Personen (relative Verfügungsverbote). Spezielle Regelungen gelten für den Kulturgüterschutz136. a) Bezweckt ein Verfügungsverbot den Schutz allgemeiner Interessen, so ist eine Verfügung gegen das Verbot absolut unwirksam137, § 134. Es ist auch denkbar, daß ein absolutes Verfügungsverbot die Belange einzelner Personen schützt, weil dies im öf132 133

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Vgl. ferner etwa §§ 400, 514, 717, 719, 1092. Ein Erfolg wie bei einem wirksamen Verfügungsverbot kann aber durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung der Rechtsübertragung erreicht werden, die eintreten soll, sobald der Empfänger gegen das vereinbarte Verfügungsverbot verstößt. Mit der verbotswidrigen Verfügung verliert der Empfänger sein Recht und verfügt als Nichtberechtigter, was einen gutgläubigen Erwerb freilich nicht verhindert. Bei Grundstücken ist eine bedingte Rechtsübertragung wegen § 925 II nicht möglich. Hier ist die Vereinbarung eines aufschiebend bedingten Rückübertragungsanspruchs möglich, der durch die Eintragung einer Vormerkung gesichert werden kann. Solche Vereinbarungen sind zulässig nach Merrem, Sicherung vertraglicher Verfügungsverbote, JR 1993, 53 ff.; BGH JZ 1997, 517 mit zust. Anm. von Berger; HKK-Finkenauer §§ 158 –163 Rn. 44; HKK-Dorn §§ 134 –137 Rn. 50. Auch der Bereicherungsanspruch, der aus dem Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks entsteht, vgl. §§ 530 f., kann durch eine Vormerkung gesichert werden, vgl. BGH JZ 2003, 211 ff. und die Anmerkung Wacke, JZ 2003, 179 ff. Die Anerkennung solcher Umgehungsgeschäfte erscheint jedoch als Verstoß gegen § 137, 1 nicht unbedenklich. Etwas anderes gilt jedoch gemäß § 399 für Forderungen: Haben Gläubiger und Schuldner die Abtretbarkeit der Forderung ausgeschlossen, so kann die Forderung nicht abgetreten werden. Vgl. dazu Bülow, Grundfragen der Verfügungsverbote, JuS 1994, 1 ff. Vgl. unten § 12 XI. Vgl. Protokolle 1. Kommission 217, Jakobs-Schubert, AT I 716; Motive 1, 212. Ob auch das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist, hängt vom Zweck des Gesetzes ab. Ist das öffentliche Interesse unmittelbar geschützt, so ist regelmäßig auch der Verpflichtungsvertrag unwirksam. Sind Einzelbelange im öffentlichen Interesse geschützt, so entscheidet der Schutzzweck. So wäre durch ein reines Verfügungsverbot der Schutz der Ehegatten nach §§ 1365, 1369, 1424, 1425 nicht gewährleistet, wenn aus dem Verpflichtungsvertrag ein Schadensersatzanspruch entstünde. Daher ist hier auch die Verpflichtung unwirksam. § 81 InsO schützt dagegen nur die Insolvenzgläubiger, nicht den Gemeinschuldner. Daher ist nach § 81 InsO die Verpflichtung gegen den Gemeinschuldner wirksam, sie kann – Schutz der Insolvenzgläubiger – im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden.

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§ 1 III 5 b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

fentlichen Interesse liegt138. Da ein solches öffentliches Interesse in allen Fällen angenommen werden kann, ist es nicht möglich, absolute und relative Veräußerungsverbote vom Schutzzweck her zu unterscheiden. Eine Unterscheidung ist nur von der Rechtsfolge her möglich. Es ist davon auszugehen, daß immer ein absolutes Verfügungsverbot vorliegt, wenn sich nicht das Gegenteil aus der gesetzlichen Anordnung ergibt139. Sind durch das absolute Verfügungsverbot Einzelbelange geschützt, so ist eine verbotswidrige Verfügung absolut schwebend unwirksam; sie wird wirksam, wenn der Geschützte sie genehmigt140. Nicht zutreffend ist die Ansicht, daß es bei absoluten Verfügungsver- § 1 III boten keinen Schutz des guten Glaubens gebe, im Gegensatz zu den relativen Verfügungsverboten. Auch bei absoluten Verfügungsverboten kann das Gesetz im Einzelfall den guten Glauben an die Verfügungsmacht schützen, vgl. etwa §§ 161 III, 2113 III BGB; § 81 I 2 InsO. b) Ein relatives Verfügungsverbot ordnet das Gesetz an, wenn es nur die Belange einzelner, nicht ein öffentliches Interesse schützen will. Ein solches Verbot macht eine Verfügung nicht unwirksam; eine Verfügung gegen ein relatives Verfügungsverbot ist vielmehr wirksam, lediglich gegenüber dem Geschützten wird die Verfügung als unwirksam behandelt, § 135 I141. Relative Verfügungsverbote sind aber nur anzunehmen, wenn das Gesetz die Rechtsfolge der relativen Unwirksamkeit ausdrücklich anordnet. Solche Fälle sind nicht häufig, nach h.M. gibt es im BGB kein relatives Verfügungsverbot. Richtig dürfte es sein, in §§ 1124, 1126, 1128, 1130 relative Verfügungsverbote zu sehen142. Ein relatives Verfügungsverbot bewirkt auch die Vormerkung, § 883 II. Außerhalb des BGB gibt es einige gesetzliche relative Verfügungsverbote, vgl. etwa §§ 15, 98, 156 VVG143. Schließlich kann auch durch Landesrecht ein relatives Verfügungsverbot begründet sein144. Seine Bedeutung hat § 135 durch die Verweisung in § 136: Gerichtliche und behördliche Verfügungsverbote sind relative Verfügungsverbote i.S.v. § 135, soweit lediglich der Schutz bestimmter Personen bezweckt ist145. Hierzu zählen die durch einstweilige Verfügung angeordneten Verfügungsverbote146, §§ 935, 938 ZPO, sowie die Verfügungsverbote, die durch Vollstreckungsmaßnahmen begründet werden: §§ 803, 829, 857 ZPO; §§ 23, 148 ZVG. Ferner gehören etwa hierher die Verfügungsverbote 138

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Vgl. Motive 1, 212; Mehrtens 7. Solche Fälle sind etwa § 161 (Schutz des bedingt Berechtigten); §§ 1365, 1369, 1423 – 1425 (Schutz der Ehegatten); §§ 2113 f. (Schutz des Nacherben); § 80 InsO (Schutz der Insolvenzgläubiger). Vgl. Flume II § 17, 6 b; Enneccerus-Nipperdey § 144 II 1 a. Vgl. Flume II § 17, 6 b. Das Gesetz spricht vom Veräußerungsverbot, man war sich aber darüber einig, daß dies im weiteren Sinne zu verstehen sei, d.h. daß alle Arten von Verfügungen damit erfaßt sein sollten, vgl. Protokolle der 1. Kommission 219, Jakobs-Schubert, AT II 717; Motive 1, 213. Vgl. Enneccerus-Nipperdey § 144 II 1 b Fn. 10; RG 95, 208; BGH 33, 86. Vgl. RG 95, 208; BGH 15, 157. Vgl. RG 132, 147. Nicht hierher gehören also solche gerichtlichen oder behördlichen Verbote, welche das öffentliche Interesse sichern, z.B. nach § 290 StPO, vgl. RG 105, 75; Planck-Flad § 136 N. 2; Enneccerus-Nipperdey § 144 Fn. 15; MünchenerK-Mayer-Maly-Armbrüster § 136 Rn. 1; RGRK-Krüger-Nieland § 136 Rn. 1. Zur Problematik der einstweiligen Verfügung zugunsten eines von mehreren Käufern vgl. oben II 4 c.

5. Verfügungsverbote

§ 1 III 5 b

nach § 1019 ZPO; § 21 II 2 InsO; §§ 73 d, 74 e StGB; § 111 c StPO. Ein behördliches § 1 III Verfügungsverbot stellt etwa der Enteignungsbeschluß dar147. Verstößt eine Verfügung oder eine Vollstreckungsmaßnahme gegen ein relatives Verfügungsverbot, so ist sie dem Geschützten gegenüber unwirksam, ansonsten wirksam. Wie dies zu verstehen sei, ist streitig148. Die Konstruktion muß auf alle Fälle folgendes beachten: Dem Verpflichteten muß trotz der verbotswidrigen Verfügung gegenüber dem Geschützten die Verfügungsmacht verbleiben; der Geschützte erwirbt durch das Verfügungsverbot kein dingliches Recht an der Sache. Die Ansicht der h.M. wird diesen Erfordernissen am einfachsten gerecht, wonach bei einer verbotswidrigen Verfügung der Erwerber zwar Eigentümer wird, aber nicht gegenüber dem Geschützten; ihm gegenüber bleibt der Verfügende Eigentümer149. Der Sinn dieser Verdoppelung der Eigentümerstellung liegt darin, dem Verfügenden die Verfügungsmacht gegenüber dem Geschützten zu erhalten150. Da der Verfügende trotz der Verfügung gegenüber dem Geschützten Eigentümer bleibt, kann der Geschützte mit ihm als Berechtigtem die dingliche Einigung, etwa nach §§ 929, 873, vornehmen. Bei beweglichen Sachen kann die Übergabe der Sache an den Geschützten dadurch ersetzt werden, daß der Verfügende ihm seinen Anspruch aus § 985 gegen den Erwerber abtritt, §§ 929, 931151. Der Geschützte wird so absoluter Eigentümer der Sache, der Erwerber und der Verfügende 147 148 149 150

151

Vgl. RG 62, 218. Zu den verschiedenen Ansichten vgl. Beer 82 ff., 86 ff.; Mehrtens 22 ff.; HKK-Dorn §§ 134 – 137 Rn. 36 f. Vgl. etwa Enneccerus-Nipperdey § 144 II 2; Larenz-Wolf § 44 Rn. 61; Erman-Palm §§ 135, 136 Rn. 10; RGRK-Krüger-Nieland § 135 Rn. 1; Palandt-Heinrichs § 136 Rn. 6. Ähnlich in der Konstruktion und völlig gleich in den Ergebnissen ist die von Raape, Veräußerungsverbot 49 ff. begründete Ansicht: Der Erwerber wird alleiniger, absoluter Eigentümer, der Verfügende behält aber die Verfügungsmacht gegenüber dem Geschützten. Dieser Ansicht folgen etwa Flume II § 17, 6 d; Mehrtens 25; Soergel-Hefermehl §§ 135, 136 Rn. 8; Bamberger-Wendtland § 135 Rn. 8. Der BGH bezeichnet die dem Verfügenden verbleibende Verfügungsmacht mit dem wenig aussagekräftigen Ausdruck „Rechtsmacht“, vgl. NJW 1990, 2459 ff., wozu ich auf Goethes Mephistopheles verweisen möchte: Er erwidert auf den Einwand des Schülers: „Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein“ vorausschauend: „Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen, denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein!“ Lesenswert ist in dem Urteil die Erörterung, wie der Geschützte das Eigentum erwirbt. Die „Rechtsmacht“ ist eine überflüssige Neuerung, die zu keinen anderen Ergebnissen kommt als die h.M. und allenfalls geeignet ist, Verwirrung zu schaffen; vgl. dazu auch die Besprechung von Kohler, Jura 1991, 349 ff.; auch Staudinger-Kohler § 135 Rn. 107 ff.; Wilhelm Rn. 821 Fn. 603. Irrig ist auch die Ansicht des Gerichts, der Eigentümer könne eine Sache nicht gemäß § 931 durch Forderungsabtretung veräußern, wenn der Besitzer aufgrund eines bestehenden Kausalverhältnisses ein Recht zum Besitz habe, vgl. dazu unten § 9 IV 2 d bei Fn. 47. Danach könnte ein Eigentümer eine vermietete Sache nicht veräußern! So schon der Vorschlag der 1. Kommission (Protokolle 3738, Jakobs-Schubert, AT I 721), der von der h.M. angenommen ist. Für eine analoge Anwendung von § 888 II besteht kein Bedürfnis. Der Anspruch aus § 985 steht dem Verfügenden nicht selbst gegen den Erwerber zu, da im Verhältnis zum Verfügenden der Erwerber Eigentümer ist. Der Anspruch steht dem Verfügenden nur insoweit zu, als er zugunsten des Geschützten verwertet werden soll, da im Hinblick auf diesen der Verfügende Eigentümer geblieben ist. Da es also um das Verhältnis zum Geschützten geht, kann auch der Kausalvertrag zwischen dem Verfügenden und dem Erwerber dem Herausgabeanspruch nicht entgegenstehen.

47

§ 1 III 5 b

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

verlieren ihr relatives Eigentum. Bei Grundstücken gibt § 888 II dem Geschützten ei- § 1 III nen Anspruch gegen den Erwerber auf Erteilung der gemäß § 19 GBO erforderlichen Bewilligung. Mit der Eintragung wird der Geschützte absoluter Eigentümer. Das relative Verfügungsverbot bewirkt lediglich eine relative Unwirksamkeit der verbotswidrigen Verfügung, es begründet kein dingliches Recht des Geschützten an der Sache152 und auch keinen Vorrang eines schuldrechtlichen Anspruchs gegenüber einem anderen, etwa bei Doppelverkauf und Doppelvermietung. Das ius ad rem ist abgeschafft153 und kann auch durch eine gerichtliche oder behördliche Anordnung nicht wieder geschaffen werden154. Ein dingliches Recht erhält der Geschützte nach dem Willen des Gesetzes erst dann an der Sache, wenn das dingliche Rechtsgeschäft, etwa nach §§ 929, 873, vollzogen ist155. Das Verfügungsverbot gewährt daher keinen Schutz gegen die Insolvenz des Verbotsbetroffenen, § 80 II InsO156; es widerspräche den Intentionen des Gesetzes, dem Geschützten ein dingliches Recht an der Sache zuzusprechen. Die Sache fällt aber auch nicht in die Insolvenzmasse, da im Verhältnis zum Verfügenden der Erwerber Eigentümer ist; dieser behält die Sache. Wird dagegen der Erwerber der Sache insolvent, so berührt das die Stellung des Geschützten nicht157. Aus der verbotswidrigen Verfügung soll ihm kein Nachteil erwachsen. Da im Verhältnis zum Geschützten noch der Verfügende Eigentümer ist, vollzieht sich der Rechtserwerb des Geschützten ganz unabhängig von der Insolvenz des Erwerbers. Beschädigt oder zerstört der Erwerber die Sache, so haftet er im Rahmen der §§ 987 ff. dem Verfügenden auf Schadensersatz. Dieser Anspruch besteht allerdings nur im Verhältnis zum Geschützten, nur dieser kann ihn verwerten: Er kann etwa gemäß §§ 433 I, 285 vom Verfügenden Abtretung dieses Anspruchs verlangen158. Der Geschützte wird so gestellt, als wäre der Verfügende weiterhin Eigentümer. Beschädigt oder zerstört ein Dritter die Sache beim Erwerber, so steht diesem ein Ersatzanspruch zu, im Verhältnis zum Geschützten aber steht der Anspruch dem Verfügenden zu, der Geschützte kann gemäß § 285 Abtretung verlangen. Zahlt der Schädiger an den Erwerber, so hat der Verfügende gegen ihn den Anspruch aus §§ 816 II, 851, den er an den Geschützten abtreten muß.

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Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3736, Jakobs-Schubert AT I 720; Planck-Flad § 135 N. II 1 a; Flume II § 17, 6 d; MünchenerK-Wacke § 883 Rn. 6; BGH JZ 1991, 40. Das schließt natürlich nicht aus, daß im Einzelfall eine gerichtliche oder behördliche Maßnahme sowohl ein Verfügungsverbot als ein dingliches Recht begründet, wie etwa bei der Pfändung von Gegenständen in der Zwangsvollstreckung. Vgl. oben II 3 c. Vgl. Wieling, JZ 1982, 840 und die Entscheidungen oben II 4 c Fn. 65; ferner Michaels 336 ff.; anders Kohler, JZ 1983, 586 ff. (dazu Wieling, JZ 1983, 592 f.); Weiland, Thomas, Die Sicherung konkurrierender Sachleistungsansprüche im Wege einstweiliger Verfügung durch Vormerkung und Verfügungsverbot, 1992 und Bülow, JuS 1994, 1, 8. Dagegen begründet eine Vormerkung nicht nur ein Verfügungsverbot, sondern auch eine dingliche Zuordnung der Sache an den Geschützten, welche auch in der Insolvenz wirksam bleibt, § 106 InsO; vgl. dazu Wieling, Lehrbuch Sachenrecht, 4. Aufl. 2001, § 22 I 2. So aber Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I 158 f.; Beer 146 ff., 164 ff., 174 ff. und MünchenerK-Mayer-Maly-Armbrüster § 135 Rn. 42. So zutreffend die h.M., vgl. Raape 68; Beer 135; Paulus 41; a.A. Flume II § 17, 6 d. So im Ergebnis auch Flume II § 17, 6 d; Raape 66.

5. Verfügungsverbote

§ 1 III 5 b

Zieht der Erwerber Nutzungen aus der Sache, so gehören sie ihm, im Verhältnis zum Geschützten aber dem Verfügenden, § 953159. Einen Anspruch auf die Nutzungen hat der Geschützte aber nicht, vgl. § 446, 2. Erst nachdem er Eigentümer geworden ist, kann der Geschützte vom Erwerber gemäß §§ 987 ff. Ersatz der Nutzungen verlangen160. Die vorher gezogenen Nutzungen können dem Geschützten allenfalls so zu Gute kommen, daß er sie als Vollstreckungsobjekte in einer Zwangsvollstreckung gegen den Verfügenden verwertet. Macht der Erwerber Verwendungen auf die Sache, so kann er sie gemäß § 994 ff. dem Geschützten entgegenhalten, wenn dieser nach Eigentumserwerb die Sache vindiziert161. Verliert der Erwerber die Sache, so hat er einen Anspruch aus § 985 gegen den Besitzer, ausgenommen gegen den Geschützten162. Für diesen ist noch der Verfügende der Eigentümer. Vindiziert dieser die Sache, so kann sich der Geschützte auf sein Besitzrecht aus dem Kaufvertrag berufen. Veräußert der Erwerber die Sache, so greifen §§ 135, 136 nicht ein163, das Verfügungsverbot gilt nur gegen den Verbotsgegner, d.h. den Verfügenden. Der Zweiterwerber erwirbt aber nur relatives Eigentum, es sei denn, daß er gutgläubig gemäß § 932 absolutes Eigentum erwirbt. Die relative Unwirksamkeit tritt ein nur bei der verbotswidrigen Verfügung, nicht beim Verpflichtungsgeschäft; dieses ist absolut wirksam. Der Geschützte kann auf den Schutz durch das Verfügungsverbot verzichten und das verbotswidrige Geschäft genehmigen; es wird dann absolut wirksam164. Die relative Unwirksamkeit greift von vornherein nicht ein, wenn der Erwerber gutgläubig war, § 135 II165. Voraussetzung ist allerdings, daß der Verfügungsgegenstand überhaupt gutgläubig erworben werden kann. Betrifft das Verfügungsverbot eine Forderung, so ist § 135 II also nicht anwendbar. Handelt es sich um eine Sache, so ist § 135 II im Rahmen der §§ 932 ff., 892 f. u.s.w. anzuwenden. Das Verfügungsverbot schützt nicht nur gegen rechtsgeschäftliche Verfügungen, sondern auch gegen Vollstreckungsmaßnahmen, § 135 I 2. Wird die Sache etwa beim Verbotsbetroffenen gepfändet, so ist das gegenüber dem Geschützten unwirksam; ihm gegenüber entsteht kein Pfandrecht für den Vollstreckungsgläubiger. Der Geschützte kann die Verwertung der Sache verhindern, § 772 ZPO, und durch Übereignung unbelastetes Eigentum erwerben. Auch das in der Pfändung liegende Verfügungsverbot kann gemäß § 135 I 2 diesen Erwerb nicht verhindern. § 135 II ist auf Vollstreckungsmaßnahmen nicht anwendbar, da es in der Zwangsvollstreckung keinen gutgläubigen Erwerb gibt166.

159 160 161 162 163 164 165 166

§ 955 greift nicht ein, denn wäre der Erwerber gutgläubig gewesen, so hätte er gemäß § 135 II absolutes Eigentum erworben. Beer 167. Beer 167. A.A. Raape 66. A.A. Flume II § 17, 6 d; Ruhwedel, JuS 1980, 167. Vgl. Motive 1, 212. Wenn er das Verfügungsverbot ohne grobe Fahrlässigkeit nicht kannte, vgl. § 932 I 2; bei Grundstücken schadet nur positive Kenntnis des Verfügungsverbotes, § 892 I 1. H.M., vgl. etwa RG 90, 338; a.A. Larenz-Wolf § 44 Rn. 68; MünchenerK-Mayer-MalyArmbrüster § 135 Rn. 49.

49

§ 1 III 5 c

§ 1. Einleitung und Grundsätze des Sachenrechts

Ein relatives Eigentum im hier genannten Sinn kann nicht durch freie Parteiverein- § 1 III barung geschaffen werden167. c) Neben dem Verfügungsverbot hat die Rechtsprechung168 durch Rechtsfortbildung ein Erwerbsverbot entwickelt169. Es bezieht sich nur auf Grundstücke: Ist etwa der Kaufvertrag unwirksam, die Auflassung aber wirksam, so könnte der Erwerber sich gemäß § 873 das Eigentum verschaffen, indem er den Eintragungsantrag stellt. Dem Veräußerer können dadurch erhebliche Gefahren und Nachteile entstehen, da er das Eigentum verliert und auf eine Kondiktion angewiesen ist. Um diesen Nachteilen zu entgehen, kann der Veräußerer gegen den Erwerber ein Erwerbsverbot durch einstweilige Verfügung erwirken. Dadurch wird dem Erwerber aufgegeben, keinen Eintragungsantrag zu stellen bzw. einen gestellten Antrag zurückzunehmen. Kommt der Erwerber dem nicht nach, so erwirbt er mit der Eintragung nur relatives Eigentum; im Verhältnis zum geschützten Veräußerer bleibt dieser selbst Eigentümer; § 135 ist entsprechend anwendbar170. Um gutgläubigen Erwerb des absoluten Eigentums eines Dritten gemäß § 892 auszuschließen, ist das Erwerbsverbot im Grundbuch eintragbar. Wenn es auch regelmäßig interessengerecht ist, den Eigentumserwerb dessen zu verhindern, der keinen Anspruch auf das Eigentum hat, so kann doch in besonderen Fällen die Lage anders sein. Das gilt etwa bei Schwarzgeschäften, bei denen die Parteien einen geringeren Kaufpreis als wirklich gewollt beurkunden lassen. Ein wirksamer Kaufvertrag ist gemäß §§ 117 I, 311 b nicht zustande gekommen. Mit der Eintragung würde der Vertrag mit dem tatsächlich beabsichtigten Preis wirksam werden, § 311 b I 2. Es wäre hier nicht interessengerecht, dem Verkäufer über ein Erwerbsverbot die Möglichkeit zu einem Sinneswandel zu geben und dem Käufer die Heilungsmöglichkeit zu nehmen171. Das Erwerbsverbot sollte also nicht zu dem Zweck zugelassen werden, die Heilungsmöglichkeit des § 311 b I 2 auszuschalten.

167 168 169 170 171

50

Vgl. etwa unten § 17 II 2 b a.E. Vgl. RG 117, 291; 120, 118; OLG Hamm, DNotZ 1970, 662. Das BGB kennt keine Erwerbsverbote, wohl kommen sie in anderen Gesetzen vor, vgl. etwa Art. 86 EGBGB. H.M., vgl. etwa Baur-Stürner § 15 Rn. 32; Wolff-Raiser § 38 Fn. 36; Soergel-Hefermehl §§ 135/136 Rn. 31; Bamberger-Wendland § 136 Rn. 7. So zutreffend Flume II § 17, 6 e; er schießt aber über das Ziel hinaus, wenn er deshalb das Erwerbsverbot völlig ablehnt, vgl. MünchenerK-Mayer-Maly-Armbrüster § 136 Rn. 9.

Teil 2 Sachen

51

§ 2. Sachen Literatur: Affolter, Friedrich, Das Fruchtrecht, 1911; Borowy, Oliver, Die postmortale Organentnahme und ihre zivilrechtlichen Folgen, 2000; Brunner, Theorie und Praxis im Leichenrecht, NJW 1953, 1173; Ehlers, Das öffentliche Sachenrecht – ein Trümmerhaufen, NWVBl 1993, 327 ff.; Englert, Nikolaus, Todesbegriff und Leichnam als Elemente des Totenrechts, Diss. München 1978; Forkel, Verfügungen über Teile des menschlichen Körpers, JZ 1974, 593 ff.; ders., Das Persönlichkeitsrecht am Körper, gesehen besonders im Licht des Transplantationsgesetzes, Jura 2001, 73 ff.; Fuchs, Probleme des Sachenrechts, GruchBeitr 46 (1902), 549 ff.; Giesen, Scheinbestandteil – Beginn und Ende, AcP 202 (2002), 689 ff.; Girtanner, Die Rechtsstellung der Sache und der Eigenthumsbegriff, mit besonderer Berücksichtigung auf Sachgesamtheiten (universitates rerum), Accession und Miteigenthum, JherJahrb 3 (1859), 58 ff.; Göppert, Heinrich, Über einheitliche, zusammengesetzte und Gesammt-Sachen, 1871; Häde, Das Recht der öffentlichen Sachen, JuS 1993, 113 ff.; Harders, Der Begriff der Seewasserstraße und Anlandungen in der Ostsee, Jura 1991, 63 ff.; Kirsten, Paul, Der Bestandteilsbegriff des § 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches unter Berücksichtigung der technischen Normung, 1933; Kloth, Karsten, Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, 1996; Knütel, Gegenstände im Grenzgelände, FS Medicus (1998) 259 ff.; ders., Von schwimmenden Inseln, wandernden Bäumen, flüchtenden Tieren und verborgenen Schätzen, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, Hrsg. Reinhard Zimmermann, 1999, 549 ff.; Kohler, Zur Lehre von den Pertinenzen, JherJahrb 26 (1888), 1 ff.; Krückmann, Paul, Wesentlicher Bestandteil und Eigentumsvorbehalt, 1906; Meurer, Heilige Sachen, in: StengelFleischmann, Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts II, 1913; Michaelis, Voraussetzungen und Auswirkungen der Bestandteilseigenschaft, FS Nipperdey (1965), 553 ff.; Oertmann, Zum Rechtsproblem der Sachgesamtheit, AcP 136 (1932), 88 ff.; Reichel, Der Begriff der Frucht im römischen Recht und im deutschen BGB, JherJahrb 42 (1900), 205 ff.; Rostosky, Sachinbegriff im ein- und mehrfachen Zubehörverhältnis, JherJahrb 74 (1924), 75 ff.; Schünemann, Hermann, Die Rechte am menschlichen Körper, 1985; Siebert, Zubehör des Unternehmens und Zubehör des Grundstücks, FS Gieseke (1958), 59 ff.; Stieper, Malte, Die Scheinbestandteile, 2002; Taupitz, Privatrechtliche Rechtspositionen um die Genomanalyse, JZ 1992, 1091 f.; Wallerath, Maximilian, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage 1992; Warnkönig, Über den Begriff und die juristische Wichtigkeit der sogenannten Universitas rerum, AcP 11 (1828), 169 ff.; Wernecke, Die öffentliche Sache im Widerstreit privater und allgemeiner Belange, AcP 195 (1995), 445 ff.; Wichmann, Burkhard, Die rechtlichen Verhältnisse des menschlichen Körpers und der Teile, Sachen, die ihm entnommen, in ihn verbracht oder sonst mit ihm verbunden sind, 1993; Wieacker, Sachbegriff, Sacheinheit und Sachzuordnung, AcP 148 (1943), 57 ff.; Wieling, Vom untergegangenen, schlafenden und aufgewachtem Eigentum bei Sachverbindungen, JZ 1985, 511 ff.

I. Begriff der Sache Die Bestimmungen über Sachen waren von Johow an den Anfang des Sachenrechts gesetzt worden, die erste Kommission lehnte es ab, die Vorschriften in den Allgemeinen Teil zu verweisen1. Die zweite Kommission ließ die Frage offen und überließ die 1

Protokolle der 1. Kommission 3297 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 425.

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§2 I 1 a

§ 2. Sachen

Entscheidung der Redaktionskommission2; diese setzte die Vorschriften in den Allgemeinen Teil. Sachen sind die Bezugsobjekte der dinglichen Rechte. Ein Eigentumsrecht, ein Pfandrecht u.s.w. kann es jeweils nur an einer Sache geben. Es ist nicht möglich, daß ein Eigentumsrecht sich auf mehrere Sachen bezieht, an zwei Sachen kann es nur zwei Eigentumsrechte geben, mag auch der Rechtsinhaber der gleiche sein. Daher kann auch eine Verfügung, z.B. eine Übereignung, sich immer nur auf eine Sache beziehen, nicht auf mehrere. Umgekehrt kann es an einer Sache nur ein Eigentum geben, nicht mehrere Eigentumsrechte pro diviso (Spezialitätsprinzip)3; es kann niemand das Eigentum ha- § 2 I 1 ben an der vorderen Hälfte eines PKW u.s.w.

1. Körperlichkeit und Beherrschbarkeit a) Das Sachenrecht befaßt sich nur mit körperlichen Dingen, nur an körperlichen Dingen gibt es Besitz und dingliche Rechte; daher ist ein Computerprogramm keine Sache im Sinne des § 90. Wenn jemand aus dem Internet ein Programm auf seinen Computer lädt, so gelangt keineswegs ein körperlicher Gegenstand durch den Telephondraht auf seine Festplatte. Eine Sache ist die Diskette oder ein sonstiges Medium, auf welcher ein Programm gespeichert ist4. Lediglich ausnahmsweise läßt das BGB auch an Rechten Besitz, Nießbrauch und Pfandrechte zu. Das gemeine Recht hatte sich nicht auf eine feste Terminologie geeinigt, res, Sache, Gegenstand, Ding konnten sowohl Körperliches als Unkörperliches bedeuten5. Das BGB bezeichnet die körperlichen Dinge mit dem terminus technicus „Sachen“ und definiert in § 90 Sachen als „körperliche Gegenstände“6. Gegenstand ist also der Oberbegriff, Gegenstand ist alles, was Rechtsobjekt sein kann7. Im Einzelnen ist zwar umstritten, was unter den Begriff

2 3

4

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6 7

Protokolle der 2. Kommission 3277 (Mugdan 3, 486). Oben § 1 II 4 a, III 4 a. Natürlich kann mehreren das Eigentum an einer Sache pro indiviso zustehen, Miteigentum oder Gesamthandseigentum. Eine Ausnahme vom obigen Satz kann sich ergeben, wenn eine Sache sich auf der Grenze mehrerer Grundstücke befindet, vgl. unten III 4 a a.E. So zutreffend auch Bormann-Bormann, Rechtsnatur und Rechtsschutz der Software, DB 1991, 2641 ff.; Redeker, Wer ist Eigentümer von Goethes Werther?, NJW 1992, 1739 ff.; Kort, Software – eine Sache, DB 1994, 1585 ff.; LG Konstanz NJW 1996, 2662; BambergerFritsche § 90 Rn. 25 ff. Wenn bisweilen behauptet wird, ein Computerprogramm könne eine körperliche Sache sein, so ist das allenfalls für das Schuldrecht diskutabel, für die Frage etwa, ob der Kauf von Software als Sachkauf behandelt werden kann. Für die Sacheigenschaft in diesem Sinne etwa König, Software als Sache und deren Erwerb als Sachkauf, NJW 1993, 3121; Bydlinski, Der Sachbegriff im elektronischen Zeitalter, AcP 198 (1998), 287 ff., 314 ff. Da gemäß § 453 I auf den Kauf von Gegenständen aller Art die Vorschriften über den Sachkauf (§§ 433 ff.) entsprechend anzuwenden sind, kommt der Frage keine Bedeutung mehr zu. Vgl. etwa ALR I 2 § 1; ABGB § 292. Eine philosophiegeschichtliche Untersuchung der Unterscheidung körperliche – unkörperliche Sachen findet sich bei Christoph Becker, Die „res“ bei Gaius, Vorstufe einer Systembildung in der Kodifikation, 1999; vgl. dazu auch HKKRüfner § 90 Rn. 2 ff. § 90 gilt für das materielle Recht; im Prozeßrecht kann „Sache“ eine andere Bedeutung haben, vgl. §§ 265, 325 ZPO. Untechnisch wird „Sache“ in § 119 II BGB verwandt. Vgl. Wieacker, AcP 148 (1943), 65 f.

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2. Strukturen der Sachen

§2 I 2

des Gegenstandes oder Rechtsobjektes fällt, doch kann das hier auf sich beruhen, da die Bestimmung der Sachen durch diesen Streit nicht berührt wird. b) Der Sachbegriff setzt zunächst eine körperliche Ausdehnung im Raum voraus. Daher scheiden Rechte aller Art als Sachen aus, selbst dann, wenn sie nach § 96 als Bestandteil eines Grundstücks gelten8. Auch Energien sind keine Sachen, weil es ihnen an körperlicher Ausdehnung mangelt; sie können ihrer Natur nach nicht Gegenstand von Besitz und dinglichen Rechten sein. Von Sachen im Rechtssinne kann man nur sprechen, soweit sie der menschlichen Herrschaft unterliegen9. Sachen, an denen Besitz und dingliche Rechte nicht ausgeübt werden können, kommen für den Rechtsverkehr nicht in Betracht. Daher sind Sterne, Meteore, die Wolken u.s.w. keine Sachen im Rechtssinne, ebenso wenig das einzelne Staubkorn, die Schneeflocke, der Regentropfen. Aus dem gleichen Grund kann man auch die freie Luft, das Wasser der Meere, das fließende Wasser eines Baches oder Flusses nicht als Sachen betrachten; sie sind nicht beherrschbar. Der technische Fortschritt kann aber Sachen der menschlichen Herrschaft unterwerfen, die heute noch nicht beherrschbar sind. c) Die Sachqualität verlangt weiter, daß es sich um abgegrenzte, für sich selbst bestehende Stücke der Natur handelt. Dieses Erfordernis schließt die Sacheigenschaft bei gasförmigen und flüssigen Körpern meist aus. Die Luft, die sich über einem Grundstücke befindet, ist keine Sache, weil sie keine abgegrenzte, für sich bestehende Existenz hat. Das gleiche gilt vom Wasser der Meere und Wasserläufe: Es fehlt ihm die Sachqualität10. Dagegen ist das stehende Gewässer, z.B. eines Teiches, eine (bewegli§2 I 2 che) Sache11. Allgemein sind ein Gas oder eine Flüssigkeit nur dann eine Sache, wenn 12 sie in einem Behältnis beliebiger Art eingefangen sind .

2. Strukturen der Sachen Die römischen Juristen unterscheiden einfache Sachen, zusammengesetzte Sachen aus festverbundenen Teilen und Sachen, welche aus unverbundenen Teilen bestehen13. 8

Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 2; RGRK-Kregel § 90 Rn. 10. Vgl. Johow, Begründung 33. 10 Johow hatte dies in § 3 seines Entwurfes ausdrücklich geregelt; die 1. Kommission strich die Vorschrift als überflüssig, Protokolle 3313, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 432. Zum Wasserlauf vgl. auch RG 53, 98. 11 Vgl. Johow, Begründung 34 ff. 12 Behältnis und Inhalt sind zwei verschiedene Sachen, vgl. Johow, Begründung 35; PlanckStrecker 3 a vor § 90; Oertmann 2 c vor § 90. 13 Vgl. Pomponius D 41, 3, 30 pr.: Tria autem genera sunt corporum, unum, quod continetur uno spiritu et Graece vocatur, ut homo tignum lapis et similia: alterum, quod ex contigentibus, hoc est pluribus inter se cohaerentibus constat, quod vocatur, ut aedificium navis armarium: tertium quod ex distantibus constat, ut corpora plura non soluta, sed uni nomini subiecta, veluti populus legio grex (Es gibt drei Arten von Sachen: Eine davon besteht aus einheitlichen Ganzen [griechisch: Einheitliches], wie z.B. ein Mensch, ein Balken, ein Stein u.s.w. Die andere Art besteht aus zusammengesetzten Sachen, deren Teile unter sich zusammenhängen [griechisch: Zusammengefügtes], wie z.B. ein Gebäude, ein Schiff, ein Schrank. Die dritte Art von Sachen besteht aus nicht unter sich zusammenhängenden Teilen, wobei die Teile nicht einzeln für sich bestehen, sondern in einem Begriff zusammengefaßt werden, wie z.B. ein Volk, eine Legion, eine Herde). 9

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§ 2 I 2 a dd

§ 2. Sachen

Die Einteilung stammt aus der stoischen Philosophie14, sie ist auch heute noch ge- § 2 I 2 bräuchlich. dd a) Einfache Sachen (res unitae, corpora unita) sind solche Sachen, welche sich nicht aus individualisierbaren Bestandteilen zusammensetzen. Sie bilden ein Kontinuum15, welches keine abgegrenzten Teile erkennen läßt. Das bedeutet nicht, daß einfache Sachen nicht teilbar wären16. So ist ein Blatt Papier eine einfache Sache, aber sehr wohl teilbar. Jedoch ist jeder Teilungsschnitt willkürlich, es kann ein beliebiges Stück an einer beliebigen Stelle abgetrennt werden. Erst nach der Trennung, nicht vorher, ist der abgetrennte Teil als individuelle Sache erkennbar. Auch ein Teller ist eine einfache Sache, aber eine unteilbare. Man kann ihn zwar in Stücke zerschlagen, aber vor der Abtrennung sind die Teile als solche nicht erkennbar. Da einfache Sachen keine individualisierbaren Teile haben, kann es auch keine gesonderten dinglichen Rechte an irgendwelchen Teilen geben. Zu den einfachen Sachen gehören folgende Gruppen17: aa) Die organischen Naturprodukte, wie Tiere, Pflanzen, Früchte18; bei den Tieren kann man zwar einzelne Glieder und Organe unterscheiden, doch ergibt sich die Unität hier aus der natürlichen Entstehung und (rechtlich) aus der Unmöglichkeit, an Teilen des Tieres Sonderrechte zuzulassen. Tiere sind zwar nach § 90 a keine Sachen, sind aber rechtlich ebenso zu behandeln; sie sind also im bürgerlichen Recht doch Sachen. Die Vorschrift ist ebenso inhaltsleer wie die des § 903, 2, welche vorschreibt, daß die Gesetze über den Tierschutz zu beachten sind. Wichtiger sind die gleichzeitig eingeführten § 251 II 2 BGB und §§ 765 a, 811 c ZPO19. Sie zeigen den Willen des Gesetzgebers, die Tiere unter einen besonderen Schutz zu stellen, was bei der Gesetzesauslegung bedeutsam ist. bb) Grundstücke. cc) Individualsachen (ohne individualisierbare Teile), welche kraft innerer Kohäsion zusammenhängen, seien sie natürlich entstanden (Stein, Balken, ein Klumpen Gold) oder künstlich hergestellt (Geldstück, Glasgefäß, Teller, ein Brot, ein Stück Butter, eine Vase aus Silber, eine Statue aus Bronze u.s.w.). dd) Mengensachen, deren Wert lediglich in der Substanz besteht und deren Teile nicht kraft innerer Kohäsion zusammenhängen. Die Kohärenz wird hier ersetzt durch 14 15 16

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Vgl. die Literatur bei Holthöfer 20 Fn. 41. Göppert 41; Holthöfer 23; Girtanner, JherJahrb 3 (1859), 178 ff. Die Einteilung einfache – zusammengesetzte Sachen deckt sich nicht mit der Einteilung unteilbare – teilbare Sachen, vgl. unten II 5; die Einteilungen überschneiden sich, vgl. Holthöfer 24 Fn. 47. Vgl. Holthöfer 23 ff. Vgl. Johow, Begründung 42; Palandt-Heinrichs Rn. 5 vor § 90; MünchenerK-Holch § 90 Rn. 13. Vgl. dazu Braun, Symbolische Gesetzgebung und Folgelast, JuS 1992, 758 ff.; Mühe, Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung der Tiere im bürgerlichen Recht, NJW 1990, 2238 ff.; Lorz, Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung der Tiere, MDR 1990, 1057; Lüke, JuS 1992, 169; Steding, § 90 a BGB: nur juristische Begriffskosmetik? – Reflexionen zur Stellung des Tieres im Recht, JuS 1996, 962 ff.; Brünninghaus, Birgit, Die Stellung des Tieres im Bürgerlichen Gesetzbuch, Diss. Münster 1993. Zur Problematik des Sachbegriffs im Strafrecht vgl. z.B. Graul, Zum Tier als Sache i.S. des StGB, JuS 2000, 215 ff., und dazu Notz, JuS 2000, 1247.

2. Strukturen der Sachen

§2 I 2 b

den räumlichen Zusammenhang20. Hierher gehören einmal die in Behältnissen eingeschlossenen Gase und Flüssigkeiten. Der Wein in einem Faß ist z.B. eine Sache. Löst man das körperliche Näheverhältnis, indem man den Wein auf Flaschen zieht, so zerstört man die ursprüngliche Sache und schafft neue Sachen: jeweils den Wein in einer Flasche. Zu den Mengensachen zählen weiterhin die festen Sachen, welche aus einer räumlichen Anhäufung einzelner, für sich wertloser Teile bestehen, und welche ein Kontinuum bilden. Dazu gehören z.B. der Haufen Sand, Kies, Kohle, Getreide, der Sack Zement, die Tüte Mehl oder Zucker, ein Ballen Wolle u.s.w. Die Verkehrsanschauung21 betrachtet solche Anhäufungen als eine Sache (natürliche Sacheinheit). Entscheidend ist auch hier der räumliche Zusammenhang22. Teilt man einen Haufen Sand in zwei kleinere Haufen auf, so sind aus der einen Sache zwei geworden23; Entsprechendes gilt, wenn ein Sack Mehl in Tüten abgefüllt wird. Die Aufteilung kann so weit gehen, daß man eine Partikel von der Mengensache abtrennt; dieses einzelne Teil kann selbst eine Sache sein24, wenn daran ein Interesse besteht. Voraussetzung ist freilich, daß es noch beherrschbar ist, wie z.B. ein Kieselstein aus dem Kieshaufen, welcher übereignet wird. Die Sache muß ein Kontinuum bilden, d.h. sie darf keine individuellen Bestandteile erkennen lassen. Daher ist wohl der Haufen Sand oder Kies, der Sack Mehl u.s.w. eine Mengensache, nicht aber das Kartenspiel, das Paar Schuhe, das Kaffeeservice, die Briefmarkensammlung, das mehrbändige Lexikon25; sie sind keine einfachen Sachen, sondern Sachgesamtheiten. b) Zusammengesetzte Sachen, Gesamtsachen (res compositae sive connexae, corpora ex contingentibus) sind Sachen, die künstlich aus mehreren zunächst selbständigen Sachen zusammengesetzt wurden. Nach h.M. entscheidet die Verkehrsanschauung, in welchen Fällen eine neue, einheitliche Sache26 entsteht, wenn die Einzelsachen zusammengebracht werden27. Beispiele für res compositae sind Gebäude, Schiffe, Möbel, Schmuckstücke mit Steinen oder Perlen, PKW, Kühlschränke, Waschmaschinen, überhaupt alle technischen Geräte u.s.w. Bei allen ist erkennbar, daß sie aus einzelnen Bestandteilen bestehen, d.h. aus räumlich unterscheidbaren Teilen zusammengesetzt sind. Eine zusammengesetzte Sache entsteht nicht, wenn mehrere Sachen so verbunden werden, daß eine einfache Sache entsteht; wenn etwa mehrere Sandhaufen zu einem vereinigt werden, mehrere Metallstücke zu einem verschmolzen werden u.s.w. Eine zusammengesetzte Sache setzt die Existenz mehrerer Sachen voraus, die zunächst selbständig waren. Werden diese Bestandteile so vereinigt, daß eine neue, einheitliche Sache (Gesamtsache) entsteht, dann ist diese regelmäßig von höherem Wert 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. Planck-Strecker § 93 N. 2 d α; Enneccerus-Nipperdey I § 121 II Fn. 27: „körperliches Näheverhältnis“. Die Verkehrsanschauung ist das, was wohl die Leute so davon halten – nach meiner Meinung. Es handelt sich also um eine recht unsichere Beurteilung, vgl. auch unten III 1 Fn. 20. Vgl. Planck-Strecker 3 a vor § 90; § 93 Rn. 2 d α. Das Eigentum an beiden Sandhaufen steht dem früheren Eigentümer des geteilten Haufens zu. Vgl. Planck-Strecker 3 a vor § 90; MünchenerK-Holch § 90 Rn. 14. Vgl. Planck-Strecker 3 a vor § 90. § 947 I bezeichnet eine Sache, die durch Zusammenfügen von Bestandteilen entsteht, als „einheitliche Sache“. Davon zu unterscheiden ist die einfache Sache, oben a. Näheres dazu bei den Bestandteilen, vgl. unten III 1 b a.E.

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§2

§2 I 2 b

§ 2. Sachen

als die Summe der Einzelteile. Der PKW ist mehr wert als die Einzelteile, aus welchen er zusammengesetzt ist; und dieser Mehrwert würde wieder verloren gehen, würde man die Teile wieder auseinanderbauen. Gehören die Sachen alle einem Eigentümer, so kann man ihn freilich nicht daran hindern, die Sache wieder auseinanderzunehmen; er § 2 I 2 schadet sich damit nur selbst. Gehören die Sachen verschiedenen Eigentümern, so sollte die Rechtsordnung dafür sorgen, daß keiner von ihnen die Zerlegung der Gesamtsache dulden und so einen Verlust erleiden muß. Das geschieht dadurch, daß den Sachen möglichst dasselbe rechtliche Schicksal zugewiesen wird. Die Rechtsordnung kann auf die Zusammensetzung einer Gesamtsache auf verschiedene Weise reagieren: Sie kann 1. bestimmen, daß die Bestandteile rechtlich ihre Existenz als Sachen verlieren; es gibt dann nur noch ein Eigentum an der neu entstandenen Gesamtsache. Eine Verfügung über die Gesamtsache ergreift dann zwangsläufig auch alle früheren Einzelsachen. Die Rechtsordnung kann aber 2. den Bestandteilen auch ihre rechtliche Existenz als Sachen lassen, so daß sowohl die Gesamtsache als auch die Bestandteile Sachen im Rechtssinne sind. In diesem Falle können Gesamtsache und Einzelsachen ein verschiedenes rechtliches Schicksal haben; sie müssen nicht demselben Eigentümer gehören. Eine Verfügung über die Gesamtsache wird sich im Zweifel auch auf alle Bestandteile beziehen. Die Rechtsordnung kann 3. auch den Bestandteilen vollständig ihre individuelle rechtliche Selbständigkeit belassen und keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen ihnen anerkennen. Das römische Recht beließ den Bestandteilen einer zusammengesetzten Sache weitgehend die eigene rechtliche Existenz28. Der Eigentümer einer Sache verlor also sein Eigentum nicht, wenn die Sache als Bestandteil in eine Gesamtsache eingebaut wurde, wenn z.B. ein Brett oder Balken in ein Schiff eingebaut wurde oder ein Stein in ein Gebäude; wenn ein Rad an einen Wagen montiert wurde, eine Perle in einem Ringe gefaßt wurde u.s.w. Der Eigentümer der Gesamtsache erwarb mit der Einfügung also nicht das Eigentum an den Bestandteilen29. Das bedeutete, daß der Eigentümer eines Bestandteils jederzeit Abtrennung der Sache verlangen konnte30. Im gemeinen Recht führte eine sich verstärkende Tendenz dahin, die Bestandteile zwingend am rechtlichen Schicksal der Gesamtsache teilnehmen zu lassen, also sie zu wesentlichen Bestandteilen im heutigen Sinne zu machen31. Johow bekämpfte die Ansicht, daß dies bei allen Bestandteilen anzunehmen sei; es gebe auch Bestandteile, die vom Recht an der Gesamtsache unabhängig seien32. Dem sind die erste und die zweite Kommission gefolgt33, ebenso das BGB. Heute unterscheidet man entsprechend der obigen Einteilung 1. wesentliche Bestandteile, 2. unwesentliche Bestandteile und Zubehör sowie 3. Sach- und Rechtsgesamtheiten. Am engsten erfolgt die rechtliche Verknüpfung der Sachen bei den Bestandteilen, welche das BGB „wesentliche Bestandteile“ nennt, vgl. §§ 93 – 95. Sie folgen zwangsläufig dem Recht der Hauptsache und verlieren ihre rechtliche Eigen28 29 30 31 32 33

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Vgl. dazu Wieling, JZ 1985, 511 – 514. Vgl. Girtanner, JherJahrb 3 (1859), 154 ff.; Holthöfer 30 ff.; Kaser I § 102 III 4. Eine Ausnahme machte man aus praktischen Gründen bei Gebäudebestandteilen; aber auch hier konnte der Eigentümer nach der Trennung seine Sache vindizieren. Vgl. Holthöfer 129 ff. Johow, Begründung 42. Vgl. etwa Protokolle der 2. Kommission 3285 (Mugdan 3, 488).

2. Strukturen der Sachen

§2 I 2 c

ständigkeit. Weniger eng ist die Verknüpfung bei den unwesentlichen Bestandteilen und beim Zubehör. Unwesentliche Bestandteile werden vom Gesetz nicht erwähnt, doch ergibt sich aus der Regelung der §§ 93 – 95 sowie aus der Entwicklungsgeschichte, daß diese Bestandteile in ihrem rechtlichen Schicksal unabhängig von der Gesamtsache sind34. Man muß bei einer solchen Gesamtsache also das Eigentum an der ganzen Sache unterscheiden vom Eigentum an den Bestandteilen. Der Eigentümer eines PKW als einer Gesamtsache muß also nicht Eigentümer z.B. der vier Reifen sein. Dennoch ist er Eigentümer des ganzen PKW. Verliert er den Besitz, so kann er den ganzen PKW vindizieren, einschließlich der Reifen; denn in ihrer Eigenschaft als Bestandteil gehören die Reifen dem Eigentümer der Gesamtsache. Daneben sind sie aber auch selbständige Sachen geblieben. Ihr Eigentümer kann sie jederzeit vindizieren, auch vom Besitzer und Eigentümer der Gesamtsache35. Ganz locker nur ist der tatsächliche und rechtliche Zusammenhalt bei den Sach- und Rechtsgesamtheiten. §2 I 2 Die Identität einer zusammengesetzten Sache wird durch das Auswechseln von Bestandteilen nicht zerstört; selbst wenn im Laufe der Zeit alle Bestandteile ausgewechselt wurden, bleibt die Identität der Sache erhalten36. c) Als eine Sache betrachteten die Römer auch die Sachgesamtheiten (corpora ex distantibus, universitas facti). Sachgesamtheiten sind Mehrheiten einzelner selbständiger Sachen, die wegen ihrer gemeinsamen Bestimmung als Einheit betrachtet werden können, z.B. Viehherden, Warenlager, das Inventar, eine Bibliothek, eine Briefmarkensammlung, ein Eßservice u.s.w. Die römischen Quellen erwähnen nur die Viehherden. Sie gelten als eine einheitliche Sache, wobei aber auch die einzelnen Tiere Sachen bleiben37. Allerdings wird die Sachqualität einer Herde nur erwähnt bei der Vindikation. Eine Herde kann als solche vindiziert werden: grex, non singula corpora vindicabuntur38. Die Vindikation ist daher auch dann möglich, wenn einzelne Tiere dem Herdeneigentümer nicht gehören39, sie werden von der Vindikation der Herde erfaßt. Die Eigentümer der fremden Tiere können diese jederzeit herausverlangen. Ob die Römer die Sachqualität von Herden auch in anderer Beziehung anerkannten, z.B. bei der Übereignung, lassen die Quellen nicht erkennen. Für die Ersitzung wird das verneint: Es gibt keine Ersitzung einer Herde, nur die Ersitzung von Einzeltieren40. Die Sachqualität der Herden war also nur eingeschränkt anerkannt. Das gemeine Recht 34

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Vgl. Enneccerus-Nipperdey I § 125 IV; Hübner Rn. 327; Planck-Strecker § 93 N. 5; Soergel-Marly § 93 Rn. 29; Erman-Michalski § 93 Rn. 16; MünchenerK-Holch § 93 Rn. 29; RGRK-Kregel § 93 Rn. 47; Müller Rn. 21. Zur Rechtslage an den unwesentlichen Bestandteilen vgl. unten III 7. Alfenus D 5, 1, 76: … navem, si adeo saepe refecta esset, ut nulla tabula eadem permaneret quae non nova fuisset, nihilo minus eandem navem esse existimari … (Ein Schiff, das so oft repariert worden ist, daß kein Brett noch das gleiche ist, das es nicht erneuert worden wäre, muß man dennoch als dasselbe Schiff ansehen). Vgl. Holthöfer 64 ff.; Girtanner, JherJahrb 3 (1859), 100 ff.; Oertmann, AcP 136 (1932), 88 f.; eher zurückhaltend dagegen Daubermann, Erich, Die Sachgesamtheit als Gegenstand des klassischen römischen Rechts, 1993. Vgl. Ulpian D 6, 1, 1, 3. Vgl. Paulus D 6, 1, 2; Ulpian D 6, 1, 1, 3; h.t. 3 pr. Den theoretisch denkbaren Fall, daß dem Eigentümer der Herde kein einziges Tier gehört, lassen die Römer aus praktischen Erwägungen nicht zu. Vgl. Pomponius D 41, 3, 30, 2.

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§2 I 2 c

§ 2. Sachen

wandte die Vorschriften über Herden bei allen Sachgesamtheiten an. Parallel ging eine Tendenz, den Sachgesamtheiten insgesamt die Sachqualität abzusprechen41: Körper- § 2 I 2 lich seien nur die einzelnen Sachen, die Sachgesamtheit sei nur etwas Gedachtes, Unkörperliches, also keine Sache42. Aus diesem Grunde bestimmte auch Johow in seinem Teilentwurf, Sachgesamtheiten seien keine Sachen43. Die erste Kommission strich das als selbstverständlich44. Das BGB kennt den Begriff der Sachgesamtheit nicht mehr45. Dennoch ist die Frage, ob Sachgesamtheiten Sachen sind, ebenso wenig eindeutig zu entscheiden wie im römischen oder gemeinen Recht. Grundsätzlich ist allerdings von der Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, daß Sachgesamtheiten keine Sachqualität haben. Eine Viehherde46, ein Teeservice, ein Kartenspiel, ein Paar Schuhe47, das Inventar, das Zubehör, ein Warenlager u.s.w. sind also keine Sachen. Sachen sind nur die Teile, aus denen sich die Sachgesamtheit zusammensetzt. Eigentum gibt es grundsätzlich also nur an der einzelnen Sache, nur über sie kann verfügt werden, nur sie kann vindiziert werden48. Natürlich kann über die einzelnen Sachen einer Sachgesamtheit unter einer Kollektivbezeichnung verfügt werden, es kann z.B. „die Herde“, „das Warenlager“ übereignet werden49. Das ist aber lediglich eine abgekürzte Bezeichnung, in Wirklichkeit liegt eine Mehrzahl von Verfügungen über die Einzelsachen vor50. Die von der Verfügung betroffenen Sachen müssen auf jeden Fall eindeutig bestimmt sein. Ist einerseits also grundsätzlich die Sachgesamtheit keine Sache im Sinne des § 90, so gibt es doch andererseits Regelungen, welche eine Sachgesamtheit wie eine Sache behandeln. Die Tatsache, daß die Sachgesamtheit nur etwas Gedachtes ist, steht dem nicht entgegen. Denn immerhin sind alle Einzelteile der Gesamtsache körperliche Sachen, und schließlich entscheidet die Verkehrsanschauung, was eine einheitliche Sache ist. Das gilt bei Sachgesamtheiten nicht anders als bei Mengensachen und bei zusammengesetzten Sachen51: Sie bestehen aus einzelnen Teilen, die Verkehrsanschauung kann diese Teile zusammenfassen und zu einer einheitlichen Sache machen. So gilt nach der Verkehrsanschauung das Inventar oder Zubehör eines Grundstücks als eine Einheit, wohl auch eine Herde, ein Warenlager u.s.w. Bei den zusammengesetzten Sachen, deren Teile sich körperlich berühren und mechanisch verbunden sind, hat die 41 42 43 44 45 46 47 48

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Vgl. Windscheid-Kipp I § 137 Fn. 5. Puchta, Cursus § 222; Windscheid-Kipp I § 137 Fn. 4. Johow, TE § 14 und Begründung 60 ff. Motive 3, 28 f. Natürlich gibt es weiterhin Sachgesamtheiten; das BGB erwähnt in §§ 92 II, 260, 1035 den „Inbegriff“ von Sachen bzw. Gegenständen. Dagegen behandelt das BGB den Bienenschwarm als eine Sache, §§ 961 ff., obwohl auch er ein corpus ex distantibus darstellt, also eine Sachgesamtheit. Ebenso alle anderen „Komplementärsachen“. Der Ausdruck „Nießbrauch an einem Inbegriff von Sachen“ in § 1035 (vgl. auch § 1049) ist ungenau, der Nießbrauch besteht an den einzelnen Sachen, nicht am Inbegriff. § 1085 bestimmt dies ausdrücklich für den Nießbrauch am Vermögen; vgl. Enneccerus-Nipperdey I § 121 III 1. Vgl. RG 53, 220; 144, 64. Entsprechendes gilt für eine Herausgabeklage, doch müssen die Sachen derart bestimmt bezeichnet sein, daß eine Vollstreckung möglich ist, RG 130, 267. Vgl. Girtanner, JherJahrb 3 (1859), 97 ff.; Warnkönig, AcP 11 (1828), 179; Fuchs, GruchBeitr 46 (1902), 552; O. vGierke II § 104 Fn. 15.

2. Strukturen der Sachen

§2 I 2 d

Rechtsordnung diese Einheit anerkannt; bei den corpora ex distantibus tut sie das nur ausnahmsweise in besonderen Fällen. Bei der Übereignung eines Grundstücks geht im Zweifel auch das Zubehör, soweit es dem Veräußerer gehört, auf den Erwerber über, § 926. Es handelt sich um eine Verfügung, welche die Sachgesamtheit, bestehend aus Grundstück und Zubehör, ergreift. Die Belastung eines Grundstücks mit einem Grundpfandrecht erfaßt auch das Zubehör, §§ 1120, 1192. Die Verfügung erfaßt auch hier die Sachgesamtheit, wobei das Zubehör in seinem wechselnden Bestand dem Pfandrecht unterliegt, §§ 1120 – 1122. Entsprechendes gilt auch bei der Bestellung eines Nießbrauchs, §§ 1031, 1062, eines Vorkaufsrechts, § 1096, sowie eines Wohnrechts, § 1093. Die Verpfändung einer Sachgesamtheit kennt auch das Pachtkreditgesetz, welches die einheitliche Verpfändung des Inventars eines Pachtgutes zuläßt, durch eine Verfügung. In einer anderen Hinsicht wird das Inventar in §§ 582 a II, 1048 I 2 als Sacheinheit behandelt. Die Sachgesamtheit Inventar wechselt in ihren Bestandteilen, der Pächter oder Nießbraucher hat sie auf dem ursprünglichen Stand zu erhalten. Was er zur Ergänzung des Inventars erwirbt, § 2 I 2 nimmt mit der Einverleibung in die Sachgesamtheit automatisch an deren Rechtsstellung teil: Der Verpächter bzw. Besteller des Nießbrauchs wird Eigentümer des Inventars, ohne daß eine Übereignung erforderlich wäre. d) Das gemeine Recht stellte der Sachgesamtheit (universitas rerum sive facti), welche aus einzelnen körperlichen Gegenständen besteht, die universitas iuris gegenüber. Es wurden darunter Inbegriffe von körperlichen und unkörperlichen Gegenständen verstanden, insbesondere Sondervermögen wie Erbschaft und Mitgift. Die besondere rechtliche Behandlung dieser Rechtsgesamtheiten bestand darin, daß man zu ihrem Erhalt eine dingliche Surrogation annahm52. Die Lehre von den Rechtsgesamtheiten wurde schon im gemeinen Recht bekämpft, Johow hielt sie für überholt und hat sie nicht mehr behandelt53. Heute rechnet man zur Rechtsgesamtheit das Vermögen einer Person, die Sondervermögen, z.B. Erbschaft, Gesellschaft, Gesamtgut sowie das wirtschaftliche Unternehmen54. Sie können schon deswegen keine Sachen i.S.v. § 90 sein, weil sie auch unkörperliche Gegenstände umfassen. Sie sind aber auch keine unkörperlichen Gegenstände, an welchen ein einheitliches Herrschaftsrecht möglich wäre. Es gibt kein Recht am Vermögen oder am Unternehmen, welches durch eine einheitliche Verfügung übertragen oder verpfändet werden könnte. Die Surrogationsvorschrift ist allerdings aus dem gemeinen Recht bei den einzelnen Sondervermögen übernommen worden, wenn die Regelung auch nicht einheitlich ist, vgl. §§ 718 II, 1418 II Ziffer 3, 1473, 1638 II, 2019, 2041, 2111, 2374. Eine gewisse Anerkennung des Unternehmens als rechtliche Einheit stellt das „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ dar, welches ein geschütztes Rechtsgut i.S.d. § 823 I ist. Damit ist aber nur der Schutz des Unternehmens begründet, das genannte Recht stellt kein Herrschaftsrecht dar, über welches verfügt werden könnte55. 52

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Res succedit in locum pretii et pretium in locum rei (Die Sache tritt an die Stelle des Preises, der Preis an die Stelle der Sache); vgl. dazu Welle, Arno, In universalibus pretium succedit in locum rei, res in locum pretii, 1987. Vgl. Johow, Begründung 65 f. Vgl. etwa Enneccerus-Nipperdey I § 131 I; Planck-Strecker 3 c vor § 90. Vgl. etwa Larenz-Wolf § 20 Rn. 84 ff.

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§ 2 II 1 a, b

§ 2. Sachen

II. Arten der Sachen 1. Res extra commercium a) Das römische Recht nannte die Sachen, welche nicht Gegenstand privater Rechte sein konnten, res extra commercium. Dazu gehörten die res divini iuris, die res publicae sowie die res communes omnium1. Zu den res divini iuris gehörten die res sacrae, die den dii superi geweihten Sachen, welche durch die consecratio in deren Eigentum übergingen; dazu gehörten etwa Tempel (Kirchen), Altäre, Standbilder u.s.w. Res religiosae waren die Grabstätten, sie waren den dii manes geweiht. Die res sanctae standen unter dem besonderen Schutz der Götter: Stadtmauern und Stadttore. An diesen Sachen konnten private Rechte nicht bestehen, Übereignung, Ersitzung, Vindikation u.s.w. waren nicht möglich2. Diese Gruppe von Sachen geht später in den res publicae auf. Res publicae, öffentliche Sachen, standen im öffentlichen Eigentum des Staates oder einer Gemeinde. Dazu gehörten die öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch (usus publicus) wie Straßen, Wege, Plätze, Theater, Bäder sowie andere öffentliche Sachen wie z.B. der ager publicus, der servus publicus u.s.w. Das Privatrecht war auf diese Sachen nicht anwendbar3. Die res communes omnium waren ebenfalls dem Privatrecht entzogen. Dazu gehörten die Luft, das fließende Wasser, das Meer und die Küste, soweit sie bei Flut vom Meer bedeckt wurde. Die Abgrenzung zu den res publicae war unscharf: Auch diese Sachen standen dem Gemeingebrauch offen. Wer an der Küste ein Gebäude errichtete, wurde Eigentümer des bebauten Bodens, solange das Gebäude stand. Der Grund war also okkupierbar, doch bestand das Recht daran – ähnlich wie beim gefangenen Wild – nur so lange, als der Besitz fortdauerte4. Das Bauen an der Küste bedurfte aber der staatlichen Genehmigung5. b) Das gemeine Recht betrachtete alle res extra commercium als öffentliche Sachen. Sie waren privatrechtsfähig, doch war ihre Verkehrsfähigkeit durch verschiedene Regelungen eingeschränkt. Auch heute gibt es keine Sachen, die dem Privatrecht völlig entzogen wären6; gewisse Sachen sind aber in ihrer Verkehrsfähigkeit stark beschränkt: der menschliche Körper sowie öffentliche Sachen.

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Vgl. hierzu Kaser I § 92 II; Kaser II § 237 II. Gaius 2, 9: „Quod autem divini iuris est, id nullius in bonis est“ (Was göttlichen Rechtes ist, das ist in niemandes Vermögen). Gaius 2, 11: „Quae publicae sunt, nullius videntur in bonis esse; ipsius universitatis esse creduntur“ (Öffentliche Sachen sind in niemandes Vermögen, sie gehören der Gemeinschaft). Vgl. Neratius D 41, 1, 14; Marcian D 1, 8, 6 pr.; Inst 2, 1, 3. 5. Vgl. Pomponius D 41, 1, 50. Zur heutigen Rechtslage an der Meeresküste, an Anlandungen und Küstenabbruch in der Ostsee vgl. OLG Schleswig, NJW 2001, 1073 f. und Harders, Jura 1991, 63 ff. Die Luft, das Meer, das fließende Wasser sind überhaupt keine Sachen, vgl. oben I 1 b, so daß sich die Frage nach der Privatrechtsfähigkeit von vornherein nicht stellt.

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§ 2 II 1 b

2. Menschlicher Körper

§ 2 II 2 a, b

2. Menschlicher Körper a) Der Körper des lebenden Menschen ist keine Sache, kein Objekt dinglicher Herrschaftsrechte. Der Mensch hat am eigenen Körper ein Persönlichkeitsrecht7, welches ihm die Bestimmung über seinen Körper sichert8 und nach § 823 I geschützt ist9. Zum Körper gehören auch die fest eingebauten künstlichen Körperteile10 wie Herzschrittmacher, künstliche Gelenke, Zahnplomben u.s.w. Auch sie sind sachenrechtsunfähig11. Mit der Abtrennung von natürlichen oder künstlichen Körperteilen werden diese verkehrsfähige Sachen, z.B. Haare, gezogene Zähne, gespendetes Blut, eine gespendete Niere. An ihnen setzt sich das Persönlichkeitsrecht des Trägers als Eigentum fort, sie fallen in entsprechender Anwendung des § 953 in das Eigentum dessen, von dessen Körper sie abgetrennt wurden12. Eine Nutzung abgetrennter Körperteile durch Dritte ist aber durch das Persönlichkeitsrecht des früheren Trägers eingeschränkt13. Mit der Einfügung in einen Körper (etwa Bluttransfusion) verlieren die Körperteile wieder ihre Sacheigenschaft14. b) Ob die Leiche eine Sache im Sinne des § 90 ist, ist umstritten15. Da man nicht umhinkommt, irgendein Recht der Erben oder Angehörigen an der Leiche anzunehmen, muß man sie als Rechtsobjekt qualifizieren. Als „Sache“ sollte man sie nicht bezeichnen, da dem Gesetzgeber in § 90 a schon die Bezeichnung des Tieres als Sache unpassend erscheint. Welcher Art das Recht an der Leiche ist, ist höchst streitig. Es werden genannt Eigentum16, Aneignungsrecht, Persönlichkeitsrecht17 und

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Nicht Eigentum, vgl. schon für das römische Recht (bei der Frage des Ersatzes wegen Körperverletzung) Ulpian D 9, 2, 13 pr.: dominus membrorum suorum nemo videtur (Niemand kann als Eigentümer seiner Glieder angesehen werden); anders Brunner, Theorie und Praxis im Leichenrecht, NJW 1953, 1173 f. Vgl. Forkel, JZ 1974, 594 und Jura 2001, 74; Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 18 f. Vgl. Taupitz, JZ 1992, 1091 f. Zum Schadensersatzanspruch wegen Verletzung postmortaler Persönlichkeitsrechte vgl. BGH 143, 214 ff.; BGH NJW 2000, 2201 ff. und Frommeyer, JuS 2001, 13 ff. Normale Sachen sind dagegen die nicht fest eingebauten künstlichen Körperteile, wie Toupets, Bein- oder Zahnprothesen, Glasaugen u.s.w. Verträge, mit denen sich eine Partei zur Abtrennung von Körperteilen verpflichtet, sind zwar nicht sittenwidrig und nichtig, jedoch auch nicht endgültig bindend; sie können frei widerrufen werden, vgl. Soergel-Mühl § 90 Rn. 3. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 21 f. und Schünemann 83 ff. Görgens, Künstliche Teile im menschlichen Körper, JR 1980, 140 ff. will die §§ 93 ff. entsprechend anwenden; Gropp, Ersatz- und Zusatzimplantate, JR 1985, 181 ff., will je nach Art des Implantates das Eigentum weiterbestehen lassen oder nicht. Der BGH nimmt am eingelagerten Sperma kein Eigentum an, sondern ein Persönlichkeitsrecht, um so dem Spender bei der Vernichtung gemäß §§ 823, 847 (heute: § 253 II) einen Anspruch auf Schmerzensgeld geben zu können, NJW 1994, 127 ff. So zu Recht Taupitz, JZ 1992, 1093. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 24 und Taupitz, Wem gebührt der Schatz im menschlichen Körper?, AcP 191 (1991), 201 ff. und JZ 1992, 1092 f. Vgl. Planck-Strecker 2 a vor § 90; MünchenerK-Holch § 90 Rn. 30; Staudinger-JickeliStieper § 90 Rn. 27, jeweils mit weiterer Literatur. Vgl. Englert 138 ff. mit Lit. Vgl. Schünemann, 51 ff.; Englert 142 f. mit Lit.

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§ 2 II 2 b

§ 2 II 2 b

§ 2. Sachen

Totensorgerecht18. Die Entscheidung muß von den zu lösenden Problemen aus- § 2 II 2 gehen. Zu berücksichtigen ist auf der einen Seite das Interesse, die Leiche zu obduzieren, in der Anatomie zu verwerten, Organe zum Zweck der Transplantation zu entnehmen; auf der anderen Seite steht der Wille des Toten und das Interesse der Erben bzw. Angehörigen an einer würdevollen Behandlung des Leichnams (Bestattung) und am Schutz seiner nachwirkenden Persönlichkeit, welche durch Handlungen gegen den Leichnam, aber auch in anderer Weise beeinträchtigt werden kann19. Man ist sich heute weitgehend darüber einig, daß das Recht und die Pflicht, für den Toten zu sorgen (für den Leichnam, aber auch für seinen Ruf u.s.w.), den nächsten Angehörigen zusteht20, nicht den Erben21. Sie haben insbesondere die Art der Bestattung zu bestimmen und für eine würdevolle Behandlung des Leichnams zu sorgen22. Im übrigen sind sie in ihren Entscheidungen über den Leichnam keineswegs frei: Zunächst sind sie an den Willen des Toten gebunden23. Bestimmt er seine Leiche für die Anatomie, so sind die Angehörigen daran gebunden24; verbietet er eine Organentnahme zu Transplantationszwecken, so können die Angehörigen sie nicht gestatten25. Hat der Verstorbene nichts bestimmt, so dürfen seine Angehörigen nur solche Verfügungen treffen, welche der Totensorge dienen26. Die Angehörigen haben ein absolutes Recht an der Leiche, vermöge dessen sie in analoger Anwendung der §§ 823, 985, 1004 unbefugte Eingriffe Dritter abwehren können27. Dieses Recht gestattet es ihnen auch, Goldzähne und dergl. von der Leiche abzutrennen und sich anzueignen28. 18 19

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Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 31 ff.; Soergel-Mühl § 90 Rn. 6; MünchenerKHolch § 90 Rn. 30. Dieser Gesichtspunkt entfällt bei Leichen, die so lange aufbewahrt wurden, daß sie mit bestimmten Persönlichkeiten nicht mehr in Verbindung gebracht werden, wie z.B. Moorleichen, Mumien; sie sind verkehrsfähige Sachen, vgl. Enneccerus-Nipperdey I § 121 II 1 a.E.; MünchenerK-Holch § 90 Rn. 31; Forkel, Jura 2001, 74. Wenn der Verstorbene nichts anderes bestimmt hat. Vgl. MünchenerK-Holch § 90 Rn. 30; RGRK-Kregel § 90 Rn. 5; Soergel-Mühl § 90 Rn. 7; Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 30; a.A.: Brunner, NJW 1953, 1173 (Leiche als Nachlaßgegenstand) und Planck-Strecker 2 a vor § 90, welche das Sorgerecht den Erben zusprechen, weil die Rechtsordnung nichts hergebe für die Berechtigung der Angehörigen. Wenn auch die Rechtsordnung keine geschriebene Vorschrift enthält, so steht doch gewohnheitsrechtlich den Angehörigen die Totensorge zu. Zu Einzelfragen des Totensorgerechts vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 90 Rn. 31 ff.; Soergel-Mühl § 90 Rn. 7. Die Willensäußerung bedarf keiner Form; vgl. Soergel-Mühl § 90 Rn. 7; BGH 15, 259. Zu Verträgen über die eigene Leiche vgl. Planck-Strecker 2 a vor § 90; Enneccerus-Nipperdey I § 121 II Fn. 20; Oertmann 6 e γ αα vor § 90. Umstritten ist die Rechtslage an Leichen, welche rechtmäßig der Anatomie übergeben wurden, und an Leichenteilen, welche rechtmäßig zu Transplantationszwecken oder wissenschaftlichen Zwecken abgetrennt wurden. Es wird z.T. Eigentumserwerb vertreten, so Planck-Strecker 2 a vor § 90; RGRK-Kregel § 90 Rn. 5 (für Leichenteile); a.A: StaudingerJickeli-Stieper § 90 Rn. 37; Palandt-Heinrichs Rn. 11 vor § 90. Vgl. MünchenerK-Holch § 90 Rn. 30; Enneccerus-Nipperdey I § 121 II 1; Pluisch-Heifer, NJW 1994, 2377 ff. Vgl. Soergel-Mühl § 90 Rn. 7; MünchenerK-Holch § 90 Rn. 30; Palandt-Sprau § 823 Rn. 90; Enneccerus-Nipperdey I § 121 II 1. Vgl. dazu Palandt-Heinrichs Rn. 11 vor § 90.

2. Menschlicher Körper

§ 2 II 2 c

Betrachtet man die vorstehenden Prinzipien, so zeigt sich, daß die Angehörigen, welche für die Totensorge zuständig sind, in ihren Entscheidungen über den Leichnam außerordentlich beschränkt sind. Wollte man ein Eigentum an der Leiche annehmen, so müßte man die Rechte des Eigentümers in diesem Fall sehr stark beschränken. Eine solche Konstruktion erscheint unpraktisch. Auch die Annahme eines fortwirkenden Persönlichkeitsrechts stößt auf Bedenken. Der Tote kann nicht mehr Inhaber dieses Rechts sein29, kann aber ein Persönlichkeitsrecht auf andere Personen (die Angehörigen) übergehen? Auf der anderen Seite ist die Würde des Verstorbenen, die weiterhin § 2 II 2 schutzwürdig ist, ein entscheidender Faktor. Am angemessensten erscheint es daher, hier ein absolutes Nichtvermögensrecht eigener Art anzunehmen, das Totensorgerecht. Es gibt dem jeweiligen Inhaber Abwehrmöglichkeiten sowie Verfügungsrechte in dem oben geschilderten Rahmen. c) Erhebliche Rechtsunsicherheiten sind durch die medizinischen Fortschritte in neuerer Zeit bei der Frage der Organtransplantation aufgetreten. Problematisch ist die Frage, wann der Tod eintritt und eine Organentnahme also überhaupt möglich wird30. Weiter war heftig umstritten, in welchen Fällen eine Organentnahme zulässig sein sollte31. Es wurde die Ansicht vertreten, nur wenn der Verstorbene einer Organentnahme zugestimmt habe, sei sie zulässig (Zustimmungslösung). Andere hielten die Organentnahme auch dann für gestattet, wenn der Inhaber des Totensorgerechts zustimmte32. Die Zustimmungslösung respektiert das Selbstbestimmungsrecht des Verstorbenen und ist daher den anderen Lösungen vorzuziehen. Der Zustimmungslösung stand die Widerspruchslösung entgegen, die eine Organentnahme immer für zulässig hielt, wenn der Verstorbene dem nicht widersprochen hatte. Ihre Ergebnisse werden oft mit dem Willen des Verstorbenen nicht übereinstimmen, sie ist daher abzulehnen. Am weitesten ging die Ansicht, ein Arzt, der zur Rettung eines anderen ein Organ aus einer Leiche entnehme, handle in rechtfertigendem Notstand33. Im Jahr 1979 haben sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat einen Entwurf eines Transplantationsgesetzes eingebracht; der Entwurf der Bundesregierung sah die Widerspruchslösung vor, der Entwurf des Bundesrates die Zustimmungslösung. Nach einer langen Pause wurde im Jahr 1997 das Transplantationsgesetz erlassen34, das die Zustimmungslösung übernimmt. Danach ist eine Organentnahme dann zulässig, wenn der Verstorbene dem zugestimmt hatte oder wenn der nächste Angehörige die Zustimmung erteilt; hatte der Verstorbene der Organentnahme widersprochen, so ist sie auf jeden Fall untersagt, vgl. §§ 3 I, 4 TPG. Der Organhandel ist unzulässig, § 17 TPG35. 29 30

31 32 33 34 35

Vgl. Enneccerus-Nipperdey I § 121 II 1; Oertmann § 90 N. 6 e γ. Vgl. Höfling, Um Leben und Tod: Transplantationsgesetzgebung und Grundrecht auf Leben, JZ 1995, 26 ff.; Heun, Der Hirntod als Kriterium des Todes des Menschen, JZ 1996, 213 ff.; Gallwas, Anmerkungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für ein Transplantationsgesetz, JZ 1996, 851 f.; Beckmann, Ist der hirntote Mensch eine „Leiche“?, ZRP 1996, 219 ff.; Borowy 93 ff. Vgl. dazu Kloth mit weiterer Literatur. Vgl. RGRK-Kregel § 90 Rn. 5 mit Lit.; Soergel-Mühl § 90 Rn. 7. Vgl. Soergel-Mühl § 90 Rn. 7 mit Lit. Nach Kloth 151 ff. ist diese Lösung verfassungswidrig. Transplantationsgesetz vom 5. 11. 1997, BGBl I, 2631; zu seiner Entstehung vgl. Forkel, Jura 2001, 75 f. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. die Gesetzgebungsberichte NJW 1998, 777 f. (Deutsch) und JuS 1998, 379 f. und 569 f. (Kudlich) sowie Forkel, Jura 2001, 75 ff.

65

§ 2 II 3 a, b

§ 2. Sachen

3. Öffentliche Sachen Anders als das gemeine Recht befaßt sich das BGB nicht mehr mit den öffentlichen Sachen. Johow hatte noch eine Vorschrift über Sachen im Gemeingebrauch in seinen Teilentwurf aufgenommen36. Die erste Kommission strich die Vorschrift37, der Reichsgesetzgeber überließ die Regelung den Ländern38. Ausgehend von der Lehre des gemeinen Rechts über die res extra commercium hat das öffentliche Recht versucht, die Lehre von den öffentlichen Sachen weiterzuentwickeln. a) Öffentliche Sachen sind Sachen, die unmittelbar öffentlichen Belangen dienen und einer öffentlichen Sachherrschaft unterliegen. Dazu gehören weder die tatsächlich öffentlichen Sachen (Privatmuseen, private Waldwege u.s.w.), welche keiner öffentlichen Sachherrschaft unterliegen, noch das Finanzvermögen der öffentlichen Hand, welches nur mittelbar öffentlichen Belangen dient. Öffentliche Sachen sind einmal die Sachen im Verwaltungsgebrauch (Verwaltungsgebäude, Dienstwagen u.s.w.), sodann die Sachen im Zivilgebrauch; dazu gehören einmal die Sachen in anstaltlicher Nutzung (Museen, Badeanstalten, Krankenhäuser), dann die Sachen im Gemeingebrauch (Straßen, Plätze, öffentliche Parks u.s.w.)39. b) Die öffentlichen Sachen stehen nicht in einem besonderen öffentlichen Eigentum. Sie stehen vielmehr wie alle anderen Sachen im Privateigentum, sei es des Trägers einer Verwaltung, sei es einer Privatperson. Die Lehre vom öffentlichen Eigentum, wie sie insbesondere in Frankreich besteht, ist in Deutschland zwar auch vertreten worden40, hat sich aber hier nicht durchgesetzt41. Die öffentlichrechtliche Bindung der öffentlichen Sachen ergibt sich aus einer öffentlichrechtlichen Sachherrschaft, welche das privatrechtliche Eigentum beschränkt. Diese öffentlichrechtliche Sachherrschaft ist ein dingliches Recht, welches bisweilen geradezu als öffentlichrechtliche Dienstbarkeit bezeichnet wird42. Der Inhalt dieser Dienstbarkeit ergibt sich aus dem Zweck, dem die öffentliche Sache gewidmet ist. Im Rahmen dieser Zweckbestimmung wird das privatrechtliche Eigentum, aber auch jedes andere Recht (z.B. eine privatrechtliche Dienstbarkeit) belastet und eingeschränkt; der Eigentümer und jeder sonstige Rechtsinhaber muß die Nutzung der Sache entsprechend der Zweckbestimmung dulden. Im übrigen ist der Eigentümer frei in der Verfügung über sein Recht; er kann es veräußern oder dinglich belasten. Begründet er ein Recht (z.B. eine Dienstbarkeit), welches seinem In36

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42

66

§ 5: „An Grundstücken und Gewässern, welche dem gemeinen Gebrauch gewidmet sind, kann ein denselben beschränkendes Recht nur mit Genehmigung der für die Überwachung des gemeinen Gebrauchs zuständigen Behörde erworben werden“. Protokolle der 1. Kommission 3315, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 433 f. Vgl. etwa Art. 65, 66, 111, 113, 133 EGBGB. Vgl. Häde, JuS 1993, 116 ff. Insbesondere von Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II (3. Aufl. 1924) 39 ff.; vgl. dazu Forsthoff § 20, 379 Fn. 5; Papier 5 ff.; Kromer 17 ff. Abgesehen von zwei gesetzlich geregelten Ausnahmen, in Hamburg (Wege- und Deichgrundstücke) und in Baden-Württemberg (Gewässer), vgl. dazu Wittig, Das öffentliche Eigentum, DVBl 1969, 680 ff.; Pappermann 15 f.; Weber, VVDStRL 21 (1964), 156 ff.; Häde, JuS 1993, 116. Vgl. Wallerath § 13 I 2; Papier 5 f., 10; auch Forsthoff § 20, 2 („öffentlichrechtliche Belastung des Grundstücks“). Diese „Dienstbarkeit“ besteht auch an beweglichen Sachen, z.B. an einem Dienstwagen, an Büchern einer öffentlichen Bibliothek u.s.w.

§ 2 II 3 b

3. Öffentliche Sachen

§ 2 II 3 b

halt nach mit der Zweckbestimmung der Sache unvereinbar ist, so ist auch eine solche § 2 II 3 Verfügung wirksam. Der Inhaber dieses Rechts kann aber sein Recht nicht geltend machen, solange die öffentlichrechtliche Dienstbarkeit besteht43. Auch ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums an der öffentlichen Sache ist möglich, wenn die Voraussetzungen der §§ 932 ff., 892 f. vorliegen44; ebenso eine Ersitzung. Die öffentlichrechtliche Dienstbarkeit kann dagegen durch gutgläubigen Erwerb gemäß §§ 936, 892 nicht untergehen45, ein gutgläubig lastenfreier Erwerb ist nicht möglich46. Selbst wenn der Erwerber gutgläubig Eigentum an der öffentlichen Sache erwirbt, kann der öffentlichrechtliche Sachherr sie herausverlangen, wenn dies zur Realisierung des Widmungszwecks erforderlich ist; denn die öffentlichrechtliche Sachherrschaft begründet wie die meisten dinglichen Rechte einen Herausgabeanspruch47. Möglich ist aber eine lastenfreie Ersitzung48. Die öffentlichrechtliche Sachherrschaft („Dienstbarkeit“) entsteht durch Widmung und Indienststellung der Sache. Die Widmung kann durch Rechtssatz, durch ausdrücklichen Verwaltungsakt oder konkludent durch eine innerbehördliche Inventarisierung geschehen49. Die widmende Behörde muß entweder das Eigentum an der Sache haben, eine entsprechende Dienstbarkeit, oder aber der Eigentümer muß der Widmung zustimmen50. Zustimmen müssen auch alle anderen dinglich Berechtigten, deren Recht durch die Widmung beeinträchtigt wird51.

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H.M., vgl. etwa Forsthoff § 20, 1; a.A. Papier 81, der zu Unrecht meint, die Bestellung eines solchen Rechts sei unwirksam. Vgl. BGH NJW 1990, 899 ff. (Hamburger Stadtsiegel). Das entspricht der Tradition des römischen und gemeinen Rechts, wonach res publicae nicht der ordentlichen Ersitzung unterlagen, Dernburg, Pandekten I § 220, 2 e, wohl aber der außerordentlichen Ersitzung von 30 Jahren, vgl. unten § 11 I 3 a a.E. Vgl. Forsthoff § 20, 382 Fn. 1; Papier 80 f.; Wallerath § 13 I 2; Frotscher, Probleme des öffentlichen Sachenrechts, VerwA 1971, 154 ff.; VG Köln NJW 1991, 2584 ff. (Hamburger Stadtsiegel); Wernecke, AcP 195 (1995), 456 ff. H.M. Demgegenüber will eine Mindermeinung bei Sachen im Anstalts- und Verwaltungsgebrauch eine öffentlichrechtliche Sachherrschaft und einen Herausgabeanspruch daraus nicht anerkennen, vgl. etwa Papier 12 ff.; Axer, Peter, Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994, passim; OVG Münster, NJW 1993, 2635 ff. (Hamburger Stadtsiegel). Dagegen VG Köln NJW 1991, 2584 ff.; Fechner, JuS 1993, 704; Ehlers, NWVBL 1993, 330 f.; Wernecke, AcP 195 (1995), 451 ff. Zum Hamburger Stadtsiegel-Fall, der die Diskussion um Widmung und Herausgabeanspruch ausgelöst hat, vgl. die Dokumentation von Hans Wilhelm Eckardt, Stationen eines Stempels, Anmerkungen zum IV. Hamburgischen Staatssiegel, 1995. Vgl. unten § 11 I 3 b a.E. Nach Manssen, JuS 1992, 745 ff. und Ehlers, NWVBL 1993, 330 begründet nur eine ausdrückliche und publizierte Widmung durch Verwaltungsakt die öffentlichrechtliche Dienstbarkeit; danach wären Sachen im Verwaltungsgebrauch regelmäßig nicht mit einer solchen „Dienstbarkeit“ belastet. Zu Einzelheiten vgl. Forsthoff § 20, 2; Papier 42; Häde, JuS 1993, 113 ff. Nach Ansicht des OVG Lüneburg (NJW 1970, 75 f.) ist die Zustimmung der Grundpfandgläubiger nie erforderlich, weil die Verwertungsbefugnis durch die Widmung nicht beeinträchtigt werde. Es ist aber leicht denkbar, daß der Wert der Sicherheit durch die Widmung beeinträchtigt wird. Dann müssen auch die Inhaber von Grundpfandrechten der Sicherung zustimmen.

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§ 2 II 3 c

§ 2. Sachen

c) Nach überkommener öffentlichrechtlicher Lehre weicht der Begriff der öffentli- § 2 II 3 chen Sache erheblich ab vom Sachbegriff des Privatrechts. Zunächst soll im öffentlichen Recht die Voraussetzung der Körperlichkeit nicht gelten. Öffentliche Sachen seien also z.B. der elektrische Strom, die Luft, der Luftraum, das fließende Wasser, das Meer u.s.w.52 Was sachlich mit der Bezeichnung dieser Gegenstände als „Sachen“ erreicht werden soll, wird weder mitgeteilt, noch ist es erkennbar. Eine neuere Tendenz wendet sich zu Recht gegen diese unnütze Wortspielerei. Wenn die Erklärung einer Sache zur öffentlichen Sache den Zweck hat, private Berechtigungen einzuschränken, so ist die Erklärung zur öffentlichen Sache dann offenbar sinnlos, wenn die betroffenen Gegenstände gar nicht Objekte privater Rechte sein können53. Luft und Luftraum, Meer und fließendes Wasser sind also keine öffentlichen Sachen. Es handelt sich dabei um die res communes omnium des römischen Rechts54, die kraft ihrer Natur nicht Gegenstand dinglicher Rechte sein können und somit als Sachen von vornherein ausscheiden55. Ausgeschieden aus dieser Gruppe der res communes omnium ist die Meeresküste56. Die Meeresküste kann eine Sache sein wie jedes andere Grundstück auch. Kraft Gewohnheitsrechts gilt sie als eine öffentliche Sache im Gemeingebrauch, an welcher Privatrechte nicht möglich sind57. Der Gemeingebrauch kann durch Verleihung von Sondernutzungsrechten beschränkt oder aufgehoben werden58. Wird der Strand trockengelegt, so wird er eine verkehrsfähige herrenlose Sache, die gemäß § 928 II dem Aneignungsrecht des Landes unterliegt59. Wird umgekehrt ein Grundstück zum Meeresstrand, so bleibt das Eigentum bestehen60. Weiterhin sollen auch Sachgesamtheiten i.S.d. Privatrechts nach öffentlichem Recht Sachen sein können, z.B. eine Bibliothek, eine Straße, welche sich über mehrere Grundstücke erstreckt u.s.w.61 Auch hier ist der Sinn der Abweichung vom Privatrecht nicht zu erkennen. Die genannten Gegenstände können ohne weiteres auch im öffentlichen Recht als Sachgesamtheit öffentlicher Sachen angesehen werden62. Die Widmung einer Straße z.B. ist rechtlich gesehen eine Mehrzahl einzelner Rechtsakte, durch welche jeweils das Eigentum an den Grundstücken mit der öffentlichrechtlichen Dienstbarkeit belastet wird. Der Begriff der öffentlichen Sache weicht also in Wirklichkeit von § 90 nicht ab. Eine letzte Abweichung vom privatrechtlichen Sachbegriff wird darin gesehen, daß die §§ 93 – 95 für öffentliche Sachen nicht gelten, so daß wesentliche Bestandteile Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein könnten, d.h. selbständige Sachen 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

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Vgl. Forsthoff § 20, 1; Enneccerus-Nipperdey § 130 IV 1; Höfling, Grundzüge des Öffentlichen Sachenrechts, JA 1987, 608; Häde, JuS 1993, 113; Soergel-Mühl 42 vor § 90 mit Lit. Vgl. Wallerath § 12 I; Papier 2; Weber, VVDStRL 21 (1964) 173. Vgl. oben 1 a. Vgl. oben I 1 b; zutreffend auch Hübner Rn. 312. D.h. der Landstreifen, der zwischen der Linie des Niedrigwassers bei Ebbe und der Linie des Hochwassers bei Flut liegt. Vgl. BGH 44, 30 ff.; LG Kiel, SchlHA 1975, 86; a.A. Enneccerus-Nipperdey § 130 Fn. 7; Palandt-Heinrichs Rn. 12 vor § 90 (Eigentum des Landes). Vgl. BGH 44, 32; SchlH VGH in SchlHA 1973, 124. Vgl. LG Kiel in SchlHA 1975, 86. Vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2003, 1170 f. Vgl. Forsthoff § 20, 1; Papier 3; Häde, JuS 1993, 113. So zutreffend Merk, VVDStRL 21 (1964), 231.

4. Res sacrae et religiosae

§ 2 II 4

seien63. Als Beispiel wird etwa die auf einem Privatgrundstücke aufgestellte Ampel u.s.w. gebracht. Gemeint ist wohl, daß nur die Ampel u.s.w. eine öffentliche Sache sei, nicht das Grundstück. Aber der Aufsteller der Ampel muß ein Recht gegenüber dem Eigentümer des Grundstücks haben, die Ampel aufzustellen. Handelt es sich um eine Dienstbarkeit, so ist die aufgestellte Anlage auch zivilrechtlich sonderrechtsfähig, § 2 II 4 § 95 I 2. Bei schuldrechtlichen Berechtigungen liegt regelmäßig ein Fall des § 95 I 1 vor.

4. Res sacrae et religiosae Eine besondere Gruppe der öffentlichen Sachen sind die res sacrae: Sachen, die dem gottesdienstlichen Gebrauch einer anerkannten Religionsgemeinschaft dienen. Als solche kommen nur Religionsgemeinschaften in Betracht, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts bilden, vgl. Art. 140 GG, Art. 137 WV64. Wird eine Sache durch eine Religionsgemeinschaft zum Gottesdienst bestimmt, so erkennt das staatliche Recht diese Sache als öffentliche Sache, res sacra, an. Die Rechtslage dieser res sacrae bestimmt sich nach den vor 1900 geltenden Landesrechten und Ortsstatuten, welche als öffentliches Recht weiter in Geltung sind65. Es gelten etwa ALR II 11 § 160 ff.; Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis II 1 § 2, subsidiär ist das gemeine römische Recht anzuwenden. Res sacrae sind etwa Kirchen, Altäre, Kirchenglocken, Kelche, Meßgewänder, kirchliche Begräbnisplätze u.s.w. Die Zweckbestimmung der res sacrae geschieht nach den Vorschriften der jeweiligen Religionsgemeinschaft, in der katholischen Kirche etwa durch Konsekration oder Benediktion, aber auch durch formlose Ingebrauchnahme, soweit eine Weihung nicht erforderlich ist66; in der evangelischen Kirche durch feierliche Ingebrauchnahme67. Der Staat ist bei dieser Widmung nicht beteiligt. Gehört die Sache nicht der widmenden Religionsgemeinschaft, so muß der Eigentümer der Sache der Widmung zustimmen68, ebenso sonstige dinglich Berechtigte, deren Recht durch die Widmung betroffen wird. Die Widmung ändert an den privaten Rechten an der Sache nichts, doch werden diese Rechte gemäß dem Widmungszweck eingeschränkt. Der Gebrauch der Sache ist auf gottesdienstliche Zwecke beschränkt; eine Kirche darf nicht für Marktzwecke, Ausstellungen, Gerichtssitzungen u.s.w. benutzt werden69; der Ortspfarrer kann Ausnahmen zulassen, soweit dies mit der Heiligkeit des Ortes vereinbar ist, vgl. Can. 1210 Codex iuris canonici. Für Aufführungen geistlicher Musik kann die Kirche benutzt werden, grundsätzlich aber nicht für die Aufführung welt63 64 65 66

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Vgl. Forsthoff § 20, 1; Papier 2 f. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper Rn. 55 vor § 90; zu Privatkirchengesellschaften vgl. BayObLG JZ 1981, 191. Vgl. BayObLGE 17 NF (1967), 98; Forsthoff, Res sacrae, AöR 70 (1940), 217 f.; BayObLG JZ 1981, 190. Eichmann-Mörsdorf II 4; ferner Müller-Volbehr, Res sacra und Sachgebrauch, NVwZ 1991, 142 ff.; Schlink, Neuere Entwicklungen im Recht der kirchlichen öffentlichen Sachen und der res sacrae, NVwZ 1987, 633 ff. Meurer 380. Meurer 381. Vgl. Meurer 381 f.; Eichmann-Mörsdorf II 5; Forsthoff § 20, 2; Enneccerus-Nipperdey § 130 V.

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§ 2 II 5

§ 2. Sachen

licher Musik70. Das gilt auch dann, wenn für weltliche Konzerte keine anderen Räume zur Verfügung stehen71. Die res sacra ist somit gegen jede Profanierung geschützt, die ihrer Weihe Abbruch tun könnte. Wie alle anderen öffentlichen Sachen unterliegen also auch die res sacrae sowohl dem Privatrecht als auch dem öffentlichen Recht. Der Eigentümer kann über die res sacra verfügen, sie z.B. veräußern, doch bleibt die Zweckbindung in jedem Fall erhalten72. Der Eigentümer kann auf keinen Fall Herausgabe der Sache nach § 985 verlangen, um sie dem Widmungszweck zu entziehen; die Widmung begründet ein Recht zum Besitz gemäß § 986 I für die widmende Religionsgemeinschaft73. Im Rahmen des Widmungszwecks untersteht die res sacra dem Dispositionsrecht der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Eine Entwidmung kann nur durch die widmende Religionsgemeinschaft vorgenommen werden, nicht durch den Eigentümer und nicht ohne weiteres durch den Staat; zur Entwidmung durch den Staat bedarf es eines speziellen Gesetzes, eine allgemeine Enteignungsermächtigung reicht nicht aus74. Eine Sondergruppe der res religiosae gibt es nicht mehr. Friedhöfe sind entweder öffentliche Sachen, wenn sie von der Gemeinde betrieben werden, oder res sacrae, wenn sie von der Kirche betrieben werden. Die Bestattung eines Leichnams außerhalb § 2 II 5 eines Friedhofs bewirkt keine rechtliche Sonderstellung für das betroffene Grundstück.

5. Teilbare Sachen Teilbare Sachen waren nach gemeinem Recht solche, welche ohne Verlust ihres Wertes und ihrer Art geteilt werden können75. Das BGB hat in § 752 diesen Begriff übernommen. Für das Sachenrecht hat die Einteilung in teilbare und unteilbare Sachen keine Bedeutung. Teilbare Sachen sind etwa unbebaute Grundstücke76, Goldbarren, Tuchballen, Papierrollen, ein Laib Brot oder Käse und alle Mengensachen77. An den abgetrennten Teilen bestehen die gleichen Rechte wie vorher an der ganzen Sache.

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Vgl. dazu das Dekret der römischen Kongregation für den Gottesdienst vom 5. 11. 1987, veröffentlicht z.B. im Kirchlichen Amtsblatt für das Bistum Trier 1988, 22 ff.; dazu Rennings, Kirchenkonzerte, in: Gottesdienst 1988, 1 ff. Zu weiteren Einzelheiten vgl. die im Internet zugängliche Arbeitshilfe „Musik im Kirchenraum außerhalb der Liturgie“ vom 1. Juli 2005 der Deutschen Bischofskonferenz. Vgl. RG 31, 220 f.; BayObLGE 17 NF (1967), 101. Vgl. BayObLGE 17 NF (1967), 101 ff.; BayObLG JZ 1981, 191. Forsthoff, Res sacrae, AöR 70 (1940), 229; Staudinger-Jickeli-Stieper Rn. 58 vor § 90; BayObLGE 17 NF (1967), 99 f.; BayObLG JZ 1981, 191. Vgl. Pomponius D 30, 26, 2; Paulus D 6, 1, 35, 3. Anders aber, wenn die Teile etwa als Bauland zu klein sind. Vgl. oben I 2 a dd.

7. Verbrauchbare Sachen

§ 2 II 7

6. Vertretbare Sachen

Vertretbare (fungible) Sachen waren nach gemeinem Recht solche, quae pondere, numero, mensura constant78. Das BGB hat diese Regelung in § 91 übernommen79. Es handelt sich um solche Sachen, bei denen eine die andere vertreten kann, die Individualität der Sache also ohne Bedeutung ist. Nur bewegliche Sachen können gemäß § 91 vertretbar sein. Die Vertretbarkeit ist keine natürliche Eigenschaft der Sache, sondern beruht auf der Verkehrsanschauung. Was nach Zahl, Maß oder Gewicht gehandelt wird, ist vertretbar. Vertretbare Sachen sind z.B. Kohlen, Kartoffeln, Getreide, Ziegelsteine, verschiedene Exemplare einer Zeitung, ein Paket Butter u.s.w. sowie alle serienmäßig hergestellten Sachen, solange sie ungebraucht sind. Auch Geld ist eine vertretbare Sache. Die Parteivereinbarung kann an der Vertretbarkeit der Sachen nichts ändern. Kauft jemand auf dem Markt einen bestimmten Apfel, so handelt es sich um den Spezieskauf einer vertretbaren Sache. Bestellt jemand vier beliebige Bilder eines bestimmten Malers, so handelt es sich um einen Gattungskauf unvertretbarer Sachen. Die Vertretbarkeit der Sachen hat ihre Bedeutung im Schuldrecht, vgl. etwa §§ 607, § 2 II 7 651, 3, 700, 706 II, 783. Für das Sachenrecht spielt es keine Rolle, ob eine Sache vertretbar ist oder nicht.

7. Verbrauchbare Sachen In § 92 hat das BGB die gemeinrechtliche Lehre von den res, quae usu consumuntur übernommen. Verbrauchbar in engerem Sinne sind bewegliche Sachen, deren Bestimmung im Verbrauch besteht und die nach dem Verbrauch objektiv ihrer Bestimmung nicht mehr dienen können80. Hierher gehören insbesondere Nahrungsmittel und Brennmaterial, Seife, Parfüm und dergl., aber auch z.B. Wertmarken (Briefmarken u.a.), welche durch Entwertung verbraucht werden. Auch hier entscheidet die Verkehrsauffassung, was eine verbrauchbare Sache ist, nicht die tatsächliche Verwendung der Sache. Ein Buch, das der Eigentümer verbrennen will, wird nicht zur verbrauchbaren Sache. Nicht verbrauchbar sind die Sachen, die sich beim Gebrauch allmählich abnutzen, wie Kleider, Möbel u.s.w. (res quae usu minuuntur). Die Abnutzung ist hier eine unerwünschte Nebenfolge, dagegen liegt bei den verbrauchbaren Sachen die Wertvernichtung in ihrer Bestimmung81. Verbrauchbare Sachen in weiterem Sinne sind gemäß § 92 I diejenigen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung liegt82. Der Verbrauch führt hier nicht zu einer objektiven Wertvernichtung, der Wert geht aber dem Verbraucher verloren83. 78

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Vgl. etwa Gaius 2, 196. Zur Geschichte und zur praktischen Bedeutung des § 91 vgl. Rüfner, Thomas, Vertretbare Sachen – Die Geschichte der res, quae pondere numero mensura constant, 2000. Ein Antrag, die Definition in § 91 zu streichen, wurde von der 2. Kommission abgelehnt, weil „vertretbare Sache“ ein nicht geläufiger Kunstausdruck sei, vgl. Protokolle der 2. Kommission 3277 (Mugdan 3, 486). Vgl. Motive 3, 34 f. Vgl. Motive 3, 34 f.; Oertmann § 92 N. 1 c; Planck-Strecker § 92 N. 1 c. Vgl. Motive 3, 35. Vgl. Oertmann § 92 N. 1 a.

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§ 2 II 8

§ 2. Sachen

Zu diesen Sachen gehören insbesondere das Geld84 sowie Wertpapiere mit geldähnlicher Funktion85. Die Unterscheidung verbrauchbare – nicht verbrauchbare Sache hat für das Sachenrecht keine Bedeutung. Ihre Bedeutung liegt darin, daß bei der Nutzungsüberlassung (Pacht, Nießbrauch) der Nutzungsberechtigte verbrauchbare Sachen nicht zurückgewähren kann; er muß Wertersatz leisten. Das ist für den Nießbrauch in § 1067 ausdrücklich bestimmt86. Diese Besonderheit tritt nun bei allen beweglichen Sachen auf, sobald die Sachen zu einem Sachinbegriff (Warenlager, Warenbestand eines Kaufmannes) gehören, dessen bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung der Einzelsachen besteht. Wer den Nießbrauch an einem Handelsgeschäft erwirbt, kann beim Ende des Nießbrauchs nicht die übernommenen Waren zurückgeben. § 92 II erweitert entsprechend den Kreis der verbrauchbaren Sachen. Ob eine Sache verbrauchbar ist, bestimmt sich in diesen Fällen nicht objektiv nach der Verkehrsanschauung, sondern rich- § 2 II 8 tet sich nach dem Willen des Berechtigten, ob er die Sache in einen entsprechenden Sachinbegriff einordnet87.

8. Grundstücke Ebenso wie das germanische Recht unterschied auch das römische die besonders wertvollen Sachen durch besondere Regelungen von den normalen Sachen. Das germanische Recht stellte den Grundstücken die Fahrnis entgegen, das römische Recht unterschied zwischen den res mancipi (Grundstücke, Großvieh, Sklaven) und den res nec mancipi. Beide Rechtsordnungen entwickelten spezielle Regeln für die rechtliche Behandlung der wertvolleren Sachen. Das nachklassische römische Recht verwischte die Unterscheidung und behandelte alle Sachen nach den Regeln für die res nec mancipi, entwickelte daneben aber neue Formvorschriften für die Übertragung des Grundeigentums: Der Kauf- oder Schenkungsvertrag muß schriftlich abgefaßt und beim Provinzstatthalter oder beim Gemeinderat eingereicht werden, der Veräußerer muß den Erwerber vor den zusammengerufenen Nachbarn als Zeugen in den offenen Besitz einweisen, indem er sich daraus zurückzieht88. Das germanische Recht hat dies in seiner „Auflassung“ übernommen. Soweit das gemeine Recht besondere Regeln für Grundstücke entwickelte, gehen sie auf das vom römischen Recht beeinflußte germanische Recht zurück89. Die Tendenz, für Grundstücke – besonders im Hinblick auf Grundbücher – eigene Regeln aufzustellen, verstärkte sich seit dem 18. Jahrhundert immer mehr, wo84 85 86

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Vgl. Ulpianus D 12, 1, 13 pr.; Motive 3, 35. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 92 Rn. 2; MünchenerK-Holch § 92 Rn. 4. Für die Pacht enthielt der erste Entwurf in § 546 eine ähnliche Vorschrift. Die 2. Kommission hat das gestrichen, weil die Parteien die Frage üblicherweise vertraglich regelten, vgl. Protokolle 2. Kommission 2118 (Mugdan 2, 892). Vgl. Motive 3, 35. „Corporalis traditio subsequatur … advocata vicinitate donatam rem abscessu donantis novo domino patefactam“ (Dann soll die Übergabe erfolgen, das Grundstück soll vor versammelter Nachbarschaft dem neuen Eigentümer aufgelassen werden, indem der Schenker sich daraus zurückzieht), vgl. CTh 8, 12, 1, 1, auch CTh 3, 1, 2, 1. Vgl. dazu auch Wieling, Wie Kaiser Konstantin die germanische Auflassung erfand, SZ (germ. Abt.) 124, 2007. Vgl. etwa ABGB § 431; ALR I 10 §§ 6 ff.; sächs. BGB §§ 276 ff.

1. Begriff des Bestandteils

§ 2 III 1 a bb

bei Preußen der Wegbereiter war. Auch die Entwürfe zum BGB gingen ohne weiteres von der Sonderstellung der Grundstücke aus. Das BGB unterscheidet Grundstücke und bewegliche Sachen, vgl. §§ 94, 95 – §§ 91, 9290. Ein Grundstück ist jeder Teil der Erdoberfläche, der als Grundstück im Grundbuch eingetragen ist, vgl. § 890, § 3 I GBO (formeller Grundstücksbegriff). Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundstück eine zusammenhängende Fläche bildet oder ob es aus mehreren nicht zusammenhängenden Teilflächen besteht. Bewegliche Sachen sind alle Sachen außer Grundstücken; auch Grundstücksbestandteile sind bewegliche Sachen, mögen sie auch eventuell als wesentliche Bestandteile am Rechtsschicksal des Grundstücks teilnehmen91. Die Bedeutung der Unterscheidung Grundstücke – bewegliche Sachen liegt im Sachenrecht im wesentlichen darin, daß bei Verfügungen über Grundstücke eine Eintragung im Grundbuch erforderlich ist (§ 873) und daß die Eintragung im Grundbuch – nicht der Besitz – die Rechtscheinsgrundlage bildet bei Verfügungen eines Nicht§ 2 III berechtigten. bb

III. Bestandteile 1. Begriff des Bestandteils a) Der Ausdruck „Bestandteil“ wird vom BGB in recht verschiedener Bedeutung verwandt: aa) Höchst eigentümlich wird der Ausdruck in § 1587 a VIII gebraucht, der 1976 eingeführt wurde: Der sachenrechtliche Ausdruck „Bestandteil“ bezeichnet hier einen Rechnungsposten bei der Errechnung des Versorgungsausgleichs; der Terminus wird in einer Art verwandt, die bisher dem öffentlichen Recht vorbehalten war1. Zu fiktiven Bestandteilen eines Grundstücks werden in § 96 die subjektiv-dinglichen Rechte bestimmt, die mit dem Grundstück verbunden sind2. In § 890 II wird ein Grundstück, das einem anderen Grundstück zugeschrieben wird, als dessen Bestandteil bezeichnet. bb) „Bestandteil“ kann auch eine Teilmenge des Begriffs „Früchte“ sein. Früchte bestehen aus „Erzeugnissen“ und „Bestandteilen“, statt des Ausdrucks „Bestandteil“ verwendet das Gesetz bisweilen auch den Ausdruck „Ausbeute“; beides ist identisch, vgl. §§ 99 I, 101 Nr. 1, 953, 954, 956. Erzeugnisse sind die organischen Produkte einer Sache wie die auf einem Grundstück wachsenden Pflanzen und die Jungen eines Tieres, Milch und Wolle eines Schafes u.s.w. Bestandteile oder Ausbeute dagegen sind die noch ungetrennten und völlig unbestimmten Teile, aus denen die fruchttragende Sache selbst besteht. Sie gehören zu den Bestandteilen bzw. zur Ausbeute, weil sie abgetrennt und so als Früchte gewonnen werden können3. Eine nach ihrer Lage, Umfang und Iden90

91 1 2 3

Die Bezeichnung „unbewegliche Sache“ kennt das BGB nicht; in §§ 1003 I 2; 1971, 1 findet sich der Ausdruck „unbewegliches Vermögen“ im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung. Vgl. Planck-Strecker 4 a vor § 90. Vgl. oben II 3 c. Ob § 1587 a, der sich über drei Seiten ausdehnt, seinen richtigen Platz überhaupt im BGB hat, erscheint fraglich. Vgl. unten 1 e. Vgl. auch unten § 2 V 2 b.

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§ 2 III 1 b

§ 2. Sachen

tität noch ganz unbestimmte Menge Kies, welche der Berechtigte dem Grundstück entnehmen darf, ist somit ein Bestandteil (Ausbeute) des Grundstücks und gehört nach seiner Gewinnung zu den Früchten des Grundstücks. Das gilt indessen nur für die Bestandteile eines Grundstücks. Nicht zu den Früchten gehören die Bestandteile oder die Ausbeute einer beweglichen Sache. Wer eine Torte in Stücke schneidet, wer einen Mastochsen zerlegt, gewinnt keine Früchte der Torte oder des Mastochsen. Von Fruchtziehung kann man nur sprechen, wenn die Muttersache erhalten bleibt4. Das trifft zu bei der Entnahme von Bodenbestandteilen, weil das Grundstück erhalten bleibt. Das trifft aber nicht bei der Zerlegung beweglicher Sachen zu, weil hier die Muttersache bei der Zerlegung in den Bestandteilen aufgeht. Bei den Bestandteilen einer beweglichen Sache unterscheidet das Gesetz weiter zwischen den Bestandteilen, die zu den Früchten gehören, und den sonstigen Bestandteilen, vgl. etwa §§ 953, 955. Zerschneidet die Eigentümerin ihre Torte, so gehören ihr gemäß § 953 alle Bestandteile. Zerlegt ein Nichtberechtigter eine Sache, so kann er dadurch insoweit gutgläubiger Eigentümer werden, als die gewonnen Bestandteile zu den Früchten gehören, § 955. Da Grundstücksbestandteile zu den Früchten gehören, kann der Kiesabbauende nach § 955 Eigentum am Kies erwerben; da Bestandteile einer beweglichen Sache keine Früchte sind, kann der Zerteiler einer Torte an den Tortenstücken kein Eigentum nach § 955 erwerben. cc) Der Ausdruck Bestandteil bezeichnet schließlich eine Sache, die mit einer Hauptsache verbunden ist und noch unterscheidbar in dieser vorhanden ist, wie etwa der Motor im PKW, das Haus auf einem Grundstück5. Werden einer Sache Bestandteile der genannten Art zugefügt, so entsteht dadurch eine zusammengesetzte Sache6. Der Bestandteil kann wesentlicher oder unwesentlicher Bestandteil sein, vgl. §§ 93 – 95, 946 f. Wenn er wesentlicher Bestandteil ist, folgt er zwingend dem rechtlichen Schicksal der Hauptsache, andernfalls nicht7. Dieser Begriff des Bestandteils steht im Vordergrund des Interesses, nur von diesem ist hier die Rede. Nicht immer aber, wenn einer Sache eine andere zugefügt wird, entsteht eine einheitliche zusammengesetzte Sache; möglich ist auch, daß es sich weiterhin um zwei verschiedene Sachen handelt. Füge ich einem PKW-Rumpf vier Räder hinzu, so entsteht die einheitliche Sache „PKW“; die Räder sind dessen Bestandteile. Montiere ich dagegen auf den PKW einen Skihalter, so entsteht dadurch keine neue, einheitliche Sache. PKW und Skihalter bleiben Sachen für sich und bilden keine sachenrechtliche Ein- § 2 III heit. Der Skihalter ist kein Bestandteil des PKW, sondern Zubehör. Was ist Voraussetzung für das Entstehen einer einheitlichen Sache, in welchen Fällen wird eine Sache Bestandteil einer anderen? b) Die Verfasser des BGB erachteten es als überflüssig, den Begriff des Bestandteils zu definieren8. Nach römischem Recht erforderte die Bestandteilseigenschaft entweder eine feste Verbindung oder eine Einfügung zum Zwecke der perfectio9; in beiden Fäl4 5 6 7 8 9

Vgl. unten V 2 a, b. Bestandteile dieser Art können auch Erzeugnisse sein, vgl. § 94 I 1. Vgl. oben I 2 b. Vgl. unten 2 – 7. Vgl. Johow, Begründung 43. D.h. Einfügung, um die Sache, die bis dahin unvollständig war, vollständig herzustellen; vgl. das obige Beispiel PKW-Räder.

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1. Begriff des Bestandteils

§ 2 III 1 c

len mußte eine dauernde Verbindung beabsichtigt sein10. Das BGB hat diese Kriterien übernommen11. Schwierigkeiten, die Bestandteile abzugrenzen, gibt es insbesondere gegenüber dem Zubehör. Nach römischem Recht hatte das Zubehör (instrumentum) keinerlei sachenrechtliche Bedeutung. Die Bedeutung des instrumentum lag darin, daß ein Rechtsgeschäft über die Hauptsache bisweilen auch das Zubehör erfaßte, wenn die Parteien dies wollten12. Das Mittelalter erfaßte unter dem Begriff der Pertinenz sowohl Bestandteile als auch Zubehör einer Hauptsache, welche mit dieser eine Nutzungseinheit bildeten13. Sachenrechtliche Relevanz gewann der Begriff der Pertinenz im Vernunftrecht. Die Pertinenzstücke blieben zwar sonderrechtsfähig, sie teilten aber das Schicksal der Hauptsache, wenn die Beteiligten nicht ausdrücklich etwas anderes erklärten14. Bestandteile und Zubehör wurden also nicht getrennt und unterlagen denselben rechtlichen Regeln. Andererseits wurde aber der Sachbegriff des römischen Rechts beibehalten: Hauptsache und Pertinenzen bildeten nicht ohne weiteres eine einheitliche Sache. Zur Sache gehörten nur die Pertinenzen, die auch schon nach römischem Recht integrierende Teile (Bestandteile) der Sache waren. Die nicht integrierenden Pertinenzen blieben selbständige Sachen, ihr Rechtsschicksal war aber in gewissem Umfang an das der Hauptsache gebunden. Die modernen Kodifikationen bauen auf dieser Unterscheidung Bestandteil – Zubehör auf, auch das BGB. Dabei ist eine Unterscheidung von den § 2 III Rechtsfolgen her nicht möglich, da (unwesentliche) Bestandteile und Zubehör nach gleichen Regeln zu behandeln sind15. Auch eine Unterscheidung nach der Funktion ist nicht möglich insoweit, als beide den Zwecken der Hauptsache dienen. c) Das BGB definiert den Begriff des Bestandteils nicht, seine Verfasser gehen aber von der damals anerkannten Ansicht aus, ein Bestandteil liege immer dann vor, wenn eine Sache mit einer anderen zu deren Vollendung verbunden werde16. Erstes Kriterium für die Bestandteilseigenschaft ist also die perfectio. Was einer Sache zum Zweck der perfectio zugefügt wurde, ist Bestandteil. Daher sind die dem PKW zugefügten Räder Bestandteile, nicht aber der Skihalter, denn ein PKW ist auch ohne Skihalter ein vollständiger PKW. Das Gesetz hat den Gedanken der perfectio ausdrücklich nur für Gebäudebestandteile geregelt: Nach § 94 II wird wesentlicher Bestandteil eines Gebäudes, was ihm zu seiner Herstellung, zu seiner Vollendung zugefügt wird. „Perfectio“ darf man aber nicht dahin verstehen, daß der Bestandteil zum Betrieb oder zur Nutzung erforderlich sei. Die Fahrzeuge eines Fuhrunternehmens 10 11 12 13 14 15 16

Vgl. Holthöfer 31 ff. Vgl. Johow 66 f.; Motive 3, 62. Vgl. Holthöfer 76 ff. Holthöfer 87 f.; auch unten IV pr. Holthöfer 89 ff. Vgl. unten III 7 und IV 8. Diese Tatsache gibt der Unterscheidung etwas Willkürliches und nimmt ihr die praktische Bedeutung. Vgl. Johow, Begründung 66 f.: „Neuerdings hat man jedoch den Unterschied zwischen den Bestandteilen und dem Zubehör scharf erkannt und erachtet es für ein negatives Merkmal des Zubehörstücks, nicht Bestandteil der Hauptsache geworden zu sein, also nicht zur Vollendung der Hauptsache zu gehören, die ohne sie unfertig sein würde.“ Vgl. auch Motive 3, 62 und Holthöfer 212 Fn. 394 b; ferner RGRK-Kregel 15 vor § 93; Dernburg, BürgR III § 5 II pr.; Regelsberger, Pandekten § 102 IV; Kohler, JherJahrb 26 (1888), 35; Endemann I § 54 I.

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§ 2 III 1 d

§ 2. Sachen

sind zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich, dennoch sind sie keine Bestandteile des Betriebsgrundstücks. Das Kraftfahrzeug erfordert Treibstoff zur Nutzung, dennoch ist das Benzin im Tank kein Bestandteil. Perfectio bedeutet vielmehr Herstellung, Vollendung der Sache gemäß seinem konstruktionstechnischen Plan17. Es ist daher auch unerheblich, wenn eine Sache für besondere Zwecke eingesetzt wird und dafür besondere Hilfssachen erforderlich sind: Der Skihalter wird nicht zum Bestandteil des PKW, weil dieser in einer Skischule zum Transport von Skiern eingesetzt wird. In der Literatur wird dieser Gedanke dahin ausgedrückt, der Bestandteil müsse der Sache dienen, nicht dem Unternehmen18. Wenn etwa ein Fabrikgebäude zum Betrieb verschiedener Arten von Unternehmungen geeignet ist und wenn dort Druckmaschinen zum Betrieb einer Druckerei aufgestellt werden, so dienen die Maschinen dem Unternehmen, nicht aber dem Gebäude; sie sind also Zubehör, nicht Bestandteile. Die Maschinen dienen nicht zur Vollendung des Gebäudes, weil es sich nicht speziell um ein Druckereigebäude handelt, sondern allgemein um ein Fabrikgebäude. Diese Eingren- § 2 III zung des Bestandteilsbegriffs ist aber nicht eng genug. Auch wenn eine Sache einer anderen dient, aber gemäß dem konstruktionstechnischen Plan nicht zur perfectio dient, ist sie nur Zubehör, nicht Bestandteil: so etwa der Skihalter auf dem PKW, das Benzin im Tank, der Schlüssel einer Federuhr u.s.w. Die h.M. will dagegen die Frage, ob eine einheitliche Sache mit Bestandteilen vorliegt oder ob selbständiges Zubehör anzunehmen ist, nicht nach dem Gesichtspunkt der perfectio, sondern nach der Verkehrsanschauung entscheiden. Es scheint jedoch, daß die Verkehrsanschauung hier überfordert ist. Nach welchen Kriterien sollte sie zwischen Bestandteil und Zubehör unterscheiden? Die Hinweise auf die „natürliche Anschauung“ und die Auffassung eines „verständigen und unbefangenen Beurteilers“19 sind kaum ge20 eignet, Klarheit zu schaffen; sie fördern die Willkür des jeweiligen Beurteilers . d) Kriterium des Bestandteils ist einmal die perfectio. Ein Bestandteil ist ferner dann anzunehmen, wenn eine feste Verbindung i.S.v. §§ 93, 94 I vorliegt. Die beabsichtigte Dauer der Verbindung wird in § 95 berücksichtigt. Dieser Gesichtspunkt wird zu Recht verallgemeinert21 und auf alle Bestandteile angewandt, so daß eine vorübergehende Verbindung die Sache nicht zum Bestandteil macht; entsprechend hebt eine vorübergehende Trennung die Bestandteilseigenschaft nicht auf 22. Damit eine Sache Bestandteil wird, muß sie auf jeden Fall mit der Hauptsache verbunden sein. Eine Sache, die zwar der perfectio der Hauptsache dienen soll, aber noch nicht mit ihr verbunden ist, kann nicht deren Bestandteil sein; sie kann Zubehör sein, wenn die Voraussetzungen des § 97 vorliegen23. Die Winterreifen eines PKW, die in der Garage auf die Benutzung warten, sind keine Bestandteile des PKW. Ob die Verbin17 18 19 20

21 22 23

76

Vgl. Holthöfer 105 N. 39. Vgl. Planck-Strecker § 93 N. 2 a; Soergel-Mühl § 93 Rn. 6. Vgl. etwa RG 158, 370; Soergel-Mühl § 93 Rn. 3 ff.; MünchenerK-Holch § 93 Rn. 5. Vgl. RG 87, 47: Die „Verkehrsauffassung“ ist nur die eigene Auffassung des Berufungsgerichts. Kritisch zur Verkehrsauffassung auch Michaelis, FS Nipperdey 559 Fn. 5; RGRKKregel § 93 Rn. 9 ff. Vgl. Spyridakis 14. Johow wollte dies in § 12 seines TE regeln, vgl. auch Johow, Begründung 56. Die 1. Kommission (Protokolle 3335, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 443) strich das als überflüssig. BGH 58, 309 ff.; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 7.

1. Begriff des Bestandteils

§ 2 III 1 e, f

dung des Bestandteils fest oder lose ist, spielt keine Rolle; es reicht auch eine Verbindung allein durch die Schwerkraft (vgl. die Schubladen in der Kommode). Die Verbindung muß in der Art geschehen, wie sie dem Konstruktionsplan der Sache entspricht. Bestandteile einer Sache können ihrerseits aus Bestandteilen zusammengesetzt sein. So ist das Gebäude meist gemäß § 94 I wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, die Fenster sind gemäß § 94 II Bestandteile des Gebäudes und damit auch Bestandteile des Grundstücks. Bestandteile gibt es nur an zusammengesetzten Sachen. Die verbreitete Ansicht, es gebe auch Bestandteile an einfachen Sachen24, ist abzulehnen. Sonderrechte an ungetrennten Teilen einfacher Sachen sind nicht möglich, weil die Teile vor der Abtrennung keine Grenzen erkennen lassen, wie etwa bei einem Grundstück, einem Stück Butter, einem Blatt Papier u.s.w. Auch eine Markierung, z.B. ein Strich auf einem Balken, schafft noch keine sonderrechtsfähigen Teile25. Ungetrennte Teile von Tieren sind ebenfalls nicht sonderrechtsfähig, wie etwa die Wolle eines Schafes, der Stoßzahn eines § 2 III Elefanten, das Junge im Leib des Muttertieres. Da aber das rechtliche Problem der Be- f standteile in der Frage der Sonderrechtsfähigkeit besteht, ist die Annahme von Bestandteilen an einfachen Sachen sinnlos und daher abzulehnen26. e) Der Begriff des Bestandteils verbindet eine Sache mit dem rechtlichen Schicksal einer anderen. Ein bestimmtes Recht an einer Sache sowie die Belastungen dieses Rechts erstrecken sich auf den Bestandteil. Diese rechtliche Verknüpfung ist bei wesentlichen Bestandteilen sehr eng, bei unwesentlichen lockerer. „Bestandteil“ bedeutet also ein bestimmtes Verhältnis zu einem Recht an der Hauptsache. Meist ist das Recht das Eigentum. Das Eigentum, eine Hypothek u.s.w. an einem Grundstück ergreift etwa zwangsläufig die wesentlichen Bestandteile. Es ist aber denkbar, daß das Bezugsrecht für den Bestandteilsbegriff nicht das Eigentum ist, sondern ein anderes dingliches Recht an der Sache, z.B. das Erbbaurecht. Ein Gebäude, das aufgrund eines Erbbaurechts errichtet wurde, ist nicht Bestandteil des Grundstücks bezüglich des Eigentums, § 95 I 2, § 12 II ErbbRVO; ungenau spricht das Gesetz davon, das Gebäude sei nicht Bestandteil des Grundstücks27. Das Gebäude ist Bestandteil des Grundstücks bezogen auf das Erbbaurecht; Eigentümer des Gebäudes ist immer der Inhaber des Erbbaurechts, eine Hypothek am Erbbaurecht ergreift auch das Eigentum am Gebäude u.s.w. Entsprechendes gilt für das Bergwerkseigentum und in anderen Fällen28. f) Da nur Sachen Bestandteile sein können, greift das Gesetz in § 96 zu einer Fiktion, um Rechte zu Bestandteilen eines Grundstücks zu erklären. Diese Rechte sollen das Schicksal des Grundstücks teilen, d.h. die Rechte am Grundstück sollen auch das 24 25

26 27 28

Vgl. Planck-Strecker § 93 N. 3 c; Soergel-Mühl § 93 Rn. 4; Staudinger-Jickeli-Stieper § 93 Rn. 8; Palandt-Heinrichs § 93 Rn. 2 und die Lit. bei Oertmann § 93 N. 1 a. Die Sonderrechtsfähigkeit markierter Teile bejaht Regelsberger, Pandekten I § 101 I; dagegen zutreffend Dernburg, Pandekten I § 76 Fn. 4; Windscheid-Kipp, Pandekten I § 142 Fn. 4; Eisele, Theilung beweglicher Sachen ohne Aufhebung der körperlichen Cohaerenz, JherJahrb 31 (1891), 360 ff. und AcP 84 (1895), 305 ff. Ein real geteiltes Eigentum an einer Sache ist möglich bei Sachen, die sich auf Grundstücksgrenzen befinden, vgl. unten III 4 a. So zutreffend Oertmann § 93 N. 1 a; MünchenerK-Holch § 93 Rn. 3; Endemann I § 52 N. 1; Enneccerus-Nipperdey § 125 I. Wie häufig wird die Sache mit dem Eigentum an der Sache verwechselt. Vgl. unten III 6 pr. und b.

77

§ 2 III 2 a, b

§ 2. Sachen

Recht erfassen. In Betracht kommen alle Rechte, die mit dem Eigentum am Grundstück verbunden sind29, also die subjektiv-dinglichen Rechte: Grunddienstbarkeiten, Reallasten nach § 1105 II, Vorkaufsrechte nach § 1094 II, das Recht auf Duldung eines Überbaus nach § 912, der Heimfallanspruch nach § 3 ErbbRVO, das Recht auf einen Notweg nach § 917, der Anspruch auf eine Überbau- oder Notwegrente nach §§ 913, 917 II sowie in den Landesrechten geregelte subjektiv-dingliche Rechte30. Wird das Eigentum an dem Grundstück übertragen, so geht auch das Recht mit über; eine Hypothek am Grundstück erstreckt sich auch auf das Recht u.s.w. In der früheren DDR konnten aufgrund von Nutzungsrechten nach §§ 287 – 294, 296, 312 ZGB Gebäude errichtet werden, die im Sondereigentum des Nutzungsberechtigten standen31. Diese Nutzungsrechte gelten als wesentliche Bestandteile der errichteten Gebäude, vgl. Art. 231 § 5 II EGBGB, §§ 289 II 1, 293 II ZGB, d.h. eine Verfügung über das Gebäude erstreckt sich auf das Nutzungsrecht. g) Der Begriff des Bestandteils hat zum Zweck, den Zusammenhang des Sachganzen zu erhalten und zu schützen. Dieser Schutz kommt hauptsächlich den Gläubigern zugute, die ein Sicherungsrecht an der Sache haben. Der Inhaber einer Hypothek soll etwa dagegen geschützt sein, daß ein anderer Gläubiger das Haus, das sich auf dem Grundstück befindet, für sich verwertet. Dieser Schutz ist bei den wesentlichen Bestandteilen sicherer als bei den unwesentlichen, bei denen die Rechtslage vom Willen § 2 III b der Beteiligten abhängt.

2. Begriff des wesentlichen Bestandteils a) Nach römischem Recht waren alle Bestandteile sonderrechtsfähig. Wurde eine fremde Sache einer Hauptsache als Bestandteil zugefügt, so blieb das fremde Eigentum am Bestandteil bestehen, es konnte aber während der Verbindung nicht geltend gemacht werden, es war ein dominium dormiens. Der Eigentümer konnte aber jederzeit – außer bei Gebäudebestandteilen – Trennung verlangen und dann den ihm gehörenden Bestandteil vindizieren. In der Neuzeit ging die Tendenz dahin, das Eigentum am Bestandteil übergehen zu lassen auf den Eigentümer der ganzen Sache. Streitig war, ob der Eigentumserwerb endgültig sein sollte oder beschränkt auf die Dauer der Verbindung (dominium repristinandum); ferner ob der frühere Eigentümer ein Wegnahmerecht haben sollte. Eine gewisse Gegentendenz zurück zum römischen Recht brachte das Pandektenrecht des 19. Jh.32. Das BGB verwertet beide Arten von Bestandteilen: Die unwesentlichen Bestandteile sind sonderrechtsfähig, die wesentlichen nicht. Geregelt sind allerdings nur die wesentlichen Bestandteile in den §§ 93 – 95. b) An wesentlichen Bestandteilen sind besondere dingliche Rechte nicht möglich, § 93, sie folgen zwingend dem Rechtsschicksal der ganzen Sache. Das Eigentum oder 29 30 31 32

78

Nicht gemeint sind damit Rechte, die sich aus dem Grundeigentum selbst ergeben, wie das Jagdrecht u.ä. Vgl. dazu Planck-Strecker § 96 N. 2; Soergel-Mühl § 96 Rn. 2; Staudinger-Jickeli-Stieper § 96 Rn. 3 f. Vgl. dazu vCraushaar, Grundstückseigentum in den neuen Bundesländern, DDRZ 1991, 359 ff. Vgl. im einzelnen Holthöfer 129 ff.

2. Begriff des wesentlichen Bestandteils

§ 2 III 2 c

beschränkte dingliche Rechte erstrecken sich zwangsläufig auch auf die wesentlichen Bestandteile. Ein Eigentumsvorbehalt wird also mit der Verbindung zu einem wesentlichen Bestandteil unwirksam, auch beschränkte dingliche Rechte erlöschen, vgl. § 949. Eine Verfügung über den wesentlichen Bestandteil allein ist nicht möglich, ebenso wenig eine Pfändung eines wesentlichen Bestandteils. Dagegen erfaßt eine Ver- § 2 III fügung über die ganze Sache oder eine Pfändung der Sache auch die wesentlichen Bestandteile, unabhängig vom Willen der Beteiligten. Wird der wesentliche Bestandteil abgetrennt, so wird der Eigentümer der Sache Eigentümer des abgetrennten Bestandteils, § 953. Über die Hypothekenhaftung in diesen Fällen vgl. §§ 1120 – 1122. Die obigen Grundsätze werden in einigen Fällen durchbrochen. Nach dem Gesetz über das Wohnungseigentum können an Teilen von Gebäuden besondere dingliche Rechte bestehen. Auch das alte Stockwerkseigentum kann gemäß Art. 182 EGBGB weiter bestehen. Gemäß § 810 ZPO ist eine Pfändung ungetrennter Früchte möglich, § 1 des Gesetzes zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversorgung von 1949 läßt ein Pfandrecht an ungetrennten Früchten zu. Ausgeschlossen an wesentlichen Bestandteilen sind nur besondere dingliche Rechte. Teilbesitz an einem wesentlichen Bestandteil ist gemäß § 865 möglich33, ebenso sind obligatorische Rechte möglich, die sich auf einen wesentlichen Bestandteil beziehen34. Auch eine Verpflichtung zur Abtrennung kann übernommen werden. Wer durch die Verbindung zu einem wesentlichen Bestandteil ein Recht an der betroffenen Sache verloren hat, erlangt dieses Recht mit der Abtrennung nicht wieder zurück; das dominium repristinandum ist abgeschafft35. Auch ein Anspruch auf Abtrennung besteht nicht, § 951 I 2. Der Betroffene hat einen Bereicherungsanspruch, § 951 I 1, gegebenenfalls auch deliktische Ansprüche. Auch steht ihm in jedem Fall ein Wegnahmerecht zu, § 951 II 2, welches der Eigentümer der Sache aber durch eine Geldzahlung ablösen kann, § 997 II. c) Nach h.M. besteht der Sinn der Regelung in §§ 93, 94 darin, das Zerstören wirtschaftlicher Werte zu verhindern. Geschützt ist aber offenbar nicht das allgemeine volkswirtschaftliche Interesse an der Erhaltung wirtschaftlicher Werte; denn dem Eigentümer ist die Zerlegung einer zusammengesetzten Sache durchaus gestattet36. Das volkswirtschaftliche Interesse müßte fordern, daß eine Abtrennung und Zerstörung überhaupt verhindert würde, auch durch den Eigentümer37. Geschützt sein kann also nur das Interesse der Personen, die beschränkte dingliche Rechte an der ganzen Sache haben. Dieser Schutz ist aber insgesamt fragwürdig und auf alle Fälle inkonsequent geregelt38. Fragwürdig ist der Schutz, weil dem durch die Verbindung Betroffenen immer ein Wegnahmerecht zusteht, § 951 II 2. Allerdings muß der Wegnehmende die Kosten der 33 34 35 36 37 38

Nicht aber eine gesonderte Ersitzung eines wesentlichen Bestandteils, so zutreffend Staudinger-Jickeli-Stieper § 93 Rn. 32. Das verkannte erstaunlicherweise das OLG Hamm und wurde daher vom BGH korrigiert, NJW 2000, 504 f. Vgl. aber unten § 11 II 5 c. Vgl. Michaelis, FS Nipperdey 561. Das war z.B. angeordnet in § 22 des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes, das von 1953 bis 1965 (Berlin 1968) in Kraft war. Vgl. auch Krückmann, Volkswirtschaftliche und sozialpolitische Theorien im BGB, LZ 1915, 799.

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§ 2 III 2 d, e

§ 2. Sachen

Abtrennung selbst tragen, alle Schäden durch die Wegnahme muß er beseitigen, §§ 951 II 2, 997 I, 258. Auch kann der Eigentümer das Wegnahmerecht ablösen, so daß immerhin von einem – wenn auch eingeschränkten – Schutz wirtschaftlicher Werte gesprochen werden kann. Inkonsequent ist die Regelung insoweit, als nicht durchgehend die Erhaltung des Sachganzen als Ziel verfolgt wird. Das hätte erfordert, alle Bestandteile einer Sache als sonderrechtsunfähig zu erklären. Erhaltung der ganzen Sache ist nur in § 94 II konsequent angestrebt39. Anders steht es in §§ 93, 94 I; hier ist nicht Erhalt des Sachganzen bezweckt, sondern Erhalt des Wertes des Sachganzen: Bestandteile sind sonderrechtsunfähig, wenn sie durch die Abtrennung zerstört würden; wenn sie unbrauchbar („im Wesen verändert“) würden oder wenn die Kosten der Abtrennung im Verhältnis zum Wert der abgetrennten Teile zu hoch wären40. Von einer konsequenten Durchführung eines einheitlichen Gedankens kann also keine Rede sein41. Die Regelung in den §§ 93, 94 kommt schließlich weniger dem Eigentümer zugute als vielmehr den Inhabern beschränkter dinglicher Rechte. Der Schutz des Eigentümers ist durch das Wegnahmerecht des früheren Bestandteilseigentümers fraglich. Zugunsten eines Hypothekengläubigers etwa hält insbesondere § 94 II die Sache zusammen, so daß nicht etwa die Lieferanten von Türen, Fenstern, Dachziegeln, Waschbecken u.s.w. aufgrund eines Eigentumsvorbehalts das Haus wieder zerlegen und so die Hypo- § 2 III thek gefährden können42. Fälle dieser Art haben im 19. Jh. die Gerichte zuerst veran- e laßt, entgegen dem römischen Recht die Sonderrechtsunfähigkeit solcher Sachen anzuerkennen, welche zur Herstellung von Gebäuden in diese eingefügt waren43. d) Für sonderrechtsunfähige Bestandteile hatte Johow in seinem Entwurf den terminus technicus „feste Bestandteile“ vorgeschlagen44. Die erste Kommission ersetzte das durch den Ausdruck „wesentliche Bestandteile“45. Der Ausdruck ist nicht sonderlich glücklich gewählt und oft getadelt worden. „Wesentlich“ bedeutet nicht, daß der Bestandteil eine besondere Bedeutung habe für den Wert oder die Verwendbarkeit der Sache. Wesentlich für die Funktion eines PKW sind z.B. Motor und Räder, doch sind gerade diese Sachen keine wesentlichen Bestandteile des PKW, sondern unwesentliche. Wesentliche Bestandteile sind nur solche, die nach §§ 93, 94 sonderrechtsunfähig sind. e) Die §§ 93 – 95 regeln nicht die Frage, wem das Eigentum an einer Sache zusteht, die aus wesentlichen Bestandteilen zusammengesetzt ist; diese Frage ist in §§ 946, 947 geregelt. Die §§ 93 – 95 regeln allgemein die Sonderrechtsunfähigkeit wesentlicher Bestandteile, ohne die Eigentumsfrage zu berühren. Verbindet jemand zwei ihm gehörende Sachen, so daß sie wesentliche Bestandteile werden, so tritt die Eigentumsfrage nicht auf; die §§ 93, 94 bestimmen, daß die Teile sonderrechtsunfähig sind. Will jemand einen wesentlichen Bestandteil einer ihm gehörenden Sache verpfänden, so tritt 39 40 41 42 43 44 45

80

Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3326, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 438 f.; Motive 3, 43. Vgl. dazu unten III 3. Vgl. RGRK-Kregel 4 vor § 93; Oertmann § 94 N. 2 a. Vgl. RGRK-Kregel 2 vor § 93. Vgl. aber auch das Wegnahmerecht des § 951 II 2, unten § 11 II 5 c. Vgl. Holthöfer 135 ff. Vgl. Johow, TE § 6. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3319, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 436.

3. Wesentliche Bestandteile nach § 93

§ 2 III 3 a

auch hier die Frage nach dem Eigentum nicht auf, wohl die Frage nach der Sonderrechtsfähigkeit. Die §§ 93, 94 gehören also nicht zu den Vorschriften über den Eigen- § 2 III tumserwerb46, sondern in den allgemeinen Teil des Sachenrechts.

3. Wesentliche Bestandteile nach § 93 a) § 93 schützt den Wert des Sachganzen gegen Verluste durch Trennung. Wesentlich sind also alle Bestandteile, bei deren Abtrennung erhebliche Werteinbußen eintreten. Entscheidend ist, ob der Wert der Sachteile nach der Trennung annähernd ebenso groß ist wie der Wert der ganzen Sache vor der Trennung47. Der Wertverlust kann eintreten durch Zerstörung von Teilen bei der Abtrennung oder dadurch, daß die Teile nach der Trennung nicht weiter verwendbar sind (Wesensänderung); der Wertverlust kann schließlich darin liegen, daß die Kosten der Abtrennung oder Wiedereinfügung den Wert der abgetrennten Sache aufzehren. Ein Wertverlust wird regelmäßig nicht eintreten, wenn eine Sache aus leicht montierbaren Serienteilen zusammengesetzt ist, welche ohne Aufwand ausgetauscht werden können. Um den Wert des Sachganzen zu erhalten, stellt das Gesetz nicht darauf ab, ob das Ganze durch die Abtrennung zerstört oder unbrauchbar würde. Auf die Unversehrtheit und Brauchbarkeit der Teile kommt es an. Würde man auf das Sachganze abstellen, so wäre fast jeder Teil einer Sache wesentlicher Bestandteil; denn fast alle Teile tragen zur Funktionsfähigkeit einer Sache bei, welche durch die Abtrennung aufgehoben würde. Eine solche Regelung wäre vielleicht konsequent gewesen, um nicht nur den Wert des Sachganzen, sondern das Sachganze selbst zu erhalten48; das Gesetz regelt es anders. Es liegt auch keineswegs ein Redaktionsversehen vor49, die Verfasser des BGB haben es bewußt auf die Teile abgestellt50. Es ist daher de lege lata nicht haltbar, einen wesentlichen Bestandteil schon dann anzunehmen, wenn durch die Abtrennung das Sachganze zerstört oder unbrauchbar würde51. Ob eine solche Regelung de lege ferenda wünschenswert wäre, kann fraglich erscheinen. Der Schutz des Sachganzen bevorzugt die Kreditgeber (Realgläubiger), die z.B. eine Hypothek am Sachganzen haben; er benachteiligt die Warenlieferanten, die mit dem Einbau der Sachen ihr vorbehaltenes Eigentum verlieren. Die jetzige Regelung, welche nicht den Erhalt des Sachganzen anstrebt, begünstigt die Sachlieferanten, da ein Eigentumsvorbehalt in weiterem Um46 47 48 49 50 51

Vgl. Johow, Begründung 43; Protokolle der 1. Kommission 3317 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 435. Vgl. Larenz-Wolf § 20 Rn. 47. Vgl. oben 2 c. So aber Heck § 26, 5 b. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3318 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 435. So aber Heck § 26, 5 b; Michaelis, FS Nipperdey 553 ff.; Spyridakis 27 ff. mit weiterer Literatur. Auch das Reichsgericht hat zunächst auf das Sachganze abgestellt: Eine Fabrik, aus welcher die Antriebsmaschine entfernt sei, sei unbrauchbar; die Maschine sei also wesentlicher Bestandteil, so RG 50, 243; 58, 341; 62, 410; 63, 172; 69, 153. Später hat das Reichsgericht zutreffend § 93 verneint, wenn die abgetrennte Maschine in einem anderen Betrieb verwendbar war und wenn in dem betroffenen Betrieb eine andere Maschine einsetzbar war; vgl. RG 67, 30 ff.; 69, 121; 130, 266. Kritisch zur früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts: Fürst, JW 1906, 154; Krückmann, JW 1906, 673; Geiler, DJZ 1904, 543; Lenel, DJZ 1906, 45; Gutachten Lenel, 29. DJT (1908) III 1 ff.

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§ 2 III 3 b, c

§ 2. Sachen

fange möglich bleibt; das geht auf Kosten der Realgläubiger. Warum man aber durch § 2 III eine gesetzliche Neuregelung einseitig die Interessen der Kreditgeber bevorzugen c sollte, ist nicht zu erkennen. b) Ein wesentlicher Bestandteil liegt zunächst bei „Zerstörung“ vor: Wenn bei der Abtrennung der abgetrennte Teil oder ein anderer Teil der Sache zerstört wird. „Zerstören“ bedeutet Vernichtung der Brauchbarkeit durch Eingriff in die Substanz, z.B. durch Abreißen von Tapeten, Herausreißen von Seiten aus einem Buch, Abbrechen eines Gebäudes u.s.w. Der Zerstörung ist eine erhebliche Beschädigung gleichzustellen52. Der Kreis der wesentlichen Bestandteile ist durch den Fortschritt der Technik und durch Serienproduktion immer weiter eingeschränkt worden. Technische Geräte setzen sich in der Regel aus leicht austauschbaren Serienteilen zusammen, bestehen also ganz aus unwesentlichen Bestandteilen, wie z.B. ein PKW: Motor, Räder, Fahrgestell des PKW bilden unwesentliche Bestandteile53. Der Motor eines PKW kann mit verhältnismäßig geringen Kosten54 ausgebaut werden und ist in einem anderen PKW wieder verwendbar. Auch der restliche PKW ist in gleicher Weise nutzbar, wenn ein neuer Motor eingebaut wird55. Besonders umstritten – da von großem wirtschaftlichen Interesse – war lange Zeit die Frage, ob Maschinen wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind. Nach dem Inkrafttreten des BGB herrschte zunächst die Auffassung vor, die in einem Betrieb verwandten Maschinen seien wesentliche Bestandteile des Betriebsgrundstücks, weil man für die Frage der Zerstörung auf das Sachganze abstellte56. Man hat diese Ansicht inzwischen aufgegeben, zutreffend werden Maschinen überhaupt nicht als Bestandteile des Grundstücks betrachtet, sondern als Zubehör57. Nur dann ist eine Maschine nach § 93 wesentlicher Bestandteil, wenn sie oder das Grundstück (Gebäude) bei der Abtrennung zerstört oder erheblich beschädigt würden58. Solche Fälle sind bisher nicht vorgekommen. c) Eine Sache ist weiter dann gemäß § 93 wesentlicher Bestandteil, wenn sie oder ein anderer Bestandteil der Sache durch die Abtrennung eine Wesensänderung erlitte. Bei der Frage nach dem Wesen einer Sache handelt es sich nicht um eine philosophische, sondern um eine wirtschaftliche Frage59. Eine Sache ändert ihr Wesen, wenn sie allein durch die Trennung, ohne irgendwelche Zerstörungen, ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit ganz oder in erheblichem Maße verliert. Nimmt man von einer Kommode die Schubladen weg, so werden sowohl die Schubladen wie die Restkommode unbrauchbar, ohne daß Zerstörungen eingetreten wären; die Schubladen sind wesent52 53 54 55 56 57 58

59

82

Vgl. Enneccerus-Nipperdey § 125 II 1 a; a.A. Soergel-Mühl § 93 Rn. 7. Für den Motor eines Motorschiffes soll nach RG 152, 98; BGH 26, 227 etwas anderes gelten, was kaum einleuchten kann; vgl. die Literatur bei Staudinger-Jickeli-Stieper § 93 Rn. 21. Im Verhältnis zum Wert des Motors, vgl. dazu BGH 61, 82. Vgl. BGH 18, 226; 61, 80 ff. Vgl. oben a Fn. 51. Zur Behandlung der Frage im 19. Jh. vgl. Holthöfer 102 ff.; eine Rechtsprechungsübersicht findet sich bei Krückmann 2 – 23 und bei Kirsten 40 ff. Vgl. oben 1 b und Planck-Strecker § 93 N. 2 d β; Oertmann § 93 N. 2 d; MünchenerKHolch § 93 Rn. 15. Eine leicht zu behebende und daher unerhebliche Beschädigung des Gebäudes beim Abtransport der Maschine, z.B. die Erweiterung einer Tür, reicht für § 93 nicht aus, vgl. Soergel-Mühl § 94 Rn. 35. Vgl. Otte, Wesen, Verkehrsanschauung, wirtschaftliche Betrachtungsweise, ein Problem der §§ 93, 119 II, 459 und insbesondere 950 BGB, JuS 1970, 154; Müller Rn. 24.

3. Wesentliche Bestandteile nach § 93

§ 2 III 3 d

liche Bestandteile der Kommode nach § 93. Etwas anderes ergäbe sich nur, wenn man Schubladen einzeln nachkaufen könnte. Wie bei der Zerstörung kommt es auch bei der Wesensänderung nicht auf das Sachganze an, sondern auf die Teile. Entfernt man aus einem PKW den Motor, so verliert er sein Wesen als brauchbares Beförderungsmittel; entfernt man aus einem mechanischen Betrieb die Antriebsmaschine, so verliert auch der Betrieb seine Nutzbarkeit und sein früheres Wesen. Indessen kommt es darauf nicht an. Der Rest-PKW, der Betrieb ohne Antriebsmaschine behält seine frühere Brauchbarkeit, da irgendeiner der Serienmotoren wieder eingebaut werden kann. Auch der ausgebaute Motor ändert durch den Ausbau sein Wesen nicht; er ist in einem anderen PKW bzw. Betrieb in gleicher Weise einsetzbar. Natürlich kann im konkreten Fall eine andere Situation gegeben sein, etwa bei einem ausgelaufenen Modell, von dem nur noch wenige Exemplare vorhanden sind. Wird hier der Motor vom PKW getrennt, so kann beides unbrauchbar werden, wenn für den PKW kein passender Motor mehr zu beschaffen ist und der Motor nicht mehr verwertet werden kann, weil mangels vorhandener PKW keine Nachfrage besteht60. Maschinen eines Fabrikgebäudes sind auch unter dem Gesichtspunkt der „Wesensänderung“ regelmäßig keine wesentlichen Bestandteile, da sie nach der Trennung in anderen Betrieben weiter verwendet werden können, während der Betrieb mit einer anderen Maschine weitergeführt werden kann. Eine Maschine wäre nur dann wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, wenn sie eigens für dieses Grundstück hergestellt § 2 III und auf anderen Grundstücken nicht verwendbar wäre. In besonderen Situationen kann eine Sache auch wesentlicher Bestandteil zweier Hauptsachen sein, es ist dann Miteigentum am Bestandteil anzunehmen61. d) Der Wert einer Sache beruht nicht nur auf dem Wert der einzelnen Teile, sondern auch auf dem Arbeitswert der Zusammenfügung. Dieser Wert kann dem Sachwert der Teile gleichkommen oder ihn übertreffen. Das gilt etwa für einen Maßanzug, der durch Auftrennen der Nähte in seine Teile zerlegt wird. § 93 berücksichtigt diesen Wert nicht ausdrücklich, doch darf er gemäß dem Zweck der Vorschrift nicht unbeachtet bleiben62. Ein Teil ist danach auch dann wesentlicher Bestandteil, wenn das erneute Zusammenfügen ebenso viel kostet oder mehr, als der abgetrennte Teil wert ist. Dieser Gedanke liegt auch der im Ergebnis zutreffenden Entscheidung BGH 20, 154 ff. zugrunde, in welcher das Gericht über das Wesen von Schrauben und Meßgeräten meditiert: Eine Schraube verliere ihr Wesen mit dem Einschrauben in ein Gerät, nicht aber ein elektrisches Meßgerät. Richtig ist, daß Schrauben wesentliche Bestandteile eines Gerätes sind, weil die Montagekosten höher sind als der Wert der Schrauben. Wollte man die Schrauben vom Gerät abtrennen, so träte ein Wertverlust ein, der höher wäre als der Wert der abgetrennten Teile. Sind die Montagekosten im Verhältnis zum Wert des abgetrennten Teils wirtschaftlich vertretbar, wie etwa beim Motor oder bei Rädern eines PKW, so greift § 93 nicht ein63. § 93 ist sowohl auf bewegliche Sachen als auch auf Grundstücke anwendbar; für Grundstücke gilt weiter § 94. 60 61 62 63

Zur Problematik bei Gebrauchtwagen vgl. Pinger, JR 1973, 463 f. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1991, 926: Eine Brücke über einen Bach, die zwei Grundstücke verbindet. Zutreffend Oertmann § 93 N. 2 c β; Köhler § 23 Rn. 12; OLG Hamm MDR 1984, 842 f. Vgl. BGH 61, 82.

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§ 2 III 4 a

§ 2. Sachen

4. Wesentliche Bestandteile nach § 94 I a) Nach römischem Recht hatten die auf einem Grundstück befindlichen Gebäude keine abgesonderte rechtliche Existenz; sie waren sonderrechtsunfähige Bestandteile des Grundstücks64: superficies solo cedit. Das Gebäude teilte also das rechtliche Schicksal des Grundstücks, besondere Rechte am Gebäude oder an Gebäudeteilen waren nicht möglich; es gab z.B. kein Stockwerkseigentum, wie in den deutschen oder griechischen Rechten. Andere Sachen als Gebäude konnten Bestandteil des Grundstücks werden, wenn sie fest mit dem Boden verbunden wurden65. Das BGB erkennt das Prinzip des „superficies solo cedit“ grundsätzlich an; zu Recht wurde jedoch betont, daß es sich um eine positivrechtliche Regelung handelt, die Ausnahmen zuläßt66. Grundsätzlich stehen also Gebäude im Eigentum des Grundeigentümers; eine Ausnahme davon regelt § 95. Ausnahmsweise gibt es auch Eigentum an Gebäudeteilen, beim Wohnungs- und Stockwerkseigentum. Gemäß § 94 I 1 (1) sind solche Sachen wesentliche Bestandteile eines Grundstücks, die fest mit dem Grundstück verbunden sind. Feste Verbindung bedeutet nicht untrennbare Verbindung i.S.v. § 93, sonst wäre § 94 I überflüssig. So betonen denn auch die Materialien67, daß eine „feste“ Verbindung auch dann vorliegen kann, wenn der Teil ohne irgendwelche Schäden abgetrennt werden kann. § 94 I ist also nicht nur ein Anwendungsfall des § 93, sondern soll den Kreis der wesentlichen Bestandteile weiter ziehen als § 9368. Was nach § 94 I wesentlicher Bestandteil ist, kann es auch nach § 93 sein, muß es aber nicht. Da jedoch der Zweck des § 94 I derselbe ist wie in § 9369, müssen auch in beiden Fällen die entscheidenden Kriterien gleich sein. Nur der an die Festigkeit der Verbindung anzulegende Maßstab kann verschieden sein. Fest mit dem Boden verbunden können außer Gebäuden Sachen aller Art sein. Problematisch ist, wann die Verbindung als fest zu qualifizieren ist. Der auch hier erfolgende Hinweis auf die Verkehrsanschauung und die Lage des Einzelfalles bringt keine Erhellung. Fest ist die Verbindung immer, wenn bei der Trennung die Teile zerstört oder beschädigt würden70, doch greift in diesen Fällen schon § 93 ein. Fest ist eine Verbindung weiter, wenn sie nur unter solchen Kosten gelöst werden kann, die im Verhältnis zum Wert des abzutrennenden Teils zu hoch sind71. Statt unverhältnismäßig hoher Kosten werden bisweilen auch große Schwierigkeiten oder Mühen bei der Abtrennung genannt, doch läuft das auf das gleiche Ergebnis hinaus. Die Kosten der Abtrennung sind aber auch bei § 93 zu berücksichtigen, so daß sich auch hier kein neues Abgrenzungskriterium gegenüber jener Vorschrift ergibt. Will man dem § 94 I 1 (1) überhaupt 64 65 66 67 68 69 70

71

84

Vgl. Holthöfer 32 ff.; auch Knütel, Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik 554 ff. Vgl. Holthöfer a.a.O. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3326, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 438; Motive 3, 43. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3326, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 439. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3324 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 437 f. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3326, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 438 f. Vgl. MünchenerK-Holch § 94 Rn. 4; Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 7; Soergel-Mühl § 94 Rn. 2; Larenz-Wolf § 20 Rn. 51; Enneccerus-Nipperdey § 125 II 2 a; Köhler § 23 Rn. 13. Palandt-Heinrichs § 94 Rn. 2; MünchenerK-Holch § 94 Rn. 4; Planck-Strecker § 94 N. 4; Enneccerus-Nipperdey § 125 II 2 a.

§ 2 III

4. Wesentliche Bestandteile nach § 94 I

§ 2 III 4 b

eine Bedeutung gegenüber § 93 zukommen lassen, so kann das nur dadurch geschehen, daß man den Maßstab der Verhältnismäßigkeit senkt. Gemäß § 93 ist dann ein wesentlicher Bestandteil gegeben, wenn die Kosten der Abtrennung oder Wiedereinfügung ebenso hoch sind wie der Wert des abgetrennten Teils. Will man dem § 94 I 1 (1) eine eigene Bedeutung geben, so muß man ihn auch dann anwenden, wenn die Kosten der Abtrennung bzw. Wiedereinfügung den Wert des abgetrennten Teils zwar nicht erreichen, eine Abtrennung aber dennoch wegen der entstehenden Kosten nicht als wirtschaftlich sinnvoll erscheint. So mögen die Platten eines Gartenweges zwar mehr wert sein als die Arbeit des Verlegens; dennoch sind die Kosten des Verlegens so hoch, daß es nicht sinnvoll ist, sie herauszureißen und woanders neu zu verlegen, solange sie an ihrem ersten Platz noch genutzt werden. Kies, der auf einer Parkfläche verteilt und verfestigt ist, kann natürlich wieder zusammengebracht und entfernt werden; der Aufwand jedoch stände in keinem Verhältnis zum Wert des Kieses, daher hat der Eigentümer des Grundes gemäß §§ 946, 94 I das Eigentum daran erworben72. Wesentliche Bestandteile nach § 94 I 1 (1) sind etwa (vorbehaltlich des § 95) Bauwerke wie Häuser, Mauern, Brücken, Fertighäuser73; ferner Zäune, Denkmäler, Pflastersteine, Dränagerohre, Versorgungsleitungen74; keine wesentlichen Bestandteile sind etwa Bohnenstangen, Blumenkübel, Holzbuden, Wellblechbaracken, angeschraubte Maschinen, Bahngleise, Marktstände, Regentonnen75. § 94 I 1 ist auch anwendbar, wenn eine Sache fest mit einem Gebäude verbunden ist, wenn dieses nur selbst wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist76. Befindet sich ein wesentlicher Bestandteil auf der Grenze mehrerer Grundstücke, so stehen zwei sachenrechtliche Prinzipien einander gegenüber: Der Grundsatz des superficies solo cedit und der, daß es ein realgeteiltes Eigentum an einer Sache nicht geben kann. Schon die Römer entschieden dahin, daß der letztere Grundsatz zu weichen habe, solange der Bestandteil nicht vom Boden getrennt sei77. Das BGB hat diese Regelung übernommen78. Ein Grenzbaum (vgl. § 923), ein Stein oder eine sonstige Sache, die sich auf einer Grundstücksgrenze als wesentlicher Bestandteil befindet, gehört den Grundeigentümern zu real getrenntem Alleineigentum, soweit sie sich auf dem jeweiligen Grundstück befindet79. Jeder Nachbar kann z.B. von einem Stein seinen Teil abtrennen. Wird § 2 III die Sache vom Boden getrennt, so entsteht Miteigentum im Verhältnis der vorherigen Berechtigung pro diviso80; für Grenzbäume gilt abweichend nach § 923 eine hälftige Berechtigung81. b) Gemäß § 94 I 1 (2) gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks auch die ungetrennten Erzeugnisse (fructus stantes), wie Obst, Gemüse, Ge72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

LG Landshut NJW-RR 1990, 1037. Vgl. dazu Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 10. Vgl. dazu Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 11 und Brüning, Die Sonderrechtsfähigkeit von Grundstücksbestandteilen, VIZ 1997, 398 ff. Vgl. im einzelnen die Kommentarliteratur. Vgl. Planck-Strecker § 94 N. 4; RGRK-Kregel § 94 Rn. 9. Vgl. Paulus D 10, 3, 19 pr. Vgl. Motive 3, 277 f.; dazu auch Knütel, FS Medicus 266 ff. Vgl. Planck-Strecker § 94 N. 4; Soergel-Mühl § 94 Rn. 10; BGH NJW 2004, 3328 ff. Vgl. Paulus D 17, 2, 83. Vgl. Motive 3, 277 f.

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§ 2 III 4 b

§ 2. Sachen

treide, Holz u.s.w. Sie gehören also dem Grundeigentümer82. Nicht zu den Erzeugnis- § 2 III sen gehören die Bodenteile wie Erde, Steine, Sand, Kies, Torf u.s.w. Sie sind auch keine Bestandteile des Grundstücks, da das Grundstück eine einfache Sache bildet83; aus ihnen besteht vielmehr das Grundstück, sie machen seine Substanz aus, so daß sie nicht sonderrechtsfähig sein können, solange sie nicht abgetrennt sind. Ein stehendes Gewässer auf einem Grundstück ist wesentlicher Bestandteil des Grundstücks84, ebenso Erdreich, das durch Überschwemmungen oder Erdrutsche auf ein fremdes Grundstück gelangt ist. Johow sah in diesen Fällen vor, daß das Eigentum am fremden Erdreich bestehen bleibe, solange es unterscheidbar auf dem Grundstück vorhanden sei85. Die zweite Kommission hat das gestrichen, weil die Fälle der Anschwemmung gemäß Art. 65 EGBGB dem Landesrecht zugewiesen wurden und weil die Fälle des Erdrutsches so selten seien, daß eine Regelung nicht erforderlich sei86. Wird Erdreich durch menschliche Tätigkeit zum dauernden Verbleib auf ein fremdes Grundstück gebracht, so wird es sofort Eigentum des Grundstückseigentümers87; andernfalls ist die Eigentumsfrage nach § 94 I zu entscheiden. Der Grundeigentümer wird Eigentümer des Aushubs, wenn dieser mit dem Grundstück fest verbunden ist88; ein „Verwachsen“ wie im römischen Recht ist nicht erforderlich89. Als ein Kriterium der Festigkeit der Verbindung wird man Johows Prinzip der Unterscheidbarkeit ansehen dürfen. Nach römischem Recht konnte die Grundstücksgrenze sich dadurch ändern, daß dem Grundstück Erdreich allmählich (alluvio) oder in ganzen Schollen (gemeinrechtlich: avulsio) angeschwemmt wurde. Voraussetzung war allerdings, daß die Grundstücksgrenze nicht durch eine Landvermessung gradlinig festgelegt war (ager limitatus), sondern offen einem Gewässer folgte (ager arcifinius). Das Eigentum wuchs dem Eigentümer des Ufergrundstücks zu, bei der avulsio allerdings erst, nachdem das Erdreich mit dem Ufer durch Wurzelbildung verbunden war90. Heute regelt sich die Frage des Eigentums gemäß Art. 65 EGBGB nach Landesrecht, die Länder haben die Materie in ihren Wassergesetzen geregelt91. Schwemmt eine Wasserströmung allmählich Land an (alluvio, Anlandung), so ordnen die meisten Landesgesetze einen Eigentumserwerb des Ufereigentümers an, wenn sich auf der Anlandung Pflanzenwuchs gebildet hat und danach drei Jahre verstrichen 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91

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Das entspricht dem römischen Recht, während das deutsche Recht ein Sondereigentum an den Früchten kannte („Wer säet, der mähet“), so auch ALR I 9 § 221. Vgl. oben 1 c; auch Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 19. Vgl. Johow, Begründung 36 f. §§ 10, 11 TE und Begründung 45. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3299 (Mugdan 3, 492). OLG-Report (Zweibrücken) 1997, 238 ff. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 20; MünchenerK-Holch § 93 Rn. 12. „Verwachsen“ bedeutet, daß das Erdreich durch Pflanzenwurzeln mit dem Grundstück verbunden wird; dies fordern Planck-Strecker § 94 N. 3. Vgl. Kaser I § 102 III 2. Vgl. Wassergesetz für Baden-Württemberg vom 1. 1. 1999; bayer. WG vom 19. 7. 1994; Berliner WG vom 3. 3. 1989; brandenbg. WG vom 13. 7. 1994; bremisches WG vom 26. 2. 1991; Hamb. WG vom 20. 6. 1960; hess. WG vom 25. 9. 1996; LandesWG MecklenburgVorpommern vom 30. 11. 1992; nieders. WG vom 25. 3. 1998; LandesWG von NordrheinWestfalen vom 25. 6. 1995; LandesWG Rheinland-Pfalz vom 14. 12. 1990; saarländisches WG vom 3. 3. 1998; sächs. WG vom 21. 7. 1998; WG Sachsen-Anhalt vom 21. 4. 1998; LandesWG Schleswig-Holstein vom 13. 6. 2000; thür. WG vom 4. 2. 1999.

5. Wesentliche Bestandteile nach § 94 II

§ 2 III 5

sind92. Den Eigentumserwerb bei der avulsio, bei der Anlandung ganzer Erdschollen („Erdzungen“), die von anderen Grundstücken abgerissen wurden („Uferabriß“), regeln die Länder in recht unterschiedlicher Weise. Einige ordnen einen sofortigen Erwerb des Eigentums an93, andere verlangen wahlweise, daß entweder die Teile in der Natur nicht mehr unterschieden werden können oder daß die Verbindung drei Jahre angedauert hat94; Niedersachsen und Sachsen-Anhalt verlangen lediglich eine Verbindungsdauer von drei Jahren95. Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen und SchleswigHolstein regeln die Frage nicht. Die oft unvollständigen Regelungen der Wassergesetze werden ergänzt durch die insoweit weitergeltenden Regeln der vorhergehenden Rechtsordnungen, etwa ALR I 9 §§ 223 ff.; Code civil art. 556 ff. und die entsprechenden Regeln des gemeinen Rechts96. So hat etwa der BGH über die Anlandungen an eine Moselinsel im 20. Jahrhundert gemäß dem Code civil (rheinisches Landrecht) entschieden97: Danach gehört gemäß art. 556 Code civil der durch alluvio angeschwemmte Zuwachs dem Eigentümer der Insel, wobei der BGH noch auf entsprechende Regeln des römischen Rechts verweist98. Nach diesen Regeln ist also die Grundstücksgrenze nicht wie sonst festgelegt, sondern zur Uferseite veränderlich. c) Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind gemäß § 94 I 2 auch der ausgesäte Samen und eingepflanzte Pflanzen. Für ausgesäten Samen ergäbe sich dieselbe Rechtsfolge schon aus § 93, denn er könnte nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten wieder vom Grundstück entfernt werden. Bei eingepflanzten Pflanzen nahm das römische Recht die Bestandteilseigenschaft erst an, wenn sie Wurzeln im Grundstück gefaßt hatten. Dem folgten auch Johow, § 8 II TE, und § 784 II des E 1. Die zweite Kommission § 2 III änderte das ab, da der Zeitpunkt des Anwurzelns nicht genau feststellbar sei99. Eine Pflanze wird also sofort mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks.

5. Wesentliche Bestandteile nach § 94 II Wesentliche Bestandteile eines Gebäudes sind alle herstellenden Teile. Gebäude sind Bauwerke, die zum Betreten durch Menschen geeignet sind: Wohnhäuser, Scheu92

93 94 95 96 97 98 99

Berliner WG § 8 I; brandenbg. WG § 9 II; hess. WG § 8 I; LWG Mecklenburg-Vorpommern § 54 I; nw. WG § 9 I; rh-pf. WG § 7 II; saarl. WG § 7 II; schlesw-holst. WG § 94 I; thür. WG § 7 I. Bremen regelt die alluvio nach römischem Recht, § 70 I brem. WG; Bayern begnügt sich mit dem Pflanzenbewuchs für den Eigentumserwerb, Art. 8 bayer. WG; Niedersachen und Sachsen-Anhalt mit der Dreijahresfrist, nds. WG § 71 f., § 73 sachs.-anhalt. WG. In Baden-Württemberg wächst die Anlandung dem Eigentümer des Gewässerbetts an, § 8 II bw. WG. Sachsen regelt die Eigentumsfrage bei der alluvio nicht mehr, § 28 sächs. WG ist aufgehoben; das Hamb. WG bestimmt in § 6 lediglich, daß den bisherigen Anliegern der Zutritt zu den Gewässern zu gestatten sei. Brandenbg. WG § 11, brem. WG § 70 I, hess. WG § 10, LWG von Mecklenburg-Vorpommern § 56, thür. WG § 9, wobei die drei letzten Gesetze Ausnahmen für Bauland vorsehen. So bayer. WG Art. 11, Berliner WG § 9, nw. WG § 10 I, rhl.-pf. WG § 8 I, saarl. WG § 7. Nds. WG § 71, sachs.-anhalt. WG § 73. Vgl. etwa Windscheid-Kipp I § 188, 1 a; vgl. auch die Rechtsprechung bei Soergel-Hartmann Art. 65 EGBGB Rn. 12. BGH NJW 1985, 1289 ff., dazu Kupisch, Eine Moselinsel, Kaiser Napoleon und das römische Recht, JZ 1987, 1017 ff.; Odersky, DNotZ 1991, 108 ff. D 41, 1, 56 pr.; D 41, 1, 65, 3. Protokolle der 2. Kommission 3291 f. (Mugdan 3, 490).

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§ 2 III 5

§ 2. Sachen

nen, Ställe u.s.w. Bauwerke, aber keine Gebäude sind etwa Mauern, Brücken, Denkmäler. Nach h.M. soll § 94 II auf alle Bauwerke anwendbar sein100. Der Wortlaut des Gesetzes läßt aber eine solche Auslegung nicht zu. Auch eine Analogie ist nicht angezeigt: § 94 II läßt ausnahmsweise – entgegen §§ 93, 94 I – für Gebäude wesentliche Bestandteile ohne feste Verbindung zu. Diese gesetzliche Entscheidung ist willkürlich, es liegt ihr kein verallgemeinerungsfähiger Gedanke zugrunde101. § 2 III Ebenso wenig fallen unter § 94 II Schiffe102 oder, wie jetzt vorgeschlagen, Flug103 zeuge ; warum nicht Omnibusse, Wohnmobile, PKW, Kraft- und Fahrräder? Als Argument wird angeführt, daß einige Schiffe sowie Luftfahrzeuge in Register eingetragen würden, welche eine ähnliche Funktion wie das Grundbuch hätten. Das übersieht, daß Gebäude nicht in das Grundbuch eingetragen werden. § 94 II ist selbst auf solche Gebäude anwendbar, welche nach § 95 nicht Bestandteil des Grundstücks sind. Ein anderes Argument geht dahin, ein Sachlieferant könne sich durch eine Schiffshypothek sichern, es stehe also nichts entgegen, ihm sein Vorbehaltseigentum durch Anwendung des § 94 II zu nehmen104. Aber das geht – wie gezeigt – von einem irrigen Vergleichspunkt aus: An Gebäuden gibt es keine Hypotheken, nur an Grundstücken. Im übrigen kann sich jeder Lieferant eines Sachteils durch ein Recht an der ganzen Sache sichern; der Verkäufer eines Sattels kann sich zur Sicherung seiner Forderung das Eigentum am Rad übertragen lassen. Sollte deshalb § 94 II auf Fahrräder anwendbar sein? Wesentlicher Bestandteil ist, was zur Herstellung des Gebäudes dient. Dazu gehören nicht nur Baumaterialien, sondern auch Ausstattungsgegenstände. Da es „das Gebäude“ nicht gibt, ist auf die konkrete Bestimmung des Gebäudes gemäß dem Bauplan abzustellen. Ein Miethaus muß all das enthalten, was erforderlich ist, damit die Wohnungen vermietet werden können. Das kann nach der örtlichen Verkehrssitte verschieden sein. Herstellende Bestandteile sind Türen, Fenster, Rolläden, Heizungs- und sanitäre Anlagen. In manchen Gegenden werden Wohnungen nur mit eingerichteter Küche vermietet; hier ist die Kücheneinrichtung herstellender Bestandteil. Es kommt nicht darauf an, ob die Küche durch den Ausbau beschädigt würde. In Gegenden, in welchen Wohnungen ohne eingerichtete Küchen vermietet werden, sind die eingebauten Küchenmöbel keine wesentlichen Bestandteile nach § 94 II. Würden sie beim Ausbau zerstört oder stark beschädigt, so wären sie wesentliche Bestandteile nach §§ 93, 94 I, andernfalls Zubehör105. 100 101 102

103 104 105

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Vgl. Soergel-Mühl § 94 Rn. 19; Erman-Michalski § 94 Rn. 8; MünchenerK-Holch § 94 Rn. 6; Staudinger-Jickeli-Stieper § 94 Rn. 23. Ebenso im Ergebnis Oertmann § 94 N. 2 a; Planck-Strecker § 94 N. 6 a. So aber die h.M.; vgl. Soergel-Mühl § 94 Rn. 19; Erman-Michalski § 94 Rn. 8; PalandtHeinrichs § 94 Rn. 5; MünchenerK-Holch § 94 Rn. 35; RG 152, 97; BGH 26, 225; LG Hamburg MDR 1955, 413; Spyridakis 57. Palandt-Heinrichs § 94 Rn. 5. So BGH 26, 230. Ablehnend zu Recht Graue, Der Eigentumsvorbehalt an eingebauten Schiffsmotoren, BB 1959, 1282. Zur Kücheneinrichtung vgl. BGH WM 1990, 603; OLG Düsseldorf MDR 1984, 51; OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 19 und JuS 1988, 736; LG Köln WM 1988, 425; LG Hagen, DRpfl 1999, 341. Auch ein Notstromaggregat kann wesentlicher Bestandteil eines Hotelgebäudes sein, wenn ohne dieses ein modernes Hotel als noch unfertig anzusehen ist, vgl. BGH NJW 1987, 3178. Zur Entlüftungsanlage in einer Gaststätte vgl. OLG Hamm MDR 1986, 405 ff. Das OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1039 f. meint – offenbar aufgrund intensiver Feldforschung –, in Wuppertal sei eine eingebaute Küche aus serieller Produktion nicht einmal Zubehör, weil sie von der Verkehrsanschauung nicht als solches angesehen werde.

6. Scheinbestandteile nach § 95

§ 2 III 6

Beleuchtungskörper sind nicht herstellender Bestandteil eines Miethauses, da Mieter die Beleuchtungskörper regelmäßig selbst anbringen. In einem vom Eigentümer bewohnten Haus gehören dagegen die Beleuchtungskörper zu den herstellenden Bestandteilen, denn ein Haus ohne Lampen ist zwar fertig zum Vermieten, nicht aber zum Bewohnen. Zu beachten ist, daß es nur auf den Zweck des Gebäudes ankommt, nicht aber auf einen Zweck, den der Besitzer dem Gebäude gibt, ohne daß er schon im Gebäude angelegt wäre. Richtet jemand in einem Einfamilienhaus eine Werkstatt ein, so dienen die entsprechenden Anlagen nicht zur Herstellung des Einfamilienhauses. Zu einem Fabrikgebäude gehören Licht- und Heizungsanlagen; nicht dazu gehören die Maschinen, die einer bestimmten Betriebsart dienen, etwa Druckereimaschinen. Das Fabrikgebäude war fertig auch ohne die Maschinen, da auch andere Arten von Unternehmungen (etwa: Holz- oder Metallverarbeitung) darin betrieben werden können. Die Maschinen dienen nur dann der Fertigstellung des Fabrikgebäudes, wenn das Gebäude so konstruiert ist, daß es nur für diese Betriebsart und für diese Art von Maschinen gebraucht werden kann; ist das der Fall, so spielt es keine Rolle, daß es sich um leicht auswechselbare Serienmaschinen handelt: Sie sind wesentlicher Bestandteil des Gebäudes106. Alles, was zur Herstellung des Gebäudes gemäß seinem Plane dient, wird wesentlicher Bestandteil, auch wenn es sich um überflüssig luxuriöse Teile handelt (etwa: Treppen aus Marmor) oder gar um Teile, die vom rein praktischen Gesichtspunkt völlig überflüssig sind; etwa Skulpturen oder Säulen, die gemäß dem Bauplan die Hausfassade verzieren. Wesentlicher Bestandteil wird auch, was erst nachträglich eingefügt wird, etwa eine Heizungsanlage in einem Altbau. Voraussetzung für die Anwendung des § 94 II ist eine Verbindung mit dem Gebäude; Türen, die auf den Bauplatz gebracht, aber noch nicht eingefügt wurden, sind keine wesentlichen Bestandteile. Die Verbindung muß aber nicht fest, sondern bestimmungsgemäß sein107. So sind etwa lediglich § 2 III eingehängte Fensterläden in einem Bauernhaus wesentliche Bestandteile. Wenn § 94 II nicht eingreift, so kann eine Sache doch nach §§ 93, 94 I wesentlicher Bestandteil sein.

6. Scheinbestandteile nach § 95 § 95 schließt die Bestandteilseigenschaft in zwei Fallgruppen aus. Die erste Ausnahme, geregelt in § 95 I 1 und § 95 II, beruht auf dem Prinzip, daß eine vorübergehende Verbindung die Sache nicht zum Bestandteil werden läßt. Schon das römische Recht kannte eine entsprechende Regelung108. Sie ist über § 95 hinaus auf Sachen aller Art anwendbar109. Die zweite Ausnahme, geregelt in § 95 I 2, beruht auf einem völlig abweichenden Grundsatz: Was aufgrund eines dinglichen Rechts mit einem Grundstück verbunden wurde, ist nicht Bestandteil des Grundstücks in Bezug auf das Eigentum110. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, daß der dinglich Berechtigte, der Gebäude oder son106 107 108

109 110

Ebenso wie auch eine Serientür nach § 94 II wesentlicher Bestandteil des Gebäudes ist. Vgl. Johow, Begründung 44; auch Müller Rn. 31. Vgl. Holthöfer 39 f.; Johow, Begründung 55. Stieper 91 ff. will die vorübergehende Verbindung als leicht lösbare in Gegensatz zur festen Verbindung verstehen, was weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit ihrem Sinn zu vereinbaren ist. Vgl. oben III 1 c. Vgl. oben III 1 d.

89

§ 2 III 6 a

§ 2. Sachen

stige Werke auf dem Grundstück errichtet, dies im eigenen Interesse tut und daß diese Werke nicht dem Grundstückseigentümer zuzurechnen seien, sondern dem dinglich Berechtigten; die Sachen sind also Bestandteile nicht bezogen auf das Eigentum, sondern auf das beschränkte dingliche Recht111. Auch diese Regelung geht auf das römische Recht zurück112. Der Ausdruck „Scheinbestandteil“ paßt also allenfalls auf die erste Gruppe von Sachen. Diese werden weder wesentliche noch unwesentliche Bestandteile. Die Sachen der zweiten Gruppe werden Bestandteile, wenn auch nicht bezogen auf das Eigentum. a) Sachen, die nur vorübergehend mit dem Grund oder mit einem Gebäude verbunden werden, werden keine Bestandteile des Grundstücks bzw. des Gebäudes113. Keine Rolle spielt es, wer die Verbindung vorgenommen hat, ob der Verbindende Besitzer der Hauptsache ist oder ob er ein Recht zum Besitz hat114. Entscheidend ist der Wille des Verbindenden: Hat er die spätere Trennung von vornherein, d.h. schon zur Zeit der Verbindung, beabsichtigt, so ist die Verbindung vorübergehend. Der Wille kann freilich nur Beachtung finden, soweit er äußerlich in Erscheinung getreten ist. Er kann auch aus den Umständen entnommen werden. Ergibt sich aus den Umständen, daß die Verbindung als dauernd gewollt ist, so ist eine entgegenstehende Erklärung des Verbindenden unbeachtlich115. Eine Verbindung ist auch dann vorübergehend, wenn sie für mehrere Jahre bestehen soll, die spätere Trennung aber von Anfang an beabsichtigt ist. Vorübergehend verbunden sind etwa Baubuden, Bauzäune, Jahrmarktsbuden, Tribünen für einen Umzug, Ausstellungsgebäude, Bäume in einer Baumschule u.s.w. Dauernd ist eine Verbin- § 2 III dung auch dann, wenn sie für die gesamte Lebensdauer der eingefügten Sache bzw. des Gebäudes116 beabsichtigt ist, auch wenn diese kurz ist, wie etwa bei einem Wahlplakat117. Die Tatsache, daß nichts ewig ist und die eingefügten Sachen nach einiger Zeit ausgewechselt werden müssen, macht die Sachen keineswegs zu Scheinbestandteilen118. 111 112 113

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117 118

90

Vgl. Johow, Begründung 56: „Accessionen seines Rechts“; auch Motive 3, 48. Vgl. Johow, Begründung 55 f. Vorübergehend verbundene Bestandteile an Mobilien nach § 93 kann es nicht geben. Denn bei der Trennung werden sie zerstört oder unbrauchbar, sie sind also auf Lebenszeit und nicht vorübergehend verbunden. Anders zu Unrecht Giesen, AcP 202 (2002), 705 ff., der für die Anwendung des § 95 I 2, II ein Besitzrecht an der Hauptsache und an der zugefügten Sache fordert. Andernfalls soll die Sache wesentlicher Bestandteil werden, obwohl sie nur zu einem vorübergehenden Zweck eingefügt wurde! Etwa wenn der Bauherr Türen kauft, sie in seinem Haus montiert, in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Lieferanten aber erklärt, er füge die Türen nur vorübergehend in sein Haus ein. Eine solche Erklärung soll nach Moog, Der Eigentumsvorbehalt an eingefügten Sachen, NJW 1962, 381 ff. wirksam sein, d.h. die eingefügte Sache soll Scheinbestandteil werden, der Eigentumsvorbehalt also fortbestehen. Dagegen zu Recht die h.M., vgl. Erman-Michalski § 95 Rn. 1; BGH NJW 1987, 2702. Ebenso unwirksam ist die Vereinbarung, die Versorgungsleitungen eines Gas- oder Wasserwerks sollten nur vorübergehend mit diesem verbunden sein, da niemand an deren Abtrennung denkt; anders aber hier die h.M., zuletzt BGH V 2 R 35/05, 02.12.05. Das macht die Behauptung, die §§ 93, 94 seien zwingenden Rechts, zu einem unwahren Lippenbekenntnis. Wenn etwa das Gebäude selbst nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtet ist und die eingefügten Sachen bis zur Entfernung des Gebäudes darin verbleiben sollen, vgl. PlanckStrecker § 95 N. 3. Vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1979, 2056; auch RGRK-Kregel § 95 Rn. 15. So aber Brüning (vgl. oben III 4 Fn. 74), VIZ 1997, 401.

6. Scheinbestandteile nach § 95

§ 2 III 6 a aa

Verbindet ein Pächter oder Mieter eine Sache mit dem Grundstück oder Gebäude, so ist zu vermuten, daß die Verbindung nur vorübergehend sein soll119. Ein abweichender Wille ist etwa anzunehmen, wenn ein Mieter eine Sache infolge seiner Reparaturpflicht einfügt; wenn vereinbart ist, daß der Vermieter die eingefügte Sache nach Ende des Vertrages übernimmt; wenn Sachen eingebaut werden, die bei der Trennung zerstört würden; wenn es sich um geringwertige Sachen handelt, bei denen die Ausbaukosten nicht § 2 III lohnen, wie etwa bei eingepflanzten Sträuchern120. Kauft der Eigentümer eines Grund- aa stücks eine Sache unter Eigentumsvorbehalt und fügt er sie ein, so ist eine dauernde Verbindung anzunehmen121; der Käufer rechnet nicht damit, die Sache zurückgeben zu müssen, auf jeden Fall hat er nicht den Willen, die Sache später wieder abzutrennen. aa) Ist eine Sache zunächst für dauernd eingefügt, so kann eine Willensänderung, sie solle nur noch vorübergehend verbunden sein, eine Rechtsänderung nicht herbeiführen; die Sache bleibt wesentlicher Bestandteil122. Die §§ 93 f. sollen einem Berechtigten an der Sache, etwa einem Eigentümer oder Hypothekengläubiger, den Wert der Sache dadurch erhalten, daß sie ein besonderes Eigentum an wesentlichen Bestandteilen ausschließen und dadurch eine Zerlegung und Entwertung der Sache gegen den Willen des Berechtigten ausschließen. Dieser Gesetzeszweck würde verfehlt, wenn man eine nachträgliche Umwandlung eines wesentlichen Bestandteils in eine selbständige Sache zuließe123. Dann könnte der Eigentümer durch einen entsprechend gefaßten Beschluß und eine Veräußerung der nunmehr selbständigen Sache ein Gebäude skelettieren und so eine Hypothek entwerten. Wird umgekehrt eine Sache zunächst vorübergehend eingefügt, so fragt sich, welche Bedeutung eine Willensänderung des Einfügenden dahin hat, die Sache solle nunmehr dauernd eingefügt sein. Nach h.M. wird durch eine solche Willensänderung nichts bewirkt: Die Sache werde nicht Bestandteil, das bisherige Eigentum bleibe bestehen. Zur Eigentumsübertragung an den Eigentümer des Grundstücks bzw. Gebäudes sei ein Rechtsakt gemäß § 929 erforderlich. Denn § 95 stelle nur auf den Zeitpunkt der Einfügung ab, eine Rechtsänderung müsse zudem nach außen erkennbar gemacht werden124. Dem kann man nicht zustimmen. § 95 enthält eine Ausnahmeregelung, welche nur so lange bestehen kann, wie die Grundlage der Ausnahme besteht: der Wille lediglich vorübergehender Verbindung. Endet dieser Wille, so muß auch die Ausnahmeregelung enden125. Eine Publizität kann für die Rechtsänderung nicht verlangt werden, da auch der Wille zu vorübergehender Verbindung nicht von einem Publizitätstatbestand 119 120 121 122 123 124

125

RG 153, 236; BGH 8, 5. Das gilt nach BGH 8, 5 selbst für massive Gebäude, die bei der Entfernung zerstört werden. Zum Grenzstein vgl. BGH NJW 1984, 2303 ff. OLG Düsseldorf NJW 1999, 160 f. RG 62, 410 f.; 63, 422; BGH 26, 231 f.; 53, 327. Vgl. etwa Oertmann § 95 N. 2 a δ; anders zu Unrecht Brüning (vgl. oben III 4 Fn. 74), VIZ 1997, 403; auch Dilcher, JuS 1986, 186. Die Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil bleibt der Sache für die gesamte Zeit der Verbindung, bis zur Abtrennung, vgl. Protokolle der 2. Kommission 3285, Mugdan 3, 488. MünchenerK-Holch § 95 Rn. 10; Oertmann § 95 N. 2 a δ; RGRK-Kregel § 95 Rn. 25; Planck-Strecker § 95 N. 2 a; Staudinger-Jickeli-Stieper § 95 Rn. 14; BGH 23, 59; Brüning (vgl. oben III 4 Fn. 74), VIZ 1997, 401. So im Ergebnis auch Enneccerus-Nipperdey § 125 II 3 a; Erman-Michalski § 95 Rn. 10; Giesen, AcP 202 (2002), 715 ff., der freilich für die Beendigung des Ausnahmetatbestandes des § 95 I 1 zu Unrecht eine Berechtigung am Bestandteil fordert.

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§ 2 III 6 b

§ 2. Sachen

abhängt. Zu beachten ist aber, daß es nur auf den Willen des Einfügenden bzw. seines Rechtsnachfolgers ankommt. Eine vom Mieter eingefügte Sache kann nicht dadurch Bestandteil werden, daß der Grundeigentümer beschließt, die Sache solle dauernd mit dem Grundstück verbunden sein; das würde den in § 95 bezweckten Schutz des Sonderberechtigten (des Mieters) beeinträchtigen. Erwirbt der Grundeigentümer das Eigentum an der verbundenen Sache oder der Sacheigentümer das Grundeigentum, so wird die verbundene Sache regelmäßig Bestandteil; denn der Eigentümer wird den Willen dauernder Verbindung haben. Es ist aber auch das Gegenteil denkbar126. § 95 I 1, II greift nicht nur ein, wenn ein Dritter die Verbindung herbeiführt, sondern auch dann, wenn der Grundeigentümer eine eigene Sache mit dem Gebäude bzw. Grundstück verbindet127. bb) Scheinbestandteile nach § 95 I 1, II sind weder wesentliche noch unwesentliche Bestandteile des Grundstücks. Sie sind wegen der vorübergehenden Dauer der Verbindung auch kein Zubehör, § 97 II 1. Es handelt sich um selbständige Sachen, die vom rechtlichen Schicksal des Grundstücks unabhängig sind. Sie sind immer bewegliche Sachen128, auch wenn es sich um massive Gebäude handelt, und daher nach Mobiliarsachenrecht zu behandeln, z.B. nach §§ 929 ff. Auch die Zwangsvollstreckung erfolgt § 2 III nach den Regeln der Vollstreckung in bewegliche Sachen. Ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft über das Grundstück, z.B. ein Kaufvertrag, erstreckt sich im Zweifel nicht auf die Scheinbestandteile. b) Die Ausnahmeregelung des § 95 I 2 beruht nicht auf dem Prinzip, daß eine vorübergehende Verbindung nicht ausreiche. Die Dauer der Verbindung ist hier ohne Bedeutung. Wer ein dingliches Nutzungsrecht an einem Grundstück hat, wird auf dem Grundstück häufig Gebäude oder sonstige Werke errichten, um die Nutzung zu ermöglichen. Schon nach römischem Recht fielen solche Anlagen nicht in das Eigentum des Grundeigentümers; sie waren vielmehr dem Inhaber des beschränkten dinglichen Rechts zugeordnet, sie gehörten ihm129. Das BGB hat diese Regelung in § 95 I 2 übernommen. Die Vorschrift besagt nach dem Willen des Gesetzgebers also nicht nur, daß die Sachen, die von einem dinglich Berechtigten eingefügt werden, nicht dem Grundeigentümer zuzuordnen sind; sie besagt positiv, daß sie dem dinglich Berechtigten zuzuordnen sind. Die eingefügten Sachen sind also nicht Bestandteil bezogen auf das Eigentum, sondern Bestandteil bezogen auf das beschränkte dingliche Recht130. Die §§ 93, 94, 946 gelten entsprechend. Errichtet etwa der Nießbraucher in Ausübung seines Rechts ein Gebäude, so wird er gemäß §§ 946, 94 I, 95 I 2 Eigentümer des Gebäudes131. Das gilt auch dann, wenn das Baumaterial einem Dritten gehörte132. Das Gebäude ist Bestandteil des Grundstücks nicht in Bezug auf das Eigentum, sondern in Bezug auf den Nießbrauch. Für das Erbbaurecht stellt § 12 I 1 ErbbRVO dies nochmals 126 127 128 129 130 131 132

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RG 97, 105; BGH LM § 95 Nr. 15; BGH NJW 1980, 772. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 8351 (Mugdan 3, 492). Heute unbestritten, zur früheren Kontroverse vgl. Oertmann § 95 N. 1 b. Vgl. Johow, Begründung 55 f.; Motive 3, 48. Vgl. oben III 1 d und III 6 pr. So jetzt auch Wilhelm, Die sachenrechtliche Zuordnung von Leitungen und Kanälen, FS Wolfgang Wiegand, 2005, 685 ff., 697 ff. Anders irrig Giesen, AcP 202 (2002), 703. Gemäß dem Grundsatz „superficies solo cedit“ geht das Eigentum an der zugefügten Sache im Grundstückseigentum auf, gleich wem die Sache gehört.

6. Scheinbestandteile nach § 95

§ 2 III 6 b

fest. Verbindet jedoch der Rechtsinhaber die Bestandteile nur vorübergehend mit dem Grundstück, so sind sie nach § 95 I 1 keine Bestandteile. Wird das Recht übertragen, so geht auch das Eigentum an den Bestandteilen mit auf § 2 III den Erwerber über, etwa wenn der Inhaber einer Grunddienstbarkeit das herrschende Grundstück veräußert. Gemäß § 96 geht auch die Grunddienstbarkeit auf den Erwerber über, der Grunddienstbarkeit folgen die Bestandteile, etwa ein Gebäude, das in Ausübung dieses Rechts errichtet wurde. § 95 I 2 setzt ein dingliches Recht („Recht an einem Grundstück“) voraus; obligatorische Rechte (Miete, Pacht u.s.w.) reichen nicht aus133. In Betracht kommen alle Rechte, welche eine Nutzung des Grundstücks zum Inhalt haben wie Nießbrauch, Grunddienstbarkeiten, persönliche Dienstbarkeiten, Erbbaurecht, nicht dagegen Grundpfandrechte, ein Vorkaufsrecht u.s.w. Die Verbindung muß in Ausübung des Rechts vorgenommen sein, d.h. das Recht muß die Verbindung gestatten. Das Recht muß tatsächlich bestehen, ein Putativrecht reicht nicht aus134; denn nur auf ein bestehendes Recht kann sich die Bestandteilseigenschaft beziehen. Erlischt das Recht, so wird ein Gebäude gemäß § 12 III ErbbRVO wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Nach h.M. ist dies eine Sonderregelung für das Erbbaurecht, die auf andere Rechte nicht auszudehnen sei; erlösche das Recht, so werde die Sache nicht Bestandteil des Eigentums, sondern bleibe selbständig135. Das würde bedeuten, daß der frühere Rechtsinhaber vom Eigentümer des Grundstücks Abtrennung und Herausgabe auf dessen Kosten verlangen könnte, § 985. Das wäre ungerecht, da es Sache des früheren Rechtsinhabers ist, die verbundenen Sachen wieder wegzunehmen. Es ist daher vorzuziehen, bei Beendigung des Rechts das Eigentum an den verbundenen Sachen auf den Grundeigentümer übergehen zu lassen136 und den früheren Rechtsinhaber auf ein Wegnahmerecht zu beschränken, wie es für den Nießbrauch in § 1049 II bestimmt ist. Das Wegnahmerecht ergibt sich aus § 951 II 2. § 95 I 2 gilt für Gebäude und sonstige Werke, welche aufgrund des dinglichen Rechtes errichtet werden. „Werke“ sind „bestimmten Zwecken dienende, nach gewissen Regeln der Kunst oder der Erfahrung hergestellte Gegenstände“137, z.B. Mauern, Brücken, Zäune, Kanäle, Leitungen, Stauwerke, nicht dagegen Erdhaufen oder Pflanzen. Sachen gemäß § 95 I 2 sind keine beweglichen Sachen, sondern Grundstücksbestandteile, wenn sie auch nicht dem Grundeigentümer, sondern einem anderen Rechtsinhaber zugeordnet sind. Regelmäßig sind sie gemäß § 94 I wesentliche Bestandteile. Das Eigentum an ihnen kann also nur zusammen mit dem Recht übertragen, verpfändet, gepfändet werden. Wird etwa ein Grundstück gemäß §§ 20 ff. ZVG beschlag133 134

135

136 137

Heute unbestritten, zur früheren Diskussion vgl. Oertmann § 95 N. 2 b β ββ; PlanckStrecker § 95 N. 4 b. Ebenso Planck-Strecker § 95 N. 4 c; Soergel-Mühl § 95 Rn. 22; Staudinger-Jickeli-Stieper § 95 Rn. 21; Spyridakis 21; Turnau-Förster § 95 N. 4; a.A. Oertmann § 95 N. 2 b β γγ; Fuchs § 95 N. 9 b aa. So etwa Planck-Strecker § 95 N. 4 c; RGRK-Kregel § 95 Rn. 41; Staudinger-Jickeli-Stieper § 95 Rn. 23; Flatten, Bau des Nießbrauchers auf fremdem Grundstück, BB 1965, 1211 ff. So auch Spyridakis 75; für den Fall der Anfechtung vgl. dort 78. Vgl. RG 60, 139; 76, 261.

93

§ 2 III 7

§ 2. Sachen

nahmt, so erfaßt die Beschlagnahme auch die Grunddienstbarkeit und die aufgrund der Grunddienstbarkeit errichteten Gebäude. Der Ersteigerer des herrschenden Grundstücks erwirbt auch diese. Die gleiche Regelung wie in § 95 I 2 galt in der früheren DDR auch für die sondereigentumsfähigen Gebäude, Anlagen, Anpflanzungen und Einrichtungen, welche aufgrund eines Nutzungsrechts nach §§ 287 – 294, 296, 312 ZGB auf einem fremden § 2 III Grundstück errichtet worden sind, vgl. Art. 231 § 5 EGBGB.

7. Unwesentliche Bestandteile Das BGB regelt nur die Rechtsverhältnisse wesentlicher Bestandteile. Die unwesentlichen Bestandteile werden im Gesetz nicht einmal erwähnt. Es ist daher die Ansicht vertreten worden, daß die Regelung der §§ 93, 94 sich auf alle Bestandteile erstrecke, daß es unwesentliche Bestandteile gar nicht gebe138. Das ist abzulehnen; aus der Entstehungsgeschichte der Regelung sowie aus §§ 95, 96 ergibt sich, daß das Gesetz von der Existenz unwesentlicher Bestandteile ausgeht139. Unwesentliche Bestandteile sind alle Bestandteile, soweit sie nicht unter §§ 93, 94 fallen. Entscheidender Gesichtspunkt für die Bestandteilseigenschaft ist die perfectio140. Da der gleiche Grundsatz in § 94 II verwendet wird, kann es unwesentliche Gebäudebestandteile nicht geben. Auch unwesentliche Bestandteile eines Grundstücks kann man sich nicht vorstellen141, da ein Grundstück als solches jederzeit fertig ist und keiner perfectio bedarf. Es kann allerdings für besondere Zwecke hergerichtet werden, etwa als Parkanlage. Doch sind die Dinge, die für eine besondere Nutzungsart mit dem Grundstück verbunden werden, wie etwa Blumenkübel, nicht Bestandteile des Grundstücks142; sie können Zubehör sein. Unwesentliche Bestandteile gibt es also nur an beweglichen Sachen143. Unwesentliche Bestandteile sind z.B. alle serienmäßig hergestellten, leicht auswechselbaren Teile technischer Geräte, z.B. die Reifen oder der Motor eines PKW. Unwesentliche Bestandteile sind sonderrechtsfähig. Die Reifen eines PKW können z.B. einem anderen gehören als dem Eigentümer des restlichen PKW. Werden Sachen zu unwesentlichen Bestandteilen verbunden, so ändert das an der Rechtslage nichts. Der Eigentümer eines Reifens verliert sein Eigentum nicht, wenn der Reifen an einen 138 139 140 141

142 143

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Vgl. Endemann I § 52 I. Vgl. oben I 2 b. Vgl. oben III 1 b. Insbesondere sind Grundstücksteile keine unwesentlichen Bestandteile. Sie können vor der Trennung nicht Gegenstand besonderer Rechte sein, wenn es auch möglich ist, ein Grundstück so zu belasten, daß der Berechtigte nur gewisse Teile des Grundstücks nutzen darf. Die verbreitete Lehre, welche Grundstücksteile als Bestandteile ansieht, verwechselt teilbare und zusammengesetzte Sachen, vgl. oben I 2 b. Vgl. oben III 1 b. RG JW 1928, 561 erachtet Gleisanlagen für unwesentliche Bestandteile des Grundstücks; RG LZ 1919, 857 Gobelins für unwesentliche Bestandteile des Schlosses. Welcher Begriff des „Bestandteils“ dem zugrunde liegt, ist den Entscheidungen nicht zu entnehmen. Das Ergebnis wäre nicht anders ausgefallen, wenn man – zutreffend – Zubehör angenommen hätte.

7. Unwesentliche Bestandteile

§ 2 III 7

fremden PKW montiert wird. Ein Eigentumsvorbehalt etwa geht durch die Verbindung nicht verloren. Ein Pfandrecht an einer beweglichen Sache erstreckt sich nicht kraft nachträglicher Verbindung auf einen unwesentlichen Bestandteil. Andererseits bilden die Bestandteile doch eine wirtschaftliche Einheit, die möglichst erhalten werden soll. Verpflichtungsgeschäfte über die Sache erfassen im Zweifel auch die unwesentlichen Bestandteile. Auch Verfügungen erfassen im Zweifel die ganze Sache. Es ist aber möglich, unwesentliche Bestandteile von einer Verfügung auszunehmen, z.B. einen PKW zu übereignen oder zu verpfänden, ausgenommen den linken Vorderreifen. Der Verfügung über den unwesentlichen Bestandteil kann ein fremdes Recht entgegenstehen. Ist auf einem PKW etwa ein gestohlener Reifen montiert, so kann der Erwerber des PKW § 2 III am Reifen kein Eigentum erwerben, § 935. War der fremde unwesentliche Bestandteil nicht abhanden gekommen, so besteht die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs. Der Erwerber erwirbt das Eigentum am PKW nach § 929, das Eigentum am fremden Reifen nach § 932144. Möglich ist es auch, über einen unwesentlichen Bestandteil allein zu verfügen. Es kann etwa der Motor, ein Reifen u.s.w. eines PKW übereignet oder verpfändet werden145. Natürlich müssen die Voraussetzungen der §§ 929 ff., 1205 f. vorliegen, etwa Besitzverschaffung. Auch die Zwangsvollstreckung in unwesentliche Bestandteile ist möglich, etwa die Pfändung eines montierten PKW-Reifens146. Ist eine Sache gepfändet, so kann der Eigentümer eines unwesentlichen Bestandteils für diesen die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO erheben147. Unwesentliche Bestandteile sind besitzbar und ersitzbar, wenn die Voraussetzungen des § 937 gegeben sind. Sie können mit der Sache vom Sacheigentümer vindiziert werden, auch wenn sie dem Sacheigentümer nicht gehören148.

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Vgl. BGH 18, 233. Nimmt man unwesentliche Bestandteile an Grundstücken an, so sind die Bestandteile bewegliche Sachen, die Verfügung geschieht gemäß § 929 u.s.w.; so zutreffend RG JW 1928, 561; Enneccerus-Nipperdey § 125 IV Fn. 71 gegen RG 158, 369; RG JW 1915, 569. Anders Oertmann § 93 N. 3 und Staudinger-Jickeli-Stieper § 93 Rn. 44, weil nach § 807 ZPO nur Sachen pfändbar seien; aber der unwesentliche Bestandteil ist zugleich selbständige Sache, vgl. oben I 2 b a.E. – Die h.M., die unwesentliche Bestandteile an Grundstücken anerkennt, läßt zu Recht eine Vollstreckung in unwesentliche Grundstücksbestandteile gemäß § 865 II 1 ZPO nicht zu: Wenn Grundstückszubehör nicht einzeln pfändbar ist, so muß das erst recht für Bestandteile gelten, die enger mit dem Grundstück verbunden sind als Zubehör, vgl. Hübner Rn. 322; Soergel-Mühl § 93 Rn. 30; StaudingerJickeli-Stieper § 93 Rn. 45. Vgl. etwa RG 144, 236; Enneccerus-Nipperdey § 125 IV; RGRK-Kregel § 93 Rn. 48. Vgl. oben I 2 b a.E.

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§ 2 IV

§ 2. Sachen

IV. Zubehör Der Begriff des Zubehörs hat sich ebenso wie der des Bestandteils aus dem gemeinrechtlichen Begriff der Pertinenz entwickelt1. Man bezeichnete damit alle Sachen, die zusammen mit einer Hauptsache eine Nutzungseinheit bildeten2. Die naturrechtlichen Kodifikationen unterwarfen das Zubehör weitgehend dem Recht an der Hauptsache3. Das BGB unterscheidet mit dem Pandektenrecht des 19. Jh. Pertinenzen, welche mit der Hauptsache eine Sacheinheit bilden (Bestandteile) und Pertinenzen, bei denen das § 2 IV nicht der Fall ist (Zubehör). Die Bestandteile, soweit sie wesentliche Bestandteile sind, teilen das rechtliche Schicksal der Hauptsache; bei unwesentlichen Bestandteilen und bei Zubehör ist das nicht unbedingt der Fall; Rechtsgeschäfte über die Hauptsache beziehen sich aber praesumptiv auch auf diese Pertinenzen4. Johows Teilentwurf sowie der erste Entwurf sahen eine Regelung vor, wonach Rechtsgeschäfte sich im Zweifel auch auf das Zubehör erstreckten5. Der zweite Entwurf beschränkte die Regelung dahin, daß ein Verpflichtungsgeschäft, gerichtet auf Veräußerung oder Belastung der Sache, sich im Zweifel auch auf das Zubehör erstreckt6. Die Redaktionskommission verwies die Rechtsfolgeregelung in das allgemeine Schuldrecht (§ 314, jetzt § 311 b), während die Definition des Zubehörs mit dem gesamten Recht der Sachen in den allgemeinen Teil des BGB übernommen wurde. Die Bedeutung des Zubehörbegriffs für dingliche Rechtsgeschäfte sollte bei den einzelnen dinglichen Rechtsgeschäften geregelt werden7. Der Zweck des Zubehörbegriffs ist – ebenso wie der des Bestandteils8 – der Erhalt eines wirtschaftlichen Ganzen, und zwar im Interesse eines Erwerbers der Sache oder eines Gläubigers; die Sache und ihr Zubehör sollen möglichst das gleiche Schicksal teilen. Zubehör sind gemäß § 97 bewegliche Sachen, welche dem Zweck der Hauptsache dauernd zu dienen bestimmt sind, die in einem entsprechenden räumlichen Verhältnis zu ihr stehen und die nicht Bestandteil der Hauptsache sind9.

1 2 3 4 5

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Vgl. auch oben III 1 a. Vgl. Holthöfer 88. Vgl. Holthöfer 90 ff. Johow, Begründung 74. Vgl. Johow, TE § 16: „Das eine Sache oder eine selbständige Berechtigung betreffende Rechtsgeschäft erstreckt sich im Zweifel auch auf diejenigen beweglichen Sachen, welche, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, ihr bleibend zu dienen bestimmt, in ein dieser Bestimmung entsprechendes äußeres Verhältnis zu derselben gebracht sind und nach der Verkehrsauffassung als in der Hauptsache begriffen gelten (Zubehör)“. Vgl. auch 1. Entw. §§ 789 f. Vgl. Protokolle zum 2. Entwurf 3314 f. (Mugdan 3, 496 f.). Vgl. Protokolle zum 2. Entwurf 3318 (Mugdan 3, 497). Vgl. oben III 1 f. Der Begriff des Zubehörs wird in einigen Gesetzen abweichend vom BGB bestimmt, auch das öffentliche Recht verwendet den Ausdruck „Zubehör“, ohne jedoch damit einen bestimmten Begriff zu verbinden. „Zubehör“ bedeutet die Zugehörigkeit zu einem anderen Gegenstand in einer nicht näher zu bestimmenden Weise. So können auch Tätigkeiten „Zubehör“ sein, etwa der Verkauf von Zigaretten „Zubehör“ eines Gaststättenbetriebes, vgl. Jellinek § 10 IV a.E.

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2. Zweckbestimmung des Zubehörs

§ 2 IV 2 a

1. Abgrenzung zum Bestandteil Während in der Zeit des Usus modernus Pandectarum Bestandteile und Zubehör ununterschieden im Begriff der Pertinenz aufgingen, wollten die Verfasser des BGB mit dem Pandektenrecht beide Begriffe streng trennen: Eine Sache kann nur Zubehör sein, wenn sie kein Bestandteil ist, § 97 I 1. Die Bestandteile sind enger mit der Sache verbunden als das Zubehör; was schon Bestandteil ist, muß nicht mehr als Zubehör mit der Hauptsache verbunden werden. Was erst Bestandteil werden soll, aber noch nicht mit der Hauptsache verbunden ist, wie etwa Türen, Fenster, Heizkörper u.s.w., die auf der Baustelle lagern, kann bereits Zubehör sein, wenn das erforderliche räumliche Näheverhältnis bereits hergestellt ist und die Sachen dazu bestimmt sind, der Hauptsache auf Dauer zu dienen10. Kein Zubehör ist dagegen der Erdaushub eines Baugrundstücks, der für dauernd auf dem Nachbargrundstück gelagert wird; er ist ein Teil des Grundstücks11. Was wesentlicher Bestandteil ist, ist in §§ 93, 94 geregelt. Vom unwesentlichen Bestandteil unterscheidet sich das Zubehör dadurch, daß es nicht zum Sachteil wird. Bestandteil ist alles, was der perfectio einer Sache dient12; es ist Teil der Sacheinheit, wenn es auch darüber hinaus selbst eine Sache darstellt13. Dagegen ist das Zubehör nicht Teil der Hauptsache, es besteht aus selbständigen Sachen. Immerhin bildet das Zubehör eine wirtschaftliche Einheit mit der Hauptsache, der juristische Zweck des Zubehörbegriffs ist identisch mit dem des Bestandteilsbegriffs. Da auch die Rechtsfolgen bei unwesentlichen Bestandteilen und Zubehör gleich sind, kommt der Unterscheidung eine praktische Bedeutung nicht zu14. Wird ein Zubehör, z.B. der Skihalter, angeschweißt, befestigt § 2 IV im Sinne von § 93, so ist es besser, auch diese Vorschrift anzuwenden.

2. Zweckbestimmung des Zubehörs a) Gemäß § 97 I 1 muß das Zubehör dazu bestimmt sein, dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache zu dienen. Hauptsache und Zubehör haben also einen gemeinsamen Zweck. Es ist anerkannt, daß die Beschränkung auf wirtschaftliche Zwecke zu eng ist. Auch Sachen, welche anderen als wirtschaftlichen Zwecken dienen, können Zubehör haben15, etwa Kirchen16, Kunstwerke, Museen, öffentliche Bäder und Theater, Sportanlagen, Verteidigungsgeräte wie Kanonen, Panzer, Flugzeuge u.s.w. Die Beschränkung auf wirtschaftliche Zwecke erscheint zuerst im zweiten Entwurf, ohne daß 10 11 12 13 14 15

16

Vgl. unten 2 a.E. Vgl. oben III 4 b bei Fn. 88. Vgl. oben III 1 b. Vgl. oben I 2 b. Vgl. oben III 1 a. Vgl. Erman-Michalski § 97 Rn. 3; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 4; Schlegelberger-VogelsHenßler § 97 N. 6; Oertmann § 97 N. 2 e; RGRK-Kregel § 97 Rn. 12. Zur Zubehöreigenschaft von Gartenzwergen vgl. Wieser, NJW 1990, 1971. Vgl. RG JW 1910, 466: Orgel als Zubehör einer Kirche; BGH NJW 1984, 2277 ff.: Glocke als Zubehör einer Kapelle, dazu Dilcher, JuS 1986, 185 ff.; Hardtung, Die Glocke als Selbstzweck, JuS 1987, 80; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1982, 653: Bildstock als Zubehör eines Grundstücks.

97

§ 2 IV 2 b, c

§ 2. Sachen

eine sachliche Änderung gegenüber der weiteren Fassung des ersten Entwurfs beab- § 2 IV sichtigt war17. ,c b) Das Zubehör muß bestimmt sein, dem Zweck der Hauptsache zu dienen. Der Zweck der Hauptsache ergibt sich regelmäßig aus der Sache selbst, doch ist auf jeden Fall derjenige Zweck entscheidend, für den die Sache tatsächlich eingesetzt wird, mag er auch vom normalen Zweck einer solchen Sache abweichen18. Das Zubehör dient der Hauptsache, wenn es entweder die Zweckerreichung erst ermöglicht (Benzin im Tank des PKW) oder doch in irgendeiner Weise fördert; so fördert der Dachgepäckträger oder der Skihalter die Verwendbarkeit des PKW, der Feuerlöscher die Sicherheit, das Autoradio die Bequemlichkeit, die Fußmatte die Sauberkeit u.s.w. Eine Sache wird schon dann Zubehör, wenn sie zum Dienst der Hauptsache bestimmt wird, auch wenn sie noch nicht benutzt wird19; erforderlich ist aber, daß die Sache in das der Bestimmung entsprechende räumliche Verhältnis zur Hauptsache gebracht wird. So sind etwa Maschinen in einer Fabrik schon vor der Betriebsaufnahme Zubehör des Fabrikgrundstücks. c) Die Zweckbestimmung kann nach richtiger Ansicht durch jeden erfolgen, der die tatsächliche Sachherrschaft (unmittelbaren Besitz) über die Sache hat; eine irgendwie geartete Berechtigung an der Sache ist nicht erforderlich20. Umstritten sind die Voraussetzungen der Zweckbestimmung bezüglich des Willens. Daß die Widmung kein Rechtsgeschäft ist, wird allgemein akzeptiert. Nach einer Ansicht handelt es sich um eine Rechtshandlung, welche Geschäftsfähigkeit voraussetzt21. Nach h.M. handelt es sich um eine Rechtshandlung, für welche eine natürliche Willensfähigkeit ausreiche22. Nach einer dritten Ansicht handelt es sich bei der Zweckbestimmung nicht um eine Rechtshandlung, der Wille sei nur insoweit von Bedeutung, als er sich in objektiv erkennbaren Sachlagen verkörpere23. Der Zubehörbegriff dient dem Schutz des Vertrauens, welcher in einem Erwerber oder Pfandgläubiger dadurch hervorgerufen wird, daß die Hauptsache nicht isoliert vorhanden ist, sondern im Zusammenhang mit dienenden Hilfssachen. Insofern kann es also nicht auf den Willen des Besitzers der Hauptsache ankommen, sondern nur auf die objektive Sachlage, auf welche ein Dritter sich verläßt24. Die objektive Sachlage besteht in dem der Zweckbestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis der 17 18 19 20

21 22

23 24

98

Vgl. Protokolle des 2. Entwurfs 3311 (Mugdan 3, 495). Etwa: ein Schiff wird als Hafenrestaurant eingerichtet; vgl. auch Enneccerus-Nipperdey § 126 I 3. Vgl. etwa Oertmann § 97 N. 2 c β; RGRK-Kregel § 97 Rn. 14. H.M., vgl. z.B. Planck-Strecker § 97 N. 2 b δ; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 11; Erman-Michalski § 97 Rn. 5; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 6; Windscheid-Kipp I § 143, 713; Hübner Rn. 329; a.A. O. vGierke II § 105 II 2: Bestimmung nur durch Eigentümer oder Eigenbesitzer. So Planck-Strecker § 97 N. 2 b δ; Enneccerus-Nipperdey § 126 Fn. 7; Windscheid-Kipp I 712. Etwa Erman-Michalski § 97 Rn. 5; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 6; Soergel-Mühl § 97 Rn. 25; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 21; RGRK-Kregel § 97 Rn. 14; BambergerFritsche § 97 Rn. 13. So Kohler, JherJahrb 26, 41; Rostosky, JherJahrb 74, 92; Wieacker, AcP 148 (1943), 94; Oertmann § 97 N. 2 h. Vgl. unten 5 a.

2. Zweckbestimmung des Zubehörs

§ 2 IV 2 d

Hilfssache zur Hauptsache. Besteht ein solches räumliches Verhältnis, so ist die Zubehöreigenschaft grundsätzlich gegeben. Ein entgegenstehender Wille des Besitzers kann also nicht verhindern, daß eine Sache Zubehör wird, wenn das entspre- § 2 IV chende räumliche Verhältnis besteht. Eine Ausnahme ist gemäß § 97 II 1 nur dann gegeben, wenn die Hilfssache nur vorübergehend für die Zwecke der Hauptsache benutzt wird. d) Eine vorübergehende Benutzung liegt vor, wenn schon bei der Indienstnahme der Hilfssache feststeht, daß sie wieder aus dem Wirtschaftsverband der Hauptsache ausscheiden soll25; so etwa, wenn ein Fabrikant an Stelle einer ausgefallenen eigenen Maschine für die Dauer der Reparatur eine fremde Maschine mietet und in seinem Betrieb einsetzt. Die Benutzung ist aber auch dann vorübergehend, wenn sie zunächst auf Dauer beabsichtigt war, diese Absicht aber später aufgegeben wurde26; etwa wenn eine gekaufte Maschine später verkauft wird, aber vom Erwerber noch für einige Zeit zurückgemietet wird27. Eine zunächst vorübergehend benutzte Hilfssache kann später zu dauerndem Zubehör bestimmt werden28. Da aber in allen Fällen das entsprechende räumliche Verhältnis zur Hauptsache den Schein der Zubehöreigenschaft erweckt, so wird die Dauer der Benutzung der Hilfssache vermutet; wer vorübergehende Benutzung behauptet, muß das beweisen. Eine vorübergehende Indienststellung ist regelmäßig anzunehmen, wenn ein Fremdbesitzer der Hauptsache – etwa ein Mieter oder Pächter – Hilfssachen einsetzt29 oder wenn der Eigenbesitzer der Hauptsache fremde Hilfssachen verwendet30. Dagegen werden unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sachen regelmäßig nicht vorübergehend, sondern auf Dauer in den Dienst der Hauptsache gestellt, der Erwerber hat nicht die Absicht, die Indienststellung später aufzuheben31. Dauernde Benutzung bedeutet nicht, daß die Hilfssache für ewige Zeiten der Hauptsache dienen soll. Da nichts ewig ist, genügt es für eine dauernde Benutzung, wenn die Indienststellung für die Lebenszeit der Haupt- oder Hilfssache beabsichtigt ist32. Daher können auch verbrauchbare Sachen Zubehör haben33 oder Zubehör sein34. Eine dauernde Benutzung liegt auch bei solchen Hilfssachen vor, die zunächst als selbständige Sachen vorübergehend der Hauptsache dienen sollen, die dann aber Bestand25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

RG 47, 202. Soergel-Mühl § 97 Rn. 25; a.A. Planck-Strecker § 97 N. 2 e. Daß in solch einem Fall die Hypothekenhaftung fortdauert, spricht nicht gegen die Beendigung der Zubehöreigenschaft. So etwa, wenn ein Mieter oder Pächter eines Grundstücks eigene Hilfssachen benutzt, später aber Eigentümer des Grundstückes wird, RG 132, 324; OLG (Hamburg) 24, 248. So auch Enneccerus-Nipperdey § 126 I 5; Oertmann § 97 N. 2 i; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 19; RGRK-Kregel § 97 Rn. 30. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3312 (Mugdan 3, 496); Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 17. Vgl. BGH JZ 1972, 659. So zutreffend Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 8; RGRK-Kregel § 97 Rn. 29; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 20. Etwa das Bier in der Flasche, die Zigarren in der Kiste, vgl. Oertmann § 97 N. 2 i α. Etwa Kohlenvorräte in einer Fabrik, RG 77, 36 ff.; für Dünger ist dies ausdrücklich in § 98 Nr. 2 bestimmt; vgl. auch Oertmann § 97 N. 2 i β; Planck-Strecker § 97 N. 2 b β; PalandtHeinrichs § 97 Rn. 7; Soergel-Mühl § 97 Rn. 21; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 18.

99

§ 2 IV 3 a, b

§ 2. Sachen

teil der Hauptsache werden sollen35. Das gilt etwa für Baumaterial, das auf dem Baugrundstück lagert. Solange es noch nicht eingebaut ist, ist es Zubehör des Baugrund- § 2 IV b stücks36; mit dem Einbau wird es Bestandteil des Grundstücks.

3. Hauptsachen a) Als Hauptsache, welche Zubehör haben kann, kommt nur eine körperliche Sache in Betracht, nicht ein Recht. Auch das Erbbaurecht, das Wohnungseigentum, das Bergwerkseigentum kann kein Zubehör haben37. Ein Recht kann ebenso wenig Zubehör wie Bestandteile haben. Freilich ist der Zubehörbegriff – ebenso wie der Bestandteilsbegriff 38 – auf ein bestimmtes Recht an der Sache bezogen, regelmäßig auf das Eigentum: Wird das Eigentum am Grundstück übertragen, so geht nach § 926 auch das Eigentum am Zubehör über; wird das Eigentum am Grundstück belastet, so wird auch das Zubehör erfaßt, §§ 1120, 1031. Bezugsrecht kann aber auch ein anderes Recht sein als das Eigentum, z.B. das Erbbaurecht, das Wohnungseigentum, das Bergwerkseigentum39, Dienstbarkeiten. Belastet z.B. der Erbbauberechtigte sein Erbbaurecht mit einer Hypothek, so ergreift diese gemäß § 1120 auch das Zubehör, z.B. die vom Erbbauberechtigten angeschafften Heizölvorräte. Das bedeutet aber nicht, daß das Heizöl Zubehör des Erbbaurechts wäre; es dient dem Haus, nicht dem Erbbaurecht; es ist Zubehör des Hauses, sein Bezugsrecht ist das Erbbaurecht. b) Hauptsache kann ein Grundstück oder eine bewegliche Sache sein. Befindet sich in einer wirtschaftlichen Einheit ein Grundstück oder ein Gebäude, so ist immer dieses Grundstück oder das Gebäude die Hauptsache, wie § 98 zeigt40; die beweglichen Sachen sind Zubehör. Auf den Wert des Grundstücks im Verhältnis zum Wert des Zubehörs kommt es nicht an. Befinden sich in dem wirtschaftlichen Verband mehrere Grundstücke, so ist dasjenige Grundstück die Hauptsache, auf welchem der Schwerpunkt des Wirtschaftsbetriebes liegt41. Läßt sich ein solches Grundstück nicht ermitteln, so sind die Grundstücke insgesamt als Hauptsache anzusehen42. Bei einem wirtschaftlichen Verband beweglicher Sachen ist die Sache Hauptsache, welche nach der Verkehrsauffassung dafür angesehen wird43. Entscheidend ist, daß die Zubehörsache bezüglich des gemeinsamen Zwecks der Hauptsache untergeordnet ist, ihr 35

36 37 38 39 40 41

42 43

Vgl. Planck-Strecker § 97 N. 2 b β; RGRK-Kregel § 97 Rn. 8; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 19; Soergel-Mühl § 97 Rn. 22; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 7; EnneccerusNipperdey § 126 I 3 c; a.A. Kuchinke, JZ 1972, 660 ff. Vgl. RG 66, 356; 77, 36; 84, 284; BGH JZ 1972, 658 f. (BGH 58, 309 ff.). Anders die h.M., vgl. etwa Planck-Strecker § 97 N. 2 a γ; Soergel-Mühl § 97 Rn. 12; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 10. Vgl. oben III 1 d. Vgl. RG JW 1907, 129; auch RG 161, 203; BGH 17, 231 f. Planck-Strecker § 97 N. 2 a ε; Oertmann § 97 N. 2 c; RGRK-Kregel § 97 Rn. 2; Windscheid-Kipp I § 143; Erman-Michalski § 97 Rn. 3; RG 87, 49; RG DR 1942, 137 ff. Bei einem Restaurant mit Garten ist z.B. das Gebäudegrundstück die Hauptsache, nicht das Gartengrundstück; bei einem landwirtschaftlichen Betrieb ist das Grundstück die Hauptsache, auf welchem die Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet sind, nicht ein Ackergrundstück, OLG Stettin JW 1932, 1581; vgl. auch RG JW 1931, 514. Soergel-Mühl § 97 Rn. 13; OLG (Breslau) 35, 291. Vgl. Planck-Strecker § 97 N. 2 a ε; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 10.

100

4. Zubehörsachen

§ 2 IV 4

dient44, so daß die Zubehörsache ohne die Hauptsache funktionslos wäre. Das Größen- oder Wertverhältnis spielt keine Rolle, wenn auch zumeist die wertvollere Sache Hauptsache sein wird. Sachen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen, ohne daß die eine der anderen dient, stehen nicht im Zubehörverhältnis45: Tasse – Untertasse; Messer – Gabel; Schachbrett – Schachfiguren. c) Eine Sache kann nur Hauptsache sein, wenn sie bereits gemäß dem ihr bestimmten Zweck funktionsfähig ist; andernfalls kann sie hinsichtlich dieses Zwecks kein Zubehör haben46. Eine Sache kann Hauptsache bezüglich mehrerer Zwecke sein47, etwa ein Gebäude, das in den verschiedenen Stockwerken verschiedene Betriebe beherbergt. Das Zubehör zu den jeweiligen Unternehmen ist Zubehör des Grundstücks. Hauptsache kann auch ein Bestandteil einer Sache sein, z.B. ein Gebäude, das wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist48. Aber auch ein Sachteil, der nicht Bestandteil ist, z.B. ein Stockwerk eines Hauses, kann Hauptsache sein49, z.B. ein Restaurationsbetrieb, der nur im Erdgeschoß eines Hauses betrieben wird. Das Zubehör, das dem Bestandteil oder dem Sachteil dient, ist zugleich Zubehör des Sachganzen, d.h. des Grundstücks bzw. des Gebäudes50. Hauptsache kann schließlich auch eine Sach- oder Rechtsgesamtheit sein51. Zur Briefmarkensammlung kann als Zubehör ein Album gehören. Dem steht nicht entgegen, daß eine Rechts- oder Sachgesamtheit kein Rechtsobjekt, keine Sache i.S.v. § 90 ist52. Befindet sich in der Sach- oder Rechtsgesamtheit ein Grundstück, so ist dieses allein Hauptsache53, vgl. oben b. Sachenrechtliche Vorschriften für eine bewegliche Sache als Hauptsache eines Zubehörs gibt es nicht. Soweit der Zube- § 2 IV hörbegriff schuldrechtlich relevant wird (etwa in §§ 311 c, 2164), spielt die Sacheigenschaft keine Rolle.

4. Zubehörsachen Zubehör kann gemäß § 97 I nur eine bewegliche Sache sein. Die zuvor etwa im ALR I 2 § 44 erwähnte Möglichkeit, daß Grundstücke Zubehör eines Grundstücks sein 44 45 46

47 48 49

50 51

52 53

Planck-Strecker § 97 N. 2 a ε; Oertmann § 97 N. 2 c. Vgl. Regelsberger, Pandekten § 102 III B; Oertmann § 97 N. 2 c; Planck-Strecker § 97 N. 2 a ε; Enneccerus-Nipperdey § 126 I 1. Heizöl im Tank eines nicht bezugsfertigen Hauses ist kein Zubehör, vgl. OLG Düsseldorf NJW 1966, 1714; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 17; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 5; ferner RG 89, 65; BGH NJW 1969, 36. Vgl. BGH LM § 97 Nr. 3; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 4; Planck-Strecker § 97 N. 2 b α. BGH 62, 51; Soergel-Mühl § 97 Rn. 14; RGRK-Kregel § 97 Rn. 5; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 11. RG 48, 207; RG JW 1909, 485; JW 1933, 924; RG WarnRspr. 1909 Nr. 491; PlanckStrecker § 97 N. 2 b α; Oertmann § 97 N. 2 c β; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 7; RGRK-Kregel § 97 Rn. 5; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Nr. 8. Vgl. RG 89, 63. So zutreffend Rostosky, JherJahrb 74, 145 ff.; Oertmann § 97 N. 2 c α; a.A. die h.M., vgl. z.B. Planck-Strecker § 97 N. 2 a γ; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 4; Soergel-Mühl § 97 Rn. 12; RGRK-Kregel § 97 Rn. 7; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 10; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 13; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 3. Vgl. oben I 2 c. Zum Unternehmenszubehör vgl. unten 7.

101

§ 2 IV 5 a

§ 2. Sachen

könnten, lehnte Johow ab54: Es sei häufig nicht feststellbar, welches Grundstück Hauptsache, welches Zubehör sei. Die Frage, wer Eigentümer der Hilfssache ist, spielt für den Zubehörbegriff keine Rolle; auch fremde Sachen können Zubehör sein. Allerdings berücksichtigen einige Regelungen das Zubehör nur insoweit, als es dem Eigentümer der Hauptsache gehört, z.B. § 1120. Eine Sache kann Zubehör zu mehreren Hauptsachen sein55, etwa eine von mehreren Bauern erworbene Dreschmaschine; sie dient als Zubehör den jeweiligen Grundstükken, welche die Hauptsache bilden. Wird eine der Hauptsachen veräußert, so erstreckt sich gemäß § 311 c die Verpflichtung auch auf den Miteigentumsanteil am Zubehör56. Eine Sache kann auch dann Zubehör sein, wenn sie nur teilweise der Hauptsache dient57, etwa ein PKW, der sowohl einem Unternehmen dient als auch für Privatfahrten des Eigentümers eingesetzt wird. Zubehör sind z.B. das Wirtschaftsinventar eines Gasthauses58, die Vorräte an Kohlen, Heizöl u.s.w. in einem Betrieb59. Dagegen sollen nach h.M. das Bier, sonstige Getränke sowie Speisen kein Zubehör eines Gasthauses sein60, ebenso sollen Rohstoffe, die in einem Betrieb verarbeitet werden, kein Zubehör sein, z.B. Holz in einem Schreinerbetrieb. Es handele sich nicht um Hilfssachen, sondern um Sachen von zentraler Bedeutung, die dem Betrieb gleichwertig gegenüberstünden und nicht dessen Zubehör seien61. Das ist abzulehnen; ohne Rohstoffe kann das Unternehmen nicht betrieben werden, die Rohstoffe dienen dem Unternehmen. Wenn es sich um besonders wichtige Sachen für die Betriebe handelt, so ist die Anwendung der §§ 311 c, 1120 auf diese Sachen geboten; es spricht alles dagegen, den Rohstoffen die Zubehöreigenschaft abzusprechen. Auch § 98 Ziffer 2 zeigt, daß die „zu verarbeitenden Rohstoffe“ wie Jungvieh, Saatgut u.s.w. durchaus als Zubehör anzusehen sind. Kein Zube- § 2 IV hör sind die verkaufsfertigen Produkte des Unternehmens62.

5. Räumliches Verhältnis und Verkehrsanschauung a) Gemäß § 97 I 1 muß eine Zubehörsache in einem bestimmten räumlichen Verhältnis zur Hauptsache stehen: in einem Verhältnis, das der Zweckbestimmung entspricht. Damit wird nicht eine räumliche Nähe des Zubehörs zur Hauptsache verlangt. Der LKW, der die Produkte eines Unternehmens befördert, steht auch dann in einem 54 55 56 57 58 59 60 61

62

Johow, Begründung 71. Oertmann § 97 N. 2 c β; Planck-Strecker § 97 N. 2 a γ; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 10; Soergel-Mühl § 97 Rn. 4; RGRK-Kregel § 97 Rn. 4; Palandt-Heinrichs § 97 Rn. 3. Vgl. RGRK-Kregel § 97 Rn. 4; Rostosky, JherJahrb 74, 120, 150 f. Vgl. RG 47, 200; 157, 47; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 7; RGRK-Kregel § 97 Rn. 15; Soergel-Mühl § 97 Rn. 25. Vgl. Planck-Strecker § 97 N. 2 b β. Vgl. RG 77, 36 ff.; SchlHOLG, SchlHA 1997, 110; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 17; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 7. Vgl. Oertmann § 97 N. 2 c β. Vgl. RG 86, 326; OLG Celle JW 1932, 2456; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 N. 13; Soergel-Mühl § 97 Rn. 23; Erman-Michalski § 97 Rn. 6; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 16; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 16 f. Vgl. Planck-Strecker § 97 N. 2 b β; Oertmann § 97 N. 2 i β; Soergel-Mühl § 97 Rn. 24; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 16; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 17.

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6. Ende der Zubehöreigenschaft

§ 2 IV 6

zweckentsprechenden räumlichen Verhältnis zum Betriebsgrundstück, wenn er mehrere tausend Kilometer davon entfernt ist. Das Zubehör darf aber nicht weiter von der Hauptsache entfernt sein, als dies durch die dienende Funktion des Zubehörteils gefordert wird63. Eine Produktionsmaschine, die auf einem Betriebsgrundstück eingesetzt werden soll, wird erst Zubehör, wenn sie auf dem Grundstück aufgestellt wird; vorher (im Lager des Verkäufers, auf dem Transport u.s.w.) kommt ihr die Zubehöreigenschaft noch nicht zu, auch wenn ihr Zweck bereits feststeht. Das Erfordernis des zweckentsprechenden räumlichen Verhältnisses besagt im Grunde nur, daß das Zubehör sich an einem Ort befinden muß, wo es seine dienende Funktion ausüben kann64. Das zweckentsprechende räumliche Verhältnis läßt die Zubehöreigenschaft nach außen objektiv erkennbar werden65. Auf diesen äußeren Tatbestand darf etwa der Erwerber einer Sache vertrauen: Er hat gemäß § 311 c einen Anspruch auch auf diejenigen Sachen, die erkennbar in einem Zubehörverhältnis stehen. Die Zubehöreigenschaft § 2 IV besteht nur, wenn das zweckentsprechende räumliche Verhältnis besteht; besteht dieses Verhältnis, so ist eine Sache Zubehör, selbst wenn es an einer subjektiven Zweckbestimmung fehlt66. b) Besteht ein zweckentsprechendes räumliches Verhältnis, so kann die Zubehöreigenschaft deswegen fehlen, weil die Verkehrsanschauung Sachen der betreffenden Art nicht als Zubehör ansieht. Die Zubehöreigenschaft wird allerdings vermutet, wenn das räumliche Verhältnis besteht; wer sich auf eine abweichende Verkehrsanschauung beruft, muß dies beweisen, § 97 I 2. Entscheidend ist die Verkehrsanschauung des Ortes, an welchem sich die Hauptsache befindet. Die Verkehrsanschauung steht der Zubehöreigenschaft immer dann entgegen, wenn sie die Rechtsfolgen, die mit der Zubehöreigenschaft verknüpft sind, mißbilligt. Wird etwa eine Sache veräußert, so sind dienende Sachen dann nicht Zubehör und nicht gemäß § 311 c in das Geschäft einbezogen, wenn sie gemäß der Verkehrsanschauung üblicherweise bei der Veräußerung der Hauptsache nicht mitveräußert werden67.

6. Ende der Zubehöreigenschaft Die Zubehöreigenschaft endet, wenn eine ihrer Voraussetzungen entfällt; etwa wenn die Hauptsache oder die Zubehörsache untergeht, wenn ein Betrieb endgültig stillgelegt wird; wenn die Zubehörsache Bestandteil wird68; wenn sie nur noch vorübergehend der Hauptsache dienen soll69; wenn das zweckentsprechende räumliche Verhältnis aufgehoben wird. Dagegen kann ein bloßer Entschluß des Sachbesitzers, die Sache nicht mehr zu benutzen, die Zubehöreigenschaft nicht aufheben70; ein Autoradio bleibt Zubehör, auch wenn der Eigentümer sich entschließt, es nicht mehr in Betrieb zu nehmen. 63 64 65 66 67 68 69 70

Vgl. Motive 3, 63. Oertmann § 97 N. 2 d γ. Vgl. Regelsberger, Pandekten § 102 III C; Rostosky, JherJahrb 74, 92; Planck-Strecker § 97 N. 2 b α. Vgl. oben 2 c. Vgl. Erman-Michalski § 97 Rn. 10; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 30. Vgl. etwa oben 2 d a.E. Vgl. oben 2 d, ferner BGH NJW 1984, 2278. Vgl. Oertmann § 97 N. 5; Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 28.

103

§ 2 IV 7 a

§ 2. Sachen

Gemäß § 97 II 2 hebt eine vorübergehende räumliche Trennung die Zubehöreigenschaft nicht auf; eine Maschine bleibt also Zubehör, auch wenn sie zu Reparaturzwekken vom Betriebsgrundstück entfernt wird. Der Gedanke des § 97 II 2 ist entsprechend anzuwenden, wenn vorübergehend eine andere Voraussetzung der Zubehöreigenschaft entfällt71; wenn ein Betrieb etwa nur vorläufig stillgelegt wird.

7. Unternehmenszubehör a) Nach h.M. kann nur eine Sache i.S.v. § 90 Zubehör haben; ein Unternehmen kann danach kein Zubehör haben72. Meist wird deshalb de lege ferenda die Anerkennung eines selbständigen Unternehmenszubehörs gefordert und darauf hingewiesen, daß § 311 c auf Unternehmen entsprechend anzuwenden sei. Da indessen das Unternehmenszubehör Teil des Unternehmens ist und als solches miterfaßt ist bei Verpflichtungsgeschäften über das Unternehmen, gibt es insoweit keinerlei Schwierigkeiten73; es besteht weder ein Bedürfnis für eine Gesetzesänderung noch für eine entsprechende Anwendung des § 311 c. Anders liegt es bei der Frage der Pfandhaftung (§ 1120). Da es kein Pfandrecht am Unternehmen gibt, kann auch das Unternehmenszubehör nicht als solches der Pfandhaftung unterliegen. De lege ferenda wäre hier eine Abhilfe möglich durch die Zulassung eines Unternehmenspfandrechts, doch ist das Bedürfnis hiernach nicht allzu hoch zu bewerten; denn das Gesetz hat über das Grundstückszubehör eine regelmäßig zufriedenstellende Möglichkeit der Verpfändung des Unternehmenszubehörs geschaffen. Der Usus modernus und die naturrechtlichen Kodifikationen betrachteten die Hilfssachen eines Landguts oder sonstigen Betriebs als typische Pertinenzen des Betriebsgrundstücks74. Als man die Pertinenzen später in Bestandteile und Zubehör unterteilte, erachtete man es als typisch für die Bestandteile, daß sie der perfectio der Sache gemäß ihrem Konstruktionsplan dienen. Was darüber hinaus als Hilfssache für einen besonderen Gebrauch der Sache verwandt werde, sei nicht Bestandteil75. Zubehör seien dagegen alle Hilfssachen einer Hauptsache, gleich zu welchem Zweck diese verwandt werde. Das BGB ist dieser Ansicht gefolgt76. Wie § 97 I 1 zeigt, muß das Zubehör nicht der Hauptsache dienen, vielmehr können auch Zubehör und Hauptsache einem gemeinsamen Zweck dienen77. Der Zweck der Nutzungseinheit kann in der Hauptsache selbst liegen, so in einer Uhr, welcher ein Aufziehschlüssel als Zubehör dient. Der gemeinsame Zweck kann aber auch außerhalb der Hauptsache liegen, etwa in einem gewerblichen Betrieb, dem ein Betriebsgrundstück als Hauptsache dient und dem weitere Sachen als Zubehör des Grundstücks dienen. Das Grundstück dient in solchen Fällen als rechtstechnischer Anknüpfungspunkt, um 71 72

73 74 75 76 77

Vgl. Soergel-Mühl § 97 Rn. 33. Vgl. Enneccerus-Nipperdey § 126 IV; Hübner Rn. 336; Köhler § 22 Rn. 17; ErmanMichalski § 97 Rn. 2; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 13; Soergel-Mühl § 97 Rn. 15; RGRKKregel § 97 Rn. 7; Wieacker, AcP 148 (1943), 91. So zutreffend Staudinger-Jickeli-Stieper § 97 Rn. 11. Holthöfer 90 ff. Vgl. oben III 1 b. Vgl. Holthöfer 112. Vgl. Windscheid-Kipp I § 143; O. vGierke II § 105 Fn. 7; Holthöfer 111.

104

§ 2 IV

7. Unternehmenszubehör

§ 2 IV 7 b

die Hilfssachen des Unternehmens als Zubehör zu erfassen78. Daß das BGB von dieser Konstruktion ausgeht, zeigt § 98: Hilfssachen eines Gewerbebetriebs werden als Grundstückszubehör erfaßt. Wenn die Rechtsprechung also schon früh Hilfssachen eines Unternehmens als Grundstückszubehör erklärte, so entsprach das völlig dem Gesetz und war keine Behelfslösung, wie es bisweilen dargestellt wird79. b) Entgegen diesem Bestreben des Gesetzes, Hilfssachen des Unternehmens mög- § 2 IV lichst als Grundstückszubehör zu erfassen, wird bisweilen das Bemühen deutlich, den Begriff des Grundstückszubehörs einzuengen. So wird etwa behauptet, Hilfssachen eines Unternehmens seien nur dann Grundstückszubehör, wenn die Gebäude nach ihrer baulichen Beschaffenheit speziell für die ausgeübte Betriebsart eingerichtet seien. Hilfssachen eines Metzgereibetriebes seien also nicht Grundstückszubehör, wenn in dem Gebäude auch ein anderes Gewerbe ausgeübt werden könne, wenn dort andere Waren verkauft werden könnten80. Es reiche also keineswegs, wenn der jeweilige Eigentümer einen bestimmten Betrieb in den Gebäuden betreibe, sein Rechtsnachfolger aber ohne weiteres auch einen anderen Betrieb dort betreiben könne81. Das ist abzulehnen. Zweck der §§ 97, 98, 1120 ist es, die Hilfssachen für den Bodenkredit verwertbar zu machen. Die Hypothek auf dem Betriebsgrundstück kann in gewissem Umfang die nicht mögliche Verpfändung des Unternehmens ersetzen. Für eine solche Verwertung der Hilfssachen für den Kredit besteht ein wirtschaftliches Bedürfnis. Es besteht keinerlei Grund, eine solche wirtschaftliche Verwertung der Hilfssachen dadurch zu verhindern, daß man ihnen die Eigenschaft des Grundstückszubehörs abspricht82. Aus dem Erfordernis des § 98, daß der Betrieb dauernd eingerichtet sein muß, ergibt sich nicht, daß die Betriebsgebäude baulich gerade auf diese Betriebsart ausgerichtet sein müßten. § 98 wiederholt hier nur, was auch § 97 fordert: Das Verhältnis Zubehör – Grundstück darf nicht von vornherein als vorübergehend beabsichtigt sein. Eine besondere Ausrichtung der Gebäude ist nicht erforderlich. Es schadet nichts, wenn auf dem Grundstück auch ein beliebiges anderes Gebäude betrieben werden könnte83. Es ist nicht einmal erforderlich, daß das Gebäude sonderlich geeignet wäre für die gewählte Betriebsart. Entscheidend für diese Frage des Zubehörs ist allein, zu welchem Zweck die Hauptsache tatsächlich genutzt wird84, welcher Betrieb also auf dem Grundstück tatsächlich ausgeübt wird85. 78

79 80 81 82 83 84 85

Vgl. Holthöfer 111. Verkannt wird dies in BGH NJW 1983, 746 ff.: Der Wagenbestand eines Transportbetriebes soll danach kein Grundstückszubehör sein, weil die Wagen nicht dem Betriebsgrundstück dienen. So aber z.B. Hübner Rn. 336; MünchenerK-Holch § 97 Rn. 13; Soergel-Marly § 97 Rn. 16. RG JW 1909, 485 f.; BGH 62, 50; OLG (Celle) 2, 172. Vgl. Planck-Strecker § 98 N. 2 c; Erman-Michalski § 98 Rn. 2; BGH 62, 52. Vgl. Siebert, FS Gieseke 66 ff. Vgl. RG 48, 209; BayObLG 12, 313; OLG (Hamm) 5, 78; OLG (Marienwerder) 6, 212; OLG (Colmar) 6, 270; OLG (Oldenburg) 12, 10; OLG (Hamburg) 24, 247; Oertmann § 98 N. 2 a. Vgl. oben 2 b. Anders BGH 62, 53: Hilfssachen des Betriebs seien kein Grundstückszubehör, wenn in einem Wohnhaus ein Büro eingerichtet sei, wenn eine Scheune als Lagergebäude für Baufahrzeuge und Baumaterialien diene. Warum sollte aber in diesen Fällen dem Unternehmer die Möglichkeit genommen werden, die Hilfssachen im Rahmen eines Grundpfandrechts zu verwerten, solange nur objektiv erkennbar ist, welches Gewerbe auf dem Grundstück betrieben wird? Zutreffend jetzt aber BGH IV ZR 45/05 vom 14.12.05.

105

§ 2 IV 8 a

§ 2. Sachen

Auf einem Mißverständnis beruht die Behauptung, ein Betrieb sei dann nicht dauernd eingerichtet, wenn lediglich der jeweilige Eigentümer (Besitzer) des Grundstücks dieses in bestimmter Weise nutze. Eine solche Voraussetzung läuft darauf hinaus, daß die Gebäude so beschaffen sein müßten, daß ein anderes Gewerbe darin gar nicht ausgeübt werden könnte. In den Gesetzesmaterialien findet sich der Hinweis, das Zubehör müsse der Hauptsache dienen; es reiche nicht, daß es dem Besitzer der Hauptsache für seine Person diene86. Das ist zweifellos richtig, hat aber nichts mit der Frage zu tun, welche Voraussetzungen an das „dauernd“ des § 98 zu stellen sind. Betreibt der Eigentümer eines Betriebsgrundstücks auf diesem ein bestimmtes Unternehmen, so ist das Grundstück dauernd für dieses Unternehmen eingerichtet, wenn nicht feststeht, daß das Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt eingestellt werden soll. Es muß keineswegs sichergestellt sein, daß ein Rechtsnachfolger (Erbe, Erwerber) dieses Unternehmen weiterbetreibt. Erforderlich ist nur, daß die Verbindung zwischen Zubehör und Grundstück objektiv erkennbar ist87; daß also die Art des Unternehmens bestimmbar ist, sei es durch die Anlage der Gebäude, sei es durch die dort benutzten Hilfssachen88. c) Als Unternehmensarten kommen nicht nur die in § 98 genannten in Betracht, sondern Unternehmungen aller Art. § 98 hat die einzige Funktion klarzustellen, daß Hilfssachen eines Unternehmens Grundstückszubehör sein können; im übrigen sind stets auch die Voraussetzungen des § 97 zu prüfen89. Eine in § 98 genannte Sache ist also kein Zubehör, wenn sie Bestandteil der Hauptsache ist oder wenn das zweckentsprechende räumliche Verhältnis nicht vorhanden ist. § 98 erläutert und verdeutlicht den § 97, er erweitert ihn aber nicht90. So ist z.B. das Vieh eines Landgutes auch dann Zubehör, wenn es zum Verkauf bestimmt ist; es ist Zubehör, solange es noch ein „zu verarbeitender Rohstoff“ ist91, d.h. solange es aufgezogen wird. Ist es verkaufsreif, so ist es als Endprodukt kein Zubehör mehr92. Ebenso ist der Dünger nur Zubehör, soweit § 2 IV er für den Gebrauch auf dem Gut bestimmt ist, nicht soweit er verkauft werden soll93.

8. Rechtsfolgen der Zubehöreigenschaft a) Während das Gesetz die Rechtslage der unwesentlichen Bestandteile mit Stillschweigen übergeht, hat es die Rechtsfolgen der Zubehöreigenschaft in einer Reihe von Vorschriften geregelt. Alle diese Vorschriften sind entsprechend auf unwesentliche Bestandteile anzuwenden, wenn sich die Rechtsfolge nicht ohnehin bereits aus der engeren Verbindung des Bestandteils mit der Sache ergibt.

86 87 88 89 90 91 92 93

Vgl. Johow, Begründung 69; Motive 3, 62. So dient etwa ein Autoradio dem PKW; ein Roman, der im PKW liegt, dient dem Besitzer des PKW, nicht dem PKW selbst. Vgl. Staudinger-Jickeli-Stieper § 98 Rn. 6; vgl. auch oben 5 a. Vgl. RG WarnRspr 1912 Nr. 286. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3357, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I, 453; RG JW 1909, 70. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3320 (Mugdan 3, 498). Vgl. oben 4. Vgl. Oertmann § 98 N. 2 b α; Staudinger-Jickeli-Stieper § 98 Rn. 12. A.A. Planck-Strecker § 98 N. 3 d.

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8. Rechtsfolgen der Zubehöreigenschaft

§ 2 IV 8 b, c, d

Zubehörsachen sind selbständige Sachen; sie bilden keine sachenrechtliche Einheit § 2 IV mit der Hauptsache94. Rechte an der Hauptsache erstrecken sich also nicht automatisch , c, d auf das Zubehör. Der Eigentümer der Hauptsache muß daher nicht auch Eigentümer des Zubehörs sein. Die Vindikation der Hauptsache erstreckt sich nicht auf das Zubehör (anders als beim Bestandteil)95. b) Gemäß § 311 c erstreckt sich die Verpflichtung, eine Sache zu veräußern oder zu belasten, im Zweifel auf das Zubehör; ähnliche Regelungen finden sich in § 457 (Verpflichtung des Wiederverkäufers), § 1096, 2 (Umfang des Vorkaufsrechts), § 2164 (Umfang des Vermächtnisses). Das Gesetz stellt damit eine Auslegungsregel auf. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Zubehör demjenigen gehört, der die Verpflichtung übernimmt96. c) Für dingliche Geschäfte gibt es keine allgemeine Regel. Wird eine bewegliche Sache übereignet oder belastet, so erstreckt sich das Geschäft immer nur auf diese Sache selbst (Spezialitätsprinzip). Zubehörsachen werden nur dann von der Verfügung betroffen, wenn auch bezüglich ihrer die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind, etwa die Übergabe, vgl. §§ 929, 1032, 1205. Etwas anderes gilt gemäß § 926 bei der Veräußerung eines Grundstücks; Entsprechendes gilt nach § 1031 (Bestellung eines Nießbrauchs an einem Grundstück), § 1062 (Aufhebung des Nießbrauchs an einem Grundstück), § 1093 I 2 (Bestellung eines Wohnungsrechts), § 11 ErbbRVO (Übertragung eines Erbbaurechts). Gemäß Johows Teilentwurf, dem der erste Entwurf folgte, sollten sich alle Rechtsgeschäfte – also auch dingliche – auf das Zubehör beziehen. Der zweite Entwurf beschränkte das auf Verpflichtungsgeschäfte, nahm aber dafür die oben genannten Vorschriften auf 97. Danach erstreckt sich die Verfügung über das Grundstück im Zweifel auch auf das Zubehör, soweit es im Eigentum des Veräußerers steht. Das Eigentum am Zubehör geht über, ohne daß die §§ 929 ff. eingehalten werden müßten. Auch das Spezialitätsprinzip ist nicht gewahrt: Mit einer Verfügung werden Hauptsache und Zubehör erfaßt, beides bildet als Sachgesamtheit insoweit ein sachenrechtsfähiges Rechtsobjekt98. Gehört das Zubehör nicht dem Veräußerer, so kann es gemäß den §§ 932 ff. gutgläubig erworben werden, vgl. § 926 II. d) Unter den dinglichen Verfügungen nimmt die Verpfändung von Grundstücken eine besondere Rolle ein. Schon das gemeine Recht war zu der Auffassung durchgedrungen, das Grundpfandrecht erfasse zwingend das Zubehör, ohne daß es auf den Willen der Parteien ankomme99. Das BGB hat diese Regelung in § 1120 übernommen, vgl. auch §§ 1192, 1199. Die Regelung ist zwingend, die Haftung des Zubehörs ist nicht abdingbar100. Die Regelung wird ergänzt durch die §§ 20 II, 55 I, 90 II ZVG; ferner durch § 865 II 1 ZPO, welcher den Grundpfandgläubiger gegen eine Vollstreckung in das Zubehör schützt. 94 95 96 97 98 99 100

Anders, im Anschluß an deutschrechtliche Vorstellungen, O. vGierke II § 105 I: Sache und Zubehör bilden ein einheitliches Rechtsobjekt. Vgl. oben III 7 a.E. Vgl. Johow, Begründung 76. Vgl. etwa Protokolle der 2. Kommission 3644 ff. (Mugdan 3, 614 ff.). Vgl. oben I 2 c a.E. Vgl. Kohler, JherJahrb 26, 84 ff.; Motive 3, 656 f. RGRK-Kregel 14 vor § 97.

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§2 V 1

§ 2. Sachen

§ 1120 erstreckt sich nur auf das Zubehör, das dem Grundstückseigentümer gehört101. Er erfaßt aber nicht nur das Zubehör zur Zeit der Bestellung des Grundpfandrechts, sondern das gesamte jeweilige Zubehör in seinem wechselnden Bestand. Wenn das Zubehör zum Schutz der Grundpfandgläubiger nicht pfändbar ist, § 865 II 1 ZPO, so kann der Besitzer es doch nach §§ 1204 ff. verpfänden102. Bestand die Hypothek schon vor der Verpfändung, so kann der Mobiliarpfandgläubiger gutgläubig den Vorrang erwerben, § 1208. Bestand das Pfandrecht bereits bei der Bestellung der Hypothek103, so geht das Mobiliarpfandrecht am Zubehör der Hypothek vor. Ein gutgläubiger Erwerb des Vorrangs durch den Hypothekar ist nicht möglich, da das Grundbuch §2 V 1 nichts über das Zubehör aussagt104.

V. Früchte und Nutzungen 1. Entwicklung des Fruchtbegriffs Das römische Recht kannte verschiedene Fruchtbegriffe, je nach ihrer Funktion. Zu den fructus gehörten einmal die organischen Erzeugnisse von Tieren, Pflanzen und Grundstücken, ferner die Ausbeute an Bodenbestandteilen1. Zu den Früchten in einem weiteren Sinne rechnete man auch den Miet- und Pachtzins, wenn man sich auch klar darüber war, daß es sich nicht um Früchte im eigentlichen Sinne handelte: Der Miet- oder Pachtzins war Entgelt für die Gebrauchsüberlassung, stand an Stelle der Früchte, war „loco fructuum“2. Als Früchte im weiteren Sinne bezeichnete man auch die Zinsen eines Kapitals. Es handelte sich hier nicht um Früchte einer Sache, sondern um Früchte eines Rechts3; sie wurden wie Sachfrüchte behandelt4. Soweit nun ein Fruchtziehungsrecht (z.B. des Pächters oder Nießbrauchers) in Betracht kam, galt ein enger Fruchtbegriff: Früchte waren nur die Hervorbringungen, welche aufgrund einer ordnungsmäßigen Wirtschaft erworben waren; das Holz abgehauener, noch tragfähiger Obstbäume gehörte nicht zu den Früchten in diesem Sinne, ebenso wenig das Holz eines Windbruchs5. Soweit dagegen eine Herausgabepflicht in Betracht kam, z.B. des Besitzers bei der Vindikation, galt ein weiter Fruchtbegriff, der auch die genannten Übermaßfrüchte erfaßte6. 101 102 103 104 1 2

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Ebenso auf das Zubehör, an welchem er ein Anwartschaftsrecht hat. RG 63, 373; Planck-Strecker § 97 Rn. 1 d; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 97 Rn. 1. Vgl. den Fall in OLG (Hamm) 27, 153. Vgl. OLG (Hamm) 27, 154 f. Vgl. Ulpian D 24, 3, 7, 14; Kaser I § 93 IV; Regelsberger, Pandekten I § 103 II. Vgl. etwa Ulpian D 5, 3, 29; Kaser I § 93 IV; Regelsberger, Pandekten I § 103 V; Windscheid-Kipp I § 144. Das gemeine Recht bezeichnete diese Entgelte als „fructus civiles“ im Gegensatz zu den „fructus naturales“. Vgl. Papinian D 6, 1, 62 pr.: usura non natura pervenit, sed iure percipitur (Zinsen bringt nicht die Natur hervor, sie werden durch das Recht erworben); Regelsberger, Pandekten I § 103 V; Mackeldey § 143. Vgl. Ulpian D 22, 1, 34: Usurae vicem fructuum optinent et merito non debent a fructibus separari (Zinsen sind den Früchten gleichzustellen und sollten nicht anders als Früchte behandelt werden). Vgl. Ulpian D 24, 3, 7, 12; Regelsberger, Pandekten I § 103 III. Vgl. Regelsberger, Pandekten I § 103 III.

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2. Früchte

§2 V 2 a

Johow betonte, daß man je nach der Funktion verschiedene Fruchtbegriffe unterscheiden müsse. Er wollte in den §§ 20, 21 TE nur eine Regelung für das Fruchtziehungsrecht treffen7. Gemäß § 20 Ziffer 1 waren Früchte die Erzeugnisse und die sonstige Ausbeute, „deren Gewinnung nach den Regeln einer guten, erhaltenden Wirtschaft zur bestimmungsmäßigen Nutzung der Sache gehört“; dazu kamen in Ziffer 2 die mittelbaren Sachfrüchte. Übermaßfrüchte gehörten also nicht zu den Früchten in Johows Sinn. Dagegen beschloß die erste Kommission, einen generellen Fruchtbegriff aufzustellen, der also in allen Fällen, in welchen das Gesetz von „Früchten“ spreche, anwendbar sei8. Das erforderte einen möglichst weiten Fruchtbegriff. Daher wurde die Voraussetzung einer Gewinnung durch „gute, erhaltende Wirtschaft“ fallengelassen. Auch das Merkmal des „bestimmungsgemäßen Gewinnes“ könne für die Erzeugnisse nicht gelten: Erzeugnisse seien immer Früchte; der bestimmungsgemäße Gewinn habe Bedeutung nur für die sonstige Ausbeute9. Die zweite Kommission schuf die Formulierung, wie sie sich in § 99 I findet; sie wollte eine sachliche Änderung nicht herbeiführen10. §2 V

2. Früchte Das Gesetz gibt in § 99 eine Definition der Früchte. Welche Bedeutung dieser Begriff hat, ist an anderer Stelle geregelt. Den Eigentumserwerb an Früchten regeln die §§ 953 ff. Die Berechtigung zum Ziehen der Früchte ist etwa in §§ 581, 1030 geregelt, die Pflicht zur Herausgabe gezogener Früchte in §§ 818 I, 987, 988, 990, 991, 993, 2020. § 101 regelt die Verteilung der Früchte u.s.w. § 99 unterscheidet Sachfrüchte (Abs. 1), Rechtsfrüchte (Abs. 2) sowie mittelbare Sach- und Rechtsfrüchte (Abs. 3.). a) Sachfrüchte (fructus naturales) sind gemäß § 99 I zunächst die Erzeugnisse11. Erzeugnisse sind die organischen Produkte eines Tieres oder einer Pflanze: die Tierjungen, Milch, Wolle, Federn, Eier, Honig, Dünger, Obst, Getreide. Voraussetzung ist, daß bei der Fruchtgewinnung die Muttersache nicht vernichtet oder bleibend gemindert wird. Daher ist wohl das Ei eine Frucht des Huhns, das Küken aber keine Frucht des Eies; ebenso ist das Rindfleisch keine Frucht des Rindes12. Wer die Substanz des ganzen Tieres verwertet, zieht keine Frucht. Wer dagegen die ganze Substanz einer Pflanze verwertet, etwa einen Baum fällt, einen Salatkopf erntet u.s.w., zieht Früchte, und zwar Früchte des Bodens. Nicht nur der Apfel ist eine Frucht des Baumes, die ganze Pflanze ist eine Frucht des Bodens. Das mag zwar in biologischer Hinsicht zweifelhaft sein, 7 8 9

10 11 12

Vgl. Johow, Begründung 81. Vgl. Motive 3, 68. Protokolle der 1. Kommission 3364, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I, 459; vgl. auch § 794 E 1: „Im Sinne des Gesetzes sind Früchte einer Sache die Erzeugnisse der letzteren und diejenige sonstige Ausbeute aus derselben, deren Gewinnung zur bestimmungsgemäßen Nutzung der Sache gehört …“. Protokolle der 2. Kommission 3324 (Mugdan 3, 498). Ein von § 99 abweichender Fruchtbegriff findet sich in § 810 ZPO, vgl. StaudingerJickeli-Stieper § 99 Rn. 5. Gaius D 7, 4, 30; Regelsberger, Pandekten I § 103 I; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 99 N. 4; Staudinger-Jickeli-Stieper § 99 Rn. 6.

109

§2 V 2 b

§ 2. Sachen

rechtlich ist es seit den Römern anerkannt13. Wird die ganze Pflanze verwertet, so wird die Muttersache (Boden) in ihrer Substanz nicht berührt. Für den Fruchtbegriff ist es gleichgültig, ob die Sache, z.B. ein Apfel, schon von der Muttersache getrennt ist oder nicht; erforderlich ist aber, daß sie einmal Teil14 der Muttersache war. Daher kann ein Schaf nicht Frucht des Weidegrundstücks sein15. Da das Gesetz den Fruchtbegriff möglichst weit fassen wollte16, kommt es nicht darauf an, ob die Früchte im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung gezogen werden17; auch durch Raubbau gewonnene Produkte sind Früchte, z.B. das Holz eines noch tragfähigen Obstbaumes18. Ohne Bedeutung ist auch, ob die Früchte bestimmungsgemäß gezogen sind19, d.h. ob die Bestimmung der Muttersache in der Hervorbringung solcher Früchte besteht20. Der Pilz im Wald, das Unkraut im Garten, die unerwünschten Welpen eines Schoßhundes sind Früchte, auch wenn die Muttersache nicht zur Hervorbringung solcher Früchte bestimmt ist. Es spielt ferner keine Rolle, ob der Fruchtziehende ein Recht zum Erwerb der Früchte hatte, ob die Früchte durch menschliche Tätigkeit entstanden sind, ob es sich um wiederkehrende oder gar regelmäßig wiederkehrende Früchte handelt21. Streitig ist, ob der Gewinn eines Unternehmens Sachfrucht oder Rechtsfrucht sei22. Die überwiegende Ansicht hält den Unternehmensgewinn nicht für eine Sachfrucht, da das Unternehmen keine Sache sei; der Unternehmensgewinn sei eher als Rechtsfrucht anzusehen. Indessen ist das Unternehmen ebenso wenig ein Recht wie eine Sache. Sachgerecht ist eine analoge Anwendung, zwar nicht des § 99, weil der Gewinn keine Sache darstellt, wohl aber des § 100, weil er als Gebrauchsvorteil angesehen werden kann23. § 2 V 2 b) Zu den Sachfrüchten gehört gemäß § 99 I weiter die sonstige Ausbeute einer Sache. Der Ausdruck „Ausbeute“ ist zu weit gefaßt, in Betracht kommen nur Boden13

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Vgl. Julian D 22, 1, 25 pr.: fructus non iure seminis, sed iure soli percipitur (Beim Fruchterwerb entscheidet nicht der Samen, sondern der Boden); Reichel, JherJahrb 42, 211, 271; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 99 N. 4; Soergel-Marly § 99 Rn. 6; MünchenerK-Holch § 99 Rn. 2. Nicht Bestandteil; Grundstücke, Tiere und Pflanzen haben als einfache Sachen keine Bestandteile, vgl. oben III 1 c a.E. RGRK-Kregel § 99 Rn. 8. Vgl. oben 1. Vgl. etwa Protokolle der 1. Kommission 3364, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 459; Reichel, JherJahrb 42, 274; Oertmann § 99 N. 2 a; Planck-Strecker § 99 N. 1; SoergelMarly § 99 Rn. 7; RGRK-Kregel § 99 Rn. 2. Freilich bestimmt das Gesetz, daß sich das Recht, Früchte zu ziehen oder zu behalten, nicht auf solche Übermaßfrüchte erstreckt, vgl. §§ 581, 993, 2133; in anderen Fällen ordnet es einen Ersatzanspruch an, § 1039. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3364 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I, 459; Reichel, JherJahrb 42, 273; Erman-Michalski § 99 Rn. 4; RGRK-Kregel § 99 Rn. 8; Staudinger-Jickeli-Stieper § 99 Rn. 6. Der Hinweis auf die Bestimmung in § 99 I bezieht sich nur auf die „sonstige Ausbeute“, vgl. auch oben 1. Vgl. Reichel, JherJahrb 42, 251 f.; Oertmann § 99 N. 2 a. Die Ansicht, der Unternehmensgewinn stehe einer Rechtsfrucht nahe, geht auf BGH 7, 218 zurück; dem folgen BGH LM § 102 Nr. 1; Enneccerus-Nipperdey § 127 IV; MünchenerK-Holch § 99 Rn. 11; RGRK-Kregel § 99 Rn. 4. Für eine Sachfrucht sprechen sich Larenz-Wolf § 20 Rn. 108 ff. aus. Vgl. Soergel-Marly § 99 Rn. 3 mit Lit.; auch RGRK-Kregel § 100 Rn. 1.

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2. Früchte

§2 V 2 b

bestandteile24: Kies, Sand, Torf, Kohle, Kreide, Steine, Erdöl, Lehm u.s.w. Der Ausdruck „bestimmungsgemäße Ausbeute“ ist deshalb zu weit, weil hiernach auch „das Fleisch des Mastochsen als Frucht des Ochsen“ angesehen werden müßte25. Auch die Tortenstücke wären Frucht der Torte, der Wein Frucht der Trauben u.s.w.26 Der Ausdruck „Ausbeute“ muß eingeengt werden, die zweite Kommission übertrug diese Aufgabe der Redaktionskommission, welche aber ihrer Aufgabe nicht nachkam und die Regelung ungeändert übernahm. Zur einengenden Auslegung ist der Grundsatz heranzuziehen, daß bei der Fruchtziehung die Substanz der Muttersache erhalten bleiben muß27. Das ist zwar auch bei der Entnahme der Bodenbestandteile nicht der Fall, diese reproduzieren sich nicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen28. Immerhin bleibt das Grundstück selbst in jedem Fall erhalten, zudem entspricht es einer alten Tradition, die Bodenausbeute zu den Früchten des Bodens zu rechnen. Auch der Gesetzgeber ver- § 2 V stand den Fruchtbegriff in diesem Sinne29. Wie bei den Erzeugnissen kommt es nicht darauf an, ob die „sonstige Ausbeute“ im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gewonnen wird oder eventuell durch Raubbau30; auch eine Regelmäßigkeit des Ertrages ist ohne Bedeutung31. Allerdings muß das Grundstück dazu bestimmt sein, die jeweiligen Bodenbestandteile als Ausbeute zu liefern. Ein im Garten gefundenes Fossil, ein Findling, ein hübscher Stein oder Kristall sind keine Frucht, weil das Garten- oder Ackergrundstück nicht dazu bestimmt ist, solche Dinge als Ausbeute zu liefern. Aus diesem Grund ist auch der oft erwähnte, aber selten gefundene Schatz keine Frucht des Bodens32. Die Zweckbestimmung geschieht durch menschlichen Entschluß, der Verkehrsanschauung kommt dabei keine Bedeutung zu33. Die Bestimmung kann nicht nur durch den Berechtigten getroffen werden34, sondern durch jeden, der die Ausbeutung des Grundstück betreibt35; das for24 25 26 27

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Der Ausdruck „Bestandteil“ ist hier in einem weiteren Sinne verwandt, vgl. oben III 1 pr., III 1 c a.E. So schon Protokolle der 2. Kommission 3324 (Mugdan 3, 498). Vgl. Reichel, JherJahrb 42, 274 ff. Vgl. Reichel, JherJahrb 42, 274 ff.; Planck-Strecker § 99 N. 2 b; Oertmann § 99 N. 2 b; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 99 N. 6; Erman-Michalski § 99 Rn. 6; StaudingerJickeli-Stieper § 99 Rn. 9; RGRK-Kregel § 99 Rn. 9. So etwa das Mineralwasser, eventuell in längeren Zeiträumen auch Torf. Die Ansicht einiger römischer Juristen, in gewissen Gebieten wachse Marmor nach (Iavolen D 23, 5, 18 pr.; Ulpian D 24, 3, 7, 13), wird heute nicht mehr vertreten. Vgl. Johow, Begründung 82; Protokolle der 1. Kommission 3364, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 459. Vgl. Planck-Strecker § 99 N. 2 c; Erman-Michalski § 99 Rn. 5; Staudinger-Jickeli-Stieper § 99 Rn. 9; Enneccerus-Nipperdey § 127 II 1 b. Vgl. Oertmann § 99 N. 2 b α; Hübner Rn. 340. Vgl. Ulpian D 24, 3, 7, 12; Palandt-Heinrichs § 99 Rn. 2. Anders Reichel, JherJahrb 42, 275; Planck-Strecker § 99 N. 2 b; Palandt-Heinrichs § 99 Rn. 2; Soergel-Marly § 99 Rn. 8. Aber auch ein Park wird zum Steinbruch, wenn der Besitzer ihn dazu bestimmt, zutreffend Oertmann § 99 N. 2 b β γγ. So aber OLG (KG) 6, 217; Reichel, JherJahrb 42, 275; weitere Literatur bei Oertmann § 99 N. 2 b β γγ. Planck-Strecker § 99 N. 2 b; Oertmann § 99 N. 2 b β γγ; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 99 N. 6; Staudinger-Jickeli-Stieper § 99 Rn. 8; RGRK-Kregel § 99 Rn. 10; EnneccerusNipperdey § 127 Fn. 11.

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§ 2 V 2 c, d

§ 2. Sachen

dert die Absicht des Gesetzes, einen möglichst weiten Fruchtbegriff aufzustellen. Bestimmt ein bösgläubiger Besitzer ein Grundstück zur Kiesgrube, so ist der gewonnene Kies Ausbeute des Grundstücks. Aus einem Kraftwerk gewonnene Energien sind keine Ausbeute des Werkes36. Ausbeute bedeutet Substanzentnahme, setzt also Sachqualität der Ausbeute voraus37. § 2 V 2 c) Wird die Fruchtziehung an einer Sache gegen Entgelt einem anderen überlassen, d so ist auch das Entgelt gemäß § 99 III als Sachfrucht anzusehen38. Man spricht hierbei von Zivil- oder Verkehrsfrüchten, von juristischen oder bürgerlichen Früchten oder von mittelbaren Sachfrüchten. Eigentlich handelt es sich überhaupt nicht um Früchte, das Entgelt für die Überlassung des Fruchtziehungsrechts steht loco fructuum, ist Frucht nur im weiteren Sinne39. Es handelt sich überhaupt nicht um Sachen, denn bereits die Forderung auf den Miet- oder Pachtzins ist mittelbare Sachfrucht. Wenn § 99 III diese Früchte den Sachfrüchten gleichstellt, so kann das nur eingeschränkt gültig sein. Beispielsweise können die §§ 953 ff. auf mittelbare Sachfrüchte nicht angewandt werden, wohl etwa die §§ 581, 1030, 987, 818 I. Mittelbare Sachfrüchte sind außer den Miet- und Pachtzinsen etwa das Entgelt für die Überlassung einer Sache zum Nießbrauch, die Überbaurente40, Enteignungsentschädigung für Nutzungsentzug. d) Gemäß § 99 II gehören zu den Früchten auch die Erträge, die ein Recht gewährt, Rechtsfrüchte. Das angegebene Beispiel der gewonnenen Bodenbestandteile zeigt, was das Gesetz mit Rechtsfrüchten meint: Es handelt sich um Früchte einer Sache (z.B. eines Grundstücks), die selbst wiederum Sachen (etwa Steine) sind41. Unklar ist, worin sich diese Rechtsfrüchte von den Sachfrüchten des § 99 I unterscheiden sollen. Das unterscheidende Kriterium liegt in der Frage, ob und wie der Fruchtziehende berechtigt ist, die Früchte zu ziehen. Hat er kein Fruchtziehungsrecht, so sind die gezogenen Früchte keine Rechtsfrüchte, sondern Sachfrüchte. Hat der Fruchtziehende ein Recht, so sind gemäß § 99 II Rechtsfrüchte anzunehmen, etwa beim Nießbraucher, Pächter, Inhaber des Bergwerkseigentums u.s.w. Davon auszunehmen ist das Eigentumsrecht. Ist der Fruchtziehende Eigentümer der Muttersache, so sind die von ihm gezogenen Früchte Sachfrüchte42. Auch hier zeigt sich eine Verwechslung von Sache und Eigentum43; denn da das Eigentum ein Recht ist, müßten eigentlich auch die vom Eigentümer gezogenen Früchte als Rechtsfrüchte bezeichnet werden. Das Gesetz tut das aber nicht. Da die genannten „Rechtsfrüchte“ des § 99 II in Wirklichkeit Sachfrüchte sind, ist auf sie § 99 I anzuwenden. Ein Nießbraucher, Pächter u.s.w. zieht also „Rechtsfrüchte“, wenn er Erzeugnisse der Muttersache oder eine sonstige Ausbeute gewinnt. Es zeigt 36

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Enneccerus-Nipperdey § 127 Fn. 12; Planck-Strecker § 100 N. 1; Staudinger-Jickeli-Stieper § 99 Rn. 10; MünchenerK-Holch § 99 Rn. 5; RGRK-Kregel § 99 Rn. 9; Soergel-Marly § 99 Rn. 9; a.A. Erman-Michalski § 99 Rn. 5. Vgl. auch oben 2 a a.E. Der Gegenwert für die Sache selbst (z.B. Kaufpreis) ist keine Frucht i.S.v. § 99 III. Vgl. oben 1. Vgl. Reichel, JherJahrb 42, 300; Planck-Strecker § 99 N. 4; Erman-Michalski § 99 Rn. 9. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3370, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 461. Schlegelberger-Vogels-Henßler § 99 N. 8; Erman-Michalski § 99 Rn. 8, 10; Palandt-Heinrichs § 99 Rn. 3; Enneccerus-Nipperdey § 127 III; Larenz-Wolf § 20 Rn. 103. Ebenso Affolter 17 ff.

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2. Früchte

§2 V 2 e

sich, daß der Begriff der Rechtsfrucht in diesem Sinne überflüssig ist44, er ist lediglich geeignet, Verwirrung hervorzubringen45. Gemäß § 99 II liegt eine Rechtsfrucht nur vor, wenn der Fruchtgewinn der Bestimmung des Rechts entspricht. Der Mieter oder der Bergwerkseigentümer, der Äpfel aberntet, zieht keine Rechtsfrüchte, da sein Recht hierauf nicht gerichtet ist. Er zieht aber als Nichtberechtigter gemäß § 99 I Sachfrüchte. Das Erfordernis der Bestimmungsgemäßheit in § 99 II engt also den Fruchtbegriff nicht ein. Irrig wird bisweilen behauptet, Übermaßfrüchte, die z.B. ein Nießbraucher ziehe, seien nicht bestimmungsgemäß gezogen, also überhaupt keine Früchte i.S.v. § 99 II46. Das verwechselt Bestimmungsgemäßheit und Ordnungsgemäßheit. Holzt der Nießbraucher Obstbäume ab, so ist das nicht ordnungsgemäß, entspricht aber der Bestimmung des Nießbrauchs, Bodenerzeugnisse zu ziehen. Das Holz ist Rechtsfrucht, vgl. § 1039. §2 V e) Umstritten ist, ob es neben den genannten Rechtsfrüchten – die in Wirklichkeit Sachfrüchte sind – auch reine Rechtsfrüchte gibt. Da ein Recht nie eine Sache hervorbringen kann, sondern wiederum nur ein Recht, so muß die Rechtsfrucht in einem Recht bestehen47. Einige Autoren bestreiten die Existenz solcher Rechtsfrüchte: Eine Rechtsfrucht im Sinne des § 99 II sei immer zugleich Sachfrucht48. Die erste Kommission war anderer Ansicht, als reine Rechtsfrüchte betrachtete sie etwa Kapitalzinsen, Leistungen aus Reallasten und sonstige wiederkehrende Leistungen, welche das Hauptrecht nicht mindern49. Genannt werden in der Literatur ferner die einzelnen Ansprüche aus einer Leibrente, einer Rentenschuld, eines Altenteilsrechts (Art. 96 EGBGB); der Anspruch auf Dividende aus einer Aktie; Gewinne aus einem Verlagsrecht, einem Patentrecht u.s.w. Gemeint sind jeweils die Ansprüche auf die Leistungen, da Rechtsfrüchte nur Rechte sein können. Welche Bedeutung kann es haben, solche Ansprüche als Früchte zu bezeichnen? Die §§ 953 ff. und die §§ 987 ff. sind auf sie nicht anwendbar, da sie keine Sachen sind. Reine Rechtsfrüchte können also nicht mit den Sachfrüchten gleichgestellt werden, der Fruchtbegriff des § 99 ist mehrdeutig. Rechtsfrüchte sind allenfalls Früchte in einem weiteren Sinne50. Auch für das Recht, Früchte zu ziehen, ist der Begriff der reinen Rechtsfrucht überflüssig. Ein Pachtvertrag über die genannten Mutterrechte wird kaum vorkommen, die Rechte des Nießbrauches sind in den §§ 1068 ff. geregelt, ohne daß der Fruchtbegriff benötigt würde. Es bleiben nur die Herausgabeansprüche. Wer rechtsgrundlos eine verzinsbare Forderung erwirbt und Zinsen einzieht, hat nicht nur die Forderung gemäß § 812 herauszugeben, er muß gemäß § 818 I auch die Zinsen erstatten. In diesem eingeschränkten Bereich kann es also 44 45

46 47 48 49 50

Im § 101 Nr. 1 faßt das Gesetz diese Früchte mit den Sachfrüchten zusammen. So behauptet etwa Affolter 16 ff., es gebe überhaupt nur Rechtsfrüchte, § 99 I sei überflüssig, denn Sachfrüchte seien in Wirklichkeit Rechtsfrüchte, die aufgrund des Eigentums gezogen würden. Das ist jedoch nicht richtig: Wer kein Fruchtziehungsrecht hat, kann keine Rechtsfrüchte gewinnen, nur Sachfrüchte. Gegen Affolter auch Planck-Strecker § 99 N. 1; Oertmann § 99 N. 5; Enneccerus-Nipperdey § 127 Fn. 16. Nach Oertmann § 99 N. 3 handeln § 99 I und § 99 II von Sachfrüchten, § 99 I ohne Berücksichtigung eines Fruchtziehungsrechts, § 99 II mit dessen Berücksichtigung, wobei auch das Eigentum unter § 99 II falle. Vgl. Oertmann § 99 N. 3 b; Soergel-Marly § 99 Rn. 13. Reichel, JherJahrb 42, 291 f. Vgl. Windscheid-Kipp I § 144, 1 b; Oertmann § 99 N. 3; Endemann I § 55 I 1. Protokolle der 1. Kommission 3370, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 461. Vgl. oben 1.

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§2 V 3

§ 2. Sachen

sinnvoll sein, den Begriff „reine Rechtsfrüchte“ zu verwenden. Auch das Gesetz rechnet in § 101 Nr. 2 die Zinsen, Gewinnanteile und Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen zu den Rechtsfrüchten. f) Ebenso wie es mittelbare Sachfrüchte gibt, kennt das Gesetz in § 99 III auch mittelbare Rechtsfrüchte51. Eine mittelbare Rechtsfrucht ist etwa gegeben, wenn ein Nießbraucher ein Grundstück verpachtet. Die vom Pächter geernteten Früchte sind unmittelbare Rechtsfrüchte i.S.v. § 99 II, der Pachtzins, den der Nießbraucher erhält, ist eine mittelbare Rechtsfrucht.

3. Nutzungen „Nutzung“ umfaßt als Oberbegriff die Früchte und die Gebrauchsvorteile einer Sache oder eines Rechts, § 100. Gebrauchsvorteile sind alle Vorteile, welche durch den Gebrauch einer Sache oder eines Rechts entstehen52: Wohnen in einem Haus, Schlafen in einem Bett, Spielen auf einem Instrument, Reiten auf einem Pferd, Fahren in einem PKW, Energiegewinn durch ein Kraftwerk53, das Stimmrecht eines Gesellschaftsanteils54 u.s.w. Analog ist § 100 auch auf den Unternehmensgewinn anwendbar55. Denkbar ist, daß eine Sache sowohl Früchte als Gebrauchsvorteile bringt, etwa ein Grundstück, ein Pferd. Voraussetzung ist aber immer, daß der Vorteil durch den Gebrauch der Sache gewonnen wird. Daher ist der gefundene Schatz kein Gebrauchsvorteil56, auch Gewinne durch Verbrauch oder Veräußerung bzw. Belastung einer Sache gehören nicht hierher57, da „Gebrauch“ voraussetzt, daß die Sache bzw. der Sachwert dem Gebrauchenden erhalten bleibt. „Gebrauch“ liegt auch z.B. in der Ausstellung eines Tieres, ein gewonnener Preis ist ein Gebrauchsvorteil58. Keine Bedeutung hat es, ob es sich um einen einmaligen, mehr zufälligen Gewinn handelt oder ob die Sache regelmäßig zur Gewinnerzielung eingesetzt wird59. Wer mit seinem Reitpferd zufällig an einem Rennplatz vorbeikommt, ausnahmsweise und spontan an einem Wettrennen teilnimmt und sogar noch gewinnt, erlangt ebenso Gebrauchsvorteile aus seinem Pferd wie derjenige, der sein Rennpferd regelmäßig an Rennen teilnehmen läßt. Die Frage der Regelmäßigkeit hat für § 100 keine Bedeutung.

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Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3370, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 461; Enneccerus-Nipperdey § 127 III. Zur Berechnung des Vorteils vgl. MünchenerK-Holch § 100 Rn. 9 ff. Vgl. Planck-Strecker § 100 N. 1; Staudinger-Jickeli-Stieper § 100 Rn. 3; MünchenerKHolch § 100 Rn. 4; vgl. auch oben 2 b a.E. Vgl. etwa Erman-Michalski § 100 Rn. 2. Vgl. oben 2 a a.E. Vgl. Planck-Strecker § 100 N. 1; Oertmann § 100 N. 1 b; MünchenerK-Holch § 100 Rn. 6. Vgl. Planck-Strecker § 100 N. 1; Oertmann § 100 N. 1 b; Schlegelberger-Vogels-Henßler § 100 N. 1; Erman-Michalski § 100 Rn. 3; Staudinger-Jickeli-Stieper § 100 Rn. 1 und 4; MünchenerK-Holch § 100 Rn. 5; RGRK-Kregel § 100 Rn. 4; Soergel-Marly § 100 Rn. 5; Larenz-Wolf § 20 Rn. 112. So zutreffend Affolter 80 und 220; a.A. Planck-Strecker § 100 N. 1; Oertmann § 100 N. 1 b. Anders Oertmann § 100 N. 1 b; Soergel-Marly § 100 Rn. 3; Enneccerus-Nipperdey § 127 Fn. 21.

114

§2 V 3

4. Verteilung der Früchte; Kosten und Lasten

§2 V 4 a

4. Verteilung der Früchte; Kosten und Lasten

§2 V

Folgen mehrere Fruchtziehungsberechtigte aufeinander, so tritt das Problem auf, wem die Früchte gebühren, wer die Lasten zu tragen hat und wie die Kosten der Fruchtgewinnung zu verteilen sind. Das Gesetz regelt diese Fragen in den §§ 101 – 103. a) Folgen mehrere Fruchtziehungsberechtigte aufeinander, so regelt das Gesetz in § 101, wem die Früchte gebühren. Es geht dabei nicht um die Eigentumsfrage (vgl. §§ 953 ff.), sondern um eine schuldrechtliche Zuweisung, aus der evtl. Herausgabeansprüche entstehen können. Als Fruchtziehungsberechtigte kommen in Betracht: mehrere Eigentümer im Falle einer Veräußerung, Eigentümer und Pächter bei Pachtbeginn, Pächter und Eigentümer bei Pachtende, Eigentümer und gutgläubiger Besitzer (vgl. § 993 II) u.s.w. Die Regelung des § 101 greift subsidiär ein, wenn nicht das Gesetz (z.B. § 987) oder ein Vertrag etwas anderes vorsieht. § 101 Nr. 1 regelt die Fruchtverteilung bei allen Früchten, die Sachen sind, seien es nach der gesetzlichen Terminologie nun Sachfrüchte60 oder unechte Rechtsfrüchte61. Die Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Hat etwa der Pächter eines Gutes die Felder bestellt und ist der Pachtvertrag kurz vor der Erntezeit erloschen, so muß entschieden werden, ob die Früchte dem Pächter oder dem Eigentümer gebühren. Nach germanischem Recht gebührten die Früchte dem, der das Feld bestellt hatte: Wer sät, der mäht (Produktionsprinzip)62. Das gleiche gilt nach vorklassischem römischem Recht63. Danach würden in unserem Beispiel die Früchte dem Pächter gebühren. Dagegen spricht das spätere römische64 sowie das gemeine Recht65 die Früchte dem zu, der zur Zeit der Trennung fruchtziehungsberechtigt war (Trennungsprinzip, Substantialprinzip). In unserem Fall würden die Früchte allein dem Eigentümer zufallen. Einen Ausgleich versuchte das ALR, indem es von einem einheitlichen Wirtschaftsjahr ausgeht, beginnend mit dem 1. Juli. Die Früchte sollten nach dem Verhältnis der Zeit geteilt werden, in welcher die Beteiligten nutzungsberechtigt waren66. Die erste Kommission lehnte eine solche Regelung ab, weil sich ein einheitliches Wirtschaftsjahr für ganz Deutschland nicht festsetzen lasse67 und weil die Regelung des ALR Anlaß zu vielen Prozessen gewesen sei68. Sie folgte – ebenso wie das BGB – dem Trennungsprinzip des gemeinen Rechts. Sollten dadurch Unbilligkeiten auftreten, so könnten die Parteien dies durch eine vertragliche Regelung ausgleichen69. Die Früchte gebühren also dem, der zur Zeit der Trennung fruchtziehungsberechtigt war. Das Trennungsprinzip kann zu erheblichen Unbilligkeiten führen, wie unser Beispiel zeigt: Der Eigentümer zieht die Früchte, obwohl er das Feld nicht bestellt 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69

Gemäß § 99 I, vgl. oben 2 a. Gemäß § 99 II, vgl. oben 2 d. O. vGierke II § 137 I. Vgl. Kaser I § 35 I 2. Vgl. Kaser I § 102 II. Dernburg, Pandekten I § 205. Vgl. ALR I 7 §§ 188 ff.; I 21 §§ 143 ff. Protokolle der 1. Kommission 3371 f., Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 462. Motive 3, 72 f. Protokolle der 1. Kommission 3372, Jakobs-Schubert, Allgemeiner Teil I 462.

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§2 V 4 b

§ 2. Sachen

hat70. Der Pächter, der die gesamte Arbeit geleistet hat, erhält lediglich seine Kosten erstattet (§ 102), den Gewinn hat der Eigentümer. Der Härte einer solchen Regelung steht der Vorteil gegenüber, daß die klare und einfache Regelung Zweifel und Streitigkeiten weitgehend verhindern kann. Zudem hätten die Parteien die Möglichkeit gehabt, die Verteilung der Früchte vertraglich zu regeln71. Das gleiche Prinzip gilt grundsätzlich gemäß § 101 Nr. 2 Halbsatz 1 auch für alle anderen Früchte, d.h. also für mittelbare Früchte und für reine Rechtsfrüchte72. Es handelt sich um Forderungen; sie gebühren dem, der zur Zeit der Fälligkeit Nutzungsberechtigter war. Entscheidend ist die ursprünglich vorgesehene Fälligkeit, eine spätere Stundung ist für § 101 Nr. 2 unbeachtlich73. Dieser Grundsatz ist aber durch die Ausnahme in § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 für die wichtigsten Fälle durchbrochen: Bei allen regelmäßig wiederkehrenden Ansprüchen werden diese pro rata temporis geteilt. Das Gesetz nennt als Beispiele die Vergütung für die Überlassung von Nutzungen (etwa Miet- und Pachtzinsen), Zinsen und Gewinnanteile. Die Forderungen müssen nicht immer gleich hoch sein, wie etwa bei Dividenden von Aktien, wenn sie nur regelmäßig wiederkehren. Ist etwa ein Gut verpachtet und am 1. August daran ein Nießbrauch bestellt worden, so gebühren von dem am Jahresende zu zahlenden Pachtgeld dem Eigentümer 7/12, dem Nießbraucher 5/12. Werden Früchte entgegen § 101 gezogen – wenn etwa der Eigentümer statt des Pächters das Obst erntet –, so gibt § 101 einen Ausgleichsanspruch. §2 V 4 b) Der Gewinn, der bei der Ziehung von Früchten gemacht wird, entspricht nicht dem Wert der Früchte; es sind vielmehr die Aufwendungen abzuziehen, die zur Fruchtgewinnung gemacht werden mußten. Wer daher Früchte herauszugeben hat, kann Ersatz der Gewinnungskosten verlangen74, § 10275. Dadurch ergibt sich ein gewisser, wenn auch unvollständiger Ausgleich dafür, daß derjenige, der die Produktionsarbeit geleistet hat, den Gewinn nicht bekommt. Zu ersetzen sind Geld- und Sachaufwendungen, ferner der Arbeitsaufwand, auch soweit er vom Ersatzberechtigten selbst, dessen Angehörigen oder Hilfskräften geleistet wurde. In Betracht kommen nur Aufwendungen, die unmittelbar der Fruchtgewinnung (oder -erhaltung) gedient haben76. Sie müssen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entsprechen und sind in der Höhe auf den Wert der gezogenen Früchte beschränkt.

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75 76

Vgl. auch das Beispiel bei Enneccerus-Nipperdey § 128 Fn. 6. Nur in einem Ausnahmefall trifft das Gesetz eine vermittelnde Regelung, wenn nämlich ein Pachtverhältnis vorzeitig endet, etwa wegen Tod des Pächters (vgl. § 594 d) oder wegen Vertragsaufhebung. In diesem Fall muß der Verpächter dem Pächter den Wert der noch ungetrennten Fürchte ersetzen, § 596 a. Vgl. oben 2 c, e, f. Planck-Strecker § 101 N. 3. Die Regelung findet sich bereits im römischen Recht, vgl. Kaser I § 121 Fn. 10. Der Herausgabeanspruch kann auf § 101 oder auf einer anderen Vorschrift beruhen, vgl. etwa §§ 446, 818 I, 987 ff., 2020. § 102 ist auch auf vertragliche Ansprüche zur Herausgabe von Früchten anwendbar, wenn die Parteien eine Kostenerstattung gewollt haben. Eine ähnliche Regelung findet sich in §§ 596 a, 998, 1055, 2130. Nicht z.B. Aufwendungen zur Verbesserung der Sache.

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4. Verteilung der Früchte; Kosten und Lasten

§2 V 4 c

§ 102 gibt einen selbständigen Erstattungsanspruch, nicht nur eine Einrede gegen den Anspruch auf Herausgabe der Früchte77. Der Anspruch ist auch nicht dadurch bedingt, daß der Berechtigte den Anspruch auf Herausgabe der Früchte geltend macht78. Der Fruchtziehungsberechtigte kann sich nicht dadurch von dem Anspruch aus § 102 befreien, daß er auf die Früchte verzichtet. Wird der Anspruch aus § 102 einredeweise § 2 V geltend gemacht, so sind §§ 273 f. anzuwenden. c) Wem die Nutzungen und damit die Vorteile einer Sache gebühren, der soll regelmäßig auch ihre Lasten tragen79. Dieses Prinzip findet sich etwa in §§ 446, 995, 1047, 2184 f., 2379 f. Wechselt der zur Tragung der Lasten Verpflichtete, so ist eine Regelung erforderlich, wie die Lasten zu verteilen sind, entsprechend der Verteilung der Früchte in § 101. Diese Regelung findet sich in § 103. Einfach wäre eine Regelung dahingehend gewesen, die Lasten den tragen zu lassen, dem auch die Früchte gebühren; das ist aber nicht möglich wegen der Differenzierung zwischen § 101 Nr. 1 und Nr. 2 Halbsatz 1 gegenüber § 101 Nr. 2 Halbsatz 2. Jemand kann nach § 101 Nr. 1 und Nr. 2 Halbsatz 1 berechtigt sein, Früchte ganz zu behalten, während er nach § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 verpflichtet ist, sie z.T. einem Vorgänger zu überlassen80. Die Regelung des § 103 zieht aber eine gewisse Parallele zu § 101 Nr. 2. § 103 regelt nur die Verpflichtung zur Lastentragung im Innenverhältnis mehrerer Schuldner, die nacheinander zur Lastentragung verpflichtet sind. Unabhängig davon ist die Frage, wer von beiden dem Gläubiger haftet. Die Regelung in § 103 ist – ebenso wie § 101 – subsidiär gegenüber besonderen gesetzlichen oder vertraglichen Regeln. Lasten i.S.v. § 103 sind alle Belastungen einer Sache, seien sie privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur, welche den Eigentümer einer Sache oder den Inhaber eines Rechts als solchen treffen. Nicht hierher gehören Kosten, die der Erhaltung der Sache dienen. Regelmäßig wiederkehrende Lasten81 werden unter den Pflichtigen pro rata temporis geteilt. Hierzu zählen etwa Grundsteuern, Prämien für eine Brandversicherung, Hypothekenzinsen, Pflichten aus Reallasten (soweit sie regelmäßig wiederkehren), Notweg- und Überbaurenten. Hat etwa ein Eigentümer am 1. 8. an seinem Gut einen Nießbrauch bestellt, so trägt er 7/12 der für dieses Jahr zu tragenden Lasten, der Nießbraucher 5/12. 77

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So zu Recht die h.M.; dagegen soll nach Planck-Strecker § 102 N. 3 lediglich eine Einrede gegeben sein. Hat also der Fruchtgewinner die Früchte herausgegeben, so kann er nach dieser Ansicht seine Kosten nicht mehr ersetzt verlangen. Das ist abzulehnen. Die Vorstellung, Aufwendungen könnten nur als Einrede, nicht als Anspruch geltend gemacht werden, entsprach römischem und gemeinem Recht; ein Rest solcher Regelung findet sich in §§ 1000 ff. So aber Oertmann § 102 N. 3 gegen die h.M. Vgl. etwa Paulus D 50, 17, 10: Secundum naturam est commoda cuiusque rei eum sequi, quem sequentur incommoda (Es ist natürlich, daß die Vorteile einer Sache dem gebühren, der auch die Lasten trägt); deutschrechtlich: Wer den guten Tropfen genießt, soll auch den bösen genießen. Wer etwa am 1. 8. einen Nießbrauch erwirbt, darf die danach gezogenen Sachfrüchte ganz behalten, von dem am Jahresende gezahlten Mietzins muß er dem Eigentümer 7/12 überlassen. Wie bei § 101 liegen regelmäßig wiederkehrende Lasten auch dann vor, wenn die Höhe der Last wechselt.

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§2 V 4 c

§ 2. Sachen

Bei anderen als regelmäßig wiederkehrenden Lasten entscheidet der Zeitpunkt der Fälligkeit. Wer zur Zeit der Fälligkeit lastenpflichtig ist, muß auch im Innenverhältnis die Last allein tragen. Ist ein Grundstück am 20. Juli verkauft und wird ein Anliegerbeitrag am 19. Juli fällig, so muß ihn der Verkäufer tragen; wird er am 21. Juli fällig, trägt § 2 V 4 ihn der Käufer (§ 446)82. Hat ein Beteiligter eine Last entgegen § 103 getragen, so gibt ihm § 103 einen Ausgleichsanspruch gegen den, der im Innenverhältnis zur Tragung verpflichtet war.

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Vgl. dazu BGH MDR 1982, 656 f. Natürlich gilt das nur vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung.

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Teil 3 Besitz an Sachen

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§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

Literatur: Cosack, Das Sachenrecht im Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Beiträge zur Erläuterung und Beurteilung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich I, Hrsg. Bekker und Fischer (ND 1974); Eberhard, Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes, Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege 51 (1935), 211 ff.; Giehl, Michael, Ersatzvornahme im Zivilrecht, Diss. Göttingen 1995; Hartung, Frank, Besitz und Sachherrschaft, 2001; Hedinger, Martin P., System des Besitzrechtes, Bern 1985; Huber, Eugen, Die Bedeutung der Gewere im deutschen Sachenrecht (1894); Kodek, Gregor, Die Besitzstörung, 2002; Lepsius, Oliver, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002; Meischeider, Die alten Streitfragen gegenüber dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Beiträge zur Erläuterung und Beurteilung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich I, Hrsg. Bekker und Fischer (ND 1974); Moriya, Kenichi, Savignys Gedanke im Recht des Besitzes, 2003; Ogris, Gewere, HRG I 1658 ff.; ders., Besitz, HRG I 389 ff.; Planck, Zur Kritik des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, AcP 75 (1889), 327 ff.; Schick, Gottfried, Besitzschutz nach § 823 BGB?, Diss. Tübingen 1967; Schubert, Werner, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung (1966); ders., Windscheids Briefe an Planck, SZ (rom. Abt.) 95 (1978), 283 ff.; Strohal, Zum Besitzrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, JherJahrb 29 (1890), 336 ff.; 31 (1892), 1 ff.; Wendt, Besitz und Inhabung, AcP 74 (1889), 135 ff.; Wesener, Zur Dogmengeschichte des Rechtsbesitzes, FS Wilburg (1975) 453 ff.; Wieling, Grund und Umfang des Besitzschutzes, in: De iustitia et iure, FG für vLübtow (1980) 565 ff.; ders., Der mittelbare Besitz, Studi in onore di Cesare Sanfilippo I (1982), 715 ff.; ders., Il sistema dei diritti reali nel codice civile tedesco, Das System des Sachenrechts im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, in: I Cento Anni del Codice Civile Tedesco, Hundert Jahre Bürgerliches Gesetzbuch, 2002, 483 – 514, 1164 – 1195; ders., Die historischen Voraussetzungen des modernen Besitzschutzes, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, Hrsg. Knütel, Nishimura, 2004, 361 – 388; Wieser, Der Schadensersatzanspruch des Besitzers aus § 823 BGB, JuS 1970, 557 ff.

§3 I

I. Begriff und Aufgaben des Besitzes Besitz ist gemäß allgemeiner Ansicht die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. So wie der Eigentümer das Recht hat, mit der ihm gehörigen Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903), so ist der Besitzer dazu tatsächlich in der Lage1. Vom Besitz völlig zu trennen ist die Frage nach dem Recht zum Besitz: Ob jemand als Eigentümer, Mieter, Verwahrer berechtigt ist, die tatsächliche Sachherrschaft auszuüben, spielt für die Tatsache des Besitzes keinerlei 1

§ 903 könnte daher als eine Definition des Besitzes angenommen werden, verstände man das „kann“ wörtlich; gemeint ist natürlich „darf“.

121

§3 I a

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

Rolle. Auch der Dieb, Räuber, Unterschlagende ist Besitzer, obwohl er ein Recht zum Besitz nicht hat. Die Bestimmung des Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft ist jedoch zu ungenau und daher praktisch nicht verwendbar. So ist z.B. nicht jeder, der die tatsächliche Sachherrschaft hat, deswegen auch Besitzer; das gilt etwa gemäß § 855 für den Besitzdiener, der keinen Besitz hat. Andererseits kann auch derjenige Besitz haben, der nicht tatsächlich auf die Sache einwirken kann; so hat etwa der Reisende Besitz an den Sachen in seiner Wohnung2. Zudem ist zu beachten, daß es keinen einheitlichen Besitzbegriff gibt, sondern zwei verschiedene Besitzbegriffe. Die Vorstellung eines einheitlichen Besitzbegriffs ist zwar weit verbreitet, aber deswegen nicht weniger unzutreffend. Tatsächlich gibt es je nach der Funktion des Besitzes zwei verschiedene Besitzbegriffe: Der Besitz ist einmal Voraussetzung des Besitzschutzes, sodann dient er als Voraussetzung des Erwerbs dinglicher Rechte3. Dieser doppelte Besitzbegriff war den Römern selbstverständlich, ging aber im Mittelalter und in der Neuzeit verloren. Savigny arbeitete ihn wieder heraus, so daß er im 19. Jh. wieder zum Standardwissen der Juristen gehörte. Auch das BGB geht von einem doppelten Besitzbegriff aus. Nach der Einführung des BGB ging das Wissen darum wieder weitgehend verloren, aufgrund der einheitlichen Bezeichnung „Besitz“ und der Unfähigkeit der Juristen, die Tradition zu bewahren. §3 I a a) Die erste Funktion des Besitzes liegt im Besitzschutz. Der Besitzer wird gegen Entziehung und Störung (verbotene Eigenmacht, § 858 I) geschützt; der Verletzte hat die Gewaltrechte aus § 859 sowie die Klagen aus §§ 861, 862, 867. Diese Rechte stehen auch dem zu, der kein Recht zum Besitz hat, z.B. dem Dieb, der seinerseits bestohlen wird: Er kann gegen den zweiten Dieb aus § 861 klagen. Da dieser Schutz sich allein auf die Tatsache des Besitzes (possessio) gründet, spricht man vom possessorischen Besitzschutz. Der petitorische „Besitzschutz“, der in § 1007 geregelt ist, stützt sich dagegen auf ein Recht zum Besitz, wie schon der systematische Zusammenhang zeigt. Der possessorische Besitzschutz ist in diesem Teil 3 zum Besitz zu erörtern, ja die gesamte gesetzliche Regelung des Besitzes in den §§ 854 – 872 besteht nur im Hinblick auf diesen possessorischen Besitzschutz. Dagegen ist § 1007 in den Teilen 4 und 5 zu behandeln, da dort Rechte an Sachen erörtert werden. Der Besitz im Sinne des Besitzschutzes ist eine soziale Tatsache, im Besitz wird unmittelbar die Persönlichkeit des Besitzers geschützt4. Wenn in einer Gesellschaft in einer bestimmten Situation – abgesehen von allen dinglichen Rechten – anerkannt wird, daß eine Sache so in die Sphäre eines anderen fällt, daß ein Zugriff darauf eine Verletzung seiner Persönlichkeit wäre, so ist Besitz an der Sache anerkannt und gegeben. Wer sich dennoch an der Sache vergeht, verletzt fremden Besitz und begeht eine verbotene Eigenmacht. Wenn die Situation einer Sache jedoch so ist, daß in einem Zugriff darauf keine Verletzung einer fremden Persönlichkeit gesehen wird, so ist Besitz an der Sache nicht anerkannt und nicht gegeben. Ein Zugriff auf die Sache stellt keine Besitzverletzung dar. 2 3 4

Vgl. zur näheren Bestimmung des Besitzbegriffs unten § 4 I 1 a. Vgl. etwa V. Bruns 45; Pawlowski, Der Rechtsbesitz im geltenden Sachen- und Immaterialgüterrecht (1961) 10; Wieling, System 1166 f. Vgl. unten III.

122

I. Begriff und Aufgaben des Besitzes

§3 I b

Zu beachten ist dabei, daß es sich bei der Frage des Besitzes nicht um moralische Vorstellungen handelt, sondern um soziale Gegebenheiten. Es wäre zwar wünschenswert, daß jemand auch an einer Geldbörse, die er im Großstadtgewühl verliert, noch die tatsächliche Gewalt ausüben könnte. In Wirklichkeit ist das jedoch nicht der Fall, Besitz liegt nicht vor. Ein ehrlicher oder unehrlicher Finder wird die Geldbörse an sich nehmen. Man kann den Besitz also verstehen als eine psychische Schranke, die anderen die Einwirkung auf die Sache verwehrt, als einen schützenden Zaun, der die Sache umgibt und ein Durchschnittsmitglied der Gesellschaft davon abhält, auf die Sache zuzugreifen5. Besitz kann man damit definieren als eine statistische Wahrscheinlichkeit: Besitz liegt vor, wenn in einer gegebenen Situation die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Geschützte wieder auf die Sache wird zugreifen können, sobald er es will. Dagegen liegt kein Besitz vor, wenn diese Wahrscheinlichkeit nicht besteht. Da es sich hierbei um ein Urteil über die Zukunft handelt, kann die Entscheidung in Zweifelsfällen unsicher sein. Besteht an einer Sache kein Besitz, so entbehrt sie zwar des stärksten Schutzes gegen fremde Zugriffe, sie ist aber nicht schutzlos. Ein mittelbarer Persönlichkeitsschutz wird gewährt durch die dinglichen Rechte6, jedoch ist dieser Schutz weniger intensiv als der Besitzschutz. Wer ohne Besitzverletzung in ein fremdes dingliches Recht eingreift, verletzt die fremde Persönlichkeit nur mittelbar. Der Schutzwall, der durch das dingliche Recht aufgerichtet wird, ist schwächer als der des Besitzes. Daher ist auch der besitzbrechende Diebstahl mit einer höheren Strafe bedroht als die den Besitz nicht beeinträchtigende Unterschlagung, vgl. §§ 242, 246 StGB. §3 I b b) Die zweite Funktion des Besitzes liegt im Erwerb dinglicher Rechte. Der Erwerb eines dinglichen Rechts an einer beweglichen Sache setzt grundsätzlich Besitzerwerb voraus, vgl. etwa §§ 929, 937, 956, 958, 1032, 1205. Der Besitzerwerb soll den Rechtserwerb offenlegen (Publizitätsfunktion). Da das Recht selbst sinnlich nicht wahrnehmbar ist, dient der Besitz als Symbol des Rechts. Auf diese Weise wird der Rechtserwerb für Dritte erkennbar, was wegen der absoluten Wirkung dinglicher Rechte gegen jedermann wünschenswert ist. Der Besitz weist also auf ein Recht an der Sache. Daher begründet der Besitz eine Vermutung für das Recht, vgl. §§ 851, 1006; beim Erwerb vom Nichtberechtigten ersetzt das Vertrauen des Erwerbers in den Besitz des Veräußerers sogar dessen fehlendes Recht, vgl. etwa § 932 (Rechtsscheinwirkung). Diese Publizitätsfunktion des Besitzes beschränkt sich freilich fast völlig auf bewegliche Sachen; bei Grundstücken übernimmt das Grundbuch die Publizitätsfunktion, vgl. §§ 873, 891 – 893; der Besitz ist hier noch in §§ 900, 927 von Bedeutung. Der Besitz als Voraussetzung des Rechtserwerbs beruht nicht auf der Abwehrwirkung gegen Persönlichkeitsverletzungen, sondern auf seiner Fähigkeit, nach außen in Erscheinung zu treten und so Rechtsänderungen sichtbar werden zu lassen. Er ist daher keineswegs identisch mit dem Besitz, der Besitzschutz verleiht. Eine Besitzverletzung (verbotene Eigenmacht) etwa kann nur an unmittelbarem Besitz verübt werden, dagegen ist ein Rechtserwerb auch mit Hilfe des mittelbaren Besitzes möglich, der keine tatsächliche Gewalt an der Sache darstellt. Insgesamt kann man feststellen, daß die Vor5 6

Die Entscheidung, ob Besitz gegeben ist oder nicht, kann in verschiedenen Gesellschaften und zu verschiedenen Zeiten verschieden ausfallen, vgl. unten § 4 I 1 a. Wieling, FG vLübtow 568.

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§3 I c

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

aussetzungen für den Besitz als Grundlage des Besitzschutzes strenger sind als für den Besitz, der zum Rechtserwerb taugt. Aus Gründen der Praktikabilität hat die Rechtsordnung die Anforderungen an den Besitz gelockert, um unter grundsätzlicher Beibehaltung des Erfordernisses des Besitzerwerbs die Möglichkeit des Rechtserwerbs auch dann zuzulassen, wenn ein Besitz im Sinne des Besitzschutzes nicht vorliegt. Daß auf diese Weise das Publizitätsprinzip verwässert wird und die Rechtssicherheit leidet, ist schon oft festgestellt worden. So kann etwa die tatsächliche Situation eines Besitzdieners, der keinen geschützten Besitz hat, doch für den Erwerb eines Rechtes noch als hinreichend und damit als Besitz im Sinne des Rechtserwerbs angesehen werden7. Die Rechtsordnung verzichtet beim Rechtserwerb in Ausnahmefällen sogar gänzlich auf eine Besitzübertragung, etwa beim Geheißerwerb, wenn ein Rechtserwerb durch Forderungsabtretung zugelassen wird8 oder wenn schon die bloße Einigung für den Rechtserwerb ausreicht9. Auch die Ersitzung kann unter bestimmten Umständen ohne Besitz des Ersitzenden weiterlaufen, § 940 II, obwohl sie grundsätzlich Besitz erfordert, § 937 I. Im übrigen bestimmt die Rechtsordnung selbst, welche Voraussetzungen bezüglich des Besitzes beim Rechtserwerb jeweils gegeben sein müssen. So kann für den Eigentumserwerb nur ein Eigenbesitz Publizitätsfunktionen übernehmen, für den Erwerb beschränkter dinglicher Rechte kommt auch ein Fremdbesitz in Betracht. Eigentum kann durch Übertragung des mittelbaren Besitzes im Wege eines Besitzkonstituts übertragen werden, § 930, ein Pfandrecht kann auf diese Weise nicht bestellt werden, §§ 1205, 1206. Anders als beim Besitz für den Besitzschutz, der in den §§ 854 – 872 geregelt ist, gibt es für den Besitz als Voraussetzung des Rechtserwerbs keine generelle Regelung. Das Gesetz legt bei der Regelung des Rechtserwerbs jeweils die Voraussetzungen dafür fest, vgl. §§ 929 – 936, § 1032, §§ 1205 – 1208. Im übrigen ist eine analoge Anwendung der §§ 854 ff. zu prüfen, wenn es beim Rechtserwerb um Fragen des unmittelbaren Besitzes geht. §3 I c c) Die Rechtsordnung verbindet also mit dem Besitz bestimmte Rechtsfolgen. Es steht ihr aber frei, diese Rechtsfolgen nach Belieben zu regeln10. Sie kann die Rechtsfolgen des Besitzes ausdehnen auf Tatbestände, die keine tatsächliche Sachherrschaft bedeuten; der rechtlich relevante Begriff des Besitzes wird dadurch ausgedehnt über die Tatbestände der Sachherrschaft hinaus. So hat gemäß § 868 auch derjenige Besitz, der nicht selbst die tatsächliche Gewalt über die Sache hat, für den aber ein anderer als Mieter, Pächter, Verwahrer u.s.w. die tatsächliche Sachherrschaft ausübt. Der Besitzbegriff wird so ausgedehnt auf diese Fälle des „Besitzens durch einen anderen“; das Gesetz spricht vom „mittelbaren Besitz“. Auf diese Weise kann die Rechtsordnung das Erfordernis des Besitzes auch dann beibehalten, wenn eigentlich ein Besitz mit tatsächlicher Sachherrschaft nicht vorliegt.

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Vgl. unten § 10 V 3 c. Vgl. §§ 931, 934, unten § 9 IV 4, § 10 IV 4 c. Vgl. unten § 9 IV 5. Vgl. gl. a pedibus ad D 41, 2, 1 pr.: Possessio est corporalis rei retentio corporis et animi et iuris adminiculo (Besitz ist das Haben einer körperlichen Sache unter Mithilfe des Körpers, des Willens und des Rechts).

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I. Begriff und Aufgaben des Besitzes

§3 I d

Umgekehrt ist die Rechtsordnung nicht gezwungen, die Besitzrechtsfolgen in allen Fällen der tatsächlichen Sachherrschaft zuzulassen. So hat der Besitzdiener (§ 855) zwar die Sache in seiner Gewalt, das Gesetz will ihm aber die Besitzschutzklagen überhaupt nicht und die Gewaltrechte nicht gegen den zugestehen, für den er besitzt. Es ordnet daher in § 855 an, daß der Besitzdiener nicht Besitzer sei und schränkt somit den juristischen Besitzbegriff ein: Der Besitzdiener hat zwar die tatsächliche Gewalt, ist aber nicht Besitzer. Wenn also auch die tatsächliche Sachherrschaft eine Tatsache ist und der Begriff des Besitzes von dieser Tatsache seinen Ausgang nimmt, so ist „Besitz“ doch ein Rechtsbegriff. Die Rechtsordnung modifiziert diesen Besitzbegriff, erweitert und beschränkt ihn gegenüber dem Ausgangsbegriff „tatsächliche Sachherrschaft“11 und verbindet damit bestimmte Rechtsfolgen12. §3 I d d) Unmittelbarer Besitz13 ist also die tatsächliche Sachherrschaft im oben geschilderten Sinne. Mittelbaren Besitz hat der, der selbst zwar keine tatsächliche Sachherrschaft hat, für den aber ein anderer als Mieter, Pächter, Verwahrer u.s.w. die tatsächliche Sachherrschaft ausübt14. Eigenbesitzer15 ist der, der eine Sache als ihm gehörend besitzt, § 872. Daß er dazu berechtigt wäre, spielt keine Rolle; jeder, der eine Sache wie ein Eigentümer in seiner Gewalt hat, ist Eigenbesitzer, auch z.B. der Dieb. Der Eigenbesitz kann mittelbar oder unmittelbar sein. Wer nicht als Eigenbesitzer besitzt, sondern einen anderen als besser Berechtigten über sich anerkennt, ist Fremdbesitzer16. So erkennt z.B. der Mieter das bessere Recht des vermietenden Eigentümers an, der Mieter ist (unmittelbarer) Fremdbesitzer, der Eigentümer (mittelbarer) Eigenbesitzer. Da der Besitz tatsächliche Sachherrschaft ist, kann es Besitz nur an körperlichen Gegenständen (Sachen, § 90) geben: Possideri autem possunt, quae sunt corporalia17. Nur in einem übertragenen Sinne kann man vom Besitz eines Rechtes (Rechtsbesitz) dann sprechen, wenn jemand ein Recht über einige Zeit hin ausübt18. Wer etwa aufgrund einer Dienstbarkeit das Recht hat, über ein Nachbargrundstück zu gehen, und dies regelmäßig tut, kann als Besitzer eines Wegerechtes angesehen werden. Er hat dann den Besitzschutz, auch wenn das Recht an der Sache, das er ausübt, nicht besteht. Das BGB erkennt jedoch einen Rechtsbesitz grundsätzlich nicht an19.

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Papinian D 41, 2, 49, 1: … possessio non tantum corporis, sed et iuris est (Besitz ist nicht nur etwas Körperliches, sondern auch etwas Rechtliches). Vgl. Brinz I § 135. Das Gesetz kennt diesen Terminus nicht, er ergibt sich indirekt als Gegensatz zum mittelbaren Besitz aus § 868. Vgl. unten § 6. Vgl. unten § 4 I 5. Ausdruck nach einem Vorschlag Dernburgs, BürgR III § 13, 1. Paulus D 41, 2, 3 pr. Vgl. auch gl. a pedibus ad D 41, 2, 1 pr: Incorporalia proprie non possidentur. Zum Rechtsbesitz vgl. auch Kodek 102 ff. Vgl. aber unten § 7.

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§ 3 II 1 a, b

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

II. Geschichtlicher Überblick 1. Römische possessio a) Die Trennung von Besitz und Recht zum Besitz ist von den Römern erarbeitet worden: Nihil commune habet proprietas cum possessione1. Sie betonen, daß das Recht zum Besitz für die Besitzfrage ohne Bedeutung ist: In summa possessionis non multum interest, iuste quis an iniuste possideat2; vom römischen Recht ist dieser Besitzbegriff in die europäischen Rechtsordnungen übernommen worden. Die Römer wiesen dem Besitz zwei Funktionen zu: Einmal wurde der Besitz durch interdicta geschützt; sodann war er Voraussetzung für den Eigentumserwerb, der bei der Ersitzung, usucapio, besonders eingehend geregelt war. Die Römer unterscheiden daher zwei Besitzarten: Interdiktenbesitz (possessio ad interdicta) und Usukapionsbesitz (possessio ad usucapionem)3. Usukapionsbesitz liegt nur vor bei Eigenbesitz, während der Begriff der possessio ad interdicta weiter ist. Dazu gehört einmal jeder Eigenbesitz, sodann auch eine eng begrenzte Zahl von Fremdbesitzern: Erbpächter, Prekaristen, Pfandgläubiger und Sequester4. Dagegen hatten Mieter, Entleiher, Pächter, Verwahrer, Werkunternehmer u.s.w. keinen Besitz, sie genossen keinen Besitzschutz. Im Gegensatz zur possessio sprach man hier von detentio (Inhabung) und bezeichnete diesen Personenkreis als Detentoren (Inhaber). Die Anerkennung des Besitzes bei den possessores beruhte auf der römischen Verkehrsanschauung5. Eine besondere Stellung genossen Erbbauberechtigte, Nießbraucher und Inhaber von Dienstbarkeiten. Sie waren zwar nicht als Besitzer anerkannt, erhielten aber Besitzschutz durch besondere Interdikte, die den regulären Besitzschutzinterdikten nachgebildet sind. Daraus entwickelte sich die Vorstellung, dieser Personenkreis habe zwar keinen Sachbesitz, wohl aber eine iuris possessio, Rechtsbesitz an dem jeweiligen ausgeübten Recht6. b) Ob der Besitz ein Recht oder eine Tatsache ist, war bei den Römern umstritten; schließlich setzte sich die Meinung durch, der Besitz sei ein bloßes Faktum, zu dessen Erwerb keine Geschäftsfähigkeit erforderlich sei7. Erworben wird der Besitz durch Er-

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Ulpian D 41, 2, 12, 1 (Das Eigentum hat nichts gemein mit dem Besitz), vgl. auch D 43, 17, 1, 2. Paulus D 41, 2, 3, 5 (Was den Besitz betrifft, so ist es ohne Bedeutung, ob jemand berechtigt besitzt oder unberechtigt). Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 15; auch Javolen D 41, 3, 16. Kaser I 387 – 389. Vgl. Wieling, Studi Sanfilippo I 720 ff. Vgl. Wesener 454; zur Frage des Rechtsbesitzes in klassischer Zeit D. Nörr, Die Entstehung der longi temporis praescriptio (1969) 63; Wieling, Historische Voraussetzungen 361 ff., 373 ff. Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 3: Ofilius quidem et Nerva filius etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum aiunt: eam enim rem facti, non iuris esse, quae sententia recipi potest, si eius aetatis sint, ut intellectum capiant (Ofilius und der jüngere Nerva behaupten, ein Mündel könne auch ohne Zustimmung des Vormundes Besitz begründen; Besitz sei nämlich eine tatsächliche Angelegenheit, keine rechtliche. Dem kann man folgen, wenn sie nur in dem Alter sind, daß sie Einsichtsfähigkeit haben).

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§ 3 II 1 b

1. Römische possessio

§ 3 II 1 b

langen der Sachherrschaft (corpus) und den Willen zu besitzen (animus)8. Beides ist auch Voraussetzung für die Erhaltung des Besitzes, doch sind hier die Voraussetzungen an das corpus gelockert9. Endet eine der beiden Voraussetzungen, so erlischt der Besitz. Da der animus kein juristischer, sondern faktischer Wille ist, kann auch ein nicht Geschäftsfähiger besitzen, soweit er einen hinreichenden Willen haben kann. Nach römischer Vorstellung liegt der Grund des Besitzschutzes darin, daß die Verletzung des Besitzes als Störung der öffentlichen Ordnung unterdrückt werden muß10. Besitzen und Besitz erwerben konnte man nach römischem Recht nicht nur in eigener Person, sondern auch durch Gewaltunterworfene (Sklaven, Hauskinder), nur in Ausnahmefällen aber durch Freie. Die Übertragung des Besitzes war die traditio. Ist derjenige, dem der Besitz übertragen werden soll, bereits Detentor der Sache (z.B. Mieter, der die Sache kauft), so bedarf es keiner traditio zur Besitzübertragung; es reicht die Willenseinigung11 (gemeinrechtlich: brevi manu traditio12). Überträgt der possessor die tatsächliche Sachgewalt an eine Person, welche die Gewalt für ihn ausübt, ohne selbst possessor zu werden, z.B. an einen Mieter oder Pächter, so behält er selbst die possessio; er besitzt durch den Mieter u.s.w. Will der possessor den Besitz übertragen, aber gleichzeitig die Sache weiter behalten (der Verkäufer mietet etwa die Sache zurück), so muß die Sache nicht auf den Besitzerwerber übertragen und zurückgegeben werden; es genügt eine entsprechende Einigung über den Besitz: Der Besitz geht auf den Erwerber über, der bisherige Besitzer wird Detentor (gemeinrechtlich: constitutum possesso- § 3 II 1 rium)13. Der Besitz ist geschützt gegen jede Verletzung, die gewaltsam oder heimlich (vi aut clam) geschieht14. Der Besitzschutz geschieht durch prätorische Interdikte, die gegen den Störer gegeben werden, aber nicht gegen einen Rechtsnachfolger, auch nicht gegen den Erben15. Die Klage geht auf Unterlassen der Störung, Rückgabe des entzogenen Besitzes und auf Ersatz aller, auch zufällig eingetretener Schäden. Sie wird zumeist nur innerhalb einer Ausschlußfrist von einem Jahr gegeben. Ein Recht zum Besitz konnte im Interdiktenverfahren von keiner Partei geltend gemacht werden. Der Besitzschutz stand ursprünglich nur den possessores zu, im wesentlichen also den Eigenbesitzern, doch war man in der Mitte und gegen Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. zu der Ansicht gelangt, daß diese Beschränkung des Besitzschutzes unangemessen war, zumal doch die Frage, aufgrund welchen Rechts jemand besaß, für diesen Schutz allenfalls eine sekundäre Rolle spielen sollte16. Der Besitzschutz wurde daher erweitert, einmal 8 9 10 11 12

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Paulus D 41, 2, 3, 1: Apiscimur possessionem corpore et animo (Besitz erwerben wir mit dem Körper und dem Willen). Kaser I 394 f. Wieling, FG vLübtow 567. Gaius D 41, 1, 9, 5. Der Ausdruck kommt in Ulpian D 23, 3, 43, 1 vor, wo jemand dem zukünftigen Ehemann eine Schuld erläßt, um der Verlobten eine Mitgift zu schenken. Der Erlaß ist brevi manu eine Leistung an die Frau, welche den Vermögensvorteil als Mitgift an den Mann weitergibt. Nach Ulpian D 41, 2, 17, 1 … constituit nolle possidere (er beschloß, nicht mehr besitzen zu wollen). Abgesehen vom Sonderfall des Prekarium. Allerdings haftet der Erbe mit einer prätorischen Bereicherungsklage auf das, was aus der Besitzverletzung noch auf ihn gekommen ist. Sie spielte eine Rolle bei der Festsetzung des Geldbetrages bei der condemnatio pecuniaria.

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§ 3 II 2 a, b

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

durch die Figuren der quasi possessio und der iuris possessio, welche dem Nießbraucher und den Inhabern von Servituten gegeben wurden, ferner aber insbesondere dadurch, daß die Besitzschutzinterdikte auch solchen Sachinhabern gegeben wurden, die nicht als possessores anerkannt waren17, etwa den Mietern und Pächtern. Die Ausdehnung des Besitzschutzes über die Eigenbesitzer hinaus war also schon im römischen Recht angelegt, vollendete sich aber erst in späterer Zeit, insbesondere im kanonischen Recht.

2. Besitz im Mittelalter a) Im mittelalterlichen und neuzeitlichen gemeinen Recht galt die Lehre vom Besitz als eine der schwierigsten juristischen Materien. Das lag einmal an der Zweideutigkeit der römischen possessio; die römischen Juristen machen regelmäßig nicht klar, ob sie mit „possessio“ die possessio ad interdicta oder ad usucapionem meinen. Da die späteren Juristen diese Unterscheidung nicht mehr kennen, ist der Begriff der possessio eine Quelle dauernder Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten18. Possessor sollte nur sein, wer den animus rem sibi habendi hatte; es war aber streitig, ob man darunter nur den animus domini zu verstehen habe oder ob man solchen Detentoren Besitz zusprechen sollte, welche die Sache zwar nicht als eigene, wohl aber im eigenen Interesse besaßen (Mieter, Pfandgläubiger). So wird als possessor z.T. nur der Eigenbesitzer anerkannt, z.T. der Eigenbesitzer und der Besitzer aufgrund eines dinglichen Rechts. Andere vermengen possessio und detentio und geben jedem Inhaber der tatsächlichen Gewalt die Besitzschutzinterdikte. Erst Savigny hat in seiner berühmten Monographie über „Das Recht des Besitzes“ (1803) die Lehren des römischen Rechts wieder klar herausgearbeitet. Ob der Besitz ein Recht ist oder eine bloße Tatsache, war unter den Glossatoren ebenso wie bei den Römern streitig. Johannes Bassianus etwa hielt den Besitz für ein Recht, ebenso zunächst der berühmte Azo. Später änderte Azo seine Ansicht und meinte, der Besitz sei eine Tatsache, wofür er von Accursius gelobt wurde19. b) Eine erhebliche Ausdehnung erfuhr der Begriff des Besitzes im kanonischen Recht. Einmal wurde der Besitzschutz ausgedehnt auf jeden Besitzer, auch auf jeden 17

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Vgl. dazu Wieling, Die Verdinglichung der Miete vom römischen Recht bis zu den modernen Kodifikationen, in: Nozione, Formazione e Interpretazione del Diritto dall’Età Romana alle Esperienze Moderne, Ricerche Dedicate al Professore Filippo Gallo, 1997, 680 ff.; ders., Historische Voraussetzungen 361 ff., 368 ff. Vgl. Savigny, Besitz 139 ff.; C. G. Bruns, Besitz 103 ff., 252 ff.; Bussi 21 ff. Vgl. gl. a pedibus ad D 41, 2, 1 pr.: Deffiniri autem potest sic secundum Johannem: possessio est ius quoddam rem detinendi sibi. Vel secundum Azonem duobus modis. Primo sic: Possessio est ius quoddam quo quis rem corporalem vere vel interpretative sibi habeat. Tu dic ut et idem Azo postea dixit: Possessio est corporalis rei retentio corporis et animi et iuris adminiculo concurrente. (Man kann mit Johannes den Begriff des Besitzes so bestimmen: Besitz ist ein gewisses Recht, eine Sache im eigenen Interesse zu besitzen. Oder mit Azo auf zweierlei Art. Zunächst so: Besitz ist ein Recht, wodurch wir eine Sache wirklich oder in gewissem Sinne im eigenen Interesse haben. Du aber sag, was auch Azo später sagte: Besitz ist das körperliche Haben einer Sache mit Hilfe von corpus und animus). Mit dem Hinweis auf das iuris adminiculum wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Rechtsordnung die Funktionen des Besitzes einschränken und ausdehnen kann, vgl. etwa oben I 1 c.

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§ 3 II 2 b

3. Germanische Gewere

§ 3 II 3

Fremdbesitzer; zudem wurde ein Besitz auch an Rechten allgemein anerkannt. Mit der Spolienklage schuf das kanonische Recht einen neuen Rechtsbehelf zum Schutz des Besitzes. Die Klage geht auf den Gedanken zurück, daß ein vertriebener Bischof nicht gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden soll, bevor er wieder in seinen Besitz eingesetzt worden ist, damit er sich gehörig verteidigen kann. In den gefälschten Dekretalen des Pseudo-Isidor beanspruchte dieser Satz Rechtsgeltung, durch die Aufnahme dieser Fälschungen in das Decretum Gratiani erhielt er sie20. Ursprünglich ergab sich daraus eine Einrede des Vertriebenen, vor Wiedereinsetzung konnte keinerlei Gerichtsverfahren gegen ihn durchgeführt werden. Später leitete man aus diesen Texten eine eigene Klage (actio spolii, auch condictio ex canone) auf Wiedereinsetzung ab. Sie wurde gegen den Spolianten gegeben, aber auch gegen jeden bösgläubigen Besitznachfolger des Spolianten, der dessen Besitzentziehung kennt21. Weiterhin nahm das kanonische Recht in Ausweitung römischer und germanischer Vorstellungen Besitz an jedem Recht an, das fortdauernder oder wiederholter Ausübung fähig war. So wurde Besitz angenommen an kirchlichen und weltlichen Hoheitsrechten über Gemeinden, Kirchen, Klöster, Länder, an der bischöflichen Gewalt über die bischöfliche Kirche und ihre Güter, an Benefizien und Pfründen, an Regalien und Reallasten, am gegenseitigen Recht der Ehegatten (Ehebesitz) u.s.w. An allen dinglichen Rechten wurde ein Besitz anerkannt, streitig war der Besitz an Forderungen22. Dieser Rechtsbesitz wurde in gleicher Weise wie der Sachbesitz geschützt.

§ 3 II 3

3. Germanische Gewere Dem germanischen Recht23 ist die Trennung zwischen Besitz und Recht, Besitzschutz und Rechtsschutz fremd. Es kennt nur die Gewere und deren Schutz, welcher sowohl Funktionen des Rechtsschutzes als auch des Besitzschutzes übernimmt. In der Gewere ist der Gewahrsam an der Sache eng mit einem Recht an der Sache verbunden: Wer den Gewahrsam an einer beweglichen Sache hat, der hat die Gewere daran, die zugleich ein Recht an der Sache darstellt; Gewere, Gewahrsam und Recht fallen in eins. Gewere hat, wer die Sache hat, mag er Eigentümer, Mieter oder auch ein Dieb sein. Gibt der Eigentümer, der die Gewere hat, die Sache einem Mieter oder Entleiher, so 20

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Der Gedanke findet sich an verschiedenen Stellen des Dekrets, vgl. C. 3 qu. 1 c. 3: Redintegranda sunt omnia expoliatis vel eiectis episcopis presentialiter ordinatione pontificum, et in eo loco, unde abscesserant, funditus revocanda, quacum conditione temporis aut captivitate, aut dolo, aut violentia malorum, et per quascumque iniustas causas res ecclesiae, vel proprias, id est suas substantias perdidisse noscuntur (Den beraubten oder vertriebenen Bischöfen ist alles sofort zurückzugeben gemäß der päpstlichen Anweisung, und an den Ort zurückzubringen, wo es weggenommen wurde, mag der Verlust durch Zeitumstände, durch Gefangenschaft, Arglist, Gewalt oder sonstige rechtswidrige Ursachen eingetroffen sein, mag sich der Verlust auf Kirchenvermögen oder privates Vermögen beziehen). Vgl. Wieling, Historische Voraussetzungen 361 ff., 382 ff. Das römische Recht gab die Besitzschutzinterdikte nur gegen den Störer selbst, nicht gegen einen Rechtsnachfolger, vgl. oben 1 b a.E. Vgl. C. G. Bruns 128 ff.; 185 ff.; Wesener 460 ff.; Genius, Klaus, Der Bestandsschutz des Mietverhältnisses in seiner historischen Entwicklung bis zu den Naturrechtskodifikationen, 1972. Besser sollte man wohl sagen: dem sächsischen Recht.

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§ 3 II 4

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

verliert er die Gewere und das damit verbundene Recht, sie geht auf den Mieter oder Entleiher über. Der Vermieter oder Verleiher hat kein Recht mehr an der Sache, er hat nur noch seinen vertraglichen Anspruch auf Rückgabe gegen seinen Vertragspartner. Unterschlägt dieser die Sache und verkauft er sie, so wird der Käufer Gewereinhaber, unabhängig von seinem guten Glauben. Denn der Verkäufer war Inhaber der Gewere. Der erste Eigentümer kann nicht gegen den Käufer vorgehen, er kann sich nur an seinen Vertragspartner halten und Schadensersatz verlangen: Welch man deme anderen liet adir setzt ein phert adir en kleit adir ienerhande fahrende habe, zu welcher wiz her de us seinen gewehren lesit mit sime willen, verkouft se der, der se in gewehren hat, adir versetzt her se adir verspilt her se, adir wirt se im verstoln, adir abe geroubit, iener der se verlegen oder versatzt hat, de en mag da keine vorderunge nach haben, ane uf den, deme her se leig adir vorsatzte24. Das besagt das „Hand wahre Hand“ und auch das Sprichwort „Wo du deinen Glauben gelassen hast, sollst du ihn suchen“, beim Vertrags- § 3 II 4 partner nämlich, dem man die Sache anvertraut hatte. Bei Grundstücken steht die Gewere dem zu, der das Grundstück durch einen öffentlichen Akt mit Publizitätswirkung erworben hat, etwa durch gerichtliche Auflassung. Hat er das Grundstück in eigenem Gewahrsam, so hat er ledigliche Gewere; hat er es z.B. vermietet, so steht diese ledigliche Gewere dem Mieter zu. Dem Vermieter steht die brukende Gewere zu, da er das Grundstück durch den Mietzins nutzt. O. vGierke faßt ledigliche und brukende Gewere als „leibliche Gewere“ zusammen. Hat der Eigentümer des Grundstücks weder ledigliche noch brukende Gewere, so hat er nach vGierke jedenfalls „ideelle Gewere“ 25. Die Bedeutung der Gewere liegt in ihrem Schutz, wenn die Gewere gebrochen wird, d.h. wenn dem Besitzer der Besitz gegen seinen Willen entzogen wird. Der Inhaber der Gewere darf Gewereverletzungen gewaltsam abwehren. Ist dem Gewereinhaber der Gewahrsam an einem Grundstück entzogen worden, so kann er aus der Gewere auf Rückgabe klagen. Bei beweglichen Sachen endet zwar mit dem Gewahrsam auch die Gewere; wem die Sache entzogen wird, der verliert auch die Gewere. Dem Verletzten steht aber ein Deliktsanspruch wegen Bruchs seiner früheren Gewere zu. Gewere gibt es nicht nur an Sachen, sondern auch an Rechten, deren äußeres Erscheinungsbild darin liegt, daß sie ausgeübt werden. Rechtsgewere ist etwa anerkannt bei Regalien, Zollgerechtigkeiten, Zins- und Zehntrechten, Gerichtsherrlichkeiten u.s.w.26

4. Gemeines Recht Der Usus modernus pandectarum sah sich nach der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland mit einer Reihe von Systemen konfrontiert, die zum Schutz des 24

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Sachsenspiegel, Landrecht II 60: Wer einem anderen ein Pferd verleiht oder verpfändet oder ein Kleid oder andere Mobilien, wobei er sie mit seinem Willen aus der Gewere läßt, verkauft sie der, der sie in seiner Gewere hat, oder verpfändet oder verspielt er sie oder wird sie ihm gestohlen oder geraubt, so hat der, der sie verliehen oder verpfändet hat, keinen Anspruch deswegen, außer gegen den, dem er sie verliehen oder verpfändet hat. Zu den Arten der Gewere vgl. O. vGierke II § 113 III; Ogris HRG I 1660 ff. Vgl. O. vGierke II § 113 III 5; Ogris HRG I 1664.

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§ 3 II 4

5. Kodifikationen und das BGB

§ 3 II 5 a

Besitzes entworfen waren: Neben dem römischen Besitzrecht und seinen Weiterentwicklungen im Mittelalter gab es die Regelung des kanonischen Rechts und das wiederum von beiden abweichende germanische Recht. Es ist der damaligen Rechtswissenschaft trotz vieler Bemühungen nicht gelungen, diese verschiedenen Elemente in Einklang zu bringen und eine anerkannte, widerspruchsfreie Lehre vom Besitz zu schaffen. Die verschiedenen römischen Besitzschutzinterdikte wurden aneinander angeglichen und zum possessorium ordinarium vereinheitlicht. Daneben bildete sich als Vorverfahren zum ordinarium das possessorium summariissimum heraus. Es diente der Verhinderung von Gewalttätigkeiten während des ordinarium. Provisorisch wurde der in den Besitz eingewiesen, der die letzte unbehinderte Besitzhandlung vorgenommen hatte27. In der gemeinrechtlichen Praxis wurden diese Besitzklagen, insbesondere das possessorium ordinarium, nicht selten mit den Klagen aus der germanischen Gewere vermengt und als petitorische Klagen aus besserem (älterem) Besitz verstanden; von der historischen Rechtsschule wurde das bekämpft und abgelehnt28. Der Usus modernus übernimmt allmählich auch die Spolienklage des kanonischen Rechts, doch waren die Voraussetzungen im einzelnen streitig. Insbesondere war umstritten, ob sie jedem Detentor oder nur dem possessor zustand und ob sie gegen jeden Rechtsnachfolger des Störers erhoben werden konnte oder nur gegen den bösgläubigen (spolii conscius). Savigny wollte die Spolienklage nur noch da zulassen, wo die römischen Besitzschutzinterdikte eine Lücke offenließen, also etwa beim Rechtsbesitz und bei den germanischen Reallasten29. Die Spolienklage verschwand damit aus der weltlichen Rechtswissenschaft, die Praxis jedoch hat sie im 19. Jh. weiter anerkannt. Im kanonischen Recht hat sich die Spolienklage in can. 1698 f. des Codex iuris canonici von 1917 bis 1983 erhalten. Im neuen Codex von 1983 findet sie sich nicht mehr. Der Usus modernus hat weiter den Rechtsbesitz des germanischen und kanonischen Rechts übernommen. So wurde z.B. Besitz anerkannt an Jurisdiktionsrechten, Bannrechten, an Rechten auf Steuer und Abgaben, am Recht, uneheliche Kinder zu legitimieren u.s.w. An Forderungen wurde ein Besitz meist abgelehnt. Savigny wollte Besitz nur noch an dinglichen Rechten zulassen bzw. an Rechten, die mit dem Grund und Boden unzertrennbar verbunden sind30. An anderen Rechten hielt er einen Besitz nicht für möglich31.

§ 3 II 5

5. Kodifikationen und das BGB a) Die Kodifikationen und Entwürfe des 18. und 19. Jahrhunderts unterscheiden zwischen Besitzern mit animus domini und Inhabern ohne diesen Willen32. Das ALR unterscheidet zwar noch den vollständigen Besitz mit animus domini vom unvollstän27 28 29 30 31 32

Vgl. C. G. Bruns 246 ff.; Dernburg, Pandekten I § 186 f. Savigny, Besitz 528 ff. Savigny, Besitz 518. Vgl. Savigny, Besitz 504 ff.; C. G. Bruns 274 ff., 420 ff.; Wesener 463 ff. Vgl. Savigny, Besitz 507 f. Vgl. ABGB § 309; ALR I 7 §§ 1, 3; sächsBGB § 186; Entwurf eines BGB für Bayern III Art. 1.

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§ 3 II 5 b

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

digen Besitz dessen, der eine Sache als fremdes Eigentum, aber im eigenen Interesse hat33; in den Rechtsfolgen war dieser unvollständige Besitz jedoch der Inhabung gleichgestellt, die Unterscheidung war überflüssig. Diese Regelung ist damit strenger als das römische Recht, das auch gewissen Fremdbesitzern Besitz zuerkannte. Auf der anderen Seite dehnen die Kodifikationen den Besitzschutz weit über den Eigenbesitz hinaus aus: Das ABGB schützt zwar nur den Besitzer, nicht den Inhaber34. Da aber an jedem Recht Besitz möglich ist35, werden auch Mieter, Pfandgläubiger u.s.w. als Rechtsbesitzer possessorisch geschützt. Das ALR gibt jedem Besitzer und Inhaber den Besitzschutz36, also auch dem Inhaber, der kein eigenes Interesse an der Sache hat, wie z.B. dem Verwahrer. Allerdings kann dieser Inhaber ohne eigenes Interesse nicht gegen den Besitzer vorgehen, dieser darf ihn aus dem Besitz vertreiben37. Das sächsische BGB gab die Besitzklagen auch dem Inhaber, der die Sache im eigenen Interesse be- § 3 II 5 saß38, ebenso der bayerische Entwurf 39. b) Auch der Teilentwurf Johows (§ 48) unterscheidet zwischen Inhabung und Besitz40. Inhaber ist jeder, der die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt. Besitzer ist jeder Inhaber mit animus domini, darüber hinaus aber auch jeder Inhaber, der die Sache für sich, im eigenen Interesse besitzt, wie z.B. der Pfandgläubiger, Mieter, Pächter u.s.w.41 Anders als in den vorhergehenden Kodifikationen wollte Johow im zweiten Abschnitt seines Teilentwurfs „Besitz“ (§§ 48 – 84) nur den Begriff des Besitzes als Voraussetzung des Eigentumserwerbes sowie den Besitzschutz behandeln42, die weiteren Voraussetzungen für den Eigentumserwerb (redlicher – unredlicher Besitz u.s.w.) aber bei den einzelnen Institutionen des Sachenrechts. Der erste Entwurf ist dem gefolgt43. Das Gewaltrecht wollte Johow jedem Inhaber zugestehen, gegen den Besitzer selbst aber nur dem Inhaber mit eigenem Interesse an der Sache44. Besitzklagen wegen Besitzstörung oder Entziehung sollte es nur für Grundstücke geben45, weil bei Prozessen über bewegliche Sachen wegen der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs das Recht zum Besitz beachtet werden müsse46. Die Klagen sollten nur dem Besitzer zustehen. Jeder Inhaber sollte aber befugt sein, diese Klagen im Namen des Besitzers geltend zu machen, ausgenommen gegen den Besitzer selbst47.

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I 7 §§ 6, 7. §§ 339, 346. § 311. I 7 § 146. I 7 § 144. § 208. III Art. 40. Johow wollte die Inhabung bei beweglichen Sachen „Gewahrsam“ nennen, § 53. Vgl. § 48 TE, Begründung 360 – 363; auch Schubert, SZ 95 (1978), 317. Begründung 352 f. Zur Entstehungsgeschichte der Regelung des Besitzrechts im BGB vgl. ausführlich Schubert, Besitz 57 – 95; Ernst 3 – 24. § 72 I u. IV; wie sich diese Regelung zu § 48 TE verhält, bleibt offen. Johow, §§ 77, 78 TE. Begründung 443. § 83 TE.

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5. Kodifikationen und das BGB

§ 3 II 5 c, d

c) Die erste Kommission änderte den Entwurf Johows dahin ab, daß Besitzer nur § 3 II 5 noch der Inhaber mit animus domini sein sollte, vgl. § 797 E 148. Die Gewaltrechte d sollten jedem Inhaber auch gegen den Besitzer zustehen, vgl. § 815 E 1; man könne es beim Besitzschutz nicht darauf ankommen lassen, ob der Inhaber ein Recht zum Besitz der Sache habe49. Weiter wurden die Besitzklagen auch auf bewegliche Sachen ausgedehnt, §§ 819 f. E 1, weil auch hier ein Bedürfnis nicht zu leugnen sei50. Sie wurden jedem Inhaber zuerkannt und konnten im eigenen Namen geltend gemacht werden51. Hatte der Inhaber die Sache für einen anderen inne, so sollten die Klagen auch diesem Besitzer zustehen, § 821 E 1. Die Vorschriften der §§ 797 ff. E 1 sollten wie die Regelung in Johows Teilentwurf den Besitz bezüglich des Besitzschutzes und des Rechtserwerbs bestimmen52. Während das ABGB53 und das ALR54 den Rechtsbesitz im weitesten Umfange zuließen und der bayerische Entwurf eines BGB bei allen wiederholt ausübbaren Rechten, außer solchen aus Schuld- und Familienverhältnissen55, beschränkte das sächs. BGB den Rechtsbesitz auf Dienstbarkeiten56. Johow wollte den Rechtsbesitz völlig abschaffen57, er sei durch den Schutz der Inhaber überflüssig geworden. Die erste Kommission wie schließlich das BGB ließen ihn ausschließlich bei Dienstbarkeiten zu58. d) Die Regelung des Besitzes im ersten Entwurf fand eine scharfe Kritik59, insbesondere von Seiten der Germanisten, welche eine Berücksichtigung der Gewere vermißten60. Insbesondere wurde die Unterscheidung Inhabung – Besitz angegriffen; es sei unverständlich, daß ein Dieb Besitz habe, nicht aber ein Mieter, Erbpächter, Vasall u.s.w. Da Inhabung und Besitz gleichermaßen geschützt waren, war das eine reine Wortkritik61. Aber auch von anderer Seite wurden terminologische Bedenken geltend gemacht62. Daß der Rechtsbesitz abgeschafft war, wurde von germanistischer Seite als verfehlt angesehen63, von anderen dagegen begrüßt64. Begründet war die Kritik, daß je-

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§ 797: „Der Besitz einer Sache wird erworben durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (Inhabung) in Verbindung mit dem Willen des Inhabers, die Sache als die seinige zu haben (Besitzwille).“ Protokolle der 1. Kommission 3499 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 169). Protokolle der 1. Kommission 3513 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 179). Protokolle der 1. Kommission 3513, 3517 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 179). Das war im Grunde keine Neuerung, nachdem RG 5, 164 im gemeinen Recht die Spolienklage jedem Inhaber zuerkannt hatte. Motive 3, 78 f. § 311. I 7 §§ 77 ff. III Art. 42. §§ 556 ff., § 602. § 84 und Begründung 473 ff. Vgl. Wesener 475 f. Vgl. Schubert, Besitz 73 ff. Vgl. insbesondere O. vGierke, Entwurf 294 ff., mit Literatur. Vgl. Jhering, Besitzwille 476 f. Vgl. Cosack, Entwurf 8 f.; Wendt, AcP 74 (1889), 135 f., 153 ff. O. vGierke, Entwurf 297. Vgl. Meischeider, Streitfragen 81; Cosack, Entwurf 9; Wendt, AcP 74 (1889), 174.

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§ 3 II 5 d

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

der Inhaber, auch z.B. der Dienstbote, die Gewaltrechte und Besitzklagen gegen den Besitzer habe65. Auf diese Kritik hin entschloß sich die zweite Kommission, auch die vorher als „Inhabung“ bezeichneten Verhältnisse nunmehr Besitz zu nennen. Man betrachtete dies – zutreffend – als eine rein terminologische Änderung66. Die Vorschrift des § 778 E 2 = § 855 BGB wurde eingefügt, wonach ein bezüglich der Sache Weisungsabhängiger (Besitzdiener) keine Besitzklagen habe und keine Gewaltrechte gegen den Besitzherrn67. Im übrigen sollten die §§ 777 – 793 E 2 (= §§ 854 – 872 BGB) den Besitz nur regeln im Hinblick auf den Besitzschutz, nicht im Hinblick auf andere Fragen, die mit dem Besitz zusammenhängen, wie z.B. den Eigentumserwerb68. Die besitzrechtlichen Voraussetzungen des Rechtserwerbs sind bei den Vorschriften über die einzelnen § 3 II 5 Rechte geregelt69. Nach der Entstehung des BGB wurde – insbesondere von germanistischer Seite – häufig die Frage erörtert, ob das Besitzrecht mehr romanistische oder mehr germanistische Momente enthalte. Die Frage ist nicht immer ganz einfach zu beantworten. Zunächst ist festzustellen, daß das germanische Recht den Schutz des Besitzes als solchen nicht kennt70, so daß sich die Frage für die possessio ad interdicta und den gesamten Besitzschutz nicht stellt71. Germanisch beeinflußt ist die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs. Im übrigen wollten die Verfasser des BGB grundsätzlich vom römischen Recht ausgehen, das germanische Besitzrecht sei aus dem nationalen Rechtsbewußtsein geschwunden72. Daher wurde z.B. der Rechtsbesitz bis auf die Fälle, die schon im römischen Recht anerkannt waren, abgeschafft. Zu beachten ist, daß aus einer Ähnlichkeit in der Ausgestaltung des Besitzes nicht ohne weiteres auf eine Beeinflussung geschlossen werden kann. So trifft die Behauptung vGierkes73 nicht zu, im mittelbaren und unmittelbaren Besitz komme die mehrfache Gewere des germanischen Rechts (ledigliche – brukende Gewere) zum Durchbruch. In den Protokollen der zweiten Kommission, welche den mittelbaren Besitz in das Gesetz einführte, ist von einem deutschrechtlichen Einfluß jedenfalls nichts zu bemerken74. Es handelt sich beim mittelbaren Besitz vielmehr um die römische possessio des Vermieters u.s.w., die unter germanischen Verkehrsanschauungen im gemeinen Recht eine besondere Form und Bedeutung angenommen hatte75.

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O. vGierke, Entwurf 307; Meischeider, Streitfragen 77 ff.; Strohal, JherJahrb 29 (1840), 354; Wendt, AcP 74 (1889), 138; Planck, AcP 75 (1889), 396; Jhering, Besitzwille 503; vgl. aber unten § 4 IV pr. Protokolle der 2. Kommission 3332 (Mugdan 3, 502). Protokolle der 2. Kommission 3340 (Mugdan 3, 504). Protokolle der 2. Kommission 3332 (Mugdan 3, 502). Vgl. Wieling, System 1167. Ogris HRG I 392 s.v. Besitz. So auch V. Bruns 37. Johow, Begründung 350 f. O. vGierke § 114 III 5; ihm folgend Ogris HRG I 391. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3723 ff. (Mugdan 3, 512 ff.). Vgl. Wieling, Studi Sanfilippo 720 ff.; auch Strohal, 24. DJT IV (1898), 129.

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III. Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutze

§ 3 III a

III. Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes

§ 3 III

Die Frage, warum der Besitz geschützt wird, hängt eng zusammen mit der Frage nach dem Wesen des Besitzes. Ist nämlich der Besitz ein Recht, so ist es selbstverständlich, daß er rechtlich geschützt wird. Ist dagegen der Besitz kein Recht, sondern ein Faktum, so taucht die Frage nach dem Grund des Besitzschutzes auf: Warum schützt das Gesetz den Besitzer gegen Besitzverletzungen, obwohl darin eine Rechtsverletzung nicht zu sehen ist? Warum wird etwa auch ein Dieb in seinem Besitz geschützt? a) Ob der Besitz ein Recht oder ein Faktum ist, ist schon im römischen Recht1 und dann im Mittelalter2 diskutiert worden. Seitdem hat der Streit um das Wesen des Besitzes nicht geendet3. Heute vertreten die meisten Autoren die Ansicht, daß der Besitz ein Recht sei. Einige halten ihn für ein dingliches Recht4, wobei bisweilen hinzugefügt wird, es handle sich um ein provisorisches (?) oder ein gegenüber den anderen Sachenrechten schwächeres (?) Recht5. Andere Autoren halten den Besitz nicht für ein Sachenrecht, sondern für ein sonstiges (?) Recht6, andere lassen die Frage offen7. Die Gründe, die für die Qualifizierung des Besitzes als eines Rechts angeführt werden, überzeugen nicht. Nicht überzeugend ist es, wenn aus der Tatsache des Besitzschutzes gefolgert wird, der Besitz müsse ein Recht sein. Die noch zu erörternden Ansichten zum Grund des Besitzschutzes zeigen, daß der Schutz des Besitzes auch ohne Gleichsetzung des Besitzes mit einem Recht erklärt werden kann. Die Argumentation, der Besitz sei in § 823 I geschützt, folglich ein Recht, verwechselt entweder Besitz und Recht zum Besitz oder ist ein Zirkelschluß. Denn ob der Besitz in § 823 I geschützt ist, hängt davon ab, ob er ein Recht ist. Auch der Hinweis auf die Vererbbarkeit des Besitzes (§ 857) sowie die Möglichkeit der Rechtsnachfolge in den Besitz (§§ 861 II, 862 II, 943, 999), die nur durch die Annahme des Besitzes als eines Rechtes erklärt werden könne, ist nicht zwingend. Die Fiktion des Besitzübergangs in einem Sonderfall (§ 857) kann nicht das Wesen des Besitzes bestimmen. Man könnte mit besserer Berechtigung schließen, der Besitz sei kein Recht, weil sein Übergang auf den Erben besonders ausgesprochen werden müsse. Wenn das Gesetz bei der Besitzübertragung von Rechtsnachfolge spricht, so ist damit ausgedrückt, daß auf den Erwerber des Besitzes auch vorteilhafte Rechtspositionen übergehen: In §§ 861 II, 862 II ist es die dort ausgespro-

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Vgl. den Digestentext oben II Fn. 7. Die neue Ansicht des Ofilius und Nerva, daß der Besitz kein Recht sei, scheint sich durchgesetzt zu haben, Paulus schließt sich ihr an. Daß der Besitz ein Recht sei, wurde etwa von Johannes Bassianus vertreten, vgl. gl. a pedibus ad D 41, 2, 1 pr., oben II 2 Fn. 19. Vgl. Wieling, FG vLübtow 565 ff.; Moriya 5 ff. Vgl. etwa Wolff-Raiser § 3 III; Enneccerus-Nipperdey I § 80 I 1; vTuhr I 137, 208, 254; J. vGierke § 5 I; E. Wolf § 2 A II b; Sandtner 10 ff.; Hartung 31 ff. Sandtner meint freilich, mit der Bejahung eines dinglichen Rechts sei noch nicht die Frage entschieden, ob der Besitz ein Recht i.S.v. § 823 I sei (22). Er führt damit einen neuen Begriff des dinglichen Rechts (ohne Zuordnung) ein, das Problem, ob der Besitz ein Recht sei, wird zu einer rein terminologischen Frage. Vgl. vTuhr, Enneccerus-Nipperdey, Wolff-Raiser a.a.O. Schlegelberger-Vogels-Pritsch 11 vor § 854. Heck § 3, 4; Erman-Lorenz Rn. 3 vor § 854; RGRK-Kregel 2 vor § 854; Palandt-Bassenge Rn. 1 vor § 854 („vorläufiges Recht“); BVerfG NJW 1993, 2036.

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§ 3 III b

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

chene Freistellung von der possessorischen Klage, in § 943 die Ersitzungsmöglichkeit, in § 999 die Möglichkeit, Verwendungsersatz zu verlangen8. Wäre der Besitz ein Recht, so müßte er ein Herrschaftsrecht an der Sache sein. Dingliche Rechte zeichnen sich aus durch ihre Abwehr- und Zuordnungsfunktion9. Die Abwehrfunktion kommt dem Besitz zu, vgl. §§ 859, 861, 862. Dagegen hat der Besitz keinen Zuweisungsgehalt10. Der bloße Besitzer ist weder zur Verwertung der Sachsubstanz (durch Verbrauch oder Veräußerung) befugt noch zur Nutzung oder zum Besitz der Sache. Veräußert er etwa die Sache, so ist er gemäß § 816 I zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Nutzt er sie, so muß er die Nutzungen ersetzen, §§ 990, 98711. Auch das Haben der Sache steht dem bloßen Besitzer nicht zu, er ist verpflichtet, die Sache herauszugeben. Der Besitz ist somit kein Recht, auch kein vorläufiges und schwächeres; er ist ein Faktum12. § 3 III b) Da der Besitz kein Recht ist, muß der Grund des Besitzschutzes anders zu erklären sein. Nach heute h.M. wird im Besitz die öffentliche Ordnung geschützt; der Angriff auf den Besitz gefährde den öffentlichen Frieden, der Besitzschutz schütze ihn (Friedenstheorie)13. Indessen ist keineswegs jede verbotene Eigenmacht eine Störung der öffentlichen Ordnung14, wie das Beispiel des im Gasthaus vertauschten Hutes zeigt. Obwohl in solchen Fällen der öffentliche Friede keineswegs bedroht ist15, greift der Besitzschutz ein, was die Friedenstheorie widerlegt. Weiter ist gegen die Friedenstheorie einzuwenden, daß die Gewaltrechte des § 859, insbesondere das Recht der Besitzkehr in § 859 II und III, den Rechtsfrieden keineswegs fördern. Die zweite BGB-Kommission war sich dessen bewußt, daß das Gewaltrecht „das Faustrecht gesetzlich sanktioniere“, doch hielt man aus praktischen Gründen daran fest16. Aber selbst wenn man die Friedenstheorie annehmen würde, wären damit noch nicht die Besitzschutzansprüche erklärt. Als Sanktion für die Störung der öffentlichen Ordnung käme eine strafrecht8 9 10 11 12

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Zum „Besitz des Rechtsvorgängers“ in § 198 (früher § 221) vgl. Finkenauer, Zum Begriff der Rechtsnachfolge in § 221, JZ 2000, 241 ff. Vgl. oben § 1 II 2. Vgl. Westermann-Westermann § 8, 4; Schwab-Prütting Rn. 49; Medicus, BürgR Rn. 607; Schick 27 f. Anders, wenn der Besitzer gutgläubig ein Besitzrecht i.S.v. § 1007 an der Sache erworben hat, vgl. unten § 13 II 2. Vgl. RG 59, 326 ff., 328; Crome § 342, 2; Dulckeit 15; Wieling, FG vLübtow 574 f.; MünchenerK-Joost Rn. 10 vor § 854 und mit umfangreicher Analyse der gesetzlichen Vorschriften Sosnitza 49 – 79. Ebenso für das österreichische Recht Kodek 18 ff. Vgl. etwa Westermann-Westermann § 8, 3 a; Wolff-Raiser § 17; J. vGierke § 9 I 2; Schwab-Prütting Rn. 48; Baur-Stürner § 9 Rn. 9; Soergel-Stadler § 854 Rn. 1. Einen Überblick über die verschiedenen Theorien gibt neuerdings Kodek 18 ff. So schon Savigny, Besitz 63; vgl. auch Heck § 3, 6. Sosnitza 41 sieht auch hier den Rechtsfrieden bedroht, weil er an die drohenden Gewaltrechte des Besitzers denkt. Aber dem früheren Besitzer steht der Besitzschutz auch zu, wenn der Besitzverletzer mit dem Hut ruhig und unentdeckt nach Hause geht. Wodurch sollte hier die öffentliche Ordnung gestört sein? Protokolle der 2. Kommission 3357 (Mugdan 3, 509); damit ist natürlich nicht behauptet, daß der Besitzschutz nicht in einzelnen Fällen auch dem Rechtsfrieden dienen könnte. Gewaltrechte dagegen fördern entgegen Sosnitza 42 nie den Rechtsfrieden, und der weiter angeführte Grund der Prävention könnte nur bei vorsätzlichen Besitzverletzungen eine Rolle spielen.

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III. Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutze

§ 3 III b

liche oder polizeiliche Maßnahme in Betracht, es bestünde aber kein Grund, einen rechtswidrigen Zustand (etwa Diebesbesitz) wiederherzustellen. Die Friedenstheorie kann den Besitzschutz nicht erklären17. Die Kontinuitätstheorie18 geht davon aus, der Besitz diene – wie das Eigentum – der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Der Besitzer habe daher ein Interesse daran, die Sachen weiterhin in seinem Besitz zu halten, der Besitzer müsse nur einem nachgewiesenen besseren Recht zum Besitz weichen. Das verschiebt indessen das Problem des Besitzschutzes lediglich auf die Frage, warum auch das Kontinuitätsinteresse etwa eines Diebes zu schützen sei19. Eine weitere Meinung begreift den Besitzschutz als Eigentumsschutz: Im Besitz werde das vermutete Eigentum geschützt20. Diese Ansicht mag im gemeinen Recht einen Anschein von Richtigkeit gehabt haben, als possessio im wesentlichen Eigenbesitz war. Mit dem BGB, das auch jeden Fremdbesitzer § 3 III schützt, ist diese Ansicht nicht zu vereinbaren21. In Betracht zu ziehen ist schließlich die Lehre, welche im Besitz den Willen und die Persönlichkeit des Besitzers schützen will, Besitzschutz also als Persönlichkeitsschutz begreift. Diese Ansicht geht zurück auf Kant, sie war im 19. Jahrhundert weit verbreitet, vertreten wurde sie u.a. von Savigny, Puchta, Bruns und Gans und erschien sogar dem BGB-Gesetzgeber einleuchtend: Besitzschutz als Schutz für das „absolute Persönlichkeitsrecht der Freiheit“ 22. Heute dagegen wird sie allgemein abgelehnt, falls sie überhaupt erwähnt wird23; zu Unrecht jedoch. Sie liefert die einzig befriedigende Begründung des Besitzschutzes. Recht ist eine von der Rechtsordnung einer Person verliehene Willensmacht. Alle Rechte haben den einen Zweck, es dem Menschen zu ermöglichen, seine Persönlichkeit frei zu entfalten, d.h. sein Leben und seine Umwelt gemäß seinem freien Willen zu gestalten. Hinter jedem Recht steht somit das Persönlichkeitsrecht, jenes „rechtliche Grundverhältnis“, aufgrund dessen jeder Mensch jedem anderen gegenüber zur Achtung und Anerkennung seines Willens verpflichtet ist24. Daher liegt in jeder Rechtsverletzung zugleich eine mittelbare Verletzung der Persönlichkeit des Rechtsinhabers, eine Tatsache, die im täglichen Leben sehr häufig feststellbar ist. Die Ausdauer und Erbitterung, mit welcher Rechtsstreitigkeiten um oft unbedeutende Dinge ausgetragen werden, läßt sich nur daraus erklären, daß die Parteien sich in ihrer Persönlichkeit angegriffen fühlen.

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Vgl. Wieling, FG vLübtow 576. Vgl. Stahl, Die Philosophie des Rechts II 1 (5. Aufl. 1963) 395; Thibaut, System des Pandektenrechts I (6. Aufl. 1823) § 291; Dernburg, Pandekten I § 170; Heck § 3, 5 f. und Exkurs 1; Staudinger-Bund Rn. 18 vor § 854; Hartung 150 ff. Vgl. Westermann-Westermann § 8, 3 a; J. vGierke § 9 I 2; Wolff-Raiser § 17 Fn. 1; Wieling, FG vLübtow 575 f. Vgl. Baur-Stürner § 9 Rn. 9; Eichler II 1, 3 Fn. 2; Wieser, JuS 1970, 559 f. Vgl. die Literatur bei Wieling, FG vLübtow 573, 575. Vgl. Wieling, FG vLübtow 568 ff., 577 f.; Motive 3, 110; Planck-Brodmann 6 vor § 854; Eberhard, MecklZ 51 (1935), 211 ff.; Giehl 132 ff., 157 ff.; ähnlich jetzt auch Wilhelm Rn. 412 ff. und Mei Zhou, Der Herausgabeanspruch aus mittelbarem Besitz (2004) 79. Vgl. Wolff-Raiser § 17 Fn. 1; Westermann-Westermann § 8, 3 a; J. vGierke § 9 I 2; Heck, Exkurs 1, 6. Vgl. Larenz-Wolf § 2 Rn. 7 f.

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§ 3 IV

§ 3. Einleitung in das Recht des Besitzes

Wird bei der Rechtsverletzung durch die Verletzung des Rechts mittelbar die Persönlichkeit betroffen, so steht bei der Besitzverletzung nichts mehr zwischen Angriff und Person; im Besitz wird die Persönlichkeit unmittelbar angegriffen und verletzt25; ihr Wille, eine Sache ungestört zu haben, wird mißachtet. Denn ebenso wie die Rechte dienen auch die Sachen, die der Mensch in seiner Gewalt hat, dem Zweck, ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen26. Die Persönlichkeit des Menschen manifestiert sich nicht nur in seinem Körper, sondern auch in den Dingen, die er in seiner Gewalt hat und ohne welche eine Persönlichkeitsentfaltung nicht möglich wäre27. Nur die hinter dem Besitz stehende Persönlichkeit kann erklären, wieso eine Besitzverletzung rechtswidrig sein kann (vgl. § 858 I), obwohl der Besitzer möglicherweise keinerlei Recht an der Sache hat, wie z.B. der Dieb. Nur auf diese Weise kann erklärt werden, warum das Gesetz auch einem Dieb die possessorischen Rechte gibt: Der Besitzer mag zwar zur sofortigen Herausgabe verpflichtet sein, niemand hat aber das Recht, den Willen des Besitzers eigenmächtig und überheblich zu mißachten. Wer ein Recht an der Sache zu haben glaubt, mag dieses Recht in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen geltend machen. Es zeigt sich somit, daß der Besitz kein Recht ist, daß im Besitz vielmehr die Persönlichkeit des Besitzers geschützt wird28.

IV. Überblick über das Gesetz Das Gesetz regelt im ersten Abschnitt des dritten Buches zunächst den Erwerb und Verlust des unmittelbaren Besitzes (tatsächliche Sachherrschaft) mit der Ausnahme des § 855. Es folgt der Schutz dieses unmittelbaren Besitzes, §§ 858 – 864, 867. In §§ 865 f. sind Teilbesitz und Mitbesitz geregelt. In §§ 868 – 871 ist der mittelbare Besitz geregelt, in § 869 wird bei Verletzung des unmittelbaren Besitzes auch dem mittelbaren Besitzer ein Anspruch zuerkannt. Alle diese Regeln über den Besitz beziehen sich nur auf den Schutz des Besitzes, nicht auf andere Fragen29. Besitz als Voraussetzung des Rechtserwerbs ist beim Erwerb der Rechte geregelt, z.B. in §§ 929 ff., 937, 960 ff. für das Eigentum, in §§ 1032 f. für den Nießbrauch, in §§ 1205 ff. für das Pfandrecht. Bei 25 26 27 28

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Das verkennt Sosnitza 39. Hedinger 53 spricht vom Besitz als „Freiraum“ für die Interessen einer Person. Vgl. Planck-Brodmann 6 vor § 854; Eberhard, MecklZ 51 (1935), 211 ff.; Giehl 132 ff., 157 ff. Westermann-Westermann § 8, 3 a, J. vGierke § 9 I 2 und Eichler II 1, 2 wenden ein, beim Besitzschutz handle es sich um Vermögensschutz, nicht um den Schutz der Persönlichkeit. Das trifft nicht zu. Zum Vermögen gehört nicht der Besitz, sondern das Besitzrecht. Hat der Besitzer keinerlei Besitzrecht, auch kein gutgläubig erworbenes, so gehört die Sache nicht zu seinem Vermögen. Er ist verpflichtet, die Sache sofort herauszugeben, alle daraus erlangten Vorteile muß er an den Berechtigten abführen Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3332 (Mugdan 3, 502), ferner V. Bruns 39; Dernburg, BürgR III 44; Eck, Vorträge II 2; Rosenberg 2 vor § 854; Planck-Brodmann 2 vor § 854; Biermann N. 1 b vor § 854; Schlegelberger-Vogels-Pritsch 23 vor § 854 und jetzt auch Ernst 25 ff.; irrig dagegen Heck § 4, 9; Sandtner 48; Wilhelm Rn. 400 Fn. 1; Brehm-Berger Rn. 2, 4 Fn. 8.

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§ 3 IV

IV. Überblick über das Gesetz

§ 3 IV

einem Besitzverhältnis i.S.v. § 855 ist z.B. nur der Besitzherr Besitzer, nicht der Besitzdiener; das gilt aber nur für die Frage des Besitzschutzes, nicht etwa für die Frage des Eigentumserwerbs: Unterschlägt der Besitzdiener die Sache, so ist sie nicht ohne weiteres dem Besitzherrn im Sinne von § 935 abhanden gekommen. Weist umgekehrt ein Verkäufer seinen Lieferanten an, die verkaufte Sache direkt an den Käufer zu senden, so mag darin nach den Regeln des Geheißerwerbs eine Besitzverschaffung vom Verkäufer an den Käufer liegen. Besitzer im Sinne des Besitzschutzes ist der Verkäufer nie § 3 IV gewesen. Einen Fremdkörper in diesem Abschnitt bildet § 872, da die Frage nach Eigen- oder Fremdbesitz für den Besitzschutz keine Bedeutung hat. Das gleiche gilt von § 86830. Zur Problematik des Besitzes im öffentlichen Recht vgl. die oben in der Literaturübersicht genannte Schrift von Lepsius.

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Vgl. unten § 6 I 1.

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§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Literatur: Aravantinos, Die Anfechtbarkeit der Besitzübertragung im deutschen bürgerlichen Recht, JherJahrb 48 (1904), 101 ff.; Bekker, Zur Reform des Besitzrechts, JherJahrb 30 (1891), 325 ff.; ders., Der Besitz beweglicher Sachen, JherJahrb 34 (1895), 1 ff.; Colberg, Albrecht, Beitrag zur Lehre vom Besitzbegriffe, 1908; Damrau, Aufgabe des einheitlichen Begriffs der Übergabe?, JuS 1978, 519 ff.; Ebenroth-Frank, Die Übertragung des Besitzes vom Erblasser auf den Erben, JuS 1996, 794 ff.; Eberhard, Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes, Mecklenburgische Zeitschr. für Rechtspflege 51 (1935), 211 ff.; Enders, Peter, Der Besitzdiener – Ein Typusbegriff, 1991; Förtsch, Sind nach dem Rechte des BGB die gesetzlichen Vertreter Besitzer der in ihren Händen befindlichen Sachen der von ihnen vertretenen Personen?, GruchBeitr 43 (1899), 545 ff.; Frank, Karl, Der Besitzwille nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, 1898; Goldschmidt, Studien zum Besitzrecht, FS Gneist (1888), 63 ff.; ders., Grundlagen der Besitzlehre, in: Vermischte Schriften I (1901), 35 ff.; Hartung, Frank, Besitz und Sachherrschaft, 2001; Hoche, Besitzerwerb und Besitzverlust durch Besitzdiener, JuS 1961, 73 ff.; Hruza, Der Sacherwerb corpore et animo nach römischem und heutigem Recht, GrünhutsZ 24 (1897), 217 ff.; Kaemmerer, Hanns, Die Zulässigkeit der Vertretung im Besitzerwerb, 1908; Kegel, Von wilden Tieren, zerstreuten Leuten und versunkenen Schiffen, FS vCaemmerer 1978, 149 ff.; Keith, Franz, Die analoge Anwendung der Regeln über die Stellvertretung auf den Besitzerwerb durch Besitzdiener gemäß § 854 I BGB, Diss. Münster 1931; Kipp, Rez. Goldschmidt, Vermischte Schriften, in: ZHR 52 (1902), 298 ff.; Klinck, Stellvertretung im Besitzerwerb, AcP 205 (2005), 487 ff.; Kohler, Zur Besitzlehre, AcP 69 (1886), 151 ff.; Kollhosser, Grundfälle zu Besitz und Besitzschutz, JuS 1992, 215 ff.; Kruse, Frederik Vinding, Das Eigentumsrecht I – III, 1931 – 1936; Lange, Besondere Fälle des § 857 BGB, FS Felgentraeger (1969), 295 ff.; Last, Fragen zur Besitzlehre, JherJahrb 62 (1913), 1 ff.; 63 (1913), 71 ff.; Manigk, Die Voraussetzungen des Eigenbesitzes nach BGB, ArchBR 25 (1905), 316 ff.; Michalski, Versuch einer Korrektur der Inkongruenz von § 933 und § 934, AcP 181 (1981), 384 ff.; Michel, Erich, Probleme des Erbenbesitzes nach § 857, Diss. Bochum 1990; Müller-Erzbach, Das Recht des Besitzes, AcP 142 (1936), 5 ff.; Ogris, Gewere, in: HRG I 1658 ff.; Pabst, Wolfgang, Die Rechtsnatur der Einigung im Sachenrecht, Diss. Dresden 1909; Pawlowski, Hans-Martin, Der Rechtsbesitz im geltenden Sachen- und Immaterialgüterrecht, 1961; Raape, Leo, Besitzerwerb ohne Besitzwillen, Diss. Bonn 1901; Regelsberger, Über den Besitzerwerb durch Mittelspersonen, JherJahrb 44 (1902), 393 ff.; ders., Der gerichtliche Besitzschutz nach römischem Recht, nach gemeinem Recht und nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, FS Juristische Fakultät Gießen (1907), 233 ff.; Reiß, Carl, Über mittelbaren Besitz, Diss. Marburg 1904; Rohde, Ernst, Studien im Besitzrecht I – XIII, 1913; Schmelzeisen, Die Relativität des Besitzbegriffs, AcP 136 (1932), 38 ff.; Schulze, Schutz der Erwerbschance – Schnäppchenjagd im Einkaufsmarkt, NJW 2000, 2876 ff.; Stöver, Ist die Einigung im Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein Rechtsgeschäft?, ArchBR 26 (1905), 149 ff.; Strohal, Der Sachbesitz nach dem BGB, JherJahrb 38 (1898), 1 ff.; ders., Zum Besitzrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 29 (1890), 336 ff.; 31 (1892), 1 ff.; Ullmann, Einige Streitfragen aus dem Gebiet des gesetzlichen ehelichen Güterrechts, AcP 92 (1902), 288 ff.; Wendt, Der mittelbare Besitz des bürgerlichen Gesetzbuches, AcP 87 (1897), 40 ff.; ders., Besitz

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und Besitzwille, FS Juristische Fakultät Gießen (1907), 79 ff.; Witt, Die Rechtsfigur des Besitzdieners im Widerstreit zwischen Bestands- und Verkehrsschutz, AcP 201 (2001), 165 ff.; Wolff, Der Mitbesitz nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, JherJahrb 44 (1902), 143 ff.; Zitelmann, Übereignungsgeschäft und Eigentumserwerb an Bestandteilen, JherJahrb 70 (1921), 1 ff.

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I. Unmittelbarer Besitz; Besitzobjekt und Besitzsubjekt 1. Unmittelbarer Besitz und Gewahrsam a) Ausgangspunkt der Besitzlehre ist der unmittelbare Besitz, der meist als „tatsächliche Sachgewalt“ oder „tatsächliche Sachherrschaft“ umschrieben wird. Das BGB definiert den Begriff des Besitzes oder des Besitzers jedoch nicht, im Gegensatz zu den vorhergehenden Kodifikationen1. Auch Johows Entwurf enthielt noch eine Definition2, die erste Kommission wandte sich jedoch gegen jede Begriffsbestimmung des Besitzes3: Eine den legislativen Anforderungen entsprechende, unmißverständliche Definition sei nicht möglich. Insbesondere seien die Anforderungen für den Erwerb des Besitzes und für seine Erhaltung verschieden; die tatsächlichen Anforderungen an den Erwerb seien höher. Das Gesetz regelt daher nur den Erwerb und Verlust des Besitzes, § 854 ist nicht als Besitzdefinition gedacht. In der Tat kommt man in unüberwindliche Schwierigkeiten, wenn man ohne weitere Spezifizierung den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft versteht. In Anbetracht der Vielfalt möglicher tatsächlicher Beziehungen einer Person zu einer Sache ist es nicht möglich, eine brauchbare Definition der „tatsächlichen Sachgewalt“ zu finden. Die alte, auch von Savigny benutzte Formel vom Besitz als der Möglichkeit, beliebig auf die Sache einzuwirken und fremde Einwirkungen zu verhindern4, ist zwar nicht falsch, für die praktische Anwendung aber zu ungenau. Besitz setzt nicht voraus, daß man in der Lage wäre, jeden Angriff auf die Sache abzuwehren5. Dann wäre nur noch der Stärkste Besitzer, eine Besitzverletzung könnte es nicht geben. Es muß ausreichen, daß die Möglichkeit der Abwehr besteht bei offenem Erfolg; daß die Sache also noch nicht von einem Dritten okkupiert wurde6. Wann aber eine solche Verteidigungsmöglichkeit noch gegeben ist und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache, kann keine Definition und Formel genau umschreiben. Man hat daher den „Besitz“ als einen „Elementarbegriff des allgemeinen Bewußtseins“ verstanden, der eine genauere Bestimmung nicht zuläßt7. Mit der Bezeichnung 1 2

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Vgl. ABGB § 309, ALR I 7 §§ 1 – 5, sächs. BGB § 186. § 48: „Wer eine Sache mit seinem Willen in tatsächlicher Gewalt hat, ist Inhaber. Hat der Inhaber den Willen, die tatsächliche Gewalt nur für einen Anderen zu üben, der Andere aber den hiermit übereinstimmenden Willen, so ist dieser Andere Besitzer. In allen übrigen Fällen ist der Inhaber Besitzer.“ Protokolle der 1. Kommission 3381 f., Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 106. Savigny, Besitz 26; auch ALR I 7 § 1. So richtig Johow, Begründung 374; Windscheid-Kipp I § 153 Fn. 4; Wolff-Raiser § 5 III; Pininski I 41. So hat Savigny selbst die Formel verstanden, vgl. Besitz 26. Das ist h.M., vgl. etwa Cosack-Mitteis § 4 I; Westermann-Gursky § 9 I 1.

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des Besitzes als Elementarbegriff ist nichts gewonnen, wohl aber nähert man sich mit dem Rückgriff auf das „allgemeine Bewußtsein“ der wirklichen Bedeutung des Besitzes. Da der Besitz eine soziale Tatsache ist, kann grundsätzlich auch nur das allgemeine Bewußtsein, die Volksanschauung, die Verkehrsauffassung darüber entscheiden, wann Besitz gegeben ist8: Ob jemand die tatsächliche Gewalt über die Sache hat, entscheidet sich nach der allgemeinen Verkehrsanschauung9. Besitzer ist, wer nach der Verkehrsanschauung die Möglichkeit hat, die Gewalt über die Sache auszuüben. Die Verweisung auf die Verkehrsanschauung gibt jedoch regelmäßig Steine statt Brot und regt den Beurteilenden zu Willkürentscheidungen an10, wenn nicht genauer erläutert wird, wie sie festzustellen ist. Es geht bei der Ermittlung dieser Verkehrsanschauung nicht um die Frage, ob eine tatsächliche Gewaltausübung an der Sache möglich ist; wer Holz im Wald gestapelt hat, bleibt Besitzer, auch wenn er zu Hause ist und die tatsächliche Gewalt zur Zeit keineswegs ausüben kann. Es geht vielmehr darum, ob die Sachen noch als zur Persönlichkeitssphäre einer Person gehörend respektiert werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Geschützte aus persönlichen Gründen keine Möglichkeit zur Ausübung tatsächlicher Gewalt hat, etwa weil er zu weit von der Sache entfernt ist, weil er krank ist, eingesperrt u.s.w. Entscheidend ist allein, daß in der Gesellschaft in einer bestimmten Situation die Sache noch als zur Sphäre des Geschützten gehörig anerkannt wird, so daß die Wahrscheinlichkeit besteht, daß ein anderer nicht auf sie zugreift und der Geschützte die tatsächliche Gewalt ausüben kann, wenn er es will11. Ob diese Voraussetzungen in einem konkreten Fall gegeben sind, ist bisweilen freilich schwierig festzustellen, so daß die Entscheidung mit einigen Unsicherheiten § 4 I 1 belastet sein kann; das muß aber nicht so sein. Wer z.B. in der belebten Halle eines Großstadtbahnhofs seine Brieftasche versehentlich liegenläßt und sich 100 m entfernt, hat nach der Verkehrsanschauung keinen Besitz mehr. Denn nach dem normalen Verlauf der Dinge muß man annehmen, daß inzwischen ein – ehrlicher oder unehrlicher – Finder die Brieftasche in Besitz genommen hat. Wenn dagegen der Bauer über Nacht seinen Pflug auf dem Feld läßt, bleibt er Besitzer, mag er auch mehrere Kilometer von ihm entfernt sein. Denn er kann erwarten, daß er ihn jederzeit benutzen, nach Hause bringen kann u.s.w. Entscheidend ist also, ob unser Herrschaftswille nach der allgemeinen Übung noch respektiert wird

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Pininski I 137; V. Bruns 46; Goldschmidt, FS Gneist 64 f.; Vermischte Schriften 72 ff.; Kipp, ZHR 52 (1902), 298 ff.; Rosenberg § 854 N. I 1; Kreß 5 ff.; Wolff-Raiser § 5 III; Westermann-Gursky § 9 I 4; Soergel-Stadler 5 vor § 854; RGRK-Kregel § 854 Rn. 7; Eichler II 1, 7; Planck-Brodmann § 854 N. 2; Palandt-Bassenge § 854 Rn. 3; Wolff, JherJahrb 44, 156; a.A. J. vGierke § 5 III 2 b. Johow hatte dies in seinen Entwurf aufgenommen, § 53: „Die tatsächliche Gewalt über eine bewegliche Sache wird erlangt durch die Herstellung eines solchen Verhältnisses zur Sache, in welchem die unmittelbare Beherrschung der Sache durch den Erwerber gegeben ist oder nach Sitte und Gebrauch als vorhanden gilt (Gewahrsam)“. Die 1. Kommission meinte zu Unrecht, Sitte und Gebrauch könnten nicht entscheidend sein für die Frage der tatsächlichen Gewalt, Prot. 3387, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 109. Die 2. Kommission (Prot. 3334, Mugdan 3, 502) wollte dagegen über den Besitz die Verkehrsanschauung entscheiden lassen. In das Gesetz ist das nicht aufgenommen worden. Vgl. oben § 2 I 2 Fn. 21, III 1 Fn. 20. Vgl. oben § 3 I a.

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oder nicht12, ob also nach der Verkehrsanschauung eine Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Besitzer die Gewalt über die Sache weiterhin ausüben kann13. Besitz ist somit ein Tatbestand, der nach der jeweils vorherrschenden Verkehrsauffassung eine psychische Schranke für einen fremden Zugriff auf die Sache bildet. Besitz ist also nichts anderes als die statistische Wahrscheinlichkeit, die Gewalt über eine Sache ausüben zu können; die Prognose geschieht mit Hilfe der Lebenserfahrung, wie sie sich in der Verkehrsanschauung widerspiegelt. Bei dieser Prognose ist auf die konkrete Situation in einer konkreten Gesellschaft abzustellen. Was in einer Gesellschaft noch als zu respektierender Besitz anerkannt ist, muß es in einer anderen nicht sein. Auch in derselben Gesellschaft können sich die Verhältnisse ändern; in ruhigen Zeiten mit starkem moralischem Bewußtsein kann etwas Besitz sein, was es in unruhigen Zeiten und Notlagen nicht wäre14. Der herrschenden Lehre vom „Besitz als Elementarbegriff“ steht die Lehre vom „Besitz als Blankettbegriff“ gegenüber15, der vom Richter je nach der Interessenlage mit Inhalt zu füllen sei. Die Verkehrsanschauung kenne keinen Begriff der „tatsächlichen Gewalt“. Zudem stimme der Begriff der tatsächlichen Gewalt mit dem des Besitzes nicht überein, wie §§ 855, 856 II, 857 zeige. Aber aus den Fällen, in welchen das Gesetz den Besitz über die Fälle der tatsächlichen Gewalt hinaus ausdehnt, können keine Folgerungen für den Begriff der tatsächlichen Gewalt gezogen werden. Daß die Verkehrsanschauung den Begriff der tatsächlichen Gewalt nicht kennt, mag sein. Immerhin kann sie uns aber sagen, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Gewalt über die Sache weiterhin ausgeübt werden kann, und damit ist die Frage nach der tatsächlichen Gewalt beantwortet. Die Lehre vom „Besitz als Blankettbegriff“ gibt zudem keine Handhabe, die Besitzfrage zu entscheiden. Wenn Heck als Kriterium das Kontinuitätsinteresse angibt16, so ist dem entgegenzuhalten, daß regelmäßig jeder Besitzer dieses Interesse hat, so daß es keinen unfreiwilligen Besitzverlust geben dürfte. Und die Einschränkung, eine Kontinuitätslage liege nur vor bei der Möglichkeit zukünftiger Einwirkung, führt nur zu der Frage, wie letztere festgestellt werden kann. Sie ist gemäß der h.M. mit Hilfe der Verkehrsanschauung zu beantworten17. Jhering18 leugnet, daß Besitz die faktische Sachherrschaft sei. Gemäß seiner Ansicht, daß im Besitz das Eigentum geschützt werde, will er Besitz immer dann annehmen, wenn eine Sache sich im normalen Zustand befinde, in welchem sie ihre ökonomische Bestimmung, dem Menschen zu dienen, erfülle19. Das ist ebensowenig zutreffend wie der Ausgangspunkt Jherings. Wer seinen Schmuck im Wald vergräbt, 12 13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Randa 2 Fn. 2 a; Eberhard, MecklZ 51 (1935), 211 ff.; Planck-Brodmann 3 vor § 854; E. Wolf § 2 A II a; Kegel, FS vCaemmerer 168. Pininski I 133 ff. Kruse I 748; Sokolowski II 293 ff.; auch Randa 2 Fn. 2 a. Bei hohen Brennstoffpreisen ist das im Wald gestapelte Holz keineswegs so sicher wie in normalen Zeiten. Heck § 5, 4 ff.; Schmelzeisen, AcP 136 (1932), 38 ff.; vgl. auch bereits Bekker, JherJahrb 30, 311. Heck § 5, 6. Gegen die Lehre vom Blankettbegriff auch Westermann-Gursky § 9 I 2, 3; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 74. Jhering, Grund 161. Jhering, Grund 179.

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bleibt Besitzer, obwohl sich der Schmuck keineswegs in einer ökonomischen Normallage befindet. Auch wer sein Grundstück brach liegen läßt und sich nicht um die ökonomische Normalität kümmert, verliert deshalb nicht den Besitz20. Die h.M. fordert für den Besitz weiter eine räumliche Beziehung der Person zur Sache und eine gewisse Dauer des Gewaltverhältnisses21. Was die räumliche Beziehung betrifft, mag man der h.M. zustimmen. Da es hier jedoch die verschiedensten Möglichkeiten gibt (Besitz an der getragenen Kleidung – am weit entfernten Grundstück), kann Näheres dazu nicht festgestellt werden. Dagegen ist eine auf längere Dauer angelegte tatsächliche Gewalt nicht zu fordern, auch eine ganz vorübergehende Sachbeziehung kann Besitz sein22. Wer auf der Parkbank sitzt, hat Besitz an seinem Sitzplatz; der Gast im Gasthaus hat Besitz an seinem Platz, an Teller und Besteck u.s.w. Entscheidend ist nicht die Dauer des Besitzes, sondern die Schutzbedürftigkeit. Soll der Gast kein Gewaltrecht nach § 858 haben, wenn ein anderer – und sei es der Wirt – ihm das Besteck wegnehmen will oder ihn von seinem Platz verdrängen will23? Da auch der Wirt in diesen Fällen Besitzer ist, liegt Mitbesitz vor. Anders liegt es etwa bei einem privaten Gast. Hier wird in der Regel ein Besitz am Besteck u.s.w. nicht vorliegen, aber nicht wegen der Kürze der Sachbeziehung, sondern weil der Gast die tatsächliche Gewalt nicht ausüben will24. Er würde sich einer Wegnahme der Sachen durch den Gastgeber nicht widersetzen wollen und bei Eingriffen Dritter die Regelung dem Gastgeber überlassen. Ebenso wäre der bekannte Kursbuchfall zu entscheiden25. §4 I 1 b) Der Begriff des Gewahrsams wird im BGB nicht mehr erwähnt. ABGB (§ 309) und ALR (I 7 § 1) bezeichneten damit die tatsächliche Gewalt, das sächsische BGB (§ 213) und Johows Teilentwurf (§ 53) wendeten den Begriff nur auf die tatsächliche Gewalt über Mobilien an. Die erste Kommission wandte sich gegen die Unterscheidung der Inhabung an Mobilien und Immobilien26, womit auch der „Gewahrsam“ entfiel. 20 21

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Zutreffend Randa 289 ff.; vgl. auch Frank 11 ff. Baur-Stürner § 7 Rn. 7; Palandt-Bassenge § 854 Rn. 3; Wolff-Raiser § 5 III 1, 4; SchwabPrütting Rn. 53; Lange § 10 II 1; J. vGierke § 5 III 1 c; Müller Rn. 84 f.; Soergel-Stadler § 854 Rn. 5, 8; Eichler II 1, 7; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 16 f.; Kollhosser, JuS 1992, 216. So auch Heck § 6, 5; Westermann-Gursky § 9 II 7; E. Wolf § 2 A II c 5; Last, JherJahrb 63, 115; MünchenerK-Joost § 854 Rn. 12; Bamberger-Roth-Fritzsche § 854 Rn. 23. Auch Strohal, JherJahrb 29 (1990), 358 Fn. 18 und 375 Fn. 44 bejaht die Schutzwürdigkeit in diesen Fällen. Der Befürchtung Sandtners (61), bei Anerkennung des Besitzes in solchen Fällen bleibe nur die Klage, wenn der Gast nach Schließung der Gaststätte seinen Platz nicht räume oder wenn Protestierende sich auf die Straße setzten oder ein Theaterbesucher einen ihm nicht zustehenden Platz nicht aufgeben wolle, dürfte über § 227 wohl zu begegnen sein; vgl. unten § 5 III 1. Vgl. Paulus D 41, 2, 41: Qui iure familiaritatis amici fundum ingreditur, non videtur possidere, quia non eo animo ingressus est, ut possideat, licet corpore in fundo sit (Wer als enger Vertrauter das Grundstück eines Freundes betritt, der besitzt es nicht, weil er es nicht in Besitz nehmen will, mag er sich auch auf dem Grundstück befinden). Ein Reisender leiht sich für einen Augenblick das Kursbuch seines Nachbarn aus. In den Beispielen, die Pawlowski 37 f. bringt, liegt Besitz vor, z.B. beim Lesen eines Buches in einer Präsenzbibliothek. Es besteht kein Grund, erst Besitz zu verneinen und dann Gewaltrechte aus § 227 zu bejahen wegen Verletzung des Willens des Inhabers. Protokolle der 1. Kommission 3386 f., Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 109.

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2. Besitzwille

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Der Begriff kommt in §§ 808, 809 ZPO vor. Gewahrsam in diesem Sinne liegt nur vor, wenn der Betreffende die Sache so in seiner Gewalt hat, daß der Gerichtsvollzieher daraus entnehmen muß, die Sache gehöre ihm. Gewahrsam in diesem Sinne kann also nur der unmittelbare Besitzer haben, nicht der mittelbare, auch nicht der Erbe nach § 857. Der Besitzdiener hat ebenfalls gemäß § 808 ZPO keinen Gewahrsam, wenn erkennbar ist, daß er nicht besitzt27. In §§ 242, 246 StGB dient der Gewahrsam zur Unterscheidung von Diebstahl und Unterschlagung, er bedeutet hier die rein tatsächliche Sachgewalt. Gewahrsam in diesem Sinne hat auch der Besitzdiener, nicht aber der Erbe gemäß § 85728. Die Besitzschutzvorschriften sind auf den Gewahrsam nicht anwendbar.

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2. Besitzwille Besitz setzt nicht nur tatsächliche Gewalt voraus (corpus), sondern auch den Willen, die Sache zu beherrschen (animus)29. Herrschaft ohne Herrschaftswillen ist nicht denkbar. Wenn im Besitz die Persönlichkeit des Besitzers geschützt ist; wenn es für die Frage, ob Besitz besteht, entscheidend darauf ankommt, ob nach der Verkehrssitte unser Herrschaftswille respektiert wird, so kommt offenbar dem Besitzwillen entscheidende Bedeutung zu. Johow hatte das Erfordernis des Willens noch in seine Definition der Inhabung aufgenommen30. Die erste Kommission hat das Erfordernis des Besitzwillens gestrichen31. Es erschien ihr bedenklich, ihn in das Gesetz aufzunehmen, es könne sonst der Eindruck entstehen, Besitz entstehe erst bei Kenntnis von der tatsächlichen Gewalt, wenn z.B. eine Sache in der Wohnung abgegeben werde. Im übrigen solle die Frage, ob der Besitz einen Willen fordere, damit nicht entschieden sein. Die zweite Kommission bejahte das Erfordernis des Besitzwillens, wollte es aber aus den schon genannten Gründen nicht in das Gesetz aufnehmen32. a) Besitzerwerb ohne Willen ist nicht denkbar. Ganz offenbar ist das, wenn der Erwerber dabei selbst tätig wird. Es ist denkbar, daß jemand eine Sache nicht besitzen will, obwohl er in engen Kontakt mit ihr kommt33; es ist aber nicht denkbar, daß ein Er-

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Vgl. dazu Heck § 9 V; Baur-Stürner § 7 Rn. 12. RGRK-Kregel 5 vor § 854; Baur-Stürner § 7 Rn. 11; Heck § 9 V. Ausführlich zum strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff Sosnitza 18 ff. Vgl. Paulus D 41, 2, 3, 1: Apiscimur possessionem corpore et animo, neque per se animo aut per se corpore (Besitz erwerben wir mit dem Körper und mit dem Willen, nicht aber allein mit dem Willen oder allein mit dem Körper); das ist bis heute h.M., vgl. etwa Palandt-Bassenge § 854 Rn. 4; Wolff-Raiser § 10 II; MünchenerK-Joost § 854 Rn. 8; Soergel-Stadler § 854 Rn. 9; RGRK-Kregel § 854 Rn. 12; Eichler II 1, 11; Planck-Brodmann § 854 N. 2; Lange § 10 IV 2; J. vGierke § 7 I 2; Ernst 157 ff.; RG 106, 136; BGH 27, 362; nach E. Wolf § 2 A II c 2 bedarf es nur eines Willensentschlusses bei Erwerb des Besitzes, vgl. dazu unten Fn. 41. § 48 I, vgl. oben 1 a Fn. 2. Protokolle der 1. Kommission 3379 f., Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 105. Protokolle der 2. Kommission 3335 (Mugdan 3, 503). Vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 1994, 1351: Ein Sammler verwahrte seine Münzsammlung unter der Matratze des Ehebettes; die Ehefrau, welche sich beim Bettenmachen durch sie gestört fühlt, erwirbt keinen Besitz daran.

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werber eine Besitzerwerbshandlung vornimmt, ohne den Besitz zu wollen34. Fraglich können überhaupt nur die Fälle sein, in welchen der Erwerber nicht selbst, sondern durch Dritte erwirbt, oder wenn die Sache ohne sein Zutun in seinen Machtbereich (Briefkasten, Grundstück, Haus oder Wohnung) gelangt. Aber auch in diesen Fällen ist ein Besitzwille erforderlich. Ein Besitzdiener kann dem Geschäftsherrn ohne oder gegen dessen Willen keinen Besitz verschaffen. Freilich muß der Besitzwille nicht konkret sein, es genügt ein genereller Besitzwille, z.B. Sachen, welche in einen bestimmten Herrschaftsbereich gelangen, zu besitzen35. Wer etwa einen Briefkasten anbringt, will die eingeworfenen Briefe besitzen. Er erwirbt beim Einwurf Besitz, auch wenn er nichts davon weiß. Das gleiche gilt, wenn eine Postsendung bei einem Besitzdiener oder bei Familienangehörigen abgegeben wird. Wer seinen Schuldner anweist, die geschuldete Sache in seine Wohnung zu bringen, erwirbt Besitz, sobald das geschieht36. Wenn der Käufer eines Wohnwagens den Verkäufer anweist, den Wagen auf sein Grundstück zu bringen, erwirbt er damit Besitz – und eventuell Eigentum – wenn das § 4 I 2 geschieht. Allerdings wird nicht unterschiedslos Besitz an allen Dingen erworben, die in den Briefkasten, in die Wohnung u.s.w. gelangen, es entscheidet sich im konkreten Fall gemäß der Verkehrsanschauung, ob der Betroffene die Sache erwerben will37. An der toten Maus im Briefkasten38 dürfte wohl kaum je ein Erwerbswille bestehen, ebensowenig an Briefen, die an Dritte gerichtet sind und versehentlich in den Briefkasten eingeworfen wurden. Zieht der Adressat den Brief aus dem Kasten, so liegt darin keine verbotene Eigenmacht. Wird unbestellte Ware versendet und nimmt der Empfänger sie an, so besitzt er. Wird Ware während der Abwesenheit des Empfängers in dessen Wohnung gebracht, so entscheidet der Wille: Will der Empfänger das Angebot prüfen, so erwirbt er Besitz; weist er es von vornherein zurück, so wird er keinen Willen haben, den Besitz zu erwerben. Der Versender bleibt Besitzer, er hat einen Anspruch nach § 867. An Sachen der Gäste in einer Wohnung will der Hausherr keinen Besitz haben, z.B. am Schirm im Schirmständer. Eine Mindermeinung bestreitet das Erfordernis eines Besitzwillens39. Es sei vielmehr ausreichend, daß die Sache in eine Organisation eingefügt werde, die eine Herr34 35 36

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Vgl. Kreß 145; Frank 13 f. Vgl. etwa Soergel-Stadler § 854 Rn. 10; Palandt-Bassenge § 854 Rn. 4; Wolff-Raiser § 10 III; Lange § 10 IV 2; Pininski II 179 ff.; Wendt, FS Gießen 90. Vgl. Celsus D 41, 2, 18, 2: Si venditorem quod emerim deponere in mea domo iusserim, possidere me certum est, quamquam id nemo dum attigerit (Wenn ich den Verkäufer anweise, die Kaufsache in mein Haus zu bringen, so besitze ich sie sicherlich, wenn auch noch niemand sie angerührt hat). Wolff-Raiser § 10 III; Lange § 10 IV 2; Raape 14 ff.; Frank 18 f.; RG 106, 136; Wendt, FS Gießen 91. Beispiel von Lange § 10 IV 2; ein Rechtsstreit um den Besitz ist hier freilich nur bei ausschweifender Phantasie denkbar. Heck § 6, 4; § 10, 4; Westermann-Gursky § 13 I 2; Hartung 171 ff. In den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des BGB wurde die Ansicht, Besitz setze keinen Besitzwillen voraus, wegen des Wortlautes des § 854 I häufig vertreten. Man glaubte an eine bewußte Abweichung des Gesetzes vom gemeinen Recht, welches den Besitzwillen forderte. Diese Ansicht läßt sich aber gemäß den Protokollen nicht halten, vgl. oben pr. Richtig dagegen schon Wendt, FS Gießen 79 ff.; V. Bruns 59.

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2. Besitzwille

§ 4 I 2 b, c

schaftssphäre darstelle. Nur wenn diese fehle, sei ein Besitzwille zu fordern. Zu Recht wird betont, daß der praktische Unterschied zur h.M. nicht groß sei, da in diesen Fällen regelmäßig ein genereller Besitzwille vorliege. Wo dieser aber fehlt oder der Wille geradezu auf Nichtbesitzenwollen gerichtet ist, ist mit der h.M. auch bei der Einfügung in § 4 I 2 eine Organisation kein Besitz anzunehmen40. b) Ist der Besitz erworben, so erfordert die Aufrechterhaltung keinen aktuellen Willen. Auch wer schläft, erhält den Besitz; ebenso der, der lange Zeit nicht an eine Sache denkt. Es ist aber nicht richtig, einen Besitzwillen nur beim Besitzerwerb zu verlangen41. „Besitzwille“ ist kein psychologischer Begriff. Der Wille, Besitz zu ergreifen, ist nicht nur auf den Augenblick des Erwerbs gerichtet, sondern gilt auch für die Zukunft, in welcher die Verwertung der erworbenen Sache erfolgen soll. Mit jeder Besitzhandlung (Gebrauch u.s.w.) erneuert sich der Besitzwille. Im übrigen ist der Besitzwille realisiert in dem geschaffenen Zustand der Sachherrschaft, der auch durch eine Untätigkeit des Besitzers nicht entfällt. Solange dieser Zustand andauert, ist auch ein Besitzwille vorhanden. Er endet erst, wenn der Besitzer seinen Entschluß betätigt, nicht mehr besitzen zu wollen42. Besitzwille ist daher auch nicht jedes Habenwollen, das beziehungslos neben einer Sachgewalt besteht43; der Wille muß sich in der Sachgewalt betätigen, das corpus muß Ausdruck des animus sein44. Ob ein Besitzwille vorliegt, ist nach der Verkehrsanschauung zu entscheiden45. Besitz fordert somit Besitzwillen. Was einem Schlafenden zugesteckt wird, wird nicht Besitz46; jedenfalls nicht bevor der Schlafende aufwacht. Besitz erwirbt auch nicht der ahnungslose Passant, dem ein Taschendieb aus Furcht vor Entdeckung die gestohlene goldene Uhr zusteckt. c) Wenn auch der Besitzerwerb einen Willen erfordert, so ist er doch kein Rechtsgeschäft. So wie der Besitz kein Recht ist, sondern eine Tatsache, so ist der Besitzerwerb kein Rechtsgeschäft, sondern eine Tathandlung: Die Folgen des Besitzschutzes treten ein unabhängig davon, ob der Besitzerwerber sie gewollt hat47. Wieweit auf 40

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Vgl. das Beispiel d bei Westermann (5. Aufl. 1966) § 13 I 2. Auf den Hof des L kommt ein fremder Hund (jetzt: ein fremdes Huhn) und bleibt dort. Westermann meint, es entstehe Besitz, sobald das Tier sich in die Organisation einfüge. Das ist abzulehnen. Wenn der Hofherr den Hund nicht haben will, auch nicht als Finder u.s.w. und ihn deshalb vertreibt, so entsteht kein Besitz. Das gilt selbst dann, wenn der Hund immer wieder zurückkehrt, um sich in die Organisation einzuordnen. Der Wille des Hofherrn entscheidet; vgl. auch Staudinger-Bund § 854 Rn. 19 Anmerkung. So aber E. Wolf § 2 A II c 2. Vgl. Pininski II 155 ff. Beispiel bei Raape 24: Jemand erwartet einen Brief, möchte ihn haben. Der Brief ist ohne Wissen des Adressaten bei einem Nachbarn abgegeben worden, den der Adressat nicht mit der Entgegennahme von Postsendungen beauftragt hat. Trotz Willen ist kein Besitz entstanden. Vgl. Raape 24; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 66; Jhering, Besitzwille 36 f. Vgl. Kreß 145; Pininski II 153. Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 3 … quia affectionem tenendi non habent, licet maxime corpore suo rem contingant, sicuti si quis dormienti aliquid in manu ponat (… sie haben nicht den Willen, die Sache zu behalten, wenn sie sie auch berühren, wie etwa wenn jemand einem Schlafenden etwas in die Hand legt). Vgl. Gebhard, Teilentwurf Allgemeiner Teil, Begründung II 4; Motive 1, 127; 3, 83; Flume II § 9, 2 a bb.

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§4 I 3 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Rechtshandlungen die Vorschriften über Rechtsgeschäfte angewandt werden können, hat der Gesetzgeber bewußt offengelassen48. Der Besitzerwerb gehört als Tathandlung, die einen einseitigen, nicht zugangsbedürftigen Erwerbswillen enthält, zu den Rechtshandlungen, die mit den Rechtsgeschäften nur wenig Vergleichbares haben. Die Anwendbarkeit der Regeln über Rechtsgeschäfte muß daher stark eingeschränkt sein49. So ist der Besitzwille kein rechtsgeschäftlicher Wille, sondern ein natürlicher Wille50. Geschäftsfähigkeit ist weder zum Erwerb noch zum Erhalt des Besitzes erforderlich. Auch ein kleines Kind kann Besitz erwerben und haben, etwa an einem Ball, den es auf der Straße findet. Voraussetzung ist nur eine natürliche Willensfähigkeit, das heißt also die Fähigkeit, Sachgewalt ausüben zu wollen51. Bei der Beurteilung dieser Fähigkeit ist auch auf die fragliche Sache Rücksicht zu nehmen. Ein Kind, das die Fähigkeit hat, einen Ball zu besitzen, muß diese Fähigkeit nicht auch bei einem Grundstück oder bei einem PKW haben52. Entsteht durch den Besitz die Gefahr einer Haftung des Nichtgeschäftsfähigen (etwa aus §§ 836, 833), so sind §§ 827, 828 anzuwenden; auf die Geschäftsfähigkeit kommt es auch hier nicht an53. Der Besitz als Tatsache kann nicht abhängig sein von rechtlichen Voraussetzungen. Andernfalls könnte z.B. bei einem Irrtum die Tatsache „Besitz“, d.h. also die Gewalt über eine Sache, durch eine Anfechtung entfallen; das widerspräche dem Begriff des Besitzes.

3. Besitzobjekt, Teil- und Mitbesitz a) Besitz kann es grundsätzlich nur an körperlichen Gegenständen geben54. Andere Gegenstände kann man nicht in der Gewalt haben55. An Forderungen, Energien, Geisteswerken, Menschen gibt es keinen Besitz. Ohne jede Bedeutung ist der Streit, ob eine Sachgesamtheit (Bibliothek, Viehherde) besessen werden kann56. Wer alle einzelnen Sachen besitzt, besitzt auch die Gesamtheit der Sachen. Die Unterscheidung Sachgesamtheiten – Einzelsachen hat infolge des sachenrechtlichen Spe48 49

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Motive 1, 127. Motive 3, 83; irrig ist es jedoch, die Möglichkeit einer analogen Anwendung gänzlich zu leugnen, wie Enneccerus-Nipperdey § 137 IV 2 b es tun; richtig dagegen Flume II § 9, 2 a bb; Leonhard 299; Wolff, Der Bau auf fremdem Boden (1900) 74 Fn. 7. H.M., anders Ernst 63 ff. für den Eigenbesitz; einen rechtsgeschäftlichen Willen fordern dagegen z.B. O. vGierke, Entwurf 300; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 144 ff.; Kretzschmar § 854 N. 4 b; Endemann II § 37, 3; Sandtner 63 ff.; wenn Sandtner a.a.O. meint, der rechtsgeschäftliche Wille sei ebenso „natürlich“ wie der Wille bei einem Realakt, so ist aber zu beachten, daß die Beschränkungen der §§ 104 ff. nur für den rechtsgeschäftlichen Willen gelten. Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 3; vgl. oben § 3 II Fn. 7. Zur Frage, ob die Einigung bei der Besitzübertragung rechtsgeschäftlichen Charakter hat, vgl. unten II 1 a bb, II 2 b. Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 190 ff. Endemann II § 37, 3 und Sandtner 63 ff. nehmen Fälle dieser Art als Begründung für ihre Ansicht, der Besitzwille sei ein rechtsgeschäftlicher Wille. Paulus D 41, 2, 3 pr.: Possideri autem possunt, quae sunt corporalia (Besessen kann werden, was körperlich ist). Zum Rechtsbesitz vgl. unten § 7. Die h.M. verneint die Frage, vgl. z.B. Wolff-Raiser § 5 II; a.A. O. vGierke II § 104 Fn. 74.

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§4 I 3

3. Besitzobjekt, Teil- und Mitbesitz

§ 4 I 3 b, c

zialitätsprinzips Bedeutung nur für den Erwerb, Verlust u.s.w. von Rechten an Sachen57. Ein Besitz an einer Rechtsgesamtheit, etwa an einer Erbschaft, an einem Unternehmen u.s.w. ist schon deshalb nicht möglich, weil diese Gesamtheiten auch aus unkörperlichen Gegenständen bestehen. Umgekehrt sind alle körperlichen Sachen, soweit sie überhaupt beherrschbar sind, besitzfähig, auch öffentliche Sachen58. Die Kategorie der res extra commercium, an denen Besitz nicht möglich war59, ist verschwunden. Immerhin bleibt es möglich, daß die Rechtsordnung aus Sicherheitsgründen an bestimmten Sachen den Besitz im Sinne des Besitzschutzes verneint60. So darf z.B. niemand ohne behördliche Genehmigung Schußwaffen, Sprengstoffe, Betäubungsmittel, Kriegswaffen oder besonders geschützte Tiere und Pflanzen erwerben oder besitzen61. Wer solche Sachen ohne Genehmigung erwirbt und besitzt, macht sich strafbar, der Erwerb (Verpflichtungs- und Übereignungsvertrag) ist unwirksam, § 134. Der Besitzer einer solchen Sache hat also keine Ansprüche aus §§ 861, 985, 1004, 823 u.s.w., wenn ein Dritter eine solche Sache ihm entzieht oder sie beschädigt. Die Rechtsordnung will dem unbefugten Besitzer solcher Sachen keine Klagemöglichkeiten geben, um den Besitz daran zu verteidigen. Sogar Notwehrhandlungen, die sich auf ein Recht an einer solchen Sache gründen wollten, sind nicht möglich; es ist daher nur konsequent, dem Inhaber auch keinen Besitz zuzuerkennen. Es bleibt dem Inhaber aber das Notwehrrecht aus § 227, wenn er in seiner § 4 I 3 Person angegriffen wird, etwa um ihm die Sache gewaltsam wegzunehmen. b) Auch reale Teile von Sachen können gemäß § 865 besessen werden, soweit sie selbständig beherrschbar sind (Teilbesitz, compossessio pro diviso). Das Gesetz nennt als Beispiel Räume als Teile eines Gebäudes. Auch an beweglichen Sachen ist Teilbesitz möglich. Erwirbt etwa der Eigentümer eines PKW vier Reifen auf Abzahlung unter Eigentumsvorbehalt, so ist der Verkäufer mittelbarer Teilbesitzer der vier Reifen. Da der Besitz kein Recht ist, kommt es nicht darauf an, ob die fraglichen Sachteile wesentliche oder unwesentliche Bestandteile i.S.v. § 93 sind. Für den Teilbesitz gelten in Bezug auf den Besitzschutz die allgemeinen Regeln, vgl. § 865. c) Besitz ist diejenige Sachgewalt, welche dann gegeben ist, wenn der Besitzer gemäß der Verkehrsanschauung nach Belieben auf die Sache einwirken kann. Solange er besitzt, kann kein anderer besitzen. Ergreift ein anderer durch verbotene Eigenmacht 57

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Die Gerichtsentscheidungen, welche die h.M. für ihre Ansicht anführt, besagen nichts. In RG 52, 385 und RG 103, 151 wird eine Besitz- und Eigentumsübertragung verneint, weil der Veräußerer den Verwahrer anwies, eine bestimmte Anzahl von Stücken für den Erwerber zu besitzen, ohne daß diese Stücke individualisiert worden wären. Mit der Frage des Besitzes an Sachgesamtheiten hat das ebensowenig zu tun wie die Entscheidung RG 53, 218. In OGHZ 1, 153 wird zwar die Behauptung der h.M. übernommen, es werden aber keinerlei Konsequenzen daraus gezogen. Vielmehr wird die Besitzübertragung an einer Sachgesamtheit zugelassen. Vgl. BGH 21, 327; Westermann-Gursky § 8, 2; heute aktuell: Besitz an der Parklücke, vgl. unten II 1 b Fn. 29. Nicht besitzfähig waren z.B. die res sacrae (geweihte Orte, Tempel) und die res religiosae (Grabstätten), vgl. Paulus D 41, 2, 30, 1; Savigny, Besitz 125; Kaser I § 92 II und oben § 2 II 1 a. Vgl. Motive 3, 27 f. Vgl. § 28 Waffengesetz, § 27 Sprengstoffgesetz, § 4 Betäubungsmittelgesetz, § 2 Ausführungsgesetz zu Art. 26 II GG (BGBl. I 1961, 444), § 22 II 4 Bundesnaturschutzgesetz.

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§4 I 3 c

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

den Besitz, so besitzen nicht etwa beide; einen Nebenbesitz zweier unmittelbarer Alleinbesitzer (compossessio plurium in solidum) kann es nicht geben. Vielmehr verliert der frühere Besitzer mit dem Besitzerwerb des zweiten seinen Besitz: plures eandem rem in solidum possidere non possunt62. Dagegen ist es möglich, daß mehrere gemeinschaftlich als Mitbesitzer eine Sache besitzen, ein Fall, der häufig vorkommt. Die zweite Kommission strich eine Vorschrift als überflüssig63, welche den Mitbesitz für zulässig erklärte64. Mitbesitz wird erwähnt etwa in §§ 866, 1081 I 1, 1206, 1213 II, 1231, 1. Beim Mitbesitz, compossessio pro indiviso, besitzt jeder Besitzer das Besitzobjekt ganz; nicht das Besitzobjekt wird geteilt, wie beim Teilbesitz, sondern die Herrschaft über das Besitzobjekt im ganzen wird geteilt. Natürlich kann das Besitzobjekt auch ein Sachteil sein (Mit-Teilbesitz, z.B. bei mehreren Mietern einer Wohnung). Nach h.M. kann der Mitbesitz in den verschiedensten Fallgestaltungen auftreten. Mitbesitzer können danach sowohl unmittelbare Besitzer sein (sei es, daß sie selbst die Sache innehaben, sei es, daß sie über einen gemeinsamen Besitzdiener besitzen) als auch mittelbare Besitzer (Miteigentümer vermieten die Sache an einen Mieter). Sie können beide Eigenbesitzer sein (z.B. besitzende Miteigentümer) oder beide Fremdbesitzer (mehrere Mieter einer Sache); oder es kann einer Fremd-, einer Eigenbesitzer sein, wie im Fall der §§ 1081, 1206. Dagegen sollen unmittelbarer und mittelbarer Besitzer nicht Mitbesitzer sein65, ausgenommen bei mittelbarem Mitbesitz durch einen alleinigen unmittelbaren Besitzer, der z.T. für sich als Eigenbesitzer besitzt, z.T. für den mittelbaren Besitzer als Fremdbesitzer (etwa: Miteigentümer A nimmt den PKW für sich und für Miteigentümer B in Besitz)66. Schließlich unterscheidet die h.M. schlichten und gesamthänderischen Mitbesitz: Beim schlichten Mitbesitz kann jeder allein die Gewalt über die Sache ausüben, wobei er freilich Rücksicht auf die anderen Mitbesitzer nehmen muß. (Beispiel: Mehrere besitzen einen Raum in der Weise, daß jeder einen Schlüssel zum Türschloß hat; oder Mitbesitz der Mieter am Flur und Treppenhaus). Beim gesamthänderischen Besitz können alle Mitbesitzer die Sachherrschaft nur gemeinsam ausüben (Beispiel: Die Tür mit den sieben Schlössern, jeder Mitbesitzer hat § 4 I 3 nur einen Schlüssel zu einem Schloß). Alle diese Unterscheidungen sind in diesem Zusammenhang ohne praktischen und von geringem didaktischen Wert. Der Begriff des Mitbesitzes ist im Hinblick auf § 866 zu bestimmen, wonach der Besitzschutz zwischen Mitbesitzern eingeschränkt wird. Da possessorisch nur der unmittelbare Besitz geschützt ist – auch mittelbare Besitzer haben einen Anspruch nur bei Verletzung des unmittelbaren Besitzes – kommen als Mitbesitzer nur mehrere unmittelbare Besitzer in Betracht. Das ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 866: Ein possessorischer Streit über die Grenzen des Gebrauchs einer Sache mit der Frage der verbotenen Eigenmacht ist nur möglich zwischen unmittelbaren Besitzern, welche die tatsächliche Sachgewalt ausüben. Mittelbare Besitzer sind 62 63 64 65 66

Paulus D 41, 2, 3, 5: Mehrere können dieselbe Sache nicht zugleich besitzen. Protokolle der 2. Kommission 3343 (Mugdan 3, 505). E 1 § 799: „Eine Sache kann von Mehreren in Gemeinschaft besessen werden“. Mitbesitzer müssen „auf gleicher Stufe“ stehen, vgl. etwa Palandt-Bassenge § 866 Rn. 1; Soergel-Stadler § 866 Rn. 4; Wolff, JherJahrb 44, 147 f. So z.B. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 866 N. 1; Baur, Gestufter Mitbesitz am Brief bei Teilhypotheken, NJW 1967, 22; Soergel-Stadler § 866 Rn. 4.

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4. Besitzsubjekte, juristische Personen und Willensunfähige

§4 I 4 a

also nie Mitbesitzer i.S.v. § 866, ebensowenig mittelbare und unmittelbare Besitzer im Verhältnis zueinander. Da sowohl Fremd- wie Eigenbesitzer den possessorischen Besitzschutz genießen, ist es völlig gleichgültig, ob die unmittelbaren Besitzer Fremdoder Eigenbesitzer sind. Auch die Unterscheidung des schlichten und gesamthänderischen Mitbesitzes ist für § 866 ohne Bedeutung. Ohne Bedeutung ist auch die schon aus dem römischen Recht bekannte Frage, ob der Mitbesitz in einem bestimmten Bruchteil (1/2, 1/3 u.s.w.) der Sachherrschaft bestehen muß. Für § 866 sind bestimmte Quoten nicht erforderlich, mögen sie vorhanden sein oder nicht. Nach h.M. ist es ferner für den Mitbesitz nicht erforderlich, daß die Mitbesitzer das Bewußtsein haben, sich die Herrschaft zu teilen; auch mehrere Besitzer, die irrig glauben, Alleinbesitzer zu sein, könnten demnach Mitbesitzer sein, z.B. Miterben, die glauben, jeweils Alleinerben zu sein67. Im Hinblick auf § 866 ist das nicht richtig, allerdings kommt der Frage keinerlei Bedeutung zu. Denn sobald mehrere Besitzer sich um die Grenzen des Gebrauchs einer Sache streiten, wissen sie immer, daß sie sich die Sachherrschaft mit anderen teilen. Der Mitbesitz an einer Sache endet nicht dadurch, daß einer der Mitbesitzer sie im Rahmen seines Gebrauchsrechts allein benutzt. So wird der Mieter, der die Waschküche an seinem Waschtag nutzt, nicht Alleinbesitzer. Räumt der Mieter die Waschküche nicht rechtzeitig und verwehrt er dadurch dem nächsten die Nutzung, so ist zu unterscheiden: Bestreitet er dem nächsten das Nutzungsrecht generell, so greift der possessorische Besitzschutz ein. Er hat damit Alleinbesitz ergriffen und dem anderen den Besitz entzogen. Bestreitet er das Gebrauchsrecht des anderen nicht generell, behauptet er vielmehr, jener sei noch nicht an der Reihe, so liegt darin ein Streit um die Gebrauchsgrenzen; § 866 greift ein. Mitbesitz liegt nicht vor bei wechselndem Besitz, wenn etwa Miteigentümer eines Ferienhauses eine monatlich wechselnde Nutzung vereinbaren. Jeder Benutzer hat während der Nutzung alleinigen unmittelbaren Besitz. Wird der Besitz nicht vereinbarungsgemäß übergeben, kann nur aus dem Recht geklagt werden68.

§4 I 4

4. Besitzsubjekte, juristische Personen und Willensunfähige a) Jedes Rechtssubjekt kann Besitz haben, jede natürliche Person kann Besitzer sein. Aber auch den juristischen Personen muß man die Besitzfähigkeit zusprechen. Andernfalls könnten sie keine Rechte gemäß §§ 929, 1205 u.s.w. erwerben. Auch juristische Personen haben ein Persönlichkeitsrecht69, das gegen Besitzverletzungen geschützt sein muß70. Wie freilich die Besitzverhältnisse bei juristischen Personen zu beurteilen sind, ist streitig. Denkbar ist, daß die Organe Besitzmittler für die juristische Person sind, so daß diese also mittelbare Besitzer sind. Möglich wäre es aber auch, die Organe als Besitzdiener der juristischen Person anzusehen. Schließlich könnte man auch einen unmit-

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Vgl. etwa Wolff, JherJahrb 44, 148; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 866 N. 5; Wolff-Raiser § 9 I; Planck-Brodmann § 866 N. 2; Michalski, AcP 181 (1981), 412. Vgl. Wolff, JherJahrb 44, 175; Westermann-Gursky § 11 III; Heck § 15, 8 c. Vgl. Palandt-Sprau § 823 Rn. 92. Vgl. dazu oben § 3 III b.

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§4 I 4 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

telbaren Besitz der juristischen Person dadurch annehmen, daß die Sachgewalt der Organe ihr zugerechnet wird; daß sie ihren Besitz durch die Organe betätigt. Die Ansicht, die Organe einer juristischen Person seien deren Besitzdiener71, wird heute kaum noch vertreten. Zugunsten dieser Lösung wird angeführt, bei einer Veruntreuung durch die Organe müsse die juristische Person nach § 935 geschützt sein72. Dazu besteht indessen kein Grund; die juristische Person handelt durch das Organ. Gibt das Organ eine Sache weg, so muß der Rechtsverkehr davon ausgehen können, daß dies freiwillig mit Wirkung für die juristische Person geschieht. Auch mit dem Begriff des Besitzdieners läßt sich diese Ansicht nicht vereinbaren, das Organ unterwirft sich nicht den Weisungen irgendeines Besitzherrn. Die h.M. lehnt daher zutreffend diese Ansicht ab73. Nur vereinzelt vertreten wird auch die Ansicht, das Organ sei Besitzmittler74. In der Tat ist nicht einzusehen, wer anders als wiederum das Organ den mittelbaren Besitz für die Gesellschaft ausüben sollte. Eine solche Besitzverdopplung hätte keinen Sinn. Zudem wäre die Gefahr gegeben, daß das Organ als Besitzer gemäß § 985 in Anspruch genommen werden könnte75. Das Organ hätte zwar gemäß § 76 ZPO die Möglichkeit der laudatio auctoris, doch ergäben sich dennoch für das Organ lästige Schwierigkeiten. § 4 I 4 Daher erscheint es besser, das Organ nicht als Besitzer anzusehen76. Nach h.M. handelt die juristische Person durch ihre Organe, die Handlungen der Organe werden der juristischen Person zugerechnet77. Es ist daher konsequent, der juristischen Person auch den Besitz zuzurechnen, welchen das Organ für sie ausübt. Die juristische Person ist demnach unmittelbarer Besitzer, das Organ tritt besitzrechtlich nicht in Erscheinung, es ist weder Besitzer noch Besitzdiener78. Ob etwas Ähnliches auch für Gesamthandsgemeinschaften, etwa eine OHG, zu gelten habe, ist streitig. Nach h.M. ist der Gesellschafter, der die Sache hat, Besitzmittler für die anderen Gesellschafter; andernfalls sind alle Gesellschafter unmittelbare Mitbesitzer79. Dagegen will insbesondere Flume den Besitz der Gesellschaft selbst zusprechen, der Besitz der einzelnen Gesellschafter solle der Gesellschaft zugerechnet werden80. Die Ausführungen Flumes81 zeigen, daß sich auf diese Weise bei verschiedenen Problemen die glattesten Lösungen ergeben.

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So z.B. Heck § 18 V; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 33; Dernburg, BürgR III § 14, 7; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 16. Heck § 18 IV und V geht davon aus, daß bei einer Unterschlagung durch den Besitzdiener immer § 935 eingreife; dazu unten § 10 V 3 c. Vgl. z.B. Biermann § 868 N. 4; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 52; StaudingerBund § 854 Rn. 58; Westermann-Gursky § 20 II 2 b. Biermann § 868 N. 4; Endemann II § 31, 4 d; Leonhard 63; E. Wolf § 2 E II b 2. Dagegen besteht die Gefahr, daß § 1006 auf das Organ angewandt wird, wohl kaum. Vgl. Planck-Brodmann § 854 N. 5; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 52. Vgl. Enneccerus-Nipperdey I § 103 IV. H.M., vgl. etwa Förtsch, GruchBeitr 43 (1899), 545; Kreß 185; Gärtner 157; WestermannGursky § 20 II 2 a; Wolff-Raiser § 5 I; Baur-Stürner § 7 Rn. 70; Planck-Brodmann § 854 N. 5; Staudinger-Bund § 854 Rn. 58; Soergel-Stadler § 854 Rn. 14; OLGR (Brandenburg) 1996, 64 f. Zum Besitzwillen vgl. unten IV 2 b. Vgl. die Lit. bei Flume I 1 § 6 I. Flume I 1 § 6 II. § 6 III.

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4. Besitzsubjekte, juristische Personen und Willensunfähige

§4 I 4 b

b) Aus den gleichen Gründen wie die juristischen Personen müssen auch alle Menschen Besitz erwerben und haben können, auch wenn ihnen selbst die natürliche Willensfähigkeit mangelt. Der Erwerb und die Ausübung des Besitzes erfolgt in diesen Fällen durch den gesetzlichen Vertreter. Auch hier ist streitig, welche besitzrechtliche § 4 I 4 Stellung dem Vertreter zuzuerkennen ist82. Vereinzelt wird der gesetzliche Vertreter als Besitzdiener des Vertretenen angesehen83, aus den gleichen Gründen wie oben unter a. Indessen ordnet sich der gesetzliche Vertreter nicht den Weisungen des Vertretenen bezüglich der Sache unter; er will selbst über die Sache entscheiden und muß das auch, wenn er seiner Pflicht nachkommen will84. Dagegen sieht die h.M. den gesetzlichen Vertreter, der die Sachgewalt ausübt, als Besitzmittler des Vertretenen an85. Indessen ist diese Entscheidung zweifelhaft. Probleme können sich ergeben, wenn der gesetzliche Vertreter als Besitzer verklagt wird, ferner wenn er stirbt und der Besitz auf seinen Erben übergeht. Wenn schließlich ein gesetzlicher Vertreter seines Amtes enthoben wird und ein neuer eingesetzt wird, so könnte der abgesetzte gegenüber dem neuen den Sachbesitz verteidigen, ohne verbotene Eigenmacht zu begehen. Es ist zumindest inkonsequent, wenn die h.M. diese Gesichtspunkte, die sie gegen die Besitzmittlerstellung des Organs anführt, hier nicht berücksichtigt. Konsequenter ist daher die von Förtsch begründete Meinung, der gesetzliche Vertreter einer willensunfähigen Person sei weder Besitzer noch Besitzdiener, die von ihm gehaltene Sachgewalt sei vielmehr – wie beim Organ einer juristischen Person – nur dem Vertretenen als Besitz zuzurechnen86. Diese Ansicht vermeidet die genannten Schwierigkeiten und ist daher der h.M. vorzuziehen87. Differenzierter gestaltet sich die Lage, wenn der Vertretene selbst fähig ist, einen Besitzwillen zu haben. Hier ist nach den allgemeinen Besitzregeln zu entscheiden. Überlassen z.B. die Eltern ihrem 17-jährigen Sohn ein Fahrrad für die Fahrt zur Arbeitsstelle, so wird dieser regelmäßig selbst Besitzer sein, und zwar Eigenbesitzer. Überlassen die Eltern dagegen ihrem kleineren Kind Rollschuhe, Puppenwagen u.s.w., damit es mit diesen auf der Straße spiele, so ist das Kind nur Besitzdiener. Gehören die Sachen dem Kind, so ist es zugleich mittelbarer Eigenbesitzer und Besitzdiener, die Eltern sind Besitzmittler88.

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Übersicht bei Biermann § 868 N. 4. Heck § 18 IV; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 16; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 31. Vgl. Westermann-Gursky § 20 IV; Biermann § 868 N. 4; Leonhard, Vertretung 62. Vgl. Wendt, AcP 87 (1897), 61; Dernburg, BürgR III § 14, 6; Biermann § 868 N. 4; Westermann-Gursky § 20 IV; Staudinger-Bund § 854 Rn. 56; RGRK-Kregel § 854 Rn. 18. Förtsch, GruchBeitr 43 (1899), 545 ff.; ebenso Ullmann, AcP 92 (1902), 315 ff.; PlanckBrodmann § 854 N. 5; Gärtner 157; vgl. auch Kreß 181 ff. Zu beachten ist, daß dies nur gilt, solange der Vertretene selbst keinen eigenen Besitzwillen haben kann. Zum Besitzwillen vgl. unten IV 2 b. Dagegen sind Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Nachlaßverwalter und Testamentsvollstrecker als Besitzmittler anzusehen, vgl. unten § 6 II 4. Vgl. Wolff-Raiser § 6 III 4 Fn. 11.

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§4 I 5

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

5. Eigenbesitz

§4 I 5

§ 872, der den Eigenbesitz definiert, stellt einen Fremdkörper im Abschnitt über den Besitz dar89. Denn hier ist nur der Besitzschutz geregelt, für den es bedeutungslos ist, ob es sich um Eigen- oder Fremdbesitz handelt. Die Mehrheit der zweiten Kommission hat diese Vorschrift gegen den Widerspruch einer Minderheit aufgenommen90, weil man den Begriff des Eigenbesitzes nicht entbehren könne91 und sich kein anderer Platz für seine Regelung finde. Dabei hat man sich über die Tatsache hinweggesetzt, daß die §§ 854 – 871 gerade keinen allgemeinen Teil des Besitzrechts darstellen, sondern nur den Besitzschutz regeln92. Die Bedeutung des Eigenbesitzes liegt außerhalb der §§ 854 – 871, hauptsächlich bei der Regelung des Erwerbs von Rechten: §§ 900, 927, 929, 937, 955, 958; bei der Haftung nach § 836; vgl. ferner etwa §§ 1120, 1127; § 4 I 5 ZVG §§ 147, 164. Der Eigenbesitz unterscheidet sich in seiner tatsächlichen Seite, im Besitzcorpus, nicht vom sonstigen Besitz. Anders ist nur der Besitzwille, der sich aber auch lediglich in seiner Richtung vom normalen Besitzwillen unterscheidet: Der Eigenbesitzer will nicht lediglich die Sachgewalt ausüben, er will sie so ausüben, wie es einem Eigentümer zukommt: opinione domini possidet93. Der Fremdbesitzer hat dagegen diesen Willen nicht. Der Fremdbesitzer besitzt aber auch nicht für den Eigenbesitzer, wie es der Besitzdiener tut. Der Besitzdiener unterwirft sich den Weisungen des Besitzherrn, seine Sachgewalt wird gemäß der Verkehrsanschauung dem Besitzherrn zugerechnet. Dagegen will sich der Fremdbesitzer (z.B. Mieter) keineswegs den Weisungen des mittelbaren Eigenbesitzers (Vermieters) unterwerfen, seine Sachgewalt wird auch nicht etwa dem Eigenbesitzer zugerechnet; der Fremdbesitzer hat – anders als der Besitzdiener – selbst Besitz. Durch seine Bereitschaft, die Sache unter bestimmten Umständen (z.B. Vertragsende) herauszugeben, vermittelt er dem Eigenbesitzer mittelbaren Besitz. Dieser mittelbare Besitz ist aber keine tatsächliche, sondern fiktive Sachgewalt94. Der Eigenbesitzwille entspricht dem animus domini des römischen und gemeinen Rechts. Auch beim Eigenbesitz kommt es nicht auf die Rechtslage an, Eigenbesitzer kann also auch der Nichteigentümer sein, der etwa eine Sache gutgläubig aufgrund einer nichtigen Übereignung erworben hat. Die Formulierung des § 872 (… als ihm gehörend besitzt …) könnte weiter zu dem Mißverständnis verleiten, der Besitzer müsse glauben, er sei Eigentümer, also die opinio domini haben95. Das trifft indessen nicht zu, wie §§ 937 II, 955 I 2 zeigen. Eigenbesitzer kann auch sein, wer bösgläubig ist, wer also weiß, daß er nicht Eigentümer ist, wie z.B. der Dieb. Ob der animus domini i.S.v. § 872 ein rechtsgeschäftlicher Wille ist oder aber ein natürlicher Wille – wie jeder andere Besitzwille –, war in der ersten Zeit nach Einfüh89 90 91 92 93 94 95

Vgl. Denkschrift 112; Kreß 244; Soergel-Stadler § 872 Rn. 1; Biermann § 872 N. 4. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3736 ff. (Mugdan 3, 517). Daß die Definition sehr wohl entbehrlich gewesen wäre, zeigt § 988, wo der Eigenbesitz mit der Formulierung „als ihm gehörig besitzt“ umschrieben ist. Vgl. oben § 3 II 5 und IV. Paulus D 9, 4, 22, 1. Fremdbesitzer aber ist, wer die Sache domini voluntate possidet oder tenet, mit Willen des Eigentümers hat, Paulus D 47, 2, 86. Vgl. unten § 6 I 2 a. Vgl. Hruza, GrünhutsZ 24 (1897), 233.

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5. Eigenbesitz

§4 I 5

rung des BGB heftig umstritten. Johow96 und der erste BGB-Entwurf 97 betrachteten den Besitzerwerb – Besitz war nach damaliger Terminologie Eigenbesitz – als eine Rechtshandlung, die Geschäftsfähigkeit erforderte. Aufgrund dessen hielt sich die Ansicht, auch nach dem BGB sei zumindest für den Eigenbesitz Geschäftsfähigkeit zu fordern98. Ein nicht Geschäftsfähiger könne also zwar Besitz erwerben, nicht aber Eigenbesitz, er könne daher nicht durch Okkupation oder Ersitzung Eigentümer werden. Das ist indessen nicht haltbar, auch der animus domini ist ein natürlicher Wille wie jeder Besitzwille99. Welchen Besitz soll ein nicht Geschäftsfähiger haben, der eine Sache okkupiert? Fremdbesitz wird man ihm nicht zusprechen wollen, doch kann jeder Besitz nur entweder Eigen- oder Fremdbesitz sein100. Die Rechtsfolge, daß ein nicht Geschäftsfähiger nicht ersitzen könne, ist unangemessen und spricht ebenfalls gegen die genannte Ansicht. Auch der Eigenbesitz ist lediglich eine Tatsache, kein Recht, so daß § 4 I 5 es für den Willen nur auf die natürliche Willensfähigkeit ankommt. Der Eigenbesitz wird wie jeder andere Besitz gemäß § 854 erworben. Möglich ist, daß der Erwerber bereits Fremdbesitzer war, erforderlich ist dann zum Erwerb des Eigenbesitzes, daß der Besitzer einen entsprechenden Entschluß nicht nur faßt, sondern auch betätigt101. Eine Kundbarmachung der Willensänderung nach außen ist aber nur erforderlich, wenn sie ohne Einwilligung des bisherigen Eigenbesitzers geschieht102. Ergreift der Fremdbesitzer Eigenbesitz mit Einwilligung des bisherigen Eigenbesitzers, so liegt eine brevi manu traditio vor103, die keine Erkennbarkeit für Dritte voraussetzt. Der Eigenbesitz wird verloren einmal dadurch, daß die Sachherrschaft aufhört, § 856. Dazu gehört auch der Fall, daß der Eigenbesitzer eine Sache, die er durch einen Besitzdiener besitzt, diesem durch brevi manu traditio (§ 854 II) überläßt104. Möglich ist der Verlust ferner dadurch, daß der Eigenbesitzer zwar den Besitz behält, aber in Fremdbesitz umwandelt (constitutum possessorium). Auch hier ist es nicht erforderlich, daß dies nach außen erkennbar ist. Die Einteilung Eigenbesitz-Fremdbesitz deckt sich nicht mit der in unmittelbaren und mittelbaren Besitz. Sowohl der Eigenbesitzer als der Fremdbesitzer kann mittelbarer oder unmittelbarer Besitzer sein. Der Besitzer kann auch gleichzeitig Eigenbesitzer und Fremdbesitzer sein, wenn z.B. der Eigentümer eine Sache einem Nießbraucher überlassen hat und sie von diesem mietet: Er ist dann als Eigentümer mittelbarer Eigenbesitzer und als Mieter unmittelbarer Fremdbesitzer. Auch als Mitbesitzer kann jemand zugleich Eigen- und Fremdbesitzer sein105. Fremdbesitz setzt auch nicht das Vorhandensein eines Eigenbesitzes voraus, so ist z.B. der (ehrliche) Finder Fremdbesitzer, 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105

Vgl. § 55 und Begründung 379. § 800 E 1 und Protokolle der 1. Kommission 3389, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 110. Vgl. Manigk, ArchBR 25 (1905), 324; Biermann § 872 N. 2 mit Lit. Heute völlig h.M., vgl. z.B. Westermann-Gursky § 12 II 1; Wolff-Raiser § 7 I 1; PlanckBrodmann § 872 N. 4 a; RGRK-Kregel § 872 Rn. 3. Vgl. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 872 N. 9. Vgl. Palandt-Bassenge § 872 Rn. 2; Planck-Brodmann § 872 N. 4 a. Beispiel bei Westermann-Gursky § 12 I: Der Entleiher schreibt seinen Namen in das entliehene Buch. Denn nur er ist schutzbedürftig. Dritte haben sowohl den Besitz als auch das Recht an der Sache zu respektieren, gleich wem sie zustehen. Vgl. unten § 9 II 3. Vgl. unten II 2 c. Vgl. oben 2 c.

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§ 4 II 1 a aa

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

ohne daß der Verlierer mit dem Finden ohne weiteres wieder Eigenbesitz erlangen würde. Den Eigenbesitz muß beweisen, wer sich darauf beruft106. Zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird aber vermutet, daß er Eigenbesitzer sei, vgl. § 1006.

II. Erwerb des unmittelbaren Besitzes 1. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1 Gemäß § 854 I wird der Besitz erworben durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache. Angesichts der Tatsache, daß Besitz tatsächliche Sachherrschaft ist, ist damit etwas Selbstverständliches bzw. nichts gesagt. Die zweite Kommission wollte mit dem Satz auch lediglich das kennzeichnende Moment des Besitzes feststellen1. Tatsächlich wäre es auch gar nicht möglich gewesen, den Besitzerwerb gesetzlich zu regeln. Denn da der Besitz eine soziale Tatsache ist, steht sein Beginn nicht zur Disposition des Gesetzgebers2. Daher ist § 854 I keine Rechtsnorm3. Ob tatsächliche Gewalt erlangt ist, bemißt sich nach den Regeln der Verkehrsanschauung. Die primäre Form des Besitzerwerbs liegt in der Apprehension: im körperlichen Ergreifen einer beweglichen Sache, im Betreten eines Grundstücks. Eine solche körperliche Berührung der Sache ist aber nicht unbedingt erforderlich, der Besitz kann auch in anderer Weise erworben werden4. Dabei ist zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken zu unterscheiden, ferner zwischen originärem und derivativem Erwerb. Erforderlich ist zum Besitzerwerb weiter ein natürlicher Erwerbswille. a) Der Besitz einer beweglichen Sache wird dadurch erworben, daß der Besitzer die Sache so in seine Gewalt bringt, daß seine Macht über die Sache in erhöhtem Maße gesichert ist5 und daß seine Sachherrschaft nach außen ohne weiteres offenkundig ist. Nach gemeinrechtlichem Vorbild soll dieses Gewaltverhältnis als custodia bezeichnet werden. aa) Der einseitige, originäre Besitzerwerb an beweglichen Sachen, die sich in fremdem Besitz befinden, ist nur möglich durch körperliches Ergreifen6, wobei das neue Gewaltverhältnis auch nach außen erkennbar gemacht werden muß, z.B. durch Mitnehmen der Sache. Nicht ausreichend ist ein bloßes Berühren der Sache (der Dieb will den Pflug auf dem Felde stehlen, kann ihn aber nicht abtransportieren), ebensowenig die bloße Möglichkeit der Sachbeherrschung: Wer eine verlorene Sache aufheben kann, es jedoch nicht tut, wird nicht Besitzer. Mit dem Besitzerwerb erlischt der Besitz des vor106 1 2 3 4 5 6

Vgl. RGRK-Kregel § 872 Rn. 5; Soergel-Stadler § 872 Rn. 3; Schlegelberger-VogelsPritsch § 872 N. 7. Protokolle der 2. Kommission 3334 (Mugdan 3, 502). Vgl. Hedinger, Martin P., System des Besitzrechts (Bern 1985), 52. Vgl. Heck § 10, 1; Kreß 15. Paulus D 41, 2, 1, 21: … non est enim corpore et tactu necesse apprehendere possessionem … (Besitz muß man nicht notwendig körperlich und durch Berührung erwerben). Vgl. Kreß 18 f., 150 f.; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 19; Palandt-Bassenge § 854 Rn. 3; a.A. Müller Rn. 101, 109. Vgl. Pininski I 99.

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§ 4 II 1 aa

1. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1

§ 4 II 1 a cc

herigen Besitzers. Für den Besitzerwerb an beweglichen besitzlosen Sachen ist ebenfalls die körperliche Apprehension erforderlich, so daß die Besitzergreifung für den Rechtsverkehr erkennbar wird. bb) Der derivative Besitzerwerb erfolgt durch Übergabe (traditio), durch einverständliches Geben und Nehmen; dem ist das Bereitstellen einer Sache mit gleichzeitiger Gestattung der Wegnahme gleichzustellen7, etwa von Waren in einem Einkaufsmarkt8. In dieser Willenseinigung ist kein Rechtsgeschäft zu sehen; ob der Wille auf die Rechtsfolgen des Besitzes gerichtet ist, spielt keine Rolle9. Wie der originäre Besitzerwerb ist auch die traditio ein faktischer Vorgang, eine Rechtshandlung10. Geschäftsfähigkeit ist daher nicht erforderlich, natürliche Willensfähigkeit reicht aus. Auch eine Anfechtung wegen Irrtums kommt nicht in Betracht11. Die Gegenmeinung, welche auf die Willenseinigung bei der Tradition die Vorschriften über Rechtsgeschäfte anwenden will12, ist nicht haltbar. Diese Meinung führt dazu, daß der Übergeber bei einem Irrtum die traditio anfechten kann mit der Folge, daß originärer Erwerb vorliegt; es soll dann z.B. § 935 eingreifen. Das widerspricht aber dem Zweck des Gesetzes, den Erwerber, der vom Besitzer erwirbt, zu schützen13. Die Einigung über die Besitzübertragung ist daher nicht anfechtbar, auch bei einem Irrtum liegt freiwillige Besitzaufgabe vor14; § 4 II 1 nichts anderes gilt auch bei arglistiger Täuschung und Drohung15. cc Die traditio kann unter einer Bedingung erfolgen, so daß der Erwerber erst Besitzer werden soll, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt. In der Zwischenzeit übt der Erwerber die Sachgewalt als Besitzdiener für den Tradenten aus, so daß dieser Besitzer bleibt. Allerdings kann der Erwerber jederzeit – auch abredewidrig vor Eintritt der Bedingung – Besitz an der Sache ergreifen16, so daß der Besitz des Tradenten endet. Zur Frage der Vertretung beim Besitzerwerb vgl. unten IV 2. cc) Da bei der Besitzübergabe der Besitzer den Besitz nicht nur freiwillig aufgeben will, sondern auch auf den Erwerber übertragen will, sind nach der Verkehrsanschau7 8

9 10 11 12 13 14 15

16

Vgl. Kohler, AcP 69 (1886), 152; Damrau, JuS 1978, 520 f. Der Käufer erwirbt dadurch unmittelbaren Besitz, auch wenn er die Kasse noch nicht passiert hat. Er ist daher berechtigt, den glücklich erlangten letzten Aldi-Computer mit Gewalt gegen den begehrlichen Zugriff anderer Kunden zu verteidigen. Er kann ihn aber auch gegen das Verkaufspersonal verteidigen, wenn er bereit ist, den Kaufpreis zu zahlen; der Verkäufer ist durch seine Rechte aus dem Eigentum hinreichend geschützt. Schulze, NJW 2000, 2876 ff. meint, der Kunde sei nur Fremdbesitzer, doch ist eine solche generelle Aussage nicht möglich; es kommt allein auf den Willen des Besitzers an. H.M., vgl. Raape 66; E. Wolf § 2 E I b 1 bb; Wolff-Raiser § 11 I; Kreß 143 f.; J. vGierke § 7 II 1; Westermann-Gursky § 13 II; Soergel-Stadler § 854 Rn. 2. Vgl. oben I 1 b cc. Vgl. Motive 3, 83. Windscheid-Kipp I 784; Zitelmann, JherJahrb 70, 23 ff.; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 144 ff.; V. Bruns 67 ff.; Kretzschmar § 854 N. 4 b; Stöver, ArchBR 26 (1905), 149. So ausdrücklich die Protokolle der 1. Kommission 4021, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 607; vgl. auch Motive 3, 83. So zutreffend RG 101, 225; Wolff-Raiser § 11 I. Heck § 60, 5, Westermann-Gursky § 49 I 3 und Baur-Stürner § 52 Rn. 43 wollen die Herausgabe wegen Drohung einem Abhandenkommen gleichstellen. Das ist abzulehnen, ausdrücklich gegen eine solche Auslegung Protokolle der 1. Kommission 4021, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 607, ferner RG 101, 225; BGH 4, 38; Wolff-Raiser § 15 Fn. 7. Vgl. unten IV 1 c.

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§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

ung die Anforderungen an die zu erwerbende custodia geringer als beim originären Erwerb17. Denn der einzige, von welchem der Erwerber Widerstand zu erwarten hätte, der bisherige Besitzer, stimmt dem Erwerb zu18; von Dritten war der Besitz schon vorher respektiert. Im übrigen ist die traditio kein besonderer, eigenständiger Fall des Besitzerwerbs, das Gesetz hat ihn zu Recht nicht besonders erwähnt. Wie beim originären Erwerb ist der Besitz dann erworben, sobald der Empfänger die tatsächliche Sachherrschaft erlangt hat. Hat aus irgendeinem Grunde der Übergebende nicht den natürlichen Willen, den Besitz zu übertragen, so wird der Erwerber doch mit Erlangung der Sachherrschaft Besitzer. Eine Rechtsnachfolge in den unmittelbaren Besitz gibt es nicht, da der Besitz kein Recht ist19. Besitzerwerb setzt auch hier voraus, daß der bisherige Be- § 4 II 1 sitzer den Besitz verliert20. cc Bei der traditio kann der Erwerber die custodia durch körperliches Ergreifen erlangen; das ist der Normalfall. Es genügt aber auch, wenn der Übergeber die Sache so in die Nähe des Erwerbers bringt, daß dieser die Möglichkeit hat, die Gewalt auszuüben: wenn etwa der Schuldner auf Weisung des Gläubigers eine Sache in dessen Nähe niederlegt21. Es genügt ferner, wenn der Übergeber die Sache in einen Raum oder in ein Behältnis bringt, an welchem der Erwerber Besitz hat. Der Erwerber wird sofort Besitzer22. Der Besitz an einem Raum oder an Sachen in einem Raum kann durch Schlüsselübergabe übertragen werden23. Es handelt sich hierbei nicht um eine symbolische Besitzübergabe – die es nicht gibt24 –, sondern um eine wirkliche. Obwohl der Schlüsselinhaber die Sachen noch nicht in seiner Gewalt hat, sondern nur die Möglichkeit der Gewaltausübung hat, reicht dies bei der traditio zum Besitzerwerb aus. Dagegen würde ein Dieb, der den Schlüssel stiehlt, damit noch nicht Besitzer der Sachen25. 17 18

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Vgl. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 79; Pininski I 239. Vgl. glossa primi ad D 41, 2, 1, 1: Distinguendum inter res ab alio possessas, et tunc (acquiruntur) etiam non adprehensa possessione, et vacantes, et tunc demum post corporalem apprehensionem. et est ratio, quia primo casu concurrit tradentis et acquirentis consensus, secundo non (Man muß unterscheiden zwischen Sachen, die im Besitz eines anderen sind, die können auch ohne Besitzergreifung erworben werden, und zwischen den besitzlosen, die werden erst durch körperliches Ergreifen erworben. Der Grund ist, daß sich im ersten Fall der Übertragende und der Erwerber einig sind, im zweiten nicht). Vgl. Savigny, Besitz 44; Johow, Begründung 383; Westermann-Gursky § 13 pr.; Randa 358; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 126 f.; a.A. ist Wolff-Raiser § 11 pr., jedoch zu Unrecht. Die Berufung auf §§ 221 (jetzt § 198), 861 II, 943, 999 besagt nichts, da in diesen Fällen nicht bloß der Besitz, sondern eine Rechtsposition übertragen wird, vgl. auch oben § 3 III a. Vgl. RG 153, 261. Vgl. Javolenus D 46, 3, 79: … et quodammodo manu longa tradita existimanda est (es ist so anzusehen, als sei die Sache gewissermaßen mit langer Hand übergeben); vgl. Savigny, Besitz 216; Kreß 21, 149; BGH JR 1968, 106: Ware wird auf Weisung des Ladeninhabers vor der Ladentür abgestellt, dieser erwirbt Besitz. Vgl. Celsus D 41, 2, 18, 2: Si venditorem quod emerim deponere in mea domo iusserim, possidere me certum est, quamquam id nemo dum attigerit (Wenn ich den Verkäufer anweise, die Kaufsache in mein Haus zu bringen, so besitze ich sie sicherlich, wenn auch noch niemand sie angerührt hat); ferner Kreß 21, 149; RG 70, 318. Vgl. Gaius D 41, 1, 9, 6; Inst. 2, 1, 45; RG, Nachlagewerk § 854 Nr. 6, 7; BGH MDR 1973, 572. So können z.B. Schilder allein nicht eine Sachherrschaft begründen, vgl. Johow, Begründung 373; Kreß 155; OLG Frankfurt BB 1976, 573; OLG München MDR 1955, 414. Vgl. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 20; Goldschmidt, Vermischte Schriften I 111.

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1. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1

§ 4 II 1 b

Zum Besitzerwerb durch traditio kann es schließlich genügen, wenn die Sache auf ein Grundstück gebracht wird, das sich in offenem Besitz26 des Erwerbers befindet. Eine irgendwie geartete custodia ist nicht erforderlich. Hier kommt es entscheidend auf die Art der Sache an. Bringt etwa der Übergeber den verkauften Pflug auf den Acker des Erwerbers, so erwirbt dieser nach der Verkehrsanschauung offenen Besitz27; denn die Wahrscheinlichkeit, daß der Erwerber die Sachgewalt ausüben kann, ist sehr groß. Dagegen würde der Besitzer des Ackers an einer dort für ihn deponierten Geldbörse keinen Besitz erwerben, ausgenommen etwa den Fall, daß der Übergeber die Börse so sicher und gut verbirgt, daß die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Erwerber sie noch dort vorfindet. Aus der Natur des offenen Besitzes ergibt sich, daß wohl die Tatsache des Besitzes nach außen erkennbar sein muß, nicht aber, wer besitzt. § 4 II 1 b) An Grundstücken ist eine Besitzergreifung nicht wie bei beweglichen Sachen möglich. Der Erwerber kann nicht das Grundstück im Ganzen körperlich ergreifen; zudem ist die Gefahr, daß die Sachgewalt am Grundstück gestört wird, erheblich geringer als bei beweglichen Sachen. Daher können die Erfordernisse, welche an die zu erwerbende Sachgewalt zu stellen sind, hier geringer sein als bei beweglichen Sachen. Der Erwerb einer custodia ist hier weder möglich noch nötig28. Der originäre Besitzerwerb geschieht durch solche Besitzhandlungen, welche den Erwerb der Sachgewalt nach außen in Erscheinung treten lassen. Bestand bereits Besitz, so muß dem Besitzer der Besitz entzogen werden. Der Gewalterwerb kann sich zeigen im Bewohnen eines Grundstücks, im Bebauen, Einzäunen, Bestellen, Betreten u.s.w.29 Die traditio, Besitzeinweisung, kann dadurch geschehen, daß der Erwerber mit Willen des Übergebers das Grundstück betritt, umgeht u.s.w. Die Besitzeinweisung kann auch dadurch erfolgen, daß der Übergeber dem Erwerber nur die Möglichkeit verschafft, die Sachgewalt auszuüben, etwa durch Übergabe der Schlüssel oder indem er dem Erwerber das Grund-

26 27 28 29

Zum offenen Besitz vgl. unten 2. Vgl. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 13; Westermann-Gursky § 9 II 4; StaudingerBund § 854 Rn. 25 f.; Raape 42. Vgl. Westermann-Gursky § 9 II 4; Kreß 149; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 12. Auch an einer Parklücke ist Besitz möglich. Das ist bei privaten Parkplätzen selbstverständlich, gilt aber auch für Parkplätze auf öffentlichen Grundstücken. Zwar begründet § 12 V StVO einen „Vorrang“ für den PKW-Fahrer, der zuerst an der Parklücke ankommt, doch ergibt sich daraus nur eine Pflicht für den später Ankommenden, dem Früheren den Vorrang auch zu gewähren. Verstößt er dagegen, so begeht er eine Ordnungswidrigkeit (§ 49 I Nr. 12 StVO). Dem „Vorrangigen“ erwachsen aus § 12 V StVO jedoch keine Rechte gegen einen „Nachrangigen“, der entgegen § 12 V StVO den Parkplatz in Besitz nimmt, vgl. Bockelmann, NJW 1966, 745 ff. § 12 V StVO gibt dem „Vorrangigen“ auch dann kein Recht, wenn ein anderer einen Parkplatz nicht mit einem PKW, sondern sonstwie in Besitz nimmt, etwa indem er sich darauf stellt, um den Parkplatz einem „Nachrangigen“ freizuhalten. Der andere hat Besitz an dem Parkplatz erworben, mag dies auch dem Widmungszweck widersprechen, der eine Inbesitznahme nur mit PKW vorsieht. Die Ordnungsbehörde ist berechtigt, den widmungswidrigen Parkplatzbesitzer zu vertreiben, nicht aber ein anderer, und sei es ein „vorrangiger“ Verkehrsteilnehmer. Vertreibt er dennoch gewaltsam mit seinem PKW den Besitzer, so handelt er rechtswidrig nach § 858 I. Er begeht eine verbotene Eigenmacht und eine Nötigung nach § 240 StGB, vgl. OLG Hamburg MDR 1962, 407; OLG Hamm NJW 1970, 2074; OLG Stuttgart NJW 1966, 745; auch BayObLG MDR 1962, 69; ferner Rasehorn, NJW 1968, 1246 f.; Bockelmann a.a.O.

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§ 4 II 2 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

stück zeigt und ihn auffordert, die Sachgewalt auszuüben30; der Erwerber erlangt dadurch den offenen Besitz. Regelmäßig geschieht die Übergabe jedoch nach § 854 II. c) Ein „Erlangen der tatsächlichen Gewalt“ i.S.v. § 854 I ist somit dann gegeben, wenn der Erwerber bei beweglichen Sachen durch Apprehension, bei Grundstücken durch Betreten des Grundstücks die Sachgewalt erlangt hat. Es ist bei derivativem Erwerb aber auch dann gegeben, wenn der Erwerber nicht die Sachgewalt erlangt, sondern nur die ungehinderte Möglichkeit, die Sachgewalt auszuüben.

2. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 a) Beim Besitzerwerb durch traditio genügt beim Erwerber die Möglichkeit der Ausübung der Sachgewalt, eine custodia ist nicht erforderlich, vgl. oben 1 a cc. Entscheidend ist, daß der Übergeber bereit ist, seine Sachgewalt völlig aufzugeben, so daß der Erwerber in der Lage ist, ungehindert die Sachgewalt zu ergreifen. Man spricht in diesen Fällen von der traditio durch Überlassen des offenen Besitzes (vacuam possessionem tradere31) oder von der traditio longa manu32. Einen besonderen Fall der Übertragung des offenen Besitzes regelt § 854 II: den Fall, in welchem die Besitzübertragung lediglich durch Willenseinigung geschieht, ohne eine sonstige Besitzerwerbshandlung. § 854 II ist keine Ausnahme von der allgemeinen Regel, daß der Besitz durch Erlangung der Sachherrschaft erworben wird und daß diese sich nach der Verkehrsanschauung richtet. § 854 II verzichtet nicht etwa auf das Erlangen der tatsächlichen Gewalt33. Bei der Besitzübergabe ist die tatsächliche Gewalt i.S.v. § 854 I schon dann erworben, wenn der Erwerber die Möglichkeit hat, die Sachgewalt auszuüben, und gerade das wird auch in § 854 II gefordert. Die Fälle des § 854 II enthalten insofern eine Erleichterung, als zur Übertragung des offenen Besitzes keinerlei Besitzhandlungen notwendig sind, d.h. die Parteien müssen sich nicht zu der vielleicht weit entfernten Sache begeben. Diese Erleichterung ist deswegen möglich, weil beim offenen Besitz die Person des Besitzers ohnehin nicht erkennbar ist; nur die Tatsache des Besitzes muß offenliegen. Die Übertragung des Besitzes auf eine andere Person muß also äußerlich nicht in Erscheinung treten, da es für die Öffentlichkeit keine Rolle spielt, wessen Besitz zu respektieren ist. Erforderlich ist aber immer, daß der Erwerber durch die Einigung mit dem Übergeber gemäß der Verkehrsanschauung die Sachgewalt i.S.v. § 854 I erlangt, d.h. daß die Wahrscheinlichkeit besteht, der Erwerber werde die Sachgewalt ausüben können34. 30

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Celsus D 41, 2, 18, 2: Si vicinum mihi fundum mercato venditor in mea turre demonstret vacuamque possessionem tradere dicat, non minus possidere coepi, quam si pedem finibus intullissem (Wenn der Verkäufer mir, der ich gekauft habe, das Grundstück von meinem Turm aus zeigt und sagt, er übertrage mir den offenen Besitz, so beginne ich nicht weniger zu besitzen, als wenn ich das Grundstück betreten hätte). Man kann zweifeln, ob dies nicht bereits ein Fall des § 854 II ist. Vgl. oben Fn. 30. Vgl. Javolen D 46, 3, 79; vgl. oben Fn. 21. So aber Wolff-Raiser § 11 II; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 33. So zutreffend Planck-Brodmann § 854 N. 3; Heck § 10, 5 b; Kreß 128, 152; Sandtner 60; Colberg 34; Zitelmann, JherJahrb 70, 22 f.; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 127; Pininski I 309; V. Bruns 67; Rohde II 54 f.

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§ 4 II 2

2. Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2

§ 4 II 2 b

§ 854 II ist hauptsächlich bei Grundstücken anwendbar, aber auch bei solchen beweglichen Sachen, an denen nach der Verkehrsanschauung die Sachgewalt durch Erlangung des offenen Besitzes erlangt werden kann. Es wird sich regelmäßig um Sachen handeln, die schwer zu transportieren sind, so daß eine Besitzentziehung nicht wahrscheinlich ist35. Voraussetzung ist, daß der Erwerber ohne weiteres in der Lage ist, die Sachgewalt auszuüben. Dazu ist erforderlich, daß der Übergeber die Sachgewalt endgültig aufgeben will36 und daß der Ausübung der Sachgewalt durch den Erwerber auch keine anderweitigen Hindernisse entgegenstehen. § 4 II 2 b) Der Übergang des Besitzes setzt voraus, daß der Übergeber Besitzer ist und daß er sich mit dem Erwerber über die Besitzübertragung einigt. Ist der Übergeber nicht Besitzer, so kann er keinen Besitz übertragen. Die Einigung über den Besitzübergang nach § 854 II ist keine rechtsgeschäftliche Einigung, kein Vertrag37. Sie ist ebensowenig ein Rechtsgeschäft wie der Besitzerwerb durch Besitzkonstitut oder durch einverständliche traditio nach § 854 I38. Hier wie dort geht es nicht darum, daß der Wille gemäß der Rechtsordnung irgendwelche Rechtsfolgen herbeiführen soll; in beiden Fällen handelt es sich vielmehr um einen faktischen Vorgang, um eine Rechtshandlung, die nach der Verkehrsanschauung, nicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen ist; die Willenseinigung ist ein Teil des faktischen Vorgangs. Die Einigung nach § 854 II bewirkt durch die Bereitschaft des Übergebers zur Besitzaufgabe, daß der Besitz zum offenen Besitz wird, beim Erwerber ist der faktische Wille Voraussetzung des Besitzerwerbes. Es ist daher widersprüchlich, wenn die h.M.39 in der traditio nach § 854 I einen faktischen Vorgang sieht, in der nach § 854 II dagegen ein Rechtsgeschäft40. Zudem würde die Annahme eines Rechtsgeschäfts in § 854 II zu einer Aufspaltung des Begriffes des unmittelbaren Besitzes führen. Unmittelbarer Besitz nach § 854 I wäre tatsächliche Sachherrschaft, unmittelbarer Besitz nach § 854 II wäre eine Rechtsposition, die unabhängig von allem Tatsächlichen wie ein sonstiges Recht durch Vertrag übertragen werden könnte. Zu solchen Künsteleien besteht kein Grund41, der Ausdruck „Einigung“ in § 854 II besagt nichts über die Natur dieser Einigung42. 35 36

37

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Etwa: aufgestapeltes Holz im Wald, Eisenbahnschienen, ein auf dem Fluß liegender Kahn. Bei der Übertragung von Rechten zur Sicherheit genügt z.B. zur Besitzübertragung nach § 854 II die Einigung nicht, wenn der Übertragende die Sachen selbst weiter nutzt, vgl. BGH 27, 360 ff.; liegt das übertragene Holz auf einem eingefriedeten Lagerplatz des Übergebers, zu welchem der Erwerber keinen freien Zugang hat, so kann Besitz nach § 854 II nicht übertragen werden, vgl. OLG (Breslau) 5, 150. Brinz I § 138; Jeroschewitz 106; Rosenberg § 854 N. II 2 e; Kreß 316; Zitelmann, JherJahrb 70, 22 f.; V. Bruns 81 mit Lit.; E. Wolf § 2 E I b 2 bb und jetzt auch MünchenerK-Joost § 854 Rn. 31 ff. und Hartung 200 ff.; vgl. auch oben 1 a bb. Vgl. unten § 9 III 2 b und oben bei Fn. 9. Vgl. Planck-Brodmann § 854 N. 3 a; RGRK-Kregel § 854 Rn. 15; Soergel-Stadler § 854 Rn. 21; Erman-Lorenz § 854 Rn. 15; Westermann-Gursky § 13 III 2; Baur-Stürner § 7 Rn. 22; J. vGierke § 7 II 2; Heck § 10, 6; Schwab-Prütting Rn. 56; Müller Rn. 110 ff.; Ernst 56 ff. Zutreffend dagegen Pabst 126 ff.; V. Bruns 81; E. Wolf § 2 E I b 2 bb. Vgl. Pininski II 67; die Vertreter der h.M. teilen nicht mit, warum in der Einigung des § 854 II ein Vertrag zu sehen sei; praktische Bedürfnisse dazu bestehen nicht. Der 1. Entwurf (§ 803 II) benutzte noch den Ausdruck „Willenserklärungen“; ob darin ein Rechtsgeschäft zu sehen sei, wollte man aber bewußt offenlassen, vgl. Protokolle der 1. Kommission 3403, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 116.

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§ 4 II 2 c

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Da die Einigung nach § 854 II kein Rechtsgeschäft ist, ist Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich; natürliche Willensfähigkeit reicht aus. Willensmängel sind nicht nach den §§ 116 ff. zu behandeln43, es entscheidet die Verkehrsauffassung. So kann es bei einem Irrtum keine Anfechtung geben mit der Folge, daß dem Besitzer die tatsächliche Gewalt rückwirkend wieder entzogen wird44. Ein Angebot zur Einigung ist nicht gemäß §§ 145 ff. verbindlich, ein Widerruf ist frei möglich, solange die Einigung noch nicht zustande gekommen ist. Nachher kann der Tradent nicht mehr widerrufen, um den Besitz zurückzuerlangen, eine einseitige Besitzergreifung würde Apprehension des Grundstücks (Betreten u.s.w.) voraussetzen. Dagegen ist eine Einigung unter aufschiebender Bedingung möglich, bis zum Eintritt der Bedingung bleibt der Veräußerer Besitzer, weil sein Wille, den Besitz aufzugeben, nicht wirksam ist; es liegt noch keine vacua possessio vor. Sich für die Einigung eines Boten zu bedienen, ist unbedenklich möglich. Zur Frage der Vertretung und des Vertrags zu Gunsten Dritter vgl. unten IV 2. Die Einigung nach § 854 II kann konkludent geschehen, sie kann z.B. bei einem Grundstück in der Auflassungserklärung liegen. Daß dies aber in der Regel anzunehmen sei45, ist nicht zuzugeben; es entscheidet der Wille der Parteien im Einzelfall. Die Einigung nach § 854 II hat mit der Einigung zum Zwecke des Eigentumserwerbs (§§ 929, 873) nichts zu tun. Zwar kann beides gleichzeitig gegeben sein, doch sind die Einigungen voneinander unabhängig. Die Übertragung nach § 854 II ist auch dann möglich, wenn eine Ausübung der Sachgewalt gemäß § 856 II vorübergehend nicht möglich ist46. Entscheidend ist, daß der Erwerber die Möglichkeit der Ausübung der Sachgewalt erlangt, d.h. die Wahrscheinlichkeit, die Gewalt nach Belieben ausüben zu können. Daß eine solche Möglichkeit nicht durch eine vorübergehende Hinderung beeinträchtigt wird, sagt § 856 II. § 4 II 2 c) Unter § 854 II fällt auch die brevi manu traditio47: Übt jemand über eine Sache die tatsächliche Gewalt aus, ohne Besitzer zu sein (der Besitzdiener), so genügt gemäß § 854 II die Einigung mit dem Besitzer, um den Besitz auf den früheren Besitzdiener zu übertragen.

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Vgl. Motive 3, 83. Die h.M. müßte konsequenterweise eine Anfechtung mit der Folge zulassen, daß danach – wenn in der Zwischenzeit der Erwerber die Sache ergriffen hat – ein originärer Erwerb mit den Folgen der §§ 858, 935 vorläge; so weit geht aber nur Ernst 67 ff. für den „Eigenbesitz“. Nach Baur-Stürner § 7 Rn. 23 reicht aber das tatsächliche Gestatten des Übergebers aus, diese Folgen auszuschließen. Das bedeutet also, daß zwar der Erwerber z.B. mangels Übergabe nicht Eigentümer nach § 929 werden könnte, daß aber einem gutgläubigen Erwerb eines Dritten § 935 nicht entgegenstände. So Biermann § 854 N. 6 b. Vgl. Wolff-Raiser § 11 II; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 90 f.; a.A. Planck-Brodmann § 854 N. 3 b. So auch Buhl 27; vgl. auch unten § 9 II 1.

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2. Verlust des Besitzes

§ 4 III 2

III. Erhalt und Verlust des unmittelbaren Besitzes § 4 III

1. Erhalt des Besitzes Das Gesetz stellt für den Erhalt des Besitzes keine Regeln auf. Aus § 856 I ergibt sich, daß der Besitz fortdauert, bis ein Aufhebungstatbestand gegeben ist. Daraus folgt, daß die Voraussetzungen für den Erhalt des einmal erworbenen Besitzes erheblich geringer sind als beim Besitzerwerb; die Voraussetzungen des Erwerbs müssen nicht fortdauernd vorliegen1. Ein dauernder Besitzwille ist nicht erforderlich2, die Besitzaufgabe setzt einen positiven Beschluß entsprechenden Inhalts voraus. Der Besitz bleibt also erhalten, auch wenn der Besitzer schläft oder wenn er längere Zeit an die Sache nicht mehr denkt, z.B. an die Bücher in der Bücherkiste auf dem Dachboden3. Selbst wenn der Besitzer die Sache völlig vergißt, bleibt sein Besitz erhalten. Sogar der Verlust der natürlichen Willensfähigkeit beendet den Besitz nicht4, z.B. den Besitz an einem Grundstück, für welchen die Möglichkeit der Sachherrschaft ausreicht; anders natürlich, wenn aufgrund der Willensunfähigkeit die tatsächliche Sachgewalt verlorengeht, etwa der Betroffene eine Sache verliert. Auch die Anforderungen an das corpus sind herabgesetzt: Während beim Erwerb in einigen Fällen eine körperliche Apprehension erforderlich ist, welche zur tatsächlichen Gewalt über die Sache führt, reicht für den Erhalt des Besitzes in allen Fällen die Möglichkeit, die Sachgewalt auszuüben5. Für die Fortdauer des Besitzes reicht es also aus, wenn der Besitzer seinen Willen nicht ändert und wenn die Möglichkeit der Sachherrschaft besteht6. Im einzelnen ist auch hier die Verkehrsauffassung entscheidend.

2. Verlust des Besitzes Der Besitz dauert fort, bis ein Aufhebungstatbestand gemäß § 856 I vorliegt. § 856 I beruht wie § 854 auf der Verkehrsanschauung7, eine selbständige Regelung ist dort nicht getroffen. Der Besitz endet mit dem Verlust der tatsächlichen Gewalt. Der Besitz kann nicht durch einen reinen Willensentschluß unter Aufrechterhaltung der Sachgewalt aufgegeben werden8. Die Verkehrsanschauung erkennt das nicht als Auf1 2 3 4

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Protokolle der 1. Kommission 3425, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 135; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 60; Wolff-Raiser § 5 III 3; Randa 433. Vgl. aber oben I 1 b bb. Wer außer Landes flieht, kann den Besitz durch seine Angestellten aufrechterhalten, RG 138, 270. Johow hatte das ausdrücklich in seinen Teilentwurf (§ 63 II) aufgenommen, die 1. Kommission erachtete das für selbstverständlich, Protokolle 3427, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 136. Ebenso hatten schon das ALR I 7 § 115 und das ABGB § 352 entschieden. Die Regel stammt aus dem römischen Recht, vgl. etwa Proculus D 41, 2, 27. Paulus D 41, 2, 3, 13: … hactenus possideri, quatenus, si velimus, naturalem possessionem nancisci possimus (Wir besitzen so lange, als wir den Gewahrsam erlangen können, wenn wir wollen). Vgl. Randa 440. Kreß 162; Heck § 12, 1. Ausnahmsweise ist ein Besitzverlust unter Beibehaltung des Gewahrsams möglich, wenn der bisherige Besitzer sich entschließt, die Sache nunmehr als Besitzdiener für einen anderen zu haben, etwa für einen Erwerber der Sache. Es handelt sich um das Besitzkonstitut in seiner ursprünglichen, römischrechtlichen Form, vgl. unten § 9 III 2 a.

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§ 4 III 2 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

gabe des Besitzes an9. Der Verlust der tatsächlichen Gewalt kann mit dem Willen des Besitzers geschehen (Besitzaufgabe) oder ohne den Willen des Besitzers (Besitzverlust). § 4 III a) Die Besitzaufgabe mit Willen des Besitzers kann durch traditio geschehen10 oder durch einseitige Aufgabe des Besitzes; hinzu kommen die Fälle, in welchen der Besitzer die Sache zerstört, verbraucht, verarbeitet, so daß mit ihrer Existenz auch der Besitz endet. Die Aufgabehandlung kann in einem Tun oder in einem Unterlassen bestehen. Die Besitzaufgabe ist kein Rechtsgeschäft, sondern – wie der Besitzerwerb – eine Rechtshandlung. Daher erfordert sie auch keinen rechtsgeschäftlichen Willen11, tatsächliche Willensfähigkeit reicht aus. So kann auch ein Kind an einer Sache, an welcher es Besitz erworben hat, diesen freiwillig wieder aufgeben. Fehlt dem Aufgebenden die natürliche Willensfähigkeit, so tritt zwar auch Besitzverlust ein, es handelt sich aber nicht um einen freiwilligen Besitzverlust12. Für die Frage der Freiwilligkeit der Besitzaufgabe ist es ohne Bedeutung, ob der Besitzer den Besitz überträgt oder ob er die Wegnahme gestattet13. Der Wille, den Besitz durch Übertragung aufzugeben, kann dahin beschränkt werden, daß die Wegnahme nur bestimmten Personen gestattet wird14. Nimmt ein anderer sie weg, so liegt verbotene Eigenmacht und Abhandenkommen vor15. Anders wäre die Lage, wenn der Besitzer den Besitz sofort aufgibt in der Absicht, daß ein bestimmter anderer ihn später für sich erwerbe. Nimmt ein Dritter die Sache, so liegt keine Besitzverletzung vor, ein Anspruch gegen ihn ist nur aus dem Recht denkbar. Durch traditio kann der Besitz gemäß § 854 II durch einen reinen Willensakt aufgegeben werden. Fraglich ist, ob das auch dann möglich ist, wenn der Besitz nicht übertragen, sondern einseitig aufgegeben werden soll. Grundsätzlich kann der Besitz durch einen Willensakt nicht beendet werden. Es ist aber zu beachten, daß es sich in den Fällen des § 854 II um offenen Besitz handelt, der ohne jede Sachgewalt allein durch den Besitzwillen aufrechterhalten wird. Der Besitzer hat lediglich nach der Verkehrsanschauung die Möglichkeit, die Sachgewalt auszuüben, und diese Möglichkeit bedeutet „tatsächliche Gewalt“ i.S.d. § 854 I16. Wenn der Besitzer den Willen faßt, nicht mehr zu besitzen, so endet damit zugleich die „tatsächliche Gewalt“ i.S.v. §§ 854 I, 856 I. § 854 II ist also keine Ausnahme von der Regel, daß der Besitz nicht durch einen Willensentschluß ohne Aufgabe der Sachherrschaft beendet werden kann. Bei offenem Besitz endet vielmehr mit dem Entschluß, nicht mehr besitzen zu wollen, auch die tatsäch9 10 11

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Johow, Begründung 413; Kreß 160; Biermann § 856 N. 2 a; Lange § 10 V 1 a; ErmanLorenz § 856 Rn. 2; Palandt-Bassenge § 856 Rn. 1. Wobei eventuell der mittelbare Besitz erhalten bleiben kann, z.B. bei der Übergabe an einen Mieter. Zur Übertragung des Besitzes an den Besitzdiener vgl. oben II 2 c. Staudinger-Bund § 856 Rn. 11; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 856 N. 5; RGRK-Kregel § 856 Rn. 3; Erman-Lorenz § 856 Rn. 3; Kreß 163; Wolff-Raiser § 15 I 1; Baur-Stürner § 7 Rn. 26; a.A. Endemann II § 36, 3; V. Bruns 83. Die Frage, ob der Besitz freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben wurde, wird bedeutsam bei § 858 und bei § 935, vgl. unten § 5 II 1 b und § 10 V. Vgl. Kohler, AcP 69 (1886), 152; Damrau, JuS 1978, 520 f. Vgl. Endemann II § 36, 3; Dernburg, Pandekten I § 182, 2. Etwa: Bei der Kleidersammlung eines Hilfswerks stellt jemand alte Kleider in einem Beutel dieser Gesellschaft vor die Tür. Ein Altwarenhändler sammelt die Beutel ein. Vgl. oben II 1 c.

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2. Verlust des Besitzes

§ 4 III 2 b, c

liche Gewalt, und zwar gleichgültig, ob sie auf einen Erwerber übergeht oder ob sie einseitig aufgegeben wird17. Erforderlich ist aber auf jeden Fall, daß der einseitige Aufgabewille kundgetan wird; eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung liegt darin nicht18, doch ist natürliche Willensfähigkeit erforderlich19. Auch der fiktive Erbenbesitz nach § 857 endet durch Kundgabe des Willens, diesen Besitz aufzugeben20. § 4 III b) Ohne den Willen des Besitzers kann der Besitzverlust auf vielerlei Arten eintre- c ten, etwa durch Zerstörung, Verbrauch, Verarbeitung der Sache, durch Besitzaufgabe eines Willensunfähigen, durch Entlaufen eines Tieres, durch Beschlagnahme oder Pfändung und Mitnahme einer Sache, durch Okkupation durch einen anderen u.s.w. Denkbar ist, daß der frühere Besitzer den mittelbaren Besitz behält21, wenn z.B. der Mieter die gemietete Sache ohne Willen des Vermieters wegnimmt. c) Der Besitz wird erhalten, auch wenn der Besitzer die Sachgewalt nicht tatsächlich ausübt, solange nur die Möglichkeit der Ausübung besteht. Am weit entfernten Grundstück bleibt der Besitz bestehen, auch wenn der Besitzer sich über längere Zeit nicht dorthin begibt; an der Wohnung bleibt der Besitz bestehen, auch wenn der Besitzer im Krankenhaus liegt oder auf Reisen ist22. Die Lockerung des Besitzes führt nicht zum Besitzverlust. § 856 II, wonach eine vorübergehende Verhinderung der Besitzausübung den Besitz nicht beendet, ist daher auf solche Fälle nicht anwendbar23. § 856 II greift nur ein, wenn die Ausübung der tatsächlichen Gewalt unmöglich ist, und zwar vorübergehend unmöglich. Diese Unmöglichkeit muß sich aus den Umständen der Sache selbst ergeben, nicht etwa daraus, daß der Besitzer sich von ihr entfernt hat. Andernfalls würde der Besitzbegriff zu sehr verengt und § 856 II überstrapaziert; jede noch so geringfügige Entfernung des Besitzers von der Sache würde den Besitz nur über § 856 II aufrechterhalten. Die Frage, ob eine vorübergehende Unmöglichkeit vorliegt, richtet sich nach der Verkehrsanschauung. Eine nur vorübergehende Unmöglichkeit, die Sachgewalt auszuüben, liegt etwa vor bei vom Hochwasser überschwemmten Grundstücken, eingeschneiten Bergwiesen, bei vorübergehender Beschlagnahme von Sachen, wenn eine Sache verlegt ist und momentan nicht gefunden werden kann, bei Haustieren (Hund, Katze), die sich zeitweilig im Freien aufhalten, bei zeitweiliger Benutzung einer Sache durch den Besitzdiener im eigenen Interesse. Da gemäß der Natur solcher Hindernisse die Sachgewalt nur vorübergehend beeinträchtigt ist, endet dadurch nach der Verkehrsanschauung der Besitz nicht, was § 856 II klarstellt. 17

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So Protokolle der 2. Kommission 3346 (Mugdan 3, 505 f.); Endemann II § 36 Fn. 2; Windscheid-Kipp I 808 f.; Goldmann-Lilienthal § 3, 12 Fn. 4; Westermann-Gursky § 16, 2; Kreß 161; Soergel-Stadler § 856 Rn. 4; Staudinger-Bund § 856 Rn. 9; a.A. Wolff-Raiser § 15 Fn. 4; J. vGierke § 8 I 2. Vgl. oben II 2 b. Vgl. Proculus D 41, 2, 27. Vgl. etwa Biermann § 856 N. 2 a. Vgl. Wolff-Raiser § 15 I 2. Glossa quia naturaliter zu D 41, 2, 1: Martinus et Azo dicunt, quod retinet naturalem possessionem quocumque vadat, cum possit redire quando vult (Martinus und Azo sagen, daß er den Gewahrsam behält, wohin er auch geht, wenn er nur dahin zurückkehren kann, wann er will). In der Literatur werden solche Fälle des Verreisens u.s.w. häufig als Beispiele des § 856 II gebracht, zutreffend dagegen Lange § 10 V 1 b.

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§ 4 IV 1 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

IV. Besitzdiener und Stellvertreter im Besitz Das römische Recht, das bei der Abgabe von Willenserklärungen keine Stellvertretung kannte, ließ dagegen beim Besitzerwerb eine Vertretung zu: Die tatsächliche Gewalt, die der Vertreter ausübte, wurde dem Vertretenen zugerechnet. Vertreter konnten aber nur Gewaltabhängige (Sklaven, Hauskinder) und der Tutor (Vormund) sein, Vertretung durch Gewaltfreie wurde in klassischer Zeit nur ausnahmsweise, erst später generell anerkannt. Der animus possidendi mußte beim Vertretenen vorhanden sein, wobei auch ein genereller Wille ausreichte, z.B. beim peculium1. Eine Vertretung im Willen war nicht möglich, ausgenommen durch den Tutor. Das gemeine Recht ließ eine freie Stellvertretung in der Gewaltausübung zu, wenn der Vertreter den Willen hatte, für den Vertretenen zu besitzen. Als Vertreter in diesem Sinne wurden alle Inhaber mit animus pro alieno possidendi angesehen2, wie z.B. Mieter, Pächter, Verwahrer u.s.w. Vorausgesetzt wurde ein gültiger Auftrag des Besitzherrn3. Dagegen wurde eine Vertretung im Besitzwillen grundsätzlich nicht zugelassen, Besitzwille wurde beim Vertretenen gefordert4. Die erste Kommission hielt es für selbstverständlich, daß man durch fremde Personen als Werkzeug Besitz ausüben könne, wobei nur der Vertretene, nicht der Vertreter Besitzer (Inhaber) sei5. Diese Ansicht fand allerdings im Text des ersten Entwurfs keinen Ausdruck, so daß die Kritiker des Entwurfes die Ansicht der Kommission mißverstanden. Man glaubte, der Entwurf wolle jedes Besitzwerkzeug, wie z.B. einen Dienstboten, als Besitzer ansehen und ihm Besitzschutz gegen den Geschäftsherrn zugestehen6. Die zweite Kommission beschloß, das klarzustellen, und fügte auf Antrag des preußischen Justizministeriums den § 855 in das Gesetz ein7. Im Besitzdiener nach § 855 haben wir die letzten Spuren der Detention des römischen und gemeinen Rechts.

1. Besitzdiener a) § 855 enthält ebensowenig wie §§ 854, 856 eine selbständige Regelung, er begründet auch nicht eine Ausnahme von § 8548. § 855 enthält lediglich eine Klarstellung des Inhalts, daß die Sachherrschaft auch durch andere Personen ausgeübt werden 1

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Vgl. Kaser I 393 f.; II 255; Klinck, AcP 2005, 487, 501 ff. Peculium ist ein Sondervermögen, das einem Hauskind oder Sklaven zu tatsächlich freier Verfügung überlassen wurde, während es rechtlich dem pater familias bzw. dem Eigentümer des Sklaven gehörte, weil Hauskind und Sklave selbst nicht vermögensfähig waren. Vgl. oben § 3 II 1. Vgl. etwa Mackeldey § 204; Baron § 117. Baron a.a.O. Vgl. Johow, Begründung 380 Fn. 2; Protokolle der 1. Kommission 3394, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 112; Motive 3, 86 ff.; Protokolle der 2. Kommission 3340 (Mugdan 3, 503 f.); der in § 801 E 1 erwähnte Vertreter im Besitz ist nicht mit dem im Text genannten Besitzvertreter identisch. Der Vertreter nach § 801 E 1 sollte auch Willensvertreter und selbst Inhaber sein, vgl. Protokolle der 1. Kommission 3394, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 112. Vgl. oben § 3 II 5 d. § 797 a E 2, vgl. Protokolle der 2. Kommission 3340 ff. (Mugdan 3, 503 ff.). So aber Leonhard 63; Wolff-Raiser § 6 Fn. 1; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 1.

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§ 4 IV

1. Besitzdiener

§ 4 IV 1 a aa

kann9. Auch hier wie in den Fällen der §§ 854, 856 entscheidet allein die Verkehrsanschauung10, ob derjenige nämlich, der die Gewalt für einen anderen ausübt, selbst (Fremd-)Besitzer ist oder nur Besitzdiener11, so daß der andere Besitzer ist. Entgegen der h.M. kommt es weder auf eine soziale noch auf sonst eine Abhängigkeit des Besitzdieners an, mag sie auch bisweilen vorhanden sein. Ob derjenige, der die Sachgewalt ausübt, selbst Besitzer ist oder ob allein ein anderer als Besitzer und Inhaber der Sachgewalt anzusehen ist, bestimmt sich nach dem zu erwartenden Verhalten der Beteiligten. Auch Besitz durch den Besitzdiener ist nichts anderes als die statistische Wahrscheinlichkeit, daß der Besitzer wieder auf die Sache zugreifen kann, sobald er es will12. Ist nach der gegebenen Situation zu erwarten, daß er beliebig über die Sache verfügen kann, so daß der, welcher die Gewalt ausübt, sich ohne Widerspruch nach seinen Weisungen richtet, so ist nur er Besitzer. In diesem Fall ist er nach der Verkehrsauffassung berechtigt, Gewalt gegen den Besitzdiener anzuwenden, wenn dieser sich entgegen den berechtigten Erwartungen seinen Weisungen nicht fügt. Die Rechtsordnung folgt – wie auch sonst im Besitzrecht – dieser Verkehrsanschauung und gestattet dem Besitzherrn, den sie allein als Besitzer ansieht, die Gewaltanwendung gegen den Be- § 4 IV sitzdiener. aa aa) Der Grund, warum in einer gegebenen Situation eine solche Unterordnung gemäß der Verkehrsauffassung erwartet werden kann, ist ohne Bedeutung. Das Gesetz nennt als Beispiele die Situation der Gewaltausübung in einem Haushalt oder in einem Erwerbsgeschäft für den Haushaltsvorstand oder für den Geschäftsinhaber. Nach der Verkehrsauffassung sind Hausgehilfen, Dienstboten, Arbeiter und Angestellte in einem Betrieb nicht Besitzer der Sachen, mit oder an denen sie arbeiten. Was aber in den „ähnlichen Verhältnissen“ das tertium comparationis sein soll zu diesen Beispielen, ergibt sich aus dem gesetzlichen Zusammenhang, aus den §§ 854, 856: Es ist die Verkehrsauffassung, die erwarten läßt, daß der Besitzherr die Gewalt über die Sache ausüben kann, ohne auf Widerstand beim Besitzdiener zu stoßen. Näher kann die Situation des Besitzdieners freilich nicht bestimmt werden, wie die zweite Kommission zu Recht betonte13; es verhält sich hier ebenso wie beim Begriff des Besitzes14. Auch die Möglichkeiten der Besitzdienerschaft können so mannigfaltig und verschieden sein, daß eine nähere Umschreibung dieses Begriffes nicht möglich ist. Das Motiv, warum der Besitzdiener die Sachgewalt nicht für sich ausübt, sondern dies dem Besitzherrn überläßt, kann vielfältig sein, ist aber unwichtig. Der Besitzdiener mag sich dem Willen des Besitzherrn unterstellen, weil er andernfalls physische Gewalt zu fürchten hätte (Soldat, Strafgefangener); er mag dies tun, weil er nur auf diese 9 10

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So ausdrücklich Protokolle der 2. Kommission 3340 (Mugdan 3, 504); Planck-Brodmann § 854 N. 2; Heck § 7, 3; Endemann II § 33, 2; Last, JherJahrb 63, 113. Leonhard 64; Kaemmerer 184; V. Bruns 46; Kreß 165; Planck-Brodmann § 855 N. 2; Endemann II § 33, 1; Baur-Stürner § 7 Rn. 61; Regelsberger, FS Gießen 252; Kretzschmar § 855 N. 2. Ausdruck nach Bekker, JherJahrb 34, 42; er geht auf das „ministerium praestare possessionis“ der Quellen zurück, vgl. etwa D 41, 2, 18 pr. Vgl. oben § 3 I a a.E. Protokolle der 2. Kommission 3340 f. (Mugdan 3, 504); vgl. auch Regelsberger, FS Gießen 252. Vgl. oben I 1 a.

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§ 4 IV 1 a bb

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Weise ein bestimmtes Ziel erreichen kann, z.B. seine Beschäftigung in einem Betrieb. Möglicherweise hat er auch an der Sache keinerlei eigenes Interesse, wie z.B. der Freund, der einen Brief mit zum Briefkasten nimmt; oder es wäre gesellschaftlich ganz unüblich und daher nicht zu erwarten, daß er eigenes Interesse zeigt, wie der private Gast an den Sachen des Gastgebers und umgekehrt. Ebenso ist bei Gefälligkeitsverhältnissen in der Regel kein Besitzwille des Sachinhabers anzunehmen, so wenn etwa der Theaterbesucher seinem Nachbarn das Opernglas „leiht“15. In allen diesen Fällen ist es der Wille des Besitzdieners, der die Unterordnung bewirkt. Auch hier handelt es sich freilich ebensowenig um einen psychologischen Willen wie sonst im Besitzrecht16; es kommt daher nicht auf den inneren Willen des Besitzdieners an, sondern auf den betätigten Willen, wie er sich nach außen darstellt und wie er von der Verkehrsauffassung § 4 IV beurteilt wird17. bb bb) Entscheidend für die Frage, ob jemand Besitzdiener ist, ist also die nach der Verkehrsauffassung zu erwartende willentliche Unterordnung der Betroffenen unter die Weisungen des Besitzherrn bezüglich der Sache. Er muß den Willen haben, die Gewalt über die Sache nicht für sich, sondern für einen anderen nach dessen Weisung auszuüben. An diesen Willen sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an den Besitzwillen des Besitzers18. Demgegenüber bestreitet die h.M., daß dem Willen des Besitzdieners irgendeine Bedeutung zukomme19; entscheidend solle vielmehr sein, ob der Besitzdiener in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzherrn stehe, so daß er dessen sachbezogenen Weisungen zu folgen habe (Folgepflicht)20. Was freilich unter dieser „sozialen Abhängigkeit“ zu verstehen sein soll, bleibt im Ungewissen21, zumal eine rechtliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit nicht ausreichen soll22. Daß jemand sozial, also kraft seiner gesellschaftlichen Stellung, abhängig sein könne, ohne daß damit eine rechtliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit gemeint wäre, ist heute nicht mehr denkbar. Der Gepäckträger, die Ehefrau, die freiwillig im Betrieb des Mannes 15 16 17 18

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Die „soziale Abhängigkeit“ ist also kein hinreichender Grund für eine Besitzdienerschaft, vgl. auch OLG Nürnberg, r+s 1989, 354; Staudinger-Bund § 855 Rn. 6. Vgl. oben I 1 b bb. Vgl. Kniep 198 f. Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 9: Ceterum et ille, per quem volumus possidere, talis esse debet, ut habeat intellectum possidendi (Im übrigen muß auch der, durch den wir besitzen, den Willen haben zu besitzen). Planck-Brodmann § 855 N. 2; Biermann § 855 N. 2 c; Staudinger-Bund § 855 Rn. 9; Erman-Lorenz § 855 Rn. 5; Westermann-Gursky § 10 II 2; Lange § 10 II 2 Fn. 15; Müller Rn. 222; Leonhard 76. Nach Enders 29 ff. ist „Besitzdiener“ ein „Typusbegriff“, weil die Entscheidung nicht durch bloße Deduktion aus dem Begriff abzuleiten sei, sondern durch Wertung zu ermitteln sei, auch im Hinblick auf das Ergebnis. In dieser Weise ist jedoch immer zu verfahren, alles andere wäre Begriffsjurisprudenz. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 4; RGRK-Kregel § 855 Rn. 5; Planck-Brodmann § 855 N. 2; Staudinger-Bund § 855 Rn. 6 ff.; Palandt-Bassenge § 855 Rn. 2; Soergel-Stadler § 855 Rn. 3; Baur-Stürner § 7 Rn. 64 ff.; Lange § 10 II 2; J. vGierke § 5 IV 1; Schwab-Prütting Rn. 67; Westermann-Gursky § 10 II 1; RG 71, 251; 94, 342; BGH 27, 363. Heck § 7, 3 spricht sogar von „totaler Abhängigkeit“, was sicherlich nicht wörtlich genommen werden kann. Wolff-Raiser § 6 III verlangen ein „sozialrechtliches“ Unterordnungsverhältnis. J. vGierke § 5 IV 2; Palandt-Bassenge § 855 Rn. 2; RGRK-Kregel § 855 Rn. 5; BGH 27, 363.

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1. Besitzdiener

§ 4 IV 1 a cc

mitarbeitet, der Geschäftsführer einer Kaufhausfiliale, der Kommandant eines Kriegsschiffes23 sind Besitzdiener, aber nicht „sozial abhängig“. Eine „Befehlsordnung der Gesellschaft“24 gibt es nicht; wenn es sie zur Zeit der Entstehung des BGB gegeben hat, so ist sie heute jedenfalls nicht mehr vorhanden25. Nicht eine äußerliche Abhängigkeit macht den Inhaber der Gewalt zum Besitzdiener, sondern dessen nach der Verkehrsauffassung zu erwartender Wille, sich bezüglich der Sache einem anderen unterzuordnen26. Endet dieser Wille, indem der Besitzdiener die Sache unterschlägt, so kann keine „soziale Abhängigkeit“ dem Besitzherrn den Besitz erhalten; er kann nicht mehr auf die Sache zugreifen. Nicht anders liegt es beim Besitzerwerb: Wenn der Besitzdiener eine Sache, die er für den Besitzherrn erwerben soll, erkennbar für sich selbst erwirbt, so verschafft keine irgendwie geartete Abhängigkeit dem Besitzherrn den Besitz27. Das zeigt, worauf es wesentlich ankommt: Nicht auf eine rechtliche, soziale oder sonstige Abhängigkeit, nicht auf eine „Folgepflicht“ des Besitzdieners, sondern darauf, daß er den Weisungen des Besitzherrn tatsächlich nachkommt28. Kommt er den Weisungen nicht nach, so hat der Besitzherr keinerlei Möglichkeit, ihn aufgrund der „sozialen Abhängigkeit“ zur Folgsamkeit zu zwingen. Er hat nur die rechtlichen Möglichkeiten aus dem Vertragsverhältnis, falls ein solches besteht. Die „soziale Abhängigkeit“ ist ein leeres Wort. Freilich ist der Besitzdiener rechtlich verpflichtet, den Weisungen des Besitzherrn nachzukommen. Das ist aber eine Folge, nicht Voraussetzung des Besitzdienerverhältnisses29: Folgt der Besitzdiener den Weisungen des Besitzers nicht, so stört er dessen Besitz und begeht eine verbotene Eigenmacht gemäß § 858. Mit einer „Folgepflicht aus sozialer Abhängigkeit“ hat das nichts zu tun. § 4 IV cc) Das Besitzdienerverhältnis muß nicht als solches nach außen erkennbar sein30. cc Die Frage, ob der Inhaber der Sachgewalt Besitzer oder Besitzdiener ist, ist nur im In23 24 25

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Allgemein anerkannte Fälle von Besitzdienerschaft. Zum Soldaten als Besitzdiener vgl. OLG München NJW 1987, 1830. So Leonhard, Vertretung 64. So schon Last, JherJahrb 63, 106; Keith 46 f.; kritisch gegenüber der h.M. auch MünchenerK-Joost § 855 Rn. 4 ff. und jetzt auch Hartung 211 ff., der das entscheidende Merkmal der Besitzdienerschaft in der „Fremdnützigkeit“ sieht. Sie kann indessen keinen Besitz vermitteln, wenn der Besitzdiener im Interesse des Besitzherrn sich nicht dessen Weisungen unterwirft. Daß dies richtig ist, zeigt auch die Meinung, welche auf den „Momentanbesitzer“ den § 855 direkt oder entsprechend anwenden will, vgl. unten cc; beim „Momentanbesitzer“ fehlt jede Abhängigkeit, sein Wille ist es, der ihn zum Besitzgehilfen macht. So auch Keith 51; vgl. auch Kiefner, Der bösgläubige Besitzdiener, JA 1984, 185 ff. So zutreffend Reiß 17; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 5 ff.; Biermann § 855 N. 2 a; Wendt, FS Gießen 96 f.; E. Wolf § 2 C II c; OLG Nürnberg r+s 1989, 354. § 855 ist also insoweit ungenau in der Formulierung, was aber nicht von Bedeutung ist, da er keine Normierung enthält, sondern nur eine Klarstellung, die sich aus dem Begriff des Besitzes ohnehin ergibt, vgl. oben bei Fn. 9, 10. Eine rechtliche Befehlsgewalt fordert irrig Bamberger-Roth-Fritzsche § 855 Rn. 9, meint hier aber auch zu Recht, daß eine „soziale Abhängigkeit“ alleine noch keinen Besitzdiener mache. Vgl. auch Keith 51. So Biermann § 855 N. 4 a; Keith 73; Planck-Brodmann § 855 N. 2; Wolff-Raiser § 6 III; Westermann-Gursky § 10 II 5; Baur-Stürner § 7 Rn. 67; a.A. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 5; RGRK-Kregel § 855 Rn. 5; Schwab-Prütting Rn. 66; Gärtner 139; BGH LM § 1006 Nr. 2.

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§ 4 IV 1 a cc

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

nenverhältnis zum Besitzherrn von Bedeutung: Ihm gegenüber hat der Besitzdiener keinen Besitzschutz. Nach außen ist er gemäß § 860 zur Verteidigung der Sache berechtigt. Für einen Dritten, der den Besitz stört, muß es gleichgültig sein, wessen Besitz er stört, solange nur erkennbar ist, daß er in fremden Besitz eingreift. Da es beim Besitzdienerverhältnis auf eine Abhängigkeit und Folgepflicht des Besitzdieners nicht ankommt, spielt die oft erörterte Frage, ob zwischen Besitzdiener und Besitzherrn ein wirksames Rechtsverhältnis bestehen muß31, keinerlei Rolle. Auch ein reines Gefälligkeitsverhältnis kann Grund dafür sein, daß jemand als Besitzdiener für einen anderen besitzen will32. Daher sind Besitzdiener auch die sog. „Momentanbesitzer“, wie etwa der Platznachbar, der sich ein Kursbuch oder das Opernglas vorübergehend ausborgt33; auf die Dauer des Besitzdienerverhältnisses kommt es nicht an. Es besteht auch keine Veranlassung, in solchen Fällen § 855 nur analog anzuwenden34, weil hier keine Abhängigkeit bestehe oder weil der Betreffende – anders als der Besitzdiener – ein eigenes Interesse an der Sache habe. Mangelnde Abhängigkeit und eigenes Interesse des Besitzdieners stehen der Anwendung des § 855 nicht entgegen35, solange er nur den Weisungen des Besitzherrn nachkommt. Irrig ist es jedoch auf jeden Fall, wenn § 855 auf den „Momentanbesitzer“ überhaupt nicht angewandt werden soll36. Der „Momentanbesitzer“ hätte dann kein Recht zur Sachverteidigung gemäß §§ 860, 859, § 4 IV was sicherlich nicht interessengerecht wäre. cc Der Besitzdiener kann die tatsächliche Gewalt allein für den Besitzherrn ausüben, wie es etwa der Geschäftsreisende mit dem Musterkoffer tut, oder aber zusammen mit dem Besitzherrn, wie etwa die Arbeiter und Angestellten, die zusammen mit dem Besitzherrn in dessen Betrieb arbeiten37. Es ist möglich, daß der Besitzdiener Vertretungsmacht hat, so daß er über die Sachen verfügen kann, wie etwa der Filialleiter eines Kaufhauses. Die Rechtsverhältnisse an der Sache sind für die Frage der Besitzdienerschaft ohne Bedeutung, die Sachen können z.B. dem Besitzdiener selbst gehören38. Das gilt etwa für Sachen, die dem Kind gehören und welche die Eltern ihm überlassen: Das Kind ist mittelbarer Eigenbesitzer und Besitzdiener, die Eltern sind unmittelbare Fremdbesitzer, ihre Sachgewalt üben sie durch das Kind aus. Es ist auch möglich, daß mehrere Besitzdiener hintereinander die Sachgewalt für den Besitzherrn ausüben39, wenn z.B. der Verkäufer in einem Kaufhaus den Weisungen des Abteilungsleiters folgt, dieser den 31 32 33

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Die h.M. verneint das; a.A. Gärtner 141; Leonhard 77 ff.; Sandtner 77. Zutreffend Planck-Brodmann § 855 N. 2; a.A. Kreß 166. Zutreffend RG, Nachschlagewerk § 855 Nr. 1; Endemann II § 33, 3 b; Planck-Brodmann § 855 N. 2; Leonhard 65; E. Wolf § 2 C II d; Cosack-Mitteis II § 11, 2; Kaemmerer 185. Die Bezeichnung „Momentanbesitzer“ ist allerdings irreführend, da es auf die Besitzdauer nicht ankommt, vgl. oben I 1 a a.E. „Momentanbesitzer“ in diesem Sinne ist auch der private Gast, der mehrere Wochen zu Besuch weilt. So aber Gärtner 144; Last, JherJahrb 63, 113 ff.; V. Bruns 85 f.; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 12; Heck § 7, 8; Schwab-Prütting Rn. 70. Vgl. Westermann-Gursky § 10 II 1; Cosack-Mitteis II § 11, 3 c; a.A. Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 22, der im Fehlen des eigenen Interesses an der Sache das Kennzeichen des § 855 sieht. Indessen bedeutet das „für einen anderen“ nur den Unterordnungswillen. So Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 6. Vgl. Wolff-Raiser § 6 III 1; Westermann-Gursky § 10 II 2. Vgl. Wolff-Raiser § 6 III 4; Westermann-Gursky § 10 II 4. Vgl. Heck § 7, 7.

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1. Besitzdiener

§ 4 IV 1 b

Weisungen des Geschäftsführers, dieser den Weisungen des Direktors, dieser den Weisungen des Vorstandes. Da die Frage, ob jemand Besitzer oder Besitzdiener ist, sich nicht nach den Rechten der Beteiligten entscheidet, sondern nach deren tatsächlichem Verhalten, so kann nicht generell entschieden werden, ob bei bestimmten Rechtsverhältnissen das eine oder andere vorliege. Es gibt freilich Rechtsverhältnisse, die so beschaffen sind, daß die Verkehrsanschauung generell zu einer bestimmten Entscheidung kommt, so daß eine Abweichung schwer vorstellbar, wenn auch immerhin denkbar ist. Wer sich in der Situation eines Arbeitnehmers befindet, von dem nimmt die Verkehrsanschauung an, daß er sich unterordnen wolle, wobei es keine Rolle spielt, ob der Dienst- oder Arbeitsvertrag wirksam ist. Wer eine Sache dagegen gemietet hat, von dem nimmt die Verkehrsanschauung nicht an, daß er Weisungen des Vermieters bezüglich der Sache nachkommen wird; er benutzt sie nach eigenem Gutdünken im Rahmen seines Mietrechts. Dazwischen gibt es Fälle, in welchen der Schluß aus der Art des Rechtsverhältnisses auf den Willen der Parteien unsicher ist, wie z.B. bei der unentgeltlichen Verwahrung und beim Auftrag. Derjenige, der die Gewalt ausübt, hat hier kein eigenes Interesse an den Sachen, er hat den Weisungen des anderen zu folgen, § 665, und ist jederzeit zur Herausgabe verpflichtet, §§ 667, 695. Man kann daher zweifeln, ob der Mandatar oder Verwahrer Besitzdiener ist oder Besitzer. Die h.M. betrachtet sie als Besitzer, weil ein Recht zum Besitz gegeben sei40. Kreß41 will Besitz nur annehmen, wenn Mandatar oder Verwahrer ein Zurückbehaltungsrecht haben; ansonsten seien sie Besitzdiener. Das übersieht, daß es für die Frage der Besitzdienerschaft nicht auf die Rechtslage ankommt, sondern auf das tatsächliche Verhalten. Ordnet sich der Verwahrer bezüglich der Sache völlig dem Hinterleger unter, so ist er Besitzdiener, selbst wenn er ein Zurückbehaltungsrecht hat. Die Rechtslage kann allerdings ein Indiz sein für den Willen der Beteiligten. Der Besitzdiener ist, obwohl er selbst die Sachgewalt ausübt (allerdings für einen anderen) nicht Besitzer; Besitzer ist nur der Besitzherr, § 855. Diese gesetzliche Regelung gilt allerdings nur für die Frage des Besitzschutzes, nicht weiter. Gegen den Besitzdiener kann somit keine verbotene Eigenmacht (§ 858) begangen werden, nur gegen den Besitzherrn. Die Besitzschutzmittel stehen nur dem Besitzherrn zu, das Gewaltrecht darf allerdings der Besitzdiener für den Besitzherrn ausüben (§ 860), soweit der Besitzherr damit einverstanden ist42. Der Besitzdiener ist verpflichtet, den Weisungen des Besitzers bezüglich der Sache nachzukommen. Tut er das nicht, oder beeinträchtigt er auf sonstige Weise die Sachherrschaft des Besitzherrn durch Besitzhandlungen, so begeht er verbotene Eigenmacht. § 4 IV b) Der Besitzdiener kann den Besitz dem Besitzherrn nicht nur vermitteln, sondern auch für ihn erwerben43, obwohl das im Gesetz nicht ausdrücklich bestimmt ist. Der Besitzdiener muß dazu die tatsächliche Sachherrschaft i.S.v. § 854 erwerben; daß er ge40 41 42

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RG 71, 252. S. 167. Vgl. dazu unten § 5 III 1 b, 2 a. Zur Frage, ob es nicht angebracht wäre, dem Besitzdiener durch Gesetzesänderung Dritten gegenüber die Besitzklagen zuzugestehen, vgl. V. Bruns 47 f. Unstreitig, vgl. z.B. Soergel-Stadler § 855 Rn. 2; Planck-Brodmann § 855 N. 4; PalandtBassenge § 855 Rn. 5; Klinck, AcP 205 (2005), 487 ff.

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§ 4 IV 1 b

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

schäftsfähig ist, ist nicht erforderlich, wenn er nur den natürlichen Besitzwillen haben kann. Der Besitzherr muß den Besitzwillen haben; auch hier genügt ein genereller Besitzwille, z.B. alle Sachen zu besitzen, die ein angestellter Einkäufer im Rahmen seines Auftrags erwirbt. Der Besitzerwerb tritt in diesem Fall ein in dem Augenblick, in welchem der Besitzdiener die Sachgewalt erwirbt; daß der Besitzherr davon Kenntnis erlangt, ist nicht erforderlich. Ist ein Besitzwille des Besitzherrn beim Besitzerwerb durch den Besitzdiener nicht vorhanden – wenn etwa der Einkäufer eine Sache günstig für den Privathaushalt seines Arbeitgebers kauft –, so wird der Geschäftsherr nicht Besitzer. Er kann aber den für ihn vorgenommenen Besitzerwerb nachträglich billigen und so den Besitz erlangen44. Hinzukommen muß der Wille des Besitzdieners, für den Besitzherrn zu erwerben45. Dieser Wille muß nicht ausdrücklich erklärt werden oder nach außen für jedermann erkennbar sein,46 ebensowenig wie das Besitzdienerverhältnis überhaupt; erkennbar sein muß nur der Besitzerwerb an sich, auch wenn nicht erkennbar ist, wer erwirbt. Andererseits entscheidet nicht der innere, nicht erkennbare Wille, sondern derjenige Wille, welcher gemäß der Verkehrsanschauung anzunehmen ist47. Hat z.B. ein Angestellter den Auftrag erhalten, eine Sache für den Betrieb zu erwerben, so erwirbt er als Besitzdiener den Besitz für den Geschäftsherrn. Es spielt keine Rolle, ob der Übergebende oder sonst jemand erkennen kann, daß er nicht für sich erwirbt; ebensowenig, ob der Besitzdiener den Willen hat, für den Besitzherrn zu erwerben; dieser Wille ist nach der Verkehrsanschauung anzunehmen48. Will der Angestellte den Besitz für sich erwerben, so muß er nach außen erkenntlich machen, daß er trotz Angestelltenverhältnis und gegen den Auftrag für sich erwerben will; er muß also die gemäß der Verkehrsauffassung bestehende Erwartung, daß er seiner Pflicht nachkommen wolle, ausräumen49, etwa indem er diesen Willen beim Erwerb erklärt oder sonstwie § 4 IV betätigt, indem er etwa die Sache in seine Wohnung bringt. Aus dem gleichen Grund wird ein Angestellter Besitzdiener, wenn ihm ein Dritter eine Sache übergibt mit dem Auftrag, sie dem Geschäftsherrn zu überbringen. Der Wille des Angestellten, die Sache für sich zu erwerben, ändert daran nichts, es sei denn, daß dieser Wille einen erkennbaren Ausdruck gefunden hat50. Ist jemand Besitzdiener für mehrere Geschäftsherren (z.B. Kaufmann A und B haben ein Gebäude gemietet, dem Hausmeister haben sie jeweils den Auftrag gegeben, Waren für sie entgegenzunehmen), so entscheidet sich die Frage, für wen der Besitz erworben ist, ebenfalls nach der Verkehrsanschauung. Gibt jemand Ware für A ab und nimmt der gemeinsame Be44

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Vgl. Planck-Brodmann § 855 N. 4; eine Rückwirkung wird man dann zulassen müssen, wenn dies im schutzwürdigen Interesse des Besitzherrn liegt, z.B. wenn es um die Ersitzung des Eigentums geht, vgl. Kreß 231; auch unten § 6 II 5. Vgl. Kreß 165 f.; Meischeider, Besitz 271; Keith 54; Last, JherJahrb 63, 117 ff.; Wendt, FS Gießen 95 ff.; Pininski II 215; a.A. Biermann § 855 N. 4 a; Soergel-Stadler § 855 Rn. 4 und alle diejenigen, welche dem Willen des Besitzdieners keine Bedeutung zuerkennen wollen, vgl. oben Fn. 19. Vgl. Randa 425. Vgl. V. Bruns 95. Vgl. Last, JherJahrb 63, 122; Kniep 242; Dernburg, BürgR III § 20 II 3; Kaemmerer 145 ff.; Randa 425 ff.; Wendt, FS Gießen 97; BGH 8, 130; Palandt-Bassenge § 855 Rn. 5; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 2; Hoche, JuS 1961, 74. Keith 73; Meischeider, Besitz 272. Vgl. Windscheid-Kipp I § 155 N. 7; V. Bruns 30 ff.

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1. Besitzdiener

§ 4 IV 1 c

sitzdiener sie an, so ist A Besitzer. Der nicht erklärte oder betätigte Wille, für B zu besitzen, ändert nichts51. Gibt er die Sache dem B, so verletzt er den Besitz des A. Ist dagegen nicht erkennbar, für wen die Waren bestimmt sind, so erwirbt derjenige Besitz, für den ihn der Besitzdiener erwerben will52, falls er selbst den Besitzwillen hat; daran kann es fehlen, wenn er nicht weiß, für wen die Ware bestimmt ist. Besitzerwerb durch den Besitzdiener ist es auch, wenn der Besitzherr Besitz an einer Sache erwirbt, die der Besitzdiener selbst besessen hat: Der Fahrer verkauft seinem Chef PKW-Reifen, die ihm – dem Fahrer – selbst gehören und montiert sie an den Wagen des Chefs. Es wäre eine überflüssige Formalität, wenn der Fahrer den Besitz durch traditio an den Chef übertragen würde und dieser die Reifen dann dem Fahrer als Besitzdiener zurückgeben würde. Hier genügt eine Willenseinigung der Beteiligten; es § 4 IV handelt sich um ein constitutum possessorium53. c) Der durch einen Besitzdiener gehaltene Besitz endet, wenn der Besitzdiener die Sachherrschaft verliert: Er verliert z.B. die Sache, sie wird ihm gestohlen, oder er unterschlägt und veräußert sie. Umstritten ist der Fall, daß der Besitzdiener die Sache unterschlägt und für sich behält. Allgemein anerkannt ist, daß der Besitzherr den Besitz nicht durch den inneren Willensentschluß des Besitzdieners verliert, die Sache für sich zu behalten. Ein solch innerer Wille ändert an den Besitzverhältnissen nichts. Streitig ist, ob der Besitz des Besitzherrn endet, wenn der Besitzdiener seinen Willen erklärt, nunmehr für sich zu besitzen54. Die Frage ist in § 856 entschieden: Der Besitz endet nur dann, wenn die Sachherrschaft verloren geht. Durch eine bloße Erklärung kann danach dem Besitzherrn der Besitz nicht entzogen werden, es sei denn, daß ihm durch diese Erklärung die Sachgewalt entzogen würde. Übt der Besitzdiener die Sachgewalt zusammen mit dem Besitzherrn aus, wie etwa ein Geselle, der zusammen mit dem Meister in der Werkstatt arbeitet, so genügt eine einfache Erklärung nicht, um dem Meister den Besitz zu entziehen55. Das könnte nur durch eine Handlung geschehen, welche dem Meister die Sachgewalt entzieht, etwa durch Entfernen aus der Werkstatt. Das gleiche gilt, wenn der Besitzdiener in einem größeren Betrieb arbeitet, in welchem eine Hierarchie von Besitzdienern die Gewalt für den Geschäftsherrn ausübt. Die Sachgewalt der anderen Besitzdiener muß gebrochen werden, bevor der Besitz des Besitzherrn endet. Anders steht es dagegen, wenn der Besitzdiener die Sachgewalt allein ausübt: Teilt etwa der Geschäftsreisende seinem Prinzipal telefonisch mit, er sei es leid, für ihn tätig zu sein, den Musterkoffer behalte er, weil er untertariflich bezahlt worden sei, so endet 51 52

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Vgl. Ulpian D 39, 5, 13; Windscheid-Kipp a.a.O.; Kniep 216. Vgl. Gaius D 41, 1, 43, 2: Cum servus, in quo alterius usus fructus est, hominem emit et ei traditus sit, antequam pretium solvat, in pendenti est, cui proprietatem adquisierit: et cum ex peculio, quod ad fructuarium pertinet, solverit, intellegitur fructuarii homo fuisse: cum vero ex eo peculio, quod proprietarium sequitur, solverit, proprietarii ex post facto fuisse videtur (Wenn ein Sklave, an dem ein Dritter einen Nießbrauch hat, einen Sklaven erworben hat, so ist in der Schwebe, wem er das Eigentum erworben hat. Bezahlt er den Kaufpreis mit Geld des Nießbrauchers, so hat er ihn für diesen erworben; zahlt er mit Geld des Eigentümers, so steht im nachhinein fest, daß er ihn für diesen erworben hat). Vgl. oben § 3 II 1 b; Savigny, Besitz 319; Randa 415. Bejahend Randa 466 Fn. 10; Windscheid-Kipp I § 157; Baron § 119, 3; Meischeider, Besitz 353 f.; anders und zutreffend Savigny 365; Pininski II 70 ff.; Planck-Brodmann § 856 N. 4; Staudinger-Bund § 855 Rn. 27 und die h.M. Vgl. Last, JherJahrb 63, 125.

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§ 4 IV 2 a

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

damit der Besitz des Besitzherrn. In der Erklärung des Willens liegt zugleich die Entziehung der tatsächlichen Gewalt56, die der Besitzherr nach der Verkehrsauffassung nun nicht mehr ausüben kann. Immer endet der Besitz des Besitzherrn, wenn der Besitzdiener seinen Willen, die Sache für sich zu behalten, betätigt und in die Tat umsetzt57. Diese Selbstverständlichkeit anzuerkennen bereitet naturgemäß denjenigen Autoren Schwierigkeit, die dem Willen des Besitzdieners keine Bedeutung zumessen58. Hier werden einige Umwege benötigt, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen: So wird etwa gesagt, der Besitz des Besitzherrn ende erst, wenn die Sache aus seiner Einflußsphäre oder derjenigen der Organisation weggeschafft werde59; oder wenn der Besitzdiener sich von der „Befehlsgewalt“ des Besitzherrn freimache60. Das verschleiert nur, daß es der betätigte Wille des Besitzdieners ist, der den Besitz des Geschäftsherrn beendet. Der Besitz des Besitzherrn kann auch dadurch enden, daß er durch brevi manu traditio dem Besitzdiener eine Sache, die dieser bereits hatte, zu Besitz überträgt; das geschieht gemäß § 854 II durch Willenseinigung, die aber kein Rechtsgeschäft ist. Sie muß nach außen nicht erkennbar sein61. Hat der Besitzdiener die Sache dem Besitzherrn gegen dessen Willen entzogen, sei es, daß er sie auf einen anderen übertrug oder selbst behielt, so liegt darin eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858. Ob auch ein Abhandenkommen i.S.v. § 935 anzunehmen ist, ist eine Frage, die hier im Zusammenhang mit dem Besitzschutz ohne Bedeutung ist62.

2. Stellvertreter im Besitz a) Stellvertretung bedeutet, daß eine Person den Willen hat, eine Rechtshandlung vorzunehmen, eine andere aber diesen Willen für jene vollzieht, also die Handlung, in welcher jener Wille sich verwirklicht, ausführt63. Das BGB hat die Möglichkeit der Stellvertretung auf die Abgabe von Willenserklärungen eingeengt, §§ 164 ff. Ursprünglich war der Begriff der Stellvertretung weiter, er bedeutete die Vornahme beliebiger Rechtshandlungen für einen anderen. Ausgangspunkt der Stellvertretung war auch nicht die Abgabe von Willenserklärungen, auf diesem Gebiet kannte das römische Recht keine Stellvertretung. Ausgangspunkt der Stellvertretung war der Besitzerwerb für einen anderen. Das gemeine Recht ließ zwar eine Stellvertretung in der Abgabe von Willenserklärungen zu, behandelte den Besitzerwerb aber immer als einen besonders wichtigen Fall der Stellvertretung64. Noch der erste Entwurf des BGB wollte in § 801 die Regeln über die Stellvertretung bei der Abgabe von Willenserklärungen auf den Be56 57 58 59 60 61 62 63 64

Vgl. Last, JherJahrb 63, 125; Pininski II 72 ff. Vgl. etwa Wendt, FS Gießen 97; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 855 N. 2; RGRK-Kregel § 855 Rn. 3; Palandt-Bassenge § 855 Rn. 6; Soergel-Stadler § 855 Rn. 4. Vgl. oben a bb. So Staudinger-Bund § 855 Rn. 27; Westermann-Gursky § 10 II 2. So Erman-Lorenz § 855 Rn. 11; Baur-Stürner § 7 Rn. 74. Vgl. oben I 4 bei Fn. 104. Vgl. dazu unten § 10 V 3 c. Vgl. Puchta, Institutionen II § 203. Vgl. etwa Puchta, Pandekten § 52; Dernburg, Pandekten I § 118 f. Zur Entwicklung der Stellvertretung im Besitz vgl. Klinck, AcP 205 (2005), 502 ff.

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§ 4 IV

2. Stellvertreter im Besitz

§ 4 IV 2 b

sitzerwerb entsprechend anwenden. Der zweite Entwurf hat diese Vorschrift zwar gestrichen, die Möglichkeit einer Stellvertretung beim Besitzerwerb damit aber nicht grundsätzlich verneint. Einmal ließ der Gesetzgeber die Möglichkeit offen, die Regeln über Rechtsgeschäfte auch – soweit passend – auf Rechtshandlungen wie den Besitzerwerb anzuwenden, vgl. oben I 1 b cc; dem hat auch die zweite Kommission nicht widersprochen. Zum anderen verwies die zweite Kommission auf § 855 als eine Möglichkeit der Stellvertretung beim Besitzerwerb65. Nach der h.M., welcher diese Entwicklung nicht bekannt ist, ist eine Vertretung beim Besitzerwerb nicht möglich66; die §§ 164 ff. sollen nicht anwendbar sein. Das berücksichtigt indessen zu wenig, daß der Besitzerwerb, wenn auch kein Rechtsgeschäft, so doch eine Rechtshandlung ist und daß ein Bedürfnis besteht für eine Anwendung der Stellvertretung. Es ist also zu prüfen, wieweit die Anwendung der §§ 164 ff. im Besitzrecht jeweils passend und angebracht ist. Wenn die h.M. die Rechtshandlungen einteilt in rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, wozu auch der Besitzerwerb gezählt wird, so mag das dahinstehen. Irrig ist es jedoch, die verschiedenen Fälle der Realakte einheitlich dahin zu beurteilen, die Regeln über Rechtsgeschäfte könnten auf sie nicht angewandt werden67. Das mag für Realakte gelten, in welchen der Wille des Handelnden ohne jede Bedeutung ist, wie z.B. bei der Verarbeitung, Vermischung u.s.w. Anders liegt es beim Besitzerwerb, da hier der – natürliche – Wille des Erwerbers von entscheidender Bedeutung ist68. Eine Anwendung der §§ 164 ff. ist hier grundsätzlich möglich, wobei im Einzelfall zu prüfen ist, ob die fragliche Vorschrift auf den Besitzerwerb entsprechend angewandt werden kann69. § 4 IV b) Wie oben IV 1 b gezeigt wurde, ist Besitzerwerb durch Besitzdiener möglich; Besitzdiener ist jeder, der die Sachgewalt für einen anderen ausüben will und sich dessen Befehlsgewalt über die Sache unterstellt. Der Besitzdiener ist somit Stellvertreter beim Besitzerwerb bezüglich des Besitzcorpus70. Auch die h.M., welche die Anwendbarkeit der §§ 164 ff. auf den Besitzerwerb ausschließt, stellt eine Ähnlichkeit zwischen Besitzdiener und Vertreter fest71. Allerdings faßt die h.M. den Begriff des Besitzdieners enger als das hier geschieht, indem sie eine „soziale Abhängigkeit“ fordert. Es ist konsequent, von diesem Standpunkt der h.M. aus Besitzerwerb nicht nur durch Besitzdiener zuzulassen, sondern auch durch andere Personen, die nicht vom Besitzherrn „sozial abhängig“ sind, wenn sie nur nach der Verkehrsanschauung für den Besitzherrn

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Protokolle der 2. Kommission 3344 (Mugdan 3, 505); vgl. auch Keith 11 f. Vgl. Leonhard 57; Planck-Brodmann § 854 N. 5; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 854 N. 46; Soergel-Stadler § 854 Rn. 12; RGRK-Kregel § 854 Rn. 17; MünchenerK-Joost § 854 Rn. 38; Westermann-Gursky § 14, 2; Baur-Stürner § 8 Rn. 5 f. Ausgenommen wird der Fall des Besitzerwerbs nach § 854 II, weil hier die h.M. – irrig – einen Besitzerwerb durch Rechtsgeschäft annimmt, vgl. dazu oben II 2 b. Für die Anwendbarkeit der Regeln über die Stellvertretung jetzt Ernst 152 ff. So aber die h.M., vgl. z.B. RG 137, 26; RGRK-Krüger-Nieland 14 vor § 104; WestermannGursky § 14, 2. Vgl. z.B. Staudinger-Knothe Rn. 68 vor § 104; Flume II § 9, 2 a bb; V. Bruns 81 ff. Vgl. dazu ausführlich Keith 70 ff.; auch Kreß 225 ff. und jetzt Klinck, AcP 205 (2005), 487, 512 ff. Vgl. Draganesco 78 ff., 128. Vgl. z.B. RG 137, 26; Soergel-Stadler § 854 Rn. 12; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 70.

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§ 4 IV 2 c

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

besitzen, wie z.B. der Gast, der in der Wohnung für den Gastgeber in dessen Abwesenheit Sachen entgegennimmt72. Anzuwenden auf den Besitzerwerb durch Stellvertreter (= Besitzdiener) ist von den §§ 164 ff. z.B. § 166. Weiß der Besitzdiener etwas von der Fehlerhaftigkeit und Unrechtmäßigkeit des erworbenen Besitzes, so wird dies dem Besitzherrn zugerechnet. § 166 hat den Sinn, Härten zu vermeiden, die dadurch entstehen können, daß bei der Verwendung von Stellvertretern der Vertretene selbst in den seltensten Fällen bösgläubig ist. Es ist angebracht, demjenigen, der sich eines Vertreters bedient, dessen Bösgläubigkeit zuzurechnen73. Diese Überlegungen treffen auch beim Besitzerwerb zu74. Nicht anzuwenden ist z.B. auf den Besitzerwerb durch Besitzdiener das Offenlegungsprinzip des § 164 I, II. Es ist beim Besitzerwerb nicht erforderlich, daß der Besitzdiener seinen Willen zum Ausdruck bringt, für einen anderen den Besitz erwerben zu wollen75. Das Offenlegungsprinzip dient dem Schutz des Erklärungsgegners. Beim Besitzerwerb durch traditio ist ein solcher Schutz nicht erforderlich, dem Tradenten kann es gleich sein, wer Besitzer wird, er muß nicht die Umstände kennen, aus welchen auf einen Eigen- oder Fremderwerb geschlossen werden kann76. Unanwendbar ist auch § 165. Da der Besitzerwerb kein Rechtsgeschäft ist, ist auch für den Erwerber eine Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich; erforderlich aber ist die natürliche Willensfähigkeit77. § 4 IV c) Von der Frage der Stellvertretung beim Erwerb des Besitzcorpus ist die Frage zu trennen, ob es auch im Besitzwillen eine Stellvertretung gibt. Muß also der Besitzer, der durch einen anderen die tatsächliche Gewalt erwirbt78, selbst den Besitzwillen haben, oder kann er sich auch hierin vertreten lassen79? Das römische Recht ließ eine Vertretung im Willen grundsätzlich nicht zu, ausgenommen beim Besitzerwerb durch Tutoren und Organe80. Dagegen hielt die zweite Kommission eine Vertretung auch im Besitzwillen in entsprechender Anwendung des § 164 für so selbstverständlich mög72

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Vgl. Wolff-Raiser § 13 I 2; ebenso V. Bruns 85, 143; vgl. auch oben 1 a cc (Momentanbesitz). Der Besitzerwerb findet hier nicht schon deshalb statt, weil die Sache in die Wohnung des Besitzerwerbers gelangt. Denn wenn die Wohnung von einem Dritten besetzt ist, so findet kein Besitzerwerb des Wohnungsinhabers an Sachen statt, welche in die Wohnung gebracht werden; es sei denn, daß der Dritte eben für den Wohnungsinhaber erwerben will, mag er auch kein Besitzdiener im Sinne der h.M. sein. Vgl. Gebhard, Teilentwurf Allgemeiner Teil, Begründung II 162 f.; auch Motive 1, 226 f. Für die Anwendung des § 166 Keith 80 ff.; Wolff-Raiser § 13 II Fn. 5. In der Diskussion, ob auf den Besitzerwerb durch Besitzdiener § 166 oder § 831 anzuwenden sei, werden regelmäßig zwei Dinge vermengt: Die Frage der Zurechnung des Wissens des Besitzdieners und die Frage des Schadensersatzes für Handlungen des Besitzdieners. Vgl. dazu unten § 5 II 2 c, § 12 II 3 c und III 2 b. Vgl. Keith 73; V. Bruns 87; vgl. auch oben 1 b. Das betrifft natürlich nicht die Frage des Eigentumserwerbs. Paulus D 41, 2, 1, 9, vgl. oben Fn. 18. In Betracht kommt der Besitzdiener oder beim Erwerb des mittelbaren Besitzes der Besitzmittler. Wenn in der Literatur häufig betont wird, der Besitzdiener könne auch Vertretungsmacht haben (vgl. nur Palandt-Bassenge § 855 Rn. 2), so ist damit nicht eine Vertretung im Besitzwillen angesprochen, sondern eine Vertretung beim Rechtserwerb, z.B. nach § 929. Vgl. Puchta, Institutionen II § 203; V. Bruns 19; Kaser I § 62.

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2. Stellvertreter im Besitz

§ 4 IV 2 d, e

lich, daß das im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt werden müsse81. Der Frage kommt allerdings in den meisten Fällen keine praktische Bedeutung zu: Hat der Besitzherr einen anderen zum Besitzerwerb für ihn beauftragt, so hat er jedenfalls selbst den Besitzwillen, mag eine Vertretung insoweit möglich sein oder nicht. Grundsätzlich muß also sowohl der Besitzer als auch der Vertreter den Besitzwillen haben. Anders liegt es in den Fällen, in denen der Besitzerwerber nicht fähig ist, einen eigenen Besitzwillen zu haben: bei kleinen Kindern, Geisteskranken, juristischen Personen. Wenn bei diesen Personen ein Besitz möglich sein soll, so muß es eine Vertretung im Besitzwillen geben, sei es, daß man diesen Personen unmittelbaren oder mittelbaren Besitz zuerkennt. Das gilt jedenfalls dann, wenn man nicht den Grundsatz aufgeben will, daß Besitz einen Besitzwillen erfordert; und dazu besteht kein Grund. Schon das römische Recht erkannte in den genannten Fällen ausnahmsweise eine Vertretung im Besitzwillen an, obwohl sonst eine Willensvertretung nicht möglich war: Infans possidere recte potest, si tutore auctore coepit, nam iudicium infantis suppletur auctoritate tutoris; utilitatis causa enim hoc receptum est, nam alioquin nullus sensus est infantis accipiendi possessionem82. Das gemeine Recht hat daran festgehalten83. Es gibt keinen Anlaß, von dieser Tradition abzugehen, zumal die zweite Kommission generell die Vertretung im Besitzwillen bejahte. Eine solche Vertretung ist daher in allen Fällen zuzu- § 4 IV lassen84; das gilt auch für den Besitzerwerb nach § 854 II. ,e d) Stellvertreter im Besitzcorpus ist neben dem Besitzdiener auch der Besitzmittler, vgl. unten § 6 III 1 b. e) Die umstrittene Frage, ob beim Besitzerwerb ein Vertrag zugunsten Dritter möglich ist, ist mit der h.M. zu verneinen. Ist sich der Tradent mit dem Besitzempfänger einig, daß der Empfänger für einen anderen Besitz erwerben soll, so erwirbt dieser andere dennoch keinen Besitz. Ein Besitzerwerb wäre nur möglich, wenn der andere den Empfänger vorher zum Besitzerwerb ermächtigt hätte. Es läge dann Besitzerwerb durch einen Besitzvertreter vor. Ist eine solche Weisung nicht erteilt, so bewirkt der Vertrag zugunsten des Dritten nichts. Allerdings kann der andere den Erwerb nachträglich genehmigen, so daß er damit Besitzer wird85. Zu beachten ist, daß die genannte „Ermächtigung“, „Genehmigung“ u.s.w. keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen sind, da auch der Besitzerwerb einen rein faktischen Vorgang darstellt.

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Protokolle der 2. Kommission 3344 (Mugdan 3, 505). Paulus D 41, 2, 32, 2: Ein Kind kann richtig besitzen, wenn es den Besitz mit Zustimmung des Vormundes begründet hat; denn der Wille des Kindes wird ergänzt durch die Zustimmung des Vormunds. Das ist aus praktischen Bedürfnissen eingeführt worden, denn andernfalls könnte ein Kind wegen mangelnder Willensfähigkeit keinen Besitz erwerben. Vgl. Savigny, Besitz 317; Regelsberger, JherJahrb 44, 399; Baron § 117, 1; Brinz, Pandekten I § 140; Last, JherJahrb 62, 14 und 84; Kreß 97 f.; V. Bruns 19. Vgl. auch Hoche, JuS 1961, 74 Fn. 7; Kreß 181. Vgl. oben 1 b bei Fn. 44.

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§ 4 V 1 a, b

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

V. Unmittelbarer Besitz ohne Sachherrschaft 1. Erbenbesitz a) Auf den Erben gehen alle Rechte des Erblassers über. Da der Besitz aber kein Recht ist, sondern tatsächliche Sachgewalt, kann die Rechtsordnung insoweit keine Bestimmung treffen, sie kann dem Erben keine tatsächliche Gewalt zukommen lassen, die er nicht hat. Das römische Recht verneinte daher konsequent den Übergang des Besitzes auf den Erben: Cum heredes instituti sumus, adita hereditate omnia quidem iura ad nos transeunt, possessio tamen nisi naturaliter comprehensa ad nos non pertinet1. Dagegen ging nach germanischem Recht die Gewere mit dem Tod des Erblassers auf den Erben über2. Dieser Grundsatz des germanischen Rechts hat schon im Mittelalter das gemeine römische Recht beeinflußt, so daß in Italien und Frankreich ein Übergang des Besitzes auf den Erben anerkannt wurde3. In Deutschland hat sich dieser Grundsatz nicht durchsetzen können, nur in einzelnen Landesteilen wurde er durch Statut übernommen4. Noch im gemeinen Recht des 19. Jh. galt der Besitz als unvererblich. Der Teilentwurf Erbrecht5 und der erste BGB-Entwurf 6 bestimmten, daß der Besitz nicht auf den Erben übergehe. Für den Fall aber, daß ein Dritter störend in den Nachlaß eingreife, wurde dem Erben der possessorische Besitzschutz zugesprochen, als wäre der Besitz mit dem Erbfall auf ihn übergegangen7. Es wurde also ein Besitzerwerb des Erben fingiert8. Das geschah aus praktischen Erwägungen, es sei nicht einzusehen, warum dem Störer der Tod des Erblassers zugute kommen solle. Die zweite Kommission beschloß, die Vererblichkeit des Besitzes anzuerkennen, da auch der erste Entwurf im Ergebnis davon ausgehe9. Zu beachten ist aber, daß eine wirkliche Rechtsänderung gegenüber dem gemeinen Recht darin nicht lag. Denn wenn dieses auch die Vererblichkeit des Besitzes nicht kannte, so stand doch dem Erben im interdictum quorum bonorum – wie dieses damals verstanden wurde – eine possessorische Klage gegen Besitzverletzungen zur Verfügung10. b) Der Besitz ist eine Tatsache, ein faktisches Verhältnis, das nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht11. Das Gesetz kann nicht anordnen, daß dieses tatsächliche Ver1

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Javolenus D 41, 2, 23 pr.: Wenn wir als Erben eingesetzt sind, gehen mit Antritt der Erbschaft alle Rechte auf uns über, der Besitz kommt uns nur zu, wenn wir ihn auf natürliche Art ergriffen haben. Ogris HRG I 1663; O. vGierke § 113 III 1 b bei Fn. 31; Michel 1 ff. Allerdings ist die Gewere nur beschränkt der possessio vergleichbar, sie ist ein Recht, vgl. unten § 10 I 1. Le mort saisit le vif, vgl. Heusler 324; Johow 408 ff. Man sprach von einer possessio civilissima des Erben, gemäß der mittelalterlichen Unterscheidung, wonach possessio naturalis = Sachgewalt war, possessio civilis ein Besitz, der weitgehend der Sachgewalt entbehrte, vgl. Savigny, Besitz 140 ff. Vgl. Ludovicus, Doctrina pandectarum (1734), Lib. 29 tit. 2 § 5. vSchmitt, § 342 und Begründung 951 f. § 2052 und Protokolle der 1. Kommission 3541, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 157. § 343 III TE, § 2054 E 1; vgl. dazu auch Michel 13 ff. Vgl. Protokolle der 1. Kommission § 3541, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 157; auch Motive 5, 534. § 779 a E 2; Protokolle der 2. Kommission 7722 (Mugdan 5, 422), vgl. auch Michel 16 ff. Vgl. Dernburg, Pandekten III § 159 b. Vgl. Tryphoninus D 49, 15, 12, 2: Facti autem causae infectae nulla constitutione fieri possent (Tatsachen können durch kein Gesetz ungeschehen gemacht werden).

178

§4 V 1 b

1. Erbenbesitz

§4 V 1 c

hältnis auf den Erben übergeht12. § 857 kann also nur bedeuten, daß die Rechtsstellung, wie sie der Erblasser aufgrund seines Besitzes hatte, übergeht13. Da die Rechtsstellung des Besitzers auf der tatsächlichen Gewalt basiert, die der Erbe nicht hat, handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion14. Abzulehnen ist die Ansicht, der Erbe erlange aufgrund des § 857 normalen Besitz im Sinne des § 854 I15. Wirklichen Besitz, Sachherrschaft, erlangt der Erbe erst, wenn er die Nachlaßsachen gemäß § 854 ergreift, wodurch sich seine Position festigt16. Der Besitz geht so auf den Erben über, wie ihn der Erblasser hatte: als mittelbarer oder unmittelbarer, als Eigen- oder Fremdbesitz, als fehlerhafter, bösgläubiger, gutgläubiger Besitz u.s.w. Ob der Erbe etwas vom Erbfall weiß, spielt keine Rolle. Der Erbe kann die Art des erworbenen Besitzes dadurch ändern, daß er die tatsächliche Sachgewalt ergreift, aus einem Fremdbesitz kann so Eigenbesitz, aus bösgläubigem ein gutgläubiger Besitz werden u.s.w. Der Besitz geht auch dann über, wenn das Rechtsverhältnis, auf dem er beruht, erlischt, z.B. beim Nießbrauch17; er geht auch über, wenn es sich um den sogenannten Verwaltungsbesitz des Testamentsvollstreckers, Insolvenzverwalters u.s.w. handelt18; Miterben werden Mitbesitzer. Auf den Besitzdiener ist § 857 nicht anwendbar19. Daß Besitzschutzansprüche, die schon beim Erblasser ent- § 4 V 1 standen sind, auf den Erben übergehen, ist selbstverständlich. c) Die Fiktion des § 857 schützt den Erben, der sich nicht im Besitz des Nachlasses befindet. Die Gefährdung des Erben, welcher mit § 857 begegnet werden soll, besteht nicht darin, daß der Nachlaß nach dem Erbfall besitzlos ist. Bleibt er besitzlos, so kann der Erbe später Besitz ergreifen. Die Gefahr für den Erben liegt vielmehr darin, daß ein Dritter Nachlaßsachen, an welchen niemand die tatsächliche Gewalt ausübt, in Besitz nimmt. Die Tatsache, daß ein Dritter Besitz an den Nachlaßsachen ergreift, beseitigt also nicht etwa die Gefahr für den Erben, wie bisweilen behauptet wird, sondern begründet sie: § 857 soll den Erben gerade vor den Gefahren schützen, welche durch die Besitzergreifung eines Dritten entstehen. Ergreift ein Dritter Nachlaßsachen, so liegt darin eine verbotene Eigenmacht. Der fingierte Besitz des Erben endet zwar dadurch, dem Erben stehen aber die Besitz12 13

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So zutreffend Biermann § 857 N. 1 b; Gärtner 155; Colberg 53; Kniep 185; SchlegelbergerVogels-Pritsch § 857 N. 1; Westermann-Gursky § 15 I 2; Palandt-Bassenge § 857 Rn. 1. Vgl. Biermann § 857 N. 1 b; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 857 N. 1; Staudinger-Bund § 857 Rn. 4; Soergel-Stadler § 857 Rn. 1; MünchenerK-Joost § 857 Rn. 8 f.; Wolff-Raiser § 12 I 4. So auch Sosnitza 14. Gegen eine Fiktion Wolff-Raiser § 12 I 4; Staudinger-Bund § 857 Rn. 4 und Ebenroth-Frank, JuS 1996, 796 mit der Begründung, es handele sich um eine bloße Rechtsfolgenzuordnung. Das geht von der irrigen Vorstellung aus, die Fiktion sei etwas anderes als eine Rechtsfolgenzuordnung. So aber Sandtner 68. Kreß 186 f. meint, der Besitz falle dem Erben gemäß Verkehrsauffassung zu; daß dies nicht zutrifft, etwa wenn der Erbe noch nicht bekannt ist, ist aber offenbar. Zutreffend Michel 24 ff. Vgl. § 2025, 2. Vgl. Biermann § 857 N. 1 a; Staudinger-Bund § 857 Rn. 10. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 7723 f. (Mugdan 5, 422); Biermann § 857 N. 2 b; Planck-Brodmann § 857 N. 3; Soergel-Stadler § 857 Rn. 2; RGRK-Kregel § 857 Rn. 4; Westermann-Gursky § 15 I 4; Michel 59 ff.; a.A. Strohal, JherJahrb 29 (1890), 370 und JherJahrb 38 (1898), 98; Wolff-Raiser § 12 II 3. Vgl. Michel 56 ff.

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§ 4 V 1 d, e aa

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

schutzrechte zu. Ferner ist die Sache im Sinne des § 935 dem Erben abhanden gekommen, so daß ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 932 ff. nicht möglich ist20. Daran ändert sich im Verhältnis zum wirklichen Erben auch nichts, wenn der Scheinerbe einen Erbschein hat. Allerdings kann in diesem Fall der Scheinerbe gegenüber Dritten gemäß §§ 2366 f. wirksam über Nachlaßgegenstände verfügen. §4 V 1 d) Erbe im Sinne des § 857 ist der endgültige Erbe, also nicht der vorläufige Erbe, e aa der später ausschlägt, dessen Erbeinsetzung angefochten wird oder dessen Erbunwürdigkeit festgestellt wird. Ergreift ein vorläufiger Erbe eine Nachlaßsache, so begeht er nach dem Wortlaut des § 857 eine verbotene Eigenmacht gegen den endgültigen Erben. Eine solche Anwendung des § 857 würde aber dazu führen, daß der vorläufige Erbe sich von der Erbschaft strikt fernhalten müßte; er wäre so nicht in der Lage, den Nachlaß zum Zwecke einer Entscheidung über die Ausschlagung zu prüfen. Nach zutreffender h.M. ist § 857 daher nicht anwendbar, wenn ein vorläufiger Erbe Nachlaßsachen ergreift, er begeht keine verbotene Eigenmacht. Entfällt später die Erbenstellung des vorläufigen Erben, so ist nach h.M. § 857 nicht zugunsten des endgültigen Erben anwendbar21. Indessen entfällt die Erbenstellung des vorläufigen Erben mit rückwirkender Kraft, so daß der Nachlaß dem endgültigen Erben schon mit dem Erbfall als angefallen gilt22. Es entspricht daher dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, dem endgültigen Erben nach dem Wegfall des vorläufigen den Schutz des § 857 zukommen zu lassen. Der vorläufige Erbe hat die Erbschaft unverzüglich an den endgültigen Erben herauszugeben, andernfalls begeht er eine verbotene Eigenmacht, der endgültige Erbe wird durch die Besitzschutzrechte und durch § 935 geschützt. Die h.M. läßt dagegen den endgültigen Erben schutzlos. Schutzwürdige Interessen des vorläufigen Erben, welche einer Anwendung des § 857 entgegenstehen könnten, bestehen nicht. e) Beim Nacherbfall sind zwei Varianten zu unterscheiden: Tritt der Nacherbfall zu Lebzeiten des Vorerben ein, so geht dem Vorerben sein Besitz, soweit er ihn tatsächlich ergriffen hat, dadurch nicht verloren. § 857 ist nach h.M. nicht anwendbar, denn der Nacherbe beerbe den Erblasser, nicht den Vorerben, und zur Zeit des Nacherbfalls bestehe kein Besitz des Erblassers mehr. Zudem sei die Gefahr nicht gegeben, der § 857 abhelfen wolle, daß nämlich durch den Erbfall der Nachlaß schutzlos dem Zugriff Dritter ausgesetzt sei: Der Nachlaß sei auch nach dem Nacherbfall im Besitz des Vorerben. Auf den Nacherben gehe der Besitz nur insoweit über, als der Vorerbe lediglich nach § 857 besitze23. aa) Diese Ansicht, die den Erbenbesitz auch an der Nacherbschaft dem Erben des Vorerben zuweist, vernachlässigt zugunsten konstruktiver Bedenken den gesetzgeberischen Zweck des § 857, den Nacherben nämlich zu schützen. Die Ansicht, der Nach20

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Die §§ 854 ff. regeln zwar nur den Besitzschutz, vgl. oben § 3 II 5 c, doch fordert es das Interesse des Erben, ihm über § 857 auch den Schutz des § 935 zukommen zu lassen, vgl. unten § 10 V 3 a bei Fn. 37. Vgl. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 102; Westermann-Gursky § 15 I 5; Lange § 10 II B 1; Biermann § 857 N. 6; Planck-Brodmann § 857 N. 4; Erman-Lorenz § 857 Rn. 6; SoergelStadler § 857 Rn. 3; Lange, FS Felgentraeger 302 ff.; Ebenroth-Frank, JuS 1996, 798. Was aus den oben genannten Gründen freilich nichts daran ändert, daß Besitzhandlungen des Vorerben keine verbotene Eigenmacht darstellten. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 104; Biermann § 857 N. 4; Kreß 188; Ebenroth-Frank, JuS 1996, 797; Planck-Brodmann § 857 N. 4; Lange, FS Felgentraeger 298.

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1. Erbenbesitz

§ 4 V 1 e bb

erbe sei hinreichend dadurch geschützt, daß der Vorerbe den Besitz ausübe, der Nachlaß also nicht besitzlos sei, verkennt die Gefahren, die dem Nacherben drohen. Die Gefahren gehen weniger von unbeteiligten Dritten aus, welche die tatsächlichen Verhältnisse meist nicht kennen. Die Gefahren gehen von den Beteiligten aus, also hier vom Vorerben, und wenn man von ihm Schutz für den Nacherben erwartet, macht man den Bock zum Gärtner, wie jeder weiß, der solche Erbfälle verfolgen konnte. Zum Schutz des Nacherben ist also § 857 nach dem Willen des Gesetzes zugunsten des Nacherben auch beim Nacherbfall anzuwenden. Der Nacherbe erwirbt mit dem Nacherbfall den fiktiven Besitz am Nachlaß. Gibt der Vorerbe die Nachlaßsachen nicht unverzüglich an den Nacherben heraus, so begeht er eine verbotene Eigenmacht, und die Sachen gelten als abhanden gekommen. Der Vorerbe haftet gemäß § 861 auf Herausgabe; verfügt er über Nachlaßsachen, so wird der Erwerber nicht Eigentümer. Auf diese Weise ist der Nacherbe geschützt, und dem Vorerben geschieht kein Unrecht. Eine Ausnahme zu § 857 ist in § 2140, 1 geregelt. § 857 greift nicht ein, solange der Vorerbe den Eintritt des Nacherbfalls nicht kennt und ihn auch nicht kennen muß, § 2140. In diesem Fall kann der Vorerbe über die Nachlaßsachen wirksam verfügen, aber nur, wenn auch der Erwerber den Eintritt des Nacherbfalls nicht kennt oder kennen § 4 V 1 muß, § 2140, 224. bb bb) Tritt der Nacherbfall dagegen mit dem Tod des Vorerben ein, so geht der Besitz an den Sachen, die der Erblasser als Vorerbe gemäß § 857 besaß, auf den Nacherben über. Hatte der Vorerbe bereits Besitz an den Nachlaßgegenständen ergriffen, so ist die Rechtslage streitig. Nach dem Wortlaut des Gesetzes geht dieser Besitz nicht auf den Nacherben über, sondern auf den Erben des Vorerben. Das entspricht auch hier der h.M., die aber verkennt, daß die Gefahrensituation, der § 857 entgegentreten soll, gerade durch den Tod des Vorerben eintritt. Der Nachlaß ist hier nicht nur dem Zugriff des Erben des Vorerben ausgesetzt, sondern auch dem Zugriff Dritter, und gegen beide Gefahren gewährt die h.M. dem Nacherben keinen Schutz, indem sie nicht ihm, sondern dem Erben des Vorerben den Erbenbesitz zuweist. Nimmt ein Dritter die Sachen an sich, so begeht er weder eine verbotene Eigenmacht gegen den Nacherben, noch kommen dem Nacherben die Sachen abhanden. Der Nacherbe hat weder einen possessorischen Anspruch gegen den Dritten, noch ist er gemäß § 935 gegen Verfügungen über seine Sachen geschützt. Dem Sinn des Gesetzes entspricht es jedoch, beim Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben den Erbenbesitz gemäß § 857 auf den Nacherben übergehen zu lassen25. Es besteht auch kein Grund, dies nur dann anzunehmen, wenn der Vorerbe den Nachlaß getrennt von seinem restlichen Vermögen verwaltet hat26. 24

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Die Ansicht der h.M., wegen § 2140 sei § 857 in Fällen dieser Art auch dann nicht anwendbar, wenn der Vorerbe den Eintritt des Nacherbfalls kennt oder kennen muß, schießt über das Ziel hinaus; sie vernachlässigt grundlos die schutzwürdigen Interessen des Nacherben und schützt den insoweit nicht schutzbedürftigen Vorerben. Die genannte Ansicht wird vertreten etwa von Rosenberg § 857 N. II 2 d; Planck-Brodmann § 857 N. 4; Westermann-Gursky § 15 II a.E.; MünchenerK-Grunsky § 2139 Rn. 2; Kreß 188; Lange, FS Felgentraeger 297 f.; richtig dagegen O. v.Gierke II § 115 V bei Fn. 58. Vgl. Biermann § 857 N. 4; Crome III § 342 Fn. 33; Turnau-Förster § 857 N. 2; O. vGierke II § 115 V bei Fn. 58; Finkenauer, Jura 2001, 606 ff., 608; a.A. etwa Staudinger-Avenarius § 2139 Rn. 6; MünchenerK-Grunsky § 2139 Rn. 2; Soergel-Harder-Wegmann § 2139 Rn. 3; Lange-Kuchinke § 28 VIII 2 b; Ebenroth-Frank, JuS 1996, 797. So aber z.B. Wolff-Raiser § 12 II 1, Kreß 188.

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§4 V 2

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

Mittelbarer Besitz des Vorerben geht immer auf den Nacherben über27. f) Nach h.M. ist § 857 entsprechend in anderen Fällen einer Gesamtrechtsnachfolge anzuwenden, wie z.B. bei einem Vermögensübergang nach §§ 46, 88 oder nach §§ 1416, 1483, 1490; bei Verschmelzungen von Aktiengesellschaften u.a.28

2. Andere Fälle gesetzlichen Besitzübergangs Die Fiktion, daß der Besitz vom Inhaber der Sachgewalt auf eine andere Person übergehe, findet sich auch in anderen Gesetzen, z.B. im Baugesetzbuch §§ 77 III, 116 III; im Fernstraßengesetz § 18 f IV; im Flurbereinigungsgesetz § 66. Mit dem Wirksamwerden der Besitzanweisung hat der Begünstigte alle Besitzschutzrechte aus den §§ 859 ff. Weicht der frühere Besitzer nicht freiwillig, so begeht er eine verbotene Eigenmacht und kann gemäß § 859 III entsetzt werden29. Die fiktive Besitzübertragung dient so der beschleunigten Durchsetzung der geschützten Interessen.

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Vgl. Staudinger-Bund § 857 Rn. 8; Lange, FS Felgentraeger 298. Vgl. Palandt-Bassenge § 857 Rn. 1; Staudinger-Bund § 857 Rn. 28; Westermann-Gursky § 15 II; Wolff-Raiser § 12 II; Baur-Stürner § 8 Rn. 4. Anders Sandtner 99 ff., der annimmt, der Begünstigte erlange nur mittelbaren Besitz, wenn der vorige Besitzer nicht weiche; das würde dem Begünstigten keinen Besitzschutz verschaffen.

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§4 V 2

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Literatur: Aravantinos, Die Anfechtbarkeit der Besitzübertragung im deutschen bürgerlichen Recht, JherJahrb 48 (1904), 101 ff.; Bekker, Der Besitz beweglicher Sachen, JherJahrb 34 (1895), 1 ff.; Bruns, Carl Georg, Die Besitzklagen des römischen und heutigen Rechts, 1874; Bunsen, Besitzschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch, ArchBR 23 (1904), 69 ff.; Eccius, Kurze Erörterungen, GruchBeitr 53 (1909), 1 ff.; Giehl, Michael, Ersatzvornahme im Zivilrecht, Diss. Göttingen 1995; Gursky, Die neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum Mobiliarsachenrecht, JZ 2005, 285 ff.; 385 ff.; Hagen, Besitzschutz und petitorische Widerklage, JuS 1972, 124 ff.; Jacobi, Jessica, Besitzschutz vor dem Reichskammergericht, 1998; Josef, Erläuterungen zu den Besitzklagen des Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem preußischen Recht und der Preußischen Rechtsprechung, ArchBR 15 (1899), 265 ff.; Kodek, Gregor, Die Besitzstörung, 2002; Lopau, Der Rechtsschutz des Besitzes, JuS 1980, 501 ff.; Medicus, Besitzschutz durch Ansprüche auf Schadensersatz, AcP 165 (1965), 115 ff.; Miescher, Die Besitzinterdicte unter Mitbesitzern, AcP 59 (1876), 149 ff.; Pflüger, Heinrich, Die sogenannten Besitzklagen des römischen Rechts, 1890; Raape, Gebrauchs- und Besitzüberlassung, JherJahrb 71 (1922), 97 ff.; Schneider, Fragen des Besitzschutzes, JR 1961, 367 ff.; Strohal, Der Sachbesitz nach dem BGB, JherJahrb 38 (1898), 1 ff.; Wendt, Der mittelbare Besitz des bürgerlichen Gesetzbuchs, AcP 87 (1897), 40 ff.; Wieling, Grund und Umfang des Besitzschutzes, De iustitia et iure, Festgabe für vLübtow (1980), 565 ff.; ders., Die historischen Voraussetzungen des modernen Besitzschutzes, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, Hrsg. Knütel, Nishimura, 2004, S. 361 – 388; Wieser, Der Schadensersatzanspruch des Besitzers aus § 823 BGB, JuS 1970, 557 ff.; Wolff, Der Mitbesitz nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 44 (1902), 143 ff.; Zitelmann, Übereignungsgeschäft und Eigentumserwerb an Bestandteilen, JherJahrb 70 (1921), 1 ff.

I. Einführung a) Da der Besitz kein Recht ist1, ist er nicht allgemein geschützt wie etwa das Eigentum (vgl. §§ 985, 1004). Verliert der Besitzer z.B. den Besitz, so kann er aus dem verlorenen Besitz keine Rechte herleiten, er hat allenfalls Ansprüche aus einem Recht an der Sache (§§ 985, 1007). Der Besitz ist geschützt nur gegen verbotene Eigenmacht; nur wenn der Besitzer in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, entstehen ihm Rechte aus seinem Besitz. Der Besitzschutz ist also nicht erklärbar aus der Verletzung eines Rechts an der Sache, sonst müßte der Besitz auch über die verbotene Eigenmacht hinaus geschützt sein, selbst wenn es sich um ein provisorisches oder schwächeres Recht handelte. Der Besitzschutz soll nicht ein Recht an der Sache schützen, sondern verbotene Eigenmacht unterdrücken. Verbotene Eigenmacht aber ist jede 1

Vgl. oben § 3 III a.

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§5 I b

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Besitzstörung ohne den Willen des Besitzers, vgl. § 858 I. Entscheidendes Merkmal der verbotenen Eigenmacht ist also die Verletzung eines fremden Willens. Nicht in jeder Störungslage greift der Besitzschutz ein, sondern nur wenn der Besitzer durch ein menschliches Verhalten unter Verletzung seines Willens im Besitz gestört wird. Verbotene Eigenmacht ist Willensverletzung, Persönlichkeitsverletzung; Besitzschutz ist Persönlichkeitsschutz2. Würde Besitzschutz gemäß der h.M. Friedensschutz bezwekken, so müßte § 858 I jede Besitzstörung verbieten, welche die öffentliche Ordnung stört. § 858 I ist jedoch kein Polizeigesetz. Es wäre auch sinnlos, an ein solches Gesetz statt einer öffentlichrechtlichen Sanktion die Folge „Rechtswidrigkeit“ zu knüpfen, wie es § 858 I tut. Die Rechtswidrigkeit der verbotenen Eigenmacht ergibt sich allein aus der Verletzung einer fremden Persönlichkeit. Es ist auch ein Fehlschluß, den Besitz für ein Recht zu halten, weil er in § 858 I geschützt ist; der Besitz ist nicht als solcher geschützt, sondern nur, wenn die Persönlichkeit des Besitzers durch verbotene Eigen- § 5 I b macht beeinträchtigt wird. b) Ob über den Schutz der Rechte hinaus ein Besitzschutz noch erforderlich ist, war schon im vorigen Jahrhundert umstritten. Nach einer verbreiteten Ansicht hat die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) den Besitzschutz überflüssig gemacht3. Das beweise die geringe Zahl der Klagen aus §§ 858 ff. Dagegen ist zu bedenken, daß Klagen aus verbotener Eigenmacht keineswegs – wie eine verbreitete Meinung annimmt – immer nur zu einer vorläufigen Regelung führen, der die endgültige Entscheidung aus dem Recht zum Besitz nachfolge. Das gilt für alle die Fälle nicht, in welchen der Störer sich nicht auf ein Recht zur Vornahme der störenden Handlung stützt4. Hier führt die Klage aus verbotener Eigenmacht zu einer endgültigen Entscheidung des Streites, die einstweilige Verfügung dagegen nicht. Schließlich können auch die Ansprüche aus §§ 861 f. mit einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden5. Zudem muß die Rechtsordnung bei einem Streit um eine Sache eine Regelung treffen, wessen Verhalten rechtmäßig ist. Das Recht zum Besitz ist für eine solche Regelung ungeeignet, weil es meist streitig und nicht leicht feststellbar sein wird. Leicht feststellbar ist, wer den Besitz der Sache hat, und hieran knüpft die Rechtsordnung an gemäß dem Grundsatz „vim ne facias possidenti“ (Gegen den Besitzer soll man nicht mit Gewalt vorgehen). Sie entscheidet den Streit zugunsten des Besitzers6: possessor hoc ipso, quod possessor est, plus iuris habet quam ille, qui non possidet7. Der Besitzwille des Besitzers darf nicht verletzt werden. Glaubt der Nichtbesitzer ein Recht zum Besitz zu haben, so muß er es gerichtlich geltend machen. Ohne die §§ 858 ff. könnte jedes Recht gewaltsam durchgesetzt werden, gegenüber einem Rechtsbruch könnte der Verletzte sich nur auf sein Recht zum Besitz berufen, welches er zu beweisen hätte. Der Besitzschutz ist daher unentbehrlich. Wenn es wenig Klagen aus verbotener Ei2 3 4 5 6 7

Vgl. oben § 3 III b, auch Motive 3, 110 f.; V. Bruns 58. Vgl. etwa Meischeider, Besitz 195; Gärtner 121 ff.; Wolff-Raiser § 17 pr.; Pflüger 371 ff. Vgl. Savigny, Besitz § 36. Vgl. Duffek, Einstweilige Verfügung gegen verbotene Eigenmacht, NJW 1966, 1345 ff.; auch OLG Saarbrücken NJW 1967, 1813. So richtig Johow, Begründung 421 f.; vgl. auch Motive 3, 117; Heck § 13, 1; Kreß 1 ff. Paulus D 43, 17, 2: Der Besitzer hat allein dadurch, daß er besitzt, mehr Rechte als der, der nicht besitzt.

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II. Verbotene Eigenmacht

§ 5 II

genmacht gibt, so zeigt das, daß das Verbot der Eigenmacht erfreulicherweise weitgehend das tägliche Leben beeinflußt8. Daß auch der neuere Gesetzgeber den Besitzschutz für unentbehrlich hält, zeigt seine Anwendung in verschiedenen Gesetzen, vgl. oben § 4 V 2. c) Gegen verbotene Eigenmacht stehen dem Besitzer einmal die Gewaltrechte aus § 859 zu, sodann die Klagen aus §§ 861, 862. Geschützt gegen verbotene Eigenmacht ist nur der unmittelbare Besitz, wie sich aus der systematischen Stellung des § 858 vor § 868 ergibt. Da der Besitzschutz nach den §§ 858 ff. sich allein auf den verletzten Besitz stützt, unabhängig von jedem Recht zum Besitz, spricht man hier vom possessorischen Besitzschutz. Dagegen schützt der petitorische Besitzschutz nicht den Besitz, sondern das Recht zum Besitz. Ein solcher Schutz findet sich etwa in §§ 985, 1004, 1007, 823 I, 812. Beide Arten des „Besitzschutzes“ sind streng voneinander zu trennen und dürfen nicht vermengt werden.

§ 5 II

II. Verbotene Eigenmacht Im römischen Recht griff der Besitzschutz durch Interdikte dann ein, wenn der Besitz vi, clam aut precario verletzt wurde; wenn er also gewaltsam oder heimlich gestört wurde, oder wenn der Prekarist1 die Sache auf Aufforderung nicht zurückgab. Dagegen dehnte die mittelalterliche Spolienklage den Schutz weiter aus, sie schützte auch den Besitzer, der die Sache verloren hatte, dem sie durch Drohung abgepreßt, durch Arglist abgeschwindelt wurde; sie griff also immer ein, wenn jemand ungerechtfertigt fremden Besitz an sich gebracht hatte2. Das BGB übernimmt im Ergebnis die Regelung des römischen Rechts mit dem Begriff der „verbotenen Eigenmacht“. Der Besitz wird geschützt gegen verbotene Eigenmacht. Johow (TE § 74) verstand darunter die Vornahme von Besitzhandlungen ohne den Willen des Besitzers. Der erste Entwurf (§ 814) und das BGB übernahmen diesen Vorschlag mit der Formulierung, wie sie sich in § 858 I findet: Verbotene Eigenmacht ist jedes menschliche Verhalten, durch welches dem Besitzer ohne seinen Willen der Besitz entzogen oder gestört wird. Der Eingriff in den Besitz muß also durch den Störer selbst erfolgen, der possessorische Besitzschutz greift also z.B. nicht ein, wenn der Besitzer aufgrund betrügerischer Vorspiegelungen die Sache freiwillig herausgibt. Eine verbotene Eigenmacht liegt auch dann nicht vor, wenn jemand eine Sache behält, die er herausgeben müßte3.

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Vgl. Westermann-Gursky § 21, 2; im übrigen sind Besitzschutzklagen ganz so selten nicht. Prekarium, „Bittleihe“, bedeutet das tatsächliche Überlassen einer Sache, ohne Verpflichtung des Verleihers, mit der Möglichkeit des jederzeitigen Rückforderns. Vergleichbar mit dem Prekarium-Besitz ist im geltenden Recht der „Momentanbesitz“ (vgl. oben § 4 IV 1 a cc, auch Staudinger-Kober, 9. Aufl. 1928, 3 vor § 598), auf den § 855 anzuwenden ist. Gibt der Momentanbesitzer die Sache auf Anforderung nicht zurück, begeht er verbotene Eigenmacht. Vgl. C. G. Bruns, Recht des Besitzes 157 f.; Besitzklagen 214. BayObLG, NJW-RR 1998, 876 f.

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§ 5 II 1 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

1. Voraussetzungen der verbotenen Eigenmacht a) „Verbotene Eigenmacht“ ist der zentrale Begriff des possessorischen Besitzschutzes, an welchen die Gewaltrechte (§ 859) und die Ansprüche (§§ 861 f.) anknüpfen. Verbotene Eigenmacht liegt nicht nur dann vor, wenn der Störer ein Recht eigenmächtig durchsetzen will, sondern immer, wenn er eigenmächtig in einen Besitz eingreift4. Verbotene Eigenmacht kann nur gegen den unmittelbaren Besitzer begangen werden, nicht gegen den mittelbaren Besitzer5. Der unmittelbare Alleinbesitzer kann daher keine verbotene Eigenmacht begehen, wenn er z.B. eine Sache dem Besitzdiener wegnimmt, oder wenn er als Fremdbesitzer in Überschreitung seines Besitzrechts die Rechte des mittelbaren Besitzers beeinträchtigt. Schickt sich etwa der Mieter eines Grundstücks an, die alten Bäume des Grundstücks zu fällen, wertvolle Möbel zu veräußern u.s.w., so steht dem Vermieter dagegen mangels verbotener Eigenmacht kein Gewaltrecht gemäß § 859 I zu6. Der mittelbare Besitzer ist auf die §§ 227 ff. (Notwehr, Selbsthilfe) verwiesen7. Dagegen ist umgekehrt verbotene Eigenmacht des Besitzdieners oder des mittelbaren Besitzers gegen den unmittelbaren Besitzer möglich, wenn z.B. der Besitzdiener die Sache wegwirft, veräußert, unterschlägt u.s.w. Verbotene Eigenmacht liegt auch dann vor, wenn der Angriff sich gegen einen rechtswidrigen oder fehlerhaften Besitz richtet8. Ein Recht zum Besitz des Angreifers (etwa Eigentum) beseitigt nicht die Rechtswidrigkeit der verbotenen Eigenmacht. Der Angreifer muß nicht schuldhaft handeln, er muß nicht schuldfähig sein, verbotene Eigenmacht ist eine rein objektive Besitzstörung9. Insbesondere muß der Störer nicht wissen, daß er in fremden Besitz eingreift, auch ein Wissenmüssen ist nicht erforderlich10. Da Besitzverletzung Willensverletzung ist, muß die verbotene Eigenmacht gegen den Willen des Besitzers geschehen. Es muß allerdings kein aktueller Besitzwille verletzt werden, auch die Wegnahme etwa einer Sache, an welche der Besitzer z.Z. nicht denkt, ist verbotene Eigenmacht. § 858 I spricht daher vorsichtig von Störungen „ohne den Willen“ des Besitzers. Betrachtet man den Besitzwillen nicht als einen psychologischen Willen, sondern als einen durch den Zustand der Sachherrschaft realisierten Willen11, so kann man eine Störung gegen den Willen des Besitzers verlangen.

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Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3496 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 168). Vgl. oben I c, h.M., ferner etwa Goldmann-Lilienthal § 5 II 2; Soergel-Stadler § 858 Rn. 3; Palandt-Bassenge § 858 Rn. 2; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 2; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 52; Eichler II 1, 244; V. Bruns 40. Anders, aber unhaltbar Gärtner 151, 168; Kniep 315 f.; Bekker, JherJahrb 34 (1895), 68 f. Vgl. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 52; Wendt, AcP 87 (1897), 59 f.; Heck § 13, 5 und unten III 1 c. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 2. Vgl. Biermann § 858 N. 1 c; Goldmann-Lilienthal § 4 II 1; Westermann-Gursky § 22 III; Soergel-Stadler § 858 Rn. 5; Müller Rn. 126 ff. Anders noch Johow, TE § 74 und Begründung 451: Aus schuldloser Tat dürfe keine Haftung entstehen. Das überzeugt nicht, zutreffend sind der 1. und 2. Entwurf (vgl. Protokolle der 2. Kommission 3351, Mugdan 3, 506 f.) davon abgewichen. Irrig fordert Gärtner 164 für § 858 I eine bewußte Besitzverletzung. Richtig z.B. RGRK-Kregel § 858 Rn. 12; PlanckBrodmann § 858 N. 1 b; Biermann § 858 N. 1 c; Palandt-Bassenge § 858 Rn. 1; SchwabPrütting Rn. 108. Vgl. oben § 4 I 1 b bb.

186

§ 5 II 1

1. Voraussetzungen der verbotenen Eigenmacht

§ 5 II 1 b

b) Eine verbotene Eigenmacht liegt gemäß § 858 I nicht vor, wenn der Besitzer in § 5 II 1 den Eingriff einwilligt. Ob diese Einwilligung ein Rechtsgeschäft ist, also Geschäftsfähigkeit erfordert, ist streitig. Nach h.M. ist sie kein Rechtsgeschäft, natürliche Willensfähigkeit reicht zur wirksamen Einwilligung aus12. Dieser Ansicht ist zuzustimmen13. Wenn ein nicht (voll) Geschäftsfähiger in der Lage ist, den Besitz freiwillig aufzugeben14, so muß er auch in der Lage sein, in die Wegnahme u.s.w. einzuwilligen; beide Fälle können nicht verschieden behandelt werden15. Ebenso wie der Besitzerwerb und die Besitzaufgabe ist die Einwilligung zum Eingriff in den Besitz kein Rechtsgeschäft, sondern eine Rechtshandlung. Die Vorschriften über Rechtsgeschäfte sind nur soweit anwendbar, als es der Interessenlage angemessen ist. Geschäftsfähigkeit kann nicht verlangt werden, wohl kann z.B. die Einwilligung unter einer Bedingung erklärt werden16. Die §§ 116 ff. sind nicht anwendbar; wird die Einwilligung durch Drohung oder arglistige Täuschung herbeigeführt, so ist sie dennoch vorhanden und wirksam, eine verbotene Eigenmacht liegt nicht vor17. Willensmängel bei der Einwilligung können nicht anders behandelt werden als Willensmängel bei der Besitzaufgabe. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn die Drohung einen unerträglichen Druck auf den Besitzer ausübt, so daß sie physischer Gewalt gleichkommt18. Die Einwilligung kann nur durch den unmittelbaren Besitzer geschehen, da nur er durch § 858 I geschützt ist; die Einwilligung des Besitzdieners oder des mittelbaren Besitzers ist bedeutungslos19. Die Einwilligung kann auch konkludent erklärt werden20, aber ein rein passives Verhalten bedeutet noch nicht eine Einwilligung, wenn diese sich nicht aus besonderen Umständen ergibt. Die Einwilligung ist nicht bindend, sie kann 12

13 14 15

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18

19

20

Vgl. Wolff-Raiser § 17 I 4; J. vGierke § 9 II 1 b; Planck-Brodmann § 858 N. 1 a; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 4; Staudinger-Bund § 858 Rn. 18; MünchenerK-Joost § 858 Rn. 7; Soergel-Stadler § 858 Rn. 9; Palandt-Bassenge § 858 Rn. 5; Müller Rn. 132; Westermann-Gursky § 22 II; a.A. Goldmann-Lilienthal § 4 II 2 b; Zitelmann, JherJahrb 70 (1921), 24 f.; Raape, JherJahrb 71 (1922), 141; Heck § 13, 6; Schwab-Prütting Rn. 108; E. Wolf § 2 D III c 3. Die Einwilligung eines sinnlos Betrunkenen schließt dagegen die verbotene Eigenmacht nicht aus, vgl. RG WarnRspr 1925, 33, da es an der natürlichen Willensfähigkeit mangelt. Vgl. oben § 4 III 2 a. Eine verbotene Eigenmacht liegt daher auch dann nicht vor, wenn ein Geschäftsunfähiger, aber Willensfähiger eine Sache übergibt. Nach Raape, JherJahrb 71 (1922), 141 und Baur-Stürner § 9 Rn. 5 stellt die Einwilligung einen Rechtsverzicht dar, welcher der Geschäftsfähigkeit bedarf. Das trifft indessen nicht zu, die Einwilligung schließt das Tatbestandsmerkmal „ohne Willen“ aus, ein rechtsgeschäftlicher Verzicht liegt darin nicht. RG 67, 389; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 3; Müller Rn. 135. RG 101, 225; BGH NJW 1953, 1506. Anders liegt es natürlich, wenn der Besitzer gar nicht den Willen hat, den Besitz aufzugeben, wenn z.B. jemand unter dem Vorwand, eine Sache nur kurz besichtigen zu wollen, sich diese übergeben läßt, um sie zu behalten. Vgl. OLG (Braunschweig) 20, 395; OLG Freiburg JZ 1953, 474; LG Kiel MDR 1949, 366; Raape, JW 1928, 497; Hoche, NJW 1953, 1506; Soergel-Stadler § 858 Rn. 9; StaudingerBund § 858 Rn. 21. Vgl. z.B. Rosenberg § 858 N. 3 b; Rohde XXII 15; Staudinger-Bund § 858 Rn. 16; Westermann-Gursky § 22 II; Palandt-Bassenge § 858 Rn. 4; Planck-Brodmann § 858 N. 1 a; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 3. Vgl. RG 72, 198.

187

§ 5 II 2 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

bis zur Vornahme des Eingriffs frei zurückgenommen werden21, wie jede Einwilligung zum Eingriff in ein Rechtsgut; das gilt auch dann, wenn der Besitzer sich zur Erteilung der Einwilligung verpflichtet hat, oder wenn er die Einwilligung in einem Vertrag erklärt hat22. Eine nachträgliche Genehmigung der verbotenen Eigenmacht kann diese zwar nicht rückgängig machen, wohl aber deren Folgen aufheben: Die Fehlerhaftigkeit des Besitzes wird beendet, zugleich stellt sie einen rechtsgeschäftlichen Verzicht auf die Besitzschutzansprüche dar. c) Eine verbotene Eigenmacht ist weiter dann nicht gegeben, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, der Eingreifende also von der Rechtsordnung zum Eingriff legitimiert wird, etwa nach §§ 227 – 229, 562 b, 859, 904, 962, 1626; ein Eingriffsrecht kann sich auch aus Vorschriften des Vollstreckungsrechts oder des öffentlichen Rechts ergeben. Wird einem Besitzer der Besitz aufgrund eines vollstreckbaren Titels entzogen, so liegt darin keine verbotene Eigenmacht, selbst wenn der Titel nachträglich aufgehoben wird23. Ein bloßer Anspruch auf die Sache schließt jedoch die Rechtswidrigkeit der verbotenen Eigenmacht nicht aus; erforderlich ist vielmehr, daß die Rechtsordnung die Rechtmäßigkeit des Eingriffs anordnet.

2. Besitzentziehung, Besitzstörung und fehlerhafter Besitz a) Verbotene Eigenmacht kann geschehen durch Besitzentzug oder durch Besitzstörung. Besitzstörung ist der Oberbegriff, Entzug ist eine besondere Art der Besitzstörung. Besitzstörung im engeren Sinn ist also jede Störung, die nicht Entzug ist. Besitzentziehung ist jedes Verhalten, das den Besitz des unmittelbaren Besitzers beendet. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Störer oder sonst wer den Besitz erwirbt, oder ob die Sache besitzlos wird, weil etwa der Störer sie wegwirft24. Eine Besitzentziehung liegt auch dann vor, wenn der Störer dem Besitzer den Besitz nur vorübergehend entziehen will25; auch in solchen Fällen hat der Besitzer z.B. das Gewaltrecht nach § 859. Eine Besitzentziehung setzt auch keine tatsächliche Gewalt beim Besitzer voraus (vgl. § 857), sie kann auch durch eine Behörde, etwa die Polizei geschehen, wenn diese etwa irregeleitet wurde und daraufhin dem Besitzer zu Unrecht den Besitz entzog26; in diesem Fall hat der mittelbare Störer nachzuweisen, daß er gemäß der Rechtsordnung zu der Störung berechtigt war27. Besitzstörung ist jedes Verhalten, welches nicht Besitzentziehung ist und durch welches der Besitzer gehindert wird, mit der Sache nach Belieben zu verfahren. Auch ein ganz vorübergehender, einmaliger Eingriff (z.B. Gehen über ein Grundstück) ist verbotene Eigenmacht, gegen welche Besitzwehr möglich ist28. 21

22 23 24 25 26 27 28

H.M., vgl. z.B. Soergel-Stadler § 858 Rn. 10; Planck-Brodmann § 858 N. 1 a; RGRKKregel § 858 Rn. 3; Biermann § 858 N. 1 a; Erman-Lorenz § 858 Rn. 6; Schwab-Prütting Rn. 109; E. Wolf § 2 D III c 3; a.A. Heck § 13, 6. Vgl. RG 146, 186; Westermann-Gursky § 22 II; Wolff-Raiser § 17 I 4; Rohde XXII 16. Vgl. BGH, WM 2003, 1674. In diesem Fall hat allerdings die verbotene Eigenmacht keine Folgen i.S.d. §§ 854 ff. Anders zu Unrecht Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 858 N. 8; RGRK-Kregel § 858 Rn. 5; Erman-Lorenz § 858 Rn. 4. OLG Köln, NJW-RR 1994, 557. Vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2003, 1717. Dagegen sind die Anforderungen für die Störungsklage (§ 862) strenger, vgl. unten IV 2 c.

188

§ 5 II 2

2. Besitzentziehung, Besitzstörung und fehlerhafter Besitz

§ 5 II 2 b aa

Ob im Einzelfall eine Besitzstörung oder ein Entzug vorliegt, ist nicht immer leicht zu entscheiden; beides kann ineinander übergehen29. Wer z.B. seinen PKW auf fremdem Grundstück parkt, stört den Besitz am ganzen Grundstück, entzieht aber den Besitz an dem Grundstücksteil, auf dem der PKW steht30. Die Unterscheidung kann in § 859 III Bedeutung gewinnen. b) Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft, § 858 II 1. „Fehlerhafter Besitz“ – eine Übersetzung der vitiosa possessio der Römer – ist ein terminus technicus, er darf nicht mit dem unrechtmäßigen Besitz verwechselt werden, also mit dem Fall, in welchem der Besitzer lediglich kein Recht zum Besitz hat. Der fehlerhafte Besitzer kann unrechtmäßiger Besitzer sein (z.B. der Dieb), aber auch rechtmäßiger Besitzer (z.B. der Käufer, der dem Verkäufer die Sache weggenommen hat); die Frage § 5 II 2 des Rechts zum Besitz ist für den Besitzschutz ohne Bedeutung. aa Zur verbotenen Eigenmacht des Besitzdieners vgl. unten c a.E. aa) Die Bedeutung des fehlerhaften Besitzes liegt darin, daß an ihm sich der Besitzschutz ausrichtet. Gegen den fehlerhaften Besitzer richten sich – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – die Gewaltrechte des § 859 II, III; gegen ihn richtet sich der Anspruch aus § 861 I. Die Fehlerhaftigkeit des gegnerischen Besitzes kann aber auch zur Verteidigung geltend gemacht werden (als exceptio vitiosae possessionis), und zwar gegenüber den Besitzschutzklagen, wenn der entzogene Besitz dem jetzigen Besitzer gegenüber fehlerhaft war (§ 861 II) oder wenn der Gestörte dem Störer gegenüber fehlerhaft besitzt (§ 862 II). Der fehlerhafte Besitz des Gegners begründet also Rechte, sein Schutz gegenüber verbotener Eigenmacht ist eingeschränkt. Zu beachten ist aber, daß die Fehlerhaftigkeit des Besitzes relativ ist: Der Besitz ist fehlerhaft nur gegenüber demjenigen, dem er durch verbotene Eigenmacht entzogen ist; nur diesem gegenüber ist der Schutz des fehlerhaften Besitzes eingeschränkt. Allen anderen gegenüber liegt fehlerfreier Besitz vor, der vollen Besitzschutz genießt: Adversus extraneos vitiosa possessio prodesse solet31. Fehlerhaft besitzt nicht nur der, der den Besitz durch verbotene Eigenmacht erlangt hat, sondern auch sein Erbe, § 858 II 2. Dabei macht es keinen Unterschied, ob er als Erbe lediglich nach § 857 besitzt oder ob er bereits die tatsächliche Gewalt an den Nachlaßsachen ergriffen hat; im letzteren Fall haftet er auch dann, wenn er beim Erwerb der tatsächlichen Gewalt gutgläubig war. Sonstige Gesamtrechtsnachfolger sind dem Erben gleichzustellen. Das Gesetz bedient sich einer verkürzten – und ungenauen – Ausdrucksweise, wenn es davon spricht, der Erbe müsse die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers gegen sich gelten lassen. Damit ist nur derjenige Besitz gemeint, den der Erbe infolge des Erbfalles erworben hat32. Hat ein Erbe eine Sache noch zu Lebzeiten des Erblassers von diesem erhalten, so besitzt er nicht als Erbe, sondern als Einzelnachfolger. Fehlerhaft besitzt nicht nur der Erbe dessen, der die verbotene Eigenmacht begangen hat, sondern auch jeder weitere Erbe, dessen Erblasser fehlerhaft besaß. 29 30 31 32

So schon Motive 3, 126. Vgl. auch Biermann § 858 N. 2 pr.; Staudinger-Bund § 858 Rn. 49. Venuleius D 41, 2, 53: Gegen Außenstehende hilft auch ein fehlerhafter Besitz. Vgl. auch Inst. 4, 15, 4a. Vgl. Motive 3, 123; auch Endemann II § 42, 3; Biermann § 858 N. 2 b; Planck-Brodmann § 858 N. 3 a.

189

§ 5 II 2 b bb

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

bb) Fehlerhaft besitzt auch ein Einzelnachfolger im Besitz, im Gegensatz zum Erben aber nur dann, wenn er beim Besitzerwerb bösgläubig (spolii conscius) war, § 858 II 2. Bösgläubigkeit ist nur das Wissen um die Fehlerhaftigkeit beim Besitzerwerb. Grobe Fahrlässigkeit schadet dem Erwerber nicht33, ebenso wenig eine mala fides superveniens. Der böse Glaube muß sich auf die Fehlerhaftigkeit des Besitzes des Vorgängers richten, was bedeutet, daß der Vorgänger fehlerhaft besessen haben muß. Nicht fehlerhaft besitzt also, wer zwar um die verbotene Eigenmacht weiß, aber von einem gutgläubigen Vorgänger erwirbt34. Der Makel der Fehlerhaftigkeit wird also durch einen gutgläubigen Besitzer endgültig geheilt; das gilt selbst dann, wenn die Sache wieder an denjenigen gelangt, der die verbotene Eigenmacht begangen hat35. Fehlerhaft besitzt nicht nur der bösgläubige Nachfolger dessen, der verbotene Eigenmacht began- § 5 II 2 gen hat, sondern jeder bösgläubige Nachfolger eines fehlerhaften Besitzers. bb Gibt ein Besitzdiener eine Sache an einen Dritten heraus, so wird dadurch der unmittelbare Besitz des Besitzherrn gebrochen, und zwar durch den Besitzdiener. Die verbotene Eigenmacht des Besitzdieners kann nicht ohne weiteres gegen einen gutgläubigen Erwerber geltend gemacht werden36. Es kann auch nicht von Bedeutung sein, ob man eine vorübergehende Besitzergreifung des Besitzdieners annimmt mit darauf folgender Besitzübertragung auf den Dritten oder eine unmittelbare Besitzübertragung auf den Dritten. Der Dritte besitzt in Anwendung des § 858 II 2 nur dann fehlerhaft, wenn er um die verbotene Eigenmacht des Besitzdieners weiß37. Die Erstreckung der Fehlerhaftigkeit des Besitzes auf weitere Personen führt dazu, daß der Besitzschutz nicht nur gegen den gegeben ist, der die verbotene Eigenmacht begangen hat, sondern auch gegen Besitznachfolger, soweit sie fehlerhaft besitzen. Das ist eine Abweichung vom römischen Recht38, das BGB folgt hier den Regeln der Spolienklage des kanonischen Rechts39; andernfalls könnte der Besitzschutz zu leicht vereitelt werden40. Nachfolger im Besitz ist nicht nur derjenige, auf welchen der Besitz vom früheren Besitzer übertragen wurde, sondern jeder Besitzer, der zeitlich auf einen anderen folgt41. Wer eine vom Dieb weggeworfene Sache an sich nimmt, besitzt dem Bestohlenen gegenüber fehlerhaft, wenn er von dem Diebstahl wußte. Wer dem Dieb die gestohlene Sache stiehlt, besitzt gegenüber dem Diebe fehlerhaft. Er besitzt auch gegenüber dem Bestohlenen fehlerhaft, wenn er beim Besitzerwerb vom Diebstahl wußte.

33 34

35 36 37 38 39 40 41

Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3353 (Mugdan 3, 507). Der Dieb veräußert an den gutgläubigen A, dieser veräußert an B, der von dem Diebstahl weiß. A war fehlerfreier Besitzer, B ist es auch. Vgl. dazu Protokolle der 2. Kommission 3354 (Mugdan 3, 508). Vgl. aber unten bei Fn. 45. Die Garderobiere als Besitzdienerin des Theaterunternehmens etwa gibt einen Mantel absichtlich oder versehentlich an einen Fremden heraus. So zu Recht Rosenberg § 858 N. I 4 a; a.A. RG 71, 248 ff.; Westermann-Gursky § 22 IV 1. Vgl. oben § 3 II 1 b a.E. Vgl. oben § 3 II 2 b; auch Johow 456. Protokolle der 1. Kommission 3517 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 179). Vgl. Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 185; Biermann § 858 N. 2 c; Planck-Brodmann § 858 N. 3 b; Erman-Lorenz § 858 Rn. 12; Eichler II 1, 247; Wolff-Raiser § 17 II; Westermann-Gursky § 22 IV 2.

190

2. Besitzentziehung, Besitzstörung und fehlerhafter Besitz

§ 5 II 2 c

Fehlerhaft kann nicht nur der unmittelbare Besitz sein, sondern auch der mittelbare42. Verleiht der Dieb die gestohlene Sache an einen Gutgläubigen, so ist dieser fehlerfreier unmittelbarer Fremdbesitzer; der Dieb ist fehlerhafter mittelbarer Eigenbesitzer. Gibt der Entleiher die Sache an den Verleiher zurück, so ist dieser wiederum fehlerhafter unmittelbarer Eigenbesitzer. Übereignet der Dieb dem Entleiher die Sache gemäß § 929, 2, so wird der Entleiher fehlerfreier unmittelbarer Eigenbesitzer (aber nicht Eigentümer, § 935); ebenso wenn der Entleiher den Dieb beerbt. cc) Die Fehlerhaftigkeit des Besitzes endet, wenn die Sache in den Besitz des entsetzten Besitzers zurückgelangt, oder wenn dieser dem Besitz zustimmt (er schenkt die Sache z.B. dem Dieb)43. Sie endet weiter durch Zeitablauf nach § 864 I, vgl. unten IV 3 b, und wenn die Sache in den Besitz eines gutgläubigen Einzelnachfolgers kommt44. Im letzteren Fall lebt die Fehlerhaftigkeit des Besitzes jedoch wieder auf, wenn die Sache wegen Rückabwicklung (bei Nichtigkeit, Anfechtung, Rücktritt) des Vertrages an den früheren fehlerhaften Besitzer zurückgelangt. Es besteht kein Grund, den fehlerhaften Besitzer nach einem mißlungenen Veräußerungsgeschäft zu privilegieren45. Anders wäre es, wenn der Veräußerer die Sache aufgrund eines selbständigen Rechtsgeschäfts wieder erwerben würde. § 5 II 2 c) Wird fehlerhafter Besitz durch einen Besitzdiener erworben, so stellt sich die Frage, in welchen Fällen der neue Besitzer fehlerhaft besitzt: Kommt es für das Wissen um die Fehlerhaftigkeit (§ 858 II) auf die Person des Besitzerwerbers oder seines Besitzdieners an? Besitzt z.B. der Betriebsinhaber fehlerhaft, dessen Einkäufer wissentlich eine gestohlene Sache erworben hat, der aber selbst von der Fehlerhaftigkeit des Besitzes nichts wußte? Die Frage entscheidet sich nach § 166, vgl. oben § 4 IV 2 b. Hatte der Einkäufer den Auftrag, gerade diese Sache zu erwerben, so müssen gemäß § 166 II sowohl der Besitzherr als der Besitzdiener gutgläubig sein. Bestand dagegen nur ein allgemeiner Einkaufsauftrag, so entscheidet das Wissen des Besitzdieners, § 166 I. In unserem Beispiel muß sich der Besitzherr den bösen Glauben seines Besitzdieners zurechnen lassen, er kann sich nicht auf seinen eigenen guten Glauben berufen; er haftet aus § 861. Er kann sich auch nicht darauf berufen, daß der Einkäufer nicht beauftragt war, gestohlene Sachen für ihn zu erwerben. Er wollte alles besitzen, was der Einkäufer im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit für ihn erwarb. Will er die Sache nicht besitzen, muß er sie herausgeben; tut er das nicht, so zeigt er sein Einverständnis mit dem Vorgehen seines Einkäufers. Begeht der Besitzdiener selbst die verbotene Eigenmacht (der Einkäufer z.B. stiehlt die Sache), so können die Gewaltrechte nur gegen diesen ausgeübt werden. Hat der Besitzdiener die Sache erlangt, so ist der Besitzherr gemäß § 855 im gleichen Augenblick Besitzer geworden. § 858 II ist nicht anwendbar, da keine Nachfolge in den fehlerhaften Besitz vorliegt. Vielmehr ist unmittelbar fehlerhafter Besitz in der Person des Be42 43 44 45

J. vGierke § 9 II 2; Planck-Brodmann § 858 N. 3 a; RGRK-Kregel § 858 Rn. 14. Vgl. Rosenberg § 858 N. I 3 a; Schneider, JR 1961, 369; Westermann-Gursky § 22 IV 1; Staudinger-Bund § 858 Rn. 64. Vgl. oben bei Fn. 35. Vgl. OLG Oldenburg DJZ 1935, 441; MüchenerK-Joost § 858 Rn. 17; RGRK-Kregel § 861 Rn. 3; a.A. Wolff-Raiser § 19 Fn. 1; Westermann-Gursky § 22 IV 1. Das Problem hat eine Parallele bei der Rückübertragung des Eigentums, beide Fälle müssen im gleichen Sinne entschieden werden, vgl. unten § 10 VI 2.

191

§ 5 III 1 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

sitzherrn entstanden, denn der Besitzherr muß sich die verbotene Eigenmacht seines Besitzdieners zurechnen lassen46. Allerdings kann die Zurechnung nicht über § 166 geschehen, es geht nicht um die Zurechnung des Wissens, sondern die Zurechnung einer Handlung. Die Zurechnung ist dann möglich, wenn der Besitzherr entweder den Auftrag zum Begehen der verbotenen Eigenmacht gegeben hat, oder wenn er sie nachträglich genehmigt. Eine Genehmigung liegt auch dann vor, wenn der Besitzherr bei Kenntnis der Sachlage die Sache nicht freiwillig herausgibt.

III. Gewaltrechte 1. Besitzwehr a) Daß man sich gegen Besitzverletzungen mit Gewalt wehren darf, war schon im römischen1 und germanischen2 Recht anerkannt. Auch das BGB gibt gemäß § 859 I jedem Besitzer das Recht, sich gegen verbotene Eigenmacht mit Gewalt zu wehren. Es handelt sich um nichts anderes als um einen besonderen Fall der Notwehr nach § 227. Die Besonderheit liegt darin, daß § 227 den Angriff auf ein Recht oder auf ein geschütztes Rechtsgut fordert, was der Besitz gerade nicht ist. Mit § 859 I ist klargestellt, daß die angegriffene Persönlichkeit, die hinter dem Besitz steht und die mit jeder Besitzverletzung beeinträchtigt wird, eine hinreichende Legitimation für eine eigenmächtige Verteidigung des Besitzes darstellt. Der Gesetzgeber erachtete gerade die Fälle der Besitzverletzung in besonderem Maße für notwehrfähig, so daß er dies durch die positive Formulierung in § 859 I („… darf sich erwehren …“) gegenüber der negativen in § 227 I („… ist nicht widerrechtlich.“) hervorhob3. Die gleiche Rechtsfolge ergäbe sich allerdings auch aus § 858 I i.V.m. § 227, so daß § 859 I nicht erforderlich gewesen wäre. Das Recht zur Besitzwehr, d.h. zur eigenmächtigen Verteidigung des Besitzes gegen verbotene Eigenmacht, steht unmittelbar nur dem angegriffenen Besitzer zu. Da es sich um einen Fall der Notwehr handelt, ist § 227 II anzuwenden4. Der Verteidiger darf also nur zu solchen Hilfsmitteln greifen, die zur Abwehr erforderlich sind; von mehreren erfolgversprechenden Maßnahmen muß er die wählen, welche den Angreifer am wenigsten schädigt; andernfalls handelt er rechtswidrig5. Dagegen kommt eine Güterabwä-

46 1 2 3 4

5

Vgl. Ulpian D 43, 16, 1, 12. Vgl. z.B. Julianus D 43, 16, 17. Vgl. O. vGierke II 203. Vgl. Motive 3, 112. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3497 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 168), auch Motive 3, 113; ferner Biermann § 859 N. 2; Planck-Brodmann § 859 N. 2; RGRK-Kregel § 859 Rn. 2. Also keine harten Steine, wenn auch der Wurf mit einer weichen Kartoffel zur Verteidigung des Grundbesitzes gegen rechtswidrig eindringende PKW ausreicht, vgl. AG Hadamar, NJW 1995, 968. Zu den Rechten eines Grundstücksbesitzers gegen Falschparker vgl. die Übersicht bei Schwarz-Ernst, Ansprüche des Grundstücksbesitzers gegen „Falschparker“, NJW 1997, 2550.

192

§ 5 III

1. Besitzwehr

§ 5 III 1 b

gung grundsätzlich nicht in Betracht, auch gegen relativ unbedeutende Störungen ist Besitzwehr möglich; sie darf aber nicht mißbräuchlich sein6. § 5 III b) Zur Verteidigung des Besitzes gegen verbotene Eigenmacht ist neben dem Besitzer auch der Besitzdiener berechtigt, § 860. Allerdings steht dem Besitzdiener kein eigenes Recht zur Besitzwehr zu, er kann nur das Recht des Besitzers für diesen ausüben. Daraus folgt, daß der Besitzdiener – soweit es um den Besitz geht – Gewaltrechte gegen den Besitzer selbst nicht haben kann; daß er ferner das Gewaltrecht nicht ausüben darf, wenn der Besitzer dies nicht will. Ein angestellter Besitzdiener ist berechtigt, Gewaltrechte gegen andere Angestellte seines Besitzherrn auszuüben, wenn diese versuchen, ihm überlassene Sachen ohne Willen des Besitzers wegzunehmen7. § 860 ist, soweit er sich auf § 859 I bezieht, überflüssig, da das Recht der Besitzwehr als Unterfall der Notwehr ohnehin jedem Dritten gemäß § 227 I zusteht8. Aus § 227 I folgt, daß neben dem Besitzer und dem Besitzdiener auch jeder sonstige, beliebige Dritte den Besitz des Besitzers gegen verbotene Eigenmacht verteidigen darf, auch z.B. der mittelbare Besitzer9. Wenn die h.M. behauptet, Dritten stünden die Gewaltrechte aus § 859 nicht zu10, so ist das jedenfalls bezüglich des § 859 I nicht richtig; die Ausnahmekasuistik (gesetzliche Vertreter, Beauftragte, zugezogene Gehilfen, Besitzdiener aus anderen Abteilungen des Betriebes u.s.w.) ist überflüssig. Da dritte Personen aber eine fremde geschützte Position verteidigen, dürfen sie nicht eingreifen, wenn der Besitzer selbst den Besitz nicht verteidigen will. Die Besitzwehr steht auch dem unrechtmäßigen und fehlerhaften Besitzer zu, dem letzteren sogar gegen den, dem gegenüber er fehlerhaft besitzt11. Für § 859 gibt es keine den §§ 861 II, 862 II entsprechende Bestimmung. Ein Angriff auf den Besitz darf auf jeden Fall abgewehrt werden, wenn nicht ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund (z.B. §§ 229, 859 II und III) vorliegt. Auch wer rechtskräftig zur Herausgabe einer Sache verurteilt ist, kann sich nach § 859 I wehren, wenn der Berechtigte ihm die Sache gewaltsam abnehmen will12. Die Verteidigungsbefugnis richtet sich gegen den Störer bzw. gegen den, der die Besitzentziehung versucht. Gemäß § 859 IV richten sich die Gewaltrechte auch gegen den fehlerhaften Besitznachfolger des Täters. Diese Vorschrift kann indessen für § 859 I keine Bedeutung haben13. Denn wenn es überhaupt denkbar sein sollte, daß während der Störungshandlung eine Besitznachfolge erfolgt, so wäre jedenfalls der 6 7 8 9 10 11

12 13

Vgl. Baur-Stürner § 9 Rn. 11, auch BayObLG NJW 1965, 163: Besitzer bedroht Wanderer, die gutgläubig über sein Grundstück gehen, mit Flintenschüssen. Vgl. Hueck, Zur Frage der Besitzwehr von Arbeitern eines Betriebes untereinander hinsichtlich der Arbeitsgerätschaften, AP Nr. 1 zu § 860. So ausdrücklich Protokolle der 2. Kommission 3360 (Mugdan 3, 509); vgl. auch PlanckBrodmann § 860; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 859 N. 2. Vgl. Wendt, AcP 87 (1897), 58 f. Vgl. z.B. Staudinger-Bund § 859 Rn. 3; Erman-Lorenz § 859 Rn. 1; RGRK-Kregel § 859 Rn. 1. Trifft der Bestohlene nach einiger Zeit den Dieb mit der Sache und will er sie ihm gewaltsam abnehmen, so hat der Dieb das Recht der Besitzwehr, seine Verteidigung ist rechtmäßig (wenn nicht § 229 eingreift). Vgl. RG 107, 261. So zutreffend Rohde XXII 24; Biermann § 859 N. 3 d; Planck-Brodmann § 859 N. 3 a; Westermann-Gursky § 23, 1; a.A. Staudinger-Bund § 859 Rn. 22.

193

§ 5 III 2

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Nachfolger, der die Störungshandlung fortsetzt und zum Abschluß bringt, selbst Störer i.S.v. § 858 I. c) Die Besitzwehr richtet sich gegen eine drohende Entziehung des Besitzes und gegen Störungshandlungen. Gegen vollendete Störungen ist sie – als Unterfall der Notwehr – nicht denkbar, Notwehr gibt es nur gegen einen gegenwärtigen Angriff; sie ist nicht mehr möglich, wenn der Angriff abgeschlossen ist14. Beginnt etwa mein Nachbar, auf meinem Grundstück eine Grube auszuheben, so darf ich ihn gewaltsam daran hindern. Ist die Tätigkeit aber beendet, so ist eine Besitzwehr nicht mehr möglich, mag auch die Störung weiter bestehen. Ich bin im genannten Beispiel zwar berechtigt, die Grube jederzeit wieder zuzuschütten, doch hat das mit Besitzwehr nichts zu tun, da ich nicht in fremde Rechte oder in fremden Besitz eingreife15. Bei wiederkehrenden Störungen kann eine Besitzwehr auch dann erfolgen, wenn man zunächst nichts gegen die Störung unternommen hatte. Hat der Besitzer viele Male das Betreten seines Grundstücks geduldet, so kann er sich doch eines anderen besinnen und nunmehr Besitzwehr üben. Besitzwehrhandlungen sind rechtmäßig, sie können daher nie strafbar sein oder zu Schadensersatz verpflichten; auch kann es keine Notwehr des Störers (§ 227) gegen die Besitzwehr geben. Treffen aber Besitzschutz und Rechtsschutz zusammen, so muß der Besitzschutz zurücktreten, der Rechtsschutz geht vor. Schickt sich etwa der Mieter an, Möbel zu verheizen, im mitgemieteten Garten wertvolle Bäume zu fällen und dergl., so hat der Eigentümer – gleich ob er Vermieter und damit mittelbarer Besitzer ist – zum Schutz seines Eigentums das Notwehrrecht aus § 22716. Der Mieter ist nicht berechtigt, zum Schutz seines Besitzes einen Eingriff des Eigentümers gemäß § 859 I abzuwehren17.

2. Besitzkehr Ist der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, der Angriff auf den Besitz also erfolgreich abgeschlossen und beendet, so kommt eine Notwehr (Besitzwehr) nicht mehr in Betracht. Um dem entsetzten Besitzer auch nach Verlust seines Besitzes noch eigenmächtige Wiedererlangungshandlungen zu gestatten, griffen die Römer bei Grundstücken zu einer Fiktion: Der Besitz an einem ohne Wissen des Besitzers in dessen Abwesenheit besetzten Grundstück galt erst dann als verloren, wenn der Besitzer von der Entsetzung erfuhr und entweder keine sofortigen Maßnahmen zur Rückgewinnung ergriff oder damit scheiterte18. Das gemeine Recht hat das übernommen. Der erste Entwurf gab diese Regelung auf 19, wollte aber im Ergebnis das Gleiche erreichen, indem er dem Entsetzten statt der Notwehr ein Selbsthilferecht auf Wiedererlangung des 14 15

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Irrig daher Wolff-Raiser § 18 I 2; Biermann § 859 N. 2; zutreffend dagegen WestermannGursky § 23, 2. Es wird davon ausgegangen, daß der Nachbar nicht etwa Besitz an dem Teil des Grundstücks ergriffen hat, auf welchem er die Grube ausgehoben hat; zu den Fällen, in welchen die Störung zugleich Besitzentziehung darstellt, vgl. unten 2 c. Der Eigentümer hat zugleich das Selbsthilferecht nach §§ 229, 1004. So zutreffend Heck § 13, 5. Vgl. Kaser I 394. Johow, Begründung 425.

194

§ 5 III

2. Besitzkehr

§ 5 III 2 a

Besitzes gab20. Das rechtfertige sich daraus, daß die Entziehung des Besitzes solange nicht abgeschlossen sei, als der Täter sich gegen den nacheilenden Besitzer nicht mit Erfolg behauptet habe21. Schwiege das Gesetz, so habe der entsetzte Besitzer nur das allgemeine Selbsthilferecht aus § 229, was aber nicht ausreiche22. Das Selbsthilferecht müsse dem Gewaltrecht entsprechen, das nach gemeinem Recht der fingierte Besitzer gehabt habe23. Das Selbsthilferecht des entsetzten Besitzers (§ 859 II, III, Besitzkehr) erfordert daher nicht folgende in §§ 229 f. vorausgesetzte Erfordernisse: Vorausgesetzt wird nicht, daß obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und daß die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung des Anspruchs (§ 861) ohne die Selbsthilfe vereitelt oder wesentlich erschwert werde; verlangt wird ferner nicht die nachträgliche Anrufung des Gerichts, wie sie § 230 II fordert, vgl. § 72 II, III TE; § 815 II, III E 1. Andererseits ist das Selbsthilferecht des Besitzers aus § 859 II, III gegenüber dem allgemeinen Selbsthilferecht aus § 229 zeitlich stark eingeschränkt, damit der Rechtsfrieden nicht zu stark zu beeinträchtigt wird24. § 5 III a) Wem eine bewegliche Sache entzogen ist, dem steht das Selbsthilferecht nach § 859 II zu. Er kann seinen Anspruch aus § 861 gewaltsam gegen den Täter durchsetzen, wenn er ihn auf frischer Tat betrifft oder verfolgt. Die weitergehenden Voraussetzungen der §§ 229, 230 müssen nicht vorliegen25. Das Gesetz führt hier ein weitgehendes Faustrecht ein26, das sich nur dadurch begründen läßt, daß der Besitz des Entsetzenden noch nicht zur Ruhe gekommen und gefestigt ist. Um so wichtiger ist die zeitlich enge Begrenzung für die Aufnahme des Selbsthilferechts. Die Dauer des einmal aufgenommenen Selbsthilferechts ist dagegen nicht begrenzt, bis es zum Erfolg führt oder aufgegeben wird. Die Formulierung des § 859 II, daß der Besitzer den Täter „auf frischer Tat betroffen oder verfolgt“ haben müsse, lehnt sich bewußt an § 127 StPO an. Man wollte damit klarstellen, daß der Berechtigte den Täter auch in dessen Haus oder Wohnung hinein verfolgen dürfe27. Der Täter muß entweder auf frischer Tat betroffen oder auf frischer Tat verfolgt worden sein; d.h. entweder muß der Besitzer den Täter bei der Tat oder alsbald danach gestellt haben, oder er muß die Tat alsbald entdeckt haben28. Auch hier ist Gewaltanwendung nur insoweit zulässig, als sie zur Wiedererlangung des Besitzes erforderlich ist29. Liegen die Voraussetzungen des § 859 II nicht vor, so ist Gewaltanwendung dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 229 vorliegen; im übrigen ist der

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26 27 28 29

TE § 22 II, III; 1. Entwurf § 815 II, III. Protokolle der 1. Kommission 3497 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 167 f.). Motive 3, 112. Johow, Begründung 425. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3357 (Mugdan 3, 509). Vgl. oben pr.; wegen der Voraussetzung in § 230 II vgl. Kleinrath, Besitzschutz und Selbsthilfe, GruchBeitr 54 (1910), 481 ff.; dazu, daß nicht zunächst obrigkeitliche Hilfe in Anspruch genommen werden muß, vgl. den Fall RG HRR 1934 Nr. 1282. Protokolle der 2. Kommission 3357 (Mugdan 3, 509). Protokolle der 2. Kommission 3356 (Mugdan 3, 508); § 859 II gibt aber kein Recht, in ein Grundstück eines Dritten einzudringen, vgl. Rohde XXII 22 ff. Die „Nacheile“ des germanischen Rechts, vgl. Protokolle der 2. Kommission 3356 (Mugdan 3, 508), auch RG JW 1931, 2643. Vgl. RG JW 31, 2782.

195

§ 5 III 2 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

entsetzte Besitzer auf den Anspruch aus § 861 und aus einem eventuellen Recht zum Besitz verwiesen. Das Recht zur Besitzkehr steht dem unmittelbaren Besitzer zu, der Besitzdiener ist nach § 860 ohne weiteres (z.B. ohne besondere Aufforderung oder Zustimmung des Besitzers) berechtigt, dieses Recht für den Besitzer auszuüben30. Fraglich ist, ob sonstige Dritte zur Besitzkehr und Selbsthilfe für einen anderen berechtigt sind. Der Gesetzgeber hat die Frage bewußt offengelassen31. Zulässig ist es auf jeden Fall, wenn der Entsetzte Dritte mit der Besitzkehr beauftragt, oder wenn er bei der Verfolgung Gehilfen zuzieht32. Im übrigen gestattet es die h.M. Dritten grundsätzlich nicht, für den Entsetzten Besitzkehr zu üben33, während eine Mindermeinung auch eine Selbsthilfe durch Dritte in auftragloser Geschäftsführung zulassen will34. Eine vermittelnde Ansicht will die Besitzkehr in auftragloser Geschäftsführung nur dann als gerechtfertigt ansehen, § 5 III wenn der Entsetzte sie nachher genehmigt35. Gründe, die gegen eine Besitzwehr durch einen Geschäftsführer ohne Auftrag sprechen, sind nicht ersichtlich; das praktische Bedürfnis fordert eine solche Möglichkeit. Soll etwa der Dieb rechtmäßig und der Verfolger rechtswidrig handeln, wenn dieser in der Absicht handelt, die Interessen des Bestohlenen zu wahren? Soll der Dritte verpflichtet sein, sich vor der Verfolgung erst die Einwilligung des Entsetzten zu verschaffen? Zu vernünftigen Ergebnissen kommt man nur, wenn man die §§ 677 ff. auf die Selbsthilferechte anwendet. Voraussetzung ist aber, daß der Dritte die Interessen des entsetzten Besitzers verfolgen will, nicht daß er etwa den Dieb im eigenen Interesse berauben will36. Überschreitet der Dritte die Grenzen des § 859 II (bzw. § 229), so handelt er rechtswidrig und nicht im Interesse des früheren Besitzers, eine Geschäftsführung i.S.v. § 683 liegt nicht vor. Liegen die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Geschäftsführung ohne Auftrag vor, so handelt der Dritte rechtmäßig; eine zusätzliche Genehmigung ist nicht mehr erforderlich. Verbietet der Entsetzte die Besitzkehr, so handelt ein Dritter (einschließlich des Besitzdieners), welcher sie dennoch vornimmt, rechtswidrig. Mit der Anwendung der §§ 677 ff. wird die Kasuistik der h.M. überflüssig. Die Frage, ob der gesetzliche Vertreter Besitzkehr üben kann, ob ein Besitzdiener, der aber nicht die Sachgewalt ausübt (?), Besitzkehr ausüben darf, wenn er im gleichen Herrschaftsbereich tätig ist, wenn er in einem anderen Herrschaftsbereich tätig ist u.s.w.37, erledigt sich von selber. Dem entsetzten Besitzer steht das Recht zur Besitzkehr auch dann zu, wenn er fehlerhaft besaß, und selbst dann, wenn er gegenüber dem Entsetzer fehlerhaft besaß. 30

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Dieses Recht steht ihm auch gegen andere Arbeitnehmer des gleichen Betriebs zu, wenn diese verbotene Eigenmacht gegen den Besitzherrn begehen. § 859 greift aber nicht ein, wenn ein anderer Arbeitnehmer die Sache an sich nehmen will, um weisungsgemäß damit im Betrieb Arbeiten zu erledigen, vgl. BAG AP § 860 Nr. 1. Vgl. Motive 1, 356; Protokolle der 2. Kommission 3360 (Mugdan 3, 510). Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3360 (Mugdan 3, 510). Vgl. Biermann § 859 N. 3 a; Planck-Brodmann § 860; Soergel-Stadler § 859 Rn. 2; ErmanLorenz § 859 Rn. 1; RGRK-Kregel § 860; Westermann-Gursky § 23, 1. Vgl. Soergel-Fahse § 229 Rn. 9. Vgl. Planck-Knoke § 229 N. 5; Schlegelberger-Vogels-Hefermehl § 229 N. 3; RGRK-Johannsen § 229 Rn. 11; Enneccerus-Nipperdey § 242 III 4; MünchenerK-Grothe § 229 Rn. 2. Vgl. RGSt 60, 278. Vgl. z.B. Wolff-Raiser § 6 IV; Planck-Brodmann § 860.

196

2. Besitzkehr

§ 5 III 2 b

Selbst dann, wenn eine Klage gegen den Entsetzer gemäß § 861 II ausgeschlossen ist, kann der Verletzte doch das Gewaltrecht zum Zweck der Besitzkehr geltend machen38. Besitzkehr darf nicht nur gegen den Entsetzer geübt werden, sondern auch gegen einen Nachfolger im Besitz, soweit dieser fehlerhaft besitzt, § 859 IV. § 5 III b) Ist der Besitz an einem Grundstück entzogen, so steht dem entsetzten Besitzer das Recht zur Besitzkehr gemäß § 859 III zu. Er darf sich sofort nach der Entsetzung des Besitzes wieder bemächtigen. Der Teilentwurf Johows (§ 72 III) sowie der erste Entwurf (§ 815 III) wollten dieses Gewaltrecht – entsprechend dem gemeinen Recht, vgl. oben 2 pr. – dem Entsetzten sofort nach Kenntnis der Besitzentziehung geben. Die zweite Kommission hat die jetzige Regelung eingeführt, damit der Rechtsfrieden durch das gewährte Selbsthilferecht nicht zu sehr beeinträchtigt werde39. Aus dem gleichen Grund wurde auch der Antrag verworfen, die Besitzkehr „unverzüglich“ nach der Entsetzung zuzugestehen. Der des Besitzes Entsetzte könne sonst noch geraume Zeit nach der Entsetzung Selbsthilfe üben, wenn er ohne Verschulden nicht vorher von seinem Recht Gebrauch machen konnte. Denkbar ist etwa, daß er wegen unverschuldet später Kenntnis, wegen Krankheit u.s.w. gehindert war, einzugreifen. „Sofort nach der Entziehung“ bedeutet also nicht unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“, § 121 I), das Verschulden des früheren Besitzers spielt keine Rolle; es bedeutet aber auch andererseits nicht, daß der Entsetzte augenblicklich, blitzschnell tätig werden müßte. Vielmehr muß der Betroffene so schnell, wie er unter den gegebenen Umständen nach einem objektiven Maßstab kann, reagieren. Auch der Gesetzgeber wollte dem früheren Besitzer Zeit lassen, zunächst Vorbereitungen für die Wiedergewinnung des Besitzes zu treffen, andernfalls werde das Gewaltrecht in seiner Wirksamkeit zu sehr beeinträchtigt40. Dazu gehören z.B. auch Verhandlungen mit dem Störer, um ihn zur Besitzaufgabe zu bewegen41. Ist diese Frist verstrichen, steht dem Entsetzten – falls die Voraussetzungen gegeben sind – noch das Selbsthilferecht aus § 229 zu42. 38 39 40

41 42

Vgl. z.B. Planck-Brodmann § 859 N. 1. Protokolle der 2. Kommission 3356 ff. (Mugdan 3, 508). Protokolle der 2. Kommission 3358 (Mugdan 3, 509). Vgl. die Entscheidung LG Frankfurt NJW 1984, 183; zu pauschal (am gleichen Tag) AG Braunschweig NJW RR 1986, 1414; Besitzkehr nach 7 Stunden ist jedenfalls nicht mehr „sofort“, wie das AG München zutreffend feststellt, NJW 1996, 853 f. Vgl. RG Goltdammers Archiv 51, 191. Irrig will Kniep 319 ff. aus §§ 861 II, 862 II schließen, dem entsetzten Besitzer stünden Gewaltrechte zur Entziehung und Störung gegen den Entsetzer ein Jahr lang zu. Der Entsetzte könne ein Jahr lang versuchen, den Besitz wiederzuerlangen, er könne auch ein Jahr lang den Entsetzer in seinem Besitz stören. Sei z.B. der Besitz an einem Haus entzogen, so könne der Entsetzte sich jeden Morgen in die Wohnung des jetzt dort wohnenden Entsetzers begeben und dort Zeitung lesen, er handle in allen diesen Fällen nicht rechtswidrig (§ 123 StGB!), da der Entsetzer ja auch keine Klagen aus §§ 861 II, 862 II habe. Wenn der Entsetzer aber keine Klage hat, so hat er doch die Gewaltrechte, wie auch Kniep einräumt. Diese Rechte sind aber nur gegen rechtswidrige Angriffe gegeben. Der Entsetzte handelt rechtswidrig, wenn er nach Ablauf der in § 859 III genannten Frist Gewalt anwendet. Mag auch der Entsetzer keine Klage haben, wenn sich der Entsetzte mit seiner Gewaltanwendung durchsetzt, so ist doch die Gewaltanwendung rechtswidrig, die Verteidigung des Entsetzers dagegen rechtmäßig. Strafbar kann sich nur der gewaltsam handelnde Entsetzte machen (§ 123 StGB), nur er kann zum Schadensersatz verpflichtet sein, nicht der rechtmäßig handelnde frühere Entsetzer.

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§ 5 III 2 c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Das Recht zur Besitzkehr aus § 859 III steht dem früheren unmittelbaren Besitzer zu, einem Besitzdiener, § 860, so wie jedem Dritten, der als Geschäftsführer ohne Auftrag für den früheren Besitzer tätig wird, vgl. oben a. Gewalt darf nur insoweit angewendet werden, als sie erforderlich ist, den Besitz zurückzugewinnen. Das Gewaltrecht aus § 859 III steht auch dem fehlerhaften Besitzer zu, es richtet sich gegen den Entsetzer und gegen jeden fehlerhaften Besitznachfolger, § 859 IV. Das Recht aus § 859 III ist nicht nur dann gegeben, wenn der Besitz an einem Grundstück insgesamt entzogen wird, sondern auch bei Teilentziehung (z.B. ein Nachbar zäunt einen Teil meines Grundstücks ein). Eine solche Teilentziehung ist möglich, da Besitz an Sachteilen möglich ist, § 865. § 5 III c) Das Gesetz unterscheidet das Notwehrrecht des § 859 I (zeitlich unbegrenzt) vom Selbsthilferecht des § 859 II, III (zeitlich eng begrenzt) nach dem Gesichtspunkt, ob der Inhaber des Gewaltrechts noch Besitzer ist43. Solange der Besitzer noch den Besitz hat, kann er das Notwehrrecht zeitlich unbegrenzt geltend machen, § 859 I. Allerdings endet bei der Entziehung der Besitz mit der Vollendung der Entziehung, so daß in diesem Augenblick das Notwehrrecht aus § 859 I endet. Anders liegt es bei Störungen, da bloße Störungen dem Besitzer den Besitz nicht entziehen, vgl. oben II 2 a. Geht ein Nachbar dauernd über mein Grundstück, so kann ich Besitzwehr auch dann ausüben, wenn ich lange Zeit nichts dagegen unternommen habe. Diese Unterscheidung zwischen Störungen, die den Besitz dem Besitzer belassen, und Entziehung berücksichtigt aber nicht, daß es Störungen gibt, die zugleich Besitzentziehung sind: Stellt etwa A auf dem Grundstück seines Nachbarn B ein Gartenhaus auf, so entzieht er dem B den Besitz an dem Teil des Grundstücks, auf welchem das Gartenhaus steht; A erwirbt insoweit selbst Besitz. Im übrigen ist B weiter Besitzer des restlichen Grundstücks, aber dieser Besitz wird durch das Gartenhaus gestört. Soll in diesem Fall § 859 I eingreifen, soll also B nach beliebig langer Zeit wegen der Störung berechtigt sein, das Gartenhaus gewaltsam zu beseitigen? Oder soll dem B das Gewaltrecht nur sofort nach der Errichtung des Gartenhauses zustehen, § 859 III, weil eine Besitzentziehung vorliegt? Mit der Unterscheidung Störung – Entziehung geht das Gesetz davon aus, daß Störungen immer menschliche Handlungen sind, gegen welche eine Notwehr nach § 859 I zulässig ist. Das berücksichtigt aber nicht, daß es auch Störungen durch einen störenden Zustand geben kann, gegen welchen eine Notwehr nicht möglich ist. Hat jemand seinen PKW vor meiner Ausfahrt abgestellt, so stellt der parkende Wagen eine Störung dar. Mein Besitz an meinem PKW ist gestört, da ich mit ihm nicht auf die Straße gelangen kann. Eine Notwehr nach § 859 I ist nicht möglich, da kein gegenwärtiger Angriff mehr vorliegt, dieser vielmehr beendet ist. Eine Besitzentziehung liegt nicht vor, so daß die § 859 II, III nicht eingreifen. Ist eine entsprechende Anwendung möglich? Betrachten wir zunächst den ersten Fall, in welchem ein Störungszustand zugleich eine Teilentziehung des Besitzes ist. Als der Nachbar A das Gartenhaus auf dem Grundstück des B aufstellte und so dem B den Besitz teilweise entzog und zudem störte, hätte B sich dagegen mit Gewalt wehren können. Nachdem das Haus aufgestellt ist, greift § 859 I nicht mehr ein, weil es an einem gegenwärtigen Angriff fehlt44. Es

43 44

Vgl. Johow, Begründung 424 f. Unzutreffend daher E. Wolf § 2 D III e 3 cc; Wolff-Raiser § 18 I 2; Giehl 59 ff.

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1. Anspruch wegen Besitzentziehung, § 861

§ 5 IV 1 a

bleibt dem B nur das Selbsthilferecht des § 859 III wegen der Entziehung, das aber sofort ausgeübt werden muß. Später stehen dem B Gewaltrechte nicht mehr zu45. Wird mein Besitz ohne jede Besitzentziehung durch einen störenden Zustand gestört (z.B. ein auf der Straße vorschriftswidrig geparkter PKW behindert die Ein- oder Ausfahrt)46, so greift ebenfalls mangels eines gegenwärtigen Angriffs § 859 I nicht ein47. Ebensowenig greifen mangels Besitzentziehung § 859 II und § 859 III ein. Auch eine analoge Anwendung des § 859 II wegen des blockierten PKW kommt hier nicht in Betracht, da die Blockierung eines Fahrzeugs nicht mit dem Fall vergleichbar ist, daß ein Besitzentzieher mit der Sache auf der Flucht verfolgt wird. Wohl aber ist an eine entsprechende Anwendung des § 859 III zu denken: Mein Besitz am Grundstück oder am eingeschlossenen PKW48 ist – ebenso wie bei der Besitzentziehung – durch einen Zustand gestört, gegen welchen es keine Notwehr, sondern nur Selbsthilfe geben kann. Es ist daher sinnvoll, dem Gestörten das Recht aus § 859 III zu geben49. Er kann z.B. sofort nach dem Abstellen des störenden PKW einen Abschleppdienst beauftragen.

IV. Besitzschutzansprüche § 5 IV

1. Anspruch wegen Besitzentziehung, § 861 a) Der Anspruch auf Herausgabe steht dem früheren unmittelbaren Besitzer zu, dem die Sache durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde; ob er Eigen- oder Fremdbesitzer war, spielt keine Rolle, ebensowenig, ob er zum Besitz berechtigt war1. Der Besitzdiener kann den Anspruch nicht geltend machen, § 860 spricht ihm nur die Gewaltrechte zu2. Der Anspruch ist vererblich3 und abtretbar, ohne daß zugleich der Anspruch aus dem Recht zum Besitz abgetreten werden müßte. Anspruchsgegner ist der jetzige fehlerhafte Besitzer, sei es der Täter der verbotenen Eigenmacht, sei es ein Besitznachfolger i.S.d. § 858 II. Der Anspruch kann sich nicht 45

46

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H.M., vgl. Gärtner 162; Planck-Brodmann § 859 N. 3 b; RGRK-Kregel § 859 Rn. 6; ErmanLorenz § 859 Rn. 4; Palandt-Bassenge § 859 Rn. 6; Heck § 13, 9; BGH NJW 1967, 46; LG Frankfurt NJW 1984, 183. Vgl. den Fall AG Heidelberg NJW 1977, 1541 f. (Verhinderung der Einfahrt) und den Fall AG Karlsruhe NJW 1977, 1926 (Verhinderung der Ausfahrt); dazu Dörner, JuS 1978, 666 f. In beiden Fällen liegt eine Besitzstörung am Grundstück vor, der Besitzer ist gehindert, sein Besitztum nach eigenem Belieben zu nutzen. Ist die Ausfahrt versperrt, liegt gleichzeitig eine Besitzstörung am behinderten PKW vor. Irrig lehnt Venrooy, JuS 1979, 102 f. in solchen Fällen eine Störung ab, weil der (bloße) Besitzer kein Recht zur Nutzung habe. Das verwechselt Besitz und Recht zum Besitz; entscheidend ist, daß die Nutzungsmöglichkeit (nicht das Nutzungsrecht) gestört ist. Irrig daher Hoffstetter, NJW 1978, 256; Giehl 172 ff. Für eine entsprechende Anwendung des § 859 III auf Fahrzeuge auch Planck-Brodmann § 859 N. 3 b. Vgl. Rosenberg § 859 N. I 1; zustimmend jetzt auch Westermann-Gursky § 23, 2. Auch der Verwahrer, dem der hinterlegende Eigentümer die Sache wegnimmt, hat gegen diesen die Klage aus § 861, vgl. z.B. OLG (KG) 6, 256. Anders noch das ALR I 7 § 146; zum mittelbaren Besitzer vgl. unten § 6 IV. Das war in § 2053 des 1. Entw. ausdrücklich bestimmt; die 2. Kommission (Prot. 7721 ff., Mugdan 5, 422) strich das als selbstverständlich.

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§ 5 IV 1 b

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

gegen einen Besitzdiener richten4, wohl aber gegen den mittelbaren Besitzer, sofern dieser fehlerhaft besitzt. Der Besitz des mittelbaren Besitzers ist z.B. fehlerhaft, wenn er beim Besitzerwerb die Fehlerhaftigkeit des Besitzes des Besitzmittlers kennt: Der Dieb verkauft eine Sache und mietet sie vom bösgläubigen Erwerber zurück, die Besitzübertragung erfolgt durch Besitzkonstitut. Es haften beide aus § 861. Verwandelt der fehlerhafte unmittelbare Besitzer seinen Besitz in mittelbaren Besitz, so ist dieser mittelbare Besitz fehlerhaft: Der Dieb verleiht die Sache. Der unmittelbar besitzende Entleiher haftet in diesem Fall nur, wenn er beim Besitzerwerb bösgläubig i.S.v. § 858 II war. Erhält der mittelbare Besitzer die Sache zurück, so verwandelt sich sein Besitz wieder in fehlerhaften unmittelbaren Besitz. Endet der Besitz des Anspruchsgegners auf irgendeine beliebige Weise (Übertragung, Verlust u.s.w.), so wird er frei; der Anspruch aus § 861 erlischt. Es bleiben dem Gläubiger gegebenenfalls Schadensersatzansprüche aus einem Recht. Umstritten ist die Rechtslage, wenn der aus § 861 Beklagte den Besitz nach der Klageerhebung verliert. Verliert er den Besitz, ohne ihn zu übertragen (Verlust, Besitzaufgabe u.s.w.), so geht damit der Anspruch aus § 861 unter, der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt; es bleibt nur die Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO. Überträgt der Beklagte den Besitz, so sind die §§ 265, 325, 727, 731 ZPO anzuwenden: Das gegen den Veräußerer ergehende Urteil wirkt gegen den Erwerber, gegen ihn kann der Kläger eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erlangen. Das Urteil wirkt nur dann nicht gegen den Erwerber, wenn dieser gutgläubig war i.S.d. § 325 II ZPO; das ist nur dann der Fall, wenn der Erwerber beim Besitzerwerb weder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes kannte, noch bezüglich der Rechtshängigkeit bösgläubig war (d.h. diese weder kannte noch aus grober Fahrlässigkeit nicht kannte). Böser Glaube in einem Punkte schadet ihm bereits5. § 5 IV b) Der Anspruch wegen Besitzentzugs ging im römischen Recht wegen des Prinzips der condemnatio pecuniaria im Falle einer Verurteilung immer auf eine Geldsumme, im gemeinen Recht auf Herausgabe oder – bei schuldhafter Unmöglichkeit – ebenfalls auf Zahlung einer Geldsumme. Die Bestimmung der zu zahlenden Summe stieß allerdings auf Schwierigkeiten, denn wie sollte der Wert des Besitzes berechnet werden? Daß der Wert des Besitzes nicht immer mit dem Sachwert identisch war, darüber war man sich bald im Klaren, aber wie sollte man den Wert des Besitzes eines Mieters oder gar eines Diebes bestimmen? Für den Eigentümer war der Wert des Besitzes identisch mit dem Sachwert, für den Mieter konnte man auf den Wert des Mietrechts zurückgreifen, aber den Wert des Besitzes eines Diebes zu bestimmen, war unmöglich; die Aufgabe blieb dem Ermessen des Richters vorbehalten6. In Wahrheit hat der reine Besitz ohne Recht 4 5 6

Anders zu Unrecht Gärtner 179; vgl. auch Rohde XXII 28. Vgl. z.B. Biermann § 861 N. 2 b; a.A. Planck-Brodmann § 861 N. 2 c. Ulpian D 43, 17, 3, 11. In hoc interdicto (uti possidetis) condemnationis summa refertur ad rei ipsius aestimationem. „quanti res est“ sic accipimus „quanti uniuscuiusque interest possessionem retinere.“ Servii autem sententia est existimantis tanti possessionem existimandam, quanti ipsa res est. sed hoc nequaquam opinandum est: longe enim aliud est rei pretium, aliud possessionis (Bei diesem Interdikt geht die Verurteilung auf den Wert der Sache selbst. „Wieviel die Sache wert ist“ verstehen wir als „wieviel es jedem wert ist, den Besitz der Sache zu behalten. Servius aber ist der Ansicht, der Besitz sei auf den Wert zu schätzen, den die Sache selbst hat. Das kann man aber keinesfalls annehmen, denn der Wert der Sache ist gänzlich verschieden vom Wert des Besitzes). Vgl. auch Ulpian D 43, 24, 15, 7.

200

1. Anspruch wegen Besitzentziehung, § 861

§ 5 IV 1 b

zum Besitz keinen Vermögenswert7. Die Problematik der Wertbestimmung des Besitzes war auch den Autoren des gemeinen Rechts bewußt, und deshalb lehnte Johow in der Begründung seines Teilentwurfs einen Anspruch auf Schadensersatz wegen possessorischer Besitzverletzung ab, eine Entscheidung, welche auch von der zweiten Kommission nicht mehr in Frage gestellt wurde8. Erst dadurch ist eine saubere Trennung possessorischer und petitorischer Ansprüche herbeigeführt, denn wenn bei possessorischen Klagen eine Geldverurteilung nach dem Wert etwa des Mietrechts erfolgt, so wird auf diese Weise nicht der Besitz, sondern das Recht zum Besitz geschützt. Und hat der Besitz keinen Wert, weil der Besitzer kein Recht zum Besitz hat, so kann eine Verurtei- § 5 IV lung in Geld nur eine Bestrafung sein, für welche das Privatrecht nicht zuständig ist. Der Anspruch aus § 861 geht also ausschließlich auf Wiedereinräumung des entzogenen Besitzes, nicht etwa auf die Herausgabe von Nutzungen und Surrogaten, nicht auf Schadensersatz. Verliert also der aus § 861 haftende Besitzer schuldhaft den Besitz, so haftet er nicht etwa aus § 280 auf Schadensersatz9, auch § 287 ist nicht anwendbar10. Da der Anspruch aus § 861 auf Wiedereinräumung des Besitzes gerichtet ist, muß der Schuldner den Besitzzustand wiederherstellen, der vor der verbotenen Eigenmacht bestand11. Er muß also – auf seine Kosten – die Sache wieder in den Besitz des Berechtigten bringen12. Der mittelbare Besitzer ist verpflichtet, dem Berechtigten gemäß § 870 den mittelbaren Besitz zu verschaffen. Im Gegensatz zum römischen und gemeinen Recht gibt es kein besonderes Verfahren zur Geltendmachung der Besitzschutzansprüche. Der Kläger kann Ansprüche aus verbotener Eigenmacht neben Ansprüchen aus Rechtsverletzung geltend machen13. Der Kläger ist also nicht gehindert, Tatsachen sowohl für einen Anspruch aus § 861 wie z.B. aus §§ 985, 823, 812 u.s.w. vorzutragen. Das Geltendmachen des einen Anspruchs bedeutet nicht Verzicht auf den anderen14. Beide Ansprüche können auch in einer Klage geltend gemacht werden, § 260 ZPO15. Das nimmt dem Anspruch aus § 861 aber nicht seinen possessorischen Charakter, eine Berufung auf ein Recht zum Besitz ist ihm gegenüber nicht möglich. Es ist auch nicht erforderlich, daß der Kläger sich ausdrücklich auf § 861 beruft, ein entsprechender Sachvortrag reicht aus. Sobald die Voraussetzungen eines Anspruchs feststehen, muß das Gericht der Klage stattgeben16. 7 8 9 10 11 12 13 14 15

16

Vgl. unten 6 a. Johow 447 ff., Motive 3, 119, 124. Vgl. auch Wieling, FG vLübtow 579; Westermann-Gursky § 24 II 3; Müller Rn. 158. Vgl. Rohde XXII 37. Vgl. Planck-Brodmann § 861 N. 3; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 861 N. 7; StaudingerBund § 861 Rn. 3; RGRK-Kregel § 861 Rn. 6. Vgl. E. Schneider, JR 1961, 367. Das war in § 80 I TE und § 823 I E 1 ausdrücklich bestimmt, wurde aber von der 2. Kommission (Prot. 3368, Mugdan 3, 518) als selbstverständlich gestrichen. Vgl. Ulpian D 41, 2, 12, 1: Non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit; Motive 3, 130. Das war ursprünglich nicht möglich, vgl. ZPO (alte Fassung) § 232 II (= § 260 neue Fassung): „Die Besitzklage und die Klage, durch welche das Recht selbst geltend gemacht wird, können nicht in einer Klage verbunden werden.“ Absatz 2 wurde 1889 gestrichen. Zur Widerklage vgl. unten 3 e. Das muß nicht immer der possessorische Anspruch sein, vgl. Schneider, JR 1961, 367; hier auch zur Frage der Zulässigkeit von Eventualvorträgen (das Gericht möge in erster Linie verbotene Eigenmacht prüfen, dann erst ein Recht zum Besitz).

201

§ 5 IV 2 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Gemäß § 256 ZPO ist eine Feststellungsklage zulässig dahingehend, daß der Kläger Besitzer sei17, wenn z.B. der Beklagte den Besitz bestreitet, ohne ihn zu stören. Eine solche Klage wird nur in Fällen offenen Besitzes vorkommen.

2. Anspruch wegen Besitzstörung, § 862 a) Wird der Besitz dem Besitzer durch verbotene Eigenmacht nicht entzogen, sondern sonstwie gestört, so greift § 862 ein, falls die weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Geschützt ist der unmittelbare Besitz, also die tatsächliche Möglichkeit des Besitzers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren. Störung ist jede Beeinträchtigung dieser Möglichkeit18. Daß die Störung nicht immer exakt gegenüber der Entziehung abgegrenzt werden kann, ist bereits oben II 2 a erörtert. Dem Kläger darf daher ein falscher Klageantrag nicht schaden, er kann von § 861 zu § 862 übergehen und umgekehrt, eine Klageänderung i.S.v. § 263 ZPO ist darin nicht zu sehen19. Die Störung kann einmal geschehen durch körperliches Einwirken auf die Sache: durch Betreten20, Befahren, Überbau, Immissionen (z.B. Lärm, Feuchtigkeit), Eindringen in den Luftraum durch Stromleitungen, durch Schwenkbagger und Baukräne21, durch Einwerfen von Reklamematerial gegen den erkennbaren Willen des Besitzers22 u.s.w. Soweit aber die Rechtsordnung (z.B. §§ 904 ff.) den Eigentümer zur Duldung von Störungen verpflichtet, muß auch der Besitzer sie hinnehmen; es liegt dann keine verbotene Eigenmacht vor. Eine Störung liegt auch bereits dann vor, wenn eine Einwirkung auf die Sache zwar noch nicht gegeben, aber mit Sicherheit zu erwarten ist23. Eine solche Situation kann vorliegen aufgrund einer gefahrdrohenden Anlage, wenn etwa eine Staumauer errichtet wurde, so daß eine Überschwemmung zu erwarten ist; oder wenn ein Graben so dicht an einer Mauer ausgehoben wurde, daß mit dem Einsturz zu rechnen ist24. Eine Besitzstörung durch drohende Einwirkung kann sich aus dem Verhalten des Störenden ergeben, so etwa wenn jemand Bauvorbereitungen trifft, um auf dem Grundstück des Besitzers zu bauen25. Eine drohende Einwirkung kann sich schließlich auch aus wörtlichen Erklärungen ergeben, wenn etwa der Störer eine Einwirkung auf die Sache androht26. Auch hierin liegt eine Störung27, wenn die Drohung 17

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Vgl. Johow, Begründung 437; Bunsen, ArchBR 23 (1904), 94; a.A. Westermann (5. Aufl. 1966) § 24 II 3; Erman-Lorenz § 861 Rn. 6; Staudinger-Bund § 861 Rn. 21, da die Entscheidung über die Besitzfrage nur vorläufigen Charakter habe. Das ist aber nicht zwangsläufig so, vgl. oben I b. Vgl. auch die Definition der Störung in RG 55, 57. Unstreitig, vgl. z.B. Staudinger-Bund § 862 Rn. 12; Soergel-Stadler § 862 Rn. 1. Bei offenen, nicht eingezäunten oder sonst markierten Grundstücken, wie z.B. bei Waldgrundstücken, ist im Betreten jedoch regelmäßig keine verbotene Eigenmacht zu sehen, vgl. Planck-Brodmann § 862 N. 2 a α. Vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 98, 100 ff.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 142. Zur sog. ideellen Immission vgl. Band 2. Vgl. KG NJW 2002, 379 ff. Vgl. Ulpian D 43, 8, 2, 18; RG 101, 340; RG JW 1931, 1191; Schwab-Prütting Rn. 125; Endemann § 45, 2 b; E. Wolf § 2 D IV c 3; Eichler II 1, 265. Vgl. Biermann § 862 N. 2 a; Planck-Brodmann § 862 N. 2 a α; Rosenberg § 862 N. I 1 c. Vgl. Rosenberg § 862 N. I 1 c; Staudinger-Bund § 858 Rn. 15. Vgl. RG JW 1908, 274; OLG (Braunschweig) 4, 290. Vgl. Rosenberg § 862 I 1 c; Planck-Brodmann § 862 N. 2 a; Staudinger-Bund § 858 Rn. 15; offen bleibt die Frage in Motive 3, 126.

202

§ 5 IV

2. Anspruch wegen Besitzstörung, § 862

§ 5 IV 2 a

ernst zu nehmen ist und dem Bedrohten ein Widerstand gegen die angedrohte Handlung nicht zuzumuten ist28. Dagegen ist das bloße Bestreiten des Besitzes oder die Behauptung eigenen Besitzes noch keine Besitzstörung29, dem Betroffenen steht allenfalls die Feststellungsklage zu. Ebensowenig stellt eine unbegründete Herausgabeklage eine Besitzstörung dar30, das Beschreiten des Rechtsweges ist das Gegenteil der verbotenen Eigenmacht. Nach einer verbreiteten Ansicht kann die Besitzstörung nicht nur durch eine Einwirkung auf die Sache geschehen, sondern auch durch eine Einwirkung auf den Besitzer, die diesen belästigt oder an der Vornahme von Besitzhandlungen hindert. So soll es z.B. eine Besitzstörung sein, wenn der Verpächter den Pächter am Bestellen und Abernten des Feldes hindert31; wenn der Besitzer gehindert wird, auf dem Grundstück eine Mauer oder einen Zaun zu errichten; wenn der Mieter am Zutritt zu seinen Räumen gehindert wird32; wenn der Vermieter dem Mieter das Wasser oder den Strom absperrt oder wenn er ihn hindert, in seinen Räumen Gäste zu empfangen33, überhaupt bei jedem Eingriff in die Entschließungsfreiheit des Besitzers34. Das ist in dieser Allgemein- § 5 IV heit nicht haltbar. Eine Besitzstörung kann immer nur dann angenommen werden, wenn durch die Einwirkung auf die Person die Sachherrschaft selbst, der Besitz als solcher, beeinträchtigt wird35. Wer den Pächter einsperrt, schwer verletzt, ihm seine Geräte wegnimmt u.s.w., hindert den Pächter zwar am Bestellen des Feldes, begeht aber keine Besitzverletzung am Pachtgrundstück. Auch der Vermieter, der dem Mieter das Wasser oder den Strom absperrt, greift in den Besitz des Mieters nicht ein36, er begeht keine Besitzverletzung, sondern eine Vertragsverletzung; er greift nicht in die Sachherrschaft des Mieters an seinen Räumen ein, mag dieser auch z.B. nach Ausfall der elektrischen Heizung die Räume nicht bewohnen können. Oder sollte auch der Ölhändler, der trotz angenommener Bestellung das Heizöl nicht liefert, eine Besitzverletzung an den Räumen des Bestellers begehen? Der Vermieter, der dem Mieter die Wohnungstür zunagelt, begeht eine Besitzverletzung, indem er durch Einwirkung auf die Sache die tatsächliche Sachherrschaft des Mieters beeinträchtigt. Der Vermieter, der den Mieter im Flur festhält und so hindert, seine Wohnung zu betreten, begeht eine Vertragsverletzung und eine Freiheitsverletzung (§ 823; § 240 StGB), er wirkt dagegen nicht auf die Sache ein und begeht keine Besitzstörung. Eine Einwirkung auf die Person des Besitzers kann also nur dann eine Besitzverletzung sein, wenn mit dieser Einwirkung zugleich auf die Sa28 29 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Biermann § 862 N. 2 b. Vgl. Rosenberg § 862 I 1 c; Biermann § 862 N. 2 b; Wolff-Raiser § 17 I 2 c. H.M; vgl. z.B. BGH 20, 171; Biermann § 862 N. 2 b; Planck-Brodmann § 862 N. 2 a; RGRK-Kregel § 858 Rn. 6; irrig OLG (KG) 3, 27. Windscheid-Kipp I § 159; Rosenberg § 862 N. I 1 a β. Rosenberg § 862 N. I 1 a β. Staudinger-Bund § 858 Rn. 14; Wolff-Raiser § 17 I 2 c; Westermann-Gursky § 22 I 2. OLG (Braunschweig) 4, 290. Vgl. Planck-Brodmann § 862 N. 2 a. Zutreffend KG MDR 2001, 1346 ff. und MDR 2002, 574; LG Frankfurt, NJW-RR 2002, 803 ff.; AG Eckernförde, SchlHA 1949, 129 und jetzt auch Ulrici, Liefersperren als verbotene Eigenmacht, ZMR 2003, 895 ff.; a.A. zu Unrecht OLG Koblenz, RdL 2000, 236; LG Itzehoe BB 1962, 1346; AG Landau ZMR 1984, 246; AG Siegen, WuM 1996, 707; PalandtBassenge § 862 Rn. 5.

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§ 5 IV 2 b

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

che selbst eingewirkt wird37. Es ist auch nicht erforderlich, den Begriff der Besitzstörung auf alle „eigenmächtigen Eingriffe in die Rechtssphäre eines anderen“ auszudehnen38; die Möglichkeit des Beeinträchtigten, seine Rechte durch Notwehr, Selbsthilfe und einstweilige Verfügung geltend zu machen, reicht völlig aus. § 5 IV b) Der Störungsanspruch steht dem unmittelbaren Besitzer der Sache zu, auf welche störend eingewirkt wurde. Der Anspruch ist vererblich und abtretbar, wenn gleichzeitig der Besitz an der gestörten Sache übergeht bzw. übertragen wird39. Wird der Besitz übertragen, so wird in der Regel eine Abtretung des Störungsanspruchs anzunehmen sein40; liegt eine fortdauernde Störung vor, so hat der neue Besitzer einen eigenen Störungsanspruch. Der Anspruch richtet sich gegen den Störer. Die Störung kann bestehen in einer störenden Handlung oder im Aufrechterhalten eines störenden Zustandes. Bei Handlungsstörungen richtet sich der Anspruch gegen den Handelnden. Er richtet sich weiter gegen den Auftraggeber, der den Handelnden zur Störungshandlung beauftragt hat; es haften in diesem Falle beide41, doch kann sich der Beauftragte durch laudatio auctoris dem Prozeß entziehen, §§ 76, 77 ZPO42. Für Handlungen der Organe haftet die juristische Person43, entsprechend § 31 BGB. Störer ist ferner, wer Störungshandlungen duldet, obwohl er sie verhindern könnte und dazu auch verpflichtet ist. Eine Abwendungspflicht kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Betroffene die Störung durch sein Verhalten erst ermöglicht hat, wenn er etwa ein Gewerbe ausübt, in dessen Betrieb Dritte übermäßigen Lärm verursachen44, oder wenn er einen solchen Betrieb verpachtet hat45. Störer ist weiter, wer eine störende Anlage errichtet und unterhält, z.B. Gebäude auf fremdem Grund errichtet, überbaut, auf eigenem Grund so baut, daß Erker oder Balkone in den Luftraum des Nachbargrundstücks ragen, durch Gräben auf eigenem Grundstück Regen- oder Abwasser auf ein fremdes Grundstück leitet u.s.w. Störer ist aber auch, wer solche Anlagen besitzt und hält, ohne sie selbst errichtet zu haben (Zustandsstörer). Denn Grundlage der Störungsklage ist nicht prinzipiell eine Störungshandlung, sondern allgemein eine Störung, mag sie in einer Handlung oder in einem Zustand bestehen46. Wer etwa ein Grundstück mit einer störenden Anlage erbt, ist Störer; ebenso, wer ein solches Grundstück sonstwie erwirbt, z.B. durch Kauf 47. Der Ge-

37 38 39 40 41

42 43 44 45 46 47

Zutreffend RGRK-Kregel § 858 Rn. 7; Rohde XXII 14. So aber Westermann-Gursky § 22 I 2. Vgl. Biermann § 862 N. 3 a; Rosenberg § 862 N. I 2 b α; Planck-Brodmann § 862 N. 2 a pr. Rosenberg a.a.O. Ulpian D 43, 16, 1, 12; Rosenberg § 862 N. I 3; Biermann § 862 N. 3 b; Planck-Brodmann § 862 N. 3; Soergel-Stadler § 862 Rn. 3; Palandt-Bassenge § 862 Rn. 9; OLG (Stettin) 2, 42. Vgl. Planck-Brodmann § 862 N. 3. Josef, ArchBR 15 (1899), 284. RG 97, 26: Haftung des Inhabers einer Fliegerschule, wenn Schüler in geringer Höhe Grundstücke überfliegen. Haftung des Verpächters einer Gastwirtschaft für Wirtshauslärm, RG 47, 163. Vgl. Motive 3, 125. Vgl. RG 103, 174 ff.; Biermann § 862 N. 3 b; Planck-Brodmann § 862 N. 3; Wolff-Raiser § 19 II 2.

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2. Anspruch wegen Besitzstörung, § 862

§ 5 IV 2 c

störte kann sich nur an den jeweiligen Besitzer und Halter der störenden Anlage halten, nicht an deren Errichter48. Dagegen wollen Rosenberg49 und Josef50 nicht den Halter, sondern nur den Errichter der Anlage haften lassen. Das ist nicht haltbar, denn der Errichter der Anlage stört nicht mehr, sobald er den Besitz an den Erwerber übertragen hat. Zudem hat er keine Möglichkeit, die Störung abzustellen51. Kipp52 will die Klage gegen den Einzelrechtsnachfolger nur dann geben, wenn dieser bösgläubig ist. Auch das ist in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. Die Frage der Bösgläubigkeit spielt eine Rolle nur in § 858 II 2, kann also nur von Bedeutung sein, wenn die Störung zugleich Besitzentzug ist, z.B. beim Überbau, Bauen auf fremdem Grundstück u.ä. Überträgt in diesen Fällen der Störer seinen Besitz auf einen gutgläubigen Erwerber, so haftet allerdings dieser nicht aus possessorischen Ansprüchen53. Der Besitzer einer störenden Anlage haftet auch dann, wenn er nicht Eigentümer geworden ist, z.B. der Pächter54. Daneben haftet eventuell der Eigentümer, wenn er in der Lage ist, die Störungen abzustellen. Eine Haftung für eine störende Anlage kann aber immer nur dann eintreten, wenn die Anlage wirklich von Menschenhand angelegt wurde. Der Eigentümer eines Felshanges, von welchem durch Verwitterungen Steine abbröckeln und auf ein anderes Grundstück fallen, ist nicht Störer55. Anders der Eigentümer eines Grundstücks mit angelegtem Teich, in welchem Frösche durch übermäßiges Quaken die Nachbarn stören56. Mag der Eigentümer auch weder den Teich selbst angelegt haben noch Frösche dort ausgesetzt haben, so haftet er doch als Halter einer störenden Anlage. Entscheidend ist, daß er die Störung beseitigen kann, daß die Beseitigung von seinem Willen abhängt57. Umstritten ist die Haftung, wenn der Eigentümer der störenden Anlage das Grundstück derelinquiert und den Besitz aufgibt. Nach Planck-Brodmann58 und Wolff-Raiser59 soll hier der Hersteller der Anlage haften. Da er indessen nach der Besitzaufgabe nicht mehr stört, ist diese Ansicht nicht zutreffend. Richtig ist die Ansicht vTuhrs60, daß in diesem Falle keiner hafte. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn die Störung in einer teilweisen Besitzentziehung besteht, z.B. in einem Überbau. Ist der entzogene Besitz wieder aufgegeben, so entfällt jeder possessorische Anspruch. § 5 IV c) Eine Haftung aus § 862 tritt nicht in jedem Fall der Besitzstörung ein, sondern nur in zwei Fällen: bei andauernden Störungen und bei vorübergehenden Störungen dann, wenn weitere Störungen zu besorgen sind. Eine vorübergehende Störung, bei welcher weitere Störungen nicht zu besorgen sind (z.B. Wanderer betreten ein fremdes 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Dagegen würde bei Verschulden der Errichter weiter aus § 823 auf Schadensersatz haften. § 862 N. 3. ArchBR 15 (1899), 281. Vgl. Biermann § 862 N. 3 b; RG 92, 22. Windscheid-Kipp I 820. Vgl. Planck-Brodmann § 862 N. 3. Vgl. RG JW 1936, 3454. Vgl. RG 134, 234; Wolff-Raiser § 17 I 2 b. Vgl. RG JW 1910, 654; auch RG 127, 34. RG JW 1936, 3454; Palandt-Bassenge § 862 Rn. 9. § 862 N. 3. § 19 II. AT I 251.

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§ 5 IV 2 c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Grundstück), ist zwar eine Besitzstörung, welche die Rechte aus § 859 gibt; ein Unterlassungsanspruch entsteht daraus nicht. Bei vorübergehenden Störungen hat der Gestörte einen Anspruch auf Unterlassen, wenn weitere Störungen zu besorgen sind, § 862 I 2. Es reicht nicht die bloße Möglichkeit weiterer Störungen, es müssen vielmehr Tatsachen gegeben sein, die bei verständiger Würdigung eine weitere Störung wahrscheinlich machen. Eine solche Wahrscheinlichkeit wird in den Fällen immer gegeben sein, in welchen sich der Störer ein Recht zur Vornahme der störenden Handlung anmaßt61. Entfällt eine – zunächst bestehende – Wahrscheinlichkeit im Laufe des Prozesses, wird die Klage unbegründet. Entscheidender Zeitpunkt ist das Urteil62. Die Klage setzt nicht voraus, daß eine Sacheinwirkung bereits geschehen ist, eine drohende Einwirkung kann ausreichen, vgl. oben a. Die § 5 IV Vollstreckung des Urteils erfolgt nach § 890 ZPO. Besteht die Störung in einem störenden Zustand, so hat der Störer (vgl. oben b) sie zu beseitigen, § 862 I 1. Er hat den Besitzstand herzustellen, wie er vor der Störung bestand63. Das bedeutet nicht etwa, daß der Zustand herzustellen wäre, wie er bestünde, wenn die Störung nicht eingetreten wäre. Der Beseitigungsanspruch geht nicht auf Naturalrestitution wie ein Schadensersatzanspruch. Hat etwa jemand durch Gräben auf dem eigenen Grundstück Regenwasser auf ein Nachbargrundstück geleitet, so kann der Gestörte Beseitigung der Gräben verlangen. Hat der Regen Schlamm, Geröll u.s.w. auf das Nachbargrundstück getragen, so kann der Gestörte auch Beseitigung des Gerölls oder Schlamms verlangen. Ist dagegen durch das Wasser ein Blumenbeet zerstört worden oder Feuchtigkeit in ein Gebäude eingedrungen, so kann hierfür Ersatz nicht verlangt werden. Es handelt sich nicht um eine fortdauernde Störung, sondern um Schäden, die nach §§ 861, 862 nicht ersetzt werden. Der Besitzstand des Betroffenen ist durch diese Schäden nicht gestört. Ein Schadensersatz kommt nur nach Deliktsrecht in Betracht. Der Störer hat die Beseitigung der Störung auf eigene Kosten vorzunehmen64. Dieser herrschenden Ansicht tritt vTuhr65 entgegen: Es sei eine Anomalie und unbillig, daß der Störer Opfer aus eigenem Vermögen erbringen solle, der Entzieher gemäß § 861 aber nicht. Das überzeugt indessen nicht, denn auch der Entzieher muß auf seine Kosten die Störung beseitigen, d.h. die Sache zurückgeben66. 61 62 63 64 65 66

Vgl. Johow, Begründung 460; Planck-Brodmann § 862 N. 2 a β. Vgl. Biermann § 862 N. 4 b; Rosenberg § 862 N. I 1 b α. Biermann § 862 N. 4 a; Soergel-Stadler § 862 Rn. 4; Staudinger-Bund § 862 Rn. 3 f. Biermann § 862 N. 4 a; Rosenberg § 862 N. 4; Planck-Brodmann § 862 N. 4. AT I 250. vTuhr AT I 251 N. 35 verweist für seine Ansicht weiter auf den Fall des gutgläubigen Besitzers, der das Grundstück mit einer störenden Anlage verunziere. Er müsse die störende Anlage nicht gemäß § 1004 entfernen, sondern nur das Grundstück so, wie es sei, herausgeben, § 993. Warum solle dann jemand, der eine störende Anlage auf ein fremdes Grundstück baut, das er nicht besitzt, auf seine Kosten zur Beseitigung verpflichtet sein. – Ob § 993 auf § 1004 anwendbar ist, ist zwar streitig, wird aus dem Sinn der Vorschrift aber zu bejahen sein: Der Besitzer hat durch seinen guten Glauben eine Rechtsposition erworben, die ihn von Schadensersatzansprüchen freistellt. Gegenüber possessorischen Ansprüchen kann sich der Besitzer aber auf diese Rechtsposition nicht berufen. Stellt die störende Anlage eine verbotene Eigenmacht dar, so muß der Störer sie beseitigen, und zwar auf eigene Kosten. Sein guter Glaube nützt gegenüber § 862 nichts.

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3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862

§ 5 IV 3 a

Zugunsten des Störers ist § 251 II 1 entsprechend anzuwenden67. Denn was bei einem schuldhaft handelnden Schädiger gilt, sollte auch für einen Störer i.S.v. § 862 gelten. Die Vollstreckung des Beseitigungsanspruchs geschieht nach § 887 ZPO. Schadensersatz kann wegen Verletzung des Anspruchs aus § 862 nicht geltend gemacht werden68. § 5 IV

3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862 a) Gegen die possessorischen Ansprüche aus §§ 861, 862 kann sich der Schuldner gemäß § 863 nicht auf petitorische Einreden berufen; er wird also nicht gehört mit der Behauptung, er habe ein Recht zum Besitz der Sache oder zur Vornahme der störenden Handlung bzw. zum Halten der störenden Anlage69. Das ergibt sich zwar nicht mit logischer Konsequenz aus der possessorischen Natur der Ansprüche70, ist aber eine praktisch notwendige Folge des Gesetzeszweckes, Selbsthilfe und sonstige Eigenmächtigkeiten zu unterdrücken. Der Ausschluß petitorischer Einreden ergibt sich aber bereits aus § 85871, demgegenüber § 863 nach dem Willen des Gesetzgebers die Aufgabe zukommt, den Ausschluß petitorischer Einreden klarzustellen72. Die Möglichkeit, sich auf Besitzrechte zu berufen, würde der Gefahr des Faustrechts Vorschub leisten73. Die Behauptung des BGH, für ihn – und andere Revisionsgerichte – gelte § 863 nicht, ist mißverständlich74. Einige Autoren75 halten § 863 für abdingbar, es müsse dem Kläger freistehen, sich auf petitorische Einreden einzulassen, z.B. um einen zweiten Prozeß zu vermeiden. Indessen erscheint es richtiger, § 863 – wie durchweg die sachenrechtlichen Vorschriften – als zwingend anzusehen. Will der Kläger die Besitzrechte klären, so mag er petitorisch klagen und auf die possessorischen Ansprüche verzichten. Nicht gehört wird der Beklagte auch mit der exceptio doli, weil der Kläger im folgenden petitorischen Prozeß die Sache wieder herausgeben müsse76; andernfalls wäre § 863 umgangen77. Streitig ist, ob er ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 II oder § 1000 geltend machen kann. Die h.M. bejaht das78, weil andernfalls das Durchsetzen 67 68 69 70 71 72 73

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78

Vgl. Rosenberg § 862 N. 4; Planck-Brodmann § 862 N. 4; a.A. RG 51, 411; Soergel-Stadler § 862 Rn. e; Erman-Lorenz § 862 Rn. 5 und im Ergebnis auch Staudinger-Bund § 862 Rn. 5. Vgl. unten 6 a. OLG Karlsruhe JuS 1993, 420 f. Zutreffend Heck § 14, 1 a; das schweizerische ZGB Art. 927 II läßt die Einwendung des Besitzentziehers auf das bessere Besitzrecht zu, wenn er es sofort nachweist. Vgl. oben II 1. Motive 3, 129 f. Nach Rosenberg § 863 N. II 3 sollen petitorische Einreden bei Klagen auf Unterlassung künftiger Störungen zulässig sein, man könne dem Beklagten keine Handlung untersagen, auf welche er ein Recht habe. Das ist indessen nicht zutreffend, das Recht zur Vornahme der Handlung gibt kein Recht zur Eigenmacht. Der Beklagte mag sein angebliches Recht zur Vornahme der Handlung gerichtlich verfolgen. BGH NJW 1999, 425; vgl. dazu unten 3 e Fn. 116. Heck § 14, 5 a; Wolff-Raiser § 19 IV. Dolo facit qui petit, quod statim redditurus est. Vgl. Westermann-Gursky § 24 II 4; Eichler II 259; KG NJW 1967, 1915; anders irrig AG Bruchsal NJW 1981, 1674 f. Davon abgesehen unterliegen auch die possessorischen Ansprüche den Schranken des § 242, vgl. BGH MDR 1978, 1011. Vgl. Biermann § 863 N. 1 c; Rosenberg § 863 N. II 2; Planck-Brodmann § 863 N. 2; Palandt-Bassenge § 863 Rn. 2; Staudinger-Bund § 863 Rn. 7; Heck § 14, 5 a.

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§ 5 IV 3 b, c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

des Verwendungsersatzanspruchs erschwert werde. Das ist nicht haltbar, denn es verstößt offenbar gegen § 863, da sich der Beklagte auf ein Recht zum Besitz berufen will79. Die Pflicht zur Herausgabe der Sache ohne Rücksicht auf das Besitzrecht erschwert immer die Verfolgung dieses Rechts. Das hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Zulässig ist dagegen nach § 863 die Einwendung, der Eingriff in den Besitz (Entziehung oder Störung) sei keine verbotene Eigenmacht. Damit wird nicht der Eingriff in den Besitz bestritten, sondern dessen Rechtswidrigkeit. Diese Einwendung kann sich auf die Behauptung stützen, der Eingriff sei deswegen rechtmäßig, weil die Rechtsordnung den Eingriff in den Besitz gestatte (etwa nach §§ 227, 229, 562 b I, 859, 860, 904, 910, 962, Art. 89 EGBGB), oder er sei rechtmäßig, weil der Besitzer eingewilligt habe. Damit bestreitet der Beklagte die Voraussetzungen der §§ 861, 862, was selbstverständlich zulässig ist. § 863 wiederholt damit den schon in § 858 I festgelegten engen Kreis der Ausschließungsgründe einer verbotenen Eigenmacht. Natürlich kann der Beklagte nicht nur gemäß § 863 die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den Besitz bestreiten, sondern auch sonstige Anspruchsvoraussetzungen, etwa daß der Kläger nicht Besitzer, sondern nur Besitzdiener sei. § 5 IV b) Die Ansprüche aus §§ 861, 862 unterliegen einer Ausschlußfrist80 von einem , c Jahr, gerechnet von der Verübung der verbotenen Eigenmacht, § 864 I. Ob der Besitzer von der verbotenen Eigenmacht weiß, ist unerheblich81. Die Frist wird unterbrochen nur durch die Erhebung einer Klage, welche sich auf die Ansprüche aus §§ 861, 862 stützt. Eine Hemmung des Ablaufs dieser Ausschlußfrist (entspr. §§ 203 ff.) kennt das Gesetz nicht. Bei wiederkehrenden Störungen läuft die Frist von der letzten Störung an. Der Ablauf der Frist gibt – anders als die Verjährung – keine Einrede, sondern stellt eine anspruchsvernichtende Tatsache dar, die von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Ist die Ausschlußfrist durch Klageerhebung gewahrt, so unterliegt der Anspruch der normalen Verjährung82. Der Lauf der Ausschlußfrist kann nicht neu beginnen83. c) Gegen die possessorischen Ansprüche aus §§ 861, 862 kann die exceptio vitiosae possessionis geltend gemacht werden, §§ 861 II, 862 II. Es handelt sich um eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung84. Hat z.B. B dem E eine Sache durch verbotene Eigenmacht entzogen und E sich von B die Sache durch verbotene Eigenmacht zurückgeholt, so kann B wegen dieser zweiten verbotenen Eigenmacht nicht aus § 861 I klagen. Einmal könnte E die Sache sofort wegen der verbotenen Eigenmacht des B gemäß § 861 zurückverlangen85. Zum anderen besteht nunmehr der Besitzzustand, wie er vor der ersten verbotenen Eigenmacht bestand und wie er bestehen soll. Es besteht kein 79 80

81 82 83 84 85

Zutreffend Josef, ArchBR 15 (1899), 287; LG Itzehoe, SchlHA 1962, 245 f.; Rohde XXII 51; Kress 341. Der Gesetzgeber hat eine Ausschlußfrist gewählt, keine Verjährung, weil die Frist auch auf die Einreden aus §§ 861 II, 862 II angewandt werden soll, und weil eine Verjährung von Einreden zweifelhaft erschien, vgl. Motive 3, 132. Anders natürlich, wenn die Störung in einer Drohung besteht. Vgl. Windscheid-Kipp I 819. Vgl. Windscheid-Kipp I 819; Wolff-Raiser § 19 VI; a.A. OLG Düsseldorf JuS 1975, 812. Bei Klagerücknahme gilt die Frist als nicht unterbrochen, § 269 III 1 ZPO. H.M., anders Endemann II § 44, 4 Fn. 10. Heck § 14, 6 a; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 130.

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3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862

§ 5 IV 3 c

Grund, possessorische Rechtsmittel zu geben86. Würde man dem B eine Klage zugestehen, würde die erste verbotene Eigenmacht (des B) schließlich zum Erfolg führen, was gerade verhindert werden soll87. Der Anspruch aus § 861 I ist daher ausgeschlossen, wenn der dem Kläger durch verbotene Eigenmacht entzogene Besitz gegenüber dem Beklagten oder dessen Rechtsvorgänger fehlerhaft war, § 861 II. Es genügt also nicht eine beliebige Fehlerhaftigkeit des früheren Besitzes des Klägers, es muß sich um eine Fehlerhaftigkeit gegenüber dem Beklagten oder dessen Rechtsvorgänger handeln. Die Fehlerhaftigkeit kann sich daraus ergeben, daß der Kläger die verbotene Eigenmacht selbst begangen hat, oder daß er den fehlerhaften Besitz geerbt oder bösgläubig in Einzelnachfolge erworben hat, § 5 IV vgl. § 858 II 2. Der frühere Besitz des Klägers muß gegenüber dem Beklagten oder dessen Rechtsvorgänger fehlerhaft gewesen sein. Was „Rechtsvorgänger“ bedeutet, ist zweifelhaft und umstritten. Noch der zweite Entwurf sprach zunächst in § 783 II (= § 861 II BGB) nur vom „gegenwärtigen Besitzer“, ohne den Vorgänger zu erwähnen. Erst später beauftragte die zweite Kommission die Redaktionskommission, hinter „Besitzer“ den Passus „oder dessen Vorgänger im Besitze“ einzuschalten88, worin aber eine sachliche Änderung nicht gesehen wurde. Die Redaktionskommission machte daraus den „Rechtsvorgänger“, ohne daß dieser Formulierung eine besondere gesetzgeberische Absicht zugrunde lag. Diese Entstehungsgeschichte des Ausdrucks „Rechtsvorgänger“ ist nicht geeignet, Argumente, die auf dieser Formulierung beruhen, als überzeugend erscheinen zu lassen. Von einem Rechtsvorgänger des Beklagten kann man im eigentlichen Sinne nur sprechen, wenn man den Anspruch aus § 861 meint: Fall 1. B hat dem E eine Sache weggenommen, E stirbt und wird von C beerbt. C nimmt die Sache dem B weg: C hat den Anspruch des E gegen B aus § 861 geerbt, er ist sein Rechtsnachfolger. Sollte B gegen C aus § 861 klagen, so hat C die exceptio vitiosae possessionis89. Das gleiche muß gelten, wenn C zuerst dem B die Sache wegnimmt und dann der Erbfall eintritt. Fall 2. B hat dem E eine Sache weggenommen, E tritt den Anspruch aus § 861 an C ab, C nimmt dem B die Sache weg. Auch hier hat C die Einwendung aus § 861 II gegen B90. Eine „Rechtsnachfolge“ muß aber auch bei einfacher Besitznachfolge angenommen werden, wie es noch der Wortlaut des zweiten Entwurfes vorsah: Fall 3: B entzieht dem E eine Sache, E holt sie von B zurück, C erbt den Besitz gemäß § 857 von E, oder E überträgt den Besitz an C, der von der verbotenen Eigenmacht des E weiß. Hier ist C nur in den Besitz des E gefolgt, wird er aber von B aus § 861 verklagt, so steht ihm die exceptio vitiosae possessionis zu91. Über diese Fälle der Rechtsnachfolge in den Anspruch aus § 861 und der Besitznachfolge ist der Begriff des Rechtsvorgängers nicht auszudehnen. Eine „Rechtsnach86 87 88 89 90 91

Strohal, JherJahrb 38 (1898), 129. Johow, Begründung 456 ff. Protokolle 8527, vgl. Mugdan 3, 511 Anm. H.M., anders nur Planck-Brodmann § 861 N. 4 a. H.M., vgl. Westermann-Gursky § 24 II 1; Gaertner 191; Rosenberg § 861 N. II 1 d; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 131; a.A. ohne Grund RGRK-Kregel § 861 Rn. 9. Vgl. J. vGierke § 11 II 5; Soergel-Stadler § 861 Rn. 6; Wolff-Raiser § 19 III Fn. 10; PlanckBrodmann § 861 N. 4 a; Windscheid-Kipp I 836; Westermann-Gursky § 24 II 1.

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§ 5 IV 3 c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

folge“ i.S.v. § 861 II liegt z.B. nicht vor, wenn jemand ein Recht an der Sache erwirbt, welche Objekt des Anspruchs aus § 861 ist: B entzieht dem E ein Grundstück, E veräußert das Grundstück an C, C vertreibt wiederum den B. Klagt B gegen C aus § 861, so wollen einige Autoren92 dem C als Rechtsnachfolger des E die Einwendung aus § 861 II geben. Das ist abzulehnen93. Die possessorischen Rechte standen dem E nicht als Eigentümer zu, sie können daher mit dem Eigentumserwerb nicht automatisch auf C übergegangen sein. Freilich wird in Fällen dieser Art häufig eine konkludente Abtretung des possessorischen Anspruchs anzunehmen sein. Ebensowenig liegt eine Rechtsnachfolge immer dann vor, wenn der Beklagte in den Besitz seines Vorgängers eingetreten wäre, falls die verbotene Eigenmacht unterblieben wäre94. Eine „Beinahe-Nachfolge“ ist keine Nachfolge. Wolff-Raiser bringen folgendes Beispiel: E hat dem K Holz im offenen Besitz verkauft und den Besitz gemäß § 854 II an K übertragen. Vorher hatte jedoch B das Holz entwendet. K nimmt dem B das Holz weg. Dem B stehe gemäß § 861 II kein Anspruch zu. Es liege zwar keine Nachfolge des K in den Besitz vor, wohl aber eine Nachfolge in ein den Besitz überdauerndes Besitzrecht. Ein solches Recht gibt es indessen nicht95, es gibt nur den An- § 5 IV spruch des E aus § 861, der aber nur auf K übergeht, wenn E ihn abtritt96. Der aus § 861 Beklagte kann den fehlerhaften Besitz des Klägers aber nur innerhalb der in § 861 II genannten Jahresfrist geltend machen. Auch hier – wie in § 864 I – handelt es sich um eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlußfrist. Die Frist beginnt mit der ersten verbotenen Eigenmacht97. Die zweite verbotene Eigenmacht, auf welche der Kläger sich stützt, muß innerhalb eines Jahres nach der ersten geschehen. Zwischen der verbotenen Eigenmacht des Klägers oder seines Vorgängers und der verbotenen Eigenmacht des Beklagten oder seines Vorgängers darf also nicht mehr als ein Jahr liegen. Die Frist ist identisch mit der aus § 864 I: Entzieht der Entsetzte dem Täter

92 93 94 95 96 97

Biermann § 861 N. 5 b; Rosenberg § 861 N. II 1 d; Josef, ArchBR 15 (1899), 279. Vgl. Planck-Brodmann § 861 N. 4 a. So aber Wolff-Raiser § 19 III Fn. 10; ihm folgend Westermann-Gursky § 24 II 1; SoergelStadler § 861 Rn. 6. Zutreffend J. vGierke § 11 II 5. Gegen Wolff-Raiser auch Planck-Brodmann § 861 N. 4 a. Das Gesetz spricht davon, daß der fehlerhafte Besitz des Klägers im letzten Jahr vor der zweiten Entziehung „erlangt worden ist“. Das ist richtig nur dann, wenn der Kläger selbst die verbotene Eigenmacht begangen hat, verbotene Eigenmacht und Besitzerlangung durch den Kläger fallen zusammen. Die Formulierung des Gesetzes ist aber falsch, wenn ein Vorgänger des Klägers die verbotene Eigenmacht begangen und der Kläger den Besitz erst später erlangt hat. Hat z.B. B dem E den Besitz am 1.1.2000 entzogen, ist der Besitz am 1.10.2000 durch Erbgang von B auf C übergegangen und entzieht E dem C den Besitz am 1.5.2001, worauf C gegen E klagt, so könnte nach dem Wortlaut des Gesetzes E sich auf § 861 II berufen. Denn C hat den Besitz am 1.10.2000 erlangt, also innerhalb des letzten Jahres seit der verbotenen Eigenmacht des B. Das wäre aber unzutreffend, denn die Einrede soll solange gelten, wie der zuerst Entsetzte (E) aus § 861 klagen könnte. Der letzte Tag wäre der 1.1.2001 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt erlischt auch das Recht des E, sich einredeweise auf die verbotene Eigenmacht des B zu berufen. Entscheidend ist somit der Zeitpunkt der ersten verbotenen Eigenmacht, nicht die Besitzerlangung durch den Kläger. Die Fassung des Gesetzes ist ein Redaktionsversehen, vgl. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 132 f.; WindscheidKipp I 819; Wolff-Raiser § 19 III Fn. 12; Rosenberg § 861 N. II 2; Rohde XXII 45 f.

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3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862

§ 5 IV 3 d

innerhalb der Frist, in welcher er aus §§ 861 I, 864 I klagen könnte, wiederum die Sache, so kann er sich auf § 861 II berufen. § 861 II zeigt ebenso wie § 864 I die schrittweise Beruhigung und gesetzliche Anerkennung des fehlerhaften Besitzes. Er kann zunächst rechtmäßigerweise entzogen werden, § 859 II, III. Später – innerhalb eines Jahres – ist die Entziehung zwar rechtswidrig, löst aber nicht die Klage aus § 861 aus. Zudem kann der Besitz in dieser Zeit gemäß § 861 herausverlangt werden. Später hat der Besitz sich so normalisiert, daß es keine possessorischen Klagen mehr gibt und daß eine verbotene Eigenmacht die Klage aus § 861 auslöst. Man könnte sagen, die Fehlerhaftigkeit des Besitzes endet nach einem Jahr. Dem Einwand des fehlerhaften Besitzes kann eine entsprechende Replik entgegengehalten werden, dieser eine Duplik u.s.w.98. Auch hier darf zwischen den aufeinanderfolgenden Besitzentziehungen jeweils nicht mehr als ein Jahr liegen. Bei einer solchen Kette von verbotenen Eigenmachten kann der Kläger aus § 861 nur obsiegen, wenn er nicht selbst bzw. sein Vorgänger die Folge der verbotenen Eigenmachten eröffnet hat. Auch der Anspruch aus § 862 ist ausgeschlossen, wenn der Besitz des Klägers gegenüber dem Störer oder seinem Rechtsvorgänger fehlerhaft ist. Der Beklagte würde mit einer Widerklage aus § 861 durchdringen. Denkbar ist eine dem obigen Fall 1 und 2 entsprechende Fallgestaltung: Fall 4. B entzieht dem E ein Grundstück, E stirbt und wird von C beerbt, C nimmt Störungshandlungen gegen den Besitz des B vor, B klagt auf Unterlassung. C kann sich auf § 862 II berufen. Fall 5. Ebenso liegt es, wenn E seinen Anspruch aus § 861 an C abtritt. Dagegen kann der Fall 3 entsprechend nicht bei der Störung vorkommen. Die Jahresfrist des § 862 II ist ebenso wie die des § 861 II zu berechnen: von der ersten verbotenen Eigenmacht an, nicht von der Besitzerlangung durch den Kläger. Der Beklagte kann sich so lange auf § 862 II berufen, wie er auch eine Widerklage aus § 861 erfolgreich erheben kann. § 5 IV d) Der possessorisch Beklagte kann sich grundsätzlich nicht auf ein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlung berufen, § 863. Ausnahmsweise kann er sich auf ein solches Recht aber doch berufen, wenn dieses Recht nach der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird99, § 864 II: petitorium absorbet possessorium. Diese Regel ist im gemeinen Recht des 19. Jh. herausgearbeitet worden, der Gesetzgeber hat sie übernommen. Das rechtskräftige Urteil über das Recht rechtfertigt zwar nicht die verbotene Eigenmacht; die endgültige Feststellung der Rechtslage läßt aber ein Urteil über die Besitzklage als überflüssig erscheinen100. Eine Vollstreckung aus dem possessorischen Urteil wäre unerwünscht, da sie alsbald rückgängig gemacht werden könnte: Der Verurteilte könnte aufgrund seines festgestellten Rechts ein Leistungsurteil erreichen und die Sache zurückholen. Daher läßt das Gesetz den possessorischen Anspruch mit Rechtskraft des petitorischen Urteils untergehen101. 98 99 100 101

Vgl. Johow, Begründung 458; Protokolle der 2. Kommission 3364 (Mugdan 3, 511). Es genügt auch ein Leistungsurteil, wenn z.B. aus § 862 geklagt wird, nachdem ein rechtskräftiges Duldungsurteil vorliegt, vgl. Rosenberg § 864 N. II 1 a. Vgl. Johow, Begründung 463. Dennoch bleibt § 864 II eine systemwidrige Ausnahme, denn der Gesetzgeber nimmt mit dem possessorischen Besitzschutz ein Hin und Her der Leistungen und Vollstreckungen in Kauf; so zutreffend Hagen, JuS 1972, 125.

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§ 5 IV 3 d

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Es muß sich um ein Urteil über ein Recht handeln, welches den Beklagten gegenüber dem Kläger zum Besitz bzw. zur Vornahme der störenden Handlung berechtigt. Die Art dieses Rechtes ist gleichgültig, es kann sich um ein dingliches oder um ein obligatorisches Recht handeln102. Das Urteil wirkt auch zugunsten eines Besitznachfolgers, gegen welchen sonst der possessorische Anspruch gegeben wäre103. Fraglich ist, ob § 864 II über den Wortlaut auch dann anzuwenden ist, wenn dem possessorisch Beklagten die Sache durch eine auf das Recht zum Besitz gestützte einstweilige Verfügung zugewiesen ist. Nach einer verbreiteten Ansicht ist das abzulehnen104. Wenn es indessen der Zweck des § 864 II ist, ein Hin und Her in der Vollstrekkung zwischen possessorisch und petitorisch Berechtigtem zu vermeiden, so ist auch hier § 864 II anwendbar105. Solange die einstweilige Verfügung besteht, „ruht“ der possessorische Anspruch, d.h. ein possessorisches Urteil kann gegen den Beklagten nicht ergehen. Die possessorische Klage wäre also abzuweisen, sie könnte aber nach Aufhe- § 5 IV bung der einstweiligen Verfügung neu angestrengt werden. Ein ähnliches Problem wie bei der einstweiligen Verfügung ergibt sich bei einem vorläufig vollstreckbaren Urteil. Nach h.M. ist § 864 II nicht anwendbar, wenn der possessorisch Beklagte ein vorläufig vollstreckbares petitorisches Urteil gegen den Kläger erwirbt106. Ein solcher Fall ist allerdings kaum denkbar, wenn die possessorische Klage auf § 861 gestützt ist. In diesem Fall besitzt der Beklagte selbst, er kann kein vorläufig vollstreckbares Leistungsurteil gegen den Kläger erlangen107. Anders liegt es bei der Klage aus § 862. Hier besitzt der Kläger, eine petitorische Leistungsklage (z.B. Duldung der Störung) ist gegen ihn möglich. Erginge danach ein possessorisches Urteil auf Unterlassen der Störung, so könnte es auch hier zu widersprüchlichen Vollstreckungsmaßnahmen nach § 890 ZPO kommen108. § 864 II ist daher ausdehnend auch auf ein vorläufig vollstreckbares Urteil anzuwenden: Solange das vorläufig vollstreckbare Urteil besteht, darf ein possessorisches Urteil nicht ergehen109. § 864 II fordert ein rechtskräftiges Urteil nach der verbotenen Eigenmacht. Dagegen will eine verbreitete Ansicht auch ein Urteil genügen lassen, das vor der verbote102

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Das Gesetz spricht zwar in § 864 II von einem „Recht an der Sache“, was ein dingliches Recht bedeutet, doch handelt es sich dabei um ein Redaktionsversehen. Noch die 2. Kommission billigte eine Vorschrift, die allgemein von einem „Recht“ sprach, vgl. Protokolle 3369 (Mugdan 3, 518). Von einer Beschränkung auf dingliche Rechte war nie die Rede. Zu Recht wendet die h.M. § 864 II auch auf obligatorische Rechte an, a.A. Planck-Brodmann § 864 N. 2 a α; Buhl 35. Vgl. Rosenberg § 864 N. II 1 d; Westermann-Gursky § 24 II 6; Rohde XXII 48. Vgl. Biermann § 864 N. 3 a; Rosenberg § 864 N. II 1 a; Wolff-Raiser § 19 V Fn. 19; OLG (Dresden) 14, 224. So auch OLG Naumburg JW 1932, 1401; OLG Kiel JW 1932, 3640; Planck-Brodmann § 864 N. 2 a α; Westermann-Gursky § 24 II 6; Eichler II 1, 257; Soergel-Stadler § 864 Rn. 7; im Ergebnis auch zustimmend Sosnitza 166. Natürlich kann umgekehrt gegen den, welcher aufgrund einer auf § 861 beruhenden einstweiligen Verfügung besitzt, ein petitorisches Urteil ergehen, BGH NJW 1978, 2157 f., damit die Rechtslage endgültig geklärt wird. Vgl. Biermann § 864 N. 3 a; Wolff-Raiser § 19 V Fn. 19; Gursky, JZ 2005, 285 f. Vgl. aber den Fall BGH NJW 1979, 1358. Vgl. Hagen, JuS 1972, 126, ihm folgend Staudinger-Bund § 864 Rn. 9. So auch Hagen, JuS 1972, 124 ff.; Soergel-Stadler § 864 Fn. 7; anders Sosnitza 165.

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3. Einwendungen gegen die Ansprüche aus §§ 861, 862

§ 5 IV 3 e

nen Eigenmacht rechtskräftig geworden ist110. Der possessorische Anspruch entstehe in diesem Fall erst gar nicht. Wer gedeckt durch ein rechtskräftiges Urteil eine verbotene Eigenmacht begeht, könne nicht schlechter stehen als der, welcher bei der Tat ein solches Urteil noch nicht hatte. Das überzeugt jedoch nicht. Ein vor der verbotenen Eigenmacht erlangtes Urteil kann durch später eingetretene Rechtsänderungen obsolet geworden sein. Zudem würde die genannte Ansicht einen Anreiz bieten, Urteile eigenmächtig in verbotener Selbsthilfe zu vollstrecken111. Ist das petitorische Urteil vor Erhebung der possessorischen Klage rechtskräftig geworden, so ist die possessorische Klage unbegründet. Wird das petitorische Urteil während des possessorischen Verfahrens rechtskräftig, so muß der Kläger die Hauptsache für erledigt erklären. Wird das petitorische Urteil erst rechtskräftig, nachdem das possessorische Urteil rechtskräftig geworden ist, so kann der Vollstreckung aus dem possessorischen Urteil mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) begegnet werden. § 5 IV e) Umstritten ist die Frage, ob gegen eine possessorische Klage eine petitorische Widerklage zulässig ist112. Da der possessorisch Beklagte eine gesonderte Klage aus dem Recht anstrengen kann, wird man auch eine Widerklage nach § 33 ZPO zulassen müssen. Eine Gefahr, daß das Possessorium mit petitorischen Fragen belastet werde, besteht nicht, da der Richter bei einer solchen Gefahr die Klagen trennen kann (§ 145 II ZPO) oder auch bei Entscheidungsreife des Possessorium ein Teilurteil (§ 301 ZPO) erlassen kann. Das Gericht ist zu diesen Maßnahmen verpflichtet, um die Zügigkeit des possessorischen Verfahrens zu erhalten. Aus der Tatsache, daß die Gerichte dieser Pflicht nicht immer nachkommen113, kann kein Argument gegen die Zulässigkeit der Widerklage entnommen werden. Probleme ergeben sich, wenn possessorische Klage und petitorische Widerklage zur gleichen Zeit entscheidungsreif sind114. Es ist nicht gut möglich, beiden Klagen stattzugeben und somit zwei widersprüchliche Entscheidungen zu treffen. Will man einen „Vollstreckungskrieg“115 vermeiden, so bietet sich nur eine analoge Anwendung des § 864 II an: Die Vorschrift ist entsprechend ihrem Sinn nicht nur dann anzuwenden, wenn das petitorische Urteil vor dem possessorischen ergeht, sondern auch dann, wenn beide gleichzeitig ergehen. In diesem Fall ist also die possessorische Klage abzuwei110 111

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Vgl. RG 107, 259; Windscheid-Kipp I 821; Biermann § 864 N. 3 a; Rosenberg § 864 N. II 1 b; Westermann-Gursky § 24 II 6; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 864 N. 3. Vgl. Planck-Brodmann § 864 N. 2 b; Wolff-Raiser § 19 V Fn. 16; Schwab-Prütting Rn. 124; Heck § 14, 6 c; J. vGierke § 11 II 7 b; Eichler II 1, 256 f.; E. Wolf § 2 D IV e; Soergel-Stadler § 864 Rn. 7; Palandt-Bassenge § 864 Rn. 6; Sosnitza 155 ff. Bejahend: Heck § 14, 5 a; Westermann-Gursky § 24 II 4; Baur-Stürner § 9 Rn. 18; Soergel-Stadler § 863 Rn. 4; BGH 53, 166; BGH NJW 1979, 1358; Schneider, JR 1961, 368; Hagen, JuS 1972, 124. Verneinend: Biermann § 863 N. 2 b; Rosenberg § 863 N. III; Planck-Brodmann § 863 N. 4; RGRK-Kregel § 863 Rn. 4; Staudinger-Bund § 863 Rn. 8; Wolff-Raiser § 19 IV Fn. 14; Westermann-Gursky § 24 II 4; Sosnitza 157 ff. In dem vom BGH NJW 1979, 1359 entschiedenen Verfahren stand die Begründetheit der possessorischen Klage fest. Das Landgericht hat über den Widerklageanspruch Beweis erhoben und dann über beide Klagen entschieden, statt sofort durch Teilurteil über die possessorische Klage zu entscheiden. Zur Kostenproblematik vgl. Spiess, Auswirkung der petitorischen Widerklage auf die Besitzklage, JZ 1979, 718. Hagen, JuS 1972, 127; vgl. auch oben d.

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§ 5 IV 4 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

sen, der petitorischen Widerklage ist stattzugeben116. Die Abweisung der possessorischen Klage ist aber nicht endgültig, solange das petitorische Urteil nicht rechtskräftig ist117. Legt z.B. nur der Kläger Berufung ein, und zwar nur gegen das Urteil der Widerklage, und erreicht er eine Aufhebung des Urteils, so kann er die possessorische Klage erneut anstrengen.

4. Schutz des Mitbesitzes Nach außen, Dritten gegenüber, genießt jeder Mitbesitzer118 den vollen Besitzschutz. Er hat die Gewaltrechte und die possessorischen Ansprüche gegen jeden Störer. Ist die Sache allen Mitbesitzern entzogen, so hat jeder den Anspruch auf Rückgabe der Sache, allerdings nicht an sich allein, sondern an alle Mitbesitzer, analog § 1011. Will oder kann einer der Mitbesitzer die Sache nicht wieder übernehmen, kann Herausgabe an die anderen verlangt werden, analog § 869, 2119. a) Ob die Mitbesitzer untereinander possessorischen Schutz genossen, war schon im gemeinen Recht streitig. Man ging davon aus, daß im Grunde jede Besitzhandlung eines Mitbesitzers den Besitz der anderen störe120, so daß ihnen die possessorischen Rechte zuständen. Jede Gebrauchshandlung würde damit die Zustimmung aller Mitbesitzer voraussetzen, jeder Mitbesitzer könnte durch Verbote jegliche Sachnutzung verhindern121. So könnte z.B. ein Mieter allen anderen die Benutzung des Treppenhauses verbieten und bei Zuwiderhandlungen seine Gewaltrechte und possessorischen Ansprüche geltend machen. Eine solche Regelung wäre aber höchst unpraktisch. Man nahm daher an, daß jeder Mitbesitzer die Sache ohne Zustimmung der anderen insoweit benutzen dürfe, als er den Gebrauch der übrigen nicht beeinträchtige. Eine entsprechende Zustimmung aller Mitbesitzer liege schon in der Tatsache, daß man sich die Sachherrschaft mit den anderen teilen wolle122. Entsprechend ging noch der erste Entwurf (§ 817) davon aus, daß eine verbotene Eigenmacht nur dann, aber auch immer dann vorliege, wenn eine Besitzhandlung über die in § 743 II BGB gesteckten Grenzen hinausgehe. Die zweite Kommission beanstandete zu Recht, daß mit dieser Regelung petitorische Gesichtspunkte in das Possessorium gebracht würden123. Ob jemand seine Gebrauchsbefugnis überschreite und damit die anderen störe, könne nur mit Hilfe des Besitzrechts festgestellt werden. Man führte daher die Regelung des § 866 ein, wonach 116

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Vgl. Hagen, JuS 1972, 127; BGH NJW 1979, 1358 und 1359. Nur dies will auch der mißverständliche „Leitsatz“ in BGH NJW 1999, 425 sagen, wonach § 863 für ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht – womit der BGH sich selbst meint – nicht gilt. Zur Anwendung des § 864 II auf vorläufig vollstreckbare Urteile vgl. oben d. Zum Mitbesitz vgl. oben § 4 I 2 c. H.M., vgl. etwa Wolff-Raiser § 21 I 2; a.A. Biermann § 861 N. 2 a. Vgl. Miescher, AcP 59 (1876), 153, 159, 167; Randa 373. So noch Johows Entwurf § 75: „Verbotene Eigenmacht ist es auch, wenn auf einem in gemeinschaftlichem Besitze befindlichen Grundstück ein Genosse ohne den Willen der übrigen Besitzhandlungen vornimmt.“ Vgl. Miescher, AcP 59 (1876), 167 ff. Protokolle der 2. Kommission 3361 f.; 8528 (Mugdan 3, 510 f.); vgl. auch Wendt, AcP 74 (1889), 167 f.

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§ 5 IV

4. Schutz des Mitbesitzes

§ 5 IV 4 b

bei einem Streit über die Grenzen des Gebrauchs an der Sache possessorische Rechte ausgeschlossen sind124. § 5 IV b) Mitbesitzer haben also gemäß § 866 auch untereinander die Gewaltrechte des § 859 und die possessorischen Ansprüche, soweit von einem Mitbesitzer eine Störung ausgeht, welche nicht nur die Abgrenzung der Gebrauchsmöglichkeiten an der Sache betrifft. Störungen also, welche die Sachherrschaft der anderen völlig negieren, insbesondere der völlige Entzug des Besitzes, können mit den possessorischen Mitteln abgewehrt werden125. Wollte z.B. ein Mieter dem anderen die Benutzung des Treppenhauses verwehren, so könnte dieser sich gegebenenfalls mit Gewalt Zutritt verschaffen, § 859 I. Geht es dagegen nur um die Abgrenzung der Gebrauchsmöglichkeit, so sind die possessorischen Rechtsmittel ausgeschlossen. Will beispielsweise ein Mieter dem anderen verbieten, sein Motorrad durch den Hausflur zu schieben und vor der Wohnungstür abzustellen, so geht es um die Grenzen des Gebrauchs am Hausflur. Weder § 859 noch §§ 861, 862 greifen ein. Ob der Mieter berechtigt ist, sein Motorrad vor seiner Wohnungstür abzustellen, kann nur aufgrund der Mietverträge ermittelt werden. Es handelt sich dabei um einen Streit über das Recht, der nicht mit possessorischen Mitteln entschieden werden kann. Kein Mieter hat daher aus § 859 das Recht, den anderen gewaltsam daran zu hindern, sein Motorrad mit in das Haus zu nehmen. Geschieht eine solche gewaltsame Hinderung dennoch, so hat der Betroffene nicht aus § 859 das Recht, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen126. Wenn einem angegriffenen Mitbesitzer auch im Rahmen des § 866 die Gewaltrechte aus § 859 nicht zustehen, so kann er doch – wie jeder Angegriffene – sein Notwehrrecht nach § 227 geltend machen127. Fraglich und umstritten ist aber, wer Angreifer und wer Verteidiger ist. Nach einer Ansicht ist die Handlung, welche auf die Sache einwirkt, Angriff, der Widerstand gegen diese Handlung Verteidigung128. In dem obigen Beispiel wäre also der Mieter der Angreifer, welcher gegen den Widerspruch eines anderen sein Motorrad im Haus abstellt. Eine solche Regelung widerspricht indessen dem Gesetz. Es würde dadurch über § 227 der Besitzschutz und das Verbotsrecht wie124 125

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Denkschrift 110; Mugdan 3, 964 f. Eine Störung, bei der es sich nicht nur um die Grenzen des Gebrauchs handelt, wird in der Regel ein Besitzentzug sein. Das schließt aber nicht aus, daß auch eine sonstige Störung denkbar ist, bei welcher es sich nicht nur um die Gebrauchsabgrenzung handelt; vgl. OLG Köln MDR 1978, 405. Den Mitbesitzern ständen dann Ansprüche aus §§ 866, 862 zu. Anderer Ansicht ist Wolff, JherJahrb 44 (1902), 169 ff.: Jede Besitzhandlung müsse entweder rechtlich verboten oder geschützt sein. Einem der Mitbesitzer stünden also die possessorischen Schutzmittel zu. Der Besitzschutz stehe grundsätzlich dem zu, der eine Handlung verbiete. Wer gegen ein solches Verbot eines Besitzers verstoße, begehe verbotene Eigenmacht, der Verbietende habe das Gewaltrecht nach § 859. Nur wenn die Berechtigung zur Vornahme der Besitzhandlung zwischen den Mitbesitzern unstreitig sei, der Verbietende also mutwillig handele, begehe derjenige Mitbesitzer, der die Handlung gegen das Verbot begehe, keine verbotene Eigenmacht. Das ist mit § 866 nicht zu vereinbaren. Es ist nicht richtig, daß jede Besitzhandlung nach §§ 859, 861, 862 entweder verboten oder geschützt sein müßte. § 866 bestimmt, daß bei Streitigkeiten um die Grenzen des Gebrauchs ein Besitzschutz generell entfalle; vgl. auch Planck-Brodmann § 866 N. 5; Staudinger-Bund § 866 Rn. 25. Selbstverständlich auch das Selbsthilferecht des § 229. So Wolff-Raiser § 21 II.

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§ 5 IV 5 a

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

der eingeführt129. Jeder Mitbesitzer könnte den anderen Verbote erteilen und sein Verbot gemäß § 227 gewaltsam durchsetzen. Wir wären damit wieder beim Rechtszustand, wie er sich in Johows Entwurf befand und von dem die erste Kommission bewußt abgewichen ist130. Richtig ist es daher, auf die Berechtigung zur Vornahme von Handlungen abzustellen. Da im Rahmen des § 866 der possessorische Schutz zurückweicht, muß es auf die Berechtigung ankommen131. Eine Besitzhandlung, zu welcher man berechtigt ist, ist nie ein Angriff i.S.v. § 227. Wird eine solche berechtigte Handlung gewaltsam verhindert, so ist die Hinderung ein rechtswidriger Angriff. Der Handelnde hat das Notwehrrecht. Hätte also im obigen Beispiel der Mieter nach dem Mietvertrag das Recht, sein Motorrad vor der Wohnungstür abzustellen, so könnte er bei Behinderung im Rahmen des § 227 sein Recht gewaltsam durchsetzen. Eine Besitzhandlung, zu welcher man nicht berechtigt ist, muß dagegen nicht immer ein rechtswidriger Angriff gegenüber den anderen Mitbesitzern sein. Sie ist nur dann ein rechtswidriger Angriff, wenn sie Rechte der Mitbesitzer verletzt. Hat z.B. der Mieter nicht das Recht gegenüber dem Vermieter, das Motorrad mit in das Haus zu nehmen, so haben die anderen Mitbesitzer nur dann gemäß § 227 ein Gewaltrecht, wenn sie berechtigt sind, ein Unterlassen zu verlangen. Ein solcher Anspruch auf Unterlassen kann sich etwa aus der Hausordnung ergeben, oder aus einem Verbot im Mietvertrag, falls es auch zugunsten der Mieter vereinbart ist. Beim gesamthänderischen Mitbesitz ergibt sich aus der Natur dieses Besitzes, daß jeder Mitbesitzer, der die Sache ohne Willen des anderen gebraucht oder sie in Besitz nimmt, verbotene Eigenmacht begeht. Er nimmt eine Handlung vor, die den anderen vom Besitz ausschließt, § 866 greift nicht ein, der possessorische Schutz ist gegeben132. Wenn dagegen ein Mitbesitzer dem anderen nicht den Gebrauch der Sache ermöglicht, geht es um die Grenzen des Gebrauchs, § 866 greift ein133.

5. Verfolgungsanspruch aus § 867 a) Gemäß § 867 ist der Besitzer eines Grundstücks, auf welches eine bewegliche Sache gelangt ist, verpflichtet, das Aufsuchen und Wegschaffen der Sache zu gestatten. Ein solcher Anspruch ist deswegen erforderlich, weil der Grundstücksbesitzer regelmäßig nicht Besitzer der Sache wird, die auf sein Grundstück gelangt; vielmehr bleibt dem bisherigen Besitzer der beweglichen Sache weiterhin der Besitz erhalten, vgl. § 856 II. Es wären gegen den Grundstücksbesitzer daher Herausgabeansprüche aus §§ 861, 985, 1007, 1065, 1227 nicht gegeben, da sie Besitz des Schuldners voraussetzen. Diese 129 130 131

132 133

So richtig Heck § 15, 9. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3502 – 3504 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 196 f.). Vgl. Heck § 15, 9. Die Berechtigung kann sich ergeben aus einem Rechtsverhältnis zwischen den Mitbesitzern (Gesellschaft, Erbengemeinschaft u.s.w.) oder aus einem Rechtsverhältnis der einzelnen Mitbesitzer zu einem Dritten (mehrere Mieter bezüglich der gemeinschaftlichen Anlagen), vgl. Baur-Stürner § 7 Rn. 84; Medicus, AcP 165 (1965), 138 f. Liegt beides nicht vor, so sind die §§ 741 ff. (Gemeinschaft) anzuwenden, BGH 62, 245. Heck § 15, 8 pr. Baur-Stürner § 7 Rn. 84.

216

§ 5 IV

5. Verfolgungsanspruch aus § 867

§ 5 IV 5 b

Lücke schließt § 867. Er gibt jedem Besitzer der beweglichen Sache den Abholungsanspruch gegen den Grundstücksbesitzer; den gleichen Anspruch gibt § 1005 dem Eigentümer der beweglichen Sache134. Das Gesetz unterscheidet also den Abholungsanspruch aus Besitz und den Abholungsanspruch aus dem Recht. Das römische und gemeine Recht gaben in Fällen dieser Art eine Klage auf Vorzeigen der Sache, die actio ad exhibendum135, wie sie sich auch in §§ 809 – 811 BGB findet. Sie stützte sich auf ein Recht zum Besitz. Die Partikularrechte kannten Abholungsansprüche in Einzelfällen136, ebenfalls zugunsten des Berechtigten (Eigentümers). Auch Johows Teilentwurf (§ 116) kennt nur den Abholungsanspruch zugunsten des Eigentümers der Sache, also nur den § 1005, nicht § 867. Der erste Entwurf § 867 dehnte den Anspruch auf den Eigentümer und Inhaber (= unmittelbaren Besitzer) der Sache aus: Es sei unbillig, wenn die tatsächliche Gewalt über das Grundstück dazu benutzt werde, die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Sache zu vereiteln137. In beiden Fällen stand die Vorschrift am Ende des Titels „Inhalt und Begrenzung des Eigentums“, dem heute der Titel „Inhalt des Eigentums“ (§§ 903 – 924) entspricht. Es wurde bewußt offen gelassen, ob es sich um eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung handele oder um eine Verpflichtung, wie sie die Exhibitionspflicht darstelle138. Der zweite Entwurf trennte die Vorschrift und stellte sie an ihren heutigen Platz: In § 789 (= § 867 BGB) gab er den Anspruch zugunsten des Besitzers, in § 917 (= 1005 BGB) zugunsten des Eigentümers. § 867 stellt keine gesetzliche Eigentums- und Besitzbeschränkung derart dar, daß der Besitzer der beweglichen Sache ohne Besitz- und Rechtsverletzung das Grundstück betreten könnte139. § 867 gibt kein Selbsthilferecht, sondern nur einen Anspruch auf Gestattung, den der Berechtigte nicht selbst durchsetzen darf. Tut er es, so begeht er eine verbotene Eigenmacht. Das ergibt sich einmal aus dem Wortlaut der Vorschrift, die seit dem Teilentwurf immer von einer Pflicht zur Gestattung spricht. Das ergibt sich seit dem zweiten Entwurf aber auch aus der systematischen Stellung der Vorschrift, die unter den Ansprüchen aus Besitz (§ 867) und aus Eigentum (§ 1005) steht, nicht aber unter den Eigentumsbeschränkungen. § 867 gibt einen rein possessorischen Anspruch, wie §§ 861, 862140. Das ergibt sich daraus, daß er jedem Besitzer zusteht, auch wenn dieser keinerlei Recht auf die Sache hat. Das ergibt sich ferner aus der systematischen Stellung der Vorschrift. § 5 IV b) § 867 setzt voraus, daß dem Besitzer einer beweglichen Sache diese aus der Gewalt geraten und auf ein in fremdem Besitz befindliches Grundstück gelangt ist. Das „aus der Gewalt gelangen“ bedeutet nicht Besitzverlust. Es kommt auf die Umstände 134 135 136 137 138 139 140

Der Anspruch steht gemäß §§ 1065, 1227 auch dem Nießbraucher und Pfandgläubiger zu. Vgl. Dernburg, Pandekten I § 135 II 1; Ulpian D 10, 4, 5, 5. Vgl. Johow, Begründung 627; ALR I 9 § 122 (Bienenschwarm), § 178 (Fische), §§ 293 – 296 (Bäume und Früchte). Vgl. Motive 3, 298. Vgl. Johow, Begründung 627; eine Eigentumsbeschränkung nimmt Windscheid-Kipp II § 474, 3 an. Wie es etwa § 962 dem Eigentümer eines Bienenschwarms gestattet; vgl. auch PalandtBassenge § 867 Rn. 2; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 867 N. 2. Rosenberg § 867 N. IV 5; Planck-Brodmann § 867 N. 2 a; Soergel-Stadler § 867 Rn. 1; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 867 N. 4; Heck § 14, 9; O. vGierke II 254 Fn. 37.

217

§ 5 IV 5 c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

an, ob der Besitzer den Besitz verliert, wenn die Sache auf das Grundstück gelangt. Meist wird ihm der Besitz erhalten bleiben, zumal der Besitzer gemäß § 867 eine berechtigte Aussicht hat, die Sache binnen kurzem zurückzugewinnen, § 856 II. Das „aus der Gewalt Gelangen“ bedeutet nichts anderes als das „sich auf einem Grundstück Befinden“ des § 1005141. Es ist ohne Bedeutung, auf welche Weise die Sache auf das Grundstück gelangt ist, durch Zufall (Windstoß treibt Hut weg) oder durch eigenes Handeln des Besitzers (Kinder werfen Ball auf Nachbargrundstück). § 867 ist selbst dann gegeben, wenn der Besitzer die Sache absichtlich in das fremde Grundstück schafft; eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn in der Handlung des Besitzers eine Besitzaufgabe zu sehen ist142. In diesem Fall besteht kein Bedürfnis für einen possessorischen Schutz. Der Anspruch besteht nur dann, wenn die auf das Grundstück gelangte Sache sich noch im Besitz des vorherigen Besitzers befindet oder besitzlos ist. Wird sie in Besitz genommen, so erlischt der Anspruch. Das „in Besitz Nehmen“ des Gesetzes bedeutet nichts anderes als Besitzerwerb143. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Grundstücksbesitzer oder ein Dritter Besitz ergreift. Bestand der Besitz des vorigen Besitzers noch, so hat er nunmehr den Anspruch aus § 861 gegen den neuen Besitzer. Hatte er den Besitz bereits verloren, so ist er auf Ansprüche aus dem Recht beschränkt, z.B. §§ 985, 1007. Eine bloße Weigerung, die Sache abholen zu lassen, beendet zwar den Besitz des bisherigen Sachbesitzers, bedeutet aber noch keine Besitzergreifung durch den Grundstücksbesitzer144. Der Anspruch auf Abholung steht dem zu, der unmittelbarer Besitzer war, als die Sache auf das Grundstück gelangte145. Ob er ein Recht zum Besitz hatte, oder ob sein Besitz fehlerhaft war, spielt keine Rolle. Aus praktischen Gründen wird man den Besitzdiener entsprechend § 860 als berechtigt ansehen müssen, den Anspruch an Ort und Stelle für seinen Besitzherrn geltend zu machen146. Zur Klage ist er nicht berechtigt. § 5 IV c) Der Anspruch richtet sich gegen den unmittelbaren Besitzer des Grundstücks, gleich ob er Eigen- oder Fremdbesitzer ist. Nur er kann das Betreten des Grundstücks mit der Wirkung gestatten, daß verbotene Eigenmacht entfällt147. Auf die Gestattung des mittelbaren Besitzers kommt es nicht an148. Es ist aber denkbar, daß der unmittelbare Besitzer die Einwilligung im Hinblick auf den mittelbaren Besitzer verweigert, etwa wenn dieser ihm Schadensersatzansprüche für den Fall der Einwilligung androht. Einige Autoren wollen in diesem Fall den Anspruch auch gegen den mittelbaren Besitzer geben149. Der erste Entwurf nannte als Anspruchsgegner den Eigentümer des 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Vgl. Rosenberg § 867 N. II 1 a; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 54; Planck-Brodmann § 867 N. 2 a; a.A. Biermann § 867 N. 1 b. Rosenberg § 867 N. II 1 a; Planck-Brodmann § 867 N. 2 a; Soergel-Stadler § 867 Rn. 2. Planck-Brodmann § 867 N. 2 b. Vgl. Motive 3, 298. Der mittelbare Besitzer ist nach Maßgabe des § 869, 3 berechtigt. Vgl. Rosenberg § 867 N. II 2; Biermann § 867 N. 2 a; Staudinger-Bund § 867 Rn. 5. Vgl. oben II 1 b. Vgl. Motive 3, 298; Biermann § 867 N. 2 a; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 867 N. 3; Planck-Brodmann § 867 N. 3. Vgl. Strohal, JherJahrb 38 (1898), 47; Staudinger-Bund § 867 Rn. 6; RGRK-Kregel § 867 Rn. 2.

218

5. Verfolgungsanspruch aus § 867

§ 5 IV 5 d

Grundstücks (§ 867 E 1). Die zweite Kommission änderte das dahin ab, daß der Besitzer verpflichtet wurde (§ 789 E 2). Das wurde damit begründet, daß der Eigentümer, z.B. Vermieter, Verpächter meist gar nicht in die Lage komme, die Einwilligung zu erteilen, weil er von dem Vorfall nichts erfahre. Zudem werde er in der Regel auch kein Interesse an der Angelegenheit haben, weil die Ausübung seines Eigentums nicht gestört werde. Das einfachste sei es, den zur Einwilligung zu verpflichten, in dessen Machtkreis sich die Sache befindet150. Es waren also Praktikabilitätsgründe, die dazu führten, den Besitzer als Anspruchspartner zu nennen. In der Tat wäre es mißlich, wenn der Sachverfolger erst den Eigentümer des Grundstücks ermitteln müßte, eventuell an Hand des Grundbuchs. Meist wird auch in der Tat das Interesse des Eigentümers an der Angelegenheit gering sein. Es kann aber auch ganz anders sein, wenn etwa bei der Bergung der Sache ein erheblicher Schaden droht, welcher eher den Eigentümer als den Besitzer trifft. Generell ist zu bedenken, daß das Betreten des Grundstücks nicht nur in den Besitz eingreift, sondern auch in das Eigentum und in sonstige Rechte am Grundstück. Diese Rechte werden in § 867 vernachlässigt, wenn nur die Einwilligung des Besitzers gefordert wird. Das bedeutet aber nicht, daß diese Rechte durch § 867 ausgeschaltet werden, sondern daß man sich mit der Einwilligung des Besitzers nur dann begnügen kann, wenn der Berechtigte an der Angelegenheit nicht interessiert ist. Hat der Berechtigte ein Interesse an der Angelegenheit – sei es, daß er dieses Interesse durch ein Verbot des Betretens bekundet, sei es, daß ein solches Verbot bei Kenntnis durch den Berechtigten zu besorgen wäre –, so muß der Sachverfolger nicht nur die Einwilligung des unmittelbaren Grundstücksbesitzers herbeiführen, sondern auch die Einwilligung des Berechtigten. Andernfalls151 wäre ein Betreten des Grundstücks verbotene Eigenmacht gegen den Besitzer und Rechtsverletzung gegen den Berechtigten. Beide könnten sich mit Gewalt gegen das Betreten wehren, der Besitzer nach § 859 I, der Berechtigte nach § 227. Wenn durch die Abholung Interessen des Berechtigten betroffen werden, ist also auch dessen Einwilligung herbeizuführen. Das bedeutet aber nicht, daß § 867 sich auch gegen den mittelbar Besitzenden richtete. In Anspruch genommen wird nicht der mittelbar Besitzende als solcher, sondern der Berechtigte. Gegen ihn ist der Anspruch aus § 867 geltend zu machen, wenn seine Interessen betroffen sind, er kann die Einwilligung bis zur Leistung einer Sicherheit verweigern, § 867, 3. Daneben ist gemäß § 867 auch die Einwilligung des Besitzers herbeizuführen, damit dem Vorwurf der verbotenen Eigenmacht begegnet wird. § 5 IV d) Der Anspruch richtet sich auf Einwilligung zum Aufsuchen und Wegschaffen der Sache, wobei auch ein Nachforschen, Ausgraben u.s.w. erforderlich sein kann152. Die Vollstreckung des Anspruchs geschieht nach §§ 890, 892 ZPO. Eigenmächtiges Betreten des Grundstücks ist verbotene Eigenmacht. Trifft sie auf keinen Widerstand des Besitzers, so hat sie jedoch keine Folge. Ein angerichteter Schaden muß mit oder ohne Einwilligung nach § 867, 2 ersetzt werden. 150 151 152

Protokolle der 2. Kommission 3616 (Mugdan 3, 606). Etwa bei einer berechtigten Weigerung, weil der Verfolgende keine Sicherheit nach § 867, 3 leisten will. Vgl. Johow, Begründung 628.

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§ 5 IV 5 e

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Der Anspruch ist ein possessorischer Anspruch, ein Recht zum Besitz kann gegen ihn nicht geltend gemacht werden153; § 863 ist also anzuwenden. Es begegnet keinen Bedenken, auch die übrigen possessorischen Sonderregelungen auf den possessorischen Abholungsanspruch anzuwenden154. Der Grundstücksbesitzer kann also entsprechend §§ 861 II, 862 II die exceptio vitiosae possessionis geltend machen, d.h. das Abholen verweigern, wenn der Besitzer ihm gegenüber fehlerhaft besaß und wenn die verbotene Eigenmacht innerhalb der Jahresfrist liegt, gerechnet von der Zeit, als die Sache auf das Grundstück gelangte. Entsprechend sind § 864 I und § 864 II anzuwenden. Der Anspruch aus § 867 wird eingeschränkt durch § 911 (Überfall), ausgeweitet in § 962 (Verfolgung eines Bienenschwarms), der ein Selbsthilferecht gibt. Ein Eingriffsrecht ist auch gegeben, wenn die Voraussetzungen der §§ 229, 904 vorliegen, der Sachbesitzer muß in diesen Fällen nicht erst die Einwilligung des Grundstücksbesitzers einholen. § 867 ist analog auch auf bewegliche Sachen anzuwenden, z.B. Fahrzeuge oder Gebäude155, die nach § 95 kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sind. Der Anspruch aus § 867 erlischt, wenn die Sache vom Grundstück weggelangt. Das gilt beispielsweise auch dann, wenn der Grundstücksbesitzer sie – ohne Besitz zu ergreifen – auf ein anderes Grundstück befördert. Ein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Verweigerung der Einwilligung kommt bei § 867 ebensowenig in Betracht wie bei §§ 861, 862, da es sich um einen possessorischen Anspruch handelt156. Dem bloßen Besitzer kann beim Verlust der Sache kein Schaden entstehen. Einen Schadensersatzanspruch kann nur der berechtigte Besitzer haben, dessen Anspruch aus § 1005 verletzt wird. § 5 IV e) Der aus § 867 Berechtigte hat dem Grundstücksbesitzer alle Schäden zu ersetzen, die beim Aufsuchen und Wegschaffen der Sache verursacht werden, § 867, 2157. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Grundstücksbesitzer das Betreten des Grundstücks gestattet hatte, oder ob verbotene Eigenmacht vorlag. Der Anspruch setzt kein Verschulden voraus, es handelt sich um einen Ausgleichsanspruch, ähnlich wie bei § 904, 2. Trotzdem ist es sachgerecht, die Verjährungsvorschrift des § 852 entsprechend anzuwenden158. Einen Ersatzanspruch kann der Grundstücksbesitzer aber nur insoweit haben, als er ein Recht zum Besitz hat und soweit dieses Recht beeinträchtigt ist. Der nicht unmittelbar besitzende Berechtigte159 hat daneben ebenfalls einen Ersatzanspruch aus § 867, 2 auf Ersatz seines Schadens160. Hat der Sachbesitzer aber den gesamten Schadensersatz an 153 154 155 156

157

158 159 160

Vgl. oben a a.E. Vgl. Heck § 14, 9; Rosenberg § 867 N. IV 5. Das ist allgemein anerkannt. Vgl. unten 6 a; irrig dagegen Rosenberg § 867 N. III 2; Biermann § 867 N. 2 a; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 867 N. 7; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 56; Soergel-Stadler § 867 Rn. 6; Palandt-Bassenge § 867 Rn. 2; Hedemann § 8 II d, die über § 823 II und z.T. § 286 einen Schadensersatz zusprechen wollen. Wird durch die auf das Grundstück gelangte Sache selbst ein Schaden angerichtet, so regelt sich der Ersatz nicht nach § 867, 2, sondern nach den §§ 823 ff., vgl. Motive 3, 298. Man wird in diesem Fall dem Grundstücksbesitzer ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 zubilligen müssen, vgl. Rosenberg § 867 N. V 3. Vgl. Wolff-Raiser § 19 VII 3 Fn. 22. Z.B. der vermietende Eigentümer. Vgl. dazu Rosenberg § 867 N. V 1; Wolff-Raiser § 19 VII 3.

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6. Sonstige Besitzschutzansprüche

§ 5 IV 6 a

den Grundstücksbesitzer geleistet, so ist er in entsprechender Anwendung des § 851 frei geworden161. Der Grundstücksbesitzer kann die Gestattung verweigern, bis ihm für einen zu besorgenden Schaden Sicherheit geleistet ist, § 867, 3. Es handelt sich um eine Einrede, die vom Grundstücksbesitzer geltend zu machen ist. Die gleiche Einrede hat auch ein Berechtigter, der nicht unmittelbarer Besitzer des Grundstücks ist: Auch er kann das Betreten des Grundstücks verbieten, bis ihm Sicherheit geleistet ist162. Die Sicherheitsleistung erfolgt nach den §§ 232 ff. Der Einrede der Sicherheitsleistung kann die Replik der Gefahr im Verzug entgegengehalten werden, § 867, 3 (2). Man wird diese Replik aber nur dann als berechtigt anerkennen können, wenn der Schaden, welcher der Sache durch den Aufschub droht, erheblich größer ist als der dem Grundstück drohende Schaden163. § 5 IV

6. Sonstige Besitzschutzansprüche a) Die §§ 861, 862, 867 sind rein possessorische Ansprüche, d.h. sie können von jedem Besitzer geltend gemacht werden, auch wenn er keinerlei Recht zum Besitz hat. Der bloße Besitz – ohne Recht zum Besitz – ist keine Vermögensposition. Er stellt kein Recht dar und begründet keine Zuordnung164. Das Haben einer Sache stellt zwar einen tatsächlichen Vorteil dar, indessen ist der bloße Besitzer zur Herausgabe der Sache und aller daraus gezogenen Vorteile verpflichtet. Dem Aktivum des Habens steht also rechtlich das Passivum der Restitutionspflicht gegenüber, so daß der bloße Besitz keinen Vermögensvorteil bedeutet165. Es gibt keinen Maßstab, nach welchem der Schaden berechnet werden könnte, der einem bloßen Besitzer durch Entziehen, Beschädigen, Zerstören der Sache u.s.w. entstehen kann. Dennoch kannten das römische und gemeine Recht einen Schadensersatzanspruch bei Nichterfüllung des possessorischen Anspruchs166. Aber schon im vorigen Jahrhundert wurde man sich des Problems klar, wie der Schaden bemessen werden könne. Man kam zu dem Ergebnis, daß der Schaden ohne Willkür nicht beziffert werden könne. Johow und die beiden Kommissionen entschieden sich daher dafür, einen Schadensersatz bei den possessorischen Ansprüchen nicht mehr zuzulassen167. Daraus ergibt sich, daß z.B. §§ 280 II, 286 nicht anwendbar sind, wenn Verzug oder Unmöglichkeit bei einem Anspruch aus §§ 861, 862, 867 vorliegen. Das ist heute für §§ 861, 862 unbestritten, während die Anwendung des früheren § 286 (jetzt: § 280 II i.V.m. § 286) auf § 867 vereinzelt bejaht wurde168. Letzteres

161 162 163 164 165 166 167 168

Vgl. Rosenberg, Wolff-Raiser a.a.O. Vgl. Wolff-Raiser § 19 VII 3. Vgl. Rosenberg § 867 N. V 2. Vgl. oben § 3 III a. Vgl. Johow, Begründung 436, 447 ff.; Motive 3, 119; Wieling, FG vLübtow 580; anders zu Unrecht Lopau, JuS 1980, 502. Vgl. oben 1 b. Vgl. Wieling, FG vLübtow 579. Vgl. oben Fn. 156, ferner RGRK-Kregel § 867 Rn. 3; OLG (Naumburg) 26, 4 (In dem dort entschiedenen Fall klagte der Eigentümer, das Gericht gab einen Ersatzanspruch wegen Verletzung der §§ 867, 1005, was nur insoweit bedenklich ist, als auch § 867 genannt ist).

221

§ 5 IV 6 b, c

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

ist nicht haltbar, es gibt keinen Schadensersatz bei Verletzung eines possessorischen Anspruchs169. § 5 IV b) Als ein Anspruch zum Schutz des Besitzes wird häufig § 1007 genannt170, zu , c Unrecht. In § 1007 wird nicht der Besitz geschützt, auch nicht der ältere Besitz, sondern das Recht zum Besitz. Der Besitz spielt in § 1007 insofern eine Rolle, als der Erwerb des dinglichen Rechts in der Regel Erwerb des Besitzes voraussetzt. Das bedeutet aber nicht, daß § 1007 den Besitz schützt, ebensowenig wie § 985 eine Besitzschutzvorschrift darstellt. c) Der Besitz wird nicht in § 823 I geschützt. § 823 I schützt nur Rechte oder Rechtspositionen mit Zuweisungsgehalt (Herrschaftsrechte). Daß der Besitz kein solches Recht darstellt, ist bereits gezeigt171. Der bloße Besitz kommt nicht als geschütztes Rechtsgut des § 823 I in Betracht, wohl aber ein Besitz, der mit einem Recht zum Besitz verbunden ist172. Das gilt sowohl für bewegliche Sachen wie für Grundstücke173. Ob § 858 I ein Schutzgesetz ist im Sinne des § 823 II, ist umstritten174. Selbst wenn man § 858 als Schutzgesetz anerkennt, so folgt daraus nicht, daß bei einer Besitzverletzung ein Schadensersatzanspruch nach § 823 II gegeben werden könnte. Geschütztes Rechtsgut des § 858 ist nicht eine Vermögensposition des Besitzers, sondern seine Persönlichkeit und sein Wille175. Ein Ersatzanspruch ergibt sich bei der Verletzung dieses Rechtsguts nicht176. Schadensersatzansprüche wegen Besitzverletzung können also nach § 823 nicht geltend gemacht werden. Der Tatbestand des § 823 wird durch eine Besitzverletzung nicht erfüllt, zudem fehlt es an einem Schaden. Demgegenüber wollen einige Autoren dem bloßen Besitzer den Haftungs-, Verwendungs- und Zurückbehaltungsschaden ersetzen177. Danach könnte also der Dieb, der wiederum bestohlen wurde, vom zweiten 169 170 171 172 173 174

175

176

177

Das schweizerische ZGB gibt in Art. 927 III und 928 III einen Schadensersatzanspruch wegen Besitzverletzung. Was darunter zu verstehen sei, ist streitig. Vgl. etwa Wolff-Raiser § 23; Baur-Stürner § 9 Rn. 27; Lopau, JuS 1980, 502. Vgl. oben § 3 III a; anders Müller Rn. 180 ff., der einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I bei Besitzverletzungen bejaht. Vgl. Wieling, FG vLübtow 580 f. mit Lit.; Planck-Brodmann § 858 N. 2; Soergel-Mühl 15 vor § 854; BGH JZ 1979, 404; BGH NJW 1981, 866. So schon RG 59, 326. Bejahend z.B. RGRK-Kregel § 861 Rn. 13; Enneccerus-Nipperdey § 80 I 3 (468); ablehnend z.B. Soergel-Stadler § 858 Rn. 1; Medicus, AcP 165 (1965), 118 f.; Gursky, JZ 1997, 1095. – Th. Honsell, Schadensersatz nach verbotener Besitzentziehung, JZ 1983, 531 ff., will § 858 I als Schutzgesetz i.S.d. § 823 II gelten lassen, doch soll der Besitzer nach § 992 keinen Schadensersatz bekommen. Für diese Differenzierung gibt es weder einen sachlichen Grund noch einen Anhaltspunkt im Gesetz. Vgl. oben § 3 III b. Die h.M., welche in § 858 die öffentliche Ordnung als geschützt ansieht, muß § 858 als Schutzgesetz für den einzelnen Besitzer ablehnen, konsequent Medicus, AcP 165 (1965), 118 f. Vgl. Wieling, FG vLübtow 581; Gursky, JZ 1997, 1095; BGH 114, 305, 313 f. Ob man aus §§ 823 II, 858 wenigstens einen Herausgabeanspruch anerkennen will oder § 861 als lex specialis ansieht (so Planck-Brodmann § 858 N. 2; Eccius, GruchBeitr 53 [1909], 9), ist im Ergebnis gleichgültig. Denn wendet man §§ 823 II, 858 an, so muß man die possessorischen Beschränkungen (oben 3) anwenden. Medicus, AcP 165 (1965), 120 ff.; Wieser, JuS 1970, 558; vgl. auch BGH NJW 1984, 2570 und dazu Richter, Schadensersatz des Werkunternehmers aus Besitzverletzung, NJW 1985, 1450 ff.

222

6. Sonstige Besitzschutzansprüche

§ 5 IV 6 d, e

Dieb gemäß § 823 I Herausgabe der Sache bzw. Wertersatz verlangen, weil er selbst dem Bestohlenen gegenüber haftet und sich nun nicht mehr durch Herausgabe der Sache befreien kann (Haftungsinteresse)178. Das ist abzulehnen, weil es an einem Haftungstatbestand fehlt und weil kein Bedürfnis für einen solchen Anspruch vorliegt. Der frühere Besitzer muß dem Eigentümer Ersatz leisten und kann von diesem gemäß § 255 Abtretung der Ansprüche gegen den Schädiger verlangen. d) Eine condictio possessionis als possessorischen Anspruch bejahte Bruns179, fand damit jedoch keine Anhänger180. Der erste Entwurf erkannte die Kondizierbarkeit des bloßen Besitzes sowohl für die Leistungskondiktion (§ 737 III E 1) als auch für die Eingriffskondiktion (§ 748 III E 1) an181. Der zweite Entwurf hat das als überflüssig gestrichen. Hier interessiert – im Zusammenhang mit dem Besitzschutz – nur die Eingriffskondiktion. Sie ist gegeben bei Eingriffen in solche Rechte, welche die Sache einer Person zuordnen, d.h. in Rechte mit Zuordnungsfunktion. Der Besitz hat eine solche Zuordnungsfunktion nicht182, der Eingriff in den bloßen Besitz kann somit keine Eingriffskondiktion auslösen183. Der bestohlene Dieb kann somit vom zweiten Dieb weder nach § 823 noch nach § 812 Herausgabe oder Wertersatz verlangen; er ist auf § 861 beschränkt. § 5 IV e) Die possessorischen Ansprüche wegen Besitzverletzung dürfen mit den petitori- , e schen Ansprüchen (§§ 812, 823, 985, 1007 u.s.w.) nicht vermengt werden. Auf einen petitorischen Anspruch können die Sonderregelungen, die für die possessorischen Ansprüche gelten, nicht angewandt werden. Auf einen Schadensersatzanspruch (§ 823) oder einen Bereicherungsanspruch sind daher die §§ 861 II, 863, 864 I und II nicht anzuwenden184. Während das heute allgemein anerkannt ist, werden bisweilen § 866185 und § 869186 auch auf petitorische Ansprüche angewandt. Das ist abzulehnen. § 866 soll bei einem Streit über die Grenzen des Gebrauchs die Mitbesitzer auf die petitorischen Ansprüche verweisen, diese sollen gerade anzuwenden sein, nicht aber ausgeschlossen bleiben187. Auch § 869 ist auf petitorische Ansprüche nicht derart anwendbar, daß der mittelbare Besitzer solche Ansprüche nicht gegen den unmittelbaren haben könnte. Nach der genannten Ansicht müßte ein Schadensersatzanspruch (§ 823) des vermietenden Eigentümers gegen den Mieter ausgeschlossen sein, was unhaltbar ist. 178

179

180 181 182 183 184

185 186 187

Das Verwendungsinteresse wird darin gesehen, daß der Besitzer Verwendungen nicht mehr nach § 1000 gegen den Eigentümer geltend machen kann, wenn er die Sache nicht mehr hat. C. G. Bruns, Besitzklagen 29 ff.; ihm folgend Rudorff in Savigny, Besitz 707 ff. und neuerdings Klinkhammer, Frank, Der Besitz als Gegenstand des Bereicherungsanspruchs, 1997, mit Rez. Wieling, SZ (rom. Abt) 116 (1999), 576 – 579. Vgl. Johow, Begründung 435 f. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3505 ff. (Jakobs-Schubert, Schuldrecht II 768 ff.). Vgl. oben § 3 III a, auch Isolde Kurz, Der Besitz als Gegenstand der Eingriffskondiktion (1969) 21 ff.; Westermann-Gursky § 21, 4; anders Müller Rn. 182. Kurz (a.a.O.) 64. Vgl. Bunsen, ArchBR 23 (1904), 88; Biermann § 862 N. 8 b; § 864 N. 2; Rosenberg § 864 N. I 6; Planck-Brodmann § 858 N. 2; Westermann-Gursky § 21, 4; Medicus, AcP 165 (1965), 138; Wieser, JuS 1970, 560. Vgl. Medicus, AcP 165 (1965), 139. Medicus a.a.O.; Sandtner 28 f.; BGH 32, 204 f. Zutreffend Wieser, JuS 1970, 560; BGH 62, 248 ff.

223

§ 5 IV 6 f

§ 5. Schutz des unmittelbaren Besitzes

Das Argument in BGH 32, 205, der unmittelbare Besitzer stehe in näherer Beziehung zur Sache als der mittelbare, daher seien die Interessen des mittelbaren Besitzers zurückzustellen, trägt nicht für petitorische Ansprüche. Diese Überlegung ist richtig, was den bloßen Besitz und die possessorischen Ansprüche betrifft. Was die petitorischen Ansprüche und das Recht zum Besitz betrifft, ist der mittelbare Besitzer „näher an der Sache“. f) Der Besitz ist kein nach § 47 InsO, § 771 ZPO geschütztes Recht, er berechtigt § 5 IV weder zur Aussonderung noch zur Widerspruchsklage.

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§ 6. Mittelbarer Besitz

Literatur: Aravantinos, Die Anfechtbarkeit der Besitzübertragung im deutschen bürgerlichen Recht, JherJahrb 48 (1904), 101 ff.; Bekker, Der Besitz beweglicher Sachen, JherJahrb 34 (1895), 1 ff.; Biermann, Johannes, Traditio ficta, 1891; Engelhardt, Hans, Welche Rechte stehen dem Oberbesitzer zu?, Diss. Erlangen 1902; Exner, Ob und unter welchen Voraussetzungen das constitutum possessorium mit der Wirkung der Besitzübertragung für bewegliche Sachen auszustatten ist, 15. DJT (1880) I 3 ff.; Hartung, Frank, Besitz und Sachherrschaft, 2001; Klein, Siegmund, Der mittelbare Besitz des Bürgerlichen Gesetzbuches, Diss. Bonn 1899; Kohler, Vertrag und Übergabe, ArchBR 18 (1900), 1 ff.; Lange, Eigentumserwerb im Falle des § 934 Halbs. 1 BGB, JuS 1969, 162 ff.; Last, Fragen zur Besitzlehre, JherJahrb 62 (1913), 1 ff., JherJahrb 63 (1913), 71 ff.; Lenel, Stellvertretung und Vollmacht, JherJahrb 36 (1896), 1 ff.; Leonhard, Rez. Harburger, Das constitutum possessorium im römischen und heutigen Recht, 1881, KrVjSchr 23 (1881), 311 ff.; ders., Ob und unter welchen Voraussetzungen das constitutum possessorium mit Wirkung der Besitzübertragung für bewegliche Sachen auszustatten ist, 15. DJT (1880) I 91 ff.; Michalski, Versuch einer Korrektur der Inkongruenz von § 933 und § 934 BGB, AcP 181 (1981), 384 ff.; Michel, Erich, Probleme des Erbenbesitzes nach § 857, Diss. Bochum 1990; Müller-Erzbach, Das Recht des Besitzes, AcP 142 (1936), 5 ff.; Picker, Mittelbarer Besitz, Nebenbesitz und Eigentumsvermutung in ihrer Bedeutung für den Gutglaubenserwerb, AcP 188 (1988), 511 ff.; Probst, Mehrfacher, gleichstufiger mittelbarer Besitz und gutgläubiger Eigentumserwerb nach § 934 BGB, ZHR 101 (1935), 199 ff.; Przibilla, Emanuel, Erwerb und Verlust des mittelbaren Besitzes, Diss. Freiburg/ Br. 1905; ders., Zur Lehre vom mittelbaren Besitz, JW 1908, 395 ff.; Reiß, Carl, Über mittelbaren Besitz, Diss. Marburg 1904; Schwarz-Ernst, Ansprüche des Grundstücksbesitzers gegen „Falschparker“, NJW 1997, 2550; Strohal, Der Sachbesitz nach dem BGB, JherJahrb 38 (1898), 1 ff.; Wendt, Der mittelbare Besitz des bürgerlichen Gesetzbuchs, AcP 87 (1897), 40 ff.; ders., Besitz und Besitzwille, FS Juristische Fakultät Giessen (1907), 79 ff.; Wieling, Der mittelbare Besitz, Studi in onore di Cesare Sanfilippo I (1982), 715 – 741; ders., Voraussetzungen, Übertragung und Schutz des mittelbaren Besitzes, AcP 184 (1984), 439 ff.

I. Geschichte und Wesen des mittelbaren Besitzes

§6 I 1

1. Entwicklung des mittelbaren Besitzes Der mittelbare Besitz hat sich aus der possessio des römischen Vermieters, Verpächters u.s.w. entwickelt. Nach römischer Verkehrsanschauung stand die tatsächliche Sachgewalt nicht dem Mieter, Pächter, Verwahrer u.s.w. zu, sondern dem Vermieter1. 1

Vgl. dazu und zum folgenden Wieling, Studi Sanfilippo I 715 ff.; zur besitzrechtlichen Stellung des Mieters vgl. Schnatenberg, Peter, Die Entstehung der Regeln des BGB über den mittelbaren Besitz unter besonderer Berücksichtigung des dinglichen Verhältnisses zwischen Mieter und Vermieter, Diss. Köln 1994.

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§6 I 1

§ 6. Mittelbarer Besitz

Der Mieter hatte eine dem heutigen Besitzdiener vergleichbare Stellung: praestat ministerium alienae possessionis (Er dient fremdem Besitz). Dagegen betrachtet die Verkehrsanschauung seit dem Mittelalter den Mieter u.s.w. als Inhaber der tatsächlichen Gewalt. Das galt für die Glossatoren, die ihre Verwunderung über die römische Ansicht häufig genug ausdrücken2, nicht anders als für die Germanen: Nach ihnen hat nur der Mieter die ledigliche Gewere3. Die Gewere eines Grundstücksvermieters beruhte nicht auf der tatsächlichen Gewalt, sondern auf dem Rechtsschein, der sich aus der Zinszahlung an ihn ergab (brukende Gewere). Mit der Rezeption stieß das römische Recht, das auf der römischen Verkehrsanschauung beruhte, in Deutschland mit der neuen Verkehrsanschauung zusammen. Beide behielten im gemeinen Recht ihre Bedeutung. Die germanische Verkehrsanschauung setzte sich durch, indem man dem Mieter u.s.w. die tatsächliche Gewalt zuerkannte. Er wurde zwar nicht als Besitzer, possessor, anerkannt, wohl war er Inhaber der Sachgewalt und wurde als „Inhaber“ oder „Detentor“ possessorisch geschützt durch die aus dem kanonischen Recht stammende Spolienklage4. Der Vermieter, obwohl nicht mehr als Inhaber der Sachgewalt angesehen, blieb als Besitzer anerkannt und behielt als solcher seinen Interdiktenschutz. Zu seinen Gunsten wurde eine Sachgewalt fingiert. Es gab somit einen zweifachen Besitz, den Besitz kraft Verkehrsanschauung des Mieters und den fiktiven Besitz kraft Tradition des Vermieters. Im Verhältnis zueinander war der Besitz kraft Verkehrsanschauung stärker. So genoß etwa der Mieter Besitzschutz gegen den § 6 I 1 Vermieter, nicht umgekehrt der Vermieter gegen den Mieter. Das BGB hat diese Regelung im wesentlichen übernommen5. Der erste Entwurf unterschied noch gemäß dem gemeinen Recht zwischen Besitz und Inhabung. Inhaber war gemäß § 797 E1, wer die tatsächliche Gewalt über die Sache hatte, Besitzer war der Inhaber, der die Sache als eigene in seiner Gewalt hatte. Übertrug der Besitzer die Sache auf einen Inhaber, etwa auf einen Mieter, so blieb sein Besitz erhalten, § 811 E1; er war also Besitzer ohne Inhabung. Possessorisch geschützt war jeder Inhaber, gleich ob er im eigenen Namen oder in fremdem Interesse besaß, §§ 819 f. E1. In gleicher Weise war der Besitzer ohne Inhabung (also der mittelbare Eigenbesitzer) geschützt, § 821 E16.

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Vgl. Placentinus, Summa Codicis lib. 7 tit. XXXV zum Besitz des Vermieters: verum iuris artificio & figmento contra naturalem causam reique veritatem meram, is dicitur possidere, qui non possidet … (Durch ein Kunststück des Rechts und durch Fiktion wird gegen den natürlichen Zustand und gegen die reine Wahrheit der Besitzer genannt, der nicht besitzt). Zur Gewere vgl. oben § 3 III 3. Vgl. dazu oben § 3 II 2 b. Ähnlich schon das ALR: Es kannte den unmittelbaren Besitz des Eigenbesitzers als „vollständigen Besitz“ (ALR I 7 § 7) und den unmittelbaren Besitz des Fremdbesitzers als „unvollständigen Besitz“ (ALR I 7 § 6). Gab der „vollständige Besitzer“ (Eigentümer) die Sache einem Fremdbesitzer (Mieter) zu „unvollständigem Besitz“, so bestand der „vollständige Besitz“ weiter, ALR I 7 § 124. Er war freilich ein sublimierter Besitz, ebenso wie der heutige mittelbare Besitz: „Neben dem unvollständigen Besitz aber besteht der vollständige, wenn auch der letztere für die Dauer des unvollständigen zu einem idealen Rechtsverhältniß geworden ist, das sich nur als Anspruch äußern kann“, Förster-Eccius III § 157 bei Fn. 34; vgl. auch Dernburg, Preußisches Privatrecht, Sachenrecht § 149, 1. Vgl. dazu Wieling, Studi Sanfilippo I 723 ff.

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1. Entwicklung des mittelbaren Besitzes

§6 I 1

Der zweite Entwurf nahm auf die Kritik von germanistischer Seite7 eine terminologische Änderung vor und bezeichnete nun die bisherigen Besitzer und Inhaber in gleicher Weise als „Besitzer“. Besitz war tatsächliche Sachgewalt, § 777 E2. Man glaubte aber, auch auf den Besitz kraft Tradition (Besitz ohne Inhabung) nicht verzichten zu können, den man nun „mittelbaren Besitz“ nannte, § 790 E28. Der Einfluß des römischen Rechts war zu stark. Zweck dieses mittelbaren Besitzes war es, dem früheren Besitzer kraft Tradition den possessorischen Schutz zu erhalten. Man begründete das damit, daß der mittelbare Besitz die Tendenz habe, zum unmittelbaren Besitz zu werden (nach Ablauf des Besitzmittlungsverhältnisses). Der mittelbare Besitzer habe also ein schutzwürdiges Interesse, daß dem Besitzmittler der Besitz nicht entzogen werde, weil nur so die Rückkehr der Sachgewalt an ihn gesichert sei. Dem mittelbaren Besitzer müsse also ein gewisser Besitzschutz gewährt werden, er müsse in gewissem Umfang wie ein Besitzer behandelt werden9. Daraus entstand die Regelung des § 869: Dem mittelbaren Besitzer wird ein mittelbarer Schutz eingeräumt, ein Anspruch nämlich, falls der unmittelbare Besitz gestört wird. Der mittelbare Besitz war also zunächst nur zu dem Zweck geschaffen worden, dem Vermieter u.s.w. einen possessorischen Schutz zu- § 6 I 1 kommen zu lassen. Der Besitz hat aber nicht nur die Schutzfunktion, er ist auch Voraussetzung für die Übertragung und den Erwerb dinglicher Rechte (possessio ad usucapionem)10. Würde man den Vermieter u.s.w. nicht als Besitzer anerkennen, so ergäbe sich das Problem, wie er z.B. ohne Besitz das Eigentum übertragen oder durch Ersitzung erwerben könne. Man war sich von vornherein darüber im klaren gewesen, daß man die possessio ad usucapionem nicht auf die tatsächliche Gewalt i.S.v. § 854 beschränken könne, daß man hier vielmehr einen weiteren Besitzbegriff benötige11. Einen solchen weiteren Besitzbegriff hatte man noch nicht geschaffen. Man übernahm daher aus der Regelung des Besitzschutzes (§ 869) den Gedanken des mittelbaren Besitzes, den man auch bei den Fragen des Rechtserwerbs als eine geeignete Erweiterung des Besitzbegriffs betrachtete. Zu diesem Zweck stellte man nunmehr dem § 869 eine allgemeine Vorschrift voran, die den mittelbaren Besitz dem unmittelbaren gleichsetzt (§ 868). Diese Vorschrift hat Bedeutung aber nur für die possessio ad usucapionem, gehört also eigentlich nicht in die §§ 854 – 87212. Die Bedeutung des mittelbaren Besitzes für den Besitzschutz ergibt sich allein aus § 869. Der mittelbare Besitz geht also nicht auf die germanische Gewere zurück, wie bisweilen behauptet wird13, aber auch nicht allein auf die römische possessio. Er geht zurück auf die Verbindung römischen Rechts und germanischer Verkehrsanschauung im gemeinen deutschen Recht. 7 8

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Vgl. dazu oben § 3 II 5 d. Ungenau ist die Behauptung bei Wilhelm Rn. 403, die Unterscheidung unmittelbarer – mittelbarer Besitz ersetze die gemeinrechtliche Unterscheidung possessio – detentio. Der frühere Detentor kann heute unmittelbarer oder mittelbarer Fremdbesitzer sein oder auch Besitzdiener, der frühere possessor kann unmittelbarer oder mittelbarer Eigenbesitzer sein. Protokolle der 2. Kommission 3733 (Mugdan 3, 515). Vgl. oben § 3 II 1 a. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3729 (Mugdan 3, 514); Wieling, Studi Sanfilippo I 738 f. Vgl. oben § 3 IV a.E. Vgl. etwa J. vGierke § 6 I 1; Kohler, ArchBR 18 (1900), 79; Wolff-Raiser § 4 Fn. 3.

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§6 I 2 a

§ 6. Mittelbarer Besitz

2. Wesen des mittelbaren Besitzes Umstritten ist die Frage, ob mittelbarer Besitz tatsächliche Gewalt bedeutet oder nicht. Die Frage gewinnt an einigen Punkten praktische Bedeutung. Die Ansicht, mittelbarer Besitz sei tatsächliche Sachherrschaft, ist so alt wie das BGB selbst14. Sie beruht einmal auf der verführerischen Gewalt des Wortes „Besitz“, das eben an eine tatsächliche Sachherrschaft denken läßt. Zum anderen basiert diese Ansicht auf der Behauptung, der mittelbare Besitz sei nichts anderes als die Gewere des Vermieters u.s.w., infolgedessen also Sachherrschaft. Das ist aus zwei Gründen nicht haltbar. Einmal beruht der mittelbare Besitz nicht auf der germanischen Gewere, die Gewere wurde von den Schöpfern des BGB als ein längst vergangenes Rechtsinstitut angesehen. Der mittelbare Besitz stammt aus dem Besitz kraft Tradition des gemeinen Rechts. Zum zweiten bedeutete die brukende Gewere des Vermieters u.s.w. keine tatsächliche Gewalt über die Sache. a) Auch heute nimmt eine verbreitete Ansicht eine tatsächliche Gewalt des mittelbaren Besitzers an. Der mittelbare Besitzer habe die Gewalt über die Sache nicht völlig aufgegeben, sie sei nur auf Zeit verdrängt15. Wenn aber die Sachgewalt des Vermieters u.s.w. auf Zeit zurückgedrängt ist, so besteht sie eben in dieser Zeit nicht. Nach einer anderen Ansicht übt der mittelbare Besitzer kraft des Besitzmittlungsverhältnisses, d.h. kraft seines Herausgabeanspruchs gegen den Besitzmittler eine Sachgewalt aus16. Aber auch das trifft nicht zu. Ein Anspruch verpflichtet den Schuldner, kann aber nie eine tatsächliche Gewalt über eine Sache geben. Es wird schließlich geltend gemacht, dem mittelbaren Besitzer komme deswegen Sachgewalt zu, weil er Dritte von Einwirkungen auf die Sache fernhalten könne17. Es mag Fälle geben, in welchen der mittelbare Besitzer wegen seiner Sachnähe zur Verteidigung der Sache in der Lage ist. Sehr häufig wird das anders sein. Selbst wenn eine solche Sachnähe besteht, ergibt sich daraus keine tatsächliche Gewalt. Auch jeder Grundstücksnachbar ist z.B. in der Lage, Dritte von Eingriffen auf ein Grundstück fernzuhalten. Er hat deswegen keine tatsächliche Gewalt über das Grundstück. Nach richtiger Ansicht gibt der mittelbare Besitz keine Sachgewalt18, auch keine irgendwie „vergeistigte“ Sachgewalt19. Wäre mittelbarer Besitz Sachgewalt, so fiele er unter § 854, mittelbarer Besitzer und Besitzmittler wären Mitbesitzer i.S.v. § 866. Das trifft aber nicht zu. Auch wären die §§ 868 – 871 völlig überflüssig, der mittelbare Be14 15 16 17 18

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Vgl. dazu und zum Folgenden Wieling, Studi Sanfilippo I 728 ff. So etwa Wolff-Raiser § 8 I 1; Staudinger-Bund § 868 Rn. 5. So etwa Westermann-Gursky § 17, 5 f; Staudinger-Bund § 868 Rn. 5. Protokolle der 2. Kommission 3731 (Mugdan 3, 514); E. Wolf § 2 B II b 2. So schon die 2. Kommission 3946, Mugdan 3, 668 (kein wirkliches Besitzverhältnis, sondern ein Institut von zweifelhaftem juristischem Charakter); ferner Biermann § 868 N. 1 b; Rosenberg § 868 N. III 2; Planck-Brodmann § 868 N. 1; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 3; J. vGierke § 6 I 1; Michel 46 ff; Schwab-Prütting Rn. 82; MünchenerK-Joost § 868 Rn. 5; Hartung 281. Mittelbarer Besitz ist aber auch kein Rechtsverhältnis, wie MünchenerK-Joost § 868 Rn. 6 annimmt; aus der Tatsache des mittelbaren Besitzes ergeben sich weder für den mittelbaren Besitzer noch für den Besitzmittler irgendwelche Rechte oder Pflichten. So aber z.B. Wolff-Raiser § 8 I 1 pr.; Westermann-Gursky § 17, 5 f; Wilhelm Rn. 453 und die Literatur bei Michel 46 ff.; zu solchen Mystifikationen besteht indessen kein Anlaß.

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§6 I 2

2. Wesen des mittelbaren Besitzes

§ 6 I 2 b, c

sitz müßte sich nach den §§ 854 ff. regeln. Wäre mittelbarer Besitz Sachgewalt, so müßte er – über § 869 hinaus – vollen Besitzschutz genießen, was ebenfalls nicht zutrifft20. Mittelbarer Besitz ist fingierter Besitz, er wird lediglich in einigen Beziehungen der Sachgewalt gleichgestellt21. Das war schon im gemeinen Recht so, als man auf den Vermieter u.s.w. das römische Besitzrecht anwandte, gleichsam als ob die römische Verkehrsanschauung von der tatsächlichen Gewalt des Vermieters noch in Geltung sei. Die Fiktion basiert auf der Aussicht des mittelbaren Besitzers, die Sache zu erlangen, § 6 I 2 und auf der Herausgabebereitschaft des Besitzmittlers. b) Man muß sich auch von der Vorstellung freimachen, der Besitzmittler besitze für den mittelbaren Besitzer, er vermittle ihm den Besitz, so daß er Sachherrschaft habe22. Diese Ansicht traf für das römische Recht zu, nach römischer Verkehrsanschauung besaß der Vermieter durch den Mieter, der Mieter war Besitzdiener im Sinne des § 855. Diese Verkehrsanschauung von der Verteilung der tatsächlichen Gewalt über die Sache ist längst nicht mehr in Geltung. Der Mieter ist kein Besitzdiener, die tatsächliche Sachgewalt steht ihm vielmehr selbst zu. Er unterliegt nicht einem Weisungsrecht, wie es dem Besitzer gegen einen Besitzdiener zukommt; er hat selbst den Besitzschutz gegen jedermann, auch gegen den mittelbaren Besitzer. Der mittelbare Besitzer übt daher keine Sachgewalt durch den Besitzmittler aus; lediglich die Fiktion des mittelbaren Besitzes basiert auf der Sachgewalt des Besitzmittlers. Der von Bekker23 geprägte Ausdruck „Besitzmittler“, der zu Mißverständnissen Anlaß bieten könnte, soll dennoch in dem hier genannten Sinn weiter benutzt werden. c) Da mittelbarer Besitz nicht tatsächliche Sachgewalt bedeutet, also vom unmittelbaren Besitz verschieden ist, muß man ermitteln, was es bedeutet, wenn das Gesetz von „Besitz“ spricht. Man kann nicht generell feststellen, daß mit „Besitz“ auch der mittelbare Besitz gemeint sei. Es kommt vielmehr auf den Zusammenhang und den Zweck der Norm an. In §§ 854 – 856, 858 – 862, 867-869 ist mit Besitz z.B. nur der unmittelbare Besitz gemeint; in § 935 I 1 bezieht sich das Abhandenkommen nur auf den unmittelbaren Besitz des Eigentümers u.s.w. Meist wird aber unter „Besitz“ auch der mittelbare Besitz zu verstehen sein.

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Vgl. unten IV 1. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3733 f.; 3946 (Mugdan 3, 515, 668); Rohde I 58 und jetzt auch Sosnitza 17 f. So aber O. vGierke § 114, 5; Baur-Stürner § 7 Rn. 30 f.; E. Wolf § 2 B II b; Hedemann § 6 II a 1; Wolff-Raiser § 8 I 1; RGRK-Kregel § 868 Rn. 1 f. und 9; Soergel-Stadler § 868 Rn. 2. Bekker, JherJahrb 34 (1895), 42.

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§ 6 II 1

§ 6. Mittelbarer Besitz

II. Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes Da mittelbarer Besitz keine Sachgewalt bedeutet, sondern fiktive Sachgewalt ist, muß festgestellt werden, auf welchen Grundlagen die Fiktion beruht.

1. Besitzmittlungsverhältnis Gemäß § 868 vermittelt den Besitz, wer als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer besitzt oder aufgrund eines ähnlichen Verhältnisses, vermöge dessen er dem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist. Fraglich ist zunächst, ob dieses Besitzmittlungsverhältnis wirksam sein muß. Aus dem Wortlaut des Gesetzes läßt sich das nicht entscheiden1. Einerseits soll es zwar genügen, daß der Besitzmittler „als Nießbraucher“ u.s.w. besitzt, was darauf hindeuten könnte, daß das Rechtsverhältnis nicht wirksam sein muß; andererseits scheint das „berechtigt oder verpflichtet ist“ das Gegenteil zu sagen. Die h.M. läßt auch ein unwirksames Besitzmittlungsverhältnis für die Entstehung des mittelbaren Besitzes ausreichen2. Das kann man zwar nicht mit dem Hinweis begründen, der Besitz als Tatsache müsse vom Recht unabhängig sein; denn der mittelbare Besitz ist keine tatsächliche Gewalt, sondern eine Fiktion. Da aber das Vorbild des mittelbaren Besitzes, die possessio des Vermieters u.s.w. im römischen Recht, tatsächliche Sachherrschaft war, wird man auch die Fiktion des mittelbaren Besitzes eher auf eine Tatsache gründen als auf ein Rechtsverhältnis. Die Gegenmeinung, welche ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis fordert3, vermag diese Forderung nicht überzeugend zu begründen. Geht man vom Zweck des Gesetzes aus, so zeigt sich, daß der h.M. zuzustimmen ist. Der Besitzschutz aus § 869 muß einem Vermieter zustehen, gleich ob der Mietvertrag wirksam ist oder nicht. Denn geschützt ist die Aussicht des Vermieters, die Gewalt über die Sache zurückzuerlangen4, und diese Aussicht hat der Vermieter auch, wenn der Mietvertrag unwirksam ist. Der mittelbare Besitz soll ferner die Möglichkeit eröffnen, auch ohne Sachgewalt dingliche Rechte zu übertragen und zu erwerben. Auch hier spielt die Wirksamkeit des Besitzmittlungsverhältnisses keine Rolle. Wer als gutgläubiger Eigenbesitzer eine Sache – sei es auch unwirksam – vermietet, muß weiterersitzen können5. Ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis ist also keine Voraussetzung für den mittelbaren Besitz. Daraus folgt, daß der Besitzmittler nicht zum Besitz berechtigt oder verpflichtet sein muß. Es ist auch nicht erforderlich, daß die Parteien oder auch nur der 1 2

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Vgl. Westermann-Gursky § 17, 5 d. So schon die 2. Kommission, Protokolle 6071 (Mugdan 3, 516 f.), ferner z.B. RG 98, 133; BGH NJW 1955, 499; Wolff-Raiser § 8 I 2; Westermann-Gursky § 17, 5 c, d; E. Wolf § 2 B II b 3; Schwab-Prütting Rn. 83; Biermann § 868 N. 2 d; Soergel-Stadler § 868 Rn. 7; MünchenerK-Joost § 868 Rn. 15. Etwa Isay, Hermann, Die Geschäftsführung nach dem BGB (1900), 276; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 115 ff.; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 51; V. Bruns 157; Kreß 200; Endemann II § 35 Fn. 17. Vgl. oben I 1. Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 440 ff.

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§ 6 II 1

3. Herausgabeanspruch

§ 6 II 3 a

Besitzmittler glaubt, das Besitzmittlungsverhältnis sei wirksam (Putativ-Rechtsverhältnis)6. Nicht auf den Glauben, sondern auf den Willen des Besitzmittlers kommt es an. Erfährt etwa ein Mieter, daß der Mietvertrag unwirksam ist, so erlischt dadurch nicht der mittelbare Besitz.

2. Ableitung des Besitzrechtes Gemäß der Formulierung der §§ 939, 986, 991 leitet der Besitzmittler sein Recht zum Besitz vom mittelbaren Besitzer ab. Daher wird die Ansicht vertreten, Voraussetzung für den mittelbaren Besitz sei eine Besitzrechtsableitung. Was damit gemeint ist, wird freilich nicht immer klar. Häufig wird behauptet, das Besitzrecht des mittelbaren Besitzers müsse das stärkere Recht sein, aus welchem der Besitzmittler sein Besitzrecht ableite. Indessen ist es keine Voraussetzung für den mittelbaren Besitz, daß der Mittler sein Besitzrecht vom mittelbaren Besitzer ableite. Ist z.B. das Besitzmittlungsverhältnis unwirksam, so hat der Besitzmittler keinerlei Recht zum Besitz, auch kein abgeleitetes. Dennoch vermittelt er mittelbaren Besitz. Es ist auch denkbar, daß der mittelbare Besitzer keinerlei Recht zum Besitz hat, so daß daraus auch nichts abgeleitet werden kann. Dennoch kann er mittelbarer Besitzer sein, so wenn etwa ein Dieb eine Sache vermietet. Eine Besitzrechtsableitung ist daher nicht erforderlich. Die §§ 941, 986, 991 wollen mit dem, der „sein Besitzrecht ableitet“, lediglich den Besitzmittler bezeichnen, ohne eine Voraussetzung des mittelbaren Besitzes aufzustellen.

§ 6 II 3

3. Herausgabeanspruch a) Die völlig h.M. verlangt einen Herausgabeanspruch des mittelbaren Besitzers als Voraussetzung des mittelbaren Besitzes. Die Begründung ist allerdings wenig überzeugend. So wird etwa behauptet, der Anspruch vermittle dem mittelbaren Besitzer eine Sachgewalt; fehle der Anspruch, so könne mangels einer Sachbeziehung kein mittelbarer Besitz bestehen7. Dem ist entgegenzuhalten, daß der mittelbare Besitz nie Sachgewalt bedeutet, sondern eine Fiktion ist8. Zudem wäre auch ein Anspruch nicht geeignet, eine Sachgewalt herzustellen. Ein Anspruch richtet sich gegen eine Person; eine Sachgewalt vermittelt er nicht. Nach einer anderen Ansicht soll sich aus § 870 ergeben, daß ein Herausgabeanspruch erforderlich sei9. Die Vorschrift besagt aber nur, daß der mittelbare Besitz durch Abtretung des Herausgabeanspruchs übertragen werden kann. Das schließt nicht aus, daß es einen mittelbaren Besitz ohne Herausgabeanspruch gibt, der auf andere Weise übertragen werden kann, etwa dadurch, daß der mittelbare Besitzer den Besitzmittler anweist, nunmehr einem anderen den Besitz zu vermitteln, und daß der Besitzmittler dem nachkommt10. Auf diese Weise geht der mittelbare Besitz über, ohne daß es auf 6 7 8 9 10

So aber Michalski, AcP 181 (1981), 410; Müller Rn. 229. Staudinger-Bund § 868 Rn. 23; J. vGierke § 6 I 2. Vgl. oben I 2 a. Staudinger-Seufert § 868 Rn. 2 b. Vgl. unten III 2 a.

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§ 6 II 3 b

§ 6. Mittelbarer Besitz

einen Herausgabeanspruch ankäme. Auch § 870 kann die Voraussetzung eines Anspruchs für den mittelbaren Besitz nicht begründen. Schließlich wird behauptet, ein Herausgabeanspruch müsse deswegen vorhanden sein, weil andernfalls der Besitzmittler die Sache dauernd behalten könne. Das verstoße gegen die Anforderung des § 868, daß der Besitzmittler die Sache nur „auf Zeit“ haben dürfe11. Aber auch ein Anspruch kann den mittelbaren Besitz nicht garantieren, wenn etwa ein Mieter eine Sache unterschlägt. Der Herausgabeanspruch ist keine hinreichende Voraussetzung des mittelbaren Besitzes, offenbar ist es ein anderes Kriterium, das über die Existenz des mittelbaren Besitzes entscheidet: das tatsächliche Verhalten des Besitzmittlers. Daß dieses Kriterium das allein entscheidende ist, haben einige Autoren anerkannt; beim Abweichen des tatsächlichen Verhaltens des Besitzmittlers von der Rechtslage soll ersteres entscheiden12. Zahlt etwa ein Mieter nach dem Tod des Vermieters den Mietzins an einen Scheinerben, so wird dieser damit mittelbarer Besitzer. Der wirkliche Erbe hat den Herausgabeanspruch, aber keinen mittelbaren Besitz. Der Scheinerbe hat keinen Herausgabeanspruch, dennoch ist er aufgrund des tatsächlichen Verhaltens des Besitzmittlers mittelbarer Besitzer. § 6 II 3 b) Ob für den mittelbaren Besitz ein Herausgabeanspruch zu fordern ist, muß sich nach dem Zweck entscheiden, den das Gesetz mit dem mittelbaren Besitz verfolgt. Dem mittelbaren Besitzer soll einmal Besitzschutz zukommen, obwohl er keine Sachgewalt hat; zum anderen soll ihm die Möglichkeit gegeben sein, dingliche Rechte zu übertragen und zu erwerben13. Es ist zu untersuchen, ob hierfür ein Herausgabeanspruch erforderlich ist. § 869 schützt die Aussicht des mittelbaren Besitzers auf Rückerwerb des unmittelbaren Besitzes an der Sache14. Betrachten wir den Fall, daß ein Dieb gestohlene PKW regelmäßig an einen eingeweihten Werkstattbesitzer gibt, der die Wagen umfrisiert und für den Dieb zur Verfügung hält15. Hat der Dieb den Anspruch aus § 869, wenn ein Wagen in der Werkstatt von einem zweiten Dieb gestohlen wird? Ein Herausgabeanspruch gegen den Werkstattbesitzer stand ihm nicht zu (§ 817, 2). Wäre dem ersten Dieb selbst der Wagen gestohlen worden, so hätte er den Anspruch aus § 861 gehabt. Nachdem er den Wagen an die Werkstatt gegeben hatte, hatte er keine Sachgewalt mehr, sondern nur noch die Aussicht auf Rückerlangung der Sache. Der Werkstattbesitzer war gewillt, den Wagen jederzeit an ihn herauszugeben, obwohl er dazu nicht verpflichtet war. Diese Aussicht auf Rückerlangen der Sache ist durch den zweiten Diebstahl gestört. Gemäß dem Zweck des Gesetzes muß dem Dieb der Anspruch aus § 869 zustehen, obwohl er keinen Herausgabeanspruch gegen den Werkstattbesitzer hatte; er war mittelbarer Besitzer. Der mittelbare Besitz soll auch die Möglichkeit eröffnen, dingliche Rechte zu übertragen. Nehmen wir an, jemand habe eine Sache unterschlagen und einem Hehler in Verwahrung gegeben. Auch hier besteht kein Herausgabeanspruch. Veräußert der Hin11

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Vgl. Rosenberg § 868 N. II 2 b δ; Soergel-Stadler § 868 Rn. 10; Schlegelberger-VogelsPritsch § 868 N. 20; Erman-Lorenz § 868 Rn. 10; MünchenerK-Joost § 868 Rn. 15; BaurStürner § 7 Rn. 43; Müller Rn. 231; Hartung 285 ff. Vgl. O. vGierke, 24. DJT III 33. Vgl. oben I 1. Vgl. oben I 1. Beispiel nach Baur-Stürner § 7 Rn. 46.

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4. Besitz des Besitzmittlers

§ 6 II 4

terleger die Sache gemäß §§ 931, 934, so erwirbt der Erwerber sofort Eigentum, wenn der Veräußerer mittelbarer Besitzer war; andernfalls erwirbt er kein Eigentum. Der mittelbare Besitz ist also nach dem Willen des Gesetzes ein Vertrauenstatbestand, der dem Erwerber Schutz gewährt16. Es ist also entscheidend, ob in unserem Beispiel dem Veräußerer mittelbarer Besitz zuzuerkennen ist. Da der mittelbare Besitz die Vertrauensbasis für den Erwerber bilden soll, kann er nicht in einem Rechtsverhältnis bestehen; er muß vielmehr in einem wahrnehmbaren, tatsächlichen Verhältnis bestehen. Auf den Herausgabeanspruch kann es somit nicht ankommen. Das einzige, was am mittelbaren Besitz äußerlich wahrnehmbar ist, was also eine Vertrauensbasis bilden kann, ist die Herausgabebereitschaft des Besitzmittlers. Diese bestand in unserem Beispiel. Also ist ein Eigentumserwerb zu bejahen und ebenso ein mittelbarer Besitz des Unterschlagenden. Damit zeigt sich, daß es für den mittelbaren Besitz auf einen Herausgabeanspruch nicht ankommt17.

§ 6 II 4

4. Besitz des Besitzmittlers Mittelbarer Besitz setzt weder ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis voraus noch eine Ableitung des Besitzrechts noch einen Herausgabeanspruch. Erforderlich ist vielmehr ein unmittelbarer Besitz18 des Besitzmittlers verbunden mit einem bestimmten Besitzwillen19: Der Besitzmittler darf als solcher nicht Eigenbesitzer sein20, er muß Fremdbesitzer sein. Der Besitzmittler darf also nicht den Willen haben, die Sache als eigene zu besitzen21, er muß beim Eintritt gewisser Voraussetzungen zur Herausgabe der Sache bereit sein22. Auf diesen Fremdbesitzerwillen gründet sich die Fiktion des mittelbaren Besitzes, die dem mittelbaren Besitzer in gewissem Umfang die Vorteile des Besitzes vermittelt, obwohl er keine Sachgewalt hat. Wie bei jedem Besitzwillen handelt es sich auch hier um einen natürlichen Willen; Geschäftsfähigkeit ist nicht erforderlich23. Abzulehnen ist auch die Ansicht, auf den Besitzwillen des Besitzmittlers komme es nur an, wenn der mittelbare Besitz auf einem Vertragsverhältnis beruhe, nicht aber dann, wenn er auf einem gesetzlichen Verhältnis beruhe24. Weder ein ver16 17

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Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 449 ff. So zu Recht auch Przibilla 19 und JW 1908, 396; Planck-Brodmann § 868 N. 3; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 22; Heck § 11, 6 a; E. Wolf § 2 B II b 4; Reinicke-Tiedtke Rn. 488; Soergel-Henssler § 930 Rn. 20; auch O. vGierke, oben Fn. 12. Eventuell ein fingierter, etwa nach § 857. Bei einer Kette von Besitzmittlern muß dieser Wille bei allen gegeben sein, unmittelbarer Besitz nur beim letzten. Natürlich kann der Besitzmittler daneben auch noch Eigenbesitzer sein, wenn etwa der Eigentümer eine Sache, die er zu Nießbrauch gegeben hat, vom Nießbraucher pachtet. Der Eigentümer ist mittelbarer Eigenbesitzer und als Besitzmittler unmittelbarer Fremdbesitzer. Vgl. zum Eigen- und Fremdbesitz oben § 4 I 5; auch Wieling, AcP 184 (1984), 451 ff. Vgl. Motive 3, 99; Protokolle der 2. Kommission 6071 (Mugdan 3, 516 f.); Planck-Brodmann § 868 N. 3; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 22; Przibilla 19, 24; O. vGierke, 24. DJT III 33; E. Wolf § 2 B II b 4; BGH NJW 1955, 499. Anders zu Unrecht RG 86, 265; 98, 133; RGRK-Kregel § 868 Rn. 8. So aber z.B. BGH 9, 73 ff.; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 15; RGRK-Kregel § 868 Rn. 23.

233

§ 6 II 4

§ 6. Mittelbarer Besitz

tragliches noch ein gesetzliches Schuldverhältnis vermag mittelbaren Besitz zu begrün- § 6 II 4 den; entscheidend ist der Wille des Besitzmittlers25. Daß der Besitz des Besitzmittlers mit Fremdbesitzerwillen hinreichende Voraussetzung des mittelbaren Besitzes ist26, zeigt sich auch in folgendem: Erkennt der Besitzmittler den mittelbaren Besitzer nicht mehr als solchen an, so endet der mittelbare Besitz, auch wenn der Besitzmittler weiter unmittelbarer Besitzer bleibt27. Unterschlägt etwa ein Mieter die Mietsache oder faßt er den Entschluß, nunmehr einen anderen als Oberbesitzer anzuerkennen, so endet der bisherige mittelbare Besitz. Es entscheidet der Wille des Besitzmittlers, wie er sich in seinem tatsächlichen Verhalten offenbart. Der Besitzmittler muß allerdings nach dem Gesetz „auf Zeit“ zum Besitz berechtigt oder verpflichtet sein. Das kann nicht wörtlich verstanden werden, denn mittelbarer Besitz liegt auch dann vor, wenn der Besitzmittler überhaupt nicht zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist28. Nach einer verbreiteten Ansicht ist es aber erforderlich, daß dem Besitz des Besitzmittlers eine zeitliche Grenze in Form einer Bedingung oder eines Termins (z.B. Ende des Mietvertrags) gesetzt ist. Das würde bedeuten, daß ein Erbbauberechtigter, dessen Recht zeitlich nicht begrenzt ist, nicht Besitzmittler wäre. Ein Eigenbesitzer, der ein Grundstück zu unbefristetem Erbbaurecht überließe, wäre danach nicht mittelbarer Besitzer. Er könnte etwa eine begonnene Ersitzung (§§ 900, 927) nicht vollenden29. Das ist nicht haltbar. Die Beschränkung des Besitzmittlers besteht in einer grundsätzlichen Herausgabebereitschaft bei Eintritt gewisser Umstände30, nicht unbedingt in einer zeitlichen Begrenzung seines Besitzes31. Wenn auch der mittelbare Besitz kein wirksames oder auch nur angenommenes Rechtsverhältnis i.S.v. § 868 erfordert, so wird ein solches – wirkliches oder putatives – Besitzmittlungsverhältnis in den meisten Fällen gegeben sein. Der Besitzmittler will zumeist deshalb den Besitz vermitteln, weil er als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter u.s.w. besitzt. Neben den in § 868 genannten Fällen eines Besitzmittlungsverhältnisses kommen noch viele andere in Betracht; Besitzmittler sind z.B. der Entleiher, Frachtführer, Kommissionär, Lagerhalter, Spediteur, Gerichtsvollzieher, Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Nachlaßverwalter u.s.w. Besitzmittler ist auch der Vorbehaltskäufer, solange er noch kein Eigentum erworben hat; er besitzt als Fremdbesitzer und vermittelt dem Verkäufer den Besitz – wenn er sich rechtmäßig verhält32. Bestellt ein Nichtberechtigter einen Nießbrauch, so wird er mittelbarer Besitzer, nicht der Eigentümer der Sache. Wer aus Irrtum eine eigene Sache mietet, vermittelt dem Vermieter den Besitz, so daß dieser ersitzen kann. Wird eine Sache zugunsten des Berechtigten zweier streitender Parteien hinterlegt, so erwirbt damit der Sieger den mittelbaren Besitz33. Bei der Beschlagnahme einer Sache entscheidet der Wille der beschlag25 26 27 28 29 30 31 32 33

Anders zu Unrecht Hartung 261 ff. Hinzukommen muß natürlich wie bei jedem Besitz der Besitzwille des mittelbaren Besitzers, vgl. unten 5. Vgl. unten III. Vgl. oben 1. So z.B. Klein 70; Reiß 31; Przibilla 32; Rohde XXI 21; Wendt, AcP 87 (1897), 61. Beim unbefristeten Erbbaurecht etwa nach §§ 2 Nr. 4; 9 III; 26 ErbbRVO. So zutreffend Rosenberg § 868 N. II 2 b β; auch das Schweizer ZGB Art. 920 I. Vgl. hierzu und zum folgenden Wieling, AcP 184 (1984), 452 ff. Vgl. Rosenberg § 868 N. II 2 a δ.

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5. Besitzwille des mittelbaren Besitzers

§ 6 II 5

nahmenden Behörde. Will sie die beschlagnahmte Sache dem Eigentümer endgültig entziehen und einem Dritten zuweisen, so wird es an einem Besitzmittlungswillen regelmäßig fehlen34. Wird dagegen z.B. Diebesgut beschlagnahmt, so ist davon auszugehen, daß die beschlagnahmende Behörde nicht Eigenbesitz ergreift, sondern dem Bestohlenen den Besitz vermitteln will35. Mittelbarer Besitz entsteht, sobald der Bestohlene die Beschlagnahme erfährt und den Besitzwillen faßt. Mittelbarer Besitz ist ebenso wie unmittelbarer nur an bestimmten Sachen möglich, nicht an Quoten von Sachgesamtheiten, etwa an der Hälfte der in einem bestimmten Raum gelagerten Sachen. Es reicht auch nicht aus, daß die Sachen bestimmbar sind, sie müssen erkennbar ausgesondert sein, wenn mittelbarer Besitz in Betracht kommen soll36.

§ 6 II 5

5. Besitzwille des mittelbaren Besitzers Neben Besitz des Besitzmittlers mit Fremdbesitzerwillen setzt der mittelbare Besitz einen Besitzwillen des mittelbaren Besitzers voraus37; niemand muß sich einen Besitz aufdrängen lassen38, der ihm etwa die Beklagtenrolle in einem Besitzprozeß einbringen kann. Der mittelbare Besitzer muß wollen, daß der Besitzmittler ihm gegenüber einen eingeschränkten Besitzwillen hat. Für diesen Willen reicht die natürliche Willensfähigkeit39, es ist ohne Bedeutung, ob es sich um einen Eigen- oder Fremdbesitzerwillen handelt. Wegen dieses Erfordernisses des Besitzwillens kann es fraglich erscheinen, ob ein Geschäftsführer ohne Auftrag dem Geschäftsherrn Besitz vermittelt, wenn er z.B. eine Sache für ihn erwirbt. Die h.M. bejaht das ohne weiteres40, weil bei einem gesetzlichen Besitzmittlungsverhältnis ein Besitzwille nicht erforderlich sei. Dem kann man nicht folgen41, auch hier kann dem ahnungslosen Geschäftsherrn ein mittelbarer Besitz nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Will der Geschäftsherr die Sache nicht übernehmen und weist er auch den mittelbaren Besitz zurück, so kann man ihn nicht zwangsweise zum mittelbaren Besitzer machen. Die Geschäftsführung verpflichtet den Geschäftsherrn allenfalls zum Ersatz der Aufwendungen, mehr bewirkt sie nicht. Mit34 35

36 37

38 39 40 41

Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1951, 444. Vgl. Wolff-Raiser § 8 I 1 c; anders RG WarnRspr 1925 Nr. 25: Mit der Beschlagnahme habe der Bestohlene nicht mittelbaren Besitz erlangt, die Sache sei also nicht zu ihm zurückgekehrt, also sei weiterhin § 935 anzuwenden. Dem ist im Ergebnis sicher zuzustimmen, es mußte deswegen aber nicht der mittelbare Besitz des Bestohlenen geleugnet werden. RG Nachschlagewerk § 854 Nr. 3; Rosenberg § 868 N. II 2 b η; Westermann-Gursky § 18, 3. Vgl. Westermann-Gursky § 19 I 2; Hedemann § 7 I b; Soergel-Stadler § 868 Rn. 9; PlanckBrodmann § 868 N. 4 a; V. Bruns 166 f.; Last, JherJahrb 63 (1913), 85; Rohde XIX 16; RG 139, 117. So aber Wolff-Raiser § 8 N. 5; MünchenerK-Joost § 868 Rn. 21 mit nicht zutreffender Begründung. Vgl. oben § 4 I 1 b. Vgl. etwa RG 98, 134 f.; Planck-Brodmann § 868 N. 2 b β; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 36; Wolff-Raiser § 8 I 1 c. Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 454 f.

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§ 6 II 6

§ 6. Mittelbarer Besitz

telbaren Besitz kann man erst dann bejahen, wenn der Geschäftsherr sich mit dem Erwerb einverstanden erklärt42. Die Einwilligung wirkt gemäß § 184 I zurück auf die Zeit des Sacherwerbs durch den Geschäftsführer; andernfalls würde z.B. eine Ersitzung unterbrochen, wenn der Geschäftsführer eine Sache von einem gutgläubigen Eigenbesitzer erwürbe43. Das gleiche Problem stellt sich bei der Frage, ob der Finder dem Verlierer Besitz vermittelt. Die h.M. verneint das, worin ein gewisser Widerspruch liegt. Denn der Fund ist nichts anderes als eine besondere Art der Geschäftsführung ohne Auftrag44. Der Verlierer ist ebenso zu behandeln wie der Geschäftsherr bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Vorausgesetzt ist natürlich, daß der Finder redlich ist; ein Eigenbesitzer kann keinen Besitz vermitteln. Nach anderer Ansicht45 ist ein Besitzwille des mittelbaren Besitzers nicht erforderlich, wenn der Besitzmittler sein Vertreter ist oder aber wenn er eine vertreterähnliche Stellung, z.B. als Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker u.s.w., innehat. Dem ist zuzustimmen. Zwar wird sehr häufig auch in diesen Fällen der mittelbare Besitzer den Besitzwillen haben, doch ist auch eine Vertretung im Besitzwillen möglich, vgl. oben § 4 IV 2 b. Durch Vertrag zugunsten eines Dritten kann für diesen nicht ohne weiteres mittelbarer Besitz begründet werden. Es kann zwar z.B. ein Verwahrungsvertrag des Inhalts geschlossen werden, daß der Verwahrer die Sache für einen Dritten besitzen und verwahren soll. Der Wille des Verwahrers, die Sache auf Verlangen an den Dritten herauszugeben, begründet aber allein noch keinen mittelbaren Besitz des Dritten46. Erst wenn der Dritte seinen Besitzwillen in irgendeiner Form äußert, entsteht mittelbarer Besitz47.

6. Mehrstufiger mittelbarer Besitz Mittelbarer Besitz kann auch in mehreren Stufen gegeben sein, so daß ein mittelbarer Besitzer zugleich wiederum Besitzmittler für einen weiteren mittelbaren Besitzer ist, § 871. An der Basis einer solchen Folge von Besitzmittlungsverhältnissen steht ein unmittelbarer Fremdbesitzer als Besitzmittler; an der Spitze steht ein mittelbarer Eigenbesitzer. Dazwischen können sich Besitzmittler, die zugleich mittelbare Besitzer sind, in beliebiger Anzahl befinden. Hat der Eigentümer die Sache zu Nießbrauch gegeben, der Nießbraucher sie vermietet, der Mieter untervermietet, der Untermieter die Sache in Verwahrung gegeben, so ist der Verwahrer unmittelbarer Fremdbesitzer, der Eigentümer mittelbarer Eigenbesitzer. Untermieter, Mieter und Nießbraucher sind mittelbare Fremdbesitzer und Besitzmittler zugleich. Der Untermieter ist mittelbarer Besitzer 1. Grades, der Mieter 2. Grades, der Nießbraucher 3. Grades. Jeder Besitzmittler muß nur seinen mittelbaren Besitzer kennen und ihm mittelbaren Besitz vermitteln wollen; 42 43 44 45 46 47

So zutreffend Rosenberg § 868 N. II 2 d ζ; Westermann-Gursky § 19 I 2. Vgl. Rosenberg § 868 N. II 2 d ζ; Kress 231; Klinck 289 ff.; Soergel-Stadler § 868 Rn. 14. Vgl. Johow, Begründung 856 f.; Wolff-Raiser § 82 III; Westermann-Gursky § 59 I 1; OLG (Hamburg) 8, 114; Biermann § 868 N. 6 b. Westermann-Gursky § 19 I 2. So aber Rosenberg § 868 N. II 2 b δ; auch JW 1932, 3182; vTuhr II 1, 227. Vgl. Westermann-Gursky § 19 I 2; Staudinger-Bund § 868 Rn. 79; RG JW 1932, 3182.

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§ 6 II 6

1. Erwerb des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 1 a

daß er die anderen mittelbaren Besitzer kennt, ist nicht erforderlich48. Es ist auch möglich, daß eine Person an verschiedenen Stellen dieser Besitzerfolge beteiligt ist. Hat der Gerichtsvollzieher eine Sache gepfändet, aber im Besitz des Vollstreckungsschuldners belassen, so liegen die Besitzverhältnisse wie folgt: Der Vollstreckungsschuldner besitzt als unmittelbarer Fremdbesitzer für den Gerichtsvollzieher, der Gerichtsvollzieher für den Gläubiger, der Gläubiger besitzt für den Schuldner als Eigentümer, der somit auch mittelbarer Eigenbesitzer ist. Der Vollstreckungsschuldner steht somit zugleich an der Basis und an der Spitze der Besitzerfolge. Alle mittelbaren Besitzer, die in einer solchen Besitzerfolge auftreten, haben die Rechte eines mittelbaren Besitzers. Jeder hat etwa den Anspruch aus § 869, gerichtet auf Rückgabe der Sache an den früheren ersten Besitzmittler (unmittelbaren Fremdbesitzer), dann an den zweiten Besitzmittler u.s.w.; nur wenn alle vorhergehenden Besitzer die Sache nicht übernehmen wollen oder können, kann er Herausgabe an sich selbst verlangen. Jeder mittelbare Besitzer ist in der Lage, Eigentum nach §§ 931, 934 zu übertragen. Eigenbesitzer ist aber nur der Besitzer an der Spitze der Besitzerfolge, nur auf ihn sind daher z.B. die §§ 937, 1006 III anwendbar.

7. Arten des mittelbaren Besitzes Der mittelbare Besitz kann ebenso wie der unmittelbare Besitz auftreten als Eigenoder Fremdbesitz, als Teilbesitz oder auch als Mitbesitz. Ist z.B. der Besitzmittler Teilbesitzer einer Sache, so ist es auch der mittelbare Besitzer. Denkbar ist es, daß eine Mehrheit von Teilbesitzern dem mittelbaren Besitzer den Besitz an der ganzen Sache vermittelt, z.B. die Wohnungsmieter eines Hauses dem Vermieter. Mittelbarer Mitbesitz entsteht etwa, wenn mehrere Erben ein vermietetes Haus erben, wenn mehrere Eigentümer eines Grundstücks dieses vermieten u.s.w. § 866 ist auf mittelbare Mitbesitzer nicht anwendbar49, da sie keine Sachgewalt ausüben, über welche sie in Streit geraten könnten. Stört ein mittelbarer Mitbesitzer den unmittelbaren Besitzer, so haftet er diesem nach §§ 861, 862, den anderen mittelbaren Mitbesitzern nach § 869. Bei einer Sachentziehung kann jeder mittelbare Mitbesitzer vom Entsetzer Herausgabe der Sache an alle Mitbesitzer verlangen, entsprechend § 432 I50.

III. Erwerb und Verlust des mittelbaren Besitzes § 6 III

1. Erwerb des mittelbaren Besitzes a) Der einfachste Fall des Erwerbs mittelbaren Besitzes liegt darin, daß ein unmittelbarer Besitzer seinen Besitz in mittelbaren verwandelt, indem er die Sache einem Besitzmittler übergibt; so wenn der bisherige unmittelbare Besitzer die Sache verleiht, vermietet, verpfändet, in Verwahrung gibt u.s.w. Komplizierter liegt der Fall, wenn jemand mittelbaren Besitz erwirbt, der bisher überhaupt keinen Besitz hatte. 48 49 50

Vgl. Paulus D 41, 2, 30, 6; auch BGH JZ 1964, 130. Vgl. Rosenberg § 868 N. III 3 b; Planck-Brodmann § 868 N. 5; Rohde I 67. Vgl. Rosenberg § 868 N. III 3 b; Windscheid-Kipp I 839.

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§ 6 III 1 b

§ 6. Mittelbarer Besitz

b) Mittelbarer Besitz kann dadurch erworben werden, daß ein Dritter vermittelnden Besitz für den mittelbaren Besitzer erwirbt, etwa ein Beauftragter, Kommissionär, Testamentsvollstrecker u.s.w. Es handelt sich um einen Erwerb durch Stellvertretung, ebenso wie beim Besitzerwerb durch Besitzdiener1. Besitzdiener und Besitzmittler gehen auf den gemeinsamen Gedanken zurück, daß ein Vertreter den Besitz für einen anderen ausübt, so daß nach der Verkehrsanschauung nur dieser andere Besitzer ist. Dieser Grundsatz gilt heute für den Besitzdiener; für den Besitzmittler galt er im römischen Recht2; nach römischer Verkehrsanschauung besaß der Mieter, Verwahrer u.s.w. für den Vermieter oder Verwahrer, nur dieser hatte Besitz, nicht jener. Nachdem das römische Recht mit der germanischen Verkehrsanschauung zusammengetroffen war, konnte man freilich nicht mehr sagen, der Mieter u.s.w. besitze für den Vermieter. Die Sachgewalt stand nun dem Mieter zu. Man spricht aber weiter dem Vermieter fiktive Sachgewalt zu, der Besitzmittler wird so behandelt, als besäße er weiterhin wie ein Besitzdiener für den Vermieter. Während der Besitzdiener also den Besitzer im Besitzcorpus vertritt und ihm so Besitz verschafft, so ist die Vertretung des Besitzmittlers fiktiv; er verschafft dem anderen nur fiktiven, d.h. mittelbaren Besitz; die tatsächliche Sachge- § 6 III walt hat er selbst. Wer den unmittelbaren Besitz an einer Sache erwirbt, um daran einem anderen den Besitz zu vermitteln, wer also Fremdbesitz erwirbt und bereit ist, die Sache unter bestimmten Voraussetzungen herauszugeben, der vermittelt dem mittelbaren Besitzer den Besitz, wenn dieser den Besitzwillen hat. Entscheidend ist somit der Wille des Besitzmittlers3, ob er also Eigenbesitz erwerben will oder Fremdbesitz und wem er im letzteren Fall den Besitz vermitteln will. Das gilt auch, wenn zwischen Besitzmittler und mittelbarem Besitzer ein gesetzliches Schuldverhältnis besteht4. Natürlich kommt es hierbei nicht auf den inneren, nicht erkennbaren Willen an; andererseits ist aber auch nicht in entsprechender Anwendung des § 164 zu fordern, daß der Besitzmittler in fremdem Namen auftritt. Es reicht aus, wenn der Wille, Besitz zu vermitteln, irgendwie erkennbar ist, z.B. aufgrund vorausgegangener Vereinbarungen der Parteien5. Für Dritte muß dieser Wille nicht erkennbar sein; denn es geht hier nicht um den Schutz Dritter. Für diese ist entscheidend, daß der Besitzmittler unmittelbaren Besitz erworben hat, den sie respektieren müssen, sei es nun Eigen- oder Fremdbesitz. Es geht allein um die Frage, ob der Auftraggeber u.s.w. mittelbaren Besitz erworben hat. Vermittelnder Besitz liegt also vor, wenn aus den Umständen und aus dem Verhalten des Erwerbers darauf geschlossen werden kann6. Erwirbt der Erwerber den Besitz im Namen des Auftraggebers, so muß auf vermittelnden Besitz geschlossen werden. 1 2 3

4 5 6

Vgl. oben § 4 IV 2 b. Vgl. oben I 1. Vgl. Paulus D 41, 2, 1, 20: Per procuratorem, tutorem curatoremve possessio nobis adquiritur. Cum autem suo nomine nacti fuerint possessionem, non cum ea mente, ut operam dumtaxat suam accommodarent, nobis non possunt acquirere (Durch einen Vermögensverwalter, Vormund oder Pfleger erwerben wir Besitz. Wenn sie den Besitz aber für sich erworben haben, nicht in der Absicht, uns ihre Dienste zu leihen, so können sie nicht für uns erwerben). Vgl. oben II 4. Vgl. oben § 4 IV 1 b, IV 2 b. Zu Zweifelsfällen vgl. die entsprechende Regelung beim Besitzdiener, oben § 4 IV 1 b.

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1. Erwerb des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 1 b

Erwirbt der Beauftragte mit Geld des Auftraggebers eine Sache und zeigt er ihm den Erwerb an, so liegt vermittelnder Besitz vor; ebenso, wenn er die Sache für den Auftraggeber bereitstellt oder gesondert aufbewahrt. Erwirbt dagegen der Beauftragte die Sache mit eigenem Geld, so ist wohl kaum von einem vermittelnden Besitz des Erwerbers auszugehen. Dagegen wird man beim Erwerb mit Geld des Auftraggebers generell einen vermittelnden Besitz annehmen können, wenn nicht der Wille, entgegen dem Auftrag zu handeln, erkennbar geäußert wird. Hat der Beauftragte zunächst Eigenbesitz erworben, so kann er später durch Besitzkonstitut7 mittelbaren Besitz des Auftragge- § 6 III bers begründen. Entgegen der h.M., wonach es für den Erwerb des mittelbaren Besitzes entscheidend auf den Willen des Besitzmittlers ankommt, will eine Gegenmeinung auf das objektive Rechtsverhältnis abstellen8. Mittelbarer Besitz soll immer dann vorliegen, wenn ein Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 868 – gleich ob wirksam oder nicht – vorliege. Diese Ansicht stützt sich einmal auf § 870: Daraus ergebe sich, daß der Besitzmittler den mittelbaren Besitzer nicht kennen müsse, daß es auf das Rechtsverhältnis ankomme. Zudem sei es nicht tragbar, daß der mittelbare Besitz vom guten Willen des Besitzmittlers abhängig gemacht werde. Indessen ist bereits oben gezeigt, daß es für den mittelbaren Besitz weder auf ein Rechtsverhältnis noch auf einen Herausgabeanspruch ankommt, sondern auf den Willen des Besitzmittlers. Daß der Besitzmittler den Besitz des mittelbaren Besitzers verhindern oder aufheben kann, indem er die Sache als Eigenbesitzer besitzt, ist nicht zu vermeiden9. Der Hinweis auf § 870 überzeugt nicht, weil es auch bei der Besitzübertragung nach der verfehlten Regelung des § 870 entscheidend auf den Willen des Besitzmittlers ankommt10. Daß die Gegenmeinung nicht zutreffen kann, zeigt sich in den Fällen, in denen ein Rechtsverhältnis bisweilen mittelbaren Besitz hervorbringt, bisweilen auch nicht, wie etwa der Auftrag. Ob der Beauftragte dem Auftraggeber an der erworbenen Sache Besitz vermittelt, kann nur der Wille des Besitzmittlers entscheiden. Auch bei nichtigen Besitzmittlungsverhältnissen versagt die Gegenmeinung; denn wonach soll sich hier die Frage des mittelbaren Besitzes entscheiden? Etwa nach dem Herausgabeanspruch? Den hat auch ein Bestohlener gegen den Dieb. Wiederum bleibt nur der Wille des Besitzmittlers. Daß dies das entscheidende Merkmal ist, wird auch von den Vertretern der Gegenmeinung anerkannt, wenn sie bei der Bestellung eines Nießbrauchs durch den Nichtberechtigten diesem – in Widerspruch zu ihrer Ansicht – den mittelbaren Besitz zusprechen11, obwohl das Schuldverhältnis gemäß den §§ 1030 ff. mit dem wirklichen Eigentümer zustande kommt. 7 8

9

10 11

Vgl. unten c. Vgl. z.B. Biermann § 868 N. 6 b; Rosenberg § 868 N. II 2 b θ; Rohde XXI 29 ff.; Aravantinos, JherJahrb 48 (1904), 118; Leonhard, Vertretung 71 ff.; Sandtner 88 ff.; WindscheidKipp I 809; Wendt, FS Giessen 101; Lenel, JherJahrb 36 (1896), 42 ff. Leonhard 76 will in dem Fall, daß der Erwerber Eigenbesitz ergreift, obwohl er zur Besitzmittlung verpflichtet wäre, den Erwerber sowohl als Eigenbesitzer wie auch als Besitzmittler ansehen, so daß der andere mittelbaren Besitz erwirbt. Das ist unhaltbar, auf einem Eigenbesitz kann sich kein mittelbarer Besitz aufbauen. Daran ändert auch der Hinweis auf § 1052 II 2 nichts: In § 1052 II 2 ist der Eigenbesitzer in zwei verschiedenen Funktionen und auf zwei verschiedenen Stufen Besitzer, als Eigentümer und als Verwalter. Das ist in den hier untersuchten Beispielen nicht der Fall. Vgl. unten 2 b. Vgl. Rosenberg § 868 II 2 a α; Biermann § 868 N. 2 d.

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§ 6 III 1 c

§ 6. Mittelbarer Besitz

c) Der Besitzmittler kann vermittelnden Besitz einmal sofort beim Erwerb der Sa- § 6 III che ergreifen, vgl. oben b. Er kann aber auch zunächst Eigenbesitzer sein und sich erst später zum Besitzvertreter machen, indem er vermittelnden Fremdbesitz ergreift. Eine solche Besitzumwandlung kann etwa geschehen, wenn der Eigentümer seine Sache veräußert, sie aber zugleich für einige Zeit vom Erwerber zurückmietet. Eigentlich müßte der Verkäufer zur Erfüllung des Kaufvertrages den Besitz (und das Eigentum) auf den Erwerber übertragen, der Erwerber müßte zur Erfüllung des Mietvertrages den Besitz rückübertragen. Eine solche Doppeltradition wäre eine umständliche Formalität. Celsus war – nach der Überlieferung – der erste, der zur Vermeidung dieser Doppeltradition den einfachen Entschluß ausreichen ließ, nunmehr als Besitzvertreter für den Erwerber zu besitzen12. Durch den Entschluß des Veräußerers, nunmehr für den Erwerber zu besitzen, überträgt er die possessio auf den Erwerber, er selbst wird Detentor. Da diese Art der Besitzübertragung auf einer einfachen Entschließung (constituere) beruht, nennt man sie später im ius commune constitutum possessorium, Besitzkonstitut. Auch den mittelalterlichen Juristen war das constitutum possessorium durchaus geläufig. Der Ausspruch, es handele sich um „unum mirabile mundi“ bezog sich jedoch nicht – wie oft behauptet wird – auf das Besitzkonstitut, sondern auf die in der Wirkung ähnliche, in der Konstruktion aber völlig davon verschiedene retentio ususfructus13: Der Veräußerer konnte nach römischer Vorstellung das Eigentum an einer Sache so übertragen, daß er sich dabei den Nießbrauch zurückbehielt; es handelte sich also um eine Teilübertragung des Eigentums, wobei sich der Veräußerer den Teil „Gebrauchsrecht“ vorbehielt. Im nachklassischen römischen Recht konnte bei der Veräußerung an die Stelle der traditio die retentio ususfructus treten14. Schon das frühe Mittelalter ließ auch eine Scheinbestellung eines Nießbrauchs für wenige Tage als Übergabeersatz zu15. Seit Accursius gilt die retentio ususfructus als ein Anwendungsfall des constitutum possessorium16. Das Besitzkonstitut wird vom BGB nur noch bei der Eigentumsübertragung und bei der Nießbrauchbestellung an beweglichen Sachen erwähnt, §§ 930, 933, 1032, während der erste Entwurf in § 805 das Besitzkonstitut allgemein zuließ. Die zweite Kommission17 strich diese Vorschrift, weil das Besitzkonstitut immer nur zur Begründung und Übertragung dinglicher Rechte diene und daher nur dort zu regeln sei. Indessen ist das Besitzkonstitut auch in anderen Fällen anwendbar, so wenn etwa jemand von einem Nichtberechtigten unwirksam eine Sache erworben hat (§§ 932, 935) und wenn er sie nach dem Erscheinen des wirklichen Eigentümers von diesem mietet, um weiterhin im Besitz der Sache bleiben zu können18. In der Einigung der Parteien liegt die Regelung, 12

13

14 15 16 17 18

Celsus D 41, 2, 18 pr.: Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere; … desino possidere et alium possessorem ministerio meo facio (Was ich zunächst für mich besitze, kann ich später für einen anderen besitzen; ich höre dann auf zu besitzen und mache den anderen durch meine Hilfe zum Besitzer); vgl. dazu Klinck 259 f. Azo, Summa codicis, lib. 7, 32, de acquirenda vel retinenda possessione, § primus casus (§ 7). Das Erstaunliche und vom Besitzkonstitut Abweichende sieht Azo darin, daß der Veräußerer als Nießbraucher selbst possessor bleibt, vgl. Biermann, Traditio ficta 56. Vgl. C 8, 53, 28 (Honorius und Theodosius, 417 n. Chr.). Vgl. Biermann, Traditio ficta 19 ff.; Wacke 17. Vgl. Biermann, Traditio ficta 58. Protokolle 3345 (Mugdan 3, 505). Fall nach Marcellus D 41, 2, 19 pr.

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1. Erwerb des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 1 c

daß der Erwerber/Mieter seinen Eigenbesitz aufgibt und nunmehr dem Eigentümer Besitz vermittelt, d.h. also ein Besitzkonstitut. Man darf aus der Tatsache, daß in den §§ 854 – 872 das Besitzkonstitut nicht mehr erwähnt ist, keineswegs schließen, daß es nur noch zur Übertragung oder Begründung dinglicher Rechte zugelassen sei19. Die Streichung des § 805 des ersten Entwurfs geschah aufgrund eines Irrtums, der Gesetzgeber wollte die Anwendung des Besitzkonstituts nicht einschränken; es ist in allen § 6 III denkbaren Fällen zulässig20. Das heutige Besitzkonstitut weicht in seiner Wirkung von dem des gemeinen Rechts ab. Dort übertrug der Veräußerer die possessio auf den Erwerber, er selbst blieb nur Detentor. Heute bleibt der Veräußerer unmittelbarer Besitzer, er verwandelt jedoch seinen Eigenbesitz in Fremdbesitz und vermittelt dem Erwerber mittelbaren Besitz. Ein Besitzkonstitut im ursprünglichen Sinne läge vor, wenn der Veräußerer die Sache als Besitzdiener des Erwerbers behielte. Die Konstruktion des Besitzkonstituts stellt Kohler als „Dreiertakt“ folgendermaßen dar21: 1. Der Tradent äußert einen Besitzübertragungswillen. 2. Der Erwerber erteilt dem Tradenten Vollmacht, Besitz für ihn zu ergreifen. 3. Der Tradent erklärt den Willen, den Besitz als Stellvertreter für den Erwerber zu ergreifen. Wenn dies auch sehr formalisiert erscheinen mag, so enthält es doch die wesentlichen Punkte: den geäußerten Willen des Veräußerers, nunmehr dem Erwerber Besitz zu vermitteln; ferner den Willen des Erwerbers, daß der Veräußerer ihm Besitz vermittele. Der Besitzwille des Erwerbers kann schon geäußert werden, bevor der Veräußerer die Sache erworben hat; so wenn der Kommittent den Kommissionär mit dem Erwerb einer Sache beauftragt und erklärt, der Kommissionär solle ihm den Erwerb der Sache anzeigen, er werde dann den Kaufpreis zahlen, von diesem Augenblick solle der Kommissionär die Sache für ihn als Verwahrer besitzen („antizipiertes Besitzkonstitut“)22. Mit der Kaufpreiszahlung darf der Kommittent davon ausgehen, daß der Kommissionär ihm Besitz vermittelt, er erwirbt ohne weiteres mittelbaren Besitz23, es sei denn, der Kommissionär habe zu erkennen gegeben, daß er abredewidrig weiter als Eigenbesitzer besitzen wolle. Ist der Veräußerer mit dem Besitzerwerb vom Erwerber beauftragt, so kann er als Vertreter des Erwerbers für ihn den Besitzwillen ergreifen24. Ein Besitzkonstitut ist auch dann möglich, wenn der Veräußerer nur mittelbaren Besitz hat, wenn er die Sache z.B. vermietet hat25. Der Veräußerer verwandelt durch das Besitzkonstitut seinen mittelbaren Eigenbesitz in mittelbaren Fremdbesitz 1. Grades, der Erwerber wird mittelbarer Eigenbesitzer 2. Grades. Daß ein Besitzkonstitut nach außen für jeden Dritten erkennbar ist, ist nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn der mittelbare Besitzer nach der Verkehrsanschauung davon ausgehen kann, daß der Besitzmittler ihm den Besitz vermitteln will26. 19 20 21 22 23 24 25

26

So aber Kreß 203 f. Vgl. Rosenberg § 868 N. V 1 b; Last, JherJahrb 63 (1913), 81 f. Kohler, ArchBR 18 (1900), 4. Vgl. unten § 9 VII 4 b. Vgl. Palandt-Bassenge § 868 Rn. 10. Vgl. oben § 4 IV 2 b. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3696 (Mugdan 3, 629); Exner, 15. DJT I 9; Leonhard 15. DJT I 103 f.; Dernburg, Pandekten I § 181 Fn. 8; anders zu Unrecht Kreß 212; Kohler, ArchBR 18 (1900), 66. Vgl. Jhering, Besitzwille 221 f.; Leonhard, KrVjSchr 23, 312; BGH JZ 1964, 130.

241

§ 6 III 2 a

§ 6. Mittelbarer Besitz

2. Übertragung des mittelbaren Besitzes a) Der mittelbare Besitz hängt wesentlich vom Willen des Besitzmittlers ab. Wenn daher der Besitzmittler erkennbar den Willen faßt, nicht mehr für den alten mittelbaren Besitzer, sondern für einen neuen zu besitzen, so geht der mittelbare Besitz auf den neuen mittelbaren Besitzer über, vorausgesetzt, daß dieser den Besitzwillen hat. Von einer Übertragung des mittelbaren Besitzes kann man aber nur sprechen, wenn dieser Übergang mit dem Willen des alten mittelbaren Besitzers erfolgt, auf dessen Weisung. Diese Übertragung des mittelbaren Besitzes durch eine Weisung, welcher der Besitzmittler nachkommt, war schon im gemeinen Recht bekannt27. Auch der erste Entwurf des BGB enthielt in § 804 eine entsprechende Vorschrift, welche den Nachweis des Besitzwillens des Erwerbers erleichtern sollte28. Die Vorschrift wurde gestrichen, weil man meinte, sie könne sich nur auf die possessio ad usucapionem beziehen, sei also hier (in den §§ 854 – 872) fehl am Platze29. Später schuf man den § 870, ging aber davon aus, daß die Möglichkeit der Übertragung des mittelbaren Besitzes durch Weisung auch ohne ausdrückliche Erwähnung weiterhin bestehen bleibe30. In der Tat ist kein Grund zu erkennen, warum der mittelbare Besitz nicht auf diese Weise übertragen werden könnte. Der mittelbare Besitz geht also dadurch auf einen neuen Besitzer über, daß der bisherige mittelbare Besitzer den Besitzmittler anweist, nunmehr dem neuen Besitzer den Besitz zu vermitteln, und daß der Besitzmittler dieser Weisung erkennbar folgt31. Für die Erkennbarkeit der Willensänderung des Besitzmittlers muß es genügen, daß dieser der Weisung nicht zuwiderhandelt. Denn es ist davon auszugehen, daß der Besitzmittler der Weisung des mittelbaren Besitzers folgt, da es ihm regelmäßig gleichgültig sein kann, wem er Besitz vermittelt; es entscheiden aber die konkreten Umstände. Die Übertragung des mittelbaren Besitzes durch befolgte Weisung ist keine originäre Neubegründung des Besitzes in der Hand des Erwerbers, wie oft behauptet wird32, sondern eine Übertragung des Besitzes. Daher kann auf diese Weise Eigentum gemäß § 929 übertragen werden33: Der Veräußerer überträgt den Besitz auf den Erwerber. Dem Besitzmittler darf aber kein Nachteil daraus entstehen, daß der mittelbare Besitz durch Weisung statt nach § 870 übertragen wird. Hatte der Besitzmittler, etwa der Mieter einer beweglichen Sache, ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273) wegen Verwendun27 28 29 30 31

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Vgl. Johow, Begründung 391 f. Vgl. Motive 3, 95 f. Protokolle der 2. Kommission 3345 (Mugdan 3, 505). Protokolle der 2. Kommission 3696 (Mugdan 3, 629); vgl. auch RG WarnRspr 1921 Nr. 123. Vgl. RG 89, 348 ff.; 135, 79 f.; Planck-Brodmann § 868 N. 4 b β; Schlegelberger-VogelsPritsch § 870 N. II 2 c; RGRK-Kregel § 868 Rn. 21, § 870 Rn. 7; Palandt-Bassenge § 870 Rn. 1; Soergel-Stadler § 868 Rn. 18, § 870 Rn. 5; Erman-Lorenz § 868 Rn. 41; § 870 Rn. 2; Westermann-Gursky § 19 III 4; anders diejenigen, welche das wesentliche Merkmal des mittelbaren Besitzes nicht im Willen des Besitzmittlers sehen, sondern im Bestehen eines Rechtsverhältnisses, vgl. dazu unten 3. So z.B. Staudinger-Bund § 870 Rn. 13; Soergel-Stadler § 868 Rn. 18, § 870 Rn. 2 und 5; RGRK-Kregel § 870 Rn. 1 und 7; MünchenerK-Joost § 870 Rn. 10; richtig dagegen Westermann-Gursky § 19 III 4. RG WarnRspr 1922 Nr. 77; BGH NJW 1959, 1539.

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§ 6 III

2. Übertragung des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 2 b

gen, so muß er dieses Recht auch gegen den neuen Besitzer (Eigentümer) geltend machen können, in entsprechender Anwendung der §§ 404, 986 II. § 6 III b) Gemäß § 870 kann der mittelbare Besitz auch dadurch übertragen werden, daß der Anspruch auf Herausgabe der Sache abgetreten wird. Diese Übertragungsform ist erst von der zweiten Kommission eingeführt worden34. Die Redaktionskommission hat weisungsgemäß in § 870 die Formulierung „kann“ gewählt, um zu verdeutlichen, daß der mittelbare Besitz auch auf andere Weise übertragen werden kann. Die Übertragung nach § 870 berücksichtigt nicht, daß der Wille des Besitzmittlers die Grundlage des mittelbaren Besitzes ist. Der Besitz kann vom Zedenten auf den Zessionar übergehen, obwohl der Besitzmittler weiterhin für den Zedenten besitzen will. Es erscheint daher angebracht, die gesetzlich verordnete Anomalie in § 870 auf den Übergang des mittelbaren Besitzes zu beschränken und im übrigen die allgemeinen Grundsätze des Besitzrechts zu beachten: Solange der Besitzmittler nichts von der Übertragung des Besitzes gemäß § 870 weiß, vermittelt er dem Zessionar den Besitz. Erfährt er davon, ohne sich zu äußern, so ist von seinem Einverständnis mit der Zession auszugehen. Erklärt dagegen der Besitzmittler, er wolle nicht für den Zessionar besitzen, sondern weiterhin für den Zedenten, so entzieht er damit dem Zessionar den Besitz35. Erklärt der Besitzmittler schon vor der Zession, er werde dem Zessionar nicht den Besitz vermitteln, so geht dennoch der mittelbare Besitz nach § 870 über36; er wird dem Zessionar aber alsbald wieder entzogen37 und steht dem Zedenten zu. Da der mittelbare Besitz, d.h. die Herausgabebereitschaft des Besitzmittlers an den mittelbaren Besitzer38, Grundlage des gutgläubigen Erwerbs ist, enthält § 870 eine Fiktion: Obwohl der Besitzmittler, der von der Zession des mittelbaren Besitzes nichts weiß, weiter für den Zedenten besitzen will, wird dieser Rechtsschein gemäß § 870 dem Zessionar zugerechnet. Der Zessionar kann gemäß § 934 wirksam verfügen, er kann nach § 937 ersitzen. Eine Besitzübertragung nach § 870 setzt voraus, daß der Zedent zur Zeit der Zession mittelbaren Besitz hat. Zediert wird regelmäßig der Anspruch aus dem (vertraglichen) Besitzmittlungsverhältnis, es kann aber auch ein gesetzlicher Anspruch, z.B. aus §§ 812, 985, abgetreten werden. Der Anspruch kann bedingt oder befristet sein39. Der Zession des Anspruchs ist der gesetzliche Übergang der Forderung gleichzustellen, z.B. nach §§ 46, 566, 1922 I40. Der Besitzmittler kann dem Zessionar die Einwendungen entgegensetzen, die er gegenüber dem Zedenten hatte, § 40441. Eine Zession zu34 35 36 37 38 39 40

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Hierzu und zum folgenden vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 456 ff. Vgl. O. vGierke § 115 IV 2 b. Anders – kein Besitzübergang – V. Bruns 99; Biermann § 870 N. 1 a; Planck-Brodmann § 870 N. 8; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 870 N. 7. So zutreffend O. vGierke § 115 IV 2 d. Vgl. oben II 3 b a.E. Zur Frage, ob bei der Zession des Anspruchs der mittelbare Besitz automatisch übergeht oder ob der Übergang gewollt sein muß, vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 458 f. Beim Erbfall geht der mittelbare Besitz nach Wolff-Raiser § 14 II Fn. 5 nicht gemäß § 857 über, sondern nach §§ 412, 1922. Bei der Forderungsüberweisung zur Einziehung (§§ 828 ff., 835, 846, 849 ZPO) geht der mittelbare Besitz nicht über, vgl. RG 63, 218; Planck-Brodmann § 870 N. 9; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 870 N. 11; Staudinger-Bund § 870 Rn. 12. Es gelten die §§ 404 ff. BGB; vgl. aber auch § 364 II HGB, wenn eine verbriefte Forderung übertragen wird.

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§ 6 III 3 a

§ 6. Mittelbarer Besitz

gunsten eines Dritten ist möglich, doch wird der Dritte erst mittelbarer Besitzer, wenn er den Besitzwillen faßt42. Wird ein Herausgabeanspruch zweimal abgetreten, so kann nur der erste Zessionar gemäß § 870 mittelbaren Besitz erwerben. Der zweite Zessionar wird aber dann mittelbarer Besitzer, wenn der Besitzmittler ihm den Besitz vermitteln will, z.B. weil ihm die zweite Zession angezeigt wurde, während er von der ersten nichts weiß43. Fraglich ist, ob ein mittelbarer Besitz auch dann nach § 870 übertragen werden kann, wenn dem mittelbaren Besitzer kein Herausgabeanspruch zusteht44. Würde man diese Übertragungsmöglichkeit verneinen, so bliebe nur die Übertragung durch Anweisung, vgl. oben a. Das widerspräche aber den Intentionen des Gesetzes, das mit § 870 eine Besitzübertragung unabhängig vom Willen des Besitzmittlers schaffen wollte. Es ist daher davon auszugehen, daß auch ein mittelbarer Besitz, der nicht mit einem Herausgabeanspruch verbunden ist, nach § 870 übertragen werden kann45. Die Besitzübertragung gemäß § 870 ist nach h.M. ein Vertrag, auf den die Regeln über Rechtsgeschäfte anwendbar sind. Diese Ansicht liegt nahe, wenn man in § 870 eine normale Forderungsabtretung sieht. Andererseits muß es erstaunen, daß für die Übertragung des mittelbaren Besitzes – also einer fingierten Sachgewalt – eine Form erforderlich sein soll, wie sie sonst für die Übertragung von Rechten vorgesehen ist. Wie könnte die Tatsache „mittelbarer Besitz“ abhängig sein von der Geschäftsfähigkeit der Parteien, von einer Irrtumsanfechtung u.s.w.? Der Gesetzgeber hat die Form des § 870 deswegen gewählt, damit der Wille der Parteien zur Besitzübertragung außer Frage stehe. Dieses Ziel wird aber auch erreicht, wenn man in der Einigung nach § 870 einen rein tatsächlichen, nicht rechtsgeschäftlichen Vorgang sieht. § 870 meint ebensowenig ein Rechtsgeschäft wie § 854 II46, die Besitzübertragung nach § 870 fordert keine Geschäftsfähigkeit, sondern natürliche Willensfähigkeit47.

3. Verlust des mittelbaren Besitzes a) Der mittelbare Besitz geht unter, wenn der unmittelbare Besitz des Besitzmittlers endet. Kommt die Sache dem Besitzmittler abhanden, so gilt sie gemäß § 935 I 2 als auch dem mittelbaren Besitzer abhanden gekommen. Gibt der Besitzmittler den Besitz freiwillig auf, aber gegen den Willen des mittelbaren Besitzers, so verliert dieser zwar unfreiwillig seinen Besitz48, es liegt aber kein Abhandenkommen vor49. Der Besitz des mittelbaren Besitzers bleibt erhalten, wenn der Besitzmittler den unmittelbaren Besitz 42 43 44

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Vgl. oben II 5 a.E. Przibilla 56; Planck-Brodmann § 870 N. 5; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 870 N. 8. Etwa: Der Erblasser hat eine Sache in Verwahrung gegeben, der Verwahrer bestätigt dem Scheinerben seine Herausgabebereitschaft. Der Scheinerbe ist mittelbarer Besitzer, hat aber keinen Herausgabeanspruch. Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 459 f. Vgl. oben § 4 II 2. Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 460 f. Daß dadurch eventuell der Herausgabeanspruch und der mittelbare Besitz verschiedenen Personen zustehen, ist denkbar, vgl. auch oben II 3 a.E. Vgl. §§ 1007 III, 940 II. Vgl. Westermann-Gursky § 19 II 1; Wolff-Raiser § 15 II 1 c.

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§ 6 III

3. Verlust des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 3 a

lediglich auf einen weiteren Besitzmittler überträgt, wenn etwa der Mieter die Sache – befugt oder nicht – in Untermiete gibt. Der mittelbare Besitz erlischt auch dann, wenn der Besitzmittler die Sache zwar weiterhin in seinem Besitz behält, wenn er aber den Entschluß faßt, dem mittelbaren Besitzer nicht mehr den Besitz zu vermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Besitzmittler sich selbst zum Eigenbesitzer aufwirft oder ob er nunmehr einem Dritten den Besitz vermitteln will. Es genügt aber keine geheime Willensänderung des Besitzmittlers, er muß seinen Entschluß, den Besitz nicht mehr zu vermitteln, erkennbar betätigen50. Erforderlich ist jedoch nicht, daß dieser Entschluß dem mittelbaren Besitzer kundgetan wird. Der erste Entwurf forderte noch in § 813 II eine Erklärung gegenüber dem mittelbaren Besitzer; die zweite Kommission hat das als zu eng abgelehnt: Der mittelbare Besitz müsse immer dann enden, wenn der Besitzmittler in einer Weise über die Sache verfüge, welche den mittelbaren Besitz ausschließe51. Der mittelbare Besitz erlischt z.B., wenn der Besitzmittler seinen Namen in das entliehene Buch schreibt, die § 6 III Sache versteckt, als verloren ausgibt u.s.w. Daß der mittelbare Besitz erlischt, wenn der Besitzmittler erkennbar den Willen aufgibt, den Besitz zu vermitteln, ist heute nicht mehr streitig52. Dagegen wurde früher auch die Ansicht vertreten, es komme nicht auf den Willen des Besitzmittlers an, sondern auf das Besitzmittlungsverhältnis. Solange dieses bestehe, bleibe auch der mittelbare Besitz erhalten, unabhängig vom Willen des Besitzmittlers53. Diese Ansicht verwechselt Besitz und Recht. Der Besitz, auch der mittelbare Besitz, ist kein Recht, sondern eine Tatsache. Der Mieter z.B., der die Sache unterschlägt, kann zwar das Mietverhältnis nicht beseitigen, wohl aber den mittelbaren Besitz des Vermieters. Die gegenteilige Auffassung kann auch nicht damit begründet werden, man dürfe es dem Besitzmittler nicht ermöglichen, durch eine Willensänderung dem mittelbaren Besitzer den Besitz zu entziehen. Der mittelbare Besitz ist von Natur aus dadurch gefährdet, daß er durch eine Mittelsperson vermittelt wird. Von dieser Person hängt der mittelbare Besitz ab, er endet, wenn dieser Besitzmittler die Sache veräußert oder sonstwie unterschlägt. Es gibt kein Mittel, diese Gefährdung auszuschalten, sie liegt im Wesen des mittelbaren Besitzes. Wollte man der Gegenansicht folgen, so käme man zu dem unvertretbaren Ergebnis, daß ein Besitzmittler, der sich die Sache aneignet, Eigenbesitzer ist und als Eigenbesitzer zugleich Besitz vermittelt.

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Nach Ernst 232 ff. und Knütel, Bösgläubiger Erblasser – gutgläubiger Erbe, Festschrift für Hermann Lange, 1992, 921 ff. endet der mittelbare Besitz noch nicht, wenn der Besitzmittler Eigenbesitz ergreift. Er soll erst enden, wenn die Ergreifung des Eigenbesitzes „endgültig“ ist. Da aber nichts endgültig ist, ist das kein brauchbares Abgrenzungskriterium; zudem kann es einen mittelbaren Besitz mit einem Eigenbesitzer als Besitzmittler nicht gut geben. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3738 (Mugdan 3, 517). Vgl. etwa RG 119, 153; 135, 78; BGH JZ 1966, 234; BGH NJW-RR 1999, 1239; PlanckBrodmann § 868 N. 4 b β; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 50; Soergel-Stadler § 868 Rn. 19; Staudinger-Bund § 868 Rn. 86; Wolff-Raiser § 15 II 2; Westermann-Gursky § 19 II 3; Schwab-Prütting Rn. 93; J. vGierke § 8 II 1; Baur-Stürner § 7 Rn. 58. Rosenberg § 868 N. VI 3 c; Rohde XXI 76 ff.; Kreß 216; V. Bruns 157; Sokolowski II 261; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 58; Windscheid-Kipp I 809; Reiß 39 f.; zuletzt Boehmer, Grundlagen II 2, 41 f.

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§ 6 III 3 b

§ 6. Mittelbarer Besitz

b) Fraglich ist, ob der mittelbare Besitz immer endet, wenn der Besitzmittler den § 6 III Entschluß betätigt, für einen anderen zu besitzen, oder ob es möglich ist, daß der alte und der neue mittelbare Besitzer nebeneinander auf gleicher Stufe mittelbaren Besitz haben: Nebenbesitz54. Das römische Recht ließ einen solchen mittelbaren Nebenbesitz zu55. Dagegen hat das Reichsgericht56 einen Nebenbesitz als unmöglich angesehen, in folgender Fallgestaltung: Lagerhalter L hat Zucker in Säcken für den Eigentümer E auf Lager genommen. K, der den Zucker von E unter Eigentumsvorbehalt gekauft hat, gibt sich fälschlich als Eigentümer aus und veräußert den Zucker an den gutgläubigen X, indem er ihm den angeblichen Anspruch gegen L abtritt. L stellt dem X einen Lagerschein aus, erklärt aber auch dem E, den Zucker für ihn zu verwahren57. Das Reichsgericht nahm an, X sei allein mittelbarer Besitzer des Zuckers, E habe seinen mittelbaren Besitz mit der Ausstellung des Lagerscheins an X verloren58. Es könnten nicht zwei zugleich gleichstufige mittelbare Besitzer sein59, denn das Gesetz spreche immer nur von „dem Besitz“, nicht von „einem Besitzverhältnis“. Außerdem ergebe sich bei der Annahme eines Nebenbesitzes die Rechtsunsicherheit, auf wen die Eigentumsvermutung des § 1006 III zutreffe. Stellt man für den mittelbaren Besitz richtigerweise auf das Verhalten und den Willen des Besitzmittlers ab, so muß man einen Nebenbesitz bejahen60. Entscheidend ist, daß sowohl E als auch X die Aussicht haben, die Sachen zu erlangen, daß L gegenüber beiden herausgabebereit ist. Jeder, der einen Teil der eingelagerten Ware fordert, bekommt ihn. Damit sind die Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes gegeben. Die Gegenansicht würde bei jeder Besitzhandlung des Besitzmittlers zugunsten des einen oder anderen zu einem Besitzwechsel führen; das wäre kaum vertretbar. Dem Argument aus dem Wortlaut des Gesetzes kann man keine Bedeutung beimessen, denn bei dessen Formulierung spielte das Problem des Nebenbesitzes keine Rolle. Auch das Argument aus § 1006 III greift nicht durch: Zwischen den Nebenbesitzern besteht keine Eigen54 55

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Ausdruck von Dölle, JW 1932, 3763. Vgl. Paulus D 41, 2, 32, 1: Si conductor rem vendidit et eam a emptore conduxit et utrique mercedes praestitit, prior locator possessionem per conductorem rectissime retinet (Wenn ein Mieter die Sache veräußert und vom Käufer mietet und beiden Mietzins zahlt, so behält der erste Vermieter durch den Mieter seinen Besitz). RG 135, 75 ff.; 138, 265 ff. Letzteres ergibt sich nicht aus den Urteilen selbst, sondern aus einer Mitteilung Dölles in JW 1932, 3763. Zustimmend Herschel, JW 1933, 1997; Reiß 41; Eichler II 1, 24; E. Wolf § 2 B III c 3; Planck-Brodmann § 868 N. 4 b α; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 868 N. 6; RGRK-Kregel § 868 Rn. 9; Palandt-Bassenge § 868 Rn. 2; MünchenerK-Joost § 868 Rn. 20; Boehmer, Grundlagen II 2, 42; Tiedtke, Erwerb und Verlust des Sicherungseigentums an eingelagerter Ware, WM 1978, 450; BGH 28, 27; Picker, AcP 188 (1988), 533 ff.; Westermann-Gursky § 19 II 4. Das entspricht dem römischrechtlichen Grundsatz „plures eandem rem in solidum possidere non possunt“ (Mehrere können eine Sache nicht im Ganzen besitzen), Paulus D 41, 2, 3, 5, der aber gerade in Fällen dieser Art nicht angewandt wird, vgl. D 41, 2, 32, 1, oben Fn. 55. So auch Westermann (5. Aufl.) § 19 II 4 a; Wolff-Raiser § 15 II 2; Baur-Stürner § 52 Rn. 24; Soergel-Stadler § 868 Rn. 21; Lange § 10 Fn. 29; Medicus Rn. 558; Dölle, JW 1932, 1212 ff.; Probst, ZHR 101 (1935), 216 ff.; Staudinger-Bund § 868 Rn. 9; OLG (Hamburg) 13, 200 ff.; Lange, JuS 1969, 164; M. Wolf Rn. 179; Wacke 55; Müller, Heimlicher Gutglaubensschutz?, AcP 137 (1933), 88 f.; Weber, JuS 1999, 5.

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3. Verlust des mittelbaren Besitzes

§ 6 III 3 b

tumsvermutung, wohl aber zugunsten jedes Nebenbesitzers gegenüber Dritten61. Schließlich ist es auch kein Argument gegen den Nebenbesitz, daß der Besitzmittler sich zwischen den Nebenbesitzern entscheiden müsse, wenn sie gleichzeitig zu ihm kämen und die Sachen forderten. In diesem Fall muß sich der Besitzmittler in der Tat entscheiden und einem den mittelbaren Besitz entziehen. Es ist aber nicht einzusehen, wieso der Zwang zu einer Entscheidung ein Argument gegen den Nebenbesitz in Fällen § 6 III sein sollte, in welchen ein solcher Zwang nicht oder noch nicht besteht. Eine andere Fallgestaltung, bei welcher Nebenbesitz in Betracht kommt, ist folgende62: Der Eigentümer einer Sache veräußert sie unter Eigentumsvorbehalt an den Käufer, dieser überträgt seinem Gläubiger gemäß § 930 Sicherungseigentum an der Sache, indem er wahrheitswidrig behauptet, Eigentümer zu sein63. Der Gläubiger hat gemäß § 868 mittelbaren Besitz. Fraglich ist, ob der Verkäufer damit seinen mittelbaren Besitz verloren hat. Diese Frage entscheidet sich nach dem Verhalten des Vorbehaltskäufers. Hat er etwa die Sicherungsübereignung vor dem Verkäufer geheimgehalten, die Raten weiter gezahlt und seine Herausgabebereitschaft an ihn nicht in Frage gestellt, so ist auch der Verkäufer weiterhin Besitzer64. Verkäufer und Sicherungsnehmer sind Nebenbesitzer65. Komplizierter gestaltet sich die Situation, wenn in der genannten Fallgestaltung der Vorbehaltskäufer nicht das Eigentum auf den Sicherungsnehmer überträgt, sondern die Anwartschaft. Hier wird nach einer Ansicht der Sicherungsnehmer mittelbarer Fremdbesitzer 1. Grades, der seinerseits dem Verkäufer den mittelbaren Eigenbesitz 2. Grades vermittele66. Auch die Vertreter dieser Ansicht räumen ein, nicht erklären zu können, wie sich der Sicherungsnehmer in das Besitzmittlungsverhältnis zwischen Verkäufer und Vorbehaltskäufer „hineindrängen“ könne. Nicht zu erklären ist auch, wie das Besitzmittlungsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer enden sollte, wenn der Käufer nicht den Willen bekundet, nicht mehr für den Verkäufer zu besitzen. Für den Verkäufer ist es von Interesse, unmittelbar durch den Käufer zu besitzen, da sein Besitz andernfalls vom guten Willen des Sicherungsnehmers abhängt. Sachgerechter und einfacher ist auch hier die Annahme eines Nebenbesitzes67: Der Käufer vermittelt dem Verkäufer und dem Sicherungsnehmer Besitz, der Verkäufer ist mittelbarer Eigenbesitzer 1. Grades, der Sicherungsnehmer mittelbarer Fremdbesitzer 1. Grades68. Die Vermutung aus § 1006 III steht nur dem Käufer zu, nicht dem Sicherungsnehmer als Fremdbesitzer. 61 62 63 64

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Vgl. Dölle, JW 1932, 1212; Probst, ZHR 101 (1935), 218 f. Nach BGH 50, 45 ff. Der Gläubiger wird nicht Eigentümer, vgl. § 933. In der Entscheidung BGH 50, 45 ff. wollte der Besitzmittler nur noch für den Sicherungsnehmer besitzen, vgl. Lange, JuS 1969, 164. Der BGH hatte also keinen Anlaß, sich mit dem Problem des Nebenbesitzes zu beschäftigen. So auch – für diese Fallgestaltung – Medicus Rn. 561; Westermann (5. Aufl. 1966) § 19 II 4; anders und zu schematisch Michalski, AcP 181 (1981), 400 ff. So Medicus Rn. 562; Baur-Stürner § 59 Rn. 35; Zunft, Die Übertragung der Eigentumsanwartschaft nach § 930 BGB, NJW 1957, 447. So auch Westermann, Probleme der Sicherungsübereignung von Warenlagern, NJW 1956, 1298; Pohle, MDR 1956, 732 ff.; Paulus, Kreditsicherung durch Übertragung von Eigentum und Anwartschaften, JZ 1957, 44 f.; Michalski, AcP 181 (1981), 413 ff. Dabei kann es keine Bedenken erregen, daß der Sicherungsnehmer zwar Fremdbesitzer ist, daß er aber niemand den Besitz mittelt. Es gibt auch andere Fälle des Fremdbesitzes, dem kein Eigenbesitz gegenübersteht, etwa wenn ein Geschäftsführer ohne Auftrag Besitz erwirbt, vgl. oben II 5.

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§ 6 IV 2

§ 6. Mittelbarer Besitz

IV. Schutz des mittelbaren Besitzes 1. Umfang des Besitzschutzes Es ist zunächst festzustellen, ob der Schutz des mittelbaren Besitzes abschließend in § 869 geregelt ist oder ob dem mittelbaren Besitzer darüber hinaus die Rechte aus §§ 859, 861, 862 zustehen. Man könnte nämlich annehmen, § 869 regele nur den Schutz des mittelbaren Besitzes für den Fall, daß der unmittelbare Besitz angegriffen werde. Dann könnten die §§ 859, 861, 862 eingreifen, wenn sich die verbotene Eigenmacht gegen den mittelbaren Besitz selbst richtete. Das würde aber voraussetzen, daß eine verbotene Eigenmacht gegen den mittelbaren Besitz überhaupt möglich ist. Besitzschutz ist Schutz der tatsächlichen Gewalt, hinter welcher die Persönlichkeit des Besitzers steht1. Mittelbarer Besitz ist aber keine tatsächliche Gewalt, sondern nur die Fiktion einer tatsächlichen Gewalt2. Mittelbarer Besitz ist daher durch eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 I gar nicht angreifbar. In allen Fällen, in welchen ein Angriff gegen den mittelbaren Besitz selbst behauptet wird, geht es in Wirklichkeit um Rechtsfragen, nicht um Besitzfragen. Nutzt der Besitzmittler etwa die Sache oder veräußert er sie, so ist es eine Rechtsfrage, ob er dazu befugt war. War die Sache entliehen oder gemietet, so durfte der Besitzmittler sie nutzen; war sie in Verwahrung gegeben, so durfte er das nicht. War die Sache dem Besitzmittler in Kommission gegeben, so durfte er sie veräußern; war sie vermietet, so durfte er es nicht. Von einigen Autoren wird eine verbotene Eigenmacht gegen den mittelbaren Besitz angenommen, wenn der Besitzmittler die Sache unbefugt genutzt, veräußert hat u.s.w.3 Das ist unhaltbar; niemand wird eine Besitzstörung oder -entziehung annehmen wollen, wenn der Besitzmittler gegenüber dem mittelbaren Besitzer zu der fraglichen Handlung berechtigt war. Die Frage der Besitzverletzung kann aber nicht von einer Rechtsfrage abhängen4. Eine verbotene Eigenmacht gegen den mittelbaren Besitzer ist also nicht möglich, ein Besitzschutz kann dem mittelbaren Besitzer nur zustehen, wenn verbotene Eigenmacht gegen den unmittelbaren Besitzer verübt wurde, also niemals gegen jenen selbst. § 869 enthält also eine abschließende Regelung des Schutzes des mittelbaren Besitzes. Diese Ansicht entspricht auch dem Willen der zweiten Kommission, welche dem mittelbaren Besitzer keinen selbständigen Besitzschutz gewähren wollte; es sollten ihm nur die Ansprüche gewährt werden, welche für den unmittelbaren Besitzer aus der verbotenen Eigenmacht begründet seien5.

2. Gewaltrechte des mittelbaren Besitzers Da § 869 dem mittelbaren Besitzer nicht die Rechte aus § 859 zuerkennt, stehen ihm lediglich die allgemeinen Gewaltrechte nach §§ 227 ff. zu, nicht aber Besitzwehr 1 2 3 4 5

Vgl. oben § 3 III b. Im mittelbaren Besitz wird daher auch nicht die Persönlichkeit geschützt; über den Grund, den mittelbaren Besitz zu schützen, vgl. oben I 1. Vgl. die Nachweise bei Wieling, AcP 184 (1984), 462. Vgl. Wieling, AcP 184 (1984), 463. Protokolle der 2. Kommission 3734 f. (Mugdan 3, 515 f.).

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§ 6 IV

2. Gewaltrechte des mittelbaren Besitzers

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und Besitzkehr, und zwar weder gegen Dritte noch gegen den Besitzmittler6. Die zweite Kommission hielt es für „gänzlich überflüssig“, dem mittelbaren Besitzer Gewaltrechte zu geben; er sei durch die §§ 227 ff. hinreichend geschützt7. Dennoch wollen einige Autoren dem mittelbaren Besitzer wenigstens dann die Gewaltrechte aus § 859 geben, wenn ein Dritter eine verbotene Eigenmacht gegen den unmittelbaren Besitzer begeht8. Der Frage kommt kaum praktische Bedeutung zu. Wird der Besitz des unmittelbaren Besitzers gestört, so kann gemäß §§ 859 I, 227 jeder Dritte Besitzwehr für den unmittelbaren Besitzer ausüben, also auch der mittelbare Besitzer9. Auch das Selbsthilferecht der Besitzkehr, § 859 II, III, kann jeder Dritte für den unmittelbaren Besitzer ausüben, als Geschäftsführer ohne Auftrag10. Problematisch werden können nur die Fälle, in welchen der unmittelbare Besitzer mit der Ausübung der Gewaltrechte nicht einverstanden ist; in diesen Fällen kann ein Dritter nicht die Gewaltrechte für jenen ausüben. Aber auch hier sind wiederum diejenigen Fälle problemlos, in welchen der mittelbare Besitzer irgendein Recht an der Sache hat; dieses Recht kann er nach den §§ 227 ff. gewaltsam verteidigen11. Das Problem stellt sich also nur dann, wenn der mittelbare Besitzer keinerlei Recht an der Sache hat – wenn etwa ein Dieb die gestohlene Sache vermietet hat – und der unmittelbare Besitzer die Sache nicht gewaltsam gegen einen Angreifer verteidigen will. Soll der Dieb berechtigt sein, die Sache gewaltsam zu verteidigen, etwa auch im Hinblick darauf, daß er sie an den Eigentümer herausgeben will und muß? Es erscheint nicht erforderlich, für Fälle dieser Art den Wortlaut des Gesetzes und den Willen des Gesetzgebers zu verlassen und dem mittel- § 6 IV baren Besitzer ein selbständiges Gewaltrecht zuzugestehen12. Wenn einige Autoren soweit gehen, dem mittelbaren Besitzer Gewaltrechte sogar gegen den unmittelbaren Besitzer zu geben13, so ist das abzulehnen. Wie oben zu 1. aufgezeigt ist, kann der unmittelbare Besitzer keine verbotene Eigenmacht gegen den mittelbaren Besitzer begehen.

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H.M., vgl. etwa RG 146, 190; Biermann § 869 N. 2; Rosenberg § 869 N. II 1; PlanckBrodmann § 869 N. 2; Soergel-Stadler § 869 Rn. 2; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 869 N. 3; RGRK-Kregel § 869 Rn. 1; Hedemann § 8 II c; E. Wolf § 2 D IV f; Schwab-Prütting Rn. 87; Reiß 49; Rohde XXII 19; Wendt, AcP 87 (1897), 56 ff.; Strohal, JherJahrb 38 (1898), 51; OLG Freiburg JZ 1952, 334. Protokolle 2. Kommission 3736 (Mugdan 3, 516). Vgl. Windscheid-Kipp I 798; Kohler, ArchBR 18 (1900), 80; Dernburg, BürgR III § 23, 7; Kniep 315; Engelhardt 21 ff.; J. vGierke § 10 II 3; Lange § 10 III B 2 c; WestermannGursky § 26 III 2; Wolff-Raiser § 20 I 2; Baur-Stürner § 9 Rn. 23; Palandt-Bassenge § 869 Rn. 2; Staudinger-Bund § 869 Rn. 2; Müller Rn. 234. Vgl. oben § 5 III 1 b. Vgl. oben § 5 III 2. Irrig OLG Freiburg JZ 1952, 334 f.: Der mittelbare Besitzer könne sein Recht nicht gegen Dritte verteidigen, wenn der Besitzmittler dies nicht wolle. Muß der Dieb dem Eigentümer Schadensersatz leisten, so mag er sich nach § 255 dessen Ansprüche gegen den Störer oder den Besitzmittler (§ 991 II) abtreten lassen. So Heck § 8, 3; O. vGierke § 116 Fn. 14; Bekker, JherJahrb 34 (1895), 68; Sokolowski II 254, 274.

249

§ 6 IV 3 a

§ 6. Mittelbarer Besitz

3. Besitzschutzanspruch aus § 869 a) Gemäß § 869, 1 stehen dem mittelbaren Besitzer die Ansprüche aus §§ 861, 862 zu. Damit soll die Aussicht des mittelbaren Besitzers, die tatsächliche Gewalt über die Sache zu erlangen, geschützt werden14. Die Ansprüche, die dem unmittelbaren Besitzer zustehen, werden auch dem mittelbaren Besitzer gegeben15. Es muß also eine verbotene Eigenmacht gegen den unmittelbaren Besitz vorliegen, der Anspruch kann sich nie gegen den Besitzmittler selbst richten16. Hat der Besitzmittler in die Störungshandlung eines Dritten eingewilligt, so liegt keine verbotene Eigenmacht vor, ein Anspruch aus § 869 ist nicht gegeben. Der Anspruch aus § 869 ist insoweit selbständig, als er nach seiner Entstehung nicht mehr vom Willen des unmittelbaren Besitzers abhängt. Genehmigt dieser z.B. die verbotene Eigenmacht, so kann das den Anspruch aus § 869 nicht mehr beeinträchtigen. Der Anspruch kann unabhängig von dem Anspruch aus §§ 861, 862 geltend gemacht werden, die Rechtshängigkeit oder rechtskräftige Entscheidung in dem einen Verfahren hindert nicht, den anderen Anspruch gerichtlich geltend zu machen17. Hat der mittelbare Besitzer selbst der verbotenen Eigenmacht zugestimmt, so hat er keine Klage18. Der mittelbare Besitzer muß sich die Einrede des fehlerhaften Besitzes entgegenhalten lassen, wenn der unmittelbare Besitzer dem Beklagten gegenüber fehlerhaft besaß, mag auch der mittelbare Besitz selbst nicht fehlerhaft gewesen sein19; denn die Frage der verbotenen Eigenmacht entscheidet sich nach der Person des unmittelbaren Besitzers. Der mittelbare Besitzer muß sich die Einrede des fehlerhaften Besitzes aber auch dann entgegenhalten lassen, wenn nur er dem Beklagten gegenüber fehlerhaft besaß20. Der Anspruch aus §§ 869, 861 hat das gleiche Ziel wie der aus § 861. Er geht in erster Linie auf Herausgabe der Sache an den unmittelbaren Besitzer, dem die Sache entzogen war, vgl. § 869, 2. Nur wenn dieser die Sache nicht mehr übernehmen will oder kann21, kann der mittelbare Besitzer Herausgabe an sich selbst verlangen. Standen wei14 15 16 17

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Vgl. oben I 1. Protokolle der 2. Kommission 3734 (Mugdan 3, 515). Die 2. Kommission hielt den mittelbaren Besitzer für ausreichend geschützt durch die petitorischen Ansprüche, vgl. Wieling, Studi Sanfilippo I 727. H.M., anders zu Unrecht Kniep 423, Engelhardt 32, welche gegen den zweiten Kläger die Einrede der Rechtshängigkeit geben wollen. Die Verfahren können gem. § 147 ZPO verbunden werden; die klagenden Besitzer aus § 869 und aus §§ 861, 862 sind keine notwendigen Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO, da unterschiedliche Urteile ergehen können, wenn etwa der Beklagte die exceptio vitiosae possessionis gegen den einen Kläger erheben kann, gegen den anderen nicht. H.M., vgl. etwa Rosenberg § 869 N. I; Planck-Brodmann § 869 N. 1 a; Erman-Lorenz § 869 Rn. 2. B hat dem E eine Sache gestohlen und sie dem gutgläubigen K verkauft und durch Besitzkonstitut „übereignet“. E nimmt kurz darauf dem B die Sache weg. B hat gem. § 861 II keinen Besitzschutzanspruch gegen E, ebensowenig K, obwohl sein mittelbarer Besitz nicht fehlerhaft war. D hat dem E eine Sache gestohlen und an den gutgläubigen B vermietet. E nimmt dem B die Sache weg. B hat den Anspruch aus § 861 I, dem Anspruch des D aus §§ 869, 861 steht die exceptio vitiosae possessionis nach § 861 II entgegen. So auch Staudinger-Bund § 869 Rn. 9; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 869 N. 6; Rosenberg § 869 N. II 2 c; Planck-Brodmann § 869 N. 1 b; Windscheid-Kipp I 822. Wenn z.B. das Besitzmittlungsverhältnis abgelaufen ist.

250

§ 6 IV

3. Besitzschutzanspruch aus § 869

§ 6 IV 3 b, c, d

tere Besitzmittler zwischen dem unmittelbaren Besitzer und dem klagenden mittelbaren Besitzer, so kann dieser Herausgabe an sich verlangen, wenn alle Besitzmittler – beginnend mit dem entferntesten – die Sache nicht wieder übernehmen wollen oder können22. Mehrere mittelbare Besitzer i.S.v. § 871 können unabhängig voneinander aus § 869 klagen. § 6 IV b) § 869 gibt dem mittelbaren Besitzer nur die Ansprüche aus §§ 861 I, 862 I. Man c, d wird ihm aber auch zugestehen müssen, verteidigungsweise die Einrede des fehlerhaften Besitzes gemäß §§ 861 II, 862 II geltend zu machen23. § 869 will dem mittelbaren Besitzer die Möglichkeit einräumen, im Prozeß die Rechte geltend zu machen, die auch dem unmittelbaren Besitzer zustehen. Wäre also bei einer Klage gegen den unmittelbaren Besitzer die Einrede des fehlerhaften Besitzes begründet, so muß auch dem mittelbaren Besitzer diese Verteidigung zustehen. c) Gemäß § 869, 3 kann der mittelbare Besitzer auch verlangen, daß ihm das Aufsuchen und Wegschaffen der Sache gestattet wird, wenn der unmittelbare Besitzer die Sache nicht wieder an sich nehmen kann oder will. Daraus wird vielfach geschlossen, daß der mittelbare Besitzer keinen Anspruch aus § 867 habe, solange der unmittelbare Besitzer die Sache übernehmen könne und wolle24. Obwohl der Wortlaut der Vorschrift dies besagt, ist aber kein Grund ersichtlich, warum das Gesetz von dem Grundgedanken des § 869 abgehen wollte: dem mittelbaren Besitzer den Besitzschutzanspruch generell zu geben, aber nur auf Leistung an den unmittelbaren Besitzer, auf Leistung an sich selbst nur unter der Voraussetzung des § 869, 2. Mit der h.M.25 ist also davon auszugehen, daß dem mittelbaren Besitzer der Anspruch auf Duldung des Aufsuchens und Wegschaffens durch den unmittelbaren Besitzer zusteht. Will oder kann dieser die Sache nicht aufsuchen und wegschaffen, so kann der mittelbare Besitzer dieses Recht für sich selbst in Anspruch nehmen. d) Da der mittelbare Besitz ebensowenig ein Recht ist wie der unmittelbare, so wird auch er nicht in §§ 812, 823 geschützt26. Es kann auch kein Schadensersatz wegen Verletzung des mittelbaren Besitzes verlangt werden27. Mittelbarer Besitz begründet weder ein Widerspruchsrecht nach § 771 ZPO noch ein Aussonderungsrecht im Insolvenzverfahren28. 22 23

24 25

26 27 28

Vgl. Rosenberg § 869 N. II 2 a; O. vGierke § 116 Fn. 38. Vgl. den Fall in RG JW 1908, 681, gekürzt auch in RG 69, 198: E hatte dem B Pferde unter Eigentumsvorbehalt geliefert, der Kläger hat diese Pferde durch verbotene Eigenmacht an sich gebracht, E hat dem Kläger die Pferde weggenommen, der Kläger klagt gegen E auf Herausgabe. Das RG gibt dem E die Einrede des fehlerhaften Besitzes. Ebenso Staudinger-Bund § 869 Rn. 9; Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 869 N. 6; RGRK-Kregel § 869 Rn. 4; Rosenberg § 869 N. II d; Soergel-Stadler § 869 Rn. 3; Planck-Brodmann § 869 N. 1 b; MünchenerK-Joost § 869 Rn. 2; Wolff-Raiser § 20 Fn. 1. Biermann § 869 N. 5; Rosenberg § 869 N. II 3; Planck-Brodmann § 869 N. 3; Rohde XXII 113 f.; Windscheid-Kipp I 840; Staudinger-Bund § 869 Rn. 8. Schlegelberger-Vogels-Pritsch § 869 N. 7; RGRK-Kregel § 869 Rn. 6; Erman-Lorenz § 869 Rn. 3. Irrig ist die Ansicht von Wolff-Raiser § 20 III, dem mittelbaren Besitzer stehe der Anspruch aus § 869, 3 nur zu, wenn der unmittelbare Besitzer den Anspruch aus § 867 nicht geltend mache. Vgl. oben § 5 IV 6. Anders natürlich, wenn zusätzlich ein Recht zum Besitz verletzt ist. Vgl. Merrem 143 ff.

251

§ 4. Unmittelbarer Besitz; Erwerb und Verlust

§ 7. Besitz an Rechten

Literatur: Beermann, Christopher, Besitzschutz bei beschränkten dinglichen Rechten, Diss. Münster 2000; Gräfe, Jürgen, Die Lehre vom Rechtsbesitz in der Rechtsgeschichte der Neuzeit, Diss. Köln 1983; Lange, Besitz des Jagdpächters, GruchBeitr 69 (1928), 311 ff.; Lenz, Der Rechtsbesitz außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs, ArchBR 33 (1909), 345 ff.; Ludewig, Die Unterlassungsklage des Jagdpächters, JW 1924, 775 ff.; Wieling, Die historischen Voraussetzungen des modernen Besitzschutzes, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, Hrsg. Knütel, Nishimura, 2004, S. 361 – 388.

Das BGB erkennt grundsätzlich nur einen Besitz an Sachen an, nicht an Rechten1. Johow hatte in seinem Teilentwurf als § 84 vorgeschlagen: „An Rechten findet Besitz nicht statt“. Er hielt den Rechtsbesitz für überflüssig2. Die erste Kommission stimmte dem grundsätzlich zu, ließ aber die Frage offen, ob nicht ausnahmsweise für Dienstbarkeiten ein Rechtsbesitz zu gewähren sei3. Bei der Beratung der Dienstbarkeiten wurde ein praktisches Bedürfnis bejaht, in diesen Fällen einen Rechtsbesitz anzunehmen4. Auch die zweite Kommission beschloß, es sei zwar der Rechtsbesitz grundsätzlich nicht mehr anzuerkennen, es sei aber eine Ausnahme zu machen für die Dienstbarkeiten5. Das BGB kennt daher einen Rechtsbesitz nur an Dienstbarkeiten6, darüber hinaus ist ein Rechtsbesitz nicht anzuerkennen. So gibt es auch keinen Rechtsbesitz an subjektiv dinglichen Rechten i.S.v. § 96, wie bisweilen angenommen wird7; der Besitzer des herrschenden Grundstücks ist also nicht Besitzer einer damit verbundenen Reallast, eines Vorkaufsrechts u.s.w8. Rechtsbesitz kann es allenfalls noch nach Landesrecht geben, in den dem Landesrecht reservierten Materien, vgl. unter III.

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Vgl. oben § 3 I a.E.; II 3 b, 4 d. Vgl. auch Johow, Begründung 478 ff.; ebenso Westermann-Gursky § 27 I 1. Protokolle der 1. Kommission 3537, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 192. Protokolle der 1. Kommission 4448, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 42. Protokolle der 2. Kommission 3917 (Mugdan 3, 741). E. Wolf § 2 B V leugnet auch hier einen Rechtsbesitz, was die historischen Zusammenhänge verkennt. Für Rechtsbesitz in diesen Fällen Dernburg, BürgR III § 19, 3; O. vGierke § 114, 226; J. vGierke § 13, 2. So zutreffend Lenz, ArchBR 33 (1909), 375, 379 f.; Wolff-Raiser § 24 V; Heck § 16, 5; Westermann-Gursky § 27 IV 1; Eichler II 1, 38 und schon Protokolle der 1. Kommission 4447, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 41 f.

252

1. Voraussetzungen des Rechtsbesitzes

§7 I 1 a

I. Rechtsbesitz an Grunddienstbarkeiten Gemäß § 1029 wird dem Besitzer eines Grundstücks, für welches eine Dienstbarkeit eingetragen ist, Besitzschutz zugesprochen, wenn die weiteren Voraussetzungen des Rechtsbesitzes vorliegen: Eintragung und Ausübung der Grunddienstbarkeit.

§7 I 1

1. Voraussetzungen des Rechtsbesitzes a) Voraussetzung für den Rechtsbesitz an der Grunddienstbarkeit ist zunächst, daß diese „innerhalb eines Jahres vor der Störung, sei es auch nur einmal, ausgeübt worden ist“. Der Gesetzgeber wollte den Rechtsbesitz möglichst ähnlich dem Sachbesitz gestalten, als Parallele zur Sachgewalt bestimmte er daher den tatsächlichen Zustand der Ausübung der Grunddienstbarkeit9. Man glaubte, sich mit einer einmaligen Ausübung im Jahr begnügen zu können, denn die Eintragung der Grunddienstbarkeit spreche dafür, daß die entsprechende Handlung eben als Ausübung der Dienstbarkeit gewollt sei10. Der Rechtsbesitz aufgrund einer einmaligen Handlung könne aber nicht als dauernd weiterbestehend angenommen werden. Wann aber der Rechtsbesitz ende, sei meist schwer feststellbar. Es müsse daher eine Zeitgrenze gesetzt werden: ein Jahr11. Bei der Frage, wie eine Grunddienstbarkeit ausgeübt werden kann, sind drei Fallgruppen von Dienstbarkeiten zu unterscheiden12: Positive Dienstbarkeiten, deren Ausübung in einer Handlung besteht, z.B. das Wegerecht. Sie berechtigen den Inhaber zu einer positiven Handlung, verpflichten den Eigentümer des dienenden Grundstücks zu einem Dulden („servitutes quae in patiendo consistunt“). Die Ausübung einer solchen Grunddienstbarkeit besteht in der Vornahme der Handlung, zu welcher sie das Recht gibt, z.B. im Begehen des Grundstücks bei der Wegeservitut. Die Ausübung kann durch den Inhaber der Grunddienstbarkeit erfolgen, durch den Besitzer des herrschenden Grundstücks, durch deren Beauftragte, aber auch durch fremde Personen, z.B. Gäste, welche das Wegerecht ausüben, um auf das herrschende Grundstück zu gelangen13. Erforderlich ist aber, daß die Handlung eine Ausübung der Dienstbarkeit darstellt. Hat der Gast den Eigentümer des dienenden Grundstücks um Erlaubnis gebeten, das Grundstück begehen zu dürfen, so übt er nicht die Dienstbarkeit aus, wenn er es überquert. Die Handlung muß also aufgrund der Dienstbarkeit erfolgen, nicht aus einem sonstigen 9 10 11 12 13

Protokolle der 1. Kommission 4451, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 43; auch Motive 3, 490. Vgl. dazu unten b. Protokolle der 1. Kommission 4453 f., Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 44 f. Vgl. Savigny, Besitz § 46. Vgl. Scaevola D 8, 6, 20: Usu retinetur servitus, cum ipse cui debetur utitur quive in possessione eius est aut mercennarius aut hospes aut medicus quive ad visitandum dominum venit vel colonus aut fructuarius (Die Dienstbarkeit wird durch Ausübung aufrechterhalten, wenn der Inhaber selbst sie ausübt oder der, der Besitz an ihr hat, oder auch wenn ein Tagelöhner sie ausübt, ein Gast, ein Arzt oder irgendwer, der kommt, um den Eigentümer zu besuchen, oder auch ein Pächter oder Nießbraucher). Ebenso Wolff-Raiser § 24 I 2 c; Westermann-Gursky § 27 II 2; Palandt-Bassenge § 1029 Rn. 2; Planck-Strecker § 1029 N. 4 b β.

253

§7 I 1 b

§ 7. Besitz an Rechten

Grund14. Es ist aber nicht erforderlich, daß der Ausübende (z.B. der Gast) weiß, daß er eine Dienstbarkeit ausübt; es reicht hin, wenn sein Verhalten objektiv eine Ausübung der Dienstbarkeit darstellt und nicht erkennbar auf einem anderen Grund beruht15. Es ist auch nicht erforderlich, daß der Ausübende glaubt, eine Dienstbarkeit zu haben16. Eine andere Art positiver Dienstbarkeiten berechtigt dazu, auf dem dienenden Grundstück eine Anlage zu halten, z.B. Gleise, Rohrleitungen, Leitungsmaste, ein Bauwerk u.s.w. Die Ausübung dieser Art von Grunddienstbarkeiten geschieht dadurch, daß die Anlage errichtet und aufrechterhalten wird. Daß sie genutzt wird, ist nicht nötig17. Die Jahresfrist des § 1029 beginnt in diesen Fällen erst dann zu laufen, wenn die Anlage entfernt wurde. Negative Dienstbarkeiten berechtigen den Inhaber, gewisse Handlungen auf dem dienenden Grundstück zu verbieten; der Eigentümer des dienenden Grundstücks ist verpflichtet, diese Handlungen zu unterlassen („servitutes quae in non faciendo consistunt“). Hier war es früher streitig, worin die Ausübung bestand. Es wurde u.a. die Ansicht vertreten, Ausüben bedeute ein positives Handeln, z.B. ein Verbot gegenüber dem verpflichteten Eigentümer. Heute herrscht Übereinstimmung, daß ein solches Handeln nicht zu fordern ist. Die Eintragung der Grunddienstbarkeit ersetze das Verbot, die Dienstbarkeit werde bereits dadurch „ausgeübt“, daß der verpflichtete Eigentümer seiner Unterlassungspflicht nachkomme18. Dem ist zuzustimmen. Der auf die genannte Weise erlangte Rechtsbesitz kann fehlerhaft sein, wenn nämlich bei den positiven Dienstbarkeiten die besitzbegründende Handlung ohne den Willen des Besitzers des dienenden Grundstücks erfolgte, d.h. wenn sie eine verbotene Eigenmacht darstellte. Übt etwa der Inhaber eines Wegerechts sein Recht zum ersten Mal gegen den Willen des Verpflichteten aus, so erwirbt er fehlerhaften Rechtsbesitz. Der Rechtsbesitz kann unrechtmäßig sein, wenn die Dienstbarkeit nicht besteht. Immer steht der Rechtsbesitz gemäß § 1029 dem Besitzer des herrschenden Grundstücks zu. Der Rechtsbesitz geht automatisch auf jeden Besitzer des herrschenden Grundstücks über, er ist entsprechend § 96 Bestandteil des Besitzes am Grundstück. Ist der Besitzer des herrschenden Grundstücks Besitzmittler (z.B. Pächter), so ist der mittelbare Besit- § 7 I 1 zer des Grundstücks zugleich mittelbarer Rechtsbesitzer. b) Voraussetzung für das Entstehen des Rechtsbesitzes ist weiter die Eintragung der Dienstbarkeit im Grundbuch beim dienenden Grundstück. Ob die Dienstbarkeit be14

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Vgl. Paulus D 8, 6, 25: Servitute usus non videtur nisi is, qui suo iure uti se credidit: ideoque si quis pro via publica vel pro alterius servitute usus sit, nec interdictum nec actio utiliter competit (Die Dienstbarkeit übt nur aus, wer glaubt, sein Recht zu gebrauchen; wer daher glaubt, es sei ein öffentlicher Weg oder ein anderer habe die Servitut, dem steht Besitzschutz nicht zu). Wolff-Raiser § 24 I 2 c; Westermann-Gursky § 27 II 2; Palandt-Bassenge § 1029 Rn. 2; Soergel-Stürner § 1029 Rn. 2; RGRK-Rothe § 1029 Rn. 3; Staudinger-Ring § 1029 Rn. 6; anders dagegen Erman-Ronke § 1029 Rn. 4 mit Berufung auf OLG (Stuttgart) 6, 255; die Entscheidung besagt aber im Grunde auch nichts anderes, als oben im Text ausgeführt ist. Dernburg, Pandekten I § 190, 2 b; Planck-Strecker § 1029 N. 4 b γ. Vgl. auch Wolff-Raiser § 24 I 2 b; Westermann-Gursky § 27 II 2. Vgl. Savigny, Besitz § 46, 493 ff.; Dernburg, Pandekten § 190, 2 a; Wolff-Raiser § 24 I 2 c; Westermann-Gursky § 27 II 2; Biermann § 1029 N. 1 b; Planck-Strecker § 1029 N. 4 b α; Soergel-Stürner § 1029 Rn. 2; Erman-Ronke § 1029 Rn. 4; Staudinger-Ring § 1029 Rn. 4; RGRK-Rothe § 1029 Rn. 3; Palandt-Bassenge § 1029 Rn. 2.

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2. Verlust des Rechtsbesitzes

§7 I 2 a

steht, ist ohne Bedeutung. Wird die eingetragene Dienstbarkeit im Grundbuch gelöscht, sei es auch zu Unrecht, so erlischt gleichzeitig der Rechtsbesitz19. Wird eine gelöschte Dienstbarkeit wieder eingetragen, so bedarf es zur Entstehung des Rechtsbesitzes einer erneuten Ausübung der Dienstbarkeit. Die Voraussetzung der Eintragung ist verschiedentlich, besonders aber von Heck20 getadelt worden. Die Motive21 begründeten das Erfordernis der Eintragung mit dem Hinweis, der Rechtsbesitzer müsse ein Recht (die Dienstbarkeit) behaupten, im Gegensatz zum Sachbesitzer. Eine solche Behauptung sei aber ausgeschlossen, wenn die Dienstbarkeit nicht eingetragen sei. Zutreffend hält Heck dem entgegen, daß im Besitz, auch im Rechtsbesitz, nicht ein wahrscheinliches Recht geschützt wird, sondern ein tatsächlicher Zustand, unabhängig von allem Recht. Es ist zudem unrichtig, daß der Rechtsbesitzer den Bestand der Dienstbarkeit behaupten müßte. Irrige Vorstellungen über den Grund des Besitzschutzes22 haben hier zu unrichtiger Argumentation geführt. Immerhin gibt die Eintragung einen wichtigen Anhalt bei der Ausübung der Dienstbarkeiten, insbesondere der negativen Dienstbarkeiten, so daß dieses Merkmal von daher gerechtfertigt sein dürfte. c) Ein Rechtsbesitz kann nur in dem Umfang erworben werden, wie die Eintragung und die Ausübung reichen. Wird die Dienstbarkeit nur in geringerem Umfang ausgeübt, als sie eingetragen ist23, so entsteht Rechtsbesitz nur in diesem geringeren Umfang. Geht die Ausübung über den eingetragenen Umfang hinaus, so bildet doch die Eintragung die Grenze eines möglichen Rechtsbesitzes.

§7 I 2

2. Verlust des Rechtsbesitzes a) Der Rechtsbesitz erlischt, sobald die Dienstbarkeit im Grundbuch gelöscht wird. Er erlischt ferner spätestens ein Jahr nach der letzten Ausübung der Dienstbarkeit. Bei positiven Dienstbarkeiten, die zu einer Handlung berechtigen, endet der Rechtsbesitz ein Jahr nach der letzten Ausübungshandlung. Das gilt selbst dann, wenn die Dienstbarkeit nur in größeren Abständen als einem Jahr ausgeübt werden kann24. Bei einer Dienstbarkeit, die zum Halten einer Anlage berechtigt, erlischt der Rechtsbesitz spätestens ein Jahr nach Entfernung der Anlage. Solange die Anlage sich auf dem dienenden Grundstück befindet, wird die Dienstbarkeit ausgeübt, selbst wenn die Anlage nicht genutzt wird. Bei negativen Dienstbarkeiten, die also auf ein Unterlassen gehen, entscheidet die Art der Zuwiderhandlung. Verstößt der Verpflichtete regelmäßig gegen die Unterlassungspflicht, so endet der Rechtsbesitz spätestens ein Jahr nach dem ersten Verstoß. Bei vereinzelten Zuwiderhandlungen entsteht nach der Beendigung dieser Handlungen ein neuer Rechtsbesitz. 19

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Ein Widerspruch gegen die Dienstbarkeit beeinträchtigt den Rechtsbesitz nicht; ein Widerspruch zugunsten einer nicht eingetragenen Dienstbarkeit kann keinen Rechtsbesitz begründen. Heck § 16, 1 und 2. Motive 3, 491; ebenso Protokolle der 2. Kommission 3919 f. (Mugdan 3, 742). Vgl. oben § 3 III. Ein Geh- und Fahrrecht ist eingetragen, der Inhaber der Dienstbarkeit geht nur über das dienende Grundstück. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 4454, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 45.

255

§7 I 3 a

§ 7. Besitz an Rechten

b) Der Rechtsbesitz kann auch entsprechend § 856 schon vor Ablauf der Jahresfrist des § 1029 enden. Daß gemäß § 856 eine Aufgabe oder Entziehung des Rechtsbesitzes möglich sein muß, ist schon in den Materialien ausgesprochen25. Hat etwa der Berechtigte die bis dahin erhaltene Anlage entfernt mit der erklärten Absicht, sein Recht vorerst nicht wieder auszuüben, so erlischt der Rechtsbesitz sofort durch Aufgabe. Errichtet der Verpflichtete eine Betonmauer um sein Grundstück, so kann der Inhaber einer Fahrgerechtigkeit sein Recht nicht mehr ausüben. Der Rechtsbesitz ist ihm durch verbotene Eigenmacht entzogen26.

3. Schutz des Rechtsbesitzes Gemäß § 1029 ist der Rechtsbesitz an Dienstbarkeiten nur eine possessio ad interdicta; sie dient nur dem Besitzschutz. Gemäß § 900 II kann der Rechtsbesitzer jedoch eine Dienstbarkeit auch ersitzen, so daß im Hinblick auf diese Vorschrift – weitere gibt es hierzu nicht – der Rechtsbesitz auch dem Rechtserwerb dient. Gegenüber dem Rechtsbesitz an der Dienstbarkeit kann der Sachbesitz am dienenden Grundstück nicht geltend gemacht werden; der Rechtsbesitzer hat Besitzschutz, wenn er vom Sachbesitzer gestört wird27. Keineswegs sind Rechts- und Sachbesitzer Mitbesitzer i.S.v. § 86628. a) Gemäß § 1029 stehen dem Besitzer der Dienstbarkeit die Besitzschutzrechte zu. Er kann also die Gewaltrechte des § 859 ausüben29. Will der Verpflichtete die Handlung des Berechtigten nicht dulden, die Anlage nicht entfernen, will er die verbotene Handlung vornehmen, so kann der Rechtsbesitzer gemäß § 859 I gewaltsam gegen ihn vorgehen. Der Verpflichtete kann diese Besitzwehr nicht etwa unter Berufung auf seinen Sachbesitz abwehren, im Verhältnis zwischen Rechtsbesitz und Sachbesitz geht der Rechtsbesitz vor30; andernfalls würde dem Rechtsbesitz seine Bedeutung weitgehend entzogen. Dem Rechtsbesitzer steht auch das Recht der Besitzkehr zu; hat der Verpflichtete z.B. eigenmächtig die Anlage entfernt und dem Besitzer dadurch den Rechtsbesitz entzogen, so kann dieser gemäß § 859 III die Anlage gewaltsam wiederherstellen, wenn er sofort tätig wird31. 25 26 27

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Vgl. Protokolle der 1. Kommission 4454, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 45. Vgl. Planck-Strecker § 1029 N. 4 d; Wolff-Raiser § 24 III 2, 3; Westermann-Gursky § 27 III 3 b. Das ist seit dem römischen Recht anerkannt, vgl. Ulpian D 43, 24, 13 pr.: Denique si arbores in fundo, cuius usus fructus ad Titium pertinet, ab extraneo vel a proprietario succisae fuerint, Titius et lege Aquilia et interdicto quod vi aut clam cum utroque eorum recte experietur (Wenn Bäume auf einem Grundstück, an dem Titius den Nießbrauch hat, von Fremden oder vom Eigentümer gefällt worden sind, dann kann Titius gegen sie die actio legis Aquiliae wegen Sachbeschädigung erfolgreich geltend machen oder das Besitzschutzinterdikt quod vi aut clam). So aber irrig KG NJW-RR 1988, 780 f. Zu den Einzelheiten vgl. oben § 5 III. Vgl. Motive 3, 492. Daran ändert sich natürlich nichts, wenn der Rechtsbesitzer zugleich Sachbesitz hat, was Beermann 2 f. verkennt. Vgl. Planck-Strecker § 1029 N. 5 a. Demgegenüber vertreten Windscheid-Kipp I 849 und Kreß 258 die Ansicht, gemäß § 1029 könne der Rechtsbesitz nur gestört, nicht entzogen werden. Das widerspricht aber der von der h.M. anerkannten Möglichkeit, § 856 entsprechend auf den Rechtsbesitz anzuwenden, vgl. oben 2 b.

256

§7 I 3

II. Rechtsbesitz an persönlichen Dienstbarkeiten

§ 7 II

Dem Rechtsbesitzer stehen auch die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 zu, dem mittelbaren Rechtsbesitzer auch der Anspruch aus § 869. Die Ansprüche sind ausgeschlossen, wenn der Rechtsbesitzer gegenüber dem Störer bzw. Entzieher selbst fehlerhaft besitzt oder besaß, §§ 861 II, 862 II. Hat z.B. der Besitzer des herrschenden Grundstücks aufgrund der Dienstbarkeit eine Anlage gegen den Willen des Besitzers des dienenden Grundstücks errichtet, so hat er Rechtsbesitz erworben, besitzt aber fehlerhaft. Entfernt der Verpflichtete die Anlage, so hat dagegen der Rechtsbesitzer zwar das Gewaltrecht, nicht aber die Klage aus § 861. Ist der Inhaber einer Wegegerechtigkeit zum ersten Mal ohne den Willen des Verpflichteten über das Grundstück gegangen, so hat er fehlerhaften Rechtsbesitz begründet. Geht er innerhalb eines Jahres wiederum über das Grundstück, so steht dagegen dem Verpflichteten kein Gewaltrecht mehr zu32; denn mag der Besitz des Berechtigten auch fehlerhaft sein, so sind doch die Voraussetzungen des § 859 nicht mehr gegeben. Übt der Verpflichtete dennoch erfolgreich Gewalt aus, so hat der Rechtsbesitzer gemäß § 861 II dagegen keinen Besitzschutzanspruch. Es gelten ferner die §§ 863 ff. b) In vielen Fällen wird derjenige, der eine Dienstbarkeit ausübt, Sachbesitz am dienenden Grundstück haben, sei es Mit- oder Teilbesitz. Die Voraussetzungen des Sachbesitzes regeln sich allein nach den §§ 854 ff., eine Eintragung der Dienstbarkeit ist z.B. nicht erforderlich. Der Besitzer genießt in solchen Fällen Besitzschutz sowohl als Sachbesitzer wie auch als Rechtsbesitzer33. Geht der Rechtsbesitz unter, z.B. wegen Löschung der Dienstbarkeit im Grundbuch oder wegen Fristablaufs, so kann doch der Sachbesitz bestehen bleiben. Dadurch wird die Bedeutung des Rechtsbesitzes erheblich eingeschränkt. Es ist aber nicht richtig, daß der Gesetzgeber das übersehen habe, wie Heck meint34; er hat es in Kauf genommen35.

§ 7 II

II. Rechtsbesitz an persönlichen Dienstbarkeiten Bei persönlichen Dienstbarkeiten gilt gemäß § 1090 II für den Rechtsbesitz dasselbe, was für die Grunddienstbarkeiten zutrifft. Es kann auf das oben zu I. Ausgeführte verwiesen werden. Der Rechtsbesitz steht hier immer dem zu, der als Inhaber der Dienstbarkeit eingetragen ist1.

32 33 34 35 1

So zu Recht Planck-Strecker § 1029 N. 5 b, c; Cosack-Mitteis II § 66 II; a.A. Wolff-Raiser § 24 IV 2 b; Windscheid-Kipp I 849. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 4447, 4452, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 41 f., 43 f. Heck § 16, 2. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 4457, Jakobs-Schubert, Sachenrecht II 47. Vgl. Westermann-Gursky § 27 III 2; Wolff-Raiser § 24 II Fn. 10.

257

§ 7 III

§ 7. Besitz an Rechten

III. Sonstige Fälle des Rechtsbesitzes Neben den Fällen der §§ 1029, 1090 kennt das Bundesrecht keinen Rechtsbesitz, weder bei Rechten i.S.v. § 962, noch bei Immaterialgüterrechten3 noch an Gewerbebetrieben4. Rechtsbesitz ist aber nach Landesrecht möglich bei denjenigen Materien, welche nach Art. 55 ff. EGBGB der Regelung durch Landesrecht vorbehalten sind5. Voraussetzung ist aber immer, daß das jeweilige Landesrecht einen Rechtsbesitz anerkennt; keineswegs ist ohne weiteres bei Vorbehaltsmaterien ein Rechtsbesitz anzunehmen6. So erkennt z.B. das bayerische Fischereigesetz von 1908 in Art. 16 einen Rechtsbesitz am eingetragenen Fischereirecht an; die anderen Länder kennen einen solchen Rechtsbesitz am Fischereirecht nicht. Auch am Jagdrecht gibt es keinen Rechtsbesitz, weil die entsprechenden Ländergesetze ihn nicht anerkennen7. Das gilt weiter auch vom Bergwerkseigentum, an dem ein Rechtsbesitz schon deshalb überflüssig erscheint, weil regelmäßig Sachbesitz vorliegt. Für die Annahme eines Rechtsbesitzes an Apothekerprivilegien, Fähr- und Flößereirechten8 u.s.w. besteht kein Bedürfnis.

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Vgl. oben § 7 pr. So Pawlowski, Der Rechtsbesitz im geltenden Sachen- und Immaterialgüterrecht (1961) 95 ff.; Lenz, ArchBR 33 (1909), 380 f.; a.A. J. vGierke § 13, 5. So aber J. vGierke § 13, 6. Vgl. Motive 3, 121. Vgl. OLG Hamm JW 1931, 664 bezüglich eines Kirchstuhlrechts, Art. 133 EGBGB; auch Planck-Brodmann § 854 N. 4; Lenz, ArchBR 33 (1909), 382 ff.; a.A. Wolff-Raiser § 24 VI 2. So auch RGRK-Kregel § 854 Rn. 5; RG 70, 74; BGH LM § 823 (F) Nr. 10; a.A. Wolff-Raiser § 24 VI 2; Ludewig, JW 1924, 775; Westermann-Gursky § 27 IV 2; O. vGierke § 114, 226; J. vGierke § 13, 4; Lange, GruchBeitr 69 (1928), 311 ff. Vgl. J. vGierke § 13, 3; Wolff-Raiser § 24 VI 2.

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§ 7 III

Teil 4 Eigentum an beweglichen Sachen

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§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

Literatur: Ascheuer, Annette, Der Anteil des Gesamthänders am Gesamthandsvermögen, 1992; Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand September 2002; Braun, Subjektive Rechtfertigungselemente im Zivilrecht?, NJW 1998, 941 ff.; Dreier, Horst, Hrsg., Grundgesetz, Kommentar, 1996; Dürig, Das Eigentum als Menschenrecht, ZgesStW 109 (1953), 326 ff.; Gesterding, Friedrich Christian, Ausführliche Darstellung der Lehre vom Eigenthum und solchen Rechten, die ihm nahe kommen, 1817; Hagemann, Eigentum, HRG I 882 f.; Hilbrandt, Der Bruchteil bei der Bruchteilsgemeinschaft, AcP 202 (2002), 631 ff.; Joerges, Zur Lehre vom Miteigentum, ZHR 49 (1900), 140 ff.; Kanzleiter, Aufgabe des Miteigentums an einem Grundstück nach § 928 BGB?, NJW 1996, 906 ff.; Kaser, Max, Eigentum und Besitz im alten römischen Recht, 2. Auflage (1956); ders., Neue Studien zum altrömischen Recht, SZ (rom. Abt.) 68 (1951), 131 ff.; ders., Zum altgriechischen Eigentumsschutz, SZ (rom. Abt.) 64 (1947), 134 ff.; ders., Über „relatives Eigentum“ im römischen Recht, SZ (rom. Abt.) 102 (1985), 1 ff.; Lehmann, Jochen, Sachherrschaft und Sozialbindung?, 2004; Kimminich, Das Grundrecht auf Eigentum, JuS 1978, 217 ff.; Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 2002; Maurer, Hartmut, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000; Moriya, Kenichi, Savignys Gedanke im Recht des Besitzes, 2003; Pagenstecher, Ernst, Die römische Lehre vom Eigenthum in ihrer modernen Anwendbarkeit, 1857; Pleyer, Eigentum und Wirtschaftsordnung, JuS 1963, 8 ff.; Randa, Anton, Das Eigentumsrecht, 2. Aufl. 1893; Schloßmann, Über den Begriff des Eigenthums, JherJahrb 45 (1903), 289 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Auflage 2004; v. Seeler, Wilhelm, Miteigentum nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899; Sell, Karl, Römische Lehre vom dinglichen Rechte oder Sachenrechte I, 2. Aufl. 1852; Sontis, Strukturelle Betrachtungen zum Eigentumsbegriff, FS Larenz (1973), 981 ff.; Stein, Zur Wandlung des Eigentumsbegriffs, FS Gebhard Müller (1970), 503 ff.; Stödter, Rolf, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933; WeberGrellet, Die Gesamthand – ein Mysterienspiel?, AcP 182 (1982), 316 ff.; Weimar, Die Ersatzpflicht beim Angriffsnotstand gemäß § 904 Satz 2 BGB, MDR 1965, 186 ff.; Wieling, Artikel „Grundbesitz“, Reallexikon für Antike und Christentum XII (1983), Sp. 1172 – 1196; ders., The History of the Ownership of Land, in: The public Concept of Land Ownership, Reports and Discussions of a German-Korean Symposium, Hrsg. Bernd von Hoffmann/Myong-Chang Hwang (1997), 14 – 35; ders., Rez. Ascheuer, ZNR 17 (1995), 108 ff.; Wolff, Martin, Reichsverfassung und Eigentum, Festgabe W. Kahl (1923); Wilhelm, Zum Enteignungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2000, 905 ff.

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§8 I 1 a

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

I. Eigentum im sozialen Sinne Eigentum im zivilrechtlichen Sinne gibt es nur an körperlichen Gegenständen. Das entspricht der Auffassung des römischen Rechts. Dagegen geht der volkstümliche Eigentumsbegriff weiter, er umfaßt Vermögensgegenstände aller Art, so daß man etwa bei Urheber- und Erfinderrechten von „geistigem Eigentum“ sprechen kann. Dieser weite Eigentumsbegriff findet sich auch in Rechtssystemen, welche nur eine geringe wissenschaftliche und begriffliche Durchdringung erfahren haben, etwa im germanischen Recht1, aber auch im nachklassischen römischen Vulgarrecht2. Wissenschaftliche Rechtssysteme, welche den weiten Eigentumsbegriff beibehalten haben3, haben neben dem weiteren einen engeren Eigentumsbegriff entwickeln müssen, da die sachenrechtlichen Regeln – etwa über die Übertragung des Eigentums – nur auf das Eigentum im engeren Sinne anwendbar sind4.

1. Garantie des Eigentums Die gesamte Rechtsordnung hat das eine Ziel, die Würde des Menschen zu schützen und ihm die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu garantieren. Menschliche Selbstverwirklichung ist nicht möglich ohne einen Lebensraum und ohne Dinge, über welche der Mensch frei bestimmen kann: Eigentum ist nichts anderes als die menschliche Freiheit bezogen auf eine Sache; Eigentumsschutz ist Persönlichkeitsschutz5. Nur wenigen ist es gegeben, ihr Lebensziel in asketischer Weltverleugnung zu finden. Daher hat es in allen Gesellschaften Privateigentum gegeben. a) Frühe Rechtsordnungen haben regelmäßig eine Bindung des Grundeigentums an die Sippe, während bewegliche Sachen im Eigentum des einzelnen stehen. Da der einzelne völlig in seiner Sippe aufgeht, bedeutet das Sippeneigentum jedoch keine Beschränkung der Freiheit. Sobald der einzelne sich von seinem Verband löst und als Individuum empfindet, entsteht Familien-, dann Einzeleigentum. Für die Römer gehört das Einzeleigentum (dominia distincta) zu den Erscheinungen, die man bei allen Völkern findet: zum ius gentium6. Auch das frühe Christentum bekämpft keineswegs das 1 2 3

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Vgl. O. vGierke II § 120 II; Hagemann, HRG I 882 f.; Johow, Begründung 490. Vgl. Kaser II § 238. Vgl. etwa ABGB § 353: „Alles, was jemandem zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigentum.“ Auch Art. 14 GG hat diesen weiten Eigentumsbegriff übernommen, weswegen das Bundesverfassungsgericht das Wohnrecht des Mieters als „Eigentum“ bezeichnen konnte, vgl. unten Fn. 47. Vgl. Randa, Eigentumsrecht 8 f. Vgl. BVerfGE 24, 389; 31, 239; BGH 6, 276; Dürig, ZgesStW 109 (1953), 326 ff.; SchwabPrütting Rn. 303; Wolff-Raiser § 51 I; Westermann (5. Aufl. 1969) § 28 II 2 a; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 14 Rn. 3 d; Kimminich, JuS 1978, 219 f.; Stein, FS Müller 518. Vgl. Hermogenian D 1, 1, 5: Ex hoc iure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt (Durch dieses Recht der Völker ist das Kriegsrecht eingeführt worden, hat man die Völker unterschieden, Reiche geschaffen, Eigentum begründet, Äckern Grenzen gesetzt, Baugrund geschaffen, den Handelsverkehr mit Kauf, Miete und Pacht und weiteren Verträgen eingeführt; ausgenommen ist, was durch das Zivilrecht eingeführt wurde).

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§8 I 1

1. Garantie des Eigentums

§8 I 1 b

Einzeleigentum, wenn es auch seine Mitglieder anhält, Teile ihres Vermögens zur Versorgung der Armen bereitzustellen7. Nach katholischer Soziallehre sind die Dinge ursprünglich zum Gebrauch aller Menschen bestimmt. Dem stehe aber nicht entgegen, daß einzelne Eigentum an bestimmten Sachen erwerben, ja eine solche Verteilung der Güter empfehle sich sogar aus verschiedenen Gründen8. Das private Eigentum gründe sich im Naturrecht9. In Notlagen erscheine jedoch wieder die ursprüngliche Bestimmung der Sachen, allen Menschen zu dienen. Der Eigentümer sei gehalten, die Sachen nicht zum Nachteil anderer zu gebrauchen und sie in der Not dem Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Auch das Vernunftrecht erkennt das Privateigentum an: Das ursprüngliche Gebrauchsrecht aller an allen Sachen sei durch den Gesellschaftsvertrag dahin abgewandelt worden, daß jedem die Sachen gehörten, die er besitze bzw. noch okkupiere10. Das sei zu dem Zweck geschehen, Streitigkeiten um die Dinge zu vermeiden. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und der Liberalismus des 19. Jahrhunderts suchen mit der Lehre von den iura quaesita das Eigentum zu festigen11 und von allen Bindungen zu befreien. Verfassungsrechtlichen Schutz erlangte das Eigentum zuerst in mehreren Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts, dann in Art. 153 WRV. Heute ist das Eigentum § 8 I 1 (im weiteren Sinne) gemäß Art. 14 I 1 GG geschützt12. b) Die Lehre, daß das Privateigentum schädlich sei und daß es daher nur Gemeinschaftseigentum (Staatseigentum) geben dürfe, ist seit dem Altertum immer wieder gelegentlich vertreten worden, meist in Staatsutopien. So haben etwa die Wächter in Platons Politeia kein Privateigentum, sondern nur gemeinschaftlichen Besitz (einschließlich der Frauen). Auch die Utopien des Thomas Morus (Utopia) und des Campanella (Sonnenstaat) propagieren das Gemeinschaftseigentum. Der zuerst im 18. Jahrhundert in Frankreich auftretende Frühsozialismus, der häufig ebenfalls utopische Züge trägt, verwirft das Einzeleigentum zumindest an den Produktionsmitteln, welche im staatlichen Eigentum stehen sollen. Der von Marx begründete „wissenschaftliche Sozialismus“ wartete gleichfalls mit einer Utopie auf: Er versprach in einer fernen Zukunft eine paradiesische Gesellschaft, in welcher weder eine Rechtsordnung noch Eigentum erforderlich sein sollten. Das nächste Ziel war die – entschädigungslose – Überführung der Produktionsmittel in Staatseigentum. Die Produktion sollte gemäß ei7 8

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Man kann also höchstens von einem freiwilligen Teilkommunismus sprechen. Weil etwa die Menschen sich mehr Mühe gäben zu arbeiten, wenn die Arbeitsprodukte ihnen gehörten; andernfalls würde jeder die Arbeit gern dem anderen überlassen. Sodann würden die menschlichen Angelegenheiten besser verwaltet, wenn jeder für sich selbst sorge, als wenn jeder für alles Mögliche zu sorgen habe. Schließlich sei auch der Friede besser gewahrt, wenn jeder mit seinen eigenen Sachen zufrieden sei; bei Gemeinschaften entstünden häufig Streitigkeiten; vgl. dazu Thomas v. Aquin, Summa theologica 2, 2 qu. 66 art. 2. Vgl. etwa Fellermeier, Lexikon für Theologie und Kirche III (1959) s. v. Eigentum, Sp. 738 f. Ähnlich die evangelische Auffassung, vgl. Fahlbusch, Evangelisches Kirchenlexikon I (1956) s. v. Eigentum, 1036 ff. Vgl. Grotius, De iure belli ac pacis II 2, 1 und 5; Pufendorf, De iure naturae et gentium IV 4, 6. Vgl. dazu unten bei Fn. 40. Darüber hinaus ist die Garantie des Eigentums vorstaatliches Recht, vgl. Dürig, ZgesStW 109 (1953), 326 ff. Zur Geschichte der Eigentumsgarantie vgl. auch Berg, Entwicklung und Grundstrukturen der Eigentumsgarantie, JuS 2005, 961 ff.

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§8 I 2

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

nem staatlichen Plan geschehen, der einer privaten Initiative keine Möglichkeiten einräumte. Soweit das private Eigentum anerkannt war, diente es nur dem persönlichen Gebrauch des Eigentümers; zum Erwerb, z.B. durch Vermieten oder Veräußern, durfte es nur ganz beschränkt genutzt werden13. c) Der Zweck des Staates ist es, seinen Bürgern die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen. Ein System, das seinen Bürgern zwangsweise das Privateigentum vorenthält, ist die Perversion eines Staates. Der Staat ist zum Selbstzweck geworden, zu einem Moloch, der seine Untertanen ausbeutet und an der Entfaltung hindert. Einen solchen Staat kann sich nur wünschen, wer in menschenverachtender Anbetung einer Staatstheorie das Funktionieren eines Systems für wichtiger hält als den Menschen; oder aber wer sich persönliche Vorteile erhofft in der Erwartung, in einem solchen Zwangsstaat Zugang zu den herrschenden Machtpositionen zu erlangen. Was die wirtschaftliche Seite des Staatseigentums betrifft, so hat bereits Aristoteles14 richtig die Gefahren erkannt: Was dem Staat gehört, gehört nicht etwa allen, sondern keinem. Der Bürger hat zum Staatseigentum nicht die Beziehung wie zu einer Sache, die ihm gehört; alle Bürger behandeln es wie Sachen, die ihnen nicht gehören. Jeder will diese Sachen für sich nutzen, aber keiner fühlt sich für sie verantwortlich; niemand schont sie wie eigene Sachen. Dagegen freut sich jeder der eigenen Dinge und schont sie nach Möglichkeit, was auch im Interesse der Allgemeinheit liegt. Daß diese Überlegungen zutreffen, zeigen die großen Schäden, die mutwillig und sinnlos den öffentlichen Einrichtungen immer wieder zugefügt werden. Das Grundgesetz geht von demokratischen Grundsätzen aus. Es garantiert daher die Freiheit seiner Bürger und schützt ihre Persönlichkeit und ihr Eigentum sowie auch das Privateigentum als Institution, Art. 14 I 1 GG.

2. Bindung des Eigentums Die Anerkennung des Privateigentums entscheidet noch nicht die Frage, wie die Interessen des Eigentümers gegen die Interessen der Allgemeinheit abgegrenzt werden sollen. Eine liberale Haltung kann dem Eigentümer eine weitgehende Freiheit geben, mit seinen Sachen nach Belieben zu verfahren; eine sozialistische Haltung kann das Eigentum im Interesse der Allgemeinheit nahezu völlig aufheben. Zwischen beiden Extremen sind vielerlei Abstufungen möglich, einen angemessenen Kompromiß zu finden, ist die Aufgabe einer verantwortungsbewußten Rechtspolitik. Die Extremformen kommen in der Praxis nicht vor. Selbst das angeblich so liberale römische Eigentum unterlag in Wirklichkeit erheblichen Beschränkungen. Aufklärung und französische Revolution haben im 19. Jahrhundert zum Liberalismus und Individualismus geführt. Die überkommenen Bindungen des Eigentums entfielen, das Eigentum wurde zum absoluten Herrschaftsrecht. Dennoch war das Eigentum zu keiner Zeit, auch nicht im Zeitalter des Liberalismus, ein unbeschränktes Recht. 13

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Vgl. zum „sozialistischen Eigentum“ insbesondere Westen-Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich (1984) 297 ff.; ferner Brunner, Georg, Einführung in das Recht der DDR (1979) 99 ff., 154 ff.; Pleyer, JuS 1963, 11; Thomson, Das persönliche Eigentum im Recht der UdSSR, in: Das Eigentum im Ostblock (1958) 53. Politik II 3 ff.

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§8 I 2

2. Bindung des Eigentums

§ 8 I 2 a, b

Schranken des Eigentums hat es immer gegeben, mögen sie auch zu verschiedenen Zeiten verschieden stark gewesen sein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Liberalismus von sozialistischen Tendenzen überlagert und abgelöst15. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 bestimmte zwar in Art. 153 I den verfassungsmäßigen Schutz des Eigentums, betonte aber in Art. 153 III die Sozialpflichtigkeit des Eigentums („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste“). Der Nationalsozialismus übersteigerte diese Tendenzen, indem er die allgemeinen Interessen zum dominierenden Wert erhob und die Belange des einzelnen vernachlässigte. Das Grundgesetz stellt in Art. 14 I 1 wieder den Schutz des Eigentums in den Vordergrund, betont aber zugleich in Art. 14 II die soziale Bindung des Eigentums: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Darüber hinaus können Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz bestimmt werden, Art. 14 I 2 GG. a) Der Gesetzgeber kann Inhalt und Schranken des Eigentums (im weiteren Sinne) bestimmen, Art. 14 I 2 GG. Das ist keineswegs eine denknotwendige Befugnis des Gesetzgebers, ohne welche der Eigentumsbegriff nicht praktikabel wäre16. Der Inhalt der Rechte ist in der Tradition des Zivilrechts festgelegt, es bedarf keiner gesetzlichen Bestimmung, um die Befugnisse eines Eigentümers, Nießbrauchers, Forderungsinhabers festzulegen. Im Gegensatz zum Wortlaut des Art. 14 I 2 GG kann die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nicht unbegrenzt sein, da sonst der in Satz 1 garantierte Eigentumsschutz illusorisch wäre. Der Gesetzgeber ist an den verfassungsmäßigen Schutz des Eigentums gebunden sowie an die Beachtung der sonstigen Verfassungsnormen (Art. 2, 3, 20 I u.s.w.)17. Den Wesensgehalt des Eigentums darf er nicht antasten, Art. 19 II. Ein hiergegen verstoßendes Gesetz ist verfassungswidrig, es kann nicht in ein Enteignungsgesetz umgedeutet werden18. Die Grenze zwischen zulässiger Inhaltsbestimmung und Antastung des Wesensgehalts ist nicht absolut bestimmbar, sie hängt ab von den jeweiligen sozialen Verhältnissen der Gesellschaft. Eine Beschränkung erworbener Rechte darf aber jedenfalls nur dann erfolgen, wenn die dadurch verfolgten öffentlichen Interessen gegenüber dem betroffenen Einzelinteresse höherrangig sind19. § 8 I 2 b) Das Eigentum (im weiteren Sinne), wie es inhaltlich durch die Gesetze bestimmt wird, unterliegt weiterhin einer Beschränkung durch die Sozialbindung, Art. 14 II GG. Das bedeutet, daß der Eigentümer sich ohne Entschädigung Beschränkungen gefallen lassen muß. Die Sozialbindung kann durch ein Gesetz erfolgen, sie besteht aber auch ohne gesetzliche Konkretisierung unmittelbar aufgrund des Art. 14 II20; in diesen Fällen erfolgt die Konkretisierung der Sozialbindung durch die Gerichte. Die Sozialbin15 16 17 18

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Vgl. etwa O. vGierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, in: Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Hrsg. Erik Wolf (1948), 478 ff. So aber z.B. Forsthoff § 81, 340. Vgl. BVerfGE 14, 277 f.; Maunz-Dürig-Papier Art. 14 Rn. 27 f. Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 14 Rn. 6 a. Die Möglichkeit der Enteignung gemäß Art. 14 III widerspricht nicht dem Schutz durch Art. 19 II, die Eigentumsgarantie wandelt sich infolge der Entschädigungspflicht in eine Eigentumswertgarantie um, vgl. BVerfGE 35, 361. BVerwGE 7, 299. Vgl. BVerfGE 20, 351 ff., 361; Kimminich im Bonner Kommentar Art. 14 Rn. 154, 175; anders Maunz-Dürig-Papier Art. 14 Rn. 306.

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§ 8 I 2 b cc

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

dung kann sich negativ dahin äußern, daß dem Eigentümer gewisse Befugnisse nicht zustehen; sie kann sich positiv dahin äußern, daß dem Eigentümer ein gewisses Verhalten vorgeschrieben wird (etwa Anbauungspflichten bei Grundstücken). Auch die Sozialbindung darf freilich nicht den Wesensgehalt des Eigentums tangieren21, dem Eigentümer nicht übermäßige Beschränkungen auferlegen. Sie darf ferner nicht weitergehen, als es der Schutz des Gemeinwohls dringend erfordert22. Die Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Sozialbindung und entschädigungspflichtiger Enteignung ist schwierig und umstritten23. Der Umfang der Sozialbindung variiert nach jeweiligen sozialen Verhältnissen. So ist die Sozialbindung unter der Geltung des Grundgesetzes stärker als unter der Weimarer Verfassung, wegen der verfassungsmäßigen Entscheidung in Art. 20 I GG zugunsten des Sozialstaatsprinzips. aa) Der Bundesgerichtshof übernimmt die Rechtsprechung des Reichsgerichts und benutzt zur Abgrenzung die Lehre vom Sonderopfer (Einzeleingriff). Es handelt sich um ein formales Abgrenzungskriterium, das auf den Gleichheitssatz zurückgeht: Eine Enteignung liegt danach immer vor, wenn der Eingriff „die betroffenen einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu anderen ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt“24. Solch formale Kriterien sind indessen nicht geeignet, die Frage zu entscheiden, ob dem Eigentümer eine Entschädigung zusteht25. Nicht jedes kleine, zumutbare Opfer kann zur Entschädigung verpflichten; andererseits kann auch eine allgemeine Maßnahme so schwerwiegend sein, daß sie nicht mehr als eine Konkretisierung der Sozialbindung an- § 8 I 2 gesehen werden kann. cc bb) Die Abgrenzung zwischen Enteignung und Sozialbindung kann nur an Hand materieller Kriterien erfolgen26. Entsprechend sieht das Bundesverwaltungsgericht das entscheidende Abgrenzungsmerkmal in Schwere und Tragweite des Eingriffs27, wobei objektive, allgemein verwertbare Kriterien der Abgrenzung freilich noch nicht festgestellt werden konnten. Die Gerichte verweisen meist darauf, daß die Grenzziehung von den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles abhänge28, was freilich das Eingeständnis völliger Hilflosigkeit ist, wenn nicht zumindest gewisse Entscheidungsprinzipien aufgezeigt werden. Ein völliger Entzug eines Rechts stellt aber in jedem Fall eine Enteignung dar. cc) Einen wieder anderen Enteignungsbegriff hat das Bundesverfassungsgericht mit dem „Naßauskiesungsbeschluß“29 entwickelt. Danach sei Enteignung nicht eine 21 22 23 24 25 26

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BGH 43, 205. BGH 43, 206. Vgl. etwa das „Birzberg-Urteil“ des BGH, NJW 1993, 2095 ff. und dazu die Besprechung von Burmeister-Röger, JuS 1994, 840 ff. Vgl. BGH 6, 280; auch BGH 37, 46; RG 129, 149; dazu Dreier-Wieland Art. 14 Rn. 131 ff. Vgl. Maunz-Dürig-Papier Art. 14 Rn. 363 ff. H.M., vgl. Forsthoff § 81, 341 ff.; Erman-Lorenz 8 vor § 903; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 14 Rn. 11 a. Auch der BGH, der an seiner Einzelaktstheorie festhält, verwendet im Einzelfall ebenfalls materielle Gesichtspunkte, wie etwa die „Schwere des Eingriffs“, BGH 8, 276; 50, 98; „Situationsgebundenheit“, BGH 30, 343; „geschichtliche Lage“, BGH 43, 206. BVerwGE 5, 145; 36, 251. Vgl. etwa BGH 8, 276; 30, 343 f. (Situationsgebundenheit). BVerfG 58, 300 ff.; dazu Pieroth-Schlink, Grundrechte, 21. Aufl. 2005 Rn. 922 ff.; H. P. Westermann Rn. 50 ff.; Wilhelm, JZ 2000, 905 ff.

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2. Bindung des Eigentums

§8 I 2 c

gleichheitswidrige oder besonders schwere Inhalts- und Schrankenbestimmung; eine Enteignung könne man nur beim (völligen oder teilweisen) Entzug einer vermögenswerten Rechtsposition annehmen. Eine noch so schwerwiegende Beschränkung des Eigentums sei danach keine Enteignung. Konsequenzen hat diese Ansicht insbesondere für die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen: Bisher konnte der Bürger darauf verzichten, gegen eine rechtswidrige Inhaltsbestimmung des Eigentums vorzugehen, und statt dessen eine im Gesetz nicht vorgesehene Entschädigung verlangen. Gemäß der Abgrenzung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet eine rechtswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung dagegen keine Enteignung, so daß kein Anspruch auf eine Enteignungsentschädigung besteht. Der Betroffene muß sich vielmehr gegen die belastende Maßnahme selbst zur Wehr setzen. Tut er dies nicht, so kann seine Entschädigungsklage keinen Erfolg mehr haben. Es besteht kein Wahlrecht mehr zwischen Anfechtung und Entschädigung30. Die Situation des Bürgers hat sich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erheblich verschlechtert31 und zugleich die der öffentlichen Hand verbessert. dd) Da nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Inhaltsbeschränkungen des Eigentums nie Enteignungen sind, können sich aus ihnen auch eigentlich keine Ansprüche wegen enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs entsprechend Art. 14 III 2 GG herleiten32, falls man dieser Ansicht folgen will. Der BGH hat jedoch seine Rechtsprechung über den enteignenden und enteignungsgleichen Eingriff mit guten Gründen fortgesetzt33, wobei er jetzt vom „Sonderopfer“ spricht34 und den Entschädigungsanspruch statt auf Art. 14 III GG auf §§ 74, 75 Einl. ALR stützt35. Es soll allerdings ein Mitverschulden des Betroffenen vorliegen, wenn er nicht die möglichen Rechtsmittel gegen die belastende Inhaltsbestimmung des Eigentums einlegt36; § 254 soll dann anwendbar sein. Dabei sollte aber allerdings beachtet werden, daß das Verschulden der Behörde, die ein Unrecht begeht, erheblich höher einzustufen ist als das des Bürgers, der sich nicht dagegen wehrt37. §8 I 2 c) Die Enteignung ist bereits dem römischen Recht bekannt, sie bedeutet eine Entziehung des Eigentums aus öffentlichen Interessen gegen Entschädigung38. Sie wird in 30 31 32 33

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Vgl. Maurer § 26 Rn. 29; Baur-Stürner § 13 Rn. 22, 25. Vgl. Baur-Stürner § 13 Rn. 25. Vgl. dazu Maurer § 26 Rn. 28 ff.; Papier, JuS 1989, 633 ff. Er kann sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht berufen, die einen Tag vor dem „Naßauskiesungsbeschluß“ ergangen ist, BVerfG 58, 137 ff. Darin wird die Ansicht vertreten, eine unverhältnismäßige Inhaltsbestimmung des Eigentums könne durch die Zuerkennung eines Geldausgleichs rechtmäßig werden. Dieser Geldausgleich ist im Ergebnis nichts anderes als der frühere Anspruch wegen enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs. BGH 90, 29 ff.; 91, 26 ff.; BGH NJW 1988, 478; vgl. auch Papier, JuS 1989, 635 f.; Dreier-Wieland Art. 14 Rn. 136. Vgl. unten Fn. 40 f. Maurer § 26 Rn. 71. Vgl. Maurer a.a.O.; Baur-Stürner § 13 Rn. 22. Vgl. Pennitz, Martin, Der „Enteignungsfall“ im römischen Recht der Republik und des Prinzipats, 1991; ders., Die Enteignungsproblematik im römischen Recht von der Zeit der Republik bis zu Justinian, in: Recueils de la Société Jean Bodin LCVI (Brüssel 1999), I 55 – 114; Kaser II § 241 II 3.

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§8 I 2 c

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

dieser Form von den mittelalterlichen Juristen übernommen39. Eine neue Lehre von der Enteignung entwickelt sich im Vernunftrecht: Im Gesellschaftsvertrag überträgt das Volk hoheitliche Befugnisse auf den Landesherrn, soweit dies zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt erforderlich ist (ius politiae). Diesem ius politiae unterliegen vorstaatliche Rechte nicht, d.h. der Landesherr kann nicht auf solche Rechte der Untertanen zugreifen, welche schon vor dem Gesellschaftsvertrag bestanden und welche im Gesellschaftsvertrag nicht auf den Landesherrn übertragen wurden. Zu diesen vorbehaltenen Rechten gehören einmal die Persönlichkeitsrechte, sodann aber auch das Eigentum und sonstige, aufgrund eines speziellen Rechtstitels (Vertrag, Erbschaft, Okkupation u.s.w.) erworbene Rechte (iura quaesita). Das Eigentum unterliegt nicht dem 40 staatlichen Zugriff . Die weitere Entwicklung führt zu einer Verstärkung der Staatsmacht. Man kommt zu der Erkenntnis, daß ius politiae und ius quaesitum sich nicht gleichwertig gegenüberstehen können. Das Recht des Landesherrn steht diesem nicht für sich zu, sondern im Interesse des gesamten Gemeinwesens; es muß daher stärker sein als das ius quaesitum des einzelnen. Man postuliert daher ein ius eminens des Lan- § 8 I 2 desherrn, welches die iura quaesita durchbricht41. Einen letzten Schutz gewährt das ius quaesitum dem Inhaber, wenn es dem ius eminens weichen muß: Es muß eine Entschädigung geleistet werden. Zwar kann der Untertan gegen das ius eminens nichts ausrichten, doch erreicht man mit der „Fiskustheorie“ eine Sicherung des Entschädigungsanspruchs. Der Fiskus ist das zweite, privatrechtliche Ich des Staates. Gegen die Enteignung kann der Untertan sich nicht wehren, er kann aber vom Fiskus Ersatz verlangen und diesen vor Gericht ziehen („dulde und liquidiere“)42. Eine Ausnahme von der Entschädigungspflicht bringt eine preußische Kabinettsorder von 1831: Soweit ein Eingriff in das Eigentum durch ein Gesetz selbst erfolgt, ist eine Entschädigung in das Belieben des Gesetzgebers gestellt. Enteignungen durch Gesetz können also entschädigungslos erfolgen, Enteignungen durch Verwaltungsakt müssen entschädigt werden. Hierin liegt der geschichtliche Grund für die Einzelaktstheorie des Reichsgerichts43 sowie für den „klassischen Enteignungsbegriff“, wonach eine Enteignung nur durch Verwaltungsakt erfolgen kann. Die Länderverfassungen des 19. Jahrhunderts übernehmen das Eigentum in den Kreis der geschützten Grundrechte44, die Weimarer Reichsverfassung von 1919 schützt das Eigentum in Art. 153. Unter „Eigentum“ verstand man bis dahin das Eigentum im privatrechtlichen Sinn, Enteignung bedeutete die entschädigungspflichtige Übertragung von Grundeigentum durch Verwaltungsakt, aufgrund eines Gesetzes, an ein im öffentlichen Interesse liegendes Unternehmen (klassischer Enteignungsbegriff). Art. 153 II 2 WRV ließ eine entschädigungslose Enteignung zu. Aufgrund eines 39 40 41

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43 44

Vgl. Wesenberg-Wesener 44 f. Vgl. Stödter 52 ff. Stödter 59 ff.; vgl. ALR Einleitung § 74: „Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staates müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen“. Vgl. ALR Einleitung § 75: „Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten“. Vgl. oben b. Nach dem Vorbild der Déclaration des droits de l`homme et du citoyen, 1789.

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2. Bindung des Eigentums

§8 I 2 c

Vorschlags von Martin Wolff 45, dem die Rechtsprechung folgte46, wurde der Eigentumsschutz auf alle vermögenswerten Rechte ausgedehnt, es entstand der weite Eigentumsbegriff47. Der Enteignungsbegriff wurde in mehrfacher Hinsicht erweitert. Die Enteignung betrifft nicht mehr nur das Grundeigentum, sondern alle vermögenswerten Rechte. Eine Übertragung des Rechts wird nicht mehr verlangt, es reicht eine bloße Beschränkung des Rechts aus48; das löst die Abgrenzungsschwierigkeiten zur Sozialbindung aus49. Schließlich läßt man auch die Enteignung durch ein Gesetz selbst zu50. Heute ist die Enteignung in Art. 14 III GG geregelt. Sie ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig, nicht etwa aus fiskalischen oder sonstigen privaten Gründen. Sie darf nur erfolgen, wenn sie im öffentlichen Interesse notwendig ist und der gleiche Zweck nicht anders erreicht werden kann. Die Enteignung kann nur durch Gesetz erfolgen (Legalenteignung) oder durch Verwaltungsakt aufgrund eines Gesetzes (Administrativenteignung)51. Das Gesetz muß die Entschädigung regeln (Junktimklausel), eine entschädigungslose Enteignung ist nicht mehr zulässig52. Ist die Entschädigung nicht geregelt, so ist das Gesetz verfassungswidrig; die Gerichte dürfen nicht etwa aus eigener Entscheidung eine Entschädigung zubilligen und das Gesetz als verfassungsmäßig behandeln53. Der weite Enteignungsbegriff, wie er unter der Weimarer Verfassung entstanden war, ist heute im Verfassungsrecht wieder anerkannt. Die vom Gesetz festzulegende Entschädigung „ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“, Art. 14 III 3 GG. Auszugehen ist vom gemeinen Wert (Marktwert) der Sache. Wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, ist dieser Wert zu ersetzen, nicht aber voller Schadensersatz zu leisten54. Die frühere Rechtsprechung des BGH beschränkte die Entschädigung auf diesen Wertersatz und wollte Folgelasten der Enteignung nicht berücksichtigen55. Das ist zu Recht aufgegeben, die neuere Rechtsprechung berücksichtigt auch „unmittelbare und erzwungene Folgen der Enteignung“56. Exakte Abgrenzungskriterien haben sich je-

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M. Wolff, FG Kahl (1923), 20 ff.; jedoch findet sich der Gegensatz des engen und weiten Eigentumsbegriffs schon 1903 bei Schloßmann, JherJahrb 45 (1903), 296. Vgl. etwa RG 109, 320; 111, 224 ff. und 320 ff. Er umfaßt nach BVerfG NJW 1993, 2035 ff. auch den Anspruch des Mieters auf Überlassung der Wohnung; eine Entscheidung, welche Roellecke, Mietwohnungsbesitz als Eigentum, JZ 1995, 74 ff. als nicht sozial, sondern sozialistisch bezeichnet, als „Robin-HoodPhilosophie“. Abgewogener die Beurteilung bei Ruffert 366 ff., der aber auch auf die zivilrechtlichen Defizite der Entscheidung hinweist. Vgl. auch die ausführliche Analyse des Urteils bei Sosnitza 128 ff. Vgl. RG 116, 272; 128, 18 ff. Vgl. oben b. Vgl. RG 103, 200 ff.; 107, 216 ff.; 109, 317 f.; 111, 325; 129, 148 f. Dreier-Wieland Art. 14 Rn. 69 ff., 84 ff. Dreier-Wieland Art. 14 Rn. 100 ff. BVerfGE 4, 235 f.; 46, 285. BGH 39, 200; 57, 368; 59, 258; 67, 192. Vgl. BGH 30, 351; 41, 354 ff. (kein Ersatz der Beschaffungskosten für ein neues Grundstück). BGH 55, 296.

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§ 8 II 1 a

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

doch noch nicht herausgebildet57. Die Entschädigung kann ausnahmsweise unter dem gemeinen Wert liegen, wenn besondere Gründe im Einzelfall dies als erforderlich erscheinen lassen58. Über die Höhe der Entschädigung steht der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen, Art. 14 III 4 GG. Sozialbindung und Enteignung sind bei beweglichen Sachen in normalen Zeiten von geringer Bedeutung, der Staat verschafft sie sich mit Steuermitteln auf dem Markt. In Betracht kommen Beschränkungen bei kulturell wichtigen Sachen. So ist eine Enteignung an archäologischen Funden denkbar59, bei wichtigen Kulturgütern können Ausfuhrbeschränkungen errichtet werden60. In Krisenfällen können für Verbrauchsund Gebrauchsgüter zum Zweck der Rationierung Ablieferungspflichten begründet werden, nach dem Bundesleistungsgesetz können im Krisenfall Sachen, etwa Kraftfahrzeuge, gegen Entschädigung „angefordert“ werden.

II. Eigentum im zivilrechtlichen Sinne 1. Begriff und Geschichte a) Eigentum im heutigen Sinne begegnet uns in der Geschichte1 zum ersten Male im Rom des 2. Jahrhunderts v. Chr. Ob man die davor existierenden Rechtsgebilde „Eigentum“ nennen will, ist eine Definitionsfrage; jedenfalls sind sie vom heutigen Eigentumsbegriff erheblich unterschieden. Individualeigentum hat sich zuerst entwickelt an beweglichen Sachen, während das Land als Kollektiveigentum dem okkupierenden Verband zufiel. Bei Mobilien fällt das Recht zum Besitz zunächst mit dem Besitz zusammen: Wer die Sache hat, dem ist sie zugeordnet2. Einen Namen hat das Recht zum Besitz noch nicht, die Römer umschreiben den Sachbesitz und das damit verbundene Recht mit dem Ausdruck „meum esse“, mein sein, mir gehören. Es handelt sich dabei noch um ein völlig undifferenziertes 57

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2

Gewährt wurde Entschädigung für die Kosten der Verlegung des Betriebes auf ein neues Grundstück, BGH 55, 294 ff.; für Umzugskosten in das neue Wohnhaus, BGH NJW 1963, 1925; für den Wertverlust des Restgrundstücks bei der Enteignung eines Grundstücksteils, BGH 61, 253; für Kosten eines Rechtsvertreters im Enteignungsverfahren, BGH 63, 83. BGH 6, 293; BVerfGE 24, 421. Vgl. etwa BVerwGE 21, 191 ff.; vgl. unten § 11 VI 4. Vgl. das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, unten § 12 XI 2. Zur Geschichte des Eigentumsbegriffs vgl. auch Lehmann, Sachherrschaft; Olzen, Die geschichtliche Entwicklung des zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs, JuS 1984, 328 ff.; Mayer-Maly, Eigentumsverständnis der Gegenwart und Rechtsgeschichte, FS Heinz Hübner (1984), 273 ff.; Wieling, Reallexikon für Antike und Christentum XII (1983), Sp. 1172 – 1196; ders., The public Concept of Land Ownership, 14 – 35. Vgl. Kaser I § 32 I und SZ 68 (1951), 131 ff.; auch Paulus D 41, 2, 1, 1: Dominiumque rerum ex naturali possessione coepisse Nerva filius ait eiusque rei vestigium remanere in his, quae terra, mari caeloque capiuntur: nam haec protinus eorum fiunt, qui primi possessionem eorum adprehenderint … (Nerva der Jüngere sagt, das Eigentum an Sachen sei aus dem Besitz entstanden und eine Spur davon habe sich erhalten bei den Tieren, die auf dem Land, im Meer oder in der Luft gefangen werden; denn die gehörten ohne weiteres dem, der sie als erster in seinen Besitz bringe …).

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§ 8 II 1

1. Begriff und Geschichte

§ 8 II 1 a

Recht, aus dem sich erst später die verschiedenen Sachenrechte entwickelten. Es handelt sich darüber hinaus um ein allgemeines Herrschaftsrecht, ein absolutes Recht an Sachen und Personen. Wer mit einer Sache nach Belieben verfahren durfte, konnte ein „meum esse“ behaupten, ebenso wer das Recht hatte, über ein Grundstück zu gehen oder zu fahren. Wer die personenrechtliche Gewalt über seine Ehefrau oder über seine Kinder geltend machen wollte, konnte sich ebenso auf ein „meum esse“ berufen. Schon auf einer frühen Entwicklungsstufe muß man das Bedürfnis empfunden haben, dem Berechtigten, dem seine Sache geraubt oder gestohlen wurde, eine Möglichkeit zur Rückgewinnung zu gewähren. Hier kommt es zum ersten Male zu einer Sachverfolgung, die in einem Verfahren wegen Diebstahls besteht. Mit ritualisierten Handlungen (quaestio lance et licio, Haussuchung, Spurfolge, Anefang) wird die Sache aufgespürt, der Täter wird als Dieb bestraft, die Sache dem Bestohlenen zurückgegeben3. In der Diebstahlsverfolgung zeigt sich der erste rudimentäre Ansatz eines Eigentums: Die Sache ist dem Besitzer so zugeordnet, daß er sie im Falle des Diebstahls vom § 8 II 1 Dieb zurückverlangen kann. Nun muß nicht jeder, der eine gestohlene Sache besitzt, ein Dieb sein. Frühe Rechtsordnungen neigen jedoch dazu, Sachverhalte formal zu beurteilen, und so darf man annehmen, daß man ursprünglich den Besitzer einer gestohlenen Sache ohne weiteres als Dieb behandelt hat4. Später gestattet man dem Besitzer den Nachweis, daß er die Sache nicht deliktisch, sondern gutgläubig erworben habe, dehnt aber die Herausgabepflicht auch auf gutgläubige Besitzer einer entzogenen Sache aus. Gelingt dem Besitzer der Nachweis, daß er beim Erwerb gutgläubig war, so ist er zwar vom Diebstahlsverdacht und von Bestrafung frei, die Sache aber muß er an den Bestohlenen herausgeben. Von dieser Deliktsverfolgung abgesehen bleibt es bei dem Grundsatz, daß dem die Sache zugeordnet ist, der sie in seiner Gewalt hat5. Der nächste Schritt in der Entwicklung des römischen Eigentumsbegriffs besteht darin, daß man eine Sachverfolgung auch ohne deliktische Besitzentziehung zuläßt. Dazu dient in Rom die dingliche Klage der legis actio sacramento in rem6, in Griechenland gab es zu diesem Zweck die Diadikasie7. Allerdings läßt man die deliktsunabhängige Sachverfolgung zunächst nur bei den wertvolleren Sachen (res mancipi, Grundstücken) zu, während es bei den restlichen Sachen (res nec mancipi) dabei bleibt, daß sie dem jeweiligen Besitzer zugeordnet sind und nur bei deliktischer Besitzentziehung verfolgt werden können. Bei den res mancipi kam es zu einem Prätendentenstreit um das Eigentum, beide Parteien behaupteten ein „meum esse“ bezüglich der Sache, der Richter sprach sie dem besser Berechtigten zu. Diese Möglichkeit, mit einem nichtdeliktischen Besitzer um das Eigentum zu streiten, stellt eine Ausnahme dar, die ihrerseits wiederum eingeschränkt wird: Die legis actio sacramento in rem kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Besitzer die Sache ein Jahr lang besitzt, bei Grundstücken beträgt die Frist zwei Jahre. 3 4 5 6 7

Das gilt für das frühe römische Recht nicht anders als für das griechische und germanische Recht, vgl. Kaser, Eigentum und Besitz 35 ff. Vgl. Kaser, SZ 68 (1951), 141 (für das römische Recht); Kaser, SZ 64 (1947), 149 (für das griechische Recht). Vgl. Kaser, SZ 68 (1951), 150; das germanische Recht hat diesen Grundsatz für fahrende Habe beibehalten, vgl. unten § 10 I. Kaser RZ § 14; ders., SZ 102 (1985), 4 ff. Kaser, SZ 64 (1947), 183 ff.

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§ 8 II 1 b

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

Der nächste Schritt der Entwicklung ging im griechischen und römischen Recht dahin, die nichtdeliktische Sachverfolgung auf alle Sachen auszudehnen. Damit war der Grundsatz, daß die Sache dem Besitzer zugeordnet ist, aufgegeben. Der Besitzer einer Sache verlor sein Recht nur, wenn er es freiwillig aufgab oder wenn ein neuer Besitzer die Sache ein bzw. zwei Jahre besessen hatte. Damit kann man unbedenklich zwar von einem „Eigentum“ sprechen, aber dieser Begriff des Eigentums ist von unserem Eigentumsbegriff noch recht weit entfernt; er ist erheblich weiter. Das wird am leichtesten klar, wenn man berücksichtigt, daß der Streit um das Eigentum ein Prätendentenstreit ist: Jede Partei behauptet, Eigentümer zu sein, der Richter muß einer Partei das Eigentum zusprechen. Das Eigentum ist also relativ8; da jeder Prätendent sein Eigentum behauptet, muß der Richter einen von ihnen als Eigentümer anerkennen. Es ist aber durchaus denkbar, daß der absolute Eigentümer (im heutigen Sinne) am Prozeß nicht beteiligt ist. Es gewinnt also der den Prozeß, der das bessere Recht an der Sache geltend machen kann. Relativer Eigentümer ist etwa ein gutgläubiger Käufer gegenüber dem, der ihm die Sache stiehlt; oder gegenüber dem, der die verlorene Sache gefunden hat; sein Besitzrecht ist ihnen gegenüber besser. Das griechische Recht blieb auf dieser Entwicklungsstufe des relativen Rechts stehen. Der letzte Entwicklungsschritt geschah in Rom im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr.: Es wurde der Begriff des absoluten Eigentums entwickelt. Eigentümer ist nur noch, wer das beste Recht an der Sache hat. Prozessual zeigt sich das darin, daß nur noch der Kläger sein Eigentum behauptet, während der Beklagte die Behauptung des Klägers lediglich bestreitet. § 8 II 1 b) Mit der Einengung des Eigentumsbegriffs auf das absolute Eigentum verlieren alle relativen Eigentümer den Schutz der rei vindicatio. Ein gewisser, wenn auch nicht vollkommener Ausgleich geschieht durch die Besitzschutzinterdikte, eine Abhilfe schafft im 1. Jh. v. Chr. der Prätor Publicius mit der actio Publiciana, dem Vorgänger unseres § 1007. In der Spätzeit des römischen Rechts geht man dazu über, bestimmte beschränkte dingliche Rechte (Erbbaurecht und Erbpachtrecht) mit einer analogen Eigentumsklage (vindicatio utilis) zu schützen. Daraus entwickelt sich im Mittelalter die Lehre vom dominium duplex: Der absolute Eigentümer wird als dominus directus angesehen, gewisse Nutzungsberechtigte erhalten das dominium utile9. Dominium utile hat etwa der Lehnsmann, der Erbpächter, der Erbbauberechtigte10. Der Eigentumsbegriff umfaßt also wieder beschränkte dingliche Rechte und geht damit auf den Stand der Periode des relativen Eigentums zurück. Trotz verschiedentlicher Angriffe war die Lehre vom doppelten Eigentum weit verbreitet, sie wurde insbesondere auf das Verhältnis der Bauern zum Grundherrn angewandt. Mit dem Absterben dieser Rechtsverhältnisse hatte es seine Aufgabe verloren. Das 19. Jahrhundert stand dem dominium duplex ablehnend gegenüber11, das BGB hat es nicht übernommen12. 8 9

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Vgl. Kaser, SZ 64 (1947), 184 (griechisches Recht); Kaser, Eigentum und Besitz 7 ff. „Utilis“ verweist also ursprünglich in der Bezeichnung „vindicatio utilis“ auf die analoge Anwendung, wird dann aber im Mittelalter in der Bezeichnung „dominium utile“ als „nützlich, brauchbar“ (Nutzungsrecht) verstanden. Vgl. Wesenberg-Wesener 43 f. Vgl. Wagner, Das geteilte Eigentum im Naturrecht und Positivismus (1938), 71 ff. Vgl. Johow, TE § 87: „Das Eigenthum an einer Sache kann mehreren Personen zu gleicher Zeit nur ungetheilt zustehen. Insbesondere findet die Theilung des Eigenthums in Oberund Nutzungseigenthum nicht statt.“ Die 1. Kommission, 3731 f. (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 448) hat das als überflüssig gestrichen.

272

1. Begriff und Geschichte

§ 8 II 1 c

c) Das römische Recht kennt keine Definition des Eigentums, dominium oder pro- § 8 II 1 prietas ist das volle Herrschaftsrecht („illibata potestas“)13 über eine Sache14. Die ersten Eigentumsdefinitionen tauchen bei den Kommentatoren auf; so definiert Bartolus das Eigentum als ius de re corporali perfecte disponendi nisi lege prohibeatur15. Daß die Rechtsordnung die Ausübung des Eigentums einschränken kann, ist schon in dieser frühen Definition gesehen. Weist das ius disponendi auf die positiven Befugnisse des Eigentümers hin, so fügt das Naturrecht dem die negativen, abwehrenden Befugnisse hinzu: proprietas includit ius alios abs ea re arcendi16. In der Folgezeit wird das Eigentum zumeist durch den Hinweis auf die positiven und negativen Befugnisse des Eigentümers definiert17. Johow übernimmt inhaltlich die Merkmale der positiven und negativen Befugnisse sowie des Vorbehalts der Rechtsordnung in seine Definition: „Der Eigenthümer hat das Recht, die Sache zu besitzen und über dieselbe mit Ausschließung Anderer zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechts durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind“18. In der ersten Kommission wurde erwogen, die Bestimmung zu streichen, da die Befugnisse des Eigentümers sich ohnehin aus den folgenden Regelungen entnehmen ließen. Man behielt aber die Bestimmung bei19. Ihr Sinn liege weniger in dem, was positiv geregelt sei, d.h. in der Angabe der positiven und negativen Befugnisse; vielmehr sei die Feststellung von Bedeutung, daß das Eigentum nicht beschränkt sei, wenn keine Beschränkung nachgewiesen werde20. Die zweite Kommission beschloß lediglich eine Neuformulierung der Vorschrift, insbesondere sollte „nach Willkür“ ersetzt werden durch „nach Belieben“; es könne sonst der Eindruck entstehen, der Eigentümer sei von allen Schranken, z.B. der der guten Sitten, befreit21. In dieser Form ging die Definition als § 903 in das BGB ein22. Ob für das Eigentum die positiven Befugnisse (mit der Sache nach Belieben zu verfahren) oder die negativen (andere von Einwirkungen auszuschließen) entscheidend seien, ist umstritten. Es wird die Ansicht vertreten, die positiven Befugnisse seien ent13 14

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Vgl. Ulpian D 1, 6, 2. „Dominium“ kann daneben eine weitere Bedeutung haben im Sinne von „Inhabung eines Vermögensrechts“, vgl. etwa Julian D 7, 6, 3 (dominium ususfructus); Marcianus D 28, 5, 49 pr. (dominium hereditatis); Julian D 7, 4, 17 (dominium proprietatis). Bartolus, D 41, 2, 17 n. 4 (Eigentum ist das Recht, über eine körperliche Sache uneingeschränkt zu disponieren, soweit es das Gesetz nicht verbietet). (Eigentum umfaßt das Recht, andere von der Sache fernzuhalten), Pufendorf, De iure naturae et gentium, lib. IV cap. V § 1. Zum Eigentumsbegriff im Naturrecht vgl. auch Moriya 59 ff. Vgl. etwa ALR I 8 § 1; ABGB § 354; Gesterding 13; Sell 17. Johow, TE § 85. Vgl. E 1 § 848. Vgl. Protokolle der 1. Kommission 3729 (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 442); auch Motive 3, 262. Protokolle der 2. Kommission 3524 f. (Mugdan 3, 578). Während Johow seine Bestimmung des Eigentums unbefangen „Definition“ nannte (vgl. Johow, Begründung 498), handelt es sich nach der Vorstellung der 1. Kommission (Protokolle 3728, Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 441 f.; Motive 3, 262) nicht um eine Definition, sondern um eine Umschreibung des Inhalts des Eigentumsrechts. Dem folgen nahezu alle Autoren, vgl. etwa Planck-Strecker 1 vor § 903; Staudinger-Seiler § 903 Rn. 1; MünchenerKSäcker § 903 Rn. 4; Baur-Stürner § 24 Rn. 1 ff.; Westermann-Westermann § 28 I 2. Zu Recht weist indessen Sontis, FS Larenz 995 darauf hin, daß die Bestimmung durchaus als Definition aufgefaßt werden kann, vgl. auch schon Schloßmann, JherJahrb 45 (1903), 313 f.

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§ 8 II 1 c

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

scheidend, da die negativen bei jedem dinglichen Recht gleichermaßen gegeben seien. Zudem sei es denkbar, daß ein Recht zwar eine umfassende Ausschließungsbefugnis gebe, ohne dem Inhaber aber eine Einwirkung auf die Sache zu erlauben23. Demgegenüber ist hervorzuheben, daß das Eigentum ohne die negativen Befugnisse nicht denkbar ist, daß die positiven Befugnisse zur Beschreibung des Eigentums nicht ausreichen. Der Eigentümer darf einen fremden Eingriff auch dann abwehren, wenn er dadurch in seinen positiven Befugnissen nicht beeinträchtigt wird. Die gegenteilige Ansicht würde zu der naturrechtlichen, im bürgerlichen Recht nicht haltbaren Ansicht führen, man dürfe auch fremde Sachen für sich benutzen, solange man die Rechte des Eigentümers nicht beeinträchtige24. Aber auch das einseitige Abstellen auf die negativen Befugnisse25 reicht nicht aus, da sich daraus nicht ergibt, wie der Rechtsinhaber mit der Sache verfahren darf, welcher Art sein Recht ist. Negative und positive Befugnisse zusammen § 8 II 1 kennzeichnen erst das Eigentum. Die in § 903 genannten negativen und positiven Befugnisse geben eine umfassende Beschreibung der Rechte des Eigentümers; sie erschöpfend aufzuzählen, ist nicht möglich26. Das Eigentum ist keine Summe verschiedener Rechte27, sondern ein einheitliches Recht28. Es ist also nicht etwa aufzufassen als eine Zusammenfassung dinglicher Rechte wie Nießbrauch, Pfandrecht u.s.w. Wer Eigentümer ist, hat zwar ein Nutzungsrecht, aber dennoch keinen Nießbrauch29. Bestellt der Eigentümer einen Nießbrauch, so überträgt er nicht etwa einen Teil des Eigentums, er begründet vielmehr ein neues, selbständiges Recht30. Das Eigentum bleibt ihm ungeschmälert, nur darf er es soweit nicht ausüben31, als das beschränkte dingliche Recht reicht. Erlischt das beschränkte dingliche Recht, so erwirbt der Eigentümer wieder die volle Verfügungsfreiheit32. 23 24 25 26 27

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Protokolle der 2. Kommission 3523 f. (Mugdan 3, 577). Vgl. etwa Grotius, De iure belli ac pacis II 2, 11 ff. So etwa Schloßmann, JherJahrb 45 (1903), 338; Windscheid-Kipp I § 167 Fn. 1 a. Der Eigentümer hat auch das Recht, die Sache zu zerstören, vgl. Hedemann § 18 II a 3; Staudinger-Seiler § 903 Rn. 10. Das gemeine Recht bemühte sich, einzelne Befugnisse des Eigentümers aufzuzählen, und unterschied zwischen Nutzungsrechten (Recht zum Fruchtziehen, Gebrauchen, Nutzen) und Proprietätsrechten (Verfügungs-, Vindikationsrecht), vgl. etwa ALR I 8 §§ 9 – 13; Gesterding 10 ff. Schon das 19. Jh. bekämpfte diese Lehre, vgl. Randa, Eigentumsrecht 6 ff.; Pagenstecher 4. Vgl. Windscheid-Kipp I § 167 Fn. 2; Endemann II § 68, 1 pr.; Wolff-Raiser § 51 II 3; Sontis, FS Larenz 993; E. Wolf § 3 A II h. Demgegenüber sieht Rittstieg, Grundgesetz und Eigentum, NJW 1982, 722 das Eigentum lediglich als Summe einzelner Rechte; das ist mit der h.M. abzulehnen. Vgl. Ulpian D 7, 6, 5 pr.: Qui habet proprietatem, uti fruendi ius separatum non habet (Wer das Eigentum hat, hat nicht ein abgesondertes Nießbrauchsrecht). Vgl. Paulus D 50, 16, 25 pr.: Recte dicimus eum fundum totum nostrum esse, etiam cum usus fructus alienus est (Zu Recht nennen wir ein Grundstück ganz das unsere, auch wenn ein anderer einen Nießbrauch daran hat). Vgl. Pagenstecher 6; Sontis, FS Larenz 993. Dieser Vorgang wird regelmäßig als „Elastizität“ oder „Expansivkraft“ bezeichnet und als ein besonderer Wesenszug des Eigentums angesehen, vgl. etwa Randa, Eigentumsrecht 2; Pagenstecher 7; Endemann II § 68, 1 b; Planck-Strecker N. 1 vor § 903. Letzteres ist nicht richtig, die „Elastizität“ kommt jedem Recht zu. Auch der Inhaber einer Forderung etwa erwirbt die volle Verfügungsfreiheit, wenn das Pfandrecht daran erlischt.

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2. Beschränkungen des Eigentums

§ 8 II 2 a, b

Eigentum ist das umfassende Recht an einer Sache33, es ist dem Begriff nach unbeschränkt, läßt aber Beschränkungen als Ausnahmen zu34. Demgegenüber ist das faktische Eigentum immer Beschränkungen unterworfen35, die tatsächliche Macht des Eigentümers wird durch die jeweilige Rechtsordnung bestimmt36. In einer liberalen Rechtsordnung können die Beschränkungen des Eigentums sich in engen Grenzen halten, in einer sozialistischen können sie so stark sein, daß sie tatsächlich keine Ausnahme mehr bilden, sondern die Regel darstellen. Trotzdem ist das Eigentum dem Begriffe nach unbeschränkt, bilden Beschränkungen die Ausnahme und müssen nachgewiesen werden. Die Freiheit des Eigentums wird vermutet37, wie die Formulierung in § 903 zeigt. Wäre es anders, so könnten wir nicht heute den gleichen Eigentumsbegriff gebrauchen wie die Römer und die Rechtsordnungen des Mittelalters und des gemeinen Rechts; es könnte keinen gemeinsamen Eigentumsbegriff für Mobilien und Grundstücke geben, wie es doch der Fall ist38. Trotz allen Wandlungen in den Rechtsordnungen hat es eine Wandlung des Eigentumsbegriffs nicht gegeben39.

§ 8 II 2 b

2. Beschränkungen des Eigentums a) Wenn auch das Eigentum dem Begriff nach unbeschränkt ist, so unterliegt es doch tatsächlich in jeder Rechtsordnung mehr oder weniger starken Begrenzungen. So ist etwa das römische Eigentum – entgegen einer oft geäußerten Ansicht – keineswegs ein unbeschränktes, pflichtenloses Recht. Die Befugnisse des Eigentümers wurden durch das ius civile (Nachbarrecht, Bindung an die Familie) und das ius publicum (Sakralrecht, Polizeirecht) erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus sorgten die überkommenen Sitten dafür, daß der Eigentümer bei der Ausübung seines Rechts nicht die öffentlichen Interessen verletzte40; der Zensor belegte jeden Verstoß gegen die mores maiorum mit empfindlichen Sanktionen. Auch heute läßt der Vorbehalt gesetzlicher Beschränkung in § 903 eine mehr oder minder starke Begrenzung der Eigentümerbefugnisse zu. b) Zivilrechtliche Eigentumsbeschränkungen ergeben sich einmal aus dem BGB (etwa §§ 226 ff.; 905 ff.), sodann auch aus dem Landesrecht (vgl. etwa die Nachbargesetze der Länder). Die Beschränkungen durch das öffentliche Recht sind vielfältig 33

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Das Eigentum als ein Recht darf nicht mit der Sache identifiziert werden; so aber Pagenstecher 4; dagegen zu Recht Randa, Eigentumsrecht 1. Dennoch wird beides häufig verwechselt, vgl. hierzu oben § 1 I 4 a.E., § 2 III 1 d. Windscheid-Kipp I § 167 Fn. 3; Randa 11; Sontis, FS Larenz 988; Staudinger-Seiler § 903 Rn. 4. Vgl. Windscheid-Kipp § 167 Fn. 3; Randa 14. Vgl. Wolff-Raiser § 51 II 2. Vgl. Randa 14; Planck-Strecker § 903 Rn. 3 a; Endemann II § 68, 1 a; Wolff-Raiser § 51 II 2; Staudinger-Seiler § 903 Rn. 4. Vgl. Randa 14; Endemann II § 68 pr.; E. Wolf § 3 A II i; Westermann-Westermann § 28 I 4. Vgl. Planck-Strecker 1 vor § 903; Sontis, FS Larenz 1001. Vgl. Gellius, Noctes Atticae 4, 12: Si quis agrum suum passus fuerat sordescere eumque indiligenter curabat ac neque purgaverat sive quis arborem suam vineamque habuerat derelectui, non id sine poena fuit, sed erat opus censorium (Wer seinen Acker verkommen ließ und ihn nicht sorgfältig bestellte und reinigte, oder wer Weingärten oder Bäume vernachlässigte, der blieb nicht ohne Strafe, und das war die Aufgabe der Zensoren).

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§ 8 II 2 c

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

(etwa durch das Baurecht, Landwirtschaftsrecht, Natur- und Umweltschutzrecht, Gesundheitsrecht u.s.w.). Mit „Rechten Dritter“ sind in § 903 alle dinglichen Rechte ge- § 8 II 2 meint41, soweit sie dem Eigentum vorgehen42. c) Gemäß den Lehren der scholastischen Philosophie kann man sich in Notlagen fremder Sachen bedienen: Nach natürlichem und göttlichem Recht sind die Dinge dazu bestimmt, den menschlichen Bedürfnissen abzuhelfen. Das menschliche Recht kann zwar ein Eigentum einzelner an den Dingen begründen, nicht aber das natürliche Recht aufheben. In der Notlage muß daher das Eigentumsrecht zurückweichen, wer sich in einer dringenden Not befindet, kann sich aller Dinge bedienen, um dieser Not abzuhelfen. Gedacht ist in erster Linie an die wirtschaftliche Not der Armen43. Das Vernunftrecht weitete diesen Gedanken auf die Fälle situationsbedingter Notlagen aus. Die Menschen, die zuerst das Eigentum vertraglich eingeführt hätten, hätten sich möglichst wenig von der allgemeinen Gleichheit entfernen wollen. In Notlagen lebe daher das alte, gemeinsame Recht auf den Gebrauch aller Dinge wieder auf44. Dabei zog man als Quellen Einzelentscheidungen des römischen Rechts heran45. Wenn z.B. bei einer Seereise der Proviant ausgeht, müsse jeder seine Vorräte zum gemeinsamen Gebrauch abgeben46. Für die Benutzung der fremden Sache muß aber Ersatz geleistet werden47. Das gemeine Zivilrecht befaßte sich kaum mit den Fragen der Notwehr und des Notstandes, man überließ das dem Strafrecht. Allenfalls die Fragen der Selbsthilfe wurden erörtert. Erst die erste und zweite Kommission des BGB befaßte sich eingehender mit dem Notstand. Im Strafrecht gab es neben der Notwehr48 den Notstand, geregelt in dem damaligen § 54 StGB, der ursprünglich als Rechtfertigungsgrund aufgefaßt wurde49. Danach war eine Handlung nicht strafbar, die zur Rettung des Täters oder eines Angehörigen aus einer unverschuldeten Gefahr für Leib oder Leben erforderlich war. Die erste BGB-Kommission fügte den jetzigen § 228 BGB hinzu: Rechtswidrig handelt nicht, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um dadurch eine durch diese Sache drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, falls der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht (defensiver Notstand)50. Das ging in mehrfacher Hinsicht über den damaligen § 54 StGB hinaus51. Der zweiten Kommission erschien aber auch diese Regelung nicht ausreichend, es müsse auch der Fall gere41

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Nicht obligatorische Rechte. Solche Rechte wirken nur mittelbar auf das Eigentum, solange der Schuldner Eigentümer ist. Das zeigt sich etwa dann, wenn jemand eine Sache verkauft hat, sie dann aber an einen Dritten übereignet. Das Eigentum des Dritten ist durch den Anspruch des Käufers nicht betroffen. Nicht z.B. das durch § 1007 geschützte dingliche Recht des Ersitzungsbesitzers. Vgl. Thomas v. Aquin, Summa theologica II 66, 7. Vgl. Grotius, De iure belli ac pacis II 2, 6. Eine Lehre vom aggressiven Notstand hat es im römischen Recht nicht gegeben. Vgl. D 14, 2, 2, 2. Grotius, De iure belli ac pacis II 2, 9. § 53 StGB a. F., jetzt § 32 StGB, übernommen in § 227 BGB. Heute ist das Problem in §§ 34 f. StGB geregelt. Vgl. Motive I 349 ff. In § 228 sind nicht nur Leib und Leben geschützt, sondern alle Rechtsgüter. Es können Rechtsgüter anderer Personen verteidigt werden, nicht nur eigene und die von Angehörigen. Die Gefahr muß nicht unverschuldet sein.

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2. Beschränkungen des Eigentums

§ 8 II 2 d aa

gelt werden, daß jemand zur Verteidigung sich fremder Sachen bediene, von welchen keine Gefahr ausgehe (aggressiver Notstand)52. Es wurde daher § 904 geschaffen, der § 8 II 2 das Abwehrrecht des Eigentümers begrenzt. aa d) § 904 gibt lediglich das Recht, fremdes Eigentum in Anspruch zu nehmen; er beschränkt das Eigentum. Diese Beschränkung ist auszudehnen auf fremde Rechte jeder Art an der Sache sowie auf den Besitz53; der Besitzer und die Inhaber von Rechten an der Sache können sich nicht auf §§ 227, 859 berufen, um eine Notstandshandlung abzuwehren. In andere Rechtsgüter als in Sachen darf dagegen nach § 904 nicht eingegriffen werden54. aa) § 904 fordert zunächst eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut. Auf die Art des angegriffenen Rechtsgutes kommt es nicht an55, es muß auch nicht ein Rechtsgut des Handelnden sein, auch fremde Rechtsgüter können verteidigt werden. Eine Gefahr ist nur gegenwärtig, wenn sie sich nicht bereits zum Schaden konkretisiert hat. Vorausgesetzt wird also ein schadendrohendes Ereignis oder ein schadendrohender Zustand, welche eine sofortige Hilfe notwendig machen56. Gefahr bedeutet aber nicht, daß ein Schaden mit Sicherheit bevorsteht; eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts reicht aus57. Andererseits muß die Notstandshandlung notwendig sein, um den Schaden abzuwehren; steht der Schadenseintritt nicht unmittelbar bevor und kann er ohne Notstandsmaßnahmen verhindert werden, so greift § 904 nicht ein. § 904 ist auch dann nicht anwendbar, wenn der Schaden zwar unmittelbar droht, aber auch mit eigenen Mitteln des Bedrohten abgewendet werden kann. Woher die Gefahr kommt, spielt keine Rolle; § 904 ist auch dann anwendbar, wenn der Bedrohte sie selbst verschuldet hat. Der Eingriff in die fremde Sache kann in der Beschädigung oder Zerstörung liegen, aber auch im bloßen Gebrauch. Er muß ein geeignetes Mittel zur Abwendung der Gefahr darstellen, da sonst der Eingriff nicht „notwendig“ wäre. Der Eingriff in die fremde Sache muß nicht vorsätzlich geschehen; Kenntnis der Notstandssituation und Verteidigungswille reichen aus58. Ob die Gefahr durch den Eingriff tatsächlich abgewendet 52 53 54

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Vgl. Protokolle der 2. Kommission 493 ff., 519 ff. (Mugdan 1, 798 ff.). Vgl. Protokolle der 2. Kommission 8522 (Mugdan 1, 804); RG 156, 190. Wird ein höherwertiges Rechtsgut auf Kosten eines geringeren gerettet, so ist das nach § 34 StGB gerechtfertigt. In einem solchen Fall sollte § 904, 2 entsprechend angewandt werden, vgl. MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 24; Canaris, Notstand und „Selbstaufopferung“ im Straßenverkehr, JZ 1963, 658. Kein geschütztes Rechtsgut ist aber ein Gewinn, der zu entgehen droht, vgl. Biermann § 904 N. 1 c; Planck-Strecker § 904 N. 2 a; Westermann (5. Aufl. 1969) § 28 III 1. Vgl. Soergel-Baur § 904 Rn. 5; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 12; MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 4. Dagegen ist nicht zu fordern, daß es sich um ein außergewöhnliches Ereignis handele, so aber RG 57, 191; RGRK-Augustin § 904 Rn. 6; dagegen zu Recht StaudingerSeiler § 904 Rn. 19; MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 4. Das gilt auch dann, wenn der Schaden nicht unmittelbar bevorsteht, wenn es aber ausgeschlossen ist, daß die Gefahr vorübergeht und ohne Notstandsmaßnahmen behoben werden kann, vgl. BGH BB 1953, 995; Soergel-Baur § 904 Rn. 5; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 16. So zutreffend Konzen, JZ 1985, 181 ff.; Jauernig § 227 Rn. 6; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 22 f.; Braun, NJW 1998, 941 ff. mit weiterer Literatur. Dagegen fordert die h.M. einen vorsätzlichen Eingriff, was weder in der Begründung noch im Ergebnis überzeugt. Einen Verteidigungswillen fordert z.B. RG 113, 302; KG in JR 1950, 345; Soergel-Baur § 904 Rn. 9; MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 7; RGRK-Augustin § 904 Rn. 5; BGH JZ 1985, 179 f.

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§ 8 II 2 d bb

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

wird, ist unerheblich. Die Gefahr muß objektiv vorliegen, ein Putativnotstand reicht für § 904 nicht aus. Schließlich verlangt § 904 eine Güterabwägung: Der drohende Schaden muß gegenüber dem Schaden aus der Notstandshandlung unverhältnismäßig groß sein. Steht ein Vermögensschaden einem Schaden an Leib, Leben oder Freiheit gegenüber, so ist dieser Schaden regelmäßig als größer anzusehen59. Bei Vermögensschäden ist eine Wertberechnung vorzunehmen60. bb) Liegen die Voraussetzungen des § 904 vor, so ist der Eingriff rechtmäßig; der Eigentümer muß ihn dulden61. Es liegt weder eine strafbare noch eine deliktische Handlung i.S.v. §§ 823 ff. vor. Dem Eigentümer steht ein Abwehrrecht gemäß §§ 227, 859 nicht zu, ein Widerstand wäre rechtswidrig; dem Eingreifenden stünde dagegen § 8 II 2 das Notwehrrecht zu, er könnte auch nach § 823 gegen den Eigentümer vorgehen62. bb Gemäß § 904, 2 ist dem duldungspflichtigen Eigentümer – oder einem sonstigen Inhaber eines Rechts an der Sache – der durch die Notstandshandlung entstehende Schaden zu ersetzen. Auf ein Verschulden kommt es nicht an, da es sich nicht um einen deliktischen Anspruch handelt, sondern um einen Aufopferungsanspruch. Daher spielt auch die Deliktsfähigkeit keine Rolle; auch der Deliktsunfähige haftet nach § 904, 2. Dem kann man nicht entgegenhalten, wer nicht für ein Delikt hafte, könne erst recht nicht für eine rechtmäßige Handlung haften. Der Eigentümer, der sich gegen eine objektiv unerlaubte Handlung des Deliktsunfähigen wehren könnte (§ 227), muß eine Notstandshandlung hinnehmen; er hat daher den Ausgleichsanspruch63. Ein Schaden ist nur zu ersetzen, soweit die Notstandshandlung für ihn kausal ist. Zu ersetzen sind alle – auch mittelbare – Schadensfolgen, soweit sie adäquat verursacht sind64. Ein hypothetischer Kausalverlauf 65 ist bei § 904, 2 zu berücksichtigen: Wäre der Schaden auch ohne die Notstandshandlung eingetreten, gibt es keinen Ersatz66. Hat der Eigentümer der angegriffenen Sache die Gefahr verschuldet, so kann er keinen 59

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Immerhin ist aber auch denkbar, daß es sich anders verhält. Eine wertvolle Sache darf nicht zerstört werden, um eine belanglose Körper- oder Freiheitsverletzung abzuwehren, vgl. Protokolle der 2. Kommission 8523 (Mugdan 1, 805); Biermann § 904 N. 1 c; PlanckStrecker § 904 N. 2 c; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 27; a.A. Kretzschmar § 904 N. 2 c. Nach MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 11 f. soll der drohende Schaden unverhältnismäßig hoch sein, wenn er mindestens 50 % über dem angerichteten liegt. Bei Tieren ist die gesetzliche Entscheidung in § 251 II 2 zu berücksichtigen. Ob sich aus § 904, 1 auch ein klagbarer Anspruch ergibt, ist umstritten. Das OLG Hamm NJW 1972, 1374 ff. hat den Anspruch bejaht, ebenso MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 14; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 32. Es handelte sich darum, daß jemand zur Ausführung von Reparaturarbeiten verlangte, über das Nachbargrundstück gehen zu dürfen. Erforderlich ist auf jeden Fall eine gegenwärtige Gefahr, OLG (Hamm) 12, 121. Der Anspruch wäre systemgerechter aus dem Nachbarverhältnis (entsprechend § 917) abzuleiten. Falls der Eingreifende den Notstand verschuldet hat, ist § 254 anzuwenden. So zutreffend Planck-Strecker § 904 N. 3 b α; RGRK-Augustin § 904 Rn. 9; StaudingerSeiler § 904 Rn. 39. Die 2. BGB-Kommission wollte Deliktsunfähige nicht nach § 904, 2 haften lassen, Protokolle der 2. Kommission 521 (Mugdan 1, 801). Das ist abzulehnen, erforderlich für § 904, 2 ist lediglich ein natürlicher Handlungswille, der eine Notstandshandlung bezweckt. RG 156, 190; BGH 36, 221. Etwa: Jemand reißt das Nachbarhaus ein, damit ein Brand nicht auf sein Haus übergreift; das Nachbarhaus wäre ohnehin abgebrannt. Vgl. OLG Stuttgart NJW 1949, 585.

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2. Beschränkungen des Eigentums

§ 8 II 2 d bb

Schadensersatz nach § 904, 2 verlangen67. Trifft sowohl den Eigentümer wie den Gefährdeten ein Verschulden, ist § 254 anwendbar. Handelt der Eingreifende als Verrichtungsgehilfe für seinen Geschäftsherrn, so haftet dieser68. Für den Fall der Nothilfe ist streitig, ob der Eigentümer den Ersatz nach § 904, 2 vom Eingreifenden oder vom Begünstigten verlangen kann. Nach h.M. ist der Handelnde ausgleichspflichtig69, wobei aber z.T. für den Fall des § 323 c StGB (Hilfspflicht) eine Ausnahme gemacht wird70. Dagegen will eine im Vordringen befindliche Ansicht immer den Begünstigten haften lassen71. Es stehen sich in erster Linie gegenüber das Interesse des Eigentümers an Schadensersatz und das Interesse des Eingrei- § 8 II 2 fenden, aus einer altruistischen Handlung keinen Schaden zu erleiden. bb § 904 bezweckt eine Schadensminderung. Ein größerer drohender Schaden des Begünstigten wird durch einen geringeren Schaden des Eigentümers abgewehrt. Diesen geringeren Schaden soll im Ergebnis der Begünstigte tragen. Gibt man dem Eigentümer einen Ersatzanspruch gegen den Handelnden, so kann dieser beim Begünstigten Regreß nehmen nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag. Gibt man dem Eigentümer einen Anspruch unmittelbar gegen den Begünstigten, so muß sich dessen Haftung doch im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag halten. Die Nothilfe ist eine Geschäftsführung, der Geschäftsherr haftet nur nach den §§ 677 ff. Eine weitergehende Haftung kann auch § 904, 2 nicht begründen. Es sind Fälle denkbar, in welchen der Begünstigte überhaupt nicht haftet72. Es ist auch denkbar, daß der Begünstigte nicht feststellbar ist. In solchen Fällen ist zu entscheiden, ob der Eigentümer oder der Handelnde den Schaden zu tragen hat. Das Ergebnis ist nicht zweifelhaft: Es war das Risiko des Handelnden, in fremdes Eigentum einzugreifen, er muß dem Eigentümer den Schaden ersetzen. Eine Haftung allein des Begünstigten kommt also auf keinen Fall in Betracht73. Das Interesse des Eigentümers geht dem des Eingreifenden vor. Andererseits gibt es Fallgestaltungen, in welchen ein Anspruch gegen den Eingreifenden nicht realisierbar sein mag, weil dieser etwa nicht auffindbar ist oder weil er zahlungsunfähig ist. Hier erfordert die Interessenlage eine direkte Haftung des Begünstigten. Richtig ist es daher, Eingreifenden und Begünstigten als Gesamtschuldner haften zu lassen.

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BGH 6, 110. RG 113, 302; BGH 6, 105 f.; BGH NJW 1952, 1211; OLG Danzig JW 1938, 1205. Vgl. Planck-Strecker § 904 N. 3 b β; Kretzschmar § 904 N. 4; Soergel-Baur § 904 Rn. 23; RGRK-Augustin § 904 Rn. 9; Schwab-Prütting Rn. 313; Lange § 9 IV 2 b; Baur-Stürner § 25 Rn. 8; E. Wolf § 3 E III d; RG 113, 301; BGH 6, 105; Weimar, MDR 1965, 187; Müller Rn. 315. So etwa Schwab-Prütting Rn. 313; dagegen Staudinger-Seufert § 904 Rn. 24; Baur-Stürner § 25 Rn. 8. Biermann § 904 N. 3; MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 16 ff.; Horn, Der Ersatzpflichtige im zivilrechtlichen Notstand, JZ 1960, 350 ff.; Kraffert, Der Ersatzpflichtige im Falle des § 904 BGB, AcP 165 (1965), 453 ff.; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht (1969) 108 ff.; Westermann-Westermann § 28 II 2 c; Staudinger-Seiler § 904 Rn. 38 f.; LG Essen MDR 1998, 1166 f.; Erman-Lorenz § 904 Rn. 8. Wenn er z.B. das bedrohte Rechtsgut aufgeben wollte und wenn die Notstandshandlung nicht zur Rettung des Rechtsguts geführt hat. So auch Palandt-Bassenge § 904 Rn. 5.

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§ 8 III 1 a

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

cc) Der Anspruch aus § 904, 2 verjährt gemäß § 195 in drei Jahren; da es sich nicht um einen deliktischen Anspruch handelt, ist § 199 II nicht anwendbar74. Im Falle des Putativnotstandes greifen die §§ 823 ff. ein, da der Eingriff nicht durch § 904 gerechtfertigt wird. Hat der Handelnde ohne Verschulden einen Notstand angenommen, so ist § 823 nicht anwendbar. Er kann aber nicht von jeder Haftung freigestellt werden, da er sogar dann gehaftet hätte, wenn er gemäß § 904, 1 rechtmäßig gehandelt hätte; § 904, 2 ist entsprechend anzuwenden75.

III. Arten des Eigentums Dem Alleineigentum einer Person steht die Möglichkeit eines in verschiedener Weise geteilten Eigentums gegenüber. Das Eigentum kann nach der Art der Berechtigung aufgeteilt sein (dominium directum – utile)1, oder es kann als relatives Eigentum mehreren Personen zustehen2. Davon soll hier nicht die Rede sein. Ein geteiltes Eigentum an den Teilen oder wesentlichen Bestandteilen einer Sache (z.B. Grundstück – Bäume) ist nicht möglich. Möglich ist es aber, daß mehrere Personen Eigentümer der ganzen Sache sind, ohne Aufteilung nach Art der Berechtigung oder nach dem Verhältnis zu anderen Personen. Diese Eigentümermehrheit kann auf verschiedene Art ausgestaltet werden, wobei die Fragen der Verfügungsmacht, des Auseinandersetzungsanspruchs sowie der faktischen Verfügungsmöglichkeit (Einstimmigkeit oder Mehrheitsprinzip) die wesentlichen Gesichtspunkte bilden.

1. Entwicklung des Gesamthands- und Bruchteilseigentums a) Das frühe römische Recht kannte in dem consortium der Miterben (ercto non cito) eine Eigentümermehrheit. Sie stellte ein personenrechtliches Verhältnis dar und konnte durch einen Verbrüderungsvertrag künstlich geschaffen werden. Alle Konsorten waren gleichberechtigt, jeder konnte allein mit Wirkung für alle anderen über die einzelnen Gegenstände verfügen3. Über Anteile an Gegenständen oder am ganzen Vermögen konnte nicht verfügt werden; jeder konnte die Teilung des Vermögens begehren, es wurde nach den Erbteilen auf die Konsorten verteilt4. Diese Art der Eigentümermehrheit entsprach weitgehend der heutigen Gesamthand. Die ercto non cito ist im klassischen Recht schnell obsolet geworden, anerkannt war nur noch die einfache Bruchteilsgemeinschaft (communio): Das Eigentum stand den Miteigentümern nach ideellen Bruchteilen zu, über diesen Bruchteil konnte jeder 74 75

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RG 167, 27; BGH 9, 209 ff. (Aufopferungsanspruch). Vgl. Staudinger-Seufert § 904 Rn. 34; MünchenerK-Säcker § 904 Rn. 25; Palandt-Bassenge § 904 Rn. 5; Wilts, Die zivilrechtliche Haftung bei strafrechtlichem Notstand, NJW 1962, 1852 (auch in NJW 1964, 708 f.); Weimar, MDR 1965, 187 f.; Enneccerus-Nipperdey II § 241 III 4 b; Hueck, Notstand gegenüber einer mitgefährdeten Sache, JherJahrb 68 (1919), 229 f.; a.A. Staudinger-Seiler § 904 Rn. 49. Vgl. dazu oben II 1 b. Vgl. oben § 1 III 5 b. Vgl. Gaius 3, 154 a, b. Kaser I § 24 III, IV.

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§ 8 III

1. Entwicklung des Gesamthands- und Bruchteilseigentums

§ 8 III 1 b

frei verfügen; über die Sache insgesamt konnten nur alle gemeinsam verfügen. Gegen faktische Maßnahmen hatte jeder ein Vetorecht (ius prohibendi), sie mußten einstimmig erfolgen5. Die Teilung konnte jederzeit verlangt werden, ein vertraglicher Aus- § 8 III schluß war unwirksam6. b) Das germanische Recht kannte sowohl ein Bruchteilseigentum als auch ein gesamthänderisch gebundenes Eigentum. Auch die deutschen Gesamthänder waren ursprünglich personenrechtlich verbunden, das besondere Merkmal der Gesamthand lag auch hier darin, daß niemand über seinen Anteil am Ganzen oder an den einzelnen Gegenständen verfügen konnte. Über die Gegenstände insgesamt konnten nur alle zusammen verfügen. Nach der Rezeption des römischen Rechts hielt sich das Gesamthandseigentum nur mühsam7. Im 17. Jh. erläuterte ein Anonymus unter dem Namen Veracius das Gesamthandseigentum dahin, daß es für die einzelnen Eigentümer keine Eigentumsquoten gebe, sondern daß jeder ganz Eigentümer der Sache sei. Er wollte damit die Unverfügbarkeit der Anteile anschaulich machen, da die Rechtsfigur des Verfügungsverbots noch nicht bekannt war. Aus diesem Bild hat man dann später die Behauptung abgeleitet, das germanische Recht kenne – im Gegensatz zum römischen8 – ein dominium plurium in solidum (ein vollständiges Eigentum mehrerer), worin man einen großen Vorzug des germanischen Rechts sah. Mystifizierungen des Wesens der Gesamthand dauern in ähnlicher Weise bis heute an9. Das ADHGB von 1861 übernahm die Gesamthand bei der offenen Handelsgesellschaft. Der erste Entwurf des BGB kannte eine Gesamthand nur im Ehegüterrecht10. Gesellschaft und Erbengemeinschaft führten zu Bruchteilseigentum11; nur bei der speziellen Form der offenen Erwerbsgesellschaft konnte die Geltung der Regeln des Handelsrechts vereinbart werden, so daß ein Gesamthandseigentum auftreten konnte12. Neben diesen Fällen konnte es kein Gesamthandseigentum geben, vgl. § 762 E 1. Der zweite Entwurf übernahm das Gesamthandsprinzip bei der Gesellschaft13 und – mit einigen Bedenken14 – auch bei der Erbengemeinschaft. Da die Erbengemeinschaft aber – anders als die anderen Gesamthandsgemeinschaften – nicht auf weiteres Fortbestehen gerichtet ist, ließ man wenigstens eine Veräußerung des Anteils an der gesamten Erbschaft zu. 5 6 7 8

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In spätklassischer oder nachklassischer Zeit genügte ein Mehrheitsbeschluß, vgl. Kaser II § 241 V 2. Kaser I § 99. O. vGierke II § 122 I. Zur Geschichte des Gesamthandseigentums vgl. Duncker, Das Gesamthandseigenthum, 1843. D 13, 6, 5, 15: ait (Celsus) duorum quidem in solidum dominium vel possessionem esse non posse: nec quemquam partis corporis dominum esse, sed totius corporis pro indiviso pro parte dominium habere (Celsus sagt, ein ungeteiltes Eigentum könne nicht zweien zustehen; es könne auch niemand Eigentümer eines Sachteils sein; vielmehr gebe es nur ein geteiltes Eigentum an einer ganzen Sache). Vgl. Ascheuer, passim, und dazu Wieling, ZNR 17 (1995), 108 – 110. E 1 §§ 1342, 1411, 1431. E 1 §§ 631, 645, 1750, 2151. E 1 § 659; vgl. Motive 2, 873. Vgl. Protokolle der 2. Kommission 2430 ff. (Mugdan 2, 988 f.). Vgl. Protokolle der 2. Kommission 8056 ff. (Mugdan 5, 495 ff.).

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§ 8 III 3 a

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

2. Gesamthandseigentum Gesamthandseigentum gibt es nur, soweit ein Gesetz dies bestimmt15; in allen übrigen Fällen ist Bruchteilseigentum gegeben, § 741. Gesetzlich angeordnet ist das Gesamthandseigentum in § 718 (Gesellschaft), § 1416 (Gütergemeinschaft), § 2032 (Erbengemeinschaft), § 105 II HGB (offene Handelsgesellschaft), § 161 I HGB (Kommanditgesellschaft); technischer Ausdruck ist die Formulierung „gemeinschaftliches Vermögen“. Typisch ist in allen Fällen, daß der Gesamthänder weder über seine Anteile am ganzen Vermögen noch über seine Anteile an einzelnen Gegenständen verfügen kann16, vgl. §§ 719 I, 1419 I, 2033 II; ausnahmsweise kann aber ein Miterbe über seinen Anteil am ganzen Nachlaß verfügen, § 2033 I. Dagegen kann über jeden Einzelgegenstand insgesamt verfügt werden; ob dazu alle mitwirken müssen oder ob ein einzelner Verfügungsmacht hat, hängt von dem jeweiligen Gesamthandsverhältnis ab17.

3. Bruchteilseigentum a) Die Bruchteilsgemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, daß jedem Miteigentümer an der gemeinsamen Sache eine Eigentumsquote zusteht, über welche er frei verfügen kann. Zwischen den Miteigentümern besteht ein Gemeinschaftsverhältnis i.S.v. §§ 741 ff., zusätzlich gelten die §§ 1008 – 1011. Jedem Miteigentümer stehen im Zweifel gleiche Anteile zu, § 742; jedem gebühren die Früchte und Gebrauchsvorteile der Sache gemäß seinem Anteil, § 743 I; jeder hat ein Recht auf Mitbesitz an der Sache. Die Verwaltung der Sache steht den Miteigentümern gemeinschaftlich zu, § 744 I, bei Gefahr im Verzug auch jedem einzelnen, § 744 II. Die Nutzung und Verwaltung der Sache kann durch Mehrheitsbeschluß abweichend geregelt werden, ebenso kann das gemäß § 749 I bestehende Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, eingeschränkt werden. Eine solche Regelung wirkt auch für und gegen einen Sondernachfolger (Erwerber, Pfandgläubiger), §§ 746, 75118, auch wenn dieser die getroffene Regelung nicht kennt; einen Schutz des guten Glaubens sehen §§ 746, 751 nicht vor19. Etwas anderes gilt für Grundstücksanteile, § 1010: Die genannten Abreden gelten gegen einen Sondernachfolger nur dann, wenn die Abrede als Belastung im Grundbuch eingetragen ist20. Es handelt sich dabei nicht um den Schutz des guten Glaubens beim 15 16 17 18

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Bei Eigentümermehrheit wird daher Bruchteilseigentum vermutet, wenn nicht das Vorliegen einer Gesamthandsgemeinschaft feststeht. Daß solche Anteile tatsächlich bestehen, ist selbstverständlich, denn anders könnten weder die Lasten noch die Nutzungen und das Vermögen bei der Auflösung verteilt werden. Vgl. im einzelnen Weber-Grellet, AcP 182 (1982), 324 ff. Die Vorschrift wurde von der 2. Kommission eingeführt, vgl. Protokolle 3079 ff., 3085 ff. (Mugdan 2, 1208 ff.). Man war sich darüber klar, daß es eine Anomalie darstelle, eine obligatorische Vereinbarung gegen Dritte wirken zu lassen. Eine solche Regelung sei aber erforderlich, da sonst jede Vereinbarung leicht durch die Veräußerung des Anteils umgangen werden könne. Ein entsprechender Antrag wurde ausdrücklich abgelehnt, Protokolle der 2. Kommission 3086 f. (Mugdan 2, 1210): Der Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes könne hier keine Rolle spielen, da sich ein Eigentumsanteil nicht zum Gegenstand des Verkehrs eigne. Im übrigen müsse sich der Erwerber nach den Rechtsverhältnissen in der Gemeinschaft erkundigen. Für ihn wirken sie auch ohne Eintragung.

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§ 8 III

3. Bruchteilseigentum

§ 8 III 3 b

Erwerb, sondern um eine konstitutive Voraussetzung der dinglichen Wirkung21. Ist die Abrede nicht eingetragen, so haftet ein Erwerber nicht, auch wenn er sie kannte22; es sei denn, er habe die Verpflichtung vertraglich übernommen23. Die Bestellung des Rechts regelt sich nach den §§ 873 ff.24, die Eintragung erfolgt in der zweiten Abteilung des Grundbuchs. Sie begründet ein dingliches Recht an der Sache. § 8 III b) Miteigentum entsteht durch Gesetz25 oder Rechtsgeschäft, wenn z.B. der Alleineigentümer eine Sache an mehrere übereignet oder wenn er einem Erwerber nur einen Bruchteil seines Eigentums überträgt. Die Entstehung regelt sich nach §§ 929 ff. und §§ 873 ff. Miteigentumsanteile entstehen auch dann, wenn der Alleineigentümer seine Sache nur zu einem Bruchteil mit einem Nießbrauch oder Pfandrecht belastet, was zulässig ist26. Ein Vorkaufsrecht, eine Reallast oder ein Grundpfandrecht kann auf diese Weise nicht bestellt werden, vgl. §§ 1095, 1106, 111427. Darüber hinaus kann der Alleineigentümer sein Eigentum nicht beliebig in Bruchteile zerlegen (Vorratsteilung)28. Immerhin sollte man eine solche Vorratsteilung stets dann zulassen, wenn ein berechtigtes Bedürfnis dafür besteht29. Jeder Miteigentümer kann über seinen Anteil frei verfügen, § 747, 1; die Verfügungsbefugnis kann nicht mit dinglicher Wirkung ausgeschlossen werden, § 137. Die Verfügung geschieht in der gleichen Weise, die für das Alleineigentum vorgeschrieben ist30, 21 22

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A.A. Kretzschmar § 1010 N. 4: Es handele sich bei der Eintragung um eine Berichtigung des Grundbuchs. So ausdrücklich die 2. Kommission, Protokolle 3834 ff. (Mugdan 3, 700 ff.); auch TurnauFörster § 1010 N. 2; Staudinger-Gursky § 1010 Rn. 2; Soergel-Stürner § 1010 Rn. 1; Erman-Aderhold § 1010 Rn. 2; RGRK-Pikart § 1010 Rn. 3; Planck-Strecker § 1010 N. 1 c; Palandt-Bassenge § 1010 Rn. 1; Heck § 71, 5; anders zu Unrecht Schlegelberger-VogelsSpreckelsen § 1010 N. 1. Fischer, LM § 1010 Nr. 1 tadelt die Regelung, da sie auch den nicht binde, der von der Abrede wisse; indessen folgt die Regelung der Grundentscheidung des Gesetzes, daß eine obligatorische Bindung des Veräußerers den Erwerber nicht bindet, selbst wenn er sie kennt; so haftet der zweite Käufer nicht dem ersten, selbst wenn er beim Erwerb von dem ersten Kaufvertrag wußte. Der Veräußerer ist aber gegenüber den anderen Miteigentümern aus der Abrede verpflichtet, die vertragliche Bindung an den Erwerber weiterzugeben; andernfalls macht er sich schadensersatzpflichtig, BGH 40, 326 ff. Zur Sicherung des Anspruchs kann eine Vormerkung erwirkt werden; ist das Recht durch Eintragung entstanden und zu Unrecht gelöscht, besteht ein Berichtigungsanspruch nach § 894 u.s.w. Vgl. §§ 923, 947 f., 963, 984. Vgl. Motive 3, 494 und 835 f.; Protokolle der 2. Kommission 4062 f., 4243 (Mugdan 3, 745 und 935); Fuchs § 1008 N. 3; Schlegelberger-Vogels-Spreckelsen § 1008 N. 14; Planck-Strecker N. 3 e α vor § 1008; RGRK-Pikart § 1008 Rn. 27. Der Grund dafür liegt nach den Motiven 3, 454, 586, 639 f. darin, daß für eine Quotenbelastung durch den Alleineigentümer kein Bedürfnis besteht und daß eine solche Belastung zu überflüssigen Schwierigkeiten führt. In Ausnahmefällen, wenn diese Gründe nicht zutreffen, ist eine Quotenbelastung durch den Alleineigentümer zuzulassen, vgl. RG 68, 79: Ein Miteigentümer belastet seinen Anteil mit einer Hypothek; nachdem er die anderen Anteile erworben hat, will er die Hypothek auf das ganze Grundstück ausweiten. BGH 49, 253; MünchenerK-Schmidt § 1008 Rn. 4. BGH 49, 254. Johow hatte dies ausdrücklich in § 214 TE vorgeschrieben, die 1. Kommission hatte es in § 948 E 1 übernommen, die 2. Kommission hat die Vorschrift als selbstverständlich gestrichen, Protokolle 3833 (Mugdan 3, 699).

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§ 8 III 3 b

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

also z.B. nach den §§ 873 ff., 929 ff.31 Ein Vorkaufsrecht zugunsten des anderen Miteigentümers kennt das BGB nicht32. Jeder Miteigentümer kann seinen Anteil belasten, z.B. mit einem Nießbrauch (§ 1066), einem Pfandrecht (§ 1258), einem Vorkaufsrecht (§ 1095), einer Reallast (§ 1106) oder mit einem Grundpfandrecht (§§ 1114, 1192, 1199). Dagegen können solche Rechte nicht an einem Eigentumsanteil bestellt werden, die sich notwendig auf die ganze Sache beziehen: Erbbaurechte, Grunddienstbarkeiten und persönliche Dienstbarkeiten33; sie können nur bestellt werden, wenn alle Miteigentümer § 8 III mitwirken. Jeder Miteigentümer ist auch berechtigt, nur einen Teil seines Anteils zu veräußern und den Rest zu behalten. Veräußert er seinen Anteil an mehrere Erwerber, so entsteht nicht etwa eine Untergemeinschaft an diesem Anteil; die Erwerber werden vielmehr zu einer entsprechend geringeren Quote Teilnehmer an der ursprünglichen Gemeinschaft34. Ein Miteigentümer ist auch berechtigt, nur einen Teil seines Anteils mit einem Pfandrecht oder mit einem Nießbrauch zu belasten, nicht anders als auch ein Alleineigentümer seine Sache zu einem Bruchteil belasten kann. Erwirbt ein Miteigentümer einen weiteren Anteil, so vereinigen sich die früher selbständigen Teile zu einem Teil bzw. zu Alleineigentum. Etwas anderes gilt, wenn ein Bedürfnis zur Aufrechterhaltung der Teilung besteht, z.B. wenn auf einem Teil ein dingliches Recht oder ein Veräußerungsverbot lastet. Soll zwischen den Miteigentümern nur die Quotenhöhe geändert werden (etwa statt 1/2 zu 1/2: 1/3 zu 2/3), so ist bei Grundstücken Auflassung und Eintragung erforderlich35, bei beweglichen Sachen reicht die formlose Einigung aus; eine Änderung in den Besitzverhältnissen ist nicht erforderlich, da der Besitz nichts über die Anteilsquote auszusagen vermag36. In gleicher Weise wie eine sonstige Verfügung ist auch die Dereliktion eines Bruchteilsanteils gemäß §§ 928, 959 möglich37. Nach römischem und gemeinem Recht

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Vgl. dazu bei den jeweiligen Vorschriften. Anders noch ALR I 17 § 61. Vgl. Ulpianus D 8, 1, 2: Unus ex dominis communium aedium servitutem imponere non potest (Ein einzelner Miteigentümer kann dem Grundstück keine Dienstbarkeit auferlegen); ebenso Johow, Begründung 1033; Seeler 53 f., 65; Fuchs § 1008 N. 3 b bb; Kretzschmar § 1008 N. 2; Planck-Strecker N. 3 e α vor § 1008; Schlegelberger-Vogels-Spreckelsen § 1008 N. 13; Staudinger-Gursky § 1008 Rn. 7; MünchenerK-Schmidt § 1008 Rn. 16; RGRK-Pikart § 1008 Rn. 31; Palandt-Bassenge § 1008 Rn. 6. BGH 13, 141; Erman-Aderhold § 1008 Rn. 4; das kann für das Stimmrecht bedeutsam sein, wenn vereinbart ist, daß alle Gemeinschafter – unabhängig von ihrer Quote – ein gleiches Stimmrecht haben. Die genannte Regel gilt nur für die dingliche Rechtsstellung, schuldrechtlich kann etwas anderes gelten, vgl. Weitnauer, Streitfragen zum Wohnungseigentum, DNotZ 1960, 116. So schon Johow, Begründung 1037; ferner RGRK-Pikart § 1008 Rn. 29. Vgl. Johow 1037; Palandt-Bassenge § 1008 Rn. 6; Heck § 57 II. Dagegen kann ein Alleineigentümer nicht eine Eigentumsquote derelinquieren, vgl. Modestinus D 41, 7, 3: Si in re communi socius partem suam reliquerit, eius esse desinit, ut hoc sit in parte quod in toto. atquin totius rei dominus efficere non potest, ut partem retineat, partem pro derelicto habeat (Wenn er seinen Anteil an einer gemeinsamen Sache derelinquiert, gehört er ihm nicht mehr, so daß beim Anteil das Gleiche gilt wie bei der ganzen Sache. Aber der Eigentümer der Sache kann nicht bewirken, daß er einen Eigentumsanteil zurückbehält, einen Teil aber als herrenlos hat).

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3. Bruchteilseigentum

§ 8 III 3 b

wuchs der derelinquierte Teil den anderen Miteigentümern an38, auch Johow wollte dies übernehmen39; doch sollte bei Miteigentum an Grundstücken eine Dereliktion nicht zulässig sein, TE § 215. Dagegen wollte die erste Kommission die Regeln über die Dereliktion allgemein auf Miteigentumsanteile anwenden, § 950 E 1, es sollte jedoch keine Anwachsung eintreten, der derelinquierte Anteil sollte vielmehr herrenlos und okkupierbar werden40. Die zweite Kommission strich die Vorschrift41: Die Vorschriften über die Aneignung seien zumindest bei beweglichen Sachen nicht anwendbar, da niemand ohne den Willen der restlichen Miteigentümer Besitz an der Sache ergreifen könne. Bei der Anwachsung ergebe sich aber die Gefahr der Haftung aus einer Belastung, die auf dem Anteil laste, und der der Erwerber sich nicht entziehen könne, ohne auch seinen ursprünglichen Anteil aufzugeben. Man wollte die Entscheidung der Wissenschaft und Praxis überlassen. Erwägt man die genannten Argumente, so wird deutlich, daß in der Tat die überkommene Lösung, die Anwachsung des derelinquierten Anteils, den Interessen der Beteiligten am weitesten entgegenkommt. Eine Okkupation eines Anteils an einer beweglichen Sache ist zwar nicht unmöglich, aber gegen den Willen der besitzenden Miteigentümer kaum durchzusetzen42. Der Erwerb des Fiskus an Grundstücksanteilen liegt nicht im Interesse der anderen Miteigentümer, zumal die Gefahr besteht, daß beim Fiskus keine Neigung zum Einstieg in eine solche Gemeinschaft bestehen wird. Daher ist bei der Dereliktion eines Eigentumsbruchteils eine Anwachsung entsprechend dem gemeinen Recht anzunehmen. Die Gefahr der Belastung des Erwerbers verliert alle Schrecken, wenn man ihm die Möglichkeit gibt, die Anwachsung zurückzuweisen. Eine andere Meinung nimmt dagegen an, daß der derelinquierte Eigentumsbruchteil herrenlos und okkupierbar wird43. Die schlechteste Lösung geht dahin, die Dereliktion des Anteils unter Einschränkung der Privatautonomie für unwirksam zu erklären und den Eigentümer an ein Übel zu fesseln, das er nicht will44. Vgl. dazu auch unten § 11 IV 4. 38 39 40 41 42 43

44

Vgl. Modestinus D 41, 7, 3; Dernburg, Pandekten I § 195, 3. Johow, Begründung 1039. Protokolle der 1. Kommission 4292 ff. (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 883 f.). Protokolle der 2. Kommission 3841 f. (Mugdan 3, 702 f.). Vgl. unten § 11 IV 2 a a.E. Dies war die früher h.M., vgl. etwa Planck-Strecker § 928 N. III; AK-vSchweinitz § 928 Rn. 4 und jetzt wieder Schnorr, Randolf, Die Gemeinschaft nach Bruchteilen, 2004, 284 ff.; Reichard, Der Verzicht auf einen Miteigentumsanteil, FS Gerhard Otte, 2005, 263 ff., 267 ff. mit Lit. in Fn. 6. So etwa BGH NJW 1991, 2488 ff.; Palandt-Bassenge § 928 Rn. 1; Wilhelm Rn. 136 ff.; MünchenerK-Schmidt § 1008 Rn. 16; Staudinger-Gursky § 959 Rn. 10 und neuestens Hilbrandt, AcP 202 (2002), 631 ff. mit begriffsjuristischer Argumentation sowie die nunmehr h.M.; dagegen zu Recht Finkenauer 154 f.; Kanzleiter, NJW 1996, 906 ff. und Reichard, FS Gerhard Otte 267 f. mit Lit. in Fn. 6. In der Entscheidung des BGH hatte der Beklagte seinen Eigentumsanteil an einem Straßengrundstück derelinquiert, da die Straße für ihn keinen Nutzen hatte. Der ursprüngliche Erbauer der Wohnanlage hatte allen Hauseigentümern auch einen Bruchteil an dem Straßeneigentum übertragen und sie verpflichtet, für den Unterhalt der Straße zu sorgen und diese Verpflichtung auch an alle Rechtsnachfolger weiterzugeben. Der Veräußerer, von welchem der Beklagte sein Haus und den Straßenanteil erworben hatte, hatte das nicht getan. Den Fehler hatte der Erbauer der Siedlung begangen, weil er die Unterhaltspflicht nicht dinglich absicherte, ferner der Veräußerer, der vom Beklagten nicht die Übernahme der Verpflichtung verlangte. Die Miteigentümer hät-

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§ 8 III 3 c

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

Über die ganze Sache können nur alle Miteigentümer zusammen verfügen, § 747, 2; eine Mehrheit der Miteigentümer reicht nicht aus. Sie kann allenfalls gemäß § 745 die Miteigentümer zur Verfügung verpflichten. Verfügen nicht alle Miteigentümer, so handeln sie als Nichtberechtigte; die §§ 892 f., 932 ff. finden Anwendung. Ausnahmsweise kann ein Miteigentümer nach § 744 II auch allein über die Sache verfügen. Die Verfügung muß nicht gemeinsam durch alle Miteigentümer geschehen45, sie kann nacheinander, in unabhängigen Verfügungen über die einzelnen Anteile geschehen46. Denn die Verfügung über die Sache ist nichts anderes als eine Verfügung über alle Anteile47. Bei einer Belastung haftet jeder Anteil für das ganze Recht. Wird daher durch gemeinsame Verfügung der Miteigentümer eine Hypothek bestellt, so entsteht eine Gesamthypothek an den Eigentumsanteilen48. Ist die Verfügung über die gesamte Sache unwirksam49, so kann die Verfügung gemäß § 140 in eine Verfügung über einzelne Anteile umgedeutet werden50. Die Zwangsvollstreckung in einen Miteigentumsanteil erfolgt durch Pfändung des Anteils51, und zwar bei beweglichen Sachen gemäß § 857 ZPO, bei Grundstücken durch Beschlagnahme gemäß § 20 ZVG. Der Gläubiger kann dann entweder den Anteil versteigern lassen52 (was regelmäßig unwirtschaftlich sein dürfte) oder aber die ganze Sache im Wege der Teilungsversteigerung, § 75353. § 8 III c) Das römische und gemeine Recht lehnten Rechte an eigener Sache grundsätzlich 54 ab, machten jedoch beim Miteigentum gewisse Ausnahmen . Die Miteigentümer konnten zwar einem von ihnen kein Recht an der Sache bestellen; wurde aber bei einer Grunddienstbarkeit der Eigentümer des herrschenden Grundstücks Miteigentümer des dienenden oder der Eigentümer des dienenden Grundstücks Miteigentümer des herrschenden, so bestand die Grunddienstbarkeit weiter55. Das BGB steht dem Recht an eigener Sache aufgeschlossener gegenüber; schon Johow ließ in § 213 II TE eine Belastung der Sache auch zugunsten eines Miteigentümers zu (heute § 1009 I BGB). Die 44

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ten die Möglichkeit gehabt, den Veräußerer, der die Unterhaltungsverpflichtung nicht an den Beklagten weitergegeben hatte, wegen Schadensersatzes in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des BGH verpflichtet den Beklagten für die Zukunft, den Unterhalt der für ihn nutzlosen Straße für die anderen Hauseigentümer zu zahlen. Natürlich kann er die Aufhebung der Gemeinschaft betreiben, aber wird sich ein Käufer finden, der eine Straße kauft, die nur Kosten bringt? Oder könnte es vielleicht lohnen, die Straße zu ersteigern und von den früheren Miteigentümern eine Maut zu erheben? So aber zu Unrecht Turnau-Förster § 1008 N. I 3. Vgl. Paulus D 8, 4, 18. Schlegelberger-Vogels-Spreckelsen § 1008 N. 17. RG 146, 363 ff. Etwa weil ein Miteigentümer geschäftsunfähig war. RG JW 1910, 473; Palandt-Bassenge § 1008 Rn. 4; die entgegenstehende Entscheidung OLG Frankfurt, DRpfl 1975, 174 ist nur im Ergebnis richtig (wer ein Grundstück erwerben will, will im Zweifel keinen Miteigentumsanteil erwerben), nicht aber in der Begründung, da § 140 übersehen ist. Würde die Sache selbst gepfändet, so hätten die anderen Miteigentümer die Widerspruchsklage nach § 771 ZPO, vgl. RG 144, 236 ff. Bei Grundstücken gemäß dem Zwangsversteigerungsgesetz. Die Art der Vollstreckung in Grundstücksanteile ist in der Literatur umstritten. Vgl. oben § 1 II 3 b. Vgl. z.B. Paulus D 8, 1, 8, 1.

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3. Bruchteilseigentum

§ 8 III 3 d

zweite Kommission nahm noch für subjektiv dingliche Grundstücksrechte den entsprechenden § 1009 II auf 56. Gemäß § 1009 I können die Miteigentümer die Sache zugunsten eines von ihnen belasten57. Der Miteigentümer steht also beim dinglichen Vertrag sowohl auf der Besteller- als auch auf der Erwerberseite, § 1009 I macht eine Ausnahme von § 181. Die Belastung muß auf der Bestellerseite von allen Miteigentümern vorgenommen werden, also auch vom Erwerber, doch liegt in der Annahme der Erklärungen durch den Erwerber regelmäßig auch die Erklärung, die Sache belasten zu wollen. Sind A, B und C Miteigentümer eines Grundstücks und haben A und B eine Hypothek für C bewilligt, so liegen im Eintragungsantrag des C (§ 13 GBO) sowohl die konkludente Annahmeerklärung des C nach § 873 als auch die konkludente Zustimmung zur Belastung der Sache nach § 747, 2 und die konkludente Bewilligung nach § 19 GBO. Die Bewilligung ist aber grundbuchrechtlich nur wirksam, wenn der Antrag in der Form des § 29 GBO (Beglaubigung) eingereicht wurde. Die Hypothek ist eine Gesamthypothek, und zwar Fremdhypothek an den Anteilen des A und B, Eigentümerhypothek am Anteil des C58. § 1009 I regelt nur die Neubestellung eines beschränkten Rechts. Erwirbt der Inhaber eines Pfandrechts oder eines Nießbrauchs nachträglich Miteigentum an der belasteten Sache, so tritt keine Konsolidation ein; das Recht bleibt vielmehr bestehen. § 1009 II trifft eine Regelung für subjektiv dingliche Rechte an Grundstücken59. Hat der Miteigentümer eines Grundstücks ein anderes Grundstück in Alleineigentum, so kann ein subjektiv dingliches Recht sowohl für das gemeinsame Grundstück am anderen als auch für das andere Grundstück am gemeinsamen bestellt werden. § 8 III d) Jeder Miteigentümer kann nicht nur seinen Eigentumsanteil durch Ansprüche geltend machen, er ist gemäß § 1011 vielmehr berechtigt, das Eigentum an der ganzen Sache geltend zu machen60. Es handelt sich um eine gesetzliche Prozeßstandschaft, deren Zweck im Schutz des einzelnen Miteigentümers liegt: Er soll das Recht an der Sache auch dann geltend machen können, wenn andere Miteigentümer nicht mitwirken wollen. Die Interessen der anderen Miteigentümer sind nicht betroffen; macht ein Miteigentümer den Anspruch geltend, so kommt dies allen zugute, etwa bei den Ansprüchen nach §§ 1004, 1005, 894 BGB, § 771 ZPO. Anders verhält es sich bei Herausgabeansprüchen; die Herausgabe an einen der Miteigentümer berührt die Interessen der anderen. Daher kann gemäß § 1011 zwar jeder Miteigentümer auch den Herausgabeanspruch selbständig geltend machen, er kann aber entsprechend § 432 I nur Herausgabe an alle Miteigentümer verlangen oder aber Hinterlegung bzw. Verwahrung. Ein solcher Herausgabeanspruch kann sich aus §§ 985, 1007, 823 und § 812 ergeben. Will oder kann ein Miteigentümer die Sache nicht zurücknehmen, so ist die Sache nach § 986 I 2 (analog) an die restlichen herauszugeben. § 1011 ist auch auf Ersatzansprüche (§§ 989 ff., 823, 812, 816) in Geld anzuwenden, entsprechend dem Zweck der Vorschrift kann jeder Eigentümer entweder Zahlung des vollen Ersatzes an alle verlangen 56 57 58 59 60

Vgl. Protokolle der 2. Kommission 3832 f. (Mugdan 3, 699). Es geht um eine Verfügung über die ganze Sache gemäß § 747, 2, nicht um eine Belastung eines Anteils nach § 747, 1. So Planck-Strecker § 1009 N. 1; Schlegelberger-Vogels-Spreckelsen § 1009 N. 1. Vgl. §§ 1018, 1094 II, 1105 II. Zu den Besitzschutzansprüchen vgl. oben § 5 IV 4.

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§ 8 III 3 d

§ 8. Eigentum: Begriff, Inhalt, Arten

oder aber Zahlung des Teilwertes an sich selbst61. Das Urteil gegen einen Miteigentümer bewirkt keine Rechtskraft für oder gegen die anderen, es bleibt bei § 325 ZPO62. Johow wollte in § 217 II TE ein für den Miteigentümer günstiges Urteil in Rechtskraft zugunsten aller erwachsen lassen. Die erste Kommission hat das gestrichen, weil sie sich nicht mit prozessualen Fragen befassen wollte63; hier eine Klarheit zu schaffen, sei Aufgabe der Prozeßgesetzgebung. Es ist aber keine Ausnahmeregelung für Miteigentü- § 8 III mer erfolgt.

61 62

63

Vgl. Palandt-Bassenge § 1011 Rn. 2. Vgl. Joerges, ZHR 49 (1900), 143; Planck-Strecker § 1011 N. 2 c; Schlegelberger-VogelsSpreckelsen § 1011 N. 3; Staudinger-Gursky § 1011 Rn. 8; Soergel-Stürner § 1011 Rn. 2; RGRK-Pikart § 1011 Rn. 13; MünchenerK-Schmidt § 1011 Rn. 8. Nach BGH NJW 1985, 2825 ff. soll eine Klage auch gegen den Miteigentümer Rechtskraft erlangen, der der Klage zugestimmt hat. Protokolle der 1. Kommission 4297 f. (Jakobs-Schubert, Sachenrecht I 886 f.).

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§ 9. Eigentumserwerb vom Berechtigten

Literatur: Biermann, Johannes, Traditio ficta, 1891; Brecht, Bedingung und Anwartschaft, JherJahrb 61 (1912), 263 ff.; Bremer, Zur Lehre von dem Besitzerwerbe durch Stellvertreter, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Neue Folge, 20 (1863), 25 ff.; vCaemmerer, Übereignung durch Anweisung zur Übergabe, JZ 1963, 586 ff.; Cohn, Ernst, Das rechtsgeschäftliche Handeln für denjenigen, den es angeht, 1931; Deutsch, Gutgläubiger Eigentumserwerb durch erlaubte Ansichnahme gemäß § 933?, JZ 1978, 385 ff.; Dönhoff, Sicherungsübereignung durch Raumsicherungsvertrag, BB 1956, 827 ff.; Ebel, Gutgläubiger Erwerb einer Auflassungsvormerkung vom eingetragenen Scheineigentümer und Erbfall, NJW 1982, 724 ff.; Exner, Adolf, Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition nach österreichischem und gemeinem Recht, 1867; ders., Ob und unter welchen Voraussetzungen das constitutum possessorium mit der Wirkung der Besitzübertragung für bewegliche Sachen auszustatten ist, 15. DJT (1880), I 3 ff.; Finkenauer, Rückwirkung der Genehmigung, Verfügungsmacht und Gutglaubensschutz, AcP 203 (2003), 292 ff.; Flume, Der Eigentumserwerb bei der Leistung im Dreiecksverhältnis, FS Ernst Wolf (1985) 61 ff.; Hagen, Zur Rechtsgrundabhängigkeit der Konvaleszenz, AcP 167 (1967), 481 ff.; Hager, Lagerschein und gutgläubiger Erwerb, WM 1980, 666 ff.; ders., Streckengeschäft und redlicher Erwerb, ZIP 1993, 1446 ff.; Harburger, Isidor, Das constitutum possessorium im römischen und heutigen Recht, 1881; Harder, Zur Konvaleszenz von Verfügungen eines Nichtberechtigten bei Beerbung durch den Berechtigten, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, 637 ff.; Hauser, Lorenz, Stellvertretung im Besitz, 1870; Heinsius-Horn-Than, Depotgesetz, 1975; Heymann, Die dingliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditionspapiere, FG Felix Dahn (1905), Band 3, 133 ff.; Heymann-Kötter, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 1971; Hölder, Über Ansprüche und Einreden, AcP 93 (1902), 1 ff.; Huber, Zum Recht des Mitbesitzes, LZ 1930, 1310 ff.; Jhering, Mitwirkung für fremde Rechtsgeschäfte, JherJahrb 1 (1857), 273 ff.; Jung, Der Eigenthumsübergang beim Kommissionseinkauf nach dem Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuchs, ZHR 47 (1898), 183 ff.; Killig, Rudolf, Eigentumserwerb durch Abtretung des Herausgabeanspruchs, insbesondere bei Übergabe des Ladescheins, Diss. Marburg 1934; Kohler, Vertrag und Übergabe, ArchBR 18 (1900), 1 ff.; Krümpel, Der Bestimmtheitsgrundsatz bei Verfügungen über Sammeldepotguthaben, WM 1980, 422 ff.; Kühlberg, Dieter, Der Verkehrsschutz bei den Traditionspapieren, Diss. Hamburg 1970; Kupisch, Durchgangserwerb oder Direkterwerb, JZ 1976, 417 ff.; Lange, Lage und Zukunft der Sicherungsübereignung, NJW 1950, 565 ff.; Langen, Arnold, Eigentumserwerb und -verlust bei Kommissionsgeschäften, 1900; Last, Fragen der Besitzlehre, JherJahrb 62 (1913), 1 ff.; 63 (1913), 71 ff.; Lempenau, Gerhard, Direkterwerb oder Durchgangserwerb bei der Übertragung künftiger Rechte, 1968; Lenel, Stellvertretung und Vollmacht, JherJahrb 36 (1897), 1 ff.; Leonhard, Ob und unter welchen Voraussetzungen das constitutum possessorium mit der Wirkung der Besitzübertragung für bewegliche Sachen auszustatten ist, 15. DJT (1880), I 91 ff.; Litten, Franz, Der Dissens über die Person des Empfängers beim Traditionserwerb durch Stellvertreter, Diss. Halle-Wittenberg 1895; vLübtow, Das Geschäft „für den es angeht“ und das sogenannte „antezipierte Besitzkonstitut“, ZHR 112 (1949), 227 ff.; Martinek, Traditionsprinzip und Geheißerwerb, AcP 188 (1988), 573 ff.; Mitteis, Ludwig, Die Lehre von der Stellvertretung, 1885; Mormann, Der Erwerb beweglicher Sachen auf Grund guten Glaubens in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, WM 1966, 2 ff.; Müller, Das Geschäft für den, den es angeht, JZ 1982, 777 ff.; Müller-Erzbach, Handelsrecht, 2. – 3. Auflage, 1928; ders., Das Recht des Besitzes, AcP 142 (1936), 5 ff.; Neuburger, Eugen, Eigentumserwerb durch Anspruchsabtretung, Diss.

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§ 9. Eigentumserwerb vom Berechtigten

Tübingen 1901; Neumayer, Die sogenannte Vindikationszession (§ 931 BGB) im dogmatischen Spannungsfeld zwischen Übereignung und procuratio in rem, FS Heinrich Lange (1970), 305 ff.; Oertmann, Beiträge zur Lehre von der Abtretung des Eigentumsanspruchs, AcP 113 (1915), 51 ff.; Pappenheim, Max, Handbuch des Seerechts, 3. Band, 1918; Paulus, Kreditsicherung durch Übertragung von Eigentum und Anwartschaftsrechten, JZ 1957, 41 ff.; Peters, Die Verwahrung und Verwaltung von Effekten, JuS 1976, 424 ff.; Pfister, In welchem Zeitpunkt muß der die Verfügung eines Nichtberechtigten Genehmigende Verfügungsmacht haben?, JZ 1969, 623 ff.; Przibilla, Emanuel, Erwerb und Verlust des mittelbaren Besitzes, Diss. Freiburg 1905; ders., Erwerb des mittelbaren Besitzes durch Stellvertreter, JherJahrb 50 (1906), 323 ff.; Puchta, De dominio rerum per procuratorem adquirendo, in: Kleine civilistische Schriften (1851), 362 ff.; Reichel, Der Begriff der Frucht im römischen Recht und im deutschen BGB, JherJahrb 42 (1900), 205 ff.; Rimpler, Das Kommissionsgeschäft, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts V 1 (1928), 477 ff.; Rühl, Helmut, Eigentumsvorbehalt und Abzahlungsgeschäft, 1930; Rümelin, Das Handeln in fremdem Namen im bürgerlichen Gesetzbuch, AcP 93 (1902), 131 ff.; Ruppel, Julius, Die Übertragung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen bei Besitz eines Dritten, Diss. Leipzig 1904; Scherk, Die Einrede aus dem Recht zum Besitz gegenüber dem Eigentumsanspruch auf Herausgabe der Sache (§ 986 I BGB), JherJahrb 67 (1917), 301 ff.; Scheurl, Beiträge zur Bearbeitung des römischen Rechts I, 1852; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. 1976; Schlenzka, Joachim, Die sachenrechtlichen Streitfragen des Konnossementsrechts, 1934; Schlossmann, Siegmund, Der Besitzerwerb durch Dritte, 1881; Schumann, Hans, Handelsrecht II, 1954; Serick, Zur Rechtsnatur des Orderlagerscheines, FS Walter Schmidt (1959), 315 ff.; Siebert, Wolfgang, Das rechtsgeschäftliche Treuhandsverhältnis, 1933; Sohm, Über den Vertragsschluß unter Anwesenden und Vertragsschluß mit einer persona incerta, ZHR 17 (1873), 16 ff.; Staub, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Aufl. 1995 ff.; Stengel, Eberhard, Die Traditionsfunktion des Orderkonnossements, 1975; Strohal, Der Sachbesitz nach dem BGB, JherJahrb 38 (1898), 1 ff.; Süß, Das Traditionsprinzip, ein Atavismus des Sachenrechts, FS M. Wolff (1952), 141 ff.; Tiedtke, Erwerb und Verlust des Sicherungseigentums an eingelagerter Ware, WM 1978, 446 ff.; ders., Die Übereignung eingelagerter Waren bei Ausstellung eines Lagerscheins, WM 1979, 1142 ff.; ders., Erwerb beweglicher und unbeweglicher Sachen kraft guten Glaubens, Jura 1983, 460 ff.; ders., Bestimmtheit der zu übereignenden Sachen bei teilweiser Sicherungsübereignung von Sachgesamtheiten, WiB 1995, 197 ff.; vTuhr, Zur Lehre von der Anweisung, JherJahrb 48 (1904), 1 ff.; Wacke, Die Konvaleszenz der Verfügung eines Nichtberechtigten, SZ (rom. Abt.) 114 (1997), 197 ff.; Wadle, Die Übergabe auf Geheiß und der rechtsgeschäftliche Erwerb des Mobiliareigentums, JZ 1974, 689 ff.; Westermann, Probleme der Sicherungsübereignung von Warenlagern, NJW 1956, 1297 ff.; Wieacker, Die juristische Sekunde, FS Erik Wolf (1962), 421 ff.; Wieling, Empfängerhorizont: Auslegung der Zweckbestimmung und Eigentumserwerb, JZ 1977, 291 ff.; ders., Der mittelbare Besitz, Studi in onore di Cesare Sanfilippo I (1982), 715 ff.; ders., Voraussetzungen, Übertragung und Schutz des mittelbaren Besitzes, AcP 184 (1984), 439 ff.; Wolff, Der Mitbesitz nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 44 (1902), 143 ff.; Wolter, Lutz, Effektenkommission und Eigentumserwerb, 1979; Zitelmann, Übereignungsgeschäft und Eigentumserwerb an Bestandteilen, JherJahrb 70 (1921), 1 ff.; Zöllner, Die Zurückdrängung des Verkörperungselements bei den Wertpapieren, FS Raiser (1974), 249 ff.

Das Gesetz unterscheidet den derivativen, abgeleiteten Eigentumserwerb durch Rechtsgeschäft (§§ 929 – 936) und den originären Eigentumserwerb durch Ersitzung, Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, Fruchterwerb, Aneignung und Fund (§§ 937 – 984). Daneben kann das Eigentum auf mannigfache sonstige Art übergehen, sei es nach den Vorschriften des BGB, sei es nach sonstigen Gesetzen. Hier soll zunächst der abgeleitete Eigentumserwerb behandelt werden, und zwar der Erwerb durch Rechtsgeschäft mit dem Berechtigten.

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1. Einigung

§9 I 1

I. Erwerb durch Einigung und Übergabe, § 929, 1

§9 I 1

§ 929, 1 enthält den Grundtatbestand des abgeleiteten Eigentumserwerbs, von welchem das Gesetz ausgeht: Das Eigentum wird erworben durch Einigung des Veräußerers und Erwerbers über den Eigentumsübergang sowie durch Übergabe der Sache. Das Gesetz entscheidet sich damit einmal für das Trennungsprinzip1, d.h. es reicht für die Übereignung nicht das Grundgeschäft (Kauf u.s.w.) aus, es muß vielmehr ein Übereignungsgeschäft hinzukommen. Das Gesetz entscheidet sich in § 929, 1 weiter für das Traditionsprinzip gegen das Vertragsprinzip2. Es entscheidet sich schließlich zugunsten des Abstraktionsprinzips3 gegen eine kausale Übereignung, d.h. der Eigentumserwerb ist unabhängig von der Existenz oder Wirksamkeit des Grundgeschäfts. Johow hatte das Abstraktionsprinzip ausdrücklich in § 133 seines Entwurfes anordnen wollen, der erste Entwurf hatte dies übernommen4. Die zweite Kommission hat die Vorschrift als überflüssig gestrichen: Das Abstraktionsprinzip ergebe sich bereits daraus, daß für den Eigentumserwerb nicht mehr gefordert werde als Einigung und Übergabe5. Hieraus ergibt sich ferner, daß der Eigentumsübergang von der Kaufpreiszahlung unabhängig ist6. Als Objekte der Übereignung nach den §§ 929 ff. kommen alle beweglichen Sachen in Betracht, auch Gebäude, welche nicht nach §§ 93, 94 wesentliche Bestandteile des Grundstücks geworden sind. Dazu gehören auch die „Wochenendhäuser“ nach §§ 296, 313 ZGB in der ehemaligen DDR7.

1. Einigung Die Einigung ist ein dingliches Rechtsgeschäft, gerichtet auf den Übergang des Eigentums. Die Vorschriften über Willenserklärungen und über Verträge sind anwendbar8. Daher ist bei der Einigung eine Stellvertretung möglich, sie kann bedingt abgeschlossen werden9, sie ist zugunsten eines Dritten möglich, die Parteien sind an die Einigung gebunden10. Im Falle eines Irrtums kommt eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. in Betracht. Die Einigung ist formlos; wird eine Form vereinbart, gelten die §§ 125 – 12911. 1 2 3 4 5 6

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Vgl. oben § 1 III 1 pr., d aa, bb. Oben § 1 III 1 pr., d bb. Oben § 1 III 1 d cc. In § 874 I 2 durch Verweisung auf § 829. Protokolle der 2. Kommission 3678, 3408 (Mugdan 3, 624, 531). Nach justinianischem und gemeinem Recht ging das Eigentum nur über, wenn der Kaufpreis gezahlt oder gestundet war oder wenn dafür eine Sicherheit bestellt war, vgl. Dernburg, Pandekten I § 215, 2. Schon Johow, Begründung 758 f., lehnte eine solche Regelung ab. Vgl. vCraushaar, Grundstückseigentum in den neuen Bundesländern, DDRZ 1991, 361. Vgl. oben § 1 III 2 a. Vgl. dazu unten b. Vgl. oben § 1 III 2 b. Nach MünchenerK-Quack § 929 Rn. 44 ist eine Formabrede für § 929 nicht möglich; darin liege eine unzulässige Änderung der sachenrechtlichen Vertragstypen sowie eine unzulässige Verfügungsbeschränkung, § 137. Beides ist indessen nicht gegeben. Vgl. auch BGH WM 1979, 773, wo jedoch eine Formvereinbarung irrig als Verfügungsverbot i.S.d. § 399 angesehen wird.

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§9 I 1 a

§ 9. Eigentumserwerb vom Berechtigten

Nur selten wird die Einigung ausdrücklich erklärt werden, regelmäßig erfolgt sie konkludent. Wird etwa beim Barkauf die Sache übergeben, so liegt darin regelmäßig die Einigung über den Eigentumserwerb. Im Einzelfall ist aber aus dem Verhalten der Parteien und aus den gesamten Umständen durch Auslegung zu entscheiden, ob ein Übereignungswille vorhanden ist12. Das Aufstellen eines Automaten zeigt den Willen an, das eingeworfene Geld zu Eigentum anzunehmen und die Ware zu übereignen. Läßt der Sicherungsnehmer nach Tilgung der Schuld erkennen, daß er die Angelegenheit als erledigt betrachte, so liegt darin das Angebot auf Rückübereignung der zur Sicherheit bestellten Sache13, welches der Sicherungsgeber regelmäßig nach § 151 annimmt. Wird die Sache nicht bei den Vertragsverhandlungen, sondern erst später übergeben (zugesandt), so ist genau zu prüfen, ob die Einigung nach § 929 schon in den Vertragsverhandlungen liegt oder ob sie erst mit der Zusendung erfolgen soll. Wenn auch die Zahlung des Kaufpreises keine gesetzliche Voraussetzung für den Eigentumsübergang mehr ist, so kann sie doch für die Auslegung des Willens der Beteiligten von entscheidender Bedeutung sein. Hat jemand eine Ware beim Händler ausgesucht, gekauft, gezahlt und vereinbart, daß sie ihm zugeschickt werden soll, so ist anzunehmen, daß die Parteien beim Abschluß der Verhandlung den Übereignungswillen haben14. Das Eigentum wird dann nach § 930 übergehen. Hat der Käufer dagegen nicht bezahlt, so liegt ein Übereignungsangebot erst im Zusenden der Ware, eventuell sogar aufschiebend bedingt durch die Zahlung des Kaufpreises. In der Zwangsvollstreckung wird die Übereignungserklärung durch ein rechtskräftiges Urteil fingiert, § 894 ZPO. §9 I 1 a) Glauben die Parteien, das Eigentum sei bereits auf den Erwerber übergegangen, während das nicht der Fall ist, so fragt sich, ob in der Übergabe der Sache eine Einigung gesehen werden kann. Das wird z.T. mit dem Argument verneint, es fehle eben am Willen, das Eigentum zu übertragen, also gehe es nicht über15. Das ist ebenso wenig richtig wie die Gegenansicht, das Eigentum gehe in solchen Fällen immer über16. Es ist vielmehr auf den hypothetischen Willen der Parteien abzustellen: Hätten die Parteien den Eigentumsübergang gewollt, falls sie gewußt hätten, daß der Erwerber noch nicht Eigentümer war, so geht mit der Übergabe der Sache das Eigentum über17. Wer glaubt, eine eigene Sache zu veräußern, in Wirklichkeit aber eine fremde veräußert, kann nicht anfechten; die Vorschriften über gutgläubigen Erwerb oder Rechtsmängelhaftung sind vorrangig18. Veräußert jemand eine ihm gehörige Sache, glaubt aber er oder der Erwerber irrig, sie gehöre dem Veräußerer nicht, so geht dennoch das 12 13 14

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Vgl. BGH NJW 1990, 1913. BGH WM 1971, 410. Vgl. Heck § 57 III; Westermann-Westermann § 38, 2; E. Wolf § 5 A III h; Staudinger-Wiegand § 929 Rn. 10 ff.; Joerges, Zur Lehre vom Eigentumsübergang beim Versendungskauf, JW 1921, 329 f. So z.B. Planck-Brodmann § 929 N. 4. So etwa MünchenerK-Quack § 929 Rn. 74. Vgl. RG 118, 364 f.; BGH WarnRspr 1968 Nr. 162. An einem solchen Willen fehlte es gerade im Fall RG 81, 141 ff.: Der Insolvenzverwalter übergab eine Sache einem Gläubiger in der Annahme, sie gehöre ihm bereits. Zu Recht hat das Reichsgericht einen Eigentumsübergang verneint. Vgl. Windscheid-Kipp I § 172, 2.

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1. Einigung

§9 I 1 b

Eigentum über19. Veräußert jemand als – unmittelbarer oder mittelbarer – Vertreter eine Sache, von welcher er annimmt, sie gehöre dem Vertretenen, während sie in Wirklichkeit ihm selbst gehört, so ist zu unterscheiden: Tritt der Vertreter im fremden Namen auf, so erwirbt der Erwerber die Sache gutgläubig und endgültig. Tritt er im eigenen Namen auf, so ist die Übereignung nach § 929 wirksam, eine Anfechtung kommt nicht in Betracht20. §9 I 1 b) Die Einigung muß nicht gleichzeitig mit der Übergabe der Sache geschehen; denkbar ist, daß die Einigung erst nach der Übergabe zustande kommt21. Die Frage ist im Wege der Auslegung zu entscheiden22. Wird eine gekaufte Ware an den Käufer übersandt, so liegt darin zwar das Angebot zur Übereignung der Sache; der Käufer muß dieses Angebot aber nicht schon bei der Annahme der Ware annehmen23. Er kann die Sache zunächst nur zu Besitz annehmen und sich die Prüfung der Sache vorbehalten. Rügt er die Sache und stellt er sie zur Disposition des Verkäufers, so lehnt er damit den Eigentumserwerb endgültig ab. Benutzt er die Sache, verfügt er darüber, zahlt er den Kaufpreis, so liegt darin eine konkludente Annahme des Übereignungsangebots24; sie muß dem Veräußerer nicht zugehen (§ 151)25. Eine Annahme ist auch dann gegeben, wenn der Empfänger nicht unverzüglich das Übereignungsangebot ablehnt und die Ware zur Disposition des Absendenden stellt26. Ist die Ablehnung verspätet, so ist das Eigentum auf den Empfänger übergegangen, stellt er jetzt die Ware zur Disposition, so liegt darin das Angebot der Rückübereignung27. Wird dagegen die Ware nicht zugesandt, sondern wird sie dem Empfänger unmittelbar gegeben, so liegt in der Mitnahme der Ware regelmäßig die Annahme des Übereignungsangebots28. Wenn der Empfänger einer zugesandten Ware berechtigt ist, das Übereignungsangebot zunächst nicht anzunehmen, so heißt das jedoch nicht, daß er auch immer so verfährt. Es ist durchaus möglich, daß der Empfänger das Angebot sofort annimmt und da19 20 21

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Vgl. Inst. 2, 20, 11: Plus valet quod in veritate est quam quod in opinione (Es gilt eher das, was tatsächlich ist, als das, was die Parteien glauben). Vgl. Windscheid-Kipp I § 172, 2. Vgl. Palandt-Bassenge § 929 Rn. 7; E. Wolf § 5 A III h; dagegen wollen Kretzschmar § 929 N. 1 c, Wolff-Raiser § 66 I 4 d, Planck-Brodmann § 929 N. 3 b und J. vGierke § 31 I 1 darin immer einen Fall des § 929, 2 sehen. Ein Fall des § 929, 2 ist aber nur gegeben, wenn die Besitzübertragung unabhängig von der Übereignungsabsicht geschieht. Praktisch kommt der Frage keine Bedeutung zu. Übergibt jemand einem Anlageberater Geld, damit dieser es für ihn anlege, so ist durch Auslegung festzustellen, ob darin eine sofortige Übereignung zu sehen ist. Nach BGH NJW 1990, 1913 ist das zu bejahen, das Berufungsgericht hatte sich gegen eine Übereignung ausgesprochen. Die Auslegung des Willens dahin, daß ein Eigentumsverlust soweit als möglich hinausgeschoben wird, erscheint einleuchtend, wenn sich keine Anhaltspunkte für das Gegenteil ergeben. Vgl. auch oben § 1 III 2 a. Vgl. RG 102, 40; 108, 28; Planck-Brodmann § 929 N. 3 b; RGRK-Pikart § 929 Rn. 50; Erman-Michalski § 929 Rn. 30; Soergel-Henssler § 929 Rn. 21; Eichler II 1, 100; Westermann-Westermann § 38, 2. Vgl. RG 64, 146. Vgl. RG 12, 81 f.; Kretzschmar § 929 N. 1 c; Biermann § 929 N. 2 b α; Wolff-Raiser § 66 I 4 b. Vgl. RG 27, 396. RG 12, 78; Kretzschmar § 929 N. 1 c.

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§9 I 1 c

§ 9. Eigentumserwerb vom Berechtigten

mit sofort das Eigentum erwirbt. Ob der Empfänger das eine oder das andere will, ist aus seinen Erklärungen und aus seinem Verhalten durch Auslegung zu ermitteln. Ergeben sich keine sicheren Anhaltspunkte, so ist vom hypothetischen Willen des Empfängers auszugehen. Nicht richtig ist es, mit der h.M. generell den Willen des Empfängers zu unterstellen, er wolle das Übereignungsangebot erst nach einer Prüfung annehmen29. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß der Empfänger regelmäßig sofort Eigentum erwerben will, da das für ihn nur Vorteile bringt30; denn die Annahme der Ware zu Eigentum hindert ihn nicht, Sachmängel geltend zu machen. Der Empfänger hat keinerlei Vorteile, wenn er den Eigentumserwerb aufschiebt. Stellt der Empfänger nachträglich die Ware zur Disposition, so ist darin keineswegs ohne weiteres ein Angebot zur Rückübereignung (§ 930) zu sehen. Hat er etwa den Kaufpreis bereits gezahlt, so wird er eine Rückübereignung nicht wollen, wenn er nicht vorher das Geld zurückerhält31. Möglich ist es aber auch, daß die Einigung der Übergabe zeitlich vorangeht32. Das wird von der h.M., welche eine Bindung an die Einigung ablehnt und ein Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe fordert, zu Unrecht bestritten33. Künftige Sachen z.B. können zwar nicht übereignet werden, doch ist es möglich, eine vorweggenommene Einigung vorzunehmen. So kann man sich etwa über die Übereignung einer Sache einigen, die noch wesentlicher Bestandteil einer anderen ist, aber abgetrennt werden soll34. Das Eigentum geht über, sobald die Sache existiert und übergeben wird. Bei der Einigung müssen die Sachen noch nicht bestimmt sein, eine Bestimmbarkeit reicht aus, z.B. alle Sachen, die in ein bezeichnetes Lager gebracht werden. Wenn das Eigentum übergeht, müssen die Sachen bestimmt sein35. Die Einigung nach § 929, 1 verlangt auch Einigsein über die Person des Erwerbers. Wenn etwa der Veräußerer an den Empfänger als Vertreter eines Dritten übereignen will, der Empfänger aber für sich Eigentum erwerben will, so kommt eine Einigung nicht zustande. Die Einigung erfordert aber nicht, daß der Veräußerer sich eine bestimmte Person als Empfänger vorstellt, er kann sie dem § 9 I 1 übereignen wollen, der die Sache zuerst in Besitz nimmt36. c) Die Einigung kann unter einer Bedingung oder Befristung erfolgen. Ein häufiger Fall aufschiebender Bedingung ist der Eigentumsvorbehalt37, bei der Sicherungsüber29 30 31 32

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Vgl. die Lit. bei Oeckinghaus 81 ff. So zutreffend Krückmann, JW 1924, 676; Oeckinghaus 83 ff. Vgl. Oeckinghaus 85. Da erst Einigung und Übergabe zusammen das dingliche Rechtsgeschäft ausmachen, muß die Verfügungsbefugnis noch zur Zeit der Übergabe bestehen; da andererseits aber nur die Einigung ein Rechtsgeschäft ist, nicht aber die Übergabe, muß die Geschäftsfähigkeit nur bei der Einigung vorhanden sein, nicht mehr bei der Übergabe, vgl. J. vGierke § 31 I 1. Vgl. oben § 1 III 2 b. Vgl. Hedemann § 21 II c 3; Heck § 55, 5; Westermann (5. Aufl. 1969) § 38, 1. Beispiel: Übereignet sind alle Sachen eines Lagers, die der Veräußerer in bestimmter Weise kennzeichnen will. Damit ist die Bestimmbarkeit gegeben. Der Eigentumsübergang (nach §§ 929, 930) kann erst erfolgen, wenn die Sachen wie vereinbart gekennzeichnet und somit bestimmt sind. Näheres vgl. unten VII 4 b bb. Iactus missilium, das Werfen von Geschenken in die Volksmenge, vgl. D 41, 1, 9, 7, kommt heute hauptsächlich in Karnevalsumzügen vor. Ein anderer Fall der traditio ad incertam personam ist die Übergabe durch Verkaufsautomaten; vgl. auch unten VII 5. Vgl. dazu unten § 17.

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1. Einigung

§ 9 I 1 d, e

eignung38 wird bisweilen eine auflösende Bedingung vereinbart. Möglich ist es auch, den Eigentumsübergang von der Existenz eines Grundgeschäfts abhängig zu machen39. Ist eine bedingt übereignete Sache übergeben worden, so geht das Eigentum mit Eintritt der Bedingung automatisch über. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Parteien bei Bedingungseintritt noch geschäftsfähig sind, ob der Veräußerer die Verfügungsbefugnis oder der Erwerber inzwischen den Besitz verloren hat40. Hat der Veräußerer vor Bedingungseintritt nochmals über die Sache verfügt, so wird die Verfügung mit dem Bedingungseintritt unwirksam, § 161 I, doch wird guter Glaube geschützt, § 161 III. Ist eine Sache auflösend bedingt übereignet, so fällt bei Bedingungseintritt das Eigentum ohne jede Besitzveränderung zurück. Auf Verfügungen des Zwischeneigentümers ist § 161 II, III anzuwenden. §9 I 1 d) Die Einigung nach § 929, 1 setzt voraus, daß beide Parteien dieselbe Sache meinen. Damit das Eigentum übergeht, muß die übergebene und die in der Einigung gemeinte Sache identisch sein. Hat der Käufer eine bestimmte Sache ausgesucht, der Verkäufer aber aus Versehen eine andere eingepackt und übergeben, so geht kein Eigentum über. Gemäß dem Spezialitätsprinzip41 muß die Einigung sich auf eine bestimmte Sache beziehen. Sachgesamtheiten können als solche nicht übereignet werden. Möglich ist aber, daß alle Einzelsachen einer Sachgesamtheit unter einer Bezeichnung zugleich übereignet werden, z.B. alle Sachen in einem bestimmten Lager. Der Vorgang enthält soviel Übereignungen nach § 929, 1, wie Sachen vorhanden sind. Die Sachen müssen zur Zeit des Eigentumsübergangs genau bestimmt sein. Daher können zwar alle Sachen eines Lagers übereignet werden, nicht aber z.B. 50 % der Sachen oder 100 von 500 Säcken Kaffee42. Sollen Teilmengen übereignet werden, müssen sie vorher genau bestimmt werden, z.B. durch Verbringen in einen bestimmten Raum des Lagers oder durch Kennzeichnung. e) Die Übereignung muß gemäß § 929, 1 durch den Eigentümer geschehen, ein anderer kann das Eigentum nicht übertragen: Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse haberet43. Dieses Prinzip gilt noch heute, mag es auch durch die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs eine bedeutsame Ausnahme gefunden haben. Eine Verfügung des Eigentümers über sein Eigentum setzt selbstverständlich Geschäftsfähigkeit voraus. Ist der Eigentümer geschäftsfähig, so kann ihm doch die Verfügungsbefugnis über sein Eigentum, d.h. über einzelne Sachen oder über alle, entzogen sein44. So sind etwa Ehegatten, die im gesetzlichen Güterstand leben, ohne Zustimmung des anderen nicht zur Verfügung über Hausrat berechtigt, § 1369. Dem Gemeinschuldner ist die Verfügungsbefugnis über alle seine Gegenstände entzogen, § 80 I InsO. Ausnahmsweise kann auch ein Nichteigentümer Eigentum übertragen, wenn er Verfügungsbefugnis hat45. So hat der Insolvenzverwalter Verfügungsbefugnis über die 38 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. dazu unten § 18. Vgl. oben § 1 III 4 c bb. Zu den Rechtsverhältnissen vor Bedingungseintritt vgl. auch unten § 17 III. Vgl. oben § 1 III 4 a. Vgl. RG 103, 153 f.; RG 113, 57 ff.; BGH 21, 55 f. Ulpian D 50, 17, 54 (Niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selbst hätte). Vgl. auch unten VI. Vgl. oben § 1 III 5. Vgl. dazu unten VI. Nicht hierher gehört der Fall des Stellvertreters; er gibt Erklärungen i